Das Lukasevangelium / Handbuch zum Neuen Testament 5: Mitarbeit:Lietzmann, Hans; Bornkamm, Günther; Lindemann, Andreas, Mitarbeit: Wolter, Michael 9783161495250, 9783161604744, 316149525X

Michael Wolter legt einen ausführlichen Kommentar zum dritten Evangelium vor, der in der Tradition des 'Handbuchs z

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German Pages 798 [811] Year 2008

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Textüberlieferung und frühe Rezeption
2. Verfasser, Zeit und Ort
2.1. Verfasser
2.2. Zeit
2.3. Ort
3. Quellen
4. Die lukanische Jesusgeschichte als episodische Erzählung
5. Intendierte Leser
6. Der theologische Ort der Jesusgeschichte im lukanischen Doppelwerk
Literatur
1. Bibliographien und Literaturberichte
2. Kommentare zum Lukasevangelium
3. Aufsätze, Hilfsmittel und Monographien
4. Festschriften und Sammelbände
5. Abkürzungen
6. Zitierkonventionen
1,1–4: Proömium
1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“
1,5–7 Exposition
1,8–25 Die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers
1,26–38 Die Ankündigung der Geburt Jesu
1,39–56 Der Segen Elisabeths und das Gotteslob Marias
1,57–79(80) Die Geburt des Johannes, sein Name und das Gotteslob seines Vaters
2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“
2,1–3 Exposition
2,4–21 Bethlehem
2,22–39 Jerusalem
2,40–52 Jesus als weiser Knabe
3,1–20: Johannes der Vorläufer
3,21 – 4,13: Die Präsentation Jesu als Sohn Gottes
3,21–22 Geistsalbung und Proklamation
3,23–38 Geschlechtsregister
4,1–13 Erprobung
4,14–44: Der Anfang in Galiläa
4,14–15 Exposition
4,16–30 Nazareth
4,31–41 Kapharnaum
4,42–44 Aufbruch zu weiterer Verkündigung der Gottesherrschaft
5,1 – 6,49: Die Verkündigung der Gottesherrschaft im jüdischen Land
5,1–11 Der wunderbare Fischfang und die ersten Jünger
5,12–16 Die Reinigung eines Aussätzigen
5,17 – 6,11 Streitgespräche über verschiedene Themen
5,17–26 Vollmacht zur Sündenvergebung
5,27–39 Essen und Trinken
6,1–5 Sabbat I
6,6–11 Sabbat II
6,12–49 Die Rede auf dem Feld
6,12–19 Szenische Vorbereitung
6,20–49 Die Rede Jesu
6,20–26 Seligpreisungen und Weherufe
6,27–38 Die Aufhebung des Prinzips der ethischen Reziprozität
6,39–49 „Er hielt ihnen aber auch noch eine Gleichnisrede“
7,1–50: In Kapharnaum und in Naïn
7,1–10 Der Glaube und der Sklave des Centurio
7,11–17 Der Sohn der Witwe
7,18–35 Jesus und Johannes der Täufer
7,18–23 Wer ist Jesus?
7,24–28 Wer ist Johannes?
7,29–35 Jesu Urteil über seine und des Täufers Zeitgenossen
7,36–50 Der Pharisäer und die Sünderin
8,1 – 9,50: Die Vorbereitung für den Weg nach Jerusalem
8,1–3 Jesus und sein Gefolge auf Verkündigungswanderschaft
8,4–21 Vom rechten Hören des Wortes
8,4–8 Das Gleichnis vom Geschick der Saat
8,9–18 Die Deutung des Gleichnisses für die Jünger
8,19–21 Jesu Mutter und seine Brüder
8,22–56 Weitere Erweise von Jesu d‚nami“ und †xous‡a
8,22–25 Jesu Macht über Wind und Wasser
8,26–39 Jesu Macht über eine Legion von Dämonen
8,40–56 Jesu Macht über Krankheit und Tod
9,1–36 Die Vorbereitung der Jünger auf die Nachfolge
9,1–6 Die Aussendung der Zwölf
9,7–9 Die Ratlosigkeit des Herodes
9,10–17 Die Jünger machen das Volk satt
9,18–22 Die christologische Erkenntnis der Jünger und Jesu erste Leidens- und Auferstehungsankündigung
9,23–27 Einweisung in die Nachfolge
9,28–36 Die Offenbarung der δϭεα Jesu vor den Jüngern
9,37–50 Das Unvermögen der Jünger …
9,37–45 … bei der Austreibung eines Epilepsie-Dämons
9,46–50 … und auch sonst
9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem
9,51–56 Ein ungastliches samaritanisches Dorf
9,57–62 Konsequenzen der Nachfolge
10,1–16 Die Aussendung der Zweiundsiebzig
10,17–24 Die Rückkehr der Zweiundsiebzig
10,25–37 Der Rechtsgelehrte und der barmherzige Samaritaner
10,38–42 Martha und Maria
11,1–13 Vom Beten
11,1–4 Das Gebet der Jünger
11,5–13 Die Gebetsrede Jesu
11,14–28 Jesus und die bösen Geister
11,29–32 „Diese Generation ist eine böse Generation“
11,33–36 Das Auge als Lampe des Leibes
11,37–54 Die Weherufe gegen die Pharisäer und Rechtsgelehrten
12,1 – 13,9 Jesus und die Jünger inmitten einer riesigen Volksmenge
12,1–12 Die Ermutigung der Jünger zum öffentlichen Bekenntnis
12,13–21 Von der Wertlosigkeit irdischen Reichtums
12,22–34 Nicht sorgen, sondern das Reich Gottes suchen
12,35–48 Von der Wachsamkeit und Zuverlässigkeit des Dienstpersonals
12,49–53 Feuer, das Familien zerstört
12,54–59 Dieser Kairos als Zeit der Entscheidung
13,1–9 Letzter Aufruf zur Umkehr
13,10–21 Am Sabbat in einer Synagoge
13,10–17 Sabbat III
13,18–21 Zwei Gleichnisse vom Reich Gottes
13,22–35 Unterwegs nach Jerusalem
13,22–30 Draußen vor der engen Tür
13,31–35 Herodes und Jerusalem
14,1–24 Zu Gast bei einem führenden Pharisäer
14,1–6 Sabbat IV
14,7–11 „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt“, und umgekehrt
14,12–14 Die Aufhebung des Prinzips der symposialen Reziprozität
14,15–24 Das Gleichnis von der zurückgewiesenen Einladung
14,25 – 18,34 Irgendwo unterwegs
14,25–35 Die Bedingungen der Jüngerschaft
15,1–32 Das Streitgespräch über die Umkehr von Zöllnern und Sündern
15,1–3 Exposition
15,4–10 Das Doppelgleichnis von dem verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme
15,11–32 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
16,1–31 Vom richtigen Umgang mit Geld und Besitz
16,1–13 Die Rede an die Jünger
16,14–31 Die Rede an die Pharisäer
17,1–10 Noch eine Rede an die Jünger
17,11–21 Der dankbare Samaritaner und die Frage der Pharisäer
17,11–19 Der dankbare Samaritaner
17,20–21 Die Frage der Pharisäer
17,22 – 18,8 Wenn der Menschensohn kommt
17,22–37 Der Tag des Menschensohnes
18,1–8 Das Gleichnis vom Richter und der Witwe
18,9–14 Das Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner
18,15–17 Die Kinder und die Gottesherrschaft
18,18–30 Reichtum und Nachfolge
18,31–34 Jesu zweite Leidens- und Auferstehungsankündigung
18,35 – 19,46: Das Ende der Wanderung
18,35 – 19,28 Jericho
18,35–43 Die Heilung eines Blinden vor Jericho
19,1–10 Zachäus
19,11–28 Das Gleichnis vom Thronprätendenten
19,29–46 Der Einzug in Jerusalem
19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“
19,47–48 Anfangsrahmen
20,1–26 Jesus als Lehrer des jüdischen Volkes und seine Gegner
20,1–8 Die Frage nach Jesu Vollmacht
20,9–19 Das Gleichnis von den Pächtern des Weinbergs
20,20–26 Die Frage nach der Steuer für den Caesar
20,27–40 Die Frage nach der Auferstehung der Toten
20,41–44 Ist der Messias Davids Sohn?
20,45–47 Warnung vor den Schriftgelehrten
21,1–4 Die Gabe der Witwe
21,5–36 Jesu letzte öffentliche Rede
21,37–38 Schlussrahmen
22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern
22,1–6 Der Auftakt: Die Vereinbarung zwischen Judas und Jesu Gegnern
22,7–65 Am Tag der ungesäuerten Brote
22,7–13 Die Vorbereitung des Passafestes
22,14–38 Das letzte Mahl
22,14–20 Passamahl, Brotbrechen und der neue Bund
22,21–23 Der Auslieferer
22,24–30 Vom Dienen und Herrschen
22,31–34 Die Ankündigung der Verleugnung
22,35–38 Mäntel zu Schwertern!
22,39–53 Am Ölberg
22,39–46 Jesus betet, und die Jünger schlafen
22,47–53 Die Auslieferung
22,54–65 Im Haus des Hohenpriesters
22,54–62 Verleugnung
22,63–65 Misshandlung
22,66 – 23,56 Am nächsten Tag
22,66–71 Jesus vor dem Ältestenrat
23,1–25 Jesus vor Pilatus
23,1–5 Anklage und Verhör
23,6–12 Die Überstellung an Herodes Antipas
23,13–25 Die Auseinandersetzung um das Urteil
23,26–49 Kreuzigung und Tod
23,50–56 Grablegung und Vorbereitung der Totensalbung
24,1–52(53) Am ersten Tag der neuen Woche
24,1–12 Das leere Grab
24,13–35 Die Emmausjünger begegnen dem Auferstandenen
24,36–52(53) Jesus erscheint allen Jüngern in Jerusalem
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Handbuch zum Neuen Testament Begründet von Hans Lietzmann Fortgeführt von Günther Bornkamm Herausgegeben von Andreas Lindemann

5

Michael Wolter

Das Lukasevangelium

Mohr Siebeck

Michael Wolter, geboren 1950; Theologiestudium in Berlin, Heidelberg und Göttingen; 1977 Promotion; 1977–83 Redakteur der Theologischen Realenzyklopädie (TRE); 1986 Habilitation; 1988–93 Professor für Biblische Theologie an der Universität Bayreuth; seit 1993 Professor für Neues Testament an der Universität Bonn; seit 2004 Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Pretoria (Südafrika).

ISBN 978-3-16-149525-0 fBr. / eISBN 978-3-16-160474-4 unveränderte eBook-Ausgabe 2022 ISBN 978-3-16-149526-7 Ln. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Bembo Antiqua gesetzt und von GuldeDruck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt.

Vorwort In den letzten Jahren sind viele gute und umfangreiche Kommentare zum Lukasevangelium erschienen. Ebenso vermehren auch die zahlreichen Monographien und Aufsätze, die Jahr für Jahr publiziert werden, ständig unser Wissen über das dritte Evangelium und tragen zu einem besseren Verständnis seiner literarischen und theologischen Eigenart bei. In diesem Kontext wurde mir die Abfassung meines eigenen Kommentars dadurch erleichtert, dass ich ihn für das „Handbuch zum Neuen Testament“ schreiben durfte. Ich habe versucht, das für diese Kommentarreihe spezifische Konzept umzusetzen und das Lukasevangelium auf knappem Raum traditionsgeschichtlich zu erschließen, um auf diese Weise das theologische Anliegen der lukanischen Jesusgeschichte zu profilieren. Gegenüber dem Vorgängerkommentar von Erich Klostermann, der 1919 in erster und 1929 in zweiter Auflage erschienen war, haben dabei vor allem formgeschichtliche Gesichtspunkte eine stärkere Berücksichtigung gefunden. – Weil der Kommentar nicht mehr als einen Band umfassen durfte und weil er darüber hinaus auch ohne Fußnoten auskommen musste, ist freilich ein Text entstanden, der an vielen Stellen nicht besonders lesefreundlich ist. Das ist vor allem immer dann der Fall, wenn lange Sätze durch lange Klammern unterbrochen werden. Hierfür bitte ich die Leser um Nachsicht. Ein Vorwort ist jedoch vor allem dazu da, dass man denjenigen Menschen dankt, die Anteil an der Abfassung und Publikation des Buches haben: Den ersten und größten Dank schulde ich meinen Mitarbeitern, die in den vergangenen vier Jahren mit großem Engagement an der Entstehung des Kommentars mitgewirkt haben: Dr. Jochen Flebbe als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Maren Bohlen, und Leonie Stein als wissenschaftliche Hilfskräfte sowie als studentische Hilfskräfte Martin Kessler, Gerd Maeggi, Sarah C. Prang, Verena Schlarb und Nikolai Tischler. Die Zusammenarbeit mit ihnen hat nicht nur das Entstehen des Kom­mentars befördert, sondern sie hat auch richtig Spaß gemacht. Es ist eigentlich schade, dass jetzt alles vorbei ist. Dasselbe empfinde ich auch gegenüber der Bonner „Lukasübung“, die im Laufe der Jahre zur Legende geworden ist. Die Teilnehmer an dieser Lehrveranstaltung haben mit mir sechs Semester lang das Lukasevangelium und das wachsende Kommentarmanuskript gelesen und kritisch diskutiert. Ihre Korrekturen und Anregungen habe ich dankbar in den Kommentar übernommen (meistens jedenfalls), und mit den Worten von Lk 22,28 möchte ich der Übung und ihren Mitgliedern darum hier ein Denkmal setzen: ≠meõ" dfi †ste o´ diamemenhk·te" metû †moú †n toõ" peirasmoõ" mou. (Der letzte Genitiv soll hier natürlich ein Genitivus subiectivus sein.) Herr Kollege Hans Dieter Bork (Köln und Bonn) hat es auf sich genommen, das gesamte Manuskript vor der Drucklegung noch einmal durchzusehen. Ihm ist es 

Vorwort

zu verdanken, dass der Kommentar von vielen Fehlern und sprachlichen Torheiten befreit wurde und an zahlreichen Stellen um inhaltliche Präzisierungen ergänzt werden konnte. Jens Schröter (Leipzig), der in derselben Reihe den Kommentar zur Apostelgeschichte schreiben wird, hat die Einleitung gelesen. Seine Kommentare und Hinweise habe ich dankbar aufgenommen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die großzügige finanzielle Förderung der Arbeit am Kommentar. Der achtergewichtige Schlussdank soll jedoch denen gehören, denen der Kommentar ganz unmittelbar seine Entstehung und sein Erscheinen verdankt: Das ist vor allem Andreas Lindemann, der soviel Vertrauen in mich hatte, dass er mir vor vielen Jahren erst die Abfassung dieses Kommentars übertrug und mir dann nach einer langen Zeit des geduldigen Wartens bei der Fertigstellung des Manuskripts mit freundschaftlichem Rat zur Seite stand. Dr. Henning Ziebritzki und Bettina Gade vom Verlag Mohr Siebeck haben den Band mit großer Zuverlässigkeit und Freundlichkeit betreut. Auch ihnen sei darum an dieser Stelle herzlich gedankt. Bonn, am 2. Oktober 2007

VI

Michael Wolter

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Textüberlieferung und frühe Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfasser, Zeit und Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Verfasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die lukanische Jesusgeschichte als episodische Erzählung . . . . . . . . . . . . 5. Intendierte Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der theologische Ort der Jesusgeschichte im lukanischen Doppelwerk . .

1 1 3 4 10 10 10 16 22 26

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bibliographien und Literaturberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kommentare zum Lukasevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufsätze, Hilfsmittel und Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Festschriften und Sammelbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zitierkonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35 35 36 49 54 55

1,1–4: Proömium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“ . . . . . . . . . . . . . 69 1,5–7 Exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1,8–25 Die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers . . . . . 74 1,26–38 Die Ankündigung der Geburt Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1,39–56 Der Segen Elisabeths und das Gotteslob Marias . . . . . . . . 95 1,57–79(80) Die Geburt des Johannes, sein Name und das Gotteslob seines Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2,1–3 Exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2,4–21 Bethlehem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2,22–39 Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2,40–52 Jesus als weiser Knabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 VII

Inhaltsverzeichnis

3,1–20: Johannes der Vorläufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3,21 – 4,13: Die Präsentation Jesu als Sohn Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3,21–22 Geistsalbung und Proklamation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3,23–38 Geschlechtsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4,1–13 Erprobung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4,14–44: Der Anfang in Galiläa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 4,14–15 Exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 4,16–30 Nazareth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4,31–41 Kapharnaum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4,42–44 Aufbruch zu weiterer Verkündigung der Gottesherrschaft . 206 5,1 – 6,49: Die Verkündigung der Gottesherrschaft im jüdischen Land . . . . . . . . . 209 5,1–11 Der wunderbare Fischfang und die ersten Jünger . . . . . . . 209 5,12–16 Die Reinigung eines Aussätzigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 5,17 – 6,11 Streitgespräche über verschiedene Themen . . . . . . . . . . . 218 5,17–26 Vollmacht zur Sündenvergebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 5,27–39 Essen und Trinken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 6,1–5 Sabbat I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 6,6–11 Sabbat II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 6,12–49 Die Rede auf dem Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 6,12–19 Szenische Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 6,20–49 Die Rede Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 6,20–26 Seligpreisungen und Weherufe . . . . . . . . . . . . . . . . 247 6,27–38 Die Aufhebung des Prinzips der ethischen Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 6,39–49 „Er hielt ihnen aber auch noch eine Gleichnisrede“ . 261 7,1–50: In Kapharnaum und in Naïn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 7,1–10 Der Glaube und der Sklave des Centurio . . . . . . . . . . . . . 267 7,11–17 Der Sohn der Witwe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 7,18–35 Jesus und Johannes der Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 7,18–23 Wer ist Jesus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 7,24–28 Wer ist Johannes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 7,29–35 Jesu Urteil über seine und des Täufers Zeitgenossen . . 283 7,36–50 Der Pharisäer und die Sünderin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 8,1 – 9,50: Die Vorbereitung für den Weg nach Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 8,1–3 Jesus und sein Gefolge auf Verkündigungswanderschaft . . . 299 8,4–21 Vom rechten Hören des Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 8,4–8 Das Gleichnis vom Geschick der Saat . . . . . . . . . . . . . 302 8,9–18 Die Deutung des Gleichnisses für die Jünger . . . . . . . 305 8,19–21 Jesu Mutter und seine Brüder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 8,22–56 Weitere Erweise von Jesu d‚nami“ und †xous‡a . . . . . . . . . 313 8,22–25 Jesu Macht über Wind und Wasser . . . . . . . . . . . . . . . 313 VIII

Inhaltsverzeichnis

8,26–39 8,40–56 9,1–36 9,1–6 9,7–9 9,10–17 9,18–22 9,23–27 9,28–36 9,37–50 9,37–45 9,46–50

Jesu Macht über eine Legion von Dämonen . . . . . . . . 315 Jesu Macht über Krankheit und Tod . . . . . . . . . . . . . . 322 Die Vorbereitung der Jünger auf die Nachfolge . . . . . . . . 330 Die Aussendung der Zwölf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Die Ratlosigkeit des Herodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Die Jünger machen das Volk satt . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Die christologische Erkenntnis der Jünger und Jesu erste Leidens‑ und Auferstehungsankündigung . . . 343 Einweisung in die Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Die Offenbarung der d·xa Jesu vor den Jüngern . . . . . 350 Das Unvermögen der Jünger … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 … bei der Austreibung eines Epilepsie-Dämons . . . . . . 355 … und auch sonst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 9,51–56 Ein ungastliches samaritanisches Dorf . . . . . . . . . . . . . . . 368 9,57–62 Konsequenzen der Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 10,1–16 Die Aussendung der Zweiundsiebzig . . . . . . . . . . . . . . . . 374 10,17–24 Die Rückkehr der Zweiundsiebzig . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 10,25–37 Der Rechtsgelehrte und der barmherzige Samaritaner . . . 390 10,38–42 Martha und Maria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 11,1–13 Vom Beten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 11,1–4 Das Gebet der Jünger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 11,5–13 Die Gebetsrede Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 11,14–28 Jesus und die bösen Geister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 11,29–32 „Diese Generation ist eine böse Generation“ . . . . . . . . . . 422 11,33–36 Das Auge als Lampe des Leibes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 11,37–54 Die Weherufe gegen die Pharisäer und Rechtsgelehrten . . 429 12,1 – 13,9 Jesus und die Jünger inmitten einer riesigen Volksmenge . . 437 12,1–12 Die Ermutigung der Jünger zum öffentlichen Bekenntnis 438 12,13–21 Von der Wertlosigkeit irdischen Reichtums . . . . . . . . . 446 12,22–34 Nicht sorgen, sondern das Reich Gottes suchen . . . . . 451 12,35–48 Von der Wachsamkeit und Zuverlässigkeit des Dienstpersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 12,49–53 Feuer, das Familien zerstört . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 12,54–59 Dieser Kairos als Zeit der Entscheidung . . . . . . . . . . . . 471 13,1–9 Letzter Aufruf zur Umkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 13,10–21 Am Sabbat in einer Synagoge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 13,10–17 Sabbat III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 13,18–21 Zwei Gleichnisse vom Reich Gottes . . . . . . . . . . . . . . 485 13,22–35 Unterwegs nach Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 13,22–30 Draußen vor der engen Tür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 13,31–35 Herodes und Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 14,1–24 Zu Gast bei einem führenden Pharisäer . . . . . . . . . . . . . . 499 14,1–6 Sabbat IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 14,7–11 „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt“, und umgekehrt 503 IX

Inhaltsverzeichnis

14,12–14 Die Aufhebung des Prinzips der symposialen Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 14,15–24 Das Gleichnis von der zurückgewiesenen Einladung . . 507 14,25 – 18,34 Irgendwo unterwegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 14,25–35 Die Bedingungen der Jüngerschaft . . . . . . . . . . . . . . . 515 15,1–32 Das Streitgespräch über die Umkehr von Zöllnern und Sündern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 15,1–3 Exposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 15,4–10 Das Doppelgleichnis von dem verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 15,11–32 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn . . . . . . . . . . . . 527 16,1–31 Vom richtigen Umgang mit Geld und Besitz . . . . . . . . 542 16,1–13 Die Rede an die Jünger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 16,14–31 Die Rede an die Pharisäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 17,1–10 Noch eine Rede an die Jünger . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 17,11–21 Der dankbare Samaritaner und die Frage der Pharisäer . 570 17,11–19 Der dankbare Samaritaner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 17,20–21 Die Frage der Pharisäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 17,22 – 18,8 Wenn der Menschensohn kommt . . . . . . . . . . . . . . . . 578 17,22–37 Der Tag des Menschensohnes . . . . . . . . . . . . . . . . 578 18,1–8 Das Gleichnis vom Richter und der Witwe . . . . . . 585 18,9–14 Das Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner . . . . . . 591 18,15–17 Die Kinder und die Gottesherrschaft . . . . . . . . . . . . . . 595 18,18–30 Reichtum und Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 18,31–34 Jesu zweite Leidens‑ und Auferstehungsankündigung . . 603

18,35 – 19,46: Das Ende der Wanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 18,35 – 19,28 Jericho . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 18,35–43 Die Heilung eines Blinden vor Jericho . . . . . . . . . . . . 607 19,1–10 Zachäus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 19,11–28 Das Gleichnis vom Thronprätendenten . . . . . . . . . . . 616 19,29–46 Der Einzug in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 19,47–48 Anfangsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 20,1–26 Jesus als Lehrer des jüdischen Volkes und seine Gegner . 638 20,1–8 Die Frage nach Jesu Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . 639 20,9–19 Das Gleichnis von den Pächtern des Weinbergs . . . 642 20,20–26 Die Frage nach der Steuer für den Caesar . . . . . . . . 649 20,27–40 Die Frage nach der Auferstehung der Toten . . . . . . . . 654 20,41–44 Ist der Messias Davids Sohn? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 20,45–47 Warnung vor den Schriftgelehrten . . . . . . . . . . . . . . . 662 21,1–4 Die Gabe der Witwe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 21,5–36 Jesu letzte öffentliche Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 21,37–38 Schlussrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 

Inhaltsverzeichnis

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686 22,1–6 Der Auftakt: Die Vereinbarung zwischen Judas und Jesu Gegnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692 22,7–65 Am Tag der ungesäuerten Brote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 22,7–13 Die Vorbereitung des Passafestes . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 22,14–38 Das letzte Mahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 22,14–20 Passamahl, Brotbrechen und der neue Bund . . . . . . 698 22,21–23 Der Auslieferer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708 22,24–30 Vom Dienen und Herrschen . . . . . . . . . . . . . . . . . 710 22,31–34 Die Ankündigung der Verleugnung . . . . . . . . . . . . 715 22,35–38 Mäntel zu Schwertern! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 22,39–53 Am Ölberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720 22,39–46 Jesus betet, und die Jünger schlafen . . . . . . . . . . . . 720 22,47–53 Die Auslieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 22,54–65 Im Haus des Hohenpriesters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728 22,54–62 Verleugnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 22,63–65 Misshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 22,66 – 23,56 Am nächsten Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 22,66–71 Jesus vor dem Ältestenrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 23,1–25 Jesus vor Pilatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 23,1–5 Anklage und Verhör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 23,6–12 Die Überstellung an Herodes Antipas . . . . . . . . . . . 740 23,13–25 Die Auseinandersetzung um das Urteil . . . . . . . . . . 745 23,26–49 Kreuzigung und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 23,50–56 Grablegung und Vorbereitung der Totensalbung . . . . . 764 24,1–52(53) Am ersten Tag der neuen Woche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 24,1–12 Das leere Grab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 24,13–35 Die Emmausjünger begegnen dem Auferstandenen . . . 774 24,36–52(53) Jesus erscheint allen Jüngern in Jerusalem . . . . . . . . . . 787

XI

Einleitung 1. Textüberlieferung und frühe Rezeption Literatur: Biblia patristica. Index des citations et allusions bibliques dans la littérature patristique, ed. Centre d’analyse et de documentation patristiques. I. Des origines à Clément d’Alexandrie et Tertullien, Paris 1975, 319–378. – The Gospel According to St. Luke. – V. Martin/R. Kasser, Papyrus Bodmer XIV. Évangile de Luc chap. 3–24 (BBod), Genf 1961. K. Aland, Die Bedeutung des P75 für den Text des Neuen Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes (ANTF 2), Berlin 1967, 155–172. – C.B. Amphoux, Les premières éditions de Luc, EThL 67 (1991) 312–327; 68 (1992) 38–48. – H.W. Bartsch, Codex Bezae versus Codex Sinaiticus im Lukasevangelium, Hildesheim u. a. 1984. – A.J. Bellinzoni, The Gospel of Luke in the Second Century CE, in: Literary Studies in Luke-Acts, 59–76. – Ders., The Gospel of Luke in the Apostolic Fathers: An Overview, in: Trajectories through the New Testament and the Apostolic Fathers, 45–68. – F. Bovon, The Reception and Use of the Gospel of Luke in the Second Century, in: Reading Luke, 379–400. – J. Duplacy, P75 (Pap. Bodmer XIV–XV) et les formes les plus anciennes du texte de Luc, in: L’évangile de Luc, 21–38. – J.A. Fitzmyer, Papyrus Bodmer XIV: Some Features of Our Oldest Text of Luke, CBQ 24 (1962) 170–179. – A. Gregory, Looking for Luke in the Second Century, in: Reading Luke, 401–415. – Ders., The Reception of Luke and Acts in the Period before Irenaeus (WUNT 2/169), Tübingen 2003. – A. v. Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, Leipzig 21924 = Darmstadt 1996. – M. Klinghardt, Markion vs. Lukas. Plädoyer für die Wiederaufnahme eines alten Falles, NTS 52 (2006) 484–513. – J. Knox, Marcion and the New Testament, Chicago 1942 = New York 1980, 77–113.114–139. – C.H. Kraeling, A Greek Fragment of Tatian’s Diatessaron, from Dura, London 1935. – A. Ritschl, Das Evangelium Marcions und das kanonische Evangelium des Lucas, Tübingen 1846. – U. Schmid, Marcions Evangelium und die neutestamentlichen Evangelien, in: Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung, 67–77. – J.B.Tyson, Marcion and Luke-Acts, Columbia, SC 2006. – M.Vinzent, Der Schluß des Lukasevangeliums bei Marcion, in: Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung, 79–94. – D.S. Williams, Reconsidering Marcion’s Gospel, JBL 108 (1989) 477–496.

1.1. Als ältester erhaltener Textzeuge für das Lukasevangelium gilt gegenwärtig P4 (mit Lk 1,58–59; 1,62 – 2,1.6–7; 3,8 – 4,2.29–32.34–35; 5,3–8; 5,30 – 6,16), der um 200 entstanden sein soll. Ebenfalls auf das Ende des 2. oder den Anfang des 3. Jahrhunderts datiert wird P75, der 1961 von Martin/Kasser* publizierte Papyrus Bodmer XIV. Von ihm sind erhalten: Lk 3,18–22; 3,33 – 4,2; 4,34 – 5,10; 5,37 – 6,4; 6,10 – 7,32.35–39.41–43; 7,46 – 9,2; 9,4 – 17,15; 17,19 – 18,18; 22,4 – 24,53. Im 3. Jahrhundert entstanden sind auch noch: P45 (mit Lk 6,31–41; 6,45 – 7,7; 9,26–41; 9,45 – 10,1.6–22; 10,26–11,1.6–25.28–46; 11,50 – 12,12.18–37; 12,42 – 13,1.6–24; 13,29 – 14,10.17–33), P69 (mit Lk 22,41.45–48.58–61) und P111 (mit Lk 17,11–13.22–23). 

Einleitung

Die älteste bekannte Pergamenthandschrift mit einem Text des LkEv ist zur Zeit 0171 (Nestle/Aland27, 699: „ca. 300“) mit dem Text von Lk 22,44–56.61–64. Vollständig erhalten ist das Lukasevangelium erstmals in den großen Pergamenthandschriften des 4. und 5. Jahrhunderts: a 01 (Cod. Sinaiticus), A 02 (Cod. Alexandrinus) B 03 (Cod. Vaticanus) und – allerdings mit umfangreichen Lücken – in der Palimpsesthandschrift C 04 (Cod. Ephraemi rescriptus). In der Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften steht das LkEv hier immer an dritter Stelle hinter dem MtEv und dem MkEv, und diese Position nimmt es auch in fast allen Kanonverzeichnissen ein. Die einzigen bekannten Ausnahmen sind das Kanonverzeichnis des Codex Claromontanus D 06 und der sog. Cheltenham-Kanon, die beide wohl aus dem 4. Jahrhundert stammen (vgl. Zahn, Grundriss, 81–84): In beiden Verzeichnissen steht das LkEv hinter den anderen drei Evangelien (Cod. Claromontanus: Mt, Joh, Mk, Lk; Cheltenham-Kanon: Mt, Mk, Joh, Lk) an vierter Stelle, gefolgt vom Corpus Paulinum. Es gibt keine einzige Handschrift und kein Kanonverzeichnis, in dem auf das Lukasevangelium unmittelbar die Apostelgeschichte folgt. Daraus kann man schließen, dass das lukanische Doppelwerk von Anfang an in zwei physisch selbständigen Einheiten existierte, die auch getrennt voneinander publiziert wurden und dann im Zuge des neutestamentlichen Kanonisierungsprozesses in zwei unterschiedliche Sammlungen gerieten; s. auch Schröter, Von Jesus zum Neuen Testament, 314 f; Sterling, Historiography, 338 f mit dem Hinweis auf Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 7,70,2, woraus hervorgeht, dass Dionys das erste Buch seines Geschichtswerks separat publiziert hat (™ pr„th graffl, √n perÑ toú gfinou“ a§tùn suntax›meno“ †xfidwka «das erste Buch, das ich über ihren Ursprung geschrieben und publiziert habe»). 1.2. Ältester Zeuge für die Existenz des LkEv ist Markion, der Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom ein anonymes „Evangelium“ herausgab, das dem kanonischen LkEv einerseits sehr ähnelte – es enthielt ganz offensichtlich keine Perikope, die nicht auch im LkEv steht –, andererseits aber viel kürzer war. Mit Hilfe von Kirchenväterzitaten ist es fragmentarisch rekonstruierbar (vgl. v. Harnack* 183*ff, dessen Arbeit freilich revisionsbedürftig ist; s. Williams*). In altkirchlicher Zeit wurde angenommen, dass Markion sein „Evangelium“ aus einer Kürzung des vorliegenden LkEv gewonnen hat, und diese Einschätzung wird auch heute noch weithin geteilt (vgl. zuletzt Schmid* 68 f und die dort genannte Literatur; Vinzent*). Seit einigen Jahren gibt es jedoch Anfragen an diesen Konsens, die von Gregory*, Reception, 173 ff am differenziertesten formuliert werden (s. auch Tyson*; Klinghardt*). Dabei wird die alte These wiederbelebt, derzufolge das „Evangelium“ Markions nicht als Kürzung aus dem LkEv entstanden sei, sondern beide Schriften auf einem älteren Evangelium basierten, das einerseits zum kanonischen LkEv erweitert worden sei und das andererseits Markion zur Grundlage seiner eigenen Ausgabe gemacht habe (vgl. bisher im 19. Jahrhundert vor allem Ritschl* und im 20. Jahrhundert Knox*). Gregory* nimmt an, dass es sich dabei um eine Art ‚Ur-Lukas‘ gehandelt habe, d. h. um eine erste Auflage des LkEv ohne Lk 1–2 und ohne die Apostelgeschichte. – Diese These hat ihre schwache Stelle freilich darin, dass sie auf einer Zusatzhypothese basiert, für die es nicht nur keine Indizien im LkEv selbst gibt, sondern die auch auf Grund der Gesamtanlage des lk Doppelwerks (s. u. Abschn. 6) eher unwahrscheinlich ist. Außerdem muss sie natürlich auch voraussetzen, dass Lk 3–24 nicht nur vorweg geschrieben und publiziert wurde (zu einer solchen Praxis vgl. Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 7,70,2 [s. o.]), sondern dass Lukas diese Fassung später auch noch ergänzt und erneut publiziert hat. Und hinzu kommt schließlich noch, dass der markionische Text in Lk 12,8 mit der Auslassung von tùn üggfilwn (vgl. Tertullian, Adv. Marc. 4,28,11 und Epiphanius, Haer. 42,11,6



2. Verfasser, Zeit und Ort

[GCS.Epiph. II,111,11 f]), die ihre Spuren auch im Cod. Sinaiticus (a) hinterlassen hat, eine Lesart voraussetzt, die sich der harmonisierenden Angleichung an Mt 10,32 verdanken dürfte. Demgegenüber scheitert Klinghardts* Annahme, dass das LkEv eine erweiterte „Redaktion des markionitischen Evangeliums“ sei (499), vor allem daran, dass sie den Textbefund ignoriert und nicht beachtet, dass Markions Evangelium an vielen Stellen Formulierungen enthält, die eindeutig der lukanischen Redaktion zuzuweisen sind. Ein besonders augenfälliges Beispiel dafür ist das typisch lukanische Syntagma basile‡an toú jeoú khr‚ssein/e§aggel‡zesjai (Lk 4,43; 8,1; 16,16; Apg 20,25; 28,23.31; sonst nirgends im Neuen Testament), das nach Tertullian, Adv. Marc. 4,8,9; 33,7 bei Lk 4,43; 16,16 auch im „Evangelium“ Markions stand. Dasselbe gilt auch für Lk 22,15 (†pijum‡a †pej‚mhsa toúto tÖ p›sca fageõn mejû ≠mùn prÖ toú me pajeõn; nach Tertullian, Adv. Marc. 4,40,1 und Epiphanius, Haer. 42,11,17 [GCS.Epiph. II,149,17 f] in Markions „Evangelium“) und für Lk 24,25 (markionisch nach Tertullian, Adv. Marc. 4,43,4 und Epiphanius, Haer. 42,11,17 [GCS.Epiph. II,154,10 f]). Auch in Bezug auf die Brotbitte des Vaterunsers (Lk 11,3), von der es bei Origenes, Frgm. zum LkEv 1801 f (GCS IL, Origen. IX, 302) heißt: o´ üpÖ Mark‡wno“ ≤cousi tÉn lfixin oætw“: tÖn ±rton sou tÖn †pio‚sion d‡dou ™mõn tÖ kajû ™mfiran, müsste erst einmal erklärt werden, wie die lukanischen Formulierungen d‡dou und tÖ kajû ™mfiran in einen vorlk Text geraten sein sollten. Und selbst wenn man nur den kritisch gesicherten Minimalbestand von Markions Evangelium zugrundelegt, wie er von Williams* 483 ff nach dem Prinzip der zweifachen Bezeugung bei Tertullian und Epiphanius rekonstruiert wurde, wird deutlich, dass es nicht nur lukanisches Sondergut und Q-Stoffe, sondern auch Markus-Stoff enthielt. Es setzt also auch die Zusammenfügung von MkEv, Q und SLk zu einer Evangelienschrift voraus, von der bei Klinghardts Annahme gänzlich ungeklärt bleibt, wie sie in der Geschichte der synoptischen Überlieferung untergebracht werden soll, wenn sie nicht von Lukas stammt.

1.3. Zitate aus dem LkEv, die dessen Kenntnis bei anderen Autoren bezeugen, finden sich erstmals in den Schriften Justins des Märtyrers kurz nach der Mitte des 2. Jahrhunderts (vgl. vor allem Biblia Patristica*; Bellinzoni*; Gregory*, Reception, 211 ff): 1.Apol. 15,8.9 belegt die Kenntnis von Lk 5,32 und 6,27–28; ebd. 33,4–5 basiert auf der Lektüre von Lk 1,26–35; in Dial. 81,4 ist Lk 20,35–36 verarbeitet, und in ebd. 105,5 ist Lk 23,46 aufgenommen. Die Reihe der Beispiele ließe sich noch verlängern (vgl. Gregory*, Reception, 225 ff). – Wenig später hat Justins Schüler Tatian das LkEv in eine Harmonie der vier dann später kanonisch gewordenen Evangelien, das Diatessaron, eingearbeitet (vgl. Gregory*, Reception, 107 ff), bei dem es sich vermutlich um die Überarbeitung einer nur auf den drei synoptischen Evangelien basierenden Evangelienharmonie Justins handelt. Das bisher einzige griechische Fragment des Diatessaron, das im Jahre 1933 entdeckte und nach seinem Fundort so genannte Dura-Europos-Fragment, belegt die Kenntnis von Lk 23,49–51 (vgl. Kraeling*). Das angebliche Zitat von Lk 10,18 bei Papias (vgl. Schnelle, Einleitung, 283 f) erweist sich bei näherem Hinsehen als nicht verwertbar (vgl. Körtner, Papiasfragmente, 15 f). 2. Verfasser, Zeit und Ort Literatur: Beginnings II, 205–359 (H.J. Cadbury, C.W. Emmet, H. Windisch, and the Editors). – Cadbury, Lexical Notes II und V. – Deissmann, Licht vom Osten, 372–377. – A. v. Harnack, Lukas der Arzt. Der Verfasser des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte, Leipzig 1906. – C. Heil, Lukas und Q, 358–367. – M. Hengel, Die Evangelienüberschriften (SHAW.PH 3/1984), Heidelberg 1984. – Hobart, Medical Language. – J.F. Kelly, The Patristic Biography of Luke, BiTod 74 (1974) 113–119. – H. Klein, Zur Frage nach dem Abfassungsort der Lukasschriften, EvTh 32 (1972) 467–477. – R.A. Lipsius, Die Acten des Lukas, in: ders., Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden II/2, Braunschweig 1884, 354–371. – A. Mittelstaedt, Lukas



Einleitung

als Historiker. Zur Datierung des lukanischen Doppelwerkes (TANZ 43), Tübingen u. a. 2006. – S. Petersen, Die Evangelienüberschriften und die Entstehung des neutestamentlichen Kanons, ZNW 97 (2006) 250–274. – P. Pilhofer, Philippi. I. Die erste christliche Gemeinde Europas (WUNT 87), Tübingen 1995, 153–205.248–254. – J. Regul, Die antimarcionitischen Evangelienprologe (VL 6), Freiburg 1969. – A. Strobel, Lukas der Antiochener (Bemerkungen zu Act 11,28D), ZNW 49 (1958) 131–134. – C.-J. Thornton, Der Zeuge des Zeugen (WUNT 56), Tübingen 1991. – A.J.M. Wedderburn, The ‘We’-Passages in Acts: On the Horn of a Dilemma, ZNW 93 (2002) 78–98. – J. Wehnert, Die Wir-Passagen der Apostelgeschichte (GTA 40), Göttingen 1989. – Weissenrieder, Images, 329–374.

2.1. Verfasser 2.1.1. Der Autor des „Berichts von den Ereignissen, die in unserer Zeit abgeschlossen sind“ (Lk 1,1), spricht zwar von sich selbst (1,3), doch nennt er nicht seinen Namen. Er hat sein Werk also anonym herausgegeben (vgl. dazu Wolter, Die anonymen Schriften, 13 f). Der Name „Lukas“ findet sich erstmals in P75 (s. o. Abschn. 1), und zwar in der Formulierung e§aggfilion katÅ Loukôn, die als subscriptio unter das LkEv gesetzt ist. In den großen Bibelhandschriften (s. o. Abschn. 1) wird der Name dann vom 4. Jahrhundert an entweder als inscriptio über oder als subscriptio unter dem Text des LkEv genannt. Neben der Langform e§aggfilion katÅ Loukôn (P75 A D L W Q X Y 33 M lat samss bopt) gibt es auch die Kurzform katÅ Loukôn (a B pc vgst boms), die jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit textgeschichtlich jünger ist (vgl. Hengel* 10 ff; Petersen* 254). Andere Varianten kann man vernachlässigen. – Die Formulierungen e§aggfilion kat› + Name bzw. kat› + Name sind in allen Evangelien gleich. Daraus lässt sich schließen, dass sie frühestens (nicht „spätestens“, wie Hengel* 47 meint) zu dem Zeitpunkt entstanden sind und den jeweiligen Werken beigegeben wurden, als mindestens zwei verschiedene Evangelienschriften nebeneinander existierten. Die Überschriften hatten die Aufgabe, die Evangelien voneinander zu unterscheiden und Verwechslungen zu vermeiden. Dieser Vorgang wird nicht früher als in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts stattgefunden haben (s. auch Petersen* 273), denn in den Überschriften wird das Wort e§aggfilion als Bezeichnung für ein literarisches Werk gebraucht, und einigermaßen sicher ist diese Bedeutung ansonsten erst in der Mitte des 2. Jahrhunderts bei Justin (1.Apol. 66,3) und höchstens vielleicht schon in den 120er Jahren in der Didache belegt (vgl. dazu Kelhoffer, „How Soon …“; s. auch u. Abschn. 6.1). Loukô“ ist der Kurzname für Loukan·“ oder Louk›nio“ (z. B. Plutarch, Mor. 675d.e; 676e) oder Lo‚kio“, den Gräzisierungen von lat. Lucanus, Lucanius und Lucius (vgl. B/D/R § 1256). Deißmann* hat auf zwei Weihe-Inschriften aus dem pisidischen Antiochien aufmerksam gemacht, wo ein und dieselbe Person sich einmal Loukô“ und einmal Lo‚kio“ nennt. Unter Juden war der Name ganz offensichtlich nicht sehr gebräuchlich. Ilan, Lexicon, 334 verzeichnet außer Lucius v. Kyrene (Apg 13,1), der vielleicht mit dem in Röm 16,21 verzeichneten Judenchristen Lucius identisch ist [s. u. S. 5]), nur einen einzigen jüdischen Mann dieses Namens.

Der älteste eindeutige Beleg für die Zuschreibung des LkEv an einen bestimmten Lukas findet sich ca. 180 bei Irenäus, Haer. 3,1,1: Et Lucas autem sectator Pauli quod ab illo praedicabatur euangelium, in libro condidit «Und Lukas aber, der Begleiter des Paulus, hat das von diesem verkündigte Evangelium in einem Buch zusammengestellt» (s. auch ebd. 3,10,1; 11,8; 14,1–3). Wenig später schreibt der sog. Kanon Muratori (der vielleicht aber auch erst in das 4. Jahrhundert zu datieren ist; vgl. G.M. Hahneman, 

2. Verfasser, Zeit und Ort

The Muratorian Fragment and the Development of the Canon, Oxford 1992; zur Kritik an dieser Annahme: J. Verheyden, The Canon Muratori. A Matter of Dispute, in: The Biblical Canons, 487–556): „Das dritte Buch des Evangeliums ist das nach Lukas. Dieser Lukas, ein Arzt, den Paulus nach der Auffahrt Christi gewissermaßen als Rechtskundigen (quasi ut iuris studiosum) zu sich genommen hatte, hat es in seinem Namen auf der Grundlage von Überlieferung (?) zusammengeschrieben (numeni suo ex opinione concriset). Dennoch hat er den Herrn nicht im Fleisch gesehen und beginnt darum so, wie er ‚folgen‘ konnte, von der Geburt des Johannes an zu erzählen“ (Zl. 2–8); weitere Texte aus der altkirchlichen Überlieferung bei Cadbury, in: Beginnings* II, 210 ff. Mit den beiden zitierten Texten geht die gesamte altkirchliche Tradition davon aus, dass LkEv und Apg von dem Paulusbegleiter namens Lukas verfasst wurden, der in Kol 4,14 (Loukô“ ¨ ¢atrÖ“ ¨ ügapht·“), 2.Tim 4,11 (Loukô“ †stin m·no“ metû †moú) und Phlm 24 (Lukas steht am Ende einer Liste von „Mitarbeitern“ des Paulus, die Grüße ausrichten) erwähnt wird, und dass seine Stimme auch in den sog. Wir-Stücken der Apostelgeschichte zu vernehmen ist (Apg 16,10–17; 20,5–8.13–15; 21,1–18; 27,1–8; 28,11–16). Bisweilen wurden und werden auch noch Lucius von Kyrene, einer der antiochenischen Propheten und Lehrer (Apg 13,1), und der Grußbesteller Lucius aus Röm 16,21 mit Lukas identifiziert (vgl. Origenes, Comm. in Rom. 10,39 [PG 14,1288C]; Ephraem Syr., Comm. in Act zu Apg 12,25 – 13,3 bei F.C. Conybeare, in: Beginnings III, 416; R.C. Ford, ET 32 [1920/21] 219 f; Deißmann* 374 ff; H.J. Cadbury, in: Beginnings V, 489–495; J.D.G. Dunn, Romans 9–16, 1988, 909; s. auch Stuhlmacher, Biblische Theologie I, 227 f). In beiden Fällen sind die Zweifel jedoch groß und zahlreich. – Darüber hinaus wird seit altkirchlicher Zeit immer mal wieder auch der in 2.Kor 8,18 anonym bleibende „Bruder“, den Paulus mit Titus nach Korinth schickt und der dortigen Gemeinde mit herzlichen Worten empfiehlt, mit Lukas gleichgesetzt (Hieronymus, Vir. Ill. 7; s. auch die bei M. Thrall, 2 Corinthians 8–13, 2004, 561 f Genannten). Weitere biographische Angaben finden sich in dem sog. antimarkionitischen Evangelienprolog zum LkEv, der jedoch erst im 4. Jahrhundert entstanden sein dürfte (vgl. Regul* 202). Die lateinische Version lautet (Text nach Regul* 45): Lucas Syrus natione Antiochensis, arte medicus, discipulus apostolorum, postea Paulum secutus usque ad confessionem eius, serviens Deo sine crimine. Nam neque uxorem umquam habens neque filios, LXXIIII annorum obiit in Bithynia, plenus spiritu sancto «Der Syrer Lukas, von Geburt ein Antiochener, ein Arzt von Beruf, ein Schüler der Apostel, ist Paulus später gefolgt bis zu dessen Martyrium, Gott ohne Tadel dienend. Er hatte weder Frau noch Kinder und starb im Alter von 74 Jahren in Bithynien, voll des heiligen Geistes» (andere Versionen lassen Lukas 84jährig in Böotien sterben). Von einer antiochenischen Herkunft des Lukas wissen ebenfalls im 4. Jahrhundert auch Eusebius v. Caesarea (Hist. Eccl. 3,4,6) und Hieronymus (Vir. Ill. 7; Comm. in Matth., Praef. 35 [CChr.SL 77,2]: Lucas medicus natione Syrus Antiochensis), und wahrscheinlich ist diese Überlieferung auch in jener Zeit entstanden (s. auch Regul* 200 f). Auf Grund von Apg 13,1 hält auch Stuhlmacher, Theologie I, 228 eine antiochenische Herkunft des Lukas/Lucius für möglich. Ob das „Wir“ in Apg 11,28D diese Überlieferung „voraussetzt“ (Kümmel, Einleitung, 116) oder die Überlieferung aus ihm „herausgesponnen“ wurde (E. Plümacher, TRE 3,520,53; s. auch schon Lipsius* 355), kann nicht entschieden werden. Unter den neueren Kommentatoren des LkEv vertritt noch Fitzmyer I, 44 ff Lukas’ Herkunft aus dem syrischen Antiochien (s. auch Strobel*). – Weil die Apostelgeschichte detaillierte Kenntnisse über die lokalen Verhältnisse in Philippi erkennen lasse und weil der Über-



Einleitung

gang der paulinischen Mission nach Mazedonien in Apg 16,6–10 so aufwendig inszeniert werde, hält Pilhofer* 157 f es für wahrscheinlich, dass Lukas aus Philippi stammte: Er „gehörte dort aber nicht zum lateinisch sprechenden Bevölkerungsteil (und war schon gar kein civis Romanus), sondern zur Gruppe der griechisch sprechenden makedonischen Bewohner, die in Philippi seit Jahrhunderten heimisch waren“ (s. auch ebd. 248 ff; zur Kritik an dieser These vgl. Broer, Einleitung I, 134 f). – Weitere Traditionen über Lukas stellt Lipsius* zusammen (vgl. auch den Überblick bei Kelly*).

2.1.2. An der traditionellen Annahme, dass das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte von ein und demselben Autor stammen, sind keine begründeten Zweifel mehr möglich (vgl. Parsons/Pervo, Rethinking, 116; Verheyden, Unity, 6 Anm. 13). Umstritten ist demgegenüber, ob der Verfasser von LkEv und Apg mit dem in Kol 4,14; Phlm 24; 2.Tim 4,11 erwähnten Paulusbegleiter namens Lukas identisch ist. Die entscheidende Frage ist dabei, wie man im 2. Jahrhundert darauf kam, dass es sich bei ihm um den anonymen Autor des lk Geschichtswerks handelte. Im 20. Jahrhundert wurde die Gleichsetzung des Paulusbegleiters Lukas mit dem Verfasser von LkEv und Apg vor allem mit dem Argument angezweifelt, dass der Letztgenannte „der paulinischen Theologie völlig fremd gegenüber steht“ (Kümmel, Einleitung, 118) und dass er allein schon darum kein Begleiter des Paulus gewesen sein könne, weil er die paulinische Chronologie durcheinanderbringe, weil er den Apostelkonvent Beschlüsse fassen lasse, die dem paulinischen Bericht von ihm widersprächen (vgl. einerseits Apg 15,20 f.28 f und andererseits Gal 2,6–10), und weil er Paulus „eine Beschneidung des Timotheus (Apg 16,3) zutraut“ (E. Plümacher, TRE 3,521,1 ff). – Inzwischen hat jedoch ein Wandel sowohl in der Paulusinterpretation als auch in der Lukasinterpretation zu der Einsicht geführt, dass beide Autoren theologisch durchaus nicht so weit voneinander entfernt sind, wie lange angenommen wurde (vgl. z. B. S.E. Porter, The Paul of Acts [WUNT 115], Tübingen 1999). Es ist insofern schwerer geworden, die Abfassung des lk Doppelwerks durch den in Kol 4,14; Phlm 24; 2.Tim 4,11 erwähnten Lukas mit dem Hinweis auf die theologische Distanz zwischen dem lk Doppelwerk und der paulinischen Theologie zu bestreiten. Damit sind die Zweifel an dieser Identifikation aber noch lange nicht ausgeräumt: Zwei dieser Texte (Kol 4,14 und 2.Tim 4,11) stammen nicht von Paulus selbst, sondern sind erst nach dem Tod des Apostels entstanden und aus der Grußliste in Phlm 24 mit der einzigen authentischen Erwähnung eines Lukas durch Paulus herausgesponnen worden, um die jeweilige Autorfiktion glaubwürdig zu gestalten (vgl. dazu N. Brox, Zu den persönlichen Notizen der Pastoralbriefe, BZ NF 13 [1969] 76–94). Vor allem 2.Tim 4,11 könnte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle gespielt haben: Wenn es hier heißt, „nur Lukas ist bei mir“, und dieser Brief außerdem so tut, als wäre er von dem in Rom gefangenen Paulus geschrieben worden, der den Tod vor Augen hat (1,17; 4,16 ff), konnte es – so musste die Schlussfolgerung lauten, als man den 2. Timotheusbrief noch für authentisch hielt – eben nur dieser Lukas gewesen sein, von dem der Bericht von der paulinischen Gefangenschaft in Rom stammt, der in Apg 28,17–31 zu lesen ist. Dementsprechend schreibt Irenäus auch mit Verweis auf 2.Tim 4,10–11: Unde ostendit quod semper iunctus ei et inseparabilis fuerit ab eo «dadurch gibt er (sc. Paulus) zu erkennen, dass er (sc. Lukas) immer mit ihm verbunden und von ihm nicht zu trennen war» (Haer. 3,14,1). Und weil man auch schon im 2. Jahrhundert erkannt hatte, dass LkEv und Apg von ein und demselben Autor geschrieben worden waren, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Name Lukas von 2.Tim 4,11 aus erst für den 

2. Verfasser, Zeit und Ort

Verfasser der Apostelgeschichte erschlossen und dann auf das Evangelium übertragen wurde. Zugunsten dieser Reihenfolge lässt sich vielleicht auch die Abfolge der Mitteilungen bei Irenäus, Haer. 3,14,1 anführen: „Lukas, der immer mit Paulus gepredigt hat … et creditus est referre nobis evangelium «und der dafür gehalten wird, dass er uns das Evangelium überliefert»“. Es wäre damit allererst die oben zitierte Auskunft von 2.Tim 4,11 gewesen, mit deren Hilfe man dem anonymen Verfasser des lk Geschichtswerks einen Namen geben konnte. Denkbar ist aber auch, dass der Name Lukas auch schon unabhängig von der Apostelgeschichte am Evangelium haftete (in diesem Sinne vgl. jetzt vor allem wieder Thornton* 78; Jervell, Apg, 80 f; Schröter, Von Jesus zum Neuen Testament, 312 f). Die Konsequenzen wären in diesem Fall sehr weitgehend, denn auf anderes als auf historische Erinnerung ließe sich diese Verknüpfung nicht zurückführen. Wie wollte man sonst und ohne den Umweg über die Apostelgeschichte erklären, dass die Abfassung des LkEv ausgerechnet dem Paulusbegleiter Lukas zugeschrieben wurde? Aufs Ganze gesehen kommen wir aber nicht um die Feststellung herum, dass es in Bezug auf die Person des Verfassers von LkEv und Apg mehr Fragen als Antworten gibt und dass frühere Gewissheiten inzwischen verloren gegangen sind, und zwar auf beiden Seiten. Keine Rolle spielen kann in diesem Zusammenhang die von Hobart* begründete These, wonach der intensive Gebrauch von medizinischen Fachbegriffen in LkEv und Apg darauf schließen lasse, dass deren Verfasser in der Tat der in Kol 4,14 erwähnte Arzt namens Lukas war: Der überwiegende Teil der von Hobart* angeführten Begriffe gehört nicht der spezifisch medizinischen Fachsprache an (vgl. Cadbury*), und darüber hinaus weist der lk Stil „nicht mehr medizinisches Sprachgut und Interesse auf als der Stil zeitgenössischer Schriftsteller, die nicht Mediziner waren“ (Kümmel, Einleitung, 117). Daran hat auch die Untersuchung von Weissenrieder* nichts geändert, die Lukas überdurchschnittliches medizinisches Fachwissen zuschreiben will und dabei nicht beachtet, dass Lukas sich auch auf anderen Gebieten um die Verwendung einer korrekten fachsprachlichen Idiomatik bemüht (vgl. z. B. für das Rechtswesen Bormann, Recht). Außerdem ist ohnehin zweifelhaft, ob die lk Texte wirklich all das tragen können, was Weissenrieder* ihnen auflädt.

2.1.3. Noch einmal eine andere Frage ist, welche Bedeutung die sog. „Wir“-Stücke in Apg 16,10–17; 20,5–15; 21,1–18 und 27,1 – 28,16 in diesem Zusammenhang haben. Rückschlüsse auf den Namen und die Identität des Verfassers von LkEv und Apg erlauben sie nicht. Alle Versuche, aus ihnen eine vom Autor der Apostelgeschichte verarbeitete Quelle zu rekonstruieren, sind daran gescheitert, dass die sprachliche Gestaltung der „Wir“-Stücke mit derjenigen der sie umgebenden Acta-Texte identisch ist. Was Harnack* 56 schreibt, ist darum wirklich „unumstößlich: Die Wirstücke und die Apostelgeschichte haben einen und denselben Verfasser“ (s. auch E. Plümacher, TRE 3,494,38 ff), und diese Feststellung schließt natürlich auch den Verfasser des LkEv ein. Die größte Wahrscheinlichkeit bleibt darum fraglos bei derjenigen Erklärung, die ohnehin am nächsten liegt, wenn der Verfasser eines Geschichtsberichts auf der auktorialen Darstellungsebene in der 1. Person schreibt: dass er „selbst an den im Wir-Stil geschilderten Ereignissen beteiligt war“ (E. Plümacher, TRE 3,514,22 f). Damit ist freilich nicht gesagt, dass „wir“ immer nur ‚Paulus und ich‘ bedeutet. Es verweist vielmehr stets auf die Gruppe, die der Verfasser, Paulus und andere Begleiter bildeten. 

Einleitung

Diskutiert wird vor allen Dingen darüber, ob der Auctor ad Theophilum auch tatsächlich an den im Wir-Stil erzählten Begebenheiten teilgenommen hat, oder ob er nur so tut, als wäre er dabei gewesen. Plümachers eigene Erklärung, Lukas wolle mit dem „Wir“ so etwas wie Seebefahrenheit demonstrieren (ebd. 27 ff; s. auch ders., Wirklichkeitserfahrung und Geschichtsschreibung bei Lukas, ZNW 68 [1977] 2–22), scheitert freilich daran, dass der Wir-Stil weder „lediglich bei der Schilderung von Seereisen erscheint“ (TRE 3,514,28 f; vgl. demgegenüber Apg 16,12b–17; 20,7 f; 21,8–18; 28,14–16) noch alle Seereisen im Wir-Stil erzählt sind. Dieser Sachverhalt widerlegt darum erst recht die These von V.K. Robbins (By Land and By Sea. The We-Passages and Ancient Sea Voyages, in: Perspectives on Luke-Acts, 215–242 u. ö.), der die Wir-Erzählung für ein Stilmittel antiker Seefahrtschilderungen hält. Wedderburn* (das Wir beziehe sich auf einen unbekannten Paulusbegleiter, als dessen Schüler der Verf. der Apg sich verstehe und in dessen Namen er schreibe; 94 ff) will ein obscurum durch ein obscurius erklären und hat darum wohl kaum das Richtige getroffen. Zur Kritik an weiteren Interpretationsversuchen vgl. Wehnert* 112 ff; Thornton* 107 ff.

Die nächstliegende Erklärung ist darum auch hier die beste: Das „Wir“ stammt vom Verfasser des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte, der in Lk 1,3 und in Apg 1,1 mit seinem eigenen „Ich“ vor die Leser hingetreten ist und mit Hilfe der sog. „Wir“-Stücke „seinen eigenen Anteil an den Reisen des Paulus“ gekennzeichnet hat (Dibelius, Aufsätze, 93; s. dann auch Thornton, Zeuge, passim). Damit ist gesagt, dass der Verfasser von LkEv und Apg Paulus nicht ständig begleitet hat, sondern nur dort präsent war, wo er in der 1. Person Plural erzählt. – Mit dieser Einschränkung verliert dann auch einer der gravierendsten Einwände gegen die Identifikation des „Wir“ mit dem Verfasser von LkEv und Apg sein Gewicht: dass die Apostelgeschichte ganz offenkundig nichts von der paulinischen Briefschreiberei weiß und dass in ihr so wenig von der theologischen Sprache der paulinischen Briefe erhalten ist. Dieser Sachverhalt findet eine plausible Erklärung darin, dass alle Paulusbriefe zwischen Apg 16,17 und 20,5 geschrieben wurden, d. h. genau in der Zeit, als der für das „Wir“ verantwortliche Erzähler nicht bei Paulus war: vom 1. Thessalonicherbrief, der während des paulinischen Aufenthalts in Athen (Apg 17,16–33) entstand, bis hin zum Römerbrief, der zur Zeit von Apg 20,3 geschrieben wurde, d. h. unmittelbar bevor der Autor des „Wir“ wieder mit Paulus zusammentraf. Diese Erklärung bleibt auch in dem unwahrscheinlichen Fall richtig, dass der Philipperbrief (oder gar der Philemonbrief) in Rom geschrieben worden sein sollten, denn das könnte sowieso nur nach der in Apg 28,16 erzählten Situation geschehen sein, in der das „Wir“ letztmals auftritt. Diese Identifikation ist außerdem auch gegen die Vorwürfe immun, der Verfasser der Apostelgeschichte bringe die paulinische Chronologie durcheinander, oder er lasse Paulus zu oft nach Jerusalem reisen, oder er liefere in Apg 15 offensichtlich einen unzutreffenden Bericht vom Apostelkonvent: Alle Differenzen betreffen Zeiträume, in denen der Autor des „Wir“ nicht bei Paulus war. Der Verfasser des Lukasevangeliums hat Paulus also in Troas getroffen (Apg 16,10) und ist mit ihm nach Philippi gereist (16,11). Dort wird er von Paulus getrennt, als dieser mit Silas ins Gefängnis gesteckt wird (16,22). Er verliert Paulus dann für einige Jahre aus den Augen und trifft mit ihm wieder in Philippi zusammen (20,5 f). Von dort aus begleitet er Paulus dann u. a. über Troas (20,6–12), Milet (20,15–38), Tyrus (21,3–6) und Cäsarea (21,8–14) nach Jerusalem (21,15). Hier besucht er zusammen mit ihm noch den Herrenbruder Jakobus (21,18). Auf Grund der Festnahme des Paulus 

2. Verfasser, Zeit und Ort

im Tempel (21,33) wird er dann wieder von ihm getrennt. Erst in Cäsarea am Meer trifft er erneut mit ihm zusammen (27,1) und begleitet ihn dann auf der Reise nach Rom (27,1 – 28,14). Dort angekommen, trennt er sich jedoch bereits nach kurzer Zeit wieder von Paulus, nachdem dieser eine eigene Wohnung bezogen hat, in der er von einem Soldaten bewacht wird (28,16). – Soviel wissen wir also vom Verfasser des Lukasevangeliums. Offen bleiben muss, ob er mit dem in Phlm 24 erwähnten „Mitarbeiter“ identisch war und ob er „Lukas“ hieß. Trotzdem wollen wir ihn weiterhin so nennen. 2.1.4. Abschließend müssen wir auch noch nach der religiösen Biographie des Lukas fragen: Ist er in einer jüdischen oder in einer nichtjüdischen Familie aufgewachsen? War er ein Proselyt, der zwar in einem nichtjüdischen Umfeld groß wurde, dann jedoch ein Jude wurde und sich schließlich dem Christentum zuwandte? Oder gehörte er vor seiner Hinwendung zum christlichen Bekenntnis zum Kreis der sog ‚Gottesfürchtigen‘, die sich als Nichtjuden zum Judentum hingezogen fühlten, ohne selbst Juden zu werden (s. dazu u. S. 271)? Noch vor gut 30 Jahren konnte Kümmel, Einleitung, 118 schreiben: „Das einzige, was mit Sicherheit aufgrund des Lk über seinen Verf. gesagt werden kann, ist die Tatsache, daß er ein Heidenchrist war“. Zur Begründung verwies Kümmel darauf, dass Lukas „keine Kenntnis der Geographie Palästinas hat und semitische Begriffe außer ümfln vermeidet“ (ebd.). Ergänzend wird noch auf das Desinteresse an kultischen Fragen (mit Verweis auf die Auslassung von Mk 7,1–23) und auf das Zurücktreten der „typisch jüdische[n] Sühnevorstellung“ hingewiesen (Broer, Einleitung I, 131). Diese Elemente können jedoch selbst zusammengenommen nicht das begründen, was sie begründen sollen: Die Kenntnis der Geographie Palästinas ist ebensowenig ein Indikator für jüdische oder nichtjüdische Identität oder Herkunft wie die Vermeidung oder Benutzung semitischer Wörter. Das Fehlen von Mk 7,1–23 hat ganz andere Gründe als ein angebliches Desinteresse an Reinheitsfragen (s. dazu u. S. 30). Lukas hat auch Mk 7,24 – 8,26 nicht übernommen, und dass er durchaus an Reinheitsfragen interessiert ist, wird in Apg 10,10–16; 11,1–10 erkennbar. Schließlich ist auch die sogenannte „Sühnevorstellung“ weder „typisch jüdisch“ (vgl. nur Versnel, Making Sense), noch ist sie Lukas fremd, wie Lk 22,19.20; Apg 20,28 zeigen. Außerdem findet ihr Fehlen in den Missionsreden der Apostelgeschichte seine Erklärung darin, dass die Deutung des Todes Jesu als Heilstod ein Element der frühchristlichen Binnensprache war, das in Missionsreden ganz fehl am Platze gewesen wäre (Näheres bei 22,19). Darüber hinaus wird seit einigen Jahren mit Recht auf Gesichtspunkte hingewiesen, die erkennen lassen, dass Lukas über eine unverwechselbar jüdisch profilierte kulturelle Enzyklopädie verfügte: Seine ausgezeichnete Kenntnis der Septuaginta, die sogar so weit ging, dass er Septuaginta-Stil imitieren konnte (s. u. Abschn. 4.4.6; außerdem E. Plümacher, TRE 3,506 ff; Fitzmyer I, 114 ff), und die ihn in die Lage versetzte, seine Jesusgeschichte als Fortsetzung der Geschichte Israels zu erzählen (s. bei 1,5), seine Kenntnis der Lehrdifferenzen zwischen Pharisäern und Sadduzäern (Apg 23,6–8), seine präzise Schilderung jüdischer Milieus in Lk 1–2 (Radl, Lukas-Evangelium, 23) und vor allem das herausragende Interesse an der Israelfrage, das Lukas allererst veranlasst haben dürfte, die Geschichte der Trennung von Christentum und Judentum als Bestandteil der Geschichte Israels zu schreiben (vgl. Wolter, Doppelwerk, 262 ff), sprechen dafür, dass der Verfasser des LkEv in einer jüdischen Familie aufgewachsen ist und wie Paulus nicht nur seine primäre, sondern auch seine sekundäre Sozialisation 

Einleitung

in einem jüdischen Milieu erfahren hat (zur Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen der Sozialisation vgl. Berger/Luckmann, Konstruktion, 139 ff). 2.2. Zeit Terminus post quem ist die Abfassung des Markusevangeliums in den Jahren 69/70, das Lukas mit großer Sicherheit gekannt hat (s. u. Abschn. 3). Wenn man annehmen will, dass es ihm in einer überarbeiteten Fassung vorgelegen hat, kann bzw. muss man noch einige Jahre hinzugeben. Dass die Ankündigungen der Zerstörung Jerusalems in Lk 19,43–44; 21,20–24 keine Datierungskriterien sein können, hat zuletzt wieder Mittelstaedt* gezeigt. Dessen Annahme, Paulus habe noch gelebt, als Lukas die Apostelgeschichte beendete, basiert freilich auf einer Verkennung der Gattung des lk Doppelwerks: Lukas schreibt keine Paulusbiographie, und darum kann er sein Werk beenden, ohne den Tod des Paulus zu berichten. – Ein eindeutiger Terminus ante quem ist erst durch die Zitate aus dem LkEv bei Justin dem Märtyrer in der Mitte des 2. Jahrhunderts gegeben (s. o. Abschn. 1). – Jede präzisere zeitliche Einordnung ist von hypothetischen Zusatzannahmen abhängig: Wenn man z. B. „Lukas“ die Wir-Passagen zuschreibt (s. o. Abschn. 2.1.3) und ihn bereits Anfang der 50er Jahre erstmals mit Paulus zusammentreffen lässt (in diese Zeit sind wohl die in Apg 16,10–17 erzählten Ereignisse zu datieren), empfiehlt es sich, den Abschluss seines Doppelwerks in gehörigem Abstand vom Ende des 1. Jahrhunderts zu veranschlagen. Es spricht darum nichts dagegen, Lukas’ prùto“ l·go“ „über alles, was Jesus tat und lehrte“ (Apg 1,1), der zuerst fertig geworden ist, in den Anfang der 80er Jahre des 1. Jahrhunderts zu legen. 2.3. Ort Über den Abfassungsort des LkEv war man sich schon in altkirchlicher Zeit im Unklaren: Hatte Hieronymus in Vir. Ill. 7 noch von einer Niederschrift des lk Doppelwerks in Rom gesprochen, so lässt er es in Comm. in Matth., Praef. 36 f (CChr.SL 77,2) in Achaiae Boeotiaeque partibus entstanden sein. – In neuerer Zeit werden u. a. Antiochien, Caesarea am Meer, Ephesus, Korinth und Rom in Erwägung gezogen (s. auch E. Plümacher, ThR NF 49 [1984] 169), ohne dass sich einer dieser Orte gegen die anderen durchsetzen konnte. Für Rom könnte sprechen, dass der Autor des „Wir“ mit Paulus nach Rom gelangt, und ein weiteres Indiz kann vielleicht auch die Hirtenszene in Lk 2,8–14 liefern (vgl. z.St. sowie Wolter, Hirten, 508 ff), denn mit der Geburtsverkündigung an die Hirten knüpft Lukas an eine politisierte Bukolik an, die ansonsten ausschließlich innerhalb der römischen Bukolik belegt ist (s. u. S. 127). 3. Quellen Literatur: Beyond the Q Impasse – Luke’s Use of Matthew. A Demonstration by the Research Team of the International Institute for Gospel Studies, ed. A.J. McNicol u. a., Valley Forge, PA 1996. – M.-É. Boismard, En quête du proto-Luc, Paris 1997. – K. Bornhäuser, Studien zum Sondergut des Lukas, Gütersloh 1934. – CEQ. – J.D.G. Dunn, Altering the Default Setting: Re-envisaging the Early Transmission of the Jesus Tradition, NTS 49 (2003) 139–175. – J.R. Edwards, The Gospel of the Ebionites and the Gospel of Luke, NTS 48 (2002) 568–586. – Ennulat, ›Minor Agreements‹, 1–34.417–430. – W.R. Farmer, The Present State of the Synoptic

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3. Quellen

Problem, Dillsboro 1976. – P. Feine, Eine vorkanonische Überlieferung des Lukas in Evangelium und Apostelgeschichte, Gotha 1891. – Fleddermann, Q. – T.A. Friedrichsen, The MatthewLuke Agreements against Mark. A Survey of Recent Studies: 1974–1989, in: L’évangile de Luc, 335–392. – Fuchs, Spuren. – Goulder, Luke. – A. Gregory, Prior or Posterior? The Gospel of the Ebionites and the Gospel of Luke, NTS 51 (2005) 344–360. – C. Heil, Einleitung, in: Die Spruchquelle Q, hg. u. eingel. v. P. Hoffmann/C. Heil, Darmstadt/Löwen 2002, 11–28. – Ders., Die QRekonstruktion des Internationalen Q-Projekts, NT 43 (2001) 128–143. – P. Hoffmann, Mutmaßungen über Q, in: The Sayings Source Q and the Historical Jesus, 255–288. – Kiilunen, „Minor Agreements“. – H. Klein, Barmherzigkeit gegenüber den Elenden und Geächteten. Studien zur Botschaft des lukanischen Sondergutes (BThSt 10), Neukirchen-Vluyn 1987. – F. Manns, Un document judéo-chrétien: La source propre à Luc, BeO 38 (1996) 43–62. – Minor Agreements: Symposium Göttingen 1991, hg.v. G. Strecker (GTA 50), Göttingen 1993. – Neirynck, Minor Agreements, 11–48. – Ders., The Minor Agreements and the Two-Source Theory, in: ders., Evangelica II, 3–42. – K. Paffenroth, The Story of Jesus according to L (JSNT.S 147), Sheffield 1997. – Rehkopf, Sonderquelle. – B. Pittner, Studien zum lukanischen Sondergut (EThS 18), Leipzig 1991. – R. Riesner, Prägung und Herkunft der lukanischen Sonderüberlieferung, ThBeitr 24 (1993) 228–248. – Ders., Das Lokalkolorit des Lukas-Sonderguts: Italisch oder palästinisch-juden-christlich?, SBFLA 49 (1999) 51–64. – W. Sanday, The Conditions Under Which the Gospels Were Written, in Their Bearing Upon Some Difficulties of the Synoptic Problem, in: Studies in the Synoptic Gospels, 1–26. – Schröter, Erinnerung. – B. Shellard, New Light on Luke. Its Purpose, Sources and Literary Context (JSNT.S 215), London/New York 2002. – B.H. Streeter, The Four Gospels. A Study of Their Origins, London 1924. – C.M. Tuckett, The Revival of the Griesbach Hypothesis (MSSNTS 44), Cambridge u. a. 1983. – J.B. Tyson, Source Criticism of the Gospel of Luke, in: Perspectives on Luke-Acts, 24–39. – B. Weiss, Die Quellen des Lukasevangeliums, Stuttgart/Berlin 1907. – C. Weizsäcker, Untersuchungen über die evangelische Geschichte, ihre Quellen und den Gang ihrer Entwicklung, Gotha 1864; Tübingen/Leipzig 21901. – M. Wolter, Reconstructing Q?, ET 115 (2003/04) 115–119.

3.1. Für die Interpretation des Lukasevangeliums hat die Frage nach den Quellen und Vorlagen in den letzten Jahren viel von ihrer früheren Bedeutung verloren. Verantwortlich dafür ist vor allem die Einsicht in den methodischen Primat der Synchronie vor der Diachronie bei der Interpretation der Evangelien: Jeder Evangelist hat seine Jesusgeschichte als eine gleichermaßen strukturierte wie kohärente literarische Einheit geschaffen, und er kann darum – selbst wenn seine Darstellung auf Vorlagen basiert, die auch mit ihrem Wortbestand in ihn eingegangen sind – mit Recht beanspruchen, dass der vorliegende Text als sein Text, d. h. als eine von ihm mit Sinn ausgestattete sprachliche Äußerung gelesen wird. Trotzdem ist es natürlich nicht sinnlos, nach den Quellen und Vorlagen der Evangelien zu fragen, zumal Lukas sich auch selbst dazu bekennt, seine Erzählung auf der Grundlage von älteren Darstellungen abgefasst zu haben (Lk 1,1–2). Denn wenn wir diese Vorlagen kennen und wissen, mit welchen Veränderungen (Ergänzungen, Streichungen, Umformulierungen, Umstellungen) der Autor sie in sein Werk übernommen hat, gewinnen wir dadurch Informationen, die uns den Autor, seine Arbeitsweise und seine Intentionen besser verstehen lassen, als wenn wir sein Werk lediglich auf der Grundlage des vorliegenden Endtextes interpretierten. Diese Einsicht hilft jedoch nur theoretisch weiter, denn in der Praxis ist das Vertrauen früherer Jahrzehnte in die literarkritische Rekonstruierbarkeit von Vorlagen inzwischen mit Recht einer sehr viel skeptischeren Einschätzung der diesbezüglichen Möglichkeiten gewichen. Wenn ältere Vorlagen nicht erhalten sind, gibt es kaum eine Chance, ihre Gestalt und ihren Wortlaut aus den auf ihnen basierenden Darstellungen zu rekonstruieren. 11

Einleitung

Diese beiden Caveats sind bei der Frage nach den Quellen und Vorlagen, die der lk Jesusgeschichte zugrundeliegen, ständig präsent zu halten. 3.2. Nach wie vor ist es am plausibelsten, die Frage nach den Quellen und Vorlagen des LkEv im Rahmen der Zweiquellenhypothese zu beantworten (zur Proto-LukasHypothese [vgl. vor allem Streeter* 199–222; Boismard*] und für andere QuellenHypothesen vgl. Fitzmyer I, 73 ff.87 ff.89 ff; Radl* 34 f; Schnelle, Einleitung, 215 ff; Tyson*). Sie rechnet damit, dass im LkEv und im MtEv zwei schriftliche Quellen verarbeitet sind: das MkEv und das nicht handschriftlich überlieferte sog. „Spruchevangelium“ Q. Dieser Rahmen umschließt jedoch sehr viel komplexere Überlieferungsverhältnisse, als die Zweiquellentheorie „in ihrer idealen Form“ annimmt (Heil*, Q-Rekonstruktion, 134; vgl. die Graphik z. B. bei Schmithals, Einleitung, 182). Vor allem können wir nicht sagen, dass wir den Text der beiden Exemplare des MkEv und von Q, die Lukas bei der Abfassung seiner Jesusgeschichte vorlagen, besser als nur mehr oder weniger ungefähr kennen. 3.2.1. Relativ am besten ist uns noch das Markusevangelium bekannt. Hier machen es jedoch die Zahl und vor allem die Qualität der sog. Minor Agreements (die eindeutigsten sind jeweils zur Stelle verzeichnet; vgl. ansonsten Ennulat*; Friedrichsen*; Kiilunen*; Minor Agreements*; Neirynck*) einigermaßen wahrscheinlich, dass Lukas und Matthäus diese Schrift nicht in der uns bekannten, sondern in einer ‚deuteromarkinischen‘ Fassung als Vorlage benutzt haben, die man vielleicht sogar als „Rezension“ bezeichnen kann (so schon Sanday* 21: „… by far the greater number of the coincidences of Mt Lk against Mk are due to the use by Mt Lk … of a recension of the text of Mk different from that from which all the extant MSS. of the Gospel are descended“ [Hervorhebung im Original]). Um „eine Gesamtrevision …, die das ganze MkEv sprachlich und inhaltlich überarbeitete“ (A. Fuchs, SNTU 31,210), handelte es sich dabei freilich nicht (s. dazu u. Abschn. 3.2.3). Wir sind zudem weit davon entfernt, diese Fassung auch nur annäherungsweise rekonstruieren zu können, denn es ist nicht damit zu rechnen, dass alle Minor Agreements auf diese vorlk-mt Gestalt des MkEv zurückgehen. Manche von ihnen dürften sich auch einer zufällig gleichartigen redaktionellen Veränderung des mk Textes durch Lukas und Matthäus verdanken, andere dem Einfluss mündlicher Überlieferung, und wieder andere werden textgeschichtlich zu erklären sein. Umgekehrt ist natürlich auch damit zu rechnen, dass Textbestandteile deuteromarkinischer Provenienz nicht nur dort vorliegen, wo es erkennbare Minor Agreements gibt: Wenn deuteromarkinischer Text entweder von Lukas oder von Matthäus redaktionell verändert wurde, ist er zwar noch bei dem jeweils anderen erhalten, aber natürlich nicht mehr als deuteromarkinisch erkennbar, weil es kein lk-mt Agreement mehr gibt. Und wenn gar beide in den deuteromarkinischen Text eingegriffen haben, ist von ihm überhaupt nichts mehr übrig geblieben. 3.2.2. Eine Übernahme von Text aus dem „Spruchevangelium“ Q, das auf Grund seiner Einbettung der Jesusüberlieferung in narrative Zusammenhänge seit einiger Zeit mit Recht so genannt wird (vgl. Hoffmann, Mutmaßungen, 288; Hultgren, Narrative Elements), ist meistens dort wahrscheinlich, wo Lukas und Matthäus eine gemeinsame Überlieferung wiedergeben, die nicht auch im MkEv erhalten ist. Darüber hinaus ist natürlich auch mit Überschneidungen von Markus und Q zu rechnen, deren Identifikation aber schwierig und umstritten ist (zu ihnen vgl. vor allem Fled12

3. Quellen

dermann, Mark and Q; Laufen, Doppelüberlieferungen; Schröter* 144 ff). Damit ist jedoch nur der Minimalbestand von Q erfasst, denn der Text dieser Schrift hatte mit großer Wahrscheinlichkeit eine ganz andere Gestalt, als die rezenten Rekonstruktionsversuche in der CEQ* und durch Fleddermann* suggerieren. Das gilt zum einen in Bezug auf den Umfang: Wenn Lukas und Matthäus mit Q so umgegangen sind wie mit dem MkEv, von dem weniger als 50 % in beiden Großevangelien erhalten ist, muss damit gerechnet werden, dass ein beträchtlicher Teil des Spruchevangeliums im lk oder im mt „Sondergut“ (s. dazu u. Abschn. 3.3) enthalten ist und damit nicht mehr als Q-Überlieferung identifizierbar ist. Und wie 5 % des MkEv weder bei Lk noch bei Mt erhalten sind, kann dasselbe natürlich auch für Q-Stoff gelten. Außerdem ist aber auch die vorgeschlagene Rekonstruktion des Wortlauts zweifelhaft, und zwar vor allem dort, wo in der lk-mt Doppelüberlieferung unterschiedliche Formulierungen anzutreffen sind: Die vorliegenden Rekonstruktionen setzen durchweg voraus, dass in einer der beiden Formulierungen der Q-Wortlaut erhalten ist. Hierbei handelt es sich jedoch um eine völlig unbegründete Petitio principii, die ganz irreführende Ergebnisse hervorbringt, wie ein Vergleich der lk-mt Wortlautrezeption des MkEv sofort zeigen könnte: In nahezu der Hälfte der Fälle ist die mk Formulierung weder bei Matthäus noch bei Lukas bewahrt. Außerdem ist damit zu rechnen, dass es wie im Mk-Stoff auch im Q-Stoff lk-mt Agreements gibt, die nicht vorlageninduziert sind, so dass es selbst dort, wo wir wortlautidentische lk-mt Doppelüberlieferungen vorfinden, immer eine Restunsicherheit gibt, ob wir es wirklich mit einer Q-Formulierung zu tun haben. Die Rekonstruktion dieser Vorlage ist aus diesem Grunde mit großen Unsicherheiten belastet und kann nur annäherungsweise erfolgen. 3.2.3. Kritisch begleitet wird das von der Zweiquellenhypothese bestimmte Bild der synoptischen Überlieferungsgeschichte seit mehreren Jahrzehnten von Fuchs* und seinen Schülern: Sie gehen von den Minor Agreements aus und nehmen an, dass das MkEv zunächst zu einem „Deuteromarkus“ umgearbeitet worden sei und dass es erst als solches Lukas und Matthäus als Quelle vorgelegen habe. Die dtrmk Redaktion sei vor allem in den Minor Agreements greifbar, doch habe sie auch Stoffe umfasst, die von der Zweiquellentheorie der Logienquelle zugeschrieben werden. Diese These hat sich aus leicht verständlichen Gründen nicht durchsetzen können: Obwohl Fuchs bereits seit mehr als 30 Jahren an seinem Modell arbeitet, ist er nicht in der Lage, die weiteren Stoffe aus der lk-mt Doppelüberlieferung zu identifizieren, um die das ursprüngliche MkEv zu „Deuteromarkus“ erweitert worden sein soll. Sobald die Rede auf dieses Thema kommt, flüchtet er sich in nebulöse Umschreibungen wie: „dass man bei dieser Gelegenheit auch neue Stoffe in das MkEv einschob, ist nur selbstverständlich (Logienagreements)“ (SNTU 31,210), oder: diese „Logien“ seien aus „Q oder andere(n) Quellen“ „an allen dem Bearbeiter günstig erscheinenden Stellen in das MkEv eingeschoben“ worden (Spuren I, 1). Um welche Texte es sich dabei gehandelt haben soll, weiß Fuchs ganz offenkundig nicht. Solange er aber nicht sagen kann, welche „neue(n) Stoffe, vor allem Logien“ es gewesen sein sollen, die bei der dtrmk Überarbeitung „in das MkEv eingefügt wurden“ (SNTU 31,240), und solange er kein plausibles Bild von der literarischen Gestalt des Ganzen zu liefern vermag, kann seine Hypothese nicht als ernstzunehmender Beitrag zur Lösung des synoptischen Problems angesehen werden. In Bezug auf die Logienquelle selbst nimmt Fuchs an, dass „zumindest ein Teil von Q … bereits Deuteromarkus zur Verfügung (stand) und … von ihm benützt (wurde), sodass für Mt und Lk nur der Rest dieser Quelle übrig bleibt“ (Spuren IV, 10; Hervorhebungen im Original). Es könne aber auch der Fall gewesen sein, „dass die von Deuteromarkus eingefügten Logien“ nicht aus Q stammten, „sodass sich unter dieser Voraussetzung nicht nur … eine Teilung von Q, sondern ein Schrumpfen auf den übriggebliebenen Rest ergäbe“ (ebd.; Hervorhebung im Original). Offenbar stellt Fuchs sich die Sache so vor, dass es nur eine einzige Handschrift von Q gab und dass „Deuteromarkus“

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Einleitung

aus ihr diejenigen Logien herausgeschnitten hat, die er für seine Revision des MkEv haben wollte, so dass für Lukas und Matthäus nur noch das solcherart verstümmelte Exemplar oder von ihm abhängige Handschriften übrig blieben, oder dass in Q nur solche Logien gestanden haben konnten, die Deuteromarkus nicht von anderswoher kannte. Wer soll so etwas glauben? Und wenn Fuchs dann auch noch behauptet, „dass alle agreements ohne jede Ausnahme ihre Entstehung einem einzigen Überarbeitungsprozess verdanken“ (SNTU 31,240 [Hervorhebung im Original]), so ist das ebenso töricht wie die mit Bezug auf die CEQ formulierte Auskunft von R. Cameron, „We do have a text of Q; what we do not have is a manuscript“ (The Sayings Gospel Q and the Quest of the Historical Jesus, HThR 89 [1996] 351–354, hier 352).

3.2.4. Lukas hat den in seiner Darstellung enthaltenen Q‑ und Mk-Stoff mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur aus den beiden ihm schriftlich vorliegenden Quellen gekannt. Mit einem solchen, ausschließlich literarisch vermittelten Zugang zur Jesusüberlieferung könnte man nur dann rechnen, wenn man annehmen wollte, dass die mündliche Überlieferung, die in Markus und Q Eingang gefunden hat, mit ihrer schriftlichen Fixierung in diesen beiden Schriften abgestorben wäre. Obwohl das natürlich keiner behauptet, setzen viele Arbeiten zur synoptischen Überlieferungsgeschichte diese Annahme implizit voraus. Demgegenüber ist davon auszugehen, dass es noch über einen langen Zeitraum hinweg neben und unabhängig von Markus und Q eine mündliche Überlieferung des Jesusstoffes gab, die auch Lukas erreicht hat und in seine Darstellung der Jesusgeschichte eingegangen ist (vgl. zu diesem Thema jetzt vor allem Dunn*). Hinzu kommt noch, dass Markus und Q mit Sicherheit nicht in allen christlichen Gemeinden bekannt gewesen sind. Dass dadurch die synoptischen Überlieferungsverhältnisse noch einmal diffuser werden und es darum noch einmal schwerer und in den meisten Fällen gänzlich unmöglich wird, vorlk ‚Tradition‘ von lk ‚Redaktion‘ zu trennen sowie den Bestand der vorlk Überlieferung nach Umfang und Wortlaut zu rekonstruieren, muss nicht extra gesagt werden. 3.3. Letzteres gilt vor allem für diejenigen Teile des LkEv, zu denen es weder im MkEv noch im MtEv eine Parallele gibt, d. h. für ca. 550 von 1149 Versen, also für nahezu die Hälfte des LkEv. Diese Texte werden heute unter dem Sammelbegriff „Sondergut des Lukas“ (SLk) zusammengefasst (analog gibt es auch ein „Sondergut des Matthäus“ [SMt]). – Diese beiden Bezeichnungen sind sog. Restkategorien. Mit diesem Begriff bezeichnet man Kategorien, unter die solche Phänomene subsumiert werden, die lediglich durch eine negative Eigenschaft miteinander verbunden sind, weil sie sich innerhalb eines bestehenden Kategoriensystems den jeweils verwendeten Hauptkategorien nicht zuordnen lassen und im wahrsten Sinne des Wortes übrig bleiben. In diesem Sinne weisen diejenigen Texte, die unter der Überschrift „lukanisches Sondergut“ zusammengefasst werden, als einziges gemeinsames Merkmal die Eigenschaft auf, dass sie weder eine Parallele im MkEv noch im MtEv haben. Auf wundersame Weise verwandelte sich das mit diesem Sammelbegriff bezeichnete Material jedoch schon recht bald in eine eigenständige Größe, und parallel dazu mutierte der Begriff „Sondergut“ von einer Restkategorie zu einer Hauptkategorie. Als solche machte das lukanische Sondergut dann eine rasante Karriere: Es wurde zu einer Sammlung, der nicht nur thematische und inhaltliche Kohärenz, sondern auch ein distinktes theologisches Profil zugeschrieben wurde (vgl. die forschungsgeschichtlichen Überblicke bei Schmithals, Einleitung, 329 ff; M. Rese, ANRW II, 25/3 [1985] 2275 ff.2284 ff; Paffenroth* 11 ff). Ihm wurde der literarische Status einer Quellen14

3. Quellen

schrift zuerkannt (als eigenständige Quelle neben Q und dem MkEv meines Wissens erstmals bei B. Weiß, LkEv7, 253), die dann natürlich auch einen Namen brauchte („L“; erstmals bei J. Weiß, LkEv8, 280). Damit wurde ihm eine Individualität zuerkannt, zu deren sprachlicher und theologischer Eigenart Untersuchungen angestellt werden konnten (Rehkopf*; Pittner*); nach Klein* hat es sogar eine „Botschaft“. Es entstanden „Träger“ und eine „Gemeinde“ des Sonderguts (Schnelle, Einleitung, 197). Riesner* verortet es in „konservativen judenchristlichen Kreisen …, die sich in Jerusalem und Judäa um den Herrenbruder Jakobus und seine Nachfolger sammelten“ (Lokalkolorit, 51; ähnlich Manns*), während Habbe ihm eine Verfasserin in Gestalt „eine(r) wohlhabende(n) Proselytin in einer Großstadt Italiens“ zuschreibt (Palästina, 116). Es wird Gegenstand eines wissenschaftlichen Kommentars (Petzke), und aus ihm wird schließlich eine Quellenschrift nach Umfang und Wortlaut rekonstruiert (Paffenroth*). Alle Versuche, dem lk „Sondergut“ den Charakter einer Quelle zuzuschreiben, die über ein eigenständiges literarisches oder theologisches Profil verfügt, begehen jedoch einen schwerwiegenden Fehler: Sie beachten nicht, dass das einzige Merkmal, das alle Texte des „Sonderguts“ gemeinsam haben, lediglich eine negative Eigenschaft ist, nämlich ihr Fehlen im MkEv und im MtEv, und kehren den Rest-Charakter des Sonderguts in eine primäre, positive Eigenschaft um, die den Texten als solchen anhaften soll und in ihnen vorgefunden werden könne. Gegen eine solche Vorgehensweise müssen darum nicht lediglich positionelle und methodische, sondern wissenschaftliche Einwände erhoben werden. Paffenroth* 65 demonstriert fast idealtypisch, wie dieses Verfahren der Verwandlung eines negativen Merkmals in ein positives funktioniert und wie dieses wissenschaftlich problematische Konstrukt dann für eine weitere interne Ausdifferenzierung innerhalb des lk Sonderguts genutzt wird: „… only 197 (sc. verses) have been judged as possibly from a pre-Lukan source other than Mark or Q“. In seiner Besprechung der Herkunft des in Frage kommenden Materials (27 ff) bedient er sich immer wieder des Arguments, ‚weil aus Q, darum nicht aus einer anderen Quelle‘. Das ist jedoch eine durch nichts begründete petitio principii. Die naheliegende Möglichkeit, dass es nicht nur Mk-Q-Überschneidungen, sondern auch Mk-„L“‑ und Q-„L“-Überschneidungen geben könnte, wird von ihm und den anderen Autoren, die das lk Sondergut für eine schriftliche Quelle oder für eine kohärente Überlieferung halten, unverständlicherweise nicht ein einziges Mal in Betracht gezogen.

Als Ergebnis kommt dann eine in sich geschlossene Sammlung oder gar eine schriftliche Quelle heraus, deren Grenze trennscharf durch den Umfang von Mk und Q definiert wird bzw. deren Textbestand durch die Eigenschaft „nicht Markus und nicht Q“ festgelegt wird. Hierbei handelt es sich jedoch um ein ganz unplausibles Konstrukt. Tatsächlich dürfte genau das Gegenteil der Fall sein, denn es ist kaum damit zu rechnen, dass es in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts schriftliche Quellen oder Sammlungen von Jesusüberlieferung gab, die keine Überschneidungen aufwiesen. Wenn das lk Sondergut also Teil einer schriftlichen Quelle gewesen sein sollte, dann hätte diese eher die Gestalt einer Evangelienschrift, was im Übrigen schon B. Weiß angenommen hat, für den es „höchst wahrscheinlich“ war, dass die Stoffe des lk Sonderguts „grössten­ theils einer Quelle angehören, welche das ganze Leben Jesu umfasste“ (Einleitung 543; Hervorhebung im Original) und zu der nicht nur die Passionsgeschichte, sondern auch die Emmauserzählung gehört haben sollte (ebd.). Eine solche Behauptung müsste aber erst einmal verifiziert werden. Und selbst wenn das gelänge, wäre man noch weit davon 15

Einleitung

entfernt, diesem Text ein bestimmtes theologisches Profil zuschreiben zu können. Das wäre ungefähr so, als wollte man allein auf der Grundlage des bei Lukas erhaltenen Markus-Stoffes die theologische Eigenart des Markusevangeliums bestimmen. Der Begriff „Sondergut“ sollte darum das bleiben, was er ist: eine Restkategorie. Er darf auf keinen Fall unter der Hand zu einer Quellenbezeichnung gemacht werden, sondern ist als Sammelbegriff für all diejenigen Stoffe zu gebrauchen, die weder eine Parallele im MkEv noch im MtEv haben. Über die Provenienz dieser Stoffe können wir mit einiger Gewissheit nur sagen, dass man „einen einheitlichen Ursprung … nicht annehmen (darf)“ (Schmithals, Einleitung, 366): Manches ist Q-Stoff, der von Matthäus ausgelassen wurde, bei anderem handelt es sich um verstreute und von Lukas zusammengetragene mündliche Überlieferung, und wieder anderes geht auf Lukas selbst zurück.

4. Die lukanische Jesusgeschichte als episodische Erzählung Literatur: J.N. Aletti, L’art de raconter Jésus Christ. L’écriture narrative de l’évangile de Luc, Paris 1989. – C. Breytenbach, Das Markusevangelium als episodische Erzählung, in: Der Erzähler des Evangeliums, 137–171. – J.A. Darr, Narrator as Character. Mapping a Reader-oriented approach to Narration in Luke-Acts, Semeia 63 (1993) 43–60. – Dawsey, The Lukan Voice. – M. Diefenbach, Die Komposition des Lukasevangeliums unter Berücksichtigung antiker Rhetorikelemente (FThSt 43), Frankfurt a.M. 1993. – W.S. Kurz, Narrative Approaches to Luke-Acts, Bib. 62 (1987) 195–220. – Ders., Reading Luke-Acts. – Löning, Geschichtswerk. – Tannehill, Narrative Unity I.

4.1. Lukas hat seine Jesusgeschichte als eine Abfolge von einzelnen Geschichten erzählt (zur Form der episodischen Erzählung s. auch Breytenbach*). Obwohl deren Reihenfolge an vielen Stellen beliebig und austauschbar erscheint, hat Lukas seiner Gesamtdarstellung eine wohlgeordnete Gestalt gegeben. Die Reihenfolge der Ereignisse verstößt weder im Einzelnen noch aufs Ganze gesehen gegen das narrative verisimile (tÖ e¢k·“). Alle für den Plot der Makroerzählung konstitutiven Ereignisse stehen an der erforderlichen Stelle: die Geburt am Anfang sowie Leiden, Tod und Auferstehung am Ende (s. auch u. S. 686 f). Die Geistsalbung und Proklamation zum Gottessohn (3,21–22) steht ebenso an der richtigen Stelle wie die Wanderung nach Jerusalem. Auch die Reihenfolge der Episoden in 18,35 – 19,46 ist auf Grund ihrer topographischen Verortung unveränderbar. Im Sinne von Aristoteles, Poet. 10 (1452a14 ff) erzählt Lukas eine „einfache Handlung“ (®plö prôxi“), die „in sich zusammenhängt und eine Einheit bildet“. Er fasst einzelne Episoden zu bestimmten „Erzählphasen“ oder erzählerischen „Sammelbecken“ (Begriffe nach Lämmert, Bauformen, 73) zusammen, und er macht sie auch als solche kenntlich, indem er sie mit Hilfe von Gliederungssignalen von ihrem jeweiligen literarischen Kontext abgrenzt. Für diese Gliederung verwendet Lukas freilich weder Zwischenüberschriften noch optische Signale wie Lakunen, Absätze oder neue Seitenanfänge, sondern er erzählt die Gliederungssignale seiner Geschichte. Dieser Sachverhalt ist aber auch der Grund dafür, dass es nicht zwei Kommentare gibt, die ein und dieselbe Gliederung des LkEv vornehmen. Jede Gliederung wird von außen an die lk Jesusgeschichte herangetragen und ist darum bereits Bestandteil ihrer Interpretation. Eine Gliederung ist dementsprechend 16

4. Die lukanische Jesusgeschichte als episodische Erzählung

ein Text, den der Kommentator schreibt. Es soll darum auch in diesem Kommentar darüber Rechenschaft abgelegt werden, nach welchen Kriterien die Jesusgeschichte des Lukas gegliedert wurde. 4.2. Erzählte Gliederungssignale sind solche Signale, die Episoden zu Episoden machen: die Bestimmtheit durch eine spezifische, von Episode zu Episode wechselnde Konstellation von zeitlichen, räumlichen und personalen Gegebenheiten. Dementsprechend kann man das Ende der einen und den Beginn einer neuen Episode daran erkennen, dass der Erzähler eine Umgruppierung dieser Gegebenheiten vornimmt und dadurch eine neue Konstellation herstellt. – Es liegt auf der Hand, dass dort, wo alle drei Parameter geändert werden (wie z. B. in 2,1–3; 3,1–2; 22,1–6), die Gliederungseinschnitte tiefer sind als dort, wo nur einer wechselt (wie z. B. in 8,19). Außerdem hängt die Qualität eines Gliederungseinschnitts natürlich auch von der Quantität des jeweiligen Parameters ab: Wie groß ist die zeitliche oder die räumliche Distanz? Wie viele Personen werden ausgetauscht? 4.3. Daraus ergibt sich der folgende Vorschlag zur Strukturierung der lk Jesusgeschichte nach ihren Hauptteilen (für weitere Details und Begründungen vgl. die Ausführungen zu Beginn der jeweiligen Abschnitte). Aus Raumgründen wird nur die oberste Gliederungsebene beschrieben (für die nachgeordneten Gliederungsebenen vgl. jeweils zur Stelle): 1,1–4: Das Proömium ist ein metanarrativer Text, in dem Lukas den Lesern Auskunft über die Entstehung, den Charakter und die Intention seiner Erzählung gibt. Es steht also außerhalb der eigentlichen Erzählung. 1,5–79(80): Die in diesem Abschnitt erzählten Ereignisse datiert Lukas in die Regierungszeit Herodes des Großen (V. 5). Den Rhythmus der Episodenfolge gibt die Schwangerschaftschronologie Elisabeths vor (vgl. V. 24.26.56.57). – Mit dem Summarium in V. 80 geht Lukas über den in V. 5 abgesteckten zeitlichen Rahmen hinaus. Er nimmt hier einen Zeitraum von mehreren Jahren in den Blick. 2,1–39(40–52): Die Erzählung macht einen zeitlichen Sprung von unbekannter Dauer in die Zeit des Census unter der Statthalterschaft des Quirinius. Die in V. 1–39 erzählten Episoden datiert Lukas in die in 1,80 in den Blick genommene Zeit des Heranwachsens Johannes des Täufers, denn hierauf bezieht er sich in 2,1 mit „in diesen Tagen“. Außerdem wird das Personal der Erzählung ausgewechselt. – V. 4 und V. 39 bilden eine deutlich erkennbare Inklusion. Mit einem Summarium (V. 40.52), das Lukas wie in Apg 4,32 – 5,16 mit Hilfe einer eingelagerten Episode illustriert (V. 41–51), wird die Erzählung wiederum über den zu Beginn genannten Zeitraum hinausgeführt. 3,1–20: In diesem Abschnitt ist Johannes der Täufer die erzählerische Hauptfigur. Lukas gibt hier einen in sich geschlossenen Überblick über das gesamte Wirken des Täufers von seiner Berufung (V. 2) bis zu seiner Gefangensetzung (V. 20). Der Synchronismus in V. 1–2 markiert einen tiefen Gliederungseinschnitt, wobei die einleitende Zeitangabe zum Ausdruck bringt, dass seit den in 2,1–39 berichteten Ereignissen mindestens 15 Jahre vergangen sind. 3,21 – 4,13: Lukas führt Jesus in die Geschichte ein und stellt ihn als Erzählfigur vor. Seine erzählten Partner sind nur Gott (3,22) und der Teufel (4,1–13). 4,14–44: Die Erzählung macht einen zeitlichen Sprung von unbestimmter Dauer und wechselt mit dem Schauplatz nach Galiläa (V. 14), und zwar nach Nazareth 17

Einleitung

(V. 16–30) und Kapharnaum (V. 31–42). Außerdem wird der erwachsene Jesus jetzt auch erstmals unter Menschen geführt. V. 42–44 markiert nicht nur das Ende des Kapharnaum-Aufenthalts, sondern des gesamten erzählerischen Sammelbeckens. Jesu Tätigkeit wird von Galiläa auf das gesamte jüdische Land ausgeweitet (V. 44). 5,1 – 6,49: In diesem Abschnitt erzählt Lukas einzelne exemplarische Szenen aus Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft „im jüdischen Land“ (4,44). Keine einzige Episode spielt dementsprechend in einem bestimmten Ort (in 5,17 hat Lukas sogar Kapharnaum aus Mk 2,1 getilgt). Erst in 7,1 wird wieder ein Ortsname genannt. Dieser Perspektive entspricht, dass der Abschnitt mit Jesu Rede an „eine große Schar seiner Jünger und eine große Menge des Volkes aus ganz Judäa und Jerusalem und aus der Küstengegend von Tyros und Sidon“ (6,17) endet. 7,1–50: Die Erzählung fällt erst nach Kapharnaum zurück und wechselt dann nach Naïn, d. h. in zwei bestimmte Städte, die namentlich identifiziert werden. Lukas bildet wiederum ein erzählerisches Sammelbecken, das aus Ereignissen besteht, die in zwei Orten angesiedelt werden. Miteinander verklammert werden die Episoden in den beiden Orten auch dadurch, dass Lukas den heidnischen Centurio (V. 1–10) und die Witwe mit dem toten Sohn (V. 11–17) erzählerisch parallelisiert und in das Licht von 4,25–27 stellt. 8,1 – 9,50: Mit dem Summarium von 8,1–3 werden nicht nur die Personen in der erzählten Umgebung Jesu ausgewechselt, sondern die Einstellung des Erzählwinkels weitet sich von einer kleinräumigen Lokalisierung im Haus eines Pharisäers unvermittelt in eine außerordentliche räumliche Breite. Deren Unbestimmtheit (di„deuen katÅ p·lin kaÑ k„mhn; 8,1) findet ihre Entsprechung darin, dass die einzelnen Episoden entweder nur sehr lose oder überhaupt nicht miteinander verknüpft sind. 9,51 – 18,34: Dass Lukas mit 9,51 einen Gliederungseinschnitt erzählt, der seiner Jesusgeschichte eine Neuausrichtung gibt, wird vor allem daran erkennbar, dass sich die Perspektive ändert: Hatte er mit 8,1–3 den Blick der Leser noch in die räumliche Breite geführt, so lenkt er ihn jetzt in die Zukunft. Der Leser erhält die Information, dass die lk Jesusgeschichte sich von nun an auf ihr Ende zubewegt. – Jesu Wanderung nach Jerusalem erreicht eigentlich erst in 19,45–46 ihr Ziel, und darum könnte man diesen Hauptteil auch bis hierher gehen lassen. Ich ziehe es jedoch vor, ihn schon in 18,34 zu beenden, weil sich mit der Ankunft in Jericho der Charakter der Erzählung grundlegend ändert: Während zwischen 9,51 und 18,34 kein einziger Ort namentlich identifiziert wurde, nennt Lukas mit Jericho in 18,35 nicht nur erstmals wieder einen Ortsnamen, dessen Nähe zu Jerusalem bereits aus 10,30 bekannt ist, sondern er erzählt den mit 18,35 beginnenden Teil des Weges Jesu auch ganz anders als die bisherige Wanderung: 18,35 – 19,46: Dieser Abschnitt hat gegenüber 9,51 – 18,34 eine eigenständige Prägung, die deutlich erkennbar ist und ihn zu einer eigenen Erzählphase macht. Dafür sorgt nicht nur die mehrfache Wiederholung von †gg‚“ und Stammverwandten (18,35; 19,11.29.37.41), sondern vor allem die nicht austauschbare topographische Sukzession der Einzelszenen: von ‚kurz vor Jericho‘ (18,35) über „Jericho“ (19,1), „kurz vor Jerusalem“ (19,11), „kurz vor Betfage und Betanien am Ölberg“ (19,29) und „kurz vor dem Abstieg vom Ölberg“ (19,37), bis dann schließlich die Stadt in Sicht kommt (19,41) und Jesus in den Tempel hineingeht (19,45). 18

4. Die lukanische Jesusgeschichte als episodische Erzählung

19,47 – 21,38 ist auf Grund der Korrespondenz von Anfangsrahmen (19,47–48) und Schlussrahmen (21,37–38) als nach vorne und hinten deutlich abgegrenzte erzählerische Einheit erkennbar. Aber auch die interne Kohärenz ist sehr stark, denn für alle Episoden dieses erzählerischen Sammelbeckens gilt szenisch und thematisch dasselbe: Lukas erzählt, wie Jesus mehrere Tage lang im Jerusalemer Tempel vor dem jüdischen Volk lehrt. 22,1 – 24,52(53): Lukas erzählt die Geschichte der Erfüllung der beiden Leidens‑ und Auferstehungsankündigungen Jesu (9,22; 18,32–33). Die Geschichte der „Auslieferung“ und des Sterbens Jesu sowie die Erzählungen von der Auffindung des leeren Grabes und von den Erscheinungen am Ostersonntag hat Lukas als zwei Teile einer einzigen Erfüllungsgeschichte konzipiert. – In V. 53 endet die lk Jesusgeschichte mit einem summarischen Ausblick, mit dem wie in 1,80; 2,40.52 der zu Beginn abgesteckte zeitliche Rahmen (hier: der erste Tag der Woche; 24,1) überschritten und die Erzählung auf eine Fortsetzung hin geöffnet wird. Gleichzeitig stellt Lukas hier die neue Hauptfigur seiner Erzählung vor: Das Ende der Jesusgeschichte ist zum Beginn der Jüngergeschichte geworden. 4.4. Der lk Erzählstil ist außerdem im Großen wie im Kleinen durch eine ganze Reihe von charakteristischen Merkmalen geprägt: 4.4.1. Lukas verwendet häufig (a) „zukunftsgewisse Vorausdeutungen“ (Lämmert, Bauformen, 143), um Kommendes anzukündigen, und (b) „eingeschobene Rückwendungen“ (ebd. 112), um Zurückliegendes wieder aufzunehmen. Mit Hilfe solcher Bögen, die innerhalb der lk Jesuserzählung beginnen und enden, wird deren Kohärenz stabilisiert. Daneben gibt es aber auch noch (c) Rückwendungen in die Zeit vor dem Beginn der Erzählung. Ihnen kommt die Funktion zu, die lk Jesusgeschichte in der Geschichte Israels zu verankern: (a) Ankündigungen, die innerhalb der Erzählung realisiert werden: 1,13.15–17: die Geburt, die Namengebung und die prophetische Tätigkeit Johannes des Täufers (1,57–63; 3,1–20) 1,20: Zacharias bleibt bis zur Geburt und Namengebung seines Sohnes stumm (1,64) 1,31–33: die Geburt, die Namengebung und die Einsetzung Jesu zum Messiaskönig, dessen Herrschaft über Israel kein Ende haben wird (2,7.21; Auferstehung) 1,76–78a: die prophetische Tätigkeit Johannes des Täufers (3,1–20) 1,78b–79: die Heimsuchung Israels durch einen (Sonnen‑)Aufgang (sc. Jesus) 2,34: die geteilte Reaktion Israels auf Jesus (diese Ankündigung wird erst im zweiten Band des lk Doppelwerks realisiert) 3,16–17: das Kommen des „Stärkeren“ (sc. Jesu) 6,16: die Auslieferung durch Judas (22,47–48) 9,22: das Leiden, der Tod und die Auferstehung des Menschensohnes 9,27: das „Sehen“ der Gottesherrschaft durch die Jünger (diese Ankündigung wird erst im zweiten Band des lk Doppelwerks realisiert; s. u. S. 349 f) 9,31: der „Fortgang“ Jesu 9,44: die Auslieferung des Menschensohnes 18,32–33: die Auslieferung, das Leiden, der Tod und die Auferstehung des Menschensohnes 22,4–6: Jesu Auslieferung durch Judas (22,47–48) 24,47–48: die Verkündigung der „Umkehr zur Vergbung der Sünden unter allen Völkern“ durch die Apostel (diese Ankündigung wird erst im zweiten Band des lk Doppelwerks realisiert) 24,49: die Sendung des heiligen Geistes auf die Apostel (auch diese Ankündigung wird erst im zweiten Band des lk Doppelwerks realisiert)

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Einleitung

(b) Erinnerung an zuvor Erzähltes: 2,21: an die Nennung des Jesusnamens durch Gabriel (1,31) 22,35: an die Ausrüstungsregel von 10,4 23,8: daran, dass Herodes Antipas von Jesus gehört hatte und ihn gerne sehen wollte (9,7– 9) 23,49: an die Frauen, die Jesus aus Galiläa gefolgt waren (8,2–3) 24,6b–8: an die Ankündigungen von Jesu Auslieferung, seinem Tod und seiner Auferstehung (9,22.44) 24,22–24: an die Auffindung des leeren Grabes (24,1–12) 24,44–46: an die Ankündigungen von Jesu Leiden und Auferstehung (9,22.44; 18,32 f) (c) Rückgriffe in die Vergangenheit vor Beginn der Erzählung: 1,55: auf die den Erzvätern gegebenen Verheißungen 1,70–71: auf die Rettungsverheißungen der Propheten 1,73: auf den Abrahamsbund 2,26: auf das Simeon zuteil gewordene Orakel 3,4–6: auf die Verheißungen Jesajas 4,18–19: auf die Verheißungen Jesajas 4,25–27: auf Elia und Elisa 6,3: auf Davids Mundraub nach 1.Sam 21,2–7 6,23: auf die Verfolgung der Propheten durch die Väter 6,26: auf die Anerkennung der falschen Propheten durch die Väter 7,27: auf das Zeugnis der Schrift über Johannes 11,47–51: auf die Ermordung der Propheten durch die Väter der Schriftgelehrten 18,31: auf die Ankündigung des Geschicks des Menschensohnes durch die Propheten 22,37: auf die Ankündigung von Jesu Geschick durch Jesaja 24,27: auf das Zeugnis der Schrift über den Messias 24,44 auf das Zeugnis der Schrift über Jesus

4.4.2. Lukas stellt gleichartige Stoffe, Themen und Erzählungen zusammen, und zwar vor allem im sog. Reisebericht 9,51 – 18,34. Sofern davon auch Stoff aus der lk-mt Doppelüberlieferung betroffen ist, lässt diese offensichtliche Clusterbildung durch Lukas die Rekonstruktionen des Aufbaus von Q, wie sie das IQP mit der CEQ und Fleddermann, Q vorgelegt haben und die weitgehend auf der Reihenfolge der QTexte im LkEv basieren, zweifelhaft werden. – Im Einzelnen lassen sich die folgenden thematischen Zusammenhänge identifizieren: – Der Zyklus von Streitgesprächen in 5,12 – 6,11 ist aus Mk 2,1 – 3,6 übernommen, der Zyklus von Wundererzählungen in 8,22–56 aus Mk 4,35 – 5,43. – In 11,1–13 hat Lukas drei Überlieferungseinheiten zum Thema Gebet zusammengestellt. – In 12,13–34 geht es um den rechten Umgang mit Reichtum und Besitz und in 12,13–21.35– 46.54–59; 13,6–9 um die richtige Beurteilung der Zeit. Beide Themen überschneiden sich in 12,13–21. – In 14,1–24 haben alle Perikopen irgendwie mit Festessen und Gastmählern zu tun. – 15,1–32 handeln von Verlorenem (dem Schaf, der Drachme, dem Sohn). – In 16,1–31 geht es noch einmal um Geld und Besitz.

4.4.3. Lukas nimmt gerne Paarbildungen vor – häufig mit einem männlichen und einem weiblichen Teil: (a) Ereignisse, die sich an zwei Orten abspielen, bilden ein erzählerisches Sammelbecken: 2,4–21/22–39: Bethlehem und Jerusalem 4,14–30/31–43: Nazareth und Kapharnaum 7,1–10/11–50: Kapharnaum und Naïn

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4. Die lukanische Jesusgeschichte als episodische Erzählung

(b) Erzählfiguren treten paarweise auf: 2,25–35/36–38: Simeon und Hanna 3,12–13/14: Zöllner und Soldaten 7,1–10/11–16: der Centurio und die Witwe 7,11–16/8,40–42.49–56: der einzige Sohn einer Mutter und die einzige Tochter eines Vaters werden von den Toten auferweckt (s. auch bei 9,38) (c) Zwei Beispiele veranschaulichen ein und denselben Gedanken: 4,25–27: der syrische Hauptmann und die Witwe von Sarepta 6,44: Feigen von Disteln und Trauben vom Dornbusch (par. Mt 7,16) 11,31–32: die Königin des Südens und die Niniviten (par. Mt 12,41 f in umgekehrter Reihenfolge) 12,24.27: Raben und Lilien (par. Mt 6,26.28b–29) 12,54–55: Wolke und Südwind 13,1–5: die von Pilatus erschlagenen Galiläer und die 18 Toten beim Einsturz des Siloaturmes 13,18–21: Senfkorn und Sauerteig (par. Mt 13,31–33) 14,28–32: Turmbau und Kriegführen 15,4–10: verlorenes Schaf (Mann) und verlorene Drachme (Frau) 17,26–29: in den Tagen Noahs und in den Tagen Lots 17,34–35: zwei Männer liegen auf einem Bett, zwei Frauen mahlen zusammen (s. auch Mt 24,40–41)

4.4.4. Lukas strukturiert größere Zusammenhänge, indem er zwei Auditorien einander abwechseln lässt; s. dazu u. S. 367.514 f. 4.4.5. Lukas ist der einzige Evangelist, der einzelne Episoden mit der Formulierung †n miô tùn p·lewn (5,12) †n miô tùn ™merùn (5,17; 8,22; 20,1) oder †n miô tùn sun­ agwgùn (13,10) einleitet. „Diese als eklektisch zu bezeichnende Raffungsart erzählt nach dem Grundsatz des ‚pars pro toto‘“ (Lämmert, Bauformen, 84). 4.4.6. Zu den auffälligsten Merkmalen des lk Erzählstils gehört – mehr noch als in der Apostelgeschichte – die Imitation der Sprache des Alten Testaments, und zwar in dessen griechischer Übersetzung, der Septuaginta. Schon den ersten Satz der Erzählung gestaltet Lukas in enger Anlehnung an den episodischen Erzählstil der Septuaginta (Nachweise bei 1,5). Überhaupt erinnert vieles in Lk 1,5–79 an Menschen und Ereignisse des Alten Testaments (Einzelnachweise s. u. S. 70). Auch im weiteren Verlauf der Erzählung ist Lukas sichtlich darum bemüht, im Stil der Septuaginta zu erzählen. Eine kleine Auswahl (Einzelnachweise jeweils an den genannten Stellen; vgl. außerdem vor allem Fitzmyer I, 114–125): Der Beginn von Episoden mit †gfineto dfi + Infinitiv oder + Verb. fin. oder mit kaÑ †gfineto + Verb.fin. (z. B. 1,8–9; 2,1.6.; 3,21; 5,12.17; 6,1.6.12 u. ö.). – kaÑ ¢do‚ + Verbum finitum (1,20.31.36; 5,12.18; 7,12 u. ö.). – Inchoatives ünast›“ + Verb. fin. (1,39; 4,29; 5,28; 6,8; 15,18.20 u. ö.). – poieõn ≤leo“ (1,72; 10,37). – p‡ptein †pÑ pr·swpon (5,12; 17,16). – e¢“ mart‚rion (5,14; 9,5; 21,13). – docÉn poieõn (tini) (5,29; 14,13). – †pa‡rein toÜ“ £fjalmo‚“ (6,20; 16,23; 18,13). – Die Einleitung von episodischen Sequenzen durch: NN paregfineto/paregfinonto pr·“ tina (8,19). – tÖ pr·swpon sthr‡zein (9,51). – †kzhteõn tÖ aïma (11,50). – †pÑ tÖ a§t· (17,35). – £rjr‡zein pr·“ (21,38). – ™ ≠pÖ tÖn / ™ ≠pû o§ran·n (17,24). – ≤rcontai ™mfirai (23,29). – oñtoi o´ l·goi mit kataphorischer Ausrichtung des Demonstrativpronomens (24,44).

Dieses Bemühen um die stilistische Angleichung seiner Jesusgeschichte an den Erzählstil der heiligen Schrift Israels ist von dem Interesse geleitet, den Lesern zu signalisieren, dass das erzählte Geschehen nichts anderes ist als eine Fortsetzung der Geschichte Israels (s. dazu auch u. Abschn. 6.1 sowie S. 70). 21

Einleitung

4.4.7. Ein bemerkenswertes Charakteristikum lukanischen Erzählens besteht darin, dass bei der Wiedergabe von einzelnen Episoden immer wieder Gattungen von Teiltexten miteinander kombiniert werden: Lukas kann Heilungen gleich ganz als Chrien erzählen (5,17–26; 6,6–11; 7,1–10; 14,1–6) oder auch einfach nur um chrienartige Elemente ergänzen (9,37–45; 13,10–17), oder er benutzt einen Exorzismus, um eine Chrie in Gang zu setzen (11,14–26). In 19,1–10 wird eine Bekehrungserzählung mit einem Streitgespräch kombiniert. 4.4.8. Lukas verwendet mitunter konzentrische Ringkompositionen nach dem Muster a/b/…/n/…/b/a. Die folgenden Texte sind am deutlichsten nach diesem Modell gestaltet: Die Episoden des ersten erzählerischen Sammelbeckens in 1,8–79 (s. u. S. 70 f). – Die Leseszene in 4,16d–20 (s. u. S. 190). – In 10,25–37b („Der Rechtsgelehrte und der barmherzige Samaritaner“) sind gleich mehrere Ringkompositionen ineinander verschachtelt (s. u. S. 391). – 11,8 (s. u. S. 411). – Die Szene mit dem Verhör Jesu vor Pilatus in 23,1–5 (s. u. S. 738). – Zur Annahme einer chiastischen oder konzentrischen Struktur des Reiseberichts s. u. S. 366.

5. Intendierte Leser Literatur: D.C.Allison, Was there a ‘Lukan Community’?, IBSt 10 (1988) 62–70. – R. Bauckham, For Whom Were Gospels Written?, in: The Gospels for All Christians, 9–48. – R.A. Burridge, About People, by People, for People. Gospel Genre and Audiences, in: ebd., 113–145. – I.J. Du Plessis, The Lukan Audience – Rediscovered?, Neotest. 34 (2000) 243–261. – E.W. Klink, The Gospel Community Debate: State of the Question, CuBR 3 (2004) 60–85. – M. Mitchell, Patristic Counter-Evidence to the Claim that „The Gospels Were Written for All Christians“, NTS 51 (2005) 36–79. – J.K. Riches, Die Synoptiker und ihre Gemeinden, in: Anfänge des Christentums, 160–184. – V.K. Robbins, The Social Location of the Implied Author of Luke-Acts, in: The Social World of Luke-Acts, 305–332. – D.C. Sim, The Gospels for All Christians? A Response to Richard Bauckham, JSNT 84 (2001) 3–27.

„Intendierte Leser“ sind diejenigen Leser, die der Autor sich als Leser seines Textes vorstellt bzw. mit denen er als Leser rechnet und für die er seinen Text schreibt. Sie existieren im Bewusstsein des Autors und sind dort während der Niederschrift seines Textes ständig präsent. Von den sog. „realen Lesern“ (oder „empirischen Lesern“) sind sie zu unterscheiden, denn mit diesem Begriff werden alle Menschen bezeichnet, die einen Text jemals auch tatsächlich lesen – von seinen Erstlesern (im Fall des LkEv vielleicht Theophilus) bis hin zu seinen heutigen Lesern und Interpreten. Inwieweit der in Lk 1,3–4 als fiktiver Leser erwähnte Theophilus auch als Repräsentant der intendierten Leser fungiert, muss offen bleiben (s. dazu S. 59.67). Dass dieses Verhältnis sehr flexibel gestaltet sein kann, zeigt Lukians v. Samosata Traktat Quomodo historia conscribenda sit, der sich einerseits an einen „Freund“ (fil·th“ [3] als metonymisches abstractum pro concreto) namens F‡lwn (1.22.24.29) wendet, andererseits aber als „Anleitung … für Autoren“ (para‡nesi“ … toõ“ suggr›fousin; 4), d. h. für „künftige Geschichtsschreiber“, wie H. Homeyer übersetzt, nicht nur gelesen, sondern auch befolgt werden will. Weitgehend unumstritten ist heute, dass Lukas für christliche Leser schreibt. Er will also nicht, wie lange angenommen wurde (vgl. die bei E. Plümacher, ThR NF 48 [1983] 53 Genannten), politische Apologetik betreiben und das Christentum gegen22

5. Intendierte Leser

über den römischen Behörden „von dem Verdacht reinigen, staatsfeindlich und aufrührerisch gesonnen zu sein“ (Plümacher, ebd.). Die von Bauckham* zur Diskussion gestellte These, derzufolge die Evangelien nicht für bestimmte Gemeinden, sondern für alle Christen geschrieben wurden (z. B. 46: „The Gospels have a historical context, but that context is not the evangelist’s community. It is the early Christian movement in the late first century“), ist in Bezug auf das lk Doppelwerk nicht wirklich neu. Schon früher wurde immer mal wieder hervorgehoben, dass es „nicht an eine bestimmte Gemeinde gerichtet war“, sondern auf eine „sich entwickelnde Kirche mit ihren verschiedenen, über das gesamte Reich verstreuten Niederlassungen“ abzielte (Riches* 178; vgl. bereits Plummer xxxiv: „for the instruction and encouragement of all Gentile converts“ sowie dann auch Maddox, Purpose, 15; O’Toole, Luke’s Position, 2; Allison*; R.E. Brown, Introduction, 271 und andere mehr). Obwohl Bauckham* das Verdienst zukommt, eine dringend notwendige Diskussion neu angestoßen zu haben, und obwohl er die methodische Kurzschlüssigkeit zahlreicher redaktionsgeschichtlicher und sozialgeschichtlicher Untersuchungen mit Recht kritisiert (s. u.), hat er seine These insofern überzogen, als er einen antithetischen Dualismus konstruiert, dessen Pole vielleicht als idealtypische Modelle fungieren können, für die Beschreibung historischer Vorgänge aber viel zu undifferenziert sind (in dieser Hinsicht treffen sich auch die Anfragen an Bauckhams These in dem ansonsten durchaus zustimmenden Aufsatz von du Plessis* und die scharfe Kritik von Mitchell* 44; für eine Zusammenfassung der Debatte vgl. Klink*): Die größte Schwäche von Bauckhams These besteht darin, dass er das Kind mit dem Bade ausschüttet und eine zu scharfe Alternative zwischen der Ortsgemeinde und allen Christen im Imperium Romanum konstruiert. Denn auch wenn Lukas seine Jesusgeschichte „for any and every church to which their Gospels might circulate“ geschrieben haben sollte (Bauckham* 46), lässt sich nicht gut in Abrede stellen, dass er einer bestimmten christlichen Gemeinde angehörte, die für die Erfahrung und Darstellung seiner christlichen Identität im Besonderen ebensowenig unerheblich war wie für sein Bild vom Christentum im Allgemeinen. – Problematisch ist darüber hinaus, dass Bauckham* die intendierte Leserschaft des LkEv als „not specific but indefinite“ (1) oder als „open category of readers/hearers in any late first-century Christian church“ (47) bezeichnet, weil er damit die Unterscheidung zwischen intendierten und realen Lesern einebnet: Eine intendierte Leserschaft ist niemals „not specific, but indefinite“. Sie kann vielmehr immer nur eine bestimmte Größe sein, denn es handelt sich bei ihr stets um eine Konstruktion des Autors. Selbst wenn – worin Bauckham wohl Recht hat – als intendierte Leserschaft des LkEv „any church (…) to which his work might find its way“ (11) zu veranschlagen ist, kann es sich aus diesem Grunde dabei immer nur um das sehr bestimmte Bild handeln, das Lukas von ihr hat. Bauckham* 26 f macht jedoch mit Recht darauf aufmerksam, dass Evangelien auf Grund ihrer Gattung nicht „Adressaten“ oder „Empfänger“ haben wie Briefe und dass es darum ein Fehler wäre, das Kommunikationsmodell der paulinischen Briefe auf die Evangelien zu übertragen. Recht hat Bauckham* auch mit seiner Kritik an einem unkontrollierten „mirror reading“, das die Erzählung als einen Spiegel verwendet, um mit seiner Hilfe bestimmte Zustände in der Gemeinde des Autors zu rekonstruieren. Die Berechtigung dieser Kritik mag eine kleine Auswahl von Beispielen illustrieren: Aus Lk 12,13– 15; 16,14 f und anderen Texten folgert z. B. Schnelle, Einleitung, 289: „Die Reichen in der Ge-

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Einleitung

meinde waren selbstgerecht und habgierig …, sie verachteten die Armen (vgl. Lk 18,9) und standen in der Gefahr, durch ihr Streben nach Reichtum vom Glauben abzufallen (vgl. Lk 8,14; 9,25)“. Außerdem sind es auch immer wieder die Pharisäer, die als allegorisches Symbol für die Reichen in der lk Gemeinde interpretiert werden (vgl. z. B. Petracca, Gott oder das Geld, 198). – Aus der kleinen Erzählung von Maria und Martha (10,38–42) wird herausgelesen, dass es in der lk Gemeinde Frauen gab, „die sich wie Martha förmlich abrackerten für die Gemeinde“ und darum „gegen andere, nicht so engagierte Frauen aufbegehrten“ (Melzer-Keller, Jesus und die Frauen, 239), während andere annehmen, die Geschichte lasse erkennen, dass in der lk Gemeinde Amtsträgerinnen unter Druck gesetzt worden seien, ihre Aufgaben den Männern zu überlassen (Reid, Choosing the Better Part?, 157). – Auf Grund der Gleichnistrilogie zum Thema ‚Verlorenes‘ in Lk 15 folgern manche, dass in der lk Gemeinde das Verhältnis von Judenchristen und Heidenchristen spannungsreich war (z. B. Heininger, Metaphorik, 166; Pokorný, Theologie, 172 ff), während andere aus dem Text herauslesen wollen, dass es Auseinandersetzungen darüber gab, ob Apostaten wieder in die Gemeinde aufgenommen werden dürften (z. B. Bonnard, Approche). – Andere meinen aus den lk Aussagen zur Tora schließen zu können, dass judenchristliche Gemeindemitglieder von anderen Judenchristen oder von nichtchristlichen Juden des Verrats an der jüdischen Identität beschuldigt wurden (vgl. z. B. Esler, Community, 129).

Nichts von alledem ist den Texten zu entnehmen. Mit derselben Methode könnte man aus 1.Tim 3,3 (wer Bischof werden will, darf kein Säufer sein) folgern, dass es in der Gemeinde, für die diese Weisung bestimmt ist, trunksüchtige Bischöfe gab. Hinzu kommt noch, dass die Rekonstruktionen von Gemeindeverhältnissen wie die vorgenannten natürlich addiert werden müssten, wenn sie ernst genommen werden wollten. Diese Konsequenz wird bei den Rekonstruktionen aus naheliegenden Gründen aber nicht in Betracht gezogen. Sie würde diese Methode auch sofort ad absurdum führen, denn sie lässt ein derart komplexes Geflecht von einander überlagernden Problemen und Konflikten entstehen, das es nicht einmal in christlichen Gemeinden des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts geben dürfte. Das Bild der christlichen Gemeinde, das auf Grund derartiger Rekonstruktionen entsteht, ist geradezu monströs und dürfte mit der Realität nichts zu tun haben. Außerdem landet solches „mirror reading“ immer auch in Aporien: Wie sollten denn wohl Lk 6,22 („Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen … wegen des Menschensohnes“) und 6,26 („Wehe euch, den Reichen, denn ihr habt euren Trost [bereits] empfangen“) auf ein und dieselbe Gruppe innerhalb der lk Gemeinde gemünzt sein, nämlich auf Christen (V. 22), die reich sind (V. 26)? Mit dem Vorstehenden soll freilich nicht behauptet werden, dass es im LkEv nicht auch Texte gibt, die die Gemeinde, der Lukas angehörte, als Gemeinschaft von realen Lesern in ihre individuelle historische Situation einlesen konnte. Das gilt aber genauso für die realen Leser in jeder anderen christlichen Gemeinde. Entschieden zu bestreiten ist vielmehr, dass es die Möglichkeit gibt, eine bestimmte individuelle Situation einer bestimmten individuellen Gemeinde aus dem Text zu erschließen und dass die Identität der intendierten Leser durch die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinde konstituiert wird. Und hinzu kommt noch, dass es immer wieder gerade die typischen Situationsbeschreibungen sind, von denen man am ehesten sagen kann, dass Lukas sie seinen Lesern für eine aktualisierende Lektüre anbietet: In diesem Sinne gilt z. B. für jede christliche Gemeinde, dass es in ihr Christen gibt, die „von den Sorgen, vom Reichtum und von den Genüssen des Lebens mehr und mehr erstickt werden“ (8,14), oder „die von sich selbst überzeugt sind, dass sie gerecht seien, und die übrigen verachten“ (18,9). Das passt immer und überall. 24

5. Intendierte Leser

Wir müssen uns jedoch nicht mit diesem negativen Ergebnis begnügen, denn die intendierten Leser des LkEv lassen sich durchaus mit erstaunlich präzisen Konturen versehen. Wir müssen uns dafür nur an typischen Merkmalen orientieren, und das heißt: an dem Bild von Christentum, das im lk Doppelwerk selbst erkennbar wird. Auf diesem Wege wird dann auch das relative Recht von Bauckhams These erkennbar: Lukas schreibt sein Werk im Wissen darum, dass das Christentum bereits seit vielen Jahrzehnten eine über das gesamte römische Reich verteilte überlokale Größe ist. Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte gibt es christliche Gemeinden nicht nur in den östlichen Provinzen des Imperium Romanum – d. h. nicht nur in Syrien und in Kilikien, in Galatien und in der Asia, in Mazedonien und in Achaia –, sondern auch in Italien und in Rom selbst. Es wäre mit Sicherheit ganz unsachgemäß, wenn man dieses Wissen von der lk Jesusgeschichte fernhalten und den Horizont ihres Verfassers auf die Grenzen einer einzigen christlichen Ortsgemeinde beschränken wollte. Dieser Sachverhalt macht es darüber hinaus aber auch sehr wahrscheinlich, dass das LkEv nicht nur im Wissen darum geschrieben wurde, dass es christliche Gemeinden überall in den römischen Provinzen gibt, sondern dass sein Inhalt nach der Meinung seines Verfassers auch für jede einzelne (Bauckham* 1: „any and every“) dieser Gemeinden theologisch relevant ist. Damit ist aber ein Sachverhalt in den Blick getreten, der es möglich macht, das lukanische Bild von den Lesern seiner Jesusgeschichte noch weiter zu präzisieren. Der gegen Bauckham von seinen Kritikern ins Feld geführte Gesichtspunkt der Vielfalt des frühen Christentums (vgl. Sim* 9 f; Mitchell* 39 f), an der natürlich nicht gezweifelt werden kann, wird bedeutungslos, wenn wir die Gemeinden nicht mit dem Blick moderner Historiker betrachten, sondern nach ihrer Wahrnehmung durch einen zeitgenössischen Autor wie Lukas fragen und nach dem Bild, das er vom Christentum hat. Es fällt dann nicht schwer, dieses Postulat einer für Lukas außer Frage stehenden einheitlichen Identität aller christlichen Gemeinden im Römischen Reich mit Substanz zu füllen, ohne dabei auf triviale Inhalte wie das Bekenntnis zu Jesus Christus als Gottessohn und Messias zurückgreifen zu müssen. Denn das, was nach lk Überzeugung alle christlichen Gemeinden, wo immer sie es im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts im Römischen Reich gibt, bei aller Verschiedenheit miteinander gemeinsam haben und was sie untereinander verbindet, ist genau das, was Lukas in seinem Doppelwerk aufgeschrieben hat – eine ganz bestimmte Basisgeschichte: die von Lk 1,5 bis Apg 26,29 reichende Geschichte der peplhroforhmfina †n ™mõn pr›gmata (Lk 1,1; zu dieser Abgrenzung s. u. S. 27 f). Als Leser intendiert hat Lukas damit all jene Christen und christlichen Gemeinden, aus denen die „ganze Herde“ (Apg 20,28) des Christentums besteht, das seine historische Gestalt denjenigen Ereignissen verdankt, die er in seinem Doppelwerk erzählt. Außerdem lässt aber auch die vielfältige Verankerung der von Lukas erzählten Geschichte in der Geschichte Israels (s. o. Abschn. 4.4.1 [c]) erkennen, dass er mit Lesern rechnet, die mit der Geschichte Israels und mit seinen heiligen Schriften gut vertraut sind. Und schließlich ist möglicherweise sogar damit zu rechnen, dass Lukas sich diese Leserschaft nicht nur als eine synchrone, sondern auch als eine diachrone Größe vorgestellt hat. Seine Erzählung wäre demnach nicht nur für die Christen seiner eigenen Zeit, sondern auch für die Christen zukünftiger Generationen bestimmt. Dass Geschichtsschreibung von einer solchen Perspektive geleitet sein kann, wird bereits bei 25

Einleitung

Thucydides erkennbar, der seine Geschichte des Peloponnesischen Krieges „eher zum bleibenden Besitz, denn als Meisterstück zum aktuellen Hören“ verfasst hat (ktöm› te †“ üeÑ môllon À üg„nisma †“ tÖ paracröma üko‚ein; 1,22,4). Auf diese Formulierung nimmt auch Lukian v. Samosata Bezug (Hist. Conscr. 5; 42), und in den zusammenfassenden Ratschlägen am Ende seines Essays weist er den künftigen Historiographen an: „Schreibe nicht nur im Hinblick auf die Gegenwart (kaÑ mÉ prÖ“ tÖ parÖn m·non ¨rùn gr›fe), damit dich die Zeitgenossen rühmen und ehren; schreibe vielmehr in Gedanken an Dauer für die Nachfahren (üllÅ toú s‚mpanto“ a¢ùno“ †stocasmfino“ prÖ“ toÜ“ ≤peita môllon s‚ggrafe)“ (61; Übers. nach H. Homeyer). Mit dieser Ausweitung wird das Bild der intendierten Leser durchaus nicht diffuser, denn mit den christlichen Gemeinden der lk Gegenwart teilt die christliche Nachwelt bleibend ein und dasselbe Merkmal, das die Identität aller intendierten Leser konstituiert: die Basisgeschichte des Christentums, die Lukas in seinem Doppelwerk erzählt. Denn diese Geschichte ist auch ihre Geschichte. Anders als in den anderen drei kanonischen Evangelien umfasst diese Basisgeschichte bei Lukas nun freilich nicht nur die Geschichte Jesu, sondern sie umschließt auch die Zeit der Verkündigung der „Zeugen“ (s. dazu bei 24,48). Damit stehen wir vor der Frage nach der Funktion der Jesusgeschichte innerhalb dieser Basisgeschichte des Christentums, die Lukas in seinem Doppelwerk erzählt. 6. Der theologische Ort der Jesusgeschichte im lukanischen Doppelwerk Literatur: K. Backhaus, Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche, in: ders. / G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen (BThSt 86), Neukirchen-Vluyn 2007, 30–66. – C.K. Barrett, The Third Gospel as a Preface to Acts?, in: The Four Gospels 1992 II, 1451–1466. – H. Cancik, The History of Culture, Religion, and Institutions in Ancient Historiography: Philological Observations Concerning Luke’s History, JBL 116 (1997) 673–695. – G. Delling, Die Jesusgeschichte in der Verkündigung nach Acta, NTS 19 (1972/73) 373–389. – D. Marguerat, La première histoire du Christianisme (LeDiv 180), Paris/ Genf 1999. – I.H. Marshall, Acts and the „Former Treatise“, in: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, 163–182. – Ders., Luke and his „Gospel“, in: Das Evangelium und die Evangelien, 289–308. – S. Shauf, Theology as History, History as Theology (BZNW 133), Berlin/New York 2005, 4–84. – Sterling, Historiography. – Wolter, Doppelwerk.

6.1. Das Lukasevangelium ist der erste Teil eines zweiteiligen Geschichtswerks, das eine Epoche aus der Geschichte Israels erzählt und damit zur historiographischen Gattung der „Epochengeschichten“ gehört (ausführliche Begründung bei Wolter* 256 ff; vgl. auch die Übersicht u. S. 28). Es wäre darum nicht sachgerecht, wenn man die lukanische Jesusgeschichte mit Hilfe der Gattungsfrage aus dem literarischen und theologischen Zusammenhang des lukanischen Gesamtwerks herauszulösen versuchte, wie es bei vielen Interpreten geschieht, die sie auf Grund ihrer Ähnlichkeit mit den anderen drei kanonischen Jesusgeschichten formgeschichtlich von der Apostelgeschichte trennen und sie mit dem Etikett „Evangelium“ versehen (vgl. in diesem Sinne jetzt wieder Shauf* 62; s. auch den Überblick bei Verheyden, Unity, 45 ff). Gegenüber solchen Versuchen ist darauf zu insistieren, dass Lukas seine Jesusgeschichte ebensowenig wie Markus, Matthäus und Johannes in dem Bewusstsein verfasst hat, dass er ein „Evangelium“ schreibt. 26

6. Der theologische Ort der Jesusgeschichte im lukanischen Doppelwerk

Gegen eine solche Annahme spricht schon, dass dieser Begriff erst vom 2. Jahrhundert an als literarische Kategorie gebraucht wurde und dass er als Gattungsbezeichnung den kanonischen Evangelien darum erst im Nachhinein zugeschrieben werden konnte (s. o. Abschn. 2.1.1; vgl. auch Koester, From the Kerygma-Gospel; Dormeyer, Evangelium; Kelhoffer, „How Soon …“). Auch in der Überschrift des MkEv ürcÉ toú e§aggel‡ou ûIhsoú Cristoú … (Mk 1,1) ist der Begriff e§aggfilion nicht als literarische Kategorie gebraucht, denn die sonstige Verwendung dieses Begriffs im MkEv (vgl. 1,14.15; 8,35; 10,29; 13,10; 14,9) zeigt deutlich, dass sein Verfasser unter einem e§aggfilion ganz dezidiert eine mündliche Größe verstanden hat: Vor Ostern ist es das durch Jesus verkündigte e§aggfilion toú jeoú (1,14.15) und nach Ostern eben das e§aggfilion toú Cristoú: die Heilsbotschaft von Jesus Christus, die in der gesamten Welt verkündigt wird. Dem entspricht auch der lk Sprachgebrauch: Lukas übernimmt in seiner Jesusgeschichte keinen einzigen der sieben mk e§aggfilion-Belege. Er legt den Begriff jedoch in Apg 15,7 Petrus und in Apg 20,24 Paulus als summarische Bezeichnung für deren jeweilige Christusverkündigung in den Mund.

Dass Lukas auch schon in seiner Jesusgeschichte nichts anderes als einen weiteren Ausschnitt aus der Geschichte Israels erzählen will, ist vor allem an drei Merkmalen erkennbar: – Lukas erzählt diese Geschichte in einer Weise, die in mehrfacher Hinsicht an die Erzählweise der Septuaginta erinnert (s. o. Abschn. 4.4.6). – Er deutet die Ereignisse immer wieder als Erfüllung der heiligen Schriften und der Heilshoffnungen Israels (z. B. Lk 1,55.70–71.73; 3,4–6; 4,18–19; 7,27; 18,31; 22,37; 24,26 f.44–48; s. dann auch Apg 2,16–21.25–28; 15,15–17; 26,6–8; 28,26–27). – Er stellt Jesus als den erwarteten „Retter“ und Messiaskönig Israels dar und verankert ihn in der Geschichte Israels (Lk 1,32–33; 2,11.30; 3,6; s. dann auch Apg 13,17–23 mit der Reihe „unsere Väter“, „Richter“, „Saul“, „David“, „Jesus“). Als „sacred narrative“ (Sterling* 363) kann man das lukanische Doppelwerk jedoch nur insofern bezeichnen, als einzig und allein das erzählte Geschehen und nicht die Erzählung von ihm „heilig“ ist, denn zu den „Schriften“ im Sinne von Lk 24,27.32.45; Apg 17,2.11; 18,24.32 wollte Lukas sein Werk mit Sicherheit nicht gerechnet wissen. Auch als „Fortsetzung der Septuaginta“ (Sterling* ebd.), kann die lukanische Darstellung nur mit der Einschränkung gelten, dass damit der Zusammenhang von Verheißung und Erfüllung und nicht ein bestimmter literarischer Anspruch beschrieben wird. Dass Lukas die Geschichte einer Epoche im eigentlichen Sinne des Wortes schreiben will, d. h. als Darstellung eines in sich abgeschlossenen Zeitraums mit einem distinkten Anfang und einem nicht minder eindeutig bestimmbaren Ende, kündigt er bereits in 1,1 an, wenn er hier von Ereignissen spricht, „die in unserer Zeit abgeschlossen sind“ (peplhroforhmfina †n ™mõn). Er beginnt dementsprechend auch mit der Schilderung der Heilsinitiative, die Gott zur eschatischen Erfüllung der prophetischen Verheißungen und der Heilshoffnungen Israels ergreift, indem er den Engel Gabriel zweimal losschickt: erst zu einem alten Priester in Jerusalem (1,5–20) und dann zu einer galiläischen Jungfrau, die mit einem Nachkommen Davids verlobt ist (1,26–38). Das Ende dieser Epoche markiert Lukas durch die Begegnung des gefangenen Paulus mit Agrippa II. (Apg 26,1–29). Er erzählt sie als krönenden Abschluss der paulinischen Judenmission und lässt sie in V. 28 ihre Klimax finden, indem er Agrippa so berühmt wie rätselhaft sagen lässt: †n £l‡gw me pe‡jei“ CristianÖn poiösai (vielleicht: „beinahe überredest du mich, dass ich mich zu einem Christen mache“; vgl. Barrett, Acts II, 1170 f). Es bleibt dann aber bei diesem „Beinahe“, und auf die Szene mit Agrippa II. folgt dann nur noch – getrennt durch die distanzschaffende Erzählung von der 27

Einleitung

abenteuerlichen Seereise nach Italien – die Erzählung von der Begegnung mit den römischen Juden (28,17–31). Lukas hat diese Szene als einen Epilog gestaltet, in dem mit Hilfe von Jes 6,9–10 erklärt wird, warum die überwältigende Mehrheit des Judentums die Christusverkündigung abgelehnt hat. In schematischer Vereinfachung lässt sich die Einbettung der lukanischen Erzählung in die Geschichte Israels darum mit Hilfe der folgenden Übersicht darstellen: Die Geschichte Israels nach Lukas



„Gesetz und Propheten bis Johannes“ (Lk 16,16)

Väter (Apg 13,17) n

Richter (Apg 13,20)



n

Saul (Apg 13,21)



n

David (Apg 13,22)



n



n



n



n



n



n



n

Erstes Buch Johannes der Täufer Jesus ist der Verkündiger Jesus ist auf der Erde „im Land der Juden und in Jerusalem“ (Apg 10,39) Die Apostel sind „Augenzeugen“ des Wirkens Jesu (Lk 1,2; Apg 1,21) Nur Jesus hat den Geist -–––––––––––––––––––––––––Zweites Buch Jesus ist der Verkündigte Jesus ist im Himmel „unter allen Völkern“ (Lk 24,47) Die Apostel sind „Diener des Wortes“ und „Zeugen“ der Auferstehung (Lk 1,2; 24,48; Apg 1,8; 13,31 u. ö.) Auch die Zeugen haben den Geist

Verkündigung der WVh^aZÕVid‘_Zd‘

Jesus (Apg 13,23)

Die „Ereignisse, die in unserer Zeit abgeschlossen sind“ (Lk 1,1)

Parusie (Apg 1,11); „Wiederherstellung alles dessen, von dem Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten geredet hat von Anfang an“ (Apg 3,21); Befreiung Jerusalems (Lk 2,38); Wiederherstellung der WVh^aZÕVfür Israel (Apg 1,8); „Auferstehung der Gerechten und Ungerechten“ (Apg 24,15); Gericht (Apg 17,31)

Das besondere Profil dieser Epoche, das den erzählten Zeitraum allererst zu einer Epoche macht, sieht Lukas darin bestehen, dass die Sendung von Gottes eschatischem Heil 28

6. Der theologische Ort der Jesusgeschichte im lukanischen Doppelwerk

(swtflrion; Lk 2,30; 3,6; Apg 28,28), die erst durch Jesus selbst und dann durch dessen Zeugen erfolgte, von den meisten Juden abgewiesen wurde. Weil das Heil Gottes demgegenüber von sehr viel mehr Nichtjuden angenommen wurde, kann Lukas seinen Paulus darum mit dessen letztem Wort in Apg 28,28 sagen lassen: „Sie sind es, die auch hören werden!“ (a§toÑ kaÑ üko‚sontai; zur Übersetzung vgl. Plümacher, Geschichte, 144). Paulus formuliert hier also „eine an Schärfe kaum zu überbietende Kontrastaussage“ (Plümacher, ebd., 145). Die Erfüllung der Verheißungen für Israel mündete darum in einen Trennungsprozess, der zur Folge hatte, dass „Israel“ in lukanischer Zeit eine recht merkwürdige Gestalt bekommen hat: Zum einen sieht Lukas die christliche Kirche in der ungebrochenen Kontinuität der Geschichte des Gottesvolks Israel stehen, denn ihm gehören nun auch die nach Apg 11,26 erstmals in Antiochien so genannten jüdischen und nichtjüdischen Cristiano‡ an. Hierbei handelt es sich um all diejenigen, die glauben, dass die dem Gottesvolk geltenden Heilsverheißungen in der Sendung und in der Auferstehung Jesu von den Toten erfüllt sind (z. B. Apg 13,32–39; 23,6; 26,6–8). Nach lk Verständnis setzt sich die Geschichte Israels in der Geschichte der Kirche fort. Zum anderen gehören für Lukas natürlich auch weiterhin diejenigen Juden zu Israel, die sich der Christusverkündigung versagen. Ihnen wird freilich – das darf nicht unter den Teppich gekehrt werden – durch den lk Petrus in Apg 3,23 mit den Worten von Dtn 18,19 und Lev 23,29 der eschatische Ausschluss aus dem Gottesvolk angedroht. Aus der Perspektive der intendierten Leser des lukanischen Doppelwerks kann man darum sagen, dass Lukas eine Vorgeschichte seiner Gegenwart schreiben will, die das Zustandekommen eines in seiner Zeit bestehenden Zustands erklären will. Das lk Geschichtswerk wäre dann seinem eigenen Selbstverständnis nach so etwas wie eine „Basisgeschichte“ oder „Ursprungsgeschichte“, die den Ursprung und Anfang eines augenblicklichen status quo und die historische Entwicklung bis zu seinem Erreichen erzählen will (vgl. auch Backhaus* 31 f). Ein solches Geschichtswerk kann dementsprechend mit dem Ereignis aufhören, mit dem dieser Zustand erreicht wird – egal, wie weit es zurückliegt. Dementsprechend enden viele protestantische Darstellungen der Reformationsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, in dem die bis heute nachwirkende konfessionelle Geographie Deutschlands etabliert wurde. Lukas erzählte dann die Geschichte dieser Epoche aus der Geschichte Israels, um seinen Lesern zu erklären, wie es dazu gekommen ist, dass Christen und Juden in seiner Gegenwart voneinander getrennt sind, obwohl sie doch so viel miteinander verbindet. Als zu eng erweisen sich damit Perspektiven auf das lukanische Doppelwerk, die in ihm lediglich die Entstehungsgeschichte des Christentums erzählt sehen wollen (u. a. Marguerat* 63; Cancik*, History). In diesen Interpretationen ist übersehen, dass Lukas die Geschichte der Ausbreitung des Christuszeugnisses immer auch als eine Geschichte seiner Ablehnung erzählt, die immer wieder zu Trennungen führt. Beide Bewegungen – die der Ausbreitung und die der Trennung – bedingen einander (Einzelheiten bei Wolter* 263 f): Die Christusverkündigung veranlasst regelmäßig die Trennung, und ebenso regelmäßig ermöglicht die Trennung den Aufbruch zu neuer Verkündigung. Vor allem aber geht aus der Schluss-Szene des lukanischen Doppelwerks in Apg 28,23–28 hervor, dass seine Perspektive über den christlichen Teil Israels hinausreicht und Lukas an dieser herausgehobenen Position seiner Darstellung die Aufmerksamkeit der Leser auf den nicht christlich gewordenen Teil Israels lenkt: Mit Hilfe von Jes 6,9–10 erklärt er, 29

Einleitung

warum die Mehrheit der Juden die Christusbotschaft abgelehnt hat. Gerade damit, d. h. durch den Rückgriff auf das vom Propheten Jesaja formulierte Verstockungsmodell, wird diese Ablehnung jedoch in die Geschichte Israels hineingeholt. Die jüdische Ablehnung der Christusbotschaft ist nach lukanischer Auffassung überhaupt nur als Teil der Geschichte Israels verständlich. 6.2. Auch wenn Lukas Mk 1,1, die Überschrift des Markusevangeliums, nicht übernommen hat, fungiert auch bei ihm die Jesusgeschichte als Vorgeschichte der nachösterlichen Christusverkündigung, so dass die Überschrift ürcÉ toú e§aggel‡ou ûIhsoú Cristoú auch über seiner Jesusgeschichte stehen könnte. Der Unterschied besteht einzig und allein darin, dass bei Markus die Geschichte der Verkündigung des Evangeliums, anders als bei Lukas, noch unerzählt geblieben ist. Dasselbe gilt auch für die Jesusgeschichte des Matthäusevangeliums: Sie wird zwar mit dem Missionsbefehl in Mt 28,18–20 wie die lukanische Jesusgeschichte in Lk 24,46–49 auf die nachösterliche Verkündigungsgeschichte hin geöffnet, doch anders als Lukas hat Matthäus darauf verzichtet, die Geschichte dieser Verkündigung zu erzählen. Diese Differenz macht noch einmal deutlich und findet ihre Erklärung darin, dass das oben skizzierte Erzählziel, das Lukas dazu veranlasste, seine Jesusgeschichte um die Apostelgeschichte zu erweitern, sich charakteristisch von den Intentionen unterschied, von denen Markus und Matthäus geleitet waren. Dass Lukas nicht erst nach Abschluss des LkEv auf die Idee gekommen ist, seine Jesusgeschichte um eine Darstellung der Geschichte der Ausbreitung der christlichen Heilsbotschaft und ihrer Ablehnung durch die meisten Juden zu erweitern, zeigt vor allem die Gestaltung des Endes vom „ersten Buch“ in Lk 24,25–53, wo er die Jünger als neue Protagonisten der Erzählung vorstellt (Näheres s. dort) und dadurch die Fortsetzung vorbereitet. Eine ganze Reihe von Indizien macht es außerdem wahrscheinlich, dass Lukas eine solche Fortsetzung schon zu Beginn seiner Jesusgeschichte geplant hat. Unter ihnen ist das Proömium Lk 1,1–4 an erster Stelle zu nennen (s. dazu u. S. 60). Darüber hinaus dürfte die Auslassung des Streitgesprächs über „rein“ und „unrein“ von Mk 7,1–23 dadurch veranlasst sein, dass Lukas sich dieses Thema für Apg 10,1 – 11,18 aufheben wollte, weil er sie – historisch durchaus zutreffend – als eine Problematik ansah, die erst nach Ostern virulent wurde. Analoges gilt auch für den lk Umgang mit Jes 6,9–10: In Lk 8,10 hat Lukas das Zitat dieses Textes bei seiner Übernahme von Mk 4,12 fast bis zur Unkenntlichkeit verkürzt, weil er es erst am Schluss seiner Gesamtdarstellung einsetzen wollte, um mit seiner Hilfe die Ablehnung der nachösterlichen Christusverkündigung durch die meisten Juden abschließend begründen zu können (s. auch Barrett* 1453 ff; Marshall*, Acts, 174 f; Marguerat* 73 ff). Und schließlich dürfte Lukas auch die falsche Zeugenaussage mit dem Tempelwort (Mk 14,58) in seiner Fassung des Verhörs vor dem Synedrium ausgelassen haben, weil er sie in Apg 6,14 bringen wollte (vgl. auch Apg 13,45; 28,19.22 mit Lk 2,34; s. S. 142). Wenn man dieses Ergebnis mit dem oben angesprochenen handschriftlichen Befund (s. o. S. 2) vermitteln will, kann man sagen, dass Lukasevangelium und Apostelgeschichte einerseits in publikationstechnischer Hinsicht zwar nacheinander geschrieben und unabhängig voneinander veröffentlicht wurden, andererseits jedoch durch ein einheitliches theologisches und literarisches Konzept miteinander verbunden sind. Das Lukasevangelium wurde zwar vor, aber nicht unabhängig von der Apostelgeschichte geschrieben. 30

6. Der theologische Ort der Jesusgeschichte im lukanischen Doppelwerk

6.3. Trotzdem wird die im Lukasevangelium erzählte Geschichte von der göttlichen Sendung des Heils zu Israel durch die Apostelgeschichte nicht „etwas ganz und gar Zurückliegendes, wirklich Historie“ (Käsemann, Versuche I, 199). Diesem Urteil widerspricht schon die Art und Weise, wie die Jesusgeschichte in der Apostelgeschichte vorkommt: a) Als ein erster Typ der Bezugnahme auf das LkEv in der Apostelgeschichte lassen sich die summarischen Verweise auf die Gesamtheit der Jesusgeschichte identifizieren (Apg 2,22; 3,26; 10,36–38; 13,23). Ihnen allen ist eine profilierte Deutung der Geschichte Jesu gemeinsam, die deutlich zu erkennen ist: Sie präsentieren Gott als handelndes Subjekt und stellen Jesus als Werkzeug des göttlichen Heilshandelns an Israel dar: 2,22 (Petrus’ Pfingstpredigt): „Jesus von Nazareth, ein Mann, der euch gegenüber von Gott legitimiert ist durch Machttaten, Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat (ünÉr üpodedeigmfino“ üpÖ toú jeoú e¢“ ≠mô“ dun›mesi kaÑ tfirasi kaÑ shme‡oi“ oï“ †po‡hsen diû a§toú ¨ je·“), wie ihr selbst wisst“. 3,26 (Petrus in der Halle Salomos zum Jerusalemer la·“): „Für euch zuerst (≠mõn prùton) hat Gott seinen Knecht Jesus erstehen lassen, und er hat ihn gesandt als einen, der euch segnet, indem er jeden einzelnen von eurer Bosheit abbringt (üpfisteilen a§tÖn e§logoúnta ≠mô“ †n tù üpostrfifein ∫kaston üpÖ tùn ponhriùn ≠mùn)“. 10,36–38 (Petrus im Haus des Cornelius): „Das Wort hat er (sc. Gott) den Kindern Israel gesandt, indem er Frieden frohbotschaftete durch Jesus Christus“ (tÖn l·gon üpfisteilen toõ“ u´oõ“ ûIsraÉl e§aggeliz·meno“ e¢rflnhn diÅ ûIhsoú Cristoú). … das Geschehen, das sich in ganz Judäa zugetragen hat, ausgehend von Galiläa nach der Taufe, die Johannes angeboten hat: Jesus von Nazareth – wie Gott ihn mit heiligem Geist und Kraft gesalbt hat; der ist umhergezogen und hat Gutes getan und gesund gemacht alle, die vom Teufel beherrscht waren (Æ“ ≤crisen a§tÖn ¨ jeÖ“ pne‚mati ®g‡w kaÑ dun›mei, ≈“ diöljen e§ergetùn kaÑ ¢„meno“ p›nta“ toÜ“ katadunasteuomfinou“ ≠pÖ toú diab·lou), denn Gott war mit ihm.“ 13,23 (Paulus in der Synagoge im pisidischen Antiochien): „Aus dessen (sc. Davids) Nachkommenschaft hat Gott gemäß der Verheißung als Retter für Israel Jesus gebracht (≥gagen tù ûIsraÉl swtöra ûIhsoún).“ Hieran knüpft V. 26 mit „uns wurde das Wort dieses Heils gesandt (™mõn ¨ l·go“ tö“ swthr‡a“ ta‚th“ †xapest›lh [Passivum divinum])“ an. b) Diese Aktualisierungen der Jesusgeschichte werden in 2,23–24; 10,39–40 und 13,27–31a durch Erinnerungen an das Leidens‑ und Auferstehungsgeschick Jesu fortgeführt, die Lukas mit Hilfe des sog. Kontrastschemas gestaltet (s. auch 3,13–15; 4,10; 5,30, wo dieses Schema für sich steht; in 3,17b–18 ist es ausschließlich auf das Leiden Jesu bezogen). Auch hier wird Jesu Auferstehungsgeschick stets als ein Handeln Gottes an ihm zur Sprache gebracht. c) Auf Einzelheiten der lukanischen Jesusgeschichte wird demgegenüber von der Apostelgeschichte aus nur ganz selten zurückverwiesen: Dies gilt vor allem für die Wortüberlieferung: Während in Apg 13,25; 19,4 das Wort Johannes’ des Täufers aus Lk 3,16 zitiert bzw. auf es Bezug genommen wird, gibt es kein einziges Jesuswort aus dem LkEv, an das in der Apostelgeschichte erinnert würde (das Jesuswort, das in Apg 11,6 zitiert wird, steht in Apg 1,5). Das Herrenwort, das der lk Paulus in seiner Abschiedsrede an die ephesischen Presbyter in Milet anführt (20,35: „Geben ist seliger als Nehmen“), steht weder im LkEv noch stammt es überhaupt von Jesus, sondern es handelt sich um ein Sprichwort aus griechisch-römischer Tradition (vgl. Barrett, Acts II, 983 f). Von der Erzählüberlieferung sind es außer dem vagen Bezug auf Lk 3,22 in Apg 4,27 („dein heiliger Knecht Jesus, den du gesalbt hast“) nur Ereignisse der lk Passions‑ und Ostererzählung, auf die in der Apostelgeschichte Bezug genommen wird: in Apg 1,16 („… Judas, der denen zum Wegweiser wurde, die Jesus gefangennahmen“) auf Lk 22,47, in Apg 3,14 auf Lk 23,13–25 sowie in Apg 4,27–28 (s. u. S. 734) ganz allgemein auf die in Lk 22,66 – 23,49 erzählten Ereignisse am Todestag Jesu, wobei man in 3,17b (katÅ ±gnoian †pr›xate) und 13,27 (toúton ügnoflsante“) möglicherweise einen gezielten Rückverweis auf 23,34 erkennen kann. In 5,32; 10,41–42; 13,31

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können die Leser einen Bezug auf die in Lk 24,36–49 berichtete Erscheinung wahrnehmen, die die Jünger zu Zeugen der Auferstehung Jesu gemacht hat. Die Rückverweise auf diese Szene haben die Funktion, dem Auferstehungszeugnis der Missionare in den erzählten rhetorischen Situationen Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Dass dieser Befund das oben zitierte Urteil Ernst Käsemanns widerlegt, ist offensichtlich. Um untheologische „Historie“ im Sinne Käsemanns handelt es sich schon darum nicht, weil Lukas in den summarischen Verweisen auf die Gesamtheit der Jesusgeschichte das Wirken Jesu (Abschn. [a]) stets mit einer profilierten theologischen Deutung versieht: dass Gott selbst es ist, der im Wirken Jesu an Israel zum Heil gehandelt hat und dass Gott durch Jesus in authentischer Weise repräsentiert wird. Diese Deutung ist auch im LkEv an vielen Stellen belegt (vgl. z. B. Lk 1,17.76; 5,17–26; 7,16; 8,39; 9,43a; 18,43; Weiteres bei Squires, Plan of God, 90 ff), und dementsprechend stiftet sie eine elementare theologische Kontinuität zwischen den beiden Büchern des lukanischen Doppelwerks, die das historische Nacheinander der in ihnen erzählten Vorgänge umgreift. Diese Deutung gewinnt ihr individuelles Profil außerdem dadurch, dass Lukas auch Jesu Leiden und Auferstehung in sie integriert und als Bestandteil von Gottes Heilshandeln an Israel darstellt, mit dem die Verheißungen der Schrift erfüllt werden (vgl. auch Apg 17,2 f und 26,22 f). Dass Lukas in der Christusverkündigung der Zeugen vor allem die Auferstehung Jesu ins Zentrum stellt (vgl. Apg 1,22; 4,2.33; 10,40 f; 17,18.31; 24,21), dürfte seinen Grund darin haben, dass es allererst die Auferstehung ist, die den besonderen Charakter der messianischen Herrschaft Jesu begründet: dass Jesus „auf dem Thron seines Vaters David“ sitzt und „über das Haus Jakob herrschen wird bis in Ewigkeit und dass seine Herrschaft kein Ende haben wird“ (Lk 1,32 f). Ohne die Auferstehung bliebe die Geschichte von Jesu Auftreten und Geschick in Israel darum vom Missverständnis der Emmausjünger bedroht: dass Jesus nicht mehr war als ein Prophet, der zwar „machtvoll in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk“ aufgetreten war (Lk 24,19), ansonsten aber dasselbe Geschick erlitten hatte wie vor ihm schon viele Propheten, die ebenfalls von den Machthabern in Israel zu Tode gebracht wurden (V.20). Diese Deutung, die Lukas der Jesusgeschichte gibt, ist auch überall dort präsent, wo er die Christusverkündigung als Reich-Gottes-Verkündigung charakterisiert (Apg 8,12; 19,8/10; 20,21/25; 28,23.31), denn als solche hatte er bereits zuvor im Evangelium auch die Verkündigung Jesu dargestellt (Lk 4,43; 8,1; 9,11; 16,16; s. auch 9,2.60). Dasselbe gilt darüber hinaus auch für die Texte, in denen Lukas in einer weiteren theologischen Verdichtung einfach nur davon erzählt, dass „der Messias Jesus“ (5,42), „der Herr Jesus“ (11,20), „das Wort des Herrn“ (15,35) oder auch einfach nur „Jesus“ (8,35) verkündigt wird (s. auch Delling* 386). Daraus folgt weiterhin, dass diese Deutung auch überall dort einzusetzen ist, wo Lukas davon spricht, dass Menschen auf Grund dieser Verkündigung „an Jesus“, „an seinen Namen“, „an den Herrn“ oder auch nur einfach „glauben“ (z. B. 3,16; 4,4; 5,14; 8,12; 10,43; 11,17; 13,12; 14,23; 16,15.31; 18,8; 20,21; 24,24; 26,18). Was damit gemeint ist, sagt Lukas den Lesern in den oben zitierten summarischen Verweisen auf die Gesamtheit der Jesusgeschichte. Darüber hinaus verlängert sich diese Deutung auch über die erzählte Welt hinaus in die Gegenwarten aller Leser des lukanischen Doppelwerks, denn für Lukas glauben auch sie natürlich nichts anderes als das, was durch die Zeugen Jesu verkündigt wurde. Dass 32

6. Der theologische Ort der Jesusgeschichte im lukanischen Doppelwerk

dieser Sachverhalt eben darum von fundamentaler hermeneutischer Bedeutung ist, weil er die im LkEv erzählte Jesusgeschichte in das Licht des Glaubens aller Leser des lukanischen Geschichtswerks stellt, muss nicht extra hervorgehoben werden. Die Jesusgeschichte des Lukasevangeliums und ihre Rezeption in der Apostelgeschichte interpretieren sich also gegenseitig: Zum einen fungieren die vorgenannten Texte der Apostelgeschichte als exemplarische theologische Deutungen der Jesusgeschichte. Ihre hermeneutische Bedeutung besteht darin, dass sie die Geschichte Jesu bleibend davor bewahren, zur bloßen Historie abzusinken. Die theologische Deutung, mit der Lukas die Verweise auf die Jesusgeschichte in den Missionsreden versieht, stellt darum auch sicher, dass er seine Jesus-Erzählung nicht lediglich „als die historische Begründung, welche als ein Zweites zum Kerygma hinzutritt“ (so Conzelmann, Mitte, 3), verstanden wissen will. Sie ist bei ihm vielmehr ein integraler Bestandteil des Kerygmas selbst. – Zum anderen entfaltet die lk Jesusgeschichte für die glaubenden Leser des lukanischen Doppelwerks, von welcher Art die Worte und Taten waren, in denen die Sendung von Gottes Friedensbotschaft für Israel (10,36) und sein Rettungshandeln an Israel (13,23.26) Gestalt gewann. Allein aus diesem Grunde kann Lukas sich darauf beschränken, in der Apostelgeschichte nur „die Umrisse des Jesusgeschehens“ wiederzugeben (Delling* 389): weil er voraussetzen kann, dass seine Leser das LkEv kennen und sie darum wissen, was jeweils gemeint ist. Ohne die Kenntnis der Jesusgeschichte bliebe darum für Lukas nicht nur die Apostelgeschichte an entscheidenden Stellen unverständlich, sondern wüsste auch der christliche Glaube nicht, worauf er sich richtet. Dabei wird das historische Nacheinander von Jesusgeschichte und Verkündigungsgeschichte, das durch das literarische Nacheinander der beiden Bücher des lukanischen Doppelwerks abgebildet wird, kerygmatisch überbrückt: Die Geschichte Jesu wird nicht nur in der Verkündigung durch seine Zeugen reaktualisiert, deren Geschichte Lukas im zweiten Buch erzählt, sondern sie „überholt“ gewissermaßen die Zeit der Zeugen und ist in ihrer Deutung durch Lukas auch überall dort bleibend präsent, wo Jesus Christus verkündigt und geglaubt wird.

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Literatur In Abschn. 2–4 ist nur die in der Einleitung und im Kommentar abgekürzt zitierte Literatur aufgeführt (vgl. dazu die Zitierkonventionen in Abschn. 6).

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Literatur

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3. Aufsätze, Hilfsmittel und Monographien

Seccombe, D.P., Possessions and the Poor in Luke-Acts (SNTU.B 6), Linz 1982 Seim, T.K., The Double Message. Patterns of Gender in Luke-Acts, Edinburgh 1994 Sellew, Ph., Interior Monologue as a Narrative Device in the Parables of Luke, JBL 111 (1992) 239–253 Sellin, G., Komposition, Quellen und Funktion des lukanischen Reiseberichtes, NT 20 (1978) 100–135 Ders., Lukas als Gleichniserzähler, ZNW 65 (1974) 166–189; 66 (1975) 19–60 Sevenich-Bax, E., Israels Konfrontation mit den letzten Boten der Weisheit (MThA 21), Altenberge 1993 Sheeley, S.M., Narrative Asides in Luke-Acts (JSNT.S 72), Sheffield 1992 Shepherd, W.H., The Narrative Function of the Holy Spirit as a Character in Luke-Acts (SBL.DS 147), Atlanta, GA 1994 Sherwin-White, A.N., Roman Society and Roman Law in the New Testament, Oxford 1963 Smith, D.E., Table Fellowship as a Literary Motiv in the Gospel of Luke, JBL 106 (1987) 613– 638 Spicq, C., Theological Lexicon of the New Testament, 3 Bde., Peabody 1994 Squires, J.T., The Plan of God in Luke-Acts (MSSNTS 76), Cambridge 1993 Steck, O.H., Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten (WMANT 23), Neukirchen-Vluyn 1967 Steinhauser, M.G., Doppelbildworte in den synoptischen Evangelien (FzB 44), Stuttgart / Würzburg 1981 Stegemann, W., Jesus als Messias in der Theologie des Lukas, in: Messias-Vorstellungen, 21–40 Ders., Zwischen Synagoge und Obrigkeit (FRLANT 152), Göttingen 1991 Stemberger, G., Pharisäer, Sadduzäer, Essener (SBS 144), Stuttgart 1991 Sterling, G., Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-Acts and Apologetic Historiography (NT.S 64), Leiden u. a. 1992 Ders., Mors philosophi: The Death of Jesus in Luke, HThR 94 (2001) 383–402. Stettberger, H., Mahlmetaphorik im Evangelium des Lukas, Münster 2005 Ders., Nichts haben – alles geben? Eine kognitiv-linguistisch orientierte Studie zur Besitzethik im lukanischen Doppelwerk (HBiSt 45), Freiburg u. a. 2005 Strauss, M.L., The Davidic Messiah in Luke-Acts (JSNT.S 110), Sheffield 1995 Strotmann, A., Mein Vater bist du! (Sir 51,10). Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanonischen und nichtkanonischen Schriften (FTS 39), Frankfurt a.M. 1991 Stuhlmacher, P., Biblische Theologie des Neuen Testaments, 2 Bde., Göttingen 1992/1999 Synopsis Quattuor Evangeliorum, ed. K. Aland, Stuttgart 152001 Talbert, C.H., Reading Luke, Macon, GA 22002 Tannehill, R.C., The Narrative Unity of Luke-Acts. I. The Gospel of Luke, Philadelphia 1986 Theissen, G., Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien, Freiburg, Schw. / Göttingen 2 1992 Ders., Urchristliche Wundergeschichten (StNT 8), Gütersloh 51987 Thomas, J.C., Footwashing in John 13 and the Johannine Community (JSNT.S 61), Sheffield 1991 Thrall, M.E., Greek Particles in the New Testament (NTTS 3), Grand Rapids, MI 1962 Tilborg, S. van, The Meaning of the Word gamù in Lk 14:20; 17:27; Mk 12:25 and in a Number of Early Jewish and Christian Authors, HTS 58 (2002) 802–810 Tsafrir, Y. u. a., Tabula Imperii Romani. Iudaea . Palaestina, Jerusalem 1994 Tuckett, C.M., The Lukan Son of Man, in: Luke’s Literary Achievement, 198–217 Ders., Luke, London / New York 2004 Ders., Q and the History of Early Christianity, Edinburgh 1996 Ders., On the Relationship Between Matthew and Luke, NTS 30 (1984) 130–142 Tyson, J.B., The Death of Jesus in Luke-Acts, Columbia 1986

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Literatur

Unnik, W.C. van, Dominus vobiscum. The Background of a Liturgical Formula, in: ders., Sparsa Collecta III (NT.S 31), Leiden 1983, 362–391 Ders., L’usage de SWZEIN „sauver“ et des dérivés dans les évangiles synoptiques, in: ebd. I (NT.S 29), Leiden 1973, 16–34 Verboomen, A., L’imparfait périphrastique dans l’évangile de Luc et dans la Septante (ARB.CL 10), Löwen 1992 Verheyden, J., The Unity of Luke-Acts. What are we up to?, in: The Unity of Luke-Acts, 3–56 Versnel, H.S., Making Sense of Jesus’ Death. The Pagan Contribution, in: Deutungen des Todes Jesu, 215–294 Via, D.O., Die Gleichnisse Jesu (BEvTh 57), München 1970 Victor, U., Textkritischer Kommentar zu ausgewählten Stellen des Lukas‑ und des Johannesevangeliums, NT 50 (2008) im Druck Vielhauer, Ph., Zum „Paulinismus“ der Apostelgeschichte (1950/51), in: ders., Aufsätze zum Neuen Testament (TB 31), München 1965, 9–27 Vögtle, A., Das Evangelium und die Evangelien (KBANT), Düsseldorf 1971 Vogel, M., Das Heil des Bundes (TANZ 18), Tübingen / Basel 1996 Vogt, J., Aspekte erzählender Prosa, Opladen 71990 Volz, P., Die Eschatologie der jüdischen Gemeinde im neutestamentlichen Zeitalter, Tübingen 21934 Wagner, J.R., Psalm 118 in Luke-Acts: Tracing a Narrative Thread, in: Early Christian Interpretation of the Scriptures of Israel, 154–178 Wagner, V., Mit der Herkunft Jesu aus Nazaret gegen die Geltung des Gesetzes?, ZNW 92 (2001) 273–282 Wainwright, A.W., Luke and the Restoration of the Kingdom to Israel, ET 89 (1977/78) 76–79 Wanke, J., „Bezugs‑ und Kommentarworte“ in den synoptischen Evangelien (EThSt 44), Leipzig 1981 Ders., Beobachtungen zum Eucharistieverständnis des Lukas auf Grund der lukanischen Mahlberichte (EThS 8), Leipzig 1973 Wasserberg, G., Aus Israels Mitte – Heil für die Welt (BZNW 92), Berlin / New York 1998 Weatherly, J.A., Jewish Responsibility for the Death of Jesus in Luke-Acts (JSNT.S 106), Sheffield 1994 Webb, R.L., John the Baptizer and Prophet (JSNT.S 62), Sheffield 1991 Weder, H., Die Gleichnisse Jesu als Metaphern (FRLANT 120), Göttingen 31984 Weihs, A., Jesus und das Schicksal der Propheten (BThSt 61), Neukirchen-Vluyn 2003 Weinreich, O., Antike Heilungswunder (RVV 8/1), Gießen 1909 = Berlin 1969 Weiser, A., Die Knechtsgleichnisse der synoptischen Evangelien (StANT 29), München 1971 Weiss, B., Lehrbuch der Einleitung in das Neue Testament, Berlin 1886 21889 Weiss,W., „Eine neue Lehre in Vollmacht“. Die Streit‑ und Schulgespräche des Markusevangeliums (BZNW 52), Berlin / New York 1989 Weissenrieder, A., Images of Illness in the Gospel of Luke (WUNT 2/164), Tübingen 2003 Welker, M. / M. Wolter, Die Unscheinbarkeit des Reiches Gottes, in: MJTh. XI. Reich Gottes, Marburg 1999, 103–116 Wells, L., The Greek Language of Healing from Homer to New Testament Times (BZNW 83), Berlin / New York 1998 Wenk, M., Community-Forming Power. The Socio-Ethical Role of the Spirit in Luke-Acts (JPeTh.S 19), Sheffield 2000 Westermann, C., Grundformen prophetischer Rede (BEvTh 31), München 41971 Wettstein, J.J., Novum Testamentum Graecum Editionis Receptae, 2 Bde., Amsterdam 1751/52 = Graz 1962 Wilckens, U., Das Evangelium nach Johannes (NTD 4), Göttingen 1998 Wilson, S.G., The Gentiles and the Gentile Mission in Luke-Acts (MSSNTS 23), Cambridge 1973

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4. Festschriften und Sammelbände

Ders., Luke and the Law (MSSNTS 50), Cambridge 1983 Witherington III, B., Women in the Ministry of Jesus (MSSNTS 51), Cambridge 1984 Wohlers, M., „Aussätzige reinigt“ (Mt 10,8). Aussatz in antiker Medizin, Judentum und frühem Christentum, in: Text und Geschichte, 294–304 Wolter, M., Die anonymen Schriften des Neuen Testaments. Annäherungsversuch an ein literarisches Phänomen, ZNW 79 (1988) 1–16 Ders., Apokalyptik als Redeform im Neuen Testament, NTS 51 (2005) 171–191 Ders., Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: Apostelgeschichte und hellenistische Geschichtsschreibung, 253–284 Ders., Ethos und Identität in paulinischen Gemeinden, NTS 43 (1997) 430–444 Ders., „Gericht“ und „Heil“ bei Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer, in: Der historische Jesus, 355–392 Ders., Der Heilstod Jesu als theologisches Argument, in: Deutungen des Todes Jesu, 297–313 Ders., Inschriftliche Heilungsberichte und neutestamentliche Wundererzählungen, in: Studien und Texte zur Formgeschichte, 135–175 Ders., Israels Zukunft und die Parusieverzögerung bei Lukas, in: Eschatologie und Schöpfung, 405–426 Ders., Die Juden und die Obrigkeit bei Lukas, in: Ja und Nein, 277–290 Ders., Die Pastoralbriefe als Paulustradition (FRLANT 146), Göttingen 1988 Ders., Rechtfertigung und zukünftiges Heil. Untersuchungen zu Röm 5,1–11 (BZNW 43), Berlin / New York 1978 Ders., „Reich Gottes“ bei Lukas, NTS 41 (1995) 541–563 Ders., „Was heisset nu Gottes reich?”, ZNW 86 (1995) 5–19 York, J.O., The Last Shall be First. The Rhetoric of Reversal in Luke (JSNT.S 46), Sheffield 1991 Ytterbrink, M., The Third Gospel for the First Time. Luke within the Context of Ancient Biography, Lund 2004 Zahn, T., Grundriss der Geschichte des Neutestamentlichen Kanons, Leipzig 21904 Zeller, D., Die weisheitlichen Mahnsprüche bei den Synoptikern (FzB 17), Stuttgart / Würzburg 1977 Zerwick, M., Graecitas Biblica, Rom 51966 Ziesler, J.A., Luke and the Pharisees, NTS 25 (1978/79) 146–157 Zimmermann, C., Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC 69), Leiden / Boston 2007 Zimmermann, J., Observations on 4Q246 – The „Son of God“, in: Qumran-Messianism, 175–190 Zmijewski, J., Die Eschatologiereden des Lukas-Evangeliums (BBB 40), Bonn 1972 Zohary, M., Pflanzen der Bibel, Stuttgart 31995 Zuckschwerdt, E., Nazo¯ raios in Matth. 2,23, ThZ 31 (1975) 65–77 Zwiep, A.W., The Ascension of the Messiah in Lukan Christology (NT.S 87), Leiden u. a. 1997 van Zyl, H.C., The Soteriological Meaning of Jesus’ Death in Luke-Acts. A Survey of Possibilities, in: VEccl 23 (2002) 533–557

4. Festschriften und Sammelbände Die Titel sind nach der Wortfolge geordnet; dabei werden die bestimmten und die unbestimmten Artikel am Anfang der Titel nicht berücksichtigt. À cause de l’évangile. FS Jacques Dupont (LeDiv 123), Paris 1985 Abraham unser Vater. FS Otto Michel, Leiden 1963

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Literatur

Ancient Jerusalem Revealed, ed. H. Geva, Jerusalem 1994 Die Anfänge des Christentums. Alte Welt und neue Hoffnung, mit Beiträgen von J. Becker, C. Burchard u. a., Stuttgart u. a. 1987 L’Apocalypse johannique et l’apocalyptique dans le Nouveau Testament, ed. J. Lambrecht (BEThL 53), Gembloux / Löwen 1980 Apophoreta. FS Ernst Haenchen (BZNW 30), Berlin 1964 Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS Eckhard Plümacher (AJEC 57), Leiden u. a. 2004 Ascribe to the Lord. Biblical and other Studies in Memory of Peter C. Craigie, Sheffield 1988 Auferstehung – Resurrection, hg.v. F. Avemarie / H. Lichtenberger (WUNT 135), Tübingen 2001 Authenticating the Activities of Jesus, ed. B.D. Chilton / C.A. Evans (NTTS 28/2), Leiden u. a. 1999 Authenticating the Words of Jesus, ed. B. Chilton / C.A. Evans (NTTS 28/1), Leiden u. a. 1999 The Beginnings of Christianity, ed. F.J. Foakes Jackson / K. Lake, 5 Bde., London 1920–33 Bethsaida. A City by the North Shore of the Sea of Galilee, ed. R. Arav / R.A. Freund, Kirksville 1995 La Bible en récits. L’exégèse biblique à l’heure du lecteur, ed. D. Marguerat (MoBi 48), Paris 2003 The Bible in three Dimensions, ed. D.J.A. Clines u. a. (JSOT.S 87), Sheffield 1987 The Biblical Canons, ed. J.-M. Auwers / H.J. de Jonge (BEThL 163), Löwen 2003 Biblische Randbemerkungen. Schülerfestschrift für Rudolf Schnackenburg, Würzburg 21974 Die bleibende Gegenwart des Evangeliums. FS Otto Merk (MThSt 76), Marburg 2003 The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, ed. B.W. Winter / A.D. Clarke, Grand Rapids / Car­lisle 1993 Christianity, Judaism and Other Greco-Roman Cults. FS Morton Smith (SJLA 12), 4 Bde., Leiden 1975 Christus bezeugen. FS Wolfgang Trilling, Freiburg 1990 Common Life in the Early Church. FS Graydon F. Snyder, Harrisburg, PA 1998 Current Issues in Biblical and Patristic Interpretation. FS Merrill C. Tenney, Grand Rapids 1975 Deutungen des Todes Jesu, hg.v. J. Frey / J. Schröter (WUNT 181), Tübingen 2005 Diakonie und Ökonomie. Orientierungen im Europa des Wandels, hg.v. C. Sigrist, Zürich 2006 „Dies ist das Buch …“. FS Hubert Frankemölle, Paderborn u. a. 2004 Discourse Analysis and the New Testament, ed. S.E. Porter / J.T. Reed (JSNT.S 170), Sheffield 1999 Divine Promises to the Fathers in the Three Monotheistic Religions, ed. A. Niccacci (SBF 40), Jerusalem 1995 Das Drama der Barmherzigkeit Gottes, hg.v. R. Scoralick (SBS 183), Stuttgart 2000 Early Christian Interpretation of the Scriptures of Israel, ed. C.A. Evans / J.A. Sanders (JSNT.S 148), Sheffield 1997 Early Christian Origins. FS Harold R. Willoughby, Chicago 1961 Early Christianity and Classical Culture. FS Abraham J. Malherbe (NT.S 110), Leiden u. a. 2003 Ecclesia a Spiritu Sancto edocta. FS Gérard Philips (BEThL 27), Gembloux 1970 Der Erzähler des Evangeliums, hg.v. F. Hahn (SBS 118/119), Stuttgart 1985 Eschatologie. FS Engelbert Neuhäusler, St. Ottilien 1981 Eschatologie und Schöpfung. FS Erich Gräßer (BZNW 89), Berlin / New York 1997 Essays in Old Testament Ethics. J. Philip Hyatt, In Memoriam, New York 1974 Das Evangelium und die Evangelien, hg.v. P. Stuhlmacher (WUNT 28), Tübingen 1983 L’évangile de Luc – The Gospel of Luke, ed. F. Neirynck (BEThL 32), Löwen 21989 Fabrics of Discourse. FS Vernon K. Robbins, Harrisburg, PA 2003 Fair Play. FS Heikki Räisänen (NT.S 103), Leiden 2002 Festgabe für Karl Heinrich Rengstorf zum 70. Geburtstag (Theokr. 2), Leiden 1973 Festgabe von Fachgenossen und Freunden A. von Harnack zum siebzigsten Geburtstag dargebracht, Tübingen 1921 Festschrift für Ernst Fuchs, Tübingen 1973

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4. Festschriften und Sammelbände

Fides sacramenti – sacramentum fidei. Studies in honor of Pieter Smulders, Assen 1981 For the Children, Perfect Instruction. FS Hans-Martin Schenke (NHS 54), Leiden / Boston 2002 Forschungen zum Neuen Testament und seiner Umwelt. FS Albert Fuchs (LPTB 7), Frankfurt a.M. u. a. 2002 The Four Gospels 1992. FS Frans Neirynck (BEThL 100), 3 Bde., Löwen 1992 Der Freund des Menschen. FS Georg Christian Macholz, Neukirchen-Vluyn 2003 Der Friede. Idee und Verwirklichung – The Search for Peace. FS Adolf Leschnitzer, Heidelberg 1961 From Jesus to John. FS Marinus de Jonge (JSNT.S 84), Sheffield 1993 From Quest to Q. FS James M. Robinson (BEThL 146), Löwen 2000 „Für alle Zeiten zur Erinnerung“ (Jos 4,7). Beiträge zu einer biblischen Gedächtniskultur. FS Franz Mußner (SBS 209), Stuttgart 2006 Für euch Bischof – mit euch Christ. FS Friedrich Kardinal Wetter, St. Ottilien 1998 The Future of Early Christianity. FS Helmut Koester, Minneapolis 1991 Geschichte – Tradition – Reflexion. FS Martin Hengel, 3 Bde., Tübingen 1996 Geschlechterdifferenz in religiösen Symbolsystemen, hg.v. B. Heininger, Münster 2003 A Gift of God in Due Season. FS James A. Sanders (JSOT.S 225), Sheffield 1996 Glaube und Gerechtigkeit. In memoriam Rafael Gyllenberg, Helsinki 1983 Gleichnisse Jesu, hg.v. W. Harnisch (WdF 366), Darmstadt 1982 The Glory of Christ in the New Testament. Studies in Christology in Memory of George Bradford Caird, Oxford 1987 The Gospel Behind the Gospels, ed. R.A. Piper (NT.S 75), Leiden 1995 Gospel Perspectives II, ed. R.T. France / D. Wenham, Sheffield 1981 Gospel Perspectives III, ed. R.T. France / D. Wenham, Sheffield 1983 The Gospels and the Scriptures of Israel, ed. C.A. Evans / W.R. Stegner (JSNT.S 104), Sheffield 1992 The Gospels for All Christians: Rethinking the Gospel Audiences, ed. R. Bauckham, Grand Rapids / Edinburgh 22004 Herrenmahl und Gruppenidentität, hg.v. M. Ebner (QD 221), Freiburg u. a. 2007 Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung, hg.v. J. Schröter / R. Brucker (BZNW 114), Berlin / New York 2002 Identität durch Gebet, hg.v. A. Gerhards u. a., Paderborn u. a. 2003 Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, hg.v. H.-J. Fabry / U. Offerhaus (BWANT 153), Stuttgart 2001 Im Wandel bleibt der Kern, hg.v. M. Faßnacht u. a., Münster 2007 Imago Linguae. FS Fritz Paepcke, München 1977 Intergerini Parietis Septum. FS Markus Barth, Pittsburgh 1981 Intertextuality in Biblical Writings. FS Bas van Iersel, Kampen 1989 Ja und Nein. FS Wolfgang Schrage, Neukirchen-Vluyn 1998 Jesu Rede von Gott und ihre Nachgeschichte im frühen Christentum. FS Willi Marxsen, Gütersloh 1989 Jesus and his Parables, ed. V.G. Shillington, Edinburgh 1999 Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy, ed. D.P. Moessner, Harrisburg, PA 1999 Jesus and the Politics of His Day, ed. E. Bammel / C.F.D. Moule, Cambridge 1984 Jésus aux origines de la christologie, ed. J. Dupont (BEThL 40), Löwen 21989 Jesus Christus in Historie und Theologie. FS Hans Conzelmann, Tübingen 1975 Jesus in Context, by B. Chilton / C.A. Evans (AGJU 39), Leiden u. a. 1997 Jesus in Nazareth, hg.v. E. Gräßer u. a. (BZNW 40), Berlin / New York 1972 Jesus in neuen Kontexten, hg.v. W. Stegemann u. a., Stuttgart u. a. 2002 Judentum – Urchristentum – Kirche. FS Joachim Jeremias (BZNW 26), Berlin 1960 Le jugement dans l’un et l’autre Testament. II. Mélanges offerts à Jacques Schlosser (LeDiv 198), Paris 2004

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Literatur

Kirche. FS Günter Bornkamm, Tübingen 1980 Die Kirche des Anfangs. FS Heinz Schürmann, Freiburg u. a. 1978 Kontexte der Schrift. FS Ekkehard W. und Wolfgang Stegemann, 2 Bde., Stuttgart 2005 The Language of the Cross, ed. A. Lacomara, Chicago 1977 „Licht zur Erleuchtung der Heiden und Herrlichkeit für dein Volk Israel“. FS Josef Zmijewski (BBB 151), Hamburg 2005 Liebe, Macht und Religion. Gedenkschrift für Helmut Merklein, Stuttgart 2003 Literary Encounters with the Reign of God, ed. S.H. Ringe / H.C.P. Kim, New York / London 2004 Literary Studies in Luke-Acts. FS Joseph B. Tyson, Macon, GA 1998 Logia. Mémorial Joseph Coppens (BEThL 59), Löwen 1982 Das Lukas-Evangelium, hg.v. G. Braumann (WdF 280), Darmstadt 1974 Luke and Acts. FS Emilio Rasco, New York 1993 Luke and his Readers. FS Adelbert Denaux (BEThL 182), Löwen 2005 Luke and Scripture. The Function of Sacred Tradition in Luke-Acts, ed. C.A. Evans / J.A. Sanders, Minneapolis 1993 Luke-Acts, ed. C.H. Talbert, New York 1984 Luke-Acts. Scandinavian Perspectives, ed. P. Luomanen (SESJ 54), Helsinki / Göttingen 1991 Luke-Acts and the Jewish People, ed. J.B. Tyson, Minneapolis 1988 Luke’s Literary Achievement, ed. C.M. Tuckett (JSNT.S 116), Sheffield 1995 Lux Humana, Lux Aeterna. FS Lars Aejmelaeus (SESJ 89), Helsinki / Göttingen 2005 La main de Dieu. Die Hand Gottes, ed. R. Kieffer / J. Bergman (WUNT 94), Tübingen 1997 Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung. Marcion and His Impact on Church History, hg.v. G. May / K. Greschat (TU 150), Berlin / New York 2002 Mélanges bibliques en hommage au R.P. Béda Rigaux, Gembloux 1970 Mélanges Émile Boisacq, Brüssel 1937 Messias-Vorstellungen bei Juden und Christen, hg.v. E. Stegemann, Stuttgart u. a. 1993 Mikra, ed. M.J. Mulder / H. Sysling, Philadelphia 1988 Miscellanea Neotestamentica, hg.v. T. Baarda / A.F.J. Klijn / W.C. van Unnik (NT.S 47–48), 2 Bde., Leiden 1978 Miscellània papirològica Ramón Roca-Puig en el seu vuitantè aniversari, Barcelona 1987 Mysterium Regni – Ministerium Verbi. Scritti in onore di Mons. Vittorio Fusco (SRivBib 38), Bologna 2001 Nach den Anfängen fragen. FS Gerhard Dautzenberg, Gießen 1994 Neotestamentica et Semitica. FS Matthew Black, Edinburgh 1969 Neue Wege der Psalmenforschung. FS Walter Beyerlin (HBiSt 1), Freiburg u. a. 1994 Neues Testament und christliche Existenz. FS Herbert Braun, Tübingen 1973 Neues Testament und Ethik. FS Rudolf Schnackenburg, Freiburg u. a. 1989 Neues Testament und Geschichte. FS Oscar Cullmann, Tübingen 1972 Neutestamentliche Aufsätze. FS Josef Schmid, Regensburg 1963 Neutestamentliche Studien für Rudolf Bultmann (BZNW 21), Berlin 21957 The New Encyclopedia of Archaeological Excavations in the Holy Land, ed. E. Stern, 4 Bde., Jerusalem 1993 The New Testament in Its First Century Setting. FS B[ruce] W. Winter, Grand Rapids / Cambridge, U.K. 2004 New Testament Textual Criticism. FS Bruce M. Metzger, Oxford 1981 New Testament Textual Criticism and Exegesis. FS Joël Delobel (BEThL 161), Löwen 2002 La notion biblique de Dieu, ed. J. Coppens (BEThL 41), Löwen 1976 The Old Testament in the New Testament. FS J. Lionel North (JSNT.S 189), Sheffield 2000 Orientierung an Jesus. FS Josef Schmid, Freiburg u. a. 1973 Les paraboles évangéliques. Perspectives nouvelles. XIIe congrès de l’ACFEB, Lyon (1987), ed. J. Delorme (LeDiv 135), Paris 1989

52

4. Festschriften und Sammelbände

Paul, Luke and the Graeco-Roman World. FS Alexander J.M. Wedderburn (JSNT.S 217), Sheffield 2002 Perspectives in Luke-Acts, ed. C.H. Talbert, Edinburgh 1978 Persuasive Artistry. FS George A. Kennedy (JSNT.S 50), Sheffield 1991 Political Issues in Luke-Acts, ed. R.J. Cassidy / P.J. Scharper, Maryknoll, NY 1983 Probleme der Forschung, hg.v. A. Fuchs (SNTU.A 3), Wien / München 1978 Der Prozeß gegen Jesus, hg.v. K. Kertelge (QD 112), Freiburg u. a. 1988 Putting Body & Soul Together. FS Robin Scroggs, Valley Forge 1997 Quand la Bible se raconte, ed. D. Marguerat, Paris 2003 Qumran-Messianism, ed. J.H. Charlesworth u. a., Tübingen 1998 Raconter, interpréter, annoncer. FS Daniel Marguerat (MoBi 47), Paris 2003 Reading Luke: Interpretation, Reflection, Formation, ed. C.G. Bartholomew / J.B. Green / A.C. Thiselton, Milton Keynes 2005 The Reception of the New Testament in the Apostolic Fathers, ed. A.F. Gregory / C.M. Tuckett, Oxford 2005 Reimaging the Death of the Lukan Jesus, ed. D.D. Sylva (BBB 73), Frankfurt a.M. 1990 Religionsgeschichte des Neuen Testaments. FS Klaus Berger, Tübingen / Basel 2000 Resurrection. FS Leslie Houlden, London 1994 Resurrection in the New Testament. FS Jan Lambrecht (BEThL 165), Löwen 2002 Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde. FS Joachim Jeremias, Göttingen 1970 Ruf und Antwort. FS Emil Fuchs, Leipzig 1964 San Luca Evangelista. Testimone della fede che unisce. I. L’unità letteraria e teologica dell’opera di Luca, a cura di G. Leonardi / F.G.B. Trolese, Padua 2002 Sanctity of Time and Space in Tradition and Modernity, ed. A. Houtman / M.J.H.M. Poorthuis / J. Schwartz, Leiden u. a. 1998 Sayings of Jesus: Canonical and Non-Canonical. FS Tjitze Baarda (NT.S 89), Leiden u. a. 1997 The Sayings Source Q and the Historical Jesus, ed. A. Lindemann (BEThL 158), Löwen 2001 Schrift und Tradition. FS Josef Ernst, Paderborn u. a. 1996 The Scriptures in the Gospels, ed. C.M. Tuckett (BEThL 131), Löwen 1997 The Social World of Luke-Acts, ed. J.H. Neyrey, Peabody, MA 1991 Studien und Texte zur Formgeschichte (TANZ 7), Tübingen / Basel 1992 Studien zum Text und zur Ethik des Neuen Testaments. FS Heinrich Greeven (BZNW 47), Berlin / New York 1986 Studies in John. FS J.N. Sevenster (NT.S 24), Leiden 1970 Studies in the Gospels. Essays in Memory of R.H. Lightfoot, London 1955 Studies in the Synoptic Problem. By Members of The University of Oxford, ed. W. Sanday, Oxford 1911 Suffering and Martyrdom in the New Testament. Studies Presented to G.M. Styler by the Cambridge New Testament Seminar, ed. W. Horbury / B. McNeil, Cambridge 1981 The Synoptic Gospels, ed. C. Focant (BEThL 110), Löwen 1993 Synoptische Studien. FS Alfred Wikenhauser, München 1953 Le temps de la lecture. FS Jean Delorme (LeDiv 155), Paris 1993 Testimony and Interpretation. FS Petr Pokorný (JSNT.S 272), London / New York 2004 Text und Geschichte. FS Dieter Lührmann (MThSt 50), Marburg 1999 Theologia Crucis – Signum Crucis. FS Erich Dinkler, Tübingen 1976 Tradition und Glaube. FS Karl Georg Kuhn, Göttingen 1971 Trajectories through the New Testament and the Apostolic Fathers, ed. A.F. Gregory / C.M. Tuckett, Oxford 2005 Transformative Encounters, ed. I.R. Kitzberger (Bibl.Interpr.S 43), Leiden u. a. 2000 Treasures of Wisdom. FS Maurice Gilbert (BEThL 143), Löwen 1999 Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS Gerhard Schneider, Freiburg u. a. 1991 Le trône de Dieu, éd. M. Philonenko (WUNT 69), Tübingen 1993

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Literatur

Unity and Diversity in New Testament Theology. FS George E. Ladd, Grand Rapids 1978 The Unity of Luke-Acts, ed. J. Verheyden (BEThL 142), Löwen 1999 Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte. FS Jürgen Becker (BZNW 100), Berlin / New York 1999 „Il verbo di Dio è vivo“. FS Albert Vanhoye (AnBib 165), Rom 2007 Verborum Veritas. FS Gustav Stählin, Wuppertal 1970 Vom Urchristentum zu Jesus. FS Joachim Gnilka, Freiburg i.Br. 1989 Von Jesus zum Christus. Christologische Studien. FS Paul Hoffmann (BZNW 93), Berlin / New York 1998 Die Weisheit – Ursprünge und Rezeption. FS Karl Löning (NTA NF 44), Münster 2003 Weltgericht und Weltvollendung. Zukunftsbilder im Neuen Testament, hg.v. H.-J. Klauck (QD 150), Freiburg u. a. 1994 Wenn drei das Gleiche sagen, hg.v. S.H. Brandenburger / T. Hieke, Münster 1998 Wer hilft, wird ein anderer. FS Isidor Baumgartner, Münster 2006 Die Wirklichkeit der Auferstehung, hg.v. H.-J. Eckstein / M. Welker, Neukirchen-Vluyn 2002 With Steadfast Purpose. FS Henry Jackson Flanders, Waco, TX 1990 Wort in der Zeit. Neutestamentliche Studien. FS Karl Heinrich Rengstorf, Leiden 1980 Zur Geschichte des Urchristentums, hg.v. G. Dautzenberg u. a. (QD 87), Freiburg u. a. 1979 Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, hg.v. P. Hoffmann (WdF 522), Darmstadt 1988

5. Abkürzungen Die Abkürzungen bei den bibliographischen Angaben richten sich nach: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Abkürzungsverzeichnis, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, zusammengestellt von S.M. Schwertner, Berlin / New York 1994. Weitere Abkürzungen: AJEC Ancient Judaism and Early Christianity AJPS Asian Journal of Pentecostal Studies ARB.CL Académie Royale de Belgique. Classe des Lettres BBR Bulletin for Biblical Research B/D/R F. Blass / A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, bearb. v. F. Rehkopf, Göttingen 141976 BBTS Bulletin of the General Theological Library of Bangor Theological Seminary BGB Bürgerliches Gesetzbuch BiAth Biblioteca di Athenaeum BiTS Biblical Tools and Studies BVBi Beiträge zum Verstehen der Bibel CEQ The Critical Edition of Q, ed. J.M. Robinson / P. Hoffmann / J.S. Kloppenborg, Minneapolis / Löwen 2000 (s. auch IQP) CrThR Criswell Theological Review CuBR Currents in Biblical Research DDD Dictionary of Deities and Demons FilNeo Filología Neotestamentaria FolTheol Folia Theologica HBiSt Herders Biblische Studien IQP International Q Project (s. auch CEQ) ISE Iscrizioni storiche ellenistiche, ed. L. Moretti, 2 Bde., Florenz 1967/1976 JPeTh.S Journal of Pentecostal Theology. Supplement Series LNTS The Library of New Testament Studies

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6. Zitierkonventionen

LPTB L/S/J NTAK NTMon NTR OPIAC PEMBS ProBi ReInL SacPag SBG StBL TAPA ThGespr TLG #E TPINTC TrinJ VEccl W&W ZBK.WK

Linzer Philosophisch-Theologische Beiträge H.G. Liddell / R. Scott / H.S. Jones, A Greek English Lexicon, Oxford 91992 Neues Testament und Antike Kultur New Testament Monographs New Theological Review Occasional Papers of the Institute for Antiquity and Christianity Proceedings. Eastern Great Lakes and Midwest Biblical Societies Protokolle zur Bibel Religion & Intellectual Life Sacra Pagina Studies in Biblical Greek Studies in Biblical Literature Transactions of the American Philological Association Theologisches Gespräch Thesaurus Linguae Graecae, edition E Trinity Press International New Testament Commentaries Trinity Journal Verbum et Ecclesia Word & World Zürcher Werkkommentare zur Bibel

Für Abkürzungen, die hier und im TRE-Abkürzungsverzeichnis fehlen, vgl. Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG4, hg.v. der Redaktion der RGG4, Tübingen 2007.

6. Zitierkonventionen Kommentare zum LkEv: Autorenname ohne Kurzttitel und ohne Seitenangabe (die Anführung bezieht sich auf die jeweils behandelte Stelle; eine Seitenangabe erfolgt nur in Ausnahmefällen). Aufsätze, Hilfsmittel und Monographien, die im allgemeinen Literaturverzeichnis (s. o. Abschn. 3) aufgeführt sind: Autorenname, Kurztitel, Seitenangabe. Die zu einem bestimmten Textabschnitt genannte Literatur: Autorenname mit Stern (*) und (wenn erforderlich) mit Seitenangabe. Festschriften und Sammelbände werden nur mit dem Titel zitiert.

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1,1–4: Proömium 1Weil

schon viele es unternommen haben, einen Bericht zusammenzustel­ len von den Ereignissen, die in unserer Zeit abgeschlossen sind, 2wie uns diejenigen überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren, 3beschloss auch ich, der ich mich an alles von Anfang an genau gehalten habe, es für dich der Reihe nach aufzuschreiben, hochver­ ehrter Theophilus, 4damit du die Stichhaltigkeit dessen erkennst, was man dir gesagt hat. Literatur: L. Alexander, The Preface to Luke’s Gospel (MSSNTS 78), Cambridge 1993. – D.E. Aune, Luke 1.1–4: Historical or Scientific Prooimion?, in: Paul, Luke and the Graeco-Roman World, 138–148. – Baum, Lukas, 103–149. – H.J. Cadbury, Commentary on the Preface of Luke, in: The Beginnings of Christianity I/2, 489–510. – T. Callan, The Preface of Luke-Acts and Historiography, NTS 31 (1985) 576–581. – R.R. Creech, The Most Excellent Narratee: The Sig­ nificance of Theophilus in Luke-Acts, in: With Steadfast Purpose, 107–126. – R. Dillmann, Das Lukasevangelium als Tendenzschrift. Leserlenkung und Leseintention in Lk 1,1–4, BZ NF 38 (1994) 86–93. – P.M. Head, Papyrological Perspectives on Luke’s Predecessors (Luke 1:1), in: The New Testament in Its First Century Setting, 30–45. – E.J. Goodspeed, Was Theophilus Luke’s Publisher?, JBL 73 (1954) 84. – C. Heil / T. Klampfl, Theophilos (Lk 1,3; Apg 1,1), in: „Licht zur Erleuchtung der Heiden …“, 7–28. – E. Herkommer, Die Topoi in den Proömien der römischen Geschichtswerke, Diss. Phil. Tübingen 1968. – M. Janse, L’importance de la position d’un mot ‘accessoire’ (à propos de Luc 1,3), Bib. 77 (1996) 93–97. – G. Klein, Lukas 1,1–4 als theologisches Programm (1964), in: ders., Rekonstruktion und Interpretation, 237–261. – K.A. Kuhn, Beginning the Witness: The a§t·ptai kaÑ ≠phrfitai of Luke’s Infancy Narrative, NTS 49 (2003) 237–255. – M.J. Lagrange, Le sens du Luc, I,1, d’après les papyrus, BALAC 2 (1912) 96–100. – K.D. Litwak, PerÑ tùn peplhroforhmfinwn †n ™mõn pragm›twn. Concerning the Things Fulfilled or Accomplished, RB 113 (2006) 37–52. – J. Mansion, Sur le sens d’un mot grec: ünat›ssw, BFPUL 44 (1930) 261–267. – D.P. Moessner, The Appeal and Power of Poetics (Luke 1:1–4), in: Jesus and the Heritage of Israel, 84–123. – Ders., ‘Eyewitnesses’, ‘Informed Contemporaries’, and ‘Unknowing Inquirers’: Josephus’ Criteria for Authentic Historiography and the Meaning of PARAKOLOUQEW, NT 38 (1996) 105–122. – Ders., The Meaning of KAQEXHS in the Lukan Prologue as a Key to the Distinctive Contribution of Luke’s Narrative among the ‘Many’, in: The Four Gospels 1992, 1513–1528. – Ó Fearghail, Introduction, 85–116. – I.J. du Plessis, Once More: The Purpose of Luke’s Prologue, NT 16 (1974) 259–271. – G. Schneider, Zur Bedeutung von kajexö” im lukanischen Doppelwerk, in: ders., Lukas, Theologe der Heilsgeschichte, 31–34. – N. Siffer-Wiederhold, Le projet littéraire de Luc d’après le prologue de l’évangile (Lc 1,1–4), RSR 79 (2005) 39–54. – W.C. van Unnik, Remarks on the Purpose of Luke’s Historical Writing (Luke I 1–4), in: ders., Sparsa Collecta I (NT.S 29), Leiden 1973, 6–15. – Ders., Once More: St. Luke’s Prologue, Neotest. 7 (1973) 7–26. – A. Vögtle, Was hatte die Widmung des lukanischen Doppelwerks an Theophilos zu bedeuten?, in: ders., Das Evangelium und die Evangelien, 31–42. – M.Völkel, Exegetische Erwägungen zum Verständnis des Begriffs kajexö“ im lukanischen Prolog, NTS 20 (1974) 289–299. – P. Wargnies, Théophile ouvre l’évangile (Luc 1–4), NRTh 125 (2003) 77–88.

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1,1–4

1,1–4: Proömium

Das Proömium, das Lukas seiner Darstellung voranstellt, ist eine einzige, kunstvoll durchkonstruierte Periode (vgl. B/D/R § 464 mit Anm. 4), die sich in der antiken Rhetorik auf Grund ihrer zyklischen Struktur gerade innerhalb des Proömiums großer Beliebtheit erfreute (vgl. Quintilian, Inst. 9,4,128: periodos apta prooemiis maiorum causarum, ubi sollicitudine, commendatione, miseratione res eget «die Periode ist in den Proömien größerer Prozessreden angebracht, wo der Gegenstand Besorgnis, Fürsprache und Mitgefühl erfordert»; s. auch Lausberg, Handbuch, § 924.947). Seine syntaktische Gestaltung und z. T. auch seine Begrifflichkeit sind nicht nur im Neuen Testament einzigartig, sondern unterscheiden sich auch charakteristisch vom lk Sprachstil, wie wir ihn sonst aus dem Lukasevangelium und der Apostelgeschichte kennen. Erkennbar wird dies u. a. an der Häufung von neutestamentlichen Hapaxlegomena (†peidflper, ünat›ssomai, diflghsi“, a§t·pth“). Ausschließlich im lk Doppelwerk belegt sind †piceirfiw (s. noch Apg 9,29; 19,13), kajexö“ (s. noch Lk 8,1; Apg 3,24; 11,4; 18,23), kr›tisto“ (s. noch Apg 23,26; 24,3; 26,25). Lukas nimmt hier eine Konvention auf, die in der Historiographie und in der literarisch nicht ambitionierten natur‑ und technikwissenschaftlichen Fachliteratur der hellenistisch-römischen Zeit verbreitet ist (vgl. Alexander* 42 ff). Sie besteht darin, dass der Autor seinem Gesamtwerk und/oder einzelnen Büchern eine persönliche Erklärung über den Gegenstand seines Werkes sowie über dessen Methode und Intention voranstellt (Textbeispiele bei Alexander* 213 ff; Eckey I, 56 ff; Klein 76 ff). Das Proömium hat seinen Ort ursprünglich in der Rhetorik und wurde von dort aus auf literarische Werke übertragen. Dem rhetorischen Proömium kam die Aufgabe zu, die Hörer „wohlwollend, wissbegierig und aufmerksam zu machen“ (benevolum … facere et docilem et attentum; Cicero, De Orat. 2,80; s. auch Lausberg, Handbuch, § 266 ff). Lukian v. Samosata zufolge soll jedoch der Historiker in seinem Vorwort auf einen Appell an das Wohlwollen der Hörer verzichten und nur ihre Aufmerksamkeit und Wissbegierde zu wecken suchen (Hist. Conscr. 53). Aus dem Inventar der Topoi und Formen haben neben der Information über den Inhalt des Werkes die folgenden Elemente in das lk Proömium Eingang gefunden (in Klammern jeweils das entsprechende Element in Lk 1,1–4): (a) Der Autor weist auf frühere Behandlungen des Gegenstandes hin und stellt ihnen seine eigene Darstellung gegenüber (pollo‡ …, ≤doxe kümo‡; V. 1.3): z. B. Isocrates, Ad Nicocl. 1 f; Diodorus Siculus 1,3,1–5; 4,1,2–4; Strabo 1,21,1; Auctor ad Herennium 1,1 (Graeci scriptores … nos autem «die griechischen Schriftsteller … wir aber»); Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,6,1–5 (3: „aus diesen Gründen habe ich mich entschlossen [≤doxfi moi], eine bedeutsame Geschichtsepoche nicht zu übergehen, die von den älteren [Historikern] unerwähnt gelassen wurde“); Dioscurides Pedanius, Mat. Med. praef. 1–6; Josephus, Bell. 1,1–16; Tacitus, Hist. 1,1; Herodian 1,1,1–6 (o´ pleõstoi … †gá dfi «die meisten … ich aber»); Arrian, Anab. 1,3 („Jeder, der sich darüber wundert, dass nach solchen Autoren auch mir diese Darstellung in den Sinn kam [kaÑ †moÑ †pÑ noún éljen ªde ™ suggraffl], soll sich erst wundern, wenn er alle ihre [Darstellungen] gelesen und dann die meine zur Hand genommen hat“); keine Kritik, sondern positive Anknüpfung an Vorgänger bei Hero v. Alexandrien, Pneum. 1, prooem. 2,4–10 (ed. W. Schmidt); weitere Belege bei Herkommer* 110 f. (b) Die Vorgänger werden unter einem pauschalen pollo‡ subsumiert (V. 1a): z. B. Strabo 1,21; Dioscurides Pedanius, a. a. O., 1; Josephus, Ant. 1,3; Thessalus v. Tralles, Virt. Herb. 1, prooem. 1; Appian, Anab. praef. 12; Herodian 1,1,1 (s. o.); s. auch Josephus, Bell. 1,17 (†peidflper kaÑ ûIouda‡wn polloÑ prÖ †moú tÅ tùn prog·nwn sunet›xanto metû ükribe‡a“ «weil auch viele Juden vor mir die [Geschichte] der Vorfahren mit Sorgfalt zusammengestellt haben») sowie auch bereits den Beginn der Leichenrede des Perikles bei Thucydides 2,35,1 (o´ mÇn polloÑ … †moÑ dÇ … †d·kei «die Vielen

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1,1–4: Proömium

1,1–4

zwar …, ich aber … beschloss»). Weiteres bei Cadbury* 492 f; E. Fraenkel, Eine Anfangsformel attischer Reden, Glotta 39 (1960) 1–5; J. Bauer, POLLOI Luk I,1, NT 4 (1960) 263–266; Alexander* 109. (c) Die Tätigkeit der Vorgänger wird als †pice‡rhsi“ «Unternehmung, Unterfangen, Vorhaben» bezeichnet (V. 1a): z. B. Hippocrates, Vet. Med. 1,1; Diodorus Siculus 1,3,2 (†pece‡rhsan ünagr›fein «sie haben es unternommen aufzuschreiben»); 4,1,2; Ps. Isocrates, Demon. 3; Thessalus v. Tralles, a. a. O., 1; vgl. auch Josephus, Vita 40.338; Ap. 1,13. Der Autor kann innerhalb des Proömiums mit †piceireõn aber auch sein eigenes Unterfangen kennzeichnen, um Bescheidenheit zu signalisieren (z. B. Isocrates, Phil. 2; Strabo 1,2,1; Polybius 2,37,4; 3,1,4; Thessalus v. Tralles, Virt. Herb. 1, prooem. 2; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,7,1; s. auch Josephus, Ant. 1,5). Weiteres bei Cadbury* 493 f; Alexander* 109 f. (d) Der Autor gibt an, wodurch sich sein Werk von denen seiner Vorgänger unterscheidet (V. 3): Als Unterscheidungsmerkmal kann dabei größere Objektivität ebenso benannt werden (vgl. Tacitus, Ann. 1,1,3: sine ira et studio) wie größere sachliche Nähe zum Gegenstand, die durch ükr‡beia und a§toy‡a hergestellt wird: Thucydides 1,22,1.2; Dioscurides Pedanius, a. a. O., 5; Herodian 1,1,3 (die ükr‡beia bezieht sich auf den Umgang mit den Quellen, ausdrücklich keine Autopsie); Josephus, Bell. 1,9; Appian, Anab. praef. 13; Cassius Dio 1,2. Aufgeführt werden aber auch die spezifische Anordnung des Stoffes (Dioscurides Pedanius, a. a. O. [tÔö t›xei diaf·rw crflsasjai «eine abweichende Anordnung vornehmen»]; Josephus, Bell. 1,15; Herodian 1,1,6) sowie Kürzung (2.Makk 2,23 f) bzw. Erweiterung, d. h. die Absicht, eine über bisherige Einzeldarstellungen hinausreichende und Lücken schließende Gesamtdarstellung zu liefern (vgl. vor allem Polybius’ Programm einer Universalgeschichte in 1,4,3–11; s. auch 2,37,4; Diodorus Siculus 1,3,5–8; Hero v. Alexandrien, a. a. O., prooem.). Die Angaben über die Anordnung des Stoffes wie die Hervorhebung der Genauigkeit (ükr‡beia) finden sich auch unabhängig von der Abgrenzung gegenüber den Vorgängern. (e) Der Autor nennt den Nutzen seines Werkes (V. 4): vgl. Thucydides 1,22,4; Dioscurides Pedanius, a. a. O., 5; Hero v. Alexandrien, a. a. O., 2,10–12; 2.Makk 2,25 („für die, die lesen wollen, haben wir uns um Erbauung [yucagwg‡a] gekümmert, für die, die etwas durch das Gedächtnis aufnehmen wollen, um die Eingängigkeit [e§kop‡a], für alle aber, die [unserem Buch begegnen], den Nutzen [•ffileia]“); Herodian 1,1,3; weitere Texte bei Herkommer* 128 ff. (f) Der Autor formuliert eine Widmung (V. 3), wie hier mit der Anrede kr›tiste: Dionysius v. Halicarnass, Orat. Ant. 1; Hermogenes, Invent. 3,1; Josephus, Ap. 1,1 (s. auch Vita 430); Diogn 1,1. Die Widmung des Werkes an einen individuellen Leser ist innerhalb der griechischen Historiographie unüblich (unsichere Ausnahmen sind Callinicus v. Petra, FGH 3c, 281, Test. 1; Manetho, FGH 3c, 609, Test. 11b.c; Berossus, FGH 3c, 680, Test. 2); sie findet sich bei keinem der großen Historiker (vgl. Herkommer* 25; Alexander* 27 ff), und sie fehlt auch bei Sallust, Livius und in den historiographischen Werken des Tacitus. Sie konnte als Ausdruck enger persönlicher Verbundenheit an einen Freund gerichtet sein, aber auch zum Zeichen der Ehrerbietung und Dankbarkeit an Gönner oder andere höherstehende Personen bis hin zum Inhaber der höchsten politischen Gewalt, von dessen Glanz dann wieder etwas auf das vorgelegte Werk selbst abfiel. Im Blick auf Lk 1,3 ist wichtig zu beachten, dass die in der Widmung genannte Person in keinem einzigen Fall als Repräsentant der intendierten Leser angesprochen wird (wo dies doch der Fall ist, wird es ausdrücklich gesagt; vgl. Josephus, Ap. 2,296; zum Begriff „intendierte Leser“ s. o. S. 22). Aus der Widmungsadresse geht also nicht hervor, für welches Lesepublikum der Autor sein Werk verfasst hat; vgl. hierzu auch das unverbundene Nebeneinander des individuellen Adressaten und der intendierten Leser in Lukians v. Samosata Essay über die Geschichtsschreibung (Hist. Conscr. 1 und 4; s. dazu o. S. 22): Lukian hat die Abhandlung für einen „Freund“ (fil·th“ [3]) namens F‡lwn (1.22.24.29) geschrieben; konzipiert ist sie aber als „Anleitung … für Autoren“ (para‡nesi“ … toõ“ suggr›fousin; 4), d. h. für „künftige Geschichtsschreiber“ (Übers. H. Homeyer). Es ist nicht auszuschließen, dass die individuelle Adresse in diesem Fall reine Fiktion ist.

Alexander* hat nachzuweisen versucht, dass das lk Proömium weniger den Vorworten der historiographischen Literatur als denjenigen der natur‑ und technikwissenschaftlichen Fachprosa entspricht. Diese These ist insofern nicht ganz von der Hand zu 59

1,1–4

1,1–4: Proömium

weisen, als die vorgenannten Parallelen deutlich machen, dass die Bausteine des lk Proömiums in der Tat nicht nur in der historiographischen Literatur, sondern auch in anderen literarischen Gattungen belegt sind. Andererseits ist aber auch nicht zu übersehen, dass sie auch in historiographischen Proömien vorkommen können, so dass die von Alexander* konstruierte Alternative als zu dualistisch erscheint (vgl. auch Aune* 140 ff). Wenn Lukas zudem mit der Formulierung ünat›xasjai diflghsin perÑ tùn … pragm›twn gleich zu Beginn ankündigt, dass er eine Erzählung von Ereignissen vorlegen wird, und nicht eine deskriptive Abhandlung über bestimmte Sachverhalte, lässt sich nur schwer bestreiten, dass Lukas den Lesern mit Hilfe seines Proömiums zu erkennen geben will, dass sie ein historiographisches Werk vor sich haben. Dass das lk Proömium sehr viel kürzer ist als die Proömien zu den Geschichtswerken der großen griechischen Historiker (also der Herodot, Thucydides, Polybius, Diodorus Siculus, Dionysius v. Halicarnass, Josephus, Arrian, Appian und Herodian), muss dem nicht widersprechen, denn es lässt sich ganz zwanglos dadurch erklären, dass das lk Doppelwerk ebenfalls viel kürzer ist als die Darstellungen der genannten Autoren. Die Kürze des lk Proömiums findet ihre Erklärung dementsprechend darin, dass Lukas einer historiographischen Konvention folgt: dass nämlich der Umfang des Proömiums zum Umfang des Geschichtswerks passen soll (vgl. Lukian v. Samosata, Hist. Conscr. 55). Die immer wieder vertretene These, Lukas habe das Proömium erst nach Fertigstellung des Evangeliums oder gar des gesamten Doppelwerks geschrieben, ist nicht nur unnötig, sondern geradezu irreführend, denn es handelt sich dabei um nichts anderes als um eine Projektion der exegetischen Rezeptions-Erfahrung auf den Autor: Viele Interpreten lesen Lk 1,1–4 im Lichte des gesamten Doppelwerks und versuchen das im Proömium Angekündigte mit dem in Einklang zu bringen, was sie mit Hilfe einer exegetischen Analyse der lk Darstellung herausgefunden haben (s. zu kajexö“ in V. 3). Sie machen das abgeschlossene Werk zum hermeneutischen Schlüssel für die Interpretation des Proömiums und sind dann natürlich zu dem Postulat genötigt, dass auch Lukas schon so verfahren sei. Demgegenüber wird die sprachliche Analyse des Proömiums zeigen, dass alles darauf hinweist, dass Lukas das Proömium tatsächlich auch zu Beginn, d. h. vor seiner Darstellung der peplhroforhmfina †n ™mõn pr›gmata, niedergeschrieben hat: Sein Inhalt ist so konventionell und allgemein, dass es den Autor der folgenden Darstellung auf nichts festlegt. Ihm bleiben vielmehr alle möglichen Optionen offen, denn er verrät nicht mehr, als dass er das diachronische Nacheinander der Ereignisse in seiner Geschichtserzählung literarisch abbilden will, dass er sich dabei eng an den Überlieferungen und den bisherigen Darstellungen der Ereignisse orientieren will und dass er den Lesern zuverlässiges historisches Wissen vermitteln will (s. auch Nolland I, 11 f: „The preface is very noncommital about the subject matter of the work, beyond saying that Theophilus already knows what it is about“). Weder lässt sich im lk Proömium ein „theologisches Programm“ (Klein*) entdecken, noch hat gar die Behauptung, „daß Lukas die Möglichkeit der historischen Gewißheit, die für ihn die Heilsgewißheit fundiert, exklusiv an sein Werk bindet“ (so Klein* 260), irgendeinen Anhalt am Text. Noch einmal eine andere Frage ist, ob sich das Proömium auf das gesamte Doppelwerk (so z. B. Zahn 50; Cadbury* 492; Klostermann 1.2; Marshall 39) bezieht oder nur auf das LkEv (so z. B. Schürmann 4; Nolland I, 12; Klein 72). Die Apostelgeschichte wird Lukas in Apg 1,1 mit einem eigenen Vorwort einleiten, in dem er das LkEv „erstes Buch“ (prùto“ l·go“) nennt, in dem er „über alles, was Jesus von Anfang an 60

1,1–4: Proömium

1,1

getan und gelehrt hat“ (perÑ p›ntwn … ón ≥rxato ¨ ûIhsoú“ poieõn te kaÑ did›skein) berichtet habe. Wenn Lukas demgegenüber in Lk 1,1 von einer Erzählung perÑ tùn peplhroforhmfinwn †n ™mõn pragm›twn spricht, so machen sowohl die Unbestimmtheit dieser Inhaltsangabe als auch die Tatsache, dass Lukas die eigene Gegenwart als Terminus ante quem für das Ende der darzustellenden Ereignisse benennt (s. dazu z.St.), die erstgenannte Annahme wahrscheinlich (s. auch o. S. 30): Lukas hat von vornherein geplant, seine Darstellung über die Ostererscheinungen hinaus‑ und bis in die paulinische Zeit hinein fortzuführen. Ob ihm dabei bereits die heutige Gestalt der Apostelgeschichte von Anfang an vor Augen stand, muss offen bleiben. 1 Die kausale Konjunktion †peidflper „nimmt auf eine bereits bekannte Tatsache Bezug“ (B/D/R § 456,3). Wie hier am Satzanfang steht sie nur relativ selten; vgl. außer den beiden bei Alexander* 108 genannten Galen-Texten: Heraclit, Alleg. Homer. 8,5; 56,6; Aristoteles, Magn. Mor. 1,4,4 (1184b36); Diogenes Babyl., Frgm. 62 (SVF III, 224,6); Claudius Ptolemaeus, Geogr. 8,2,3; Hero Alexandrinus, Lib. Geepon. 45; Aelius Aristides, De Rhet. 120 (I, 182,13 Lenz / Behr).

Bei Josephus, Bell. 1,17 verbindet sich †peidflper in vergleichbarer Weise mit dem Bezug auf „viele“ Vorgänger (polloÑ prÖ †moú). Ein Rückschluss auf die Zahl der Werke, auf die Lukas hier anspielt, ist nicht möglich, denn der Gebrauch von pol‚“ und Ableitungen ist ein rhetorisches Stereotyp in Vorworten oder überhaupt am Beginn von Reden und Schriften (vgl. im Einzelnen o. Abschn. [b] sowie Josephus, Bell. 4,238; Apg 24,10; Hebr 1,1). Dasselbe gilt auch für die Charakterisierung der Vorgängerwerke als †pice‡rhsi“ (s. o. Abschn. [c]), so dass es nicht möglich ist, aus dem lk †pece‡rhsan kritisierende Nebentöne herauszuhören (gegen Klein* 239; Bovon). Dagegen spricht allein schon das parallelisierende ≤doxe kümo‡ in V. 3, mit dem Lukas sich nicht von den pollo‡ distanziert, sondern sich an sie anschließt (s. auch van Unnik*, Remarks, 13). Bestätigt wird diese Interpretation dadurch, dass Lukas die Vorgängerwerke im Folgenden mit keinem Wort abwertet. Er verzichtet also darauf, eine ihm durchaus zur Verfügung stehende formgeschichtliche Option zu realisieren. Der Infinitivsatz ünat›xasjai diflghsin ktl. gibt an, was die „vielen“ Vorgänger getan haben und was auch Lukas tun will. Lukas nimmt hier bereits auch sein eigenes Vorhaben in den Blick, und darum kann man das Proömium nicht so aufteilen, dass er in V. 1–2 über die „Versuche“ seiner Vorgänger und erst in V. 3–4 über sein eigenes Werk spricht. Wie die „Vielen“ schreibt auch Lukas eine diflghsi“ über die peplhroforhmfina †n ™mõn pr›gmata, und er gibt damit schon hier Auskunft über den literarischen Charakter und den Inhalt seiner Schrift (gegen Cadbury* 494). Das nur sehr selten belegte Kompositum ünat›ssesjai betont den reproduktiven Charakter der literarischen Tätigkeit: Plutarch, Mor. 968c („in der Nacht … das Gelernte wiederholen [ü. tÅ majflmata]“); EpArist 144 (Mose hat in der Tora „… um der Gerechtigkeit willen in imposanter Weise alles zusammengestellt [p›nta ünatfitaktai]“); Irenäus, Haer. 3,21,2 (Gott hat Esra eingegeben, „alle Reden der früheren Propheten zusammenzustellen“ [toÜ“ tùn progegon·twn profhtùn p›nta“ ünat›xasjai l·gou“]); s. auch Mansion* 261. Ihr Widerlager findet diese semantische Nuance in V. 2 (s. dort). Der Begriff diflghsi“ bezeichnet keine bestimmte literarische Gattung; unter seinem semantischen Dach lassen sich sogar nicht-narrative Texte unterbringen:

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1,1

1,1–4: Proömium

Er kann die Darstellungsweise von Geschichtswerken ebenso bezeichnen (z. B. Lukian v. Samosata, Hist. Conscr. 55: tÖ loipÖn sùma tö“ ´stor‡a“ diflghsi“ makr› †stin «das eigentliche Corpus des Geschichtswerks ist eine ausführliche Erzählung») wie von Mythen und Dichtungen (z. B. Plato, Resp. 392d: p›nta Ωsa ≠pÖ mujol·gwn À poihtùn lfigetai diflghsi“ «alles, was von Fabellehrern oder Dichtern gesagt wird, ist eine Erzählung»; Plutarch, Mor. 133e: dihgflsei“ ±lupoi kaÑ mujolog‡ai «unterhaltsame Erzählungen und Fabeln»). Dasselbe gilt auch für Gattungen, die wie hier als diflghsi“ von pr›gmata bezeichnet werden: Geschichtswerke können ebenso dazu gehören (z. B. Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,7,4: perÑ tö“ ´stor‡a“ a§tö“, … perÑ t‡nwn poioúmai pragm›twn tÉn diflghsin «über die Geschichte selbst, d. h. … über welche Ereignisse ich die Erzählung anfertigen will»; Josephus, Ant. 20,157: †panflxw to‡nun tÖn l·gon †pÑ tÉn tùn o¢ke‡wn pragm›twn diflghsin «ich will die Rede wieder zurückführen zur Erzählung von den nationalen Ereignissen»; s. auch Polybius 1,3,9: tùn pragm›twn †xflghsi“) wie auch jede beliebige andere Art von Erzählung (vgl. die allgemeine Definition bei Aelius Theon, Progymn. 78: diflghm› †sti l·go“ †kjetikÖ“ pragm›twn gegon·twn À Æ“ gegon·twn «eine Erzählung ist eine ausführliche Darstellung von Ereignissen, die geschehen sind oder als ob sie geschehen sind»; Dio Chrysostomus, Or. 7,10: „Er erzählte mir seine Verhältnisse [dihgeõt· moi … tÅ a≠toú pr›gmata] und das Leben, das er mit seiner Frau und den Kindern lebt“; s. auch Lausberg, Handbuch, § 289 zur diflghsi“ von pr›gmata in der Gerichtsrede; Baum* 107 f). Darüber hinaus wird dieser Begriff aber auch zur Bezeichnung von deskriptiven Texten gebraucht, wie z. B. für medizinische Untersuchungen: z. B. Hippocrates, Morb. Acut. 392: ™ toú glukfio“ o¥nou diflghsi“ «die Untersuchung der Süße des Weins»; Galen, Comp. Med, ed. Kühn XIII, 718,17: perÑ toú farm›kou diflghsi“ «Untersuchung über die Arznei»; in seinem Kommentar über die Epidemiae des Hippocrates nennt Galen dessen Abhandlungen mehrere Dutzend mal dihgflsei“ (Weiteres bei Hobart, Medical Language, 87 f) oder für bloße Aufzählungen (z. B. Philo, Spec. Leg. 2,39: mur‡a kaÑ ünagkaõa … nomojethjfinta, ón kaÑ ™ ±neu k·pou yilÉ diflghsi“ … «zahllose wichtige … Gesetzesvorschriften, deren kunstlose und schlichte Aufzählung …»; 3,49: „die widerlichsten Lüste, deren diflghsi“ schon die allergrößte Schande wäre“).

Als solche sind darum weder der Begriff diflghsi“ noch das Syntagma diflghsi“ perÑ tùn … pragm›twn Termini technici der Geschichtsschreibung (so u. a. van Unnik*, Once More, 14; E. Plümacher, EWNT 1,779 f). Trotzdem ist die Nähe der lk Formulierung zu den oben zitierten Texten von Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,7,4 und Josephus, Ant. 20,157 nicht von der Hand zu weisen, so dass zumindest an dieser Stelle eine gewisse Affinität der lk Formulierung zur Sprache der hellenistischen Geschichtsschreibung besteht (gegen Alexander* 111.112). Diese pr›gmata bezeichnet Lukas als peplhroforhmfina †n ™mõn. Die Bedeutung dieser Formulierung ist seit langem umstritten (vgl. die Darstellung der verschiedenen Positionen bei Fitzmyer I, 293 f). Das Partizip Perfekt peplhroforhmfina ermöglicht jedoch eine relativ eindeutige Entscheidung: Es lässt erkennen, dass Lukas sich hier nicht am Schema von ‚Verheißung und Erfüllung‘ orientiert, sondern dass es ihm darum geht, die Ereignisse, von denen er und seine Vorgänger erzählen, aus der Perspektive ihrer beider Gegenwart ganz gezielt als vollendet und abgeschlossen zu kennzeichnen (s. auch Lagrange*; Cadbury* 496; Baum* 112 f; Wolter, Doppelwerk, 258 ff; Litwak*). Für diese Interpretation spricht vor allem, dass Lukas hier vom plhroforeõsjai von pr›gmata spricht und nicht von der „Erfüllung“ von l·goi, Øflmata, †paggel‡ai oder der graffl, was er immer dann tut, wenn er ein Ereignis als heilsgeschichtliches Erfüllungsgeschehen kennzeichnen will (vgl. Lk 1,20; 4,21; 24,44; Apg 1,16; 3,18; 13,27.32 f; 26,6 f). Dem entspricht auch der Gebrauch des resultativen Perfekts, mit dessen Hilfe „die Dauer des Vollendeten“ ausgedrückt wird (B/D/R § 340 mit Verweis auf peplhr„kate in Apg 5,28; es könne „aufgelöst werden in †plhr„sate kaÑ 62

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1,2

nún plflrh“ †st‡n“). Mit dieser Formulierung kennzeichnet Lukas die Ereignisse, von denen seine Vorgänger erzählt haben und von denen auch er selbst erzählen will, als eine Geschehensfolge, auf die nicht nur er und seine Zeitgenossen, sondern auch seine „vielen“ Vorgänger als ein abgeschlossenes Ganzes zurückblicken. Damit ist aber auch über den Sinn von †n ™mõn entschieden: Es bezeichnet die lk Gegenwart, und die ™meõ“ sind dadurch definiert, dass sie außerhalb der Epochenschwelle leben, die durch das Ende der von Lukas erzählten pr›gmata markiert wird. Es sind die pollo‡, Lukas selbst, Theophilus und die intendierten Leser des LkEv. 2 Die subordinierende Konjunktion kaj„“ ist von ünat›xasjai diflghsin (V. 1) abhängig und qualifiziert die Berichte der pollo‡: Sie basieren auf der Überlieferung derer, „die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren“. Diese Überlieferung sieht Lukas aber auch als Grundlage seiner eigenen diflghsi“ an, denn unter dem Pronomen ™mõn schließt er denselben Personenkreis zusammen wie in V. 1: sich selbst und seine Leser und die pollo‡ (vgl. auch die ähnliche Formulierung bei Irenäus, Haer. 3,1,1 mit Bezug auf das MkEv: „Markus hat uns überliefert [nobis tradidit], was von Petrus verkündigt worden war“). Die chronologische Distanz zwischen den pr›gmata und den ™meõ“, die Lukas in V. 1 markiert hatte, sieht er also als durch die Überlieferung der „Augenzeugen von Anfang an“ und nachmaligen „Diener des Wortes“ überbrückt an. – Dass Lukas den bestimmten Artikel o´ nur einmal gesetzt hat, zwingt nicht zu der Annahme, dass er hier von ein und derselben Gruppe sprechen möchte (vgl. B/D/R § 276,1 mit dem Hinweis auf Apg 19,21), obwohl sie natürlich möglich bis wahrscheinlich bleibt. Im Vordergrund steht jedoch, dass die Bezeichnungen üpû ürcö“ a§t·ptai und ≠phrfitai … toú l·gou unterschiedliche Zeiträume markieren: üpû ürcö“ a§t·ptai verweist auf das Auftreten und Geschick Jesu von den Anfängen in Galiläa bis zu seiner Auferstehung von den Toten und Erscheinung vor den Jüngern (vgl. Apg 10,36–41; s. auch 1,21 f), während ≠phrfitai toú l·gou die Zeit der nachösterlichen Christusverkündigung in den Blick nimmt (vgl. Apg 10,42–43). In 6,4 beschreibt Lukas die Aufgabe des Zwölferkreises in Jerusalem als diakon‡a toú l·gou (auch sonst steht das absolute ¨ l·go“ als komprehensive Bezeichnung für die christliche Botschaft: Apg 4,4.29; 8,4; 10,36; 11,19; 14,25; 16,6; 17,11; 19,20; 18,5). Die Sandwich-Stellung des Partizips gen·menoi zwischen ≠phrfitai und toú l·gou zeigt an, dass es nur auf diese Bezeichnung und nicht auch auf üpû ürcö“ a§t·ptai zu beziehen ist. Die u. a. von Cadbury* 498 und Alexander* 119 vorgenommene Verknüpfung von gen·menoi mit a§t·ptai (Begründung: „g‡nesjai is almost invariably used in Greek writers with a§t·pth““; Cadbury* ebd.) geht in die Irre, weil die hier Bezeichneten nach lk Verständnis mit Sicherheit nicht ‚von Anfang an … Diener des Wortes waren‘. Auf der anderen Seite bleiben sie natürlich „Augenzeugen von Anfang an“, auch nachdem sie „Diener des Wortes“ geworden sind. Doch selbst wenn Lukas mit diesen Begriffen nicht zwei unterschiedliche Gruppen bezeichnen will, sind die beiden Personenkreise nicht identisch: So unbestreitbar es ist, dass die Apostel beide Merkmale auf sich vereinigen (vgl. Apg 1,21 f), geht aus Apg 1,21 f hervor, dass nicht alle „Augenzeugen von Anfang an“ später auch „Diener des Wortes“ wurden. Außerdem gibt es auch solche ≠phrfitai, die nicht „Augenzeugen von Anfang an“ waren, wie Paulus (vgl. Apg 26,16) und alle anderen, die „das Wort frohbotschafteten“ (Apg 8,4). 63

1,3

1,1–4: Proömium

Aufs Ganze gesehen empfiehlt es sich ohnehin, die Extension (d. h. den Begriffsumfang) dieser beiden Bezeichnungen nicht übergenau bestimmen zu wollen, denn Lukas kommt es in erster Linie auf ihre Intension (d. h. den Begriffsinhalt) an: dass der zeitliche Abstand zwischen den pr›gmata und den Verfassern der Berichte von ihnen (den pollo‡ und Lukas) durch die von diesem Personenkreis getragene Überlieferung überbrückt worden ist. Dass Lukas den Bezug von üpû ürcö“ in der Tat sehr großzügig interpretiert hat, wird auch daran erkennbar, dass er die ersten Jünger und nachmaligen „Augenzeugen“ erst in Lk 5,1–11 Jesus sich anschließen lässt. Aber dass es später so kommen wird, muss ihm durchaus noch nicht klar gewesen sein, als er das Vorwort schrieb. Syntaktisch ist dieser Vers zwar auf die „Berichte“ der pollo‡ bezogen, doch stellt Lukas mit Hilfe des inklusiven ™mõn auch sein eigenes Werk in das Licht der historischen Glaubwürdigkeit der „Augenzeugen von Anfang an und Diener des Wortes“. 3 Die lk Darstellung unterscheidet sich von der theologisch programmatischen Anonymität der anderen Evangelien (s. dazu Wolter, Die anonymen Schriften) dadurch, dass Lukas zu Beginn seines Werkes mit seinem eigenen Ich als Verfasser auf der Ausdrucksebene des Textes vor die Leser hintritt. Etwas Vergleichbares tut der Herausgeber der zweiten Auflage des JohEv in Joh 21,25, jedoch eben nicht am Anfang, sondern am Ende des Buches. In der antiken Historiographie verzichten jeweils in den Proömien auch Josephus in den Antiquitates und Diodorus Siculus in seiner Bibliotheca Historica auf die Nennung ihrer Namen. – Die Formulierung (≤doxe) kümo‡ lässt erkennen, dass Lukas die Kontinuität mit den in V. 1 erwähnten Bemühungen der pollo‡ betonen möchte, denn er distanziert sich nicht von ihnen – etwa mit Hilfe der adversativen Formulierung (≤doxe) dfi moi (z. B. DanLXX 4,37c; Lysias, Or. 1,14; Galen, Meth. Med. ed. Kühn X, 910,11; Vettius Valens, ed. Kroll, 142,30; 241,16; Diogenes Laertius 7,9). ≤doxfi moi … gr›yai ist verbreitetes griechisches Idiom (vgl. Hippocrates, Prorrhet. 2,2; [Ps.-]Speusippus, Ep., ed. M.I. Parente, 158; 159,1; Galen, Plac. Hipp. Plat. 8,2,11 [492,16 de Lacy]; Cur. Rat. Ven. Sect., ed. Kühn XI, 312,11). Die Reihe der folgenden sechs Wörter gehört zu den am intensivsten erforschten Texten im lk Doppelwerk, weil man in ihnen die historiographischen Grundsätze und das geschichtstheologische Programm, von dem Lukas sich bei der Abfassung seiner Darstellung leiten ließ, auffinden zu können meinte. Diese Rezeptionserwartung hat dazu geführt, dass nahezu jedes einzelne Wort zum Gegenstand intensiver Diskussionen geworden ist. Mit Hilfe des mit kümo‡ koordinierten Participium coniunctum parhkoloujhk·ti ±nwjen pôsin ükribù“ gibt Lukas Auskunft über seine eigene Vorgehensweise. Das Hauptproblem ist die Bedeutung von parakoloujeõn. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein gewisser Konsens herausgebildet, demzufolge Lukas dieses Verb hier als „(eine Sache) verfolgen, (einer Sache) nachgehen“ (Bauer, Wörterbuch, 1251) im Sinne von „erforschen“, „(über)prüfen“, „untersuchen“ bzw. „investigate“, „trace“ gebrauche (vgl. Schweizer; Wiefel; Fitzmyer; Ernst; Marshall; Klein; Baum* 123 f und viele andere). Diese Interpretation ist jedoch aus philologischen Gründen unhaltbar, denn sie liegt jenseits dessen, was auf Grund des lexikalischen Bedeutungsspektrums von parakoloujeõn möglich ist (in Bezug auf Lk 1,3 vgl. vor allem die kritischen Bemerkungen von Alexander* 128 Anm. 29 und Moessner*, Appeal, 86 ff zu dem eingangs erwähnten Konsens): Wenn parakoloujeõn mit Dativ der Sache gebraucht wird, bezeichnet es gerade nicht „nachträgliche Nachforschungen“ (so Baum* 124) und die damit verbundene kritische Attitüde, sondern die affirmative Orientierung, die mit Begriffen wie „folgen“, „sich halten an“, „(eine Sache oder eine Darstellung)

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1,1–4: Proömium

1,3

verfolgen“, „begleiten“, „sich anlehnen an“, „gedanklich nachvollziehen“ bzw. „follow closely“ „attend minutely to“ „trace accurately“, „keep company with“ bezeichnet wird (alle englischen Übersetzungen nach L/S/J 1313 f; s. auch Moessner, Appeal, 87: „follow with the mind“; Alexander* 128: „being thoroughly familiar with“). Diese Bedeutung hat dann auch sowohl im Lukasabschnitt des Kanon Muratori (Zl. 7: prout asequi [sic!] potuit «wie er folgen konnte»; s. o. S. 4 f) als auch in der Übersetzung der Vulgata (adsecuto) ihre Spuren hinterlassen. In diesem Sinne können als Dativ-Objekt von parakoloujeõn sowohl die pr›gmata selbst (Josephus, Ap. 1,53: „Wer anderen die Darbietung von Tatsachen verspricht, muss sie zuerst sorgfältig [ükribù“] in Erfahrung gebracht haben – À parhkoloujhk·ta toõ“ gegon·sin À parÅ tùn e¢d·twn punjan·menon «entweder indem er die Geschehnisse begleitet oder indem er sie von denen, die sie kennen, erfragt»“; zur Interpretation dieses Textes vgl. Moessner*, ‘Eyewitnesses’, 108 ff) als auch die Berichte von ihnen fungieren (Josephus, Ap. 1,218: etliche hellenistische Historiker stellen die Geschichte des Judentums falsch dar, „weil sie nicht metÅ p›sh“ ükribe‡a“ toõ“ ™metfiroi“ gr›mmasi parakoloujeõn «sich mit aller möglichen Sorgfalt an unseren Schriften orientieren»“; dass parakoloujeõn hier nicht „kritisch untersuchen“ meinen kann, liegt auf der Hand). Vgl. für weitere Beispiele die bei L/S/J 1313 f genannten Texte. Die beiden Josephus-Texte lassen erkennen, dass zum semantischen Feld von parakoloujeõn ebenfalls das auch bei Lukas begegnende Adverb ükribù“ und Stammverwandte gehören. Es beschreibt stets die Sorgfalt und Genauigkeit, mit der man sich an die Fakten oder an die Darstellungen von ihnen hält; vgl. außerdem: Demetrius v. Phaleron, Frgm. 201,7: metÅ p›sh“ ükribe‡a“ toõ“ ™metfiroi“ gr›mmasi parakoloujeõn «mit aller Genauigkeit sich an unsere Schriften halten»; Demosthenes, Or. 19,257: ¨ tÅ to‚tou ponhre‚matû ükribfistatû e¢dá“ †gá kaÑ parhkoloujhká“ πpasi kathgorù «als einer, der die Verbrechen dieses [Menschen] aufs Genaueste kennt und mit allen vertraut ist, klage ich an»; 48,40: toõ“ e¢d·sin ükribù“ ∫kasta taúta tÅ pr›gmata … kaÑ parhkoloujhk·sin †x ürcö“ «denen, die alle diese Ereignisse genau kennen … und (sie) von Anfang an mitbekommen haben»; Hipparchus, Comm. in Arati et Eudoxi Phaenom. 1,1,9, (6,19 f Manitius): ºna parakoloujùn ©k›stoi“ ükribù“ kaÑ tÅ“ tùn ±llwn ®p›ntwn üpof›sei“ †n to‚toi“ dokim›zÔh“ «damit du, indem du allen Einzelheiten genau nachgehst, auch die Angaben aller anderen zu diesen Dingen prüfen kannst» (hier soll also das affirmative parakoloujeõn das kritische dokim›zein allererst ermöglichen); Galen, Hippocr. Progn. Comm., ed. Kühn XVIIIb, 190,3: ükribù” parakoloujösai toõ” ≠fû ßIppokr›tou” e¢rhmfinoi” «dem von Hippokrates Gesagten genau folgen»; s. auch Galen, Loc. Affect., ed. Kühn VIII, 227,4 f sowie Alexander* 131 (s. auch Janse* 97).

Worauf das neutrische pôsin sich bezieht, darf man nicht fragen, denn es meint genau das, was das Wort bedeutet: „alles“, und zwar „alles“, was Lukas für „die Zusammenstellung eines Berichts über die Ereignisse, die in unserer Zeit vollendet sind“ (V. 1), benötigt. Wie sollte er sich auch mit weniger begnügen können? p›nta umgreift also sowohl die Berichte der pollo‡ (V. 1a) als auch die pr›gmata (V. 1b) und die Überlieferungen der Augenzeugen und Diener des Wortes (V. 2; s. auch Moessner*, Appeal, 96: „events, traditions, and reports“). – Dasselbe gilt auch für das temporale Adverb ±nwjen. Es hat keine bestimmte Referenz (etwa auf die sog. „Kindheitsgeschichten“, wie bisweilen angenommen wurde; vgl. Klein* 251 u. a.), sondern es erhebt einen mit pôsin vergleichbaren Vollständigkeitsanspruch: ±nwjen („von Anfang an“) korrespondiert mit dem in V. 1 konstatierten Vollendet-Sein der Ereignisse (peplhroforhmfina … pr›gmata) und bringt zum Ausdruck, dass Lukas nicht nur alle ihm zur Verfügung stehenden Quellen genutzt hat, sondern dass seine Darstellung die Ereignisse auch in der Gesamtheit ihrer zeitlichen Erstreckung – eben „von ihrem Anfang“ (±nwjen) bis zu ihrer „Vollendung“ (peplhroforhmfina) – umspannt. ±nwjen nimmt also den Anfang in den Blick und peplhroforhmfina das Ende. Das Adverb kajexö“, das es im Neuen Testament nur bei Lukas gibt (s. noch Lk 8,1; Apg 3,24; 11,4; 18,23), ist unmittelbar auf diese zeitliche Erstreckung bezogen und 65

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1,1–4: Proömium

kündigt an, dass Lukas den ihm zur Verfügung stehenden Stoff in einer bestimmten Anordnung zu präsentieren gedenkt, und zwar – das legt jedenfalls die durch das Zusammenspiel von ±nwjen und peplhroforhmfina vorgegebene zeitliche Perspektive nahe – wie in Apg 11,4 in diachronischer Reihenfolge, vom Anfang bis zum Ende. Das entspricht auch der Verwendung des Begriffs in der antiken Historiographie; vgl. in diesem Sinne Thucydides 5,26,1: „Auch hat das gleiche Thucydides … aufgezeichnet, der Reihe nach (©xö“), wie sich jedes Ereignis begab“ (Übers. G.P. Landmann); s. auch Baum* 135 ff; Alexander* 132: „a regular, connected account is in view“. Die These, dass Lukas mit kajexö“ den „lückenlose[n], nämlich kontinuierliche[n] Bezug aller einzelnen Teile auf ein logisches Ganzes“ bezeichnen wollte (so Völkel* 298), überfordert die Semantik dieses Begriffs. Sie setzt voraus, dass Lukas mit Lesern rechnet, die nicht nur sein gesamtes Doppelwerk, sondern auch die Lukasliteratur seit Hans Conzelmann kennen; zur Kritik s. auch Schneider* 129, dessen eigene Interpretation (kajexö“ sei auf „die Herausarbeitung der Verheißungs‑ und Erfüllungslinie“ bezogen; ebd. 131) freilich ebenfalls weit über die den Lesern an dieser Stelle erschwingliche Bedeutung des Begriffs hinausgeht. Mit großer Gewissheit kann man davon ausgehen, dass Lukas hier nichts anderes und nicht mehr ankündigt, als dass seine Darstellung sich an der diachronen Abfolge der Geschehnisse orientieren will: Er kündigt an, das historische Nacheinander der Ereignisse literarisch abbilden zu wollen. Auch wenn man nicht den Fehler machen darf, die intendierte Bedeutung von kajexö“ an dieser Stelle gewissermaßen von ‚hinten‘, d. h. von einer nachgelagerten literarischen und narratologischen Analyse des lk Doppelwerks her, bestimmen zu wollen, sollte man nicht von einer ‚chronologischen‘ Reihenfolge sprechen, weil Lukas nicht den Ablauf der erstrangigen Makro-Erzählung, sondern nur kleinräumige erzählerische Sammelbecken chronologisch rhythmisiert und zeitliche Erstreckungen quantifiziert (z. B. 1,24.26.56; 2,21.46; 9,28; 22,66; Apg 18,11; 19,8.10; 20,3; 24,27; 28,11.17). Über die Person, der Lukas sein Werk gewidmet hat und die er auch in Apg 1,1, d. h. zu Beginn des zweiten Buches anspricht, wissen wir ansonsten nichts (vgl. jetzt die umfassende Aufarbeitung der Literatur bei Heil / Klampfl*). Seit Zahn 57 Anm. 41 wird immer mal wieder der in Ps. Clem., Recogn. 10,71,2 f erwähnte Antiochener Theophilus, von dem es heißt, dass er zur städtischen Elite seiner Stadt gehörte (erat cunctis potentibus in civitate sublimior «der erhabener als alle Mächtigen in der Stadt war») und dass er der antiochenischen Gemeinde einen großen Versammlungsraum in seinem Privathaus zur Verfügung gestellt hat, mit dem lk Theophilus in Verbindung gebracht (vgl. z. B. Klostermann; Schweizer; Bovon). Es hat aber auch nicht an Versuchen gefehlt, seine Existenz zu bestreiten und Qe·filo“ als einen symbolischen Namen zu verstehen (‚Gottesfreund‘; so zuletzt wieder Morgenthaler, Lukas und Quintilian, 395 f; Wargnies* 78). Sie haben sich jedoch nicht durchsetzen können. Der Name ist sowohl für jüdische als auch für nichtjüdische Männer belegt: Am bekanntesten ist der in den Jahren 37–41 n. Chr. amtierende Hohepriester Theophilos ben Hannas (vgl. Josephus, Ant. 18,123; 19,297), der hier aber mit Sicherheit nicht gemeint ist (gegen R.H. Anderson, Theophilus: A Proposal, EvQ 69 [1997] 195–215); s. ansonsten Josephus, Ant. 17,78; 20,223; Ilan, Lexicon, 287 f; Heil / Klampfl* 23 ff. Außerhalb des Judentums belegt erstmals Plato, Cratyl. 394e; 397b den Gebrauch dieses Namens; s. auch Moulton / Milligan, Vocabulary, 288; Hemer, Book of Acts, 221 Anm. 1; Head* 34 Anm. 12; Heil / Klampfl* 16 ff.

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1,1–4: Proömium

1,4

Die Frage, ob Theophilus Lukas’ Patron oder Mäzen war und vielleicht auch für die Verbreitung des lk Werkes sorgen wollte oder sollte (vgl. Goodspeed*), kann man nicht beantworten (Alexander* 190 f.193 ff). Es gibt weder ein positives Indiz für eine solche Annahme, noch lässt sie sich ausschließen. – Seine Anrede als kr›tiste (in Apg 23,26; 24,3; 26,25 werden die römischen Prokuratoren so angeredet; s. auch Aristophanes, Plut. 230; Dionysius v. Halicarnass, Demosth. 58,5; Galen, Libr. Propr., ed. Kühn, 19,8,2 u. a.) erlaubt vielleicht die Vermutung, dass Theophilus nicht unbegütert war und dass er ein gewisses gesellschaftliches Ansehen genoss. Mehr nicht. 4 Für die syntaktische Auflösung des Finalsatzes, in dem Lukas sagt, welche Absicht er mit seiner Darstellung verfolgt, werden mehrere Möglichkeiten diskutiert (vgl. Cadbury* 508), zwischen denen es aber keine großen inhaltlichen Differenzen gibt. Denkbar wäre zum einen in Orientierung an Apg 21,21.24 (jeweils kathceõsjai perÑ soú) die Verknüpfung von per‡ mit kathcfljh“: l·gwn wäre dann Attribut von üsf›leian, und der fehlende Artikel tùn wäre durch den vorgezogenen Relativsatz perÑ ón kathcfljh“ ersetzt, der angibt, um welche l·goi es sich handelt („… die üsf›leia der l·goi, perÑ ón kathcfljh““). Möglich wäre aber auch eine Wiedergabe in Orientierung an Apg 25,26 (perÑ oñ üsfalfi“ ti), wo per‡ mit üsf›leia verbunden ist: „… die üsf›leia in Bezug (per‡) auf die l·goi, die (o∆“) kathcfljh““ (der Genitiv des Relativpronomens wäre dann eine Attraktion an den Kasus des Bezugswortes l·gwn [s. auch Apg 1,1: perÑ p›ntwn … ón ≥rxato ¨ ûIhsoú“ poieõn te kaÑ did›skein]; vgl. B/D/R § 294). Auf jeden Fall zeigt die Inversion der vom Prädikat abhängigen Satzglieder, dass es Lukas darauf ankam, dem Wort üsf›leia die herausgehobene Schlussstellung zuzuweisen (s. auch Spicq, Lexicon I, 216; Fitzmyer). Zu †pigign„skein … tÉn üsf›leian vgl. außer Apg 21,34; 22,30 (jeweils gnùnai tÖ üsfalfi“; s. auch 2,36) vgl. P. Giss. 27,8 (ºna tÖ üsfalÇ“ †pignù «damit ich die Sicherheit erkenne»); P. Sarap. 80,3–4 (∫w“ …n †pignù tÖ üsfalÇ“ toú pr›gmato“ «bis ich die Sicherheit der Sache erkenne»). üsf›leia gilt auch anderswo als eine Eigenschaft von l·goi: Xenophon, Mem. 4,6,15 („Wenn er selbst etwas in einer Rede [l·gw] darstellte, ging er von dem am meisten Anerkannten aus, nom‡zwn ta‚thn tÉn üsf›leian eènai l·gou «[denn] er war der Meinung, dass dies die gewisse Basis der Überlegung ist»“); Isocrates, Antid. 143 („Dieses habe ich dir darum gesagt, ºna … toõ“ l·goi“ üsfalestfiroi“ crÔö prÖ“ a§to‚“ «damit du … stichhaltigere Worte ihnen [sc. den Richtern] gegenüber verwendest»“); Alexander Rhet., Fig., ed Spengel III, 15,22 f (Ωtan … e¢p·nte“ üsfaliz„meja tÖn l·gon «wenn … wir beim Reden das Argument absichern»); Demetrius Rhet., Eloc., ed. Radermacher, 80,8 (oætw … e¢kas‡a gfigonen kaÑ üsfalfistero“ ¨ l·go“ «so … gab es einen Vergleich, und das Argument wurde schlüssiger»).

Mit den l·goi ist hier nicht die christliche Botschaft gemeint, denn dafür gebraucht Lukas immer den Singular (s. o. bei V. 2). Dadurch wird es auch unwahrscheinlich, dass die Formulierung kathceõsjai perÑ (tùn) l·gwn im Sinne einer ‚katechetischen‘ Unterweisung zu verstehen ist wie in ParJer 5,21; Gal 6,6 (jeweils kathceõn tÖn l·gon; s. auch TestJos 4,4: katflchsi“, d. h. majeõn l·gon kur‡ou «das Wort des Herrn lernen»; Apg 18,25). Cadbury* 509 hat wahrscheinlich das Richtige getroffen: Die l·goi haben denselben Inhalt wie die pr›gmata von V. 1 (vgl. auch die Aufnahme von perÑ tùn durch perÑ ón), und unterstellt wird, dass Theophilus von ihnen zwar gehört hat, aber nichts Genaues weiß. Dieses Defizit will Lukas mit seiner Erzählung beheben, und dementsprechend deutet er mit seiner Formulierung auch an, dass es grundsätzlich stimmt, was Theophilus bisher erfahren hat: Die l·goi werden nicht korrigiert, sondern mit üsf›leia versehen, d. h. bestätigt. Aus diesem Grunde ist es auch nicht ülfljeia, die Lukas in Abgrenzung von unzutreffenden und lückenhaften Darstellungen vermitteln will (vgl. demgegenüber Josephus, Ant. 1,4; Ap. 1,53; Bell. 67

1,4

1,1–4: Proömium

1,6.16), sondern eben üsf›leia in Bezug auf das, was Theophilus schon kennt; s. auch van Unnik*, Remarks, 13 f: „Luke does not make use of the word ülfljeia, but instead prefers üsf›leia. This gives a different character to his preface. … Thus it is a feature of the üsf›leia that it gives certainty to that which is generally accepted and recognised“ (wenn demgegenüber Green, Theology, 122 übersetzt: „‘That you may know the truth’“, so ist das nicht nur sprachlich falsch, sondern auch inhaltlich irreführend). Die vieldiskutierte Frage, ob man sich Theophilus als einen am Christentum interessierten (Noch‑)Nicht-Christen oder als bereits getauft vorzustellen hat, lässt sich nicht beantworten. Letzteres ist durchaus nicht ausgeschlossen, denn vor der Abfassung des lk Doppelwerks werden die meisten Christen über die in ihm berichteten Ereignisse kaum mehr als bestenfalls oberflächlich Bescheid gewusst haben. Rebus sic stantibus ist es darum tatsächlich denkbar, dass Theophilus in dieser Hinsicht als Repräsentant für die intendierten Leser fungiert (s. auch Creech* sowie o. S. 22). Davon, dass Lukas falsche Meinungen oder Darstellungen korrigieren will, ist hier jedenfalls nichts zu erkennen.

68

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“ Literatur: Bock, Proclamation, 55–90. – R.E. Brown, The Birth of the Messiah, New York / London 21993. – U. Busse, Das „Evangelium“ des Lukas. Die Funktion der Vorgeschichte im lukanischen Doppelwerk, in: Der Treue Gottes trauen, 161–177. – M. Coleridge, The Birth of the Lucan Narrative. Narrative as Christology in Luke 1–2 (JSNT.S 88), Sheffield 1993. – M. Dibelius, Jungfrauensohn und Krippenkind (1932), in: ders., Botschaft und Geschichte, Tübingen 1953, 1–78. – R. Dillmann, Die lukanische Kindheitsgeschichte als Aktualisierung frühjüdischer Armenfrömmigkeit, SNTU.A 25 (2000) 76–97. – G. Erdmann, Die Vorgeschichten des Lukas‑ und Matthäusevangeliums und Vergils vierte Ekloge (FRLANT NF 30), Göttingen 1932. – S.C. Farris, On Discerning Semitic Sources in Luke 1 – 2, in: Gospel Perspectives II, Sheffield 1981, 201–237. – Ders., The Hymns of Luke’s Infancy Narratives (JSNT.S 9), Sheffield 1985. – A. George, Le parallèle entre Jean-Baptiste et Jésus en Lc 1–2, in: Mélanges Bibliques, 147–171. – D. Gerber, Le Magnificat, le Benedictus, le Gloria et le Nunc Dimittis: Quatre Hymnes en réseau pour une introduction en surplomb à Luc-Actes, in: La Bible en récits, 353–367. – J.B. Green, The Social Status of Mary in Luke 1,5 – 2,52, Bib. 73 (1992) 457–472. – H. Gunkel, Die Lieder in der Kindheitsgeschichte Jesu bei Lukas, in: Festgabe von Fachgenossen und Freunden, 43–60. – C.-W. Jung, The Original Language of the Lukan Infancy Narrative (JSNT.S 267), London / New York 2004. – T. Kaut, Befreier und befreites Volk. Traditions‑ und redaktionsgeschichtliche Untersuchung zu Magnifikat und Benediktus im Kontext der lukanischen Kindheitsgeschichte (BBB 77), Meisenheim a.G. 1990. – R. Laurentin, Struktur und Theologie der lukanischen Kindheitsgeschichte, Stuttgart 1967. – N. Lohfink, Psalmen im Neuen Testament. Die Lieder in der Kindheitsgeschichte bei Lukas, in: Neue Wege der Psalmenforschung, 105–125. – L.C. McGaughy, Infancy Narratives and Hellenistic Lives. Luke 1–2, Forum NF 2 (1999) 25–39. – E. Norden, Die Geburt des Kindes. Geschichte einer religiösen Idee (1924), Darmstadt 1958. – F. Ó Fearghail, The Imitation of the Septuagint in Luke’s Infancy Narrative, PIBA 12 (1989) 58–78. – R. Pesch (Hg.), Zur Theologie der Kindheitsgeschichten, München / Zürich 1981. – W. Radl, Der Ursprung Jesu. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu Lukas 1–2 (HBSt 7), Freiburg u. a. 1996. – E. Schweizer, Zum Aufbau von Lukas 1 und 2, in: Intergerini Parietis Septum, 309–335. – F. Spitta, Die chronologischen Notizen und die Hymnen in Lc 1 u. 2, ZNW 7 (1906) 281–317. – J.B. Tyson, The Birth Narratives and the Beginning of Luke’s Gospel, Semeia 52 (1990) 103–120. – P. Winter, The Cultural Background of the Narrative in Luke I and II, JQR 45/46 (1954/55) 159–167. – M. Wolter, Wann wurde Maria schwanger?, in: Von Jesus zum Christus, 405–422. – D. Zeller, Geburtsankündigung und Geburtsverkündigung, in: Studien und Texte zur Formgeschichte, 59–134.

Der Übergang zur Erzählung geht mit einem abrupten Stilwechsel einher. Er bewirkt, dass man „aus einem ganz leidlichen und wohlgebauten ja zierlich sein wollenden Griechisch in die härtesten hebraisirenden Wendungen hineinplumpt“ (Schleiermacher, Ueber die Schriften des Lukas, 23). Lukas beginnt mit einer Reihe von Episoden, die er in die Regierungszeit Herodes’ d.Gr. (37–4 v. Chr.) datiert (V. 5). Die erzählerische Kohärenz dieses Abschnitts wird durch drei Faktoren hergestellt: (a) durch die Einordnung der berichteten Ereignisse in die Chronologie der Schwangerschaft Elisabeths, der Mutter Johannes’ des Täufers (vgl. V. 24 f. 26.56 f; die den Erzählrhythmus bestimmende chronologische Einheit sind dementsprechend Monate), (b) durch das 69

1,5–79(80)

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

abschließende Summarium in V. 80, das einen Zeitraum von mehreren Jahren umgreift (von der Geburt bis zum öffentlichen Auftreten des Täufers), und (c) durch den Neueinsatz in 2,1, der sich mit der Formulierung †n taõ“ ™mfirai“ †ke‡nai“ auf die in 1,80 erwähnte unbestimmte Zwischenzeit zurückbezieht (s. bei 2,1) und die Erzählperspektive von Judäa als dem Herrschaftsgebiet des Herodes auf die gesamte o¢koumfinh als dem Herrschaftsbereich des Caesar Augustus ausweitet. – Lukas will also die Sequenz der in 1,5–79 enthaltenen Erzählungen als eine eigene literarische Einheit verstanden wissen, die zunächst für sich gelesen werden soll. Dieses Kapitel hat außerdem die Funktion, den Lesern zu signalisieren, dass im lk Geschichtswerk die Fortsetzung der Geschichte Israels erzählt wird, denn es dient dazu, die von Lukas erzählten pr›gmata in die Geschichte Israels einzubinden: Der Stil, mit dem Lukas in V. 5 seine Erzählung beginnt, findet seine unmittelbare Entsprechung im episodischen Erzählstil der Septuaginta (vgl. Jung* 45 ff.212 f; Einzelnachweise z.St.). In der von ihm erzählten Geschichte geht es auch so zu wie in der Geschichte Israels: Ein altes Ehepaar bekommt noch ein Kind wie Abraham und Sara (vgl. vor allem Lk 1,7 mit Gen 18,11), und das Geschick der als „unfruchtbar“ (V. 36) geltenden Elisabeth erinnert nicht nur an Sara (Gen 11,30; 16,1), sondern auch an Rebekka (Gen 25,21), an Rahel (Gen 29,31; 30,1), an die Frau des Manoach (Ri 13,2) und an Hanna (1.Sam 1,2). – Elisabeth kommentiert ihre überraschende Schwangerschaft mit nahezu denselben Worten (k‚rio“ … †peõden üfeleõn µneid·“ mou †n ünjr„poi“; Lk 1,25), mit denen Rahel auf die Geburt Josephs reagiert (üfeõlen ¨ je·“ mou tÖ µneido“ «weggenommen hat Gott meine Schande»; Gen 30,23). Wie damals in der Geschichte Israels erscheinen auch jetzt immer wieder Engel und reden mit den Menschen (Lk 1,8–20.26–38; 2,8–14). Der Lobgesang Marias (1,46–55) erinnert an den Lobgesang der Hanna (1.Sam 2,1–10). Die Wiederaufnahme dieser Motive soll nicht eine typologische Entsprechung zwischen den Einzelpersonen konstruieren, sondern Lukas will durch sie alttestamentliches Kolorit herstellen und auf Seiten der Leser den Eindruck hervorrufen, dass sie ein Buch über die Geschichte Israels lesen. Die Gliederung dieses Erzählgefüges ist deutlich erkennbar: Sie ist bestimmt durch die Abfolge von drei Erzählphasen, die Lukas dadurch voneinander abgrenzt, dass er zwischen ihnen jeweils mehrere ereignislose Monate verstreichen lässt. Auf die erste Phase (V. 8–24a) folgt im Abstand von fünf Monaten (V. 24b; s. auch V. 26.36) die zweite Phase (V. 26–55), die dann durch eine Distanz von drei Monaten (V. 56) von der dritten Phase (V. 57–79) getrennt wird. Diese Hauptphasen unterteilt Lukas dann noch in erzählerische Teilphasen, deren Abstand voneinander er in Tagen bemisst (V. 23–24a.39.59). Der übergeordnete Erzählrhythmus korrespondiert dabei mit den Erzählgegenständen in der Weise, dass die erste und die letzte Hauptphase (V. 5–24a und V. 57–79) jeweils an Johannes dem Täufer orientiert sind, während die mittlere (V. 26–55) auf Jesus bezogen ist. Die drei Phasen sind in dieser Hinsicht also nach dem Schema a-b-a konzentrisch angeordnet. – Ist dieses Strukturprinzip einmal erkannt, lässt es sich sogleich präzisieren: Der Johannesteil beginnt mit der Erzählung einer Geburtsankündigung (V. 8–23) und endet mit einem Hymnus, den Lukas dem Empfänger der Ankündigung in den Mund legt (V. 68–79). Dasselbe gilt auch für den Jesusteil (Ankündigung: V. 26–38; Hymnus Marias: V. 46–55). Lukas nimmt damit eine chiastische Anordnung der Abfolge der auf Johannes und Jesus bezogenen Geburtsankündigungen und der auf sie antwortenden Hymnen vor. Beide Linien treffen 70

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

1,5–79(80)

sich in der Szene, die die Reaktionen des noch ungeborenen Johannes und seiner Mutter auf den Besuch der Mutter Jesu schildert (V. 40–45). Aufs Ganze gesehen hat Lukas die Erzähleinheit damit als eine konzentrische Ringkomposition gestaltet: (a1) Zacharias empfängt die Ankündigung der Geburt des Johannes (1,8–23) (b1) Maria empfängt die Ankündigung der Geburt Jesu (1,26–38) (ab) Johannes und Elisabeth reagieren auf Marias Besuch (1,40–45) (b2) Maria antwortet mit einem Hymnus (1,46–55) (a2) Zacharias antwortet mit einem Hymnus (1,67–79). Zacharias kann erst am Ende von Kap. 1 auf die an ihn ergangene Geburtsankündigung antworten, weil er gleich zu Beginn die Sprache verliert (V. 20.22) und sie erst nach Geburt und Namengebung seines Sohnes wiederfindet (V. 64). Innerhalb der erzählten Zeit entsteht damit ein Zwischenraum von mindestens 9 Monaten (vgl. V. 20), den Lukas geschaffen haben dürfte, um in ihm den Jesusteil seiner Erzählung, d. h. die Ankündigung der Geburt Jesu, den Besuch Marias bei Elisabeth und das Magnifikat (V. 26–56) unterzubringen. – Mit diesem Kompositionsprinzip gibt Lukas dem gesamten Erzählzusammenhang zugleich ein thematisches Gefälle: Die beiden Außenglieder signalisieren zwar, dass Lukas die übergeordnete Handlung erzählerisch an Johannes dem Täufer orientiert, doch ordnet er sie dabei gleichzeitig auf Jesus als ihr eigentliches Zentrum hin. Erkennbar wird dies zum einen durch die Besuchsszene (V. 40–45), in der sich die beiden zwischen Geburtsankündigungen und Hymnen verlaufenden Linien kreuzen, denn Johannes und seine Mutter erhalten hier die Aufgabe, die herausgehobene Stellung Marias und ihres Kindes zum Ausdruck zu bringen. Zum anderen werden die Leser mit Hilfe dieser kompositorischen Anordnung in die Lage versetzt, das Benedictus des Zacharias (V. 67–79) mit seinen messianischen Heilsaussagen auf Jesus zu beziehen und es als Deutung der gesamten Erzählsequenz zu verstehen. Mit der vorstehenden Analyse der narrativen Struktur von Kap. 1 ist die erstmals von Dibelius, Überlieferung, 67 ff vorgetragene Annahme aufgegeben, derzufolge die lk Vorgeschichte wie ein „Diptychon“ (so z. B. Laurentin* 31; Brown* I, 252; Radl* 41) zu lesen sei, das Lukas einerseits – so Ernst, Johannes der Täufer, 113 für alle anderen – „nach dem Prinzip der Parallelität zwischen Johannes und Jesus aufgebaut und strukturiert“, andererseits jedoch so erzählt habe, dass Johannes dabei durch Jesus ‚überboten‘ werde. Diese Interpretation von Lk 1 – 2 ist seither nahezu unverändert übernommen worden (vgl. z. B. Nolland I, 20: „No real improvement has been made on the structure proposed by Dibelius“; Literaturüberblicke von unterschiedlicher Ausführlichkeit bei Laurentin* 31 f; George* 147 ff; Brown* 250 ff.623 ff; Radl* 43 ff). Diese Lektüre der lk ‚Vorgeschichte‘ (als solche sollte man sie ohnehin nicht bezeichnen, denn Lk 1–2 sind selbstverständlich integraler Bestandteil der in 1,1 genannten pr›gmata, mit deren Erzählung Lukas in 1,5 beginnt) ist jedoch unhaltbar: Die postulierte Parallelität geht sowieso nicht auf, denn 2,8–20.22–40.41–51 haben kein Äquivalent in der Johanneshälfte. Ansonsten erzählt Lukas zwar von beiden Kindern Geburtsankündigung (1,8–25 und 1,26–38), Geburt (1,57 und 2,4–7) sowie Beschneidung und Namengebung (1,57–66 und 2,21), und auch die Summarien in 1,80 und 2,40.52 sind zum Teil gleichlautend formuliert, doch reichen diese Entsprechungen nicht aus, um aus ihnen ein den Aufbau von Lk 1–2 insgesamt bestimmendes Kompositionsprinzip machen zu können. Schon allein die Tatsache, dass der Besuch Gabriels bei Maria in 71

1,5–7

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

die Schwangerschaftschronologie Elisabeths eingeordnet wird (1,26) und dass Gabriel hier als eine den Lesern bereits bekannte Erzählfigur eingeführt wird (Näheres bei Wolter* 421 f) lassen deutlich erkennen, dass Lukas an dieser Stelle nicht zweisträngig, sondern einsträngig erzählt und dass die beiden Geburtsankündigungen nicht parallel, sondern sukzessiv gelesen werden wollen. An keiner Stelle gewinnt die lukanische Vorgeschichte jene „Breitendimension“ (Lämmert, Bauformen, 33), wie sie die schematischen Darstellungen ihres Aufbaus seit M. Dibelius immer wieder suggerieren, denn nirgendwo wird ein und derselbe Zeitraum erzählerisch zweimal durchschritten. Es dominiert vielmehr die chronologische „Längserstreckung“ (Lämmert, ebd.) der Erzählung. – Zur Quellenfrage vgl. jeweils z.St. 1,5–7: Exposition 5In

den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa, gab es einen Priester na­ mens Zacharias aus der Tagesdienstabteilung des Abija. Er hatte eine Frau aus den Töchtern Aarons, die Elisabeth hieß. 6Beide waren gerecht vor Gott, denn sie wandelten untadelig in allen Geboten und Gesetzen des Herrn. 7Und sie hatten kein Kind, weil Elisabeth unfruchtbar war, und beide waren in vorgerücktem Alter. Literatur: s. o. S. 69.

Diese Verse bilden die Exposition des Erzählzusammenhangs, der bis V. 79 reicht. Lukas ordnet das erzählte Geschehen in die historische Chronologie ein und stellt diejenigen Personen vor, mit deren Geschick sich die Ereignisse in diesem ersten erzählerischen Sammelbecken seines Doppelwerks verknüpfen. Er liefert den Lesern damit die Hintergrundinformationen, die sie für das Verständnis des Folgenden benötigen. – Nach der sprachlich kunstvoll stilisierten Satzperiode des Proömiums beginnt Lukas in einer Weise zu erzählen, die unverkennbar an das Alte Testament erinnert. 5 Alttestamentlichem Erzählstil entspricht bereits die Datierung, denn mit Hilfe der Formulierung †n (taõ“) ™mfirai“ + Regentenname werden auch im AT die Ereignisse häufig in die Regierungszeit eines Königs eingeordnet (2.Sam 21,1; 1.Kön 16,28LXX; 2.Kön 15,28[29]; 1.Chr 4,41; 5,10.17; 2.Chr 13,23; s. auch 1.Kön 10,21; 1.Chr 7,2; 2.Chr 9,20; 26,5 [s. auch Jung* 135 ff]; außerhalb der Septuaginta ist diese Form der Datierung nicht belegt). Wenn Lukas gleich zu Beginn seiner Darstellung an diese sprachliche Konvention anknüpft und die erste Folge der von ihm erzählten Ereignisse in die Regierungszeit Herodes’ d.Gr. (37–4 v. Chr.) datiert, so macht er das Folgende zu einer Fortsetzung der Geschichte Israels. Dem entspricht auch, dass Herodes hier historisch ungenau als basileÜ“ tö“ ûIouda‡a“ vorgestellt wird, denn tatsächlich herrschte er von Anfang an über ein sehr viel größeres Gebiet, dem später auch noch nichtjüdische Territorien zugeschlagen wurden. Lukas bezeichnet mit „Judäa“ sowohl die Landschaft dieses Namens (ungefähr das ehemalige Siedlungsgebiet des Stammes Juda oder das ehemalige Südreich oder die persische Provinz „Jehud“; vgl. 1,65; 2,4; 3,1; 5,17; 21,21; Apg 9,31) als auch in komprehensiver Weise das vor allem von Juden bewohnte Gebiet (also unter Einschluss von Galiläa und Peräa; vgl. 4,44; 6,17; 7,17; 23,5; Apg 1,8; 10,37). Hier steht „Judäa“ als pars pro toto (Brown* 257; s. auch 72

1,5–7: Exposition

1,6

Josephus, Ant. 14,280; 15,2), um den sachlichen Referenzrahmen des im Folgenden erzählten Geschehens anzuzeigen. Dasselbe gilt dann auch für die Einführung der Erzählfiguren: Die einleitende Formulierung (†gfineto …) ´ere‚“ ti“ £n·mati Z. entspricht dem in der hellenistischen Geschichtsschreibung verbreiteten Episodenstil. Vgl. z. B. Josephus, Bell. 4,37: ©katont›rch“ dfi ti“, G›llo“ £n·mati «ein Centurio namens Gallus»; 6,186.387; Ant. 8,414; 12,265; 15,373; 20,34.97; Polybius, Hist. 3,98,2: én dfi ti“ ünÉr ∞Ibhr, ûAb‡lux µnoma «es gab da einen Iberer namens Abilux»; Diodorus Siculus 17,45,6; 100,2; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,39,2; 3,46,3; Appian, Mith. 353; s. auch Philo, Vit. Mos. 1,250; Xenophon v. Ephesus 3,9,4; Vita Aesopi 129; im Unterschied zu den anderen Evangelien ist dieser Sprachgebrauch auch sonst bei Lukas häufig belegt: Lk 10,38; 16,20; Apg 5,1.34; 8,9; 9,10.36; 10,1; 16,1.14; 18,24; 20,9; 21,10. Zacar‡a“ ist die griechische Transkription von hebr. hy"r.k;z> (z. B. 2.Kön 14,29; Sach 1,1). Der Name bedeutet „JHWH hat gedacht“; s. auch Ilan, Lexicon, 90 ff.

Mit Ausnahme von Hiob 1,1 und DanBel 2 (hier lautet die Einführung jeweils ±njrwp·“ ti“) werden auf diese Weise immer nur erzählerische Nebenfiguren eingeführt, und darüber hinaus leiten diese Formulierungen niemals die Haupthandlung, sondern immer nur episodische Teilhandlungen oder auch Einzelszenen ein. Durch die Art und Weise der erzählerischen Einführung des Zacharias wird das Folgende als Ausschnitt aus einem übergreifenden Ereigniszusammenhang qualifiziert, dessen eigentlicher Beginn schon weiter zurückliegt. Lukas will mit dieser besonderen Gestaltung des Beginns seines Doppelwerks deutlich machen, dass es sich bei dem erzählten Geschehen um die Fortsetzung der Geschichte Israels handelt (vgl. auch Wolter, Doppelwerk, 272 ff). Den priesterlichen Status des Zacharias präzisiert Lukas dadurch, dass er auch die Abteilung angibt, der er angehört (vgl. Josephus, Ant. 12,265: én ti“ o¢kùn †n Mwda◊ …, µnoma Mattaj‡a“ …, ´ereÜ“ †x †fhmer‡do“ ûIw›ribo“ «in Modein … wohnte einer namens Mattathias, …, ein Priester aus der Tagesdienstabteilung des Ioarib»). Nach der in 1.Chr 24,7–18 (s. auch Neh 12,1–7.12–21) mitgeteilten Liste der 24 Priesterabteilungen (s. auch 4Q320–330), von denen jede zweimal im Jahr jeweils für eine Woche den Priesterdienst zu versehen hatte (vgl. Josephus, Ant. 7,365; Ap. 2,108; mTamid 5,1; s. auch Bill. II, 55–68; Winter* 160 ff; Schürer, History II, 245 ff.292; Maier, Qumran-Essener III, 87 ff), gehörte Zacharias zur achten Abteilung (hebr. hY"bia; nach 1.Chr 24,10). Dass Lukas auch Zacharias’ Frau vorstellt – sie stammt nicht nur aus dem Geschlecht Aarons, sondern trägt auch denselben Namen wie dessen Frau ([b;V,ylia/ = „Mein Gott ist Fülle“ [?]; vgl. Ex 6,23; s. auch Ilan, Lexicon, 239) –, könnte im Blick auf das Folgende bereits eine gezielte Anspielung auf Ri 13,2; 1.Sam 1,1 f sein, wo in dieser Weise ebenfalls Männer zusammen mit ihren unfruchtbaren Frauen vorgestellt werden, deren Kinderlosigkeit dann durch Gott behoben wird. 6 Zacharias und Elisabeth werden aus der Perspektive Gottes charakterisiert: Nach dessen Urteil (zu †nant‡on in diesem Sinne vgl. Bauer, Wörterbuch, 527 f; s. noch Gen 7,1; Ex 15,26; Hiob 32,1 f; 35,2) sind sie „gerecht“, weil Gott ihre Lebensführung für „untadelig“ befindet (zum kausalen Verständnis der Partizipialkonstruktion vgl. B/D/R § 418,1). Beschrieben wird die Lebensführung des Ehepaares in V. 6b ebenfalls unter Rückgriff auf die Septuaginta, ohne dass sich dabei jedoch eine Anspielung auf 73

1,7

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

bestimmte Texte identifizieren ließe. Lukas greift hier einige Elemente aus dem sprachlichen Inventar desjenigen semantischen Feldes heraus, das dazu dient, den von Seiten Gottes an Israel ergangenen Erwählungsauftrag zu kennzeichnen (vgl. z. B. Ex 15,26; Dtn 4,40; 6,2; 10,12 f; 27,10; 1.Kön 8,61; Ez 11,20 f; 18,9; 20,19; 36,27; Ps 119,1–6). Zacharias und Elisabeth werden damit als Exponenten des Gottesvolkes vorgestellt, in deren Lebensführung jener Erwählungsauftrag diejenige Verwirklichung findet, der Gott seinen Segen zugesagt hat (vgl. Lev 26,3 f; Dtn 7,11–14; 30,16). 7 Angesichts dessen kommt die Information, dass die beiden kein Kind hatten, weil Elisabeth unfruchtbar war, auf den ersten Blick überraschend: vgl. Ex 23,26; Dtn 7,11–14 einerseits und Lev 20,20 f; Hos 9,11; Philo, Spec. Leg. 1,11; äthHen 98,5 („Unfruchtbarkeit ist einer Frau nicht gegeben, sondern wegen des Werkes ihrer Hände stirbt sie ohne Kinder“) andererseits; kaj·ti gibt es im NT nur bei Lukas: s. noch Lk 19,9; Apg 2,24.45; 4,35; 17,31. Gleichzeitig soll diese Mitteilung jedoch die Erwartung hervorrufen, dass nun erzählt wird, wie Gott diesen Missstand beseitigt. Die Leser werden nämlich sofort an analoge Konstellationen in der Geschichte Israels erinnert, in die Lukas sie bereits mit den ersten Worten seiner Exposition hineingeführt hat: an Sara (Gen 11,30; 16,1), an Rebekka (Gen 25,21), an Rahel (Gen 29,31; 30,1), an die Frau des Manoach (Ri 13,2) und an Hanna (1.Sam 1,2). In allen Fällen wird die Unfruchtbarkeit der Frauen nur darum als expositionelles Element mitgeteilt, um dann erzählen zu können, wie sie durch Gott aufgehoben wird; vgl. in diesem Sinne BerR 38,14 (zu Gen 11,30): „An jeder Stelle, wo gesagt wird: hl !ya [sie hatte nicht], hl hwhy [bekam sie]“. Dies gilt natürlich um so mehr, als Zacharias und Elisabeth sich bereits jenseits des reproduktionsfähigen Alters befinden (V. 7c) und die Leser damit auf das Geschick von Abraham und Sara verwiesen werden (vgl. Gen 18,11: sie waren presb‚teroi probebhk·te“ ™merùn); die lk Formulierung entspricht dem Stil der Septuaginta (vgl. noch Gen 24,1; Jos 13,1; 23,1; s. auch B/D/R § 197,5; Jung* 179 ff). 1,8–25: Die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers 8

Es geschah aber, als er in der Reihenfolge seiner Abteilung den Priester­ dienst vor Gott versah, 9dass er nach dem Brauch des priesterlichen Dienstes ausgelost wurde, das Rauchopfer darzubringen, nachdem er in den Tempel des Herrn hineingegangen war. 10Und die ganze Menge des Volkes betete draußen in der Stunde des Rauchopfers. 11Da erschien ihm ein Engel des Herrn, der auf der rechten Seite des Rauchopferaltars stand. 12Und Zacharias erschrak, als er (ihn) sah, und Furcht befiel ihn. 13Der Engel aber sprach zu ihm: „Fürchte dich nicht, Zacharias, denn deine Bitte ist erhört worden, und deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Johannes geben. 14Und er wird dir zu Freude und Jubel werden, und viele werden sich über seine Geburt freuen. 15Denn er wird groß sein vor dem Herrn und keinen Wein und berauschende Getränke trinken. Und er wird von Mutterleib an mit heiligem Geist erfüllt werden. 16Und viele von den Kindern Israels wird er zum Herrn, ihrem Gott, bekehren. 17Und er wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft Elias, um die Herzen der Väter zu den Kindern hinzuwenden und Ungehorsame zur Gesinnung 74

1,8–25: Die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers

1,8–9

von Gerechten, um dem Herrn ein zugerüstetes Volk zu bereiten.“ 18Und Zacharias sprach zum Engel: „Woran werde ich das erkennen? Ich bin ein alter Mann, und meine Frau ist hochbetagt.“ 19Der Engel antwortete und sprach zu ihm: „Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und ich wurde gesandt, zu dir zu reden und dir dieses zu frohbotschaften. 20Und siehe, du wirst stumm sein und nicht reden können bis zu dem Tag, an dem dies geschieht, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, die zu ihrer Zeit in Erfüllung gehen werden.“ 21 Und das Volk wartete auf Zacharias und wunderte sich über sein langes Verbleiben im Tempel. 22Als er aber herauskam, konnte er nicht zu ihnen reden, und sie erkannten, dass er im Tempel eine Erscheinung gesehen hatte. Er neigte sich ihnen zu und blieb stumm. 23Und es geschah, als die Tage seines Priesterdienstes vollendet waren, da kehrte er in sein Haus zurück. 24Nach diesen Tagen aber wurde seine Frau Elisabeth schwanger und hielt sich fünf Monate lang verborgen und sprach: 25„So hat mir der Herr getan in den Tagen, in denen er sein Augenmerk darauf richtete, meine Schmach unter den Menschen fortzunehmen.“ Literatur: s. o. S. 69. – Außerdem: R.E. Brown, Luke’s Method in the Annunciation Narrative of Chapter One, in: Perspectives in Luke-Acts, 126–138. – U. Busse, Die Engelrede Lk 1,13–17 und ihre Vorgeschichte, in: Nach den Anfängen fragen, 163–177. – Ganser-Kerperin, Zeugnis, 97– 117. – D. Hamm, The Tamid Service in Luke-Acts, CBQ 65 (2003) 215–231. – S.R. Harmon, Zechariah’s Unbelief and early Jewish-Christian Relations, BTB 31 (2001) 10–16. – P. Hofrichter, Parallelen zum 24. Gesang der Ilias in den Engelerscheinungen des lukanischen Doppelwerkes, ProBi 2 (1993) 60–76. – C.G. Müller, Mehr als ein Prophet, 91–112. – S.B. Parker, The Birth Announcement, in: Ascribe to the Lord, 133–149. – R. Strelan, Elizabeth, Are You Hiding? (Luke 1:24), Neotest. 37 (2003) 87–95.

Lukas erzählt die erste Episode in V. 8–23. Er verknüpft sie mit der Wahrnehmung des Priesterdienstes durch Zacharias und lokalisiert sie im Jerusalemer Tempel. Da dies auch der Ort ist, an den er die Jünger am Schluss des Evangeliums zurückführt (24,53), fungiert diese Lokalisierung als Bestandteil einer erzählerischen Inklusion, die von erheblicher theologischer Bedeutung ist. In formgeschichtlicher Hinsicht handelt es sich um einen Erscheinungsbericht, um den ein doppelter Rahmen gelegt ist (V. 8 / V. 23 und V. 9–10 / V. 21–22). Als gattungsspezifische Elemente lassen sich identifizieren (Belege jeweils z.St.): (a) ∑fjh + Dativ als erstes finites Verb mit dem Erscheinenden als Subjekt (V. 11); (b) der Empfänger der Erscheinung erschrickt und/oder fürchtet sich (V. 12); (c) die an den Erscheinungsempfänger gerichtete Aufforderung mÉ foboú o. ä. (V. 13b); (d) die Selbstidentifikation des Erscheinenden durch †g„ e¢mi (V. 19b); (e) die Botenaussage (üpest›lhn o. ä., V. 19c); (f) der Erscheinende spricht einen kürzeren oder längeren Text; im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Geburtsankündigung (V. 13b–17). – Eine ‚Berufungserzählung‘ liegt nicht vor (gegen Harmon* 11 f), denn es geht nicht um die künftige Aufgabe des Zacharias, sondern um die seines Sohnes (s. auch u. bei 1,28). 8–9 Mit dem Bauplan des Satzes imitiert Lukas wiederum Septuaginta-Stil: Die Konstruktion †gfineto dfi + Zeitbestimmung mit Hilfe eines substantivierten Infinitivs (†n tù ´erate‚ein a§t·n) + Verbum finitum (≤lace) findet sich auch in Gen 24,52; 25,11; 35,17.18; 38,28; Hiob 42,7. Im NT ist sie – wie überhaupt die Satzeinleitung 75

1,8

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

mit †gfineto dfi – nur bei Lukas belegt (Lk 2,6; 11,27; 18,35; s. auch 3,21; 5,1; 9,51; Apg 19,1; vgl. dazu Fitzmyer I, 118 ff; Gault, Discourse Function). – Die Leser werden nun zusammen mit Zacharias in zwei Schritten an die Begebenheit, die Lukas erzählen will, herangeführt: In 8 greift er aus dem in V. 5 noch recht großräumig gebliebenen zeitlichen Rahmen zunächst die Tage heraus, in denen Zacharias’ Priesterabteilung den Dienst im Tempel versieht, und führt ihn von seinem Wohnort nach Jerusalem. In 9–10 wird das Geschehen dann zeitlich und räumlich fixiert: 9 Unter den Angehörigen der diensttuenden Priesterabteilung wurden die einzelnen liturgischen Funktionen immer wieder neu ausgelost (vgl. mJoma 2,1 ff; mTamid 1,2; 3,1; 5,2; Schürer, History II, 304). Das Tamidopfer (dymiT'h; = ‚das Unablässige [Opfer]‘; vgl. Num 28,10 – 29,38; Neh 10,34; Dan 8,11–13; 11,31; 12,11) wurde morgens und nachmittags als Rauchopfer vollzogen (die Septuaginta nennt es dementsprechend ¨loka‚twma; s. auch Ex 30,7 f). Den genaueren Ablauf des morgendlichen Opfers schildert mTamid 5,4 ff (s. auch Bill. II, 71 ff; Winter* 232 ff); dass Lukas hier speziell das nachmittägliche Opfer schildert (so Hamm* 221), geht aus dem Text nicht hervor. Es fand auf dem in der rabbinischen Literatur so genannten „inneren Altar“ (ymiynIP.h; x:Bez>Mih); statt, der sich im eigentlichen Tempelgebäude befand, das ausschließlich den Priestern zugänglich war (dem lk'yhe bzw. dem ‚Heiligen‘; s. auch Ex 30,1–6; 37,25–28). Außerdem standen in ihm noch die goldene Menora und der Schaubrottisch. Durch einen Vorhang war dieser Raum vom ‚Allerheiligsten‘ (dem rybid>) abgetrennt. An der Durchführung des Opfers hat Lukas dann aber kein Interesse mehr. Er geht im Folgenden nicht nur mit keinem Wort mehr darauf ein, sondern notiert stattdessen ausdrücklich das eigentlich selbstverständliche Hineingehen in den Tempel. Wichtig ist für ihn also nicht, dass Zacharias das Rauchopfer darbringt, sondern nur, dass er in den Tempel hineingeht. Entgegen der liturgischen Praxis (am Rauchopfer waren immer mehrere Priester beteiligt, und zu keinem Zeitpunkt hielt sich nur ein einziger im lk'yhe auf) lässt er Zacharias dann auch alleine das Tempelgebäude betreten, denn nur ihm soll die Erscheinung zuteil werden. Das eigentliche Erzählziel wirkt also schon auf die Gestaltung des Rahmens ein. 10 Angesichts dieser narrativen Ökonomie stellt sich die Frage, warum Lukas ausdrücklich hervorhebt, dass die Menge des Volkes in der Zwischenzeit außerhalb des Tempelgebäudes im Gebet verharrte, denn auch sie spielt ja keine Rolle innerhalb der Erscheinungserzählung. Lukas benötigt sie jedoch als Erzählfigur im Schlussrahmen der Erscheinungserzählung, um dort den sofortigen Eintritt der über Zacharias verhängten Stummheit (V. 20) demonstrieren zu können (V. 22), und darum lässt er sie schon zu Beginn zumindest im Hintergrund der Szene auftreten. Wenn er sie als betend darstellt, so geschieht dies sicher nicht, um die Leser zu Spekulationen über den Inhalt des Gebets einzuladen (so z. B. Green), sondern weil er die Menschen – wie auch sonst oft – dadurch charakterisieren will, dass er mitteilt, was sie tun. In diesem Sinne schildert Lukas hier das Gottesvolk (nicht ohne Grund benutzt er an dieser Stelle auch erstmals den theologisch gefüllten la·“-Begriff [s. dazu H. Frankemölle, EWNT 2,843 ff], das „Ehrenprädikat Israels“ [ebd. 841]) als seinem Gott zugewandt (s. auch Lk 2,37; Apg 1,14; 2,42; 9,11; 10,2; 12,12). Es verwirklicht damit gleichzeitig auch die Bestimmung des Tempels (vgl. 19,46). – Die Formulierung pôn tÖ plöjo“, die sich im NT nur bei Lukas findet (vgl. noch 8,37; 19,37; 23,1; Apg 6,5; 15,12; 25,24), 76

1,8–25: Die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers

1,13

begegnet nicht nur in der Septuaginta (Ex 12,6; 2.Kön 7,13; Ez 31,6), sondern auch sonst (z. B. Herodot 8,34; Diodorus Siculus 2,41,2; 5,31,3; Herodianus Hist. 6,5,3; EpArist 42; Ps. Callisthenes 24,32; Josephus, Ant. 13,100; Vita 210 z. T. wie hier mit folgendem Genitiv). 11 ∑fjh ist Terminus technicus für Erscheinungserzählungen (vgl. z. B. Gen 12,7; 17,1; 26,24; Mk 9,4). Eine besondere Nähe besteht zu Ex 3,2; Ri 6,12; 13,3; TestIss 2,1 (s. auch Tob 12,22), wo mit denselben Worten die Erscheinung eines ±ggelo“ kur‡ou berichtet wird. In Ri 13,3b–5; TestIss 2,1 folgt außerdem noch wie hier eine Geburtsankündigung. Dass Lukas den Engel auf der rechten Seite des Rauchopferaltars stehen lässt, soll möglicherweise seine besondere Würde zum Ausdruck bringen: Das Sitzen oder Stehen (Engel stehen immer) zur Rechten Gottes kennzeichnet Hoheit und Erwähltheit (vgl. Ps 110,1 und seine Rezeption im NT [s. bei 20,42–43]; TestBenj 10,6; TestHiob 33,3; ApkAbr 22,6; Apg 7,55 f). Abgesehen davon gilt natürlich die rechte Seite generell als die günstigere Seite; vgl. W. Grundmann, ThWNT 2,37,21 ff. 12 Die Mitteilung, dass der Empfänger der Erscheinung erschrickt und in Furcht gerät, ist ebenso für Erscheinungserzählungen spezifisch (vgl. Tob 12,16; Dan 8,17; äthHen 60,3; JosAs 14,10; slawHen 1,7; 20,1; Cicero, Resp. 6,10; Mk 6,50par.; 16,5; Apg 10,4; s. auch Dan 10,8; Apk 1,17) wie in V. 13b die Aufforderung mÉ foboú von Seiten des Erscheinenden (vgl. Gen 26,24; 28,13LXX; Dan 10,12; Tob 12,17; JosAs 14,11; slawHen 1,8; Cicero, Resp. 6,10; Mk 6,50par.; 16,6; Lk 1,30; 2,10; Apg 27,23 f; Apk 1,17). 13–17 Die kurze Rede, die der Engel hält, gehört zur Gattung der Geburtsankündigung, die in der antiken Literatur weit verbreitet ist (vgl. z. B. Homer, Od. 11,248 f; Homer. Hymn. 5,196 ff; Herodot 5,92; Pindar, Isthm. 6,53 ff; Euripides, Iph. Aul. 1062 ff; weitere Texte bei Zeller* 66 ff). Als gattungsspezifische Elemente lassen sich identifizieren: (a) Einem Elternteil wird die Geburt eines Kindes angekündigt (V. 13c). (b) Der Name des Kindes wird genannt, oder es ergeht ein Auftrag zur Namengebung (V. 13d). (c) Die zukünftige Bedeutung des Kindes wird beschrieben (V. 14–17). Die konkrete sprachliche Realisierung der Form durch Lukas ist freilich an den alttestamentlichen Gattungsexemplaren orientiert (vgl. die Zusammenstellung bei Radl* 72 f), ohne dass jedoch ein typologisierender Bezug auf einen bestimmten Text intendiert wäre. Die lk Darstellung enthält vor allem Elemente aus den Ankündigungen der Geburten von Ismael (Gen 16,11 f), Isaak (Gen 17,15–19) und Simson (Ri 13,3–5) – z. T. auch mit wörtlichen Entlehnungen (vgl. die Übersicht bei Brown*, Luke’s Method, 156; s. u. jeweils z.St.). Lukas geht es also auch hier darum, alttestamentliche Atmosphäre herzustellen, und er evoziert damit gleichzeitig den Eindruck ungebrochener heilsgeschichtlicher Kontinuität zwischen den biblischen und den von ihm beschriebenen Ereignissen. 13 Wenn Lukas den Engel in 13c die Aufforderung mÉ foboú mit der Auskunft begründen lässt, dass Gott das Bitten des Zacharias erhört habe (e¢shko‚sjh ist Passivum divinum; s. auch Tob 3,16; 2.Makk 1,8; Sir 51,11; Dan 10,12), so fehlt dieser Mitteilung insofern ein narratives Widerlager, als von einem solchen Gebet bisher nichts erzählt wurde (vgl. Dauer, Beobachtungen, 15 ff). Der Inhalt des Gebets ist jedoch bedeutungslos. Lukas will hier vielmehr allein Gottes Handeln qualifizieren und dabei zugleich die in V. 6 f aufgebaute Spannung zwischen Tun und Ergehen aufheben. Wenn nämlich im AT und in der frühjüdischen Literatur davon die Rede 77

1,14

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

ist, dass Gott die Gebete der Frommen und Gerechten erhört, so wird damit stets seine heilbringende Zuwendung zu ihnen zum Ausdruck gebracht (vgl. vor allem die terminologischen Parallelen in 2.Kön 20,5; 2.Chr 6,19–21; 2.Makk 1,8; Tob 3,16; Y 6,10; 27,6; 39,2; 65,19; Hiob 8,6; Prov 15,29; Sir 51,11; PsSal 6,5; griechBar 1,5: ™ gÅr dfihs‡“ sou °ko‚sjh †n„pion a§toú «denn deine Bitte wurde erhört vor ihm»; VitAd 29,12 sowie Num 20,16; Dtn 26,7; Y 33,18; 151,3; Dan 10,12; LibAnt 32,7; 44,10; äthHen 47,4; syrBar 71,3; s. auch Jung* 193 ff). Gesagt wird also, dass Gott Zacharias’ Gerechtigkeit entsprechend zu handeln begonnen hat. 13d gibt dann die Folgen dieses Handelns an (zur Geburt von Kindern als Resultat von Gottes Erhörung vgl. Gen 16,11; 25,21; 29,33; 30,6.17.22; einen entsprechenden Vermerk ergänzt auch LibAnt 42,3 zur biblischen Vorlage von Ri 13,3–5). Die Formulierung orientiert sich an Gen 17,19 (Gott sagt zu Abraham: S›rra ™ gunfl sou tfixeta‡ soi u´·n «Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären»), d. h. an dem einzigen Fall einer dem zukünftigen Vater zuteil werdenden Geburtsankündigung im AT (s. noch Gen 18,10.14). Der sich in 13e anschließende Auftrag zur Namengebung findet seine wörtliche Entsprechung in Gen 16,11; 17,19; Jes 7,14 (s. auch LibAnt 42,3 wiederum als Zusatz zur Vorlage). Lukas imitiert also erneut die Septuaginta und signalisiert damit, dass Gott nunmehr in gleicher Weise handelnd in die Geschichte des Gottesvolkes eingreift, wie er es damals getan hat. 14 Mit einem synthetischen Parallelismus membrorum wird beschrieben, welche Reaktionen das angekündigte Kind bei den Menschen in seiner Umgebung auslösen wird. „Freude und Jubel“ (als Begriffspaar auch in Tob 13,15; Y 95,11 f; 125,2; Hab 3,18; griechHen 104,13; TestAbrA 11,7.10; TestLevi 18,5; ParJer 6,17; TestHiob 43,15; Mt 5,12; Joh 8,56; 1.Petr 1,8; 4,13; Apk 19,7) beziehen sich nicht lediglich auf das Ereignis der Geburt, sondern verweisen auf die heilvolle Zuwendung Gottes zu seinem Volk (s. auch in analogem Zusammenhang LibAnt 51,6 f). Eigentliches Thema der Aussage ist Johannes, der auf diese Weise als integraler Bestandteil von Gottes Heilshandeln gekennzeichnet wird (die Begründung dafür lässt Lukas den Engel in V. 15–17 geben). Die Frage, ob pollo‡ in 14b inklusiv (semitisierend im Sinne von ‚alle‘; z. B. J. Jeremias, ThWNT 6,541) oder einschränkend (‚viele‘, aber gerade nicht ‚alle‘; z. B. Schürmann; Nolland) zu verstehen ist, geht am Aussagewillen des Textes vorbei, denn damit würde diese Mitteilung unter der Hand zu einer Auskunft über Israel gemacht. Vergleichbare Sätze mit artikel‑ und attributlosem pollo‡ haben vielmehr stets die Funktion, eine Person zu charakterisieren, indem ihre Wirkung auf andere Menschen beschrieben wird (vgl. z. B. Jdt 16,22 über Judith: polloÑ †pej‚mhsan a§tfln «viele begehrten sie»; Y 39,4 über Gott: µyontai polloÑ kaÑ fobhjflsontai «viele werden [es] sehen und sich fürchten»; Sir 39,9 über den Weisen: a¢nfisousin tÉn s‚nesin a§toú pollo‡ «viele werden seine Einsicht loben»; s. auch 2.Chr 32,23; Mt 12,15; Mk 11,8; Joh 2,23). Lukas lässt den Engel also lediglich betonen, dass Johannes’ Geburt zu großer Freude Anlass geben wird. – Mit Hilfe von fünf parataktisch angeordneten Sätzen entfalten V. 15–17 den Grund der Freude: 15 Die drei Aussagen dieses Verses charakterisieren Johannes im Blick auf seine Relation zu Gott. 15a formuliert zunächst Gottes Urteil über ihn (zu †n„pion in diesem Sinne vgl. Bauer, Wörterbuch, 546 f): Johannes wird bei ihm hohes Ansehen genießen (vgl. die analogen Formulierungen in Ex 11,3; 2.Kön 5,1; SusTheod. 64; s. auch TestJos 15,5). – Die Ankündigung, dass er auf berauschende Getränke verzichten 78

1,8–25: Die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers

1,17

wird, nimmt das in der Septuaginta häufig belegte Begriffspaar oèno“ kaÑ s‡kera auf (vgl. Lev 10,9; Num 6,3; Dtn 14,26; 29,5; Ri 13,4.7.14; Jes 29,9; s. auch TestRub 1,10; Jung* 92 ff). s‡kera ist die griechische Transkription von hebr. rk've, womit wohl ein alkoholisches Getränk bezeichnet wird, das nicht aus Trauben gewonnen ist. In dem späten Midrasch SifrNum 6,3 gilt rk've als ungemischter Wein (Bill. II, 80), während das in der Septuaginta stets mit oèno“ übersetzte !yIy" als Bezeichnung für den (mit Wasser) gemischten Wein genommen wird. Analog formulierte Enthaltsamkeitsaussagen finden sich dort in Bezug auf die Priester (Lev 10,9), die Nasiräer (Num 6,3), Israel in der Wüste (Dtn 29,5; s. zu Lk 7,33), die Mutter Simsons innerhalb einer Geburtsankündigung (Ri 13,4.7.14), was in LibAnt 42,3 auf Simson selbst übertragen wird, sowie Samuel (1.Sam 1,11LXX: oènon kaÑ mfijusma o§ p‡etai «Wein und Bier wird er nicht trinken»). Obwohl Johannes damit nicht zu einem Nasiräer gemacht wird, fließen die genannten Texte insofern in das lk Johannesbild ein, als sie den Alkoholverzicht als Merkmal von Menschen darstellen, die in besonderer Nähe zu Gott stehen. – Die dritte Aussage schließlich qualifiziert Johannes durch den Rückgriff auf zwei alttestamentliche Motive, die im Prätext zwar miteinander konvergieren, an keiner Stelle aber wie hier unmittelbar miteinander verknüpft werden: Zum einen ist dies die Vorstellung, dass Gott bestimmte Einzelpersonen dadurch auszeichnet, dass er ihnen seinen Geist ad hoc als Gabe zueignet, um sie zu Mittlern seines Handelns am Gottesvolk zu machen. Lukas konnte diese Vorstellung im AT z. B. in Bezug auf Josef (Gen 41,38); Mose (Num 11,17; Jes 63,10 ff); die sog. „Richter“ (Ri 3,10; 6,34; 11,29); Simson (Ri 14,6.19; 15,14); Saul (1.Sam 10,6.10; 11,6); David (1.Sam 16,13) und vor allem in Bezug auf Propheten (Num 11,25.29; 1.Sam 10,6.10; 19,20.23; Neh 9,30; Jes 42,1; 61,1; Ez 11,5; 37,9; Hos 9,7; Joel 3,1; Mi 3,8; Sach 1,6; 7,12) finden (s. auch Jub 31,12; LibAnt 28,6; Josephus, Ant. 6,166.222; 8,408). Zum anderen nimmt er das Motiv der Berufung von Propheten „von Mutterleib an“ auf, das in Jes 44,2.24; 49,1; Jer 1,5 (s. auch Gal 1,15 sowie Ri 13,5; 16,7) deren vorgängige Erwählung und Einsetzung in ihre prophetische Aufgabe kennzeichnet. Neu und analogielos ist bei Lukas nun, dass er beides miteinander verbindet: Die noch nie dagewesene Verleihung des Geistes „noch“ (≤ti) im Mutterleib hebt Johannes über alle bisherigen Propheten hinaus (s. auch 7,26) und verleiht ihm einen alle bisherigen Mittler überragenden Status (in V. 35 wird dies in Bezug auf Jesus noch einmal gesteigert), der sich damit auch auf seinen prophetischen Auftrag überträgt: Er wird zum Mittler eines bislang einzigartigen Handelns Gottes an seinem Volk. In 16–17 lässt Lukas den Engel darlegen, worin Johannes’ Auftrag an Israel besteht: 16 Zunächst wird ihm ganz allgemein die ‚klassische‘ Prophetenfunktion übertragen: Israel zur Umkehr zu seinem Gott zu bewegen (vgl. 2.Chr 24,19; Neh 9,26). Dass dies hier anders als in V. 14 mit einer Einschränkung versehen wird, ist zwar nicht zu übersehen, sollte aber angesichts der personalen Ausrichtung der Aussage nicht überbewertet werden (s. auch Mal 2,6), denn herausgestellt wird nicht der Misserfolg, sondern der künftige Erfolg des Propheten (s. auch Dan 12,3). In 17 konkretisiert Lukas den prophetischen Auftrag des Johannes dadurch, dass er ihn in die traditionelle Elia-Erwartung einzeichnet. In Mal 3,1.23 f wird die endzeitliche Wiederkehr des vor seinem Tod in den Himmel entrückten Propheten Elia angekündigt, der dem zum Gericht kommenden Gott als Wegbereiter vorausgehen wird, um den Zorn Gottes von Israel abzuwenden. Belege für diese Erwartung finden 79

1,17

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sich in Sir 48,10; 4Q558,4; VitProph 21,3 (Ep 2); 4.Esr 6,26; OrSib 2,187 f; im Neuen Testament wird sie in Mt 11,14; Mk 6,15par.; 8,28parr.; 9,11 fpar. (s. auch Apk 11,3 ff) reflektiert (vgl. den Überblick bei Öhler, Elia, 1 ff; s. auch Bill. IV, 779 ff). Mit dieser Verknüpfung lässt Lukas den Engel zudem ein überaus wichtiges Signal geben: dass nämlich die Zeit der Erfüllung der prophetischen Heilsverheißungen angebrochen ist. Gleichzeitig teilt er seinen Lesern damit erstmals expressis verbis mit, dass er in seinem Geschichtswerk nicht einfach eine weitere Epoche der Geschichte Israels erzählt, sondern dass seine Darstellung von der eschatischen Erfüllung der Heilshoffnung Israels handelt. Johannes wird aber nicht mit dem erwarteten Elias redivivus gleichgesetzt, auch wenn Lukas ihn zunächst in Anknüpfung an Mal 3,1 als Vorläufer Gottes darstellt (17a). Wenn es heißt, dass Johannes diese Aufgabe „im Geist und in der Kraft Elias“ ausführen wird, so ist damit gesagt, dass er als authentischer Repräsentant Elias agieren wird, ohne mit ihm identisch zu sein (vgl. auch 2.Kön 2,9.15 über Elisa). Pneúma und d‚nami“ werden häufig miteinander verknüpft (vgl. nur die Genitivverbindungen in SapSal 5,23; 11,20; LibAnt 27,10; 2.Tim 1,7 [s. auch die zu 4,14 genannten Texte] bzw. die Koordinationen in 1Q15,6 f; Lk 1,35; Apg 10,38; 1.Kor 2,4; 1.Thess 1,5), so dass man das Begriffspaar an dieser Stelle durchaus als Hendiadyoin verstehen kann (vgl. B/D/R § 442,9b). Es handelt sich insofern um Legitimations‑ und Autorisationsbegriffe, als man denjenigen vertritt, von dem man pneúma und d‚nami“ bekommen hat (vgl. z. B. noch Jes 42,1/6LXX; Mi 3,8; LibAnt 36,2; Lk 24,49; Apg 1,8; Apk 13,2; EpApost 30[41]; MartAndr 1 [II/1,46,11–13 Lipsius / Bonnet]: „Und jetzt ist über einen jeden von uns gefallen die d‚nami“, die vom Himmel herabkommt, und ausgegossen ist über uns das Geschenk toú ®g‡ou pne‚mato““). In 17b–c wird mit Hilfe von zwei kaskadierenden Infinitiv-Konstruktionen das Ziel des prophetischen Auftrags beschrieben: 17b ist als zeugmatischer Parallelismus membrorum gestaltet. Der Beginn verweist zwar inhaltlich auf Mal 3,24(23), in der sprachlichen Gestaltung orientiert er sich jedoch weniger an der Septuaginta-Fassung dieses Verses (üpokatastflsei kard‡an patrÖ“ prÖ“ u´·n «zurückbringen wird er das Herz des Vaters zum Sohn») als an Sir 48,10 (†pistrfiyai kard‡an patrÖ“ prÖ“ u´·n «hinwenden wird er das Herz des Vaters zum Sohn») und am hebräischen Text, dem der Gebrauch der Pluralformen patfirwn und tfikna entspricht. Die häufig gestellte Frage, auf welchen Text Lukas zurückgreift (vgl. Jung* 103 ff), geht an der Intention der Formulierung vorbei, denn er will hier nicht zitieren, sondern lediglich Eliatypologie auf Johannes übertragen. Die Interpretation der Fortsetzung in 17d–e und ihrer Zuordnung zum ersten Teil der Aufgabenbeschreibung ist umstritten (vgl. den Überblick über die unterschiedlichen Lösungsversuche bei Marshall). Lukas will sicher nicht das Gegenüber von „ungehorsam“ und „gerecht“ auf das Gegenüber von „Väter“ und „Kinder“ bezogen wissen (und zwar weder in paralleler noch in chiastischer Zuordnung). Die generalisierende Begrifflichkeit legt es vielmehr nahe, dass Lukas hier über Mal 3,24 hinausgeht und nicht mehr nur die zwischenmenschlichen Beziehungen im Blick hat, sondern das Gottesverhältnis: ‚Ungehorsam‘ kennzeichnet die Weigerung Israels, auf Gott zu hören (vgl. Lev 26,15; Num 20,10; Dtn 9,23; Jes 30,9; 65,2; Ez 3,27), während für die ‚Gerechten‘ das Gegenteil gilt. Als prophetische Aufgabe wird Johannes dementsprechend analog zu V. 16 die Herbeiführung von Umkehr zu Gott zugeschrieben (†n steht hier wie auch oft im NT für e¢“; vgl. B/D/R § 2183); s. auch TestDan 5,11: †pi­ 80

1,8–25: Die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers

1,20

strfiyei kard‡a“ üpeijeõ“ prÖ“ k‚rion «hinwenden wird er die ungehorsamen Herzen zum Herrn» als Bestandteil von Gottes eschatischem Heilshandeln an Israel. – Dadurch wird auch die Verknüpfung mit 17c hergestellt, wo das Ziel des von Johannes wahrzunehmenden Auftrags summarisch zusammengefasst wird: Er soll dafür sorgen, dass Gott bei seinem Kommen ein ihm entsprechendes Heilsvolk vorfindet. ©toim›zein und kataskeu›zein hat Lukas wohl aus Mk 1,2 f übernommen (Busse* 171 f), wo beide Verben in Bezug auf Johannes miteinander verbunden sind (Lukas hat sie in 3,4–6 und 7,27 dann wieder voneinander getrennt). Johannes wird hier ohne jede Einschränkung als Vorläufer Gottes dargestellt (s. auch V. 76), während er dann später de facto als Vorläufer Jesu fungiert. Für diese Spannung ist nicht die Verarbeitung einer schriftlichen Quelle oder die Abhängigkeit von mündlicher Überlieferung täuferischer Provenienz verantwortlich; sie verweist vielmehr auf eine wesentliche Komponente der lk Christologie: dass nämlich Jesus derjenige ist, durch den sich die heilvolle Zuwendung Gottes zu seinem Volk vollzieht. Sein Widerlager innerhalb der lk Jesuserzählung findet dies z. B. in 7,16; 10,22; 11,20; 19,9. 18 Lukas lässt Zacharias mit denselben Worten nach einem Zeichen fragen, mit denen schon Abraham auf die Landverheißung reagiert hatte (Gen 15,8: katÅ t‡ gn„somai Ωti …; «woran werde ich erkennen, dass …?»; s. auch Ri 6,36 fLXX). Auch der Einwand, mit dem er seine Frage begründet, aktualisiert noch einmal die Geschichte Abrahams und Saras (vgl. die analogen Reaktionen in Gen 17,17; 18,12). An diesem Erzählelement haftet also durchaus nichts Überraschendes und Ungewöhnliches (zum Septuagintastil der Formulierung s. o. bei V. 7). Das ändert sich dann aber in der Antwort des Engels: 19 In der für Erscheinungserzählungen charakteristischen Weise gibt der Engel zunächst seine Identität bekannt (zur Verwendung von †g„ e¢mi in anderen Gattungsexemplaren vgl. z. B. Gen 26,24; 31,13; Tob 12,15; JosAs 14,8; slawHen 69,5; 70,3; 72,5; Mk 6,50parr.; Lk 24,39; Apg 9,5; 22,8; Apk 1,17; CorpHerm 1,2). Gabriel (hebr. laeyrib.G: = „der Starke Gottes“) gilt in der jüdischen Angelologie als einer der vier (s. äthHen 9,1; 40,9 f; 54,6; 71,8) bzw. sieben (äthHen 20) sog. Erzengel, die als „Thron­ engel“ (vgl. Apk 1,4) oder „Angesichtsengel“ (Jes 63,9; Ez 1,6; Jub 1,27; 1Q28b 4,25) in unmittelbarer Nähe Gottes stehen (vgl. Apk 8,2) und damit in besonderer Weise an Gottes Heiligkeit (s. äthHen 20) und Herrlichkeit (s. slawHen 21,1.3) partizipieren (vgl. K.E. Grözinger: TRE 9,587 f); er kommt also hier gewissermaßen ‚von höchster Stelle‘. Ein gezielter Verweis auf Dan 9,21, wo derselbe Engel zur Zeit des Abendopfers erscheint, um das Geheimnis der 70 Wochen zu erklären, dürfte nicht intendiert sein: Bei Lukas bleibt offen, welches der beiden täglichen Opfer gerade dargebracht wird. Im Unterschied zu Dan 9 erscheint Gabriel hier im Tempel, und darum hat Lukas auch kein Interesse am Zeitpunkt des Opfers, sondern nur am Kasus als solchem, denn anders hätte er Zacharias erzählerisch nicht in den Tempel hineinführen können. – Es folgt die Angabe des Botenauftrags (üpest›lhn ist Passivum divinum; vgl. Dan 10,11; Tob 12,14; griechBar 1,4; 4.Esr 4,3; TestAbrA 7,11; ApkAbr 10,7.14; s. auch slawHen 1,8; 39,2; 72,5; syrBar 56,1); innerhalb von Geburtsankündigungen ist e§aggel‡zesjai auch in Josephus, Ant. 5,277.282 belegt. 20 Die Erzählung nimmt nun eine überraschende Wendung. Dem Zacharias wird zwar das erbetene Zeichen gewährt, doch handelt es sich dabei um ein Strafzeichen: 81

1,21

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Der Engel qualifiziert die Bitte um ein Zeichen und deren Begründung (V. 18) als Ausdruck des Unglaubens (20b) und belegt Zacharias zur Strafe mit Stummheit (in Dan 10,15 hat das Verstummen einen ganz anderen Grund; zur Formulierung der Strafe s. bei 13,11). ünjû ón steht für üntÑ to‚twn Ωti; ntl Parallelen gibt es in Lk 12,3; 19,44; Apg 12,23; 2.Thess 2,10 (vgl. darüber hinaus Spicq, Lexicon I, 122 ff). Diese Reaktion kommt insofern überraschend, als die Bitte um ein Zeichen oder das Vorbringen von Einwänden von Seiten der Erscheinungsempfänger sonst nie mit derartigen Sanktionen geahndet wird – schon gar nicht bei Abraham, nach dessen Vorbild V. 18 gestaltet ist. Auch Marias Einwand in 1,34 bleibt folgenlos. Mit der schroffen Reaktion des Engels nimmt die Erzählung hier also eine recht extravagante Wendung. Von welcher narrativen Strategie sie geleitet ist, wird deutlich, wenn man sich die Konsequenzen des Verstummens des Zacharias und ihrer zeitlichen Befristung vor Augen führt (bis wann sie andauert, wird hier nicht genau gesagt; auf Grund des anaphorischen taúta können die Leser aber schon jetzt wissen: mindestens bis zur Geburt des Kindes): Zum einen wird dadurch sichergestellt, dass Zacharias niemandem von den Worten des Engels erzählen kann – vor allem nicht seiner Frau, deren Reaktionen auf ihr Schwangerwerden (V. 25) und auf das Hüpfen des Kindes in ihrem Leibe beim Besuch Marias (V. 41–45) dadurch vom Wissen ihres Mannes und vom Wissen der Leser abgekoppelt werden. Nur die Leser können darum auch den Zusammenhang zwischen den erzählten Episoden herstellen. (Dass Zacharias sich auch hätte schriftlich mitteilen können [vgl. V. 63], wird ganz offensichtlich nicht ins Kalkül gezogen.) Zum anderen schafft Lukas sich dadurch innerhalb der erzählten Zeit einen mehr als neunmonatigen Zwischenraum, bis Zacharias die Sprache wiedergewinnt. Mit der Befristung der Strafe wird dieser Zeitraum von vornherein als begrenzt gekennzeichnet, und Lukas ruft dadurch bei den Lesern die Erwartung hervor, dass noch erzählt werden wird, wie Zacharias wieder reden kann. Er wird diese Zeit nutzen, um in ihr die Ankündigung der Geburt Jesu und den Besuch Marias bei Elisabeth zu erzählen (V. 26–56). Die abschließende Betonung, dass die Ankündigungen e¢“ (statt †n; vgl. B/D/R § 206,1) tÖn kairÖn a§tùn „erfüllt“ werden, artikuliert erstmals den für das Geschichtsverständnis des Lukas zentralen Gedanken, dass das von ihm erzählte Geschehen nach einem von Gott festgelegten Plan ablaufen wird (zum Sprachgebrauch vgl. TestNaph 7,1: deõ taúta plhrwjönai katÅ kairÖn a§tùn «dies muss erfüllt werden zu seiner Zeit»; s. auch TestJos 19,5). 21 Lukas lenkt den Blick nun unvermittelt auf die vor dem Tempelgebäude wartende Volksmenge, die er dort in V. 10 erzählerisch geparkt hatte, und er beschreibt mit Hilfe eines Gedankenberichts (vgl. Vogt, Aspekte, 157 ff) deren Wahrnehmung der Situation (der Plural †ja‚mazon nach la·“ ist Constructio ad sensum; vgl. B/D/R § 134,1). Nach mTamid 7,2 spenden die Priester nach dem Abschluss des Rauchopfers von den Stufen der Tempelvorhalle aus den aaronitischen Segen (Num 6,24–26; s. auch Sir 50,19 f). Offenbar setzt Lukas diese Praxis auch hier voraus. 22 Zacharias müsste jetzt also reden, was er aber nicht kann (22a). Lukas hatte das Volk also nur zu dem Zweck vor dem Tempelgebäude warten lassen, um eine Szene schaffen zu können, die das sofortige Eintreten des verhängten Strafzeichens dokumentiert. Dass die Verwunderung über das lange Verweilen des Zacharias im Tempelgebäude (V. 21b) der Erkenntnis weicht (22b), dass ihm dort eine Erscheinung 82

1,8–25: Die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers

1,24

widerfahren war, kann Lukas die Menge aus Zacharias’ Stimmverlust schließen lassen, weil Erscheinungen derartige Folgen haben können (vgl. Dan 10,15–17; Apg 9,8 f). Über den tatsächlichen Grund des Verstummens und über deren Befristung sind sie aber natürlich nicht orientiert; beides wissen nur Zacharias und die Leser. In 22c berichtet Lukas schließlich noch, dass Zacharias sich durch Gesten verständlich zu machen sucht; diane‚ein bezeichnet häufig die Kommunikationsweise von Menschen, die nicht reden können oder wollen (vgl. Vita Aesopi 4; Diodorus Siculus 17,37,5; Plutarch, Mor. 63b; Lukian v. Samosata, Verae Hist. 2,44; Bis Accus. 15; Salt. 64). 23 Die Notiz über die Rückkehr des Zacharias in seinen Wohnort nach Beendigung der einwöchigen Dienstpflicht seiner Priesterabteilung (s. zu V. 5) entspricht V. 8 und markiert den erzählerischen Abschluss der ersten Episode. Den Septuaginta-Stil des Satzes belegen in Bezug auf kaÑ †gfineto Æ“ Gen 27,30; 39,13; Dtn 5,23; Jos 2,7 u. ö. (s. auch Lk 1,41; 2,15; 19,29) sowie in Bezug auf †plflsjhsan a´ ™mfirai Gen 25,24; Lev 12,4.6; Esth 1,5; 2,12; Tob 10,1; Jes 60,20 (s. auch 1,57; 2,6.21.22; Jung* 170 ff). 24 Es folgt noch ein Epilog, in dem Lukas von der episodischen Erzählweise in den Berichterstatterstil wechselt. Kennzeichnend für ihn ist eine hohe Raffungsintensität, d. h. eine gesteigerte Differenz zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit: Ein einziger Satz umgreift einen Zeitraum von fünf Monaten. Das einzige Ereignis, das Lukas aus dieser Zeit für berichtenswert hält, ist die Tatsache, dass Elisabeth nach der Rückkehr ihres Mannes schwanger wurde und damit der erste Schritt zur Erfüllung der Ankündigung des Engels (V. 13c) getan ist. Bevor er nun aber von dem zweiten Schritt, der Geburt, berichtet, unterbricht er den Zeitablauf der Erzählung durch die Mitteilung, dass Elisabeth sich fünf Monate lang verborgen hielt. Durch die Angabe des Zeitraums wird bei den Lesern die Erwartung erzeugt, dass sich im 6. Monat etwas Erzählenswertes ereignen wird. Der Grund für Elisabeths Verhalten wird nicht innerhalb der erzählten Welt zu finden sein, sondern nur, wenn man es auf seine narrative Funktion hin befragt: Lukas will mit dieser Mitteilung – und insofern verfolgt sie dieselbe Intention wie Zacharias’ Stummheit – sicherstellen, dass keine andere Erzählfigur von Elisabeths Schwangerschaft erfährt, damit sie in V. 36 als Beglaubigungszeichen fungieren kann (s. auch Brown*, Birth; Fitzmyer; C.F. Evans u. a.). Anders lässt sich nicht erklären, warum Elisabeth ihr Verhalten nach fünf Monaten ändert, d. h. genau in dem Moment, in dem Lukas die „Enthüllung“ ihrer Schwangerschaft für Marias Besuch bei ihr benötigt. Etwas Ähnliches berichtet slawHen 71,3 von der Mutter Melchisedeks, die schwanger wurde, obwohl sie alt, unfruchtbar und enthaltsam war; als sie das merkte, „wurde sie schamrot und schämte sich und verbarg sich alle Tage, bis sie gebar; und niemand von dem Volk erfuhr [es]“ (Übers. C. Böttrich). Lukas und der Verf. von slawHen 71 werden sich dieses Verhalten sicher nicht damit erklärt haben, dass Elisabeth bzw. die Mutter Melchisedeks sich fünf Monate lang bzw. für die gesamte Dauer ihrer Schwangerschaft versteckt haben (vgl. auch die diesbezüglichen Anfragen von Strelan*). Beide Autoren haben sich diese Aktion vermutlich so vorgestellt, dass die beiden Frauen ihre Schwangerschaft durch entsprechende Kleidung verheimlicht haben, was in den ersten fünf Monaten nicht besonders schwer ist. Zugunsten dieser und ganz entschieden gegen die von Strelan* 94 vorgetragene Interpretation, Elisabeth hätte lediglich ihr Gesicht verschleiert, um auf diese Weise deutlich zu machen, „that the Lord looked down in mercy to remove her reproach by making her pregnant“ spricht auch Lukian v. Samosata, Dial. Mort. 20,8 (diesen Text hat Strelan* übergangen): Als der Philosoph im Jenseits seinen Mantel ablegen muss, kommen Unmengen von Lastern zum Vorschein, worauf Hermes zu ihm sagt: o§ lfilhjen g›r me, e¢ kaÑ m›la perikr‚ptei“ a§t› «sie sind mir nicht verborgen, auch wenn du sie gern verstecken möchtest».

83

1,25

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

25 Lukas lässt Elisabeth ihre Schwangerschaft als Folge der gnädigen Zuwendung Gottes deuten und illustriert damit zum einen ihre Frömmigkeit, zum anderen aber auch ihre Unkenntnis der Worte des Engels über die Bedeutung des Kindes für Israel (Zacharias ist ja stumm geworden und konnte ihr nichts von der Erscheinung im Tempel erzählen). Den darauf bezogenen Kommentar kann nur Zacharias selbst liefern (V. 68–79), weil nur er weiß, was es mit dem Kind auf sich hat. Die Formulierungen, die Lukas der Elisabeth in den Mund legt, lehnen sich an die Worte an, mit denen Rahel auf die Geburt Josefs reagiert (üfeõlen ¨ je·“ mou tÖ µneido“ «weggenommen hat Gott meine Schande»; Gen 30,23), und sollen der Erzählung biblisches Kolorit geben. Vgl. aber auch 4.Esr 9,45: „Er (sc. Gott) sah meine Erniedrigung, achtete auf meine Bedrängnis und gab mir einen Sohn.“ 1,26–38: Die Ankündigung der Geburt Jesu 26

Im sechsten Monat aber wurde der Engel Gabriel von Gott in eine gali­ läische Stadt namens Nazareth gesandt, 27zu einer Jungfrau, die mit einem Mann namens Josef verlobt war, der aus dem Hause David stammte, und der Name der Jungfrau (war) Maria. 28Und er trat bei ihr ein und sprach: „Sei gegrüßt, Begnadete, der Herr (ist) mit dir!“ 29Sie aber geriet auf Grund der Anrede in Bestürzung und überlegte sich, was das wohl für ein Gruß sein könnte. 30Und der Engel sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast bei Gott Gnade gefunden. 31Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du wirst ihm den Namen Jesus geben. 32Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Und Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. 33Er wird über das Haus Jakob herrschen bis in Ewigkeit, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“ 34 Maria aber sprach zum Engel: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann kenne?“ 35Der Engel antwortete und sprach zu ihr: „Heiliger Geist wird auf dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deswegen wird auch das Kind heilig genannt werden, Sohn Gottes. 36Und siehe: Elisabeth, deine Verwandte, auch sie hat einen Sohn empfangen – in ihrem Alter –, und sie ist im sechsten Monat, die als unfruchtbar gilt; 37denn kein Wort, das von Gott kommt, wird unwirksam bleiben.“ 38Maria aber sprach: „Siehe, (ich bin) die Sklavin des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort“. Und der Engel verließ sie. Literatur: s. o. S. 69. – Außerdem: J.A. Fitzmyer, The Virginal Conception of Jesus in the New Testament, in: ders., To Advance the Gospel, New York 1981, 41–78. – Kügler, Pharao, 274–288. – D.T. Landry, Narrative Logic in the Annunciation to Mary (Luke 1:26–38), JBL 114 (1995) 65–79. – S. Lyonnet, Caõre kecaritwmfinh, Bib. 20 (1939) 131–141. – Ders., Der Verkündigungsbericht und die Gottesmutterschaft Marias, ORPB 65 (1964) 129–138.164–170.193– 199. – H. Merklein, Ägyptische Einflüsse auf die messianische Sohn-Gottes-Aussage des Neuen Testaments, in: ders., Zwischen Jesus und Paulus II (WUNT 105), Tübingen 1998, 3–30. – R. Meynet, Dieu donne son nom à Jésus. Analyse rhétorique de Lc 1,26–56 et de 1 Sam 2,1–10, Bib. 66 (1985) 39–72. – S. Muñoz Iglesias, El procedimiento literario del anuncio previo en la Biblia, EstB 42 (1984) 21–70. – F. Ó Fearghail, Announcement or Call? Literary Form and Purpose in Luke 1:26–38, PIBA 16 (1993) 20–35. – I. de la Potterie, Kecaritwmfinh en Lc 1,28, Bib. 68

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1,26–38: Die Ankündigung der Geburt Jesu

1,26–38

(1987) 357–382. – A. Aparicio Rodríguez, La vocación de Maria a la maternidad (Lc 1,26–38), Eph.Mar. 43 (1993) 153–173. – K. Stock, Die Berufung Marias (Lk 1,26–38), Bib. 61 (1980) 457–491. – Strauss, Davidic Messiah, 87–97.126–129.

Die Übereinstimmungen mit der ersten Episode (1,8–23) sind nicht zu übersehen. Fast durchweg handelt es sich dabei aber um Elemente, die für die Form von Erscheinungsberichten generell spezifisch sind (s. o. die Einleitung zu 1,8–25): (a) das Erschrecken des Erscheinungsempfängers (V. 29a / V. 12); (b) die Aufforderung des Erscheinenden mÉ foboú (V. 30b / V. 13b); (c) die Rede des Erscheinenden (V. 31–33), die hier wie dort eine Geburtsankündigung mit denselben Elementen enthält: (a) Ansage der Geburt eines Kindes (V. 31b / V. 13d); (b) Auftrag zur Namengebung (V. 31c / V. 13e); (g) Beschreibung der Bedeutung des Kindes (V. 32–33 / V. 15–17). Außerdem ist es in beiden Erzählungen der Engel Gabriel, der von Gott ausgesandt wird (V. 26 / V. 19) und die Geburtsankündigungen überbringt; außerdem reagieren beide Adressaten auf die Ankündigung mit einem Einwand (V. 34 / V. 18). Der Engel antwortet darauf in unterschiedlicher Weise (vgl. V. 19 mit V. 35) und lässt beiden mit der Einleitung kaÑ ¢do‚ ein Zeichen zukommen (V. 36 / V. 20). Der formgeschichtliche Befund erlaubt freilich keinerlei überlieferungsgeschichtliche Rückschlüsse, obwohl er natürlich ausschließt, dass beide Texte unabhängig voneinander entstanden sind (s. auch Radl* 296). Die Parallelen nötigen jedoch weder zu der Annahme, dass die beiden Erzählungen oder ein Grundbestand von ihnen schon vor Lukas literarisch miteinander verbunden gewesen waren, noch zu einem diachronischen Textentstehungsmodell, demzufolge Lukas eine der beiden Fassungen bereits weitgehend vorgefunden und dann nach ihrem Muster die jeweils andere gestaltet hat. Die Entsprechungen finden ihre hinreichende Erklärung vielmehr darin, dass es sich um interspezifische Formelemente der Gattung Erscheinungserzählung handelt, die Lukas als Bestandteil seiner sprachlichen Kompetenz zur literarischen Erschaffung entsprechender Gattungsexemplare zur Verfügung standen. Eine Abhängigkeit der zweiten von der ersten Erzählung ist lediglich auf der literarischen Ebene in Rechnung zu stellen, insofern Lukas nämlich die Ankündigung der Geburt des Johannes vor derjenigen der Geburt Jesu niedergeschrieben hat. Dementsprechend gibt er den Lesern auch deutliche Signale, die sie zu einer sukzessiven (und nicht vergleichenden!) Lektüre der beiden Erzählungen veranlassen sollen (V. 26.36). Man wird Lukas darum für den ersten Erzähler auch dieser Episode zu halten haben. Dass er dabei im Einzelnen auf christologische und biographische Traditionen aus der christlichen Überlieferung zurückgegriffen hat, widerspricht dem nicht, denn es ist nicht damit zu rechnen, dass sie vorlukanisch bereits durch einen narrativen Zusammenhang miteinander verbunden waren. Mindestens ebenso auffällig wie die Gemeinsamkeiten sind aber auch die Differenzen zwischen den beiden Realisierungen der Form: Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass die Botenaussage in der ersten Episode noch Bestandteil der an Zacharias gerichteten Selbstvorstellung des Engels war (V. 19), während sie nunmehr als Mitteilung des Erzählers an die Leser formuliert ist (V. 26). Sie wird dadurch zu einem expositionellen Element innerhalb des Anfangsrahmens der Erzählung, das sogar noch der Vorstellung Marias und ihres Verlobten vorausgeht. Nur die Leser erfahren dadurch, wer zu Maria kommt; sie selbst erfährt bis zum Schluss nicht, wer ihr Besucher ist. Und wenn Lukas darüber hinaus auch auf weitere Auskünfte über Gabriel verzichtet, so wird darin erkennbar, dass er bei seinen Lesern das durch die Lektüre 85

1,26

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

der vorangegangenen Episode erworbene Wissen voraussetzt und den Engel als eine schon bekannte Erzählfigur auftreten lässt. Für die Leser wird dadurch der in 1,26–38 beginnende Erzählstrang als Teil einer übergeordneten Haupthandlung identifizierbar. Diese Haupthandlung wiederum kann als solche daran erkannt werden, dass beide Episoden einen gemeinsamen Handlungssouverän haben, der das Geschehen jeweils in übereinstimmender Weise in Gang setzt, und das ist natürlich niemand anderer als Gott, der Gabriel zweimal hintereinander aussendet. Er schickt ihn zwar in zwei unterschiedliche Orte und zu zwei verschiedenen Menschen, doch sind beide Erzählfäden als zwei Stationen einer Handlung miteinander verflochten. Welche Handlung das ist, indiziert eine weitere Konvergenz zwischen beiden Episoden: der gemeinsame Bezug beider Texte auf Israel und seine eschatologische Heilserwartung (V. 16 f.33). Beide Episoden schildern damit zwei aufeinander folgende Abschnitte eines einzigen Handlungsstrangs, in dem Lukas erzählt, wie Gott die Initiative zur Erfüllung der eschatologischen Hoffnungen seines Volkes ergreift. 26 Lukas löst zunächst die in V. 24 evozierte Erwartung der Leser ein, dass nach Ablauf von fünf Monaten der Schwangerschaft Elisabeths etwas passieren wird, indem er die erneute Sendung Gabriels in den 6. Monat datiert. Die Präposition üp· (toú jeoú) kennzeichnet Gott als den Auftraggeber der Aussendung (vgl. die sprachlichen Analogien in [2.]Esr 7,14; 1.Makk 15,17; Plutarch, Cor. 30,4; Vita Aesopi 119: üpest›lhmen üpÖ toú jeoú l·gou“ tinÅ“ prÖ“ sÇ ünaggeõlai «wir sind von Gott geschickt worden, um dir einige Worte mitzuteilen»; s. auch Gal 1,1). Zum Ziel der Sendung führt Lukas die Leser in V. 26b–27 in zentripetaler Erzählweise hin. Die Identifikation der individuellen Person, der die Sendung gilt, erfolgt erst ganz am Schluss und fungiert dadurch als Klimax. Durch das Medium der narrativen Imagination wird auf diese Weise der Weg des Engels nachvollzogen: Zunächst ist ganz unbestimmt nur von einer Stadt in Galiläa die Rede, die dann in einem zweiten Schritt namentlich identifiziert wird. Die namentliche Vorstellung Nazareths durch Ôî µnoma N. (also Relativpronomen im Dativ + µnoma mit Wegfall von †st‡n [vgl. B/D/R § 128,3]) ist hier vermutlich ein Septuagintismus (vgl. Gen 24,29; 38,1; Hiob 1,1; 42,17; DanSusTheod. 45; DanBel 2.3; hebr. jeweils „NN Amv.W“; s. auch TestLevi 11,1). Sie findet sich aber auch in der nichtjüdischen Gräzität (z. B. Xenophon, Anab. 2,4,13; Arrian, Anab. 1,29,1; Philostratus, Vit. Apoll. 8,18; Diogenes Laertius 1,95). Im Neuen Testament ist sie nur bei Lukas belegt (s. noch 1,27; 2,25; 8,41; 24,13; Apg 13,6). Nazarfit (Mt 2,23; Mk 1,9; Joh 1,45.46) oder Nazarfij (Mt 21,11; Lk 1,26; 2,4.39.51; Apg 10,38) oder Nazar› (Lk 4,16 par. Mt 4,13), heute en-na¯sira (hebr. trcn) liegt in Untergaliläa, ca. 6 km südlich von Sepphoris. Bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. ist es außerhalb des Neuen Testaments weder literarisch noch inschriftlich erwähnt. Es muss sich also um ein kleines und gänzlich unbedeutendes Dorf gehandelt haben, und mitunter wird sogar daran gezweifelt, dass es zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. überhaupt als Wohnort existierte (z. B. V. Wagner, Mit der Herkunft Jesu). Jesu Herkunft aus Nazareth wäre dann aus den nicht mehr verstandenen Bezeichnungen Nazwraõo“ und Nazarhn·“ (s. dazu bei 18,36–37) erschlossen worden (s. dazu H. Kuhli, EWNT 2,1117). Doch das ist noch unwahrscheinlicher, denn einen Ort, den keiner kennt, kann auch keiner aus einem unverstandenen Beinamen erschließen. – Zur archäologischen Situation vgl. B. Bagatti, Excavations in Nazareth, 2 Bde., 1969/2002; V. Tzaferis / B. Bagatti, Nazareth, NEAEHL III, 1103–1106; Tsafrir u. a., Tabula Imperii Romani, 194.

27 Lukas nähert sich dem Ziel der Sendung des Engels weiterhin schrittweise an; die Person, zu der er geschickt ist, wird zunächst durch die Nennung ihrer Eigenschaften näher bestimmt: Es handelt sich um eine Jungfrau, die mit einem Mann verlobt ist. 86

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Lukas hat diese biographische Information, wie die Übereinstimmung mit Mt 1,18 erkennen lässt, aus der Überlieferung übernommen. Über deren Alter und Herkunft lässt sich nicht mehr sagen, als dass sie wohl aus Kreisen des hellenistischen Judenchristentums stammt. Dass die Institution der Verlobung aufgegriffen wurde, um Marias Status zu beschreiben, hat seinen Grund darin, dass man die aus der Jesustradition überkommene Information, derzufolge Josef als Vater Jesu (Lk 3,23; 4,22; Joh 1,45; 6,42) und Ehemann Marias (Mt 1,16) bekannt war, mit der Vorstellung der Geburt Jesu von einer Jungfrau ausgleichen musste. Nach dem zeitgenössischen jüdischen Recht waren beide Partner damit juristisch verbindlich aneinander gebunden, wobei die junge Frau zwar weiterhin in ihrem Elternhaus lebte und noch keinen Geschlechtsverkehr mit ihrem Verlobten hatte, aber doch in rechtlicher Hinsicht als dessen „Frau“ galt (vgl. dazu Bill. II, 393 ff). Lukas nutzt die Gelegenheit, um erst noch Marias Verlobten vorzustellen, und zwar namentlich und seiner Herkunft nach. Bei Maria fehlt demgegenüber eine solche Angabe, die sich im Übrigen auch bei Elisabeth fand (vgl. V. 5). Die Hervorhebung der davidischen Abstammung Josefs (zur Formulierung †x o¥kou Dau‡d vgl. 1./3.Esr 5,5) ist unerlässlich, weil Lukas sich Jesu Davidsohnschaft selbstverständlich als durch Josef vermittelt vorstellt, obwohl der bei der Zeugung keine Rolle spielt. Dadurch wird in Verbindung mit dem Motiv der Jungfrauengeburt sichergestellt, dass allein Gott es war, dessen Initiative sich die Herstellung dieser Verbindung verdankte (s. auch Strauss* 128). Gott hat sich also ganz gezielt eine Jungfrau ausgesucht, die mit einem Davididen verlobt war. Erst ihre Verlobung mit Josef hat Maria darum nach lk Verständnis geeignet gemacht, Jesu Mutter zu werden. Ganz zum Schluss der Exposition wird dann auch die Adressatin von Gabriels Sendungsauftrag namentlich identifiziert und sind die Leser zusammen mit ihm bei Maria angekommen. Zur namentlichen Vorstellung Josefs durch ó µnoma s. bei V. 26. – ûIwsflf ist die griechische Transkription von hebr. @seAy (möglicherweise eine Kurzform von hy"p.siAy = „Möge JHWH hinzufügen“ [vgl. Esr 8,10]; zur Namenserklärung vgl. Gen 30,23.24); s. auch Ilan, Lexicon, 150 ff. – Mari›m ist die griechische Transkription von hebr. ~y"r>mi (die Bedeutung ist unklar); vgl. Ex 15,20.21 u. ö. sowie Ilan, a. a. O., 242 ff.

28 Die Begegnung Gabriels mit Maria wird nicht wie bei Zacharias unter Rückgriff auf den Visionsterminus ∑fjh (s. V. 11) beschrieben, sondern mit Hilfe des Allerweltsausdrucks e¢selján pr·“ (a§tfln) (vgl. im NT Mk 6,25; 15,43; Apg 16,40; 17,2; Apk 3,20), den Lukas in Apg 10,3 in Verbindung mit einer Angelophanie verwendet (s. auch Gen 20,3). Es kann sich aber auch auf eèpen beziehen. Der Erzähler beschreibt also eine nahezu normale Besuchsszene. Dem wird in V. 29 entsprechen, dass Maria anders als Zacharias nicht über den Anblick des Engels erschrickt, sondern über dessen Gruß. Lukas verfolgt damit zweifellos die Intention, Marias gläubige (s. V. 45) Zustimmung zur Geburtsankündigung noch profilierter hervortreten zu lassen. Der Besuchscharakter der Szene findet auch darin seinen Ausdruck, dass der Engel Maria im Unterschied zu Zacharias begrüßt, wobei die Formulierung des Grußes nicht nur Maria in V. 29, sondern auch die Lukasinterpreten nach seiner Eigenart und Bedeutung hat fragen lassen. Dies gilt bereits für die salutatio caõre (vgl. die Diskussion bei Brown*, Birth, 321 ff): Hierbei handelt es sich um die normale griechische Begrüßungsformel (vgl. A. Strobel: ZNW 53,92 ff; H. Conzelmann, 87

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ThWNT 9,351,15 ff; 357,23 ff; im NT: Mt 26,49; 28,9; Mk 15,18parr.), die aber auch in einigen alttestamentlichen Texten als Aufruf zur Freude über Gottes eschatisches Heilshandeln an Israel belegt ist (Joel 2,21; Zeph 3,14; Sach 9,9; s. auch 1QM 12,13). In den zwei bzw. drei letztgenannten Texten wird „(die Tochter) Zion“ angeredet, was zu der Annahme geführt hat, dass Lukas mit der Begrüßung auf diese Stellen (und zwar vor allem auf Zeph 3,14–17) Bezug nehmen und Maria als ‚Tochter Zion‘ darstellen wollte (z. B. Lyonnet*; Laurentin* 64 ff.148 ff). Eine solche Anspielung wäre jedoch viel zu unbestimmt, und darüber hinaus legt auch die narrative Position von caõre am Beginn der Besuchsszene nichts anderes als ihr Verständnis als Begrüßung nahe. Außerdem ist derselbe Gruß auch in anderen Erscheinungserzählungen belegt, und zwar jeweils im Munde der Erscheinenden und gefolgt von einer Prädikation des Erscheinungsempfängers (ParJer 7,2: caõre … ¨ o¢kon·mo“ tö“ p‡stew“ «sei gegrüßt …, treuer Verwalter»; griechApkEsr 2,2: caõre, pistÇ toú jeoú ±njrwpe «sei gegrüßt, treuer Mensch Gottes»; s. auch TestAbrA 2,3: ca‡roi“ timi„tate p›ter, dika‡a yucfl, f‡le gnflsie toú jeoú «sei gegrüßt, ehrenwertester Vater, gerechte Seele, wahrer Freund Gottes»; 16,9; griechBar 11,6 f). Die lk Formulierung dieser Prädikation (kecaritwmfinh; s. dazu de la Potterie*) nimmt die salutatio paronomastisch auf. Ihre Bedeutung erläutert V. 30b: Maria hat bei Gott Gnade gefunden, d. h. Gott hat sie erwählt (s. u.). Das Perfekt des überaus seltenen Verbs carit·w (vgl. Bauer, Wörterbuch, s. v.) bringt den vorgängigen Charakter dieser Erwählung zum Ausdruck, und logisches Subjekt des Passivs ist Gott (Passivum divinum). Der Engel macht also eine Aussage über ein bereits erfolgtes Handeln Gottes an Maria. Am Schlussteil seines Grußes (¨ k‚rio“ metÅ soú) fällt auf, dass von Gottes MitSein als Feststellung und zu Beginn eines Erscheinungsberichts gesprochen wird, denn normalerweise wird es dem Erscheinungsempfänger erst am Schluss für die Zukunft als Verheißung zugesagt (vgl. Dtn 31,23; 1.Chr 28,20; Jub 12,29 f; 1QGenApocr 22,30 f; Mt 28,20; EpApost 30[41]; s. dazu Berger, Auferstehung, 434 f.505 f.535). In derselben Position und ebenfalls als Feststellung findet sich dieses Motiv innerhalb eines Erscheinungsberichts lediglich in Ri 6,12 (in Ruth 2,4 als Grußwunsch), was vielfach zu der Annahme geführt hat, dass Lukas hier auch von einer „Berufung“ Marias erzählen wollte (und zwar zur Mutterschaft; z. B. Stock* 461 ff; Ó Fearghail*; Rodríguez*; Radl* 280 f). Dies dürfte jedoch kaum zutreffen, denn zum einen sind die übrigen dafür in Anschlag gebrachten Formelemente („fürchte dich nicht!“; Einwand; Ausräumung des Einwands) nicht für Berufungsgeschichten spezifisch, und zum anderen ist in den ebenfalls immer wieder als Parallelen angeführten Berufungstexten Ex 3,11 f und Jer 1,4–8 von Gottes Mit-Sein erst als Reaktion auf den Einwand die Rede (s. auch Ri 6,15 f). Außerdem ist die lk Erzählung anders als die genannten Berufungserzählungen nicht an einer künftigen Aufgabe Marias, sondern an der ihres Sohnes orientiert (s. auch Muñoz Iglesias*). Es liegt darum sehr viel näher, die Aussage an dieser Stelle mit Texten wie Gen 26,3; 28,14 f; 39,3; Dtn 20,1; Jos 3,7; Jer 15,20 f; Hag 2,4–6 zu verbinden (s. auch Apg 18,9 f sowie die Ausbreitung des atl Materials bei van Unnik, Dominus vobiscum) und als Erwählungszuspruch zu verstehen: Sie fungiert als pragmatisches Pendant zu der voraufgegangenen Prädikation und sagt Maria verbindlich die bleibende Zuwendung und Bewahrung Gottes zu (vgl. auch van Unnik, ebd., bes. 377 f). 88

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29 Maria erschrickt gattungsgemäß (s. bei V. 12), aber anders als Zacharias nicht über das, was sie sieht, sondern über das, was sie hört. Lukas lenkt damit die Aufmerksamkeit der Leser noch einmal auf die Worte des Engels zurück, und er verstärkt dies noch, indem er Maria stellvertretend für die Leser in Form eines Gedankenberichts nach der Bedeutung des Grußes fragen lässt. Sie macht die Leser damit auf ein offenkundiges Missverhältnis aufmerksam: dass nämlich ein erwählungstheologisch derart aufgeladener Gruß eines Engels an eine gänzlich unbedeutende Jungfrau in einer gänzlich unbedeutenden galiläischen Stadt ergeht (vgl. Green* 461 ff). Vermittels der Reaktion Marias bringt Lukas zum Ausdruck, dass Gott bei der Realisierung seines eschatologischen Heilsplans für Israel überraschende und unerwartete Wege geht. Damit klingt hier erstmals und mit aller Zurückhaltung ein Thema an, das sich noch verstärken und das gesamte Doppelwerk bis zu seinem Ende in Apg 28,23–28 durchziehen wird. 30 Die Einleitung zur eigentlichen Geburtsankündigung (V. 31–33; zur Form s. bei V. 13–17) ist derjenigen der ersten Episode (V. 13a–c) weitgehend parallel gestaltet: mÉ foboú (s. dazu dort), Namensnennung, Begründung. Der einzige Unterschied von Belang ist, dass hier im Begründungssatz statt von Gebetserhörung (V. 13c) davon die Rede ist, dass Maria bei Gott Gnade gefunden hat. Erläutert wird damit zunächst die Prädikation kecaritwmfinh in V. 28. Dass „Gnade finden“ im allgemeinen soviel wie „gefallen“ (e§arestösai) bedeutet, notiert Philo, Leg. All. 3,78 (s. auch Immut. 109). Als traditionsgeschichtlicher Hintergrund für die Verwendung dieses Ausdrucks im vorliegenden Zusammenhang ist die in frühjüdischen Texten belegte Verknüpfung von „Gnade finden“ und Mitteilung von Offenbarung bzw. Eröffnung von Erkenntnis zu veranschlagen, die Gottes Auserwählten zuteil wird (vgl. Ex 33,13; Sir 3,18 f  LXX; JosAs 15,13; syrBar 28,6; 4.Esr 4,44; 5,56; 6,11 f; 7,75 u. ö.; vgl. Berger, „Gnade“, 5 ff). Die Formulierung verbindet hier also das Vorstehende mit dem Nachstehenden: Marias Erwähltheit findet ihren Ausdruck darin, dass ihr der Inhalt der in V. 31–33 folgenden Offenbarungsrede mitgeteilt wird. In 31–33 folgt nun die eigentliche Geburtsankündigung mit den drei bereits genannten formspezifischen Elementen (s. bei V. 13–17.30). 31 Gegenüber V. 13d–17 wird die Geburtsankündigung um die Ankündigung der Empfängnis (31a) erweitert, wie sie sich auch in den Geburtsankündigungen Gen 16,11; Ri 13,3.5; Jes 7,14 findet (s. noch LibAnt 42,3). Eine gezielte Anspielung auf einen einzelnen dieser Texte (vgl. dazu die Darstellung bei Jung* 121 ff) wird man freilich nicht in diese Formulierung eintragen dürfen, denn dafür sind die terminologischen Entsprechungen nicht eng genug. Dies gilt auch für Jes 7,14, auch wenn dort statt ∫xei in einigen Handschriften lfl(m)yetai steht, denn zur intertextuellen Wiedererkennung wäre auch das nicht ausreichend (s. auch Fitzmyer* 75 f; Brown*, Birth, 300). In Mt 1,23 müssen die Leser dementsprechend auch ausdrücklich auf diese Querverbindung hingewiesen werden, damit sie sie wahrnehmen können. In 32–33 lässt Lukas den Engel in einer Reihe von fünf Aussagen die zukünftige Bedeutung des Kindes beschreiben. Sie sind wie die in V. 13–17 auf Johannes den Täufer bezogenen durch ka‡ parataktisch miteinander verknüpft. Hierbei sind die ersten beiden (32a.b) und die letzten drei (32c–33b) jeweils miteinander enger verbunden (vgl. auch den Subjektwechsel in 32c). 32 Die beiden ersten Aussagen bilden einen Parallelismus membrorum, der das Wesen des Kindes beschreibt, wobei das erste Glied durch das zweite inhaltlich näher be89

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stimmt wird. oñto“ ≤stai mfiga“ variiert V. 15a, ohne dass dabei aber der Unterschied zwischen Johannes und Jesus markiert wird, denn wenn mfiga“ als absolutes Prädikatsnomen in Bezug auf Personen gebraucht wird, kennzeichnet es nicht mehr als deren herausgehobene Macht‑ und/oder Würdestellung (vgl. z. B. Esth 10,3LXX; TestLevi 17,2; Mt 5,19; Mk 10,43par.; Lk 9,48; Apg 8,9); erst durch die Fortsetzung wird klargestellt, worin das mfiga“-Sein besteht. Am engsten mit 32a.b verwandt sind einige Horoskope bei Vettius Valens; zu beachten ist vor allem die begriffliche und syntaktische Entsprechung: 61,5 Kroll (mfiga“ ≤stai kaÑ kurie‚sei zwö“ kaÑ jan›tou «er wird groß sein und über Leben und Tod herrschen»); 66,10 Kroll (¨ genn„meno“ mfiga“ ≤stai kaÑ µclwn ™gflsetai kaÑ n·mou“ jflsetai «der Geborene wird groß sein und Volksmengen anführen und Gesetze erlassen»); 67,14 Kroll (¨ genn„meno“ mfiga“ ≤stai kaÑ pollùn ügajùn kurie‚sei «der Geborene wird groß sein und über viele Gute herrschen»). Die ‚Größe‘ Jesu wird also darin bestehen, dass er „Sohn des Höchsten“ (also Gottes) sein wird. Als Gottestitel findet sich (¨) æyisto“ im NT noch Lk 1,35.76; 6,35; Apg 7,48 (s. auch zu 8,28); in der Septuaginta ist es als Wiedergabe von hebr. !Ayl.[, weit verbreitet (u. a. Num 24,16; Dtn 32,8; 2.Sam 22,14; Y 9,3; 17,14; 20,8; 45,5; vgl. ansonsten mit weiteren Belegen Hengel, Judentum, 544 ff; C. Colpe / A. Löw: RAC 16,1035–1056). klhjflsetai bezeichnet auch anderswo die Verleihung eines Status (z. B. Gen 21,12; Ex 12,16; 1./3.Esr 3,7; Jes 56,7; Sach 8,3; Mt 5,9.19; Lk 1,35; 2,23). Hierzu gibt es eine vieldiskutierte Parallele in 4Q246, einem möglicherweise zeitgleich mit dem Danielbuch entstandenen Text (die Handschrift stammt aus frühherodianischer Zeit). In ihm geht es um einen König, von dem zunächst u. a. gesagt wird: „[und er wird sein] groß über die Erde“ (a[ra l[ hwhl br [awhw]; 1,7). Danach heißt es (2,1):

rmaty la yd hrb Er wird Sohn Gottes genannt werden, ayqyzk hnwrqy wyl[ rbw und Sohn des Allerhöchsten wird man ihn rufen. Obwohl die Diskussion über diesen Text noch nicht abgeschlossen ist (vgl. U.B. Müller, „Sohn Gottes“, 2 ff; J. Zimmermann, Observations), kann man doch soviel sagen, dass hier keine messianische Heilsgestalt, sondern ein fremder Gewaltherrscher beschrieben wird, der den Sohn-GottesTitel usurpiert (anders u. a. Zimmermann, ebd.). Dies entspricht auch seiner Verwendung in der außerjüdischen Umwelt des frühen Christentums, wo von Ägypten aus (hier galt der Pharao seit alters als Sohn des Sonnengottes; vgl. Kügler* 15 ff) seit Alexander d.Gr. der Sohn-Gottes-Titel zu einem geläufigen Bestandteil der Herrscherideologie geworden war, während das Judentum der hellenistisch-römischen Zeit – wohl um sich von diesem Verwendungszusammenhang abzugrenzen – gegenüber der Verbindung von Messiasfunktion und Gottessohntitel zurückhaltend blieb; der einzige sichere Beleg dafür ist die eschatologische Interpretation von 2.Sam 7,14 in 4Q174 3,10–13. Außerdem steht 32a.b den Horoskopen bei Vettius Valens (s. o.) deutlich näher als 4Q246 1,7, was die Bedeutung der Qumran-Parallele für den lk Text nicht unerheblich relativiert.

Die Übertragung des Sohn-Gottes-Titels auf Jesus in 32b wird in aller Regel als Prädikation des Messiaskönigs verstanden, der auf Grund seiner messianischen Inthronisation als Sohn Gottes gilt. Wie Röm 1,3 f als der wohl älteste Beleg für diese christologische Konzeption erkennen lässt, ist sie ursprünglich als Deutung der Auferstehung und Erhöhung Jesu formuliert worden, und zwar wahrscheinlich unter Anknüpfung an die Nathanverheißung von 2.Sam 7,12–14 (s. auch Apg 13,33; Hebr 1,5). In den beiden letztgenannten Texten wird auch Ps 2,7 zitiert, wo ebenfalls die Verbindung zwischen Messiaskönig und Gottessohn-Titel zum Ausdruck gebracht wird; außerdem steht dieser Text auch im Hintergrund der Prädikation Jesu durch die Himmelsstimme in 90

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Mk 1,11 (s. U.B. Müller, „Sohn Gottes“, 14 ff). Obwohl diese christologische Tradition auch in Lk 1,32b–c durchscheint, sollten die beiden Aussagen über die Gottessohnschaft Jesu (32b) und seine Einsetzung in die messianische Funktion des Königs über Israel (32c) an dieser Stelle nicht vorschnell miteinander verknüpft werden (s. auch Kremer, „Dieser …“, 142; Marshall; Strauss* 93). Lukas legt hier die beiden Elemente dieser Tradition eher auseinander und lässt den Engel zunächst Jesu Gottessohnschaft unabhängig von seiner messianischen Inthronisation feststellen (s. auch bei 4,41 und bei 22,67–70). Dies wird zum einen an der Strukturierung des christologischen Aussagegefüges erkennbar (s. o. sowie gleich im Folgenden) und zum anderen daran, dass in V. 35 nur das Zustandekommen der Gottessohnschaft Jesu begründet wird. Jesu Gottessohnschaft ist seiner Übernahme der messianischen Regentschaft vorgeordnet, und diese wird aus jener abgeleitet. Die Zusammengehörigkeit der drei Aussagen in 32c–33 wird daran erkennbar, dass die Begriffe jr·no“, basile‚ein und basile‡a zu ein und demselben semantischen Feld gehören. Sie weisen darüber hinaus ein unumkehrbares zeitliches Gefälle auf: 32c spricht von der Einsetzung Jesu in seine Regentenfunktion, und 33a–b thematisieren die Ausübung der Herrschaft in ihrer zeitlichen Erstreckung. Mit der Beschreibung der Funktion des Johannes in V. 16 f haben diese Aussagen zunächst gemeinsam, dass es hier wie dort um die eschatische Aufgabe geht, die die beiden jeweils für Israel wahrzunehmen haben. Nicht zu übersehen sind aber auch die Unterschiede: Zum einen wird Johannes als Prophet agieren, während Jesus die Funktion des Regenten übernehmen soll. Zum anderen impliziert die Johannes zugewiesene Aufgabe eine zeitliche Befristung, denn als Gottes Vorläufer (V. 17a) soll er Israel auf dessen Ankunft vorbereiten (V. 17c), während es von Jesu Herrschaft heißt, dass sie kein Ende haben wird. 32c „Thron Davids“ ist schon im AT metonymische Bezeichnung für die Institution des Königtums in Israel (1.Kön 2,33.45; Jes 6,9; Jer 13,13; 17,25; 22,2.4.30; 36,30; PsSal 17,6). Realisiert wird die Zusage, dass Jesus in die Funktion des königlichen Herrschers über Israel eingesetzt wird, nach lk Verständnis mit der Auferstehung und Erhöhung (vgl. Lk 23,42; 24,26; Apg 13,33 f). Um die Übernahme dieser Position auch in genealogischer Hinsicht zu legitimieren, wird noch zusätzlich die Abstammung Jesu von David betont, die an anderer Stelle sogar in biologischen Kategorien ausgedrückt werden kann (Apg 2,30: „Frucht seiner Lende“; 13,23: „aus seinem Samen“ wie Joh 7,41; Röm 1,3; 2.Tim 2,8). In 18,38 f entspricht dieser Vorstellung die Bezeichnung Jesu als „Sohn Davids“. Zur Vermittlung der Davidsohnschaft Jesu durch Josef s. bei V. 27. 33 Die beiden Vershälften bilden einen synonymen Parallelismus membrorum. Zu oèko“ ûIak„b als Synonym für Israel vgl. Ex 19,3; Jes 48,1; PsSal 7,10; LibAnt 44,8; 4.Esr 12,46 u. ö. basile‚ein †p‡ tina ist ein Septuagintismus (nach hebr. l[; %l;m'; vgl. Gen 37,8; 1.Sam 16,1; 1.Kön 8,9; 12,1; PsSal 17,21; in paganen griechischen Texten ist dieser Ausdruck nicht belegt). Mit der Ankündigung der ewigen Dauer von Jesu königlicher Herrschaft über Israel wird eine christologische Spitzenaussage formuliert, die weit über die traditionelle jüdische Messiaserwartung hinausgeht. In ihr laufen zwei Linien zusammen: Die eine Linie ist die in der Nathanverheißung gründende Erwartung des ewigen Bestehens der Dynastie Davids, d. h. des Nichtabreißens der Kette davidischer Regenten über Israel (vgl. 2.Sam 7,13.16; Ps 89,3–5; 132,11 f; Jes 9,6; Ez 37,25; PsSal 17,4; 1.Makk 2,57). Diese Erwartung verdichtet sich jetzt in der Herr91

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schaft eines einzigen Davididen, worin gleichzeitig die Implikation enthalten ist, dass es für ihn keinen Nachfolger mehr geben wird. Damit bringt Lukas zum Ausdruck, dass die biblische Verheißung in Jesus ihre endgültige und abschließende Erfüllung finden wird, die sogar den Archegeten der davidischen Dynastie selbst überbietet. Sein Widerlager hat dieses christologische Konzept in Apg 2,25–36; 13,32–37. Die andere Linie ist von nicht geringerer Bedeutung: Wenn es in 33b heißt, dass Jesu basile‡a kein Ende haben wird, so wird damit eine traditionelle Gottesprädikation auf ihn übertragen, denn nur von Gottes Königsherrschaft galt bisher, dass sie ewige Dauer haben wird (z. B. Ps 145,13; 146,10; Mi 4,7; Dan 2,44; 3,33; 4,31; 6,27; PsSal 17,1.3.46; Jub 1,28; äthHen 84,2; OrSib 3,49 f). Allein vom Menschensohn und vom „Volk der Heiligen des Höchsten“ wurde zuvor Ähnliches ausgesagt (Dan 7,14.27). Die Voraussetzung für diese Transformationen der überkommenen eschatologischen Konzeptionen ist natürlich darin zu sehen, dass Jesus von Beginn seiner Existenz an Sohn Gottes ist (s. V. 35). 34 Marias Frage bereitet notorische Interpretationsprobleme, weil sie nicht ganz zum bisherigen Erzählverlauf passt: Wenn Maria nach der Realisierung der Ankündigung fragt (toúto bezieht sich auf alles, was Gabriel in V. 31–33 gesagt hat; s. auch J.J. Kilgallen, ExpT 112 [2001] 413 f) und zur Begründung darauf verweist, dass sie noch niemals mit einem Mann sexuell verkehrt hat (zu ±ndra gin„skein in diesem Sinne vgl. Gen 19,8; Ri 11,39; 21,12), so ist dies im Munde einer verlobten Jungfrau nur schwer verständlich, denn was nicht ist, kann ja noch werden. Die Lösungsversuche sind ebenso zahlreich wie phantasievoll (vgl. die Überblicke bei Brown*, Birth, 303 ff; Marshall; Landry* 65 ff; Radl* 285 f). In der Gegenwart tendiert die Mehrzahl der Interpreten dahin, die Frage als ein von Lukas eingesetztes und auf die Leser berechnetes literarisches Hilfsmittel anzusehen, um dem Engel Veranlassung zu der Erklärung geben zu können, wodurch Marias Kind zum Gottessohn wird (vgl. u. a. Schürmann; Schneider; Schweizer; Brown*, Birth, 307 ff; Wiefel; auch die Parallelen der Formulierung bei Demosthenes, Or. 14,7; 22,26; Appian, Bell. Civ. 3,8,59; Epiktet, Diss. 2,14,9; 1.Clem 35,5 haben rein rhetorischen Charakter). Maria formuliert auch nicht einen Einwand, sondern fragt danach, wie die Ankündigung Gabriels ohne Mann bewerkstelligt werden kann. Diese Annahme hat um so mehr für sich, als Lukas dieselbe literarische Technik auch anderenorts gerne verwendet (z. B. Lk 2,48; 3,10.12.14; 10,29.40; 12,41; 22,9; Apg 1,6; 2,37; 8,34; 19,3; 21,38; vgl. Elbert, Observation). Die sonst schwer verständliche Begründung der Frage in 34b bekommt dann auch einen guten Sinn als indirekte Information für die Leser, dass Maria ihren Sohn nicht auf dem üblichen Wege empfangen wird (Brown*, Birth, 308). In 35 liefert Gabriel die erbetene Erklärung. Ihr Ziel ist Jesu Gottessohnschaft, und darum endet sie auch mit der nahezu wortgleichen Wiederaufnahme von V. 32b in 35d. Dabei ist wichtig, dass Lukas den Engel nicht erklären lässt, wie Marias Schwangerschaft ohne Mann zustande kommt, sondern warum ihr Kind heilig und Sohn Gottes sein wird. Die Antwort Gabriels geht insofern nicht ganz auf die Frage ein (was bei den Antworten auf die oben genannten literarischen Fragen in der Regel nicht anders ist), sondern enthält eine Leerstelle, deren Auffüllung Lukas der Imagination der Leser überlässt (s. u. bei 2,5–6). Die Argumentationsstruktur der Erklärung ist durchsichtig: 35b.c beschreiben mit Hilfe eines synonymen Parallelismus membrorum, was passieren wird, und in 92

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35d wird daraus die Folgerung gezogen. Für die Beschreibung des Wie greift Lukas wieder auf das Begriffspaar pneúma und d‚nami“ zurück (vgl. die Belege bei V. 17a; 4,14), nur kommen diese beiden Größen jetzt als Attribute Gottes in den Blick, als welche sie eine breite traditionsgeschichtliche Grundlage haben (z. B. SapSal 11,20; Philo, Leg. All. 1,37; Josephus, Ant. 4,119; 8,408; s. auch W. Grundmann, ThWNT 2,292 ff; F. Baumgärtel, ThWNT 6,363 ff; E. Sjöberg, ebd. 379 ff). Wenn Lukas hier Jesu Gottessohnschaft mit dem Geist Gottes in Verbindung bringt, so steht er damit insofern in Kontinuität zu der alten christologischen Tradition, als bereits sehr früh Jesu Einsetzung in diesen Status durch seine Auferweckung und Erhöhung als Werk des heiligen Geistes gedeutet wurde (vgl. Röm 1,4: †n dun›mei katÅ pneúma ®giws‚nh“; Röm 8,11; 1.Kor 15,45; 1.Tim 3,16; 1.Petr 3,18; s. dazu Horn, Angeld, 89 ff). Auch in Mk 1,10 f, wo sich Jesu Proklamation zum Sohn Gottes mit dem Herabkommen des Geistes auf ihn verbindet, ist dieser Zusammenhang erkennbar. Jesu Einsetzung in den Gottessohnstatus wird hier gewissermaßen an den Beginn seines irdischen Wirkens ‚vordatiert‘. Lukas geht nun noch einen Schritt weiter, indem er Jesu Gottessohnschaft in der Einwirkung des Geistes auf dessen Mutter begründet sein lässt (in Mt 1,18–23 wird dieser Zusammenhang nicht hergestellt; s. vielmehr 2,15); damit setzt er einen eigenen Akzent. Beide Glieder des Parallelismus membrorum kennzeichnen zweifellos ein und denselben Vorgang; wie die Leser ihn sich vorstellen sollten, sagt Lukas jedoch mit Bedacht nicht. Vom †pfircesjai des Geistes spricht er auch in Apg 1,8 (wie hier in Verbindung mit d‚nami“; s. auch Lk 24,49) und beschreibt diesen Vorgang im Pfingstgeschehen als Erfülltwerden durch den heiligen Geist (Apg 2,4); Jes 32,15 spricht in derselben Weise von Gottes eschatischem Heilshandeln an Israel. Damit ist natürlich eine sexuelle Konnotation im Sinne einer Geistzeugung, wie sie sich nach Plutarch, Numa 4,4 die Ägypter vorstellen („sie halten es nicht für unmöglich, dass das pneúma eines Gottes sich einer Frau nähert und gewisse Anfänge entstehenden Lebens darin erzeugt [tinÅ“ †ntekeõn ürcÅ“ genfisew“]“), ebenso ausgeschlossen wie die Annahme, dass †piski›zein als Euphemismus für den Geschlechtsverkehr zu verstehen sei. Der Begriff wird nicht im Sinne der Verdunkelung (so Norden* 92 f mit Verweis auf Philo, Immut. 3) gebraucht, sondern bezeichnet wie in Ex 40,35 (Mose konnte die Stiftshütte nicht betreten, „weil die Wolke sie überschattete [†pesk‡azen †pû a§tfln], und die Hütte von der Herrlichkeit des Herrn erfüllt war“; s. auch Num 9,18.22; 10,36; SapSal 19,7); Y 90,4; 139,8 („Herr, Herr, Macht meiner Rettung [d‚nami“ tö“ swthr‡a“ mou], du hast meinen Kopf überschattet [†pesk‡asa“; hebr. $ks] am Tag des Krieges“); Mk 9,7parr. die dynamistisch verstandene Manifestation der Gegenwart und des Heilswirkens Gottes (s. auch Kügler* 281 f). Die Ankündigung basiert auf derselben Geist-Vorstellung wie Apg 1,8 („ihr werdet empfangen d‚namin †pelj·nto“ toú ®g‡ou pne‚mato“ †fû ≠mô““). Diese Redeweise hat nur insofern etwas mit der Vorstellung von der Wirkung des Schattens zu tun, die in Apg 5,15 zutage tritt (vgl. P.W. van der Horst, Peter’s Shadow, NTS 23 [1977] 204–212), als sie die d‚nami“, die d·xa oder den heiligen Geist in metaphorischer Weise als ‚Abschattungen‘ Gottes versteht. – Dementsprechend kann 35c als christologische Folge formulieren, dass Jesus an der Heiligkeit Gottes Anteil erhält (vgl. Lk 2,23; 4,34; Apg 3,14; 4,27.30) und ihm der Status der Gottessohnschaft zuerkannt wird. Das substantivierte Partizip tÖ genn„menon ist eine in der griechischen Literatur geläufige Bezeichnung für das geborene Kind (vgl. 93

1,36

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z. B. Herodot 1,108; Plato, Leg. 775c.930d; Plutarch, Mor. 140 f.964e; Philo, Plant. 15; s. auch A. Fridrichsen, SO 6 [1928] 33 ff). Fazit: Für Lukas ist Maria zweifellos nicht durch Josef oder einen anderen Mann schwanger geworden. Andererseits sagt er weder, dass Jesus durch den heiligen Geist gezeugt wurde, noch erzählt er gar, wie Marias Schwangerschaft zustande kam. Er lässt diesen Aspekt vielmehr offen und überlässt ihn der Vorstellungskraft seiner Leser. Darüber hinaus steht hier nicht dieser Aspekt im Vordergrund, sondern die Tatsache, dass Marias Kind durch Gottes Geist und Kraft vom ersten Augenblick seiner Existenz an Sohn Gottes ist. 36 Wie in V. 20 wird mit kaÑ ¢do‚ die Angabe eines Zeichens eingeleitet. Maria ist damit in der erzählten Welt die erste, die von Elisabeths Schwangerschaft erfährt (dass die Angehörigen der himmlischen Welt selbstverständlich über alles informiert sind, zählt nicht). Suggen‡“ kennzeichnet ganz allgemein eine Verwandte. Lukas will damit weder indirekt zum Ausdruck bringen, dass auch Maria von Aaron abstammte, noch die Leser zu Spekulationen über den Verwandtschaftsgrad der beiden Frauen einladen. Maria muss Elisabeth vielmehr aus erzählerischen Gründen kennen, denn sonst wüsste sie weder von ihrer Unfruchtbarkeit noch von ihrem Alter und könnte auch mit der Angabe des Zeichens nichts anfangen. Hinzu kommt noch, dass Lukas nur unter dieser Voraussetzung die unverzügliche Reise Marias zu Elisabeth (V. 39) motivieren kann. In 37 lässt Lukas den Engel erklären, wofür Elisabeths späte Schwangerschaft ein Zeichen ist, und spielt dabei wieder auf den Abraham-Sara-Stoff an (vgl. Gen 18,14: mÉ üdunateõ parÅ tù jeù Øöma; «ist bei Gott etwa eine Sache unmöglich?»; 2.Chr 14,10: k‚rie, o§k üdunateõ parÅ soÑ s„zein «Herr, es ist bei dir nicht unmöglich zu retten»); s. auch Jung* 112 ff. Pragmatisch richtet sich die Erklärung darauf, dass Maria den Inhalt des Satzes auf die sie und ihr Kind betreffende Ankündigung übertragen soll. Die handschriftliche Variante tù jeù (a2 A C Q Y f [1.]13 33 M) ist nicht nur schlechter bezeugt als der Genitiv toú jeoú (a* B D L W X 565 pc), sondern auch Angleichung an Gen 18,14. parÅ toú jeoú ist dann nicht wie die Parallele in Gen 18,14 adverbiale Bestimmung zu üdunatflsei, sondern wie in Gen 41,32 (ülhjÇ“ ≤stai tÖ Øöma tÖ parÅ toú jeoú «diese bei Gott vorhandene Sache wird verwirklicht») adnominales Attribut zu pôn Øöma; s. auch Brown*, Birth, 292; Green. 38 Das letzte Wort in der Erscheinungsszene hat Maria. Das ist insofern überraschend, als sonst immer der Erscheinende das Abschlusswort spricht (LibAnt 53,12 ist nicht vergleichbar, weil es sich hier um eine eingebettete Figurenerzählung handelt). Der Nominalsatz in 38b findet seine engste Entsprechung in der Unterwerfungserklärung 2.Sam 9,6 und dürfte auch so gemeint sein. 38c artikuliert mit einer Formulierung, die zahlreiche Parallelen in paganen griechischen Texten hat (z. B. Aeschylus, Ch. 386; Xenophon, Cyrop. 6,3,11; Euripides, Med. 669; Lukian v. Samosata, Icaromen. 25; Dial. Mort. 7,2; Menander, Asp. 283), Marias Zustimmung, ohne dass aber die Verwirklichung der Ankündigung als davon abhängig gedacht wäre. Die Frage, ob Maria notgedrungen (z. B. Plummer) oder enthusiastisch (z. B. Brown*, Birth, 319) zustimmt, geht an der Intention des Textes vorbei. Lukas stellt Maria als eine Person dar, die nicht an der Realisierung der Ankündigung zweifelt, sondern ihr rückhaltlos Glauben schenkt (s. V. 45) – unabhängig davon, ob sie sich darüber freut oder nicht. Maria wird damit nicht nur zu einem christlichen Glaubensvorbild (Räisänen, Mutter, 106), sondern vor allem auch zu einer idealen Angehörigen Israels. Sie hat nämlich genau 94

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1,39–56

das getan, was die Mehrheit des Gottesvolkes später verweigern wird: den Worten der Boten Gottes zu glauben. Damit wird auch klar, warum Elisabeth fünf Monate lang ihre Schwangerschaft verheimlichen musste, denn hätte Maria von ihr gewusst, wäre ihre Reaktion in 38bc sofort entwertet worden. Seit altkirchlicher Zeit wird angenommen, dass Maria in dem Augenblick, in dem sie ihre Worte ausspricht (oder zumindest kurz danach), schwanger wird (vgl. z. B. aus neuerer Zeit Schürmann; Schneider; Nolland; dagegen Wolter*). Davon steht hier aber kein Wort. Anders als bei Elisabeth (s. V. 24) verzichtet Lukas überhaupt darauf, Marias Konzeption nicht im Ablauf der von ihm erzählten Zeit zu fixieren. Angesichts der besonderen Umstände, unter denen sie erfolgt sein muss, ist das auch nicht weiter verwunderlich (s. o. zu V. 35bc und u. zu 2,5). – Der Engel geht in 38d so, wie er in V. 28a gekommen ist.

1,39–56: Der Segen Elisabeths und das Gotteslob Marias 39Maria

aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Berg­ land, in eine Stadt Judas. 40Sie kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. 41Als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Bauch. Elisabeth wurde vom heiligen Geist erfüllt 42und rief mit lauter Stimme: „Du (bist) am meisten gesegnet unter den Frauen, und gesegnet (ist) die Frucht deines Leibes. 43Woher widerfährt es mir, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? 44Denn siehe, als die Stimme deines Grußes in meine Ohren drang, hüpfte voll Jubel das Kind in meinem Bauch. 45Selig (ist), die geglaubt hat, dass Erfüllung finden wird, was ihr im Auftrag des Herrn gesagt wurde.“ 46Und Maria sprach: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, 47 und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter, 48 denn er hat auf die Niedrigkeit seiner Sklavin geschaut. Denn siehe, von nun an werden mich alle Generationen preisen, 49 denn Großes hat mir getan der Mächtige, und heilig (ist) sein Name, 50 und sein Erbarmen (gilt) für alle Zeiten denen, die ihn fürchten. 51 Macht hat er ausgeübt mit seinem Arm, er hat zerstreut, die in der Gesinnung ihres Herzens hochmütig sind. 52 Er hat Mächtige entthront, und er hat Niedrige erhöht. 53 Hungernde hat er mit guten Sachen erfüllt, und Reiche hat er leer davongeschickt. 54 Angenommen hat er sich seines Knechtes Israel, eingedenk des Erbarmens, 55 wie er unseren Vätern gesagt hat, (dass es) Abraham und seinem Samen bis in Ewigkeit (gilt).“ 56Maria aber blieb ungefähr drei Monate lang bei ihr und kehrte in ihr Haus zurück. 95

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Literatur: s. o. S. 69. – Außerdem: S. Benko, The Magnificat. A History of the Controversy, JBL 86 (1967) 263–275. – R. Buth, Hebrew Tenses and the Magnifikat, JSNT 21 (1984) 67–83. – J.T. Forestell, The Old Testament Background of the Magnificat, MarSt 12 (1961) 205–244. – H. Gunkel, Die Lieder in der Kindheitsgeschichte Jesu bei Lukas, in: Festgabe von Fachgenossen und Freunden, 43–60. – E. Hamel, Le Magnificat et le renversement des situations, Gr. 60 (1979) 55–84. – A.v. Harnack, Das Magnificat der Elisabet (Luc. 1,46–55) nebst einigen Bemerkungen zu Luc. 1 und 2, in: ders., Kleine Schriften zur Alten Kirche, Leipzig, I 1980, 439–457. – H. Hommel, „der bald erhöhn, bald stürzen kann“, in: ders., Sebasmata II, 3–9. – B. Hospodar, Meta Spoudes in Lk 1,39, CBQ 18 (1956) 14–18. – G. Kennel, Frühchristliche Hymnen? Gattungskritische Studien zur Frage nach den Liedern der frühen Christenheit (WMANT 71), Neukirchen-Vluyn 1995, 141– 184. – H.-J. Klauck, Gottesfürchtige im Magnifikat?, NTS 43 (1997) 134–139. – J.V. Kozar, The Function of the Character of Elizabeth as the Omniscient Narrator’s Reliable Vehicle in the First Chapter of the Gospel of Luke, PEMBS 10 (1990) 214–222. – I.H. Marshall, The Interpretation of the Magnificat: Luke 1:46–55, in: Der Treue Gottes trauen, 181–196. – U. Mittmann-Richert, Magnifikat und Benediktus (WUNT 2/90), Tübingen 1996. – C.G. Müller, Mehr als ein Prophet, 113–122. – D. Schinkel, Das Magnifikat Lk 1,46–55 – ein Hymnus in Harlekinsjacke?, ZNW 90 (1999) 273–279. – L. Schottroff, Das Magnificat und die älteste Tradition über Jesus von Nazaret, EvTh 38 (1978) 293–312. – R. C. Tannehill, The Magnifikat as Poem, JBL 93 (1974) 263–275. – P. Winter, Magnificat and Benedictus – Maccabaean Psalms?, BJRL 37 (1954/55) 328–347. – York, The Last Shall be First, 44–55.

Lukas hat bisher zwei Geburtsankündigungen erzählt. Beide gingen von Gott aus und wurden durch ein und denselben Engel übermittelt. Den Zusammenhang der beiden Erzählstränge als Bestandteil einer übergeordneten Haupthandlung hat Lukas damit bisher ausschließlich sub specie Dei zum Ausdruck gebracht (vgl. V. 19.26); jetzt wird er auch sub specie hominum realisiert. Die narrative Funktion dieser Episode ergibt sich zudem aus ihrer Zwischenposition: Die ausstehenden Fortsetzungen der aufgebauten Spannungsbögen (Niederkunft Elisabeths und Konzeption Marias) bleiben noch unerzählt. Die handlungsbeschreibenden auktorialen Sätze in dieser Episode dienen vielmehr allein dem Zweck, Reden der Erzählfiguren in Szene zu setzen, die den Lesern die Deutung der übergeordneten Erzählhandlung vermitteln sollen. Diese Ausrichtung der Szene wird auch darin erkennbar, dass die Erzählung bis zu ihrem Ende in V. 55 nicht über die Situation der Begrüßung (V. 40) hinausgelangt. 39–40 Marias Reise zu Elisabeth wird wie der Weg Gabriels zu Maria (V. 26 f) erzählerisch nachvollzogen; auch hier nennt Lukas den Namen der Zielperson erst zum Schluss. Die Zeitangabe †n taõ“ ™mfirai“ ta‚tai“ gibt es im NT nur bei Lukas (s. noch 6,12; 23,7; 24,18; Apg 1,15; 6,1; 11,27) und in der Septuaginta nur sehr vereinzelt (Esth 9,22; Jdt 14,8; Sach 8,9.15). Sie ist auch in der paganen Gräzität zu weit verbreitet, um sie für einen Septuagintismus halten zu können (z. B. Xenophon, Hellen. 7,1,42; Thucydides 4,91,1; Diodorus Siculus 5,4,7; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 7,71,3; Cassius Dio 73,16,2). ünastôsa (… †pore‚jh) ist ein Septuagintismus (vgl. B/D/R § 419,2; s. Gen 13,17; 22,3; 24,10; 31,17; 2.Sam 15,9; im NT mit wenigen Ausnahmen [Mk 1,35; 2,14parr.; 7,24; 10,1; 14,57] nur bei Lukas: Lk 4,38; 15,18.20; 24,12; Apg 5,6.17; 8,27; 9,11.38; 22,10 u. ö.), und dasselbe gilt auch für die Formulierung e¢“ p·lin ûIo‚da (49mal in LXX). Das substantivierte Adjektiv ™ £reinfl ist als Bezeichnung für das Bergland zwischen der Schefela im Westen, dem Jordangraben im Osten und dem Negev im Süden schon in der Septuaginta gebräuchlich (z. B. Num 13,29; Jos 9,1; 10,40; Jer 40[33],13; s. auch Josephus, Ant. 12,313; Bell. 1,41). 96

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1,42

Über das Motiv der Reise schweigt Lukas sich aus, und das sollte auch ernstgenommen werden (s. Coleridge* 77). Lukas überlässt es den Lesern, sich einen plausiblen Grund für Marias Reise zu Elisabeth vorzustellen, und er kann dies auch ohne weiteres tun, denn ihre Motivation hat keinerlei Bedeutung für den Fortgang der Erzählung. Davon abgesehen wird das Vorstellungsvermögen der Leser hier überhaupt reichlich strapaziert, ist doch schon allein die Reise einer Jungfrau von Nazareth zu einem im judäischen Bergland liegenden Ort ein recht extravaganter Erzählzug. Lukas vermittelt seinen Lesern dies mit Hilfe der Präpositionalphrase metÅ spoudö“ (39b), die Marias Handeln als außergewöhnlich qualifiziert; ob er damit die Reisegeschwindigkeit oder Marias inneres Engagement (Hospodar*; Nolland) kennzeichnen will, kann offen bleiben. Doch ist es wohl gerade die erzählerische Extravaganz, auf die es Lukas hier ankommt, denn das Tun des Außergewöhnlichen wird von ihm im weiteren Verlauf seiner Darstellung immer wieder als die angemessene Reaktion auf die Verkündigung der Heilsbotschaft dargestellt (vgl. z. B. Lk 5,5.11.28; 9,59–62). 41 Marias Gruß setzt eine Folge von Reaktionen in Gang, die aber nicht auf seinem Inhalt beruhen, sondern allein darauf, dass Marias Stimme erklingt (darum spricht Elisabeth in V. 44 auch nur von der fwnfl des Grußes; der Unterschied zu V. 28 f ist evident; zu kaÑ †gfineto Æ“ s. o. bei V. 23). Lukas lässt zunächst das noch ungeborene Kind in Elisabeths Bauch reagieren und führt dessen Strampeln darauf zurück, dass Elisabeth den Gruß Marias hört. Die Leser können dieser außergewöhnlichen Koinzidenz entnehmen, dass die Ankündigung von V. 15c erfüllt ist. Die in der Literatur häufig anzutreffende Annahme, wonach Johannes bereits im Mutterleib in Wahrnehmung seiner prophetischen Aufgabe auf Jesus als den Gottessohn und Messias hinweise und sich ihm dabei gleichzeitig unterordne, geht am Aussagewillen des Textes vorbei: Jesus ist szenisch überhaupt nicht präsent (s. auch Coleridge* 81). Auf Grund von Elisabeths geistgewirkter Deutung in V. 44b ist vielmehr klar, dass Lukas das Strampeln des Johannes als Ausdruck eschatischen Jubels verstanden wissen will (zu dieser Konnotation von skirtôn vgl. SapSal 19,9; Mal 3,20; Lk 6,23; s. auch Nolland; Radl* 334). – Außerdem lässt Lukas den Himmel eingreifen und Elisabeth mit dem heiligen Geist erfüllen (†plflsjh markiert einen aktuellen Vorgang, der darum nicht von 1,15c her interpretiert werden darf). Herbeigeführt wird damit eine erzählerische Peripetie: Maria verliert ihre in V. 39 f aufgebaute Rolle als Protagonistin der szenischen Handlung und wird zur besprochenen Person, während Elisabeth, die bisher (fast) nichts wusste (s. zu V. 25), nun einen Wissensvorsprung gegenüber Maria und sogar gegenüber den Lesern erhält (s. auch Kozar* 216). Die Formulierung †plflsjh pne‚mato“ ®g‡ou ist typisch lk und hat hier wie auch in Lk 1,67; Apg 2,4; 4,8.31 (s. auch 13,9) die Funktion, dem Inhalt der jeweils folgenden Rede himmlische Herkunft zuzuschreiben. 42 Der erste Teil von Elisabeths inspirierter Rede besteht aus zwei Eulogien (42b.c). Die verbreitete Erklärung dieser Paarbildung, derzufolge die erste Eulogie nach dem Muster von Gen 14,19 f; Jdt 13,18 ihre Erklärung bzw. ihren Grund in der zweiten finde (z. B. Fitzmyer; Brown* 342; Nolland; Bovon), verkürzt den traditionsgeschichtlichen Befund und scheitert an 1.Sam 25,32 f; Tob 11,14.17a; PsSal 8,34; JosAs 15,12; Mk 11,9 f. Darüber hinaus neigen Eulogien auch zur Reihenbildung (vgl. Dtn 28,3–6; Tob 8,15–17; Dan 3,52–56). Die beiden Eulogien Elisabeths sind darum als ein synthetischer Parallelismus membrorum anzusehen. Die erste stellt fest, dass Maria auf 97

1,43

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Grund ihres Gesegnetseins eine herausragende Stellung unter den Frauen einnimmt (zur hebraisierenden Umschreibung des Superlativs durch den Positiv mit †n vgl. B/D/R § 245,2; s. auch Mt 22,36; Dtn 33,16LXX; Ri 5,24a und vor allem Hhld 1,8; 5,9; 6,1: jeweils ™ kalÉ †n gunaix‡n im Sinne von „die Schönste unter den Frauen“), und die zweite konstatiert, dass auch auf ihrem Kind Gottes Segen ruhen wird (vgl. dazu die Segenszusage in Dtn 28,4: e§loghmfina tÅ ≤kgona tö“ koil‡a“ sou kaÑ tÅ genflmata tö“ gö“ sou «gesegnet sind die Sprösslinge deines Leibes und die Erzeugnisse deines Landes»). Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass Lukas den Lesern an dieser Stelle indirekt mitteilt, dass Maria bereits schwanger ist (s. auch Spitta* 282 f), denn der Ausdruck karpÖ“ tö“ koil‡a“ ist semantisch viel zu unbestimmt, um die dafür erforderliche Eindeutigkeit herstellen zu können (vgl. den Überblick bei Wolter* 411 f): Er kann bereits geborene Kinder bezeichnen (z. B. Mi 6,7; Thren 2,20; TestAbrA 6,5; 4.Esr 10,12); ebenso wird von der ‚Leibesfrucht‘ des Mannes gesprochen (z. B. Ps 132[131],11 [LXX: karpÖ“ tö“ koil‡a“]; TestAbrA 8,6; LibAnt 32,2.4; 39,11). Allein in LibAnt 9,5 ist eindeutig von einem noch ungeborenen fructus ventris einer Frau die Rede. 43 Elisabeths Frage ist rhetorisch (als Kopula wäre gfigonen zu ergänzen, und der ºna-Satz ersetzt als epexegetische Ergänzung zu toúto den Infinitiv; vgl. B/D/R § 189,3; 394,3) und qualifiziert Marias Besuch bei ihr als Verstoß gegen die gesellschaftlichen Normen, weil die sozial Höhergestellte die Niedrigergestellte besucht (s. auch 2.Sam 24,21). Damit steht sie aber in einem offenkundigen Spannungsverhältnis zu dem sozialen Status, den Lukas den beiden Frauen in seiner Erzählung jeweils zugewiesen hat, denn auf Grund ihres Alters und durch ihren Mann nimmt Elisabeth in der sozialen Schichtung der erzählten Welt ganz zweifellos einen höheren Rang ein. Außerdem klingt hier nach V. 27 f erneut und schon etwas deutlicher das für Lukas typische Thema der Umwertung der Werte an, das Maria dann gleich in ihrem Hymnus ausführlich aufnehmen wird (vgl. York* 44 ff). Mit „mein Herr“ meint Elisabeth natürlich Jesus (denotative Bedeutung). Dass die signifikative Bedeutung dieses Ausdrucks von Ps 110,1 her (bei Lukas in Lk 20,42 f; Apg 2,34 zitiert) titularchristologisch aufgeladen sei (z. B. Nolland; Wiefel: „Bekenntnis“[!]; Brown* 344), ist mehr als zweifelhaft; dasselbe gilt auch für die Annahme, dass Jesus gegenüber Johannes aufgewertet werden soll (z. B. Marshall; Bovon; Böhlemann, Jesus, 21). Im Hintergrund dürfte vielmehr die Verwendung von k‚ri·“ mou als eines sozialen Relationsbegriffs stehen, wie er vor allem in der Septuaginta als Übersetzung von hebr. ynIdoa] im Munde der jeweils rangniedrigeren Person belegt ist (z. B. Gen 24,12.14.27; 24,35–38; 39,8; 1.Sam 25,25–31; s. auch Mt 24,48par.; Lk 16,3.5). Lukas lässt Elisabeth dadurch mit der Autorität des heiligen Geistes zum Ausdruck bringen, dass Gottes eschatische Heilszuwendung zu seinem Volk mit einer Aufhebung und Neuordnung der überkommenen Statuszuweisungen einhergeht (vgl. gleich im Folgenden das Magnifikat sowie dann 13,30; 22,25–27). In 44 lenkt Elisabeth den Blick zurück auf das Geschehen, durch das ihre Rede veranlasst wurde (V. 41). Sie erklärt ihre Reaktion auf Marias Gruß, indem sie auf das Strampeln des Kindes in ihrem Bauch verweist und es als Ausdruck eschatischer Freude qualifiziert (zu ügall‡asi“ in diesem Sinne s. bei 1,14 sowie Jes 35,10; 51,3.11; griechHen 5,9; TestJud 25,5; TestBenj 10,6; Jud 24; s. ansonsten R. Bultmann, ThWNT 1,19 f). 98

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1,46–55

45 Der abschließende Makarismus (zur Form s. bei 6,20) lenkt den Blick noch weiter zurück. Lukas aktualisiert hier das Wissen der Leser über den bisherigen Handlungsablauf, denn er lässt Elisabeth nicht nur die in V. 38 referierte Reaktion Marias auf die Ankündigung Gabriels bewerten, sondern er verweist auch auf die Bewertung, die Zacharias’ Reaktion auf die Worte desselben Engels in V. 20 erfahren hat (o§k †p‡steusa“). Damit stellt er die Empfänger der beiden Geburtsankündigungen einander gegenüber: Anders als Zacharias hat Maria den Worten des von Gott gesandten Boten geglaubt. Schwer zu entscheiden ist, ob der mit Ωti angeschlossene Nebensatz die Seligpreisung begründet (wie z. B. Mt 5,3–10; so u. a. Schweizer; Johnson; Fitzmyer) oder von piste‚ein abhängig ist (wie Apg 27,25: piste‚w … Ωti + ≤stai + laleõn Perf. Pass. mit Dativ; Tob 14,4a: piste‚w Ωti p›nta, ¡ eèpen ¨ je·“, suntelesjflsetai kaÑ ≤stai «ich glaube, dass alles, was Gott gesagt hat, vollendet werden und geschehen wird»; s. auch Mk 11,23; so u. a. Marshall; Bovon; Green). Auf Grund der Parallelen und weil das erstgenannte Verständnis Maria und den Lesern nichts Neues sagen würde, spricht mehr für die Annahme, dass Lukas mit dem Ωti-Satz den Inhalt von Marias piste‚ein kennzeichnen will. – Nahezu übergangslos folgt dann ein hymnisches Loblied. 46–55 Dass das Magnifikat insgesamt oder zum größten Teil vorlukanischer Herkunft ist und ursprünglich als selbständiger Hymnus existierte, kann als weitgehender Konsens gelten. Anderslautende Stimmen, die in ihm eine lk Komposition sehen oder dies zumindest für möglich halten, sind selten (z. B. Harnack* 75.84 f; Tannehill*; Schneider; Schmithals; Löning, Geschichtswerk I, 96 f; Green). Auseinander gehen die Meinungen jedoch – in Bezug auf die Herkunft der ursprünglichen Fassung: Ist ein allgemein-jüdischer (z. B. Gunkel*; Winter*; Marshall; Bovon; Kaut* 315 ff [für Magnifikat II]), ein jüdisch-täuferischer (z. B. Klostermann; Kaut* 311 [für Magnifikat I]) oder ein judenchristlicher (z. B. Schottroff*; Brown* 350 ff; Farris* 86 ff; Mittmann-Richert* 97 ff) Ursprung anzunehmen? – in Bezug auf die Originalsprache: Gab es eine hebräische Vorlage (z. B. Gunkel*; Farris* 31 ff; Marshall; Mittmann-Richert* 104 ff)? – in Bezug auf die Frage nach möglichen lk Zusätzen (vor allem V. 48 gilt häufig als nachträgliche Ergänzung; z. B. Brown* 356 f; Fitzmyer; Farris* 114). Allen Aussagen über eine wie auch immer geartete Vorgeschichte des Magnifikat ist gemeinsam, dass sie hochspekulativ sind und die jeweiligen Entscheidungen sich durchweg außerhalb eines objektivierbaren methodischen Plausibilitätssystems bewegen. Jede Aussage über eine vorlukanische Fassung des Textes wird zudem dadurch entwertet, dass immer auch mit der Möglichkeit von Auslassungen durch den Evangelisten gerechnet werden muss, was bei den zahlreichen Rekonstruktionsversuchen in der Regel unberücksichtigt bleibt. Für die Interpretation ist darum von einer möglichen Vorgeschichte abzusehen und vom vorliegenden Textbestand innerhalb seines literarischen Kontextes auszugehen; das Magnifikat soll darum ausschließlich als lk Komposition kommentiert werden (s. auch Tannehill* 264 f. 275; Schottroff* 303; Kennel* 181).

Mit der Einfügung eines poetischen Textes in die Erzählung orientiert Lukas sich an biblischen Vorbildern (vgl. dazu Lohfink* 109 ff); vgl. vor allem Ex 15,1–18.19–21; Dtn 32,1–43; Ri 5,1–31 (s. auch LibAnt 32,1–17); 1.Sam 2,1–10 (s. auch LibAnt 51,3– 6); 2.Sam 22,2–51; 1.Chr 16,8–36; Jon 2,3–10; Jdt 16,1–17; vgl. auch LibAnt 21,9 f; 59,4. Eine besonders enge intertextuelle Beziehung besteht zum Loblied Hannas in 1.Sam 2,1–10 (vgl. dazu Meynet*). Mit den genannten Texten gemeinsam hat das Magnifikat, dass es das zuvor in der erzählten Handlung geschilderte Eingreifen 99

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Gottes zugunsten seines Volkes hymnisch beantwortet (s. auch Green 101; Löning, Geschichtswerk I, 96). Außerdem ist beim Magnifikat schon immer aufgefallen, dass es durchgängig aus sprachlichen Versatzstücken zusammengesetzt ist, die sich so oder ähnlich in zahlreichen alttestamentlichen Texten finden (vgl. die Überblicke bei Forestell* 205 ff; MittmannRichert* 8 ff; Kennel* 155 ff sowie die Einzelnachweise jeweils z.St.). Vergleichbares lässt sich z. B. auch bei Jonas Psalm (Jon 2,3–10) und im Hymnus Judiths (Jdt 16,1–17) beobachten. Bei dieser Collage-Technik handelt es sich um ein literarisches Stilmittel, das für die Cento-Dichtung charakteristisch ist (vgl. Schinkel*). Ihm kommt hier die Funktion zu, Maria in der kulturellen Tradition Israels zu verankern. Lukas erweist sich damit einmal mehr als ein Historiker, der sein Handwerk vorzüglich beherrscht, denn er lässt seine Erzählfigur, eine jüdische Jungfrau aus Galiäa, eben genau so reden, wie es Lukian v. Samosata verlangt: „der Person und der Lage möglichst angemessen“ (Hist. Conscr. 58; vgl. auch Thucydides 1,22,1; s. Johnson 43). Kein Mensch erwartet von ihr, dass sie über Armut und Reichtum genauso denkt wie Lukas. Integraler Bestandteil der literarischen Fiktion ist dementsprechend auch, dass das Magnifikat von jeglichen christologischen Bezügen frei ist, denn Maria ist weder ein Engel wie Gabriel, noch ist sie vom heiligen Geist erfüllt wie Elisabeth (V. 41) und dann später Zacharias (V. 67). Lukas lässt sie vielmehr eine Deutung des erzählten Geschehens im Lichte der Erwählungsgeschichte Israels liefern, und er lässt sie dies mit den Worten tun, mit denen Israel schon immer das heilvolle Eingreifen Gottes zugunsten seines Volkes gepriesen hat. Im literarischen Kontext fungiert Marias Hymnus als Antwort auf die ihr durch den Engel zuteil gewordene Ankündigung, derzufolge ihr Sohn es sein wird, durch den Gott die eschatologischen Heilshoffnungen Israels erfüllt. Das Magnifikat bildet die Klimax des Jesusteils der sich unter Herodes d.Gr. abspielenden Episoden und steht darum auch an seinem Ende. Diese kontextuelle Relation bestimmt auch die Struktur des Textes, die eine außerordentliche Geschlossenheit aufweist. Wichtigstes kohärenzstiftendes Merkmal ist die Rede von Gott, von dem mit Ausnahme von V. 48b in jedem der 15 anderen Haupt‑ oder Nebensätze die Rede ist. Diese Kohärenz übergreift auf der Ausdrucksebene auch den Einschnitt zwischen V. 50 und V. 51 (s. dazu gleich), insofern Gott in V. 49a letztmals als Substantiv vorkommt (¨ dunat·“) und danach nur noch anaphorische Proformen auf ihn verweisen (V. 49b.50.51a.54a) oder er als implizites Subjekt im Prädikat steckt (V. 51ab.52.53abc.54ab.55). Es gibt auch nach der doxologischen Redeeröffnung (V. 46b.47) und wiederum mit Ausnahme von 48b kein Prädikat, dessen Subjekt nicht Gott (bzw. sein Name und sein Erbarmen [49b.50]) ist. Kohärenzstiftendes Element ist weiterhin die Wiederholung von Begriffen (vgl. Tannehill* 264): megal‚nei / meg›la (V. 46b.49a), tape‡nwsin / tapeino‚“ (V. 48a.52b), genea‡/gene›“ (V. 48b.50), †po‡hsen/†po‡hsen (V. 49a.51a), dunat·“/dun›sta“ (V. 49a.52a) und ≤leo“/†lfiou“ (V. 50a.54b). In semantischer Hinsicht schließlich zieht sich durch den gesamten Hymnus, dass Gottes Handeln Statuszuweisungen umkehrt, und zwar sowohl in Bezug auf die Sprecherin des Hymnus (V. 48–49a) als auch im Allgemeinen (V. 51–53). Damit sind auch diejenigen Signale im Blick, die unterhalb dieser Ebene eine Textgliederung indizieren: der Wechsel zwischen den Bezugsgrößen von Gottes Handeln. Nach der performativen Redeeinleitung (V. 46b–47) wird zunächst Gottes Handeln an 100

1,39–56: Der Segen Elisabeths und das Gotteslob Marias

1,46b–47

der Sprecherin des Hymnus thematisiert (V. 48–49a). Diese Ausrichtung wird durch zwei qualifizierende Nominalsätze abgeschlossen (V. 49b–50). V. 51–53 beziehen nach einer generalisierenden Einleitung (V. 51a) das in ihr zum Ausdruck gebrachte Handeln Gottes auf mit appellativen Substantiven gekennzeichnete Menschengruppen, die durchweg im pluralischen Objektsakkusativ benannt werden (≠perhf›nou“, dun›sta“, tapeino‚“, peinùnta“, ploutoúnta“). In V. 54–55 wechselt das Objekt dann wieder: Jetzt sind es Israel bzw. das semantisch isotope „Abraham und sein Same“, auf das Gottes Handeln bezogen wird. – Zusammengehalten wird dieser zweifache Wechsel durch eine semantische Achse, deren Anfangs‑ und Endpunkt durch die bedeutungsähnlichen Begriffe do‚lh a§toú (V. 48a) und paõ“ a§toú (V. 54a) markiert werden. Konstituiert wird diese Achse durch diejenigen, die durch Gottes Handeln eine Wendung zum Heil erfahren: die Sprecherin des Hymnus, die „Niedrigen“ (V. 53a), die „Hungernden“ (V. 53b) und Israel (V. 54a). 46a Auf Grund der handschriftlichen Überlieferung ist bis in die Gegenwart hinein umstritten, welche der beiden Frauen Lukas das Lied singen lässt (vgl. die Darstellung der Diskussion bei Benko*): Während die überwältigende Menge der Textzeugen (darunter alle griechischen) Maria als Sängerin nennt, wird es in drei altlateinischen Evangelienhandschriften (a b l*), in einigen Kirchenväterhandschriften und durch Nicetas v. Remesiana (5. Jh.) Elisabeth zugeschrieben. Für die Ursprünglichkeit dieser Lesart wurden vor allem innere Kriterien aufgeboten, von denen sich die gewichtigsten jedoch alle auch umdrehen lassen: (a) Ihre Erfüllung mit dem heiligen Geist (V. 41c) lasse es erwarten, dass sie auch geisterfüllt redet, doch legt es die Parallelität von V. 41c und V. 67 (Geisterfüllung des Zacharias) ebenso nahe, neben Zacharias auch Elisabeth einen Hymnus zuzuschreiben, wie die Tatsache, dass beide miteinander verheiratet waren. (b) In V. 56a wird Marias Name genannt, während auf Elisabeth mit einem anaphorischen Personalpronomen verwiesen wird. Dies indiziert eigentlich einen Subjektwechsel, macht aber gerade dadurch die Nennung von Maria in 46a zur Lectio difficilior. (c) Das Magnifikat orientiert sich am Lobgesang Hannas (1.Sam 2), die wie Elisabeth lange Zeit unfruchtbar war; seine Zuschreibung an die letztgenannte würde dieser Entsprechung Ausdruck verleihen. – Da es zudem für die seit Harnack* 443 f immer wieder favorisierte Annahme, in 46a habe überhaupt kein Name gestanden, keinen einzigen Textzeugen gibt, und weil das Magnifikat auch geeignet ist, einen substantiellen Beitrag ad maiorem gloriam Mariae zu liefern (vgl. den Umgang des ProtevJak mit ihm, das es zwar als Maria-Text kennt, es jedoch bis auf eine Anspielung auf V. 48b in 12,2 unterdrückt; s. dazu Kaut* 272 f), muss die äußere Bezeugung ausschlaggebend bleiben: Lukas hat das Magnifikat Maria in den Mund gelegt.

46b–47 Das Magnifikat beginnt mit einem synonymen Parallelismus membrorum, wobei der Wechsel vom Präsens zum Aorist (s. auch Y 41,2 f; 83,3) für letzteren ein gnomisches Verständnis verlangt (vgl. B/D/R § 333,2), wie es sich auch häufig in den Psalmen findet (z. B. Y 15,9; 55,5.12; 120,1; 121,1); auch Hannas Loblied beginnt in dieser Weise (1.Sam 2,1). Der Stil entspricht der Eröffnung der individuellen Danklieder (z. B. Ps 9,2 f; 30,2; 31,8; 138,1 f; 1.Sam 2,1; Sir 51,1), wobei hier das Ich des Beters durch ™ yucfl mou bzw. tÖ pneúm› mou umschrieben wird (auch dies ist in der Septuaginta geläufig; vgl. aus dem Psalter: Y 21,30; 33,3; 34,9; 41,2 f bzw. 76,7; 142,7; s. auch Hiob 6,4; Jes 26,9; 11Q05 19,8; dasselbe gilt für die Parallelisierung von yucfl mou und pneúm› mou: Hiob 7,15; Y 76,3 f; 142,6 f). megal‚nein und vor allem ügalliôn sind traditionelle Begriffe des Gotteslobs; (z. B. 2.Sam 7,22.26; Y 2,11; 9,3; 12,6; 31,11; 33,4; 68,31; 69,5; 103,1; s. auch Plutarch, Lyc. 14,3; 26,3; Diodorus Siculus 1,20,6 u. ö.; beide Verben zusammen: Y 34,27; 39,17). Eine besondere Nähe besteht 101

1,48

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

zu Y 34,9; Hab 3,18; Jes 61,10, insofern in diesen Texten vergleichbare syntagmatische Beziehungen vorliegen. 48 Das zweite Glied der Doppelaussage enthält mit der Apposition tù swtör‡ mou (s. auch Y 24,5; 26,1.9; 61,3.7; Mi 7,7; Hab 3,18; Jes 12,2) einen Überschuss gegenüber dem ersten, das Gott unter dem Aspekt seines Heilshandelns an der Sprecherin prädiziert und die Fortsetzung vorbereitet, denn in 48a wird wiederum im Stil der alttestamentlichen Hymnen (vgl. z. B. auch mit weitergehender terminologischer Berührung Ps 31,8) der Grund für den einleitenden Lobpreis genannt. Lukas setzt hier einen doppelten Verweis: (a) einen kontextuellen, auf Marias Selbstbezeichnung als do‚lh a§toú (V. 38a), der das Magnifikat mit seinem literarischen Kontext verklammert, und (b) einen intertextuellen, auf Hanna, und zwar mit Hilfe der unübersehbaren Anspielung auf 1.Sam 1,11 „wenn du wirklich auf die Niedrigkeit deiner Sklavin schauen wirst (†Ån †piblfipwn †piblfiyÔh“ †pÑ tÉn tape‡nwsin tö“ do‚lh“ sou) und deiner Sklavin einen Sohn gibst“; zur weiteren Verwendung von †piblfipein †p‡ s. bei 9,38. Weil Elisabeth – und nicht Maria – wie Hanna unfruchtbar war, hat vermutlich diese Entsprechung zur Entstehung der Textvariante in V. 46a geführt (s. o.). Es ist jedoch nicht die Beendigung der Unfruchtbarkeit Hannas, die hier das Tertium comparationis bildet, sondern die Änderung ihres sozialen Status durch Gott, indem er ihr einen Sohn schenkt. Erkennbar wird dies in Gen 29,32, wo Lea, die nicht unfruchtbar, sondern nur ungeliebt war, mit fast denselben Worten auf die Geburt Rubens reagiert (eèdfin mou k‚rio“ tÉn tape‡nwsin «der Herr hat meine Niedrigkeit gesehen»). Dem entspricht auch die sonstige Verwendung dieses Ausdrucks (z. B. Gen 31,42; Dtn 26,7; 1.Sam 9,16; 2.Kön 14,26; 2.Esr 19 [= Neh 9],9; Y 9,14; 24,18; 118,153; Thren 1,9; s. auch JosAs 11,12; 13,1; 15,3; 4.Esr 9,45): Überall geht es darum, dass Gott einen objektiv bestehenden Unheilszustand (tape‡nwsi“ darf also in 48b auf keinen Fall mit ‚Demut‘ wiedergegeben werden) aufhebt und in Heil überführt. Dass es auch in Bezug auf Maria um Statusumkehr geht, macht 48b sichtbar, denn mit dem folgernden ¢doÜ g›r wird unter Anspielung auf das Lea-Wort in Gen 30,13 ihre herausgehobene Stellung unter den Menschen zum Ausdruck gebracht. Die Seligpreisung aus V. 45 wird dabei hyperbolisch fortgeschrieben. Die Dimension, die hier in den Blick kommt („alle Generationen“), signalisiert den nicht mehr überholbaren eschatischen Charakter von Gottes Handeln in der Gegenwart (üpÖ toú nún; vgl. auch die vergleichbare Verwendung dieser Zeitbestimmung in Lk 5,10; 22,69); sie berührt sich insofern mit der Ankündigung der ewigen Herrschaft ihres Sohnes über Israel in V. 32. Zur Begründung wird in 49a wieder auf Gottes Handeln an ihr verwiesen (zur Bezeichnung Gottes als [¨] dunat·“ vgl. Y 23,8; Zeph 3,17; JosAs 8,9). Die Prädikation †po‡hsfin moi meg›la stellt das, was Gott an Maria getan hat, in eine Reihe mit seiner Befreiung Israels aus Ägypten (vgl. Dtn 10,21; 11,7; 2.Sam 7,23; Y 70,19; 105,21; EpArist 155 [Anknüpfung an Dtn 7,18]). Im Hintergrund dürfte hier 2.Sam 7,21 (s. auch 1.Chr 17,19) stehen, wo David in seiner Antwort auf die Nathanverheißung davon spricht, dass Gott pôsan tÉn megalws‚nhn ta‚thn «all diese Großartigkeit» getan habe, um sie ihm bekanntzugeben. David bezeichnet sich hier zweimal als doúlo“ (V. 20.21; s. Lk 1,48a), und auch das Stichwort megal‚nein (V. 46b) fällt im Kontext (2.Sam 7,22; in V. 23 erfolgt dann die Verknüpfung mit dem Exodusgeschehen). Da Lukas auch schon in V. 32 f auf die Nathanverheißung Bezug genommen hat, verweist 102

1,39–56: Der Segen Elisabeths und das Gotteslob Marias

1,51

der Begriff meg›la auf die dort zum Ausdruck gebrachte Heilsinitiative Gottes: die Erwählung der Verlobten Josefs zur Mutter des messianischen Gottessohnes. 49b–50 Zwei chiastisch (Prädikat, Subjekt / Subjekt, Prädikat) angeordnete Nominalsätze schließen den ersten Teil des Hymnus ab. Vergleichbare Prädikationen stehen auch in den alttestamentlichen Psalmen gerne im Anschluss an handlungsbeschreibendes Gotteslob (z. B. Ps 3,9; 111,9; 135,13). Das Begriffsmaterial der beiden Aussagen entspricht konventionellem Sprachgebrauch, mit dem auf Gottes rettendes Eingreifen reagiert wird (zur Heiligkeit des Namens: z. B. 1.Chr 16,35; Ps 111,9; 145,21; SapSal 10,20; zum Erbarmen über diejenigen, die Gott fürchten: Ps 103,11.17; Sir 2,7.9; PsSal 2,33; 13,12). „Sein Name“ steht hier für Gott selbst, denn der Name vertritt die Person (s. bei 11,2d–e). Die pluralische Formulierung (e¢“) geneÅ“ kaÑ gene›“ findet ihre Entsprechung in Y 99,5 (∫w“ geneô“ kaÑ geneô“); TestLevi 18,8; s. auch Y 60,7 (∫w“ ™mfira“ geneô“ kaÑ geneô“). Die mitunter aufgeworfene Frage, ob Lukas in 50 mit der Formulierung toõ“ foboumfinoi“ a§t·n eine Einschränkung markiere (nur die gottesfürchtigen Israeliten werden des Erbarmens teilhaftig; so u. a. Seccombe, Possessions, 82; Mittmann-Richert* 201 f), oder ob er den Blick bereits über Israel hinausgehen lässt und auf die Gruppe der nichtjüdischen Gottesfürchtigen verweist (so u. a. Bovon 89; Klauck*), beruht auf einer semantischen Fehleinschätzung, denn sie fragt nach der extensionalen Bedeutung des Begriffs fobo‚menoi a§t·n. Bei dem Text handelt es sich jedoch um eine Gottesprädikation, die diesen Begriff lediglich in seiner intensionalen Bedeutung gebraucht. In 51–53 wird die Perspektive ausgeweitet und Gottes Handeln in generalisierender Weise beschrieben. Analog verfährt auch der Lobgesang Hannas, mit dem sich diese Verse auch darin berühren, dass hier wie dort Gottes Handeln als Umkehrung von Geschick und Status expliziert wird (vgl. 1.Sam 2,4 f). – Ein notorisches Problem ist das Verständnis der Aoriste (vgl. Marshall* 188 f; York* 52). Auf Grund der Parallelität mit den Aoristen in V. 48a.49a.54a und der Analogie zu den ebenfalls die konkrete Situation transzendierenden Aoristen in 1.Sam 2,4 f will Lukas die Umkehrungsaussagen ohne Zweifel mit der in V. 26–38 erzählten Heilsinitiative Gottes verknüpft wissen (s. auch bei V. 68). Hierbei ergeben sich zwei Prädikationen: Zum einen – dies werden die Parallelen zu 52 f sichtbar machen – prädiziert Maria Gott als denjenigen, der seine göttliche Allmacht und damit sein Gottsein erwiesen hat. Zum anderen wird durch die hier vorgenommene spezifische Auswahl aus dem Inventar möglicher Gottesprädikationen auch das Ereignis, das dem Hymnus seinen Anstoß gab, in bestimmter Weise interpretiert, und zwar als Bestandteil einer universalen Umkehrung der unter den Menschen in Geltung stehenden sozialen Statuszuweisungen (s. auch York* 53 ff), d. h. als Etablierung einer neuen Ordnung, in der die für die Verteilung von Heil und Unheil maßgeblichen Kriterien durch Gottes Eingreifen neu festgelegt werden. Ihr unmittelbares Widerlager finden diese Verse in der lk Gegenüberstellung von Seligpreisungen und Weherufen (Lk 6,20–26), und das Thema zieht sich dann durch die gesamte lk Jesus-Geschichte hindurch (vgl. noch 13,30; 14,11; 16,19–31; 18,9–14). 51 ist ein synthetischer Parallelismus membrorum und kontrastiert Gottes Handeln an Maria mit dem Ergehen der Hochmütigen. Dieser Bezug wird mit Hilfe der geläufigen semantischen Opposition von tape‡nwsi“ (V. 48a) und ≠perhfan‡a hergestellt (vgl. ZusEsth 4,17k; Y 17,28; 88,11; 118,50 f; Prov 3,34 [zit. in Jak 4,6; 1.Petr 5,5]; Sir 13,20LXX; Jes 1,25; JosAs 21,21; EpArist 263 u. ö.) und findet auch in der Wieder103

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aufnahme von †po‡hsen aus V. 49a seinen Ausdruck. Lukas lässt Maria hier den auch schon im Alten Testament immer wieder herausgestellten Sachverhalt formulieren, dass Gottes Heils‑ und Rettungshandeln mit seinem Unheils‑ und Vernichtungshandeln an seinen und Israels Feinden einhergeht; dementsprechend ist auch die Begrifflichkeit dieses Verses den entsprechenden Zusammenhängen entlehnt; vgl. z. B. Ex 6,6; 15,6; Num 10,34; Y 58,12; 67,2; 88,11: „du hast gedemütigt … den Hochmütigen (sÜ †tape‡nwsa“ … ≠perflfanon) und durch den Arm deiner Macht (kaÑ †n tù brac‡oni tö“ dun›me„“ sou) hast du deine Feinde zerstreut (diesk·rpisa“)“; Jdt 13,11: poieõn … kr›to“ katÅ tùn †cjrùn «zu erweisen … Macht gegen die Feinde». 52–53 Die beiden Verse bestehen aus zwei chiastisch (Unheil, Heil / Heil, Unheil) angeordneten antithetischen Parallelismen, wobei sich auch die jeweiligen Endsilben reimen (2mal wn, 2mal ou“). Lukas nimmt hier mit der Aussage, dass Gott durch sein Handeln die Geschicke der Mächtigen und Ohnmächtigen sowie der Armen und Reichen umkehrt, ein altes Motiv auf, das in der Umwelt des NT breit belegt ist (vgl. z. B. 1.Sam 2,7 f; 2.Sam 22,28; Ez 17,24; 21,31; Ps 75,8; Sir 10,14; 1QM 14,10 f; Homer, Il. 20,242 f; Od. 16,211 f; Hesiod, Op. 5–8; Pindar, Pyth. 2,88 f; Euripides, Troer. 612 f; Xenophon, Anab. 3,2,10; Gnomolog. Vatican. 553 [von Zeus: tÅ mÇn ≠yhlÅ tapeinoõ, tÅ dÇ tapeinÅ ≠yoõ «Hohes demütigt er, doch Demütiges erhöht er»]; Herodianus Hist. 1,13,6; Horaz, Od. 1,34,12–14; 35,1–4; 1.Clem 59,3; vgl. mit weiteren Belegen Hommel*; Hamel* 58 ff). Die Intention der Antithesen richtet sich regelmäßig darauf, die göttliche Macht zu charakterisieren (s. auch Dan 5,19). Von daher geht auch eine Interpretation der beiden Antithesen, die von der Frage nach dem Denotat der hier genannten Gruppen ausgeht oder das Verständnis der Umkehrung der Verhältnisse auf die Alternative sozial-politisch vs. spiritualisierend reduziert, am Aussagewillen des Textes vorbei. Auszugehen ist vielmehr davon, dass diese Umkehrung vielfach als Utopie oder als eschatologische Erwartung formuliert wurde; vgl. außer den bereits genannten Texten vor allem P. Oxy. XXXI, 2554, Frgm. I, 2 (3. Jh. n. Chr.): „Den Reichen wird es schlecht gehen (toõ“ plous[‡oi“] kakù“ ≤stai; 5) … Und die Armen werden erhöht, und die Reichen werden erniedrigt (kaÑ o´ p[t]wcoÑ ≠ywjflsonta[i, kaÑ] o´ plo‚sioi tapeinwjflsontai; 10 f)“. Vor diesem Hintergrund wollen die beiden Verse zum Ausdruck bringen, dass Gott mit seinem Eingreifen diese neue Wirklichkeit geschaffen hat. Sie steht insofern in Diskontinuität zur bisherigen, als sich die Zuweisung von Heil und Unheil in ihr nicht an den bestehenden Vorgaben orientiert, sondern Brüche impliziert. Kontinuität und Diskontinuität gehen bei der Realisierung von Gottes Heilsplan nach lk Verständnis also Hand in Hand – ein theologisches Strukturprinzip, das sich wie ein Cantus firmus durch die gesamte ReichGottes-Verkündigung des lk Jesus zieht (vgl. Wolter, ‚Reich Gottes‘, 549 ff). Gewissermaßen in einer Gegenbewegung dazu wird in 54 f wieder die heilsge­ schicht­liche Kontinuität herausgestellt: Lukas lässt Maria zum Abschluss ihres Hym­nus, und damit in herausgehobener Position, Gottes Heilsinitiative als Ausdruck seiner Erwählungs‑ und Verheißungstreue gegenüber Israel interpretieren, indem sie das gegenwärtige Handeln Gottes als eschatische Aktualisierung seines ursprünglichen Erwählungshandelns deutet, mit dem Gott sich definitiv an sein Volk gebunden hat. In 54 erfolgt dies zunächst unter Anknüpfung an Jes 41,8 f („Du aber Israel, paõ“ mou Jakob, den ich erwählt habe, spfirma Abrahams, den ich lieb gewonnen habe, dessen ich mich angenommen habe [oñ üntelab·mhn] – … ich habe dich gerufen und zu dir 104

1,57–79(80): Die Geburt des Johannes, sein Name und das Gotteslob seines Vaters

1,57–80

gesagt: paõ“ mou eè, ich habe dich erwählt, und ich habe dich nicht verlassen …“; s. auch 42,1). Deuterojesajanische Sprache nimmt auch die Bezeichnung Israels als paõ“ Gottes auf (vgl. Jes 44,1 f. 21; 45,4; s. auch PsSal 12,6; 17,21), insofern sie in allen Fällen als Ausgangspunkt von Heils‑ und Rettungsaussagen fungiert. Dieses rettende Handeln Gottes an seinem Volk wird dann in 54b–55 an die Erzvätertradition zurückgebunden. Die Formulierung mnhsjönai †lfiou“ (der Infinitiv erklärt; s. B/D/R § 394) bringt wie die analogen Syntagmen vor allem in Y 97,3 (†mnflsjh toú †lfiou“ a§toú tù ûIak„b kaÑ tö“ ülhje‡a“ a§toú tù o¥kw ûIsrafll «er hat sich erinnert an sein Erbarmen mit Jakob und an seine Treue zum Haus Israel»; s. auch Ez 2,24; 6,5; Lev 26,42.45; 1.Makk 4,10; 2.Makk 1,2; Y 104,8 f.42; 105,45; 110,5; Ez 16,60; ParJer 6,17 f) zum Ausdruck, dass es die unverbrüchliche Kontinuität der Bundestreue Gottes und sein Festhalten an der Erwählung Israels sind, die ihn jetzt die Initiative zur Restitution seines Volkes haben ergreifen lassen; zu ≤leo“ als Metonym für ‚Bund‘ vgl. 1.Kön 3,6; Jer 16,13LXX; Hab 3,2 sowie das Begriffspaar ≤leo“ kaÑ diajflkh «Barmherzigkeit und Bund» (Dtn 7,9.12; 1.Kön 8,23; 2.Chr 6,14; 2.Esr 11,5; 19,32 [Neh 1,5; 9,32]; Y 88,29.34 f; Dan 9,4). In 55 wird dann auch die gegenwärtige Heilsinitiative Gottes expressis verbis als Erfüllung der an die Väter ergangenen Verheißung identifiziert (55a; zu kajá“ †l›lhsen in diesem Sinne z. B. Ex 12,25; Dtn 1,11; Ri 6,36 f; 1.Kön 5,26; 8,20.53; 2.Kön 17,23). Der syntaktische Anschluss von 55b ist unklar: Bezieht sich tù ûAbra›m … auf V. 54b zurück (55a wäre dann eine Parenthese), oder ist dieser Satzteil als Apposition zu prÖ“ toÜ“ patfira“ ™mùn zu verstehen und von †l›lhsen abhängig? Letzte Sicherheit lässt sich nicht gewinnen, doch legen es der stereotype Charakter der Verknüpfung von ≤leo“ und e¢“ tÖn a¢ùna (vgl. nur Y 135) und die Entsprechung zu 2.Sam 22,51 (= Y 17,51) und Mi 7,20 (s. auch 1.Kön 8,23) nahe, der erstgenannten Möglichkeit den Vorzug zu geben. 56 Lukas lässt Maria noch „ungefähr“ (Æ“ oder Æse‡ bei Zahlenangaben ist typisch lk; vgl. Lk 3,23; 8,42; 9,14.28; 22,59; 23,44; Apg 1,15; 2,41; 4,4; 5,7.36; 10,3; 13,18.20; 19,7.34) drei Monate bei Elisabeth verweilen und dann nach Hause zurückkehren; ≠postrfifein ist ein lk Lieblingswort (32 von 35 Vorkommen im NT). Lukas nimmt die Monatszählung von V. 26 auf und führt seine Leser damit wieder in die Schwangerschaftschronologie Elisabeths hinein und unmittelbar bis an den Termin ihrer Niederkunft heran. Maria wird durch die räumliche Entfernung erzählerisch aus dem Verkehr gezogen (ähnlich verfährt Lukas auch mit Johannes in V. 80 und mit Paulus in Apg 9,30; 18,22 f), um die Aufmerksamkeit der Leser ungeteilt auf die Geburt des Johannes und das anschließende Benedictus des Zacharias, der in der folgenden Episode an Marias Stelle tritt, zu fokussieren (vgl. Coleridge* 96 f). 1,57–79(80): Die Geburt des Johannes, sein Name und das Gotteslob seines Vaters 57Für

Elisabeth aber wurde die Zeit erfüllt, dass sie niederkommen sollte, und sie gebar einen Sohn. 58Und ihre Nachbarn und Verwandten hörten, dass der Herr an ihr sein Erbarmen groß gemacht hatte, und sie freuten sich mit ihr. 59Und es geschah, dass sie am achten Tag kamen, um das Kind zu 105

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1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

beschneiden, und sie wollten es nach dem Namen seines Vaters Zacharias nennen. 60Da entgegnete seine Mutter und sprach: „Nein, er soll vielmehr Johannes heißen!“ 61Und sie sprachen zu ihr: „Es gibt keinen aus deiner Sippe, der diesen Namen trägt.“ 62Sie winkten aber seinem Vater, wie er es genannt haben wollte. 63Und er bat um ein Schreibtäfelchen und schrieb die Worte: „Johannes ist sein Name!“ Und alle wunderten sich. 64Da wurde sogleich sein Mund aufgetan, und seine Zunge, und er redete und pries Gott. 65Und Furcht befiel alle, die in ihrer Nachbarschaft wohnten, und im gesamten judäischen Bergland sprachen sich all diese Dinge herum, 66und alle, die (davon) hörten, legten (sie) in ihr Herz und sagten: „Was wird dieses Kind werden? Wo doch die Hand des Herrn mit ihm war!“. 67Und Zacharias, sein Vater, wurde mit heiligem Geist erfüllt und begann prophetisch zu reden: 68„Gepriesen (sei) der Herr, der Gott Israels, denn er hat sich gekümmert und seinem Volk Befreiung verschafft, 69und er hat uns ein Horn des Heils erweckt im Hause Davids, seines Knechtes, 70wie er gesagt hat durch den Mund seiner heiligen Propheten von Urzeiten her, 71Rettung von unseren Feinden und aus der Gewalt aller, die uns hassen, 72um zu verwirklichen das Erbarmen mit unseren Vätern und seines heiligen Bundes zu gedenken – 73den Eid, den er Abraham, unserem Vater, geschworen hat –, um uns zu gewähren, 74ihm furchtlos als aus der Gewalt der Feinde Gerettete zu dienen, 75in Frömmigkeit und Gerechtigkeit vor ihm all unsere Tage. 76Doch auch du, Kind, wirst Prophet des Höchsten genannt werden, denn du wirst dem Herrn vorausgehen, um seine Wege zu bereiten, 77um seinem Volk Erkenntnis des Heils zu geben durch die Vergebung ihrer Sünden 78auf Grund der mitleidsvollen Barmherzigkeit unseres Gottes. Durch sie wird uns aufsuchen aus der Höhe ein (Sonnen‑)Aufgang, 79um denen zu erscheinen, die in der Finsternis und im Schatten des Todes sitzen, um unsere Füße auf den Weg des Friedens zu lenken.“ 80Das

Kind aber wuchs heran und erstarkte im Geist. Und es war in einsamen Gegenden bis zum Tag seiner Einsetzung für Israel. Literatur: s. o. S. 69. – Außerdem: P. Auffret, Note sur la structure littéraire de Lc I. 68–79, NTS 24 (1978) 248–258. – E. Bikerman, ANADEIXIS, in: Mélanges Émile Boisacq, 117–124. – R.J. Dillon, The Benedictus in Micro‑ and Macrocontext, CBQ 68 (2006) 457–480. – S. Gathercole, The Heavenly ünatolfl (Luke 1:78–9), JThS 56 (2005) 471–488. – J. Gnilka, Der Hymnus des Zacharias, BZ NF 6 (1962) 215–238. – A. Jacoby, ANATOLH EX UYOUS, ZNW 20 (1921) 205–214. – J. Lambrecht, „But you too“. A Note on Luke 1,76, EThL 81 (2005) 487–490. – U. MittmannRichert, Magnifikat und Benediktus (WUNT 2/90), Tübingen 1996. – C.G. Müller, Mehr als ein Prophet, 122–145.146–151. – G. Mussies, Vernoemen in de antieke wereld. De historische achtergrond van Luk. 1,59–63, NedThT 42 (1988) 114–125. – F. Rousseau, Les structures du Benedictus (Luc 1,68–79), NTS 32 (1986) 268–282. – Ph.Vielhauer, Das Benedictus des Zacharias, in: ders., Aufsätze zum Neuen Testament (TB 31), München 1965, 28–46.

In der dritten Haupterzählphase setzt Lukas den in der ersten Phase (V. 8–25) begonnenen Handlungsstrang fort und schließt dabei einen Teil der durch die Ankündigungen Gabriels eröffneten Spannungsbögen: dass Elisabeth, die inzwischen trotz ihres Alters schwanger geworden ist (V. 24 f), mit einem Sohn niederkommen wird (V. 13d / V. 57), 106

1,57–79(80): Die Geburt des Johannes, sein Name und das Gotteslob seines Vaters

1,58

dass ihr Kind den Namen Johannes erhalten wird (V. 13e / V. 59–63) und dass Zacharias daraufhin die Sprache wiedergewinnt (V. 20a / V. 64). Lukas unterteilt diese Erzählphase in drei Szenen, die er deutlich voneinander abgrenzt: (a) in einen Bericht von der Niederkunft der Elisabeth (V. 57 f), der mit einer impliziten Akklamation von Seiten der Nachbarn und Verwandten Elisabeths in Form eines Rede‑ oder Gedankenberichts (vgl. Vogt, Aspekte, 145 f.157 ff) abgeschlossen wird (V. 58c); (b) eine Erzählung von der Namengebung des Kindes und der Aufhebung von Zacharias’ Stummheit (V. 59– 66), die innerhalb der erzählten Zeit im Abstand von acht Tagen auf die erste Szene folgt und durch eine ausgeführte Akklamation abgeschlossen wird (V. 66bc); (c) den Hymnus des Zacharias (V. 67–79). Dieser Teil bildet die Klimax des Ganzen, was vor allem daran erkennbar wird, dass die Raffungsintensität von Szene zu Szene abnimmt und das Erzähltempo sich zunehmend verlangsamt. Der Abstand zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit wird immer geringer. Ein Indiz dafür ist der Anteil der wörtlichen Rede an der Erzählung: In V. 57 f kommt Lukas gänzlich ohne sie aus, in V. 59–66 lässt er seine Erzählfiguren an vier Stellen zu Wort kommen (V. 60b.61b.63b.66b–c), und V. 67–79 schließlich besteht bis auf eine kurze Einleitung (V. 67) ausschließlich aus wörtlicher Rede. Dem entspricht weiterhin, dass Lukas sich hier der rhetorischen Figur des Hysteron proteron bedient (vgl. Lausberg, Handbuch, § 891: eine „dem natürlichen Geschehensablauf entgegengesetzte Anordnung zweier Satzinhalte“), um dem Benedictus die entscheidende Schlussposition zuweisen zu können: Das bereits in V. 64 mitgeteilte e§logeõn des Zacharias wird erst ab V. 68 ausgeführt (e§loght·“; analog verfährt Lukas auch in Apg 28,25–28). Lukas trennt das Benedictus damit von der letzten Erzählszene und ermöglicht es den Lesern, den Hymnus des Zacharias als Deutung des gesamten in V. 5 eröffneten Erzählgefüges, d. h. unter Einschluss auch der zweiten Erzählphase (V. 26–56), zu lesen. 57 Elisabeths Niederkunft wird nur mit wenigen Worten berichtet; ihr kommt insofern lediglich eine Prologfunktion im Blick auf das Folgende zu (Coleridge* 102 f). 57a berührt sich sprachlich mit Gen 25,24 (von Rebekka: kaÑ †plhr„jhsan a´ ™mfirai toú tekeõn a§tfln «und es wurden erfüllt die Tage ihres Gebärens»; Weiteres bei 1,23), wobei sich hier die Ersetzung von a´ ™mfirai durch ¨ cr·no“ hellenistischem Sprachgebrauch verdanken dürfte, wo cr·no“ häufig in dieser Weise mit Ableitungen von plhr·w verknüpft wird (z. B. Plutarch, Lucull. 35,8: … peplhrùsjai tÖn cr·non «… dass die Zeit erfüllt wurde»; Vettius Valens, ed. Kroll, 260,10: plhrwjfinto“ toú cr·nou «als die Zeit voll geworden war»; Vita Aesopi 84: ¨ cr·no“ ≥dh peplflrwtai «die Zeit war schon voll geworden»; Heliodor 1,22,2: toú cr·nou plhroumfinou «als die Zeit voll geworden war»; s. auch Apg 7,23). 57b nimmt die Formulierung aus V. 13d auf. 58 Lukas unterbricht den Fortgang der Erzählung (das durative Imperfekt sunficai­ ron in 58c lässt sie zur Ruhe kommen) und führt auch die Ankündigung von V. 14b der Erfüllung zu. Auffällig ist, dass er in 58b das Faktum, das Elisabeths Nachbarn und Verwandten bekannt wird, nicht einfach als solches mitteilt, sondern theozentrisch kodiert (vgl. Gen 19,19; 1.Sam 12,24; Y 56,11; 125,2 f) und damit die auktoriale Darstellung mit der subjektiven Wahrnehmung des Ereignisses durch die Erzählfiguren zusammenfließen lässt. Der Inhalt der Mitteilung fungiert damit gleichzeitig als eine implizite Akklamation, und diese verdichtende Erzählweise ermöglicht es Lukas darum auch, den Prolog-Charakter dieser Szene zu bewahren, ohne auf eine erzählte Deutung 107

1,59–63

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der Geburt von Elisabeths Sohn verzichten zu müssen. 58c ist möglicherweise eine Anspielung auf Gen 21,6 (Sara-Typologie). 59–63 Mit der folgenden Szene will Lukas zeigen, dass sich Gottes Heilsplan in einer Weise durchsetzt, die die Menschen der erzählten Welt überrascht, weil sie ihre Erwartungen nicht bedient. Dies wird sich dann im weiteren Verlauf des lk Doppelwerks noch verstärken. Kontinuität und Diskontinuität gehen auch hier Hand in Hand (s. auch Löning, Geschichtswerk I, 103), und um ebendies zu veranschaulichen, macht Lukas die Nachbarn und Verwandten Elisabeths in dieser Szene zu erzählerischen Antagonisten und nimmt einige narrative Extravaganzen in Kauf. 59 Die Einleitung mit kaÑ †gfineto + Zeitangabe mit †n + Verbum finitum ist ein Septuagintismus; vgl. Gen 19,29; Ex 12,51; Num 10,11 u. ö. – Innerhalb der erzählten Zeit macht Lukas einen kleinen Sprung bis zum Tag der Beschneidung, die nach Gen 17,12 und Lev 12,3 acht Tage nach der Geburt vorzunehmen ist (s. auch mShab 19,5). Der Hinweis auf die Beschneidung dient jedoch lediglich der Zeitangabe und sollte nicht als Beleg für die in V. 6 gegebene Auskunft über die Gesetzestreue der Eltern des Kindes interpretiert werden. Lukas setzt offenbar voraus, dass der Tag der Beschneidung wie bei Jesus (s. zu 2,21) auch der Tag der Namengebung ist (†k›loun wäre dann als Imperfectum de conatu zu verstehen; vgl. B/D/R § 326), obwohl diese Verbindung erst im nachtalmudischen Judentum sicher belegt ist (PRE 48; vgl. dazu Blaschke, Beschneidung, 439 f). Dass ein Sohn den Namen seines Vaters erhält (zu kaleõn †pÑ tù £n·mat‡ tino“ vgl. Gen 48,6; Dtn 3,14; 1.Kön 16,24; 1./3. Esr 5,38; [2.]Esr 2,61; 17 [= Neh 7],63; TestNaph 1,11; Jub[gr. Frgm.] 11,15), ist eher ungewöhnlich, aber möglich (vgl. Josephus, Vita 4; Ant. 14,10; 20,197; Bell. 4,160; 5,534; s. auch Krauss, Archäologie II, 13). Gebräuchlicher war die Papponymie, d. h. die Benennung nach dem Großvater (vgl. Mussies* 118 ff; Ilan, Lexicon, 32), so dass Lukas mit diesem Ansinnen die Übertragung der Entscheidung über den Namen an Zacharias (V. 62) dramaturgisch zuspitzen konnte. Das lk Erzählinteresse dürfte auch für die intensive Beteiligung der Nachbarn und Verwandten an der Namengebung verantwortlich sein (sie fiel eigentlich in den Zuständigkeitsbereich der Eltern; vgl. Krauss, ebd.; einzige Ausnahme ist Ruth 4,17), denn sonst wäre es schwer gewesen, den immer noch stummen Zacharias in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und die Ankündigung von V. 13e erzählerisch zu realisieren. Da die Intention der Besucher dieser Ankündigung widerspricht, wird die Erzählung in einen Spannungszustand versetzt (s. auch Löning, Geschichtswerk I, 103). Diese Spannung wird in 60 noch dadurch erhöht, dass Elisabeth gegen die Vorstellungen der Nachbarn und Verwandten Einspruch erhebt und ihr Kind stattdessen mit dem ihm von Gott gegebenen Namen benannt wissen will. Das kommt etwas überraschend, denn die Leser erwarten eigentlich nicht, dass Elisabeth den in V. 13e genannten Namen kennt (Zacharias ist schließlich immer noch stumm). Es gibt hier also erneut eine Leerstelle in der Erzählung (s. auch Tannehill), die als solche respektiert und nicht spekulativ (vgl. den Überblick bei Coleridge* 107) aufgefüllt werden ­sollte. 61 Der Einwand, den die Gäste gegen den von Elisabeth genannten Namen vorbringen, beruft sich auf eine durch leibliche Abstammung vermittelte Kontinuität (zu †k tö“ suggene‡a“ in diesem Sinne vgl. Ri 17,7A; 18,11A; Ruth 2,1.3; 2.Sam 16,5; Tob 1,22a; Hiob 32,2; Jes 38,12; JosAs 8,6) und dokumentiert damit ihr Nichtwissen 108

1,57–79(80): Die Geburt des Johannes, sein Name und das Gotteslob seines Vaters

1,65

um die durch Gottes Initiative gesetzte Diskontinuität (s. auch Nolland). Umgekehrt benutzt Lukas aber auch den Einwand, um den Lesern diese Diskontinuität bewusst zu machen. Die Namengebung wird dadurch zu einem heilsgeschichtlichen Paradigma en miniature. 62 Durch die Übergabe der Entscheidung an Zacharias kehrt dieser wieder in die Erzählung zurück, in der er seit V. 23 (bzw. indirekt seit V. 24) keine Rolle mehr gespielt hatte. Die Substantivierung des indirekten Fragesatzes mit t· ist im NT eine lk und paulinische Eigentümlichkeit (sonst im NT nur noch Lk 9,46; 19,48; 22,2.4.23.24; Apg 4,21; 22,30; Röm 8,26; 1.Thess 4,1; vgl. B/D/R § 267,23: „Ein Bedeutungsunterschied zwischen gesetztem und fehlendem Artikel zeigt sich nicht“). 63 ≤grayen lfigwn gilt häufig als Hebraismus (vgl. B/D/R § 420,3; Nolland); die Formulierung ist aber auch in paganen griechischen Texten belegt (z. B. Aristoteles, Protr. 1; Theophrast, Physic. Op. Frgm. 2 [477,7 f Diels]; Plutarch, Mor. 568c; Diogenes Laertius 9,6). Der von Zacharias auf das Schreibtäfelchen geschriebene Text ist nicht die eigentliche Namengebungszeremonie, sondern fungiert als namentliche Identifikation des Kindes: Die Formulierung †stÑn µnoma bringt zum Ausdruck, dass die Festlegung des Namens bereits erfolgt ist – und zwar durch den Boten Gottes in V. 13e. Lukas lässt Zacharias eben dies anerkennen. Mit dem abschließenden Admirationsmotiv (†ja‚masan; vgl. Theißen, Wundergeschichten, 78 ff; Meiser, Reaktion, 74 ff), das bei Lukas eine größere Rolle spielt als bei Mk und Mt (vgl. 2,18.33; 4,22 diff. Mk 6,2; 8,25 par. Mt 8,27 diff. Mk 4,41; 9,43; 11,14 par. Mt 9,33; 20,26 par. Mk 12,17; 24,12.41; s. auch Apg 2,7; 3,12; 4,13 sowie Tob 11,16; Plutarch, Coriol. 24,3; Lukian v. Samosata, Abdic. 5), beendet er die Kontroverse und charakterisiert die Wahrnehmung des Vorgangs von Seiten der Besucher (s. auch V. 21): Sie merken, dass etwas Außergewöhnliches passiert ist, ohne es aber richtig verstehen zu können. Ihre ursprüngliche antagonistische Gewissheit (V. 59b.61b) ist damit erschüttert und in einen Schwebezustand versetzt (s. auch Coleridge* 111; F. Annen, EWNT 2,334). 64 An Zacharias erfüllt sich umgehend die Ankündigung Gabriels aus V. 20, und er gewinnt die Sprache wieder (zum zeugmatischen Charakter von 64a vgl. B/D/R § 479,2). Dass die Heilung „sofort“ (paracröma) eintritt, gehört zur Topik von Heilungserzählungen (vgl. Weinreich, Heilungswunder, 197 f; Theißen, Wundergeschichten, 75). paracröma ist typisch lk und findet sich im NT außer Mt 21,19 f nur im lk Doppelwerk (s. auch noch 4,39; 5,25; 8,44.47.55; 13,13; 18,43; Apg 3,7; 13,11; 16,26; zum sprachgeschichtlichen Hintergrund vgl. Rydbeck, Fachprosa, 167 ff.184 f; Fabricius, paracröma). In formgeschichtlicher Hinsicht handelt es sich bei 64b um die Demonstration des Wundererfolgs (vgl. Theißen, a. a. O., 75 f). Sie wird hier wie auch Mk 1,31parr.; 5,42; 7,35; 8,25; Lk 5,6; 13,13; Apg 3,8; 14,10 im durativen Imperfekt formuliert. Dass der Geheilte Gott lobt, ist ein für die lk Wundererzählungen typisches Merkmal (s. noch Lk 5,25 diff. Mk 2,12; Lk 13,13; 17,15; 18,43 diff. Mk 10,52: jeweils dox›zein; Apg 3,8: a¢neõn). Wenn Lukas demgegenüber an dieser Stelle e§logeõn verwendet, so hat dies seinen Grund darin, dass er eine Verknüpfung mit dem Benedictus herstellen will (vgl. V. 68 sowie o. bei V. 56). In 65 beginnt Lukas von der öffentlichen Reaktion auf diese Ereignisse zu berichten. Formgeschichtlich handelt es sich in 65a zunächst um das am Ende von Wundererzählungen häufig begegnende Admirationsmotiv (mit f·bo“ o. ä.: Mt 9,8; Mk 4,41par.; 5,15par.; Lk 5,26; 7,16; 8,37; vgl. Theißen, a. a. O., 78 f; H. Balz, ThWNT 9,205), 109

1,66

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

wobei die Formulierung mit †gfineto … †pÑ (p›nta“) typisch lk ist (vgl. Lk 4,36: j›mbo“; Apg 5,5.11; 19,17: jeweils f·bo“; s. auch Gen 35,5); Lukas scheint damit die Vorstellung zu verbinden, dass solche Reaktionen die Menschen von außen ergreifen (s. auch Ex 15,16; Ri 11,29; 1.Makk 1,25). Gleichzeitig weitet Lukas die Erzählperspektive über die bei den Ereignissen Anwesenden hinaus räumlich und personell auf „alle Nachbarn“ aus (vgl. B/D/R § 4726). Dies verstärkt sich noch in 65b, wo er die gesamte Region (s. bei V. 39) in den Blick nimmt und mit Hilfe des Imperfekts dielaleõto die Folgen auch über einen längeren Zeitraum hinweg andauern lässt. Ihre Entsprechung findet diese Mitteilung in den Ausbreitungsnotizen, die sich mitunter ebenfalls im Anschluss an Wundererzählungen finden (vgl. Mk 1,28 par. Lk 4,37 [Imperfekt]; Mk 5,14 par. Lk 8,34; Lk 5,15 [Imperfekt]; 7,17; Mt 9,26; Apg 9,42; 19,17 [Imperfekt]). – Zur Formulierung p›nta … tÅ Øflmata taúta s. bei 2,19. In 66 beschreibt Lukas die Reaktion derer, die durch die öffentliche Ausbreitung Kenntnis von den Ereignissen bekommen (vgl. die Korrespondenz von dialaleõn und üko‚ein). tijfinai … †n tÔö kard‡a a§tùn ist ein Septuagintismus (vgl. vor allem 1.Sam 21,13, aber auch 29,10; Sir 50,28; Mal 2,2; Jer 12,11; DanTheod. 1,8 sowie Lk 21,14; Apg 5,4) und kennzeichnet hier die innere Beteiligung, mit der Lukas die Berichte von den Ereignissen aufgenommen werden lässt. Ihre Reaktion wird mit Hilfe einer ausgeführten Akklamation verbalisiert (66b; vgl. dazu Theißen, Wundergeschichten, 80 f). Sie bezieht sich in Frageform (s. auch Mk 1,27par.; 4,41parr.) zunächst auf die zukünftige Bedeutung des Kindes und gibt dann in 66c den Grund für die besonderen Erwartungen an, die sich auf die Zukunft des Kindes richten. Lukas setzt mit dem letzten Satz die wörtliche Rede fort und gibt nicht etwa einen Erzählerkommentar ab (so u. a. Klostermann; Marshall; Green). Letzterenfalls müsste man annehmen, dass Lukas hier den Lesern eine Information geben wollte, was jedoch nach dem bisher über Johannes Berichteten gänzlich überflüssig ist, denn die Leser wissen längst, dass Gott zugunsten des Kindes gehandelt hat (zum Verständnis der Metapher in diesem Sinne vgl. 1.Sam 22,17; 2.Sam 3,12; 14,19; 16,21; 2.Kön 15,19; 1.Chr 4,10 [von der Hand Gottes]; Jer 33[26],24; TestAbrA 18,7). Demgegenüber bekommt der Satz einen guten Sinn als Wiedergabe einer theologischen Deutung innerhalb der erzählten Welt, die sich auf die außergewöhnlichen Umstände der Geburt und Namengebung des nachmaligen Täufers bezieht. 67–79 Nachdem Lukas mit V. 65 f bereits über die zeitliche und räumliche Situierung der Szene hinausgegangen war, kehrt er noch einmal zu ihr zurück und lässt Zacharias, der inzwischen die Sprache wiederbekommen hat, das in V. 64 angesprochene Gotteslob ausführen. Wie das Magnifikat gilt auch das Benedictus insgesamt oder zum größten Teil bei der Mehrheit der Interpreten als vorlukanisch. Anderslautende Stimmen, die in ihm eine lk Komposition sehen oder dies zumindest für möglich halten, sind selten (z. B. Harnack* 206 ff; Erdmann* 33; Ernst; Schmithals; Löning, Geschichtserzählung I, 106 ff). Kontrovers diskutiert werden in diesem Zusammenhang dieselben Fragen wie beim Magnifikat (vgl. den Überblick bei Farris* 128 ff): Ist das Benedictus aus zwei ursprünglich selbständigen Hymnen zusammengesetzt (z. B. Gunkel*; Vielhauer*; Gnilka*)? Hat Lukas einen ihm vorliegenden Hymnus mit mehr oder weniger umfangreichen Ergänzungen versehen (z. B. Benoit*; Brown* 377; Dillon* 458; Fitzmyer; Farris* 26 ff; Nolland; Bovon; Mittmann-Richert*)? Nach eventuellen Streichungen fragt erstaunlicher-

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1,57–79(80): Die Geburt des Johannes, sein Name und das Gotteslob seines Vaters

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weise niemand. Hat Lukas den vorliegenden Text unverändert übernommen (z. B. Vanhoye*; Auffret*; Rousseau*; Marshall)? Oder ist die Überlieferungsgeschichte noch sehr viel komplexer (z. B. Schürmann; Kaut* 263 ff; Radl* 130 f)? Welcher Provenienz ist der ursprüngliche Hymnus: allgemein-jüdischer (für 68–75[*] z. B. Gunkel*; Vielhauer*; Kaut* 237 ff; Radl* 129 f), jüdisch-täuferischer (für 76–79[*] z. B. Vielhauer*; Gnilka*; Radl* 128; für die gesamte Vorlage z. B. Bovon; Dillon*) oder judenchristlicher (z. B. Brown* 378; Marshall; Fitzmyer; Farris* 95 f; Mittmann-Richert* 63 ff)? Gab es eine hebräische Vorlage (z. B. Farris* 31 ff; Mittmann-Richert* 120 ff)? Die mit diachronischen Rekonstruktionsbemühungen verbundenen methodischen Probleme wurden bereits bei der Interpretation des Magnifikats angesprochen. Aus den dort genannten Gründen kann auch das Benedictus nur auf der synchronen Textebene des lk Doppelwerks sinnvoll und methodisch kontrollierbar interpretiert werden.

Wie das Magnifikat ist auch das Benedictus collageartig aus sprachlichen Versatzstücken zusammengesetzt, die aus dem AT stammen (vgl. die Überblicke bei Brown* 386 ff; Schmithals sowie die Einzelnachweise jeweils z.St.). Auch hier wird also das Geschehen der erzählten Zeit im Lichte der Vergangenheit gedeutet. Darüber hinaus lassen sich etliche Überschneidungen mit dem Magnifikat identifizieren: Gottes rettendes Handeln als Anlass (swtflr; V. 47 / swthr‡a; V. 71); die Rede von Gottes Handeln im Aorist (V. 48–49.51–54a / V. 68b–69a); der Israelbezug (V. 54a.55b / V. 68); der Bezug auf den Abrahambund (mnhsjönai bzw. ≤leo“; V. 54b / V. 72–73a); die Darstellung des gegenwärtigen Handelns Gottes als Erfüllung seiner Verheißungen (kajá“ †l›lhsen; V. 55a / V. 70). Nicht zu übersehen sind aber auch die Differenzen: Während das Magnifikat in syntaktischer Hinsicht weitgehend durch eine parataktische Anordnung der einzelnen Stichen geprägt ist, dominieren im Benedictus hypotaktische Satzbaupläne. Der gesamte Text besteht nicht aus zwei Teilen, wie in der Regel angenommen wird (vgl. zuletzt wieder Dillon* 458), sondern aus drei Einheiten, die sich deutlich voneinander trennen lassen: In V. 68–75 geht es um das, was Gott tut, in V. 76–78a um die zukünftige Aufgabe des Kindes und in V. 78b–79 um das, was die ünatolfl machen wird. Damit sind auch bereits die Subjekte der finiten Verben genannt. Außerdem liegt jedem der drei Teile ein und dasselbe syntaktische Gerüst zugrunde: die Verkettung von Verbum finitum + Infinitiv + ein mit toú substantivierter Infinitivus finalis (vgl. B/D/R § 400,6): V. 68b–75: V. 76–78a: V. 78b–79:

(Gott) †peskfiyato kaÑ †po‡hsen … poiösai … kaÑ mnhsjönai kaÑ ≥geiren ©toim›sai (das Kind) propore‚sÔh †pifônai (die ünatolfl) †piskfiyetai

toú doúnai toú doúnai toú kateujúnai

Hierbei handelt es sich um eine Konstruktion, die im NT in dieser Form nur noch in Apg 26,18 belegt ist (die bei B/D/R § 4008 genannten Texte sind keine genauen Parallelen; auch nicht Mt 2,13). Sie findet sich aber häufig in der Septuaginta (z. B. Gen 39,10; 43,18; Ri 19,3; 1.Sam 19,11; 2.Sam 14,11). Von Gottes Handeln wird dabei im Aorist gesprochen, während über Johannes und die ünatolfl futurisch geredet wird. Der gesamte Text bekommt dadurch ein zeitliches Gefälle, das aus einer Abfolge von drei Stadien besteht. Innerhalb dieses Gefälles befindet sich Zacharias als Sprecher des Benedictus zwischen dem ersten und zweiten Stadium, d. h. zwischen V. 75 und V. 76. Wenn wir an dieser Stelle noch einmal vom Magnifikat her einen Blick auf das Benedictus werfen, wird noch ein anderer Sachverhalt wichtig: Während im Benedictus 111

1,67

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

Gott nur im ersten Teil (V. 68–75) das Subjekt der Prädikate ist, war dies im Magnifikat noch durchgängig der Fall und konnte als dominierender kohärenzstiftender Faktor für den gesamten Text identifiziert werden (s. o. S. 100). Demgegenüber wird im Benedictus die Kohärenz durch die 1. Person Plural hergestellt, die auf das Gottesvolk Israel verweist (vgl. die Parallelisierung von tù laù a§toú und ™mõn in V. 68b.69) und sich mit dieser Bedeutung wie ein roter Faden durch den gesamten Text hindurchzieht (V. 68b.69.71ab.72a.73ab.75.77a.78ab.79b). Im Magnifikat war nur am Schluss von Israel und „uns“ die Rede (V. 54 f). Dem entspricht weiterhin, dass der Bezug auf den Abrahamsbund, der ebenfalls im letzten Teil des Magnifikat angesprochen wurde, im ersten Teil des Benedictus wieder aufgenommen wird (V. 72–73a). Beide Hymnen werden dadurch miteinander verbunden (vgl. Lohfink* 119 ff): Das Benedictus baut in seinem ersten Teil auf dem Magnifikat auf (auch Maria steht im zeitlichen Gefälle des Benedictus damit hinter V. 75) und führt es im zweiten und dritten Teil fort. In Bezug auf den literarischen Kontext kommt dem Benedictus eine doppelte Aufgabe zu: Zum einen ist es die Antwort des Zacharias auf die ihm zuteil gewordene Geburtsankündigung in V. 13–17 (s. dort). Dieser Bezug wird hergestellt durch die terminologische Anknüpfung an die Beschreibung der zukünftigen Bedeutung des Kindes (V. 16 f) in V. 76b.77a. Weil Zacharias bei der Geburtsankündigung, die ihm zuteil wurde, aber auch die Sprache verloren hat, kann Lukas diese Antwort erst am Schluss des gesamten in Kap. 1 erzählten Ereignisgefüges bringen. Das hat zur Folge, dass das Benedictus zum anderen auch als geisterfüllter, d. h. im Sinne Gottes authentischer Schlusskommentar zu den Ereignissen von Kap. 1 konzipiert ist. Und genau aus diesem Grund hat Lukas das Benedictus literarisch auch aus der in V. 57–66 erzählten Johannesepisode herausgenommen und nachgestellt. Den Lesern wird es dadurch möglich, die Ankündigung der Geburt Jesu als das Ereignis zu identifizieren, von dem Zacharias in V. 68 f spricht (mit der Rede vom „Haus Davids“ in V. 69 werden sie auch ausdrücklich auf V. 27.32 zurückverwiesen). Die Leser wissen in dieser Hinsicht also mehr als Zacharias, der hier in zwei Rollen auftritt: als Vater des Täufers und als Repräsentant der eschatologischen Heilshoffnungen Israels. In dieser Doppelfunktion lässt Lukas ihn die auf seinen Sohn bezogene Ankündigung in das mit Jesus verknüpfte Heilshandeln Gottes integrieren und einen prophetischen Ausblick auf die zukünftige Bedeutung der beiden Heilsgestalten – des eschatischen Propheten und des Messiaskönigs – geben. 67 Wie zuvor Elisabeth lässt Lukas auch Zacharias mit dem heiligen Geist erfüllt werden (s. bei V. 41). Damit signalisiert er den Lesern, dass Zacharias’ Worte durch Gott autorisiert sind und er die bisher erzählten Ereignisse im Sinne Gottes deutet. Für den Zusammenhang von Geist und Prophetie s. bei V. 15. 68 Bereits die einleitende Eulogie in 68a (die Formulierung entspricht 1.Sam 25,32; 1.Kön 1,48; 8,15; 2.Chr 2,11; 6,4; Y 40,14; 71,18; 105,48; s. auch 1.Chr 16,36; 29,10; Tob 13,18a; 1QM 13,2; 14,4; 4Q503 Frgm. 1–6,2.6.18 u. ö.) hat Signalfunktion, denn aus dem Inventar möglicher Gottesprädikationen wird eine Formulierung ausgewählt, die Gott dezidiert als „Gott Israels“ prädiziert. Bemerkenswert ist, dass diese erwählungstheologisch akzentuierte Gottesbezeichnung, die im Alten Testament auf Schritt und Tritt begegnet, im Neuen Testament jedoch nahezu verschwunden ist. Sie findet sich nur noch bei Lukas (vgl. noch Lk 1,16; Apg 13,17) und in dem Akklamationsbericht Mt 15,31. In diesem auffälligen Sachverhalt spiegelt sich ohne Zweifel der mit 112

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1,71

dem missionarischen Überschreiten der Grenzen des Judentums einhergehende christlich-jüdische Trennungsprozess (vgl. auch Röm 3,29 f). Angesichts dessen bekommt um so größere Bedeutung, dass hier gleich zu Beginn Israel als Referenzrahmen des Folgenden festgelegt wird. 68b liefert die Begründung, deren Einleitung mit der Präposition Ωti (hebr. yKi) für Eulogien relativ selten ist (Ex 18,10LXX; Tob 8,16 f; 13,2; Y 27,6; 30,22; Dan 3,26 f; JosAs 3,3; 1QH 5,20; 10,14; 11,32 f; 1QM 18,6; vgl. Deichgräber, Gotteshymnus, 40 ff; Delling, Gottesprädikationen, 2 ff). Die Form des Satzes entspricht Num 16,5; (2.)Esr 4,19; 6,1; Sir 35,18; TestLevi 16,5 (jeweils †piskfiptesjai ohne Akk. Obj. + ka‡ + Verbum finitum). Lukas nimmt hier eine Begrifflichkeit auf, die in traditionsgeschichtlicher Hinsicht eine gemeinsame semantische Schnittmenge in dem Bezug auf die Errettung aus einer Unheilssituation hat (referentiell z. B. die Befreiung Israels aus Ägypten und aus dem Exil: vgl. Gen 50,24 f; Ex 3,16; 4,31; Sach 10,3; Zeph 2,7 sowie Ex 6,6; 15,13; Jes 41,14; 43,1.14; s. ansonsten E. Zenger, JSHRZ I/6, 470, Anm. 15c; Haubeck, Loskauf, 98 ff). Diese Konnotation wird in V. 71.74 wiederaufgenommen. Die Aoriste entsprechen denen von Ex 4,31 und Jes 43,1; 44,23: Die von Gott ergriffene Heilsinitiative kann, weil sie Gottes Initiative ist, in einer Weise qualifiziert werden, die ihr empirisch wahrnehmbares Resultat bereits inkludiert. 69 setzt die Begründung konkretisierend fort. Gott „erweckt“ auch im AT häufig einen Menschen, um mit ihm an Israel zu handeln (z. B. Ri 2,16.18; 3,9.15; 1.Kön 11,14.23; Sach 11,16; s. auch Dtn 18,15.18; Jer 23,4.5 [messianisch; ebenso Ez 34,23]; griechHen 89,42; TestLevi 18,2; Lk 7,16; Apg 13,22.26). kfira“ ist Metapher für Macht und Stärke (z. B. 1.Sam 2,1.10; 1.Chr 25,5; Hiob 16,15; Jer 31[48],25), kann aber auch als metaphorische Bezeichnung für Gott selbst (2.Sam 22,3 = Y 17,3: „Mein Gott ist … mein Schild und Horn meines Heils [kfira“ swthr‡a“ mou]“) oder wie hier für den messianischen Herrscher gebraucht werden (Y 131,17; Ez 29,21; 18Bitten-Gebet [bab. Rez.] 15). Am nächsten kommt der lk Formulierung Ps 154,18 f (syrPs 2): „Gepriesen sei der Herr …, der erstehen lässt ein Horn aus Jakob und einen Richter der Völker aus Israel“ (Übers. A.S. van der Woude: JSHRZ IV/1, 45; dieser Psalm ist in 11Q5 XVIII auch in hebräischer Fassung erhalten, doch fehlen hier die zitierten Zeilen). †n o¥kw Dau‡d weist zurück auf V. 27.32 und ermöglicht den Lesern dadurch die Identifizierung des messianischen Herrschers, durch den Gott die Befreiung seines Volkes ins Werk setzt, mit dem Sohn Marias, auch wenn innerhalb der erzählten Welt Zacharias noch nichts von Jesus weiß. Es ist darum sicher nicht von geringer Bedeutung, dass das Stichwort swthr‡a im lk Doppelwerk erstmals an dieser Stelle begegnet. 70 ist eine Parenthese, die die Heilsinitiative Gottes in der Gegenwart als Erfüllung der prophetischen Heilsverheißungen deutet. Sie berührt sich fast wörtlich mit Apg 3,21. Zur Heiligkeit von Propheten vgl. SapSal 11,1; griechApkEsr 1,1; syrBar 85,1; 2.Petr 3,2. 71 Syntaktisch handelt es sich bei diesem Vers um eine Apposition, deren Bezug allerdings unklar ist: Einerseits wird swthr‡a aus V. 69 aufgenommen, mit dessen Kasus der Akkusativ swthr‡an jedoch nicht koordiniert ist. Andererseits kongruiert der Satz syntaktisch und semantisch mit †po‡hsen l‚trwsin (V. 68b), welcher Zusammenhang jedoch durch die parataktische Zwischenstellung von kaÑ ≥geiren kfira“ (V. 69) unterbrochen ist. Auch wenn diese Unklarheit nicht zu beseitigen ist, lässt sich der Inhalt des 113

1,72–73a

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

Satzes unschwer als Explikation der Folgen von Gottes Rettungshandeln für sein Volk verstehen. Obwohl sich die Begrifflichkeit eng mit Y 105,10 berührt (von der Rettung am Schilfmeer: kaÑ ≤swsen a§toÜ“ †k ceirÖ“ miso‚ntwn kaÑ †lutr„sato a§toÜ“ †k ceirÖ“ †cjroú «und er hat sie gerettet aus der Hand der Hassenden, und er hat sie befreit aus der Hand des Feindes»), nimmt der Vers keine individuelle Anspielung auf diesen Text vor, sondern knüpft an einen allgemeineren Sprachgebrauch an: Das Begriffspaar †cjro‡ und misoúnte“ kennzeichnet in der Septuaginta diejenigen, die Gott (Num 10,34; Dtn 32,41; Y 20,9; 67,2; 82,3), seinem Volk (Lev 26,17; Dtn 30,7; 32,43; Y 43,11; 105,10.42) und Individuen (2.Sam 22,18.41 = Y 17,18.41: David; Y 37,20; 54,13; 68,5; 88,24; s. auch Dtn 33,11; Sir 25,14; Dan 4,19) als Widersacher gegenüberstehen. Gottes rettendes Eingreifen zugunsten seines Volkes wird hier also als Befreiung von fremder Herrschaft beschrieben, ohne dass dabei aber eine bestimmte zeitgeschichtliche Referenz intendiert ist (vgl. auch 1.Clem 60,3). Noch weiter konkretisiert wird dieser Gedanke dann in aufschlussreicher Weise in V. 74 f. 72–73a Die finiten Verben von V. 68b.69 werden mit einer Infinitivkonstruktion fortgesetzt, die analog zu V. 54 die Intention benennt, die Gottes Heilshandeln an seinem Volk motiviert. Ωrkon (73a) ist parallel zu diajflkh“ von mnhsjönai abhängig, jedoch dem folgenden Relativpronomen assimiliert (Attractio inversa; vgl. B/D/R § 295). Alle drei Stichen haben als gemeinsame Mitte den Bezug auf den Bund mit den Vätern (für ≤leo“ als Bundesbegriff s. bei V. 54; vgl. ansonsten die Parallelen in Gen 26,3; Ex 2,24; Lev 26,42; Y 104,8 f; 105,45; Mi 7,20; ParJer 6,18; zur Heiligkeit des Bundes: 1.Makk 1,15.63; Jer 3,16LXX; DanTheod. 11,28.30). Ohne dass auf einen bestimmten der genannten alttestamentlichen Texte Bezug genommen wird, lässt Lukas damit auch Zacharias die von Gott ergriffene Heilsinitiative mit ihrer christologischen Mitte als Verwirklichung der Bundesverheißungen und als Akt der Bundestreue Gottes interpretieren. Das Gefälle des Benedictus bis zu diesem Punkt ist durch die Aussagen in V. 69a (Jesus als Messias), V. 70 (Propheten) und V. 72–73a (Bund) von einer theologischen Substruktur getragen, die Lukas dann in Apg 3,24–26 (s. auch 3,21) erneut zum Ausdruck bringt (vgl. Vogel, Heil, 346). 73b–75 Der Satz wird mit einer weiteren Infinitivkonstruktion fortgeführt und abgeschlossen (s. o. S. 111). Vergleichbare Satzbaupläne wie in 73 f (d‡dwmi + Dat. commodi + Infinitiv) finden sich z. B. in Num 21,23; 1.Sam 24,8; 2.Chr 20,10; Mal 2,5. Inhaltlich geht es nun um das Ziel, das Gott mit seinem rettenden Eingreifen zugunsten seines Volkes für dieses (™mõn) erreichen will. Es besteht nach 74 darin, dass Israel in die Lage versetzt wird, seinen Gott ungestört und ohne Beeinträchtigung durch äußere Feinde zu verehren und damit seine Bestimmung als Gottesvolk zu verwirklichen (vgl. Dtn 10,12; 11,13; Jos 22,5; 24,14). Aktualisiert wird wohl einmal mehr die Exodustradition (vgl. z. B. Ex 4,23; 7,16.26; 8,16). latre‚ein will hier sicher nicht im engen kultischen Sinn verstanden werden (so u. a. Wiefel; Farris* 138), sondern kennzeichnet in komprehensiver Weise die Gesamtheit der exklusiv auf Gott bezogenen Existenzorientierung Israels (vgl. Lk 2,37; Apg 24,14; 26,7; 27,23; s. auch Green). 75 Diese semantische Ausrichtung der Gottesverehrung wird nun bestätigt und mit einer charakterisierenden Näherbestimmung versehen. Hier kann †n„pion a§toú nicht von latre‚ein abhängig sein (so z. B. Brown* 372; Mittmann-Richert* 218), denn die entsprechende Valenz des Verbs ist bereits durch a§tù besetzt (davon abgesehen 114

1,57–79(80): Die Geburt des Johannes, sein Name und das Gotteslob seines Vaters

1,76

wird latre‚ein auch weder in der Septuaginta noch in der hellenistisch-jüdischen Literatur und dem NT mit †n„pion verbunden). Die Präposition ist vielmehr auf die Modalbestimmung †n ¨si·thti kaÑ dikaios‚nÔh zu beziehen und will zum Ausdruck bringen, dass sich hierin Gottes Urteil über Israels latre‚ein ausspricht (vgl. die Belege und Literatur zu V. 6.15). ¨si·th“ und dikaios‚nh sind einschließlich ihrer Stammverwandten als Begriffspaar in der gesamten Umwelt des NT belegt (z. B. Dtn 9,5; Y 144,17; SapSal 9,3; Philo, Sacrif. 57; Spec. Leg. 1,304; Virt. 47; Abr. 208; griechHen 106,18; Plato, Prot. 333b; Plutarch, Mor. 857a; Mark Aurel 12,1; Eph 4,24; vgl. auch die thematischen Erörterungen über das Verhältnis der Begriffsinhalte bei Plato, Prot. 331a–e; Euthyph. 10e–12e). Darüber hinaus stehen beide Begriffe aber auch für den traditionellen Kanon der zwei Tugenden (vgl. Dihle, Kanon; Berger, Gesetzesauslegung, 143 ff), dessen komplementärer Dualismus die Gesamtheit des menschlichen Verhaltens zum einen hinsichtlich der Gottesbeziehung und zum anderen in Bezug auf das Verhältnis zu den Mitmenschen beschreibt (vgl. z. B. Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 4,9,2; Plutarch, Demetr. 24,10; Mark Aurel 7,66; Philo v. Alexandrien sieht das gesamte Gesetz in diesen beiden Tugenden zusammengefasst; vgl. Spec. Leg. 2,63 [zit. bei 10,27]). Das ist alles natürlich gut jüdisch, und doch bringt Lukas diese Heilshoffnung so zur Sprache, dass sie auf die christlichen Gemeinden hin offen ist und die christliche Heilsorientierung inkludiert (vgl. nur Apg 24,14). Er setzt damit ein deutliches Signal der ungebrochenen heilsgeschichtlichen Kontinuität zwischen den Heilshoffnungen Israels und den christlichen Gemeinden seiner Gegenwart: In ihnen hat das Gottesvolk – vermittelt durch das im Hause Davids erweckte „Horn des Heils“ (V. 69) – zu seiner Bestimmung gefunden. 76–78a Lukas lässt Zacharias nun in die Zukunft blicken und die Rolle beschreiben, die sein Sohn bei der Verwirklichung von Gottes Heilsplan spielen wird. Er legt ihm zu diesem Zweck gattungsspezifische Elemente eines Geburtstagsgedichts (Genethliakon) in den Mund (vgl. Erdmann* 41 f; Berger, Gattungen, 1197 f; Zeller* 104 ff). 76 Den Neueinsatz markiert die Partikel dfi, während ka‡ das Kind in die Reihe der Propheten von V. 70 stellt (vgl. Lambrecht*). Zunächst geht es um den Status, der dem Kind durch Gott verliehen wird (vgl. zu V. 32 sowie 1./3.Esr 4,42). profflth“ ≠y‡stou ist eine kontextabhängige (vgl. V. 32) Analogiebildung zu profflth“ toú jeoú/kur‡ou (z. B. 1.Kön 18,22; 22,7; 2.Kön 3,11; 5,3LXX; 2.Makk 15,14; Sir 46,13; Josephus, Ant. 8,402; 10,92). Innerhalb des literarischen Zusammenhangs kommt dem Titel ‚Prophet des Höchsten‘ eine dreifache Verweisungsfunktion zu: (a) Johannes wird über die Stichwortverknüpfung ‚Prophet‘ an die Reihe der in V. 70 erwähnten Propheten angeschlossen, und mit ihm wird diese Reihe zugleich abgeschlossen (s. auch 16,16), denn nach ihm kommt nur noch der Herr (76b); dies entspricht der Erwartung, die sich mit der Wiederkehr Elias verband (s. zu V. 17). Gleichzeitig basiert hierauf die Besonderheit der prophetischen Funktion des Täufers (s. auch zu 7,26 f). (b) Die Formulierung verweist auf V. 32, wo es von Jesus heißt, dass er ‚Sohn des Höchsten‘ genannt wird. Das Ineinander von Differenz und Gemeinsamkeiten soll nicht den Täufer gegenüber Jesus herabsetzen, sondern zum Ausdruck bringen, dass beiden eine unterschiedliche Rolle in dem einen Heilsplan Gottes zugedacht ist. (c) Die Bezeichnung knüpft an die Prophetentypologie von V. 15c–16 an und bringt sie auf den Begriff. Diese Anknüpfung wird auch in 76b fortgeführt, wo aus V. 17a die eschatologische Funktion der Vorläuferschaft vor dem Kommen Gottes 115

1,77

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

übernommen ist. Das Motiv der Wegbereitung, das in V. 17c ebenfalls durchscheint, entstammt der synoptischen Täuferüberlieferung, wobei Lukas hier das Zitat aus Mal 3,1 (Mk 1,2; Lk 7,27 par. Mt 11,10) mit dem aus Jes 40,3 (Mk 1,3parr.) verschmilzt. Unter dem k‚rio“ will Lukas mit Sicherheit Gott verstanden wissen (s. auch bei V. 17); dass Johannes dann faktisch zum Vorläufer Jesu wird, macht diese Aussage zu einem charakteristischen Merkmal der lk Christologie. 77 Der mit toú substantivierte Infinitiv gibt an, worin die Wegbereitung besteht, mit der Johannes betraut ist. Ähnlich wie in der Beschreibung des prophetischen Auftrags durch Gabriel (V. 16 f) fällt ihm auch nach den Worten seines Vaters die Aufgabe zu, das Gottesverhältnis Israels in Ordnung zu bringen: „Erkenntnis des Heils geben“ entspricht hierbei „zum Herrn, ihrem Gott, hinwenden“ (V. 16) und referiert auf die von Johannes verkündete Umkehrtaufe (3,3; Apg 10,37; 13,24). gnùsi“ ist darum hier als Bekehrungsbegriff zu verstehen (vgl. R. Bultmann, ThWNT 1,697,35 ff; 701,14 ff; 703,54 ff; zur Formulierung gnùs‡n tino“ did·nai «Wissen von etwas geben» vgl. SapSal 7,17; 10,10; Barn 21,5). Der synoptischen Täuferüberlieferung entnommen ist dann wieder die Formulierung †n üffisei ®martiùn a§tùn (vgl. Mk 1,4 par. Lk 3,3; außer Mt 26,28; Kol 1,14 ist sie im Neuen Testament sonst nur bei Lukas belegt: Lk 24,47; Apg 2,38; 5,31; 10,43; 13,38; 26,18; außerhalb: Philo, Vit. Mos. 2,147; Spec. Leg. 1,190). Sie ist von swthr‡a abhängig und gibt an, wodurch das Heil zustandekommt. Der abschließende Ausdruck in 78a bezieht sich auf V. 77 und gibt den Ermöglichungsgrund (di› + Akk.; vgl. B/D/R § 222,2) für das heilvolle Wirken des Täufers an: Weil Gott barmherzig und voller Mitleid ist, ermöglicht er den Sündern Umkehr und sagt ihnen den Erlass ihrer Sünden zu. spl›gcna (wörtlich: die Eingeweide; vgl. H. Köster, ThWNT 7,548 ff; Spicq, Lexicon III, 273 ff) ist Metapher für die menschliche Emotionalität und wird auch häufig im Sinne von Erbarmen und Mitleid gebraucht. Die Formulierung spl›gcna †lfiou“ findet sich in TestSeb 7,3; 8,2.6 als Tugend der Frommen (s. auch 1QS 1,22; 2,1; 4Q403 1 I,23; 4Q405 3 II,15; Kol 3,12: spl›gcna o¢ktirmoú). Aufs Ganze gesehen findet der in V. 77–78a zum Ausdruck gebrachte theologische Zusammenhang auch in sprachlicher Hinsicht seine engste Entsprechung in OrMan 7: „Du bist der Herr, langmütig, mitleidig, erbarmensreich (e∂splagcno“, polufileo“) …, denn du, Gott, hast Vergebung der Umkehr (metano‡a“ ±fesin) den Sündern verheißen, und in der Fülle deines Erbarmens hast du Umkehr (met›noia) bestimmt für die Sünder zum Heil (e¢“ swthr‡an)“. 78b–79 Der relativische Anschluss verweist auf spl›gcna, und die in zahlreichen Handschriften belegte Lesart †peskfiyato (a2 A C D u. a.) ist als Angleichung an den Aorist desselben Verbs in V. 68b zu erklären. Auffällig ist, dass im dritten Teil des Benedictus der metaphorische Charakter der Sprache sich sprunghaft verdichtet, was seinen Ausdruck vor allem darin findet, dass anders als in den beiden vorangegangenen Teilen ein Metonym (ünatolfl) als Subjekt fungiert. Auf Grund der Herkunftsangabe (†x æyou“) sowie der Metaphorik von 79a („erscheinen“, „Finsternis“, „Schatten“) sind in Bezug auf die Frage nach dem bildspendenden semantischen Feld eher himmlische Lichtphänomene vorauszusetzen (z. B. Jes 60,19; griechHen 18,15; Plutarch, Mor. 355b; Mt 2,2.9) als Wachstumsvorgänge (z. B. Gen 19,15; Ez 16,7LXX; PsSal 5,9). Auch im frühen Judentum wird die Begrifflichkeit bereits metaphorisch verwendet: In Sach 3,8; 6,12 ist ünatolfl messianischer Titel (vgl. in diesem Sinne auch Y 131,17: †xanatelù kfira“ tù Dau‡d «ich will aufsprießen lassen ein Horn für David»; Jer 23,5; Num 24,17 und die Rezeptionen

116

1,57–79(80): Die Geburt des Johannes, sein Name und das Gotteslob seines Vaters

1,79

dieses Textes in CD 7,18–20; TestLevi 18,3; TestJud 24,1. – Philo, Conf. Ling. 62 f deutet Sach 6,12 auf den Logos); verbreitet sind vor allem syntagmatische Metaphern: Mal 3,20 (den Gottesfürchtigen wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen); Ps 72,7 (Gerechtigkeit und Fülle des Friedens); Jes 60,1 (die d·xa des Herrn); TestSim 7,1 (tÖ swtflrion toú jeoú aus Levi und Juda; s. auch TestDan 5,10; TestNaph 8,2; TestGad 8,1; TestSeb 9,8: der k‚rio“ selbst als Licht der Gerechtigkeit); Mt 4,16 (abgewandeltes Zitat von Jes 9,1). – Noch weiter zurück reicht das bei F.J. Dölger, Sol Salutis, 21925, 152 mitgeteilte babylonische Königsorakel, obwohl der „Aufgang“ hier nicht „aus der Höhe“ erfolgt: „(Aus dem Hause) heraus wird er aufleuchten. (Aus dem) Hause heraus wird er groß werden. Ein König, der seinesgleichen nicht hat. Wie Sonnenaufgang wird er aufleuchten.“

Die semantische Breite dieser metaphorischen Verwendung sollte davor bewahren, in allegorisierender Weise ausschließlich nach der Referenzbedeutung von ünatolfl in 78b zu fragen. In der Regel wird dabei angenommen, dass Lukas hier auf Jesus als den davidischen Messias verweisen wollte (so außer den meisten neueren Kommentaren z. B. Farris* 141; Mittmann-Richert* 121 ff; Strauss, Davidic Messiah, 103 ff; anders z. B. Zahn; Radl* 125 ff: Gott; Gathercole*: eine präexistente, himmlische Messiasgestalt; s. auch Nolland). Obwohl Lukas sich hier in komprehensiver Weise auf das mit der Verkündigung Jesu einhergehende Heilsgeschehen bezieht (vgl. die Wiederaufnahme von †piskfiyesjai in Lk 7,16; 19,44; zum Zusammenhang s. Tannehill, Narrative Unity I, 87), sollte die intensionale Bedeutung der Metaphorik nicht überspielt werden. Zum Ausdruck gebracht wird demnach, dass mit Jesus Gottes Heil vom Himmel her unter seinem Volk epiphan wird. Der Gebrauch von †x æyou“ in der Septuaginta legt es außerdem nahe, diese Wendung nicht als appositionelles Attribut von ünatolfl zu behandeln, sondern mit †piskfiyesjai zu verbinden: Wie in Y 17,17 (= 2.Sam 22,17); 101,20; 143,7 kennzeichnet es die Herkunft des von Gott kommenden Heils (s. auch Sir 16,17; Thren 1,13). Also: referentiell verweist ünatolfl auf die Sendung Jesu, signifikativ bezeichnet der Begriff das von Gott her kommende Heil, und traditionsgeschichtlich angeknüpft wird an alttestamentlich-jüdische Lichtmetaphorik (Finsternis ist Unheil [vgl. 79a], Licht ist Heil; s. dazu O. Böcher, TRE 21,90 ff). Dass hier nicht vom ‚Licht‘ allgemein, sondern in einschränkender Weise von seinem ‚Aufgang‘ gesprochen wird, könnte mit der semantischen Konnotation dieses Begriffs zusammenhängen, denn er markiert den Übergang von der Finsternis zum Licht (der Aufgang der Sonne vertreibt die Finsternis) und akzentuiert damit die Sendung Jesu gezielt als wahrnehmbaren Beginn der eschatischen Heilszeit. Die nicht zu diesem Bild passende Verknüpfung mit †piskfiyesjai, das in einen anderen Zusammenhang gehört (s. o. zu V. 68), ist eine Katachrese, wie sie bei der Verwendung von Metaphern häufig vorkommt. In 79 werden die Heilsfolgen für Israel beschrieben. Noch ganz im Bild bleibt zunächst der erste Infinitiv in 79a, der an die Beschreibung von Gottes rettendem Eingreifen zugunsten seines Volkes in Ps 107,10.14 anknüpft. Auch Jes 9,1 schildert die Rettungserfahrung Israels unter Rückgriff auf diese Metaphorik (vgl. auch die Veränderungen an diesem Text in Mt 4,16). Dem entspricht auch das Verb †pifa‡nein. Es gehört zwar zum semantischen Feld von ünatolfl (vgl. tö“ katÅ tÖn ªlion ünatolö“ †pifainomfinh“ «als der [Sonnen-]Aufgang in Erscheinung trat» in Polybius 3,113,1; 11,22,6), doch beschreibt es hier mit seiner metaphorischen Verweisfunktion wie auch sonst „das geschichtlich faßbare Eingreifen des Gottes zugunsten seiner Verehrer“ (Lührmann, Epiphaneia, 195 f). – 79b gibt das Ziel des Rettungshandelns an. 117

1,80

1,5–79(80): „In den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa“

Die Metapher vom ‚Weg‘ zeigt an, dass es hierbei um Israels Verhalten geht (vgl. F. Hauck, ThWNT 5,50 ff). Die Genitiv-Verbindung ¨dÖ“ e¢rflnh“ steht nur mittelbar in Verbindung mit dem Scheltwort Jes 59,8 – eher könnte man noch an eine Anknüpfung an Jes 41,3LXX denken (diele‚setai †n e¢rflnÔh ™ ¨dÖ“ tùn podùn a§toú «in Frieden daherkommen wird der Weg seiner Füße»; s. auch V. 2a); es dürfte sich um eine Analogiebildung zu Formulierungen wie ¨dÖ“ ülhje‡a“ «Weg der Wahrheit» (Gen 24,48; Tob 1,3; Y 118,30; SapSal 5,6: „Wir irrten ab vom Weg der Wahrheit, und das Licht der Gerechtigkeit leuchtete uns nicht, und die Sonne ging für uns nicht auf [o§k ünfiteilen ™mõn]“; 2.Petr 2,2), ¨dÖ“ zwö“ «Weg des Lebens» (Y 15,11; Prov 5,6; 6,23; 15,24; Jer 21,8; Apg 2,28) u.ä. handeln, wobei der Genitiv stets die Art und Weise des Weges resp. der Lebensführung charakterisiert (Gen. qualitatis). Ziel des Rettungshandelns Gottes ist es also, Israel ein Verhalten zu ermöglichen, dem seine Heilszusage gilt und das Israels Identität als Gottesvolk entspricht. Dass Lukas hierbei natürlich an die Verkündigung Jesu denkt, lässt die Verwendung von e¢rflnh in Lk 19,42; Apg 10,36 deutlich erkennen. Von hier aus gesehen ist der ‚Weg des Friedens‘, auf den Israel geführt werden soll, nichts anderes als die Annahme der Verkündigung Jesu. 80 Mit dem Summarium, das der Exposition V. 5–7 kompositorisch entspricht, beendet Lukas die Reihe der Episoden, die er in die Regierungszeit Herodes’ d.Gr. datiert hatte (V. 5). Er gibt die Rhythmisierung der Erzählung durch Monate (vgl. V. 24.26.56) auf und umgreift einen nach Jahren zu bemessenden Zeitraum (dementsprechend verwendet er auch Imperfekte). In 80c überschreitet er sogar den in V. 5 abgesteckten zeitlichen Rahmen, die Regierungszeit Herodes’ d.Gr. (ebenso wird Lukas auch in 2,40.52; 24,53 verfahren), und in 3,1 f wird er den Erzählfaden nach der Unterbrechung durch Kap. 2 wieder aufnehmen. Die Notiz über das Heranwachsen des Kindes orientiert sich an Ri 13,24 f (Simson) und 1.Sam 2,21.26 (Samuel; s. auch 3,19). Der Plural †n taõ“ †rflmoi“ ist hier wie auch in 5,16 (diff. Mk 1,45: †pû †rflmoi“ t·poi“); 8,29 (s. auch Sir 9,7; Jes 5,17; Ez 36,33; Mal 1,4) elliptischer Ausdruck für †n †rflmoi“ t·poi“ «an einsamen Orten» (Josephus, Ap. 1,306.308.314; vgl. B/D/R § 241,1). Es handelt sich dabei nicht um eine „Wüste“ im eigentlichen Sinne des Wortes; vielmehr bezeichnet das Wort ≤rhmo“ zunächst nicht mehr als eine unbesiedelte Gegend. Dass Johannes seine Jugend in Qumran verbrachte (so z. B. Fitzmyer), geht daraus nicht hervor. Ebenfalls elliptisch dürfte die abschließende Formulierung sein, denn ün›deixi“ etc. wird sonst nicht mit pr·“ verbunden. Der Bezug dieses Begriffs auf eine Person legt es nahe, ihn hier im häufig belegten technischen Sinne der Einsetzung in ein Amt zu verstehen (z. B. Plutarch, Gracch. 33,7; Polybius 15,25,11; 2.Makk 9,25; 10,11; Lk 10,1; vgl. Bikerman*; Spicq, Lexicon I, 103 f); sie wird in 3,2 erzählerisch realisiert; zur Erzähltechnik s. bei V. 56.

118

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“ Lukas setzt neu ein und weitet dabei gleichzeitig den politisch-geographischen Horizont, in den er das erzählte Geschehen einordnet (s. bei 1,5). Die literarische Gestaltung ist ein Stück weit mit Kap.1 vergleichbar: Auf eine Exposition (V. 1–3) folgt eine Reihe von Episoden (V. 4–39), die dann durch ein Summarium abgeschlossen wird (V. 40–52), das die Erzählung über den in der Exposition gesetzten zeitlichen Rahmen hinausführt. Damit enden jedoch schon die Gemeinsamkeiten. Denn abgesehen davon, dass Lukas das abschließende Summarium (V. 40.52) durch eine eingelagerte Episode anreichert (V. 41–51), unterscheidet sich auch die raumzeitliche Organisation der Episodenfolge von Kap. 1: Zwar setzt Lukas auch in diesem Kapitel zeitliche Gliederungssignale (V. 21.22), doch zum einen rechnet er hier in Tagen (in Kap. 1 waren die Episoden immer durch mehrere Monate voneinander getrennt; vgl. 1,24b.26.56) und zum anderen erzählt er zwischen den beiden Tageszählungen nicht eine eigene Episode, sondern liefert lediglich einen Epilog (V. 21), dessen Zuordnung zum Voraufgehenden mit 1,24a vergleichbar ist. Darüber hinaus ist die Textgliederung in Kap. 2 durch topographische Angaben bestimmt. Erkennbar wird dies bereits daran, dass die gesamte Episodenfolge durch eine Inklusion von zwei miteinander korrespondierenden Reisenotizen eingerahmt ist: Josefs Reise von Nazareth in Galiläa nach Bethlehem (V. 4) und die Rückkehr der Familie ebendorthin von Jerusalem aus (V. 39b). Zwischendrin wechselt der Schauplatz in V. 22 von Bethlehem nach Jerusalem, so dass sich zwei räumliche Haftpunkte für die Episodenfolge von Kap. 2 ergeben: in V. 4–21 Bethlehem und in V. 22–39 Jerusalem. Auf dieselbe Art und Weise organisiert Lukas seine Erzählung auch in 4,14–30.31–44 (Nazareth und Kapharnaum) sowie in 7,1–10.11–50 (Kapharnaum und Naïn). 2,1–3: Exposition 1Es

geschah aber in jenen Tagen, da ging eine Anordnung von Caesar Augu­ stus aus, dass der ganze Erdkreis registriert werden sollte. 2Diese Registrie­ rung geschah erstmals, als Quirinius über Syrien herrschte. 3Und jedermann ging, um sich registrieren zu lassen, jeder in seine Stadt. Literatur: s. o. S. 69. – Außerdem: H. Braunert, Der römische Provinzialzensus und der Schätzungsbericht des Lukas-Evangeliums, in: ders., Politik, Recht und Gesellschaft in der griechisch-römischen Antike, Stuttgart 1980, 213–237. – P.A. Brunt, The Revenues of Rome, JRS 71 (1981) 163–172. – K. Haacker, Erst unter Quirinius?, BN 38/39 (1987) 39–43. – M. Hirschmüller, Der Zensus des Quirinius nach der Darstellung des Josephus, JETh 8 (1994) 33–68. – M. Hombert / C. Préaux, Recherches sur le recensement dans l’Égypte romaine, Leiden 1952. – K.-

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2,1–3

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

S. Krieger, Die Historizität des Census des Quirinius, BN 87 (1997) 17–23. – J. Marquardt, Römische Staatsverwaltung II, Leipzig 21884 = Darmstadt 31957, 204–246. – B. Palme, Die ägyptische katû o¢k‡an üpograffl und Lk 2,1–5, ProBi 2 (1993) 1–24. – Ders., Neues zum ägyptischen Provinzialzensus, ebd. 3 (1994) 1–7. – B.W.R. Pearson, The Lucan Censuses, revisited, CBQ 61 (1999) 262–282. – S.E. Porter, The Reasons for the Lukan Census, in: Paul, Luke and the Graeco-Roman World, 165–188. – K. Rosen, Jesu Geburtsdatum, der Census des Quirinius und eine jüdische Steuererklärung aus dem Jahre 127 nC, JAC 38 (1995) 5–15. – Schürer, History I, 399–427. – M.D. Smith, Of Jesus and Quirinius, CBQ 62 (2000) 278–293. – M. Wolter, Erstmals unter Quirinius! Zum Verständnis von Lk 2,2, BN 102 (2000) 35–41

Diese Verse korrespondieren mit 1,5–7, und ihnen kommt ebenfalls die Funktion zu, das erzählte Geschehen in seinen historischen Kontext einzuordnen. Anders als dort werden hier aber nicht die Hauptpersonen vorgestellt, sondern es wird gerade umgekehrt in einer weiten Einstellung des Erzählwinkels der allgemeine zeitgeschichtliche Kontext skizziert, der das Handeln der Einzelpersonen, auf die sich die Erzählperspektive dann ab V. 4 fokussiert, motiviert. Die üpograffl, von der Lukas hier spricht, wird auch bei Josephus erwähnt (vgl. Ant. 17,355; 18,1–3; 20,102; Bell. 2,117 f; 7,253); in Ant. 18,26 datiert er sie in das 37. Jahr nach der Schlacht bei Actium (31 v. Chr.), d. h. in die Jahre 6/7 n. Chr. Sie wurde durchgeführt, nachdem Archelaus durch die Römer abgesetzt und sein Herrschaftsgebiet der römischen Provinz Syrien zugeschlagen worden war. Josephus berichtet an den genannten Stellen (s. auch Bell. 2,433) davon, dass (Publius Sulpicius) Quirinius als neuernannter Legat der Provinz Syrien den Auftrag erhielt, einen census zur Erhebung des Besitzstandes der Bevölkerung (üpot‡mhsi“) vorzunehmen und das Eigentum des Archelaus zu verkaufen (vgl. Ant. 17,355; 18,1.26; zu Quirinius vgl. M. Wolter, RGG4 6,1871). Eine Analogie zur Formulierung ™gemone‚onto“ tö“ Sur‡a“ Kurhn‡ou findet sich Josephus, Bell. 1,20 (nach dem Tod des Herodes geriet das Volk in Aufruhr A§go‚stou … ßRwma‡wn ™gemone‚onto“ «als Augustus über die Römer herrschte»; s. auch Ant. 15,345; Vita 347; Lk 3,1). In Ant. 18,3 f schreibt Josephus, dass die Bevölkerung Judäas über die Nachricht von den beabsichtigten Registrierungen (†pÑ taõ“ üpografaõ“) aufgebracht war, sich dann aber fügte, während eine durch Judas Galilaeus angeführte Widerstandsbewegung die Aktion heftig bekämpfte (s. auch Apg 5,37; Josephus, Ant. 20,102; Bell. 2,117 f.433; 7,253–255; Judas forderte mÉ poieõsjai tÅ“ üpograf›“ «keine Registrierungen durchzuführen» [7,253]; dazu: Hengel, Zeloten, 79 ff). Wenn Lukas ergänzend feststellt, dass unter Quirinius erstmals (vgl. Wolter*, Erstmals) ein census auch in Judäa veranstaltet wurde, so ergibt dies insofern einen guten Sinn, als wir wissen (vgl. Brunt* 164), dass in der frühen Kaiserzeit damit begonnen wurde, in neu eingerichteten Provinzen als eine der ersten Verwaltungsmaßnahmen einen census durchzuführen (F.M. Ausbüttel, Die Verwaltung des römischen Kaiserreiches, 1998, 78: „Initialzensus“). Mit seiner Hilfe wollte sich die römische Provinzialverwaltung einen Einblick in die Vermögens‑ und Besitzverhältnisse der Provinzialen verschaffen, um auf dieser Grundlage die direkten Steuern (d. h. die Kopf‑ und die Grundsteuer) festsetzen zu können. Dieser sog. Provinzialzensus erfasste nur die peregrini; er darf darum nicht mit den census der Reichsbürger verwechselt werden, die Augustus in den Jahren 28 und 8 v. Chr. sowie 14 n. Chr. durchführen ließ (vgl. Res Gestae 8; Sueton, Aug. 27,5; s. auch W. Kubitschek: PRE 3/2,1918 f; Braunert* 214 ff). Diese Maßnahmen konnten in unterschiedlichem Umfang wiederholt werden (vgl. Ausbüttel* 79; zu Ägypten s. die beiden Aufsätze von Palme*). Eine wertvolle Quelle ist die Besitzstandserklärung der Babatha, die anlässlich eines im Jahr 127 n. Chr. durchgeführten census abgegeben wurde (s. dazu Rosen*): Obwohl Babatha in Maoza bei Zoara (wenige Kilometer südlich des Toten Meeres) wohnte, gab sie ihre Erklärung in dem ca. 40 km entfernten Rabbath Moab ab (P. Babatha 16, in: The Documents from the Bar Kokhba Period in the Cave of Letters. Greek Papyri, ed. N. Lewis, Jerusalem 1989). Damit ist gleichzeitig gesagt, dass im Widerspruch zu V. 1b ein Provinzialzensus niemals in allen Provinzen gleichzeitig durchgeführt wurde (s. auch Schürer* 407 ff; Palme*, Neues). Einen Überblick über die 1981 bekannten Provinzialcensus gibt Brunt* 171 f. – Weiteres s. bei V. 3.

120

2,1–3: Exposition

2,2

1 †n taõ“ ™mfirai“ †ke‡nai“ bezieht sich nicht auf 1,5 zurück, sondern knüpft an 1,80 an und datiert damit das erzählte Geschehen in die Zeit des Heranwachsens des Täufers (vgl. die analoge Verwendung dieser Zeitangabe mit Bezug auf ein voranstehendes Summarium in 1.Sam 4,1; 2.Chr 32,24; Mt 3,1; Mk 1,9; ausführlich Wolter*, Wann, 414). Der zeitliche Abstand zwischen den in Kap. 1 erzählten Ereignissen und dem neu eröffneten erzählerischen Sammelbecken bleibt also unbestimmt (hieran scheitert das Zeitschema von Dillmann* 82, der die Geburt Jesu 9 Monate nach dem Besuch Gabriels bei Maria stattfinden lässt). Es gibt darum auch keinen Grund, „Quirinius“ durch „Quintilius (Varus)“ zu ersetzen (gegen J.M. Rist, JThS. NS 56 [2005] 489–491). Als Handlungserregungspunkt wird in 1b der Erlass einer Anordnung (zur Formulierung vgl. Dan[Th] 2,13) durch Augustus benannt. Lukas transkribiert hier die lateinische Bezeichnung augustus «geweiht, erhaben, majestätisch»; griech.: sebast·“ (vgl. Apg 25,21.25) und verwendet sie als Eigennamen (s. auch Josephus, Bell. 1,20; 2,168.215). Die Namensangabe entspricht der Nennung von Herodes d.Gr. in 1,5, und Analoges gilt auch für die politisch-geographischen Angaben: „Judäa“ als herodeisches Herrschaftsgebiet (1,5) korreliert mit pôsa ™ o¢koumfinh als dem angeblichen Geltungsbereich der Anordnung (1c). Historisch korrekt ist auch diese Information nicht (s. o.), und so wird man nicht fehlgehen, wenn man den Angaben wiederum leserlenkende Funktion zuschreibt: Ging es in 1,5 darum, das Folgende gezielt als Fortschreibung der Geschichte Israels zu qualifizieren, so wird den Lesern jetzt signalisiert, dass sie es nunmehr mit Ereignissen von weltgeschichtlicher Bedeutung zu tun bekommen (s. auch Apg 26,26). Beide Perspektiven dürfen aber nicht gegeneinander ausgespielt werden, denn durch die Einbettung der Ankündigung von Jesu Geburt in die Chronologie der Schwangerschaft Elisabeths (1,26–38[56]) stellt Lukas eine unauflösbare Verklammerung zwischen ihnen her. Aus der Geschichte Israels heraus kommt es zu einem Ereignis von universaler Reichweite, oder präziser gesagt: Die Geschichte Israels gewinnt durch Jesus welthistorische Bedeutung. Die Fortsetzung wird zeigen, dass gerade auch der Herrscher über den gesamten orbis terrarum «Erdkreis» (zu o¢koumfinh als Bestandteil der Herrscherideologie vgl. 1./3.Esr 2,2; Josephus, Bell. 1,633: der römische Caesar als ¨ tö“ o¢koumfinh“ prost›th“ «Patron des Erdkreises»; OGIS 668,5: Nero als swtÉr kaÑ e§ergfith“ tö“ o¢koumfinh“ «Retter und Wohltäter des Erdkreises»; vgl. mit weiteren Belegen O. Michel, ThWNT 5,159; H. Balz, EWNT 2,1231) damit zum Werkzeug von Gottes Heilsplan wird. 2 Der Satzbauplan ist etwas undurchsichtig. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist aber aæth [™] üpograffl das Subjekt des Satzes, pr„th †gfineto ist das Prädikat, und der Genitivus absolutus ™gemone‚onto“ tö“ Sur‡a“ Kurhn‡ou gibt den Zeitraum an, in dem dieser erste Census durchgeführt wurde. Lukas will also nicht sagen, dass es sich um die erste einer Mehrzahl von üpografa‡ handelte, die Quirinius durchgeführt hat (so Wiefel), sondern dass dies der erste Census in Judäa war und dass er unter der Prokuratur von Quirinius stattfand (zum Verständnis von pr„th vgl. Wolter*, Erstmals). – üpograffl und üpogr›fesjai (V. 1) sind verwaltungssprachliche Termini technici und bezeichnen die Eintragung in ein Verzeichnis bzw. das Anlegen eines solchen oder auch das Verzeichnis selbst (vgl. Preisigke, Wörterbuch I, 170 ff; Suppl. I, 30; E. Plümacher, EWNT 1,301 ff). Worum es konkret geht, erläutert Lukas mit Hilfe eines Erzählerkommentars (vgl. Sheeley, Narrative Asides, 102 ff), der die Leser über 121

2,3

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

den historischen und chronologischen Kontext der Ereignisse in Kenntnis setzt. Dieser Information kommt die Funktion zu, den folgenden Episodenzusammenhang von der Zeit der Herrschaft Herodes’ d.Gr. chronologisch eindeutig zu distanzieren: Zwischen dessen Tod und dem unter Quirinius durchgeführten Provinzialzensus lag ein Zeitraum von ca. 10 Jahren, in dem der Herodessohn Archelaus als Ethnarch über Judäa, Samaria und Idumäa herrschte (vgl. Josephus, Ant. 17,342; s. auch bei 19,11–27). Ein Widerspruch zur relativen Chronologie der lk Darstellung entsteht dadurch nicht (s. zu V. 1). Die langjährige Debatte über diese Problematik (vgl. z. B. die Überblicke bei Brown* 547 ff; Porter*) ging insofern von falschen Voraussetzungen aus. Einen unausgleichbaren Widerspruch gibt es freilich zur Datierung der Geburt Jesu in die Regierungszeit Herodes’ d.Gr. durch Matthäus. 3 Die Auskunft, wonach jeder zur Abgabe seiner Besitzstandserklärung „in seine Stadt“ zu gehen habe, was Lukas in V. 4 f so interpretiert, dass Josef zusammen mit seiner Verlobten von Nazareth nach Bethlehem reisen musste, weil er von David abstammte, lässt sich aus drei Gründen nicht mit den bekannten census-Modalitäten in Einklang bringen: (a) Die Registrierung erfolgte nicht am Herkunftsort der Familie, sondern am Amtssitz der zuständigen Steuerbehörde. Und so wurde dann auch die üpograffl Babathas 16 (s. o.) von einer Zensuspflichtigen, die in Maoza bei Zoara (wenige Kilometer südlich des Toten Meeres) lebte, in dem ca. 40 km entfernten Rabbath Moab abgegeben. (b) Die aus der Provinz Ägypten bekannte Institution der katû o¢k‡an üpograffl «hausweise Registrierung» (s. dazu Hombert / Préaux*; Palme*, APOGRAFH, 2 ff), auf die häufig zur Interpretation von 3b verwiesen wird, weil sie ebenfalls eine Reise erforderlich machen kann, geht mit ganz anderen Durchführungsbestimmungen einher: Die Zensuspflichtigen, die sich gerade außerhalb ihres Hauptwohnsitzes aufhielten, an dem sie registriert und steuerpflichtig sind, werden aufgefordert, dorthin zurückzukehren; P. Lond. III, 904,24: e¢“ tÅ ©autùn †ffistia «zum eigenen Herd»; BGU 159,7 u. ö.: e¢“ tÅ“ ¢d‡a“ (o¢k‡a“) «in die eigenen (Häuser)»; vgl. Rostovtzeff, Studien, 209 f; Palme*, APOGRAFH, 12 ff. Gegenüber dem von Lukas beschriebenen Vorgang sind hier die Verhältnisse also genau umgekehrt. (c) Josef und Maria lebten in Nazareth, d. h. in der Tetrarchie des Herodes Antipas (reg. 4 v. Chr. – 39 n. Chr.). Sie waren mithin von dem in Judäa durchgeführten Provinzialzensus des Jahres 6/7 n. Chr. nicht betroffen. Um dennoch die Reise nach Bethlehem motivieren zu können, muss man die ebenso phantasievolle wie unwahrscheinliche Zusatzhypothese eingeführen, dass Josef in Bethlehem oder Umgebung ein ererbtes Grundstück besaß (Zahn; Rosen* 12; Smith* 289 f). Selbst damit wäre aber immer noch nicht Marias Teilnahme an der Reise erklärt.

Wenn man dem Realienhintergrund trotzdem einen Einfluss auf die lk Darstellung zugestehen will, lässt sich darum allenfalls sagen: Die Auskunft, dass Augustus einen reichsweiten census angeordnet habe, könnte seinen Hintergrund darin haben, dass die census in den kaiserlichen Provinzen von den jeweiligen Statthaltern immer nur auf Grund einer besonderen kaiserlichen Ermächtigung durchgeführt wurden (vgl. Braunert* 219.223 f; D. Kienast, Augustus, 1982, 332 f). Darüber hinaus könnte Lukas auch gewusst haben, dass eine üpograffl gegebenenfalls eine Reise erforderlich machen konnte, weil die Zensuspflichtigen persönlich vor der zuständigen Behörde erscheinen mussten. Er benutzt diese Information, um Josefs und Marias Reise nach Bethlehem motivieren zu können. Sein Ziel ist es, zwei unterschiedliche Überlieferungen – dass Jesus in Bethlehem geboren wurde und dass er aus Nazareth stammte – miteinander in Einklang zu bringen. 122

2,4–21: Bethlehem

2,4–21

2,4–21: Bethlehem 4Es

ging aber auch Josef von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt, denn er stammte aus dem Haus und dem Geschlecht Davids, 5um sich registrieren zu lassen mit Maria, seiner Verlobten; die war schwanger. 6Es geschah aber, als sie dort waren, dass sich die Tage ihrer Niederkunft erfüllten. 7Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, und wickelte ihn in Windeln und bettete ihn in einen Futter­ trog, denn ihnen stand kein Platz in der Unterkunft zur Verfügung. 8Und Hirten waren in derselben Gegend auf dem Feld und hielten Nacht­ wache über ihre Herde. 9Und ein Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umleuchtete sie, und sie gerieten in große Furcht. 10Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht; denn siehe, ich froh­ botschafte euch eine große Freude, die dem gesamten Volk zuteil werden wird: 11Euch wurde heute ein Retter geboren – nämlich der Messias, der Herr – in der Stadt Davids. 12Und das (ist) das Zeichen für euch: Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt ist und in einem Futtertrog liegt.“ 13Und auf einmal war bei dem Engel die Menge des himmlischen Heeres, die Gott priesen und sprachen: 14 „Herrlichkeit in den höchsten Höhen für Gott und Friede auf Erden den Menschen des Wohlgefallens!“ 15Und es geschah, als die Engel von ihnen fort in den Himmel gegangen waren, da sprachen die Hirten zueinander: „Lasst uns doch nach Bethlehem gehen und diese Sache anschauen, die geschehen ist (und) die der Herr uns kundgetan hat.“ 16Und sie machten sich eilends auf den Weg und fanden Maria und Josef und das Kind, das im Futtertrog lag. 17Als sie (es) aber sahen, berichteten sie über den Inhalt dessen, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war. 18Und alle, die es hörten, wunderten sich über das, was ihnen von den Hirten gesagt wurde. 19Maria aber bewahrte alle diese Dinge – deren Bedeutung sie verstand – in ihrem Herzen. 20Und die Hirten kehrten zu­ rück – Gott preisend und lobend für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie es ihnen gesagt worden war. 21Und als acht Tage voll geworden waren, um ihn zu beschneiden, da nannte man seinen Namen Jesus, der vom Engel genannt worden war, bevor er im Mutterleib empfangen worden war. Literatur: s. o. S. 69. – Außerdem: P.-R. Berger, Lk 2,14: ±njrwpoi e§dok‡a“. Die auf Gottes Weisung mit Wohlgefallen beschenkten Menschen, ZNW 74 (1983) 129–144. – C. Burchard, A Note on ßRöma in JosAs 17:1 f; Luke 2:15,17; Acts 10:37, NT 27 (1985) 281–295. – D. Gerber, (…) comme il leur avait été dit. À propos des derniers mots de Luc 2,8–20, in: Raconter, interpréter, annoncer, 151–159. – F. Jung, SWTHR (NTA.NF 39), Münster 2002, 272–282. – J. Kügler, Pharao, 288– 299. – Ders., Die Windeln Jesu als Zeichen, BN 77 (1995) 20–28. – E. LaVerdiere, No Room for them in the Inn, Emmanuel 91 (1985) 552–557. – L. Legrand, On l’appela du nom de Jésus (Luc, II,21), RB 89 (1982) 481–491. – B. Olsson, The Canticle of the Heavenly Host (Luke 2.14) in History and Culture, NTS 50 (2004) 147–166. – Räisänen, Mutter 116–124. – W. Schmithals, Die Weihnachtsgeschichte Lukas 2,1–20, in: Festschrift für Ernst Fuchs, 281–297. – K. Smyth, ‘Peace on Earth to Men …’ (Lk 2.14), IrBSt 9 (1987) 27–34. – W.C. van Unnik, Die rechte Bedeutung des Wortes treffen. Lukas II.19, in: ders., Sparsa collecta I (NT.S 29), Leiden 1973, 72–91. – A.Vögtle, Was Weihnachten bedeutet, Freiburg u. a. 1977. – J. Winandy, Du kataluma à la crèche, NTS 44

123

2,4–5

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

(1998) 618–622. – M.Wolter, Die Hirten in der Weihnachtsgeschichte (Lk 2,8–20), in: Religionsgeschichte des Neuen Testaments, 501–517.

Die Erzähleinheit besteht aus drei Szenen: In V. 4–7 erzählt Lukas, wie Maria in Bethlehem mit ihrem ersten Sohn niederkommt. In V. 8–14 wird einer Gruppe von Hirten, die sich in der Nähe Bethlehems befindet, die Geburt und die künftige Bedeutung des Kindes bekanntgegeben. In V. 15–20 führt Lukas die Protagonisten der beiden ersten Szenen in Bethlehem zusammen. V. 21 schließt die Geburtsgeschichte ab. – Das Gewicht liegt zweifellos auf der Erscheinungserzählung in V. 8–14: Die Raffungsintensität ist hier am geringsten und der Anteil wörtlicher Rede am höchsten (außerhalb dieses Teils ergreifen die Erzählfiguren nur noch in V. 15b das Wort). Gleichwohl bildet die Episodenfolge in V. 4–20 eine in sich geschlossene erzählerische Einheit. Sie wird dadurch hergestellt, dass die einzelnen Textteile mehrfach miteinander verbunden werden, und zwar sowohl durch Proformen (†keõ, V. 6; a§tfl, V. 8) als auch durch Analepsen (sparganoún und f›tnh [V. 12 / V. 7]; Bethlehem als Stadt Davids [V. 15 / V. 11 / V. 4]; tÖ brfifo“ ke‡menon †n tÔö f›tnÔh [V. 16 / V. 12 / V. 7]; das den Hirten gesagte Øöma [V. 15.16.19 / V. 10–12]; die indirekte Akklamation in V. 20 mit ihrem Bezug auf V. 10–12.16). In 4–5 fokussiert Lukas die bisher großflächig gehaltene Darstellung auf einen Einzelfall. Die handlungsbestimmende Struktur der Verben wird zwar aus V. 3 übernommen (vgl. †pore‚onto … üpogr›fesjai mit ünfibh … üpogr›yasjai), doch werden jetzt die komprehensiven Pronomina durch individualisierende Eigennamen ersetzt und wechselt die Aktionsart vom iterativen Imperfekt in den punktuellen Aorist. Lukas führt Josef nur mit seinem Eigennamen und ohne weitere Näherbestimmung in die Erzählung ein. Er setzt also voraus, dass die Leser ihn bereits kennen, und er verweist sie damit zurück auf 1,26–38. Diesem Zweck dienen auch die übrigen topographischen (Galiläa, Nazareth; s. 1,26) und personalen Angaben (Herkunft †x o¥kou kaÑ patriô“ Davids; hierbei handelt es sich um ein Hendiadyoin, vgl. Num 1,44; 3,24; 18,1; 25,14 f; Jos 22,14; 1.Chr 23,11; 24,6 u. ö.). Dass Bethlehem als „Stadt Davids“ gilt, ist überraschend, denn im AT und bei Josephus wurden immer nur der Zion bzw. Jerusalem so bezeichnet (z. B. 2.Sam 5,7.9; Josephus, Ant. 7,65). Bethlehem war jedoch der Herkunftsort Davids (s. 1.Sam 16,1–13; 20,6: „seine Stadt“), und hier sollte nach Mi 5,1 auch der künftige Messiaskönig geboren werden (s. auch Joh 7,42; Bill. I, 83). Diese Identifikation ist für Lukas offenbar so selbstverständlich, dass er sie auch für die Hirten voraussetzt; vgl. V. 15 („Bethlehem“) nach V. 11 („in der Stadt Davids“). Obwohl Lukas in 5 eher beiläufig nachträgt, dass Josef von Maria begleitet wird, liegt hierin das eigentliche Ziel der bisherigen Darstellung, denn eigentlich müsste nur Maria – und nicht Josef – nach Bethlehem kommen, wenn Jesus dort geboren werden soll. Eine Reise dorthin ist für sie aber nur als Begleiterin Josefs plausibel zu machen, denn nur er – und nicht Maria – ist davidischer Abstammung. Die Skizzierung des zeitgeschichtlichen Hintergrunds in V. 1–3(4) hat also keine andere Funktion, als ein plausibles Szenario für Marias Reise nach Bethlehem aufzubauen. An einer Übereinstimmung mit der realen Enzyklopädie der Leser, die bereits in V. 4 arg strapaziert worden war, hat Lukas keinerlei Interesse. Dies wird auch daran erkennbar, dass er auf den census als den eigentlichen Grund für die Reise im Folgenden mit keinem Wort mehr eingeht (s. auch 2,39 sowie zu 1,9). 124

2,4–21: Bethlehem

2,7

Marias Identifizierung als Josefs Verlobte weist auf 1,27 zurück und informiert die Leser darüber, dass sich in dieser Hinsicht seitdem nichts geändert hat. Um so überraschender kommt dann aber die Feststellung, dass Maria schwanger ist. Diese Information korrespondiert in spannungsvoller Weise mit Marias Kennzeichnung als Jungfrau in 1,27. Erst jetzt erfahren die Leser, dass die Ankündigung Gabriels in 1,31 sich erfüllt hat (s. auch Spitta* 284). Neben dem Wie bleibt damit auch der Zeitpunkt der Empfängnis unerzählt, und Lukas überlässt es einmal mehr den Lesern, diese narrative Leerstelle mit Hilfe ihrer Imagination aufzufüllen. Das dürfte ihnen auf Grund der Fortsetzung auch nicht weiter schwer fallen. 6 Während Marias Aufenthalt in Bethlehem endet die Zeit ihrer Schwangerschaft (zur Formulierung s. bei 1,23), und dementsprechend will Lukas die Leser annehmen lassen, dass der nicht erzählte Konzeptionstermin in den Zeitraum „jener Tage“ des Heranwachsens des Johannes (1,80) fällt, auf die er in V. 1 verweist. Er fällt in den Zwischenraum, der die beiden erzählerischen Sammelbecken von Kap. 1 und Kap. 2 voneinander trennt (vgl. Wolter*, Wann, 416). Lukas hat damit ein schwieriges Darstellungsproblem erzählerisch und theologisch meisterhaft gelöst (s. auch zu 1,35), denn er verlegt die jungfräuliche Empfängnis durch den heiligen Geist in einen offenen Raum und wahrt genau dadurch ihre Nichterzählbarkeit und ihren Geheimnischarakter. 7 Dem Bericht von der Geburt Jesu wird zu Unrecht Kargheit und Knappheit attestiert (z. B. Nolland; Schürmann; Schweizer), denn es gibt in der ganzen Bibel kein Kind, das unmittelbar nach seiner Geburt eine so umfangreiche erzählerische Aufmerksamkeit erfährt wie Jesus. Die ausdrückliche Feststellung, dass das Kind die Erstgeburt ist, bekommt ihren guten Sinn von der mehrjährigen erzählzeitlichen Distanz her, die zwischen der Geburtsankündigung in 1,31 und ihrer Erfüllung liegt (s. o.). Sie stellt sicher, dass es in der Zwischenzeit nicht zu anderen Geburten gekommen ist. In V. 22 f benutzt Lukas diesen Sachverhalt, um Jesus erstmals in den Tempel führen und die Torafrömmigkeit seiner Eltern dokumentieren zu können (Näheres s. dort). Dass neugeborene Kinder in Windeln gewickelt werden, war auch sonst in der Antike gängige Praxis (Ez 16,4 stellt sie auf eine Ebene mit der Trennung der Nabelschnur). Lukas berichtet hier also etwas ganz Selbstverständliches, so dass man sich fragen muss, warum er diese Selbstverständlichkeit überhaupt erzählt und welchen Informationswert er dieser Mitteilung überhaupt beigemessen wissen wollte. Eine plausible Erklärung liefert die sog. „Hilflosigkeitssemantik“, die sich mit dem WindelMotiv verbindet (Kügler*, Windeln, 27; s. auch A.M. Schwemer, Elija als Araber, in: R. Feldmeier / U. Heckel [Hg.], Die Heiden, Tübingen 1994, 108–157, 125 f). Sie wird z. B. in SapSal 7,1.4 f benutzt, um deutlich zu machen, dass auch der König nur ein Mensch ist: „Auch ich bin sterblich, ein Mensch, der allen gleich ist. … †n sparg›noi“ und mit Fürsorge wurde ich aufgezogen; denn kein König trat anders ins Dasein“ (s. auch Plutarch, Mor. 638a: Windeln sind erforderlich diû üsjfineian; Aeschylus, Choeph. 755 ff; Agam. 1606; Dio Chrysostomus 6,16; Lukian v. Samosata, Dial. Deor. 11,2; Apollodorus, Bibl. 3,10,2). Einen guten Sinn bekommt das WindelMotiv damit im Blick auf die Geistzeugung Jesu, denn Lukas will mit Hilfe dieser Mitteilung von Selbstverständlichem zum Ausdruck bringen: Obwohl Jesus durch den Geist gezeugt worden war, wurde er doch als ganz normales menschliches Wesen geboren, das die Hilflosigkeit aller Neugeborenen teilte und genauso wie alle anderen 125

2,8–14

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

auf Fürsorge angewiesen war. Lukas geht es jedenfalls weder hier noch in 7c.d darum, die Niedrigkeit Jesu gegenüber dem imperialen Anspruch des römischen Caesars zu akzentuieren (so mit vielen anderen z. B. Schmithals*; Vögtle* 86 ff). Wie Lukas sich die in 7c.d beschriebene Szene vorgestellt hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Mit f›tnh meint er mit einiger Sicherheit einen Futtertrog (möglich wäre auch die Bedeutung ‚Stall‘, die hier jedoch nicht in Frage kommen dürfte; vgl. M. Hengel, ThWNT 9,51–57). Eine f›tnh konnte sich innerhalb oder außerhalb des Hauses befinden (letzteres ist in Lk 13,15 vorausgesetzt), sie konnte beweglich, als Nische in die Hauswand eingelassen, aus Lehm geformt oder in den Felsen gehauen sein (vgl. Dalman, Arbeit VI, 286 f; Hengel, a. a. O., 54,9 ff). – 7d will nicht sagen, dass Jesu Eltern obdachlos waren (so z. B. Brown* 399; Radl* 143 Anm. 2); Lukas erklärt hier vielmehr lediglich, warum das Neugeborene an einem so ungewöhnlichen Ort niedergelegt werden musste (s. auch Dibelius* 57 f). Für eine theologische Interpretation gibt dieses erzählerische Detail weniger her, als ihm in der Regel zugeschrieben wird. Weder ist mit Futtertrögen eine bestimmte Symbolik verbunden, noch gehören sie semantisch zum Hirtenmilieu oder zu Bethlehem als dem Geburtsort des davidischen Messias (so z. B. Dibelius* 59; M. Hengel, ThWNT 9,56; Radl* 189; vgl. dagegen nur Lk 13,15). VitProph 2,8 (die Ägypter „verehren bis heute eine Jungfrau im Wochenbett und legen einen Säugling [brfifo“] in einen Futtertrog [f›tnh] und beten ihn an [proskunoúsi]“) gehört mit großer Wahrscheinlichkeit in die Nachgeschichte unseres Textes. Auch als Hinweis darauf, dass Jesus im Sinne von Lk 9,58 aus der menschlichen Gesellschaft ausgegrenzt worden sei und darum nur im Bereich der Tiere seinen Platz gefunden habe (z. B. Marshall), wird man seine Ablage in einem Futtertrog kaum verstehen dürfen, denn die Begründung, die Lukas in 7d gibt, identifiziert sie eher als Lösung eines Problems, das seine Eltern hatten (o§k én a§toõ“). Es liegt darum viel näher, dass Lukas den Futtertrog lediglich als „ungewöhnlichen Ort“ (Hengel, a. a. O., 56) für die Bettung eines Neugeborenen verstanden wissen wollte, und darum kann er ihn in V. 12 auch zu einem Zeichen werden lassen. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass Lukas 7c als Bestandteil der Überlieferung vorgefunden und in 7d mit einer Begründung versehen hat (Radl* 168), die diesem Detail eine einfache Erklärung geben sollte. Die Bedeutung von kat›luma ist nur dann unklar, wenn man lediglich nach der Referenz fragt (vgl. den Überblick bei Brown* 400). Fragt man hingegen von den literarischen Verwendungszusammenhängen her nach der funktionalen Bedeutung dieses Begriffs im vorliegenden Kontext, gibt es eine eindeutige Antwort: Mit kat›luma wird immer wieder ein Ort bezeichnet, an dem man sich vorübergehend aufhält, d. h. wenn man unterwegs und nicht zuhause ist (vgl. z. B. Ex 4,24; 1.Sam 1,18LXX; 2.Sam 7,6 = 1.Chr 17,5; 1.Chr 28,13LXX; Jer 14,8; 40,12LXX; EpArist 181; Diodorus Siculus 36,13,2; Polybius 2,36,1; das Denotat ist in allen Fällen unterschiedlich, die Funktion jedoch identisch; s. auch LaVerdiere* 552 ff). 8–14 Formgeschichtlich handelt es sich wieder um einen Erscheinungsbericht. Die für diese Gattung spezifischen Merkmale (s. zu 1,8–25) lassen sich auch hier identifizieren: (a) die Erscheinungsempfänger fürchten sich (V. 9c); (b) die Aufforderung mÉ fobeõsje (V. 10a); (c) die Rede des Erscheinenden (V. 10b–11), bei der es sich hier um eine Geburtsverkündigung handelt (vgl. Zeller*). Erweitert ist die Form durch die Benennung eines Zeichens (V. 12) und durch einen zweiten Erscheinungsbericht (V. 13–14). 126

2,4–21: Bethlehem

2,9

8 Die Szene wechselt aufs Land. Als neue Erzählfiguren werden die Hirten in einer für sie typischen Situation eingeführt: Sie befinden sich im Freien (vgl. die Rede von poimfine“ ±grauloi bei Homer, Il. 18,162; Hesiod, Theog. 26; Apollonius v. Rhodos, Argon. 4,317; s. auch Strabo, Geogr. 15,3,18) und halten die Nachtwache über ihre Herde. Ob Lukas sich die Hirten in der unmittelbaren Umgebung Bethlehems vorgestellt hat, geht aus der Formulierung †n tÔö c„ra tÔö a§tÔö nicht zwingend hervor (vgl. Burchard, Studien, 332 f). – Über die Frage, warum Lukas gerade Hirten zu Adressaten der Geburtsverkündigung macht, gehen die Meinungen auseinander (vgl. Dibelius* 64 ff; J. Jeremias, ThWNT 6,489 f; Fitzmyer I, 395 f). Gegen die heute am weitesten verbreitete Annahme, dass Lukas hier die alttestamentliche Davidstradition aktualisiere (vgl. 1.Sam 17,15; s. auch 16,11–13; Ps 78,70–72), um auf Jesu Messianität hinzuweisen (z. B. Schürmann; Nolland), spricht Marshalls schwer zu widerlegender Einwand: „it should be the child who is a shepherd, not the witnesses of his birth“ (108). Es liegt darum näher, dass Lukas hier an die aurea-aetas-Erwartung der römischen Bukolik anknüpft, wie sie erstmals in Vergils 4. Ekloge bezeugt ist (s. Wolter*, Hirten). Für diese Erklärung spricht vor allem, dass Lukas die Hirten in eben genau jener Situation der Gefährdung zeichnet (s. auch TestGad 1,3: „Ich … bewachte in der Nacht die Herde [†gá … †f‚latton †n nuktÑ tÖ po‡mnion], und wenn ein Löwe oder ein Wolf … oder überhaupt ein Tier kam, verfolgte ich es …“), deren Aufhebung vom Goldenen Zeitalter erwartet wurde: Die nächtliche Wache über die Herden wird dann überflüssig (vgl. Calpurnius, Ecl. I,37–42; s. auch Vergil, Ecl. IV,22; Tibull, Eleg. I,10,9 f). Hinzu kommt noch, dass der Anbruch des Goldenen Zeitalters auch in dem genannten Calpurnius-Text den Hirten durch eine himmlische Offenbarung enthüllt wird: Hier wird erzählt, dass zwei Hirten auf einem Baumstamm eine Inschrift entdecken, die von Faunus, dem Gott der Hirten und Bauern, stammt und Neros Regierungsantritt als Wiedergeburt der aurea aetas (42) offenbart. Sie fordert zur Freude auf (gaudete; 36; s. auch 74: exsultet quaecumque … gens «jedes Volk soll sich freuen») und spricht vom Anbruch sicheren Friedens (secura pax; 42); vgl. auch OrSib 3,372, wo von der Kundgabe der in V. 367–371 beschriebenen Heilszeit Æ“ †n ügra‚loi“ «wie unter Feldbewohnern» die Rede ist (s. dazu H. Merkel, JSHRZ V/8, 1094). 9 †f‡sthmi benutzt im NT nur Lukas für Erscheinungen himmlischer Wesen (Lk 24,4; Apg 12,7; 23,11); außerhalb des NT ist es aber häufig in ähnlichen Zusammenhängen belegt (z. B. Homer, Il. 10,496; 23,105 f; Herodot 7,14,1; Isocrates, Or. 10,65; Diodorus Siculus 1,25,5; Josephus, Ant. 3,188; IG XIV,1014,5; jedoch nicht in LXX). Dass die Angelophanie mit der irdischen Präsenz der d·xa kur‡ou einhergeht, hebt ihre Bedeutung weit über die bisher berichteten Erscheinungen heraus. Von etwas Vergleichbarem wird Lukas später nur bei der Verklärung Jesu (Lk 9,31 f) und bei den Christophanien (Apg 9,3; 22,6; 26,13) berichten können. In der Repräsentation durch seine Herrlichkeit wird nicht weniger als Gott selbst auf Erden offenbar. Das ruft natürlich heilsgeschichtliche Assoziationen hervor und hebt dieses Geschehen auf eine Stufe mit den Erscheinungen des hw"hy> dAbK. in Israels Vergangenheit, wie z. B. beim Exodus (Ex 16,7.10) oder auf dem Sinai (Ex 24,16 f; Dtn 5,24); vor allem aber werden sich die Leser auch daran erinnern, dass die eschatologischen Heilsverheißungen für Israel in Jes 35,2; 40,5; 60,1.19 auch das Sichtbarwerden von Gottes Herrlichkeit beinhalten. Es ist darum kein Wunder, wenn die Hirten angesichts der unvermuteten Begegnung 127

2,10

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

mit Gott von besonders großer Furcht ergriffen werden (vgl. B/D/R § 153,1; s. auch zu 1,12). 10 Die gattungsspezifische Aufforderung mÉ fobeõsje (s. zu 1,13) begründet der Engel mit der Bekanntgabe seiner Verkündigungsabsicht: Es ist ein Freude auslösendes Ereignis, das er vermeldet; hierfür steht carÅ meg›lh als Metonym im Sinne der Grund-Folge-Beziehung (vgl. Lausberg, Handbuch, § 568,3). Die Verwendung von e§aggel‡zesjai an dieser Stelle hängt vielleicht mit der bevorzugten Verwendung dieses Verbs und seiner Stammverwandten im Kontext von Geburtsverkündigungen zusammen (Zeller* 127; z. B. Jer 20,15; Theophrast, Char. 17,7: e§aggel‡zesjai Ωti u´·“ soi gfigonen … «die freudige Nachricht bringen: Ein Sohn wurde dir geboren … »; OGIS II,458,41 [Kalenderinschrift v. Priene aus dem Jahr 9.v. Chr.]: érxen dÇ tù k·smw tùn diû a§tÖn e§aggel‡[wn ™ genfijlio“] toú jeoú «der Geburtstag des Gottes war für die Welt der Anfang der seinetwegen [verkündeten] Freudenbotschaften»).

Der Relativsatz qualifiziert den Inhalt der auszurichtenden Botschaft (vgl. B/D/R § 293,2b), indem er car› zu einem eschatischen Heilsgut macht (s. auch äthHen 5,7.9; 104,4; syrBar 68,4; 73,1 f; Joh 16,20; Röm 14,17; 1.Petr 4,13). (pô“) ¨ la·“ wird hier in demselben Sinn gebraucht wie in 1,68.77. Die Hirten werden damit einerseits zu Empfängern einer Israel geltenden Heilsproklamation (zur Formulierung mit ≤stai + Dativ vgl. z. B. Jes 11,16; Jer 4,10; 23,17; 36,7LXX; griechHen 5,7), andererseits repräsentieren sie auf Grund der mit ihnen verknüpften aurea-aetas-Semantik aber auch die Hoffnungen der gesamten Menschheit auf universalen Frieden. pô“ ¨ la·“ ist eine typisch lk Formulierung, denn mit Ausnahme von Mt 27,25; Hebr 9,19 findet sie sich innerhalb des Neuen Testaments nur im lk Doppelwerk, und hier gleich 17mal. 11 Das freudige Ereignis ist die Geburt des Retters für Israel. Der Dativus commodi ≠mõn schließt die Hirten mit dem gesamten Gottesvolk zusammen; bei Geburtsverkündigungen verweist er normalerweise auf den Vater oder die Eltern (z. B. Ri 18,29; 2.Sam 3,2; Jer 20,15; Josephus, Ant. 3,87). Dass ein Kind ‚für‘ ein Volk geboren wird, kennen wir nur aus Plutarch, Lyc. 3,4: Lycurg präsentiert seinen gerade geborenen Neffen, den er dann auch noch Car‡lao“ «Volksfreude» nennt, der Öffentlichkeit mit den Worten: „Ein König ≠mõn gfigonen «ist euch geworden», Spartaner“. Die sprachliche Gestalt der Formulierung entspricht aber denjenigen alttestamentlichen Texten, in denen davon die Rede ist, dass Gott ‚für‘ Israel o. ä. einen Menschen als swtflr „erweckt“ oder „gibt“: Ri 3,9.15; 2.Esr 19 (= Neh 9),27; Jes 62,11LXX; s. auch TestGad 8,1; Apg 13,23. Die Bezeichnung Jesu mit diesem Prädikat will hier darum weder als Übertragung einer typischen Gottesbezeichnung (vgl. Lk 1,47) auf ihn verstanden werden, noch setzt Lukas einen gezielten Kontrapunkt gegen die kaiserlichen swtflrPrädikationen (vgl. M. Karrer, Jesus, der Retter [Sôtêr], ZNW 93 [2002] 153–176), denn mit ihnen verband sich keinerlei Exklusivitätsanspruch (vgl. Jung* 7–176; K.H. Schelkle, EWNT 3,782: „Jeder, der rettet, kann Retter [s.] heißen“). Obwohl die swtflr-Bezeichnung in den neutestamentlichen Spätschriften zunehmend titulare Züge annimmt (vgl. Joh 4,42; Eph 5,23; 2.Tim 1,10; Tit 1,4; 2,13; 3,6; 2.Petr 1,1.11; 2,20; 3,2.18; 1.Joh 4,14), nominalisiert sie an dieser Stelle nicht mehr als die Funktion Jesu; die Leser erfahren nichts, was sie nicht schon aus 1,68 ff wüssten (s. auch Strauss* 113). Die Angabe des Geburtsortes (s. V. 4; die lk Hirten wissen selbstverständlich, dass es sich dabei um Bethlehem handelt [s. V. 15]) und eine parenthetische Erläuterung (mit Ω“ †stin wie z. B. 12,1; 1.Kor 3,11; Gal 3,16; Eph 1,14; 4,15; Apk 20,2) bringen 128

2,4–21: Bethlehem

2,12

zum Ausdruck, dass der gerade geborene Retter kein anderer als der verheißene Messiaskönig ist. swtflr ist der Gegenstandsbegriff (topic), über den eine Aussage gemacht wird; cristÖ“ k‚rio“ ist Bestimmungsbegriff (comment), der den Gegenstandsbegriff prädiziert. Auch das wissen die Leser bereits, und zwar aus 2,4 und aus 1,32. Die Bedeutung der Geburt Jesu lässt Lukas jetzt erstmals innerhalb der erzählten Welt bekannt werden. Erklärungsbedürftig ist das Nebeneinander der beiden Nominative cristÖ“ k‚rio“ (die Variante cristÖ“ kur‡ou [b r1] ist zu schlecht bezeugt, um Anspruch auf Ursprünglichkeit erheben zu können, und wohl auch aus V. 26 oder 9,20 übernommen, vgl. die zu 2,26 genannten Belege; in Thren 4,20 [hebr. hw"hy> x:yvim.] ist cristÖ“ k‚rio“ wohl ein durch Lk 2,11 beeinflusster Fehler beim Abschreiben aus CRISTOS KU). Auch in PsSal 17,32 (über den Messias: „und er ist ein gerechter König über sie, belehrt von Gott, und Ungerechtigkeit gibt es in seinen Tagen nicht in ihrer Mitte, denn alle sind heilig, und ihr König ist cristÖ“ k‚rio““) ist als hebräische Vorlage hw"hy> x:yvim. anzunehmen und gegen alle erhaltenen (christlichen) griechischen Handschriften cristÖ“ kur‡ou zu emendieren (vgl. Karrer, Der Gesalbte, 252 Anm. 58 gegen R.R. Hann, Christos Kyrios in PsSol. 17.32, NTS 31 [1985] 620–627; s. auch Rowe, Early Narrative Christology, 49 ff). Für die lk Formulierung sind drei Erklärungen sprachlich möglich: (a) Crist·“ ist Eigenname und k‚rio“ Apposition („Christus, der Herr“); (b) crist·“ ist Adjektiv zu k‚rio“ („der gesalbte Herr“; in diesem Sinne ist cristÖ“ basile‚“ «gesalbter König» in 23,2 zu verstehen); (c) crist·“ und k‚rio“ sind gleichgeordnete titulare Bezeichnungen („der Gesalbte [d. h. der Messias], der Herr“). – Aller Wahrscheinlichkeit nach entspricht die dritte Möglichkeit dem von Lukas Gemeinten. Dafür spricht nicht nur das Nebeneinander derselben Titel in Apg 2,36 (Gott hat Jesus zum k‚rio“ … kaÑ crist·“ gemacht), sondern auch ähnliche Titelpaare mit k‚rio“ in der Septuaginta (z. B. Y 28,10: k‚rio“ basile‚“; oder die Anreden k‚rie basileú in 1.Sam 24,9; 26,17; Dan 2,4 u. ö.).

Lukas wird kaum erwartet haben, dass seine Leser das betont herausgestellte sflmeron („heute“) als Signal für den Beginn der eschatischen Heilszeit verstehen konnten (so die meisten Kommentare; mit Recht nüchterner Marshall). Natürlich wiederholt Lukas dieses Zeitadverb später noch mehrfach (vergleichbar sind Lk 4,21; 5,26; 19,5.9), doch kennzeichnet es in allen Fällen nicht mehr als die Punktualität eines wirklichkeitsverändernden historischen Einschnitts (vgl. im Übrigen die formgeschichtlichen Analogien bei Homer, Il. 19,103; Epiphanius, Haer. 51,22,8: sflmeron ™ K·rh †gfinnhsen tÖn A¢ùna «heute hat die Kore den Aion geboren»; s. auch Ruth 4,14; Ps 2,7 oder Gen 41,41; TestHiob 53,2). 12 Ganz im Stil der Septuaginta (vgl. die analogen Formulierungen in Ex 3,12; 1.Sam 2,34; 10,1 fLXX; 2.Kön 19,29 = Jes 37,30; Jes 38,7; Jer 51[44],29) wird den Empfängern der von Gott kommenden Botschaft ein Zeichen genannt, das weniger die Wahrheit der Mitteilung beglaubigen, als den Hirten als Erkennungszeichen dienen soll (s. V. 15): ein Wickelkind, das in einem Futtertrog liegt. Hierbei sind es natürlich nicht die bei Kleinkindern alltäglichen Windeln (s. o. zu V. 7), sondern es ist allein der außergewöhnliche Aufbewahrungsort, der den Säugling zeichentauglich macht (und darum wird auch in V. 16 nur noch der Futtertrog erwähnt). Dass Lukas damit den Kontrast zwischen der messianischen Hoheit des Neugeborenen und der Ärmlichkeit seiner aktuellen Lage hervorheben wollte, ist aus den zu V. 7 genannten Gründen eher unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte der Nennung des Zeichens die Funktion zukommen, die Hirten erzählerisch nach Bethlehem gehen zu lassen, denn wer das „Finden“ eines Zeichens ankündigt, will, dass es auch gesucht wird. Bei Maria war das nicht anders (vgl. 1,36.39). 129

2,13

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

13 Es ereignet sich etwas, was es in der Geschichte Israels noch nie gab: Nicht nur ein einzelner Engel, sondern der gesamte himmlische Hofstaat, der Gottes Thron umgibt (vgl. 1.Kön 22,19: stratiÅ toú o§ranoú; JosAs 14,8 spricht von der stratiÅ toú ≠y‡stou «Heer des Höchsten», griechApkEsr 6,16.17 von der stratiÅ üggfilwn «Heer der Engel»), findet sich auf der Erde ein, um der ihm obliegenden Aufgabe des Gotteslobs nachzukommen (der Plural a¢no‚ntwn … kaÑ leg·ntwn ist constructio ad sensum). Von einem plöjo“ (tö“) stratiô“ ist häufig in der griechischen Geschichtsschreibung die Rede (vgl. schon Herodot 7,173; dann Ctesias, FGH 3c, 688, Frgm. 1e,5,5; Thucydides 1,106,2 im Sinne von „der Hauptteil des Heeres“; Diodorus Siculus 2,5,5; 17,32,4; 25,19,1; Appian, Annib. 222; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 9,9,7; Arrian, Anab. 2,6,3 und viele andere mehr; jüdisch bezeichnenderweise nur Josephus, Ant. 9,60). – Lukas beschreibt noch nie Dagewesenes und bringt dadurch die Bedeutung der Geburt Jesu zum Ausdruck: Die Distanz, die Himmel und Erde voneinander trennt, ist für einen Moment aufgehoben; die Erde wird zum Ort, und Menschen werden zu Ohrenzeugen des himmlischen Gotteslobs. 14 Dem entspricht auch die komprehensive, Himmel und Erde umgreifende Ausrichtung der Darstellung: Das textkritische Problem dieses Verses ist mit einiger Sicherheit zugunsten der Ursprünglichkeit des Genitivs e§dok‡a“ (a* A B* D W u. a.) zu lösen. Es ergibt sich dann ein Zweizeiler, in dem die Bedeutung des Geschehens für die himmlische Welt Gottes (wie hier steht für sie der Ausdruck †n [toõ“] ≠y‡stoi“ auch in Hiob 16,19; Y 148,1; Sir 26,16; 43,9, PsSal 18,10; JosAs 22,13; Mk 11,10 par. Mt 21,9) und die irdische Welt der Menschen entfaltet werden. Es entsprechen sich d·xa und e¢rflnh, †n ≠y‡stoi“ und †pÑ gö“ sowie jeù und †n ünjr„poi“ e§dok‡a“.

In der ersten Zeile tun die Engel das, wozu sie oder andere z. B. in Y 28,1–2; 67,35; 95,7–8 aufgefordert werden: Sie geben Gott die Ehre, indem sie bekennen, dass allein ihm d·xa zukommt, weil er allein Gott ist (vgl. auch ex negativo Apg 12,23; Röm 1,21). Bei Lukas verbindet sich die Doxologie von daher in der Weise mit ihrem Anlass, dass die Geburt des Retters für Israel ein Werk Gottes ist, in dem Gott einmal mehr (d. h. wie in der Schöpfung etc.) sein Gott-Sein erwiesen hat. Die zweite Zeile, die die Bedeutung der Geburt für die Welt der Menschen entfaltet, knüpft an die universale Friedenshoffnung an, die sich in der bukolischen aurea-aetasErwartung (s. V. 8) mit der Geburt des endzeitlichen Heilsbringers verbindet: Auch bei Calpurnius wird den Hirten verkündet, dass nun aurea secura cum pace renascitur aetas «das Goldene Zeitalter mit sicherem Frieden wird wiedergeboren» (Ecl. I,42; s. auch ebd. 52–54; Vergil, Ecl. 4,17). In der Wendung †n ünjr„poi“ e§dok‡a“ (†n steht für den einfachen Dativ; s. B/D/R § 2201) ist der attributive Genitiv nicht spezifizierend, sondern charakterisierend gemeint: Über die Menschen wird Gottes Wohlgefallen ausgerufen (vgl. auch PsSal 8,33). Als Parallele, die dem hier Gemeinten am nächsten steht, dürften darum weniger 1QH 4,32 f; 11,9 f („Söhne seines/deines Wohlgefallens [hknwcr/wnwcr ynb]“) in Frage kommen, als vielmehr die Rede vom pôn zùon †udok‡a“ «jedes Lebewesen des Wohlgefallens» in Y 144,16b, das von Gott mit Nahrung versehen wird (Berger* 144; s. auch Smyth*) oder 4Q418, Frgm. 81+81a,10 („um Zorn abzuwenden von den Menschen des Wohlgefallens [!wcr yXnam @a bwXhl]“). In 19,38 werden die Jünger Jesu diese Proklamation an die himmlische Welt zurückgeben. In 15–20 führt Lukas die Protagonisten der beiden Szenen zusammen, die anders als die Leser noch nichts voneinander wissen. Beide Erzählfäden sollen auf diese Weise 130

2,4–21: Bethlehem

2,17–18

miteinander verknüpft werden, und hierin liegt auch das narrative Ziel dieser Episode. Ansonsten passiert nicht viel: Die Hirten erfahren Bestätigung für die Worte des Engels (V. 16) und reagieren mit Gotteslob und ‑preis (V. 20). Zwischendrin erfahren die in Bethlehem Anwesenden von den Hirten, was diesen über das Kind im Futtertrog gesagt wurde (V. 17), und reagieren – mit Ausnahme Mariens (V. 19) – mit Verwunderung (V. 18). Die Episode ist also ringförmig aufgebaut. – Notierenswert ist noch, dass die Informationen nur in eine Richtung fließen: Zwar wird von den Hirten gesagt, dass sie verbreiten, was ihnen von den Boten Gottes über das Kind offenbart worden war (V. 17). Umgekehrt tut Maria aber nichts dergleichen; sie behält vielmehr alles, was sie von Jesus weiß, für sich. 15 Lukas berichtet die Rückkehr der Engel in den Himmel anders als in 1,23b.38b nicht auf der erzählerischen Ereignisebene, sondern nur als untergeordnete Zeitbestimmung (zu kaÑ †gfineto Æ“ s. o. bei 1,23). Der textgliedernde Einschnitt ist also nicht so tief wie sonst, und die Erzählung bleibt darum auch an den Hirten orientiert. Wie Maria in 1,39 machen sich nun auch sie auf den Weg, nachdem ihnen ein Zeichen genannt worden war. difircesjai ist im Neuen Testament lk Vorzugswort (31 von 43 Belegen) und findet sich fast durchweg in eindeutig redaktionellen Abschnitten; dasselbe gilt für das substantivierte Partizip tÖ gegon·“, das es außer in Mk 5,14 nur bei Lukas gibt (Lk 8,34.35.56; 24,12; Apg 4,21; 5,7; 13,12; vgl. bes. die Berührung mit 8,35). Anders als bei Maria in 1,39 lässt Lukas die Leser über das Motiv des Aufbruchs der Hirten nicht im Unklaren: Sie wollen nach Bethlehem gehen und sich anschauen, was ihnen enthüllt worden war. Dass sie die „Stadt Davids“, von der in V. 11 die Rede war, sofort mit Bethlehem identifizieren, ist aus den o. bei V. 4 genannten Gründen eigentlich ein Verstoß gegen das, was der Enzyklopädie der Erzählfiguren zugetraut werden kann. Lukas stellt die Hirten so dar, dass sie nicht einen Moment an der Wahrheit des Gesagten zweifeln. Spätestens jetzt wird deutlich, dass das Zeichen von V. 12 nicht als Beglaubigungs‑, sondern als Erkennungszeichen gedacht war. Dass man ein Øöma „sehen“ kann bzw. dass es „geschehen“ kann, verdankt sich wieder dem lk Bemühen um die Imitation der Septuaginta (vgl. Ex 2,14; Dtn 17,4; 1.Sam 4,16; 12,16; 1.Kön 1,27; 12,24; s. aber auch JosAs 17,1; Apg 10,37 sowie Burchard*). 16 Die Hirten haben es genauso eilig (spe‚sante“; das Verb gibt es im NT mit Ausnahme von 2.Petr 3,12 [mit transitiver Bedeutung] nur bei Lukas [5mal; immer intransitiv]) wie Maria in 1,39 (metÅ spoudö“). Die Leser überrascht es natürlich nicht, dass die Hirten alles so vorfinden, wie es ihnen angekündigt worden war. Durch die Zusammenführung der beiden Erzählstränge werden die Leser vor die Frage gestellt, was passiert, wenn die Informationen, die Maria und den Hirten durch die Engel Gottes über Jesus gegeben worden waren, aufeinandertreffen. In 17–18 kommen zuerst die Hirten dran: Die Begrifflichkeit knüpft z. T. an V. 15 an (¨r›w, Øöma und gnwr‡zw), so dass Øöma wie dort und wie häufig in der Septuaginta als „Inhalt“ oder „Sache“ verstanden werden sollte (s. Burchard*). Die Hirten sind die ersten in den beiden lk Vorgeschichten, die anderen Erzählfiguren von dem erzählen, was sie durch die Engelerscheinungen erfahren haben. Sowohl Zacharias als auch Maria haben ihr Wissen für sich behalten, und Maria tut das auch weiterhin. Offenbar will Lukas den Lesern die Vorstellung vermitteln, dass die Hirten die Botschaft des Engels nicht nur Maria und Josef erzählten, sondern auch unter zahlreichen anderen Menschen in Bethlehem verbreiteten. Zu deren Reaktion (†ja‚masan) s. o. bei 1,63. 131

2,19

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

19 Sollten die Leser erwartet haben, dass nun auch Maria erzählt, was ihr in 1,31– 33.35 über das Kind gesagt worden war, so werden sie enttäuscht. Trotzdem verweist dieser Vers zumindest indirekt auf die Botschaft Gabriels, doch informiert dieser Hinweis allein die Leser; innerhalb der erzählten Welt bleibt ihr Inhalt weiterhin verborgen. Darüber hinaus kann Maria eben darum auch nicht einfach unter diejenigen subsumiert werden, die sich über das von den Hirten Gesagte nur „wundern“ können. Von ihr wird darum eine Reaktion berichtet, die sich von derjenigen der anderen (V. 18) unterscheidet. Im Gegensatz zu den meisten Übersetzungen ist †n tÔö kard‡a a§tö“ mit sunetflrei zu verbinden; vgl. Dan 4,28LXX; 7,28Theod.; TestLevi 6,2; Lk 2,51; 4.Esr 14,8; s. auch Dtn 6,6; Prov 3,1 (eine analoge Verknüpfung mit sumb›llein ist nirgends belegt; s. auch Radl). Die Formulierung p›nta … tÅ Øflmata taúta, die sich auch in 1,65 findet und unschwer als Septuagintismus zu identifizieren ist (vgl. Gen 20,8; Ex 4,30; Dtn 30,1; 1.Sam 19,7; 25,9; Jdt 10,1; Hiob 42,7; Jes 29,11; Jer 16,10), referiert wohl ganz pauschal auf das Auftreten der Hirten und den Inhalt ihres Berichts (Fitzmyer). Aber was lässt Lukas Maria tun? Die oben genannten sprachlichen Parallelen haben ihren gemeinsamen Nenner darin, dass die betreffenden Personen etwas, das sie gehört oder gesehen haben, ganz bewusst im Gedächtnis behalten und nicht vergessen. Dafür spräche außer 1,66 auch das durative Imperfekt sunetflrei, das zeitlich über die erzählte Episode hinausweist. Zu dem Partizip sumb›llousa, dem keine konative Akzentuierung unterstellt werden sollte (anders Räisänen* 121; Fitzmyer; Nolland), hat van Unnik* unter Verweis auf den Sprachgebrauch u. a. bei Euripides, Med. 675; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,24,1; Josephus, Ant. 2,72; 3,352; Arrian, Anab. 1,20,1; Philostratus, Vit. Apoll. 4,43,2 die Bedeutung „den Sinn erfassen“, „verstehen“ wahrscheinlich machen können. Zugunsten dieser Auffassung könnte man auch das z. B. bei Aelianus, Nat. Anim. 11,19 belegte semantische Gegenüber von sumb›llein und jaum›zein (s. V. 18) anführen: ¨rùnte“ tÅ pratt·mena †ja‚mazon mfin, o§k eècon dÇ tÉn a¢t‡an sumbaleõn «als sie sahen, was geschah, wunderten sie sich, doch waren sie nicht in der Lage, die Ursache zu begreifen». Auf Grund der Ankündigung Gabriels weiß Maria mehr als diejenigen, die nur den Bericht der Hirten kennen und die sich darum nur wundern können. 20 bildet den Schlussrahmen zu der in V. 15 f eröffneten Episode (s. auch 1,23.56). Die Leser bleiben an derselben Stelle zurück, an der sie sich auch schon in V. 7 befanden, denn die Jesusgeschichte hat seither keine erzählerischen Fortschritte gemacht. ≠postrfifein ist lk Vorzugswort (32 von 35 ntl Belegen stehen im lk Doppelwerk). Die Mitteilung, dass die Hirten Gott preisen und loben und damit in den Chor der Engel einstimmen (s. V. 13 f; die Parallelisierung von dox›zein und a¢neõn etc. entspricht 1.Chr 16,27; Jes 12,2; Dan 3,26.55), dient ihrer Charakterisierung. Sie reagieren so, wie es auf Grund der Erfahrung von Gottes Heilshandeln angemessen ist. Ganz ähnlich (d. h. wie hier mit einem Partizip Präsens dox›zein oder a¢neõn) enden bei Lukas auch zahlreiche Heilungsgeschichten (vgl. Lk 5,25; 17,15; 18,43; Apg 3,8.9). Mit †p‡ wird die Angabe von Gegenstand und Grund des Gotteslobs eingeleitet (vgl. B/D/R § 235,2; s. auch [2.]Esr 3,11; Y 150,2; Apg 4,21; 2.Kor 9,13); mit dem Begriffspaar „hören und sehen“ (s. auch Jes 48,5; Apg 4,20) will Lukas ausdrücklich beide Teile der Hirtenepisode in den Blick genommen wissen, was vor allem auch die nachklappende Näherbestimmung zu eèdon unmissverständlich deutlich macht. In 23,47 schreibt Lukas nach dem Tod Jesu über den Centurio, der die Ereignisse bei der Kreuzigung 132

2,22–39: Jerusalem

2,22–39

mitbekommt: †d·xazen tÖn je·n. Er legt damit gewissermaßen einen doxologischen Rahmen um das Leben Jesu. Mit 21 nimmt Lukas den Erzählfaden von V. 7 wieder auf, denn die Zeitangabe bezieht sich auf den Tag der Geburt. Die Erzählung macht also einen kleinen zeitlichen Sprung. Ebenso wie Johannes wird auch Jesus nach Gen 17,12 und Lev 12,3 acht Tage nach seiner Geburt beschnitten. Lukas verbindet mit dieser Zeremonie die Namengebung (zum Zusammenhang von Namengebung und Beschneidung s. bei 1,59). Auch hier fungiert der Hinweis auf die Beschneidung lediglich als nebensächliche Zeitangabe (kaÑ Ωte). Die Hauptsache ist die Namengebung, die Lukas wieder in bestem Septuaginta-Stil berichtet (†klfljh tÖ µnoma a§toú + Name; vgl. Gen 11,9; 25,30; 27,36; 31,48; Num 11,3 u. ö.; s. auch bei 1,23). Dass der jetzt gegebene Name derselbe ist, der mit dem von Gabriel genannten (s. 1,31) übereinstimmt, teilt Lukas den Lesern reichlich lapidar mit. Wie diese Koinzidenz zu erklären ist, d. h. wie sie zustandegekommen ist und was sie sichtbar machen soll, bleibt einmal mehr der Imagination der Leser überlassen. Welche Möglichkeiten es in dieser Hinsicht gibt, hat Lukas schon in der Erzählung von der Namengebung des Johannes durchblicken lassen (s. 1,59–64). – Damit ist der Bethlehem-Teil der Ereignisse, die sich in der Regierungszeit des Caesar Augustus abspielten, beendet. 2,22–39: Jerusalem 22Und

als die Tage ihrer Reinigung erfüllt waren nach dem Gesetz des Mose, brachten sie ihn hinauf nach Jerusalem, um ihn dem Herrn vorzustellen – 23wie im Gesetz des Herrn geschrieben steht: „Alles Männliche, das den Mutterschoß öffnet, soll für ‚heilig dem Herrn‘ erklärt werden“ – 24und um ein Opfer darzubringen, nach Maßgabe dessen, was im Gesetz des Herrn gesagt ist: „Ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben“. 25Und siehe: Es gab einen Menschen in Jerusalem, der hieß Simeon; dieser Mensch war gerecht und fromm, und er wartete auf die Tröstung Israels, und heiliger Geist war auf ihm, 26und es war ihm vom heiligen Geist geweissagt worden, er werde den Tod nicht sehen, bevor er nicht den Gesalbten des Herrn gesehen hätte. 27Und er kam, durch den Geist (geführt), in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus hineinbrachten, um zu verfahren nach dem Brauch des Gesetzes in Bezug auf ihn, 28da nahm er es auf den Arm und pries Gott und sprach: 29„Nun gibst du deinen Sklaven frei, Herr, wie du gesagt hast, in Frieden. 30Denn meine Augen haben dein Heil gesehen, 31das du bereitet hast vor dem Angesicht aller Völker – 32Licht zur Offenbarung für die Heiden und Herr­ lichkeit für dein Volk Israel.“ 33Sein Vater aber und seine Mutter waren verwundert über das, was von ihm gesagt wurde. 34Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: „Siehe, dieser ist bestimmt zum Fallen und Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird – 35und selbst deine Seele wird ein Schwert durchdringen –, damit die Gedanken aus vielen Herzen offenbar werden.“ 133

2,22a.24

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

36Da

war auch Hanna, eine Prophetin, Phanuels Tochter, aus dem Stamm Ascher. Sie war hochbetagt; nach der Zeit ihrer Jungfräulichkeit hatte sie sieben Jahre lang mit einem Mann zusammengelebt, 37und 84 Jahre lang war sie verwitwet; sie verließ den Tempel nicht und diente (Gott) mit Fasten und Gebeten Nacht und Tag. 38Und in derselben Stunde trat sie herzu, pries Gott und sprach über ihn zu allen, die die Befreiung Jerusalems erwarteten. 39Und nachdem sie alles, was das Gesetz des Herrn vorschrieb, erledigt hatten, kehrten sie nach Galiläa, in ihre Stadt Nazareth zurück. Literatur: s. o. S. 69. – Außerdem: R. Bauckham, Anna of the Tribe of Asher (Luke 2:36–38), RB 104 (1997) 161–191. – K. Berger, Das Canticum Simeonis (Lk 2:29–32), NT 27 (1985) 27–39. – R. Dillon, Simeon as a Lucan Spokesman (Lk 2,29–35), in: „Il verbo di Dio è vivo“, 189–217. – J.K. Elliott, Anna’s Age (Luke 2:36–37), NT 30 (1988) 100–102. – Ganser-Kerperin, Zeugnis, 117– 135. – P. Grelot, Le cantique de Siméon (Luc II,29–32), RB 93 (1986) 481–509. – B.J. Koet, Holy Place and Hannah’s Prayer: A Comparison of LAB 50–51 and Luke 2:22–39 à propos 1 Samuel 1–2, in: Sanctity of Time and Space, 45–72. – Ders., Simeons Worte (Lk 2,29–32.34c–35) und Israels Geschick, in: The Four Gospels 1992 II, 1549–1569. – P. Lefebvre, Anne de la tribu d’Asher. Le bonheur d’une femme (Lc 2,36–38), SémBib 91 (1998) 3–32. – M. Mi­yoshi, Jesu Darstellung oder Reinigung im Tempel unter Berücksichtigung von ‚Nunc Dimittis‘ Lk II 22–38, AJBI 4 (1978) 85–115. – W. Radl, Die Beziehungen der Vorgeschichte zur Apostelgeschichte. Dargestellt an Lk 2,22–39, in: The Unity of Luke-Acts, 297–312. – Rusam, Das Alte Testament bei Lukas, 57–60.78–85. – Salo, Luke’s Treatment, 52–59. – W. Stegemann, „Licht der Völker“ bei Lukas, in: Der Treue Gottes trauen, 81–97. – B. Thurston, Who was Anna? Luke 2:36–38, PRS 28 (2001) 47–55. – Wasserberg, Aus Israels Mitte, 134–147. – York, Last, 111–116.

Dieser Teil der Erzählung wird durch V. 22–24 und durch V. 39 gerahmt. V. 22–24 fungieren als Einleitung. Sie erzählen, dass und warum Maria und Josef mit Jesus den Tempel in Jerusalem aufsuchen (diese Verse haben darum eine ähnliche Funktion wie der census nach 2,1–4). Die Erfüllung dieses Zwecks wird jedoch nicht im Einzelnen erzählt, sondern lediglich summarisch konstatiert (V. 39a). Im Mittelpunkt dieses Abschnitts stehen vielmehr die Erzählung von der Begegnung mit Simeon (V. 25–35) und die Beschreibung der Reaktion Hannas auf Jesu Anwesenheit im Tempel (V. 36–38). Dass Lukas die erzählerische Präsentation dieser beiden Personen als sachliche Einheit verstanden wissen wollte, lässt zum einen der Rahmen erkennen, den er mit Hilfe des Verbs prosdficesjai um den gesamten Abschnitt herumlegt: Zu Beginn wird Simeon als prosdec·meno“ der „Tröstung (par›klhsi“) Israels“ vorgestellt (V. 25), und am Ende heißt es, dass Hanna alle prosdec·menoi der „Befreiung (l‚trwsi“) Jerusalems“ auf Jesus verwies (V. 38). Beide macht Lukas damit zu Repräsentanten der jüdischen Hoffnung auf die messianische Befreiung Israels, und darum lokalisiert er die Begegnung mit ihnen auch im Jerusalemer Tempel. Zum anderen werden beide Teile des Abschnitts durch den für Lukas typischen komplementären Dualismus von Mann und Frau zusammengehalten (vgl. noch 1,25–38; 4,25–27; 7,1–17; 8,42 / 9,38; 13,18–21; 15,4–10 s. dazu d’Angelo, Women, 444 ff; Seim, Double Message, 11–24): Analoge Inhalte werden zweimal transportiert: erst über einen Mann, dann über eine Frau. – V. 39 schließt die übergeordnete Ereignissequenz ab. 22a.24 Datiert wird die Reise nach Jerusalem mit Hilfe der Tora für die Wöchnerinnen (Lev 12; s. auch Jub 3,8–14): Demnach darf eine Frau, die durch die Geburt unrein geworden ist, bei der Geburt eines Sohnes nach dessen Beschneidung 33 (insgesamt also 40) Tage lang das Haus nicht verlassen (nach der Geburt eines Mädchens 14 134

2,22–39: Jerusalem

2,22b.23

+ 66, also 80 Tage lang). Nach Abschluss dieser Zeit (Lukas formuliert in Anlehnung an Lev 12,4.6: die „Tage der Reinigung“ sind „erfüllt“, d. h. sie sind abgeschlossen; zur Formulierung s. auch bei 1,23) soll sie ein Opfer darbringen (Lev 12,6.8). Hierauf, und zwar näherhin auf die Regelung für diejenigen, die sich kein Opferlamm leisten können (V. 8), nimmt Lukas offensichtlich in 24 Bezug, auch wenn er sich in der Formulierung an die Septuaginta-Fassung von Lev 5,11 anlehnt (zeúgo“ trug·nwn statt d‚o trug·na“; s. auch C.-W. Jung* 85 ff). Obwohl nach Lev 12 nur die Mutter als unrein gilt, spricht Lukas im Plural von „ihrer“ (a§tùn) Reinigung (22a); wen er damit gemeint hat und warum oder mit welcher Absicht er den Plural bringt, lässt sich nur vermutungsweise beantworten. Möglicherweise steht die griechische Vorstellung im Hintergrund, derzufolge Mutter und Kind durch die Geburt unrein werden (vgl. Th. Wächter, Reinheitsvorschriften im griechischen Kult, 1910, 25 ff; G. Binder, RAC 9,85 ff). Alle Erklärungsversuche bleiben aber reine Spekulation, und die in einigen Handschriften überlieferten Varianten sind nichts weiter als lectiones faciliores, die die sachliche Schwierigkeit der überragend bezeugten Lesart a§tùn beseitigen wollen. – Das Darbringen der Opfer (doúnai jus‡an) ging so vor sich, dass die Opfergabe am Nikanortor, d. h. am Übergang vom „Vorhof der Frauen“ zum „Hof der Israeliten“ (hier wurden jedenfalls nach mSota 1,5 die Wöchnerinnen für rein erklärt; s. auch u. zu 5,14), bei einem der diensttuenden Priester abgegeben wurde. 22b.23 Als Hauptgrund für die Reise gibt Lukas freilich an, dass Jesus nach Jerusalem gebracht wird, um Gott vorgestellt zu werden (22b). Er zitiert dazu sehr frei eine aus Ex 13,2.12 gewonnene Tora-Anweisung, die er mit eigenen Formulierungen anreichert (23). Auf die in Ex 13,13c.15b; 34,20c; Num 18,15 f erwähnte Auslösung der Erstgeburt wird hier mit keinem Wort Bezug genommen (gegen Schmithals; Wiefel u. a.). Lukas interpretiert die Absicht der Eltern Jesu (22b) vielmehr als Ausführung der Anweisung zur Heiligung der Erstgeburt; vgl. Ex 13,2: „Heilige mir (LXX: ®g‡as·n moi) alle Erstgeburt! Alles von den Söhnen Israels, was zuerst den Mutterschoß durchbricht unter den Menschen und unter dem Vieh, mir gehört es (LXX: †mo‡ †stin)“ (s. auch Num 3,13; Neh 10,35 f; C.-W. Jung* 68 ff), ohne dass deutlich wird, was er sich darunter vorgestellt hat. Eine eigenständige christologische Bedeutung dürfte diesem Zitat jedoch nicht zukommen, denn nach lk Verständnis ist es natürlich nicht erst Jesu Erstgeburt, die ihn πgio“ tù kur‡w werden lässt (zu klhjflsetai als Kennzeichnung einer Statusverleihung s. bei 1,32; die Formulierung „jemanden oder etwas πgio“ kaleõn“ findet sich u. a. in Ex 12,16; Jes 4,3; 35,8; TestLevi 18,2e17; Josephus, Bell. 5,195.219; Ant. 3,125), sondern der heilige Geist, der bereits an seiner Zeugung beteiligt war (s. 1,35). Ebensowenig dürfte auch das Modell Samuels Pate gestanden haben (gegen Schürmann; Marshall; Fitzmyer; Green), den seine Mutter Gott weiht und in den Tempel bringt (1.Sam 1,11.22.24.28; s. auch LibAnt 51,1–2), denn die Differenzen sind viel zu groß (das Motiv der Erstgeburt spielt keine Rolle; Samuel wird viel später in den Tempel gebracht, und er verbleibt dort). Über die bereits angesprochene erzählerische Funktion hinaus wird das Tora-Zitat für Lukas darum lediglich die nicht unwillkommenen Nebenbedeutungen gehabt haben, dass es zum einen die Eltern Jesu als gesetzesfromme Juden erweist und zum anderen Jesu besondere Nähe zu Gott bestätigt. Ähnliche Formulierungen finden sich z. B. bei Josephus, Bell. 2,89; Ant. 7,382 von Opfergaben, die Gott dargebracht werden (Röm 12,1 in ethisierender Übertragung; s. auch 6,13; 2.Tim 2,15), oder in Apg 23,33 von der Vorführung des Paulus 135

2,25–26

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

vor den römischen Statthalter; s. auch Frgm. Achiqar (= Vita Aesopi) 103: Aesop machte einen babylonischen Edelmann zu seinem Sohn kaÑ tù basileõ parfisthsen Æ“ di›docon a§toú tö“ sof‡a“ «und dem König stellte er ihn als seinen Nachfolger in der Weisheit vor»; intransitiv häufig vom Gefolge bzw. vom Dienstpersonal bedeutender Personen (Num 11,28; 1.Sam 25,27; 1.Kön 1,2; Jes 60,10) und dann auch von Gottes himmlischem Hofstaat (Dan 7,10; Sach 4,14; 6,5; 4.Makk 17,18 von den erhöhten Märtyrern: tù je‡w nún parestflkasin jr·nw; s. auch zu 1,19). In 25–26 wird Simeon als neue Erzählfigur vorgestellt. Über die Mitteilung seines Wohnorts (Jerusalem) legt Lukas ihn der eben dorthin ziehenden Familie (V. 22) erzählerisch in den Weg und bereitet die Leser auf deren Begegnung mit ihm vor. Die Vorstellung der Person in 25 besteht aus drei Elementen und orientiert sich am Erzählstil der Septuaginta: (a) ±njrwpo“ én + Ortsangabe mit †n, (b) Namensnennung, (c) Charakterisierung, gegebenenfalls durch eine Mehrzahl von Eigenschaften; vgl. in diesem Sinne vor allem: 1.Kön 12,24h: (a) ±njrwpo“ én †n Sfllw «es gab einen Menschen in Silo» (b) kaÑ µnoma a§tù ûAc‡a «und der hieß Achia», (c) kaÑ oñto“ én u´Ö“ ©xflkonta †tùn … «und dieser war ein Sohn von 60 Jahren …» Esth 2,5 f: (a) ±njrwpon“ én ­ ûIoudaõo“ †n So‚soi“ … «es gab einen Juden in Susa …», (b) kaÑ µnoma a§tù Mardocaõo“ … «und der hieß Mardochaios …», (c) ≈“ én a¢cm›lwto“ †x ûIerousalflm «der war ein Gefangener aus Jerusalem»; Hiob 1,1: (a) ±njrwp·“ ti“ én †n c„ra tÔö ûAus‡tidi «es gab einen Menschen im Land Ausitis», (b) ó µnoma Iwb «der hieß Hiob» (zu dieser Formulierung s. auch bei 1,26), (c) kaÑ én ¨ ±njrwpo“ †keõno“ ülhjin·“, ±mempto“, d‡kaio“, jeosebfl“ … «und jener Mensch war aufrichtig, untadelig, gerecht, gottesfürchtig …» (s. auch 1.Sam 1,1 f; 25,2; 1.Kön 12,24b; DanBel 2). – Am größten ist die Variabilität im dritten Element, der Charakterisierung der Person. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn hier erfolgt diejenige Weichenstellung, die für den Plot der sich anschließenden Erzählung entscheidend ist. Sume„n ist die griechische Version von hebr. !A[m.vi (vgl. Gen 29,33; 34,25.30 u. ö.; zur Bedeutung vgl. Köhler / Baumgartner, Lexikon s. v.; s. auch Lk 3,30; Apg 13,1; Apk 7,7). In Apg 15,14; 2.Petr 1,1 wird Petrus mit diesem Namen bezeichnet (s. dazu bei 4,38 sowie B/D/R § 53,25). Zu den im NT erwähnten Trägern dieses Namens vgl. G. Schneider, EWNT 3,686 f; zur jüdischen Verwendung: Ilan, Lexicon, 218 ff.

Lukas lässt Simeon zunächst durch drei Eigenschaften ausgezeichnet sein: Das an erster Stelle genannte Begriffspaar d‡kaio“ kaÑ e§labfl“ ist in der frühjüdischen und ‑christlichen Literatur nur hier belegt (es findet sich freilich bei Plato, Resp. 311a.b), und im NT ist es überhaupt nur Lukas, der Menschen als e§labfl“ charakterisiert (vgl. Apg 2,5; 8,2; 22,12: Hananias) und damit ihre gewissenhafte Tora-Observanz feststellen will (vgl. R. Bultmann, ThWNT 2,749 f). – Auch die zweite Eigenschaft charakterisiert Simeon als authentischen Juden: Wenn Lukas ihm die Erwartung der „Tröstung (par›klhsi“) Israels“ zuschreibt, so knüpft er damit an die Verheißung der eschatischen Restitution Israels an, wie sie sich vor allem bei (Deutero‑)Jesaja mit dieser Begrifflichkeit verbindet (vgl. Jes 40,1 f: „Tröstet, tröstet mein Volk! … Redet mit Jerusalem freundlich und verkündet ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat“; s. auch 49,13; 51,3.12; 57,18; 61,2; 66,13; Jer 31,13; Sach 1,17). Lukas lässt Simeon also auf die Erfüllung der prophetischen Verheißungen warten, und wenn man diese Eigenschaft mit dem vorgenannten Merkmal verknüpft, wird hinter der Charakterisierung 136

2,22–39: Jerusalem

2,27–28

Simeons vielleicht zum ersten Mal im lk Doppelwerk der komplementäre Dualismus von „Gesetz und Propheten“ erkennbar (vgl. dann 16,16; 24,27.44; Apg 24,14; 26,22 f; 28,23 sowie S. 352). – Beim dritten Merkmal ist die Wortstellung merkwürdig. Lukas schreibt: kaÑ pneúma én πgion †pû a§t·n. Dem Fehlen des bestimmten Artikels sollte keine allzu große Bedeutung beigemessen werden, denn in 4,1 fehlt er auch, und außerdem wird auch von Simeon gesagt, dass der heilige Geist dauerhaft (Imperfekt!) auf ihm ruht. Der Geistbesitz ist vor allen Dingen erzählerisch notwendig, denn ohne ihn könnten die Leser kaum verstehen, wodurch Simeon befähigt ist, in dem kleinen Kind, das ein ihm völlig unbekanntes Elternpaar in V. 27 in den Tempel trägt, den Messias zu erkennen (V. 28). 26 Der Modus der Vorstellung wechselt von der Beschreibung, die an typischen Eigenschaften orientiert ist, zur Erzählung, die ein individuelles Ereignis in den Blick nimmt, das für den Fortgang der Erzählung richtungsweisend ist: Der heilige Geist hatte Simeon angekündigt, er werde noch vor seinem Tod dem Messias begegnen. Mit crhmat‡zw verwendet Lukas zur Beschreibung dieser Mitteilung einen Begriff, der vor allem in der Inspirationsmantik gebraucht wird (vgl. dazu C. Zintzen, Art. Mantik, Mantis, KP 3 [1979] 968–976): Er beschreibt Offenbarungen, die vor allem durch Orakel oder Träume ergehen (z. B. Diodorus Siculus 15,10,2; Plutarch, Mor. 435c; Vettius Valens, ed. Kroll, 67,5; SIG 663,13; Josephus, Ant. 11,327 f; Mt 2,12.22); in jüdischen Texten häufig durch Gott selbst (z. B. Josephus, Ant. 3,212 [s. dazu Hebr 8,5]; 5,42; 10,13; Hebr 11,7) oder durch Priester und Propheten (z. B. JerLXX 33,2; 36,23; Josephus, Ant. 6,255; Apg 10,22: durch einen ±ggelo“). Letztere sind auch typische Adressaten dieses Begriffs (JerLXX 37,2; 43,2.4; 2.Makk 2,4); s. auch Bauer, Wörterbuch, 1765 f. – Der Inhalt der Offenbarung (zur Grammatik vgl. B/D/R § 383,3: das im klassischen Griechisch übliche prÑn ±n + Konjunktiv findet sich im NT nur hier) spielt mit dem Begriff „sehen“: Bevor Simeon stirbt (zur Formulierung „den Tod sehen“ vgl. Ps 89,49; Joh 8,51; Hebr 11,5; s. auch Ps 16,10 zit. Apg 2,31), wird er dem verheißenen Messiaskönig begegnen. Häufig wird hieraus auf eine hohes Alter Simeons geschlossen. Das geht aus dem Text aber nicht zwingend hervor. – Die Bezeichnung cristÖ“ kur‡ou findet sich auch in 1.Sam 24,7.11; 26,9.11.16.23; 2.Sam 1,14.16; 2,5; 19,22; Thren 4,20; PsSal 17,32; 18,tit.7 und bezieht sich immer auf den König Israels (vgl. auch die Seitenstücke in 1.Sam 2,10; 12,3.5; 16,6; 2.Sam 22,50 f = Ps 18,50 f; 23,1; Ps 2,2; 20,7; 28,8; Sir 46,19; PsSal 18,5); im NT gibt es vergleichbare christologische Formulierungen in Mk 1,24 par. Lk 4,34 (¨ πgio“ toú jeoú); Lk 9,20; 23,35; Apg 3,18; 4,26 zit. Ps 2,2; Apk 11,15; 12,10. Eine Analogiebildung ist z. B. Mt 25,34 o´ e§loghmfinoi toú patr·“ mou; zum Charakter des Genitivs s. u. bei 9,20. – Inhaltlich bezieht diese Ankündigung sich auf die zweite der in V. 25 beschriebenen Eigenschaften, die Erwartung der Tröstung Israels: Simeon hat die Zusage erhalten, dass dieser Hoffnung noch zu seinen Lebzeiten Erfüllung zuteil wird. 27–28 Der heilige Geist sorgt nun für ein Zusammentreffen Simeons mit der Familie Josefs im Tempel; dass Maria, Josef und Jesus diesen Ort aufsuchen müssen, wissen die Leser seit V. 22–24. Auch später lässt Lukas den heiligen Geist immer wieder die rechte Choreographie seiner Erzählfiguren inszenieren (vgl. 4,1.14; s. auch Apg 8,39 f; 20,22). Er führt die Eltern Jesu mit Simeon zusammen, noch bevor sie ihr Vorhaben ausführen können. Der Ausdruck e¢jismfinon toú n·mou verweist auf die Zitate in 137

2,29–32

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

V. 23–24 (Formulierungen mit katÅ tÖ + ≤jo“ und Stammverwandte finden sich im NT nur im LkEv: 1,9; 2,42; 4,16; 22,39). Auf Grund der Wortstellung ist perÑ a§toú mit tÖ e¢jismfinon toú n·mou zu verbinden; vgl. auch Philo, Ebr. 18 (die Gebote, die das Gesetz zum Brauch gemacht hat in Bezug auf diese Dinge [¨ n·mo“ e¥wje perÑ to‚twn]) und die vielen anderen Belege mit n·mo“ + per‡ (z. B. Lev 11,46; Philo, Agr. 157; Somn. 1,92; Spec. Leg. 4,123). Dass V. 24 sich auf ein Tora-Gebot bezieht, das nicht des Kindes, sondern der Mutter wegen zu erfüllen ist, die Formulierung von 27c also hinter V. 22a.24 zurückbleibt, macht das lk Desinteresse an den rituellen Details sichtbar (s. auch Salo* 55). – Lukas muss nicht eigens mitteilen, dass Simeon in Jesus sofort den verheißenen Messiaskönig (V. 26), die lang erwartete „Tröstung Israels“ (V. 25), erkennt (28), denn das können die Leser dank der ausführlichen Vorbereitung selbst ergänzen. Simeon braucht auch weder ein Zeichen noch einen anderen Hinweis; der Geistbesitz (V. 25d) reicht völlig aus, um den Lesern sein Verhalten plausibel werden zu lassen. Dass er Jesus auf den Arm nimmt, kann als angemessene Begrüßung des Messiaskönigs gelten, wenn dieser noch ein Säugling ist. Lukas lässt Simeon wie Zacharias in 1,64 mit einem Gotteslob auf die Erfüllung der Verheißung antworten und macht ihn, der die Hoffnung Israels auf die Erfüllung der prophetischen Heilsverheißungen repräsentiert, eben dadurch zum Idealbild für die Antwort Israels auf die Sendung Jesu. Dass diese Antwort freilich ganz anders ausfallen wird, kündigt Simeon dann in V. 34 f an. 29–32 Ähnlich wie das Magnifikat (1,46–55) und das Benedictus (1,68–79) gilt auch das Nunc Dimittis etlichen Autoren als ein Lied, das ursprünglich unabhängig von seinem jetzigen literarischen Kontext existierte (in diesem Sinne z. B. Brown* 446. 454–456; Farris* 146). Gegen eine solche Annahme spricht freilich, dass das Nunc Dimittis so eng mit seinem literarischen Kontext verzahnt ist (vgl. vor allem die Wiederaufnahme der Stichworte „sterben“ und „sehen“ aus V. 26 in V. 29 f), dass man zur Aufrechterhaltung dieser Annahme zu weiteren literarkritischen Operationen gezwungen ist, was diese Hypothese nur noch unwahrscheinlicher macht. Es überwiegen darum auch mit Recht diejenigen Stimmen, die das Loblied des Simeon für eine lk Komposition halten (vgl. auch die Argumente bei Grelot* und Radl*, Ursprung, 224 f). Wie das Magnifikat und das Benedictus ist auch das Nunc Dimittis collageartig aus sprachlichen Versatzstücken zusammengesetzt, die aus dem AT, und zwar vor allem aus Deutero-Jesaja stammen (vgl. die Überblicke bei Brown* 458; Schmithals sowie die Einzelnachweise jeweils z.St.). Überschneidungen mit den beiden Hymnen aus Lk 1 bestehen vor allem im jeweiligen Bezug auf „Israel“ (1,54.68 / 2,32) sowie in der Rede von „seinem“ bzw. „deinem“ (sc. Gottes) „Volk“ (1,68.77 / 2,32). Das kfira“ swthr‡a“ des Benedictus (1,68) ist natürlich auch referenzsemantisch mit dem swtflrion Gottes (2,30) identisch, während Gottes Prädikation als swtflr im Magnifikat (1,47) durch diese Formulierung christologisch uminterpretiert wird. In einem Punkt geht das Nunc Dimittis jedoch über die anderen beiden Hymnen hinaus: Hier wird eine universale Heilsperspektive formuliert, die über Israel hinausgeht und „alle Völker“ (V. 31) bzw. die „Heiden“ (V. 32a) einschließt, ohne dabei aber den spezifischen Israelbezug aufzugeben. Diese Spannung wird das lk Doppelwerk bis zu seinem letzten Satz in Apg 28,30–31 durchziehen. 138

2,22–39: Jerusalem

2,30

K. Berger hat das kleine Loblied formgeschichtlich als „Dankgebet eines Todgeweihten“ bezeichnet und dafür als Parallelen Cicero, Resp. 6,9 (= Somn. Scip. 1,1); Plutarch, Marius 46; Jub 22,7–9 sowie MartPolyk 14,2 angeführt (Berger* 27 f). Lukas gibt jedoch mit keinem Wort zu erkennen, dass Simeon an der Schwelle des Todes steht (s. dazu bei V. 29). Darüber hinaus sind diese Texte auch viel zu heterogen, um zu einer gemeinsamen Gattung zusammengefasst werden zu können: Bei Plutarch, Marius 46 geht es, wie Inhalt und Fortsetzung erkennen lassen, um eine Lebensbilanz, und dasselbe gilt auch für Jub 22,7–9 (als „Sklave“ wird hier zudem nicht der Beter, sondern dessen Sohn bezeichnet); in MartPolyk 14,2 wird dafür gedankt, dass Gott den Beter in den Kreis der Märtyrer aufnimmt. Bei Cicero, Resp. 6,9,9 hat das Gebet auch die Funktion, die Bedeutung der Begegnung mit einer bestimmten Person zu charakterisieren: Grates … tibi ago, summe sol, vobisque, reliqui caelites, quod ante quam ex hac vita migro, conspicio in meo regno et his tectis P. Cornelium Scipionem, cuius ego nomine ipso recreor «Ich danke dir, erhabener Sonnengott, und euch, ihr übrigen Himmlischen, dass ich – bevor ich aus diesem Leben scheide – in meinem Reich und unter diesem Dach Publius Cornelius Scipio erblicke, durch dessen Namen schon ich auflebe» (voraus geht auch noch eine Umarmung). Dasselbe gilt auch für Plinius’ d.J. Bericht über die Begrüßung, die Trajan bei seinem Einzug in Rom zuteil wird (Paneg. 22,3): … alii se satis vixisse te viso te recepto … exclamabant « … die einen riefen laut, dass sie genug gelebt hätten, da sie dich gesehen, dich begrüßt hätten» (Übers. W. Kühn). Die engsten Entsprechungen finden sich jedoch in Gen 46,30 (Jakob sagt bei der Wiederbegegnung mit Josef: „Nun kann ich sterben, nachdem ich dein Gesicht gesehen habe, dass du noch lebst“; s. auch Jub 45,3–4) und Tob 11,9 (bei der Heimkehr Tobias’ fällt seine Mutter ihm um den Hals und sagt: „Ich habe dich gesehen, Kind, von nun an kann ich sterben“). Einen weiteren traditionsgeschichtlichen Anknüpfungspunkt bieten Texte, die diejenigen glücklich preisen, die das Kommen des Messias bzw. den Anbruch des eschatischen Heils „sehen“, d. h. erleben (vgl. Berger* 34 f): PsSal 17,44 = 18,6; Sir 48,11; s. auch OrSib 3,371 f; 4,192.

29–30 beziehen sich auf das in V. 26 erwähnte Orakel des heiligen Geistes zurück. In 29 wird der Bezug explizit hergestellt, wobei der Erzähler das, was er dort als Weissagung des heiligen Geistes bezeichnet hatte, nunmehr Simeon selbst als Wort Gottes identifizieren lässt. Auch das Motiv des Sterbens wird umkodiert: Der Tod gilt als Freilassung aus der Sklaverei (zur Begrifflichkeit des Bildfeldes vgl. Appian, Bell. Civile 5,1,7; Plato, Menex. 245a; Josephus, Ant. 12,11.46; Gnom. Epict. 38; Rhet. ­Graec. [Walz] VIII, 405; s. auch Mt 18,27); zu üpol‚ein als Euphemismus für das Sterben vgl. Gen 15,2 (mit Anrede Gottes als desp·th“); Num 20,29; 2.Makk 7,9; Tob 3,6.13. Die inhaltliche Betonung der Aussage liegt zweifellos auf dem nachgestellten †n e¢rflnÔh: Wie Abraham nach Gen 15,15 verheißen wird, „in Frieden“ sterben zu können, weil er nicht ohne leiblichen Nachkommen bleibt, so qualifiziert nun auch Simeon seinen Tod in dieser Weise, weil die ihm zuteil gewordene Verheißung erfüllt ist (vgl. auch Tob 14,2S; Sir 44,14; Jer 41,5LXX; TestGad 8,3; VitProph 4,23; 8,2; 11,4). Dass er den Tod unmittelbar vor Augen hat, ist damit nicht gesagt; zum Ausdruck gebracht wird lediglich, dass sein Warten auf die „Tröstung Israels“ nun ein Ende hat und in seinem Leben nichts mehr kommt, was die jetzige Begegnung noch überbieten könnte. Die Begründung dafür lässt Lukas ihn in V. 30–32 formulieren (vgl. das kausale Ωti am Anfang): In 30 wiederholt Simeon das Stichwort „sehen“ aus V. 26b und ersetzt dabei cristÖ“ kur‡ou durch swtflri·n sou. Lukas lässt Simeon seine Begegnung mit dem verheißenen Messiaskönig als Begegnung mit dem Heil Gottes selbst (swtflrion toú jeoú nach Jes 40,5LXX; s. auch Lk 3,6 diff. Mk 1,3; Apg 28,28 sowie Y 49,23; 66,3; 97,2.3; 118,123; Jes 51,5 [mit „Licht“ wie V. 32; s. auch TestSim 7,1; TestDan 5,10 mit Blick auf Lk 1,78b]; TestBenj 10,5 [mit „Offenbarung“ und „allen Völkern“ wie V. 31 f]; 139

2,31

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

52,10) und damit als Erfüllung der (deutero‑)jesajanischen Heilsverheißungen deuten. Jesu Bedeutung wird dadurch noch gesteigert, denn er wird hier als Bringer von Gottes Heil identifiziert. Von großer inhaltlicher Bedeutung für die lk Soteriologie ist der Bezug gerade auf die Heilsprophetie Deuterojesajas. Sie findet nämlich ihr besonderes Profil in einem israelzentrischen Universalismus: Gottes Heilshandeln an Israel gewinnt universale Dimensionen, insofern es von allen Völkern wahrgenommen wird, die eben dadurch in dieses Heilshandeln einbezogen werden (vgl. vor allem Jes 49,1–13). Von Israel geht das Heil für die ganze Welt aus. Dass Lukas sich das genau so vorgestellt hat, zeigt die Fortsetzung: Der Relativsatz 31 ist von tÖ swtflrion abhängig. Bemerkenswert ist hier die Rede von p›nte“ o´ lao‡: Normalerweise gebraucht Lukas immer nur den Singular la·“, und zwar ausschließlich für das Gottesvolk Israel (s. o. bei 1,10) sowie für die christliche Gemeinde (Apg 15,14; 18,10). Der Plural findet sich außer in Apg 4,25 (Zitat von Ps 2,1) nur noch in Apg 4,27 (laoÑ ûIsrafll) als Bezeichnung für die Stämme Israels. Die Frage, ob Lukas hier ebenfalls die 12 Stämme meint (K.D. Kilpatrick, LAOI at Luke II.31 and Acts IV. 25,27, JThS NS 16 [1965] 127; Stegemann* 89; Rusam* 80) oder ob er die gesamte Menschheit unter dem Begriff p›nte“ o´ lao‡ zusammengefasst wissen will (Wilson, Gentiles, 36 ff; Miyoshi* 114 sowie fast alle neueren Kommentare; unentschieden: Wasserberg* 140), ist zweifellos im Sinne der zweiten, universalistischen Interpretation zu entscheiden. Dafür spricht zum einen, dass der Sprachgebrauch in Apg 4,27 dadurch bestimmt ist, dass Lukas den von ihm in 4,25 zitierten synonymen Parallelismus membrorum von Ps 2,1 missverstanden hat und in V. 27 eben darum von den lao‡ Israels spricht, während in Lk 2,31 von p›nte“ o´ lao‡ die Rede ist. Zum anderen lässt sich die Formulierung katÅ pr·swpon p›ntwn tùn laùn als gezielte Abwandlung von Jes 52,10 verstehen, wo von der Offenbarung von Gottes Heil †n„pion p›ntwn tùn †jnùn «vor allen Völkern» gesprochen wird und die Heiden damit als Zuschauer bei der Restitution Israel-Jerusalems in den Blick genommen sind. Demgegenüber besteht die Spitze der Worte Simeons darin, dass dieses Gegenüber jetzt beseitigt ist: Das mit Jesus heraufgeführte swtflrion Gottes gilt Israel und den Völkern gleichermaßen. Zum dritten findet dies seine Bestätigung darin, dass sich 32 mit der Unterscheidung zwischen den ≤jnh und dem la·“ … ûIsrafll als sinnvolle Dihärese der Sammelbezeichnung p›nte“ o´ lao‡ verstehen lässt (s. auch Nolland). Dieser Vers bildet zweifellos den Höhepunkt des Nunc Dimittis. Er ist zudem durch eine Fülle von Rückgriffen auf die Sprache (Deutero‑)Jesajas gekennzeichnet; vgl. vor allem Jes 42,6 und 49,6 (fù“ †jnùn); 46,13 (d·xa + Israel); 60,1.19 (fù“ + d·xa). Syntaktisch formuliert dieser Vers eine doppelte Apposition zu tÖ swtflri·n sou (V. 30): Es ist zum einen fù“ e¢“ üpok›luyin †jnùn und zum anderen d·xa des Gottesvolks Israel (s. auch Klostermann; Schürmann; Nolland; Coleridge* 170; die meisten anderen verstehen nur fù“ als Apposition und sehen in e¢“ üpok›luyin und d·xan darauf bezogene, einander parallele Näherbestimmungen). Für diese Sicht spricht zum einen die fehlende Präposition vor d·xan (das sollte ernstgenommen werden) sowie zum anderen die sprachliche Berührung mit Jes 42,6; 49,6 (s. o.); der letztgenannte Text wird in Apg 13,47 ausdrücklich zitiert, um die Hinwendung zu den Heiden im pisidischen Antiochien zu begründen (s. auch 26,18 mit dem exklusiven Bezug auf die Heiden in V. 17). Wir hätten hier dann einen synthetischen Parallelismus membrorum, der zwischen den Völkern und 140

2,22–39: Jerusalem

2,34

Israel in der Weise unterscheidet (s. auch Nolland), dass ersteren der Zugang zum Heil durch eine Versetzung aus der Finsternis ins Licht (d. h. durch Bekehrung) eröffnet wird, während Israel, das sich bereits im Status des Gottesvolks befindet, durch Jesus Anteil an der Gott eigenen d·xa bekommt (s. auch Jes 35,2; 40,5; 60,1; PsSal 11,7). Bei den Genitiven handelt es sich in beiden Fällen um einen Gen. obiectivus (vgl. B/D/R § 163,1.2): In 32a vertritt er das Dativobjekt von üpokal‚ptein (vgl. z. B. Sir 4,18; Phil 3,15), in 32b das Akkusativobjekt von dox›zein. Von großer Bedeutung für das lk Geschichtsbild ist dieser Vers auch deshalb, weil er deutlich macht, dass die nachösterliche Heidenmission bereits von Anfang an fester Bestandteil der Verwirklichung von Gottes Heilshandeln unter den Menschen ist. Das, was Simeon hier erkennt, wird in Apg 28,28 den römischen Juden enthüllt. 33 Jesu Eltern (einige Handschriften ersetzen „sein Vater“ durch „Josef “, um keine Zweifel an der Geistzeugung Jesu aufkommen zu lassen) reagieren genauso unverständig wie diejenigen, die sich in 1,63 (s. dort) und 2,18 über Geschehenes und Gehörtes wundern. Eine Akklamation ist ihre Reaktion mit Sicherheit nicht; sie entspricht eher dem für Wundergeschichten typischen Admirationsmotiv (vgl. Theißen, Wundergeschichten, 78 ff und oben zu 1,63). Diese Mitteilung will aber auch nicht Maria und Josef abqualifizieren; sie hat vielmehr die Funktion, die Unerhörtheit des von Simeon Gesagten zusätzlich hervorzuheben (s. auch Plummer; Schürmann; Coleridge* 172). Deutlich wird dies vor allem, wenn man die bisher erzählten Reaktionen Marias als Gradmesser nimmt (vgl. 1,38; 2,19): Die Worte Simeons über die Universalität des Heilswirkens Jesu sind für sie nicht nur schwerer zu verstehen als die Deutung der Geburt Jesu durch die Engel auf dem Feld (s. 2,17 mit Bezug auf V. 9–14), sondern auch schwerer als das, was seiner Mutter von Gabriel über die Empfängnis Jesu und seine zukünftige Bedeutung gesagt worden war. 34 Nach der Reaktion der Eltern ergreift Simeon wieder das Wort; der Aufbau der gesamten Szene ähnelt insofern den Erzählungen vom Besuch Gabriels bei Zacharias und Maria, dessen Worte ebenfalls von einer Reaktion der Adressaten unterbrochen werden (vgl. 1,13–17/18/19–20 sowie 30–33/34/35–37). Lukas lässt Simeon ausdrücklich nur die Mutter Jesu anreden; der Grund bleibt unerfindlich. Er legt ihm zunächst ein prophetisches Wort in den Mund, das die durch Gott bestimmte (keõtai 34b ist Passivum divinum; s. auch Phil 1,16; 1.Thess 3,3) Wirkung beschreibt, die von Jesus auf Israel ausgeht. Narratologisch handelt es sich dabei um eine „zukunftsgewisse Vorausdeutung“ (Lämmert, Bauformen, 142; Vogt, Aspekte, 123 f). Sie bezieht ihre Gewissheit (normalerweise können Erzählfiguren nur zukunftsungewisse Vorausdeutungen abgeben; s. Lämmert, ebd. 143) aus der Tatsache, dass Simeon den heiligen Geist hat (V. 25). Die erste Ankündigung, derzufolge Jesus ein „Fallen und Aufstehen vieler in Israel“ bewirken wird, knüpft sicher nicht an das Wort vom „Fels des Strauchelns“ (Jes 8,14 [LXX: pfitra pt„mati]) an, denn dieses Bild kann nicht die antithetische Ausrichtung der Aussage Simeons erklären. Eher in Frage kommen Texte wie Prov 24,16; Koh 4,10; Jes 24,20; Jer 8,4; Am 8,14; Mi 7,8, wo „Fallen und Aufstehen“ in ein zeitliches Nacheinander gebracht werden. Simeons Ankündigung würde sich dann darauf beziehen, dass Israel zwar zunächst wegen seiner überwiegenden Ablehnung Jesu zu Fall kommt, danach jedoch wieder aufgerichtet wird (z. B. Schweizer* 23; Marshall; Koet*, Simeons Worte 1563 [mit Verweis auf Jes 51,17–23]; Radl [mit Verweis auf die „gefallene Hütte Davids“, Apg 15,16]). Da die genannten alttestament141

2,35

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

lichen Texte durchweg eine andere Ausrichtung haben, liegt es jedoch sehr viel näher, „Fallen und Aufstehen“ hier als Beschreibung von zwei gegenteiligen Folgen zu verstehen, die Auftreten und Verkündigung Jesu in Israel nach sich ziehen werden. Es wird in Israel zu eben jener Statusumkehr kommen, von der bereits Maria im Magnifikat gesprochen hatte und die im weiteren Verlauf des LkEv dann z. B. im Nebeneinander von Seligpreisungen und Weherufen (6,20b–22/24–26), im Wort von den Ersten und Letzten (13,30) oder im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (18,9–14) explizit zum Ausdruck gebracht wird (s. auch Johnson, Literary Function, 91; York* 114–116). Mit anderen Worten: Simeon kündigt an, dass Jesus Israel durcheinanderbringen und so etwas wie einen Paradigmenwechsel herbeiführen wird, insofern er selbst nämlich zum Kriterium über die Zuweisung von Heil und Unheil (dafür stehen die Metaphern „Aufstehen“ und „Fallen“) wird. – Die zweite Ankündigung, die Lukas ebenfalls auf Gottes vorgängigen Geschichtsplan zurückführt, ist die Bezeichnung Jesu als „Zeichen, dem widersprochen wird“. Wie die terminologische Wiederaufnahme von üntilfigein in Apg 13,45; 28,19.22 zeigt, wird hiermit die jüdische Ablehnung der paulinischen Christusverkündigung bezeichnet. Der lk Simeon hat hier also nicht lediglich das vorösterliche Auftreten Jesu im Blick, sondern den vollständigen Erzählzusammenhang der Gesamtdarstellung (s. auch Radl*, Beziehungen, 307 f). Dieses üntilfigein wird letztlich dazu führen, dass es zur Trennung zwischen Juden und Christen kommt, und dieser Vorgang wird hier bereits in den Blick genommen. Für das Verständnis der Bezeichnung Jesu als „Zeichen“ kann vor allem auf 11,30 verwiesen werden (und zwar gerade auf diejenigen Formulierungen, in denen der lk Text von der Parallele Mt 12,40 abweicht; s. auch schon Klostermann): Die Funktion Jonas als „Zeichen für die Niniviten“ (toõ“ Nineu‡tai“ shmeõon) gilt hier als Modell für die Bedeutung Jesu für „dieses Geschlecht“. Anders als „dieses Geschlecht“ kehrten die Niniviten auf Grund der Verkündigung Jonas um (s. V. 32), und darum werden sie es im kommenden Gericht verurteilen. Hier wird greifbar, was Lukas sich unter der Formulierung in 34c vorgestellt hat: dass der Status, den Gott Jesus zugewiesen hat, nämlich sein irdischer Repräsentant zu sein, in Israel nicht anerkannt wird und auf Ablehnung stößt (vgl. auch Jes 8,18; Ez 12,6; 24,24; Jub 4,24: der Prophet als „Zeichen“ Gottes in Israel). 35 fährt mit einer Parenthese fort, die eine metaphorische Prophezeiung über Maria formuliert. In prophetischen Drohworten ist mitunter vom Hindurchgehen (wie hier difircesjai o. ä.) eines Schwertes durch ein Land die Rede, wobei mit dieser Formulierung Vernichtung angekündigt wird (vgl. Ez 14,17; OrSib 3,316). Berührungen gibt es auch mit Ps 22,21 („Errette vom Schwert meine Seele …“) und der Klage Jer 4,10 (obwohl Gott seinem Volk Frieden zugesagt hat, ªyato ™ m›caira ∫w“ tö“ yucö“ a§tùn «ist das Schwert bis an ihr Leben gedrungen»). Die Bedeutung dieser Ankündigung in Bezug auf Maria ist umstritten (vgl. die Übersicht bei Brown* 462 f; Bock I, 428 ff). Verbreitet sind zur Zeit vor allem zwei Interpretationen: (a) Simeon spricht hier vom Leid, das die Mutter über die Zurückweisung und den Tod ihres Sohnes empfindet (Maria als mater dolorosa; so u. a. Marshall; Nolland; Radl); (b) Simeon bringt zum Ausdruck, dass die in V. 34b beschriebene Spaltung in Israel, die durch Jesus heraufgeführt wird, auch vor Maria und ihrer eigenen Familie nicht halt macht (so unter Verweis vor allem auf 12,51–53 und 8,19–21 Brown* 464–466; Fitzmyer; Bock; Wasserberg* 144). Keiner dieser Lösungsvorschläge wird der Metaphorik des Textes voll und ganz gerecht, und darum wird man nicht mehr sagen können, als dass 142

2,22–39: Jerusalem

2,36–37

Simeon Maria hier leidvolle Erfahrungen ankündigt. Vielleicht will Lukas mit der Formulierung „deine Seele“ auch auf den Beginn des Magnifikat („Meine Seele preist den Herrn“; 1,46) zurückverweisen. 35b setzt den Gedanken von 34c mit einem Finalsatz fort. Dass das Herz der Ort der Gedanken ist, entspricht alttestamentlicher Anthropologie (vgl. Dtn 15,9; Ps 33,11; Dan 2,30Theod.; s. auch Mk 7,21par.; Lk 3,15; 5,22; 9,47; 24,38). Im Hintergrund der Ankündigung Simeons steht zweierlei: dass die Gedanken des Herzens anderen Menschen verborgen und nur Gott bekannt sind und dass sie nichts taugen (vgl. z. B. Ps 94,11: „Der Herr kennt die Gedanken der Menschen, dass sie nichtig sind“; Jes 59,7; 1.Makk 2,63; im NT: Mk 7,21par.). Das heißt dann: Gott macht Jesus „zu einem Zeichen, dem widersprochen wird“, damit die verborgene Intentionalität der ihn abweisenden Menschen offenbar wird. Wenn wir diese „Offenbarung“ neben die in V. 32a angesprochene „Offenbarung“ des swtflrion als Erleuchtung der Völker stellen, haben wir bereits hier genau dieselbe Konstellation vor uns wie am Ende des lk Doppelwerks (vgl. Apg 28,26–28): Zum einen wird festgestellt, dass die paulinische Christusverkündigung die Verstocktheit des Herzens derjenigen Juden erwiesen hat, die sich ihr verweigert haben, und zum anderen wird bekanntgegeben, dass eben toúto tÖ swtflrion toú jeoú den hörwilligen Völkern gesandt wurde. Die sich daran anschließende Erzählsequenz 36–38 ist merkwürdig: Lukas stellt die Hauptfigur Hanna erst ausführlich vor (36–37) und berichtet dann mit wenigen Worten und hoher durativer Raffungsintensität (vgl. Lämmert, Bauformen, 84), was sie tut (38). Mit 42 Wörtern ist ihre Vorstellung mehr als doppelt so umfangreich wie die Beschreibung ihres Auftretens (17 Wörter). Hierbei redet Hanna natürlich, doch Lukas lässt sie nicht selbst zu Wort kommen, sondern liefert lediglich einen summarischen Redebericht, in dem nur gesagt wird, dass sie über Jesus spricht; was sie über ihn sagt, bleibt unerwähnt und der Imagination der Leser überlassen. Lukas sagt auch nicht, dass Hanna mit Jesus und seinen Eltern zusammentrifft. 36–37 Anders als bei Simeon wird Hannas Name an erster Stelle genannt (ähnlich ist Lukas in 1,26 auch mit Gabriel verfahren); hieran wird erkennbar, dass die beiden Episoden als Einheit verstanden werden sollen. Die Einleitung mit kaÑ én (als Prädikat) + Name orientiert sich wiederum am Erzählstil der Septuaginta (vgl. Ri 13,2; 1.Sam 9,1; 25,2; 2.Sam 21,20; 1.Kön 12,24bLXX; Esth 1,1r = ZusEsth A 17). Hanna wird dann mit einer Fülle von persönlichen Merkmalen vorgestellt. Unter ihnen entsprechen sich Anfang und Ende, denn hier wird gesagt, was sie zur Zeit des erzählten Geschehens ist und tut: Es handelt sich um eine Prophetin (wie im AT Miriam, Debora, Hulda, Noadja und Jesajas Frau; vgl. Ex 15,20; Ri 4,4; 2.Kön 22,14; 2.Chr 34,22; Neh 6,14; Jes 8,3; s. auch Philo, Vit. Cont. 87; Josephus, Ant. 5,201; 10,59 f). Philo v. Alexandrien nennt auch Hanna, Samuels Mutter, Prophetin (und „Prophetengebärerin“; Somn. 1,254), und die Sibylle beansprucht für sich den Titel jeoú meg›loio proföti“ «Prophetin des großen Gottes»; OrSib 3,818; s. auch Prol. 29. – Als eine Frau von ganz außerordentlicher und hingebungsvoller Frömmigkeit schildern sie die hyperbolischen Aussagen in 37b, denn ständiger Aufenthalt im Heiligtum (vgl. Ps 23,6; 27,4) gilt ebenso als jüdisches Frömmigkeitsideal wie die Unablässigkeit des Gottesdienstes (die Formulierung „Nacht und Tag“ hat ihren Grund darin, dass nach jüdischem Verständnis der neue Tag mit dem Sonnenuntergang beginnt: s. auch Num 11,32; 1.Sam 25,16; Esth 4,16; Mk 4,27; 5,5; Apg 20,31; 1.Tim 5,5 u. ö.): Nach Josephus, Ant. 7,367 hat David den 143

2,38

2,1–39(40–52): „… als Quirinius über Syrien herrschte“

Priestern und Leviten befohlen, doule‚ein katÅ n‚kta kaÑ ™mfiran tù jeù «Nacht und Tag Gott zu dienen», und in Jdt 11,17 bezeichnet Judith sich als Gottes do‚lh … jeosebfl“ … jerape‚ousa nuktÖ“ kaÑ ™mfira“ tÖn jeÖn toú o§ranoú «Sklavin … fromm … den Gott des Himmels in der Nacht und am Tag verehrend»; s. vor allem aber auch Apg 26,7 über Israel: †n †ktene‡a n‚kta kaÑ ™mfiran latreúon. Zur Kombination von Fasten und Beten als Ausdruck von Frömmigkeit (häufig als Bußritus) vgl. Neh 1,4; Ps 35,13; Jer 14,12; Bar 1,5; Dan 9,3; Tob 12,8; Jdt 4,7.11; TestJos 3,3 f; 4,8; 10,1; Lk 5,33; Apg 13,3; 14,23. Von den biographischen Informationen dazwischen betreffen die ersten beiden Hannas familiäre Herkunft. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Lukas den Namen ihres Vaters Phanuel (nach hebr. laeWnp. = Gottes Antlitz) und die Zugehörigkeit zum Stamm Ascher (nach hebr. rv,a = „Glück, Heil“) aus Gründen theologischer Symbolisierung fingiert hat. Beide Angaben sind vielmehr Indizien für das Vorliegen von zuverlässiger historischer Erinnerung an eine bestimmte Person, die wohl auch wirklich Hanna hieß (von hebr. !nx = „gnädig sein, sich erbarmen“); vgl. dazu Bauckham* 186. – Unklar und überdies eine Einladung zu zahlensymbolischen Spekulationen (alle Zahlen sind durch 7 teilbar) sind die Angaben über das Alter und die Dauer der Witwenschaft Hannas (vgl. Elliott*; zur Formulierung probebhkuõa †n ™mfirai“ pollaõ“ s. bei 1,7): War sie insgesamt 84 Jahre alt (Plummer; Nolland; Bovon; Bock), oder war sie nach 7jähriger Ehe mittlerweile seit 84 Jahren verwitwet (Schürmann; Marshall; Radl)? Letzterenfalls wäre sie – unter der zusätzlichen Voraussetzung einer Eheschließung mit 14 Jahren – 105 Jahre alt, und damit genau so alt wie Judith bei ihrem Tod (Jdt 16,23). Soll der Leser in Hanna also eine Frau vom Typ Judiths erkennen (vgl. auch den o. zitierten Text Jdt 11,17)? M.E. ist das eine Überinterpretation, die von zu vielen hypothetischen Annahmen abhängig ist. Einigermaßen sicher ist lediglich, dass Lukas von einer 84jährigen Witwenschaft spricht (vgl. die Parallelen für cflra ∫w“ †tùn + Zahl bei Josephus, Ant. 5,181; 6,18; 8,316; Dionysius v. Halicarnass, Amm. 7; Diogenes Laertius 7,4 u. ö.); anderenfalls würde auch die Information über die Dauer ihrer Ehe bedeutungslos. – Coleridge* hat darauf hingewiesen, dass es sich bei allen Informationen, die Lukas über Hanna mitteilt, (im Unterschied zu Simeon) um „strictly public knowledge“ handelt (179). Es spricht somit einiges dafür, dass sich hier eine „Jerusalemer Lokaltradition“ erhalten hat, die sich auf eine alte und fromme Witwe namens Hanna, Tochter Phanuels aus dem Stamm Ascher, bezog, die auf Grund ihres Alters und ihrer Tempelfrömmigkeit „eine allen Tempelbesuchern bekannte Persönlichkeit“ war (Schürmann I, 130). Irgendwie muss auch Lukas von ihr Kenntnis erhalten haben, und er kann es sich nicht entgehen lassen, auch ihr eine Rolle in seiner Jesuserzählung zu geben. Wenn man jedoch nach dieser ausführlichen Vorbereitung in 38 weiterliest, fällt diese Rolle geradezu kümmerlich aus. Die Zeitangabe a§tÔö tÔö øra (sie findet sich im NT nur noch bei Lukas; vgl. 10,21; 12,12; 13,31; 20,19; 24,33; Apg 16,18; 22,13; zu ihrer Grundlage in der Septuaginta vgl. Fitzmyer I, 117 f) koordiniert Hannas Auftritt mit der Simeon-Episode. Lukas führt sie zwar mit demselben Begriff ein, mit dem er in 2,9 den Auftritt des Verkündigungsengels erzählt hatte (†f‡sthmi), doch fehlt hier anders als dort das Objekt. Lukas bewahrt eine deutliche Distanz zwischen Hanna und der kleinen Gruppe um Jesus. Und dann berichtet er von Hannas Rede im durativen Imperfekt, d. h. er verlängert sie über die punktuelle Situation hinaus. 144

2,40–52: Jesus als weiser Knabe

2,40–52

Der Lobpreis Gottes, den Lukas Hanna in den Mund legt (ünjomologeõsjai ist ntl Hapax legomenon; es findet sich aber in Y 78,13, am Ende einer Volksklage, die um die Restitution Israels und Jerusalems bittet; s. auch Dan 4,34), steht in einer Reihe mit den Reaktionen, die die Leser zuvor bereits von Maria, Zacharias, den Hirten und Simeon kennengelernt haben (vgl. 1,46.68; 2,20.28); zur Charakterisierung ihres Publikums als „alle, die die Befreiung Jerusalems erwarteten“, s. o. S. 134. Über den Inhalt von Hannas Rede teilt Lukas nur mit, dass sie die erhoffte Befreiung Jerusalems irgendwie mit Jesus in Verbindung bringt. Konkreter darf er sie aber auch nicht werden lassen. Bemerkenswert ist vor allem, dass Lukas sie nicht explizit ankündigen lässt, dass Jesus derjenige ist, der Jerusalem befreien wird. Diese Zurückhaltung hat jedoch gute Gründe; der lk Jesus selbst wird später noch mehrfach Auffassungen korrigieren müssen, die in dieselbe Richtung gehen (vgl. 19,11 ff; 24,21 ff; Apg 1,6–8): Natürlich wird er Jerusalem befreien, aber in ganz anderer Weise, als das fromme Juden wenige Tage nach seiner Geburt noch erwarten konnten. Das wird sich aber erst im Laufe der Apostelgeschichte herausstellen. Und hinzu kommt auch noch, dass Jerusalem in der Zeit, als Lukas sein Evangelium schreibt, in Trümmern liegt (s. zu 21,20–24). Die Undeutlichkeit, mit der Lukas den Auftritt Hannas umgibt, hat ihren Grund also in den zeitgeschichtlichen Erfahrungen des christlich-jüdischen Trennungsprozesses und der Zerstörung Jerusalems und korrespondiert auf der Textebene mit Simeons Ankündigung der Ablehnung Jesu in Israel (V. 34 f). 39 beendet zwei erzählerische Zusammenhänge: 39a schließt die in V. 22 begonnene Erzählsequenz ab, die Jesu Eltern katÅ tÖn n·mon MwÊsfiw“ in den Jerusalemer Tempel geführt hatte (s. auch V. 24.27b–c). Was sie dort taten, wissen die Leser aus V. 22b und V. 24. – 39b beendet den in V. 4 begonnenen Erzählzusammenhang, indem Lukas die junge Familie wieder nach Nazareth zurückkehren lässt, von wo aus er Maria und Josef hat aufbrechen lassen, damit sie sich in Bethlehem registrieren lassen konnten. 2,40–52: Jesus als weiser Knabe 40Das

Kind aber wuchs heran und erstarkte, (es war) voller Weisheit, und Gottes Gnade war auf ihm. 41Und seine Eltern pflegten jedes Jahr zum Passafest nach Jerusalem zu rei­ sen. 42Und als er zwölf Jahre alt geworden war und sie dem Festbrauch ent­ sprechend wieder einmal hinaufzogen, 43und – nachdem sie die Tage hinter sich gebracht hatten – wieder zurückkehrten, blieb der Knabe Jesus in Jerusa­ lem, und seine Eltern merkten (es) nicht. 44Weil sie dachten, er sei (irgendwo) in der Reisegesellschaft, zogen sie eine Tagesreise weit und suchten ihn bei den Verwandten und Bekannten. 45Und als sie ihn nicht fanden, kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten (dort) nach ihm. 46Und es geschah nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel mitten unter den Lehrern sitzend, ihnen zuhörend und sie fragend. 47Alle aber, die ihm zuhörten, waren über­ rascht über seine verständigen Antworten. 48Und als sie ihn sahen, gerieten sie außer sich, und seine Mutter sagte zu ihm: „Kind, warum hast du uns so etwas angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich schmerzhaft gesucht!“ 49Und er sagte zu ihnen: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, 145

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dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ 50Und sie verstanden das Wort nicht, das er ihnen gesagt hatte. 51Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth. Und er war ihnen gehorsam. Seine Mutter bewahrte alle Dinge in ihrem Herzen. 52Und Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und im Ansehen bei Gott und den Menschen. Literatur: s. o. S. 69. – Außerdem: R.D. Aus, The Child Jesus in the Temple (Luke 2:41–51a), and Judaic Traditions on the Child Samuel in the Temple (1 Samuel 1–3), in: ders., Samuel, Saul and Jesus, Atlanta 1994, 1–64. – J.K. Elliott, Does Luke 2,41–52 anticipate the Resurrection?, ET 83 (1971/72) 87–89. – O. Glombitza, Der zwölfjährige Jesus. Luk. ii 40–52. Ein Beitrag zur Exegese der lukanischen Vorgeschichte, NT 5 (1962) 1–4. – B. Heininger, Familienkonflikte: Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Lk 2,41–52), in: „Licht zur Erleuchtung der Heiden …“, 49–72. – B. van Iersel, The Finding of Jesus in the Temple, NT 4 (1960) 161–173. – H.J. de Jonge, Sonship, Wisdom, Infancy: Luke II.41–51a, NTS 24 (1978) 317–354. – Kügler, Pharao, 299–306. – N. Krückemeier, Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Lk 2.40–52) und die biografische Literatur der hellenistischen Antike, NTS 50 (2004) 307–319. – R. Laurentin, Jésus au temple. Mystère de Pâques et foi de Marie en Luc 2,48–50 (EtB), Paris 1966. – G. Schmahl, Lk 2,41–52 und die Kindheitserzählung des Thomas 19,1–5, BiLe 15 (1974) 249–258. – D.D. Sylva, The cryptic Clause en tois tou patros mou dei einai me in Lk 2,49b, ZNW 78 (1987) 132–140. – F.D. Weinert, The Multiple Meanings of Luke 2:49 and their Significance, BTB 13 (1983) 19–22.

Wie 1,80 schließt Lukas auch die Erzählung von der Geburt Jesu und deren Deutungen mit einer summarischen Notiz über das Aufwachsen des Knaben ab. Diese Notiz ist in V. 40 und V. 52 enthalten. Lukas geht damit über den zu Beginn dieses erzählerischen Sammelbeckens abgesteckten zeitlichen Rahmen (die Statthalterschaft des Quirinius) hinaus. Ganz analog ist er auch schon in 1,80 verfahren, und auch in 24,53 wird er dieselbe Technik anwenden. – Eingelagert in dieses Summarium ist eine Episode, die den Inhalt der summarischen Notiz veranschaulichen soll (V. 41–51): dass außerordentliche Weisheit und Gottesnähe bereits den heranwachsenden Jesus auszeichneten. Ganz analog verfährt Lukas auch in Apg 4,32 – 5,16: In ein Summarium über die Jerusalemer Urgemeinde baut er die Erzählung von Ananias und Sapphira ein, um die Präsenz des heiligen Geistes in der Urgemeinde zu dokumentieren. Die Bedeutung der Erzählung geht aber auch noch über die Funktion der Veranschaulichung von Jesu Weisheit und Gottesnähe hinaus, denn sie enthält in V. 49 das erste Jesuswort des lk Doppelwerks. Und nachdem bisher immer nur andere über Jesus geredet haben, wird Jesus hier zum ersten Mal zu seinem eigenen Interpreten (s. auch Coleridge*). Vergleichbare Überlieferungen gibt es im hellenistischen Umfeld des Neuen Testaments von Augustus, Apollonius v. Tyana und Pythagoras; vgl. Krückemeier* (s. auch de Jonge* 339 ff). – Die Erzählung dieser Episode im Kindheitsevangelium des Thomas (Kap. 19; s. dazu Schmahl) ist von der lk Erzählung abhängig, setzt aber z. T. eigene Akzente. 40 Die summarische Notiz über das körperliche Heranwachsen Jesu ist wörtlich identisch mit dem, was Lukas in 1,80 über Johannes geschrieben hatte (s. dort). Statt vom Erstarken „im Geist“ (das wird dann auch prompt von einigen Handschriften nachgetragen) teilt Lukas dann aber von Jesus mit, dass er „voller Weisheit“ war und „Gottes Gnade“ auf ihm ruhte. Dass er damit gezielt Jesu Überlegenheit über Johannes zum Ausdruck bringen wolle (so z. B. Schürmann; Marshall), geht am Aussagewillen 146

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2,44–45

des Textes vorbei. Außerdem kann Lukas Jesus schlecht „im Geist erstarken“ lassen, nachdem der heilige Geist bereits an seiner Zeugung beteiligt war. Ansonsten sind Weisheit und Gnade traditionelle Attribute von Gottesmännern; beide zusammen z. B. Apg 7,10 von Josef. Der instrumentale Dativ sof‡a steht für den Genitiv (B/D/R § 195,2); s. auch Apg 6,3; Philo, Post. C. 137: ükr›tou sof‡a“ peplhrwmfinh «mit unvermischter Weisheit erfüllt». 41 dient der erzählerischen Vorbereitung der Episode, die die Eigenschaften, die Lukas Jesus eben zugeschrieben hat, veranschaulichen soll. Er will ganz offensichtlich Jesus und seine Eltern nicht einfach nur so nach Jerusalem schicken und nennt darum hier einen leicht nachvollziehbaren Grund: weil die Eltern Jesu es sich zur Gewohnheit gemacht hatten, jedes Jahr (katû ≤to“; diese Formulierung ist in der paganen Gräzität weit verbreitet; aus Raumgründen gebe ich nur die Belege bei Diodorus Siculus: 1,26,5; 34,2; 2,47,1; 3,2,3; 56,4; 62,7; 38/39,7,1; jüdisch ist sie nur bei Josephus belegt: Ant. 4,69; 8,160.396; 12,169 u. ö.; hier begegnen wir also einmal mehr dem hellenistischen Schriftsteller Lukas) zum Passafest nach Jerusalem zu reisen, das eines der drei jüdischen Wallfahrtsfeste war (neben dem Wochen‑ und dem Laubhüttenfest), zu denen jeder männliche Israelit in Jerusalem zu erscheinen hatte (vgl. Ex 23,14–17; 34,23; Dtn 16,16; s. auch Jub 49,9 f.16–21; Josephus, Bell. 6,421). Wie strikt dieses Gebot in neutestamentlicher Zeit tatsächlich befolgt wurde, weiß keiner (Josephus, Bell. 6,422–427 nennt eine Zählung, die vor Ausbruch des jüdischen Krieges stattfand und die Zahl von 2,7 Mio. Festteilnehmern feststellte; vgl. dazu Hengel, Zeloten, 135). Zufolge Josephus, Vita 269 war es möglich, in drei Tagen von Galiläa nach Jerusalem zu reisen. Auf jeden Fall reicht die Passahalacha aber aus, um eine Reise der Eltern Jesu nach Jerusalem zu motivieren; ein Rückgriff auf 1.Sam 1,3.7.21; 2,19 (z. B. Nolland) ist darum unnötig. 42–43 An einer dieser Reisen nimmt der 12jährige Jesus teil. Die Altersangabe verdankt sich mit großer Wahrscheinlichkeit einer großen Zahl von biographischen Überlieferungen, denen zufolge die außergewöhnlichen Eigenschaften nachmals bedeutender Männer bereits im Alter von 12 Jahren hervortraten, wie z. B. bei Kyros (vgl. Xenophon, Cyrop. 1,3,1–18), Epikur (vgl. Diogenes Laertius 10,14), Samuel (vgl. Josephus, Ant. 5,348), Augustus (vgl. Sueton, Aug. 8,1), Salomo (vgl. 1.Kön 2,12LXX); s. auch de Jonge* 322 f. An der hohen Raffungsintensität wird erkennbar, dass Lukas am Ablauf des Passafestes (und an Jesu Teilnahme an ihm) keinerlei Interesse hat: Kaum angekommen, lässt er Jesu Eltern auch schon wieder abreisen. Was ihm das Wichtigste in diesem Satz ist, wird daran erkennbar, dass er den Hauptsatz erst mit der Mitteilung von Jesu Zurückbleiben in Jerusalem bringt. Eine Erklärung für das Zurückbleiben wird Lukas erst in V. 49 liefern. Mit der Information, dass Jesu Eltern (etliche Handschriften sorgen sich wieder um die Jungfräulichkeit Mariens und verbessern in: „Josef und die Mutter“) sein Zurückbleiben zunächst nicht bemerken, differenziert Lukas zwischen dem Wissen der Leser und dem Wissen seiner Erzählfiguren: Anders als diese wissen jene, was passiert ist; erst in V. 45 stellt Lukas wieder Gleichstand her. In 44–45 erzählt Lukas die Suche der Eltern. Deren Vermutung (44), Jesus halte sich anderswo in der Reisegesellschaft auf, lässt sie an der falschen Stelle suchen und fungiert erzählerisch als retardierendes Element. sunod‡a wird in diesem Sinne bei Epiktet 4,1,91 mit interessanter Begründung gebraucht: Weil eine bestimmte Straße 147

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durch Räuber gefährdet ist, reist man nicht allein, sondern wartet, bis sich eine sunod‡a zusammenfindet. Jedenfalls entfernen die Eltern sich räumlich von ihrem Sohn, indem sie sich einen ganzen Tag lang von Jerusalem fortbewegen und ihn danach unter Verwandten und Bekannten – natürlich erfolglos – suchen (das Imperfekt ünezfltoun beschreibt die Dauerhaftigkeit der Suche; vgl. B/D/R § 325.327). Möglicherweise wollte Lukas diese Fehleinschätzung der Eltern auch als eine inhaltliche Entfremdung und als symbolische Vorwegnahme des späteren Zerbrechens der überkommenen Familienbeziehungen gedeutet wissen (vgl. 8,19–21; 11,27 f; 12,51–53). „Verwandte und Bekannte“ auf der einen Seite und Gott als „mein Vater“ (V. 49) auf der anderen Seite stehen sich gegenüber. Sie markieren unterschiedliche Sinnwelten, und wenn man Jesus nicht in der Sinnwelt Gottes sucht, sondern in der anderen, findet man ihn natürlich nicht (s. auch Räisänen, Mutter, 134 ff). Mit 45 führt Lukas das Wissen der Eltern wieder mit demjenigen der Leser zusammen. Was beide noch nicht wissen, ist der Grund für Jesu Zurückbleiben und die Umstände, unter denen sie ihn antreffen werden. 46–49 sind Höhepunkt und Ziel der Erzählung, die dadurch eine apophthegmatische Struktur bekommt. Die erzählerische Logik ist freilich nicht stringent, denn zum einen passt 47 nicht zu 46, und zum anderen passt die Antwort, die Jesus in 49 gibt, nicht zur Situation, auf deren Beschreibung in 46–47 so viel Wert gelegt wird. 46 Mit kaÑ †gfineto setzt Lukas diesmal einen deutlichen Einschnitt (zur Formulierung vgl. Gen 7,10; Ex 12,41; Jos 3,2; 9,16; 2.Chr 8,1; Ez 3,16; s. auch Apg 28,17), so dass wohl davon auszugehen ist, dass sich die Zeitangabe auf die Dauer der Suche in Jerusalem bezieht. Eine Beziehung zur Auferstehung Jesu (so Glombitza* 2; Laurentin* 95 ff; Elliott*) ist nicht erkennbar, zumal Lukas (anders als Mk 8,31; 9,31; 10,34) nie von einer Auferstehung Jesu „nach drei Tagen“ spricht. Die Auffindungsnotiz stellt Jesus in einer Situation dar, die in höchstem Maße konstruiert und unrealistisch ist, denn normalerweise versammelt ein Lehrer eine Mehrzahl von Schülern um sich und nicht umgekehrt. Außerdem sitzen Schüler immer nur „zu Füßen“ der Lehrer (vgl. Apg 22,3; s. auch 10,39) und nicht in ihrer „Mitte“. Die Intention, die Lukas mit diesem Gruppenbild verfolgt, ist klar: Das Gefälle zwischen Lehrenden und Lernendem wird eingeebnet; Jesus ist nicht mehr Schüler, sondern „Gesprächspartner“ (Wiefel; s. auch Green). Dem entspricht auch die in 1.Sam 10,10 f beschriebene Szene: Saul wird „†n mfisw der Propheten“ gesehen, was zu der verwunderten Frage führt, ob auch Saul zu ihnen gehöre, also ein Prophet geworden sei. Diese Sicht wird durch 47 bestätigt, insofern hier ein Rollentausch stattfindet: Jesus wird nicht mehr in der Rolle des Hörenden und Fragenden dargestellt, sondern als Antwortender. s‚nesi“ kaÑ üpokr‡sei“ ist ein Hendiadyoin und besagt, dass Jesu s‚nesi“ in seinen Antworten erkennbar wird (vgl. B/D/R § 44229). Und damit findet dann auch die Behauptung von V. 40 ihre Bestätigung (zur wechselseitigen Nähe von sof‡a und s‚nesi“ vgl. u. a. Jes 10,13; 11,2; 29,14; Dan 2,21; DanTheod. 2,20; 5,14). Was Jesus sagt, ist unwichtig (anders dann im apokryphen Kindheitsevangelium des Thomas 19,2 [NTApo6 I, 359] und im Arab. Kindheitsevangelium 50–53 [Synopsis Quattuor Evangeliorum 18 f]). Im Vordergrund steht allein der Eindruck, den er auf die Leute macht, und dass der Jerusalemer Tempel der Ort ist, an dem der 12jährige Jesus seine Weisheit öffentlich demonstriert (vgl. de Jonge* 330). p›nte“ o´ üko‚onte“ sind (jedenfalls im Aorist) schon in 1,66 und 2,18 aufgetreten (es gibt sie im NT über148

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2,49

haupt nur bei Lukas: vgl. noch Apg 5,5.11; 9,21; 10,44; 26,29), doch unterscheiden sie sich von jenen dadurch, dass sie Jesus direkt begegnen. Zur Beschreibung ihrer Reaktion greift Lukas auf einen Begriff zurück (†x‡sthmi), mit dem er später die Reaktion auf Jesu Heilungen o. ä. beschreibt (5,26; 8,56; Apg 2,7.12; 3,10; 8,9.11.13; 10,10.45 f; 12,16). Erwähnenswert ist, dass Lukas auch den ersten öffentlichen Auftritt des Paulus nach seiner Bekehrung wortwörtlich dieselbe Reaktion hervorrufen lässt (†x‡stanto dÇ p›nte“ o´ üko‚onte“; Apg 9,21). Der Beginn von 48 knüpft syntaktisch über V. 47 hinweg an V. 46 an, denn das Subjekt können nur die Eltern Jesu sein. Das darf aber nicht zum Anlass werden, V. 47 für einen nachträglichen Zusatz zu halten (so van Iersel* 169). In diesem Vers nimmt die Szene die Wendung zum Streitgespräch, denn Lukas führt die Eltern als Antagonisten ein, die das Verhalten Jesu tadeln. Bemerkenswert ist zunächst, dass sie sich nicht – wie es nach 15,6.9.23 f.32 eigentlich selbstverständlich ist – über das Wiederfinden des verlorenen Sohnes freuen, sondern außer sich geraten (†kplflssomai; das muss nicht unbedingt negativ sein: vgl. 4,32: über Jesu Lehre; 9,43: über die megalei·th“ Gottes; Apg 13,12: über die paulinische „Lehre vom Herrn“). Der Vorwurf Marias beginnt mit einer rhetorischen Frage (vgl. die vergleichbaren Formulierungen in Gen 12,18; 20,9; 26,10; 29,25; Ex 14,11; Ri 15,11 sowie R. Pesch, „Kind, warum hast du so an uns getan?“ [Lk 2,48], BZ NF 12 [1968] 245–248; B/D/R § 299,3), wie das in Streitgesprächen häufiger der Fall ist (vgl. z. B. Mk 2,18 par. Mt 9,14; Mk 2,24 par. Lk 6,2; Lk 5,30 par. Mt 9,11). Interessant ist der Inhalt des Vorwurfs: Er nimmt keinerlei Bezug auf die Situation, in der die Eltern das Kind antreffen (in dieser Hinsicht weicht er von der Form der anderen Streitgespräche ab), sondern er thematisiert ausschließlich das Verhältnis Jesu zu seinen leiblichen Eltern: „Warum hast du uns so etwas angetan? Dein Vater und ich haben dich … gesucht!“. 49 Jesu Gegenfrage macht deutlich, dass genau hierin der Fehler seiner Eltern liegt. Sie ist natürlich ebenso rhetorisch und impliziert einen leisen Vorwurf gegen seine Eltern: Sie hätten ihn nicht zu suchen brauchen, denn sie hätten wissen müssen, wo er abgeblieben war. Im Einzelnen bereitet Jesu erstes Wort den Interpreten jedoch etliche Verstehensprobleme. Die Formulierung der Frage nach dem Grund mit t‡ Ωti entspricht Apg 5,4.9 und findet sich knapp 50mal in der Septuaginta (z. B. Gen 3,1; 18,13; 26,9; 40,7; s. dazu B/D/R § 2993). – Umstritten ist aber vor allem die Bedeutung von †n toõ“ toú patr·“ mou in 49c (vgl. vor allem Laurentin* 38 ff; de Jonge* 331 ff; Heininger* 65 f). – Zur Auswahl stehen im wesentlichen zwei Interpretationen: (a) im Sinne von ‚meines Vaters Haus‘, d. h. der Tempel (so die meisten neueren Kommentare); Belege dafür: Tob 6,2; Esth 7,9; Hiob 18,19; Josephus, Ap. 1,118; vgl. auch Kügler* 302: Bezug auf „die königliche Sitte des Wohnens bei der Gottheit“ und darum „Ausdruck der Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und König“; (b) im Sinne von ‚meines Vaters Angelegenheiten‘ (z. B. Johnson; Coleridge* 202 f; Belege dafür: Mk 8,33; 1.Kor 7,32–34; 1.Tim 4,15). Sylva* kombiniert sie miteinander und sieht hier eine Vorankündigung der späteren Lehrtätigkeit Jesu im Tempel (19,45 – 21,38), und auch de Jonge* 334 f ist der Meinung, dass Lukas hier bewusst ambivalent formuliert (ganz anders noch einmal Weinert*, der sunod‡a aus V. 44 einsetzen will, was aber sicher am Plural †n toõ“ scheitert). – Nun ist es so, dass man Jesu †n toõ“ toú patr·“ mou … eènai auf Grund der Korrespondenz mit „suchen“ eine lokale Komponente nicht gut absprechen kann. Auf der anderen Seite ist aber auch 149

2,50

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die Überlegung von de Jonge* nicht von der Hand zu weisen, dass Lukas – hätte er Jesus damit in unmissverständlicher Weise den Tempel bezeichnen lassen wollen – das auch hätte tun können (332 f). Das heißt: hier ist zweifellos der Tempel als Extension von tÅ toú patr·“ mou einzusetzen; die intensionale Bedeutung dieses Begriffs lässt es aber zu, dass er auch auf andere Extensionen verweisen kann. Den maßgeblichen Hinweis kann man vielleicht Apg 3,20 f entnehmen: Hier heißt es wie in Lk 2,49 unter Rückgriff auf das deõ des göttlichen Geschichtsplans, der an Jesus erfüllt wird (s. auch Lk 4,43; 9,22; 13,33; 17,25; 19,5; 21,9; 22,37; 24,7; 24,44), dass Jesus vom Himmel aufgenommen werden musste, auf den dieselbe Charakterisierung zutrifft: Auch jetzt, in der Gegenwart der Jerusalemer Gemeinde und dann auch der Leser, gilt mithin, dass Jesus †n toõ“ toú patrÖ“ a§toú ist, und genau die prinzipielle Notwendigkeit dieses Sachverhalts ist es, die Jesus selbst in seinem ersten Wort betont. Die Aussage weist also aus der Textwelt hinaus in die Welt der Leser, und die Offenheit der Formulierung hat ihren Grund darin, dass Lukas eine Bezeichnung verwenden musste, die sowohl auf den Tempel als auch auf den Himmel passte. Dementsprechend wird Jesus zum Schluss auch ebendorthin entrückt (24,51). Dass Jesus Gott „Vater“ nennt, muss als Verweis auf 1,32.35 gelesen werden (zwischendrin war nicht von der Gottessohnschaft Jesu die Rede), und es ist allererst auch die besondere Beziehung, die ihn mit Gott verbindet, die als Motivation für sein Verhalten fungiert. Im Kontext der Einzelepisode macht dieser Hinweis deutlich, dass Jesu Verhalten von den Erwartungen seiner Eltern abweicht; Analoges wird sich im Laufe der lk Jesusgeschichte und dann natürlich im Zusammenhang der Ausbreitungsgeschichte der Christusbotschaft, die Lukas in der Apostelgeschichte erzählt, in größerem Maßstab wiederholen. – Erst einmal lässt aber die Mitteilung in 50, derzufolge Jesu Eltern auf das Gesagte mit Unverständnis reagieren, die Tragik der Situation deutlich zutage treten: Jesu Antworten im Gespräch mit den Lehrern ist in V. 47 von den Ohrenzeugen s‚nesi“ bescheinigt worden, und dieses Kriterium erfüllt zweifellos auch seine Antwort auf den Vorwurf der Eltern. In 18,34 beschreibt Lukas mit demselben Verb die Reaktion der Zwölf auf Jesu zweite Leidens‑ und Auferstehungsankündigung (s. auch schon 9,45). Deren Unverständnis wird später jedoch durch den Auferstandenen beseitigt (vgl. 24,45), und dasselbe gilt ganz offensichtlich auch von Maria (vgl. Apg 1,14). – 51a bildet den mit V. 42 korrespondierenden Schlussrahmen der Episode. 51b.c formulieren dann noch einen Ausblick in die erzählte Zeit nach der Rückkehr aus Jerusalem: Zum einen legt Lukas Wert darauf, den Lesern ausdrücklich mitzuteilen, dass Jesus sich im Alltag so verhielt, wie es von Kindern allgemein erwartet wurde, nämlich dass sie sich den Eltern bzw. Älteren unterordnen (vgl. 1.Tim 3,4; 1.Petr 5,5; Mark Aurel 1,17,3; s. auch Eph 6,1; Kol 3,20 sowie Spicq, Lexicon III, 424 ff); die Coniugatio periphrastica én ≠potass·meno“ bringt nicht nur die zeitliche Dauer zum Ausdruck, sondern auch „eine gewisse Emphase“ (B/D/R § 353,2a; zu ihrer Verwendung im LkEv s. Verboomen, L’imparfait périphrastique). Diese Mitteilung hat eine ähnliche Funktion wie die Notiz über die Windeln in 2,7 in Bezug auf die Geistzeugung: Sie will Jesus in den Bereich der menschlichen Normalität zurückholen, nachdem ein extrem außeralltäglicher Vorgang berichtet wurde. – Zu Marias diathreõn … †n tÔö kard‡a sowie zu p›nta tÅ Øflmata s. o. bei V. 19. 52 ist eine biographische Entwicklungsnotiz, wie sie sich mit dem Leitwort prok·ptein in vielen biographischen Texten findet (in Apollonius, Vit. Aesch., ed. 150

2,40–52: Jesus als weiser Knabe

2,52

Martin / Budé, 5,20 f; Hist. Alex. Magn. rec. b, ed. Bergson, 1,14; SIG3 708,18; Clemens v. Alexandrien, Ecl. Proph. 18,1 mit tÔö ™lik‡a, das in diesem Zusammenhang immer das Lebensalter bezeichnet; s. auch G. Stählin, ThWNT 6,705,10 ff.18 ff; 712,21 ff.44 ff). Weil das aber tautologisch wäre, wird gemeint sein: ‚Aus dem Kind wird ein Mann‘ (s. auch Radl). Die Notiz schließt an das in V. 40 begonnene Summarium an und setzt es fort: Jesus wird mit zunehmendem Alter immer weiser und angesehener. Letzteres wird mit Bezug auf die beiden elementaren menschlichen Relationen entfaltet: das Verhältnis zu Gott und das Verhältnis zu den anderen Menschen. Nicht zu übersehen ist dabei die Nähe zu 1.Sam 2,26 („der Knabe Samuel nahm immer mehr zu an Alter und Gunst bei JHWH und bei den Menschen“ LXX: kaÑ tÖ paid›rion SamouÉl †pore‚eto kaÑ †megal‚neto kaÑ ügajÖn kaÑ metÅ kur‡ou kaÑ metÅ ünjr„pwn; s. auch Prov 3,4 sowie Sir 45,1 über Mose: °gaphmfinon ≠pÖ jeoú kaÑ ünjr„pwn «geliebt von Gott und den Menschen»; Tob 14,17; Röm 14,18 [im Hintergrund steht der ethische ‚Kanon der zwei Tugenden‘; s. bei 1,75]); zur Übersetzung von c›ri“ vgl. Apg 2,47. – Wenn man diesen Vers z. B. mit dem vergleicht, was Josephus, Ant. 2,228–231 über Mose zu schreiben weiß (vgl. auch das von de Jonge* 339 ff zusammengestellte Material), fällt die Jugendbiographie Jesu in den lk Summarien nicht aus dem Rahmen konventioneller Biographien überdurchschnittlich begabter Jugendlicher heraus.

151

3,1–20: Johannes der Vorläufer 1Im

fünfzehnten Jahr der Regierungszeit des Caesar Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war und Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus aber Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis sowie Ly­ sanias Tetrarch von Abilene, 2zur Zeit des Hohenpriesters Hannas und des Kaiaphas geschah das Wort Gottes über Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste. 3Und er ging in das ganze Umland des Jordan und propagierte eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, 4wie geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja: „Stimme eines Rufers in der Wüste: ‚Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Straßen gerade! 5 Jede Schlucht soll aufgefüllt werden und jeder Berg und jeder Hügel niedrig gemacht. Und das Krumme soll gerade, und die rauhen Wege sollen eben werden. 6 Und alles Fleisch wird das Heil Gottes schauen‘.“ 7Er sagte zu den vielen Leuten, die (zu ihm) herauskamen, um sich von ihm taufen zu lassen: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch eingeredet, dass ihr dem kommenden Zorn entgehen werdet? 8Bringt Früchte, die der Umkehr ent­ sprechen, und redet euch nicht ein: ‚Wir haben (ja) Abraham zum Vater‘, denn ich sage euch: Gott ist in der Lage, aus diesen Steinen dem Abraham Kinder zu erwecken! 9Schon ist aber auch die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt, und jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“ 10Da fragten ihn die Leute und sagten: „Was sollen wir denn tun?“ 11Er aber gab ihnen zur Antwort: „Wer zwei Untergewänder hat, soll dem ab­ geben, der keins hat, und wer zu essen hat, soll dasselbe tun.“ 12Es waren aber auch Zöllner gekommen, um sich taufen zu lassen, und die sagten zu ihm: „Rabbi, was sollen wir tun?“ 13Er aber sagte zu ihnen: „Kassiert nicht mehr, als was für euch festgesetzt ist.“ 14Auch Soldaten fragten ihn und sagten: „Und was sollen wir tun?“ Und er sagte ihnen: „Misshandelt keinen, plündert nicht; begnügt euch mit eurem Sold!“ 15Das Volk aber war voller Erwartung, und alle machten sich in ihren Her­ zen Gedanken über Johannes, ob er nicht vielleicht der Messias sei. 16Da ant­ wortete Johannes und sagte zu allen: „Ich tauche euch in Wasser; es kommt aber einer, der mächtiger ist als ich, dessen Schuhriemen loszubinden ich nicht würdig bin. Der wird euch in heiligen Geist und Feuer tauchen. 17Seine Schaufel hält er in seiner Hand, um seinen Ausdrusch zu säubern und den 152

3,1–20: Johannes der Vorläufer

3,1–20

Weizen in seinem Speicher zu sammeln; das Stroh wird er aber mit unaus­ löschlichem Feuer verbrennen.“ 18So verkündete er mit vielen anderen Mahnungen dem Volk die Heils­ botschaft. 19Der Tetrarch Herodes aber, der von ihm wegen Herodias, der Frau seines Bruders, kritisiert worden war und wegen aller Schandtaten, die Herodes begangen hatte, 20 fügte allem auch dies noch hinzu, dass er Jo­ hannes in ein Gefängnis steckte. Literatur: Bock, Proclamation, 93–99. – Böhlemann, Jesus, 44–55. – H. Cancik, Die Berufung des Johannes, Der altsprachl. Unterricht 25 (1982) 45–62. – D.R. Catchpole, The Beginning of Q: A Proposal, in: ders., The Quest for Q, Edinburgh 1993, 60–78. – Darr, Herod the Fox, 138–152. – Ernst, Johannes der Täufer, 88–102. – A. Fuchs, Die Überschneidungen von Mk und „Q“ nach B.H. Streeter und E.P. Sanders und ihre wahre Bedeutung (Mk 1,1–8 Par.), in: Wort in der Zeit, 28–81. – v. Gemünden, Vegetationsmetaphorik, 122–130. – T. Holtz, Die Standespredigt Johannes des Täufers, in: Ruf und Antwort, 461–474. – B. Kinman, Luke’s Exoneration of John the Baptist, JThS 44 (1993) 595–598. – A. Kirk, Upbraiding Wisdom: John’s Speech and the Beginning of Q (Q 3:7–9, 16–17), NT 40 (1998) 1–16. – J. Lambrecht, John the Baptist and Jesus in Mark 1.1–15: Markan Redaction of Q?, NTS 38 (1992) 357–384. – J. Liebenberg, The Function of the Standespredigt in Luke 3:1–20, Neotest. 27 (1993) 55–67. – Méndez-Moratalla, Paradigm of Conversion, 71–88. – C.G. Müller, Mehr als ein Prophet, 152–197. – Nave, Role, 146–159. – Reiser, Gerichtspredigt Jesu, 154–175. – Rusam, Das Alte Testament bei Lukas, 151–169. – E.H. Scheffler, The Social Ethics of the Lucan Baptist (Lk 3:10–14), Neotest. 24 (1990) 21–36. – J. Schröter, Die Bedeutung der Q-Überlieferungen für die Interpretation der frühen Jesustradition, ZNW 94 (2003) 38–67. – G. Schwarz, tÖ dÇ ±curon kataka‚sei, ZNW 72 (1981) 264–271. – Sevenich-Bax, Israels Konfrontation, 274–320. – R.L. Webb, The Activity of John the Baptist’s Expected Figure at the Threshing Floor (Matthew 3.12 = Luke 3.17), JSNT 43 (1991) 103–111. – Ders., John, 168–179.262–278.

Der Unterschied zu den beiden erzählerischen Sammelbecken in Lk 1 – 2 ist unverkennbar: Die Verankerung in der Geschichte erfolgt zu Beginn nicht mehr durch ein unbestimmtes †n taõ“ ™mfirai“ (1,5; 2,1), sondern durch eine präzise Datierung. Das Zusammenspiel der summarischen biographischen Ausblicke in 1,80 und 2,40.52 mit dem Beginn in 3,1 macht zudem deutlich, dass Lukas keinen unmittelbaren Anschluss an das bisher Erzählte herstellen will, denn Tiberius regiert bereits im 15. Jahr, als die Erzählung weitergeht. Damit wird den Lesern deutlich gemacht, dass zwischen den in Kap. 2 erzählten Ereignissen, die sich in der Regierungszeit des Caesar Augustus abspielten (2,1), und dem, was jetzt kommt, mindestens 15 Jahre vergangen sind. – Lukas will in diesem Abschnitt einen vollständigen und in sich geschlossenen Überblick über das Wirken Johannes des Täufers geben. Erkennbar wird dies daran, dass er die Mitteilung von der Gefangensetzung des Täufers aus Mk 6,17–18 nach vorne zieht und mit ihr seinen Bericht über dessen Auftreten abschließt (V. 19–20). Die Gliederung dieses Teiltextes ist deutlich markiert: (a) In V. 1–6 betritt Johannes den Schauplatz der Erzählung. Die ausführliche Vorstellung, die Lukas ihm zuteil werden lässt, gibt seinem Auftritt ein hohes Aufmerksamkeitsniveau. (b) V. 7–18 besteht aus drei Teilen, in denen das parakalùn e§aggel‡zesjai (18) des Täufers im Hinblick auf unterschiedliche Sachfragen entfaltet und mit einem Summarium abgeschlossen wird. Johannes wird also als ethischer Lehrer dargestellt. Dementsprechend weisen auch alle drei Texteinheiten eine apophthegmatische Struktur 153

3,1–2a

3,1–20: Johannes der Vorläufer

auf: Auf eine kurze narrative Exposition folgt jeweils ein Diktum des Protagonisten. In formgeschichtlicher Hinsicht haben wir also eine Reihe von „Chrien“ oder Pronouncement stories vor uns (vgl. dazu vor allem Semeia 20 [1981] und 64 [1994]; V.K. Robbins, Semeia 64, VII–XVII; C. Hezser, JSJ 27 [1996] 371–439): In V. 7–9 schildert Lukas Johannes als prophetischen Umkehrprediger, der die µcloi, die sich von ihm taufen lassen wollen, zu einer Änderung ihres Lebens auffordert. In V. 10–14 antwortet er auf die Frage nach den Handlungen, die dieser Aufforderung entsprechen (beide Texteinheiten sind durch das Stichwort poieõn miteinander verknüpft: V. 8.9.10.12.14), und in V. 15–17 klärt Johannes sein Verhältnis zum erwarteten Messias. Bemerkenswert ist, dass Lukas nicht nur für das abschließende Summarium, sondern auch für die drei Berichtsteile durchweg das Imperfekt benutzt (vgl. ≤legen; V. 7.11; üpekr‡nato; V. 16; †phr„twn; V. 10.14). Er will also nicht von individuellen Ereignissen erzählen, sondern die Leser darüber informieren, was für das Auftreten des Täufers insgesamt typisch war: Nicht die einzelne Tat steht im Mittelpunkt, sondern das wiederholte Tun. (c) In V. 19–20 lässt Lukas den Täufer wieder vom Schauplatz der Erzählung abtreten. V. 10–14, die sog. „Standespredigt“ des Täufers ist lk Sondergut; die Provenienz dieses Textes lässt sich darum nur vermutungsweise bestimmen; wahrscheinlich stammt er ebenso von Lukas wie die synchronistische Einleitung in V. 1–2a und die Summarien in V. 18 und V. 19–20; das Letztgenannte wird Lukas auf der Grundlage von Mk 6,17–18 formuliert haben. Komplizierter sind die Verhältnisse in V. 2b–17 (s. auch noch bei V. 21–22), denn es gibt hier eine Vielzahl von kleineren und größeren lk-mt Agreements gegen Markus: Lukas und Matthäus bringen das aus Mal 3,1 und Ex 23,20 bestehende Mischzitat nicht wie Mk 1,2 an dieser Stelle, sondern in Lk 7,27 par. Mt 11,10, d. h. innerhalb von Jesu Rede über Johannes den Täufer; das Zitat von Jes 40,3 steht in V. 4 par. Mt 3,3 nicht vor (so Mk 1,3), sondern hinter dem Inhalt der Verkündigung des Johannes; der Ausdruck pôsa ™ per‡cwro“ toú ûIord›nou (V. 3a par. Mt 3,5) fehlt in Mk 1,5; die Chrie in V. 7–9 par. Mt 3,7–10 hat kein mk Äquivalent; in V. 16b par. Mt 3,11a spricht Johannes von seiner eigenen Tauftätigkeit, bevor er den „Stärkeren“ ankündigt (in Mk 1,7 f ist die Reihenfolge umgekehrt); bapt‡zw (V. 16b par. Mt 3,11a) statt †b›ptisa (Mk 1,8a); k‚ya“ (Mk 1,7c) fehlt in V. 16d par. Mt 3,11c; der „Stärkere“ taucht nach V. 16e par. Mt 3,11d †n pne‚mati ®g‡w kaÑ pur‡ statt nur †n pne‚mati ®g‡w (Mk 1,8b); V. 16e par. Mt 3,11d die Wortstellung a§tÖ“ ≠mô“ bapt‡sei statt a§tÖ“ dÇ bapt‡sei ≠mô“ (Mk 1,8b); das Wort von der Worfelschaufel und der Tenne (V. 17 par. Mt 3,12) ist ohne mk Äquivalent; vgl. ansonsten Neirynck, Minor Agreements (1974) 55 ff und (1991), 11–12. – Die Erklärungen für diesen Befund sind sehr unterschiedlich: der Befund verdanke sich einer dtrmk Erweiterung des ursprünglichen Mk-Textes (Fuchs*); das MkEv sei an dieser Stelle von Q beeinflusst (Catchpole*; Lambrecht*); Mk und Q könnten auch unabhängig voneinander einen älteren Bericht über Johannes und Jesus aufgenommen haben (Schröter*).

1–2a Der sehr detaillierte Synchronismus unterscheidet sich einerseits deutlich von der Datierungsweise, mit der Lukas die beiden ersten Kapitel eröffnet hat. Andererseits ist aber auch nicht zu übersehen, dass die geographischen Horizonte, die in 1,5 und 2,1 genannt worden waren – das Herrschaftsgebiet Herodes d.Gr. und die o¢koumfinh (s. dazu bei 2,1) – jetzt zusammengeführt werden: Lukas beginnt mit Tiberius, dem Nachfolger des Augustus (reg. 14–37 n. Chr.). Enge sprachliche Parallelen finden sich so gut wie ausschließlich bei Josephus und in der Septuaginta; vgl. Josephus, Ant. 18,238 (deutfirw dÇ ≤tei tö“ Ga⁄ou Ka‡saro“ ™gemon‡a“ «im zweiten Jahr der Herrschaft des Caesars Claudius»); Bell. 2,284 (dwdek›tw … ≤tei tö“ Nfirwno“ ™gemon‡a“ «im 12. Jahr der Herrschaft Neros»); dasselbe auch häufig mit 154

3,1–20: Johannes der Vorläufer

3,1–2a

basile‡a“: 3.(1.)Esr. 6,1; Esth 3,7; Jes 52,4; Dan 1,1Theod.; 2,1; 8,1Theod.; Ant. 8,254.312; 9,186.203.205 u. ö. – Die Datierung in das 15. Jahr der Regentschaft des Tiberius, „das einzige absolute Datum innerhalb des ganzen Neuen Testamentes“ (Cancik* 49), klingt präziser als sie tatsächlich ist, denn ob Lukas die Regierungszeit dieses Caesars im Jahr seiner Mitregentschaft mit Augustus (11/12 n. Chr.) beginnen lassen will (so auch A. Strobel, NTS 41 [1995] 466–469) oder erst mit seiner Ernennung durch den Senat (14 n. Chr.; so die meisten anderen), weiß keiner. Eine weitere Unsicherheit besteht darin, dass wir nicht genau wissen, wie Lukas die Jahre gezählt hat und an welchen Kalendern er sich orientierte (zu den verschiedenen Möglichkeiten vgl. H. Dieckmann, Bib. 6 [1925] 63–67; Fitzmyer; Bock I, 910 ff). Die weiteren Angaben beziehen sich z. T. auf das von Herodes d.Gr. beherrschte Territorium, das nach seinem Tod im Jahr 4 v. Chr. unter seine Söhne aufgeteilt worden war: Pontius Pilatus war als einer der Nachfolger des Publius Sulpicius Quirinius (2,2) von 26 (vielleicht auch schon seit 19) bis 36 praefectus Iudaei (vgl. die bei Barrett / Thornton, Texte, 185 abgedruckte Inschrift; J.-P. Lémonon, Pilate et le gouvernement de la Judée, 1981; D.R. Schwartz, RGG4 6,1489 f); Judäa, das ursprünglich an Herodes Archelaos gefallen war, gehörte seit 6/7 n. Chr. zur Provinz Syrien (zur Formulierung ™gemone‚onto“ Pont‡ou Pil›tou s. bei 2,2). Der Herodessohn Herodes (Antipas) regierte 4 v.– 39 n. Chr. in Galiläa und Peräa als Tetrarch (d. h. als „kleiner abhängiger Fürst, dessen Rang u. Machtstellung geringer als die eines Königs sind“; Bauer, Wörterbuch, 1621; s. auch H. Volkmann, KP 5,632 f; Josephus, Ant. 17,188.318; H.W. Hoehner, Herod Antipas, 1972). Die Zugehörigkeit von Peräa zu seinem Territorium wird hier nicht erwähnt; sie war jedoch Voraussetzung dafür, dass er Zugriff auf Johannes den Täufer hatte, der am Ostufer des Jordans wirkte. Dessen Halbbruder (Herodes) Philippus erhielt beim Tod des Vaters nach Josephus, Ant. 17,189 die Gaulanitis, die Trachonitis, Batanäa und Panias (das sind Territorien östlich und nordöstlich des Sees Genezareth; s. auch Bell. 1,668; 2,95) als Tetrarchie. Ituräa ist das nördlich von Galiläa, zwischen Libanon und Antilibanon liegende Gebiet (vgl. Strabo, Geogr. 16,2,10.18; W. Schottroff, ZDPV 98 [1982] 125–152), das in Josephus, Ant. 17,319 als Territorium „eines gewissen Zenodorus“ erwähnt wird (s. auch 15,360; Bell. 1,398). Er verwaltete es bis zu seinem Tod i.J. 34 n. Chr. Sehr viel weniger wissen wir über Lysanias, den Tetrarchen von Abilene (ein Gebiet dieses Namens ist sonst nirgends erwähnt): Josephus berichtet in Ant. 20,138, dass Caesar Claudius (reg. 41–54) Herodes Agrippa II. u. a. eine Tetrarchie namens Abela geschenkt habe, die früher einem Lysanias gehört habe (vgl. auch 19,275: ∞Abila Lusan‡ou; sowie Bell. 2,215.247). Dieses Gebiet wird im Allgemeinen nordwestlich von Damaskus lokalisiert und mit dem von Lukas genannten Abilene identifiziert (vgl. Schürer, History I, 567–569; s. auch CIG 4521 = OGIS 606). Die Nennung der beiden Hohenpriester (Lukas schreibt aber †pÑ ürcierfiw“ wie 1.Makk 13,42; 14,27; Josephus, Ant. 12,157; 14,148; 16,163; Mk 2,26; s. auch Lk 4,27; Apg 11,28) gibt Rätsel auf, die letztlich unlösbar sind (in vielen Übersetzungen wird nicht beachtet, dass Lukas hier den Singular benutzt). Hannas übte sein Amt 6–15 n. Chr. aus (vgl. Josephus, Ant. 18,26.33–35; s. auch A. Weiser, EWNT 1,250). Er war der Schwiegervater des Kaiaphas (vgl. Joh 18,13), der 18–36/37 amtierte (vgl. Josephus, Ant. 18,35.95; s. auch B. Chilton, AncBD 1,803 ff). Lukas bezeichnet Hannas auch in Apg 4,6 als Hohenpriester und steckt Kaiaphas neben anderen in die Schublade „aus hohepriesterlichem Geschlecht“; nach Joh 18,12–24 verhört Hannas Jesus und wird ebenfalls als Hohepriester bezeichnet (anders 11,49). Die lk Formulierung vermittelt jedenfalls den Eindruck, als sei nur Hannas eindeutig der Hohepriester gewesen, während die hohepriesterliche Würde des Kaiaphas undeutlich bleibt. Normalerweise wird das Problem historisierend gelöst und angenommen, dass Hannas auch nach seiner Absetzung noch den Hohepriester-Titel weiterführte (gewissermaßen als ‚Hohepriester a.D.‘; als Quelle werden jedoch immer nur die neutestamentlichen Texte genannt; vgl. Schürer, History II, 232 f; Jeremias, Jerusalem, 178). Das löst das Problem aber auch nicht, denn

155

3,2b

3,1–20: Johannes der Vorläufer

wenn einer von den beiden Ende der 20er / Anfang der 30er Jahre Hohepriester war, dann war es Kaiaphas. Es ist aus diesem Grunde damit zu rechnen, dass Lukas beide Namen in seiner Überlieferung der Passionsgeschichte vorfand und den Hohepriestertitel der falschen Person zuordnete.

Die im Vergleich zu 1,5 und 2,1 ungewöhnlich präzise Datierung hat jedenfalls den Zweck, die Ereignisse, über die Lukas von jetzt an berichten wird, historisch genau festzulegen und sie als Bestandteil der Geschichte Israels und der Weltgeschichte zu identifizieren. 2b knüpft an 1,80 an, und Lukas erzählt nun von der dort angekündigten ün›deixi“ des Täufers für Israel (vgl. auch die begriffliche Verknüpfung durch ≤rhmo“). Dass Johannes in das Amt des Propheten eingesetzt werden wird, denken sich die Leser schon seit 1,14–17; sicher wissen sie es aber seit 1,76. Dementsprechend bringt Lukas jetzt auch die sog. „Wortereignisformel“, die schon in der Septuaginta die Einsetzung der Propheten in ihren Auftrag bezeichnete (vgl. z. B. 2.Sam 7,4; 24,11; 1.Kön 12,22; 13,20; 17,2.8; 18,1; 2.Kön 20,4; Mi 1,1; Jon 1,1; Sach 1,1; Jes 38,4; Jer 1,4; Ez 1,3; vgl. dazu P.K.D. Neumann, VT 23 [1973] 171–217). Im Unterschied zu diesen Beispielen ergeht das Wort Gottes jedoch nicht „zu“ (pr·“), sondern „über“ (†p‡) Johannes (so nur 1.Chr 22,8 [mit Dativ]; Jer 1,1): Es wird als Geschehen verstanden, das von Gott her auf Johannes herabkommt und ihn machtvoll ergreift; möglicherweise orientiert Lukas sich bewusst am Beginn des Jeremia-Buches (vgl. auch die Fortsetzung in Jer 1,2–3). 3 beschreibt summarisch, wie Johannes den an ihn ergangenen Auftrag ausführte, und Lukas teilt seinen Lesern dadurch indirekt mit, wie dieser Auftrag lautete. Zuerst nennt er das Gebiet, in dem der Täufer auftritt; die Formulierung pôsan [tÉn] per‡cwron toú ûIord›nou stimmt wörtlich mit Gen 13,10.11 überein (s. auch 2.Chr 4,17) und identifiziert den Wirkungsbereich des Täufers mit dem Gebiet, das Lot sich seinerzeit für seine Herden ausgewählt hatte. Gen 13,10 attestiert dieser Gegend Wasserreichtum, „bevor der Herr Sodom und Gomorra zerstört hatte“. Dass diese Zusatzbemerkung auf die ursprüngliche Formulierung der geographischen Angabe (s. auch Mt 3,5) Einfluss genommen hat, um die Verbindung zu dem von Johannes angekündigten Vernichtungsfeuer herzustellen, ist möglich (s. auch Bovon; Böhlemann* 49 f; Radl). Die Formulierung pôsa (™) per‡cwro“ ist ein Septuagintismus (s. noch Gen 19,17; Dtn 3,4[Plural].13.14; 2.Chr 16,4 [Plural]; Jdt 3,7), denn in der übrigen griechischen Literatur ist sie nicht belegt. Lukas will mit dieser geographischen Verortung aber auf jeden Fall den Eindruck hervorrufen, dass Johannes nicht nur an einer einzigen Stelle wirkte, sondern dass sich der Ort seines Auftretens über einen größeren Landstrich auf beiden Seiten des Jordan erstreckte. Dass er sich nun nicht mehr „in der Wüste“ befand, geht aus dem Text nicht hervor; diese mitunter vertretene Annahme beruht vielmehr auf einem unzutreffenden Verständnis von ≤rhmo“ (s. bei 1,80). In 3b teilt Lukas in wörtlicher Übernahme von Mk 1,4b mit, was Johannes in dem genannten Gebiet getan hat. Es handelt sich dabei gleichzeitig um die Ausführung dessen, was Gabriel in 1,17 und Zacharias in 1,76b–78a als seine Aufgabe benannt hatten. khr‚ssein + Akk. ist hier wohl in demselben Sinne zu verstehen, wie in Vita Aesopi 21–22 : „Als der Anbieter [auf dem Markt] die Sklaven anbot (toú dÇ kflruko“ tÅ swm›tia khr‚ttonto“) …“ hörte das eine Frau; die ging zu ihrem Mann und sagte: „Es werden gerade Sklaven angeboten (e§ka‡rw“ swm›tia khr‚ssontai); geh hin und kaufe mir einen ordentlichen Sklaven für die Arbeit“.

156

3,1–20: Johannes der Vorläufer

3,4–6

Gegenüber dem in 1,76b–78a Angekündigten neu und insofern für die Leser unerwartet ist lediglich der Begriff b›ptisma, und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen hatte Lukas bisher mit keinem einzigen Wort durchblicken lassen, dass Johannes auch eine rituelle Waschung zur Vergebung der Sünden durchführen würde, und zum anderen hätten sie diesem Begriff bisher sowieso nur in Röm 6,4 und Mk 1,4; 10,38 f; 11,30 par. Mt 21,25 begegnen können, denn außerhalb des NT (s. dann auch noch mit Bezug auf die Johannestaufe: Mt 3,7; Lk 7,29; 20,4; Apg 1,22; 10,37; 13,24; 18,25; 19,3.4 sowie von der christlichen Taufe: Eph 4,5; 1.Petr 3,21) ist dieses Wort, das als nomen rei actae das Ergebnis einer Handlung angibt (vgl. B/D/R § 109,2), nicht belegt. Auch das stammverwandte nomen actionis (vgl. B/D/R § 109,1) baptism·“ (im NT: Mk 7,4; Kol 2,12; Hebr 6,2; 9,10) findet sich außerhalb der frühchristlichen Literatur erstmals in Josephus, Ant. 18,117, d. h. im Bericht über Johannes den Täufer (!) (vgl. dann auch noch Plutarch, Mor. 166a; Corp. Herm., Frgm. 25,8). Im Vergleich mit den in der Umwelt gebräuchlichen rituellen Waschungen fand die durch Johannes propagierte „Eintauchung“ (zur Übersetzung vgl. Wolter, „Gericht“, 375 Anm. 79) ihre Besonderheit nicht so sehr darin, dass sie zur Vergebung der Sünden führte (zur Formulierung e¢“ ±fesin ®martiùn vgl. Philo, Spec. Leg 1,190: der Ziegenbock heißt zwar perÑ ®mart‡a“, er wird aber e¢“ ®marthm›twn ±fesin «zu der Sünden Vergebung» geopfert; Lk 24,47: met›noia e¢“ ±fesin ®martiùn; Apg 2,38: baptisjfltw ∫kasto“ ≠mùn … e¢“ ±fesin tùn ®martiùn ≠mùn), denn das war durch Texte wie Jes 1,15 f; Ps 51,3 f.7–9; VitAd 4,3 – 6,2 vorbereitet (s. auch J. Klawans, Impurity and Sin in Ancient Judaism, 2000; vgl. noch Ovid, Metam. 11,132–143). Ihr spezifisches Profil gewann die Johannestaufe vielmehr durch zweierlei: zum einen durch die aktive Rolle, die Johannes als Eintaucher dabei spielte (¨ bapt‡zwn bzw. ¨ baptistfl“; diese Bezeichnungen sind dementsprechend in der antiken Literatur exklusiv auf Johannes bezogen: vgl. Josephus, Ant. 18,116; Mk 1,4; 6,14; 6,24.25par.; 8,28parr.; Mt 3,11; 11,11 f; 17,13; Lk 7,20.33), und zwar sowohl in der Durchführung als auch in der Deutung; zum anderen dadurch, dass sie einmalig war. Dieses Element der Einmaligkeit wird durch die Genitivverbindung b›ptisma metano‡a“ zum Ausdruck gebracht: Der Gen. qualitatis metano‡a“ (vgl. B/D/R § 1652; s. auch Apg 13,24; 19,4) qualifiziert die „Eintauchung“ als Bestandteil eines unwiederholbaren und darum eschatischen Umkehrgeschehens, das zur Vergebung der Sünden und damit zur Rettung im andringenden Zorngericht führt. 4–6 Lukas deutet das Auftreten des Täufers wie die Seitenreferenten als Erfüllung der prophetischen Verheißung Jesajas und zitiert dazu Jes 40,3–5, allerdings mit geringfügigen Abweichungen. Die Einleitungsformel in 4a wird gegenüber der mk Vorlage gespreizter formuliert (zur Formulierung „b‡blo“ l·gwn des NN“ vgl. Tob 1,1; AssMos, Frgm. e: †n b‡blw l·gwn mustikùn Mwsfiw“ a§tÖ“ Mwsö“ proeõpe perÑ toú DauÑd kaÑ Solomùnto“ «im Buch der geheimen Worte des Mose hat Mose selbst Vorhersagen getroffen in Bezug auf David und Salomo»; TestHiob 1,1; 1.Kön 11,41; griechHen 14,1). Zu Beginn des Zitats ist das Versehen von Mk 1,2 vermieden, wo eine Kombination von Ex 23,20 und Mal 3,1 als Jesaja-Text zitiert wird. Für die Parallele Mt 3,3 gilt dasselbe; bei Lk wie bei Mt findet sich das hier fehlende Zitat dann aber mit übereinstimmendem Bezug auf den Täufer in einer Q-Überlieferung wieder (Lk 7,27 par. Mt 11,10). Eine eindeutige Erklärung für diesen Sachverhalt gibt es nicht: Es ist vorstellbar, dass Mt und Lk unabhängig voneinander einen offensichtlichen Fehler bei Mk korrigiert haben; es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass beide 157

3,7–9

3,1–20: Johannes der Vorläufer

das Jesaja-Zitat in Q vorgefunden haben (in diesem Sinne z. B. Catchpole*; Schröter* 58), ohne dass sich freilich etwas über dessen Umfang sagen ließe. Jedenfalls identifiziert Lukas Johannes den Täufer mit jenem Rufer in der Wüste, der zufolge Jes 40,3 das Kommen Gottes ankündigt und in drei synthetischen Parallelismen dazu aufruft, sich darauf vorzubereiten (Jes 40,3–4 zit. in Lk 3,4b–5). Die Metaphorik dieses Aufrufs hatte Lukas bereits in die Beschreibung der Aufgabe des Täufers im Benedictus übernommen (vgl. 1,76b), und das Stichwort „bereiten“ (©toim›zein) hat er auch schon in 1,17c verwendet. Diese drei Texte (also 1,17c.76b; 3,4b–5) wirken im engeren literarischen Kontext nun so zusammen, dass die Verkündigung der „Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“ (3,3) semantisch mit der Aufforderung des Rufers in der Wüste zur Wegbereitung verschmilzt (s. auch Rusam* 159). Was Lukas unter der Wegbereitung versteht, zu der Jes 40,3–5 auffordert, werden dann die Imperative in V. 8.10–14 entfalten (s. auch Bock). Am Ende von 4 ersetzt Lukas im Anschluss an Mk 1,2 die Formulierung toú jeoú ™mùn aus Jes 40,3 durch a§toú. Das hat einen Verlust an Eindeutigkeit zur Folge, der freilich genau beabsichtigt sein dürfte: Ist Jesus gemeint oder Gott? Man darf diese Frage nicht mit einem Entweder-Oder beantworten, denn eine vergleichbare Uneindeutigkeit gab es auch schon in 1,16 f.76: Gott lässt sein eigenes Kommen ankündigen, und es kommt – Jesus; zu diesem charakteristischen Element der lk Christologie s. o. zu 1,76. – Zur universalen Sichtbarkeit des swtflrion toú jeoú (6) s. o. zu 2,30. Dass Lukas Jes 40,5a („und die d·xa kur‡ou wird erscheinen“) überspringt, dürfte seinen Grund nicht in einem Versehen haben (so u. a. Rusam* 158), sondern mit Bedacht erfolgt sein: Die Herrlichkeit Gottes war bei der Verkündigung der Geburt Jesu unter den Hirten auf Erden präsent (2,9), aber eben auch nur bei dieser Gelegenheit. Ansonsten achtet Lukas peinlich genau darauf, dass sie eine himmlische Größe bleibt und darum auch nur im Himmel zugänglich ist (vgl. 2,14; 19,38; Apg 7,55; s. auch Lk 24,26). Ihr werden nur einmal noch ganz punktuell wenige auserwählte Jünger bei Jesu Verklärung begegnen (9,31 f). Erst bei der Parusie wird sie wieder auf der Erde zugänglich sein – dann freilich als d·xa des Menschensohnes (vgl. 9,26; 21,27). Der Unterschied zur johanneischen Christologie ist deutlich (vgl. z. B. Joh 1,14; 2,11; 5,44; 11,4.40). Das Zitat von Jes 40,3–5 in 3,4–6 erhält seine besondere Bedeutung auch dadurch, dass es bis zum Ende des lk Doppelwerks das letzte explizite Schriftzitat ist, mit dem der Erzähler sich direkt an seine Leser wendet, um das erzählte Geschehen mit einer intertextuell aus dem Alten Testament gewonnenen Deutung zu versehen. Danach gibt es Schriftzitate nur noch als Bestandteil der Erzählung, d. h. die zitierende Instanz sind immer nur Erzählfiguren, die dabei freilich als Träger des Autorbewusstseins fungieren (vgl. den Überblick bei Rusam* 2 f). 7–9 Die erste Chrie präsentiert den Täufer als prophetischen Umkehrprediger, der angesichts des unmittelbar bevorstehenden Vernichtungsgerichts die Menschen dazu aufruft, ihre Lebensführung zu ändern. Leitwort ist „Frucht bringen“ (V. 8a.9b). Die lk Täuferdarstellung berührt sich in dieser Hinsicht darum sehr eng mit dem Bild, das Josephus, Ant. 18,116–119 von Johannes zeichnet. Die Tauftätigkeit des Johannes ist demgegenüber hier ebensowenig wie im Folgenden eigener Erzählgegenstand; sie tritt an keiner Stelle aus dem Hintergrund des erzählten Geschehens heraus. In der narrativen Exposition am Anfang von 7 findet dies seinen Ausdruck darin, dass Lukas die Taufe lediglich dazu benutzt, um zu erklären, warum die Leute zu Jo158

3,1–20: Johannes der Vorläufer

3,8

hannes kommen (Lukas hat hier das neutrale µcloi, während Mt 3,7 Pharisäer und Sadduzäer zu Johannes kommen lässt; ein ähnliches Nebeneinander gibt es auch in Lk 11,29 diff. Mt 12,38). Doch weder diese Absicht noch die Taufe selbst spielen dann in dem Täuferwort eine Rolle; es geht vielmehr ausschließlich um die Lebensführung der Taufwilligen. – Die Worte, die Johannes an sie zu richten pflegt, beginnen in 7b mit einer aggressiven Beschimpfung der Adressaten, deren Wortlaut analogielos ist (jedenfalls abgesehen davon, dass Mt 12,34; 23,33 Jesus die Pharisäer [und Schriftgelehrten] so titulieren lässt). Möglicherweise bis wahrscheinlich ist die Bezeichnung gennflmata †cidnùn so zustande gekommen wie in Jes 11,8; 14,29 ≤kgona üsp‡dwn als Wiedergabe von hebr. [p;c, bzw. ynIA[p.ci (s. auch 30,6; W. Nestle, ZNW 14 [1913] 267 f), d. h. als Versuch der Übersetzung einer aram. Bezeichnung für ein bestimmtes Tier ins Griechische. Um eine „Schelte“ handelt es sich bei diesem Vers freilich nicht (gegen Berger, Formgeschichte, 195; Kirk* 6), denn es werden keine Handlungen kritisiert. Der propositionale Gehalt der rhetorischen Frage in 7c besteht vielmehr einzig und allein in der Feststellung, dass es unter den gegenwärtigen Voraussetzungen keine Möglichkeit gibt, dem kommenden Vernichtungsgericht Gottes zu entgehen; zur Gerichtskonzeption, die sich mit dem Stichwort £rgfl verbindet, vgl. Konradt, Gericht, 57 ff; zum Zusammenhang von Zorn und Feuer (V. 9.17) s. vor allem Jes 66,15 f („der Herr wird kommen mit Feuer …, dass er vergelte im Grimm seines Zorns und mit Schelten in Feuerflammen; denn der Herr wird durch Feuer die ganze Erde richten“; s. auch 5,25; 30,27; Jer 4,4; 7,20; Ez 21,36 f; 22,21: „Feuer meines Zorns“; Zeph 1,15). „Zorn“ steht hier also metonymisch für „Feuer“ oder allgemein für Untergang oder Vernichtung. 8 Johannes zeigt zunächst (8a) doch einen Weg auf, der vor dem Untergang bewahrt. Merkwürdigerweise fordert er jetzt aber nicht – wie dies von V. 7b–c her eigentlich zu erwarten wäre – zur Umkehr auf, sondern zur Erbringung von Taten, mit denen die bereits vollzogene Umkehr zur Anschauung gebracht wird (s. auch Apg 26,20). Ging V. 7 rhetorisch davon aus, dass die Adressaten die Umkehr noch vor sich haben, so setzt 8a sie als bereits vollzogen voraus. Diese Inkohärenz ist dadurch entstanden, dass Lukas den Singular karpÖn ±xion, der in Q stand (s. noch Mt 3,8) und der auf den Vollzug der Taufe abzielte (s. auch Sevenich-Bax* 302), in einen Plural verwandelte und die Aufforderung dadurch ethisierte (vgl. die Wiederaufnahme der Frucht-Metapher in V. 9b sowie des Imperativs poiflsate in V. 10–14). Lukas lässt den Täufer jetzt im Stil der postconversionalen Mahnrede sprechen. Die Frucht-Metapher findet sich häufig in paränetischen Kontexten, um Handlungen als Folge eines Vorgangs oder Seins zu kennzeichnen (vgl. im NT auch Mt 7,16.20; Röm 6,22; Gal 5,22; Eph 5,9; Kol 1,10; Jak 3,17). Wie der allgemeine Gebrauch von „würdig“ mit Genitiv zeigt (vgl. nur 2.Makk 4,25; 6,23.24.27; 4.Makk 5,11; 7,6), beschreibt dieses Adjektiv so etwas wie ein Entsprechungsverhältnis; paränetisch gewendet hat es dementsprechend die Funktion, ein bestimmtes Sollen als Konsequenz eines bestimmten Seins zu qualifizieren. Von einer „würdigen Frucht“ im Sinne eines intendierten Ergebnisses spricht im Übrigen auch Plutarch, Mor. 1117c: o§ mfintoi tÖ jer›peuma toúto … ≤sce karpÖn ±xion «allerdings brachte diese Huldigung nicht die entsprechende Frucht». 8b–c bezieht sich der Sache nach auf V. 7c zurück. Nach dem in 8a Gesagten liest sich die Zurückweisung eines potentiellen, mit der Erwählung Israels argumentierenden Einwands wie eine radikale Destruktion jeder Heilsmöglichkeit, die sich nicht auf ein 159

3,9

3,1–20: Johannes der Vorläufer

Handeln gründet, das der vollzogenen Umkehr glaubwürdigen Ausdruck verleiht. Die theologische Depotenzierung der Abrahamskindschaft übernimmt Lukas aus Q (vgl. Mt 3,9), obwohl sie in einer gewissen Spannung zum Gedanken der heilsgeschichtlichen Kontinuität steht, der ihm bisher stets wichtig war: dass das Wirken des Täufers nämlich integraler Bestandteil von Gottes eschatischer Erfüllung der Abrahamsverheißung ist (vgl. 1,73; s. auch 1,55). Es entsteht dadurch jedoch eine interessante Entsprechung zu seinem Umgang mit der Erwählung Israels z. B. in Apg 3,19–26: Hier wie dort findet sich die Aufforderung zur Umkehr, und hier wie dort werden die Kriterien für die Teilhabe am Heil, das die Erfüllung der alten Verheißungen mit sich bringt, neu festgelegt: Bei Johannes sind es „Früchte, die der Umkehr entsprechen“, in der Jerusalemer Petrusrede die Hinwendung zu Jesus Christus. Beiden gemeinsam ist, dass Gott die Zugehörigkeit zu Abraham („Abrahams Kinder“) auch auf Grund anderer Kriterien als dem der leiblichen Abstammung feststellen kann. Genau dasselbe sagt auch Paulus in Röm 9,6–13 und Gal 3,6–29. – In 8c steckt möglicherweise ein Wortspiel, denn die hebr. bzw. aram. Wörter für „Steine“ (~ynIb'a] bzw. !ynIb'a]) und „Kinder“ (~ynIB' bzw. !ynIb') unterscheiden sich nur minimal (s. auch bei 20,17–18). 9 knüpft an die Metaphorik von V. 8a an und spitzt die Ankündigung des kommenden Vernichtungsgerichts dadurch zu, dass durch das Zeitadverb ≥dh sowie mit Hilfe des Bildes von der Axt, die bereits an die Wurzel der Bäume angelegt ist (der Baumfäller braucht nur noch auszuholen und zuzuschlagen), ein Zeitfaktor eingetragen wird. Johannes bringt zum Ausdruck, dass das Gericht Gottes bereits begonnen hat und somit keine Zeit mehr bleibt, um das geforderte Handeln noch aufzuschieben; zum Bildfeld vgl. v. Gemünden* 123 ff; Reiser* 163: „Will man in einer Obstplantage die schlechten Bäume aushauen, muß man sie unterirdisch an der Wurzel treffen. Darum müssen die Wurzeln zunächst sorgfältig freigelegt werden. Das ist die im Gleichnis vorausgesetzte Situation: Die Wurzel liegt frei, die Axt ist angelegt zum ersten Schlag“ (die Annahme, hier sei das traditionelle Bild von Israel als „der Pflanzung Gottes“ aufgegriffen [ebd. 161], ist freilich unbegründet). Der traditionsgeschichtliche Hintergrund ist vor allem in Dan 4,14.23LXX greifbar: †kk·yate a§tÖ kaÑ katafje‡rate a§t· (sc. tÖ dfindron) / †xôrai tÖ dfindron kaÑ †kk·yai: ™ kr‡si“ toú jeoú … ªxei †pÑ sfi «haut … ihn … um! / den Baum ausreißen und umhauen: das Gericht Gottes wird über dich kommen». Darüber hinaus wird die landwirtschaftliche Praxis, dass fruchtlose Bäume gefällt werden, auch sonst häufig als Bild für das Gerichtshandeln Gottes verwendet (vgl. Mt 7,17–19; Lk 13,6–9; zum metaphorischen Gebrauch von poieõn karp·n s. zu 8,15). Interessant ist vor allem die Erklärung, die Gott in Ps. Philo, De Jona 52 f (216–218) für die Verschonung Ninives gibt: „… einen Baum, der nutzlos ist, fällt man; bringt er aber Früchte, lässt man ihn stehen. Auch die Niniviten waren einst ohne Früchte der Frömmigkeit. … Aber jetzt … Wie könnte ich also denen gegenüber, die ihr Leben geändert haben, unverändert das (einmal) verkündete Todesurteil durchhalten?“ (Übers. F. Siegert). Zur futurischen Bedeutung der Präsensformen †kk·ptetai und b›lletai vgl. B/D/R § 323. – Die Ankündigung, dass die gefällten Bäume auch noch verbrannt werden, steigert die Drohung noch (dass Gott Feuer als Mittel der strafenden Vernichtung benutzt, weiß die biblische Tradition seit Sodom und Gomorra, Gen 19,24 f; vgl. ansonsten z. B. Ez 15,6–7): Nicht einmal ihr Holz ist noch zu gebrauchen (vgl. auch das entsprechende Drohwort in Jer 22,7: „Vernichtungsmänner werden deine auserlesenen Zedern umhauen und ins Feuer werfen 160

3,1–20: Johannes der Vorläufer

3,10–11

[†kk·yousin … kaÑ †mbaloúsin e¢“ tÖ púr]“). Als weiteres semantisches Merkmal kommt hinzu, was in äthHen 48,9 angekündigt wird: „Wie Stroh im Feuer … so werden sie brennen …, und es wird keine Spur von ihnen zu finden sein“. In der sog. „Standespredigt“ 10–14 lässt Lukas den Täufer nun den materialethischen Gehalt der „Früchte, die der Umkehr entsprechen“ (V. 8), konkretisieren. Die µcloi aus V. 7 kehren in V. 10 wieder, und der Imperativ poiflsate aus V. 8 wird durch die dreifache Frage t‡ poiflswmen; (V. 10.12.14) wiederaufgenommen. Die Texteinheit besteht aus drei Teilen, die durch wechselnde Fragesteller klar voneinander getrennt sind: Zuerst kommen die bereits erwähnten µcloi (V. 10–11), dann Zöllner (V. 12–13) und schließlich Soldaten (V. 14); alle stellen Johannes ein und dieselbe Frage – eine Frage, die Lukas seine Erzählfiguren auch später immer wieder stellen lässt; vgl. 12,17; 16,3; 20,13; Apg 2,37; 22,10 (s. auch Lk 10,25; 18,18; Apg 16,30). Vor allem der Vergleich mit Apg 2,37 zeigt, dass dies seiner Meinung nach die richtige Reaktion auf die Botschaft des Täufers ist (s. auch Liebenberg* 61). Für sich genommen, d. h. ohne dass vorher Person und Botschaft des Täufers vorgestellt würden, hinge die Standespredigt in der Luft. Sie ist darum nur innerhalb ihres literarischen Kontextes zu verstehen, und die Annahme einer eigenständigen Überlieferung als (vor‑)lk Sondergut ist ganz unwahrscheinlich. Wenn man nicht postulieren will, dass Mt sie in Q zwar vorgefunden, aber übergangen hat, oder dass Mt und Lk zwei verschiedene Q-Fassungen vorgelegen haben, bleibt als plausibelste Lösung nur die Annahme, dass Lukas sie selbst geschaffen hat. 10–11 Die Antwort auf die Frage der µcloi, die Johannes in 11b–c gibt, bezieht sich auf Kleidung und Nahrung, d. h. auf die für das menschliche Leben schlechterdings unabdingbaren Erfordernisse. Dementsprechend finden sich parallele Zusammenstellungen in vielen Texten; vgl. außer Lk 12,23 par. Mt 6,25 (troffl und ≤nduma): Gen 28,20; Dtn 10,18; Jes 4,1; Tob 1,17; Jub 27,27; Diodorus Siculus 34/35,2,2; 1.Tim 6,8 („Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, wollen wir uns damit zufrieden geben“); Jak 2,15. cit„n und br„mata stehen hier exemplarisch für die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz. Man soll also das, von dem man selbst mehr hat, als man braucht, an die Bedürftigen abgeben. In unmittelbare Nähe der Aufforderung des Täufers führt die in OrSib 2,83 formulierte Anweisung [ed. Geffcken 31,2]: ≤nduson gumn·n, met›do“ peinùntû ±rtwn sùn «bekleide den Nackten, gib dem Hungernden von deinen Broten ab»; vgl. auch die vergleichbaren Formulierungen in Tob 1,17; 4,16 („Von deinem Brot gib dem Hungernden und von deinen Obergewändern den Nackten“); Jes 58,7; Ez 18,7; Hiob 24,10; TestIss 7,5 (ptwcù metfidwka tÖn ±rton mou «dem Armen gab ich mein Brot ab»). Ein cit„n ist das auf der Haut oder über einem leinenen Hemd getragene Untergewand, das bis zu den Knien oder den Knöcheln reichte und lange oder halblange Ärmel hatte (so ähnlich wie die röm. tunica; vgl. die Abb. in LAW 1535, s. auch Krauss, Talmudische Archäologie, 161 ff); etymologisch handelt es sich im Übrigen um die griech. Transkription von hebr. tnAa; vgl. Y 51,11; 53,8; 117,21.28; 137,1; 138,14; 1QH 2,20.31; 3,19.37; 4,5; 5,5.20; 7,6.26; 11,3; s. auch Hiob 40,14; Sir 51,1; PsSal 16,5; Dan 2,23; Robinson, Hodajot-Formel); zur Anrufung Gottes als „Vater“ s. bei 11,2c. „Herr des Himmels und der Erde“ ist als Gottesprädikat auch in Tob 7,17AB; 387

10,22

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

10,14a; 1QGenApoc 22,16.21 belegt (s. noch Esr 5,11; ParJer 5,32; Jdt 9,12: jeweils „Gott des Himmels und der Erde“; Aelius Aristides, Ad Iovem 8: Zeus als p›ntwn patÉr kaÑ o§ranoú kaÑ gö“ «Vater aller – sowohl des Himmels als auch der Erde»). Es benennt die universale Dimension der Herrschaft Gottes (vgl. M. Wolter, ThBNT 2,1888.1890). – 21c nennt die übliche Begründung. Die Gebete, die Gott für empfangene Unterweisung und Offenbarung danken (vgl. vor allem Dan 2,23; 1QH 15,26 f; C. Deutsch, Hidden Wisdom and the Easy Yoke, 1987, 55 f.64.74 f.81 f), stehen nur in einem ganz entfernten traditionsgeschichtlichen Zusammenhang, denn Jesus dankt hier nicht für eine ihm selbst zuteil gewordene Offenbarung; ein „Einspruch gegen das Offenbarungssystem Daniels“ (Grimm*; s. auch ders., BZ NF 17 [1973] 249–256; Frankemölle* 91 ff) ist nicht einmal im Ansatz zu erkennen. – „Verbergen“ und „offenbaren“ beschreiben nicht zwei verschiedene Handlungen Gottes, sondern zwei Aspekte einer einzigen Handlung. Man könnte auch sagen: „… weil du dies nicht den Weisen und Klugen, sondern den Einfältigen offenbart hast“. Die Frage nach den Extensionen dieser Begriffe geht weit an der Intention dieser Aussage vorbei, denn es geht ihr nicht um die Identifikation bestimmter Gruppen, sondern um das Gegenüber von Wirklichkeitsverständnissen: Die sofoÑ kaÑ suneto‡ (dasselbe Begriffspaar auch in Prov 16,21; Koh 9,11; Sir 9,14 f; Jes 29,14; Hos 14,10; Josephus, Ant. 11,58; 1.Kor 1,19) sind virtuelle Repräsentanten des herrschenden Wirklichkeitsverständnisses, das von den nflpioi nicht geteilt wird (hierbei handelt es sich um eine selbststigmatisierende Eigenbezeichnung in Analogie zu Ps 8,3; 116 [LXX: 114],6; 1QpHab 12,4; Mt 21,16; vgl. Dupont, Études II, 583–591). Demgegenüber postulieren sie, dass ihre Welt‑ und Geschichtsdeutung ihnen im Wege der Offenbarung durch Gott vermittelt wurde. Wissenssoziologisch gesagt: es handelt sich um kognitive Außenseiter, die auf diese Weise ihre vom Wirklichkeitsverständnis der Mehrheitsgesellschaft abweichende Daseinsgewissheit legitimieren (vgl. dazu P.L. Berger, Auf den Spuren der Engel, 31991, 25 ff). Mit Recht wird immer wieder auf 1.Kor 1,18–25 als Analogie hingewiesen (s. aber auch Gal 1,11–12 sowie Frankemölle* 86 f). – Im lk Kontext sind die nflpioi die 72, und das anaphorische Demonstrativpronomen taúta verweist dementsprechend auf die Erkenntnis, dass der Satan entmachtet wurde (worauf es sich ursprünglich bezog, kann natürlich niemand sagen). Die Bekräftigung in 21d schließt mit ihrer Begründung (Ωti) syntaktisch an †xomologoúma‡ soi an. Die uneigentliche Präposition ≤mprosjen bezeichnet wie †n„pion und †nant‡on das Urteil Gottes (vgl. Bauer, Wörterbuch, 519; s. auch bei 1,6). Es handelt sich um eine hebraisierende Formulierung (vgl. den Hinweis auf die in rabbinischen Texten vielfach belegte Gebetsformel $'yn yleWaG>; LXX: Y 106,2: o´ lelutrwmfinoi ≠pÖ kur‡ou); Jes 43,5 f (s. dazu Grimm*) sowie Jes 49,12; Bar 4,37; 5,5; PsSal 11,2; äthHen 57,1. Darüber hinaus ist noch daran zu erinnern, dass auch der in V. 23 verwendete Sammelbegriff o´ swz·menoi innerhalb dieser Erwartung verankert ist (Näheres s. dort). – Die 493

13,30

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Zuweisung von Heil und Unheil orientiert sich also auch hier nicht am Gegenüber von Israel und den Völkern, sondern an der Reaktion auf Jesu Verkündigung. In referenzsemantischer Hinsicht ist der Kreis derer, von denen hier die Rede ist, natürlich auch für Nichtjuden offen, aber so deutlich wird das jetzt noch nicht gesagt. Trotzdem ist hier aber ein Paradigma installiert, das die Unterscheidung zwischen Israel und den Völkern aufhebt. In 30 werden die Folgen und Dimensionen dieses Paradigmenwechsels umrissen. Wenn man die Abfolge „letzte-erste / erste-letzte“ auf die in V. 28–29 beschriebenen Gruppen verweisen lassen wollte, ergäbe sich eine chiastische Anordnung: Von den ≤scatoi, die zu prùtoi werden (30a), spricht V. 29, während V. 28 das Geschick der prùtoi beschreibt, die zu ≤scatoi geworden sind. Gleichwohl darf die Ankündigung aber nicht auf die Referenzbedeutung der Begriffe reduziert werden, denn sie will weit mehr als nur den Austausch der Positionen von Juden und Heiden beschreiben: Dass Heiden sich auf der Heilsseite und Juden auf der Unheilsseite wiederfinden werden, ist lediglich Teil und Folge einer sehr viel weiter gehenden Neuordnung der Statuszuweisungen unter den Menschen (s. auch 1,43.46–55; 22,25–27). Dass diese Neuordnung gerade mit Hilfe der semantisch mehrdeutigen Polarität von prùtoi und ≤scatoi formuliert und als Austausch ihrer Extensionen beschrieben wird, hat keine andere Funktion, als die Radikalität und Totalität dieses Paradigmenwechsels zu unterstreichen: Nichts wird so bleiben, wie es vorher war. 13,31–35: Herodes und Jerusalem 31In

derselben Stunde kamen einige Pharisäer und sagten zu ihm: „Geh fort und zieh weg von hier, denn Herodes will dich töten.“ 32Und er sprach zu ihnen: „Geht und sagt diesem Fuchs: Siehe, ich treibe Dämonen aus und vollbringe Heilungen heute und morgen, und am dritten (Tag) werde ich vollendet. 33Indessen muss ich heute und morgen und übermorgen unter­ wegs sein, denn es ist ausgeschlossen, dass ein Prophet außerhalb Jerusalems umgebracht wird. 34 Jerusalem, Jerusalem, das die Propheten tötet und die zu ihr Gesandten steinigt! Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, genauso wie eine Henne ihre Brut unter die Flügel, und ihr wolltet nicht. 35Siehe, euer Haus wird euch überlassen. – Ich sage euch aber: Ihr werdet mich nicht sehen, bis (der Tag) kommen wird, an dem ihr sagt: ‚Gepriesen (sei), der kommt im Namen des Herrn!‘“ Literatur: D.C. Allison, Matt. 23:39 = Luke 13:35b as a Conditional Prophecy, JSNT 18 (1983) 75–84. – Aus, My Name is „Legion“, 303–327. – Darr, Herod the Fox, 173–188. – A. ­Denaux, ­L’hypocrisie des Pharisiens et le dessein de Dieu. Analyse de Lc., XIII,31–33, in: L’évangile de Luc, 155–195.316–323. – C. Heil, Lukas und Q, 64–73. – E.A. Hermanson, Kings are Lions, but Herod is a Fox, BiTr 50 (1999) 235–240. – Hoffmann, Studien, 171–180. – M. Rese, Einige Überlegungen zu Lukas XIII, 31–33, in: Jésus aux origines de la christologie, 201–225.421 f. – J.M. Robinson, The Sequence of Q: The Lament over Jerusalem, in: Von Jesus zum Christus, 225–269. – R. Schnackenburg, Lk 13,31–33. Eine Studie zur lukanischen Redaktion und Theologie, in: Der Treue Gottes trauen, 229–241. – Steck, Israel, 40–58.227–239. – F.D. Weinert, Luke, the Temple and Jesus’ Saying about Jerusalem’s Abandoned House (Luke 13:34–35), CBQ 44 (1982) 68–76. – D. Zeller, Entrückung zur Ankunft als Menschensohn (Lk 13,34 f.; 11,29 f), in: À cause de l’évangile, 513–530.

494

13,22–35: Unterwegs nach Jerusalem

13,32

Den zweiten Teil der Szene erzählt Lukas genauso wie den ersten Teil: Ein ‚Stichwortgeber‘ tritt auf (in V. 23 ein ti“, hier tinÇ“ Farisaõoi; V. 31a), der Jesus zu einer Rede veranlasst, die Lukas aus mehreren Einzelelementen unterschiedlicher Provenienz zusammengesetzt hat. Formgeschichtlich handelt es sich hier wie dort um eine Chrie (Pronouncement story). – Die Rede besteht aus zwei Teilen, die durch das Thema „Prophetenmord in bzw. durch Jerusalem“ (V. 33b–34b) miteinander verklammert sind: Adressaten des ersten Teils (V. 32–33) sind „einige Pharisäer“. Demgegenüber hat der zweite Teil (V. 34–35) nur fiktive, weil nicht anwesende Adressaten: Jerusalem und seine Kinder. Formgeschichtlich handelt es sich nicht um eine „Klage“ (so Schneider u. a. sowie vor allem Weinert* 74), sondern um eine Gerichtsankündigung. Für das narrative Setting und den ersten Teil der Rede (V. 31–33) gibt es keine synoptische Parallele. Zumeist wird angenommen, dass Lukas sie aus seinem sog. ‚Sondergut‘ kennt. In der Minderheit geblieben sind Stimmen, die diese Verse für eine lk Bildung halten (Schmithals; Denaux*; Rese*). – Der zweite Teil der Rede (V. 34–35) hat eine nahezu wortgleiche Parallele in Mt 23,37–39, so dass eine Herkunft aus Q wahrscheinlich ist. Umstritten ist, ob sie im Spruchevangelium auf die in Q 11,49–51 überlieferte Unheilsankündigung folgte, die ihr in Mt 23,34–36 unmittelbar vorausgeht, oder ob sie an Q 13,24–29(30) anschloss (s. dazu Robinson*; Heil* 66).

31 Mit Hilfe der Zeitangabe a§tÔö tÔö øra, die es im NT nur bei Lukas gibt (s. dazu bei 2,38), markiert Lukas die szenische Kontinuität. Mit „Herodes“ ist Herodes Antipas gemeint (zu ihm s. bei 3,1). Im LkEv kam er zuletzt in 9,7–9 vor, und zwar mit dem Wunsch, Jesus zu sehen (9,9). Über ihn wissen die Leser zudem, dass er ein Schurke war (3,19 f) und dass er Johannes den Täufer enthauptet hat (9,9). Es muss ihnen also durchaus nicht unplausibel vorkommen, dass er auch Jesus nach dem Leben trachtete. Überraschend ist freilich, dass es Pharisäer sind, die Jesus vor Herodes warnen: Sie waren zuletzt von Jesus nicht nur pauschal angegriffen und mit Weherufen bedacht worden (11,39–44), sondern er hatte ihnen auch „Heuchelei“ als typische Eigenschaft attestiert (12,1). Lukas kann die Pharisäer sonst durchaus differenziert wahrnehmen (vgl. 6,2 [diff. Mk 2,24]; 19,39: jeweils tinÇ“ tùn Farisa‡wn). Sie gehören auch nicht zu denen, die in Jerusalem Jesu Hinrichtung betreiben, was allerdings für alle synoptischen Evangelien gilt. Es gibt darum kein Indiz dafür, dass Lukas den Pharisäern, die Jesus vor Herodes warnen, Unaufrichtigkeit oder gar Hinterlist unterstellt (gegen Denaux* 171 ff). Trotzdem fällt hier aber ein Schatten auf sie, denn Jesu Antwort in V. 32 f wird deutlich machen, dass sie nichts von ihm verstanden haben: Sein pore‚esjai ist keine Flucht, sondern ein pore‚esjai nach Jerusalem; es dient auch nicht der Vermeidung des Todes, sondern führt ihn geradewegs in den Tod hinein; und schließlich ist Jesu pore‚esjai durch nichts anderes veranlasst und gelenkt als durch Gottes Heilsplan (deõ; s. bei 9,22 sowie Rese* 217). Lukas will die Pharisäer hier nicht als um Jesu Überleben Besorgte, sondern als Ignoranten charakterisieren. 32 Dieselbe Ignoranz kennzeichnet auch Herodes, wenn er Jesus außerhalb Jerusalems zu töten versucht. In seiner Bezeichnung als „Fuchs“ steckt darum eine gehörige Portion Ironie. Aus dem semantischen Profil der typischen Eigenschaften, die dem Fuchs in der Antike zugeschrieben wurden (vgl. dafür exemplarisch Cyraniden, ed. Kaimakis, 2,2: „Der Fuchs ist ein Tier, das allen bekannt ist: äußerst schlau und verschlagen sowie klug, ein Vogelfresser und übelriechend [jhr‡on … dein·taton kaÑ panourg·taton kaÑ sof·n, £rnijob·ron kaÑ d‚sosmon]“), wird hier ohne Zweifel das Merkmal der „Schlauheit“ (sensu malo: „Verschlagenheit“; sensu bono: „Klugheit“) 495

13,33

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

aufgerufen. Diese Qualität wird gleichzeitig aber auch abgewertet, denn Herodes gibt mit seiner Absicht zu erkennen, dass ihm die Einsicht in den Heilsplan Gottes fehlt. Zwischen Fuchs und Mensch findet auch sonst ein Austausch bei der Zuschreibung von Eigenschaften statt, und zwar häufig mit der Intention der moralischen Abwertung; vgl. in diesem Sinne z. B. Aristoteles, Hist. Anim. 488b20: tÅ mÇn panoúrga kaÑ kakoúrga, oïon ül„phx … «die einen (sc. unter den Tieren) sind hinterlistig und bösartig, wie z. B. der Fuchs …»; Athenaeus, Deipn. 14,76 (658d): ein Mann wird üpotr›ghma … ül„peko“ «Überbleibsel eines Fuchses» genannt, weil er „entweder von kleiner Gestalt oder von schlechtem Charakter und heimtückisch (kakofljh kaÑ panoúrgon) war“; Epiktet, Diss. 1,3,8: „Was ist ein schmähsüchtiger und bösartiger Mensch (lo‡doro“ kaÑ kakofljh“ ±njrwpo“) anderes als ein Fuchs?“; s. auch Plato, Resp. 365c; Cicero, Off. 1,41; Äsop, Fab., ed. Hausrath / Hunger, 9; 109 (der Fuchs als Beispiel für „nichtswürdige“ [faúloi] Menschen). – Für die Schlauheit des Fuchses gilt als typisch, dass sie nur von begrenzter Reichweite ist und der Fuchs immer wieder an ihrer Überschätzung scheitert, weil er nicht weit genug denkt. In diese Richtung weist ein Solon zugeschriebener Spruch, der mehrfach überliefert ist; er lautet in der Fassung von Diodorus Siculus 9,20,3: „Einzeln wandelt ein jeder von euch auf den Spuren des Fuchses (∫kasto“ ül„peko“ ¥cnesi ba‡nei); in euch allen zusammen aber befindet sich ein nichtiger Verstand (koúfo“ … n·o“), denn ihr seht nur auf die Zunge … eines Mannes, doch auf das, was er tut, achtet ihr niemals“ (s. auch Plutarch, Solon 30,3; Diogenes Laertius 1,52); vgl. weiterhin Äsop, Fab., ed. Hausrath / Hunger, 24; 41 sowie C. Hünemörder, DNP 4,687; für rabbinische Texte Bill. II, 200 f.

Jesus antwortet den Pharisäern und Herodes, dass er zunächst genauso weitermacht wie bisher (32c–d). †kb›llw daim·nia kaÑ ¢›sei“ üpotelù formuliert dieselbe komprehensive Umschreibung seines Wirkens wie die Summarien in 4,40 f; 6,18; 7,21; 8,2 (s. auch 9,1; das Nomen ¥asi“ gibt es im NT nur bei Lukas: s. noch Apg 4,22.30). Beendet wird dieses Wirken erst durch sein teleioúsjai (32e). Hierbei handelt es sich um ein Passiv, und semantisch ist damit hier wie auch in SapSal 4,13 der Tod gemeint. Durch die Umschreibung gerade mit diesem Verb wird aber zum Ausdruck gebracht, dass der Tod nicht vorzeitig kommt, sondern am Ende eines „erfüllten“ Lebens steht. Im Klartext gesagt: Jesus wird erst sterben, wenn er die ihm von Gott übertragene Aufgabe vollendet haben wird. Das Passiv betont, dass Gott es ist, der sein Leben zur Vollendung bringen wird. Die Zeitangabe ist nicht wörtlich gemeint, und darum steht hier auch nicht Ex 19,10 f im Hintergrund. Sie bezeichnet vielmehr einen Zeitraum von unbestimmter Dauer. Die Reihe sflmeron kaÑ a∂rion kaÑ tÔö tr‡tÔh hat keine semitische (so z. B. Marshall), sondern eine hellenistische Grundlage; vgl. Plutarch, Phoc. 22,6 = Mor. 459 f (Alexander sflmeron tfijnhke, kaÑ a∂rion ≤stai kaÑ e¢“ tr‡thn tejnhk„“ «ist heute gestorben, und er wird auch morgen und bis zum dritten [Tag] tot sein»); ebd. (e¢ sflmeron oñto“ °d‡khke, kaÑ a∂rion ≤stai kaÑ e¢“ tr‡thn °dikhk„“ «wenn dieser heute schuldig geworden ist, wird er auch morgen und bis zum dritten [Tag] schuldig sein »); Epiktet, Diss. 4,12,21 (… polÜ môllon sflmeron, ºna kaÑ a∂rion dunhjÔö“ kaÑ mÉ p›lin ünab›lÔh e¢“ tr‡thn «… um wieviel mehr heute, damit du es auch morgen tun kannst und es nicht erneut auf den dritten [Tag] verschiebst»). Der Unterschied zwischen †n tÔö tr‡tÔh hier und e¢“ tr‡thn dort hat seinen Grund darin, dass der Zeitraum, der mit dieser Reihe in den Blick genommen wird, bei Lukas durch das „Vollendetwerden“ Jesu begrenzt wird (s. auch Ps. Hippocrates, ed. A. Delatte, Anecdota Atheniensia et alia II, 1939, 483,11 f über den Umgang mit Geflügel: sf›xon sflmeron, ∫yhson a∂rion kaÑ tÔö tr‡tÔh ™mfira ≤sjie «schlachte [es] heute, rupfe [es] morgen, und am dritten Tag iss [es]»; Plautus, Cist. 524–526: hodie … cras … tertio «heute … morgen … am dritten»).

33 resümiert im Blick auf die Aufforderung der Pharisäer. plfln hat hier nicht adversative oder konzessive Bedeutung, sondern schließt die Erörterung ab und fasst das 496

13,22–35: Unterwegs nach Jerusalem

13,34

Wesentliche zusammen (s. auch B/D/R § 449,2; Rese* 217). Dementsprechend wird auch das Stichwort pore‚esjai aus V. 31b wiederaufgenommen: Nicht weil Herodes ihm nachstellt, sondern weil er seinen Auftrag erfüllen muss und weil er nur in Jerusalem – mit V. 32e gesagt – „vollendet werden“ kann, ist Jesus zum weiteren pore‚esjai genötigt (deõ). – Dass die Zeitangabe in 33a sich mit derjenigen von V. 32d–e deckt (so Rese* 218), ist eher unwahrscheinlich, denn die Zeit von Jesu pore‚esjai ist vor seinem teleioúsjai abgeschlossen. Es ist darum wohl auch kein Zufall, dass tÔö tr‡tÔh hier durch tÔö †comfinÔh (sc. ™mfira; vgl. Apg 21,26) ersetzt ist; vgl. in diesem Sinne auch Apg 20,15; 1.Chr 10,8; 2.Makk 12,39; Josephus, Ant. 6,174.235; 7,18; Plato, Symp. 217d; Polybius 3,112,1; Diogenes Laertius 9,42 (tÔö mÇn pr„tÔh ™mfira …, tÔö dû †comfinÔh «am ersten Tag …, am nächsten aber») u. a. Die in 33b genannte Begründung für das deõ der weiteren Wanderschaft Jesu wird als allgemeine Regel formuliert. o§k †ndficetai + A.c.I. ist griechisches Idiom (vgl. z. B. Xenophon, Mem. 1,2,23; Aristoteles, Metaph. 1063b15; Epiktet, Diss. 1,19,7; jüdisch nur Dan 2,11LXX). Die Feststellung endet an derselben Stelle wie V. 32: dem Tod Jesu. Über das in V. 32 Gesagte hinaus nennt Jesus jetzt aber noch den Ort seines Todes, und zwar in betonter Schlussstellung. Damit enthüllt er den Pharisäern (und über sie indirekt auch Herodes Antipas) das Ziel und den Zweck seiner Wanderschaft – und das noch vor den Jüngern, denn die haben in 9,31 geschlafen und werden erst in 18,31 erfahren, wo es hingeht und was auf Jesus zukommt. Die Generalisierung, die in der Feststellung zum Ausdruck kommt, ist hyperbolisch und dürfte auf Lukas selbst zurückgehen, denn bei ihm sind es später immer nur die Jerusalemer Juden, die für Jesu Tod verantwortlich gemacht werden. Das lassen die entsprechenden Passagen in den Reden der Apostelgeschichte erkennen: In den Jerusalemer Reden steht immer die 2.Person („ihr“: 2,23.36; 3,13–15; 4,10; 5,30), während Lukas in den Reden, die in anderen Städten gehalten werden, die 3. Person verwendet („sie“: 10,39; 13,27–29). „Jerusalem“ repräsentiert insofern also gerade nicht Israel in seiner Gesamtheit (gegen Steck* 227). Demgegenüber spielt in solchen Texten, die mitunter als Zeugnisse für angebliche „Überlieferungen über Prophetenmartyrien in Jerusalem“ (Eckey II, 641) angeführt werden (s. auch Fitzmyer II, 1032; Bock II, 1248), der Jerusalembezug keinerlei eigenständige Rolle. Man wird aus diesem Grunde davon auszugehen haben, dass es sich dabei um ein spezifisch lk Darstellungsinteresse handelt (s. auch Weatherly, Jewish Responsibility, 50 ff). 34 Mit Jerusalem als dem Ziel der Wanderung Jesu ist „der tatsächliche Widerpart Jesu“ in den Blick genommen (Rese* 219), denn nicht Herodes, sondern diese Stadt wird ihn töten. 34a ruft die Tradition vom gewaltsamen Geschick der Propheten auf (s. dazu bei 6,23 mit Texten und Literatur) und überträgt sie auf Jerusalem. ™ üpokte‡nousa … kaÑ lijoboloúsa ist Apposition und macht das Töten der Propheten und das Steinigen der Gesandten Gottes zu einer zeitlosen Eigenschaft Jerusalems. Hier wird also kein historischer Rückblick gegeben, sondern eine Wesensaussage formuliert. Mit 34b wechselt das Tempus in den Aorist. Jerusalem wird jetzt direkt angesprochen (2. Person), und Jesus berichtet von seiner „persönlichen Erfahrung“ mit ihr (Hoffmann* 173 mit dem Hinweis, dass „Jerusalem“, „deine Kinder“ und „ihr“ ein und denselben Personenkreis bezeichnen). Formgeschichtlich handelt es sich um ein Scheltwort, das die Schuld des Adressaten aufweist. Das Ich des Sprechers ist für Lukas selbstverständlich das Ich Jesu (die Frage, ob der Q-Fassung ein jüdisches Weisheitswort zugrundeliegt, ist 497

13,35

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

eher zu verneinen; vgl. Hoffmann* 173 f; Zeller* 514 f). – Schwierig ist das Verständnis der Feststellung, dass Jesus schon „oft“ (pos›ki“) die „Kinder“ Jerusalems zu sammeln versucht habe, obwohl er noch nie einen Fuß in diese Stadt gesetzt hat (Lk 2,41–50 zählt nicht). Mit Sicherheit keine Lösung ist die Auskunft, dass Jesus hier lediglich von einem schon lange gehegten Wunsch spreche, den er mangels Gelegenheit aber noch nicht ausführen konnte (so Fitzmyer II, 1034). Der Abschluss des Satzes mit o§k °jelflsate macht vielmehr deutlich, dass Jesus von vergeblichen Versuchen spricht, die sämtlich am Verhalten der „Kinder“ Jerusalems gescheitert sind. Ermöglicht wird eine Integration dieser Aussage in die lk Jesusdarstellung dadurch, dass als „Kinder“ Jerusalems hier nicht nur ihre Einwohner (wie in 19,44; zur Bezeichnung der Einwohner einer Stadt als deren „Kinder“ s. dort), sondern alle Angehörigen des jüdischen Volkes gelten konnten (vgl. z. B. Josephus, Bell. 7,375: Jerusalem als toú pantÖ“ ûIouda‡wn gfinou“ mhtr·poli“ «Mutterstadt des gesamten jüdischen Volkes»; 4.Esr 10,7; Gal 4,25). Lukas lässt Jesus also seine bisherige Tätigkeit in komprehensiver Weise als das Bemühen darstellen, die endzeitliche Sammlung des Gottesvolkes herbeizuführen. Hierbei handelt es sich um ein geläufiges Element jüdischer Eschatologie (mit [†pi]sun›gein: Y 146,2; Jes 52,12; 56,8; Jer 32[39],37; Toba 13,15; 14,7; 2.Makk 2,7.18; PsSal 10,7). Tertium Comparationis des Vergleichs mit der µrni“ (≈n tr·pon ist ein Akkusativ der Beziehung [vgl. B/D/R § 160,1]; im NT auch Apg 1,11; 7,28; 15,11; 27,25; 2.Tim 3,8) ist dementsprechend nicht das schützende Bedecken mit den Flügeln, sondern das Sammeln (†pisun›gein). Als Bildfeld fungieren hier nicht sog. Nesthocker, sondern Nestflüchter, die bald nach dem Schlüpfen das elterliche Nest verlassen und herumlaufen, eben darum jedoch immer mal wieder vom Muttertier eingesammelt werden müssen. Luther hat µrni“ darum auch zu Recht mit „Henne“ übersetzt. Das Bild lässt viele Kommentatoren an die Metapher von Gottes Flügeln denken, unter denen die Frommen Zuflucht suchen (vgl. Ruth 2,12; Ps 17,8; 36,8; 57,2; 61,5; 63,8; 91,4; s. auch Dtn 32,11; Jes 31,5; syrBar 41,4), doch ist dort nie von „sammeln“ die Rede. 35 An das Scheltwort mit dem Schuldaufweis schließt sich das Drohwort mit der Strafankündigung an. In der Regel wird angenommen, dass Jesus in 35a den Auszug Gottes aus dem Jerusalemer Tempel oder aus Zion-Jerusalem ankündigt (üf‡etai ist Passivum divinum). Für diese Vorstellung gibt es auch zahlreiche Belege in der atl-jüdischen Literatur (Ez 10,18 f; 11,23; äthHen 89,56; Josephus, Bell. 5,412; 6,299; syrBar 8,1 f; 41,4; 64,6; s. auch Diodorus Siculus 17,41,7: Apollo verlässt das zum Untergang bestimmte Tyrus; Tacitus, Hist. 5,13,1). Dass der Jerusalemer Tempel niemals „unser“ bzw. „euer Haus“, sondern immer nur „Haus Gottes“ o. ä. genannt wird (eine gewisse Ausnahme ist lediglich Jes 64,10LXX: ¨ oèko“, tÖ πgion ™mùn «das Haus, unser Heiligtum»; hebr.: Wnved>q' tyBe «unser heiliges Haus»), widerspricht dem nicht, sondern spitzt die Ankündigung noch zu. Aus dem „Haus Gottes“ wird „euer Haus“. Auch heißt üf‡hmi mit doppeltem Objekt (also tin‡ ti) nicht einfach „verlassen“, sondern „jemandem etwas überlassen/hinterlassen“ (vgl. Koh 2,18; Y 16,14; Josephus, Ant. 7,274; Mt 5,40; 22,25; Joh 14,27). Israel bleibt gewissermaßen auf ‚seinem‘ Haus sitzen. Alle Texte beschreiben jedenfalls eine unwiderrufliche Trennung, und der Sache nach kündigt Jesus an, dass Gott Israel verlassen und aus Jerusalem ausziehen wird; vgl. Jer 12,7: „Ich habe mein Haus verlassen, mein Erbe aufgegeben“ (†gkatalfiloipa tÖn oèk·n mou, üföka tÉn klhronom‡an mou) sowie die entsprechende Befürchtung in PsSal 7,1 (mÉ üposkhn„sÔh“ üfû ™mùn ¨ je·“ «zieh nicht von uns weg, Gott»). 498

14,1–24: Zu Gast bei einem führenden Pharisäer

14,1–24

Das Drohwort wird in 35c–d um eine weitere Ankündigung ergänzt, in der die in V. 34c begonnene Geschichte Jesu mit „Jerusalem“ („deinen Kindern“ / „euch“) weitererzählt und in die Zukunft hinein verlängert wird. Sie besagt, dass Jesus nach einer Zeit der Abwesenheit von denen, die sich jetzt seiner Sammlung widersetzen, mit Ps 118,26 begrüßt werden wird. Damit kann nicht sein Einzug nach Jerusalem gemeint sein, denn hier sind es nur die Jünger, die Jesus mit diesen Worten feiern (Lk 19,38). In den Blick genommen ist hier vielmehr die Parusie, und dafür spricht auch, dass mit o§ mÉ ¥dhtfi me (35c) seine Entrückung angekündigt wird (vgl. den traditionsgeschichtlichen Nachweis bei Zeller* 515). Zu ªxei Ωte ist ™mfira o. ä. zu ergänzen (vgl. Y 36,13; Joel 1,15 einerseits sowie Lk 17,22 andererseits). Trotz ihrer schlechteren Bezeugung ist die Lesart mit ªxei (D und A W [Y f1] M) der Lesart ohne dieses Verb (P75 B u. a. und P45 a N [Q] f13 u. a.) als Lectio difficilior vorzuziehen. Allison* deutet die Ankündigung als Temporalsatz im Sinne von: ‚Ihr werdet mich erst wiedersehen, wenn ihr … sagt.‘ Das scheitert jedoch daran, dass einer nur dann als Kommender begrüßt werden kann, wenn er bereits im Kommen begriffen ist.

Die Ankündigung, dass die Kinder Jerusalems, die Jesus jetzt ablehnen, ihn bei seiner Parusie als Repräsentanten Gottes begrüßen werden, soll durchaus nicht der Hoffnung Ausdruck geben, dass die Geschichte doch noch ein Happy End haben wird (gegen Wiefel; Bovon; Merkel, Israel, 396 f u. a.). Die Situation ist vielmehr der in 13,24 f beschriebenen analog (s. auch Räisänen, Redemption, 105 f): Die Adressaten der Worte Jesu werden bei seiner Parusie etwas tun, was sie in der Gegenwart versäumt haben, obwohl sie dazu aufgefordert wurden. Dann wird es jedoch zu spät sein (s. auch Manson, Sayings, 128; Hoffmann* 177 f). Zudem zeigen Texte wie äthHen 48,5; 62,3–5.9–10; 63,2, dass die Huldigung des kommenden Richters nicht vor der eschatischen Strafe bewahrt. Nach V. 34 besteht die Pointe der Ankündigung also darin, dass Jesus in einer ganz anderen Rolle wiederkommen wird, als er sie jetzt ausübt: Er kommt dann nicht mehr als Sammler, sondern als Richter. 14,1–24: Zu Gast bei einem führenden Pharisäer Literatur: W. Braun, Feasting and Social Rhetoric in Luke 14 (MSSNTS 85), Cambridge 1995. – Ders., Symposium or Anti-Symposium? Reflections on Luke 14:1–24, TJT 8 (1992) 70–84. – J. Ernst, Gastmahlgespräche: Luk. 14,1–24, in: Die Kirche des Anfangs, 57–78. – C. Heil, Lukas und Q, 74–96. – J.P. Heil, Meal Scenes, 97–113. – X. de Meeûs, Composition de Lc., XIV et genre symposiaque, EThL 37 (1961) 847–870. – R.L. Rohrbaugh, The Pre-industrial City in Luke Acts, in: The Social World of Luke-Acts, 125–149. – R.C. Tannehill, The Lukan Discourse on Invitations (Luke 14,7–24), in: The Four Gospels 1992 II, 1603–1616.

Lukas konstruiert erneut eine Mahlszene, die nach 7,36–50 und 11,37–52 zum dritten und letzten Mal im Haus eines Pharisäers spielt. Anders als in den ersten beiden Fällen findet diese Mahlzeit an einem Sabbat statt, was aber nur für V. 1–6 wichtig ist und danach keine Rolle mehr spielt. Gegenüber Kap. 13 ist ein tiefer Einschnitt gesetzt, denn mit dem Wechsel von Ort und Personal macht die Erzählung auch einen zeitlichen Sprung. Das Ende der Szene wird durch das Episodeneröffnungssignal in 14,25 markiert: Jesus befindet sich mit einer großen Menschenmenge wieder auf Wanderschaft. 499

14,1–6

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Die Szene besteht aus vier Teilszenen: Einem Streitgespräch mit den Rechtsgelehrten und den Pharisäern (V. 1–6) folgt eine Reihe von drei Chrien (Pronouncement stories). Auf die übergeordnete Mahlsituation wird immer nur in den narrativen Expositionen Bezug genommen (V. 1.7.12a.15a). Die Kohärenz wird vor allem durch das Verb kaleõn (hier: „einladen“: V. 7.8.9.10.12.13.16.17.24) hergestellt. Nicht zu übersehen sind auch die Verzahnungen zwischen benachbarten Teilszenen: V. 7–11 und V. 12–14 weisen ein und dieselbe Struktur auf (jeweils ≤legen … Ωtan … mÉ … mflpote … üllû Ωtan + Ausblick auf die Belohnung des empfohlenen Verhaltens). Darüber hinaus ist auch die Verklammerung von V. 12–14 und V. 15–24 durch die Reihen ptwco‚“, ünape‡rou“, cwlo‚“, tuflo‚“ offenkundig (V. 13 und V. 21 [hier mit Umstellung der beiden Schlussglieder]). Hinzu kommt noch die thematische Isotopie der drei Reden: Sie alle behandeln Fragen, die mit Gastmählern zusammenhängen, und thematisieren dabei unterschiedliche Perspektiven: der Gäste (V. 7–11), des Gastgebers (V. 12–14) und von Eingeladenen (V. 15–24). Die Mahlsituation bildet jedoch nicht mehr als den äußeren Rahmen für die Reden Jesu. Lukas weiß also, wie es in seiner Zeit auf Gastmählern zuging. Formgeschichtliche Berührungen mit der literarischen Gattung des Symposiums (de Meeûs*; Ernst* 74 ff) gibt es nur ganz am Rande, denn von den für die Symposienliteratur charakteristischen Topoi (vgl. Martin, Symposion, 33–148) findet sich hier lediglich der Streit unter den Gästen um die besten Plätze (135 f; s. auch Braun*, Symposium, 74 f). Brauns Interpretation des Textes als programmatisches „Anti-Symposium“ in kynischer Tradition (ebd. 75 ff) basiert jedoch ebenfalls auf einer Überinterpretation des literarischen Rahmens. 14,1–6: Sabbat IV 1Und

es geschah, als er am Sabbat zum Essen in das Haus eines der führenden Pharisäer gekommen war – und sie beobachteten ihn genau –, 2und siehe, da befand sich ein wassersüchtiger Mensch vor ihm. 3Und Jesus erwiderte den Gesetzesgelehrten und den Pharisäern: „Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen, oder nicht?“ 4Sie aber verstummten. Und er fasste ihn an und heilte ihn und schickte ihn fort. 5Und zu ihnen sagte er: „Wer von euch, dessen Sohn oder Ochse in eine Zisterne fällt, zieht ihn nicht am Sabbattag sofort herauf?“ 6Und sie konnten darauf nichts entgegnen. Literatur: s. o. S. 499. – Außerdem: Busse, Wunder, 304–312. – Mayer-Haas, „Geschenk …“, 333–360. – F. Neirynck, Luke 14,1–6. Lukan Composition and Q Saying, in: ders., Evangelica II, 183–204.

Die Szene setzt die Reihe der Sabbatkonflikte nach 6,1–5.6–11 und 13,10–17 fort. – Formgeschichtlich handelt es sich um eine Mischung aus Heilungserzählung und Chrie, welch letztere Bultmann mit Recht als Streitgespräch bezeichnet (Geschichte, 10), obwohl Jesu Gesprächspartner nichts sagen und Jesus selbst die zur Debatte stehende Frage ausspricht (V. 3). Wie in 5,17–26; 6,6–11 und 7,1–10 bilden die beiden Gattungen zwei narrative Fäden, die miteinander verflochten sind: Zur Linie der Heilungserzählung gehören die Vorstellung des Kranken (V. 2) und die Schilderung seiner Heilung (V. 4b–c), während die Streitgesprächs-Linie aus V. 1b.3–4a.5–6 besteht. Dass sie die Erzählung insgesamt dominiert, kommt nicht nur im größeren Umfang zum Ausdruck, sondern auch darin, dass Lukas die Gesprächsszene aufbaut 500

14,1–24: Zu Gast bei einem führenden Pharisäer

14,2

(V. 1), bevor er den Kranken vorstellt (V. 2), dass er die Heilung nur mit ganz dürren Worten erzählt (V. 4b–c) und dass er die abschließende Reaktion der Pharisäer nicht der Heilung, sondern der in V. 5 erzählten rhetorischen Frage zuordnet (üntapo­ krijönai; V. 6). Daraus ergibt sich als Aufbau: Die Einleitung (V. 1a) bereitet beide narrativen Linien vor und benennt das narrative Setting für die gesamte Mahlepisode. V. 1b–4a fungieren als Exposition des Streitgesprächs. In sie ist mit V. 2 die Exposition der Heilungserzählung eingebettet, deren Zentrum (Schilderung der heilenden Handlung) in V. 4b–c folgt. V. 5 setzt die Streitgesprächslinie mit dem Diktum Jesu fort, und in V. 6 schließt Lukas sie dadurch ab, dass er die Reaktion der Gegner beschreibt (s. auch 6,11; 20,26). Die Szene ist nur bei Lukas überliefert. Offenkundig sind aber die Berührungen mit dem in 6,6–11 (par. Mk 3,1–6; Mt 12,9–14) erzählten Sabbatkonflikt anlässlich der Heilung der „vertrockneten Hand“ (vgl. vor allem V. 1b mit 6,7a [„die Pharisäer und Schriftgelehrten belauerten ihn aber“] und V. 3b mit 6,9b [„Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses, Leben zu retten oder zu vernichten?“]). Die rhetorische Frage in V. 5b–c hat eine Entsprechung in Mt 12,11, einer mt Einfügung in den aus Mk 3,1–6 übernommenen Text. Hinzuweisen ist auch auf die Agreements mit Mt 12,9–14 gegen Mk 3,1–6 (vgl. Neirynck, Minor Agreements [1974], 78 und [1991], 25). Dieser Befund findet ganz unterschiedliche Erklärungen: Erwogen bis vertreten werden sowohl eine Herkunft aus der Logienquelle (z. B. von Schneider; Ernst; Marshall) oder eine separate Überlieferung („Sondergut“; z. B. von Wiefel; Nolland; Bovon) wie eine oder eine mehr oder weniger vollständige Zuweisung an Lukas selbst (z. B. von Busse*; Fitzmyer [V. 5 stamme aus dem lk „Sondergut“]; C.F. Evans; Neirynck* [V. 5 stamme aus Q]; zur Diskussion vgl. Kosch, Tora, 200 ff; Heil* 74 ff).

1 Der kaÑ-†gfineto-Satz geht bis zum Ende des Verses, und der Satzbauplan entspricht 5,1 f. Die Elemente, die Lukas für den Aufbau der Szene verwendet, sind den Lesern bereits vertraut (vgl. 6,1–11 [Pharisäer + Sabbat + parathreõn] sowie 7,36 und 11,37 [jeweils Pharisäer + essen]). Sie können daraus schließen, dass eine weitere Episode aus der Geschichte des Konflikts zwischen Jesus und den Pharisäern folgt (zu parathreõn s. bei 6,7). – Die Bezeichnung des Gastgebers als „ti“ tùn ürc·ntwn der Pharisäer“ lässt ihn noch nicht „e[in] zur Pharisäerpartei gehöriges Mitglied des Synedriums“ werden (Bauer, Wörterbuch, 228). Die Auskunft, dass die Pharisäer „nicht hierarchisch organisiert waren“ (Bovon II, 470), widerlegt die lk Charakterisierung nicht, denn es gibt keine Gruppe ohne ein zumindest informelles hierarchisches Gefälle (s. auch Plummer 354: „of course they had their leading men“; Josephus, Vita 21: Hohepriester und o´ prùtoi tùn Farisa‡wn). Außerdem will Lukas seinen Lesern sowieso nur die Vorstellung vermitteln, dass Jesus bei einem wichtigen Mann eingeladen ist und in den besseren Kreisen verkehrt. „Brot essen“ ist eine atl Formulierung und bedeutet nichts weiter als „essen“ (vgl. Gen 3,19; 37,25; Ex 16,3; Ri 19,5–6; 2.Sam 9,7 u. ö. sowie bei 7,33–34). 2 Mit kaÑ ¢do‚ + (ª)ti“ + Subjekt + én führt Lukas auch in 7,37 und Apg 16,1 neue Erzählfiguren ein (s. auch 10,25: ünfisth statt én). Zur klinischen Symptomatik von „Wassersucht“ (ædrwy) gehört immer auch ein unbändiger Durst (daher stammt auch die deutsche Bezeichnung dieser Krankheit); vgl. z. B. Cassius Iatrosophista, Quaest. Med. 4 (Ideler I, 146): †pÑ tùn ≠drwpikùn d‡ya g‡netai, ka‡toi polloú toú ≠groú ≠pokeimfinou «bei den Wassersüchtigen entsteht Durst, auch wenn viel Flüssigkeit zur Verfügung steht»; Horaz, Carm. 2,2,13–16: Wassersucht (hydrops) … vertreibt nicht den Durst, wenn nicht die Ursache der Krankheit aus den Adern weicht und die wässrige Schlappheit aus dem bleichen Körper (aquosus albo corpore languor). – Braun*, Feasting, 30 ff macht darauf aufmerksam, dass die

501

14,3–4a

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Wassersucht verschiedentlich mit der Habgier verglichen wurde: vgl. Joh. Stobaeus, Anthol. III, 10,45 (III, 419,8–11 Wachsmuth / Hense): „Diogenes verglich die Habgierigen mit den Wassersüchtigen (D. Æmo‡ou toÜ“ filarg‚rou“ toõ“ ≠drwpikoõ“): dass jene, obwohl sie voll Flüssigem sind, Getränk verlangen (†pijumeõn potoú) und die Habgierigen, obwohl sie genug Geld haben, noch mehr verlangen (plflrei“ µnte“ ürgur‡ou †pijumeõn ple‡ono“)“; Gnomolog. Vatican. 434: „Plato hat gesagt, dass die Reichen und die mit ≠drwpiùsi“ Angefüllten ähnlich sind: Die einen dürsten, obwohl sie mit Wasser gefüllt sind, die anderen mit Gütern (o´ mÇn gÅr peplhsmfinoi ≠d›twn diyùsin, o´ dÇ crhm›twn)“; Polybius 13,2,2: „wie bei den Wassersüchtigen die Zufuhr von Flüssigkeiten von außen niemals ein Aufhören oder eine Stillung des Verlangens (†pijum‡a) bewirkt …, so ist es auch nicht möglich, das Verlangen nach mehr (tÉn prÖ“ tÖ pleõon †pijum‡an) zu stillen“; s. auch Bion bei Joh. Stobaeus, Anthol. IV, 33,31 (IV/2, 813,3 ff Wachsmuth / Hense); Ovid, Fasti 1,215 f sowie Hobart, Medical Language, 24; Braun*, Feasting, 34 ff. – Wenn man in Rechnung stellt, dass die Pharisäer in 16,14 als „habgierig“ (fil›rguro“) bezeichnet werden, kann man es mit Braun*, Feasting, 41 durchaus für denkbar halten, dass Lukas den Wassersüchtigen nicht absichtslos im Haus eines führenden Pharisäers auftreten lässt.

3–4a Einleitendes üpokrije‡“, mit dem nicht im eigentlichen Sinne ‚geantwortet‘, sondern lediglich auf eine bestimmte Situation ‚reagiert‘ wird, hat Lukas auch in 9,49; 13,14; 17,17; 22,51. Es ist aber auch möglich, dass er das parathreõn der Pharisäer (V. 1b) als unausgesprochene Anfrage verstanden wissen will und Jesu Frage darauf bezieht (s. auch 5,22; 7,40). – Die Frage, ob es am Sabbat erlaubt war (zum Gebrauch von ≤xestin in diesem Kontext s. bei 20,22) „zu heilen“, ist im Judentum niemals in dieser dualistischen Grundsätzlichkeit diskutiert worden (die Konjunktion ≥ ist „scharf disjungierend“ [B/D/R § 4461] und „trennt einander Ausschließendes“ [ebd. 1a]). Es kam vielmehr immer auf die Art der Krankheit an und vor allem darauf, ob Lebensgefahr bestand und um welche Handlungen es im Einzelnen ging (vgl. Bill. I, 623 ff). Nach mJoma 8,6 darf man einem unter Halsschmerzen Leidenden auch am Sabbat Medizin geben, „weil er in Lebensgefahr ist, und jede Lebensgefahr den Sabbat verdrängt“ (s. auch DtnR 10 zu Dtn 29,14: „Wenn ein Israelit an seinem Ohr Schmerzen hat, darf er es am Sabbat heilen? So haben die Weisen gelehrt: Lebensgefahr verdrängt den Sabbat, und wenn Ohrenschmerzen eine Gefahr sind, darf man am Sabbat heilen“). Hierbei handelt es sich jedoch um nachneutestamentliche Texte; für die ältere Zeit vgl. Doering, Schabbat, 448: „keine einzige nichtchristliche Quelle aus vortannaitischer Zeit (erwähnt) sabbatliches Heilen“. So pauschal, wie der lk Jesus die Frage formuliert (‚am Sabbat heilen: ja oder nein?‘), ist sie von jüdischen Voraussetzungen her unbeantwortbar. Es ist darum nicht erstaunlich, dass seine ‚Gesprächspartner‘ schweigen (4a). Auch dieser aus Mk 6,4 übernommene ‚Dialog‘ (vgl. Neirynck* 188 ff) hat die Funktion, die Haltlosigkeit der pharisäischen Vorbehalte gegen Jesus zu erweisen. 4b–c Von der Heilung erzählt Lukas kaum mehr als das Allernötigste (s. auch 9,42c–e): die heilende Handlung (†pilab·meno“), die Feststellung des Ergebnisses (¢›sato hat im NT nur Lukas: s. noch 9,42; 22,51; Apg 28,8) und die an 8,38 (diff. Mk 5,19; dieselbe Bedeutung auch in Apg 19,40) erinnernde Verabschiedung des Geheilten. 5 Die rhetorische Frage hat mit großer Wahrscheinlichkeit denselben Ursprung wie Mt 12,11, und inhaltlich argumentiert sie genauso wie die von Lk 13,15: Jedermann würde seinen Sohn oder sein Rind auch am Sabbat herausziehen, wenn sie ins Wasser gefallen sind. Die Einwände der Pharisäer gegen Jesu sabbatliche Heilungstätigkeit, die Lukas mit Hilfe des einleitenden parathro‚menoi a§t·n aus 6,7 aufgerufen hat, werden damit durch ihre eigene Sabbatpraxis widerlegt. 502

14,1–24: Zu Gast bei einem führenden Pharisäer

14,7–11

Mt 12,11 spricht von einem „Schaf “, das in eine Grube gefallen ist, und in Lk 13,15 geht es um das Losbinden von Rind und Esel. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie hier das Menschenkind (u´·“) an die Seite des Rinds geraten ist. Diese Inkohärenz wird in einigen Handschriften dadurch behoben, dass sie u´·“ (so P45.75 [A] B W M u. a.) durch µno“ (a K L Y u. a.) oder durch pr·baton (D) ersetzen. Hierbei handelt es sich jedoch um leicht zu durchschauende Versuche, die Lectio difficilior u´·“ zu erleichtern (sie ist außerdem besser bezeugt). Doering (Schabbat, 458 f) will das Problem so lösen: Ursprünglich sei im Aramäischen nur von einem „Lasttier“ (ar[b), das in eine „Zisterne“ (aryb) gefallen sei, die Rede gewesen. In einem Teil der „aramäischsprachigen mündlichen Überlieferung“ sei dieses Wortspiel dann um das ähnlich klingende arb („Sohn“) erweitert worden. Das ist nicht ganz unplausibel. Die argumentative Logik der rhetorischen Frage setzt freilich eine halachische Praxis voraus, die außerhalb des NT nirgendwo belegt ist: In Qumran ist das Heraufziehen der in eine Zisterne o. ä. gefallenen Haustiere ausdrücklich untersagt; vgl. CD 11,13 f: „Niemand leiste einem Vieh Geburtshilfe am Sabbattag. Und fällt es in eine Zisterne oder in eine Grube, soll man es nicht am Sabbat heraufholen“; 4Q265, Frgm. 6, 5–7: „Niemand hole ein Stück Vieh herauf, das gefallen ist ins Wasser am Tag des Sabbats“ (vgl. Doering, a. a. O., 193 ff.231 ff). Nach bShab 128b ist es höchstens erlaubt, dem Tier seine Selbstrettung zu ermöglichen (s. auch Bill. I, 629). Für Doering (a. a. O., 460) reflektiert das hier aufgenommene Diktum „eine erleichternde Praxis in (klein‑)bäuerlichem Milieu …, in dem man bereit ist, die Sabbatheiligung zugunsten der Abwendung wirtschaftlicher Einbußen zurückzustellen“.

6 Der Plural prÖ“ taúta bezieht sich nicht nur auf das von Jesus Gesagte, sondern schließt auch die heilende Handlung ein. Lukas macht auf diese Weise deutlich, dass es auch bei diesem Streitgespräch genauso wie in 5,17 – 6,11 nicht um die Diskussion eines Normenkonflikts ging, sondern um eine Demonstration der Überlegenheit Jesu über seine pharisäischen Kritiker (s. auch 20,26). 14,7–11: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt“, und umgekehrt 7Er

sagte aber zu den Eingeladenen ein Gleichnis, als er beobachtete, wie sie sich die besten Plätze aussuchten, und sprach zu ihnen: 8„Wenn du von einem zu einem Hochzeitsfest eingeladen wirst, leg dich nicht auf den be­ sten Platz, damit nicht – wenn ein Vornehmerer als du von ihm eingeladen wurde –, 9dein und sein Gastgeber kommt und zu dir sagt: ‚Mach diesem Platz!‘, du dich aber mit Beschämung auf den letzten Platz setzt. 10Sondern, wenn du eingeladen bist, geh und leg dich auf den letzten Platz, damit, wenn dein Gastgeber kommt, er zu dir sagt: ‚Freund, setz dich weiter nach oben!‘ Dann wirst du Ehre haben vor allen deinen Tischgenossen. 11Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Literatur: s. o. S. 499. – Außerdem: J.D.M. Derrett, Choosing the Lowest Seat: Lk 14,7–11, EstB 60 (2002) 147–168. – T. Noël, The Parable of the Wedding Guest, PRSt 16 (1989) 17–27.

Die Teilszene besteht aus einer narrativen Exposition (V. 7), einer zweiteiligen Mahnrede (V. 8–10), die sich an der Form der antithetischen Paränese orientiert, und einer verallgemeinernden Begründung (V. 11). V. 7–10 haben keine synoptische Parallele. V. 7 wird von den meisten Lukas zugeschrieben, während in Bezug auf V. 8–10 die Meinungen differieren: Hat Lukas diese Verse selbst formuliert (z. B. Braun*, Feasting, 47), stammen sie aus der christlichen Gemeinde (z. B. Bultmann, Geschichte, 108; Zeller, Mahnsprüche, 69), oder gehen sie auf Jesus zurück (z. B. Marshall)? – V. 11 hat eine nahezu

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14,7

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wörtlich identische Parallele in Lk 18,14 und eine deutlich erkennbare Entsprechung in Mt 23,12 (vgl. auch noch Mt 18,4; Jak 4,10; 1.Petr 5,6). Viele nehmen an, dass der Spruch in Q stand (z. B. Fitzmyer; CEQ; Fleddermann, Q, 718 ff), doch kann es sich auch um ein „Wanderlogion“ (Zeller, a. a. O., 68) gehandelt haben. Auffällig ist, dass es nicht nur hier, sondern auch in Lk 18,14 und Mt 23,12 in Verbindung mit der Kritik an den Pharisäern steht. In Codex D und einigen anderen Handschriften (F it sychmg) findet sich eine Parallele zu V. 8–10 im Anschluss an Mt 20,28. Sie ist als Rede an die Jünger konzipiert und hat auch eine andere Einleitung. Die dortige Formulierung ist inhaltlich identisch mit der lk Fassung, im Wortlaut unterscheidet sie sich jedoch vollständig von ihr. Es kann darum nicht ausgeschlossen werden, dass wir es hier mit einer eigenständigen Variante des Topos von der Tischordnung zu tun haben.

In 7 skizziert Lukas den Kontext der Rede Jesu: das Bemühen der Gäste, die besten Plätze an der Tafel zu bekommen. Das waren die Plätze in unmittelbarer Nähe des Gastgebers oder eines bedeutsamen Ehrengastes. Die Plazierung bei Tisch war ein wichtiger Statusindikator (vgl. J.H. d’Arms, The Roman convivium and the Idea of Equality, in: Sympotica, ed. O. Murray, Oxford 1990, 308–320; Plutarch, Brut. 34,8; Josephus, Ant. 12,210; 1Q28a 2,11–17), und das Streben nach den prestigeträchtigsten Plätzen ist ein Topos, der in der antiken Literatur weite Verbreitung gefunden hat: Vgl. Theophrast, Char. 21,1–2 über den mikrofil·timo“ («der Eitle») und dessen „Aussein auf Ehre“ (µrexi“ timö“): „Zu einem Essen eingeladen, strebt er danach, beim Essen neben dem, der ihn eingeladen hat, zu liegen“ (parû a§tÖn tÖn kalfisanta katake‡meno“); Plutarch, Mor. 149a–b und 615c–619a mit einem Gespräch darüber, ob der Gastgeber die Gäste plazieren, oder ob er sie sich ihre Plätze selbst aussuchen lassen soll; s. auch Martin, Symposion, 135 f; Braun*, Feasting, 45 f; Derrett* 153 f.

prwtoklis‡a gibt es mit dieser Bedeutung nur noch in Mk 12,39 par. Mt 23,6 par. Lk 20,46 (in 2.Makk 4,21 bezeichnet es so etwas wie eine Regierungsantrittsfeier). – Lukas kündigt die Mahnrede in V. 7a als parabolfl an, obwohl „besprochene Welt“ (V. 7b) und „fiktionale Welt“ (V. 8–10) isotop sind: Auf beiden Ebenen geht es um Fragen der Tischordnung, so dass hier die semantische Dissonanz fehlt, die allererst die metaphorische Spannung hervorbringt. Eine hermeneutische Öffnung, die eine Übertragung auf andere Kontexte ermöglicht, erfolgt erst in V. 11 (s. dort). 8–10 Der Inhalt dieses weisheitlichen Mahnworts entspricht Prov 25,6–7: „Prahle nicht vor dem König und stelle dich nicht an den Platz der Großen. Denn es ist besser, wenn man dir sagt: ‚Komm herauf zu mir!‘, als wenn man dich vor einem Großen erniedrigt“ (LXX: kreõsson g›r soi tÖ Øhjönai ün›baine pr·“ me À tapeinùsa‡ se †n pros„pw dun›stou); vgl. auch die späteren rabbinischen Parallelen ARN 25 (Bill. I, 916) und LevR 1 (105c) (Bill. II, 204). Die Form orientiert sich am Schema der antithetischen Paränese (vgl. dazu u. S. 683): Die apotreptische Weisung in V. 8–9 sagt, was man lassen soll, und die protreptische Weisung in V. 10, was man tun soll. Beide Weisungen sind mit einer Begründung versehen und weitgehend parallel aufgebaut: Sie beginnen jeweils (a) mit einer Beschreibung der Situation (Ωtan klhjÔö“; V. 8a / V. 10a); zur Form (Ωtan + 2.Pers. + Imperativ) vgl. Mt 6,2.5–6 (mit derselben antithetischen Struktur); 6,16; Mk 11,25 und häufig in ägyptischen Lebenslehren (vgl. in der Lehre des Ptah-hotep [Übers. Brunner, Altägyptische Weisheit, z.St.]: 5,76; 7,101; 8,121; 9,133; 11,147; 13,182 u. ö.). Im Anschluss daran folgen (b) die Weisungen (V. 8b.10b), die dann (c) durch einen Ausblick auf die jeweiligen Folgen der beiden Handlungsweisen – der zu vermeidenden (V. 8c–9c; Einleitung mit 504

14,1–24: Zu Gast bei einem führenden Pharisäer

14,11

mflpote) und der anzustrebenden (V. 10c–e; Einleitung mit ºna) – begründet werden. Auch die Beschreibung dieser Folgen ist parallel gestaltet: (a) Der Gastgeber „kommt“ (†lj„n/≤ljÔh) und „wird zu dir sagen“ (†reõ soi; V. 9a/10c), (b) das Zitat (V. 9b [zu dÖ“ to‚tw t·pon in diesem Sinne vgl. Epiktet, Diss. 4,1,106].10d) und (g) die jeweils mit t·te eingeleitete Feststellung der Resultate, die unter Rückgriff auf die antithetischen Begriffe „Beschämung“ (a¢sc‚nh) und „Ehre“ (d·xa) beschrieben werden. Hierauf läuft die gesamte Mahnrede zu: Sich an einer Tafel auf den besten Platz zu setzen, birgt die Gefahr eines sozialen Prestigeverlustes, während die Wahl des letzten Platzes nur zu Prestigegewinn führen kann. Die Begründung basiert also auf der Frage, aus welchem Verhalten sich der größere persönliche Vorteil ergibt; die Pragmatik des Arguments orientiert sich damit am Gesichtspunkt der individuellen Nützlichkeit. – Das Gegenüber von a¢sc‚nh und d·xa entstammt der hellenistischen Wertewelt und markiert nicht weniger als deren master paradigm (vgl. z. B. Demosthenes, Or. 19,146: üntÑ dÇ d·xh“ a¢sc‚nhn gegenösjai «anstelle von Ehre zu Schande geworden sein»; Dionysius v. Halicarnass, Rhet. 7,6 [Usener / Radermacher 291,15 f]; Plutarch, Mor. 7d; 822d). Einer Umkehrung dieses Wertgefüges wird freilich nicht das Wort geredet; es geht lediglich um die Frage, was dem Erwerb sozialer Anerkennung hinderlich und was ihm dienlich ist. 11 ist nicht die Anwendung, die die in V. 8–10 skizzierte Doppelszene zu einem Gleichnis machte, denn Lukas gebraucht als Verknüpfung nicht das in diesem Fall übliche korrelative oætw“ (vgl. Lk 15,7 par. Mt 18,14; Lk 12,21; 14,33; 15,10; 17,10; Mt 12,45; 13,40.49; 18,35; 20,16; Mk 13,29 parr. Mt 5,16), sondern das begründende Ωti, das hier wie auch in 18,14c das allgemeine Prinzip (pô“) nennt, das den Plot des jeweils zuvor erzählten Einzelfalls bestimmte (s. auch bei 19,26). Das hier zitierte Sprichwort, das möglicherweise aus Ez 21,31 übernommen ist (s. auch bei 1,52; außerdem: Braun*, Feasting, 47 f; York, Last, 79 f), fungiert also nicht als Bedeutungsempfänger, sondern als Bedeutungsspender: Mit seiner Hilfe wird erklärt, warum das katakl‡nein e¢“ tÉn prwtoklis‡an (V. 8b) eher „Beschämung“ zur Folge hat, während das ünap‡ptein e¢“ tÖn ≤scaton t·pon (V. 10b) eher „Ehre“ nach sich zieht. Ob die passivischen Verbformen als Passiva divina zum Ausdruck bringen wollen, dass das hier formulierte Prinzip „von Gott herrührt und sich erst eschatologisch voll auswirkt“ (Zeller, Mahnsprüche, 68 mit vielen anderen), ist nicht sicher, denn das Futur kann auch gnomisch sein (vgl. B/D/R § 349,1), wie das bei solchen Sentenzen häufig der Fall ist (vgl. die Sätze mit pô“ ¨ / p›nte“ o´ + Partizip + Verb. finitum im Passiv Futur im NT: Mt 7,26; Lk 20,18; Röm 10,11; 2.Tim 3,12 und in der LXX: Ex 29,37; 30,29; 31,14; Lev 6,11 u. ö.). Hinzu kommt noch, dass es nach V. 8–10 niemand anderer als der Gastgeber ist, der den sich selbst Erhöhenden herabsetzt (V. 9) und den sich selbst Herabsetzenden erhöht (V. 10c–e). – Darüber hinaus öffnet die Formulierung dieses Grundsatzes nun aber auch die beiden in V. 8–10 skizzierten Einzelszenen für die Übertragung in andere Kontexte und verleiht Jesu Mahnrede in der Tat den Charakter einer parabolfl. Am Beispiel einer fiktionalen Tischszene wird exemplarisch deutlich gemacht, was generell gilt: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt“, und umgekehrt; das Gottesverhältnis ist dabei selbstverständlich nicht ausgeschlossen.

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14,12–14

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

14,12–14: Die Aufhebung des Prinzips der symposialen Reziprozität 12Er

sagte aber auch zu dem, der ihn eingeladen hatte: „Wenn du ein Mit­ tag‑ oder ein Abendessen gibst, lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie nicht auch dich wieder einladen und du eine Gegenleistung bekommst. 13Sondern, wenn du ein Gastmahl veranstaltest, lade Arme, Behinderte, Lahme, Blinde ein. 14Dann wirst du selig sein, weil sie nichts haben, um es dir zurückzuer­ statten. Denn es wird dir bei der Auferstehung der Gerechten zurückerstattet werden.“ Literatur: s. o. S. 499. – Außerdem: C. Cavallin, „Bienheureux seras-tu … à la résurrection des justes“. Le macarisme de Lc 14,14, in: À cause de l’évangile, 531–546. – M. Gruenewald, A Rabbinic Parallel to Luke 14,12, in: Der Friede, 47–48.

Die Teilszene ist genauso aufgebaut wie V. 7–11, und auch diese Mahnrede orientiert sich an der Form der antithetischen Paränese (s. o. bei V. 8–10): V. 12c–e raten ab, V. 13b rät zu. Die Kohärenz wird durch die parallelen Einleitungen (V. 12b: Ωtan poiÔö“ ±riston À deõpnon; V. 13a: Ωtan docÉn poiÔö“), durch die formale Symmetrie der beiden Viererreihen V. 12c / V. 13b und durch den viermaligen Rückgriff auf das Präfix ünt(i) bei der Beschreibung der zu vermeidenden und der anzustrebenden Folgen des jeweiligen Verhaltens (V. 12d–e: üntikaleõn, üntap·doma; V. 14b–c: zweimal üntapodid·nai) hergestellt. – Inhaltlich handelt es sich um eine Variante zu Lk 6,27–35: Wie es dort um die Aufhebung des Prinzips der ethischen Reziprozität ging (vgl. vor allem bei V. 32–34), so wird hier das Prinzip der symposialen Reziprozität suspendiert. Kohärenzstiftendes Leitwort dort war c›ri“ („Gegenleistung“; V. 32.33.34); ihm entsprechen hier die genannten ünti-Komposita. Beide Begriffe können natürlich auch syntagmatisch miteinander verknüpft werden (üntapodid·nai c›rin; s. o. bei 6,32–34). 12 Als ±riston (s. auch 11,37) gilt die Mahlzeit am späten Vormittag oder am Mittag (vgl. JosAs 3,2; Joh 21,12.15), während das deõpnon die Hauptmahlzeit am späten Nachmittag oder am Abend ist (eine Diskussion über die Etymologie der beiden Begriffe findet sich bei Plutarch, Mor. 726c–d). – Die Reihe der in 12c Genannten bezeichnet diejenigen Personen, aus denen das unmittelbare soziale Umfeld eines Menschen besteht. Ähnliche Reihen in Lk 21,16 (goneõ“, üdelfo‡, suggeneõ“, f‡loi); Philo, Leg. All. 3,71 (f‡lo“, suggenfl“, üdelf·“); Diodorus Siculus 13,28,5 (üdelfo‡, suggeneõ“, f‡loi) lassen erkennen, dass „Freunde“, „Brüder“ (oder „Geschwister“; s. dazu bei 18,29–30) und „Verwandte“ eine gebräuchliche Zusammenstellung sind. Dass zu den „Nachbarn“ das spezifizierende Adjektiv „reich“ ergänzt ist, bringt zum Ausdruck, dass Lukas soziale Nähe hier ökonomisch definiert wissen will (vgl. demgegenüber 15,6.9: „Nachbarn“ neben „Freunden“ ohne Einschränkung). Im Hintergrund steht freilich nicht die in der antiken sympotischen Literatur verbreitete Forderung, nur solche Gäste einzuladen, die zueinander passen, damit das Gastmahl ein Erfolg wird (vgl. dazu Braun*, Feasting, 55 f). Die „Freunde“ und „Brüder“ etc. spielen hier nämlich nicht die Rolle von Essensgästen, sondern von potentiellen Gegeneinladern, und das heißt: Die Weisung bezieht sich auf die Interaktion zwischen Einladendem und Eingeladenen, in deren Rahmen die wechselseitigen Einladungen als Instrument 506

14,1–24: Zu Gast bei einem führenden Pharisäer

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zum Austausch (ünti‑) sozialer Anerkennung fungieren. Die von Braun*, ebd. genannten Texte sind darum nicht einschlägig. 12d–e beschreibt die zu vermeidende (mflpote) Folge dieser Praxis. Dass es sich dabei wie in V. 8c–9c um eine Unheilsfolge handelt, wird freilich nur mit Hilfe eines Umwegs über V. 14b–c und Lk 6,24b; 16,25b erkennbar (s. aber auch Zeller, Mahnsprüche, 70): Wer die in 12c genannten Leute einlädt, bekommt seine Belohnung dafür schon in dieser Welt und wird beim eschatischen Ausgleich von Tun und Ergehen, von dem in V. 14 die Rede ist, leer ausgehen, weil er als bereits abgefunden gilt. Die in 13 formulierte Forderung verlangt demgegenüber, nur solche Menschen zum Essen einzuladen, die nicht in der Lage sind, sich mit einer Gegeneinladung zu revanchieren und dem Adressaten soziale Anerkennung zukommen zu lassen. Der Ausdruck docÉn poieõn ist ein Septuagintismus, denn außer in Lk 5,29 ist er nur in der Septuaginta (Gen 21,8; 26,30; 1./3.Esr 3,1; Esth 1,3; 5,4.8; Dan 5,1Theod.) und sonst nirgends in der griechischen Literatur belegt. Mit leicht abgewandelter Abfolge begegnet dieselbe Reihe in V. 21 wieder. Die ptwco‡, cwlo‡ und tuflo‡ nennt Lukas auch in 7,22 (par. Mt 11,5) unter denjenigen, die durch Jesu Wirken von ihrem Leiden befreit werden (zur Semantik der Bezeichnung ptwco‡ s. bei 6,20). ün›peiroi und ün›phroi sind in ähnlichen Zusammenstellungen als Sammelbegriff für Menschen in Gebrauch, die heute als „Behinderte“ gelten; vgl. Plato, Krito 53a (o´ cwlo‡ te kaÑ tufloÑ kaÑ o´ ±lloi ün›phroi «die Lahmen und die Blinden und die anderen Behinderten»); s. auch Plutarch, Mor. 194c sowie das bei Diogenes Laertius 6,33 überlieferte Bonmot des Diogenes: ün›phroi sind „nicht die Tauben und Blinden (kwfoÑ kaÑ tuflo‡), sondern die Beutellosen (o´ mÉ ≤conte“ pflran)“. Nur zur Hälfte (es fehlt die apotreptische Seite) vergleichbar ist mAvot 1,5: „Dein Haus sei weit geöffnet; es seien Arme deine Hausgenossen“. 14 Der Makarismus beschreibt die Heilsfolge dieses Handelns und soll dadurch zu ihm motivieren (weisheitliche Parallelen bei Zeller, Mahnsprüche, 70). Inhaltlich setzt er voraus, dass der Zusammenhang von Tun und Ergehen reibungslos funktioniert, weil Gott ihn garantiert: Dieser ist das logische Subjekt von üntapodojflsetai, und er wird dafür sorgen, dass die gute Tat, die in diesem Leben unvergolten bleibt, eschatische Belohnung finden wird (von den bösen Taten gilt natürlich Entsprechendes). Die Nähe zu 6,32–35 macht deutlich, dass wir es hier mit einer interpretatio sympotica der dort erhobenen Forderung zu tun haben, sich in seinem sozialen Handeln nicht am Prinzip der Reziprozität zu orientieren. Auch hier wird der „Lohn“ für ein solches Handeln (misj·“) von Gott erwartet (6,35c). Eine sozialgeschichtliche Interpretation von V. 12–14 (vgl. Rohrbaugh* 146 f) stellt den Makarismus in das Licht der Sentenz von V. 11: Sie kann die Einladung der Armen und Behinderten (V. 13) anstelle der in V. 12 Genannten als eine gesellschaftliche ‚Selbsterniedrigung‘ wahrnehmen, die Gott „bei der Auferstehung der Gerechten“ (s. dazu bei 20,34–35) mit ‚Erhöhung‘ vergelten wird (s. auch Tannehill* 1615). 14,15–24: Das Gleichnis von der zurückgewiesenen Einladung 15Als

das aber einer, der mit zu Tische lag, hörte, sagte er zu ihm: „Selig (ist), wer im Reich Gottes essen wird!“ 16Er sagte aber zu ihm: „Ein Mensch wollte ein großes Festmahl veranstalten und lud viele ein. 17Und zur Stunde 507

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des Festmahls schickte er seinen Sklaven aus, um den Eingeladenen sagen zu lassen: ‚Kommt, denn es ist jetzt bereit!‘ 18Und einhellig fingen alle an, sich zu entschuldigen. Der erste sagte zu ihm: ‚Ich habe einen Acker gekauft und muss unbedingt hinausgehen, um ihn anzuschauen. Ich bitte dich, betrachte mich als entschuldigt.‘ 19Und ein anderer sagte: ‚Ich habe fünf Paar Ochsen gekauft und bin gerade auf dem Weg, um sie zu prüfen. Ich bitte dich, be­ trachte mich als entschuldigt.‘ 20Und ein anderer sagte: ‚Ich habe eine Frau geheiratet, und darum kann ich nicht kommen.‘ 21Und als der Sklave wieder­ kam, berichtete er dies seinem Herrn. Daraufhin wurde der Hausherr zornig und sagte zu seinem Sklaven: ‚Geh schnell hinaus auf die Straßen und in die Gassen der Stadt und bring die Armen und Behinderten und Blinden und Lahmen hierher!‘ 22Und der Sklave sagte: ‚Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast, und es gibt noch Platz.‘ 23Und der Herr sagte zum Sklaven: ‚Geh hinaus zu den Wegen und Zäunen und dränge (sie) hereinzukommen, damit mein Haus voll wird; 24denn ich sage euch: Keiner von den einge­ ladenen Männern wird von meinem Mahl essen‘.“ Literatur: s. o. S. 499. – Außerdem: P.H. Ballard, Reasons for Refusing the Great Supper, JThS NS 23 (1972) 341–350. – D. Dormeyer, Literarische und theologische Analyse der Parabel Lukas 14,15–24, BiLe 15 (1974) 206–219. – F. Hahn, Das Gleichnis von der Einladung zum Festmahl, in: Verborum Veritas, 51–82. – R. Hoppe, Das Gastmahlgleichnis Jesu (Mt 22,1–10 / Lk 14,16– 24) und seine vorevangelische Traditionsgeschichte, in: Von Jesus zum Christus, 277–293. – Ders., Tischgespräche und Nachfolgebedingungen, in: „Licht zur Erleuchtung der Heiden …“, 115–130. – Jülicher, Gleichnisreden, 407–433. – E. Linnemann, Überlegungen zur Parabel vom großen Abendmahl, ZNW 51 (1960) 246–255. – H. Palmer, Just Married, Cannot Come, NT 18 (1976) 241–257. – J.A. Sanders, The Ethic of Election in Luke’s Great Banquet Parable, in: Essays in Old Testament Ethics, 245–271. – L. Schottroff, Das Gleichnis vom großen Gastmahl in der Logienquelle, EvTh 47 (1987) 192–211. – K. Snodgrass, Common Life with Jesus. The Parable of the Banquet in Luke 14:16–24, in: Common Life in the Early Church, 186–201. – A. Vögtle, Die Einladung zum großen Gastmahl und zum königlichen Hochzeitsmahl, in: ders., Das Evangelium und die Evangelien, 171–218. – Ders., Gott und seine Gäste (BThSt 29), Neukirchen-Vluyn 1996. – E.R. Wendland, ‚Blessed is the man who will eat at the feast in the kingdom of God‘ (Lk 14:15), Neotest. 31 (1997) 159–194.

Die letzte Teilszene besteht aus einer einleitenden szenischen Exposition (V. 15) und der Wiedergabe einer Erzählung Jesu (V. 16–24). Jülicher* hatte sie als eine „halballegorische Erzählung“ bezeichnet (418), bei der die Sache das Bild überlagert und dadurch allerlei erzählerische Merkwürdigkeiten erzeugt: Dass tatsächlich „alle“ (V. 18) der Eingeladenen sich entschuldigen lassen, ist ganz unwahrscheinlich bzw. ein sehr extravaganter Erzählzug (vgl. Jülicher* 412 f). Auch dass der Hausherr denkt, dass die Gäste, die seine Einladung ursprünglich abgelehnt haben, später dann doch noch kommen wollen (V. 24), wäre als Pointe unverständlich, wenn man nicht in Rechnung stellt, dass eigentlich eine ganz andere Geschichte erzählt wird. Die letztgenannte Inkohärenz findet eine deutliche Entsprechung in 13,24–30 (s. auch schon Jülicher* 416), und so macht dann auch die Wiederaufnahme des Themas von 13,29 in V. 15 deutlich, dass in V. 16–24 in Wirklichkeit die Geschichte von Gottes Einladung zum eschatischen Heilsmahl erzählt wird. Es ist umstritten, ob Lukas auch die drei Gästegruppen allegorisch verschlüsselt hat. Verbreitet ist vor allem die sog. ‚heilsgeschichtliche‘ Interpretation, die mit den 508

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Erstgeladenen „die anerkannten ‚Frommen‘ in Israel“, mit den Zweitgeladenen „die Sündenkranken 5,31 f., denen Jesus sich so freundlich gewidmet hat“, und mit den Drittgeladenen „die Heiden“ bezeichnet sieht (alle Zitate bei Jülicher* 416 f; s. auch Vögtle*, Gott und seine Gäste, 33 ff, der diese Interpretation dann aber modifiziert: „die sich der Jesus‑ und Christusbotschaft verweigernden Israeliten“ / „die bisherige Heidenmission“ / die „weitergehende Heidenmission“; ebd. 37). Andere Deutungen vertreten u. a. Hahn* 70 ff; Dormeyer*; Schottroff*; Snodgrass*. – Ein Stück weiter hilft die Frage nach der Figurenkonstellation: Im Unterschied zu vielen anderen Gleichnissen (s. bei 7,41–42a) konstruiert diese Erzählung kein dramatisches Dreieck (gegen Harnisch, Gleichniserzählungen, 245), denn von den Zweit‑ und Drittgeladenen wird keine Reaktion erzählt, die sie allererst zum Gegenzwilling für die Erstgeladenen machte. Außerdem kommen sie nirgendwo als selbständige Erzählfiguren vor, sondern sind nur in der Rede des Gastgebers präsent (V. 21c–d.23b–c). Und schließlich ist noch zu beachten, dass die Erzählung nach der Absage der Erstgeladenen szenisch immer nur beim Gastgeber verweilt. Es bleibt unerzählt, was aus dem in V. 21 erteilten Auftrag wird (zwischen V. 21 und V. 22 klafft darum ein narratives Loch), und die Erzählung bricht nach der Erteilung des Schlussauftrags in V. 23 f ab. Wir haben es also mit einer binären Figurenkonstellation zu tun: Als Interakteure sind auf der Erzählebene nur der Gastgeber und die Erstgeladenen präsent. Der Sklave spielt die Rolle des Statisten: Weil beide Erzählfiguren sich nicht begegnen, muss er die Kommunikation zwischen ihnen vermitteln. Die zweite und die dritte Einladung sollen die Reaktion (sc. den „Zorn“; V. 21) des Gastgebers über die Zurückweisung seiner Einladung durch die Erstgeladenen illustrieren. Für diese Sicht der Dinge spricht auch, dass in V. 24 mit †ke‡nwn tùn keklhmfinwn (V. 24) auf toõ“ keklhmfinoi“ (V. 17) zurückverwiesen und dadurch eine schöne Inklusion hergestellt wird. Die Zweit‑ und die Drittgeladenen fungieren also nicht als allegorisches Symbol für bestimmte Gruppen, sondern ihre Einladung illustriert die Reaktion des Gastgebers auf das Verhalten der Erstgeladenen (s. auch Snodgrass* 198 f; Schottroff* 204: sie haben „nur die negative Funktion, den eigentlich Geladenen die Plätze wegzunehmen“). – Und die Erstgeladenen – verweisen wenigstens sie auf eine bestimmte Gruppe? Sanders* und Snodgrass* bringen den mit kaleõn verbundenen Erwählungsgedanken ins Spiel und sehen mit den keklhmfinoi „many in Israel, and especially the leaders“ bezeichnet (Snodgrass* 197). Dagegen spricht, dass wirklich „alle“ (p›nte“) die Einladung ablehnen. Es stellt sich darum die Frage, ob die Erstgeladenen überhaupt eine bestimmte Gruppe repräsentieren, die es auch unabhängig von ihrer Einladung gibt. Es spricht vielmehr einiges dafür, dass keklhmfinoi eng zu fassen ist (s. u. bei V. 16.17) und einfach nur diejenigen bezeichnet, die Jesu „Einladung“ zum eschatischen Festmahl keine Folge leisten (s. auch ­Schottroff* 199). Darum werden sie auch nur durch die Tatsache ihres Eingeladen-Seins definiert und nicht durch ein weiteres Appellativum charakterisiert (V. 16). Mit der Feststellung in V. 24 wird natürlich nicht Israel vom Heil ausgeschlossen, sondern nur die Gruppe derjenigen, die Jesu „Einladung“ abgelehnt haben. Das Gleichnis hat eine Variante in Mt 22,1–10. Beide Erzählungen basieren auf ein und demselben Plot, doch haben sie nur sehr wenige Formulierungen gemeinsam. In der Literatur ist darum umstritten, ob Lukas und Matthäus das Gleichnis in Q vorgefunden haben (so die Mehrheit) oder ob wir es mit zwei überlieferungsgeschichtlich selbständigen Fassungen ein und desselben Jesusgleichnisses zu tun haben (so z. B. Linnemann* 247; Ernst; Weiser, Knechtsgleichnisse, 59 f). – Ein wei-

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14,15

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teres Seitenstück gibt es in EvThom 64, das vor allem in der Formulierung der Entschuldigungen enge Berührungen mit der lk Fassung aufweist. Wie in Lk 14,17 (und anders als in der mt Fassung) wird zudem nur ein Sklave nur einmal ausgesandt; außerdem endet das Gleichnis in Lk 14,24 und in EvThom 64,12 mit der Feststellung, dass die Erstgeladenen, die abgesagt haben, nunmehr definitiv ausgeschlossen sind. Gegen Lukas stimmt EvThom 64 mit der mt Fassung darin überein, dass es nicht zwei, sondern nur eine Gruppe von Nacheingeladenen gibt. Da nichts dafür spricht, dass EvThom 64 von Lk 14,15–24 literarisch abhängig ist, ist es wahrscheinlich, dass der Plot der lk Fassung ein älteres Überlieferungsstadium wiedergibt als Mt 22,1–10.

15 Dass Lukas eine Seligpreisung aus dem Publikum zum Anlass für ein Diktum Jesu werden lässt, war bereits in 11,27 f zu beobachten. Ihr Inhalt ist trivial, denn dass diejenigen, die des eschatischen Heils teilhaftig werden, selig zu preisen sind, ist eigentlich nicht der Rede wert („Brot essen“ nimmt die Formulierung aus V. 1 wieder auf; Weiteres s. dort). Lukas verwendet den Ausruf aber nicht nur, um der folgenden Erzählung einen Anlass zu geben, sondern er teilt seinen Lesern auf diese Weise auch mit, wie sie das folgende Gleichnis verstehen sollen. Die Seligpreisung fungiert also als hermeneutische Rezeptionsanweisung für die folgende Erzählung, und der Rückverweis auf 13,29 („sich zum Essen niederlassen im Reich Gottes“) in 15b („im Reich Gottes essen“) macht deutlich, dass es auch bei dem Festmahl, von dem ab V. 16 die Rede sein wird, um das eschatische Heilsmahl geht. Darüber hinaus wird aber auch das gesamte Gleichnis in das intertextuelle Licht von 13,23–30 gestellt (s. auch Wendland* 167 f). 16 Der Handlungssouverän der Erzählung ist zunächst nur „ein Mensch“ (zum typisch lk Gleichnisanfang mit ±njrwp·“ ti“ s. bei 10,30). Später nennt ihn der Erzähler ¨ o¢kodesp·th“ (V. 21b) und ¨ k‚rio“ (V. 23a). Auch dadurch wird er auf Gott hin transparent. Als ±njrwp·“ ti“ begegnet Gott auch in anderen Gleichnisanfängen (15,11; 20,9). Der erzählte Jesus gestaltet die Exposition seiner Geschichte in idiomatisch einwandfreiem Griechisch; vgl. Diphilus Comic., Frgm. 61 (Kock) (Ωtan me kalfisÔh plo‚sio“ deõpnon poiùn «wenn mich ein Reicher einlädt, der ein Festmahl veranstaltet»); Josephus, Ant. 7,352 (lamprÖn … a§tÖn poiflsanta deõpnon keklhkfinai toÜ“ u´oÜ“ a§toú p›nta“ «er [sc. Adonia] habe ein glanzvolles … Festmahl gegeben und alle seine [Davids] Söhne eingeladen»); JosAs 21,8 (Pharao †po‡hse … deõpnon mfiga … kaÑ sunek›lese p›nta“ toÜ“ ±rconta“ gö“ A¢g‚ptou «gab … ein großes Festmahl … und lud alle Herrscher Ägyptens ein»); s. auch Herodot 9,15; Polybius 31,13,5; Dan 5,1Theod. und JosAs 20,1 (jeweils deõpnon mfiga poieõn); TestNaph 1,2; Mk 6,21; Joh 12,2. Der punktuelle Aorist †k›lesen ist Bestandteil des Vorgangs, der mit dem durativen Imperfekt †po‡ei bezeichnet wird. Das Festmahl ist „groß“, weil „viele“ zu ihm eingeladen werden (s. auch Jülicher* 409). 17 Die Praxis, die Gäste eines Festmahls zunächst einzuladen und dann unmittelbar vor Beginn zum Kommen aufzufordern, hat auch in anderen Texten Spuren hinterlassen. Apuleius schildert in Metamorph. 3,12,2–3 eine Szene, die nicht nur die Existenz dieser Einladungspraxis bezeugt, sondern auch eine zumindest partiell analoge Fortsetzung hat, was bisher durchweg übersehen wurde: Ein famulus kommt zum Erzähler und sagt: „’Deine Tante … convivii, cui te sero desponderas, iam adpropinquantis admonet‘ «erinnert dich daran, dass (der Beginn) des Festmahls, zu dem zu kommen du gestern versprochen hast, herbeigekommen ist». Darauf antwortete ich voller Schrecken …: ‚Wie gerne wollte ich deinen Aufforderungen nachkommen, wenn es mir das Gewissen zu tun erlaubte. Mein Gastgeber Milo hat mich nämlich … beschworen und bewirkt,

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14,1–24: Zu Gast bei einem führenden Pharisäer

14,18a

dass ich mich verpflichtet habe, heute bei ihm zu essen. … Darum sollten wir den Termin des Essens verschieben‘ (prohinc epulare vadimonium differamus)“. – S. auch Esth 5,8 / 6,14; Philo, Opif. M. 78 („die Gastgeber rufen nicht eher zum Essen [o§ pr·teron †pÑ deõpnon kaloúsin], als wenn alles zur Mahlzeit Erforderliche wohlvorbereitet ist“); Lukian v. Samosata, Merc.Conduct. 14 hat offenbar einen Vorgang im Blick, wie er in 17b beschrieben ist (ein Haussklave kommt herbei und fordert dazu auf, … zum Essen zu kommen [paraggfillwn … ªkein †pÑ tÖ deõpnon]); bei Terenz, Heaut. 168–170 übernimmt der Gastgeber selbst diese Aufgabe: sed, ut diei tempus est, tempust monere me hunc vicinum Phaniam ad cenam ut veniat; ibo, visam si domist «doch, in Anbetracht der Tageszeit ist es an der Zeit, dass ich diesen Nachbarn Phania auffordere, zum Essen zu kommen; ich werde gehen, um zu sehen, ob er zuhause ist». Auch in Prov 9,2–3LXX dürfte diese Praxis im Hintergrund stehen: „(Frau Weisheit) hat das Schlachtvieh geschlachtet, ihren Wein im Kelch gemischt und ihre Tafel vorbereitet. Sie hat ihre Sklaven geschickt und ruft zusammen … zum Becher“.

Trotz Hebr 9,15 kann o´ keklhmfinoi nach V. 16 (s. auch V. 7.8) nur „die Eingeladenen“ heißen (s. auch 1.Sam 9,22; Josephus, Ant. 6,48.52; 7,350.360; Apk 19,9), ohne dass ein Bezug auf Israels Erwählungsglauben mitschwingt (gegen Sanders*; Snodgrass* 196 f). In der Septuaginta hat es nur mit oder als Attribut erwählungstheologische Bedeutung; vgl. Jes 48,1 (Haus Jakob, o´ keklhmfinoi tù £n·mati ûIsrafll); Sir 36,11 (laÖ“ keklhmfino“). – ≥dh ∫toim› †stin (vgl. Lukian v. Samosata, Tyrannic. 6) interagiert vielleicht mit V. 15 und der besprochenen Welt (s. auch Marshall): Wie in 13,24 geht es darum, jetzt – d. h. in der Zeit des Auftretens Jesu – der Einladung zum eschatischen Heilsmahl Folge zu leisten. Das macht den Sklaven der Erzählung noch nicht zum allegorischen Symbol für Jesus, doch wird Jesu Verkündigung dadurch die Qualität zugeschrieben, diese Aufforderung zu Gehör zu bringen. Auf der Sachebene ginge es dann darum, den soteriologischen Charakter der Verkündigung Jesu zu erkennen. 18–20 Dass alle Eingeladenen dem Festmahl fernbleiben und dafür Entschuldigungsgründe vorbringen, ist ein recht extravaganter Erzählzug. Die drei in V. 18b–20 vorgebrachten Entschuldigungen gelten exemplarisch für alle (zum Erzählprinzip der Regeldetri s. bei 10,30–35). Dass Lukas sie für faule Ausreden hält, ist dem Text nicht zu entnehmen. Wohl aber ist deutlich, dass er die Reaktion von mindestens wohlhabenden Menschen beschreibt (vgl. vor allem Braun*, Feasting, 74 ff), die auf derselben sozialen und wirtschaftlichen Stufe stehen wie der Gastgeber, der immerhin in der Lage ist, für „viele“ ein Festmahl zu veranstalten (V. 16; s. auch V. 12). Andererseits ist aber auch nicht erkennbar, dass Lukas ihr ökonomisches Engagement als solches kritisiert. Ihr Fehler ist vielmehr, dass sie die Prioritäten an der falschen Stelle gesetzt und die Bedeutung der Aufforderung, zum bereitstehenden Festmahl zu kommen, verkannt haben. Mit Dtn 20,5–7; 24,5 haben die Entschuldigungsgründe nichts zu tun (gegen Evans; Ballard*; Sanders* 256 f u. a.; auch als Witz [so Palmer*] ist dieser Bezug nicht zu retten; zur Kritik s. auch Snodgrass* 191 f). Ein Festmahl ist schließlich nicht so gefährlich wie ein Krieg. üpÖ miô“ in 18a ist gängiges griechisches Idiom, das hier freilich elliptisch gebraucht ist (vgl. Bauer, Wörterbuch, s. v. üp· VI; B/D/R § 2419; Zahn 549 Anm. 43); als Ergänzung werden gn„mh“, ¨rmö“, gl„ssh“ oder fwnö“ vorgeschlagen. Wie hier verbindet sich üpÖ miô“ auch anderswo mit p›nte“ und macht dann deutlich, dass eine große Zahl von Menschen überraschenderweise ein und dasselbe tut (z. B. Philo, Decal. 153; Thucydides, 7,71,6 = Dionysius v. Halicarnass, Thuc. 26; Plutarch, Dion 27,5; Cassius Dio 58,10,7). 511

14,18d

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Die beiden gleichlautenden Bitten um Entschuldigung in 18d und 19c haben eine schöne sprachliche Parallele bei Martial, Epigr. 2,79: „Du lädst mich nur ein, wenn du weißt, Nasica, dass ich (Gäste) gerufen habe. Ich bitte dich, mich als entschuldigt zu betrachten (excusatum habeas me rogo). Ich esse daheim“. Ob sie aber ausreicht, die Formulierung für einen Latinismus zu halten (Fitzmyer), ist fraglich, denn sonst ist sie nicht belegt (außerdem ist ≤cein tin› ti im Sinne von „halten für, ansehen als“ gutes Griechisch; vgl. Bauer, Wörterbuch, s. v. ≤cw I.5). Die in 20 formulierte Begründung hat die Phantasie der Interpreten intensiv beschäftigt; vgl. einerseits Marshall 589 („No doubt the banquet would last into the night, and the newly-wed bridegroom felt under obligation to sleep with his wife. The importance of begetting a child may be the dominant factor“; oder gar: „Was the man under his wife’s thumb?“) und andererseits Braun*, Feasting, 78 („The Lukan newly-wed is taking over a woman; he is closing a deal not unlike the men who are finalizing purchases of land and plough animals“). Noch einmal anders van Tilborg, Meaning, 805 f: gameõn bezeichne den sexuellen Verkehr (Näheres bei 17,27), und die Antwort wolle dementsprechend besagen, dass der Eingeladene erst noch ein Reinigungsbad nehmen müsse und es dann für seine Teilnahme am Fest zu spät sei. Vermutlich hat Lukas diese Frage nicht ohne Grund offen‑ und der Imagination seiner Leser übergelassen. 21 Die Exposition des zweiten Teils ist typisch lk formuliert, denn paragen·meno“/ paragen·menoi + Verbum finitum gibt es im NT nur bei Lukas (7,4.20; Apg 5,21.22.25; 9,26; 11,23; 14,27; 15,4; 17,10; 18,27; 23,16; 24,24; 28,21; s. auch 25,7); außerhalb des NT ist dieser Sprachgebrauch weitverbreitet (wie hier mit folgendem ünflggeilen / ünflggeilan auch Apg 5,25; 23,16; 28,21; Gen 14,13; 26,23; Josephus, Ant. 12,171; 13,18; Plutarch, Mor. 241c; Joh. Stobaeus, Anthol. III, 39,33 [III, 730,12 ff Wachsmuth / Hense]; s. auch 1.Makk 4,26; Apg 14,27). – Die Reaktion des Hausherrn ist überraschend, denn dass er auf eine solche Brüskierung damit reagiert, dass er nun die sozial Marginalisierten von der Straße hereinholen lässt (als Wortpaar gibt es plateõai kaÑ Ø‚mai nur noch in Jes 15,3 [und sonst nirgends; jedenfalls nach TLG #E]), geht über das hinaus, was die Leser auf Grund ihrer kulturellen Enzyklopädie erwarten können. Das Verb e¢s›gein, bei dem es sich um einen Lukanismus handelt (9 von 11 ntl Belegen stehen im lk Doppelwerk), signalisiert nicht so sehr den Bruch des Hausherrn mit den gesellschaftlichen Konventionen (gegen Green), sondern trägt der erzählten Situation Rechnung, denn immerhin ist „alles schon bereit“ (V. 17); darum soll der Sklave sich auch beeilen (tacfiw“; 21c). – Die Aufzählung der Menschen, die der Sklave holen soll, wiederholt den Katalog von V. 13 in unwesentlich veränderter Reihenfolge und ruft damit auch das in V. 14 genannte Merkmal dieser Gruppe auf: Es sind solche, die nicht in der Lage sind, die Einladung mit einer Gegeneinladung zu beantworten. In beiden Fällen werden „die Armen“ an erster Stelle genannt. Es spricht darum einiges dafür, dass dieser Bezeichnung hier wie auch in 6,20 f die Leitfunktion zukommt und sie durch die nachfolgenden Begriffe konkretisiert wird. Durch die Rezeptionsanweisung von V. 15 ist sichergestellt, dass auf der Sachebene nicht eine Identifikation mit den Heiden intendiert ist, sondern mit denjenigen, die nach 13,29 aus allen Himmelsrichtungen kommen werden, um im Reich Gottes zu speisen. Auf dieser Ebene fällt das Gegenüber dieser Gruppe zu den Erstgeladenen damit mit dem Gegenüber der Mahlteilnehmer von 13,29 zu den †kball·menoi ≤xw von 13,28 zusammen. 512

14,1–24: Zu Gast bei einem führenden Pharisäer

14,24

22 Die Erzählung macht einen Sprung, denn es wird nicht erzählt, dass und wie der Auftrag ausgeführt wird. Sie setzt erst wieder ein, nachdem die Handlung abgeschlossen und der Sklave wieder zu seinem Herrn zurückgekehrt ist, um Vollzug zu melden. Die szenische Konzentration auf den Hausherrn (sc. Gott) macht deutlich, dass es der Erzählung ausschließlich darum geht, seine Reaktion auf die Absage der Erstgeladenen zu illustrieren. In den Dienst dieser Intention wird auch die Feststellung des Sklaven gestellt, dass es „noch Platz gibt“ (22c). Auch hierbei handelt es sich um einen extravaganten Erzählzug, der das kulturelle Wissen der fiktiven Hörer bzw. der intendierten Leser arg strapaziert: Jedermann weiß, dass es mehr „Arme, Behinderte, Blinde und Lahme“ auf den „Straßen und Gassen der Stadt“ gibt als solche Menschen, die ein Angehöriger der städtischen Oberschicht üblicherweise zu einem privaten Festmahl einlädt, auch wenn dieses Festmahl „groß“ ist und „viele“ eingeladen werden (V. 16). Demgegenüber suggeriert die Bemerkung des Sklaven, dass das Zahlenverhältnis umgekehrt ist. Diese Inkonsistenz wird aber in Kauf genommen, weil der Erzähler einen weiteren narrativen Knotenpunkt mit mehreren Optionen für die Fortsetzung des Handlungsablaufs erzeugen will, um die Erzählung noch ein Stück weiterführen zu können. Von welcher Intention diese Öffnung der Erzählung geleitet ist, macht die Fortsetzung in V. 23–24 mit hinreichender Klarheit deutlich: 23 Aus der Anweisung in V. 21 werden der Imperativ ≤xelje und die Präposition e¢“ wiederholt. Als Ziel werden „die Straßen und Gassen der Stadt“ (V. 21c) durch „die Wege und Zäune“ ersetzt (¨doÑ kaÑ fragmo‡; eine Kombination, die sonst nirgends belegt ist). Wahrscheinlich wird der Sklave damit vor die Stadt geschickt, denn mit fragmo‡ werden „die Umfriedungen von Weinbergen … oder Gärten“ gemeint sein, die sich natürlich außerhalb der Städte befinden (W. Michaelis, ThWNT 5,69,5 f mit Verweis auf Mk 12,1 par. Mt 21,33). Außerdem steht an der Stelle der Aufforderung e¢s›gage óde (V. 21c) nunmehr ün›gkason e¢seljeõn. Dass der Satz grammatisch unvollständig ist, weil das Objekt zu ünagk›zein fehlt (s. auch 1./3.Esr 3,24; 1.Makk 2,25), ist als Ellipse üpÖ koinoú zu erklären: Die ausgefallenen Wörter „können leicht aus dem Vorhergehenden oder Folgenden entnommen oder ergänzt werden“ (B/D/R § 479,1), und das wären hier „die Armen und Behinderten und Blinden und Lahmen“ aus V. 21c (der Vorschlag von S. Kreuzer, ZNW 76 [1985] 125, den Sklaven als elliptisches Objekt von ün›gkason anzusehen, ist aus sprachlichen Gründen unmöglich). Nicht nur von innerhalb der Stadt, sondern auch von außerhalb sollen die sozialen Randgruppen herbeigeholt werden. Dass auf der Sachebene nunmehr die Heidenmission im Blick ist, ist beim besten Willen nicht zu erkennen. Trotzdem ist auf dieser Ebene von denselben Menschen die Rede, die nach 13,29 aus allen Himmelsrichtungen kommen, um am eschatischen Festmahl teilzunehmen. Für den Austausch der Mahlteilnehmer gilt darum auch die in 13,30 formulierte Ankündigung: ‚Letzte werden Erste sein, und Erste werden Letzte sein‘. In 23c wird die Herbeiholung auch der Armen etc. von außerhalb der Stadt mit einer Begründung versehen, die in 24 weitergeführt wird: Das Haus des Gastgebers soll voll werden – jedoch nicht, weil unbelegt gebliebene Ess-Sofas auf die Stimmung drücken o. ä., sondern um der Erstgeladenen willen. Jeder Gedanke daran, dass sie vielleicht doch noch eine Möglichkeit zur Teilnahme am Festmahl haben könnten, wird a limine ausgeschlossen. An dieser kaskadierenden Begründungskette wird zudem erkennbar, dass auch die Herbeiholung der dritten Gruppe nur die Funktion 513

14,25 – 18,34

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

hat, den Erstgeladenen die Plätze wegzunehmen. Mit o§deÑ“ tùn ündrùn †ke‡nwn tùn keklhmfinwn wird auf sie darum noch einmal ausdrücklich Bezug genommen. Die im Gleichnis verhandelte Frage lautet mithin: „Welche Folgen hat die Abweisung der Einladung?“ Aus den eingangs genannten Gründen ist die in 24b formulierte Schlussfolgerung nur auf der Sachebene plausibel. In V. 24 werden die beiden Ebenen dadurch miteinander verschmolzen, dass das Ich des erzählten Erzählers Jesus und das Ich Gottes als des Mahlveranstalters aufeinander projiziert werden. Wie in 11,8; 12,37d.44 wird auch hier die erzählte Situation durch lfigw ≠mõn (Ωti) in die Situation der Erzählung eingelesen (24a). Hier spricht also Jesus seine Zuhörer (≠mõn) an. In 24b nennt er das erzählte Festmahl jedoch „mein Mahl“ (moú tÖ deõpnon) und überträgt damit das erzählte Geschehen in die Welt der erzählten Hörer. Diese werden damit zu denjenigen, die sich in der rhetorischen Situation von V. 17b befinden und denen das Gleichnis vor Augen führt, was geschehen wird, wenn sie Jesu Einladung zum eschatischen Heilsmahl nicht Folge leisten. Jülicher* 417 hat darum mit Recht festgestellt: „Man übersehe nicht, dass das o§deÑ“ … ge‚setai den Kern der Parabel formuliert“. 14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs Mit 14,25 beginnt ein Abschnitt, der bis 18,30 reicht. Die Kohärenz dieses Teils der lk Jesusdarstellung wird dadurch hergestellt, dass die beiden Rahmenstücke aufeinander verweisen und damit eine deutliche Inklusion bilden: Am Anfang steht Jesu Rede über die Bedingungen der Jüngerschaft (14,25–35), und am Ende stellt Petrus für alle Jünger fest, dass sie diese Bedingungen erfüllt haben. Jesus reagiert darauf mit einer generalisierenden (o§de‡“ †stin) Verheißung für all diejenigen, die sie in gleicher Weise erfüllen (18,28–30). Mit 18,31–34 folgt dann noch mit der zweiten Leidens‑ und Auferstehungsankündigung ein Abschnitt, der den Jüngern erstmals eröffnet, dass Jesus auf dem Weg nach Jerusalem ist und was ihn dort erwartet. Er ist in demselben Irgendwo angesiedelt wie die voranstehenden Abschnitte und gehört damit noch zu diesem Teil der ‚Reiseerzählung‘. Erst mit V. 35 macht Lukas einen Sprung in der Erzählung. Die Binnengliederung markiert Lukas dadurch, dass sich die Adressaten von Jesu Reden in planvoller Weise abwechseln: Eröffnet wird der Abschnitt in 14,25–35 durch eine Rede an die Öffentlichkeit (µcloi pollo‡; V. 25), in der Jesus prospektiv (vgl. vor allem V. 28–32) die Bedingungen nennt, die jeder erfüllen muss, der sein Jünger werden will (V. 26.27.33). Danach verschwindet die Volksmenge (µclo“) aus der Erzählung und kehrt erst in 18,36 wieder zurück. Zwischendrin ist der von Lukas immer wieder inszenierte Wechsel der Hörerschaft an den in der Eingangsrede formulierten Bedingungen orientiert: In schöner Regelmäßigkeit wechseln sich Adressaten, die die Bedingungen erfüllen (also die Jünger), mit solchen ab, die sie nicht erfüllen: 15,1–32: Pharisäer und Schriftgelehrte 16,1–13: Jünger 16,14–31: Pharisäer 17,1–10: Jünger (bzw. Apostel ab V. 5) 17,20–21: Pharisäer (mit der Erzählung vom dankbaren Samaritaner [V. 11–19] als Folie) 17,22 – 18,8: Jünger

514

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

14,25–35

18,9–14: „einige, die auf sich selbst vertrauten, dass sie gerecht seien, und die übrigen verachteten“ (V. 9); diese Einstellung wird durch einen Pharisäer illustriert 18,15–17: Jünger 18,18–27: ein ±rcwn, der sich nicht von seinem Geld trennen mag 18,28–30: die Jünger, die tÅ ¥dia verlassen haben und Jesus nachgefolgt sind

Charakteristisch für diesen Teil der lk Jesusgeschichte ist zudem, dass keine einzige Episode eine bestimmte topographische Verortung erfährt: Sie spielen alle irgendwo auf dem Weg Jesu nach Jerusalem. Am konkretesten ist noch 17,11 („ein Dorf “ auf dem Weg Jesu durch Samarien und Galiläa). Diese Angabe ist aber nicht auf der Ebene der Rahmenerzählung anzusiedeln; Lukas benötigt sie vielmehr, um das Auftreten eines Samaritaners plausibel machen zu können. 14,25–35: Die Bedingungen der Jüngerschaft 25Eine

große Menge von Menschen zog mit ihm. Und er wandte sich um und sprach zu ihnen: 26„Wenn einer zu mir kommt und nicht seinen Vater und Mutter und die Frau und die Kinder und die Brüder und die Schwestern und auch noch sein eigenes Leben hintansetzt, kann er nicht mein Jünger sein. 27Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir herkommt, kann nicht mein Jünger sein. 28Denn wer von euch, der einen Turm bauen will, setzt sich nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob er (genug) zur Fertigstellung hat, 29damit nicht etwa, wenn er ein Fundament gelegt hat und (den Bau) nicht vollenden kann, alle, die zusehen, ihn zu verspotten beginnen 30und sagen: ‚Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und konnte (es) nicht vollenden‘? 31Oder welcher König zieht aus, um mit einem anderen König zur Schlacht zu­ sammenzutreffen, ohne dass er sich zuerst hinsetzt und überlegt, ob er es vermag, mit Zehntausend dem entgegenzutreten, der mit Zwanzigtausend über ihn kommt? 32Wenn das aber nicht der Fall ist, schickt er – solange der noch weit weg ist – eine Verhandlungsdelegation und fragt nach dem, was Frieden (bringt). 33Ebenso kann keiner von euch, der sich nicht von all seinen Besitztümern trennt, mein Jünger sein. 34Etwas Gutes ist das Salz. Wenn aber das Salz geschmacklos wird, wo­ durch kann es würzig gemacht werden? 35Es taugt weder für den Acker noch für den Misthaufen. Man wirft es weg! – Wer Ohren hat zu hören, soll hören!“ Literatur: E.P. Deatrick, Salt, Soil, Savior, BA 25 [1962] 41–48. – J. Dupont, Renoncer à tous ses biens (Lc 14,33), in: ders., Études II, 1076–1097. – C.H.T. Fletcher-Louis, Jesus Inspects his Priestly War Party (Luke 14.25–35), in: The Old Testament in the New Testament, 126–143. – C. Heil, Lukas und Q, 97–117. – C.-H. Hunzinger, Unbekannte Gleichnisse Jesu aus dem Thomas-Evangelium, in: Judentum – Urchristentum – Kirche, 209–220. – P.G. Jarvis, Expounding the Parables. V. The Tower-builder and the King going to War (Luke 14,25–33), ExpT 77 (1965/66) 196–198. – C.L. Quarles, The Authenticity of the Parable of the Warring King: A Response to the Jesus Seminar, in: Authenticating the Words of Jesus, 409–429. – C. Singer, La difficulté d’être disciple. Luc 14/25–35, ETR 73 (1998) 21–36. – R.H. Stein, Luke 14:26 and the Question of Authenticity, Forum 5 (1989) 187–192. – S. Van Den Eynde, Come and Hate? On the Interpretation of Luk 14,26, in: Luke and His Readers, 283–297.

515

14,25

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Der Rhythmus der Rede Jesu ist durch die dreimalige Formulierung von Bedingungen für den Eintritt in die Jüngerschaft bestimmt (V. 26.27.33). In allen drei Fällen ist die Apodosis wörtlich identisch (jeweils o§ d‚natai eèna‡ mou majhtfl“) und sind die inhaltlich wechselnden Eintrittsbedingungen als Negationen formuliert (V. 26b: ti“ … o§ miseõ …; V. 27a: Ωsti“ o§ bast›zei …; V. 33a: ≈“ o§k üpot›ssei …). Adressat der Rede ist im Unterschied zur Parallele in Mt 10,37–39 nicht der Jüngerkreis, sondern die Volksmenge. Lukas fingiert also eine rhetorische Situation, in der das Jüngerwerden noch bevorsteht, und er lässt Jesus damit zwingende Voraussetzungen für den Eintritt in den Kreis seiner Jünger formulieren (s. auch bei 9,23). Diese Perspektive teilen auch die beiden Gleichnisse, die in V. 28–30.31–32 zwischen die zweite und die dritte Eintrittsbedingung eingeschoben sind. Lukas hat in dieser Rede Material unterschiedlicher Provenienz zusammengefügt: Zu V. 26–27 gibt es eine Parallele in Mt 10,37–38, auch wenn sich die Formulierungen im Einzelnen sehr stark voneinander unterscheiden. Auch die in Mt 10,39 (par. Lk 17,33) erhaltene Überlieferung hat wohl Spuren in V. 26 hinterlassen, denn anders ist die Hinzufügung von tÉn yucÉn ©autoú zur Familienliste nicht zu erklären. Aller Wahrscheinlichkeit nach verarbeitet Lukas hier also Material aus Q (Näheres bei Heil* 97 ff; s. auch Schröter, Erinnerung, 404 ff; vgl. aber auch die auffallende Parallele in Joh 12,25, wo ebenfalls vom „hassen“ [miseõn] des eigenen Lebens [yucfl] die Rede ist). V. 27 hat zudem eine Parallele in Mk 8,34b; wir haben es hier also mit einer Mk-Q-Doppelüberlieferung zu tun (s. dazu o. bei 9,23). – Die in EvThom 55 überlieferte Parallele („Wer nicht seinen Vater und seine Mutter hasst [= miseõ, Lk 14,26], wird mir kein Jünger sein können [Lk 14,26]. Und wer nicht seine Brüder und seine Schwestern [Lk 14,26] hasst und nicht sein Kreuz trägt wie ich, wird meiner nicht würdig sein [= o§k ≤stin mou ±xio“, Mt 10,38]“) ist eine Kombination aus beiden synoptischen Fassungen (s. auch 101,1). – Zum überlieferungsgeschichtlichen Verhältnis von V. 26–27.33 einerseits und den beiden Gleichnissen in V. 28–32 andererseits gilt Marshall 594 f: „The connection of thought could be smoother, and this confirms that originally independent sayings have here been joined together“ – und zwar wohl erst durch Lukas. V. 34–35b hat zwar eine Parallele in Mk 9,50a–c, doch machen es die Übereinstimmungen mit Mt 5,13 gegen den mk Text wahrscheinlich, dass Lukas hier eine Q-Version des Salz-Wortes wiedergibt: vgl. vor allem mwranjÔö (V. 34b par. Mt 5,13b) gegen ±nalon gfinhtai (Mk 9,50b) sowie die Passive ürtujflsetai (V. 34c) und ®lisjflsetai (Mt 5,13c) gegen ürt‚sete (Mk 9,50c). Ohne mk Äquivalent sind o∂te e¢“ gön o∂te e¢“ kopr‡an e∂jet·n †stin (V. 35a) par. e¢“ o§dÇn ¢sc‚ei (Mt 5,13d) und ≤xw b›llousin (V. 35b) par. blhjÇn ≤xw (Mt 5,13d); s. auch Fleddermann, Mark and Q, 166–169; Heil* 111 ff.

25 Seit 7,11 wissen die Leser, dass Jesus auf seinen Wegen von vielen Menschen begleitet wird (s. auch 5,19; 7,9; 8,4; 9,11; 18,36). Diese szenische Exposition fungiert hier jedoch als Folie für den Inhalt der Rede Jesu: Sie wird einschärfen, dass einfaches Mitlaufen (sumpore‚esjai) noch keinen zum Jünger (majhtfl“) macht, weil von dem viel mehr erwartet wird als von einem Mitläufer. 26 Zu ≤rcesjai pr·“ me s. bei V. 27. – miseõn bezeichnet hier nicht das affektive „hassen“. Grundlage ist vielmehr hebr. anf (in der LXX meistens miseõn), das willentliche Entscheidungen bezeichnet, die semantisch im Sinne von „verwerfen“, „ablehnen“, „zurückweisen“ konnotiert sind. Mit dieser Bedeutung beschreibt das Verb häufig Entscheidungen: Gott oder ein anderer Mensch hat die Auswahl zwischen zwei Personen oder Dingen, und für die negative Seite der Entscheidung stehen anf bzw. miseõn. Das semantische Spektrum markiert auf der einen Seite die komparativische Beschreibung von Jakobs Beziehung zu Rahel und Lea in Gen 29,30–33 (miseõn [V. 31.33] korreliert mit ügapôn môllon ≥ [V. 30]; s. auch Dtn 21,15–17; Ri 15,2; Sir 7,26LXX) und auf der 516

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

14,27

anderen Seite die antithetische Aussage von Mal 1,2 f („Jakob habe ich geliebt, Esau aber habe ich verworfen“; s. auch Ps 31,7; 44,8; 97,10; 119,113.163; Prov 8,36; Mi 3,2; Mt 5,43; Lk 16,13 par. Mt 6,24; Röm 9,13; Hebr 1,9). Auch wer „zu mir (sc. Jesus) kommt“ (26a), steht in einer solchen Entscheidungssituation, und zwar zwischen seiner Familie (26b) und Jesus („mein Jünger sein“; 26c). Auf ein hellenistisches Seitenstück bei Epiktet, Diss. 3,3,5–7 verweist Hommel, Sebasmata II, 61: „Das Gute (tÖ ügaj·n) wird jeglicher Familie (p›sh“ o¢kei·thto“) vorgezogen. Mit dem Vater habe ich nichts zu schaffen, sondern (nur) mit dem Guten. … Wenn das Gute etwas anderes ist als das Schöne und Gerechte, verschwinden Vater und Bruder und Vaterland und alle Angelegenheiten“. Vgl. auch Dio Chrysostomus, Or. 3,111–113 über den idealen König: In den meisten Dingen ist er mit weniger zufrieden als die Bürger; „nur in der Freundschaft will er mehr haben“ (111), und weil er „die Freundschaft für ein höheres Gut hält als Verwandtschaft (suggfineia; 113)“, „freut er sich, wenn er von den Jungen mehr geliebt wird als die Eltern, von den Alten mehr als die Kinder …“. Philo v. Alexandrien berichtet über die Therapeuten, dass sie sich nicht nur von ihrem Besitz (tÅ o§s‡a) trennen, sondern auch „Brüder, Kinder, Frauen, Eltern, die vielköpfige Verwandtschaft, Freundschaften, die Heimat verlassen“ (Vit. Cont. 18).

Durch welche Handlungen die Entscheidung zugunsten der Jüngerschaft zur Anschauung gebracht wird, bleibt offen (vgl. die Konkretionen vor allem in 18,29 [„verlassen“], aber auch in 9,59 f.61 f). Mit der Ausweitung der Liste der Familienangehörigen in 26b („Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern“ statt „Vater oder Mutter … und Sohn oder Tochter“ [Mt 10,37 und wohl auch Q]) will Lukas hier wie dann auch in 18,29 nicht die Ehe relativieren oder gar gezielt zum Verlassen der Ehefrau auffordern (so z. B. Klauck, Armut, 40 ff; Melzer-Keller, Jesus und die Frauen, 311 ff), sondern nur die Lückenlosigkeit der innerfamiliären Beziehungen zum Ausdruck bringen. In Form einer Klimax (gegen Nestle / Aland27 ist ≤ti dÇ ka‡ auf Grund der besseren handschriftlichen Bezeugung [P45 a D W Q Y f1.13 M u. a. gegen B L D 33.892 pc für ≤ti te ka‡] zu bevorzugen) wird auch das eigene Leben (zu yucfl in diesem Sinne s. bei 6,9) in diese Konstellation einbezogen und auf die negative Seite der Entscheidung gestellt. Für eine inhaltliche Näherbestimmung kann auf 9,24 verwiesen werden: „Sein Leben hintansetzen“ ist genau das Gegenteil von „sein Leben retten wollen“; Joh 12,25 („Wer sein Leben [yucfl] liebt, verliert es; und wer sein Leben [yucfl] hintansetzt in dieser Welt, wird es zum ewigen Leben [zwÉ a¢„nio“] bewahren“) kann als Bindeglied zwischen Lk 9,24 und 14,26 gelesen werden. 2.Sam 5,8LXX umschreibt mit o´ misoúnte“ tÉn yucÉn Dau‡d die Feinde Davids, und anderswo bezeichnet „seine yucfl hassen“ ein Verhalten als selbstzerstörerisch, das die von Gott sanktionierte Ordnung oder einfach auch nur weisheitliche Klugheitsregeln missachtet: Y 10,5 („Wer Ungerechtigkeit liebt, miseõ tÉn ©autoú yucfln“); Prov 15,32 („Wer paide‡a abweist, miseõ ©aut·n [MT: Avp.n: saeAm], wer aber Zurechtweisungen beherzigt, ügapô yucÉn a§toú“); 29,24 („Wer mit einem Dieb teilt, miseõ tÉn ©autoú yucfln“); s. auch 8,36. Dass Lukas diese Zuspitzung der sokratischen Tradition entnommen haben soll (so Hommel, Sebasmata II, 42 ff.58 ff), ist nicht nur auf Grund dieser Parallelen ganz unwahrscheinlich.

27 Zur Herkunft und zum Verständnis der Aufforderung zum „Kreuz tragen“ (wie hier mit bast›zein auch bei Artemidorus, Oneir. 2,56 [185,6 f Pack]) s. bei 9,23. Gegen Bock II, 1284 besteht zwischen ≤rcesjai pr·“ me (V. 26a) und ≤rcesjai £p‡sw mou (27a) genau der Unterschied, um dessen Erklärung es hier geht: Ersteres tun auch die 517

14,28–32

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

µcloi und der reiche ±rcwn von 18,18, ohne dass sie damit schon zu Jüngern würden; demgegenüber meint letzteres nicht weniger als Jesus „nachfolgen“ (ükoloujeõn; vgl. vor allem auch die Zuordnung beider Formulierungen in 9,23 par. Mt 16,24). 28–32 Die beiden Gleichnisse vom Turmbau (V. 28–30) und vom Kriegführen (V. 31–32) gehören zu den t‡“-(†x-≠mùn‑)Gleichnissen (s. dazu bei 11,5), die als rhetorische Fragen formuliert sind, bei denen von vornherein feststeht, wie sie zu beantworten sind: Niemand unter den Hörern bzw. Lesern würde sich in den beiden erzählten Situationen anders verhalten als die beiden Erzählfiguren (Jülicher, Gleichnisreden II, 202: „Natürlich wird Keiner von Euch das nicht so machen, also = jeder wird in solchem Fall so handeln, wie ich es beschreibe“). Darüber hinaus gehören sie zu den für das lk Erzählen typischen „Doppelexempeln“ (Morgenthaler, Geschichtsschreibung I, 60; s. auch 4,25–27; 11,31–32; 12,24.27; 12,54 f; 13,18–21; 15,4–10; 17,26–29.34–35 sowie 3,12–14; 13,1–5; s. auch o. S. 21). – Beide Gleichnisse sind Einpersonenstücke und parallel aufgebaut: (a) Exposition mit t‡“ + Beschreibung des Vorhabens in Gestalt eines attributiven Partizips im Präsens, von dem ein aoristischer Infinitiv abhängig ist: jfilwn … o¢kodo­ mösai (V. 28a); poreu·meno“ … sumbaleõn (V. 31a); (b) teilweise gleichlautende (o§cÑ prùton kaj‡sa“ + Verbum finitum + e¢) Beschreibung der Handlung, mit der in beiden Fällen das Vorhaben beginnt: die Überprüfung seiner Realisierbarkeit (V. 28b–c.31b–c); Gegenstand der Prüfung sind in beiden Fällen die Mittel, die dem Protagonisten zur Verfügung stehen; (c) Beschreibung der Folgen mit unterschiedlichen Bezugspunkten: V. 29–30 skizzieren die Folgen, die eintreten können, wenn die Prüfung unterlassen wird; demgegenüber beschreibt V. 32 die Reaktion des Protagonisten, wenn die Prüfung ergibt, dass seine Mittel für eine erfolgreiche Durchführung des Vorhabens nicht ausreichen. Beide Gleichnisse veranschaulichen dasselbe, was Epiktet, Diss. 3,15,1 fordert: „Schau dir den Beginn und die Konsequenzen eines jeden Unternehmens an, und dementsprechend handle. Anderenfalls wirst du zu Beginn schwungvoll vorgehen, weil du keines der späteren Probleme bedacht hast. Danach aber, wenn einige von ihnen auftauchen, wirst du beschämt aufgeben (a¢scrù“ üpostflsÔh)“. Ebd. 8–13 überträgt Epiktet diesen Grundsatz auf den Wunsch mancher Menschen, ein Philosoph zu werden: „Mensch, schau dir zunächst an, was das für eine Aufgabe ist (skfiyai prùton t‡ †stÑ tÖ prôgma), und dann deine eigene f‚si“, was du zu tragen vermagst (t‡ d‚nasai bast›sai). … Meinst du, dass du als Philosoph dieselben Dinge tun kannst wie jetzt? Meinst du, dass du genauso essen kannst, genauso trinken, genauso zornig und genauso unzufrieden sein? Man muss dann wach bleiben, Beschwerden erdulden, bestimmte Begierden besiegen, die Familie verlassen (üpeljeõn üpÖ tùn o¢ke‡wn), von einem jungen Burschen verachtet werden … Das alles mach dir klar, und wenn du es für richtig hältst (e¥ soi dokeõ), mach weiter …; anderenfalls mach nicht weiter (e¢ dÇ mfl, mÉ pr·sage)“. Vgl. auch ebd. 3,22,9–12 sowie Philo, Abr. 105: Bevor die friedliebende Tugend den Kampf gegen das Laster aufnimmt, überprüft sie zuerst ihre Kraft, und nur wenn diese für den Sieg ausreicht, nimmt sie den Kampf auf; anderenfalls lässt sie es sein (tö“ ¢d‡a“ dun›mew“ üpopeirôsjai pr·teron, ºnû, e¢ mÇn …, e¢ dû …).

Der Sinn des Doppelgleichnisses im Kontext der erzählten Rede Jesu ist klar, auch wenn er nur indirekt erkennbar ist: Wenn einer von den vielen Mitläufern (V. 25) Jesu Jünger werden will, soll er sich „zuerst“ (prùton) – und das heißt: vor Eintritt in die Jüngerschaft – prüfen, ob er die in V. 26–27.33 beschriebenen Folgen auf sich zu nehmen vermag. Diese Pointe konvergiert mit der Pragmatik der drei Nachfolgeszenen in 9,57–62. Interpretationen, die den Turmbauer und den König auf Gott oder 518

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

14,33

Jesus beziehen (z. B. Hunzinger* 212 ff; Jarvis*; Fletcher-Louis*), scheitern daran, dass auch der Verzicht auf das Vorhaben als Handlungsoption angeboten wird. Ob Lukas die beiden Gleichnisse auch auf den erzählungsexternen Kontext seiner Gegenwart verweisen lassen wollte, ist alles andere als sicher, denn die intendierten Leser seiner Jesusgeschichte sind ja schon Christen und befinden sich damit in einer anderen rhetorischen Situation als die erzählten Hörer. Und dass Lukas an Leser gedacht haben soll, „die sich erst noch mit dem Gedanken tragen, Mitglieder der Gemeinde Jesu Christi zu werden“ (Heininger, Metaphorik, 139), ist noch unwahrscheinlicher. 28 Zu yhf‡zein tÉn dap›nhn vgl. Anthol. Graeca 11,172 („Aulus, der Geizhals, hat sein neugeborenes Kind ertränkt, yhf‡zwn a§toú swzomfinou dap›na“ «nachdem er berechnet hatte, wie teuer es als Lebendes würde»“); SGUÄ 11371,13–15 (üpÖ dÇ tö“ †yhfismfinh“ … koinö“ dap›nh“ «von dem errechneten … gemeinsamen Aufwand»); Lysias, Or. 30,19 (nur solche Opfer vollziehen, ¡ ¨ dömo“ †yhf‡sato kaÑ dunhs·meja dapanôn †k tùn prosi·ntwn crhm›twn «die das Volk beschlossen hat und die wir aus den vorangegangenen Einnahmen bestreiten können»). 29–30 Der Finalsatz ºna mflpote … ±rxwntai ist syntaktisch von yhf‡zei tÉn dap›nhn abhängig und beschreibt den Grund, der den Bauherrn veranlasst, sein Vorhaben mit einer Berechnung der Kosten zu beginnen. Nicht ganz uninteressant ist, dass der Erzähler nicht den Schaden, sondern den Spott in den Vordergrund stellt. Er hält den sozialen Prestigeverlust also für gravierender als die finanzielle Einbuße. 31 Die Rede ist von einem König, der von einem anderen König mit einem Heer angegriffen wird (≤rcesjai †p‡ tina in diesem Sinne auch 1.Makk 5,39; 8,4), das doppelt so groß ist wie sein eigenes (zu †n dfika cili›sin ≠pantösai vgl. die sprachliche Analogie in 1.Makk 4,29; s. auch 5,39); er überlegt, ob er unter diesen Umständen die militärische Konfrontation mit einiger Aussicht auf Erfolg suchen kann (zu sumb›llein … e¢“ p·lemon in diesem Sinne s. auch 1.Makk 4,13.34; 10,78; Josephus, Ant. 6,79; 12,222; Hist. Alex. Magn. Rec. b [Bergson] 2,9: sunfiballon dÇ üllflloi“ e¢“ p·lemon «sie trafen miteinander zum Krieg zusammen»). 32 erzählt, was der König tut, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass er den Kampf nicht gewinnen kann (e¢ dÇ mfl ge ist elliptisch und nimmt aus V. 31c e¢ dunat·“ †stin auf; s. auch Mt 6,1; Lk 5,36.37; 10,6; 13,9). †rwtôn (tÅ) e¢“ e¢rflnhn heißt in der Septuaginta so viel wie „Glück wünschen“, „begrüßen“ (hebr. ~Alv'l. la;v': vgl. Ri 18,15; 1.Sam 10,4; 25,5; 30,21; 2.Sam 8,10; 11,7; 1.Chr 18,10; Y 121,6; s. auch B/D/R § 1552). Andererseits stellt TestJud 9,7 („a¢toúsin ™mô“ tÅ prÖ“ e¢rflnhn «sie baten uns um Frieden», und nachdem wir uns mit unserem Vater beraten hatten, nahmen wir sie als Tributpflichtige an“) sicher, dass die in 32b ausgesandte Delegation (presbe‡a ist metonymisches abstractum pro concreto) die Aufgabe hat, Unterwerfungsbereitschaft zu signalisieren. 33 oætw“ leitet die Anwendung ein (s. auch 12,21; 15,7.10; 17,10; 21,31), mit der die Pointe der Erzählungen in die besprochene Welt übertragen wird. Dieser Transfer wird auch dadurch unterstützt, dass mit pô“ †x ≠mùn an die Höreranrede des ersten Gleichnisses (t‡“ †x ≠mùn; V. 28a) angeknüpft wird. De facto wird jedoch eine weitere Bedingung für den Eintritt in den Kreis der Jünger Jesu formuliert, die denen von V. 26.27 bis in den Wortlaut hinein ähnelt. Dass die kompromisslose Aufgabe des gesamten Besitzes (zu ≠p›rconta s. bei 8,2–3) zu den identitätsstiftenden Signa von Jüngerschaft und Nachfolge gehört, ist den Lesern schon seit 5,11.27 f; 12,33 vertraut 519

14,34–35

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

(s. dann auch 18,22.29; viele halten diesen Vers darum für eine lk Bildung). – Mit der Pointe des Doppelgleichnisses trifft sich der Inhalt dieser Aussage darin, dass man sich erst dann Jesus als Jünger anschließen soll, wenn eine sorgfältige Selbstprüfung ergeben hat, dass man bereit und in der Lage ist, sich von seinem Besitz zu trennen. 34–35 Das Bildwort vom Salz wird auch in Mt 5,13 und in Mk 9,50 auf die Jünger bezogen. Zur Eingangsaussage 34a vgl. vor allem Plinius d.Ä., Hist. Nat. 31,88: „Ohne Salz gibt es kein menschenwürdiges Leben“. – Über das Bildfeld von 34b–c ist viel diskutiert worden, denn Salz kann auf Grund seiner chemischen Eigenschaften seine Salzigkeit eigentlich niemals verlieren. Diesen Sachverhalt thematisiert bBekh 8b: R. Jehošua b. H . ananja wurde gefragt: „‚Womit salzt man Salz, wenn es übelriechend wird?‘ Er antwortete: ‚Mit der Nachgeburt eines Maulesels.‘ – ‚Hat denn ein Maulesel eine Nachgeburt?‘ – ‚Kann denn Salz übelriechend werden?‘.“ Das an dieser Stelle merkwürdige mwra‡nein („dumm werden“) wird meistens als Übersetzungsfehler erklärt: Das hebr. Adjektiv lpeT' könne sowohl „geschmacklos“ oder „fade“ heißen (vgl. Hiob 6,6: „Isst man Geschmackloses ohne Salz? [xl;m,-yliB.mi lpeT' lkea'yEh]] “) als auch „dumm“ oder „töricht“ (vgl. Thren 2,14: „Deine Propheten haben für dich Falsches und Dummes geschaut“ [aw>v' %l' Wzx' %yIa;ybin> lpet'w>]; s. auch hl'p.Ti in Hiob 1,22; 24,12; Jer 23,13). In Mk 9,50 wäre demgegenüber mit ±nalon die idiomatisch richtige Übersetzung bewahrt. Dieser Umweg ist jedoch nicht erforderlich, denn dasselbe gilt auch für das griech. Adjektiv mwr·“, das nicht nur „dumm“, „töricht“ heißen kann, sondern auch auf Lebensmittel übertragen wird und dann ebenfalls so etwas wie „geschmacklos“ oder „fade“ meint: In einem Komiker-Fragment bilden ®lmur·n („salzig“) und mùron einen Gegensatz (Comic. Attic. Frgm. 596 [Kock]: mfljû ®lmurÖn eènai mflte mùron «weder salzig sein noch dumm»); vgl. auch F. Hauck, ThWNT 4,837.

Eine komplementäre metaphorische Prädikation nimmt Kol 4,6 vor, wonach die Rede „mit Salz gewürzt“ sein soll (l·go“ … πlati °rtumfino“; s. auch Diogenes Laertius 4,67: die Redeweise der Akademiker ist „ungesalzen“ [ün›listo“]): Wenn es ‚gesalzene Rede‘ gibt, kann es natürlich auch ‚törichtes Salz‘ geben. ürtujflsetai (34c) stellt sicher, dass es um den Gebrauch des Salzes als Gewürz geht (s. auch Moulton / Milligan, Vocabulary, 80; Dioscurides Pedanius, Mat. Med. 2,147,1 [toõ“ ürtutoõ“ ®ls‡]). Die spannende Frage ist natürlich, ob und wie Salz überhaupt seine Salzigkeit verlieren kann. Eine plausible Erklärung findet sich bei Jeremias, Gleichnisse, 169: Demnach bestand das, was in der Antike als „Salz“ galt und als solches verwendet wurde, zu einem sehr viel geringeren Teil als heute aus reinem Kochsalz (NaCl). Es enthielt vielmehr in großem Umfang „Fremdbestandteile (Magnesia, Kalk, Pflanzenreste), die, wenn das Salz im Laufe der Zeit durch Feuchtigkeit aufgelöst wird, als unbrauchbare Reste zurückbleiben“ (s. auch Deatrick*; J.–F. Bergier, Die Geschichte vom Salz, 1989, 103 f). Diese Reste hießen zwar noch „Salz“ und sahen vielleicht auch noch so aus; die geschmackliche Eigenschaft des Salzes hat dieses „Salz“ jedoch verloren.

Das Subjekt von ürtujflsetai in 34c ist ohne jede Frage das Salz, und die Antwort auf die rhetorische Frage kann nur „Durch nichts!“ lauten, denn Salz, das seine Salzigkeit einmal verloren hat, bekommt sie niemals wieder. 35a entspricht e¢“ o§dÇn ¢sc‚ei (Mt 5,13d), ist aber anschaulicher formuliert: „Salz“, das nur noch aus seinen Fremdbestandteilen besteht, kann man nicht einmal mehr als Dünger verwenden. Man kann es nur noch wegwerfen. Zur Bedeutung von kopr‡a und Stammverwandten als Dünger vgl. vor allem 13,8, aber auch 2.Kön 9,37 (Æ“ kopr‡a †pÑ pros„pou toú ügroú «wie Dünger auf der Oberfläche des Ackers»); Jer 32,33LXX (e¢“ k·pria †pÑ pros„pou tö“ gö“ «zu Dünger auf der Oberfläche der Erde»); Xenophon,

520

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

15,1–32

Oecon. 20,3 (ügaj·n †sti tÔö gÔö k·pron mign‚nai «es ist gut, mit der Erde Dünger zu vermischen»); Realienkundliches bei H. Gressmann, Salzdüngung in den Evangelien, ThLZ 32 (1911) 156 f; Deatrick* 45.

Innerhalb des literarischen Kontextes ergibt dieses Bildwort einen guten Sinn als Warnung für all diejenigen in der Menschenmenge, die Jesu Jünger werden wollen, ohne sich über die in V. 26.27.33 genannten Konsequenzen im Klaren zu sein. Jeder Jünger, der das nicht durchhält, sondern Kompromisse schließt, ist wie Salz, das seine Salzigkeit verloren hat, und ihm wird mit einem vergleichbaren Geschick gedroht. Der Rigorismus dieses Bildwortes soll ursprünglich vor allem das sozial deviante Ethos der wandercharismatischen Jesusbewegung mit zusätzlicher Verbindlichkeit ausstatten und dadurch die Gruppe stabilisieren. Für Lukas ist das Bildwort zu einem Bestandteil des Jesus‑ und des Jüngerbildes geworden: Es will zeigen, wie anspruchsvoll und kompromisslos die Forderungen waren, die Jesus seinen Jüngern abverlangte – und die diese erfüllt haben. – Zum Aufmerksamkeitsruf 35c s. bei 8,8c–d. 15,1–32: Das Streitgespräch über die Umkehr von Zöllnern und Sündern Literatur: s. u. S. 528. – Außerdem: K.E. Bailey, Finding the Lost, St. Louis, MO 1992. – Ders., Jacob and the Prodigal, Downers Grove, IL 2003. – Ders., Psalm 23 and Luke 15, IBSt 12 (1990) 54– 71. –Bonnard, Approche. – Farmer, Notes. – Neale, None but the Sinners, 148–164. – G.W. Ramsey, Plots, Gaps, Repetitions, and Ambiguity in Luke 15, PRS 17 (1990) 33–42. – E.R.Wendland, Finding some lost Aspects of Meaning in Christ’s Parables of the Lost – and Found (Luke 15), TrinJ 17 (1996) 19–65. – M. Wolter, Lk 15 als Streitgespräch, EThL 78 (2002) 25–56.

Die Leser merken lediglich am Wechsel der Erzählfiguren, dass eine neue Szene beginnt: Aus den µcloi pollo‡ (14,25) werden einerseits „Zöllner und Sünder“ und andererseits „Pharisäer und Schriftgelehrte“ herausgegriffen und mit Jesus zusammengeführt. Die Letztgenannten macht Lukas in V. 2–3 zu Adressaten der ab V. 4 folgenden Rede Jesu. Örtlich und zeitlich spielt die Szene irgendwo und irgendwann auf dem Weg Jesu nach Jerusalem. Lukas hat drei fiktionale Erzählungen zu einer Gleichnisrede (parabolfl; V. 3) zusammengestellt und dem gesamten Text durch die Hinzufügung einer narrativen Exposition (V. 1–3) die Form eines Streitgesprächs gegeben (ausführliche Erläuterung bei Wolter* 25 ff): Er skizziert zunächst eine Ausgangssituation (V. 1) und erzeugt dann eine Konfliktsituation. Dazu lässt er Antagonisten auftreten, die das Verhalten Jesu kritisieren (V. 2), worauf dieser nicht wie sonst mit einem kurzen Diktum, sondern mit einer längeren Rede antwortet (V. 4–32). – Mit Hilfe einer Zwischenbemerkung (eèpen dfi; V. 11a) gliedert Lukas die Rede in zwei Teile: Der erste Teil besteht aus dem Doppelgleichnis vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme (V. 4–10; der Übergang zwischen ihnen wird lediglich durch ein kopulatives ≥ [„oder“] von Seiten des Gleichniserzählers markiert), der zweite Teil aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn (V. 11–32). – Zu der von Farmer* 305 f beobachteten Übereinstimmung des Aufbaus mit 13,1–9 s. dort. Die Kohärenz der gesamten Rede wird durch das Begriffspaar „verlieren – finden“ (üp·llumi – e≠r‡skw; V. 4b.d.5a.6c / V. 8a–b.d.9a.c / V. 24a.32b) hergestellt sowie durch seine Verknüpfung mit dem Stichwort „Freude“ (car›, ca‡rw, sugca‡rw; V. 5.6b.7a / V. 9b.10b.32a). – Beide Teile der Gleichnisrede sind dadurch aufeinander 521

15,1–3

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

bezogen, dass sie eine reziproke Spannung zwischen dem erzählten Geschehen und seiner Deutung aufweisen: Die Anwendungen der beiden ersten Gleichnisse sprechen jeweils gleichlautend von der Freude „über einen Sünder, der umkehrt“ (†pÑ ©nÑ ®martwlù metanooúnti; V. 7.10), obwohl zuvor erzählt worden ist, dass Schaf und Drachme „gefunden“ wurden (V. 4c–d.8c–d). Im Gleichnis vom verlorenen Sohn gilt genau das Gegenteil: Er ist zwar auch „verloren“ (üp·llumai; V. 17), doch er wird nicht wie das Schaf und die Drachme „gefunden“ (V. 24.32). Er kehrt vielmehr um (s. bei V. 17). Dadurch, dass der Vater die Geschichte seines jüngeren Sohnes als „verloren – gefunden“ deutet, wird sie in das hermeneutische Licht der beiden ersten Gleichnisse gestellt. Mit Hilfe der Worte „Sünder“ (®martwl·“; V. 7b.10c) und „ich habe gesündigt“ (ªmarton; V. 18b.21b) werden die beiden Redeteile zudem mit der szenischen Exposition verbunden (zweimal ®martwlo‡: V. 1a.2b). Ein wesentliches Kohärenzelement ist darüber hinaus die Wiederholung der Konstellation von V. 2 (die Pharisäer und Schriftgelehrten kritisieren Jesus) in der Kritik des älteren Sohnes an seinem Vater (V. 29–30), worauf Lukas den Vater abschließend antworten lässt (V. 31–32). Er konstruiert damit ein Streitgespräch im Streitgespräch und holt die Konstellation des narrativen Settings in die metaphorische Erzählung hinein. Es ist insofern eigentlich der Vater, der in V. 31–32 auf die Vorwürfe der Pharisäer und Schriftgelehrten gegen Jesus antwortet. Lukas stellt das Gleichnis vom verlorenen Sohn damit nicht auf dieselbe Textebene wie die ersten beiden Gleichnisse, sondern auf die Ebene der beiden Anwendungen (V. 7.10). Bei keinem der Gleichnisse sind gezielte intertextuelle Bezugnahmen auf bestimmte alttestamentliche Texte und Stoffe zu erkennen (s. auch bei V. 4a–d und V. 20b–21). 15,1–3: Exposition 1Es

kamen aber ständig die Zöllner und die Sünder zu ihm, um ihn zu hören. 2Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sagten: „Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.“ 3Daraufhin hielt er ihnen die folgende Gleichnisrede: Die wohl von Lukas selbst gestaltete narrative Einleitung soll nicht nur die drei Gleichnisse mit der Rahmenerzählung verknüpfen, denn ihr kommt außerdem die wichtige Funktion zu, die aus unterschiedlichen Überlieferungszusammenhängen stammenden Gleichnisse mit einem bestimmten Kontext auszustatten und sie damit unter eine einheitliche hermeneutische Perspektive zu stellen: Jesu Konflikt mit den Pharisäern und Schriftgelehrten über seinen Umgang mit Zöllnern und Sündern. Dass diese Kontextualisierung auch der historischen Situation entspricht, in der Jesus die Gleichnisse ursprünglich erzählt hat, ist damit nicht gesagt. In der Einleitung wird nur erkennbar, wie Lukas die drei Gleichnisse als Bestandteil der Jesusgeschichte verstanden wissen wollte. 1 beschreibt den Anlass des Streitgesprächs in generalisierender Weise: Die Con­ iugatio periphrastica (in vergleichbarer Position auch 5,29; 11,14; vgl. B/D/R § 353; zu ihrer Verwendung im LkEv s. Verboomen, L’imparfait périphrastique) und das hyperbolische p›nte“ (s. auch 3,15 f; 4,15; 5,17 u. ö.) transzendieren die Situation und machen sie zu einem typischen Vorgang. In vergleichbarer Position, d. h. als Bestandteil 522

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

15,4–10

der Exposition eines Streitgesprächs verwendet Lukas sie auch in 5,29 (diff. Mk 2,15) und 11,14. Auch dass Menschen zu Jesus kommen, um (ihn oder das Wort Gottes) „zu hören“, ist bei Lukas ein typisches Element von Jesu öffentlichem Wirken (vgl. 5,1.15; 6,18.47; 21,38). Wiedererkennung ermöglicht ebenfalls das Auftreten von „Zöllnern und Sündern“, denn auch deren Nähe zu Jesus ist den Lesern bereits bekannt (vgl. 5,29–32; 7,34.36–39; zu den Zöllnern s. bei 3,12, zu „Zöllner und Sünder“ s. bei 5,30 und 18,10). Neu ist lediglich, dass dieses Begriffspaar hier erstmals als Bestandteil der Erzählerrede verwendet wird, denn bisher begegnete es nur im Munde der Kritiker Jesu (5,30; 7,34; Mk 2,15 hat Lukas in 5,29 umformuliert). Lukas lenkt die Erwartung der Leser damit in eine bestimmte Richtung, und dies wird durch den nächsten Vers auch sofort bestätigt: 2 An das Streitgespräch Lk 5,27–32 erinnert (a) das Gegenüber der Sammelbezeichnungen „Zöllner und Sünder“ auf der einen Seite und „Pharisäer und Schriftgelehrte“ auf der anderen (5,30 diff. Mk 2,16), (b) das diagogg‚zein der Letztgenannten (5,30: †g·gguzon; s. dann auch 19,7) und (c) deren Kritik an der Tischgemeinschaft Jesu mit Sündern, von der in V. 1 mit keinem Wort die Rede war. Dadurch, dass Lukas den Blick über die individuelle Situation hinauslenkt und Texte vom Beginn seiner Jesusgeschichte aufruft (außer 5,27–32 vor allem 7,34.39), lässt er die Pharisäer und Schriftgelehrten hier so etwas wie eine Generalkritik an Jesu Verhalten aussprechen. prosdficesjai erklärt man am besten von sunesj‡ein her, denn es steht auch in außerneutestamentlichen Texten gerne in Verbindung mit s‚n-Aussagen und bezeichnet dann die Herstellung einer Gemeinschaft (z. B. Plato, Leg. 708a: prosdficesjai suno‡kou“ «als Mitbewohner aufnehmen»; Plutarch, Mor. 777b: prosdficesjai kaÑ suneõnai «aufnehmen und zusammenleben»; Polybius 21,25,2: prosdfixasjai … e¢“ tÉn summac‡an «in die Kampfgenossenschaft … aufnehmen»). Für die Bedeutung des Verbs an dieser Stelle ist Plutarchs Bericht über die spartanischen Tischgenossenschaften (suss‡tia) und ihre Praxis bei der Aufnahme neuer Mitglieder aufschlussreich (Lyc. 12,5 f): Die bereits vorhandenen Syssiten stimmen über den Aufnahmeantrag ab, und wenn es auch nur eine einzige Gegenstimme gibt, „nehmen sie den Kandidaten nicht auf “ (o§ prosdficontai tÖn †peisi·nta). Sowohl prosdficesjai als auch sunesj‡ein verbinden sich außerhalb des Neuen Testaments häufig mit f‡lo“ und Stammverwandten (vgl. zum einen Josephus, Ant. 14,354; Plutarch, Lyc. 12,6; Diodorus Siculus 11,61,2; 80,4; 15,46,2; 16,79,1 und zum anderen Aesop, Fab., ed. Hausrath / Hunger, 35,3; Plutarch, Mor. 697d; Lukian v. Samosata, Par. 22). Lukas lässt Jesu Gegner damit den bereits in 7,34 ausgesprochenen allgemeinen Vorwurf (Jesus sei ein „Freund der Zöllner und Sünder“) konkretisieren.

3 Lukas gibt Jesus das Wort und leitet damit trotz des Singulars parabolfl die gesamte Gleichnisrede ein. 15,4–10: Das Doppelgleichnis von dem verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme 4„Welcher

Mensch unter euch, der hundert Schafe hat und eins von ihnen verliert, lässt nicht die neunundneunzig in der Einöde zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? 5Und wenn er es gefunden hat, legt er es auf seine Schultern und freut sich. 6Und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und sagt ihnen: ‚Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.‘ 7Ich sage euch: Genauso wird Freude im Himmel sein über einen einzigen Sünder, 523

15,4a–d

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der umkehrt – (mehr) als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben. 8 Oder welche Frau, die zehn Drachmen hat, zündet nicht, wenn sie eine Drachme verliert, eine Lampe an und fegt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie (sie) findet? 9Und wenn sie (sie) gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: ‚Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte.‘ 10Ebenso, sage ich euch, herrscht Freude bei den Engeln Gottes über einen einzigen Sünder, der umkehrt.“ Literatur: s. o. S. 521. – Außerdem: C. Heil, Lukas und Q, 151–158.

Beide t‡“-(†x-≠mùn‑)Gleichnisse (s. dazu bei 11,5) sind als rhetorische Fragen formuliert, deren Antwort von vornherein feststeht: Niemand unter den Hörern bzw. Lesern würde sich in den beiden erzählten Situationen anders verhalten als die beiden Erzählfiguren. Ähnliche Gleichnispaare finden sich in Mt 13,44–46; Lk 13,18–21par.; 14,28–32; vgl. aber auch die übrigen, für das lk Erzählen typischen „Doppelexempel“ (Morgenthaler, Geschichtsschreibung I, 60): 4,25–27; 11,31–32; 12,24.27; 12,54 f; 13,1–5; 14,28–32; 17,26–29.34–35 sowie 3,12–14; 13,1–5 (s. auch o. S. 21). Eine besondere formale Nähe besteht zum Doppelgleichnis vom Turmbauen und Kriegführen (14,28–32), insofern hier wie dort das erste Gleichnis durch t‡“ … †x ≠mùn eingeleitet wird (14,28a / 15,4a) und Lukas das zweite Gleichnis durch À t‡“ + Appellativum (14,31: „König“; 15,8: „Frau“) anschließt. Die beiden Gleichnisse sind parallel aufgebaut: Sie skizzieren zunächst (a) eine Ausgangssituation, die in beiden Fällen aus einer quantifizierten Feststellung von Besitz besteht (V. 4a / V. 8a; hier wie dort ≤cein), lassen dann (b) eine Problemlage entstehen (jeweils ein Stück aus dem Besitz geht verloren; V. 4b / V. 8b) und erzählen danach (c) die Lösung der Problemlage durch Handlungen, die zum Wiederfinden des Verlorenen führen (V. 4c–e / V. 8c–d). Eine (d) ausführliche Beschreibung der Reaktion, die das Wiederfinden des Verlorenen auslöst, schließt die beiden Erzählungen ab (V. 5–6 / V. 9). Der erzählte Erzähler lässt dann noch (e) eine Anwendung folgen (V. 7 / V. 10). Das Gleichnis vom verlorenen Schaf (V. 4–7) hat eine Parallele in Mt 18,12–14, wo es nicht den Pharisäern und Schriftgelehrten, sondern den Jüngern erzählt wird. Die Mehrheit ist der Meinung, dass Lukas das Gleichnis in Q vorgefunden hat (anders z. B. Luz, MtEv III, 26; Marshall; Forbes, The God of Old, 114), wobei umstritten ist, welche Adressaten das Gleichnis hier hatte: die Jünger wie im MtEv oder die Pharisäer und Schriftgelehrten wie im LkEv (die CEQ ordnet es mit P. Hoffmann und J.M. Robinson zwischen Mt 17,1–2 und Mt 17,3–4 ein, während es J.S. Kloppenborg und H.T. Fleddermann [Q, 906] zwischen Q 14,35 und Q 16,13 stellen; vgl. CEQ 480). – Die in EvThom 107 überlieferte Fassung ist wohl eine Weiterentwicklung der synoptischen Versionen, denn die Erzählung ist nicht am Hirten, sondern am Schaf orientiert. Eine andere Frage ist, ob Lukas auch das Gleichnis von der verlorenen Drachme (V. 8–10) aus Q übernommen hat (so z. B. J.M. Robinson und J.S. Kloppenborg in CEQ 484 ff) oder ob er es als separate Überlieferung kannte (so z. B. Fitzmyer; P. Hoffmann nach CEQ 484; Heil* 154 f; Fleddermann, Q). Diese Frage ist natürlich unbeantwortbar.

4a–d Die Logik der rhetorischen Frage setzt voraus, dass der Erzähler sich der Antwort seiner Hörer sicher ist: Jeder würde dieselben Schritte zur Beseitigung der Problemlage unternehmen. Das gilt auch für das Zurücklassen der Herde „in der Einöde“ (V. 4c): Dieses Element steht hier an derselben Stelle wie das Anzünden des Leuchters und das Fegen des Hauses im Gleichnis von der verlorenen Drachme (V. 8c). Daraus lässt sich 524

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

15,6

der Schluss ziehen, dass dieser Erzählzug die narrative Funktion hat, das besondere Engagement des Herdenbesitzers für das eine verlorene Schaf zu veranschaulichen. Aus den bei 1,80 genannten Gründen sollte ≤rhmo“ nicht mit „Wüste“ übersetzt werden. Zudem macht dieser Erzählzug die verbreitete Annahme unwahrscheinlich, dass die Metaphorik des Gleichnisses auf Gott als den Hirten Israels anspielen wolle (so häufig unter Verweis auf Ps 23,1–3; 119,176; Jer 23,1–8; Ez 34,11–16), denn das Verlassen von Schafen durch den Hirten wird ebenso negativ bewertet (vgl. Sach 11,17; Joh 10,12), wie dass Gott Israel in der Wüste „verlassen“ hat (katale‡pein; vgl. Num 32,15; 2.Esr 19 [= Neh 9],19). Die argumentative Strategie der Erzählung basiert auf dem Kontrast von großer und kleiner Zahl, und sie stellt zwei Wertesysteme einander gegenüber. Die Geringerwertigkeit der kleineren Zahl (zum Verhältnis 1:99 in analogen rabbinischen Erzählungen vgl. Bill. I, 784 f) wird nicht nur aufgewogen, sondern sogar überboten durch ein Kriterium aus einer anderen Sinnwelt: Es ist das Verlorensein des einen Schafes, das es wertvoller macht als die 99 nicht-verlorenen Schafe. Zur Debatte steht also die Dominanz von Wertesystemen. Bezogen auf den in V. 1–2 erzählten Kontext heißt dies, dass Jesu Kritiker mit Hilfe des Gleichnisses in das neutrale Territorium einer Wertewelt entführt werden, in der es nicht um „Sünder“, sondern um „Verlorene“ geht. 4e und e≠r„n zu Beginn von 5 markieren die Peripetie, und daran schließt sich die Beschreibung der Reaktion an, die das Wiederfinden des verlorenen Schafes auslöst. Die Auskunft, dass der Hirte das wiedergefundene Schaf über die Schultern legt, soll seine Zuwendung und Fürsorge ihm gegenüber illustrieren. Es handelt sich hierbei um ein Motiv, das als Darstellung eines (Widder‑)Opferträgers schon in der vorderorientalischen Ikonographie belegt ist (vgl. A. Parrot, Le ‚Bon Pasteur‘, in: Mélanges syriens offerts à M. René Dussaud I, 1939, 171–182). In der Kaiserzeit war es zu einem verbreiteten „Ausdruck und Sinnbild der Hirtenfürsorge schlechthin“ geworden (Th. Klauser, Studien zur Entstehungsgeschichte der christlichen Kunst I, JAC 1 [1958] 20–51, Zitat S. 30; s. auch A. Veyries, Les figures criophores dans l’art grec, l’art gréco-romain et l’art chrétien, 1884; V. Muller, The Prehistory of the ‚Good Shepherd‘, JNES 3 [1944] 87–90). Dementsprechend heißt es in einem bukolischen Berufspflichtenspiegel für Hirten bei Calpurnius, Ecl. 5,39–41: „Du sollst dich auch nicht schämen (te quoque non pudeat) …, ein Schaf, das kraftlos daliegt, weil es gerade geworfen hat, auf deinen Schultern zu tragen (umeris portare tuis)“. Nach ExR 2 (68b) wird darin die Liebe des Hirten zu seiner Herde erkennbar (Bill. II, 209).

Das nachgestellte Partizip ca‡rwn zeigt an, dass diese Handlung als Ausdruck der Freude des Hirten verstanden werden soll. Damit ist das Stichwort gefallen, das Lukas zum Leitwort für das Finale der Erzählung und für die Anwendung macht und als angemessene Reaktion auf das Wiederfinden von Verlorenem charakterisiert. 6 In diesem Vers gibt es zwei narrative Leerstellen: Lukas berichtet nicht, was mit dem wiedergefundenen Schaf passiert, und er erzählt auch nicht mehr, dass bzw. ob überhaupt die „Freunde und Nachbarn“ (zu diesem Begriffspaar s. z. B. auch Josephus, Ant. 1,176; 18,276; Plutarch, Cic. 7,2; Frgm. 48,3 [Sandbach]; Epiktet, Diss. 2,4,3; Anthol. Graeca 8,97) die Einladung zum sugca‡rein mit dem Hirten annehmen und worin die gemeinsame Freude aller dann gegebenenfalls zum Ausdruck kommt. Im Fokus der Erzählung steht vielmehr einzig und allein der Hirte, und daran wird erkennbar, dass es Lukas ausschließlich darum geht zu zeigen, wie außerordentlich groß dessen Freude ist. 525

15,7

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7 In der Anwendung werden die Sinnwelten des Gleichnisses und des Kontextes miteinander verknüpft. Aus dem Gleichnis greift Jesus das Stichwort „Freude“ (car›) sowie die Gegenüberstellung 1:99 auf und aus dem Kontext das Appellativum „Sünder“ (®martwl·“). Das „Verlorene“ (üpolwl·“) des Gleichnisses wird dabei in den „Sünder“ (®martwl·“) des Kontextes zurückverwandelt, und dem „Wiederfinden“ (e≠r‡skein) des Verlorenen entspricht das „Umkehren“ (metanoeõn) des Sünders. Diese Dekodierung überträgt das erzählte Geschehen damit auf die Sinnebene der Gottesbeziehung (dafür steht †n tù o§ranù) und formuliert eine Analogie zwischen irdischer und himmlischer Welt: So wie die Menschen sich hier über das Wiederfinden auch nur eines einzigen verlorenen Schafs freuen, so freut man sich dort über die Umkehr auch nur eines einzigen Sünders. Jesu Kritiker sollen also dazu gebracht werden, „Sünder“ als „Verlorene“ anzusehen. Nun wird Lukas den Pharisäern und Schriftgelehrten sicher nicht die Meinung unterstellt haben, im Himmel freue man sich nicht über die Umkehr eines Sünders (vgl. demgegenüber schon Dtn 30,8–10). Im Blick auf die Beschreibung der Ausgangsszene in V. 1–2 besteht die Pointe der Anwendung vielmehr darin, dass es dort um Jesus geht: Das Kommen der Zöllner und Sünder zu Jesus und seine Tischgemeinschaft mit ihnen wird als ein Umkehrgeschehen dargestellt, das in Gottes himmlischer Welt dieselbe Freude auslöst, wie sie sich beim Wiederfinden von Verlorenem einstellt. Im Rückverweis der Anwendung auf die Ausgangsszene steckt darum eine christologische These: Der Begegnung mit Jesus kommt eine Bedeutung zu, die bis zum Himmel reicht. Die Partikel ≥ in 7c hat komparativischen Sinn (vgl. B/D/R § 245,3b) und will nicht die „Gerechten“ abwerten, „die keine Umkehr nötig haben“. Über sie herrscht im Himmel natürlich auch Freude. Ihr kommt vielmehr die rhetorische Funktion zu, die außerordentliche Größe der Freude über den umkehrenden Sünder noch zusätzlich zu unterstreichen; sie nimmt damit den Erzählzug von V. 4c–d auf, wonach der Hirte die 99 nicht-verlorenen Schafe „zurücklässt“, um dem einen verlorenen „nachzugehen“.

8a–c entspricht V. 4a–d (s. o.): Ausgangslage (8a), Problemlage (8b) und Lösung (8c); eine Parallele für die Verwendung des Bildfeldes innerhalb eines Gleichnisses findet sich in dem allerdings erst in der Mitte des 6. Jahrhunderts entstandenen Midrasch zum Hohenlied (ShirR 1,1 [79b]; Bill. II, 212). Anders als im Gleichnis vom verlorenen Schaf wird hier weder mit dem Kontrast von großer und kleiner Zahl operiert noch eine Umwertung der Werte vorgenommen. Das Engagement für das Verlorene ergibt sich vielmehr aus der numerischen Relation, denn der Frau sind immerhin zehn Prozent ihres Vermögens abhanden gekommen. In der Bewegung vom ersten zum zweiten Gleichnis stellt sich damit ein Steigerungseffekt ein: Wer dem Engagement des Hirten zugunsten des Verlorenen auf der Basis 1:99 zugestimmt hat (und davon geht das Gleichnis aus), wird erst recht dem Engagement der Frau auf der Basis 1:9 zustimmen. Das Adverb †pimelù“ charakterisiert die Anstrengungen der Frau in diskursiver Rede und entspricht der narrativen Charakterisierung in V. 4c (vgl. Spicq, Lexicon II, 47 ff). Die Drachme war eine griechische Silbermünze und wird im NT nur hier erwähnt, während die „Doppeldrachme“ (d‡dracmon) zweimal in Mt 17,24 vorkommt. 100 Drachmen entsprachen einer „Mine“ (mnô; s. bei 19,13), und 6000 Drachmen waren ein „Talent“ (t›lanton; Mt 18,24; 25,15–28); vgl. H. Chantraine, KP 2,155 f; W. Pesch, EWNT 1,855–857 mit weiterer Literatur. Dass es gänzlich unmöglich ist, die Kaufkraft des Vermögens der Frau auch nur annäherungsweise zu

526

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bestimmen, geht aus Josephus, Vita 75 hervor: Demnach wurden in Cäsarea am Meer zwei Sextare (also knapp 1,1 l) Öl für eine Drachme verkauft, während man gleichzeitig im galiläischen Gischala für 4 Drachmen 80 Sextare (also gut 43,5 l) bekam. Der von Vespasian eingeführte fiscus Judaicus betrug nach Josephus, Bell. 7,218 ebenso zwei Drachmen pro Kopf und Jahr wie vorher die von den Juden in der Diaspora gezahlte Tempelsteuer (s. auch Philo, Heres 186–187.189 nach Ex 30,11–16; Neh 10,33 f). – Vgl. auch Dio Chrysostomus, Or. 20,5: „Wenn auch nur eine Drachme verloren geht (Ωmw“ miô“ dracmö“ üpolomfinh“), wird es zwangsläufig bemerkt und schmerzt irgendwie (dhcjönai ®mÔhgfipÔh)“.

8d und e≠roúsa zu Beginn von 9 markieren die Peripetie. Die Beschreibung der Reaktion auf das Wiederfinden des Verlorenen entspricht V. 6, wobei die Frau geschlechtsrollenspezifisch ihre „Freundinnen und Nachbarinnen“ zusammenruft. Die narrative Funktion der Einladung (s. o.) macht Spekulationen über den Umfang einer möglichen „Bewirtung“ (Jeremias, Gleichnisse, 134) gänzlich überflüssig. Die Anwendung in 10 zieht denselben Analogieschluss von der irdischen auf die himmlische Sinnwelt wie V. 7. Mit den „Engeln Gottes“ ist der himmlische Hofstaat gemeint, bei dem die Umkehr jedes einzelnen Sünders Freude auslöst (zu g‡netai car› vgl. Apg 8,8; Tob 11,18a). †n„pion kennzeichnet hier wie in 1,15.75; 12,6; 14,10; 15,18.21; 16,15 die urteilende Instanz (s. auch Bauer, Wörterbuch, 546 f). 15,11–32: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn 11Er

sagte aber: „Ein Mensch hatte zwei Söhne. 12Und der jüngere von ihnen sagte zum Vater: ‚Vater, gib mir das Erbteil!‘ Daraufhin teilte er ihnen das Vermögen zu. 13Und nicht lange danach packte der jüngere Sohn alles zu­ sammen und zog fort in ein fernes Land. Dort verschleuderte er seinen Be­ sitz durch ein ausschweifendes Leben. 14Als er aber alles ausgegeben hatte, kam eine schwere Hungersnot über jenes Land, und er begann Mangel zu leiden. 15Und er ging hin und verdingte sich bei einem der Bürger jenes Landes, und der schickte ihn auf seine Felder, Schweine zu hüten. 16Und es verlangte ihn, seinen Bauch mit den Hornschoten zu füllen, von denen die Schweine fraßen, doch niemand gab ihm (davon). 17Da ging er in sich und sagte: ‚Wie viele Lohnarbeiter meines Vaters haben Brot im Überfluss, während ich hier vor Hunger umkomme! 18Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und ihm sagen: ›Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19Ich bin es nicht länger wert, als dein Sohn zu gelten. Behandele mich wie einen deiner Lohnarbeiter.‹‘ – 20Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und er wurde von Erbarmen erfüllt, und er lief hin und fiel um seinen Hals, und er küsste ihn. 21Der Sohn aber sagte zu ihm: ‚Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin es nicht länger wert, als dein Sohn zu gelten.‘ 22Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: ‚Schnell, holt das beste Gewand hervor und zieht es ihm an, und gebt einen Ring an seine Hand und Schuhe an die Füße! 23Und holt das Mastkalb, schlachtet es! Wir wollen essen und feiern, 24denn dieser – mein Sohn – war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und wurde gefunden!‘ Und sie begannen zu feiern. 527

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Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Und als er in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. 26Er rief einen der Knechte herbei und erkundigte sich, was das sei. 27Der antwortete ihm: ‚Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund zurückerhalten hat.‘ 28Da wurde er wütend und weigerte sich hin­ einzugehen. Sein Vater aber kam heraus und redete auf ihn ein. 29Er aber antwortete und sagte zu seinem Vater: ‚Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich eine Anordnung von dir übertreten, und mir hast du niemals einen Ziegenbock gegeben, damit ich mit meinen Freunden feiern konnte. 30Als aber dieser – dein Sohn – gekommen ist, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.‘ 31 Er aber sagte zu ihm: ‚Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. 32Allein – man musste feiern und sich freuen, denn dieser – dein Bruder – war tot und ist lebendig geworden, und war verloren und wurde gefunden.‘“ Literatur: s. o. S. 521. – Außerdem: R.D. Aus, Luke 15:11–32 and R. Eliezer ben Hyrcanus’s Rise to Fame, JBL 104 (1985) 443–469. – K. Berger, Gleichnisse als Texte. Zum lukanischen Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ (Lk 15,11–32), in: Imago Linguae, 61–74. – G. Braumann, Tot – lebendig, verloren – gefunden (Lk 15,24 und 32), in: Wort in der Zeit, 156–164. – C.E. Carlston, Reminiscence and Redaction in Luke 15:11–32, JBL 95 (1975) 368–390. – J.A. Harrill, The Indentured Labor of the Prodigal Son (Luke 15,15), JBL 115 (1996) 714–717. – R.F. Hock, Romancing the Parables of Jesus, PRS 29 (2002) 11–37. – O. Hofius, Alttestamentliche Motive im Gleichnis vom verlorenen Sohn, NTS 24 (1977/78) 240–248. – D.A. Holgate, Prodigality, Liberality and Meanness. The Prodigal Son in Greco-Roman Perspective (JSNT.S 187), Sheffield 1999. – J. Joosten, „Père, j’ai péché envers le ciel et devant toi“. Remarques exégétiques et textuelles sur Luc 15,18.21, RHPhR 83 (2003) 145–156. – Jülicher, Gleichnisreden II, 333–365. – J. Lambrecht, A Note on Luke 15,1–32, in: Luke and his Readers, 299–306. – C. Landmesser, Die Rückkehr ins Leben nach dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, ZThK 99 (2002) 239–261. – G. Lohfink, „Ich habe gesündigt gegen den Himmel und gegen dich“. Eine Exegese von Lk 15,18.21, ThQ 155 (1975) 51–52. – Méndez-Moratalla, Paradigm of Conversion, 131–152. – W. Pöhlmann, Die Abschichtung des Verlorenen Sohnes (Lk 15,12 f.) und die erzählte Welt der Parabel, ZNW 70 (1979) 194–213. – Ders., Der Verlorene Sohn und das Haus (WUNT 68), Tübingen 1993. – P. Pokorný, Lukas 15,11–32 und die lukanische Soteriologie, in: Christus bezeugen, 179–192. – M.A. Powell, The Forgotten Famine. Personal Responsibility in Luke’s Parable of „the Prodigal Son“, in: Literary Encounters with the Reign of God, 265–287. – H. Räisänen, The Prodigal Gentile and his Jewish Christian Brother Lk 15,11–32, in: The Four Gospels 1992 II, 1617–1636. – E. Rau, Reden in Vollmacht (FRLANT 149), Göttingen 1990. – K.H. Rengs­torf, Die Re-Investitur des Verlorenen Sohnes in der Gleichniserzählung Jesu Luk. 15,11–32 (VAFLNW.G 137), Köln / Opladen 1967. – L. Schottroff, Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, ZThK 68 (1971) 27–52. – A. Stock, Textentfaltungen. Semiotische Experimente mit einer biblischen Geschichte, Düsseldorf 1978. – A. Weiser, Zuvorkommendes Erbarmen (Lk 15,20), in: Schrift und Tradition, 259–271.

Der Aufbau entspricht bis V. 24b demjenigen der beiden ersten Gleichnisse: Auch hier wird zunächst (a) eine Ausgangssituation beschrieben (V. 11b). An sie schließt sich (b) die Schilderung einer Problemlage an, die hier wie dort zur Trennung von Handlungssouverän (Hirt bzw. Frau / Vater) und dramatischer Hauptfigur (Schaf bzw. Drachme / jüngerer Sohn) führt (V. 12–16). Dass dieser Teil ausführlicher gestaltet ist als die analogen Vorgänge in V. 4b.8b, widerspricht dem nicht, denn erwachsene Menschen 528

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gehen nicht einfach verloren wie Schafe oder Münzen. Die Parallelität findet auch darin ihren Ausdruck, dass der Erzähler den jüngeren Bruder in eine Situation führt, die der Vater später in Aufnahme der Terminologie von V. 4bd.6e.8b.9e als én üpolwl„“ deutet (V. 24b.32c). Es folgt dann (c) die Lösung, d. h. eine Erzählung derjenigen Handlungen, die zur Beseitigung der Problemlage führen (V. 17–20a). Dieses Resultat wird der Vater dann wiederum im Anschluss an die beiden ersten Gleichnisse als e≠rfijh deuten (V. 24b.32c). Als letzter Teil folgt dann noch (d) die Beschreibung der Reaktion, die die Rückkehr des Sohnes bei seinem Vater auslöst (V. 20b–24b). Das Gleichnis vom verlorenen Sohn endet damit zunächst an derselben Stelle wie die ersten beiden Gleichnisse. Der Erzähler bricht in V. 24c (kaÑ ≥rxanto e§fra‡nesjai) anders als in V. 6 und in V. 9 nicht nach der Aufforderung und ihrer Begründung ab, sondern erzählt auch noch die Ausführung. Das hat seinen Grund darin, dass noch eine weitere Szene folgt, für die das Fest die Ausgangssituation markiert. Diese Mitteilung ist darum für die Fortsetzung erzählerisch notwendig, denn sie verknüpft die beiden Szenen miteinander. Die Fortsetzung der Erzählung in V. 25–32 rekurriert auf die Kritik der Pharisäer und Schriftgelehrten an Jesu Mahlgemeinschaft mit den Sündern (V. 2). Lukas holt damit die Konstellation der Rahmenerzählung ins Gleichnis hinein. Es entsteht dadurch ein Streitgespräch im Streitgespräch. Bei der Erzählfigur des Vaters handelt es sich um eine stehende Metapher, von der jeder Leser sofort weiß, dass mit ihr Gott gemeint ist (vgl. Strotmann, „Mein Vater …“; Chen, God as Father, 73 ff). Dieses Gleichnis verweist damit auf denselben Bedeutungsbereich, von dem schon in den Anwendungen der beiden ersten Gleichnisse die Rede war: auf Gottes himmlische Welt. Was in den Anwendungen der ersten beiden Gleichnisse indirekt behauptet wurde, wird hier narrativ in Szene gesetzt: dass Gott sich freut, wenn ein Sünder umkehrt. Die Reaktion des Vaters auf die Rückkehr des Sohnes ist also alles andere als überraschend. Kein Leser, der die Anwendungen der beiden ersten Gleichnisse noch im Ohr hat, wird vom Vater etwas anderes erwartet haben, als in V. 20b–24 erzählt wird. Und darum kann man in der Tat sagen, dass die hier erzählte Reaktion des Vaters die in V. 7.10 formulierte These veranschaulicht (s. auch Jülicher, Gleichnisreden, 357; Schottroff* 51). Wie in Mt 20,1–16; 21,28–32; Lk 7,41–43; 10,25–37; 18,9–14 orientiert sich die Konstellation der Erzählfiguren am Modell des dramatischen Dreiecks (vgl. Sellin, Lukas, 180): Einem Handlungssouverän (dem Vater) steht ein Paar von narrativen ‚Zwillingen‘ gegenüber (die beiden Brüder), deren Status zu Beginn der Erzählung gleich ist, während sie sich durch ihre Handlungen voneinander unterscheiden. Am Ende der Erzählung sind die zu Beginn bestehenden Verhältnisse von Nähe und Ferne zum Handlungssouverän umgedreht. Außerdem kommunizieren die Zwillinge immer nur mit dem Handlungssouverän und niemals miteinander. Aus diesem Grunde verarbeitet das Gleichnis auch nicht das Motiv der feindlichen Brüder (z. B. Kain und Abel, Jakob und Esau, Eteokles und Polyneikes), denn die tragen ihren Konflikt immer direkt aus. In der Erzählung sind zwei Topoi aufgenommen, die auch in außerntl Texten häufig belegt sind (vgl. die ausführliche Präsentation des Materials bei Pöhlmann*, Der verlorene Sohn, 89 ff): Die in der hellenistischen Umwelt des frühen Christentums wohlbekannte Gestalt des liederlichen Sohnes (u´Ö“ ±swto“ bzw. filius luxuriosus): vgl. vor allem die entsprechenden Klischees bei Aeschines, Tim. 42.75.105; s. auch Prov 28,7LXX; P. Flor. 99,6–8 (sowie bei V. 13). Zu den

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an diesem Bild haftenden Stereotypen gehört auch, dass der verschwenderische junge Mann auf Grund seiner Lebensweise in Not gerät: vgl. Aesops Fabel vom „jungen Verschwender, der sein väterliches Erbe durchgebracht hatte (nfio“ ±swto“ katafagán tÅ patr„a) und dem als einziges das Obergewand geblieben war“; Fab. 179 (Hausrath / Hunger); Seneca, Ep. Mor. 99,13 („Schau dir jene jungen Männer an, die das ausschweifende Leben [luxuria] in die Arena geführt hat, obwohl sie aus den besten Familien stammen“); s. auch Gnomolog. Vatican. 25 über Aristipp („er warf den Sohn raus, der ±swto“ geworden war“). Das Motiv vom Vater mit zwei ungleichen Söhnen: vgl. Mt 21,28–32 und MTeh zu Ps 9,1 (s. u. bei V. 11). Einer dieser beiden Söhne ist nicht selten der filius luxuriosus, und gerade ihm wird häufig die besondere Fürsorge des Vaters zuteil; vgl. Philo, QGen 4,198; Probus 57; Provid 2,15 bei Eusebius v. Caesarea, Praep. Evang. 8,14,2–6 (jeweils mit der Begründung, der brave Sohn könne für sich selbst sorgen, während der liederliche [±swto“] auf die väterliche bzw. elterliche Fürsorge angewiesen sei) sowie die Rezeption dieses Motivs in der fiktiven Deklamation „Der losgekaufte Kranke“ von Ps. Quintilian, Declam. 5: „Jemand hatte zwei Söhne, einen rechtschaffenen (frugi) und einen verschwenderischen (luxuriosus). Sie machten eine Reise und wurden von Piraten gefangen. Der liederliche wurde krank. Beide schrieben um Loskauf. Der Vater machte sein ganzes Vermögen zu Geld und brach auf. Die Seeräuber sagten ihm, was er mitgebracht habe, reiche nur als Lösegeld für einen; er solle wählen, wen er wolle. Er kaufte den Kranken los, doch der starb auf der Rückreise. Der andere brach aus dem Gefängnis aus und floh. Man verlangte von ihm, er solle für den Unterhalt des Vaters sorgen. Er erhebt Einspruch“ (Übers. nach Pöhlmann*, Der Verlorene Sohn, 111); s. auch – freilich mit einem anderen Plot – Seneca d.Ä., Rhet. Contr. 3,3 sowie der ebd. 2,4 und bei Calpurnius Flaccus, Declam. 30 erzählte casus: „Einer hatte Söhne, einen rechtschaffenen und einen verschwenderischen, den er wegen der Liebe zu einer Dirne verstieß. Der Verstoßene zog zur Dirne. Als er dort krank wurde, schickte er zum Vater und vertraute ihm den von der Dirne empfangenen Sohn an, darum bittend, dieser möge ihn in die Familie aufnehmen, und starb. Der Greis will ihn in die Familie aufnehmen. Vom anderen Sohn wird er des Wahnsinns beschuldigt“. – Gegen Heininger, Metaphorik, 150 f hat das Rededuell über die rechte Erziehung der männlichen Jugend bei Aristophanes, Nubes 949–1024 mit diesem Motivzusammenhang ebensowenig zu tun wie Menander, Sam. 3 (hier bezieht sich das zum Publikum gesprochene ™m›rthka des Sohnes darauf, dass er seinen Vater [!] überredet hat, sich mit einer Hetäre einzulassen). Auch die von Aus* postulierten Berührungen mit dem Geschick R. Eliezers ben Hyrkanus betreffen nur das narrative Kolorit, nicht den Plot.

11 Zu der für Lukas typischen Einleitung von Gleichnissen mit ±njrwp·“ ti“ s. bei 10,30. – Für Erzählungen, die mit der Formulierung „Ein Mensch hatte zwei Söhne“ beginnen, vgl. außer Mt 21,28–32: MTeh zu Ps 9,1 („[Die Sache gleicht] einem König, der zwei Söhne hatte. Einer war groß/älter und einer war klein/jünger. Der große/ältere war geehrt, und der kleine/jüngere war verachtet. Und trotzdem liebte er den kleinen/jüngeren mehr als den großen/älteren“; Übers. nach Rau* 301). Ähnlich beginnen auch die Konstruktionen der casus in den rhetorischen Schuldeklamationen (s. o.). 12 Die Handlung beginnt mit dem Wunsch des jüngeren Sohnes, sein Erbteil noch zu Lebzeiten des Vaters ausgezahlt zu bekommen. Einen vergleichbaren Vorgang erzählt Gen 25,5–6: („Abraham gab Isaak alles, was ihm gehörte. Und den Söhnen seiner Nebenfrauen gab Abraham Gaben [hebr.: tnOT'm; … !t;n"; LXX: ≤dwken … d·mata] und schickte sie noch zu seinen Lebzeiten fort von seinem Sohn Isaak …“). Sir 33,20–24 thematisiert eine andere Konstellation: Hier wird der Hausvater davor gewarnt, seinen gesamten Besitz zu früh den Söhnen zu übergeben, weil er dadurch von ihnen ökonomisch abhängig wird. Er soll das Erbe darum erst kurz vor seinem Tod verteilen (LXX: †n kairù teleutö“ di›do“ klhronom‡an «in der Zeit des Endes 530

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

15,13

[d. h. des Todes] verteile das Erbe»; V. 24). Ebenfalls nicht einschlägig ist Tob 8,21, wo Tobias von seinem Schwiegervater bei der Hochzeit die Hälfte von dessen Vermögen ausgehändigt bekommt und ihm in Aussicht gestellt wird, die andere Hälfte beim Tod seiner Schwiegereltern zu erhalten. Am nächsten kommt dem hier beschriebenen Vorgang ein im deutschen Recht „Abschichtung“ genanntes Verfahren (vgl. J. u. W. Grimm, Deutsches Wörterbuch I, 1854, 99: „kinder abschichten, wenn sie aus der gemeinschaft des vermögens treten und einen theil davon für sich empfangen“). Der Begriff wird noch 1998 in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes für Zivilsachen gebraucht (BGHZ 138 [1999] 10): „Miterben können gegen Abfindung einverständlich aus der Erbengemeinschaft ausscheiden (Abschichtung)“ (den Hinweis auf diesen Text verdanke ich Friedrich Garbers, Bonn). Das hier zugrundeliegende Begriffsverständnis unterscheidet sich freilich von dem durch Lukas konstruierten Fall darin, dass der Erblasser bei Lukas noch lebt und der jüngere Sohn gegen eine Abfindung seinen Erbverzicht erklärt (§ 2346 BGB). Die Begrifflichkeit entspricht durchgängig der fachsprachlichen Idiomatik: Der auf jeden Sohn entfallende Erbteil heißt auch bei Josephus, Ant. 4,249 tÖ mfiro“ tö“ patr„a“ o§s‡a“ «der Anteil am väterlichen Vermögen»; vgl. noch Isaeus, Or. 6,63 (wenn einer Kinder hat, verlangt das Gesetz, tÖ mfiro“ ©k›teron ≤cein tö“ o§s‡a“ kaÑ klhronomeõn ¨mo‡w“ ümfotfirou“ «dass jedes einen Anteil am Vermögen hat und beide gleichermaßen erben»); Polybius 20,6,6 („viele … vermachen tÖ pleõon mfiro“ tö“ o§s‡a“ «den größeren Teil des Vermögens» den Essvereinen“); Isocrates, Aegin. 5 (üpojnÔflskwn … a§tù … kaÑ tö“ o§s‡a“ mfiro“ ti … ≤dwken «als er starb …, gab er ihm … auch einen Teil des Vermögens»); außerdem Lysias, Or. 12,20; 17,6; Demosthenes, Or. 40,48; Dio Chrysostomus, Or. 47,21. tÖ †pib›llon mfiro“ (häufig wie vielleicht auch hier mit Dativ) bezeichnet den auf eine Person entfallenden Anteil an einem Ganzen. Parallelen finden sich vor allem in Papyri und auf Ostraka (Beispiele bei Pöhlmann*, Abschichtung, 205 ff), aber auch in der Literatur (vgl. Philo, Spec. Leg. 2,183; Somn. 2,107; Opif. M. 146; Vit. Mos. 2,148; Demosthenes, Or. 18,254; Diodorus Siculus 4,37,4; 14,17,5; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 3,29,4; 8,76,2; Dio Chrysostomus, Or. 46,6; Aelius Aristides, ed. Lenz / Behr, Or. 3,612 u. ö.; s. auch Mayser, Grammatik II/1, 84). Selbst wenn die Wendung „auch der volkstümlichen Sprache geläufig war“, gibt es für überlieferungsgeschichtliche Rückschlüsse keinerlei Grundlage (gegen Pöhlmann, ebd. 208). diaireõn tin‡ ti bezeichnet auch anderswo die noch zu Lebzeiten vorgenommene Verteilung des Besitzes unter den Erben; vgl. Jdt 16,24 („sie verteilte ihr Eigentum, bevor sie starb [dieõlen tÅ ≠p›rconta a§tö“ prÖ toú üpojaneõn a§tfln], an alle Angehörigen ihres Mannes Manasse und an alle Angehörigen ihrer eigenen Familie“); 1.Makk 1,6 (dieõlen a§toõ“ tÉn basile‡an a§toú ≤ti a§toú zùnto“ «er verteilte unter ihnen sein Reich, als er noch lebte»); s. auch Jos 18,5; Xenophon, Hellen. 3,2,10; Papyrusbelege bei Moulton / Milligan, Vocabulary, 149.

In jedem Fall verliert der abgefundene Sohn alle weiteren Ansprüche auf das Erbe (s. auch tBB 2,5: „Ein Sohn, der geteilt hat, ist wie irgendeiner von allen anderen Menschen“), während seinem Bruder das volle Erbrecht auf den gesamten Rest zusteht (vgl. V. 31c), über den der Vater bis zum Eintreten des Erbfalls seinerseits uneingeschränkt verfügen kann (vgl. V. 22 f). 13 metû o§ pollÅ“ ™mfira“ ist eine Litotes (Lausberg, Handbuch, § 586: „eine periphrastische Kombination der Emphase […] und der Ironie […]“). Diese Figur ist im NT außer bei Paulus vor allem bei Lukas belegt (vgl. vor allem Apg 1,5, aber auch 2.Makk 6,1; Joh 2,12; Apg 27,14 sowie Apg 12,18; 14,28; 15,2; 17,4.12; 19,11.23.24; 20,12; 21,39; 26,19.26; 27,20; 28,2; B/D/R § 495,2). Unter Verweis auf Plutarch, Cat. Min. 6,7 („eine Erbschaft … e¢“ ürg‚rion sunagag„n «zu Geld machen»“) wird für sun›gein häufig die Bedeutung „zu Geld machen“ angenommen (s. auch Moulton / Milligan, Vocabulary, 600; Holgate* 140 mit Anm. 33). Vielleicht wollte 531

15,14–16

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der Erzähler aber auch nur die ironische Antithese markieren, denn sun›gein (13a) und (dia)skorp‡zein (13c) sind semantische Oppositionen (vgl. im NT: Lk 11,23 par. Mt 12,30; Mt 25,24; Joh 11,52): Im fernen Land (zur Formulierung c„ran makr›n s. auch Lk 19,12) verschleudert der junge Mann, was er daheim eingesammelt hat. Das zu üs„tw“ (wörtlich: ‚heillos‘ oder ‚unheilbar‘) gehörende Adjektiv hat dem Typus des liederlichen Sohnes (u´Ö“ ±swto“) seinen Namen gegeben (s. dazu o. S. 529 f; vgl. außer den dort genannten Texten: Athenaeus, Deipn. 4,60 [166 f–167a]; 4,67 [168e]: p›nta … ün›lwse tÅ patrùa e¢” üswt‡an «sein gesamtes … väterliches Vermögen hat er in Verschwendung aufgelöst»; Plutarch, Mor. 55c; Philostratus, Vit. Soph. 2,603; Diogenes Laertius 5,82). Die Formulierung zön üs„tw“ haben auch Josephus, Ant. 12,203 sowie mit einem bezeichnenden semantischen Feld Demosthenes, Or. 40,58 (Crito habe nicht metr‡w“ «maßvoll», sondern polutelù“ kaÑ üs„tw“ «aufwendig und verschwenderisch» gelebt); Plutarch, Mor. 847e (Demosthenes „wird nachgesagt, dass er üs„tw“ gelebt habe, wobei er Frauenkleider getragen und laufend Orgien gefeiert habe“); Athenaeus, Deipn. 4,62 (167c; zön mÉ kosm‡w“, üllû üs„tw“ «nicht schicklich leben, sondern üs„tw“»); vgl. auch Aristoteles, Eth. Nic. 1119b32 ff: „Die Unenthaltsamen und die, die für Ausschweifung Geld ausgeben, nennen wir ±swtoi. … Denn ein ±swto“ ist jemand, der den einen Fehler hat, das Vermögen zu zerstören (tÖ fje‡rein tÉn o§s‡an), denn ein ±swto“ ist der, der um seiner selbst willen zugrundegeht (diû a≠tÖn üpoll‚meno“)“; s. auch Holgate* 142 ff. – Den Begriff ±swto“ gibt es als Fremdwort auch im Lateinischen (asotus). Cicero schreibt: „Ich will mir liederliche Menschen (asotos) nicht so vorstellen, wie ihr es zu tun pflegt: solche, die auf den Tisch kotzen (qui in mensam vomant), die man von den Gelagen wegtragen muss und die sich am nächsten Tag, wenn sie noch voll sind, erneut den Bauch vollschlagen, die … die Sonne weder unter‑ noch aufgehen sehen und die hungern müssen, nachdem sie das väterliche Erbe verzehrt haben (qui consumptis patrimoniis egeant). Niemand von uns ist der Meinung, dass liederliche Menschen von dieser Sorte (istius generis asoti) ein angenehmes Leben führen“ (Fin. Bon. Mal. 2,23).

14–16 beschreiben die Notlage, in die der junge Mann auf Grund seines Lebenswandels gerät. Ihr Auslöser ist eine schwere Hungersnot (14). limÖ“ ¢scur› ist griechisches Idiom (vgl. Thucydides 3,85,2; Plutarch, Lys. 13,3; Aelianus, Nat. Anim. 3,1; Cassius Dio 5,18,4; 39,9,2; 55,26,1; 60,11,1; s. auch Gen 41,31). †gfineto lim·“ findet sich zwar häufig in der Septuaginta (Gen 12,10; 26,1; 41,54; 43,1; Ruth 1,1; 2.Sam 21,1; 2.Kön 6,25), doch ist dieser Ausdruck zu häufig auch in paganen Texten belegt (z. B. Thucydides 3,85,2; Athenaeus, Deipn. 9,39 [388a]; Aelianus, Nat. Anim. 15,27; s. auch Cassius Dio 5,18,4; 39,9,2; 60,11,1), um ihn als eine „biblische Wendung“ bezeichnen zu können (gegen Wiefel). Die Zusammenhänge bleiben freilich unerzählt; Lukas setzt ganz offensichtlich voraus, dass seine Leser sie auf Grund ihrer kulturellen Enzyklopädie herstellen können. Hungersnöte werden durch Nahrungsmittelengpässe ausgelöst, die viele Ursachen haben können (Missernten, Naturkatastrophen, Kriege, Verteilungsprobleme, künstliche Verknappung). Auf jeden Fall aber führen sie zu einem Preisanstieg, der vor allem natürlich die ökonomisch Schwachen trifft, zu denen nun auch der verschwenderische Jüngling gehört. Das Problem ist also nicht, dass es prinzipiell nichts zu essen gibt, sondern dass die Nahrungsmittel für ihn zu teuer geworden sind. Dass er Mangel leidet, ist also keine unmittelbare Folge seiner Verschwendung (p›nta hat in 14a dieselbe Referenz wie in V. 13a: alles, was er mitgenommen hatte), sondern er gerät erst dann in Not, als Nahrungsmittelknappheit und Inflation hinzukommen. Jedenfalls ist es nicht „die Natur“, die sich auch gegen ihn wendet (gegen Nolland; Bock), sondern die Ökonomie. 15 Um seine Situation zu verbessern, ist der junge Mann gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen und sich in ein Lohnarbeitsverhältnis zu begeben. kollôsjai ist mit 532

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

15,17

„sich anhängen“ (Klostermann; Wiefel; Bovon) oder „sich anschließen“ (Schweizer) oder „sich wenden an“ (Burchard, Studien, 317) zu blass und mit „sich aufdrängen“ (Schneider; Kremer; ähnlich auch Bauer, Wörterbuch, 897) falsch übersetzt. Der Begriff bezeichnet vielmehr die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses, das im Unterschied zu dem eines Tagelöhners auf Dauer gestellt war und als Bestandteil der Entlohnung häufig auch (oder nur) die Bereitstellung von Nahrung, Unterkunft und Kleidung einschloss. Der Rechtsform nach könnte an einen sog. Paramone¯ -Vertrag gedacht sein, mit dem ein Schuldner sich bei seinem Gläubiger verdingte, um einen bei diesem aufgenommenen Kredit abzuarbeiten (vgl. B. Adams, Paramoné und verwandte Texte, 1964; Hengstl, Arbeitsverhältnisse, 9 ff; Harrill*). Hengstl und Harrill verweisen auf P. Oxford 10,15–19: Aus einer finanziellen Notlage heraus verpflichtet sich ein Mann, ein Jahr lang bei einem Gutsbesitzer zu „bleiben“ (paramfinein) und dessen Schweine zu hüten. Dass die Erzählung den jungen Mann ausgerechnet bei der Schweineherde einsetzt (15b), soll den Lesern dessen sozialen Abstieg vor Augen führen (vgl. auch den Kommentar des Herausgebers E.P. Wegener, Some Oxford Papyri [P. Oxford], Leiden 1942, 42 ff). 16 will illustrieren, dass der junge Mann sozial noch weiter absinkt: Er konkurriert mit den Schweinen ums Essen, und ihm wird dabei selbst das Schweinefutter verweigert. Diese Information suggeriert reichlich hyperbolisch, dass man die Schweine wichtiger nimmt als ihn und nicht zulassen will, dass er diesen etwas wegisst. Die Lesart cortasjönai (P75 a B D L f1.13 u. a.) ist zwar besser bezeugt als gem‡sai tÉn koil‡an a§toú (A Q Y M lat sys.p.h), doch ist auch denkbar, dass die ‚animalischere‘ Formulierung im Zuge der Textüberlieferung durch die dezentere ersetzt wurde, die zudem vielleicht aus 16,21 an diese Stelle übertragen wurde.

ker›tia bezeichnet die Schoten des Karobbaumes (botanisch: Ceratonia siliqua L; vgl. seine Beschreibung bei Plinius d.Ä., Hist. Nat. 13,59; eine Abb. bei Zohary, Pflanzen, 63). Sie werden 10–25 cm lang und bis zu 3 cm dick. Ihr Fruchtfleisch ist erst weich und süß; später trocknet es aus und findet dann (wie die Hülsen sowieso) nur noch als Viehfutter Verwendung; s. auch Bill. II, 214 f mit dem R. Acha (ca. 320) zugeschriebenen Spruch: „Wenn die Israeliten Karob (abwrx) essen müssen, dann kehren sie um“ (LevR 35,6). 17–20a Die Peripetie von der Krise zur Lösung wird hier wie auch in 16,3–4 durch einen inneren Monolog eingeleitet (V. 17–19). Dabei handelt es sich um ein typisches Element des lk Gleichniserzählens, das stets einen narrativen Knotenpunkt markiert, der darüber entscheidet, wie die Erzählung weitergeht (s. auch 12,17–19; 18,4–5; 20,13 sowie Sellew, Interior Monologue, 245 ff; Heininger, Metaphorik, 31 ff). 17 Mit der Formulierung e¢“ ©autÖn … ≤rcesjai (17a) werden auch sonst Sinnesänderungen beschrieben: Vgl. TestJos 3,9 („éljon e¢“ †maut·n «ich kam zu mir selbst» und trauerte …, weil ich erkannt hatte“); Diodorus Siculus 13,95,2 (toõ“ logismoõ“ e¢“ ©autoÜ“ ≤rcesjai «durch die Überlegungen zu sich selbst kommen»); Epiktet, Diss. 3,1,15 („du kommst zu dir selbst und wirst erkennen“); s. auch griechBar 17,3 mit Bezug auf 1,1–2 (von der Klage zum Gotteslob) sowie Seneca, Benef. 7,20,3; Lukrez, Rer. Nat. 996.1023: jeweils redire ad se (es handelt sich bei dieser Formulierung also nicht um einen Semitismus; gegen Jeremias, Gleichnisse, 129 f; Marshall). Nach ActPetr 35 (MartPetr 6; Lipsius / Bonnet I, 88,9 f) begegnet der aus Rom fliehende Petrus dem Herrn, und es kommt zu

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15,18

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dem bekannten Quo-vadis-Dialog mit dem Ergebnis: „und Petrus ging in sich (†lján e¢“ ©aut·n) … und kehrte nach Rom zurück“.

In 17b–c vergleicht der junge Mann seine eigene Situation mit derjenigen der Lohnarbeiter seines Vaters. m‡sjioi müssen nicht unbedingt Tagelöhner sein, denn es gibt auch Arbeitsverhältnisse auf der Basis von Stücklohn und von Monatslohn (vgl. Hengstl, Arbeitsverhältnisse, 98 ff.106 ff). Er stellt fest, dass die übliche Entsprechung von sozialem Status und wirtschaftlicher Lage in ihr Gegenteil verkehrt ist: Den Lohnarbeitern geht es viel besser (perisse‚ontai ±rtwn) als ihm, dem Sohn (limù … üp·llumai). Die Achse dieses Vergleichs ist das semantisch inkohärente Gegenüber von „mein Vater“ und „hier“ (óde). Es wird dadurch suggeriert, dass Nähe oder Distanz im Verhältnis zum Vater über Wohl oder Wehe entscheiden. Hier spielt ganz offensichtlich bereits die Sachhälfte in die erzählte Welt des Gleichnisses hinein. Aus diesem Grunde gehen auch die terminologischen Klimmzüge, die unternommen werden, um dem Verhalten des Sohnes „nur Rückkehr und nicht Umkehr“ zuschreiben zu können (H. Merklein, Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip, 31984, 195 für viele andere), an der Sache vorbei: Der Sohn kehrt zu seinem Vater zurück, weil er erkannt hat, dass es selbst dessen Lohnarbeitern besser geht als ihm, dem Sohn – und zwar einzig und allein, weil sie bei seinem Vater sind (s. auch Méndez-Moratalla* 138 ff). Dass Lukas den jungen Mann seinen Zustand als „üp·llumai“ bezeichnen lässt und ihm damit dasselbe Wort in den Mund legt, das auf der Deutungsebene des gesamten Kapitels im Zentrum steht (V. 4.6.8.9.24.32; s. jeweils z.St.), ist mit Sicherheit kein Zufall. 18 Das pleonastische ünastÅ“ pore‚somai ist ein Septuagintismus (s. bei 1,39). Eine Anspielung auf Hos 2,9 ist nicht zu erkennen (gegen Hofius* 240 f), denn der Sohn hat in 17b–c seine Situation nicht mit seiner eigenen Vergangenheit verglichen. 18c ist ein typisches Sündenbekenntnis: Formulierungen mit e¢“ z. B. Gen 20,6.9; Prov 8,36; 2.Makk 7,18; Jdt 5,20; mit †n„pion: z. B. Ex 32,33; 1.Sam 7,6; 20,1; Jdt 5,17; Tob 3,3; JosAs 12,4.5; 21,11–21 (s. auch Lohfink*: „Geständnisformel“). „Himmel“ steht hier wie in V. 7 für Gott. – Die doppelte Ausrichtung des Sündenbekenntnisses auf Gott und auf seinen Vater zerstört nicht des Letztgenannten Transparenz auf Gott hin. Lukas lässt den jungen Mann vielmehr so reden, wie fromme Juden reden würden; vgl. in diesem Sinne JosAs 7,4 (Josef: „ich werde nicht sündigen †n„pion kur‡ou … und nicht katÅ pr·swpon meines Vaters Jakob“); 23,11 („wir haben gesündigt vor unserem Gott und vor unserem Vater Israel und vor unserem Bruder Josef “; jeweils †n„pion); s. auch Josephus, Bell. 1,635 („ich bin schon verurteilt parÅ jeù kaÑ parÅ so‡, p›ter «bei Gott und bei dir, Vater»“); s. auch Ex 10,16 („Ich habe gesündigt †nant‡on toú kur‡ou … kaÑ e¢“ ≠mô“ «vor dem Herrn … und gegen euch»“). Der Vorschlag von Joosten* (‚ich habe bis zum Himmel [d. h. über alle Maßen] gegen dich gesündigt‘) basiert auf einer zu engen Wahrnehmung des jüdischen Sprachgebrauchs und ist von zu vielen hypothetischen Zusatzannahmen abhängig, um akzeptabel zu sein. 19 Auch anderswo verbindet sich mit einem Sündenbekenntnis die Feststellung der eigenen Unwürdigkeit; vgl. OrMan 8 f („Du nun Herr, Gott der Gerechten, … du hast mir, dem Sünder, met›noia auferlegt, denn ich habe gesündigt … kaÑ o§kfiti e¢mÑ ±xio“, … zu sehen die Höhe des Himmels“); JosAs 12,5 („ich habe gesündigt, Herr, vor dir …, kaÑ nún o§k e¢mÑ üx‡a, meinen Mund vor dir zu öffnen, Herr“). – Die in 534

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

15,20b–21

19b ausgesprochene Bitte formuliert am Ende nicht nur eine (auf den Vater bezogene) Antithese zu 19a (eï“ tùn misj‡wn sou vs. u´·“ sou), sondern konstruiert mit der Wiederaufnahme von m‡sjioi toú patr·“ mou aus V. 17b auch eine (auf die Leser bezogene) Inklusion für den ganzen Monolog. Der Sohn ist bereit, für die Möglichkeit der Rückkehr zum Vater auch einen Statusverzicht auf sich zu nehmen, weil er sich davon eine Verbesserung seiner existentiellen Lage verspricht. „Nicht das schlechte Gewissen, sondern der Hunger treibt ihn nach Hause“ (Stock* 41). Die Modulation des Prädikatsakkusativs durch Æ“ (∫na tùn misj‡wn sou) ist ein Septuagintismus (vgl. Gen 13,16; 45,8; 48,20; Hab 1,14; Jes 41,15; 44,13). Es berücksichtigt die aus dem Wunsch sich ergebende Statusdissonanz, denn auch als m‡sjio“ bleibt er leiblicher Sohn (vgl. die Anrede p›ter in V. 18c sowie Jülicher, Gleichnisreden, 349 mit Verweis auf Ruth 2,13LXX: †gá ≤somai Æ“ m‡a tùn paidiskùn sou «ich werde wie eine deiner Mägde sein»; zur Abgrenzung s. z. B. Lk 19,46parr.; Apg 2,36 und Bauer, Wörterbuch, 1367). 20a Der erste Teil des inneren Monologs (V. 18a) wird nun in Erzählung umgesetzt. Dabei wird die gezielte personale Ausrichtung auf den Vater beibehalten, die schon das Selbstgespräch des jungen Mannes bestimmt hatte (s. bei V. 17b–c). 20b–24 Die Szene, die die Reaktion des Vaters auf die Rückkehr seines Sohnes erzählt, entspricht V. 5–6 und V. 9 in den beiden ersten Gleichnissen. Hier wie dort endet die Darstellung mit einer wörtlichen Rede des Handlungssouveräns. Außerdem sind alle drei Szenen parallel strukturiert, denn (a) Hirte, Frau und Vater wenden sich jeweils narrativen Statisten zu – die beiden erstgenannten den Freund(inn)en und Nachbar(inne)n (V. 6b.9b), der Vater seinen Sklaven (V. 22a) – und richten (b) eine Aufforderung an sie (Imperativ oder Kohortativ; V. 6d.9d: sugc›rhtfi moi; V. 22 f: †xenfigkate, †nd‚sate, d·te, ffirete, j‚sate, e§franjùmen), die sie dann schließlich (c) mit einem Ωti-Satz begründen (V. 6e.9e und V. 24ab). 20b–21 Die weitere Realisierung des inneren Monologs unterbricht der Erzähler dadurch, dass er den Vater mit Erbarmen (zur Abfolge von „sehen“ und †splagcn‡sjh s. bei 7,13) erfüllt werden lässt, und zwar bevor sein Sohn ihm nahe genug gekommen ist (die Formulierung [o§] makrÅn üpficonto“ benutzt Lukas auch in 7,6), um das Sündenbekenntnis aufzusagen, das er sich zurechtgelegt hat. Nicht ersichtlich ist, warum Lukas den jungen Mann unterbricht, bevor der seine Bitte loswerden kann, sein Vater möge ihn als Lohnarbeiter einstellen (a B D u. a. tragen V. 19b harmonisierend nach). Vielleicht will er eine erzähldramatische Zuspitzung zwischen dem „nicht länger dein Sohn“ (21c) und dem väterlichen „dieser mein Sohn“ (V. 24a) schaffen; vielleicht will er aber auch nur das Erzähltempo erhöhen. – Die Pointe der Szene basiert jedenfalls auf der Differenz zwischen der Erwartung der Leser (sie wissen, was der Sohn sagen will) und dem tatsächlichen Verhalten des Vaters (s. auch Weiser* 267). Dass das Sündenbekenntnis erst in V. 21 nachgetragen wird, hat abgrenzende Funktion: Der Erzähler will damit deutlich machen, wodurch das Handeln des Vaters nicht veranlasst wurde. Gänzlich „zuvorkommend“ (Weiser* u. a.) oder „voraussetzungslos“ (Landmesser* 254) ist das Handeln des Vaters freilich auch wieder nicht, denn den ersten Schritt hat der Sohn mit seiner Rückkehr getan (zur potentiellen Transparenz des väterlichen splagcn‡zesjai auf Gott s. bei 1,78 sowie H. Köster, ThWNT 7,551 f). Keinen Leser, der V. 7 und V. 10 noch im Ohr hat, kann die Reaktion des Vaters überraschen – zumal wenn er möglicherweise auch noch Ps 103,13 kennt („Wie sich ein 535

15,22

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten“; s. auch CD 13,9: „sich erbarmen [~xr] … wie ein Vater über seine Söhne“). Die Freude des Vaters wird dadurch in Szene gesetzt, dass er dem zurückkehrenden Sohn entgegenläuft und ihm um den Hals fällt; vgl. in diesem Sinne vor allem die Begrüßung des zurückkehrenden Sohnes in Tob 11,9 („Anna lief herbei und fiel um den Hals ihres Sohnes“) und andere Wiedersehensszenen: Gen 33,4MT („Esau lief ihm [sc. Jakob] entgegen, umarmte ihn, fiel ihm um den Hals und küsste ihn, und sie weinten“); s. auch Gen 45,14 f (Joseph bei seinen Brüdern: um den Hals fallen, küssen, weinen); Gen 46,29 (Joseph bei seinem Vater: um den Hals fallen und weinen); Tob 7,6 (Raguel bei Tobias: küssen und weinen); Jub 31,6 f (Rebekka bei Jakob und seinen Söhnen: umarmen und küssen); Homer, Od. 16,14 f (Eumaios bei Odysseus: entgegenlaufen und küssen, und zwar „wie ein Vater den Sohn mit liebendem Herzen begrüßt“; ebd. 17); ebd. 20 f (umarmen und küssen) sowie (in Abschiedsszenen): 3.Makk 5,49 und Apg 20,37 (jeweils um den Hals fallen und küssen). Es ist angesichts dieser Texte unwahrscheinlich, dass speziell der Kuss die Vergebung zum Ausdruck bringen soll (so häufig unter Verweis auf 2.Sam 14,33). Darüber hinaus spricht die Breite der Belege entschieden gegen einen gezielten intertextuellen Rückgriff auf Gen 33,4 (so Hofius* 242 f) oder auf Gen 45,14 f LXX (so Carlston* 371 f).

22 Die Anweisungen zur Neueinkleidung bringen zum Ausdruck, dass der Vater den Rückkehrer mit besonderen Ehrungen versehen wissen will. Mehr als Jülicher* 351 kann man nicht sagen: Es soll „veranschaulicht werden, dass der Vater augenblicklich aus dem heimgekehrten Sohne das Gegenteil von einem Tagelöhner macht, einen vornehmen Mann, dass er ihn auszeichnet, statt ihn zu erniedrigen. … Der … Mann ist als Ehrengast erwiesen, als mehr wie für gewöhnlich ein Sohn“ (s. auch Klostermann). Dass dem Sohn „Macht übertragen“ wird (so Rengstorf* 39), steht ebensowenig im Text wie dass der vor V. 12 bestehende vermögensrechtliche Zustand wiederhergestellt wird und der zurückgekehrte Sohn nun erneut erbberechtigt wird. Wäre Letzteres der Fall, würde Lukas den älteren Bruder in V. 29 wohl kaum lediglich gegen die Feier protestieren lassen. Und die in V. 31 ausgesprochene Versicherung des Vaters, dass sein gesamter Besitz auch dem älteren Sohn gehöre, stimmte dann auch nicht mehr. Eine stolÉ pr„th hat auch Aseneth (JosAs 15,10; 18,5): Sie holt sie aus der Truhe hervor (†kffirein wie in 22b), um sie zur Hochzeit anzuziehen (vgl. Burchard, Studien, 318). Zu den Formulierungen der Anweisungen in 22c vgl. einerseits Esth 3,10LXX (¨ basileÜ“ tÖn dakt‚lion ≤dwken e¢“ ceõra tù Aman «der König gab den Ring an die Hand Hamans» [diff. MT]; s. auch Gen 41,42) und andererseits Jdt 10,4: Judith putzt sich heraus, und bevor sie ihren Schmuck anlegt (wozu auch dakt‚lia «Ringe» gehören), „zog sie Schuhe an ihre Füße (≤laben sand›lia e¢“ toÜ“ p·da“ a§tö“)“. Mit den immer wieder in diesem Zusammenhang genannten Texten Gen 41,42; Jub 40,7; 1.Makk 6,15; Josephus, Ant. 12,360 haben die Anweisungen des Vaters nichts zu tun, denn dort fehlen nicht nur die Schuhe, sondern es geht auch immer um die Übertragung einer bestimmten Aufgabe oder um die Einsetzung in ein Amt; davon ist in der lk Erzählung weit und breit nichts zu erkennen. 23 Das Mastkalb bekommt nicht nur Grünfutter, sondern auch Getreide (darum siteut·“; s. auch Theopomp, FGH 2b, 115, Frgm. 106a: als Agesilaos nach Ägypten kam, „schickten ihm die Ägypter Gänse und Mastkälber [m·scou“ siteuto‚“]“; Ri 6,25A.28A; Jer 26,21LXX [MT: 46,21]). Der bestimmte Artikel soll offenbar anzeigen, dass es im Stall nur ein fertig gemästetes Kalb gab (s. auch V. 27.30). Dadurch wird die Bedeutung, die der Vater der Rückkehr des Sohnes zuschreibt, noch zusätzlich 536

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

15,27

hervorgehoben. – Die Verknüpfung von †sj‡ein und e§fra‡nesjai gibt es sonst nur noch in Dtn 12,7; 14,26; 27,7 (mit „trinken“: Lk 12,19; 1.Kön 4,20MT; 8,65; 1./3. Esr 9,54; Tob 8,20a; Koh 8,15; JosAs 20,8; TestAbrB 5,1). Jedenfalls ist es das durch die Rückkehr des Sohnes auf Seiten des Vaters veranlasste e§fra‡nesjai, das im weiteren Verlauf zum Leitwort und zum Gegenstand des Streitgesprächs mit dem älteren Sohn wird (V. 24c.29c.32a). 24a–b Die Begründung für die Anweisungen lässt Lukas den Vater mit Hilfe eines synonymen Parallelismus membrorum formulieren und dadurch die bis V. 20a erzählte Geschichte seines Sohnes in doppelter Weise deuten: Zum einen greift er mit der diachronischen Antithese „(einst) tot – (jetzt) lebendig“ auf traditionelle Bekehrungsterminologie zurück, mit der die Zeit vor der Bekehrung als „Tod“ und die Bekehrung selbst als Gewinn von Leben beschrieben werden; vgl. JosAs 8,9; 15,5; 27,10; Philo, Migr. Abr. 122 f; Ps. Philo, Jona 153; Kol 2,13; s. auch Berger* 64 (Röm 6 gehört jedoch nicht in diesen Zusammenhang, weil dort das ‚Sterben‘ bei der Taufe im Blick ist und nicht das Tot-Sein als Bezeichnung für die Zeit vor der Bekehrung; derselbe Fehler auch bei Braumann* 158). – Zum anderen rekurriert er auf das Paradigma „verloren – gefunden“, das den Lesern bereits aus den beiden ersten Gleichnissen bekannt ist. Deren Plot (das Wiederfinden von Verlorenem löst Freude aus) wird dadurch zur Interpretationsanweisung für die Wendung im Leben des zu seinem Vater zurückgekehrten filius luxuriosus. 24c–32 Die Schlussszene ist als Streitgespräch gestaltet und reproduziert damit die Konstellation des literarischen Rahmens (s. o. S. 521): Auf die Schilderung einer Ausgangssituation (V. 24c) folgt die Einführung eines Antagonisten (V. 25–30), und den Abschluss bildet ein Diktum des Protagonisten (hier: des Vaters; V. 31–32). 25 Dass der Erzähler den älteren Sohn vom Acker zurückkehren lässt, sollte nicht zum Anlass von Spekulationen über die Größe der väterlichen Landwirtschaft genommen werden (vgl. z. B. Nolland; Green; Bovon), sondern hat narrative Gründe: Es kommt Lukas darauf an, dass der ältere Sohn von den in V. 20b–24b erzählten Ereignissen nichts mitbekommt, sondern erst hinzukommt, nachdem das Fest in V. 24c begonnen hat. sumfwn‡a kaÑ coro‡ setzen e§fra‡nesjai (V. 24c) in Szene. In 26–27 geht es dementsprechend darum, den älteren Sohn über diejenigen Ereignisse zu informieren, die er verpasst hat. 26 Zu paõ“ als Bezeichnung für Sklaven vgl. bei 7,7. punj›nesjai ist ein von Lukas bevorzugtes Wort (9 von 12 ntl Belegen stehen im lk Doppelwerk), und der Optativ in indirekter Rede findet sich im NT überhaupt nur bei ihm (vgl. B/D/R § 386,1; s. aber auch pujfisjai t‡“ …n e¥h in Joh 13,24). 27 Bei der Erklärung, die der ältere Sohn bekommt, handelt es sich um eine deutende Auswahl aus den in V. 20–24 erzählten Ereignissen, die das Gespräch zwischen dem Vater und seinem älteren Sohn in eine bestimmte Richtung lenken soll: Von den Anweisungen des Vaters (V. 22–23) ist nur die Schlachtung des Mastkalbs (V. 23a) übrig geblieben (27c), während die Instruktionen zur Neueinkleidung seines Bruders (V. 22b–c) unerwähnt bleiben. Außerdem modifiziert der Knecht die vom Vater in V. 24a–b gegebene Erklärung. Er „referiert“ sie durchaus nicht „ganz objektiv“ (so Jülicher* 354), sondern bleibt hinter ihr zurück, weil seine eigene Erklärung anders als diejenige des Vaters von der Lebensgeschichte des jüngeren Bruders absieht. „Gesund zurückerhalten“ (≠gia‡nonta üpolamb›nein) möchte man jeden Reisenden (vgl. die formelhaften Wendungen in BGU I, 332,5: e§comfinh ≠mô“ ≠gia‡nonta“ üpolabeõn 537

15,28

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

«betend, euch gesund zurückzuerhalten»; P. Oxy. IX, 1217,4–6: gr›fw soi … e§comfinh parÅ pôsi jeoõ" ≠gia‡non[t›] se … üpolabeõn «ich schreibe dir … zu allen Göttern betend, dass du sie gesund … zurückerhältst»; s. auch Tob 5,17a.21). Insofern ist die Deutung des Knechts natürlich nicht falsch. Sie trivialisiert jedoch den Vorgang, indem sie das Geschehen in eine ganz andere Sinnwelt überträgt (diese Differenz wird von Hock* 18 ff nicht ausreichend beachtet). Der Erzähler legt dem Sklaven diese Antwort selbstverständlich nicht in den Mund, um den Lesern dessen Beschränktheit vor Augen zu führen. Es geht ihm vielmehr darum, dass dem älteren Bruder die Deutung des Vaters erst einmal vorenthalten bleibt und die Erzählung als Streitgespräch weitergehen kann, in dem der Vater dann das letzte Wort behält. In 28 bereitet der Erzähler die Szene für den in V. 29–32 folgenden Schlussdialog vor. Die Raffungsintensität ist ausgesprochen hoch, denn sehr viel bleibt unerzählt und muss durch die Imagination der Leser ergänzt werden. Das erhöht natürlich die Bedeutung dessen, was tatsächlich erzählt wird. Bereits hier sind nur Vater und Sohn präsent; alle anderen Personen, die mitgewirkt haben müssen, damit es zur finalen Konfrontation der beiden Hauptpersonen kommen kann, sind in den unerzählten Lücken verschwunden. Und wie in V. 29–32 erst der Sohn zu Wort kommt und dann der Vater, so wird auch hier das Verhalten des Sohnes (28a) vor dem des Vaters (28b) beschrieben. Zwei durative Imperfekte sind dabei aufeinander bezogen: Dem o§k ≥jelen auf Seiten des älteren Sohnes entspricht das parek›lei des Vaters. Das verweigerte e¢seljeõn des Sohnes findet sein unmittelbares Gegenüber zudem im †xelj„n des Vaters. Die chiastische Anordnung dieser vier Verbformen (o§k ≥jelen e¢seljeõn … †xelján par­ ek›lei) lässt erkennen, wie sorgfältig der Erzähler die Szene gestaltet hat. Das imperfektische o§k ≥jelen soll die definitive Ablehnung zum Ausdruck bringen und nicht eine momentane Unschlüssigkeit, die eventuell noch revidiert werden kann (vgl. den entsprechenden Sprachgebrauch in Gen 37,35; 39,8; Ps 77,10; Jer 9,5; 11,10; 38,15LXX; Mt 18,30; 22,3; Mk 8,30; Lk 18,13; Joh 7,1 sowie die Modulation in Lk 18,4: o§k ≥jelen †pÑ cr·non). Die metaphorische Transparenz des Gleichnisses auf Gottes himmlische Welt hin erlaubt es den Lesern, sich von der Weigerung des Sohnes „hineinzugehen“ an den entsprechenden Vorwurf gegen die Rechtsgelehrten in 11,52 erinnern zu lassen (a§toÑ o§k e¢sflljate). Auch 13,24 stellt mit der Aufforderung: „Strengt euch an, durch die enge Tür hineinzukommen (e¢seljeõn)“, und der Rede von solchen, die „versuchen werden hineinzukommen (zhtflsousin e¢seljeõn) und es nicht können“, einen Assoziationszusammenhang bereit, denn hier geht es ebenfalls um die Teilnahme an einem Festmahl (13,28 f). Mit seiner Weigerung gehört der ältere Sohn dann auch zu denen, die nach 14,18–20 die Einladung zum Festmahl zurückweisen (Mt 22,3 beschreibt ihr Verhalten als o§k ≥jelon †ljeõn) und die der Hausherr in Lk 14,24 definitiv ausgeschlossen hat (vgl. demgegenüber V. 23 von den Ersatzgästen: ün›gkason e¢seljeõn). Für die Existenz eines solchen Interpretationsgeflechts (s. auch Johnson) spricht vor allem, dass sowohl die beiden o¢kodesp·tai von 13,25 und 14,21 als auch der Vater in diesem Gleichnis auf Gott verweisen und dass zudem in allen drei Fällen ein und dasselbe Bildfeld verarbeitet ist. In 29–30 begründet der ältere Sohn seine Weigerung „hineinzugehen“, und der Erzähler lässt ihn damit zugleich auf das parakaleõn des Vaters antworten (vgl. üpo­ krije‡“ in 29a). Der Ältere stellt sein eigenes Wohlverhalten (29b–c mit Anklang der 538

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

15,31–32

Formulierung an Dtn 26,13; zur Übersetzung vgl. B/D/R § 2595) dem Schlechtverhalten seines jüngeren Bruders (30a; zu katesj‡ein in Bezug auf das väterliche Erbe vgl. die o.S. 530 zitierte Fabel vom jungen Verschwender) gegenüber und beschwert sich, dass der Vater diesen besser behandelt hat als ihn. Die beiden Dative †mo‡ (29d) und a§tù (30b) in den Sätzen über den Vater stehen einander antithetisch gegenüber und bilden als solche die Achse des Vergleichs: Dass sein Vater ihm bisher nicht einmal einen Ziegenbock zum Feiern überlassen hat (29d–e mit rhetorischer Vereindringlichung durch die Wiederholung von o§dfipote), ist für sich genommen noch kein Grund zur Beschwerde; erst im Lichte der Reaktion des Vaters auf die Rückkehr seines Bruders (den er freilich nicht „Bruder“ zu nennen vermag; vgl. 30a) nimmt er es als Defizit wahr (s. auch Jülicher* 356). Der Verweis auf sein eigenes Wohlverhalten fungiert darum auch nur als Folie, um die Unangemessenheit der Reaktion des Vaters auf die Rückkehr des missratenen Sohnes in aller Schärfe zu profilieren. Woher er weiß, dass sein jüngerer Bruder das erhaltene Vermögen „mit Dirnen“ durchgebracht hat, ist unerzählt geblieben. Lukas setzt also – ohne dass die Imagination der Leser dadurch sonderlich strapaziert wird – implizit voraus, dass dessen ausschweifender Lebenswandel in seiner Familie bekannt geworden ist. Auch von katafageõn … metÅ pornùn war bisher nicht die Rede, doch ist ein solches Tun integraler Bestandteil dessen, was man sich damals unter zùn üs„tw“ (V.13) vorstellte (s. o. S. 532). Von V. 7 her fallen zwei Lichtkegel auf die Rede des älteren Bruders: Zum einen entspricht der Vergleich der beiden Verhaltensweisen dem semantisch isotopen Gegenüber von ®martwl·“ und d‡kaio“. Wenn er zum anderen in diesem Sinne seinem Vater vorwirft, den Sünder besser zu behandeln als ihn, den Gerechten (bzw. mit Jülicher* 357 gesagt: „eine ungeheuerliche Bevorzugung des Lasterhaften vor dem Tüchtigen“), so stellt er sich damit geradewegs gegen den Himmel, denn für den gilt, dass die Freude über die Umkehr auch nur eines Sünders die Freude an allen Gerechten überbietet. Anlass und Gegenstand der Kritik des älteren Sohnes ist einzig und allein das Fest, das der Vater anlässlich der Rückkehr seines Bruders für diesen veranstaltet hat. Dass er eine Neuverteilung des Erbes befürchtet, wie ihm von den Exegeten immer wieder unterstellt wird (z. B. von Marshall; Bock; Hock* 23), ist nicht nur weit und breit nicht zu erkennen, sondern wird auch durch V. 31c widerlegt. 31–32 Die Antwort des Vaters ist in allen Einzelteilen auf den Vorwurf des Sohnes bezogen und damit auch durch denselben doppelten Vergleich strukturiert: zwischen den unterschiedlichen Lebensweisen der beiden Söhne einerseits und zwischen ihrer unterschiedlichen Behandlung durch den Vater andererseits. Sohn:

Vater:

29b: So viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten. 29c: Niemals hast du mir einen Ziegenbock gegeben, damit ich mit meinen Freunden feiern kann. 30b: … hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet. 30a: Als aber dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, …

31b: Kind, du bist immer bei mir, 31c: und alles, was mein ist, ist dein. 32a: Man musste feiern und sich freuen. 32b: Dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und wurde gefunden.

539

15,31–32

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Wie der Vorwurf des älteren Sohnes besteht auch die Antwort des Vaters aus zwei Teilen. Hier wie dort geht es im ersten Teil um seinen Ältesten (31b–c), und der Vater erklärt, warum er diesem bisher noch nicht einmal einen Ziegenbock zum Feiern gegeben hat: weil ihm sowieso schon alles gehört (dementsprechend schließt dieõlen a§toõ“ tÖn b‡on [V. 12] auch den älteren Bruder ein), worüber der Vater zur Zeit ganz offensichtlich noch verfügen kann (zu dem hier vorausgesetzten Erbteilungsmodell s. bei V. 12). Im zweiten Teil der Antwort des Vaters geht es wie im Vorwurf des älteren Sohnes um den Jüngeren (32), den der Vater nun in gezielter Antithese zu dessen distanzierendem ¨ u´·“ sou oñto“ (V. 30a) ¨ üdelf·“ sou oñto“ nennt (32b). Wichtig ist jedoch, dass hierbei die Aussagen über das Geschick des jüngeren Sohnes und über die sich daraus ergebende Nötigung zur Feier (32) auf der Textebene ein Hysteron proteron bilden (vgl. Lausberg, Handbuch, § 891: eine „dem natürlichen Geschehensablauf entgegengesetzte Anordnung zweier Satzinhalte“). Obwohl die Lebensgeschichte des jüngeren Sohnes auf der Ereignisebene dem Entschluss zur Feier vorausgeht, wird die Reihenfolge auf der Textebene umgedreht. Daraus ergeben sich drei Konsequenzen für die Interpretation der Antwort des Vaters: (a) Die Aussagen über die Relationen zwischen dem Vater und seinen Söhnen (31b einerseits und andererseits 32b) nehmen die Anfangs‑ und die Endposition ein und bilden damit eine Inklusion, die die gesamte Antwort umschließt. (b) Die Beschreibung der Identität der beiden Brüder durch den älteren Sohn wird vom Vater nicht übernommen, sondern charakteristisch verändert. Der ältere Sohn sieht seine und seines Bruders Identität durch ihre jeweilige Lebensführung bestimmt: Er hat dem Vater immer gedient und dessen Anweisungen immer befolgt (V. 29b), während sein Bruder das väterliche Erbe mit Dirnen durchgebracht hat (V. 30a). Beides wird vom Vater durchaus nicht bestritten, doch lassen seine Aussagen über die Identität seiner Söhne erkennen, dass für ihn etwas ganz anderes im Vordergrund steht: dass seine Kinder bei ihm sind. Dementsprechend sieht er seine beiden Söhne dadurch unterschieden, dass der ältere immer bei ihm war (31b), während der jüngere zwischenzeitlich verlorengegangen bzw. gestorben war, dann aber wiedergefunden bzw. erneut lebendig wurde (32b). Es sind also das p›ntote (metû †moú eènai) des Ältesten (31b) und die durch die Abfolge der Verben in 32b zum Ausdruck gebrachten Umschwünge im Leben des Jüngsten (32b), die den eigentlichen Unterschied zwischen den Söhnen ausmachen und sich gegenseitig interpretieren: „Tot“ oder „verloren“ ist, wer nicht beim Vater ist, und wer zum Vater zurückkehrt, gilt als „lebendig geworden“ oder „wiedergefunden“ (zur Bedeutung dieser Metaphorik s. bei V. 24). Der Vater erklärt seinem Ältesten also, was sein Jüngster hat, das er nicht hat: dass er anders als der Sohn, der „immer“ beim Vater war, zwischenzeitlich „gestorben“ und „verloren“ war, nun aber wieder zum Vater zurückgekehrt ist (s. auch Jülicher* 358). In diesem Gegenüber wird das in V. 7 mit Hilfe der komparativischen Konjunktion ≥ zum Ausdruck gebrachte „mehr“ abgebildet, das dort den einen umkehrenden Sünder im Blick auf die Freude (car›) im Himmel über 99 Gerechte hinaushebt. Den Mehrheitsverhältnissen dort (99:1) entspricht hier die vom älteren Sohn reklamierte Differenz zwischen seiner und seines Bruders Lebensführung. Das eine ist aber so vordergründig wie das andere, und es ist darum natürlich kein Zufall, dass der Erzähler den Vater gerade hier – im Vergleich der Lebensgeschichten seiner Söhne – das Stichwort der Freude wieder540

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

15,31–32

aufnehmen lässt, das die beiden ersten Gleichnisse dieses Kapitels dominierte (vgl. V. 5.6b.7a.9b.10b). (c) Die retrospektive Ausrichtung der Antwort des Vaters macht deutlich, dass die im Gleichnis erzählte Geschichte – anders, als vielfach behauptet wird – gerade nicht offen endet. Seinen sprachlichen Ausdruck findet dieser Sachverhalt im imperfektischen ≤dei (e§franjönai dÇ kaÑ carönai), für das es zwei unterschiedliche Verwendungsweisen gibt, von denen hier aber nur eine in Frage kommt: Zum einen bringt es zum Ausdruck, „daß etwas, was unterblieben ist, eigentl(ich) hätte geschehen müssen“ (Bauer, Wörterbuch, 344; s. auch B/D/R § 358: „daß etwas tatsächlich notwendig usw ist oder war, aber doch nicht geschieht oder geschah“). Belegt ist dieses Verständnis in Mt 18,33 („hätte es nicht sein müssen [o§k ≤dei], dich deines Mitknechtes zu erbarmen?“ – was aber nicht erfolgt ist); 23,23par.; 25,27; Apg 24,19; 27,21; 2.Kor 2,3; Hebr 9,26. Zum anderen betont es, „daß etwas, was geschehen ist, unbedingt hat geschehen müssen“ (Bauer, Wörterbuch, 344 mit dem Übersetzungsvorschlag „mußte doch“; vgl. auch B/D/R § 3582: „die vergangene Notwendigkeit“); s. auch 13,16; 22,7; 24,26; Joh 4,4; Apg 1,16; 17,3; Röm 1,27. – Für den außerneutestamentlichen Befund gilt dasselbe.

≤dei in Lk 15,32a gehört zur zweiten Gruppe (die Interpretationen von Jeremias, Gleichnisse, 130 und Landmesser* 259 sind unhaltbar, weil sie ein nicht vorhandenes se in den Text hineinschmuggeln; vgl. demgegenüber schon Jülicher* 357 f). Der Vater verteidigt also den Entschluss zum Fest (vgl. auch die analoge Konstellation in 13,16). Es ist nicht zu erkennen, dass er seinen Sohn ein zweites Mal auffordert, doch noch am Fest teilzunehmen. In diesem Fall hätte hier wie z. B. auch in Kol 4,6; 1.Thess 4,1; 2.Thess 3,7; 1.Tim 3,15 u. ö. deõ stehen müssen. Ein weiteres Argument zugunsten dieser Annahme liefert auch die Gattung: Streitgespräche enden wie Chrien überhaupt stets mit einem Diktum des Protagonisten; wie die angeredeten Erzählfiguren darauf reagieren, bleibt für das Erzählziel gänzlich irrelevant (zur Ausnahme Lk 20,20–26 vgl. Wolter* 52). Im Blick auf den in V. 1–2 erzählten Kontext des Gleichnisses ist daran festzuhalten, dass der ältere Sohn auf die Pharisäer und Schriftgelehrten hin transparent ist (gegen C.F. Evans 592; Räisänen* 1622 f u. a.). Für diese Interpretation spricht auch die Nähe der Selbstdarstellungen des älteren Sohnes (V. 29–30) und des Pharisäers in 18,11–12 im Rahmen der jeweiligen narrativen Konstellationen (Näheres bei 18,9–14). Von einer ausdrücklichen „Verurteilung“ der Pharisäer und Schriftgelehrten durch Lukas oder den lk Jesus kann jedoch keine Rede sein (mit Lambrecht* 302). Das gesamte Kapitel setzt aber die Reihe der Konfliktgeschichten zwischen Jesus und den Pharisäern fort (bisher: 5,17–26.27–32.33–39; 6,1–5.6–11; 7,37–47). Im Blick auf diesen Konflikt wirken die beiden ersten Gleichnisse und das dritte Gleichnis in einer Weise zusammen, die mit Hilfe rhetorischer Kategorien illustriert werden kann: Lukas lässt Jesus gegen die Kritik der Pharisäer und Schriftgelehrten eine metaphorische argumentatio vortragen, die zufolge Quintilian, Inst. 3,9,1 immer aus zwei Teilen besteht: einer probatio, in der der Redner seine eigene Position positiv entfaltet, und einer refutatio, mit deren Hilfe der Standpunkt der Gegenpartei zurückgewiesen wird. In der Regel geht dabei die probatio der refutatio voraus. Die Rede Jesu in Lk 15,4–32 entspricht diesen beiden Teilen insofern, als den Gleichnissen vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme (V. 4–7.8–10) mit ihrer auf Zustimmung ausgerichteten Argumentationsstruktur die Funktion einer probatio zukommt, während das Gleichnis vom verlorenen 541

16,1–31

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Sohn, das im Diktum des Vaters in V. 31–32 kulminiert, als refutatio fungiert, mit deren Hilfe der von den Pharisäern und Schriftgelehrten in V. 2 eingenommene Standpunkt zurückgewiesen wird. Es lässt sich nicht oder allenfalls im Wege eines methodisch hochproblematischen mirror reading erweisen, dass die lukanische Intention davon geleitet ist, dass das Diktum des Vaters bzw. das gesamte Kapitel auf einen bestimmten textexternen Kontext in seiner eigenen Gegenwart bezogen werden soll, wie eine Vielzahl von allegorisierenden Interpretationen annehmen (vgl. z. B. Bonnard*; Pokorný*; Räisänen*; Heininger, Metaphorik, 166 [s. o. S. 23 f]; s. dazu die Kritik entsprechender Versuche bei Wolter* 53 ff). Das schließt natürlich nicht aus, dass der Text jederzeit für eine rezeptionshermeneutische Öffnung durch jeden realen Leser offen ist (zu Lambrecht* 305 f). 16,1–31: Vom richtigen Umgang mit Geld und Besitz Literatur: R.A. Piper, Social Background and Thematic Structure in Luke 16, in: The Four Gospels 1992 II, 1637–1662.

Zeit und Ort bleiben unverändert; Jesus wendet sich lediglich mit einem neuen Thema zunächst anderen Adressaten zu: den Jüngern. Die Pharisäer bleiben jedoch im Hintergrund präsent, wie V. 14a erkennen lässt. Die Kohärenz des Kapitels wird vor allem durch das Thema hergestellt – den Umgang mit Geld und Besitz. Diese Frage wird in zwei Reden Jesu entfaltet, von denen die erste an die Jünger gerichtet ist (V. 1–13) und die zweite an die Pharisäer (V. 15–31). Gelegentliche Versuche, einen Zusammenhang mit Kap. 15 zu konstruieren (z. B. M.R. Austin, EvQ 57 [1985] 307–315; Green 587 f), sind gescheitert, weil die Querverbindungen durchweg akzidentiell sind (das diaskorp‡zein des üs„tw“ lebenden Jünglings [15,13] hat mit der gegen den Verwalter nach 16,1 erhobenen Beschuldigung nicht mehr als das Wort gemeinsam; zur Entsprechung von †pijumeõn cortasjönai [16,21] mit einem Teil der Textüberlieferung von 15,16 s. dort). Ein weiteres Indiz für die Kohärenz der beiden Reden von Kap. 16 ist, dass nicht nur die erste Rede mit einer fiktionalen Erzählung beginnt und die zweite mit einer solchen endet, sondern dass beide Erzählungen auch mit denselben Worten anfangen: ±njrwp·“ ti“ én plo‚sio“ (V. 1b / V. 19a). Diese Übereinstimmung sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rolle des Reichen in beiden Erzählungen ganz unterschiedlich besetzt wird. In V. 1–7 tritt er nur am Anfang und als Statist auf, während er in V. 19–31 dramatische Hauptfigur ist. Sein Gegenbild in V. 1–7 ist der Verwalter; beide fungieren als alternative Modelle für den Umgang mit Geld und Besitz. Der Reiche in V. 19–31 versäumt genau das, was das Beispiel des Verwalters lehren sollte: sich mit dem Geld „Freunde“ zu machen, die ihn nach dem Tod in die „ewigen Hütten“ (V. 9c) aufnehmen. 16,1–13: Die Rede an die Jünger 1Er

sagte aber auch zu den Jüngern: „Es war einmal ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter. Dieser wurde bei ihm beschuldigt, dass er sein Ver­ mögen verschwende. 2Und er rief ihn und sagte ihm: ‚Was ist das, was ich über dich höre? Leg die Abrechnung deiner Verwaltung vor, denn du kannst nicht länger Verwalter sein.‘ 3Der Verwalter aber sagte bei sich selbst: ‚Was 542

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

16,1–13

soll ich tun, da mein Herr die Verwaltung von mir nimmt? Graben kann ich nicht, zu betteln schäme ich mich. 4Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich aus der Verwaltung entlassen bin!‘ – 5Er ließ jeden einzelnen der Schuldner seines Herrn kommen und sagte zum ersten: ‚Wieviel schuldest du meinem Herrn?‘ 6Der antwortete: ‚Hundert Bat Öl.‘ Daraufhin sagte er zu ihm: ‚Nimm deine Schuldscheine, setz dich hin und schreib schnell fünfzig.‘ 7Danach sagte er zu einem ande­ ren: ‚Du aber, wieviel bist du schuldig?‘ Der sagte: ‚Hundert Kor Weizen.‘ Dem sagte er: ‚Nimm deine Schuldscheine und schreib achtzig‘.“ 8Und der Herr lobte den unehrlichen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte: „Die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. 9Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem Mammon der Unehrlichkeit, damit sie euch in die ewigen Hütten aufnehmen, wenn er dahingeht. 10Wer beim Kleinsten zuverlässig ist, ist auch bei Vielem zuverlässig, und wer beim Kleinsten unehrlich ist, ist auch bei Vielem unehrlich. 11Wenn ihr nun beim unehrlichen Mammon nicht zuverlässig gewesen seid: das Wahre – wer wird es euch anvertrauen? 12Und wenn ihr bei Fremdem nicht zuverlässig gewesen seid: das Eure – wer wird es euch geben? 13Kein Sklave kann zwei Herren dienen, denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird sich um den einen bemühen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und Mammon.“ Literatur: s. o. S. 542. – Außerdem: R.A. Baergen, Servant, manager or slave? Reading the parable of the rich man and his steward (Luke 16:1–8a) through the lens of ancient slavery, StudRel / SciRel 35 (2006) 25–38. – W. Bindemann, Ungerechte als Vorbilder?, ThLZ 120 (1995) 955–970. – M.É. Boismard, La parabole de l’intendant infidèle en Lc 16,1–9, in: San Luca Evangelista, 451– 454. – C.-S.A. Cheong, A Dialogic Reading of The Steward Parable (Luke 16:1–9) (StBL 28), New York u. a. 2001. – J.D.M. Derrett, The Parable of the Unjust Steward, in: ders., Law in the New Testament, 48–77. – Ders., ‚Take thy Bond … and write Fifty‘ (Luke XVI.6): The Nature of the Bond, JThS 23 (1972) 438–440. – H. Drexler, Zu Lukas 16,1–7, ZNW 58 (1967) 286–288. – J. Dupont, Dieu ou Mammon (MT 6,24; LC 16,13), in: ders., Études II, 551–567. – P. Fassl, „Und er lobte den ungerechten Verwalter“ (Lk 16,8a), in: Eschatologie, 109–143. – J.A. Fitzmyer, The Story of the Dishonest Manager (Lk 16:1–13), TS 25 (1964) 23–42. – Th. Hoeren, Das Gleichnis vom ungerechten Verwalter (Lukas 16.1–8a), NTS 41 (1995) 620–629. – D.J. Ireland, A History of Recent Interpretation of the Parable of the Unjust Steward (Luke 16:1–13), WThJ 51 (1989) 293–318. – Ders., Stewardship and the Kingdom of God (NT.S 70), Leiden u. a. 1992. – Jülicher, Gleichnisreden II, 495–514. – J.S. Kloppenborg, The Dishonoured Master (Luke 16,1–8a), Bib. 70 (1989) 474–495. – M. Krämer, Das Rätsel der Parabel vom ungerechten Verwalter Lk 16,1–13 (BSRel 5), Zürich 1972. – D. Landry / B. May, Honor Restored: New Light on the Parable of the Prudent Steward (Luke 16:1–8a), JBL 119 (2000) 287–309. – I.H. Marshall, Luke XVI.8 – Who Commended the Unjust Steward?, JThS NS 19 (1968) 617–619. – S. Pellegrini, Ein „ungetreuer“ o¢kon·mo” (Lk 16,1–9)?, BZ NF 48 (2004) 161–178. – S.E. Porter, The Parable of the Unjust Steward (Luke 16.1–13), in: The Bible in Three Dimensions, 127–153. – E. Reinmuth, Alles muss raus. Die Parabel Lk 16,1–8 ist moralischer als ihre Auslegungen, in: Kontexte der Schrift II, 223–231. – H.P. Rüger, Mamwna“, ZNW 64 (1973) 127–131.

Lukas lässt Jesus seine Rede mit der Erzählung vom „unehrlichen“ resp. „klugen Verwalter“ eines reichen Mannes beginnen und mit einer Mahnrede über die Bedeutung von Treue und Zuverlässigkeit †n †lac‡stw und †n tù üllotr‡w (V. 10–12) sowie 543

16,1–7

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über das Verhältnis von Gott und Geld (V. 13) enden. In dieser Hinsicht sind sich alle einig. Umstritten ist jedoch, wo die Erzählung aufhört und der Kommentar beginnt (vgl. Ireland*, Stewardship, 60 ff; Bock II, 1340 ff). In methodisch unzulässiger Weise wird diese Frage stets mit der Frage nach der vorlk Fassung des Gleichnisses verknüpft. Doch auch wenn wir diese beiden Fragen voneinander trennen, indem wir von der sowieso vergeblichen Suche nach der Gestalt einer vorlk Fassung absehen und nur den vorliegenden Text in den Blick nehmen, gibt es keine glatte Lösung. Gegen die vorherrschende Auffassung, dass V. 8a noch zur Erzählung gehört und mit dem hier erwähnten k‚rio“ der Arbeitgeber des Verwalters gemeint ist, spricht die extreme Unwahrscheinlichkeit einer solchen Reaktion. Der reiche Mann würde den Verwalter jetzt genau dafür loben, wofür er ihn zuvor entlassen hatte. Gegen die Alternative, derzufolge der auktoriale Erzähler Lukas in V. 8a das Wort ergreift (der k‚rio“ von V. 8a wäre dann Jesus selbst; so z. B. Jülicher* 503; Schneider; Ernst; Boismard*), kann eingewandt werden, dass in diesem Fall die Wiederaufnahme der wörtlichen Rede Jesu in V. 9 („und ich sage euch“) ungekennzeichnet bliebe. Diese Schwierigkeit ist erst beseitigt, wenn man das zweite Ωti in V. 8 als Ωti-recitativum versteht (vgl. B/D/R § 470,1; s. auch Marshall*); ihm fällt die Funktion zu, den Übergang von der auktorialen Rede zu der in V. 8b beginnenden wörtlichen Rede Jesu zu markieren (so schon Wellhausen; s. auch Heininger, Metaphorik, 167). Die nur V. 1–7 umfassende Erzählung endet offen wie viele andere Gleichnisse auch. V. 1–12 haben keine synoptische Parallele, so dass wir zur überlieferungsgeschichtlichen Provenienz dieser Verse nichts sagen können. Demgegenüber hat V. 13 eine nahezu wortgleiche Parallele in Mt 6,24 (es fehlt dort lediglich das Nomen o¢kfith“ aus V. 13a), so dass mindestens für diesen Vers eine Übernahme aus Q wahrscheinlich ist. Eine Variante von V. 13a–c in der lk Fassung findet sich in EvThom 47,2, gefolgt von dem nur in Lk 5,39 überlieferten Wort vom alten und neuen Wein.

Die Geschichte, die Jesus in 1–7 erzählt, ist unschwer als Gegenstück zur Erzählung vom dummen Reichen (Lk 12,16–20) zu erkennen: (a) Hier wie dort wird der wichtigste narrative Knotenpunkt durch einen inneren Monolog markiert, der mit t‡ poiflsw, Ωti eingeleitet wird (V. 3b und 12,17). (b) Die von der dramatischen Hauptfigur geplanten Handlungen führen im Fall des reichen Kornbauern dazu, dass Gott ihn als „Narr“ (±frwn) bezeichnet (12,20), während die Handlungen des unehrlichen Verwalters diesem das Lob eintragen, „klug“ (fron‡mw“) gehandelt zu haben (V. 8a). (c) Diese Antithese wird inhaltlich dadurch profiliert, dass der dumme Bauer seine Situation falsch einschätzt (er rechnet noch mit vielen Jahren; s. bei 12,20), während der Verwalter aus der Lage, in der er sich befindet, die richtigen Konsequenzen zieht und alles tut, damit er „bei Gott reich ist“ (12,21). Die Erzählung besteht aus drei Teilen: Zuerst wird (a) eine Ausgangssituation skizziert (V. 1b). Dann lässt der Erzähler (b) eine Problemlage entstehen (V. 1c–2) und berichtet (c) im Zentrum, welche Handlungen zu ihrer Lösung unternommen werden (V. 3–7). Das Finale (V. 8a) ist wie in 18,9–14 aus der Erzählung ausgelagert. Bemerkenswert ist, dass das Zentrum in zwei Szenen zerlegt wird (innerer Monolog [V. 3–4] und Durchführung [V. 5–7]) und dass die Erzählung offen endet: Weder wird erzählt, wie der reiche Mann auf die Aktion seines Verwalters reagiert, noch, ob sie erfolgreich war und er nach seiner Entlassung von den Schuldnern seines Herrn auch tatsächlich aufgenommen wird. – Die Wiederaufnahme der Formulierung von V. 4b 544

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16,1

in der pragmatischen Anwendung (V. 9c: „damit … sie euch in die ewigen Hütten aufnehmen“) lässt erkennen, dass beides – die Aufteilung des Zentrums auf zwei Szenen und das Offenbleiben des Erfolgs – miteinander zusammenhängt. Innerhalb des zeitlichen Ablaufs der Erzählung werden die Hörer/Leser genau in die Situation gestellt, in der der entlassene Verwalter den inneren Monolog spricht und sich fragt, was er tun soll (V. 3–4). Der Erzähler lässt die Hörer/Leser gerade an diese Stelle in die Handlung des Gleichnisses einsteigen, weil er sie zu einem analogen Handeln auffordern will, das zudem mit den in V. 9c genannten Folgen belohnt wird. 1 ≤legen/eèpen dÇ ka‡ markiert im NT ausschließlich bei Lukas einen Neueinsatz der Rede innerhalb einer gleichbleibenden Situation (mit oder ohne Adressatenwechsel; vgl. 5,36; 6,39; 12,54; 14,12; 18,9). Zur Einleitung von Gleichnissen mit ±njrwp·“ ti“ s. o. bei 10,30; Lukas ist der einzige ntl Autor, der neue Erzählfiguren in dieser Weise (Appellativum + ti“ én + Eigenschaft) vorstellt (s. noch 7,37; 14,2; 18,1; Apg 9,36; 16,1.9). Den o¢kon·mo“ stellt die Erzählung sich nicht wie 12,42 ff als einen Haussklaven vor (Näheres s. dort), sondern eher als einen Vermögensverwalter oder Geschäftsführer, wie es jener Arion in Alexandria als o¢kon·mo“ des in Jerusalem lebenden Tobiaden Josef war (Josephus, Ant. 12,199–204). Von ihm heißt es ebd. 200, dass er Josefs „gesamtes Vermögen in Alexandrien verwaltete (di„kei)“; s. auch Diodorus Siculus 36,5,1, wo von einem Sklaven erzählt wird, der o¢kon·mo“ „von zwei schwerreichen Brüdern“ (duoõn üdelfùn megaloplo‚twn) war; vgl. auch den Katalog über die Pflichten eines Hausvaters bei Plutarch, Mor. 526 f: o¢ketùn ün›krisi“ kaÑ grammate‡wn †p‡skeyi“ kaÑ prÖ“ o¢kon·mou“ À cre„sta“ dialogism·“ «Kontrolle der Hausdiener und Überprüfung der Rechnungen und Verhandlung mit Verwaltern oder Schuldnern»; einen noch detaillierteren Berufspflichtenspiegel für einen agrarischen Verwalter (lat. vilicus) stellt Cato, Agr. 5,1–5 zusammen. Mit dem Bildfeld des Gleichnisses berührt sich auch Plutarch, Mor. 457b: „Am wütendsten wird der Habgierige über den Verwalter (£rgil„tato“ … ¨ fil›rguro“ prÖ“ tÖn o¢kon·mon), der Gourmet über den Koch …“ (s. auch Spicq, Lexicon II, 568 ff; Pellegrini* 164 ff). Detailliert informiert sind wir über Zenon v. Kaunos, den o¢kon·mo“ des Dioiketen Apollonios im frühptolemäischen Ägypten; aus seinem Archiv sind mehr als 2000 Papyri erhalten (vgl. W. Ameling / D. Rathbone, Art. Zenon [5], DNP 12/2, 749–751). – Die Fortsetzung der Erzählung gibt zu erkennen, dass sie sich den Verwalter nicht als Sklaven, sondern als einen freien Angestellten vorstellt, denn sonst könnte er nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen werden (vgl. V. 2d.4b).

Mit dem Wechsel vom Imperfekt in den Aorist in 1c kommt die Erzählung in Gang. Obwohl nicht ausdrücklich gesagt wird, ob die gegen den Verwalter erhobenen Anschuldigungen zutreffen oder nicht (sprachlich ist beides möglich; vgl. Bauer, Wörterbuch, 363), setzt der Fortgang der Erzählung voraus, dass der Verwalter davon ausgeht, die Anschuldigungen nicht abwehren zu können. Die Mitteilung des Faktums fehlt aus Gründen der narrativen Ökonomie, denn nicht die Vorgeschichte ist wichtig, sondern allein, dass der Verwalter seine Arbeit verliert. Auch am reichen Mann ist die Erzählung im Folgenden nicht mehr interessiert, denn er kommt nur noch indirekt in V. 5–7 als Gläubiger vor. Das macht alle Interpretationen unwahrscheinlich, die mit Hilfe des Paradigmas von ‚honor and shame‘ ihn zur Hauptfigur machen wollen (Kloppenborg*; Landry / May*). Dass von „verschwenden“ (diaskorp‡zein) die Rede ist und nicht von ‚Unterschlagung‘, ‚Diebstahl‘ o. ä. (s. dazu Demosthenes, Or. 27,48 bei V. 2), sollte ernstgenommen werden. Der Verwalter wird darum in V. 2 auch nur entlassen und nicht bestraft (s. auch Ireland*, Stewardship, 50). Hieran scheitern alle Interpretationen, die 545

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die Charakterisierung des Verwalters als „unehrlich“ (V. 8a) nicht auf die in V. 5–7 erzählten Aktionen zurückführen, sondern auf den Vorwurf der Verschwendung (so u. a. Fitzmyer; Landry / May* 304). 2 Die Reaktion des reichen Mannes (vergleichbare Mitteilungen finden sich in P. Eleph. 9 und P. Hibeh 69; Übers. bei Spicq, Lexicon II, 571) wird so erzählt, dass er von der Berechtigung der Vorwürfe überzeugt ist. Er fordert den Verwalter auf, die Bilanz seiner Geschäftsführung vorzulegen. Über dessen Entlassung ist offensichtlich bereits entschieden; eine ergebnisoffene Prüfung der Bücher ist nicht mehr vorgesehen. Zu (tÖn) l·gon üpodid·nai in diesem Sinne vgl. BGU III, 778,7–10 (kele‚sai a§tÖn ücjönai †p‡ se, l·gon üpod„sonta perÑ tùn ≠pû a§toú tetolmhmfinwn «anzuordnen, dass er dir vorgeführt wird und Rechenschaft ablegt über die von ihm getätigten Risikogeschäfte»); P. Fam. Tebt. 15,80 f; Bauer, Wörterbuch, 971; zur Sache vgl. Demosthenes, Or. 27,48 über den Testamentsvollstrecker, der ihn betrogen hat: parÅ tÖn l·gon ≈n a§tÖ“ üpfidwke tosaúta klfiptonta «nach der Abrechnung, die er vorgelegt hat, hat er so viel unterschlagen»; s. ansonsten auch BGU I, 98,24 f; 164,21 f; Plato, Phaed. 63e; 2.Chr 34,16.28; Josephus, Ant. 19,307: tùn pepragmfinwn l·gon üpodid·nai «Rechenschaft über die Handlungen ablegen»; Röm 14,12.

3–4 Zum inneren Monolog mit der Frage t‡ poiflsw; s. bei 12,17 und 15,17–20a. Dass sich hier entscheidet, welchen weiteren Verlauf die Erzählung nimmt, kommt auch darin zum Ausdruck, dass in 3 zwei Lösungen der Krise erwogen, aber gleich wieder verworfen werden. – Von den beiden verworfenen Lösungen scheint es sich bei der ersten um ein geflügeltes Wort gehandelt zu haben. In Aristophanes, Aves 1432 verteidigt der Sykophant seine umstrittene Tätigkeit mit den Worten: t‡ gÅr p›jw; sk›ptein gÅr o§k †p‡stamai «Was soll aus mir werden? Denn aufs Graben verstehe ich mich nicht» (s. den Hinweis auf die Scholien z.St. bei Wettstein, Novum Testamentum Graecum, 762 f). Philo, Probus 34 zählt das Graben zu den „sklavenhaftesten Arbeiten“ (douloprepfistatai tficnai), zu denen Menschen gezwungen sein können. Noch eine soziale Stufe tiefer steht das Betteln (vgl. Sir 40,28: „Besser ist es zu sterben als zu betteln“). 4 Anders als der dumme Reiche in 12,18–19 beschreibt der Verwalter in seinem Selbstgespräch noch nicht den Lösungsweg, sondern nur das Ziel, das er zu erreichen hofft. „In das Haus aufnehmen“ (dficesjai e¢“ tÖn oèkon o. ä.) ist in der griechischen Literatur die idiomatische Bezeichnung für die Praxis der Gastfreundschaft. Vgl. bereits Herodot 1,41.44 mit Kroisos’ Worten zu Adrastos, der von seinem Vater verstoßen und enterbt worden war (ebd. 35). In diesem Text wird auch der freundschaftsethische Hintergrund dieser Praxis deutlich: „Von Freunden stammst du, zu Freunden kommst du. Bleibe bei mir; es soll dir hier an nichts fehlen“; vgl. außerdem Demosthenes, Or. 40,13 („e¢sedex›mhn te to‚tou“ e¢“ tÉn o¢k‡an «ich habe diese ins Haus aufgenommen» und gab ihnen Anteil am gesamten Besitz“); Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 15,3,4 („sie nahmen sie in die Häuser auf, bewirteten sie mit prachtvollen Mahlzeiten kaÑ taõ“ ±llai“ †xfinizon filofros‚nai“ «und waren mit anderen Freundschaftsbeweisen gastfreundlich»“); Diodorus Siculus 34/35,17,2 („weder nahm ihn jemand ins Haus auf, noch gab man ihm Nahrung [o§dÇ trofö“ metfidwken]“); Plutarch, Mor. 632e („Krates …, der in jedes Haus hineinging, metÅ timö“ kaÑ filofros‚nh“ decomfinwn «wurde ehrenvoll und freundlich aufgenommen»“); Epiktet, Diss. 3,26,25 („wenn du dich so nutzlos und unbrauchbar [±crhston kaÑ ünwfelö] machst, will dich keiner ins Haus aufnehmen [e¢“ o¢k‡an … dfixasjai]“); s. auch Herodot 3,52,2; Plutarch, Cic. 32,2.

Dieser Hintergrund erklärt, warum Lukas in V. 9b von „Freunde machen“ spricht. Damit schließt er aus, dass „in ihre Häuser aufnehmen“ soviel wie ‚als Verwalter ein546

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16,8

stellen‘ bedeutet (so Kloppenborg* 491; Landry / May* 301 f). In 4b macht der Konjunktiv Aorist metastajù deutlich, dass der Temporalsatz von einer Handlung spricht, die noch in der Zukunft liegt (s. auch B/D/R § 382,3; Drexler* 288). Dem entspricht in 5–7, dass der Verwalter die ihm in V. 2c abverlangte Schlussabrechnung noch nicht erstellt hat und dass er noch Zugang zu den Geschäftsunterlagen hat. Dass die Frist, die ihm zur Verfügung steht, begrenzt ist und ein schnelles Handeln erforderlich macht, deutet das Adverb tacfiw“ an (s. auch Porter* 143). Auffällig ist, dass die Erzählung den Verwalter in 5b und 7a die beiden Schuldner, die exemplarisch für alle auftreten, nach der Höhe ihrer Schulden fragen lässt, denn das Eigentum an Schuldscheinen steht immer dem Gläubiger zu. Darum sollte dieser bzw. – wie im vorliegenden Fall – sein Repräsentant nicht noch nach der Höhe der Schuld fragen müssen. Dass er es hier dennoch tut, hat wohl erzählerische Gründe, denn nur so ist es möglich, die Leser über den Ablauf des Geschehens ins Bild zu setzen. Zu gr›mma als Bezeichnung für einen Schuldschein (6b.7c) s. auch P. Oxy. VII, 1040,31; Josephus, Ant. 18,156; TestHiob 11,6 (grammateõon). Ein Beispiel für einen solchen Schuldschein ist P. David 4: „Ich bestätige (¨mologù), dass ich von dir drei Metreten Wein erhalten habe …, die ich dir zurückgeben werde im Monat Epiph des 3. Jahres von dem Ertrag meines Besitzes, leckeren neuen Wein …“ (s. auch Derrett*, „Take Thy Bond …“; Kloppenborg* 483; Bormann, Recht, 149 f). Immer wieder falsch in Anspruch genommen wird in diesem Zusammenhang Josephus, Ant. 18,157, denn dort wird nicht einfach ein Disagio vorgenommen, sondern der geliehene Betrag, auf den der Schuldschein lautet, um eine noch ausstehende Schuldsumme verringert: „Er warf ihm die Vorenthaltung von bestimmten Geldbeträgen (crhm›twn tinùn üpostfirhsi“) vor und verlangte, eine Schuld von 20.000 attischen Drachmen zu akzeptieren und 2.500 weniger zu erhalten“. Der Umfang der Schulden muss offen bleiben, weil die Maßangaben sich nicht genau bestimmen lassen; vgl. dazu die Übersichten bei A. Strobel, BHH II, 1163: das Spektrum der Vorschläge reicht beim Bat von 22 l bis 45 l und beim Kor dementsprechend von 220 l bis 450 l (er selbst spricht sich für „ca. 36 l“ [Bat] und „ca. 360 l“ [Kor] aus); s. auch K. Jaroš, NBL 2,733. Für den Plot der Erzählung ist die Menge aber bedeutungslos (außer natürlich, dass sie groß sein muss). Nicht ersichtlich ist, warum der Verwalter die Schulden des einen um 50 %, die des anderen hingegen nur um 20 % reduziert (Jülicher* 502: „um nicht langweilig zu werden“). Interpretationen, denen zufolge der Verwalter ursprünglich erhobene Wucherzinsen zurücknehme (Derrett*, Parable) oder auf eine ursprünglich für ihn selbst bestimmte Provision verzichte (Fitzmyer*), sind textwidrig (vgl. vor allem die Kritik von Kloppenborg* 479 ff). Weder ist von Zinsen die Rede noch verzichtet der Verwalter auf eigenes Geld, sondern er schädigt seinen Arbeitgeber. Und schließlich sprechen auch seine Bezeichnung als o¢kon·mo“ tö“ üdik‡a“ (V. 8a) und die in V. 8b formulierte Distanzierung von seiner Aktion gegen solche Entlastungsversuche (weitere bei Bindemann* 961 ff und Hoeren*).

Auch nach antiken Rechtsvorstellungen ist das Vorgehen des Verwalters natürlich Betrug zum Nachteil seines Noch-Arbeitgebers. Und es ist zweifellos diese Aktion, die Lukas veranlasst, in V. 8a von einem „unehrlichen Verwalter“ (o¢kon·mo“ tö“ üdik‡a“) zu sprechen. – Nach 7 bricht die Erzählung ab (s. auch Drexler* 288). Der Verwalter hat sein mej‡stasjai †k tö“ o¢konom‡a“ (V. 4b) immer noch vor sich, und ob seine Aktion den erwarteten Erfolg gezeitigt hat, bleibt ebenfalls unerzählt. 8 In 8a ergreift Lukas das Wort und teilt den Lesern mit, dass Jesus die Aktion des Verwalters gutgeheißen hat. Für eine Identifikation des k‚rio“ mit Jesus spricht in erster Linie das Fehlen jeder Plausibilität für ein Lob aus dem Mund des betrogenen Reichen. Das auf †paineõn folgende Ωti gibt den Grund für das Lob an („weil“; s. auch 4.Makk 2,2; 1.Kor 11,2.17). Indirekte Rede liegt nicht vor. – Das Genitiv-Attribut tö“ 547

16,9

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üdik‡a“ ist ein Gen. qualitatis, der in hebraisierender Weise ein Adjektiv vertritt; vgl. in diesem Sinne mamwnô“ tö“ üdik‡a“ (V. 9) mit ±diko“ mamwnô“ (V. 11; s. auch 18,6 sowie B/D/R § 45; 165,1). Die Auffassung, es handele sich um einen Gen. obiectivus (z. B. Horn, Glaube, 73; Porter* 143 f), scheitert daran, dass üdik‡a nicht das Objekt des von o¢kon·mo“ abzuleitenden Verbs o¢konomeõn sein kann (das unterscheidet den „unehrlichen Verwalter“ von den †rg›tai üdik‡a“ in Lk 13,27). – Lukas gibt hier mit eigenen Worten wieder, wie er die in 8b folgende wörtliche Rede Jesu verstanden wissen will. Den Ausdruck fron‡mw“ poieõn gibt es in der antiken jüdischen und christlichen Literatur nur noch bei Philo, Probus 59, der hier erst eine Sentenz zitiert (¨ fron‡mw“ p›nta poiùn eê poieõ p›nta «wer alles klug macht, macht alles gut») und dann fortfährt: „Der Tüchtige macht alles klug (p›nta fron‡mw“ poieõ ¨ üsteõo“)“. Im Hintergrund steht die stoische Ethik; zur Herkunft der Sentenz vgl. das bei Joh. Stobaeus, Anthol. II, 7,11g (II, 99,3 ff Wachsmuth / Hense) = SVF I, Frgm. 216 überlieferte Zeno-Fragment sowie das Theophrast zugeschriebene Wort an einen, der beim Essen notorisch schweigt: „Wenn du ungebildet bist, fron‡mw“ poieõ“, wenn aber gebildet, üfr·nw““ (Diogenes Laertius 5,40); s. auch Athenaeus, Deipn. 4,47 (158b); Cassius Dio 38,41,6. Versuche, die Erzählung als eine „Schelmen-Komödie“ verstehen zu wollen (Via, Gleichnisse, 150; s. auch Heininger, Metaphorik, 168 f), gelingen nur, wenn sie dem reichen Mann nicht nur eine „leichte Lebensart“ andichten, sondern auch „so viel Humor und Unabhängigkeit, daß er den Erfindungsgeist seines Haushalters lobt, obwohl dieser ihm Kosten verursacht“, wie Via den Sachverhalt in erschreckend verharmlosender Weise umschreibt (Gleichnisse, 148 f). Zwischen der literarischen Gattung der Komödie und dem Gleichnis besteht ein viel zu großer Abstand, um eine solche Querverbindung zuzulassen. Und wie man den Betrug des Verwalters als „lustig gelungene Streiche“ bezeichnen kann (Fassl* 136 unter Rückgriff auf eine Formulierung von Hermann Gunkel zur Esaugeschichte), bleibt vollends unerfindlich.

Der Kommentar Jesu „lobt“ (8a) den Verwalter für seine Klugheit nun aber so, dass er sich gleichzeitig von ihm distanziert. Er stellt seine betrügerische Vorgehensweise als typisch für diejenigen Menschen dar, die nicht zur Gruppe der intendierten Leser gehören, denn bei diesen setzt er höhere ethische Standards als selbstverständlich voraus. fr·nimo“ wird damit ethisch neutralisiert und zu einem rein formalen Begriff gemacht. „Kinder dieser Welt“ (s. auch Lk 20,34) hat hier dieselbe Intension wie die entsprechende Formulierung in CD 20,34 (lbt ynb lk) im Gegenüber zu den „Männern der Gemeinschaft“ (dyxyh yXna; ebd. 32): alle, die der eigenen Gruppe nicht angehören. „Kinder des Lichts“ ist in Joh 12,36; Eph 5,8; 1.Thess 5,5 als christliche Selbstbezeichnung belegt; die Formulierung findet sich aber auch häufig in den Qumrantexten (u. a. 1QS 1,9; 2,16; 3,13.24.25; 1QM 1,3.9.11.13; s. auch äthHen 108,11). Mit dieser Bezeichnung soll die Gottesnähe der Gruppe zum Ausdruck gebracht werden, denn Licht ist das Kennzeichen der himmlischen Sphäre Gottes und damit ein Gott identifizierendes Attribut (vgl. Ps 104,2; Hab 3,4; 1.Tim 6,16; 1.Joh 1,5; O. Böcher, TRE 21,91 ff). Die beiden Hälften des Verses dienen also der Präzisierung des Tertium comparationis des Gleichnisses: 8a identifiziert das Verhalten des Verwalters als ein positives Exemplum, während 8b sicherstellt, dass dies nicht als Aufforderung zum Betrug missverstanden werden darf. In 9 sagt der Gleichniserzähler den Hörern/Lesern, welche Konsequenzen sie aus der erzählten Geschichte ziehen sollen. Der Verwalter wird zu einem Beispiel dafür, wie man aus Geld und Gut einen wirklich nachhaltigen und krisensicheren Nutzen 548

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16,9

ziehen kann: indem man es anderen zugute kommen lässt und sich dadurch Freunde macht. Die metaphorische Schnittmenge von Bild‑ und Sachhälfte ist aber nicht sehr umfangreich, denn die Anwendung geht darüber hinweg, dass der Verwalter nicht sein eigenes, sondern fremdes Geld eingesetzt hat. Anders als die Erzählung unterscheidet sie auch zwischen den Empfängern der finanziellen Zuwendung und den „Freunden“ (s. u.). mamwnô“ „gibt den status determinatus des aramäischen Substantivs !Amm' ‚Besitz, Geld, Vermögen‘ wieder: jüdisch-aramäisch h/anwmm“ (Rüger* 127). Nachgewiesen ist es vor allem in den Targumim (Belege bei Rüger* ebd.). Im Hebräischen findet es sich in Sir 34(LXX: 31),8 sowie in den Qumrantexten (CD 14,20; 1QS 6,2; 1Q27 I 2,5) und in der rabbinischen Literatur (mSanh 4,1; mAvot 2,12 u. ö.; s. Bill. I, 434 f). Augustin kennt das Wort auch als ein punisches Wort (Serm. Dom. 2,14,47 [CChr.SL 35,138]; Sermo 113,2 [PL 38,648]). Etymologisch stammt das hebr. !Amm' entweder von !wm (‚mit Nahrung, Verpflegung, Vorrat versorgen‘; vgl. Rüger* 131) oder von !ma („fest, zuverlässig sein“; Fitzmyer II, 1109; s. dazu bei V. 11a). – Die Wendung ¨ mamwnô“ tö“ üdik‡a“, bei dem das Genitiv-Attribut ein Adjektiv vertritt (vgl. B/D/R § 45; 165,1), stand möglicherweise bereits in der griech. Vorlage von äthHen 63,10. Jüdisch-aramäische Entsprechungen gibt es in den Targumim; vgl. TgPsJ zu Ex 18,21 („redliche Menschen, die es hassen, Mammon der Ungerechtigkeit [arqyX !ymm] zu nehmen“); TgJ zu Jes 5,23 („die dem Schuldigen Recht geben, um Mammon der Ungerechtigkeit [rqXd !wmm] von ihm zu nehmen“); s. auch ebd. zu 1.Sam 8,3; 12,3; 2.Sam 14,14; Jes 33,15; Ez 22,27; Hos 5,11; Am 5,12 (alle Texte bei Rüger* 128 f).

Während in den zuletzt genannten Texten das Genitiv-Attribut spezifizierende Funktion hat und den „Mammon“ abwerten soll (vgl. die Analogie misjÖ“ tö“ üdik‡a“ in Apg 1,18; auch in allen anderen außerneutestamentlichen Texten wird !Amm' bzw. h/an"Amm' grundsätzlich neutral gebraucht; vgl. Rüger* 129), hat tö“ üdik‡a“ in 9b charakterisierende Bedeutung. Jeglicher „Mammon“, nicht nur der unredlich erworbene, trägt das Signum der Ungerechtigkeit. Das bedeutet aber nicht, dass man ihn nicht auch sinnvoll verwenden kann (nach V. 11 kann man sogar in Bezug auf den „ungerechten Mammon“ „treu“ [pist·“] sein): z. B. dadurch, dass man sich mit seiner Hilfe Freunde verschafft (f‡lon/f‡lou“ poieõn ist griechisches Idiom; z. B. Thucydides 1,28,3; Plutarch, Marcell. 10,4; Phoc. 24,2 [f‡lon se poioúmai kaÑ o¢keõon «zum Freund und Hausgenossen mache ich dich»]; Mor. 96,3; 273b; 1.Makk 10,16; Josephus, Ant. 13,405; Vit. 79). Welche konkrete Handlung damit in den Blick genommen ist, bleibt offen. †k (toú mamwnô …) bezeichnet hier wie z. B. auch in Herodot, 2,96; Xenophon, Anab. 4,5,14; Ex 26,31.36; 1.Chr 18,8; Apg 17,26 das „Material“, aus dem etwas hergestellt wird. Die Annahme, dass Lukas an die Weitergabe des Geldes an Arme gedacht hat, muss man schon aus 12,33; 18,22 eintragen, doch handelt es sich dabei wohl nicht um ein Fehlurteil. Für diese Interpretation spricht vor allem die Konvergenz von 9c mit 12,33, denn hier wie dort wird mit dem Gegensatz zwischen dem vergänglichen irdischen Besitz und dem unvergänglichen himmlischen Heil argumentiert (vgl. auch die begriffliche Entsprechung zwischen ünfikleipton [12,33b] und †kle‡pein [9c]). Mit Ωtan †kl‡pÔh (vgl. dazu vor allem Horn, Glaube, 78 f) kann sowohl der Tod gemeint sein als auch die Parusie; die Zeitbestimmung entspricht Ωtan metastajù †k tö“ o¢konom‡a“ in V. 4b. Auf Grund des gastfreundschaftlichen Hintergrunds von V. 4c (s. dort) lässt sich darüber hinaus sagen, wer die „Freunde“ sind: diejenigen, die „in die ewigen Hütten aufnehmen“ (9c). Das Subjekt von dfixwntai in 9c sind also die „Freunde“ von 9b. Es handelt sich bei ihnen nicht um die Empfänger der Almosen (gegen Plummer; 549

16,10–12

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Nolland; Bovon), sondern sie sind im Himmel zu suchen, denn natürlich gibt es nur dort „ewige Hütten“ (gemeint sind damit die in äthHen 39,4 f so genannten himmlischen „Wohnungen der Heiligen und Ruheorte der Gerechten“; s. auch 41,2; 71,16; TestAbrA 20,14; slawHen 61,2 f; Joh 14,2; 5.Esr 2,11). Die skhna‡ sind die himmlische Entsprechung zu den oèkoi von V. 4. Dieselbe Struktur der Entsprechung von irdischem Tun und himmlischem Ergehen findet sich auch in 6,37–38 (Näheres s. dort). 10–12 Die drei Verse bestehen aus zwei Paaren von synthetischen Parallelismen, die jeweils durch ka‡ miteinander verbunden sind. Ihre Kohärenz wird vor allem durch das Wort pist·“ hergestellt (V. 10a.b.11a.12a; s. auch piste‚ein in V. 11b). Auch das Oppositum ±diko“ findet sich in beiden Paaren (V. 10c / V. 11a). – Ihre Intention erschließt der Kontext: Der lk Jesus distanziert sich ausdrücklich von einem bestimmten Aspekt der Aktion des Verwalters, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen. Nachdem er ihn in V. 8–9 gelobt hat, weil er sich mit Geld Freunde verschafft hat, will er nun sicherstellen, dass dieses Urteil sich nicht auf die dabei angewandte Methode erstreckt. Weil der Verwalter dafür auf den Besitz seines Arbeitgebers zurückgegriffen hat, war er †n tù üd‡kw mamwnô (V. 11a) und †n tù üllotr‡w (12a) gerade nicht „treu“ (pist·“), und diesen Aspekt seines Handelns sollen die Hörer bzw. Leser sich nicht zum Vorbild nehmen. 10 Beim ersten Paar (10a–b/10c–d) handelt es sich um antithetisch aufeinander bezogene weisheitliche Aussageworte, die im Wege einer a-fortiori-Argumentation vom Kleinen aufs Große schließen und einen allgemeinen Grundsatz formulieren; s. auch die Parallelen bei Philo, der sich dagegen wendet, „Treue bei kleinen Dingen“ (†n £l‡goi“ p‡sti“) zu verwenden, um „Vertrauen bei größeren“ (p‡sti“ †n ple‡osi / †n me‡zosin) zu bekommen (Plant. 101 und Spec. Leg. 4,67). 11–12 Das zweite Paar besteht jeweils aus einer Abfolge von negiertem Bedingungssatz als Protasis und rhetorischer Frage als Apodosis. Das folgernde oên in V. 11a und die 2. Person Plural zeigen an, dass die Sentenz von V. 10 nun auf die Hörer/Leser übertragen wird. Wie in paränetischen Argumentationen üblich, wird zunächst eine mögliche Handlung beschrieben, der dann eine mögliche Folge zugeordnet wird. Die Form der Argumentation ist apotreptisch (s. dazu S. 683), denn es wird in der Protasis von einem bestimmten Handeln abgeraten und in der Apodosis auf die Unheilsfolge dieses Handelns hingewiesen (die rhetorischen Fragen sind jeweils mit „Niemand!“ zu beantworten; ein protreptisches Gegenstück findet sich in Lk 19,17). Die Ersetzung von †l›cisto“ (V. 10a.c) durch tÖ ±diko“ mamwnô“ (11a) und tÖ üll·trion (12a) bindet den Inhalt dabei gleichzeitig an das Vorgehen des Verwalters zurück. Sollte das Wort „Mammon“ etymologisch auf hebr. !ma („fest, zuverlässig sein“) zurückgehen (s. o. bei V. 9), könnte 11a ursprünglich ein aramäisches Wortspiel enthalten haben, denn auch das aram. Äquivalent von pist·“ basiert auf !ma. – Die Hörer/Leser werden also davor gewarnt, sich die Methode des Verwalters zum Vorbild zu nehmen, denn Unehrlichkeit innerhalb ihrer lebensweltlichen Bezüge wird mit dem Verlust des eschatischen Heils bedroht, das für die Hörer/Leser bereits bestimmt ist und auch schon bereitliegt (diesen Aspekt akzentuiert tÖ ≠mfiteron). Ein spezieller Bezug auf kirchliche Amtsträger ist nicht zu erkennen. Das substantivierte Adjektiv tÖ ülhjin·n (11b) ist ein Neutrum und stellt darum nicht einfach dem ±diko“ mamwnô“ den „wahren“ Mammon gegenüber. Zur Tradition vom „wahren Reichtum“ (Aristoteles, Resp. 1256b29 f; Philo, Fuga 17; Praem. 104: jeweils ülhjinÖ“ ploúto“) passt es aus

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14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

16,14–31

semantischen Gründen nicht, denn den bekommt man nicht „anvertraut“. Absolutes tÖ ülhjin·n bezeichnet ansonsten „das Wirkliche/Reale“ (Plato, Soph. 240b; Dionysius v. Halicarnass, Lys. 14 [Opp.: tÖ poihtik·n]; Isocr. 12). Hier fungiert es wohl als komprehensive Bezeichnung für das eschatische Heilsgut. Möglicherweise gab es aber auch hier ursprünglich ein aram. Wortspiel, denn die hebr. Äquivalente von ülhjin·“ gehen wie diejenigen von pist·“/piste‚ein und von mamwnô“ etymologisch auf hebr. !ma („fest, zuverlässig sein“) zurück (s. o.; vgl. Hatch / Redpath I, 53 ff; R. Bultmann, ThWNT 1,233).

13 Das wohl aus Q stammende (s. o.) Schlusswort ist genauso aufgebaut wie V. 10–12. Es beginnt mit einem erfahrungsweisheitlichen Aussagewort (13a–c), das dann paränetisch auf die Leser/Hörer übertragen wird (13d). Miteinander verknüpft werden beide Teile durch „dienen können“ (dunôsjai doule‚ein; 13a/13d). Die „zwei Herren“ von 13a–c sind in 13d „Gott“ und „Mammon“. – Die Antithese von „hassen“ (miseõn) und „lieben“ (ügapôn) charakterisiert anderswo die Einstellung zu Feinden und Freunden oder das Gegenüber von „verwerfen“ und „erwählen“ bzw. von „bevorzugen“ und „zurückweisen“; vgl. Mt 5,43 (‚den Nächsten lieben, den Feind hassen‘); Mal 1,2 f und Röm 9,13 („Jakob habe ich geliebt, Esau habe ich gehasst“); Hebr 1,9 (‚die Gerechtigkeit lieben und die Gesetzlosigkeit hassen‘); Ps 119,113.163; Mi 3,2 (s. auch bei 14,26). Alle Gebrauchsweisen haben als gemeinsamen Nenner, dass jede Entscheidung für eine Person oder Sache immer zugleich auch die Entscheidung gegen eine andere Person oder Sache impliziert, und so dürfte dieses Gegenüber auch hier verstanden sein. Das zeigt auch die chiastische Näherbestimmung dieses Gegenübers durch üntficesjai vs. katafroneõn (vgl. Diodorus Siculus 24,5,1 über Hamilkar: üntec·meno“ mÇn tö“ d·xh“, katafronùn dÇ tùn kind‚nwn «er trachtete nach Ruhm und verachtete die Gefahren»). Obwohl 13a–c idealtypisch stilisiert, geht das Beispiel bei Dio Chrysostomus, Or. 66,13 in eine ähnliche Richtung: Es ist schwer, in einem Haus Sklave (o¢kfith“) zu sein, „in dem es zwei oder drei, und zwar nach Alter und Veranlagung verschiedene Herren gibt – … den geizigen Alten und dessen junge Söhne, die trinken und schlemmen wollen …, weil er vielen Herren dienen muss und jeder von ihnen etwas anderes will und befiehlt“. – Das Jesuswort nimmt diese Situation mit Bezug auf den Sklaven in den Blick und stellt fest, dass er es unmöglich beiden Seiten (bei Dio Chrysostomus: dem geizigen Alten und den lebenslustigen Söhnen) rechtmachen kann, sondern sich entscheiden muss, auf wessen Seite er sich schlagen will. Das von Nolland II, 807 f aus Wettstein, Novum Testamentum Graecum I, 333 übernommene angebliche Demophilus-Zitat gibt es nicht. Gemeint ist wohl Sent. 110 aus den bei Sextus überlieferten Pythagoräer-Sprüchen: „Es ist unmöglich (üd‚nato“), gleichzeitig filfldono“ und filos„mato“ und fil·jeo“ zu sein. … Denn der filfldono“ ist auch filos„mato“. Der filos„mato“ ist auch filocrflmato“. Der filocrflmato“ aber ist notwendigerweise ±diko“. Der ±diko“ aber ist gegenüber Gott ün·sio“, gegenüber den Menschen par›nomo“.“ – Eine wirtschaftspolitische Variante findet sich bei Plato, Resp. 555c: „In einer Polis ist es üd‚nato“, den Reichtum zu ehren (ploúton timôn) und in den Bürgern gleichzeitig Bescheidenheit (swfros‚nh) … zu erzeugen.“

Das Fehlen des Artikels vor mamwnô“ macht diese Bezeichnung zu einem personifizierenden Eigennamen und den ‚Mammonsdienst‘ zu einer Art Götzendienst, der die Einzigkeit Gottes in Frage stellt. 16,14–31: Die Rede an die Pharisäer 14Das

alles hörten auch die Pharisäer. Die waren habgierig und verspotteten ihn. 15Und er sagte zu ihnen: „Ihr seid es, die sich selbst vor den Menschen 551

16,14–31

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

als gerecht hinstellen. Doch Gott kennt eure Herzen; denn was unter den Menschen viel gilt, ist ein Greuel vor Gott. 16Das Gesetz und die Propheten bis Johannes – seitdem wird die Herrschaft Gottes verkündigt, und jeder wird in sie hineingenötigt. 17Doch es ist leichter, dass Himmel und Erde vergehen, als dass ein einziger Strich vom Gesetz dahinfällt. 18Jeder, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet, bricht die Ehe. Auch wer eine heiratet, die von einem Mann entlassen wurde, bricht die Ehe. 19Es war einmal ein reicher Mann. Der kleidete sich in Purpur und Byssus, und Tag für Tag amüsierte er sich glänzend. 20Ein Armer aber, der Lazarus hieß, lag mit Geschwüren bedeckt vor seinem Tor 21und begehrte, von dem satt zu werden, was vom Tisch des Reichen fiel. Doch es kamen sogar die Hunde herbeigelaufen und leckten seine Geschwüre. 22Es geschah aber, dass der Arme starb und er von den Engeln fortgetragen wurde in Abrahams Schoß. Es starb aber auch der Reiche, und er wurde begraben. 23Und in der Unterwelt erhebt er seine Augen, als er sich in Qualen befindet, und sieht Abraham von weitem und Lazarus in seinem Schoß. 24Und er rief und sagte: ‚Vater Abraham, erbarme dich meiner und schicke Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser taucht und meine Zunge kühlt, denn ich leide Qualen in dieser Feuersglut!‘ 25Abraham aber sprach: ‚Kind, erinnere dich daran, dass du dein Gutes in deinem Leben empfangen hast und Lazarus entsprechend das Schlechte. Jetzt aber wird er hier getröstet, während du Qualen erleidest. 26Außerdem ist zwischen uns und euch eine große Schlucht eingelassen, so dass keiner, der von hier zu euch rübergehen will, dazu in der Lage ist und keiner von dort zu uns überwechseln kann.‘ 27Er sagte dar­ aufhin: ‚Dann bitte ich dich, Vater, dass du ihn in das Haus meines Vaters schickst – 28ich habe nämlich fünf Brüder –, damit er sie beschwört, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.‘ 29Doch Abraham entgegnet: ‚Sie haben Mose und die Propheten. Auf die sollen sie hören!‘ 30Er sagte aber: ‚Nein, Vater Abraham, sondern (erst) wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren.‘ 31Der sagte ihm jedoch: ‚Wenn sie nicht auf Mose und die Propheten hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht‘.“ Literatur: Zu 16,14–18: C. Burchard, Zu Lukas 16,16, in: ders., Studien, 119–125. – D.R. Catchpole, On Doing Violence to the Kingdom, IrBSt 3 (1981) 77–92. – J.B. Cortés / F.M. Gatti, On the Meaning of Luke 16:16, JBL 106 (1987) 247–259. – D.B. Gowler, ‚At his gate lay a poor man‘: A Dialogic Reading of Luke 16,19–31, PRSt 32 (2005) 249–265. – C. Heil, Lukas und Q, 118– 144. – Klinghardt, Gesetz, 14–96. – W.G. Kümmel, „Das Gesetz und die Propheten gehen bis Johannes“ – Lukas 16,16 im Zusammenhang der heilsgeschichtlichen Theologie der Lukasschriften, in: Das Lukas-Evangelium, 398–415. – P.H. Menoud, Le sens du verbe BIAZETAI dans Luc 16.16, in: ders., Jésus-Christ et la foi, Neuchâtel / Paris 1975, 125–130. – J. Schröter, Erwägungen zum Gesetzesverständnis in Q anhand von Q 16,16–18, in: The Scriptures in the Gospels, 441–458. Zu 16,19–31: R. Bauckham, The Rich Man and Lazarus, NTS 37 (1991) 225–246. – A. Despotis, Die Parabel vom reichen Mann und dem armen Lazarus (griech.), Athen 2007. – H.G. Gradl, Arm und Reich, 224–255. – Ders., Von den Kosten des Reichtums. Die Beispielerzählung vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) textpragmatisch gelesen, MThZ 56 (2005) 305–317. – H. Gressmann, Vom reichen Mann und armen Lazarus (APAW.PH 1918/7), Berlin 1918. – J. Hintzen, Verkündigung und Wahrnehmung. Über das Verhältnis von Evan-

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14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

16,14

gelium und Leser am Beispiel Lk 16,19–31 im Rahmen des lukanischen Doppelwerkes (BBB 81), Meisenheim / Frankfurt a.M. 1991. – R.F. Hock, Lazarus and Micyllus. Greco-Roman Backgrounds to Luke 16:19–31, JBL 106 (1987) 447–463. – P.W. van der Horst, Abraham’s Bosom, the Place Where he Belonged: A Short Note on üpenecjönai in Luke 16.22, NTS 52 (2006) 142–144. – F.W. Hughes, The Parable of the Rich Man and Lazarus (Luke 16.19–31) and GraecoRoman Rhetoric, in: Rhetoric and the New Testament, 29–41. – Jülicher, Gleichnisreden II, 617–641. – O. Lehtipuu, The Afterlife Imagery in Luke’s Story of the Rich Man and Lazarus (NT.S 123), Leiden u. a. 2007. – Ders., Characterization and Persuasion: The Rich Man and the Poor Man in Luke 16.19–31, in: Characterization in the Gospels, 73–105. – F. Schnider / W. Stenger, Die offene Tür und die unüberschreitbare Kluft. Strukturanalytische Überlegungen zum Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31), NTS 25 (1979) 273–283. – V. Tanghe, Abraham, son fils et son envoyé (Luc 16,19–31), RB 91 (1984) 557–577.

Lukas nimmt zwar einen Wechsel der Gesprächspartner Jesu vor, doch mit der Vorstellung der Pharisäer als fil›rguroi („habgierig“) macht er deutlich, dass es nach wie vor um Geld und Besitz geht. Trotzdem wird Jesu Rede an keiner Stelle durch eine Zwischenbemerkung des Erzählers unterbrochen (lediglich ein zurückhaltendes dfi innerhalb der Rede übernimmt in V. 19a so etwas wie eine textgliedernde Funktion). Auf der anderen Seite bindet die Wiederaufnahme der Formulierung „Gesetz und Propheten“ (V. 16) durch „Mose und die Propheten“ in V. 29.31 die beiden Teile der Rede zusammen. Während zu V. 15 und zu V. 19–31 auf Grund des Fehlens von synoptischen Parallelen kein Urteil in Bezug auf die überlieferungsgeschichtliche Herkunft möglich ist, ist für die in V. 16–18 wiedergegebenen Worte eine Q-Grundlage wahrscheinlich, obwohl sie sich im MtEv an ganz unterschiedlichen Stellen finden: V. 16 hat eine Parallele in Mt 11,12–13, V. 17 weist Überschneidungen mit Mt 5,18 auf (Himmel und Erde, pareljeõn, toú n·mou, m‡a kera‡a) und V. 18 hat eine Parallele in Mt 5,32. Zu V. 18a gibt es ein Seitenstück in Mk 10,11 (par. Mt 19,9), auf das möglicherweise kaÑ gamùn ©tfiran zurückgeht (in Mk 10,11b par. Mt 19,9b: kaÑ gamflsÔh ±llhn); hier liegt also eine Mk-Q-Doppelüberlieferung vor (vgl. Laufen, Doppelüberlieferungen, 343 ff; Fleddermann, Mark and Q, 171 ff). Umstritten ist dabei, ob diese Verse schon in Q beisammen standen (so z. B. Hoffmann, Studien, 60 ff; Catchpole* 81 f; Kosch, Tora, 430 ff), und natürlich der Wortlaut der vorlk Überlieferung.

14 Die Charakterisierung der Pharisäer als „habgierig“ soll ihre Reaktion auf Jesu Rede an die Jünger erklären. Lukas macht sie damit zu ‚Mammondienern‘ im Sinne von V. 13. Die filargur‡a gilt seit jeher als Ursprung aller Übel. Bereits Demokrit wird das Wort zugeschrieben, die filargur‡a sei die mhtr·poli“ … p›sh“ kak‡a“ «Hauptstadt aller Bosheit» (Gnomolog. Vatican. 265); Diogenes Laertius 6,50 führt es auf Diogenes v. Sinope zurück, während es bei Joh. Stobaeus, Anthol. III, 10,37 (III, 417,5 f Hense) Bion in den Mund gelegt wird; s. auch Apollodorus Comic., Frgm. 4 (Kock): tÖ kef›laion tùn kakùn «der Inbegriff aller bösen (Dinge)»; 1.Tim 6,10: „die Wurzel aller Übel“; Polykarp, Ep. 4,1: ürcÉ … p›ntwn calepùn «Anfang aller Übel»; s. auch bei 12,15. Weiteres bei Spicq, Lexicon III, 446 f.

†kmukthr‡zein (eigentlich „die Nase rümpfen“; innerhalb der antiken griechischen Literatur ist dieses Kompositum nur im NT und in der LXX belegt) gebraucht Lukas auch in 23,35 (diff. Mk 15,31), wo er eine Formulierung aus Y 21,8 aufnimmt. Er stellt die Reaktion der Pharisäer dadurch in eine Reihe mit dem Verhalten der Toren gegenüber der Weisheit (Prov 1,30; 15,5; 23,9), der Gottlosen gegenüber dem Frommen (Y 34,16) oder Israels gegenüber den Boten Gottes (2.Chr 36,16; 1./3.Esr 1,49; Jer 553

16,15

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

20,7); vgl. auch die Verknüpfung mit (kata)gelôn ([aus]lachen): Y 2,4; 43,14; 1.Makk 7,34; PsSal 4,7; Jer 20,7 (Weiteres bei G. Bertram, ThWNT 4,804 ff; Spicq, Lexicon II, 534 f). 15 besteht aus zwei Teilen. Sie sind jeweils durch die Opposition „die Menschen“ vs. „Gott“ bestimmt, die mit Hilfe der Präposition †n„pion als urteilende Instanzen einander gegenübergestellt werden (s. auch 1,15.75; 12,6; 14,10; 15,10.18.21; Bauer, Wörterbuch, 546 f). – Im ersten Teil (15b–c) wirft Jesus den Pharisäern vor, dass es ihnen nur darum geht, sich nach außen, d. h. in dem für Menschen zugänglichen Bereich als gerecht zu präsentieren (zu dikaioún ©aut·n s. bei 10,29) und damit die Beziehung zu Gott, die über „das Herz“ läuft, zu vernachlässigen. Dieser Vorwurf basiert auf einer Vorstellung, wie sie in 1.Sam 16,7LXX formuliert ist: „Nicht wie ein Mensch sieht Gott, denn ein Mensch sieht auf das Äußere, Gott aber sieht ins Herz“; s. auch 2.Kor 5,12; 1.Kön 8,39 („Du allein kennst das Herz aller Menschenkinder“); Jer 12,3 sowie bei 2,35; 5,22; 11,39. In das weitere Umfeld gehören auch 1.Thess 2,4 („nicht Menschen gefallen, sondern Gott, der unsere Herzen prüft“) und Mt 6,1–6.16–18. – Der zweite Teil (15d) nimmt mit dem Bezug auf das Urteil der Menschen zunächst 15b auf, denn ‚im Urteil der Menschen gerecht sein‘ und tÖ †n ünjr„poi“ ≠yhl·n treffen sich auf derselben Ebene. Mit der Feststellung, dass Menschen und Gott gegensätzliche Wertordnungen haben, werden die Pharisäer beschuldigt, genau das hochzuschätzen, was Gott ‚verabscheut‘, weil es in seinen Augen ein „Greuel“ ist (vgl. wie hier mit †n„pion: Prov 11,1; JosAs 8,7; mit †nant‡on: Dtn 24,4; TestHiob 15,8; mit Dat. iudicantis: Dtn 7,25; 17,1; 22,5; 25,16; Prov 11,20; 12,22; 15,8 f.26). – Die Berührungen mit äthHen 96,4 („Wehe euch, ihr Sünder, denn euer Reichtum lässt euch als Gerechte erscheinen, aber euer Herz beweist euch, dass ihr Sünder seid“) legen eine Interpretation nahe, die die Bezeichnung der Pharisäer als „habgierig“ (V. 14a) einbezieht: Das, was für Gott ein bdfilugma ist, während es unter den Menschen als ≠yhl·n gilt, ist der Reichtum. Den Pharisäern wird unterstellt, dass sie nach ihm streben, weil er sie nach dem Urteil der Menschen, das sich an der Korrelation von Tun und Ergehen orientiert, gerecht aussehen lässt (s. auch Klostermann). Dass diese Interpretation auf die historischen Pharisäer nicht zutrifft, ist natürlich kein Gegenargument (gegen Bock). Würde jetzt die Geschichte vom reichen Mann folgen, wäre alles ganz einfach. Sie würde dann die in V. 15d formulierte Feststellung begründen, dass der unter den Menschen hochgeschätzte Reichtum bei Gott nichts wert ist. Lukas hat jedoch mit 16–18 eine Serie von Jesusworten dazwischen gesetzt, deren Zusammenhang mit dem in V. 14–15.19–31 behandelten Thema nur schwer zu erkennen ist. In 16a–b bringt Lukas „Gesetz und Propheten“ und das e§aggel‡zesjai der Gottesherrschaft in ein chronologisches Nacheinander. Intensiv diskutiert wurde vor allem, ob üpÖ t·te in 16a exklusiv zu verstehen ist und Johannes vom e§aggel‡zesjai der Gottesherrschaft ausgrenzen soll (so u. a. Conzelmann, Mitte der Zeit, 17 u. ö.; Ernst; Schneider; Kremer), oder ob es inklusiv aufzufassen ist und Johannes einschließen will (so z. B. Kümmel* 410 ff; Marshall; Wiefel). Da üpÖ t·te, das bei Lukas sonst nicht vorkommt (im NT nur Mt 4,17; 16,21; 26,16), beides zulässt, müssen Sachgesichtspunkte den Ausschlag geben, und die verlangen eine Entscheidung zugunsten der exklusiven Interpretation, denn bei Lukas hat die Verkündigung der Gottesherrschaft nicht schon mit Johannes, sondern erst mit Jesus begonnen (vgl. 4,43; 8,1; 9,2.60). Eine ähnliche Grenze zwischen Johannes und der Gottesherrschaft zieht auch 7,28. 554

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

16,16c

Was meint Lukas mit „Gesetz und Propheten“, und welches Verb ist in 16a zu ergänzen? Alle neueren Bibelübersetzungen und Kommentare lassen den Ausdruck „Gesetz und Propheten“ eine Geschichtsepoche bezeichnen (die Rede ist dementsprechend von der „Zeit des Gesetzes und der Propheten“: Conzelmann*, Mitte, 93; s. auch Kümmel* 410), und es wird ein Verb ergänzt, das Johannes als einen unter der Rubrik „Propheten“ zu verbuchenden Teil dieser Epoche kennzeichnet. Berufen könnte man sich dafür auf 1,76 und 7,26 („mehr als ein Prophet“ bedeutet in diesen Texten nicht, dass Johannes kein Prophet war); s. auch 7,28. Die Alternative ist die Ergänzung eines verbum dicendi (eine Form von khr‚ssein oder von e§aggel‡zesjai im Sinne einer Ellipse üpÖ koinoú, bei der das zu ergänzende Wort dem Kontext zu entnehmen ist [vgl. B/D/R § 479,1]; Burchard* 122; Klinghardt* 78): „Gesetz und Propheten“ gilt als Gegenstand dieser ‚Verkündigung‘. „Johannes“ gehört in diesem Fall nicht zu „Propheten“, sondern er wird mit Verweis auf Apg 15,21 (MwÊsön khr‚ssein) in die Reihe derer gestellt, die „Gesetz und Propheten“ ‚verkündigt‘ haben: „‚Das Gesetz und die Propheten (sind) bis … Johannes (gültig verkündigt worden)‘“ (Burchard* 122). Bei dieser Interpretation bezeichnet „Gesetz und Propheten“ die Gesamtheit der heiligen Schriften Israels wie Sir prol. 1.8 f; 2.Makk 15,9; 4.Makk 18,10; Mt 5,17; 7,12; 22,40; Lk 24,44 (+ „Psalmen“); Joh 1,45; Apg 13,15; 24,14; 28,23; Röm 3,21; s. auch TestLevi 16,2 („das Gesetz verwerfen und die Propheten verachten“); LibAnt 30,5; sowie das Begriffspaar „Mose und Propheten“: 1QS 1,2 f; 8,15 f; 4Q397, Frgm. 14–21, 10 = 4QMMT C 10 (+ „David“); 4Q504 3,12; Lk 16,29.31; 24,27.44; Apg 26,22; 28,23.

Eine eindeutige Entscheidung ist nicht möglich. Für die zweite Option spricht, dass Lukas „Gesetz und Propheten“ auch sonst immer als literarische Bezeichnung verwendet und dass dies in V. 29.31 („Mose und die Propheten“) auch innerhalb ein und derselben Rede geschieht. Auf der anderen Seite ‚gehört‘ natürlich auch Johannes zu den „Propheten“, wenn man darunter nicht eine literarische Sammelbezeichnung, sondern Menschen versteht, die Gott zu Israel gesandt hat. Es ist also durchaus denkbar, dass Lukas das Verb nur darum weggelassen hat, weil er keine der beiden Lektüren ausschließen wollte. In ganz ähnlicher Weise bleibt auch das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität in der Schwebe (s. auch Conzelmann, Mitte der Zeit, 17). Kontinuität stiftet im Kontext zweifellos (vgl. V. 29.31), dass schon „Gesetz und Propheten“ verlangen, den Armen zu helfen. Und dass auch Johannes der Täufer dazu gehört, wissen die Leser aus 3,10–14. Dieser Aspekt ist im Blick auf die Auseinandersetzung mit den Pharisäern (16,14) wichtig. Mit ihrer ‚Verhöhnung‘ des in V. 1–13 Gesagten stellen sie sich gegen die Forderung von „Gesetz und Propheten“. Vergleichbares konnte man auch schon in 7,30 lesen (mit Burchard* 122). – Nicht zu übersehen ist aber auch die Diskontinuität, denn die mit der Verkündigung der Gottesherrschaft einhergehende Forderung Jesu geht weit über das hinaus, was Johannes verlangt hat: nicht nur Kleidung und Essen zu teilen (3,11), sondern alles zu verkaufen und den Erlös unter die Armen zu verteilen (12,33; 18,22). 16c Die Debatte um das Verständnis des Relativsatzes konzentriert sich auf die Frage nach der Bedeutung von e¢“ a§tfln (sc. die Gottesherrschaft) bi›zetai. Umstritten ist vor allem das Genus von bi›zetai. Ist es intransitives Medium („drängt sich in sie hinein“; so u. a. Kümmel* 408; Burchard* 122 f; Plummer; Klostermann; Schneider; Wiefel; Nolland; C.F. Evans; Ernst; Bovon; Meynet), oder ist es transitives Passiv („wird in sie hineingenötigt“ im Sinne von 14,23 [ün›gkason e¢seljeõn]; so u. a. Menoud*; Cortés/Gatti* 248 f; Lagrange; Schweizer; Fitzmyer; Johnson; Bock; Green; Eckey)? Sprachlich ist beides möglich (für passivisches bi›zesjai mit e¢“ vgl. z. B. Philo, Praem. 130; Josephus, Bell. 6,248); s. auch Bock II, 1352 ff.

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16,17

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Das passivische Verständnis dürfte sachgerechter sein, denn die Tempora in 16b und 16c wollen zum Ausdruck bringen, dass das bi›zesjai in die Gottesherrschaft und deren e§aggel‡zesjai zusammenfallen. Aus diesem Grunde wäre die Behauptung, dass „jeder“ (pô“) in die Gottesherrschaft hineindrängt (oder das auch nur versucht), schon durch den bisherigen Verlauf der lk Jesusgeschichte widerlegt. Hinzu kommt noch, dass transitives bi›zesjai im Sinne von „nötigen“, „bedrängen“ oder eben (mit e¢“; s. o.) „hineindrängen“ nicht selten belegt ist (z. B. Gen 19,3; 33,11; Ri 13,15A; 19,7; 1.Sam 28,23; 2.Sam 13,25.27; 2.Kön 5,23A; Philo, Cher. 115; Somn. 2,124; Abr. 59; JosAs 20,5; P. Oxy. 294,16 f; Lk 24,29; Apg 16,15). Inhaltlich greift diese Aussage damit die Aufforderung von 13,24a auf (s. auch Giesen, Verantwortung, 222 ff). Im Kontext ist „in die Gottesherrschaft hineinnötigen“ gleichbedeutend mit der in 16,9 ausgesprochenen Weisung. 17 Offenbar um den Eindruck zu verhindern, dass Jesus in V. 16a–b die Aufhebung des Gesetzes und seine Ablösung durch die Gottesherrschaft behauptet, lässt Lukas ihn feststellen, dass die Tora nach wie vor ohne die geringste Einschränkung gilt. – Der Satzbauplan entspricht 18,25parr. Mit kera‡a ist hier wohl die kleinste Einheit beim Schreiben gemeint – der Strich; vgl. vor allem Dio Chrysostomus, Or. 31,86: „Wenn einer dorthin geht, wo eure öffentlichen Urkunden sind, und einen Strich irgendeines Gesetzes (kera‡an n·mou tin·“) oder eine einzige Silbe eines Volksbeschlusses tilgt …“; s. auch Philo, Flacc. 131 („für jede Silbe, ja sogar für jeden Strich [katÅ … kera‡an ©k›sthn] nahm er Geld“); Plutarch, Mor. 1011d („wie mit Fragmenten und Strichen von Buchstaben [øsper gramm›twn spar›gmasi kaÑ kera‡ai“] bei den Schnellschreibern“); 1100a. – Zu p‡ptein im Sinne von „seine Geltung verlieren“, „dahinfallen“: Jos 21,45; Sir 34,7; Röm 9,6; 1.Kor 13,8.

Unverkennbar ist, dass Jesu Aussage über die Geltung der Tora zumindest rhetorisch hinter dem zurückbleibt, was er in 21,33 par. Mk 13,31 über seine eigenen Worte sagt. Sie werden das „Vergehen“ (wie hier parfircesjai) von Himmel und Erde überdauern. 18 Möglicherweise fungiert die hier formulierte Regelung als Beispiel für die nach wie vor bestehende Verbindlichkeit des Gesetzes. – Verboten wird weder die Scheidung (Mk 10,2–9 hat Lukas nicht übernommen) noch eine zweite Ehe als solche, sondern dass ein geschiedener Mann erneut heiratet und dass ein Mann eine geschiedene Frau heiratet. Gegenüber Mk 10,11, wo dieses Verbot reziprok auf Mann und Frau verteilt ist, hat Lukas beide Teile in Orientierung an der Q-Fassung (vgl. Mt 5,32) ausschließlich auf den Mann bezogen. Warum er diese Weisung ausgerechnet hier bringt, obwohl sie mit dem Thema des Kontextes nichts zu tun hat, bleibt sein Geheimnis. Dass sie schon in Q mit V. 17 verbunden war, halten viele für ganz unwahrscheinlich (z. B. Hoffmann, Studien, 54 ff; Klinghardt* 20 ff; Schröter* 443 ff; Heil* 120), andere nicht (u. a. Marshall; Fitzmyer; Kosch, Tora, 427 ff). Aber auch in diesem Fall hätte Lukas die Weisung sicher nicht nur einfach mitgeschleppt, sondern sich etwas dabei gedacht. Im Alten Testament sucht man ein prinzipielles Verbot der (Wieder‑)Heirat von Geschiedenen vergeblich. Lediglich von den Priestern wird verlangt, dass sie u. a. keine Frau heiraten, „die von ihrem Mann verstoßen wurde (LXX: †kbeblhmfinh üpÖ ündrÖ“ a§tö“)“, denn – so lautet die Begründung: „Heilig ist er dem Herrn, seinem Gott“ (Lev 21,7). Nur der Hohepriester darf selbst keine Witwe heiraten (V. 14 f; s. auch Philo, Spec. Leg. 1,105–109; Josephus, Ant. 3,276 f). – In Dtn 24,1–4 wird lediglich verboten, dass ein Mann dieselbe Frau ein zweites Mal heiratet, nachdem er sie erst

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16,19–31

entlassen hatte und sie dann einen anderen Mann geheiratet hat, von dem sie schließlich auch entlassen wurde oder der gestorben ist (s. auch Philo, Spec. Leg. 3,30 f; Josephus, Ant. 4,253). Später thematisiert nur Sir 7,26 diese Frage: misoumfinÔh mÉ †mpiste‚sÔh“ seaut·n «einer Verabscheuten vertraue dich nicht an!». – Erst im frühen Christentum wird deutlich zwischen der Wiederheirat von Verwitweten und von Geschiedenen unterschieden. Außerhalb der synoptischen Überlieferung (s. o.) fordert Paulus in 1.Kor 7,11a, eine geschiedene Frau „soll unverheiratet bleiben“ (menfitw ±gamo“); anders die sehr viel zurückhaltender formulierten Ratschläge für die Verwitweten in V. 8 f.39 f. Deutlich wird diese Unterscheidung vor allem bei Hermas: vgl. einerseits Mand. 4,1,6 (Wenn ein Mann, „nachdem er die [beim Ehebruch ertappte] Frau entlassen hat, eine andere heiratet, begeht auch er Ehebruch“ [kaÑ a§tÖ“ moicôtai]) und andererseits 4,4,1–2 (Verwitwete, die wieder heiraten, sündigen nicht, „wenn aber einer für sich bleibt, erwirbt er sich größere Ehre und größeren Ruhm beim Herrn“). Wer sich vor gewagten historischen Erklärungen nicht fürchtet, kann das besondere Interesse an der Frage der Wiederheirat von Geschiedenen im frühen Christentum auf dessen Charakter als Bekehrungsreligion zurückführen. Offenbar hatten viele Christinnen und Christen ‚ungläubige‘ Ehepartner, und es kam häufig zu Scheidungen (vgl. 1.Kor 7,10.11b–16), in deren Folge sich die naheliegende Frage stellte, ob nicht die nunmehr alleinstehenden christlichen Frauen und Männer einander heiraten sollten (s. auch A.D. Jacobson, Divided Families and Christian Origins, in: The Gospel Behind the Gospels, 361–380, hier 371).

19–31 Die Rede an die Pharisäer endet mit einer Beispielerzählung. Am Beispiel eines reichen Mannes wird zunächst illustriert, welche Folgen es hat, wenn ein Reicher versäumt, sich mit seinem Reichtum (mit den Worten von V. 9 gesagt) Freunde zu verschaffen, die ihn nach seinem Tod in die ewigen Wohnungen aufnehmen. Der reiche Mann fungiert also als negative Identifikationsfigur und ist in dieser Hinsicht das Gegenbild zum klugen Verwalter als der positiven Identifikationsfigur, auch wenn der lk Jesus sich von dessen Verhalten teilweise distanzieren musste (s. o. bei V. 8b.10–12). Die Geschichte beginnt (a) mit der expositionellen Beschreibung einer bestehenden Ausgangssituation (V. 19–21). Sodann wird erzählt, wie es (b) zu einer Umkehrung dieser Situation kommt (V. 22–23). Die neue Situation evoziert dann schließlich (c) einen Dialog zwischen dem toten Reichen und Abraham (V. 24–31). Er besteht aus zwei Redegängen (V. 24–26 und V. 27–31), die durch zwei Bitten des Reichen eingeleitet werden (V. 24b; V. 27b); der zweite Redegang ist dann noch einmal in zwei Wortwechsel unterteilt (V. 27–29 und V. 30–31). Von großer Bedeutung für die Interpretation des Gleichnisses seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts war die durch Gressmann* 62 ff bekannt gemachte ägyptische Erzählung von Setme Chamoïs, der zunächst die prunkvolle Bestattung eines Reichen beobachtet und danach sieht, wie man einen armen Mann zum Friedhof hinausträgt, lediglich in eine Matte eingewickelt und vollkommen unbegleitet von anderen Menschen. Setme wird dann visionär ins Totenreich entrückt und sieht dort, dass der Arme in ein Byssusgewand gekleidet sich als „erhabener Verklärter“ in unmittelbarer Nähe des Gottes Osiris aufhält, während der Reiche große Qualen erdulden muss. Als Grund für diese Umkehrung der Geschicke wird angegeben, dass die guten Taten des Armen zahlreicher waren als dessen Sünden, während dies beim Reichen genau umgekehrt gewesen sei. In beiden Fällen habe das auf Erden jeweils erfahrene Ergehen nicht den Taten entsprochen, und darum werde nun im Jenseits ein Ausgleich hergestellt. Abschließend heißt es: „Wer auf Erden gut ist, zu dem ist man auch im Totenreich gut, und wer auf Erden böse ist, zu dem ist man auch (dort) böse.“ Gressmann* hatte behauptet, dass Jesu Gleichnis auf dieser Erzählung „beruht“ (59), und ihm sind im 20. Jahrhundert viele Interpreten gefolgt. Diese Annahme ist jedoch unhaltbar, denn gerade die zuletzt zitierte Erklärung, mit der die Umkehrung der irdischen Geschicke des Reichen und des Armen im Jenseits begründet wird, macht deutlich, dass beide Erzählungen nur sehr punktuell etwas miteinander zu tun haben. Aus V. 25 geht unmissverständlich hervor, dass im lk Gleichnis die Zuweisung von

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Heil und Unheil im Jenseits sich gerade nicht an den guten und bösen Werken orientiert wie in der ägyptischen Erzählung, sondern einzig und allein am Reich-Sein des Reichen und am Arm-Sein des Armen (s. auch Bauckham* 229 f sowie Despotis*). Dieselbe Differenz trennt das lk Gleichnis auch von den Motiv-Konstellationen, wie sie sich in Lukians v. Samosata Dialogen Cataplus und Gallus finden, auf die erstmals Hock* 451 ff aufmerksam gemacht hat. Im Cataplus ist es einzig und allein die irdische Lebensführung, die über die Verteilung von Heil und Unheil im Jenseits entscheidet (vgl. 24–28), und des reichen Tyrannen Betteln um Lebenszeitverlängerung (8–10) lässt sich kaum ernsthaft mit den Bitten des Reichen in V. 24.27 f.30 vergleichen (gegen Hock* 459). – Erst recht nichts mit dem lk Gleichnis zu tun hat das im Gallus verhandelte Thema, denn hier geht es um den Erweis der These, dass die Armen schon auf Erden glücklicher seien als die Reichen (21). Mit keinem Wort deutet Lukas an, dass Jesus den Reichen wegen seines Hedonismus kritisiert (gegen Hock* 461); zur Kritik s. auch Bauckham* 234 ff.

19 Lukas charakterisiert den Reichen, indem er seinen Lebensstil beschreibt. Das Begriffspaar „Purpur und Byssus“ gibt es nach TLG #E nur in jüdischen und christlichen Texten (u. a. Esth 8,15; Prov 31,22 [die gute Hausfrau macht sich ihre Kleider „aus Byssus und Purpur“]; JosAs 5,5; TestAbrA 4,2; Josephus, Ant. 8,93; 1QGenApocr 20,31; Apk 18,12.16). – Zu den Namen, die der Reiche in der Textüberlieferung bekommt, vgl. L.T. Lefort, ZNW 37 (1938) 65–72; Metzger, Textual Commentary, 165 f. porf‚ra („Purpur“) ist eigentlich der von der Purpurschnecke (Murex trunculus) gewonnene Farbstoff; mit demselben Begriff wird aber auch die damit gefärbte Kleidung bezeichnet. Auf Grund seiner Kostbarkeit (noch heute ist Purpur der teuerste Farbstoff) galt er als Herrschaftssymbol (vgl. 1.Makk 8,14: „sich das Diadem aufsetzen und in Purpur kleiden“; Mk 15,17.20; Joh 19,2.5). b‚sso“ („Byssus“) bezeichnet ein als kostbar geltendes Gewebe. Aus welchem Material es bestand (Muschelseide, Baumwolle oder Leinen), ist unklar; vgl. einerseits Philostratus, Vit. Apoll. 2,20,1: die normale Bevölkerung trägt Kleidung aus Leinen (stolÉ … l‡nou), während die Oberschicht (o´ faner„teroi) sich in Byssus kleidet, und andererseits Josephus, Ant. 3,103: l‡nou b‚sso“ «Byssus aus Leinen»; s. auch Esth 6,8LXX (stolÉ buss‡nh als Übersetzung von hebr. tWkl.m; vWbl. [königliches Gewand]); Dan 10,5; 12,6 f (Byssusgewand als Kennzeichen eines Engels); Josephus, Ant. 11,331 („die Priester in ihren Byssusgewändern“); zur Etymologie vgl. Bauer, Wörterbuch, 296; Fitzmyer II, 1131.

20–21 Die Einführung des Armen (zur Bedeutung von ptwc·“ s. bei 6,20) entspricht dem Episodenstil hellenistischer Geschichtserzählung (Weiteres bei 1,5). Der Name (zu ihm vgl. Ilan, Lexicon, 65 ff) ist die Gräzisierung von hebr. rz"[.l;, einer umgangssprachlichen Kontraktion von rz"['l.a, «Gott hat geholfen». Warum er (anders als der Reiche und einmalig in ntl Gleichnissen) überhaupt einen und gerade diesen Namen erhält, muss offen bleiben. Eine Anspielung auf Abrahams Sklaven Eliezer (Gen 15,2; so zuletzt wieder Tanghe* 564 f; C.F. Evans 613) ist sicher nicht intendiert. Weniger unwahrscheinlich ist dagegen, dass der Arme aus narrativen Gründen einen Namen hat, denn nur so kann er in dem Dialog des Reichen mit Abraham ab V. 24 als eine bestimmte Person identifiziert werden, ohne dass auf umständliche Umschreibungen zurückgegriffen werden muss (Jülicher* 622). Damit ist aber noch nicht erklärt, warum es gerade dieser Name ist. – Joh 11 kennt eine Person dieses Namens als Bruder von Maria und Martha.

Lazarus wird nicht einfach beziehungslos neben den Reichen gestellt, sondern zu einem Bewohner von dessen Welt gemacht und in dessen Leben eingeschrieben. Der Erzähler legt ihn „vor seinem (sc. des Reichen) Tor“ ab (20), und er legt ihm das Verlangen bei, sich von den Abfällen der Mahlzeiten des Reichen ernähren zu dürfen (21a). – †pijumùn cortasjönai (21a) ist ein narrativer Knotenpunkt, denn diese Mitteilung illustriert nicht nur das Elend des Armen, sondern sie evoziert auch eine 558

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16,22

Erwartung, die bestätigt oder enttäuscht werden kann. 21b steht an der Stelle, an der die Hörer/Leser Auskunft über das Resultat des Begehrens erwarten (vgl. 15,16). Die adversative Konjunktion üll› signalisiert das negative Ergebnis. Dass darüber hinaus Hunde angelaufen kommen, ist alles andere als überraschend, denn sie sind es, die sich das beim Essen vom Tisch Gefallene holen (vgl. Mk 7,28; Philostratus, Vit. Apoll. 1,19,3; s. auch Plutarch, Mor. 68d; Marshall). Lazarus konkurriert also mit den Hunden ums Essen, und seine Intention auf den Reichen hin (21a) bleibt von dessen Seite aus unbeantwortet. Er wird in der Welt des Reichen einfach ignoriert. Wenn stattdessen erzählt wird, dass die Hunde seine Geschwüre lecken (21b), so fungieren sie nicht als Gegenbild zum Reichen, sondern als Bestandteil der Elendsschilderung. 21b ist aber auch die gezielte Nichterzählung einer Reaktion des Reichen auf das in 21a beschriebene Verlangen des Armen. Die erzählerische Leerstelle, die hier geöffnet wird, hat ihre Entsprechung in der pragmatischen Leerstelle, die der Erzähler im Finalsatz V. 28c offen gelassen hat (s. u.). 22 In chiastischer Abfolge lässt der Erzähler erst den Armen und dann auch den Reichen sterben (22a.c). Damit kreuzen sich die narrativen Linien, die das Ergehen der beiden erzählen und die nun über den Tod hinaus verlängert werden. Während der Arme in Abrahams Schoß getragen wird (22b; zur semantischen Nuancierung von üpenecjönai vgl. van der Horst*), heißt es vom Reichen im Vergleich dazu reichlich lapidar, dass er „begraben wurde“ (22d). Das Fehlen einer solchen Mitteilung bei Lazarus ist kein weiteres Indiz für sein Elend, denn es bedeutet nicht, dass ihm von den Menschen ein Begräbnis verweigert wurde (gegen Fitzmyer u. a.). Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: An der Stelle der Begräbnismitteilung beim Reichen steht bei Lazarus, dass er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen wurde. Lazarus’ postmortales Geschick wird damit als eine Entrückung erzählt, und gerade in solchen Fällen gibt es häufig kein Grab mit einem in ihm ruhenden Leichnam: Vgl. Dtn 34,6 in Verbindung mit Josephus, Ant. 4,326: weil niemand Moses Grab kannte, nahm man an, dass er entrückt wurde; 2.Kön 2,16 f mit der vergeblichen Suche nach dem Leichnam Elias; s. auch TestHiob 39,9–12 (die Leichen von Hiobs Kindern werden nicht gefunden, „denn sie wurden hinaufgenommen [ünelflfjhsan] in die Himmel von ihrem Hersteller, dem König“ [12]); Chariton v. Aphrodisias 3,3,4 und die Erzählungen vom Fehlen des Leichnams Jesu in Mk 16,1–8parr.; Weiteres s. bei 24,3. Eine Entrückung an den Heilsort gleich nach dem Tod oder gar anstelle des Todes ist in der jüdischen Tradition ausschließlich besonders frommen und gerechten Einzelnen vorbehalten wie z. B. Henoch (Gen 5,24; Sir 44,16; 49,14; Hebr 11,5) oder Elia (2.Kön 2; Sir 48,9; 1.Makk 2,58). Zu ihnen gehören natürlich vor allem die Märtyrer (vgl. SapSal 4,7–18; 4.Makk 17,17–18; Phil 1,23; Apk 6,9–11; 11,11 f). Dass eine solche Entrückung die Märtyrer in die Gemeinschaft mit Abraham führt, erwartet 4.Makk 13,16 f: „Wenn wir so aus dem Leben scheiden, werden uns Abraham, Isaak und Jakob aufnehmen (≠podfixontai)“. Zur Vorstellung, dass Engel Verstorbene an ihren eschatischen Heilsort bringen, vgl. TestAss 6,6; TestHiob 47,11; 53,2.5; OrSib 2,313–318 („… denen das Recht und redliche Werke … lagen am Herzen, werden die Engel erheben und durch die lodernde Strömung führen zum Licht …“; Übers. J.-D. Gauger); TestAbrA 20,12; s. auch O. Nussbaum, Art. Geleit, RAC 9,963 ff; M. Mach, Entwicklungsstadien des jüdischen Engelglaubens in vorrabbinischer Zeit, 1992, 148 ff: „Engel als Totenführer“; Lehtipuu* 198 ff (spätere rabbinische Texte bei Bill. II, 223 ff).

Vom Ruhen im „Schoß Abrahams“ erzählt Jub 22,26 – 23,2 („Und Jakob schlief im Schoß Abrahams, des Vaters seines Vaters … [Abraham segnet Jakob und stirbt] … Und 559

16,23

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bei allem diesem lag Jakob in seinem Schoß, und er wusste nicht, dass Abraham, der Vater seines Vaters, tot war“; Übers. K. Berger); als Bezeichnung für den himmlischen Heilsort kennt ihn TestAbrA 20,14: „Die Hütten (skhna‡; s. V. 9) meiner Gerechten und die Wohnungen meiner Heiligen Isaak und Jakob sind †n tù k·lpw a§toú (sc. Abrahams); dort ist nicht Leid, nicht Trauer, nicht Stöhnen, sondern Friede und Jubel und endloses Leben“ (zur Vorstellung von Abrahams Schoß als Heilsort in rabbinischen Texten vgl. Bill. II, 226). Die Intimität, die dieses Bild zum Ausdruck bringen will, orientiert sich darum weniger an der Vorstellung vom eschatischen Heilsmahl, bei dem Lazarus der Ehrenplatz zugewiesen worden wäre (wie dem Lieblingsjünger nach Joh 13,23; vgl. auch Plinius d.J., Ep. 4,22,4: beim Essen mit Nerva proximus atque etiam in sinu «ganz nahe und sogar im Schoß» sitzen), sondern ist vom Bild des im Schoße ruhenden und in den Armen geborgenen Kindes bestimmt (wie in Num 11,12; Ruth 4,16; 1.Kön 17,19; 2.Sam 12,3; 1.Kön 3,20; Jes 49,22; Anthol. Graeca 7,260; vgl. auch ebd. 387 die Bitte an Persephone auf einem Grabepigramm für den Sohn: „Lege das Kindlein †“ k·lpou“ der gestorbenen Mutter“). Die übrigen von Hock* 456 Anm. 34 genannten Texte sprechen immer vom „Schoß“ der Erde, der die Toten umschließt; sie sind hier also nicht einschlägig (s. auch Peres, Grabinschriften, 74). 23 Die Topographie des Jenseits entspricht derjenigen von 10,15 (Weiteres s. dort). Aus ≠p›rcwn †n bas›noi“ geht hervor, dass auch hier der „Hades“ nicht einfach nur als Aufenthaltsort der Toten gilt, sondern als Ort des Unheils (s. auch V. 28: „dieser Ort der Qual“; 4.Makk 13,15; PsSal 14,9: „ihr [sc. der Sünder] Erbe ist Hades und Finsternis und Verdammnis“; griechBar 4,3–6 mit 5,3). Im Hintergrund steht nicht die Vorstellung von einem Zwischenzustand, sondern eine am Geschick des Individuums orientierte Eschatologie, die mit einer endgültigen Zuweisung von Heil und Unheil gleich nach dem Tode rechnet und darum nicht auf ein noch ausstehendes Endgericht reflektieren muss. Die Betonung des großen Abstands (üpÖ makr·jen) setzt die Umkehrung des jeweiligen Geschicks in Szene. Die räumliche Distanz veranschaulicht den qualitativen Unterschied zwischen Heil und Unheil. Trotz der großen Entfernung zwischen den Orten setzt die Erzählung voraus, dass man von hier nach dort sehen kann (nach V. 24 ff ist zwischen ihnen sogar eine Unterhaltung möglich). Dass diejenigen, die sich am eschatischen Unheilsort befinden, das Heil der Gerechten sehen können, gehört zu ihrer Strafe und ist ein geläufiges Element frühjüdischer Eschatologie (z. B. äthHen 108,15; 4.Esr 7,83.85; Lk 13,28 f); umgekehrt gilt Entsprechendes (z. B. äthHen 56,8; 62,12; 108,14; 4.Esr 7,93). †pa‡rein toÜ“ £fjalmo‚“ ist ein Septuagintismus (vgl. Gen 13,10; 2.Sam 18,24; 1.Chr 21,16; Ez 18,6; s. aber auch Chariton v. Aphrodisias 1,4,7). 24 Die Bitte des Reichen (zu †lfihs·n me s. bei 17,13) setzt voraus, dass es im Hades oder zumindest dort, wo der Reiche sich befindet, heiß ist. Im Hintergrund steht die auf Jes 66,24 zurückgehende Vorstellung, dass am eschatischen Unheilsort, wo die Sünder ihre Strafe empfangen, ein unauslöschliches Feuer brennt (Texte bei 3,17). – Ob die Bitte, Abraham möge gerade Lazarus zur Linderung seiner Qualen schicken, seine fortdauernde Uneinsichtigkeit (Marshall) oder Selbstsucht (Fitzmyer) zum Ausdruck bringen soll, ist zweifelhaft. Eher handelt es sich um ein erzählerisches Mittel, mit dem noch einmal die Umkehrung der Geschicke zum Ausdruck gebracht wird. Die Bitte kann insofern gerade umgekehrt als Anerkenntnis der neuen Situation verstanden werden. Die Hyperbolik ihres Inhalts soll illustrieren, wie schlecht es dem 560

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16,27–31

Reichen geht. Sogar von so wenig Flüssigkeit, wie an einer ins Wasser getauchten Fingerspitze haften bleibt, verspricht er sich eine Linderung seiner Qualen. 25 Abraham beantwortet die Bitte, indem er dem Reichen erklärt, warum es zur Umkehrung der beiden Geschicke gekommen ist. Der chiastische Aufbau entspricht V. 19–22, und die Auskunft erinnert an die Gegenüberstellung von Seligpreisungen und Weherufen in 6,20b–21.24–25. Sie setzt die Vorstellung voraus, dass Gott jedem Menschen ein ausgewogenes Verhältnis von gutem und schlechtem Ergehen zugeteilt hat und dass, wenn diese Ausgewogenheit im irdischen Leben zu der einen oder anderen Seite hin gestört ist, Gott für einen Ausgleich im Jenseits sorgt. In diesem Sinne bezeichnet die Formulierung tÅ ügaj› sou (25b) die Gesamtheit des dem Reichen im irdischen Leben und im Jenseits zustehenden Guten. Hierin steckt aber auch die Ablehnung seiner Bitte (V. 24b–d): Als Bitte um ein Gutes wird sie abgelehnt, weil der Reiche das ihm zugeteilte Maß des Guten bereits zu seinen Lebzeiten vollständig ausgeschöpft hat. Für tÅ ügaj› und tÅ kak› als Bezeichnungen für gutes und böses Ergehen vgl. z. B. Gen 50,15; Sir 39,25; Hiob 21,13 sowie für üpolamb›nein tÅ ügaj› das apokryphe Zitat in 2.Clem 11,4: „Mein Volk hatte Verwirrung und Bedrängnis; danach wird es das Gute empfangen (≤peita üpolflyetai tÅ ügaj›)“; s. auch Diodorus Siculus 18,53,1: parû †lp‡da“ ügajùn te kaÑ kakùn metalamb›nein «unerwartet an Gutem und Bösem Anteil bekommen». Anders als in der eingangs vorgestellten ägyptischen Erzählung werden hier das böse Ergehen des Reichen und das gute Ergehen des Armen im Jenseits also gerade nicht als Folgen ‚bösen‘ resp. ‚guten‘ Verhaltens erklärt. Dieselbe Spannung besteht aber auch gegenüber der in V. 27–29 implizierten Pragmatik (Näheres s. dort). 26 Das überleitende †n pôsi to‚toi“ kündigt einen weitergehenden Sachverhalt an (vgl. 2.Esr 20 [= Neh 10],1; Jes 5,25; Jer 3,10; 1.Makk 8,14; Y 77,32 = Sir 48,15; Plato, Resp. 561c; Plutarch, Mor. 98 f), der eine Erfüllung der Bitte des Reichen selbst dann unmöglich machte, wenn Abraham von dem in V. 25 genannten Gesichtspunkt absehen wollte. Dass im Jenseits Heils‑ und Unheilsbereich durch ein c›sma mfiga voneinander getrennt sind, ist auch in griechHen 18,11–12 vorausgesetzt. Die c›smata in den Jenseitsschilderungen Platos (Resp. 614c–d) und Plutarchs (Mor. 565e; 590 f) haben eine andere Funktion. Bei Lukas soll der Hinweis auf die Schlucht die unkorrigierbare Endgültigkeit des Unheilsgeschicks, das den Reichen getroffen hat, zum Ausdruck bringen. Die in äthHen 22,8–17 beschriebene Trennung der Orte, an denen die Seelen der Gerechten und der Frevler bis zum Gericht aufbewahrt werden, basiert insofern auf einem ganz anderen Konzept. †stflriktai ist wohl ein Passivum divinum und will als solches „an den sthr‡zwn … erinnern“ (Jülicher* 629; s. auch Spicq, Lexicon III, 291–295). 27–31 Mit dem zweiten Redegang greift die Erzählung auf die erzählten Hörer über, d. h. auf die Pharisäer als Adressaten der Rede Jesu. Sie sind es, die nach V. 29 „Mose und die Propheten haben“ und die hier aufgefordert werden, deren Forderung zu befolgen (ükous›twsan a§tùn), wenn sie dem Geschick des Reichen entgehen wollen. Eine allegorische Übertragung auf die intendierten Leser des LkEv ist schwierig, denn die haben inzwischen nicht nur mehr als „Mose und die Propheten“ (vgl. vor allem 24,27; Apg 26,22 f; 28,23), sondern auf sie passt auch nicht das in V. 30–31 in den Blick genommene Szenario. Lukas hat das Gleichnis erst in 17,2 auf seine Leser hin geöffnet. 561

16,27–28

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

27–28 Dass Menschen, die sich bereits im Totenreich befinden oder befunden haben, erneut zu den noch Lebenden kommen, um ihnen Botschaften zu überbringen, ist ein Motiv, das in der gesamten antiken Literatur belegt ist. Am bekanntesten ist der Jenseitsmythos in Platos Politeia (Resp. 10; 613e–621d): Der Pamphylier Er wird nach einem mehrtägigen Aufenthalt im Jenseits, bei dem er Einblick in das Geschick der Seelen zwischen dem Verlassen der Körper und dem Wiedereintritt ins Leben bekommt, mit dem Auftrag ins Leben zurückgeschickt, „er solle den Menschen ein Verkünder des Dortigen werden“ (dfioi a§tÖn ±ggelon ünjr„poi“ genfisjai tùn †keõ; 614d). Rezipiert wird dieser Text bei Plutarch, Mor. 563b–568a und 589 f–592e (hier freilich ohne die Konstruktion eines zeitweiligen Todes) sowie im Somnium Scipionis (Cicero, Resp. 6,9–26). Eine jüdische Variante kennt das Apocryphon von Jannes (Jamnes) und Jambres (Mambres): Jamnes wird von seinem Bruder nekromantisch aus der Unterwelt emporgeholt und übermittelt ihm die folgende Botschaft: „… ich widerstand den beiden Brüdern Mose und Aaron … Darum bin ich gestorben und aus der Öffentlichkeit in die Unterwelt hinabgeführt worden, wo sich ein großes Verbrennen und ein See der Verdammnis befinden, von wo es keinen Aufstieg gibt … Und nun, mein Bruder Mambres, nimm dich in acht in deinem Leben, dass du deinen Söhnen und Freunden Gutes tust, denn in der Unterwelt gibt es nichts Gutes, sondern nur Traurigkeit und Finsternis …“ (Brit.Libr. Cotton Ms. Tiberius B. v fol. 87, ed. Pietersma, 280, Zl. 7–15); s. auch Bauckham* 237 ff.

Was die zweite Bitte des Reichen inhaltlich bedeutsam macht, sind zweifellos die umfangreichen Leerstellen in Verbindung mit der dem Finalsatz in 28c zugrundeliegenden Voraussetzung, dass das Unheilsgeschick, das den Reichen nach seinem Tod getroffen hat, durchaus vermeidbar ist. Weder wird gesagt, was Lazarus den Brüdern des Reichen mitteilen soll, noch durch welches Verhalten sie dem Geschick ihres verstorbenen Bruders entgehen können. Beides müssen die Leser aus dem Kontext ergänzen (der von diamart‚resjai abhängige ºna-Satz gibt hier anders als in 1.Tim 5,21 nicht den Inhalt, sondern die Intention an). Der Inhalt der Mitteilung ergibt sich aus dem bisherigen Verlauf der Erzählung: dass es im Jenseits auf Grund des in V. 25 genannten Prinzips zu einer Umkehrung ihres derzeitigen und diesseitigen Wohlergehens in zukünftige und jenseitige Pein kommen wird. Ungleich schwieriger ist die Frage nach der Pragmatik dieser Mitteilung zu beantworten, zumal damit das postmortale Geschick entgegen dem in V. 25 genannten Prinzip nun auf einmal doch in den Zusammenhang von Tun und Ergehen eingestellt wird. Aus V. 30 geht zwar hervor, dass es allein das „Umkehren“ (metanoeõn) ist, das die Brüder des reichen Mannes vor demselben Unheilsgeschick bewahren kann, doch ist damit immer noch nicht gesagt, durch welche Handlungen es zum Ausdruck gebracht werden soll. Eine gewisse Konkretion macht erst 29 mit dem Verweis auf „Mose und die Propheten“ möglich (zu diesem Begriffspaar s. bei V. 16a–b): Wie in 1QS 1,2–3 („… um zu tun das Gute und Rechte vor ihm, wie er es befohlen hat durch Mose und alle seine Knechte, die Propheten“) werden sie hier als Übermittler von Gottes Willen aufgeboten. Den reichen Brüdern innerhalb der Erzählung wird damit implizit vorgeworfen, dass sie den in „Mose und den Propheten“ zugänglichen Willen Gottes ignorieren. Auf der Ebene des literarischen Kontextes wird das Gleichnis an dieser Stelle auf die Pharisäer als seine erzählten Adressaten hin geöffnet. Ihnen ist natürlich erst recht bekannt, was „Mose und die Propheten“ verlangen, denn sie kennen auch deren Auslegung durch Johannes den Täufer (vgl. die über 16,16a und 7,29–30 laufende Verkettung mit 3,11). Damit können aber auch die Leser die pragmatische Leerstelle auffüllen. Wenn die fünf reichen Brüder „umkehren“ (V. 30) und als „Früchte ihrer Umkehr“ (3,8) denjenigen 562

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,1–10

Kleidung und Nahrung geben, die nichts haben (3,11), werden sie dem Unheilsgeschick entgehen, das ihren Bruder getroffen hat. 30–31 Der abschließende Wortwechsel hat die meisten der neueren Kommentatoren dazu veranlasst, in Abrahams Schlusswort (31b–c) eine Anspielung auf die Auferstehung Jesu und die nahezu einhellige jüdische Ablehnung der christlichen Verkündigung zu sehen (skeptisch bleibt Bauckham* 243). Zugunsten dieser Interpretation kann angeführt werden, dass es bei Lukas in der Tat einen engen Zusammenhang von „Mose/Gesetz und Propheten“ und der Christusverkündigung gibt (vgl. Lk 24,27; Apg 26,22 f; 28,23). Gegen sie spricht vor allem dreierlei: (a) Lukas bezeichnet mit dem Verb pe‡jein (31c) in Apg 17,4; 18,4; 19,8; 26,28; 28,23.24, wo er es im Kontext der Christusverkündigung an Juden gebraucht, nie deren Ablehnung (noch der ‚negativste‘ Gebrauch findet sich in 26,28, d. h. im Ausruf König Agrippas II.: †n £l‡gw me pe‡jei“ CristianÖn poiösai). (b) Die nachösterlichen Christuszeugen fordern nur in Jerusalem Juden zur „Umkehr“ auf (met›noia; vgl. 30c; Apg 2,38; 3,19; 5,31); sobald die christliche Verkündigung Jerusalem verlassen hat, sind es immer nur die Heiden, die „umkehren“ oder zur „Umkehr“ eingeladen werden (Apg 11,18; 17,30; 20,21; 26,20). (c) Es ist kaum möglich, in den fünf reichen Brüdern metaphorische Repräsentanten des nicht an Jesus Christus glaubenden Judentums zu erkennen. – Es ist darum alles andere als ausgemacht, dass Lukas das Gleichnis hier mit einer verschlüsselten Ankündigung des Scheiterns der Christusverkündigung vor Juden abschließt. Ein Teil der Textüberlieferung liest in 31c nicht †k nekrùn ünastÔö, sondern †k nekrùn üpfiljÔh (W it sys.c MarcionA). Codex D kombiniert beide Lesarten. üpfiljÔh wird von Tanghe* 562 als ursprünglich verteidigt, weil diese Lesart sowohl in westlichen als auch in syrischen Handschriften gleichermaßen belegt sei. Zu ihren Gunsten ließe sich noch anführen, dass sie in der Tat Lectio difficilior sein könnte (s. auch Bauckham* 243 sowie bereits Jülicher* 632: „sollte ein Christ wie der Schreiber von Lc 16,31 den term. ünastönai absichtlich zu Gunsten solch eines blassen üpfiljÔh vermieden haben?“). Andererseits kann man die Entstehung von üpfiljÔh aus ünastÔö aber auch gut aus dem Einfluss der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus in Joh 11,1–45 erklären: Im Anschluss an sie fassen die Pharisäer und die Hohenpriester zusammen mit dem Synedrium den Beschluss, Jesus zu töten (11,46–53); außerdem passt †k nekrùn üpfiljÔh gut auf den joh Lazarus. – Rebus sic stantibus spricht darum mehr dafür, sich an der äußeren Bezeugung zu orientieren und ünastÔö den Vorzug zu geben.

17,1–10: Noch eine Rede an die Jünger 1Er

sprach aber zu seinen Jüngern: „Es ist ausgeschlossen, dass keine Be­ schädigungen kommen, doch wehe (dem), durch den sie kommen. 2Es ist besser für ihn, wenn ein Mühlstein um seinen Hals gehängt und er ins Meer geworfen wird, als dass er einen dieser Kleinen beschädigt. 3Nehmt euch in acht! Wenn dein Bruder sich vergeht, weise ihn zurecht. Und wenn es ihm leid tut, vergib ihm. 4Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich vergeht und sich siebenmal dir wieder zuwendet und sagt: ‚Es tut mir leid‘, so sollst du ihm vergeben.“ 5Und die Apostel sprachen zum Herrn: „Gib uns Glauben hinzu!“ 6Der Herr aber sprach: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu 563

17,1–10

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

diesem Maulbeerbaum sagen: ‚Entwurzele dich und pflanze dich ins Meer‘. Und er würde euch gehorchen. 7 Wer von euch, der einen Sklaven zum Pflügen oder Weiden hat, wird zu ihm sagen, wenn er vom Feld kommt: ‚Komm gleich her und leg dich nieder‘? 8Wird er ihm nicht vielmehr sagen: ‚Bereite mir mein Essen, um­ gürte dich und warte mir auf, bis ich gegessen und getrunken habe; danach magst du essen und trinken‘? 9Ist er etwa dem Sklaven dankbar, weil der die Aufträge ausgeführt hat? 10So auch ihr: Wenn ihr alles getan habt, was euch aufgetragen wurde, dann sagt: ‚Wir sind nichtsnutzige Sklaven; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren‘.“ Literatur: E. Delebecque, „Foi“, moutarde et sycomore (17,5–6), in: ders., Études grecques, 99–107. – J. Dupont, Le maître et son serviteur (Luc 17,7–10), EThL 60 (1984) 233–251. – F. Hahn, Jesu Wort vom bergeversetzenden Glauben, ZNW 76 (1985) 149–169. – P. Houzet, Les serviteurs de l’évangile (Luc 17,5–10) sont-ils inutiles?, RB 99 (1992) 335–372. – J.J. Kilgallen, What Kind of Servants are we? (Luke 17,10), Bib. 63 (1982) 549–551. – Ders., The Unity of Luke 17,1–10, EThL 79 (2003) 157–165. – M.P. Knowles, Reciprocity and ‚Favour‘ in the Parable of the Undeserving Servant (Luke 17.7–10), NTS 49 (2003) 256–260. – P.S. Minear, A Note on Luke 17:7–10, JBL 93 (1974) 82–87. – J. Schlosser, Lk 17,2 und die Logienquelle, SNTU.A 8 (1983) 70–78. – L. Wehr, Die Rettung der „Kleinen“. Der Auftrag der Jüngergemeinde nach Lc 17,1–10, in: Für euch Bischof – mit euch Christ, 65–83. – Weiser, Knechtsgleichnisse, 105–120.

Die Erzählung tritt auf der Stelle, denn die neuerliche Rede an die Jünger erhält keine eigene szenische Einbettung. Lukas macht sich nicht einmal mehr die Mühe, sie von der vorangegangenen Rede an die Pharisäer zeitlich und räumlich zu distanzieren. Die Leser gewinnen den Eindruck, als setze Jesus einfach nur die durch 16,14–31 unterbrochene Rede von 16,1–13 fort. Zur Überlieferungsgeschichte: (a) Bei dem hypothetischen Drohwort in V. 1–3a handelt es sich offensichtlich um eine Mk-QDoppelüberlieferung (vgl. Fleddermann, Mark and Q, 159 ff): Die Ankündigung von sk›ndala und das Wehe-Wort sind auch in Mt 18,6–7 mit dem Wort vom Mühlstein verbunden (freilich in umgekehrter Reihenfolge). Letzteres ist auch in Mk 9,42 überliefert, mit dem Lk 17,2 die Formulierungen per‡keitai (…) perÑ tÖn tr›chlon a§toú ka‡ und e¢“ tÉn j›lassan sowie (mit leicht abweichender Wortstellung) skandal‡sÔh tùn mikrùn to‚twn ∫na gemeinsam hat. Lk-mt Agreements gegen mk Formulierungen gibt es nicht. Wieviel von V. 2 auf Q zurückgeht, muss offen bleiben (s. auch Schlosser* 76 ff). – Eine frühe außerntl Überlieferung des Wehe-Wortes findet sich in 1.Clem 46,8. Sie weist Elemente aller synoptischen Fassungen auf; mit der lk Version teilt sie die Abfolge von Drohung und Schelte. (b) Die Aufforderung, dem umkehrwilligen Bruder zu vergeben (V. 3b–4), überschneidet sich mit Mt 18,15 (†Ån … ®martflsÔh ¨ üdelf·“ sou) und 18,22 (siebenmaliges [©pt›ki“] Sündigen und Vergebung), so dass eine Herkunft aus Q nicht unwahrscheinlich ist. (c) Das Wort vom Glauben wie ein Senfkorn (V. 6) berührt sich mit Mt 17,20. Auch hier ist eine Herkunft aus Q denkbar. Eine Parallelüberlieferung findet sich in Mk 11,23 (mit einer Parallele in Mt 21,21; vgl. dazu Hahn* 155; Fleddermann, Mark and Q, 178 ff), und zwar im Zusammenhang der von Lukas ausgelassenen Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12–14.20–26). Zu den mk-mt Parallelen, die von der Versetzung nicht eines Maulbeerbaumes, sondern eines Berges sprechen, gibt es zwei Parallelen in EvThom 48.106. In keinem dieser beiden Logien ist es jedoch der Glaube, der das bewirkt. (d) Das Gleichnis von den Sklaven, die keine Dankbarkeit erwarten dürfen (V. 7–10), gibt es sonst nirgends. Wir wissen also nicht, woher es stammt.

564

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,1b

Das Material kommt also mindestens zum überwiegenden Teil aus Q, ohne dass es hier bereits eine literarische Einheit bildete. Lukas hat es zu einer Mahnrede über das rechte Jüngerverhalten zusammengestellt. 1–3a Formgeschichtlich handelt es sich um eine Warnung, die als hypothetische Gerichtsankündigung formuliert ist: Die Drohung beinhaltet ein Geschick, das schlimmer ist, als mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen zu werden (2a–b). Gedacht ist vermutlich an den sog. ‚Läufer‘ einer Eselsmühle (vgl. Mt 18,6 sowie seine Beschreibungen bei Bill. I, 775 f; Luz, MtEv III, 20; s. auch die Abb. bei: D. Baatz, DNP 8,431). Demgegenüber bezieht die Schelte sich auf ein Verhalten, das „Beschädigungen“ (sk›ndala) verursacht (1c) bzw. das „einen dieser Kleinen beschädigt (skandal‡sÔh)“ (2c). sk›ndalon bezeichnet ursprünglich das Stellholz in der Tierfalle und dann die Falle selbst; vgl. Alciphro, Ep. 2,19,1 („ich stellte eine Falle für die … Füchse auf, wobei ich etwas Fleisch am Stellholz befestigte [kre›dion tö“ skand›lh“ üpartflsa“]“); Julius Pollux, Onomast. 7,114; 10,156; P. Zeno 59,608,6 f (conj.). Nomen und Verb sind fast nur in der Septuaginta (in anderen jüdischen Schriften fehlen sie völlig) und im Neuen Testament belegt, und hier durchweg in übertragener Bedeutung (so auch schon bei Aristophanes, Ach. 687 über den Prozessgegner: „†rwtô skand›lhjrû ´st›“ «er fragt und stellt eine Falle»“); zur Begriffsgeschichte vgl. G. Stählin, Skandalon, 1930, 10 ff; ders., ThWNT 7,338–358; K. Müller, Anstoß und Gericht, 1969. – sk›ndala sind demnach Ereignisse oder Handlungen, die Schaden zur Folge haben, der von subjektivem Missvergnügen bis zu vollständigem Verderben reichen kann. In diesem Sinne können als sk›ndala bezeichnet werden: die Bevölkerung Kanaans für Israel (Jos 23,13; Ri 2,3), Hinterhalte (1.Makk 5,20), Verstöße gegen die jüdischen Speisetabus oder andere Sünden (Jdt 12,2; 5,20; Y 48,14; Apk 2,14), „Götzen“ (SapSal 14,11; s. auch Y 105,36 [„sie dienten ihren Götzen, und die wurden für sie e¢“ sk›ndalon“]; Hos 4,17LXX [„Teilhaber der Götzen ist Ephraim, aufgestellt hat es für sich selbst sk›ndala“]). Für das Verb skandal‡zein gilt Analoges: Wie in Lk 17,2 (d. h. aktivisch und mit Akk. Obj.) wird es in PsSal 16,7 gebraucht („Bewahre mich, Gott, vor böser Sünde und vor jeder bösen Frau, skandalizo‚sh“ ±frona «die einen Toren ins Verderben führt»“); s. auch 1.Kor 8,13 sowie die passivischen Äquivalente in Sir 9,5: „eine Jungfrau betrachte nicht genau (?), damit du nicht beschädigt wirst (mflpote skandalisjÔö“) durch das Bußgeld für sie“; 23,8; 32,15; Dan 11,41 v. l.; Mt 15,12 und Joh 6,61 (hier synsemantisch mit gogg‚zein) mit Bezug auf Jesu Worte. Einziger nichtbiblischer Beleg für das Verb ist bisher Philogelos 44: „Ein Studierter, der mit seinem Vater in einem Zimmer schlief, stand nachts von seinem Bett auf und aß die Trauben, die darüber hingen; toú dÇ patrÖ“ skandalisjfinto“ «weil der Vater aber gestört wurde (oder ähnlich)» …“.

Im Umkreis der Warnung stehen vielleicht Texte wie 1.Kor 8,13; 1.Joh 2,10: Inhaltlich bezöge sie sich dann auf ein Verhalten eines Jüngers Jesu, das dazu führt, dass ein anderer Jünger dadurch „beschädigt“ wird – was immer das heißen mag (1.Clem 46,8b ersetzt skandal‡zein durch diastrfifein). Abwendung vom Glauben im Sinne von Mt 24,10; Mk 4,17par. kann ebenso gemeint sein wie die in 1.Kor 8,7–11 und Röm 14,13–15 beschriebenen Szenarien. Der unmittelbare Kontext sowie der sonstige Gebrauch von sk›ndalon und skandal‡zein im NT machen es wahrscheinlich, dass Lukas den Jüngern hier einschärfen lässt, in ganz besonderer Weise auf die Bewahrung der Integrität der Gemeinde zu achten. Nicht unmöglich ist aber auch, dass Lukas hier nun auch die Leser mit Lazarus konfrontiert (s. bei V. 2). Die Feststellung in 1b entspricht der Ankündigung künftiger Abkehr vom rechten Weg und des Auftretens von Verführern, wie sie vor allem in frühjüdischen und neutestamentlichen Testamenten begegnet (vgl. im NT: Apg 20,29 f; 2.Tim 3,1–5a.6 f; 4,3 f; jüdische Beispiele bei Wolter, Pastoralbriefe, 238 ff). – Zu ünfindekto“ als Aus565

17,2

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

druck der Unvermeidbarkeit vgl. Chrysipp, Frgm. 55 bei Diogenes Laertius 7,50; Artemidorus, Oneir. 2,70 (201,12 Pack); Aristophanes Gramm., Frgm., ed. Nauck, 13; P. Lond. 1404,8; zur Konstruktion mit substantiviertem Infinitiv im Genitiv s. B/D/R § 400,4. Das Drohwort in 2 bedient sich der in hellenistischer Gnomik weitverbreiteten Form der „Besser-als-Worte“; wie an dieser Stelle mit unpersönlichem lusiteleõ + ≥ (rabbinischer Sprachgebrauch [so Ernst] liegt hier jedenfalls nicht vor): Gnomolog. Vatican. 39 (lusiteleõ diû †mÇ tÖ ürg‚rion üpolfisjai À †mÇ diû a§t· «es ist besser, dass das Geld um meinetwillen verloren geht, als ich um seinetwillen»); Plutarch, Mor. 1104b; in verschiedenen Varianten verbreitet ist der Spruch lusiteleõ tejn›nai môllon À zön «es ist besser zu sterben als zu leben» (Isocrates, Phil. 55; s. auch Ep. 7,9; Andocides, Myst. 125; Tob 3,6); anders Chrysipp, Frgm. 760 (SVF III, 188,21 ff: lusiteleõ zön ±frona môllon À [mÉ] bioún «es ist besser, als Dummkopf zu leben, als gar nicht zu existieren»; vgl. ansonsten Berger, Gattungen, 1064.1102). – „Einer dieser Kleinen“ stammt hier aus Mk 9,42. Mt hat diese Bezeichnung auch in 10,42; 18,10.14 übernommen, während sie in 1.Clem 46,8 durch „einen meiner Auserwählten“ (∫na tùn †klektùn mou) ersetzt wird. Als Selbstbezeichnung des Gottesvolkes begegnet sie auch in syrBar 48,19 („Sieh auf die Kleinen, die dir sich unterwerfen, und rette alle, die zu dir kommen! Und nimm die Hilfe unseres Volkes nicht weg, verkürze nicht die Zeiten unserer Hilfe!“; Übers. nach A.F.J. Klijn). Es ist nicht ausgeschlossen, dass Lukas das Demonstrativpronomen anaphorisch verstanden wissen wollte und eï“ to‚twn tùn mikrùn nicht nur einen Seitenblick der Leser auf Lazarus lenkt (vgl. bereits Johannes Chrysostomus, Hom. de Lazaro 2,5 [PG 48,989]). 3a Die Aufforderung prosficete ©autoõ“ gibt es im NT nur bei Lukas (vgl. noch 12,1 [Näheres s. dort]; 21,34; Apg 5,35; 20,28). Sie will als Abschluss und rhetorische Zuspitzung der in V. 1–2 ausgesprochenen Warnung verstanden werden, denn der Plural passt besser hierzu als zur 2. Pers. Sing. von V. 3b–4. 3b–4 Es folgt ein klimaktischer Doppelspruch, der zur grenzenlosen Vergebungsbereitschaft unter den Anhängern Jesu auffordert. Hierbei handelt es sich um ein Thema, das auch in Mt 18,15–18.21–35 und Kol 3,13 angesprochen wird. 3b–c In TestGad 6,3 konkretisiert eine z. T. bis in den Wortlaut hinein parallele Aufforderung das reziproke Liebesgebot: „Liebt einander von Herzen, kaÑ †›n ti“ ®martflsei e¢“ sfi, sage es ihm in Frieden …, kaÑ †Ån … metanoflsÔh ±fe“ a§tù“ (s. auch Sir 28,2). Dass es sich hierbei um ein gemeinantikes soziales Ideal handelt, lässt ein Zitat aus Plutarchs Traktat Über die Bruderliebe erkennen: „Vergebung (suggn„mh) zu erbitten und anzunehmen, macht Zuneigung und Liebe nicht weniger sichtbar als sie den ®martoúsi zu gewähren …; darum dürfen wir uns den Bittenden nicht verweigern“ (Mor. 489c). – Wenn an der Stelle von „sage es ihm in Frieden“ (TestGad 6,3) bei Lukas †pit‡mhson a§tù (3b) steht, so handelt es sich dabei um eine Reaktion auf zwischenmenschliches ®mart›nein, die in der paganen Umwelt gängig ist: z. B. Xenophon, Mem. 3,7,3 über Sokrates und die Politiker (Ωtan ti ®mart›nwsin, £rjù“ †pitimùn «wenn sie sich in irgendeiner Weise verfehlen, [sie] mit Recht zurechtweisend»); Plutarch, Mor. 14a (toõ“ ®mart›nousin u´oõ“ †pitimôn «die sich verfehlenden Söhne zurechtweisen»); s. auch Mor. 70a; 186 f; 198e; Isocrates, Ad Nicocl. 28; Demosthenes, Or. 5,2; Dionysius v. Halicarnass, Demosth. 6 u. ö.

Inhaltlich unterscheidet sich die lk Regelung nicht von Mt 18,15: †pit‡mhson a§tù entspricht ≤legxon a§t·n (Mt 18,15b; s. auch Lev 19,17; CD 9,7 f; 1QS 5,25 f), 566

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,6

†Ån metanoflsÔh entspricht †›n sou üko‚sÔh (Mt 18,15c) und ±fe” a§tù entspricht †kfirdhsa” tÖn üdelf·n sou (Mt 18,15d). Mit hyperbolischer Zuspitzung will 4 sicherstellen, dass wirklich jede „Umkehr“ Vergebung findet. Diese Unbegrenztheit bringt ©pt›ki“ tö“ ™mfira“ zum Ausdruck, das sicher nicht wörtlich gemeint ist. Und selbst wenn dies doch der Fall sein sollte, würde eine solche Begrenzung in der Realität selbstverständlich niemals ausgeschöpft, so dass die Regelung de facto eben doch darauf hinausläuft, dass jede „Umkehr“ Vergebung findet. Dass Lukas auf Ps 119,164 Bezug nehmen will („Siebenmal am Tag lobe ich dich wegen der Bestimmungen deiner Gerechtigkeit“), ist eher unwahrscheinlich. metanoù (für die Form habe ich auch mit Hilfe des TLG #E keinen weiteren Beleg gefunden) wird hier als eine explizite performative Äußerung zitiert. 5–6 Formgeschichtlich handelt es sich um eine apophthegmatische Chrie, bei der das narrative Setting von Lukas selbst geschaffen wurde. Wie auch sonst (z. B. in 15,1–2; 17,37) interpretiert die Szene das folgende Wort Jesu. 5 Die Bitte der Apostel wird in der Regel als Bitte um Vermehrung ihres schon vorhandenen, von ihnen aber als unzureichend empfundenen Glaubens verstanden. Die Wendung prost‡jhmi tinÑ p‡stin kommt verschiedentlich in der nichtjüdischen griechischen Literatur vor. Hierbei kann der Dativ denjenigen bezeichnen, der „glaubt“ oder „glauben“ soll; vgl. Demosthenes, Or. 54,42 mit Bezug auf eine Zeugenaussage: „nachdem ich alle Rechtsverhältnisse dargelegt habe und euch (sc. den Richtern) auch noch ein Beweismittel hinzugefügt habe (kaÑ p‡stin prosjfinto“ ≠mõn) …“. Die Mehrzahl der Texte bezieht den Ausdruck aber genau umgekehrt auf denjenigen oder dasjenige, dem „geglaubt“ wird; vgl. Plutarch, Gracch. 31,4 (durch sein Verhalten „gab Fulvius selber den weder bewiesenen noch untersuchten Gerüchten Glaubwürdigkeit [legomfinoi“ … proset‡jei p‡stin]“); s. auch Galba 3,3; Mor. 1123d; Galen, In Hippocratis aphorismos, ed. Kühn XVIIb, 562,4; Aelius Aristides, Rhod. 559,16.

Von diesem Sprachgebrauch her lässt sich die Bitte der Apostel nicht erklären, und sie bedeutet sicher auch nicht „ayez foi en nous“ (gegen Delebecque* 103). Man muss darum den Umweg über die Antwort Jesu in 6 gehen: Sie ist so formuliert, als ob sie eine These angreift, die der Bitte zugrundeliegt, obwohl sie nicht auf der Textoberfläche auftaucht: dass nämlich die Apostel behaupten, sie hätten schon Glauben, den man nur noch vermehren müsse. Jesus bescheinigte ihnen dann, dass es sich bei dieser Annahme um eine Illusion handelt und sie noch nicht einmal Glauben haben, der so groß wie ein Senfkorn wäre, also überhaupt keinen (auf das Senfkorn wird hier wie auch schon in 13,19 wegen seiner sprichwörtlichen Kleinheit Bezug genommen; Näheres s. dort). Die Antwort beginnt als realer Bedingungssatz (besser: als „Indefinitus …, da eine persönliche Ansicht über Wirklichkeit oder Verwirklichung nicht angedeutet wird“; B/D/R § 3711), und sie endet als Irrealis (vgl. die Paraphrase ebd. § 3721: „wenn ihr wirklich Glauben habt [wie ihr bittet, – aber ihr habt ihn nicht; wenn ihr ihn aber hättet], so würdet ihr“). †lfigete ±n … (6c) gehört also nicht zum konditionalen Vordersatz, sondern zum Nachsatz, der den Bedingungssatz weiterführt. Die p‡sti“ ist nicht Begleitumstand, sondern Voraussetzung des lfigein. Damit stellt Lukas zwischen den beiden Imperativen in V. 5b (pr·sje“ ™mõn p‡stin) und 6d (†kriz„jhti kaÑ fute‚jhti †n tö jal›ssÔh) ein antithetisches Gegenüber her: Hätten die Apostel überhaupt Glauben, würden sie nicht Jesus um seine Vermehrung bitten, sondern den 567

17,7–10

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Maulbeerbaum (suk›mino“; zu ihm vgl. C.-H. Hunzinger, ThWNT 7,758) auffordern, sich zu entwurzeln und ins Meer zu pflanzen. Aus dem Inhalt der Antwort geht hervor, dass das Thema des Wortes nicht die „Kraft des Glaubens“ ist (so Eckey II, 731 für viele andere), sondern der fehlende Glaube auf Seiten der Apostel. Dass Lukas gerade die Apostel zu Fragestellern macht und Jesu Antwort an sie adressiert sein lässt, soll vermutlich die Irritation beseitigen, die ansonsten im Wort vom Glauben und dem Maulbeerbaum steckt: Lukas weiß genauso gut wie seine Leser, dass selbst ein Glaube, der größer ist als ein Senfkorn, keinen Maulbeerbaum versetzen kann, und beide wissen natürlich auch, dass es keinen Maulbeerbaum gibt, welcher der in 6d ausgesprochenen Aufforderung „gehorchen“ würde. Lukas muss Jesu Wort vom Glauben, der einen Maulbeerbaum entwurzeln und ins Meer verpflanzen kann, darum historisch fixieren, damit er es vom Glauben seiner Leser fernhalten kann. Aus diesem Grunde lässt er es den Aposteln als den durch Jesus „erwählten“ (6,13) und in besonderer Weise ausgezeichneten Gestalten einer unwiederbringlichen Vergangenheit gesagt sein. Was Jesus also von der Kraft des Glaubens der Apostel sagt (wenn sie ihn denn hätten), soll nicht vom normalen christlichen Glauben gelten. Plausibel ist das nach 9,1–2 allemal. – Auch so handelt es sich aber immer noch um ein hartes Wort. Es macht jedoch deutlich, dass nach lk Verständnis die Apostel nicht aus eigenem Vermögen, sondern einzig und allein durch Jesu „Erwählung“ (6,13) ausgezeichnet sind. Was „glauben“ heißt, haben andere Menschen, denen Jesus begegnet ist, längst besser verstanden als die Apostel (vgl. 5,19 f; 7,9 f.50; 8,28.50). 7–10 Lukas lässt Jesus nun sein letztes t‡“-†x-≠mùn-Gleichnis erzählen (nach 11,5–8.11; 14,5.28.31; 15,4.8; Näheres s. bei 11,5). Es handelt sich dabei jedoch nicht eigentlich um eine Erzählung, sondern ganz ähnlich wie in 11,5–8 um die szenische Beschreibung einer Situation mit zwei Handlungsalternativen (einerseits V. 7b–c; andererseits V. 8), die hier jeweils durch †reõ a§tù (V. 7b.8a) markiert werden. – Die rhetorische Frage in V. 7a nimmt die Entscheidung jedoch bereits vorweg: Keiner der Apostel würde seinen von der Feldarbeit ins Haus zurückkehrenden Sklaven (sofern er denn einen hat) mit den in V. 7c zitierten Worten begrüßen, sondern immer nur mit den Worten von V. 8b–d. – Syntaktisch endet der mit t‡“ †x ≠mùn in V. 7a eröffnete Fragesatz mit dem Ende von V. 7. Mit üllû o§c‡ wird in V. 8a ein neuer Fragesatz eröffnet. 7 Der Relativsatz macht es eigentlich erforderlich, dass zu t‡“ †x ≠mùn ein †st‡n ergänzt wird (s. auch Apg 19,35 sowie Lk 5,21; 7,49). Den Hörern wird die Perspektive des Herrn zugewiesen. Beantwortet werden will die Frage mit „Niemand!“. Diese Eindeutigkeit wird freilich erst im Zusammenspiel mit dem folgenden Vers möglich, denn nur durch ihn bekommen die Hörer/Leser die für ihre Entscheidung erforderlichen weiteren Informationen. Obwohl Lukas poima‡nein in Apg 20,28 als Metapher für die gemeindeleitende Tätigkeit gebraucht (s. auch Joh 21,16; Eph 4,11; 1.Petr 5,25), weist das Verb hier ebensowenig über seinen bildweltlichen Gebrauch hinaus wie ürotriôn; Analoges gilt auch für diakoneõn in V. 8b (gegen Minear* 85 u. a.). Ebenfalls mit Hilfe einer rhetorischen Frage wird in 8 die Alternative vorgestellt. Die Frage will mit „Ja!“ beantwortet werden (s. noch 2.Sam 10,13; Philo, Quod Det. 33: auch hier steht üllû o§c‡ zwischen zwei alternativen rhetorischen Fragen und leitet die positiv zu beantwortende Frage ein). Diese Alternativfrage ist für das Verständnis der in V. 7a formulierten Frage unbedingt notwendig, denn erst durch sie wird deutlich, dass 568

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,10

der Herr nur diesen einen Sklaven hat, der die Feldarbeit und die Hausarbeit erledigen muss. Ohne diesen Vers wäre die Antwort auf V. 7 durchaus nicht so eindeutig, wie das bei einer rhetorischen Frage erforderlich ist. Dieser Gesichtspunkt spricht darum entschieden gegen die Annahme, dass V. 8 nicht von Anfang an mit V. 7 verbunden war (gegen Weiser* 109 f; Marshall; Wehr* 79 u. a.). diakoneõn (8b) meint hier nichts weiter als das Aufwarten bei Tisch wie in 4,39; 10,40; 12,37; 22,26 f und greift nicht auf die besprochene Welt über (s. auch bei V. 7). Zum Verständnis von periz„nnumi s. bei 12,35. In 9 folgt eine weitere rhetorische Frage, bei der die einleitende Negation mfl deutlich macht, dass sie mit „Nein!“ zu beantworten ist (vgl. B/D/R § 427,2a). Dementsprechend lässt ein Teil der Textüberlieferung (A D W Q Y f13 M u. a.) den Redner seine Frage mit o§ dokù selber beantworten (die beiden Worte fehlen in P75 a B L f1 u. a.). Diese Frage generalisiert die Problematik über die in V. 7 beschriebene Situation hinaus und bereitet dadurch die ‚Anwendung‘ in V. 10 vor. c›rin ≤cein tin‡ … Ωti ist griechisches Idiom, das stets „danken“ oder „dankbar sein“ bedeutet (z. B. Plato, Prot. 328d; Xenophon, Hellen. 3,4,11; 11,2; Isocrates, Aegin. 2; Plutarch, Timol. 36,5; Mor. 177e; 480c; 485d; Epiktet, Diss. 3,5,10; Josephus, Ap. 2,49; niemals in LXX und bei Philo); dieser Befund bleibt bei Knowles* 258 unberücksichtigt (zu seiner These s. auch bei V. 10). Zu poieõn tÅ diatacjfinta vgl. B/D/R § 761: „Kanzleiphrase“ mit Verweis auf Josephus, Ant. 5,252; 11,138 (hier steht jedoch immer tÖ prostacjÇn poieõn); vgl. aber das bei Georgius Hamart., Chronic. 218,5 überlieferte jüdische Fragment (Fragmenta Pseudepigraphorum quae supersunt Graeca, ed. A.-M. Denis, 1970, 233,18 f: „Der Hohepriester hat alle Aufträge ausgeführt [tÅ diatetagmfina p›nta pepo‡hke]“). 10 bringt die Anwendung (wie hier mit oætw“ auch in 12,21; 14,33; 15,7.10; 17,10; s. ansonsten bei 14,11), d. h. die Übertragung des Gleichnisses auf die besprochene Welt. Überraschenderweise ändert sich jetzt die Perspektive: Den Hörern/Lesern wird nunmehr die Position des Sklaven zugewiesen, der von seinem auf Gott hin transparenten Herrn keinen Dank erwarten darf, wenn er die ihm aufgetragenen Aufgaben erledigt hat. Dieser Perspektivenwechsel darf freilich nicht zum Anlass von literarkritischen Operationen werden, denn dass den Hörern/Lesern zunächst die Perspektive des Herrn angeboten wurde, ist Teil einer persuasiven Strategie, die Evidenz herstellen soll: Wer alle rhetorischen Fragen zum Handeln des Herrn in V. 7–9 so beantwortet hat, wie sie gestellt wurden, sitzt in der Falle, wenn er in der Anwendung auf einmal die Rolle des Sklaven zugewiesen bekommt. – Innerhalb des Kontextes geht es nun darum, wie die Apostel sich selbst (10d) und ihr Tun (10e) bewerten sollen. ücreõo“ ist als Eigenschaft von Sklaven auch sonst geläufig; vgl. Mt 25,30; P. Par. 68 Col. IIIr, Zl.27 (ed. U. Wilcken, Ein Actenstück zum jüdischen Kriege Trajans, Hermes 27 [1892] 464–480: [t]oÜ“ ücre‡ou“ do‚lou[„]); Vita Aesopi 54 („die Schuld liegt nicht bei uns, sondern parÅ tÖn ücreõon doúlon“); ebd. 140 („nicht von angesehenen und namhaften [≤ntimoi kaÑ †ll·gimoi] Männern, sondern ≠pÖ kak‡stwn kaÑ ücre‡wn do‚lwn werde ich umgebracht“); Achilles Tatius, Leuk. 5,17,8. Es handelt sich also um ein Klischee, das nicht ein Tun beschreibt, sondern die Person charakterisiert (der von Kilgallen*, What Kind …? beschrittene etymologische Umweg ist darum unnötig); vgl. auch den Überblick bei Houzet* 340 ff.

Die Aufforderung, sich als doúloi ücreõoi zu betrachten (10d), bezieht sich auf die Selbsteinschätzung der Apostel. Sie fordert sie auf, sich nichts auf ihren Status ein569

17,11–21

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

zubilden, sondern ihn selbstmindernd zu relativieren. Demgegenüber bezieht sich 10e auf das Tun der Apostel und weist auf c›rin ≤cein (V. 9) zurück: Sie werden angehalten, in ihrem Tun nicht mehr als die pflichtgemäße Erledigung des Aufgetragenen (tÅ diatacjfinta) zu sehen und darum aus ihm keinen Anspruch auf Dankbarkeit abzuleiten. Gegen Knowles* bleibt die antike Reziprozitätsethik (Näheres bei 6,32–34) davon gänzlich unberührt, denn wenn Sklaven tÅ diatacjfinta tun, so ist das keine c›ri“, die eine Gegenleistung (Knowles* 260: „c›ri“ in return“) verlangte, sondern ein £fe‡lhma. Knowles* bringt zwei unterschiedliche Bedeutungen von c›ri“ durcheinander. In diesem Sinne basieren die Gegenüberstellungen von c›ri“ und £fe‡lhma in Röm 4,4 und Thucydides 2,40,4 f auf einer ganz anderen Bedeutung von c›ri“ als c›rin ≤cein in Lk 17,9 (s. auch Spicq, Lexicon III, 500 f mit Abschn. II einerseits und Abschn. IV andererseits). 17,11–21: Der dankbare Samaritaner und die Frage der Pharisäer Die Erzählung vom dankbaren Samaritaner unterbricht durchaus nicht die Abfolge von Jüngern und Pharisäern als einander abwechselnden Gesprächspartnern Jesu, die Lukas in 15,1 begonnen hatte (s. o. S. 514 f), sondern fungiert als Vorbereitung für die Pharisäerfrage V. 20. Sie soll die Ignoranz der Pharisäer, die immer noch nicht begriffen haben, dass die Gottesherrschaft im Wirken Jesu präsent ist (V. 20–21), mit der Einsicht eines üllogenfl“ (vgl. V. 18) konfrontieren, der seine Heilung durch Jesus als Handeln Gottes identifiziert (V. 15 f; s. auch Danker; Meynet 673 ff; Hamm* 286). 17,11–19: Der dankbare Samaritaner 11Und

es geschah auf dem Weg nach Jerusalem, da zog er mitten durch Samarien und Galiläa. 12Und als er dabei war, ein Dorf zu betreten, kamen (ihm) zehn aussätzige Männer entgegen, die weitab stehen blieben. 13Und sie erhoben ihre Stimme und sagten: „Jesus, Meister, erbarme dich unser!“ 14Und als er (sie) sah, sprach er zu ihnen: „Geht hin und zeigt euch den Priestern.“ Und es geschah, als sie fortgingen, da wurden sie rein gemacht. 15Einer von ihnen aber, als er sah, dass er geheilt worden war, kehrte zurück und pries Gott mit lauter Stimme. 16Und er fiel auf das Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm. Und er war ein Samaritaner. 17Jesus aber ergriff das Wort und sprach: „Sind nicht zehn rein gemacht worden? Die (restlichen) neun – wo sind sie? 18Fanden sich sonst keine, die zurückgekehrt sind, um Gott zu preisen, sondern nur dieser Fremde?“ 19Und er sprach zu ihm: „Steh auf und geh hin! Dein Glaube hat dich gerettet.“ Literatur: Böhm, Samarien, 260–277. – W. Bruners, Die Reinigung der zehn Aussätzigen und die Heilung des Samariters Lk 17,11–19 (FzB 23), Stuttgart / Würzburg 1977. – F.J. Gaiser, „Your Faith Has Made You Well“: Healing and Salvation in Luke 17:12–19, W&W 16 (1996) 291–301. – D. Hamm, What the Samaritan Leper Sees: The Narrative Christology of Luke 17:11–19, CBQ 56 (1994) 273–287. – D. Patte, Whither Critical New Testament Studies for a New Day. Some Reflections on Luke 17:11–19, in: Putting Body & Soul Together, 277–293. – Weissenrieder, Images, 129–225.

Die Episode erinnert nicht nur an 5,12–14, sondern auch an die Erzählung vom Glauben des Centurio in 7,1–10 (s. auch bei V. 14): Hier wie dort wird eine Hei570

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,11

lungserzählung mit einer Chrie (Pronouncement story) verknüpft, und hier wie dort lobt das abschließende Jesuswort den Glauben eines Nichtjuden mit Worten, die einen Schatten auf Israel fallen lassen (vgl. 7,9 und 17,18 f). 7,1–10 und 17,11–19 unterscheiden sich freilich dadurch, dass dort die Elemente der beiden Gattungen miteinander verflochten sind, während Lukas sie hier sequentiell anordnet und dabei die Heilungserzählung vollständig ausführt: Nach der Einleitung (V. 11) stellt die Exposition (V. 12–13) die formgeschichtlichen Weichen in Richtung Heilungserzählung. Schon die Beiläufigkeit, mit der im Zentrum (V. 14) die Heilung erzählt wird, deutet freilich an, dass der Schwerpunkt der Erzählung anderswo liegt. Und in der Tat wird das Finale der Heilungserzählung (V. 15–16) zum Ausgangspunkt der Chrie, die mit zwei Jesusworten endet (V. 17–18.19). Gegen die These von Bruners*, Lukas selbst habe V. 11–19 auf der Grundlage der Erzählung von der Reinigung des Syrers Naeman in 2.Kön 5,1–15 gebildet, um deutlich zu machen, dass Jesus größer ist als Elisa (vgl. 103 ff.297 ff), spricht vor allem, dass die Entsprechungen zwischen den beiden Erzählungen viel zu allgemein und unspezifisch sind, um 2.Kön 5,1–15 als bestimmten Prätext von Lk 17,11–19 identifizieren zu können. Darüber hinaus geht aus V. 17–19 hervor, dass Lukas der Episode eine ganz andere Pointe zuschreibt als diejenige der „Überbietung“ eines atl Propheten.

11 Die Reisenotiz (zur Formulierung kaÑ †gfineto †n + ka‡ + Verbum finitum s. bei 5,12.17; 8,1) signalisiert nicht den Beginn eines neuen Hauptteils im sog. Reisebericht, sondern ist durch den Inhalt der folgenden Episode motiviert (s. auch v. Bendemann, Zwischen, 349; Klein 562): Sie soll einfach nur das Zusammentreffen Jesu mit einem Samaritaner vorbereiten. – Die Angaben über Jesu Reiseweg sind umstritten: Das beginnt schon mit der Textüberlieferung: Statt diÅ mfison (P75vid a B D[ohne di›] L 579 1424 pc: „mitten durch Samarien und Galiläa“; s. auch ünÅ mfison f1.13 2542 Titus Bostr.) lesen A W Q Y 33 M diÅ mfisou („zwischen Samaria und Galiläa mitten hindurch“). Diese Variante ist jedoch nicht nur schlechter bezeugt, sondern auch eine sprachliche Erleichterung: diÅ mfison ist ganz ungebräuchlich (nur OrSib 3,316: „ein Schwert wird mitten durch dich hindurchgehen [diele‚setai … diÅ mfison seõo]“; Arrian, FGH 2b,866, Frgm. 76b [im Sinne von „unterwegs“]; Cyraniden, ed. Kaimakis, 3,10; Joh. Stobaeus, Anthol. I, 49,44 [I, 400,6 Wachsmuth / Hense]: diÅ mfison ünatfimnein «mitten durch aufschneiden»; s. auch B/D/R § 222,11), während diÅ mfisou geläufiges griechisches Idiom ist. Hinzu kommt noch, dass die Reihenfolge der Territorien bei diÅ mfison nicht passt (wer nach Jerusalem will, wandert nicht „mitten durch Samarien und Galiläa“ – jedenfalls nicht in dieser Reihenfolge), während diÅ mfisou die Vorstellung erlaubt, dass Jesus im Grenzgebiet zwischen Galiläa und Samarien dahinzog (vgl. z. B. Lindemann, Samaria, 59; für die ältere Diskussion s. Bruners* 156 ff). Es ist darum wahrscheinlicher, dass diÅ mfison die ursprüngliche Lesart ist.

Die geographisch nicht exakte Reihenfolge der Territoriennamen kann man mit Conzelmann, Mitte der Zeit, 62 damit erklären, dass Lukas keine präzise Kenntnis von der Geographie Palästinas hatte („das ganze Land scheint von Übersee her gesehen zu sein“), zumal Lukas auch in Apg 9,31 die Territorien geographisch ungeordnet aufzählt („Judäa und Galiläa und Samaria“). Das ist jedenfalls wahrscheinlicher als die historisierenden Rekonstruktionsversuche von Böhm* 271 ff, die nicht sauber zwischen der literarischen und der historischen Interpretationsebene unterscheidet. Das Imperfekt deutet zudem an, dass Lukas nicht eine Reiseroute darstellen (s. auch v. Bendemann, Zwischen, 350), sondern lediglich den geographischen Raum angeben will, in dem Jesus sich bewegt. Zu difircesjai als lk Vorzugswort s. bei 2,15. 571

17,12

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

12 Die Episode wird mit einer Exposition eröffnet, die die Leser erwarten lässt, dass Jesus die zehn Aussätzigen nach dem Muster von 5,12–14 heilen wird. Zum Krankheitsbild s. bei 5,12. Dass Lukas die Aussätzigen „von Weitem“ (p·rrwjen) stehen bleiben lässt, wird durch die Aussatztora von Lev 13,46 motiviert sein, wonach der Aussätzige sich von anderen Menschen fernzuhalten hat („allein soll er wohnen, außerhalb des Lagers soll seine Wohnung sein“; s. auch Num 5,2). Die Weiterführung eines pronominalen Subjekts im Gen. absolutus (hier: e¢sercomfinou a§toú) durch ein weiteres Pronomen (hier: a§tù) ist eigentlich nicht üblich, im NT jedoch verbreitet (z. B. Mt 1,20; 5,2; Mk 5,2; vgl. B/D/R § 423,27; s. auch bei Lk 8,27). Die Wiederholung des Pronomens, das von üpant›w heftig verlangt wird, unterbleibt dann auch in einem Teil der Textüberlieferung (P75 B [D] L pc; mit a§tù: a A W Q Y f1.13 33 M lat syp.h). Eine Entscheidung ist nicht möglich. Besser bezeugt ist die minus-Lesart.

13 „Die Stimme erheben“ ([†p]a‡rein tÉn fwnfln) im Sinne von „laut reden“ hat im NT nur Lukas (s. noch 17,13; Apg 2,14; 14,11; 22,22). Dasselbe gilt für die Anrede †pist›ta, die sonst immer nur die Jünger benutzen; vgl. 5,5 (Näheres s. dort); 8,24.45; 9,33.49. Dass der Wundertäter mit der Bitte †lfihson ™mô“ / †lfihs·n me o. ä. um sein helfendes Eingreifen gebeten wird, gehört auch in Mk 10,47 f par. Lk 18,38 f par. Mt 20,30 f; Mt 9,27; 15,22; 17,15 zu den expositionellen Motiven von Wundergeschichten (vgl. Theißen, Wundergeschichten, 63 f). In den Psalmen ist sie Bestandteil der Hinwendung zu Gott und der Bitte um Rettung und Bewahrung (ynINEx'/WnNEx'; vgl. Ps 6,3; 9,14; 24[25],16; 25[26],11; 26[27],7; 30[31],10; 40[41],5.11; 50[51],3; 55[56],2 u. ö.; s. auch Jes 33,2; Sir 36,1; 3.Makk 6,12). In Lk 16,24 wendet sich der Reiche mit ihr an Abraham (s. auch 2.Makk 7,27), und in vergleichbaren Zusammenhängen findet sie sich auch in der paganen griechischen Literatur: z. B. Sophokles, Philokt. 501 (sÜ sùson, s‚ mû †lfihson «du, rette, erbarme dich meiner!»); Aristophanes, Vesp. 393 (†lfihson kaÑ sùson nunÑ tÖn sautoú plhsi·cwron «erbarme dich und rette jetzt deinen Nachbarn!»). 14 Anders als in 5,13 bleiben Handlung und/oder Wort, die Heilung bewirken, unerzählt (diese Leerstelle wurde in der handschriftlichen Überlieferung aufgefüllt; vgl. die Variante in Codex D und die Marginalie aus Mt 8,3 in P75). Ähnlich wie in 7,10 kommt es auch ohne eine Handlung oder ein Wort Jesu zur Heilung (†kajar‡sjhsan ist Passivum divinum). Lukas lässt Jesus vielmehr gleich die Anweisung zur Demonstration des Heilerfolgs geben (s. bei 5,14b; nach Lev 13 – 14 kann das Verschwinden des Aussatzes nur von einem Priester festgestellt werden). – Die verkürzende Erzählweise macht erkennbar, dass Lukas nicht die Heilung in den Mittelpunkt stellt, sondern möglichst schnell deren Nachgeschichte erreichen will. Auf sie steuert auch schon 14c zu. Anders als in 5,14 verweilt der Erzähler szenisch nicht bei Jesus, sondern verlässt ihn vorübergehend. Vorausgesetzt ist offenbar, dass die zehn Aussätzigen dem Wort Jesu Folge leisten und auf dem Weg zu „den Priestern“ ihren Aussatz verlieren. Allererst dieser Ablauf macht es möglich, die Reaktion des Einen im Unterschied zu den Neun plausibel in Szene zu setzen: Wäre die Heilung an Ort und Stelle und sofort eingetreten, hätte Lukas ohne Verstoß gegen das verisimile nach V. 13b den Einen, der zu Jesus zurückkehrt, um Gott zu preisen, nicht von den Neun trennen können, die das nicht tun. 15–16a Formgeschichtlich handelt es sich um einen Akklamationsbericht (vgl. Theißen, Wundergeschichten, 80 f). Er bezieht sich erst auf Gott (15) und dann auf 572

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,17–18

Jesus (16). Dass nicht die Öffentlichkeit, sondern der oder die Geheilte Gott preist (15b), ist typisch lk (s. auch 5,25 diff. Mk 2,12; Lk 13,13; 18,43 diff. Mk 10,52; Apg 3,8). dox›zwn tÖn je·n mit Bezug auf den Geheilten ist typisch lk (s. auch 5,25; 18,43). Der Erzähler lässt den Geheilten dafür „zurückkehren“ (≠postrfifein ist lk Vorzugswort [32 von 35 ntl Belegen stehen im lk Doppelwerk]), was eine gewisse Parallele in 2.Kön 5,15 f hat: Hier wird über den ebenfalls von Aussatz geheilten Syrer Naeman erzählt, dass er zu Elisa „zurückkehrt“ (†pfistreyen), sich zum Gott Israels bekehrt („siehe doch, ich habe erkannt, dass es keinen Gott auf der ganzen Erde gibt als nur in Israel“) und dem Propheten ein Honorar aufdrängt, das dieser aber zurückweist. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine interpretationslenkende Anspielung (gegen Bruners* 103 ff), denn die Rückkehr des Samaritaners hat in der vorliegenden Episode eine ganz andere narrative Funktion (s. bei V. 14). Hinzu kommt noch, dass bei Heilungen, die mit zeitlicher Verzögerung und in räumlicher Entfernung eintreten, Rückkehr und Dank des Geheilten (vgl. 16a) offensichtlich zum Forminventar entsprechender Erzählungen gehörten; vgl. vor allem die Heilungsberichte auf den sog. „Maffeischen Inschriften“ (SIG3 1173; Text und dt. Übersetzung bei Wolter, Heilungsberichte, 149 ff): kaÑ ünfibleyen kaÑ †lfllujen kaÑ h§car‡sthsen dhmos‡a tù jeù «und er konnte wieder sehen und kam und dankte dem Gott öffentlich»; Zl.17 f; s. auch ebd. Zl.9 f.13 f. Die Beschreibung der Proskynese als „auf das (bzw. ‚sein‘) Angesicht fallen“ ist ein Septuagintismus (vgl. Gen 17,3.17; Lev 9,24; Num 16,4 u. ö.; s. ansonsten Bruners* 229 f) und kommunikativ ein Unterwerfungsgestus (wie hier in Verbindung mit „zu seinen Füßen“ auch 1.Sam 25,23 f [Abigail vor David]; JosAs 14,10 [Aseneth vor dem Engelfürsten] und mit e§caristeõn auch Josephus, Ant. 7,95; 9,11 [jeweils vor Gott]).

16b Die nachgetragene Identifikation des Rückkehrers als Samaritaner setzt zwei Merkmale zueinander in Beziehung, die ihn von den anderen neun Aussätzigen, die geheilt wurden, unterscheiden. Diese Korrelation wird in den beiden folgenden Versen kommentiert. Außerdem ruft Lukas natürlich auch dieselbe Konstellation auf, die er bereits in 9,52 f und 10,30–35 thematisiert hatte: die zwischen Juden und Samaritanern strittige Frage der rechten Gottesverehrung (vgl. vor allem die Überschneidung der semantischen Felder von 9,52 f: „Samaritaner“, „Jerusalem“; 10,30–35: „Jerusalem“, „Priester und Levit“, „Samaritaner“; 17,14–16: „Priester“, „Samaritaner“; Näheres bei 9,53). Vor diesem Hintergrund macht die Erzählung deutlich, dass von den zehn Geheilten allein der Samaritaner erkannt hat, wo der rechte Ort der Verherrlichung Gottes ist (V. 15 und dann auch V. 18), und er darum zu Jesus zurückkehrt (s. auch Hamm* 285 f). 17–18 Aus dem Inventar von potentiellen Reaktionen, mit denen Jesus auf das Verhalten des Samaritaners hätte antworten können, realisiert Lukas nur eine einzige: Er benutzt die Rückkehr und das Gotteslob des Samaritaners, um mit Hilfe von drei rhetorischen Fragen auf die Unterlassung dieser Handlungen durch die restlichen neun Geheilten aufmerksam zu machen (zur Wiedergabe von o´ †nnfia vgl. B/D/R § 265). Die Fragen bleiben durchaus nicht „offen“ (so Klein 566), sondern lassen sich eindeutig beantworten: ‚ja‘ (17b) – ‚sie sind nicht gekommen‘ (17c – das ist jedenfalls der propositionale Gehalt dieser Frage) – ‚nein‘ (18). Den wichtigsten Akzent hebt Lukas sich jedoch wie schon in V. 16 für den Schluss auf: Die Bezeichnung des Samaritaners 573

17,19

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

als üllogenfl“, die ebenfalls als rezeptionssteuernde Auswahl aus einer Vielzahl von anderen möglichen Bezeichnungen fungiert, nimmt eine aus jüdischer Perspektive formulierte Identitätszuschreibung vor (vgl. Böhm* 194 ff). o§c e≠rfijhsan ist ebenso ein Septuagintismus (vgl. 1./3.Esr 5,38; 2.Esr 2,62; Hiob 42,15; Dan 1,19Theod.; s. auch griechHen 102,10; Apk 16,20; häufig auch im Singular) wie doúnai d·xan tù jeù «Gott die Ehre geben» (vgl. Jos 7,19; 2.Chr 30,8LXX; 1./3.Esr 9,8; Y 67,35; Jes 42,14; Jer 13,16; s. auch Dtn 32,3; 1.Sam 6,5; 1.Chr 16,28.29; Mal 2,2; Bar 2,17; Lk 18,43; Joh 9,24; Apg 12,23; Röm 4,20; Apk 11,13; 14,7; 16,9; 19,7). Der Begriff üllogenfl“ wird sonst nirgends auf die Samaritaner bezogen. Bemerkenswert ist, dass auch die Inschrift, die im Jerusalemer Tempel Nichtjuden vor dem Betreten des Vorhofs der Israeliten warnt, diesen Begriff verwendet: „Kein Fremder (üllogenfl“; in der Wiedergabe bei Josephus, Bell. 5,194: üll·fulo“; in Ant. 15,417: ülloejnfl“) darf eintreten in (den Raum) der Umzäunung und der Absperrung rings um den Tempel. Wer dabei ergriffen wird, ist selbst schuld, denn der Tod folgt.“ Diese Inschrift ist in zwei Exemplaren auch archäologisch erhalten (vgl. dazu Barrett / Thornton, Texte, Nr. 54 [S. 60]). – Gleichwohl wird die Intension des Begriffs üllogenfl“ hier nicht erst dadurch markiert, dass er auf seine Heilung anders als die anderen neun Geheilten reagiert (gegen Weissenrieder* 203 ff). Sein üllogenfl“-Sein liegt der in V. 15–16 erzählten Aktion vielmehr voraus und besteht darin, dass er im Unterschied zu den anderen neun Aussätzigen ein Samaritaner ist; anderenfalls bliebe die entsprechende Information in V. 16b völlig funktionslos.

Lukas lässt Jesus jedoch nicht mehr als seine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass ausgerechnet ein Nichtjude ihn und sein Wirken besser verstanden hat als die Juden in seiner Gruppe. Für den Moment hat das keinerlei Folgen. Freilich: Leser, die das lk Doppelwerk schon einmal bis zum Ende durchgelesen haben und ein zweites Mal an diese Stelle kommen, werden hier einen Ton vernehmen, der sie nicht nur an Lk 7,9 erinnert, sondern der auch so ähnlich klingt wie Apg 28,25–28. 19 Die Aufforderung ünastÅ“ pore‚ou findet sich in der gesamten griechischen Bibel nur bei Lukas (s. noch Apg 10,20; 22,10). Trotzdem ist die pleonastische Verknüpfung eines Partizips von ün‡sthmi mit einer Form von pore‚esjai ein Septuagintismus (s. bei 1,39). Die abschließende Vergewisserung hat Lukas zweimal aus dem MkEv übernommen (8,48 und 18,42 aus Mk 5,34 und 10,52). Anders als in 7,50; 8,48 und 18,42 ist der Erkenntnisgrund für das Vorhandensein von „Glaube“ nicht das Verhalten, das der Heilung bzw. der Sündenvergebung vorausging, sondern die Rückkehr des Samaritaners, sein Gotteslob und sein fußfälliger Dank (V. 15–16), denn hierin kommt seine Einsicht in das Wesen Jesu und seines Wirkens zum Ausdruck. Mit der Feststellung des soteriologischen Grund-Folge-Zusammenhangs von Glaube und Rettung partizipiert Lukas an einem verbreiteten frühchristlichen Sprachgebrauch (Belege bei 7,50). 17,20–21: Die Frage der Pharisäer 20Als

er aber von den Pharisäern gefragt wurde, „Wann kommt die Gottes­ herrschaft?“, antwortete er ihnen und sprach: „Die Gottesherrschaft kommt nicht mit Beobachtung. 21Man wird nicht sagen: ‚Siehe hier!‘ oder ‚dort!‘, denn siehe, die Gottesherrschaft ist bei euch.“ Literatur: Feuillet, La double venue. – L. Hartman, Reading Luke 17,20–37, in: The Four Gospels 1992, 1663–1675. – T. Holmén, The Alternatives of the Kingdom. Encountering the Semantic Re-

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17,20a–b

strictions of Luke 17,20–21 (†ntÖ” ≠mùn), ZNW 87 (1996) 204–229. – J. Lebourlier, Entos hymo¯ n. Le sens «au milieu de vous» est-il possible ?, Bib. 73 (1992) 259–262. – Mattill, Luke and the Last Things, 190–207. – B. Noack, Das Gottesreich bei Lukas. Eine Studie zu Luk. 17,20–24 (SyBU 10), Uppsala 1948. – H. Riesenfeld, Le règne de Dieu, parmi vous ou en vous? (Luc 17,20–21), RB 98 (1991) 190–198. – C.H. Roberts, The Kingdom of Heaven (Lk. XVII.21), HThR 41 (1948) 1–8. – A. Rüstow, ûEntÖ” ≠mùn †stin, ZNW 51 (1960) 197–224. – R. Uro, Neither Here nor There: Luke 17:20–21 and Related Sayings in Thomas, Mark and Q (OPIAC 20), Claremont 1990. – Zmijewski, Eschatologiereden, 361–397.

Die Strukturierung durch †perwthje‡“ … üpekr‡jh … kaÑ eèpen lässt erkennen, dass es sich um eine geradezu klassische Chrie handelt (vgl. z. B. Diogenes Laertius 1,59 über Solon: „†rwthje‡“, warum er kein Gesetz über Vatermord erlassen habe, ≤fh: ‚…‘“; Plutarch, Mor. 189 f: „König Charillus, †rwthje‡“, warum Lycurg so wenig Gesetze erlassen habe, üpekr‡nato …“; s. auch mit denselben Verben: Aristoteles, Eth. Eud. 1215b7; Plutarch, Cat. Maior 21,1; Mor. 786d; Diogenes Laertius 3,38; 6,43; Philogelos 6; 174 sowie die Sammlung bei Hock / O’Neil, Chreia, 301 ff). In der Literatur wird darüber debattiert, ob diese beiden Verse überhaupt für sich gelesen werden wollen oder ob sie mit V. 22–37 zu verbinden sind (so u. a. Klostermann; Ernst; Bovon; Klein; Zmijewski* 335 ff; Hartman* 1665 f). Diese Frage ist eindeutig im Sinne der erstgenannten Position zu entscheiden (s. auch Lagrange; Meynet; Fitzmyer; Nolland; Eckey), denn abgesehen von der formgeschichtlichen Eigenständigkeit von V. 20–21 lassen der Adressatenwechsel von den Pharisäern zu den Jüngern sowie der Themenwechsel (in V. 20–21 geht es um die Gottesherrschaft, in V. 22–37 um die Ereignisse beim Kommen des Menschensohnes) deutlich erkennen, dass das Trennende über das Verbindende (die Entsprechung von o§dÇ †roúsin: ¢doÜ óde ≥: †keõ [V. 21a–b] und kaÑ †roúsin ≠mõn: ¢doÜ †keõ, À ¢doÜ óde [V. 23a–b]) dominiert. Eine Zusammenfassung unter dem Stichwort ‚Eschatologie‘ (dieses Argument z. B. bei Zmijewski* 338) kommt darum nicht in Frage, weil dieser Sammelbegriff eine Systematisierung vornimmt, deren Übertragung auf Lukas zweifellos anachronistisch wäre. Überliefert ist das Gespräch nur bei Lukas. Über die Herkunft können wir darum nichts sagen (zur Diskussion über eine mögliche Herkunft aus Q vgl. C. Heil, Lukas und Q, 166 f). Eine deutliche Parallele findet sich in EvThom 113: „Seine Jünger sprachen zu ihm: ‚Das Königreich – an welchem Tag wird es kommen?‘ [Jesus sagte:] ‚Nicht im Erwarten wird es kommen! Sie werden nicht sagen: ›Siehe, hier!‹, oder: ›Siehe dort!‹ Das Königreich des Vaters ist vielmehr ausgebreitet über die Erde, doch die Menschen sehen es nicht“. Darüber hinaus gibt es Anklänge in EvThom 3,3 („Das Königreich ist innerhalb von euch und außerhalb von euch“; P. Oxy. IV, 654,15 f [freilich mit unsicherer Rekonstruktion]: ™ bas[ile‡a toú jeoú] †ntÖ“ ≠mùn [†s]ti [kükt·“ …]). Keine dieser Fassungen enthält Elemente eines vorlk Überlieferungsstadiums.

20a–b Die Frage der Pharisäer richtet sich nicht auf ein bestimmtes Datum oder auf einen Zeitraum, sondern auf Prodigien, an denen man erkennen kann, dass die Gottesherrschaft „kommt“, oder von denen aus ein Datum oder ein Zeitraum berechnet werden kann (zur Rede vom „Kommen“ [≤rcesjai] der Gottesherrschaft s. bei 11,2d–e). Eine analoge Frage stellen die Jünger in Mk 13,4parr. Im Hintergrund steht eine der antiken Mantik entstammende Vorstellung, derzufolge herausragende historische oder eschatische Ereignisse sich durch bestimmte Vorzeichen ankündigen. Vgl. in diesem Sinne die Rezeption von Joel 3,4 in Apg 2,20 („die Sonne wird in Finsternis verwandelt und der Mond in Blut, bevor [pr‡n] der große und herrliche Tag des Herrn kommt“); OrSib 3,796 f: („ein Zeichen [söma], … so dass du erkennst, wann auf Erden das Ende aller Dinge eintreten wird“); s. auch Josephus, Bell. 6,288 ff; 4.Esr 4,51 – 5,13; 8,63 – 9,6 („… eine Menge von

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17,20c–21

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Zeichen offenbart …, aber nicht, zu welcher Zeit [quo tempore]. … Wenn du siehst, dass ein Teil der Zeichen, die angekündigt wurden, vorbei sind, dann wirst du erkennen, dass dies die Zeit ist, in der der Höchste beginnen wird, die von ihm geschaffene Welt heimzusuchen …“); bSanh 98a („Den R. Jose ben Qisma fragten seine Schüler: ‚Wann kommt der Sohn Davids?‘ ‚… Wenn dieses Tor einstürzt und wieder aufgebaut wird und erneut einstürzt und wieder aufgebaut wird und abermals einstürzt, und bevor man dazu kommt, es aufzubauen, kommt der Sohn Davids‘“). – S. dazu mit weiteren Beispielen: Bill. IV/2, 977–1015 („Vorzeichen und Berechnung der Tage des Messias“); Berger, Prodigien.

20c–21 In diesem Sinne besagt die Antwort Jesu zunächst, dass es keine Vorzeichen gibt, die das Kommen ankündigen. paratflrhsi“ (20d) ist der hellenistische Terminus technicus für die Beobachtung von Sternen (z. B. Diodorus Siculus 1,9,6; 28,1; 69,5; 81,4) und Vorzeichen für bestimmte Ereignisse der Zukunft; vgl. Diodorus Siculus 5,31,3 über die Gallier: Sie stoßen einem Menschen ein Schwert in den Leib, und „aus dem Fall und der Verrenkung der Glieder sowie aus dem Fluss des Blutes deuten sie die Zukunft (tÖ mfillon), wobei sie einer alten und langjährigen Beobachtung in Bezug auf diese Dinge vertrauen (palaiô tini kaÑ polucron‡w parathrflsei perÑ to‚twn pepisteuk·te“)“; s. auch ebd. 17,112,2 (diÅ … parathrflsew“ prolfigein … tÅ mfillonta «durch … Beobachtung die Zukunft … vorhersagen»). paratflrhsi“ bezeichnet also nicht die „Vorhersage der Zukunft aus Prodigien“ (so Berger, Prodigien, 1460), sondern die der Vorhersage zugrundeliegende Beobachtung von bestimmten Phänomenen (s. auch H. Riesenfeld, ThWNT 8,148 ff). 21a–b nimmt o§k … metÅ parathrflsew“ aus 20d auf und kündigt an, dass es keine beobachtbaren Vorzeichen für das Kommen der Gottesherrschaft geben wird (hierauf bezieht sich das unpersönliche o§dÇ †roúsin in 21a). „Siehe, hier!“ und „dort!“ bezieht sich also nicht auf die Gottesherrschaft, sondern auf die Vorzeichen, die ihr Kommen ankündigen sollen. Das bedeutet nun aber nicht, dass die Gottesherrschaft dann eben ‚ohne Vorzeichen‘ – also plötzlich – kommt (gegen Klostermann; Bultmann, Geschichte, 128). Als Begründung (g›r) für seine Abweisung der Frage nach den Vorzeichen, die das Kommen der Gottesherrschaft ankündigen, verweist Jesus in 21c vielmehr darauf, dass die Gottesherrschaft überhaupt nicht mehr „kommt“, weil sie schon ‚da‘ ist (†st‡n), und zwar in seinem Wirken (vgl. bereits 11,20). Es ist jedoch alles andere als klar, wie dieses ‚da sein‘ gemeint ist, d. h. wie die Wendung †ntÖ“ ≠mùn verstanden werden will (vgl. den Überblick bei Mattill* 203 ff): im Sinne von „in euch“ (Vulgata: intra vos) bzw. „inwendig in euch“ (Luther) oder aber im Sinne von „unter euch“, „in eurer Mitte“ oder „mitten unter euch“ (vgl. bereits Bengel, Gnomon, 274: „Intra, non respectu cordis singulorum pharisaeorum … sed respectu totius populi Judaici «innerhalb, nicht mit Bezug auf das Herz der einzelnen Pharisäer …, sondern mit Bezug auf das ganze jüdische Volk»“)? Das zuletzt genannte Verständnis, mit dem man die irdische Anwesenheit des Heils der Gottesherrschaft im Wirken Jesu bezeichnet sieht, wird heute in den meisten Jesusbüchern und Lukaskommentaren vertreten. – Eine dritte Möglichkeit hat erstmals Roberts* 5 f unter Verweis auf P. Ross. Georg. 3,1,8 f; P. Oxy. 22,2342,1,7 f; 10,1274,13 (s. u.) vorgeschlagen: „in the hands of, in the control of “ (s. jetzt auch Klein 570 f). – Gegen die Mehrheitsmeinung haben unlängst Riesenfeld* und Holmén* erneut die alte Interpretation im Sinne von „in euch“ stark gemacht (s. auch Feuillet*). Vor allem Holmén* macht darauf aufmerksam, dass †nt·“ + Gen. in der paganen griechischen Literatur einen Raum bezeichnet, der durch die im Genitiv angeschlossene Größe begrenzt wird. In diesem Sinne meint Herodot 7,100,3 mit †ntÖ“ tùn prwrfiwn plfiwn … kaÑ toú a¢gialoú den durch die „Schnäbel der Schiffe und den Strand“ begrenzten Zwischenraum. Ganz analog bezeichnet er

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14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,20c–21

ebd. 7,41 mit o´ e¢nakisc‡lioi †ntÖ“ to‚twn †·nte“ «die 9000 waren innerhalb von diesen» eine Marschformation, bei der 9000 Fußsoldaten von 1000 anderen in die Mitte genommen werden (s. auch Diodorus Siculus 19,22,2: †ntÖ“ üllfllwn µnte“ von mehreren konzentrischen Kreisen). Ähnlich auch Plutarch, Pelop. 35,5: ™ turann‡“ †ntÖ“ tùn Ωplwn kaÑ tùn fulakùn oêsa «die Tyrannei, die sich inmitten von Waffen und Wachen befindet», d. h. ‚sich hinter Waffen und Wachen verschanzt‘. Diesem Gebrauch an die Seite stellen lässt sich auch Herodot 6,44: Von den Persern „waren †ntÖ“ Maked·nwn schon alle Völker unterworfen worden“. Hierbei handelt es sich ebenso um eine geographische Angabe im Sinne von „diesseits“ wie in Plutarch, Nic. 12,3 (™ †ntÖ“ ßHrakle‡wn sthlùn j›lassa «das Meer diesseits der Säulen des Herakles») oder Strabo 5,1,1 (o´ †ntÖ“ ∞Alpewn Gal›tai «die Galater diesseits der Alpen»). Für eine distributive Verwendung dieses Sprachgebrauchs im Sinne von ‚in jedem einzelnen‘ lassen sich z. B. anführen: vgl. Plato, Tim. 45b (tÖ … †ntÖ“ ™mùn … púr «das Feuer in uns»); Leg. 789a (o´ †ntÖ“ tùn a≠tùn mhtfirwn tref·menoi «die in ihren Müttern Heranwachsenden»). – Ein partitiver Gebrauch ist in Demosthenes, Or. 43,51 und Xenophon, Hellen. 2,3,19 zu erkennen, wo jeweils mit †ntÖ“ to‚twn eènai die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen zum Ausdruck gebracht wird. Hierher gehört wohl auch Ps 87,6Symm. (†ntÖ“ nekrùn üfeje‡“ «unter den Toten gelassen»; LXX: Y 87,5: †n nekroõ“). Offen gelassen ist die konkrete räumliche Vorstellung in einem Teil der Texte, die von Roberts* herangezogen werden: Xenophon, Anab. 1,10,3 über die griechischen Soldaten, die sich einer Plünderung entgegenstellen: „tçlla, ¨p·sa †ntÖ“ a§tùn kaÑ crflmata kaÑ ±njrwpoi †gfinonto, p›nta ≤swsan «alles andere, was sich bei ihnen befand – sowohl Güter als auch Menschen –, retteten sie»“; P. Ross. Georg. 3,1,8 f: Ein römischer Militärarzt bittet seine Familie: pfimyatfi moi tÖ †raioún kol„bein, ºna †nt·“ mou a§[tÖ] eærw «schickt mir die Wolljacke, damit ich sie bei mir vorfinde»; P. Oxy. XXII, 2342,1,7 f über die Witwe eines Weinhändlers: ªde ≤cousa tÖ f·rtion toú o¥nou †ntÖ“ a≠tö“ «und auch die gesamte Weinlieferung hat sie bei sich behalten». – Zwar haben die †nt·“ tino“-Formulierungen in allen Texten auch eine räumliche Konnotation, doch ist sie eben nicht ausgeführt. Die Kritik von Riesenfeld* 193 und Holmén* 213 an der Interpretation durch Roberts* geht darum ins Leere, denn sie spielt in unzulässiger Weise die extensionale gegen die intensionale Bedeutung der Begriffe aus. In den genannten Texten wird auch deutlich, dass †nt·“ durchaus nicht immer eine ‚Begrenzung‘ markiert, wie Holmén glauben machen will (207 ff.213). Wenn es mit einem personalen Bezugswort verbunden ist, will es vielmehr die Zugänglichkeit durch Menschen betonen (s. auch Rüstow*). Die hat natürlich ebenfalls eine räumliche Komponente, doch das wäre ja auch in Lk 17,21 der Fall. Zugunsten der Mehrheitsauffassung lässt sich noch die von A. Strobel, ZThK 58 [1961] 29 beigebrachte Parallele in Ex 17,7Aq. anführen, denn in der Frage: „Ist JHWH in unserer Mitte oder ist er es nicht?“, wird das hebr. WnBer>qiB. durch †ntÖ“ ™mùn übersetzt (LXX: †n ™mõn; Theod. †n mfisw ™mùn). Holmén* 216 ff versucht zwar, diese Übersetzung in ein distributives „in uns“ umzuinterpretieren, doch das ist ihm nicht gelungen. In dieselbe Richtung weist auch Thren 1,3Symm., obwohl die Bedeutung des Satzes auch im Hebräischen nicht klar ist: „Alle seine (sc. Judas) Verfolger haben es erreicht in der Mitte der Bedränger (~yrIc'M.h; !yBe)“ übersetzt Symmachus mit †ntÖ“ tùn jlib·ntwn üutfln (LXX: ünÅ mfison tùn jlib·ntwn). Die von Holmén* 221 u. a. geforderte elliptische Interpretation („in the land of those troubling her“) basiert wiederum auf einer unterbestimmten Unterscheidung zwischen Intension und Extension (s. o.).

Das Problem ist sprachlich nicht zu lösen. Die distributive Wiedergabe mit „in euch“ wäre sicher die unkompliziertere und darum näherliegende (s. auch o. die Wiedergabe in EvThom 3,3). In dieser Hinsicht hat Holmén* zweifellos Recht. Trotzdem bleibt sie aber aus sachlichen Gründen schwierig, weil eine solche Verinnerlichung dem lk Reich-Gottes-Verständnis widerspricht. Da eine Interpretation im Sinne von „bei euch“ sprachlich ebenfalls möglich ist, spricht alles dafür, den Text in diesem Sinne zu interpretieren. Einen ähnlichen Gedanken formuliert auch TestBenj 9,1 (leider jedoch nicht mit †nt·“): „Ihr werdet die Unzucht Sodoms treiben, und ihr werdet bis auf 577

17,22 – 18,8

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

wenige umkommen, und ihr werdet die Wollust mit den Frauen erneuern. Und die Herrschaft des Herrn wird nicht bei euch sein, denn er wird sie sogleich wegnehmen“ (™ basile‡a kur‡ou o§k ≤stai †n ≠mõn Ωti e§jÜ“ a§tÖ“ lflyetai a§tfln). 17,22 – 18,8: Wenn der Menschensohn kommt Lukas lässt Jesus wieder eine Rede an die Jünger halten. Sie besteht aus zwei Teilen (17,22–37 und 18,1–8), die er nicht nur durch dieselbe Adresse, sondern auch durch den Bezug auf das Kommen des Menschensohnes in 18,8 miteinander verbunden hat. 17,22–37: Der Tag des Menschensohnes 22

Er sprach aber zu den Jüngern: „Es werden Tage kommen, an denen werdet ihr begehren, (auch nur) einen der Tage des Menschensohnes zu sehen, und ihr werdet (ihn) nicht sehen. 23Und man wird zu euch sagen: ‚Siehe, dort!‘ oder: ‚Siehe, hier!‘. Geht nicht hin und lauft nicht hinterher! 24Denn wie der Blitz, wenn er blitzt, von einer Seite des Horizonts zur anderen leuchtet, so wird es sich auch mit dem Menschensohn verhalten. 25Zunächst muss er aber viel leiden und von diesem Geschlecht verworfen werden. 26 Und wie es in den Tagen Noahs war, so wird es auch in den Tagen des Menschensohnes sein: 27Sie aßen, tranken, ‚heirateten‘ und wurden ‚gehei­ ratet‘ – bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche stieg und die Flut kam und alle vernichtete. 28So ähnlich wie es in den Tagen Lots geschah: Sie aßen, tranken, kauften, verkauften, pflanzten, bauten. 29An dem Tag aber, an dem Lot aus Sodom wegging, da regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und vernichtete alle. 30Ebenso wird es an dem Tag sein, an dem der Menschensohn erscheint. 31 An jenem Tag – wer (dann) auf dem Dach ist und sein Hab und Gut im Haus hat, soll nicht hinabsteigen, um es zu holen. Und wer auf dem Feld (ist), soll sich nicht umdrehen. 32Denkt an Lots Frau! 33Wer sein Leben zu retten sucht, wird es einbüßen. Wer es aber dahingibt, wird es lebendig bewahren. 34 Ich sage euch, in dieser Nacht werden zwei auf einem Lager sein; der eine wird weggenommen und der andere dagelassen. 35Zwei werden gemeinsam mahlen, die eine wird weggenommen, die andere aber dagelassen.“ [36] 37Und sie fragten ihn: „Wo, Herr?“ Er aber sprach zu ihnen: „Wo die Leiche ist, da sammeln sich auch die Adler.“ Literatur: Aus, My Name is „Legion“, 289–302. – U. Bauer, Der Anfang der Endzeitrede in der Logienquelle (Q 17), in: Wenn drei das Gleiche sagen, 79–101. – Bridge, „Where the Eagles are Gathered“. – A. Friedl, Das eschatologische Gericht in Bildern aus dem Alltag (ÖBS 14), Frankfurt a.M. u. a. 1996. – Geiger, Endzeitreden, 53–149. – H.O. Guenther, When „Eagles“ Draw together, Forum 5 (1989) 140–150. – Hampel, Menschensohn, 52–70. – Hartman, Reading Luke 17,20–37 (s. bei 17,20–21). – C. Heil, Lukas und Q, 166–181. – D. Lührmann, Noah und Lot (Lk 17,26–29) – ein Nachtrag, ZNW 63 (1972) 130–132. – Ders., Redaktion, 75–83. – M. Morgen, Lc 17,20–37 et Lc 21,8–11.20–24. Arrière-fond scripturaire, in: The Scriptures in the Gospels, 307–326. – F. Neirynck, Saving / Losing one’s Life. Luke 17,33 (Q?) and Mark 8,35, in: ders., Evan-

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14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,22

gelica III, 480–503. – G.R. O’Day, „There the ? will gather together“. (Luke 17:37), in: Literary Encounters with the Reign of God, 288–303. – B. Rigaux, La petite apocalypse de Luc (XVII,22– 37), in: Ecclesia a Spiritu Sancto edocta, 407–438. – J. Schlosser, Les jours de Noé et de Lot, RB 80 (1973) 13–36. – R. Schnackenburg, Der eschatologische Abschnitt Lk 17,20–37, in: Mélanges bibliques, 213–234. – Steinhauser, Doppelbildworte, 197–214.298–312. – A. Strobel, In dieser Nacht (Luk 17,34), ZThK 58 (1961) 16–29. – J. Topel, What Kind of a Sign are Vultures? Luke 17,37b, Bib. 84 (2003) 403–411. – Zmijewski, Eschatologiereden, 326–540.

Die Rede ist in vier Teile gegliedert: (a) V. 22–25 behandelt die Frage, wann und wie der Menschensohn kommt. – (b) V. 26–30 illustriert mit Hilfe von zwei aus der Schrift gewonnenen Beispielen (einem der zahlreichen lk Doppelexempel; s. o. S. 21) die Ahnungslosigkeit der Menschen, denen das Kommen des Menschensohnes Unheil bringen wird. – (c) V. 31–33 illustriert, wie es am „Tag des Menschensohnes“ zugeht. – (d) V. 34–35 bringt ein zweites Doppelexempel, um zu veranschaulichen, wie Heil und Unheil verteilt werden. – In V. 37 lässt Lukas dann noch eine Nachfrage der Jünger folgen, die mit einem Bildwort beantwortet wird. Nicht zu übersehen sind die Überschneidungen vor allem mit Teilen der Endzeitrede von Mt 24, die – von geringfügigen Ausnahmen abgesehen – keine Parallele in Mk 13 haben. Es entsprechen sich: 23: 24: 26: 27: 30: 31:

Mt 24,26 (?; vgl. Hampel* 52 ff vs. Bauer* 85 ff); s. auch Mk 13,21 Mt 24,27 Mt 24,37 Mt 24,38b–39a Mt 24,39b Mt 24,17–18 und Mk 13,15–16 mit den Minor agreements t› (31a par. Mt 24,17b) statt ti (Mk 13,15b) und †n (tù) ügrù (31c par. Mt 24,18a) statt e¢“ tÖn ügr·n (Mk 13,16a) 33: Mt 10,39 34–35: Mt 24,40–41 37d: Mt 24,28 Da diese Überschneidungen bis auf V. 37d par. Mt 24,28 auch der Akolouthie von Mt 24,1–44 entsprechen und da Lukas in 21,5–36 eine weitere eschatologische Rede bringt, die sich sehr viel enger an Mk 13 anlehnt, wird der vorstehende Befund in der Regel so erklärt, dass es auch in der Logienquelle eine solche Rede gab und dass Lk 17,22–37 auf ihr basiert (Matthäus hätte beide Reden dann ineinandergearbeitet). Dem kann ich nicht widersprechen. Auch für V. 31 ist eine Q-Grundlage nicht ausgeschlossen (vgl. J. Lambrecht, Die Redaktion der Markus-Apokalypse, 1967, 157 f), und für V. 33 ist eine Herkunft aus Q wahrscheinlich (gegen Zmijewski* 479 ff; Neirynck*, mit Heil* 103 f), weil die mk Fassung des Wortes vom Verlust und der Rettung des Lebens (Mk 8,35) in Lk 9,24 und Mt 16,25 aufgenommen ist. – Zu V. 34 gibt es eine Parallele in EvThom 61,1 („Zwei werden ruhen auf einem Bett; der eine wird sterben, der andere wird leben“).

22 Die Rede beginnt mit der Ankündigung, dass die Jünger die mit der Parusie beginnende Heilszeit nicht mehr erleben werden. †le‚sontai ™mfirai entspricht dem in der Septuaginta geläufigen ™mfirai ≤rcontai (hebr. ~yaiB' ~ymiy"), mit dem häufig prophetische Heils‑ und Unheilsankündigungen eingeleitet werden (1.Sam 2,31; 2.Kön 20,17; Am 4,2; 8,11; 9,31; Jes 39,6; Jer 7,32; 9,24; Sach 14,1 u. ö.; s. auch Lk 23,29; Hebr 8,8); das Futur mit dem Verb am Satzanfang gibt es jedoch nur im NT (s. noch Mk 2,20parr.; Lk 19,43; 21,6). Die Formulierung „Tage des Menschensohnes“ ist eine Analogiebildung zu „Tage Abrahams“ (Jub 24,2), „Tage des Mose“ (LibAnt 20,5; 47,1), „Tage Davids“ (2.Sam 21,1); 1.Kön 16,28dLXX („Tage Asas“) etc. (vgl. später 579

17,23

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

dann auch „Tage des Messias“ [mBer 1,5; Weiteres bei Bill. IV/2, 826 ff]). Sie ist also metonymische Bezeichnung für den Zeitraum, der vom Wirken des Menschensohnes bestimmt ist und der mit seinem Kommen beginnt (s. auch Lk 4,25: „in den Tagen Elias“; 17,26 und 1.Petr 3,20: „in den Tagen Noahs“; Lk 17,28; Bauer, Wörterbuch, 704 [s. v. ™mfira 4.b]). „Tage sehen“ umschreibt hier wie auch in Ps 34(33),13; 1.Petr 3,10 (jeweils ™mfira“ ¢deõn) das Erleben. Nicht weit entfernt ist PsSal 17,44, wo es mit Bezug auf die Herrschaft des Messiaskönigs heißt: „Selig sind, die in jenen Tagen leben, um das Heil Israels zu sehen (¢deõn tÅ ügajÅ ûIsrafll)“; s. auch PsSal 18,6 sowie Joh 3,3; Lk 9,27 und die zu dieser Stelle genannten außerntl Parallelen. Die Zahlenangabe m‡a spitzt die Ankündigung rhetorisch zu (s. auch Mt 26,40; Lk 12,6; Apg 4,32; Röm 3,10): Nicht einmal der kleinstmögliche Teil der Hoffnung der Jünger wird erfüllt, denn sie werden nicht einmal einen einzigen der Tage des Menschensohnes erleben (s. auch Rigaux* 410: „un seul des jours“). Für Lukas ist diese Ankündigung in Bezug auf die meisten, wenn nicht auf alle der erzählten Hörer längst eingetroffen, denn sie sind gestorben, ohne dass der Menschensohn gekommen wäre. Zweifellos konnten sich aber auch die Leser des LkEv in dieser Ankündigung wiederfinden, und vielleicht sollten sie das auch. Jedenfalls wird spätestens in 23 die Rede auf die intendierten Leser des LkEv hin geöffnet. Wer nach lk Verständnis das Subjekt von †roúsin sein soll, ist schwer zu sagen. Jüdische Propheten oder Messiasprätendenten im Sinne von Josephus, Bell. 2,261 ff; 6,285 f; 7,437 f; Ant. 20,167 ff (s. dazu bei 21,8) werden es kaum gewesen sein. Eher dürfte Lukas an christliche Parusiealarmisten gedacht haben (vgl. z. B. 2.Thess 2,2; Hippolyt, Comm. in Dan. 4,19). – üpfircesjai und di„kein nehmen die Ortsadverbien †keõ und óde auf (diese Abfolge auch bei Mark Aurel 10,15,1). Lukas stellt sich offenbar ein Szenario vor, demzufolge das Kommen des Menschensohnes mal für den einen Ort und dann wieder für einen anderen angekündigt wird, und er sieht die Christen in der Gefahr, solchen Ansagen mit hängender Zunge hinterherzulaufen. Im nächsten Vers wird die Mahnung, sich von den zitierten Alarmrufen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, begründet. 24 Es ist nicht so sehr „die blitzschnelle Plötzlichkeit“ (Heil* 176), die für Lukas das Kommen des Menschensohnes kennzeichnet (zumal es nach Lk 21,25 f durchaus Vorzeichen gibt). Vielmehr betont der Vergleich mit dem Blitz, der den gesamten, von Horizont zu Horizont reichenden Gesichtskreis ausleuchtet, dass dieses Kommen überall erkennbar sein wird. Das elliptische ™ ≠pÖ tÖn / ™ ≠pû o§ran·n ist ein Septuagintismus und bezeichnet die Gesamtheit der den Menschen zugänglichen und sichtbaren Welt; vgl. Bar 5,3 über die künftige Herrlichkeit Jerusalems: „Gott wird tÔö ≠pû o§ranÖn p›sÔh deinen Glanz (lampr·th“) zeigen“ sowie als Wiedergabe von hebr. ~yIm'V'h; tx;T;: Ex 17,14; Dtn 25,19; 29,19; von lbeTe: Prov 8,26; Hiob 34,13; von #r,a,: Hiob 2,2; 9,6; 18,4; 38,18.24; 42,15; von tAcWx ynEP.: Hiob 5,10; s. auch Esth 4,17c; 2.Makk 2,18; HiobLXX 1,7; 18,19; 28,24; 41,3; PsSal 2,32; TestSim 6,4; TestLevi 18,4 über den messianischen Hohenpriester: „Er wird aufleuchten wie die Sonne auf der Erde, und er wird jegliche Finsternis wegnehmen †k tö“ ≠pû o§ran·n“.

In diesem Sinne soll auch die Abfolge von †k und e¢“ mit ein und demselben Bezugswort Totalität zum Ausdruck bringen: vgl. auch Jer 9,2; Y 83,8; Philo, Leg. All. 3,7 (†k k·smou p›nta kaÑ e¢“ k·smon ün›gein «alles aus dem Kosmos her‑ und in den Kosmos zurückleiten»); Aet. M. 30; Röm 1,17. Dadurch wird auch deutlich, wie der Vergleich 580

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,26–30

der Parusie des Menschensohnes mit einem Blitz die in V. 23 ausgesprochene Mahnung begründet: Weil das Kommen des Menschensohnes überall sichtbar sein wird, braucht niemand Leuten nachzulaufen, die behaupten, den individuellen Ort des Erscheinens zu kennen. Es ist insofern gerade die sprachliche und räumliche Plerophorie von †k tö“ ≠pÖ tÖn o§ranÖn e¢“ tÉn ≠pû o§ran·n, die der Punktualität der Ortsadverbien „dort“ und „hier“ (V. 23c) pointiert gegenübergestellt wird. Die attributive Bestimmung †n tÔö ™mfira a§toú findet sich zwar in der Mehrzahl der Handschriften (a A L W Q Y f1.13 M lat sy bo), deren Zahl jedoch durch Alter und geographische Verbreitung der Handschriften, in denen es fehlt (P75 B D it sa), mehr als kompensiert wird. Für die Annahme eines nachträglichen Ausfalls auf Grund des Homoioteleutons ‑pou … ‑tou (z. B. Metzger, Textual Commentary, 167) ist der Abstand zwischen den beiden Endungen im Verhältnis zu ihrer Buchstabenzahl zu groß. Hinzu kommt noch, dass eine nachträgliche Ergänzung plausibel ist, weil sie eine Verdeutlichung vornimmt.

25 Unter partiellem Rückgriff auf die Sprache der ersten Leidensankündigung (9,22; vgl. „Menschensohn“; deõ; pollÅ pajeõn; üpodokimasjönai üp·) wird ein Terminus ante quem non für das Kommen des Menschensohnes formuliert (prùton deõ mit dieser Funktion auch Mk 9,11 par. Mt 17,10; Mk 13,10; Lk 21,9). Zu geneÅ aæth, das hier an der Stelle von „Älteste, Hohepriester und Schriftgelehrte“ (9,22) steht, s. bei 7,31. Diese Information soll sicher nicht den Lesern klarmachen, dass „die Zeit … gedehnt und das Ende weiter aufgeschoben (wird)“ (Gräßer, Problem, 172), denn das wissen die schon, befinden sie sich doch seit geraumer Zeit bereits jenseits dieses Zeitpunkts. Aus demselben Grund kann es aber auch nicht die Notwendigkeit des Leidens sein, das der Menschensohn erst noch auf sich zu nehmen hat, auf die die Leser noch extra aufmerksam gemacht werden müssten (gegen Heil* 176 f für viele andere). Hörer und Leser werden vielmehr aus der Zukunft (†le‚sontai [V. 22b]; †roúsin [V. 23a]; ≤stai [V. 24b]) wieder in die Gegenwart bzw. Vergangenheit der Jesusgeschichte versetzt. Der Vers hat also in erster Linie textgliedernde Funktion. 26–30 Jesus bringt eines der typisch lk „Doppelexempel“ (Morgenthaler, Geschichtsschreibung I, 60; s. auch 4,25–27; 11,31–32; 12,24.27; 12,54 f; 13,1–5.18–21; 14,28–32; 15,4–10; 17,34–35 sowie 3,12–14; 13,1–5; s. auch o. S. 21). Wie in 4,25–27 und 11,31–32 ist es der Geschichte Israels entnommen. Die Verknüpfung der Sintflut mit der Vernichtung Sodoms ist offenbar auch vor‑ und außerlk geläufig gewesen; vgl. die Zusammenstellung des Materials bei Wettstein, Novum Testamentum I, 777; Lührmann*; Schlosser*: 3.Makk 2,4–7; TestNaph 3,4–5; Jub 20,5; Philo, Abr. 1; Vit. Mos. 2,52–65; Josephus, Bell. 5,566; GenR 27,3 zu Gen 6,5; 2.Petr 2,5–7. Diese Tradition wird hier jedoch als Beispiel nicht für Gottes Vernichtungshandeln an Sündern und Frevlern rezipiert, sondern dafür, dass die Betroffenen ihrer Vernichtung ahnungslos entgegengehen. Während diesen Beispielen innerhalb einer Rede an die Jünger ursprünglich Trost‑ und Vergewisserungsfunktion zukam und die Jünger gegen Zweifel an ihrer Entscheidung für die Nachfolge Jesu immunisiert werden sollten (vgl. Wolter, „Gericht“, 383 f), ist es durchaus denkbar, dass Lukas seine Leser davor warnen will, sich in ihrem Alltag so einzurichten, dass sie dabei den Tag des Menschensohnes vergessen. Die Parallelität der beiden Exempla ist sorgfältig ausgearbeitet (s. auch Fleddermann, Mid-level Techniques, 69 f):

581

17,26a.27 // 28–29

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

(a) 26a // 28a: Eröffnung mit Vergleichseinleitungen, die bis auf die Übergangspartikel ka‡ und ¨mo‡w“ zu Beginn sowie die Eigennamen am Schluss wörtlich identisch sind. (b) 27a // 28b: Beschreibung des Alltagsverhaltens der Menschen mit einem Katalog von asyndetischen Imperfekten. (c) 27b // 29a: Benennung des Tages, an dem der Alltag beendet wurde: ™mfira mit attrahiertem Relativpronomen (vgl. B/D/R § 294,5) + Wiederholung des Namens + komplementäres Gegenüber von e¢sfircesjai und †xfircesjai. (d) 27c // 29b: Beschreibung der Vernichtung mit unterschiedlichen Mitteln (Wasser // Feuer), aber mit identischem Resultat (kaÑ üp„lesen p›nta“).

Aus dieser Parallelität fallen lediglich die Anwendungen der Beispiele in V. 26b und V. 30 heraus: Die Übertragung der Vorgänge in den Tagen Noahs und in den Tagen Lots auf das Geschehen „in den Tagen“ bzw. „am Tag des Menschensohnes“ steht beim Lot-Beispiel nicht wie beim Noah-Beispiel am Anfang (V. 26b), sondern am Ende. Darüber hinaus wechselt Lukas auch vom Plural (V. 26b) in den Singular (V. 30). 26a.27 // 28–29 Zur Zeitbestimmung mit Hilfe der Formulierung „in den Tagen + Eigenname“ s. bei V. 22. – Die Sintflutgeneration und die Sodomiten werden nicht als Sünder dargestellt, sondern durch ihr Alltagsverhalten charakterisiert, wobei die Verwendung der iterativen Imperfekte diese Akzentuierung noch unterstreicht. Man darf darum nicht unter der Hand einen ethischen Vorwurf in die Beschreibung eintragen (so z. B. Schnackenburg* 224: „wer wie die Sodomiten nur an sich selbst denkt und sein Leben genießen will [V. 28], fällt dem Verderben anheim“; s. auch Klein 573: „Lustbarkeiten“), denn die Pointe der Beschreibung besteht gerade darin, dass auf unspezifische und zeitlose Verrichtungen zurückgegriffen wird, um die Übertragbarkeit in die Gegenwart zu ermöglichen: Genau diese Verhaltensweisen sind es, die die Zeitgenossen Jesu und der Jünger mit der Sintflutgeneration und den Sodomiten verbinden (und worin sich gegebenenfalls auch die Leser der lk Jesusdarstellung wiedererkennen können). Das Begriffspaar †g›moun, †gam‡zonto (27a) bezeichnet hier nicht das Abschließen von Ehen, sondern den sexuellen Verkehr der Männer und Frauen (van Tilborg, Meaning, 805; s. auch L/S/J s. v. gamfiw I.2: „of mere sexual intercourse“), denn nur mit dieser Bedeutung bezeichnet es einen ähnlich regelmäßigen und alltäglichen Vorgang wie „essen und trinken“ (vgl. auch Clemens v. Alexandrien, Strom. 7,12,70,6 über den Gnostiker: †sj‡ei kaÑ p‡nei kaÑ gameõ; ebenso 7,12,78,5). Zur entsprechenden Semantik von gameõn vgl. ebd. 803 f.807 ff den Hinweis u. a. auf Anthol. Graeca 5,94 (über eine Frau: „Gesegnet ist, wer auf dich schaut, dreimal gesegnet, wer deine Stimme hört, ein Halbgott, wer dich küsst, üj›nato“ dû ¨ gamùn“); Ps. Lukian, Asin. 32 (von einer versuchten Vergewaltigung: „die Frau auf die Straße werfend gameõn †bo‚leto“); Callimachus, Hymn. Del. 240 f (Hera über Zeus’ Geliebte: „möget ihr heimlich begattet werden [gamfioisje l›jria] und Verborgene gebären!“); Epigrammata Graeca, ed. Kaibel, 336,5 (Zeus als l›jrio“ gamfith“ «heimlicher Liebhaber»); Xanthus FGH 3c, 765, Frgm. 31 (Ωtan jfilhi gömai ¨ ∫tero“ tÉn toú ©tfirou «wenn der eine mit der [Frau] des anderen schlafen will»); bei Philo, Cher. 92 findet sich innerhalb eines Lasterkatalogs mejhmerinoÑ g›moi «mittäglicher Sex». Auch in Lk 20,34 f und 1.Tim 4,3 dürften die entsprechenden Verben (gameõn, gam‡skesjai, gam‡zesjai) diese Bedeutung haben.

Im Blick auf die pragmatische Intention der beiden Beispiele ist zu beachten, dass mit Noah und Lot in der Vergangenheit gerade diejenigen gerettet wurden, die auf die Katastrophe vorbereitet waren. Deren Rolle wird den Jüngern zugewiesen (bzw. den Lesern des LkEv angeboten): Diejenigen, die mit dem Kommen des Menschensohnes rechnen und sich darauf vorbereiten, werden gerettet, während alle anderen zugrundegehen. 582

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

17,33

26b.30 Die pluralische Apodosis des Vergleichs in 26b („in den Tagen des Menschensohnes“), die virtuell auch zwischen V. 28a und b steht, hat Lukas nicht ohne Grund an den Anfang des Doppelexempels plaziert, denn sie hat eine kataphorische Ausrichtung: Sie bezieht sich auf das in den beiden Katalogen V. 27a.28b beschriebene Alltagsverhalten der Menschen und überträgt es auf die Tage, die dem Kommen des Menschensohnes voraufgehen. Lukas erreicht damit, dass Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmelzen, denn die Menschen tun jetzt dasselbe wie damals. Demgegenüber ist 30 anaphorisch ausgerichtet. Der Vers knüpft an V. 27b–c.29a–b an und fungiert als singularische Apodosis des Vergleichs (katÅ tÅ a§t› wie Lk 6,23.26; die v. l. katÅ taúta [P75vid a* A L W Q f1.13 M lat] beruht wahrscheinlich auf Haplographie; vgl. Bock II, 1442 f). Sogar die jeweilige Attraktion des Relativpronomens wird wiederholt. Lukas hat diesen Vers darum ans Ende plaziert, obwohl er virtuell natürlich auch hinter V. 27c steht (wie in Mt 24,39b): So wie jene Tage des iterativen Alltags jeweils an dem Tag ihr Ende fanden, als Noah in die Arche hinein‑ und Lot aus Sodom hinausging, so wird auch das in V. 27a.28b beschriebene Alltagsverhalten der Menschen in der Gegenwart an dem Tag sein Ende finden, an dem der Menschensohn „erscheint“. üpokal‚ptesjai steht hier, weil der Menschensohn bei der Parusie vom Himmel her erwartet wurde; vgl. die Parallelen in Kol 3,4 (der zur Rechten Gottes sitzende [V. 1] und „bei Gott verborgene“ [V. 3] Christus wird „offenbar gemacht werden“ [fanerwjÔö]); 1.Petr 1,7.13 (die Parusie als üpok›­ luyi“ Jesu Christi); 5,4; 1.Joh 2,28. S. auch Gal 1,16 von der Erscheinung des Auferstandenen.

31 Die beiden Weisungen gelten denen, die am Tag des Menschensohnes nicht zu den Menschen gehören, die wie die p›nte“ der Sintflutgeneration und der Bewohner Sodoms (V. 27c.29b) der Vernichtung anheimfallen, sondern wie Noah und Lot gerettet werden. Es handelt sich nicht um Paränese, die zur Distanzierung von irdischem Gut auffordern will (gegen Zmijewski* 466; Geiger* 109; Marshall; Eckey u. a.), sondern es geht darum, den Charakter des Vernichtungsgerichts zu illustrieren, das am Tag des Menschensohnes über die Menschen hereinbricht: Es kommt so schnell und massiv, dass selbst die, die ihm entgehen, nicht mehr als gerade noch das nackte Leben retten können. Im Hintergrund steht offensichtlich die Vorstellung, dass sich das Vernichtungshandeln des Menschensohnes speziell gegen die menschlichen Ansiedlungen richtet. 31a–b basiert auf der Vorstellung von einem Flachdachhaus mit Außentreppe, und mit tÅ ske‚h ist hier dasselbe gemeint wie in Mk 3,27 par. Mt 12,29: „Hausrat“ o. ä. 32 Auf die Idee, an Lots Frau als warnendes Beispiel zu erinnern, kam Lukas vermutlich durch den sprachlichen Anklang von †pistrfifein e¢“ tÅ £p‡sw (V. 31c par. Mk 13,16) an Gen 19,26 (†piblfipein e¢“ tÅ £p‡sw; s. zudem Philo, Somn. 1,247 ebenfalls mit Bezug auf Lots Frau: †pistrafeõsa e¢“ to§p‡sw). Auch 33 charakterisiert den „Tag des Menschensohnes“, und auch hier argumentiert Jesus mit demselben doppelten Verständnis von „Leben“ wie in 9,24parr. (Näheres und Weiteres s. dort): dem physischen Leben, das mit dem Tod endet, und dem Leben jenseits des physischen Lebens, dem der Tod nichts anhaben kann. Dementsprechend macht der Vers deutlich, dass am „Tag des Menschensohnes“ jeder Versuch einer Bewahrung des physischen Lebens unbedingt scheitern wird. Der Inhalt des Wortes verlangt zudem, dass üpolfisei (33a) intransitiv und üpolfisÔh (33b) transitiv verstanden 583

17,34–35

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

werden muss. Nur so ist sichergestellt, dass es nicht als „Kettenschluss“ missverstanden wird (rhetorisch: gradatio; vgl. z. B. Röm 5,3–4; Lausberg, Handbuch, § 623 mit dem Schema x … y / y … z). Dessen Intention läuft immer auf eine Verknüpfung des ersten mit dem letzten Satzglied hinaus, und das wäre hier der ganz und gar unmögliche Gedanke: ‚wer sein Leben zu retten versucht …, wird es lebendig bewahren‘. „Wer es aber dahingibt“ (33b) markiert insofern die Antithese zu zhteõn tÉn yucÉn … peripoiflsasjai (33a; s. auch Zmijewski* 473). peripoeõsjai tÉn yucfln mit der Bedeutung „das Leben erhalten/retten“ auch in: Isocrates, Ep. 2,7; Xenophon, Cyrop. 4,4,10; Ez 13,19; s. auch Hebr 10,39 (peripo‡hsi“ yucö“); 2.Makk 3,35 (peripoieõsjai tÖ zön); s. auch Spicq, Lexicon III, 100 ff. – Zur semantischen Opposition von peripoieõn und üpoll‚nai vgl. Jer 31(48),36 (¡ periepoiflsato üp„leto «was es [sc. Moab] erworben hat, ist zugrundegegangen»); Plutarch, Mor. 809d (tÉn p·lin … parû o§dÇn †ljoúsan üpolfisjai periepo‡hsen «die Stadt, die kurz davor war zugrundezugehen, rettete er»); Epiktet, Ench. 24,3 (tÅ ügajÅ tÅ †mautoú üpolfisai, ºna ≠meõ“ tÅ mÉ ügajÅ peripoiflshsje «meine eigenen Güter preisgeben, damit ihr Nicht-Güter erlangt»). – Zu tÉn yucÉn zwogoneõn s. 1.Kön 21,31LXX; Spicq, Lexicon II, 164 f.

Kein physisches Leben überlebt also den „Tag des Menschensohnes“, denn „Leben“ gibt es nur noch aus der Hand des Menschensohnes als Leben jenseits des physischen Lebens, und es ist nur unter der Voraussetzung von dessen Preisgabe erhältlich. Wie Lukas sich das konkret vorgestellt hat, muss offen bleiben, denn die semantische Differenzierung wird durch die rhetorische Affektlenkung mit Hilfe der polyptotischen Wiederaufnahme von üpolfisei durch üpolfisÔh verdeckt (vgl. Lausberg, Handbuch, § 635 ff, bes. § 640 zur „Lockerung der Flexionsform in der Wortwiederholung“ [polyptoton]). 34–35 Mit Hilfe eines weiteren „Doppelexempels“ (Morgenthaler, Geschichtsschreibung I, 60; die anderen s. bei V. 26–30; s. auch o. S. 21), das wie in 4,25–27; 11,31–32; 13,18–21; 15,4–10 aus einem Männer‑ und einem Frauenbeispiel besteht, wird ein anderer Aspekt der Ereignisse am „Tag des Menschensohnes“ entfaltet. Er steht in einer gewissen Spannung zu den in V. 26–30 aufgerufenen Unheilsszenarien mit ihrer pauschalen Vernichtung aller, denn Jesus kündigt demgegenüber eine radikal individualisierende Verteilung von Heil und Unheil an. Die beiden Beispiele sollen in zugespitzter Weise überindividuelle Zusammengehörigkeiten veranschaulichen. Mit ihrer Hilfe wird deutlich gemacht, dass selbst zwei Menschen, die beim Kommen des Menschensohnes einander so nahe sind wie zwei Männer, die gerade auf ein und demselben Lager liegen, oder wie zwei Frauen, die gerade ein und dieselbe Mühle bedienen, ein unterschiedliches Heilsgeschick haben werden bzw. haben können. Die beiden Beispiele wollen also deutlich machen, dass strikte Einzelfallentscheidungen stattfinden, ohne dass jedoch ein Kriterium genannt würde, das den Entscheidungen jeweils zugrundeläge. Mit großer Wahrscheinlichkeit bezeichnet paralamb›nein das Heils‑ und üfifinai das Unheilsgeschick (vgl. die Argumente bei Friedl* 185 f Anm. 1053). Hinzu kommt noch, dass paralamb›nein den Vorgang einer Entrückung bezeichnen kann (griechHen 17,1; TestLevi 17,4.6; TestAbrA 15,1; 16,5; s. auch Friedl* 184 ff sowie Num 23,27: paral›bw se e¢“ t·pon ±llon «ich bringe dich an einen anderen Ort»; Mt 4,5.8). Sollte diese Bedeutung auch hier intendiert sein, würde paralamb›nein das Geschick derer bezeichnen, die rechtzeitig vor der Vernichtung der Welt aus ihr 584

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,1–8

entfernt und dadurch in Sicherheit gebracht werden, während die anderen dableiben müssen (üfifinai) und mit in den Untergang gerissen werden. Das würde auch dem Gegenüber der beiden Verben in Mk 4,36 entsprechen (die Jünger üffinte“ tÖn µclon paralamb›nousin a§t·n [sc. Jesus]). Die Passivformen sind jedenfalls als Passiva divina zu verstehen. „In dieser Nacht“ (34b) meint nicht speziell die Passanacht (gegen Strobel*; Ernst u. a.; zur Kritik s. auch Friedl* 120 f), denn die Zeitbestimmung ist hier Bestandteil des Bildes (s. auch Steinhauser* 201). In 34b–c ist die Rede von zwei Männern (vgl. ¨ eï“ … ¨ ∫tero“ [34c] im Gegenüber zu ™ m‡a … ™ dÇ ©tfira [V. 35b]). – †pÑ tÖ a§t· (35a; im NT noch Mt 22,34; Apg 1,15; 2,1.44.47; 4,26; 1.Kor 7,5; 11,20; 14,23) ist ein Septuagintismus (Ex 26,9; Dtn 12,15; 22,10; 25,5.11; Jos 11,5 u. ö.; hebr. meistens dxy und wD'x.y:). Wenn die Wendung sich auf Personen bezieht, kann sie sowohl die Gemeinsamkeit der Tätigkeit, des Ortes, des Geschicks oder ein zeitliches Zugleich zum Ausdruck bringen (vgl. z. B. Dtn 12,15; 25,5; Ri 19,6; Jes 66,17; Dan 11,27: „†pÑ tÖ a§t· speisen und an einem Tisch essen“); s. auch Friedl* 139 ff, bes. 148 ff.

36 ist ein sekundärer Nachtrag aus Mt 24,40 und nur in wenigen Handschriften überliefert. 37 Das aus Q stammende Bildwort von den Adlern (vgl. Mt 24,28) interpretiert Lukas, indem er es ans Ende der Rede Jesu stellt und zur Antwort auf eine von ihm selbst erfundene Frage der Jünger macht. Das Problem ist nur, dass nicht klar ist, worauf sich die Frage bezieht (vgl. den Überblick bei Bridge* 3 ff). Sollten die Jünger, wie in der Regel angenommen wird, nach dem Ort der Erscheinung des Menschensohnes fragen, könnte das Bildwort besagen, dass man diesen Ort so leicht erkennen könne, wie man an einer Versammlung von Adlern erkennen kann, wo sich eine Leiche befindet. Es ist aber auch möglich, die Frage auf die beiden Schlussworte des vorausgehenden Doppelexempels zu beziehen: „der/die andere üfejflsetai“ (V. 34c.35b; so z. B. Grundmann; s. auch Schnackenburg* 234; Steinhauser* 311; Guenther* 143): Auf die Frage der Jünger nach dem Verbleib der Zurückgelassenen würde Jesus in diesem Fall antworten, das könne man an der Versammlung der Adler erkennen, weil die sich immer dort einfänden, wo es Leichen gibt. Zum Bildfeld vgl. Aristoteles, Hist. Anim. 619a2, wo es vom Adler (üet·“) heißt, dass er „tote Tiere davonträgt“ (tÅ tejneùta ffirwn); Plinius d.Ä., Hist. Nat. 10,8 über den „Schwarzflügler“: sola aquilarum exanima fert corpora «als einziger von den Adlern schleppt er Kadaver fort». Im hebr. Text von Hiob 39,30 heißt es vom Adler (V. 27): „wo Erschlagene sind, da ist er“, während die Septuaginta über die Jungen des Geiers (sic!; vgl. V. 27: g‚y) schreibt: oñ dû ±n ësi tejneùte“ paracröma e≠r‡skontai «wo Tote sind, da finden sie sich sofort ein»; vgl. auch den kritischen Teil des Aufsatzes von O’Day*; Ornithologiegeschichtliches auch bei Topel* 404 ff und vor allem bei Bridge* 57 ff, dessen eigener Interpretationsvorschlag (die Jünger fragten nach dem Verbleib der Erwählten [51], die Adler symbolisierten die Gerechten [21] und sùma bezeichne „the crucified Lord as a living entity, namely, the resurrected Christ“ [52; s. auch ebd. 87 ff]) freilich nicht besonders viel mit dem Text zu tun hat.

18,1–8: Das Gleichnis vom Richter und der Witwe 1Er

erzählte ihnen aber ein Gleichnis, dass sie immer wieder beten und niemals aufgeben sollten: 2„Es war einmal ein Richter in einer Stadt, der Gott nicht fürchtete und keinen Menschen respektierte. 3In jener Stadt gab es aber auch eine Witwe, und die kam (immer wieder) zu ihm und sagte: ‚Schaffe 585

18,1–8

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

mir Genugtuung gegen meinen (Prozess‑)Gegner!‘ 4Und er wollte eine Zeit­ lang nicht. Schließlich sagte er aber zu sich selbst: ‚Wenn ich auch Gott nicht fürchte und keinen Menschen respektiere, 5will ich um der Belästigung willen, die diese Witwe mir bereitet, ihr Genugtuung verschaffen, damit sie nicht schließlich kommt und mich verprügeln will‘.“ 6Der Herr aber sprach: „Hört, was der ungerechte Richter sagt! 7Gott aber – sollte er etwa nicht für seine Auserwählten Vergeltung üben, die Tag und Nacht zu ihm schreien? Und zögert er (gerade) bei ihnen? 8Ich sage euch: Er wird für sie in Kürze Vergeltung üben! – Doch wenn der Menschensohn kommt, wird er auf Erden auch Glauben vorfinden?“ Literatur: H. Binder, Das Gleichnis von dem Richter und der Witwe Lk 18,1–8, Neukirchen-Vluyn 1988. – D.R. Catchpole, The Son of Man’s Search for Faith (Luke XVIII 8b), NT 19 (1977) 81– 104. – W. Cotter, The Parable of the Feisty Widow and the Threatened Judge (Luk 18.1–8), NTS 51 (2005) 328–343. – S. Curkpatrick, Dissonance in Luke 18:1–8, JBL 121 (2002) 107–121. – Ders., A Parable Frame-up and its Audacious Reframing, NTS 49 (2003) 22–38. – G. Delling, Das Gleichnis vom gottlosen Richter, ZNW 53 (1962) 1–25. – P. Dumoulin, La parabole de la veuve, de Ben Sira 35,11–24 à Luc 18,1–8, in: Treasures of Wisdom, 169–179. – E.D. Freed, The Parable of the Judge and the Widow (Luke 18.1–8), NTS 33 (1987) 38–60. – K. Haacker, Das Gleichnis von der bittenden Witwe (Lk 18,1–8), ThBeitr 25 (1994) 277–284. – W. Haubeck, Das Gleichnis vom ungerechten Richter und der Witwe (Lukas 18,1–8), ThGespr 28 (2004) 157–168. – J.M. Hicks, The Parable of the Persistent Widow (Luke 18:1–8), RestQ 33 (1991) 209–223. – F. Mussner, Die Skepsis des Menschensohnes. Zu Lk 18,8b, in: Forschungen zum Neuen Testament und seiner Umwelt, 271–275. – H. Paulsen, Die Witwe und der Richter (Lk 18,1–8), in: ders., Zur Literatur und Geschichte des frühen Christentums (WUNT 99), Tübingen 1997, 113–138. – H. Riesenfeld, Zu makrojumeõn (Lk 18,7), in: Neutestamentliche Aufsätze, 214–217. – C. Spicq, La parabole de la veuve obstinée et du juge inerte, aux décisions impromptues (Lc. xviii,1–8), RB 68 (1961) 68–90. – A. Wifstrand, Lukas XVIII.7, NTS 11 (1964/65) 72–74.

Lukas interpretiert die Geschichte vom Richter und der Witwe (V. 2–5) durch die einleitende Leseanweisung (V. 1) und die Anwendung, die er dem Gleichniserzähler in den Mund legt (V. 6–8). Die Verklammerung zwischen Erzählung und Rahmen erfolgt durch die Wiederaufnahme des Wortes †kd‡khsi“ aus V. 3c.5a in V. 7a.8b und mit Hilfe von Begriffen aus dem semantischen Feld der Zeit: p›ntote (V. 1b), †pÑ cr·non (V. 4a), ™mfira“ kaÑ nukt·“ (V. 7a), †n t›cei (V. 8b). Mit der vorangegangenen Rede über den Tag des Menschensohnes wird das Gleichnis durch V. 8c („wenn der Menschensohn kommt“) verklammert. Die inhaltliche Entsprechung zu 11,5–8 ist offenkundig, obwohl dort nicht die Beharrlichkeit, sondern die „Dreistigkeit“ (üna‡deia; 11,8) zum Erfolg führt. Darüber hinaus basiert die Anwendung in V. 7–8b aber auch auf derselben Logik wie 11,13: Als Gegenbild zu Gott steht der kritÉ“ tö“ üdik‡a“ hier an derselben Stelle wie in 11,13 ≠meõ“ ponhroÑ ≠p›rconte“ im Gegenüber zum „Vater im Himmel“ (s. auch Catchpole* 89). Die paränetische Intention der Erzählung formulieren V. 1.8c: unverzagtes Festhalten am Glauben, was durch beharrliches Beten zur Anschauung gebracht wird. Diese Pragmatik stellen V. 7–8b auf die Grundlage einer Gewissheit, die im Gottesbild verankert wird: dass Gott beharrliches Beten gewiss und alsbald (†n t›cei; V. 8b) erhören wird. Dass zwischen Erzählung und Rahmen eine Spannung besteht, ist nicht zu erkennen. 586

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,2

Das Gleichnis ist nur bei Lukas überliefert; wir wissen also nicht, woher es stammt. Das Spektrum der Meinungen reicht wie üblich von „a thoroughly Lukan composition“ (Freed* 56) bis „the teaching of the whole unit goes back to Jesus“ (Bock II, 1446; s. auch Catchpole* 104). 1 Mit Hilfe einer vorangestellten Leseanweisung teilt Lukas den Lesern mit, wie sie das folgende Gleichnis verstehen sollen. Ganz analog verfährt er auch in 18,9 und 19,11. – prÖ“ t· + Infinitiv bezeichnet den Zweck, den Jesus mit der Erzählung des Gleichnisses verfolgt (s. auch Mt 5,28; 6,1; 13,30; 23,5; 26,12; Mk 13,22; 2.Kor 3,13; 1.Thess 2,9 = 2.Thess 3,8 mit B/D/R § 402,4 und § 239,7 gegen die Nennung dieses Verses in § 2396; Nolland; C.F. Evans); wie hier mit substantiviertem Infinitiv + Subjekt auch in Eph 6,11 (s. auch Plutarch, Mor. 1039e: prÖ“ tÖ deõn ™mô“ üpifinai «dafür, dass wir weggehen [d. h. sterben] müssen»). Den Infinitiv deõn gibt es im NT nur bei Lukas (s. noch Apg 25,24; 26,9). p›ntote wird durch mÉ †gkakeõn erläutert: Jesus fordert die Jünger nicht zum Dauerbeten auf, sondern zum Immer-wieder-beten (in 21,36 entspricht dem die Aufforderung zum Beten †n pantÑ kairù). †gkakeõn ist außerhalb des NT ganz selten belegt (vgl. Delling* 5 f; Spicq, Lexicon I, 398 f; Preisigke, Wörterbuch I, 411; Moulton / Milligan, Vocabulary, 215). Im NT findet sich das Verb sonst nur im Corpus Paulinum, wo es wie hier immer mit einer Negation gebraucht wird (2.Kor 4,1.16; Gal 6,9; Eph 3,13; 2.Thess 3,13; s. auch 2.Clem 2,2). Über den Gebetsinhalt sagt Lukas nichts; dass das Gebet „um das Kommen des Gottesreiches“ gemeint ist (Klein 578; s. auch Gräßer, Problem, 37), sollte darum nicht eingetragen werden. Das Jüngergebet in 11,2b–4 hat eine viel breitere Perspektive, und nach 11,13 kann man Gott auch um den Geist bitten. 2–5 Die Erzählung greift ein verbreitetes Motiv auf, wie die Konvergenzen mit der bei Plutarch, Mor. 179c–d erzählten Geschichte erkennen lassen: „Als eine arme, alte Frau verlangte, vor ihm (sc. König Philipp v. Mazedonien) richterliches Gehör zu bekommen (†pû a§toú krijönai) und (ihn) oftmals belästigte, sagte er, dass er keine Zeit habe. Die alte Frau aber schrie los und sagte, ‚Dann sei auch nicht länger König!‘. Er aber bewunderte das Gesagte und begann sofort, nicht nur sie, sondern auch die anderen anzuhören“ (eine andere Übersetzung bei Berger / Colpe, Religionsgeschichtliches Textbuch, 144). Die gleiche Geschichte erzählt Plutarch an anderer Stelle von Demetrius (sie endet mit: „er kehrte ins Haus zurück, stellte alles zurück und befasste sich viele Tage lang mit allen, die mit einer Bitte kamen, angefangen mit jener alten Frau“; Demetr. 42,4), und derselbe Stoff ist auch in einer bei Joh. Stobaeus, Anthol. III, 13,48 (III, 463,11–14 Wachsmuth / Hense) überlieferten Chrie wiederzuerkennen, die von Serenus stammen soll: „Dem Antipater übergab ein Mann vom Lande eine Petitionsschrift. Er sagte aber, dass er keine Zeit habe. ‚Dann sei auch nicht länger König‘, sagte jener, ‚wenn du keine Zeit hast‘.“ Nicht weit entfernt von diesen Geschichten ist auch der Plot der Erzählung von Jesu Begegnung mit der Syrophönizierin (Mk 7,24–30).

Anders als die beiden bei Plutarch und in Mk 7,24–30 überlieferten Geschichten berichtet das lk Gleichnis nicht, wie die Bitte der Petentin in die Tat umgesetzt wird. Es erzählt vielmehr lediglich einen inneren Monolog (V. 4b–5), in dem der Richter ankündigt, dass er nachgeben will (†kdikflsw a§tfln; V. 5a). Die Erzählung will also nur herausarbeiten, dass die Witwe durch ihr Insistieren den Richter dazu gebracht hat, sich ihrer Sache anzunehmen. 2 Die Charakterisierung des Richters orientiert sich am Grundschema der hellenistischen Ethik, das in der gesamten Antike verbreitet ist und die menschliche 587

18,3–4a

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Lebensführung in Orientierung am Kanon der zwei Tugenden auf zwei elementare Handlungsfelder reduzieren kann: das Verhalten gegenüber Gott und das Verhalten gegenüber den anderen Menschen (s. dazu bei 1,75). Dementsprechend finden die hier verwendeten Kategorien auch in der politischen Polemik Verwendung: bebo‚leuntai … deinÅ kaÑ ün·sia ≤rga, o∂te jeõon fobhjfinte“ c·lon o∂te ünjrwp‡nhn †ntrapfinte“ nfimesin «sie planen … abscheuliche und gottlose Taten, ohne den göttlichen Zorn zu fürchten und ohne auf menschliche Missbilligung zu achten» (Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 10,10,7; s. auch ebd. 12,13,2 sowie Lysias, Or. 12,9 über Peison, „den Schuft“: „Ich wusste, dass er weder die Götter noch Menschen achtet [o∂te jeoÜ“ o∂tû ünjr„pou“ nom‡zei]“; Philo, Spec. Leg. 3,209; Josephus, Ant. 1,72; 10,83; †ntrfipesjai + Akk. Obj. auch in Ex 10,3; SapSal 2,10; 6,7); das positive Gegenstück in JosAs 28,7: ±ndre“ jeosebeõ“ kaÑ fobo‚menoi tÖn jeÖn kaÑ a¢do‚menoi p›nta ±njrwpon «fromme Männer, die Gott fürchten und jeden Menschen achten». Der Richter wird damit als ethisch prinzipienlos dargestellt, und darauf basiert seine Bezeichnung als kritÉ“ tö“ üdik‡a“ in V. 6b. 3–4a Die Erzählung verweilt beim Richter und führt ihm eine Witwe zu, die ihn wiederholt und erfolglos um rechtlichen Beistand bittet (die Imperfekte ≥rceto [3b] und o§k ≥jelen [4a] haben iterative Bedeutung und entsprechen †pÑ cr·non [4a]). Weil es nur auf die Interaktion zwischen dem Richter und der Witwe ankommt, kann die Konfliktursache ebenso unerzählt bleiben wie das, wofür der Richter konkret sorgen sollte (zu ünt‡diko“ als Bezeichnung für den Prozessgegner vgl. Preisigke, Wörterbuch I, 133; s. auch 12,58). Diese Leerstellen konnten alle zeitgenössischen Hörer bzw. Leser mit Hilfe ihrer kulturellen Enzyklopädie mühelos auffüllen, denn dass Witwen auf Grund ihrer sozialen Stellung wehrlos und darum auf die Hilfe der Rechtsinstitutionen angewiesen waren, wusste jeder (vgl. G. Stählin, ThWNT 9,430 ff). Warum der Richter sich des Anliegens der Frau zunächst nicht annehmen wollte, wird durch seine Charakterisierung in V. 2 hinreichend erklärt, so dass sich darüber hinausgehende Spekulationen erübrigen. †kdikeõn üp· ist ein Hebraismus (nach !mi ~q;n"); vgl. Ri 11,36B (†n tù poiösa‡ soi k‚rion †kd‡khsin üpÖ tùn †cjrùn sou üpÖ u´ùn ∞Ammwn «sobald der Herr dir Recht verschafft hat von deinen Feinden, von den Söhnen Ammons»); Josephus, Ant. 6,211 mit Bezug auf 1.Sam 18,25 (David parfiscen … tÉn üpÖ tùn polem‡wn †kdik‡an «verschaffte … Recht von den Feinden»); s. auch TestLevi 2,2 mit Anspielung auf Gen 34 (†kd‡khsi“ für unsere Schwester Dina üpÖ [toú] ûEmm„r). Der Gebrauch dieser Formulierung in P. Babatha 20,14–16.37–39 (The Documents from the Bar Kokhba Period in the Cave of Letters. Greek Papyri, ed. N. Lewis, Jerusalem 1989) lässt außerdem die Möglichkeit zu, dass es ein juristisches Fachwort war (†kdikflswmen … so‡ üpÖ pantÖ“ üntipoioumfinou «wir werden dir Recht verschaffen … gegen jeden, der Gegenansprüche erhebt»); Delling* 10.

4b–5 metÅ dÇ taúta nimmt †pÑ cr·non aus V. 4a auf (die gleiche Verknüpfung auch bei Polybius 31,6,2; Philumenus Medic. 17,5). Dass die Charakterisierung des Richters aus V. 2 in seine Selbstbeschreibung (4c) übernommen wird, ist ein sehr extravaganter Erzählzug. Er hat die Funktion, deutlich zu machen, dass das Insistieren der Witwe nicht dazu führt, dass der Richter sich ändert. Der Fortgang der Erzählung drückt ihn vielmehr ethisch weiterhin zu Boden. Dementsprechend lässt sie ihn den Entschluss, dem Drängen der Witwe nun doch nachzugeben, nicht um der Witwe willen begründen, sondern um seinetwillen: Der Richter gibt ihr nach, weil sie ihn belästigt (parficein k·pon; s. dazu bei 11,7) und weil er um sich selbst besorgt ist. Der innere Monolog hat 588

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,7–8b

insofern keine andere Funktion, als den Richter zu charakterisieren (Sermocinatio bzw. Ethopoiie; vgl. Lausberg, Handbuch, § 820–825). Dementsprechend geht die Frau auch nicht auf der Erzählebene gegen den Richter vor, sondern nur in seiner Einbildung. Überhaupt kehrt das Gleichnis nicht mehr auf die Erzählebene zurück, denn mit dem inneren Monolog bricht es ab. ≠pwpi›zein bedeutet „jemanden so ins Gesicht (unters Auge) schlagen, daß er blaue Flecken (‚ein blaues Auge‘) bekommt u[nd] dadurch entstellt wird“ (K. Weiß, ThWNT 8,588,32 f); vgl. Julius Pollux, Onomast. 2,53: ≠p„pia tÅ ≠pÖ toÜ“ ëpa“ tùn plhgùn ¥cnh «≠. (sind) die Spuren der Schläge unter die Augen». Der Begriff stammt aus der Boxersprache (vgl. Philostratus Maior, Imag. 2,6,3); 1.Kor 9,26 f; s. auch Aristophanes, Pax 541; Aristoteles, Rhet. 1413a22; Plutarch, Mor. 921 f; Diogenes Laertius 6,89 (das sind alle zur Zeit ermittelbaren Belege aus der antiken Literatur). Die Präsentizität von †rcomfinh, vor allem aber von ≠pwpi›zÔh in 5b könnte dafür sprechen, dass die Erzählung den Richter nicht fürchten lässt, die Frau würde schließlich kommen und ihm ein blaues Auge hauen (ein solcher, im wahrsten Sinne des Wortes punktueller Vorgang verlangt eigentlich den Aorist in der finiten Verbform), sondern dass e¢“ tfilo“ … ≠pwpi›zein übertragen zu interpretieren ist, d. h. im Sinne von „völlig aufreiben“ (Weiß, ThWNT 8,589,18) oder „völlig kaputt machen“ (B/D/R § 2077); s. auch Plummer; Wiefel; Klein; Freed* 50; Jeremias, Gleichnisse, 153 f u. a. Das Problem ist nur, dass keiner der oben genannten Texte eine solche Interpretation zulässt, und die von Haacker* 278 vorgeschlagene Konjektur (statt ≠pwpi›zÔh sei ≠popi›zÔh zu lesen) ist auch nicht wirklich eine befriedigende Lösung. – Vielleicht hat Lukas an ein Präsens de conatu gedacht (vgl. B/D/R § 319; zu übersetzen wäre dann: ‚damit sie nicht am Ende kommt und mich verprügeln will‘); in diesem Sinne dürfte jedenfalls das sprachlich nicht weit entfernte †rc·menoi jerape‚esje in Lk 13,14 zu verstehen sein.

6 Lukas ergreift das Wort und signalisiert damit den Übergang von der Erzählung zur Anwendung. Der k‚rio“ ist Jesus, und das Genitiv-Attribut tö“ üdik‡a“ ist ein Gen. qualitatis, der in hebraisierender Weise ein Adjektiv vertritt (s. auch 16,8.9; Apg 1,18; 8,23 sowie B/D/R § 45; 165,1). Es basiert auf den Charakterisierungen von V. 2.4 und bereitet das argumentum a comparatione von V. 7–8b vor, denn Gott ist natürlich das Gegenteil von ‚ungerecht‘ (in 11,13 entsprechen ihm die ponhroÑ ≠p›rconte“; vgl. dazu Lausberg, Handbuch, § 395–397). 7–8b Die Anwendung macht deutlich, dass die Frage, ob das Gleichnis den Richter oder die Witwe als narrative Hauptfigur präsentiert (so zuletzt wieder Curkpatrick*, Dissonance), dessen Anliegen verfehlt, denn es geht ihm nicht um die einzelnen Personen, sondern um das Verhältnis zwischen ihnen. In diesem Sinne wird die Geschichte vom Richter und der Witwe in der besprochenen Welt dreifach überboten: der ungerechte Richter durch „Gott“ (7a), die Witwe durch „seine Auserwählten“ (7a) und die durch †pÑ cr·non indizierte Dauer des Insistierens durch „Tag und Nacht“ (7b), d. h. durch dessen Intensität. Jede dieser drei Überbietungen macht es schon allein für sich wahrscheinlicher, dass Gott für seine Auserwählten Vergeltung üben wird. Weil sie sich aber auch noch addieren, können die Jünger sicher sein, dass Gott sie (anders als der Richter ursprünglich die Witwe) nicht hinhält, sondern „in Kürze“ tätig wird (8b). Auf diese Überbietung des †pÑ cr·non (V. 4a) durch †n t›cei läuft die Bewegung vom Gleichnis zur Anwendung zu. Die Wiedergabe von †n t›cei mit „plötzlich“ oder „unversehens“ u.ä. (vgl. jetzt wieder Wiefel; Bovon) berücksichtigt diesen Zusammenhang nicht und verfehlt damit den Aussagewillen des Gleichnisses, das als rhetorischen Leitaffekt eben nicht die Furcht (metus), sondern die Hoffnung (spes) mobilisiert (vgl. dazu Lausberg, Handbuch, § 229.437). Dem entspricht dann auch, dass poieõn 589

18,7–8b

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

†kd‡khsin tùn †klektùn a§toú (7a.8b) ein strafendes und vergeltendes Handeln Gottes an den Feinden „seiner Auserwählten“ bezeichnet. Für poieõn †kd‡khsin + Genitiv der Person gibt es die engsten Entsprechungen in TestRub 6,6 (jeÖ“ poiflsei tÉn †kd‡khsin a§tùn «Gott wird Vergeltung für sie üben»); TestLevi 2,2 (†po‡hsa … tÉn †kd‡khsin … tö“ üdelfö“ ™mùn De‡na“ «ich übte … Vergeltung für unsere Schwester Dina») und TestJos 20,1 (jeÖ“ poiflsei tÉn †kd‡khsin ≠mùn «Gott wird Vergeltung für euch üben»); vgl. auch in demselben Sinne 1.Makk 2,67; 9,42 (jeweils †kdikeõn †kd‡khsin + Gen. der Person, für die Vergeltung geübt wird). Beschrieben wird stets ein rächendes oder strafendes Handeln an denen, die gegenüber der im Genitiv bezeichneten Person schuldig geworden sind. Die Bedeutung „rächend, strafend, vergeltend handeln“ hat poieõn †kd‡khsin auch dort, wo der Genitiv fehlt: Ex 12,12; Num 33,4; Ri 11,36; 15,7; 1.Makk 3,15; 6,22; 7,9.24.38; Ps 149,7; TestLevi 3,3; 5,3 („an Sichem, für Dina“); TestJos 15,5; TestSal 22,4; Apg 7,24. – In nichtjüdischen und nichtchristlichen Texten ist diese Wendung nur mit dem Medium poieõsjai belegt; vgl. Polybius 3,8,10: d·gmati … tÉn †kd‡khsin poieõsjai «sich durch einen Beschluss Genugtuung verschaffen»; Polyaenus Rhet., Exc., 3,10; Hist. Alex. Magni, rec. a, ed. Kroll, 3,4,16; CIG II, 2826,15 f.

Damit ist aber auch über die Bedeutung von makrojumeõn entschieden, denn es muss nun nicht mehr herhalten, um die Verzögerung der Parusie in die Gewährung einer Frist zur Besserung der Christen umzuinterpretieren (so z. B. Wiefel; Bovon; s. auch die Vorstellung der Lösungsvorschläge bei Marshall; Bock). makrojumeõn ist hier vielmehr von Sir 35,17–19 her zu verstehen (so bereits Jülicher, Gleichnisreden II, 286; dann Riesenfeld*; Wifstrand*; Dumoulin*), wo es das Zögern Gottes bei der Durchführung seines Gerichts bezeichnet, das wie hier auf das Gebet des Elenden hin ergeht: „Das Gebet des Elenden durchdringt Wolken, … und er hört nicht auf, bis der Höchste sich kümmert (†piskfiyhtai). Er wird den Gerechten Recht schaffen und das Gericht durchführen. Der Herr säumt nicht und zögert bei ihnen nicht (o§ mÉ brad‚nÔh o§dÇ mÉ makrojumflsÔh †pû a§toõ“).“ – Die entsprechende Bedeutung haben makrojum‡a bei Artemidorus, Oneir. 2,25 (144,8 Pack; der Begriff steht hier parallel zu parolkfl «Verzögerung, Aufschub») und makr·jumo“ in Anthol. Graeca 11,317 („Jemand hat mir einen widerspenstigen und störrischen [makr·jumon] Esel geschenkt …, einen Sohn der Trägheit [u´Ön tö“ bradutöto“]“).

makrojumeõn ist also etwas, das Gott gerade nicht tut, und darum muss 7b ebenfalls als Fragesatz gelesen werden, obwohl der Indikativ makrojumeõ den Konjunktiv o§ mÉ poiflsÔh nicht fortführt. Aufgenommen wird diese inhaltliche Ausrichtung von makrojumeõn dementsprechend durch †n t›cei (8b). Dass die Leser dabei an den „Tag des Menschensohnes“ von 17,24.30 f denken sollen und dass der Zeitbestimmung †n t›cei eine eschatologische Qualität zufällt, dürfte nicht zweifelhaft sein. Ein „Beleg lk. Naherwartung“ (Erlemann, Naherwartung, 167) ist diese Ankündigung jedoch kaum, denn nach 21,28 kann von einer ‚Nähe‘ (†gg‡zein) dieser Ereignisse erst gesprochen werden, wenn die in 21,25 beschriebenen kosmischen Zeichen „zu geschehen beginnen“. – Noch einmal eine andere Frage ist, wie diese Ankündigung vom lk Standort aus gemeint ist: Wie kann Lukas den erzählten Jesus ungefähr 60 Jahre nach dessen Tod den Jüngern ankündigen lassen, dass Gott für sie „in Kürze“ Vergeltung schaffen wird? Es ist darum nicht auszuschließen, dass Lukas es seinen Lesern möglich machen will, in diesem Zusammenhang an die Zerstörung Jerusalems zu denken. Ein solcher Bezug liegt vor allem aber auch darum im Bereich des Möglichen, weil Lukas dieses Geschehen in 21,22 gegen seine Vorlage und mit Verweis auf Hos 9,7 sowie unter Aufnahme der Begrifflichkeit von 7a.8b als „Tage der Vergeltung“ (™mfirai †kdikflsew“) deutet. 590

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,9–14

8c stellt die Gebetsparänese in den Zusammenhang des Themas von 17,22–37. Die Formulierung †lján … e≠rflsei macht die dubitative Frage zu einer sprachlichen und inhaltlichen Entsprechung der Seligpreisungen von 12,37.43 par. Mt 24,46, bei denen es ebenfalls um die Parusie ging. Von „Skepsis“ (so Mußner*; s. auch Haacker* 284; Paulsen* 131) kann darum keine Rede sein. Die Pragmatik ist hier dieselbe wie vor allen Dingen in 12,37: „Glauben“ (piste‚ein) und „wachen“ (grhgoreõn) sind semantisch isotop, und die Leser werden aufgefordert, an ihrer christlichen Existenzorientierung (der p‡sti“; s. auch Taeger, Mensch, 112) bis zum Kommen des Menschensohnes festzuhalten. Sinnvoll sind solche Aufforderungen zur „Stetsbereitschaft“ (Schneider, Parusiegleichnisse, 91) natürlich vor allem in Situationen, in denen die Parusie nicht absehbar ist und in denen das christliche Existenzprofil der Adressaten in Gefahr steht, unkenntlich zu werden. In rhetorischer Hinsicht wechselt die Paränese vom Leitaffekt der Hoffnung (V. 7–8b) in den der Furcht (vgl. Lausberg, Handbuch, § 229.437). 18,9–14: Das Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner 9

Er sagte aber zu einigen, die von sich selbst überzeugt waren, dass sie gerecht wären, und die übrigen verachteten, das folgende Gleichnis: 10„Zwei Men­ schen gingen zum Tempel hinauf um zu beten. Der eine war ein Pharisäer und der andere ein Zöllner. 11Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich selbst dieses Gebet: ‚Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen – Räuber, Ungerechte, Ehebrecher – oder auch wie dieser Zöllner da. 12Ich faste zweimal in der Woche (und) verzehnte alles, was ich erwerbe.‘ 13 Der Zöllner aber stand weit ab und wollte nicht die Augen zum Himmel heben. Er schlug sich vielmehr an seine Brust und sagte: ‚Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!‘ – 14Ich sage euch, dieser ging im Unterschied zu jenem als Gerechtfertigter nach Hause hinunter. Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Literatur: J.B. Cortés, The Greek Text of Luke 18:14a, CBQ 46 (1984) 255–273. – F.G. Downing, The Ambiguity of „The Pharisee and the Toll-collector“. Luke (18:9–14) in the Greco-Roman World of Late Antiquity, CBQ 54 (1992) 80–99. – C.A. Evans, The Pharisee and the Publican: Luke 18,9–14 and Deuteronomy 26, in: The Gospels and the Scriptures of Israel, 342–355. – M. Farris, A Tale of two Taxations (Luke 18:10–14), in: Jesus and His Parables, 23–33. – T.A. Friedrichsen, The Temple, a Pharisee, a Tax Collector, and the Kingdom of God, JBL 124 (2005) 89–119. – A. Gueuret, Le pharisien et le publicain (Lc 18,9–14), in: Les paraboles évangéliques, 289–308. – Kähler, Jesu Gleichnisse, 190–210. – J.J. Kilgallen, The Importance of the Redactor in Luke 18,9–14, Bib. 79 (1998) 69–75. – Ders., Luke 18,11 – Pharisees and Lucan Irony, RB 113 (2006) 53–64. – H. Merklein, „Dieser ging als Gerechter nach Hause …“. Das Gottesbild Jesu und die Haltung der Menschen nach Lk 18,9–14, BiKi 32 (1977) 34–42. – Neale, None but the Sinners, 165–178. – J. Schlosser, Le pharisien et le publicain (Lc 18,9–14), in: Les paraboles évangéliques, 271–288. – F. Schnider, Ausschließen und ausgeschlossen werden. Beobachtungen zur Struktur des Gleichnisses vom Pharisäer und Zöllner Lk 18,10–14a, BZ NF 24 (1980) 42–56. – L. ­Schottroff, Die Erzählung vom Pharisäer und Zöllner als Beispiel für die theologische Kunst des Überredens, in: Neues Testament und christliche Existenz, 439–461. – S.v. Stemm, Der betende Sünder vor Gott: Lk 18,9–14, in: The Scriptures in the Gospels, 579–589.

Lukas präsentiert das Gleichnis so ähnlich wie das vorstehende Gleichnis vom Richter und der Witwe (V. 1–8): Er interpretiert die Geschichte durch eine Leseanweisung am Anfang (V. 9) und durch eine Anwendung am Ende (V. 14). Letztere wird hier wie in 591

18,9

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

11,8; 12,37d.44; 15,7.10; 16,9; 19,26 durch lfigw ≠mõn eingeleitet (V. 14a; s. auch bei 14,24). Wie in 11,8 und 12,37d.44 wird dabei zunächst die Geschichte zu Ende erzählt (V. 14b), bevor schließlich in Form einer die erzählte Situation transzendierenden Sentenz (V. 14c–d) auf die diskursive Ebene von V. 9 zurückgekehrt und die Anwendung für die Hörer/Leser in der besprochenen Welt formuliert wird. Diese Überlagerung von erzählter Welt und besprochener Welt kommt dadurch zustande, dass Gott nicht nur in der besprochenen Welt präsent ist (tapeinwjflsetai und ≠ywjflsetai [V. 14c–d] sind Passiva divina), sondern auch in der erzählten Welt: Er wird von den beiden anderen Erzählfiguren angeredet (V. 11b.13d) und spricht als logisches Subjekt von dedikaiwmfino“ auch das abschließende Urteil (V. 14b). Die Figurenkonstellation der Geschichte vom Pharisäer und Zöllner orientiert sich damit am Modell des dramatischen Dreiecks (s. auch Mt 20,1–16; 21,28–32; Lk 7,41–42a; 10,25–37; 15,11–32), in dem Gott die Rolle des Handlungssouveräns spielt (Weiteres bei 7,41–42a). Auch alle anderen Elemente, die für die Figurenkonstellation und den Plot der anderen Gleichnisse charakteristisch sind, lassen sich in dieser Erzählung nachweisen: Der Pharisäer und der Zöllner stehen Gott als ein Paar von narrativen Zwillingen gegenüber, deren Status zu Beginn der Handlung gleich ist (beide sind „Menschen“ und „gehen zum Tempel hinauf, um zu beten“; V. 10a), während sie sich auf der sozialen Ebene voneinander unterscheiden (der eine ist ein Pharisäer, der andere ein Zöllner; V. 10). Am Ende der Erzählung wird diese Relation umgedreht (V. 14b); vgl. auch die Entsprechung zwischen V. 10 und 7,41 bei der Präsentation des narrativen Zwillingspaares: d‚o …, ¨ eï“, … ¨ ∫tero“. 9 Die Einleitung signalisiert einen Wechsel der Adressaten (s. auch 12,44; 16,1). Deren Beschreibung ist eine verallgemeinernde Interpretation der Worte des Pharisäers von V. 11–12 (zur Bedeutung dieses Sachverhalts für die Einordnung des Gleichnisses in den literarischen Kontext s. o. S. 514 f). Sie macht das sich in ihm artikulierende Selbstbild zu einer von der individuellen Situation ablösbaren und auf andere Menschen übertragbaren Frömmigkeitshaltung. Diese beiden Aspekte kommen in dem Gegenüber von pepoij·ta“ †fû ©autoõ“ und †xoujenoúnta“ toÜ“ loipo‚“ zum Ausdruck (s. auch Am 6,1). Anders als in 2.Kor 1,9 geht es hier nicht um den Gegensatz von „auf sich selbst – auf Gott vertrauen“ (gegen Jeremias, Gleichnisse, 139); vgl. auch die Abwertung des pepoijfinai †fû ©autoõ“ in Jer 7,4; Prov 14,16LXX. 10 Die Exposition konstruiert eine idealtypische Fiktion, mit der die Synkrisis von Pharisäer und Zöllner vorbereitet werden soll: Beide kommen nicht nur gleichzeitig und mit derselben Absicht, sondern beide gehen zum Beten auch in den Tempel in Jerusalem, d. h. nicht nur zu ein und demselben Ort, sondern zum Ort der Gegenwart Gottes. Die Leser sollen damit schon jetzt eine abschließende Stellungnahme Gottes erwarten. Dieses Gegenüber von Pharisäer und Zöllner ist nur innerhalb der Jesusüberlieferung belegt (vgl. Mk 2,15 f par. Lk 5,29 f; Lk 7,34 par. Mt 11,19; Lk 15,1 f; 19,2/7). 11–13 Die beiden Gebete haben die Funktion einer Sermocinatio bzw. Ethopoiie, d. h. sie sollen die beiden Personen charakterisieren (vgl. Lausberg, Handbuch, § 820–825). Die Erzählung konstruiert eine Synkrisis (vgl. dazu F. Focke, Synkrisis, Hermes 58 [1923] 327–368; S. Vollenweider, ZNW 85 [1994] 93–115). Zu ihren formspezifischen Elementen gehört u. a., dass der spätere Verlierer des Vergleichs als erster zu Wort kommt (vgl. Vollenweider, a. a. O., 98). Dementsprechend erzählt Jesus zunächst das Gebet des Pharisäers. 592

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,11–12

11–12 Es wird darüber diskutiert, ob das Gebet des Pharisäers authentischer Ausdruck pharisäischer Frömmigkeit ist (Mehrheitsmeinung) oder ob es als Parodie oder Karikatur eines pharisäischen Gebets verstanden werden muss (so u. a. Schottroff* 448 ff; Kähler* 202; Green; Bovon; s. auch Downing*). Hierbei handelt es sich jedoch um eine ganz schiefe Alternative, denn nirgendwo wird angedeutet, dass es sich um ein typisch pharisäisches Gebet handeln soll. Genausowenig wie das Gebet des Zöllners als ein ‚typisch zöllnerisches‘ Gebet verstanden werden will, soll das Gebet des Pharisäers die pharisäische Frömmigkeit insgesamt repräsentieren. Beide Gebete wollen vielmehr zunächst nur als Gebet dieser beiden bestimmten Personen gelesen werden. Aufgrund der Einleitung zum Gleichnis ist jedoch das Gebet des Pharisäers für Menschen typisch, „die auf sich selbst vertrauen, dass sie gerecht sind, und die übrigen verachten“ (V. 9). – Dass dieser Mensch ein Pharisäer ist, wird die Leser der lk Jesusgeschichte freilich kaum überraschen, denn es passt zu dem Bild, das Lukas von dieser Gruppe bisher entworfen hat. (Sollte das Gleichnis tatsächlich auf den historischen Jesus zurückgehen, wird die Pointe bei ihm gerade umgekehrt in der überraschenden Störung des Erwarteten gelegen haben: Nicht das Alltagsethos, sondern die Begegnung mit Gott entscheidet über Heil und Unheil; s. auch Kähler* 205 f.) Bei Lukas verhält der Pharisäer sich gegenüber dem Zöllner genauso wie nach 15,29 f der brave ältere Sohn gegenüber seinem verlorenen Bruder. Die szenische Einleitung (11a) ist textkritisch umstritten: Die bessere äußere Bezeugung spricht für stajeÑ“ taúta prÖ“ ©autÖn prosh‚ceto (P75 a2 B f1 lat u. a.), während die von Nestle / Aland27 bevorzugte Variante stajeÑ“ prÖ“ ©autÖn taúta prosh‚ceto (A W f13 M syh) nur mäßige Unterstützung in den Handschriften findet (a* liest stajeÑ“ taúta prosh‚ceto). Welche der ersten beiden Lesarten eine Erleichterung darstellt, ist schwer zu entscheiden; Gründe lassen sich in beide Richtungen geltend machen. Es sollte darum die bessere äußere Bezeugung den Ausschlag zugunsten der erstgenannten Lesart geben. – Zum Gebrauch von staje‡“ s. bei 19,8.

Im Gebet des Pharisäers entfalten die beiden Aussagen über das Fasten und Verzehnten (12), worin der Beter sich von den loipoÑ tùn ünjr„pwn (11b) unterscheidet. Der Katalog „Räuber, Ungerechte, Ehebrecher“ „will … spezifizieren, welche übrigen Menschen gemeint sind“ (Merklein* 36; gegen Kilgallen* 70: der Katalog charakterisiere alle Menschen als Sünder, die das Gesetz nicht so erfüllen wie der Pharisäer). 11c (À kaÑ Æ“ oñto“ ¨ telùnh“; dieselbe Abwertung durch oñto“ auch in 15,30) knüpft über den Katalog hinweg an øsper o´ loipoÑ tùn ünjr„pwn (11b) an. Das Fasten an zwei Wochentagen (12a) geht über die Forderung der Tora hinaus, die nur das Fasten am Versöhnungstag verbindlich macht (vgl. Lev 16,29 ff; 23,27 ff). Dieser Text ist der älteste Beleg für eine solche Frömmigkeitspraxis. Mit Did 8,1 (ca. 100–120 n. Chr.) ist auch der zweitälteste Beleg christlicher Provenienz. Aus ihm geht zudem hervor, dass diese beiden Fasttage der Montag und der Donnerstag waren: „Eure Fasttage sollen nicht mit den Heuchlern (metÅ tùn ≠pokritùn) zusammen sein, denn die fasten am 2. und am 5. Tag der Woche.“ Spätere rabbinische Texte bei Bill. II, 241 f; s. auch F. Böhl, Das Fasten an Montagen und Donnerstagen, BZ NF 31 (1987) 247–250. – Zum Fasten allgemein s. bei 5,33. Auch das Verzehnten von allem, was man „erwirbt“ (12b) – d. h. nicht nur der Einkünfte, sondern auch der Einkäufe –, geht über das Verzehntungsgebot der Tora hinaus (vgl. dazu Lev 27,30; Num 18,21–24; Dtn 14,22 f.28 f; Näheres bei 11,42). Die Einkäufe wurden verzehntet, weil es immer sein konnte, dass das Gekaufte auf dem bisherigen Handelsweg noch nicht verzehntet worden war. Durch das Nachverzehnten wurde sichergestellt, dass man nicht unbeabsichtigt nichtverzehntete Nahrung verzehrte.

593

18,13

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

13 Dass die Erzählung den Zöllner makr·jen stehen lässt (13a), soll seine von ihm als solche empfundene Gottferne in Szene setzen. In dieselbe Richtung weisen auch die anderen beiden Gesten, die ihm zugeschrieben werden: Die Augen zum Himmel heben kann nur, wer sich mit Gott im Einklang weiß (vgl. Jes 38,14; 51,6; Ps 123,1; 1./3.Esr 4,58; DanSus 35; Josephus, Ant. 11,162; Joh 11,41; 17,1), nicht jedoch die Sünder (13b); vgl. griechHen 13,5: o§k … d‚nantai … üpôrai a§tùn toÜ“ £fjalmoÜ“ e¢“ tÖn o§ranÖn üpÖ a¢sc‚nh“ perÑ ón ™martflkeisan … «sie konnten … nicht … ihre Augen zum Himmel erheben vor Scham darüber, was sie für Sünden begangen hatten …»; DanSus 9: „Sie schlugen ihre Augen nieder, um nicht in den Himmel sehen und an die gerechten Strafen denken zu müssen“ (s. auch Esr 9,6: „Ich schäme mich und scheue mich, mein Gesicht zu dir, mein Gott, zu erheben! Denn unsere Sünden sind uns über den Kopf gewachsen …“; Josephus, Ant. 11,143); s. auch bei 9,16. – Das Schlagen an die Brust ist eine symbolische Selbstbestrafung und gilt als Ausdruck von Reue, Trauer und Schmerz (s. auch Lk 23,48; Josephus, Ant. 7,252; VitAd 42,8; JosAs 10,1.15; Philo, Flacc. 157; Menander, Dyscol. 647; Arrian, Anab. 7,24,3; Apuleius, Met. 7,27,2; 9,31,1). In 13d bittet der Zöllner nicht um Sündenvergebung (wie z. B. der Beter in Ps 51,3), sondern darum, dass Gottes Gnade ihn vor der Vernichtung bewahrt, die ihm als Sünder droht; vgl. die Entsprechung in Ex 32,12.14: ºlew“ genoú … kaÑ ´l›sjh k‚rio“ perÑ tö“ kak‡a“, î“ eèpen poiösai tÖn laÖn a§toú « ‚werde gnädig!‘ … und der Herr wurde gnädig in Bezug auf das Unheil, von dem er gesagt hatte, er werde es seinem Volk antun» (s. auch ZusEsthC 10: „Erhöre mein Gebet und sei deinem Erbteil gnädig [´l›sjhti tù klflrw sou] und wende unsere Trauer in Freude“; Dan 9,19Theod.: „Herr, höre, Herr, sei gnädig [´l›sjhti; LXX: sÜ ´l›teuson], Herr, merke auf und handle! Zögere nicht um deinetwillen, mein Gott …“; Y 78,9: „Wegen der Herrlichkeit deines Namens, Herr, rette uns und gehe gnädig mit unseren Sünden um [kaÑ ´l›sjhti taõ“ ®mart‡ai“ ™mùn] …“); sowie 2.Kön 5,18LXX. Anderswo in der griechischen Literatur ist der Imperativ ´l›sjhti nicht belegt; zur Sache vgl. Breytenbach, Gnädigstimmen, 426 ff; v. Stemm*. 14 lfigw ≠mõn (14a) signalisiert die Verschränkung von Erzählsituation und erzählter Situation (s. auch 11,8; 12,37d.44; 15,7.10; 16,9; 19,26). Lukas lässt Jesus zunächst die Entscheidung Gottes in dem Vergleich zwischen den beiden Betern formulieren (14b). Ob parû †keõnon (so ist mit a B D L T f1 u. a. zu lesen; gegen Cortés*, der mit A [W] Q Y f13 M u. a., aber wenig überzeugenden Argumenten À gÅr †keõno“ bevorzugt) komparativisch (zu diesem Gebrauch der Präposition par› + Akk. s. bei 13,2.4b) oder exklusiv (im Sinne von hebr. !mi; s. auch B/D/R § 2364; Bauer, Wörterbuch, 1236; W. Köhler, EWNT 3,31 u. a.) zu verstehen ist, muss wahrscheinlich im Sinne des Letzteren entschieden werden. Das begründend (Ωti) angeschlossene Sprichwort, das möglicherweise aus Ez 21,31 stammt und bereits in Lk 14,11 Verwendung gefunden hatte, formuliert das allgemeine Prinzip (pô“), das der Einzelfallentscheidung von 14b zugrundelag: Es erklärt, was der Zöllner im Urteil Gottes richtig gemacht hat und der Pharisäer falsch. In gewisser Weise hat der Zöllner sich dabei durchaus im Sinne von 14,10a verhalten und ist dafür im Sinne von 14,10b–d belohnt worden (s. auch Nützel, Jesus als Offenbarer Gottes, 259). – Die futurischen Verbformen tapeinwjflsetai und ≠ywjflsetai sind einerseits gnomisch (vgl. B/D/R § 349,1), doch rufen sie andererseits auch den eschatischen 594

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,15

Richter auf den Plan. Die Erzählung greift damit auf die Hörer bzw. Leser über, und es entsteht ein zeitliches Gefälle, das von der erzählten Situation bis zum Endgericht reicht. In ihm stehen die Hörer bzw. Leser genau zwischen 14b und 14c–d. 18,15–17: Die Kinder und die Gottesherrschaft 15

Man brachte aber auch kleine Kinder zu ihm, damit er sie berührte. Als die Jünger das sahen, fuhren sie sie an. 16Jesus aber rief sie herbei und sagte: „Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht, denn solchen ge­ hört die Herrschaft Gottes! 17Amen, ich sage euch, wer nicht die Gottesherr­ schaft übernimmt wie ein Kind, kommt nicht in sie hinein.“ Literatur: S. Fowl, Receiving the Kingdom of God as a Child: Children and Riches in Luke 18.15 ff, NTS 39 (1993) 153–158. – W. Michaelis, Lukas und die Anfänge der Kindertaufe, in: Apophoreta, 187–193. – V.K. Robbins, Pronouncement Stories and Jesus’ Blessing of the Children, Semeia 29 (1983) 43–74.

Lukas nimmt den mk Erzählfaden, den er nach 9,46–50 par. Mk 9,33–40 liegen gelassen hatte, wieder auf und fährt mit Mk 10,13–16 fort. Aus Mk 9,41 – 10,12 hat er nur solche Passagen übernommen, zu denen es eine Q-Parallelüberlieferung gibt: Mk 9,42 in Lk 17,2 par. Mt 18,6; Mk 9,49 in Lk 14,34 par. Mt 5,13; Mk 10,11–12 in Lk 16,18 par. Mt 5,32. – In bestimmten Formulierungen von Lk 16,18a und 17,2 lassen sich jedoch mk Spuren wiedererkennen (Näheres jeweils z.St.). Formgeschichtlich handelt es sich um eine Chrie (Pronouncement story), die auf Mk 10,13–16 basiert: Aus einer szenischen Exposition (V. 15) wächst ein zweiteiliges Diktum heraus (V. 16–17), das vor allem im zweiten Teil die individuelle Situation transzendiert. Diese Akzentuierung tritt bei Lukas noch deutlicher hervor als bei Markus, weil er die abschließende Notiz von der Segnung der Kinder (Mk 10,16) ausgelassen hat (vgl. dazu Robbins*). – Ob man die Intention der Erzählung mit einer frühchristlichen Diskussion über Für und Wider der Kindertaufe in Verbindung bringen darf (so neuerdings wieder Lindemann, Kinder), ist schwer zu sagen. Relativ unwahrscheinlich ist aber wohl, dass diese Frage für Lukas relevant war, denn sonst hätte sie bei ihm auch an anderen Stellen Spuren hinterlassen (s. auch Michaelis*). Zwei Minor Agreements sind zu notieren: das Fehlen von ¢d„n (Mk 10,14a) in V. 16a par. Mt 19,14a und die Einfügung von ka‡ vor mÉ kwl‚ete (V. 16b par. Mt 19,14b); s. ansonsten Neirynck, Minor Agreements (1974), 134 und (1991), 58; Ennulat, ›Minor Agreements‹, 219 ff. – EvThom 22 kennt eine Parallelüberlieferung: „Jesus sah Kleine, die Milch bekamen. Er sprach zu seinen Jüngern: ‚Diese Kleinen, die Milch bekommen, gleichen denen, die in das Königreich eingehen‘.“

15 Das iterative Imperfekt prosfiferon (vgl. B/D/R § 318,3) beschreibt eine andauernde Handlungsweise. Jesu πptesjai hatte bisher immer mit Heilung u. dergl. zu tun (vgl. 5,13; 6,19; 7,14; 8,44.46 f; s. dann auch 22,51). Da nicht ausdrücklich vermerkt wird, dass die Kinder krank sind, wird es hier darum gehen, ganz allgemein an der in Jesus präsenten heilbringenden „Kraft“ (d‚nami“) Anteil zu bekommen (vgl. auch 6,19; Näheres s. dort). Warum Lukas das mk paid‡a („Kinder“) durch brfifh („Kleinkinder“, „Säuglinge“) ersetzt, ist nicht ersichtlich, zumal er es in V. 16 übernommen hat. Darüber hinaus sollte auch der Gebrauch von paid‡on in 1,59; 2,27 neben brfifo“ in 2,12.14 vor einer Überbetonung der semantischen Differenz warnen; wahrschein595

18,16

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

lich handelt es sich einfach nur um ein von Lukas gern gebrauchtes Wort (außer 8mal im lk Doppelwerk findet es sich im NT nur noch in 2.Tim 3,15; 1.Petr 2,2). – Die Jünger schieben sich zwischen diese Intention und Jesus (15b) und wollen verhindern (kwl‚ein), dass die Kinder zu Jesus gebracht werden, wie in V. 16 die Pragmatik von †pitimùn gedeutet wird. Einen Hinweis auf mögliche Motive gibt die lk Darstellung nicht; 9,49 ist keine Parallele. 16 Jesu Diktum hat Lukas wörtlich aus Mk 10,14 übernommen. kwl‚ein darf hier nicht von Apg 8,37; 10,47; 11,17 her interpretiert werden, denn ein Taufbezug ist weit und breit nicht zu erkennen. Es geht auf der Sachebene auch um viel mehr als darum, ob Kinder lediglich „zugelassen“, d. h. geduldet werden. Das substantivierte Demonstrativpronomen o´ toioútoi in der Begründung V. 16c bringt zum Ausdruck, dass den Kindern, von denen in der Erzählung die Rede ist, symbolische Bedeutung zugeschrieben wird. Sie stehen für Menschen, denen die Herrschaft Gottes gehört bzw. – anders herum gesagt: Die Gottesherrschaft gehört nicht den Kindern, sondern solchen Menschen, die so sind wie die Kinder. Der mit eènai gebildete prädikative Genitiv der Zugehörigkeit (vgl. B/D/R § 162,7) macht dabei die Kindergleichen zu ‚Besitzern‘ der Herrschaft Gottes (vgl. B/D/R § 189,1), d. h. zu solchen, denen Gott die Ausübung seiner königlichen Herrschaft übertragen wird (vgl. Ps 21,29LXX; Demosthenes, Or. 59,74: ™ basile‡a [én] tùn üeÑ ≠perec·ntwn diÅ tÖ a§t·cjona“ eènai «die Herrschaft [gehörte] denen, die wegen ihrer autochthonen Herkunft auf immer ausgezeichnet waren»). Damit stellt sich natürlich die Frage, welches Merkmal von Kind-Sein hier aufgerufen und zum Modell für das Verhalten oder das Leben von Erwachsenen gemacht wird. Eine kleine Blütenlese veranschaulicht die Ratlosigkeit, die an dieser Stelle herrscht: „the openness and sheer receptivity of these tiny human beings. Their freshness, their lack of guilt or suspicion, their loving warmth, and their lack of a claim to achievement“ (Fitzmyer II, 1193); „für nichts geachtet, unbedeutend“ (Luz, MtEv III, 115); „die nichts zu bieten haben und in der Gesellschaft nicht zählen“ (Bovon III, 224); „die Hilflosigkeit, das Ausgeliefert-Sein und die Unfähigkeit, sich selbst zu behaupten“ (Ernst 378); „‚Niedrigkeit‘; kein Anspruch, der sich auf Leistung beruft; Hilfsbedürftigkeit“ (Schneider II, 367). – Nichts von alledem spielt hier eine Rolle.

Denkbar ist eher eine Interpretation von Mt 18,4 her (tapeinoún ©autÖn Æ“ tÖ paid‡on toúto), weil das gut zum Schluss der vorangegangenen Perikope (¨ dÇ tapeinùn ©autÖn ≠ywjflsetai; 18,14) passen würde. 17 Auch zu diesem Vers gibt es mehr Fragen als Antworten: Was soll Æ“ paid‡on zum Ausdruck bringen? Auf jeden Fall erläutert es das Subjekt Ω“ und nicht das Objekt tÉn basile‡an toú jeoú. Wenn man jedoch die Rede vom dficesjai der Gottesherrschaft (17b) in Beziehung setzt zur verbreiteten Rede vom dficesjai des „Wortes“ (d. h. der Verkündigung; Lk 8,13; Apg 8,14; 11,1; 17,11; 1.Thess 1,6; 2,13; Jak 1,21), würde es zur typisch lk Rede von der „Verkündigung“ der Gottesherrschaft (Lk 4,43; 8,1; 9,2.60; 16,16; Apg 20,25; 28,23.31) passen. Für dficesjai tÉn basile‡an gibt es außerhalb des Neuen Testaments einige Belege, in denen diese Formulierung immer „die Königsherrschaft übernehmen“ im Sinne von „antreten“ bedeutet (Xenophon, Cyrop. 8,3,26; Aristocritus, FGH 3b, 493, Frgm. 5; Josephus, Ant. 17,185; Philo v. Byblos, Suppl. Gloss., ed. Nickau, 22; Plutarch, Numa 7,1), und das würde zumindest gut zu unserer Interpretation von V. 16d passen. Damit ist aber noch nicht geklärt, was Lukas sich unter „in sie (sc. die Gottesherrschaft) hineingehen“ (17c) vorgestellt 596

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,18–30

hat. Gleichlautende Einlass-Sprüche gibt es in Mt 5,20; 7,21; 18,3; Mk 9,47; 10,24; 10,23.25 par. Mt 19,23 f par. Lk 18,24 f; Joh 3,5; Apg 14,22. Die engsten neutestamentlichen Entsprechungen finden sich in Worten vom Eingehen in die „Freude deines Herrn“ (Mt 25,21.23), ins „Leben“ (Mk 9,43 par. Mt 18,8; Mk 9,47 [e¢“ tÉn basile‡an] diff. Mt 18,9 [e¢“ tÉn zwfln]), in „seine Herrlichkeit“ (Lk 24,26), in die „Ruhe“ (Hebr 3,11.18; 4,1 u. ö.). Zu der Vorstellung vom „Übernehmen“ (dficesjai) der Gottesherrschaft kann die Rede vom „Eingehen“ in sie aber insofern gut passen, als man auch in eine dynamische Handlung „eintreten“ kann (vgl. Marcus, Entering, u. a. mit Verweis auf Joh 4,38 [e¢“ tÖn k·pon … e¢sfircesjai]; Y 68,28 [e¢sfircesjai †n dikaios‚nÔh sou]; 142,2 [e¢“ tÉn kr‡sin e¢sfircesjai]; Hiob 14,3 [e¢sfircesjai †n kr‡mati]; hebr. jeweils ‑b. aAB). In Josephus, Ant. 9,260 heißt prùton e¢“ tÉn basile‡an parelj„n immerhin „als er die Königsherrschaft antrat“. Dieselbe Vorstellung kommt auch in doúnai/diatijfinai ≠mõn tÉn basile‡an in 12,32; 22,29 zum Ausdruck (Näheres jeweils z.St.). 18,18–30: Reichtum und Nachfolge 18Und

es fragte ihn einer, ein bedeutender Mann, und sprach: „Guter Rabbi, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ 19Jesus aber sagte ihm: „Warum nennst du mich ‚gut‘? Niemand ist gut außer einem: Gott. 20Du kennst die Gebote: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst kein falsches Zeugnis abgeben, ehre deinen Vater und (deine) Mutter.“ 21Der aber sagte: „Das alles habe ich von Jugend auf befolgt.“ 22Als Jesus das hörte, sagte er ihm: „Eins bleibt dir noch übrig: Verkaufe alles, was du hast, und verteile es unter den Armen. Dann wirst du einen Schatz im Himmel haben. Und komm, folge mir nach!“ 23Als er das hörte, wurde er sehr traurig, denn er war außerordentlich reich. 24Als Jesus ihn aber [so traurig geworden] sah, sagte er: „Wie schwer kommen die Begüterten in das Reich Gottes! 25Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr eingeht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes eingeht.“ 26 Daraufhin sagten die Zuhörer: „Wer kann dann (überhaupt) gerettet werden?“ 27Er entgegnete: „Was bei Menschen unmöglich ist – bei Gott ist es möglich.“ 28Da sagte Petrus: „Siehe, wir haben unser Zuhause verlassen und sind dir nachgefolgt.“ 29Daraufhin sagte er zu ihnen: „Amen, ich sage euch: Es gibt keinen, der Haus oder Frau oder Geschwister oder Eltern oder Kinder ver­ lassen hat um der Königsherrschaft Gottes willen, 30der nicht ein Vielfaches zurückerhält in dieser Zeit und in der kommenden Welt ewiges Leben.“ Literatur: C. Coulot, La structuration de la péricope de l’homme riche et ses différentes lectures, RSR 56 (1982) 240–252. – P. Huuhtanen, Die Perikope vom „reichen Jüngling“ unter Berücksichtigung der Akzentuierungen des Lukas, SNTU.A 2 (1977) 79–98. – Kimball, Jesus’ Exposition of the Old Testament, 135–146. – Klinghardt, Gesetz und Volk Gottes, 124–135. – MéndezMoratalla, Paradigm of Conversion, 198–222. – Petracca, Gott oder das Geld, 205–226.

Die Szene ist durch den Wechsel der Gesprächspartner Jesu strukturiert und besteht aus drei Chrien (Pronouncement stories): Die erste (V. 18–25) wird durch die Frage eines ±rcwn eröffnet, die zweite (V. 26–27) durch eine Frage von nicht näher identifizierten 597

18,18

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

Ohrenzeugen des ersten Gesprächs und die dritte (V. 28–30) durch eine Bemerkung, die Petrus stellvertretend für alle, die Jesus nachfolgen, ausspricht. Diese Struktur hat Lukas durch gezielte Eingriffe in die narrative Dramaturgie seiner Vorlage (Mk 10,17–31) hergestellt: Der Einschnitt, den Markus zwischen 10,22 und 10,23 setzt (der Reiche geht fort, und Jesus wendet sich den Jüngern zu), wird von Lukas eingeebnet: Der ±rcwn bleibt im Hintergrund präsent, und seine Reaktion wird zum Anlass für das Diktum von V. 24–25. Außerdem sind es, anders als in Mk 10,26, bei Lukas nicht die Jünger, die auf das Wort vom Kamel und dem Nadelöhr reagieren, sondern unbekannte Zuhörer (V. 26). Erst in V. 28, d. h. in der letzten Teilszene, holt Lukas die Jünger auf die Bühne. Die Kohärenz der gesamten Szene basiert zum einen auf der Inklusion, die mit Hilfe des Stichworts „ewiges Leben“ (zwÉ a¢„nio“) hergestellt wird: Nach ihm fragt der ±rcwn zu Beginn (V. 18), und mit ihm endet das letzte Diktum Jesu (V. 30). Zum anderen werden aber auch die einzelnen Teilszenen miteinander verknüpft: Die Bezeichnung der Fragesteller der zweiten Teilszene als o´ üko‚sante“ (V. 26) knüpft an das unmittelbar vorher Gesagte an, und das Petruswort in V. 28 nimmt mit der Auskunft „wir sind dir nachgefolgt“ (°koloujflsamfin soi) die an den ±rcwn gerichtete Aufforderung „folge mir nach!“ (ükolo‚jei moi; V. 22e) auf. – Zudem fungiert auch der wiederholte Bezug auf die basile‡a toú jeoú (V. 24b.25b.29c) als kohärenzstiftendes Element. Auffällig ist die hohe Zahl der Minor Agreements: das Fehlen von mÉ üposterflsÔh“ aus der Reihe der in Mk 10,19 aufgezählten Dekaloggebote (V. 20 par. Mt 19,18 f); das Fehlen von did›skale (Mk 10,20b) in V. 21 par. Mt 19,20; †f‚laxa (V. 21b par. Mt 19,20b) statt †fulax›mhn (Mk 10,20b); ≤ti (V. 22b par. Mt 19,20c); das Fehlen von †mblfiya“ a§tù °g›phsen a§tÖn ka‡ (Mk 10,20) in V. 22 par. Mt 19,21; üko‚sa" (V. 23a par. Mt 19,22) statt stugn›sa“ (Mk 10,22); eèpen (V. 24a par. Mt 19,23a) statt lfigei (Mk 10,23a); das Fehlen von Mk 10,24 zwischen V. 24 und V. 25 (par. Mt 19,23 f); üko‚sante" (V. 26a par. Mt 19,25a diff. Mk 10,26); eèpen (V. 27a par. Mt 19,26a) statt lfigei (Mk 10,27); eèpen (V. 28 par. Mt 19,27a) statt ≥rxato lfigein (Mk 10,28); eèpen a§toõ” … Ωti (V. 29a par. Mt 19,28a) statt ≤fh (Mk 10,29); s. ansonsten Neirynck, Minor Agreements (1974), 135 ff und (1991), 58 f; Ennulat, ›Minor Agreements‹, 223 ff. Eine apokryphe Variante zitiert Origenes aus dem von ihm so genannten Hebräerevangelium (Origenes, Comm. in Matth. 15,14 zu Mt 19,16–30 [GCS XL, Origen. X, 389,15 – 390,7]; Übers. nach NTApo I, 61990, 135): „Es sprach zu ihm der andere der beiden Reichen: Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich lebe? Er sprach zu ihm: Mensch, erfülle das Gesetz und die Propheten. Er antwortete ihm: Das habe ich getan. Er sprach zu ihm: Geh hin und verkaufe alles, was du besitzt, und verteile es unter die Armen, und dann komm und folge mir nach. Da begann aber der Reiche sich am Kopf zu kratzen, und es gefiel ihm nicht. Und der Herr sprach zu ihm: Wie kannst du sagen, Gesetz und Propheten habe ich erfüllt? Steht doch im Gesetz geschrieben: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst; und siehe, viele deiner Brüder, Söhne Abrahams, starren vor Schmutz und sterben vor Hunger – und dein Haus ist voll von vielen Gütern, und gar nichts kommt aus ihm heraus zu ihnen! Und er wandte sich um und sagte zu Simon, seinem Jünger, der bei ihm saß: Simon, Sohn des Jona, es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als ein Reicher ins Himmelreich“ (s. dazu A.F.J. Klijn, NT 8 [1966] 149–155; Berger, Gesetzesauslegung, 455 f; M. Mees, VetChr 9 [1972] 245–265).

18 Lukas macht aus dem in Mk 10,17 nicht näher beschriebenen Mann einen ±rcwn. Wen oder was er sich darunter vorgestellt hat, muss offen bleiben (vgl. Klinghardt* 132 ff; Eckey II, 769: „Persönlichkeit in leitender Stellung“). In 8,41 hatte er Jaïrus einen ±rcwn tö“ sunagwgö“ genannt (Mt 9,18.23 nennt ihn nur ±rcwn). Bei Lukas 598

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,21–22

(und nur bei ihm) sind die Jerusalemer ±rconte“ maßgeblich an Jesu Tod beteiligt (Lk 23,13.35; 24,20; Apg 3,17; 13,27); von (durchaus auch nichtjüdischen) ±rconte“ in anderen Städten spricht Lukas in Apg 14,5; 16,19. Vielleicht hat er sich unter ihm einen Synagogenvorsteher vorgestellt, vielleicht aber auch nur ein Mitglied des städtischen Magistrats. In V. 20 f zeichnet er ihn jedenfalls als einen Juden. – Die Anrede did›skale ügajfi ist eine hellenistische Captatio benevolentiae (vgl. dieselbe Anrede bei Ps. Plutarch, Mus. 1146c; 1146d; die Parallele in bTaan 24b [Bill. II, 24] ist ein paar Jahrhunderte jünger; s. auch bei 7,40). – Die Frage des ±rcwn hat Lukas in 10,25 auch schon einen Schriftgelehrten stellen lassen (weitere Belege für die typisch lk ‚Was-sollich-tun-Fragen‘ s. dort). „Das ewige Leben erben“ (zur Formulierung und Metaphorik s. auch OrSib 3,47; PsSal 14,10; Mt 19,29) meint dasselbe wie „in das Reich Gottes eingehen“ (V. 24.25). 19 Jesus reagiert mit einer rhetorischen Gegenfrage. Die Formulierung o§deÑ“ e¢ mÉ eï“ in Aussagen über Gott findet sich auch in Mk 2,7; 1.Kor 8,4 (nie in LXX und in der übrigen frühjüdischen Literatur). Dass Gott „gut“ ist, musste man damals eigentlich niemandem erzählen (vgl. z. B. Y 134,3: „Lobt den Herrn, Ωti ügajÖ“ k‚rio““; Philo, Decal. 176: „k‚rio“ ügaj·“, Urheber nur des Guten, keines Bösen“; Spec. Leg. 1,209: „Gott ist gut, denn er ist Schöpfer und Erzeuger aller Dinge“); in Mut. Nom. 7 nennt Philo ihn m·no“ ügaj·“; s. auch Somn. 1,149 (eï“ ¨ ügaj·“). – Über den propositionalen Gehalt und die Pragmatik der Frage und ihrer Begründung ist viel spekuliert worden (vgl. Fitzmyer II, 1199; Bock II, 1477 f). Beide nehmen an, dass Jesus den ±rcwn hier von sich (sc. Jesus) weg‑ und auf Gott hinweisen will: Er soll nicht ihn fragen, sondern sich an das halten, was Gott gesagt hat. Für diese Interpretation könnte die Fortsetzung sprechen, denn im nächsten Vers zitiert Jesus aus dem Dekalog. 20 Jesu Antwort verlangt vom ±rcwn Selbstverständliches, denn schon in der Tora ist dem Halten der Gebote das Leben zugesagt (vgl. Lev 18,15; Dtn 6,29; 30,16; s. dann auch Prov 4,4 [„Halte meine Gebote, und du wirst leben“]; 7,2). Die Reihenfolge der fünf Gebote unterscheidet sich von den in Ex 20 und Dtn 5 überlieferten Dekalogen: Gegenüber den Dekalogen des hebräischen Textes ist wie in DtnLXX 5,17–18 die Reihenfolge von „Du sollst nicht töten“ und „Du sollst nicht ehebrechen“ umgedreht. Auch in der LXX-Fassung von Ex 20,13–15 ist das Ehebruchs-Verbot vorangestellt. Diese Abfolge findet sich auch in zahlreichen frühjüdischen Dekalog-Wiedergaben: Philo, Decal. 36.51.121.168; Spec. Leg. 3,8; Heres 173; LibAnt 11,10 f; P. Nash (vgl. W.F. Albright, A Biblical Fragment from the Maccabean Age: The Nash Papyrus, JBL 56 [1937] 145–176); s. auch Röm 13,9; Jak 2,11. Während Mk 10,19 die Reihenfolge der hebräischen Fassungen wiedergibt, orientiert Lukas sich an der Dekalog-Rezeption des hellenistischen Judentums. Die Voranstellung des Ehebruchsverbots führt Philo, Decal. 121 darauf zurück, dass Ehebruch das „größte Verbrechen“ ist (s. auch Spec. Leg. 3,8 ff). – Die Nachstellung des Gebots der Elternehrung ist gegenüber der gesamten jüdischen Dekalogüberlieferung völlig singulär.

Mit seiner Antwort ist Jesus jedoch hinter der Eingangsfrage des ±rcwn zurückgeblieben, denn der hatte nach dem ewigen Leben gefragt. Diese Differenz macht darum eine zweite Gesprächsrunde erforderlich, die Lukas nun in 21–22 erzählt. Hier darf der ±rcwn sich zunächst unwidersprochen als gesetzesfrommen Juden darstellen (21; in der Fassung des EvHebr ist das anders [s. o.]). Bereits aus den ersten Worten von Jesu Entgegnung geht jedoch hervor, dass die Erfüllung der Dekaloggebote für das „Erben“ des ewigen Lebens (V. 18; nach V. 24.25 für das „Eingehen in das Reich Gottes“) nicht 599

18,23

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

ausreicht (s. auch Berger, Gesetzesauslegung, 413). Zu ≤ti ∫n soi le‡pei (22b) s. auch Alciphro, Ep. 4,1,1: ¬n ≤ti tÔö dwreô le‡pei «eins fehlt dem Geschenk noch»; TestAbrA 14,3: t‡ ≤ti le‡petai ™ yucÉ e¢“ tÖ s„zesjai; «was fehlt der Seele noch, um gerettet zu werden?». Die Fortsetzung macht dann deutlich, wie Lukas den in 16,16 formulierten Unterschied zwischen „Gesetz und Propheten“ und der Verkündigung der Gottesherrschaft ethisch verstanden hat: Die durch Jesus verkündete Gottesherrschaft tritt nicht an die Stelle der ethischen Forderung von „Gesetz und Propheten“ (sc. der Beachtung der „Gebote“ – diese Forderung bleibt selbstverständlich ohne Abstriche gültig), sondern sie erweitert sie um zusätzliche Forderungen: den Verkauf des gesamten Besitzes, die Verteilung des Erlöses unter den Armen und den Eintritt in die Nachfolge Jesu (s. auch Salo, Luke’s Treatment, 156). Dasselbe hatte Jesus in 12,33 vom Jüngerkreis verlangt, und denjenigen, die sie erfüllen, wird er in 18,29 f eschatische Kompensation zusagen. Der Unterschied zwischen V. 20 f (Gebote halten) und V. 22 (alles verkaufen usw.) bildet damit die Differenz zwischen „Gesetz und Propheten“ und „Verkündigung der Gottesherrschaft“ von 16,16 ab. Aufs Ganze gesehen sind 12,32 f; 16,16 und 18,22.28– 30 miteinander vernetzt, und die Konstante, die alle Texte miteinander verbindet, ist die Gottesherrschaft. Was Jesus vom ±rcwn verlangt, ist nicht mehr und nicht weniger als der Eintritt in den Kreis seiner Jünger. Aus diesem Grunde hat Lukas wahrscheinlich auch die Anweisung æpage aus Mk 10,21 (par. Mt 19,21) gestrichen. Den „Schatz im Himmel“, den Jesus ihm dafür in Aussicht stellt und der in 12,32 f die basile‡a Gottes war, wird hier (und dann auch in V. 30) als zwÉ a¢„nio“ näher bestimmt (zum Gebrauch von „Schatz“ als Metapher für Heil, das von Gott kommt, s. bei 12,33). 23 Die Reaktion des ±rcwn macht deutlich, dass er sich Jesu Aufforderung zum Eintritt in die Jüngerschaft verweigert. Für die Leser wird seine Entscheidung durch das Zusammenspiel ihrer Begründung (23b) mit V. 22d (∫xei“ jhsaurÖn †n toõ“ o§ranoõ“) und 12,33–34 kommentiert: Sein Herz ist bei seinem (vergänglichen) irdischen Schatz und nicht bei seinem „unerschöpflichen Schatz im Himmel“ (12,33). – Dass der ±rcwn wie in Mk 10,22 par. Mt 19,22 die Szene verlässt, ist bei Lukas nicht der Fall (s. o.). 24–25 Die Reaktion des ±rcwn veranlasst Jesus zu einer weiteren Stellungnahme. Die beiden Wörter per‡lupon gen·menon (24a) stehen nur in einem Teil der Textüberlieferung (A D W Q Y 078 f13 M latt sy u. a.). Sie fehlen in a B L f1 u. a. Gründe lassen sich sowohl für eine sekundäre Ergänzung (nacktes ¢dán dÇ a§t·n passt nicht mehr, nachdem die beiden miteinander gesprochen haben, und würde durch per‡lupon gen·menon eine erleichternde Präzisierung erfahren) als auch für eine sekundäre Tilgung (Beseitigung eines Pleonasmus) anführen, so dass die bessere handschriftliche Bezeugung den Ausschlag für die Annahme einer sekundären Ergänzung geben sollte. Das im Textual Commentary 168 zugunsten einer Ursprünglichkeit von per‡lupon gen·menon angeführte Argument, Lukas neige dazu, Wörter und Wendungen zu wiederholen, kann nicht den Einzelfall entscheiden.

Obwohl Lukas das Tempus der aus Mk 10,23 übernommenen Feststellung von 24 aus dem Futur ins Präsens transformiert, behält das Prädikat e¢spore‚ontai futurischen Sinn, weil es einen immer geltenden Sachverhalt formuliert (vgl. B/D/R § 323). Zu dusk·lw“ vgl. Spicq, Lexicon I, 387 ff und zur Vorstellung vom „Eingehen in das Reich Gottes“ s. bei V. 17. Die Pragmatik der Aussage, zu deren Hörern die Erzählung auch den reichen ±rcwn gehören lässt, kann mit 13,24a vernetzt werden: „Strengt euch an, durch die enge Tür hineinzukommen“, ‚indem ihr euch von eurem Reichtum 600

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,27

trennt‘. Auch mit 16,9 und mit der Pragmatik von 16,19–31 ist sie verknotet. Zu den o´ crflmata ≤conte“ von 24b gehört natürlich auch der plo‚sio“ von V. 25b. 25 Das Bildwort vom Kamel und dem Nadelöhr ist eine rhetorische Hyperbel, die sich des Ausdrucksmittels der comparatio bedient (vgl. Lausberg, Handbuch, § 909.910,3). Es liefert eine ironische Näherbestimmung zu dusk·lw“ (V. 24), das ja keinen prinzipiellen Ausschluss der Reichen aus dem Reich Gottes verkündet hatte und den Reichen eine sogar mehr als nur theoretische Möglichkeit, unter bestimmten Umständen doch ins Reich Gottes Eingang zu finden, offen gelassen hatte. Jetzt wird der Schwierigkeitsgrad präzisiert: Es ist schwerer, als dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht. Die Ironie besteht in der Spannung zwischen dem Komparativ des Vergleichs, der immer noch eine theoretische Möglichkeit offen lässt, und dem Wissen der Hörer, dass es ausgeschlossen ist, ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen zu lassen. Dass beim Kamel die Größe das entscheidende Merkmal ist, gibt auch dem Bildwort von Mt 23,24 seine rhetorische Spitze (‚die Mücke heraussieben, das Kamel trinken‘); vgl. auch Lukian v. Samosata, Ep. Sat. 1,19: Ameise und Kamel. Das galt auch im Vergleich mit dem Elefanten, denn dem wurde die Stärke als typisches Merkmal zugeschrieben; vgl. Aesop, Fab., ed. Hausrath / Hunger, 246,1: Das Kamel und der Elefant wollen König der Tiere werden. Das Kamel hofft, diÅ tÖ mfigejo“ toú s„mato“ «wegen der Körpergröße» gewählt zu werden, der Elefant hingegen diÅ tÉn ¢sc‚n «wegen der Kraft». Merkwürdigerweise hat die Ironie, die in der Absurdität des Bildes steckt, vielen Interpreten Beschwer bereitet. Einige Handschriften (S f13 579vid 1424 al), altkirchliche Autoren (z. B. Cyrill v. Alexandrien, Comm. in Luc., PG 72,857c) und auch vereinzelte moderne Exegeten lesen darum hier k›milon «Schiffstau», was genauso ausgesprochen wurde wie k›mhlon (zur Geschichte dieser Deutung vgl. G. Aicher, Kamel und Nadelöhr, 1908, 6–16; J. Denk, ZNW 5 [1904] 256–257; R. Köbert, Bib. 53 [1972] 229–233; s. auch Bovon III, 231 Anm. 37). Hier würden die Bildfelder besser zueinander passen, doch genau das macht diese Lösung zu einer mit Sicherheit sekundären Lectio facilior. – Andere probieren es mit der Annahme, „Nadelöhr“ sei die Bezeichnung für ein kleines Stadttor – möglicherweise sogar in Jerusalem (Überblick bei Aicher, a. a. O., 16–21). Das ist jedoch völlig aus der Luft gegriffen, denn dafür gibt es nirgendwo einen Beleg. Nach wie vor gilt darum, was Išodad von Merv in seinem Kommentar zu Mt 19,24 bereits im 9. Jahrhundert festgestellt hat: „Das Kamel bezeichnet hier das leibhaftige Kamel, nicht etwas anderes, wie das Gerede der Schwätzer will“ (ed. M. Gibson I, 219; Übers. Köbert, a. a. O., 231).

26 Fragen mit t‡“ d‚natai …; sind rhetorisch und wollen stets mit „Niemand!“ beantwortet werden. Vgl. PsSal 17,39 („Seine [sc. des Messias] Hoffnung [ruht] auf dem Herrn, kaÑ t‡“ d‚natai prÖ“ a§t·n; «und wer kann gegen ihn [ankommen]?»“); äthHen 68,2 („Wer kann die Härte des Gerichts … ertragen?“); syrBar 14,8 f („O Herr …, wer kann dein Urteil verstehen? Wer kann die Tiefe deines Weges untersuchen …?“); 75,2–4; Mk 2,7 par. Lk 5,21; Apk 6,17; 13,4; Dio Chrysostomus, Or. 26,5; Epiktet, Diss. 3,3,10 („Wer kann euch aus einem solchen Besitz vertreiben? Nicht einmal Zeus!“).

Es handelt sich also eigentlich um eine Feststellung, die sich aus V. 25 ergibt: Wenn eher ein Kamel durch ein Nadelöhr „eingeht“ als ein Reicher ins Reich Gottes, kann eigentlich keiner ins Reich Gottes eingehen bzw. – wie es hier heißt –: „gerettet werden“. 27 Der erste Teil von Jesu Antwort scheint diese Unmöglichkeit zu bestätigen. Der zweite Teil klingt dann jedoch eher wie eine Relativierung von V. 25, die auch den Reichen Hoffnung gibt: Gott ist durchaus in der Lage, auch sie zu retten (vgl. 601

18,28

9,51 – 18,34: Der Weg nach Jerusalem

2.Chr 14,10: k‚rie, o§k üdunateõ parÅ soÑ s„zein «Herr, es ist bei dir nicht unmöglich zu retten»). Diese Spannung führt oft zu Harmonisierungen: Jesus wolle sagen, dass Gott auch aus Reichen noch gute Menschen machen könne, indem er bewirke, dass sie sich von ihrem Reichtum trennen und dadurch die Bedingung für die Zulassung zum Gottesreich erfüllen (z. B. Schmithals; Fitzmyer; Nolland; Bock; Eckey). Wenn es jedoch eine Interpretation gibt, die mit Sicherheit falsch ist, dann ist es diese, denn es geht hier nicht um das Wie einer möglichen Rettung der Reichen, sondern um das Ob. Und das bleibt einzig und allein den für Menschen unerreichbaren, unaussagbaren und unausdenkbaren Möglichkeiten Gottes vorbehalten. 28 Bei Lukas treten die Jünger (d. h. die von Petrus wie in 12,41 so genannten „Wir“; s. auch 9,49) erst im letzten Gesprächsgang auf. Während die Extension dieses „Wir“ unbestimmt bleibt, wird seine Intension präzise bestimmt: Es sind die, die ihr Zuhause verlassen haben und Jesus nachgefolgt sind. – tÅ ¥dia ist mehr als nur „das Eigentum“; es umfasst die sächliche, personale und räumliche Gesamtheit der sozialen Lebenswelt eines Menschen (vgl. im NT: Joh 16,32; 19,27; Apg 21,5; 1.Thess 4,11 sowie Spicq, Lexicon II, 205 ff). Was mit dem tÅ-¥dia-üfifinai der Jesusnachfolger gemeint ist, geht aus Lk 5,11.28; 9,59 f.61 f; 14,26 hervor. Petrus präsentiert die „Wir“ als Gegenbild zum reichen ±rcwn, der einer entsprechenden Aufforderung Jesu nicht nachgekommen war (V. 22–23). Einen Beitrag zum lk Jüngerbild liefert die Frage nicht. Sie fungiert vielmehr lediglich als Anstoß für das Schlusswort Jesu. 29–30 Der Satzbauplan der Antwort Jesu mit der doppelten Verneinung o§de‡“ †stin …, ≈“ o§c‡ … ist idiomatisch korrektes Griechisch (vgl. z. B. Plato, Meno 92e; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 6,51,3; Strabo, Geogr. 16,1,20; Plutarch, Timol. 41,2; Mor. 397d; 1000b). In 29 wird mit Hilfe eines fünfteiligen Katalogs dihäretisch entfaltet, woraus tÅ ¥dia (V. 28) besteht. Aus der siebenteiligen mk Liste (Mk 10,29) hat Lukas „Vater“ und „Mutter“ zu „Eltern“ sowie „Brüder“ und „Schwestern“ zu „Geschwister“ zusammengefasst (zum Gebrauch von üdelfo‡ als Sammelbegriff für auch die Schwestern einschließende Geschwister vgl. Polybius, 10,18,15; Epiktet, Diss. 1,12,20 [goneõ“, tfikna, üdelfo‡, ge‡tone“]; 4,1,111 [tfikna, g‚nh, üdelfo‡]; Artemidorus, Oneir. 3,31 [217,18 Pack]; Josephus, Ant. 2,15 und Diogenes Laertius 7,120 [goneõ“ kaÑ üdelfo‡]; 10,18 [p›thr, mflthr, üdelfo‡]). Weggelassen hat er „Felder“, und hinzugefügt „Frauen“. Das Profil der Veränderungen ist deutlich: Lukas nimmt das „Haus“ als Leitbegriff und nennt aus der Perspektive des verheirateten Mannes alle familiären Relationen. Dass Lukas die „Frau“ ergänzt, soll selbstverständlich nicht die Ehe relativieren (gegen Melzer-Keller, Jesus und die Frauen, 311 ff u. a.). Lukas geht es vielmehr nur um die Vollständigkeit seines Katalogs (s. auch 14,26: alle dort erwähnten Familienangehörigen kommen auch hier vor). ∫neken tö“ basile‡a“ toú jeoú nennt die Motivation für die Trennung der Jünger von ihren Familien. Was mit basile‡a toú jeoú hier inhaltlich gemeint ist, wissen die Leser auf Grund ihrer bisherigen Lektüre der lk Jesusgeschichte: das Heil, das Jesus verkündigt (4,43; 8,1), das in seinem Wirken präsent ist (11,20), das den Jünger zugesagt ist (6,20; 12,32), um dessen Kommen sie beten sollen (11,2) und an dessen Verkündigung sie selbst beteiligt sind (9,2.60; 10,9.11). 30 Der Satz ist chiastisch aufgebaut: (a) pollaplas‡ona – (b) †n tù kairù to‚tw – (b) †n tù a¢ùni tù †rcomfinw – (a) zwÉn a¢„nion. Mit dem Gegenüber der beiden 602

14,25 – 18,34: Irgendwo unterwegs

18,31–34

mittleren Glieder ist die jüdische Vorstellung des Dualismus von „gegenwärtigem Äon“ (hZ; LXX: g›mbreusai a§tfln) und erwecke deinem Bruder Nachkommen (LXX: kaÑ ün›sthson spfirma tù üdelfù sou)“. Für den Fall, dass ein Sohn aus dieser Ehe hervorgehen sollte, galt dieser als Sohn des Verstorbenen. – Der ursprüngliche Sinn dieser Regelung war, den Landbesitz des Verstorbenen als Eigentum der Sippe zu erhalten und der Witwe eine sozial abgesicherte Zukunft zu geben. Aus Josephus, Ant. 4,254–256 (hier unter Verwendung des Begriffs ±tekno“, den sonst nur Lukas in diesem Kontext gebraucht) geht hervor, dass diese Praxis auch noch in neutestamentlicher Zeit nicht ausgestorben war. In der Mischna wird das Levirat im Traktat Jebamot «Schwägerinnen» geregelt (s. auch mEd 5,5).

29–32 Die Sadduzäer konstruieren einen fiktiven Fall, der sich bei einer Anwendung des Gebots der Leviratsehe ergeben könnte. Die Siebenzahl der Brüder weist weder „entschieden in die Apokalyptik“ (gegen Schwankl* 346), noch hat sie etwas mit dem in 2.Makk 7 erzählten Martyrium der sieben makkabäischen Brüder zu tun (gegen Schwankl* 347 ff). Sie ist hier vielmehr als Bestandteil einer rhetorischen Hyperbolik zu interpretieren, die der Vereindringlichung der Argumentation dient. Für die in V. 33 gestellte Frage hätten eigentlich schon zwei Brüder ausgereicht, um das Problem zu veranschaulichen. Dass es sieben geworden sind, fügt darum nichts zur Qualität des Problems hinzu, sondern fungiert als „ein Mittel gradueller amplificatio“, das die evidentia steigern soll: „Die Glaubwürdigkeit (…) wird für einen Augenblick zugunsten einer eindringlichen evidentia zurückgestellt“ (alle Zitate Lausberg, Handbuch, § 909). Und warum gerade „sieben Brüder“? Vermutlich, weil die Zahl Sieben „Ausdruck von 656

20,27–40: Die Frage nach der Auferstehung der Toten

20,34–35

Fülle, aber auch Geschlossenheit“ ist (H. Balz, EWNT 2,118). – Die Konstruktion setzt im Übrigen voraus, dass keiner der sechs Brüder, die mit ihrer verwitweten Schwägerin nacheinander die Ehe eingehen, zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer anderen Frau verheiratet war (s. auch V. 33b). – üpfijanen ±tekno“ (29b) ist gegen Klostermann 195 kein „amtliche(r) Ausdruck“, zumal das Verb unter den von ihm genannten Stellen in P. Oxy. fehlt; vgl. demgegenüber Lev 20,20.21; Sir 16,3 (s. auch Gen 15,2). 33 Die Frage nimmt hypothetisch an, dass es eine Auferstehung der Toten geben wird, um diese Erwartung als absurd zu erweisen. Sie setzt eine Vorstellung voraus, die auch heute noch in der christlichen Volksfrömmigkeit weit verbreitet ist und damit rechnet, dass mit der Auferstehung die Wiederherstellung der individuellen Verhältnisse einhergehen wird, wie sie vor dem Tod bestanden haben. Die Denunziation dieser Vorstellung als „echte Männerphantasie“ (Luz, MtEv III, 264) ist darum gänzlich unangebracht (vgl. demgegenüber die sehr viel fairere Interpretation bei Schwankl* 354 ff). Der Einwand, dass nach Dtn 25,5 die Frau „die Ehefrau nur des ersten (Mannes)“ gewesen sei und schon darum das Beispiel nicht leisten könne, was es solle (Lührmann, MkEv, 204; s. auch Eckey), wird weder dem genannten Text gerecht noch trifft er den konstruierten Fall, denn in ihm ist vorausgesetzt, dass die Frau jeweils die erste und einzige Ehefrau aller sieben Brüder war. 34–38 Jesu Antwort besteht aus zwei Teilen, deren rhetorische Funktionen sich ergänzen: V. 34b–36 ist eine refutatio, deren Ziel darin besteht, die Argumentation der Gegner zu widerlegen, und bei V. 37–38 handelt es sich um eine probatio, der die Aufgabe zukommt, die eigene Position vorzutragen und zu begründen. Beide zusammen konstituieren nach Quintilian, Inst. 3,9,1 die argumentatio. 34–35 Die Zusammengehörigkeit dieser beiden Verse wird durch die antithetische Parallelität der Begriffe markiert (¨ a¢án oñto“ / ¨ a¢án †keõno“; gamoúsin kaÑ gam‡skontai / o∂te gamoúsin o∂te gam‡zontai). – In der refutatio destruiert der lk Jesus zunächst die eschatologische Vorstellung, auf der die Argumentation der Sadduzäer basiert (s. bei V. 33): die Kontinuität zwischen dem menschlichen Leben vor dem Tod, wie es sich ‚in dieser Welt‘ seit Gen 4,1 abspielt, und dem Leben ‚in der kommenden Welt‘ (zur Vorstellung vom Dualismus der beiden „Äonen“ s. bei 18,30). Dieser Annahme gegenüber stellt Jesus die scharfe Diskontinuität zwischen dem Leben der Menschen vor dem Tod und dem Auferstehungsleben heraus, die es nicht zulässt, das Leben nach der Auferstehung einfach als Verlängerung der irdischen Verhältnisse zu verstehen. Dieses Verständnis von Auferstehung liegt ganz auf der Linie dessen, was Paulus in seiner Auseinandersetzung mit den Auferstehungsleugnern in Korinth (1.Kor 15,12) schreibt: ‚Heiraten‘ und ‚geheiratet werden‘ oder besser: die menschliche Sexualität gehört zu dem, was „verweslich gesät“ wird (V. 42), zu „Fleisch und Blut“, die „das Reich Gottes nicht erben können“ (V. 50), und zum „Sterblichen“ (V. 53.54). All das wird nicht mit in das Auferstehungsleben übernommen, denn das ist durch „Unverweslichkeit“ (V. 42.53.54) und „Unsterblichkeit“ (V. 53.54) gekennzeichnet. Das Begriffspaar gameõn / gam‡skesjai bzw. gam‡zesjai bezeichnet hier wohl nicht das Abschließen von Ehen („heiraten /geheiratet werden“), sondern wie in Lk 17,27; 1.Tim 4,3 und vielleicht auch in Lk 14,20 den sexuellen Verkehr zwischen Mann und Frau (vgl. van Tilborg, Meaning, 806; Näheres bei 17,27). Die Auferstehungserwartung, die hier zum Ausdruck kommt, unterscheidet sich von derjenigen, die Lukas in Apg 24,15 Paulus in den Mund legt: Während dieser von einer „Auferstehung der

657

20,36

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

Gerechten wie der Ungerechten“, d. h. von einer Auferstehung aller Menschen spricht, kommen hier nach 35a nur diejenigen in den Genuss der Auferstehung, die ihrer für „würdig gehalten werden“ (kataxiwjfinte“), d. h. hier gibt es – mit den Begriffen von Apg 24,15 gesagt – nur eine „Auferstehung der Gerechten“ (s. auch Lk 14,14).

36 Zunächst wird in 36a begründet (g›r), warum es in „jener Welt“ zwischen den Männern und Frauen, die von den Toten auferstehen werden, keinen sexuellen Verkehr mehr geben wird: weil sie zu ewigem Leben auferstehen und weil damit das Erfordernis entfällt, die menschliche Art durch Fortpflanzung zu erhalten. Nach der Auferstehung müssen also keine Kinder mehr gezeugt werden, und darum entfällt auch die Notwendigkeit zum ‚heiraten‘ und ‚geheiratet werden‘. Die damit behauptete Unsterblichkeit der Auferstandenen wird in 36b–c mit der erforderlichen Erläuterung versehen (wiederum g›r). In 36c ist tö“ ünast›sew“ u´oÑ µnte“ Subjekt und u´o‡ e¢sin jeoú Prädikatsnomen. Der lk Text ist von einem semantischen Feld bestimmt, das bei der Beschreibung postmortaler Heilszustände im frühen Judentum Verwendung findet. Konstitutive Elemente sind ‚Auferstehung‘, ‚unter den Engeln oder wie die Engel sein‘, ‚Kinder oder Söhne Gottes‘, ‚Unsterblichkeit‘: SapSal 5,5: „Unter die Söhne Gottes wurde er (sc. der vom Tode auferweckte Gerechte) gerechnet, und unter den Heiligen ist sein Los“; s. auch syrBar 51,9 f in einem ganz ähnlichen Zusammenhang über die Auferstandenen: „Und weiter wird die Zeit sie nicht mehr altern lassen, denn in den Höhen jener Welt wird ihre Wohnung sein; sie werden Engeln gleichen und den Sternen ähnlich sein“; äthHen 39,4 f („Und ich sah dort … die Wohnungen der Heiligen und die Ruheorte der Gerechten …, ihre Wohnungen bei den Engeln seiner Gerechtigkeit und ihre Ruheorte bei den Heiligen“; Übers. S. Uhlig). Auch in anderen jüdischen Texten gelten die Engel als „Söhne Gottes“: Gen 6,4; Hiob 1,6, 2,1 und 38,7 (jeweils ~yhil{a/ ynEB. «Söhne Gottes»; LXX: ±ggeloi toú jeoú / mou); Ps 89,7 („wer gleicht dem Herrn unter den Söhnen Gottes?“); Dan 3,25; äthHen 6,2 („die Engel, die Söhne der Himmel“). Nicht weit von der Argumentation entfernt, die Jesus hier in den Mund gelegt bekommt (s. auch V. 37c–d), ist Philo, Sacrif. 5: „Als Abraham das Sterbliche verließ, wurde auch er dem Volk Gottes hinzugefügt, denn er genießt Unvergänglichkeit, weil er den Engeln gleich geworden ist (karpo‚meno“ üfjars‡an, ¥so“ üggfiloi“ gegon„“).“ Auch nach äthHen 15,6 f haben die Engel auf Grund ihrer Unsterblichkeit keinen Sex: „Aber ihr wart vorher geistig, des ewigen, unsterblichen Lebens teilhaftig für alle Generationen der Welt. Und darum habe ich für euch keine Frauen geschaffen“. Zum Ausdruck „Kinder der Auferstehung“ vgl. Bauer, Wörterbuch, 1664: „u´·“ mit Genitiv der Sache, um den zu bezeichnen, der dieser Sache teilhaftig oder würdig ist“ mit Verweis u. a. auf Mt 8,12; Lk 10,6; 16,8; Eph 2,2; 5,6; Kol 3,6. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um einen Septuagintismus; vgl. 1.Sam 26,16; 2.Kön 25,18; 1./3.Esr 7,12; (2.)Esr 6,16.19.20; PsSal 13,9. Seim* und Fletcher-Louis* haben unlängst die These erneuert, Lukas lasse Jesus hier das Ideal eines „angelomorphen Zölibats“ propagieren (Fletcher-Louis* 86), und dementsprechend sei nicht von der zukünftigen Auferstehung von den Toten die Rede, sondern von einer „present (spiritual) resurrection of Christians from amongst a dead society“ (ebd. 88), die ihren Ausdruck in einem Verzicht der Jesusnachfolger auf die Ehe finden solle. Neben vielem anderen spricht gegen diese These, dass ein derartiges paränetisches Interesse (vgl. Seim* 217) weder zur Frage der Sadduzäer noch zur Fortsetzung in V. 37–38 passt und ihre Vertreter darum gezwungen sind, die argumentative Kohärenz des Textes zu zerstören.

37–38 In der probatio (s. o.) geht es darum, die Gewissheit einer Auferstehung der Toten nun auch positiv zu erweisen, und genau das wird in 37a angekündigt. Lukas lässt Jesus 658

20,27–40: Die Frage nach der Auferstehung der Toten

20,38

diesen Erweis mit Hilfe eines sog. Syllogismus führen (vgl. auch Berger, Auferstehung, 386; Schwankl* 403 ff): 37c und 38a fungieren als die beiden Prämissen, aus denen sich eine Schlussfolgerung ergibt. Als diese Schlussfolgerung könnte man durchaus p›nte“ gÅr a§tù zùsin (38b) ansehen, doch müsste die Konjunktion g›r in diesem Falle nicht begründend, sondern folgernd gedeutet werden. Das ist zwar nicht unmöglich (vgl. Bauer, Wörterbuch, 305; K.-H. Pridik, EWNT 1,573), aber es wäre doch eine nicht ganz gewaltlose exegetische Interpretation. Es ist darum einfacher, 38b als Erläuterung der zweiten Prämisse anzusehen. Das hat zur Folge, dass die Schlussfolgerung, die sich aus den beiden Prämissen ergibt, hier fehlt und von den Hörern/Lesern ergänzt werden muss. Es liegt also ein sog. ‚elliptischer‘ oder ‚enthymematischer‘ Syllogismus vor. 37 Die 1. Prämisse (der ‚Obersatz‘) 37b–c wird wie das Beispiel der Sadduzäer aus der Tora gewonnen, die hier durch „Mose“ metonymisch umschrieben wird (s. auch 1QS 1,2 f; 8,15 f; 4Q504 3,12; Lk 16,29.31; 24,27; 2.Kor 3,15). Anders als Mk 12,26 par. Mt 22,31 f nimmt Jesus bei Lukas nicht auf das erzählte Geschehen hinter dem Text Bezug, sondern auf die literarische Erzählung von ihm. Lukas lässt Jesus die Worte zitieren, mit denen sich hwhy (in der LXX: k‚rio“) in der Erzählung vom brennenden Dornbusch (†pÑ tö“ b›tou; zum metaplastischen Femininum vgl. B/D/R § 49,1) Mose gegenüber als „Gott Abrahams und Gott Isaaks und Gott Jakobs“ vorstellt (Ex 3,6), d. h. als Gott von drei Männern, die schon lange vor dem erzählten Geschehen gestorben waren. Das Verb mhn‚ein wird auch außerhalb des Neuen Testaments als Zitationsbegriff gebraucht; vgl. vor allem Philo, Abr. 262 mit Bezug auf Gen 15,6: „…, durch den (sc. Mose) kundgetan wird (diû oñ mhn‚etai): ‚Er hat Gott vertraut‘“; s. auch Opif. M. 77 (Gott hat den Menschen zuletzt erschaffen, øsper a´ ´eraÑ grafaÑ mhn‚ousin «wie die heiligen Schriften kundtun»); Congr. 34 („Diese wurden Männer mehrerer Frauen …, Æ“ a´ ´eraÑ mhn‚ousi grafa‡“); Abr. 262 sowie Fuga 137; Praem. 53; mit Bezug auf einen Brief: Leg. Gai. 276 (grafÉ dÇ mhn‚sei mou tÉn dfihsin «das Schreiben wird meine Bitte kundtun») sowie Julius Pollux, Onomast. 6,97 f mit Bezug auf Homer, Od. 4,128 (Æ“ ∏Omhr·“ te mhn‚ei «wie auch Homer kundtut»).

38 In 38a folgt dann die 2. Prämisse (der ‚Untersatz‘). Es handelt sich hierbei um eine gnomische Sentenz, d. h. um eine Feststellung von allgemeiner Gültigkeit (zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. Schwankl* 406 ff). Der bei syllogistischen Schlussverfahren erforderliche „Mittelbegriff “, der in beiden Prämissen vorkommen muss, ist hier „Gott“, der in beiden Fällen durch ein GenitivAttribut näher bestimmt wird: zunächst als „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ (V. 37c) und dann als „Gott … der Lebenden“ (38a). Diese beiden Genitiv-Attribute werden in der elliptischen bzw. enthymematischen Schlussfolgerung, die die Hörer/Leser ziehen müssen, aufeinander bezogen: Da beide Prämissen wahr sind, gehören „Abraham, Isaak und Jakob“ zu den „Lebenden“. Das aber bedeutet, dass sie, die lange vor der Zeit gestorben sind, als der in V. 37c zitierte Satz aufgeschrieben wurde, inzwischen von den Toten auferstanden sein müssen. Damit ist das in V. 37a formulierte Beweisziel erreicht. Die Vorstellung, dass Abraham und die anderen Erzväter bereits auferstanden sind, ist auch sonst belegt: 4.Makk 7,19 (dieser Vers ist textkritisch umstritten); 16,25 („diejenigen, die um Gottes willen sterben, leben Gott [zùsin tù jeù] wie Abraham, Isaak, Jakob und die Patriarchen alle“); 13,17 („wenn wir so aus dem Leben scheiden, werden uns Abraham, Isaak und Jakob aufnehmen, und alle unsere Vorväter werden uns Beifall spenden“); 18,23; Philo, Sacrif. 5 (s. bei V. 36). Die Auferstehung Abrahams ist auch in Lk 16,22 ff vorausgesetzt.

659

20,39

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

Die Begründung p›nte“ gÅr a§tù zùsin (38b) ist Teil der Prämisse und sicher keine Anspielung auf 4.Makk 7,19 und 16,25. Im Hintergrund steht ein allgemeiner Sprachgebrauch, wonach zön + Dativ als Bezeichnung besonders enger Verbundenheit fungiert und umgekehrt üpojnÔflskein + Dativ als Bezeichnung radikalen Getrenntwerdens oder ‑seins (vgl. im NT: Röm 6,10; 2.Kor 5,15; Gal 2,19; 1.Petr 2,24 sowie Philo, Heres 57.111; Mut. Nom. 213; Alciphro, Ep. 4,10,5). Am wahrscheinlichsten ist darum, dass p›nte“ sich auf die zùnte“ von 38a bezieht und erläutern will, inwiefern Gott ein Gott der Lebenden ist: weil es nämlich keine Lebenden gibt, die ihr Leben nicht Gott verdankten (s. auch Apg 17,28). 39 Lukas lässt Jesus von Seiten einzelner Schriftgelehrter, welche er sich offenbar als in Jesu Umgebung ständig präsent vorstellt, Anerkennung zuteil werden. Er verknüpft die Episode dadurch mit der übergeordneten Rahmenerzählung (vgl. 19,47; 20,1.19 f). In Apg 23,6–9 gibt es eine analoge Konstellation, als Paulus vor dem Synedrium von den Schriftgelehrten gegen die Sadduzäer verteidigt wird, weil er sich zur „Hoffnung auf die Auferstehung der Toten“ bekennt (V. 6). Zur Anrede Jesu als did›skalo“ s. bei 7,40. 40 Auch die Mk 12,34b entnommene Feststellung will auf der übergeordneten Erzählebene gelesen werden: Sie markiert insofern einen Einschnitt innerhalb des in 19,47 eröffneten und bis 21,38 reichenden erzählerischen Sammelbeckens, als es in ihm keine weitere Gesprächsszene gibt, bei der die Initiative von Jesu Gegnern ausgeht. 20,41–44: Ist der Messias Davids Sohn? 41Er

sprach aber zu ihnen: „Wie kann es sein, dass der Messias Davids Sohn ist? 42David selbst sagt doch im Buch der Psalmen: ‚Es sagte der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, 43bis ich deine Feinde als Fußschemel unter deine Füße lege.‘ – 44David nennt ihn also ‚Herrn‘. Wie kann es dann sein, dass er sein Sohn ist?“ Literatur: Burger, Jesus als Davidssohn, 114–116. – A. Fuchs, Mehr als Davids Sohn, SNTU.A 26 (2001) 111–128. – D.M. Hay, Glory at the Right Hand. Psalm 110 in Early Christianity (SBL.MS 18), Nashville 1973, 110–121. – G. Schneider, Die Davidssohnfrage, Bib. 53 (1972) 65–90.

Adressaten dieser quaestio sind die unmittelbar vorher (V. 39) genannten tine“ tùn grammatfiwn, denn nur sie können mit prÖ“ a§to‚“ gemeint sein. Bemerkenswert ist freilich, dass weder Jesu Frage beantwortet wird (so auch Mk 12,35–37a) noch der Erzähler wenigstens mitteilt (wie Mt 22,46), dass sie niemand beantworten konnte. Herkunft und ursprüngliche Intention des Wortes liegen im Dunklen (vgl. die Überblicke über die Meinungen bei Schneider* 66 ff; Marshall 744 f; Fitzmyer II, 1312 f). Als Vorlage stand Lukas wohl Mk 12,35–37b zur Verfügung. Durch die Umgestaltung der narrativen Exposition und der Einleitung zur Eingangsfrage (V. 41 diff. Mk 12,35a–b) macht Lukas aus einem Wort über die Schriftgelehrten eine Frage an die Schriftgelehrten (s. o.). – Minor Agreements, die sich nicht ausnahmslos als voneinander unabhängige Redaktionen der mk Vorlage durch Lukas und Matthäus erklären lassen, finden sich nur innerhalb der Schlussfrage: oên (V. 44a par. Mt 22,45a) hat kein Äquivalent in Mk 12,37b; kaleõ (V. 44a par. Mt 22,45a) statt lfigei (Mk 12,37a); pù“ (V. 44b par. Mt 22,45b) statt p·jen Mk 12,37b; Schlussstellung von †st‡n (V. 44b par. Mt 22,45b) statt von u´·“ (Mk 12,37b); vgl. ansonsten Neirynck, Minor Agreements (1974), 159 f und (1991), 71; Ennulat, ›Minor Agreements‹, 287 ff. Diese Konzentration ist natürlich auffällig; dass es für alle ein und dieselbe Erklärung gibt, ist damit nicht gesagt.

660

20,41–44: Ist der Messias Davids Sohn?

20,44

41 Für das Verständnis von pù“ lfigousin; gibt es zwei Möglichkeiten: Es kann sich um eine echte Frage handeln (wie z. B. griechBar 10,8: „pù“ lfigousin o´ ±njrwpoi, dass aus dem Meer das Wasser kommt, das herabregnet?“; Sextus Empiricus, Pyrrh 2,4; 3,125.187), oder sie kann als rhetorische Frage formuliert sein, die eine Ablehnung der zitierten Meinung zum Ausdruck bringen will (wie z. B. 1.Kor 15,12: „pù“ lfigousin †n ≠mõn tine“, dass es keine Auferstehung von Toten gibt“; s. auch Ri 16,15LXX; Hiob 33,12LXX; Joh 8,33; 12,34; Aelius Aristides, Or. 34,15). Dieselbe Frage stellt sich analog auch für pù“ a§toú u´·“ †stin; (V. 44b). Im zuletzt genannten Fall würde der propositionale Gehalt der Frage darin bestehen, dass die Annahme, der Messias müsse ein Nachkomme Davids sein, falsch ist. In Bezug auf Jesus wäre ein solches Verständnis der Frage sinnvoll, wenn seine Messianität mit dem Argument in Frage gestellt würde, er sei kein Nachkomme Davids (so z. B. Burger* 56 ff; Lührmann, MkEv, 208 zu Mk 12,35). Für Lukas kommt die zuletzt genannte Deutung jedoch mit Sicherheit nicht in Frage, denn für ihn war Jesu davidische Abstammung nicht zweifelhaft (vgl. 1,32.69; 3,31; s. auch 18,38 f). Die frühjüdische Erwartung eines endzeitlichen Messiaskönigs aus dem Hause Davids, der Israel von der Herrschaft der fremden Völker befreien wird, basiert vor allem auf der Nathansverheißung 2.Sam 7,12–16 sowie auf den Verheißungen Jes 9,5–6 und 11,1–10 (s. auch Jer 30,9). Ausdrücklich als „Sohn Davids“ wird der Messiaskönig erstmals in PsSal 17,21 (s. bei 18,38–39) tituliert, und nach Jer 23,5; 33,15; Sach 3,8; 6,12 bezeichnen die Qumrantexte die erwartete messianische Herrschergestalt wiederholt als „Spross Davids“ (dywd xmc; vgl. 4Q174 1,11; 4Q252, Frgm. 1, 5,3–4: „der Gesalbte der Gerechtigkeit, der Spross Davids“). Für rabbinische Texte vgl. z. B. bSanh 97b; 98a (s. bei 17,20a–b); BerR 85 zu Gen 38,24; s. auch E. Lohse, ThWNT 8,483 ff.

42–43 Begründet wird die Frage mit dem Zitat von Ps 110,1, in dem David, der als Verfasser dieses Psalms gilt (V. 1a), freilich nicht von seinem „Sohn“, sondern von seinem „Herrn“ (hebr. !Ada'; LXX: k‚rio“) spricht. Ps 110 (LXX: Y 109) war ursprünglich ein Inthronisationsorakel. Als ‚Sprecher‘ galt auf Grund von V. 1b Gott („Spruch JHWHs für meinen Herrn“; LXX: eèpen ¨ k‚rio“ tù kur‡w mou «der Herr sagte zu meinem Herrn»), der durch den Mund eines prophetischen Mittlers den König als seinen Mitregenten installiert (zum Motiv des Sitzens zur Rechten vgl. C. Markschies, „Sessio ad Dexteram“, in: Le Trône de Dieu, 252–317). Ob dieser Psalm bereits im frühen Judentum messianisch gedeutet wurde, ist in der Literatur umstritten. Zugunsten dieser Annahme werden vor allem äthHen 51,3; 55,4; 61,8; 62,2 angeführt, wonach Gott „den Erwählten“ als Richter „auf den Thron der/seiner Herrlichkeit setzt“ (vgl. z. B. Hengel, „Setze dich …!“, 161 ff; Eckey II, 842), doch fehlt hier die für diesen Psalm spezifische Begrifflichkeit (‚sitzen zur Rechten Gottes‘, ‚Feinde werden Fußschemel‘). Eindeutig identifizierbare intertextuelle Spuren hat der Psalm im frühen Judentum mit Ausnahme vielleicht von TestHiob 33,3 nicht hinterlassen (s. auch Hay* 22 ff; Fitzmyer II, 1311). Bei den Anspielungen auf ihn in TestRub 6,8.12 handelt es sich um christliche Interpolationen. Im frühen Christentum werden dann gerade dem hier zitierten ersten Vers dieses Psalms die Kategorien entnommen, mit denen Erhöhung und Auferstehung Jesu als Einsetzung in eine himmlische Hoheitsstellung expliziert werden (vgl. die Zitate in Apg 2,34 f; 1.Kor 15,25; Hebr 1,3.13; 8,1 sowie Mk 14,62; 16,19; Lk 22,69; Röm 8,34; Eph 1,20; Kol 3,1; Hebr 10,12; 12,2; 1.Petr 3,22; Apk 3,21; dazu: Hengel, a. a. O., 122 ff; Karrer, Jesus Christus, 58).

In 44 werden die Eingangsfrage und Ps 110,1 zusammengebracht, indem derjenige, von dem David hier als „mein Herr“ spricht, mit dem Messias von V. 41b identifiziert wird (a§t·n [44a] verweist auf ¨ crist·“). Aufgrund der kulturell üblichen sozialen Statuszuweisungen entsteht dadurch eine Spannung, die in 44b formuliert wird: Der 661

20,45–47

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

„Herr“ einer Person kann eigentlich nicht zugleich ihr Sohn sein und umgekehrt. Es stellt sich darum die Frage: Wie kann der Messias zugleich „Herr“ und „Sohn“ Davids sein? Wie kann der Messias sowohl „kleiner“ als auch „größer“ als David sein (Kingsbury, Conflict, 58)? – Damit endet die Szene. Der einzige, durch den diese Antinomie aufgehoben werden kann, ist natürlich Jesus, denn einzig und allein auf ihn trifft das scheinbar Widersprüchliche zu, weil er sowohl Davids „Sohn“ als auch „Herr“ ist. Burger* 115 f hat auf die erneute Zitierung von Ps 110,1 in Apg 2,34b–35 innerhalb der Pfingstrede des Petrus (2,29–36) verwiesen (s. auch Fitzmyer II, 1313): Hiernach sind es die Auferstehung Jesu (V. 31) und seine Erhöhung „zur Rechten Gottes“ (V. 33), die den „Nachkommen“ Davids (V. 30) über seinen „Vater“ (Lk 1,32) hinausheben, was in Apg 2,34a auch ausdrücklich festgestellt („denn nicht David ist in den Himmel hinaufgestiegen“) und dann durch Ps 110,1 erläutert wird. Dieser Text passt jedoch nur begrenzt zu den in Lk 20,41.44 formulierten Fragen, denn er begründet das „Kyrios“-Sein Jesu und nicht seine Davidsohnschaft, um die es hier geht (s. auch Marshall 745). Dementsprechend trägt auch der Verweis auf Apg 2,36 (Gott hat Jesus zum k‚rio“ und crist·“ gemacht) nichts zur Lösung der Antinomie von Lk 20,41.44 bei, weil hier nicht die Prädikate k‚rio“ und crist·“ miteinander „konkurrieren“ (so Burger* 116), sondern k‚rio“ und u´Ö“ Dau‡d. Die Antwort auf die beiden Fragen ist darum eher am Anfang der lk Jesusgeschichte zu suchen, und für jeden, der Lk 1,26–38 gelesen hat, liegt sie auch auf der Hand: Der „Messias“ und „Kyrios“ Jesus ist Davidsohn, weil Gott selbst ihn durch die Erwählung der Jungfrau Maria und unter Zuhilfenahme des heiligen Geistes dazu gemacht hat. – Dass keine der Erzählfiguren die beiden Fragen beantworten kann, ist darum nicht verwunderlich, denn sie haben die lk Jesusgeschichte ja noch nicht gelesen und kennen die in Lk 1–2 erzählten Ereignisse noch nicht. Nur die Leser des LkEv sind in der Lage, die Antinomie aufzulösen. 20,45–47: Warnung vor den Schriftgelehrten 45Während

das ganze Volk zuhörte, sagte er zu seinen Jüngern: 46„Hütet euch vor den Schriftgelehrten, die gerne in Umhängen umhergehen und die Begrüßungen in der Öffentlichkeit, die Ehrenplätze in den Synagogen und die besten Plätze bei den Mahlzeiten lieben; 47die die Häuser der Witwen verzehren und zum Schein lange Gebete verrichten. Diese werden eine um so schwerere Strafe erhalten.“ Literatur: J.D.M. Derrett, „Eating up the Houses of Widows“, NT 14 (1972) 1–9. – H. Fleddermann, A Warning about the Scribes, CBQ 44 (1982) 52–67. – Keck, Abschiedsrede, 36–46. – K.H. Rengstorf, Die stola‡ der Schriftgelehrten, in: Abraham unser Vater, 383–404.

Formgeschichtlich handelt es sich um eine Warnung vor Gegnern (V. 46a), die mit einem klassischen, aus Schelte (V. 46b–47b) und Drohung (V. 47c) bestehenden Gerichtswort begründet wird (vgl. die Analogie in 2.Petr 2,1.3). Die Intention der Form ist nicht paränetisch, denn die Schriftgelehrten fungieren hier nicht als apotreptische Exempla für eine bestimmte Lebensweise, vor deren Übernahme die Jünger gewarnt werden sollen. Das Wort verfolgt vielmehr die Absicht, eine gesellschaftlich angesehene und einflussreiche Gruppe zu diskreditieren (s. auch bei 11,43). 662

20,45–47: Warnung vor den Schriftgelehrten

20,47

Vorlage war wohl Mk 12,37b–40; Lukas folgt ihr ziemlich wortgetreu. In V. 46 (üspasmoÜ“ †n taõ“ ügoraõ“ und prwtokajedr‡a“ †n taõ“ sunagwgaõ“) gibt es Überschneidungen mit 11,43 par. Mt 23,6 f, dem wohl aus Q übernommenen zweiten Weheruf gegen die Pharisäer (s. o. S. 430). – Zwei Minor Agreements verdienen Erwähnung: toõ“ majhtaõ“ (V. 45 par. Mt 23,1) ist ohne Entsprechung in Mk 12,37b; dasselbe gilt für filo‚ntwn (V. 46 par. Mt 23,6 [filoúsin]); vgl. dazu Keck* 44 f; Neirynck, Minor Agreements (1974), 160 und (1991), 71; Ennulat, ›Minor Agreements‹, 291 f.

45 Die Konstellation entspricht 12,1: Inmitten eines öffentlichen Auditoriums wendet Jesus sich an seine Jünger. Darüber hinaus hat Lukas eine ähnliche Redeeinleitung (Gen. absolutus mit üko‚ein + eèpen) bereits in 19,11 formuliert. Mit ihrer Hilfe schreibt er die in 19,47 f begonnene Distanzierung des Jerusalemer Gottesvolks von der Jerusalemer Führungsschicht fort (s. auch 20,6.19; 21,38; 22,2; zur lk Verwendung von la·“ in diesem erzählerischen Sammelbecken s. bei 19,47 sowie S. 638 f). 46 Die in 46a ausgesprochene Warnung vor den Schriftgelehrten hat ihre engste Entsprechung nicht in 12,1d, wo die Jünger paränetisch vor einer bestimmten Verhaltensweise (der ≠p·krisi“) gewarnt werden, sondern in den Warnungen vor bestimmten Gruppen, wie in Mt 7,15 („vor den Falschpropheten“) und 10,17 („vor den Menschen“); s. auch Phil 3,2; 2.Tim 3,5. Es geht also nicht darum, dass die Jünger nicht die Lebensweise der Schriftgelehrten imitieren sollen (gegen Fitzmyer), sondern darum, dass sie sich nicht von deren Lehre beeindrucken lassen sollen. – Die Schriftgelehrten werden durch zwei Participia coniuncta (tùn jel·ntwn … kaÑ filo‚ntwn …) charakterisiert; zu den beiden Verben vgl. B/D/R § 435,33. Das erste bezieht sich auf die offensichtlich von den Schriftgelehrten praktizierte Gewohnheit, ihren besonderen Status durch eine besondere Kleidung öffentlich kenntlich zu machen. „Luxusgewänder“ (Lührmann, MkEv, 210) müssen das nicht gewesen sein. Offenbar gab es auch schon im 1. Jahrhundert so etwas wie ein von Bill. II, 32 so genanntes „Ehrengewand der Gelehrten“, das als „Überwurf “ (ebd.) getragen wurde; Belege dafür finden sich freilich erst in späten rabbinischen Texten. Die These von Rengstorf*, es habe sich um Sabbatgewänder gehandelt und die Schriftgelehrten hätten „die besondere Sabbatkleidung öffentlich getragen …, um sie ins Bewußtsein der Bevölkerung zu bringen und zugleich zur Nachahmung anzureizen“ (403), ist blühende Phantasie. Sie passt auch nicht zum Kontext, weil sie die soziale Funktion der Kleidung verkennt: Ebenso wie die drei von tùn … filo‚ntwn abhängigen Akkusative fungiert sie als Statusindikator, an dem das besondere gesellschaftliche Prestige ablesbar wird, das den Schriftgelehrten zuerkannt wird (s. auch Fleddermann* 56). Zu den „Begrüßungen in der Öffentlichkeit“ und zu den „Ehrenplätzen in den Synagogen“ s. bei 11,43 sowie zu den „besten Plätzen bei den Mahlzeiten“ bei 14,7. Hier gilt dasselbe, was zu den in 11,43 gegen die Pharisäer erhobenen Vorwürfen gesagt wurde: Sie richten sich in der Regel gegen solche Gruppen, denen diese Anerkennung auch tatsächlich zuteil wird, und sie sind nicht völlig aus der Luft gegriffen. Auch wenn diese Vorwürfe insofern überzogen sind, als sie ganz bestimmt nicht auf alle Schriftgelehrten zutreffen, wollen sie nicht unter ihnen differenzieren und nur vor solchen Schriftgelehrten warnen, die sich in der beschriebenen Weise verhalten, sondern die gesamte Gruppe pauschal herabsetzen (gegen Nolland). 47 Zum Vorwurf, die Schriftgelehrten würden die Häuser der Witwen verzehren, gibt es ein ungefähres, aber textlich sehr unsicheres Seitenstück in AssMos 7,6, wo 663

21,1–4

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

von Leuten die Rede ist, die nicht nur „sich selbst zu Gefallen leben … und zu jeder Tageszeit Liebhaber von Festessen und unersättliche Schlemmer sind“ (7,4), sondern auch „Verzehrer der Güter [der Ar]men ([paupero]rum bonorum comestores), wobei sie sagen, dass sie dies aus Barmherzigkeit tun“. „Häuser“ steht hier metonymisch für „Besitz“, und „eines Menschen Haus verzehren“ ist eine schon bei Homer belegte Metapher; vgl. Plutarch, Mor. 22d–e (oèkon … kaloúsin … potÇ dÇ tÉn o§s‡an «‚Haus‘ … nennen sie … manchmal den Besitz» mit Verweis auf Homer, Od. 4,318, wo Telemach über die Freier im Haus des Odysseus sagt: †sj‡eta‡ moi oèko“ «aufgezehrt wird mein Haus»); s. auch ebd. 2,237 f (katfidousi bia‡w“ oèkon ûOdussöo“ «gewaltsam verzehren sie das Haus des Odysseus»); 22,36 (Odysseus zu den Freiern: Ωti moi kateke‡rete oèkon «drum habt ihr mein Haus gefressen»); außerdem Heraclit Paradoxographus 8 (76,8 f Festa [Mythographi Graeci III/2]) über die Harpyien, die dem Phineus immer wieder das Essen rauben (Apollonius v. Rhodos, Argon. 2,185 ff): … ta‚ta“ ©ta‡ra“ katafago‚sa“ tÉn toú Finfiw“ o¢k‡an eènai «… das sind Begleiterinnen, die das Haus des Phineus auffressen».

Was konkret gemeint war – und vor allen Dingen: was Lukas sich dabei gedacht hat –, lässt sich beim besten Willen nicht mehr ermitteln. Fitzmyer II, 1318 nennt sechs verschiedene Interpretationen, von denen die eine so wahrscheinlich oder so unwahrscheinlich ist wie die andere. Das letzte Element der Scheltrede wirft den Schriftgelehrten vor, dass sie ihre Frömmigkeit nur nach außen hin zur Schau tragen. Die Bedeutung von prof›sei an dieser Stelle entspricht seiner Verwendung in Phil 1,18, wo sein Gegenbegriff ülhje‡a ist. Grammatisch handelt es sich um einen Dativ der Beziehung (wie f‚sei; vgl. B/D/R § 197). Dass dieser Vorwurf mit dem vorangegangenen in Verbindung steht und behauptet wird, dass die Schriftgelehrten ihre Frömmigkeit einsetzten, um an das Vermögen der Witwen heranzukommen (so z. B. Fleddermann* 61 f), kann natürlich nicht ausgeschlossen werden – mehr aber auch nicht. – Das Gerichtswort endet gattungsgemäß (s. o.) mit einer Unheilsankündigung. 21,1–4: Die Gabe der Witwe 1Er

blickte aber auf und sah die Reichen ihre Gaben in die Schatzkammer bringen. 2Er sah aber auch eine arme Witwe, die zwei Lepta dorthin brachte, 3 und sprach: „Wahrlich, ich sage euch: Diese bettelarme Witwe hat mehr gebracht als alle (zusammen). 4Denn diese alle haben (etwas) von ihrem Über­ fluss zu den Gaben gebracht, diese aber hat von ihrem Mangel das gesamte Vermögen, das sie besaß, gebracht.“ Literatur: Clemen, Religionsgeschichtliche Erklärung, 251–253. – H. Haas, „Das Scherflein der Witwe“ und seine Entsprechung im Tripitaka, Leipzig 1922. – A.G. Wright, The Widow’s Mites: Praise or Lament?, CBQ 44 (1982) 256–265.

Formgeschichtlich handelt es sich um eine Chrie (Pronouncement story). Sie gehört zu dem Chrien-Typ, in dem erzählt wird, wie der Protagonist einen von ihm beobachteten Vorgang kommentiert (vgl. wie hier mit der Einleitung „als er sah …, sagte er“ o. ä.; Appian, Syr. 41; Plutarch, Mor. 218d; Diogenes Laertius 6,61; Joh. Stobaeus, Anthol. II, 46,17 [II, 263,1 f Wachsmuth / Hense]; EvThom 22). Eine ähnliche Erzählung ist auch im buddhistischen Tripitaka-Kanon aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. überliefert (Haas* 7): „Eine Witwe kommt in eine religiöse Versammlung, erbettelt sich da etwas

664

21,1–4: Die Gabe der Witwe

21,2

Speise und sagt …: ‚Während andere kostbare Dinge geben, kann ich Arme nichts geben.‘ Doch da fällt ihr ein, dass sie noch zwei Kupferstücke besitzt, die sie vorher auf einem Misthaufen gefunden hat. Mit Freuden opfert sie diese als Gabe für die Priesterschaft. Der Oberpriester, der als Arbat die Beweggründe des menschlichen Herzens durchschaut, achtet nicht auf die reichen Gaben anderer, sondern nur auf das gläubige Gemüt der armen Frau und singt zu ihrer Ehre ein Lied. Das tut ihr wohl, und sie sieht nun selbst ein, dass ihre Tat ebenso ins Gewicht fällt, als wenn ein Reicher alle seine Schätze weggeschenkt hätte. Dann singt sie auch und äußert den Wunsch, dass ihre gute Tat belohnt werden möge. Ihre Bitte wird erhört, denn schon auf dem Rückweg begegnet ihr der König des Landes, der vom Begräbnis seiner Frau zurückkehrt, und erhebt sie zu seiner Gemahlin.“ – Eine literarische Abhängigkeit ist unwahrscheinlich (vgl. Clemen*); s. auch u. bei V. 4. Auch sonst betonen viele antiken Texte, dass Gott das geringe Opfer eines frommen Armen höher schätzt als die üppigen Opfer von Reichen (vgl. Euripides, Frgm. 519: „ich habe oft schon Arme sehen können … und manchen, der den Göttern kleine Opfer brachte, doch frommer war als stolze Schlächter feister Rinder“; Theopomp, FGH 2b, 115, Frgm. 344 [dt. Übers.: R. Herzog, Das delphische Orakel als ethischer Preisrichter, in: E. Hornseffer, Der junge Platon, 1922, 150 f]; Josephus, Ant. 6,149: wenn fromme Arme opfern, „wird, auch wenn das Opfer bescheiden ist, die Ehrung von Seiten der Armut lieber angenommen als von den Allerreichsten“).

Von der Sicht der zuletzt zitierten Texte unterscheidet sich die bei Lukas und Markus erzählte Geschichte freilich dadurch, dass sie von der Frömmigkeit der Reichen und der armen Witwe gänzlich absieht und nur die Relation der jeweiligen Gabe zum Vermögen der Geber thematisiert (V. 4). Lukas folgt weiterhin der Darstellung des MkEv, wo diese Episode mit der vorangegangenen durch das Witwen-Thema verbunden ist. Als Vorlage stand ihm darum mit großer Wahrscheinlichkeit Mk 12,41–44 zur Verfügung, wobei die sprachlichen Übereinstimmungen im narrativen Teil (Lk 21,1–2 par. Mk 12,41–43a) sehr viel geringer sind als bei der Wiedergabe des Jesuswortes (Lk 21,3–4 par. Mk 12,43b–44). Im MtEv fehlt diese Episode.

1 Die Einleitung der Szene mit ünablfiya“ … eèden ist ein Septuagintismus (vgl. Gen 18,2; 22,4.13; 24,63; 32,2; 33,1.5 u. ö.). Über den konkreten Ort hat Lukas keine genaueren Vorstellungen, als dass er voraussetzen kann, dass – wie jeder andere Tempel – auch der Jerusalemer Tempel eine Schatzkammer hatte, in der man die Weihegeschenke und Opfergaben ablieferte. Lukas verändert die mk Beschreibung der Ausgangssituation mit ihrer breiten Einstellung des Erzählwinkels (vgl. Mk 12,41: Jesus sieht, „wie das Volk“ Geld in den Opferkasten wirft, und dabei „viele Reiche viel hineinwerfen“), indem er die Erzählung von vornherein ausschließlich auf die Reichen ausrichtet. Das Wort gazoful›kion basiert auf g›za (hebr. aZ"G"; vgl. Bauer, Wörterbuch, 299; es handelt sich um ein aus dem Persischen abgeleitetes Lehnwort). Es ist auch in 1./3.Esr 5,44; Neh 10,38 f; 12,44; 13,5; 2.Makk 3,6.24.28.40; 4,42; 5,18; 4.Makk 4,3.6; 4.Makk 14,49; Josephus, Ant. 19,294; Bell. 5,200; 6,282 Bezeichnung für das im Jerusalemer Tempel befindliche Schatzhaus. In Ant. 9,164 nennt Josephus auch den nach 2.Kön 12,10 von Jojada erfundenen Opferstock so. Zufolge mSheq 6,5–6 standen im Schatzhaus des Jerusalemer Tempels 13 sog. „Posaunen“ (tArp'Av) mit Aufschriften für unterschiedliche Bestimmungszwecke der Gaben. Diese Bezeichnung ging nach Bill. II, 38 darauf zurück, dass die Behälter für das Geld wie Posaunen „oben eng u[nd] unten weit gebaut waren; dadurch sollten diebische Eingriffe verhütet werden“; zu den Einzelheiten vgl. Bill. II, 37–45; H. Balz, EWNT 1,556; Schürer, History II, 279 ff.

2 Wenn die Erzählung fast mit denselben Worten (eèden dfi) eine arme (penicr·“ gibt es im NT nur hier; s. auch noch Ex 22,24; Prov 28,15; 29,7 sowie F. Hauck, ThWNT 665

21,3

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

6,40) Witwe auftreten und sie rein äußerlich dasselbe tun lässt (b›llousan †keõ) wie die Reichen, bekommt die Episode den Charakter einer Synkrisis (s. bei 18,9–14). – Das lept·n (wörtlich: „das Dünne“, „das Kleine“) war keine geprägte Münze, sondern die umgangssprachliche Bezeichnung für die kleinste Münze einer Serie (s. bei 12,59). Es ist darum immer n·misma zu ergänzen (vgl. Bauer, Wörterbuch, 958). 3 Jesu Kommentar (zur einleitenden Bekräftigungsformel vgl. 9,27; 12,44; s. auch 4,25) ist nicht „traurig“ (Fitzmyer im Anschluss an Wright*), denn die Gabe der Witwe wird nicht beklagt, sondern mit derjenigen der Reichen verglichen: Ähnlich wie in 15,7 und 18,14a nimmt Jesus auch hier eine Umwertung vor: Die zwei Kleinmünzen der Witwe waren mehr als die Gaben der Reichen. Möglicherweise will pleõon p›ntwn nicht lediglich distributiv (im Sinne von ‚mehr als jeder einzelne‘), sondern komprehensiv verstanden werden (im Sinne von ‚mehr als alle zusammen‘). Die Hyperbolik der Umwertung würde dadurch noch gesteigert. In 4 nennt Jesus das Prinzip, das seiner Umkehrung der Werte zugrunde liegt: Es ist die Höhe der Gabe im Verhältnis zum Gesamtbesitz der Geber, und in dieser Hinsicht haben die Reichen einen viel geringeren Anteil ihres Vermögens gespendet als die Witwe (zur Antithese von perisseúon und ≠stfirhma s. im NT auch 1.Kor 8,8; 2.Kor 8,14; 9,12; Phil 4,12). Auf der Seite der Witwe wird dieser Vergleich noch dadurch zugespitzt, dass sie mit den zwei Lepta ihr gesamtes Vermögen gespendet haben soll. Eine enge Parallele findet sich in Anthol. Graeca 6,25, wo es über den Fischer Kinyres heißt, der den Nymphen sein Netz geweiht hatte: e¢ dû £l‡gou d„rou telfijei d·si“, o§ t·de, N‚mfai, mfimyi“, †peÑ Kin‚rou taújû Ωlo“ ≤ske b‡o“ «auch wenn das Weihegeschenk klein ist, tadelt es nicht, ihr Nymphen, denn das war des Kinyres gesamtes Vermögen»; vgl. auch Xenophon, Mem. 1,3,3 über Sokrates: „An Opfern brachte er von seinem kleinen Besitz nur kleine dar, doch glaubte er deswegen nicht zurückzustehen gegenüber denen, welche von vielem und großem Besitz viele und große Opfer darbrachten“ (Übers. P. Jaerisch); LevR 3 (107a) bei Bill. II, 46: „Einmal brachte eine Frau eine Handvoll Mehl. Der Priester verachtete es und sprach: ‚Seht, was diese darbringt! Was davon soll man essen, und was davon soll man opfern?‘ Da sah der Priester im Traum: ‚Verachte sie nicht, denn sie ist wie eine, die ihr Leben dargebracht hat‘.“

Der szenische Kontext macht es unwahrscheinlich, dass Lukas dem Verhalten der Witwe eine paränetische Modellfunktion für seine „Gemeinde“ zuschreiben wollte (gegen Melzer-Keller, Frauen, 309; Eckey u. a.). Wer die lk Jesusgeschichte bis hierher gelesen hat, wird dieses Wort vielmehr unter Jesu e§aggel‡sasjai ptwcoõ“ (4,18c) verbuchen. 21,5–36: Jesu letzte öffentliche Rede 5

Und als einige vom Tempel sagten, dass er mit schönen Steinen und Weihe­ geschenken geschmückt sei, sprach er: 6„Was ihr da betrachtet – es werden Tage kommen, an denen kein Stein auf dem anderen gelassen wird, der nicht heruntergebrochen wird.“ 7Sie fragten ihn aber und sagten: „Rabbi, wann wird das denn geschehen? Und was ist das Zeichen, wenn es kurz bevorsteht?“ 8Er aber sagte: „Passt auf, dass ihr nicht in die Irre geführt werdet! Denn viele werden kommen in meinem Namen und sagen: ‚Ich bin’s!‘, und: ‚Die Zeit ist nahe herbeigekommen!‘. Folgt ihnen nicht! 9Wenn ihr aber von Krie­ gen und Unruhen hört, erschreckt nicht, denn das muss zuerst geschehen, doch das Ende (wird) nicht so bald (kommen).“ 666

21,5–36: Jesu letzte öffentliche Rede

21,5–36

10

Alsdann sagte er ihnen: „Es wird sich erheben Volk gegen Volk und Kö­ nigreich gegen Königreich. 11Und es wird gewaltige Erdbeben geben sowie an jedem einzelnen Ort Hungersnöte und Seuchen. Schrecknisse und gewaltige Zeichen vom Himmel her wird es geben. 12 Vor all diesen (Ereignissen) aber werden sie ihre Hände an euch legen und euch verfolgen. Sie werden euch in Synagogen und Gefängnisse aus­ liefern – abführen vor Könige und Herrscher um meines Namens willen. 13Es wird euch zu einem Zeugnis gereichen. 14Legt es darum in eure Herzen, dass ihr nicht eure Verteidigung vorbereitet. 15Ich werde euch nämlich Mund und Weisheit geben, der alle eure Widersacher nicht widerstehen noch widersprechen können. 16Und ihr werdet übergeben werden von Eltern und Geschwistern und Verwandten und Freunden, und welche von euch wird man töten. 17Und ihr werdet bei allen verhasst sein um meines Namens willen. 18Und kein Haar von eurem Kopf wird verloren gehen. 19Durch eure Standhaftigkeit gewinnt euer Leben! 20Wenn ihr aber seht, dass Jerusalem von Heeren eingeschlossen ist, dann wisst: seine Verwüstung ist nahegekommen. 21Dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen, und die in seiner Mitte sollen sich entfernen, und die auf dem Lande sollen nicht in es hineingehen, 22denn es sind Tage der Vergeltung, damit erfüllt wird alles, was geschrieben steht. 23Wehe den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! Denn große Not wird über dem Land sein und Zorn gegen dieses Volk. 24Und sie werden fallen durch die Schärfe des Schwertes, und sie werden als Gefangene fortgeschleppt unter alle Völker, und Jerusalem wird niedergetreten sein von den Völkern – bis die Zeiten der Völker erfüllt sind. 25Und es wird Zeichen geben an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde beklemmende Angst unter den Völkern vor Ratlosigkeit angesichts des Brausens und Tosens des Meeres, 26wenn die Menschen ihr Leben aushauchen aus Furcht vor dem, was über den Erdkreis kommt, denn die Mächte des Himmels werden ins Wanken geraten. 27Und dann wird man den Menschen­ sohn in einer Wolke kommen sehen, mit großer Macht und Herrlichkeit. 28 Wenn diese Ereignisse anfangen, richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Befreiung naht!“ 29Und er sagte ihnen ein Gleichnis: „Schaut euch den Feigenbaum und alle Bäume an: 30Bereits wenn ihr sie ausschlagen seht, wisst ihr von selbst, dass der Sommer schon nahe ist. 31So auch ihr: wenn ihr seht, dass diese Dinge geschehen, wisst ihr, dass das Reich Gottes nahe ist. 32Amen, ich sage euch: Dieses Geschlecht vergeht nicht, bis alles geschieht. 33Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden niemals ver­ gehen. 34Hütet euch davor, dass eure Herzen beschwert werden durch Verkatert­ sein, durch Rausch und durch Sorgen des Alltags, so dass jener Tag plötz­ lich über euch kommt 35wie ein Fangnetz. Denn er wird über die auf der Oberfläche der gesamten Erde Wohnenden hereinbrechen. 36Seid vielmehr wachsam und betet allezeit, dass ihr in der Lage seid, all dem zu entrinnen, was geschehen wird, und vor dem Menschensohn zu bestehen.“ 667

21,5–36

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

Literatur: L. Aejmelaeus, Wachen vor dem Ende. Die traditionsgeschichtlichen Wurzeln von 1.Thess 5:1–11 und Luk 21:34–36 (SESJ 44), Helsinki 1985. – H. Baarlink, Ein gnädiges Jahr des Herrn – und Tage der Vergeltung, ZNW 73 (1982) 204–220. – Bridge, “Where the Eagles are Gathered”, 115–147. – J. Dupont, Les épreuves des chrétiens avant la fin du monde, in: ders., Études sur les évangiles synoptiques II, 1117–1127. – F. Flückiger, Luk. 21,20–24 und die Zerstörung Jerusalems, ThZ 28 (1972) 385–390. – V. Fusco, Le discours eschatologique lucanien. „Rédaction“ et „composition“, in: The Synoptic Gospels, 311–355. – Ders., Problems of Structure in Luke’s Eschatological Discourse (Lk 21:7–36), in: Luke and Acts, 72–92.225–232. – Geiger, Endzeitreden, 149–258. – L. Hartman, A Linguistic Examination of Luke 21,13, in: ders., Testimonium linguae (CNT 19), Lund / Kopenhagen 1963, 57–75. – Ders., Prophecy interpreted. The Formation of some Jewish Apocalyptic Texts and of the Eschatological Discourse Mark 13 par. (CB.NT 1), Lund 1966. – Keck, Abschiedsrede. – R. Kühschelm, Jüngerverfolgung und Geschick Jesu (ÖBS 5), Klosterneuburg 1983, 198–214. – Lövestam, Jesus and ‚this Generation‘, 81–87. – Ders., Spiritual Wakefulness in the New Testament (AUL 1/55/3), Lund 1963, 122–132. – Maddox, Purpose, 115–123. – M. Mahoney, Luke 21,14–15: Editorial Rewriting or Authenticity?, IThQ 47 (1980) 220–238. – Nellessen, Zeugnis, 100–107. – J.Verheyden, The Source(s) of Luke 21, in: L’évangile de Luc, 491–516. – Zmijewski, Eschatologiereden, 43–325.

Lukas lässt Jesus seine letzte öffentliche Rede halten. Zu einer „Abschiedsrede“ (Keck*) macht er sie aber nicht, denn nirgendwo findet sich der für diese Gattung obligatorische Bezug auf den bevorstehenden Tod oder Abschied. Ebensowenig handelt es sich um eine „Apokalypse“ (Synopsis quattuor evangeliorum, 396 u. a.), denn ihr fehlt eine Leseanweisung, die die folgende Rede als Mitteilung von esoterischer Offenbarung auswiese (vgl. Wolter, Apokalyptik). Vorausgesetzt ist die Situation von 20,45, die seither unverändert geblieben ist: Die erzählten Adressaten sind die Jünger, und das Volk hört zu. Innerhalb der Rede kommt diese Konstellation darin zum Ausdruck, dass überall dort, wo die 2. Person Plural Verwendung findet, die Anhänger Jesu gemeint sind (vgl. vor allem V. 8–9.12–19.20– 21.28.29–32.34–36). Lukas ändert dafür auch die topographische Lokalisierung der Rede gegenüber der mk Darstellung: Während Jesus nach Mk 13,1.3 den Tempel und die Stadt verlässt und sich allein mit den vier erstberufenen Jüngern zum Ölberg begibt, der dem Tempel „gegenüber“ lag, integriert Lukas die Rede in den Zusammenhang von Jesu täglicher und öffentlicher Lehre im Tempel (vgl. 19,47; 20,37). Formgeschichtlich beginnt die Szene mit einer lupenreinen Chrie (Pronouncement story) (V. 5–6). Die Fragen in V. 7b.c nach dem Wann und den Vorzeichen der in V. 6 angekündigten Zerstörung des Tempels werden durch die ab V. 8 folgende Rede beantwortet. Der zeitliche Horizont der Rede reicht zwar über die Zerstörung des Tempels hinaus (ab V. 25), doch kommt sie immer wieder auf die Fragen von V. 7b.c zurück; vgl. vor allem die Wiederaufnahme von taúta g‡nesjai in V. 28a.31b.32.36b, die Anknüpfung von t·te (V. 20a.b.21a.27) an p·te und Ωtan (V. 7b.c) und die Beantwortung der Frage nach dem Zeichen durch V. 25a (shmeõa) sowie durch das Gleichnis vom Ausschlagen der Bäume (V. 29–31). Die gesamte Rede ist in V. 8–9 und V. 34–36 durch fünf grundsätzliche paränetische Weisungen eingerahmt, die sich auf den gesamten Zeitraum bis zum Kommen des Menschensohnes beziehen. Sie gelten den Jüngern und wollen sie zur Bewahrung ihrer Existenzorientierung anhalten. Bei vier von ihnen handelt es sich um negierte Imperative (blfipete mÉ planhjöte [V. 8b]; mÉ poreujöte £p‡sw a§tùn [V. 8e]; mÉ ptohjöte [V. 9b]; prosficete … mflpote barhjùsin ≠mùn a´ kard‡ai [V. 34a]), die zu 668

21,5–36: Jesu letzte öffentliche Rede

21,5–36

einer ethischen Abwendung auffordern. Ihnen entspricht die affirmativ formulierte Mahnung ügrupneõte … de·menoi (V. 36a), der Lukas ganz gezielt die Schlussstellung zugewiesen haben dürfte und die er in V. 36a.b sicher nicht ohne Grund mit komprehensiven Näherbestimmungen versehen hat (†n pantÑ kairù und taúta p›nta tÅ mfillonta; V. 36a.b). Es ist vor allem diese Rahmung, die deutlich macht, dass mit der Rede Jesu die Jünger und die christlichen Leser des LkEv ihrer Identität als Heilsgemeinschaft vergewissert und dadurch stabilisiert werden sollen. Der ‚Informationsteil‘ der Rede (V. 10–33) ist in V. 29a durch eine Zwischenbemerkung des Erzählers unterbrochen. Mit ihr wird das Gleichnis vom Ausschlagen der Bäume (V. 29–31) vom vorangehenden Ankündigungsteil abgetrennt. Die Kohärenz des verbleibenden Redeteils V. 10–28, der die Ereignisse bis zum Kommen des Menschensohnes und den es ankündigenden Zeichen schildert, wird vor allem dadurch hergestellt, dass Lukas ihn ebenfalls – nämlich wie die Rede insgesamt – mit einem Rahmen versehen hat: Die Zeit‑ und Gegenstandsebene von V. 10–11 wird in V. 25–28 wiederaufgenommen und fortgesetzt, denn hier wie dort ist von Ereignissen die Rede, die nicht nur alle Völker auf der Erde, sondern auch den Himmel betreffen. Hier werden diejenigen Geschehnisse beschrieben, die am weitesten vom erzählten Redezeitpunkt entfernt sind. Auch vom lk Standort aus gesehen befinden sie sich noch in der Zukunft. Die in diesen Rahmen literarisch eingebetteten Abschnitte V. 12–19 und V. 20–24 sind auch chronologisch in dem Zeitraum zwischen dem Redezeitpunkt und den in V. 10–11.25–28 beschriebenen Ereignissen zu lokalisieren (s. auch Dupont* 1119). V. 12–19 thematisieren das (vom erzählten Redner aus gesehen) zukünftige Geschick der Jünger. Hier wird ein Zeitraum in den Blick genommen, der die in V. 20–24 erzählten Ereignisse umgreift: Die Verfolgung etc. der Jünger beginnt vor der Umzingelung Jerusalems (V. 20a), und sie geht auch nach dessen Zerstörung (V. 24a–b) bis in die „Zeiten der Völker“ (V. 24c) hinein weiter. Ihr Ende findet sie erst mit dem Kommen des Menschensohnes (V. 28). Vom lk Standpunkt aus gesehen beschreibt Jesus hier Ereignisse der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. V. 19 (ktflsasje tÅ“ yucÅ“ ≠mùn) koinzidiert sachlich und zeitlich mit V. 36c (stajönai ≤mprosjen toú u´oú toú ünjr„pou). Demgegenüber handelt es sich bei der in V. 20–24 beschriebenen Belagerung und Zerstörung Jerusalems um eine in die beiden vorgenannten Zeiträume eingelagerte Episode. Sie liegt nicht nur vom Standpunkt des erzählten Redners aus gesehen in der Zukunft, sondern sie beginnt auch später als die in V. 12–19 angekündigten Verfolgungen (s. bei V. 12). Lukas blickt auf sie zurück. Sein zeitlicher Standpunkt befindet sich zwischen den in V. 20–24b und den ab V. 25 geschilderten Ereignissen. Dass Lukas die Rede auf der Grundlage von Mk 13 verfasst hat, ist sehr wahrscheinlich. Dafür sprechen: (a) dass sie hier wie dort an derselben Stelle der Jesusgeschichte steht: zwischen der Erzählung von der Gabe der Witwe (Mk 12,41–44 par. Lk 21,1–4) und dem Beginn der Passionsgeschichte (Mk 14,1 par. Lk 22,1), (b) die unübersehbaren Übereinstimmungen im Wortlaut und (c) die identische Reihenfolge dieser Übereinstimmungen. Intensiv diskutiert wurde die Frage, ob die Differenzen zwischen dem mk und dem lk Wortlaut der Rede (a) ausschließlich auf lk Redaktion zurückgehen (Mehrheitsmeinung), ob sie (b) auf einer weiteren eschatologischen Rede basieren, die Lukas neben Mk 13 vorlag (z. B. Schramm, Markus-Stoff, 171 ff; Schweizer 208 f), oder ob sie (c) als Kombination von lk Redaktion und

669

21,5

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

punktueller Übernahme von Einzeltraditionen aus dem sog. lk „Sondergut“ zu erklären sind (z. B. Kümmel, Einleitung, 104; Marshall; Fitzmyer). – Verheydens* ausgezeichnete Darstellung der unterschiedlichen Meinungen hat die Fruchtlosigkeit solcher Diskussionen mit aller Deutlichkeit sichtbar gemacht. Die Zahl der erwähnenswerten Minor Agreements ist im Verhältnis zur Länge des Textes gering: katalujflsetai (V. 6b par. Mt 24,2e) statt katalujÔö (Mk 13,2d); lfigonte“ (V. 7a par. Mt 24,3a) ist ohne mk Entsprechung; eèpen (V. 8a par. Mt 24,4a) statt ≥rxato lfigein (Mk 13,5a); g›r (V. 8c par. Mt 24,5a) ist ohne mk Entsprechung; basileõ“ und ™gem·na“ (V. 12c par. Mt 24,18a) statt ™gem·nwn und basile‡wn (Mk 13,9c); ≤stai … meg›lh (V. 23b par. Mt 24,21a) statt ≤sontai … a´ ™mfirai †keõnai (Mk 13,19a); tùn o§ranùn (V. 26b par. Mt 24,29d) statt †n toõ“ o§ranoõ“ (Mk 13,25b); ∫w“ ±n (V. 32 par. Mt 24,34b) statt mficri“ oñ (Mk 13,30b); vgl. ansonsten Neirynck, Minor Agreements (1974), 160 ff und (1991), 72 ff; Ennulat, ›Minor Agreements‹, 292 ff.

5 Als Ausgangssituation fungieren Worte der Bewunderung über die Pracht und Ausstattung des Tempels, die Lukas mit Hilfe eines Genitivus absolutus anonym bleibenden Tempelbesuchern in den Mund legt. Dadurch bleibt die Erzählung auf Jesus fokussiert (s. auch Keck* 56). Die Schönheit des durch Herodes d.Gr. erneuerten und vergrößerten Tempels ist oft gepriesen worden (vgl. vor allem Josephus, Bell. 5,222–224; Ant. 15,391–402; Tacitus, Hist. 5,8,1 über Jerusalem: illic immensae opulentiae templum «dort steht ein Tempel von unermesslichem Reichtum»). Vom „Schmücken“ (kosmeõn) des Jerusalemer Tempels mit „Weihegaben“ (ünajflmata) ist mehrfach in der Legatio ad Gaium Philos v. Alexandrien die Rede: Ebd. 157 heißt es von Augustus: „mit kostbaren Weihegeschenken ließ er unser Heiligtum schmücken“, und über dessen Frau schreibt er in 319: katek·smhse tÖn neán crusaõ“ fi›lai“ kaÑ sponde‡oi“ kaÑ ±llwn ünajhm›twn polutelest›twn plfljei «sie ließ den Tempel mit goldenen Schalen und Opfergefäßen und einer Fülle von anderen wertvollsten Weihegaben schmücken»; s. auch ebd. 297; 2.Makk 9,16 (Antiochus IV. verspricht, den Tempel kall‡stoi“ ünajflmasin kosmflsein «mit den schönsten Weihegeschenken zu schmücken»); 3.Makk 3,17 („in ihren Tempel gehen und ihn durch die außerordentlichsten und schönsten Weihegeschenke ehren“); Jdt 16,19 („Judith stiftete als Weihegeschenke [ünfijhken] alle Gerätschaften des Holofernes, die das Volk ihr übergeben hatte“); Josephus, Ant. 17,162 (Herodes d.Gr. rühmt sich, den Tempel nicht nur auf eigene Kosten gebaut zu haben, sondern ihn „auch geschmückt zu haben mit prachtvollen Weihegeschenken“ [kosmösai dÇ kaÑ ünajflmasin üxiol·goi“]). Die Wendung ünajflmasin kosmeõn ist hellenistischen Ursprungs (vgl. Isocrates, Antid. 234; Diodorus Siculus 1,45,4; 1,50,7; 55,11; Strabo, Geogr. 5,3,8; Athenaeus, Deipn. 6,20; Josephus, Ant. 8,147 u. ö.).

6 Unter Rückgriff auf die rhetorische Figur der Anastrophe (vgl. Lausberg, Handbuch, § 462,3a; 713–715; grammatisch: Casus pendens; vgl. B/D/R § 466,2) hat Lukas Jesu Diktum als eine Ankündigung der vollständigen Zerstörung des Jerusalemer Tempels formuliert. Dabei wird der Wortlaut des sog. „Tempelworts“ aus Mk 13,2, das auch schon in 19,44 eingegangen war (dort auch alttestamentliche Parallelen), recht weitgehend übernommen. Zu †le‚sontai ™mfirai s. bei 17,22. 7 Die Fragesteller sind nicht wie in Mk 13,3 die vier erstberufenen Jünger, sondern unidentifiziert bleibende Hörer der Unheilsankündigung von V. 6. Vielleicht will Lukas aber mit der Anrede Jesu als „Rabbi“ (did›skale; 7b), die er den Fragestellern in den Mund legt, zumindest partiell etwas über deren Identität verraten: Sie begegnet bei ihm ansonsten ausschließlich im Munde von Nicht-Jüngern (s. bei 7,40), und dadurch wird es wahrscheinlich, dass er sie hier verwendet, um die Fragesteller im Rahmen der in 20,45 aufgebauten Szene gezielt als Nicht-Jünger zu kennzeichnen. In einer gewissen Spannung zu dieser Interpretation steht freilich, dass Jesus ab V. 8 ausschließlich 670

21,5–36: Jesu letzte öffentliche Rede

21,8

die Jünger anredet. – Die beiden Demonstrativpronomina taúta verweisen auf das in V. 6 angekündigte Geschehen. Die Frage bezieht sich also auf den Zeitpunkt der Zerstörung des Tempels und auf die Vorzeichen, die sie als nahe bevorstehend ankündigen. Sprachliche Parallelen gibt es u. a. bei Aristoteles, Hist. Anim. 518b1; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,48,2 (üpÖ tùn … shme‡wn tÖn mfillonta µlejron tö“ p·lew“ suntekma‡resjai «aus den … Zeichen … die bevorstehende Zerstörung der Stadt erschließen»); Polybius 4,42,3; Plutarch, Demosth. 19,1 (pollÅ shmeõa toú mfillonto“ «viele Vorzeichen des künftigen Geschehens»); Mor. 912d. Dass Jesus die Frage erst ab V. 20 beantwortet und ihren sachlichen wie zeitlichen Horizont ansonsten weit hinter sich lässt, darf nicht dazu verführen, auch schon der Frage selbst eine über die Zerstörung Jerusalems hinausgehende Reichweite unterzuschieben (gegen Zmijewski* 93 ff; Marshall). Die in der Literatur häufig vertretene Ansicht, Lukas de-eschatologisiere die mk Fassung der Frage (Mk 13,4), indem er die Zerstörung des Tempels von den eschatischen Ereignissen ablöst (z. B. Conzelmann, Mitte der Zeit, 117; Zmijewski* 78 f; Keck* 70 f und viele andere), basiert auf einer Fehlinterpretation von Mk 13,4, denn hier wird eindeutig nach zwei unterschiedlichen Ereignissen gefragt, und dieser Unterscheidung entspricht in Mk 13 dann auch die Antwort Jesu in V. 5–23 und in V. 24–27 (vgl. Lührmann, MkEv, 218). Lukas übernimmt aus Mk 13,4 also nur die erste, auf die Zerstörung des Tempels bezogene Frage und überlässt es Jesus, den Blick seiner Hörer/Leser darüber hinaus zu lenken. 8–9 Die Rede beginnt mit zwei Negativbestimmungen: Jesus stellt heraus, welche Ereignisse nicht das bevorstehende Ende ankündigen (V. 9c): das Auftreten von „Vielen“ mit dem Anspruch, endzeitliche Heilsmittlergestalten zu sein (V. 8b–e), sowie kriegerische Konflikte und Aufstände (V. 9a). Beide Vorgänge dürfen aber nicht ineins gesetzt werden (gegen Fitzmyer II, 1334). 8 Die beiden Aufforderungen in 8b (mÉ planhjöte) und 8e (mÉ poreujöte £p‡sw a§tùn), die die Ankündigung in 8c–d einrahmen, sind semantisch isotop (zum Imperativ blfipete s. bei 8,18). Sie warnen davor, sich von der Botschaft messianischer Propheten beeindrucken zu lassen und sich ihnen anzuschließen. Von solchen Gestalten, denen es gelungen ist, eine größere Zahl von Menschen zu ihren Anhängern zu machen, ist an zwei Stellen in der Apostelgeschichte und mehrfach bei Josephus die Rede: Apg 5,36 und Josephus, Ant. 20,97 f berichten von Theudas, der sich als Prophet ausgab (Ant. 20,97) und zahlreiche Anhänger gewinnen konnte, die er zum Jordan führte (ebd.). – Der in Apg 21,38 erwähnte „Ägypter, der vor diesen Tagen einen Aufstand angezettelt und 4000 Männer von den Sikariern in die Wüste hinausgeführt hat“, ist wohl dieselbe Person, die Josephus, Bell. 2,261 f einen A¢g‚ptio“ yeudoprofflth“ nennt, dem sich 30.000 Menschen angeschlossen hätten, die er aus der Wüste auf den Ölberg geführt habe. In Ant. 20,170 wird auch noch erzählt, dass er seinen Anhängern zeigen wollte, „wie auf seinen Befehl hin die Mauern Jerusalems einstürzen, durch die er ihnen den Einzug in die Stadt zu ermöglichen versprach“. – In Bell. 2,258–260 erzählt Josephus von pl›noi ±njrwpoi, „die die Menge durch ihr Wort in dämonische Begeisterung versetzten“ und „das Volk in die Wüste hinausführten, wo Gott ihnen Zeichen der Freiheit (shmeõa †leujer‡a“) zeigen werde“. Von ähnlichen Vorgängen berichtet Josephus auch noch in Bell. 6,285.288; 7,437–440; Ant. 18,85–87; 20,167 f.188. – Vgl. dazu vor allem C. Riedo-Emmenegger, Prophetisch-messianische Provokateure der Pax Romana, 2005, 247 ff; s. auch R. Gray, Prophetic Figures in the Late Second Temple Jewish Palestine, 1993, 112 ff Pauschale Warnungen vor solchen Gestalten, deren Kennzeichen „Verführung“ (pl›nh und Stammverwandte) ist, gibt es auch in Mk 13,21 (von Lukas zwischen V. 24 und V. 25 ausgelassen);

671

21,9

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

1.Joh 2,26 in Verbindung mit 4,1 (s. auch Josephus, Bell. 2,258). In 2.Thess 2,9–11; 2.Joh 7; Apk 13,14; Did 16,4 (s. auch OrSib 3,63–70) geht diese Erwartung der endzeitlichen Verführung der Menschen auf den einen endzeitlichen Widersacher über: den erstmals in 1.Joh 2,18.22; 4,3; 2.Joh 7 so genannten „Antichrist“.

Inhaltlich entspricht die Warnung derjenigen von 17,23, und welche Gruppen Lukas dabei im Auge gehabt hat, ist darum hier ebenso schwer zu sagen wie dort. Und wenn es dort christliche Parusiealarmisten im Sinne von 2.Thess 2,2; Hippolyt, Comm. in Dan. 4,19 waren, so sind sie das natürlich auch hier. †g„ e¢mi wäre dann mit †le‚sontai †pÑ tù £n·mat‡ mou zu verbinden und würde den Selbstanspruch der „Vielen“ bezeichnen, von Jesus autorisiert zu sein, das unmittelbare Bevorstehen seiner Parusie bekanntzugeben. Dass mit ¨ kairÖ“ ≥ggiken die unmittelbare Nähe, aber noch nicht die Präsenz des erwarteten Geschehens bezeichnet wird, geht aus den parallelen Formulierungen in Ez 7,4LXX; 1.Makk 9,10; Thren 4,18 hervor (s. auch Dtn 31,14; Ez 9,1; 12,23; Mt 21,34; 26,18; Apk 1,3; 22,10 sowie natürlich Lk 21,20). Fast noch wahrscheinlicher ist aber eine historisierende Deutung, die nicht bis in die lk Gegenwart reicht, sondern eine Problemlage in den Blick nimmt, auf die Lukas zurückblickt (s. auch Nolland): Wenn in V. 9 mit „Kriege und Unruhen“ der Jüdische Krieg 66–73 gemeint sein sollte, dann passte dazu, dass alle jüdischen Propheten, über die Josephus in den oben genannten Texten berichtet, in den Jahren vor diesem Krieg aufgetreten sind. †le‚sontai †pÑ tù £n·mat‡ mou kann sich auch auf sie beziehen; es würde dann ihren Anspruch kennzeichnen, jeweils der messianische Prophet oder möglicherweise sogar der erwartete Messias selbst zu sein („†g„ e¢mi“). Es ergäbe sich dadurch ein zeitliches Gefälle von V. 8 zu V. 9, und Lukas ließe Jesus die erzählten Hörer davor warnen, sich diesen Bewegungen anzuschließen. Dass er über sie durchaus Bescheid wusste, geht aus Apg 5,36; 21,38 hervor. 9 Mit ükatastas‡ai sind nicht Aufstandsbewegungen gegen die römische Herrschaft im Blick, denn das gibt der sonstige Gebrauch dieses Begriffs nicht her. Er bezeichnet vielmehr innenpolitische Instabilität und Unruhe (vgl. z. B. Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 6,31,1; Polybius 1,70,1; 14,9,6; 31,8,6; 32,5,5; Artemidorus, Oneir. 2,37.91 [167,19; 170,25 Pack]). In dieser Bedeutung dürfte Lukas ihn auch hier verwendet haben, was natürlich einen Bezug auf die Situation des Jüdischen Krieges nicht ausschließt. – Dass Kriege und der Zerfall der sozialen Ordnung zu den Charakteristika der Endzeit gehören, ist integraler Bestandteil eschatologischen Grundwissens im frühen Judentum (vgl. zum einen Jes 19,2; 4.Esr 13,31 [s. bei V. 10–11]; ApkEliae 29,14 f; Apk 6,4 und zum anderen 4.Esr 5,9 f; 6,24; syrBar 27,11–13; 70,3; 6.Esr 15,16). Lukas lässt Jesus hier jedoch herausstellen, dass beides zwar von Gottes Geschichtsplan verordnet ist, aber mit den Endereignissen nichts zu tun hat. Wenn der lk Jesus davon spricht, dass die Jünger „von Kriegen und Unruhen“ lediglich „hören“, so ist darin impliziert, dass sie nicht in sie involviert sind. tÖ tfilo“ bezieht sich nicht auf die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, wovon in V. 6 die Rede war (gegen Fitzmyer; Nolland), sondern auf die eschatischen Ereignisse, die erst in V. 10 f und dann wieder ab V. 25 in den Blick genommen werden. Auch hier legt sich eine historisierende Interpretation nahe, denn seinen Lesern muss Lukas nicht mehr sagen, dass nach der Zerstörung des Tempels das Ende „nicht so bald“ (o§k e§jfiw“) kommt. Die wissen das längst. Es ist aber auch möglich, dass er an christliche Parusiealarmisten in seiner Gegenwart denkt (s. bei V. 8). 672

21,5–36: Jesu letzte öffentliche Rede

21,12–19

10–11 Lukas folgt zwar weiterhin dem Ablauf der Rede von Mk 13, doch unterbricht er den Zusammenhang von Mk 13,7–8 durch die Einfügung einer Zwischenbemerkung (10a). Offensichtlich verstand er Mk 13,8 als Begründung (g›r) für den in V. 7d ausgesprochenen Vorbehalt, demzufolge „Kriege und Kriegsgerüchte“ (V. 7a) „noch nicht das Ende sind“ (o∂pw tÖ tfilo“), weil dies erst mit den in Mk 13,8 bzw. mit den in Lk 21,10b–11 beschriebenen Ereignissen beginnt. Die Zwischenbemerkung in 10a bekommt damit die Funktion, den zeitlichen Sprung zwischen den in V. 8–9 beschriebenen Vorgängen und den Ereignissen, die dem „Ende“ unmittelbar vorausgehen, deutlicher zu markieren als dies in Mk 13,7–8 der Fall war. Gegenüber V. 8–9 wird die Perspektive jetzt ins Universale ausgeweitet. In 10b wird diese Ausweitung mit Hilfe eines Parallelismus membrorum hergestellt, der mit der paarigen Verknüpfung der generischen Begriffe „Volk“ und „Königreich“ alttestamentlichen Sprachgebrauch aufnimmt; vgl. mit derselben Intention 1.Kön 18,10 („wenn es ein Volk oder ein Königreich gibt [e¢ ≤stin ≤jno“ À basile‡a], wohin mein Herr nicht gesandt hätte, …“); 2.Chr 32,15; 1./3.Esr 1,22; Jer 18,7.9; 27 (LXX: 34),8; im Plural: Ps 46,7; 79,6; Jer 1,10; Nah 3,5 (hebr. jeweils hk'l'm.m; und yAG). Die in diesen beiden Versen angekündigten Ereignisse sind auch sonst als eschatische Vorzeichen, die die Nähe des „Endes“ ankündigen oder mit ihm einhergehen, belegt: Für 10b vgl. griechApkEsr 3,13 (Ωtan ≤jno“ prÖ“ ≤jno“ †panastÔö †n polfimw, t·te gn„sesje Ωti †gg‚“ †stin tÖ tfilo“ «wenn Volk gegen Volk aufsteht mit Krieg, dann werdet ihr erkennen, dass das Ende nahe ist»); 4.Esr 13,29–31 („… wenn der Höchste beginnen wird, diejenigen zu erlösen, die auf der Erde sind. Und es wird Entsetzen über die Erdbewohner kommen. Sie werden danach trachten, Krieg gegeneinander zu führen, Stadt gegen Stadt, Ort gegen Ort, Volk gegen Volk, Königreich gegen Königreich [civitas civitatem et locus locum et gens ad gentem et regnum adversus regnum]“); 6.Esr 15,15 („erheben wird sich Volk gegen Volk zur Schlacht [exsurget gens contra gentem ad pugnam]“); s. auch 2.Chr 15,6; Jes 19,2; slawHen 70,5.23 (Weiteres bei Hartman, Prophecy*, 79 ff) . Für „Erdbeben“ (11a) vgl. Ez 38,19; ApkAbr 30,4.5; griechApkEsr 3,11; syrBar70,8; syrDan 14 (JSHRZ NF I/4, 41); Apk 6,12; 11,13; 16,18 sowie für „Hungersnöte und Seuchen“ OrSib 3,332; syrDan 14 (ebd.); s. auch Hartman, Prophecy*, 71 ff. – Die Alliteration (Parachrese; vgl. B/D/R § 488,2) limoÑ kaÑ loimo‡ ist als Begriffspaar in der antiken griechischen Literatur breit belegt: erstmals bei Hesiod, Op. 243; dann Herodot 7,171; Plutarch, Mor. 322a; Appian, Bell. Civ. 4,8,61; Iber. 417; Philo, Vit. Mos. 1,110; Ebr. 79; Josephus, Bill, 4,361; TestJud 23,3 u. ö.; wie hier mit seismo‡: OrSib 13,10; Philo, Somn. 2,125; Provid. 2,41; Aelius Theon, Progymn. 11 (II, 118,18 Spengel); Ptolemaeus, Apotelesm. 2,1,4. „Große Zeichen vom Himmel her“ (11b) werden z. B. in OrSib 3,796 ff beschrieben (Übers. J.-D. Gauger): „Und ich will dir ein Zeichen verkünden, das unschwer zu deuten, daß du erkennst, wann endlich auf Erden das Ende der Dinge sein wird: Wenn man dereinst an dem sternhellen Himmel zur Nachtzeit Schwerter gen Abend erblickt und auch gegen Morgen, und alsbald eine Wolke von Staub vom Himmel zur Erde hinabsinkt …“; Weiteres bei Berger, Prodigien, 1455 ff. – In V. 25 wird Lukas mit „Zeichen an Sonne und Mond und Sternen“ hieran wieder anknüpfen.

12–19 Lukas belässt es bei dieser Erwähnung der Ereignisse, die dem Ende unmittelbar vorausgehen, und geht noch einmal in die Zeit davor zurück. Auch hier ist wieder zu beobachten, dass er sich zwar weiterhin am Verlauf von Mk 13 orientiert, dabei jedoch die chronologischen Zäsuren auf der Ausdrucksebene des Textes deutlicher markiert: Mit Hilfe der Einfügung von prÖ dÇ to‚twn p›ntwn in V. 12a bringt er die in V. 12–19 und in V. 10–11 beschriebenen Vorgänge, deren zeitliche Zuordnung bei Markus unklar geblieben war, in ein eindeutiges Nacheinander. 673

21,12

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

12 prÖ dÇ to‚twn p›ntwn (12a) verweist auf die in V. 10–11 angekündigten Ereignisse. Die Ankündigung von 12a lässt Lukas erstmals für Petrus und Johannes in Apg 4,3 Realität werden, und zwar mit genau denselben Worten wie hier: Die Priester etc. (vgl. V. 1) †pfibalon a§toõ“ tÅ“ ceõra“ (s. dann auch 5,18; 12,1; 21,27). Auch die „Verfolgung“ (diwgm·“, di„kein) der Jünger lässt Lukas bereits in Jerusalem beginnen (8,1; s. dann auch 9,4 f; 13,50; 22,4.7 f; 26,11.14 f). In den Erzählungen der Apostelgeschichte finden auch die Ankündigungen ihr Widerlager, dass man die Jünger vor Tribunale stellt und in Gefängnisse wirft (4,5 ff; 5,18.27 ff; 6,9.12 ff; 8,3; 12,4; 16,23; 22,4; 26,10; zu paradid·nai als gemeinsamem Prädikat vgl. Spicq, Lexicon III, 23; s. auch bei 12,58), dass man sie „vor Könige und Herrscher abführt“ (23,33; 24,1 ff; 25,6 ff.23 ff) und dass sie das alles „um Jesu Namens willen“ erleiden werden (vgl. Apg 4,7.17 f; 5,28.40.41; s. auch 9,14.16.21; 21,13). – Das bedeutet freilich nicht, dass Lukas diese Ankündigungen nur auf die Zeit bis zur Zerstörung Jerusalems bezogen wissen wollte (gegen Fitzmyer II, 1338 f; Bridge* 124; Stegemann, Zwischen, 81 f; s. auch bei 12,11). Die entsprechenden Erfahrungen waren vielmehr auch in seiner Gegenwart noch als präsent wahrnehmbar, und aus V. 28 geht zudem hervor, dass er ihre Beendigung erst vom Kommen des Menschensohnes erwartete (vgl. V. 28). 13 Zur Interpretationsgeschichte dieses Satzes vgl. Keck* 199 f; Nellessen* 100 ff. Parallelen für üpoba‡nein + Dat. commodi/incommodi + e¢“ gibt es bei Plutarch, Mor. 299 f (üpfibh dû e¢“ o§dÇn crhstÖn a§toõ“ «das gereichte ihnen aber zu keinem Nutzen»); Hiob 13,16 = Phil 1,19 (toút· moi üpobflsetai e¢“ swthr‡an «das wird mir zum Heil gereichen»); Hiob 13,5 (üpobflsetai ≠mõn e¢“ sof‡an «es wird euch zur Weisheit gereichen»), Hiob 22,11aA (tÖ fù“ soi e¢“ sk·to“ üpfibh «das Licht gereichte dir zur Finsternis») und TestHiob 43,6 („Der Schein seiner Lampe wird ihm zur Verurteilung gereichen [üpobflsetai a§tù e¢“ kr‡ma], denn er ist der Sohn der Finsternis und nicht des Lichts“).

Diese Parallelen unterstützen teilweise die Interpretation von Hartman, Linguistic Examination*: mart‚rion bezeichnet nicht das „Zeugnis“, das die Jünger abgeben, sondern das „Zeugnis“, zu dem ihnen ihr Geschick wird, und das sind die in V. 12b.c erwähnten forensischen Situationen (gegen Hartman*, ebd. 63; dieser Bezug ist wahrscheinlich, weil sie auch noch in V. 14–15 im Blick sind). Diesen „Zeugnischarakter“ bekommt das Geschick der Jünger dadurch, dass es ihre ≠pomonfl (V. 19; Näheres s. dort) unter Beweis stellt, weil sie nämlich – mit 12,8–9 gesagt – Jesus nicht „verleugnet“, sondern „bekannt“ haben. Die Erfahrung von ‚Unheil‘ wird den Jüngern also zur Ursache von ‚Heil‘ werden, und diese Bewegung entspricht auch dem Gebrauch des zur Debatte stehenden Ausdrucks in den meisten der oben genannten Texte, wo mit ihm der Umschlag eines bestimmten Sachverhalts in sein Gegenteil bezeichnet wird (vgl. vor allem Hiob 13,16; 22,11aA; TestHiob 43,6; Phil 1,19). 14 Im Blick bleiben die forensischen Situationen, von denen in V. 12b („Synagogen“) und 12c („Könige und Herrscher“) die Rede war. Zum Septuagintismus tijfinai †n taõ“ kard‡ai“ ≠mùn s. bei 1,66 (vgl. noch 9,44). Der Inhalt der Aufforderung entspricht 12,11b. Zu promeletôn üpologhjönai im Sinne von ‚eine Verteidigungsrede vorbereiten‘ vgl. Aristophanes, Eccl. 116 f: „Eben darum sind wir hier versammelt, Ωpw“ promeletflswmen ®keõ deõ lfigein «damit wir einstudieren, dort zu reden»“. Das ist aber auch der einzige Beleg, und er sollte darum nicht überschätzt werden. 15 In 15a wird dasselbe von Jesus gesagt, was in 12,12 und in Mk 13,11 dem heiligen Geist zugeschrieben wurde. Ein theologischer Unterschied lässt sich daraus nicht kon674

21,5–36: Jesu letzte öffentliche Rede

21,18

struieren. „Mund“ (st·ma) steht hier wie in 19,22 als Metonym für die Rede, die aus ihm herauskommt (s. bei 19,22–23); s. auch Ex 4,10–12 mit der Zusage: „Und nun geh hin! Ich will mit deinem Mund sein (LXX: †gá üno‡xw tÖ st·ma sou «ich werde deinen Mund öffnen») und dich unterweisen, was du reden sollst“. st·ma kaÑ sof‡a meint in diesem Sinne: ein Mund, der Weisheit spricht (s. auch B/D/R § 442,9b). Die Ankündigung von 15b (das Relativpronomen bezieht sich auf sof‡a), die als kunstvolle Paronomasie gestaltet ist (üntistönai, ünteipeõn, üntike‡menoi), lässt Lukas erstmals bei Stephanus Realität werden: Leute aus verschiedenen Synagogen „stritten mit Stephanus, und sie konnten der Weisheit (sof‡a) und dem Geist, mit dem er redete, nicht widerstehen (o§k ¥scuon üntistönai)“ (Apg 6,9 f; vgl. auch 4,13 f; 13,8–11). Diese Zusage ist damit natürlich nicht abgegolten, denn nach lk Verständnis gilt sie auch für alle forensischen Situationen, in denen Christen sich seitdem befunden haben, befinden und befinden werden. 16–17 Die mk Ankündigung des allgemeinen Zerfalls der innerfamiliären Beziehungen als Zeichen der Endzeit (Mk 13,12; zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund s. bei 12,52–53) bezieht Lukas auf die Jünger und integriert sie in eine dreiteilige Ankündigung des auf sie zukommenden Leidensgeschicks (paradojflsesje … janat„sousin … ≤sesje miso‚menoi). In 16 wird mit paradojflsesje das Prädikat von V. 12b aufgenommen und die dort angekündigte Erfahrung von der anderen Seite, d. h. nicht vom Ziel, sondern von den Tätern her bestimmt (16a). Gedacht ist wohl an Denunziationen. Die Reihe „Eltern und Geschwister (zu dieser Bedeutung von üdelfo‡ s. bei 18,29) und Verwandte und Freunde“ beschreibt das unmittelbare soziale Umfeld eines Menschen von innen nach außen (zu ähnlichen Reihen s. bei 14,12; 18,29); das Paar suggeneõ“ kaÑ f‡loi ist in der antiken Gräzität weit verbreitet (z. B. Plato, Phaedr. 239e; Diodorus Siculus 13,3,1; 28,5; 111,3; Philo, Vit. Mos. 1,39.303.307.322; Josephus, Ant. 7,43.164; Bell. 1,556.620). – Dass das Leiden für einige bis zum Tod geht (16b), wird Lukas schon in der Apostelgeschichte berichten können (Stephanus: 7,57 f; Jakobus Zebedäus: 12,2). Zum Gebrauch von partitivem †x ≠mùn als Objekt bei Auslassung eines Pronomens s. bei 11,49. In 17, welchen Vers Lukas wörtlich aus Mk 13,13a übernommen hat, wird die präpositionale Reihe ≠pÖ gonfiwn usw. (16a) durch ≠pÖ p›ntwn amplifizierend verlängert: Auch die nicht zur Familie und zum Freundeskreis Gehörenden werden die Anhänger Jesu ablehnen. Zum Inhalt der Ankündigung s. bei 6,22. 18 Den Leidensankündigungen von V. 12–17 wird die Rettungszusage gegenübergestellt. Sie ist als hyperbolisches Bildwort formuliert, bei dem es sich offenbar um eine verbreitete Redensart handelte (vgl. Apg 27,34; s. auch 1.Sam 14,45; 2.Sam 14,11; 1.Kön 1,52; DanTheod. 3,94). Es greift auf dieselbe Metaphorik zurück wie 12,7 und verfolgt auch dieselbe Intention: Die Rettungszusage gilt ohne die geringst-denkbare Einschränkung, und das ist bei dem Menschen nun einmal der Verlust eines so leicht verlierbaren und unwichtigen Bestandteils seines Körpers wie eines Haares. Die Ontologie der Rettungszusage entspricht derjenigen von 9,24b und 17,33b, denn angesichts der Leidensankündigungen von V. 12–17 gibt es die unbedingte Gewissheit der Rettungszusage nur als Bestandteil des Wirklichkeitsverständnisses von kognitiven Außenseitern, die unter Bewahrung und Unversehrtheit etwas ganz anderes verstehen als die Mehrheitsgesellschaft. Weil sie jedoch die Begriffe der kognitiven Mehrheit benutzen müssen, können sie davon nur metaphorisch reden. 675

21,19

19,47 – 21,38: „Und er lehrte jeden Tag im Tempel“

19 yucfl steht für „Leben“ (hebr. vp,n) trennte (Josephus, Bell. 5,219; s. auch Hebr 9,3: „der zweite Vorhang“). Es ist jedoch fraglich, ob diese Details eine Rolle spielen. Die Formulierung tÖ katapfitasma toú naoú spricht eher dagegen und lässt vermuten, dass Lukas nicht wusste, wo sich dieser Vorhang befand. Die Verknüpfung mit der Sonnenfinsternis und die offenkundige Beschädigung eines Teils der Tempelausstattung machen es wahrscheinlich, dass Lukas das Zerreißen des Vorhangs als ein für den Tempel bedrohliches Zeichen verstanden wissen wollte (s. auch Brown* II, 1106), das aus seiner Perspektive durchaus für eine Deutung als realsymbolischer Beginn der Zerstörung des Tempels offen war (s. auch Marshall). Mit Sicherheit kann man darum nur sagen, dass Lukas die Zerteilung des Vorhangs ganz bestimmt nicht als eine „Öffnung“ verstanden hat, die den Blick auf eine Theaterbühne freilegt (gegen Klumbies* 196 f). 46 Jesus stirbt bei Lukas mit den Worten von Y 30,6. Dem Prätext gegenüber hat Lukas die Vater-Anrede ergänzt und aus dem Futur parajflsomai das Präsens parat‡jemai gemacht. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Vertrauensäußerung in Y 30,6 Bestandteil der Bitte um Bewahrung vor dem Tod ist, während sie bei Lukas der Gewissheit Ausdruck gibt, auch nach dem Tod noch in Gottes Hand zu leben. „Mein Geist“ steht darum metonymisch für das lebendige Ich des Beters (vgl. 1,47; im AT: Hiob 6,4; Ps 77,4; 143,4.7; Jes 38,16; s. auch syrBar 3,2). Der Gebrauch 762

22,66 – 23,56: Am nächsten Tag

23,48

von toúto e¥pwn in Lk 24,39–40 erlaubt es, Jesu Ruf als eine explizit performative Aussage zu interpretieren: Jesus spricht nicht erst und stirbt danach, sondern mit dem Sagen geschieht das Gesagte. Jesus stirbt, indem er seinen Geist in die Hände des Vaters legt. 47–49 Die Szene wird durch eine Art Epilog abgeschlossen, in dem Lukas Augenzeugen des Geschehens in den Blick nimmt. Die Kohärenz dieser Verse wird dementsprechend durch Begriffe des Sehens hergestellt; vgl. ¢d„n (V. 47); jewr‡a und jewrflsante“ (V. 48); ¨rùsai (V. 49). 47 Die Reaktion des Hundertschaftsführers (Centurio), den Lukas wie eine bereits bekannte Erzählfigur einführt, erinnert an die Doxologie-Berichte in einigen Wundergeschichten (vgl. 5,25.26; 7,16; 13,13; 17,15; 18,43). Von einem dox›zein tÖn je·n spricht Lukas immer dann, wenn er deutlich machen will, dass im Handeln Jesu das Wirken Gottes erkannt wird. Eine solche Deutung schreibt Lukas hier auch dem Centurio zu: In Jesu Sterben und seinen Begleitumständen sieht er Gott am Werk. Damit ist aber auch die Bedeutungsebene für das Verständnis von d‡kaio“ (47b) festgelegt: Der Centurio stellt in 47b nicht lediglich Jesu strafrechtliche Unschuld fest, sondern er thematisiert Jesu Gottesverhältnis (s. auch Matera* 481; Karris*; Doble* 70 ff). Ähnlich wie in 7,16, wo der Doxologie-Bericht ebenfalls in wörtliche Rede übergeht (vgl. auch die Entsprechung der jeweiligen Verknüpfung durch lfigwn bzw. lfigonte“), lässt Lukas den Lobpreis Gottes auch hier in einer Aussage über Jesus zum Ausdruck kommen (s. auch Schneider II, 487). Eine besondere Beziehung besteht möglicherweise zum ersten Doxologiebericht in 2,20: Hier schreibt Lukas den aus Bethlehem zurückkehrenden Hirten ebenfalls ein dox›zein … tÖn je·n zu. Am Anfang und am Ende des Lebens Jesu steht damit das Gotteslob. d‡kaio“ ist hier weder messianischer Titel (wie in Apg 3,14; 7,52; 22,14) noch messianisches Attribut (wie in Jer 23,5LXX; Sach 9,9; PsSal 17,32), sondern steht eher in der Tradition vom leidenden Gerechten (vgl. z. B. Ps 31,19; 34,20; 37,32; 94,21; Jes 53,11; SapSal 2,18). Eine Querverbindung gibt es zu TestAss 6,4–6: „Die Lebensausgänge der Menschen zeigen ihre Gerechtigkeit an (tÅ tfilh tùn ünjr„pwn de‡knusi tÉn dikaios‚hn a§tùn). … Wenn nämlich die Seele beunruhigt fortgeht, wird sie vom bösen Geist gequält, dessen Sklave sie war in Begierden und bösen Werken; wenn aber ruhig mit Freude, lernt sie den Engel des Friedens kennen; er wird ihn trösten im Leben (paramujeõtai a§tÖn †n zwÔö).“ Dieser Zusammenhang kann auch erklären, warum der Centurio Gott über dem Tod eines Gerechten preisen kann: weil Gott bereits durch die Umstände des Sterbens Jesu dessen Gerechtigkeit manifest gemacht hat.

48 Lukas lenkt den Blick auf die Jerusalemer Bevölkerung. Er hatte sie erst mit zur Hinrichtungsstätte ziehen lassen (V. 27a) und dann dort zu Schaulustigen gemacht (V. 35a), wie sie sich bei solchen Ereignissen offenbar regelmäßig einfanden; vgl. vor allem mit demselben Begriff 3.Makk 5,24 mit Bezug auf das an den alexandrinischen Juden geplante Massaker: „Die städtische Bevölkerung versammelte sich zu dem erbarmungswürdigsten Schauspiel (prÖ“ tÉn o¢ktrot›thn jewr‡an) …“; s. auch 2.Makk 5,26 sowie die bei V. 27 genannten Texte. Die Jerusalemer reagieren auf die Geschehnisse mit derselben Geste, mit der in 18,13 der Zöllner vor Gott getreten war und die er seiner Bitte „Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!“ unterlegt hatte. Das Schlagen an die Brust ist eine symbolische Selbstbestrafung und gilt als Ausdruck von Reue, Trauer und Schmerz (Josephus, Ant. 4,320; 7,252; VitAd 42,8; JosAs 10,1.15; Philo, Flacc. 157; Menander, Dyscol. 647; Arrian, Anab. 7,24,3; Apuleius, 763

23,49

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

Met. 7,27,2; 9,31,1). Lukas schreibt den Jerusalemern damit durchaus so etwas wie ein Unrechtsbewusstsein zu. Von einer ‚Umkehr‘ im Sinne von Apg 2,37 f kann aber keine Rede sein. 49 Die Bezeichnung der dritten Gruppe als o´ gnwstoÑ a§tù (49a) hat Lukas vermutlich aus der mk Formulierung „viele andere (Frauen), die mit ihm nach Jerusalem hinaufgegangen waren“ (Mk 15,41), gewonnen und auf männliche Begleiter Jesu ausgedehnt (üpÖ makr·jen hat er in Mk 15,40a vorgefunden). Möglicherweise sind aber auch Anspielungen auf Y 37,12 (o´ ≤ggist› mou üpÖ makr·jen ≤sthsan «meine Nächsten stehen von ferne») und/oder Y 87,9 (†m›kruna“ toÜ“ gnwsto‚“ mou üpû †moú «meine Bekannten hast du von mir entfernt») intendiert; in beiden Fällen handelt es sich um Klagelieder des Einzelnen. – Dass die Leser sich vorstellen sollen, dass dazu auch die Apostel gehörten, ist nicht undenkbar – immerhin spricht Lukas von „allen“ Bekannten Jesu. Er hätte die engsten Vertrauten Jesu sich dann in dieser größeren Gruppe verstecken lassen und damit gleichzeitig Auskunft über ihren Verbleib zwischen 22,54 und 24,9 gegeben. – Die aus Mk 15,40a übernommenen Frauen waren den Lesern bereits in 8,2–3 begegnet; Lukas muss sie darum jetzt nicht mehr namentlich vorstellen. Das recht gewaltsam angeschlossene Partizip ¨rùsai tritt vermutlich an die Stelle von jewroúsai (Mk 15,40a), um die Art und Weise des Zusehens dieser Frauen von der schaulustigen Neugier der Jerusalemer (vgl. V. 35.48) zu unterscheiden. 23,50–56: Grablegung und Vorbereitung der Totensalbung 50Und

siehe, da war ein Mann namens Josef, ein Ratsherr und ein guter wie gerechter Mann 51– der hatte ihrem Beschluss und Handeln nicht zu­ gestimmt – aus Arimathäa, einer Stadt der Juden, der auf die Königsherr­ schaft Gottes wartete. 52Der ging zu Pilatus und bat um den Körper Jesu. 53 Und er nahm ihn herab, wickelte ihn in ein Tuch und legte ihn in eine in den Felsen geschlagene Grabstätte, wo noch nie einer gelegen hatte. 54Und es war der Vorbereitungstag, und der Sabbat war kurz davor anzubrechen. 55 Es waren aber auch die Frauen, die mit ihm aus Galiläa gekommen waren, hinterhergegangen. Sie sahen das Grab und wie sein Körper abgelegt wurde. 56Daraufhin kehrten sie um und bereiteten Gewürze und Duftöle vor. – Den Sabbat über hielten sie jedoch Ruhe nach dem Gebot. Literatur: s. o. S. 686. – Außerdem: Brown* II, 1199–1313. – C.G. Müller, Josef von Arimathäa und die Grablegung Jesu (Lk 23,50–56), in: „Licht zur Erleuchtung der Heiden …“, 179–198.

Lukas erzählt in V. 50–56 zwei Geschichten mit zwei unterschiedlichen Protagonisten: In V. 50–53 steht Josef von Arimathäa im Mittelpunkt und in V. 55–56 die galiläischen Frauen, die die Leser bereits aus V. 49b kennen. – Beide Geschichten werden auf der Ebene der Personen durch die Zeitangabe in V. 54 voneinander getrennt, während sie sich auf der Ebene der erzählten Zeit überschneiden: In V. 55 erfahren die Leser, dass die Frauen an der Geschichte der Grablegung Jesu durch Josef von Arimathäa im Hintergrund teilgenommen haben. In V. 56 geht die Erzählung über den in V. 53 erreichten Zeitpunkt hinaus. In Bezug auf den Ort der beiden Geschichten führt Lukas die Leser zunächst von der Kreuzigungsstätte mit Josef zum Grab Jesu, und von dort folgen sie den Frauen dorthin, wo diese sich ständig aufhalten. Wo das ist, bleibt unerwähnt, doch muss es sich um einen Ort handeln, an dem man Gewürze und Duftöl vorbereiten 764

22,66 – 23,56: Am nächsten Tag

23,50–51

und den Sabbat verbringen kann. Die Episode hat keinen Abschluss, denn V. 56 löst die Erwartung aus, dass auch noch erzählt wird, wofür die Frauen Salben und Duftöl vorbereitet haben und was sie nach Ablauf des Sabbats tun werden. Diese Erwartung wird dann gleich in 24,1 eingelöst. Als Quelle kommt nur Mk 15,42–47 in Frage. – Zu verzeichnen sind die folgenden auffälligen Minor Agreements: Die Zeitbestimmung von Mk 15,42b („denn es war Rüsttag, d. h. der Tag vor dem Sabbat“) fehlt in V. 50 par. Mt 27,57 bzw. wird partiell erst in V. 54 bzw. in Mt 27,62 nachgetragen; oñto“ proselján tù Pil›tw (V. 52a par. Mt 27,58a) statt tolmflsa“ e¢söljen prÖ“ tÖn Pilôton ka‡ (Mk 15,43c); Mk 15,44–45a fehlt zwischen V. 52/53 par. Mt 27,58a/b; †net‚lixen a§tÖ [†n] sind·ni (V. 53a par. Mt 27,59; dasselbe Verb auch in Joh 20,7) statt †ne‡lhsen tÔö sind·ni (Mk 15,46a); die Information, dass in Jesu Grab noch niemand gelegen hatte (V. 53c par. Joh 19,41c), hat eine gewisse Entsprechung in Mt 27,60a (das Grab ist „neu“); †pif„skein in V. 54b (mit Bezug auf den Sabbat) und Mt 28,1 (mit Bezug auf den ersten Wochentag) ist ohne mk Äquivalent – was nicht weiter bemerkenswert wäre, wenn dieses Verb mit Ausnahme eines Dichterfragments aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. (Anonymus de viribus herbarum, ed. E. Heitsch, Die griechischen Dichterfragmente der römischen Kaiserzeit II, 1964, 64,24 [S.25]) nicht auch in der gesamten griechischen Literatur fehlen würde; vgl. ansonsten Neirynck, Minor Agreements (1974), 191 f und (1991), 89; Ennulat, ›Minor Agreements‹, 402 ff.

50–51 Die Vorstellung Josefs von Arimathäa (kaÑ ¢do‚ + Nominalsatz; vgl. B/D/R § 127) ähnelt den Einführungen neuer Erzählfiguren in Mt 12,10; Lk 5,12.18; 7,37; 13,11; 19,2; Apg 8,27. Sie ist vor allem durch die apologetische Parenthese 51a syntaktisch völlig aus den Fugen geraten. Lukas ergänzt Informationen, die er aus Mk 15,43a–b übernommen hat (50a.51b.c), durch eigene Bewertungen und Erklärungen (50b–51a.b). – Josef von Arimathäa kommt sonst nirgends im Neuen Testament vor. Es ist diese Bedeutungslosigkeit, die es wahrscheinlich macht, dass die Überlieferung von der Grablegung Jesu durch Josef von Arimathäa einen historischen Kern hat. ûArimaja‡a (51b) wird in der Regel mit dem in 1.Sam 1,1 Ramatajim-Zofim (LXX: Armajaim Sifa) genannten Ort identifiziert, der auch in 1.Makk 11,34 (Rajamin) und in Josephus, Ant. 13,127 (ßRamaja‡n) erwähnt wird; s. auch Eusebius, Onomast., GCS XI/1, Euseb. III/1, 32,21–23 (vgl. jedoch ebd. 144,27–29, wo Arimathäa mit dem in Ri 9,41 erwähnten Aruma [LXX: Arhma B, Arima A] identifiziert wird). Der Ort liegt ca. 15 km nordöstlich von Lod / Lydda bzw. in derselben Entfernung südöstlich von Afek / Antipatris. – Die Formulierung p·li“ (tùn) ûIouda‡wn (51b) findet sich auch bei Josephus, Vita 349, der mit ihr den Unterschied zu Städten wie Tiberias, Hippos, Gadara und Skythopolis markiert. Sie besagt also, dass es sich um eine mehrheitlich von Juden bewohnte und von jüdischer Alltagskultur dominierte Stadt handelte.

Die Identifizierung durch kaÑ ¢doÜ ünÉr £n·mati + Eigenname (50a) hat ihre engste Entsprechung in der Vorstellung des Zachäus in 19,1 (Weiteres s. dort; zum Namen s. bei 1,27). Die aus Mk 15,43 übernommene Bezeichnung bouleutfl“ hat Lukas zweifellos im Sinne einer Zugehörigkeit zum Synedrion verstanden; das geht aus der Zwischenbemerkung in 51a, die Josef von jeglicher Beteiligung an den Aktionen des Hohen Rats gegen Jesus freispricht, mit hinreichender Deutlichkeit hervor (vgl. die Paronomasie bouleutfl“/boulfl sowie Josephus, Bell. 2,405 [±rconte“ kaÑ bouleuta‡]; 6,354 [bouleutflrion]; zum Begriffspaar boulÉ kaÑ prôxi“ s. auch Josephus, Bell. 4,214); zum Gebrauch von sugkatat‡jemai vgl. Ex 23,1.32. Mit Josefs Charakterisierung als ügajÖ“ kaÑ d‡kaio“ greift Lukas auf ein eingeführtes Begriffspaar zurück, das seit alters gebraucht wird, um ethische Aristie in politischem Kontext zu umschreiben; vgl. bereits Plato, Resp. 544e: der „gute und gerechte“ Mensch entspricht der aristokratischen

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23,52

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

Staatsverfassung; 588a; Gorg. 519d; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 8,6,2; Antoninus Liberalis, Metamorph. 14,2; Plutarch, Thes. 10,2; in hellenistisch-jüdischen Texten: Josephus, Ant. 4,134; 6,21.153; 7,369; 9,100.132.216; 10,246; 14,106; OrSib 3,312.

Mit der aus Mk 15,43 übernommenen Charakterisierung prosedficeto tÉn basile‡an toú jeoú stellt Lukas ihn dem frommen Simeon, „der die Tröstung Israels erwartete“ (2,25), ebenso an die Seite wie den in 2,38 Erwähnten, die „die Befreiung Jerusalems erwarteten“, denn genau das war es, was sich fromme Juden von der irdischen Durchsetzung der Königsherrschaft Gottes erhofften (s. auch 24,21; vgl. dazu Wolter, Reich Gottes bei Lukas, 545 f). – Lukas stellt Josef von Arimathäa als einen frommen Juden im besten Sinne des Wortes dar. 52 Lukas nennt keinerlei Motiv für Josefs Handeln. Die Sorge für die Bestattung der Toten gehörte zu den wichtigsten Betätigungen jüdischer Frömmigkeit; vgl. vor allem Tob 1,17 f; 2,3–8 (Tobit sorgt unter Lebensgefahr für die Bestattung Hingerichteter); Josephus, Bell. 4,317 („die Juden tragen so große Fürsorge für das Begräbnis, dass sie sogar die zum Kreuzestod Verurteilten vor Sonnenuntergang herunternehmen und begraben“). Nach Dtn 21,22–23 musste ein Verbrecher, der nach seinem Tod an einen Pfahl gehängt wurde, vor Sonnenuntergang wieder abgenommen werden, damit das Land nicht verunreinigt werde. Wenn dieser Hintergrund assoziativ präsent sein sollte, handelte Josef hier nicht um Jesu, sondern um seiner jüdischen Frömmigkeit willen. 53 ‚Herabgenommen‘ und ‚eingewickelt‘ wird Jesu sùma („a§t·“), während bei der Grablegung wieder von Jesus als Person die Rede ist („a§t·n“ mit P75 A L W Q Y 070. 33 M c; die von a B C D pc lat bezeugte Variante a§t· ist lectio facilior). – Dass Jesus in ein noch unbenutztes Grab gelegt wird, reflektiert dasselbe Motiv wie sein Einzug in Jerusalem auf einem noch ungerittenen Esel (19,30; Weiteres s. dort). Dieser Sachverhalt wird auch noch für die Interpretation von 24,12 relevant sein (Näheres s. dort). Die Erzählung entwirft das Bild einer in den Felsen getriebenen Grabanlage mit mehreren Stollen oder Nischen (einen guten Eindruck von einer solchen Anlage vermitteln z. B. die Photographien und Grundrisse bei G. Avni u. a., Three New Burial Caves of the Second Temple Period in Aceldama, in: Ancient Jerusalem Revealed, 206–218). Der Ort, an den Jesu Leiche gelegt wurde, ist also ein Platz innerhalb einer solchen Grabanlage, auf dem die Körper der Toten bis zur Verwesung des Fleisches verblieben. Danach wurden die Knochen in einem Ossuar gesammelt und noch einmal bestattet. 1968 hat man in der Nähe Jerusalems ein solches Ossuar mit den Knochen eines Gekreuzigten gefunden (s. dazu Kuhn, Der Gekreuzigte von Givcat ha-Mivtar). – Ob das heute in der Grabeskirche gezeigte Grab der Ort der Bestattung Jesu war, muss offen bleiben (die Tradition geht bis in das 4. Jahrhundert zurück; vgl. Bieberstein / Bloed­ horn, Jerusalem II, 183 ff; Küchler, Jerusalem, 425 ff); das sog. „Gartengrab“ an der Conrad-Schick-Street kommt mit Sicherheit nicht in Frage. 54 Lukas beendet den Tag, den er in 22,66 begonnen hatte. Erst jetzt erfahren die Leser, dass Jesus am Tag vor dem Sabbat gekreuzigt wurde (zur Formulierung vgl. Josephus, Ant. 16,163: †n s›bbasin À tÔö prÖ a§tö“ paraskeuÔö «am Sabbat oder am Vorbereitung[stag] vor ihm»). Da der Sabbat immer bei Sonnenuntergang beginnt, ist †pfifwsken entweder metaphorisch gemeint, oder der Ausdruck will „das Aufleuchten des ersten Sterns bei Sabbatanbruch“ bezeichnen (E. Lohse, ThWNT 7,20 Anm. 159). Mt 28,1 gebraucht dasselbe Verb zur Bezeichnung des Morgens, als die Frauen zum Grab gehen. – Die Zeitangabe markiert einen narrativen Einschnitt, 766

24,1–52(53): Am ersten Tag der neuen Woche

24,1–52(53)

denn die in V. 55–56a erzählte Zeit liegt zwar einerseits vor dem Zeitpunkt, der in 54b erreicht ist, andererseits evoziert sie die Erwartung, dass die Erzählung noch weitergehen wird. 55 Lukas lenkt den Blick der Leser noch einmal zurück und lässt sie den Weg, den er in V. 53 unter der Textoberfläche implizit miterzählt hat, noch einmal gehen: den Weg vom Kreuz bis dorthin, wo Jesu Leiche abgelegt wurde. Zu Beginn wiederholt er die Identifikation der Frauen aus V. 49b und führt die Leser dadurch erst zum Kreuz zurück, um sie dann die Frauen zum Grab begleiten zu lassen. Lukas muss die Frauen natürlich die Lage des Grabes kennen lassen, damit sie es am übernächsten Tag wiederfinden können. Anders als in Mk 15,47 kommt es bei ihm nicht darauf an, dass die Frauen sehen, „wo“ (poú) Jesus innerhalb der Grabanlage „lag“ (tfijeitai; statives Perfekt), sondern „wie“ (Æ“) sein Leib „abgelegt wurde“ (†tfijh; punktueller Aorist). Offensichtlich will Lukas mit diesem „Wie“ andeuten, dass die Bestattung Jesu in den Augen der Frauen unvollständig geblieben war, um deren neuerlichem Grabbesuch in 24,1 ein Motiv zu geben (s. auch Fitzmyer). 56a Mit der hier beschriebenen Tätigkeit der Frauen befindet sich die erzählte Zeit immer noch bei demselben Zeitpunkt, den Lukas bereits in V. 54 erreicht hatte. Er bereitet hier aber schon den Grabbesuch der Frauen von 24,1 vor. Was Lukas sich unter ür„mata vorgestellt hat, wird man nicht genauer sagen können, als dass es sich um duftende Substanzen gehandelt hat, die im Unterschied zum flüssigen m‚ron (s. dazu bei 7,37) offenbar trocken waren und bei der Salbung dem Öl beigegeben wurden. Die Septuaginta verwendet ±rwma immer zur Wiedergabe von hebr. ~f,Bo (2.Kön 20,13; 1.Chr 9,29.30; 2.Chr 9,1.9; 16,14; 32,27; Esth 2,12; Hhld 1,3; 4,10.16; 5,1.13; 6,2; 8,14). Nach Diodorus Siculus 18,26,3 wird der Sarg Alexanders d.Gr. mit ür„mata gefüllt, die „dem Körper sowohl Wohlgeruch als auch Haltbarkeit geben können“ (tùn πma dunamfinwn tÉn e§wd‡an kaÑ tÉn diamonÉn parficesjai tù s„mati). Ähnlich erzählt auch Chariton v. Aphrodisias 1,8,3, dass in einem Grab pollÉ … ürwm›twn £smfl «ein starker Geruch von Gewürzen» wahrzunehmen war. Vgl. auch die Beschreibung der Salbung Jesu bei der Bestattung nach Joh 19,40: „Sie nahmen den Körper Jesu und banden ihn in Tücher mit den Gewürzen …“ (nach V. 39: „Myrrhe und Aloe“). Für das Begriffspaar ür„mata kaÑ m‚ra s. auch Philostratus, Vit. Apoll. 6,2,1; Plutarch, Alex. 20,13; Artemidorus, Oneir. 2,49 (181,16 Pack).

56b Die erzählte Zeit pausiert für den Tag der Sabbatruhe, den die Leser bei den Frauen verbringen. Lukas will damit weniger die Torafrömmigkeit der Frauen betonen (nach mSchab 8,1 war es verboten, selbst so wenig Öl hinauszutragen, wie man benötigt, „um ein kleines Glied zu salben“), als einen narrativen Einschnitt markieren, der die ab 24,1 folgenden Ereignisse von den bis erzählten deutlicher absetzt. 24,1–52(53): Am ersten Tag der neuen Woche Literatur: T.H. Akaabiam, The Proclamation of the Good News. A Study of Lk 24 in Tiv Context (EHS.T 673), Frankfurt a.M. u. a. 1999. – R.J. Dillon, From Eye-Witnesses to Ministers of the Word. Tradition and Composition in Luke 24 (AnBib 82), Rom 1978. – L. Dussaut, Le triptyque des apparitions en Luc 24, RB 94 (1987) 161–213. – J.M. Guillaume, Luc interprète des anciennes traditions sur la résurrection de Jésus (EtB), Paris 1979. – Korn, Geschichte Jesu, 129–170. – E. Lohse, Die Auferstehung Jesu Christi im Zeugnis des Lukasevangeliums (BSt 31), Neukirchen-Vluyn 1961. – O. Mainville, De Jésus à l’Église: Étude rédactionelle de Luc 24, NTS 51 (2005) 192–211. – J. Plevnik, The Eyewitnesses of the Risen Jesus in Luke 24, CBQ 49

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24,1–12

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

(1987) 90–103. – P. Schubert, Struktur und Bedeutung von Lukas 24, in: Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, 331–359. – T.K. Seim, Conflicting Voices, Irony and Reiteration: An Exploration of the Narrational Structure of Luke 24:1–35 and its Theological Implications, in: Fair Play, 151–164. – S. van Tilborg / P. Chatelion Counet, Jesus’ Appearances and Disappearances in Luke 24 (Bibl.Interpr.S 45), Leiden u. a. 2000.

Alle Ereignisse, die Lukas in diesem Kapitel erzählt, spielen sich an einem einzigen Tag ab: „am ersten Tag der Woche“ (V. 1) nach dem Sabbat, der auf Jesu Todestag folgte (s. auch V. 13.33). Eine grobe narrative Rhythmisierung dieses erzählerischen Sammelbeckens wird durch die Orte markiert, denen Lukas die einzelnen Szenen zugeordnet hat: V. 1–12: das Grab; V. 13–29: auf dem Weg nach Emmaus; V. 30–32: in Emmaus; V. 33–49: Jerusalem; V. 50–53: Betanien. Tatsächlich ist die Erzählung aber sehr viel unruhiger, als es diese Gliederung erscheinen lässt (s. auch Mainville*): Die Erzählfiguren sind dauernd unterwegs (dreimal lässt Lukas sie dabei „zurückkehren“ [≠postrfifein]: V. 9.33.52; s. auch schon 23,48.56): (a) Die Frauen gehen zum Grab (V. 1); (b) sie kehren vom Grab zurück und gehen zu den Jüngern (V. 9); (c) Petrus läuft zum Grab und entfernt sich wieder von ihm (V. 12); (d) zwei Jünger gehen von Jerusalem nach Emmaus (V. 13–29); (e) sie kehren nach Jerusalem zurück (V. 33); (f) Jesus führt die Jünger hinaus nach Betanien (V. 50); (g) Jesus wird in den Himmel entrückt (V. 51); (h) die Jünger kehren nach Jerusalem zurück (V. 52). Erst mit V. 53 („sie waren allezeit im Tempel und priesen Gott“) kommt die Erzählung zur Ruhe. Abwechslungsreich sind auch die Figurenkonstellationen, die sich aus der bewegten Szenenfolge ergeben: (a) die Frauen und zwei Männer (V. 1–8); (b) die Frauen und die anderen Jünger (V. 9–11); (c) Petrus allein (V. 12); (d) die Emmausjünger und Jesus (V. 13–32); (e) die Emmausjünger und die anderen Jünger (V. 33–35); (f) Jesus und die Jünger (V. 36–52), bis (g) die Jünger zum Schluss mit sich allein sind (V. 53). Auffällig ist auch die relativ hohe Zahl von Rückblenden (Analepsen): In V. 6b– 8.9.19–24.35.44 wird erzählungsintern auf Vorgänge verwiesen, die die Leser durch ihre bisherige Lektüre kennen, während V. 34 mit der Erscheinung vor Petrus auf ein erzählungsexternes, d. h. auf ein nicht zuvor erzähltes Ereignis, Bezug nimmt. Ebenfalls um erzählungsexterne Rückblenden handelt es sich bei den mehrfachen Bezugnahmen auf die Auferstehung Jesu (V. 6a.26.34.46). Weil sie für Lukas unerzählbar ist (anders EvPetr 9–10 [35–42]), kann er sie nur in der narrativen Gestalt von solchen Analepsen erzählerisch abbilden, mit deren Hilfe das tatsächlich erzählte Geschehen gedeutet wird. 24,1–12: Das leere Grab 1Am

ersten Tag der Woche aber kamen sie im Morgengrauen zum Grab, um die Gewürze zu bringen, die sie zubereitet hatten. 2Sie fanden aber den Stein vom Grab weggerollt, 3und als sie hineingingen, fanden sie den Körper des Herrn Jesus nicht. 4Und es geschah, als sie darüber in Verwirrung ge­ rieten – siehe, zwei Männer traten zu ihnen in einem leuchtenden Gewand. 5Als sie es aber mit der Angst bekamen und ihre Blicke zu Boden senkten, sprachen die zu ihnen: „Warum sucht ihr den Lebenden unter den Toten? 6Er ist nicht hier, sondern er wurde auferweckt! Erinnert euch, wie er zu euch 768

24,1–52(53): Am ersten Tag der neuen Woche

24,1–12

gesprochen hat, als er noch in Galiläa war 7und vom Menschensohn sagte, dass er in die Hände von sündigen Menschen ausgeliefert und gekreuzigt werden sowie am dritten Tage auferstehen müsse!“ 8Und sie erinnerten sich seiner Worte. 9Und nachdem sie vom Grab zurückgekehrt waren, erzählten sie das alles den Elf und allen übrigen. 10Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, die (Mutter) des Jakobus, und die übrigen (Frauen) bei ihnen. Sie erzählten das den Aposteln, 11und diese Worte kamen ihnen wie dummes Geschwätz vor, und sie glaubten ihnen nicht. 12Petrus aber machte sich auf und lief zum Grab. Er sah genau hinein und erblickt lediglich die Bandagen. Daraufhin ging er nach Hause – voller Verwunderung über das, was vorgegangen war. Literatur: E. Bickermann, Das leere Grab, in: Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, 271–284. – A. Dauer, Zur Authentizität von Lk 24,12, EThL 70 (1994) 294–318. – Ders., Lk 24,12 – Ein Produkt lukanischer Redaktion?, in: The Four Gospels 1992 II, 1697–1716. – J. Engelbrecht, The Empty Tomb (Lk 24:1–12) in Historical Perspective, Neotest. 23 (1989) 235–249. – H. Gerits, Le message pascal au tombeau (Lc 24,1–12), EstTeol 8 (1981) 3–63. – J. Muddiman, A Note on Reading Luke XXIV.12, EThL 48 (1972) 542–548. – F. Neirynck, Le récit du tombeau vide dans l’évangile de Luc (Lc 24,1–12), in: ders., Evangelica I, 297– 312. – Ders., Lc. XXIV 12. Les témoins du texte occidental, in: ebd. 313–328. – Ders., The Uncorrected Historic Present in Lk. XXIV. 12, in: ebd. 329–334. – Ders., Parak‚ya" blfipei, in: ebd. 401–440. – Ders., ûApöljen prÖ" ©aut·n: Lc 24,12 et Jn 20,10, in: ebd. 441–455. – Ders., Once More Luke 24,12, in: ders., Evangelica III, 549–571. – Ders., A Supplementary Note on Lk 24,12, in: ebd. 572–578. – Ders., Luke 24,12. An anti-docetic Interpolation?, in: New Testament Textual Criticism and Exegesis, 145–158. – J.M. Ross, The Genuineness of Luke 24:12, ExpT 98 (1987) 107–108. – M.Vahrenhorst, „Se non è vero, è ben trovato“. Die Frauen und das leere Grab, ZNW 89 (1998) 282–288. – R.W. Wallace, ∞ORQROS, TAPA 119 (1989) 201–207.

Die Episode schließt unmittelbar an 23,56 an, denn die Frauen von V. 55 werden nicht noch einmal renominalisiert. Sie bleiben vielmehr im Fokus der Erzählung, die in drei Teilszenen zerfällt: die Frauen im Grab (V. 1–8); die Frauen berichten den Jüngern von ihren Erlebnissen und finden keinen Glauben (V. 9–11); der Grabbesuch des Petrus (V. 12). – In V. 1–8 sind Bausteine verarbeitet, die zu den formspezifischen Elementen von Erscheinungsberichten gehören (s. jeweils zur Stelle sowie zu 1,8–25 und zu 2,8–14): (a) †f‡sthmi + Dativ der Person (V. 4b); (b) der Empfänger der Erscheinung fürchtet sich (V. 5a); (c) die Rede der Erscheinenden (V. 5c–7). Die Erzählung basiert auf Mk 16,1–8. Nebenmk Überlieferungen sind nicht zu erkennen; die Erweiterungen in V. 9–11 und V. 12 dürften vielmehr auf Lukas zurückgehen (vgl. Neirynck*, Le récit). Ein besonderes überlieferungsgeschichtliches Problem bereitet die Übereinstimmung von V. 12b mit Joh 20,5 (s. o. S. 690; zum textkritischen Problem vgl. z.St.). Eine Lösung, die mehr wäre als eine Erklärungsmöglichkeit, habe ich nicht. Für besser als alle anderen Erklärungen halte ich immer noch den Vorschlag, dass der Verfasser der Endredaktion des JohEv das LkEv gekannt hat (s. auch Neirynck*). Als bemerkenswerte Minor Agreements sind zu nennen: Der innere Monolog der Frauen Mk 16,3 fehlt zwischen V. 1/2 par. Mt 28,1/2; †mf·bwn bzw. üpÖ … toú f·bou (V. 5a par. Mt 28,4a) als Reaktion auf die Engelerscheinung statt †xejambfljhsan (Mk 16,5c); die Wortfolge o§k ≤stin óde, … °gfirjh (V. 6a par. Mt 28,6a) statt °gfirjh, o§k ≤stin óde (Mk 16,6d); die Erinnerung an die Ankündigung (des Leidens und) der Auferweckung (Æ“ †l›lhsen) in V. 6b hat eine Entsprechung in kajá“ eèpen (Mt 28,6) und ist ohne mk Äquivalent; in V. 9 par. Mt 28,8 erzählen die Frauen

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24,1

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

den Jüngern vom leeren Grab (jeweils mit dem Verb üpaggfillein), während sie nach Mk 16,8 „niemandem nichts sagten“; vgl. ansonsten Neirynck, Minor Agreements (1974), 193 ff und (1991), 90 f; Ennulat, ›Minor Agreements‹, 409 ff.

1 Dass die Erzählung am ersten Tag der neuen Woche (zu tÔö … miô ist ™mfira zu ergänzen) weitergehen würde, konnten die Leser bereits auf Grund der Ruhenotiz von 23,56b erwarten. Mit ™to‡masan ür„mata knüpft Lukas zudem an die wörtlich identische Formulierung von 23,56a an. Die Wendung µrjrou bajfiw“ (Gen. der Zeit; vgl. B/D/R § 186,2) ist griechisches Idiom (vgl. Aristophanes, Vesp. 216; Plato, Crito 43a; Phlegon v. Tralles, Mirab. 1,14; Galen, Meth. Med., ed. Kühn X, 614,11; Praenot., ebd. XIV, 654,14; s. auch Wallace*). 2–3 Der Eingang zu Grabanlagen, der mehr oder weniger waagerecht in einen Felsen hineingetrieben worden war, wurde in der Regel mit einem großen scheibenförmigen Stein verschlossen, der in einem Schacht lief und zur Seite gerollt werden konnte. – Auf der Ausdrucksebene des Textes lässt Lukas die Leser am Erleben der Frauen teilnehmen. Seine Erzählweise erzeugt einen Knotenpunkt, der mehrere Lösungen haben kann, denn dass Jesu Leichnam sich nicht mehr im Grab befindet, ist nur eine von mehreren Erklärungsmöglichkeiten. Mit der Fortsetzung der Erzählung wird Lukas darüber hinaus deutlich machen, dass es selbst für das Verschwinden von Jesu Leichnam aus dem Grab mehrere Ursachen geben kann, von denen „Auferstehung“ alles andere als die nächstliegende ist (vgl. V. 11.23 f). Lukas bringt damit zum Ausdruck, dass das leere Grab auf Grund seiner Mehrdeutigkeit (vgl. Mt 28,13; Joh 20,2) die christliche Osterbotschaft prinzipiell nicht begründen kann – und sie historisch auch nicht begründet hat. Das leere Grab ist keine hinreichende Bedingung für die Gewissheit des Osterglaubens. Lukas ist der einzige Evangelist, der an dieser Stelle davon spricht, dass die Frauen Jesu Leichnam „nicht fanden“ (o§c eñron). Diese Mitteilung hat eine traditionsgeschichtliche Substruktur, in der bereits das Geschick Jesu erkennbar wird: Zu demselben „Nicht-finden“ eines Leichnams kommt es in mehreren Texten immer dann, wenn ein Mensch entrückt worden ist; vgl. Gen 5,24 von Henoch: „Und weil er mit Gott wandelte, nahm ihn Gott (MT: xq;l'; LXX: metat‡jhmi), und er wurde nicht mehr gefunden (o§c h≠r‡sketo)“; 2.Kön 2,17 von Elia: „Und sie sandten hin fünfzig Männer, und die suchten Elia drei Tage lang, und sie fanden ihn nicht (kaÑ o§c eæron a§t·n)“; TestHiob 39,12 über die Kinder Hiobs: „Ihr werdet meine Kinder nicht finden (o§ gÅr e≠rflsete), denn sie sind aufgenommen worden in die Himmel (ünelflfjhsan e¢“ o§rano‚“)“; für den nichtjüdischen Bereich vgl. Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,64,4: als nach einer Schlacht der Leib (sùma) des Äneas verschwunden blieb (fanerÖn o§damÔö gen·menon), „nahmen sie an, er sei zu den Göttern versetzt worden (e¢“ jeoÜ“ metastönai)“; Antoninus Liberalis, Metamorph. 25,4 (nachdem zwei Jungfrauen sich zur Beendigung einer Seuche freiwillig hatten töten lassen, heißt es): „Persephone und Hades aber erbarmten sich und machten die Körper der Jungfrauen unsichtbar. An deren Stelle trugen sie Sterne von der Erde empor. Die schienen aber in den Himmel emporgetragen worden zu sein (tÅ mÇn s„mata tùn parjfinwn °f›nisan, üntÑ dû †ke‡nwn üstfira“ ünflnegkan †k tö“ gö“: o´ dÇ fanfinte“ ünhnficjhsan e¢“ o§ran·n)“; Diogenes Laertius 8,68–69 mit dem Bericht über den Tod des Empedokles (im Hintergrund steht hier der Zusammenhang von Vergöttlichung und Entrückung; s. dazu bei V. 52): „Er warf sich in den feurigen Krater (des Ätna) und verschwand, weil er das Gerücht über ihn bestätigen wollte, dass er ein Gott geworden sei (Ωti geg·noi je·“)“; Diodorus Siculus 4,38,5 von Herakles: Sie „kamen zur Knochensuche, und als sie nicht einen einzigen Knochen fanden (mhdÇn Ωlw“ £stoún e§r·nte“), nahmen sie an, dass Herakles … von den Menschen zu den Göttern versetzt worden sei (†x ünjr„pwn e¢“ jeoÜ“ mejest›sjai); Arrian, Anab. 7,27,3 über Alexander d. Gr.: Er wollte sich in den Euphrat stürzen, damit sein Verschwinden als

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24,6–7

„Entrückung zu den Göttern (parÅ jeoÜ“ ™ üpoc„rhsi“)“ gedeutet würde; s. auch Bickermann*; Berger, Auferstehung, 117 ff.

4 Zum Septuagintastil der Einleitung (kaÑ †gfineto †n tù + Infinitiv mit Subjekt) s. bei 5,12; hier wie dort geht sie mit einem kaÑ-¢do‚-Satz weiter. Die Ratlosigkeit der Frauen über ihr Nicht-finden des Leichnams macht deutlich, dass Lukas dem Leersein des Grabes als solchem keinerlei Bedeutung für die Entstehung der Auferstehungsnachricht zuschreibt (s. auch Burchard, Studien, 339: „Das leere Grab läßt nichts Ungeheures ahnen, sondern stiftet Verwirrung“); vgl. auch Chariton v. Aphrodisias 3,3,1 f: üpor‡a als Reaktion darauf, dass die Steine vom Eingang eines Grabes entfernt wurden und der Eingang offen liegt. – Mit †f‡sthmi + Dativ hatte Lukas auch schon in 2,9 einen himmlischen Boten auftreten lassen (s. auch Apg 12,7; 23,11; außerntl Parallelen s. bei 2,9). Er identifiziert die beiden Männer hier zwar nicht expressis verbis, aber doch durch ihr strahlendes Gewand als Engel, und in V. 23 nennt er sie dann auch so (der Singular †n †sjöti üstrapto‚sÔh ist distributiv gemeint; vgl. B/D/R § 140). Sie erscheinen genauso unvermittelt auf der Szene wie die Engel von 2,9 und Apg 1,10 (vgl. bei diesem Text die Nähe zu 4b: kaÑ ¢doÜ ±ndre“ d‚o pareistflkeisan a§toõ“ †n †sjflsesi leukaõ“; s. auch Apg 10,30). Warum Lukas die Zahl der Engel im Grab gegenüber Mk 16,5 verdoppelt hat, weiß ich nicht. Die Regel von den zwei Zeugen (Dtn 19,15) sollte nicht bemüht werden, denn die Frauen befinden sich in einem Grab und nicht vor einem Gerichtshof (gegen Marshall; Nolland; Bock; Eckey); vielleicht hat C.F. Evans 894 das Richtige getroffen: „a conventional trait to heighten the effect“. 5 Die Frauen reagieren gattungsgemäß auf diese Begegnung: Sie erschrecken (mit ≤mfobo“ gen·meno“ beschreibt Lukas auch in 24,37 und Apg 10,4 die Reaktion auf Erscheinungen; s. noch Apg 24,25; Apk 11,13 sowie generell zum Erschrecken als Reaktion auf Erscheinungen bei 1,12). Das Senken der Blicke sollen die Leser als Demutsgestus interpretieren; vgl. äthHen 14,24 f („der Herr rief mich mit seinem Mund und sprach zu mir: ‚Komm her, Henoch …!‘ Und er weckte mich auf und brachte mich bis zu der Tür, ich aber senkte meinen Blick“) sowie Dan 10,15 ebenfalls innerhalb einer Erscheinungserzählung („als er in dieser Weise mit mir redete, richtete ich mein Gesicht zur Erde und verstummte“). Mit einer rhetorischen „Warum“-Frage, deren Intention darin besteht, das Verhalten des jeweils Angeredeten zu tadeln (s. dazu bei 2,48), wird die Rede des Erscheinenden auch sonst häufig eröffnet. Die Beispiele reichen von Num 22,32 (der Engel zu Bileam: „Warum hast du deine Eselin schon dreimal geschlagen?“) über Jub 17,11; syrBar 22,1 f; 55,3 f; Lk 24,38; Apg 1,10 f bis hin zu Apg 9,4; 22,7; 26,14 (Jesus zu Paulus: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“) und Apk 17,7 („Und der Engel sprach zu mir: ‚Warum wunderst du dich?‘“); s. auch Berger, Auferstehung, 557 f. – Inhaltlich bezieht der Tadel sich darauf, dass die Frauen Jesus in einem Grab suchen; sein propositionaler Gehalt besteht dementsprechend in der Information, dass Jesus sich nicht mehr unter den Toten, sondern unter den Lebenden befindet. Vielleicht gab es die rhetorische Frage bereits in neutestamentlicher Zeit als Sprichwort (vgl. ExR 5 [71c] zu Ex 5,1 bei Bill. II, 269). 6–7 Zunächst wird den Frauen erklärt, warum sie Jesus nicht gefunden haben (V. 3) bzw. warum er nicht mehr „unter den Toten“ ist (V. 5). Es wird also nicht die Auf771

24,8

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erweckung aus dem Leersein des Grabes gefolgert, sondern es verhält sich genau umgekehrt: Das Leersein des Grabes wird mit Hilfe der Auferweckung erklärt. Narratologisch handelt es sich um eine „auflösende Rückwendung“; vgl. Lämmert, Bauformen, 108: „Durch die Aufdeckung bisher ungekannter Ereignisse oder Zusammenhänge oder durch die Aufklärung eines bislang in der Erzählung noch rätselhaft gebliebenen Geschehens löst sie die Knoten der Handlung auf, glättet die Konflikte oder macht sie begreiflich.“

°gfirjh ist ein Passivum divinum, das Gottes Handeln umschreibt. – Der Hinweis der Engel erinnert nicht nur die Frauen, sondern auch die Leser vor allem an die Ankündigung des Leidens und der Auferstehung von 9,22 (deõ; u´Ö“ toú ünjr„pou; tÔö tr‡tÔh ™mfira; †gerjönai), aber auch an die reine Leidensankündigung von 9,44 (u´Ö“ toú ünjr„pou; parad‡dosjai e¢“ ceõra“ ünjr„pwn), die Jesus noch in seiner galiläischen Zeit, vor dem Beginn der Wanderung nach Jerusalem, abgegeben hatte. Es gibt zudem terminologische Berührungen mit Mk 14,41 (Auslieferung des Menschensohnes „in die Hände der Sünder“). Die Engel zitieren nicht den Wortlaut der Ankündigungen, sondern geben eine freie Paraphrase ihres Inhalts. Zur Linksverschiebung von tÖn u´Ön toú ünjr„pou s. auch Apg 13,32 f; B/D/R § 476,2; Lausberg, Elemente, § 64). 8 Die scheinbar redundante Information (s. aber auch 22,61; Apg 11,16) will die Leser indirekt darauf hinweisen, dass es die erwähnten Ankündigungen in der Tat gegeben hat. An der Sache vorbei geht darum die vieldiskutierte Frage, ob Lukas den Frauen damit Auferstehungsglauben attestiert (vgl. Dillon* 51 f; Plevnik* 93; MelzerKeller, Jesus und die Frauen, 269 f; Nolland; Bock; Klein). Im Übrigen tut er es nicht: Die Gewissheit der Auferstehung Jesu kommt einzig und allein aus der direkten Begegnung mit dem Auferstandenen (vgl. V. 31.34.36 ff), die Zeugen schafft, und dann später aus der Verkündigung dieser Zeugenschaft. 9 Die Erzählung macht einen zeitlichen und räumlichen Sprung. Lukas lässt offen, wie die Frauen das Grab verließen; vgl. demgegenüber Mk 16,8 (getrieben von „Furcht und Zittern“) oder Mt 28,8 (rennend „mit Furcht und großer Freude“). Die „Elf “ sind die zwölf Apostel ohne Judas Iskarioth, und „alle übrigen“ (p›nte“ o´ loipo‡) sind dieselben wie o´ sÜn a§toõ“, die Lukas in V. 33 den Elf beigesellt und denen er auch die Emmausjünger zurechnet (vgl. V. 22–23). taúta p›nta bezeichnet alles, was Lukas in V. 1–8 erzählt hat. 10a Erst jetzt erfahren die Leser die Namen der Frauen, von denen nur Maria Magdalena und Maria, „die des Jakobus“ (Mk 15,40 nennt sie Jakobus’ Mutter), mit den in Mk 16,1 genannten übereinstimmen. An der Stelle von Salome steht Johanna, die Lukas ganz offensichtlich mit der in 8,2 erwähnten gleichnamigen Gattin des herodianischen Verwaltungsbeamten Chuza identifiziert wissen wollte. Dieser Austausch hat vor allem die Funktion, die Erinnerung an die galiläische Zeit Jesu in V. 6 zu verstärken (s. aber auch 23,49.55). – Der Satz ist syntaktisch nicht so undurchsichtig, wie vielfach behauptet wird (vgl. Marshall 887; in textkritischer Hinsicht ist von der Rekonstruktion in Nestle / Aland27 auszugehen): Das betont vorangestellte ésan dfi ist selbständiges Prädikat (s. auch Mt 27,55; Mk 2,6; 6,31; 8,9; Apg 2,42; 11,20; 20,8 u. ö.), und die Namen der drei Frauen fungieren als Gleichsetzungsnominative. kaÑ a´ loipaÑ sÜn a§taõ“ muss mit ihnen syntaktisch koordiniert werden, denn diese Formulierung soll ganz offensichtlich auf die ∫terai polla‡ (gunaõke“) verweisen, die Lukas in 8,2–3 neben den drei namentlich identifizierten Frauen als Begleiterinnen 772

24,1–52(53): Am ersten Tag der neuen Woche

24,12

und Unterstützerinnen Jesu erwähnt hatte. Durch sie verstärkt er also noch einmal den Galiläa-Bezug. 10b–11 Die drei Frauen und a´ loipaÑ sÜn a§taõ“ sind auch das Subjekt von ≤legon (10b). Das Imperfekt macht die Wiederholung des Inhalts von V. 9 zur Hintergrundinformation von V. 11–12. – Die Reaktion der Apostel lässt noch einmal deutlich werden, einen wie geringen Stellenwert Lukas dem leeren Grab für die Gewissheit der Auferstehung Jesu beimisst, vor allem wenn man den in V. 34 mit µntw“ °gfirjh ¨ k‚rio“ kaÑ ∑fjh S‡mwni ausgesprochenen Erkenntniszusammenhang von Auferstehung und Erscheinung dagegenstellt. Dass Lukas das Leersein des Grabes als für die Gewissheit der Auferstehung Jesu bedeutungslos erachtet, geht auch aus Apg 2,25–28 hervor (vgl. Lindemann, Jesus als Christus, 446 f). – Zu löro“ vgl. Spicq, Lexicon II, 387 f mit dem Hinweis, dass dieses Wort auch als medizinischer Fachbegriff zur Bezeichnung der wirren Reden von delirierenden Fieberkranken Verwendung findet. – Auf keinen Fall will Lukas die Reaktion der Apostel darauf zurückführen, dass sie dem Bericht der Frauen keinen Glauben schenkten, weil sie Frauen generell für unglaubwürdig hielten. Sie schenken ihnen vielmehr nur darum keinen Glauben, weil sie sich nicht vorstellen können, dass Jesus von den Toten auferstanden ist (vgl. auch Vahrenhorst* 286 ff). 12 Das pleonastische ünastÅ“ ≤dramen ist ein Septuagintismus, der im Neuen Testament fast nur bei Lukas vorkommt (s. bei 1,39). Zur Überschneidung dieses Verses mit Teilen von Joh 20,3–5.10 und zur Erklärung dieses Sachverhalts s. o. S. 769. Die lange aus textkritischen Gründen umstrittene Zugehörigkeit dieses Verses zum ursprünglichen Text des LkEv (er fehlt in D it) gilt heute auf Grund seiner Bezeugung durch P75 und alle anderen Handschriften als gesichert (s. auch Muddiman*; Neirynck*, Lc. XXIV 12; Ross*). Hinzu kommt noch, dass Lukas wohl in V. 24 auf diesen Grabbesuch Bezug nimmt, auch wenn das Gewicht dieses Arguments von A. Dauer bestritten wird (Beobachtungen). Einen überzeugenden Grund für die sekundäre Tilgung dieses Verses hat man bisher freilich ebensowenig gefunden wie für seine sekundäre Ergänzung.

Lukas lässt Petrus anders reagieren als die übrigen Apostel. Was er sieht, ist von großer Bedeutung für die Realität der Auferstehung Jesu, und es geht insofern über das mythische Erleben der Frauen hinaus: Das Adjektiv m·na bei £j·nia meint ganz pointiert: ‚ohne den in sie eingewickelten Leib Jesu‘. Dieser Sachverhalt lässt es vor allem als ausgeschlossen erscheinen, dass Jesu Leichnam gestohlen wurde (vgl. Mt 28,13–15), denn in diesem Fall wäre er – schon damit man ihn besser tragen kann – in eingewickeltem Zustand, d. h. mit den Bandagen fortgebracht worden. Auch dass einfach nur die Seele den Körper verlassen hat, wird durch das, was Petrus sieht, ausgeschlossen. Darüber hinaus bekommt auch die Information von 23,53, derzufolge Jesus in ein noch unbenutztes Grab gelegt worden war, neues Gewicht: Sie schließt aus, dass es sich um die Bandagen eines anderen Leichnams handelt. £j·nia bezeichnet die Binden oder Bandagen, mit denen die Toten eingewickelt wurden (vgl. J. Blinzler, ûOj·nia und andere Stoffbezeichnungen im ‚Wäschekatalog‘ des Ägypters Theophanes und im Neuen Testament, Ph. 99 [1954/55] 158–166; Spicq, Lexicon II, 564 ff mit Verweis auf Joh 11,44 und P. Hibeh 794,5). Aus parak‚ya“ geht hervor, dass Petrus in der Erzählung die Grabanlage nicht betritt, sondern von außen hineinsieht. Ob man es mit „vorbeugen, bücken“ übersetzen kann (so die meisten Bibelübersetzungen und Kommentare), muss offen bleiben: Es gibt zu viele Texte, in denen das Verb ohne diese Bedeutung gebraucht wird; vgl. z. B. wie hier mit folgendem Verb des Sehens: Gen 26,8

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(parak‚ya“ dÇ ûAbimfilec … eèden «A. blickte … und sah»); Aristophanes, Thesmoph. 799 (aêji“ tÖ kakÖn parak‚yan ¢deõn «immer wieder gafften sie, um das Übel zu sehen»); Plutarch, Mor. 766d (eine Frau, die parak‚ptousa «Gafferin» genannt wurde, weil sie parak‚yasa tÖn †rastÉn ¢deõn †kkomiz·menon «gaffte, um zu sehen, wie ihr Geliebter hinausgetragen wurde»); s. auch Prov 7,6; Sir 23,8; griechHen 9,1; Jak 2,25 sowie Neirynck*, Parak‚ya“ blfipei. Der Bezug von prÖ“ ©aut·n ist nicht eindeutig, weil sich sowohl für eine Verknüpfung mit üpöljen eine Parallele beibringen lässt als auch für eine Verbindung mit jaum›zwn (in diesem Sinne übersetzt die Vulgata: abiit secum mirans quod factum fuerat; s. auch Muddiman* 543 f u. a.); vgl. einerseits Num 24,25 („Bileam machte sich auf und ging davon … und auch Balak üpöljen prÖ“ ©aut·n“; s. auch das zugunsten dieser Interpretation von Neirynck*, ûApöljen prÖ“ ©aut·n zusammengestellte Material) und andererseits 2.Makk 11,13 (prÖ“ ©autÖn üntib›llwn tÖ gegon·“ «bei sich selbst das Geschehene erwägend»). Für den genauen Wortlaut jaum›zein prÖ“ ©aut·n war aber keine Parallele zu ermitteln, und darum habe ich in der Übersetzung prÖ“ ©aut·n mit üpöljen verbunden.

Lukas lässt Petrus „sich wundern“ (jaum›zwn) und stellt ihn dadurch in eine Reihe mit den Verwandten Elisabeths (1,63), den Hirten (2,18), Jesu Eltern (2,33), den Bewohnern Nazareths (4,22) und den aus Seenot geretteten Jüngern (8,25; s. auch die zu 1,63 genannten Belege). Ihnen allen schreibt er mit diesem Begriff eine höchst ambivalente Reaktion zu: Das Geschehen macht auf sie durchaus Eindruck, doch sind sie – Petrus eingeschlossen – weit davon entfernt, seine wirkliche Bedeutung zu erfassen. 24,13–35: Die Emmausjünger begegnen dem Auferstandenen 13

Und siehe, zwei von ihnen waren an demselben Tag unterwegs zu einem Dorf, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt war; das hieß Emmaus. 14 Und sie unterhielten sich miteinander über alle diese Geschehnisse. 15Und es geschah, als sie sich unterhielten und diskutierten, da kam Jesus selbst heran und ging mit ihnen. 16Ihre Augen aber waren daran gehindert, ihn zu erkennen. 17Er sprach aber zu ihnen: „Was sind das für Worte, die ihr beim Gehen miteinander wechselt?“ Daraufhin blieben sie betrübt stehen, 18und es antwortete der eine, der Kleopas hieß, und sagte zu ihm: „Bist du der einzige Jerusalembesucher, der nicht weiß, was in der Stadt geschehen ist in diesen Tagen?“ 19Und er sagte ihnen: „Was denn?“ Sie entgegneten: „Das mit Jesus aus Nazareth, der sich als Prophet erwiesen hat, machtvoll in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk: 20wie ihn die Hohenpriester und unsere Obersten zur Todesstrafe auslieferten und ihn kreuzigten. 21Wir aber hatten gehofft, dass er es ist, der Israel erlösen würde. Indessen ist außerdem (schon) der dritte Tag, seitdem diese Dinge geschehen sind. 22Doch auch ein paar Frauen von uns haben uns durcheinandergebracht. Nachdem sie frühmorgens zum Grab gekommen waren 23und seinen Leib nicht gefunden hatten, kamen sie an und sagten, dass sie auch eine Erscheinung von Engeln gesehen hätten, die sagen, dass er lebe. 24Und einige von den Unseren gingen hin zum Grab und fanden es so, wie es auch die Frauen gesagt hatten. Ihn aber sahen sie nicht.“ 25Und er sprach zu ihnen: „Ihr (seid wirklich) dumm und zu begriffsstutzig, um all dem zu glauben, was die Propheten gesagt haben. 26Musste das nicht der Messias leiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ 27Da fing er an mit Mose und allen Propheten und erklärte ihnen, was in allen Schriften über ihn (geschrieben steht). 774

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Und sie kamen in die Nähe des Dorfes, zu dem sie unterwegs waren, und er tat so, als wollte er weitergehen. 29Doch sie bedrängten ihn und sagten: „Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Und er ging hinein, um bei ihnen zu bleiben. 30Und es geschah, nachdem er sich mit ihnen zu Tisch niedergelegt hatte, da nahm er das Brot, sprach den Segen, brach’s und gab’s ihnen. 31Da wurden ihre Augen aufgetan, und sie erkannten ihn. Und er entschwand von ihnen. 32Und sie sprachen zuein­ ander: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Weg zu uns sprach, als er uns die Schriften öffnete?“ 33Und sie machten sich noch in derselben Stunde auf und kehrten nach Jerusalem zurück. Und sie fanden versammelt die Elf und die bei ihnen waren. 34Die sagten: „Der Herr ist tatsächlich auferweckt worden, und er ist dem Simon erschienen.“ 35Da erzählten auch sie das von unterwegs und wie er ihnen beim Brotbrechen bekannt geworden war. Literatur: s. o. S. 767. – Außerdem: B. Chenu, Disciples d’Emmaüs, Paris 2003. – P.B. Decock, The Breaking of Bread in Luke 24, Neotest. 36 (2002) 39–56. – Dillon* 69–155. – J. Dupont, Les pèlerines d’Emmaüs, in: ders., Études II, 1128–1152. – Ders., Les disciples d’Emmaüs, in: ebd. 1153–1181. – H.-J. Eckstein, Die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu. Lukas 24,34 als Beispiel früher formelhafter Zeugnisse, in: Die Wirklichkeit der Auferstehung, 1–30. – Emmaus in Judäa. Geschichte – Exegese – Archäologie, (hg.v.) K.-H. Fleckenstein u. a. (BAZ 11), Gießen 2003. – M. Frenschkowski, Offenbarung und Epiphanie II (WUNT 2/80), Tübingen 1997, 225–248. – J. Gillman, The Emmaus Story in Luke-Acts Revisited, in: Resurrection in the New Testament, 165–188. – A.A. Just jr., The Ongoing Feast. Table Fellowship and Eschatology at Emmaus, Collegeville 1993. – O. Mainville, De Jésus prophète au Christ glorieux. Le récit d’Emmaüs comme lieu de passage identitaire et fonctionnel, in: Raconter, interpréter, annoncer, 160–168. – M. Myllykoski, On the Way to Emmaus (Luke 24:13–35): Narrative and Ideological Aspects of Fiction, in: Lux Humana, Lux Aeterna, 92–115. – S. Reece, Seven Stades to Emmaus, NTS 48 (2002) 262–266. – S. Reymond, Une histoire sans fin: les pèlerins d’Emmaüs, in: Quand la Bible se raconte, 123–141. – F. Schnider / W. Stenger, Beobachtungen zur Struktur der Emmausperikope, BZ NF 16 (1972) 94–114. – A.M. Schwemer, Der Auferstandene und die Emmausjünger, in: Auferstehung – Resurrection, 95–117. – J. Wanke, Die Emmauserzählung (EThSt 31), Leipzig 1973. – Ders., „… wie sie ihn beim Brotbrechen erkannten“. Zur Auslegung der Emmauserzählung Lk 24,13–35, BZ NF 18 (1974) 180–192.

Die lk Erzählung macht einen Sprung. Der Beginn einer neuen Episode wird in V. 13 dadurch angezeigt, dass Schauplatz und Erzählfiguren wechseln. Die Proform a§tùn, die pôsin toõ“ loipoõ“ (V. 9) aufnimmt, stellt jedoch ebenso die Verbindung zur vorangegangenen Episode her wie die Datierung „an demselben Tag“, die sich auf „am ersten Tag der Woche“ von V. 1 zurückbezieht. Außerdem setzen auch der komprehensive Rückverweis perÑ p›ntwn tùn sumbebhk·twn to‚twn (V. 14) sowie in V. 22–24 die analeptische Neu-Erzählung der in V. 1–12 berichteten Ereignisse voraus, dass die Leser mit diesen Vorgängen vertraut sind. – Mit Hilfe der szenischen Angaben in V. 35 lässt die Geschichte sich grob in drei Teile gliedern: (a) auf dem Weg nach Emmaus bzw. tÅ †n tÔö ¨dù (V. 13–27); (b) in Emmaus bzw. Æ“ †gn„sjh a§toõ“ †n tÔö kl›sei toú ±rtou (V. 28–32); (c) wieder in Jerusalem bzw. Epilog (V. 33–35). Eine deutliche Inklusion, die die beiden ersten Teile zusammenschließt, wird durch die Formulierungen „ihre Augen aber waren daran gehindert, ihn zu erkennen“ (V. 16) und „da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn“ (V. 31) hergestellt. 775

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Das erzählerische Gefälle der Emmausepisode hat seine spiegelbildliche Entsprechung in der Abfolge der Erzählungen von der Speisung der 5000, der messianischen Erkenntnis der Jünger und der ersten Ankündigung des Leidens und der Auferstehung in 9,12–22 (s. dazu ausführlich o. S. 331). 13 Zu den Rückverweisen auf V. 1.9 s. eben. Von den beiden Jüngern wird später nur einer namentlich identifiziert (vgl. V. 18), während der andere anonym bleibt. Das haben manche Interpreten als Einladung verstanden, auch über dessen Identität zu spekulieren (vgl. zuletzt wieder R. Riesner, in: Emmaus in Judäa*, 169 ff), was jedoch gänzlich fruchtlos bleiben muss. Möglicherweise ist diese Unausgeglichenheit aber ein Indiz dafür, dass die Überlieferung ursprünglich nur einen einzigen Jünger – nämlich Kleopas – kannte und dass die Einführung eines zweiten Jüngers durch Lukas dem Prinzip von der Zweizahl der Zeugen geschuldet ist, die erforderlich sind, um die Wahrheit eines Sachverhalts sicherzustellen (vgl. Jeremias, Abba, 132 ff). Darüber hinaus benötigt Lukas die Zweizahl der Jünger natürlich auch, damit sie sich miteinander unterhalten können (V. 14) und dadurch einen Anknüpfungspunkt für das Gespräch mit Jesus bereitstellen (V. 17). – Die Form der namentlichen Identifikation des Ortes (Ôî µnoma + Name) ist im Neuen Testament nur bei Lukas belegt (s. noch 1,26.27; 2,25; 8,41; Apg 13,6); Weiteres bei 1,26. Wir wissen bis heute nicht, um welchen Ort es sich gehandelt hat, denn von einem „Emmaus“, das „60 Stadien“ von Jerusalem entfernt lag, ist nichts bekannt. Ein Stadion entspricht ca. 185 m (die 192 m bei Bauer, Wörterbuch, s. v. sind auf die Länge des Stadions von Olympia bezogen), so dass 60 Stadien ca. 11 km wären. Die in einigen Handschriften überlieferte Entfernung von 160 Stadien (a K* N Q 079vid lect. 844. lect.211 pc vgmss Eusebius v. Caesarea, Hieronymus) ist nicht nur schlechter bezeugt als „60 Stadien“ (so u. a. P75 A B D f1.13), sondern lässt sich auch als sekundäre Angleichung an die Lage des einzigen Ortes erklären, der unter dem Namen Emmaus seit vorchristlicher Zeit bekannt ist und ungefähr 30 km (ca. 162 Stadien) von Jerusalem entfernt lag (s. u. bei [a]). Etymologisch ist der Name wohl von hebr. ~mx «warm werden» abzuleiten, was auf das Vorhandensein von warmen Quellen hindeuten könnte. Sechs von den Orten, die sich in der Diskussion befanden, seien hier genannt (vgl. ansonsten V. Michel, in: Emmaus in Judäa*, 124–141; R. Riesner, in: ebd, 177 ff; Schmitt, Siedlungen Palästinas, 52 ff): (a) die ca. 30 km westnordwestlich von Jerusalem an der Straße nach Tel Aviv gelegene und bereits in 1.Makk 3,40.57; 4,3; 9,50 sowie dann bei Josephus, Bell. 1,222.319; 2,63.71.568; 3,55; 4,444.449; 5,42.67; Ant. 12,298; 13,15; 14,276.436; 17,282.291; Plinius d.Ä., Hist. Nat. 5,70 unter dem Namen ûEmmaoú“ oder ûAmmaoú“ oder Emmaus erwähnte Ortschaft (arab. cAmwas; vgl. Möller / Schmitt, Siedlungen, 15 f; Tsafrir u. a., Tabula Imperii Romani, 119 f). Diese Identifikation wurde bereits in altkirchlicher Zeit vorgenommen. Im 3. Jahrhundert wurde die Ortschaft in Nikopolis umbenannt (vgl. Eusebius, Onomast., GCS XI/1, Euseb. III/1, 90,15–17: „Emmaus, woher Kleopas stammte. … Es heißt nun Nikopolis, eine berühmte Stadt Palästinas“; Hieronymus, Ep. 108,8,2 [CSEL LV, 314,5 f]: „Nikopolis, das früher Emmaus hieß“); zu den Ausgrabungen vgl. M. Gichon, Emmaus, NEAEHL II, 385–389; s. auch Kopp, Stätten, 445 ff. – Gegen diese Identifikation ist angeführt worden, dass Emmaus / Nikopolis nicht 60, sondern 160 Stadien von Jerusalem entfernt ist. Dieser Widerspruch hat dann auch seine Spuren in der neutestamentlichen Textüberlieferung hinterlassen (s. o.). (b) das nach Josephus, Bell. 7,217 dreißig Stadien westnordwestlich von Jerusalem gelegene ûAmmaoú“ (der Ortsname ist in den Handschriften freilich uneinheitlich überliefert; vgl. Schmitt, Siedlungen Palästinas, 53 f; R. Riesner, in: Emmaus in Judäa*, 181 ff), in dem Vespasian 800 römische Soldaten ansiedeln ließ (vgl. Möller / Schmitt, Siedlungen, 16 f; Tsafrir u. a., Tabula Imperii Romani, 105 [s. v. Colonia]; C.-P. Thiede, Die Wiederentdeckung von Emmaus bei Jerusalem,

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24,1–52(53): Am ersten Tag der neuen Woche

24,15–16

ZAC 8 [2004] 593–599). Es handelt sich wahrscheinlich um das heutige, ca. 7 km nordwestlich von Jerusalem gelegene Kalo¯nije (von lat. colonia). In der Nähe befindet sich die Ortslage des in Jos 18,26 erwähnten Ham-moza (hc'Moh;; mSuk 4,5: ac'Am), das phonetisch durchaus an „Emmaus“ anklingt. (c) das ca. 12 km (ca. 65 Stadien) nordwestlich von Jerusalem gelegene el-Qube¯ be. Seine Identifikation mit dem lk Emmaus ist erstmals im Mittelalter belegt, was es recht unwahrscheinlich macht, dass wir hier das historische Emmaus vor uns haben. – Das gilt aus denselben Gründen auch für (d) das ca. 13 km (ca. 70 Stadien) westlich von Jerusalem gelegene Abu Goš (das alttestamentliche Kirjat Jearim), das erstmals in der Kreuzfahrerzeit mit dem lk Emmaus identifiziert wurde. (e) das ca. 11 km (ca. 60 Stadien) nördlich von Jerusalem gelegene Bı¯r el-H . amma¯ m (vgl. W. Zwickel, Emmaus: Ein neuer Versuch, BN 74 [1994] 33–36). Zugunsten dieses Vorschlags können die Entfernung und die Namensähnlichkeit angeführt werden; gegen ihn spricht, dass es keinerlei Tradition für diese Identifikation gibt. (f) Codex D 05 überliefert nicht ûEmmaoú“, sondern O§lammaoú“, das J. Read-Heimerdinger / J. Rius-Camps, Emmaous or Oulammaous?, RCatT 27 (2002) 23–42 mit dem in Gen 28,19LXX erwähnten O§lamloú“ (hebr.: ~l'Wa), dem nachmaligen Bethel, identifizieren und für die ursprüngliche Lesart halten. Eine Entscheidung ist nicht möglich. Wahrscheinlich gehörte der Name „Emmaus“ ebenso wie „Kleopas“ (s. V. 18) zu einer Überlieferung von der Begegnung mit dem Auferstandenen, die Lukas aufgegriffen hat, ohne dass er wusste, wo dieser Ort sich befand. Weiterhin spricht einiges dafür, dass in dieser Überlieferung ursprünglich nicht vom Ostersonntag die Rede war, sondern erst Lukas diese zeitliche Festlegung vorgenommen hat. In Betracht ziehen sollte man auch noch, dass 60 Stadien ganz offensichtlich eine runde Standardentfernung sind, die für zwei Wegstunden stehen (vgl. Möller / Schmitt, Siedlungen, 16). Wenn man in diesem Sinne die Häufigkeit der Entfernungsangaben bei Josephus miteinander vergleicht, so ergibt sich ein aufschlussreicher Befund. Als Entfernung zwischen zwei Orten nennt er 30 Stadien (also eine Wegstunde): 13mal; 40 Stadien: niemals; 50 Stadien: 3mal; 60 Stadien (also zwei Wegstunden): 9mal; 70 Stadien: 1mal; 80 Stadien: 2mal; 90 Stadien: 3mal. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist es darum wohl Lukas selbst gewesen, der sich die Standardentfernung von 60 Stadien ausgedacht hat. Für die Bestimmung der Lage von Emmaus wird diese Angabe dadurch wertlos (s. auch Möller / Schmitt, Siedlungen, 16).

14 Diese Information setzt eine übergreifende Makroerzählung voraus, denn nur so können die Leser mit der Formulierung p›nta tÅ sumbebhk·ta taúta etwas anfangen, und zwar mit Hilfe ihrer Leseerinnerung. Diese Formulierung ist zudem ein griechisches Idiom, das zwar mitunter in der Septuaginta vorkommt, doch ohne hebräisches Äquivalent ist (vgl. Jos 2,23; 1.Makk 4,26; Hiob 1,22; 2,10; 42,11 sowie Philo, Spec. Leg. 4,25; TestHiob 9,1; Dionysius v. Halicarnass, Demosth. 50,2; Plutarch, Mor. 117a; Cassius Dio 43,17,4; bis auf Hiob 2,10 jedoch immer ohne Demonstrativpronomen). 15–16 Zum Septuagintastil der Einleitung in 15a (kaÑ †gfineto †n tù + Infinitiv mit Subjekt) s. bei 5,12. – Offenbar will Lukas den Eindruck erwecken, dass Jesus in dieselbe Richtung geht wie die beiden Jünger und zu ihnen aufschließt. – Der Grund für das Nicht-Erkennen liegt nicht auf Seiten Jesu – etwa weil er den Jüngern in einer ihnen fremden Gestalt erschienen wäre (diese Erklärung gibt Mk 16,12: Jesus erschien … †n ©tfira morfÔö) –, sondern auf Seiten der Jünger: weil ihre Augen unfähig waren, ihn zu erkennen. Insofern unterscheidet sich die Erzählung von den vielen Geschichten, in denen Götter oder ihre Boten in menschlicher Gestalt auf die Erde kommen und eben darum unerkannt bleiben (z. B. Gen 18; Josephus, Ant. 1,196; Homer, Od. 1,105; 17,485–487; Ovid, Metamorph. 8,626 ff; Plutarch, Mor. 307e–f; s. auch Bultmann, Geschichte, 310; D. Flückiger-Guggenheim, Göttliche Gäste. Die 777

24,17–18

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

Einkehr von Göttern und Heroen in der griechischen Mythologie, 1984). Trotzdem bleibt die Erzählung aber nicht gänzlich ohne Berührungen mit diesem Motiv (s. vor allem bei V. 29). Unklar ist der Ausdruck o´ £fjalmoÑ … †kratoúnto. Möglich ist eine Erklärung als Hebraismus, denn das Äquivalent ~yIn:y[e zxa ist in der rabbinischen Literatur belegt (mSanh 7,11 u. ö.; vgl. Bill. II, 271 f), und das Verb zxa wird in der Septuaginta mehrfach mit krateõn wiedergegeben (z. B. Ri 16,21B; 20,6; Ruth 3,15; 2.Sam 6,6; 20,9; Koh 2,3). Ps 77,5 (yn"y[e tArmuv. T'z>x;a' «du hieltest die Lider meiner Augen») sieht nur auf den ersten Blick wie eine Parallele aus, denn hier geht es nicht darum, dass die Augen ‚zugehalten‘ oder ‚verschlossen werden‘, sondern dass den Beter Schlaflosigkeit plagt. G. Schwarz, OI DE OFQALMOI AUTWN EKRATOUNTO?, BN 55 [1990] 16 f hat diesen Text also missverstanden. Eine andere Möglichkeit ist, dass krateõn nicht von der Verknüpfung mit £fjalmo‡ her zu interpretieren ist, sondern von der Verbindung mit toú mfl her (s. auch Bauer, Wörterbuch, 911). Texte wie TestSalC 10,43 (d‚natai krateõn tÖn ªlion toú mÉ fa‡nesjai «er kann die Sonne daran hindern zu scheinen»), Achilles Tatius, Leuk. 2,1,1 (o§ … †dun›mhn †mautoú k…n †pû £l‡gon krateõn toú mÉ ¨rôn tÉn k·rhn «nicht … konnte ich mich auch nur kurz daran hindern, das Mädchen zu sehen») oder DanBelTheod. 19 („Da lachte Daniel kaÑ †kr›thsen tÖn basilfia toú mÉ e¢seljeõn a§tÖn ≤sw «und hinderte den König daran hineinzugehen»“) lassen erkennen, dass krateõn toú mfl + Infinitiv soviel bedeutet wie „jemanden daran hindern, etwas zu tun“ (s. auch Apk 7,1: krateõn …, ºna mfl). Dass die Passivform ein Passivum divinum sein will, ist nicht ausgeschlossen. Das Imperfekt zeigt jedenfalls die Dauerhaftigkeit des Nichterkennens an.

Damit wissen die Leser bis V. 31 mehr als die beiden Jünger. Eine ähnliche Erzähltechnik hatte Lukas bereits in 1,26–38 verwendet, wo die Leser gleich im ersten Vers erfahren, dass Gabriel zu Maria geschickt wird und diese sogar niemals gewahr wird, wen sie vor sich hat. 17–18 Die Eingangsfrage Jesu in 17 eröffnet das Gespräch, das dann in V. 19b–27 mit dem Austausch der beiden Jesusbilder endet. Zur Frage t‡ne“ o´ l·goi oñtoi; vgl. das singularische Äquivalent in 2.Sam 1,4; 2.Esr 23,17; DanSus 47Theod.; Lk 4,36; Joh 7,36. Das Adjektiv skujrwp·“ ist hier prädikativ gebraucht (vgl. dazu B/D/R § 270,3), was in der Übersetzung nicht abgebildet wurde; zu seinem semantischen Profil, das von Trauer bis Verdruss reicht, vgl. (jeweils von „Gesichtern“ [pr·swpa]) Mt 6,16; Gen 40,7; Sir 35,23; 3.Makk 5,34; Dan 1,10Theod.; s. auch Y 34,14; 37,7; 41,10; 42,2; Prov 15,13; Philo, Mut. Nom. 169. In V. 20–21 wird Lukas zeigen, dass sich die Betrübnis der Jünger auf den Tod Jesu und auf ihre enttäuschten Hoffnungen auf die Befreiung Israels bezieht. Victor, Textkritischer Kommentar, z.St. spricht sich für die Ursprünglichkeit der Lesart ka‡ †ste skujrwpo‡ aus, die durch Ac W Q Y f1.13 33 M lat sy(s.c).p.h bezeugt wird. Die von ihm dafür geltend gemachten Gesichtspunkte lassen sich jedoch nicht nur alle auch umdrehen, sondern sie machen sogar die Ursprünglichkeit der von P75 a A* B u. a. bezeugten Lesart noch wahrscheinlicher. – Der intransitive Gebrauch des Passivs †st›jhsan im Sinne von „sie blieben stehen“ entspricht Lk 18,40 (stajeÑ“ dÇ ¨ ûIhsoú“). Der Name Kleopas (18a) ist eine Kurzform von Kle·patro“ (wie Antipas von Antipatros), der u. a. bei Plutarch, Arat. 40,5; Herodianus Gramm., Partit. 64 belegt ist. Ob es sich dabei um die gräzisierte Fassung von „Klopas“ (Joh 19,25; aram. apwlq) handelt, muss offen bleiben. Falls dies der Fall sein sollte, gilt dasselbe natürlich auch für die Anschlussfrage, ob die beiden neutestamentlichen Träger dieses Namens identisch sind (s. dazu Frenschkowski* 236). Zufolge Hegesipp bei Eusebius v. Caesarea, Hist. Eccl. 3,11,2 war Klopas, „dessen auch der Text des Evangeliums gedenkt“ (oñ kaÑ ™ toú e§aggel‡ou mnhmone‚ei graffl) der Bruder Josefs, also Jesu Onkel. Gemeint ist damit aber zweifellos der Klopas von Joh 19,25. Das Fehlen jeder Bezugnahme auf die Emmausgeschichte bei

778

24,1–52(53): Am ersten Tag der neuen Woche

24,19c–21a

Hegesipp macht es eher unwahrscheinlich, dass hier beide Personen miteinander identifiziert werden (s. auch Ilan, Lexicon, 291 f).

paroikeõ“ ûIerousalflm meint, dass Jesus sich als Fremder in Jerusalem aufgehalten hat (vgl. 1.Petr 1,17; 2,11; Gen 12,10; 2.Kön 4,3 u. ö.; R. Feldmeier, Die Christen als Fremde, 1992, 12 ff). Die rhetorische Frage basiert auf der Erfahrung, dass Fremde über die Vorgänge in einer Stadt gewöhnlich schlechter informiert sind als deren Bewohner (vgl. die Verwendung dieses Sachverhalts innerhalb einer analogen rhetorischen Frage bei Cicero, Pro Mil. 12,33: an vero, iudices, vos soli ignoratis, vos hospites in hac urbe versamini, vestrae peregrinantur aures …? «wisst ihr wirklich, ihr Richter, als einzige nicht, haltet ihr euch als Fremde in der Stadt auf, sind eure Ohren auf Reisen …?»). Die Frage unterstellt, dass Jesus noch schlechter informiert ist als die sowieso schlecht Informierten, und zwischen den Zeilen erklärt sie die Ereignisse, um die es hier geht, für so aufsehenerregend, dass es extrem außergewöhnlich ist, dass es auch nur einen Fremden gibt, der von ihnen nichts mitbekommen haben sollte; vgl. die ähnlichen Formulierungen bei Aelius Aristides, Ars. Rhet., Spengel, Rhet. Graeci II, 3,1,5,61 (sÜ m·no“ o§ gin„skei“ Ωti oætw crÉ üdelfoõ“ prosffiresjai; «du allein weißt nicht, dass man Brüder so behandeln muss?»); Apuleius, Met. 1,22 (an tu solus ignoras praeter aurum argentumque nullum nos pignus admittere? «oder weißt du als einziger nicht, dass wir außer Gold und Silber nichts als Pfand akzeptieren?»; der so Angeredete stellt sich dann als Stadtfremder heraus); 4,9 (tune solus ignoras longe faciliores ad expugnandum domus esse maiores? «weißt du als einziger nicht, dass größere Häuser leichter auszurauben sind?»). Die narrative Ironie dieser Frage besteht darin, dass zunächst ausgerechnet Jesus unterstellt wird, von dem Geschehen, in dessen Mittelpunkt er selbst stand, nichts zu wissen, und dass sich dann in V. 19–26 herausstellen wird, dass es sich genau umgekehrt verhält: Es sind die beiden Jünger, die keine Ahnung von dem tatsächlichen Charakter der Ereignisse haben und die von dem unbekannten Wanderer aufgeklärt werden müssen (s. auch Löning, Geschichtswerk I, 36). 19a–b poõa bezieht sich auf das unbestimmte tÅ gen·mena zurück und wird dann durch tÅ perÑ ûIhsoú toú Nazarhnoú aufgenommen (die Formulierung tÅ per‡ tino“ ist im NT eine lk Vorzugswendung; s. noch 24,27; Apg 1,3; 13,29; 18,25; 19,8; 23,11.15; 24,10.22; 28,15.31 sowie 22,37; sonst nur noch Eph 6,22; Phil 1,27; 2,19.20.23; Kol 4,8). Die beiden Jünger charakterisieren Jesus damit nach seinem Herkunftsort (vgl. 4,16.34). Dem Relativsatz kommt eine Doppelfunktion zu: Als Bestandteil der Erzählung soll er dem ‚unbekannten Wanderer‘ erklären, wer Jesus ist, und auf der literarischen Ebene soll diese Erklärung den Lesern mitteilen, was für ein Jesusbild die beiden Jünger haben. Die letztgenannte Funktion steht zweifellos im Vordergrund. 19c–21a Die beiden Jünger beschreiben Jesus zunächst als einen Propheten, der sich in allem, was er getan und gesagt hat, in besonderer Weise ausgezeichnet hat. Damit bleiben sie natürlich weit hinter dem zurück, was Jesus wirklich ist, und auch weit hinter dem christologischen Wissen der Leser. Doch will Lukas hier nicht einfach nur demonstrieren, dass die Jünger immer noch nicht das Wesen des Wirkens Jesu in Israel begriffen haben. Er will vielmehr darüber hinaus zeigen, was vom Wirken Jesu nach seinem gewaltsamen Tod (V. 20) übrigbleibt, wenn von ihm die politische Befreiung Israels erwartet wurde (V. 21): die Erinnerung an einen hochgeachteten 779

24,19c

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

Propheten mit einer durchaus eindrucksvollen Lebensbilanz – mehr aber auch nicht. Lukas demonstriert am Beispiel der Emmausjünger, dass eine Christologie, die die messianischen Hoffnungen Israels lediglich auf die irdische Sendung Jesu projiziert, durch sein Leiden und seinen Tod kompromisslos widerlegt wird. Demgegenüber wird Jesus ihnen in V. 26 deutlich machen, dass es ohne Leiden, Tod und Auferstehung keine Erfüllung der messianischen Hoffnungen Israels gibt. Solange dieser Zusammenhang nicht verstanden ist, kann Jesus jetzt, d. h. nach seinem Tod, in der Tat nicht mehr sein als „ein Prophet …, machtvoll in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk“. Der Relativsatz in V. 19c beschreibt für die beiden Jünger also das Resultat der Jesusgeschichte, so wie es sich ihnen im Rückblick darstellt. Lukas produziert damit erneut ein Hysteron proteron, das die literarische Abfolge von V. 19c bis V. 21a zu einer Umkehrung des historischen Ablaufs macht: Die Hoffnung der Jünger (V. 21a) ging dem Tod Jesu (V. 20) voraus, und am Ende steht die in V. 19c ausgesprochene Gesamteinschätzung. Miteinander konfrontiert werden also nicht die Erinnerung „an das machtvolle prophetische Wirken Jesu“ und sein „von der jüdischen Obrigkeit herbeigeführter Kreuzestod“ (so Löning, Geschichtswerk I, 37), sondern die (defizitäre) messianische Hoffnung der Jünger und Jesu Tod am Kreuz. 19c Jesu Charakterisierung als „Prophet“ entspricht 7,16 (s. auch 7,39; 9,8.16). Die Bezeichnung ünÉr profflth“ auch in Ri 6,8 (hebr. aybin" vyai); 1.Kön 18,4 (aybin"); JosAs 23,8 (vgl. auch z. B. ünÉr fil·sofo“ bei Aeschines, Ctes. 257; Dionysius v. Halicarnass, Pomp. 4,1; Josephus, Ap. 1,183; Plutarch, Them 13,5; Per. 26,2; Strabo 16,4,21 u. ö.). Sie wird mit Hilfe einer Apposition konkretisiert, die seine besonderen Qualitäten hervorhebt. Mit dem Begriffspaar †n ≤rgw kaÑ l·gw wird für die Leser deutlich erkennbar in komprehensiver Weise auf Jesu Machttaten und auf seine Lehre verwiesen. dunatÖ“ ≤n tini gibt an, wodurch oder auf welchem Gebiet sich eine Person auszeichnet; vgl. Ri 11,1A (Jephtha war dunatÖ“ †n ¢sc‚Â); Y 23,8; Sir 47,5 (Gott ist und Goliath gilt als dunatÖ“ †n polfimw); Sir 21,7 (der Redegewandte ist dunatÖ“ †n gl„ssÔh); Jdt 11,8 (Judith bezeichnet Holofernes als dunatÖ“ †n †pistflmÔh); JosAs 4,7 (Josef ist dunatÖ“ †n sof‡a kaÑ †pistflmÔh); Apg 7,22 (s. u.); 18,24 (Apollos war dunatÖ“ †n taõ“ grafaõ“). Das Begriffspaar ≤rgon kaÑ l·go“ bildet einen komplementären Dualismus, der aus der hellenistischen Umwelt des frühen Christentums stammt und die „Gesamtheit der nach außen dringenden menschlichen Aktivität bezeichnet“ (Heiligenthal, Werke als Zeichen, 20). Es findet darum häufig in komprehensiven biographischen Charakterisierungen Verwendung. Nach Quintilian, Inst. 3,7,15 bilden facta und dicta den operum … contextus «Zusammenhang der Leistungen» eines Menschen, und bei Plutarch, Mor. 92c kommen b‡o“ kaÑ éjo“ «Leben und Charakter» in l·goi kaÑ ≤rga zum Ausdruck (s. auch Plato, Resp. 498e; Theophrast, Char. 1,1; 6,1; 8,1 u. ö.; Plutarch, Mor. 14a; Diogenes Laertius 1,50; im AT: Ps 145,13; Sir 3,8; 4.Makk 16,14; im NT: Apg 7,22 [Mose war dunatÖ“ †n l·goi“ kaÑ ≤rgoi“ a§toú]; Röm 15,18; 2.Kor 10,11; Kol 3,17; 2.Thess 2,17).

„Vor Gott und dem ganzen Volk“ wandelt das Begriffspaar „vor Gott und den Menschen“ ab, das ebenfalls in biographischen Kontexten begegnet (vgl. 2,52 und die dort genannten Parallelen. Die Präposition †nant‡on bezeichnet stets das Urteil dessen, dem sie vorangeht [Weiteres bei 1,6]). Dass Lukas an die Stelle der „Menschen“ den la·“ treten lässt (zu der für Lukas charakteristischen Verwendung dieses Begriffs als Bezeichnung für das erwählte Gottesvolk s. bei 1,10), hat seinen Grund darin, dass er die Israelbezogenheit der Sendung Jesu auch von Seiten Israels bestätigt wissen möchte. 780

24,1–52(53): Am ersten Tag der neuen Woche

24,22

20 Ωpw“ nimmt tÅ perÑ ûIhsoú toú Nazarhnoú aus V. 19b auf und erzählt, was in V. 18c mit tÅ gen·mena umschrieben ist (zu Ωpw“ als Ersatz für pù“ vgl. B/D/R § 300,1; 436,2). te (20a) koordiniert mit kaÑ †sta‚rwsan a§t·n (20b; vgl. B/D/R § 4432). Lukas fasst hier die Ereignisse der Passionsgeschichte zusammen. Er versteckt Pilatus hinter parfidwkan a§tÖn e¢“ kr‡ma jan›tou (vgl. Dtn 21,22; Sir 41,3) und lässt auf der Ausdrucksebene des Textes nur die jüdischen Eliten aktiv sein (das Paar ürciereõ“ kaÑ ±rconte“ begegnet auch in 23,13, freilich zusammen mit dem la·“). Damit wird ihnen die maßgebliche Verantwortung für den Tod Jesu zugeschoben (vgl. auch die diesbezügliche Unschärfe der lk Darstellung in 23,26.33). †sta‚rwsan will hier wohl als ein kausatives Aktiv gelesen werden (vgl. Kühner / Gerth, Grammatik II/1, 99 f; Moulton / Turner, Grammar III, 52 f; s. auch 7,5; 9,9; 20,9.16; 22,11). 21a Dieser Satz unterbricht die Erzählung dessen, „was in ihr (sc. in der Stadt Jerusalem) geschehen ist in diesen Tagen“ (V. 18). Dass die Unterbrechung gerade an dieser Stelle, d. h. nach dem Bericht von Jesu Kreuzigung erfolgt, ist von entscheidender Bedeutung: Lukas lässt die beiden Jünger hier ihre messianische Erwartung beschreiben, die sie Jesus vor seinem Tod entgegengebracht haben und die sie nun als durch Jesu Leidens‑ und Todesgeschick zerstört ansehen. Sie findet ihre Entsprechung in 2,38 und kommt im Verhalten der Jünger bei Jesu Einzug in Jerusalem (19,35–38) zum Ausdruck. Mit 21b setzt Lukas in dem Bericht der Jünger einen zeitlichen und sachlichen Einschnitt: Von tÅ gen·mena (V. 18c), welche Ereignisse in V. 20 erzählt wurden und auf die mit taúta †gfineto Bezug genommen wird, lässt Lukas sie auf die Ereignisse des aktuellen Tages überleiten. sÜn pôsin to‚toi“ (zur Formulierung vgl. Ri 20,44A; 3.Makk 1,22) bedeutet dasselbe wie †n pôsi to‚toi“ (Lk 16,26). (ta‚thn ™mfiran) ±gei ist wohl unpersönlich aufzufassen, obwohl ein solcher Sprachgebrauch nicht belegt ist; zu ™mfiran ±gein im Sinne von „einen Tag begehen“ s. auch Athenaeus, Deipn. 7,2 (276b: „er fragte den, der die Zweige trug, t‡na nún ™mfiran ±gei kaÑ t‡“ †stÑn ©ortfl «welchen Tag er [oder „man“?] heute begehe und welches Fest das sei»“); 1.Makk 13,52; 3.Makk 7,19; Achilles Tatius, Leuk. 5,3,2; OGIS 90,47; Barn 15,9. 22–24 Lukas lässt die beiden Jünger die Ereignisse, die er selbst in V. 1–12 erzählt hatte, aus ihrer eigenen Perspektive wiedergeben. Ähnlich verfährt er auch in Apg 11,4–17 mit Bezug auf die in 10,1–48 erzählten Begebenheiten, wobei die Jünger hier durchgängig nicht Selbsterlebtes wiedergeben, sondern (wie Petrus in Apg 11,13– 14) Gehörtes – nämlich taúta p›nta, was die Frauen in V. 1–8 erlebt hatten. Von besonderem Interesse sind bei einem solchen Verfahren natürlich die Differenzen zwischen der ursprünglichen auktorialen Erzählung und der erzählten Erzählung: Was wird ausgelassen? Was wird ergänzt? Was wird anders erzählt? 22 In 22a werden zunächst die ursprünglich in V. 9b.11 erzählten Ereignisse so wiedergegeben, dass die Reaktion auf den Bericht der Frauen im Vordergrund steht. Dabei wird insofern ein unterschiedlicher Akzent gesetzt, als nach V. 11 der Bericht der Frauen mit üpisteõn beantwortet wurde, während das Echo hier mit einem Begriff beschrieben wird (†x‡sthmi), mit dem Lukas sonst in Admirationsberichten die Reaktion auf außergewöhnliche Ereignisse kennzeichnet (Lk 2,47; 8,56; Apg 2,7.12; 8,9.11.13; 9,21; 10,45; 12,16). Obwohl †x‡sthmi dabei immer ein nichtverstehendes Erstaunen bezeichnet, lässt Lukas die Jünger sich in ihrer Selbstdarstellung etwas anders präsentieren als er selbst sie geschildert hatte. – 22b fasst die Ereignisse von V. 1–3 zu781

24,23

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

sammen, wobei die Notiz von dem zur Seite gerollten Verschlussstein (V. 2) unerwähnt bleibt. 23 gibt das Geschehen von V. 4–8 wieder. Alle Mitteilungen über das innere Erleben der Frauen werden jedoch übergangen: ihr üporeõsjai (V. 4a), ihr Erschrecken (V. 5a) und ihr Erinnern (V. 8). Die umfangreiche Rede der beiden Engel (V. 5b–7) wird reduziert auf die Information, dass Jesus „lebt“. In ihr ist V. 5c („Warum sucht ihr den Lebenden [tÖn zùnta] bei den Toten?“) wiedererkennbar. Dass die Engel den Frauen auch gesagt hatten, dass Jesus auferweckt wurde (°gfirjh; V. 6a) wird von den beiden Emmausjüngern ebensowenig für bedeutsam und damit für berichtenswert gehalten wie die Erinnerung an Jesu Leidens‑ und Auferstehungsankündigungen (V. 6b–7). Lukas lässt die beiden Jünger also eine sehr knappe Auswahl aus taúta p›nta, was die Frauen erlebt und erzählt hatten (V. 9), vornehmen. Die Möglichkeit einer Auferstehung von den Toten als Deutung der Ereignisse liegt ihnen fern. Lukas will ihnen freilich nicht den Vorwurf machen, dass sie die Erzählung der Frauen nicht richtig verstanden hätten, sondern er demonstriert mit Hilfe ihrer Wiedergabe des Berichts der Frauen, dass das leere Grab auch zusammen mit der Deutung durch die Engel nicht die Gewissheit vermitteln kann, dass Jesus auferstanden ist. Dem entspricht, dass Jesus in V. 25–27 dann auch nicht den Bericht der Frauen neu interpretiert, sondern sein eigenes Geschick. 24 Mit dem Bericht von dem in V. 12 erzählten Grabbesuch (24a–b) wird die historische Bedeutungslosigkeit des leeren Grabes für die Entstehung der Auferstehungsbotschaft noch zusätzlich festgeschrieben. Über das in V. 12 Erzählte hinaus setzt Lukas zusätzlich voraus, dass Petrus von seinem Grabbesuch den anderen Jüngern berichtet hatte und dass nach ihm auch noch andere zum Grab gegangen sind. Durch deren Zeugnis sehen die beiden Emmausjünger den Bericht der Frauen, der bei den Aposteln keinen Glauben gefunden hat (vgl. V. 11), bestätigt und einen Irrtum ausgeschlossen. Trotzdem haben die Grabbesucher allen Beteiligten nicht die Gewissheit der Auferstehung Jesu vermitteln können. Den Grund dafür macht Lukas mit Hilfe der negativen Feststellung von 24c namhaft, der er eben darum ganz gezielt die betonte Schlussposition zugewiesen haben dürfte: a§tÖn dÇ o§k eèdon. Erst die Erscheinung Jesu vor Petrus (V. 34) und vor allen Aposteln (V. 36–49) wird seine Auferstehung im Jüngerkreis gewiss machen (V. 34). 25 Jesus reagiert mit einer Invektive, wie sie für die Eröffnung von Scheltreden typisch ist (vgl. Gal 3,1; Philo, Spec. Leg. 4,200; Philostratus, Vit. Apoll. 8,7,12). Er wirft den beiden Jüngern vor, dass ihre Fehleinschätzung seines Geschicks auf einer Unkenntnis der prophetischen Schriften beruht. piste‚ein †p‡ (pôsin oï“ †l›lhsan o´ profötai) ist hier wohl mit „Glauben schenken (allem, was die Propheten gesagt haben“ (gegen B/D/R § 1872: „glauben ‚auf Grund von‘“). Die Formulierung will dasselbe sagen wie Lk 1,45 („glauben, Ωti ≤stai tele‡wsi“ toõ“ lelalhmfinoi“ a§tÔö parÅ kur‡ou“) und wie Apg 27,25 („ich glaube Gott, Ωti oætw“ ≤stai kajû ≈n tr·pon lel›lhta‡ moi“). Inhaltlich formuliert der lk Jesus hier denselben Gedanken wie der lk Paulus mit seiner Frage an Agrippa II. in Apg 26,27 (piste‚ei“ … toõ“ proffltai“; oèda Ωti piste‚ei“; s. auch 24,14), worauf dieser so berühmt wie rätselhaft antwortet: †n £l‡gw pe‡jei“ CristianÖn poiösai (26,28). Der propositionale Gehalt der Scheltrede ist damit deutlich: Dass die Hoffnung, die die Jünger Jesus ursprünglich entgegengebracht 782

24,1–52(53): Am ersten Tag der neuen Woche

24,26

hatten (V. 21), enttäuscht und Jesus auf Grund seines Todes (V. 20) für sie zu einem ünÉr profflth“ depotenziert wurde (V. 19c), ist einzig und allein darauf zurückzuführen, dass sie den Propheten nicht geglaubt haben. – Der Verweis auf die Worte der Propheten will also die ursprüngliche Hoffnung der Jünger (V. 21) und das Geschick Jesu (V. 20) miteinander versöhnen. Wer ihnen Glauben schenkt, kann gar nicht anders, als in Jesu Geschick das Geschick des messianischen Erlösers Israels erkennen, denn – mit den Worten von Apg 26,22 formuliert – es gehört zu dem, wovon sie (und Mose) „gesagt haben, dass es geschehen wird“ (ón … †l›lhsan mell·ntwn g‡nesjai); vgl. auch Lk 24,44. 26 In Gestalt einer rhetorischen Frage wird inhaltlich entfaltet, was die Propheten gesagt haben. Jesus weist dabei durchaus nicht den Inhalt der auf die Befreiung Israels gerichteten Hoffnung der Jünger zurück (gegen Schwemer* 106). Insofern gilt hier also dasselbe wie bei den in Lk 19,11 und Apg 1,6 formulierten Erwartungen (s. o. S. 617 f; sowie Wolter, Israels Zukunft, 409.413 ff). Ebensowenig werden die Jünger dafür kritisiert, dass sie Jesus für den messianischen Erlöser Israels gehalten haben. Im Gegenteil: diese Rolle wird von ihm ausdrücklich akzeptiert, denn ¨ crist·“ nimmt ¨ mfillwn lutroúsjai tÖn ûIsrafll (V. 21) auf, und beide Begriffe sind in jeder Hinsicht semantisch isotop: sowohl extensional (hier wie dort ist Jesus selbst bezeichnet) als auch intensional (hier wie dort ist vom messianischen Erlöser Israels die Rede). Was Jesus an der ‚Christologie‘ der Jünger tadelt, ist vielmehr, dass sich ihre Erwartung allein auf sein ‚irdisches‘ Wirken richtet und davon absieht, dass der Messias erst „leiden“ (taúta verweist auf V. 20) und dann „in seine Herrlichkeit eingehen“, d. h. auferstehen und erhöht werden muss. Den Jüngern wird damit bescheinigt, dass sie noch nicht verstanden haben, was die Leser des LkEv bereits seit 1,32 f wissen: dass Jesu messianische Herrschaft eine e¢“ toÜ“ a¢ùna“ andauernde Herrschaft ist, in die er allererst durch Auferstehung und Erhöhung eingesetzt wird, und dass sie in dieser Hinsicht die überkommenen jüdischen Messiaserwartungen hinter sich lässt (s. auch bei 4,41 zum lk Messiasgeheimnis). Im Blick auf V. 19–21 macht Jesu christologische Selbstauslegung deutlich, dass eine Projektion der messianischen Hoffnungen allein auf sein irdisches Wirken zur Folge hat, dass diese Hoffnungen durch seinen Tod widerlegt werden und von ihm dann nicht mehr übrig bleibt als die Erinnerung an einen eindrucksvollen Propheten. ¨ crist·“ markiert damit die betonte Antithese zu ünÉr profflth“ (V. 19). Dasselbe christologische Konzept der Verknüpfung des Messias-Titels mit „leiden“ (pajeõn) und Auferstehung/Erhöhung macht Lukas auch anderenorts explizit; vgl. 24,46; Apg 3,18–21; 26,23 (jeweils mit Verweis auf die Schrift) sowie Apg 17,3 (wie hier mit ≤dei). Es darf darum nicht allein auf die Notwendigkeit des Leidens verkürzt werden (wie u. a. bei Fitzmyer; Stegemann, Jesus als Messias, 31), denn das Leiden allein macht aus dem Propheten noch nicht den Messias, der auf dem Thron Davids sitzt und über das Haus Jakob bis in Ewigkeit herrschen wird (1,32 f). Das kann erst der Auferstandene und Erhöhte. Das imperfektische ≤dei bringt zum Ausdruck, „daß etwas, was geschehen ist, unbedingt hat geschehen müssen“ (Bauer, Wörterbuch, 344 mit dem Übersetzungsvorschlag „mußte doch“; B/D/R § 3582: „die vergangene Notwendigkeit“; s. auch 13,16; 15,32). Damit wird deutlich, dass Jesus nach lk Verständnis bereits in seine d·xa eingegangen ist (bzw. – nach 23,42 – in seine basile‡a, welcher Begriff dann auch in P75 in 24,26 statt d·xa steht). Damit kritisiert Lukas auch die Deutung, die die Jünger dem 783

24,27

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

Tod Jesu geben. Jesus wird durch ihn nicht zu einem ünÉr profflth“ (V. 19c) – obwohl man diesen Eindruck durchaus haben könnte, weil ihm damit das typische Prophetengeschick zuteil würde (s. o. bei 6,23c und 13,33) –, sondern sein Leiden ist in das Licht der Auferstehung zu rücken und wird durch sie auf Grund des Zeugnisses der Schrift als integraler Bestandteil seiner Messianität erkennbar (V. 26). 27 „Mose und alle Propheten“ (27a) bezeichnet die Gesamtheit der heiligen Schriften Israels (weitere Belege für die Formulierung s. bei 16,16) – eben pôsai a´ grafa‡ (27b; s. auch V. 32d). An bestimmte einzelne Texte ist hier selbstverständlich nicht gedacht, denn es kommt Lukas gerade darauf an, dass es das Gesamtzeugnis der Schriften ist, die tÅ perÑ ûIhsoú „gesagt haben“ (V. 25). Wichtig ist also nur die Intension (der Begriffsinhalt) von „Mose und alle Propheten“ und nicht seine Extension (der Begriffsumfang). Die Formulierung in 27b ist elliptisch; es fehlt ein Partizip wie das in der parallelen Mitteilung enthaltene gegrammfina (V. 44) o. ä. Ihr lässt sich auch entnehmen, was Lukas sich unter Jesu diermhne‚ein (zu diesem Begriff vgl. Spicq, Lexicon I, 312 ff) des in den Schriften über ihn Geschriebenen vorgestellt hat: den Nachweis, dass im Geschick Jesu sich die Ankündigungen der Schrift „erfüllt“ haben. In V. 32c wird Lukas eben dieses Schrifterklären Jesu als diflnoigen tÅ“ graf›“ bezeichnen (s. auch V. 45: „den Verstand öffnen [diano‡gein], um die Schriften zu begreifen“; Apg 17,2–3). tÅ perÑ ©autoú am Ende von 27 schließt den Dialog ab und legt zusammen mit tÅ perÑ ûIhsoú toú Nazarhnoú (V. 19b) einen schönen Rahmen um diese Teilszene. – Der gesamte Vers ist sprachlich wie sachlich typisch lk (vgl. außer Lk 24,44 vor allem Apg 18,28; 26,22; 28,23 sowie 17,2 f.11). Auf der Ebene des Erzähler-Leser-Diskurses ist auch die Verwendung des Reflexivpronomens ©aut·“ angesiedelt: Lukas spielt damit das Wissen der Leser gegen die Unkenntnis der Emmausjünger aus, denn nur den Lesern ist bekannt, dass Jesus hier über sich selbst spricht. Die beiden Jünger haben davon keine Ahnung, und der unbekannte Schriftausleger hält das auch vor ihnen verborgen. 28 Mit der Formulierung „er tat so, als wollte er weitergehen“, erlaubt Lukas den Lesern, einen Blick in das nach außen verborgene Bewusstsein Jesu zu werfen. Der Erzähler lässt die Leser an seiner Allwissenheit teilhaben, während die beiden Emmausjünger aus dieser Wissensgemeinschaft ausgeschlossen bleiben. prospoieõsjai + Infinitiv bedeutet, dass die so bezeichnete Handlung nur vorgetäuscht wird (vgl. Josephus, Ant. 1,162; 5,45; 7,166 u. ö.). Dadurch entsteht ein narrativer Knotenpunkt, von dem aus die Erzählung in unterschiedlicher Weise weitergehen kann. Es dürfte Lukas jedoch weniger darum gehen, die Gastfreundschaft der Emmausjünger auf die Probe zu stellen (gegen Fitzmyer; Löning, Geschichtswerk I, 40 u. a.). Die eigentlich spannende Frage ist vielmehr, ob die beiden Jünger noch erfahren, wer ihr unbekannter Begleiter ist, oder ob die Episode tragisch endet. 29 Die Spannung wird umgehend beseitigt. parabi›zesjai wird hier mit derselben Bedeutung benutzt wie in Apg 16,15 (vgl. auch 1.Sam 28,23; 2.Kön 2,17; 5,16 [jeweils LXX]; zum Simplex s. bei 16,16). Zur Formulierung kfikliken ™ ™mfira s. bei 9,12. prÖ“ ©spfiran ist kein Septuagintismus (gegen Fitzmyer), denn dieser Ausdruck ist auch in der nichtjüdischen Gräzität weit verbreitet (z. B. Aristophanes, Vesp. 1085; Xenophon, Hellen. 1,1,30; 4,3,22; Thucydides 6,2,3; Diodorus Siculus 2,8,4; Plutarch, Thes. 25,4; Sol. 10,4.5; Mor. 338d). An dieser Stelle weist die Erzählung die 784

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24,32

engsten Berührungen mit dem Erzählmotiv vom unbekannten göttlichen Gast auf (s. bei V. 15–16). 30 Zum Septuagintastil der Einleitung (kaÑ †gfineto †n tù + Infinitiv mit Subjekt) s. bei 5,12. – Lukas lässt Jesus die Rolle des Hausvaters übernehmen, denn er tut dasselbe wie in 9,16 (Näheres s. dort) und 22,19. Ein expliziter Bezug auf das letzte Mahl wird nicht hergestellt, denn es fehlen die Deuteworte von 22,19b; Jesus praktiziert vielmehr nur das, was bei jeder Mahlzeit üblich ist. Die Fortsetzung sorgt jedoch dafür, dass die Leser durchaus an das letzte Mahl erinnert werden: 31 Aus V. 35b geht hervor, dass Brotbrechen und Erkennen nicht nur in zeitlicher Koinzidenz, sondern auch in sachlichem Zusammenhang stehen (mit Just, Ongoing Feast, 223; gegen Frenschkowski* 240). Das berührt sich insofern mit 22,19c, als es bei Lukas eben gerade das Brotbrechen ist, durch das der irdische Jesus von seinen Jüngern später im Wege der Erinnerung vergegenwärtigt werden soll (s. o. S. 703 f). Und wie die Jünger bei Lukas „über den Broten“ (Mk 6,52), d. h. auf Grund der Speisung der 5000 (Lk 9,12–17), Jesu messianische Identität erkennen (9,18–20; s. o. S. 330), so ist es auch hier das Brotbrechen Jesu, das die Jünger zur Erkenntnis führt. – 31a knüpft mit allen seinen Teilen an V. 16 an und stellt die Aufhebung des dort beschriebenen Zustands fest. Dass dihno‡cjhsan Gottes Handeln beschreiben will (Passivum divinum), ist angesichts von Gen 3,5.7; VitAd 18,3; 20,1; 21,5; griechHen 89,44 nicht so sicher, wie in der Regel angenommen wird. diano‡gw ist im Neuen Testament lk Vorzugswort (7 von 8 Belegen stehen im lk Doppelwerk). – Das jähe Verschwinden Jesu in 31b ist das typische Ende einer Epiphanie, denn so entfernt sich kein Mensch. Die Leser können dem entnehmen, dass Jesus den Emmausjüngern bereits vom Himmel her erschienen ist; vgl. 2.Makk 3,34 von zwei Gottesboten: taúta dÇ e¢p·nte“ üfaneõ“ †gfinonto «nachdem sie das gesagt hatten, entschwanden sie»; Euripides, Helena 605 f; Vergil, Aen. 9,657 von Apollo („dann, nach dem kurzen Gespräch, entzog er sich menschlichen Blicken“); weitere Beispiele bei Frenschkowski* 86 ff. 32 Das „brennende Herz“ (kard‡a kaiomfinh) bringt nicht den heiligen Geist ins Spiel (gegen Schwemer* 115). Es handelt sich vielmehr um eine alte Metapher für das Ergriffensein von Erregung. Philo, Jos. 168 greift auf sie zurück, um die Wirkung des p›jo“ zu beschreiben: to‚toi“ ≠potufomfinw kaÑ zwpuroumfinw p›ntw“ tÅ †ntÖ“ †ka‡eto «durch diese [sc. Reden] war er im Inneren heftig entflammt und angefacht». Sie findet sich aber auch schon bei Aeschylus, Agam. 479–481 („Wer ist so kindisch, so vernünftgen Sinns beraubt? / Von Feuers Botschaft zuerst, / der neuen, lodert er auf im Herzen [flogÖ“ paraggfilmasin / nfioi“ purwjfinta kard‡an]“), und ein Verliebter seufzt: sunodhgÖn ≤cw tÖ polÜ púr to§n tÔö yucÔö mou kai·menon «als Mitwegweiser habe ich das große Feuer, das jetzt in meiner Seele brennt» (Coll. Alexandrina, ed. I.U. Powell, 1925, 177 f); dasselbe in Anthol. Graeca 5,57: „Eros, zu oft verbrennst du mir das Herz, das Flammen durchflattert …“; Cicero, Verres 2,159 über die Wirkung von Reden (ad inflammandos vestros animos eloquentia «Beredsamkeit zur Entflammung eurer Herzen»); Brutus 278 (ubi ardor animi …? nulla perturbatio animi, nulla corporis…; itaque tantum afuit ut inflammares nostros animos: somnum isto loco vix tenebamus «Wo ist das Brennen des Herzens? … Es gibt keine Erregung – weder des Herzens noch des Körpers … Es fehlte so viel daran, dass du unsere Herzen in Brand setzt, dass wir uns kaum zurückhalten konnten, an Ort und Stelle einzuschlafen»); Justin, Dial. 8,1 (nach dem Gespräch, das zur Bekehrung führt: †moÑ dÇ paracröma púr †n tÔö yucÔö ünflfjh «sogleich wurde mir aber in der Seele ein Feuer angefacht»); vgl. darüber hinaus Ps 39,4; Jer 20,9; TestNaph 7,4.

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Mit „die Schriften öffnen“ verweist Lukas auf V. 27 zurück (zur Begrifflichkeit s. auch V. 45 und Apg 17,2–3). 33 Das Partizip ünast›nte“ kann ein plerophorischer Septuagintismus sein (s. bei 1,39), es kann sich aber auch um den Korrespondenzbegriff zu kataklijönai (V. 30) handeln (‚sie standen vom Tisch auf ‘). Zur Zeitangabe a§tÔö tÔö øra, die es im NT nur bei Lukas gibt, s. bei 2,38. Lukas lässt die beiden Jünger vor allem darum nach Jerusalem zurückkehren, weil er selbst die Erzählung dort fortführen und enden lassen will. Damit seine Erzählung nicht – wovor Lukian v. Samosata warnt – „abgehackt in viele nebeneinanderstehende Einzelerzählungen zerfällt“ (Hist. Conscr. 55), wechselt er nicht einfach abrupt den Schauplatz, sondern lässt die Protagonisten der Emmausepisode wieder nach Jerusalem zurückkehren, damit die Leser ihnen dorthin folgen. Die Rückkehr hat also die narrative Funktion, die beiden Episoden miteinander zu verknüpfen. 34 Bevor nun die Emmausjünger berichten können, dass sie dem Auferstandenen begegnet sind, unterbricht Lukas die an ihnen orientierte Erzählung, indem er sie in Jerusalem mit der Nachricht von der Auferstehung Jesu und dessen Erscheinung vor Petrus empfangen werden lässt. Der Grund für diese Erzählweise liegt auf der Hand: In der lk Erzählung sind es die Emmausjünger, denen der Auferstandene als erster erscheint. Demgegenüber weiß die urchristliche Tradition, dass es Petrus war, dem die Protophanie zuteil wurde (1.Kor 15,5). Dieser Sachverhalt ist ganz offensichtlich auch Lukas bekannt, und darum bringt er an dieser Stelle einen Verweis auf die Erscheinung des Auferstandenen vor Petrus, von der es keinerlei Erzählüberlieferung gibt. Dieser Verweis ist unbestimmt genug, um den Lesern die Vorstellung zu ermöglichen, dass Jesus noch vor den Emmausjüngern dem Petrus erschienen ist. Die nichterzählte Zeit zwischen V. 12 und V. 13 ist dafür auch groß genug. – Dass Petrus hier „Simon“ genannt wird, kann man nicht als Indiz für das Vorliegen von älterer Tradition nehmen, denn Lukas nennt ihn auch in 5,3–5.10; 6,14; 22,31 so. ∑fjh + Dativ steht auch in 1.Kor 15,5–8 und 1.Tim 3,16 für die Ostervisionen. Der Sprachgebrauch der Septuaginta macht deutlich, dass es sich um einen Theophaniebegriff handelt, der Erscheinungen vom Himmel her bezeichnet (Gen 12,7; 17,1; Ex 3,2; Lev 9,23; 16,19; Ri 6,12 u. ö.; Weiteres bei Eckstein* 15 f). Aus diesem Grunde ist wahrscheinlich, dass die Ostererscheinungen als Erscheinungen vom Himmel her wahrgenommen wurden und die in 1.Kor 15,5–8 erwähnten Personen Jesus im Unterschied zu den Emmausjünger nicht in irdischer, sondern in himmlischer Gestalt gesehen haben. – Der Zusammenhang der beiden Teile der Nachricht, mit der die Emmausjünger in Jerusalem empfangen werden, macht zudem deutlich, dass Jesu Auferstehung (°gfirjh will trotzdem ein Passivum divinum sein, das Gottes Handeln beschreibt) mit notwendiger und mit hinreichender Gewissheit aus seiner Erscheinung erschlossen werden kann. Hierin liegt sowohl in historischer Hinsicht als auch nach lk Verständnis der entscheidende Unterschied zur Auffindung des leeren Grabes. Diese Differenz markiert Lukas in 34b durch µntw“: Es korrigiert die ungläubige Reaktion der Elf und der „übrigen bei ihnen“ auf den Bericht der Frauen von den Ereignissen in Jesu Grab (V. 9–11). 35 Nachdem Lukas durch V. 34 den Vorsprung der Tradition von der Protophanie vor Petrus erzählerisch eingeholt hat, kann er die Emmausjünger zu Wort kommen lassen. Durch die Nachordnung ihres Berichts stellt er auch sicher, dass es die Erschei786

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24,36–52(53)

nung des Auferstandenen vor Petrus war, die den christlichen Osterglauben begründet hat, und nicht seine Begegnung mit den Emmausjüngern. – Nach V. 34 wirkt die Erzählung der Emmausjünger recht antiklimaktisch, denn Lukas teilt nur das Allernötigste mit. Den geringen Stellenwert dieser Episode veranschaulicht ein Vergleich mit der Ausführlichkeit, die Lukas dem Bericht des Petrus von der Bekehrung der ersten Heiden gibt (Apg 11,4–17), obwohl die Leser den Ablauf der berichteten Ereignisse auch in diesem Fall bereits kennen. In Apg 11,18 erzählt er außerdem auch noch eine Reaktion auf diesen Bericht. Um die Begegnung Jesu mit den Emmausjüngern von der Erscheinung vor Petrus zu unterscheiden, verweigert er ihr den Theophanieausdruck ∑fjh + Dativ und spricht lediglich davon, dass er von ihnen „erkannt worden war“ (†gn„sjh + Dativ eigentlich im Sinne von „etwas wird jemandem bekannt“ wie Apg 9,24; Ex 2,25; Dtn 9,24; 2.Esr 14 [= Neh 4],9; 1.Makk 6,3; 7,3.30; 8,10). An diesem wortkargen Ende wird erkennbar, dass die Emmausepisode für den Plot der übergeordneten Erzählung keine Bedeutung hat. 24,36–52(53): Jesus erscheint allen Jüngern in Jerusalem 36Noch

während sie darüber sprachen, trat er selbst in ihre Mitte und sprach zu ihnen: „Friede sei mit euch!“ 37Doch sie erschraken und bekamen es mit der Angst, weil sie meinten, einen Geist zu sehen. 38Da sagte er zu ihnen: „Warum seid ihr bestürzt, und weshalb steigen Zweifel in eurem Herzen auf? 39Seht meine Hände und meine Füße: Ich bin es selbst! Betastet mich und seht: Ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich (sie) habe.“ 40Und mit diesen Worten zeigte er ihnen die Hände und die Füße. 41Weil sie aber vor Freude noch immer nicht glaubten und sich wunderten, sagte er zu ihnen: „Habt ihr hier etwas Essbares?“ 42Da gaben sie ihm ein Stück gebratenen Fisch, 43und er nahm (es) und aß vor ihnen. 44Er sagte aber zu ihnen: „Das sind meine Worte, die ich zu euch ge­ sprochen habe, als ich noch bei euch war: dass alles, was in dem Gesetz des Mose und den Propheten und Psalmen über mich geschrieben steht, vollendet werden muss.“ 45Und dann öffnete er ihren Verstand, so dass sie die Schriften begriffen. 46Und er sagte ihnen: „So ist geschrieben, dass der Messias leidet und er am dritten Tag von den Toten aufersteht 47und dass in seinem Namen unter allen Völkern Umkehr zur Vergebung der Sünden ausgerufen wird. Beginnend mit Jerusalem 48seid ihr Zeugen dafür. 49Und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber – bleibt in der Stadt, bis ihr mit Kraft aus der Höhe bekleidet werdet.“ 50 Daraufhin führte er sie hinaus bis nach Betanien. Und er hob seine Hände und segnete sie. 51Und es geschah, als er sie segnete, da begann er sich von ihnen zu entfernen und wurde in den Himmel emporgehoben. 52Und nachdem sie vor ihm niedergefallen waren, kehrten sie mit großer Freude nach Jerusalem zurück. 53Und sie waren allezeit im Tempel und priesen Gott. Literatur: s. o. S. 767. – Außerdem: M. Coleridge, „You are Witnesses“ (Luke 24:48): Who Sees What in Luke, ABR 45 (1997) 1–19. – D. Dormeyer, Die Apotheose in Seneca „Apocolocyntosis“ und die Himmelfahrt Lk 24,50–53; Apg 1,9–11, in: Testimony and Interpretation, 125–142. – A. Hil-

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horst, The Wounds of the Risen Jesus, EstB 41 (1983) 165–167. – P.-G. Klumbies, Himmelfahrt und Apotheose Jesu in Lk 24,50–53, Klio 89 (2007) 147–160. – Kuhn, Der Gekreuzigte von Givcat ha-Mivtar. – G. Lohfink, Die Himmelfahrt Jesu (StANT 26), München 1971. – A.G. Mekkattukunnel, The Priestly Blessing of the Risen Christ. An Exegetico-Theological Analysis of Luke 24,50–53 (EHS.T 714), Bern u. a. 2001. – T.S. Moore, The Lucan Great Commission and the Isaianic Servant, BS 154 (1997) 47–60. – R. Morgan, Flesh is Precious: The Significance of Luke 24.36–43, in: Resurrection (FS Houlden), 8–20. – F. Neirynck, Lc 24,36–43. Un récit lucanien, in: ders., Evangelica II, 205–226. – M.C. Parsons, The Departure of Jesus in Luke-Acts (JSNT.S 21), Sheffield 1987. – Ders., Narrative Closure and Openness in the Plot of the Third Gospel: The Sense of an Ending in Luke 24:50–53, SBLSP 25 (1986) 201–223. – F. Schnider, Die Himmelfahrt Jesu – Ende oder Anfang?, in: Kontinuität und Einheit, 158–172. – Zwiep, Ascension. – Ders., The Text of the Ascension Narratives, NTS 42 (1996) 219–244.

Die letzte Episode des LkEv besteht aus drei Szenen, von denen die beiden ersten an ein und demselben Ort in Jerusalem spielen, während Lukas die dritte in Betanien lokalisiert hat: In der ersten Szene gibt Jesus sich als wirklich von den Toten Auferstandener zu erkennen (V. 36–43), und in der zweiten Szene enthüllt er nun auch den anderen Jüngern (nach den beiden Emmausjüngern) die Bedeutung seines Geschicks aus den Schriften. Er kündigt ihnen zudem an, dass sie zu Verkündigern dieses Geschicks werden sollen und dass Gott sie für die Ausübung ihrer Zeugenschaft ausrüsten wird (V. 44–49). In der dritten Szene, die in toto von Lukas stammen dürfte, erzählt Lukas die Entrückung Jesu und die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem (V. 50–53). Er beendet damit nicht nur die Erscheinungserzählung, sondern auch seine gesamte Jesusgeschichte. 36–49 Formgeschichtlich handelt es sich um eine Erscheinungserzählung. Als gattungsspezifische Elemente lassen sich identifizieren (Belege jeweils z.St.): (a) Die plötzliche Präsenz des Erscheinenden bei den Erscheinungsempfängern (intransitives ≤sth [V. 36a]); (b) die Erscheinungsempfänger erschrecken und/oder fürchten sich (V. 37); (c) mit einer rhetorischen „Warum“-Frage tadelt der Erscheinende das Verhalten der Erscheinungsempfänger (V. 38); (e) der Erscheinende identifiziert sich mit den Worten †g„ e¢mi (V. 39); (f) der Erscheinende redet (V. 44–49). Die Abfolge von Identifikation und Sendung hat eine deutliche Parallele in Joh 20,19–23. Sie betrifft nicht nur den narrativen Plot, sondern reicht auch bis in den Wortlaut ganzer Sätze hinein (vgl. V. 36.40 mit Joh 20,19.20; s. o. S. 690 f). Es spricht einiges dafür, dass diese Übereinstimmungen auf literarischer Abhängigkeit des JohEv vom LkEv beruhen. Anders als in Lk 24,47–50 wird in Joh 20,21 die Sendung der Jünger nicht lediglich angekündigt, sondern bereits vollzogen. Aus diesem Grunde bekommen sie auch bereits jetzt den Geist übertragen (V. 22). – Der Bericht steht insofern in Konkurrenz zu Mt 28,16–20, als Jesus den Jüngern dort in Galiläa erscheint (s. auch Mk 14,28; 16,7). Dass es eine Erscheinung des Auferstandenen vor dem Kreis der Zwölf gegeben hat, ist auf Grund von 1.Kor 15,5 wahrscheinlich. Es ist darum nicht auszuschließen, dass Lukas die ersten beiden Szenen aus dieser Überlieferung heraus entfaltet, ansonsten aber selbst gestaltet hat (s. auch Neirynck*). Keine selbständige Überlieferung ist ein entsprechender Bericht im sog. sekundären Markusschluss (Mk 16,14: „Später offenbarte er sich den Elf, die zu Tische lagen, und schalt ihren Unglauben und ihre Herzenshärtigkeit, weil sie denen, die ihn als Auferweckten gesehen hatten, nicht geglaubt hatten“; u. a. A C D W Q f13 33 M lat syc.p.h bo; vgl. Aland, Schluss), denn diese Mitteilung ist ein integraler Bestandteil von Mk 16,9–11.12–13 (s. auch Kelhoffer, Miracle, 92 ff).

36 Man muss Lukas bescheinigen, dass er sich auf dramatische Knalleffekte versteht. Jesus ist in der Mitte seiner Jünger genauso unvermittelt präsent, wie er in V. 31b ver788

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24,39–40

schwunden ist. Daran wird erkennbar, dass er nicht einfach seine irdische Existenz fortsetzt, sondern vom Himmel her kommt. Vergleichbar ist das plötzliche Erscheinen des Engels bei den Hirten in 2,9 (†pfisth a§toõ“; Weiteres dort; s. auch Apg 10,30; 12,7; 23,11; sowie Gen 18,2; 1.Chr 21,15 f; Dan 8,15; 12,5). Dieser rasanten Beschleunigung der Erzählung dürfte sich auch das Präsens historicum lfigei verdanken, das Lukas sonst ganz selten benutzt (in der lk Jesuserzählung nur noch in 11,45; s. auch B/D/R § 321: „in lebhaft vergegenwärtigender Erzählung“; ebd. Anm. 2: „Lukas meidet 92 Präs. hist. des Mk und übernimmt nur Lk 8,49 von Mk 5,35“, und zwar nach dem gleichen Gen. absolutus wie hier!). – Die Verknüpfung mit der vorhergehenden Szene ist sehr niederschwellig (s. auch die analogen Übergänge in Mt 12,46; 17,5; 8,49; 22,47.60). Zum alttestamentlichen Hintergrund des Friedensgrußes s. bei 10,5. 37 Zum typischen Erschrecken der Erscheinungsempfänger s. bei 1,12. ptoeõsjai gibt es im NT sonst nur noch in Lk 21,9, und die Kombination dieses Verbs mit einer Ableitung von f·bo“ ist typisch septuagintisch (Dtn 31,6; 1.Chr 22,13; 28,20; 2.Chr 20,15.17; Jdt 16,11; 1.Makk 3,25; Prov 3,25; Jer 1,17; 23,4; 26,27; Ez 3,9; außerhalb der LXX nur ganz selten). – Eine Fehldeutung der Erscheinung des Auferstandenen wird ebenfalls in Joh 20,15 erzählt, und eine formgeschichtliche Analogie gibt es ebenfalls in Mk 6,49 par. Mt 14,26 (die Jünger halten Jesus für ein f›ntasma; so auch die Variante von D zu 37). Die Verwechslung mit einem pneúma will den Jüngern kaum unterstellen, dass sie „den noch auf Erden umgehenden Geist des Verstorbenen“ (Eckey II, 989) zu sehen meinen, denn in diesem Fall hätte Lukas wohl von ‚seinem‘ „Geist“ gesprochen (wie äthHen 22,5: „Ich sah den Geist eines Menschenkindes, das verstorben war, und seine Stimme drang bis zum Himmel und klagte“). Von Geistwesen, wie es die Jünger zu sehen meinen, spricht Lukas auch in Apg 23,8 f, und zu dieser Species gehören ebenso die pneumatikÅ tö“ ponhr‡a“ von Eph 6,12 oder nach äthHen 15,8–12 die „Riesen“, die aus der Verbindung der Engel mit den Menschentöchtern hervorgegangen sind (vgl. Gen 6,1–4). Als ihr Kennzeichen wird immer wieder betont, dass sie „ohne Körper“ oder „ohne Fleisch“ sind; vgl. Num 16,22LXX (mit dem komplementären Dualismus jeÖ“ tùn pneum›twn kaÑ p›sh“ sark·“ «Gott der Geister und allen Fleisches»); TestHiob 27,2 (der Teufel sagt zu Hiob: ≠pocwrù soi sark‡nw µnti, †gá dfi e¢mi pneúma «ich weiche vor dir zurück, der du Fleisch bist, obwohl ich Geist bin»); dementsprechend ist üs„mato“ auch vielfach als Metonym für Engel belegt; vgl. z. B. äthHen 15,6; slawHen 20,1; ApkAbr 19,6; TestAbrA 3,6; 4,9; 9,2; 14,4; 15,4.6 sowie darüber hinaus mit weiteren Beispielen Bauer, Wörterbuch, s. v. pneúma 4 (Sp. 1357 f); J. Michl, RAC 5,68.

38 Mit einer rhetorischen Frage, die das Verhalten der Erscheinungsempfänger tadelt, eröffnet der Erscheinende auch in anderen Erzählungen seine Rede (Näheres bei 24,5). Mit den dialogismo‡ wird auf †d·koun pneúma jewreõn (V. 37) verwiesen. Wie der Irdische kennt also auch der Auferstandene die „Gedanken des Herzens“ (vgl. 5,22; 9,47; s. auch 2,35; 3,15). Die Rede vom „Aufsteigen“ (ünaba‡nein) der Gedanken „in eurem Herzen“ (zum distributiven Singular vgl. B/D/R § 140; die Korrektur zu kard‡ai“ in a Ac L W Q Y f1.13 33 M u. a. ist eine sprachliche Erleichterung) hat ihre engste Entsprechung in der alttestamentlichen Vorstellung vom „Aufsteigen in das Herz“ (ünaba‡nein †pÑ kard‡an; hebr.: ble-l[; hl[); vgl. 2.Kön 12,5; Jes 65,16; Jer 3,16; 28(51),50; 39(32),35; 51(44),21; Ez 38,10; s. auch Apg 7,23; 1.Kor 2,9. 39–40 Das zweimalige ¥dete … Ωti (39a.b) macht deutlich, dass der Erscheinende zweierlei demonstrieren will: Indem er seine Hände und Füße vorweist (s. auch 789

24,39a–b.40

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

Joh 20,20: die Hände und die Seite) stellt er in 39a–b.40 seine Identität unter Beweis (†g„ e¢mi); zur Verwendung dieses Ausdrucks in anderen Erscheinungsberichten s. bei 1,19. Daran wird deutlich, dass der Erscheinende als Jesus nur dadurch identifizierbar ist, dass er sich als Gekreuzigter zu erkennen gibt. Unausgesprochen (anders Joh 20,25: t‚po“ tùn ªlwn an den Händen) vorausgesetzt ist dabei, dass sich an Jesu Händen und Füßen Wundmale befanden, die davon herrührten, dass er bei seiner Hinrichtung nicht lediglich am Kreuz festgebunden, sondern mit Hilfe von Nägeln an ihm fixiert wurde, die durch die Hand‑ und die Fußknochen getrieben worden waren (wie u. a. auch der Gekreuzigte von Givcat ha-Mivtar; s. dazu Kuhn*; zur Praxis des Annagelns bei Kreuzigungen ebd. 329). Erstmals Justin, 1.Apol. 35,5–7; Dial. 97,3–4 spricht expressis verbis von der Annagelung der Hände und der Füße Jesu und sieht hierin Y 21,17 erfüllt („sie haben meine Hände und Füße durchgraben [∑ruxan]“). – Für die Vorstellung, dass gewaltsam ums Leben gekommene Menschen die Wunden behalten, die ihnen den Tod gebracht haben, vgl. mit Belegen Hilhorst*. Demgegenüber wird in 39c–d die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu unter Beweis gestellt. Der erste Eindruck der Jünger, ihnen sei ein „Geist“ erschienen (V. 37 mit Wiederaufnahme von pneúma in 39d), wird dabei korrigiert. Für die Vorstellung von der ‚Fleischlosigkeit‘ von Geistern s. bei V. 37; vgl. auch die Unterweltbeschreibung bei Ovid, Metam. 4,443: errant exsangues sine corpore et ossibus umbrae «die blutlosen Schatten irren umher, ohne Körper und Knochen». – Antidoketische Nebentöne hat die Erzählung nicht. Das Fühlen von Jesu „Fleisch und Knochen“, soll vielmehr deutlich machen, dass es sich wirklich um einen von den Toten Auferstandenen handelt und nicht um einen körperlosen Geist. Eine eindeutig antidoketische Stoßrichtung hat auf Grund des Kontextes Ignatius, Smyrn. 3,2: l›bete, yhlafflsatfi me kaÑ ¥dete, Ωti o§k e¢mÑ daim·nion üs„maton «Fasst, betastet mich und seht, dass ich kein leibloser Dämon bin». Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Aufforderung von 39c auch in 1.Joh 1,1 Spuren hinterlassen hat („… was wir mit unseren Augen gesehen haben, was wir geschaut haben und was unsere Hände betastet haben [†yhl›fhsan]“). 41–42 Lukas lässt Jesus noch einen weiteren Beweis für die leibliche Tatsächlichkeit seiner Auferstehung von den Toten liefern; s. auch Apg 10,41; Ignatius, Smyrn. 3,3 (wenn auch mit antidoketischer Zuspitzung): „nach der Auferstehung aß und trank er mit ihnen Æ“ sarkik·“ «wie ein Fleischlicher»“. Im Hintergrund steht dabei als überindividuelles kulturelles Wissen, dass Geister und Engel weder essen noch trinken (vgl. Ri 13,15–16; Tob 12,19: „Ich [sc. Rafael] aß nicht und trank nicht, sondern ihr habt eine Vision geschaut [üllÅ Ωrasin ≠meõ“ †jewreõte]“; ApkAbr 13,3; s. dazu D. Goodman, Do Angels Eat?, JJS 37 [1986] 160–175, bes. S.166 ff; Fletcher-Louis, LukeActs, 63 ff). Die Kombination von üpisteõn und jaum›zein zu einem Zweifel und Skepsis bezeichnenden Begriffspaar (41a) ist typisch hellenistisch. Wie hier beschreibt es in etlichen Texten zudem gerade die Reaktion auf positive Nachrichten; vgl. Plato, Kratyl. 428d (jaum›zw kaÑ a§tÖ“ p›lai tÉn †mautoú sof‡an kaÑ üpistù «ich wundere mich selbst schon lange über meine Weisheit und kann sie kaum glauben»); Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 3,15,3 („sie nahmen das Wort mit unglaublicher und wundersamer Bereitwilligkeit [üp‡stw … kaÑ jaumastÔö projum‡a] an“); Josephus, Bell. 1,628 (üpist‡a me toú zön e¢sfircetai kaÑ jaum›zw, pù“ barÜn … dififugon «ich kann nicht glauben, dass ich noch lebe, und mich wundert, dass ich so knapp … entronnen bin»); s. auch Josephus, Ant. 19,186; Plutarch, Mor. 160d; 432a (wie hier 790

24,1–52(53): Am ersten Tag der neuen Woche

24,44

mit Bezug auf das, was man sieht: o§ deõ dÇ jaum›zein o§dû üpisteõn ¨rùnta“ «die Sehenden dürfen sich weder wundern noch ungläubig sein»); 589d; 664c; 935a; Lukian v. Samosata, Dial. Marini 4,1 u. ö. Vor diesem Hintergrund ist üpÖ tö“ carô“ nicht eine unbeholfene Entschuldigung für die bleibende Skepsis der Jünger wie üpÖ tö“ l‚ph“ in 22,45 für ihr Schlafen, sondern eine semantisch idiomatische Erklärung (s. auch Mt 13,44; Apg 12,14). – Zum Gegenstand von Jesu Frage in 41b vgl. Athenaeus, Deipn. 4,32,21 (o§dÇ … ≤xwjen prosffirein ti br„simon ≤xesti «es ist nicht erlaubt, von außen etwas Essbares hineinzubringen»). 43 Lukas betont, dass Jesus „vor“ (†n„pion) den Jüngern aß, und macht sie damit zu „Zeugen“ seiner Auferstehung; erstmals in Lk 24,48 sowie dann in Apg 1,22; 2,32; 3,15; 4,33; 5,31 f und vor allem 10,41: Hier lässt er Petrus ausdrücklich hervorheben, dass Jesus mit den „Zeugen“ „gegessen und getrunken hat, nachdem er auferstanden war von den Toten“. Davon, dass Lukas die Szene mit eucharistie-theologischen Neben‑ oder gar Haupttönen ausgestattet hat, ist nichts zu erkennen (gegen Nolland u. a.). 44–49 Es bleibt unerzählt, wie die Jünger auf Jesu Demonstration reagieren. Die Erzählung macht vielmehr einen kleinen Sprung, und Lukas lässt Jesus mit seiner Abschiedsrede an die Jünger beginnen. In ihr haben V. 44–48 ein Seitenstück in Apg 26,22–23, wo der lk Paulus sich und seine Tätigkeit gegenüber Agrippa II. und Festus komprehensiv charakterisiert: „Ich habe bis auf den heutigen Tag von Gott Beistand empfangen und stehe (hier) als einer, der vor Klein und Groß Zeugnis ablegt (martur·meno“) und dabei nichts anderes sagt als das, was die Propheten und Mose geredet haben (†ktÖ“ … ón te o´ profötai †l›lhsan … kaÑ MwÊsö“), dass es geschehen wird: dass der Messias leiden muss, dass er als erster aus der Auferstehung von den Toten Licht verkündigen wird dem Volk und den Heiden (e¢ pajhtÖ“ ¨ crist·“, e¢ prùto“ †x üna­ st›sew“ nekrùn fù“ mfillei kataggfillein tù te laù kaÑ toõ“ ≤jnesin)“. Parallel sind: der Zeugenbegriff, der Bezug auf die Schriften, die Dreierreihe ‚leiden, auferstehen, verkündigen‘ und der universale Horizont. Diese beiden Texte bilden damit einen Ring, mit dessen Hilfe Lukas die Zeit der Verkündigung der Auferstehungszeugen rahmt und sie dadurch als Epoche sui generis markiert. Verstärkt wird die Rahmenfunktion der beiden Texte noch dadurch, dass in Lk 24,48 (m›rture“) erstmals und in Apg 26,22 (martur·meno“) letztmals innerhalb des lk Doppelwerks die Zeugenschaft der nachösterlichen Verkündiger thematisiert wird (s. auch bei V. 47b–48). Die Epoche, die Lukas auf diese Weise nach vorne und hinten abgrenzt, wird von ihm dadurch als ‚Epoche der Zeugen‘ kenntlich gemacht (s. auch Wolter, Doppelwerk, 268 ff). 44 Die Zitateinleitung oñtoi o´ l·goi mit kataphorischer Ausrichtung des Demonstrativpronomens ist ein Septuagintismus (vgl. Ex 35,1; Dtn 1,1; 28,69; 2.Sam 23,1; Jer 36,1; 37,4; Sach 8,16; Bar 1,1; s. auch ParJer 6,20; hebr. ~yrIb'D>h; hL,ae). Wie in 24,6–7 (Näheres s. dort) handelt es sich auch hier um eine „auflösende Rückwendung“ (Lämmert, Bauformen, 108), die den Jüngern erklären soll, wie es dazu gekommen ist, dass Jesus, von dem sie wussten, dass er gekreuzigt und begraben worden war, nun vor ihnen steht. – Jesus liefert dann kein wörtliches, sondern ein sinngemäßes Zitat, obwohl die Anklänge vor allem an 18,31 (sowie an 22,37) nicht zu übersehen sind. Intention ist eine komprehensive Deutung der Gesamtheit seines Geschicks, das er dann in V. 46 f konkretisierend entfaltet. Anders als in 24,16 (s. auch Apg 1,16; 17,3) steht nicht das rückblickende ≤dei (Näheres dazu bei 24,26), sondern das präsentische 791

24,45

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

deõ. Dieser auffällige Sachverhalt hat seinen Grund darin, dass p›nta tÅ gegrammfina … perÑ †moú hier nicht wie in den drei vorgenannten Texten ausschließlich auf vergangenes Geschehen verweist, sondern auch das noch ausstehende khrucjönai (V. 47) mit einbezieht. Die Formulierung p›nta tÅ gegrammfina ist im Neuen Testament typisch lk (vgl. noch 18,31; 21,22; Apg 13,29; 24,14; sonst nur noch Gal 3,10 als Zitat von Dtn 28,28). Auffällig ist, dass der komplementäre Dualismus „das Gesetz des Mose und die Propheten“ (s. dazu bei 16,16) hier um „Psalmen“ (ohne bestimmten Artikel) erweitert ist. Eine gewisse Analogie gibt es in 4Q397, Frgm. 14–21, 10 = 4QMMT C 10: „… damit du Einsicht gewinnst in das Buch Mose [und] in die Büch[er der Pro]pheten und in Davi[d …]“. Mit großer Wahrscheinlichkeit steht „Psalmen“ hier nicht für die „Schriften“ (~ybiWtK.) als den dritten Teil der hebräischen Bibel neben „Tora“ und „Propheten“, sondern tatsächlich nur für die Psalmen (s. auch Rusam, Das Alte Testament, 260 ff). Für diese Annahme spricht auch, dass yalmoõ“ keinen Artikel hat und damit nicht als ein eigenständiger Teil der heiligen Schriften gekennzeichnet ist. Darüber hinaus kann Lukas in Apg 1,16 sogar explizit vom „Erfüllen“ (plhrwjönai) eines Psalmwortes sprechen (Ps 41,10), und auch sonst zieht er immer wieder Psalmen-Zitate zur Deutung des Geschehens heran (vgl. Apg 1,20; 2,25–28.34 f; 4,25 f; 13,33.34 f). 45 Jesus tut dasselbe wie in V. 27 (s. auch V. 32c; Apg 16,14; 17,3). Der substantivierte Infinitiv toú sunifinai hat hier nicht lediglich finalen, sondern konsekutiven Sinn: Jetzt erst und endlich wird das Unverständnis der Jünger aufgehoben, das sie bisher daran gehindert hatte, Jesu Worte über sein Geschick zu verstehen (vgl. 9,44 f; 18,31–34: ebenfalls mit sunifinai [V. 34]). Auch hier ist von Bedeutung, dass die „Schriften“ Gegenstand des Verstehens sind (s. auch bei 24,25). Indirekt wird damit nicht nur gesagt, dass das bisherige Unverständnis der Jünger auf einer Unkenntnis der heiligen Schriften Israels beruhte, sondern auch, dass die Abweisung der Christusverkündigung von Seiten der weitaus überwiegenden Mehrheit des Judentums ihren Grund einzig und allein darin hat, dass sie ihre eigenen Schriften nicht richtig verstanden hat (s. auch Joh 5,45–47). 46–47a oætw“ gfigraptai ist als Zitateinleitung mit und ohne Attribut in der paganen griechischen Literatur geläufig; vgl. Athenaeus, Deipn. 6,26 (234e); Plutarch, Sull. 34,2; Alex. 76,1; 77,1; Mor. 318d; Galen, Comp. Medic., ed Kühn XIII, 650,14 (christlich und jüdisch nur 1.Kor 15,45 [ohne Attribut]; sowie Mt 2,5 und Josephus, Vita 342 [jeweils mit Attribut]). Mit gfigraptai knüpft Lukas an p›nta tÅ gegrammfina (V. 44c) und an tÅ“ graf›“ (V. 46b) an. Er lässt Jesus den Inhalt der Schriften in Gestalt einer indirekten Rede zusammenfassen, die als A.c.I. konstruiert ist (diese „im Klassischen so stark entwickelte Redeform“ ist im NT „fast nur bei Lukas zu finden“; B/D/R § 396,3): Von gfigraptai sind zwei parallele A.c.I.-Konstruktionen abhängig: zunächst pajeõn tÖn cristÖn kaÑ ünastönai (46c) und dann khrucjönai … met›noian (47a). Während die erste schon aus 18,31–33 und 24,26 bekannt ist, ist die zweite neu. Sie ist auch verantwortlich dafür, dass deõ in V. 44c im Präsens steht, denn diese Ankündigung der Schrift ist nicht nur noch nicht vollendet, sondern sie ist sogar noch nicht einmal in Angriff genommen. Die Präpositionalphrase †pÑ tù £n·mati a§toú (sc. des Messias) in 47a ist auch in der Septuaginta häufig auf ein Verb des Redens bezogen (mit laleõn: Ex 5,23; Dtn 18,19.20.22; 1.Sam 25,9; 2.Chr 33,18; Sach 13,3; Jer 20,9; 33,16; Dan 9,6; mit 792

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24,48

profhte‚ein: Jer 11,21; 14,14.15; 23,25; hebr. ~veB.). Jesus macht die Jünger zu seinen Beauftragten. Er verpflichtet und autorisiert sie damit zum khr‚ssein. Sie werden diese Tätigkeit nach Pfingsten aufnehmen, und folgerichtig wird ihnen daraufhin von Seiten des Synedriums verboten, †pÑ tù £n·mati Jesu zu „reden“ (laleõn; Apg 4,17; 5,40) oder zu „lehren“ (did›skein; 4,18; 5,28). In 9,27.28 ist dementsprechend vom paulinischen parrhsi›zesjai †n tù £n·mati toú ûIhsoú/kur‡ou die Rede. Die weitestgehenden Wortfeldüberschneidungen mit diesem Auftrag finden sich in Reden, die an die Jerusalemer Juden gerichtet sind: Apg 2,38 („metanoflsate, und ein jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi e¢“ ±fesin tùn ®martiùn ≠mùn“) sowie 3,18 f und 5,31: Der Wortlaut dieser beiden Verse ist im Blick auf Lk 24,46–47a insofern komplementär, als einmal von Jesu Leiden und einmal von seiner Auferstehung gesprochen wird (Apg 3,18 f: „… pajeõn tÖn cristÖn a§toú … metanoflsate … und bekehrt euch, e¢“ tÖ †xaleifjönai ≠mùn tÅ“ ®mart‡a““; 5,31: „Diesen hat Gott durch seine Rechte zum Führer und Retter erhöht, um Israel met›noia zu geben und ±fesi“ ®martiùn“). Der Zusammenhang von „Umkehr“ und „Vergebung“ der Sünden kennzeichnete bereits die Verkündigung Johannes des Täufers (vgl. Lk 3,3; s. auch 1,77), doch reicht er auch darüber hinaus (vgl. OrMan 7 [s. bei 1,78a]; Lk 17,3 f; Apg 8,22). Als Aufforderung zur „Umkehr“ (met›noia) ist dann jedoch auch die Christusverkündigung an die nichtjüdischen Völker konzipiert; vgl. Apg 11,18; 17,30 (Paulus auf dem Areopag: „Gott … paraggfillei toõ“ ünjr„poi“ p›nta“ pantacoú metanoeõn“); 20,21; 26,20. Dieser universale Horizont wird in 47a durch e¢“ p›nta tÅ ≤jnh in den Blick genommen (s. auch Apg 15,17 sowie Mk 13,10; 14,9). Mit diesem Ausdruck, der sein räumliches Äquivalent in ∫w“ †sc›tou tö“ gö“ von Apg 1,8 findet, weist der lk Jesus die Jünger bereits hier über die Grenzen Israels hinaus. 47b khrucjönai aus V. 47a wird nun zum Leitbegriff, und Jesu Rede geht dazu über, die Frage nach dem Modus und dem Subjekt des khr‚ssein zu entfalten. Das erste Wort und damit die syntaktische Struktur des Satzes ist textkritisch umstritten: Eine Reihe von Handschriften hat den Akkusativus absolutus ürx›menon (P75 A C3 W f1.13 M syh); vgl. B/D/R § 4243, was 47b noch mit V. 47a verbinden würde (vgl. dazu die Interpunktionsvarianten im Apparat von Nestle / Aland27 z.St.). Ein anderer Strang der Textüberlieferung liest ürx›menoi (a B C* L N 33. lect.844.2211 pc), was das Partizip zu einem Nominativus pendens machen würde (vgl. B/D/R § 466,2). Die äußere Bezeugung hält sich in etwa die Waage (andere Varianten können vernachlässigt werden), und die eine Lesart kann man so gut wie die andere zur Lectio difficilior erklären. In der Übersetzung habe ich mich mit Nestle / Aland27 für den Nominativus pendens entschieden, was aber nicht heißt, dass nicht auch die andere Lesart ursprünglich sein kann.

In jedem Fall soll das khr‚ssein der met›noia … e¢“ p›nta tÅ ≤jnh in Jerusalem beginnen. Der Ausdruck ürx›menoi/-on üp· impliziert aber, dass die Verkündigung zwar in Jerusalem beginnen, dann aber auch über die Stadt hinausgehen soll (vgl. den entsprechenden Sprachgebrauch in Mt 20,8; Lk 23,5; 24,27; Joh 8,9; Apg 1,22; 8,35; 10,37; 1.Petr 4,17). In Apg 1,8 wird diese geographische Ausbreitung dann mit der Reihe „in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde“ explizit gemacht. In 48 werden die Jünger auch erstmals als „Zeugen“ (m›rture“) bezeichnet. Es handelt sich nicht um eine Aufforderung, sondern um eine Feststellung mit performativer Bedeutung: die Jünger werden durch Jesu Wort zu Zeugen gemacht. to‚twn ist ein Gen. obiectivus der bezeugten Sache wie z. B. außerhalb des lk Doppelwerkes Josephus, Ant. 4,40; Ap. 1,4; 1.Petr 5,1. Bei Lukas selbst hat dieser Sprachgebrauch 793

24,49

22,1 – 24,52(53): Passion und Ostern

seine Entsprechung in Apg 1,22 (m. tö“ ünast›sew“ a§toú); 3,15; 5,31 f („diesen hat Gott durch seine Rechte zum Führer und Retter erhöht, um Israel met›noian zu geben und ±fesin ®martiùn, und wir sind Zeugen tùn Øhm›twn to‚twn“); 10,39. m›rtu“ und seine Stammverwandten werden in der Apostelgeschichte zu Schlüsselbegriffen, mit denen Lukas eine Funktion beschreibt, die ausschließlich die zwölf Apostel und Paulus ausüben. „Zeugen“ müssen zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen den Auferstandenen gesehen haben und durch Jesus Christus „erwählt“ sein – entweder durch den Irdischen (Lk 6,13) oder durch den Erhöhten (Matthias: Apg 1,24; Paulus: 9,15). Aus diesem Grunde kann auch Stephanus als „Zeuge“ gelten (22,20), denn auch er hat den Auferstandenen und Erhöhten gesehen und dies vor dem Synedrium bezeugt (7,55–56). Mit Hilfe dieser Metapher will Lukas zum Ausdruck bringen, dass die Christusverkündigung der „Zeugen“ auf empirisch festgestellten Tatsachen beruht, die sogar gerichtsfest sein könnten (vgl. dazu Burchard, Zeuge, 130–135; Spicq, Lexicon II, 447 ff; Korn, Geschichte, 193 ff). Es ist vermutlich dieses semantische Element, das die lk Verwendung dieser Metapher leitet. In diesem Sinne dürfte to‚twn in Lk 24,48 sich auf die in V. 36–43 erzählten Ereignisse beziehen, die die Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu von den Toten unter Beweis gestellt haben (s. auch Apg 2,32; 3,15; 5,31 f; 10,41). Nach 1,22 wird Matthias erst durch die Wahl in den Apostelkreis zu einem „Zeugen seiner [sc. Jesu] Auferstehung“. „Zeugen“ (m›rture“) sind bei Lukas also mehr als nur „Augenzeugen“ (a§t·ptai; vgl. Lk 1,2). Später tritt auch Paulus auf Grund der ihm zuteil gewordenen Erscheinungen in den Kreis der Auferstehungszeugen ein (vgl. 22,15; 26,16). In 10,39 bezieht sich die Zeugenschaft der Apostel auf Jesu gesamtes Wirken „im Land der Juden und in Jerusalem“ (s. auch 1,21), und dementsprechend kann Jesus selbst in 1,8 (≤sesjfi mou m›rture“) und 13,31 (die Apostel als m›rture“ a§toú prÖ“ tÖn la·n) in metonymischer Weise zum Gegenstand des Zeugnisses werden.

49 Während V. 47b–48 so ähnlich wie der Missionsbefehl in Mt 28,18–20 den Bogen in eine unbestimmte Zukunft schlägt und keine narrative Einlösung verlangt, kündigt 49a ein Geschehen an, das nicht unerzählt bleiben kann. Hier wird damit die lk Jesusgeschichte auf eine narrative Fortsetzung hin geöffnet. Dementsprechend knüpft Lukas auch in Apg 1,4 an diesen Vers an. „†paggel‡a meines/des Vaters“ steht hier wie auch in Apg 1,4 metonymisch für die verheißene Sache: den Geist (wie †lp‡“ in Kol 1,5 für das erhoffte Heilsgut). Realisiert wird diese Ankündigung an Pfingsten (Apg 2,1–5; s. auch V. 33). Von einer „Verheißung“ des Geistes kann Lukas auf Grund von Joel 3,1–2 sprechen (vgl. Apg 2,16–18); toú patr·“ mou ist dementsprechend ein Gen. subiectivus. – Dass Lukas den heiligen Geist in 49 metonymisch als d‚nami“ bezeichnet, steht im Zusammenhang einer aus alttestamentlich-jüdischer Tradition stammenden Gesandtenvorstellung, derzufolge Gott die von ihm Gesandten mit d‚nami“ ausstattet und sie dadurch zur Durchführung ihres Auftrags autorisiert sowie befähigt (z. B. Ri 6,34B; Jes 42,1/6; Mi 3,8; zur Verknüpfung von pneúma und d‚nami“ vgl. die Wendungen d‚nami“ toú pne‚mato“ bzw. pneúma dun›mew“ in Sap 5,23; 11,20; Philo, Opif. M. 131; Josephus, Ant. 8,408; LibAnt 27,10; Lk 4,14; Röm 15,13.19; Hermas, Mand. 11,2 sowie Lk 1,35; Apg 1,8; 10,38; Röm 1,4; 1.Kor 2,4; 1.Thess 1,5; Weiteres bei Wolter, Pastoralbriefe, 35 f). 50–52(53) Lukas beendet nicht nur das erzählerische Sammelbecken von Kap. 24 mit den Ereignissen vom ersten Tag der neuen Woche, sondern er schließt auch seine gesamte Jesusgeschichte mit einer Abschiedserzählung (V. 50) ab, die in eine Entrückungserzählung übergeht (V. 51–52a; vgl. dazu Lohfink* 41 ff.163 ff). Das Summarium in V. 53 überschreitet den in 24,1 abgesteckten Zeitrahmen und hat die Funktion, den gesamten ersten Teil des lk Doppelwerks zu beenden. Dass Lukas Sir 50,20–22LXX „unmittelbar … zum Vorbild hatte“ (Lohfink* 169; Ganser-Kerperin, 794

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Zeugnis, 206 f; s. auch Zwiep*, Ascension, 87 f u. a.), ist ganz unwahrscheinlich: Eine Entsprechung lässt sich nur konstruieren, wenn man die Akoluthie der einzelnen Handlungen (†pa‡rein [tÅ“] ceõra“ a§toú – e§logeõn / doúnai e§log‡an – proskuneõn/ prosk‚nhsi“ – e§logeõn tÖn je·n) aus ihrer jeweiligen narrativen und formgeschichtlichen Einbettung herauslöst. 50 †x›gein ist im Neuen Testament lk Vorzugswort (9 von 12 Belegen stehen im lk Doppelwerk). Die Annahme einer Beeinflussung durch den Gebrauch dieses Verbs innerhalb der alttestamentlichen Exodus-Erzählung (so Lohfink* 164) ist eine Überinterpretation. Wenn Lukas als Ort der Himmelfahrt hier Betanien und in Apg 1,12 den Ölberg nennt, so ist das kein Widerspruch, denn aus 19,29 geht hervor, dass Betanien für ihn zum Ölberg gehörte (zur Topographie s. dort). Denselben Schluss erlaubt auch der Austausch von Betanien als Übernachtungsort Jesu (Mk 11,11; 14,3) durch den Ölberg in Lk 21,37 (s. auch Lohfink* 165). Möglicherweise nennt Lukas Betanien hier aber auch, um einen Bogen zu 19,28–29 zu schlagen, denn Betanien war der letzte Ort vor Jesu Einzug nach Jerusalem. In Bezug auf ≤xw ist die schlechter bezeugte Plus-Lesart (A C3 D W Q Y f13 M syh) gegen die Minus-Lesart (P75 a B C* L u. a.) für ursprünglich zu halten, denn man kann sich leichter vorstellen, dass die Reihe ≤xw ∫w“ pr·“ im Laufe der Textüberlieferung reduziert wurde, als das Umgekehrte. ∫w“ pr·“ ist geläufiges griechisches Idiom und bezeichnet die Erstreckung und das Ende eines Weges (vgl. Xenophon, Hellen. 4,7,3; 5,3,2; Diodorus Siculus 2,43,2; Polybius 3,39,3; 82,6; 112,4; 5,44,11; 12,17,4; Callisthenes, FGH 2b, 124, Frgm. 35,12; Lukian v. Samosata, Necy. 11; Gen 38,1).

Das Erheben der Hände gehört zum Gestus des Segnens; vgl. Lev 9,22 („und Aaron †x›ra“ … tÅ“ ceõra“ über das Volk e§l·ghsen a§to‚““); Y 133,2 („in den Nächten †p›rate tÅ“ ceõra“ ≠mùn zum Heiligtum kaÑ e§logeõte tÖn k‚rion“); Sir 50,20 („†pören ceõra“ a§toú über die gesamte Versammlung Israels, doúnai e§log‡an kur‡ou“). Lukas inszeniert die Situation des Abschieds, indem er Jesus die Rolle des Abschiednehmenden zuweist, der die Zurückbleibenden segnet (vgl. Gen 32,1; 47,10; 49,28; Dtn 33,1; 1.Makk 2,69; slawHen 56,1; 57,2; 64,4). Weil es ihm allein auf die Situation ankommt, kann er den Wortlaut des Segens unerzählt lassen. 51 Zum Septuagintastil der Einleitung (kaÑ †gfineto †n tù + Infinitiv mit Subjekt) s. bei 5,12. Lukas stellt sich ganz offensichtlich vor, dass Jesus während des Segnens entrückt wird. Das Fehlen von kaÑ üneffireto e¢“ tÖn o§ran·n in a* D it sys kann als sekundäre Auslassung gelten (s. auch Zwiep*, Text). Es ist durch die Intention veranlasst, die Konkurrenz zu der in Apg 1,9 erzählten Entrückung aus der Welt zu schaffen. Das in 51a erzählte Verschwinden Jesu wäre dann keine Entrückung, sondern ein einfacher Aphanismos wie in V. 31c (Näheres s. dort). Nach lk Vorstellung unterscheidet sich die hier erzählte Entrückung Jesu von dem „Eingehen in die Herrlichkeit“, von der in 24,26 die Rede war (gegen Lohfink* 272 ff u. ö.): 24,26 basiert ganz offensichtlich auf einer Tradition, die statt von Tod und Auferstehung von ‚Tod und Erhöhung‘ sprach (Phil 2,9; 1.Tim 3,16; Hebr 12,2) und damit die jüdische Vorstellung von der Auferstehung und Erhöhung von Märtyrern in den Himmel (Belege und Literatur bei 16,22) unter Rückgriff auf Ps 110,1 auf Jesus übertrug (Belege und Literatur bei 20,42–43). Von dorther lässt Lukas Jesus vorübergehend noch einmal auf die Erde herabkommen, um sowohl den Emmausjüngern in 24,13–31 als auch allen anderen Jüngern in 24,36–49 zu erscheinen (s. auch Zwiep*, Ascension, 145 ff). Demgegenüber erwartet er, dass Jesus nach der hier erzählten Entrückung erst wieder bei seiner Parusie auf die Erde zurückkehren wird (vgl. Apg 1,11). Bis dahin lässt er sich – das machen

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die Erscheinungen vor Stephanus (7,55–56) und Paulus (9,3–6) deutlich – ‚nur‘ in seiner himmlischen Herrlichkeit sehen.

Im Vergleich mit dem Verschwinden in V. 31c erzählt Lukas Jesu Entrückung geradezu zeitlupenhaft. Die Dauer des Vorgangs wird vor allem durch das iterative Imperfekt üneffireto markiert. Mit üpû a§tùn und e¢“ tÖn o§ran·n werden Ausgangspunkt und Ziel der „Himmelfahrt“ genannt. Zum Gebrauch von ünaffiromai bei Entrückungen vgl. Plutarch, Numa 2,3 (von Romulus und seinen Waffen in den Himmel); Antoninus Liberalis, Metamorph. 25,4 (s. bei V. 3); Cassius Dio 56,42,3 (von der Seele in den Himmel); TestAbrA 14,8 (von der Seele ins Paradies). Mit Jesu Entrückung in den Himmel schließt sich ein Kreis, der seinen Ausgang in dem ersten Wort nahm, das Jesus im LkEv gesprochen hat – in dem an seine Eltern gerichteten Wort des Zwölfjährigen im Jerusalemer Tempel (2,49): †n toõ“ toú patr·“ mou deõ eèna‡ me. An der Stelle von Jesu Eltern stehen nun seine Jünger (s. bei 8,21), und wie tÅ toú patr·“ mou dort der Tempel war, so ist es hier der Himmel (s. auch Apg 3,20 f sowie bei Lk 2,49). 52 Dass proskunflsante“ a§t·n gegen D it sys und mit allen anderen Handschriften zum ursprünglichen Text des LkEv gehört, hat zuletzt noch einmal Zwiep*, Text, in kritischer Auseinandersetzung mit den von Parsons* 29 ff u. a. vorgebrachten Argumenten gezeigt. Die anschließende kultische Verehrung des Entrückten gehört zum Motivrepertoire antiker Entrückungserzählungen; vgl. Herodot 7,167; Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,64,4 f; Diodorus Siculus 4,39,1; Pausanias 6,9,7 f; Diogenes Laertius 8,68; Livius 1,16,1–8 u. ö.; mit proskuneõn: Plutarch, Rom. 27,8–9; Lukian v. Samosata, Mort. Per. 39 (Weiteres bei Lohfink* 48 f). Grundlage war die Vorstellung, dass eine Entrückung in den Himmel entweder die Erhebung eines Menschen in den Kreis der Götter begründet, wie z. B. bei der römischen Kaiserapotheose (s. dazu E. Bickerman, Die römische Kaiserapotheose [1929], in: ders., Religions and Politics in the Hellenistic and Roman Periods [BiAth 5], Como 1985, 1–34; W. Kierdorf, „Funus“ und „consecratio“. Zu Terminologie und Ablauf der römischen Kaiserapotheose, Chiron 16 [1986] 43–69), oder dass sie enthüllt, dass der/die Entrückte schon immer kein Mensch, sondern ein Gott gewesen ist (vgl. Plutarch, Rom. 28,2; s. auch bei V. 3 sowie Lohfink* 46 ff; Dormeyer*); mit dieser Vorstellung spielt auch Chariton v. Aphrodisias 3,3,5.

Die theologische Bedeutung dieser Mitteilung innerhalb der lk Jesuserzählung kann ein Vergleich mit 4,8 deutlich machen: Dort hatte Jesus von Lukas eine Abwandlung von DtnLXX 6,13; 10,20 als Schriftzitat in den Mund gelegt bekommen: k‚rion tÖn je·n sou proskunflsei“ … «den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten …!» (sc. ‚und niemand anderen!‘). Nachdem Jesus in den Himmel aufgenommen wurde und seine ewige Herrschaft „über das Haus Israel“ angetreten hat (s. dazu bei 1,33), richtet sich das proskuneõn der Jünger nun auch auf ihn. Vor dem irdischen Jesus sind die Menschen zwar immer mal wieder auf ihr Angesicht oder zu Boden gefallen (vgl. 5,12; 8,28.41.47), doch anders als in Mt 2,11; 8,2; 9,18; 14,33; 15,25; 20,20 gilt das proskuneõn bei Lukas ausschließlich dem Erhöhten (s. auch Apg 7,43; 8,27; 10,25–26; 24,11 sowie Ostmeyer, Kommunikation, 271 ff). Im MkEv erfährt es der Irdische nur von Seiten eines Verrückten (5,6) und römischer Soldaten, die ihn auf diese Weise verhöhnen wollen (15,19). Damit erreicht ein christologisches Thema, das Lukas im Laufe seiner Jesusgeschichte immer wieder angestimmt hatte, seinen Höhepunkt und Abschluss: dass Gott durch Jesus authentisch repräsentiert wird. Den Lesern ist das alles 796

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natürlich schon von Anfang an bekannt, und darum hat dieser Erzählzug vor allem die Funktion, die Jünger zu charakterisieren: Ihr proskuneõn des Entrückten macht deutlich, dass sie nun endlich zur richtigen christologischen Erkenntnis vorgestoßen sind. Die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem nimmt V. 47b („beginnend mit Jerusalem“) und V. 49b („bleibt in der Stadt, bis …“) auf; zu ≠postrfifein in Kap. 24 s. o. S. 768. Die Geschichte Jesu wird damit auf die Geschichte der Jünger hin geöffnet, und die Leser warten gemeinsam mit den Jüngern auf deren „Bekleidung“ mit †x æyou“ d‚nami“ (V. 49c). – Angesichts der intensiven Bezugnahmen auf Lk 1 – 2 in V. 53 ist es nicht ausgeschlossen, dass Lukas mit der carÅ meg›lh der Jünger den Bogen zur Geburtsverkündigung des Engels in 2,10 schlägt, zumal es zwischendrin keine „große Freude“ gab (s. auch Lohfink* 175; die ebd. hergestellten Querverbindungen zu außerntl Entrückungserzählungen können freilich nicht überzeugen). Mit V. 52 nimmt Lukas aber auch einen Austausch des Protagonisten seiner Erzählung vor: An die Stelle Jesu treten die Jünger, und das Ende der Jesusgeschichte wird an dieser Stelle zum Beginn der Jüngergeschichte. 53 Der erste Teil des lk Doppelwerks schließt mit einem Summarium, das einen längeren Zeitraum in den Blick nimmt und damit über den chronologischen Rahmen hinausgeht, den Lukas in 24,1 mit tÔö dÇ miô tùn sabb›twn abgesteckt hat. Auf derselben narrativen Ebene ist Lukas auch schon in 1,80 mit Bezug auf Johannes den Täufer sowie in 2,40.52 mit Bezug auf Jesus verfahren. Am Ende der Apostelgeschichte kommt ein vergleichbares Summarium über Paulus hinzu (Apg 28,30–31), das sich jedoch in einem nicht ganz unwesentlichen Detail von den drei vorgenannten unterscheidet: Es bleibt nicht zeitlich unbestimmt, und es wird dementsprechend auch nicht wie in den anderen Fällen durch die Wiederaufnahme der Erzählung beendet. Lukas baut vielmehr eine zeitliche Befristung mit in das Summarium selbst ein: Er beschränkt die in ihm erzählte Zeit auf zwei Jahre (diet‡a Ωlh; V. 30a). Damit ist das Ende des Paulus in den Blick genommen, denn Lukas weiß natürlich, dass dieser Zeitraum durch den Tod des Paulus begrenzt wurde, und er weiß auch, dass seine Leser das wissen. Mit Hilfe der textexternen Enzyklopädie seiner Leser setzt Lukas hierdurch einen sehr leisen, aber doch unüberhörbaren Schlusspunkt. Dass Lukas nicht auch noch den Tod des Paulus berichtet, hat formgeschichtliche Gründe, denn er schreibt keine Paulusbiographie.

Hier hat das Summarium die Funktion, die Jünger als neue erzählerische Hauptfigur in einer für sie typischen Situation darzustellen und sie dadurch zu charakterisieren. Im letzten Satz des ersten Teils hebt Lukas hervor, dass die Jünger voll und ganz in die jüdische Tempelfrömmigkeit integriert sind. Die Ortsangabe †n tù ´erù schlägt einen Bogen an den Anfang der Gesamtdarstellung, denn die erste Szene hatte Lukas ebenfalls im Tempel spielen lassen (vgl. 1,8–22). Darüber hinaus weist auch das e§logeõn tÖn je·n der Jünger auf den Anfang der lk Erzählung zurück, denn so etwas hatte Lukas bisher nur von Zacharias (1,64) und von Simeon (2,28) erzählt. Wenn man die von Lukas konstruierte literarische Situation in das Licht von 2,49 stellt (s. bei 24,51), kann man sagen: Sowohl Jesus als auch die Jünger sind nun ‚in dem, was Jesu Vater ist‘ – er im Himmel und sie im Tempel. Diese im eigentlichen Sinne theo-logische Coda am Schluss der lk Jesusgeschichte kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie nicht nur mit einer summarischen Mitteilung über das Gotteslob der Jünger endet, sondern dass „Gott“ auch ihr letztes Wort ist. 797

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Im Blick auf den Plot des gesamten lk Doppelwerks ist jedoch vor allem zweierlei wichtig: Die Erzählung befindet sich am Ende des ersten Teils, d. h. beim Übergang von der Jesusgeschichte zur Zeugengeschichte, immer noch im Zentrum der jüdischen Gottesverehrung (s. auch Apg 2,46; 5,12.42), und die Geschichte Israels ist noch mit der Geschichte des Judentums identisch. Am Ende des zweiten Teils wird sich beides dramatisch geändert haben.

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