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German Pages 794 [807] Year 2015
Handbuch zum Neuen Testament Begründet von Hans Lietzmann Fortgeführt von Günther Bornkamm Herausgegeben von Andreas Lindemann
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Hartwig Thyen
Das Johannesevangelium 2., durchgesehene und korrigierte Auflage
Mohr Siebeck
Hartwig Thyen, geboren 1927; Studium der Theologie in Mainz und Marburg; 1953 Promotion und Ordination; 1966 Habilitation; Professor emeritus der Universität Heidelberg.
ISBN 978-3-16-152874-3 / eISBN 978-3-16-160476-8 unveränderte eBook-Ausgabe 2022 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Bembo Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.
Vorwort Schon meine erste Seminararbeit im Sommersemester 1948 über Lichtvorstellungen in den Testamenten der zwölf Patriarchen und im Johannesevangelium in Rudolf Bultmanns Marburger neutestamentlichem Seminar und dieser große Lehrer haben mich unwiderstehlich mit diesem Evangelium verbunden und die Liebe zu ihm in mir erweckt. Bultmanns Kommentar hat mich auch während der zwölf ersten Berufsjahre im Pfarramt in der Oldenburgischen Landeskirche begleitet. Seinem Gedächtnis und dem seiner Schüler Ernst Käsemann, Günther Bornkamm und Erich Dinkler sei dieser Kommentar gewidmet. Käsemann hat mich in Mainz mit seiner faszinierenden Vorlesung über das Markusevangelium für die Exegese entflammt, während gleichzeitig Eduard Schweizer mit dem neutestamentlichen Proseminar über die Pastoralbriefe die methodischen Grundlagen dafür bereitete. Erich Dinkler hat mir nach seiner Berufung nach Heidelberg auf Bultmanns Bitte hin mit einer Assistentenstelle dort die Mensa für meine Habilitation geschaffen. Und bald nach dieser Habilitation hat Günther Bornkamm als der damalige Herausgeber dieses Handbuchs zum Neuen Testament dem eben zum Privatdozenten Ernannten die ehrenvolle Aufgabe angetragen, diesen Kommentar für das Handbuch zu verfassen. Meine im folgenden Literaturverzeichnis aufgelisteten Aufsätze und Artikel zum Johannesevangelium aus vierzig Jahren seiner Lektüre mögen dem Kundigen die zahllosen Wege und Irrwege vor Augen führen, die ich hinter mich bringen mußte, bis ich das Evangelium endlich als ein von seinem ersten Prologvers an bis hin zum letzten Vers seines Epilogs (21,24 f) kohärentes, hochpoetisches literarisches Werk zu begreifen und auf den Spuren des mir durch Manfred Frank neuerschlossenen Altmeisters Schleiermacher eine entsprechende Hermeneutik zum Umgang mit ihm zu entwickeln lernte. Ich danke allen Studenten, die in unseren gemeinsamen Seminaren über johanneische Probleme mit mir über diese Aufgabe nachgedacht und mündlich oder schriftlich ihre Beiträge dazu geleistet haben. Mein Dank gilt aber weit über Heidelberg hinaus interkonfessionell und international den vielen Kollegen in aller Welt, mit denen ich, sei es bei den Journées Bibliques in Leuven oder in den Johannesseminaren während der jährlichen Kongresse der SNTS, meine Art der Lektüre des Evangeliums diskutieren und dabei von ihnen vieles lernen konnte. Vor allem von den scharfsinnigen Arbeiten der Leuvener Kollegen Frans Neirynck und Maurits Sabbe zum Verhältnis des vierten zu den drei synoptischen Evangelien habe ich gelernt, das Johannesevangelium als ein intertextuelles Spiel mit diesen bereits literarisch verfaßten Evangelien als seinen Prätexten zu begreifen. V
Vorwort
Vieles verdanke ich dem um das Johannesevangelium kreisenden literarischen Werk von Fernando F. Segovia, dessen Wege der Johanneslektüre ähnlich wie meine eigenen verliefen. Beide versprachen wir uns einst eine Lösung des vermeintlichen Rätsels des Johannesevangeliums von der konsequenten Anwendung der traditionell analytischen Methoden und zumal von der Literarkritik im Verein mit redaktionsgeschichtlichem Schwerpunkt. Doch immer wieder entzog sich der Text des Evangeliums solchen Versuchen, ihn zu vergewaltigen, und nötigte zu integrativeren Verfahren. Ein objektiver Textsinn ist ein unauffindbares Phantom, Interpretation und Applikation sind untrennbar. Da literarische Texte nach einem Wort Rilkes zu „den Dingen gehören, die vorerst nur für einen gemeint sind und die sich nicht sagen lassen“, können Leser wie Kommentatoren stets nur Vorschläge zu ihrer Lektüre machen und hoffen, daß andere Leser ihnen zustimmen können. Gewiß sind andere Arten der Lektüre möglich und die in diesem Kommentar unternommene ist nur eine. Aber – mit den Worten Segovias über die johanneischen Abschiedsreden gesagt – „However, the result of this reading has been for me a nd I would hope for the reader of this study as well – an appreciation for this farewell discourse as a truly impressive and powerful creation“ (Farewell of the Word 58). Endlich muß ich zwei Männern und einer Frau ganz besonders herzlich danken, nämlich dem Herausgeber des Handbuchs, Herrn Kollegen Andreas Lindemann in Bethel und Herrn Dr. Ziebritzki, dem Lektor des Mohr Siebeck‑Verlages in Tübingen. Sie beide haben mit sanftem Druck und freundschaftlichem Beistand wesentlich dazu beigetragen, daß dieser Kommentar nun endlich erscheinen kann. Last but not least gilt mein Dank Frau Kristina Wagner, die mit großer Sorgfalt und viel Sachverstand die Korrekturen der Druckfahnen besorgt und mir dabei zahl‑ und hilfreiche Vorschläge zur Verbesserung mißverständlicher oder unglücklicher Formulierungen gemacht hat. Neckargemünd, am 16. Februar 2005
Hartwig Thyen
Vorwort zur 2. Auflage Für die zweite Auflage wurden die Bibliographie und der Kommentar mehrfach gründ lich durchgesehen und an zahlreichen Stellen korrigiert. Dafür danken der Herausgeber und der Verlag den Herren Dr. Hans Cymorek, Christian Gers-Uphaus, Klaus Hermannstädter und Simon Schüz. Tübingen, den 3. Dezember 2014
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Andreas Lindemann Henning Ziebritzki
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Der Prolog (1,1–18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Erster Teil: Das Buch des Zeugnisses (1,19–10,42) Erster Akt des historischen Dramas Jesu nach Johannes (1,19–2,22) . . . . . . . . . 109 Erste Szene: Erster Tag und erste martur‡a des Johannes (1,19–28) . . . . . . . 109 Zweite Szene: Zweiter Tag und zweite martur‡a des Johannes (1,29–34) . . . 116 Dritte Szene und dritter Tag: Erneute martur‡a des Johannes vor zweien seiner Jünger und deren ‚Nachfolge‘ Jesu (1,35–42) . . . . . . . . 127 Vierte Szene, vierter Tag: Jesus beruft Philippus in seine Nachfolge, der dann Nathanael, ‚den Israeliten, in dem kein Falsch ist‘, zu Jesus führt (1,43–51) 136 Fünfte Szene: Das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana (2,1–11) . . . . . . . 148 Sechste Szene: Von Kana nach Kapharnaum (2,12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘ (2,13–22) . . . . . . . . . . . 162 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a des Johannes, die Samaritanerin am Jakobsbrunnen und der basilikov" aus Kapharnaum (2,23–4,54) . . . . . . 179 Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Pharisäers und a[rcwn tùn ûIouda‡wn Nikodemus (2,23–3,21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Zweite Szene: Erneute martur‡a des Täufers Johannes (3,22–36) . . . . . . . . . 223 VII
Inhaltsverzeichnis
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar (4,1–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (1) Einleitung (4,1–3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (2) Das Gespräch Jesu mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen (4,4–26) . 238 (3) Jesus und seine Jünger (4,27–38) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (4) Jesus und die Samaritaner aus Sychar (4,39–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Vierte Szene: Die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Kana (4,43–54) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (1) Einleitung (4,43–46a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (2) Die Fernheilung des Sohnes des basilikov" (4,46b–54) . . . . . . . . . . . 285 Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten in Jerusalem – Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa – Erneute Reise nach Jerusalem zum Laubhüttenfest (5,1–7,52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda in Jerusalem und ihre Folgen (5,1–47) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (1) Das Zeichen der Heilung des Gelähmten (5,1–9a) . . . . . . . . . . . . . . . 293 (2) Der Geheilte und die Juden (5,9b-15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (3) Jesus verteidigt sich gegen die Anklagen der Juden (5,16–30) . . . . . . . 303 (4) Jesu Legitimation als der wahrhaftige Zeuge (5,31–40) . . . . . . . . . . . . 316 (5) Jesus, der Angeklagte, wird zum Ankläger derer, die ihn anklagen (5,41–47) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung und nächtlicher S eewandel Jesu, Lebensbrotrede, Schisma unter den Jüngern und Bekenntnis des Petrus (6,1–71) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 (1) Die wunderbare Speisung am See (6,1–13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 (2) Die Reaktion der Menge (6,14–15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 (3) Die nächtliche Begegnung der allein gelassenen Jünger mit ihrem Herrn in der Mitte des Sees (6,16–21) . . . . . . . . . . . . . . . 339 (4) Die Volksmenge der Speisung sucht Jesus und findet ihn in Kapharnaum (6,22–40) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 (5) Jesus und die Juden (6,41–59) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 (6) Jesus und ‚viele seiner Jünger‘, die seine Rede gehört hatten (6,60–66) 371 (7) Jesus, die Zwölf und des Petrus Bekenntnis (6,67–71) . . . . . . . . . . . . . 377 Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem (7,1–52) . . . . . . 381 (1) Einleitung: Jesu Disput mit seinen ungläubigen Brüdern und sein ‚heimlicher‘ Weg hinauf zum Fest (7,1–13) . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 (2) Jesu Lehren während des Laubhüttenfestes im Tempel (7,14–52) . . . . . 388 7,14–31: Geteilte Meinungen unter den Festpilgern über Jesus und seine Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 7,32–52: Erneuter Konflikt mit den Hohenpriestern und Pharisäern . 395 VIII
Inhaltsverzeichnis
Vierter Akt und Peripetie der dramatischen Historie Jesu nach Johannes (8,12–12,50) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Erste Hälfte des vierten Aktes (8,12–10,42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern am Laubhüttenfest (8,12–59) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (1) Ich bin das Licht der Welt (8,12–20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (2) Erneute Auseinandersetzung mit den Juden auf dem Laubhüttenfest (8,21–30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 (3) Schroffe Auseinandersetzung mit Apostaten (8,31–59) . . . . . . . . . . . . 431 Zweite Szene: Das Zeichen der Heilung eines Blindgeborenen (9,1–41) . . . . 452 (1) Jesus trifft den Blindgeborenen und tut ihm die Augen auf (9,1–7) . . . 453 (2) Der Geheilte und seine Nachbarn (9,8–12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 (3) ‚Verhör‘ des Eben-Noch-Blinden durch die Pharisäer (9,13–17) . . . . 461 (4) Die Pharisäer verhören die Eltern des Wieder-SehendGewordenen (9,18–23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 (5) Erneutes Verhör und Ausstoßung des zuvor Blinden, der zum ‚Sehenden‘ geworden war (9,24–34) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 (6) Jesus und der zum Sehenden gewordene Blindgeborene (9,35–38) . . . 468 (7) Jesu resümierende Gerichtsrede gegen die Pharisäer (9,39–41) . . . . . . 471 Dritte Szene: „Ich bin der gute Hirte“ (10,1–21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 (1) Ein Gleichnis führt die Themen der folgenden Hirtenrede ein (10,1–6) 474 (2) „Ich bin der gute Hirte“ (10,7–21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Vierte Szene: Jesu ‚Verhör‘ in der Halle Salomos während des Festes der Tempelweihe in Jerusalem (10,22–39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 Fünfte Szene: Jesus begibt sich zurück an den Ort, wo Johannes zuerst getauft hatte (10,40–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503
Zweiter Teil: Das Buch der dovxa Jesu (11,1–21,25) Zweite Hälfte des vierten Aktes (11,1–12,50) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus (11,1–12,11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 (1) Krankheit und Tod des Lazarus (11,1–16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 (2) Jesus im Gespräch mit Martha (11,17–27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 (3) Jesus im Gespräch mit Maria und den jüdischen Trauergästen (11,28–37) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 (4) Die Erweckung des Lazarus (11,38–44) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 IX
Inhaltsverzeichnis
(5) Viele Juden glauben an Jesus, und das Synhedrium beschließt, ihn zu töten (11,45–57) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 (6) Jesu Salbung durch Maria (12,1–8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 (7) Beschluß der Hohenpriester, auch Lazarus zu töten (12,9–11) . . . . . . . 551 Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem, sein letzter öffentlicher Aufruf und ein Epilog dieses vierten und zentralen Aktes (12,12–50) . . . . 551 (1) Einzug in Jerusalem (12,12–19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 (2) Jesu Antwort auf den Wunsch einiger Griechen, ihn kennenzulernen (12,20–36) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 (3) Epilog des Erzählers (12,37–43) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 (4) Aus dem Verborgenen erklingt Jesu Stimme (12,44–50) . . . . . . . . . . . 574 Fünfter Akt und esoterisches Zwischenspiel der dramatischen Historie Jesu nach Johannes: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern (13,1–17,26) . . . 580 Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße (13,1–38) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 (1) Einleitung nicht nur dieser Szene, sondern des gesamten Aktes (13,1–4) 581 (2) Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße (13,5–17) . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 (3) Jesu absolutes †gwv e¢mi als Zentrum unserer Szene (3,18–20) . . . . . . . . 592 (4) Das Mahl dauert an: Der Jünger, den Jesus liebte, zwischen Judas und Petrus (13,21–38) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern (14,1–31) . . . . . . . . . . . . . 613 Dritte Szene: Jesus prädiziert sich selbst als der wahre Weinstock, nennt seinen Vater den Weingärtner und seine Jünger die fruchttragenden Reben, die nur dann der Haß der Welt nicht verschlingen wird, wenn sie in ihm bleiben, wie er in ihnen (15,1–16,3) . . . . . . . . . . . 635 (1) Vom Bleiben (15,1–11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 (2) Das neue Gebot (15,12–17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 (3) Wie der Haß der Welt Jesus trifft, so wird er auch seine Freunde nicht verschonen (15,18–16,3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten (16,4–33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 (1) Der Abschied und der kommende Paraklet (16,4–15) . . . . . . . . . . . . . 654 (2) Eine kleine Weile … und abermals eine kleine Weile. Der Abschluß der Abschiedsrede Jesu (16,16–33) . . . . . . . . . . . . . . . . 666 Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater (17,1–26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 (1) Jesu Bitte um die wechselseitige Verherrlichung des Sohnes durch den Vater und des Vaters durch den Sohn und seine Offenbarung des göttlichen Namens (17,1–8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 X
Inhaltsverzeichnis
(2) Jesu Fürbitte um die Bewahrung seiner Jünger (17,9–19) . . . . . . . . . . 690 (3) Jesus betet auch für die, die durch das Zeugnis seiner Jünger zu ihm kommen werden, und darum, daß die Seinen ‚Eines‘ sein möchten, so wie er und der Vater ‚Eines‘ sind (17,20–26) . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 Sechster Akt: Jesu Gefangennahme. Er wird gefesselt zu Hannas geführt; während Hannas ihn drinnen befragt, v erleugnet Petrus seinen Herrn draußen am Kohlenfeuer. Jesu Prozeß vor Pilatus, seine Kreuzigung und sein Begräbnis (18,1–19,40) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 Erste Szene: Jesu Gefangennahme (18,1–13a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 Zweite Szene: Jesus vor Hannas, dem Schwiegervater des K aiaphas; Petrus verleugnet ihn dreimal (18,13b–27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 Dritte Szene: Jesus wird drinnen im Prätorium von Pilatus verhört, die Juden stehen draußen, um sich angesichts des bevorstehenden Passamahles und Passafestes nicht zu verunreinigen (18,28–19,16a) . . . . . . 713 Vierte Szene: Jesu Kreuzigung, seine letzten Worte an seine Mutter und an den Jünger, den er liebte, und sein Sterben (19,16b–30) . . . . . . . . 730 (1) Jesus trägt sein Kreuz selbst und wird in Golgotha gekreuzigt (19,16b–18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731 (2) Die Kreuzesinschrift: Jesus, der Nazoräer, der König der Juden (19,19–22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733 (3) Die Soldaten teilen Jesu Kleider unter sich (19,23–24) . . . . . . . . . . . . 734 (4) Jesu letzte Worte an seine Mutter und an den Jünger, den er liebte (19,25–27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 (5) Jesu letztes Wort: ‚Mich dürstet‘, sein Sterben und die Hingabe des Geistes (19,28–30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 Fünfte Szene: Die Kreuzabnahme und die Bestattung Jesu (19,31–42) . . . . . 744 (1) Was noch am toten Jesus geschah, damit die Schrift erfüllt werde (19,31–37) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 (2) Jesu Begräbnis durch Joseph von Arimathaia und Nikodemus (19,38–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 Siebter und letzter Akt der dramatischen Historie Jesu: Jesu neue österliche Gegenwart (20,1–29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 Erste Szene: Die Ereignisse am leeren Grab Jesu (20,1–18) . . . . . . . . . . . . . . 754 (1) Früh am Ostermorgen, als es noch finster ist, besucht Maria von Magdala Jesu Grab (20,1–2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 XI
Inhaltsverzeichnis
(2) Auf Marias Botschaft hin eilen Petrus und der Jünger, den Jesus liebte, zum Grab (20,3–10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 (3) Maria ist zurückgekehrt und wird zur ersten Zeugin ihres auferstandenen Herrn (20,11–18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760 Zweite Szene: Der Auferstandene erscheint seinen Jüngern und am achten Tage darauf dem zweifelnden Thomas (20,19–29) . . . . . . 763 (1) Jesus erscheint seinen Jüngern und sendet sie in die Welt, so wie sein Vater ihn gesandt hat. Dazu rüstet er sie aus mit dem Heiligen Geist und gibt ihnen die Vollmacht, Sünden zu vergeben oder zu behalten (20,19–23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 (2) Jesus und Thomas (20,24–29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 Der Epilog des Evangeliums (20,30–21,25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 Erste Szene: Die neue Gegenwart des auferstandenen Jesus am See von Tiberias (21,1–14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 Zweite Szene: Jesus befreit Petrus von dem Makel seines Verrats, bestellt ihn zum Hirten seiner Schafe und autorisiert das Evangelium seines geliebten Jüngers (21,15–25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
XII
Einleitung Im folgenden kommentieren wir das uns im Kanon überlieferte Evangelium von Joh 1,1 bis Joh 21,25 als einen kohärenten und hoch poetischen literarischen und auktorialen Text. Im Gegensatz etwa zu dem des Mk ist er – zumal durch die Papyri P66 und P75 – früh und relativ breit bezeugt; vgl. zu Mk: Lührmann (Markus 1–3) und zu Joh: Thyen (Postscript). Abgesehen von der Erzählung von Jesu Begegnung mit der Ehebrecherin und ihren Anklägern mit ihrem unvergeßlichen Wort: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“(Joh 7,53–8,11), die nach Ausweis ihrer handschriftlichen Überlieferung, ihres Vokabulars und Stils mit Sicherheit sekundär ist, und abgesehen auch von der hübschen Glosse über den Engel, der das Wasser bewegte (Joh 5,4; vgl. z.St.), die ein früher Leser am Rande seines Textes notiert haben mag, sowie abgesehen von einigen, jeweils z.St. diskutierten variae lectiones folgen wir dabei der Textedition von Nestle-Aland27. Da die handschriftlichen Zeugen weder für die vielfach vorgeschlagenen Umstellungen von Teiltexten noch für eine nachträgliche Bearbeitung eines vorliegenden Evangeliums durch einen kirchlichen Redaktor irgendwelche ernstzunehmenden Indizien bieten, dürfte unser Evangelium öffentlich nie anders als in seiner überlieferten kanonischen Gestalt existiert haben. Darum haben wir hier auf die Erörterung aller Fragen nach der vermeintlichen Genese unseres Evangeliums, nach seinen mutmaßlichen Quellen oder gar nach einem bereits literarisch verfaßten Vorläufer (Predecessor, Fortna) sowie nach seiner vermeintlich sekundären Bearbeitung durch eine „kirchliche Redaktion“ (Bultmann, Becker u. a.) verzichtet. Die schöne Erzählung von Jesu Begegnung mit der Ehebrecherin und ihren Anklägern haben wir in der Festschrift für Klaus Berger (vgl. das Literaturverzeichnis) ausführlich erörtert und kommentiert. Abgesehen von der dort bereits erfolgten Behandlung dieser Episode sollen auch alle Theorien über mutmaßliche Quellen und redaktionelle Bearbeitungen jenseits dieses Kommentars in einem geplanten Aufsatzband kritisch zur Sprache kommen. Der älteste bisher bekannte Textzeuge für unser Evangelium ist der Papyrus 52. Bei ihm handelt es sich zwar nur um ein winziges Fragment, das auf seiner Vorderseite Bruchstücke aus Joh 18,31–33 und auf seiner Rückseite solche aus 18,37–38 bietet (Fotokopie bei Aland, Text 94). Der bereits im ersten Viertel des zweiten Jahrhunderts in Ägypten geschriebene P52 ist aber darum von so großem Gewicht, weil er Zeuge der frühen Verbreitung des JohEvs bis hin nach Ägypten ist. Denn, wie die Sprache und topographische Eigenheiten unseres Evangeliums zeigen, ist es sicher weder in Ägypten noch in Kleinasien, sondern wohl im syrisch-palästinensischen Raum entstanden (vgl. Schmithals, Introduction 12). Der im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts ebenfalls in Ägypten geschriebene P66 (V. Martin, Papyrus Bodmer II, Genf 1956 u. ders., Suppl., Genf 21962) bietet Joh bereits mit der denkwürdigen Inscriptio EUAGGELION KATA IOANNHN. Denkwürdig ist das insofern, als hier das 1
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Lexem e§aggfilion bereits zur Bezeichnung einer literarischen Gattung geworden ist. Und wenn dabei der jeweilige Autor nicht im Genitiv genannt wird (etwa e§aggfilion M›rkou oder, wie die Inscriptio des 1Joh: ûIo›nnou A'), sondern vielmehr mit kat› cum Acc., so bedeutet das, daß hier jeweils der Name des mutmaßlichen Verfassers dieser je besonderen Ausgabe und Perspektive des einen Evangeliums von Jesus Christus genannt wird. Deshalb müssen diese einheitlichen Inscriptiones unserer Evangelien auf den Herausgeber des Vier-Evangelien-Kanons zurückgehen und dem Zweck dienen, die einzelnen Exemplare dieser Sammlung unterscheidbar und damit auch zitierbar zu machen (vgl. dazu Hengel, Evangelienüberschriften, u. Trobisch, Endredaktion 58 ff). Dem entspricht es im übrigen, daß keine unserer großen Handschriften nur ein einzelnes Evangelium bietet. Mit der Ausnahme von Lk 1,1–4: ≤doxe kümoÑ ... soi gr›yai, kr›tiste Qe∙file, und wohl auch Joh 21,25: oèmai, wo sich die Verfasser, ohne freilich ihren Namen zu ver‑ raten, in erster Person Singularis nennen, wobei sich Lukas ausdrücklich und Johannes sich wegen des Plurals der geschriebenen Bücher (graf∙mena bibl‡a: 21,25) vermutlich auf Vorgänger in der Evangelienschriftstellerei beruft, sagt keines unserer vier kanonischen Evangelien irgendetwas über seinen realen Verfasser, von dessen Namen ganz zu schweigen. Und auch jenseits der Evangelien gibt es über deren Verfasser keinerlei zeitgenössische Zeugnisse. Unser vierter Evangelist hat sich vielmehr nach dem Vorbild Johannes (des Täufers), dem er die Worte in den Mund legt: „Jener muß wachsen, ich aber abnehmen“ (Joh 3,30), total in die von ihm geschaffene fiktionale Figur des „Jüngers, den Jesus liebte“ entäußert und diesen Jünger zum Autor im Text und Erzähler der Geschichte Jesu gemacht. Doch den Namen dieses geliebten Jüngers nennt auch er nirgendwo. Dies Rätsel zu lösen, gibt er vielmehr seinen Lesern auf. Erst beim letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern (Joh 13) zeichnet der implizite Autor einen der Jünger, die nach Joh 15,27 von Anfang an bei Jesus waren, und zwar denjenigen, „der an der Brust Jesu lag“, mit dem ehrenvollen Pseudonym aus: „der Jünger, den Jesus liebte“ (13,23 ff). Da in der gesamten christlichen Tradition die Teilnehmer an Jesu letztem Mahl nur die erwählten Zwölf waren, wissen die Leser unseres Evangeliums natürlich, daß der geliebte Jünger nur einer dieser Zwölf sein kann. Ja, das geht auch aus unserem Evangelium selbst hervor. Denn nach Joh 6,66 ff waren nach dem „Weggang vieler seiner Jünger“ ja nur die Zwölf bei ihrem Herrn und ihm treu geblieben. In seinem Epilog (Joh 20,30–21,25) wird unser Autor den Kreis um den geliebten Jünger dann noch enger ziehen. Denn jetzt muß der Leser ihn nicht mehr unter den Zwölfen suchen, nun kann er nur noch einer der dort genannten Sieben sein. Das sind neben Petrus, Thomas und Nathanael sowie zwei anonymen Jüngern die beiden Zebedäussöhne Jakobus und Johannes. Sie erscheinen bei Johannes einzig an dieser Stelle (21,2) und in der wohl absichtsvollen „Leerstelle“ (1,39 ff); s. z. St.). Und wenn der Autor diese beiden nicht mit ihren Namen nennt, sondern sie nur abgekürzt ‚die des Zebedäus‘ (o´ toú Zebeda‡ou) heißt, dann setzt er natürlich voraus, daß seine Leser um ihre Namen wissen. Auch daß nach Petrus und seinem Bruder Andreas die Zebadäussöhne Jakobus und Johannes das zweite von Jesus in seine Nachfolge berufene Brüderpaar waren, dürften die Leser wissen. Die These, daß unser Evangelium ein pseudepigraphisches Werk und sein fiktionaler Autor im Text der Zebedaide Johannes ist, haben wir im folgenden Kommentar zu den einschlägigen Passagen 1,35 ff; 13,23 ff; 18,15 ff; 19,35; 20,3 ff; 21,7 und 21,20 ff sowie in unseren Studien [11 u. 39]) eingehend begründet. Wenn auch nicht gleichzeitig 2
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mit dem Martyrium seines Bruders Jakobus (Apg 12,2) muß auch Johannes nach Mk 10,35 ff noch vor der Publikation des MkEvs als Märtyrer gestorben sein (vgl. dazu u. a. Gnilka, Markus 102 f). Daß bereits die griechischen Väter und frühen Leser dieses Rätsel, den über das Evangelium verstreuten Hinweisen entsprechend, richtig gelöst haben, indem sie den geliebten Jünger mit dem Zebedaiden Johannes identifizierten, erweisen die alsbald erscheinenden Inscriptiones und Subscriptiones e§aggfilion katÅ ûIw›nnhn. Der Fehler der Väter war nur, daß sie den pseudepigraphischen Charakter des Werkes nicht erkannt und darum den fiktionalen Autor und Erzähler im Text, den Zebedaiden und Apostel Johannes, für den realen Verfasser des Evangeliums gehalten und damit eine bis heute nicht verstummte Debatte ausgelöst haben (vgl. dazu meine Studien [11]). In diesem Kommentar folge ich dem so verstandenen Willen des Autors und nenne den impliziten und von ihm geschaffenen Evangelisten und Erzähler der Geschichte Jesu Johannes. Allen Quellen‑ und Redaktionstheorien gegenüber, in die ich, wie die Folge meiner Studien zum Corpus Iohanneum zeigen mag, einst selbst intensiv verwickelt war, ist meine Skepsis im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte ebenso ständig gewachsen wie dem Bild von einer spezifisch „johanneischen Gemeinde“ gegenüber, die vermeintlich vom Rest des Urchristentums isoliert und mit einer nur Insidern verständlichen Sondersprache ausgestattet als weltloser Konventikel irgendwo am Rande des Urchristentums existiert haben soll. Statt als Biographie des Juden Jesus wird unser Evangelium neuerdings weithin so gelesen, als sei es die Biographie dieser vermeintlichen ‚johanneischen Gemeinde‘, die drauf und dran ist, den Poeten Johannes als den, der dieses Evangelium nach Joh 21,24 ‚geschrieben hat‘, von seinem Platz zu verdrängen und selbst zum geheimen Autor unseres Evangeliums zu avancieren (Meeks, Martyn, Malina u. a.). Nach solchen Theorien soll Johannes seinem Werk verschiedene Quellenschriften mehr oder weniger mit Haut und Haar einverleibt haben. An erster Stelle, und fast zum Konsensus der Johannesforschung geworden, steht da die vielbeschworene Semeiaquelle. Bis in ihren Wortlaut und Stil hinein soll Johannes ihr alle seine Wundererzählungen entnommen haben (Bultmann, Becker, Fortna u. v. a.). Nach Becker sollen noch weitere narrative Partien des Evangeliums dieser mutmaßlichen Semeiaquelle entstammen, und Fortna (Predecessor) sieht sie gar bereits zu einem regelrechten Evangelium synoptischen Typs ausgebaut. Vgl. dazu diesen Komm. jeweils zu den Wundererzählungen, sowie meine Rezension von Fortnas Predecessor und Studien [22] über die Theorie einer Semeiaquelle. An zweiter Stelle erscheint als vermeintliche Quelle von Joh 18–20 ein sogenannter ‚vorjohanneischer Passions‑ und Osterbericht‘. Das vertreten exemplarisch J. Becker (Komm.), T. A. Mohr und auf seine Weise auch A. Dauer (Passionsgeschichte). Und als dritte Quelle, die unser Evangelium gespeist haben soll, hat Bultmann endlich eine schriftliche Vorlage gnostischer Offenbarungsreden aufzuweisen versucht, die er nicht nur für die Grundlage des Prologs, sondern auch aller ihm folgenden Jesusreden hält. Er glaubte zeigen zu können, daß und wie Johannes diese von Haus aus gnostischen Reden im Sinne des Paradoxes der Fleischwerdung des Logos (1,14) ‚entmythologisiert‘ und ‚vergeschichtlicht‘ habe (Bultmann, Heinz Becker u. a.). Auch wenn dieser auf die Rekonstruierbarkeit jener gnostischen Offenbarungsreden-Quelle zugespitzten These heute nur noch sehr wenige Interpreten folgen, ist doch der ursprünglich gnostische Charakter der johanneischen Christologie bei vielen m. E. kaum zu Recht haften geblieben. 3
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Mit höchst kontroversen Resultaten, die mir einen Konsensus als unerreichbar erscheinen lassen, haben sich die Genannten und viele andere daran gemacht, den möglichen Wortlaut dieser vermeintlichen Quellen und die mutmaßliche Theologie ihrer vormaligen Träger zu rekonstruieren. Vor dem Hintergrund derartiger Konstrukte wird dann versucht, die vermeintlich aus der Feder des Evangelisten stammenden Passagen von ihnen abzuheben, um so dessen seinen Vorlagen gegenüber kritische theologische und kirchenpolitische Intentionen zu erschließen. Ähnlich wird dann mit den vermeintlich dem Werk des Evangelisten gegenüber sekundären Passagen einer kirchlichen oder johanneischen Redaktion verfahren. Exemplarisch führt R. E. Brown: The Community of the Beloved Disciple, mit dem bezeichnenden Untertitel: The Life, Loves and Hates of an Individual Church in New Testament Times, dieses Verfahren vor Augen. Im Gegensatz zu all diesen m. E. unbegründbaren und, wie die Beispiele zeigen, für die Interpretation des Evangeliums als eines literarischen Werkes wenig hilfreichen Quellen‑ und Redaktionstheorien verfolge ich in diesem Kommentar eine ganz andere Spur. Es erscheint mir nämlich sehr viel wahrscheinlicher, daß Johannes außer der jüdischen Bibel nicht nur eine anonyme, ihm womöglich nur mündlich überlieferte, den Synoptikern ähnliche Tradition kennt und sie als Quelle benutzt hätte, sondern daß er vielmehr intertextuell mit den alttestamentlichen Texten ebenso wie mit den synoptischen Evangelien in ihren überlieferten redaktionellen Gestalten spielt; und zwar nicht allein mit dem Markusevangelium, sondern auch mit den Evangelien nach Matthäus und nach Lukas. Dieses Spiel setzt Leser voraus, die diese Evangelien ebenfalls kennen, so daß sie ihm zu folgen vermögen und nach ihrer Bereitschaft gefragt sind, sich darin verwickeln zu lassen. Dem Reiz dieses Spiels unseres Autors mit den synoptischen Evangelien als seinen Prätexten sucht unsere Theorie der Intertextualität auf die Spur zu kommen. Dabei werden diese Prätexte nicht durch den neuen Text ersetzt oder verdrängt (Windisch), sondern im Gegenteil gerade in Erinnerung gerufen und neu in Kraft gesetzt. Das Neue ist dabei gerade dieses ‚Inter‘, dieser Raum ‚zwischen‘ den Texten. Grundsätzlicher als in diesem Kommentar habe ich in meiner Studie [8]: Johannes und die Synoptiker – Auf der Suche nach einem neuen Paradigma zur Beschreibung ihrer Beziehungen das Paradigma der Intertextualität erläutert und mit Beispielen aus den johanneischen Passions‑ und Ostererzählungen illustriert. Wenn ich diese Einleitung mit dem Satz eröffnet habe, daß ich in diesem Kommentar das uns im Kanon als das „Evangelium nach Johannes“ überlieferte Werk von Joh 1,1 bis Joh 21,25 (!) als einen kohärenten und hoch poetischen literarischen und auktorialen Text interpretieren werde, und daß ich deshalb alle Fragen nach seiner möglichen Genese in meine Studien verlagert habe, so bedarf das noch einer kurzen Erläuterung und Begründung. Als literarisches Werk ist unser Evangelium kein an eine vermeintliche johanneische Gemeinde gerichteter Brief, aus dem deren Irrungen und Wirrungen erschlossen werden könnten, sondern ein Buch für Leser, für Menschen aller Generationen, die des Lesens fähig sind. (1) Das oben hinter Joh 21,25 gesetzte Ausrufungszeichen soll darauf aufmerksam machen, daß ich Joh 21 gegen einen breiten Konsensus, wonach das Kapitel als ein sekundärer Anhang von anderer Hand gilt, für einen ursprünglichen und unverzichtbaren Teil unseres Evangeliums halte. Joh 20,30–21,25 als sein dem Prolog (1,1–18) korrespondierender Epilog ist für seine Interpretation und für die Lösung des seinem 4
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Leser aufgegebenen Rätsels um die Gestalt des Jüngers, den Jesus liebte, unentbehrlich (s. u. z. St. u. vgl. meine Studien [11]). (2) Die texttheoretischen ebenso wie die hermeneutischen Voraussetzungen und Konsequenzen meiner Art der Lektüre des Evangeliums als eines literarischen Werkes habe ich in meinen Studien [15] ausführlich beschrieben und begründet. Im Unterschied zum Verstehen mündlicher Rede oder zum Erklären historischer Dokumente darf die Sache literarischer, d. h. in die festen Buchstaben der Schrift gefaßter Werke nicht hinter ihnen in ihrer vermeintlichen Vorgeschichte und Genese und auch nicht in den mutmaßlichen Intentionen ihrer Autoren gesucht werden. Da gilt vielmehr A. von Feuerbachs Wort: „Die Geschichte erklärt, wie Etwas nach und nach geworden; wie und was dieses Etwas sei, lehrt die Geschichte nicht. Was der Geschichte angehört, ist dem Leben abgestorben“ (zitiert von H. Schnädelbach, Vernunft u. Geschichte 126). Dieses ‚Etwas‘ oder die ‚Sache des Textes‘ liegt vielmehr vor ihm in Gestalt der von seinem Produzenten geschaffenen „Welt des Textes“ (Ricœur). Diese Textwelt wartet darauf, von Lesern entdeckt und bewohnt zu werden. Dadurch, daß Rede durch die Schrift zum Text geworden ist, ist sie zugleich der Intention ihres Autors und den Rezeptionen der ursprünglichen Leser gegenüber autonom geworden. „Was der Text bedeutet, fällt nicht mehr mit dem zusammen, was der Autor sagen wollte. Wörtliche, d. h. Text gewordene, und nur gedachte oder psychologische Bedeutung haben von nun an unterschiedliche Schicksale“ (P. Ricœur, Philosoph. und theolog. Hermeneutik 28). Drastisch drückt U. Eco das so aus: Texte sind „Maschinen zur Erzeugung von Bedeutungen. … Der Autor müßte das Zeitliche segnen, nachdem er geschrieben hat, damit er die Eigenbewegung des Textes nicht stört“ (Nachwort zu Der Name der Rose 9 u. 13 f). In diesem Sinn schreibt B. Pasternak an seine deutsche Verlegerin Brigitte Bermann Fischer, die es bedauert hatte, daß Pasternak aufgrund der politischen Verhältnisse in Rußland den Übersetzer seines Werkes nicht beraten könne, daß sie das nicht zu bekümmern brauche, weil „jedes Kunstwerk, wenn es echt und vollkommen ist, posthum auch bei den Lebzeiten des Verfassers sei. Es sei also Niemand um Aufschlüsse und Erklärungen … zu bitten“ (B. Bermann Fischer, Sie schrieben mir 298). Nachdem er den Text verfaßt und geschrieben und sich damit seiner Intention entäußert und sie zur intentio operis gemacht hat, ist auch der Autor neben allen anderen und keineswegs als Privilegierter nur ein Interpret seines Werkes. (3) Alle literarischen Texte sind die Klasse der unbeschränkten Zahl ihrer möglichen Interpretationen. Der vielbeschworene objektive und vermeintlich methodisch rekonstruierbare objektive Textsinn oder sensus historicus (E. D. Hirsch u. E. Betti) ist ebenso wie die Trennung von Exegese und Applikation eine blanke Illusion. Kein starres System und kein Absolutismus einer Orthodoxie läßt sich je unter Berufung auf Texte etablieren. Gegen alle derartigen Versuche ist mit U. Eco einzuwenden: „In Wirklichkeit kann keine Theorie hermeneutischer Legitimation legitim sein, außer durch den Prozeß des hermeneutischen Lesens. Am Ursprung der hermeneutischen Praxis steht ein Zirkel, und es ist ganz unerheblich, wie heilig oder wie vitiös er ist. Die einzig mögliche Antwort auf diese Frage war praktischer Natur: Die Regeln für gute Interpretationen wurden von den Türhütern der Orthodoxie geliefert, und die Türhüter der Orthodoxie waren die Sieger (politisch und kulturell gesehen) im Kampf um die Durchsetzung ihrer eigenen Interpretation“ (Semiotik 222 f). 5
Literatur Ohne Unterschiede zwischen Quellen, Hilfsmitteln, Monographien und Beiträgen in Fest‑ oder Zeitschriften wird die Literatur hier nach den Namen der Verfasser bzw. Herausgeber in alphabetischer Reihenfolge genannt. Namen mit Prädikaten, wie de, de la, van oder von, finden sich unter den entsprechenden Buchstaben d und v. Die Abkürzungen für Zeitschriften, Sammelwerke und monographische Reihen entsprechen dem von S. Schwertner verfaßten IATG (= Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete), Berlin 1974, 21992. Alle übrigen Abkürzungen im folgenden Kommentar folgen dem Abkürzungsverzeichnis der TRE. Aalen, S., ‚Licht‘ und ‚Finsternis‘ im AT, im Spätjudentum und im Rabbinismus, Oslo 1951; – „Truth“ a Key Word in St. John’s Gospel: StEv 2, (1964), 3–24. Abbott, E. A., Johannine Grammar, London 1906. Abrahams, I., Studies in Pharisaism and the Gospels, Cambridge, I: 1917, II: 1924 (Reprint: New York 1967). Achelis, H./Flemming, J., Die syrische Didaskalia. TU 10/2, Leipzig 1904. Ackerman, J. S., The Rabbinic Interpretation of Psalm 82 and the Gospel of John: HThR 59 (1966) 186–191. Adorno, Th. W., Negative Dialektik, Frankfurt 1970. Aland, K./B. u. a., Nestle-Aland. Novum Testamentum Graece, Stuttgart 271993/1998; – Synopsis quattuor evangeliorum. Stuttgart 151996; – Studien zur Überlieferung des Neuen Testaments und seines Textes, Berlin 1967; – Eine Untersuchung zu Joh 1,3.4. Über die Bedeutung eines Punktes: ZNW 59 (1968) 174–209; – The Problem of Anonymity and Pseudonymity in Christian Literature of the First Two Centuries: JThS 12 (1961) 39–49. Aland, K./B., Der Text des Neuen Testaments, Stuttgart 1982. Alexander, L., Ancient Book Production and the Circulation of the Gospels. In: R. Bauckham (ed.), The Gospels for All Christians, Grand Rapids/Cambridge 1998, 71–111. Alexander, Ph. S., Rabbinic Judaism and the New Testament: ZNW 74 (1983) 237–246; – ‚The Parting of the Ways‘ from the Perspective of Rabbinic Judaism. In: J. D. G. Dunn (ed.), Jews and Christians, Tübingen 1992, 1–25. Aline de Sion, M., La Forteresse Antonia à Jérusalem et la question du prétoire, Jerusalem 1956. Alter, R., The Art of Biblical Narrative, New York 1981. Amante, D. J., Theory of Ironic Speech Acts: Poetics Today 2 (1981) 77–96. Appold, M. L. The Oneness Motiv in the Fourth Gospel. WUNT II/1, Tübingen 1976. Aristoteles, Die Nikomachische Ethik. Griechisch und Deutsch. Übers. von O. Gigon. Hg. von R. Nickel, TuscBü, Düsseldorf/Zürich 2001. Andresen, C., (Hg.), Die Gnosis. 2 Bde., Zürich 1969/1971. Ashton, J., The Identity and Function of the ûIoudaõoi in the Fourth Gospel: NT 27 (1985) 40–75; – The Transformation of Wisdom. A Study of the Prologue of John’s Gospel: NTS 32 (1986) 161–186; – Understanding the Fourth Gospel, Oxford 1991;
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Der Prolog (1,1–18) 1 Im Anfang war der Logos / und der Logos war bei Gott / und Gott war der Logos. / 2 Derselbe war im Anfang bei Gott. / 3 Alles ist durch ihn geworden, / und ohne ihn wurde auch nicht ein einziges der Dinge, / die geworden sind. / 4 In ihm war das Leben / und das Leben war das Licht der Menschen. / 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, / doch die Finsternis hat es nicht überwältigt. / 6 Es ward ein Mensch, / von Gott gesandt / mit Namen Johannes. / 7 Der kam zum Zeugnis, / daß er zeuge von dem Licht, / damit alle durch ihn glauben sollten. / 8 Jener war nicht das Licht, / sondern (er kam), damit er von dem Licht zeuge. / 9 ER (vielmehr) war das wahre Licht, / das jeden Menschen erleuchtet, / wenn er (nämlich der Logos) in die Welt kommt. / 10 Er war in der Welt, / und die Welt ist durch ihn geworden, / doch die Welt hat ihn nicht erkannt. / 11 Er kam in sein Eigentum, / aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. / 12 Allen jedoch, die ihn aufnahmen, / denen gab er die Vollmacht, / Gottes Kinder zu werden, / denen (nämlich), die an seinen Namen glauben, / 13 die nicht aus dem Geblüt, / noch aus dem Willen des Fleisches, / noch auch aus dem Willen eines Mannes, / sondern aus Gott geboren sind. / 14 Und der Logos wurde Fleisch / und wohnte unter uns, / und wir sahen seine Herrlichkeit, / die Herrlichkeit dessen, der als Einziger vom Vater geboren ist, / voller Gnade und Wahrheit. / 15 Johannes zeugt von ihm, / laut ruft er aus: / Dieser war es, von dem ich gesagt habe: / Der nach mir kommt, / der ist mir zuvor gekommen, / weil er eher als ich war. / Denn aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, / Gnade anstelle von Gnade. / Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, / und die Gnadengabe der Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. / 18 Niemand hat Gott je gesehen. / Der einziggeborene Gott, der im Schoß des Vaters ist, / der hat Kunde gebracht.
Diese ersten achtzehn Verse heben sich durch ihre besondere poetische Gestalt sowie durch ihre Inclusio zwischen die miteinander unmittelbar korrespondierenden Verse 1 und 18 deutlich von dem mit 1,19 einsetzenden Corpus narrativum des Evangeliums ab. Den literarischen Konventionen der Zeit entsprechend wollen sie als das Proömium des Werkes begriffen sein (Lausberg, Prolog pass.). Weil aber der szenische Aufbau unseres Evangeliums und das spezifische Gepräge, das ihm seine zahllosen Dialoge und zumal die direkte – häufig monologische – Rede seines Protagonisten verleihen, das Evangelium als eine dramatische Historie in gewisser Weise zur Analogie der antiken Tragödie als eines ‚historischen Dramas‘ machen (Frye), bleiben wir bei der geläufigen Bezeichnung dieses Proömiums als ‚Johannesprolog‘. Denn das entspricht unter dem eben genannten 61
1,1–18
Der Prolog
Aspekt durchaus der Sache und dem Genre dieses Eingangstextes (vgl. Harris 12 ff; und Stoessl). Die meisten modernen Ausleger lesen den Prolog in „Schichten“, d. h. sie bemühen sich zunächst um die Rekonstruktion eines Logos-Liedes, sei es gnostischer (Bultmann u. a.) oder christlicher Provenienz, das dem Prolog vermeintlich zugrundeliegen soll. Rissi meint gar mehrere solcher Lieder als Quellen des Prologs ausmachen zu können. Als nächster Schritt folgt dann der Versuch, dieses Konstrukt religionsgeschichtlich einzuordnen und es sodann von dieser vermeintlichen Genese her auszulegen. Endlich gilt es, von dem so rekonstruierten ‚vorjohanneischen‘ oder gar ‚vorchristlichen‘ Hymnus dessen kritische Bearbeitung durch den Evangelisten und/oder spätere Redaktoren abzuheben. Aber ganz abgesehen davon, daß die Diskussion über Umfang und Gestalt dieser mutmaßlichen Vorlage nach wie vor höchst kontrovers geführt wird und ein Konsensus kaum je erreichbar sein dürfte, erscheint uns eine derart diachrone Schichtenlektüre ohnehin abwegig. Möglich und sinnvoll wäre sie nur dann, wenn sich der vermeintliche Hymnus zuvor nicht nur sicher isolieren, sondern sich zugleich als ein seinen mutmaßlichen ‚Erstlesern‘ vertrauter und geläufiger Text erweisen ließe. Denn nur dann wären sie ja in der Lage, die Art seiner Umgestaltung und Kommentierung wahrzunehmen und so deren Witz und Intention zu erfassen. Das ist jedoch eine unbegründbare Voraussetzung. Der nicht nur dem vermeintlich bearbeiteten Hymnus, sondern dem gesamten überlieferten Johannesprolog eigene poetisch-doxologische Charakter widerstreitet zudem den polemischen und argumentativen Absichten, die seinem mutmaßlichen Bearbeiter zumeist unterstellt werden. Deshalb soll der Prolog hier ohne alle Hypothesen über seine mutmaßliche Genese und seine mögliche Vorgeschichte als der kohärente Eingangstext unseres Evangeliums interpretiert werden. Dabei setzen wir voraus, daß er als der „Prolog“ eines literarischen Werkes die Lektüre der gesamten ihm folgenden evangelischen Erzählung ebenso bestimmen soll, wie er seinerseits von ihr her bestimmt ist (vgl. zu dieser Leseweise des Prologs Culpepper, Pivot 1 ff). Zur Auseinandersetzung mit dem breiten Spektrum der kontroversen Rekonstruktionsversuche der vermeinlichen Quelle oder gar Quellen des Prologs und seiner darauf begründeten Interpretationen verweisen wir auf deren Darstellung in unseren Studien zum Corpus Iohanneum. Nicht nur die kunstvolle Komposition des Prologs, sondern auch und erst recht der Aufbau des gesamten Evangeliums zeigt an, daß jede sachgemäße Prologauslegung von den V. 14–18 ausgehen muß. Das heißt, daß die glaubenden „Wir“, auch wenn sie sich explizit erst in V. 14 zu Wort melden, inkognito schon vom ersten Prologvers an reden. Denn der doxologische Satz, †n ürcÔö én ¨ l∙go", gewinnt seine Sagbarkeit erst im Licht der am Fleischgewordenen sichtbar gewordenen d∙xa. Und trotz aller denkwürdigen Prolepsen – wie der von 2,11 und zumal derjenigen der Abschiedsreden, deren Bedeutung jeweils z. St. zu erörtern sein wird – erscheint die göttliche Herrlichkeit am fleischgewordenen l∙go" erst in der ‚Stunde‘, da Jesus am Kreuz von Golgatha „sein Fleisch hingibt für das Leben der Welt“ (6,51) und damit die denkbar größte Liebe zu „seinen Freunden vollendet“ (13,1; 15,13). Und noch da – das zeigt das Verhalten der dramatis personae bei der Kreuzigung Jesu – wird diese d∙xa nicht einfach empirisch greifbar. Vielmehr enthüllt sich den Glaubenden, was da in Golgatha in Wahrheit geschah, erst im Licht der durch den Geist-Parakleten vermittelten österlichen Präsenz des auferweckten Gekreuzigten (vgl. 2,22; 7,39 u. ö.). Insofern kann 62
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1,1
man die Erhöhung und Verherrlichung Jesu durch seine Passion und Auferstehung den Erkenntnisgrund seiner Herrlichkeit und damit zugleich seines ewigen „Seins“ nennen, das er noch vor der Grundlegung der Welt bei seinem Vater hatte (17,24). Soll hier jedoch nicht eine unbedachte met›basi" e¢" ±llo gfino" ins Spiel kommen, und soll die Auferstehung Jesu nicht von seinem ganzen Leben, Sterben und all seinem Sagen abgelöst werden, so bedarf deren Auszeichnung als des „rückwirkenden“ Realgrundes seiner Präexistenz und Schöpfungsmittlerschaft (Pannenberg 133 ff; 332) jedoch zumin‑ dest eines Kommentars. Denn wie ‚Erkenntnisgrund‘ in diesem Zusammenhang ja nicht den Ursprung irgendeiner von diesem Grund ablösbaren theoretischen Einsicht, sondern nur den Ort und die Art der spezifischen Wahrnehmung des Glaubens bezeichnen kann (™meõ" pepiste‚kamen kaÑ †gn„kamen Ωti sÜ eè ¨ πgio" toú jeoú: 6,69), so kann sich natürlich auch die Rede vom ‚Realgrund‘ nicht auf die vom denkenden Subjekt ontologisch erschlossene Wirklichkeit, sondern nur auf die vom Wort des Glaubens allererst gestiftete und von ihm unterhaltene Realität der neuen Schöpfung beziehen (e¥ ti" †n Cristù, kainÉ kt‡si": tÅ ürcaõa paröljen, ¢doÜ gfigonen kain›: 2Kor 5,17). Darum ist Pannenbergs Rede vom ‚Realgrund‘ in doppelter Hinsicht höchst problematisch. Einmal, weil er meint, das schlechthin analogielose Geschehen der Auferweckung und Erhöhung Jesu zur Rechten des Vaters jenseits des Glaubens und der Erfahrung der Präsenz des Auferstandenen als historisches Ereignis begründen zu können (85 ff). Und zum anderen, weil die „rückwirkende Kraft“ der Auferweckung Jesu doch schwerlich darin bestehen kann, daß sie rückwirkend „nicht nur für unsere Erkenntnis, sondern auch seinshaft“ über die Wahrheit der Inkarnation entschiede. Die „These, daß ein Geschehen durch ein späteres Geschehen ‚seinshaft‘ verändert werden kann, macht aus der Auferstehung ein ontologisches Mirakel, und muß zwangsläufig dazu führen, die im Raum und in der Zeit unserer Welt stattgefundene Geschichte Jesu von Nazareth theologisch zu entwerten“ (Link 191 f). Soll darum von einer „rückwirkenden Kraft“ der Auferstehung Jesu die Rede sein, dann darf man sie wohl darin wirksam sehen, daß Gott durch die österliche „Befreiung Jesu von der Macht des Todes“ zugleich „das zerstörerische Wesen der Ungleichzeitigkeit“ beseitigt hat: „Das Neue Testament zeichnet den auferweckten Jesus im Ge‑ spräch mit Abraham, Mose, Jesaja – und sie im Gespräch mit ihm. Dies ist über die Zeiten hinweg möglich, weil es nach Jesu Auferweckung sich in den Gezeiten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ereignen kann. Die Gezeiten haben von Ostern her das Wesen der Ferne verloren und sind mit dem Wesen schlechthinniger Nähe einander erschlossen worden, die die Bedingung ihrer Möglichkeit in dem hat, was geschehen ist mit dem Nahen des Reiches, das gleichbedeutend mit der Sendung des Sohnes ist“ (Marquardt, Christologie II, 302; siehe unten zu Joh 8,49–59). Zugleich mag man auch insofern von „rückwirkender Kraft“ der Auferstehung Jesu reden als das durch sie entbundene Kommen des Geist-Parakleten und dessen Erinnern an Jesu Worte und Zeichen verwandelnd selbst die Vergangenheit ergreift und Sünder zu Gerechten, sowie Unreine zu Reinen macht (Joh 15,3).
1a: †n ürcÔö én ¨ l∙go". Da †n ürcÔö nicht nur der Anfang, sondern zugleich der jüdisch geläufige Name des Buches ‚Genesis‘ ist (tyçarb – LXX: †n ürcÔö), wollen schon die ersten beiden Wörter unseres Evangeliums insofern als Leseanweisung begriffen sein, als sie kaum zufällig seine enge Intertextualität mit der Heiligen Schrift derer markieren, die unser Evangelium o´ ûIoudaõoi nennen wird. Im Blick auf den Anfang der Bibel will hier freilich beachtet sein, daß die erste Prologzeile mit ihrem én deutlich noch hinter den Anfang der schöpferischen Werke Gottes von Gen 1 zurückgreift. Ehe die Welt durch Gottes Sprechen wurde (†gfineto), war (én) bereits der (ungeschaffene) l∙go". Das Ganze von Prolog und Evangelium macht freilich deutlich, daß das Lexem l∙go" – auch da, wo es grammatisch an Subjektstelle steht, wie 1,1 ff u. 14 ff – der 63
1,1–18
Der Prolog
Sache nach nur Prädikat und „Platzhalter“ (Barth) sein kann für den jüdischen Mann Jesus, den erst V. 17 mit seinem Namen und mit seinem messianischen Beruf als den Christus identifizieren wird. Er allein ist das logische und wahre Subjekt des Prologs wie des gesamten Evangeliums. Wie fù", zwfl, ülfljeia etc. ist, wie schon Origenes gesehen hat, auch l∙go" nichts als sein Prädikat. In diesem Sinne hatte schon Harnack erklärt, die „zutreffendste Lösung“ bestehe wohl darin, daß der Evangelist, „sofern er an die erleuchtende Wirkung des Logos denkt, bereits immer schon die menschliche Wirksamkeit im Auge hat, aber sie sub specie aeternitatis betrachtet“. Johanneisch heißt sub specie aeternitatis Betrachten aber, den irdischen Jesus im Lichte und unter dem Geleit des österlichen Geistes wahrzunehmen. „In seiner Schilderung V. 1–14 (komme der Evangelist) nicht der Gegenwart immer näher, sondern dem Concretum, welches er von Anfang an im Auge hat“ (Harnack, Prolog 218 f). Die Einführung des Lexems l∙go" mit dem definierenden Artikel indiziert ein Doppeltes: Einmal, daß „der Logos“ eine den Hörern/Lesern des Evangeliums bekannte Größe ist, und zum andern, daß die dem Thema l∙go" gegenüber neue Information des ersten Satzes als sein Rhema †n ürcÔö én lautet (vgl. Theobald, Fleischwerdung 217). Wenn der l∙go" als bekannte Größe in den Prolog eingeführt wird, so bedeutet das freilich nicht, daß damit ein den Lesern bereits geläufiges christologisches Prädikat genannt würde, der Prolog also an eine wie auch immer geartete „Logoschristologie“ anknüpfte, die ihm schon vorausläge. Das ist schon deshalb wenig wahrscheinlich, weil diese dem Erstpublikum vermeintlich vertraute – und nach Theobald u. a. vom Evangelisten polemisch kommentierte und damit veränderte – Logos-Christologie außerhalb des Prologs im Evangelium und im übrigen Corpus Iohanneum keinerlei Rolle mehr spielt. Eher ist der den Logos definierende Artikel ebenso wie das †n ürcÔö und der nachfolgende Kontrast von fù" und skot‡a doch wohl als ein Signal von Intertextualität zu deuten, und ¨ l∙go" deshalb als Nominalisierung des zehnfachen „und Gott sprach“ (µyhla rmayw – LXX: kaÑ eèpen ¨ je∙") der Genesiserzählung zu lesen. Das findet seine Bestätigung darin, daß das abstrakte Nomen l∙go" im letzten Prologvers, der zusammen mit dem ersten eine vollkommene Inclusio bildet (s. u.), zu †xhgflsato verbalisiert und damit der Raum für die Geschichte Jesu als sein Sagen eröffnet wird; vgl. Beasley-Murray (Komm. 7 f). 1b/c: kaÑ ¨ l∙go" én prÖ" tÖn je∙n / kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go". Ehe V. 3 dann tatsächlich das †gfineto der Schöpfung (Gen 1,3) ins Spiel bringt, verdichtet das doppelte ka‡ zu Eingang der beiden kurzen Sätze 1b u. c noch die durch †n ürcÔö bereits eröffnete „Genesisatmosphäre“ des Prologs (Lausberg, Prolog 196 ff). Anders als in Apk 19,13 (kfiklhtai tÖ µnoma a§toú ¨ l∙go" toú jeoú) erfolgt die Näherbestimmung des l∙go" als desjenigen Gottes hier freilich nicht mittels des Genitivs, sondern so, daß als neues Rhema dem Logosthema zunächst sein vorzeitiges (én) ‚Sein‘ bei Gott und sodann seine Teilhabe an dem einen „göttlichen Sein“ hinzugefügt wird. (Die Anführungszeichen wollen den metaphorischen Charakter der Rede von „göttlichem Sein“ signalisieren. Denn Gott als der absolut Andere läßt sich keiner Ontologie einschreiben, sondern nur denken als „Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht“, um es mit einem Buchtitel von Lévinas zu sagen). Die Folge der Sätze und der bei dem prädikativen je∙" von 1c fehlende Artikel (vgl. dazu Harner; Davies 119 f; u. B-D-R § 273) machen deutlich, daß der l∙go" mit Gott weder identifiziert noch von ihm je getrennt werden darf. Gott und sein l∙go" gehören anfänglich und auf immer zusammen. Darum ist es 64
Der Prolog
1,1
gewiß kein Zufall, daß vom l∙go" nicht mit dem durchaus geläufigen Adjektiv jeõo" gesagt wird, er sei göttlichen Wesens. Als Synonym von jeõo" verstehen aber Haenchen (Komm. 116–118), J. Becker (Komm. 85 ff), Barrett (Komm. 183), und Müller (40) das artikellose je∙", das Becker gar mit: „Und ein Gott war der Logos“ übersetzt und dann so erläutert, als ob V. 1c nicht eine Steigerung, sondern eine Limitierung des zuvor Gesagten wäre: Auch die Aussage, ¨ l∙go" én prÖ" tÖn je∙n, „birgt immer noch Gefahren für einen Monotheismus. Darum wird Joh 1,1c dieses Sein bei Gott als Relationsbestimung von Gott und Logos noch näher beschrieben, indem wohl eine philonische Differenzierung zwischen ‚dem Gott‘ und dem Logos als ‚Gott‘ (ohne Artikel) Verwendung findet (Barrett, Haenchen). Das soll wohl heißen: Im Verhältnis zu Gott steht der Logos auf untergeordneter Stufe. Ihm gebührt das Prädikat Gott …, also ist er auch göttlicher Art“ (88). Doch mit Philons auf dem Weg der Allegorese aus dem Bibeltext, †g„ e¢mi ¨ jeÖ" ¨ £fje‡" soi †n t∙pw jeoú (Gen 31,13), gewonnener Unterscheidung zwischen ¨ je∙" und artikellosem je∙" (somn I/227 ff), die er seinen Lesern ja erst eigens und umständlich erklären muß (!), hat V. 1c „auch nicht das Geringste zu tun“. Vielmehr kann der Satz, kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go", nach Wortstellung und Grammatik nur bedeuten: „und Gott – wahrer und wirklicher Gott – war der Logos“ (Hofius, Logos-Hymnus 17; vgl. Carter 37).
Wie Joh 17,3, das Spiel des Evangelisten mit dem absoluten †g„ e¢mi Deutero-Jesajas (8,24.28.58) sowie die Vorwürfe der Juden, Jesus mache sich selbst zu Gott (10,33; vgl. 5,18; 8,58 f; 19,7), zeigen, ist sich Johannes des teuren und verpflichtenden Erbes von Israels Monotheismus sehr wohl bewußt. Aber nicht indem er Jesus zum subordinierten Untergott macht, sondern gerade dadurch, daß er die unauflösbare Einheit des Sohnes mit dem Vater proklamiert (10,30), sucht er dieses Erbe zu wahren. Was hier zu sagen ist, läßt sich anders als in der Folge der einander widersprechenden Sätze kaÑ ¨ l∙go" én prÖ" tÖn je∙n (1b) und kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go" (1c) nicht sagen. Es ist überhaupt nur gegen die immer schon von der Ontologie umklammerte Doxa (parÅ tÉn d∙xan) sagbar. Und dieses hier grundgelegte Paradox hat in dem poetischen Jesusbild der dem Prolog folgenden evangelischen Erzählung seine präzise Entsprechung. Sie wird diese Unterscheidung des Unscheidbaren u. a. in der familiaren Metaphorik der Relation von Vater und Sohn zur Sprache bringen und den Leser damit in die ebenso unaufhebbare Spannung zwischen der Subordination des Sohnes unter den Vater und seiner Identität mit ihm verstricken. Jeder Versuch, dieses Paradox auflösen zu wollen, sei es in eine Ontologie der Subordination oder in eine solche der Identität, raubt dem Evangelium sein spezifisches Gewicht (vgl. Hartman, Monotheism). Zugleich wäre er ein Angriff auf Gottes absolute Transzendenz. Denn er machte den Einzigen (Dt 6,4) zum Exemplar einer Gattung und den Mann Jesus so tatsächlich zu einem „über die Erde schreitenden Gott“ (Käsemann). Sowohl auf den metaphorischen Charakter der Rede von Vater und Sohn als auch auf ihre streng relationale Bedeutung ist dabei zu achten. Als Metaphern eröffnen die Lexeme patflr und u´∙" einen durch die Pole „Ist“ und „Ist nicht“ begrenzten Raum des „Ist wie“. Und als Relationsbegriffe dienen sie dazu, Jesu einzigartiges Gottesverhältnis und nicht etwa das an sich seiende Wesen Gottes oder Jesu als des Gottessohnes zur Sprache zu bringen. Das heißt, daß ¨ je∙" als der absolut Andere, den keiner je gesehen hat (1,18), und ¨ patflr streng zu unterscheiden sind. Es ist, wie zu den entsprechenden Stellen zu zeigen sein wird, Gottes †g„ e¢mi, das aus dem Munde Jesu erklingt, und nicht ein göttliches. Und wenn Joh Jesu gesamten Weg – und das heißt ja sowohl seine Worte und Taten sowie zumal seine Passion und Auferstehung – in dem Lexem shmeõon rekapitulieren kann (20,30 f), so wird daran 65
1,1–18
Der Prolog
deutlich, wie groß der Abstand von der ontologischen Konstruktion einer „ZweiNaturen-Lehre“ oder von der durch Origenes vermittelten urgnostisch-dualistischen Kategorie der „Homoousie“ des Sohnes mit dem Vater noch ist. Deshalb ist bei der Prologinterpretation hinsichtlich der traditionellen Kategorien „Logoschristologie“, l∙go" ±sarko" und l∙go" ≤nsarko", sowie „Menschwerdung Gottes“ (statt derjenigen des l∙go") die größte Zurückhaltung geboten. Vor allem aber darf die doxologische Struktur des Prologs und damit die Einsicht, daß sein Inhalt unübersetzbar ist in bespre‑ chende Aussagesätze, keinen Augenblick in Vergessenheit geraten. 2: oñto" én †n ürcÔö prÖ" tÖn je∙n. Ob das Demonstrativum oñto", wie der ausgestreckte Zeigefinger des Täufers (vgl. V. 15), vorausweist auf den konkreten und allen Lesern bekannten Mann, dessen Geschichte das Evangelium erzählen wird, oder ob es zurückweist und die beiden kurzen Eingangssätze rekapituliert, um die durch deren dritten möglich gewordene Identifikation des l∙go" mit ¨ je∙" definitiv auszuschließen, ist schwer zu entscheiden. Karl Barth (Erklärung 33 ff) vertritt mit Verweis auf Schlatter (Komm. z. St.) emphatisch den vorausweisenden Charakter des oñto"; vgl. auch Becker (Komm. I/97), der den Satz freilich als kommentierenden Zusatz des Evangelisten zu seiner Vorlage begreift. Für Barths Lesart könnte sprechen, daß in den beiden tatsächlichen „Rekapitulationen“, die der Prolog in den V. 8 u. 18 bietet, gerade nicht das Lexem oñto", sondern vielmehr das deutlicher zurückweisende †keõno" gebraucht wird, wie ja auch das aæth im anschließenden V. 19 vorausweist auf das Folgende. Aber wenn l∙go" von Anfang an als Prädikat des im Prolog gepriesenen Menschen Jesus Christus verstanden werden muß, entpuppt sich die Alternative zwischen zurück‑ oder vorausweisendem oñto" doch wohl als bloßer Schein, so daß darüber nicht entschieden werden muß. Im Kontext wäre V. 2 dann so zu lesen: „Dieser – der nämlich, von dem es soeben hieß: kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go" (1c) – war †n ürcÔö (1a) prÖ" tÖn je∙n (1b)“. Damit würde das genannte Paradox von prÖ" tÖn je∙n und je∙" eènai des l∙go" erneut eingeschärft (vgl. Bultmann z. St.). Lesen wir dabei das Lexem l∙go" als ‚Platzhalter‘ für den Namen Jesu, dann wird durch unseren Vers zugleich der bedenklichen Vertauschung von Subjekt und Prädikat gewehrt, die Jesu konkrete Humanität zum bloßen Prädikat des ontologisch begriffenen Gottseins eines mythischen Wesens, l∙go" ±sarko", geraten ließe. 3: p›nta diû a§toú †gfineto / kaÑ cwrÑ" a§toú †gfineto / o§dÇ ∫n ≈ gfigonen. Daß wir V. 3 hier in der überlieferten Textform wiedergeben und uns damit einem ständig wachsenden Konsensus der Exegeten entgegenstellen, die den Punkt schon hinter o§dÇ ∫n setzen und den neuen Satz mit ≈ gfigonen †n a§tù ktl. beginnen lassen, bedarf der Begründung. Dazu muß, trotz des gegenteiligen Eindrucks, den neuere Untersuchungen der Passage und der textkritische Apparat bei Nestle-Aland27 erwecken, als erstes nachdrücklich gesagt werden, daß es sich bei dieser Interpunktionsfrage um ein rein exegetisches und nicht etwa um ein textkritisches Problem im engeren Sinne handelt. Denn keine unserer ältesten Handschriften enthält Interpunktions-Zeichen und alle derartigen Zeichen in späteren Manuskripten, bzw. deren Setzung in frühe Handschriften, sowie die Interpunktion in den Übersetzungs-Versionen und Väter-Überlieferungen können deshalb bestenfalls als Reflex des exegetischen Verständnisses der jeweiligen Schreiber und ihrer Umgebung verstanden werden; vgl. Metzger (Comm. 195 f) u. Hofius (Logos-Hymnus 6 f). Darum ist auch die hier gerne bemühte textkritische Regel der lectio difficilior auf unseren Fall nicht anwendbar und vermag zu seiner Entscheidung 66
Der Prolog
1,2–3
nichts beizutragen. Wohl konnten Aland (Punkt) und Miller (Salvation History 18–44) zeigen: (1) Die überwältigende Mehrheit sowohl der orthodoxen wie der häretischen vornizänischen Väter hat die Wendung, ≈ gfigonen †n a§tù, als Eröffnung des neuen Satzes (unseres V. 4) angesehen. (2) Dieses Bild änderte sich erst im 4. Jh. durch die Reaktion der Orthodoxie auf die Exegese der Arianer und mazedonischer Häretiker. Weil diese nämlich mit dem uneingeschränkten p›nta und o§dÇ ∫n von V. 3 das Ge‑ schaffensein auch des Logos und des Heiligen Geistes zu begründen trachteten, habe man das ≈ gfigonen – bis dahin Subjekt des folgenden Satzes – nun als limitierendes Attribut zum vorausgehenden o§dÇ ∫n (v. l.: o§dfin) gezogen. Auch wenn eine derartige Operation zum Zweck, ungeschaffenen Entitäten wie dem Logos oder dem Heiligen Geist Platz zu schaffen, dem spekulativen Geist des 4. Jhs. durchaus entsprechen mag, ist sie doch unserem Text gegenüber völlig anachronistisch. Deshalb muß sich nach wie vor jeder, der mit der Setzung des Punktes hinter o§dÇ ∫n Nestle-Aland27 samt allen ebd. z. St. aufgeführten Zeugen sowie Millers breitem und detailliertem Versuch folgt, eine „textual evidence“ für diese Lesart zu erweisen (ebd. 27–44), darüber im Klaren sein, daß alles, was hier erwiesen werden kann, bestenfalls ein früher exegetischer Konsensus und möglicherweise gar ein „uraltes Mißverständnis“ ist (Barth, Erklärung 37; vgl. Hofius, Logos-Hymnus 7), keinesfalls aber irgendein ältester Text. Umso dringlicher müssen deshalb die exegetischen Kriterien für die jeweilige Entscheidung geprüft werden. Vielen erscheint die Lesart o§dÇ ¬n (bzw. o§dÇn) ≈ gfigonen als eine in ihrer Umgebung kaum erträgliche Tautologie. Durch diese „redondance choquante“ (Lacan 62), die „weder Erklärung noch Emphase, sondern bloßer Pleonasmus“ sei (Loisy 92), werde nicht nur die ausgewogene Länge und damit das Gleichgewicht der Zeilen empfindlich gestört, sondern vor allem der chiastisch mit p›nta eröffnete und mit dem emphatischen o§dÇ ∫n abgeschlossene „perfekte Parallelismus“ von V. 3 vernichtet (Boismard 22). Zudem sei das besser bezeugte und gewichtigere o§dÇ ∫n – im Gegensatz zu dem gewöhnlichen o§dfin der v. l. in P66 a* D f 1 pc., die ihren Ursprung wohl dem schon zu V. 3 gezogenen ≈ gfigonen verdanken – ein beliebtes Satzabschluß-Signal (vgl. 3,27 und siehe die Belege bei Bultmann, Komm. 20, Anm. 2). Und endlich wird gegen das Syntagma o§dÇ ¬n ≈ gfigonen immer wieder eingewandt, daß es korrekter o§dÇ ¬n «n gfigonen heißen müsse (Bultmann, ebd. 21, Anm. 2; Bauer, Komm. 12; Gese, Johannesprolog 162; B-D-R § 342, Anm. 1). Doch gegen alle diese Argumente hat Hofius, der ≈ gfigonen zu V. 3 zieht, neben der ausgeglichenen Drei-Gliedrigkeit des Satzes mit jeweiligem Abschluß durch ein Morphem von g‡nesjai: p›nta diû a§toú †gfineto / kaÑ cwrÑ" a§toú †gfineto / o§dÇ ¬n ≈ gfigonen, einerseits eine ganze Anzahl von Belegen für das o§dÇ ∫n auch „im Satz oder innerhalb eines Satzgefüges“ (5 f) geltend gemacht und andererseits den „durchaus korrekten“ Sprachgebrauch von ≈ gfigonen im Unterschied zu «n gfigonen belegt (Logos-Hymnus 5 f mit Anm. 34). Ähnlich argumentiert Lausberg. Er sieht ebenfalls die absichtsvolle Drei-Gliedrigkeit des Verses und bemerkt dazu, daß das blasse Wort o§dfin hier zu o§dÇ ∫n erweitert und verschärft ist: „Diese ‚Überbietung‘ ist grammatisch begründet als vollnominale Vorbereitung der attributiven Ergänzung J 1,3c … Dies zeigt sich deutlich am Unterschied zwischen Mt 27,12 o§dÇn üpekr‡nato und Mt 27,14 o§k üpekr‡jh a§tù prÖ" o§dÇ ¬n Øöma. – Die syntaktische ‚Stütz-Funk tion‘ der ‚verschärfenden Erweiterung‘ von o§dfin (J 15,5) zu o§dÇ ∫n liegt vor auch in den Fällen 1Macc 11,36 o§k üjethjflsetai o§dÇ ¬n to‚twn (hier mit genetivisch67
1,1–18
Der Prolog
partitiver Ergänzung); Sir 42,20: o§k †kr‚bh ... o∂dÇ eï" l∙go" …; Röm 3,10“. Von besonderem Gewicht aber ist Lausbergs folgende Beobachtung: „Der Prolog J 1,3a–b entnimmt dem Sprachgebrauch Gen 1,3–30 den Aorist †gfineto, den er … in J 1,3c gfigonen in das Perfekt versetzt. Inhaltliche Grundlage des Perfekts ist der summarische Rückblick Gn 1,31 t› pÅnta Ωsa †po‡hsen, obwohl dort – wegen des Kontextes der ‚Erzählung‘ Gn 1,1–30 – der erzählende Aorist verwandt wird: sobald Gn 1,31 von seinem Kontext Gn 1,1–30 isoliert wird und die ‚heutige Vorfindlichkeit‘ an Kreaturen ins urteilende Blickfeld rückt, erscheint das Perfekt: … tÖn jeÖn ≤rxasjai tÅ gegon∙ta kalù" jewreõn (Philo, decal. 97). – Im Sinne ‚heutiger Vorfindlichkeit‘ an Geschöpfen ist das Perfekt bei Philon sehr geläufig. … Für den Satz J 1,3a–c besteht nach zwei Aoristen (J 1,3a–b) in Analogie zu Kol 1,15 die stilistische Notwendigkeit, in das Perfekt überzugehen. Die ‚Notwendigkeit‘ entspricht offenbar einem für das ‚Reden über‘ die Schöpfung bestehenden ‚Brauch‘“ (204). Sah Bultmann in 1QS 11,11 „eine nur formale Parallele“ zu Joh 1,3 (ErgH 11), so sehen Pollard, Lamarche, de la Potterie, Ashton und Davies darin neuerdings zugleich eine enge inhaltliche Analogie mit ganz erheblichen Konsequenzen für ihre gesamte Prologauslegung: „Alles, was ist, lenkt er nach seinem Plan (wtbçjmb) / und ohne ihn geschieht nichts (awl hç[y)“; vgl. 1QH 10,9; ähnlich EvVer 37,21 ff: „Nichts geschieht (entsteht?) ohne ihn (sc. den Logos), noch passiert (wird?) irgendetwas ohne den Willen des Vaters“. Denn in diesen Belegstellen gehe es primär um Gottes Handeln in der Geschichte und nicht um sein anfängliches Schöpferwirken. Wie das niph’al von hyh, so beziehe sich auch das Verbum g‡nesqai ja von Haus aus nicht auf die Schöpfung im Sinne von „gemacht werden“, sondern heiße im Blick auf geschichtliche Ereignisse: „geschehen, sich ereignen, passieren“. Ebenso sei auch das artikellose p›nta (Alles: Joh 1,3) streng von dem tÅ p›nta (bzw. pôn) als der in LXX und NT gängigen Bezeichnung des geschaffenen Universums zu unterscheiden. Darum sieht Ashton (Transformation of Wisdom 171 f) in dem oft zitierten – und von Lausberg (Prolog 202 ff) gar als „Bezugstext“ von Joh 1,3 in Anspruch genommenen – Ωti †n a§tù †kt‡sqh tÅ p›nta (Kol 1,16) weniger eine „genuine Parallele“ zu Joh 1,3 als vielmehr einen der Ursprünge der ständigen Mißinterpretation des gesamten Prologs. Von da aus fordert er ein neues Nachdenken auch über Rolle und Bedeutung des Lexems l∙go". Unter Berufung auf Lamarche und im Blick vor allem auf Jes 55,8 f: „sondern so hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch sind meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken (ytwbçjm) über euren Gedanken“ (vgl. Jer 29,11; 51,29; Mi 4,12; Ps 33,10 f) will Ashton l∙go" nicht mehr mit Wort, sondern mit (Gottes) Plan (hbçjm) übersetzen. Nur so glaubt er im übrigen, dem V. 4, den er mit ≈ gfigonen eröffnet sieht, einen erträglichen Sinn abgewinnen zu können. Ganz ähnlich argumentiert M. Davies (Rhetoric 119 ff). Statt dem vielfältigen Gebrauch von l∙go" und rbd in der wirklichen und ja gleich im ersten Prologvers ausdrücklich annoncierten Quelle des Johannes, nämlich in LXX mit über tausend Belegen und im Hebräischen Text (im Gegensatz zum masoretischen Text MT fortan HT) nachzugehen, begnügt sich die Autorin jedoch damit, das Resümee der Analyse des philonischen (!) Gebrauchs des Lexems l∙go" durch E. R. Goodenough zu zitieren, das in dem Satz gipfelt: „Logos, then, is almost anything except the English word“. Ohne sich zu fragen, ob damit nicht der spezifisch johanneische Logosgebrauch dem mittleren Platonismus Philons und dessen stoischer Logoslehre geopfert wird, definiert Davies den Logos des Prologs sodann als 68
Der Prolog
1,2–3
„the expression of God’s purpose, both in creating a good and comprehensible world and in enlightening people to recognize that purpose“ (121). Trotz der durchaus ernstzunehmenden Beobachtungen zu p›nta im Sinne von „alles ohne Ausnahme“ im Unterschied zu tÅ p›nta als der Bezeichnung des „Weltalls“ und zu g‡nesjai ist angesichts der besagten Genesisatmosphäre (Lausberg) unserer Verse, im Blick gerade auf das †gfineto von Gen 1,3, auf die Verbindung des ≈ gfigonen mit Gen 1,31 (s. o. u. vgl. zu g‡nesjai für ‚geschaffen werden‘ LXX: Ps 32,9; 148,5; Jdt 16,14; sowie Hebr 11,3; Philon, Cher 127 u. ö.) sowie auf den Gegensatz von „Licht“ und „Finsternis“ (Gen 1,3 f; Joh 1,5!) der Bezug auf die Schöpfung jedoch wohl kaum ernsthaft zu bestreiten (vgl. Borgen, True Light). Was sollte auch der Aorist des zweimaligen †gfineto für einen Sinn haben, wenn es nur darum ginge auszudrücken, daß in der Welt nichts ohne den l∙go" geschieht? Darum kann auch die Artikellosigkeit des p›nta bestenfalls signalisieren, daß hier nicht – oder jedenfalls nicht ausschließlich – die Archäologie der Schöpfung im Sinne des abgeschlossenen Sechs-Tage-Werkes von Gen 1 im Blick ist, sondern wie Joh 5,17 (¨ patflr mou ∫w" ±rti †rg›zetai kügá †rg›zomai) zugleich die creatio continua als Erhaltung alles dessen, was ist. Oder anders gesagt, daß bei Johannes wie bei Deuterojesaja, auf den er sich überaus häufig bezieht, das Reden von der Schöpfung vermittelt ist durch die eschatologische Heilsökonomie. Sich hier vorschnell mit Faust verbünden zu wollen, der auch „das Wort so hoch unmöglich schätzen“ kann und es „anders übersetzen“ möchte, erscheint uns darum als ein bedenklicher Schritt zurück hinter das biblisch bezeugte Sprechen Gottes und sein gesprochenes Wort in die eher heidnischen Gefilde irgendwelcher „Zwecke“ oder „Pläne“ Gottes. Die schon genannte, den Prolog beschließende Verbalisierung des anfänglichen l∙go" zu †keõno" †xhgflsato und der Gebrauch des Lexems log- im übrigen Evangelium sollten vor derartigen Abwegen in die Ontologie warnen, denn: „Was wir dem jüdischen Monotheismus verdanken, ist nicht die Offenbarung vom einzigen Gott. Es ist die Erschließung der (gesprochenen) Sprache als Ort, wo die Menschen sich in Bezug halten zu dem, was jeden Bezug ausschließt: das absolut Ferne, das absolut Fremde. Gott spricht, und der Mensch spricht zu ihm. Das ist das große Faktum Israels … Zu jemandem sprechen bedeutet, daß akzeptiert wird, daß der Angesprochene nicht in ein System von Sach‑ oder Seinsinformationen eingeführt wird. Es bedeutet vielmehr, ihn als unbekannt anzuerkennen und als Fremden aufzunehmen, ohne ihn zu nötigen, seine Andersartigkeit aufzugeben. In diesem Sinn ist die gesprochene Sprache (la parole) das gelobte Land, wo das Exil sich als Aufenthalt erfüllt … Der jüdische Humanismus ist in der Optik des griechischen Humanismus erstaunlich infolge seiner Besorgung der menschlichen Bezüge: Eine Besorgung, die so beständig und vorrangig ist, daß selbst da, wo Gott dem Namen nach gegenwärtig ist, es immer noch um den Menschen geht, es immer noch um das zu tun ist, was zwischen einem Menschen und einem anderen Menschen besteht, sofern nichts anderes sie einander annähert oder trennt als sie selbst“ (M. Blanchot, Etre juif. In: L’entretien infini. Paris 1969, 187 f). Darum hätte Ashton aus dem für Joh in der Tat fundamentalen Text Jes 55 (s. u. zu Joh 6), in dem – wie in 1QS 11,11 – das von den genannten Autoren mit „Plan“ übersetzte Lexem hbçjm (LXX: di›noia) erscheint, doch vor allem dessen Fortsetzung zitieren sollen: Æ" gÅr katabÔö ≠etÖ" À cián †k toú o§ranoú kaÑ o§ mÉ üpostrafÔö, ∫w" …n mej‚sÔh tÉn gön, kaÑ †ktfikÔh kaÑ †kblastflsÔh kaÑ dù spfirma tù spe‡ronti kaÑ 69
1,1–18
Der Prolog
±rton e¢" brùsin, oætw" ≤stai tÖ Øöm› mou, ≈ †Ån †xfiljÔh †k toú st∙mat∙" mou o§ mÉ üpostrafÔö, ∫w" …n suntelesjÔö Ωsa °jfilhsa ktl. (Jes 55,10 f). Mit äußerster Sorgfalt und einleuchtender Argumentation hat sich Lausberg (Jesaja 55,10 f) darum bemüht, dieses Schriftwort als den für die Christologie sowohl des Prologs als auch des corpus evangelii verbindlichen und diese beiden Teile zugleich fest miteinander verbindenden „Bezugstext“ zu erweisen. Sein Resümee lautet u. a. so: „‚Wort Gottes‘ (‚mein Wort‘) der Stelle Js 55,10–11 bezieht sich auf die ‚redende Verkündigung‘ Gottes durch den Propheten: diese Rede Gottes ist fruchtbar wie der Regen. Hierbei erfährt das ‚Wort Gottes‘ eine gewisse poetische Personifizierung. – Der Evangelist benutzt diese Personifizierung, um den persönlichen Jesus mit ihm in eins zu setzen und die Ereignisse (und Reden) des Lebens Jesu in dieser Interpretationssicht darzustellen. Der Schriftsteller will, daß die das ganze Evangelium durchziehende interpretatorische Anspielung auf Js 55 immer wieder als solche verstanden wird … Besonders deutlich wird dies an den Stellen J 8,29 … und J 19,30 … Die ‚finesse‘ der Identifizierung der Anspielungen wird dem Erst-Publikum als gemeinsames Spiel zwischen Autor und Publikum zugemutet. Die Identifizierung des persönlichen Jesus mit dem poetisch personifizierten ‚Wort Gottes‘ (Js 55,11) ist eine ‚erhellende‘ Interpretation des alttestamentlichen Textes in der Art des Mt, aber auf anderer ästhetischer Höhenlage“ (ebd. 143). 4a: ûEn a§tù zwÉ én. Gleichsam als Gegenprobe zu dem zu V. 3 Ausgeführten bedarf jetzt auch diese Satzabgrenzung eingehender Begründung. Trotz der einleuchtenden Argumente, die schon Zahn und Harnack sowie danach u. a. Barrett, Schnackenburg, Richter, Lausberg und Hofius für †n a§tù zwÉ én als Satzbeginn und Neueinsatz im Prolog vorgetragen haben, wächst – unverkennbar unter dem Einfluß von Alands Untersuchung (Punkt) und zumal seiner Text-Ausgabe (Nestle-Aland27) – die Mehrheit derer, die ¨ gfigonen †n a§tù als Satzeröffnung nehmen. Neben Aland hat inzwischen Miller diesem Problem nicht weniger als eine ganze Dissertation gewidmet. Deshalb haben wir die oben gegebene Satzabgrenzung in einer breiteren Auseinandersetzung mit denen, die, wie Aland (Punkt), Bultmann (Komm.), Miller (Salvation History), Gese (Johannesprolog), de la Potterie (Structure), Lacan (Le prologue), Boismard (Le prologue), Pollard (Cosmology), Lamarche (Prologue), Ashton (Transformation) und M. Davies (Rhetoric and Reference 119 ff), die Wendung ≈ gfigonen zu V. 4 ziehen, in unseren Studien zum Corpus Iohanneum eingehend begründet. 4b: kaÑ ™ zwÉ én tÖ fù" tùn ünjr„pwn. „Und dieses Leben war das Licht für die Menschen“. Weil das zuvor artikellos eingeführte Lexem zwfl jetzt mit dem Artikel wiederaufgenommen wird, ist zu übersetzen: „dieses (nämlich das allein dem Logos inhärente) Leben“. Dementsprechend ist der Genitiv tùn ünjr„pwn natürlich ein gen. obj.: Das Leben des l∙go" versetzt die Menschen ins Licht. Das entspricht nicht zufällig dem ersten Wort des Schöpfers (Gen 1,3) und seinem ersten Tagewerk, „und Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis“. Allein diese Scheidung macht die Finsternis als solche überhaupt erst wahrnehmbar. „Es gibt sie“ – wie unser folgender Vers impliziert – nur als Aufstand gegen das Licht. Darum ist das dem l∙go" innewohnende Leben ausnahmslos für alle Menschen das Licht, ganz unabhängig davon, wie sich einer dazu verhält: Mag er es begrüßen als Licht auf seinem Wege, oder mag er es hassen und fliehen, damit seine bösen Werke nicht ans Licht kommen (s. u. zu 3,19–21). Ebenso wie vor ihm schon Zahn (Komm. z. St.) bezieht Aland das zweifache én in V. 4 im Sinne seines normalen Gebrauchs in der Alltagssprache auf vergangenes Ge70
Der Prolog
1,3–4
schehen. Während Zahn dieses Gewesene mit der Geschichte des historischen Jesus identifiziert, sieht Aland in dem én den Hinweis auf eine mythische Zeit und Gegebenheit vor dem Sündenfall, durch den die Menschen ihren ihnen mit der Schöpfung gegebenen Besitz von zwfl und fù" definitiv verwirkt hätten und diese Gaben nun nur „durch die Annahme und Aufnahme des Fleisch gewordenen Logos wiedererlangen könnten“ (Punkt 207). Möglich sind diese beiden gegensätzlichen Interpretationen jedoch nur unter der Voraussetzung, daß das imperfektische én des Prologs im Sinne der Alltagssprache als Referenz auf vergangenes Geschehen verstanden werden müsse. Eben das ist aber überaus fragwürdig. Ohne die poetische Sprache des Prologs ausdrücklich zu thematisieren, hatte schon Westcott zu dem én vermerkt, es habe „as far as human language can do so, the notion of absolute, supratemporal, existence“ (z. St.). Und daß das én tatsächlich nicht den episodischen Sinn eines „Es war einmal …“ hat, macht ja schon sein vierfacher Gebrauch in den beiden Eingangsversen unübersehbar. Denn die hier durch én erfolgende dreifältige Bestimmung des Logos hinsichtlich seiner Existenz (†n ürcÔö én), seiner Relation zu Gott (én prÖ" tÖn je∙n) und seiner Prädikation als Gott (jeÖ" én), die V. 2 noch einmal rekapituliert, erzählt ja nicht die Geschichte einer vergangenen Zeit, sondern preist das ewige „Sein“ des Logos jenseits von Sein und Zeit. Als „common words used in an uncommon way“ hat Kermode die sich wechselseitig definierenden und den gesamten Prolog prägenden Wörter én und †gfineto beschrieben. Der Kontext trennt sie vom normalen Sprachgebrauch, macht sie zur Achse, um die sich in diesem Prolog alles dreht, und verleiht ihnen darüber hinaus eine „eigentümlich verschlüsselte Kraft“, die sie für die Lektüre des gesamten Evangeliums bestimmend werden läßt. én bezeichnet das Sein im Unterschied zum Werden und Geschehen (†gfineto). Alles Werden und Geschehen hat einen Anfang und ein Ende, das Sein dagegen ist anfangs‑ und endlos. én prädiziert den transzendenten Schöpfer, †gfineto aber die Welt der geschaffenen Dinge. „Gott im Alten Testament und sein Sohn im Neuen haben über das Verbum sein spezifische Rechte; wenn sie sagen Ich bin machen sie ihre göttliche Autorität geltend“ (John as Poet 7). Und wie dieses ‚Ich bin‘ immer zugleich ein ‚Ich war‘ und ein ‚Ich werde sein‘ einschließt, so läßt sich auch das én des Prologs nicht auf irgendeinen kalenderzeitlichen Abschnitt reduzieren, sei das in die Zeit vor dem Sündenfall oder sei es in die Zeit des historischen Jesus. Wenn Jesus erklärt, prÑn ûAbraÅm genfisjai †g„ e¢mi (8,58), und wenn er noch vor seiner Kreuzigung mit der unverkennbaren Stimme des Auferstandenen sagt: †gá nen‡khsa tÖn k∙smon (16,33), dann wird deutlich, daß hier mehr im Spiel ist als der Einsatz der literarischen Stilmittel von Retrospektion, Prolepse und Antizipation. Da zeigt sich vielmehr, daß Gott und sein Logos Herren der Zeit und von zeitlichen Kategorien nicht begrenzt sind. Ja, auch allen, die ihn aufnehmen, verleiht der fleischgewordene l∙go" die Vollmacht, Kinder Gottes zu werden (1,12), und versetzt sie damit in diese neue Realität seiner Zeit, deren bleibender Garant der verheißene Geist-Paraklet ist (vgl. O’Day, I have overcome 162 ff). Vielleicht braucht darum über die Frage, ob der Satz, †n a§tù zwÉ én, etwa einen heilsgeschichtlichen Neueinsatz markiert, insofern er den inkarnierten l∙go" einführt, womöglich gar nicht entschieden zu werden. Jedenfalls aber ist das dem Prolog eigentümliche én nicht dazu geeignet, eine vergangene Zeitspanne anzuzeigen, sei es nun diejenige des irdischen Lebens Jesu (Zahn), sei es die mythische Zeit vor dem Sündenfall (Aland) oder sei es eine Zeit vor der Fleischwerdung, in der „die Möglichkeit der 71
1,1–18
Der Prolog
Offenbarung … von je gegeben“ war (Bultmann 22). Ja, wenn überhaupt erst das Spre‑ chen Jesu Christi und Jesus Christus als dieses Sprechen (†keõno" †xhgflsato) die Möglichkeit erschlossen hat, das Unsagbare zu sagen (1,18), dann muß der gesamte Prolog von seinem ersten Vers an als Preisgedicht auf den Fleischgewordenen und nicht etwa als die Erzählung der Vorgeschichte dieser Fleischwerdung gelesen werden. Jedenfalls kann der a§t∙", in dem ein Leben „war“, das als das Licht für die Menschen seither in der Finsternis scheint, wegen des spezifisch johanneischen Gewichtes der Lexeme zwfl und fù" als exklusiver Prädikate Jesu Christi und seiner Gaben kein anderer als nur dieser jüdische Mann sein (vgl. Theobald, Fleischwerdung 226). Die in der Prologauslegung immer wieder auftauchende Frage, bis zu welchem Vers denn vom l∙go" ±sarko" und von wo an dann vom l∙go" ≤nsarko" die Rede sei, ist darum von Grund auf verfehlt, weil sie eine (unter Umständen notwendige?) theologische Abstraktion behandelt, als sei dieser l∙go" ±sarko" ein konkretes, so oder so handlungsfähiges und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenes selbständiges Subjekt. Es will aber beachtet sein, daß es in unserem Evangelium Jesus Christus in Person ist, derjenige, dessen „Vater und Mutter man kennt“ (6,42), der als das lebendige Brot aus dem Himmel gekommen ist. Von diesem konkreten Gegenüber und nicht von irgendeinem fleischlosen Logos sagt Johannes (der Täufer): Ωti prùt∙" mou én (1,15). Dazu bereit, sein Fleisch hinzugeben für das Leben der Welt (6,51), erklärt dieser Jesus, daß seine Stunde nun gekommen sei, aus der Welt zum Vater zu gehen (13,1; 16,17); er und kein anderer betet: kaÑ nún d∙xas∙n me s‚, p›thr, parÅ seautù tÔö d∙xÔh Ôî eècon prÖ toú tÖn k∙smon eènai parÅ so‡ (17,5). Nicht ein l∙go" ±sarko", sondern der Fleischgewordene ist also in diesem Evangelium der ebenso Prä‑ wie Postexistierende; vgl. dazu Barth, KD IV/1,55. 5a/b: kaÑ tÖ fù" †n tÔö skot‡a fa‡nei, kaÑ ™ skot‡a a§tÖ o§ katfilaben: „Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht ausgelöscht“. Das verneinte katalamb›nw – hier sinngemäß mit auslöschen übersetzt – darf keinesfalls als synonym mit dem ebenfalls negierten paralamb›nw von V. 11 verstanden werden. Es hat vielmehr – wie 12,35: ºna mÉ skot‡a ≠mô" katal›bÔh – den Sinn eines feindlichen Überwältigens. Denn geradezu per definitionem ist die skot‡a Aufstand gegen das Licht. Ihr ganzes Vermögen und Wesen erschöpft sich in solcher Feindschaft. Weil es sie überhaupt nur als diesen Aufstand gibt, vermag sie das Licht weder zu begreifen, noch zu erkennen, geschweige denn jemals anzuerkennen. Darum kann das Lexem skot‡a auch nicht als Synonym der gerade zuvor genannten ±njrwpoi (V. 4) oder des k∙smo" (V. 10) begriffen werden. Denn anders als die feindliche skot‡a sind die Welt und die Menschen darin unwiderruflich Gegenstände der Liebe Gottes (vgl. 3,16 u. ö.). Das Präsens fa‡nei bringt das andauernde und siegreiche Scheinen des von Jesus Christus als dem Logos ausstrahlenden Lichtes zur Sprache. Deshalb muß der ihm folgende Aorist o§ katfilaben wohl als komplexiver verstanden werden: Die Finsternis hat das Licht nicht überwältigt und wird es auch in jeder denkbaren Zukunft niemals auslöschen (vgl. Gese, Prolog 163 f). Nicht Pessimismus, sondern Siegesgewißheit wird hier laut. Der 1Joh nimmt diesen Satz auf und variiert ihn so: Die Finsternis vergeht, ihre Tage sind von nun an gezählt, denn das wahre Licht scheint schon (1Joh 2,8; vgl. Theobald, Fleischwerdung 212 ff). Daß zahlreiche Ausleger gleichwohl die soeben bestrittene Synonymität von k∙smo" und skot‡a behaupten und zwischen V. 5 u. 10 einen synthetischen parallelismus mem‑ brorum konstruieren, worin kaÑ ™ skot‡a a§tÖ o§ katfilaben und kaÑ ¨ k∙smo" a§tÖn 72
Der Prolog
1,4–6
o§k ≤gnw synonyme Glieder sein sollen, die sich wechselseitig interpretieren, liegt allein daran, daß sie die Aufgabe der Interpretation des überlieferten Textes mit dem Versuch vermischen oder gar verwechseln, einen ihm vermeintlich zugrundeliegenden Logoshymnus zu rekonstruieren. Solcher (Re‑)Konstruktion fallen dann die angeblich prosaischen Verse 6–8 als redaktioneller Einschub ebenso zum Opfer wie häufig auch noch der Vers 9, den eben diese Redaktion als Übergang zur Wiederaufnahme der Quelle in V. 10 eigens geschaffen haben soll. Erst nach solch fragwürdigen Operationen, die freilich für die Interpretation des überlieferten Textes ohnehin völlig irrelevant sind, erscheint dann V. 10 tatsächlich unmittelbar neben V. 5. Weil er V. 4 mit ≈ gfigonen eröffnet und auf diese Weise fest mit dem p›nta †gfineto von V. 3 verkettet sieht, überschreibt Bultmann die V. 1–4 des Prologs mit: „Das vorgeschichtliche Sein des Logos“ (5). Die folgenden V. 5–18 stellt er dann unter die Generalüberschrift: „Der Logos als Offenbarer in der Geschichte“ und gibt dazu diese Untergliederung: „a) Andeutende Schilderung (1,5–13)“ (26) und „b) Der Logos im Fleisch (1,14–18)“ (38). Daß von V. 5 an „andeutend“ vom Wirken des Logos in der Geschichte die Rede sein soll, entnimmt er dem „Rätsel“ des unvermittelten Präsens fa‡nei von V. 5, „denn erst V. 14 wird das Wunder nennen, kraft dessen gesagt werden kann: tÖ fù" †n tÔö skot‡a fa‡nei“ (27). Dabei glaubt Bultmann, der Evangelist habe mit „bewußter Absicht“ ein Präteritum seiner vermeintlichen „Quelle, in der sich alle Aussagen vor V. 14 auf den präexistenten Logos bezogen“, in das Präsens fa‡nei verändert (26). Im Gegensatz dazu haben wir ja den Neueinsatz in dem mit †n a§tù zwÉ én eröffneten V. 4 ausgemacht. Zudem sind die V. 4 u. 5 über das Lexem fù" so fest miteinander verkettet, daß sich ein derartiger Einschnitt zwischen ihnen verbietet. Die „andeutende Schilderung“ muß deshalb zumindest bereits mit V. 4 beginnen. Damit wird freilich auch das fa‡nei als Indiz dafür zweifelhaft, daß hier eine ganz anders lautende Quelle in die „andeutende Schilderung“ des in der Geschichte wirkenden Offenbarers umgeformt wurde. 6: †gfineto ±njrwpo", üpestalmfino" parÅ jeoú, µnoma a§tù ûIw›nnh". – Schon der Einsatz dieses neuen Prologabschnittes mit dem durch die erste Strophe unwiderruflich geprägten Lexem †gfineto in seinem Gegensatz zu én (vgl. auch das abschließende o§k én †keõno" tÖ fù" in V. 8) rückt den hier keineswegs prosaisch, sondern vielmehr höchst solenn und mit kaum zufälligen Anklängen an die Sprache der Bibel (vgl. Ex 3,10 ff; 1Sam 1,1; Jes 6,8; Mk 1,4: †gfineto ûIw›nnh"; Lk 1,13: kalfisei" tÖ µnoma a§toú ûIw›nnhn, s. Bultmann 29) eingeführten Zeugen Johannes an die Werden-Seite der Achse (zur poetischen Gestalt auch der V. 6–8 vgl. Gese, Prolog 164). Pointiert wird dieses Gegenüber von Sein und Werden noch dadurch, daß dem jeÖ" én des Bezeugten ein †gfineto ±njrwpo" seines Zeugen korrespondiert (vgl. 3,27 u. 5,34). Daß †gfineto hier wie Mk 1,4 (vgl. Mt 3,1) weniger das Werden des Täufers im strengen Sinn als vielmehr sein geschichtliches Auftreten bezeichnet, ist sicher richtig. Doch mit dieser semantischen Beobachtung kann man nicht (wie Beutler, Martyria 241) einen Einwand dagegen begründen, daß die Polarität zwischen den Morphemen én und †gfineto dem gesamten Prolog sein Gepräge verleiht. – üpestalmfino" parÅ jeoú: Wie überaus häufig in LXX drückt üpostfillein im Unterschied zu pfimpein zugleich Sendung und Legitimation des Gesandten aus; und ebenso wie hier ist dabei oft Gott der Sendende und Legitimierende (vgl. Bultmann, Komm. 30, Anm. 2). Biblisch geprägt ist auch das Satzglied: µnoma a§tù ûIw›nnh"; vgl. Jdc 13,2; 17,1; 1Sam 1,1; 9,1 f; Apk 6,8; 9,11 73
1,1–18
Der Prolog
u. ö. Diese von biblischer Sprache gesättigte, in „exordialer Dreistufigkeit“ (Lausberg, Prolog 215) gehaltene Einführung des Johannes soll ihn ganz fraglos einreihen in die Kette der biblischen Gotteszeugen Israels. Während der Name Jesu absichtsvoll fast bis zum Ende des Prologs (1,17) Rätsel bleibt, wird sein Zeuge sogleich namentlich eingeführt. Natürlich weiß jeder Leser/Hörer des Prologs, daß es sich um Johannes den Täufer handelt und daß er auch der Täufer Jesu ist (vgl. 3,32 u. s. u. z. St.). Unser Evangelist setzt also bei seinen Lesern Kenntnisse voraus, die er selbst nicht vermittelt. Die weitere Interpretation unseres Evangeliums wird zeigen, daß es sich dabei nicht nur um ein allgemein verbreitetes Wissen um Jesus handelt, sondern um die konkrete Kenntnis unserer synoptischen Evangelien – und zwar aller drei. 7: oñto" élqen e¢" martur‡an ºna marturflsÔh perÑ toú fwtÖ", ºna p›nte" piste‚swsin diû a§toú. Entgegen der durch V. 6 geweckten Erwartung erfährt der Leser nun aber nichts über das asketische Leben des Johannes, über seine Bußpredigt oder seine Tauftätigkeit am Jordan, sondern einzig dies, daß er gekommen ist als Zeuge, bestimmt dazu, von dem bereits in der Finsternis scheinenden Licht zu zeugen, damit alle durch ihn und sein Zeugnis glauben. Gerade diese letzte finale Bestimmung, ºna p›nte" piste‚swsin diû a§toú, macht über jeden Zweifel erhaben, daß das Licht, als dessen von Gott legitimierter Zeuge Johannes auftritt, nur der sein kann, der da sagt: †g„ e¢mi tÖ fù" toú k∙smou (8,12), nämlich Jesus Christus in Person. Denn auch ohne die Angabe eines Objektes zeigt das finale ºna p›nte" piste‚swsin an, daß Jesu erster Zeuge Johannes kein anderes Ziel verfolgt und keinem anderen Lebenszweck gedient hat als der auf seinen Schultern stehende Evangelist, der sein Evangelium einzig dazu geschrieben hat: ºna piste‚(s)hte Ωti ûIhsoú" †stin ¨ cristÖ" ¨ u´Ö" toú qeoú, kaÑ ºna piste‚onte" zwÉn ≤chte †n tù £n∙mati a§toú (20,31; s. u. z. St.). ‚Licht‘ ist hier also weder Name oder Funktion eines l∙go" ±sarko" (Gese 193 f) noch auch Bezeichnung „für den Logos als präexistenten Schöpfungsmittler“ (von der Osten-Sacken 160), sondern ebenso wie l∙go" ein Kryptogramm für den erst in V. 17 mit seinem Namen genannten Jesus Christus. Die in V. 7 f eigentümlich gehäuft auftretenden Lexeme martur‡a und martureõn sind fast überall und – wie die Untersuchung von Beutler gezeigt hat – zumal in diesem Evangelium stets streng juridisch konnotiert. Schon ihre dichte Kumulation mit der nachdrücklichen Wiederholung des Finalsatzes: ºna marturflsÔh perÑ toú fwt∙", in V. 8 signalisiert darum dem Leser, was er zu erwarten hat: Ohne es recht zu bemerken und doch noch ehe die martur‡a des Johannes für dieses ‚Licht‘ inhaltlich überhaupt entfaltet und ihr Forum wird (1,19 ff), wird er durch den bloßen Gebrauch dieser Lexeme seinerseits zum Zeugen gemacht und in den großen Prozeß zwischen Gott und der Welt verwickelt, als dessen Darstellung große Partien des Evangeliums nach der brillanten Darstellung von Preiss gelesen sein wollen (vgl. auch Harvey, Jesus on Trial). Als den geheimen Leitfaden aller um die Frage nach der Wahrheit von Jesu Weg und Wort kreisenden und insofern juridischen Dispute zwischen Jesus und den ûIoudaõoi zitiert Harvey Dt 18,18–20: „Einen Propheten wie dich (sc. Mose) werde ich aus der Mitte ihrer Brüder erstehen lassen. Ihm werde ich meine Worte in den Mund legen, und alles, was ich ihm gebiete, hat er ihnen zu verkündigen. Wenn aber jemand nicht hört auf seine Worte, die er in meinem Namen verkündet, von dem werde ich Rechenschaft fordern. Der Prophet jedoch, der sich vermessen sollte, ein Wort in meinem Namen zu verkünden, dessen Verkündigung ich ihm nicht aufgetragen 74
Der Prolog
1,6–7
habe, oder der im Namen anderer Götter spräche: Ein solcher Prophet muß sterben“ (ebd. 87). Und darum und bis hin zu dieser tödlichen Konsequenz geht der mit der martur‡a des Johannes eröffnete Rechtsstreit Gottes mit dem k∙smo" in unserem Evangelium in der Tat. Sein Maß hat er an der durch Mose gegebenen Tora. Immer wieder breitet der Evangelist vor seinen Lesern die Argumente beider Streitparteien aus, um sie selbst urteilsfähig zu machen und sie so von Recht und Wahrheit der Sache Jesu zu überzeugen. Fast alle modernen Kommentatoren und Prologinterpreten beurteilen unsere Passage (1,6–8) als sekundären Einschub in den zuvor bestehenden festen Zusammenhang eines Hymnus auf den Logos. Unbestreitbar ist daran sicher die der Hypothese zugrundeliegende Beobachtung, daß es sich hier tatsächlich um eine Art Einschub handelt. Denn mit der Nachricht vom geschichtlichen Auftreten des Johannes und vom göttlichen Ziel seiner Sendung wird dem bisher allein um den l∙go" zentrierten Gewebe jetzt fraglos ein andersfarbiger Faden und ein neues Muster eingefügt. Und eingeschoben sind die V. 6–8 auch insofern als sie in dem zurückweisenden †keõno" der Wendung o§k én †keõno" tÖ fù" ihren förmlichen Abschluß finden, ehe dann V. 9 den in V. 5 niedergelegten Logos-Faden wieder aufnimmt. Doch ganz einerlei, ob diese Erscheinung ihre Genese nun der sekundären Einfügung der Johannes-Martyria in einen vorhandenen Logoshymnus verdankt, oder ob es sich dabei um eine absichtsvolle auktoriale Komposition handelt, so oder so kann die Aufgabe der Interpretation des überlieferten Prologs jedenfalls allein darin bestehen, ihn als literarische Einheit verständlich zu machen, innerhalb derer jeder Satz, gehöre er nun der vermeintlichen Tradition oder deren mutmaßlicher Redaktion an, von gleichem Gewicht ist. Das heißt im Blick auf unseren ‚Einschub‘ der V. 6–8: Er will als literarisches Formelement des Prologs verstanden sein, und dazu muß erklärt werden, warum diese signifikante Unterbrechung gerade hier und gerade in dieser Weise erfolgt. Bultmann sah – wie vor ihm schon Reitzenstein (Vorgeschichte pass.) – den „Ursprung der Mandäer … in der Anhängerschaft Johannes des Täufers“ (Bedeutung 101). Ja, er vermutet im Anschluß an Baldensperger, die ganze Passage über Johannes und seine Martyria sei hier nur um der sie beschließenden verneinten Aussage willen eingefügt worden: o§k én †keõno" tÖ fù". Dieses der hymnischen Sprache des Prologs gegenüber fremde Prosastück sei eine polemische „Anmerkung“ des Evangelisten, die sich gegen die „Jünger“ des Täufers richte, die ihren Meister ihrerseits als den präexistenten l∙go" und als das in der Welt aufgegangene wahre messianische Licht verehrt hätten. D. h. Bultmann, dem noch Schulz darin folgt (Komposition 66 ff; vgl. Komm. 23), betrachtet den Prolog zugleich als die Quelle dieser Art messianischer Täuferverehrung, denn der Evangelist – möglicherweise selbst anfänglich ein Täuferjünger (vgl. 1,35 ff) – soll ein ursprünglich dem Täufer geltendes Preisgedicht auf Jesus umgemünzt und zum Prolog seines Werkes gemacht haben. Zum einen ist das jedoch eine höchst zweifelhafte Hypothese. Denn von einer förmlichen messianischen Verehrung des Täufers durch dessen Jünger wissen wir so gut wie nichts, und zudem erscheint uns die Verehrung eines Toten als Messias kaum denkbar. Es sei denn, man erfände neben der Fleischwerdung des l∙go" in Johannes dem Täufer (!) nach dessen sicher bezeugtem Martyrium unter Herodes Antipas (Mk 6,17 ff; vgl. Jos., Ant. 18, 109 ff) auch noch den Glauben seiner Jünger an die Auferstehung ihres Meisters hinzu. Davon aber gibt es auch nicht die entfernteste Spur einer Nachricht. Und zum anderen 75
1,1–18
Der Prolog
benutzt Bultmann die späten Nachrichten über Johannes den Täufer im Johannesbuch der Mandäer aus heutiger Sicht allzu unkritisch (vgl. dazu Rudolph, Mandäer I/66 ff). Es sei hier noch angeschlossen, daß einige neuere Kommentatoren meinen, in den V. 6–8 die ursprüngliche Einleitung des Evangeliums wiedererkennen zu können: „Die ‚Narrativität‘ spricht dafür, in J 1,6–7 das ‚breve exordium‘ des J-Evangeliums vor Entwurf und Einfügung des ‚großen Prologs‘ J 1,1–18 zu sehen. … Der volle Wortlaut des ‚breve exordium‘ könnte – mit Voranstellung der in J 1,1a in den ‚Prolog‘ übergegangenen, aber für dieses ‚exordium‘ aus Mc 1,1; Act 1,22 motivierten Fügung (Joh 1,1a ûEn ürcÔö) gelautet haben: ûEn ürcÔö †gfineto ±njrwpo" ktl.“ (Lausberg, Prolog 214; ähnlich Boismard, J. A. T. Robinson, Theobald, Brown und Lindars z. St.; vgl. dazu das Referat bei Theobald, Fleischwerdung 148 ff u. 463 ff). Doch abgesehen davon, daß wir ein Johannesevangelium ohne seinen Prolog nicht kennen und nicht wissen können, ob es je existiert hat, sind alle diese phantasievollen Vermutungen über die Genese des Prologs für die Interpretation seines überlieferten Textes selbst dann irrelevant, wenn eine unter ihnen zutreffen sollte. Und dies nicht nur aus Resignation, weil die von Bultmann u. a. „versuchte Rekonstruktion der Vorgeschichte des Prologs … kein so sicheres Resultat (ergibt), als daß wir unseren Standpunkt anderswo nehmen könnten, als bei dem Prolog, so wie er heute das 4. Evangelium einleitet“ (Bauer 13), sondern weil wir es nicht mehr mit einem so oder so kommentierten Hymnus zu tun haben. Zu interpretieren ist vielmehr der Prolog eines literarischen Werkes, das als neuer Kontext alle Traditionen, die Eingang darin gefunden haben, verwandelt und neu definiert, so daß auch von ihnen fortan gilt: „Das Alte ist vergangen. Siehe, Neues ist geworden!“ (2Kor 5,17). Zugleich ist dadurch das Allgemeine und als solches Sagbare der Tradition zum unsagbar Individuellen geworden, das sich keinerlei methodischem Zugriff, sondern allein der Dialektik von grammatischer Rekonstruktion und erratender „Divination“ erschließt (Schleiermacher).
Da wir den Prolog hier nach Maßgabe der soeben angedeuteten hermeneutischen und texttheoretischen Überlegungen auslegen und nicht für andere Zwecke benutzen wollen – wie ihn etwa Dunn benutzt als Quelle für seine Rekonstruktion der Geschichte der neutestamentlichen „Christology in the Making“ –, sind wir von der Last befreit, darüber entscheiden zu müssen, ob ihm denn nun ein älterer Logos-Hymnus zugrunde liegt oder nicht. Von den neueren Auslegern behandeln nur ganz wenige, wie Eltester und Barrett, den Prolog, so wie er uns vorliegt, als einheitliche und absichtsvolle Komposition. Mit dem Unterschied, daß wir die Frage nach seiner möglichen Vorgeschichte nicht wie diese zuvor negativ entscheiden müssen, sondern offen lassen können, entspricht unser Ziel jedoch völlig dem ihren. Darum können auch wir von der vorliegenden Täuferpassage sagen: „Wie Mk versteht auch Joh … Johannes den Täufer als den Anfang des Evangeliums (vgl. Apg 10,37) … Es ist unnötig, hier Interpolation zu vermuten; Johannes spielt eine wichtige Rolle im Evangelium, und es ist durchaus natürlich, daß er im Prolog eingeführt wird“ (Barrett 186). Doch ist dieses traditionsgeschichtliche Argument allein keineswegs schon zureichend, die abrupte Art und Weise (J. A. T. Robinson: „rude interruptions“) der Einführung des Johannes und seiner martur‡a in den V. 6–8 u. 15 zu erklären. Den Eindruck der jähen Unterbrechung mildert auch der in den V. 6–8 vorliegende kaum minder abrupte Stilwechsel nicht. Eher unterstreicht er ihn. Das gilt, auch wenn er sich statt einer fremden Hand wohl eher dem Umstand verdankt, daß wir mit dem †gfineto ±njrwpo" jetzt zum ersten Mal explizit den geschichtlichen Boden Palästinas betreten, wo der inhaltliche Übergang vom ewigen én des göttlichen l∙go" zum †gfineto dieses gottgesandten ±njrwpo" seine formale Entsprechung in dieser von biblischer Sprache gesättigten und keineswegs einfach prosaischen Darstellung findet (s. o.). 76
Der Prolog
1,7
M. Hooker mag die abrupte Einführung der beiden Passagen 6–8 und 15 so wenig wie wir darauf zurückführen, daß der Evangelist der von seinen Kommentatoren entdeckten poetischen Struktur seines eigenen Prologs gegenüber einfach „insensibel“ gewesen sei (355). Deshalb muß sie versuchen, gerade das derart ungestalt Erscheinende als absichtsvolle Gestaltung zu begreifen. Dazu beschreitet sie einen doppelten Weg. Einmal zeigt sie nämlich, daß und wie zunächst die V. 6–8 unter der Quasi-Überschrift, kaÑ aæth †stÑn ™ martur‡a toú ûIw›nnou (1,19), am ersten Tag von dessen Zeugnis ihre präzise Explikation erfahren (1,19–28) und wie danach dann der V. 15 „am zweiten Tag“ (tÔö †pa‚rion: 1,29) ebenso umsichtig entfaltet wird (1,29–34; s. dazu jeweils u. z. St.). Sind damit Funktion und Notwendigkeit der beiden Täufer-Passagen des Prologs im Blick auf den weiteren Kontext erwiesen, so bleibt immer noch die Frage: „But what is the function of these passages in their present setting?“ (356). Zu ihrer Beantwortung bedarf es nun zum anderen einer Analyse der Struktur des Prologs selbst. Zwar wird gerade darüber immer noch sehr heftig gestritten, gleichwohl besteht glücklicherweise aber wenigstens ein Minimalkonsensus darin, daß mit der Wiederaufnahme des Lexems l∙go" aus V. 1 und mit der expliziten Aussage über dessen Fleischwerdung in V. 14 eine neue Stufe der Argumentation erreicht und ein neuer Teiltext eröffnet wird. Diese beiden Prologteile (1–13 und 14–18) sind in gewisser Weise parallele Glieder von chiastischer Struktur. In ihrer beider Dreh‑ und Mittelpunkt steht nach den Aussagen über Wesen und Erscheinung des l∙go" (1,1–5 und 14) und vor der Entfaltung von dessen Wirkung auf die Menschen (1,9–13 und 16–18) jeweils die martur‡a des Johannes (6–8 und 15; vgl. Hooker, Baptist 356 f). Obgleich es von diesem ausdrücklich heißt, o§k én †keõno" tÖ fù" (V. 8) und er selbst erklären wird, †keõnon deõ a§x›nein, †mÇ dÇ †lattoúsjai (3,30), gerät im Gegensatz dazu bei der Prolog-Interpretation oft in Vergessenheit, „that the passages are not primarily ‚about John the Baptist‘; rather, like John himself, they point to the one to whom John witnessed. They refer to the historical ‚event‘ Jesus Christ, that is the appearance of the Logos among men. Their importance lies in the fact that each refers to John as the witness who confirms the truth of what has just been said, that the light is shining in the darkness, and that we have seen the glory of the incarnate Logos …“ (ebd. 357). Die beiden Passagen über die martur‡a des Johannes sind also alles andere als bloße Parenthesen. Innerhalb des Prologs sind sie vielmehr, gerade durch ihre abrupte Einführung besonders hervorgehoben, dessen entscheidende Schaltstellen. Und nach außen sind sie zugleich wesentliche Verbindungsglieder sowohl zu dem Vorwissen der Leser als auch zu der nachfolgenden Erzählung vom Zeugnis des Johannes. Der gerade durch sie strukturierte zweiteilige Aufbau des Prologs in die Abschnitte 1–13 und 14–18 sollte darum auch nicht durch andersartige Gliederungsprinzipien in Frage gestellt werden. Eine willkommene Bestätigung unserer Exegese von V. 4 f ist Hookers oben wiedergegebene gewichtige Feststellung, daß das Täuferzeugnis beider Prologteile jeweils auf das historische Auftreten Jesu Christi bezogen werden muß. Denn dadurch wird deutlich, daß der Prolog keine fortlaufende Erzählung der Heilsgeschichte ist. Seine beiden Teile meditieren vielmehr das eine Geschehen des Kommens Jesu Christi, zunächst unter dem Aspekt des in der Finsternis scheinenden Lichtes und danach unter dem der Fleischwerdung des l∙go". 8: o§k én †keõno" tÖ fù", üllû ºna marturflsÔh perÑ toú fwt∙". Mehr und größeres als mit V. 6 f über Johannes gesagt ist, kann von einem Menschen kaum ausgesagt wer77
1,1–18
Der Prolog
den. Er ist von Gott dazu erwählt, gesandt und legitimiert Zeugnis abzulegen von dem eschatologischen Einbruch des ewigen Lichtes in die Welt des Werdens und Vergehens. Insofern ist er wahrlich der Größte unter allen von einer Frau Geborenen (Mt 11,11). Darum ist der knappe V. 8 auch schwerlich als Polemik gegen irgendwelche Täuferan‑ hänger in der aktuellen Umgebung der ersten Leser zu begreifen. Ja, so ist er eigentlich überhaupt nur plausibel im Zusammenhang mit Bultmanns Hypothese, wonach der Prolog ursprünglich ein Hymnus auf den Täufer gewesen sein soll (s. o.). Doch diese Hypothese wurde mit guten Gründen längst verworfen. Daß zahlreiche Ausleger dennoch weiterhin zäh an ihrer antitäuferischen Implikation festhalten, ist eher verwunderlich. Ehe man für irgendwelche Sätze des Evangeliums, statt sie auf die durch dieses selbst geschaffene Textwelt zu beziehen, Referenz-Objekte in der vermeintlich realen Welt einer johanneischen Gemeinde sucht, sollte man zuvor stets geduldig nach deren Funktion auf der Textebene fragen. Und in diesem Sinn bemerkt Gese zu V. 8 ganz treffend, dieser auf den ersten Blick überflüssig erscheinende Satz sei darum notwendig, weil ohne ihn der folgende V. 9 auf den Täufer bezogen werden könne oder müsse (164). Der Satz verknüpft den Prolog zudem mit der folgenden Narratio (s. o.), indem er vorwegnimmt, was Johannes selbst vor der von den „Jerusalemer Juden“ zu ihm gesandten offiziellen Delegation nicht verleugnen, sondern feierlich bekennen wird, daß er nämlich weder der Messias, noch Elia, noch auch der Prophet sei (1,19–21; s. u. z. St.). Sofern der Leser hier außerdem zu dem üll› noch ein †gfineto oder éljen ergänzen muß, setzt der mit o§k én eingeleitete Satz das den ganzen Prolog bestimmende Spiel mit den Morphemen én und †gfineto fort, so daß das verneinte én von V. 8 das positive von V. 9 vorbereitet. 9: én tÖ fù" tÖ ülhjin∙n, ¨ fwt‡zei p›nta ±njrwpon, †rc∙menon e¢" tÖn k∙smon. Hier steckt – und V. 10 wird das durch sein maskulines a§t∙n bestätigen – das Subjekt tatsächlich in dem satzeinleitenden Prädikat én: Er, nämlich der als Licht in der Welt erschienene l∙go", war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, wenn es in der Welt erscheint (vgl. Baldensperger 7: „denn in der metaphysischen Betrachtungsweise des Evangelisten kann das én nur auf die Existenzweise des Logos angewendet werden, während von dem ±njrwpo" ûIw›nnh" ein †gfineto, ein éljen und dergl., im Prolog aber kein én ausgesagt wird“). Diese auch von Bultmann (31 f) und Schnackenburg (I/229) favorisierte Beziehung des Prädikats én auf den l∙go" als sein implizites Subjekt ist jedoch nicht unumstritten. Am detailliertesten haben ihr Theobald (Fleischwerdung 191 ff) und – unter Aufarbeitung der gesamten neueren Prologexegese – Bonsack (Syntaktische Überlegungen 53 ff) widersprochen. Ihr Haupteinwand lautet, daß unmöglich der zuletzt in V. 4 pronominal durch †n a§tù vertretene l∙go", sondern nur ein Lexem aus dem „unmittelbar vorausgehenden Satzgefüge“ (Bonsack ebd. 57) Subjekt von én sein könne. Darüberhinaus wendet Theobald ein, daß die Exegese Bultmanns und Schnackenburgs statt auf dem „methodisch einzig zulässigen Standort der Synchro‑ nie“ auf deren fragwürdigem Auslegungstyp der Diachronie beruhe, die unbekümmert um die Gestalt des überlieferten Prologs „in V. 9 die Fortsetzung des Hymnus“ suche (191 f). Für die Auflösung von V. 9a sieht er darum nur diese Alternative: Entweder sei das Lexem fù" aus V. 8 das Subjekt, so daß der Gedankenfortschritt lediglich da rin bestünde, daß das Licht, von dem Johannes zeugte, jetzt als das wahre qualifiziert werde – nach der feierlichen Einführung des Johannes und der Zweckbestimmung seines Zeugnisses durch ºna p›nte" piste‚swsin diû a§toú eigentlich mehr Tautolo78
Der Prolog
1,8–9
gie als Fortschritt –, oder aber die Wendung tÖ fù" tÖ ülhjin∙n sei „als prädizierte Anapher aus V. 8“ selbst das Subjekt des Satzes, der dann so zu übersetzen wäre: „Das wahre Licht war das, welches jeden Menschen erleuchtet …“, wobei der Relativsatz „die Position des Prädikatsnomens“ einnähme „und das Wesen des ‚wahren Lichtes‘ sozusagen“ definiere (192). Doch angesichts des betont vorangestellten Prädikats én, das zudem noch signifikant dem o§k én von V. 8 entgegengestellt ist, kann bei tÖ fù" tÖ ülhjin∙n von einer Anapher ja wohl ebensowenig die Rede sein wie es das imperfektische én erlaubt, hier von einer „Definition“ zu sprechen. Bei allem unbestreitbaren Recht von Theobalds Insistieren auf dem methodischen Primat der Synchronie scheint uns jedoch der implizite Prologautor seinem Leser ein weit höheres Maß des Mitdenkens zuzumuten und zuzutrauen. Daß l∙go", fù" und zwfl austauschbare Prädikate sind, und daß dem Menschen, der nicht das Licht war, nur eine personale Größe als das wahre Licht entsprechen kann, hat er längst begriffen. Das maskuline a§t∙n von V. 10c wird ihm die Richtigkeit dieser „Divination“ bestätigen, zumal die Annahme eines völlig unvermittelten Subjektwechsels innerhalb von V. 10 ja wohl noch entschieden schwieriger zu begründen wäre. Und da jeder divinatorische Akt seine Bestätigung oder Infragestellung stets erst durch die weitere Lektüre erfahren kann, geht Theobalds Einwand, der Hinweis auf V. 10 widerspreche „der unumkehrbaren Linearität des Textes, an die jeder Hörer gebunden“ sei, ins Leere. Wir bleiben also dabei: Subjekt von V. 9 ist der l∙go", und wie im Eingang des Prologs ist in dem én wiederum ein ist ebenso wie ein wird sein eingeschlossen. „Er war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“. Der gelegentlich nahezu synonyme Gebrauch der Adjektiva ülhjin∙" und ülhjfl" – vgl. etwa 19,35 mit 21,24 – darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Joh in der Regel streng zwischen ihnen unterscheidet. tÖ fù" tÖ ülhjin∙n ist nicht das wahre im Unterschied zu den falschen, sondern das vollkommene und authentische Licht im Gegensatz zu den unvollkommenen, vorläufigen und schattenhaften Lichtern. Treffend definiert Trench (Synonyms z. St.): „The ülhjfl" fulfils the promise of his lips, but the ülhjin∙" the wider promise of his name“. In diesem Sinn ist Christus nicht das wahre und einzige Licht, sondern eher das vollkommene Licht, „in whose radiance all other lights seem dim, the Sun among the stars which catch their light from him“ (Bernard, Komm. I, 11). Bleibt uns noch die Erörterung der den Vers beschließenden partizipialen Klausel: †rc∙menen e¢" tÖn k∙smon, deren Funktion nicht weniger umstritten ist als der eben besprochene Hauptsatz. Wegen des präsentischen Tempus von †rc∙menon und der Anfügung dieser partizipialen Bestimmung an den Relativsatz plädieren viele Ausleger dafür, sie auf p›nta ±njrwpon zu beziehen, dabei wohl mehr oder weniger unbewußt im Sog der Vulgata mit ihrem: hominem venientem etc. (vgl. Theobald 192). Doch die Näherbestimmung des Menschen als eines solchen, der in die Welt kommt ist überflüssig und banal. Und daß die Rabbinen das Morphem Menschen gelegentlich metaphorisch mit alle, die in die Welt kommen (µlw[h yab lk) umschreiben können, ist keine ernsthafte Erklärungsmöglichkeit. Und das ist sie selbst dann nicht, wenn man Bultmanns Postulat einer aramäischen Urfassung des Logoshymnus, der dem Prolog vermeintlich zugrunde liegen soll, folgen und dessen Übersetzer die ebenso überflüssige wie störende Hinzufügung des Morphems ±njrwpon zuschreiben wollte (Komm. 31 f). Denn rabbinisch ist die besagte „Mensch“ umschreibende Wendung „ausschließlich im Plural“ belegt (Hofius, Logos-Hymnus 9 f, der †rc∙menon e¢" tÖn 79
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Der Prolog
k∙smon als Entsprechung des anderen rabbinischen Ausdrucks µl[l awb ‚ins Dasein treten‘ freilich gleichwohl auf ±njrwpon beziehen und übersetzen will: „…, das jeden Menschen erleuchtet, der ins Dasein tritt“; ebd. 10). Doch für eine aramäische oder hebräische Urfassung einer dem Prolog zugrunde liegenden Quelle gibt es – trotz Geses neuerem Versuch ihrer „Retroversion“ ins Hebräische (157 ff) – keinerlei ernstzunehmende Indizien; vgl. Barrett, Prologue 6 f; Komm. 178 f. Vor allem aber ist die Wendung †rc∙menon e¢" tÖn k∙smon in unserem Evangelium eine nahezu fest geprägte christologische Formel, wie Joh 12,46; 6,14; 11,27; 16,28 und 18,37 erweisen; (vgl. Schottroff, Glaubender 231; Cassem, k∙smo" 84). Sie ist auf das den Relativsatz einleitende Pronomen Ω als Vertreter des Prädikatsnomens tÖ fù" tÖ ülhjin∙n zu beziehen und als modale Bestimmung des Verbums fwt‡zein durch ein participium conjunctum zu begreifen (B-D-R § 418,5). Der ganze Satz wäre dann so zu paraphrasieren: Der Logos war das wahre Licht, das bei seinem Kommen in die Welt jeden Menschen erleuchtet (vgl. Borgen, Logos 108 f; Theobald 192 f). Da „eine constructio periphrastica én †rc∙menon ktl. nicht in der Weise“ gebildet werden kann, „daß ein ganzer Relativsatz dazwischentritt“, und da dies zudem „dem dreistichigen Versaufbau Schaden“ zufügte, dürfen wir mit Gese (164 f) in dieser Auflösung der Satzkonstruktion eine weitere Bestätigung dafür sehen, daß in dem satzeröffnenden Prädikat én der l∙go" als sein Subjekt steckt. Der Relativsatz, ≈ fwt‡zei p›nta ±njrwpon, nimmt die Aussage von V. 4, kaÑ ™ zwÉ én tÖ fù" tùn ünjr„pwn wieder auf, verbalisiert sie durch das bei Joh nur hier vorkommende fwt‡zw und präzisiert sie insofern, als jetzt explizit gesagt wird, daß dieses ‚Erleuchten der Menschen‘ beim geschichtlichen Eintritt des l∙go" in der Welt geschieht. Wegen der durch p›nta ±njrwpon markierten unbeschränkten Reichweite und Wirkung des fwt‡zein hat Bonsack der Identifizierung von tÖ fù" tÖ ülhjin∙n mit dem irdischen Jesus entschieden widersprochen (63 f). Denn wenn gelte: „Der geschichtliche Logos als der irdische Jesus und Offenbarer, für den der Täufer damals am Jordan und heute in der Gemeindeverkündigung Zeugnis ablegt, ist allein das wirkliche Licht. Dieses Licht ist absolut und exklusiv“ (Schulz, Komm. 23), dann könne Jesus doch unmöglich zugleich das Licht sein, auf das sich der Relativsatz, ≈ fwt‡zei p›nta ±njrwpon, beziehe. Denn in eklatantem Widerspruch zum unmittelbar folgenden V. 10 und zu vielen signifikanten Partien des Evangeliums werde hier dann ja von Jesus behauptet, „er eröffne jedem Menschen das wahre Wesen Gottes, er gebe jedem die zwÉ a¢„nio", sein Wort werde von jedem verstanden, seine Doxa von allen gesehen“. Dagegen werde aber noch 3,16, „wo die Zuneigung zum Kosmos am stärksten ausgedrückt ist, … ausdrücklich einschränkend“ gesagt: pô" ¨ piste‚wn (63). Weil ≈ fwt‡zei p›nta ±njrwpon nur entweder „das Licht, das jeden Menschen ins Licht stellt (beleuchtet), das jedem Menschen das (natürliche, schöpfungsgemäße) Sehen ermöglicht“, oder aber „das Licht, das jeden Menschen (innerlich) erleuchtet“, bedeuten könne, stellt Bonsack den sich abzeichnenden Konsensus darüber, daß „mit dem Ausdruck ‚das wahre Licht‘ der Logos ensarkos, Jesus, genannt ist“ erneut in Frage. Darin, daß man den von ihm so scharf markierten Gegensatz nicht mit der Umschreibung, es handele sich um ein bloßes „Heilsangebot“ für alle Menschen, „verharmlosen“ sollte, hat Bonsack sicher recht. Wie 3,16 f und 12,47: o§ gÅr éljon ºna kr‡nw tÖn k∙smon, üllû ºna s„sw tÖn k∙smon, ist vielmehr die Rede von Gottes eschatologischem Heilsziel, das sich unserer Aussagenlogik widersetzt und nicht auf die Kategorien von Angebot und Nachfrage 80
Der Prolog
1,9–11
heruntergebracht werden kann. Dennoch wird man von dem Präsens fwt‡zei wohl sagen müssen, daß es „keinen anderen Sinn (hat) als das fa‡nei V. 5; es besagt, daß der fleischgewordene Logos der Offenbarer ist, ohne Rücksicht darauf, ob und inwieweit sich die Menschen seiner Offenbarung erschließen“ (Bultmann, Komm. 32 f). Und entsprechend wird von dem p›nta ±njrwpon gelten, daß es von dem Ωsoi ≤labon a§t∙n (V. 12) aus verstanden werden muß und insofern berechtigt ist, „als gesagt sein soll, jeder Mensch, der überhaupt Licht empfängt, hat es vom Logos. Es gibt keine andere Quelle“ (Bauer, Komm. 19). 10: †n tù k∙smw én, kaÑ ¨ k∙smo" diû a§toú †gfineto, kaÑ ¨ k∙smo" a§tÖn o§k ≤gnw: Auch wenn †n hier wie V. 1 u. 4 einen Neueinsatz markiert, nimmt der Satz, †n tù kosmù én, mit dem Lexem k∙smo" gleichwohl die soeben erörterte Wendung vom „Kommen des l∙go" als des vollkommenen Lichtes in die Welt“ in Gestalt eines Stufen-Parallelismus auf, formuliert zugleich das Resultat dieses Kommens (én) und bestätigt so, daß die Partizipialwendung tatsächlich auf den l∙go" als das wahre Licht und nicht auf ±njrwpon zu beziehen war. Hieß es in V. 3 p›nta diû a§toú †gfineto, so ist, nachdem V. 9 den Blick von diesem neutralen und allumfassenden p›nta auf alle Menschen gerichtet hatte, an dessen Stelle jetzt das Lexem k∙smo" getreten, das hier, wie das Prädikat o§k ≤gnw unzweideutig anzeigt, der spezifischen Bezeichnung der Men‑ schenwelt dient. Die erschreckende Pointe dieses wiederum dreigliedrigen Verses liegt in seinem verneinten dritten Satz: kaÑ ¨ k∙smo" a§tÖn o§k ≤gnw. Obgleich der l∙go" im k∙smo" „war“ und unter den Menschen lebte, die ihm ihr Dasein verdanken samt allem, was sie dazu brauchen (kaÑ ¨ k∙smo" diû a§toú †gfineto), haben sie ihm dennoch undankbar die Anerkennung versagt. Daß es sich bei dem o§k ≤gnw, biblischem Sprachgebrauch entsprechend, um das Versagen der Anerkennung des fremden Anderen und nicht einfach um einen intellektuellen Defekt handelt, zeigt das o§ parfilabon des im parallelismus membrorum folgenden Satzes (V. 11). 11: e¢" tÅ ¥dia éljen, kaÑ o´ ¥dioi a§tÖn o§ parfilabon: „Und er kam in seine (judäische) Heimat, doch selbst seine eigenen Landsleute (die Juden) nahmen ihn nicht auf “. Im Gegensatz zu den vorausgehenden dreigliedrigen Satzgebilden fehlt hier ein drittes Glied. Hat dem Autor da etwa der Schock darüber buchstäblich die Sprache verschlagen, daß selbst seine jüdischen Landsleute gegen das Zeugnis ihrer heiligen Schrift (5,29; 1,45; 5,46) und entgegen allen Erwartungen ihren Messias nicht aufgenommen, sondern abgewiesen und endlich gar der heidnischen Weltmacht Rom zur Hinrichtung ausgeliefert haben? Doch ehe sich diese vorerst reichlich spekulativ erscheinende Frage beantworten läßt, muß zunächst das Recht der oben gegebenen Paraphrase unseres Verses begründet werden. Denn mit ihr widersprechen wir einem relativ breiten Konsensus derjenigen Exegeten, die V. 10 u. 11 in synthetischem par‑ allelismus membrorum zueinander begreifen und dementsprechend die Synonymität der Syntagmen †n tù k∙smw én mit e¢" tÅ ¥dia éljen sowie von ¨ k∙smo" a§tÖn o§k ≤gnw mit o´ ¥dioi a§tÖn o§ parfilabon behaupten (so exemplarisch Bultmann, Komm. 37 f mit Anm. 7; sowie Theobald, Fleischwerdung 233 ff). Kritisch ist dazu jedoch zu bemerken, daß sich nirgendwo im Prolog derart platte Redundanzen finden, so daß einfach dasselbe mit anderen Worten noch einmal gesagt würde. Vielmehr wird in allen Folgesätzen – sei es im Stufenparallelismus, sei es durch das Mittel des Kontrastes – stets ein Stück neuer Information eingeführt (vgl. Zahn 72). Diese neue Information dürfte im Fall von V. 11 in den beiden neu eingeführten 81
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Der Prolog
Lexemen tÅ ¥dia und o´ ¥dioi stecken, die wir oben auf das jüdische Land und Volk bezogen haben; (vgl. Brown I, 30: „Verse 11 is not synonymous with 10 …, but marks a narrowing down of the activity of the Word to Israel“). Bultmann hat dem widersprochen und kategorisch erklärt: „tÅ ¥dia kann hier nicht wie 16,32; 19,27; Act 21,6 ‚Heimat‘ heißen …, sondern nur ‚Eigentum‘ … Die ¥dioi sind ‚die Seinen‘, die ihm als Schöpfer gehören“ (34 f). Das scheint uns jedoch weniger ein Argument als vielmehr ein Dekret zu sein, zumal sowohl in LXX als auch im NT e¢" tÅ ¥dia stets „nach Hause“ oder „in die Heimat“, nie aber: „in sein Eigentum“ heißt (vgl. Pryor, Jesus and Israel 208 f). Mit zahlreichen Belegen aus der profanen wie religiösen Sprache der Zeit plädiert auch Bauer (Komm. 20 f) für diese Bedeutung. Den „Gedankenfortschritt“ sieht er allein darin, daß der Kosmos jetzt als die Heimat des l∙go" qualifiziert werde und die Menschen als seine Angehörigen. Der unausgesprochene Grund, der Bultmann die Bedeutung „Heimat“ verwerfen läßt, dürfte wohl in seiner Identifikation der ¥dioi mit dem k∙smo" und darin stecken, daß es ihm – anders als Bauer – widersinnig erscheinen muß, den k∙smo" die Heimat des l∙go" zu nennen in einem Evangelium, das diesen durchweg als den „Fremden aus dem Himmel“ (de Jonge) darstellt, aus dem er herabgekommen ist und in den er als Verherrlichter heimkehren wird zu seinem Vater. Aber darf man dem (gnostischen) Mythos vom himmlischen Offenbarer denn eine derartige Prävalenz über die „Fleischwerdung“ des l∙go" einräumen (s. u. zu 1,14)? Ist ein fleischgewordener basileÜ" toú ûIsrafll (1,49) ohne eine konkrete Heimat im verheißenen Land seiner Väter überhaupt denkbar? Und hat sich hier das Paradox, von dem Bultmann bei seiner Auslegung der V. 1 u. 14 zu Recht spricht, nicht zu Unrecht in eine gnostische Doxa aufgelöst? U. E. geht der von Bultmann (35) erhobene und von Jervell, Theobald (Fleischwerdung 234), Hofius (Logos-Hymnus 21 f) u. a. wiederholte Einwand, tÅ ¥dia und o´ ¥dioi könne sich darum nicht auf Israel und das jüdische Volk beziehen, weil die LXX dieses stets als laÖ" perio‚sio", nie aber als laÖ" ¥dio" bezeichne, völlig ins Leere. Denn das von per‡eimi bzw. perious‡a abgeleitete Lexem perio‚-sio" ist nur sehr spärlich belegt. Es dient entweder der Bezeichnung von Personen als besonders wohlhabend oder – zumal in religiösen Kontexten – als vor anderen Auserwählten (vgl. LiddellScott s. v.). Wie Ex 19,5; 23,22; Dt 7,6 etc. in fester Verbindung mit la∙" und in absichtsvollem Spiel mit diesen biblischen Texten kommt es im NT nur Tit 2,14 vor. Im Gegensatz dazu drückt ¥dio" stets die besondere Beziehung eines Subjekts zu Dingen oder Personen aus (vgl. Joh 1,41; 4,44; 5,18; 8,44; 10,3 f. 12; 13,1; 15,19; 16,32; 19,27). Deshalb sieht Gese (184) ganz richtig, daß tÅ ¥dia bzw. o´ ¥dioi in V. 11 nicht ein perio‚sio" vertritt, sondern an Stelle eines hebräischen µ[ mit Suffix steht, wobei hier aber wegen der Scheidung zwischen denen, die den Logos abwiesen, und denen, die ihn aufnahmen (V. 11 f), „natürlich der Volksbegriff vermieden“ wird. Darum sollte es „keine Frage sein, daß nach der Menschheit (V. 10) hier in V. 11 nur von Gottes Eigentumsvolk, Israel, die Rede sein kann, zu dem der Logos ‚kam‘ (éljen), was auf den heilsgeschichtlichen Vollzug im Unterschied zur sozusagen ‚natürlichen‘ Gegebenheit (én) weist. Dem Kommen entspricht das Aufnehmen, (als?) die die personale Verbundenheit stärker zum Ausdruck bringende Kategorie“ (Gese 166; vgl. auch Rissi, Hochzeit 83; Lausberg verweist auf Joel 2,18 als nahe Analogie: „Da geriet der k‚rio" in Eifer für sein Land [tÉn gÉn a§toú] und verschonte sein Volk [†fe‡sato toú laoú a§toú]“ 228). Auch wenn wir Geses heilsgeschichtlicher Prologdeutung 82
Der Prolog
1,11
und seiner Beschränkung von Joh 1,1–13 auf das Wirken eines „vorinkarnatorischen Logos“ in der Geschichte Israels nicht zu folgen vermögen, ist seine Argumentation zu 1,10 f schlüssig. Im gleichen Sinn und mit sicherem Gespür für das Gewicht des doppelten ¥dio" hatte schon Luther erklärt: „Er nennet die Juden seyn eygen volck. Darumb, daß sie auß aller welt erwellet waren zu seynem volck, und yhn vorsprochen war zu Abraham, Isaak, Jakob und Dauid. Denn uns heyden ist nichts vorsprochen, frembd und von Christo. Darumb sind wir nit seyn eygen genennet“ (226). So ist also das Thema von V. 11 das Kommen des l∙go", sein neues Rhema aber dessen spezifische Relation zu dem tÅ ¥dia genannten Bereich innerhalb des k∙smo", Israel, und zu den o´ ¥dioi Benannten, den Juden. Lindars bezieht unseren Vers schwerlich zu Recht auf das Wirken eines l∙go" ±sarko" in der Geschichte. Zugleich sucht er beiden Seiten gerecht zu werden, indem er tÅ ¥dia auf k∙smo", o´ ¥dioi aber auf Israel bezieht. Und da e¢" tÅ ¥dia éljen wegen des Aorist auf ein bestimmtes Geschehen in der Zeit verweisen muß, läßt er den Logos unter Berufung auf Sir 24,7 f in die Welt kommen zur Erwählung des Volkes Israel, das ihm jedoch, wie das AT ja vielfach zeige, die Aufnahme verweigert habe. Diese Konstruktion, die tÅ ¥dia und o´ ¥dioi recht willkürlich völlig verschiedene Referenten zuweist, basiert allein auf der kühnen, aus keiner Silbe des Textes begründbaren und auch Sir 24 fremden Konjektur, daß der Logos zur Erwählung Israels in die Welt gekommen sei. Daß dem Autor dabei selbst nicht so recht wohl ist, zeigt das einschränkende „primarily“ des folgenden Satzes: „But it (sc. der Aorist éljen) does not mean primarily the Incarnation, but the choice of Israel as God’s special people“ (90). Mit dem zur Bedeutung von ¥dio" Gesagten, ist im Grunde auch der weitere Einwand schon erledigt, daß nämlich im Corpus des Evangeliums gerade nicht die Juden, sondern vielmehr Jesu Jünger als seine ¥dioi bezeichnet werden (13,1; 10,3 f. 12; 17,6). Doch einmal sind die erzählten Jünger allzumal Juden und ¥dioi gerade als solche, von denen gilt: ¥de ülhjù" ûIsrahl‡th" (1,47). Und zum anderen erzählt das Evangelium ja die Geschichte davon, wie Jesus sich aus der Masse der ihn abweisenden „Seinen“ heraus, diejenigen erwählte und ihnen die Vollmacht gab, „Gottes Kinder zu werden“, die bei seinem Abschied „die Seinen“ heißen, und die er seine „Freunde“ (15,15) und endlich gar seine „Brüder“ nennt (20,17). Der Konzentrationsbewegung vom k∙smo" hin zu den „Seinen“ entspricht auch die Abfolge von Ur‑ und Vätergeschichte der Genesis. Zudem hat sie in den Abschiedsreden eine gewisse Analogie. So wird etwa 15,8 ff der Haß des k∙smo" auf die Jünger thematisiert. Fast unvermittelt ist dann aber in dritter Person Plural von denen die Rede, die Jesus verfolgt haben. Durch ein Zitat aus „ihrem Gesetz“ und Jesu Voraussage: „Sie werden euch aus der Synagoge ausschließen“ (15,25–16,4) werden diese „Sie“ dann implizit eindeutig als „die Juden“ erkennbar, ohne daß sie jedoch einfach mit dem k∙smo" identifiziert würden. Sie erscheinen vielmehr in gewisser Weise als dessen Repräsentanten. Die Art dieser Repräsentanz, die mit Israels Erwählung zusammenhängt, muß die weitere Auslegung im Auge behalten. Gegen meinen Versuch, die Identität der ¥dioi mit den Juden über den Prolog hinaus auch aus der ihm folgenden evangelischen Erzählung zu begründen (vgl. Thyen, Das Heil kommt von den Juden), hat Theobald eingewendet, es sei „methodisch … problematisch, semantische Ambivalenzen im Prolog vom Corpus des Evs her aufzulösen“ (Fleischwerdung 234). Bei einem
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nach seiner eigenen Erklärung dem Primat der Synchronie verpflichteten Textinterpreten ist das jedoch ein unverständliches Urteil. Denn wie soll je ein Leser – sei er nun ein naiver Erstleser oder auch ein die eigene Lektüre kritisch reflektierender Exeget – anders mit einem literarischen Werk umgehen als so, daß seine anfänglichen Vermutungen oder Hypothesen sich durch seine weitere Lektüre entweder bestätigen oder aber als unhaltbar erweisen müssen. In diesem Sinne hatte ich in Jesu Wort, „Das Heil kommt von den Juden“ (4,22), in der für unser Evangelium fundamentalen Kategorie des Messianischen (9,22; 20,31), in der zentralen und hochsymbolischen Rolle Judäas und zumal Jerusalems, das hier im Gegensatz zum synoptischen Nazaret die ¢d‡a patr‡" Jesu (4,44) ist und dessen Tempel er das „Haus meines Vaters“ nennt (2,16), nach Spuren der Bestätigung für die Identifikation der ¥dioi von 1,11 mit den Juden gesucht. Theobald spielt diese Spuren jedoch herunter, wenn er entgegnet: „Der Grund dafür“ sei in Jesu „messianischem Anspruch zu suchen, den das Evangelium akzeptiert (vgl. 1,49; 4,25 f; 10,24 f; 12,13; 20,31), den es im Rahmen seiner Sohnes-Christologie aber auch entscheidend transzendiert“ (Fleischwerdung 235 f; Hervorhebung HTh). Die Kategorien der „Akzeptanz“ und des „Transzendierens“ erscheinen uns jedoch als ein Rückfall auf die Ebene genetischer Fehlschlüsse und der Verwechslung von normativer und faktischer Genese. Denn in einem Evangelium, das eigens dazu geschrieben wurde, „daß ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und als derart Glaubende das ewige Leben bewahrt“ (20,31), kann doch von einem bloßen Akzeptieren eines „messianischen Anspruchs Jesu“ nicht die Rede sein. Solange die messianische Sohnes-Christologie des Joh nicht als „ungenähter, von oben bis unten aus einem Stück gewebter Rock“ begriffen wird, ist der Weg zur erstrebten Ebene der Synchronie noch weit (zur Deutung von tÅ ¥dia und o´ ¥dioi vgl. auch Lips 303 f).
12: Ωsoi dÇ ≤labon a§t∙n, ≤dwken a§toõ" †xous‡an tfikna jeoú genfisjai, toõ" piste‚ousin e¢" tÖ µnoma a§toú: Allen jedoch, die ihn aufnahmen, gab er die Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen (nämlich), die an seinen Namen glauben. Das den Satz einleitende Pronomen Ωsoi gibt zu verstehen, daß die nun Genannten dem k∙smo" und den ¥dioi zugehören: Sie sind „derselben Regel unterworfen wie alle Anderen (und) der massa perditionis an sich durchaus angehörig“ (Barth 232). Stellten sie nämlich ihnen gegenüber etwa eine besondere Klasse von Pneumatikern oder Himmelsmenschen dar, so müßte den Relativsatz ein finites o´ dfi als Gegensatz zu den zuvor durch den Artikel definierten o´ ¥dioi eröffnen (vgl. Lausberg, Prolog 230). Darüberhinaus zeigt auch die Aufnahme und Fortführung der negativen Prädikate o§k ≤gnw und o§ parfilabon (V. 10 f) durch das jetzt ins Positive gewendete und mit dem letzteren synonyme Simplex ≤labon, daß es unter den ¥dioi ebenso wie im k∙smo" dennoch solche gab, die vom Verhalten der Masse abwichen und den l∙go" aufnahmen. Im Unterschied zu dem für das Aufnehmen und Beherbergen eines Gastes gebräuchlichen Lexem dficesjai haftet lamb›nein hier wie 5,43; 13,20 u. ö. das Moment der Anerkennung der Autorität des Aufgenommenen an (vgl. Bauer, WB s. v.). Damit bildet es den exakten Gegensatz zu dem vorausgegangenen o§k ≤gnw als der Verweigerung solcher Anerkennung. Zum ersten Mal im Prolog wird dieser Gegensatz – bisher, wie etwa 1,5, gelegentlich in dem verbindenden ka‡ impliziert – hier nun durch den Einsatz der adversativen Partikel dfi auch ausdrücklich expliziert. Und mit dieser Antithese zu den beiden vorausgegangenen Versen geht der Prolog zugleich über die im Evangelium erzählte Geschichte Jesu hinaus. Denn erst seit „das Weizenkorn seiner göttlichen Bestimmung gemäß in die Erde gefallen und gestorben ist“, gehören zu denen, „die ihn aufnahmen“, als seine „vielfältige Frucht“ auch solche, die, im k∙smo" zerstreut, zuvor Fremde und nicht seine ¥dioi waren. Zusammen mit den Glaubenden aus dem Gottesvolk sind sie, die „Nicht-Sein-Volk“ waren, sein 84
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erwähltes Eigentum und „Gottes Kinder“ geworden (vgl. Zahn z. St.; u. s. u. zu 11,50–52). Zwar sind die Ωsoi als bestimmte und zählbare Individuen deutlich von der gesichtslosen Masse des k∙smo" und der ¥dioi abgehoben, doch davon, daß „die wahre Religion … eben stets eine Sache der kleinen Schar“ ist (Bauer mit zahlreichen Belegen z. St.) ist nichts gesagt. Das alleinige Thema, das durch derartige Erwägungen nicht verdunkelt werden darf, ist vielmehr das Wirken des Logos und sein Sieg: Trotz aller Hindernisse und Anschläge war sein Kommen in seine Heimat nicht vergeblich; unauslöschlich scheint sein Licht fortan in der Finsternis. Erst recht aber verlautet auch davon nichts, „daß die gläubige Annahme Jesu … eine unerläßliche Bedingung und Voraussetzung dafür (wäre), daß Jesus einem Menschen die Fähigkeit verleihe, ein Gotteskind zu werden“ (Zahn z. St.). Der einleitende Relativsatz, Ωsoi dÇ ≤labon a§t∙n, dient vielmehr als Nominativ pendens allein der Näherbestimmung derer, denen der l∙go" die †xous‡a verlieh, Gottes Kinder zu werden. Hier muß der Hauptsatz auch die Hauptsache bleiben. Und dessen Prädikat, ≤dwken (a§toõ") †xous‡an, bringt, wie Sir 17,2; Joh 5,27 u. ö., nicht eine bloße „Befähigung“ zur Sprache und räumt auch nicht lediglich eine „Möglichkeit“ ein, sondern es beschreibt den gültigen Rechtsakt, der den Ωsoi die partnerschaftliche Freiheit eröffnete, Gottes Kinder zu werden (s. u. zu 8,31 ff u. vgl. Lausberg, Prolog 230). Als solche sind sie fortan ermächtigt zu bekennen: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, daß wir Gottes Kinder heißen sollen und das auch (tatsächlich) sind!“ (1Joh 3,1). Durch die beiden den Hauptsatz rahmenden Nebensätze werden diese Bekenner zweifach näherbestimmt, nämlich einmal als diejenigen, die den Logos „aufnahmen“ und zum anderen als die, „die an seinen Namen glauben“. Beide Näherbestimmungen interpretieren sich wechselseitig. Das ganze Satzgefüge aber beschreibt unter wechselnden Aspekten nur einen einzigen Akt. Darum sind das „Aufnehmen des Logos“ und das „Glauben an seinen Namen“ weder Bedingung solcher Bevollmächtigung, noch ist diese die Ursache solchen Verhaltens. Die hier hymnisch ausgesprochene Erfahrung des Glaubens und der Liebe Gottes ist in die Sprache der überlieferten Metaphysik und ihres Gottesbegriffs schlechterdings unübersetzbar. Jeder derartige Versuch muß in unauflösliche Aporien verstricken. So wird Johannes in Trumbowers Auslegung auf den Spuren Herakleons und Hilgenfelds – der in seinen Augen bisher einzig kongenialen Johannes-Interpreten! – zum gnostischen Künder zweier seit Ewigkeit entweder zum Heil oder zum Verderben vorherbestimmter Menschenklassen. Oder aber der Glaube hört auf, die freie und spontane Antwort auf das Wort zu sein, das als schöpferisches freilich solche Freiheit allererst stiftet und zu ihr ermächtigt, und wird zu einer exklusiv den zum Glauben Prädestinierten zufallenden göttlichen Gabe, wie in der Interpretation Bergmeiers (Glaube als Gabe). Im Endeffekt laufen diese beiden Erklärungsmodelle jedoch auf das gleiche Resultat hinaus, darauf nämlich, daß sich in der Welt zwei fundamental voneinander getrennte Menschenklassen gegenüberstehen, deren einer Heil, deren anderer aber Unheil widerfährt. Die Differenz besteht einzig in der unterschiedlichen Begründung dieses Sachverhalts. Nach Trumbower wird Heil allein denen zuteil, die schon zuvor „von oben“ und „aus Gott“ geboren und damit pneumatischen Wesens sind, Unheil jedoch widerfährt allen, die „von unten“, „von der Erde“, die „Fleisch“ und „Kinder des Teufels“ sind. Für Bergmeier dagegen sind alle Menschen „irdisch“ und „von unten“ und allein diejenigen unter ihnen, die zu Heil und Glauben prädestiniert sind, 85
1,1–18
Der Prolog
erfahren das Wunder der neuen Geburt aus Gott. Anders gesagt: Trumbower versteht die Aussagen über das jeweilige eènai †k der Menschen als deren „fixed origins“ von ontologischem Rang und macht sie zum Schlüssel der Erwählungsaussagen. Bergmeier dagegen ontologisiert umgekehrt die doppelte Prädestination der einen zum Heil und der anderen zum Verderben und sieht die eènai-†k-Sprache metaphorisch in deren Dienst gestellt (vgl. Trumbower 78, n. 23). Um es auf den Begriff zu bringen, steht damit den „fixed destinations“ Bergmeiers deren mythische Verdinglichung zu „fixed origins“ bei Trumbower gegenüber. Dieser Gnostisierung gegenüber hat Bergmeier fraglos das größere exegetische Recht. Doch durch ihre ontologischen Fixierungen verderben beide das vom Glauben bestimmte Sprechen unseres Evangeliums. 13: oƒ o§k †x a´m›twn o§dÇ †k jelflmato" sarkÖ" o§dÇ †k jelflmato" ündrÖ" üllû †k jeoú †gennfljhsan. Diese pluralische Wiedergabe des mit V. 12 eng verbundenen Relativsatzes impliziert die textkritische Entscheidung für die Lesart o´ †gennfljhsan, die von sämtlichen griechischen Zeugen unseres Textes einschließlich der frühen BodmerPapyri geboten wird. Unter den Bibelhandschriften ist der relativ späte lateinische Codex Veronensis (itb) aus dem 5. Jh. mit seiner Lesart: „qui non ex … sed ex deo natus est“ der einzige Zeuge eines christologischen Verständnisses unseres Verses. Da jedoch auch gewichtige Zitate und Anspielungen in den Texten der frühen Väter sowie der merkwürdige Befund der syrischen Überlieferung Zeugen dafür sind, daß der Relativsatz ebenso wie im zitierten Codex b bereits gegen Ende des 2. Jhs. nicht auf die Ωsoi ≤labon a§t∙n, sondern auf den in der Wendung e¢" tÖ µnoma a§toú implizierten l∙go" bezogen und dementsprechend christologisch interpretiert wurde, plädiert eine wachsende Zahl von Exegeten mit durchaus ernstzunehmenden Argumenten für die Ursprünglichkeit dieser christologischen Singularlesart. Ja, kraft so prominenter Unterstützung ist sie mittlerweile bereits in den Text der „Jerusalem-Bibel“ vorgedrungen. Mit dieser gewichtigen Diskussion werden wir uns andernorts intensiv auseinandersetzen und der Plurallesart als der wohl ursprünglichen den Vorzug geben. Darum bleiben wir hier bei dem von allen griechischen Handschriften überlieferten Text, oƒ ... †gennfljhsan, den unsere genannte Untersuchung als sinnvoll und kohärent erwiesen hat. Wegen der sachlichen Zusammengehörigkeit von tfikna genfisjai und †gennfljhsan sehen wir das Relativum oº tatsächlich als eine Constructio ad sensum anstelle eines π an. Der auf den ebenfalls im Modus des Aorist stehenden Infinitiv genfisjai bezogene finite Aorist †gennfljhsan ist wie die seit V. 11 vorherrschenden Aoriste „gnomisch gefärbt“ (Lausberg), denn natürlich sagt V. 12 zugleich: „Wer immer ihn auch in Zukunft aufnehmen wird, dem wird er die Vollmacht verleihen etc.“. Dem Sprachgebrauch der LXX entsprechend, die das hebräische Perfekt mit stativer Bedeutung durch den Aorist wiedergibt, haben die Aoriste hier „konfektive Bedeutung“ (vgl. B-D-R § 333, Anm. 6). Von irgendeiner Vorzeitigkeit des †gennfljhsan dem genfisjai gegenüber kann überhaupt nicht die Rede sein. Auch im Blick auf den formalen Aufbau des Prologs, mit seiner chiastischen Zentrierung um die Aussage: ≤dwken a§toõ" †xous‡an tfikna jeoú genfisjai (Culpepper, Pivot), erweist sich die Plural-Lesart als höchst sinnvoll (s. u.). 14a: kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto: Diente das einleitende ka‡ hier einfach nur der Verknüpfung mit dem unmittelbar vorausgehenden und vom gleichen Subjekt regierten V. 13, wie die Verfechter der Singular-Lesart behaupten, so bliebe die nominale Wiederaufnahme des seit V. 1 nicht mehr gebrauchten Lexems l∙go" erst in V. 14 nahezu 86
Der Prolog
1,12–14
unverständlich. Wenn, wie Hofrichter (Blut 133 ff) meint, in V. 13 der Ausgang des Logos aus Gott und in V. 14 sein Eingang bei den Menschen ausgesagt werden sollte, dann wäre doch eher zu erwarten: kaÑ ¨ l∙go" o§k †x a´m›twn o§dÇ †k jelflmato" sarkÖ" ... üllû †k jeoú †gennfljh, kaÑ sÅrx †gfineto ktl. Zudem macht auch der abrupte Übergang aus dem passiven Modus des †gennfljh(san) in das aktive †gfineto eine unmittelbare Verknüpfung der beiden Sätze nahezu unmöglich (vgl. Pryor, Jesus and Israel 303). Ganz offensichtlich übernimmt der Satz, kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto, „die einleitende Fügung kaÑ ¨ l∙go" aus V. 1b“. Dies bedeutet, daß er die „Fortsetzung der Satz-Gruppe 1a–c ist und sozusagen als Vers 1d zu numerieren wäre. Die Versfolge 2–13 ist also eine (‚aufschwellende‘) ‚Epenthese‘ zwischen den in strukturellem Kontakt untereinander stehenden Versen 1 und 14“ (Lausberg, Prolog 238; vgl. Schnelle, Antidoketische Christologie 241). Darum hat Lausberg das einleitende ka‡ treffend als eine redaktionelle Fern-Anknüpfung bezeichnet und auf 1,19 als unmittelbare Analogie aufmerksam gemacht, wo, kaÑ aæth †stÑn ™ martur‡a ktl., über die V. 8–18 hinweg unvermittelt an das e¢" martur‡an ºna marturflsÔh von V. 7 anknüpft (ebd. u. 271 f). Wie in dem Satz: „Er kam in seine Heimat, doch (!) die Seinen nahmen ihn nicht auf “ (V. 11), so dürfte aber auch dem V. 14 eröffnenden ka‡ den beiden vorausgehenden V. 12 u. 13 gegenüber zugleich eine eigentümlich adversative Bedeutung innewohnen. Denn es verbindet ein Paradox mit seiner Umkehrung: Die der Sphäre des genfisjai zugehörigen und ihrer Genese aus Fleisch und Blut verhafteten sterblichen Menschen werden paradoxerweise, was der l∙go" als der monogenfl" vom Vater von Ewigkeit her immer schon war, nämlich „Kinder Gottes“ (V. 12 f; vgl. 1Joh 3,1 f). Er dagegen, der ‚Gott war‘ (V. 1c), begibt sich seiner „Heimat“ im Sein (én) und tritt ein in die Welt des Werdens: kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto (V. 14a): „And now the poem takes its most remarkable turn. For we meet in v. 13 a paradoxical style of becoming (of birth) which is actually a form of being: being born not of the stuff of becoming, being born into being. In v. 14 the paradox is inverted, and we have the violent conceit of incarnation, wasness surrendering to becoming: ‚The Word was made flesh‘. And it is here that for the first time we find egeneto associated with the Word, for the Word which was, in that very poetic sense, now became – became flesh. Such a union of being and becoming must be transient, which is why in the expression ‚dwelt among us‘ the Greek verb really means something like ‚pitched his tent‘, ‚camped‘, as Wisdom did in Ecclesiasticus“ (Kermode, Poet 10; vgl. Lausberg, Prolog 239, u. siehe Sir 24,8 ff). Der durch das anfügende ka‡ ausgedrückte Rollentausch und Gegensatz macht unübersehbar, daß s›rx hier, wie in V. 13, die von Gott fundamental unterschiedene menschliche Natur bezeichnet, und daß das Prädikat †gfineto den ewigen l∙go" dem Werden und Vergehen alles Geschaffenen unterwirft. Auch wenn auf diesem Werden nicht der starke kenotische Akzent von Phil 2,6–11 liegt, ist die Fleischwerdung des l∙go" auch hier gleichwohl seine Erniedrigung und Selbst-Entäußerung. Er, der wie der Vater das Leben „in sich selbst hat“ (5,26), begibt sich auf den Weg des Todes: e¢" tfilo" °g›phsen a§to‚" (13,1; vgl. 19,30: tetfilestai). Das darf freilich nicht so verstanden werden, als hätte er mit der Fleischwerdung sein jeÖ" eènai preisgegeben und seine göttliche d∙xa abgelegt. Im Gegenteil! Gerade in seinem irdischen Weg, der in der Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt gipfelt und darin Gottes Liebe zu seiner Schöpfung vollendet, erscheint seine göttliche d∙xa, so daß seine tiefste „Erniedrigung“ sich denen als „Erhöhung“ und „Verherrlichung“ zeigt, die sie 87
1,1–18
Der Prolog
als den Weg seiner Liebe begreifen. Das Lexem ≠pflkoo", das den Philipper-Hymnus mit dem Satz, †tape‡nwsen ©autÖn gen∙meno" ≠pflkoo" mficri jan›tou, jan›tou dÇ stauroú, förmlich bestimmt (Phil 2,8), fehlt im gesamten Johannesevangelium kaum zufällig. Wenn Jesus hier erklärt: „Niemand vermag mir das Leben zu nehmen. Ich selbst gebe es vielmehr freiwillig hin. Ich habe die Vollmacht, es hinzugeben, wie ich die Vollmacht habe, es wieder zurückzunehmen. Diese Weisung (†ntolfl) habe ich von meinem Vater erhalten“ (10,17 f), kann das Mißverständnis gar nicht erst aufkommen, als sei der Gehorsam des Irdischen bis zum Tode am Kreuz seine mit der Erhöhung durch Gott belohnte Leistung. Phil 2 und Joh 1 interpretieren sich also als die beiden voneinander unablösbaren Seiten der einen Münze wechselseitig und dürfen keinesfalls gegeneinander ausgespielt werden. Darum trifft Kermodes oben zitierte Beschreibung der Fleischwerdung des l∙go" als eine „union of being and becoming“ wohl ins Schwarze. Die Kontroverse zwischen Bultmann (Komm.) und Käsemann (Letzter Wille) um eine sachgemäße Interpretation des gesamten Johannes-Evangeliums zeigt, daß darüber bereits durch die Auslegung des nur diese fünf Wörter umfassenden lapidaren Satzes kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto entschieden wird. Deshalb müssen beider Positionen hier knapp dargestellt und erörtert werden. Bultmanns entscheidende Sätze lauten so: „Als der Fleischgewordene und nur als dieser ist jetzt der Logos da. Das Ärgernis ist also durch das ¨ l∙go" sÅrx †gfineto aufs stärkste betont. Denn so gewiß der Mensch Offenbarung als Geschehen in der menschlichen Sphäre ersehnt und erwartet, so gewiß erwartet er auch – in dem ihn charakterisierenden eigentümlichen Selbstwiderspruch –, daß sich die Offenbarung doch irgendwie ausweisen und auszeichnen müsse. Der Offenbarer muß – so gewiß er in menschlicher Gestalt erscheinen muß – doch etwas Strahlendes, Mysteriöses oder Faszinierendes haben als Heros oder jeõo" ±njrwpo", als Wundertäter oder Mystagoge. Seine Menschlichkeit muß eigentlich nur seine Verkleidung, muß transparent sein; der Blick will sich gerade von der Menschlichkeit wegwenden und die Göttlichkeit sehen oder ahnen, will durch die Verkleidung durchdringen. Oder die Menschlichkeit soll nur die Veranschaulichung, die ‚Gestalt‘ des Göttlichen sein. – Solchem Verlangen zum Trotz heißt es: der Logos ward Fleisch. In purer Menschlichkeit ist er der Offenbarer. Gewiß, die Seinen sehen auch seine d∙xa (V. 14b); und wäre sie nicht zu sehen, so könnte ja von Offenbarung nicht die Rede sein. Aber das ist die Paradoxie, die das ganze Evg durchzieht, daß die d∙xa nicht neben der s›rx oder durch sie, als durch ein Transparent, hindurch zu sehen ist, sondern nirgends anders als in der s›rx, und daß der Blick es aushalten muß, auf die s›rx gerichtet zu sein, ohne sich beirren zu lassen, – wenn er die d∙xa sehen will. Die Offenbarung ist also in einer eigentümlichen Verhülltheit da“ (40 f). Käsemann bestreitet dagegen das Recht, mit dem die Aussage, ‚Das Wort ward Fleisch‘, „so gut wie überall zum Zentrum und eigentlichen Thema des Evangeliums“ erhoben wird. Dieses „eigentliche Thema“ sieht er vielmehr in der Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit durch einen Jesus, dessen „Fleisch“ nur das Inkognito eines „über die Erde schreitenden Gottes“ ist. Deshalb charakterisiert er die Christologie des Evangeliums als „naiven Doketismus“ (61 f.98.145.158). Von der Aussage, „Das Wort ward Fleisch“, sagt er: „Natürlich eröffnet und begründet sie die Möglichkeit, eine irdische Geschichte Jesu zu schreiben. Doch muß man fragen: In welchem Sinne ist derjenige Fleisch, der über die Wasser und durch verschlossene Türen geht, seinen Häschern ungreifbar ist, am Brunnen von Samaria, müde einen Trunk verlangend, 88
Der Prolog
1,14
gleichwohl nicht zu trinken braucht und eine andere Speise hat als die, für welche seine Jünger sorgen? Von den Menschen wird er nicht getäuscht, weil er auch ohne ihre Worte ihr unzuverlässiges Innere(s) kennt. Er disputiert mit ihnen aus der unendlichen Distanz des Himmlischen heraus, hat weder das Zeugnis des Mose noch das des Täufers für sich nötig, distanziert sich von den Juden, als wären sie nicht sein Volk, und von seiner Mutter als der, welcher ihr Herr ist. Er läßt Lazarus ungerührt vier Tage lang im Grabe liegen, damit das Wunder der Auferweckung größer wird, und geht freiwillig und als Sieger in den eigenen Tod. … Wie paßt das alles zu einer realistischen Auffassung der Fleischwerdung? Meint die Aussage, daß das Wort Fleisch ward, wirklich mehr, als daß es in die Menschenwelt hinabstieg, mit dem Irdischen in Berührung kam und so Begegnung mit ihm möglich wurde? Steht sie nicht ganz im Schatten der anderen Aussage: ‚Wir sahen seine Herrlichkeit‘, durch die sie erst inhaltlich gefüllt wird?“ (Letzter Wille 27 f; ähnlich argumentiert U. B. Müller, Menschwerdung 44 ff). Im Gegensatz zu Käsemann legen u. a. Bauer (Komm. 23), Bornkamm (117), Schnackenburg (Komm. I, 155.243 f) und Schnelle (242) sowie Richter (Studien 149 ff), Langbrandtner (38 ff) und damals noch Thyen (ThR 39, 227 f) Joh 1,14 als antidoketistische Polemik aus. Dabei sehen die letzteren – wie ich heute überzeugt bin – jedoch zu Unrecht die V. 14–18 als die sekundäre Ergänzung des Prologs durch einen johanneischen Redaktor an, der sich damit gegen eine doketistische Auslegung des Evangeliums zur Wehr setze. Schnelle versucht sein Verständnis von V. 14a „als bewußte Polemik gegen Doketen“ durch eine höchst eigenwillige Auslegung des folgenden kaÑ †skflnwsen †n ™mõn zu bestätigen: Unter Verweis auf Sap 9,15; 2Kor 5,1.4; 2Pt 1,13 f sowie auf TriProt (NHC XIII/47,14 f) erklärt er: „Hier bezeichnet skhnoún den vergänglichen Menschenleib …, so daß V. 14b eine Steigerung der Inkarnationsaussage in V. 14a darstellt“ (242 f; ähnlich W. Bauer, Komm. 24). Davon abgesehen, daß das Verbum skhnoún – anstelle des gelegentlich in diesem Sinne gebrauchten No‑ mens skhn∙" – schwerlich den „vergänglichen Menschenleib“ bezeichnen kann, läßt auch die lokale Bestimmung †n ™mõn diese Deutung keinesfalls zu (s. u. zu V. 14b). Eine besondere Spielart der antidoketistischen Auslegung von Joh 1,14 bietet Theobald, der die vermeintlichen Doketisten als die Vertreter einer „dualistischen Taufchristologie“ identifizieren will. Doch diesem relativ breiten Konsensus gegenüber muß gesagt werden, daß dem Bekenntnis kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto noch nicht jener antidoketistische Akzent innewohnt, der ihm im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte alsbald zugewachsen ist. Denn eine solche Akzentuierung setzte ja voraus, daß Jesu leibhaftige Existenz in der Umgebung des Evangeliums als bloßer Schein angesehen worden wäre. Dafür fehlt aber auch das entfernteste Indiz. Im Gegenteil! Gerade Jesu bloßes Menschsein, seine unbedeutende Herkunft aus Nazaret, ist ja der Grund dafür, daß seine jüdischen Gegner ihn wegen seines göttlichen Anspruchs der Blasphemie zeihen und verwerfen. Ja, nur weil das Menschsein Jesu für den Erzähler seiner Geschichte wie für Jesu darin erzählte Gegner fraglose und unangefochtene Voraussetzung ist, kann er all seine Kunst darauf verwenden, seinem impliziten Leser das einzigartige göttliche Wesen dieses Menschen als des vom Vater gesandten Sohnes zu zeigen. Darin liegt die particula veri von Käsemanns Bild des johanneischen Jesus, das er freilich zu Unrecht neben anderen Zügen um die gesamte und gerade für dieses Evangelium zentrale Passionsgeschichte sowie um seine Intertextualität mit den synoptischen Evangelien verkürzt hat. 89
1,1–18
Der Prolog
14b–e: kaÑ †skflnwsen †n ™mõn, kaÑ fijeas›meja tÉn d∙xan a§toú d∙xan Æ" monogenoú" parÅ patr∙", plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a". Das Lexem ka‡, das diese beiden Sätze samt der ihnen folgenden Definition der d∙xa unmittelbar mit V. 14a verknüpft, macht deutlich, daß hier nicht etwa die sinnliche Phänomenalität des Göttlichen in einem Menschen wahrgenommen wird. Gepriesen wird vielmehr die d∙xa dessen, der Fleisch geworden ist, eine d∙xa, die sich jedem theoretischen Zugriff entzieht und sich allein der spezifischen Erkenntnis des Glaubens erschließt. J. Fischer hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß in dieser spezifischen Erkenntnis des Glaubens ein Wirklichkeitsverständnis zur Sprache kommt, das sich fundamental von demjenigen des Mythos unterscheidet und damit „die Frage unabweisbar“ macht, „ob nicht innerhalb der Christologie die Unterscheidung von Gottheit und Menschheit Jesu statt als Unterscheidung einer zweifachen Substantialität bzw. zweier Kategorien von Eigenschaften als Unterscheidung zweier Erkenntnisweisen gefaßt werden muß. Der Sohn Gottes hat keine andere Gestalt als die Gestalt jenes Menschen, den uns die Evangelien vor Augen stellen. Als Mensch begegnet uns Jesus als ein Teil der Welt, dadurch, daß unsere Erkenntnis ihn im Zusammenhang dieser Welt lokalisiert. Als Gott aber begegnet er im Wort der Schrift, dadurch, daß die Erkenntnis des Glaubens, dieses Wort in die Phänomene abbildend, uns mitsamt unserer Welt im Zusammenhang seiner Geschichte lokalisiert. Der Gedanke einer zweifachen Substantialität ist demgegenüber Ausdruck jener supranaturalistischen Auffassung, welche die Wirklichkeit Gottes als eine besondere Sphäre innerhalb des in die theoretische Erkenntnis fallenden Bereichs aufsucht und damit die Welt verdoppelt“ (Glaube als Erkenntnis 34). Gegen die ZweiNaturen-Lehre hatte schon Schleiermacher eingewandt, „daß dieser Ausdruck, wenn man ihn auf das ursprüngliche Wort f‚si" zurückführt, die Spuren eines unbewußten Einflusses heidnischer Vorstellung an sich trage; denn in der Vielgötterei, welche das höchste Wesen ebenso gespalten und zerteilt darstellt, hat allerdings in dem Ausdruck ‚göttliche Natur‘ das Wort Natur ganz denselben Sinn, in welchem es auch sonst gebraucht wird …“ (Glaubenslehre II, 34). Fischer fügt dem ebd. noch hinzu: „Zum anderen wäre das, was die alte Lehre der communicatio idiomatum intendierte, im Austausch beider Erkenntnisweisen real: Gott ist als Mensch in die Sphäre unserer theoretischen Erkenntnis, d. h. in die Welt eingegangen, damit wir, das Wort von seiner sich uns so bekundenden Wirklichkeit in die Phänomene abbildend, mitsamt unserer Welt in seine Wirklichkeit gezogen werden. Damit wäre ernst genommen, daß Christus nach dem Zeugnis der Schrift nicht ein Kunstprodukt aus zwei Substanzen, sondern das Fleisch gewordene Wort Gottes an die Welt ist (Joh 1,14)“ (Fischer, ebd.).
Die exemplarische Kontroverse zwischen Bultmann und Käsemann um die Interpretation von Joh 1,14 macht deutlich, daß es bei dieser „Vereinigung von Gottheit und Menschheit“ in der Person Jesu Christi nicht einfach um die mythische Metamorphose des l∙go" geht, aus der dann eine wie auch immer geartete Synthese von s›rx und d∙xa resultierte. s›rx und d∙xa bleiben vielmehr in einer unaufhebbaren Spannung zueinander bestehen. Denn ginge der l∙go" gänzlich auf in der s›rx, dann wäre seine d∙xa im besten Falle unauffindbar, schlimmstenfalls aber der s›rx als Beute zugefallen. Ein dem Koordinatensystem der Ontologie als ihre ürcfl einverleibter l∙go" kann nur entweder Fleisch werden und darüber seine d∙xa verlieren oder aber eben diese d∙xa ausstrahlen und damit seine s›rx verleugnen. Dieser nach keiner ihrer beiden Seiten hin aufhebbaren paradoxen Spannung entspricht der Evangelist durch seine narrative 90
Der Prolog
1,14
extualisierung der Geschichte Jesu als des fleischgewordenen l∙go". Durch seinen T Einsatz von Ironie und Metapher, von doppeldeutigen Wörtern und ambivalentem sprachlichem Ausdruck, durch die Beschreibung der absoluten Negativität des Todes Jesu als der selbsteigenen Tat seiner Liebe und Vollendung seiner Herrlichkeit macht er das Evangelium zur schriftgewordenen Erinnerung des Parakleten an den gerade in seinem permanenten Abschied bleibenden Gottessohn Jesus Christus („linguistically speaking, the Logos incarnated himself in a hostile world by choosing the exile of textuality“, Kelber, Authority 127; vgl. ders., Beginning 92 ff). So findet die Fleischwerdung des l∙go" ihre sachgemäße Entsprechung in der narrativen Gestalt dieses Evangeliums als eines literarischen Werkes. Sie nicht ernst zu nehmen und ihre Zeichen als bloße Hinweise auf ein jenseits des Textes Bezeichnetes und Transzendentes zu nehmen, wäre der alte Doketismus in neuer Gestalt. Als literarisches Werk ist das Evangelium dem unendlichen Prozeß seiner Interpretationen und dem Streit um sie ausgeliefert. Fundamentalisten jeder Art – einerlei, ob sie naiv zu wissen glauben, was der Text „eigentlich meint“, oder ob sie wähnen, seinen objektiven Sinn als die Inten‑ tion seines Autors auf dem Weg historisch-kritischer Analyse methodisch eruieren zu können – befinden sich allesamt auf Holzwegen. „In die ganze Wahrheit“ vermag allein der im Evangelium selbst verheißene Geist-Paraklet zu führen (16,13), sofern er für dessen Rezeption ebenso bestimmend wird, wie er es bereits für seine Produktion gewesen ist. Mit der pronominalen Wendung †n ™mõn des kurzen Satzes, kaÑ †skflnwsen †n ™mõn, meldet sich zum ersten Mal der implizite Autor ausdrücklich zu Wort als einer, der von Haus aus ist, was der l∙go" wurde, nämlich Fleisch, vergänglicher und sterblicher Mensch. Durch die Wahl des Lexems skhnùsai als Prädikat (vgl. Bühner, skhn∙w) bringt er dabei die biblische Tradition vom „Zelt der Begegnung“ (d[wm lha) und vom „Wohnen Gottes inmitten seines Volkes“ (larçy ynb ˚wtb ytnkçw 1Kön 6,13; und siehe dazu Janowski 140 f) in Erinnerung. Wenn W. Bauer dagegen einwendet: „Das †skflnwsen soll schwerlich die Erinnerung an die alttest. skhnfl als Wohnstätte des Bundesgottes wecken. Eher ist an das der sof‡a gegebene Gebot zu denken Sir 24,8, †n ûIakáb kataskflnwson“, so übersieht er, daß Sir 24 seinerseits mit der SinaiErzählung spielt (vgl. Gese 182 ff), zumal wenn hier die sof‡a am Ende mit dem Gesetz vom Sinai identifiziert wird (Sir 24,23). Wie in der, zumal Ex 19–40 prägenden, Tradition vom Begegnungs-Zelt liegt der Akzent auch hier jedoch nicht auf dem bloß episodischen Charakter des Zeltens im Unterschied zum dauerhaften Wohnen im festen Tempelgebäude aus Stein, sondern auf der unverbrüchlichen Zusage des Mitseins Gottes mit seinem durch die Wüsten seiner Exile wandernden Volk. Insofern betont Hofius zwar völlig zu Recht, daß V. 14b „sowohl der Gedanke der Fremdlingschaft wie auch derjenige eines nur vorübergehenden und episodenhaften Aufenthalts des Logos in der Welt“ völlig fernliege. Doch zu Unrecht und zum Schaden der durch den Einsatz des Verbums skhnoún evozierten Intertextualität mit der biblischen SinaiErzählung – und in deren Gefolge mit der jüdischen Schekina-Tradition – leitet er daraus das kategorische Urteil ab, daß skhnoún hier „nicht ‚zelten‘, sondern ‚wohnen‘“ heiße (Struktur 24). Als Intertextualitäts-Signal stiftet das Verbum skhnoún zu wechselseitiger Lektüre von Prolog und Sinai-Erzählung an. Hier wie da sind die zentralen Themen das „Wohnen Gottes mitten unter seinem Volk“, das „Erstrahlen seiner Offenbarungs-Herrlichkeit“ 91
1,1–18
Der Prolog
auf dem von Mose errichteten „Zelt der Begegnung“ dort, wie auf dem Angesicht des monogenÉ" parÅ patr∙" hier. Diese für unseren Prolog-Text konstitutive Beziehung bestätigt Lausbergs formale Beobachtung, daß die verbindende Konjunktion ka‡ des Satzes kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto als dessen „Fernanknüpfung“ an V. 1 f zu begreifen sei (s. o.), nun auch inhaltlich. Denn, deutlich markiert durch zahlreiche Struktur-Analogien sowie durch die sinnfällige Wiederaufnahme des Schemas: ‚sechs Tage – siebter Tag‘ (vgl. Ex 24,15–18), besteht bereits zwischen den Ereignissen am Sinai und der Schöpfungs-Erzählung von Gen 1,1–2,4 eine analoge „Fernanknüpfung“. Dadurch gelangt schon in der biblischen Tradition die Schöpfung erst in der Bundeszusage Gottes an sein Volk und in der Errichtung des Zeltheiligtums an ihr Ziel. Das hat Janowski (223–246) klar aufgewiesen und dahingehend präzisiert, daß es beim Sinaigeschehen zwar „nicht um die ‚sehr gute‘ Schöpfungswelt von Gen 1,1–2,4a (gehe), sondern um eine Welt, die samt ihren Geschöpfen aus der Katastrophe der Flut gerettet ist …, und mit der Jhwh in dem aus Ägypten befreiten Israel … einen Neuanfang setzt: ‚Ich will inmitten der Israeliten wohnen‘ Ex 29,45a“ (ebd. 240). Daß die Sinai-Szene als biblischer „Bezugstext“ (Lausberg) tatsächlich und absichtsvoll den Hintergrund bildet, vor dem und mit dem zusammen die Sätze in Joh 1,14–18 gelesen sein wollen, zeigen die jetzt laut werdende Rede vom Erscheinen der göttlichen Herrlichkeit: kaÑ †jeas›meja tÉn d∙xan a§toú, d∙xan Æ" monogenoú" parÅ patr∙", plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a", die ausdrückliche Nennung des Mose-Namens in V. 17 sowie das apodiktische: jeÖn o§deÑ" ©„raken p„pote, in V. 18 (vgl. Ex 33,20). Diese Erkenntnis darf freilich nicht dazu verleiten, den hier so deutlich durchschimmernden alten Text umstandslos zum Interpretationsschlüssel des neuen zu machen, wie das häufig geschieht und sich besonders an der Übersetzung der Wendung plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a" zeigt. So begreifen etwa Boismard (Prologue 85 ff), Lacan (Prologue 107 f), Kuyper 3 ff, Brown (Komm. I, 14 ff) u. a. das plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a" als unmittelbare Reminiszenz des hebräischen Textes von Ex 34,6: tmaw dµjAbr und übersetzen sie dementsprechend mit „plein d’amour miséricordieux et de fidélité“ (Boismard ebd.), mit „filled with enduring love“ (Brown) oder ähnlich. Für die vermeintliche Vorlage des Prologs, die auf der redaktionellen Ebene freilich eine „Neuauslegung“ im Sinne dessen erfahren haben soll, was er als die spezifisch „johanneische ülfljeia“ bestimmt, unterstellt auch Ibuki (200 f) dieses Verständnis. – Am profiliertesten hat wohl Gese diese Interpretation von plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a" zu begründen versucht. Trotz der u. a. von Barrett (Prologue 12 f u. Komm. 177 ff) vorgetragenen Bedenken gegen die Hypothese einer aramäischen oder hebräischen Vorlage des Prologs beginnt Gese seine Abhandlung mit dessen „hebräischer Retroversion“ (!), die dann faktisch zum Schlüssel seiner gesamten Prolog-Interpretation gerät. Analog zum HT von Ex 34,6 „retrovertiert!“ er die Wendung plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a" zu tmaw dµj alm (159). Dazu erklärt er dann bündig: „Daß hinter dem Ausdruck c›ri" kaÑ ülfljeia das aus dem Alten Testament so bekannte und bedeutende häsäd wäämät steht, kann man nicht bezweifeln, auch nicht mit dem Argument, in LXX werde es regelmäßig mit ≤leo" kaÑ ülfljeia wiedergegeben. Abgesehen davon, daß je später je mehr c›ri" zur Übersetzung von häsäd dient, wird bei Symmachus 2Sam 2,6; Ps 40,11 auch häsäd wäämät so wiedergegeben“ (186). Gegen diese ja schon alte Behauptung hatte bereits Bultmann nicht nur den formalen Einwand erhoben, daß die LXX die Wendung „regel92
Der Prolog
1,14
mäßig mit ≤leo" kaÑ ülfljeia wiedergebe“, sondern zugleich inhaltlich argumentiert: „Angesichts des durchgehenden Sinnes von ülfljeia bei Joh“ und weil das nur hier und 1,16 vorkommende Lexem c›ri", das die LXX aus guten Gründen regelmäßig gerade nicht zur Wiedergabe von dµj, sondern vielmehr als Äquivalent von ˆj benutzt, „für das gelegentlich auch ≤leo" steht“, sei es „nicht möglich“, die Wendung plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a" im Sinne des Syntagmas tmaw dµjAbr von Ex 34,6 als die „subjektive Liebe und Treue Gottes“ zu verstehen (Komm. 47 ff). Auch wenn de la Potterie Bultmanns Verständnis von ülfljeia im JohEv grundsätzlich und begründet widerspricht, stimmt er mit ihm jedoch darin überein, daß man Geses Behauptung nicht nur sehr wohl bezweifeln kann, sondern daß man sie grundsätzlich bezweifeln muß. Das hat er durch seine eingehende Analyse und Interpretation von Joh 1,14–18 klar erwiesen (Vérité I/117–241). Die Wiederaufnahme der Wortverbindung von c›ri" kaÑ ülfljeia als Gegenüber der durch Mose vermittelten Gabe (†d∙jh) der Tora in V. 17 zeigt deutlich, daß „Gnade und Wahrheit“ in beiden Versen als Hendiadyoin zu begreifen ist, das die objektive Gabe und nicht etwa die subjektive Gesinnung Gottes beschreibt. c›ri" kaÑ ülfljeia sind also so zu verstehen, daß ülfljeia durch c›ri" als eschatologisches Gnadengeschenk definiert wird. Zu widersprechen ist deshalb auch Geses Bestimmung der Relation von c›ri" und ülfljeia: „In dem Doppelausdruck häsäd wäämät ist das erste Element, häsäd, das tragende, von dem daher in V. 16 allein die Rede ist. Der Streit, ob häsäd mehr die huldvolle Güte oder das einem bestimmten freundlich engen menschlichen Verhältnis gemäße, zukommende Verhalten bezeichne, ist müßig. Häsäd setzt ein bestehendes mehr oder weniger enges Gemeinschaftsverhältnis voraus und bezeichnet die diesem Verhältnis gemäße, es auszeichnende Freundlichkeit und Güte, die aber in Gesinnung und Tat über das entschieden hinausgeht, was normalerweise, unter Absehung der besonderen Beziehung zueinander, üblich wäre. In häsäd drückt sich also das ausgezeichnete Wesen einer positiv menschlich-persönlichen Beziehung voll aus, und das ist eben Freundlichkeit, Güte, Huld“ (186). Zu bestreiten ist dabei natürlich nicht Geses kompetente Entfaltung des semantischen Umfangs des hebräischen Lexems dµj, sondern einmal dessen vorschnelle Identifikation mit dem griechischen Wort c›ri" und zum anderen die daraus resultierende verfehlte Vorordnung von c›ri" vor ülfljeia. De la Potterie hat durch seine eingehende Strukturanalyse von Joh 1,14–18 sehr schön den chiastischen Aufbau dieser Passage, in der sich die Verse 14 und 18 als parallele Glieder entsprechen, aufgewiesen. Den V. 17 mit der Wiederaufnahme von ™ c›ri" kaÑ ™ ülfljeia und dem das c›ri" üntÑ c›rito" von V. 16 begründenden Ωti paraphrasiert er überzeugend so: Ωti ¨ n∙mo" diÅ MwÊsfiw" †d∙jh / ™ ülfljeia diÅ ûIhsoú Cristoú †car‡sjh (Vérité I, 129 ff u. s. u. zu V. 16 f). kaÑ †jeas›meja tÉn d∙xan a§toú: Mag der V. 14 irgendeiner, wie auch immer gearteten „Vorlage“ entstammen – etwa dem häufig postulierten und zum Gegenstand zahlloser Rekonstruktionsversuche gemachten vorjohanneischen ‚Logos-Hymnus‘ – oder mag er erst vom Verfasser unseres Evangeliums eigens formuliert worden sein, so meldet sich jedenfalls jetzt so oder so in den hier erscheinenden „Wir“ des Prologs unseres überlieferten Evangeliums dessen impliziter Autor ausdrücklich zu Wort. Und er tut dies in der integrativen Form der ersten Person Pluralis und mittels der komplexiven Aoriste: kaÑ †skflnwsen †n ™mõn und kaÑ †jeas›meja tÉn d∙xan a§toú, um so zugleich mit seinem impliziten Leser auch alle potentiellen realen Leser einzuladen, 93
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Der Prolog
mit dem Blick auf den auferstandenen Gekreuzigten gemeinsam mit ihm zu bekennen: „Wir sahen seine Herrlichkeit“. Zu diesem Bekenntnis bemerkt Beasley-Murray völlig zu Recht: „†jeas›meja ... represents the taking up by the church into its confession the testimony of the eyewitnesses of the ministry of the Christ. It connotes more than contemporal spiritual insight of faith, though it doubtless includes it“ (14). Aber diese „Aufnahme des Zeugnisses der Augenzeugen“ in das Bekenntnis der Kirche macht nun auch dessen Bekenner wiederum zu Augen‑ und Ohrenzeugen des Auferstandenen, so daß sie – wie die Leute aus der Stadt Sychar – nicht mehr aufgrund des überlieferten Zeugnisses der Augenzeugen glauben, sondern weil ihnen deren Zeugnis Augen und Ohren dafür geöffnet hat, nun selbst ihren lebendigen Herrn zu „schauen“: tÔö te gunaikÑ ≤legon Ωti o§kfiti diÅ tÉn sÉn laliÅn piste‚omen, a§toÑ gÅr ükhk∙amen kaÑ o¥damen Ωti oñt∙" †stin ülhjù" ¨ swtÉr toú k∙smou (Joh 4,42). Nach der geglückten Lektüre des Evangeliums im Sinne von 20,30 f sollten alle seine Leser/Hörer in dies Bekenntnis der Samaritaner einstimmen können. Denn die Verheißung des scheidenden Jesus: ≤ti mikrÖn kaÑ ¨ k∙smo" me o§kfiti jewreõ, ≠meõ" dÇ jewreõtfi me, Ωti ≤gá zù kaÑ ≠meõ" zflsete und: ¨ dÇ ügapùn me ügaphjflsetai ≠pÖ toú patr∙" mou, kügá ügapflsw a§tÖn kaÑ †mfan‡sw a§tù †maut∙n (14,19.21), gilt grundsätzlich und ist nicht auf die „historischen Osterzeugen“ und auf eine österliche Episode zwischen Ostern und Himmelfahrt zu beschränken. Wie viele andere will Theobald im Gegensatz dazu die „Wir“ in V. 14 mit den Augenzeugen des historischen Jesus identifizieren. Erst in V. 16 öffne sich „die Zeugnisrede. Sie umfaßt jetzt ‚alle‘, die aus der ‚Fülle‘ des Logos ‚empfangen‘ haben. War das ‚Schauen‘ den Augenzeugen reserviert (vgl. Joh 20,29), so steht das ‚Empfangen‘ aus der Fülle der Gnade als der entscheidende soteriologische Akt allen offen, die zum Glauben an Jesus kommen …“ (Fleischwerdung 247 mit Anm. 192 u. ebd. 256). Doch da das „Sehen der d∙xa“ aber ja auf alle Fälle ein Sehen mit den Augen des Glaubens und der Glaube ein vom Geist vermitteltes österliches Phänomen ist (vgl. 7,39 u. s. u. z. St.), kann die Einführung der „Wir“ in V. 14 auch keinesfalls der Autorisierung der folgenden evangelischen Erzählung durch irgendwelche „Augenzeugen“ des historischen Jesus dienen wollen. Denn „Augenzeugen“ des historischen Jesus und seiner Kreuzigung waren ja auch die ûIoudaõoi, die seine d∙xa nicht wahrgenommen und darum seinen Anspruch nach ihrer Tora als Blasphemie und Angriff auf die Einzigkeit ihres Gottes geahndet haben (vgl. Bultmann 45 f, der ebd. Anm. 2 auf Kierkegaards Erörterung des Problems des „gleichzeitigen Schülers“ und des „Schülers zweiter Hand“ verweist: „Doch ist ein solcher ja nicht Augenzeuge [unmittelbar verstanden], sondern als Glaubender ist er der Gleichzeitige in des Glaubens Autopsie. In dieser Autopsie ist aber jeder Nicht-Gleichzeitige [unmittelbar verstanden] der Gleichzeitige“ [Phil. Brosamen 64]).
Wie schon längst vorzeitig Jesaja die d∙xa des auferstandenen Gekreuzigten gesehen und von ihm geredet hat (12,41), und wie bereits Abraham seinen Tag gesehen und darüber gejubelt hat (8,56), so sollen und werden auch alle zukünftigen Glaubenden Zeugen seiner verheißenen Gegenwart sein, die durchaus auch sinnlich erfahren wird. Darum reden in V. 14 wohl diejenigen, an denen sich die Verheißung ihres scheidenden Herrn erfüllt hat: mikrÖn kaÑ o§kfiti jewreõtfi me, ka´ p›lin mikrÖn kaÑ µyesjfi me ... kaÑ ≠meõ" oên nún mÇn l‚phn ≤cete: p›lin dÇ µyomai ≠mô", kaÑ carflsetai ≠mùn ™ kard‡a, kaÑ tÉn carÅn ≠mùn o§deÑ" a¥rei üfû ≠mùn (16,16 ff; vgl. Minear, Idea of Incarnation 302). Als ein absichtsvolles Spiel mit unserem Prolog und mit Passagen, wie der eben zitierten, aus den Abschiedsreden des Evangeliums erweist sich das Proömium des 1Joh (1,1–4). Denn hier will nicht ein Anonymus durch die Fiktion seiner 94
Der Prolog
1,14
Augenzeugenschaft des historischen Jesus seinem Schreiben dessen Autorität verleihen, wie Kügler (Belehrung der Unbelehrbaren) argwöhnt. Vielmehr zeigen die auffallend neutrische Formulierung und der Perfekt-Aspekt der Verben, ≈ ükhk∙amen, ≈ ©wr›kamen toõ" £fjalmoõ", deutlich, daß von etwas gegenwärtig vor Augen und Ohren Befindlichem die Rede ist. Damit die Joh 16,22 verheißene car› sich an ihm erfülle (1,4), will der Autor seine von Apostasie bedrohten Adressaten für die volle koinwn‡a „mit dem Vater und mit seinem Sohn, Jesus Christus“ zurückgewinnen (siehe dazu Minear, Idea of Incarnation 299 u. Fehlandt 30 ff u. 241 ff). Daß man gegen diese bereits von Bultmann klar begründete Deutung der „Wir“ von V. 14 nicht wie Theobald u. a. den von seinem Kontext völlig gelösten Vers 20,29 ins Feld führen kann, wird unten z. St. zu zeigen sein. d∙xan Æ" monogenoú" parÅ patr∙": Die von den ‚Wir‘ gesehene d∙xa wird nun beschrieben als diejenige des monogenÉ" parÅ patr∙". Gegen Bauer (Komm. 25) wird „die Herrlichkeit“ hier jedoch nicht „verglichen mit der eines monogenÉ" parÅ patr∙" (beides ohne Artikel)“. Denn die Partikel Æ" hat in diesem Zusammenhang nicht „vergleichende, sondern erklärende und begründende Funktion“ (Hofius, Struktur 24; vgl. de la Potterie, Vérité I 178), und die Artikellosigkeit von patr∙" wie von monogenfl" darf keinesfalls als Indeterminiertheit dieser Nomina gedeutet werden. Wie häufig im Griechischen fehlt bei patr∙" vielmehr der Artikel wegen der Abhängigkeit des Nomens von einer Präposition (hier: par›); und „bei monogenoú" steht kein Artikel, weil das Wort (hier) den Charakter eines Prädikatsnomens hat“ (Hofius, Struktur 24; vgl. Bultmann, Komm. 47; B-D-R § 257,3). Daß das Lexem monogenfl" dabei keinerlei sexuelle Konnotation und keine unmittelbare Verbindung mit dem Verbum gennôn im Sinne von ‚Zeugung‘ oder ‚Geburt‘ hat, sondern morphologisch und semantisch Wortbildungen wie jhlugenfl", ¨mogenfl", ©terogenfl" etc. entspricht und darum „einzig in seinem gfino", einzigartig“ bedeutet, wie es die Altlateiner denn auch stets korrekt mit unicus wiedergegeben haben, hat Pendrick (monogenfl" 587 ff) unter Berücksichtigung des gesamten auf CD-ROM gespeicherten Thesaurus Linguae Graecae klar erwiesen. Da schon das sÅrx †gfineto den Blick des Lesers auf den Weg allen Fleisches und damit auf das Sterben Jesu richtete (6,51 ff u. s. z. St.), und da erst recht das bekennende: kaÑ †jeas›meja tÉn d∙xan a§toú erst in der Stunde des doxasjönai Jesu in seiner Erhöhung ans Kreuz seine Erfüllung findet, dürfte auch die Fügung d∙xan Æ" monogenoú" parÅ patr∙", die diese d∙xa näher beschreibt, über Jesu Bestimmung als des einzigen und geliebten Gottessohnes hinaus auf seine Sendung und Hingabe verweisen. Das zeigt der Gebrauch der Präposition par› bei Johannes; vgl. parû a§toú e¢mi kükeõn∙" me üpfisteilen (7,29) oder: parÅ toú qeoú †xöljon (16,27; vgl. 6,46; 9,16.33 u. de la Potterie, Vérité I 179 f; Theobald, Fleischwerdung 253). Gegen Bultmann (Komm. 47) wendet Theobald zu Recht ein, daß die Präposition par› schwerlich nur gesetzt sei, um die mißverständliche Genitiv-Doppelung monogenoú" patr∙" zu vermeiden. Da par› ja zugleich den notwendigen Artikel zu patflr vertritt (s. o.), wäre diese Vermeidung adäquater durch die Fügung monogenoú" toú patr∙" geschehen. Daß freilich die Wahl des parÅ patr∙" darauf hindeute, daß der Autor „hier weniger auf den Sohn als vielmehr auf den Vater als dessen Existenzgrund“ hinschaue (Theobald, Fleischwerdung 253), ist jedoch mit Pendrick (594) zu bestreiten. – Ganz sachgemäß sieht Lausberg (Prolog 240) in der Wendung parÅ patr∙" die „exordiale Entsprechung des isaak-typologisch deutlicheren“ V. 1,29: ¥de ¨ ümn·" toú jeoú ¨ a¥rwn tÉn 95
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Der Prolog
®mart‡an toú k∙smou (s. u. z. St.) und verweist auf das der Fügung Æ" monogenoú" parÅ patr∙" „auch inhaltlich“ entsprechende Syntagma tim‡w aºmati Æ" ümnoú üm„mou (1 Pt 1,19). plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a": Schwerlich soll hier gesagt werden, die von den ‚Wir‘ wahrgenommene d∙xa des Fleischgewordenen als des vom Vater gesandten einzigen Sohnes sei „voller Gnade und Wahrheit“ gewesen. Aus dem hellenistisch in der Tat häufig belegten Gebrauch des Lexems plflrh" als indeklinabler Partikel darf keinesfalls voreilig auf seine analoge Verwendung auch an unserer Stelle geschlossen werden, denn die Wiederaufnahme von plflrh" durch plflrwma a§toú (sc. des Fleischgewordenen) in V. 16 zeigt ebenso deutlich wie die von c›ri" kaÑ ülfljeia samt dem markanten †gfineto in V. 17, daß nicht von der Gnadenfülle der d∙xa, sondern von derjenigen des fleischgewordenen l∙go" die Rede ist. Die eindringliche Strukturanalyse der V. 14–18 bei de la Potterie (Vérité I 125 ff) erweist, daß plflrh" hier als echter Nominativ des Adjektivs genommen und wie in der lateinischen Tradition, die plflrh" durch plenum als Apposition zu verbum wiedergibt, auf kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto von V. 14a bezogen sein will. Das heißt aber, daß formal innerhalb von V. 14, der in seinen Rahmenstücken das objektive Geschehen der Fleischwerdung des l∙go" als den Aufgang von c›ri" kaÑ ülfljeia besingt, die um die subjektive Wahrnehmung seiner d∙xa konzentrierte Rede der ‚Wir‘: kaÑ †jeas›meja tÉn d∙xan a§toú, d∙xan Æ" monogenoú" parÅ patr∙", als Parenthese verstanden sein will (vgl. de la Potterie, ebd. 173 ff). Darum sind die von Bultmann (Komm. 49, Anm. 2 u. 51, Anm. 7) gegebenen, zumeist gnostischen Belege für plflrh" und plflrwma als „traditionelle Charakteristik der göttlichen Sphäre“, sofern die Lexeme hier ja gerade der Beschreibung der konkreten menschlichen Sphäre des Fleischgewordenen dienen, entweder irreführend oder doch nur als Kontrastbeispiele aussagekräftig. Im übrigen macht der genannte parenthetische Charakter der Wir-Rede in V. 14 auch Hofrichters formgeschichtliche Definition der vermeintlichen Vorlage des Prologs als „Logos-Bekenntnis“ höchst fragwürdig. Trotz der gewiß absichtsvoll hergestellten Intertextualität zwischen Joh 1,14–18 und der biblischen Sinai-Erzählung darf die d∙xa, von der in der eben erörterten Parenthese die Rede war, jedoch nicht einfach aus dem Vortext als der blendende Lichtglanz der göttlichen Epiphanie gedeutet werden. So fehlt bei Joh kaum zufällig die synoptische Erzählung von der Verklärung Jesu (Mk 9,1 ff parr.), bzw. sie erscheint, kombiniert mit der als solche ebenfalls fehlenden Gethsemane-Szene, in einer ganz charakteristischen Metamorphose (Joh 12,27–33; s. u. z. St.). Wohl weist das Erscheinen der d∙xa am Sinai wie hier in Joh 1,14–18 auf Gottes Offenbarung, aber es ist jetzt die spezifische d∙xa des Fleischgewordenen, die fortan als das unauslöschliche Licht in der Finsternis allein denen er-scheint, die ihn aufgenommen und von ihm die Vollmacht empfangen haben, Gottes Kinder zu werden. Seine d∙xa besteht darin, daß er – obwohl selbst unerschöpfliche Quelle des Lebenswassers, das allen Durst auf ewig stillt (4,14) – am Ende, von physischem Durst gequält (19,28–30), sein Fleisch hingibt für das Leben der Welt (6,51) und darin die Liebe Gottes zum k∙smo" vollendet (3,16). Erst im Licht dieses Endes gründet der Glaube (7,39; s. u. z. St.); hier erst erhält er mit dem Geist seine Vollmacht (20,19 ff) und erst diesem österlichen Glauben enthüllen sich alle Schritte des Fleischgewordenen von seiner ürcfl an als von seiner d∙xa gezeichnete Stationen auf dem Weg seiner Liebe. Das gilt trotz allen proleptischen Vorscheins dieser d∙xa 96
Der Prolog
1,14
schon auf dem Weg des Irdischen. So kann der Erzähler Jesu Weinwunder in Kana (2,1–11) am Ende nur darum so kommentieren: kaÑ †fanfirwsen tÉn d∙xan a§toú, kaÑ †p‡steusan e¢" a§toÜ o´ majhtaÑ a§toú (2,11), weil und sofern er diese ürcÉ tùn shme‡wn bereits als den Vorschein des tfilo" aller Zeichen, nämlich des Todes und der Auferstehung Jesu, begreift. Daß die spezifische d∙xa Jesu als des geliebten Sohnes nichts anderes ist als seine mit derjenigen des Vaters koinzidierende Liebe, und daß der wahre Protagonist des vierten Evangeliums – wie im übrigen auch schon in dessen drei älteren Vorgängern – von Anfang an der auferstandene Gekreuzigte ist, muß der folgende Kommentar eingehend begründen. Dieser Sicht der d∙xa Jesu hat in jüngerer Zeit niemand schärfer und begründeter widersprochen als Ernst Käsemann. Darum muß sich unsere Auslegung, soll sie nicht zu kurz greifen, der Herausforderung durch Käsemanns beinahe in jeder Hinsicht kontroverses Bild der „Herrlichkeit Christi“ nach Johannes (Letzter Wille 16–64) stellen. Ebenso wie die d∙xa zwiefach näherbestimmt war, nämlich einerseits durch die Intertextualität zwischen Prolog und Sinai-Erzählung und andererseits durch ihre Identifikation mit der sich in der Sendung und im Weg Jesu vollendenden Liebe Gottes, so ist auch das nun folgende Hendiadyoin c›ri" kaÑ ülfljeia, das de la Potterie treffend als c›ri" tö" ülhje‡a" paraphrasiert hat (s. u. zu 1,17), derart doppelt bestimmt. Einmal nämlich wiederum durch das Verhältnis zum Vortext (Ex 34) und zum anderen dadurch, daß die Gnadengabe der Wahrheit hier nichts anderes ist als der fleischgewordene l∙go" in der menschlichen Person Jesu Christi (vgl. †g„ e¢mi ... ™ ülfljeia: 14,6). Wie der trans zendente Lichtglanz der Sinai-Offenbarung so ist jetzt auch die Fülle der göttlichen Wahrheit Fleisch und damit immanent und konkret geworden. Die Fleischwerdung ist nicht das Mittel zu ihrer Offenbarung (so Käsemann), sondern diese selbst (vgl. Bornkamm, Interpretation 117). Die vorstehenden Erwägungen mögen exemplarisch gezeigt haben, daß es in jedem Falle verfehlt wäre und das Evangelium um das Singulär-Eigene seines Sagens brächte, wollte man seine Lexeme ülfljeia, ülhjfl", ülhjin∙" ktl. irgendeinem – sei es alttestamentlich-jüdischem, sei es griechisch-hellenistischem – „Begriff “ von Wahrheit unterwerfen. Denn als abstrakte Nivellierungen konkreter Erfahrungen sind alle „Begriffe“ Zugriffe, Angriffe und Eingriffe auf und in die Andersheit des Anderen, Versuche seiner Unterwerfung im Sinne von Nietzsches ironischer Notiz, daß es stets „etwas Beleidigendes (habe), verstanden zu werden. Verstanden zu werden? Ihr wißt doch, was das heißt? – Comprendre c’est égaler“ (VIII/1, 47 [= Nr. 182]). Die geprägte literarische Gestalt von Joh 1,1–18 sowie die Funktion dieser Verse als Prolog des nachfolgenden Evangeliums als eines narrativen Textes machen deutlich, daß es sich hier nicht um die mythische Erzählung dessen handelt, was einmal der Fall war, so daß der Fleisch gewordene l∙go" darum „voller Gnade und Wahrheit“ wäre, weil er, durch den doch alles Geschaffene wurde, von jeher das Licht der Menschen war, so daß „die Möglichkeit der Erleuchtung der Existenz“ schon in deren Ursprung läge (Bultmann). Wenn aber – wie V. 17 ausführen wird – die Gnadengabe der Wahrheit (erst) durch Jesus Christus geworden (†gfineto) und in die Welt gekommen ist, dann wird man wohl umgekehrt argumentieren müssen: Weil das Sagen des Fleischgewordenen durch seine Worte, seine Zeichen und seinen Weg diejenigen, die ihn „aufgenommen“ und seine Stimme gehört haben, als Gottes Kinder und die Welt als Gottes Schöpfung ans Licht und damit in ihre Wahrheit gebracht hat und bringt, 97
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Der Prolog
können sie ihn mit dem Prolog als den Schöpfungsmittler preisen. Und wenn der scheidende Jesus dann im Evangelium das Kommen des Geistes der Wahrheit verheißt, und daß der die Jünger „in alle Wahrheit führen und auch das Künftige offenbaren werde“ (¨dhgflsei ≠mô" †n tÔö ülhje‡a p›sÔh ... kaÑ tÅ †rc·mena ünaggeleõ ≠mõn: 16,13), dann heißt das doch, daß die Jünger unter seinem Geleit auch alles künftige Geschehen in Natur und Geschichte im Lichte des in Christus Fleisch gewordenen l∙go" und damit in seiner wirklichen Wahrheit und wahren Wirklichkeit wahrnehmen sollen. Bei dem ünaggeleõn der †rc∙mena geht es schwerlich um das Enthüllen apokalyptischer Geheimnisse, sondern um die Erschließung auch des unvorhersehbaren künftigen Weltgeschehens als Gottes Schöpferhandeln in Gericht und Gnade. Und wenn die Fülle der Wahrheit nicht in mythischen Epiphanien, sondern einzig am Fleischgewordenen zu Gesicht kommt, so sollte uns das daran erinnern, daß „die Kapuzinerpredigt gegen die Eitelkeit der Immanenz … insgeheim auch die Transzendenz (liquidiert), die einzig von den Erfahrungen der Immanenz gespeist wird“ (Adorno 388). 15: ûIw›nnh" martureõ perÑ a§toú kaÑ kfikragen lfigwn: oñto" én ≈n eèpon: ¨ £p‡sw mou †rc∙meno" ≤mprosjfin mou gfigonen, Ωti prùt∙" mou én. – Wie zuvor schon die erste Johannesmartyria der V. 6–8, so unterbricht nun auch V. 15 absichtsvoll den Zusammenhang der V. 14 u. 16. Das heißt freilich nicht, daß er hier erst sekundär und womöglich durch einen Späteren „eingeschoben“ worden wäre. Wie wir noch häufig sehen werden, liebt unser Autor die Figur der „Parenthese“ (vgl. van Belle, Parenthèses). Auf diese Weise nehmen die bekennenden ‚Wir‘, zu denen ja auch der ‚implizite Leser‘ gehört, den historischen Zeugen in ihre Mitte; sie scharen sich um ihn. Das Zeugnis des Johannes – der in unserer übrigen Literatur fest an ihm haftende Titel ¨ bapt‡zwn oder ¨ baptistfl" fehlt in unserem Evangelium – steht gewiß nicht zufällig im Präsens: martureõ. Trotz seiner Perfektform ist auch kfikragen präsentisch, denn wie oft in der LXX (vgl. die Belege bei Moulton 147) und im Attischen, wo das Präsens kr›zw sehr selten ist (B-D-R § 101,41), steht das Perfekt kekr›gw für das Präsens und intensiviert es (vgl. Barrett, Komm. 193). Jedenfalls erscheint uns diese Lösung plausibler als diejenige Browns, der umgekehrt das martureõ als praesens historicum begreifen will: „The use of a present for an aorist tense in vivid narrative is common in the NT“ (I/15). Aber von „vivid narrative“ kann hier ja wohl nicht die Rede sein! Das Präsens hat seinen guten Sinn darin, daß Johannes, nunmehr von den festen Buchstaben des Evangeliums bewahrt, als Zeuge für jeden künftigen Leser gegenwärtig bleibt, so daß der sich an seine Seite stellen darf. Hatten wir bisher im Prolog intertextuelle Beziehungen zu biblischen Texten (Gen 1, Ex 19 ff; Jes 55,10 f) beobachtet, so erscheint nun, eingeführt mit den Worten, oñto" én ≈n eèpon, ein Selbstzitat des Täufers, das insofern aus unserem Prologtext heraus‑ oder über ihn hinwegweist, als das hier Zitierte im Prolog bisher nicht vorkam. Lausberg, der den Prolog dem fertigen Evangelium erst nachträglich vorangestellt denkt (Prolog 278 f), sieht V. 15 als eine „Collage“ aus Joh 1,6 f und 1,23–30 als seinen „Bezugstexten“ an (Prolog 244–248; ähnlich Barrett ebd. 194). Doch trotz seiner trefflichen Beobachtungen zu den fraglos bestehenden Beziehungen dieser Texte zueinander ist Lausbergs Auskunft schwerlich schon befriedigend. Denn – wie er selbst deutlich sieht – erscheinen „der Täufer-Ausspruch J 1,15 und seine Entsprechung in J 1,30 … nirgendwo am chronologisch passenden ‚Ereignis-Sitz‘, sondern 98
Der Prolog
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jedesmal zu einem chronologisch späteren Zeitpunkt der Ereignisse als ‚Selbst-Zitat‘“. Wenn auch umgangssprachlich ungewöhnlich und darum wohl Ursprung der handschriftlichen Varianten (vgl. Metzger 197 f), ist das exordial verdichtete Syntagma, oñto" én ≈n eèpon (1,15) grammatisch durchaus korrekt und „gut griechisch“ (vgl. Joh 6,71; 8,27.53; 10,36 und siehe Bauer 27). Dagegen führt Johannes sein Selbstzitat in 1,30 mit der geläufigeren Fügung ein: oñt∙" †stin ≠pÇr oñ †gá eèpon. Da aber die Originalszene mit diesem Ausspruch im narrativen Corpus des Evangeliums ebenso fehlt wie die Erzählung des Vorgangs der Taufe Jesu durch Johannes (s. u. zu 1,31–34) und die von dessen Kerkerhaft (vgl. zu 3,24) und da 1,30 ja nicht wiederum ein bloßer Rückverweis auf 1,15 sein kann, müssen wir das Zitierte sowie die – beim impliziten Leser als bekannt vorausgesetzte – Erzählung von der Taufe Jesu und von der Verhaftung des Täufers außerhalb des vierten Evangeliums suchen. U. E. stoßen wir damit hier zum ersten Mal auf ein intertextuelles Spiel unseres Autors mit synoptischen Texten. Angesichts des hohen literarischen Anspruchs an seinen impliziten Leser und zumal wegen der poetischen Raffinesse seines Prologs (vgl. dazu Lausberg, Prolog pass.) dürfte das sich selbst nachdrücklich als „geschrieben“ deklarierende Evangelium (20,30 f u. 21,24 f) auf ein Publikum gebildeter Leser bzw. Vorleser zielen. Diesem Status und der Rede von den vielen Büchern entsprechend, die geschrieben werden müßten, wenn man die unendliche Geschichte von Jesus je zu Ende bringen wollte (21,25), wird es sich auch bei der evangelischen Tradition, mit der unser Autor so spielt, daß er seinem Leser damit zugleich das Vermögen zumutet und zutraut, dieses Spiel zu würdigen und seine Freude daran zu haben, um schriftlich verfaßte und insofern literarische Texte handeln. Daß es sich bei diesen Vortexten um unsere synoptischen Evangelien, und zwar um alle drei, in ihrer überlieferten Gestalt handelt, hoffen wir durch unsere Kommentierung plausibel machen zu können. So steckt hinter unserem Selbstzitat des Johannes von 1,15 wohl am ehesten Mt 3,11: „¨ dÇ £p‡sw mou †rc∙meno" ¢scur∙ter∙" mo‚ †stin, oñ o§k e¢mÑ ´kanÖ" tÅ ≠podflmata bast›sai“ (vgl. Joh 1,27 u. s. u. z. St.). Dabei ist hier, dem exordialen Charakter des Prologs entsprechend, aus dem ¢scur∙tero" der dem Redenden als „untauglichem Geschöpf “ gegenüber präexistente Schöpfungsmittler geworden. Nicht etwa als Korrektur des Vortextes, sondern gerade in der unaufhebbaren Spannung zu ihm will die Johannesmartyria gelesen sein. Zwar könnte und wird Lausberg darin wohl recht haben, daß der Verfasser den Prolog zu seinem Evangelium erst zu guter Letzt geschrieben hat, denn das ist ja wohl die normale Genese von Prologen. Das darf aber keinesfalls bedeuten, daß der Leser diese mutmaßliche Genese bei seiner Lektüre nachzuvollziehen hätte. Er soll vielmehr zuerst den Prolog lesen und seine gesamte weitere Lektüre von dessen Signalen steuern lassen. Das bedeutet aber auch, daß die auch von Lausberg erörterte Frage, ob der Prolog aus der Feder des „Evangelisten“ oder derjenigen eines Späteren stammt, als unfruchtbar und kontraproduktiv für die Interpretation des nun ja so oder so durch seinen Prolog eingeleiteten und bestimmten Evangeliums ausgeklammert werden muß. Wir jedenfalls nennen allein denjenigen, der unser Johannesevangelium mit seinem Prolog auf den Weg gebracht hat, seinen Evangelisten. „Der Verfasser des Prologs kannte die ‚triviale‘ Exordial-Praxis (Lk 1,1–4 …) und wollte seinen Prolog aufgrund des ‚Erlebnis-Textes‘ J[oh] 1,29–30 … – den er in der pathetischen Figur der ‚Eidolopoiie‘ wörtlich zitiert (J 1,15) – inhaltlich konkret füllen und ‚hochstilisieren‘… Die ‚causa
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scribendi‘ dieses ‚Inhalts-Prologs‘ ist offenbar der Satz 1,14a, der die Tradition … zur Paradoxie ‚verschärft‘: die ‚kunstgerechte‘ Praktizierung des ‚Epiphonems‘ in J 1,18 … zeigt – in der InhaltsDichte – die gewollte rhetorische Technik. – Dies alles ist – bei entsprechender Begabung und entsprechendem Gestaltungswillen – werkteilbedingt, wenn man die Wahl eines ‚perkursorisch gestalteten Inhalts‘ als formale Original-Idee des Verfassers anerkennt. Der Verfasser braucht nicht von dem des ‚corpus narrativum‘ – das ja inhaltlich nicht hinter dem Prolog zurücksteht – verschieden zu sein“ (Lausberg, Prolog 278). Lausberg fährt nach diesem klaren „braucht nicht“ jedoch so fort: „Die Verschiedenheit des Verfassers des Prologs von dem des ‚corpus narrativum‘ wird eher nahegelegt durch die offenbare Prä-Existenz eines ‚exordium breve‘… in den narrativen Versen J 1,6–7 …, das dem Beginn der ‚narratio‘ in J 1,19 unmittelbar vorherging. Es gibt also eine ‚Redaktions-Stufe‘ des J-Evangeliums vor dem Prolog und eine solche Stufe mit dem Prolog. Da auch das Kapitel J21 ein ‚Nachtrag‘ zum Evangelium ist, der Abweichungen im Wortschatz aufweist, wird man auch für den Prolog an einen anderen – vielleicht den gleichen wie für J21 – Verfasser denken wollen …“ (ebd.). – Im Gegensatz zu Lausberg ist uns jedoch zum einen die „Prä-Existenz“ jenes „exordium breve“ der Verse 6–7 keineswegs „offenbar“, sondern bestenfalls eine höchst zweifelhafte Hypothese (siehe oben zu 1,6–8); zum anderen können wir auch Joh 21 angesichts der das ganze Evangelium durchziehenden Präparation seines impliziten Lesers auf diesen „Epilog“ nicht als einen bloßen „Nachtrag“ zu „einer Redaktionsstufe des JohEvs vor dem Prolog“ ansehen (vgl. Thyen, Noch einmal: Joh 21 u. s. u. zu den Texten um den geliebten Jünger sowie zu Joh 21); und zum dritten ist aus der Perspektive dieses Kommentars zu Lausbergs „Zwei-RedaktionsstufenHypothese“ zu sagen: Selbst wenn sie sich zureichend begründen ließe, wäre damit im besten Fall ein kleines Stückchen der Genese unseres Evangeliums erhellt. Für die Interpretation seines überlieferten Textes mit unserem Prolog sowie mit Kap. 21 als seinem Epilog als eines literarischen Werkes, das den mutmaßlichen Intentionen seines Autors gegenüber autonom ist, wäre damit jedoch nichts gewonnen.
Das solenne Pathos von V. 15 mit der präsentischen Semantik der Verben martureõ und kfikragen lfigwn und dem sie kontrastierenden Imperfekt des deiktischen oñto" én – im Gegensatz zu dem „situationsgemäßen“ oñt∙" †stin von 1,30 – erklärt Lausberg damit, daß hier die von den antiken Rhetorikern e¢dwlopoi‡a genannte Figur der „Evokation eines Toten zu einer zu haltenden – und vom Schriftsteller wiedergegebenen – Rede“ realisiert sei (Prolog 247). Zugleich nimmt diese Johannes-Martyria mit der Folge ihrer Verben én – †rc∙meno" – gfigonen – én das den Prolog von Anfang an bestimmende paradoxe Spiel von „Sein“ (én) und „Werden“ (†gfineto) wieder auf, das mit dem Satz, kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto, in V. 14a ja soeben seine Klimax erreicht hatte. – Bultmann deutet das Imperfekt oñto" én so: „Statt des én erwartet man †st‡n wie in V. 30; das én ist wohl als Attraktion an eèpon psycholog. zu erklären: ‚Dieser war damals gemeint, als ich sagte‘“ (Komm. 50). Ähnlich Barrett: „Dieser Jesus war die Person, von der ich sprach“. Kaum zu Recht behauptet Barrett dann jedoch, das Täuferzeugnis von V. 15 habe „weder mit der Präexistenz noch mit der Inkarnation etwas zu tun, sondern mit der Verherrlichung des Wortes“. Ist das schon angesichts des Ortes unseres Verses im Kontext und der eidolopoietischen Versetzung des Johannes mitten unter die zusammen mit dem impliziten Leser bekennenden „Wir“ wenig wahrscheinlich, so ist Barretts positive und die paradoxe rhetorische Figur in eine historische Erzählung auflösende Deutung von V. 15: „Der demütige Nachfolger des Johannes wurde erhöht, zu einer herausragenden Stellung erhoben“ (Komm. 194) doch wohl völlig abwegig. Als der eigens dazu „von Gott gesandte Mann“ (1,6) ist Johannes Zeuge des Fleischgewordenen und bezeugt mit dem gesamten Prolog und ihm voraus die Präexistenz Jesu. Wie schon zuvor in den V. 6–8 sehen manche Interpreten auch in V. 15 eine implizite Polemik gegen die sogenannten Johannesjünger, die – als eine mit der jungen 100
Der Prolog
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Kirche konkurrierende Taufsekte – noch zur Zeit unseres Evangeliums aktiv gewesen sein und ihren Meister als präexistenten messianischen Erlöser verehrt haben sollen. Die polemische Ironie von V. 15 läge dann darin, daß Johannes selbst aller derartigen Verehrung seiner Person dadurch den Boden entzöge, daß er als Missionar der christlichen Konkurrenten Jesus als das fleischgewordene Wort und den präexistenten Gottessohn bezeugt. Uns erscheint diese historische Hypothese – wie oben zu V. 14a bereits angedeutet wurde und unten zu 1,19 ff begründet werden soll – jedoch höchst unwahrscheinlich. Abgesehen davon haben wir es bei der Interpretation unseres Evangeliums mit dessen, von seinem Autor geschaffenen, dramatis personae und nicht mit dem historischen Täufer und seiner vermeintlich mit einer johanneischen Gemeinde konkurrierenden Anhängerschaft zu tun. 16: Ωti †k toú plhr„mato" a§toú ™meõ" p›nte" †l›bomen kaÑ c›rin üntÑ c›rito". – Das unseren Vers einleitende und gegenüber der varia lectio ka‡ fraglos ursprüngliche Ωti zeigt ebenso wie die Anknüpfung von plflrwma an plflrh" seine V. 14 begründende Funktion. Zugleich bestätigen die Wiederaufnahme des Subjekts aus dem in V. 14 eingeschobenen Satz kaÑ †jeas›meja tÉn d∙xan a§toú, d∙xan Æ" monogenoú" parÅ patr∙" samt dessen aoristischem Tempus durch †l›bomen mit dem emphatischen ™meõ" p›nte" den parenthetischen Charakter von V. 15. Dies alles und der narrative Neueinsatz mit kaÑ aæth †stÑn ™ martur‡a toú ûIw›nnou in V. 19 mit der ausdrücklich neuen Einführung des Johannes als handelndes Subjekt zeigt definitiv, daß die eidolopoietische Evokation des Täufers mit V. 15 abgeschlossen war. Das spricht eindeutig gegen alle Versuche, auch die V. 16–18 der Täufermartyria von V. 15 zuzuschlagen. Das hier in der Wendung c›rin üntÑ c›rito" gebrauchte Lexem c›ri" kommt im gesamten Evangelium nur in den V. 14–18 seines Prologs und hier gleich vierfach vor. Darüberhinaus ist die Präposition ünt‡ in dem Syntagma c›rin üntÑ c›rito" an dieser Stelle hapax legomenon bei Johannes. Da deshalb außerhalb des Prologs ein spezifisch johanneischer Gebrauch weder des Lexems c›ri" noch der Wendung c›rin üntÑ c›rito" feststellbar ist, kann hier nur die Prologexegese selbst auf dem Hintergrund des allgemeinen Sprachgebrauchs seiner Zeit und Umgebung zum Ziel einer angemessenen Übersetzung führen. Daß die gängige und in den Kommentaren von Bauer, Bultmann, Schnackenburg, Lindars, Barrett, Gnilka, Bruce u. a. vertretene Wiedergabe von c›rin üntÑ c›rito" durch Gnade über Gnade unzulässig ist, weil sich die klassische Bedeutung von ünt‡ (gegen) nur in den Komposita von Verben erhalten hat, während die Präposition immer und ausschließlich im Sinn von anstelle gebraucht wird, hat Ruth Edwards glänzend begründet. Im Hintergrund der ungewöhnlichen Wiedergabe von c›rin üntÑ c›rito" durch „Gnade über Gnade“ scheinen uns denn auch eher dogmatische Vorurteile als philologische Gründe zu stehen. Übersetzt man nämlich c›rin üntÑ c›rito" regelgerecht mit „Gnade anstelle von Gnade“ und sieht die Begründung dafür in V. 17: Ωti ¨ n∙mo" diÅ MwÊsfiw" †d∙jh, ™ c›ri" kaÑ ™ ülfljeia diÅ ûIhsoú Cristoú †gfineto, so ergibt sich die folgende Paraphrase des Zusammenhangs: Die in V. 14 redenden und durch V. 15 nun um Jesu ersten und gottgesandten Zeugen Johannes gescharten „Wir“ bekennen, daß der Fleischgewordene „voller Gnade und Wahrheit“ ist, weil sie aus seiner Fülle alle anstelle der alten neue Gnade empfangen haben. Dabei ist – wie V. 17 begründet (Ωti) – die vorige Gnadengabe das durch die Vermittlung des Mose von Gott gegebene (†d∙jh) „Gesetz“, die neue Gnadengabe aber die durch Jesus Christus fleischgewordene 101
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(†gfineto wie in V. 14; vgl. Edwards 14, Anm. 29) Wahrheit. Das Prädikat †l›bomen zeigt an, daß c›ri" als sein Objekt hier nur Gottes Gabe bezeichnen kann (vgl. Ibuki, Wahrheit 199; u. Bultmann, Komm. 49 f: „c›ri" und ülfljeia bilden hier ein Hendiadyoin, da c›ri" den formalen Sinn von schenkender Gnade und gnädigem Geschenk hat, während ülfljeia den Inhalt der Gabe … bezeichnet“). Darum ist Geses Deutung von c›ri" als Gottes „Freundlichkeit, Güte und Huld“, d. h. als göttliche Eigenschaft, die er aus der unvermittelten Übertragung der hebräischen Wendung tmaw dsj von Ex 34,6 auf den Prolog gewinnt, ebenso verfehlt wie seine Gewichtung von c›ri": „In dem Doppelausdruck häsäd wä’ämät ist das erste Element, häsäd, das tragende … Das zu häsäd hinzutretende Element ‚ämät ‚Wahrheit‘ will die Zuverlässigkeit, das volle, stete, sichere Sein von häsäd betonen“ (Gese 186 f; auch Hanson übersieht bei seinem Versuch, das plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a" von 1,14 als „a deliberate citation of tmaw dsjAbr in Ex 34,6“ zu erweisen, diese gewichtige Differenz). Gerade an Geses fraglos kompetenter Interpretation von Ex 34,6 wird deutlich, daß sie nicht unmittelbar auf das griechische Syntagma c›ri" kaÑ ülfljeia unseres Prologs übertragen werden kann. Ist schon angesichts des völligen Fehlens des Lexems c›ri" im gesamten übrigen Evangelium und der demgegenüber doch prominenten Rolle von ülfljeia die Auszeichnung von c›ri" als „tragendes Element des Doppelausdrucks“ höchst unwahrscheinlich, so ist erst recht Geses Begründung für diese Prävalenz der c›ri", daß nämlich deshalb in V. 16 „allein (von c›ri") die Rede“ sei (186), verfehlt. Im Gegenteil, gerade V. 16 und seine Begründung durch V. 17 machen vielmehr deutlich, daß das „tragende Element“ in dem mit de la Potterie (Vérité I 138 ff) als c›ri" tö" ülhje‡a" zu paraphrasierenden „Doppelausdruck“ ülfljeia ist. Zwar läßt sich angesichts des dichten Beziehungsgeflechtes zwischen Ex 33,7–34,35 und Joh 1,14–18 wohl nicht gut bestreiten, daß wir hier tatsächlich ein absichtsvolles Spiel mit der biblischen Sinai-Erzählung vor Augen haben (vgl. Hanson u. Mowvley). Doch das gerade in dieser Erzählung wiederholt erscheinende hebräische Lexem ˆj (LXX: c›ri") steht dem Gebrauch von c›ri" in unseren Prologversen viel näher. Übersetzt man – wie hier vorgeschlagen – c›rin üntÑ c›rito" mit „Gnadengabe anstelle von Gnadengabe“, so erscheint bei Johannes das „Gesetz“ gut jüdisch als göttliche Gnadengabe. Das aber steht im Gegensatz zu der seit den Tagen Augustins die westliche Theologie beherrschenden Antithese von Gesetz und Gnade: o§ g›r †ste ≠pÖ n∙mon üllÅ ≠pÖ c›rin (Röm 6,14). Und daher rührt das genannte „dogmatische Vorurteil“, das zahlreiche Exegeten nach dem philologischen Strohhalm von „Gnade über Gnade“ greifen und sie ausgerechnet in Joh 1,17 die vertraute paulinische Antithese wiederfinden läßt. 17: Auf seine formale Logik reduziert, gibt de la Potterie den synthetischen Parallelismus von V. 17 so wieder: Ωti ¨ n∙mo" diÅ MwÊsfiw" †d∙jh / ™ ülfljeia diÅ ûIhsoú Cristoú †car‡sjh (Vérité I 140; für diesen Gebrauch von car‡zomai verweist er ebd. auf Origenes, GCS IV/491, 18–21). Freilich bleibt Johannes nicht bei dieser quasi nackten Synthese stehen. Zur Gewichtung der neuen Stufe des Heils nimmt er – unbekümmert um das Bersten der reinen Form – im zweiten Glied seines Parallelismus sowohl den „Doppelausdruck“ c›ri" kaÑ ülfljeia mit der genannten genitivischen Färbung des Nomens ülfljeia als auch das alles Sein ins schöpferische Werden versetzende †gfineto, das dem gesamten Prolog ja sein unverwechselbares Gepräge verlieh, aus V. 14 wieder auf. – Bleibt uns noch zu klären, inwiefern Johannes sagen kann: 102
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„Aus seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade anstelle von Gnade“. Denn das ist darum klärungsbedürftig, weil das Syntagma plflrwma a§toú durch den Kontext doch unzweideutig als die „Fülle“ des Fleischgewordenen, des in V. 17 Mose gegenüberstehenden Mannes Jesus Christus definiert ist. Das aber müßte – genau genommen – ja heißen, daß auch die Gnadengabe der Tora vom Sinai der Fülle Jesu Christi entstammt. Nun, daß das tatsächlich die Meinung unseres impliziten Autors zu sein scheint, der seinen Protagonisten ja u. a. sagen läßt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (14,9), „Ich und der Vater sind eines“ (10,30) und prÑn ûAbraÅm genfisjai †g„ e¢mi (8,58), das wird nicht nur die Exegese der genannten Passagen des corpus narrativum zu zeigen haben, sondern das dürfte schon bei der nun folgenden Auslegung von V. 18 als des „Epiphonems“ (Lausberg) unseres Prologs zum Vorschein kommen. 18: jeÖn o§deÑ" ©„raken p„pote / monogenÉ" je∙", ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patrÖ" †keõno" †xhgflsato. – Diese Wiedergabe des Textes von V. 18 impliziert eine doppelte Entscheidung: Einmal nämlich die textkritische Entscheidung für die Ursprünglichkeit der Lesart monogenÉ" je∙"; und zum anderen die exegetische Entscheidung, das Lexem je∙" als Apposition – oben durch den Einschluß in Kommata markiert – zu dem als Nomen begriffenen monogenfl" zu verstehen. Beide Entscheidungen sollen zunächst kurz begründet werden: (1) Die handschriftliche Überlieferung bietet die folgenden variae lectiones: 1) monogenÉ" je∙" (p66 a* B C* L pc. Ir Or Did); 2) ¨ monogenÉ" je∙" (p75c 33 bo); 3) ¨ monogenÉ" u´∙" (A C3 Q Y 063 f1.13 lat sys.1/4. und mit dem textus receptus fast alle modernen Übersetzungen); 4) e¢ mÉ ¨ monog. u´∙" (Ws it) und 5) ¨ monogenfl" (als ‚unigenitus‘ in zwei Mss der Vulgata und möglicherweise – soweit sich ein zugrundeliegender fester Text aus Väterzitaten überhaupt rekonstruieren läßt – durch das Diatessaron, Origenes, Jakob von Nisibis, Victorinus v. Rom, Ephraem, Cyrill v. Jerusal., Ambrosius, Epiphanius u. a. bezeugt; zugleich bieten jedoch fünf der hier genannten Zeugen auch alternative Lesarten!). Mastin (Feature 37 ff) hat die textkritische Problematik gründlich dargestellt und diskutiert (vgl. Metzger 198 u. Fennema). Obgleich die Lesart ¨ monogenfl" durch keine griechische Handschrift belegt ist, plädieren u. a. Boismard (Prologue 90), Sanders & Mastin (Komm. 85, n. 1; von Mastin, Feature 38, freilich begründet zurückgewiesen) und M. Davies (123 f) für ihre Ursprünglichkeit mit der Begründung, daß sich aus ihr alle anderen am ungezwungensten erklären ließen. Doch durch solche Bevorzugung eines derart späten und unsicheren Zeugnisses werden alle bewährten Regeln der Textkritik auf den Kopf gestellt, und daß sich von daher die lectio difficilior monogenÉ" je∙" „am ungezwungensten“ (!) erklären lasse, ist doch eine leere Behauptung. Die am häufigsten rezipierte Lesart des textus receptus ¨ monogenÉ" u´∙" wird u. a. in den Komm. von Hoskyns (153 f), Lightfoot (90), Bultmann (55 f), sowie von de la Potterie (Vérité I/181 ff) als ursprünglich angesehen. Barrett (Komm. 195) faßt die dafür gegebene Begründung so zusammen: „Es scheint jedoch, daß u´∙" von dem folgenden Satz gefordert wird, und es paßt auch zum joh Sprachgebrauch (3,16.18; 1Joh 4,9; vgl. Joh 1,14)“. Er fährt dann aber fort: „Dies würde es jedoch einfach zur lectio facilior machen. Der Sinn wird durch die Textvarianten im wesentlichen nicht verändert. Der Sohn ist das Wort, und das Wort ist bereits als Gott verkündet worden; Joh könnte absichtlich am Ende des Prologs zu dieser in V. 1 formulierten Aussage zurückkehren“. Es kommt hinzu, daß – abgesehen von dieser fragwürdigen Stelle – das Lexem u´∙", im Gegensatz zu dem 7-fach gebrauchten je∙" im Prolog nicht vorkommt, sondern als neue Information erst 1,34 durch den Täufer eingeführt wird; daß bei Joh monogenÉ" u´∙" stets mit je∙", nie aber mit patflr konnotiert ist und wo, wie in 1,14 u. 18, diese Verbindung vorliegt, schon das bloße monogenfl" ohne u´∙" den semantischen Valeur des „einziggeliebten Sohnes“ hat (s. o. zu Joh 1,14, wo auf die entsprechenden Untersuchungen von Fennema und Pendrick verwiesen ist).
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Gebührt der Lesart monogenÉ" je∙" schon allein aufgrund des Gewichtes ihrer Textzeugen der Vorzug, so spricht neben den eben genannten inneren Gründen noch eine doppelte Wiederauf‑ nahme für deren Ursprünglichkeit: Einmal nämlich wird, wie die bereits genannte Beobachtung von Barrett zeigt, mit der je∙"-Prädikation des monogenfl" gewiß nicht zufällig das kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go" aus V. 1 ebenso wieder aufgenommen wie auch der Relativsatz, ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patr∙", in dem Satz, kaÑ ¨ l∙go" én prÖ" tÖn je∙n, seine genaue Entsprechung hat. Und zum anderen kehrt, in der Metamorphose seiner Verbalisierung zu †xhgflsato verborgen, auch die semantische Tiefenstruktur des Lexems l∙go" wieder, das den Eingang des Prologs ebenso wie seinen zentralen V. 14 beherrschte (vgl. Louw 32 ff). Auf diese Weise bilden die Verse 1 u. 18 eine kunstvolle Inclusio. „Das Verbum … †xhgflsato ist als letztes Wort des Prologs inhaltlich besonders ‚akzentuiert‘, da es Stellvertreter des Substantivs l∙go" ist; der l∙go" erscheint zu Anfang in J 1,1 (als Schöpfer …), in der Mitte in J 1,14 (als ‚Inkarnierter‘…), am Schluß verbal in J 1,18 (sozusagen als ‚Göttlicher Herold‘)“ (Lausberg, Epiphonem 278). (2) Durch die frühe und verbreitete Ersetzung der schwierigeren Lesart je∙" durch das geläufigere und erleichternde u´∙" ist das Nomen monogenfl" zugleich zum Adjektiv geworden und darin dürfte auch der Ursprung der Lesarten mit dem Artikel liegen: ¨ monogenÉ" u´∙" bzw. je∙". Bezeichnet aber schon das Nomen monogenfl" zusammen mit der ausdrücklich explizierten spezifischen Relation des so Benannten zum Vater diesen zureichend als dessen einzigen und geliebten Sohn, dann muß das auf monogenfl" folgende Lexem je∙" Apposition und der Sinn der Wendung „Gott, der einzige Sohn“ sein (vgl. Fennema 128 u. du Plessis 27 ff).
Lausberg bestimmt Joh 1,18 als das „Epiphonem“ des Prologs, wobei er ‚Epiphonem‘ unter Berufung auf sein „Handbuch der literarischen Rhetorik“ (§ 879) definiert als „eine ein Textstück formal ebenso ‚markant‘ abschließende wie dessen inhaltliche ‚Bedeutsamkeit‘ ins ‚Allgemeine‘ weitende ‚Sentenz‘“ (Epiphonem 272). Zur auffälligen syntaktischen Struktur dieses kunstvollen Epiphonems sowie zur scheinbaren Objektlosigkeit seines in der äußersten Endposition stehenden zweiten Verbums †xhgflsato bemerkt Lausberg, „daß das personale Objekt … je∙n einerseits (idiomatisch korrekt) von dem ihm zunächst stehenden (auf personale Objekte ohne Schwierigkeiten beziehbaren) Verbum … ©„raken und andererseits (idiomatisch ungewöhnlich) von dem entfernteren (auf personale Objekte im geläufigen Sprachgebrauch nicht beziehbaren) Verbum … †xhgflsato abhängig“ sei. In dieser „Ungleichmäßigkeit“ sieht er eine „constructio üpÖ koinoú“, die jedoch als „kontextuell bedingte Lizenz“ durchaus noch im Rahmen des Üblichen liege: „zum personalen Objekt … je∙n steht das idiomatisch korrekte Verbum … ©„raken in nächster (nur durch das Subjekt o§de‡" vermittelter) Nähe zu dem gleichen personalen Objekt … je∙n steht das ‚lizenzhafte‘ Verbum … †xhgflsato in … größtmöglicher Entfernung. Diese ‚Entfernung‘ impliziert ein Maß syntaktischen ‚Vergessens‘, das die Lizenz legitimiert, so daß der Vers-Teil J 1,18c … in geglättet vollständiger Syntax zu lesen wäre als: †keõno" (©„raken kaÑ ¡ ©„raken) [J 8,38] †xhgflsato“ (ebd. 273). Ja, daß der Leser diese Autopsie des Vaters durch den einzigen Sohn als den Gegenstand von dessen †xhgflsato tatsächlich ergänzen soll, zeigt auch ein Text wie 6,46: o§c Ωti tÖn patfira ©„rakfin ti" e¢ mÉ ¨ œn parÅ toú jeoú, oñto" ©„raken tÖn patfira (explizit und wohl unter dem Einfluß von 6,46 haben diese Ergänzung ja schon die Textzeugen der oben genannten Lesart: e¢ mÉ ¨ monogenÉ" u´∙" [jeoú] vollzogen; vgl. noch Joh 3,31 ff). Über diese Beziehungen zum corpus narrativum hinaus vermutet Lausberg mit guten Gründen, daß Joh 1,18 absichtsvoll mit dem Vers t‡" ©„raken a§tÖn kaÑ †kdihgflsetai; kaÑ t‡" megaluneõ a§tÖn kaj„" †stin (Sir 43,31) spielt und mit V. 18 sozusagen die Antwort auf die beiden rhetorischen Fragen des Siraciden gibt. Auch wenn dabei in‑ 104
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haltlich nur der erste dieser beiden Sätze „benutzt“ wird, besteht gleichwohl aber auch zu dem zweiten, für Joh 1,18 „inhaltlich ungeeigneten“ Satz insofern eine formale Entsprechung, als das t‡" der ersten Frage bei Joh durch o§de‡", das der zweiten Frage aber durch monogenÉ" je∙" beantwortet wird. Wenn der implizite Autor damit aber dem von ihm geschaffenen Modell-Leser die Fähigkeit zumutet, daß er dieses intertextuelle Spiel auch zu würdigen weiß, dann darf man solches Können wohl auch der intendierten realen Leserschaft unterstellen. „Denn als ‚Anspielung‘ auf Sir 43,31 gewinnt J 1,18 das dieser Stelle vom Autor zugedachte ‚Salz‘“ (ebd.). Da es sich bei Sir 43,31 aber nicht einfach um irgendeine vage Tradition, sondern um die kunstvoll formulierte Sentenz innerhalb eines literarischen Werkes handelt, auf die hier „angespielt“ wird, ist bei dem Modell-Leser die Kenntnis eben dieses „Werkes“ vorausgesetzt. Das impliziert dann aber auch, daß das Kapitel 24 des Siraciden nicht als eine lediglich Joh 1,1–18 verwandte Tradition über die sof‡a, sondern als literarischer „Bezugstext“ des Prologs begriffen sein will. Denn wie für Sir 43,31 gilt, daß „‚Salz‘ von vorneherein schon darin“ liegt, daß durch Joh 1,18 „eine die Unmöglichkeit feststellende rhetorische Frage … durch einen Bericht über die Realisierung des sprichwörtlich Unmöglichen beantwortet wird“, so dürfte ‚Salz‘ auch darin liegen, daß der „poetisch an ein personifiziertes Abstraktum gerichtete Imperativ“: †n ûIakáb kataskflnwson (Sir 24,8), durch die Wendung: kaÑ †skflnwsen †n ™mõn (Joh 1,14) „als von einer konkreten historischen Person bereits vollzogen hingestellt wird“ (ebd.). ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patr∙": Die nahe und absichtsvolle Beziehung zwischen diesem Relativsatz und den Worten, én ünake‡meno" eï" †k tùn majhtùn a§toú †n tù k∙lpw toú ûIhsoú, ≈n °g›pa ¨ ûIhsoú" (13,23), mit denen der geliebte Jünger und Evangelist (21,24) in die Erzählung eingeführt wird, hat schon die Aufmerksamkeit des Origenes erregt. Wie das Sein des monogenfl" an der Brust oder im Schoße des Vaters ihn befähigt, den Menschen Gott zu offenbaren, so autorisiert sein Liegen an der Brust Jesu den geliebten Jünger als den vollmächtigen Exegeten und Erzähler der Geschichte Jesu (Orig. Joh XXXII,20 zu Joh 13,23). Doch gerade im Blick auf diese Beziehung fällt auch die Differenz ins Auge: Wird von dem monogenfl" dem sentenziösen Charakter des Epiphonems entsprechend präsentisch formuliert, ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patr∙", so heißt es vom geliebten Jünger im Erzähltempus: én ünake‡meno" ... †n tù k∙lpw toú ûIhsoú. Die Differenz der Tempora legt es nahe, auch diejenige der Präpositionen nicht zu übersehen, da sie kaum dazu geeignet ist, die gängige Auskunft zu bestätigen: „Die Worte e¢" tÖn k∙lpon stehen für †n tù k∙lpw; vgl. B-D-R § 205 mit Anm. 4“ (Hofius, Schoß 163). Lausberg gibt dazu zu erwägen: „Allerdings könnte die doch wohl gemeinte ‚Richtung‘ in J 8,26 taúta lalù e¢" tÖn k∙smon auch in J 1,18 an eine … ‚Dynamik‘ des Sohnes ‚zum Vater hin‘ denken lassen, was in Anbetracht der ‚Subtilität‘ des Prologs nicht primär ausgeschlossen werden sollte“ (Epiphonem 278). Diese Erwägung läßt sich erhärten, wenn man mit de la Potterie bedenkt, daß V. 18 ja nicht von einem präexistenten l∙go" ±sarko" oder von irgendeinem Postexistenten redet, sondern von dem soeben mit seinem konkreten Namen ûIhsoú" Crist∙" benannten Fleischgewordenen, und daß wie das partizipiale ¨ ∑n so auch das Perfekt ©„raken präsentische Bedeutung hat: Er, der den Vater ständig vor Augen und seine †ntolfl im Ohr hat (vgl. ≈ ©wr›kamen marturoúmen [3,11]; ≈ ©„raken kaÑ ≥kousen toúto martureõ [3,32]; sowie 11,41 f), ist stets hingeneigt zum Herzen des Vaters („Le Fils unique tourné vers le sein du Père“, Vérité I 228; vgl. ebd. 226 ff). 105
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Johannes gebraucht die Präpositionen pr∙" und e¢" c. Acc. durchweg im Sinn eines dynamischen Gerichtetseins auf eine Sache oder Person, und mit der LXX unterscheidet er zwischen e¢" und †n ebenso präzise wie zwischen pr∙" c. Acc. und par› c. Dat. (vgl. de la Potterie, Vérité I 229 ff; dagegen behauptet Schnackenburg zu Joh 1,1 u. 18, die Synonymität von e¢" und †n sowie von pr∙" c. Acc. und par› c. Dat.). Auf diesem, durch kaÑ ¨ l∙go" én prÖ" tÖn je∙n zu Eingang des Prologs und durch ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patr∙" an seinem Ausgang markierten, stetigen Orientiertsein des Sohnes auf den Vater beruhen d∙xa und ülfljeia seines Weges. Dieser Zug bestätigt den schon benannten Inclusio-Charakter der Verse 1 u. 18 (s. o.) und verleiht ihm seinen spezifischen Akzent. Zugleich hat aber das letzte Syntagma, †keõno" †xhgflsato, dieses den Prolog beschließenden Epiphonems als Eröffnung der folgenden narratio eine Brückenfunktion. Denn daß hier „statt oñto" … das Pronomen †keõno" gewählt wird, hängt mit der Epiphonem-Funktion des ganzen Verses zusammen: dieses Pronomen hat – wie in J 1,8 – die textlinguistische und damit ‚oratorische‘ Funktion der ‚StoffVerabschiedung‘ (BDR § 291 n. 5)“ (Lausberg, Epiphonem 278). Zugleich eröffnet aber das dem Subjekt †keõno" folgende Prädikat †xhgflsato den Weg in die mit V. 19 beginnende narratio als den Inhalt jenes Offenbarens. In dem berechtigten Bestreben, das Johannesevangelium nicht wie nahezu alle modernen Kommentatoren im Licht von Chalcedon, sondern vielmehr allenfalls dahin unterwegs zu lesen, bestreitet M. Davies vehement Präexistenz und Gottheit Jesu, dem sie als von Gott Auferwecktem nur eine Postexistenz beim Vater zugestehen will (123 f). Den Schriftgrund dafür muß ihr u. a. die je∙"-lose Lesart ¨ monogenfl" in V. 18 liefern. Das Thomas-Bekenntnis von 20,28: ¨ k‚ri∙" mou kaÑ ¨ je∙" mou, teilt sie schiedlichfriedlich in ein Bekenntnis zu Jesus als k‚rio" und eines zum Vater als je∙" auf (125f). Einem analogen Verfahren unterwirft sie auch den Prolog, indem sie den l∙go", als „God’s plan in creation“ und „eternal expression of his being“ schroff von dem Men‑ schen Jesus trennt. Nur von dem mit Gott gleichursprünglichen l∙go" als Subjekt der Verse 1–13 werde gesagt und könne auch allein gesagt werden: kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go" (1,1), nicht aber von dem Menschen Jesus, in dessen „life, death and resurrection“ Gott „finally and fully communicated her (sic!) purpose“ (122). Wenn auch nur auf den mehr als schwankenden Boden einer fragwürdigen textkritischen Entscheidung gestützt, möchte Davies offenbar der Verwechslung oder Vertauschung des einzig realen Subjekts unseres Evangeliums, nämlich des jüdischen Mannes Jesus aus Nazaret, mit dessen Prädikaten, wie Sohn Gottes und Sohn des Menschen, Licht, Leben, Brot, Weinstock, Hirte, Weg, Wahrheit und Logos widerstehen (vgl. zum Problem Mildenberger II, 386 ff). Das ist jedoch nicht dadurch zu leisten, daß der prädikative l∙go" unseres Prologs bis hin zu dessen 13. Vers zu einem abstrakten „Plan Gottes“ erklärt wird, zumal das nur ein anderer Name für den vormaligen l∙go" ±sarko" zu sein scheint und solches Denken eher den Spuren stoischer Heraklit-Rezeption als denen der biblischen Überlieferung folgt. – Nein, der l∙go" ist nicht ein stummer und abstrakter „Plan Gottes“, sondern sein konkretes biblisches Sprechen. Nicht zufällig evoziert Joh 1,1 ff darum das schöpferische Sagen Gottes von Gen 1,1 ff. Und Jesu †g„-e¢mi-Worte – zumal die von prädikationslos-absoluter Gestalt – spielen deshalb absichtsvoll mit denen des „Deutero-Jesaja“ genannten Abschnitts des Jesaja-Buches, der gerahmt ist durch die Sentenzen: „Das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit“ (40,8) und: „Wie der Regen und der Schnee vom Himmel kommen und nicht wieder dahin zurückkehren, es sei 106
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denn, sie hätten zuvor die Erde getränkt …, so soll auch das Wort sein, das ausgeht aus meinem Munde. Es soll wahrlich nicht zu mir zurückkehren, ehe es nicht vollbracht hat, was ich wollte (suntelesjÔö Ωsa °jfilhsa), und ehe es nicht meine Gebote zu meinem Wohlgefallen erfüllt hat“ (55,10 f; vgl. Thyen, JAC u. siehe jeweils z. St.). Angesichts von Texten wie Joh 17,5.24; 6,33 ff. 42.62 u. ö., in denen Jesus selbst völlig unzweideutig von seiner Präexistenz und Herrlichkeit beim Vater noch vor Grundlegung der Welt spricht, kann man allein aufgrund einer höchst zweifelhaften Lesart im Prolog doch schwerlich bestreiten, daß für Johannes Jesus der präexistente Schöpfungsmittler ist, um statt seiner dann allein einem abstrakten und nur gedachten „Plan Got‑ tes“ Präexistenz zuzugestehen. Ganz unabhängig von der textkritischen Entscheidung über V. 18 kann die Frage darum nur lauten, wie denn auf dem engen Feld zwischen Mythos und Metaphysik die Rede von Präexistenz und Schöpfungsmittlerschaft Jesu so verstanden werden kann, daß darüber das konkrete Mensch‑ und Subjektsein des jüdischen Mannes aus Nazaret nicht zum bloßen Prädikat eines abstrakten und ebenso zeit‑ wie fleischlosen „Gottessohnes“ oder „-planes“ gerät. Und das kann sicher nicht so geschehen, daß man erklärt, weil das „zur Zeit der Entstehung des Joh weit verbreitet“ gewesen sei, habe auch unser Evangelist sich darum bemüht, seine „Christologie konstitutiv in der Schöpfungslehre zu verankern“ (Becker I, 95, der als Belege solcher „weiten Verbreitung“ freilich nur Kol 1,15 ff und Hebr 1,2 f anführen kann). Demgegenüber wird man im Blick auf diese beiden Texte wie auf unseren Prolog mit Mildenberger jedoch wohl urteilen müssen, daß hier umgekehrt der Schöpfungsglaube konstitutiv in der Christologie verankert wird: Weil sich Jesus Christus als der auferweckte Gekreuzigte den Seinen dadurch als „Schöpfungsmittler“ erwiesen hat, daß er ihnen den ängstenden k∙smo" als Gottes Schöpfung erfahrbar gemacht und ihnen die Vollmacht gegeben hat, darin als Teilhaber an seinem Frieden und seiner Freude „Gottes Kinder zu werden“, haben sie ihn in hymnischer und in keine Ontologie je überführbarer Sprache als den präexistenten Schöpfungsmittler und als den gepriesen, in dem Gott sie schon vor Grundlegung der Welt zu seinem Eigentum erwählt hat (vgl. Eph 1,4). Zu solchem Lob des Schöpfungsmittlers konnten sie anknüpfen an die poetische Sprache jüdischer Weisheitsdichtung und deren mythologische Reflexion, wo in Texten wie Prov 8, Hiob 28 oder Sir 24 der Gedanke der Schöpfungsmittlerschaft der Weisheit ebenso wie deren Identifizierung mit dem schöpferischen Wort Gottes (Sap 9,1 f. 9) und mit seiner Tora (Sir 24,23; Bar 4,1; vgl. Billerbeck II, 353 ff und den von Hofius, Schoß 166 ff, erörterten Text aus Abboth RN [Rez A] 31) längst vollzogen war (vgl. Mildenberger I, 130–134). Gegen alle Versuche, solche Theologumena unmittelbar aus vermeintlichen Basis-Mythen abzuleiten und diese damit zum Erklärungsprinzip zu machen oder sie als deren Elemente zu begreifen, hat E. Schüssler Fiorenza hilfreich auf die in der hellenistischen Synagoge verbreitete, von purer Mythos-Rezeption unterschiedene, Praxis mythologischer Reflexion als eine Weise theologischen Argumentierens hingewiesen: „The theologoumenon about the preexistence and mediatory activity of Jesus Christ in the creation of the world underline his cosmic sovereignty. This myth, however, lives from the knowledge that this preexistent cosmic lord is the same as the Jew Jesus Christ … The mythical features, however, are so strong that these references to the human life of Jesus Christ are in danger of being swallowed up by them, as can be seen in later gnostic writings“ (36). 107
Erster Teil: Das Buch des Zeugnisses (1,19–10,42) Erster Akt des historischen Dramas Jesu nach Johannes (1,19–2,22) Auch die dem gleichsam „vor dem Vorhang“ und unmittelbar ins „Publikum“ gesprochenen „Prolog“ folgende Narratio lesen wir nun als die spezifisch johanneische Variante der von unseren Evangelien gebotenen „dramatischen Historie Jesu“, nämlich als Historisches Drama. Nach dessen Analogie nennen wir seine größeren Textteile darum „Akte“, die wir wiederum in deren einzelne „Szenen“ untergliedern. Der erste Akt unseres Dramas ist durch den Neueinsatz von 1,19, sowie durch seine Sprachform deutlich vom Prolog abgehoben. Er erreicht, wie wir dann z. St. sehen werden, mit Joh 2,22 sein Ende. Durch sein auffälliges Tagesschema (tÔö †pa‚rion in 1,29; 1,35; 1,43; tÔö ™mfira tÔö tr‡tÔh: 2,1 und o§ pollÅ" ™mfira": 2,12) ist er deutlich in sieben Szenen gegliedert.
Erste Szene: Erster Tag und erste marturiva des Johannes (1,19–28) 19
Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm sandten, daß sie ihn fragten: Wer bist du? 20 Und er bekannte und er leugnete nicht, und er bekannte: Ich bin nicht der Messias (oJ cristov"). 21 Und sie fragten ihn: Wer bist du denn? Bist du Elia? Und er erwiderte: Ich bins nicht. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein! 22 Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Damit wir denen, die uns gesandt haben, eine Antwort geben können. Was sagst du über dich selbst? 23 Er sagte: Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Wie es Jesaja, der Prophet gesagt hat. 24 Sie waren aber von den Pharisäern gesandt worden (oder: Die Abgesandten aber gehörten der Gruppe der Pharisäer an [s. u. z. St.]). 25 Und sie befragten ihn weiter und sagten zu ihm: Wozu taufst du denn, wenn du doch weder der Messias, noch Elia, noch auch der Prophet bist? 26 Und Johannes antwortete ihnen und erklärte: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch (aber) steht bereits der, den ihr nicht kennt, 27 der, der nach mir kommt, dem ich aber (gleichwohl) nicht würdig bin, auch nur die Riemen seiner Sandalen zu lösen. 28 Das ereignete sich in Bethanien, jenseits des Jordan, wo Johannes taufte. 109
1,19–28
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
19–21: Mit den Worten kaÑ aæth †stÑn ™ martur‡a toú ûIw›nnou nimmt der Erzähler den in 1,8 niedergelegten Faden der ersten Täufermartyria des Prologs (1,6–8) wieder auf. „Die Juden“ haben aus Jerusalem eine Delegation von „Priestern und Leviten“ zu Johannes geschickt, die ihn nach seiner Identität und nach seiner Taufe befragen sollen. Und als „der erste Christ“ (von der Osten-Sacken) verhält sich Johannes so, wie Christen sich im Ernstfall verhalten sollen: kaÑ Æmol∙ghsen kaÑ o§k °rnflsato, kaÑ Æmol∙ghsen. Johannes „bekennt und verleugnet nicht“. Er ist ein wahrer und offener Jünger und keiner der vielen, die aus Angst vor dem Synagogenausschluß das Bekenntnis nicht wagen (o§c Æmol∙goun ºna mÉ üposun›gwgoi gfinwntai: 12,42 u. ö.). In absichtsvollem Gegensatz zu dem, der da sagt und allein sagen darf: †g„ e¢mi, bekennt er feierlich und leugnet nicht: †gá o§k e¢mÑ ¨ crist∙". Dieses solenne Bekenntnis ist möglicherweise ein intertextuelles Spiel mit Lk 3,15. „Luke’s report of the people’s speculation that the Baptist might even be the Messiah (Lk 3,15; Acts 13,25) provided the immediate motivation for placing the Baptist’s emphatic denial at the beginning of the body of the gospel. Jn 1,19–27 is John’s own creative composition with repetitions and variations typical of his literary style throughout the gospel. This is the best reason for denying that certain passages are due to a redactor“ (Freed, Variations 196). Auf die weiteren Fragen der aus Jerusalem Delegierten, ob er denn „Elia“ sei (der nach Mal 3,22 f prÑn †ljeõn ™mfiran kur‡ou tÉn meg›lhn kaÑ †pifanö wiederkommen und alle Zerstrittenen versöhnen soll) oder ob er der Dt 18,15 verheißene „Prophet wie Mose“ sei, antwortet er mit abnehmender Emphase zunächst mit o§k e¢m‡ und endlich mit dem einfachen o∂. Dieses dreifach negative „Bekenntnis“ will, wie seine Formulierung zeigt, freilich zugleich als positives Zeugnis für den verstanden sein, der immer wieder †g„ e¢mi sagen wird, und in dem alle mit dem Messias, mit dem wiederkehrenden Elia und mit dem endzeitlichen „Propheten wie Mose“ verbundenen messianischen Verheißungen mehr als erfüllt sein sollen. Hatte der implizite Erzähler unseres Evangeliums im Metatext seines Prologs diese martur‡a des Johannes in dem Urteil o§k én †keõno" tÖ fù" üllû ºna marturflsÔh perÑ toú fwt∙" (1,8), zusammengefaßt, so läßt er jetzt die dramatis persona Johannes selbst dieses o§k én detailliert entfalten. Daß in diesem negativen Bekenntnis, wie oft behauptet wurde, antitäuferische Polemik vorliege, indem hier der fiktionale Johannes seiner messianischen Verehrung durch seine vermeintlichen „Jünger“ eigenhändig den Boden entziehe, ist denkbar unwahrscheinlich. Denn die Bestreitung des Rechts, Johannes messianisch zu verehren – oder gar die Absicht, seiner Akklamation als l∙go", fù" und zwfl entgegenzutreten, wie das Bultmann im Anschluß an Baldensperger vermutet hatte, – ist weder Haupt‑ (Baldensperger) noch auch nur entfernter Nebenzweck des Johannesevangeliums (so aber u. a. W. Bauer, Komm. 16 ff; F. Neugebauer, Entstehung 20 ff; Vielhauer, Geschichte 450 ff; Richter, Studien 12 ff u. 288 ff; Becker, Komm. I, 44; Wengst, Bedrängte Gemeinde 174 ff; H.-M. Schenke, Er muß wachsen 301 ff; Lichtenberger, Täufergemeinden 51 ff). Mit Schmithals (Johannesevangelium 162 f) ist „diese bei konservativen und bei kritischen Forschern gleichermaßen beliebte Auskunft“ jedoch zu bestreiten. Denn außer den in diesem Sinne interpretierten Texten Joh 1,8.15.19 ff und 3,28 gibt es für eine mes‑ sianische Verehrung des Täufers keinerlei eindeutige Indizien. Wohl hatte schon Wrede erkannt, daß in dem Johannes-Bild unseres Evangeliums „ein polemisch-apologetisches Interesse des Evangelisten unmöglich zu verkennen ist“ (Charakter u. Tendenz 60). Aber dieses Interesse findet bei ihm eine weit einleuchtendere Erklärung: „Das von 110
Erste Szene: Erster Tag und erste martur‡a des Johannes
1,19–21
Johannes bekämpfte Judentum könnte den Täufer gegen Jesus ausgespielt haben. Dann hätte man diese Züge – und das wäre der große Vorteil dieser Ansicht – in die sonstige Polemik des Evangeliums einfach einzurechnen. Man sagte etwa auf jüdischer Seite, Johannes sei doch ein ganz anderer Mann als Jesus gewesen, er sei viel eher ein Prophet zu nennen; die Taufe habe er gebracht, nicht Jesus, er habe ja auch Jesus selbst getauft, sei folglich der Größere, Jesus dagegen sei der Taufe bedürftig gewesen, und dergleichen“ (ebd. 64 f). Diese Vermutung wird bestätigt durch den Gegensatz zwischen dem Schweigen, mit dem Josephus Jesus übergeht, und seiner beredten Zeichnung Johannes des Täufers als eines frommen Märtyrers, dessen allgemeine Hochschätzung im Volk sich vor allem darin erwiesen habe, daß man in der vernichtenden Niederlage der gesamten Armee des verhaßten Antipas im Krieg gegen die Nabatäer dessen verdiente Strafe des Himmels für die Ermordung des gerechten Johannes gesehen habe (Ant. Iud. 18,116–119). Sowohl Markus als auch Matthäus malen ihren Täufer mit den Farben der Palette des biblischen Elia-Bildes (vgl. Mk 1,6 u. Mt 3,4 mit 2Kön 1,8 u. die Rolle der Herodias in Mk 6,17–28 mit derjenigen Isebels in 2Kön 17 ff). Ja, sie identifizieren ihn gar mit dem nach Mal 3,1 u. 22 f wiederkommenden Elia. Während Markus diese Identifikation nur implizit vollzieht und ihre Explikation seinem Leser überläßt, wenn er (1,2 f) Mal 3,1 mit dem Zitat von Jes 40,3 verknüpft und Jesus auf dem Berg der Verklärung zu seinen Jüngern sagen läßt: üllÅ lfigw ≠mõn Ωti kaÑ ûHl‡a" †lfllujen, kaÑ †po‡hsan a§tù Ωsa ≥jelon ... (9,13), erklärt Mt ausdrücklich: t∙te sunökan o´ majhtaÑ Ωti perÑ ûIw›nnou toú baptistoú eèpen a§toõ" (Mt 17,13; vgl. Richter, Studien 15 ff). Dagegen läßt unser Evangelist seinen Johannes nachdrücklich bestreiten, der Elia redivivus zu sein, und das schwerlich in Unkenntnis der durch seine Vorgänger vorgenommenen Identifikation. Da er aber hier, wie auch sonst, deren Werke und ihre Kenntnis bei seinem „Modell-Leser“ (Eco) voraussetzt, kann es schwerlich seine Absicht sein, diese verdrängen oder ersetzen zu wollen. Vielmehr metaphorisiert er durch seine Bestreitung der Identität des Johannes mit Elia deren elianisches Täuferbild und versetzt es so als ein „Ist Wie“ in die Spannung zwischen „Ist“ und „Ist nicht“. Und er tut das wohl, weil für ihn allein in Jesus alle eschatologischen Verheißungen Ja und Amen sind und weil – im Gegensatz zu Elia, dem großen Wundermann Gottes – von Johannes gilt: ûIw›nnh" mÇn shmeõon †po‡hsen o§dfin, p›nta dÇ Ωsa eèpen ûIw›nnh" perÑ to‚tou ülhjö én (10,41). Die Farben der Palette des biblischen Eliabildes wie die des „Propheten wie Mose“ (Dt 18,18) braucht er, wie die Interpretation von 2,1–11; 4,46–54 und 6 zeigen wird, für sein Porträt Jesu. Darum weist das dreifache negative Bekenntnis des Johannes dreifach auf Jesus, was die Jerusalemer Gesandtschaft natürlich nicht begreifen kann. Das wird vollends in 3,28 deutlich, wo Johannes im Kreise seiner „Jünger“ erklärt: a§toÑ ≠meõ" martureõte Ωti eèpon [Ωti] o§k e¢mÑ †gá ¨ crist∙", üllû Ωti üpestalmfino" e¢mÑ ≤mprosjen †ke‡nou (vgl. de Jonge, Stranger 53). Daß Joh anders als die Synoptiker, anders zumal als Mk und Mt, alle auf Elia weisenden Züge aus seinem Bild des Johannes getilgt hat, dürfte auch mit der durch Justin bezeugten jüdischen Erwartung zusammenhängen, wonach erst der wiedergekehrte Elia einen dazu erwählten und bis dahin unerkannt unter seinem Volke lebenden Menschen, indem er ihn salbt, zum Messias macht. In diesem Sinne erklärt Tryphon: kaÑ gÅr p›nte" ™meõ" tÖn CristÖn ±njrwpon †x ünjr„pwn prosdokùmen genflsesjai, kaÑ tÖn ûHl‡an cr‡sai a§tÖn †lj∙nta (Dial 49; vgl. de Jonge, Stranger 85 ff). Um den 111
1,19–28
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
Vollzug der Taufe des präexistenten Gottessohnes Jesus durch Johannes nicht in solchem Sinne als dessen Messiasweihe erscheinen zu lassen, übernimmt Joh auch die synoptische Erzählung von Jesu Taufe nicht, sondern spielt nur auf seine Weise mit ihr, indem er sich Johannes, den er auch nie den „Täufer“ nennt, ihrer erinnern läßt (s. u.). 22 f: Weil sie nicht mit leeren Händen zu denen zurückkehren können, die sie gesandt haben, dringen die Fragesteller weiter in Johannes: t‡" eè; ºna üp·krisin dùmen toõ" pfimyasin ™mô": t‡ lfigei" perÑ seautoú; Und das beantwortet er jetzt auf den Spuren der Tradition (vgl. Mk 1,2 f) mit den Worten Jesajas: †gá fwnÉ boùnto" †n tÔö †rflmù: e§j‚nate (LXX: ©toim›sate) tÉn ¨dÖn kur‡ou (= Jes 40,3), kajá" eèpen ûHsa⁄a" ¨ profflth". Wie Elia, nicht aber als dieser, ist also auch Johannes Gottes endzeitlicher Bote. Während den Synoptikern eben dieses Jesaja-Zitat als Schriftbeweis dazu dient, die heilsgeschichtliche Rolle Johannes des Täufers gleichsam von außen zu beschreiben und zu legitimieren (Mk 1,2 f parr.), macht unser Erzähler hier Johannes selbst zum „Christus-Zeugnis in Person“: Indem er ihm nämlich die Schriftworte unmittelbar in den Mund legt, werden sie den aus Jerusalem delegierten „Priestern und Leviten“ gegenüber zu seinem aktuellen Selbstzeugnis, das er ihn mit den Worten: kajá" eèpen ûHsa⁄a" ¨ profflth", erst nachträglich als dasjenige Jesajas identifizieren läßt (Obermann 93–113). In seiner auf den jeweiligen Kontext ausgedehnten glänzenden Begründung dafür, daß Joh hier die LXX und nicht den HT zitiert, gerät bei Obermann leider das u. E. noch gewichtigere Problem des Verhältnisses von Joh 1,19– 34 zu Mk 1,2–11 aus dem Blick. Denn schon die absichtsvolle Auslassung des bei Mk mit dem Jesaja-Zitat verbundenen und auf Elia weisenden Maleachi-Textes ebenso wie die glückliche Zusammenziehung der beiden Verben ©toim›sate und e§je‡a" poieõte zu dem e§j‚nate in der nahezu gnomischen Johannes-Antwort legen es doch nahe, in Joh 1,19–34 ein intertextuelles Spiel mit Mk 1,2–11 zu sehen. Durch eine breite Untersuchung des Gebrauchs des Lexems ©toim›zw in der LXX und im zeitgenössischen Sprachgebrauch hat Menken (Quotation) die Wahl des Lexems e§j‚nate anstelle des ©toim›sate der LXX als einen spezifisch johanneischen Eingriff in den Jesaja-Text erwiesen. Denn ©toim›zw bezeichnet stets einen für das Künftige notwendigen Akt seiner ihm vorausgehenden Vorbereitung (vgl. nur Joh 14,2 u. s. Menken 195 ff). Darum gilt: „Had he (sc. John) left ©toim›sate in his text, then the words ‚prepare the way of the Lord‘ would have implied that John the Baptist had to accomplish his task of witnessing to Jesus before Jesus appeared. … This is precisely the manner in which the synoptics present the temporal relationship of John the Baptist and Jesus. … The Fourth Gospel presents John the Baptist in a different way. As soon as the Baptist appears on the scene, Jesus is there also. … Apparently, the fourth evangelist makes the ministry of the Baptist contemporaneous with the first part of Jesus’ ministry. John the Baptist is not so much Jesus’ precursor as a witness who appears next to Jesus“ (Menken, ebd. 200 f). Wegen vermeintlicher Nahtstellen und Brüche innerhalb von Joh 1,19–34 versprechen sich neben anderen namentlich Bultmann (Komm. 57 f) und Becker (Komm. 105–117) von literarkritischen Operationen und Rekonstruktionen seiner vermeintlichen Schichten die Heilung des Textes. Vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen literarischen Theorie zur Genese des Johannes evangeliums und beruhend „auf einem von außen an den Text herangetragenen rigorosen Kohärenzprinzip als Leitfaden für die (Wieder)-Herstellung des ursprünglichen Textes“ (D.-A. Koch 1965) konstruieren sich beide zunächst das Objekt ihrer Interpretation. So erklärt Bultmann: „1,19–34 ist keine ursprüngliche Einheit. Deutlich heben sich zunächst V. 22–24 heraus. die den
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1,22–24
Zshg zwischen V. 21 und V. 25 zerreißen.“ Die Alternative, ob der Evangelist sie in seine Quelle eingefügt habe, oder ob sie die „Interpolation eines Redaktors sind“, entscheidet Bultmann im letzteren Sinne und sieht das erste Indiz dafür, „daß das Evg seine uns vorliegende Form einer kirchlichen Redaktion verdankt“ (57 f), die er auch im folgenden am Werk sieht. Bultmann lastet also die vermeintlichen Inkohärenzen des Textes seinem „kirchlichen Redaktor“ an, der es weder vermochte, die „ursprüngliche Ordnung“ des Textes sinnvoll zu rekonstruieren, noch fähig war, seinem Text die in seinen Augen notwendigen Ergänzungen aus der „synoptischen Tradition“ bruchlos zu integrieren. Dagegen trägt bei Becker im wesentlichen sein „Evangelist“ die Verantwortung für den gebrochenen Zustand des Textes. Wie Bultmann sieht auch er die teilweise bis in den Wortlaut reichenden, zumal aber die Erzählfolge bestimmenden Beziehungen zu Mk 1,2–11. Doch er beurteilt das nicht als die nachträgliche Angleichung unseres Evangeliums an die Synoptiker durch einen „kirchlichen Redaktor“, sondern als die dem Evangelisten in Gestalt einer litera‑ rischen Vorlage vorgegebene und von ihm bearbeitete Tradition (Komm. 107 ff). Diese mit dem Markusevangelium verwandte, aber mit ihm nicht identische Vorlage, die nicht nur Joh 1,19–34, sondern auch dem Rest des Kapitels sowie Joh 2,1–11 zugrunde liegen soll, identifiziert er als den Anfang der vieldiskutierten vermeintlichen ‚Semeia-Quelle‘. (Komm. 109). Doch alle hier von Becker für Erweis von Existenz und Aufbau einer vermeintlichen „Semeia-Quelle“ genannten Argumente sprechen – wie ja auch nicht anders zu erwarten – lediglich für die Kohärenz unseres Evangeliums. Über eine zugrundeliegende Quelle jenseits des Spiels unseres Evangelisten mit dem Text namentlich des Markusevangeliums sagen sie nichts (vgl. D.-A. Koch 1964 ff). Ebenso wie die vermeintlich „vorjohanneische Passionsquelle“ erscheint uns auch die sogenannte „SemeiaQuelle“ als ein Phantom und als das bloße Konstrukt einer Forschung, die das Ziel verfolgt, die Unabhängigkeit des vierten von den drei älteren Evangelien zu erweisen.
24: Daß all diesen und ähnlichen Quellen‑ und Interpolationshypothesen gegenüber, die u. E. Kapitulationen vor der Aufgabe der Interpretation des überlieferten Textes sind, eine erneute Lektüre unserer Johannes-Martyria unter dem Aspekt ihrer Intertextualität mit den synoptischen Prätexten überaus fruchtbar sein kann, zeigen die minutiösen Untersuchungen des „Täuferbild(es) von Joh 1,19–34 auf dem Hintergrund von Mk 1,2–11“ durch D.-A. Koch, ebenso wie die Studien von E. Tromcé und E. D. Freed über Joh 1,15–34. Sie demonstrieren eindrucksvoll, daß der vermeintliche „Trümmerhaufen“ – wie H. M. Schenke („Er muß wachsen“ 308 f) unseren Text qualifiziert – eine kohärente und höchst sinnvolle Einheit ist. Als sperrig erscheint Koch einzig der Vers 24, weil er „nachtrage“, daß die in V. 19 genannte jüdische Gesandtschaft von den Pharisäern geschickt worden sei; (dazu, daß die von der Masse der späteren Handschriften durch die glättende Hinzufügung des Artikels o´ bezeugte Lesart: o´ üpestalmfinoi, die die Spannung beseitigt, fraglos sekundär ist, vgl. schon Bultmann, Komm. 62). Koch sieht in dieser nachträglichen Identifizierung oder Näherbestimmung der aussendenden ûIoudaõoi als Farisaõoi jedoch nicht die Lizenz dafür, jetzt die Schere der Literarkritik zu ergreifen, um hier das Zusammenfließen zweier Quellen zu postulieren. Denn einmal kann Joh, so wie er hier die Juden „faktisch gleichsetzt“ mit den Pharisäern, in Kap. 9 auch umgekehrt die zuerst genannten Pharisäer danach mit „den Juden“ identifizieren, und zum anderen liebt er es, Dinge, die für seine Erzählung wesentlich sind, nicht schon in den Expositionen zu nennen, sondern ihnen dadurch besonderes Gewicht zu verleihen, daß er sie wie beiläufig nachträgt (vgl. 2,6; 5,9; 9,14 u. ö.). So wie „die Pharisäer“ den Blindgeborenen verhören, weil er im Begriff ist, ein Jünger Jesu zu werden (9,13 ff), so sind sie auch hier die treibende Kraft für das Verhör des Johannes (zur Rolle der Pharisäer im NT vgl. H. F. Weiss, ThWNT IX, 113
1,19–28
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
36–51). Darauf, daß „auf dem Hintergrund des Gesamtbefundes des JohEvs weniger das Nebeneinander von o´ ûIoudaõoi und o´ Farisaõoi“ als vielmehr „die Nennung der Priester und Leviten als derjenigen Personen, aus denen die Gesandtschaft besteht“, erklärungsbedürftig ist, zumal diese beiden Gruppen bei Joh nur hier erscheinen, macht Koch (1973) zu Recht aufmerksam. Doch diese Identifizierung der Delegation dürfte ihren Grund weniger darin haben, daß die Mitglieder der Gesandtschaft „einen deutlich niedrigeren Rang haben sollen“ als ihre Sender (ebd.). Denn über den Rang der Sender ist ja gar nichts gesagt. Die „Priester und Leviten“ dürften, wie Obermann gezeigt hat, vielmehr darum zur Stelle sein, weil sie im Text der LXX von Jes 40,1–3 „explizit“ als diejenigen angesprochen sind, die „Jerusalem zu Herzen“ reden sollen (112). So ergibt sich die tiefe Ironie, daß „Priester und Leviten“, die als berufene und ausgewiesene Experten für alle Fragen levitischer Reinheit dazu ausgesandt waren, Johannes über seine Person und sein Taufen zu verhören (vgl. Becker, Komm. I/11), nun umgekehrt als Zeugen zurückgesandt werden, Jerusalem zu Herzen zu reden, damit es Jesus, seinem k‚rio", den Weg bereite. 25: So dringen sie denn auch mit der Frage, wozu er denn überhaupt taufe, wenn er doch weder der Messias, noch Elia, noch auch der Prophet sei, weiter auf Klärung. Neben anderen meint Richter, aus dieser Frage schließen zu können, daß „die Tauftätigkeit des Johannes … in Täuferkreisen als Beweis für seine Messianität, als messianische Handlung angesehen worden sein“ muß (Elia 30). Doch diese Art, die Referenz des Textes ständig außerhalb seiner bei vermeintlichen „Täuferkreisen“ oder anderswo zu suchen, statt sie in der durch den Text selbst konstituierten Textwelt wahrzunehmen, dürfte unserem Evangelium kaum gerecht werden. Von „Täuferkreisen“ ist hier gar nicht die Rede, und es geht dem Erzähler nicht um historische Schlüssigkeit, sondern allein darum, Johannes durch diese neue Frage zu seinem neuen Zeugnis für Jesus als den unerkannt schon mitten unter ihnen Stehenden zu provozieren, dem auch nur einen Sandalenriemen zu lösen Johannes unwürdig ist. Auch Kochs Erwägung, der Evangelist habe „die Abgesandten nach der Taufe fragen“ lassen, weil für ihn selbst „durch die radikale Verneinung jeder heilsmittlerischen Funktion das Taufen des Johannes zum Problem“ geworden sein müsse (D.-A. Koch 1973 f), ist wohl eine unnötige Verwechslung der intentio operis mit der intentio auctoris, die, nachdem der Autor sich in sein Werk entäußert hat, auf immer sein Geheimnis bleiben sollte. 26 f: Im Zusammenhang der Verneinung des Johannes, Elia zu sein (s. o. zu V. 21), hatten wir ja bereits Justins Dialog mit Tryphon als das älteste Zeugnis dieser Vorstellung kennengelernt (vgl. dazu de Jonge, Stranger 88 ff). Kochs Analyse zeigt auf Schritt und Tritt, daß Beckers Quellentheorie insofern absolut unökonomisch ist, als seine vermeintliche „Semeiaquelle“, die sich bei ihm schon zu einer Art „Evangelium“ und „Predecessor“ des JohEvs auswächst, dann ihrerseits von dem literarischen Text „Markusevangelium“ abhängig sein müßte (vgl. dazu meine Kritik an Fortnas erneuertem Versuch, sein „Gospel of Signs“ [1970] als den „Predecessor“ [1989] unseres Evangeliums zu erweisen: ThLZ 117 [1992] 34–38 und: Johannes und die Synoptiker 81 ff). Der einzige Mangel von Kochs Interpretation besteht wohl darin, daß er zur Bestimmung des Verhältnisses des Joh zu seinem markinischen Prätext zu sehr dem eingeschliffenen Schema der Literarkritik mit ihrer Unterscheidung von Quelle und Be‑ arbeitung und ihrer Ausrichtung auf die Ergründung der intentio auctoris folgt. Dagegen ergibt sich intertextuell gesehen der Sinn des johanneischen Textes gerade aus dem 114
Erste Szene: Erster Tag und erste martur‡a des Johannes
1,24–28
spannungsvollen Spiel mit den synoptischen Prätexten. Gewiß setzt Joh unübersehbar seine eigenen Akzente. Aber gerade die werden eben nur in solcher Intertextualität wirklich sichtbar. So muß die Näherbestimmung dessen, der unerkannt bereits mitten unter seinem Volke wohnt, „durch das Logion vom Lösen der Schuhriemen“ den zum „Verhör“ des Johannes gekommenen dramatis personae zwar ein Rätsel bleiben; einem Leser/Hörer unserer Erzählung aber, dem es als „Aussage über das Verhältnis zwischen dem Täufer und Jesus“ aus den synoptischen Evangelien bereits vertraut ist, wird eben dieses Wort das Dunkel gerade lichten (vgl. D.-A. Koch 1974). „Schon vorher zeigt sich, daß der Evangelist es nicht für erforderlich hält, den Lesern Erstinformationen über Johannes geben zu müssen. Dies wird daran deutlich, wie in V. 19–24 und V. 25–28 die Sachfragen, die der Verfasser klären will, eingeführt (bzw. richtiger: nicht eingeführt) werden: Das Problem, ob Johannes eine mit den Begriffen ¨ crist∙", Elia oder ‚der‘ Prophet zu beschreibende Funktion zukommt oder nicht, wird ohne jede Herleitung (etwa: durch Schilderung seiner Tätigkeit und Verkündigung) aufgeworfen. Ebenso wird die Frage nach seiner Taufe diskutiert, ohne daß zuvor die Tatsache seiner Taufe dargestellt oder wenigstens erwähnt worden ist. Wie stark der 4. Evangelist im Gegenüber zu den synoptischen Evangelien formuliert, wird in Joh 3,24 deutlich. Die ausdrückliche Versicherung, daß Johannes zu diesem Zeitpunkt noch nicht verhaftet war, ist nur sinnvoll, wenn damit eine gegenteilige Sicht im Sinne von Mk 1,14 / Mt 4,12; Lk 3,20 vorausgesetzt ist und ausdrücklich korrigiert werden soll“ (Koch ebd. Anm. 36). – Da aber von einem „Zeitpunkt“ der Verhaftung des Täufers nicht einfach aufgrund mündlicher Logien-Tradition, sondern erst infolge einer geformten Narratio die Rede sein kann, dürfte Joh die literarischen Werke unserer synoptischen Evangelien voraussetzen. Ist deren Lektüre aber vorausgesetzt und damit ihr bleibendes Gegenüber gewissermaßen anerkannt, dann sollte man intertextuell vielleicht besser von einer johanneischen Präzisierung des Zeitpunktes der Verhaftung des Johannes statt von einer „ausdrücklichen Korrektur“ der Synoptiker reden. Gegen die Lesarten stflkei (B L u. a.) und das hier ja ganz sinnlose Plusquamperfekt e´stflkei (P75 a u. a.) ist mit P66 A C u. a. das Perfekt ∫sthken zu lesen: „There is one who has taken his stand in your midst“ (Metzger, Comm. 199). Ob das †g„ in V. 27 die frühe Hinzufügung eines Abschreibers ist oder der ursprüngliche Text, braucht nicht entschieden zu werden, denn so oder so soll hier ja die absolute Unvergleichlichkeit von Johannes und dem, der unerkannt bereits seinen Platz in der Mitte Israels eingenommen hat, zur Sprache kommen. Das †g„, ob es nun ursprünglich ist oder nicht, unterstreicht ja nur die Niedrigkeit des Sprechers gegenüber dem oñ o§k e¢mÑ ±xio" ºna l‚sw a§toú tÖn ´m›nta toú ≠podflmato" ktl. (vgl. Mk 1,7). Diese völlige Inkommensurabilität ist wohl auch der Grund, aus dem Joh den vergleichenden Komparativ ¢scur∙tero" (≤rcetai ¨ ¢scur∙ter·" mou ktl. Mk 1,7) seines Prätextes getilgt (vgl. Koch 1975) und ebenso das auch zum Vergleich reizende Nebeneinander von Wasser‑ und Geisttaufe (Mk 1,8) dadurch beseitigt hat, daß er das Wort von der Geisttaufe in die Szene des folgenden Tages verlegt (1,33) und statt seiner hier als neue Information einfügt: mfiso" ≠mùn ∫sthken ≈n ≠meõ" o§k o¥date. Dieser Satz entspricht der im Judentum verbreiteten Spekulation, wonach der Messias, ehe er als solcher offenbar wird, bereits verborgen unter seinem Volke lebt (vgl. dazu Sjøberg 41–98).
28: Abschließend lokalisiert dieser Vers das Verhör des Johannes durch die Jerusalemer Delegation in einem jenseits des Jordan gelegenen Ort namens Bethanien. Die Textüberlieferung dieses Ortsnamens ist gespalten. Bhjan‡a bieten: P66 75 a* B Q W it vg pesch hl boh Herakleon; dagegen lesen Bhjabarô: C2 K Yc f 1.13 33 pm sys.c sa; Or mss, und endlich haben Bhjarabô: (a2) 892vl pc (syhmg). Obwohl schon Origenes 115
1,19–28
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
darum wußte, daß mit Herakleon nahezu alle Handschriften (scedÖn †n pôsi toõ" üntigr›foi": EvIoan. IV, 40) den Ortsnamen Bhjan‡a boten, hat er das Lexem zu Bhjab›ra konjiziert, weil er bei seinen Reisen kein transjordanisches Bethanien oder Spuren davon zu entdecken vermochte. Da Joh jedoch von diesem transjordanischen Bethanien unmittelbar danach (Joh 11,1.18) ein anderes nur fünfzehn Stadien von Jerusalem entferntes Bethanien als das „Dorf des Lazarus und seiner Schwestern Maria und Martha“ derart „sorgfältig“ unterscheidet, dürfte die Lesart Bhjan‡a ursprünglich sein (vgl. Barrett, Komm. 200). Bei der Erörterung des Weges Jesu vom trans‑ in das cisjordanische Bethanien in Joh 10,40–42 müssen wir auf das Problem zurückkommen. Dennoch sei schon hier darauf aufmerksam gemacht, daß unsere Szene (1,19–28) dadurch zusammen mit der Passage 10,40–42 um den gesamten ersten Evangelienteil (1,19–10,42) eine Inclusio bildet. Denn mit den Worten: kaÑ üpöljen (sc. ¨ ûIhsoú") p›lin pfiran toú ûIord›nou e¢" tÖn t∙pon Ωpou én ûIw›nnh" tÖ prùton bapt‡zwn kaÑ ≤meinen †keõ (10,40), werden die beiden Szenen unmittelbar miteinander verknüpft und durch das én des Satzes: p›nta dÇ Ωsa eèpen ¨ ûIw›nnh" perÑ to‚tou ülhjö én (10,41), der die gesamte martur‡a des Johannes resümiert, wird dem treuen mart‚" zugleich ein Denkmal als Märtyrer gesetzt.
Zweite Szene: Zweiter Tag und zweite marturiva des Johannes (1,29–34) 29
Am folgenden Tag sah er Jesus auf sich zukommen und sagte: Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegträgt. 30 Dieser ist es, über den ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir zuvorgekommen ist, weil er eher war als ich. 31 Auch ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbar werde, darum bin ich gekommen, mit Wasser zu taufen. 32 Und Johannes legte Zeugnis ab und bekannte: Ich sah den Geist wie eine Taube vom Himmel herabschweben und auf ihm ruhen. 33 Und (auch) ich kannte ihn ja nicht, aber der mich dazu gesandt hat, mit Wasser zu taufen, der hatte zu mir gesagt: Der, auf den du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist taufen wird. 34 Und eben das habe ich (nun) vor Augen und muß darum bekennen: Dieser ist der Sohn Gottes! 29: In der knappen Einführung in die Szene sagt der Erzähler dem Leser nach Art einer Teichoskopie, am folgenden Tage habe er – nämlich Johannes – Jesus auf sich zukommen sehen. Die Szene ist mit der vorausgehenden so eng verbunden, daß der Name des Protagonisten nicht neu genannt, sondern nur durch die Verbformen und pronominal durch a§t∙n wiederaufgenommen wird. Alles, was dieser Einführung dann noch folgt, ist ein einziger Monolog des Täufers, der sich unmittelbar an den Leser (bzw. in der Nomenklatur des Dramas gesagt: an das Publikum) zu richten scheint. Denn nach dem förmlichen Abschluß von 1,19–28 muß man doch wohl damit rechnen, daß die Jerusalemer Delegation inzwischen den Rückweg zu ihren pharisäischen Auftraggebern angetreten hat. Und außer der impliziten Gegenwart des allwissenden und überall 116
Zweite Szene: Zweiter Tag und zweite martur‡a des Johannes
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präsenten Erzählers ist von irgendwelchen anderen Zeugen nicht die Rede. Eine neue Information, nämlich der Satz: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegträgt“, eröffnet den Monolog des Johannes. Auffällig gegenüber dem Prätext ist darin wieder eine bemerkenswerte Verlagerung der Gewichte. Bezeichnet Markus das spezifische Werk des Johannes mit b›ptisma metano‡a" e¢" ≤fesin ®martiùn (1,4), so läßt der vierte Evangelist seinen Johannes, ebenso wie der zuvor schon alle messianischen Prädikate von sich gewiesen hatte, auch dieses eschatologische Werk der Beseitigung aller Sünde allein dem zuweisen, den er hier als ¨ ümnÖ" toú jeoú qualifiziert (vgl. D.-A. Koch 1978, Anm. 48, u. Hasitschka 52). Die unmittelbare Prädikation Jesu als ¨ ümnÖ" toú jeoú ist singulär im Neuen Testament. Der Sache nach vergleichbar ist jedoch 1Pt 1,19, wo den Lesern versichert wird, aus ihrem ererbten gottlosen Wandel seien sie ‚losgekauft worden‘ nicht durch Gold oder Silber, sondern durch das kostbare Blut Christi als des fehl‑ und makellosen Lammes (ümn·"), sowie Act 8,32, wo das auf Jesus gedeutete ümn·" neben dem Lexem pr∙baton im Zitat von Jes 53,7 erscheint. Über die spezifische Bedeutung des johanneischen ¨ ümnÖ" toú jeoú ist viel gerätselt worden (vgl. nur die Komm. und die lange Liste der Beiträge und Dissertationen dazu bei van Belle, Bibliography 191 f). J. Jeremias (Art. ümn∙") sieht den Ursprung des Johannes-Wortes vom „Lamm Gottes, das der Welt Sünde beseitigt“ in dem aramäischen Syntagma ahlad aylf als Wiedergabe des hebräischen hwhy db[ der jesajanischen Gottesknechtslieder. Da das Lexem aylf sowohl das „Lamm“ als auch den „Knecht“ bezeichnen kann und Joh 1,29.36 „ursprünglich von Jesus als dem Gottesknecht die Rede“ gewesen sei, habe wohl erst die (Fehl‑)Übersetzung mit ümn∙" (statt paõ") „die auffällige Genitivverbindung ¨ ümnÖ" toú jeoú veranlaßt“ (ebd. 343). Doch dafür, daß unserem Evangelium oder Teilen desselben ein aramäisch verfaßtes Dokument zugrunde liegen könnte, gibt es keine eindeutigen Indizien (vgl. Barrett, Komm. 26 ff u. z. St.). Vielmehr spricht alles dafür, daß es ein von Anfang an in griechischer Sprache und für griechisch sprechende Leser komponiertes Werk ist. Das gilt zumal für unsere Szene als ein Spiel mit dem griechischen Text des Markusevangeliums. Darum übergehen wir hier alle derartigen Spekulationen über vermeintliche Fehlübersetzungen, zumal deren Postulate zumeist Kopfgeburten bemühter Philo-Logen sind, die zwar von der Liebe zu dem fremden Logos beseelt sein mögen, aber dennoch die Kompetenz von „native speakers“ niemals erreichen werden. Eben diese Kompetenz aber, und daß sie genau wußten, was sie sagten, muß man den vermeintlichen Fehlübersetzern als zweisprachigen „native speakers“ sehr wohl unterstellen (vgl. Dodd, Interpretation 235 f). – Eine eher kuriose Variante der These von einer Fehlübersetzung ist der nach anderen von H.-W. Wolff vorgetragene Einfall: „der Täufer (habe) das Lamm Gottes auf Jes 53 bezogen, der Evangelist (aber) auf das Passahlamm“ (81). Statt den Erzähler hier durch den Mund seiner dramatis persona Johannes sprechen zu hören, muß Wolff die vage Voraussetzung machen, daß Joh 1,29 ein historisches Täuferlogion mit dem besagten doppeldeutigen aramäischen Lexem aylf zitiert wird (vgl. zu ähnlichen Versuchen Hasitschka 58). Becker scheidet V. 29 als eine in ihrem Kontext „überflüssige“ und „thematisch fremde“ Glosse der „kirchlichen Redaktion“ aus. Er hält sie für eine Kompilation aus dem Täuferwort von Joh 1,36 und einem Sühnemotiv, das – dem Evangelisten angeblich fremd – der „liturgischen Tradition der johanneischen Gemeinde“ entstammen soll (Komm. I, 111 u. 116; ähnlich Langbrandtner 76 ff; H.-J. Kuhn 80 f u. a.). Doch wie zu jener vermeintlichen joh Gemeinde ist uns erst recht der Zugang zu deren mutmaßlicher liturgischen Tradition verschlossen. Weil im überlieferten Evangelium alles auf 1,29 Folgende im Lichte dieses Verses gesehen werden muß, kann 1,36 gegen Becker nicht als dessen Quelle, sondern nur noch als verkürzte Erinnerung an V. 29 gelesen werden.
Daß der Satz: ¥de ¨ ümnÖ" toú jeoú ¨ a¥rwn tÉn ®mart‡an toú k∙smou, seinen Hintergrund fraglos im Alten Testament und in jüdischer Tradition hat, ist allgemein 117
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anerkannt (vgl. Barrett, Komm. 201). Der gesamte Kontext des Evs und zumal Jesu Sterben in der Stunde der Schlachtung der Passalämmer (vgl. u. zu 19,36) legen es nahe, hier – ebenso wie 1Kor 5,7 – Jesus als das wahre Passalamm von Ex 12 u. ö. bezeichnet zu sehen. Doch sowenig wie das Lamm des täglichen Tamid-Opfers stirbt das Passalamm „für die Sünden der Welt“. Das wird – wenn auch mit der Einschränkung auf die da redenden Wir: kaÑ k‚rio" parfidwken a§tÖn taõ" ®mart‡ai" ™mùn – im Alten Testament einzig von dem Gottesknecht gesagt, von dem es zugleich heißt: Æ" pr∙baton †pÑ sfagÉn ≥cjh kaÑ Æ" ümnÖ" †nant‡on toú ke‡ronto" (Jes 53,7: LXX), habe er seinen Mund nicht aufgetan. Doch anders als Jesus in unserer Szene wird er mit dem Lamm nur verglichen, nicht aber identifiziert. – Als unmittelbare Quelle unserer JohannesMartyria kommt auch der zuvor mit den Sünden Israels beladene und alsdann in die Wüste vertriebene Sündenbock im Ritual des Versöhnungstages von Lev 16 schwerlich in Frage. Denn einmal wird dieser Ziegenbock, der ausdrücklich nicht für Jhwh, sondern für Asasel (einen Unheil bringenden Wüstendämon?) bestimmt ist, nie als ümn∙", sondern stets als c‡maro" bezeichnet; zum anderen handelt es sich hier – anders als etwa beim Gottesknecht – nicht um ein subjektiv zurechenbares Handeln, sondern um ein jährlich wiederkehrendes Ritual mit einem c‡maro" als bloßem Objekt; und endlich schafft hier gar nicht der Asasel-Bock die von der Sünde befreiende Sühne, sondern die bewirken das vergossene Blut eines geschlachteten Jungstieres (m∙sco") und das Blut des (im Unterschied zum Asasel-Bock) durch das Los für Jhwh bestimmten c‡maro" (Lev 16,16 ff). Auf einem ganz anderen Weg hat C. H. Dodd versucht, die Bedeutung der Prädikation ¨ ümnÖ" toú jeoú zu erschließen (Interpretation 230–238). Nach eingehender Prüfung verwirft er die oben gemusterten Anknüpfungsmöglichkeiten allesamt. Daß Jesus im JohEv – wie fast allgemein erkannt – als das wahre Passalamm dargestellt werde, bestreitet er vehement. In der Synchronisation des Sterbens Jesu mit der Schlachtung der Passalämmer im Tempel sieht er lediglich den Zufall walten, denn, was hier vorliege, sei inmitten der obskuren Nachrichten der Evangelien über das Todesdatum Jesu nur „an alternative tradition of great antiquity, which may even be historically correct, so that there is no reason to seek for symbolic reasons for it“ (234). Ebenso wie die gesamte Passalamm-Symbolik verfallen auch alle Versuche, Jesu blutiges Sterben im Johannes evangelium als von der Sünde befreiendes Sühnemittel zu begreifen, Dodds Verdikt: „It is true that in 1Joh 2,2 Christ is an ´lasm∙", but this is one of the points in which the Fourth Gospel differs markedly from the epistle. There might be some suggestion of an expiatory sacrifice in the words of Caiaphas, ‚It is expedient that one man should die for the people‘ (11,50), but if so, the evangelist has pointedly given a different turn to the idea (11,52)“ (233; als ob der „Evangelist“, der zum Kaiphas-Wort ausdrücklich anmerkt, das habe der nicht aus eigenem Vermögen gesagt, üllÅ ürciereÜ" œn toú †niautoú †ke‡nou †profflteusen, hier nicht auch und gerade durch den Mund des Hohenpriesters spräche!). Mit dieser Bestreitung aller möglichen Bezüge von Joh 1,29 sowohl zum Passalamm als auch zur sühnenden Kraft des vergossenen Blutes der Opferlämmer – u. E. ein allzu hoher und nicht zu rechtfertigender Preis – hat sich Dodd den Weg zu seiner alternativen Interpretation der Prädikation Jesu als ¨ ümnÖ" toú jeoú geebnet. Dazu will er die Welt der jüdischen Apokalyptik als die Heimat dieser Prädikation und sie selbst als förmliches Synonym von „der Messias“ als des siegreichen Königs der Endzeit erweisen. Auf den Spuren der Henoch im nächtlichen Traum erscheinenden Tiervision, in der Israel als die Schafherde Gottes, seine Führer, wie Mose, David, Salomo oder Judas Makkabäus als eine Art Leithammel und Gott als der ‚Herr der Schafe‘ erscheinen (äthHen 85,1–90,42), will er diese vermeintliche Synonymität ebenso entdecken wie im Licht der Traumschilderung Josephs: „Und ich sah: [aus Juda wurde eine Jungfrau geboren. Sie trug ein Gewand aus Byssus. Und aus ihr] ging hervor [ein unbeflecktes Lamm] und zu seiner Linken (war etwas) wie ein Löwe. Und alle wilden Tiere stürmten
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gegen ihn, aber [das Lamm] besiegte sie und vernichtete sie bis zur Zerstreuung …“ (TestJos 19,8; Übersetzung J. Becker, Test XII, 129, der im Blick auf seine eckigen Klammern in dem zitierten Vers freilich anmerkt: „Der Vers ist eindeutig christlich überarbeitet. Seine ursprüngliche Gestalt ist schwer, wahrscheinlich überhaupt nicht mehr rekonstruierbar“). Doch in dieser zoologischen Traumwelt kann weder hier noch da von einem titularen Gebrauch der Prädikation ¨ ümnÖ" toú jeoú die Rede sein. Und im Aufriß von Henochs Vision symbolisiert das Schaf, dem das große und siegreiche Horn erwuchs, nicht den Messias, sondern wohl eher Johann Hyrkanus oder Judas Makkabäus (90,6 ff). Siegreich ist am Ende nicht jenes „große Horn“, sondern der zur Erschütterung der Erde herabkommende „Herr der Schafe“ (19,13–19). Und vom Messias ist erst ganz am Ende in dem Symbol eines „weißen Bullen“ oder des „großen Stieres mit den schwarzen Hörnern“ die Rede. Aufgrund der schmerzlichen Erfahrung der Kreuzigung Jesu freilich unübersehbar mit Zügen des leidenden Gottesknechts von Jes 53 amalgamiert, hat aus dieser Traumwelt unter der Bezeichnung ürn‡on (nicht aber ümn∙") eines ihrer Tiere Eingang in die biblische ApkJoh gefunden (vgl. Dodd 231 ff). Doch so sehr die Lämmer als ™go‚menoi Israels bei Henoch (und das Lamm in TestJos 19,8, wenn es nicht umgekehrt der Apk entsprungen sein sollte) an diesen sieghaften ürn‡on von Apk 14,1 erinnern mögen, so wenig haben sie mit unserer Szene zu tun (vgl. Barrett, Komm. 201).
Alle hier erörterten Ableitungsversuche kranken daran, daß ihre Autoren die verstreuten biblischen Passagen als Alternativen betrachten, die Entscheidungen fordern. So aber haben weder der Verfasser unseres Evangeliums noch seine jüdischen Zeitgenossen ihre Bibel gelesen. Sie pflegten vielmehr eine konkordante Art der Lektüre: „the most obvious explanation is to be sought in the usual midrashic process, namely, in the interpretation of one scriptural passage by the light of another“ (Vermes, Scripture 202). Doch um nach Analogie dieses „usual midrashic process“ wirklich verfahren zu können, ist – im Anschluß an die Untersuchung von Vermes (193–229) – zuvor noch an eine weitere „Passage der Schrift“ zu erinnern, nämlich an die Erzählung von der „Bindung Isaaks“ (Gen 22,1–19). Während sie in der Predigtliteratur des 17. und 18. Jhs die Auslegung unseres Johanneswortes vom „Lamm Gottes“ geradezu bestimmt hat, ist sie in der neueren exegetischen Literatur zu Unrecht fast gänzlich in Vergessenheit geraten. Ihre jüdische Bezeichnung als hdq[ Isaaks zeigt schon eine bedeutsame Verschiebung des Interesses an. Standen in der biblischen Erzählung allein Abraham und sein unerschütterlicher Glaube an Gott im Zentrum, so hat sich das Interesse an Gen 22 seit den Tagen der makkabäischen Märtyrer deutlich auf das Verhalten Isaaks und das Geschehen um ihn verlagert (vgl. dazu schon G. F. Moore, Judaism I, 539). So erklärt etwa das Targum Ps-Jonathan zu Gen 22,10: Als Abraham seine Hand ausstreckte, seinen Sohn Isaak mit dem Messer zu töten, sagte der zu ihm: „Binde mir die Hände, damit ich im Augenblick meiner Qual nicht widerstehe und dich dadurch verwirre, dein Opfer so unwirksam mache und selbst in der künftigen Welt in die Grube des Verderbens geworfen werde. Und Abraham blickte Isaak in die Augen, doch Isaaks Augen waren auf die Engel im Himmel gerichtet. Und er sah sie, Abraham aber sah sie nicht. Und die Engel des Himmels sagten zueinander: Laßt uns hinabsteigen, daß wir die beiden einzigen gerechten Männer der Welt sehen. Der eine tötet und der andere wird getötet; der Opfernde zuckt nicht zurück und der Geopferte bietet ihm seinen Hals dar“. Und zu Gen 22,14 heißt es: „Abraham betete den Namen der Memra Gottes an und sagte: Herr, du bist es, der alles sieht und selbst doch ungesehen bleibt. Vor dir ist alles offenbar, du, der du alles weißt, weißt auch, daß kein Zwiespalt in meinem Herzen war, als du mir gebotest, dir Isaak, meinen Sohn, als Opfer darzubringen, und ihn vor dir zu Staub und Asche zu machen. Ohne zu zögern, bin ich am frühen Morgen aufgebrochen, dein Wort, das ich jetzt erfüllt habe, mit Freude zu tun. Jetzt
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bitte ich dich, Gott, mein Herr, um Barmherzigkeit. Wenn über die Kinder Isaaks eine Zeit der Bedrückung kommt, dann erinnere dich zu ihren Gunsten an die Bindung ihres Vaters, vergib ihnen ihre Sünden und befreie sie aus aller Bedrängnis, so daß alle Generationen nach ihnen sagen mögen: Auf dem Berge des Tempels des Herrn hat Abraham seinen Sohn Isaak geopfert, und auf diesem Berge – auf dem Tempelberg – wurde ihm die Herrlichkeit der Schekina des Herrn geoffenbart“ (Der Text ist zitiert und eingehend erörtert bei Vermes, Scripture 194 ff). Auch Josephus identifiziert den Ort der hdq[ Isaaks mit dem Tempelberg und berichtet, Isaak habe Abrahams Worte, daß er es sei, den sich Gott als Opfer ausersehen habe, freudig aufgenommen (dficetai prÖ" ™donfln: AJ I, 222 ff; vgl. Jub 18,13).
Daß die beiden targumischen Hauptthemen von Gen 22, nämlich einmal die freudige Freiwilligkeit von Isaaks Opfer und zum anderen dessen sühnende Wirkung für alle nachfolgenden Generationen Israels und der Völker, kein spätes rabbinisches Theologumenon sind, sondern bereits der Zeit der makkabäischen Erhebung entstammen und im ersten christlichen Jahrhundert weit verbreitet waren, zeigt die eingehende Untersuchung aller einschlägigen Belege durch Vermes. Obgleich Isaak nach der GenesisErzählung ja nicht wirklich sterben mußte, sieht die Schrift und sieht Gott ihn so an, „als sei er geschlachtet worden und als habe seine Asche auf dem Altar Gottes gelegen“ (Midr. ha-Gadol zu Gen 22,19; zitiert bei Vermes ebd. 205). Und weil nur das vergos‑ sene Blut des Opfers sündentilgende Sühne schafft (vgl. Hebr 9,22), läßt Pseudo-Philo Gott erklären: „Weil Isaak nicht widerstrebte, wurde seine Darbringung wohlgefällig vor meinen Augen, und vermöge seines Blutes erwählte ich diese [sc. die Israeliten]“ (AntBib 18,6). Zu dieser Beurteilung der Akeda Isaaks und ihrer Lektüre im Licht von Jes 53 dürfte die Auseinandersetzung mit den Martyrien jüdischer Frommer während der Religionsverfolgung unter Antiochus IV. Epiphanes und der makkabäischen Erhebung geführt haben. In diesem Sinn betet der sterbende Eleazar zu Gott: „Mache mein Blut zu einem Reinigungsopfer für sie und nimm mein Leben hin als Ersatz für ihres!“ (4Makk 6,29). Und vor ihrem eigenen grausamen Martyrium ruft einer der sieben Brüder aus: „Denkt daran, woher ihr stammt, und wes Hand es war, durch die sich Isaak um der Frömmigkeit willen geduldig hat hinschlachten lassen!“ (ebd. 13,12). Vermes kann die Fülle der Belege so resümieren: „In short, the Binding of Isaac was thought to have played a unique rôle in the whole economy of the salvation of Israel, and to have a permanent redemptive effect on behalf of its people. The merits of his sacrifice were experienced by the Chosen People in the past, invoked in the present, and hoped for at the end of time“ (208). Weil längst vor der Errichtung des Tempels und der Institution seines Opferkultes an eben dieser Stelle Isaak sich selbst als Gott wohlgefälliges Opfer dargebracht hat, müssen alle danach im Tempel geopferten Lämmer dazu dienen, Gott an Isaaks Opfer und seine damit verbundene Verheißung zu erinnern. Das gilt auch von den in der Nacht des Exodus aus Ägypten anstelle der Erstgeborenen Israels geschlachteten Passalämmer. In diesem Sinne kommentiert PseudoJonathan Num 28,4 so: Nicht aus eigener Kraft vermögen die täglich am Morgen wie am Abend geopferten Lämmer Israels Sünden der Nacht und des Tages zu sühnen, sondern allein kraft des einen Opfers Isaaks. Entsprechend geschieht die Feier des Herrenmahles als Verkündigung des Todes Jesu e¢" tÉn †mÉn ün›mnhsin (1Kor 11,24 ff). In der alten jüdischen Liturgie, die sicher sehr viel älter ist als ihre ersten literarischen Niederschläge, findet sich die hdq[ Isaaks fest verknüpft sowohl mit dem Passa als auch mit der eschatologischen Rettung (vgl. Vermes 217).
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Auch wenn Barrett (Komm. 202) und F.-M. Braun (II/86) in dem Ausdruck ¨ ümnÖ" toú jeoú sicher zu Recht eine „Verschmelzung“ der erörterten biblischen Texte oder ein „Amalgam“ aus ihnen sehen, bleibt zu erwägen, ob man – zumal nach der „isaaktypologischen Formulierung“ monogenÉ" parÅ patr∙" (Lausberg) schon im Prolog (1,14; vgl. 3,16) – in dem Johannes-Wort: ¥de ¨ ümnÖ" toú jeoú ¨ a¥rwn tÉn ®mart‡an toú k∙smou, wegen seiner unüberhörbaren Definition des „Lammes“ durch den bestimmten Artikel nicht eine unmittelbare Anknüpfung an Abrahams Wort aus Gen 22,8 sehen darf: ¨ jeÖ" µyetai ©autù pr∙baton e¢" ¨lok›rpwsin. Um seine Deutung auf den ürn‡on der Apk durchzusetzen, insistiert Dodd darauf, daß es „illegitim“ sei, das Lexem a¥rw in dem Relativsatz: ¨ a¥rwn tÉn ®mart‡an toú k∙smou, mit „tragen“ zu übersetzen: „it is illegitimate to understand a¥rein ®mart‡an as ‚to bear sin‘, implying an interpretation of the death of Christ as a piacular sacrifice. It means ‚to remove sin‘, as in 1John 3,5: †faner„jh ºna tÅ" ®mart‡a" ±rÔh, i. e. to abolish or do away with sin. To make an end of sin is a function of the Jewish Messiah, quite apart from any thought of a redemptive death. …“ (237). Doch schon Dodds Berufung auf 1Joh 3,5 zeigt, daß sich Lexeme nicht derart pressen lassen und daß ihr individueller Gebrauch keiner allgemeinen Regel unterworfen werden darf. Denn, ganz im Sinne des Kaiphas-Orakels und seines Erzählerkommentars von Joh 11,50 f heißt es 1Joh 2,2: kaÑ a§tÖ" ´lasm∙" †stin perÑ tùn ®martiùn ™mùn, o§ perÑ tùn ™metfirwn dÇ m∙non üllÅ kaÑ perÑ Ωlou toú k∙smou. Wenn Jesus Joh 5,8 dem Paralytischen gebietet: ≤geire çron tÖn kr›batt∙n sou kaÑ perip›tei, besteht auch da kein Gegensatz zwischen den Bedeutungen „aufheben, wegschaffen“ und „tragen“. Wie der Mann sein Bett „aufhebt“, um es wegzutragen, so beseitigt das „Lamm Gottes“ die Sünde, indem es sie trägt, und es trägt sie, um sie zu beseitigen (vgl. Mt 11,29; 16,24 u. s. Bauer, Komm. 36). 30: Dieser Vers nimmt sich auf den ersten Blick so aus, als wolle er nun das Wort bieten, auf das Johannes schon im Prolog (1,15) vorausverwiesen hatte. Deshalb sieht etwa Lausberg in ihm geradezu die Quelle für Joh 1,15 (s. o. z. St.). Doch der erste Blick täuscht (vgl. Bultmann, Komm. 67). Wegen des beiden Versen eigentümlichen: oñto" én ≈n eèpon (1,15; bzw. oñt∙" †stin ≠pÇr oñ †gá eèpon: 1,30) kann bei aller absichtsvollen Verbindung beider Verse weder der erstere auf den letzteren voraus‑ noch der letztere auf den ersteren zurückverweisen. In beiden Fällen muß das eèpon vielmehr als Hinweis auf das typisch johanneische Spiel mit einem als bekannt vorausgesetzten Prätext begriffen werden, nämlich mit Mk 1,7 bzw. Mt 3,11 (vgl. D.-A. Koch 1979). Da dieses synoptische Täuferwort aber schon durch V. 27 variiert wurde, darf man in dem eèpon unseres Verses wohl einen Rückverweis auf diese Variation sehen (so Bauer, Komm. 36). Die Differenz zwischen dem Satz aus dem Prolog und 1,30 liegt allein in dem prologtypischen én des ersteren gegenüber dem narrativ bedingten †st‡n des zweiten. Im Prolog ist Johannes der in dessen feste Buchstaben geronnene und darin bleibende und so stets gegenwärtige Zeuge (vgl. die präsentische Formulierung: martureõ perÑ a§toú kaÑ kfikragen lfigwn, und siehe D.-A. Koch 1979), der auf die ganze Geschichte Jesu als des fleischgewordenen l∙go" zurückblickt, in 1,30 dagegen verweist das oñt∙" †stin auf den, der gerade jetzt zu ihm kommt. Daß Joh die traditionelle Wendung des Täufer-Zeugnisses von Jesus als dem, „der nach ihm kommt“ in der Form £p‡sw mou ≤rcetai ünflr aufnimmt, mag – wie wir zu 1,15 bereits erwogen haben – auch darin begründet sein, daß Johannes wegen seiner historischen Priorität Jesus gegenüber im zeitgenössischen Judentum das höhere An121
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sehen genoß. Anders als Cullmann (64) vermögen wir darin jedoch keinen durch ihr eigenes Haupt geführten akuten „Angriff “ auf eine vermeintliche „Täufer-Sekte“ zu sehen. Bauer (Komm. 36) übersetzt unseren Vers so: „Dieser ist es, von dem ich sagte: nach mir kommt jemand, der mir zuvorgekommen ist, weil er eher war als ich“ Daß Joh hier statt des üblichen ±njrwpo" das auffällige und von ihm sonst nur zur Unterscheidung der Geschlechter gebrauchte Lexem ünflr verwendet (vgl. 1,13; 4,16 ff; 6,10), das Bauer mit „jemand“ wiedergibt, soll vielleicht die Differenz zwischen Johannes als einem ±njrwpo" (üpestalmfino" parÅ jeoú: 1,6) und Jesus als dem fleischgewordenen Wort Gottes markieren. Das durch 1,19 ff auch narrativ dargestellte „spätere Auftreten Jesu“, das jedoch schon durch V. 27 sowie durch den folgenden V. 31 relativiert wird, verliert durch die Formulierung ≤mprosjfin mou gfigonen, von Bauer treffend mit „ist mir zuvorgekommen“ übersetzt, und ihre Begründung mit dem präexistenten Sein Jesu, „weil er eher war als ich“, alles Gewicht. 31: Das einleitende kügá o§k Ô≥dein a§t∙n dient der Kontrastierung des Bezeugten und seines Zeugen und ist vielleicht mit „selbst ich kannte ihn nicht“ zu übersetzen. Wie Jesus primär zu den „Seinen“, nämlich zu Israel, gekommen ist (1,11), so ist Johannes von Gott dazu gesandt (1,6) und gekommen (V. 31), ºna fanerwjÔö tù ûIsrafll. Um dieses Offenbarwerdens und Offenbarmachens willen ist Johannes dazu gekommen „mit Wasser zu taufen“. Damit wird das vor den von den Pharisäern Gesandten der vorausgehenden Szene im Dunkeln gebliebene Wort von der „Wassertaufe“ (1,26) wieder aufgenommen und nun durch das folgende erhellt. 32: „Daß der Abschnitt 29–34 auf dem synoptischen Taufbericht fußt, geht klar aus 32.33 hervor, denen 34 der Ersatz der synoptischen Himmelsstimme zur Seite tritt“, hatte schon Bauer (Komm. 38) erkannt. Wir können freilich nicht mit ihm fortfahren: „Aber im Gegensatz zu den älteren Evangelisten verschweigt Jo, daß der Vorläufer Jesus getauft habe“. Denn verständlich wird unser Text ja nur zusammen mit dem der „älteren Evangelisten“. Dadurch wird die Taufe Jesu durch Johannes im vierten Evangelium nicht unterschlagen, sondern nur anders akzentuiert. Nur als er Jesus mit Wasser taufte, kann Johannes nach V. 33 gesehen und seitdem ständig vor Augen haben (tejfiamai), wie der Geist, einer Taube gleich, vom Himmel herabschwebte und auf Jesus blieb. Zum ersten Mal taucht hier das bei Joh so prominente Lexem mfinw auf (von den insgesamt 118 Belegen des NT finden sich im Ev u. 1.2Joh allein 67 und dazu noch zweimal das joh. Hapaxlegomenon monfl; vgl. Heise pass.). Unterstrichen wird das Gewicht dieses mfinw noch dadurch, daß es im folgenden V. 33 als Inhalt des göttlichen Orakels nachdrücklich wiederholt wird. Zudem ist dieses gewiß nicht zufällig an das ünapa‚setai †pû a§t∙n pneúma toú jeoú von Jes 11,2 (vgl. 42,1) erinnernde Bleiben des Geistes auf Jesus die gegenüber den Prätexten neue Information bei Johannes. 33: Das kügá o§k Ô≥dein a§t∙n nimmt wörtlich V. 31 wieder auf, um dem Leser nun zu verraten, wie es denn dazu kam, daß Johannes Jesus als „das Lamm Gottes“ und als „den Sohn Gottes“ (V. 34) erkennen konnte: ¨ pfimya" me bapt‡zein †n ædati †keõn∙" moi eèpen: †fû ≈n …n ¥dÔh" tÖ pneúma katabaõnon kaÑ mfinon †pû a§t∙n, oñt∙" †stin ¨ bapt‡zwn †n pne‚mati ®g‡w. Erst mit der neuen Information durch diesen letzten Satz des an Johannes ergangenen göttlichen Orakels wird Mk 1,8 vollständig aufgenommen und demjenigen, der gekommen ist, mit Wasser zu taufen, jetzt endlich der gegenübergestellt, der kraft des bleibend auf ihm ruhenden göttlichen Geistes mit dem heiligen Geist taufen wird. Es gehört wohl zum intertextuellen Spiel des Joh, daß er dieses Mk 122
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1,8 entsprechend doch schon in V. 26 erwartete Gegenüber von Wasser‑, und Geisttaufe denen vorenthält, die im Auftrag der Pharisäer aus Jerusalem gekommen waren, ihn zu verhören, um es – gleichsam als ein Arkanum – jetzt allein seinen Lesern kundzutun. 34: Mit dem erneuten küg„ und den perfektischen Tempora ©„raka kaÑ memart‚rhka schließt Johannes mit dem, was er fortan bleibend vor Augen haben und bezeugen wird, nämlich: oñt∙" †stin ¨ u´Ö" toú jeoú, die Szene dadurch ab, daß er gleichsam aus ihr heraus und vor den Vorhang tritt, um sich unmittelbar an das Publikum zu wenden. Auch wenn die älteren Exegeten und ausgewiesenen Textkritiker wie Zahn (Komm. 126 f), Blaß (z. St.), Merx (z. St.) und Harnack (Studien I, 127 ff) die uns inzwischen zugänglich gewordenen griechischen Papyri noch nicht kannten und darum auch ihr Gewicht für die Textkritik im allgemeinen sowie für die Beurteilung derjenigen Manuskripte, in denen sie noch die Zeugen eines vermeintlich sehr ursprungsnahen „westlichen Textes“ sahen, nicht einschätzen konnten, bleibt es schwer, ihrem Hauptargument zu widersprechen, daß nämlich ein möglicherweise ursprüngliches ¨ †klektÖ" toú jeoú, das a* b e ff 2c* sys.c., Ambrosius und möglicherweise P5 anstelle von ¨ u´Ö" toú jeoú bezeugen, sehr leicht durch das geläufige Sohnesprädikat verdrängt werden konnte, während der umgekehrte Vorgang doch kaum denkbar wäre. Deshalb und weil mit der Lesart ¨ †klekt∙" in Joh 1,19–51 eine siebenfältige Reihe von Prädikationen Jesu vor läge (so z. B. E. Hirsch, Studien 4), lesen auch zahlreiche neuere Exegeten, wie Schnackenburg (Komm. I, 305) und Becker (Komm. I, 116 f) „der Erwählte“; weitere Vertreter dieser Lesart bei Porsch, Pneuma 37 ff, der das Problem breit diskutiert und zumal unter Berufung auf Jes 42,1 selbst für ¨ †klekt∙" plädiert.
Wenn wir nun hier diesen durchaus ernstzunehmenden Argumenten gegenüber mit Nestle/Aland27 doch u´∙" anstelle von †klekt∙" lesen, so bedarf das einer nicht allein am Gewicht und der Masse der alten griechischen Zeugen orientierten, sondern zugleich einer auf die innere Logik unseres Evangeliums achtenden Begründung. Denn bei dem Vorgang der Ersetzung von †klekt∙" duch u´∙" oder umgekehrt kann es sich angesichts der beiden phonetisch ebenso wie graphisch derart verschiedenen Lexeme ja nicht um einen bloßen Hörfehler beim Diktat oder Sehfehler beim Abschreiben, sondern nur um einen bewußten Akt handeln. Zu dessen Erklärung waren die genannten älteren Exegeten rasch mit der Auskunft zur Stelle, die ursprüngliche Lesart ¨ †klekt∙" sei im vierten Jahrhundert im Zusammenhang des Kampfes der Kirche gegen die adoptianische Christologie durch ¨ u´Ö" toú jeoú ersetzt worden (so noch Jeremias, Art. paõ" jeoú [1933], 687). Diese Erklärung ist jedoch, wie Haenchen treffend bemerkt, durch die Auffindung und Publikation von P66 und P75 obsolet geworden. Er erwägt deshalb, ob hier nicht umgekehrt „christliche Schriftgelehrte“ unter dem Einfluß von Jes 42,1 anstelle von ¨ u´∙" geschrieben haben könnten: ¨ †klekt∙" (Komm. 169). Ihnen könnte man vielleicht ja sogar die dadurch erreichte Vervollständigung der Siebenzahl der messianischen Prädikate des Kapitels zutrauen. Doch über ein „Erwägen“ und ein „Vielleicht“ ist hier schwerlich hinauszukommen. Besser steht es mit den Argumenten der „inneren Textkritik“. Denn einmal ist das Lexem u´∙" durch den Wortlaut der Himmelsstimme in den synoptischen Erzählungen von der Taufe Jesu den Prätexten vorgegeben (sÜ eè ¨ u´∙" mou ¨ ügapht∙"), so daß die Umsetzung dieser unmittelbaren göttlichen Prädikation in ein berichtendes Bekenntnis kaum anders lauten kann als: oñt∙" †stin ¨ u´Ö" toú jeoú (vgl. Bauer, Komm. 38). Darüber hinaus zeigen Joh 11,27 und 20,31 (vgl. 1Joh 1,3; 3,23; 4,14 f; 5,5) deutlich, daß die abschließende martur‡a des Johannes für Jesus keine andere als nur diese sein kann. Denn wie Johannes als der wahrhaftige (10,41) und von Gott gesandte Zeuge (1,6) sein Zeugnis für Jesus mit dem negativen Bekenntnis: †gá o§k e¢mÑ ¨ crist∙",
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1,29–34
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
eröffnet und damit implizit Jesus als den Messias bekannt hatte, so bekennt er nun abschließend: oñt∙" †stin ¨ u´Ö" toú jeoú, und präzisiert damit, wie ¨ crist∙" hier verstanden sein will. Das im ganzen NT nur bei Joh, nämlich 1,41 und 4,25, vorkommende biblische Prädikat ¨ Mess‡a" ist für unser Evangelium fraglos von kaum überschätzbarem Gewicht. Wenn das beide Male sogleich mit ¨ crist∙" übersetzt wird, so geschieht das zur Betonung seiner biblischen Herkunft und nicht etwa, um mutmaßlichen griechisch sprechenden Lesern die Lektüre zu erleichtern. Jesus als den Messias zu bekennen, ist nach Joh 9,22 geradezu zum Schibboleth geworden in der Auseinandersetzung mit den ûIoudaõoi, die beschlossen haben: †›n ti" a§tÖn ¨mologflsÔh cristÖn üposun›gwgo" gfinhtai. Und dennoch erscheint der bloße Titel ¨ crist∙" unserem Erzähler inadäquat und präzisierungsbedürftig (vgl. de Jonge, Stranger 84). Es muß hinzugefügt werden, daß dieser Messias in einem ganz bestimmten und schlechthin analogielosen Sinne der Sohn Gottes ist. Das wird besonders deutlich in der am Neujahrs-Fest spielenden Szene 10,22–30, die wie Wyller gezeigt hat, die Peripetie des gesamten Dramas bildet: Die Juden umringen Jesus (†k‚klwsan a§t∙n) und dringen mit der Frage in ihn, wie lange er sie noch auf die Folter spannen wolle: e¢ sÜ eè ¨ crist∙", e¢pÇ ™mõn parrhs‡a. Und dann gipfelt Jesu weder einfach bejahende, noch auch verneinende Antwort in dem Satz: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30; vgl. de Jonge, Stranger 84, u. u. z. St.). Genau in diesem Sinne präzisiert auch Johannes im letzten Satz sein Zeugnis, und auf diese Weise wird er den Lesern des Evangeliums, das ja eigens dazu erzählt wurde, ºna piste‚hte Ωti ûIhsoú" †stin ¨ cristÖ" ¨ u´Ö" toú jeoú (20,31), tatsächlich als „der erste Christ“ vorgeführt (von der Osten-Sacken).
Welches der präzise und analogielose Sinn der Prädikation des Messias Jesus als des monogenÉ" parÅ patr∙" (1,14), als des „Sohnes, der eins ist mit dem Vater“ (10,30), und als des „Sohnes Gottes“ (1,34; 11,27; 20,31) jedoch ist, das soll und kann hier nicht vorweggenommen werden. Es muß sich im Laufe unserer Lektüre zeigen und wird erst im Licht des Ostermorgens vollends deutlich werden. Doch außer dem Hinweis auf die gründlichen neueren Bearbeitungen der Frage nach Herkunft und Bedeutung der Gottessohn-Prädikation Jesu durch E. Schweizer (ThWNT), M. Hengel (Gottessohn) und Ferd. Hahn (EWNT) sei dazu mit dem letzteren hier nur soviel gesagt: „Es kann kein Zweifel sein, daß die joh Konzeption aus genuin urchristlichen Voraussetzungen erwachsen ist. Religionsgeschichtliche Fremdeinflüsse sind unwahrscheinlich und haben allenfalls den konsequenten Ausbau der Sohneschristologie bewirkt“ (Hahn, ebd. 923). Wenn Hahn dann freilich fortfährt: „Die Gottessohnschaft Jesu ist Ausdruck seines göttlichen Wesens, ohne daß hier schon metaphysische Reflexionen eine Rolle spielen“, so ist das Problem damit bestenfalls markiert und angedeutet, daß es nicht ausreicht, Jesu Sohnsein alternativ zu bestimmen, nämlich entweder „ontologisch“ oder „moralisch“, entweder „seinshaft“ oder „funktional“, etwa als Jesu „Liebesgemeinschaft mit dem Vater“ oder dergleichen. Als der einzige Sohn Gottes (¨ u´Ö" ¨ monogenfl": 3,16) ist Jesus in unserem Evangelium streng unterschieden von den Glaubenden als in Zeit und Geschichte durch den Geist geborenen „Kindern Gottes“ (1,12 u. ö.). Das ist im übrigen ein entscheidender Grund mehr dafür, die Singular-Lesart in Joh 1,13 als sekundär zu beurteilen. Denn sie machte aus dem ewigen Sohn einen in der Zeit Gezeugten (vgl. Pollard, Father-Son Relationship). Wenn Jesus von sich als dem „Sohn“ immer wieder sagt, „der Vater habe ihn gesandt“ (4,34; 5,23 f; 5,30.37; 6,38 ff u. ö.), „seine Lehre sei gar nicht die Seine, sondern die dessen, der ihn gesandt habe“ (7,16; vgl. 14,24), „wer ihn sehe, der sehe den Vater“ (14,9) etc., wird in solchen Äußerungen fraglos die Sprache des Mythos laut. Doch – und das haben wir zu 1,14 bereits erörtert – es ist die Sprache eines durch die Transzendenzerfahrung der monotheistischen Offenbarungsreligion gebrochenen Mythos. 124
Zweite Szene: Zweiter Tag und zweite martur‡a des Johannes
1,34
Denn Israels Glaube an den einen Gott hat zwischen den Bereichen des Göttlichen und des Weltlichen und Menschlichen eine unüberwindbare Barriere errichtet und damit das traumhafte Stadium einer mythischen Einheit von Göttern und Menschen ein für alle Mal gesprengt und so allen Formen einer Onto-Theologie den Boden entzogen (vgl. Taubes u. s. o. zu 1,14a). Man könnte auch sagen, die jüdisch-christliche Transzendenzerfahrung habe den fiktiven Charakter aller Mythen ans Licht gebracht. Darauf beruht ja auch der wiederholte Blasphemie-Vorwurf der Juden gegen Jesus in unserem Evangelium. Vgl. z. B.: Wie kann der, dessen Vater und Mutter wir doch kennen, behaupten: „Ich bin vom Himmel herabgestiegen“ (6,42); oder: Als seine jüdischen Gegner nach seinem Wort: „Ich und der Vater sind Eines“, im Begriff sind, ihn zu steinigen, erklären sie: „Nicht wegen eines guten Werkes steinigen wir dich, sondern wegen deiner Blasphemie, weil du, der du doch ein bloßer Mensch bist, dich selbst zu Gott machst“ (10,31–33). Nun beruhen diese Angriffe gegen Jesus gewiß auf jenen „Mißverständnissen“, die längst als für unser Evangelium typisch beschrieben worden sind. Dennoch wäre es aber wohl zu kurz gegriffen, wenn man dazu einfach erklären wollte, die Juden mißverstünden Jesus insofern, als sie ihm unterstellten, er wolle sich zu etwas erst machen, was er doch von Ewigkeit her schon ist, nämlich je∙" (1,1). Denn es darf nicht im Unklaren bleiben, daß die Kopula „ist“ in dem Satz „Jesus ist Gott“ nicht auf die Ontologie zurückgeführt werden darf. Sie gehört vielmehr dem Sagen der Transzendenzerfahrung des Glaubens an und darf sich keinesfalls „in jenes Abenteuer mit hineinreißen (lassen), welches von Aristoteles bis Heidegger die Theologie durchlaufen hat; die Theologie, die Identitäts‑ und Seinsdenken geblieben ist und die tödlich wurde für Gott und den Menschen der Bibel oder für das, was man so genannt hat. Tödlich für den Einen, will man Nietzsche glauben, tödlich für den anderen, wie aus dem zeitgenössischen Anti-Humanismus folgt“ (Lévinas, Wenn Gott ins Denken einfällt, 143). Denn als ontologisch Gemeintes müßte das Mißverstandene den Juden ja erst recht als blasphemisch erscheinen, liefe es doch auf die häretische Behauptung „Zweier Mächte im Himmel“ hinaus, die die Rabbinen unter Berufung auf Israels Grundbekenntnis von Dt 6,4 ff so leidenschaftlich im Namen des einzigen Gottes bekämpft haben (vgl. Segal, Two powers). Doch noch nach seinem Zerbrechen durch die monotheistische Offenbarung ist der jetzt als fiktional durchschaute und zum symbolischen Modus von Texten gewordene Mythos keineswegs stumm und überflüssig geworden. Vielmehr bleibt er auch jenseits aller szientistischen Mythenkritik, die ihn als eine bloß vorwissenschaftliche Weise der Welterklärung glaubt abtun zu können und sein eigentliches Sagen gar nicht berührt, ein unersetzliches poetisches Sprachspiel. In dem, was er ausspricht, zeigt sich die unaussprechliche Antwort auf die Sinndefizite der Welt und des Lebens. Schon im Tractatus hatte Wittgenstein gesagt: „Wir fühlen, daß selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort. – Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems. (Ist nicht dies der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, warum diese dann nicht sagen konnten, worin dieser Sinn bestand.) – Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische“. (T 6.52. 6.521 u. 6.522). Und zu diesem „Zeigen“ schreibt er an B. Russell über einen poetischen Text: „… Sondern das Unaussprechliche ist – unaussprechlich – in dem Ausgesprochenen enthalten“ (Brief 78). In ähnlichem Sinne läßt Platon ausgerechnet Aristophanes erklären: „Die ihr ganzes Leben zusammenbleiben, diese sind es, welche auch nicht einmal zu sagen wüßten, was sie voneinander wollen“ (Symp 192c; vgl. Lévinas, Gott und die Philosophie 104 f).
125
1,29–34
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
Bei Joh heißt dieses ausgesprochene Unaussprechliche, in dem sich das Transzendente zeigt: shmeõon. Jesus vollbringt nicht nur solche zeigenden shmeõa, sondern er ist das shmeõon Gottes in Person und Werk: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (14,9). Auch die Prädikation dieses Mannes aus Nazaret, „dessen Vater und Mutter wir doch kennen“ (6,42), als u´Ö" toú jeoú hat den Modus eines shmeõon. Darum muß sich die Interpretation unseres Evangeliums mit Léon-Dufour auf den Weg, „Towards a Symbolic Reading of the Fourth Gospel“ begeben (vgl. D. A. Lee, Symbolic Narrative). Dabei betont Léon-Dufour in diesem programmatischen Beitrag zur Johannesinterpretation, indem er den symbolischen Modus der Lektüre akzentuiert, was U. Eco so beschreibt: „Wenn man von aller möglichen zugrundeliegenden Metaphysik oder mystischen Behauptung abstrahiert, ist das Symbol keine bestimmte Zeichensorte, die mit geheimnisvollen Qualitäten versehen ist, und es ist auch keine bestimmte Art und Weise der Zeichenproduktion. Es ist eine Textmodalität, eine Art und Weise, die Aspekte eines Textes herzustellen und zu interpretieren. Gemäß meiner Typologie der Zeichenproduktion … wird der symbolische Modus dann aktualisiert, wenn durch einen Prozeß der Erfindung ein Textelement erzeugt wird, das als bloßer Eindruck oder als Kopie oder als Stilisierung interpretiert werden könnte. Aber ebenfalls könnte es durch einen plötzlichen Erkenntnisprozeß als Projektion eines Inhaltsnebels durch ratio difficilis identifiziert werden. … Der symbolische Modus ist damit nicht nur ein Modus der Herstellung eines Textes, sondern auch ein Modus der Interpretation jedes Textes – kraft der pragmatischen Entscheidung: ‚Ich will diesen Text symbolisch interpretieren‘. Er ist eine Modalität des Textgebrauchs. Diese pragmatische Entscheidung produziert auf der semantischen Ebene eine neue Zeichenfunktion, indem sie neuen Inhalt – unbestimmten und vagen, so weit das möglich ist – mit Ausdruck assoziiert, der bereits mit einem codierten Inhalt korreliert. Das Hauptcharakteristikum des symbolischen Modus ist, daß der Text auf der wörtlichen oder figurativen Ebene mit Sinn versehen bleibt, wenn der Modus nicht interpretativ realisiert wird …“ (Semiotik 239 f; vgl. ebd. 193–241 das gesamte Kapitel ‚Symbol‘, wo Eco dieses sehr scharfsinnig von der ‚Allegorie‘ unterscheidet). So verstanden könnte der symbolische Modus unseres Evangeliums und der ihm entsprechenden Prädikationen Jesu samt einer ihm korrespondierenden symbolischen Interpretation das unaufgebbare Sachanliegen des Symbols von Chalcedon bewahren, ohne dessen dyophysitischer Ontologisierung zweier Naturen Christi zustimmen zu müssen. Denn üsugc‚tw" und ütrfiptw" sowie üdiairfitw" und ücwr‡stw" fallen sie im Symbol zusammen, die beiden Aspekte Jesu Christi, nämlich das Sichtbare und Sagbare dieses Menschen und in, mit und unter diesem zugleich das Unsichtbare und Unsagbare, für das er das shmeõon ist, das allein der Glaube wahrnimmt. Nicht als einen unter den gefeierten heroischen Göttersöhnen der Antike und nicht wie die Pharaonen Ägyptens oder die Könige Israels prädiziert Johannes ihn mit den Worten: oñt∙" †stin ¨ u´Ö" toú jeoú, sondern als den Einzigen vom Vater (monogenfl" parÅ patr∙") und als den Präexistenten (vgl. 1,15 nach V. 14). Dürfen wir das eine symbolische Inversion der Tradition von Isaaks Bindung nennen, weil hier nicht ein Mensch seine grenzenlose Liebe zu Gott dadurch erweist, daß er ihm sein Liebstes opfert, sondern weil hier umgekehrt das absolut Unglaubliche geschieht, daß Gott seine Liebe zur Welt – zu einer nur auf das Ihre bedachten und in Feindschaft gegen ihn lebenden Welt – durch die Hingabe seines Liebsten erweist (vgl. 3,16)? 126
Dritte Szene und dritter Tag: Erneute martur‡a des Johannes
1,34–35
Dritte Szene und dritter Tag: Erneute marturiva des Johannes vor zweien seiner Jünger und deren ‚Nachfolge‘ Jesu (1,35–42) 35
Am folgenden Tag stand Johannes wiederum da mit zweien seiner Jünger. Und als er Jesus vorübergehen sah, sagte er: Siehe das Lamm Gottes! 37 Als die beiden Jünger ihn so reden hörten, folgten sie Jesus nach. 38 Jesus aber wandte sich um, sah, daß sie ihm nachfolgten, und fragte sie: Was sucht ihr? Sie aber sagten ihm: Rabbi, – das heißt übersetzt: Lehrer –, wo hast du deine Bleibe? 39 Er antwortete ihnen: Kommt und seht! Und sie kamen und sahen, wo er wohnte, und sie blieben jenen Tag bei ihm. Es war um die zehnte Stunde. 40 Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war der eine von den beiden, die (das Zeugnis) von Johannes gehört hatten, und ihm nachgefolgt waren. 41 Der findet (nun) zuerst seinen Bruder Simon und erzählt ihm: Wir haben den Messias gefunden – das heißt übersetzt: den Gesalbten –, 42 und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn (dann) erblickte, sagte er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst (fortan) Kephas heißen – das heißt übersetzt: der Fels (Petrus). 36
35 ff: Wieder wird hier vorausgesetzt, daß der Leser bereits von anderswoher weiß, daß es „Jünger“ des Johannes gibt. Zwei aus ihrem Kreis sind an diesem neuen Tag bei ihm. Abgesehen davon, daß der Leser durch das kurze Zitat ¥de ¨ ümnÖ" toú jeoú an dessen originalen Wortlaut (V. 29 f) vom Vortag erinnert werden soll, darf man sich wegen dieser ‚Abkürzung‘ von hier aus vielleicht auch die Johannes-Jünger als Ohrenzeugen von 1,29–34 vorstellen. Die gedrängte Folge der Lexeme laleõn, üko‚ein und ükoloujeõn weist auf einen nahezu technischen und den Lesern vertrauten Gebrauch. Das laleõn des Johannes als des gottgesandten Zeugen ist Ruf in die Nachfolge Jesu, den seine Jünger „hören“ und „befolgen“. Was hier geschieht, ist der Anfang eines Vorgangs, der sich unter der Notwendigkeit des göttlichen deõ vollenden muß: †keõnon deõ a§x›nein, †mÇ dÇ †lattoúsjai (3,30). Ganz abgesehen davon, daß das letzte Sätzchen mit der Zeitangabe der „zehnten Stunde“ narrativ dem Gesetz des Verisimile folgt, ist diese „Wortverschwendung“ (Eco) doch zugleich ein Signal dafür, daß hier im symbolischen Modus erzählt wird. Deshalb sind die beiden ükoloujoúnte" auch mehr als nur Leute, die hinter einem anderen hergehen (vgl. Brown, Komm. I, 78). Sie machen vielmehr ihre ersten Schritte auf dem Weg der Nachfolge, der ihr Leben fortan bestimmen wird. Zusammen mit seiner Geste der Zuwendung (strafe‡") ist Jesu erste Äußerung in unserem Evangelium seine Frage an die beiden Nachfolgenden: t‡ zhteõte. Und wenn sie darauf mit der Gegenfrage antworten: Øabb‡, poú mfinei"; und damit nach dem Täufer nun auch ihrerseits erstmals das für das gesamte Corpus Iohanneum so bezeichnende Lexem mfinein ins Spiel bringen, so schwingt hinter ihrer vordergründigen Frage nach Jesu Wohnort doch gewiß schon die Suche nach einer unvergänglichen Bleibe mit (siehe dazu Heise 47 u. pass; vgl. Joh 4,40.). Die Wiederaufnahme von poú in der Wendung poú mfinei als der gesuchte Gegenstand ihres „Sehens“, der Satz: kaÑ parû a§tù ≤meinan, und endlich der Erfolg ihres zhteõn, der in V. 41 zur Sprache kommt: e≠rflkamen tÖn Mess‡an, bestätigen diesen ersten Eindruck. 127
1,35–42
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
Die Anrede Øabb‡, hier ausdrücklich mit did›skale übersetzt, begegnet 15x im NT und zwar, außer bei Lk, ausschließlich in den Evangelien, nämlich 4x bei Mt, 3x bei Mk und 8x bei Joh. Fast überall ist es die gebräuchliche Anrede von Schülern (majhta‡) an ihren ‚Lehrer‘ oder ‚Meister‘. So übertragen an unserer Stelle die majhta‡ des Johannes die gewohnte Anrede ihres Meisters (vgl. 3,26) auf Jesus; und auch Nikodemus, „der Lehrer Israels“ (Joh 3,10), redet Jesus, den er als einen von Gott autorisierten did›skalo" einschätzt, gleichsam kollegial mit ‚Rabbi‘ an (3,2). Wenn Mt, bei dem im übrigen nur der Verräter Judas Jesus mit ‚Rabbi‘ anredet (26,25.49), Jesus sagen läßt, im Gegensatz zu den Schriftgelehrten und Pharisäern, die es liebten auf dem Marktplatz gegrüßt und mit ‚Rabbi‘ angeredet zu werden, gelte für seine Jünger: „Ihr sollt euch nicht mit Rabbi anreden lassen, denn nur einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid (ranggleiche) Brüder“ (Mt 23,7 f), so wird daraus ein Doppeltes deutlich: Nämlich einmal, daß der Rabbi der ‚Lehrer‘ ist, und zum anderen, daß wir uns hier wohl kurz vor oder auf der Schwelle zur Entstehung des Rabbinats als eines rituell und rechtlich geordneten Amtes befinden (vgl. Lohse, Art. Øabb‡; G. Schneider, Art. Øabb‡; u. Brown z. St.).
Daß unser Erzähler der hebräischen Anrede „Rabbi“ erläuternd hinzufügt: ≈ lfigetai mejermhneu∙menon did›skale, hat sicher nicht den vordergründigen Zweck, griechischen Lesern ein fremdes Lexem zu übersetzen. Vielmehr dient in nahezu allen literarischen Erzählungen die Einführung von Lexemen in der Muttersprache der handelnden Personen dem Gesetz des Verisimile. Zudem wird in unserem Fall der kurzen und schnell verklungenen Anrede Øabb‡ durch ihr mejermhne‚ein zusätzliches Gewicht verliehen und klargestellt, daß es sich hier nicht um eine bloße Höflichkeitsfloskel, sondern um die respektvolle Anrede von hörbereiten Schülern handelt. Auf die Frage nach seiner Bleibe antwortet Jesus mit der Aufforderung: ≤rcesje kaÑ µyesje. Und die Reaktion der Fragesteller beschreibt der Erzähler in genauer Entsprechung zu der Aufforderung mit diesen Worten: éljan oên kaÑ eèdan poú mfinei kaÑ parû a§tù ≤meinan tÉn ™mfiran †ke‡nhn (zur Rede vom ‚Kommen zu Jesus‘ als nahezu synonymem Ausdruck des „Glaubens an ihn“ vgl. 5,40; 6,35.37.44 f; 7,37 u. siehe Brown, Komm I/79). Im Unterschied zu den gesättigten Fünftausend, denen Jesus, nachdem sie ihn endlich gefunden haben, erklärt: ümÉn ümÉn l†gw ≠mõn, zhteõtfi me o§c Ωti e¥dete shmeõa, üllû Ωti †f›gete †k tùn ±rtwn kaÑ †cort›sjhte (6,26), gilt von diesen, daß sie shmeõa gesehen und darin gefunden haben, was sie suchten. Daß die abschließende nahezu protokollarische Notiz: øra én Æ" dek›th, die auf der Ebene der erzählten Begebenheit dem Verisimile dient, zugleich deren symbolischen Modus signalisiert, hatten wir oben bereits vermerkt. Da es aber dafür im Unterschied zu Allegorie oder Metapher keinerlei Code zu seiner Entschlüsselung gibt, muß offen bleiben, ob man in dem Symbol der „zehnten Stunde“ nun wegen der Zehn als tfileio" ürijm∙" (Philon, VitMos I/96 u. ö.) mit Bultmann die „Stunde der Erfüllung“ (Komm. 70), einen Hinweis auf das zehnmalige „Und Gott sprach“ der Genesiserzählung oder auf die „Zehn Worte“ des Dekalogs sehen will. Auf jeden Fall gilt da Ricœurs Maxime, daß das Symbol zu denken gibt. Dabei kommentiert jedoch Bultmann die von Älteren vertretene Meinung, wonach die Zeitangabe der zehnten Stunde auf ein sakramentales Mahl hinweisen soll, das Jesus mit den beiden Johannesjüngern in der Stunde der Darbringung des MinchaOpfers im Tempel gefeiert habe, zu Recht nur als: „phantastisch“ (z. St.). Kaum minder phantasievoll erscheint uns aber auch Browns historistische (Re‑) Konstruktion unserer Szene und ihre Terminierung auf die Zeit kurz vor Anbruch des Sabbats: „thus, the disciples had to stay on with Jesus from 4 P. M. on Friday until Saturday evening when Sabbath was over, for they could not move any distance once Sabbath had begun on 128
Dritte Szene und dritter Tag: Erneute martur‡a des Johannes
1,35–41
Friday evening“ (Komm I, 75). Denn einziger Grund ihres Bleibens ist in dieser hochsymbolischen Szene doch wohl Jesus und schwerlich das Sabbat-Gebot. 41 f: Trotz dieses „kommentarbedingten“ Neueinsatzes mit den Versen 40–42 darf die Einheitlichkeit der gesamten Szene 1,35–42 als das Geschehen nur eines Tages nicht in Vergessenheit geraten. Sie wird dadurch gesichert, daß der abwesende Protagonist Jesus in V. 40 nicht erneut nominal genannt wird, sondern nur pronominal in der partizipialen Wendung ükoloujhs›ntwn a§tù erscheint, und daß zudem unmittelbar nach unserem Abschnitt in V. 43 mit der Wendung tÔö †pa‚rion erneut das gliedernde Tagesschema erscheint (vgl. Menken, Techniques 47; Mlakuzhyl 102; u. Neirynck, Anonymous Disciple 636 f). Darum darf man die Begegnung der Brüder Andreas und Petrus nicht wie Brown einem späteren Tag zuweisen, wie das – freilich ohne Browns Sabbatkonstruktion – auch Bultmann tut: „Wegen des parû a§tù †m. t. ™m. †k. V. 39 muß sich … das V. 40–42 Erzählte an einem auf V. 39 folgenden Tage ereignet haben“ (Komm. 68 Anm. 5). Anstelle des prùto" (a* L Ws u. a.) oder prùton (P66.75 a2 A B Q Y etc.) in V. 41 lesen einige lateinische Zeugen mane, dem ein griechisches prw⁄ korrespondieren würde (b e [j] r1 sys). Doch angesichts des Gewichts der übrigen Zeugen erweist diese Lesart ihren frühen Produzenten nur als Vorläufer der von Brown, Bultmann, Lütgehetmann (343 ff) u. a. vertretenen Interpretation, die das klare Tagesschema sprengt und die Petrusberufung einem späteren Tag zuweist. Die von dem gewichtigen Codex Sinaiticus prima manu bezeugte Lesart prùto" stellte heraus, daß unter den beiden einstigen Johannes-Jüngern Andreas der erste war, der einen anderen, nämlich seinen Bruder Petrus, zu Jesus brachte. Daß das aber bei dem Leser unwillkürlich die Frage an den Erzähler provoziert: k‚rie, †keõno" dÇ t‡; (vgl. Joh 21,21 mit der Petrusfrage: k‚rie, oñto" dÇ t‡;), zeigt u. a. Bultmanns literarkritische Destruktion unseres Textes: Er rechnet mit einer in sich einheitlichen „schriftlichen Quelle“, die der Evangelist durch „kleine Zusätze“ unterbrochen und dadurch zugleich verwirrt habe. So stamme „jedenfalls“ die „zeitliche Gliederung“ in V. 43 aus seiner Feder, „denn diese macht den Bericht unklar“! „Merkwürdig“ sei ferner, „daß Jesus den Philippus findet, was 1. den im übrigen offenbar bewußt durchgeführten Gedanken stört, daß ein Jünger den anderen zu Jesus führt, und wozu 2. das e≠rflkamen im Munde des Phil. (V. 45) schlecht paßt. Dazu kommt, daß das V. 41 von Andreas ausgesagte prùton oder prùto" unbegründet wäre … Alles aber ist klar, wenn das Subjekt von e≠r‡skei V. 43 ursprünglich einer der vorher berufenen Jünger war, entweder Andreas, der zuerst den Simon, dann den Phil. findet, oder der mit Andreas zusammen Berufene, der als zweiter den Philippus findet. V. 43 ist also vom Evglisten geändert worden, – vielleicht nur, um durch das °jfilhsen †xhljeõn e¢" t. Gal. den Übergang zum folgenden Abschnitt vorzubereiten, vielleicht aber doch, um den Namen des mit Andreas Berufenen … zu unterdrücken“ (Komm. 68). Und zu der textkritischen Entscheidung zwischen prùton und prùto" bemerkt Bultmann: „Die Entscheidung zwischen beiden Lesarten ist nicht möglich, weil der ursprüngliche Text von V. 43 nicht erhalten ist … War in V. 43 Andreas das Subj. des e≠r‡skei, so ist in V. 41 prùton erforderlich, war es der Genosse des Andreas, so muß prùto" gelesen werden. Jedenfalls darf man die Angabe nur im Verhältnis zu dem in dieser Geschichte Folgenden interpretieren. Wenn also prùto" zu lesen ist, so ist doch die Kombination nicht möglich, daß der ‚Andere‘ als Zweiter ebenfalls seinen Bruder gefunden haben müsse (tÖn ¥dion V. 41 braucht keinesfalls betont zu sein; denn ¥dio" wird abgeschliffen wie suus gebraucht, B-D-R § 286,1), und daß also der ‚Andere‘ einer des zweiten Brüderpaares unter den Zwölfen, einer der Zebedaiden, gewesen sei. Vielmehr: ist prùto" zu lesen, so fand der ‚Andere‘ den Philippus. (Übrigens werden die Zebedaiden bei Joh gar nicht genannt, sondern finden sich erst 21,2 im Nachtrag der Red.). Vollends ist bei der willkürlichen Annahme, der ‚Andere‘ müsse der Evglist selbst sein, der Wunsch des Gedankens Vater“ (ebd. 70). Mit seiner literarkritischen Arbeit kombiniert Bultmann hier eine implizite Auseinandersetzung mit älteren Auslegungen und sieht dabei die Probleme unserer Passage sehr scharf. Aber
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1,35–42
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
auch, wenn uns seine rein inhaltlich begründete und linguistisch in keiner Weise ausgewiesene Quellentheorie, zumal angesichts der von Ferd. Hahn (Jüngerberufung 176) aufgewiesenen kompositionellen Einheit der gesamten Szene, höchst unwahrscheinlich dünkt, darf doch selbst dann, wenn man die Bearbeitung einer derartigen Vorlage durch den Evangelisten einmal unterstellen wollte, deren Rekonstruktion keinesfalls zum Selbstzweck geraten und die eigentliche Aufgabe der Interpretation des überlieferten Textes verdrängen, wie immer der auch entstanden sein mag. Darum muß Bultmanns Erklärung, daß die textkritische Entscheidung zwischen den Lesarten prùto" und prùton unmöglich sei, „weil der ursprüngliche Text von V. 43 nicht erhalten ist“, insofern höchst unbefriedigend bleiben, als er dafür ja nicht eine zufällige Textverderbnis, sondern den gestaltenden Autor unseres Evangeliums selbst verantwortlich machen muß. Daß unsere Erzählung von der Berufung der ersten fünf Jünger Jesu (Joh 1,35–51) als pars pro toto offenbar einen Bericht über die Installation des Kreises der Zwölf vertreten soll, geht aus 6,13 u. 6,67 hervor. Wenn dabei jedoch mit relativer Sorgfalt und erheblichem Gewicht die Namen von nur vieren dieser Fünf eingeführt werden, muß es um so rätselhafter erscheinen, daß und warum hier ausgerechnet einer der beiden zuallererst Berufenen namenlos bleibt. Denn selbst wenn dessen Name nicht in der vermeintlichen Quelle genannt war, bleibt Bultmanns Vermutung, der Evangelist habe ihn „unterdrückt“, solange relevant, als man dabei die Frage nach dem Warum dieser Unterdrückung nicht ihrerseits unterdrückt. Fraglos bildet der fehlende oder „unterdrückte“ Name eines der beiden Erstberufenen in unserem Text eine absichtsvolle „Leerstelle“, die zu ihrer Ausfüllung aufruft: „Leerstellen indes bezeichnen weniger eine Bestimmungslücke des intentionalen Gegenstandes bzw. der schematisierten Ansichten als vielmehr die Besetzbarkeit einer bestimmten Systemstelle im Text durch die Vorstellung des Lesers. Statt einer Komplettierungsnotwendigkeit zeigen sie die Kombinationsnotwendigkeit an. Denn erst wenn die Schemata des Textes aufeinander bezogen werden, beginnt sich der imaginäre Gegenstand zu bilden, und diese vom Leser geforderte Operation besitzt in den Leerstellen ein zentrales Auslösemoment. Durch sie ist die im Text ausgesparte Anschließbarkeit seiner Segmente signalisiert. Folglich verkörpern sie die ‚Gelenke des Textes‘, denn sie funktionieren als die ‚gedachten Scharniere‘ der Darstellungsperspektiven und erweisen sich damit als Bedingungen der jeweiligen Anschließbarkeit der Textsegmente aneinander. Indem die Leerstellen eine ausgesparte Beziehung anzeigen, geben sie die Beziehbarkeit der bezeichneten Positionen für die Vorstellungsakte des Lesers frei; sie ‚verschwinden‘, wenn eine solche Beziehung vorgestellt wird“ (Iser, Akt 284).
Außer diesem Leerstellen-Signal, das nach seiner Auffüllung durch die Wahrnehmung anschließbarer Textsegmente ruft, ist zudem gar nicht einzusehen, warum das von Koch so eindrucksvoll aufgewiesene intertextuelle Spiel mit Mk 1,7 ff nach Joh 1,34 plötzlich abbrechen sollte. Denn daß am Anfang aller Jüngerschaft Jesu die Berufung zweier Brüderpaare stand, nämlich die von Petrus und Andreas sowie die der Zebedäussöhne Jakobus und Johannes (Mk 1,16 ff par.) – und danach nach Ausweis der Apostelliste von Mk 3,16–19 / Mt 10,2–4 wohl die des Philippus –, weiß der Leser aus den Prätexten (und dieses Wissen ist im übrigen auch Joh 21,2 vorausgesetzt, wenn das Brüderpaar da einfach als o´ toú Zebeda‡ou bezeichnet wird). Ob man wegen des abgeschliffenen Gebrauchs des Lexems ¥dio" in der Koine die emphatische Wendung tÖn üdelfÖn tÖn ¥dion unter Berufung auf B-D-R § 286, 4 einfach als synonym mit dem Syntagma tÖn üdelfÖn a§toú erklären darf, ist eine durchaus offene Frage (vgl. deren eingehende Erörterung durch Neirynck, Anonymous Disciple 631 ff). Doch selbst wenn ¥dio" bei Johannes – Zahn (Komm. 133) meint gar: im gesamten NT – u. E. nie ohne die emphatische Betonung des spezifisch Eigenen gebraucht wird, ist Neirynck doch darin zuzustimmen, daß unserem Text, auch wenn man ihn mit anderen Textsegmenten des Evangeliums kombiniert, keinesfalls unmit‑ telbar zu entnehmen ist, daß nach Andreas auch der ‚Andere‘ seinen Bruder zu Jesus 130
Dritte Szene und dritter Tag: Erneute martur‡a des Johannes
1,41
geführt haben müsse. Was unseren Anonymus mit der Figur des „Jüngers, den Jesus liebte“ verbindet, ist darum wohl allein das Rätsel von deren Identität, das in unserem Evangelium aber nicht wie in einem Schlüsselroman aufgelöst wird, sondern ein den Lesern aufgegebenes Rätsel bleibt. Hier soll und darf also geraten werden: „Die geheimnisvolle anonyme Gestalt ganz am Anfang kann nicht völlig bedeutungslos sein und weckt die Neugierde der Leser, doch wird sie gleichzeitig bewußt im Zwielicht gelassen. D. h. sie könnte auf den anonymen Jünger, ‚den Jesus liebte‘, aus den Kapiteln 13–21 hinweisen …“ (Hengel, Joh. Frage 217). Im Gegensatz zu dieser vorsichtigen Schlußfolgerung, die dem poetischen Charakter unseres Evangeliums ebenso wie dem Rätsel um den namenlosen Jünger gerecht wird, „der dies alles bezeugt und dieses geschrieben hat“ (21,24), glaubt H.-J. Kuhn auf Grund der Beobachtung vermeintlich typischer Sprachverwendungen eine Art förmlichen Indizienbeweises dafür führen zu können, daß der Anonyme mit dem geliebten Jünger identisch sei (121 ff). Kuhns gesamte Argumentation beruht jedoch auf seinem literarkritischen Urteil über V. 43, den er für eine sekundäre Interpolation der „kirchlichen Redaktion“ hält (s. u. zu V. 43). Doch mittlerweile hat Neirynck alle diese vermeintlichen Indizien Kuhns einer kritischen Analyse unterzogen und sie dadurch ihres Charakters als „Indizien“ überzeugend entkleidet (Anonymous Disciple 637 ff) Zudem legt ja nicht schon solche intratextuelle Spurensuche, sondern erst das inter‑ textuelle Spiel unseres Evangeliums mit seinen synoptischen Prätexten und speziell das unserer Passage mit Mk 1 es nahe, die Lösung des Rätsels in der Richtung zu suchen, daß nach Andreas auch sein Gefährte (Johannes?) seinen Bruder zu Jesus geführt haben könnte. Das würde bedeuten, daß trotz der frühen und weit verbreiteten Lesart prùton das von dem gewichtigen Sinaiticus gebotene prùto", wenn es nicht gar den Vorzug verdiente, so doch zumindest ernst zu nehmen wäre als das frühe Zeugnis eines native speaker für die hier erörterte Interpretation, die ihren literarischen Niederschlag ja wohl kaum zufällig in den frühen Inscriptiones bzw. Subscriptiones e§aggfilion katÅ ûIw›nnhn (P66.75) gefunden hat (vgl. Hengel, Joh. Frage 30 ff. 204 ff; u. Hoskyns/Davey, Komm. 171.179 ff). Diesem Lektürevorschlag meint Bultmann, mit dem oben zitierten Satz: „Übrigens werden die Zebedaiden bei Joh gar nicht genannt, sondern finden sich erst im Nachtrag der Red.“ (Komm. 70) den Boden entzogen zu haben. Doch gegen sein darin impliziertes apodiktisches Urteil über den sekundären Charakter von Joh 21, das mittlerweile fast zum Konsensus der gesamten Johannesexegese geworden ist, müssen wir schon hier unseren Widerspruch ankündigen. Wir können ihn einstweilen deshalb nur „ankündigen“, weil ihn erst die folgende Kommentierung aller einschlägigen Passagen des Evangeliums zu begründen vermag. Abgesehen davon, daß unser Evangelium nach Ausweis seiner handschriftlichen Überlieferung öffentlich nie ohne sein 21. Kapitel existiert hat, muß seine Interpretation zeigen, daß es ohne dieses Kapitel ein Torso wäre. Denn erst hier finden viele und vielfältig gesponnene Fäden der vorausgegangenen Erzählung ihre Verknüpfung, ohne die sie buchstäblich in der Luft hingen (vgl. Thyen, Noch einmal: Joh 21 und „der Jünger, den Jesus liebte“). Zudem könnte man doch in Umkehrung von Bultmanns Argument gerade die „Nichtnennung“ der Zebedaiden im Corpus unseres Evangeliums und ihr Erscheinen erst in Joh 21,2 als ein Element der absichtsvoll durchgeführten Strategie begreifen, den Jünger, ¨ marturùn perÑ to‚twn kaÑ ¨ gr›ya" taúta (21,24) und seine Zeugenschaft als einer, der üpû ürcö" mit Jesus war (15,27) bleibend mit dem Rätsel seiner Anonymität zu 131
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verbinden. – Auch Ferd. Hahn (Jüngerberufung 184 f) registriert die „Leerstelle“ in Joh 1,40–42. Den „namenlosen Jünger“, der auch hier, wie später am Grab Jesu, vor Petrus zu Jesus gekommen ist, begreift er als ersten „Hinweis des Evangelisten auf den Lieblingsjünger“ (vgl. Thyen, ebd. 170 ff). Anders als wir sieht er in diesem jedoch nicht den von seinem Autor geschaffenen, rein fiktionalen Erzähler-Schreiber unseres Evangeliums, sondern die Abbildung eines realen und als mutmaßlicher Traditionsträger einer „johanneischen Gemeinde“ verehrten Mannes. Schon die Art, in der Andreas in V. 40 aus seiner Anonymität heraustritt, indem er nämlich eingeführt wird zum einen als der offenbar weniger bekannte Bruder des bekannten Simon Petrus und zum anderen als „der Eine“ (eï") der beiden Jünger des Johannes, die dessen Zeugnis gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, weckt natürlich die Frage nach dem ‚Anderen‘. Bauer zitiert Chrysostomus: (Hom 18,3): t‡no" oên ∫neken kaÑ toú ©tfirou o§k †gn„risen µnoma; tinfi" fasi diÅ tÖ a§tÖn eènai tÖn gr›fonta tÖn °koloujhk∙ta (Komm. 38). Und Haenchen kommentiert derartige Äußerungen der Väter so: „Die alte Kirche aber sah hier ein verstecktes Selbstzeugnis des demütigen Autors (des Zebedaiden Johannes), ohne sich zu fragen, ob Demut und verstecktes Selbstzeugnis sich miteinander vertragen“ (Komm. 179). Abgesehen davon, daß uns schon diese „Unverträglichkeit“ nicht einleuchten will, verändert sich die Sachlage ja total, wenn sich in unserem Evangelium ein realer Autor seiner eigenen Identität zugunsten eines von ihm geschaffenen fiktionalen Erzählers vollständig entäußert haben sollte. Wenn unser Autor seinem Leser gegenüber den als Petrus bekannt gewordenen Simon mit dem Doppelnamen Simon Petrus benennt, auf der Ebene der Erzählung dagegen Andreas – unmittelbar vor der Belehnung seines Bruders mit dem Ehrenprädikat des „Felsenmannes“ – tÖn üdelfÖn tÖn ¥dion S‡mwna finden läßt, zeigt er damit sein ausgeprägtes Vermögen, zwischen der Zeit seines Erzählens und der Zeit des Erzählten zu differenzieren. Andreas begegnet seinem Bruder Simon also mit den Worten: e≠rflkamen tÖn Mess‡an. Diese im Neuen Testament nur hier (u. Joh 4,25) gebrauchte griechische Transkription des hebräischen Lexems jyçm zeigt an, daß Andreas in Jesus die Erfüllung der Hoffnung Israels gefunden hat. Und wiederum nicht, um griechischen Lesern das Fremdwort zu erklären, sondern um dieses Gewicht der martur‡a des Andreas zu unterstreichen, fügt der Erzähler ihr hinzu: Ω †stin mejermhneu∙menon crist∙". Statt mit dem leicht als Eigennamen lesbaren Lexem „Christus“ gibt Brown diesen Erzählerkommentar in seiner Übersetzung angemessen mit „Anointed“ wieder (Komm. I, 73). Der gut griechische Name ûAndrfia" ist in den Transkriptionen yardna bzw. yyrdna auch jüdisch belegt (Bill I, 535), und auch hier ist sein Träger als „Jünger“ des Johannes und Bekenner des „Messias“ natürlich als Jude zu denken. Sein erstes Wort an Petrus, e≠rflkamen, zeigt an, daß der ‚Andere‘ keineswegs in Vergessenheit geraten ist oder geraten darf. Kügler sucht demgegenüber das unvermittelte Verschwundensein des anonymen Andreasgefährten in der folgenden Erzählung damit zu erklären, „daß dieser Jünger nicht weiter nachfolgte“ (Jünger 423). Doch zu dieser völlig abwegigen Erwägung verleitet ihn offenbar eine Art negativer Apologetik, mit der er allen Versuchen zu wehren sucht, den Namenlosen mit dem „geliebten Jünger“ zu identifizieren oder ihn doch wenigstens als dessen Platzhalter zu begreifen. – Und wenn Bultmann das singularische Präsens e≠r‡skei in den Versen 41.43 u. 45 ein „ungewolltes Finden“, das pluralische Perfekt e≠rflkamen der Verse 41.45 „dagegen das Finden derer, die ge-
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sucht haben“ nennt (Komm. 71), so ist das doch wohl ein Zuviel des Aufwands an Scharfsinn. Denn ob Andreas nach seinem glücklichen Finden des Messias nicht als erstes seinen Bruder gesucht hat, um ihn zum Teilhaber seines Glücks zu machen, ist den bloßen Formen von Numerus und Tempus des Verbums e≠r‡skw so wenig zu entnehmen, wie wir um die Intentionen Jesu oder des Philippus wissen können.
42a: Die gedrängte Kürze des Satzes zeigt, daß des Andreas (Suchen und) Finden seines Bruders Simon erst hier an sein Ziel kommt. Und nun heißt es über Jesus: †mblfiya" a§tù ¨ ûIhsoú" eèpen: sÜ eè S‡mwn ¨ u´Ö" ûIw›nnou, sÜ klhjflsÔh Khfô", (¨ ©rmhne‚etai Pfitro"). Längst ehe er ihn gesehen hat, kennt Jesus diesen Simon, den Sohn des Jochanan. Haenchens rationalistische Erklärung: „Ob der Erzähler meint, Jesus spreche diese Worte aus seiner Allwissenheit heraus – er hat sich ja schließlich schon lange mit Andreas, dem Bruder des Petrus, unterhalten – ist nicht völlig sicher“ (Komm. 180) wird dem symbolischen Charakter unserer Erzählung und ihrer Rede vom „Bleiben“ der beiden Johannes-Jünger bei Jesus schwerlich gerecht. Das gilt aber auch allen Versuchen gegenüber, Jesu göttliches Allwissen und seine Prädikation als Gottessohn aus dem synkretistischen Milieu des wahren Propheten oder des jeõo" ünflr „ableiten“ zu wollen. Denn dabei bleibt das tiefe Verwurzeltsein unseres Evangeliums im Alten Testament und seiner jüdischen Auslegungsgeschichte, ohne die Jesu Auseinandersetzung mit den ûIoudaõoi ja buchstäblich bodenlos würde, fast stets auf der Strecke. Exemplarisch mag das ein kurzer Blick auf die beiden knappen Exkurse zu Joh 1,21 über die „Frage nach dem Propheten“ und zu 1,34 über die Prädikation ¨ u´Ö" toú jeoú bei Bauer illustrieren: Bauer bezweifelt, daß bei der Rede von ‚dem Propheten‘ Dt 18,15 im Hintergrunde steht. Trotz Joh 1,21 und 6,14 (im Kontext mit der biblischen Manna-Erzählung!) soll der definierende Artikel bei ¨ profflth" nicht auf den verheißenen „Propheten wie Mose“ verweisen, sondern Jesus als den einen wahren von all den anderen als falschen Propheten unterscheiden (vgl. dazu aber van der Woude 82 f). „Im Bannkreise des ATs mit seinem festgeschlossenen Kranz von Propheten wird die Rede von dem Propheten kaum aufgekommen sein …, und auch der Christ Jo hat sie nicht aufgebracht. Spricht er doch immer wieder von den Propheten in der Mehrzahl (1,46; 6,45; 7,52; 8,52 f) und nennt speziell den Jesaja einen Propheten (1,23; 12,38). Doch das Prophetentum war ja nicht auf das jüdische Volk beschränkt. In der Welt des Synkretismus gab es viele Propheten“ (Komm. 32). Und dann folgt eine lange Liste solcher, von denen nach Reitzenstein (Wundererzählungen 35 ff) gilt: „Im Leben ist Prophet der ehrenvolle, Goet der verächtliche Titel für sie… Fragt man, wodurch Jesus als der Prophet im 4. Evgl. charakterisiert ist, so ergibt sich, daß er so heißt als der Bringer überirdischer Gnosis (7,40), als der Allwissende (4,19) und der machtvolle Wundertäter (6,14; 9,17). 4,19 und 9,17 faßt das nicht mit dem Artikel versehene profflth" so wenig das Vorhandensein anderer Propheten ins Auge wie PsClem, Hom. 3,15, ist daher nicht mit ein Prophet zu übersetzen, sondern kennzeichnet Jesus seinem Wesen nach als Propheten …“ (Komm. 33). Und quasi als Synonym für den Vertreter eines derartigen „Prophetentums“ wird dann auch die Prädikation ¨ u´Ö" toú jeoú mit zahlreichen Beispielen zumal aus gnostischen Texten illustriert und von daher bestimmt (Komm. 37 ff). Doch die hier von Bauer gegebenen joh. Belege sagen allesamt gerade das nicht, was er ihnen entnehmen möchte. Denn ganz selbstverständlich bezeichnet hier die Rede von „den Propheten“ eben jenen „festgeschlossenen Kranz“, d. h. sie ist die Bezeichnung eines Teils der Schrift. Doch ganz abgesehen von solchen exegetischen Detailfragen, die jeweils an ihrem Ort zu erörtern sein werden, hat sich gegenüber der den Spuren Wetters (Sohn Gottes) folgenden Forschungsrichtung Bauers und Faschers (profflth") in den letzten fünf Jahrzehnten auf dem Feld der Johannes-Interpretation ein förmlicher „Paradigmenwechsel“ vollzogen (vgl. dazu etwa Meeks, Prophet-King 21 ff). In diesem Wechsel der Paradigmen konvergieren die Linien ganz unterschiedlicher Felder der Forschung. Einmal hat eine
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neue und gründliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Hellenismus die weithin herrschende Dichotomie von Judentum und Hellenismus grundsätzlich in Frage gestellt (vgl. Tscherikover, Hellenistic Civilization, u. Hengel, Judentum). Zum anderen hat eine Fülle neuerer Philostudien dessen genuines Judentum ans Licht gebracht. Zum dritten hat die Entdeckung, Publikation und Erforschung der Texte aus Qumran unser Bild vom Judentum der Zeit des zweiten Tempels um ganz erhebliche Facetten bereichert (vgl. u. a. Charlesworth). Und endlich haben eingehende Studien der LXX sowie der frühen Targumim und Midraschim Licht auf den Schriftgebrauch des JohEvs geworfen (vgl. etwa Borgen, Bread; Malina, Manna-Tradition; F.-M. Braun, Sacrifice). Dabei hat sich das JohEv als ein fest im Alten Testament verwurzeltes spezifisch jüdisches Produkt erwiesen, das zugleich in lebendiger Auseinandersetzung mit einem sich zunehmend von ihm und seiner Welt abgrenzenden Judentum begriffen ist.
Jeder Leser des Prologs weiß um den „himmlischen Ursprung“ des „fleischgewordenen l∙go"“. Darum wird er Jesu Teilhabe an der Omniszienz des „Vaters“ nicht auf die mutmaßliche jeõo"-ünflr-Christologie irgendeiner Semeia-Quelle oder dergleichen zurückführen, sondern ihren Ursprung „in den Schriften suchen, die von ihm reden“ (Joh 5,39). Wie Jhwh, der Kenner aller Menschenherzen (1Kön 8,39 u. ö.), da etwa zu Kyros sagt: †g„ e¢mi k‚rio" ¨ kt‡sa" se, und: †gá kalfisw se tù £n∙mat‡ sou kaÑ prosdfixoma‡ se, sÜ dÇ o§k ≤gnw" me (Jes 45,8.4), so sagt unser Erzähler von Jesus: a§tÖ" dÇ ¨ ûIhsoú" o§k †p‡steuen a§tÖn a§toõ" diÅ tÖ a§tÖn gin„skein p›nta" kaÑ Ωti o§ cre‡an eècen ºna ti" marturflsÔh perÑ toú ünjr„pou: a§tÖ" gÅr †g‡nwsken t‡ én †n tù ünjr„pw (2,24f; s. u. z. St.). Jesu von Ewigkeit her bestehendes Kennen nicht nur der Seinen, sondern – einschließlich des von ihm selbst erwählten Verräters – aller Menschen will auch im Sinne seiner Einheit mit dem Schöpfer begriffen sein (1,3). In seinem spontanen Erkennen Simons (V. 42), danach Nathanaels (V. 47 ff) und endlich der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen (4,16 ff) findet die ungeteilte Einheit des Sohnes mit dem Vater ihren narrativen Ausdruck (10,30), und hier werden bereits Farben aus dem Bild vom „guten Hirten“ sichtbar, „der seine Schafe kennt und sie mit Namen ruft“ (10,3.14.27). Als einer der zahlreichen Erzähler-Kommentare offenbart die eben zitierte Passage über Jesu Wissen um das, „was im Menschen ist“, im übrigen zugleich unseren Erzähler als stillen Teilhaber am Allwissen Jesu. Und das hat seinen narrativen Ausdruck wohl darin gefunden, daß seine explizite Einführung mit den Worten erfolgt: én ünake‡meno" eï" †k tùn majhtùn a§toú †n tù k∙lpw toú ûIhsoú, ≈n °g›pa ¨ ûIhsoú" (13,23). Denn diese kaum zufällig an 1,18, ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patrÖ" †keõno" †xhgflsato, anklingende Wendung zeichnet ihn nach dem Vorbild seines Herrn als des „Exegeten des Vaters“ als den autorisierten „Exegeten Jesu“. Wenn dagegen eingewandt werden sollte, bis zur Rede vom „guten Hirten“ sei der Leser von Joh 1,35–42 in seiner Lektüre ja noch gar nicht gekommen, so ist dem zu entgegnen, daß ein derart flüchtiger und empirischer Erst‑ und Einmal-Leser doch wohl im Ernst nicht Leser genannt werden kann. Dazu wird einer erst, wenn er dem ‚Leser im Text‘ (Vorster) oder dem ‚Modell-Leser‘ (Eco), der, wie der ‚Erzähler‘ und ihm korrespondierend, ein auktoriales Geschöpf ist, dadurch zu entsprechen sucht, daß er wie jener in der „Welt des Textes“, die freilich erst durch das Zusammenspiel aller seiner Teiltexte konstituiert wird, seine „Bleibe“ findet. 42b: Anstelle der von P66.75 a B* L Ws 33 pc it co fraglos besser bezeugten Anrede des Petrus und im Blick auf Mt 16,17 auch schwierigeren ûIw›nnou bietet der Reichstext mit einigen der älteren Zeugen wie A B2 Y f 1.13 c q vg cl sy bo ms in Angleichung an das S‡mwn Bariwnô von Mt 16,17 die Lesart: ûIwnô. Neben der Vulgata suchen einige Zeugen diese Diskrepanz durch
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ûIw›nna zu überbrücken. Diese Versuche, zwischen Mt 16,16–19 und Joh 1,42 zu vermitteln, haben ein gewisses Recht wohl darin, daß Joh tatsächlich mit diesem Mt-Text zu spielen scheint. Das wird durch die gleichlautende Anrede sÜ eè S‡mwn mit der, wenn auch unterschiedlichen, Hinzufügung des Vaternamens sowie durch die Verleihung des Petrus-Namens nahegelegt. Aber in sein Spiel mit jenem Mt-Text hat Joh auch die Formen der darin genannten Namen einbezogen. Wie er im Bekenntnis des Andreas, das wohl auch für Petrus gelten darf, die griechische Transkription Mess‡a" des hebräischen jyçm verwendete, um sie dann mit „gesalbt“ bzw. „der Gesalbte“ (crist∙") zu übersetzen, so benutzt er nun anstelle von Pfitro" die griechische Transkription Khfô des aramäischen apyk und übersetzt sie mit „Fels“ (pfitro"). Diese Archaisierung der Namen dient nicht nur dem narrativen Gesetz des Verisimile, sondern in einer Zeit, in der „Petrus“ längst zum Eigennamen geworden ist und einige Christenkinder womöglich schon diesen Namen des verehrten Märtyrers tragen, wird so das Außergewöhnliche der Belehnung des Simon mit dem metaphorischen Namen „der Fels“ in Erinnerung gerufen. Aus dem Futurum klhjflsÔh schließt Bultmann – schwerlich zu Recht – auf das Vorliegen einer „Weissagung“, wonach „Simon einst einen anderen Namen tragen werde, den Namen ‚der Fels‘“, und widerspricht deshalb vehement allen, die Joh 1,42 „als die joh Gestaltung der Mk 1,16–18 oder 3,16 vorliegenden Überlieferung“ zu begreifen suchen (Komm. 71 mit Anm. 12). Das Argument beruht jedoch auf einer kaum tragfähigen Stütze. Denn wie die verwandten biblischen Erzählungen der Verleihung des neuen Namens Abraham an Abram (Gen 17,5.15) und Israel an Jakob (Gen 32,29; vgl. 1Kön 18,31) sowie die Verleihung des neuen Namens p∙li" katafugö" an Aseneth (JosAs 15,7; vgl. Burchard, JosAs 676) zeigen, sind die Futura klhjflsÔh bzw. ≤stai tÖ µnom› sou in diesen Texten stets in logischem Sinn gebraucht: „Von jetzt an sollst du NN heißen“ (vgl. Brown, Komm. I/80). Der neue Petrusname gründet hier weder in irgendeinem besonders adäquaten Bekenntnis noch in felsenhaften Charakterzügen seines Trägers, sondern allein darin, daß Jesus ihn „ansah“: †mblfiya" a§tù ¨ ûIhsoú", und damit für seine Petrus-Rolle (vgl. 21,15–19) „ausersah“.
Wie wir in dem Gebrauch der griechischen Transkription Khfô des aramäischen Lexems apyk nicht „another factor in support of the antiquity of the Johannine form of the tradition“ (Brown ebd. 80), sondern ein sehr bewußt eingesetztes Stilmittel unseres Erzählers sahen, so dürfte sich auch die Differenz in der Wiedergabe des Namens von Simons Vater erklären. Während Jesus den Jünger bei Matthäus als S‡mwn Bariwnô, also als ‚Simon, Sohn des Jona‘, anredet, nennt er ihn bei Johannes: S‡mwn ¨ u´Ö" ûIw›nnou bzw. S‡mwn ûIw›nnou (1,42; 21, 15.16.17). Auch darin scheint uns keine andere oder ältere „Tradition“ vorzuliegen, sondern bewußte literarische Gestaltung. Ganz zu Recht spricht J. Jeremias hier von der „zweifachen Überlieferung der Namensform“ von Simons Vater und nicht von derjenigen seines „Namens“. Denn „außer als Name des Propheten Jonas ist Jona bis zum dritten nachchr. Jhdt einschließlich als selbständiger männlicher Eigenname nicht nachweisbar“. Außer Jub 24,20, wo er als Frauenname erscheint, begegnet ûIwnô" in der LXX aber mehrfach als Wiedergabe des hebräischen ˆnjwy (vgl. 4Kön 22,23 B; 1Chr 26,3 A; 1Esr 9,1 B; 9,23 A). Für Jeremias folgt daraus: „Da Jona(s) in nt.licher Zeit als selbständiger Name nicht nachweisbar ist, sondern nur als v. l. der LXX zu ûIw›n(n)h", möchte man schließen, daß anwy Mt 16,17 Abkürzung von ˆnjwy ist“ (ThWNT III/410; vgl. auch Dodd, Hist. Tradition 306 ff). Wir folgen diesem „Schluß“ und sehen darum Joh auch hier um die archaischere Gestalt der biblischen Sprache bemüht.
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Erster Akt des historischen Dramas Jesu
Vierte Szene, vierter Tag: Jesus beruft Philippus in seine Nachfolge, der dann Nathanael, ‚den Israeliten, in dem kein Falsch ist‘, zu Jesus führt (1,43–51) 43
Als Jesus am folgenden Tag nach Galiläa aufbrechen wollte, findet er Philippus. Und Jesus sagte zu ihm: Folge mir nach! 44 Philippus aber stammte aus Bethsaida, der Stadt, aus der auch Andreas und Petrus kamen. 45 Philippus traf (dann) Nathanael und sagte ihm: Den, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, den haben wir gefunden: Jesus, den Sohn Josephs aus Nazaret. 46 Und Nathanael erwiderte ihm: Aus Nazaret? Was kann denn daher schon Gutes kommen? 47 Da sagte Philippus zu ihm: So komm doch und sieh es selbst! 48 Als Jesus (dann) Nathanael auf sich zukommen sah, sagte er über ihn: Siehe an, ein wahrer Israelit, an dem kein Falsch ist! 48 Darauf fragte Nathanael ihn: Woher kennst du mich denn? Und Jesus antwortete ihm mit diesen Worten: Schon ehe Philippus dich (be)rief, sah ich dich unter dem Feigenbaum (sitzen). 49 Da bekannte Nathanal (ihm): Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels! 50 Und Jesus entgegnete und sagte ihm: Glaubst du etwa allein deshalb, weil ich dir gesagt habe, daß ich dich schon unter dem Feigenbaum sitzen sah? Du sollst noch weit größere Dinge zu sehen kriegen! 51 Und er sagte ihm: Amen, Amen, ich sage euch: Ihr sollt den Himmel offen und die Engel Gottes hinaufsteigen und herabsteigen sehen auf dem Sohn des Menschen. 43: Als Jesus an diesem neuen Tag (tÔö †pa‚rion) von dem peräischen Bethanien (s. o. zu V. 28) aufbrechen will nach Galiläa (2,1–11), „findet er“ (e≠r‡skei) Philippus und ruft ihn mit den Worten ükolo‚jei moi in seine Nachfolge. Anders als in der Szene vom Vortag ist es jetzt nicht das Wort eines Zeugen, das zu Jesus führt, sondern Jesu eigene Initiative. Sein ebenso kurzer wie souveräner Ruf: ükolo‚jei moi ist uns – wie dem Modell-Leser unseres Evangeliums – aus den synoptischen Evangelien vertraut (vgl. Mk 2,14 parr; Mk 10,21 parr; Mt 8,22; Lk 9,59). Im Anschluß an Spitta (56 f), Boismard (Traditions johanniques 39 ff) u. a. hatte auch ich noch 1975 geschrieben: „Es erscheint mir fast sicher, daß dieser V. 43 zu dem Zweck interpoliert worden ist, den einen der beiden Erstberufenen zum Anonymus zu machen. Ohne V. 43 sind Andreas und Philippus die beiden vom Täufer an Jesus gewiesenen ersten Jünger. Sie tauchen auch Joh 6,6 ff und Joh 12,20 ff, an letzterer Stelle wiederum in der ‚Zeugen‘-Funktion einigen Griechen gegenüber, als festes Paar auf … Der Autor von Joh 21 … hat den ‚synoptischen‘ Vers 43 interpoliert, um einen der Erstberufenen anonym zu machen, damit so der Lieblingsjünger Zeuge der realen Geschichte Jesu sei von ihrer Arché in der Taufe des Johannes an (vgl. Lk 1,2 und Apg 1,21 f)“ (Entwicklungen 275; ebenso Langbrandtner 69 ff). Und auf Grund „schwerwiegender Beobachtungen“ hält auch Becker V. 43 für Interpolation. Doch mit der durch sie entstandenen Verwirrung des klaren Textes belastet er anders als wir nicht den Autor von Joh 21, seine „kirchliche Redaktion“, sondern wiederum seinen hilflosen Evangelisten, dem es nicht gelingt, seine „Semeia-Quelle“ sinnvoll zu bearbeiten: „Nach dem Schema aus V. 40 f. 45 müßte Philippus von einem anderen als von Jesus ‚gefunden‘ werden, so wie es auch V. 37 geschieht, wenn dort der Täufer die beiden ungenannten Jünger zu Jesus gehen läßt … Schwierig wird nun auch die Angabe des Philippus (1,45) ‚wir haben gefunden‘ (Kuhn), wo er doch nach V 43 nicht
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Vierte Szene, vierter Tag: Jesus beruft Philippus in seine Nachfolge
1,43–44
fand, sondern gefunden wurde. Alles löst sich gut auf, läßt man V 43 von E [sc. dem Evangelisten!] eingefügt sein …, weil dieser den Weg nach Galiläa (2,1) vorbereiten wollte. Nun erst geschieht die Berufung von Philippus und Nathanael ungeschickterweise beim Aufbruch, und Philippus kann nicht der andere Jünger sein, der aus V 37 noch unbekannt ist. Daß er doch der zweite Jünger ist, zeigt die strukturelle Parallelität zwischen V 40 und 44 und das gemeinsame Auftreten beider Jünger in 6,5 ff; 12,21 f “ (Komm. I, 119 f). Im Gegensatz zu solcher vorschnellen „Sicherheit“ bin ich mittlerweile jedoch „fast sicher“, daß weder eine vermeintliche Grundschrift unseres Evs noch seine mutmaßliche Semeia-Quelle jemals mit einer für deren Interpretation zureichenden Verläßlichkeit rekonstruiert werden kann. Darum wiederhole ich hier meinen damaligen Vorschlag, nicht länger den Autor irgendeiner Schicht des Evs, sondern denjenigen seinen Evangelisten zu nennen, dem wir unser überliefertes Johannesevangelium (einschließlich seines 21. Kapitels!) verdanken. Anders ausgedrückt, könnte ich auch sagen: Wenn er denn je am Werk gewesen sein sollte, nenne ich den von Bultmann in die Diskussion eingeführten und von Becker mit ganz erheblich umfangreicheren Anteilen am Text ausgestatteten „kirchlichen Redaktor“ als den für Edition, Gestalt und Struktur unseres Evangeliums Verantwortlichen seinen „Evangelisten“. Im Gefolge meines Lehrers R. Bultmann war ich zur Zeit der Niederschrift der oben zitierten Passage noch der Überzeugung, daß das vierte Evangelium als ein von seinen drei synoptischen Vorläufern völlig unabhängiges Werk mit spezifischen, nur ihm eigenen Traditionen angesehen werden muß; und daß allein sein vermeintlicher „kirchlicher Redaktor“ eine Kenntnis der synoptischen Evangelien besaß und um einen Ausgleich mit ihnen bemüht war. Doch inzwischen haben mich vor allem die Pionierarbeiten von F. Neirynck und M. Sabbe und die in deren Gefolge in zahlreichen Beiträgen völlig neu aufgerollte Frage nach dem Verhältnis des Joh zu den Synoptikern davon überzeugt, daß nicht erst der vermeintliche „kirchliche Redaktor“, sondern bereits der Evangelist selbst die synoptischen Evangelien kannte und diese Kenntnis auch bei seinem Modell-Leser voraussetzt. Darum darf man wohl kaum noch sagen, durch die „Einfügung“ von V. 43 werde die typisch johanneische Berufungsweise, wonach stets ein Zeuge einen anderen zu Jesus führe, durch eine spezifisch „synoptische Szene“ unterbrochen. Denn wenn Joh in unserem Kapitel die Jüngerberufung exemplarisch darstellen wollte, dann konnte er dabei doch den typischen Ruf Jesu ükolo‚jei moi unmöglich übergehen.
Auch jenseits aller Spekulationen über eine mögliche Vorgeschichte unseres Textes und aller Mutmaßungen über den redaktionellen Charakter von V. 43 versinkt durch dessen Neueinsatz mit einem neuen Tage und dadurch, daß nun nicht mehr einer seiner Jünger, sondern Jesus selbst das handelnde Subjekt ist, so oder so der eine der beiden Erstberufenen im Nebel der Anonymität. Dadurch wird er zumindest zu einem Platzhalter für den, von dem später gesagt wird: én ünake‡meno" eï" †k tùn majhtùn a§toú †n tù k∙lpw toú ûIhsoú, ≈n °g›pa ¨ ûIhsoú" (13,23). Denn der kann als eï" †k tùn majhtùn a§toú ja kein beliebiger Neuling sein, der hier erst in die Erzählung eingeführt würde, neu ist vielmehr allein seine Position beim letzten Mahl mit seinem Herrn und das darin ausgedrückte Verhälnis einer alten Liebe. Über den Anonymen von 1,35–42 darf und soll also weiter gerätselt und gestritten werden. Kügler, selbst ein entschiedener Bestreiter der Identität des anonymen mit dem geliebten Jünger, bietet eine lange Liste derer, die für, sowie derer, die gegen diese Identität votieren (Jünger 421). 44: „Philippus stammte aber aus Bethsaida, aus der Stadt des Andreas und des Petrus“. Wie unser Erzähler in V. 40 den weniger bekannten Andreas als den Bruder des bekannteren Simon Petrus präsentiert hatte, so stellt er nun Philippus als einen Landsmann dieses Bruderpaares vor, wobei er der vorangegangenen Szene entsprechend vor Petrus Andreas als den Erstberufenen nennt. Wenn er als die gemeinsame Heimatstadt dieser drei jedoch die p∙li" BhjsaÂd› nennt, so muß das in mehrfacher Hinsicht überraschen. Denn nach V. 43 erwartet man anstelle Bethsaidas, das gar nicht 137
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Erster Akt des historischen Dramas Jesu
in Galiläa, sondern jenseits des Jordan in der Gaulanitis liegt, in der Tetrarchie des jüngsten Herodes-Sohnes Philippus (4 v.-34 n. Chr.), doch wohl eher einen galiläischen Ortsnamen. Und das gilt zumal dann, wenn dem Leser aus den synoptischen Evangelien Kapharnaum am See Genezaret in Galiläa als der Wohnort von Petrus und Andreas vertraut sein sollte (Mk 1,29 // Mt 8,14 // Lk 4,38). Da Joh jedoch ausdrücklich wiederholt, daß F‡lippo" aus Bethsaida stammt, und bei der Gelegenheit den Namen Bethsaidas durch tö" Galila‡a" noch zusätzlich qualifiziert (12,21), ist die Angabe schwerlich rein fiktional (vgl. Dodd, Tradition 309). Hier muß also wohl eine bestimmte Tradition vorliegen, deren Alter und Verläßlichkeit freilich schwer zu beurteilen ist. Da ihr aber Bethsaida als galiläisch gilt, dürfte sie einer Zeit nach dem Tode des Tetrarchen Philippus entstammen. So kann etwa Josephus Judas von Gamala undifferenziert einerseits einen Gaulan‡th" und andererseits einen Galila‡o" nennen (AJ 18,4.23; vgl. Dodd, Tradition 310), und Bernard kann bemerken: „but there is abundance of evidence that the north-eastern side of the lake, where Bethsaida is situated, was reckoned as in the province of Galilee by the year A. D. 80“ (Komm. II/ 430 f). Für die Herkunft des Philippus aus der zu Ehren der Augustus-Tochter Julia zu Bethsaida-Julia von seinem Landesfürsten ausgebauten und stark hellenisierten Polis könnte auch sein gut griechischer Name als eine Hommage an den Tetrarchen sprechen. Ob nun aber Petrus tatsächlich auch aus Bethsaida stammt und womöglich erst im Zusammenhang mit seiner Heirat zusammen mit seinem ebenfalls fischenden Bruder Andreas zu den Schwiegereltern nach Kapharnaum gezogen ist, können wir nicht wissen. Und weil das für das Verständnis unseres Evangeliums absolut belanglos ist, brauchen wir es auch nicht zu wissen. 45: e≠r‡skei F‡lippo" tÖn Najanafll. Wie zuvor Andreas seinen Bruder Simon gefunden und ihn mit seinem messianischen Bekenntnis zu Jesus gebracht hatte, so „findet“ Philippus nun Nathanael. Der Name Nathanael kommt im NT nur in unserer Szene und Joh 21,2 vor, wo die zusätzliche Information, daß Nathanael aus Kana stamme, der Erinnerung unserer Szene und der beiden ihr folgenden Kana-Zeichen (2,1–11 u. 4,46–54) und damit der Verknüpfung des Endes mit dem Anfang dient. Die Versuche, den unbekannten Nathanael mit bekannteren Figuren der urchristlichen Geschichte zu identifizieren, haben schon früh begonnen. Da dem Namen des Philippus in der Apostelliste von Mk 3,16–19 parr. unmittelbar der eines nur mit seinem Patronym benannten Jüngers Bar-Tholomäus, Sohn des Tholomäus, folgt, versuchte man dessen Identifikation mit Nathanael dadurch, daß man Nathanael als seinen Rufnamen begriff (vgl. Bauer, Komm. 43 u. Schnackenburg, Komm. I, 313). Zwar wird man Schnackenburg darin kaum widersprechen können, daß die Zugehörigkeit Nathanaels zum Kreis der Zwölf „durch den joh. Bericht nicht streng gefordert ist“ (ebd.), doch ebensowenig läßt sich diese Zugehörigkeit ausschließen. Ja, auf Grund von Joh 21,2 muß Nathanael sogar zu den nach Joh 6,66 ff treu gebliebenen „Zwölf “ gehören, wie er denn auch in der Epistula Apostolorum (2,13) – hier freilich neben Bartholomäus und erst nach Matthäus – als einer der Zwölf und Mitabsender der Epistel erscheint (ebenso in der Apost. Kirchenordnung; vgl. Bauer, ebd.). Doch wichtiger als das wohl für immer unlösbare Rätsel seiner Identität ist das unmittelbare Sprechen seines theophoren Namens Nathanael: „Gott hat gegeben“. Denn darin erscheint er nahezu als Inkarnation der Worte Jesu: pôn ≈ d‡dws‡n moi ¨ patÉr prÖ" †mÇ ªxei und o§deÑ" d‚natai †ljeõn pr∙" me †Ån mÉ ¨ patÉr ¨ pfimya" me ©lk‚sÔh a§t∙n (6,37.44). 138
Vierte Szene, vierter Tag: Jesus beruft Philippus in seine Nachfolge
1,44–49
46: Mit den Worten: ≈n ≤grayen MwÊsö" †n tù n∙mw kaÑ o´ profötai e≠rflkamen, ûIhsoún u´Ön toú ûIwsÉf tÖn üpÖ Nazarfit, die das Paradox der Fleischwerdung des l∙go" resümieren und deren konkreten Inhalt erst die gelungene Lektüre des gesamten Evangeliums im Licht von „Gesetz und Propheten“ erschließen wird, tritt Philippus Nathanael gegenüber. Doch der – offenbar ein gerade in „Gesetz und Propheten“ erfahrener Mann und als Einwohner Kanas zudem wohl Kenner des unbedeutenden Fleckens Nazaret in seiner Nachbarschaft – entgegnet ihm skeptisch: „Aus Nazaret, was kann da schon Gutes herkommen?“ Aber Philippus läßt sich von solcher Skepsis nicht mehr infizieren und zu einer Debatte über Nazaret verleiten (vgl. 7,40 ff), sondern führt ihn mit den Worten: ≤rcou kaÑ ¥de, „komm und überzeuge dich selbst!“ zu Jesus. Schnackenburg erklärt zur Rede von der Vaterschaft Josephs: „Wenn Philippus Jesus als den Sohn Josephs ausgibt, so heißt das noch nicht, dies sei auch die Meinung des Evangelisten. Es ist vielmehr die im Volk übliche Vatersbezeichnung (vgl. 6,42); der Evangelist gibt auch den Anstoß im Volk, der Messias müßte in Bethlehem geboren sein (7,41 f), ohne Kommentar wieder – er äußert sein Wissen nicht“ (Schnackenburg, Komm. I/314). Das ist zwar formal ganz richtig, läßt aber die Frage offen, ob der Evangelist seinen „Philippus“ hier – zumal in einem derart solennen Bekenntnissatz – wirklich nur „die im Volk übliche Vatersbezeichnung“ Jesu nachplappern läßt. Es könnte ja auch sein, daß er seinen „Philippus“ absichtsvoll das in keinerlei „ZweiNaturen-Lehre“ auseinanderlegbare Paradox des ¨ l∙go" sÅrx †gfineto auf diese Weise hat formulieren lassen, weil sich für ihn Josephs‑ und Gottes-Sohnschaft Jesu keineswegs ausschließen müssen. 47–49: Doch noch ehe Nathanael Jesus sieht, erblickt der ihn (eèden ¨ ûIhsoú" tÖn Najanafll) und sagt über ihn (perÑ a§toú): ¥de ülhjù" ûIsrahl‡th" †n ó d∙lo" o§k ≤stin. Wenngleich als ein quasi objektives Urteil nur über und nicht zu ihm gesagt, hört Nathanael diese Worte und entgegnet darauf mit einem erstaunten: p∙jen me gin„skei"; Und Jesus antwortet ihm: Noch ehe Philippus dich rief, sah ich dich, als du unter dem Feigenbaum weiltest. Und nun bekennt Nathanael überwältigt: Øabb‡, sÜ eè ¨ u´Ö" toú jeoú, sÜ basileÜ" eè toú ûIsrafll. Der Logik unserer Erzählung folgend muß Jesus Nathanael gerade an seinem eènai ≠pÖ tÉn sukön als einen „wahrhaften Israeliten, an dem kein Trug ist“ erkannt haben (vgl. dazu, daß das attributiv zu ûIsrahl‡th" stehende Lexem hier Synonym von ülhjin∙" ist, Bauer, Komm. 41). Wie bereits der theophore Name Nathanael auf den symbolischen Modus der Szene verwies, so dürfen auch die symbolischen Obertöne dieses „Sitzens unter dem Feigenbaum“ nicht überhört werden, zumal der „Feigenbaum“ durch das redundante eèd∙n se ≠pok›tw tö" sukö" in V. 50 noch einmal nachdrücklich in Erinnerung gerufen wird. Vordergründig und solange der symbolische Modus inaktiviert bleibt, mag dies „Sitzen unter dem Feigenbaum“ eine bloße Ortsangabe sein, allein Nathanael erinnerlich und dazu angetan, ihn vom himmlischen Wesen dessen zu überzeugen, der da zu ihm redet. Doch der offenbare Zusammenhang zwischen diesem „Sitzen“ und Nathanaels Charakterisierung als eines „wahren Israeliten, in dem kein Trug ist“, hat die Kommentatoren schon seit je zur Aktivierung verborgener symbolischer Züge gedrängt. Exemplarisch sei dazu Bultmann zitiert: „Maldonatus warnt: quaerere quid Nath. sub ficu egerit, nescio an satis moderati sit ingenii, und wir können in der Tat nicht erraten, quid egerit. Ob eine Legende im Hintergrund liegt, nach der Nath. unter dem Feigenbaum die Eigenschaften bewährte, um derentwillen ihn Jesus als ‚Israeliten ohne Falsch‘ bezeichnet 139
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(Dibelius, Formgeschichte 2114), ist fraglich. Wenn ein Zusammenhang zwischen jener Charakteristik und dem Verhalten des Nath. unter dem Feigenbaum bestehen soll …, so genügt vielleicht der Hinweis darauf, daß Rabbinen gerne den Platz unter einem Baume als Ort ihres Studiums und ihrer Lehre wählten. Nath. würde sich dann dadurch als echten Israeliten ausweisen, daß er in der Schrift forschte (5,39), und als ohne d∙lo" dadurch, daß er – im Unterschied von den Juden, die zwar die Schrift erforschen, ihr aber nicht glauben (5,39.46 f!) – zu Jesus kommt. So wenigstens im Sinne des Evangelisten, für den Nath. eine symbolische Gestalt ist (unbeschadet, daß die Tradition ihn darbot)“ (Komm. 73). Ganz abgesehen von seinem Ort unter dem Feigenbaum, von dem unten noch die Rede sein muß, erweist sich Nathanael auch durch sein doppeltes Bekenntnis: Øabb‡, sÜ eè ¨ u´Ö" toú jeoú, sÜ basileÜ" eè toú ûIsrafll als „wahrer Israelit, an dem kein Trug ist“. Denn mit dem ersten Satz dieses Bekenntnisses nimmt er – ganz stilgemäß nunmehr in Gestalt der Epiklese – die Martyria des gottgesandten Zeugen Johannes (V. 34) auf, während er sich mit seinem zweitem Bekenntnissatz durch das Zitat von Zeph 3,15 (LXX) als ein in „Gesetz und Propheten“ Erfahrener erweist. Daß hier nicht nur ein zufälliger Anklang an Zeph 3 oder ein willkürlich aus seinem Zusammenhang gerissener Bibelvers vorliegt, hat A. Steiger durch seine sorgfältige Analyse des Kontextes von Zeph 3,15 eindrucksvoll erwiesen. Zeph 3,8 eröffnet eine Gottesrede über den Tag, ‚da Jhwh als Zeuge auftreten, über die Völker und Israel seinen Zorn ergießen, und allem Frevel ein Ende bereiten wird. Aber er wird sich einen Rest bewahren: kaÑ ≠pole‡yomai †n soÑ laÖn praÿn kaÑ tapein∙n, kaÑ e§labhjflsontai üpÖ toú £n∙mato" kur‡ou o´ kat›loipoi toú ûIsraÉl kaÑ o§ poiflsousin üdik‡an kaÑ o§ lalflsousin m›taia, kaÑ o§ mÉ e≠rejÔö †n tù st∙mati a§tùn glùssa dol‡a, di∙ti a§toÑ nemflsontai kaÑ koitasjflsontai, kaÑ o§k ≤stai ¨ †kfobán a§to‚"‘ (Zeph 3,12 f). Und diesem Heiligen Rest, in dessen Mund keine glùssa dol‡a mehr ist, verheißt Jhwh dann: perieõlen k‚rio" tÅ üdikflmat› sou, lel‚trwta‡ se †k ceirÖ" †cjrùn sou: basileÜ" ûIsraÉl k‚rio" †n mfisw sou ktl. (3,15). Es ist, als werde die alte Prophetenrede hier mit verteilten Rollen neu aufgeführt. Der, der unerkannt bereits mitten unter Israel steht (mfiso" ≠mùn ∫sthken ≈n ≠meõ" o§k o¥date: 1,26), erkennt in Nathanael den truglosen Repräsentanten des bewahrten Restes Israels und der wiederum erkennt in Jesus den zum endzeitlichen Weiden seines Volkes gekommenen basileÜ" toú ûIsrafll. „Die status-constructus-Verbindung mælæk jisra’el rekurriert im AT als Bezeichnung eines politischen Königs (meist der Könige des Nordreiches), also eines Menschen, 127 Mal. Zur Benennung Jhwhs allerdings begegnet sie nur zwei Mal, nämlich außer in Zeph 3,15 nur noch in Jes 44,6. Nathanael läßt Jesus also, nachdem dieser ihn Zeph 3,13 folgend einen Israeliten, an dem kein Trug ist, genannt hat, das eschatologische Gottesprädikat ‚König Israels‘ nach Zeph 3,15 zukommen. In Jesus tritt Jhwh selbst auf. So bringt Joh 1,49 schon das zum Ausdruck, was dann in 10,30 wiederkehren wird: ‚Ich und der Vater sind eines‘. Mit dem in die Welt gekommenen Logos werden der Sohn Gottes und Jhwh als ‚eines‘ in der Mitte Israels epiphan: ‚Der König Israels, der Herr, in deiner Mitte‘ (†n mfisw sou, Zeph 3,15). Spätestens mit dem Ausspruch Nathanaels in Joh 1,49 beginnt sich das vom Täufer benannte Unwissen in Wissen zu verwandeln. Der Täufer noch hatte gesagt: ‚In eurer Mitte (mfiso" ≠mùn) steht einer, den ihr nicht kennt‘ (1,26)“ (A. Steiger 55).
Wie die österlich-glückliche Wiederholung der Jüngerberufung in dem Bekenntnis des Thomas: ¨ k‚ri∙" mou kaÑ ¨ je∙" mou (20,28), gipfelt und damit die Prologverse: 140
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kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go", und: monogenÉ" jeÖ" ¨ ∑n e¢" tÖn k∙lpon toú patrÖ" †keõno" †xhgflsato (1,1.18) einholt, so kulminiert die anfängliche Jüngerberufung im Bekenntnis Nathanaels zum basileÜ" toú ûIsrafll, das gleichfalls mit den genannten Prologversen koinzidiert. In der Verbindung mit dem alten Introitus: •sann›, e§loghmfino" ¨ †rc∙meno" †n £n∙mati kur‡ou (Ps 118,25 f) werden später die Passafest-Pilger Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem mit eben diesen Worten Zephanjas als dem in ihrer Mitte erschienenen basileÜ" toú ûIsrafll huldigen (12,13). Es dürfte dem ganzheitlichen Verständnis der Schrift bei Joh entsprechen, wenn wir zum Nathanael-Bekenntnis auch noch die zweite Stelle des Alten Testaments bedenken, wo es heißt: oætw" lfigei ¨ jeÖ" ¨ basileÜ" toú ûIsrafll ... †gá prùto" kaÑ †gá metÅ taúta, plÉn †moú o§k ≤stin je∙" (Jes 44,6). Denn wie wir sehen werden, sind es zumal Texte Jesajas, vor deren Hintergrund Jesus in unserem Evangelium immer wieder dieses †g„ und †g„ e¢mi sagen wird (vgl. Thyen, JAC, u. s. u. jeweils z. St.). Zudem erweckt Jesu Wort über Nathanael vom ‚Israeliten ohne Trug‘ Assoziationen an Jakob, der sich durch Trug seines Vaters Erstgeburtssegen erschlich und in der Stunde seines nächtlichen Ringens mit dem Engel Gottes den Ehrennamen Israel erhielt. Denn da V. 51 am Ende noch ausdrücklich aus der Erzählung von Jakobs Traum in Bethel zitieren wird, liegt diese Jakobs-Erinnerung ja gleichsam über unserer Szene „in der Luft“: „Nathanael ist derjenige, der den von Jhwh vor seinem Tag übriggelassenen Rest Israels vertritt und die Hoffnung aufbewahrt sein läßt, daß Jhwh dereinst sein ganzes Volk retten wird: ‚Deswegen werde ich euch namhaft machen und zum Lobpreis unter allen Völkern der Erde, wenn ich eure Gefangenschaft wenden werde vor euch, spricht der Herr‘ (Zeph 3,20). Nathanael ist der erwählte Vertreter Israels, der übereinstimmend mit Zeph 3,13 insofern keinen d∙lo" hat, als er keine glùssa dol‡a hat. Er steht im JohEv als Mahnmal für uns Christen und will uns dessen eingedenk werden lassen, daß das endzeitliche Handeln Gottes doch erst dann zur Erfüllung gekommen sein kann, wenn die Rettung Israels in die Rettung ganz Israels nach Zeph 3,20 gemündet sein wird“ (Steiger 53; vgl. ebd. 72 f). Ohne nun neugierig erraten zu wollen, quid egerit Nathaniel sub ficu, ist es nun aber doch an der Zeit, auf diesen bezeichnenden Ort noch einmal zurückzukommen. Denn wie wir Nathanael bereits als den Repräsentanten des geretteten Restes Israels, an dem kein Trug ist, kennengelernt haben, so weist auch sein „Sitzen unter dem Feigenbaum“ Züge eschatologischen Glücks auf. Das Sitzen Israels unter dem Weinstock und unter dem Feigenbaum ist nämlich seit den Tagen Michas und Sacharjas geläufige Metapher eschatologischen Friedens: „dann werden sie nicht mehr lernen Krieg zu führen (kaÑ o§kfiti mÉ m›jwsin polemeõn). Ein jeder wird vielmehr ausruhen unter seinem Weinstock und ein jeder unter seinem Feigenbaum (ünapa‚setai ... ∫kasto" ≠pok›tw sukö" a§toú), und keiner wird da sein, der ihn aufschreckt, denn versprochen hat es der Mund des Herrn, des Pantokrator“ (Mi 4,3 f, LXX); und: †n tÔö ™mfira †ke‡nÔh, lfigei k‚rio" pantokr›twr, sugkalfisete ∫kasto" tÖn plhs‡on a§toú ≠pok›tw ümpfilou kaÑ ≠pok›tw sukö" (Sach 3,10, LXX). Im Licht dieser und anderer von Steiger untersuchter Texte (ebd. 56 ff) wird man darum Jesu „Sehen“ Nathanaels unter dem Feigenbaum als eine eschatologische Vision ansehen dürfen: Sie zeigt Nathanael als „Platzhalter für das durch Micha und Sacharja verheißene eschatologische Glück ganz Israels. Denn Nathanael ist es, der zwar noch nicht unter Weinstock und Feigenbaum sitzt, aber bereits unter dem Feigenbaum … Das AT spricht vom Sitzen unter dem Feigenbaum nie, ohne ‚und unter dem Weinstock‘ hinzuzufügen. Ein Israelit (und noch nicht ganz 141
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Israel) sitzt unter dem Feigenbaum (und noch nicht unter Feigenbaum und Weinstock). Darin besteht die Prolepse“ (Steiger 56; schon Holtzmann, Komm. 52, hatte gesehen, daß Nathanaels „Sitzen unter dem Feigenbaum jedenfalls mit der ‚Hoffnung Israels‘ (Act 28,20) zusammen[hängt]“ (ebd.). 50: Auf das doppelte Bekenntnis Nathanaels erwidert ihm Jesus: „Weil ich dir gesagt habe, daß ich dich unter dem Feigenbaum sah, glaubst du. Du sollst größeres als dies sehen!“ Auch wenn der erste dieser beiden Sätze seit Chrysostomos meist als Frage gelesen und dementsprechend z. B. bei Nestle/Aland27 mit einem Fragezeichen beschlossen wird, darf man darin keine durch Jesus vorgetragene Kritik des Evangelisten an dem vermeintlich bloß vordergründigen Wunderglauben des Nathanael einer mutmaßlichen „Semeiaquelle“ sehen, wie das unter Berufung auf Texte wie 4,48 oder 20,29 häufig geschieht (s. u. jeweils z. St.). Denn Nathanaels Bekenntnis ist ja keinesfalls der Ausdruck irgendeines defektiven Wunderglaubens, sondern es offenbart vielmehr einen Glauben, der die Bedingung der Möglichkeit dafür ist, die verheißenen größeren und dem Unglauben verschlossenen Dinge überhaupt wahrnehmen zu können. Deshalb urteilt Bultmann treffend: „Auf keinen Fall ist also das piste‚ei" tadelnde Frage“ (Komm. 74). 51: Wenn die Handschriften A Q Y f 1.13, sowie nahezu alle Minuskeln, einige Altlateiner sowie die syrische Peschitta u. Heraklea vor dem Verbum µyesje die Zeitbestimmung üpû ±rti einfügen, so ist das im Blick auf die Textüberlieferung fraglos eine sekundäre Lesart, die wohl durch Mt 26,64 beeinflußt ist (vgl. Metzger, Comm. 201). Gleichwohl bietet sie inhaltlich jedoch gewichtige Fingerzeige. Denn auch abgesehen von diesem üpû ±rti ist unser Vers wohl tatsächlich ein intertextuelles Spiel mit Mt 26,64 und seinem Kontext. In dieser Hinsicht gibt nämlich das erste Auftauchen der Selbstbezeichnung Jesu als ¨ u´Ö" toú ünjr„pou zu denken. Der ganzen Reihe messia‑ nischer Prädikationen gegenüber, die Johannes in V. 20 mit seinem negativen Bekenntnis eröffnet hatte und die dann in dem Doppelbekenntnis Nathanaels gipfelte (V. 49), verheißt Jesus seinen Jüngern nun in V. 51, daß sie an ihm als dem u´Ö" toú ünjr„pou, wie er sich nun selbst prädiziert, weit Größeres sehen sollen. Ganz ähnlich beantwortet Jesus bei seinem Verhör vor dem Synhedrium (Mt 26,59–66; vgl. Mk 14,53–65 // Lk 22,66–71) die beschwörende Frage des Hohenpriesters: sÜ eè ¨ CristÖ" ¨ u´Ö" toú qeoú; mit den Worten: sÜ eèpa". Doch dieses Ja zu seiner Messianität überbietet er sogleich, indem er ihm hinzufügt: plÉn lfigw ≠mõn: üpû ≤rti µyesje tÖn u´Ön toú ünjr„pou kajflmenon †k dexiùn tö" dun›mew" kaÑ †rc∙menon †pÑ tùn nefelùn toú o§ranoú (Mt 26,63 f). Auch das Messiasbekenntnis des Petrus in Caesarea-Philippi sÜ eè ¨ crist∙" beantwortet Jesus mit der ersten seiner drei Leidens‑ und AuferstehungsWeissagungen, in der er sich wiederum selbst als ¨ u´Ö" toú ünjr„pou prädiziert: Ωti deõ tÖn u´Ön toú ünjr„pou pollÅ pajeõn ktl. (Mk 8,29.31 // Lk 9,20.22 // Mt 16,21, wo jedoch das tÖn u´Ön toú ünjr„pou durch a§t∙n ersetzt ist; vgl. noch Mk 8,38; 9,1 u. Lk 9,26 u. siehe dazu Bernard, Komm. I, 68 f). Ganz abgesehen von der Koinzidenz, daß Jesus hier jeweils durch Worte, in denen er sich selbst als den „Menschensohn“ bezeichnet, die vorausgegangenen messianischen Bekenntnisse präzisiert und vertieft, wird der Verdacht, Joh 1,51 könne ein absichtsvolles Spiel mit Mt 26,63 f sein, noch dadurch erhärtet, daß hier wie da ein recht unvermittelter Numeruswechsel vorliegt: Sagt Jesus dem verhörenden Hohenpriester bei Mt zunächst im Singular: sÜ eèpa", um dann im Plural fortzufahren: plÉn lfigw ≠mõn: 142
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üpû ±rti µyesje ktl., so redet er bei Joh Nathanael an mit den Worten: „Du sollst Größeres sehen als dieses“, und auf die wiederum singularischen Worte des Erzählers: kaÑ lfigei a§tù, folgt dann gänzlich unvermittelt: ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn: µyesje ktl. (vgl. Berger, Amen-Worte 113). Anstelle des von Mt auch 11,22.24 nahezu sinngleich mit ümfln adverbial gebrauchten plfln bietet Joh hier zum ersten Mal das nur bei ihm, und da gleich 25-fach vorkommende doppelte und nicht-responsorische ümÉn ümfln, das schon oft als eines seiner spezifischen Stilmerkmale beschrieben wurde (vgl. etwa Boismard/Lamouille 492; u. Ruckstuhl/Dschulnigg 154). Zur Begründung seiner Behauptung, sowohl das einfache nicht-responsorische Amen der synoptischen Jesusworte als auch das ihm entsprechende doppelte Amen bei Johannes entspreche jü‑ discher Redeweise, vermag Berger nur jeweils einen einzigen Beleg aus dem Testament Abrahams zu erbringen. Zum einfachen, eine Rede einleitenden Amen zitiert er das Wort, das der Archistratege Michael im Auftrag Gottes an Abraham richten soll: „Amen, ich sage dir, ich werde dich fortwährend segnen …“ (TestAbr 8), und das doppelte Amen belegt er mit dem Wort des Todes an den sterbenden Abraham: „Amen, Amen, ich sage dir in der Wahrheit Gottes, daß es 72 Tode gibt“ (TestAbr 20). Beide Belege finden sich jedoch nur in der späten – und womöglich christlich redigierten – Version A des TestAbr. Sie vermögen Bergers weitreichende These schwerlich zu tragen. Auch sein späterer Aufsatz zum gleichen Thema (Zur Geschichte der Einleitungsformel) hat daran nichts geändert, zumal sich in dem darin aufgebotenen „neuen Material“ (45) kein einziger weiterer Amen-Beleg findet. Aufgrund sprachlicher Indizien beurteilt N. Turner die erstmalig im 13. Jh bezeugte Rezension A des TestAbr als eine mittelalterliche Komposition; vgl. zur Sache noch: E. Janssen (TestAbr 222 mit Anm. 140); J. Jeremias (Nicht-responsorisches Amen) und H.-W. Kuhn (Art. ümfln). Darum spricht einstweilen noch alles für die begründete These von J. Jeremias, daß das stets als Fremdwort beibehaltene und ausschließlich in Herren-Worten der Evangelien begegnende nicht-responsorische Amen auf Jesus selbst zurückgeht (Theologie 43 ff; vgl. Theißen/Merz, Hist. Jesus 456). Sein „Amen, ich sage euch“ ist wohl ein Zeichen jener †xous‡a, die seine Zeitgenossen in Erstaunen versetzte (Mk 1,22 f par.) und dessen „implizite Chri‑ stologie“ später ihre österliche Explikation fordern sollte. Der jedem Hörer solcher Amen-Worte auffallende Witz besteht dann darin, daß hier einer das vertraute responsorische Amen atl. Texte und zumal der jüdischen Liturgie zur solennen Eröffnung seiner Rede gemacht hat. Und wenn Johannes dieses anfängliche Amen dann noch verdoppelt, dann folgt er damit hinsichtlich dieses nicht-responsorischen Charakters des ümfln einerseits seinen synoptischen Prätexten, andererseits aber greift er auch selbst noch einmal auf den „jüdischen liturgischen Brauch“ zurück, dem – hier freilich stets responsorischen – Amen durch seine Verdoppelung besonderes Gewicht zu verleihen (vgl. die Belege für dieses doppelte responsorische Amen bei J. Jeremias, ThLZ 83 [1958] 504).
Mag er nun von Mt 26,64 herrühren oder nicht, so will doch der unvermittelte Numeruswechsel in dem lfigw ≠mõn an seinem jetzigen Ort als absichtsvolle und abschließende Anrede aller seit V. 35 zu Jesus gekommenen Jünger, des durch Nathanael repräsentierten Restes Israels, sowie des Modell-Lesers in unserem Text verstanden sein. Man darf ihn also keinesfalls als vermeintliches Indiz dafür ausschlachten, daß der ganze Vers ein den Zusammenhang von 1,50 und 2,1 störendes „detached saying about the Son of Man“ sei (Brown, Komm. I, 88 ff; ähnlich urteilt Painter, Enigmatic Son 1873), zumal ihm hier das spezifisch johanneische ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn vorausgeht und die Verbindung zwischen Nathanael als eines ülhjù" ûIsrahl‡th" †n ó d∙lo" o§k ≤stin mit dem in Bethel träumenden Jakob-Israel von Gen 28 doch unübersehbar ist. Im Widerspruch zu seinem Urteil über V. 51 als „a detached saying“ sieht das Letztere übrigens auch Brown (ebd. 90). Es erscheint uns darum am wahrscheinlichsten, daß der gesamte V. 51 im Spiel mit Texten wie Mt 26,64 und Mt 16,27 eine freie Komposition unseres Evan143
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gelisten und nicht irgendein überliefertes Menschensohn-Logion ist. Deshalb verzichten wir darauf, uns an den zahllosen und höchst spekulativen Versuchen zu beteiligen, den ursprünglichen Sinn dieses vermeintlich traditionellen Logions zu enträtseln (vgl. etwa Windisch, Angelophanien). Denn sein aktueller Sinn kann ja nur seine Funktion im Kontext unseres überlieferten Evangeliums sein. Auch die – zumal im Zusammenhang mit der sogenannten Neuen Frage nach dem historischen Jesus – mittlerweile viele Bände füllende Frage, ob und wenn ja in welchem Sinne Jesus sich selbst oder einen erwarteten Anderen als den „Menschensohn“ bezeichnet hat, braucht uns darum hier nicht zu beschäftigen. Denn auf alle Fälle ist ja schon in den synoptischen Evangelien als literarischen Werken und Prätexten unseres vierten Evangeliums die allein im Munde Jesu vorkommende griechische Wortverbindung ¨ u´Ö" toú ünjr„pou ausnahmslos die rätselhaft-fremdartige Selbstbezeichnung ihres Sprechers, mag sie sich nun auf sein gegenwärtiges Wirken, auf sein bevorstehendes Leiden, Sterben und Auferstehen oder auf seine eschatologische Parusie als Weltenrichter beziehen. Ehe wir uns nun der Interpretation der in V. 51 vorliegenden denkwürdigen Kombination von Zügen der biblischen Erzählung von Jakobs Traum in Bethel mit der Rede vom „Menschensohn“ zuwenden, muß noch ein Wort über deren Ort in unserem Evangelium gesagt werden. Denn es muß und soll ja wohl auch ins Auge fallen, daß die Konnotation des „Menschensohnes“ mit den „Engeln Gottes“, die in den synoptischen Evangelien stets im Zusammenhang mit der verheißenen Parusie Jesu zum Weltgericht erscheint (Mt 16,27 // Mk 8,38 // Lk 9,26; Mt 25,31; vgl. 2Thess 1,7), hier im Gegensatz dazu gerade den irdischen Weg Jesu mit seinen Jüngern eröffnet. Und diese Versetzung der Engel, die den Menschensohn bei seinem Erscheinen zum Gericht umgeben, aus dem Eschaton in die ürcfl des Weges Jesu mit seinen Jüngern ist gewiß kein Zufall. Denn unsere weitere Lektüre wird uns zeigen, daß und wie das gesamte Johannesevangelium gerade den Weg des irdischen Jesus als das definitive und befreiende Gericht Gottes über den ±rcwn toú k∙smou to‚tou (12,31; 14,30; 16,11) darstellt (vgl. Harvey, Trial 103 ff u. Preiss, Rechtfertigung). Was Jesus Mt 26,64 mit dem Zitat von Dan 7,13 seinen Feinden als zukünftig‑ und öffentlich-sichtbares Geschehen verkündet, das verheißt er Joh 1,51 denen, die an ihn glauben: Sie, die er 15,14 seine Freunde und österlich endlich seine Brüder (20,17) nennen wird, sollen an seiner irdischen Gegenwart seine Herrlichkeit sehen und erfahren. µyesje tÖn o§ranÖn ünewg∙ta kaÑ toÜ" üggfilou" toú jeoú ünaba‡nonta" kaÑ kataba‡nonta" †pÑ tÖn u´Ön toú ünjr„pou. Wie nach dem Zeugnis des Johannes der Geist „wie eine Taube vom Himmel herabfuhr und auf ihm blieb“ (1,32; vgl. Mk 1,10 par.), so bleibt (Part. Perf.!) seit jener Stunde der Himmel offen. Das wohl durch die synoptische Taufüberlieferung vermittelte Motiv der Himmelsöffnung zur Offenbarung der göttlichen Wahrheit und zum Schauen himmlischer Gesichte ist seit Ez 1,1 ff in der apokalyptischen Literatur weit verbreitet (vgl. Apk 4,1; 19,11; 3Makk 6,18; TestLev 18,1 ff; TestJud 29,1 ff u. ö. und siehe dazu Cadman, Open Heaven pass. und Lentzen-Deis, Motiv). Die Reihenfolge, in der zuerst der Aufstieg und erst danach der Abstieg der Engel Gottes genannt wird, zeigt, daß wir es hier mit einem Spiel mit Gen 28,12 zu tun haben (vgl. Bauer, Komm. 42). Weil die Partikel wb in dem Syntagma wb µydryw µyl[ µyhla yjalm hnhw des HT ambivalent ist und deshalb sowohl auf den träumenden Jakob als auch auf die Himmelsleiter (µls) seines Traumes bezogen werden kann, hat sich die Debatte der Rabbinen darüber, ob die Engel nun auf Jakob 144
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oder auf der Leiter hinauf‑ und herabgestiegen seien, bis in die neuere Exegese von Joh 1,51 fortgesetzt. Die rabbinische Diskussion ist breit dokumentiert bei Odeberg (Fourth Gospel 33–42), der im Gegensatz zur LXX, die das hebräische wb durch das feminine †pû a§tö" wiedergibt, das sich eindeutig nur auf die zuvor genannte Leiter (™ kl‡max) beziehen kann, entschieden für diejenigen rabbinischen Stimmen votiert, die in dem wb eine Referenz nicht auf die Leiter, sondern auf Jakob sehen. Unter Berufung auf den (späten vom Geist des platonischen Dualismus von Idee und Erscheinung geprägten) Midrasch Genesis Rabba (68,18) erklärt er: „Here, however, the ascending and descending angels step in. They symbolize the connection of the earthly man with his celestial counterpart … The disciples of Jesus will see the angels of God ascending and descending upon the son of man, i. e. they will see the connexion being brought about between the celestial appearance, the Glory, d∙xa, of Christ, and his appearance in the flesh; it implies the manifestation (fanflrwsi") of his d∙xa (2,11) on earth“ (36). Diese auch von Dahl (Joh. Church 112 f) favorisierte Interpretation scheint uns jedoch aus einem ganzen Bündel von Gründen unmöglich zu sein. Einmal vermögen wir nirgendwo in unserem Evangelium auch nur den Schatten eines derartigen platonischen Idealismus zu entdecken: „The Johannine Christ had no heavenly counterpart, no image, from which on earth he was seperated“ (Cadman, Open Heaven 28). Im Gegenteil! Nicht nur der programmatische Prolog-Satz kaÑ ¨ l∙go" s›rx †gfineto und die darauf bezogene Aussage Jesu: kaÑ ¨ ±rto" dÇ ≈n †gá d„sw ™ s›rx mo‚ †stin ≠pÇr tö" toú k∙smou zwö" (6,51; s. u. z. St.), sondern auch und gerade die rätselhafte Selbstbezeichnung Jesu als ¨ u´Ö" toú ünjr„pou (s. u.) stehen in eklatantem Widerspruch dazu. Zudem versetzt Odebergs Lektüre gegen den erörterten Kontext, wonach doch Nathanael, als der ülhjù" ûIsrahl‡th" †n ó d∙lo" o§k ≤stin den treuen Rest Jakob/Israels repräsentiert, nun Jesus in dessen Rolle; J. Jeremias sieht unter Berufung auf noch viel spätere Texte (Yalqut Gen 120; Pirqe R. Eli’ezer 32,35 und Zohar zu Gen 28,22) gar in dem Bethel-Stein den Typos Jesu (Berufung des Nathanael; vgl. zu ähnlichen derartigen Versuchen: Moloney 26 ff).). Weil das angesichts des Schriftgebrauchs unseres Evangeliums auch viel näher liegt, wird man darum mit der LXX, die das †p‡ ja auf die Leiter bezieht, den „Sohn des Menschen“ als die Jakobs-Leiter in den fortan stets offenen Himmel begreifen müssen. Das entspricht auch dem Wort des scheidenden Jesus: †g„ e¢mi ™ ¨dÖ" kaÑ ™ ülfljeia kaÑ ™ zwfl: o§deÑ" ≤rcetai prÖ" tÖn patfira e¢ mÉ diû †moú (14,6).
Zur Bedeutung der Wendung ¨ u´Ö" toú ünjr„pou bei Johannes s. u. zu 3,13. Diese dem Griechischen fremde und darum höchst auffällige Wortverbindung kommt im NT 82mal vor. Daneben findet sich noch 3mal, nämlich Joh 5,27; Apk 1,13 u. 14,14, ein artikelloses u´Ö" ünjr„pou. Mit Ausnahme von Apg 7,56 und den beiden Belegen aus der Apk, wo einmal Stephanus, wohl in Anlehnung an Lk 22,69, „den Menschensohn“ und zum anderen der implizite Autor der Apk – in deutlicher Anlehnung an Dan 7,13 – „einen, der einem Menschensohn ähnelt“ (Ωmoion u´Ön ünjr„pou) als Gegenstand ihrer Visionen der himmlischen Welt benennen, begegnet die offenbar absichtsvoll rätselhafte Wendung ¨ u´Ö" toú ünjr„pou ausschließlich in Jesusworten der Evangelien. Joh 12,34, wo nicht Jesus, sondern seine Zuhörer vom „Menschensohn“ reden, ist insofern keine Ausnahme als deren Fragen pù" lfigei" sÜ Ωti deõ ≠ywjönai tÖn u¢Ön toú ünjr„pou; t‡" †stin oñto" ¨ u´Ö" toú ünjr„pou; ja nur das Echo der vorausgegangenen Reden Jesu sind (vgl. etwa 3,14, wo das deõ fraglos ein Spiel mit den synoptischen Leidens‑ und Auferstehens-Weissagungen ist; 8,28 und u. zu 12,34). Ganz fraglos will dieses mit dem emphatischen doppelten ‚Amen‘ eingeleitete, die biblische Erzählung von Gen 28 assoziierende und dazu noch den Rätsel-Ausdruck „der Sohn des Menschen“ in unser Evangelium einführende Wort Jesu als programmatisch für alles folgende verstanden sein (vgl. Moloney, Son of Man 35). Da die 145
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Erscheinung der beiden Grabesengel vor Maria Magdalena (20.12 f) sich schwerlich als die Erfüllung der den erstberufenen Jüngern in 1,51 gegebenen Verheißung begreifen läßt, und da Johannes darüber hinaus von keiner Angelophanie erzählt, muß das Hinauf‑ und Herabsteigen der Engel Gottes auf dem Menschensohn als Hinweis auf den symbolischen Modus unserer Szene verstanden werden. Zu einer diesem Modus entsprechenden symbolischen Interpretation nötigt auch der oben schon beobachtete Umstand, daß Jesus als der Menschensohn hier leibhaftig an die Stelle der von Jakob einst nur erträumten Himmelsleiter getreten ist und nicht etwa als der Antityp Jakobs ein neues Israel im Sinne einer corporate personality repräsentiert, wie das Dodd zu begründen sucht (Interpretation 245 f; vgl. auch Smalley, Son of Man Sayings 287 ff). Denn da in unserer Szene bereits der ülhjù" ûIsrahl‡th" †n ó d∙lo" o§k ≤stin, Nathanael, den Platz Jakobs einnimmt, kann der Menschensohn in Übereinstimmung mit der LXX nur die Funktion der Himmel und Erde verbindenden Leiter haben: „This is the only interpretation which both satisfies the grammar of Jesus’ statement and maintains the parallel between Jacob and the disciples. Like Jacob, the disciples will find themselves in Bethel, the house or household of God, i. e. the community of God’s people. Like Jacob, the disciples will see a connection between the house of God on earth and Yahweh in heaven. Unlike Jacob, they will see not a ladder but the Son of the Man ‚standing on the earth with (his) head reaching to heaven‘, as the connection between God and the household of God. Like Jacob, they will see angelic ministers passing by means of this connection upward from God’s house to God und downward from God to his house“ (Burkett, Son of the Man 118). In einem Vorgriff, den freilich die Auslegung der folgenden Menschensohn-Worte in ihren jeweiligen Kontexten noch bestätigen muß, sei hier schon gesagt, daß Jesu Selbstprädikation als „der Sohn des Menschen“ geradezu als die Übersetzung oder Umsetzung der hymnischen Prologaussage: KaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto kaÑ †skflnwsen †n ™mõn kaÑ †jeas›meja tÉn d∙xan a§toú d∙xan Æ" monogenoú" parÅ patr∙", plflrh" c›rito" kaÑ ülhje‡a" (1,14), in das narrative Genus Evangelium begriffen sein will. Denn wie auch immer man das – wohl durch die synoptischen Evangelien vermittelte – Verhältnis der johanneischen Menschensohn-Worte zu Dan 7,13 bestimmen mag, so klingt doch in dem definierten ¨ u´Ö" toú ünjr„pou als der Synthese aus dem vergleichenden „wie ein Mensch“ und dem generischen µda ˆb der Bibel stets mit, daß hier der irdische Mann aus Nazaret von sich als einem Menschen unter Menschen spricht, wie er sich denn auch durch sein letztes und wiederholtes †g„ e¢mi, das der Erzähler gar verdreifacht, so nachdrücklich und solenn mit dem gesuchten „Jesus von Nazaret“ identifiziert, daß seine Häscher angesichts dieser Epiphanie zu Boden fallen (Joh 18,4–9; vgl. Pokorny 222; u. s. u. z. St.). Und auch falls Joh 1,51 kein unmittelbares Spiel mit Texten wie Mk 8,38 parr.; Mt 25,31 sein sollte, so zeigt doch in jedem Fall schon ein flüchtiger Vergleich, daß hier, vermittelt durch die biblische Erzählung von Jakobs Traum, der himmlische Hofstaat Gottes mit seinen heiligen Engeln aus Daniels Vision nicht mehr einem kommenden Parusie-Christus, sondern dem zugeordnet ist, der als irdischer Mensch unterwegs ist zu seiner „Erhöhung“ an das Kreuz von Golgatha (vgl. Schulz, Menschensohn 103). Wenn Lindars betont, Joh habe den Term „der Sohn des Menschen“ benutzt, „because it provides him with the means to express the relationship of Jesus to God“ (Son of Man 60), so ist damit doch der spezifische Gebrauch gerade dieser Selbstbezeichnung 146
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Jesu im Johannesevangelium schwerlich schon zureichend beschrieben. Jesu Relation zu Gott wird vielmehr durch sein ungleich häufigeres Reden vom „Vater, der ihn gesandt hat“ und von sich als dem „Sohn“ und durch seine Benennung als der „Sohn Gottes“ angemessen zur Sprache gebracht. Dagegen benennt das Prädikat ‚der Sohn des Menschen‘ viel eher ganz buchstäblich Gottes durch seinen fleischgewordenen l∙go" vermittelte Beziehung zu den Menschen. „The relationship ‚God – the Son of Man‘, is not quite parallel to the relationship ‚the Father – the Son‘. The latter may certainly be applied to denote that the Son is inferior and obedient to the Father, but it is above all an expression of intimate unity. The Son of Man, on the other hand, is associated with earthly creatures; he is a human being, whose elevation is a miraculous paradox. He is the incarnate, a man of flesh and blood, destined to suffering and death“ (Leivestad, Exit 266; vgl. auch Davies, Rhetoric 182 ff). Lindars wendet dagegen ein, daß Jesu Selbstprädikation als „der Sohn des Menschen“ bei Joh niemals in Diskussionen über das Menschsein Jesu begegne, so daß man ihren Gebrauch geradezu als „misleading“ bezeichnen müsse (Jesus 155). Doch scheint er sich bei diesem Urteil eher an viel späteren Auseinandersetzungen der Alten Kirche über die Zwei-Naturen-Lehre als an unserem Evangelium zu orientieren. Denn in ihm wird das Menschsein Jesu an keiner Stelle problematisiert. Es ist vielmehr die ebenso unausgesprochene wie selbstverständliche Voraussetzung allen Redens Jesu, an dem sich der bis in die Steinigungsversuche seiner Gegner reichende Widerspruch gegen seinen Anspruch entzündet, der vom Vater gesandte Sohn und eines mit dem Vater zu sein (vgl. 10,30). Fragwürdig ist darum auch die oft (z. B. von Maddox, Function 189) wiederholte Behauptung, der von den Vätern seit Ignatius (Eph 20,2) und Pseudo-Barnabas (12,10) hergestellte Zusammenhang der Menschensohn-Prädikation mit der Inkarnation Jesu markiere der vermeintlich älteren Tradition gegenüber einen entschiedenen Bruch (vgl. M. Davies: „but such a supposed break needs explanation, especially as Ignatius and the Fourth Gospel may be close in date and provenance“ [186]). Wenn M. Davies in dem ‚menschenähnlichen‘ Himmelswesen von Dan 7,13 f nur noch die symbolische Repräsentanz des irdischen Volkes Israel sieht und ‚jenen Menschensohn‘ der Bilderreden aufgrund von Hen 71,14 kurzschlüssig mit dem Menschen Henoch identifiziert, treibt sie den Exorzismus des vermeintlichen ‚Phantoms‘ apokalyptischer Menschensohn jedoch entschieden zu weit (vgl. zur Problematik der These von der Einsetzung Henochs in die Würde des Menschensohns Berger, Henoch 511 ff u. 524 ff, sowie J. J. Collins 453 ff). So umstandslos läßt sich die vergleichend-anthropomorphe Rede von dem ‚Menschenähnlichen‘ in der himmlischen Thronsphäre nicht dem umschreibenden Gebrauch von ‚Menschensohn‘ einverleiben. Damit wird Davies weder Dan 7 noch den deutlich auf dieses biblische Kapitel bezogenen Texten der Bilderreden des äthiopischen Henoch und 4Esra 13 gerecht. Zudem beraubt sie sich so eines starken Arguments für ihre These, daß der Menschensohn-Name im Johannesevangelium, „referring to Jesus, draws particular attention to his representative humanity, that is, Jesus is pictured as representing not what every person is, but what he or she could and should be“ (188). Denn erst wenn der ‚Menschenähnliche‘ aus Daniels Vision in dem wirklichen Menschen Jesus Fleisch und Blut gewonnen hat, gewinnt auch der absichtsvolle Kontrast zwischen dem gerechten ‚Menschenähnlichen‘ und den zuvor erschienenen vier unmenschlichen Bestien aus Daniels Vision irdische Realität. Darum führt V. 51 mit Jesu Selbstprädikation als ‚der Sohn des Menschen‘ auch nicht einfach einen neuen christologischen Hoheitstitel ein, der all die zuvorgenannten „titles of honour“ seit 1,19 ff überböte, wie Moloney (Son of Man 37) erklärt. Vielmehr richtet der Vers den Blick auf Jesu Menschsein, an dem seine Jünger das Nathanael verheißene „Größere“ wahrnehmen sollen.
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Lindars sieht ganz richtig, daß die Prädikation ‚Menschensohn‘ Jesus als den Offenbarer Gottes unter den Menschen bezeichnet und daß diese Offenbarung in Jesu „Erhöhung“ an das Kreuz kumuliert. Doch zu Unrecht – und im Bann seiner „Zwei-Editionen-Theorie“ des Johannes evangeliums – macht er 3,14 zum Universalschlüssel aller Worte über den Menschensohn: „On the other hand, certain sections stand so much apart from the main course of the narrative, that it is reasonable to suppose that John has done the work in more than one stage. He has revised and considerably expanded his work for a second edition. I hold that chapter 6, on the Bread of Life, and 11,1–44, the story of Lazarus …, belong to the second edition. This has to some extent obscured the original plan of the Gospel, which is more coherent when they are dropped“ (Behind 60; vgl. Komm, jeweils z. St.). Außer Joh 6 und 11 hält Lindars auch den Prolog für den Eröffnungstext erst der vermehrten zweiten Auflage des Evangeliums. Da er den MenschensohnTitel bereits fest in der ersten Auflage verankert sieht, ignoriert er sein Vorkommen in Joh 6 fast völlig, zumal sein Gebrauch in diesem Kapitel denjenigen im Rest des Werkes empfindlich störe (Son of Man 44). Abgesehen davon, daß wir für diese Theorie einer „zweiten Auflage“ keinen zureichenden Grund zu entdecken vermögen, sind wir mit Moloney der Meinung: „But it is more important to trace the Son of Man christology in the Gospel as we have it, rather than in a hypothetically reconstructed original Gospel“ (Son of Man 15).
Darum sollte man die Erfüllung der mit V. 51 gegebenen Verheißung nicht so ungeduldig in der isolierten Kreuzigung Jesu sehen, sondern mit den nachfolgenden Jüngern wahrnehmen, wie sie sich, angefangen mit dem Kana-Wunder (2,11!), Schritt für Schritt entfaltet. Auch Jesu Kreuzigung kann als „Erhöhung“ des Menschensohnes und als Vorschein der göttlichen d∙xa nur verstanden werden, wenn sie als das notwendige Ziel der Liebe Jesu zu seinen Freunden begriffen ist (vgl. Joh 15,13).
Fünfte Szene: Das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana (2,1–11) 1 Und am dritten Tag wurde in Kana in Galiläa eine Hochzeit gefeiert; und dort war (auch) Jesu Mutter. 2 Aber zur Hochzeit waren auch Jesus und seine Jünger eingeladen. 3 Und als der Wein zu Ende ging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. 4 Jesus entgegnete ihr: Was mischst du dich in meine Angelegenheiten ein, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. 5 Seine Mutter aber sagte zu den Dienern: Was immer er euch aufträgt, das tut! 6 Es standen dort sechs steinerne Krüge für die Reinigungsriten der Juden, deren jeder zwei oder drei Metreten faßte. 7 Jesus sagte zu ihnen: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis zum Rande. 8 Darauf sagte er ihnen: Schöpft nun daraus und bringt das dem Speisemeister! Und sie brachten es zu ihm. 9 Als der Speisemeister aber das Wasser, das zu Wein geworden war, gekostet hatte – und er wußte ja nicht, woher das kam, die Diener dagegen wußten es, denn sie hatten das Wasser ja geschöpft –, da rief der Speisemeister den Bräutigam 10 und sagte zu ihm: Jedermann schenkt seinen Gästen doch zuerst den guten Wein ein und erst danach, wenn sie trunken geworden sind, den geringeren. Du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. 11 Diesen Anfang aller Zeichen wirkte Jesus im galiläischen Kana und offenbarte (so) seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.
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Wie bei der Prologexegese verzichten wir auch bei dieser Erzählung von der „Hochzeit in Kana“ auf jeglichen analytischen Versuch, hinter ihr eine vermeintliche Quelle entdecken zu wollen, und behandeln die Szene so, als habe unser Erzähler sie eigens für diesen Ort in seinem Werk Wort für Wort erfunden. Denn selbst wenn hier tatsächlich ein „Quellenstück“ zugrundeliegen sollte, scheint uns allein ein solches Verfahren angemessen, weil ja auch in diesem Falle der Autor jedes der darin vorgefundenen Wörter zu seinem eigenen und seinen neuen Kontext zu dem gemacht hätte, was diesen neuen Gebrauch der möglicherweise alten Wörter nun definiert. Doch ganz abgesehen von diesen texttheoretischen Erwägungen erscheinen uns die oft vorgetragenen Quellenhypothesen mit ihrem Rekurs auf den Weingott Dionysos ohnehin höchst zweifelhaft. Denn wer in einem jüdischen Kontext Juden und der Synagoge assoziierte Gottesfürch‑ tige durch die Mühe der Komposition eines Evangeliums davon überzeugen will, daß „Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes“ (20,30 f), der wird ihn dazu doch gewiß nicht als den Konkurrenten eines heidnischen Götzen auftreten lassen. Die Auslegungsgeschichte zeigt, daß dieses ausgesprochene „Luxuswunder“ unter den Machttaten Jesu die Exegeten schon lange befremdet und sie vermutlich deshalb auf die höchst fragwürdige Idee gebracht hat, hier sei mehr oder weniger umstandslos ein Wunder des Weingottes Dionysos auf Jesus übertragen und damit ein Instrument geschaffen worden, vermeintliche Adepten der Dionysos-Mysterien zu Jesus als dem besseren Dionysos zu bekehren. Unter Angabe der entsprechenden Belege erwägt das neuerdings wieder Barrett (Komm. 211 f), während Lütgehetmann (261 ff) es nicht nur allen Ernstes behauptet, sondern in derartigen Spekulationen gar einen methodisch (!) notwendigen Schritt auf dem Wege zum richtigen Verstehen von Joh 2,1–11 sieht: „Ein Text läßt sich nur noch aus seinem Werden verstehen, sobald eine Entwicklungsgeschichte angenommen werden muß. Ein erst redaktionell hinzugefügtes (sic) Teil hat seinen Sinn in seiner Funktion als Nachtrag zu einem bereits zuvor funktionierenden Text, d. h. der Sinn erschließt sich erst aus diesem Nachtragsverhältnis“ (ebd. 39). Wir halten das für einen Fall des von Schnädelbach so benannten „morbus hermeneuticus“, wonach „Etwas Verstehen heißt Verstehen, wie es geworden ist“ (Vernunft 125 ff u. 279 ff). Darum folgen wir statt solcher Spur lieber der hermeneutisch gesunden Maxime Olssons, der im Blick auf das Interesse der Redakti‑ onsgeschichte erklärt: „In my investigation I share this interest, but I do not see the text primarily from the point of view of history and origin, of its creation through tradition and redaction, but as an independent language unit, calling for a detailed analysis of all its parts and not merely of transitions between traditions and editorial additions to see how the traditions were reinterpreted. The traditions, more or less fixed in form, which were somehow or other taken over, are seen, not as passages alien to the text, but as essential, functional parts of it. Thus I start from the belief that the final product, i. e. the text as we now have it, functioned as a text from the very beginning – and not only in later use of John – and that it is in some sense homogenous and coherent“ (6).
Nachdem schon Dodd im Blick auf unsere wahrlich ‚höchst rätselhafte Erzählung‘ (Hanhart 38: „a most puzzling narrative“) erklärt hatte: „The story, then, is not to be taken at its face value. Its true meaning lies deeper“ (Interpretation 297), hat Olsson eindrucksvoll erwiesen, daß sie in der Tat voller unübersehbarer Hinweise auf ihren symbolischen Modus ist. Aber wie wir im Anschluß an Eco in anderem Zusammenhang bereits ausgeführt haben (s. o. zu 1,34), schließt gerade dieser Modus es strikt aus, sie – wie Hanhart (38 ff) und auf seine Weise auch Lütgehetmann (292 ff) – als Allegorie zu behandeln. Denn nichts Anderes, als das, was mit ihrem „face value“ am Tage liegt, will 149
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sie sagen, sondern zugleich mit diesem und weit darüber hinaus will sie mehr sagen. Dieser symbolische Mehrwert aber bezieht seine Kraft und Geltung allein aus der Erzählung von jener Hochzeitsfeier in Kana, zu der Jesus mit seinen Jüngern eingeladen war. Statt nach einer unbekannten Quelle unserer Erzählung zu fahnden und diese gar aus ihr selbst durch die Scheidung vermeintlicher Tradition von ihrer redaktionellen Bearbeitung (re‑)konstruieren zu wollen, liegt es u. E. sehr viel näher, auch unsere Erzählung von der Hochzeit zu Kana – ebenso wie die vorangegangenen Szenen der Johannes-Martyria und der Berufung der ersten Jünger – als ein absichtsvolles intertextuelles Spiel mit synoptischen Prätexten zu begreifen. In diesem Sinn böte sie vor dem Hintergrund von Mk 2,18–21 eine höchst lebensvolle Illustration der Worte Jesu, daß die Hochzeitsgäste gar nicht fasten können, solange der Bräutigam bei ihnen ist, und von dem neuen Wein und den alten Schläuchen (vgl. Goulder, John 219 ff u. F.E. Williams 311 ff). 1a: kaÑ tÔö ™mfira tÔö tr‡tÔh g›mo" †gfineto †n KanÅ tö" Galila‡a": Die Zeitbestimmung tÔö ™mfira tÔö tr‡tÔh verknüpft diese neue Szene eng mit der vorausgegangenen. Der Gebrauch der Partikel ka‡ und die unvermittelte Einführung der neuen Situation bestätigen das (vgl. hierzu und zu allem folgenden Olsson, Structure 21 ff). Wegen der oben ja bereits beobachteten impliziten Zählung der Tage durch die Wendung tÔö †pa‚rion (vgl. zu tÔö †pa‚rion noch 6,22 u. 12,12) und wegen der im Griechischen ungewöhnlichen Nachstellung des Zahlwortes tÔö tr‡tÔh wird hier der Erzählung des an den vorausgegangenen vier Tagen Geschehenen angefügt, was am sechsten Tage geschah. Diese absichtsvolle Gestaltung der Einleitung unserer Szene und ihre gleichzeitige enge Verknüpfung mit 1,19–51 verbieten es, die Datierung „am dritten Tage“ einfach einem hier vermeintlich „benutzten“ Stück aus einer Semeia-Quelle oder dergleichen zuzuschreiben. Als der dritte ist dieser Tag wohl wie üblich unter Einschluß des Tages der Begegnung Jesu und Nathanaels gezählt und darum der sechste Tag der unser Evangelium eröffnenden Woche. Diesen sechs Tagen der ersten Woche mit der Offenbarung der d∙xa Jesu am sechsten Tag (2,11) entsprechen die sechs Tage der letzten Woche Jesu: Sie wird „sechs Tage vor dem Passa“ (prÖ ¬x ™merùn toú p›sca: 12,1) mit Jesu „Salbung im judäischen Bethanien“ und seinem Einzug in Jerusalem eröffnet und kulminiert in der Erscheinung der Herrlichkeit des Gekreuzigten und seinem Begräbnis am sechsten Tage (12,1–19,42; vgl. Olsson 23 ff). Unter dem Gesichtspunkt des Verisimile der Narratio darf der Leser den in unserer Erzählung übergangenen fünften Tag wohl für den Weg Jesu mit seinen Jüngern aus der Gegend um das peräische Bethanien – nach 1,28 dem Ort der Täufermartyria und der Nachfolge der ersten Jünger – nach Kana in Galiläa veranschlagen. Da diese Hervorhebung des jeweils sechsten Tages ein erstes Indiz für den symbolischen Modus unserer Szene zu sein scheint, müssen wir darauf unten noch zurückkommen. kaÑ ... g›mo" †gfineto †n KanÅ: Diese knappe Einführung in unsere neue Szene entspricht biblischem Erzählen. Das Syntagma kaÑ †gfineto oder der einfache Aorist †gfineto, mit dem die LXX in der Regel das imperfectum consecutivum yhyw wiedergibt, dient hier wie in der hebräischen Bibel der Einführung einer neuen Szene (vgl. Beyer 29 ff). Wie Joh 1,6 – und anders als in 1,14 – liegt der Ton hier jedoch nicht auf dem Werden im Unterschied zum Sein, sondern darauf, daß da eine Hochzeit stattfand. Der Satz will als eine Art Überschrift über das Geschehen der ganzen folgenden Szene gelesen sein, so daß „die konkrete Handlung … durch ein Verb allgemeinen Inhalts 150
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vorweggenommen“ wird (Beyer 29). In Kana, dessen Lage durch tö" Galila‡a" näher bestimmt wird, fand eine Hochzeit statt. Der Ortsname Kan› (hebräisch: hnq) ist trotz seiner vierfachen emphatischen Nennung bei Joh (2,1.11; 4,46 u. 21,2) außerhalb unseres Evangeliums biblisch nicht bezeugt. Als seinen zeitweiligen Aufenthaltsort nennt jedoch Josephus ein galiläisches Dorf dieses Namens: k„mh tö" Galila‡a" √ prosagore‚etai Kan› (Vita 86). Das Kana unserer Erzählung wird zumeist mit dem ca. 14 km nördlich von Nazaret gelegenen chirbet qâna identifiziert (vgl. EWNT II, 613). Seinem allegorischen Verständnis der Szene entsprechend sucht Hanhart (43 ff) zu begründen, daß es sich bei der Wortbildung Kan› um eine künstliche Zusammenfügung der Anfangssilben von Ka-farnao‚m und Na-zarfit handele. Doch ein derartiges ‚Kunst-Stück‘ wäre im gesamten Evangelium ohne jegliche Analogie, es entspräche kaum dem schon oft beobachteten kenntnisreichen Umgang unseres Erzählers mit der Topographie Palästinas und stünde in direktem Widerspruch zum narrativen Gesetz des Verisimile, dem er sich stets verpflichtet zeigt. Nein, Kana dürfte ein realer Ort auf der Landkarte Palästinas sein. Da aber Form und Inhalt der beiden Kana-Erzählungen (2,1–11 u. 4,46–54) keinerlei Indizien dafür liefern, daß hier entsprechende Lokaltraditionen verarbeitet sein könnten, wird man sich fragen dürfen, ob nicht auch der Ortsname Kan› symbolische Obertöne ins Spiel bringt, zumal er durch das hier erstmals auftauchende tö" Galila‡a" näher bestimmt wird (vgl. den topographischen Namen Silw›m in 9,7, den der Erzähler freilich ausdrücklich durch die Parenthese, ≈ ©rmhne‚etai üpestalmfino", erläutert). Denn wie unten zu 4,43 ff u. ö. zu zeigen sein wird, sind Galiläa (Kana) und Judäa (Jerusalem) in unserem Evangelium oppositionelle geographische Symbole: Während Galiläa als der Ort des Glaubens die Heimat derer ist, die Jesus nachfolgten, ist Judäa/Jerusalem – obgleich die ¢d‡a patr‡" des in sein ‚Ei‑ gentum‘ gekommenen l∙go" – Ort seiner Ablehnung und der Feindschaft gegen ihn (vgl. Meeks, Galilee). Wegen der für alles Folgende offenbar programmatischen ürcÉ tùn shme‡wn, die Jesus mit seinem Weinwunder †n KanÅ tö" Galila‡a" vollbrachte (2,11, worauf in 4,46 ausdrücklich zurückverwiesen und woran in 21,2 erinnert wird), könnte die hebräische Wurzel hnq (gründen, erwerben) darauf hinweisen, daß „the attribute tö" Galila‡a" not only points out which Cana is meant, but also links the event with the ‚birthplace‘ of the new people of God in John“ (Olsson 109). Fraglos hat in solcher Umgebung auch das Lexem g›mo" symbolische Obertöne. Und das gilt natürlich zumal dann, wenn unsere Szene wirklich ein Spiel mit Mk 2,18–21 sein sollte. Seit den Tagen Hoseas haben die Metaphern der Ehe und ehelichen Liebe immer wieder dazu gedient, Jhwhs Verhältnis zu seinem Volk als die frühe und innige Liebe eines Bräutigams zu seiner erwählten Braut zu beschreiben. Besonders die Rabbinen wissen davon zu sagen, daß mit der Tora als dem Ehevertrag am Sinai das große Hochzeitsfest gefeiert wurde (vgl. die Belege bei Stauffer, ThWNT I, 652). Trotz des permanenten ehebrecherischen Verhaltens seiner geliebten Braut (vgl. Ez 16 u. Hos 2) baut Gott in seiner ungebrochenen Liebe jedoch auf ihre Umkehr zur Gerechtigkeit und setzt ihrer Untreue seine Verheißung entgegen: „Denn wie der Jüngling eine Jungfrau freit, so wird dein Erbauer dich freien; wie der Bräutigam seine Wonne hat an der Braut, so wird dein Gott seine Wonne haben an dir!“ (Jes 62,5; vgl. Jes 54,4 ff; Hos 2,20 f; Ez 16,6 ff). So ist die Hochzeitsmetapher zum Bild der eschatologischen Erlösung Israels und der Völker geworden (vgl. Mk 2,19; Joh 3,29; Mt 22,1 ff; 25,10 ff u. ö.). 151
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Erster Akt des historischen Dramas Jesu
Wegen der engen Verbindung der Geburt Israels als des Gottesvolkes (laÖ" perio‚sio": Ex 19,5 f; vgl. als mögliche Entsprechung hnq) am Sinai mit der Ehe‑ und Hochzeitsmetaphorik ist hier auf die Zeitangaben in 1,19 ff und zumal auf die denkwürdige Auszeichnung des sechsten Tages durch die Zeitbestimmung tÔö ™mfira tÔö tr‡tÔh zurückzukommen. Hatte unser Autor seinen Lesern das Geschehen der Fleischwerdung des l∙go" schon in V. 14–18 seines Prologs vor dem Hintergrund der Offenbarung der Herrlichkeit (d∙xa) Gottes am Sinai vor Augen geführt, so geschieht nun auch unsere „Hochzeit in Kana“ ebenso wie die Vermählung Gottes mit seinem Volk am Sinai nach Tagen der Reinigung am „dritten Tage“. Denn Gott gebietet Mose: katabÅ" diam›rturei tù laù kaÑ πgnison a§toÜ" sflmeron kaÑ a∂rion, kaÑ plun›twsan tÅ ´m›tia: kaÑ ≤stwsan ∫toimoi e¢" tÉn ™mfiran tÉn tr‡thn, tÔö gÅr ™mfira tÔö tr‡tÔh katabflsetai k‚rio" †pÑ tÖ µro" tÖ Sinô †nant‡on pantÖ" toú laoú (Ex 19,10f; vgl. V. 16). Und entsprechend dem Auftrag der „Mutter Jesu“ an die Festdiener: Ω ti …n lfigÔh ≠mõn poiflsate (V. 5) antwortete einst am Sinai das ganze Volk dreifach: p›nta Ωsa eèpen ¨ je∙", poiflsomen kaÑ ükous∙meja (Ex 19,8; 24,3.7). Auch wenn der Targum Pseudo-Jonathan zu Exodus in seiner überlieferten Gestalt sicher erheblich jünger ist als Joh, so bietet er doch ebenso wie zur biblischen Mannatradition (vgl. dazu Malina, Manna Tradition 65 ff) auch zu Ex 19–24 ganz fraglos ältere exegetische Tradition. Er zählt insgesamt acht Tage des Sinai-Geschehens und nennt dabei – genau wie Joh – den sechsten Tag, den Tag der Offenbarung des dwbk Gottes, emphatisch „den dritten Tag“ (vgl. Serra und Olssons Ausführungen zum „Sinai screen in Jn 1:19–2:11 (22)“ 102–109). Aber nicht nur die Koinzidenz bei der Zählung der Tage samt der merkwürdigen Auszeichnung von deren sechstem als ™ ™mfira tÔö tr‡tÔh, nicht nur der spontane Gehorsam der di›konoi auf die Weisung der Mutter Jesu hin, alles zu tun, was Jesus ihnen gebiete, und nicht nur die Offenbarung seiner d∙xa und der Glaube seiner Jünger haben ihre Entsprechung in diesem Sinai screen, sondern auch das für Ex 19–24 so fundamentale Motiv der Reinigung und Entsündigung des Volkes; vgl. dazu Olsson: „Purification, liberation from sin, is – as it was once at Sinai – if a people of God is to be born. In Jn’s account it is there in Jesus Christ. The revelation of Jesus as the Lamb of God by John who baptized with water, therefore, has a natural place in 1:19 ff, if we see the text from the Sinai screen. The Jewish purification vessels in our text have their full meaning. That which Jesus gives replaces the whole of the old purification process. Jesus’ disciples, Jesus’ own people, the people of his possessing, are in Jn cleansed by Jesus’ death (blood), 13,1 ff; 1Jn 1:7.9, and by Jesus’ word (revelation), 15:2 f; 17:14 ff. So there must be a connection between the water which Jesus gives in 2:1–11, that which when tested proved to be ‚good wine‘, and Jesus’ blood and word. The wine in our text would refer to the same reality as the word, the blood, the Spirit and other expressions in the Johannine writings, and cannot be bound to only one of them“ (ebd. 106 f). 1b–2: kaÑ én ™ mflthr toú ûIhsoú †keõ. †klfljh dÇ kaÑ ¨ ûIhsoú" kaÑ o´ majhtaÑ a§toú e¢" tÖn g›mon. Während von Jesus und seinen Jüngern ausdrücklich gesagt wird, daß sie zu diesem Hochzeitsfest eingeladen waren (†klfljh: V. 2), heißt es von seiner Mutter einfach: én †keõ. Sie war dort. Sie gehört zu jener jüdischen Hochzeitsgesellschaft und ‑feier, zu der Jesus und seine Jünger als Gäste geladen waren. Diese Zugehörigkeit wird bestätigt durch die selbstverständliche Autorität, mit der sie den Saaldienern die Weisung erteilt: „Alles, was er euch aufträgt, das tut!“ Und wenn wir diese Wendung 152
Fünfte Szene: Das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana
2,1–4
im Lichte unseres „Sinai screen“ als ein Spiel mit dem dreifachen: „Alles, was der Herr geboten hat, das wollen wir tun!“ des Volkes Israel sehen dürfen, dann wird deutlich, daß die Mutter Jesu dem Leser hier vorgestellt wird wie zuvor Nathanael, nämlich als eine wahrhafte und toratreue Israelitin, in deren Mund kein Trug ist. Die Mutter Jesu tritt in unserem Evangelium nur zweimal auf: Nämlich hier in Kana bei der ürcÉ tùn shme‡wn Jesu und in Golgatha bei deren tfilo" (19,25–27). Beide Male wird sie nicht mit ihrem Eigennamen Maria genannt, der den Lesern doch gewiß geläufig war, sondern hier wie da heißt sie nur „die Mutter Jesu“. Diese offenbar absichtsvolle Anonymität ist schon lange aufgefallen. Die Mutter Jesu teilt sie nur mit jenem rätselhaften „Jünger, den Jesus liebte“, neben dem sie dann am Ende auch erscheint. Und erst nachdem der sterbende Jesus diese beiden Anonymen unlösbar aneinander gebunden und füreinander verantwortlich gemacht hat, sagt er sein königliches tetfilestai (19,30). Beide Szenen sind fraglos hochsymbolisch. Aber dafür, daß die Mutter Jesu hier ein Symbol der Kirche oder womöglich gar nur die Repräsentantin eines hinter dem wahren Glauben des durch den geliebten Jünger repräsentierten Heidenchristentums zurückgebliebenen Judenchristentums wäre, wie Bultmann vermutet (Komm. 520 f), gibt es keine ernstzunehmenden Gründe. Denn die Auseinandersetzung zwischen Judenchristen und Heidenchristen und der Streit um die Tora spielen in unserem Evangelium keine Rolle. Und dafür, daß Jesu Mutter als die Mutter der Kirche anzusehen wäre, fehlen alle Indizien. Wir sind vielmehr mit Minear (Martyr’s Gospel 143 ff) der Meinung, daß Jesu Mutter die toratreue Synagoge repräsentiert (vgl. Bauer, Komm. 46: „Die Mutter des Messias ist die alttestamentliche Gottesgemeinde, mit der sich der Logos-Christus auseinandersetzt“). Der geliebte Jünger aber, der seinem Herrn als einziger bis nach Golgatha nachgefolgt ist und ihm die Treue gehalten hat, vertritt in der Szene mit der Mutter Jesu nolens volens die Kirche. In der Person seines geliebten Jüngers verweist der sterbende Jesus seine Kirche an die Synagoge als ihre Mutter und macht sie für alle Zeit für sie verantwortlich (s. u. zu 19,25–27). 3: Mit dem meisterhaft knappen Syntagma kaÑ ≠sterflsanto" o¥nou legt unser Erzähler den Grund für alles Folgende, nämlich sowohl für den dramatischen Wortwechsel der Mutter mit ihrem Sohn (V. 3 f) als auch für das dann dennoch erfolgende Weinwunder, durch das Jesus den Umschlag des Mangels in unausschöpfliche Fülle vollbringt (V. 5–10). Hinter den scheinbar nur feststellenden Worten der Mutter: o¥non o§k ≤cousin verbirgt sich sowohl ihre Bitte an den Sohn, diesen Mangel doch zu beseitigen, als auch ihr Vertrauen in seine Kraft dazu. 4: Aber trotz dieses Vertrauens und des Umstands, daß sie ja nichts für sich selbst, sondern alles für die erbittet, die Mangel leiden, muß sie sich nun sagen lassen: t‡ †moÑ kaÑ so‡, g‚nai; o∂pw ªkei ™ øra mou. Hier wie unter seinem Kreuz in Golgatha – und auch das verbindet die beiden Szenen – redet Jesus seine eigene Mutter mit dem befremdlichen Wort g‚nai an. Und die damit zum Ausdruck gebrachte Distanzierung wird hier durch die rhetorische Frage: t‡ †moÑ ka‡ soi; noch erheblich verschärft. Obwohl wirklicher Sohn dieser besorgten irdischen Mutter, läßt sich Jesus als der von seinem himmlischen Vater Gesandte nicht umstandslos in die Geschäfte der Irdischen verwickeln. Wohl kaum zufällig erinnert diese Distanzierung des „Fremden vom Him‑ mel“ (de Jonge) von seiner irdischen Mutter an eine Szene wie Mk 3,31–35. Und einerlei ob beabsichtigt oder nicht und wenn auch in einem denkwürdigen Rollen153
2,1–11
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
tausch, ruft die rhetorische Frage Jesu: t‡ †moÑ ka‡ soi; jenen Aufschrei der Dämonen ins Gedächtnis, die mit dem Auftreten Jesu ihre letzte Stunde gekommen sehen: t‡ ™mõn kaÑ so‡, ûIhsoú" Nazarhnfi; élje" üpolfisai ™mô" (Mk 1,23 ff; u. s. dazu Maynard). Nach dem emphatischen Bekenntnis des Johannes, daß er nicht Elia sei (s. o. zu 1,21), mag das Weinwunder von Kana aber zugleich auch an Elias Mehl‑ und Ölwunder von Zarepta erinnern und das t‡ †moÑ kaÑ so‡; – wiederum in einem Rollentausch – daran, daß die Witwe und Mutter des toten Knaben den Propheten fragte: t‡ †moÑ ka‡ soi, ±njrwpe jeoú; (s. u. zu 4,46–54). o∂pw ªkei ™ øra mou: Dieser Satz ist fraglos absichtsvoll doppeldeutig. Denn vordergründig muß er sich ja wohl auf die „Stunde“ der Wandlung des Wassers in Wein beziehen. Zugleich weiß aber jeder in der Lektüre unseres Evangeliums Erfahrene, daß die „Stunde Jesu“ darin stets die Stunde seiner Verherrlichung am Kreuz von Golgatha bezeichnet (vgl. 7,30; 8,20; 12,23.27; 13,1; 17,1). Innerhalb unserer Erzählung muß Jesu Verweis darauf, daß seine Stunde noch nicht gekommen ist, besagen, daß er als der Sohn nichts von sich selbst her tut, sondern stets nur handelt, wann und wie der Vater es gebietet. Eine ähnliche Verzögerung seines Eingreifens liegt Joh 11,6 vor. Als er gehört hatte, der geliebte Freund Lazarus liege sterbenskrank darnieder, eilte er nicht etwa unverzüglich zu ihm, sondern t∙te mÇn ≤meinen †n ó én t∙pw d‚o ™mfira". Aber Jesu Wort von seiner noch nicht gekommenen Stunde ist hier nicht einfach in dem Sinne doppeldeutig, daß da beziehungslos zum einen von der Stunde der Wandlung des Wassers in Wein und zum anderen von der Stunde seiner Verherrlichung durch Tod und Auferstehung die Rede wäre. Es muß vielmehr eine tiefe und sehr enge Beziehung zwischen dieser und jener Stunde bestehen. Anders gesagt: Die Stunde der ürcfl der Zeichen Jesu muß in sich zugleich die Stunde vom tfilo" tùn shme‡wn mitenthalten. Mit der Fülle des guten Weines gibt Jesus darum nicht irgendetwas, sondern sich selbst. Nur so werden auch die beiden ansonsten anachronistischen Schlußsätze verständlich: kaÑ †fanfirwsen tÉn d∙xan a§toú, kaÑ †p‡steusan e¢" a§tÖn o´ majhtaÑ a§toú (V. 11). Denn, wie wir gleich bei der Lektüre der folgenden Szene von der Tempelreinigung erfahren werden, gibt es die Einsicht in Jesu Herrlichkeit und mit ihr den Glauben an ihn nur als von Ostern her erinnerten (2,17.22). Unter dieser Perspektive ist das ganze Evangelium geschrieben. Anders gesagt heißt das: Obwohl Jesus seinen Jüngern das Kommen des Geist-Parakleten, der sie an alles, was er ihnen gesagt hat, erinnern (14,26) und sie in die ganze Wahrheit führen soll (16,13), erst als künftiges Geschehen verheißt, dessen notwendige Voraussetzung sein eigenes Weggehen und seine Verherrlichung sind (16,7), ist dieser Geist-Paraklet in der Stimme des Erzählers unseres Evangeliums ja von dessen erstem Wort an immer schon am Werk seines Erinnerns. Wie Gail O’Day in ihrem Beitrag ‚I Have Overcome the World‘ für Joh 13–17 schlüssig aufgewiesen hat, wird diese paradoxe Durchdringung der Zeiten explizit und in besonderer Weise erst in den Abschiedsreden thematisiert. Implizit bestimmt sie jedoch auch schon zuvor das gesamte Werk, wie etwa Jesu Wort: ≤rcetai øra kaÑ nún †stin in Joh 4,23 oder 5,25 erweist. Besonders deutlich wird das, wenn der Erzähler Jesu Einladung zum Glauben und zum Stillen allen Durstes so kommentiert: „Das sagte er aber über den Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glauben. Noch gab es den Geist freilich nicht, weil Jesus ja noch nicht verherrlicht war“ (7,39; s. u. z. St.). Das erweist auch die durch das jeweilige Auftreten der ‚Mutter Jesu‘ hergestellte enge Beziehung zwischen unserer Szene und Jesu Vermächtnis an ‚seine Mutter‘ und den 154
Fünfte Szene: Das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana
2,4–8
‚geliebten Jünger‘ in Golgatha (19,25–27); und Ähnliches wird die nahe Affinität des Sterbens und der Auferweckung des Lazarus (Joh 11) zu Tod und Auferstehung Jesu zeigen. Marquardt erklärt dazu: „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verhalten sich unter der Herrschaft der Todes-Endgültigkeit abgeschottet gegeneinander. Aber Ostern reißt das Tor zwischen den Gezeiten auf. Statt Erinnerung und Hoffnung erschließt sich dem erweckten Jesus ein Sein in seinen Gezeiten: seine Gleichzeitigkeit gestern, heute und in allen Äonen, in denen er nun zugleich ¨ a§t∙" sein kann. Der Zwang des Asynchronen wurde gebrochen, als Gott Jesus dem Tode entriß. Der, von dem es hieß: ‚Und er verschied‘, lebt. Das ist die Kraft und das Geheimnis von Jesu ¨ a§t∙", seiner Identität, u. E. sein christologisches Geheimnis schlechthin: Jesus ist der Mensch, dem Gott alle Zeiten sperrangelweit geöffnet hat“ (Marquardt, Christologie II, 287). 5: Im Zusammenhang des „Sinai screen“ (Olsson), vor dem unsere Szene gelesen sein will, ist über die Weisung der Mutter Jesu an die di›konoi, alles zu tun, was Jesus ihnen auftrage, ebenso wie über das Vorhandensein der sechs steinernen Krüge katÅ tÖn kajarismÖn tùn ûIouda‡wn oben schon Notwendiges gesagt. Zu erörtern bleibt uns hier jedoch noch die Rolle der di›konoi in unserer Erzählung sowie die Sechszahl und das Fassungsvermögen der Steinkrüge. Die gehorsam tätigen di›konoi stehen in einem eigentümlichen Verhältnis der Konkurrenz zu den als Gästen in die Rolle bloßer Zuschauer gedrängten Jüngern Jesu. Heißt es von diesen am Ende: kaÑ †p‡steusan e¢" a§tÖn o´ majhtaÑ a§toú, so wird analog dazu über jene gesagt: o´ dÇ di›konoi Ô≥deisan. In ausdrücklichem Gegensatz zum Nichtwissen ihres Vorgesetzten, des ürcitr‡klino", wußten sie, die alles getan hatten, was ihnen durch Jesus aufgetragen war, um das „Woher“ des guten Weines und damit auch um das p∙jen Jesu. Denn ihrem poieõn gilt die Verheißung, daß sie darüber erkennen sollen, ob ihr Auftrag p∙teron †k toú jeoú †stin oder ob ihr Auftraggeber etwa aus eigener Machtanmaßung geredet hat (À †gá üpû †mautoú lalù: Joh 7,17). Zu denken gibt auch, daß Joh, statt die in diesem Kontext doch eher zu erwartenden Lexeme doúlo" oder paõ" zu verwenden, von den di›konoi spricht. Das Wort begegnet bei ihm nur hier und 12,26, wo es heißt: †Ån †mo‡ ti" diakonÔö, †moÑ ükolouje‡tw, kaÑ Ωpou e¢mÑ †gá †keõ kaÑ ¨ di›kono" ¨ †mÖ" ≤stai. Und das steht dort im Zusammenhang mit dem Gekommensein der Stunde Jesu, ºna doxasjÔö ¨ u´Ö" toú ünjr„pou, und damit, daß das „Weizenkorn“ sterben muß, auf daß es viel Frucht bringe (12,23 f). Wir vermuten deshalb mit Olsson, daß Joh anstelle der geläufigeren Lexeme doúlo" oder paõ" „because of the total message of the text“ (Structure 46) das Wort di›konoi gewählt hat. 6 f: Vermutlich darf man auch die Sechszahl der Krüge katÅ tÖn kajarismÖn tùn ûIouda‡wn mit den damals am Sinai, wie hier seit der ersten martur‡a des Johannes der Offenbarung der d∙xa vorausgegangenen Tagen der Reinigung in Verbindung bringen (vgl. das vorsichtige Urteil von Olsson, ebd. 49 f). Da nach Lev 11,33 selbst ein irdenes Gefäß leicht verunreinigt werden kann und dann zerbrochen werden muß, galten den Rabbinen steinerne Gefäße als ideale Behälter für das Wasser zur levitischen Reinigung (vgl. Bill II, 405 ff). „Die Gefäße faßten je zwei bis drei Maß“ (cwroúsai ünÅ metrhtÅ" d‚o À treõ"), wobei eine attische Metrete einem hebräischen tb, und der wiederum etwa 39 Litern entspricht. Die sechs randvoll (∫w" ±nw: V. 7) gefüllten Gefäße enthalten am Ende also die Unmenge von etwa sechs Hektolitern köstlichen Weines. 8: Der Fortgang der Erzählung zeigt, daß die wunderbare Verwandlung des Wassers in Wein (tÖ ædwr oènon gegenhmfinon: V. 9; vgl. 4,46: Ωpou †po‡hsen tÖ ædwr oènon) 155
2,1–11
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
entweder bereits geschehen sein muß, als die di›konoi die Gefäße füllten, oder aber – und das ist wohl wahrscheinlicher – daß sie in eben dem Augenblick geschieht, da Jesus den di›konoi gebietet: üntlflsate nún kaÑ ffirete tù ürcitrikl‡nw. Denn das hier gebrauchte nún dient gewiß nicht nur als logische Partikel zur Verstärkung der Weisung: üntlflsate, sondern hat, wie immer bei Joh und zumal in der für ihn typischen Verbindung mit der øra Jesu, streng temporalen Sinn. Es ist mit Lausberg (Verse 7–9, 189) auch hier auf die in V. 4 genannte „Stunde Jesu“ zu beziehen; vgl. zu diesem Gebrauch des nún die oben bereits genannte Wendung: †rcetai øra kaÑ nún †stin (4,23 u. 5,25 u. s. 12,27; 13,31; 16,5.22; 17,5.13). Ungewöhnlich ist in Jesu Auftrag: üntlflsate nún kaÑ ffirete tù ürcitrikl‡nw, der Gebrauch der Lexeme üntlfiw und ürcitr‡klino". Denn außer in unserer Szene drückt üntlfiw in LXX wie NT stets den Vorgang des Schöpfens oder Abfüllens von Wasser aus einer Quelle aus. Das Wort muß darum hier entweder regelwidrig gebraucht sein, wie Barrett (z. St.) vermutet, oder aber – und das erscheint uns in diesem Text doch wahrscheinlicher – es ist absichtsvoll gewählt, damit es symbolische Obertöne zum Erklingen bringe. So sieht Lausberg darin eine mögliche Anspielung an Jes 12,3: kaÑ üntlflsete ædwr metû e§fros‚nh" †k tùn phgùn toú swthr‡ou (ebd.), während Hoskyns (Komm. 197) durch den Gebrauch von üntlfiw den Gedanken von Christus als dem „Quell lebendigen Wassers“ evoziert sieht, wobei das eine das andere ja nicht ausschließen muß, denn der symbolische Modus gibt unbegrenzt zu denken … Das Lexem ürcitr‡klino" kommt in der gesamten Bibel nur hier vor, und aus dem griechischen Schrifttum notieren Bauer und Liddell-Scott (jeweils s. v.) nur noch einen Beleg aus dem Romanwerk Heliodors von Emesa (3. Jh. n. Chr. 7,27; vgl. Neuer Wettstein, Texte zu Joh.). Dagegen kennt Petronius Arbiter einen „tricliniarches“, der die Aufgabe hat, während eines ausgelassenen Festes die verlöschenden Lampen erneut mit Öl zu versorgen. Und eine lateinische Inschrift bezeichnet einen Theoprepen als „Domitiani tricliniarcham“ (CIL III, 356; beide Belege bei Lausberg, ebd. 190). Der spärliche Befund zeigt, daß ürcitr‡klino" im Griechischen gewiß kein terminus technicus, sondern eher eine ad hoc-Bildung ist. Darum und weil bei Joh keine weitere Situation vorkommt, in der das Lexem überhaupt Verwendung hätte finden können, ist der oft zur Begründung der Herkunft unserer Erzählung aus der vermeintlichen Semeia-Quelle strapazierte Verweis darauf, daß ürcitr‡klino" ein hapax legomenon sei, ohne jeglichen argumentativen Wert. Zur semantischen Definition des Lexems sind wir allein auf die jeweiligen Kontexte und auf die üblichen Wortbildungsregeln angewiesen. tr‡klinon (lat. triclinium) ist ursprünglich die Bezeichnung eines Liegesofas für drei Personen. Das Wort bezeichnet aber alsbald auch ein Speisezimmer oder einen Festsaal und endlich sogar das gesamte Fest einschließlich der feiernden Personen. Ein Blick in die Wörterbücher zeigt, daß Wortbildungen mit ürce- oder ürci- überaus häufig und – wie der tricliniarches bei Petronius zeigt – als Lehnwörter bis in lateinische (und aramäische) Texte eingedrungen sind. Das vor‑ oder nachgestellte ürc- (arches) bringt dabei stets die Dominanz und Herrschaftsfunktion des so Ausgezeichneten zur Sprache. Beispiele im NT sind ürciere‚", ürcitel„nh" oder ürcisun›gwgo". In unserer Erzählung ist der sogleich durch den Artikel definierte ürcitr‡klino" darum sicher beides: ±rcwn tùn diak∙nwn und Verantwortlicher für den ordentlichen Verlauf des Festes (vgl. Olsson, Structure 56 f). Das die Sequenz abschließende: o´ dÇ ≥negkan, bestätigt noch einmal den Jesu Wort entsprechenden Gehorsam der di›konoi. 156
Fünfte Szene: Das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana
2,8–10
9–10: Æ" dÇ †ge‚sato ¨ ürcitr‡klino" tÖ ædwr o¥non gegenhmfinon. Mit dieser „Weinprobe“ des ürcitr‡klino" bringt unser Erzähler noch dessen Rolle als „Vorkoster“ (progeustfl" oder praegustator (Sueton, Vit. Claud. 44,2; vgl. Lausberg, ebd. 190) ins Spiel. Und indem er das, was der ürcitr‡klino" da kostet, als tÖ ædwr o¥non gegenhmfinon beschreibt, läßt er seine Leser mit großer Raffinesse endlich auch wissen, was sie bisher immer schon ahnten. Wenn er in ironischem Kontrast dann sogleich die folgende Parenthese einfügt: kaÑ o§k Ô≥dei p∙jen †st‡n, o´ dÇ di›konoi Ô≥deisan o´ °ntlhk∙te" tÖ ædwr (s. o.), läßt er diesen berufenen Vorkoster in seinem Unverständnis und seiner Ahnungslosigkeit zugleich als völlig unverdächtigen Zeugen dessen erscheinen, was da geschehen ist. Und das Ausmaß dieses Wunders bringt er sodann mit hintergründigem Humor so zur Sprache: fwneõ tÖn numf‡on ¨ ürcitr‡klino" kaÑ lfigei a§tù: pô" ±njrwpo" prùton tÖn kalÖn o¥non t‡jhsin kaÑ Ωtan mejusjùsin tÖn †l›ssw: sÜ tetflrhka" tÖn kalÖn o¥non ∫w" ±rti. Während von einer Braut – für uns doch Hauptperson einer Hochzeit – mit keiner Silbe die Rede ist, taucht auch der Bräutigam (n‚mfio") hier nur zuallerletzt als stummer Zuhörer der „Weisheit“ seines ürcirtr‡klino" und als derjenige auf, der „den guten Wein bis zu dieser Stunde bewahrt hat“. Wenn auch durch das einleitende pô" ±njrwpo", das präsentische t‡jhsin und das Ωtan mit dem iterativen Aorist mejusjùsin zu einer sprichwortartigen generellen Regel stilisiert, ist die sonst nicht belegbare Weisheit, die der ürcitr‡klino" da von sich gibt, doch weniger dem Brauch von Weinkennern als vielmehr der Praxis unseriöser Kneipenwirte abgelauscht, die sich ihren minderen Wein von den trunkenen Gästen am Ende ebenso teuer bezahlen lassen, wie zuvor den guten (einen entsprechenden Beleg für diesen ‚Kneipen-Brauch‘ aus den Historien des Theopomp von Chios zitiert Lausberg 117: „Diese anspielende Ableitung aus einer geflügelten Trinker-Weisheit ist Ausdruck beglückter Heiterkeit“). Doch was auch immer es mit dieser „Weinregel“ auf sich haben mag, auf jeden Fall erweist ihre aktuelle „Anwendung“ ihren Sprecher als einen subtilen Kenner edler Gewächse. Und darauf kommt es bei dieser längsten aller direkten Reden unserer Szene ja an! Und der tadelnde letzte Satz unseres ürcitr‡klino": sÜ tetflrhka" tÖn kalÖn o¥non ∫w" ±rti, läßt auf der Symbolebene hinter dem Bräutigam den fremden Gast Jesus sichtbar werden, der diese unausschöpfliche Masse köstlichen Weines für seine eschatologische Stunde der Hochzeitsfeier „bewahrt“ hat. Man darf wohl fragen, ob sich von der so verbreiteten Hochzeitsfreude am Ende nicht auch der treue Zeuge Jesu, Johannes, angesteckt zeigt, wenn er gleich im nächsten Akt unseres Dramas erklären wird: „Ihr seid meine Zeugen, daß ich gesagt habe, ich bin nicht der Christus, sondern ich bin vor jenem her gesandt. Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutigams aber, der dabeisteht und ihn hört, der ist voller Freude über die Stimme des Bräutigams. Diese, meine Freude ist nun vollkommen. Er muß wachsen, ich aber abnehmen“ (3,28–30; s. u. z. St.). Lausberg vermutet darüberhinaus in dem Satz des ürcitr‡klino" eine Anspielung auf die Vorschrift über das Passalamm. In Ex 12 ordnet Jhwh an, jedes Familienoberhaupt solle für seine Familie und/oder seine Nachbarschaft am zehnten Nisan ein fehlloses, einjähriges, männliches Lamm erwerben, es bis zum vierzehnten Nisan aufbewahren, um es dann zu schlachten: kaÑ ≤stai ≠mõn diatethrhmfinon ∫w" tö" tessareskaidek›th" toú mhnÖ" to‚tou, kaÑ sf›xousin a§tÖ ktl. (Ex 12,6). „Der architriclinus hat … ungewollt eine christologische ‚Prophetie‘ ausgesprochen, wie es deren ja auch aus dem Munde des Hohen-Priesters J 11,50 und des Pilatus J 19,19–22
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2,1–11
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
gibt. … Der kalo" oino" wurde also von der su genannten Person ‚aufbewahrt‘... ©w" arti, wobei arti einerseits die Ex 12,6 tessareskaidekath tou mhno" toutou – an deren Abend das bis dahin aufbewahrte Pascha-Lamm geschlachtet wird – bezeichnet und andererseits der ‚Stunde Jesu‘ … entspricht. Damit ist der kalo" oino" ... dem zu schlachtenden Pascha-Lamm liturgiezeitlich parallelisiert: Jesus selbst ist das (J 1,29; 19,34) Pascha-Lamm. Der architriclinus hat – ohne es zu wissen – mit J 2,10d su Jesus angesprochen, der den Wein ja ‚besorgt‘ hat“ (ebd. 119 f). Wer dagegen einwenden wollte, für eine derartige Konstruktion sei der Wortlaut von Ex 12,6 von dem tadelnden Wort des ürcitr‡klino" doch viel zu weit entfernt, und zudem sei es doch äußerst fraglich, ob das denn wirklich die intentio auctoris sei, dem wird man entgegnen müssen: Der unbekannte reale Autor unseres Evangeliums hat sich – und das ist sein spezifischer Weg der Nachfolge Jesu – samt allen seinen Intentionen so restlos in sein Werk entäußert, daß es „posthum auch bei Lebzeiten des Verfassers“ ist, wie Pasternak über das „vollkommene Kunstwerk“ urteilte. Es gibt nun nur noch die intentio operis, und ein derart hochsymbolisches Opus wie unser Text enthält in sich durchaus die Lizenz zu derartiger Lektüre, ja er ermutigt zu ihr und ist für solches Entdecken intertextueller biblischer Zusammenhänge geradezu geschaffen. Durch die jeweilige Anwesenheit der „Mutter Jesu“ und die Rolle, die die „Stunde Jesu“ hier wie da darin spielt, besteht eine nahe Affinität unseres Kana-Zeichens zu der Szene des Sterbens Jesu (19,25–36). Seit der Zeit der Alten Kirche haben Interpreten deshalb versucht, den ja – ähnlich wie die Menge des Weines – unausschöpflichen symbolischen Modus der Erzählung von der Kana-Hochzeit dadurch zu realisieren, daß sie eine enge Beziehung zwischen dem kostbaren Wein von Kana und dem vergossenen Blut Jesu von Golgatha (19,34 f) wahrnahmen. Und es versteht sich von da aus nahezu von selbst, daß man in unserer Erzählung auch einen symbolischen Hinweis auf die Weingabe des Herrenmahls sah (vgl. etwa Cullmann, Urchristentum 69 f, u. Lausberg, ebd. 120). Einen instruktiven Überblick über nahezu alle derartigen Deutungen seit den Tagen der Alten Kirche bietet Smitmans. Und solange solche Interpretationen einander nicht wechselseitig ausschließen, ist gegen sie trotz ihrer Vielfalt auch nichts einzuwenden. Denn der symbolische Modus unserer Kana-Erzählung läßt es nicht zu, das Erzählte mit irgendeinem eigentlich Gemeinten unmittelbar zu identifizieren oder es gar darauf zu reduzieren. Über das Gesagte hinaus, aber an dieses gebunden und von ihm gehalten, „gibt das Symbol vielmehr zu denken“ (Ricœur, Le symbole donne à penser). Alle Auslegungen, die das verkennen und unsere Szene stattdessen als Allegorie oder Quasi-Allegorie begreifen, sind darum höchst problematisch. Das sei hier kurz am Beispiel von Lütgehetmanns „Versuch einer Neuinterpretation“ der Kanaerzählung (283–348) demonstriert: Aus Joh 2,1–11 meint der Autor allen Ernstes exegetisch begründen zu können, Jesus habe seine Herrlichkeit „nicht einfach auf einer Hochzeit, sondern durch eine Hochzeit“ offenbart (308). Denn als „aus Motiven des Dionysos-Glaubens“ entstanden könne irgendeine historische Erinnerung in der Erzählung ja „zu keinem Zeitpunkt“ eine Rolle gespielt haben. Das Lexem g›mo" sei hier vielmehr eine „entscheidende christologische Deute-Chiffre“. Denn in Kana gehe es gar nicht um irgendeine, sondern um die Hochzeit Jesu. Das werde durch das Johannes-Wort in 3,29 bestätigt. Lütgehetmann rüstet sodann das unschuldige, jedem Straßenkind geläufige Allerweltswort g‡nomai zum Begriff auf, um zwischen dem kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto von 1,14 und dem g›mo" †gfineto von 2,1 eine nicht nur formale, sondern auch sachliche Entsprechung zu postulieren. So soll endlich die Hochzeit zu Kana „als die Hochzeit Jesu die Verbindung von l∙go" und s›rx“ symbolisieren und dazu womöglich „an die antike Vorstellung vom ´erÖ" g›mo" angeknüpft haben“ (310). Die Fragwürdigkeit des Ursprungs unserer Erzählung im Dionysos-Kult, die auch Bultmann als „zweifellos“ vertritt (Komm. 83), hat u. a. Noetzel aufgewiesen. Von einem „Dionysos-Glauben“ sollte man im übrigen deswegen nicht reden, weil der Mythos den Gedanken der Jenseitigkeit Gottes so wenig kennt wie das ihm entsprechende Phänomen des Glaubens. Doch auch ganz abgesehen von der strittigen Frage der Genese unserer Erzählung versperrt sich L. durch seine unselige Reduktion des Erzählten auf die starre Alternative von „historischer Erinnerung“ oder Arsenal „christologischer Deute-Chiffren“ den Zugang zu weiten Teilen unseres Evangeliums und bringt sich damit um die fruchtbare Chance, als Drittes zwischen diesen beiden Abstraktionen das Verisimile der fiktionalen Erzählung wahrzu-
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2,9–11
nehmen. Die aber ist kein zeitloser Deuteapparat, sondern zum einen ist sie ihrerseits wiederum ein historisches Zeugnis mit seinem bestimmten Orts‑ und Zeitindex, und zum anderen erhebt sie den Anspruch, im Lichte des Osterglaubens reale Erfahrungen mit dem Menschen Jesus von Nazaret zu verdichten. Dagegen hat die lebendige Erzählung unter der Folter der Behandlung, die Lütgehetmann ihr zuteil werden läßt, all ihren narrativen Charme eingebüßt und ist zum toten Gehäuse christologischer „Deute-Chiffren“ erstarrt.
11: ta‚thn †po‡hsen ürcÉn tùn shme‡wn ¨ ûIhsoú" †n KanÅ tö" Galila‡a". Anstelle des ta‚thn †po‡hsen ürcfln (P66c. 75vid ABLN Q Y al) bzw. ta‚thn †po‡hsen tÉn ürcfln (ac u. Mehrheitstext) bieten a* P66 und zahlreiche Lateiner: ta‚thn pr„thn ürcfln ktl. In diesem tautologischen Gebilde sehen Fortna (Gospel 35 f) und Heekerens (25 f) den ursprünglichen Text des Evangelisten. Daraus konstruiert Fortna als den vermeintlichen Text seiner Semeia-Quelle: toúto prùton †po‡hsen shmeõon ¨ ûIhsoú", während Heekerens „in Analogie zu 4,54 und mit Bodmer 2 prima manu“: toúto prùton shmeõon †po‡hsen ¨ ûIhsoú", als die ursprüngliche Lesart seiner Zeichen-Quelle postuliert. Beide Autoren machen also, indem sie den Evangelisten mit der Tautologie einer pr„th ürcfl belasten, ihre fragwürdigen Quellenhypothesen zum Kriterium ihrer textkriti‑ schen Entscheidungen (vgl. Haenchen, Komm. 191). – Das, was Jesus im galiläischen Kana gewirkt hat, nennt der Erzähler in seinem kommentierenden Resümee die ürcÉ tùn shme‡wn. Das damit hier zum ersten Mal gebrauchte und, wie sich zeigen wird, für unser Evangelium höchst gewichtige Lexem shmeõon bedarf zunächst einer etwas eingehenderen Erörterung: shmeõon begegnet im NT 77mal. Abgesehen von 9 seiner Vorkommen in epistolisch-argumentativen Texten finden sich alle übrigen in den narrativen Büchern, nämlich 13 bei Mt, 7 bei Mk, 11 bei Lk, 17 bei Joh, 13 in der Apg und 7 in der Apk. Da aber der neutestamentliche Gebrauch von shmeõon vielfach ein Spiel mit alttestamentlichen Texten zu sein scheint, müssen wir auch seine reiche biblische Vorgeschichte ins Auge fassen. Zumeist als Wiedergabe des hebräischen twa, bietet die LXX über 120 Vorkommen von shmeõon. Das Wort spielt zumal in der ExodusErzählung und in Erinnerungen an sie im Deut, in Ps 105,5.27 u. ö. eine besonders prominente Rolle. Und weil hier sowohl seine Konnotationen als auch die spezifische Art seines Gebrauchs eine verblüffende Affinität zu seiner Verwendung in unserem Evangelium haben, müssen wir in gebotener Kürze darauf eingehen: Bei der Theophanie am ‚brennenden Dornbusch‘ wird Mose von Gott nach Ägypten gesandt, das versklavte Volk Israel in die Freiheit zu führen. Gott verheißt ihm: ≤somai metÅ soú, kaÑ toút∙ soi shmeõon Ωti †g„ se †xapostfillw (Ex 3,12). Doch Mose reagiert skeptisch: „Was aber, wenn sie mir nicht glauben, wenn sie nicht auf meine Stimme hören und sagen: Gott ist dir nicht erschienen?“ (Ex 4,1). Solchen Widerstand zu überwinden, wird Mose nun von Gott unterwiesen, autorisiert und mit dem wundertätigen Stab ausgerüstet zum Tun von shmeõa. Diese ‚Zeichen‘ soll er in Ägypten vor den Israeliten tun, ºna piste‚sws‡n soi Ωti ëpta‡ soi ¨ k‚rio" ¨ jeÖ" tùn patfirwn üutùn ktl. (Ex 4,5). Und sollten sie auf das ‚erste Zeichen‘ hin noch nicht glauben, so soll Mose das zweite tun: †Ån dÇ mÉ piste‚sws‡n soi mhdÇ e¢sako‚swsin tö" fwnö" toú shme‡ou pr„tou, piste‚sous‡n soi tö" fwnö" toú shme‡ou toú †sc›tou ktl. (Ex 4,8 f; wie Joh 2,11 u. 4,54 werden nur diese ersten beiden ägyptischen shmeõa ‚gezählt‘): kaÑ †po‡hsen tÅ shmeõa †nant‡on toú laoú. kaÑ †p‡steusen ¨ laÖ" kaÑ †c›rh, Ωti †skfiyato ¨ jeÖ" toÜ" u´oÜ" ûIsrafll, kaÑ Ωti eèden a§tùn tÉn jlõyin ktl. (Ex 4,30 f). Aber auch alle folgenden Zeichen, die Mose tut, und zumal die über den von Gott verstockten Pharao und sein Volk verhängten ‚ägyptischen Plagen‘ sind shmeõa kaÑ tfirata (Ex 4,21 f; vgl. Joh 4,48). Obwohl von Mose und Aaron ausdrücklich gesagt wird: †po‡hsan p›nta tÅ shmeõa kaÑ tfirata taúta †n gÔö A¢g‚ptw †nant‡on Faraw (Ex 11,10) sind sie – Mose als der ‚Gott‘ Pharaos und Aaron als ‚sein Prophet‘ (Ex 7,1) – in Wahrheit doch nur Werkzeuge in der Hand Gottes, der all diese ‚Zeichen‘ selber tut
159
2,1–11
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
(vgl. Joh 6,32: „nicht Mose gab euch das Brot aus dem Himmel, sondern mein Vater gibt euch das wahre Himmelsbrot“ und siehe unten z. St.). So erklärt Gott: „Ich selbst habe des Pharaos Herz verstockt und das seiner Diener, um diese meine shmeõa über sie kommen zu lassen, damit du deinen Kindern und Kindeskindern erzählen kannst, was ich den Ägyptern angetan und welche shmeõa ich unter ihnen gewirkt habe“ (Ex 10,1 f; vgl. 13,8; Deut 4,9; 6,20 ff u. ö.; diese Verpflichtung, noch den Kindeskindern von Gottes großen shmeõa zu erzählen, erfüllt unser Evangelist im Spiel mit jener Exodus-Tradition durch das Schreiben seines Buches: 20,30 f und 21,24 f). Nach Ex 7,5 sollen die Ägypter an Gottes shmeõa kaÑ tfirata erkennen, Ωti †g„ e¢mi k‚rio" (hwhy), und Israel sollen diese Zeichen zum Glauben an Moses Sendung und an den führen, der ihn gesandt hat, den Gott seiner Väter (Num 14,11), und an seinen Wundertaten (shmeõa) sollen sie seiner d∙xa ansichtig werden (Num 14,22; vgl. Joh 2,11). Wie Gott Mose bereits zuvor gesagt hat, erhebt in dieser Geschichte allein der verstockte Pharao die Forderung nach einem legitimierenden Zeichen: d∙te ™mõn shmeõon À tfira" (Ex 7,9). Und ihm werden dann deren mehr ‚gegeben‘, als selbst sein verhärtetes Herz ertragen kann, so daß er Moses Drängen endlich nachgeben und Israel ziehen lassen muß. Die Rede von den ägyptischen shmeõa kaÑ tfirata ist geradezu zur Chiffre für das gesamte Exodus-Geschehen geworden. Diese Zeichen und Wunder erwecken und unterhalten den Glauben der einen und sie bewirken und verstärken zugleich die Verstockung der anderen. Das zeigt ein Text wie Deut 29,1–3, der sich zugleich kritisch nach innen wendet (vgl. dazu Joh 12,37–43 und siehe unten z. St.). Wie Deut 13,2–6 ausweist, wurde das Charisma, shmeõa tun zu können, in Israel zu einem gewichtigen Kriterium und Ausweis der göttlichen Sendung eines Propheten (vgl. Bittner 24 ff) und zumal zum Signum des Deut 18,15 ff verheißenen künftigen „Propheten wie Mose“ (vgl. dazu Bittners Exkurs „Die jüdischen ‚Zeichenpropheten‘ bei Josephus“ ebd. 57–74).
Abgesehen von dem alltäglich-neutralen Gebrauch des Lexems shmeõon als Erkennungs‑ und/oder Vorzeichen von Künftigem – etwa des Wickelkindes in der Krippe als ‚Zeichen‘ für die Hirten (Lk 2,12), des Judaskusses als ‚Zeichen‘ für die Häscher Jesu (Mt 26,48) oder kosmischer Erscheinungen am Himmel als shmeõa der Nähe der Parusie (Mk 13,4.24 / Mt 24,3.29 f / Lk 21,7.11.25 ff) – verwenden die Synoptiker das Wort vornehmlich mit deutlich negativer Tönung. So erscheint shmeõon zum einen in den schon genannten und von Jesus vehement zurückgewiesenen Zeichenforderungen seiner Gegner (Mk 8,11 f / Mt 12,38–42; 16,1 ff / Lk 11,16.29 f) und zum anderen in Jesu Warnung vor Pseudo-Propheten und ‑Messiassen, die, wie die schon genannten ‚Zeichenpropheten‘ bei Josephus, unmittelbar vor dem erwarteten Eschaton auftreten und viele durch ihre shmeõa kaÑ tfirata verführen werden (Mk 13,22 / Mt 24,24). Daß die Synoptiker das Lexem shmeõon zur Bezeichnung der Wundertaten Jesu strikt vermeiden, sieht Bittner in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Umstand, daß sie nicht minder konsequent auch jede mögliche Deutung Jesu als ‚eines‘ oder gar als ‚des eschatologischen Propheten‘ ablehnen (55 f). In diesem Zusammenhang meint er auch den Grund dafür erkennen zu können, daß Jesus alle an ihn herangetragenen Forderungen von ‚Zeichen‘ abweise. Damit trete er nämlich in Wahrheit dem diese Forderungen motivierenden Ansinnen entgegen, er solle sich durch ‚Zeichen und Wunder‘ als der eschatologische „Prophet wie Mose“ erweisen und sein Volk doch endlich vom verhaßten Joch der Römer befreien. Zumal für Markus – den Zeitzeugen des großen jüdischen Aufstandes gegen Rom und der Katastrophe der Tempelzerstörung des Jahres 70 –, dem die oft schrillen messianischen Töne unter den Aufständischen kaum entgangen sein dürften (vgl. Mk 13), hat diese Erklärung fraglos einige Plausibilität. Andererseits aber darf man im Gegensatz zu Bittner die jüdische Erwartung ‚eines Propheten wie Mose‘ keinesfalls auf dessen derart politische Instrumentalisierung 160
Fünfte Szene: Das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana
2,11
reduzieren. Das zeigt sich u. a. daran, daß Lukas in erkennbar intertextuellem Spiel mit der Exoduserzählung in der Apostelgeschichte oft und durchaus positiv von den shmeõa kaÑ tfirata Gottes oder der Apostel sprechen kann, und daß er in den Reden der Kapitel 3 und 7 unter ausdrücklicher Berufung auf Deut 18,15 Jesus als den da verheißenen Propheten bezeichnen kann (Act 3,22 f u. 7,37; diesen ‚Widerspruch‘ gegen die vermeintliche ‚Intention‘ des Lukas beseitigt Bittner mit dem fragwürdigen Argument, daß der Autor hier nicht Herr geworden sei über das Eigengewicht seiner mutmaßlichen ‚Quellen‘). – Eine fast schon johanneisch anmutende Ausnahme im Sprachgebrauch der Synoptiker ist das Wort des greisen Symeon bei Jesu Darstellung im Tempel: ¢doÜ oñto" keõtai e¢" ptùsin kaÑ ün›stasin pollùn †n tù ûIsraÉl kaÑ e¢" shmeõon üntileg∙menon ktl. (Lk 2,34). Auch wenn das Motiv der Offenbarung der d∙xa Jesu durch diese ürcÉ tùn shme‡wn im galiläischen Kana wohl als Wiederaufnahme der Wendung kaÑ †jeas›meja tÉn d∙xan a§toú aus dem Prolog und damit als Indiz für den von da an die Darstellung bestimmenden Sinai-Screen (Olsson) begriffen sein will, haben wir in den eben genannten Exodustexten doch alle Motive aus unserem Vers 2,11 beieinander. Hier wie da ist vom poieõn shmeõa und vom Glauben an Mose bzw. an Jesus als die von Gott Gesandten die Rede (vgl. das p∙jen in 2,9). Sachlich dürfte der Offenbarung der d∙xa Jesu die Aussage entsprechen: †p‡steusen ¨ laÖ" kaÑ †c›rh, Ωti †peskfiyato ¨ jeÖ" toÜ" u´oÜ" ûIsrafll, kaÑ Ωti eèden a§tùn tÉn jlõyin (Ex 4,31). Und wenn auch nicht als ürcÉ tùn shme‡wn und als de‚teron shmeõon (Joh 4,54), sondern als prùton und ≤scaton shmeõon (Ex 4,8) bezeichnet, fehlt in der Exoduserzählung selbst die vielerörterte Zählung der ersten beiden shmeõa – und nur dieser! – nicht. Daß möglicherweise in Jesu „Bewahren des guten Weines bis auf seine Stunde“ ein Spiel mit der Vorschrift über das Passalamm steckt, haben wir im Anschluß an Lausberg oben bereits erwogen. Bedenken wir endlich, daß Johannes (der Täufer) mit seinem solennen Negativ-Bekenntnis, daß er weder der Christus, noch Elia, noch auch „der Prophet“ („wie Mose“ nach Deut 18,15.18) sei, implizit zugleich auf Jesus verwiesen und von ihm damit zugleich gesagt hatte, der allein sei der Messias, Elia und ‚der Prophet‘ in einem und doch mehr als jene, so gewinnt diese Exodus‑Mose-Typologie noch zusätzliches Gewicht. Durch ihre Einleitung: „Und er kam wiederum nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte“ (4,46), sowie durch ihr Resümee des Erzählers: toúto dÇ p›lin de‚teron shmeõon †po‡hsen ¨ ûIhsoú" †lján †k tö" ûIouda‡a" e¢" tÉn Galila‡an (4,54), das Joh 2,11 sehr ähnlich ist, ist die zweite, detailliert erzählte, Wundergeschichte unseres Evangeliums aufs Engste mit Joh 2,1–11 verknüpft. Ein zusätzliches Band zwischen den beiden Erzählungen ist das aus der erörterten Exodus-Tradition geläufige Hendiadyoin shmeõa kaÑ tfirata in dem Satz: †Ån mÉ shmeõa kaÑ tfirata ¥dhte, o§ mÉ piste‚shte (4,48). Über die Funktion dieses Satzes in seinem Kontext ist unten z. St. zu handeln. Jedenfalls aber ist auch vor dieser Klärung ja schon soviel deutlich: Wie in der Begegnung Moses mit seinem Volk im Sklavenhaus Ägyptens die Israeliten ihm auf seine Zeichen hin seine göttliche Sendung glaubten, so führen auch in den beiden Kana-Erzählungen Jesu Zeichen dazu, daß hier „seine Jünger“ und da „der königliche Beamte mit seinem ganzen Haus“ (4,53) an ihn glaubten.
161
2,12
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
Sechste Szene: Von Kana nach Kapharnaum (2,12) 12
Nach diesen Begebenheiten zog er hinab nach Kapharnaum, er selbst mit seiner Mutter und mit seinen Brüdern sowie mit seinen Jüngern. Und dort blieben sie einige Tage. Auch wenn Jesus hier nicht erneut nominal, sondern nur durch das Pronomen a§t∙" eingeführt wird, behandeln wir diesen knappen Vers als eine Szene eigenen Rechts. Denn die vorausgegangene Hochzeits-Episode hatte ja mit V. 11 ebenso ihren förmlichen Abschluß gefunden, wie die dann folgende Szene im Jerusalemer Tempel deutlich durch V. 13 eröffnet wird. Bei aller Anerkennung der Brückenfunktion von V. 12 sprechen für seine relative Selbständigkeit auch der Abschluß des bislang leitenden Tages-Schemas durch die Wendung o§ pollÅ" ™mfira", der Ortswechsel von Kana nach Kapharnaum und endlich die Neueinführung „der Brüder Jesu“ in die Erzählung. War das eher unbekannte Kana in 2,1 u. 11 noch deutlich durch tö" Galila‡a" näher bestimmt, so setzt der Erzähler nun bei der Nennung Kapharnaums offenbar voraus, daß seine Leser über die enge Beziehung Jesu zu diesem Ort am See Genezaret im Bilde sind. (Im NT nennt nur Joh den See nach dem 26/27 n. Chr. von Antipas zu Ehren des Tiberius gegründeten Tiberias die j›lassa [tö" Galila‡a"] tö" Tiberi›do": 6,1 u. 21,1). Obgleich nach V. 12 zusammen mit „seiner Mutter“ auch die „Brüder Jesu“ bei der Kana-Hochzeit zugegen gewesen sein müssen, führt der Erzähler sie nachträglich erst hier, und, wie der Artikel o´ üdelfoÑ a§toú zeigt, als bekannte Größe, in sein Evangelium ein. Wenn sie dann unter der so eingeführten Bezeichnung erneut in Joh 7,2 ff erscheinen, wo ihr Verhältnis zu Jesus mit den Worten: o§dÇ gÅr o´ üdelfoÑ a§toú †p‡steuon e¢" a§t∙n (7,5), kommentiert wird, bestätigt ihre Rolle die schon durch den befremdlichen Dialog Jesu mit „seiner Mutter“ (2,2 f) nahelegte Vermutung, daß wir hier ein Spiel mit Mk 3,31–35 parr. vor uns haben könnten (s. o.). Zudem setzt die nahezu selbstverständliche Anwesenheit der Mutter und der Brüder Jesu in Ka pharnaum möglicherweise voraus, daß die Leser den Ort als Jesu kato‡khsi" aufgrund der redaktionellen Notiz von Mt 4,13 ff kennen. Olsson sieht auch in der Wendung o§ pollÅ" ™mfira" einen Hinweis auf den von ihm aufgewiesenen Sinai screen: „There is reason … to see also 2,12–22 as a part of the material inserted under the Sinai screen. It would then stand for the seventh and eight(h) days, Ex 24. The shifts in the material at John’s disposal were so great that he could only link the events with the vague o§ pollÅ" ™mfira". Several of the themes in Ex 24 and Jn 2:12–22 go together: sacrifice to atone for the sins of the people, the blood of the covenant, Jesus’ death, God’s shekinah, the eighth day as the day of resurrection etc.“ (Structure 105).
Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘ (2,13–22) 13
Und es war nahe das Passafest der Juden; und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. 14 Und im Tempel fand er Verkäufer von Ochsen, Schafen und Tauben sowie die Geldwechsler vor, die dort saßen. 15 Und er machte sich aus Stricken eine Peitsche und trieb alle aus dem Tempel(bezirk) hinaus, die Schafe 162
Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘
2,13
ebenso wie die Ochsen. Die Münzen der Wechsler aber schüttete er aus und stürzte ihre Tische um. 16 Und zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg! Und macht doch meines Vaters Haus nicht zum Kaufhaus! 17 Seine Jünger erinnerten sich, daß geschrieben steht: Der Eifer um dein Haus wird mich verzehren. 18 Da entgegneten die Juden: Was für ein Zeichen kannst du uns vorweisen, daß du derartiges tust? 19 Jesus erwiderte und sagte ihnen: Brecht doch diesen Tempel ab, dann will ich ihn binnen dreier Tage wieder errichten. 20 Die Juden sagten aber: Sechsundvierzig lange Jahre wurde an diesem Tempel gebaut, und da willst du ihn binnen dreier Tage neu errichten? 21 Er hatte jedoch vom Tempel seines Leibes gesprochen. 22 Erst als er dann von den Toten auferstanden war, erinnerten sich seine Jünger, daß er dies (damals) gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte. Auch wenn wir die Frage nach möglichen und materiell aufweisbaren intertextuellen Bezügen dieser Szene zu den einschlägigen synoptischen Texten hier zunächst noch offen lassen, zeigt doch schon ein flüchtiger Vergleich das spezifische Profil unserer Passage. Während die Synoptiker ihre Erzählung des Weges Jesu mit seinem triumphalen „Einzug in Jerusalem“ und mit seiner „Tempelreinigung“ beschließen (Mk 11,15 ff parr), dient eben diese dramatische Szene der Tempelreinigung Joh zur Eröffnung des Wirkens Jesu unter den Juden als „den Seinen“ (1,11): Zu „ihrem“ Passa-Fest zieht Jesus mit seinen Jüngern hinauf nach Jerusalem in seine ¢d‡a patr‡" (s. u. zu 4,44) und begibt sich zum Tempel. Doch weil er dieses „Haus seines Vaters“ (o¥ko" toú patr∙" mou 2,16) von Opfertier-Händlern und Geldwechslern in Besitz genommen und so zu einem o¥ko" †mpor‡ou heruntergekommen „findet“, macht er sich an seine „Reinigung“. Zudem erscheint hier bei Joh zu Anfang seines Evangeliums zu einer einzigen Szene verschmolzen, was die Synoptiker in getrennten Zusammenhängen überliefern. Nämlich einmal die Frage der für den Tempel Verantwortlichen nach der Vollmacht Jesu für seine Aktion, zum anderen ihre Forderung eines sein Tun legitimierenden „Zeichens vom Himmel“ und endlich Jesu Rätselwort von Zerstörung und Wiedererrichtung des Tempels. Einer seiner literarischen Gepflogenheiten folgend (vgl. dazu Neirynck, Duality pass.) hat Markus die Erzählung von der Tempelreinigung (11,15–19) durch die entsprechend geteilte Szene von der Verfluchung des unfruchtbaren Feigenbaums (11,12–14) und seinem Verdorrtsein bis in die Wurzel am folgenden Tag (11,20 f) gerahmt, so daß Rahmen und Gerahmtes einander nun wechselseitig beleuchten. Wie der Weinberg des folgenden Gleichnisses (12,1–12) wird dadurch auch der Feigenbaum zum Symbol Israels. Durch diese Rahmung bedingt, jedoch fraglos auf Jesu spektakuläre Tempelreinigung bezogen, folgt nun die Frage der für den Tempel Verantwortlichen „Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten“ nach Jesu Vollmacht für seine Aktion im Tempel erst am folgenden Tag: †n p∙ua †xous‡a tôuta poieõ"; À t‡" soi ≤dwken tÉn †xous‡an ta‚thn ºna taúta poiÔö"; (11,27 f; vgl. Dodd, Tradition 160 f). Die Frage nach Jesu Vollmacht erscheint bei Joh in der Gestalt der Forderung eines Zeichens (vom Himmel) zur Legitimation seines Tuns. Doch anders als in Mk 8,11 f weist Jesus diese Forderung nicht einfach ab, sondern geht mit seinem rätselhaften Tempelwort in ähnlicher Weise auf sie ein wie Mt 12,38 f (s. u.). Das Tempelwort 163
2,13–22
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
selbst endlich begegnet in der synoptischen Überlieferung erst im Prozeß Jesu vor dem Synhedrion als das falsche Zeugnis von Leuten (†yeudomart‚roun), die gegen Jesus vorbringen, er habe behauptet: †gá katal‚sw tÖn naÖn toúton tÖn ceiropo‡hton kaÑ diÅ triùn ™merùn ±llon üceiropo‡hton o¢kodomflsw (Mk 14,58); Mt läßt dagegen zwei Zeugen erklären, Jesus habe gesagt: d‚namai katalúsai tÖn naÖn toú jeoú kaÑ diÅ triùn ™merùn o¢kodomösai: 26,61. Bei Lukas fehlt das Tempelwort im Prozeß Jesu und erscheint dafür als Anklage gegen Stephanus: ükhk∙amen gÅr a§toú lfigonto" Ωti ¨ ûIhsoú" ¨ Nazwraõo" oñto" katalúsai tÖn t∙pon toúton kaÑ üll›xei tÅ ≤jh ktl. (Act 6,14). Eine Variante des Tempelworts erklingt ferner aus dem Munde derer, die den Gekreuzigten verspotten: „Ach, der du den Tempel zerstörst und binnen dreier Tage wieder errichtest, rette dich doch selbst und steige herab vom Kreuz!“ (Mk 15,29 / Mt 27,40). Endlich findet sich – hier wohl schon überschattet von der zeitgenössischen Erfahrung der tatsächlichen Tempelzerstörung durch die römischen Legionen – eine Variante von Jesu Tempelwort in Mk 13,1 f parr. Mit Theißen/Merz wird man dazu wohl sagen müssen: „Eine Prophetie, die nachweisbar so viele Verlegenheiten und Schwierigkeiten schuf, ist nicht erst nachträglich Jesus in den Mund gelegt worden. Sie paßt gut in den zeitgeschichtlichen Rahmen“ (381; vgl. Dodd, Tradition 235 f). Schon dieser flüchtige Überblick zeigt, daß – abgesehen von dem jeweils grundsätzlich anderen Ort der Tempelreinigungs-Episode im Aufriß der Erzählung der Geschichte Jesu – alle Elemente unserer Szene, wenn auch ihr gegenüber in merkwürdiger ‚Zerstreuung‘, bereits in den synoptischen Evangelien begegnen. Darum stellt sich die Frage, ob Joh auch hier dergestalt mit den Texten seiner Vorgänger spielt, daß er die bei ihnen verstreuten Glieder zu einem geschlossenen Corpus zusammenfügt, oder ob er hier womöglich einer grundsätzlich anderen Überlieferung und/oder Quelle folgt. Lindars (Komm. 50 u. 135–137), dem Ashton darin folgt (Understanding 199 ff), will das Problem mit Hilfe seiner Theorie einer „second edition“ unseres Evangeliums lösen. Danach soll in der imaginären „ersten Auflage des Evangeliums“ neben dem Prolog und dem sechsten Kapitel vor allem das „Lazarus-Material“ (Joh 11,1–46 und 12,9–11) noch gefehlt haben. Zu dessen Einfügung erklärt Lindars: „This not only breaks the connection between chapters 10 and 12, but also has led John to make further rearrangements for the second edition. It will be argued in this commentary that in his original edition he had an order of events closer to that of the Synoptics, comprising the Triumphal Entry (12,12–19), the Cleansing of the Temple (2,13–22), the Priests’ plot (11,47–53), and the Anointing at Bethany (12,1–8). John has removed the Cleansing to chapter 2 in order to make the raising of Lazarus the prime motiv for the Priests’ plot, and brought the Anointing into correlation with the Lazarus material. Originally it had a more obvious connection with the Last Supper (chapter 13)“ (Komm. 50). – Sofern auch nach ihm der vierte Evangelist sein eigenes Werk später (sogar mehrfach!) umgestaltet haben soll, bildet das von Wilkens konstruierte „Grundevangelium“ eine gewisse Analogie zu Lindars’ „first“ oder „original edition“. Den „Ersten Hauptteil“ dieses ‚Grundevangeliums‘ überschreibt Wilkens mit „Die Zeichen Jesu“. Den dann folgenden „Zweiten Hauptteil“ läßt er mit der Tempelreinigung einsetzen und stellt ihn in Anknüpfung an Jesu Tempelwort als Antwort auf die „Zeichenfrage“ der Juden unter die Überschrift: „Das Zeichen Jesu“ (67 ff). Ähnlich wie bei Lindars soll unsere Tempel-Szene also auch nach Wilkens erst bei der endgültigen „Umgestaltung“ des inzwischen „durch Redepartien“ ausgebauten Werkes zum „Passionsevangelium“ (123 ff) an den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu versetzt worden sein. – Auch Fortna läßt den Evangelisten die in seiner „Pre-Johannine source“ noch der Eröffnung der Passions-Erzählung dienende TempelreinigungsEpisode erst im Zuge des „theological development from source to present gospel“ an ihren gegenwärtigen Ort versetzen.
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Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘
2,13
Doch alle derartigen Konstruktionen, sei es einer „first edition“ (Lindars), sei es eines „Grund evangeliums“ (Wilkens), oder sei es eines „Zeichenevangeliums“ als „predecessor“ des Joh (Fortna), liegen und leiden im gleichen Spital. Weil nämlich zum einen keiner der Erfinder dieser ‚Problemlösungen‘ ohne die Kenntnis des literarischen Aufrisses der synoptischen Evangelien je auf solche Gedanken gekommen wäre, bieten sie allesamt anstelle einer Lösung des Problems nur dessen Verschiebung auf eine frühere Stufe im vermeintlichen ‚development‘ des Evangeliums. Damit steht dann aber nicht mehr das doch immerhin an gegebenen Texten überprüfbare Verhältnis des Joh zu den synoptischen Evangelien zur Debatte, sondern dessen schlechterdings unüberprüfbare Relation zu seinem imaginären ‚Vorläufer‘. Und der beliebte Ausweg in die sogenannte „mündliche Tradition“ ist uns dabei insofern versperrt, als wir seit K.-L. Schmidts Untersuchung des „Rahmens der Geschichte Jesu“ wissen, daß der Ort von Tempelreinigung und Tempelwort im Aufriß der Evangelien das auktoriale Werk ihrer Verfasser ist. Daher bleiben alle derartigen Hypothesen über die mutmaßliche Vorgeschichte unseres Evangeliums ohne erkennbaren Nutzen für die Interpretation seines überlieferten Textes. Denn zum anderen vermag Lindars’ Vorschlag ja auch nur zu erklären, warum die Tempelreinigung an ihrem „ursprünglichen“ Ort nach der Einfügung des „Lazarus-Materials“ obsolet geworden ist, nicht aber, warum sie – sei es nun den Synoptikern oder sei es der mutmaßlichen „first edition“ gegenüber – an ihren jetzigen Ort versetzt wurde und was diese Versetzung für die Interpretation der Szene selbst und des gesamten folgenden Evangeliums bedeutet. Daß Joh die Tempelreinigung samt dem Tempelwort absichtsvoll an ihren jetzigen Ort gerückt habe, um sie so weit wie irgend möglich vom Prozeß Jesu zu trennen und damit auch jeden Schimmer eines politisch-revolutionären Verständnisses der Messianität Jesu auszuschließen, sieht E. Stegemann (Tempelreinigung 509 ff) wohl ganz richtig. Und doch bleibt auch diese Erklärung insofern noch defizitär, als sie nichts Positives über die Funktion der Szene an ihrem überlieferten Ort zu sagen vermag. Denn Joh hat ja nicht etwa nur die Tempelreinigung mit dem brisanten Tempelwort und den eigentlichen Prozeß gegen Jesus voneinander getrennt, sondern zugleich damit auch diesen Prozeß selbst entscheidend modifiziert. Indem er die synoptische Szene von Verhör und Verurteilung Jesu durch das Synhedrion an ihrer Stelle eliminiert, hat er die miteinander konkurrierenden Verhandlungen vor dem Synhedrion als der Vertretung der Juden einerseits und vor Pilatus als dem Vertreter des Imperiums andererseits entflochten. Während dadurch im Zentrum der traditionellen Passionsgeschichte nun nur noch der dramatische Prozeß Jesu vor Pilatus steht (Joh 18,29–19,22), ist das Gerichtsgeschehen zwischen Jesus und den Juden zur bestimmenden Mitte des gesamten Evangeliums geworden, das unter diesem Aspekt nach Harveys Vorschlag tatsächlich als eine Art Prozeßprotokoll unter der Überschrift „Jesus on Trial“ gelesen sein will (vgl. Preiss, Rechtfertigung u. McHugh 135 ff). Dieser alles bestimmende Prozeß, in dem die Ankläger zu Angeklagten werden und der Angeklagte als der verborgene Weltenrichter erscheint, wird nun aber auch und gerade bei Joh durch die Szene der Tempelreinigung eröffnet. Das Gericht beginnt beim „Hause Gottes“, und im Anschluß an das Zeugnis des von Gott eigens dazu gesandten Mannes Johannes (1,19 ff) und seit der KanaHochzeit inmitten seiner an ihn glaubenden Jünger (2,11) erscheint der basileÜ" toú ûIsrafll unvermittelt im „Hause seines Vaters“; vgl. Mal 3,1: ¢doÜ †gá †xapostfillw tÖn ±ggel∙n mou, kaÑ †piblfiyetai ¨dÖn prÖ pros„pou mou, kaÑ †xa‡fnh" ªxei e¢" tÖn naÖn ©autoú k‚rio", ≈n ™meõ" zhteõte ktl. (vgl. Derrett, Lost Sheep 54). Und auf die Aufsehen erregende Kunde von der Auferweckung des Lazarus hin gipfelt der derart eröffnete Prozeß in dem unter Vorsitz und Wortführung des Hohenpriesters Kaiaphas – in Abwesenheit des Angeklagten und insofern im Widerspruch zur Tora – vom Synhedrium gefällten Todesurteil gegen Jesus (11,46–53). Deshalb erinnert bei Joh nur noch der Satz: üpfisteilen oên a§tÖn (sc. ûIhsoún) ¨ ∏Anna" dedemfinon prÖ" Ka›fan tÖn ürcierfia (18,24) an die synoptische Gerichtsverhandlung des Synhedrions, während an deren Stelle ein auf die Phasen dieses Prozesses zurückweisender Dialog zwischen Jesus und Hannas getreten ist (18,13.19 ff); Hannas aber ist nicht der Hohepriester, sondern dessen Schwiegervater und die graue Eminenz der Tempelaristokratie.
Wie schon in der vorausgegangenen Kana-Szene die sechs Steingefäße durch die Wendung katÅ tÖn kajarismÖn tùn ûIouda‡wn näher bestimmt waren (2,6), so ist jetzt 165
2,13–22
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
die Rede vom p›sca tùn ûIouda‡wn. Und wie bereits diejenigen, die aus Jerusalem eine Delegation zum ‚Verhör‘ des Johannes gesandt hatten, als o´ ûIoudaõoi bezeichnet worden waren (1,19), so heißen jetzt die, die Jesus nach seiner Legitimation zu seiner Tempel-Aktion befragen: o´ ûIoudaõoi (2,18–20). Dieser so zur Bezeichnung des Volkes und der Gegner Jesu sowie zur Bestimmung ihrer Riten und Feste durch den Genitiv tùn ûIouda‡wn eingeführte Plural o´ ûIoudaõoi findet sich bei Joh mit insgesamt 67 Vorkommen auffallend häufig. Von der Quantität her vergleichbar ist damit nur die Apostelgeschichte mit achtzig Belegen. Doch im Blick auf die den größten Teil dieses Werkes bestimmende Diaspora-Situation werden hier, wie in den 26 Belegen der Paulusbriefe, mit ûIoudaõo" / ûIoudaõoi fast stets Juden im Unterschied zu Heiden bezeichnet. Abgesehen von dem Gegenüber der semijüdischen Samaritaner und der am Jerusalemer Heiligtum orientierten Juden (Joh 4,9.20 ff) sowie des Römers Pilatus und der Juden Jerusalems, die auf Jesu Verurteilung drängen (18,31.35.38; 19,7.12.14), fehlt gerade dieser Sprachgebrauch aber bei Johannes. Denn der Zugang von Heiden zur Herde des Guten Hirten liegt jenseits der erzählten Zeit des Evangeliums, und diese Frucht kann und wird erst reifen, nachdem „der Sohn des Menschen verherrlicht … und das Weizenkorn in die Erde gefallen und erstorben ist“ (12,23 f). Wie jedes andere Lexem auch – es sei denn, es handele sich um einen terminus tech‑ nicus – wird das Wort ûIoudaõo" durch seinen jeweiligen Kontext definiert und es haftet ihm nicht etwa von Haus aus irgendeine „eigentliche Bedeutung“ an. Darum muß über seinen Sinn und seine möglichen Referenzobjekte von Fall zu Fall entschieden werden. Zugleich gilt es dabei zu bedenken, daß die ûIoudaõoi unseres Evangeliums ebenso wie dessen jüdischer Protagonist und seine jüdischen Jünger zunächst fiktionale Figuren einer poetischen Textwelt sind. Darum dürfen die Urteile des erzählten Protagonisten und seines Erzählers über diese erzählten Juden und ihr erzähltes Verhalten nicht un‑ vermittelt zu Aussagen über alle wirklichen Juden von Fleisch und Blut oder gar über das „Wesen“ des jüdischen Volkes generalisiert werden. Gleichwohl darf natürlich die hier angemahnte notwendige Unterscheidung zwischen der Denotation des Plurals o´ ûIoudaõoi auf der Textebene und seinen Konnotationen in der sozialen Enzyklopädie seiner Zeit nicht zur Trennung beider Fragestellungen und dazu führen, die Frage nach der Relation dieser erzählten „Juden“ zu realen Juden, sei es in der erzählten Zeit Jesu oder sei es in der Zeit und Welt unserer Erzählung, gar nicht mehr zu stellen (vgl. Ashton, Understanding 133). Die Diskussion der Rede unseres Evangeliums von den ûIoudaõoi ist sehr umfangreich und höchst kontrovers. Sie reicht von Bultmanns einflußreicher Bestimmung ‚der Juden‘ als der „Vertreter des Unglaubens und … der ungläubigen ‚Welt‘ überhaupt“, die er durch den problematischen Satz: „Die ûIoudaõoi sind eben das jüdische Volk nicht in seinem empirischen Bestande, sondern in seinem Wesen“ (Komm. 59) erläutert, über die einfache geographische Identifikation „der Juden“ mit den Einwohnern Judäas (Lowe u. a.) oder mit der jüdischen Führungsschicht (Leistner, von Wahlde) bis hin zur Inkriminierung des gesamten, derart pauschal von „den Juden“ redenden Evangeliums als der „Wurzel des Antisemitismus in der christlichen Tradition“ (Ruether 112; Brumlik, Johannes – Das judenfeindliche Evangelium). 13: kaÑ †ggÜ" én tÖ p›sca tùn ûIouda‡wn, kaÑ ünfibh e¢" ûIeros∙luma ¨ ûIhsoú". Wohl dürfte Becker (Komm. I, 145) darin zuzustimmen sein, daß die im Gegensatz zu dem einen (Todes-)Passa Jesu, von dem die Synoptiker erzählen, in unserem Evangelium genannten drei Passafeste, nämlich 2,13.23; 6,4 und 11,55, ebenso wie die übrigen 166
Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘
2,13
Reisen Jesu zu den „Festen der Juden“ nach Jerusalem (5,1; 7,2) der gestaltenden Feder des Evangelisten und nicht älteren, möglicherweise historisch zuverlässigeren Traditionen oder Quellen entstammen. Da aber im Zentrum jedes dieser drei Passafeste das heilvolle Sterben und Auferstehen Jesu steht (s. u. zu 2,19–22; 6,51 ff und 19,31 ff), handelt es sich wohl eher um die variationenreiche Bearbeitung des einen synoptischen Passamahles Jesu und damit um ein Kompositionsprinzip unseres Evangeliums (vgl. Wilkens, Entstehungsgeschichte 9–25) als darum, so für den „Zeitraum des öffentlichen Wirkens Jesu eine Spanne von mehr als drei Jahren“ zu gewinnen (Becker ebd.; abgesehen davon, daß für eine „Spanne von mehr als drei Jahren“ ja vier und nicht drei Passafeste genannt sein müßten). Das gilt natürlich erst recht, wenn nicht nur der Erzähler unseres Evangeliums dessen drei synoptische Vorgänger kennt, sondern wenn er diese Kenntnis auch bei seinem idealen (oder impliziten) Leser voraus‑ und diesen damit in die Lage versetzt, an seinem Spiel mit deren Texten teilzuhaben. Beckers aus dem Klischee der gängigen Exegese der Synoptiker und ihrer historistischen Fragestellung gewonnenes apodiktisches Urteil: „Direkte Abhängigkeit von einem der Synoptiker ist für Joh auszuschließen“ (ebd. 144), verschließt sich dem Gedanken der Intertextualität, der u. E. auch für die Auslegung der synoptischen Evangelien noch fruchtbar zu machen wäre. Dabei mag Becker noch insofern Recht haben, als unter dem Gesichtspunkt des intertextuellen Spiels von Texten mit ihren Vortexten die Kategorie „direkter Abhängigkeit“ in der Tat als unangemessen „auszuschließen“ ist. Wie aus V. 17 hervorgeht, sind Jesu Jünger, seit sein Ruf ükolo‚jei moi an Philippus (1,43) und seine Verheißung: µyesje tÖn o§ranÖn ünewg∙ta kaÑ toÜ" üggfilou" toú jeoú ünaba‡nonta" kaÑ kataba‡nonta" †pÑ tÖn u´Ön toú ünjr„pou (1,51) an sie alle erging, so selbstverständlich seine ständigen Begleiter, daß das in dem unsere neue Szene einleitenden V. 13 gar nicht mehr eigens gesagt zu werden braucht. Wegen des nahen Passafestes, und das kann ja wohl nur heißen: zu dessen Feier, zieht Jesus (mit seinen Jüngern) „hinauf “ nach Jerusalem. Daß es sich dabei tatsächlich um eine Pilger-Reise zum nahen Fest handelt, legt zudem der Gebrauch des Lexems ünaba‡nw nahe. Denn auch wenn der Weg von Galiläa nach Jerusalem ins höher gelegene Bergland Judäas und insofern tatsächlich „hinauf “ führt, spielt die geographische Lage Jerusalems hier womöglich gar keine Rolle, weil das Verb ünaba‡nw schon nahezu zum terminus technicus für den Pilgerweg auf den Gottesberg Zion geworden ist (vgl. Barrett, Komm. 219). Auch wenn unser Evangelist am Ende des ersten Jahrhunderts natürlich nicht beabsichtigt haben kann, eine kritische Historie Jesu im neuzeitlichen Sinn zu verfassen, ist ihm doch gleichwohl sehr viel an dem Verisimile seiner fiktionalen Jesuserzählung gelegen. Darum sollte man sein Evangelium auch nicht unreflektiert als den unmittelbaren Spiegel der Situation und der Einstellungen einer vermeintlichen „johanneischen Gemeinde“ lesen und bedenken, daß der Jesus, von dem hier erzählt wird, vor der Zerstörung des Tempels und dem gewaltsamen Ende seines Kultes lebt. Er betrachtet das Jerusalemer Heiligtum als das „Haus seines Vaters“ und „verzehrt sich“ für dessen Reinigung und Reinheit ganz buchstäblich (2,16 f; vgl. Lk 2,49, wo Jesu entsprechendes Wort übrigens auch bei Gelegenheit eines Jerusalemer Passafestes fällt). Als frommer und toratreuer Jude besucht er den Tempel zu den großen Pilgerfesten seines Volkes. Zwar ist – wie Becker richtig bemerkt – in der Tat nirgends ausdrücklich gesagt, geschweige denn erzählt, daß und wie Jesus und seine Jünger die jüdischen Pilgerfeste mitfeierten. Doch diese Leerstelle darf keinesfalls als argumentum e silentio dafür 167
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Erster Akt des historischen Dramas Jesu
herhalten, hier eine Distanz Jesu zu Tempel und Tempelkult sowie zur Tora und zum jüdischen Festkalender zu konstruieren und Jesus die Tempelfeste nur als willkommene Gelegenheit der Auseinandersetzung mit „den Juden benutzen“ zu lassen (so Becker, Komm. I, 145 f; vgl. Haenchen, Komm. 198). Beide Autoren sehen – wie übrigens viele andere auch – im Evangelium und selbst im Reden und Verhalten seines jüdischen Protagonisten allzu vordergründig nur das spätere und feindliche Verhältnis der von der Synagoge getrennten vornehmlich heidenchristlichen Kirche zum Judentum und zu dessen im Jahre 70 mit der Tempelzerstörung untergegangenem Opferkult reflektiert. Dabei gerät ihnen der fromme und toratreue Jude Jesus, der mit seinem Volk so leidenschaftlich um das gemeinsame und für beide Seiten natürlich absolut verbindliche heilige Erbe streitet, fast zu einem antijudaistischen Christen. Anders als wir bezieht Becker die häufige Wendung o´ ûIoudaõoi nicht auf die jeweils erzählten Akteure der Geschichte Jesu, sondern auf die extratextuale Größe des empirischen Judentums. In der Rede von den „Festen der Juden“ oder von „ihrem Gesetz“ will er deutliche Zeichen der Distanzierung von diesem ‚Judentum‘ erkennen (vgl. dagegen aber Augenstein, „Euer Gesetz“; u. ders., Jesus und das Gesetz). Den auf der Erzählebene doch verheißenden und über die erzählte Zeit hinausweisenden Charakter von Jesu Wort an die Samaritanerin: p‡steufi moi, g‚nai, Ωti ≤rcetai øra Ωte o∂te †n tù µrei to‚tw o∂te †n ûIerosol‚moi" proskunflsate tù patr‡ (4,21), beachtet er nicht und meint, im Licht von Joh 4,20 ff werde in der Szene der Tempelreinigung „das Selbstverständnis der joh Gemeinde wider-(gespiegelt), die so weit in Distanz vom Judentum lebt, daß sie von ‚den Juden‘ als der feindlichen Gegenseite der Offenbarung spricht und auch mit dem jüdischen Festkalender nichts mehr im Sinn hat“ (ebd.). Solche durch spätere „interpretative communities“ (St. Fish) autorisierte Art der Lektüre dürfte jedoch schwerlich der intentio operis entsprechen. „The narrator’s main purpose is to set what follows within a Jewish world and a Jewish feast“ (Moloney, Reading John 439; vgl. auch F. Hahn, Juden 431 f, und Whitacre 27 ff). 14: kaÑ eñren †n tù ´erù toÜ" pwloúnta" b∙a" kaÑ pr∙bata kaÑ peristerÅ" kaÑ toÜ" kermatistÅ" kajhmfinou". Mögen sich die hier genannten Geschäfte auch im sogenannten „Vorhof der Heiden“ abgespielt haben, so darf man das jedoch keinesfalls an den gebrauchten Lexemen festmachen wollen wie Brown, der erklärt: „The hieron means the outer court of the Temple, the Court of the Gentiles. The Temple proper, the building or sanctuary (naos), is mentioned in vss. 19–21“ (Komm. I, 115). Denn dagegen zeigen die zahlreichen Belege bei W. Bauer (WB s. v.), daß tÖ ´er∙n ebenso wie ¨ na∙" in den meisten Fällen den gesamten Tempelbezirk einschließlich des eigentlichen Heiligtums bezeichnet. Joh folgt diesem üblichen Sprachgebrauch, wenn er Jesus das zunächst genannte ´er∙n in V. 16 als ¨ oèko" toú patr∙" mou identifizieren läßt und es in V. 19 ff endlich ¨ na∙" nennt. Überhaupt ist das Wechselspiel mit semantisch identischen Synonyma geradezu ein Stilmerkmal seines Evangeliums. So ersetzt Johannes etwa das seltene Lexem kermatistfl" – wohl von kermat‡zw abgeleitet und sonst nur in einem Papyrus der Universität Gießen belegt – im folgenden Vers 15 durch das synoptische kollubistfl" und vermeidet so das harte Zusammenstoßen von kermatistfl" mit kfirma. Als derart stilistische Variationen, und keinesfalls als Lizenzen für literarkritische Operationen, wird man auch den Wechsel von ploõon und ploi›rion in 6,17 ff oder den von ügapôn und fileõn in 21,15 ff zu begreifen haben. Das muß auch für den Wechsel zwischen ´er∙n am Anfang und na∙" am Ende unserer Szene gelten. Denn 168
Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘
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ohne diese semantische Synonymität der beiden Lexeme verlöre das Mißverständnis der nach einem legitimierenden Zeichen für Jesu Tempelreinigung fragenden Juden in der Tat seinen Witz (vgl. Moloney, Reading John 440 u. 444). Unser Erzähler unterscheidet also gerade nicht zwischen einem „outer court“ und „the Temple proper“. Sein Protagonist nennt vielmehr den gesamten Tempelbezirk unterschiedslos das „Haus meines Vaters“ und na∙", und allein auf dieser Unteilbarkeit des Heiligtums beruht seine Vertreibung der Händler und Wechsler. Der unsere Szene einleitende Aorist eñren bezeichnet natürlich etwas wider Erwarten Vorgefundenes, etwas, das mit der Heiligkeit des Ortes kontrastiert, und nicht das Auffinden von etwas Gesuchtem oder Gewohntem. Dabei nennt nur Joh im Unterschied zur synoptischen Erzählung neben den im Tempel(vorhof) verkauften Tauben (peristfira") – wohl ad vocem des bevorstehenden Passafestes und der dazu notwendigen Lämmer, die im Tempel geschlachtet wurden (vgl. Safrai 220 ff) – auch „Ochsen und Schafe“ (b∙a" kaÑ pr∙bata) als dort feilgebotene Opfertiere. Die meisten Exegeten nehmen die Anwesenheit solcher Groß‑ wie Kleinviehhändler samt ihren Tieren sowie diejenige der Taubenverkäufer und Geldwechsler im Tempelvorhof als selbstverständlich hin und behaupten, sie sei für das ordnungsgemäße Funktionieren des Kultbetriebes auch notwendig. So erklärt Lührmann zur Tempelreinigung (Mk 11,15–19) apodiktisch: „Wie in jedem Tempel gibt es auch in Jerusalem Händler und Geldwechsler“ (Markus 192). Und darum sehen zahlreiche Ausleger in Jesu Tempelreinigung einen fundamentalen Angriff auf den Tempelkult und zumal auf seine blutigen Tieropfer, die sie nicht als von Gott gebotene und gewährte Sühnemittel, sondern als menschliche Kompensationsleistungen begreifen. In diesem Sinne verstehen etwa Theißen/Merz „Jesu Tempelreinigung als kultkritische Symbolhandlung“ (380 f) und erwägen darum, „ob mit Jesus nicht doch ein Exodus aus dem Judentum begann“ (383). Diesem breiten Konsensus gegenüber bleibt jedoch zu fragen, ob denn die Anwesenheit von Viehhändlern, Taubenverkäufern und Geldwechslern im Tempel wirklich so selbstverständlich und unentbehrlich war. Zum einen ist die Gegenwart von Geldwechslern gegen Lührmann keineswegs „in jedem Tempel“ üblich, sondern doch wohl ein Spezifikum Israels, dessen striktes Bilderverbot den Umtausch der gängigen römischen oder syrischen Münzen mit dem Kaiserbild in die ‚Tempelwährung‘ der bildlosen tyrischen Schekel forderte. Und zum anderen wurde die in diesen Münzen zu entrichtende Tempelsteuer jährlich am ersten Tag des Monats Nisan fällig, sie war also spätestens bereits zwei Wochen vor Beginn des Passafestes zu entrichten. Dazu wurden in den Provinzen am 15. Adar und im Jerusalemer Tempel(vorhof) am 25. Adar die entsprechenden Wechseltische aufgestellt, die im Lande am 25. Adar und im Tempel am 1. Nisan wieder entfernt wurden. Deshalb war die Anwesenheit von Geldwechslern keineswegs eine Dauereinrichtung im Jerusalemer Heiligtum und unmittelbar vor dem Passafest kaum wahrscheinlich (vgl. M. Scheqalim 1,3 ff u. siehe dazu Epstein 45). Was nun den Groß‑ und Kleinvieh-Markt sowie den Taubenverkauf im Tempelbezirk angeht, so könnte Epstein auch dazu mit seiner These im Recht sein, daß es sich dabei um eine erst im Jahre 30 durch den Hohenpriester Kaiaphas eingeführte Neuerung handelt, eine Neuerung womöglich, die vielen, die um die Reinheit des Tempels besorgt waren, höchst anstößig gewesen sein könnte. Bis zur Einführung dieses konkurrierenden Viehmarktes im Tempelbezirk sei der Ort dieser Geschäfte vielmehr der östlich vom Tempelberg gelegene, nur durch das enge Kidrontal von ihm getrennte, und so an sei169
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Erster Akt des historischen Dramas Jesu
ner Heiligkeit partizipierende Ölberg gewesen. Hier unterhielten die Söhne eines Hanan vier nach ihnen hanuyoth genannte Viehmärkte. Erst als dann Spannungen zwischen dem Hohenpriester Kaiaphas und dem Sanhedrin zu dessen Auszug aus dem Tempel und zu seiner Sezession nach eben diesem Hanuth auf dem Ölberg geführt hätten, habe Kaiaphas Lizenzen für die Geschäfte im Tempelvorhof an Konkurrenten der Händler vom Ölberg vergeben (vgl. Epstein, dem Brown, Komm. I, 119, weitgehend folgt). Über die Traditionsgeschichte unserer in allen vier Evangelien geschilderten Szene ist in der kaum noch übersehbaren Literatur wohl alles dazu Sagbare bereits gesagt. Haenchen (Komm. 204–210) bietet eine gute Zusammenfassung. Auch die Frage, ob der Szene ein historischer Kern zugrundeliegt und wie man sich diesen gegebenenfalls vorzustellen hat, wurde vielfach und breit erörtert und von Haenchen mit tiefster Skepsis sowie von Becker als „höchst unwahrscheinlich“ (Komm. I, 147) beurteilt. Angesichts der vielen Wachen an den Tempeltoren und der Anwesenheit des übrigen Aufsichtspersonals sowie der nahen Präsenz der Römer auf der Burg Antonia, die einen guten Einblick in das Geschehen hinter den Tempelmauern bot, ist Jesu Tempelreinigung, auch wenn es sich dabei nur um eine Art prophetischer Zeichenhandlung an einem pars pro toto gehandelt haben sollte, jedenfalls nur vorstellbar, wenn Epsteins genannte Hypothese zutreffen und der Verkauf von Opfertieren im Tempelbezirk tatsächlich eine umstrittene Neuerung gewesen sein sollte. Hätte Jesus nämlich mit seiner Aktion in einen längst eingeschliffenen und in den Augen aller für die ordentliche Funktion des Tempelkults notwendigen Brauch eingegriffen, so wäre er wohl umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt worden. War seine Tempelreinigung dagegen aber ein Angriff auf eine neue Maßnahme, die sowohl vom Sanhedrin als auch von den Frommen im Volk mißbilligt wurde, so könnte das die Unsicherheit der Verantwortlichen und ihr Nicht-Eingreifen vielleicht erklären (vgl. Mk 11,18; und siehe zum Problem Safrai 185 ff). E. Stegemann geht noch weiter und erklärt: „Jeder Jude jeder Zeit dürfte diese (sc. Jesu) Aktion für angemessen halten“ (Tempelreinigung 510). Mit Beasley-Murray kann man den im Blick auf unsere joh Szene erreichten Konsensus wohl so zusammenfassen: (1) Es gibt nur eine Tempelreinigung Jesu und nicht deren zwei, nämlich eine am Anfang und die andere am Ende seines öffentlichen Wirkens. (2) Diese Tempelreinigung erfolgte, wie die Synoptiker berichten, in der letzten Woche des Lebens Jesu. (3) Für Johannes gilt dagegen: „The Fourth Evangelist had no intention of correcting the timing of the event, but set his account at the beginning of the ministry of Jesus to highlight its significance for understanding the course of the ministry. It provides a vital clue for grasping the nature and the course of our Lords work“ (Komm. 38 f; vgl. K. Barth, Erklärung 205). Mag es darum mit der Historizität und mit dem tatsächlichen Vorgang stehen, wie es wolle, jedenfalls nimmt der erzählte Jesus unserer Szene daran Anstoß, „das Haus seines Vaters“ zum „Kaufhaus“ heruntergekommen zu finden, und macht sich daran, diesen Mißstand zu beseitigen. 15: kaÑ poiflsa" fragfillion †k scoin‡wn p›nta" †xfibalen †k toú ´eroú t› te pr∙bata kaÑ toÜ" b∙a", kaÑ tùn kollubistùn †xficeen tÖ kfirma kaÑ tÅ" trapfiza" ünfitreyen. Im Anschluß an Wellhausen (Evangelium 15) streichen viele Exegeten die Wendung t› te pr∙bata kaÑ tù" b∙a" als sekundäre Interpolation, zumal das bei Joh singuläre enklitische te befremde. So erklärt Lindars: „As these words are in poor apposition to all, which definitely refers to the persons, and as they employ a usage not normal in John (… te … kai …), they are probably an editorial addition, though found 170
Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘
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in all MSS“ (Komm. 138; vgl. Bultmann, Komm. 86 f). Hirsch, der als einzige Quelle der Szene die Synoptiker ansieht, schreibt seinem Redaktor nicht nur die genannte Wendung, sondern auch die Nennung der ‚Ochsen und Schafe‘ in V. 14 sowie den gesamten V. 17 zu und erklärt: „Grund der Zufügung durch R kann allein die Absicht sein, die Totalität der Verneinung alles Opferdienstes durch Jesus mit Bezug auf die praktisch wichtigsten Arten des heidnischen (sic!) Tieropfers auszudrücken“ (Studien 47; vgl. Bauer, Komm. 47). Becker verfährt ähnlich wie Hirsch, läßt es aber offen, ob die ‚Ochsen und Schafe‘ in V. 14 ebenso wie die ‚Schafe und Ochsen‘ in V. 15 bereits dem Text der vermeintlichen „Quelle“ des Evangelisten nachträglich hinzugefügt wurden oder ob sie, wie der gesamte V. 17, erst der Feder seines „kirchlichen Redaktors“ entstammen (Komm. 146 ff). Doch die Streichung der Wendung t› te pr∙bata kaÑ toÜ" b∙a" beruht auf dem seit Wellhausen vererbten Fehlschluß, daß sich „das p›nta" … nur auf die Menschen beziehen“ könne. Demgegenüber gilt aber: „Wenn sich das Wort ‚alle‘ auf ein Neutrum plur. und ein Masculinum plur. bezieht, bestimmt das männliche Genus (hier: toÜ" b∙a") die Form von pô", woraus sich p›nta" ergab“ (Haenchen, Komm. 200; vgl. Hoskyns, Komm. 194, der jedoch wohl zu Unrecht die Austreibung der Opfertiere als ein ‚Zeichen‘, „that the end of animal sacrifice is at hand“ begreift). Waren in V. 14 artikellos-generell ‚Ochsen und Schafe‘ als feilgebotene Opfertiere zusammen mit ihren Verkäufern eingeführt, so ist jetzt nur noch von diesen speziellen Tieren die Rede. Dabei weisen die bestimmten Artikel der Wendung t› te pr∙bata kaÑ toÜ" b∙a" auf die zuvor eingeführten Arten zurück, wobei sie nun aber kunstvoll in umgekehrter Folge, und das heißt wohl, nicht mehr ihrer Größe, sondern ihrer Menge und den Erfordernissen des Passafestes nach genannt werden. Da kein Jude im Tempel einen Stock (Hirtenstab) oder irgendeine Waffe tragen durfte (M. Berachot 9,5: „Niemand darf den Tempelberg betreten mit Stock, Schuh, Geldbeutel oder mit staubigen Füßen“; vgl. E. Stegemann, Tempelreinigung 510), fertigte sich Jesus aus herumliegenden Stricken eine ‚Peitsche‘ und trieb sie alle, nämlich „sowohl die Schafe als auch die Ochsen“, aus dem Tempel hinaus. Gegen Moulton (Pantas) ist diese Spezifikation von p›nta" durch t› te pr∙bata kaÑ toÜ" b∙a" keineswegs Ausübung von „violence to the Greek“, sondern damit entspricht ein ‚native speaker‘ vielmehr den eingeübten Regeln seiner Sprache. Und damit kein Leser je auf den Gedanken komme, Jesus könne gegen subjektiv unschuldige Menschen seine Peitsche erhoben haben, ist diese Apposition auch durchaus notwendig. Denn sowenig Jesu Peitsche danach die Geldwechsler oder die Taubenhändler trifft, gebraucht er sie jetzt gegen die Viehhändler; allein das Interesse an ihrem Eigentum wird diese ihren Tieren folgen lassen. Unser Erzähler weiß natürlich, daß seit alters und überall in der Welt Peitschen oder Stöcke dazu dienen, das Vieh aus dem Stall oder von der Weide zu treiben. Darum läßt er seinen Protagonisten nach diesem Muster verfahren. Trotz aller doch bis in den Wortlaut hinein reichenden Ähnlichkeit der Szene mit der synoptischen Darstellung wird angesichts der spezifischen Abweichungen, nämlich der Präsenz von ‚Ochsen und Schafen‘ im Tempelbezirk, des Gebrauchs einer eigens zu deren Austreibung verfertigten ‚Peitsche‘ sowie der Verarbeitung ganz anderer alttestamentlicher Texte – u. E. freilich ohne zureichende Gründe –, immer wieder behauptet, Joh müsse hier einer eigenen, deutlich von der synoptischen Version unterschiedenen Quelle folgen (vgl. z. B. Dodd, Tradition 156–162). Dabei werden die Übereinstimmungen, die zumal zwischen Joh und Mt bestehen, entweder durch die Hypothese erklärt, sie seien erst 171
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Erster Akt des historischen Dramas Jesu
sekundär durch einen um den Ausgleich mit der ihm geläufigen Tradition der synoptischen Evangelien bemühten Redaktor hinzugefügt worden (so Bultmann, Komm. 86 f), oder durch das Postulat, Johannes habe hier auf seine Weise die schon dem Markusevangelium zugrundeliegende Quelle verarbeitet (Dodd, ebd. 161 f; Brown, Komm. I/118 f). Statt darin ein Anzeichen dafür zu sehen, wie trefflich sich unser Erzähler auf die Kunst des Verisimile seiner Darstellung versteht, bemerkt Lindars zu der Wendung, kaÑ poiflsa" fragfillion †k scoin‡wn: „Only John has this detail, which may well be authentic, especially if his source is, as seems probable, not Mark but a parallel tradition. No weapons were allowed in the Temple, so Jesus seized some rope or string which would obviously be available for handing the animals“ (Komm. 138). Goulder bemerkt dazu treffend, dieser Gedanke könne sich ja längst vor Lindars auch schon dem Evangelisten als „obvious“ nahegelegt haben (225). 16: Hatte Joh die Geldwechsler zuvor kermatista‡ genannt (s. o. zu V. 14), so nennt er sie nun, wie Mt und – wie der Wortlaut von Mt 21,12: kaÑ tÅ" trapfiza" tùn kollubistùn katfistreyen, nahelegt – wohl in unmittelbarem Spiel mit dessen Text kollubista‡ (vgl. Goulder, John 223 ff; F.-M. Braun, Expulsion 178 ff). Damit vermeidet er zugleich das störende Nebeneinander von kermatistùn und kfirma, und wie schon durch die Einführung der ‚Ochsen und Schafe‘ samt der zu ihrem Austrieb nötigen ‚Peitsche‘ so verschärft er jetzt durch das ‚Verschütten der Wechselmünzen‘ Jesu Aktion. Die vermeintlich ‚mildere Behandlung der Taubenverkäufer‘, denen Jesus nur aufträgt ±rate taúta †nteújen, sollte man wohl nicht derart modernistisch wie Brown (Komm. I/115) damit erklären, daß die Tauben nach Lev 5,7 doch die „Opfer der Armen“ seien. Denn hier erscheint Jesus nicht als der notorische „Freund der Armen“, sondern als derjenige, den der Eifer um die Heiligkeit des Hauses „seines Vaters“ buchstäblich und mit Haut und Haaren „verzehren wird“. Becker (Komm. I, 146) vermißt in V. 16 die Erwähnung der „Rinder und Schafe“ und fragt deshalb: „Soll ihren Verkäufern (etwa) Jesu Wort nicht gelten?“ Wie er erklären andere den Umstand, daß hier nur die Taubenverkäufer angeredet werden, aus der vermeintlichen Genese des Textes (vgl. dazu Moloney, Reading John 441). Doch all diese und ähnliche Fragen sind wohl fehl am Platze. Denn Ziel ist ja nicht die Aufklärung fiktionaler Viehhändler, sondern die allmähliche Information des ‚impliziten Lesers‘, der zusammen mit den Taubenhändlern nun den Sinn von Jesu Handeln erfahren soll. Und daß Jesus sich mit der Aufforderung, ±rate taúta †nteújen, in direkter Rede nun gerade den Verkäufern der Tauben zuwendet, hat seine erzählerische Logik darin, daß Käfige mit Tauben ja nur hinaus zu tragen sind und sich nicht wie Ochsen oder Schafe mit einer Peitsche vertreiben lassen (vgl. Moloney ebd.). Die Begründung für Jesu gesamte Aktion gibt jedoch erst der folgende lapidare Satz: mÉ poieõte tÖn oèkon toú patr∙" mou oèkon †mpor‡ou, der ganz fraglos ein Spiel mit Sach 14,21 ist: kaÑ o§k ≤stai Cananaõo" o§kfiti †n tù o¥kw kur‡ou pantokr›toro" †n tÔö ™mfira †ke‡nÔh. Daß das hier von der LXX mit Cananaõo" wiedergegebene hebräische Lexem yn[nk keinesfalls den ‚Kanaanäer‘ als Inbegriff des Fremden und Nicht-Israeliten bezeichnen kann, sondern wie Zeph 1,11 übertragen gebraucht und mit „Krämer“ zu übersetzen ist, macht der gesamte Kontext von Sach 14 evident. Hier ist ein notorisches Charakteristikum der Phönizier als eines ausgesprochenen Händlervolkes zu einer Quasi-Berufsbezeichnung geworden (vgl. Dodd, Interpretation 300 f, Lindars, Komm. 139, und die hebr. WB s. v.). Auch wenn in unserem Evange172
Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘
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lium – neben Sach 9,9 beim Einzug Jesu in Jerusalem (s. u. zu Joh 12,14 f) – gerade das vom hwhy µwy redende Schlußkapitel des Sacharja-Buches eine prominente Rolle spielt (s. u. zu Joh 7,37 f u. 19,31 ff), dürfte unser Sacharja-Text auch den Hintergrund schon der synoptischen Szene der Tempelreinigung bilden, selbst wenn da eine derart deutliche Anspielung wie die vom oèko" †mpor‡ou fehlt (vgl. Hiers 87; u. C. Roth, der auch die singuläre Notiz von Mk 11,16: kaÑ o§k ≥fien ºna ti" dienfigkÔh skeúo" diÅ toú ´eroú, vor dem Hintergrund von Sach 14,21 verstehen will). Indem Jesus jetzt aber den o¥ko" kur‡ou pantokr›toro" des Sacharja-Textes als oèko" toú patr∙" mou bezeichnet, meldet er unüberhörbar sein Recht und seinen Anspruch auf den Tempel an: „The words of Jesus attack the general understanding of to hieron. The Temple should never be an oikos emporiou. For Jesus it is not only a building where people gather to worship Jhwh (to hieron); it is ‚the House of my Father‘ … It is not only an area where people gather to honour God, but a place where the God of Israel, whom Jesus calls ‚my Father‘ (see especially 5,17–18), has his dwelling. Part of Jesus’ claim is not new to the implied reader. It is an important part of Jewish belief that the God of Israel dwells in the Temple, on the Temple mount. The crucial aspect of these words of Jesus is not the claim that the Temple is the dwelling place of God, but that it is the dwelling place of ‚my Father‘“ (Moloney, Reading John 441). Im Gegensatz dazu erklärt Becker: „Auch das im Joh typische ‚mein Vater‘ macht die Aussagen noch nicht an sich johanneisch (es fehlt der Sohnestitel; vgl. SapSal 2,16; Sir 23,1). Weiter zielt das Wort auf Kritik an der Praxis im Tempelvorhof. Gottesdienstbesucher werden nicht behindert und den Händlern nur der Vorhof verboten, nicht ihr Tun überhaupt. Es geht also um Kultkritik als Verbesserung der Kultpraxis. Die Heiligkeit des Tempels wird auf den Vorhof ausgedehnt. Auch hier sollen die Menschen nicht Handel treiben, sondern anbeten (vgl. Lk 18,10). Denkt der Erzähler vielleicht an Sach 14,20 f? In jedem Fall ist dies dann ein judenchristlicher Standpunkt: Der Kult selbst bleibt in Geltung. So läßt E (sc. ‚der Evangelist‘) seinen Christus sonst nie sprechen, dieser sagt vielmehr 4,20–24 das Gegenteil. Es liegt also Tradition vor“ (Komm. I/147). Nun, selbst wenn hier „Tradition“ vorläge, so hätte unser Evangelist doch durch deren Aufnahme in sein Werk ihre Stimme zu der seinen gemacht. Dagegen erscheint uns Beckers Art der ‚Schichtenlektüre‘ und der Fragmentierung von Texten in „Tradition“ und in das, „was E sonst sagt“, als ein texttheoretisch unmögliches Verfahren, das überhaupt nur in der „interpretive community“ (Fish) eines traditionalistisch geleiteten neutestamentlichen Proseminars funktionieren kann (vgl. Welck 41 ff). Und auch wenn Jesu Rede vom „Haus meines Vaters“ (vgl. Lk 2,49) traditionell sein sollte, bekommt sie ihre spezifische Farbe doch erst durch ihren Ort in unserem Evangelium und bringt sie nicht aus irgendeiner vermeintlichen Tradition mit. Der „Sohnestitel“ fehlt auch bei Jesu stereotyper Rede vom „Vater, der mich gesandt hat“. Und der „Standpunkt“ ist kein „judenchristlicher“, sondern – und wie könnte das bei Wort und Verhalten des Juden Jesus auch anders sein – ein gut jüdischer.
Obwohl Joh u. E. die synoptische Tempelreinigungs-Szene mit ihrem aus Jes 56,7 und Jer 7,11 kombinierten Zitat: ¨ o¥k∙" mou o¥ko" proseucö" klhjflsetai, ≠meõ" dÇ a§tÖn poieõte spfllaion lÔhstùn (Mt 21,13) kennt und weiß, daß auch seine potentiellen Leser damit vertraut sind, übergeht er dieses Zitat und läßt im Spiel mit dem Lexem o¥ko" stattdessen Jesus selbst vor dem Hintergrund von Sach 14,20 f das entscheidende Wort sprechen. Wenn Moloney dazu treffend erklärt: „In the Synoptic report of this event all the Evangelists have Jesus cite Isaiah 56:7 claiming that the Temple is ‚my house‘ … Such a claim would not fit the Johannine presentation of Jesus. While Israel relates to God through its Temple, Jesus now challenges such a relationship by 173
2,13–22
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
claiming that even their Temple belongs to him in a special way, as it is the house of his Father“ (Reading John 441 f), so liegt es doch viel näher, Joh hier absichtsvoll den synoptischen Text bearbeiten zu sehen als zu postulieren, er müsse hier einer anderen, von den Synoptikern unabhängigen Quelle folgen. Zudem steigert er so das Verisimile seiner Erzählung von dem guten Juden Jesus und vermeidet es, den Tempel unhistorisch eine „Räuberhöhle“ zu nennen. Denn in der synoptischen Version scheint sich doch der „tatsächliche Zustand des Tempels“ und seine Bezeichnung als sphlaõon lhstùn „weniger auf das Treiben der Händler als auf die Schlußphase des Jüdischen Krieges in der Gegenwart des Mk, in der der Tempel in der Hand der Aufständischen war“, zu beziehen (Lührmann, Markus 193). 17: Anstelle des im Zitat von Ps 69,10 von der LXX gebotenen Aorist katfifagfin me sagt unser Erzähler futurisch kataf›geta‡ me: „Der Eifer um dein Haus wird mich verzehren“. Und das ist durchaus auch physisch gemeint. Als Augenzeugen der Tempelreinigung und des Wortes Jesu an die Taubenhändler werden erst jetzt seine Jünger eingeführt. Und über dem, was da vor ihren Augen und Ohren geschieht, erinnern sie sich der Schrift (Ωti gegrammfinon †st‡n). Dafür, daß der eine hier zitierte Vers als pars pro toto für den ganzen Psalm 69 als die von den Jüngern erinnerte „Schrift“ steht, gibt Lindars gute Gründe (Apologetic 104–108). Wie Röm 11,9 und Act 1,20 zeigen, spielt dieser Psalm im urchristlichen Schriftbeweis eine gewichtige Rolle. Joh zitiert aus ihm auch 15,25 und im Anschluß an Mt 27,48 spielt er 19,28 f mit ihm. Anders als der durch die Prologlektüre vorbereitete und mit den synoptischen Evangelien vertraute ideale Leser, der bereits den Ausgang der Geschichte Jesu kennt und weiß, „daß die Finsternis das Licht nicht verschlingen wird“ (1,5), kann ihr ‚Erinnern der Schrift‘ die Jünger als handelnde Figuren der Erzählung natürlich nur ahnen oder fürchten lassen, daß Jesu Aktion im Tempel und sein unerhörter Anspruch auf ihn als „Haus meines Vaters“ ihn in einen Konflikt auf Tod und Leben verwickeln könnte (vgl. Moloney, Reading John 443). Durch den einfachen Kunstgriff der Versetzung der Aoristform des Verbums aus dem Psalmvers ins Futurum rückt unser Erzähler Jesu gesamten weiteren Weg unter den Schatten des Kreuzes, auch wenn seine mit ihm ziehenden Jünger das einstweilen nur ahnen können. Für den kundigen Leser dagegen gewinnt hier nur deutlichere Konturen, was sich in Jesu Wort an seine Mutter, o∂pw ªkei ™ øra mou, bei der Kanahochzeit bereits andeutete. Darauf, daß einerseits auch einige LXX-Manuskripte die Variante kataf›geta‡ me bieten, während andererseits f it vg sin pesch boh und Eus bei Joh katfifagfin me lesen, weist Barrett hin (Komm. 221). Da jedoch unsere LXX-Handschriften nahezu ausnahmslos den Federn christ licher Scriptorien entstammen, dürfte die Lesart kataf›geta‡ me aus unserem Evangelium in die LXX eingedrungen sein. Statt die doch erhebliche Differenz zwischen den griechischen Verbformen katfifagen und kataf›getai zu beachten, sieht Barrett hier jedoch zu vordergründig das mehr akademische Problem der angemessenen Übersetzung des hebräischen Perfekt yntlka und urteilt von daher: „Die meisten Kommentatoren sehen in kataf›getai eine Anspielung auf den Tod Jesu; sein Eifer für Gott wird (menschlich gesprochen) sein Fall sein. Es scheint jedoch keinen vernünftigen Grund zu geben, warum nicht sowohl der Psalmist als auch Joh von dem verzehrenden Eifer gesprochen haben könnten“. Wir meinen dagegen, daß die Vorliebe unseres Evangelisten für doppeldeutige Ausdrücke (Cullmann) sowie die auffällige und offensichtlich absichtsvolle ‚Wiederaufnahme‘ der Wendung †mnflsjhsan o´ majhtaÑ a§toú aus V. 17 in V. 22 „vernünftiger Grund“ genug sind, hier gegen Barrett den „meisten Kommentatoren“ zu folgen. – Wohl mag man sagen, daß das einstige, im Tempel und zu Lebzeiten Jesu lokalisierte,
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Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘
2,17–19
„Sich-Erinnern“ der Jünger an die Schrift (V. 17) ihnen in seinem vollen Gewicht erst erkennbar wird, als sie sich später, nämlich Ωte oún °gfirjh †k nekrùn, erneut „erinnern“ (V. 22). Dennoch aber ist das bloße Lexem mimnÔflskomai kein „Terminus“, und darum kann man über V. 17 nicht sagen: „Im Terminus des Erinnerns jedoch liegt der entscheidende Hinweis darauf, daß auch hier die nachösterliche Perspektive des Rückblicks hinter der Darstellung steht“ (Hoegen-Rohls 46).
Schnackenburg hat den kunstvollen, an ein Diptychon erinnernden Aufbau unserer Doppelszene beschrieben und darum mit Recht von allen literarkritischen Operationen abgeraten (Komm. I/359 f): Jeweils durch eine Aktion eingeleitet, nämlich hier durch Jesu zunächst stummes Werk der Tempelreinigung und da durch die verbale Aktion der Zeichenforderung ‚der Juden‘ (V. 14 f und V. 18), folgt hier wie da ein Wort Jesu (V. 16 und V. 19), und endlich beschließt ein durch den Satz, †mnflsjhsan o´ majhtaÑ a§toú Ωti, markierter Kommentar des allwissenden Erzählers die jeweilige Szenenhälfte (V. 17 und V. 22). Das ist ein absichtsvoll komponiertes Ganzes und kein zufälliges Konglomerat von Traditionen. 18: Auch wenn ‚die Juden‘ zuvor schon als diejenigen genannt waren, die aus Jerusalem eine Art Expertenkommission zu einem fast förmlichen ‚Verhör‘ Johannes des Täufers gesandt hatten (1,19–28), betreten sie als die kritischen Dialogpartner und Richter Jesu hier doch erstmals die Szene. Das ist durch die „pleonastische Konstruktion“ ihrer Einführung: üpekr‡jhsan oên o´ ûIoudaõoi kaÑ eèpan a§tù: deutlich markiert (vgl. Moloney, Reading John 443 f). Ohne daß Jesu Tempelreinigung ausdrücklich als shmeõon bezeichnet wäre, will sie offenbar doch als solches verstanden werden. Denn die Bemerkung des Erzählers: Æ" dÇ én †n toõ" ‚Ierosol‚moi" †n tù p›sca †n tÔö ©ortÔö, polloÑ †p‡steusan e¢" tÖ µnoma a§toú jewroúnte" a§toú tÅ shmeõa ¡ †po‡ei (V. 23), muß sich ja auf das zuvor Erzählte zurückbeziehen, so daß die Tempelreinigung also zumindest als pars pro toto der hier im Plural genannten shmeõa begriffen sein will. Doch im Gegensatz zu den Jüngern, die des Zeichencharakters der Tempelreinigung innewerden, indem sie sich der Schrift erinnern (V. 17), erweisen sich die ûIoudaõoi diesem ‚Zeichen‘ gegenüber gerade dadurch als Blinde, daß sie zu seiner Legitimation wiederum ein shmeõon fordern. Strukturell wiederholt sich diese durch eine erneute Zeichenforderung nur bestätigte Blindheit gegenüber dem zuvor doch gewährten Zeichen, nämlich der wunderbaren Speisung der Fünftausend, in Joh 6,26 ff (vgl. Mk 8,11 parr. und s. u. z. St.). Während es in den synoptischen ‚Prätexten‘ unserer Szene die ürciereõ" kaÑ o´ grammateõ" kaÑ o´ presb‚teroi sind, die Jesus mit der doppelten Frage, wer oder was ihn denn zu seiner Tempelreinigung autorisiert habe, förmlich bedrängen (†n po‡a †xous‡a taúta poieõ"; À t‡" soi ≤dwken tÉn †xous‡an ta‚thn, ºna taúta poiÔö"; Mk 11,27 f / Mt 21,23 / Lk 20,2), läßt unser Evangelist ‚die Juden‘ von Jesus ein ‚Zeichen‘ zur Legitimation seines Tuns fordern. Daß er damit absichtsvoll nicht der synoptischen Frage nach Jesu †xous‡a folgt, sondern, wie später in Kapitel 6,30 (vgl. Mk 8,11–13 / Mt 16,1–4 u. s. u. z. St.), die synoptische Zeichenforderung – hier wohl im Spiel mit Mt 12,38–40 – aufgreift, dürfte seinen Grund in dem prinzipiell andersartigen und durchweg positiven Gebrauch haben, den er im Anschluß an die biblische Exodustradition von dem Lexem shmeõon macht (s. o. zu 2,11). 19: … l‚sate tÖn naÖn toúton kaÑ †n trisÑn ™mfirai" †gerù a§t∙n. Zu l‚ein und †ge‡rein als Ausdrücken für den Abbruch und das Errichten von Bauwerken vgl. die Belege bei Bauer (Komm. 48). Einerlei, ob man den Imperativ l‚sate mit Bultmann, der dazu auf Am 4,4 und Jes 8,9 f verweist (Komm. 88 mit Anm. 4), als einen „ironischen 175
2,13–22
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
Imperativ des prophetischen Stils“ begreift, oder ob man ihm mit Bauer „geradezu den Wert einer futurischen Aussage“ zuschreibt: ‚Ihr selbst werdet diesen Tempel zerstören!‘ (Komm. 48 mit Verweis auf Jes 37,30), so kann jedenfalls im einen wie im anderen Fall von einer strikten Abweisung der Zeichenforderung, wie sie Bittner hier erkennen will (169), nicht die Rede sein. Im Gegenteil! Wie die ‚Zeichenpropheten‘ bei Josephus kündigt Jesus hier vielmehr das von ihm geforderte Zeichen in Gestalt des Abbruchs und der Wiedererrichtung des Tempels binnen dreier Tage an. Was die Zeichen fordernden Juden nicht begreifen und was selbst den Jüngern erst in ihrem österlichen „Erinnern“ klar wird, das weiß einstweilen allein der allwissende Erzähler, der es seinem Leser mitteilt, daß Jesus nämlich „vom Tempel seines Leibes“ gesprochen hat (V. 21 f). Wie der Sache nach Joh 8,28 gesagt wird: Ωtan ≠y„shte tÖn u´Ön toú ünjr„pou, t∙te gn„sesje Ωti †g„ e¢mi ktl., so wird hier ganz buchstäblich das Sterben und Auferstehen Jesu als sein definitives shmeõon angekündigt. Darum bestreiten Rengstorf (shmeõon 253 f), Bittner (169), Welck (106) u. a. zu Unrecht, daß Jesu Kreuzigung und seine Auferstehung, die er nach Joh 10,17 f aus seiner ihm vom Vater verliehenen †xous‡a selbst vollbringt, als shmeõa gedeutet werden dürfen. Denn nur, wenn sich Jesu Zeichen hier vollenden, kann dem Leser des Buches ja auch das Joh 20,30 f Gesagte verständlich werden. Selbst Bultmann, der in diesen beiden Versen ja den ‚ursprünglichen Abschluß‘ seiner ‚SemeiaQuelle‘ sieht und zudem nicht nur die ausdrücklich als solche erzählten shmeõa Jesu, sondern auch seine Ostererscheinungen sachlich für „entbehrlich“ hält – beides jedoch schwerlich zu Recht -, ist allein durch den Ort von Joh 20,30 f im überlieferten Evangelium zu der Erklärung genötigt, damit seien „die Erscheinungen des Auferstandenen offenbar auch als shmeõa verstanden wie die Wunder Jesu“ (Theologie 409; vgl. Komm. 491, u. s. zum Grundsätzlichen Wilkens, Zeichen 60–80). 20 f: Mit dem Bau des herodianischen Tempels wurde in den Jahren 20 oder 19 v. Chr. begonnen (Josephus, Ant. 15,380) und er war erst um 63, kurz vor dem Aufstand gegen Rom vollendet (vgl. ebd. 20,219). Die gesamte Bauzeit betrug also ca. 83 Jahre. Trotz 8,57 („Du bist noch keine fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben?“) bezieht sich die Angabe der 46 Jahre schwerlich auf „den Tempel seines Leibes“, d. h. auf Jesu Lebensalter. Denn wenn mit der Nennung der 46 Jahre ausgerechnet seine verstockten Gegner Jesu Leib als den ‚Tempel‘ ins Spiel brächten, verlöre die ganze Erzählung ihre Pointe und würde zur Groteske; vgl. die entsprechenden Spekulationen einiger Väter bei Haenchen (Komm. 202). Auch die Unterstellung, unser Evangelist sei über die tatsächliche Bauzeit des Tempels falsch unterrichtet gewesen oder zur Zeit von Jesu Tempelbesuch sei gerade eine längere Pause bei den Bauarbeiten eingetreten, ist sicher eine haltlose Verlegenheits-Auskunft. Wir werden o¢kodomfljh vielmehr als komplexiven Aorist begreifen und ihn etwa mit „an diesem Tempel wurde bereits 46 Jahre lang gebaut“ übersetzen müssen. Als die Zeit zwischen dem Beginn des Tempelbaus und dem ersten öffentlichen Auftreten Jesu, das Joh im Anschluß an den Lk 3,1 f gegebenen Synchronismus in die Jahre 26–28 datiert haben dürfte, wird er die Spanne von 46 Jahren wohl selbst errechnet haben. Uns erscheint das Tempelwort Jesu und diese Reaktion der zeichenfordernden Juden als ein Spiel mit den synoptischen Texten. Brachten die Prozeßzeugen bei Markus gegen Jesus die falsche Anschuldigung vor (†yeudomart‚roun), er habe gesagt: †gá katal‚sw tÖn naÖn toúton tÖn ceiropo‡hton kaÑ diÅ triùn ™merùn ±llon üceiropo‡hton o¢kodomflsw (14,58), so muß yeudomartureõn ja nicht heißen, daß das ganze Zeugnis frei erfunden 176
Siebte Szene: Zum Passafest ‚hinauf nach Jerusalem‘
2,19–22
wäre, und wohl auch nicht, daß Jesus in Wahrheit nur gesagt habe, er könne (d‚namai) den Tempel abbrechen und binnen dreier Tage neu errichten (Mt 26,61). Es ist aber gleichwohl ein „falsches Zeugnis“, und was daran falsch ist, läßt Johannes seine Leser hier am Ort des ursprünglichen Gesprochenseins des Tempelwortes wissen. Nicht er werde den Tempel zerstören, hat Jesus gesagt, sondern die ûIoudaõoi. Und der „andere, nicht mit Händen gemachte“, Tempel, den er binnen dreier Tage dafür errichten/ erwecken (†ge‡rein) wird, ist der „Tempel seines Leibes“ (V. 21). Zugleich scheint diese Identifikation des Tempels mit dem Leib Jesu ad vocem der „drei Tage“ durch Jesu Antwort auf die Zeichenforderung bei Mt 12,39 f inspiriert zu sein: geneÅ ponhrÅ kaÑ moicalÑ" shmeõon †pizhteõ, kaÑ shmeõon o§ dojflsetai a§tÔö e¢ mÉ tÖ shmeõon ûIwnô toú proffltou. øsper gÅr én ûIwnô" †n tÔö koil‡a toú kfltou" treõ" ™mfira" kaÑ treõ" n‚kta", oætw" ≤stai ¨ u´Ö" toú ünjr„pou †n tÔö kard‡a tö" gö" treõ" ™mfira" kaÑ treõ" n‚kta". Die in den Imperativ gekleidete Weissagung „Ihr werdet diesen Tempel zerstören“ (Bauer z. St.) ist wohl – wie oft bei Joh – absichtsvoll doppeldeutig. Denn durch ihr Drängen auf seine Kreuzigung werden sie nicht nur den ‚Tempel seines Leibes‘ zerstören, sondern am Ende wird auch der noch gar nicht vollendete Prachtbau des herodianischen Tempels zuerst zur „Räuberhöhle“, nämlich zur Kommando-Zentrale der Aufständischen, und endlich zur rauchenden Trümmerstätte werden. 22: Wie als pars pro toto der graffl, deren die Jünger sich Ostern „erinnern“, mit dem Blick auf V. 17 wohl Ps 69 gelten muß, so kann der zugleich damit erinnerte l∙go" Jesu ja wohl nur seine Zeichenankündigung sein: l‚sate tÖn naÖn toúton kaÑ †n trisÑn ™mfirai" †gerù a§t∙n, die sich nun †n trisÑn ™mfirai" mit dem Gewicht „zweier Zeugen“ (Deut 17,6; vgl. Joh 8,16–18; 5,39) tatsächlich erfüllt hat. Bultmann rechnet mit einer von den synoptischen Evangelien verschiedenen schriftlichen „Quel‑ le“ für unsere Szene, die „mit der Geschichte von der Tempelreinigung [bereits] jenes Wort verknüpft“ hatte, „das als bloßes Drohwort der Tempelzerstörung auch Mk 13,2 und Act 6,14 begegnet und verbunden mit der Weissagung vom Aufbau des Tempels in drei Tagen Mk 14,58 (bzw. Mt 26,61) 15,29.“ Zur Begründung dieser Quellentheorie erklärt er zu V. 20–22: „Daß sie eine sekundäre Interpretation sind, ist deutlich; der in V. 19 genannte Tempel ist der reale Tempel Jerusalems, wie sowohl die [synoptischen] Varianten des Wortes wie das (tÖn naÖn) toúton zeigen. Daß Jesus bei dem toúton auf seinen Leib gedeutet habe, ist eine komische Auskunft der Verlegenheit. Vergeblich auch der Versuch, das toúton als Wanderwort zu erweisen und deshalb zu streichen (Merx; es fehlt syrs); denn das scheitert an dem a§t∙n, welches sich nur auf t.n. toúton zurückbeziehen kann. Diese Interpretation würde statt des a§t∙n ein ±llon (wie Mk 14,58) erfordern“ (Komm. 88 f). Warum aber nicht unser Evangelist die Erzählung von Jesu Tempelreinigung mit dem in den synoptischen Evangelien noch von ihr getrennten Droh‑ und/oder Weissagungs-Wort über die Zerstörung des Tempels und seine wunderbare Wiedererrichtung verknüpft haben soll, sondern dafür angesichts der doch real vorhandenen synoptischen Evangelien eigens eine imaginäre Quelle postuliert werden muß, leuchtet uns sowenig ein wie die von Bultmann für den sekundären Charakter der V. 20–22 gegebene Begründung. Natürlich ist Bultmann darin zuzustimmen, daß die klare und durch das Demonstrativum toúton eindeutig bestimmte Beziehung von V. 19 auf den realen Jerusalemer Tempel als Ort der Handlung und Gegenstand des Disputs unbestreitbar ist. Auch daß durch eben diese Beziehung zwischen V. 19 und den ihn interpretierenden V. 20–22 eine unübersehbare Spannung besteht, liegt ja am Tage. Die Frage ist nur, wie diese Spannung – und sie bestünde ja auch dann, wenn nicht schon seine vermeintliche Quelle, sondern erst der Evangelist selbst Tempelreinigung und Tempelwort miteinander verknüpft hätte – zu beurteilen ist. Ist sie, wie Bultmanns Exegese und seine Bestimmung dieser Interpretation als einer ‚sekundären‘ voraussetzen, nur das zufällige Ergebnis einer nicht geglückten Quellen-Kompilation? Oder ist sie nicht vielmehr ein absichtsvolles Signal, dazu gesetzt, dem Leser den symbolischen Modus der
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2,13–22
Erster Akt des historischen Dramas Jesu
gesamten Szene anzuzeigen (s. o. zu 1,29 f)? Mußte dem intertextuell bewanderten Leser nicht schon an V. 19 selbst auffallen, daß Zerstörung und Wiedererrichtung des Tempels hier das Werk zweier unterschiedener Subjekte sind, nämlich ersteres dasjenige der ûIoudaõoi und letzteres dasjenige Jesu? Am Ende des ersten Jahrhunderts weiß zudem jeder Leser natürlich, daß Jesus den zerstörten Jerusalemer Tempel keineswegs binnen dreier Tage wieder errichtet hat. Darum kündigt sich ihm gerade in dem grammatisch eindeutigen V. 19 der symbolische Modus der Szene, ihr Charakter als shmeõon, bereits an und erweckt seine Neugier auf ihren Ausgang.
Mit dem zuletzt erörterten V. 22 ist die erste Tempelszene unseres Evangeliums und mit ihr dessen ‚erster Akt‘ abgeschlossen. Eben erst eröffnet ist damit aber zugleich die signifikante Rolle, die die ‚Tempelmetaphorik‘ im weiteren Verlauf der Erzählung spielen wird (vgl. dazu Busse, Tempelmetaphorik). Zwar könnte man auch der traditionellen ‚KapitelEinteilung‘ folgen und dem ersten Akt noch die nun folgenden Verse 23–25 zurechnen, doch es wird sich zeigen, daß diese drei Verse als eine der für Joh typischen „bridge pas‑ sages“ (vgl. Mlakuzhyil 104 ff) – hier bilden sie die ‚Brücke‘ zwischen Joh 1,19–2,22 und 3,1–4,54 – besser als seine ‚Einleitung‘ zu dem nun folgenden ‚zweiten Akt‘ (Joh 3 u. 4) zu ziehen sind. Wie das Spatium zwischen V. 22 und 23 in Nestle-Aland27 zeigt, ist das offenbar auch die Meinung seiner Herausgeber (vgl. noch Moloney, Reading John 438; de la Potterie, Naître 41 f; Lee 38; und siehe gleich unten). Seit V. 13 steht unsere gesamte Szene unter dem Signum des „nahen Passafestes“ und verbindet so das Ende des ersten Aktes mit seinem Anfang in der Johannes-martur‡a und zumal mit deren Wort: ¥de ¨ ümnÖ" toú jeoú ¨ a¥rwn tÉn ®mart‡an toú k∙smou (1,29; siehe oben z. St.). Auch das Auftreten der ûIoudaõoi, zunächst zum ‚Verhör‘ des treuen und ‚wahrhaftigen‘ (10,41) Zeugen Johannes und hier als derjenigen, die von Jesus fordern, daß er sein Tun im Tempel durch ein ‚Zeichen‘ legitimiere, verknüpft den Anfang dieses ersten Aktes mit seinem Ende. Durch eine dreifache Modifikation seiner synoptischen ‚Prätexte‘ macht Joh seine Tempelreinigungs-Szene zur Eröffnung des in Kreuzigung und Auferstehung gipfelnden Prozesses gegen Jesus: Dazu versetzt er nämlich (1) die in seinen Vortexten fest mit der Passion Jesu verbundene Erzählung von der Tempelreinigung an diesen Anfang der Auseinandersetzung seines Protagonisten mit ‚den Juden‘. Zugleich verschmilzt er (2) diese Erzählung mit dem Tempelwort aus der synoptischen Verhandlung des Synhedriums gegen Jesus zur unlösbaren Einheit. Und endlich modifiziert er dabei (3) das ‚Tempelwort‘ derart, daß es ebenso zur Weissagung seines gewaltsamen Todes und seiner sieghaften Auferstehung binnen dreier Tage wie zur verborgenen Kennzeichnung der ûIoudaõoi als der Vollstrecker seiner Tötung wird. Daß durch Letzteres nicht etwa Fremdes in den Text ‚hineingelesen wird‘, zeigt der Erzähler durch den Satz: diÅ toúto oên môllon †zfltoun a§tÖn o´ ûIoudaõoi üpokteõnai ktl. (5,18), der sich ja kaum nur auf das in V. 16 vorausgegangene: †d‡wkon o´ ûIoudaõoi tÖn ûIhsoún, beziehen kann, sondern doch wohl die in 2,19 implizierte Absicht der Tötung Jesu voraussetzt. So wird durch unsere Tempelreinigungs-Szene alles, was ihr im Evangelium nun noch folgt, in das Licht der Verherrlichung Jesu durch seinen Tod und seine Auferstehung gerückt, und zugleich wird durch diese Art der ‚Prozeßeröffnung‘ schon angedeutet, wer hier am Ende in Wahrheit der Kläger und Richter, und wer der Angeklagte sein wird (vgl. den Abschnitt „The Gospel’s Juridical Rhetoric“ bei Johns & Miller 522–524).
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Zweiter Akt: Nikodemus, erneute marturiva des Johannes, die Samaritanerin am Jakobsbrunnen und der basilikov" aus Kapharnaum (2,23–4,54) Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Pharisäers und a[rcwn tw`n
∆Ioudaivwn Nikodemus (2,23–3,21) 23
Als er aber während des Passafestes in Jerusalem weilte, da glaubten viele an seinen Namen, weil sie seine Zeichen sahen, die er tat. 24 Er selbst jedoch, Jesus, traute ihnen nicht, weil er sie alle kannte 25 und es nicht nötig hatte, daß ihm einer über den Menschen ein Zeugnis gäbe. Denn er wußte selbst genau, was es um den Menschen ist. 3,1 Es war da aber ein Mensch, einer von den Pharisäern, Nikodemus mit Namen, ein Oberer der Juden. 2 Der kam eines nachts zu ihm und sagte ihm: Rabbi, wir wissen, daß du ein von Gott gekommener Lehrer bist. Denn niemand könnte die Zeichen tun, die du wirkst, wenn Gott nicht mit ihm wäre. 3 Da antwortete Jesus und sagte ihm: Amen, Amen, ich sage dir, wenn einer nicht von oben geboren wird, dann kann er das Reich Gottes nicht sehen. 4 Nikodemus erwiderte ihm: Wie soll ein Mensch denn geboren werden können, wenn er doch schon alt ist? Er kann doch nicht ein zweites Mal in den Leib seiner Mutter eingehen, um geboren zu werden. 5 Jesus antwortete: Amen, Amen, ich sage dir: Wenn einer nicht aus Wasser und Geist geboren wird, dann kann er nicht eingehen ins Reich Gottes. 6 Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch, Geist aber ist allein, was aus dem Geist geboren wurde. 7 Wundere dich (darum) nicht, daß ich dir gesagt habe: Ihr müßt von oben geboren werden. 8 Der Geist (Wind) weht wo er will, und du hörst seine Stimme (sein Sausen), aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er weht. So ergeht es einem jeden, wenn er aus dem Geist geboren wird. 9 Da antwortete Nikodemus und fragte ihn: Wie kann das denn geschehen? 10 Und Jesus erwiderte ihm: Du bist der Lehrer Israels und begreifst das nicht? 11 Amen, Amen, ich sage dir: Was wir wissen, das sagen wir, und was wir vor Augen haben, das bezeugen wir. Doch ihr nehmt unser Zeugnis ja nicht an. 12 Wenn ich von Irdischen Dingen zu euch geredet habe, und ihr (das) nicht glaubt, wie wollt ihr dann glauben (können), wenn ich von Himmlischen Dingen zu euch redete? 13 Niemand ist jemals hinaufgestiegen in den Himmel, außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist, nämlich der Sohn des Menschen, 14 Und wie Mose die Schlange erhöht hat in der Wüste, so muß auch der Sohn des Menschen erhöht werden, 15 damit 179
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" jeder, der glaubt, in ihm das ewige Leben habe (gewinne). 16 Denn so (sehr) hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe. 17 Denn nicht dazu hat Gott den Sohn in die Welt gesandt, daß er die Welt richte (verurteile), sondern dazu, daß die Welt durch ihn gerettet werde. 18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet. Wer dagegen nicht glaubt, der ist bereits gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat. 19 Darin aber besteht das Gericht: Das Licht ist in der Welt erschienen, doch die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, weil ihre Taten böse waren. 20 Denn jeder, der Böses tut, haßt das Licht und verbirgt sich vor dem Licht, damit sein (böses) Tun nicht aufgedeckt wird. 21 Wer aber die Wahrheit (das Rechte) tut, der kommt zum Licht, damit offenbar werde, daß seine Werke in Gott getan sind. 2,23: Daß hier als pars pro toto der shmeõa ¡ †po‡ei Jesu Tempelreinigung stehen muß, wurde oben bereits gesagt. Darüberhinaus steckt in dem auffälligen Plural shmeõa möglicherweise noch das intertextuelle Spiel mit der Episode von der Verfluchung und dem Verdorren des unfruchtbaren Feigenbaumes mit Jesu Wort vom Berge versetzenden Glauben (Mk 11,12–14 u. 20–24). Die solenne Wendung polloÑ †p‡steusan e¢" tÖ µnoma a§toú ist dem Leser schon aus dem Prolog als die Näherbestimmung derer vertraut, die Jesus ‚aufnahmen‘ (≤labon a§t∙n) und von ihm die †xous‡a erhielten, ‚Gottes Kinder zu werden‘ (1,12). Darum darf in unseren Vers gegen die Meinung der meisten Ausleger keinerlei Kritik an dem Glauben der vielen Jerusalemer als „bloßem Zeichen‑ glauben“ hineingelesen werden. Denn allein dazu, den Glauben ‚vieler‘ zu erwecken und zu unterhalten, hat Jesus, wie einst Mose in Ägypten, seine shmeõa in göttlicher Sendung ja getan; und dazu, daß sie dem auch in aller Zukunft noch dienen sollen, hat unser Erzähler sie in seinem ‚Buch‘ eigens ‚(auf)geschrieben‘ (20,30 f). Der in diesem Zusammenhang oft beschworene Vers Joh 6,26 ist insofern gerade keine Analogie, als Jesus da seine Gesprächspartner ja nicht etwa wegen ihres „bloßen Zeichenglaubens“ tadelt, sondern sie mit den Worten zurückweist: zhteõtfi me o§c Ωti e¥dete shmeõa, üllû Ωti †f›gete †k tùn ±rtwn kaÑ †cort›sjhte. Diesem Manko, Jesu Zeichen „zu sehen“, gegenüber erklärt unser Erzähler hier jedoch nachdrücklich: jewroúnte" a§toú tÅ shmeõa ¡ †po‡ei (vgl. Johns & Miller 528–530). Auch 4,48: †Ån mÉ shmeõa kaÑ tfirata ¥dhte, o§ mÉ piste‚shte, ist, wie z. St. zu zeigen sein wird, keine Glosse des ‚Evangelisten‘, mit der er den ‚naiven Zeichenglauben‘ seiner vermeintlichen ‚Semeia-Quelle‘ kritisieren und im Gegensatz zu den ‚Zeichen‘ Jesu Wort als den wahren Ursprung des Glaubens herausstellen wollte. Mit dem zitierten Satz läßt der Erzähler seinen Protagonisten hier vielmehr feierlich gerade das Sehen von Zeichen und Wundern als die Bedingung der Möglichkeit solchen Glaubens benennen. Nirgendwo bietet unser Evangelium auch nur den leisesten Anhalt, geschweige denn die Lizenz dazu, Jesu Worte gegen seine shmeõa oder gegen seine ≤rga auszuspielen. Im Gegenteil! Gerade das Resümee von 20,30 f zeigt, daß der gesamte Weg des fleischgewordenen l∙go" – also seine Worte, sein Verhalten und seine Taten – mit dem einen Stichwort shmeõa benannt und in ihm zusammengefaßt werden kann. 24 f: Daß hier nun im Spiel mit dem doppelsinnigen Lexem piste‚ein gesagt wird, Jesus habe sich denen, die ‚an seinen Namen glauben‘ (†p‡steusan ktl.), gleichwohl 180
Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Nikodemus
2,23–3,1
nicht ‚anvertraut‘ (o§k †p‡steuen a§tÖn a§toõ"), scheint die Interpretation derer zu bestätigen, die hier von einem bloß vordergründigen, allein auf ‚Zeichen‘ gegründeten Glauben reden. Doch, wie der weitere Verlauf unserer Szene zeigen wird, trügt dieser Schein. Denn nicht das Gesehen‑ und Begriffenhaben der shmeõa und die Orientierung an ihnen ist das Manko der ‚vielen‘ und der Grund des ihnen von Jesus verweigerten Vertrauens, sondern allein ihre Lichtscheu, ihre Furcht davor, ihren (durchaus richtigen) Glauben auch öffentlich zu bekennen (3,19–21). Jesus weiß das aufgrund seiner Einheit mit dem Vater (10,30) und seiner darin gründenden Erkenntnis der Herzen, die auf keinerlei Belehrung über das Innere des Menschen angewiesen ist. Mit ihm weiß das freilich einstweilen allein sein allwissender Erzähler, der es in dem nun folgenden Gespräch mit Nikodemus auch den Jüngern und mit ihnen dem Leser ein Stück weit enthüllen wird. Daß Jesus ‚weiß, was im Menschen ist‘, gilt freilich nicht nur den in V. 23 genannten ‚vielen Jerusalemern‘, sondern auch seinen eigenen Jüngern gegenüber. Er weiß zuvor, daß „viele seiner Jünger ihn verlassen und fortan nicht mehr mit ihm wandeln werden“ (6,66). Obgleich er die Zwölf erwählt hat, ‚weiß er‘, daß einer von ihnen der ‚Teufel‘ ist, der ihn ausliefern wird (6,70). Daß mit seiner ‚Stunde‘ auch für sie die ‚Stunde‘ kommen wird: ºna skorpisjöte ∫kasto" e¢" tÅ ¥dia kümÇ m∙non üföte (16,32), weiß er im Voraus (vgl. Derrett, t‡ †rg›zÔh;). 3,1: Daß Nikodemus hier im Anschluß an die eben erörterten drei vorausgehenden Verse ausdrücklich als ein ±njrwpo" und nicht als ti" ±njrwpo" oder als ti" Farisaõo" (vgl. 4,46; 5,5; 11,1) eingeführt wird, zeigt, daß jetzt an ihm Jesu Kenntnis der Menschenherzen exemplarisch vorgeführt werden soll. Er erscheint als einer der ‚vielen‘, die aufgrund der Zeichen Jesu, die sie ‚gesehen‘ haben, an ‚seinen Namen glauben‘ und zugleich doch als einer, von dem Jesus weiß, t‡ én †n tù ünjr„pw (2,25; vgl. Lee, Symbolic Narratives 39). Diese offenbar absichtsvolle Verknüpfung von Joh 2,23–25 mit 3,1 ff mittels der Lexeme ±njrwpo" und shmeõa poieõn bestätigt nun auch, daß der Abschnitt 2,23–3,2 als die Einleitung der Nikodemus-Szene gelesen sein will. Ja, daß unsere neue Szene bereits hier und nicht erst mit 3,1 eröffnet wird, macht die Art der Einführung Jesu als ihres Protagonisten in V. 2 vollends deutlich: Jesus wird hier nämlich nicht neu und nominal benannt, sondern in Weiterführung des Vorausgegangenen nur pronominal durch a§t∙n bezeichnet (vgl de Jonge, Nicodemus 43). Wie in unserem Evangelium etwa die ja fraglos jüdischen Jünger Andreas und Philippus, so trugen seit der Alexanderzeit viele Juden griechische Namen. Auch der durchaus geläufige griechische Name Nik∙dhmo" ist mehrfach für jüdische Träger bezeugt. Josephus kennt einen Gesandten Aristobuls an Pompeius mit diesem Namen (Ant XIV, 37), und in der rabbinischen Überlieferung findet sich der Name, zu ˆwmydqn bzw. in der Kürzung zu yaqn transkribiert, mehrfach (vgl. Bill II, 412 ff; Bauer WB s. v. a. Mendner 294 f). Nichts spricht jedoch dafür, Jesu nächtlichen Besucher mit irgendeinem der bekannten, hier oder da genannten Juden namens ‚Nikodemus‘ zu identifizieren. Er dürfte ebenso fiktional sein wie die gesamte Szene, zu deren Verisimile der Umstand, daß es jüdische Träger dieses Namens gab, jedoch durchaus beiträgt. Möglicherweise spielt der Autor aber, ähnlich wie im Fall Nathanaels oder des Ortsnamens Kana, zugleich mit der einen ‚Sieger‘ ankündigenden Etymologie des Namens ‚Nikodemus‘. Als ±njrwpo" †k tùn Farisa‡wn und zudem als ±rcwn tùn ûIouda‡wn wird Nikodemus eingeführt. Noch zwei weitere Male, und jeweils mit ausdrücklichem Rückbezug auf unsere Szene, wird er uns im Evangelium wieder begegnen. Zunächst nämlich 181
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" in der Passage 7,45–52, wo erzählt wird, die von den Hohenpriestern und Pharisäern zur Verhaftung Jesu ausgesandten Leute (≠phrfitai) seien von ihm derart beeindruckt gewesen (o§dfipote †l›lhsen oætw" ±njrwpo"), daß sie mit leeren Händen zu ihren Auftraggebern zurückkehrten und sich dafür von den Pharisäern tadeln lassen mußten durch die Fragen: mÉ kaÑ ≠meõ" pepl›nhsje; mfl ti" †k tùn ürc∙ntwn ≤p‡steusen e¢" a§tÖn À †k tùn Farisa‡wn; Und unmittelbar nach diesen Worten läßt der Erzähler höchst ironisch unseren Farisaõo" und ±rcwn tùn ûIouda‡wn Nikodemus für Jesus Partei ergreifen und sagen: mÉ ¨ n∙mo" ™mùn kr‡nei tÖn ±njrwpon †Ån mÉ üko‚sÔh prùton parû a§toú kaÑ gnù t‡ poieõ; Wie ihn die übrigen Pharisäer daraufhin fragen: „Bist du etwa auch aus Galiläa?“, so zeigt der Erzähler durch den Einsatz des Mittels der Ironie Nikodemus als einen derer, die an Jesus glaubten. Und 19,38–42 erscheint Nikodemus endlich mit einer exorbitanten Menge kostbarer Salben (m‡gma sm‚rnh" kaÑ ül∙h" Æ" l‡tra" ©kat∙n), um zusammen mit Joseph von Arimathaia den ‚Tobiasdienst‘ am Leichnam Jesu zu verrichten (s. jeweils u. z. St.). Suggit erklärt: „But although Nicodemus is a Jew, he is presented also as a type of all humanity: the double reference to ho ánthro¯pos in 2:25 is a deliberate preparation for the account of Nicodemus, a particular representative of mankind. This is made clear by the use of the anarthrous ánthro¯pos in 3:1, and possibly even by the use of the name Nicodemus, found among both Jews and Greeks“ (93). Indem er jedoch Nikodemus derart zum exemplarischen Repräsentanten der Menschheit erklärt, spielt er dessen hier nicht zufällig doppelt näherbestimmtes Judesein und seine aus 7,51 erkennbare Toratreue zu Unrecht herunter. Denn nicht nur als Pharisäer, sondern darüber hinaus auch noch als ±rcwn tùn ûIouda‡wn, und das heißt wohl als Mitglied des Sanhedrin (vgl. de Jonge, Nicodemus 43), der neben dem Hohenpriester höchsten jüdischen Autorität, wird Nikodemus hier förmlich definiert. Suggit übersieht, daß ¨ ±njrwpo" in 2,25 durch den Gegensatz zum göttlichen Wesen Jesu definiert ist (a§tÖ" dÇ ûIhsoú" o§k †p‡steuen a§tÖn a§toõ" ktl.; vgl. Beasley-Murray, Komm. 47). Nikodemus will darum zunächst als der exemplarische Vertreter der vielen Juden Jerusalems begriffen sein, die aufgrund der Zeichen Jesu an seinen Namen glaubten. Und zugleich verspricht sein Auftreten dem Leser die Lösung des Rätsels, warum Jesus hier denen, die doch an seinen Namen glaubten, seinerseits dennoch mißtraut. Wenn man in Nikodemus darüberhinaus schon den exemplarischen Repräsentanten der Menschheit sehen will, dann darf man gerade von seinem Judesein nicht abstrahieren. Denn das ‚Heil‘, in dem die Menschheit erst zu sich selbst finden soll, ‚kommt von den Juden‘ (Ωti ™ swthr‡a †k tùn ûIouda‡wn †st‡n: 4,22; s. u. z. St.). De Jonge bestreitet u. E. zu Unrecht den ironischen Ton von 7,48. Er sieht Nikodemus nicht als „exception among the rulers and the Pharisees“ und begründet das damit, daß seine ‚Argumentation innerhalb der Grenzen der pharisäischen Diskussion von Gesetzesfragen verbleibe‘ (ebd. 30). Dieses Urteil scheint uns jedoch gänzlich verfehlt zu sein. Denn gerade der Glaube an die gr›mmata Moses, und das heißt die wahre Treue zur Tora, ist die Bedingung der Möglichkeit, an die Øflmata Jesu zu glauben: e¢ gÅr †piste‚ete MwÊseõ, †piste‚ete …n †mo‡: perÑ gÅr †moú †keõno" ≤grayen. e¢ dÇ toõ" †ke‡nou gr›mmasin o§ piste‚ete, pù" toõ" †moõ" Øflmasin piste‚sete; (5,46 f). Daß Nikodemus auf dem Weg sein könnte, aus einem ‚aus Furcht vor den Juden‘ apokryphen Jünger zum rechten Nachfolger Jesu zu werden, hält de Jonge für reine Phantasie der Prediger, die zwar schon Jahrhunderte überdauert aber im „Evangelium selbst keine reale Basis“ habe (ebd. 29). Er meint zu wissen, daß Nikodemus der Finsternis jener ersten ‚Nacht‘ nie entronnen sei, und daß er darum auch ausgeschlossen sei aus Jesu Fürbitte: „Notwithstanding Nicodemus’s opening affirmation ‚We know that you are a teacher sent by God‘ (3,1) he is not among those for whom Jesus prays in 17,6–9: ‚I have made thy name known to the men whom thou didst give me out of the world … they know that all thy gifts have come to me from thee; they have had faith to believe that thou didst sent me. I pray for them; I am not praying for the world but for those whom thou hast given me, because they belong to thee“ (ebd. 32).
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3,1–2
2: Daß Nikodemus Jesus in der Nacht besucht, ist zunächst wohl absichtsvoll ambivalent gesagt, bietet die Nacht doch sowohl die Gelegenheit zu ununterbrochenem und eingehendem Gespräch wie ihr Schatten zugleich denjenigen zu verbergen vermag, der sich – aus welchen Gründen auch immer – scheut, Jesus in der Helle des Tages zu begegnen. Schwerlich darf man diese Ambivalenz aber sogleich durch die Spekulation auflösen: „That Nicodemus came to Jesus ‚by night‘ is less likely to be due to fear than to desire for uninterrupted conversation“ (Beasley-Murray, Komm. 47). Denn die V. 19–21, die unsere Szene beschließen, das spätere öffentliche Eintreten des Nikodemus für Jesus (7,50 f), und sein Erscheinen neben dem ausdrücklich als majhtÉ" toú ûIhsoú kekrummfino" diÅ tÖn fobÖn tùn ûIouda‡wn bezeichneten Joseph von Arimathaia mit der unübersehbaren Erinnerung daran, daß auch Nikodemus bei seiner ersten Begegnung mit Jesus noch im Schutz der Nacht als ein majhtÉ" kekrummfino" zu Jesus gekommen war (19,38 ff), sowie die symbolischen Obertöne beim Gebrauch des Lexems n‚x in 11,10 und 13,30 legen es doch nahe, in Nikodemus nicht nur den Repräsentanten der V. 23 genannten pollo‡, sondern ihn – jedenfalls bei dieser ersten Begegnung – zugleich mit dem Manko der Scheu des öffentlichen Bekenntnisses behaftet und darin des Rätsels Lösung zu sehen, warum Jesus den ‚vielen‘ mißtraut. Mit dem förmlichen und keineswegs auch nur irgendwo defizitären Bekenntnis: Øabb‡, o¥damen Ωti üpÖ jeoú †lflluja" did›skalo": o§deÑ" gÅr d‚natai taúta tÅ shmeõa poieõn ¡ sÜ poieõ", †Ån mÉ Ôé ¨ jeÖ" metû a§toú, tritt Nikodemus Jesus gegenüber. Die ehrende Anrede ‚Rabbi‘, vom Erzähler sogleich mit did›skale übersetzt, hatten schon seine beiden ersten ‚Nachfolger‘, Andreas und dessen anonymer Begleiter, Jesus gegenüber gebraucht (1,38). Mit ihr hatte Nathanael sein solennes Bekenntnis eröffnet: Øabb‡, sÜ eè ¨ u´Ö" toú jeoú, sÜ basileÜ" eè toú ûIsrafll (1,49). Als ‚Rabbi‘ reden die Jünger Jesus an 4,31; 9,2; 11,8; und Maria (™ Magdalhnfl) erkennt und begrüßt ihren auferstandenen Herrn mit Øabbouni (20,16; zum Gebrauch der Anrede im zeitgenössischen Judentum noch vor der förmlichen Ordination von Rabbinen und der institutionellen Einrichtung des Rabbinats vgl. Schneider, Art. Øabb‡). Der Plural o¥damen zeigt, daß Nikodemus als Sprecher der ‚Vielen‘ aus 2,23 verstanden sein will. Über diese klare intratextuelle Beziehung hinauszugehen und jenseits der Textwelt mit diesen ‚Wir‘ noch irgendeine konkrete und organisierte ‚Gruppe‘ von Judenchristen in der Lebenswelt des Autors identifizieren zu wollen, erscheint uns abwegig. Denn dem Text liegt ja nicht daran, Nikodemus als den Anführer einer Gruppe irgendwelcher Häretiker zu charakterisieren, sondern solche (Leser), die es wie er nur in der Anonymität der Nacht wagen, zu Jesus zu kommen, zum Aufbruch ins Licht zu ermutigen. So erwägt etwa Ibuki zunächst, Nikodemus den „in 12,42 erwähnten Ratsherren, die wegen der Pharisäer ihren Glauben nicht bekannten“, zuzurechnen: „Mit der hinter Nikodemus stehenden Gruppe wären dann also die Juden gemeint, die mit der johanneischen Gemeinde Kontakt aufnahmen und sogar an Jesus glaubten, aber diesen ihren Glauben verheimlichten, weil sie den Übergang von der Synagoge zur johanneischen Gemeinde nicht wagten. 3,1–12 müßte dann so verstanden werden, daß hier unter Betonung der Taufe dieser Übergang und das öffentliche Glaubensbekenntnis von ihnen verlangt würden“. Doch diesen Gedanken eines im Hintergrund der Nikodemus-Szene stehenden Streites mit der Synagoge verwirft Ibuki sogleich wieder und postuliert stattdessen das Vorliegen einer „innerkirchlichen Auseinandersetzung“. Denn in den Versen 1–12 werde die Taufe ja keineswegs „einfach als Neugeburt betont“, sondern deren Akzent vielmehr deutlich „auf das Hören … des Geist-Wortes und dessen Annahme“ verschoben.
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2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" Darin zeichne sich aber „deutlich eine Konfrontation mit einer Art Sakramentalismus ab“. Treffe das aber zu, so könne man „noch einen Schritt weitergehen und sagen, daß die hier betonte Neugeburt durch die Wortverkündigung der Glaubenden durchaus auch als Frontbildung gegen eine allseitige Institutionalisierung, d. h. gegen eine allzu schnelle Gleichsetzung des Geistes mit dem Institutionellen verstanden werden“ könne. „Das Wort in V. 8 ‚der Geist weht, wo er will‘ könnte somit auch die Polemik zu einer Haltung ausdrücken, die den Geist außerhalb des institutionellen Gefüges ausschließt. Damit ist im Gespräch mit Nikodemus höchstwahrscheinlich (sic!) eine Auseinandersetzung mit einer bestimmten Richtung der Großkirche bezeugt“. Diese kühne, uns jedoch ‚höchst unwahrscheinlich‘ dünkende These will Ibuki, dann auch noch durch die vermeintliche „Tatsache“ stützen, daß Jesus Nikodemus „in 3,10 ‚Lehrer Israels‘ … und nicht etwa ‚Lehrer der Juden‘“ nenne, wobei ‚Israel‘ – im Anschluß an Pancaro (People 125) – das ‚neue Gottesvolk aus Juden und Heiden‘ bezeichnen soll (fwnfl 20 f). Abgesehen von der Fragwürdigkeit, mit der hier, ähnlich wie bei Martyn (History and Theology pass.), ein fiktionaler literarischer Text derart unvermittelt als Spiegel der mutmaßlich ‚realen Verhältnisse‘ zur Zeit seines Autors angesehen und ausgeschlachtet wird, steckt diese ganze Konstruktion auch voller Anachronismen und Unwahrscheinlichkeiten. Das beginnt schon mit der Rede von „der hinter Nikodemus stehenden Gruppe“ als einer fixen Größe, setzt sich fort in den entsprechend absoluten Formulierungen „die Synagoge“ und „die johanneische Gemeinde“ sowie in deren Gegenüber zu „der Großkirche“, im Reden von „Sakramentalismus“ und in der Diastase von „Wort und Sakrament“. Und endlich gipfelt das ganze Konstrukt darin, daß Nikodemus – unter Ausblendung seiner weiteren Rolle und Funktion im Plot unseres Evangeliums – zugleich zum Repräsentanten eines orthodoxen Bischofs der Großkirche mutiert. Ähnlich hatte schon G. Richter (Studien 329) Nikodemus zum „Sprecher und Repräsentanten“ des „Judenchristentums“ der vermeintlichen „Grundschrift“ unseres Evangeliums erklärt, deren bloße „Messiaschristologie“ und deren Anschauung „der Taufe als heilsnotwendiger Wiedergeburt“ der Evangelist in unserer Szene kritisiere (ebd. 327 ff; vgl. auch die ähnliche Beurteilung des Nikodemus durch Meeks, Man from Heaven 54 f; de Jonge, Nicodemus 35 ff; ders., Jewish Expectations 100). Auch Neyrey sieht in unserem Text allzu vorschnell „the window it offers on the community’s experience“ (John III, 115). Er glaubt, ein „low level“ im Bekenntnis des Nikodemus ausmachen zu können, und qualifiziert es als „pseudoconfession“ (117). Zumal wegen des völlig unvermittelten Übergangs der singularischen Anrede des Nikodemus durch Jesus mit dem feierlichen ümÉn ümÉn lfigw soi in den pluralischen Satz: Ωti ≈ o¥damen laloúmen kaÑ ≈ ©wr›kamen marturoúmen, kaÑ tÉn martur‡an ™mùn o§ lamb›nete (V. 11) wird bei Neyrey unter der Hand aus dem nächtlichen Besucher Jesu der heimliche Besuch eines „leaders of the Jews“ bei einem „Christian leader“ der „Johannine community“. Sein exklusives „Wissen“ und „Gesehenhaben“ soll dieser, wie aus V. 34: ≈n gÅr üpfisteilen ¨ jeÖ" tÅ Øflmata toú jeoú laleõ, (kurz)geschlossen wird, seiner esoterischen Belehrung durch Jesus über die „heavenly secrets“ verdanken (124), obwohl von Derartigem in unserem Evangelium – und sei es auch nur andeutungsweise – nirgendwo die Rede ist. Dessen einziges „heavenly secret“ ist vielmehr allein das seit Ostern offene Geheimnis, daß Jesus als der monogenÉ" u´∙" vom Vater gesandt ist, ºna swjÔö ¨ k∙smo" diû a§toú (3,16 f). Mit dem zumal für die erzählten ûIoudaõoi bezeichnenden Mißverstehen des irdischen Jesus versucht der Evangelist, das beklagenswerte Paradox zu erklären, daß ausgerechnet „die Seinen“, Gottes eigenes und erwähltes Volk, den ihnen gesandten messianischen Erlöser abgelehnt und verworfen haben. Nachösterlich gibt es jedoch weder irgendeine göttlich inspirierte Sonderepistemologie samt einer nur ‚Insidern‘ verständlichen „Sondersprache“ (Leroy, Rätsel pass.), noch solche Mißverständnisse, wie sie für die Begegnung mit dem irdischen Jesus charakteristisch waren. Jeder kann jetzt die christliche Botschaft verstehen und positiv oder negativ zu ihr Stellung nehmen. Darum ist es abwegig, aus dem Gespräch mit Nikodemus zu schließen: „that our dialog reflects a period in the life of the community before total hostility set in between synagogue and church. High level christology is already the martyria of this group, but it is unintelligible to some and unacceptible to others. The fact that Nicodemus came ‚at night‘ suggests a period shortly before the great rupture described by Louis Martyn [History]; after all, a ruler of the Jews came to Christians, a thing unthinkable if the ban on the Johannine community were already in force“ (Neyrey, John III, 126; vgl. dagegen Carson, Understanding 86).
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3,2–3
Derartigen Spekulationen gegenüber halten wir daran fest, daß der Jude Nikodemus, ein Pharisäer und wohl Mitglied des Sanhedrin, hier als ein Sprecher jener „Vielen“ Jerusalems erscheint, die aufgrund der Zeichen Jesu „an seinen Namen glaubten“. Warum Jesus ihnen gleichwohl nicht vertraut, bleibt bis zum nächtlichen Erscheinen des Nikodemus rätselhaft. Denn inhaltlich scheint es an ihrem ‚Glauben an seinen Namen‘ so wenig auszusetzen zu geben wie an seinem solennen Bekenntnis. Daß ihr und sein Glaube als „bloßer Zeichenglaube“ defizitär und darum der Grund für Jesu Mißtrauen wäre, wird zwar fast überall behauptet, trifft aber schwerlich zu. Denn wie von den Jüngern nach der Kanahochzeit gesagt wurde: kaÑ †p‡steusan e¢" a§t∙n (2,11), so haben Nikodemus und die ‚Vielen‘ Jerusalems an Jesu Zeichen nun die ‚Offenbarung seiner d∙xa‘ erkannt und ‚an seinen Namen geglaubt‘. Mit solchem Glauben entsprechen sie dem shmeõa poieõn Jesu und der Mühe, der sich sein ‚geliebter Jünger‘ unterwirft, wenigstens eine Auswahl dieser ‚Zeichen‘ in seinem ‚Buch‘ zu erzählen, damit auch seine Leser glaubend das ewige Leben gewinnen (20,30 f). Wenn Nikodemus Jesus mit „Rabbi“ anredet und ihn einen did›skalo" nennt, behandelt er ihn keineswegs herablassend und schon gar nicht mit einem „Element von Sarkasmus“ (Cotterell 239) bloß als seinesgleichen. Denn, wie wir sahen, reden auch Jesu Jünger ihren Herrn und Meister mit ‚Rabbi‘ an, das bei seinem ersten Gebrauch sogleich mit did›skalo" übersetzt wird (1,38). Und unmittelbar nach ihrem solennen Glaubensbekenntnis spricht Martha von Jesus als von ihrem did›skalo" (11,27 f). Ja, so nennen ihn nicht nur seine majhta‡, sondern so bezeichnet er sich sogar selbst (13,13 f; vgl. 7,16 f: ™ †mÉ didacÉ o§k ≤stin †mÉ üllÅ toú pfimyant∙" me ktl.). Und wie Nikodemus aufgrund der ‚Zeichen‘ bekennt, daß Jesus ein ‚von Gott gekommener Lehrer‘ und daß ‚Gott mit ihm‘ sei, so erklärt Jesus selbst: †gá gÅr †k jeoú †xöljon kaÑ ªkw, o§dÇ gÅr üpû †mautoú †lflluja, üllû †keõn∙" me üpfisteilen (8,42) und: ¨ pfimya" me metû †moú †stin (8,29) oder: ¨ patÉr metû †moú †stin (16,32; vgl. de Jonge, Nicodemus 40). Auch wenn seinem Bekenntnis die spezifischen messianischen Prädikate crist∙" und u´Ö" toú jeoú fehlen, wird der Sache nach wohl von niemandem eine höhere Christologie als die gefordert, die sich in dem Bekenntnis des Nikodemus ausspricht. Darum bleibt das Mißtrauen Jesu einstweilen ebenso rätselhaft wie die Ambivalenz, die seinen nächtlichen Besucher umgibt, der doch einerseits „zu dem kommt“ (éljen prÖ" a§t∙n), der da sagt: ¨ †rc∙meno" prÖ" †mÇ o§ mÉ pein›sÔh, kaÑ ¨ piste‚wn e¢" †mÇ o§ mÉ diyflsei p„pote (6,35), andererseits aber nicht wie einer, ¨ poiùn tÉn ülhje‡an ... prÖ" tÖ fù" ‚kommt‘ (3,21), sondern im Schatten der Finsternis erscheint. So bilden die „Nacht“ der Verse 1 f und das „Licht“ von V. 21 eine Inclusio um die Gestalt des Nikodemus, „who on the one hand comes to Jesus (itself a Johannine indication of faith, see 6,35) yet on the other fails to recognise the light“ (Lee 38). Allein in dieser Ambivalenz dürfte darum wohl das Mißtrauen Jesu gründen. 3: Jesu Reaktion auf das Bekenntnis seines nächtlichen Besuchers führt der Erzähler mit der nachdrücklichen Wendung ein: üpekr‡jh (¨) ûIhsoú" kaÑ eèpen a§tù. Und das dieser Einführung entsprechende Gewicht der ersten Äußerung Jesu ist deutlich markiert durch deren Eröffnung mit dem solennen doppelten ümfln Jesu, das unserem Evangelium einen Teil seines spezifischen Gepräges verleiht (siehe dazu oben zu 1,51). Doch der damit eingeleitete Satz: †Ån mfl ti" gennhjÔö ±nwjen, o§ d‚natai ¢deõn tÉn basile‡an toú jeoú, führt nicht nur – wie V. 4 sogleich zeigen wird – zu dem ersten Mißverständnis des Nikodemus, sondern gibt auch dem Leser und Interpreten Rätsel 185
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" auf. Der muß sich nämlich fragen, warum Jesus mit keinem Wort auf das christologi‑ sche Bekenntnis des Nikodemus eingeht, zumal das zentrale Thema beider Szenen des dritten Kapitels mit der Rede von der himmlischen Herkunft des Menschensohns und von seinem endlichen Aufstieg dahin, woher er gekommen ist, doch gerade ein eminent christologisches ist. Statt aber den von Nikodemus gesponnenen christologischen Gesprächsfaden aufzunehmen, scheint Jesus mit seinem wohl eher soteriologischen oder epistemologischen Wort vom gennhjönai ±nwjen völlig an seinem Gegenüber vorbeizureden und eine Frage zu beantworten, die Nikodemus ihm überhaupt nicht gestellt hatte (vgl. de Jonge, Nicodemus 39). Dieser Konsequenz sucht Brown dadurch zu entkommen, daß er erklärt: „Jesus’ answer in 3,3 seems to treat Nicodemus’ greeting as an implicit request about entrance into the kingdom of God“ (Komm. I, 138). Fast alle Ausleger begreifen die V. 3 u. 5, die beide mit dem doppelten Amen Jesu eingeleitet sind, als nahezu synonyme Aussagen. Dementsprechend gilt ihnen das ‚Sehen‘ (¢deõn) der basile‡a toú jeoú (V. 3) als etwa gleichwertig mit dem in V. 5 an seiner Stelle erscheinenden ‚Eingehen‘ (e¢seljeõn) in diese basile‡a (vgl. nur Bultmann, Komm. 95). Werden aber ¢deõn und e¢seljeõn nur als verschiedene Ausdrücke für die gleiche Sache angesehen, dann legt es sich nahe, in dem gennhjönai †x ædato" kaÑ pne‚mato" nichts anderes zu sehen als eine Näherbeschreibung des gennhjönai ±nwjen von V. 3. Das aber wirft die Frage auf, warum der Erzähler fast unmittelbar nach V. 3 zur Eröffnung von Vers 5 nochmals das solenne doppelte Amen Jesu gebraucht, wenn es hier nur das Vorausgegangene interpretieren und nicht, wie sonst stets, Neues ins Spiel bringen soll. All diese Aporien verschwinden jedoch, wenn man die vermeintliche Parallelität der beiden Verse 3 und 5 aufgibt und unseren V. 3 im Anschluß an Überlegungen Nicholsons als die christologische Antwort Jesu auf das christologische Bekenntnis des Nikodemus zu lesen versucht: „How can we understand 3,3 as a christological statement? First of all we can say that to affirm that Jesus is born ±nwjen is the same thing as saying that he comes ±nwjen (3,31) – i. e. his origin is ‚above‘ prÖ" tÖn je∙n (1,1 f). It is interesting to note that the other place in the Gospel were genn›w is used of Jesus (18,37), juxtaposes genn›w and ≤rcomai when speaking of Jesus. That Jesus bears witness as a consequence of his ‚seeing‘ the things above is also not uncharacteristic of the Fourth Gospel. In 8,38 the same verb (¨r›w) is used to contrast the ‚seeing‘ and the ‚speaking‘ of Jesus on the one hand, and that of the Jews on the other. It is exactly this contrast that is being made in chapter 3. The one who is born k›tw, or †k tö" sark∙", is s›rx and speaks accordingly. But since Jesus is from ±nw, i. e. since he has been born ±nwjen, he can speak of what he has seen with his Father (8,38; cf. 3,32; 5,19; 6,46)“ (Death as Departure 81; vgl. Meeks, Man from Heaven 52 f). – Hinzuzufügen wäre noch, daß mit Jesu Satz: ümÉn ümÉn lfigw soi Ωti ≈ o¥damen laloúmen kaÑ ≈ ©wr›kamen marturoúmen (3,11) in der letzten Antwort Jesu an Nikodemus das anfängliche ¢deõn von V. 3 wiederaufgenommen wird. Und zudem stehen in der von Nicholson zitierten Stelle 18,37 nicht nur gegfinnhmai und †lflluja in synonymem Parallelismus, sondern im unmittelbaren Kontext dieses Verses begegnet das bei Joh rare, nämlich neben 3,3 u. 5 nur hier vorkommende Lexem basile‡a gleich dreifach (18,36; hier nicht wie 3,3.5 als basile‡a toú jeoú, sondern als ™ basile‡a ™ †mfl). Ist das richtig oder, der Eigenart symbolischer Texte entsprechend, zumindest plau‑ sibel – und dafür sprechen, wie gesagt, beachtliche Gründe –, dann beruht das sogleich noch näher zu erörternde Mißverständnis des Nikodemus nicht allein auf der offensicht186
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3,3–4
lich absichtsvollen Ambiguität des einen Lexems ±nwjen, das hier nämlich sowohl ‚von Neuem‘ als auch ‚von oben‘ bedeuten kann und soll, sondern zugleich darauf, daß er das ‚Sehen‘ der basile‡a toú jeoú für eine jedermann erschwingliche Möglichkeit hält, statt darin die Wirklichkeit des einen zu erblicken, der als der ±nwjen †rc∙meno" †p›nw p›ntwn †st‡n (3,31; vgl. 1,18). So gesehen, redet Jesus in V. 3 nicht an Nikodemus vorbei, sondern präzisiert dessen Bekenntnis zu sich als dem ‚von Gott gekommenen Lehrer‘ durch sein exklusives gennhjönai ±nwjen: „If this approach is correct, then at this point in the dialogue Jesus is not speaking about the necessity of this birth ±nwjen – that will come later. On the contrary, he is giving the correct assessment of himself as the one who is from above. Jesus is the ‚teacher come from God‘ only in the sense that he is sent by God and speaks the words of God (3,34), or, as it is put in 3,31–32, inasmuch as he comes from above, he speaks of what he has seen and heard“ (Nicholson, ebd. 82). 4: lfigei prÖ" a§tÖn [¨] Nik∙dhmo": pù" d‚natai ±njrwpo" gennhjönai gfirwn ∑n; mÉ d‚natai e¢" tÉn koil‡an tö" mhtrÖ" a§toú de‚teron e¢seljeõn kaÑ gennhjönai; Der Artikel ¨ vor Nik∙dhmo" fehlt in P66.75 B L N Ws Q Y und vielen weiteren Zeugen; geboten wird er von a A K G D 063 f 1.13 u. a. – Die Fügung ±njrwpo" gennhjönai gfirwn ∑n begegnet in einigen Zeugen in anderer Folge ihrer Glieder (vgl. Nestle-Aland z. St.). Interessant im Blick auf die Auslegungsgeschichte ist, daß die Zeugen H 28 pc aur e f zwischen gennhjönai und gfirwn ∑n das Lexem ±nwjen aus V. 3 einfügen und damit zeigen, daß sie de‚teron und ünwjen als Synonyma begreifen. So versteht auch Justin Jesu Wort, wenn er es so wiedergibt: kaÑ gÅr ¨ CristÖ" eèpen: …n mÉ ünagennhjöte, o§ mÉ e¢sfiljhte e¢" tÉn basile‡an tùn o§ranùn (Apol I/61,4 f). Daß Justin dabei – und nicht nur hier! – von Johannes abhängig ist, zeigt der Kontext, der den Einwand des Nikodemus so aufnimmt: Ωti dÇ kaÑ üd‚naton e¢" tÅ" mfltra" tùn tekousùn toÜ" πpax gennwmfinou" †mbönai, fanerÖn pôs‡ †sti (ebd. 61,5; vgl. Bergmeier, Gottesherrschaft 66, u. Mees, Rezeptionsgeschichte 210 ff).
Nach dem durch den Kommentar des Erzählers aufgeklärten Mißverständnis des Tempelwortes Jesu durch die ûIoudaõoi (2,21) erscheint in dieser Antwort des Nikodemus nun das zweite der für unser Evangelium so charakteristischen Mißverständnisse. Es zeigt zum einen, daß Nikodemus die u. E. absichtsvolle Ambivalenz des Lexems ±nwjen im Sinne von „wieder“ oder „erneut“ als platte Eindeutigkeit verstanden und zum anderen weder den symbolischen Modus der Rede Jesu noch ihre christologische Pointe begriffen hat. Demgegenüber erklärt Bultmann: „±nwjen kann sowohl ‚von oben‘ heißen wie ‚von neuem‘ … Es heißt 3,31; 19,11.23 ‚von oben‘, kann aber 3,3.7 nur ‚von neuem‘ bedeuten. … Auch ist die Bedeutung ‚von oben‘ nicht neben dem ‚von neuem‘ mitzudenken. Die Zweideutigkeit johanneischer Begriffe und Aussagen, die zu Mißverständnissen führen, liegt nicht darin, daß eine Vokabel zwei Wortbedeutungen hat, so daß das Mißverständnis eine falsche Bedeutung ergriffe; sondern darin, daß es Begriffe und Aussagen gibt, die in einem vorläufigen Sinne auf irdische Sachverhalte, in ihrem eigentlichen Sinne aber auf göttliche Sachverhalte gehen. Das Mißverständnis erkennt die Bedeutung der Wörter richtig, wähnt aber, daß sie sich in der Bezeichnung irdischer Sachverhalte erschöpfe; es urteilt katû µyin (7,24), katÅ s›rka (8,15).“ (Komm. 95). Carson (Understanding Misunderstanding 60) erklärt dazu: „But this is clearly wrong“ ; vgl. auch Cullmann, Doppeldeutige Ausdrücke; Leroy, Rätsel 124 ff; u. Lee, Symbolic Narratives 49 f). Ganz abgesehen von der oben vorgeschlagenen christologischen Lesart von V. 3 wäre auch dann, wenn hier nur von der Notwendigkeit einer wunderbaren Neugeburt dessen, der die basile‡a toú jeoú ‚sehen‘ oder in sie ‚eingehen‘ will, die Rede sein sollte, das doppeldeutige Lexem ±nwjen
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2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" ein gewichtiger Hinweis darauf, daß die neue Geburt nur eine solche ‚von oben‘ sein kann, daß es hier also um „göttliche Sachverhalte“ geht. Die absichtsvolle Spannung zwischen diesem ‚von oben‘ und dem ‚von neuem‘ darf nicht dadurch beseitigt werden, daß die eine dieser Bedeutungen gegen die andere ausgespielt wird. Denn „the author’s deliberate choice involves the dual aspects of a word and intimates the correctness of both“ (Wead 32; vgl. Richard 106 ff).
5: Die Vermutung, daß Jesu erneutes ümÉn ümÉn lfigw soi mit der Wendung vom gennhjönai †x ædato" kaÑ pne‚mato" dem gennhjönai ±nwjen von V. 3 gegenüber tatsächlich ein neues Rhema ins Spiel bringt, und daß darum das exklusive „Sehen“ der basile‡a durch den einen gennhjeõ" ±nwjen nicht mit dem „Eingehen“ in die basile‡a derer, die „aus Wasser und Geist“ geboren wurden, identisch, sondern vielmehr die Bedingung der Möglichkeit ihrer neuen Geburt ist, haben wir oben bereits zu begründen versucht. Daß zu Eingang dieser ersten Offenbarungsrede Jesu unseres Evangeliums – und nur hier – das Stichwort der in den synoptischen Evangelien so prominenten Rede von der basile‡a toú jeoú gleich zweifach erscheint, ist schwerlich bloßer Zufall. Markus hat das Thema seinem Evangelium ganz programmatisch vorangestellt, indem er Jesu gesamte Botschaft mit dem letzten Satz seines Quasi-Prologs so zusammenfaßt: peplflrwtai ¨ kairÖ" kaÑ ≥ggiken ™ basile‡a toú jeoú: metanoeõte kaÑ piste‚ete †n tù e§aggel‡w (1,15). Weil dagegen aber für Joh gilt: „la venue du règne en la personne de Jésus est une dominante de son évangile“ (Morgen 517), spielt bei ihm, anders als in den Synoptikern, die imminente Nähe der basile‡a keine Rolle; sie scheint vielmehr in die Nähe der ‚Stunde Jesu‘ aufgehoben zu sein. Ja, weil die Fügung ™ basile‡a toú jeoú im ganzen folgenden Evangelium nicht mehr begegnet, könnte man geradezu sagen, daß unser drittes Kapitel u. a. die Funktion hat, die Rede von der basile‡a toú jeoú in diejenige von der himmlischen Herkunft und endlichen „Erhöhung“ Jesu als des ‚Menschensohnes‘ zu transformieren. Auch wenn das Mk 1,15 parr. mit der Nähe der basile‡a verbundene Vokabular der met›noia und des metanoeõn bei Joh fehlt, so heißt das noch lange nicht, daß dessen Sache in Jesu Rede von der Notwendigkeit der neuen Geburt (‚von oben‘) und in dem folgenden Spiel mit der biblischen Erzählung von der ‚ehernen Schlange‘ (s. u. zu V. 14) nicht gleichwohl höchst gegenwärtig wäre. Ebenso ist auch das dritte Motiv des programmatischen Satzes von Mk 1,15, nämlich der ‚Glaube‘, bei Joh in eigentümlicher Transformation präsent: Aus der missionarischen Thematik des Aufrufs zum „Glauben an das Evangelium“ gelöst, hat er ihn eng mit dem Gerichtsmotiv verknüpft (V. 12.15 f.18.36) und das mit ihm verheißene Heil in Gestalt der Metapher vom ‚ewigen Leben‘ unlösbar an das christologische Bekenntnis zu Jesus als Gottes monogenÉ" u´∙" gebunden (vgl. Morgen 517). Morgen hat es als überaus wahrscheinlich erwiesen, daß unser Autor sich bei dieser Transformation der drei Motive von Mk 1,15 parr. weiterer synoptischer Texte bedient hat. Aber ebenso, wie sich etwa Mt 18,3: ümÉn lfigw ≠mõn, †Ån mÉ straföte kaÑ gfinhsje Æ" tÅ paid‡a o§ mÉ e¢sfiljhte e¢" tÉn basile‡an tùn o§ranùn nicht einfach als die „Quelle“ der Verse 3 und 5 identifizieren läßt, haben auch diese Texte keinesfalls den Status von „Quellen“. Aus dem Vergleich von Joh 3,3.5 mit Mt 18,3, dem synoptischen Vers, der diesen Sätzen in der Tat am nächsten verwandt ist, folgert Dodd zu Recht: „if John borrowed at all (sc. from the Synoptics) he must have had two or more gospels before him“. Das hält er jedoch für unwahrscheinlich. Dagegen meint er aber, gute Gründe für die Vermutung zu haben, „that he had access to an alternative body of tradition, this saying also may have reached him in a form very similar to, but 188
Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Nikodemus
3,4–5
not identical with, that which reached Matthew“ (Tradition 359; vgl. Interpretation 303 ff). Doch weil die spezifische Art des intertextuellen Umgangs unseres Evangelisten mit dem Alten Testament als der „Schrift“ und mit den Werken seiner synoptischen Vorgänger es weithin unmöglich macht, das in dem Neuen seines Werkes aufgegangene Alte noch als dessen „Quellen“ zu identifizieren, sollte man mit dem beliebten Postulat, daß Joh hier oder da eben aus einem „alternative body of tradition“ schöpfe, höchst zurückhaltend umgehen und vor allem das spezifisch Johanneische nicht einer imaginären „Quelle“ zuschreiben. Wie sich Joh 4,46–54 im Spiel mit den Elisa-Wundern von 2Kön 4 f als eine „relecture originale des Synoptiques“ erweisen wird (Neirynck, Jean 120; s. u. z. St.), so begreift Morgen einleuchtend auch Joh 3,1–21 als das Ergebnis einer derartigen Relektüre, und zwar nicht isolierter Logien, sondern literarischer Zusammenhänge der überlieferten synoptischen Evangelien (518 ff). Trotz der geringen Dichte wörtlicher Übereinstimmungen erkennt Morgen in Joh 3,1–21 doch deutliche Indizien dafür, daß die Szene als ein intertextuelles Spiel mit den synoptischen Erzählungen vom ‚reichen Jüngling‘ (Mk 10,17–22 / Mt 19,16–22 / Lk 18,18–23) und vom ‚Zinsgroschen‘ (Mk 12,13–17 / Mt 22,15–22 / Lk 20,20–26) in ihren jeweiligen Kontexten gelesen sein will. So begegnet die Wendung vom e¢seljeõn e¢" tÉn basile‡an toú jeoú (bzw. bei Mt: tùn o§ranùn) in den genannten Textkomplexen gleich mehrfach: Mk 10,15.23.24.25; Mt 18,3; Lk 18,24 f. Wie Nikodemus so ist der ‚Reiche‘ bei Lukas ein ±rcwn. Er tritt Jesus ehrerbietig gegenüber und redet ihn mit did›skale ügajfi an. Während – wie bei Joh fast stets – Jesus Nikodemus gegenüber die Initiative ergreift und darauf zusteuert, daß und wie einer „nicht verloren geht, sondern das ewige Leben gewinnt“ (3,16), eröffnet bei Lukas der ±rcwn den Dialog mit der Frage: t‡ poiflsa" zwÉn a¢„nion klhronomflsw; (Lk 18,18; vgl. 10,25). Und wie bei Joh der Dialog weitgehend durch das Verbum d‚namai bestimmt ist, so heißt es nach dem für Jesus betrüblichen Weggang des ‚reichen Jünglings‘: pù" dusk∙lw" ... e¢" tÉn basile‡an toú jeoú e¢spore‚ontai. Und die darauf folgende Jüngerfrage: kaÑ t‡" d‚natai swjönai; beantwortet Jesus so: tÅ üd‚nata parÅ ünjr„poi" dunatÅ parÅ tù jeù †stin (Lk 18,24 ff; vgl. Mk 10,27: p›nta gÅr dunatÅ parÅ tù jeù). Mit der Information seiner Leser über Jesu Wissen um das, „was im Menschen ist“, hatte unser Erzähler die Nikodemus-Szene ja bereits eingeleitet (2,24 f), und die unaufhebbare Differenz zwischen den üd‚nata parÅ ünjr„poi" und den dunatÅ parÅ tù jeù wird Jesus im folgenden V. 6 als diejenige zwischen „Fleisch“ und „Geist“ zur Sprache bringen. Und wie der ganze Komplex von Mk 10 schließlich einmündet in die Weissagung des Leidens und der Auferstehung des Menschensohnes (Mk 10,33 f), so bildet deren johanneische Transformation in den V. 13 f das Zentrum unserer Szene. Die Affinität zur Zinsgroschen-Perikope scheint im übrigen, längst vor Morgen, bereits dem Verfasser des Papyrus Egerton II aufgefallen zu sein, wo zu lesen ist: did›skale ûIhsoú, o¥damen Ωti üpÖ jeoú †lflluja", ¡ gÅr poieõ" martureõ ≠pÇr toÜ" profflta" p›nta": e¢pÇ oên ™mõn: †xÖn toõ" basileúsin üpodoúnai tÅ ünflkonta ktl. (frg. 2 recto; Text bei Erlemann 33, der freilich „die Unabhängigkeit Egertons von den vier Evangelien“ für „relativ sicher“ hält, wogegen uns der Papyrus als ein intertextuelles Spiel mit allen vier kanonischen Evangelien und insofern als eine interessante Analogie zum Verhältnis des Joh zu den Synoptikern erscheint; vgl. Jeremias & Schneemelcher, NTApo I, 82–85; Brown, Komm. I, 229; Neirynck, Evangelica II, 753–759).
Mit seinem doppelten Amen erklärt Jesus das gennhjönai †x ædato" kaÑ pne‚mato" feierlich zur notwendigen Bedingung der Möglichkeit, in die basile‡a toú jeoú ein189
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" gelassen zu werden. Weil die beiden Wörter ædato" kaÑ in einigen Mss. sowohl der Vulgata als auch bei Origenes fehlen, hat einst Wendt hier für eine Konjektur plädiert und ædato" kaÑ kurzerhand gestrichen. Darin hat er zahlreiche Nachfolger gefunden. Doch die überwältigend breite und klare Bezeugung von ædato" kaÑ auch durch die gewichtigen Papyruszeugen, die Wendt freilich noch nicht kannte, verbietet diesen Eingriff. Anstelle von e¢selqeõn e¢" wiederholen a* pc hier das ¢deõn aus V. 3 und zeigen damit, daß ihre Schreiber die beiden Verse, wie zahllose ihrer kommentierenden Nachfolger, wohl als synonyme Varianten verstanden haben. Zu den Versuchen, ædato" kaÑ entweder als eine Glosse, die sich dem sakramentalistischen Interesse des sogenannten ‚kirchlichen Redaktors‘ verdankt (Bultmann), oder den gesamten V. 5 als ein für den Evangelisten freilich bedeutungsloses Rudiment seiner vermeintlichen Quelle auszuweisen (Becker, Richter und Bergmeier), vgl. Thyen, Studien [24]. Im Gegensatz zu allen derartigen Versuchen vermögen wir V. 5 weder als eine bloße Variante von V. 3 noch gar als dessen Quelle zu begreifen. Wir sehen in ihm vielmehr die sachgemäße und weiterführende Antwort Jesu auf den Einwand des Nikodemus in V. 4. Es würde nämlich dem ausgeprägten Sinn unseres Erzählers für das Verisimile seiner Erzählung widersprechen, wenn er dem ±rcwn tùn ûIouda‡wn zumutete, in dem gennhjönai †x ædato" kaÑ pne‚mato" eine Anspielung an die christliche Taufe, womöglich gar in deren durch das pneúma begründeter Unterschiedenheit von der Johannestaufe als bloßer Wassertaufe zu erkennen. In seiner Erwiderung auf Jesu Wort vom gennhjönai ±nwjen hatte Nikodemus – von der christologischen Konnotation der Wendung ganz abgesehen – dessen metaphorischen Sinn mißverstanden, das gennhjönai einseitig auf den natürlichen Geburtsvorgang bezogen und von daher zu Recht bezweifelt, daß dergleichen wiederholbar sei. Der Formulierung seiner Frage entsprechend hatte er dabei das gennhjönai sachgemäß als das ‚Hervorgehen aus dem Mutterleib‘ beschrieben. Diese ausdrückliche Beziehung auf die Mutter als die Gebärende empfiehlt es im übrigen, das Passiv gennhjönai in unserem Kapitel durchgehend als Geboren‑ und nicht etwa als Gezeugtwerden zu begreifen (vgl. Lee, Symbolic Narratives 47; Schneiders, ‚Born Anew‘ 192; Witherington 159 f; anders Barrett, Komm. 227; u. Brown, Komm. I, 130). Und dieses ‚Geborenwerden aus dem Mutterleib‘ nimmt Jesus nun mit seinem Wort vom gennhjönai †x ædato" durchaus positiv auf. Das hat nach Vorgang Barretts u. a. M. Pamment als einleuchtende Lösung erwiesen. Barrett hatte – nach seiner traditionellen Deutung von V. 5 auf die Taufe – unter Verweis auf Odeberg (Fourth Gospel 48 ff) immerhin bereits erwogen: „Man kann das Wort ‚Wasser‘ ohne Bezug auf Taufriten erklären. Geburt ‚aus Wasser‘ könnte verstanden werden (auf der Grundlage des Gebrauchs von hpy[ [ein Tropfen: Ab 3,1 u. a. spätere Stellen; vgl. hebr Hen 6,2] im rabbinischen Hebräisch für Samen) in der Bedeutung physische Geburt; das ka‡ ist dann verstärkend: ein Mensch muß selbstverständlich aus Wasser geboren werden im gewöhnlichen Lauf der Natur, aber auch aus dem Geist“ (Komm. 230). Dazu erklärt Pamment: „Barrett’s interpretation seems to me to be right but for the wrong reason. Commentators have been inclined to reject the phrase ‚of water‘ because water is not mentioned in the elucidation of the saving in the following verse: ‚That which is born of flesh is flesh, that which is born of spirit is spirit‘. But if we interpret the water as a reference to the breaking of the water in natural birth, this reference to physical birth finds a parallel in V. 6. Barrett’s citations of rabbinic passages in which ‚a drop‘ refers to semen are hardly parallels at all. The expression of the breaking of the water in natural birth makes sense of the double expression ‚of water and spirit‘ as a description of birth and rebirth. As always in the Fourth Gospel, the experience of natural existence is interpreted in terms of a doctrine of
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Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Nikodemus
3,5–6
creation: the creator God creates and sustains his creation and natural birth points beyond itself to the life which comes from God“ (John 3,5, 192; die Herausgeber von NT verweisen ebd. in einer „added note“ auf das Material bei Stol, Zwangerschap 59; vgl. ferner Witherington 155 ff, u. Lee, Symbolic Narratives 45).
Daß in der Wendung vom gennhjönai †x ædato" kaÑ pne‚mato" die beiden durch ka‡ verbundenen Glieder ædwr und pneúma weder als Hendiadyoin noch als Referenzen einerseits auf die Johannestaufe und andererseits auf die christliche Taufe verstanden werden dürfen, macht der mit V. 6 folgende Satz evident, der von einem doppelten gennhjönai als von zwei parallelen aber klar unterschiedenen Realitäten spricht, nämlich einerseits vom gennhjönai †k tö" sark∙" und andererseits vom gennhjönai †k toú pne‚mato". Witherington weist auf die Analogie von 1Joh 5,6–8 hin, wo pneúma, ædwr und aïma als drei parallele und übereinstimmende (kaÑ o´ treõ" e¢" tÖ ∫n e¢sin) aber durchaus differente Zeugen dafür erscheinen, Ωti ûIhsoú" †stin ¨ u´Ö" toú jeoú, und wo das ‚Wasser‘ ebenfalls auf die Fleischwerdung als die physische Geburt Jesu verweisen dürfte. Man mag das gennhjönai †k toú pne‚mato" oder †k toú jeoú (1,13) einen „crude realism“ nennen und darauf verweisen, daß dieser Realismus noch „brutaler“ sei, wenn 1Joh 3,9 erkläre: pô" ¨ gegennhmfino" †k toú jeoú ®mart‡an o§ poieõ, Ωti spfirma a§toú †n a§tù mfinei (Brown 138), doch in der Welt des Joh und zudem in dem Gespräch mit einem ±rcwn tùn ûIouda‡wn dürfte es sich von selbst verstehen, daß gerade dieser krude und brutale ‚Realismus‘ dazu dient, den metaphorischen Charakter solcher Rede unüberhörbar zu machen, die zwischen einem realistischen „Ist“ und dem skeptischen „Ist-Nicht“ des Nikodemus-Einwandes den neuen Raum eines „IstWie“ eröffnet (Ricœur, Lebendige Metapher pass.; vgl. Lee, Symbolic Narratives 27 ff). 6: Angesichts der schon oft beobachteten Nähe von Joh 3 zum Prolog unseres Evangeliums (vgl. die Komm.) ist es wohl kein Zufall, daß hier auch die in 1,13 f eingeführten Lexeme gennhjönai und s›rx wiederkehren. Schon auf Grund von 1,14 sollte man das Verhältnis von s›rx und pneúma, die hier den Ursprung „natürlicher“ und „pneumatischer Geburt“ bezeichnen, nicht vorschnell dem sogenannten „johanneischen Dualismus“ zuschlagen. Denn jedenfalls handelt es sich hier ja weder um den platonisch-anthropologischen Dualismus von Leib und Seele (und/oder Geist), noch um irgendeinen gnostischen oder auch nur gnostisierenden Dualismus (vgl. Barrett, Komm. 231; Brown, Komm. I, 141). Anders als etwa fù" und skot‡a sind s›rx und pneúma bei Joh einander nirgendwo als feindliche Mächte oder Sphären entgegengesetzt. Wie in der biblischen Rede vom Menschen als rçb oder von der Menschheit als rçbAlk bezeichnet das bei Joh mit nur zwölf Vorkommen relativ seltene Lexem s›rx den Menschen in seiner kreatürlichen Leiblichkeit und Sterblichkeit. Diese Vorkommen sind die folgenden: (1) 1,13, wo der natürliche Ursprung des Menschen als eine Geburt †x a´m›twn, †k jelflmato" sark∙" und †k jelflmato" ündr∙" der neuen Geburt †k jeoú gegenübergestellt wird. (2) 1,14 mit der Aussage, der ewige Logos sei in dem sterblichen Menschen Jesus s›rx geworden. (3) 3,6, wo wiederum die natürliche Geburt derjenigen †k toú pne‚mato" gegenübersteht. (4) 6,51: Jesus wird seine s›rx für das Leben der Welt hingeben. (5–9) 6,52–58: Gleich 5mal erscheint das Lexem s›rx in dieser Passage. Sie wird vielfach als ‚eucharistische Rede‘ bezeichnet, viele Exegeten bestreiten ihre Ursprünglichkeit und schreiben sie im Anschluß an Bultmann (Komm. z. St.) einer ‚kirchlichen Redaktion‘ zu (s. aber u. z. St.). (10) 6,63: tÖ pneúm› †stin tÖ zwopoioún, ™ sÅrx o§k •feleõ o§dfin. (11) 8,15, wo Jesus seinen Gegnern vorwirft: ≠meõ" katÅ tÉn s›rka kr‡nete ktl. und endlich (12) 17,2: Jesus dankt dem Vater, daß er ihm, dem Sohn, †xous‡an p›sh" sark∙" gegeben hat. – Außer diesen zwölf Be-
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2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" legen im Evangelium finden sich in den JohBr noch drei weitere, nämlich: (1) 1Joh 2,16, wo es heißt: Ωti pôn tÖ †n tù k∙smw, ™ †pijum‡a tö" sarkÖ" kaÑ ™ †pijum‡a tùn £fjalmùn kaÑ ™ ülazone‡a toú b‡ou, o§k ≤stin †k toú patrÖ" üllû †k toú k∙smou †st‡n. (2) 1Joh 4,2 mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus als dem †n sarkÑ †lhluj∙ta, und (3) 2Joh 7, wo die in die Welt hinausgegangenen pl›noi als diejenigen bezeichnet werden, o´ mÉ ¨mologoúnte" ûIhsoún CristÖn †rc∙menon †n sark‡.
Nirgendwo ist die s›rx bei Joh so eng mit der Sünde verknüpft wie etwa bei Paulus (vgl. Schweizer, s›rx 138ff). Zwar werden in unserem Vers natürliche und göttliche Geburt ebenso wie ‚Fleisch‘ und ‚Geist‘ einander als Kontraste gegenübergestellt, doch wird das Fleisch nicht darum verdammt, weil es die für das Eingehen ins Gottesreich notwendige ‚neue Geburt‘ nicht bewirken kann (vgl. Thompson, Humanity 33 ff). Zudem muß man sich ja – auch im Blick auf das Mißverstehen des Nikodemus – vor Augen halten, daß Jesu Rede von der Geburt aus dem Geist den Charakter der Verhei‑ ßung hat. Denn das Kommen des Geistes ist ja an das Weggehen Jesu gebunden. Damit der Geist kommen und lebendig machen kann, muß „der Menschensohn zunächst erhöht werden, so wie Mose die Schlange erhöht hat in der Wüste“ (3,14; vgl. 7,39). Und so wie die Fleischwerdung des Logos, nämlich die natürliche Geburt und der irdische Weg Jesu, die Bedingung der Möglichkeit dafür ist, daß er ‚sein Fleisch für das Leben der Welt geben‘ kann (6,51), so ist auch das Geborensein des Menschen aus dem Fleisch die notwendige, wenn auch keineswegs hinreichende Voraussetzung seiner neuen Geburt aus dem Geist. Und dieser Zusammenhang hat auf der Textebene seine Entsprechung darin, daß Jesus Nikodemus hier anleitet, die materielle Realität der natürlichen Geburt des Menschen als Symbol der spirituellen Realität des Lebens aus dem Geist zu begreifen (vgl. Lee, Symbolic Narratives 52 f). 7 f: Mit der Wendung, mÉ jaum›sÔh" Ωti eèp∙n soi, weist Jesus Nikodemus ausdrücklich auf zuvor Gesagtes zurück. Dazu nimmt er nicht nur das doppeldeutige ±nwjen aus V. 3 wieder auf, sondern verknüpft jetzt auch die christologische Aussage von dem Einzigen, der ±nwjen geboren ist (V. 3), mit der darin eröffneten Möglichkeit und Notwendigkeit der neuen Geburt der Glaubenden aus dem Geist. Zugleich wiederholt er mit seinem deõ die konditionale Struktur der V. 3 u. 5. Wenn hier das Bild der Geburt, das unsere Szene als ihr Symbolspender bisher beherrschte, zum letzten Mal erscheint, darf man wohl mit Ibuki schließen, daß dieses Thema jetzt seine definitive Erklärung finden soll (fwnfl 16 f). Deshalb will V. 8 wohl weniger als eine Beschreibung des Wesens der Geistgeburt gelesen sein, sondern vielmehr ihr aktuelles Geschehen schildern: Sie vollzieht sich eben darin, daß und wenn einer ‚die Stimme des Geistes hört‘. Unter Voranstellung des pô" ist hier im Gefolge semitischen Sprachgebrauchs an die Stelle eines konditionalen Relativsatzes ein konditionales Partizip getreten, so daß man mit Wellhausen (Komm. 136) am besten übersetzen wird: „So ergeht es einem jeden, wenn er aus dem Geist geboren wird“ (vgl. Beyer, Syntax 212; u. Ibuki, ebd. 16). Was zur Symbolisierung in V. 6 der antithetische Parallelismus der beiden Geburten †k tö" sark∙" und †k toú pne‚mato" leisten mußte, erfüllt jetzt in seiner Doppeldeutigkeit, nämlich einmal als ‚Wind‘ und zum anderen als ‚Geist‘, das eine Lexem pneúma. Fraglich ist deshalb, ob man V. 8 ein „einfaches Gleichnis“ nennen und entsprechend der seit Aristoteles traditionellen Frage nach dessen tertium comparationis erklären sollte, die „Pointe (sei) nicht das Woher und Wohin des Windes, sondern das o§k oèda". Unbegreiflich, ein Wunder ist der Weg des Windes, so auch ‚jeder, der vom Geist 192
Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Nikodemus
3,6–11
gezeugt ist‘“ (Bergmeier, Gottesherrschaft 69). Denn mit dieser in der Gleichnisauslegung längst fragwürdig gewordenen Reduktion auf ein einziges tertium ist ein ganz wesentlicher Zug der Rede Jesu völlig ausgeblendet, nämlich die hörbare Realität des Windesbrausens als Symbolträger für das nicht minder reale Erklingen der fwnfl des Geistes. Und daß das Stichwort fwnfl hier (ebenso wie in V. 29, wo der Täufer von der fwnÉ toú numf‡ou redet) ganz entscheidende Bedeutung für Inhalt und Struktur von Joh 3 hat, wird die folgende Auslegung zeigen. „The fact that we do not understand how the wind works does not detract from the fact that it does work. So too, the divine pneúma is both equally incomprehensible and equally real. The wind does blow and people are born of the Spirit. Birth ±nwjen is not only a necessity, it is also a divine possibility“ (Nicholson 85). 9 f: Mit seiner Frage, wie das denn zugehen solle, bleibt Nikodemus bei seinem Unverständnis. Dabei sollte er das als ein did›skalo" toú ûIsrafll doch eigentlich wissen. (Der Artikel bei did›skalo" soll Nikodemus schwerlich als „den großen Lehrer Israels“ auszeichnen, wie B-D-R § 273,3, Schnackenburg z. St. u. a. meinen, er dient vielmehr allein dem Rückgriff auf den in einer Narratio sachgemäß artikellos als ±njrwpo" †k tùn Farisa‡wn und ±rcwn tùn ûIouda‡wn eingeführten Nikodemus [vgl. Bergmeier, Gottesherrschaft 69 f]). Außerdem verknüpft die Bezeichnung des Nikodemus als did›skalo" das Ende des nächtlichen Gesprächs mit seinem Anfang, wo Nikodemus ja umgekehrt Jesus mit ‚Rabbi‘ angeredet und als did›skalo" bezeichnet hatte, und läßt den ganzen Dialog zwischen den did›skaloi so als ein typisches ‚Schulgespräch‘ erscheinen. Als ein ‚Lehrer Israels‘ – und da es nicht etwa did›skalo" tùn ûIouda‡wn heißt, ist das durchaus ein Ehrentitel – sollte Nikodemus eigentlich wissen, wie das mit der neuen Geburt zugehen soll. Denn, auch wenn der spezielle Terminus des gennhjönai ±nwjen so in Israels Tradition nicht vorkommt, hätte doch zumal Jesu anfängliche Rede von der basile‡a tùn o§ranùn diesen ‚Lehrer Israels‘ erinnern müssen an die Stimmen der Propheten seines Volkes, das er als seinen ‚Sohn gezeugt hat‘ (Deut 32,18; Jes 1,2, 45,10; Jer 2,27; Hos 2,1; vgl. 1QH 3, 1 ff), dem er verheißen hat, seinen endzeitlichen und erneuernden Geist auszugießen auf alles Fleisch (Joel 3,1 ff; vgl. Jes 32,15; 44,3; Jer 31,31 ff), und ihm neue Herzen und einen neuen Geist einzupflanzen (Ez 36,25 f; vgl. Jub 1,23 ff; 1QS 4, 19–21; siehe dazu Vellanickal 9 ff). Terminologisch kommt unserem gennhjönai ±nwjen vielleicht Philons Beschreibung des Aufstiegs Moses auf den Heiligen Berg als dessen ‚zweite Geburt‘ am nächsten: ™ dÇ ün›klhsi" toú proffltou deutfira gfines‡" †sti (QE 2,46; vgl. Bergmeier ebd. 67) 11 f: Nach V. 3 u. 5 leitet Jesus seine Rede hier zum dritten Mal solenn mit seinem doppelten, nicht-responsorischen ‚Amen‘ ein. Und wie sonst, so wird auch hier damit ein neues Rhema ins Spiel gebracht. Zwischen dem Dialog mit Nikodemus, der mit Jesu ironisch-rhetorischer Frage in V. 10 im Grunde beendet ist, und dem danach mit V. 13 einsetzenden Monolog, der von dem Vorausgehenden deutlich dadurch unterschieden ist, daß an die Stelle des in erster Person Singularis redenden Jesus jetzt das reflektierte Reden in dritter Person über Jesus als den ‚Menschen-‘ und ‚Gottessohn‘ getreten ist, bilden unsere beiden Verse eine der für Joh typischen „Brückenpassagen“. Und da V. 13 mit ka‡ unmittelbar mit dieser ‚Passage‘ verknüpft ist, sollte man sie wohl besser mit dem Folgenden als mit dem Vorausgegangenen verbinden (Nicholson 85 ff). Ein Blick in die Kommentare zeigt, daß die V. 11 f sowohl wegen des rätselhaftunvermittelten Übergangs der singularischen Rede Jesu in die Pluralformen („Wir 193
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" wissen, was wir sagen, und wir bezeugen, was wir sehen‘, wobei das Perfekt ©wr›kamen hier, wie stets im Griechischen, für das steht, was die ‚Wir vor Augen haben‘; und ‚unser Zeugnis‘) als auch wegen des nicht minder abrupten Wechsels von der direkten Anrede des Nikodemus durch Jesu lfigw soi in das pluralische „Ihr“ (eèpon ≠mõn, o§ lamb›nete, o§ piste‚ete und o§ piste‚sete) eine erhebliche Herausforderung der Exegese darstellen. – Und kaum minder klärungsbedürftig scheint die Frage nach der Identität einerseits der †p‡geia und andererseits der †pour›nia in V. 12 zu sein. Da wir das Evangelium als literarisches Werk und nicht als „Sammelliteratur of sects“ (Meeks, Man 55) o. dgl. zu begreifen suchen, versteht es sich wohl von selbst, daß wir uns keinesfalls darauf einlassen werden, diese plötzlich erscheinenden „Wir-Formen“ einfach als die unbewältigten Relikte irgendwelcher imaginärer „Quellen“ zu behandeln (so etwa Bultmann, der seine „Offenbarungsreden-Quelle“ im Hintergrund vermutet, zu den Pluralformen auf die Mehrzahl der Offenbarer-Figuren in den Mandaica verweist und den „Evangelisten“ diese Formen zur Steigerung des Geheimnisvollen der Szene beibehalten läßt; Komm. 104). Ebensowenig geht es an, zwischen Jesu lfigw soi und dem unmittelbar darauf folgenden o¥damen einen plötzlichen Sprecherwechsel zu postulieren, als ob jetzt auf einmal die sogenannte „johanneische Gemeinde“ das Wort ergriffe, um mit dem glaubenslosen Judentum ihrer Gegenwart abzurechnen, das ihr Zeugnis nicht annehmen will. Denn, wen auch immer Jesus in sein unerwartetes „Wir“ einschließen mag, er ist und bleibt auf alle Fälle der Sprecher dieser Sätze. Im übrigen dürfte es kein Zufall sein, daß Jesus in diesem Ausklang des Dialogs mit Nikodemus, der ja – offenbar als Sprecher einer Mehrzahl – mit einem o¥damen zu ihm gekommen war (V. 2) und sich am Ende, obwohl doch ein ‚Lehrer Israels‘, sein ‚Nicht‑ wissen‘ bescheinigen lassen mußte (V. 10), dieses anfängliche o¥damen des Nikodemus nun seinerseits aufgreift und es auch begründet. Doch diese gewiß absichtsvolle und ironische Verknüpfung des Endes mit dem Anfang durch o¥damen (vgl. Brown z. St.) ist ja noch keine Antwort auf die Frage, wen Jesus hier in sein „Wir“ einschließen mag. Denn daß er damit eine Art pluralis maiestatis gebrauchen und ausschließlich sich selbst meinen könnte, wie Harnack einst unter Verweis u. a. auf Joh 9,4 zu begründen suchte (Das ‚Wir‘ 106 f; ebenso neuerdings Moloney, Son of Man 48), kann man wohl ausschließen, da das gesamte Evangelium dafür keinerlei Analogie bietet (9,4 ist insofern gar nicht vergleichbar als Jesu ™mô" deõ †rg›zesjai ktl. da zu den Jüngern gesagt ist; vgl. Schnackenburg, Komm. I, 388 f). Sehr sorgfälig diskutiert Schnackenburg (Komm. I, 388 f) nahezu alle bisher vorgeschlagenen Möglichkeiten der Deutung dieser unerwarteten Pluralformen. Gegen die umstandslose Einbeziehung der Jünger, um Nikodemus so seinerseits abschließend mit einem kollektiven ‚Wir‘ zu antworten, wendet er ein, daß die Jünger doch nicht „Offenbarungsträger im ursprünglichen Sinn wie Jesus“ seien. Und wenn sie (nachösterlich!) durch ihre Geisttaufe auch in gewissem Sinne dazu werden sollen, so träfe das ja wiederum nicht auf Jesus zu. Auch der öfter vorgeschlagene Gebrauch des künstlichen Terminus eines ‚pluralis ecclesiasticus‘, wonach hier entweder wie 1Joh 1,1–4 ein „bestimmter Verkündigerkreis“ oder auch „die Gemeinde als solche“ mitrede, dient eher der Verschleierung als der Klärung, weil darüber fraglich bleibt, „ob der Evangelist in dieser kühnen Weise den Rahmen des Gespräches sprengt, zumal Jesus im nächsten Vers (ja) sofort wieder in der Einzahl“ spreche. Auf die Analogie von 1Joh 1,1–4 verweist auch Blank (Krisis 58) und begründet damit seine „Vermutung“, daß sich hier „unvermittelt das Zeugnis Jesu mit dem eines bestimmten Zeugen-Kreises … oder umgekehrt“ verbinde, „als dessen Exponent der Verfasser anzusehen“ sei, der „sich unversehens an dem noch immer andauernden Gespräch
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mitbeteiligt“ sehe „und ‚wir‘“ sage (ähnlich Bauer, Komm. 55: „Die Christenheit beschwert sich über den Unglauben, den das Judentum ihrem schlechthin gesicherten Zeugnis entgegenbringt“; vgl. auch Schulz, Komm. 58; und de Jonge, Stranger 46). Dodd (Interpretation 328) erklärt: „The ‚testimony‘ of iii,11 is that of Christ, but, as occasionally elsewhere, the evangelist betrays the fact that it is mediated corporately by the Church“. – Unbefriedigend ist auch der umständliche Lösungsversuch von Nicholson, der V. 11 als „a comment of the Evangelist and his community“ erklären will. Dazu greift er auf Martyns (fragwürdige) Beschreibung des Evangeliums als eines „two level drama“ zurück (89). Doch zum einen wäre damit Joh 3,11 der einzige der zahlreichen ‚Erzählerkommentare‘ unseres Evangeliums, der nicht als solcher markiert und erkennbar wäre, zum anderen spricht die unmittelbar darauf folgende Rückkehr Jesu zu seinem „Ich“ in V. 12 entschieden gegen diese Konstruktion, und endlich weiß dieser Erzähler doch zu genau um die ‚Differenz der Zeiten‘ und den verheißenden Charakter der Rede vom gennhjönai ±nwjen, so daß er sich derartige Sprünge zwischen ‚einmalig‘ und ‚contemporary level‘ nicht leisten kann.
Zumal die solenne Einleitung von V. 11 durch Jesu ümÉn ümÉn lfigw soi und sein erneutes ‚Ich‘ im eèpon von V. 12 nötigen uns deshalb dazu, weder ‚die Gemeinde‘ noch irgendeine durch den ‚Evangelisten‘ repräsentierte spezielle ‚Gruppe‘ von Zeugen, sondern allein Jesus als den Sprecher des in V. 11 Gesagten anzusehen. Daß in V. 11 – wie Nicholson meint – der ‚Evangelist‘ rede, ist nur insofern richtig, als diese Rede Jesu natürlich ebenso wie das ganze Evangelium seine Schöpfung ist. Aber auch wenn er die ganze Geschichte Jesu aus seiner österlichen Perspektive erzählt (vgl. HoegenRohls pass.), läßt er dieses ‚Wir‘ eben Jesus sagen und sagt es nicht selbst. Und indem Jesus ‚wir‘ sagt, schließt er damit fraglos andere in sein Zeugnis ein. Das können aber nach dem ganzen Duktus dessen, was Jesus zu Nikodemus gesagt hat, nur solche sein, die ‚aus dem Geist‘ und ‚von oben‘ wiedergeboren und so zu Jesu ‚Brüdern‘ und zu Gottes ‚Kindern‘ geworden sind (20,17: pore‚ou dÇ prÖ" toÜ" üdelfo‚" mou kaÑ e¢pÇ a§toõ": ünaba‡nw prÖ" tÖn patfira mou kaÑ patfira ≠mùn kaÑ je∙n mou kaÑ jeÖn ≠mùn; vgl. 1,12 f). Jesus steht also bereits als wirklich vor Augen, was doch erst sein ‚Erhöhtwerden von der Erde‘ und das Kommen des österlichen Geistes realisieren wird. Auf diese von O’Day beschriebene paradoxe Durchdringung der Zeiten, die explizit erst die Abschiedsreden thematisieren wird, gleichwohl aber implizit schon zuvor das gesamte Werk bestimmt, und darauf, daß Jesus der Mensch ist, dem Gott Ostern „alle Zeiten sperrangelweit geöffnet hat“ (Marquardt, Christologie II, 287), haben wir in anderem Zusammenhang ja bereits hingewiesen (s. o. zu 2,4). Nimmt man aber Jesus als den einzigen ernst, der kraft seiner ‚Geburt von oben‘ als der Herr der Zeiten schon in der erzählten Zeit des nächtlichen Gesprächs mit Nikodemus ‚wir‘ sagen und in dieses ‚Wir‘ alle einschließen kann, die in der Vergangenheit Israels oder in der Zukunft der Seinen seine Zeugen waren und sein werden, dann braucht man nicht mit Onuki zu erklären, „im ‚Wir‘ von 3,11 (komme) die johanneische Gemeinde selbst zu Worte, wobei Kontext wie textinterne Situation anachronistisch durchbrochen werden. Genauer gesagt: Johannes (vergesse) hier für einen Augenblick, daß es von der textinternen Situation her gesehen in seiner Darstellung um einen Dialog zwischen dem irdischen Jesus und Nikodemus“ gehe, und projiziere „das Zeugnis seiner Gemeinde gegenüber dem zeitgenössischen Judentum zurück in das Zeugnis des irdischen Jesus gegenüber Nikodemus, dem seinerseits die Rolle (zufalle), das zeitgenössische Judentum zu vertreten“, um dann daraus zu schließen, „Johannes und seine Gemeinde (könne) die eigene, in der nachösterlichen Gegenwart stattfindende Zeugnisablegung prinzipiell nicht von der des irdischen Jesus unterscheiden“ 195
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" (Gemeinde 83). Dagegen sollte man u. E. mit C. Hoegen-Rohls jedoch versuchen, das, was bei Onuki als ‚Vergeßlichkeit‘ und ‚Unvermögen‘ erscheint, „positiv als Integrationsvermögen und beabsichtigte Tendenz“ zu beschreiben (276; vgl. ebd. 275 ff). Denn u. a. zeigen doch gerade die Mißverständnisse, daß Joh sich der Differenz zwischen der Zeit des irdischen Jesus und der Zeit seiner Gegenwart bei seiner Gemeinde sehr wohl und auf einem hohen Reflexionsniveau bewußt ist. Bei der Auslegung von V. 12 sind die meisten Kommentare von den – im Blick auf die Ergebnisse – zumeist höchst unbefriedigenden Versuchen beherrscht, die spezifische Identität der †p‡geia einerseits und der †pour›nia andererseits zu ergründen. Das scheint uns aber ein ‚Holzweg‘ zu sein, dessen Verfolgung die viel vordringlichere Aufgabe der Klärung der argumentativen Funktion des Satzes in seinem unmittelbaren Kontext nur verdrängt. Der parallel gebaute doppelte Bedingungssatz ist nicht nur formal das geradezu klassische Beispiel eines Schlusses a minore ad maius, oder, wie die Rabbinen sagen, ‚Vom Leichten aufs Schwere‘ (Qalwachomer), sondern er bietet auch inhaltlich einen bekannten und weit verbreiteten Topos, der hier den unmittelbar vorausgehenden Satz: kaÑ tÉn martur‡an ™mùn o§ lamb›nete, kommentiert (vgl. Bergmeier, Gottesherrschaft 70 f, u. Nicholson 88). Das wird jedoch häufig übersehen, und die deutlich unterschiedenen Aktionsformen der Verba lfigein und piste‚ein, die von dem, was Jesus bereits gesagt hat (eèpon), etwas zu unterscheiden scheinen, das er erst künftig sagen wird oder möglicherweise sagen könnte (†›n mit dem Konj. Aor.: e¥pw), verführen dann dazu, das in den Versen 3–10 bereits Gesagte mit dem ‚Irdischen‘ und das bis dahin noch Ungesagte, nämlich den Inhalt der folgenden V. 13–21, mit dem ‚Himmlischen‘ zu identifizieren (So etwa Frey, Wie Mose die Schlange 180 f; Becker, Komm. I, 166 u. a.). Aber Jesus verheißt hier ja nicht, künftig – womöglich gar zu Nikodemus – ‚Himmlisches‘ sagen zu wollen, sondern er begründet mit dem Unglauben der ≠meõ" schon den †p‡geia gegenüber gerade die völlige Zwecklosigkeit, zu ihnen etwa von den †pour›nia reden zu wollen. Und weil ‚er weiß, was im Menschen ist‘ (2,25), wird er das auch schwerlich tun, schon gar nicht in den unmittelbar folgenden Sätzen (vgl. Thüsing, Erhöhung 255 f, der klar begründet, daß in 3,13 ff nicht „schon das Reden der †pour›nia“ erfolgen kann). Ganz zutreffend paraphrasiert Burkett V. 12 so: „If I told you (pl.) the earthly (aspects) and you do not believe, how will you believe if I should tell you the heavenly aspects?“ (Son 78). Zu dem in 3,12 verarbeiteten traditionellen ‚Topos‘ zitiert Bergmeier (Gottesherrschaft 70 f) u. a.: „Wie du nicht wissen kannst, welchen Weg der Wind nimmt, noch das Werden des Embryos im Leib der Schwangeren, so kannst du auch das Walten Gottes nicht begreifen, der das alles wirkt“ (Koh 11,5). – „Schon was auf Erden ist, erraten wir kaum, und was auf der Hand liegt, finden wir nur mit Mühe, das Himmlische aber, wer hätte es je ergründet?“ (Weish 9,16). – „‚Die Nahrung wird durch den Mund aufgenommen, und durch denselben Mund wird das Wasser getrunken und denselben Weg hinabgeschickt. Wenn aber beides ausgeschieden wird, dann wird es voneinander getrennt. Wer bringt es auseinander?‘ Baldad antwortete: ‚Ich weiß es nicht‘. Und ich entgegnete ihm wieder: ‚Wenn du den Vorgang im Körper nicht begreifst, wie willst du dann die himmlischen Dinge begreifen?‘“ (TestHiob 38,3–5: Übersetzung B. Schaller 358). – „ Und er sagte zu mir: Dein Herz entsetzt sich so sehr über diese Welt, und du begehrst, den Weg des Höchsten zu begreifen? Ich sagte: Ja, mein Herr. Er antwortete mir und sagte: Ich bin gesandt, um dir drei Wege zu zeigen und dir drei Gleichnisse vorzulegen. … Geh, wiege mir das Gewicht des Feuers oder miß mir das Maß des Windes, oder ruf mir den Tag zurück, der vergangen ist. Ich antwortete und sagte: Wer von den Geborenen könnte (dies) tun, so daß du mich über diese
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Dinge fragst? Er sagte zu mir …, wenn ich dich gefragt hätte, hättest du mir vielleicht gesagt: Ich bin weder in die Tiefe hinabgestiegen, noch bisher in die Unterwelt hinabgestiegen, noch bin ich jemals in den Himmel hinaufgestiegen, noch ins Paradies gelangt“ (4Esra 4,3 ff; Übersetzung: Schreiner 316 f). Als „formally the closest parallel“ hatte schon Meeks (Man 53) diese Passage bezeichnet und ebd. auf weitere Vorkommen dieses Topos auch bei hellenistischen Autoren hingewiesen; so entgegnet etwa Alexander der Große einem, der ihn in der Astrologie belehren will: tÅ †pÑ gö" mÉ †pist›meno" tÅ †n o§ranù †kzfltei"; [Ps.-Callistenes; Hist. Alexandri Magni 1,14]). – Bergmeier resümiert im Blick auf diese Texte: „Der Sinn des Schlußverfahrens ist: Wenn wir schon das Irdische nicht begreifen, dann erst recht nicht das Himmlische. Über das Himmlische als solches zu belehren, gehört nicht zu diesem Topos, wie denn auch in Joh 3,13–21.31–36 ‚das, was wir gesehen haben‘ (3,11) nicht inhaltlich entfaltet wird. Sehr wohl zur Topik gehört, daß an einem irdischen Beispiel oder Gleichnis das Unvermögen zu verstehen, aufgewiesen wird. Das Wind-Gleichnis (Joh 3,8) und des Nikodemus Nicht-Verstehen (3,9 f) müssen also zusammen gesehen werden“ (Gottesherrschaft 71).
Ähnliche qalwachomer-Schlüsse innerhalb unseres Evangeliums sind 5,47: „Wenn ihr schon den Buchstaben jenes nicht glaubt, wie wollt ihr dann meinen Worten glauben?“, 6,61 f, wo Jesus seine Jünger im Blick auf deren Reaktion fragt: „toúto ≠mô" skandal‡zei; †Ån oên jewröte tÖn u´Ön toú ünjr„pou ünaba‡nonta Ωpou én tÖ pr∙teron; und 10,35 f: „Wenn sie (die Schrift) aber schon jene, an die das Wort Gottes erging, Götter nennt …, wie könnt ihr da zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat, sagen: ‚Du lästerst‘, bloß weil ich gesagt habe: ‚Ich bin der Sohn Gottes‘?“ (s. u. jeweils z. St.). Schnackenburg fühlt sich durch die Unterscheidung der †p‡geia von den †pour›nia an die „Art“ erinnert, „wie Hebr 6,1 f das ‚Anfangswort‘ über Christus der ‚Vollkommenheit‘, d. h. der Darbietung an die im Glauben Reifen und Vollkommenen, gegenüberstellt“, und sucht die †pour›nia dementsprechend zumal in Passagen der Abschiedsreden (Komm. I, 390–392). Auch wenn die folgenden Passagen der V. 13–21 und 31–36 seiner Meinung nach von eben diesen †pour›nia reden, sieht er doch ebenso wie Thüsing (s. o.) sehr klar, daß der Evangelist der Aussage von V. 12 mit dem in V. 13 einsetzenden Monolog Jesu unmöglich derart unvermittelt dessen Reden von den ‚himmlischen Dingen‘ folgen lassen konnte. Nur durch die ‚Schere-und-Kleister-Methode‘ der Literarkritik vermag er diesem Dilemma zu entrinnen. Er sieht nämlich in Joh 3,31–36 und 13–21 (in dieser Folge!) eine spätere „Homilie“ des Evangelisten über die Nikodemus-Episode seines Evangeliums. Aus dem „Nachlaß“ des Evangelisten sollen erst dessen „Schüler“ diese Predigt in umgekehrter Folge ihrer Teile seinem Evangelium einverleibt haben. Schnackenburg ist sich dieser problematischen Hypothese so sicher, daß er diese vermeintliche Homilie unter der Überschrift: „Beilage: Der Himmlische Offenbarer und Lebensbringer (Das johanneische Kerygma: 3,31–36.13–21)“ gesondert kommentiert (Komm. I, 393 ff; vgl. Redestücke). Zu der unmittelbaren Verknüpfung von V. 13 mit dem vorausgehenden V. 12 durch bloßes ka‡ kann er darum lapidar erklären: man brauche „keine Gedankenbrücke zwischen V. 12 und V. 13 zu konstruieren“ (Redestücke 92). Eine höchst unbefriedigende Auskunft! Denn wenn jene vermeintlichen „Schüler“ da überhaupt am Werk gewesen sein sollten, dann könnten doch zumindest sie sich bei dieser Art der Verknüpfung irgendetwas gedacht haben. Und der Leser eines Kommentars wüßte natürlich gerne, was das wohl sein könnte. Wegen der nahen formalen und inhaltlichen Affinität der Abschnitte 3,31–36 und 3,13–21 und weil der erstere dieser beiden schwerlich im Munde des Täufers vorstell197
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" bar sei, hatte vor Schnackenburg schon Bultmann zu dem zweifelhaften Mittel einer literarkritischen Lösung des Problems gegriffen. Wie er auch sonst im Evangelium mit der (wohl gewaltsamen) Zerstörung seiner ursprünglichen Textfolge rechnet und seinen ‚kirchlichen Redaktor‘ dabei sieht, das ihm überkommene Chaos mehr schlecht als recht zu ordnen, so hält er auch 3,31–36 für ein versprengtes Stück und schließt es unmittelbar an V. 21 an. – Becker (Komm. I, 184 ff) behandelt Joh 3,31–36 als einen „Nachtrag“ der „kirchlichen Redaktion“. Nur durch dessen Isolierung vom Rest des Kapitels glaubt er, darin bestimmte Defizite und Änderungen der Theologie des Evangelisten gegenüber feststellen zu können. – Den schonungslosesten und zugleich ungezügeltsten Versuch, die vermeintlichen Probleme von Joh auf dem Wege der Literarkritik zu lösen, hat fraglos Mendner (Nikodemus) unternommen. Er versetzt die gesamte Nikodemus-Episode kurzerhand in das 7. Kapitel als ihren „ursprünglichen Rahmen“. Joh 7,45–52 läßt er mit der Aufforderung der versammelten Pharisäer an Nikodemus schließen: †ra‚nhson! (er streicht also die Worte: kaÑ ¥de Ωti †k tö" Galila‡a" profflth" o§k †ge‡retai – siehe dazu aber u. z. St.), um daran dann unmittelbar die folgenden Verse aus Joh 3 anzuschließen: 2.3a. 7b. 9.4a. 10.12b. 13a. 31 a. 32a. 33.34a. 36.8.13.14. Die Willkür solchen Umgangs mit Texten läßt sich wohl eindrucksvoller kaum demonstrieren! Allen derartigen Versuchen gegenüber hat Ibuki (fwnfl) eine bestechend einfache und einleuchtende Lösung der vermeintlichen literarkritischen Probleme von Joh 3 vorgeschlagen. Er hat nämlich auf den völlig und ganz offenbar absichtsvollen parallelen Aufbau der beiden Abschnitte 2,23–3,21 und 3,22–36 aufmerksam gemacht, die jeweils mit einer narrativen Einleitung eröffnet werden. In beiden Fällen schließt sich daran die Anrede, einerseits Jesu und andererseits des Johannes als ‚Rabbi‘ an (3,2 und 3,26). Und hier wie da erscheint in der Antwort des so Angeredeten das Stichwort vom Hören einer fwnfl, nämlich der ‚Stimme des Geistes‘ in 3,8 und der ‚Stimme des Bräutigams‘ in 3,29. Was diese Stimmen dann inhaltlich jeweils zu sagen haben, das wird zunächst als die ‚Stimme des Geistes‘ in 3,13–21 laut und dann in 3,31–36 als die ‚Stimme des Bräutigams‘, an der Johannes sich freut. Auf diese Weise braucht Ibuki nicht irgendwelche textexternen Größen wie eine „johanneische Gemeinde“ oder einen „Zeugenkreis“ als Sprecher dieser Textpassagen einzuführen. Er muß den Evangelisten nicht der Vergeßlichkeit und des dadurch verursachten Anachronismus zeihen, braucht keinen „kirchlichen Redaktor“ zu bemühen und kann endlich das, was diese ‚Stimmen‘ sagen, dennoch zugleich als das Kerygma der Kirche wahrnehmen (vgl. Beasley-Murray, Komm. 46; Schnelle, Antidok. Christologie 197; und s. zur kunstvollen Architektur von Joh 3 auch Talbert, Artistry 342 ff).
Es hat sich gezeigt, daß V. 12 nicht etwa als die Ankündigung eines bevorstehenden Redens Jesu von den †pour›nia begriffen sein will, sondern vielmehr nur deren Mög‑ lichkeit andeutet und zugleich zum Ausdruck bringt, daß ihre Aktualisierung angesichts des Unglaubens der von Nikodemus Repräsentierten schon den †p‡geia gegenüber völlig zwecklos wäre. Damit ist die vordringliche Frage nach der argumentativen Funktion von V. 12 in seinem Kontext beantwortet. Offengeblieben ist darüber jedoch die Frage, was denn inhaltlich mit den †p‡geia einerseits und den †pour›nia andererseits bezeichnet sein könnte. Als die †p‡geia werden vielfach die zur Beschreibung der ‚Geburt von oben‘ von Jesus gebrauchten irdischen Analogien, wie physische Geburt, Wasser und Wind, angesehen. Doch dagegen wendet Burkett zu Recht ein: „But no one would disbelieve these!“ (Son of Man 78; vgl. Barrett, Komm. 233 f; ebd. weitere mögliche Referenzobjekte). Barrett selbst ist geneigt, im ‚Irdischen‘ oder ‚Himmlischen‘ nur unterschiedliche Modi des Redens zu sehen und das Reden in Gleich198
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nissen (paroim‡ai": 16,25) als solches von †p‡geia, dasjenige ohne Gleichnisse oder †n parrhs‡a (ebd.) dagegen als Reden von †pour›nia zu betrachten. Doch Jesus spricht ja nicht von zweierlei Weisen, über das gleiche Objekt zu reden, sondern ‚über zwei Kategorien oder Gegenstände‘ der Rede. Dieser Einwand Burketts gilt auch Thüsing gegenüber, der unter das ‚Irdische‘ alles subsumiert, was der irdische Jesus gesagt hat, und erst das nachösterliche und vom Himmel her ergehende Zeugnis des Parakleten als Reden über die †pour›nia begreifen will (Erhöhung 254 ff; darin folgt ihm Nicholson 88 ff weitgehend). Unbefriedigend sind auch Schnackenburgs oben genannte auf die vermeintliche Analogie von Hebr 6,1 f bezogene Unterscheidung der †p‡geia als der ‚Anfangsgründe der Lehre‘ von den †pour›nia als der Lehre für die Vollkommenen und Bultmanns Auskunft: „Die Rede von der Wiedergeburt gehört insofern zu den †p‡geia, als sie ein Urteil des Menschen über seine Situation in der Welt enthält, eben das, daß er als von der s›rx Geborener s›rx ist, daß er verloren ist und das erstrebte Wohin seines Weges nicht erreicht, da sein Woher ein verfehltes ist. Wie im gnostischen Mythos bezeichnet also tÅ †p‡geia nichts anderes als die widersinnige Situation des Menschen, deren Erfassung das Vorverständnis bedeutet, das für das Verständnis der Offenbarung gefordert ist. Man könnte umschreiben: wer die Notwendigkeit der Wiedergeburt nicht einsieht, der versteht auch nicht, daß sie durch Jesus möglich geworden ist“ (Komm. 106 f). Bultmann setzt hier, wie sonst oft, voraus, daß dem Evangelisten die vermeintlich gnostische Terminologie von seiner „Offenbarungsreden-Quelle“ vorgegeben war. Problematisch erscheint uns daran vor allem die existential-ontologische Prämisse, daß „zum Verständnis der Offenbarung“ ein bestimmtes „Vorverständnis“ notwendig sein soll. Eher scheint uns doch die Erkenntnis der „widersinnigen Situation des Menschen“ – oder biblisch gesagt: die Erkenntnis, daß er als Sünder vor dem heiligen Gott verloren ist – eine Folge und nicht die Voraussetzung des Verstehens der Offenbarung zu sein. Die zahllosen Versuche, ‚Irdisches‘ und ‚Himmlisches‘ durch dessen inhaltliche Bestimmung voneinander zu unterscheiden, hat Burkett kritisch gesichtet (Son of Man 80 ff). Ganz einerlei, ob einer nun allein die Jesusreden des Evangeliums zum Gegenstand solchen Unterscheidens macht, oder ob er, wie Thüsing, gerade diese Reden insgesamt als †p‡geia beurteilt, weil ihr Sprecher doch der irdische Jesus ist, und ihnen die †pour›nia in Gestalt des Zeugnisses des Parakleten entgegenstellt, das erst nach der ‚Erhöhung und Verherrlichung‘ Jesu vom Himmel her ergeht: Alle diese Vorschläge hat Burkett ‚gewogen und zu leicht befunden‘, und das mit Recht. Einleuchtend ist ihnen gegenüber sein eigener Vorschlag, hier mit Joh wirklich ‚Himmel‘ und ‚Erde‘, sowie „himmlische und irdische Aspekte“ voneinander zu unterscheiden. Solche Unterscheidung zwischen †p‡geia und †pour›nia wird deutlich, wenn Joh im Einklang mit der christlichen Tradition und in intertextuellem Spiel mit Mt 16,24 f Jesus erklären läßt: „Wer sein Leben (yucfl) liebt, der wird es verlieren, wer aber sein Leben haßt in dieser Welt, der wird es bewahren zum ewigen Leben. Wenn einer mir dienen will, so folge er mir nach, und wo ich bin, da soll auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird mein Vater ihn ehren“ (12,25 f; vgl. 13,33–14,3; 17,24 und dazu Burkett 79). Allein die fatale Reduktion unseres Evangeliums auf eine sogenannte „präsentische Eschatologie“, die häufig durch fragwürdige literarkritische Operationen und durch die Behauptung des Gewichts nicht zureichend assimilierter Quellen begründet wird (s. u. zu 5,24 ff), läßt übersehen, daß und wie Johannes hier und andernorts zwischen 199
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" dem Leben der Glaubenden „in dieser Welt“ und dem „ewigen Leben“ sehr wohl zu unterscheiden weiß. Schon Jesu erstes Wort an Nikodemus legt es nahe, in den †p‡geia das gesamte durch die neue ‚Geburt von oben‘ eröffnete ‚ewige Leben‘ der Glaubenden schon auf Erden zu sehen (vgl. 3,36; 5,24; 6,47.54 u. ö.) und als die †pour›nia ihr endliches ‚Eintreten in die basile‡a toú jeoú‘ (3,5) und das ‚Sehen der himmlischen Welt‘ (3,3) zu begreifen. Wenn wir soeben basile‡a toú jeoú durch „himmlische Welt“ wiedergegeben haben, dann ist das wohl durch den gesamten Kontext von Joh 3 und dadurch gerechtfertigt, daß diese in den Synoptikern so geläufige Lexemverbindung im gesamten Evangelium einzig hier erscheint (vgl. dazu Meeks, Man 50 ff; u. Grese 684 ff). Wir sehen in dem Satz: ügaphto‡, nún tfikna jeoú †smen, kaÑ o∂pw †faner„jh t‡ †s∙meja. o¥damen Ωti †Ån fanerwjÔö, Ωmoioi a§tù †s∙meja, Ωti £y∙meja a§tÖn kaj„" †stin (1Joh 3,2) einen johanneischen und insofern authentischen Kommentar dieser Unterscheidung zwischen †p‡geia und †pour›nia. 13: Nach Joh 1,51 taucht hier zum ersten Mal die Bezeichnung ¨ u´Ö" toú ünjr„pou wieder auf. In beiden Fällen ist dabei die Rede vom ‚Menschensohn‘ mit dem Motiv des Aufstiegs in den Himmel und des Abstiegs aus dem Himmel verbunden, auch wenn es im Spiel mit Gen 28,12 im ersten Fall die Engel sind, die auf der zum Menschensohn mutierten Jakobsleiter in den geöffneten Himmel hinauf‑ und wieder herabsteigen, während jetzt der Menschensohn selbst der Auf- und Absteigende ist. Wegen der im Blick auf die Narratio des Evangeliums ganz offenkundig anachronistischen Perfektform ünabfibhken hat V. 13 trotz seiner grammatischen Korrektheit der Exegese seit langem erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Erstes Indiz dafür ist wohl schon die frühe Anfügung des Relativsatzes ¨ œn †n tù o§ranù (s. o.). Denn seine Urheber haben die perfektische Rede von Jesu ünaba‡nein ganz fraglos auf seinen definitiven Aufstieg in seiner ‚Erhöhung‘ ans Kreuz und in die Herrlichkeit seines Vaters, in der er nun weilt, gedeutet und damit den auch ihnen kaum verborgen gebliebenen Anachronismus noch unterstrichen (vgl. Bultmann, Komm. 108 f, Anm. 4). Wie wir oben zu 1,51 gesehen hatten, identifiziert Odeberg den Menschensohn dort nicht mit der Himmelsleiter als dem ‚Weg‘ der Engel, sondern begreift den Menschensohn vielmehr als das ‚Ziel‘ von deren Auf‑ und Abstieg (Fourth Gospel 33 ff). Aus der unerwarteten Abfolge ihrer Bewegung, nämlich zunächst ihres ‚Aufstiegs‘ und danach erst ihres ‚Abstiegs‘ auf den ‚Menschensohn‘ schließt er, daß hier eine Unterscheidung zwischen dessen himmlischem ‚Urbild‘ und seinem irdischen ‚Abbild‘ zugrundeliege und durch die Bewegung der Engel das unlösbare Verbundensein von Urbild und Abbild zum Ausdruck gebracht werde. Das textkritische Problem des Relativsatzes, ¨ œn †n tù o§ranù, kümmert ihn darum überhaupt nicht, weil das ‚Urbild‘ ja seinen ständigen Ort in der himmlischen Welt habe, so daß von ihm natürlich ohne alle chronologischen Schwierigkeiten gesagt werden könne: ‚Der im Himmel ist‘. Ähnliche Überlegungen finden sich bei (Schlier, Eph 27 ff). Doch mit oder ohne besagten Relativsatz sind derartige Konstruktionen aus dem Text unseres Evangeliums schwerlich begründbar. Darum hält Bultmann, falls ¨ œn †n tù o§ranù überhaupt ursprünglich sein sollte, den in mandäischen Texten und den OdSal erscheinenden Gedanken, daß hier „einfach die unlösliche Gemeinschaft zwischen dem Gesandten auf Erden und Gott“ beschrieben werde für „weniger spekulativ“. Er selbst ist jedoch der Meinung, daß dieser Gedanke allenfalls für die Offenbarungsreden-Quelle, nicht aber „für den Evangelisten … am Platz“ sei. Den Relativsatz ¨ œn ktl. hält er für „eine alte Glosse, die unter der Voraussetzung, daß das ünabfibhken die Himmelfahrt meint, auf Jesu Postexistenz geht: ‚der jetzt (wieder) im Himmel ist‘“ (Komm. 109, Anm. 4; und Mand. Quellen 62 f). Die durch das perfektische Prädikat gleichwohl bleibende Klippe des Anachronismus will er dadurch umschiffen, daß er ünabfibhken unter Berufung auf Blass-Debrunner (§ 344: „Das Perfekt in allgemeinen
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Sätzen oder fingierten Beispielen“) als ein gnomisches Präsens begreift. Daß das jedoch nicht möglich ist, weil ¨ katab›" doch ein konkretes Geschehen voraussetzt, scheint er zu ahnen, denn er fügt hinzu: „Wenn man nicht annehmen will, daß es vom Standpunkt der auf die Erhöhung zurückblickenden Gemeinde aus gesprochen ist“ (Komm. 108, Anm. 3). Auf andere Weise suchen Ruckstuhl (Menschensohnforschung 209 f), Sidebottom (Ascent 122; Christ 120) und zumal Moloney (Son of Man 51 ff) den vermeintlichen und unmittelbar vor V. 14 ja auch tatsächlich höchst verwunderlichen Anachronismus dadurch zu beseitigen, daß sie das e¢ mfl im Sinne von üll› verstehen und V. 13 dementsprechend so paraphrasieren: „There is no one who has ascended, but, contrary to the fact of the protasis, one has descended, the Son of Man“ (Moloney 55). Als Belege solchen Gebrauchs von e¢ mfl nennt Moloney Apk 21,27; Mt 12,4; Lk 4,27 und Act 27,22 (ebd.; letzteres muß aber wohl ‚Act 26,32‘ heißen!). Doch diese Liste von ganzen vier Belegen hat nicht nur den ‚Schönheitsfehler‘, daß sich für diesen Sprachgebrauch darin kein einziges Beispiel aus dem Corpus Iohanneum findet, sondern vor allem das viel gravierendere Manko, daß selbst von den angeführten Passagen keine den Joh 3,13 unterstellten Sprachgebrauch wirklich zu belegen vermag. Denn in jedem ihrer Fälle benennt die Apodosis eine Ausnahme von der mit dem definiten Prädikat der Protasis ausgesprochenen Regel und stellt ihr als Ausnahme nicht etwa einen ganz anders prädizierten Vorgang gegenüber. Aber auch abgesehen von den fehlenden Belegen ist Moloneys Konstruktion unhaltbar. Denn die partizipiale Wendung ¨ †k toú o§ranoú katab›" ist grammatisch das Subjekt der Apodosis und ¨ u´Ö" toú ünjr„pou Apposition dazu. Im Blick auf „semitische Syntax im Neuen Testament“ erklärt Beyer zu Sätzen wie Joh 3,13: „Der voranstehende Hauptsatz nämlich verneinte zunächst einen Tatbestand gänzlich, darauf gab ein verneinter Konditionalsatz an, wo dieser Tatbestand doch gilt. In diesem Konditionalsatz wurden dann alle Satzteile ausgelassen, die mit denen des Hauptsatzes identisch waren“ (Syntax 102; vgl. ebd. 109–111). Darauf beruft sich Borgen. Unter Verweis auf Joh 6,46, „where the exception clause is complete“, vervollständigt er Joh 3,13 treffend durch die Worte: oñto" ünabfibhken e¢" tÖn o§ran∙n (Traditions 248 f). Darum scheint uns allein der Wunsch, den irdischen Jesus nicht den vermeintlichen Anachronismus aussprechen lassen zu müssen, allein er sei (bereits) in den Himmel aufgestiegen, der Vater von Moloneys Gedanken zu sein. Denn wenn Joh hätte sagen wollen, was Moloney ihm unterstellt, dann müßte die Formulierung etwa so lauten: kaÑ o§deÑ" ünabfibhken e¢" tÖn o§ran∙n, üllû eï" katabfibhken, ¨ u´Ö" toú ünjr„pou. Auch wenn e¢ mfl gelegentlich natürlich durchaus die Bedeutung von ‚aber‘ haben kann, gilt hier jedoch: „This translation of the verse is still grammatically impossible, since ¨ katab›" cannot mean ‚one has descended‘“ (Burkett 82). Ganz ähnlich hatte sich dazu schon Moule geäußert, der den Satz gerade deshalb freilich als „a postresurrection formulation of the Church’s faith“ begreift (Individualism 176 mit Anm. 1).
Wegen des Perfekts ünabfibhken und der Syntax von V. 13 vermögen wir dem breiten Trend gegenwärtiger Exegese, die ihre Zuflucht zu der zweifelhaften Auskunft nimmt, daß in V. 13 gar nicht mehr Jesus rede, sondern daß sich hier die sogenannte „johanneische Gemeinde“ von ihrem nachösterlichen Standpunkt aus zu Wort melde, nicht zu folgen. Denn anders als in dem Sinn, daß Jesus hier tatsächlich von einer ün›basi" spricht, die vor seiner Begegnung mit Nikodemus liegen muß, ist der Satz nicht zu verstehen. Dafür sprechen auch der bei Joh ebenso wie in den Synoptikern ausschließlich im Munde Jesu begegnende Name ¨ u´Ö" toú ünjr„pou und der Umstand, daß unmittelbar danach wieder der vorösterliche Jesus mit einer johanneisch modifizierten synoptischen „Leidensweissagung“ die Notwendigkeit seiner „Erhöhung“ verkündet (V. 14 ff). Dennoch sind es – soweit wir die Literatur übersehen können – nur fünf Exegeten, die diese notwendige Konsequenz aus V. 13 gezogen haben. Dabei hat jeder von ihnen auf seine Weise versucht, eine Antwort auf die Frage zu finden, wann und bei welcher Gelegenheit sich ein Himmelsaufstieg Jesu noch vor unserer NikodemusEpisode denn ereignet haben könnte. Während Borsch und Bühner diese ün›basi" 201
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" Jesu in seine irdische Lebenszeit datieren, versuchen W. Roth, Borgen und Burkett, sie als Himmelsaufstieg des Präexistenten zu begreifen. Borsch will Jesu Taufe durch Johannes als diese ün›basi" begreifen. Dazu konstruiert er aus gnostischen, mandäischen, manichäischen und hermetischen Texten sowie aus iranischen und babylonischen Mythologumena den Mythos eines als ‚Menschensohn‘ bezeichneten ‚königlichen Urmenschen‘. Dieser höchst artifizielle und so nirgendwo belegte Mythos soll innerhalb des Judentums von bestimmten Taufsekten tradiert worden sein. Diese Kreise hätten ihren Taufritus als den mystischen Himmelsaufstieg des Täuflings begriffen, der dabei belehnt worden sei mit den Attributen und der Autorität des himmlischen Urmenschen. Als eine derartige ün›basi" soll der historische Jesus seine eigene Taufe erfahren und fortan geglaubt haben, als der so zum ‚Menschensohn‘ Gewordene dazu bestimmt zu sein, durch seine Person und sein Werk den alten Mythos zu aktualisieren. – Bühner (Der Gesandte 374 ff) erfindet eigens eine ‚prophetische Berufungsvision‘ Jesu, in deren Verlauf er in den Himmel entrückt und in den ‚Menschensohn‘ verwandelt worden sei. Dazu konstruiert er das Bild einer Genese und Entwicklung johanneischer Theologie und Gemeinde, die um nichts weniger phantastisch ist als Borschs Bild des historischen Jesus. Unter Berufung auf Berger (Auferstehung 414 u. ö.) sieht er in Jesus einen esoterischen ‚Anabatiker‘, wie ihn die Merkaba-Literatur kennt. Und unter dieser Perspektive erklärt er zu Joh 3,1 ff: „Johannes will sagen: die übrigen Anabatiker sind nie aus dem Bereich des Irdischen herausgekommen; nur Jesus war wirklich im Himmel, was man daran erkennt, daß er als zum Menschensohn Gewandelter herabgestiegen ist“ (381; vgl. ebd. 374 ff). Als ob Jesu Sein als ¨ u´Ö" toú ünjr„pou ein erst durch seine erfolgreiche ‚Himmelsreise‘ erworbener Charakter und ein von jedermann erkennbarer Tatbestand wäre! Bühner sieht die vordringliche Aufgabe der Johannesexegese darin, die Phasen der vermeintlichen Entwicklung der johanneischen Christologie zu rekonstruieren und die unausgeglichenen Spannungen zwischen ihnen aufzudecken. Alle Versuche, das Evangelium als ein literarisch und theologisch kohärentes Werk und seinen Prolog mit dem Satz: kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go" als dessen alles Folgende bestimmende ‚Leseanweisung‘ zu begreifen, verdächtigt er dagegen als abwegig, weil sie jene Spannungen gerade verdeckten, statt sie aufzudecken. Der ungebremsten Mythopoesie Borschs gegenüber hat Bühners Hypothese fraglos den Vorzug, daß er sich auf die Welt der Bibel und ihre jüdische Auslegung konzentriert und damit den Rechtsstreit des johanneischen Jesus mit den ûIoudaõoi ernst nimmt. Denn daß die Nikodemus-Episode vor diesem Hintergrund verstanden sein will, macht Jesu abschließende Frage unübersehbar: sÜ eè ¨ did›skalo" toú ûIsraÉl kaÑ taúta o§ gin„skei"; Doch trotz dieses Vorzugs erscheint uns, was Bühner als hermeneutische Tugend preist, eher als ein Symptom jenes ‚morbus hermeneuticus‘, der die Aufgabe, einen Text zu verstehen, auf das Verstehen seiner vermeintlichen Genese reduziert (s. o. zu Joh 2). Denn jedem in der Johanneslektüre einigermaßen bewanderten Leser muß doch wohl klar sein, daß der überlieferte Text des Evangeliums weder für die Option Borschs noch für diejenige Bühners auch nur den entferntesten Anschein einer möglichen Begründung bietet. Kaum minder spekulativ will W. Roth ¨ u´Ö" toú ünjr„pou dem hebräischen µda ˆb entsprechend mit „Sohn Adams“ übersetzen. Durch die Reinkarnation des biblischen Märtyrers Abel in der Person Jesu soll dieser mit dem Adams-Sohn identisch und zum zweiten Abel geworden sein. Demgemäß bezieht Roth das ünabfibhken von Joh 3,13 auf die in TestAbr B XI vorausgesetzte Himmelfahrt Abels (vgl. Janssen, TestAbr 233 mit Anm. 199). Weil Abel, der µda ˆb (= u´Ö" toú ünjr„pou), hier als derjenige erscheint, der zum Weltenrichter bestimmt ist, glaubt Roth in dieser Passage zugleich den ‚Hintergrund‘ von Joh 5,27 entdeckt und damit einen Beitrag zur Frage nach Herkunft und Bedeutung des Menschensohn-Namens bei Joh geleistet zu haben (s. u. zu 5,27). Doch auch diese Spekulation hat an keiner Silbe des Textes irgendeinen Anhalt, zumal Abel ja zwar unbestreitbar Adams Sohn ist, jedoch im Zusammenhang des TestAbr und sonst gar nicht µda ˆb genannt wird. Im Gegensatz zu diesen Versuchen scheint uns Borgen einer befriedigenderen Lösung des Rätsels um einen vorzeitigen Himmelsaufstieg Jesu näherzukommen. Wie vor ihm schon Schlatter (Evangelist 93 f), Odeberg (Fourth Gospel 72 ff), Meeks (Prophet-King 295 ff; Man from Heaven 52) sieht er in dem Satz: o§deÑ" ünabfibhken e¢" tÖn o§ran∙n vor dem Hintergrund
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jüdischer Merkaba-Spekulationen, apokalyptischer Texte und von Philons Deutung von Moses Sinai-Aufstieg als ‚Himmelsreise‘ (sacrif 8–10) Polemik gegen die Behauptung der Möglichkeit oder gar Tatsächlichkeit derartiger Himmelsreisen menschlicher Subjekte. In diesem Sinn hatte schon Schlatter als eine Joh 3,13 sehr nahe Parallele den folgenden rabbinischen Satz zitiert: hfml dwbkh dry alw / hl[ml whylaw hçm hl[ al (MekEx 19,20), und ihn griechisch so wiedergegeben: o§k ünfibh MwÊsö" kaÑ ûHl‡a" ±nw / kaÑ o§ katfibh ™ d∙xa k›tw (ebd.). Ob es sich in V. 13 aber tatsächlich um aktuelle Polemik gegen derartige Spekulationen in der unmittelbaren Umgebung des Evangelisten handelt, ist schwer zu entscheiden und u. E. sehr unwahrscheinlich. Denn auch wenn Nikodemus nun nicht mehr ausdrücklich genannt wird, bleibt er doch unter den Zuhörern der Rede. Und was dieser pharisäische ‚Lehrer Israels‘ und ±rcwn tùn ûIouda‡wn da als die Protasis von V. 13 zu hören bekommt, ist ebenso wie der von Schlatter zitierte Mekilta-Satz und Joh 1,18 gut und quasi ‚orthodox‘ jüdisch. Hier polemisiert Jesus also nicht gegen Nikodemus und die von ihm vertretenen ‚Wir‘, sondern hier wirbt er vielmehr mit einem unveräußerlichen Stück der Tradition Israels um Zustimmung. Aber wie dem auch sei, jedenfalls deutet Borgen die in V. 13 ausgesagte Ausnahme von der Regel so, daß kein menschliches Wesen je in den Himmel aufgestiegen sei, sondern einzig der göttliche Menschensohn. Dessen vorinkarnatorischen Aufstieg will er im Anschluß an Dan 7,13 f als Inthronisationsakt des präexistenten Sohnes deuten, dem damit die †xous‡a über ‚alles Fleisch‘ verliehen und der Auftrag erteilt worden sei, allen, die Gott ihm ‚gegeben hat, das ewige Leben zu verleihen‘ (Joh 17,2; vgl. Dan 7,14): „The birth from above and the entry into the kingdom of God does not (as one might think) take place by means of man’s ascent into heaven: No one, not even Moses, has ascended into heaven. No, the birth from above is brought about by the descent and exaltation of the kingly and divine Son of Man. He was first installed in office and empowered in heaven, and descended to execute his office, and returned. Through faith in him (birth from above) men have eternal life“ (Jewish Traditions 258; ähnlich Schulz, Menschensohn-Christologie 105: „3,13 blickt demnach auf das perfektische Ereignis der Inthronisation Jesu zum Menschensohn zurück“).
Wie die zuvor erörterten Erklärungsversuche erscheint uns auch Borgens Konstruktion aus zwei Gründen problematisch. (1) Obwohl er unter Berufung auf die Grammatik vehement und mit guten Gründen Moloneys Interpretation bestreitet und V. 13 sachgemäß durch die Wendung oñto" ünabfibhken e¢" tÖn o§ran∙n ‚ergänzt‘, unterläuft ihm dennoch der gleiche Verstoß gegen die Regeln der Grammatik wie Moloney. Denn auch er läßt nun die Apodosis nicht die Ausnahme von der in der Protasis gegebenen Regel formulieren, sondern etwas unvergleichbar Anderes sagen, nämlich die Inthronisation eines immer schon im Himmel weilenden göttlichen Wesens (vgl. Burkett 34 f) statt eines Aufstiegs von der Erde in den Himmel. (2) Die Hypothese einer himmlischen Inthronisation des Menschensohnes, die seiner irdischen Inkarnation vorausgegangen sein soll, läßt sich trotz der intensiven Versuche Borgens (vgl. Jewish Traditions 250) aus dem Text des Evangeliums nicht begründen. Die danielische Vision eines ‚wie ein Mensch‘ aussehenden Himmelswesens und der sogenannte ‚apokalyptische Menschensohn‘ spielen bei Joh keine Rolle. Und warum sollte einer, der ‚im Anfang bei Gott‘, ja der ‚Gott war‘, einer, der das göttliche †g„ e¢mi im Munde führt und erklärt: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30), einer, durch den ‚alle Dinge erschaffen wurden‘, warum sollte der eigens im Himmel gekrönt und mit göttlicher Vollmacht ausgestattet werden? Dennoch liegt die Stärke von Borgens Beitrag darin, daß er unbeirrt auf der Suche nach den biblischen Wurzeln des offenbar festen Motivzusammenhangs der Rede vom Auf‑ und Abstieg des Menschensohns bleibt und ihn nicht wie andere zerreißt, um dann das Motiv des ‚Aufstiegs‘ aus der biblischen und nachbiblischen Weisheitsliteratur ‚abzuleiten‘, dagegen aber als den einzig möglichen „Hintergrund“ des Abstiegsmotivs den gnostischen Mythos zu postulieren, wie etwa Schulz, der lapidar erklärt, „daß die 203
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" Katabasis-Vorstellung gnostischen Ursprungs ist“ (Menschensohn-Christologie 105), oder wie Meeks, für den das Motiv von Ab‑ und Aufstieg „has been and remains the strongest support for the hypothesis that the Johannine Christology is connected with gnostic mythology“ (Prophet-King 297). Doch wie Burkett (35) treffend gesehen hat, scheinen uns diese ‚Wurzeln‘ in der biblischen Rede vom Auf‑ und Absteigen Gottes zu liegen, die Joh auf Jesus übertragen hat. Obgleich Borgen Texte wie 1 Sam 2,10 f (LXX: k‚rio" ünfibh e¢" o§rano‚"), Ps 47,6 (= 46,6 in LXX: ünfibh ¨ jeÖ" †n ülalagmù), Ps 68,19 und zumal die Rede vom Auf‑ und Absteigen Gottes am Sinai behandelt (ebd. 250 f), bleibt ihm dennoch verborgen, daß in der Übertragung dieser Wege Gottes auf Jesus der Schlüssel zur johanneischen Rede vom Aufstieg und Abstieg des Menschensohns liegen könnte. Eben dies aber gesehen und für die Interpretation des gesamten Evangeliums fruchtbar gemacht zu haben, ist u. E. das unbestreitbare Verdienst von Burketts ‚Son of Man‘-Monographie, in deren Zentrum die Interpretation von Joh 3,13 steht. Wenn die biblischen Auf‑ und Abstiege Gottes als solche des ‚Menschensohns‘ gesehen werden, werden Passagen wie Joh 12,41 (taúta eèpen ûHsa⁄a" Ωti eèden tÉn d∙xan a§toú, kaÑ †l›lhsen perÑ a§toú) oder die Rede vom Jubel Abrahams darüber, daß er ‚den Tag Jesu sah‘ (8,56), beredt. Dann braucht man auch die ja so deutlich auf die Sinaioffenbarung bezogene Prologpassage (1,14–18, s. o. z. St.) nicht mehr als Polemik gegen Mose zu begreifen. Denn wenn „die Schrift doch nicht aufgelöst werden darf “ (10,35), dann kann auch Joh 1,18 nicht bestreiten wollen, daß Mose und die Ältesten auf dem Sinai den ‚Topos‘ gesehen haben, oñ e´stflkei ¨ jeÖ" toú ûIsrafll (Ex 24,10 f LXX), oder daß Mose, weil kein Mensch das Angesicht Gottes schauen und am Leben bleiben kann, die Herrlichkeit des an ihm vorübergezogenen Gottes Israels doch wenigstens von hinten hat schauen dürfen (Ex 33,18 ff). Wenn Joh Jesus sagen läßt, daß Israels Schriften ‚von ihm zeugen‘ (5,39) und daß Mose ‚von ihm geschrieben hat‘ (perÑ gÅr †moú †keõno" ≤grayen: 5,46), dann müssen der t∙po", den die Ältesten Israels sahen, und die d∙xa, die Mose auf dem Sinai schaute, ja wohl der auf‑ und absteigende ‚Menschensohn‘ und seine d∙xa gewesen sein, die auch Jesaja sah und an der Abraham sich freute. Wie oben zu 2,13 ff erörtert wurde, haben A. E. Harvey und Preiss aufgewiesen, daß das gesamte Johannesevangelium als das Protokoll des durch Jesus ausgetragenen Rechtsstreites Gottes mit seinem Volk gelesen sein will. Dazu ruft Joh die Heiligen Schriften Israels als die verläßlichen Zeugen für den von Gott Gesandten auf. Deshalb wird man auch Joh 3,13 unter diesem Aspekt begreifen müssen und darin nicht die Polemik gegen einen vermeintlichen Himmelsaufstieg Moses oder irgendeines anderen ‚Anabatikers‘ (Bühner, Der Gesandte) sehen dürfen. Darum scheint uns Burkett im Recht zu sein, wenn er auch für Joh 3,13 nach diesem Zeugnis der Schrift fragt und es in Prov 30,1–4 entdeckt. V. 4 dieser Passage, in der alle Motive von Joh 3,13 fest miteinander verknüpft sind, nämlich sowohl der ‚Mann‘ und sein ‚Sohn‘ als auch deren Aufstieg in den Himmel und ihr Abstieg, lautet in der LXX: t‡" ünfibh e¢" tÖn o§ranÖn kaÑ katfibh; t‡" sunflgagen ünfimou" †n k∙lpw; t‡" sunfistreyen ædwr †n ´mat‡w; t‡" †kr›thsen p›ntwn tùn ±krwn tö" gö"; t‡ µnoma a§tù, À t‡ µnoma tù u´ù a§toú, ºna gnù"; (das von Ac überlieferte tù u´ù a§toú entspricht dem wnbAµçAhmw des HT; v. l. sind toõ" tfiknoi" und tù tfiknw). Die eindringliche Reihe der rhetorischen Fragen läßt natürlich einzig die Antwort zu: Der ‚Mann‘ und ‚der Sohn des Mannes‘. Damit bietet Prov 30,4 eine exakte und kaum zufällige Entsprechung sowohl zur Protasis von 204
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3,13
Joh 3,13: o§deÑ" ünabfibhken e¢" tÖn o§ran∙n als auch zur Apodosis des Verses: e¢ mÉ ¨ †k toú o§ranoú katab›", ¨ u´Ö" toú ünjr„pou. Doch die Analogien zu Prov 30,1–4 gehen noch viel weiter. Die ganze Passage, in unseren Bibelübersetzungen meist mit ‚Die Worte Agurs‘ überschrieben, ist eine Rätselrede und absichtsvoll doppeldeutig. Diesem gut begründeten Befund entsprechend bietet Burkett – nach überzeugender Textrekonstruktion und Exegese (51–75) – die folgenden beiden Übersetzungsvarianten: (1) „Die Worte Agurs: Mein Sohn, nimm die Last auf dich, / sagt der Mann zu Ithiel, zu Ithiel und Ucal. / Denn ich bin mächtiger als ein Mann. / Ich habe nicht nur menschlichen Verstand. / Die Weisheit habe ich nicht gelernt, / denn ich habe das Wissen der Heiligen. / Wer wäre je aufgestiegen in den Himmel und herabgekommen? / Wer hätte die Winde gesammelt in seinem Gewand? / Und wer das Wasser in seinem Mantel? / Wer hätte alle Enden der Erde befestigt? / Wie lautet sein Name, und welches ist der Name seines Sohnes, damit du’s begreifst?“ (2) „Bewahre meine Worte, mein Sohn, / empfange mein Orakel, / sagt der Mächtige zu ‚Ithiel‘, / (d. h.) zu ‚Gott ist mit mir, darum bin ich mächtig‘. / Denn ich leuchte heller als ein Mann, und (nur) menschliches Verstehen ist meine Sache nicht. / Ich habe die Weisheit nicht gelernt, / besitze ich doch das Wissen der Heiligen. / Wer wäre je aufgestiegen …? (usw. wie oben). Mit Hilfe der LXX, die in der ersten Zeile keinen Eigennamen bietet – weder den sonst nicht belegten Namen ‚Agur‘, noch dessen vermeintlichen Vater-Namen ‚Jakes‘, noch auch einen Ortsnamen ‚Massa‘ oder ‚der Massait‘ –, rekonstruiert Burkett diese Zeile so: açmh jq ynb rwga yrbd = meine Worte (yrbd) bewahre (rwga) mein Sohn (ynb) empfange (jq) das Orakel (açmh). Diese Rekonstruktion hat den meisten Prov-Kommentaren gegenüber den unstreitigen Vorzug, mit dem geringsten Eingriff in den überlieferten Konsonantenbestand auszukommen, indem Burkett anstelle von hqyAˆb (Sohn des Jakes) jq ynb (mein Sohn bewahre!) liest und damit nur ein h durch ein j ersetzt. Der angeredete Sohn heißt mit einem theophoren Namen laytya. Und wenn dieser Name dann sogleich wiederholt wird, so geschieht das nicht unmotiviert, sondern „in order to explain its significance“. Ähnliches gilt auch für ‚Ucal‘: Es will auf der zweiten Ebene dieses doppeldeutigen Rätseltextes nicht als die Anrede eines zweiten Sohnes des ‚Mannes‘ gelesen werden, sondern ist, wie das wiederholte ‚Ithiel‘, als „part of a fuller identification“ von dessen Namen zu begreifen (‚I can‘ or ‚I am able‘: Burkett 56). Daß es in der hebräischen Bibel solche durch den Text „erforderte“ Personennamen tatsächlich gibt, belegt sehr schön die Aufzählung der Namen der Heman-Söhne in 1Chr 25,4, wo sich aus den vermeintlichen Eigennamen Hananja, Hanani, Eliata, Giddalti, Romamti-Eser, Joschbekascha, Malloti, Hotir und Machasiot ein ganzer, wenn auch kurzer Psalm rekonstruieren läßt (vgl. Rudolph, Chronikbücher 167). Eine Anspielung an „Ithiel“ und „Ucal“, ‚Gott ist mit mir, darum bin ich mächtig‘, sieht Burkett bereits in dem Nikodemus-Wort: „Niemand kann (d‚natai) die Zeichen tun, die du tust, wenn Gott nicht mit ihm ist“. Ebenso wie die Reihe der rhetorischen Fragen in Prov 30,4, die nur die Antwort zulassen: „Einzig Gott!“, bestätigt auch der doppelt lesbare Konsonantenbestand rbgh, der nämlich sowohl als ‚hageber‘ (der Mann) als auch als ‚hagibbor‘ (der Mächtige) gelesen werden kann (und soll!), daß die Designation ‚der Mann‘ eine absichtsvoll enigmatische Referenz auf Gott ist. Das bedeutet aber zugleich, daß „der Sohn des Mannes“, wie Burkett ¨ u´Ö" toú ünjr„pou übersetzt, ein Kryptogramm von ¨ u´Ö" toú jeoú ist. Wenn Jesus in Joh 3,13 eben die 205
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" Fragen beantwortet, die der ‚Mann‘ seinem ‚Sohn‘ in Prov 30,4 gestellt hatte, und wenn er mit seinem zum Himmel Aufgestiegen‑ und von dort Herabgekommensein zugleich für sich in Anspruch nimmt, was dort einzig dem ‚Mann‘ zustand, dann ist hier bereits impliziert, was Jesus später so explizieren wird: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30). Erwägenswert ist auch Burketts Vorschlag, das unerwartete „Wir“ in Jesu Antwort an Nikodemus (V. 11) nicht auf dessen Pluralgebrauch in V. 2, sondern auf sein Spiel mit dem „Ithiel-Namen“ (‚es sei denn Gott mit ihm‘) zurückzubeziehen (ebd. 89). All das heißt aber, daß Joh 3,13 in intertextuellem Spiel mit Prov 30 von solchen Gelegenheiten spricht, wo Gott nach einem Besuch auf Erden wieder aufsteigt in den Himmel und dabei diese Besuche der Irdischen für den u´Ö" toú ünjr„pou in Anspruch nimmt. So will auch der Satz Jesu verstanden sein: Ωtan †n tù k∙smw ë, fù" e¢mi toú k∙smou (9,5). Denn gegen die Kommentare von Bultmann, Morris, Barrett u. a. (jeweils z. St.), heißt Ωtan „sooft“ oder „jedesmal wenn“ (vgl. dazu schon Westcott, Komm. z. St., u. Burkett 86) und nicht „solange“, als sei diese Partikel mit ∫w" synonym oder als wüßte Joh hier nicht zu unterscheiden. Endlich ist von hier aus noch ein Wort zu der verbreiteten These zu sagen, als alleiniger Kenner der †pour›nia und einziger Mittler der göttlichen Offenbarung polemisiere Jesus mit V. 13 gegen Himmelsaufstieg und Offenbarungsempfang anderer. Hatten wir das oben bereits in Frage gestellt, so läßt sich nun noch definitiver sagen, daß mögliche visionäre Erfahrungen anderer hier keinesfalls bestritten werden, wie Jesus in unserer Szene ja auch nicht als Künder der †pour›nia auftritt. Joh 3 ist kein ‚apokalyptischer‘ und erst recht kein ‚gnostischer Text‘. Wie die Stichworte von ‚neuer Geburt‘ und ‚ewigem Leben‘ anzeigen, geht es hier gar nicht um Offenbarung, sondern um Erlösung. Bestritten wird nicht, daß einer eine Offenbarung vom Himmel her erfahren haben könnte, sondern daß jemals einer des ‚ewigen Lebens‘ in der himmlischen Welt teilhaftig geworden wäre (vgl. Burkett 81). 14 f: Neu eingeführt in das Evangelium wird mit V. 14 das Lexem ≠yoún, und zwar zugleich in der Form seines aktiven, wie auch seines passiven Aorist: æywsen und ≠ywjönai deõ. Auch wenn dieses Verbum nach den beiden Belegen an unserer Stelle im gesamten Evangelium nur noch dreimal erscheint, nämlich 8,28; 12,32 und 34, ist es von nicht zu unterschätzendem Gewicht. Zwar ähnelt es dem mit 16 Vorkommen gut dreimal so häufigen Lexem ünaba‡nein nicht nur hinsichtlich der beiden Verben gemeinsamen Richtung ‚nach oben‘, doch darüber sollte man die beträchtlichen Differenzen ihres jeweiligen Gebrauchs nicht übersehen. Wie Bultmann (Komm. 110) und Schulz (Komm. 59 f) überspielt zumal Nicholson (75 ff) diese Differenzen und neigt dazu, die beiden Lexeme als Synonyma zu behandeln. Wie Becker (Komm. I, 171) begreift Nicholson den Tod Jesu am Kreuz als bloßes Durchgangssta‑ dium auf dem Weg eines göttlichen Wesens aus dem Himmel auf die Erde und dahin zurück. Die dreifache Aussage über Jesu ≠ywjönai – wobei die Nennung der ûIoudaõoi als Vollstrecker dieser ‚Erhöhung des Menschensohns‘ (8,28) gerahmt ist von der zweimaligen Aussage über deren Not‑ wendigkeit (≠ywjönai deõ: 3,14; 12,34) – erklärt er zum bloßen Teilmoment des vermeintlich alles beherrschenden Schemas von Abstieg und Aufstieg des Menschensohns. Damit aber vertauscht er Subjekt und Prädikat: Das Subjekt des Evangeliums, nämlich den gekreuzigten Jesus, macht er zu dessen bloßem Prädikat und die Prädikationen Jesu zum Subjekt. So aber betreibt er die konsequente Mythisierung der Geschichte Jesu. Unter Berufung auf Käsemann spielt er den Prologsatz: kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto, der doch Jesu Sterben und Sterblichkeit bereits in sich hat, zur bloßen Bedingung der Möglichkeit herunter, Sterbliche der göttlichen d∙xa ansichtig werden zu lassen.
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Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Nikodemus
3,13–15
Daß die dreifache Aussage über Jesu „Erhöht-Werden-Müssen“ (deõ!) ein intertextuelles Spiel mit der dreifachen synoptischen Leidensweissagung Jesu sein und entsprechende Konsequenzen für die Auslegung haben könnte, kommt ihm so wenig in den Sinn wie der Umstand, daß Jesus seine „Erhöhung“ stets passiv erleidet, seinen Auf‑ und Abstieg dagegen aber aktiv selbst vollbringt. Unbedacht bleibt auch, daß es der bereits ans Kreuz Erhöhte ist, er, der sein tetfilestai gesagt hat (19,30), der Maria erklärt, er sei noch nicht aufgefahren zu seinem Vater (20,17); und daß es der Erhöhte ist, der seine Jünger mit österlicher Freude erfüllt und ihnen durch den Hauch seines Mundes den heiligen Geist verleiht (20,19–23). Trotz lehrreicher Einzelbeobachtungen können wir darum die Grundthese von Nicholsons „Death as Departure“ nur als verfehlt ansehen; vgl. dagegen die sorgfältige Unterscheidung zwischen ≠ywjönai und ünaba‡nein durch Frey (Wie Mose 182) und die auf die spezifisch johanneische theologia crucis konzentrierte Exegese von Joh 12,27–36 u. 3,14–21 von Kohler (Kreuz 230–270): „Das Kreuz Jesu wird deshalb nicht mehr als Zwischenstation seiner himmlischen Erhöhung gedacht, vielmehr muß sich umgekehrt an ihm die konkrete Gestalt der Herrschaft des Erhöhten ausweisen“ (ebd. 252). Und zum Vergleich der drei johanneischen „Erhöhungsaussagen“ mit den drei synoptischen „Leidens‑ und Auferstehungsweissagungen“ (Mk 8,31; 9,31; 10,33 f) sagt Kohler: „Ihm (sc. Johannes) genügt das Muß des Leidens allein nicht, denn diesem muß immer ein Muß der Auferstehung nachgestellt werden (Mk 8,31ab). Vielmehr nützt er ein Moment im Kreuzigungsvorgang selbst aus – die Erhebung des zu Kreuzigenden von der Erde an den Kreuzesbalken –, um das Ineinander von Leiden und Auferstehen im doppeldeutigen Erhöhtwerden zu sichern“ (ebd. 253 f). Daß Jesu Kreuzigung erst von ihrem faktischen Vollzug aus „in den Zusammenhang der Schrift gestellt“ wird, versteht sich ja wohl von selbst. Doch Kohlers gegen R. E. Browns durch Jes 52,53 inspirierte Interpretation, „the theme that he was lifted up was predicted in Scripture“ (Komm. I, 146), gerichteter Nachsatz, Jesu Kreuzigung werde „nicht etwa mit heilsgeschichtlicher Notwendigkeit“ aus der Schrift „abgeleitet“ (ebd. 253), trifft insofern ins Leere, als Brown dem Vordersatz natürlich zustimmen, aber mit Recht bestreiten würde, daß es sich hier um ein Entweder-Oder handele. Denn, daß derjenige, der Jesu Kreuzigung als seine Erhöhung und Verherrlichung „in den Zusammenhang der Schrift gestellt“ hat, dabei Jesajas Wort im Ohr hatte: ¢doÜ sunflsei ¨ paõ" mou kaÑ ≠ywjflsetai kaÑ doxasjflsetai sf∙dra (Jes 52,13), wird man angesichts der prominenten Rolle des Jesajabuches in unserem Evangelium doch wohl kaum bezweifeln können.
Das Oppositions-Paar ünaba‡nein / kataba‡nein wurde bereits Joh 1,51 in die Erzählung eingeführt. Und schon da war es, ebenso wie jetzt in V. 13, sowohl mit Himmel und Erde als auch mit dem Rätselwort ¨ u´Ö" toú ünjr„pou konnotiert. War dort aber von den Engeln gesagt, die Jünger sollten sie ‚auf dem Menschensohn‘ als ihrer ‚Jakobsleiter‘ in den offenen Himmel hinauf‑ und herabsteigen sehen, so erklärt Jesus hier, der ‚Menschensohn‘ selbst müsse erhöht werden. Im Gegensatz zum ünaba‡nein, das – auch wo das unausgesprochen bleibt – im kataba‡nein stets seine Opposition hat, fehlt dem ≠yoún bzw. ≠ywjönai ein entsprechendes Gegenüber, wie es etwa Paulus mit dem Kontrastpaar tapeinoún und ≠peruyoún bietet (Phil 2,8 f). Stets ist es der geheimnisvolle u´Ö" toú ünjr„pou, von dem Jesus sagt, er „müsse“ (3,14 und 12,34, wo eben diese Formulierung ‚wiederaufgenommen‘ wird) oder er „werde erhöht werden“. Und diesem indefiniten Passiv gegenüber kann Jesus dann zu den ûIoudaõoi sagen: Ωtan ≠y„shte tÖn u´Ön toú ünjr„pou, t∙te gn„sesje Ωti †g„ e¢mi (8,28), und sie damit als die ‚Vollstrecker‘ seiner ‚Erhöhung‘ definieren. Nur einmal läßt der Erzähler Jesus statt vom enigmatischen ‚Menschensohn‘ in der ersten Person Singularis von sich selbst sagen: kügá †Ån ≠ywjù †k tö" gö" p›nta" ©lk‚sw prÖ" †maut∙n. Unmittelbar daran schließt er diesen Kommentar an: toúto dÇ ≤legen shma‡nwn poiù jan›tw ≥mellen üpojnÔflskein (12,33). Während das Rätsel des ≠ywjönai für die auf der Textebene agierenden Personen noch verborgen bleibt, erfahren die Leser/Hörer hier endlich 207
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" explizit, was sie seit der typologischen Zitierung der ‚ehernen Schlange‘ aus Num 21 in Joh 3,14 bereits ahnten: Das ‚Erhöhtwerden des Menschensohns‘ wird sich in Jesu Sterben am Kreuz ereignen. Zugleich wird daran deutlich, daß ≠ywjönai bei Johannes zwar nicht die Opposition von tapeinoún bei sich hat, wie bei Paulus, daß es sie aber, wenn Joh den schändlichen Tod am Kreuz ‚Erhöhung‘ nennt, sehr wohl in sich hat. Auch dieses letzte Vorkommen von ≠ywjönai, wo Jesus „Ich“ sagt, statt wie sonst vom Geschick des ‚Menschensohns‘ zu reden, ist im übrigen durch den Kontext als ein Menschensohn-Logion definiert, denn der µclo", der Jesu Wort kügá †Ån ≠ywjù ktl. gehört hat, antwortet ihm mit der doppelten Frage: pù" lfigei" sÜ Ωti deõ ≠ywjönai tÖn u´Ön toú ünjr„pou; t‡" †stin oñto" ¨ u´Ö" toú ünjr„pou; Indem der Erzähler die Volksmenge hier Jesu erstes Wort über die ‚Erhöhung des Menschensohns‘ aus 3,14 im Wortlaut rezitieren läßt, schließt er den Kreis der Aussagen über das ≠ywjönai Jesu. Wie Joh Jesu Kreuzestod als das ≠ywjönai des ‚Menschensohns‘, also mit einem Lexem bezeichnen kann, das von Haus aus doch eher die Einsetzung in eine Stellung höchster Würde ausdrückt, so kann er die Kreuzigung auch Jesu doxasjönai nennen (vgl. 7,39; 8,54; 12,16.28; 21,19 u. ö.). Daß diesem ungewöhnlichen Sprachgebrauch und dem fast verwechselbaren Beieinander von ‚Erhöhung‘ und ‚Verherrlichung‘ ein intertextuelles Spiel mit den ‚Gottesknechtsliedern‘ des Jesajabuches und zumal mit deren Zeile: ¢doÜ sunflsei ¨ paõ" mou kaÑ ≠ywjflsetai kaÑ doxasjflsetai sf∙dra (52,13) zugrundeliegt, wird die Exegese von Joh 12 erweisen (vgl. Frey, ebd. 188 ff). Im Unterschied zu dem stets mit dem Namen ¨ u´Ö" toú ünjr„pou verbundenen Lexem ≠ywjönai steht das Kontrastpaar ünaba‡nein / kataba‡nein für den Auf‑ und Abstieg der Engel (1,51), des ‚Menschensohns‘ in den Himmel (3,13) oder dahin, Ωpou én tÖ pr∙teron (6,62), oder des ‚Sohnes‘ prÖ" tÖn patfira mou (20,17). Aber die Lexeme ünaba‡nein / kataba‡nein dienen nicht nur der Bezeichnung der Wege zum und vom himmlischen Vaterhaus (o¢k‡a toú patr∙" mou: 14,2, hier jedoch mit pore‚omai), sondern sie bezeichnen auch den Weg zu dessen irdischem Abbild, zum Jerusalemer Heiligtum (2,13; 5,1; 7,8 ff; 11,25; 12,20), das Jesus ja „das Haus meines Vaters“ nennt (2,16). Wenn er (7,3 ff) seinen ungläubigen leiblichen Brüdern erklärt, ihrer Aufforderung, doch zum Laubhüttenfest ‚hinaufzuziehen‘, nicht folgen zu wollen (†gá o§k ünaba‡nw e¢" tÉn ©ortÉn ta‚thn), weil sein kair∙" noch nicht gekommen sei, dann aber dennoch heimlich hinaufzieht (t∙te kaÑ a§tÖ" ünfibh o§ fanerù" üllÅ Æ" †n kruptù: 7,10), wird das Spiel mit der Doppeldeutigkeit von ünaba‡nein ganz deutlich: Nicht „bei diesem Laubhüttenfest“, sondern erst bei dem späteren Passafest wird sich Jesu ün›basi" ins himmlische Vaterhaus ereignen (vgl. M. Davies, Rhetoric 192, u. s. u. z. St.). Der Handlungsverlauf ist ähnlich wie in der Erzählung von der Kanahochzeit, wo Jesus die Bitte seiner Mutter – so wie 7,6 die Aufforderung seiner Brüder – zunächst mit den Worten zurückweist: o∂pw ªkei ™ øra mou (2,4), um ihr dann aber dennoch zu entsprechen. Und wie sein Handeln bei jener Hochzeit als wirksame Prolepse seiner ‚Stunde‘ begriffen sein will (s. o. z. St.), so nimmt sein Auftreten auf dem Laubhüttenfest (Joh 7–10,21) seinen Passa-Kairos vorweg.
kaÑ kajá" MwÊsö" æywsen tÖn µfin †n tÔö †rflmw. Trotz der auf nur wenige Wörter verkürzten Erinnerung an die biblische Erzählung von der Schlangenplage in der Wüste zeigt die Definition der ‚Schlange‘ durch den Artikel t∙n, daß der Erzähler ein Auditorium (bzw. eine Leserschaft) voraussetzt, das (die) mit dieser Erzählung von Num 21,4–9 vertraut ist: Weil Israel gesündigt hat, indem es gegen Jhwh und gegen Mose, seinen Gesandten, redete (katel›lei), ließ Gott ‚Feuerschlangen‘ los, deren tödliche Bisse vielen das Leben raubten. Erst als das Volk seine Sünde erkannt und bekannt, und Mose auf Geheiß Jhwhs eine ‚eherne Schlange‘ gefertigt und sie 208
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an einem Stab befestigt hatte, blieb jeder, der auf sie hinsah, am Leben, auch wenn ihn zuvor die Giftschlangen gebissen hatten. Wie hier das Hinsehen auf die ‚erhöhte‘ eherne Schlange Israel von seiner Sünde befreit und ihm Leben gibt (kaÑ †gfineto Ωtan ≤daknen µfi" ±njrwpon, kaÑ †pfibleyen †pÑ tÖn µfin tÖn calkoún kaÑ ≤zh: Num 21,9), so wird jetzt jeder, der glaubend hinsieht auf den ‚erhöhten Menschensohn‘ in ihm das Leben gewinnen. Die hier vorausgesetzte Lesart †n a§tù ist freilich sowohl hinsichtlich der Textüberlieferung als auch exegetisch umstritten. Sie wird bezeugt von P75 B Ws 083. 0113 pc. Übereinstimmend mit dem Befund, daß Joh nach piste‚ein stets e¢" (34mal!) nie aber †n bietet, liest die überwältigende Masse der Handschriften auch in V. 15 piste‚ein e¢" (P63 vid a A Q Y 063. 086 f 1.13 M; als ein mixtum compositum daraus bieten P66 L pc: †pû a§tù, das Burkett für ursprünglich hält). Doch als lectio difficilior und wahrscheinlicher Ursprung der Varianten verdient †n a§tù fraglos den Vorzug. Zugleich aber nötigt der konstante Gebrauch von piste‚ein e¢" bei Joh dazu, das †n a§tù nicht auf piste‚ein, sondern auf das nachfolgende ≤cÔh zwÉn a¢„nion zu beziehen (vgl. Metzger, Comm. 204).
Wie Kohler (204) lesen wir darum †n a§tù und beziehen es, dem joh Sprachgebrauch folgend, nicht auf piste‚ein, sondern auf die ihm folgende Fügung ≤cÔh zwÉn a¢„nion. Dagegen bezieht Frey (Wie Mose 184) †n a§tù auf piste‚ein und will gerade darin mit Meeks (Prophet-King 287 ff) eine „Überbietung der Gaben der Mosezeit durch die Heilsgaben Christi“ erkennen. Zwar räumt er ein, daß Joh „hier durchaus positiv und nicht wie an anderen Stellen polemisch auf das Geschehen der Mosezeit Bezug“ nehme, doch scheint uns schon der Gedanke der „Überbietung“ – erst recht aber die vermeintliche Polemik in 1,17; 6,31.49 – ein dem Text fremdes Element zu sein. Indem Joh die biblische Erzählung durch das Lexem ≠yoún interpretiert, macht er sie zum ‚Ty‑ pos‘ für das notwendige „Erhöhtwerden-Müssen“ des Menschensohns, das seinerseits wiederum als die Erfüllung der göttlichen Verheißung der ‚Erhöhung‘ und ‚Verherrlichung‘ des ‚Gottesknechts‘ begriffen sein will, der „um unserer Gesetzesübertretungen willen verwundet und um unserer Sünden willen geschlagen“ wurde: kaÑ k‚rio" parfidwken a§tÖn taõ" ®mart‡ai" ™mùn (Jes 53,5 f). Breiter ausgeführt ist die typologische Bedeutung der Szene mit der ‚ehernen Schlange‘ im Barnabasbrief, der Mose zu den Israeliten sagen läßt: Ωtan dhcjÔö ti" ≠mùn, †ljfitw †pÑ tÖn µfin tÖn †pÑ toú x‚lou †pike‡menon kaÑ †lpis›tw piste‚sa", Ωti a§tÖ" œn nekrÖ" d‚natai zwopoiösai, kaÑ paracröma swjflsetai. kaÑ oætw" †po‡oun. Barn kommentiert das dann sogleich so: ≤cei" p›lin kaÑ †n to‚toi" tÉn d∙xan toú ûIhsoú, Ωti †n a§tù p›nta kaÑ e¢" a§t∙n (Barn 12,5–7; Text bei Wengst, Didache 172 ff; vgl. auch Windisch, Barn 369 ff). – Außer Barn kennt auch Justin den Topos der ‚ehernen Schlange‘: kaÑ diÅ toú t‚pou dÇ kaÑ shme‡ou toú katÅ tùn dak∙ntwn tÖn ûIsraÉl µfewn ™ ün›jesi" fa‡netai gegenhmfinh †pÑ swthr‡a tùn pisteu∙ntwn Ωti diÅ stauroúsjai mfillonto" j›nato" genflsesjai ≤ktote proekhr‚sseto tù µfei, swthr‡a dÇ toõ" katadaknomfinoi" ≠pû a§toú kaÑ prosfe‚gousi tù tÖn †staurwmfinon u´Ön a§toú pfimyanti e¢" tÖn k∙smon (Dial 91). Und: †pÑ shmeõon ≤sthse, diû oñ shme‡ou †s„zonto o´ £fi∙dhktoi ... mustflrion gÅr diÅ to‚tou ... †kflrusse ... swthr‡an dÇ toõ" piste‚ousin ≤pÑ toúton tÖn diÅ toú shme‡ou to‚tou. toút· †sti toú stauroú janatoúsjai mfillonta (ebd. 94). Diese Koinzidenz wird im allgemeinen durch das Postulat einer mündlichen Tradition erklärt, die nach Joh auch Barn und Justin je auf ihre Weise verarbeitet haben sollen. Doch abgesehen von der offenen Frage, ob Justin möglicherweise den Barn kannte, ist es trotz der (nicht nur hier!) mangelnden wörtlichen Übereinstimmungen doch wohl wahrscheinlicher, daß beide Autoren das Corpus Iohan‑ neum kannten und in diesem Fall auf Joh 3,14 zurückgegriffen haben. Da Ephesus wohl nicht der Ursprungsort aber sicher der frühe Pflegeort des Corpus Iohanneum war, ist es ohnehin nahezu
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2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" undenkbar, daß der belesene Justin dort JohEv und ‑Briefe nicht kennengelernt haben sollte. Wie sein späterer römischer Schüler Tatian wird er vielmehr sogar alle vier Evangelien gekannt haben (vgl. F.-M. Braun, Jean I, 135 ff). – Für das zitierte Spiel mit der Schlangen-Episode im Barn vermuten Glasson (Moses 33–39) und Braun (ebd. 83–85) Abhängigkeit von Joh 3,14; Windisch (Barn 371) läßt die Frage offen (vgl. noch Frey, Wie Mose 199 f). Num 21,9 lautet in der LXX: kaÑ †po‡hsen MwÊsö" µfin calkoún kaÑ ≤sthsen a§tÖn †pÑ shme‡ou, kaÑ †gfineto ktl. In diesem Satz ist das hebräische Lexem sn (hohe Fahnen‑ oder Signalstange) durch shmeõon wiedergegeben. Während nun sowohl Barn als auch Justin der LXX folgen und das Wort shmeõon geradezu zum Schlüssel ihrer typologischen Auslegung der SchlangenEpisode machen, scheint Joh es absichtsvoll zu vermeiden und dem hebräischen Text zu folgen, wenn er in Analogie zur notwendigen ‚Erhöhung des Menschensohns‘ vom ≠yoún der Schlange durch Mose spricht (vgl. Frey, Wie Mose 194 ff). Für diese richtige Beobachtung gibt Frey jedoch eine falsche Begründung. Denn kaum zu Recht beschränkt er den johanneischen Gebrauch des Lexems shmeõon im Anschluß an Bittner (17 ff; 169), Welck (106), Rengstorf (shmeõon 253 f) und Schnelle (Christologie 165) darauf, ausschließliche Bezeichnung der mirakulösen Taten Jesu zu sein. Darum widerspricht er etwa Dodd (Interpretation 142), der auch die Tempelreinigung oder Jesu Waschen der Füße seiner Jünger als shmeõa begreift; erst recht aber sei Jesu eigene ‚Erhöhung‘ ans Kreuz kein shmeõon. Das ist jedoch insofern problematisch, als in Joh 2,19 ja gerade das ‚Abbrechen‘ des Tempels (nämlich des Leibes Jesu) durch die Juden und seine ‚Wiedererrichtung‘ binnen dreier Tage durch Jesus selbst als das geforderte Zeichen benannt wird. Übersehen wird bei solcher Beschränkung von shmeõon auf das Mirakulöse auch die Ironie der Tempelszene, nämlich die Blindheit der Zeichenforderer für das soeben vor ihren Augen geschehene Zeichen der Tempelreinigung. Und wenn der Erzähler unmittelbar nach der Thomas-Episode, die die Ereignisfolge von Kreuzigung und Auferstehung Jesu beschließt, erklärt, Jesus habe noch viele andere ‚Zeichen‘ getan, die er nicht in seinem Buch verzeichnet habe, dann soll der Leser doch ganz offensichtlich Jesu Kreuzigung und Auferstehung im Licht der sie ‚vorabbildenden‘ LazarusErzählung als shmeõa begreifen. Der Grund für die Vermeidung des von der LXX vorgegebenen Wortes shmeõon in V. 14 muß deshalb darin liegen, daß shmeõon bei Joh wie die ägyptischen shmeõa der Mosezeit nie ‚omen‘ im Sinne von Vorzeichen (von Zukünftigem) bedeutet, sondern stets Erweis der Identität Jesu als des vom Vater zum Heil der Welt Gesandten ist.
Die hier und dann gleich wieder in V. 16 erscheinende Rede vom ‚ewigen Leben‘ ist biblisch vorgegeben, wenn es Dan 12,1f heißt: Beim Erscheinen des großen Fürsten Michael werden „viele von denen, die im Staub der Erde schlafen, aufwachen, die einen zum ewigen Leben (µlw[ yyjl – LXX und Theodotion: e¢" zwÉn a¢„nion), die anderen zu Schmach und Schande“. Die Rabbinen sprechen häufig vom ‚Leben der zukünftigen Welt‘ (abh µlw[ yyj). Das Adjektiv a¢„nio" begegnet im Corpus Iohanneum 23mal (17mal im Ev und 6mal im 1Joh), und zwar ausschließlich in der Fügung zwÉ a¢„nio". Daß diese häufige Prägung in V. 15 u. 16 gleich zweifach erscheint, und zwar erst nach dem einzigen, ebenfalls doppelten Vorkommen der Wendung ™ basile‡a toú jeoú in den V. 3 u. 5, ist gewiß kein Zufall. Wenn man nicht übersieht, daß in der Rede vom ‚ewigen Leben‘ das eschatologische Moment der uns aus den synoptischen Evangelien so vertrauten Verkündigung der Nähe der Gottesherrschaft (oder des Him‑ melreichs, wie Mt sagt) einerseits aufgenommen und bewahrt, andererseits aber zugleich eigentümlich transformiert ist, könnte man sagen, Joh habe hier die Fügung ™ basile‡a toú jeoú durch die Verheißung der zwÉ a¢„nio" geradezu ersetzt. Barrett gibt darum die „Gedankenführung“ von V. 14 f so wieder: „Der Menschensohn ist durch seinen Tod in den Himmel erhöht worden: deshalb erfreuen sich jene, die in ihm sind (†n a§tù), des Lebens im kommenden Äon durch Antizipation“ (Komm. 235). Dabei muß man freilich der naheliegenden Versuchung widerstehen, „dieses ewige Leben kritisch 210
Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Nikodemus
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abzuheben gegenüber dem bloß physischen Leben, das durch das Schlangenzeichen gewährt wird. Darin würde sich dann noch einmal das Mißverständnis des Erhöhtwerdens wiederholen. Demgegenüber gilt: so wie zuvor in V. 14 die himmlische Erhöhung im Vollzug der Kreuzigung gedacht wurde, so wird jetzt das ewige Leben im Vollzug des irdischen gedacht. Das traditionell am Ende der Tage erwartete ewige Leben tritt in das gegenwärtige Leben ein. Das ewige Leben wird als etwas gedacht, das das Leben umfaßt und nicht etwa an seine Stelle tritt“ (Kohler, Kreuz 254 f). Dabei versteht es sich jedoch wohl von selbst, daß sich das ‚ewige Leben‘ im ‚irdischen Leben‘ nicht erschöpft und daß auch die Glaubenden in der von der „Angst“ beherrschten Welt (†n tù k∙smw jlõyin ≤cete) es nie, wie ihr Herr, „der die Welt überwunden hat“ (16,33), „in sich selbst“ (5,26), sondern stets nur allein „in ihm“ haben werden als solche, die „an ihn glauben“ und zu seinem Kreuz „aufsehen“, so wie das geängstigte Volk Israel in der Wüste einst „aufblickte“ auf die erhöhte Schlange und Leben gewann. – Neben der durch das Adjektiv a¢„nio" näher bestimmten Fügung zwfl a¢„nio" findet sich das einfache zwfl 19mal im Evangelium. Wie 3,36; 5,24; 5,40; 6,53 f; 6,63 u. 68 zeigen, dient es dabei des öfteren der bloßen „Wiederaufnahme“ der zuvor genannten zwÉ a¢„nio" und an anderen Stellen definiert es der Kontext als ‚ewiges Leben‘ (vgl. dazu G. Bertram / R. Bultmann / G. von Rad, Art. z›w ktl.; L. Schottroff, Art. zù ktl.; C. C. Caragounis, Kingdom). 16: Durch das einleitende oætw" g›r ist V. 16 deutlich als die Begründung für das ≠ywjönai deõ tÖn u´Ön toú ünjr„pou von V. 14 markiert. Damit wird, was im deõ von V. 14 noch verborgen war, als Gottes Liebe zum k∙smo" offenbar. Sie ist der wahre Grund dafür, daß der ‚Sohn des Menschen‘ ans Kreuz erhöht werden muß. Der Aorist °g›phsen gibt zu verstehen, daß hier nicht von Gottes Liebesgesinnung, sondern von seiner kontingenten Liebestat die Rede ist: øste tÖn u´Ön tÖn monogenö ≤dwken. Darum ist das den Satz eröffnende oætw" wohl nicht emphatisch im Sinne von „so sehr“, sondern einfach als „so“ zu verstehen. Mit V. 16 wird das für das gesamte Evangelium so überaus bezeichnende Lexem ügapôn neu eingeführt und als Gegenstand dieses Liebens Gottes zugleich der k∙smo" benannt. Fast die Hälfte aller neutestamentlichen Vorkommen von ügapôn, nämlich 68 von insgesamt 143, finden sich im Corpus Iohanneum (davon 37 im Ev und 31 in den JohBr). Auch dem Nomen üg›ph stehen in den Evangelien sieben joh Belegen nur je einer bei Mt und Lk gegenüber (hinzu kommen noch 21 Vorkommen von üg›ph in den JohBr; vgl. Stauffer, ügapôn ktl., und Schneider, üg›ph 26–28). Das Adjektiv ügapht∙" fehlt im Evangelium, begegnet aber als Anrede der Leser 6mal im 1Joh und als Anrede des Gaius 4mal im 3Joh. Da aber die Verben ügapôn und fileõn, wie die weitere Auslegung zeigen wird, im Evangelium als Synonyma gebraucht werden und ihre jeweilige Verwendung allein stilistisch motiviert zu sein scheint, wäre diese Übersicht ohne den Hinweis auf das dreizehnmalige Vorkommen von fileõn unvollständig. Abgesehen von dem nahezu technischen Gebrauch des Nomens f‡lo" in den Wendungen f‡lo" toú numf‡ou (3,29) und f‡lo" toú Ka‡saro" (19,12) gehören auch seine vier übrigen Vorkommen in Joh 11,11 und 15,13–15 in das hier erörterte semantische Feld. Man kann sie wohl als die narrative Entsprechung der epistolischen Anrede ügapht∙" der JohBr ansehen.
Daß der eben noch mit dem rätselhaften ‚Namen‘ ¨ u´Ö" toú ünjr„pou Bezeichnete jetzt unvermittelt ¨ u´Ö" ¨ monogenö" (toú jeoú) genannt wird, bestätigt Burketts Interpretation von V. 13 als intertextuellem Spiel mit Prov 30,1–4, wonach der „Mann“ Gott und „der Sohn des Mannes“ dementsprechend der Sohn Gottes ist. Mit der Be211
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" zeichnung des ‚Sohnes‘ als des monogenfl" Gottes nimmt der Erzähler hier die „Isaaktypologische Wendung“ (Lausberg) vom monogenÉ" parÅ patr∙" des Prologs (1,14; vgl. das monogenÉ" je∙" von 1,18d s. o. z. St.) wieder auf. Und das dürfte kein Zufall, sondern insofern sachgemäß sein, als sich ja die ‚Fleischwerdung‘ des l∙go" mit der Offenbarung seiner d∙xa erst in der ‚Erhöhung‘ Jesu an das Kreuz von Golgatha und mit der „Hingabe seines Fleisches für das Leben des k∙smo"“ (6,51) als die „Erfüllung der Schrift“ vollendet (19,28–30). Die nächste Parallele zu Joh 3,16 ist der ebenfalls deutlich an die biblische Erzählung von der Akeda Isaaks (Gen 22,1–19) anspielende paulinische Vers Röm 8,32, der von Gott sagt, er habe seinen eigenen Sohn nicht ‚verschont‘, sondern ihn für uns alle ‚dahingegeben‘ (Ω" ge toú ¢d‡ou u´oú o§k †fe‡sato üllÅ ≠pÇr ™mùn p›ntwn parfidwken a§t∙n – vgl. das zweimalige sÜ o§k †fe‡sw toú u´oú sou toú ügaphtoú in Gen 22,12.16). Daß Joh diesen paulinischen Vers kennt, ist durchaus möglich, schwerlich jedoch erweisbar. Neben Röm 4,25, wo der durch Gott von den Toten erweckte Jesus durch den Relativsatz, ≈" pared∙jh diÅ tÅ parapt„mata ™mùn kaÑ °gfirjh diÅ tÉn dika‡wsin ™mùn, näher bestimmt wird, ist Röm 8,32 im übrigen die einzige Stelle im NT, wo Gott explizit als das Subjekt des paradid∙nai seines Sohnes erscheint. Aufgrund der Strukturähnlichkeit von Joh 3,16 f mit Sätzen wie Gal 4,4; Röm 8,3; 1Joh 4,9 f, die alle zunächst von der Sendung des Sohnes und danach von deren soteriologischem Sinn reden, hat E. Schweizer sie als Varianten einer „Sendungsformel“ begriffen und ihren „religionsgeschichtlichen Hintergrund“ in Aussagen über die Sendung der Weisheit in jüdischen Texten wie Sap 9,10.17; 18,15; Sir 1,8–10.12 sowie in den philonischen Platonisierungen solcher Sätze (vgl. etwa agr 51; her 205; conf 63; fuga 12 u. ö.) erwiesen (Sendungsformel). Diesem weisheitlichen Ursprung hat J. Bühner u. a. mit dem gattungskritischen Argument widersprochen, daß Sap 9,10.17 ein Gebetstext sei und deshalb die doch „geschichtstheologische Aussage von Gal 4,4; Röm 8,3; und Joh 3,16 f keineswegs“ zu decken vermöge (Gesandter 93 ff). Doch das Argument leuchtet uns nicht ein. Denn warum sollte sich der Gedanke der Sendung der Weisheit vom Himmel her nicht in Gebetstexten ebenso wie in kerygmatischen Sätzen Ausdruck verschafft haben können (vgl. Schnelle, Christologie 209 f)? Im übrigen kennzeichnet es gerade die Untersuchung von Bühner, daß die dialektische Einheit von Form und Inhalt unbedacht bleibt. Das literarische Werk ‚Johannesevangelium‘ zerfällt unter seinen Händen in ein spannungsvolles Konglomerat verschiedener Schichten, die er ohne irgendwelche nachprüfbaren Kriterien als „früh-“ oder als „spätjohanneisch“ einstuft. Nicht die Weisheit, sondern das kulturgeschichtlich weit verbreitete orientalische „Botenrecht“ und spezieller noch das rabbinische Rechtsinstitut des bevollmächtigten jylç soll Ursprung der johanneischen Sendungschristologie sein. Abgesehen davon, daß uns diese extreme Frühdatierung des Rabbinats und seiner Rechtsinstitutionen als völlig anachronistisch erscheint, vermag Bühner seine rein ideengeschichtliche Konstruktion einer Geschichte der johanneischen Schule und der Entwicklung ihrer Christologie in keiner Weise am Text des Evangeliums auszuweisen (vgl. nur seine oben erörterte, u. E. völlig willkürliche „anabatische“ Deutung von Joh 3,13, wonach Jesus in einer „Berufungsvision“ in den Himmel entrückt und in die Würde des „Menschensohns“ eingesetzt worden sei). „Nur über die Logos-Lehre des Prologs“ sieht er „die johanneische Christologie im Ganzen … mit der Weisheit verbunden“ (ebd. 103). Doch er sieht den Prolog nicht als Leseanweisung für alles Folgende, sondern als ein für dessen Interpretation mehr oder weniger belangloses Produkt „spätjohanneischer Theologie“ an. Das mit 119 Vorkommen im NT recht häufige Verbum paradid∙nai erscheint bei Joh nur 15mal (gegenüber 31 Vorkommen bei Mt, 20 bei Mk und 12 bei Lk). Wie in den Synoptikern dienen die meisten dieser Stellen (10 von 15) der Bezeichnung des Judas, der Jesus seinen Feinden „ausliefert“ bzw. „ausliefern wird“ (6,64.71; 12,4; 13,2.11.21 ff; 18,2.5; und 21,10 [als ‚Wiederaufnahme‘ von 13,21 ff]). Dreimal werden ‚die Juden‘ als diejenigen bezeichnet, die Jesus an Pilatus „ausliefern“ (18,30. 35; 19,11), und endlich ist es Pilatus selbst, der ihnen nun Jesus zur Kreuzigung „ausliefert“ (19,16). Als einzige Ausnahme von diesem Sprachgebrauch, die unten
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z. St. zu erörtern sein wird, bleibt Joh 19,30, wo es heißt: Ωte oên ≤laben tÖ µxo" ¨ ûIhsoú" eèpen: tetfilestai, kaÑ kl‡na" tÉn kefalÉn parfidwken tÖ pneúma. Abgesehen von diesem Satz heißt paradid∙nai bei Joh also stets „ausliefern“. Und das Subjekt solchen „Auslieferns“ sind stets Menschen, nie aber Gott (wie Röm 8,32). Darum ist es gewiß kein Zufall, daß es in V. 16 ≤dwken und nicht parfidwken heißt. Und da dieses ≤dwken zudem im folgenden V. 17 durch üpfisteilen aufgenommen und interpretiert wird, dient es hier wohl der Bezeichnung von Jesu gesamter Sendung, die nach V. 14 f freilich in seinem ‚Erhöhtwerden‘ gipfelt. Der ganzen, durch den Hellenismus geprägten, mediterranen Welt gilt jegliche Art eines ‚Menschen-Opfers‘ als schlechthin verabscheuenswürdig. Und wie die jüdische Auslegungsgeschichte von Gen 22 zeigt (s. o. zu 1,29), ist das Judentum da keine Ausnahme. Dagegen gilt aber das ‚Selbstopfer‘ eines Menschen nicht nur als vorstellbar, sondern derartige Fälle werden oft als edle Vorbilder und Sühne schaffende Taten nachdrücklich beschworen (vgl. nur 4Makk 17,17 ff). Darum könnte der Grund der Vermeidung von parfidwken an unserer Stelle auch darin liegen, Gott nicht etwa als den ‚Opferherrn‘ der blutigen Darbringung seines Sohnes erscheinen zu lassen. Denn wie schon die Tradition vor ihm (vgl. Gal 2,20; Eph 5,2.20 u. ö.) legt gerade unser Evangelist größtes Gewicht auf diesen Gedanken des Selbstopfers Jesu: diÅ toút∙ me ¨ patÉr ügapç Ωti †gá t‡jhmi tÉn yucfln mou, ºna p›lin l›bw a§tfln. o§deÑ" a¥rei a§tÉn üpû †moú, üllû †gá t‡jhmi a§tÉn üpû †mautoú. †xous‡an ≤cw jeõnai a§tfln, kaÑ †xous‡an ≤cw p›lin labeõn (10,17 f). Als der ‚gute Hirte‘ läßt er sein Leben für seine Schafe (10,11), und als liebender Freund gibt er es für seine Freunde (15,13 ff). Mit seinem †g„ e¢mi begibt er sich selbst in die Hände derer, die ihn verhaften sollen, und macht dadurch Judas, der ihn doch ‚ausliefern‘ sollte, förmlich brotlos (18,2 ff).
Darauf, daß das Lexem k∙smo" in unserem Evangelium, je nach dem Aspekt, unter dem es gebraucht wird, höchst ambivalent ist, haben wir oben zu Joh 1,10 bereits aufmerksam gemacht. Treffend resümiert Bultmann das Bedeutungsspektrum von k∙smo" so: „Eben deshalb ist der k∙smo" beides: Gegenstand der Liebe Gottes (3,16) und Empfänger der Offenbarung (4,42; 6,33; 12,47) wie die lügnerische Macht, die sich gegen Gott empört (14,30; 16,11), die verworfen wird (12,31; 17,9). Beides konstituiert zusammen den k∙smo"-Begriff, und man darf nicht bei Joh zwei verschiedene k∙smo"-Begriffe unterscheiden“ (Komm. 34). Diese Ambivalenz im Gebrauch des Wortes k∙smo" ist kennzeichnend für den spezifischen Quasi-Dualismus unseres Evangeliums, der „kein kosmologischer, sondern ein geschichtlicher“ ist, wie Bultmann ebd. mit einem Zitat Gauglers sagt. Das will sagen, daß die Güte der geschaffenen Welt (Gen 1,31; Joh 1,1 ff), das Licht und das Leben nicht gleichursprünglich mit der Trias des Bösen, der Finsternis und des Todes sind, sondern dieser gegenüber einen absoluten quasi ontologischen Vorrang haben. Es gibt die Finsternis nur als die Empörung gegen das Licht und das Böse, wie den Tod nur als die Negation des Guten und des Lebens. Mit der ‚Wiederaufnahme‘ des Lexems monogenfl" aus dem Prolog ist zugleich auch dessen ‚Genesisatmosphäre‘ (Lausberg) evoziert. Darum zitiert K. Berger (Exegese 182 f) als eine nahe Parallele zu Joh 3,16 ganz zu Recht Sap 11,23–24: „Du erbarmst dich aller, weil du alles vermagst / und die Sünden der Menschen ‚übersiehst‘ du, indem du Umkehr gewährst“ (kaÑ parorô" ®martflmata ünjr„pwn e¢" met›noian) / ügapô" gÅr tÅ µnta p›nta / kaÑ o§dÇn bdel‚ssÔh ón †po‡hsa" / o§dÇ gÅr …n misùn ti kateske‚asa"). Die Analogie ist deshalb so nahe, weil hier Gottes Verhältnis zu „seiner Welt“ (wmlw[ ist stehende Redeweise bei den Rabbinen; vgl. Odeberg, Fourth Gospel 113 ff) als seine Liebe zu seiner Schöpfung gepriesen wird. Das ist, soweit wir sehen, nur hier und in Joh 3,16 der Fall. Berger resümiert: „Glauben an den Sohn hat dieselbe Funktion wie ‚Umkehr‘ in SapSal; man könnte sogar annehmen, daß die Ver213
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" bindung von ‚Sohn‘ und ‚glauben‘ bei Joh inhaltlich die Aussagen über Umkehr und Sündenvergebung ‚ersetzt‘. Die Übereinstimmung in den universalistischen Aussagen (alles, was ist; jeder, der glaubt) ist ein weiteres Argument dagegen, daß es sich im JohEv um eine ‚insider-group‘ handelt …, denn hier ist erkennbar, daß der universalistische Zug nicht zufällig ist, sondern traditionsinhärent und mit dem Schöpfungsglauben selbst verbunden“ (ebd.). Blickt man auf den Kontext und zumal auf das Spiel mit der Wüstenepisode von Num 21 in V. 14, dann gewinnt die „Verbindung von Sohn und glauben“ tatsächlich den Sinn von gewährter met›noia und Sündenvergebung, hatte doch das ‚Aufsehen‘ auf die ‚eherne Schlange‘ dem wegen seiner Sünde von den tödlichen Schlangenbissen heimgesuchten Volk einst das Leben gegeben. Die Alten haben in Joh 3,16 so etwas wie „das Evangelium im Evangelium“ gesehen; Bernard beurteilt den Vers als „the summary of the ‚Gospel according to St. John‘“ (Komm. 117); Spicq nennt ihn das „Résumé“ des Evangeliums (Agape III, 132). Dieser Einschätzung von 3,16 ist jedoch neuerdings, u. a. von Käsemann und Lattke, heftig widersprochen worden. Unter dem Vorurteil, daß der k∙smo" bei Joh durchweg negativ qualifiziert sei, und daß das Lexem bei ihm die Welt stets als ‚gottfeindliche‘ bezeichne, muß ein Satz wie Joh 3,16, der eben diesen k∙smo" nicht nur als den Ort, sondern ganz ausdrücklich als das Objekt der Liebe Gottes benennt, natürlich „aus dem Rahmen des Johannesevangeliums“ fallen (Lattke, Einheit 12 u. 64 ff). Lattke folgt darin Käsemann, der meint, „nach dem Kontext allen Anlaß“ dafür zu haben, in V. 16 „eine traditionelle und von dem Evangelisten aufgegriffene urchristliche Formel zu erblicken“, die „als Summarium und Überleitung“ lediglich dazu diene, „die Herrlichkeit der Sendung Jesu zu betonen“. Deshalb sei es „mehr als zweifelhaft, daß diese nirgends wiederholte Aussage uns das Recht gibt, die gesamte johanneische Verkündigung von ihr her zu interpretieren“ (Letzter Wille 124 f). Daß Käsemann sich für dieses Urteil ausgerechnet auf den Kontext von V. 16 beruft, ist verwunderlich. Denn das in V. 16 beschriebene Wunder der Liebe Gottes zum k∙smo" ist strukturell und syntaktisch doch deutlich Klimax und Ziel der gesamten Szene von 3,1–21 (vgl. Augenstein, Liebesgebot 62). Erst dieses Wunder eröffnet ja jedem, der an den von Gott aus Liebe zum k∙smo" gegebenen monogenÉ" u´∙" glaubt, die Möglichkeit der ‚neuen Geburt‘, deren ‚Unmöglichkeit‘ Nikodemus ja zu Recht behauptet hatte. Und an dieser Funktion von V. 16 im Kontext würde sich auch dann nichts ändern, wenn er tatsächlich ein traditioneller Satz sein sollte. Das Letztere ist freilich schon wegen der nahezu singulären Rede von Gottes Liebe zur Welt, für die „eine vorausliegende Tradition … gerade nicht bekannt“ ist (Schottroff, Glaubender 284; vgl. Odeberg, Fourth Gospel 116) ebenso unwahrscheinlich wie wegen des Gebrauchs der bereits im Prolog eingeführten Prädikation des Sohnes als des monogenfl". Daß V. 12–21 gerade nicht Tradition, sondern „Bildung des Evangelisten“ sind, hat Bultmann darüberhinaus sorgfältig begründet (Komm. 110, Anm. 3). Gegen Käsemann und Lattke urteilt darum Luise Schottroff wohl treffend, wenn sie erklärt: „Es ist also eine für Johannes spezifische und im Gefüge seiner Theologie wichtige Aussage, daß Gott bzw. der Offenbarer sich durch sein Kommen … liebend und erlösend der Welt zuwendet. Und was für den johanneischen Offenbarer gilt, gilt entsprechend auch für die johanneischen Christen: auch sie sind in die Welt gesandt, damit durch ihre Verkündigung die Welt glaube, daß Jesus Gottes Offenbarer ist …“ (ebd.; vgl. Bornkamm, Interpretation 118 f). 214
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Das gilt, auch wenn wir der Autorin in ihrer Deutung dieser „wichtigen Aussage“ nicht zu folgen vermögen. Sie erklärt nämlich, daß Johannes mit 3,16 natürlich nicht die „göttliche Zuwendung zur gottfeindlichen Welt … behaupten“ wolle. Vielmehr sei „die Absicht der Aussage über die göttliche Zuwendung zur Welt … allein die, in voller Schärfe die Ablehnung der Welt herauszustellen: sie hätte die Möglichkeit des Glaubens gehabt. Ihr Haß ist nicht eine ihr innewohnende, ihr schon immer angeborene Haltung, sondern Haß, der das Angebot der Liebe abweist“ (ebd. 288). Das Problem steckt in dem Satz: „Sie hätte die Möglichkeit des Glaubens gehabt“, in der wohl mehr am Markt als am Geschehensein des göttlichen Liebens orientierten Rede vom „Angebot der Liebe“ und in der daraus resultierenden Bestimmung des johanneischen ‚Dualismus‘ als eines „Entscheidungs-Dualismus“, worin die Autorin ausdrücklich Bultmann folgt (ebd. 236 f). Zudem hegen wir Zweifel daran, ob Jesus als der monogenÉ" u´∙" Gottes, für den die ‚Schrift‘ und der ‚Vater‘ selbst als Zeugen eintreten, mit „der Offenbarer“ überhaupt angemessen bezeichnet werden kann. „Abweisen“ kann ich doch nur eine mir zugewandte und mich umfangende Liebe. Darum muß Gottes Liebe tatsächlich der ganzen ‚gottfeindlichen Welt‘, allen Menschen ohne Ausnahme, gelten. Und Gottes ‚Gabe‘ seines ‚einzigen Sohnes‘ ist ja gewiß alles andere als ein bloßes ‚Angebot‘ über dessen Annahme oder Abweisung ich frei zu entscheiden vermöchte. Das heißt aber: Nur weil Gott sie liebt, hat die Welt überhaupt die ‚Möglichkeit des Glaubens‘. Nur darum kann von der ‚gottfeindlichen Welt‘ gesagt werden: „Sie hätte die Möglichkeit des Glaubens gehabt“. Hinsichtlich ihrer Beurteilung des ‚johanneischen Dualismus‘ als „Entscheidungs-Dualismus“ unterscheidet sich L. Schottroff von Bultmann darin, daß sie diesen johanneischen Dualismus nicht mehr als die entmythologisierte Gestalt des ontologisch fundierten Dualismus der Gnosis durch dessen „Vergeschichtlichung“ begreifen kann, weil ihre „existentiale Interpretation“ auch und gerade den gnostischen Dualismus als „Entscheidungsdualismus“ erweisen soll. Deshalb lautet ihr Resümee schließlich denn auch: „Der gnostische Dualismus bestimmt den johanneischen Entwurf der Christologie und der Soteriologie völlig. Johannes ist das erste uns ausführlicher bekannte System einer Gnosis, die sich christliche Traditionen adaptiert. Mit dem Johannesevangelium ist die gnostische Heilslehre in den Kanon gelangt. ‚Gegen alle ihre Intentionen hat die Kirche hier, verführt durch das Bild des über die Erde schreitenden Gottes Jesus, die sonst totgeschwiegene Stimme derer den Aposteln zugeschrieben, die schon ein Menschenalter nach unserem Evangelium als häretisch verurteilt wurden‘“ (ebd. 295 f; Zitat darin: Käsemann, Letzter Wille 154 f). Dieses Ergebnis wirft freilich die Frage auf, ob hier – ähnlich wie in Bultmanns Rede vom Entscheidungsdualismus – am Ende womöglich nicht nur die zuvor investierten Prämissen jener vermeintlich ‚neutralen‘ existentialen Interpretation bestätigt werden. „Man hat den Eindruck, daß sich L. Schottroff den Zugang zum nächstliegenden, nämlich wörtlichen, Verständnis der Texte durch die Vorentscheidung einer existentialen Interpretation selbst verbaut“ (Tröger 69; vgl. ebd. 69 ff; H.-M. Schenke, Rezension Schottroff 755; und Onuki, Gemeinde 52 ff). Auch wenn wir Bultmann darin nicht mehr zu folgen vermögen, daß Johannes den gnostischen Erlösermythos durch dessen radikale Vergeschichtlichung und durch die Kritik seines unbiblischen Antikosmismus vergeschichtlicht habe, um ihn so in den Dienst seiner Botschaft zu stellen, bleibt – auch und gerade nach dem Auffinden und der Publikation der Nag-Hammadi-Codices – seine scharfsinnige Unterscheidung zwischen gnostischer Heilslehre und der christlichen Verkündigung unseres Evangeliums der unüberholte Beitrag seines epochalen Kommentars. Zu Unrecht hebt Schottroff demgegenüber den sachlichen Primat des antikosmischen Dualismus der Gnosis auf, indem sie ihn auf das punctum mathematicum der Entscheidung des Gnostikers reduziert. Gegen Bultmanns analogen existential-ontologischen „Denkansatz beim Sinn unserer Existenz“ hatte schon E. Fuchs eingewandt: „Nicht der Sinn unserer Existenz, sondern die Erfahrungen, die der Glaube an Jesus macht, werden im Johannesevangelium besprochen“ (Marburger Hermeneutik 156 f). Entsprechendes dürfte von dem in den gnostischen Texten Gesagten gelten. Käsemann erklärt dann zu 3,16, Johannes präzisiere „die urchristliche Tradition, wonach die Sendung der gesamten Welt gilt“, indem er in 13,1 etwa sage, „Jesu Liebe (gelte) den Seinigen, die in der Welt sind“. Darum gehöre auch „das Gebot der Bruderliebe … nicht zufällig zur esoterischen Unterweisung der Jünger, und nicht ohne Grund (formuliere) 1Joh 2,15 in schneiden-
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2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" dem Kontrast dazu: ‚Wenn jemand die Welt liebt, in dem ist nicht die Liebe des Vaters‘“ (Letzter Wille 125). Von Jesu Gebot der Feindesliebe ganz zu schweigen, versteht Käsemann das Gebot der Bruderliebe als absichtsvolle Einschränkung des biblischen Gebots der Nächstenliebe auf den engen Kreis einer vermeintlich außerhalb der sich bildenden Großkirche sektenhaft existierenden „joh Gemeinde“. Das ist jedoch sowohl im Blick auf das ‚Neue Gebot‘ von Joh 13,34 f, in dem im übrigen das Lexem ‚Bruder‘ gar nicht erscheint, als auch im Blick auf die einschlägigen Passagen des 1Joh gänzlich verfehlt (s. u. zu 13,34 f). Augenstein zeigt, daß der ‚Brudername‘ das alte neue Gebot von Lev 19,17 f.34 nicht etwa einschränkt, sondern gerade intensiviert (Liebesgebot 22 ff u. 94 ff). Die Nennung Kains in 1Joh 3,12 besagt, daß hier gilt: „Die Nähe des Nächsten ist meine Verantwortlichkeit für ihn. Nahen heißt: der Hüter seines Bruders sein. Hüter seines Bruders ist, wer als Leibbürge für ihn eintritt. Hierin besteht die Unmittelbarkeit. Die Verantwortlichkeit rührt nicht von der Brüderlichkeit her, sondern die Brüderlichkeit ist der Name für die Verantwortlichkeit für den anderen, die diesseits meiner Freiheit liegt“ (Lévinas, Gott 112 f). Und die Warnung, die Welt nicht zu lieben (1Joh 2,15–17), bildet weder zu Joh 3,16 noch zum Bruderliebe-Gebot von 1Joh einen „schneidenden Kontrast“, denn was hier k∙smo" heißt, ist als ™ †pijum‡a tö" sarkÖ" kaÑ ™ †pijum‡a tùn £fjalmùn kaÑ ™ ülazone‡a toú b‡ou in V. 16 ja deutlich definiert. – Ganz ähnlich wie Käsemann hatte schon W. Bauer über Joh 3,16 geurteilt: „Hat sich etwa Jo ein Wort, das ursprünglich besagte, Gott hätte seinen Sohn aus Liebe zur Welt in den Tod gegeben, angeeignet und mit seinem Geist erfüllt? Jedenfalls besteht für ihn der von Gott geliebte Kosmos nur in den Gläubigen und die Hingabe des Sohnes – zwischen V. 13 und 17 und in Anbetracht der Feststellung, daß der Tod Jesu, trotz der 10,11.15; 15,13 hervortretenden gemeinchristlichen Auffassung, eigentlich keine besondere Bedeutung für das Heilswerk besitzt, sondern nur den Kehrpunkt darstellt, an dem der auf die Erde Entsandte wieder zum Himmel zurückkehrt – gewiß in seiner Sendung von oben her“ (Bauer, Komm. 57; Hervorhebung H. Th.).
Käsemann sucht im Gegensatz zu L. Schottroff „den sachlichen Vorrang der … Offenbarung vor dem johanneischen Dualismus“ (Onuki, Gemeinde 54) dadurch zu sichern, daß er Letzteren als die „Lehre von der Allmacht des Wortes“ bestimmt (Letzter Wille 132). Doch dabei verstrickt er sich in eben die Aporie, der er doch zu entrinnen trachtete. Denn sein „allmächtiges Wort“ erweist sich dadurch als höchst ohnmächtig, daß Käsemann ihm den vermeintlichen joh Dualismus einer immer schon in Licht und Finsternis geschiedenen Welt und Menschheit sachlich vor‑ und überordnet: „Ungenau ist es auch, von einem Entscheidungsdualismus zu sprechen. Der Entscheidungscharakter von Glaube und Unglaube soll nicht bestritten werden. Doch führt nicht unsere Entscheidung die große Scheidung der beiden Bereiche herauf. Der johanneische Dualismus markiert die Wirkung des Wortes in der Welt, in welcher schon immer das Licht in die Finsternis schien. Glaube und Unglaube bestätigen als konkrete Entscheidungen einzelner Menschen aktualisierend die bestehende Scheidung. Sie ereignen sich stets auf einer Erde, die schon zuvor durch das Ergehen des Wortes in zwei feindliche Bereiche gespalten ist“ (ebd.; vgl. dazu Onuki, Gemeinde 53 f, der ganz treffend sieht, daß Käsemann die Christologie zwar „mit Recht zum Horizont der johanneischen Eschatologie macht“, daß er sie zugleich aber zu Unrecht in den engen Horizont einer Protologie fesselt, in dem sich die Liebe Gottes zum k∙smo" nur noch in der Sammlung der ohnehin schon Erwählten für die himmlische Welt auswirken kann). 17 f: Die Erklärung, daß Gott seinen Sohn nicht dazu gesandt habe, den k∙smo" zu richten, sondern ihn zu erlösen, dient der Begründung (g›r) von V. 16 und bestätigt damit dessen Gewicht. Und weil von der Relation des Sohnes zum Vater gilt, †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30), verfolgt auch Jesus eben dieses Ziel, wenn er nachdrücklich erklärt: o§ gÅr éljon ºna kr‡nw tÖn k∙smon, üllû ºna s„sw tÖn k∙smon (12,47; vgl. 216
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8,15: †gá o§ kr‡nw o§dfina). Ebenso wie „die Sendung des Sohnes“ nach 3,14–17 „ganz undialektisch, ganz unzweideutig auf die Errettung der Welt gerichtet (und) Lebensmitteilung und sonst nichts“ ist, so undialektisch ist auch „die Existenz des Glaubenden: o§ kr‡netai. „Das heißt nicht nur: die Entscheidung ist über ihn schon gefallen damit, daß er glaubt und das ewige Leben hat. Sondern: er ist als solcher der Möglichkeit einer Entscheidung, dem Bereich einer doppelten Möglichkeit überhaupt entrückt. Das Ja des Glaubens steht nicht neben, sondern schlechterdings über dem Nein“ (K. Barth, Erklärung 222). Mit den in den V. 16–21 eingeführten Lexemen ≤cein zwÉ a¢„nio" und üp∙llumai, kr‡nein und kr‡si", swjönai, ponhrÅ ≤rga, ¨ tÅ fa‚la pr›sswn und ¨ po‡wn tÉn ülfljeian erscheinen die Topoi der jüdisch-urchristlichen Eschatologie mit ihrer Erwartung des gerechten Gerichts Gottes über alle bösen Werke am Ende der Tage. Ob man freilich das o§ kr‡netai tatsächlich nicht wie Zahn (z. St.) mit „er ist im voraus dem zukünftigen Gericht entronnen“ umschreiben darf und im Gegensatz dazu in der Antithese: ¨ piste‚wn e¢" a§tÖn o§ kr‡netai: ¨ dÇ mÉ piste‚wn ≥dh kfikritai, die absichtsvolle ‚Preisgabe‘ der „naive(n) alte(n) jüdisch-christliche(n) wie gnostische(n) Eschatologie“ zugunsten einer rein präsentischen Eschatologie behauptet sehen muß (Bultmann, Komm. 112), bleibt allerdings zu fragen. Denn es könnte ja auch sein, daß diese unvermittelte und massive Einführung nahezu des gesamten semantischen Feldes von Tod, Gericht und ewigem Leben deren Erwartung nicht nur voraus-, sondern damit zugleich auch in Kraft setzt, zumal Bultmann seine These nur dadurch durchführen kann, daß er alle Passagen in unserem Evangelium, in denen die vermeintlich „naive“ futurische Eschatologie erscheint, als sekundäre Einfügungen seines „kirchlichen Redaktors“ streicht. So sieht er diesen Redaktor etwa in 5,28 f; 6,40.44.54; 12,48 und in Kap. 21 als dem vermeintlichen „Nachtrag“ am Werk und um einen „Ausgleich“ mit der gemeinchristlich-synoptischen Tradition bemüht. Doch abgesehen davon, ob diese literarkritischen Amputationen gerechtfertigt sind oder nicht – und das wird jeweils z. St. zu überprüfen sein –, muß jedenfalls für das überlieferte Evangelium gelten, daß im Gericht am Ende der Tage die Glaubenden freigesprochen, die Ungläubigen aber verdammt werden. Deshalb gilt hier wohl, wie im 1Joh: kaÑ nún, tekn‡a, mfinete †n a§tù, ºna †Ån fanerwjÔö scùmen parrhs‡an kaÑ mÉ a¢scunjùmen üpû a§toú †n tÔö parous‡a a§toú (1Joh 2,28), wie denn Johannes auch sehr wohl zwischen dem physischen (yucfl) und dem ‚ewigen Leben‘ zu unterscheiden weiß (12,25; s. u. z. St.). Darauf, daß von den insgesamt 36 Vorkommen von zwÉ a¢„nio" oder bloßem zwfl nur in vier Fällen, nämlich in 3,36; 5,24; 6,47 u. 54, die dritte Person des Indikativ Präsens ≤cei gebraucht wird, und daß der grammatische Gebrauch eines Indikativ Präsens allein keineswegs schon garantiert, daß auch die so denotierte Aktion eine gegenwärtige Realität ist, hat Caragounis zu Recht hingewiesen (Kingdom 276 f). „Wer aber nicht glaubt, der ist bereits gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat“. Wohl gilt nach V. 16 ff: „er ist sowenig gekommen, um zu richten, als die Sonne, um Schatten zu werfen“. Aber: „Gleich dem Schatten ist das Gericht naturnothwendige Folge angesichts der Beschaffenheit und des Verhaltens des k∙smo"“ (Holtzmann, Komm. 68). Die Perfekta kfikritai und das als Indikativ hier regelwidrig durch mfl anstelle von o§ verneinte pep‡steuken stellen als Folge des definitiven Bleibens im Unglauben die bleibende ‚Verdammnis‘ heraus. Ob man auf den Spuren von Abbot und Moule hier jedoch nach einen Bedeutungsunterschied dieses mÉ pep‡steuken gegenüber dem 1Joh 5,10 regelrecht gebrauchten 217
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" o§ pep‡steuken fahnden sollte, erscheint uns zweifelhaft, zumal die beiden Autoren dabei zu widersprüchlichen Resultaten gelangen (Abbott, Grammar 2187; Moule, Idiom 171; vgl. Barrett, Komm. 237). Eher scheint es sich uns um eine rhetorische Attraktion an das vorausgegangene mÉ piste‚wn zu handeln. Das Unglaubliche dieses Unglaubens wird durch die Nennung des µnoma toú monogenoú" u´oú toú jeoú nachdrücklich unterstrichen (vgl. Morris, Komm. 233). Im Blick auf Schillers fragwürdiges Diktum, die Weltgeschichte sei das Weltgericht, erklärt Marquardt wohl ganz treffend: „Vom Volk Gottes läßt sich also mit Gewißheit sagen, was nicht ebenso von den andern Völkern der Weltgeschichte gesagt werden kann: Es erfährt Jüngstes Gericht schon im Voraus – das ist es wohl, was der Jesus des Johannesevangelisten mit dem Wort meinte: ‚Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat‘ (Joh 3,18); dies läßt sich nur von denen sagen, in deren Welt das Licht eben zum Gericht schon gekommen ist (Joh 3,19), also von den ‚Seinen‘ (Joh 1,5.9–11), nicht gleicherweise von allen“ (Eschatologie III, 256). 19: Der durch V. 17 eingeführte Gegensatz von kr‡nein und swjönai und die Wiederaufnahme des kr‡nein in dem o§ kr‡netai einerseits sowie andererseits in dem definitiven ≥dh kfikritai von V. 18 machen deutlich, daß kr‡nein und kr‡nesjai hier nicht im formalen Sinn richterlicher Tätigkeit, sondern konkret als der richterliche Akt der ‚Verurteilung‘ begriffen sein wollen. Darum kann auch unser mit den nahezu definitorischen Worten aæth dfi †stin ™ kr‡si" eingeleiteter V. 19 nicht so verstanden werden, als solle hier das traditionell auf das ‚Jüngste Gericht‘ bezogene Lexem kr‡si" im Sinne einer ‚präsentischen Eschatologie‘ redefiniert werden. Sein Zweck ist viel bescheidener. Mit dem Wort kr‡si" nimmt der Erzähler das ≥dh kfikritai von V. 18 auf und erklärt, wie es zu dieser anscheinend definitiven Verurteilung und Verdammnis dessen hat kommen können, der den „Glauben an den Namen des einzigen Gottessohnes nicht bewahrt hat“ (mÉ pep‡steuken). Deshalb kann die Wendung tÖ fù" †lfllujen e¢" tÖn k∙smon auch nur als Variante des vorausgegangenen üpfisteilen ¨ jeÖ" tÖn u´Ön e¢" tÖn k∙smon von V. 17 begriffen werden. Die Differenz zwischen diesen beiden Sätzen besteht einzig darin, daß V. 17, dessen Subjekt Gott ist, den Zweck der Sendung des Sohnes nennt, während V. 19 mit dem Satz tÖ fù" †lfllujen e¢" tÖn k∙smon das bleibende Leuchten des als unauslöschliches Licht (1,5) in die Welt gekommenen Sohnes als den Erfolg dieser Sendung thematisiert. Nicht zufällig nimmt der Erzähler dazu hier erstmals das im Prolog in engster Verbindung mit zwfl eingeführte Lexem fù" wieder auf (vgl. 1,4 f. 7–9). Daß die aoristische Formulierung °g›phsan o´ ±njrwpoi „die vollendete Thatsache (darstellt), womit die Menschen auf das ¨ jeÖ" °g›phsen (V. 16) antworteten“, sieht Holtzmann ganz richtig. Da jedoch auch die Wendung ¨ jeÖ" °g›phsen auf eine „vollendete Tatsache“ blickt, nämlich auf die in Zeit und Geschichte geschehene Hingabe des fleischgewordenen einzigen Sohnes Gottes, verwundert es doch sehr, wenn Holtzmann zu V. 19 erklärt: „Man sollte übrigens den Begründungssatz nicht auflösen in Ωti Ωte tÖ fù" †lfll. e¢" t. k. o´ ±njrwpoi °g›phsan ktl. Der Umstandssatz ist nämlich nicht etwa nur beiläufig selbständig ausgedrückt, um die Verwerfung des Lichtes als die Verwerfung des nahen, leicht zugänglichen Heiles um so tragischer erscheinen zu lassen, sondern das Kommen des Lichtes ist aus 1,8.9 als Voraussetzung für die Stellungnahme der Menschen, als grundlegendes Factum wiederholt“ (Komm. 69; vgl. die entsprechende Auslegung des Prologs ebd. 26 ff). Das Subjekt o´ 218
Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Nikodemus
3,18–19
±njrwpoi ist für Holtzmann darum auch nicht die sündige Menschheit insgesamt im Gegenüber zum heiligen Gott, sondern nur die massa perditionis, die „den Funken des Geistes im Wust und Schlamm des Fleischeslebens“ erstickt habe. Dagegen sei es „eine charakteristische Besonderheit des 4. Evglsten …, daß die prinzipiell guten Menschen zu Christus kommen, wie auf der synopt. Kehrseite die Sünder“ (ebd. 70). Doch Jesus ist bei Johannes schwerlich als ‚Restlichtverstärker‘ allein zu denen gekommen, die als „gute Menschen“ den „Funken des Geistes“ noch nicht vollends im „Wust und Schlamm des Fleischeslebens“ erstickt haben, sondern er ist als „das Lamm, das der Welt Sünde trägt“ (1,29) gekommen, ºna swjÔö ¨ k∙smo" diû a§toú (3,17). Und die in V. 19 genannten o´ ±njrwpoi sind eben dieser k∙smo". Darum sind die Wenigen, die an den Namen des einzigen Sohnes Gottes glauben, auch nicht „die prinzipiell guten Menschen, (die) zu Christus kommen“, sondern gerechtfertigte Sünder, zu denen er gekommen ist: o§c ≠meõ" me †xelfixasje, üllû †gá †xelex›mhn ≠mô" ktl. (15,16). Sie sind also „aus der Welt Erwählte“ (15,19) nicht aufgrund ihrer Entscheidung, die ihnen irgendein Rest von Licht noch ermöglicht hätte, sondern allein aufgrund der Entscheidung Gottes, der in seiner Liebe seinen einzigen Sohn ‚gegeben‘ und ‚gesandt hat‘, ºna swjÔö ¨ k∙smo" diû a§toú (V. 17). Der Sache nach besteht da weder zu den Synoptikern noch zu Paulus irgendeine Differenz. Wie Joh 12,43: °g›phsan gÅr tÉn d∙xan tùn ünjr„pwn môllon ≥per tÉn d∙xan toú jeoú, hat der Komparativ môllon in dem Satz kaÑ °g›phsan o´ ±njrwpoi môllon tÖ sk∙to" À tÖ fù": nicht die Bedeutung des lateinischen magis, als ginge es hier um ein Mehr oder Weniger an Liebe, sondern er markiert im Sinne von potius eine schroffe Alternative (vgl. Holtzmann, Komm. 69): Anstelle des Lichtes haben die Menschen die Finsternis geliebt. Darum und wegen der gewiß absichtsvoll einander entgegengestellten Liebe Gottes zum k∙smo" (V. 16) und der Liebe der Menschen zum sk∙to" sowie wegen der prominenten Rolle des semantischen Feldes um üg›ph ktl. darf man die beiden ügapôn-môllon-Wendungen auch keinesfalls aus einer Untersuchung der „spezifischen Bedeutung“ von ügapôn ktl. im Johannesevangelium ausschließen und sie einfach als Idiomata für „vorziehen“ abtun (so Lattke, Einheit 12). Das wird auch daraus deutlich, daß diejenigen, die die Finsternis lieben, weil ihre ‚Werke‘ böse waren, nach dem folgenden V. 20 solche sind, die das Licht hassen. Als Opposition von ügapôn und mit immerhin neun gewichtigen Vorkommen bei Johannes (3,20; 7,7; 12,25; 15,18.19; 15,23.24.25 und 17,14; ferner 1Joh 2,9.11; 3,13.15; 4,20) hätte Lattke das Lexem miseõn unbedingt in das semantische Feld seiner Untersuchung einbeziehen müssen. Der kurze Satz: én gÅr a§tùn ponhrÅ tÅ ≤rga, in dem das Pronomen a§tùn durch seine ungewöhnliche Stellung besonders betont ist und mit dem die neuen Lexeme ≤rgon und ponhr∙" eingeführt werden, scheint auf den ersten Blick begründen (g›r) zu wollen, warum die Menschen die Finsternis liebten, das Licht aber haßten. Doch dieser Schein trügt wohl. Denn obwohl das begründende g›r gerade bei Joh überaus häufig ist, dürfte es sich hier wie in 4,37.44; 5,19.22.46b; 7,1.4; 9,30 um ein konsekutives bzw. explikatives Ωti handeln (vgl. Bauer, WB s. v.; Blank, Krisis 101 f; Kohler 265). Das heißt, daß der Haß auf das Licht nicht die Folge der ihm etwa vorausgegangenen ‚bösen Werke‘ ist, sondern daß dieser Haß sich im Tun jener Werke äußert. Man sollte auch den Plural ponhrÅ ≤rga nicht einfach mit dem ‚Unglauben‘ identifizieren, sondern bedenken daß ‚böse Werke‘ in der Tradition, aus der und mit der unser Evangelium 219
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" spricht, stets Übertretungen der heiligen Gebote Gottes sind. Und an den „Namen des einzigen Gottessohnes nicht zu glauben“, das dürfte im Sinn unseres Erzählers die Übertretung der Mutter aller Gebote sein, nämlich des im larçy [mç von Deut 6,4 ff formulierten Grundgebotes der Gottesliebe. 20 f: Das eröffnende pô" und der unvermittelte Übergang ins Präsens lassen vermuten, daß das soeben Gesagte jetzt begründet werden soll durch eine jedermann zugängliche Erfahrung etwa dieser Gestalt: ‚Wer Böses im Schilde führt, scheut das Licht und verbirgt sich im Dunkeln, damit seine Untaten nicht entdeckt werden‘. Doch über diesen allgemeinen Sinn hinaus hat der Satz fraglos symbolische Obertöne, die nicht überhört werden dürfen. Denn nach dem Vorausgegangenen kann hier ja nicht nur vom ‚Licht des Tages‘ die Rede sein. tÖ fù" muß vielmehr zugleich den bezeichnen, der in Zeit und Geschichte „als das Licht in die Welt gekommen ist“ (V. 19), den, der später von sich sagen wird: †g„ e¢mi tÖ fù" toú k∙smou ktl. (8,12). Und es ist hier auch nicht bloß seine passive Lichtscheu, die den Übeltäter hindert, ans Licht zu kommen, sondern es ist sein aktives Hassen des Lichtes, mit dem er der Liebe Gottes (V. 16) und dessen Absicht widerspricht, die Welt zu erlösen (¥na swjÔö ¨ k∙smo" diû a§toú: V. 17). Das Verbum †lfigcein hat hier wie 8,46 (t‡" †x ≠mùn †lfigcei me perÑ ®mart‡a";) und 16,8, wo vom Geist-Parakleten gesagt ist: †keõno" †lfigxei tÖn k∙smon perÑ ®mart‡a" ktl., die forensische Bedeutung: jemandes (böse) Werke aufdecken, ihn seiner Schuld überführen (vgl. Leaneys Untersuchung des entsprechenden Gebrauchs von jky in Qumran 44 f). Daß hier nicht vom prädestinatianischen Determiniertsein zweier Menschenklassen, nämlich der einen zur Rettung, der anderen aber zur Verdammnis, sondern vom Wunder des Glaubens die Rede ist, macht der unsere Szene beschließende V. 21 unüberhörbar: Wer – im Gegensatz zu dem fa‚la pr›sswn – ein poiùn tÉn ülfljeian ist, der kommt zum Licht, damit seine Werke als solche offenbar werden, die ‚in Gott getan sind‘ (Ωti †n jeù †stin e¢rgasmfina). Denn wie der Glaubende nach V. 15 nicht „in sich selbst“, sondern allein „im Sohn“ (†n a§tù) „ewiges Leben“ hat, so sind auch die Werke des „Täters der Wahrheit“ nicht von ihm selbst vollbracht, sondern „in Gott getan“, sie sind seine iustitia aliena. Das heißt aber, daß das ‚Kommen zum Licht‘ der aktuelle Vollzug des ‚Tuns der Wahrheit‘ und dieser nicht etwa dessen nachträgliche Folge ist. Das auffällige Idiom poieõn tÉn ülfljeian begegnet bei Joh nur hier und 1Joh 1,6 (†Ån e¥pwmen ... yeud∙meja kaÑ o§ poioúmen tÉn ülfljeian). Charlesworth sieht die einzigen Parallelen dazu in 1QS 1,5; 5,3 und 8,2 (Dualism 77). Doch der Ausdruck tma hç[ ist keineswegs spezifisch qumranisch, sondern, wie Gen 32,11; 47,29; Jes 26,10; 4Esra 19,33; Tob 4,6; 13,6 u. ö. zeigen, gemeinjüdisch und bedeutet ‚den Glauben bewahren‘. Dabei weist der Gebrauch des Verbums poieõn (hç[) darauf hin, daß in diesen ‚Glauben‘ seine Praxis stets eingeschlossen ist (vgl. K.G. Kuhn, Hebr. Texte 209 f; Barrett, Komm. 237 f; Wilckens, Komm. 73). Dennoch besteht aber zwischen den V. 13–17 einerseits und 18–21 andererseits in der Tat insofern eine höchst spannungsvolle Differenz, als der Rede der V. 13–17 von der universalen Liebe Gottes zum k∙smo" und von seiner uneingeschränkten Absicht, ‚die Welt‘ durch die ‚Gabe‘ und ‚Sendung‘ seines einzigen Sohnes zu erlösen, die Behauptung der V. 18–21 entgegensteht, gerettet werde allein der Glaubende, während über den Nicht-Glaubenden das Verdammungsurteil bereits ergangen sei, so daß „dem universalen Heilswillen Gottes“ am Ende „faktisch nur eine partikulare Rettung gegen220
Erste Szene: Nächtlicher Besuch des Nikodemus
3,19–21
übersteht“ (Wengst, Bedrängte Gemeinde 236). Weil der Erzähler seine Zuhörer/Leser jedoch schwerlich absichtslos in diese Spannung versetzt, gilt es, sie für die Auslegung fruchtbar zu machen. Gegen Beckers Zuversicht, aus dem JohEv die Vorgeschichte einer joh Gemeinde und die Phasen von deren theologischem Denken rekonstruieren zu können (Dualismus 85 ff), teilen wir Wengsts „begründete Skepsis“ (ebd. 230). Becker weist nahezu alle Liebesaussagen einschließlich des Neuen Gebots von Joh 13,34 f der „kirchlichen Redaktion“ zu und charakterisiert sie als deren „verkirchlichten Dualismus mit deterministischem Einschlag“. Ja, er dekretiert darüberhinaus, daß man diese ausschließlich auf die Liebesbeziehungen innerhalb der Gemeinde bezogenen Passagen keinesfalls „mit Hilfe von Joh 3,16 (E); 4,1 ff (SQ und E) ausweiten (dürfe), um ihnen wenigstens tendenziell einen weltweiten missionarischen Horizont zu geben (gegen Thyen), weil so die schichtenspezifischen Theologien im Joh vermengt“ würden (Komm. II/542; die Abkürzungen E und SQ stehen bei Becker für „Evangelist“ und „Semeiaquelle“). Dagegen fragt aber Wengst mit unbestreitbarem texttheoretischem Recht: „Selbst wenn Beckers literarkritische Analyse zuträfe, läge dann nicht im jetzigen Text eine ‚Vermengung‘ vor, die gerade als solche ernst genommen werden müßte?“ (ebd. 231). Versuchen wir also die vermeintliche „Vermengung“ ernst zu nehmen. Der erste Schritt auf dem Wege dahin muß darin bestehen, daß wir statt von dem Zufallsprodukt einer Vermengung „schichtenspezifischer Theologien“ zu sprechen, die besagte Differenz zwischen dem universalen Liebes‑ und Heilswilllen Gottes und der ihm gegenüberstehenden faktischen Partikularität der Erwählung nur der Glaubenden sowie der Verwerfung der Nichtglaubenden als eine produktive Spannung begreifen, in die der Erzähler seine Zuhörer absichtsvoll versetzt. Danach gilt es, das Gewicht der beiden Pole, die dieses Spannungsfeld erzeugen, möglichst präzise zu bestimmen, weil deren Interpretation auch jenseits aller literarkritischen Operationen höchst kontrovers ist. Während die einen nämlich die V. 19–21 zum Schlüssel ihrer Auslegung machen und von da aus Gottes universale Liebe und Absicht, den k∙smo" zu retten, auf das Werk der Sammlung seiner schon zuvor Erwählten reduzieren (Käsemann, Trumbower, Bergmeier u. a.), bestreiten andere mit guten Gründen ein derartiges „statisches Gegenüber“ von Glaubenden und Nichtglaubenden bei Joh. Sie sehen in den V. 13–18 treffend die strukturelle und sachliche Mitte der gesamten Nikodemusszene und deuten die V. 19–21 mit ihren Gerichtsaussagen darum umgekehrt im Licht dieser zentralen Mitte: „Dann (aber) zeigt diese Differenz auf, daß Gottes Wege noch nicht an ihr Ziel gekommen sind; dann ist das Gegenüber von Glaubenden und Nicht-Glaubenden nicht statisch, dann sind die Aussagen des dritten Teils (19–21) nichts anderes als Ausdruck des notwendigen Kampfgeschehens, in das die gesendete Gemeinde gestellt ist. Alles Gericht, alle Scheidung, die darin erfolgt, kann dann nur eine vorläufige sein, die in der Klammer steht, daß Gott die Welt in der Sendung und Hingabe des Sohnes geliebt hat, und unter der Verheißung, daß Gott die Welt retten will“ (Wengst, Bedrängte Gemeinde 237; vgl. Kohler 264 f). Muß man die Spannung aber in diesem Sinn als die faktische, im Blick auf das göttliche Ziel jedoch vorläufige Lage interpretieren, in die der Erzähler seine Zuhörer gestellt sieht und gestellt sehen will – und das muß man u. E. in der Tat –, dann steht mit der Vorläufigkeit der einstweilen nur partikularen Erwählung der Glaubenden und 221
2,23–3,21 Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·" Verwerfung der Nicht-Glaubenden erneut das Problem der vermeintlich rein präsenti‑ schen Eschatologie unseres Evangeliums zur Debatte. Davon überzeugt, als „die Prämisse johanneischer Theologie“ einen „prädestinatianisch akzentuierten Dualismus“ erwiesen zu haben, beseitigt Bergmeier die Spannung auf seine Weise. Ohne auf die erörterten literarkritischen Operationen zurückgreifen zu müssen, bringt er die für unsere Szene strukturell und sachlich doch zentralen Aussagen von der universalen Liebe Gottes, der seinen einzigen Sohn ‚gab‘ und ‚sandte‘, die Welt zu erlösen, dadurch um ihre Kraft, daß er sie im Licht der V. 19–21 interpretiert. So hört er die V. 16 f nicht mehr als die Botschaft von Gottes universalem Heilswillen und als seine verheißungsvolle Einladung an alle (pô"), doch zu glauben und als Glaubende das ewige Leben zu gewinnen. Zwar erklärt er natürlich ganz richtig, daß nach V. 16 „Gottes Liebe zur Welt bei denen zum Ziel (kommt), die an seinen Gesandten glauben“ (Glaube als Gabe 232). Aber damit, daß Gottes Liebe einstweilen bei den Wenigen, die an den Namen seines einzigen Sohnes glauben, zum Ziel gekommen sein mag, kann doch Gottes eschatologischer Liebeswille, den k∙smo", und das heißt alle Menschen und die seufzende kt‡si" zu erlösen, beileibe noch nicht „am Ziel“ sein. Treffend sieht Bergmeier auch, daß diese Glaubenden im Gegensatz zum Gnostiker als eines f‚sei swz∙meno" Sünder und dem Tode Verfallene sind, die allein kraft des Glaubens „aus dem Tode hinübergeschritten sind in das Leben“ (5,24). Und daß er den Glauben zu Recht nicht als Leistung, sondern als unverdiente Gabe begreift, kündigt bereits der Titel seines Buches an. Der Pferdefuß dabei ist nur, daß nach Bergmeier diejenigen, die diese Gabe empfangen haben, dazu von jeher ebenso prädestiniert gewesen sein sollen, wie die Masse der Übrigen dazu vorherbestimmt sein soll, diese Gabe und mit ihr das ewige Leben gar nicht empfangen zu können. „Der Evangelist denkt prädestinatianisch, entfaltet aber nicht eine den Gesetzen der Logik genügende Prädestinationslehre“ (ebd. 231). Man weiß hier nicht so recht, ob Bergmeier damit das Fehlen „einer den Gesetzen der Logik genügenden Prädestinationslehre“ beklagt oder begrüßt. Wir jedenfalls können es nur begrüßen, weil jede den „Gesetzen der Logik genügende Prädestinationslehre“ bloße Spekulation wäre und jenseits der wirklichen Situation des homo peccator coram deo stünde. Wie die Psalmen und die qumranischen Hodayot, auf die Bergmeier sich beruft, zeigen, kann von Prädestination nur doxologisch und mit all den Widersprüchen, die das einschließt, geredet werden. Und „daß sich das Gericht bereits vollzogen hat (Joh 3,18; 5,24) kann wohl Aussage der Glaubensgewißheit sein, aber nicht eine generelle Aufhebung dessen bedeuten, daß wir alle vor dem Richterstuhl Christi erscheinen müssen (2Kor 5,10)“ (Ebeling, Dogmatik III, 527). Daß dieses spannungsvolle Zugleich von ‚Schon‘ und ‚Noch-Nicht‘ der eschatologischen Erlösung gegen Bergmeiers Interpretation auch für Joh gilt, wird die Auslegung der einschlägigen Passagen begründen müssen.
Wie der Liebende die Geliebte nicht zur willkommenen Beute seines Liebeswerbens machen kann, sondern sich von ihr in Geiselhaft genommen, seit je erwählt und zur Verantwortung für sie berufen weiß, so weiß sich der Glaubende als Erwählter seit Grundlegung der Schöpfung. Und da er – Sünder, der er ist – sein Erwähltsein ja weder seinen Werken noch und schon gar nicht seinem Glauben verdanken kann, sondern allein der unverdienten Liebe Gottes, kann er natürlich auch umgekehrt den Unglauben seines Bruders, der ihm mit Haß begegnet, nicht zur Causa von Gottes Gericht erklären. So bleibt ihm als Glaubendem nur die Zuflucht zu dem – freilich auch in dieser Betroffenheit noch höchst problematischen – Stammeln von einer gemina praedestinatio (vgl. zur Sache von Gottes im Dienste der Rettung aller stehendem erwählendem und verwerfendem Handeln: Thyen, Mysterium Israel). Daß die Aussagen von Joh 3,19–21 in solchem ‚Stammeln‘ und nicht in einer „den Gesetzen der Logik genügenden Prädestinationslehre“ gründen, ist ja auch daran deutlich, daß auch Erwählte abfallen können, wie nicht nur Judas, der seinen Herrn „auslieferte“ (6,70 f), oder Petrus, der ihn verleugnete (13,36 ff etc.), sondern auch sonst „viele seiner Jünger“ (Joh 6,66). 222
Zweite Szene: Erneute martur‡a des Täufers Johannes
3,21
Und wie Jesus Petrus von dem Makel seines Verleugnens heilt und erneut in seine Nachfolge beruft (21,15 ff), so sendet er seine Jünger in eine Welt, die ihn ‚haßt‘, und die auch ihnen mit gleichem Haß begegnen wird. Und er sendet sie nicht dazu, seine zuvor schon Erwählten zu sammeln, sondern die ‚Hassenden‘ durch ihre in seiner Liebe gegründeten Liebe zu heilen, wie er das an Petrus und an ihnen allen getan hat. Onuki hat in seinem schönen Buch, Gemeinde und Welt, deutlich gemacht, daß Bergmeiers „prädestinatianisch akzentuierter Dualismus“ keineswegs die „Prämisse johanneischer Theologie“, sondern deren Konsequenz und eine „Funktion der Offenbarung Gottes“ ist (38 ff u. pass.). Da Bergmeier seine prädestinatianische These außer durch Joh 3 vor allem durch 8,37–47 und 12,37–43 zu begründen sucht, müssen wir darauf jeweils z. St. zurückkommen.
Zweite Szene: Erneute marturiva des Täufers Johannes (3,22–36) 22
Danach begab sich Jesus mit seinen Jüngern in das ländliche Judäa. Dort hielt er sich mit ihnen auf und taufte. 23 Aber auch Johannes taufte in Ainon nahe bei Salim, denn dort gab es viele Wasser(läufe). Und (die Leute) kamen und ließen sich taufen. 24 Johannes war nämlich noch nicht in den Kerker geworfen worden. 25 Dort entwickelte sich aber ein Streit einiger Jünger des Johannes mit einem Juden über Fragen der Reinheit. 26 Und die kamen zu Johannes und erklärten ihm: Rabbi, der jenseits des Jordan bei dir war, und als dessen Zeuge du (damals) aufgetreten bist, sieh, der tauft jetzt auch und alle kommen zu ihm. 27 Johannes aber erwiderte und sagte: Kein Mensch vermag sich etwas zu nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel her gegeben ist. 28 Ihr selbst seid ja meine Zeugen, daß ich gesagt habe: Ich bin nicht der Messias, sondern ich bin vor jenem her gesandt. 29 Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutigams aber, der bei ihm steht und ihn hört, der ist voller Freude und freut sich an der Stimme des Bräutigams. Diese meine Freude hat sich nun erfüllt. 30 Jener muß wachsen, ich aber abnehmen. 31 Der von oben kommt, der steht über allen. Der von der Erde stammt, ist irdisch und redet Irdisches. Der aber aus dem Himmel kommt [der ist über allen], 32 bezeugt eben das, was er gesehen und gehört hat. Und doch will niemand sein Zeugnis annehmen. 33 Wer aber sein Zeugnis annimmt, der besiegelt damit, daß Gott wahrhaftig (treu) ist. 34 Denn der, den Gott gesandt hat, der redet Gottes Worte. Ohne Maß gibt er den Geist. 35 Der Vater liebt den Sohn und hat ihm alles in die Hände gelegt. 36 Wer an den Sohn glaubt, der hat ewiges Leben. Wer dagegen dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird kein Leben sehen, vielmehr bleibt der Zorn Gottes über ihm. Im Anschluß an Ibuki hatten wir bei der Erörterung des Verhältnisses von Joh 2,23–3,21 zu 3,22–36 bereits auf den weithin parallelen Aufbau der beiden Szenen hingewiesen. Einer narrativen Exposition der jeweiligen Szene (2,23–3,2 u. 3,22–26) folgt jeweils die Anrede ihres Protagonisten mit Øabb‡, zunächst Jesu durch Nikodemus (3,2) und jetzt des Täufers Johannes durch seine ‚Jünger‘ (3,26). Eine Differenz zwischen beiden 223
3,22–36
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
Szenen besteht jedoch darin, daß jetzt ein dem Wortwechsel zwischen Nikodemus und Jesus entsprechendes dialogisches Moment fehlt. Dem Meister-Jünger-Verhältnis entsprechend antwortet Johannes monologisch, ohne von seinen Fragestellern unterbrochen zu werden (3,27–30). Eine auffällige und wiederum parallele Besonderheit sowohl in der Rede Jesu als auch in der des Johannes ist es, daß in beiden Fällen auf das „Hören einer Stimme“ verwiesen wird. Sagte zunächst Jesus zu Nikodemus: tÖ pneúma Ωpou jfilei pneõ kaÑ tÉn fwnÉn a§toú üko‚ei" (3,8), so erklärt Johannes als der „Freund des Bräutigams“ jetzt seine Freude darüber, daß er dessen Stimme hört (üko‚wn a§toú carô ca‡rei diÅ tÉn fwnÉn toú numf‡ou: 3,29). Und wie Nikodemus gegenüber, markiert durch den unvermittelten Übergang der Rede in die dritte Person, in V. 13–21 die „Stimme des Geistes“ erklang, so hört Johannes nun, von höchster Freude erfüllt, wiederum in der dritten Person die „Stimme des Freundes“ (V. 31–36). Weil uns dieser Lektürevorschlag Ibukis einleuchtet und uns zudem aller literarkritischen Operationen entbindet, greifen wir ihn gerne auf. Da wir das gesamte Evangelium als das österliche Kerygma seines Erzählers begreifen, braucht uns auch die nahe Verwandtschaft und scheinbare Situationslosigkeit der „Redestücke“ 3,13–21 und 31–36 (Schnackenburg) nicht zu irritieren. Wir werden also weder irgendwelche ‚Umstellungen‘ im Text vornehmen noch die V. 31–36 wegen ihrer angeblich von derjenigen des Evangelisten abweichenden ‚Theologie‘ einem „kirchlichen Redaktor“ zuweisen (so Becker, Komm. I, 184 ff). Denn die vermeintlichen inhaltlich-theologischen Differenzen dieser von Becker als „Nachtrag“ bezeichneten Passage entstehen erst aus ihrer künstlichen Isolierung vom Kontext. Sie beruhen darum im wesentlichen auf argumenta e silentio und der irrigen Meinung, aus einem fragmentarischen Text die ganze Theologie seines Verfassers erschließen zu können (vgl. Keck, Christology 334 ff). 22: Die Wendung metÅ taúta hat hier, wie in 2,12; 5,1; 6,1; 7,1; 21,1, die Funktion, den Einsatz einer neuen Szene zu markieren, sie mit der vorausgegangenen zu verknüpfen und damit zugleich deren Abgeschlossenheit anzuzeigen. Da die Tempelreinigung in Jerusalem spielte, zeigt die Richtungsangabe e¢" tÉn ûIouda‡an gön nachträglich an, daß auch die bisher nicht lokalisierte Begegnung mit Nikodemus in Jerusalem zu denken ist. Denn nach dem Kontext kann ™ ûIouda‡a gö ja nur die judäische Landschaft außerhalb der Stadt Jerusalem bezeichnen; „gö ist also wie sonst c„ra gebraucht“ (Bultmann, Komm. 123, der dazu auf Aesch. Eum. 993: kaÑ gön kaÑ p∙lin verweist). Das Verbum diatr‡bein, ‚sich aufhalten‘, begegnet bei Joh nur hier und anstelle des dafür gewöhnlich gebrauchten Lexems mfinein (2,12; 4,40; 7,9; 10,40; 11,6.54) in einer varia lectio der zuletzt genannten Stelle 11,54. Die gewichtigste und im gesamten Neuen Testament singuläre Information unseres Verses aber sind seine beide letzten Wörter: kaÑ †b›ptizen, „und er taufte“. Dabei weist die Imperfekt-Form der beiden Verben (difitriben kaÑ †b›ptizen) auf einen andauernden Aufenthalt und auf wiederholte Tätigkeit. Wie die ‚Brückenpassage‘ (4,1–3) zum nächsten Akt unseres Dramas zeigen wird, besteht die Pointe dieses singulären Redens von einer Tauftätigkeit Jesu zu Lebzeiten und in Konkurrenz zu derjenigen des Johannes offenbar darin, daß dem Erzähler und seinem impliziten Zuhörer die Taufe bereits als eingeschliffener Initiationsritus gilt. Danach wird einer zum Jünger (majhtfl"), sei es des Johannes oder sei es Jesu, allein durch den Ritus der Taufe (vgl. Mt 28,19: majhte‚sate p›nta tÅ ≤jnh bapt‡zonte" a§toÜ" ktl.). Unter diesem Aspekt christlicher Lehre und Erfahrung ist hier dem Erzähler 224
Zweite Szene: Erneute martur‡a des Täufers Johannes
3,21–23
auch das Taufen des Johannes, das man historisch wohl als ein eschatologisches Bußsakra‑ ment für ganz Israel wird begreifen müssen (vgl. Thyen, b›ptisma 97 ff; Lichtenberger, Täufergemeinden 38 ff), zum Initiationsritus in eine Art ‚Johanneskirche‘ geworden. Denn daß es hier nicht um irgendeine theologische Deutung der Taufe, sondern allein darum geht, das Wachsen der Kirche Christi bei gleichzeitigem und gottgewolltem Schwund der „Johanneskirche“ (3,30) darzustellen, zeigt die gesamte Szene und zumal die genannte Bemerkung, daß Jesus selbst gar nicht getauft habe, sondern nur seine Jünger (ka‡toige ûIhsoú" a§tÖ" o§k †b›ptizen üllû o´ majhtaÑ a§toú: 4,2). Von da aus wird man das bapt‡zein Jesu, das einen Kenner der Synoptiker wie den impliziten Leser unseres Evangeliums doch wohl befremden muß, als eine Umschreibung dafür ansehen müssen, daß Jesus in Judäa zahlreiche Jünger gewann (ple‡ona" majhtÅ" poieõ ... À ûIw›nnh": 4,1). Die öfter vertretene These, erst ein späterer und um einen Ausgleich mit den synoptischen Evangelien bemühter Glossator habe die Bemerkung eingefügt, daß nicht Jesus selbst, sondern nur seine Jünger getauft hätten (4,2; Becker, Komm. I, 197: „Kirchliche Redaktion“), ist wenig wahrscheinlich. Denn, wenn hier schon einer hätte korrigieren wollen, wäre es ja ein Leichtes gewesen, schon in V. 22 anstelle von kaÑ †b›ptizen zu schreiben: kaÑ o´ majhtaÑ a§toú †bapt‡zonto. Doch eine solche Korrektur – so sehr sie unserem historischen Bewußtsein und Harmoniebedürfnis entgegenkommen mag – wäre schwerlich im Sinn unseres Erzählers gewesen und hätte seine ganze Szene um ihre Pointe gebracht. Das zeigt der nun folgende V. 23, der das Taufen Jesu mit demjenigen des Johannes parallelisiert. 23: Neben Jesus tauft auch (kaÑ) Johannes, „und immer wieder kamen Leute zu ihm und ließen sich taufen“ (Imperfecta!). Der Täufer hat das transjordanische Bethanien (1,28) inzwischen verlassen und tauft, weil dort „viele Wasser“ waren, jetzt in A¢nán †ggÜ" toú Sale‡m. Der Ortsname ‚Ainon‘ (von hebr. ˆy[: Quelle) und die Nennung von ædata poll› weisen wohl auf ein quellenreiches Gebiet. Dieses muß, da die Täuferjünger Johannes daran erinnern, daß er Jesus zuerst am anderen Ufer des Flusses (pfiran toú ûIord›nou) begegnet sei (3,26), westlich des Jordans liegen. Und weil sich die Parallelität der V. 22 und 23 wohl nicht nur auf die Zeit, sondern auch auf den Raum dieses Taufens erstrecken dürfte, wird man Ainon ebenfalls in Judäa lokalisieren müssen. Die mit Eusebs Onomastica und den Anfängen der Pilgerreisen ins ‚Heilige Land‘ beginnenden zahlreichen Versuche, ‚Ainon bei Salim‘ genauer zu lokalisieren, haben nicht zu einer befriedigenden Lösung geführt (vgl. die Komm. von Schnackenburg I, 450 f, und Brown I, 151; die meisten Ausleger favorisieren das nahe bei Sichem gelegene µlç von Gen 33,18). Aber dieses Scheitern sollte man nicht als Lizenz dafür in Anspruch nehmen, ‚Ainon bei Salim‘ in den bloßen Symbolismus von „Quellen nahe beim Heil“ (Salim für Shalom) oder dergleichen aufzulösen (vgl. Schenke, Er muß wachsen 311). Denn, auch wenn man bei Johannes, wie wir ja bereits gesehen haben, durchaus mit symbolischen Obertönen rechnen muß, erheben sich solche Obertöne beim echten Symbol im Gegensatz zur Allegorie jedoch stets über einem nichtsymbolischen Grundton. Zwar betrachten wir Dodds Analyse-Ergebnis, wonach hier „fragments of traditional material“ vorlägen (Tradition 279), was die Vita des Täufers betrifft, mit einiger Skepsis. Nicht zweifelhaft ist uns dagegen aber, daß der Autor mit ‚Ainon bei Salim‘ eine reale Gegend auf der Landkarte Palästinas im Auge gehabt haben dürfte; zur u. E. allzu phantasievollen Deutung dieser Passage durch H.-M. Schenke und sein daraus abgeleitetes Bild des Täufers und seiner Jüngerschaft. 225
3,22–36
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
24: o∂pw gÅr én beblhmfino" e¢" tÉn fulakÉn ¨ ûIw›nnh". – Abgesehen von seiner möglichen intertextuellen Bedeutung ist dieser kurze Satz für unsere Erzählung nicht nur überflüssig, sondern absolut sinnlos. Denn daß einer, der in einer quellenreichen Gegend (Judäas?) regelmäßig Leute tauft, nicht gleichzeitig im Kerker des Antipas sitzen kann – und das dazu womöglich noch in der Festung Machairos im fernen Peräa (Josephus, Ant. XVIII/116 ff) –, versteht sich ja wohl von selbst. Wenn unser Vers auch fraglos unzweideutig anzeigt, daß unser Autor Leser voraussetzt, die von anderswoher um die Kerkerhaft des Johannes wissen, so ist allein damit seine Funktion und Bedeutung im Kontext unserer Szene keineswegs schon zureichend geklärt. Denn wirklich sinnvoll wäre der Satz ja nur dann, wenn er sich intertextuell auf einen konkreten Prätext, wie etwa Lk 7,17 ff, bezöge. Zwar resümiert der Satz: kaÑ †xöljen ¨ l∙go" oñto" †n ΩlÔh tÔö ûIouda‡a perÑ a§toú kaÑ p›sÔh tÔö peric„rw (Lk 7,17) die beiden zuvor berichteten Wundertaten Jesu in den galiläischen Orten Kapharnaum und Nain und zeigt damit, daß Lukas – anders als Joh, der stets sorgfältig zwischen ûIouda‡a und Galila‡a unterscheidet – unterschiedslos ganz Palästina ûIouda‡a nennen kann. Aber das muß ja nicht heißen, daß Joh hier „Judäa“ nicht in seinem Sinn verstanden und die folgende Szene entsprechend in Judäa lokalisiert haben könnte. Bei aller inhaltlichen Differenz wird darin nun nämlich bei Lk wie bei Joh erzählt, daß die ‚Jünger des Johannes‘ (o´ majhtaÑ a§toú) ihrem Meister den großen Erfolg Jesu vermelden. Dabei versteht es sich nach der eindrucksvollen ersten Täufermartyria unseres Evangeliums (Joh 1,19 ff) ja wohl von selbst, daß Joh nun nicht mit der synoptischen Anfrage eines angefochtenen Täufers bei Jesus fortfahren konnte: „Bist du, der da kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ (Mt 11,2–6 // Lk 7,18–23). Denn nirgendwo ist Johannes bei ihm ein Zweifler, sondern stets der von Gott gesandte Mann, der als der wahrhaftige Zeuge kam: ºna marturflsÔh perÑ toú fwt∙", ºna p›nte" piste‚swsin diû a§toú (1,6–8). Angefochten, nämlich vom Neid über den großen Erfolg Jesu und davon, daß „alle zu ihm drängen“ (V. 26), sind hier allein die Jünger des Johannes. An sie muß sich darum seine martur‡a jetzt richten. 25: ûEgfineto oên zflthsi" †k tùn majhtùn ûIw›nnou metÅ ûIouda‡ou perÑ kajarismoú. Nach dem Kontext kann dieser ‚Streit um die Reinigung‘ ja wohl nur ein Streit um die reinigende Wirkung der Taufe sein; vgl. das schon in der Kana-Erzählung (2,6) erscheinende Stichwort kaqarism∙" zur Bestimmung der sechs steinernen Krüge für die Reinigung (katÅ tÖn kaqarismÖn tùn ûIouda‡wn). Ob es sich dabei um levitische Reinigung von Unreinheit oder um Reinigung im Sinne der ±fesi" ®martiùn handelt, erfährt der Leser nicht. Da aber die Johannestaufe in unserem Evangelium nie ausdrücklich als b›ptisma metano‡a" e¢" ±fesin ®martiùn bezeichnet wird, wie bei Markus (1,4; vgl. Lk 3,3), und da hier der Täufer ausdrücklich auf Jesus verweist, der als ‚das Lamm Gottes die Sünde der Welt beseitigt‘ (1,29), dürfte eher das erstere im Blick sein. Hatte in der vorausgehenden Szene nach einer kurzen dialogischen Partie der jüdische Ratsherr und ‚Lehrer Israels‘, Nikodemus, die martur‡a Jesu von 3,13–21 ausgelöst, so wird jetzt ein freilich sehr viel weniger prominenter jüdischer Anonymus, der zudem nur in einer Art Teichoskopie erscheint, zum Anlaß für die erneute martur‡a des Johannes für Jesus vor seinen Jüngern. Über die Reinigung streiten Jünger des Johannes „mit einem Juden“. Neben der hier wiedergegebenen Lesart metÅ ûIouda‡ou ist die pluralische Form metÅ ûIouda‡wn nahezu in gleicher Breite und von nicht minder gewichtigen Handschriften (P66 a* .f 1.13 etc.) bezeugt. Da aber diese Rede
226
Zweite Szene: Erneute martur‡a des Täufers Johannes
3,24–27
von „einem Juden“ dem stereotypen Gebrauch des Plurals o´ ûIoudaõoi gegenüber absolut singulär ist, dürfte sie ursprünglich sein, weil ein Abschreiber den geläufigen Plural schwerlich in diesen ungewöhnlichen Singular geändert haben wird (vgl. Metzger, Comm. 205). Auch wenn etwa Loisy (Komm. 171) mit Nachdruck dafür votiert hat, ursprünglich müsse hier von einem Streit der Johannesjünger mit Jesus die Rede gewesen sein und der Text TOU IHSOU anstelle von IOUDAIOU gelautet haben – wozu Brown erklärt: „There is no textual support, but the reading would give excellent sense“ (Komm. I, 152) –, werden die im Apparat von Nestle-Aland26 f noch genannten Konjekturen ûIhsoú (Bentley; Baldensperger) und tùn ûIhsoú (Markland) von Metzger zu Recht gar nicht mehr erwähnt.
Wie Johannes es liebt, Einzelne zu Sprechern einer Mehrheit zu machen (namentlich genannte Jünger, Nikodemus oder die samaritanische Frau), so dürfte auch dieser anonyme „Jude“, mit dem die Jünger des Johannes hier in einen Streit gerieten, als ein Repräsentant der sonst o´ ûIoudaõoi Genannten anzusehen sein. Daß hier nicht von einem Streit von Täuferjüngern mit Jesus und/oder mit dessen Jüngern die Rede ist, bestätigt im übrigen unsere im Anschluß an Wrede und Schmithals bereits vorgetragene These, daß es im Johannesevangelium nicht um die Auseinandersetzung mit einer vermeintlich noch aktiven und mit der Kirche konkurrierenden ‚Sekte‘ Johannes des Täufers geht, die ihren Meister ihrerseits messianisch verehrt hätte (s. o. zu Joh 1,9 ff). Nur in dieser Situation, die freilich viele Interpreten voraussetzen, ergäbe auch die Konjektur metÅ ûIhsoú jenen „excellent sense“, den Brown ihr zuschreibt. Doch hier wird metÅ ûIouda‡ou und zwar nicht gegen, sondern vielmehr um Johannes gestritten, den die Juden als einen der Ihren reklamieren, während unser Evangelium ihn als „den ersten“ und exemplarischen „Christen“ darstellt (von der Osten-Sacken). 26: Die Wendung ¥de drückt das überraschte Erstaunen der Täuferjünger darüber aus, daß auch Jesus tauft. Und ihre Meldung: p›nte" ≤rcontai prÖ" a§t∙n, impliziert wohl ihre Enttäuschung darüber, daß der Stern ihres Meisters jetzt zu sinken beginnt. Vielleicht darf man sie als absichtsvolles Gegenstück zu dem anfänglichen ‚Erfolg‘ des Täufers lesen: kaÑ †pore‚eto prÖ" a§tÖn pôsa ™ ûIouda‡a c„ra kaÑ o´ ’Ierosolumõtai p›nte", kaÑ †bapt‡zonto ktl. (Mk 1,5). Diese Johannesjünger scheint eine ähnliche Angst wie die Pharisäer umzutreiben: jewreõte Ωti o§k •feleõte o§dfin: ¥de ¨ k∙smo" [µlo"] £p‡sw a§toú üpöljen (12,19). Es ist also dringend, daß Johannes seine alte martur‡a jetzt erneuert. Wohl haben sie dieses Zeugnis, wie das Perfekt memart‚rhka" zeigt, durchaus noch im Ohr. Aber da ist es offenbar steckengeblieben, denn anders als ihre Gefährten Andreas und sein anonymer Begleiter (1,35 ff) haben sie sich diese martur‡a immer noch nicht zu Herzen genommen. Und das macht ihre Wiederholung notwendig. 27 f: Anstelle des emphatischen o§dÇ ∫n, das die Lesart der beiden gewichtigen Papyri P66.75, des Vaticanus und einiger weiterer Zeugen ist, bietet die Masse der Handschriften das unbetontere o§dfin. Doch wie in 1,3 (s. o. z. St.) haben die Autoren seit NestleAland26 das betonte o§dÇ ∫n wohl zu Recht aus dem Apparat in den Text versetzt. Wenn Johannes seinen Jüngern erklärt, ‚kein Mensch‘ könne sich irgend etwas ‚nehmen‘, wenn es ihm nicht vom Himmel her ‚gegeben‘ werde, dann dürfte er als der von Gott als Zeuge des ‚Lichtes‘ gesandte ±njrwpo" (1,6) wohl schon hier eher von der göttlichen Notwendigkeit (deõ) seines eigenen †lattoúsjai als von Jesu a§x›nein (V. 30) reden. Brown (Komm. I, 152) verweist treffend auf Jesu entsprechendes Wort an Pilatus: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre“ (19,11: e¢ 227
3,22–36
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
mÉ én dedomfinon soi ±nwjen). Nahezu wörtlich läßt der Erzähler den Täufer Johannes sein vor der jüdischen Delegation aus Jerusalem abgelegtes negatives Bekenntnis wiederholen, daß er nicht der Christus sei (1,20). Die Fortsetzung, üllû Ωti üpestalmfino" e¢mÑ ≤mprosjen †ke‡nou, ist insofern auffällig, als das Lexem ≤mprosjen bisher stets umgekehrt ausschließlich das „Voraus‑ und Überlegensein“ des präexistenten Jesus vor Johannes ausdrückte (1,15.30). Sollte das seinen Grund darin haben, daß hier mit Lk 7,27 Mal 3,1 im Hintergrund steht (Goulder 231 und Dodd, Tradition 271)? Das ist durchaus möglich, schwerlich jedoch definitiv entscheidbar. 29 f: Schon in der Kanaerzählung erklangen über der Rede von der Hochzeit, vom Bräutigam und von der unermeßlichen Fülle des köstlichen Weines, ‚der Wasser gewesen war‘, symbolische Obertöne, Metaphern, die als Ausdruck der eschatologischen Freude der Erlösten schon lange in den Bestand der Enzyklopädie Israels eingegangen waren (vgl. Israel als Braut oder Ehefrau Jhwhs: Jes 62,4 f; Jer 2,2; 3,20; Ez 16,8 ff; Hos 2,21; Zeph 3,17; die Kirche als Braut Christi: 2Kor 11,2; Eph 5,25 ff; Apk 21,2; 22,17). Hatte schon das nur 2,6 und 3,25 erscheinende Lexem kajarism∙" eine Brücke zwischen unserer Szene und der Erzählung von der Kanahochzeit geschlagen, so nimmt der Erzähler diesen Faden jetzt erneut auf. Mit der Nennung der n‚mfh, die bei der Kanaerzählung ja förmlich fehlte, obgleich sie doch neben dem Bräutigam fraglos die Hauptperson einer Hochzeit ist, des f‡lo" toú numf‡ou und zumal der hochzeitlichen car› macht Johannes das Ensemble der Hochzeit erst vollkommen. Daß die u´oÑ toú numfùno" nicht trauern können, solange der Bräutigam unter ihnen ist (Mk 2,19), weiß der Erzähler so gut wie sein impliziter Zuhörer. Und gewiß ‚gleicht‘ der, der hier als Zeuge auftritt, nicht jenen ±njrwpoi tö" geneô" ta‚th", die wie die lustlosen Kinder auf dem Marktplatz ‚Hochzeit‘ und ‚Beerdigung‘ spielen und sich am Ende als Spielverderber beschimpfen: „Wir haben euch doch aufgespielt, und ihr habt nicht getanzt. Wir haben doch Klagelieder gesungen, und ihr habt nicht geweint“ (Lk 7,31 f; vgl. Goulder, John 1,1–2,12:231). Das Erklingen der „Stimme“ von Bräutigam und/oder Braut ist bei Jeremia nahezu sprichwörtlich als Äußerung der Freude der Erwählten. Aber wegen der Sünde Israels sind diese Stimmen verstummt, und mit ihnen ist die Freude verschwunden: Jer 7,34; 16,9; 25,10; Bar 2,23. Erst im Eschaton, wenn Jhwh das Los Judas und das Geschick Jerusalems wendet, „wird man wieder Freuden‑ und Wonnerufe hören, den Jubel des Bräutigams und das Jauchzen der Braut“ (Jer 33,11). Der Satz, ¨ ≤cwn tÉn n‚mfhn numf‡o" †st‡n, ist formal die Eröffnung eines Gleichnisses. Doch schon der situative Kontext zeigt, daß dieses Gleichnis einzig der Vermittlung der Antwort des Johannes auf die implizite Frage seiner Jünger dient. Zu ihrer von Angst und Eifersucht geprägten Meldung, daß jetzt „alle zu Jesus kommen“, während die eigene Gefolgschaft sichtbar schwinde, erklärt er: „Wer die ‚Braut‘ hat, der ist der ‚Bräutigam‘“. Obwohl das so eröffnete Gleichnis seinen Sinn in sich selbst hat, darf und muß man seine Sätze wohl zugleich vor dem Hintergrund der biblischen Rede von Jhwh als dem Bräutigam und Israel als seiner geliebten Braut und von der verheißenen eschatologischen Erneuerung dieses Verlöbnisses mit der Ungetreuen lesen. Johannes spricht dann vom f‡lo" toú numf‡ou. Das ist zwar kein im Griechischen geläufiger terminus technicus, aber der Ausdruck ist durch den Kontext klar definiert. Es dürfte sich um eine verständliche Gräzisierung des hebräischen Lexems ˆybçwç handeln. Dieser ˆybçwç ist der zum „Brautführer“ erwählte Freund des Bräutigams (vgl. Bill. II, 429). Er ist vom Freund 228
Zweite Szene: Erneute martur‡a des Täufers Johannes
3,28–30
und durch die Sitte dazu bestimmt, dem Bräutigam seine Braut zuzuführen (und sie nicht etwa, wie es die eifersüchtigen Johannesjünger wohl gerne hätten, als die Seine zu beanspruchen). Als derart selbstloser und damit wahrer Freund steht der rechte Brautführer da und lauscht (¨ ©sthká" kaÑ üko‚wn), und in unbändiger Freude freut er sich über das Erklingen der Stimme des Bräutigams. Die Wendung carô ca‡rei ist ein dem hebräischen infinitivus absolutus (vgl. etwa den Ausdruck: twmy twm) nachempfundener Septuagintismus (B-D-R § 198,6 mit Anm. 9). Ist die ‚Stimme des Bräutigams‘, wie wir gesehen haben, selbst schon Ausdruck der Freude, so freut sich dessen Freund also an der Freude des Freundes. Erst der Satz: aæth oên ™ carÅ ™ †mÉ peplflrwtai, sprengt das Gleichnis. Indem Johannes jetzt vom peplflrwtai seiner eigenen Freude (™ carÅ ™ †mfl) redet, identifiziert er nachträglich nicht nur sich selbst mit dem ‚Freund des Bräutigams‘, sondern zugleich damit auch Jesus mit diesem Bräutigam des Gleichnisses. Er, Johannes, ist also von dem Freund, Jesus, durch die Sitte und in all dem zugleich durch eschatologische Notwendigkeit (deõ) dazu bestimmt, ihm seine ‚Braut‘ zuzuführen. Daß der Erzähler es damit wagt, seinen Johannes in die exklusive und einzigartige Rolle dessen zu versetzen, den Jesus dazu erwählt und ausgezeichnet hat, ihm als ‚sein Freund‘ das Volk als seine Braut zuzuführen (vgl. schon das: ºna p›nte" piste‚swsin diû a§toú von 1,7), könnte wiederum ein intertextueller Reflex von Lk 7 sein, wo Jesus sagt, daß Johannes weit mehr als nur ein Prophet sei (periss∙teron proffltou), daß von ihm vielmehr gelte: me‡zwn †n gennhtoõ" gunaikùn ’Iw›nnou o§de‡" †stin (Lk 7,28). Wie der scheidende Jesus seinen Jüngern erklärt: ≠meõ" luphjflsesje, üllû ™ l‚ph ≠mùn e¢" carÅn genflsetai (Joh 16,20) und: carflsetai ≠mùn ™ kard‡a, kaÑ tÉn carÅn ≠mùn o§deÑ" a¥rei üfû ≠mùn (16,22), so will hier Johannes die Traurigkeit seiner Jünger in Freude verwandeln. Auch er spricht hier als Scheidender, als der, auf den Kerker und Tod bereits warten (V. 24), und dies sind seine letzten Worte in unserem Evangelium. Und wie Jesus seinen betrübten „Freunden“ (16,7) abschiedlich erklärt: sumffirei ≠mõn ºna †gá üpfiljw. †Ån gÅr mÉ üpfiljw, ¨ par›klhto" o§k †le‚setai prÖ" ≠mô", so soll auch, gerade was die Johannesjünger beklagen, zum Grund ihrer Freude werden: „Er muß wachsen, ich aber schwinden“. Und das kann ja nur heißen, daß auch sie sich endlich aufmachen sollen, den Weg des Andreas und seines namenlosen Gefährten zu gehen, damit sie teilgewinnen an den Freuden des Bräutigams und seines ‚Freundes‘. Im Anschluß an die erhellende Anregung von Ibuki hatten wir oben bereits gesagt, daß wir die nun folgenden V. 31–36 weder als durch äußere Einwirkung deplaziertes Fragment (Bultmann, Komm. z. St.) noch als den ‚Nachtrag‘ einer „kirchlichen Redaktion“ mit ihren spezifischen Interessen (Becker, Komm. z. St.) noch auch als Bestandteil einer vom ‚Evangelisten‘ hinterlassenen Homilie, die erst dessen „Schüler“ seinem Evangelium einverleibt haben sollen (Schnackenburg, Komm. z. St.), betrachten werden. Wie sich vielmehr zuvor Jesus Nikodemus gegenüber zum Dolmetscher der geheimnisvollen „Stimme des Geistes“ gemacht hatte (3,13–21), so offenbart jetzt Johannes seinen Jüngern in Gestalt eines ‚Bekenntnisses‘ den Gehalt der „Stimme des Bräutigams“. Diesen Lektürevorschlag Ibukis, den im übrigen inzwischen auch Schnackenburg „beachtlich“ nennt (Komm. IV, 204 f), nehmen wir gerne auf, modifizieren ihn jedoch dadurch, daß u. E. in den V. 31–36 die ‚Stimme des Bräutigams‘ nicht unmittelbar laut wird, sondern durch das Bekenntnis des Johannes vermittelt erklingt. Dann besteht der unbestreitbare Gewinn von Ibukis Vorschlag in einem Dreifachen: 229
3,22–36
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
Zum einen nötigt er uns nicht länger, innerhalb beider Szenen des Kapitels einen jeweils nur implizierten, aber durch keinerlei Zeichen auf der Textoberfläche markierten Subjektwechsel zu postulieren. Zum anderen erlaubt er es, jenseits aller literarkritischen Operationen dennoch mit Bultmann und Schnackenburg sowohl von der Passage 13–21 als auch von den V. 31–36 zu sagen, hier werde das österliche johanneische Kerygma laut. Und zum dritten endlich ist dadurch nicht nur dem Streit darüber der Boden entzogen, ob die V. 31–36 als ‚Selbstzeugnis‘ des Johannes überhaupt denkbar sind oder nicht, sondern zugleich wird so jenseits aller Quellen‑ oder Redaktionstheorien die innere Einheit von 3,13–21 und 31–36 evident: „Wir befinden uns (mit V. 31) an der Stelle, wo die Johannesrede einbiegt in den Weg der Jesusrede in der Erzählung von Nikodemus. Was dort Verkündigung war, ist hier Glaubensbekenntnis“ (Barth, Erklärung 230). 31: ¨ ±nwjen †rc∙meno" †p›nw p›ntwn †st‡n: ¨ œn †k tö" gö" †k tö" gö" †stin kaÑ †k tö" gö" laleõ. ¨ †k toú o§ranoú †rc∙meno" †p›nw p›ntwn †st‡n. Da die Varianten der Handschriften hier möglicherweise – ähnlich wie im Fall des ≈ gfigonen von 1,3 – zu einer anderen Versabteilung nötigen, muß das Problem kurz erörtert werden. Der hier wiedergegebene Text ist durch P36 vid. 66 a2 A B L Ws Q Y 083. 086 f 13 33 M etc. gut bezeugt. In ihm wird der tautologisch erscheinende Satz: ¨ †k tö" gö" †k tö" gö" †stin kaÑ †k tö" gö" laleõ von zwei ganz ähnlichen Sätzen gerahmt, die man wohl als semantisch identisch betrachten darf, weil das Subjekt des letzteren: ¨ †k toú o§ranoú †rc∙meno" nur eine rhetorische Variante von ¨ ≤nwjen †rc∙meno" ist. Derartige Wiederholungen, die das Vorige zugleich rhetorisch variieren, gehören zur persönlichen Handschrift unseres Evangelisten. In diesem konkreten Fall hat das vorausgegangene dreifache Reden von der „Erde“ (gö) wohl dazu beigetragen, der ‚Erde‘ nun – anstelle von ±nwjen – (gut biblisch) den ‚Himmel‘ gegenüberzustellen. Doch dieser Lesart steht das Zeugnis der kaum weniger gewichtigen Handschriften P75 a* D f 1 565pc it syc sa; Hipp Or pt Eus entgegen. In ihnen fehlen die drei letzten Wörter des dritten Satzes: †p›nw p›ntwn †st‡n, und damit dessen Prädikat, das so erst in dem Syntagma ≈ ©„raken ka´ ≥kousen toúto martureõ des folgenden V. 32 erscheint. Die Frage, ob die Wendung †p›nw p›ntwn †st‡n von den Kopisten versehentlich oder absichtlich ausgelassen oder ob sie von anderen nach dem zweiten Vorkommen von ≤rc∙meno" mechanisch hinzugefügt worden ist, ist schwer zu entscheiden. Das Editorial Commitee und mit ihm Nestle-Aland26 f haben deshalb zu der Salomonischen Lösung gegriffen, die Wendung †p›nw p›ntwn †st‡n zwar beizubehalten, sie aber zugleich in eckige Klammern zu setzen (vgl. Metzger, Comm. 205). Wir haben diese Klammern bei der obigen Wiedergabe des Textes ausgelassen und damit zugunsten der längeren Lesart entschieden. Während viele das †p›nw p›ntwn †st‡n nur als die gedankenlose Wiederholung der ja schon in V. 31a einem †rc∙meno" folgenden Wendung durch einen Abschreiber betrachten, sehen wir mit Barrett (Komm. 244) gerade in der Vorliebe des Evangelisten für derartige Wiederholungen „das stärkste Argument zugunsten der längeren Lesart“.
In dem kurzen Satz: ¨ ±nwjen †rc∙meno" †p›nw p›ntwn †st‡n, sieht Zahn den ‚krönenden Abschluß‘ der bisherigen Rede des Täufers und zugleich den Übergang zu einem zweiten Teil, der zwar weiterhin „von der Erhabenheit Jesu“ handele, „aber nicht mehr im Gegensatz zu dem neidlos hinter ihn zurücktretenden Täufer, den seine Jünger zu einem eifersüchtigen Nebenbuhler hatten machen wollen, sondern im Gegensatz zu den erdgeborenen Menschenkindern …. Schon mit dem nächstfolgenden Satz: ‚Wer von der Erde ist, ist von der Erde und redet von der Erde her‘, (könne) der Täufer nicht sich selbst gemeint haben und insbesondere nicht sein eigenes Reden beurteilt haben“ (Komm. 223 f). Dieses Urteil ist in den vergangenen acht Jahrzehnten oft wiederholt und variiert worden. – Ähnlich, wenn auch mit anderer Konsequenz, urteilt 230
Zweite Szene: Erneute martur‡a des Täufers Johannes
3,30–31
jetzt Wilckens: „Nach diesem eindrucksstarken Bild (sc. von V. 30) kann Johannes nicht der Sprecher der folgenden Rede sein; und ihr Stil gleicht auch so vollkommen dem der vorausstehenden Rede V. 13–21, daß kein Zweifel ist: Jetzt nimmt Jesus selbst wieder das Wort. Der Abschnitt V. 22–30 ist ein Zwischenspiel, das die Größe Jesu aus der Perspektive des scheidenden, ihm Raum gebenden Zeugen Johannes erstrahlen läßt. … Vom Menschen allgemein ist hier die Rede, nicht etwa von Johannes, wie einige Ausleger meinen: Dieser hat als von Gott gesandt (1,6) keineswegs ‚Irdisches‘ gesagt, sondern vielmehr ‚für die Wahrheit Zeugnis abgelegt‘ (5,33)“ (Komm. 76 f). Aber zu Recht hat Barth gegen solche und ähnliche Konstruktionen eingewandt: „Es ist eine jämmerliche Zerstörung dieser schönen Stelle, wenn man mit Zahn meint, das Folgende könne Johannes der Täufer nicht von sich selbst gesagt haben. Als ob es irgendeinen Sinn hätte, wenn Jesus hier in seinem Unterschied zu den anderen gewöhnlichen Menschen, den Nicht-Propheten, charakterisiert würde. Nein, was der Täufer da sagt, das ist er selber: der von der Erde ist, ist von der Erde und redet von der Erde aus. Daß er nach 1,6 ein ±njrwpo" üpestalmfino" parÅ jeoú ist, das steht für sich und bleibt wahr. Im Verhältnis zum Gegenstand seiner Botschaft aber muß auch das Andere gesehen und gehört werden, muß die Reminiszenz an jene beiden bösen, sich nicht schneidenden Kreise von V. 6 dieses Kapitels sich einstellen. … Daß er den Apostolat parÅ jeoú hat und Gottes Wort redet, das hebt diesen Unterschied nicht auf “ (Erklärung 230 f). Die „Jämmerlichkeit“ von Zahns Auslegung besteht darin, daß der Täufer, wenn er hier nicht zugleich auch von sich selbst redete, seine Gemeinschaft mit den „erdgebundenen Menschenkindern“ aufkündigte und sich der „Solidarität der Sünder“ entzöge. Und Wilckens’ Kommentierung leidet außer an der besagten „Jämmerlichkeit“ der Zahnschen zudem an dem Manko, daß den V. 31–36 nicht ein Satz vorausgeht, der Jesus als neuen Sprecher in die Szene von Johannes und seinen Jüngern einführt. Denn ohne einen solchen Satz kann bestenfalls ein Mitglied der „communi‑ cative community“ kritischer Kommentatoren, keinesfalls aber irgendein normaler Leser den hier postulierten Subjektwechsel nachvollziehen. Weit plausibler wäre da schon Bultmanns Integration der V. 31–36 in die Rede an Nikodemus (3,13–21), wenn bei ihr nicht am Ende ein etwas beschränkter Redaktor übrigbliebe, der das angeblich Unmögliche dennoch für möglich gehalten und die V. 31–36 doch tatsächlich Johannes in den Mund gelegt hätte. Der gleiche Einwand trifft natürlich auch Schnackenburgs „Schülerredaktion“. Denn auch diese vermeintlichen Schüler des Evangelisten müßten ja einen Teil – nach Schnackenburg sogar den Eingangsteil – der nachgelassenen „Homilie“ ihres Meisters dem Täufer in den Mund gelegt haben. Daß dem ±nwjen und †k toú o§ranoú †rc∙meno", der als einziger †p›nw p›ntwn ist, alle übrigen als solche gegenübergestellt werden, die †k tö" gö" sind und darum nur Irdisches reden, ist gewiß kein Zufall. Becker hat richtig beobachtet, daß der Evangelist das Lexem gö nicht als „dualistischen Begriff “ wie s›rx oder k∙smo" verwendet (Komm. I, 185). Aber statt darum nun solchen dualistischen Sinn der Gegenüberstellung dessen, der ‚aus dem Himmel‘ ist, und derer, die ‚von der Erde‘ sind, in Frage zu stellen und das Gegenüber aus der biblischen Kluft zwischen dem heiligen Gott und der sündigen Menschheit zu erklären, nimmt Becker den signifikanten Gebrauch von gö dafür in Anspruch, dem Evangelisten die ganze Passage ab‑ und sie der vermeintlichen „Kirchlichen Redaktion“ mit ihrem ethisierten und „verkirchlichten“ Dualismus zuzusprechen: Die Kirchliche Redaktion „beginnt definitorisch mit dualistischer 231
3,22–36
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
Wesensbeschreibung: Der von oben gekommene Gesandte ist lokal und zugleich von seiner Machtposition her über allen, d. h. allen Menschen … Diese sind von der Erde und reden von ihr her, d. h. existieren irdisch ohne Verständnis und Zugang zur himmlischen Welt. (Formal und sprachlich bietet 4Esra 4,21 eine Parallele)“ (Komm. I, 185). Darum finde das Zeugnis des Gesandten von dem, was er gesehen und gehört hat, „keine Annahme“. Doch die von Becker behauptete Metamorphose des Dualismus und zumal der Umstand, daß in den Abschiedsreden ebenso wie in den Johannesbriefen anstelle des Gegenübers von ‚Fleisch und Geist‘, ‚Oben und Unten‘ etc. die konkrete Spannung zwischen ‚Gemeinde und Welt‘ zentrale Bedeutung gewinnt, ist u. E. allein durch das Genre hier der Abschiedsrede und da des Gemeindebriefes bedingt. Mit „Verkirchlichung“, „Reapokalyptisierung“ und dergleichen hat das nichts zu tun, und es eröffnet darum auch nicht die Lizenz zur Literarkritik. Daß Becker nach dem vermeintlich ‚definitorischen Beginn mit dualistischer Wesensbeschreibung‘ die V. 31–36 – ebenso wie auf seine Weise Zahn – natürlich nicht als Bekenntnis des Johannes begreifen kann, versteht sich von selbst. Wir sehen dagegen in dem fast tautologischen Satz mit dem dreifachen Vorkommen des Lexems gö ein absichtsvolles Abweichen von allem „Definitorischen“ und von jeglicher „dualistischen Wesensbeschreibung“. Hier „bekennt“ und „bezeugt“ vielmehr ein Glaubender, daß vor dem Heiligen Gott alle Menschen Sünder sind. Und das Sprachspiel des Bezeugens und Bekennens ist ein grundsätzlich anderes als das des „Definierens“ intersubjektiver Wahrheiten oder des „Beschreibens“ dualistischer Wesenheiten (vgl. J. Fischer, Behaupten). Der Zeuge kommt her von einer Begegnung mit dem Absoluten: „Ich sah den Geist wie eine Taube herabschweben und auf ihm bleiben. … Und es steht mir vor Augen und ich bezeuge es: Dieser ist der Sohn Gottes“ (1,32–34). Allein davon zeugt sein Zeugnis. Mit ihm steht und fällt er: Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen, abnehmen bis dahin, daß der mart‚" zum Märtyrer wird. Im Blick auf die alte Lessing-Kierkegaardsche Frage nimmt der Zeuge tatsächlich das Recht in Anspruch, ein zufälliges Moment der Geschichte mit absolutem Charakter und ewiger Bedeutung zu bekleiden. Einer „logic and rhetoric based on a logical model“ kann das nur als eine unbegreifliche „alienation of meaning“ erscheinen (Ricœur, Essays 144; vgl. ebd. 142 ff). In der Begegnung mit dem Absoluten und unter der unentrinnbaren ün›gkh, die ihn fortan nötigt, ist der Zeuge zu einem Neugeborenen geworden. Da hat er die †xous‡a empfangen, ‚Gottes Kind zu werden‘ (1,11). Allein darin ist sein Zeuge-Sein gegründet. Wohl ist der Zeuge, wenn er auch †k tö" gö" ist und bleibt und nur ‚Irdisches‘ (†k tö" gö") redet und zu reden vermag, ein gerechtfertigter Sünder, aber eben auch als Gerechtfertigter ein Sünder. Es sieht also wirklich so aus, als setze Joh sein intertextuelles Spiel mit Lk 7 hier noch fort: Als ‚Freund des Bräutigams‘ ist Johannes vor allen anderen erwählt zu besonderem Dienst. So ist er „mehr als ein Prophet“, ja, „der Größte unter allen von einer Frau Geborenen“ – in der Diktion unseres Erzählers gesagt: ‚unter allen, die von der Erde sind‘ –, zugleich gilt aber von ihm: ¨ dÇ mikr∙tero" †n tÔö basile‡a toú jeoú me‡zwn a§toú †stin (Lk 7,28). Beides gilt also zugleich: „Es ist nicht wahr, daß der Glaube den Menschen mit sich selbst identisch macht. Der Sünder will mit sich selbst identisch werden. Der Glaubende unterscheidet sich vom Sünder nicht dadurch, daß er der endlich mit sich selbst identisch gewordene Mensch ist. Sondern vom Sünder unterscheidet sich der Glaubende dadurch, daß er nicht mehr mit sich selbst identisch zu werden braucht. Als Glaubender ertrage ich die 232
Zweite Szene: Erneute martur‡a des Täufers Johannes
3,31–33
Unterscheidung des Menschen von sich selbst, indem ich Gott zwischen mir und mir wohnen lasse“ (Jüngel, Gott 21). 32: Aus der Perfektform des ersten Verbums des durch die Wendung ≈ ©„raken kaÑ ≥kousen ausgedrückten Objekts meinen B-D-R schließen zu können: „Auch ©„raka hebt die Wirkung am Subjekt hervor, während das Hören … weit weniger wesentlich ist“ (§ 342, 1b mit Anm. 3). Doch das erscheint uns in einem Text, dessen Mitte Weg und Wort des fleischgewordenen l∙go" ist, als eine Überinterpretation. Dieser bloße Tempuswechsel dürfte kaum eine derart weitreichende Bedeutung haben; vgl. schon Bultmanns entsprechenden Widerspruch mit dem Verweis auf Act 22,15; ClemHom 1,9; Joh 5,37; 1Joh 1,1.3 (Komm. 118, Anm. 2). Wichtiger ist es wohl, den Aspektcha‑ rakter der Verben zu beachten: ≈ ©„raken heißt „was er vor Augen hat“ und überträgt diesen Gegenwartsaspekt zugleich auf den nachfolgenden Aorist als einen komplexiven. Darum sollte man das hier genannte „Sehen“ und „Hören“ auch nicht auf eine mythische Vorzeit des im Himmel Präexistenten reduzieren, als habe der sich durch seine Fleischwerdung für eine Weile von dem getrennt, den er seinen Vater nennt, und erinnerte sich jetzt nur des einst Gesehenen und Gehörten. Denn auch von dem Fleischgewordenen gilt ja: m∙no" o§k e¢m‡, üllû †gá kaÑ ¨ pfimya" me ¨ patflr (8,16) und kaÑ o§k e¢mÑ m∙no", Ωti ¨ patÉr metû †moú †stin (16,32; vgl. 8,29). So vollziehen sich auch sein „Sehen“ und „Hören“ in der Gegenwart. „Der Sohn kann nichts von sich selbst her tun, sondern nur das, was er den Vater tun sieht“ (5,19) und „reden hört“ (8,47: ¨ «n †k toú jeoú tÅ Øflmata toú jeoú üko‚ei). kaÑ tÉn martur‡an a§toú o§deÑ" lamb›nei. Dieser durch das – hier adversative – ka‡ eingeleitete Satz wird vielfach als eklatanter Widerspruch zu V. 26 verstanden, wo die eifersüchtigen Johannesjünger sich bei ihrem Meister darüber beklagen, daß alle zu Jesus strömen (kaÑ p›nte" ≤rcontai prÖ" a§t∙n). Darum muß gerade dieser vermeintliche oder tatsächliche Widerspruch oft als Argument für die Behauptung herhalten, daß Johannes doch keinesfalls der Sprecher dieser Rede (31–36) sein könne. Doch zum einen ist das p›nte" sicher eine maßlose Übertreibung, eine der Angst und Eifersucht dieser Täuferjünger, die ihren Stern sinken sehen, entsprungene Hyperbel. Und zum anderen ist natürlich auch die Wendung: kaÑ tÉn martur‡an a§toú o§deÑ" lamb›nei, wie der unmittelbar folgende Satz zeigt, hyperbolische Strategie des Johannes, mit der er den angeblichen Massenandrang zu Jesus auf seine wahren Dimensionen zu reduzieren trachtet (vgl. 1,10 f; 3,11). Auf der Erzählebene sind also p›nte" und o§de‡" gerade nicht platter Widerspruch, sondern absichtsvoll miteinander korrespondierende Hyperbeln. Gerade diese aufgeregten und immer noch ungläubig auf das Ihre fixierten Täuferjünger, die ihr Meister ausdrücklich an ihre Zeugenschaft seiner einstigen martur‡a für Jesus erinnern muß (V. 28), sind zudem der lebendige Beweis dafür, daß keiner Jesu martur‡a annimmt. 33: Wie 1,12 f gibt es also Ausnahmen von der Regel. Es gibt solche, die seine martur‡a angenommen und damit „besiegelt“ haben, daß Gott wahrhaftig ist. Daß hier nicht von bloßer Möglichkeit, sondern von der lebendigen Wirklichkeit derer die Rede ist, die Jesu Zeugnis bereits angenommen haben, bestätigt der aoristische Aspekt beider Verben. sfrag‡zw heißt hier wohl einfach „bestätigen“. Und dabei ist nicht an einen besonderen Akt solcher „Bestätigung“, etwa durch ein ‚Bekenntnis‘ zu denken, sondern an den Akt der glaubenden Annahme der martur‡a Jesu und des Bleibens in ihr. Durch nichts anderes als durch ihre Existenz als Glaubende haben die Glaubenden also 233
3,22–36
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
die „Wahrhaftigkeit“ Gottes bestätigt. ülhjfl" heißt hier wie 8,26 u. ö. „wahrhaftig“, „verläßlich“ im Gegensatz zu yeustfl" (vgl. Bultmann, Komm. 118, Anm. 5). Es muß also um die Verläßlichkeit der Verheißungsworte Gottes gehen, die an der Existenz der Glaubenden sichtbar wird (vgl. Barrett, Komm. 245, u. s. Joh 13,35). 34: ≈n gÅr üpfisteilen ¨ jeÖ" tÅ Øflmata toú jeoú laleõ, o§ gÅr †k mfitrou d‡dwsin tÖ pneúma. Diesem von P66.75 a B2 C* L Ws 083 f 1 33.565.579. 1241 und den Lateinern b e f l; Or bezeugten Text steht das Zeugnis des von A C2 D Q Y 086 f 13 angeführten ‚Mehrheitstextes‘ sowie lat syp.h co; gegenüber, die am Versende bieten: d‡dwsin ¨ jeÖ" tÖ pneúma. Im Vaticanus prima manu (B*) mit wenigen anderen Hss fehlt das Objekt tÖ pneúma. Weil er tÖ pneúma als „eine völlig unjohanneische Ergänzung“ betrachtet, hält Bultmann gerade diese letztere und am dürftigsten bezeugte Lesart für ursprünglich (Komm. 119, Anm. 1). Hinsichtlich der Textüberlieferung beruht diese Einschätzung jedoch darauf, daß Bultmann seinen Kommentar vor der Veröffentlichung der beiden Papyri P66 u. P75 und deshalb in Unkenntnis von deren Gewicht für den Text des Joh schrieb; vgl. Thyen, Postscript. Und exegetisch kann er das Objekt tÖ pneúma nur darum für eine „völlig unjohanneische Ergänzung“ halten, weil er die V. 31–36 durch deren Umstellung zu einem Teil der Rede Jesu von 3,13–21 macht. Sieht man dagegen mit dem überlieferten Text Johannes, der das pneúma „herabkommen und auf ihm bleiben sah“ und deshalb erklärte: oñt∙" ≤stin ¨ bapt‡zwn †n pne‚mati ®g‡w (1,33), als den Sprecher von 3,31–36 an, so wird die vermeintlich „völlig unjohanneische Ergänzung“ zu einem nahezu notwendigen Element dieser Rede. – Zahn folgt dem überlieferten Text und sieht darum in Johannes den Sprecher von 3,31–36. Hatte er aber im Blick auf den Inhalt der V. 32 f bestritten, daß Johannes hier von sich selbst gesprochen haben könne (s. o.), so ändert sich dieses Bild für ihn mit V. 34. Denn mit dem Relativsatz: ≈n gÅr üpfisteilen ¨ jeÖ" tÅ Øflmata toú jeoú laleõ, soll Johannes als der ±njrwpo" üpestalmfino" parÅ jeoú (1,6!) nun plötzlich doch von sich selbst sprechen. Deshalb plädiert Zahn für die Ursprünglichkeit von tÖ pneúma. Doch anstelle des Jesus gegebenen Objektes identifiziert er dieses pneúma als das Subjekt dieses Satzes: „Der Geist gibt Johannes die Øflmata jeoú, die er sagt, nicht †k mfitrou“. Deshalb kann Zahn in dem von der Mehrheit der Handschriften nach dem Verbum d‡dwsin eingefügten Subjekt ¨ je∙" natürlich nicht wie Bultmann eine zwar sekundäre, aber sachlich zutreffende Ergänzung sehen, sondern nur den unseligen Anfang einer falschen Lektüre des Textes (Komm. 226 ff).
Zumal natürlich auch Zahn sein textkritisches Urteil angesichts der heutigen Quellenlage nicht aufrechtzuerhalten vermöchte, bleiben wir trotz der doch wohl eher zufälligen Koinzidenz der Wendung ≈n üpfisteilen ¨ je∙" mit der Einführung des Zeugen Johannes als eines ±njrwpo" üpestalmfino" parÅ jeoú von 1,6 dabei, die gesamte Passage (27–36) als Zeugnis des Johannes zu verstehen, das in den Versen 31–36 zu einem von der „Stimme des Bräutigams“ inspirierten Bekenntnis zu dem wird, der †p›nw p›ntwn ist. Das bloße Relativpronomen Ωn kann unmöglich ein zuvor nominell noch gar nicht bezeichnetes neues Subjekt des laleõn in die Rede einführen, zumal V. 34 ja begründen soll (g›r!), inwiefern derjenige, der Jesu martur‡a annimmt, damit die Wahrhaftigkeit Gottes bestätigt: Weil Jesus als der von Gott Gesandte nicht seine eigenen, sondern tÅ Øflmata toú jeoú spricht, entspricht der Glaube an ihn diesen Worten und bestätigt damit die Wahrhaftigkeit Gottes (vgl. Barrett, Komm. 245). o§ gÅr †k mfitrou d‡dwsin tÖ pneúma. Die Wendung †k mfitrou begegnet in der gesamten Bibel nur hier. Dabei dürfte mfitron nicht abstrakt das „Maß“ bezeichnen, sondern, wie seit Homer geläufig, ein konkretes Gerät zum Messen, also einen „Meßbecher“ o. dgl. (vgl. Deißner, Art. mfitron). Der ungewohnte Gebrauch von †k mfitrou wird auch dazu geführt haben, daß frühe Kopisten die Wendung durch das ihnen ge234
Zweite Szene: Erneute martur‡a des Täufers Johannes
3,33–36
läufigere und wohl aus 1Kor 13,9.12 bekannte †k mfirou" ersetzt haben. Jedenfalls muß Origenes diese Lesart vor Augen gehabt haben, wenn er von geisterfüllten Männern, im Gegensatz zu dem von Gott gesandten swtflr sagt: †k mfirou" eècon tÖ pneúma toú jeoú ... ¨ dfi ge swtÉr üpostaleÑ" †pÑ tù tÅ Øflmata toú jeoú laleõn, o§k †k mfirou" d‡dwsin to pneúma (frg 48 in Joh). Wahrscheinlich durch das Präsens von d‡dwmi veranlaßt, macht Origenes hier den ‚Erlöser‘ zum Geber des Geistes. Im übrigen weiß der Alexandriner, daß andere Hss. die Lesart o§k †k mfitrou d‡dwsin tÖ pneúma überliefern (ffiretai dÇ †n ©tfiroi" üntigr›foi" ktl.; vgl. Zahn, Komm. 227 f). Auch Zahn dient das Präsens d‡dwsin, weil es „dem Satz den Charakter einer allgemeingiltigen Regel“ gebe, als Argument dafür, daß nur der die Propheten seit je und immer wieder inspirierende Geist Subjekt des Satzes sein könne. Deshalb erklärt er: Es hätte nie „bezweifelt werden sollen, daß hier nicht die Rede ist von der unbegrenzt reichen Mitteilung des Geistes an den Sohn. Denn diese ist ein für allemal geschehen; es müßte also dfidwken oder ≤dwken dastehen“ (ebd. 228). Als einzigen johanneischen Beleg führt Zahn dafür Joh 1,32 f an. Angesichts der bereits erörterten ununterbrochenen Kommunikation zwischen Vater und Sohn und ihrer Einheit (10,30) erscheint uns dieses Argument jedoch abwegig. Als Instanz der Inspiration spielt das pneúma bei Joh gerade keine Rolle. Weil Jesus schlechterdings der einzige Träger des eschatologischen Geistes ist, den es davon abgesehen vor seiner „Verherrlichung“ am Kreuz noch gar nicht gab (7,39), ist durch das Präsens d‡dwmi auch keine „allgemeingiltige Regel“ formuliert, sondern es liegt der Normalfall eines durativen Präsens vor. „Obwohl Christus nämlich einmal mit Gottes Geist in höchster Vollkommenheit beschenkt worden ist und doch der Geist Gottes wie aus einem unversiegbaren Quell unaufhörlich hervorströmt, heißt es ganz richtig, daß Christus ihn auch jetzt noch vom Vater empfange“ (Calvin 84). Der Satz besagt also, daß Gott dem von ihm Gesandten den Geist nicht dosiert, sondern ununterbrochen und in seiner ganzen Fülle zuteil werden läßt. Und daß dieser ‚Gesandte‘ kein anderer als der vom Vater geliebte Sohn ist, und daß der Vater diesem Sohn mit der Gabe des Geistes die Verfügungsgewalt über „alles“ gegeben hat, macht der folgende Vers explizit. 35: Dem durativen Aspekt des Präsens d‡dwsin von V. 34 entspricht hier das präsentische ügapô (zum Gebrauch von ügapôn s. o. zu 3,16). Zu der Differenz und gleichzeitigen Korrespondenz zwischen dem Aorist °g›phsen von 3,16 und diesem Präsens ügapô erklärt K. Barth treffend: „Aus der Liebe, mit der der Vater den Sohn liebte und liebt von Ewigkeit her, geht hervor das Ereignis seiner Liebe zur Welt“ (Erklärung. 233). Indem er seinem geliebten Sohn „alles in die Hände gelegt hat“, hat der Vater ihn zugleich zum „Vollstrecker“ jenes Ereignisses seiner Liebe zum k∙smo" eingesetzt: diÅ toút∙ me ¨ patÉr ügapô, Ωti †gá t‡jhmi tÉn yucfln mou ktl. (10,17; vgl. 13,1–3 und siehe unten z. St.). Anstelle der ungewohnten Wendung dfidwken †n tÔö ceir‡ ist 13,3 geläufiger formuliert: p›nta ≤dwken a§tù ¨ patÉr e¢" tÅ" ce‡ra". Doch hier besteht keine Differenz, denn in der Koine und zumal in der LXX steht überaus häufig †n mit dem Dativ anstelle des klassischen e¢" mit dem Akkusativ (vgl. B-D-R § 218). Zum Ausdruck: etwas „in die Hand“ bzw. „in die Hände“ jemandes geben vgl. Dan 2,38, wo Theodotion die göttliche Übertragung der Herrschaft an Nebukadnezar durch ≤dwken †n tÔö ceir‡ sou übersetzt (vgl. Schlatter, Komm. 111; zur Sache s. u. zu 5,19 ff). 36: Wie V. 35 mit seiner Aussage, der liebende Vater habe dem Sohn „alles in die Hände gelegt“, den Eingangssatz des Johannes-Bekenntnisses: ¨ ±nwjen †rc∙meno" 235
3,22–36
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
†p›nw p›ntwn †st‡n, im Sinne einer Ringkomposition variierend wiederaufnimmt, so verknüpft nun V. 36 unsere Johannesszene mit Jesu Worten der vorausgegangenen Nikodemus-Episode. Gerade durch diese Entsprechungen erweist sich der Täufer Johannes als der wahrhaftige Zeuge Jesu. „Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben“ ist deutliches Echo von 3,15 f. Daß der Ungehorsame (üpeijùn) dagegen das Leben nicht „sehen“ wird, variiert die Wendung: o§ d‚natai ¢deõn tÉn basile‡an toú jeoú von V. 3 ebenso wie die Rede vom „auf ihm bleibenden Zorn Gottes“ den Gegenwartsaspekt des Perfekts ≥dh kfikritai von V. 18 aufnimmt. Sowenig wie die durch V. 31 markierte Kluft zwischen ‚Himmel‘ und ‚Erde‘ (s. o. z. St.) muß der Umstand, daß bei Joh einzig hier vom „Zorn Gottes“ die Rede ist (£rgÉ jeoú; vgl. Röm 1,18 u. ö.), bedeuten, daß jetzt die fremde Feder einer „kirchlichen Redaktion“ (so Becker, Komm. z. St.) im Spiel wäre. Eher ist der singuläre Ausdruck „der Zorn Gottes“ – zumal im Munde des Täufers! – doch eine absichtsvolle ‚Erinnerung‘ an dessen markanten Bußruf: „Ihr Schlangenbrut, wie wollt ihr nur dem kommenden Zorn(esgericht) entrinnen?“ (Mt 3,7; Lk 3,7: fugeõn üpÖ tö" mello‚sh" £rgö"). Dann wäre die Wendung gerade nicht befremdlich, sondern stünde vielmehr im Dienst des Verisimile der Erzählung. Wie der Ausdruck £rgÉ jeoú ist auch die Bezeichnung des Ursprungs dieses ‚Zornes‘ als üpeijeõn (ungehorsam sein) Hapaxlegomenon im Corpus Iohanneum. Die Verwendung dieses im gesamten Neuen Testament nur 14mal vorkommenden Verbums an dieser Stelle dürfte damit zusammenhängen, daß das ihm eigene aktive Element der Widersetzlichkeit der Rede vom „Zorn Gottes“ besser korrespondiert als das eher passiv klingende mÉ piste‚ein; vgl. toõ" dÇ †x †rije‡a" kaÑ üpeijoúsi tÔö ülfljeia ... £rgÉ kaÑ jum∙" (Röm 2,8). Natürlich schließt der „Glaube an den Sohn“, zumal im Munde des Johannes, der diesen „Sohn Gottes“ ja bestimmt hatte als „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt beseitigt“ (1,29), die Befreiung von der Sünde ein und verleiht dem Glaubenden damit die parrhs‡a ≤n tÔö ™mfira tö" kr‡sew" (1Joh 4,17). Mit einer ‚Reapokalyptisierung‘ der „präsentischen“ und so vermeintlich „entmythologisierten“ Eschatologie hat die Rede vom „bleibenden Zorn“ des gerechten Gottes über alle Ungerechtigkeit und alle Gesetzlosigkeit nichts zu tun. Denn ohne sie würde ja auch die Rede vom „ewigen Leben“ und von der „Erlösung“ buchstäblich bodenlos (s. u. zu 8,24 ff).
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar (4,1–42) (1) Einleitung (4,1–3) 1
Als Jesus nun inneward, daß den Pharisäern zu Ohren gkommen war, daß er, Jesus, mehr Jünger gewann und taufte als Johannes 2 – wiewohl Jesus selbst nicht taufte, sondern nur seine Jünger –, 3 da verließ er Judäa und zog wiederum nach Galiläa. Die ersten drei Verse dieser neuen Szene haben eine doppelte Brückenfunktion. Zum einen verbinden sie die Samaria-Episode mit der vorausgehenden Täuferszene. Zu236
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,1–3
gleich motivieren sie Jesu Weggang aus Judäa oder lassen zumindest ahnen, warum Jesus sich von Judäa abwendet und sich erneut auf den Weg nach Galiläa macht, wo er seine Herrlichkeit offenbart hatte und seine Jünger zum Glauben an ihn gefunden hatten (2,11). Aus welchem Grund auch immer „mußte er“ (≤dei: 4,4) dazu den Weg durch Samaria nehmen. Und zum anderen schlagen diese Eingangsverse über die gesamte Samaria-Szene hinweg zugleich eine zweite Brücke zu dem darauf folgenden zweiten Kanawunder (4,43–54), das V. 54 eng mit jenem ersten verknüpft. Anstelle von ¨ ûIhsoú" (a D Q 086 f 1 565.1241 al lat syc.p.h bo; Epiph) bieten P66.75 A B C L Ws Y 083 f13 33 M f q sys.hmg sa boms die Lesart ¨ k‚rio". Doch trotz dieser breiten und frühen Bezeugung von ¨ k‚rio" ist dessen sekundäre Ersetzung durch ¨ ûIhsoú" jedoch entschieden schwerer vorstellbar als der umgekehrte Vorgang. Zumal die Handschriften auch sonst die Tendenz erkennen lassen, den Jesus-Namen durch das k‚rio"-Prädikat zu ersetzen, könnte dazu hier auch die Absicht beigetragen haben, das stilistisch schwerfällige doppelte ûIhsoú" in dem kurzen Satz zu vermeiden (vgl. Metzger, Comm. 205 f, der noch bemerkt: „It has been conjectured that originally the verb ≤gnw was without an expressed subject, and that subsequently some copyists inserted ûIhsoú" and others k‚rio"“). – Das entschieden besser bezeugte p›lin (P66.75 a B2 C D L M W Q 053 086 0141 f 1.13 etc.) fehlt in A B* G L P Y 28 249 579 700 1194 1424 syh al. Das dürfte jedoch entweder auf bloßer Nachlässigkeit der Abschreiber oder darauf beruhen, daß sie angesichts der langen Samaria-Episode die doppelte Funktion dieses p›lin übersehen haben. Denn es weist ja nicht nur zurück auf die Erzählung von der Kanahochzeit, sondern zugleich auch voraus auf das zweite Kana-Zeichen (4,43 ff), so daß der durch das p›lin von 4,3 über die beiden folgenden Szenen gespannte Bogen sein Widerlager erst in dem erneuten p›lin der Worte des kommentierenden Erzählers in 4,54 findet: toúto dÇ p›lin de‚teron shmeõon †po‡hsen ¨ ûIhsoú" ktl.
Wie die „Pharisäer“ bereits 1,24 als die treibende Kraft genannt waren, auf deren Initiative hin die „Juden“ Jerusalems jene Delegation aus Priestern und Leviten zum „Verhör“ Johannes des Täufers gesandt hatten (s. o. z. St.), so „erkennt“ der allwissende Jesus nun, daß den „Pharisäern“ sein judäischer „Missionserfolg“, der denjenigen des Johannes weit in den Schatten stellt, zu Ohren gekommen ist. Deshalb verläßt er Judäa und wendet sich wiederum Galiläa zu. Eingefügt ist in den Satz die parenthetische Bemerkung: ka‡toige ûIhsoú" a§tÖ" o§k †b›ptizen üllû o´ majhtaÑ a§toú. Viele Ausleger sehen in dieser Parenthese eine späte redaktionelle Glosse und begründen das zumeist damit, daß im gesamten NT nur hier das Lexem ka‡toige gebraucht werde (vgl. etwa Bultmann, Komm. 128; Schnackenburg, Komm. I/458; Becker, Komm. I/197; Brown, Komm. I/164 f: „… serves as almost indisputable evidence of the presence of several hands in the composition of John“; ebd. 164). Selbst der unter dem Titel einer „Anatomy of the Fourth Gospel“ doch primär der Beschreibung der synchronen Struktur des Textes verpflichtete Culpepper enttäuscht, wenn er erklärt, 4,2 habe „the appearance of a gloss“ (Anatomy 116). Doch, obwohl Bultmann selbst die Parenthese als „redaktionelle Glosse“ verdächtigt, hat gerade er dagegen den u. E. entscheidenden Einwand erhoben: „Man sollte freilich erwarten, daß ein Red., wenn er korrigieren wollte, dies zu 3,22 getan hätte“ (Komm. 122). Zudem ist die Argumentation mit dem hapax legomenon ka‡toige darum schwach, weil dieses nur hier gebrauchte Lexem auch einzig hier dazu dient, eine zuvor gemachte Aussage zu widerrufen oder sie zumindest zu präzisieren. Zur Text-Funktion der überraschenden Parenthese erklärt Staley treffend, daß die in den Kapiteln 4 u. 6 durch den impliziten Autor/Erzähler offenbarte Distanz und Spannung zwischen Jesus und seinen Jüngern exakt derjenigen entspreche, die er durch Nebeneinander seines Erzählens von der Tauftätigkeit Jesu (3,22.26) und 237
4,1–42
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
deren Widerruf durch seine parenthetische Bemerkung in 4,2 zwischen sich und seinem impliziten Leser schaffe, um ihn so zu zwingen, „to revaluate his relation to the narrator and the story“ (First Kiss 97 f). Und der Sache nach ist diese Präzisierung darum notwendig, weil Johannes (der Täufer) Jesus ja als den bezeugt hatte, „der mit dem heiligen Geist taufen werde“ (1,33). Doch die Zeit dieser Geisttaufe, die denen, „die an ihn glauben“, den heiligen Geist mitteilen soll, ist noch nicht gekommen (7,39: tÖ pneúma ≈ ≤melon lamb›nein o´ piste‚sante" e¢" a§t∙n). Einstweilen gilt vielmehr: o∂pw gÅr én pneúma, Ωti ûIhsoú" o§dfipw †dox›sjh (7,39). Man muß das darum wohl so verstehen, daß jetzt allein Jesu Jünger in der Nachfolge des Johannes dessen „Wassertaufe“ üben (1,33), und daß erst Jesu „Verherrlichung“ durch seine Kreuzigung und Auferstehung jene „Wassertaufe“ zur Taufe mit dem heiligen Geist wandeln wird. Auch hier gilt darum das Wort Jesu an seine Mutter: o∂pw ªkei ™ øra mou (2,4; vgl. 7,6.8; 7,30; 8,20). Der implizite Leser weiß aus den Prätexten der synoptischen Evangelien, daß sich Jesu Auseinandersetzung mit den Pharisäern und ûIoudaõoi zum tödlichen Konflikt zuspitzen wird. Eingeführt in die Johanneslektüre durch den Prolog weiß er aber zugleich, daß keinesfalls irgendeine Art von Konfliktscheu Jesu die Ursache seiner Abwendung von Judäa sein kann. Auch dafür dürfte also jenes o∂pw gelten. Das deutet der folgende Vers bereits an, und es wird im Laufe der Erzählung vollends deutlich werden. (2) Das Gespräch Jesu mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen (4,4–26) 4
Er mußte aber durch Samarien hindurchreisen. 5 Auf diesem Wege kam er in eine Stadt Samarias, die Sychar heißt und nahe bei dem Acker liegt, den Jakob seinem Sohn Joseph gegeben hatte. 6 Dort aber war der Jakobsbrunnen. Ermattet von der Wanderung setzte Jesus sich nun neben den Brunnen. Das war um die sechste Stunde. 7 Da kam eine samaritanische Frau, um Wasser zu schöpfen. Jesus bat sie: Gib mir zu trinken! 8 Denn seine Jünger waren weggegangen in die Stadt, um Lebensmittel einzukaufen. 9 Da sagte die samaritanische Frau zu ihm: Wie kommst du, der du doch ein Jude bist, dazu, von mir etwas zum Trinken zu erbitten, die ich doch eine Frau und noch dazu eine Samaritanerin bin? 10 Jesus antwortete und sagte ihr: Wenn du die Gabe Gottes erkenntest und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken, dann bätest du (umgekehrt) ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser. 11 Die Frau erwiderte ihm: Herr, du hast ja gar kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief. Woher willst du dann das lebendige Wasser nehmen? 12 Bist du denn etwa größer als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen vermacht hat, aus dem schon er, seine Söhne und auch sein Vieh getrunken haben? 13 Jesus antwortete ihr so: Jeder, der von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten. 14 Wer dagegen von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, der wird in Ewigkeit nicht mehr dürsten. Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm geben werde, in ihm zur Quelle eines Wassers werden, das in das ewige Leben strömt. 15 Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir solches Wasser, damit mich nie wieder dürstet und ich nicht mehr hierher kommen muß, um Wasser zu schöpfen! 16 Darauf forderte er sie auf: Geh hin, ruf deinen 238
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,3–5
Mann und komm(t) dann hierher. 17 Da entgegnete ihm die Frau: Ich habe keinen Mann. Und Jesus sprach: Trefflich hast du gesagt: Ich habe keinen Mann, 18 denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, der ist nicht dein Mann. Die Wahrheit hast du gesagt! 19 Da sagte die Frau zu ihm: Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist. 20 Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet. Ihr (Juden dagegen) sagt, in Jerusalem sei der Ort, wo man anbeten muß. 21 Darauf sagte Jesus ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde wird kommen, da ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. 22 Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir (dagegen) beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt von den Juden. 23 Aber es kommt die Stunde – bereits jetzt ist sie da! –, da die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden. Denn solche, die ihn so anbeten, sucht der Vater. 24 Denn Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. 25 Da sagte die Frau zu ihm: Ich weiß, daß der Messias kommen wird, das heißt der Gesalbte, und wenn der kommt, wird er uns alles kund tun. 26 Da sagte Jesus zu ihr: Ich bin es, der ich mit dir rede –. 4: ≤dei dÇ a§tÖn difircesjai diÅ tö" Samare‡a": „Er mußte aber durch Samarien hindurchreisen.“ Auf der Textoberfläche muß das Imperfekt ≤dei zunächst nichts weiter bedeuten, als daß der normale Reiseweg von Judäa nach Galiläa in jenen Tagen durch Samaria führte: ≤jo" én toõ" Galila‡oi" †n taõ" ©ortaõ" e¢" tÉn ´erÅn p∙lin paraginomfinoi" ¨de‚ein diÅ tö" Samarfiwn c„ra" (Josephus, Ant. CC/118; vgl. Bell. II/232 und Vita 269: kaÑ p›ntw" ≤dei toÜ" tacÜ boulomfinou" ≤peljeõn diû †ke‡nh" [sc. diÅ Samar‡a"] pore‚esjai). Doch es will bedacht sein, daß Josephus Ant. XX/118 von der zwischen Samaritanern und Juden bestehenden Feindschaft (≤cjra) redet und diese Reisegewohnheit (≤jo") der Galiläer nur als die Ursache konkreter Konflikte nennt, die daraus entsprangen. Und Vita 269 hat das ≤dei seinen Grund allein in der Eile jener Reisenden, von der in unserer Erzählung jedoch nicht die Rede sein kann. In ihr ist ≤dei vielmehr ein für den Fluß und die Logik der Erzählung völlig unnötiges Element. Ein Satz wie: ‚Er reiste aber durch Samarien dorthin‘, hätte zu ihrer Einleitung völlig genügt. Darum wird man in diesem unerwarteten ≤dei wohl ein erstes Signal dafür sehen müssen, daß in unserer Szene symbolische Obertöne im Spiel sind. Wie schon das „Erhöht-Werden des Menschensohns“ unter der heilsgeschichtlichen Notwendigkeit des göttlichen deõ stand (3,14), so scheint eben dieses „Müssen“ Jesu jetzt auch die zeitgenössische Gewohnheit des üblichen Reisewegs zwischen Judäa und Galiläa durch Samarien zu überschatten (vgl. Olsson, Structure 145; und Boers 154 ff). 5f: Anstelle des zwar von der Masse der Mss bezeugten, geographisch aber nicht nachweisbaren Ortsnamens S‚car lesen 69 vgcl.ww boms S‡car und sys.c Sucfim. Brown (Komm. I, 169) plädiert zwar nachdrücklich für die Ursprünglichkeit dieses ‚Sichem‘. Doch abgesehen von dessen dürftiger Bezeugung durch nur einen Teil der syrischen Überlieferung, verdankt diese Lesart ihre Prominenz wohl erst der Konjektur durch Hieronymus („transivit Sychem – non, ut plerique errantes legunt, Sichar“: Ep. 108,13; vgl. H.-M. Schenke, Jakobsbrunnen 162). Vor allem aber kommt „das auch den griechischen Christen aus dem AT wohlbekannte Sichem (µkç, LXX Sucfim S‡kima) ..., welches mehr als 200 Jahre lang die Hauptstadt der samaritanischen Stammes‑ und Kultusgemeinschaft gewesen war“, angesichts der Formulierung des Satzes, wonach 239
4,1–42
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
der ‚Jakobsacker‘ als die bekannte Größe ganz offensichtlich der Identifizierung eines unbekannten Ortes namens S‚car dienen soll, überhaupt nicht in Frage (Zahn, Komm. 233). Allein der fraglos höchst unpräzisen Bezeichnung dieses Fleckens als p∙li" dürfte die Lesart Sucfim ihren Ursprung verdanken. Doch wie Zahn bereits gesehen und als durchschlagendes Argument gegen die Ursprünglichkeit der Lesart Sucfim geltend gemacht hat, wird hier ein unbekannter Flecken namens S‚car mit Hilfe des bekannten ‚Jakobsackers‘ lokalisiert. Das spricht ebenso wie unsere gesamte Szene und zumal ihre Dialoge dafür, daß wir uns am Ort eines samaritanischen Heiligtums befinden. „Als Johannes I. Hyrkan die Provinz Samaria zu erobern versuchte (erster Versuch 128), zerstörte er den Garizim-Tempel (wohl erst 108/107) und die Stadt S(ichem), die nicht wieder aufgebaut wurde. Ihre Nachfolge traten das am Hang des Ebal liegende, in Joh 4,5 genannte Sychar (= ‚Askar‘) und das 72 n. Chr. von Vespasian gegründete Flavia Neapolis (heute Nablus) an. Die kultische Tradition auf dem Garizim lebte jedoch weiter“ (Weippert 295; vgl. Josephus, Ant XIII/ 255 f. 275). Bei dem letzteren Feldzug zerstörte Hyrkan auch noch die stark befestigte hellenistische p∙li" Samaria, auf deren Mauern Herodes der Große 27 v. Chr. zu Ehren des eben mit dem Titel „Augustus“ ausgezeichneten Kaisers Octavian die Stadt ‚Sebaste‘ gründete (sebast∙" ist das griechische Äquivalent zu augustus: ‚der Erhabene‘). Möglicherweise hat der heilige Ort von ‚Jakobsacker‘ und ‚Jakobsbrunnen‘ in der Nachbarschaft Sychars nach der Zerstörung des Garizim-Tempels einen Teil von dessen Kultfunktionen an sich gezogen. Gegenüber der erneuten Bevorzugung der Lesart Sucfim durch Boers (155) hat Schenke durch seine minutiöse archäologische Beschreibung von ‚Jakobsbrunnen, Josephsgrab und Sychar‘ die Identität Sychars mit dem heutigen Askar wohl gegen alle früheren Zweifel erwiesen (Jakobsbrunnen, bes. 182–184).
„… nahe bei dem Acker (cwr‡on), den Jakob seinem Sohn Joseph geschenkt hatte“: Nach Gen 33,18 f schlug Jakob mit den Seinen nach seiner Begegnung mit Esau nahe bei Sichem seine Zelte auf. Danach kaufte er dieses Grundstück (LXX: tÉn mer‡da toú ügroú, oñ ≤sthsen †keõ tÉn skhnÉn) von den ‚Söhnen Hamors‘ und errichtete darauf einen Altar: kaÑ †pekalfisato tÖn jeÖn ûIsrafll. Im Jakobssegen von Gen 48 erklärt der sterbende Patriarch seinem Sohn Joseph: †gá dÇ d‡dwm‡ soi S‡kima †xa‡reton ≠pÇr toÜ" üdelfo‚" sou ktl. (V. 22). Endlich wird Jos 24,32 erzählt, daß die aus Ägypten heimkehrenden ‚Söhne Israels‘ die Gebeine Josephs mitbrachten, um sie zu bestatten †n tÔö mer‡di toú ügroú, oñ †ktflsato ûIak„b ... kaÑ ≤dwken a§tÉn ûIwsÉf †n mer‡di. Darin, daß Lukas (den erzählten) Stephanus anstelle Jakobs Abraham als den Käufer des sichemitischen Grundstücks bezeichnen läßt, dürfte er irren (Act 7,15 f). Schwerlich aber läßt er Stephanus gegen die gesamte biblisch-jüdische Mamre-Tradition behaupten, daß nicht nur die zwölf Patriarchen, sondern auch ihr Vater Jakob in Sichem begraben worden sei. Dagegen könnte es durchaus auf samaritanischer Lokaltradition beruhen, wenn nach den Worten des Stephanus nicht nur Joseph, sondern auch alle seine elf Brüder auf dem ‚Jakobsacker‘ bei Sichem beigesetzt wurden; vgl. Bill II, 372 ff u. 676. Dort (†keõ) war der Brunnen Jakobs: †keõ heißt „dort“ und kann in diesem Zusammenhang nichts anderes als „auf diesem Acker“ bedeuten (H.-M. Schenke, Jakobsbrunnen 166). Der ‚Brunnen‘ ist also das bleibende Monument, das den ‚Acker‘ überhaupt erst identifizierbar und wiedererkennbar macht. Er wird hier als phgfl bezeichnet, was eigentlich „Quelle“ heißt. Erst in V. 11 f erscheint dann zweimal das Lexem frfiar = Brunnen. Aber das ist gewiß kein Argument zur Quellenscheidung (vgl. Olsson, Structure 163). Denn der Witz der Erzählung besteht ja gerade darin, 240
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,5–6
daß am Grunde des sehr tiefen Brunnens (tÖ frfiar †stÑn baj‚: V. 11) eine Quelle ‚lebendigen Wassers‘ entspringt (ædwr zùn). Es handelt sich bei diesem Brunnen also wohl um eine ‚gefaßte Quelle‘. Erstaunlich ist freilich, daß es für die Existenz und Verehrung dieses Brunnens, der doch der zentrale Motivspender unserer Szene ist, keinerlei literarische Zeugnisse gibt. Sowohl die biblischjüdische als auch die samaritanische Tradition schweigen über den ‚Jakobsbrunnen‘ bei Sychar (vgl. Olsson, Structure 140). Dagegen wird die im Zusammenhang mit dem Jakobsacker wiederholt bezeugte Grabstätte Josephs, von der Hieronymus gar erklärt: „duodecim autem patriarchae non sunt sepulti in Arboc (= Hebron) sed in Sychem“ (ep. 57,10, zitiert und diskutiert von Schenke, ebd. 168), in unserer Erzählung nicht einmal erwähnt. Es scheint vielmehr so, als verdanke dieser Brunnen seine nachmalige Prominenz in der Pilgerliteratur vor allem unserer Szene. Dennoch sollte man das Fehlen solcher Zeugnisse, das durchaus zufällig sein und seinen Grund in dem fragmentarischen Charakter der Überlieferung haben kann, nicht zum Argument für den rein fiktionalen Charakter auch der Szenerie von Joh 4 machen. Denn aus der Art der Einführung Sychars als nahe beim Acker und Brunnen Jakobs gelegen und aus dem von Schenke beschriebenen archäologischen Befund muß man schließen, daß der Brunnen auf diesem Jakobsacker wirklich existierte und von den Samaritanern „ihrem Vater Jakob“ zugeschrieben (V. 12) und entsprechend verehrt wurde. Hatte schon L. Schottroff gesehen, daß unsere Szene „nicht an einem beliebigen Ort“ spielt, „der nur aus geographischem oder historischem Interesse so genau beschrieben“ werde, „sondern an einem Brunnen, der ein samaritanisches Heiligtum war“ (Dualismus 199), so wird die Bezeichnung Hebrons als des „Sichems von Arabien“ durch einen russischen Pilger für Schenke geradezu zum Schlüssel, der die Szenerie von Joh 4 als die „samaritanische Entsprechung“ und Konkurrenz zum „jüdischen Mamre“ erschließt (Jakobsbrunnen 168 f; vgl. auch Olsson, Structure 138 ff, und Boers 154 ff). Weil Olssons gehaltvoller Exkurs über „The Well in Jewish Tradition“ (ebd. 162–173) eindrucksvoll demonstriert, daß die Beschäftigung mit diesem Thema – trotz des Fehlens unmittelbarer Zeugnisse für einen Jakobsbrunnen in der Nähe des alten Sichem – reichen Gewinn für die Auslegung unserer Erzählung verspricht, sei hier nachdrücklich auf ihn hingewiesen und kurz daraus referiert: In Gen 21,19 wird erzählt, daß Gott der in der Wüste durstenden Hagar die Augen geöffnet habe, so daß sie einen frfiar ædato" zùnto" erblickt und ihren Sohn Ismael daraus getränkt habe. Gen 26,18 ff berichtet, daß Isaaks Knechte, nachdem die Philister alle Brunnen verschlossen hatten, im Tal Gerar gruben: kaÑ eñron †keõ frfiar ædato" zùnto". In Gen 24 rastet der von Abraham zur Brautwerbung für Isaak ausgesandte Knecht am Brunnen vor der Stadt Nachors. Alsbald erscheint Rebekka mit einem Wasserkrug, und er bittet sie: Gib mir zu trinken. Er wird danach im Vaterhaus Rebekkas gastlich aufgenommen und kann zusammen mit Rebekka schließlich die Heimreise antreten. Noch signifikanter ist die Erzählung von Jakobs Begegnung mit Rachel am Brunnen vor den Toren Harans und deren Rezeptionsgeschichte in der jüdischen Literatur (Gen 29): Auf der Flucht kommt Jakob in ein fremdes Land und rastet bei einem Brunnen auf einem Feld. Der Brunnen ist mit einem riesigen Stein verschlossen. Dann erscheint Labans Tochter Rachel mit ihrer Herde. Jakob hebt den Stein von der Brunnenöffnung und tränkt Labans Schafe. Gen 30 zeigt ihn dann als den Hirten der Herden Labans. Die Targumim Neofiti und Pseudo-Jonathan berichten von 241
4,1–42
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
„fünf Zeichen“, die „unser Vater Jakob“ tat, als er von Beersheba nach Haran zog. Da heißt es zu Gen 29,10: „Und das fünfte Zeichen: Als unser Vater Jakob den Stein von der Öffnung des Brunnens hob, da floß er über und das Wasser schoß empor bis zum Rande. Und zwanzig Jahre lang, all die Tage, die Jakob in Haran weilte, floß der Brunnen über“. Und Gen 29,10.12 wird so paraphrasiert: „Mit nur einem Arm hob er den mächtigen Stein von der Brunnenöffnung. Und der Brunnen schwoll an und das Wasser sprang auf bis obenhin. Und er tränkte die Schafe Labans, des Bruders seiner Mutter. Und seit er den Stein abgehoben hatte, strömte das Wasser zwanzig Jahre lang im Überfluß. Doch als er dann weggegangen war, da kamen die Hirten zum Brunnen und fanden kein Wasser. Und vergebens warteten sie drei Tage lang. Doch das Wasser strömte nicht mehr. Am dritten Tag kamen sie zu Laban. Und der erkannte, daß Jakob geflohen war. Denn aufgrund seiner Gerechtigkeit hatte der Brunnen zwanzig Jahre lang Wasser im Überfluß gespendet“. Das archaische „Brunnenlied“ von Num 21,16–18 – es folgt im übrigen fast unmittelbar der Episode von der ehernen Schlange (s. o. zu 3,14) – wird im Targum Pseudo-Jonathan so paraphrasiert: „Und dort ward ihnen der lebendige Brunnen gegeben, der Brunnen, über den der Herr zu Mose gesagt hatte: ‚Versammle das Volk und ich will ihm Wasser geben‘. Und siehe, dann sang Israel zum Lobpreis dieses Lied, weil ihnen der eine Zeit lang verborgene Brunnen nun durch das Verdienst Mirjams wiedergegeben war: ‚Springe auf, o Brunnen! Spring auf, du Brunnen!‘. So sangen sie und der Brunnen floß über; der Brunnen, den die Väter der Welt, Abraham, Isaak und Jakob, gegraben hatten, die Fürsten der alten Zeit gruben ihn, die Führer des Volkes, Mose und Aaron, die Schreiber Israels fanden ihn mit ihren Stäben. Und von der Wüste(nzeit) an war er ihnen als Geschenk gegeben. Und von da an wanderte er mit ihnen hinauf auf die hohen Berge, und wieder hinunter zu den Hügeln rings um Israels Lager. Und er gab ihnen zu trinken, einem jeden am Eingang seines Zeltes“. Die Fresken von Dura Europos zeigen dieses Detail, da entspringen dem einen Brunnen zwölf Wasserströme, offenbar für jeden der Stämme Israels einer (Olsson 166). Nach Pirqe Abot V/9 existierte der wunderbare Brunnen, der die Väter auf ihren Reisen und das Volk auf seiner Wanderung durch die Wüste begleitete, schon vor Grundlegung der Welt. Paulus weiß von dem wasserspendenden Felsen, der das Volk durch die Wüste begleitete (1Kor 10,4: ≤pinon gÅr †k pneumatikö" ükoloujo‚sh" pfitra", ™ pfitra dÇ én ¨ Crist∙"). Dem targumischen Umgang mit der Schrift entsprechend, könnte der Jakobsbrunnen bei Sychar durchaus der wunderbare Quellbrunnen Harans sein, der den Patriarchen auf seiner Reise begleitet und unterwegs den Durst der Karawane und ihres Viehs gestillt hat. Ermattet (kekopiaká") von der beschwerlichen Wanderung (¨doipor‡a) und durstig von der Hitze des Tages (V. 7) hat Jesus sich kurzerhand (oætw") beim Brunnen niedergesetzt. Schwerlich schreitet so „ein Gott über die Erde“ (Käsemann, Letzter Wille pass.), hier sieht der Leser vielmehr einen Mann, der die Beschwernisse allen Fleisches teilt (vgl. Thompson, Humanity 3 f). Die signifikante Zeitangabe: øra én Æ" ∫kth dient auf der Erzählebene gewiß vornehmlich der Realistik der Szene und der Motivation des Durstes Jesu (vgl. die Komm. von Bultmann, Schnackenburg, Lindars und Barrett z. St.). Die ganze Episode erscheint uns als ein intertextuelles Spiel mit den genannten biblischen Brunnenszenen, unter denen die Erzählung von Moses Flucht aus Ägypten (Ex 2,15–22) die wohl „interessanteste Parallele“ darstellt (Olsson ebd.). 242
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,5–6
Das gilt zumal für die von Josephus gebotene Paraphrase von Moses Wüstenwanderung nach Midian (Ant 256 f): Wie einst Mose, als ihm die Mordpläne und -befehle des Pharao gegen sein Leben zu Ohren gekommen waren, aus Ägypten nach Midian floh, so flieht hier der allwissende Jesus, der die finalen Absichten der Pharisäer bereits kennt, aus dem feindlichen Judäa ins freundliche Galiläa. Und wie damals Mose sich in der Hitze des Tages am Brunnen vor den Toren einer midianitischen Stadt erholte, so rastet Jesus nun „um die sechste, die heiße Mittagsstunde“ am Jakobsbrunnen von Sychar. Josephus dramatisiert die Moseerzählung so: Weil der Pharao, um des Flüchtigen habhaft zu werden, alle Straßen bewachen läßt, muß sich Mose seinen Fluchtweg – ≤por∙" te œn trofö" – mitten durch die weglose Wüste bahnen. Von k∙po" und talaipwr‡a dieser beschwerlichen Flucht erschöpft, rastet er, zumal es gerade Mittag ist (meshmbr‡a" o∂sh"), an einem Brunnen (kajesjeÑ" †p‡ tino" frfiato": Ant II/256 f). Und wie ihn dort in dieser Mittagsstunde „die sieben Töchter Reguëls“ finden, als sie zum Brunnen gekommen waren, um die Herden ihres Vaters zu tränken, so begegnet hier die zum Wasserschöpfen gekommene Samaritanerin dem fremden Juden Jesus. Gegen die brutalen Versuche anderer Hirten, die Mädchen mit ihren Herden vom Brunnen zu vertreiben, um die eigenen Schafe zu tränken, hatte Mose einst erfolgreich Partei für Reguëls Töchter ergriffen. Und als die in ihre Stadt zurückgekehrt waren und ihrem Vater von dem Erlebnis draußen am Brunnen erzählt hatten, sendet der seine Knechte zum Brunnen, damit sie Mose einladen, Gast zu sein in seinem Hause. Am Ende nimmt Reguël Mose „an Kindesstatt an“ und gibt ihm eine seiner Töchter zur Frau. Und wie einst auf die Erzählung von Reguëls Töchtern hin dessen Knechte Mose als Gast in das Haus ihres Herrn eingeladen hatten, so laden jetzt die auf die Erzählung der Samaritanerin hin zum Jakobsbrunnen gekommenen Leute aus Sychar Jesus ein, ihr Gast zu sein (°r„twn a§tÖn meõnai parû a§toõ": Joh 4,40; vgl. Olsson, Structure 150 f).
Die Zeitangabe: øra én Æ" ∫kth dient allein der Bestimmung von Stunde und Verfassung des Protagonisten (vgl. O’Day, Revelation 58). Jenseits des Horizonts unserer Erzählung liegt darum die oft gestellte Frage, warum denn jene Samaritanerin ausgerechnet in der größten Hitze des Tages zum Brunnen geht, um Wasser zu schöpfen. Die psychologisierende Auskunft, daß sie diese ungewöhnliche Zeit gewählt habe, um so „als bekannte Sünderin das Zusammentreffen mit den anderen Frauen“ zu vermeiden, entspricht schwerlich dem Charakter unserer Erzählung und grenzt mit ihrer moralistischen Attitüde eher ans Komische. Schnackenburg weist sie denn auch mit der Bemerkung zurück, „der Evangelist (halte) sich bei solchen Fragen nicht auf “ (Komm. 461). Wohl erweisen die Pilgerliteratur ebenso wie der Augenschein der geologischen Gegebenheiten die Gegend um Sychar/’Askar als sehr wasserreich (vgl. Zahn, Komm. 238; Schnackenburg, Komm. I, 460 f; Schenke, Jakobsbrunnen 168). Dennoch sind aber die auf solchem Wissen beruhenden Erwägungen einiger Kommentatoren darüber, warum die Frau denn nicht eine der näher gelegenen Quellen aufgesucht habe, abwegig. Denn im Sinn unserer Erzählung muß die Frau in dieser Stunde zu eben diesem Brunnen gehen, damit sie Jesus trifft und damit er das ihm von seinem Vater aufgetragene Werk an ihr beginnen kann. Vom Wasserreichtum der Gegend um Sychar kann der implizite Leser nichts wissen. Und sollten später aktuelle Leser darum wissen, so kann für sie der weite und nach V. 15 ja wohl gewohnte Weg der Frau zu gerade diesem Brunnen bestenfalls ein weiterer Hinweis auf dessen besondere Heiligkeit sein. Ob die Zeitangabe: øra én Æ" ∫kth, darüberhinaus noch symbolische Obertöne zum Klingen bringen will, mag man fragen. Immerhin erscheint auf diese Weise die Samaritanerin im Gegensatz zum nächtlichen Besuch des ±rcwn tùn ûIouda‡wn Nikodemus (3,2; vgl. 13,30) im hellen Licht des Tages bei Jesus (vgl. Bruns 287 f). Lightfoot 243
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Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
(Komm. 122) sieht Assoziationen zur Passionserzählung: und nennt Jesu Erschöpfung: 4,6 und 19,1 f; seinen Durst: 4,7 und 19,28; und sein Vollenden des ihm vom Vater übertragenen Werkes: 4,34 und 19,30. Er macht darauf aufmerksam, daß auch die Zeitbestimmung, øra én Æ" ∫kth, in 19,14 ihre wörtliche Entsprechung hat: Spricht Jesus am Jakobsbrunnen in der sechsten Stunde, nachdem die Frau ihre messianische Hoffnung ins Spiel gebracht hat, sein erstes †g„ e¢mi unseres Evangeliums (siehe unten zu 4,25 f), so präsentiert Pilatus den Juden in der sechsten Stunde der paraskeufl des Passa Jesus mit den Worten: ¥de ¨ basileÜ" ≠mùn (19,14; vgl. Olsson ebd. 150). 7: †k tö" Samare‡a" ist natürlich nicht adverbial auf das Verbum ≤rcesjai zu beziehen, als käme die Frau aus dem weit entfernten einstigen ‚Samaria‘, das schon seit einem halben Jahrhundert ‚Sebaste‘ heißt, sondern die Wendung dient hier adjektivisch der Charakterisierung der Frau als einer Samaritanerin, wie sie sich selbst denn ja auch als eine gunÉ Samarõti" bezeichnet (V. 9; vgl Barrett, Komm. 250). Als diese Samaritanerin mit ihrem Wassergefäß auf der Szene erscheint, bittet Jesus sie unvermittelt um einen Trunk Wassers, seinen Durst zu löschen. Dieses in V. 28 als ≠dr‡a bezeichnete Gefäß muß der Logik der Erzählung nach dazu taugen, das Wasser der Quelle aus der Tiefe des Brunnens (tÖ frfiar †stÑn baj‚: V. 11) zu Tage zu fördern. Implizit benennt V. 11 es darum funktional als ±ntlhma (Schöpfeimer). Mit seiner knappen Bitte: d∙" moi peõn, ergreift Jesus die Initiative. Im Unterschied zu den synoptischen „Streitgesprächen“, die zumeist durch eine an Jesus herangetragene Frage oder Bitte eröffnet werden, ist das für die johanneischen Dialoge typisch. Angesichts der geschilderten Szenerie ist Jesu objektlose Bitte: d∙" moi peõn, zwar möglich und verständlich, aber dennoch ungewöhnlich. Zumal sie mit ihren Lexemen did∙nai und p‡nein kaum zufällig sogleich die beiden den folgenden Dialog bestimmenden Motive ins Spiel bringt, dürfte sie nicht aus der bloßen Szenerie allein, sondern aus dem Ganzen der Szene und ihrem intertextuellen Spiel mit dem wunderbaren biblischen Brunnen erwachsen sein. Olsson macht darauf aufmerksam, daß LXX und Neues Testament in vergleichbaren Situationen stets Wendungen wie: p∙tis∙n me mikrÖn ædwr o. dgl. bieten (vgl. Gen 24,17.43.45; Jdc 4,19; 1 Kön 30,11; 2 Kön 23,15; Hi 22,7; Mt 25,42 u. ö.), und daß nur in Texten, die Gottes Gabe von Wasser an sein dürstendes Volk beschreiben, die Wendung doúnai ædwr (p‡nein) erscheint. „The combination doúnai and p‡nein is only found in Ex 17,2 (dÖ" ™mõn ædwr, ºna p‡wmen) and in Num 21,16 (kaÑ d„sw a§toõ" ædwr pieõn), i. e. in the perhaps most central texts on the Well“ (Structure 176; Beispiele für die Gabe von Wasser ohne Nennung des p‡nein sind Num 20,8; Neh 9,20; Weish 11,4.7; Jes 43,20). 8: Seit Joh 1,35 ff weiß der Leser Jesu Jünger als seine ständigen Begleiter und „Nachfolger“ (1,38) an seiner Seite. Darum ist unser Vers eine notwendige ‚szenische Bemerkung‘, denn der folgende Dialog Jesu mit der Samaritanerin ist im strengen Sinn ein „Gespräch unter vier Augen“, das die Gegenwart Dritter strikt ausschließt. Darum wird jetzt gesagt, daß die Jünger in die Stadt gegangen waren (Plusquamperfekt), um Speisen zu kaufen. So wird der Leser in die gespannte Erwartung der Rückkehr der Jünger versetzt und zugleich verknüpft der ‚allwissende Erzähler‘ auf diese Weise geschickt Jesu Dialog mit der samaritanischen Frau mit seiner Erwiderung auf die Aufforderung seiner inzwischen zurückgekehrten Jünger: „Rabbi, iß doch!“ (4,31–38). Ebenso wird dann das zurückgelassene Schöpfgefäß der Frau (V. 28) ihren Auftritt mit dem Erscheinen der „vielen Leute aus der Stadt, die aufgrund ihres Zeugenwortes an 244
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,6–9
Jesus glaubten“ (39–42), verbinden. Auf der Erzählebene wird die Omniszienz des Erzählers damit begründet, daß der, „der dieses geschrieben hat“ (21,24), nämlich der geliebte Jünger, an der Brust seines Herrn lag (én ünake‡meno" †n tù k∙lpw toú ûIhsoú). Und wie sein Herr, „der an der Brust des Vaters liegt“, dessen einziger „Exeget“ ist (1,18), so ist unser Erzähler der Exeget Jesu; zu Omniszienz und ‑präsenz des Erzählers vgl. Booth, Rhetoric of Fiction 160 ff, und Culpepper, Anatomy 20 ff. 9: Anders als die von dem durstenden Elia um einen Trunk Wassers gebetene ‚Witwe von Sarepta‘ von 1Kön 17, 7–16 oder als der ‚barmherzige Samaritaner‘ von Lk 10,30 ff zeigt sich diese Samaritanerin unfähig, ihrer elementarsten Menschenpflicht zu genügen. Obgleich dieser ermattete und durstige Fremdling ihr förmlich ausgeliefert und auf ihre Hilfe angewiesen ist, weil doch nur sie über das Mittel verfügt, seinen Durst zu löschen, hört sie nicht auf seine Stimme. Sie merkt nicht, daß in seinen Worten: „Gib mir zu trinken!“ Gott selbst spricht, daß darin das Gebot laut wird, das Juden wie Samaritaner bindet: „Wie ein Einheimischer aus eurer Mitte soll der Fremdling bei euch wohnen. Und du sollst ihn lieben wie dich selbst. Denn ihr seid ja auch Fremdlinge gewesen im Land Ägypten. Ich bin der Herr, euer Gott“ (Lev 19,34). Als Gefangene religiöser und sozialer Vorurteile ist die Frau jedoch zu deren Opfer und taub geworden, diese Stimme noch zu hören (vgl. O’Day, Word 33 f). Sie vermag in Jesus nur einen zu sehen, der willkürlich zwei eherne Tabus sozialer Konventionen verletzt: Den Mann, der eine fremde Frau anredet, und den Juden, der eine Samaritanerin um Wasser bittet. Und wie Nikodemus nur fragen konnte: pù" d‚natai taúta genfisjai; (3,9), so bleibt auch der Samaritanerin nichts als eine derartige Frage: pù" s‚ ... parû †moú peõn a¢teõ"? Hier unterbricht der Erzähler seine Schilderung und klärt seine Zuhörer auf: o§ gÅr sugcrùntai ûIouda‡oi Samar‡tai". Der Kontext macht deutlich, daß hier sowohl ûIoudaõo" als auch Samar‡th" Bezeichnung religiöser und nicht etwa geographischer Zugehörigkeit sind. Das überhaupt äußerst seltene Lexem suncr›omai begegnet im NT nur an dieser Stelle. Das Verb wird zumeist durch „keinen Umgang“ oder „keine Gemeinschaft miteinander haben“ wiedergegeben; so übersetzt etwa Wilckens: „Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritanern“ (Komm. 78). Dieser üblichen Auffassung hat Daube scharf widersprochen. Er behauptet, daß es dafür keinerlei Belege gebe und daß die Bildung dieses Kompositums aus s‚n und cr›omai die Übersetzung fordere: (einen Gegenstand) „gemeinsam benutzen“ oder „gebrauchen“ (373 ff). Diese etymologische Worterklärung ist jedoch höchst fragwürdig. Denn Daube muß dazu das vermeintlich zu ergänzende Dativobjekt „not with the main body of the verb „chraomai“ verbunden sein lassen, das in dem Dativ Samar‡tai" ja sein explizites Objekt hat, sondern allein „with the prefix syn“. Auch wenn er für diese Konstruktion keinerlei Beleg anführen kann, schließt Daube kühn: „The possibility of this construction must have existed“. Zudem stützt er seine Erklärung auf eine spezielle jüdische Regelung der Jahre 65 oder 66 n. Chr., wonach die „Töchter der Samaritaner von der Wiege an menstruieren“ und darum ‚unrein‘ sind (Nidda 4,1). Ganz abgesehen davon, ob die spezielle „Regelung“ hier im Blick ist oder nicht, könnte die emphatische Betonung des Frauseins der Samaritanerin (gunaikÖ" Samar‡tido" o∂sh") durchaus die darin implizierte Einschätzung der samaritanischen Frauen widerspiegeln (vgl. Okure 96). Barrett bewegt sich in Daubes Spuren. Er läßt unsere Samaritanerin ihre Unreinheit „notwendigerweise auf das Gefäß, das sie hielt, übertragen“ und behauptet: Johannes sage „ausdrücklich, daß Juden Gefäße zusammen mit Samaritanern nicht gebrauchen“ (Komm. 251). Doch von „Gefäßen“ ist in unserem Satz nicht die Rede, schon gar nicht „ausdrücklich“. Und daß die Frau ein Wassergefäß mitbringt, ist explizit in der Erzählung bis dahin noch gar nicht erwähnt. Dessen Substitution ist darum reine Konjektur, die zudem auf einer linguistisch unzulässigen Art der etymologischen
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Dekomposition eines Kompositums beruht. Denn durch eine Analyse ähnlicher Komposita mit dem Präfix s‚n hat Hall gezeigt: „In the case of all these verbs, the noun in the dative is governed by the whole verb. The prefix syn does not govern an object of its own (whether expressed or implied), but intensifies the simple verb. … The Rabbinic ruling quoted by Dr. Daube is, of course, still significant as an illustration of the general attitude of Jews and Samaritans. But the important thing for John was not that Jesus was willing to break a ritual prohibition, but that by his friendliness he broke down the barrier of hatred and suspicion dividing Jew and Samaritan“ (Meaning 57; vgl. Boers 149).
Da wir ohnehin – und zwar nicht nur in diesem speziellen Fall, sondern prinzipiell – nicht wissen können „exactly what the author had in mind“, könnte ein derartiges Wissen unserem Verstehen des Textes ja auch bestenfalls nur „ein interessantes Detail“ hinzufügen. Denn „as far as the meaning of the text is concerned, it is clear that Jesus violated an important custom which regulated association of Jews and Samaritans“ (Boers 149 f). Angemessen erscheint uns darum Wilckens genannte Übersetzung: „Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritanern“ (Komm. 78; vgl. auch Schnackenburg, Komm. I, 461, Anm. 3, u. siehe zur Artikellosigkeit von ûIoudaõoi und Samar‡tai in diesem generellen Satz B-D-R § 262,1). Und klärender als Daubes historistischer Erklärungsversuch erscheint uns darum Bultmanns eher ‚strukturalistischer‘ Verweis auf die buddhistische Erzählung von Anandas Begegnung mit dem Mädchen aus der Candala-Kaste am Brunnen. „Als sie ihn warnt, sich mit ihr zu verunreinigen, erwidert er: ‚Meine Schwester, ich frage dich nicht nach deiner Kaste noch nach deiner Familie; ich bitte dich nur um Wasser, wenn du es mir geben kannst‘“ (Komm. 131). 10: „Wenn du die Gabe Gottes erkenntest und wer der ist, der zu dir sagt: ‚Gib mir zu trinken!‘, dann bätest du ihn, und er gäbe dir Lebenswasser“. Es ist zwar richtig, daß Jesus mit dieser Antwort alles Gewicht auf seine eigene Person verlagert. Doch deren Erkenntnis ist für die Samaritanerin einstweilen noch unerschwinglich und in weiter Ferne. Erst Schritt für Schritt wird Jesus sie zu diesem Ziel führen (vgl. O’Day, Word Disclosed 29 ff). Darum sollte man nicht sagen, „wie häufig bei Joh“, so gehe auch hier „der Gedanke von einem Mißverständnis aus, hier einem Mißverständnis der Person Jesu, … (der) seiner äußeren Erscheinung nach ein durstiger und hilfloser Reisender, tatsächlich (aber) der Sohn Gottes (sei), der lebendiges Wasser gibt“ (Barrett, Komm. 251; Hervorhebung H. T.). Demgegenüber scheint uns das Mißverständnis in dem absichtsvoll doppeldeutigen Syntagma ædwr zùn zu liegen, das einerseits sprudelndes Quellwasser und auf der Symbolebene andererseits ‚lebendigmachendes Wasser‘ bezeichnen kann. Zudem ist es problematisch, bei Jesus zwischen seiner „äußeren Erscheinung“ und dem zu unterscheiden, „was er tatsächlich ist“. Denn der Prologsatz, ¨ l∙go" sÅrx †gfineto, setzt voraus, daß der Sohn Gottes umgekehrt „tatsächlich“ gerade kein anderer als dieser durstige Wanderer ist. Auf die Äußerung der Frau, die tief in der notorischen Feindschaft zwischen Juden und Samaritanern begründet ist, geht Jesus überhaupt nicht ein. Seine Reise durch Samarien, sein Aufenthalt an diesem Brunnen und seine an die Samaritanerin gerichtete Bitte um Wasser mögen ihr deutlich genug sagen, daß ihr hier einer gegenübertritt, der jenseits dieser Querelen steht. Darum transponiert Jesus das Gespäch auch sogleich aus dem Feld irdischer Feindschaften auf die Ebene der Relation Gottes zu den Menschen und der Menschen zu Gott, indem er zunächst von der „Gabe Gottes“ (dwreÅ toú jeoú) und dem „Leben spendenden Wasser“ und dann von dem „wahren Gottesdienst“ 246
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4,9–11
der Menschen redet, einer Gottesverehrung, die diesen göttlichen Gaben entspricht (V. 20–23). Daß V. 10 mit seiner wörtlichen Wiederaufnahme der ungewöhnlichen Bitte d∙" moi peõn aus V. 7 kohärenter Bestandteil eines kunstvoll komponierten Dialogteils ist, der in der Bitte der Frau: k‚rie d∙" moi toúto tÖ ædwr (V. 15) gipfelt, hätte man nicht bezweifeln sollen. Zu derartigen Zweifeln und den entsprechenden Rekonstruktionsversuchen, die in der Regel auf literarkritischen Eingriffen basieren, vgl. Teresa Okure 58 ff. Statt uns auf derartige Irrwege in das Labyrinth einer u. E. fruchtlosen Textarchäologie verlocken zu lassen, fahren wir darum – unter der Voraussetzung der Kohärenz des überlieferten Textes – mit dessen Interpretation fort, zumal uns im Gegensatz zu allen derartigen Versuchen mit Windisch (Erzählungsstil 178 ff) Joh 4 als einer der Höhepunkte johanneischer Erzählkunst erscheint. Darum können wir in den vermeintlichen „Brüchen“ und „Spannungen“ in der Erzählung nicht die Eröffnung der Lizenz zur Literarkritik sehen. Vielmehr müssen wir versuchen, solche Leerstellen und Spannungen als „dramaturgische Mittel“ der Darstellung zu begreifen, die den Leser nötigen, die Textkohärenz durch seine Lektüre erst herzustellen (vgl. Rebell 178 ff). In diesem Licht erscheint auch V. 10 keineswegs als ein Bruch (Schottroff, Joh 4,5–15: 201), sondern als die kunstvolle Weiterführung des begonnenen Gesprächs auf einer neuen Ebene. Die Fügung: e¢ Ô≥dei" tÉn dwreÅn toú jeoú kaÑ t‡" †stin ¨ lfigwn soi ist ein Hendiadyoin, in dem das ka‡ die Gabe Gottes dadurch expliziert, daß es sie mit dem identifiziert, der soeben gesagt hatte: d∙" moi peõn. Das begreift freilich einstweilen nur der aufmerksame Leser, dem ja nicht verborgen bleiben kann, daß im Hintergrund des bei Joh nur hier erscheinenden nominalen Lexems dwre› und seiner Näherbestimmung als „Gabe Gottes“ der zentrale verbale Satz des vorausgegangenen Nikodemusgesprächs steht: oætw" gÅr °g›phsen ¨ jeÖ" tÖn k∙smon, øste tÖn u´Ön tÖn monogenö ≤dwken ktl. (3,16; das Nomen dwre›, Hapaxlegomenon bei Joh, kommt im gesamten NT nur 11mal vor). Weil die so in eine absichtsvolle Spannung zum impliziten Leser versetzte samaritanische Frau diese kontextuelle Verknüpfung natürlich nicht zu sehen vermag, müssen Jesu Worte ihr einstweilen noch rätselhaft bleiben. Dem Leser dagegen wird der hier vermutete Hintergrund der Worte Jesu am Ende unserer Szene zur Gewißheit, wenn die durch die Zeugenschaft der Frau zu Jesus gekommenen Samaritaner bekennen: oñt∙" †stin ülhjù" ¨ swtÉr toú k∙smou (4,42). Denn dieses Bekenntnis ist nicht ein samaritanisches oder allgemein hellenistisches Spezifikum, sondern wiederum die nominale Aufnahme des verbalen Satzes: o§ gÅr üpfisteilen ¨ jeÖ" tÖn u´Ön e¢" tÖn k∙smon ´na kr‡nÔh tÖn k∙smon, üllû ºna swjÔö ¨ k∙smo" diû a§toú (3,17). Könnte die Frau all das jetzt schon erkennen, dann kehrte sich die Lage um; und anstelle des durstenden Fremden würde sie zur Bittenden: sÜ …n Ô≥thsa" kaÑ ≤dwken ±n soi ædwr zùn. Doch einstweilen verschließt ihr das Mißverständnis der doppeldeutigen Rede vom ædwr zùn noch diese ‚Umkehr‘. 11 f: Wie oben bereits gesagt, wird hier deutlich, daß der heilige Jakobsbrunnen eine ‚gefaßte Quelle‘ ist, so daß an seinem Grunde ædwr zùn, lebendiges Wasser sprudelt. Daß Jesus aber nicht von dieser erfrischenden Variante irdischen Wassers, sondern symbolisch von einem ganz anderen Wasser geredet hat, das ewiges Leben zu verleihen vermag, bleibt der Frau noch verschlossen. Im Besitz ihres ‚Schöpfgefäßes‘ fühlt sie sich dem Fremdling überlegen. Und so fragt sie ihn, wie er angesichts der Tiefe des Brunnens ohne eine entsprechende Ausrüstung an dessen lebendiges Wasser gelangen 247
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will. Ihre zweite Frage setzt wohl die mit dem Namen Jakobs verbundene ‚Brunnenlegende‘ voraus, nach der Jakob keines Schöpfgefäßes bedurfte, weil der ihn auf seiner Reise seit Haran begleitende Brunnen in seiner Gegenwart und seiner Gerechtigkeit wegen stets überquoll, so daß er, seine Söhne und seine Herden ohne Mühe davon trinken konnten (s. o. u. vgl. Neyrey, Jacob Traditions 422 ff). Die nachdrückliche Betonung, daß nicht nur Jakob selbst, sondern auch seine Söhne und seine Herden aus diesem Brunnen getrunken haben, läßt an Labans Brunnen vor den Toren Harans denken, an die Begegnung des vor Esau fliehenden Patriarchen mit Rachel und an sein Hirtendasein im Dienste Labans. Die Targumim zu Num 21,19 deuten den Ortsnamen hntm übereinstimmend als Gottes Gabe, indem sie Mattanah etymologisch von ˆtn ableiten (vgl. Neyrey, ebd. 423 f). Wenn er Jesus sagen läßt: „Wenn du doch die Gabe Gottes erkenntest“, dürfte der Erzähler mit dieser Überlieferung spielen. So mag er auf der vordergründigen Ebene an den wunderbaren Brunnen, den Gott seinem Volk einst ‚gab‘ (Num 21,16), erinnern. Aber Jesus hatte ja mehr als das gesagt: Er hatte sich selbst mit dieser ‚Gabe Gottes‘ identifiziert. War er es also, der sein Volk Israel auf allen seinen Wegen als der wasserspendende Brunnen begleitet hat? Darf man den Satz, der von Mose sagt: perÑ gÅr †moú †keõno" ≤grayen (5,46; s. u. z. St. sowie zu 7,37–39 und 19,34) so verstehen, daß Mose in all den Brunnengeschichten und zumal in Num 21,15 ff von Jesus als dem ‚lebendigen Wasser‘ geschrieben hat? Und muß nicht in Analogie zu Jesu Wort über das Manna: ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn: o§ Mwnsö" dfidwken ≠mõn tÖn ±rton †k toú o§ranoú: üllû ¨ patflr mou d‡dwsin ≠mõn tÖn ±rton †k toú o§ranoú tÖn ülhjin∙n (6,32), auch von diesem Brunnen gelten: Nicht Jakob gab euch lebendiges Wasser, sondern mein Vater gibt euch den wahren Quell des Lebenswassers? 13 f: Die Art der Antwort macht deutlich, daß Jesus in der Tat beansprucht, nicht nur „größer“ als Jakob, sondern mit dem Patriarchen schlechthin unvergleichbar zu sein. Die antithetische Gestalt dieses Offenbarungswortes, dessen Ton deutlich auf dem Nachsatz (V. 14) liegt, ist typisch für unser Evangelium (vgl. 3,6.12.20 f. 36; 6,49–51; 11,9 f u. ö.). „The response of Jesus … claims that he is not just a latterday Jacob or even that Jacob was a type of Christ. A more radical claim is made: Jesus supplants/ replaces Jacob. The woman’s question in 4,12 seems to contain a pun, implying that Jesus is supplanting Jacob, the Supplanter, thus doing to Jacob what he did to Esau“ (Neyrey, ebd. 424). Daß die Wendung ædwr zùn im gesamten NT nur in unserer Szene und Joh 7,37–39 begegnet, wurde oben bereits gesagt. Nahe verwandt ist ihr die Rede der Apk von den „Quellen der Wasser des Lebens“ (7,17) und die Verheißung: †gá tù diyùnti d„sw †k tö" phgö" toú ædato" tö" zwö" dwre›n (Apk 21,6; vgl. 22,1.17). Daß Joh aber nicht, wie die genannten Stellen der Apk und etwa Jer 2,13 vom „Wasser des Lebens“ redet, sondern stattdessen die doppeldeutige Wendung ædwr zùn der biblischen Brunnentradition (Gen 26,19 u. ö.) bevorzugt, hängt einerseits mit dem Jakobsbrunnen als Schauplatz unserer Szene zusammen und ist andererseits darin begründet, daß nur dieser ambivalente Ausdruck das Mißverständnis zu provozieren vermag, das sich nicht nur für den Leser, sondern am Ende auch für die mißverstehende Samaritanerin selbst als produktiv erweisen wird. Während die Frau die Qualität des frischen Quellwassers aus dem Jakobsbrunnen im Auge hat, redet Jesus von einem ganz andersartigen ‚Wasser‘ und von einer Quelle, die dem Jakobsbrunnen unendlich überlegen ist. Wie sich 248
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4,12–14
Gott selbst die phgÉ ædato" zwö" nennt und sein Volk anklagt, daß es ihn verlassen hat (Jer 2,13), so erscheint Jesus hier als die unversiegliche Quelle des Lebenswassers (V. 10). Und dieses Wasser „wird er geben“. Gleich zweifach und darum gewiß nicht zufällig begegnet in V. 14 das Futurum d„sw. Über den Zeitpunkt dieses Gebens ist dabei einstweilen noch nichts gesagt. Aber mit Olsson (Structure 213 ff) wird man den V. 21 ff entnehmen dürfen, daß Jesus das Lebenswasser dann geben wird, wenn seine „Stunde“ gekommen ist (s. o. zu 2,4). Und das ganze Evangelium macht deutlich, daß diese kommende øra die Stunde seiner Verherrlichung und Erhöhung an das Kreuz von Golgatha ist. Mit der einzigen ‚Wiederaufnahme‘ der Wendung vom ædwr zùn, wird Jesus später feierlich bezeugen: „Wen da dürstet, der komme zu mir / Und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: ‚Es werden Ströme lebendigen Wassers aus seinem Leibe fließen‘“. Und das kommentiert der Erzähler dann sogleich so: „Das sagte er aber über den Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glauben. Noch gab es den Geist jedoch nicht, denn Jesus war ja noch nicht verherrlicht“ (7,37–39; zu dieser Übersetzung der Passage und zur Beziehung der Wendung †k tö" koil‡a" a§toú auf den Leib Jesu und nicht des Glaubenden s. u. z. St.). Was die Samaritanerin einstweilen noch nicht wissen und der Leser bestenfalls nur ahnen kann, wird hier endlich deutlich ausgesprochen. Und zugleich wird jetzt klar, daß die Metapher ædwr zùn die biblische Verheißung aufnimmt, wonach Gott ‚in den letzten Tagen‘ seinen lebendigmachenden und von aller Sünde und Unreinheit reinigenden Geist über alles Fleisch ausgießen will: „Ωti †gá d„sw ædwr †n d‡yei toõ" poreu∙menoi" †n ün‚drw, †pijflsw tÖ pneúm› mou †pÑ tÖ spfirma sou ktl. (Jes 44,3; vgl. Sach 12,9; 13,1; 14,8; Ez 47; Jes 32,15; Joel 4,18). Wie der auferstandene Jesus nach Joh 2,20 f der endzeitliche ‚Tempel Gottes‘ ist, so ist er auch die wunderbare Quelle, die am ‚Tag Jhwhs‘ aus dem Tempel entspringen und deren Wasser das Tote mit Leben erfüllen wird. Daß in diesem Licht auch das Strömen von Blut und Wasser aus der durchbohrten Seite Jesu gelesen sein will, wird unten zu Joh 19,31–37 zu begründen sein. Der Gebrauch des Verbums πllomai in der Wendung: üllÅ tÖ ædwr ≈ d„sw a§tù genflsetai †n a§tù phgÉ ædato" ®llomfinou e¢" zwÉn a¢„nion ist ungewöhnlich, denn es drückt in der Regel das ‚Hüpfen‘ und ‚Springen‘ von Mensch oder Tier aus und wird u.W. nie für das ‚Sprudeln‘ von Wasser gebraucht. Darum hatte schon Bernard z. St. erklärt: „But water in this passage is symbolic of the Spirit“ (Komm. I, 141). Die ganze Wendung wird meist so gedeutet, „daß dieses Wasser den Empfänger zu ewigem Leben führt. … Aber eigentlich steht doch da: Dieses Quellwasser wird im Empfänger zu einer Quelle. Das legt eine andere Deutung nahe: Wen Jesus durch seinen Geist zu Gott führt, der wird selbst zur Quelle, zum Heilbringer für andere. Das erfüllt sich tatsächlich bei der Samaritanerin: selbst zum Glauben gekommen, führt sie die Samaritaner zum Glauben“ (Haenchen, Komm. 241). Will aber Jesu Rede davon, daß er ædwr zùn geben wird, als metaphorische Verheißung der endzeitlichen Ausgießung des belebenden Gottesgeistes begriffen sein, dann ist dieses ‚Lebenswasser‘ auch das Band, das die beiden Gesprächsgänge Jesu mit der Samaritanerin fest miteinander verknüpft. Denn auch die in V. 21 ff verheißene Anbetung Gottes „im Geist und in der Wahrheit“ durch seine ‚wahren Anbeter‘ (ülhjinoÑ proskunhta‡) setzt ja die Präsenz des „Geistes der Wahrheit“ (14,17) voraus, dessen „Ausgießung“ erst in der „Stunde Jesu“ geschehen wird. Darum könnte man sagen, daß sich das „Trinken des Lebenswassers“ in eben diesem proskuneõn vollziehen wird. Doch damit greifen wir bereits allzuweit vor. 249
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15: Ludger Schenke kommentiert den Vers so: „Dies (sc. nämlich das in V. 13 f soeben beschriebene) wunderbare Wasser erbittet die Frau von Jesus. Von einem Mißverständnis kann keine Rede sein. Sie folgt genau der Spur Jesu. Er hat sie in 4,10 doch aufgefordert, diese Bitte auszusprechen, und in 4,13 f hat er den Vorteil seines Wassers gegenüber dem natürlichen Wasser hervorgehoben, dessen sich die Frau nun versichern will. Ihre Bitte ist darum den Worten Jesu vollkommen gemäß, und der Leser versteht, daß jetzt folgen muß, was Jesus in 4,10 in Aussicht gestellt hat: und er wird dir lebendiges Wasser geben. Unter diesem Vorzeichen ist der folgende Gesprächsgang zu lesen“ (Komm. 86 f). Man möchte dem zustimmen und ihm doch zugleich widersprechen. Denn die Ironie besteht doch darin, daß die Frau einstweilen weder weiß, was sie da erbittet, noch, von wem sie es erbittet: „Her ignorance highlights the irony of her response, for the comprehending reader knows that the woman is making the correct request in spite of herself “ (O’Day, Revelation 64). Und so problemlos, wie L. Schenke voraussetzt, scheint uns die dualistische Rede von irdischem und himmlischem Wasser auch wohl nicht zu funktionieren. Der Leser weiß ja um die immer noch unerfüllte Bitte des durstenden Jesus: „Gib mir zu trinken!“ Und er weiß, daß die Frau auch in Zukunft immer wieder zum Brunnen gehen und für sich und die Ihren irdisches Wasser schöpfen wird. Darum führen denn auch zahlreiche Ausleger die Bitte der Samaritanerin, obwohl sie „den Worten Jesu vollkommen gemäß“ zu sein scheint, auf eines der für unser Evangelium typischen Mißverständnisse zurück und behandeln unsere Szene als ein Beispiel der ironischen Erzählkunst seines Autors (vgl. O’Day, Revelation pass.; Duke, Irony pass.; Staley, First Kiss 95 ff). Moore (Literary Criticism 159 ff) resümiert die einschlägige Diskussion so: „Jesus breaks with the literal sense of water drawn from the well to introduce the superseding ‚living water‘ that he himself dispenses and that prevents those who drink it from ever thirsting again, becoming a spring in them that wells up to eternal life (4,10.13–14). But the woman, incapable of distinguishing the literal and material from the figural and spiritual, says, ‚Sir, give me this water, that I may not thirst, nor come here to draw‘ (4,15; cf. 4,11). A two-storey ironic structure is errected. ‚Below‘ is the apparent meaning, which the woman as unwitting victim reads. ‚Above‘ is a higher level of meaning of which the woman is unaware, in sharp contrast to the reading or listening audience“ (160). Wohl gilt von aller Ironie: „Irony is a matter of perception and it must, to become manifest, be seen by an observer or it does not exist“ (Amante 81). Da aber die Fleischwerdung des l∙go" die dualistische Antithese von Irdischem und Himmlischem ein für alle Male durchkreuzt hat, bleibt zu fragen, ob die überlegene Attitüde des impliziten Lesers, in der er die unverständige samaritanische Frau als das Opfer der Ironie Jesu wähnt, nicht allzu voreilig und unbesonnen ist. Denn einmal wird auch er ja erst sehr viel später, nämlich am ‚Hohen Tag‘ des Laubhüttenfestes, erfahren, daß das ‚wunderbare Wasser‘, das Jesus geben wird, der lebendigmachende Gottesgeist ist (7,37 ff); und zum anderen wird auf der Erzählebene dieser Geist erst in dem Augenblick „gegeben“ werden, da der Gekreuzigte mit dem Ausruf: diyù seine frühere Bitte d∙" moi peõn sterbend wiederholt (vgl. das absichtsvoll doppeldeutige parfidwken tÖ pneúma in 19,30 u. s. u. z. St.) „Later at the crucifixion scene the tables were turned, uncannily, on the canny reader, who is extended the same sublime incapacity as the woman (and Nicodemus, the crowd in John 6, the disciples in John 16, etc.) to cleanly and confidently separate the literal from the figural, a separation on which the irony at the well depended. But who perceives the reader’s ironic dilemma at the death scene?“ (Moore, ebd. 160). Das ‚ironische Dilemma‘ des Lesers entsteht da, wo seine Fähigkeit, zwischen ‚literaler‘ und ‚figuraler‘ Bedeutung zu unterscheiden, zusammenbricht, weil die Ironie
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verschlungen wird von dem Paradox, daß der getötete Leib Jesu zur Quelle des verheißenen ædwr zùn und damit der Tod zum Ursprung des Lebens wird (19,28 ff). Jenseits dieses Zusammenbruchs der Ironie im Paradox, der aber bereits seit dem Satz: kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto insgeheim das gesamte Evangelium bestimmt, kann man darum seine Ironie auch kaum als einen Offenbarungs‑ modus bezeichnen (O’Day: „Irony as a Revelatory Mode“, Revelation 31 f), zumal „the primary observation to be made about Irony is not its revelatory power, but its effectiveness in suspending meaning. For in the first place irony prevents meaning from being present in the clear light of consciousness“ (Kelber, Beginning 88). Ungebrochen durch das Paradox der Fleischwerdung und des Todes vermöchte die Ironie als „Offenbarungsmodus“ den Leser ja nur auf ein dualistisches Weltbild zu fixieren. Es bleibt aber Moores Frage: „But who perceives the reader’s ironic dilemma?“ Und da kann die Antwort nur lauten, daß der Leser allein auf dem Weg der Relektüre seiner eigenen Lektüre von diesem paradoxen Ende her, das in keinerlei Ontologie verortet werden kann, seines eigenen „ironischen Dilemmas“ innezuwerden vermag (vgl. Moore, ebd. 168 ff).
Mit der korrekten, gleichwohl aber noch unverstandenen Bitte der Frau um das Lebenswasser Jesu endet der erste Gang des Gesprächs am Brunnen nach Art einer Ringkomposition (vgl. Rebell 174). Boers macht zu Recht darauf aufmerksam, daß die symbolische Inanspruchnahme des Dürstens nach irdischem Wasser und des Hungerns nach irdischer Speise (4,31 ff) und die damit verbundene negative Wertung dieser irdischen Güter keine „affirmation of asceticism“ ist. Allein ihre Wertung stehe vielmehr in Opposition zum ‚Tun des Willens Gottes‘, der hier durch das ‚Wasser des Lebens‘ und Jesu ‚andere Speise‘ repräsentiert werde (168). Nur als diese zwar relativierten, gleichwohl aber lebensnotwendigen Gaben Gottes sind irdisches Wasser und natürliche Speise ja überhaupt tauglich, jene symbolischen Obertöne erklingen zu lassen (vgl. Okure 95). So könnte der alte Jakobsbrunnen der Frau auf dieser neuen Ebene am Ende noch gewichtiger geworden sein, als er es vor ihrer Begegnung mit Jesus war. 16 f: Der neue Abschnitt und zweite Gesprächsgang (4,16–26), von Boers treffend unter der Überschrift: „Jesus becomes credible“ behandelt (169 ff), ist mit dem vorausgegangenen durch die ironische Wiederaufnahme des Lexems †nj›de verknüpft: Hatte die Frau Jesus soeben gebeten, ihr von seinem wunderbaren Wasser zu geben, damit sie in Zukunft nicht wieder „hierher“ (†nj›de) zum Brunnen gehen müsse, so fordert Jesus sie nun auf, ihren Mann zu rufen und mit ihm „hierher“ (†nj›de) zu kommen (vgl. O’Day, Revelation 66; u. Rebell 182). Auch wenn diese Aufforderung Jesu im Textzusammenhang natürlich als der Übergang fungiert, der es Jesus ermöglicht, der Frau sein wunderbares Wissen von ihrer Lebensgeschichte zu offenbaren und so ihr Vertrauen zu gewinnen (vgl. 1,42.47–49), sollte man die erzählte Welt doch nicht völlig verdrängen und behaupten, der „kritische Leser“ wisse im Gegensatz zu der erzählten Samaritanerin, daß Jesus real gar nicht erwarte, deren Mann zu begegnen (Boers 169 f). Denn die Erzählung verlöre den für sie doch konstitutiven Zug des Verisimile, wenn Jesu Aufforderung an die Frau, ihren Mann zu holen, lediglich ein literarischer Trick wäre, sein göttliches Allwissen an die Frau zu bringen. Der erzählte Jesus muß bei seiner Aufforderung also schon eben den Mann im Auge gehabt haben, von dem die Frau dann erklärt: o§k ±cw ≤ndra. Diese Auskunft nennt Lindars treffend „a white lie“. Das mit „Notlüge“ zu übersetzen, wäre sicher schon zu stark, denn was die Frau sagt, ist vielmehr in dem Sinne ‚a white lie‘, wie wir alle ja nicht immer und in jedem Gesprächszusammenhang die ganze Wahrheit sagen. Deshalb sieht Lindars zu Recht auch keinen Anlaß zu der gelegentlich ausgesprochenen Mutmaßung, daß die Frau die Wahrheit über ihr Leben aus Scham verheimliche (Komm. 185). Im Gegenteil! Die 251
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Frau erweist sich ja als eine äußerst selbstbewußte und ‑bestimmte Gesprächspartnerin Jesu, dessen wissender Blick auf ihr vergangenes Leben ebenfalls keinerlei moralistische Wertung erkennen läßt. Im Blick auf die Frauenfiguren unseres Evangeliums, nämlich die ‚Mutter Jesu‘, die Samaritanerin, die Lazarusschwestern Maria und Martha (Joh 11) und Maria Magdalena (Joh 20), erklärt S. M. Schneiders: „These women do not appear dependent on husbands or other male legitimators, nor as seeking permission for their activities from male officials. They evince remarkable originality in their relationships within the community.“ (Women 44). 17bf: Aus der weiteren – wenn auch wohl fiktionalen – Erzählung (vgl. insbesondere V. 29 u. 39: Ωti eèpen moi p›nta ¡ †po‡hsa) wird deutlich, daß Jesus hier von dem realen Leben der Samaritanerin redet. Es handelt sich also keinesfalls um eine Allegorie. Das schließt freilich nicht aus, daß hier wiederum zugleich symbolische Obertöne im Spiel sein könnten, so daß die Erzählung zum einen auf ihrer narrativen und zum anderen auf ihrer symbolischen Ebene gelesen sein will (vgl. Olsson, Meaning 250). Die deutliche Rahmung der Antwort Jesu durch kalù" eèpa" am Anfang und toúto ülhjÇ" e¥rhka" am Ende hebt das Gewicht dessen hervor, was die Frau gesagt hat. Wie Mt 15,7; Mk 7,6; 12,28.32; Lk 6,26 u. ö. ist kalù" mit einem Verbum des Sagens ununterscheidbar synonym mit ülhjÇ" lfigein (vgl. Olsson, Structure 185). In der Antwort, mit der Jesus begründet (g›r), daß die Frau die Wahrheit gesagt hat, erscheint das Lexem ünflr gleich dreifach. Und wenn er am Ende sagt: kaÑ nún ≈n ≤cei" o§k ≤stin sou ünflr: toúto ülhjÇ" e¥rhka", bestätigt er damit ironisch die Wahrheit sogar der ‚(Not‑)Lüge‘ der Samaritanerin (vgl. Lindars, Komm. 186). Die Tempora des Verbums ≤cein und zumal die Partikel nún markieren eine deutliche Unterscheidung der Zeiten: „Einst“ hatte die Frau fünf Männer, „jetzt“ aber hat sie nur noch einen, doch der ‚gehört ihr nicht‘ (o§k ≤stin sou ünflr). Da es sich, wie oben bereits gesagt, um ein „Gespräch unter vier Augen“ handelt, kommt es allein darauf an, daß die Frau Jesu Worte als die Wahrheit über ihr Leben begreift. Und daß sie Jesus so verstanden hat, wird sie selbst danach gleich zweifach bestätigen (V. 19 u. 29). Weil das, was es mit ihren Männergeschichten auf sich hat, allein die Frau angeht, kann es – und soll es wohl auch – für den Leser im Dunkeln bleiben. Er erfährt nicht, ob sie die einstigen fünf Männer etwa gleichzeitig „gehabt hat“ oder ob die womöglich einer nach dem anderen gestorben sind, oder ob sie gar die Ehe aufgekündigt und sich geschieden haben, weil diese Frau ihnen unerträglich geworden war. Angesichts des intimen Charakters dieses Gesprächs sollte der Leser seine Neugier bezähmen und sich alles Spekulieren darüber verboten sein lassen. Das gilt auch für Erwägungen über Ehescheidungen und Wiederverheiratungen bei Bill. II, 437; für Lindars’ Hinweis auf Jesu absolutes Scheidungsverbot in Mk 10,2 ff parr. (Komm. 186); und für die moralinsauren Bemerkungen Zahns über das „Schimpfliche des Lebenswandels“ sowie „Leichtsinn und ungebändigte Sinnlichkeit“ der Samaritanerin (Komm. 244). Da unser gesamtes Kapitel aber an einem samaritanischen Heiligtum spielt und die Frau gewissermaßen als Repräsentantin der Samaritaner auftritt, und da die Szene durchgehend von der Spannung zwischen Juden und Samaritanern sowie zwischen dem Tempelkult in Jerusalem und auf dem Garizim bestimmt ist, sollte der Leser die signifikante Fünfzahl der einstigen Männer dieser Frau, die ja tatsächlich „unwahrscheinlich übertrieben“ zu sein scheint (Lindars), doch wohl als Signal für den symbolischen Modus der Erzählung wahrnehmen. Den Weg dazu weist eine biblische 252
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,17–18
Erzählung: Nach 2Kön 17,24 ff siedelte der assyrische König nach der Zerstörung des Nordreiches Israel fünf Völkerschaften in den Städten Samarias an, deren jede ihren eigenen Gott verehrte. Als der eifersüchtige Jhwh daraufhin Löwen unter ihnen wüten ließ, sandte der König Assyriens einen der weggeführten Jhwh-Priester zurück, „damit der sie in der dem Landesgott gebührenden Verehrung unterweise“ (V. 27). Auf diese biblische Erzählung könnte unsere Szene anspielen. (Dazu, daß realgeschichtlich natürlich nicht die gesamte Bevölkerung Israels, sondern nur deren Oberschicht und zumal die Priesterschaft exiliert wurde, vgl. Kippenberg 35 ff). Die Rede von Jhwh als dem ‚Ehemann‘ (ünflr) und von Israel als seiner ‚Ehefrau‘ (gunfl) hatte Hosea bereits in die religiöse Sprache des Gottesvolkes eingeführt (vgl. Hos 2,4.9.18 LXX u. siehe Olsson, Structure 186). Auf dieser Spur symbolisierten dann die fünf einstigen ‚Männer‘ der Samaritanerin zugleich jene heidnischen Götter und ihr gegenwärtiger „Nicht-Mann“ wäre Symbol des in jüdischen Augen mehr oder weniger synkretistischen Jhwh-Kultes der Samaritaner (vgl. Hos 2,4 LXX: Ωti a§tÉ o§ gunfl mou, kaÑ †gá o§k ünÉr a§tö"). Dazu fügte es sich gut, daß u. W. nur Johannes die Wendung, ‚einen Freund, einen Vater, eine Frau, einen Bruder oder einen Herrn haben‘ (≤cein) auf Gott überträgt und etwa sagen kann: pô" ¨ ürno‚meno" tÖn u´Ön o§dÇ tÖn patfira ≤cei, ¨ ¨mologùn tÖn u´Ön kaÑ tÖn patfira ≤cei (1Joh 2,23; vgl. 5,12; 2Joh 9; und siehe Hanse, ThWNT II, 822 f; Bauer WB s. v., und Olsson, ebd. 185). Unter dem Aspekt solcher Symbolik muß man dann auch die folgende Frage der Frau (V. 19 f) nicht mehr als plumpes rhetorisches Manöver verstehen, als ihren Versuch, Jesus durch die Einführung eines neuen Themas von ihrer vermeintlich „sündhaften“ Lebensgeschichte abzulenken. Vielmehr ergibt sich so eine erstaunliche Kohärenz der gesamten Szene. Die meisten Exegeten nehmen jedoch das für den symbolischen Modus konstitutive ‚Zugleich‘ von narrativer und symbolischer Ebene nicht wahr und wissen ihn nicht von dem allegorischen Modus zu unterscheiden. Und weil sie eine allegorische Interpretation der Szene zu Recht verwerfen, trifft dieses Urteil auch deren möglichen Symbolismus. Lindars’ Auslegung mag das verdeutlichen: „So the woman has to be shown as morally inferior to the Jews, and to this extent she is representative of how they felt about all Samaritans. This really is sufficient to account for the number five; but it looks odd, and so invites speculation. In fact it is the trump card of the allegorical interpretation (sic!). For in 2Kg 17,24 we are told that the Assyrians repopulated the cities of Samaria with people of five different nations, who naturally brought their own forms of worship. The same account (verses 30 f) gives the names of seven gods, but Josephus (Ant IX, 287) manages to reduce them to five. The result was a religious syncretism abhorrent to the Jews still holding out against the Assyrians in the southern kingdom. On the allegorical view, the woman with five husbands is the Samaritan religion contaminated with five forms of idolatry; but the details must not be pressed, for she did not have her husbands concurrently, as the suggestion of syncretism naturally implies. It can then be argued that the next step of the argument follows naturally on this indication of impurity of religion. … But this will not really hold, for in NT times Samaritan religion was not seriously syncretistic, and was firmly based on the Law of Moses …; and the most remarkable fact of the whole discourse is its awareness of current issues. To drag up a piece of ancient history by means of a doubtful allusion is simply not relevant. The allegorical view (sic!) is rejected by Bernard, Bultmann, Brown, Sanders and Schnackenburg, among recent commentators“ (Komm. 186 f).
Dabei erklärt gerade der zuletzt genannte Schnackenburg immerhin: „Nach dem Folgenden, besonders V. 29.39.42 nimmt der Evangelist die Frau und ihr Vorleben im 253
4,1–42
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
individuellen Sinn ernst; so ist jene symbolische Deutung, wenigstens als einzige und iso‑ lierte, abwegig“ (Komm. I, 468; Hervorhebung H. Th.). Zudem kommt es im Kontext von Joh 4 ja nicht darauf an, ob die Religion der Samaritaner zur Zeit Jesu in der Sicht des Religionshistorikers „seriously syncretistic“ war oder nicht, sondern allein darauf, daß sie jedenfalls in den Augen der Juden eine falsche Gottesverehrung war. Wenigstens als Möglichkeit, unseren Text zu verstehen, sieht das Barrett, wenn er erklärt: „Der eine, der ‚nicht ein Ehemann‘ ist, repräsentiert entweder einen falschen Gott (man hat an Simon Magus gedacht) oder die falsche Verehrung des wahren Gottes durch die Samaritaner“ (Komm. 253). Dabei hat Boers der Erwägung, daß es sich um „einen falschen Gott“ handeln könnte, begründet widersprochen: „There is not the slightest hint that her question (V. 20) has anything to do with the god who is worshipped; neither is it an issue in Jesus’ reply (V. 21.23); in both cases the issue is the correct place of worship“ (172). Die andere von Barrett genannte Möglichkeit, daß Jesus nämlich mit seinem Wort: kaÑ nún ≈n ≤cei" o§k ≤stin sou ünflr, „die falsche Verehrung des wahren Gottes durch die Samaritaner“ im Auge gehabt haben könnte, erörtert Boers leider gar nicht. Dabei zeigt doch V. 22 deutlich, daß es eben nicht nur um den richtigen Platz, sondern zugleich damit auch um die rechte Weise der Anbetung Gottes geht. Und auf einen, der einen Gott anbetet, den er nicht kennt (V. 22), ist die Metapher von Gott als dem ‚Ehemann‘ und der ihn anrufenden Gemeinschaft als seiner ‚Ehefrau‘ ja schwerlich anwendbar. Darum hat Boers die Akten über die symbolischen Obertöne unserer Szene wohl zu früh und mit zu negativem Resultat geschlossen. 19 f: War der Vokativ k‚rie in V. 11 nur die konventionelle Formel der höflichen Anrede eines Fremden, so mischt sich in dessen Wiederholung in V. 15 vielleicht schon erstaunter Respekt vor diesem Juden. Vollends in die Nähe einer hoheitlichen Prädikation gerät die Anrede Jesu aber erst mit dem Satz: k‚rie, jewrù Ωti profflth" eè s‚. Denn mit der Qualifikation Jesu als ‚Prophet‘ zeigt die Samaritanerin, daß sie auf dem Wege ist zu begreifen: „Wer der ist, der zu ihr gesagt hatte: Gib mir zu trinken!“ (V. 10), und mit der prophetischen Sendung Jesu erkennt sie, wie ihre folgende Frage zeigt, zugleich seine religiöse Kompetenz und Gottesnähe an: „Unsere Väter haben auf diesem Berg (nämlich dem Garizim Gott) angebetet, ihr (Juden aber) behauptet, daß (einzig) Jerusalem der Ort sei, wo man Gott anbeten muß“. Mit dieser indirekten Frage offenbart die Frau, was sie unter dem indefiniten ‚ein Prophet‘ (profflth") versteht: Denn „it is well known that the Samaritans rejected the prophetic books and that the only prophet they recognized was the one who was to return (Deut 18,15–18). In v 19, the woman simply recognizes Jesus as a Jewish prophet. v 20 supports this interpretation; the juxtaposition of ‚our fathers‘ and ‚you‘ shows that in the woman’s mind, Jesus remains essentially a Jew, a Jewish prophet, no doubt, but a Jew nontheless. Jesus’ own remark in v 22 underscores this point“ (Okure 114; dagegen will Kippenberg [313] – u. E. zu Unrecht – hier den ältesten Beleg für die samaritanische „Erwartung des Propheten wie Mose“ erkennen). Nachdem die Samaritanerin Jesus als einen ‚Propheten‘ erkannt hat und ihn entsprechend respektiert, stellt sie ihm indirekt die Frage nach dem rechten Ort der Anbetung Jhwhs: o´ patfire" ™mùn †n tù µrei to‚tw prosk‚nhsan: kaÑ ≠meõ" lfigete Ωti †n ßIerosol‚moi" †stÑn ¨ t∙po" Ωpou proskuneõn deõ. Vor dem soeben im Exkurs erörterten Hintergrund zeigt diese Formulierung, daß hier durch den Aorist prosk‚nhsan die uralte Praxis „unserer Väter“ dem viel späteren Jerusalem-Dogma der Juden in der 254
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,18–21
präsentischen Form ≠meõ" lfigete entgegengestellt wird. Damit wird deutlich, daß es der Frau also um nichts Geringeres als um die Frage nach der göttlichen Autorisierung des jeweiligen Kultortes geht. Zu den „Vätern“, die Gott auf dem Garizim verehrt haben, gehören nach V. 6 und 12 bereits die Patriarchen Jakob und Joseph. Ja, schon längst vor diesen hat nach der Tradition der Samaritaner der Erzvater Abraham hier die Akeda Isaaks vollzogen. Seit jener Stunde wohnt darum die göttliche Schekina zusammen mit den Engeln und der Mose-Tora unsichtbar über diesem heiligen Berg. Und all das begründet in den Augen der Samaritaner seine Priorität und Überlegenheit dem erst seit der Ära Davids geltenden Grundsatz gegenüber, „daß man in Jerusalem anbeten muß“ (vgl. Montgomery, Samaritans 236–239, und Okure 115). 21–24: Diese Passage ist die längste Rede der gesamten Szene. Ihr besonderes Gewicht ist durch die einführenden Worte: p‡steufi moi, g‚nai, markiert. Wie der Vergleich dieser Aufforderung mit dem verwandten Satz: ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn Ωti ≤rcetai Æra kaÑ nún †stin ktl. (5,25) zeigt, ist sie mit dem für unser Evangelium typischen doppelten nichtresponsorischen Amen der Redeeröffnung Jesu nahezu synonym (vgl. Bultmann z. St., u. Olsson 188). Dennoch verdient aber die bei Johannes „singuläre“ Gestalt dieser „Aufforderung zum Vertrauen“ Beachtung (Leidig 97). Denn sie entspricht der ebenfalls singulären Situation dieses Gesprächs eines jüdischen Mannes mit einer samaritanischen Frau. Mit deren persönlicher Anrede, „g‚nai“, signalisiert Jesus ihr zugleich, daß sie (und mit ihr der implizite Leser) nun etwas schlechthin Neues, etwas ‚de novissimis‘ hören wird, mit dem sie nicht hat rechnen können (vgl. Leidig ebd.). Denn statt auf ihre Frage nach dem rechten Ort der Proskynese zu antworten, redet Jesus von der rechten Art und der nahen Zeit der wahren Anbetung und relativiert damit die Juden und Samaritaner trennende Frage nach deren rechtem Ort: ≤rcetai øra Ωte o∂te †n tù µrei to‚tw o∂te †n ßIerosol‚moi" proskunflsete tù patr‡. Hatte die Samaritanerin von „unserem Vater Jakob“ und von „unseren Vätern“ geredet, um so den Kult auf dem Garizim zu legitimieren, so benennt Jesus mit diesem Prädikat (tù patr‡) nun Gott als seinen ‚Vater‘, der, sobald mit der eben verheißenen ‚Stunde‘ die Zeit der ‚neuen Geburt‘ aus dem Geist angebrochen ist, als der Vater aller, „die an den Sohn glauben“ (3,36), seien sie nun Juden, Samaritaner oder Heiden, gemeinsam von ihnen allen angebetet werden wird: proskunflsete (vgl. 20,17, wo Jesus in der österlichen ‚Stunde‘ Maria Magdalena gegenüber zum ersten Mal die Jünger „meine Brüder“ und seinen Vater „euren Vater“ [patfira ≠mùn] nennt). Wie Jesus in V. 10 auf den Antagonismus zwischen Juden und Samaritanern überhaupt nicht eingegangen war, sondern ihn mit dem Stichwort der dwreÅ toú jeoú auf die universale Ebene der Relation Gottes zu den Menschen transponiert hatte, und wie er am Ende unserer Szene die Aufforderung seiner Jünger, doch von dem Mitgebrachten zu essen, transzendieren und sie auf das Feld der eschatologischen ‚Ernte‘ verlagern wird (31–38), so verfährt er jetzt auch mit der Frage der Frau nach dem rechten Ort der Proskynese und der vermeintlichen Alternative von Garizim oder Jerusalem. Dabei verlangt das Futurum proskunflsete Beachtung. Denn damit erklärt Jesus nicht etwa den Kult auf dem Garizim für ebenso bedeutungslos wie den im Tempel von Jerusalem. Er spricht damit vielmehr von einer ‚kommenden Stunde‘, in der die Frage nach dem Primat des einen oder des anderen Kultortes überholt sein wird. Er selbst, in dem der ewige Logos unter den Menschen „zeltete“ (1,14), wird dann das eschatologische, alle vereinende „Tempelheiligtum“ sein (2,18–22). Bis dahin jedoch hat der Zions-Tempel in Jerusalem, um den Jesus 255
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Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
sein Leben lang und mit tödlicher Folge „eifert“ (2,17), den er nachdrücklich „das Haus meines Vaters“ nennt (2,16 f) und zu dem er, der Jude, zu den großen Festen mit seinem Volk „hinaufzieht“ (2,13; 5,1; 7,10), fraglos den unbestreitbaren Vorrang vor dem Garizim-Heiligtum. Doch das ist hier nicht thematisiert, Jesus redet in V. 21 nicht von dieser Gegenwart, sondern von der kommenden, alles verändernden ‚Stunde‘ (vgl. F. Hahn, Heil 75). Gleichsam in Parenthese scheint Jesus dann jedoch im folgenden V. 22 von der gegenwärtigen gottesdienstlichen Praxis von Juden und Samaritanern (proskuneõn in präsentischen Formen!) und damit implizit zugleich von dem heilsgeschichtlichen Vorrang Jerusalems zu sprechen. Das gilt jedenfalls dann, wenn man die antithetischen Subjekte ≠meõ" und ™meõ" dieser Passage im Sinne des von der Frau eingeführten und das Gespräch bestimmenden jüdisch-samaritanischen Antagonismus verstehen und ihn so paraphrasieren muß: „Ihr (Samaritaner) betet an, was ihr nicht kennt, wir (Juden dagegen) beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt von den Juden“ (≠meõ" proskuneõte ≈ o§k o¥date. ™meõ" proskunoúmen ≈ o¥damen, Ωti ™ swthr‡a †k tùn ûIouda‡wn †st‡n). Doch dieses vom Kontext her naheliegende und zumal durch den begründenden Ωti-Satz fast unausweichliche Verständnis von V. 22 ist höchst umstritten und bedarf darum weiterer Klärung (vgl. F. Hahn, Heil). Ältere Kommentatoren wie Wendt (Schichten 77 f), Loisy (Komm. 184), Holtzmann (Komm. 104 f), Bernard (Komm. I, 167 f), Zahn (Komm. 246 f), Schlatter (Evangelist 125), Lagrange (Komm. 122), Hoskyns (Komm. 244) und Strathmann (Komm. 88 f) haben unseren V. 22 im Sinne der eben gegebenen Paraphrase ausgelegt. In jüngerer Zeit folgen ihnen darin Morris (Komm. 269 f), Schnackenburg (Komm. I, 470 f), Brown (Komm. I, 172), Lindars (Komm. 188 f), Barrett (Komm. 254 f; u. JohEv u. Judentum 71 f), Haacker (Stiftung 47 f), F. Hahn (Heil 71 ff), Wengst (Bedrängte Gemeinde 148 f) Okure (117 f) und unter Berufung auf die letztere namentlich E. Leidig (117 f), der unseren V. 22 als den „Schlüssel“ der gesamten Szene begreift. Doch demgegenüber bestreiten zahlreiche Exegeten die Möglichkeit, die ≠meõ" mit den Samaritanern und die ™meõ" mit den Juden zu identifizieren, weil Jesus sich damit ja in diese ™meõ" einschlösse. Deshalb sehen sie in dem ‚Wir‘ – in vermeintlicher Analogie zu Joh 3,11 – eine Referenz auf die Christen im Gegensatz zu Samaritanern und Juden. In diesem Sinn erklärt W. Bauer, nach dem Schluß von V. 21 umfasse das ≠meõ" die „jerusalemischen Gottesanbeter nicht weniger … (als) die vom Garizim“. Von beiden werde darum gesagt, daß sie nicht wüßten, was sie verehrten (vgl. Act 17,23). Und in den ™meõ" träten ihnen dann „die Christen als die wahren Gottesgläubigen gegenüber“. V. 23 spinne diesen Faden fort. Dann aber sei die in V. 22b dafür gegebene Begründung „schlechthin unverständlich“, zumal der darin „den Juden zugebilligte Vorrang … weder in den engeren Zusammenhang, noch überhaupt zu der gesamten Einstellung des Evangelisten“ passe. Bauer glaubt, hier breche wohl „die Urform einer von Joh in seinem Sinn bearbeiteten Geschichte (durch), in der sich Jesus vom jüdischen Standpunkt mit den Samaritanern“ auseinandergesetzt habe (Komm. 70). Ähnlich argumentieren Olsson (Structure 197) und L. Schenke (Komm. 87). Aber so ist der der Ωti-Satz nicht mehr als Begründung des Vorausgegangenen zu begreifen, sondern muß als ein unspezifischer „comment by the evangelist“ betrachtet werden, der einen Aspekt der Heilsgeschichte thematisiert: „from the Jew Jesus and the Jews who received him as the Messiah, the Son of God, comes salvation to the Samaritans and 256
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the whole world“ (Olsson, Structure 197 f). Ebenso wie Bauer und Schenke verkennt Olsson dabei die absichtsvolle Differenz der Tempora in den V. 21 und 22 und damit den eschatologisch-verheißenden Charakter von V. 21. Und daß der Evangelist, der seine kommentierenden Bemerkungen zu Worten oder Taten seines Protagonisten stets als solche erkennbar macht, Jesus hier derart unvermittelt aus der erzählten Zeit seines irdischen Lebens in seine eigene nachösterliche Zeit des Erzählens versetzt und ihn zum Sprachrohr des Glaubens „der Christen“ gemacht haben sollte, ist angesichts der präzisen Unterscheidung der Zeiten in diesem Evangelium doch wohl kaum denkbar. Ausdrücklich sei bemerkt, daß dieser Einwand auch und zumal gegen unsere eigene früher vorgelegte Interpretation der Passage erhoben werden muß (Thyen, Heil 170), wo wir noch der schwerlich haltbaren Bauer-Bultmann-Olssonschen Interpretation folgten und ™meõ" auf die Christen bezogen wissen wollten. Hahn hat darauf hingewiesen, daß die unter Vernachlässigung des Kontextes oft zur Begründung dieser Interpretation herangezogene Stelle Joh 3,10 f gar keine wirkliche Analogie zu dem ‚Wir‘ von 4,22 bietet (Heil 75 mit Anm. 30). Vollends fragwürdig erscheint uns endlich Bauers Vermutung, daß sich in dem Ωti-Satz ein Stück der „Urform“ einer hier vermeintlich bearbeiteten Erzählung gegen die Intention des Evangelisten durchgesetzt haben soll.
Konsequenter als Bauer scheiden darum denn auch einige Kommentatoren entweder den ganzen V. 22 oder nur dessen begründenden Satz: „denn das Heil kommt von den Juden“ als eine sekundäre und ihrer Meinung nach gänzlich unjohanneische Glosse aus dem Evangelium aus. In diesem Sinne sah etwa Kreyenbühl in der Erkenntnis des „Zusatz(es) Ωti ™ swthr‡a ktl.“ als „eine der abgeschmacktesten und unmöglichsten Glossen …, die jemals einen Text nicht nur entstellt, sondern in sein gerades Gegenteil verkehrt haben“, die „erste Bedingung“ dafür, den Text überhaupt angemessen begreifen zu können (II, 410 ff). Ähnlich und unter Berufung auf Kreyenbühl und Bauer argumentiert Odeberg (170 ff). Ebenfalls im Anschluß an Bauer und Bultmann (Komm. 139, Anm. 6) erklärt Haenchen, für den „die Juden … im JE überwiegend die ungläubige Welt“ vertreten, den gesamten V. 22 für eine „spätere Korrektur“ und zum „Teil einer kirchlichen Redaktion, ohne die das JE freilich nie verbreitet gewesen ist“ (Komm. 243 f). Zutreffend sieht dagegen J. Becker in den ≠meõ" die Samaritaner und in den ™meõ" die durch Jesus vertretenen Juden. Die Reduktion von V. 22c auf eine „nur … historische Herkunftsaussage“ weist er mit dem Argument zurück, daß der Ωti-Satz „als Begründung von V 22a nur heilsgeschichtlich gemeint sein“ könne. Doch gerade darum kann der gesamte V. 22 für Becker nur einer „späteren Redaktion“ entstammen, „die angesichts der den Samaritanern gegenüber offenen Haltung in Joh 4 die unverrückbare Vorrangigkeit des jüdischen Volkes betont wissen wollte“ (Komm. I, 208). Da Becker – im Unterschied zu Haenchen – jedoch darauf insistiert, „daß V. 22 nicht von der KR (= Kirchlichen Redaktion) stammen kann“, die das Evangelium edierte, handelt er sich die zusätzliche Schwierigkeit ein, erklären zu müssen, wie denn diese vermeintlich späte Glosse, noch dazu gegen den wachsenden antijudaistischen Trend der Folgezeit, in ausnahmslos alle uns bekannten Handschriften Eingang gefunden haben soll. Doch diese Erklärung bleibt er seinem Leser schuldig. Das gilt auch für Schulz, der erklärt: „Im ‚Wir‘ melden sich dagegen die Christen zu Wort, die um den wahren Gottesdienst wissen. Die heilsgeschichtliche Begründung allerdings, die dafür gegeben wird: ‚denn das Heil stammt von den Juden‘ ist ganz unjohanneisch und dürfte auf eine spätere Bearbeitung zurückgehen“ (Komm. 76). Nicht mehr unter jüdischem, sondern nunmehr unter christlichem Aspekt sieht Boers durch V. 22 als einen sekundären „contemporizing
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comment“ in schroffem Gegensatz zur Intention des Evangelisten erneut die gerade überwundene „religiöse Polemik gegen die Samaritaner“ in die Erzählung eingeführt (193 f).
Unbeschadet der Frage, ob hier nun eine unmittelbare Abhängigkeit von Paulus besteht oder nicht, verweisen Loisy und Okure zu Recht auf Röm 3,1 f und 9,4 f als die nächsten Sachparallelen zu V. 22. Auf die Nähe des Satzes: Ωti ™ swthr‡a †k tùn ûIouda‡wn †st‡n, zu Ps 75,2 (LXX): gnwstÖ" †n tÔö ûIouda‡a ¨ je∙" machen Brown und Barrett aufmerksam und sehen – wie Schnackenburg und Lindars – in dem adversativen üll›, das den folgenden V. 23 eröffnet, die Bestätigung dafür, daß V. 22 genuiner Bestandteil des Textes sein muß, weil das üll› signalisiere, daß die kommende eschatologische Stunde die heiligen Stätten Samarias und Jerusalems relativieren und den Streit um ihre Prioritäten obsolet machen werde. Gleichwohl gilt aber, daß damit der heilsgeschichtliche Vorrang der Juden nicht aufgehoben sein wird. Denn wie bereits Zahn im Blick auf die präsentische Formulierung von V. 22c betont hatte, ist der Satz nicht nur von zufälliger ‚historischer‘ Relevanz, sondern von bleibender Bedeutung. Darum ist Okures Resümee: „In its visible historical form, salvation grows out of the Jewish milieu“ (117), trotz seiner historischen Korrektheit doch wohl allzu vordergründig und banal. Wenn die Autorin ebenso wie Leidig im Anschluß an Bernard, der dazu auf den messianisch gedeuteten Juda-Segen von Gen 49,8–12 hinweist, sowie an Hoskyns, Morris und Lindars in V. 22 bereits den messianischen Anspruch Jesu impliziert sieht, den in V. 26 sein †g„ e¢mi dann explizieren wird, dann wird man doch bedenken müssen, daß für unseren Erzähler ein jüdischer Messias, der schon in der vergangenen Geschichte seines Volkes stets präsent war (vgl. Joh 8,56; 12,41), die Seinen auch in aller Zukunft mit seines Vaters erwähltem Volk verbinden und ihm verpflichten wird (siehe unten zu 19,25–27). 23: Aber (üll›) trotz des in der Verheißungstreue Gottes gründenden heilsgeschichtlichen Vorrangs Israels (V. 22) gilt: ≤rcetai øra kaÑ nún †stin, Ωte o´ ülhjinoÑ proskunhtaÑ proskunflsousin tù patrÑ †n pne‚mati kaÑ ülhje‡a: kaÑ gÅr ¨ patÉr toio‚tou" zhteõ toÜ" proskunoúnta" a§t∙n. Das ‚Kommen jener Stunde‘, die den alten Streit um die Priorität der Heiligtümer auf dem Garizim und dem Zion obsolet machen wird, hatte Jesus schon zuvor in V. 21 angekündigt und damit zugleich anstelle der ‚Väter‘, die die Samaritanerin zur Legitimation des Kultes auf dem Garizim beschworen hatte, seinen himmlischen ‚Vater‘ als denjenigen eingeführt, dem künftig alle Anbetung gebühren und der allein sie auch legitimieren wird. Dem ≤rcetai øra aus V. 21 fügt er nun hinzu: kaÑ nún †stin. Die Paradoxie dieser doppelten Bestimmung der ‚Zeit‘ der eschatologischen Stunde darf weder nach der einen, noch nach der anderen Seite hin aufgelöst werden. Darum wird durch das kaÑ nún †stin die Stunde nicht etwa total ‚vergegenwärtigt‘, als solle damit die Verheißung ihres ‚Kommens‘ außer Kraft gesetzt werden. Die Stunde bleibt vielmehr zukünftig, sie wird kommen. Gegenwärtig und wirksam ist sie einstweilen allein in dem ‚Sohn‘, der hier die künftige Anbetung des ‚Vaters‘ durch die ülhjinoÑ proskunhta‡ verheißt (vgl. Wilckens, Komm. 85). Legitimiert ist diese künftige Anbetung nicht mehr durch die heiligen Stätten, an denen sie geschieht – sei es im Zionstempel Jerusalems oder auf dem Garizim –, sondern durch ihre inhaltliche Bestimmung als ein proskuneõn tù patrÑ †n pne‚mati kaÑ ülhje‡a. Auch wenn Jesus die kommende Stunde hier nicht ausdrücklich als „seine“ Stunde bezeichnet (wie 2,4: o∂pw ªkei ™ øra mou), spricht er doch zu der Samarita258
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,22–23
nerin fraglos von „seiner Stunde“, von der Stunde seiner „Verherrlichung“, in der er sterbend das ihm von seinem Vater aufgetragene ‚Werk‘ vollenden wird (19,30). Denn erst diese Stunde des „Weggehens“ Jesu eröffnet dem Geist ja die Möglichkeit seines „Kommens“ (16,7). Bis dahin aber gilt: o∂pw gÅr én pneúma, Ωti ûIhsoú" o§dfipw ≤dox›sjh (7,39). Dann aber wird das pneúma tö" ülhje‡a" (14,17; 15,26) Jesu Jüngern die „ganze Wahrheit“ seines Werkes erschließen: ¨dhgflsei ≠mô" †n tÔö ülhje‡a p›sÔh (16,13), wird die Verheißung Johannes des Täufers erfüllen: oñt∙" †stin ¨ bapt‡zwn †n pne‚mati ®g‡w (1,33) und das gennhjönai †x ædato" kaÑ pne‚mato" ermöglichen (3,5). Bedingt durch das Genre ‚Evangelium‘ und das Gebot des Verisimile seiner Narratio wird man, wie oben im Zusammenhang der ‚johanneischen Mißverständnisse‘ bereits erörtert, also stets sorgfältig zwischen der erzählten Zeit des Erdenwirkens Jesu und der durch seine ‚Verherrlichung‘ eröffneten Zeit der Präsenz des Geistes unterscheiden müssen (vgl. Haenchen, Komm. 244; Schlier, Begriff des Geistes 267 f). Paulinisch gesagt gilt von der letzteren allezeit: ¢doÜ nún kairÖ" e§pr∙sdekto", ¢doÜ nún ™mfira swthr‡a" (2Kor 6,2). Sie ist die Zeit der „Ernte“ dessen, was Jesus in der Einheit mit seinem Vater „gesät hat“ (s. u. zu 4,35 ff u. Okure 145 ff). Die umstrittene Frage nach der Bedeutung der verheißenen Anbetung „des Vaters in Geist und Wahrheit“ hat de la Potterie (Vérité II, 673–706) wohl am umfassendsten bearbeitet und sie dabei hinsichtlich ihrer religionsgeschichtlichen Wurzeln, ihrer syntaktischen Verankerung im Kontext und ihrer semantischen Valeurs so präzise beantwortet, daß seine Resultate u. E. nichts zu wünschen übrig lassen. Darum beschränken wir uns auf ein knappes Referat. Weil in der Wendung vom proskuneõn tù patrÑ †n pne‚mati kaÑ ülhje‡a nur eine Präposition die beiden ihr folgenden Substantive regiert, hatte schon Dodd den Ausdruck als Hendiadyoin begriffen (Interpretation 223.314; vgl. de la Potterie II, 704). Das darf freilich nicht in dem Sinne geschehen, als sei ülhje‡a eine Art adverbialer Näherbestimmung von †n pne‚mati und mit ülhjù" synonym. Wie bei ähnlichen Doppelausdrücken, die für das Corpus Iohanneum typisch sind (vgl. ™ c›ri" kaÑ ™ ülfljeia [1,14.17], ™ ülfljeia kaÑ ™ zwfl [14,6], †n ≤rgw kaÑ ülhje‡a [1Joh 3,18], †n ülhje‡a kaÑ üg›pÔh [2Joh 3]), liegt deren Akzent vielmehr stets auf dem letzten ihrer Substantive, in unserem Fall also auf ülhje‡a. Dieses Lexem aber ist seit der Zeit der griechischen Väter von zahlreichen Interpreten zu Unrecht so gedeutet worden, als bezeichne es die ‚wahre göttliche Wirklichkeit‘ im Unterschied zu deren bloßen t‚poi und schattenhaften Präfigurationen im jüdischen Kult ebenso wie in allen antiken Kulten. Doch dieser interpretatio graeca hat de la Potterie begründet widersprochen und ihr gegenüber den genuin jüdischen Hintergrund des johanneischen Gebrauchs des Lexems ülfljeia erwiesen (vgl. z. B. 701 f). De la Potteries Einspruch auch Bultmanns existentialer Johannes-Interpretation gegenüber besteht u. E. zu Recht. Denn bei näherem Zusehen erweist die sich als eine lediglich existentialontologisch modifizierte Variante jener (vermeintlichen) interpretatio graeca (vgl. etwa Bultmanns Kommentierung von Joh 8,31 f: Komm. 332 f u. Exegetica 144 f). De la Potterie erweist (ebd. 701 ff), daß ebenso wie die Rede von der „Gabe Gottes“ und vom „Lebenswasser“ auch der spezifisch johanneische Gebrauch des Lexems ülfljeia und zumal die Wendungen †n ülhje‡a und poieõn tÉn ülhje‡an gut jüdisch und aus geläufigen Prädikationen der Tora auf Jesus übertragen sind. Jesus selbst in der Einheit seines Werkes und seiner Worte ist „die Wahrheit“ in Person (14,6). Dabei geht es aber gerade nicht um die Offenbarung seiner ‚göttlichen Natur‘ und seines ‚tran‑ 259
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Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
szendenten Wesens‘, sondern um das Offenbarwerden dieses Menschen als des von der „Gnadengabe der Wahrheit erfüllten“ fleischgewordenen Logos (1,14). Wegen dieses einzigartigen personalen Bezuges darf ülfljeia auch nicht im abstrakten Sinne „wahrer Gotteserkenntnis“ verstanden und dementsprechend zwischen einer prosk‚nhsi" katÅ ülhje‡an und einer Anbetung katÅ pl›nhn unterschieden werden, wie das etwa Herakleon tut, um solche Erkenntnis dann natürlich allein den Pneumatikern vorbehalten zu sehen (fr. 24 bei Brooke, Fragments; vgl. auch fr. 20 ebd. und siehe de la Potterie II, 705, sowie E. Pagels 86 ff). Daß die Bestimmung von ülfljeia als ‚wahre (Gottes-) erkenntnis‘ natürlich gleichwohl ein Wahrheitsmoment enthält, ist im Blick auf das semantische Spektrum des Lexems nicht zu bestreiten. Aber diese ‚wahre Erkenntnis‘ und ‚Erkenntnis der Wahrheit‘ verdankt sich weder der göttlichen Natur des Pneumatikers noch irgendeinem Vermögen der transzendentalen Subjektivität des Ich zur Konstitution seiner Gegenstände, sondern allein der „Offenbarung Jesu“. Wir wählen absichtsvoll diese ambivalente Genetiv-Verbindung „Offenbarung Jesu“, weil das ‚Objekt‘ dieser Offenbarung ja nicht etwa ein bis dato ‚unbekannter Gott‘ ist, den Jesus erst bekanntmachen und bezeugen müßte. Denn wie Jesus als Jude eben zu der Samaritanerin gesagt hatte: „Wir (Juden) wissen, was wir anbeten“ (V. 22), so gibt es „merkwürdigerweise im ganzen Johannesevangelium keine Stelle, wo etwa von einem martureõn Jesu perÑ patr∙" die Rede wäre, immer nur vom Umgekehrten: von einem martureõn des Vaters für ihn und von seinem martureõn perÑ ©autoú. Jesus, der unbekannte Sohn Gottes, wird bekannt durch den bekannten Vater“ (K. Barth, Erklärung 365 f; u. s. u. zu 14,6). Objekt der „Offenbarung Jesu“ ist also gerade der fremde und unbekannte Mensch Jesus selbst und vermittelt durch ihn diejenige des bekannten Gottes Israels als des „Vaters, der ihn gesandt hat“. Verleitet durch das „Weder auf diesem Berg noch in Jerusalem“, wird die verheißene Anbetung ‚in Geist und Wahrheit‘ häufig als Gegensatz zu allem an bestimmte Orte und Zeiten gebundenen Rituellen als ein rein spiritueller Kult verstanden. Statt aus dem Kontext wird dabei dann pneúma aus einem doch eher platonischen s›rx-pneúmaDualismus als Ausdruck der „Innerlichkeit“ begriffen. In diesem Sinne erklärt etwa Zahn: „Erst diejenige Anbetung, welche von dieser Bindung an Örtlichkeiten und Äußerlichkeiten befreit ist und also †n pne‚mati sich vollzieht, geschieht †n ülhje‡a. Dazu soll es dereinst kommen. Daß der im Fleisch lebende Mensch nicht anders als an einem bestimmten Ort der Erde beten kann, sei es im Tempel oder im Kämmerlein (Mt 6,6); und daß gemeinsame Anbetung nicht möglich ist ohne dafür bestimmte Orte, Zeiten und Formen, ist so selbstverständlich, daß Jesus nicht nötig hatte, das †n pne‚mati durch Erinnerung an diese Trivialitäten abzuschwächen. Es war doch ein gewaltiger Schritt zu dem geistigen und wahren Kultus hin, welchen er hier in Aussicht stellte“ (Komm. 249). Weil aber das pneúma, von dem hier die Rede ist, nicht des Menschen Innerlichkeit bezeichnet, sondern den endzeitlichen ‚Geist der Wahrheit‘, den der Auferstandene, die fleischgewordene Wahrheit, den Seinen ‚einhauchen‘ und den er ihnen als das Medium ihrer neuen ‚Geburt von oben‘ verleihen wird (vgl. de la Potterie II, 704), erklärt Lindars zu Recht, nicht der Kontrast zwischen den Formen und Zeremonien des Tempels zu dem vermeintlich „geistigen Gottesdienst“ der Kirche werde hier beschrieben, sondern der Gegensatz zwischen einem Gottesdienst „fern von Christus“ und einem solchen „within his filial response to the father soon to be revealed in his 260
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passion“ (Komm. 189; vgl. L. Schenke, Komm. 87). Entgegen dem andringenden kaÑ nún †st‡n vertagt Zahn jedoch die ‚Anbetung in Geist und Wahrheit‘ zu Unrecht in ein transmundanes „Dereinst“. Aber mit dem erhörungsgewissen Gebet „im Namen Jesu“ (14,13; 15,16; 16,23 f. 26) wird der ‚Vater‘ von den ülhjinoÑ proskunhta‡ als „im Fleisch lebender Menschen“ durchaus schon in Zeit und Geschichte ‚in Geist und Wahrheit‘ angebetet werden. Denn solange sie im Fleisch leben gilt, daß die Glaubenden, obwohl nicht mehr †k toú k∙smou (15,18 f; 17,14; 1Joh 3,1.14; 4.4.7; 5,4) und in die Welt gesandt (17,18 ff; 1Joh 4,17), in der Welt sind und bleiben (17,11) und deshalb an deren „natural order with its needs and demands: for instance the need of drinking water such as this (4,13), for expecting the natural harvest (4,35a), and even for physical death (16,2b; 19,30; 21,19.23)“ gebunden sind und bleiben. „However, because of their faith in Jesus, death can no longer be seen as a termination; rather it constitutes the final step in the process of passing over from death to life through believing in Jesus (5,25.28 f; 11,25 f)“ (Okure 167). Darum sind die kreatürlichen Notwendigkeiten, seinen Durst mit irdischem Wasser zu löschen und seinen Hunger mit irdischer Speise zu stillen, sein Beten an bestimmten Orten und als ein gemeinsames zu bestimmten Zeiten und in geprägten Formen zu verrichten, sowenig „Trivialitäten“ wie Jesu Wege zu den Pilgerfesten seines Volkes „hinauf nach Jerusalem“ und der Schrei des Gekreuzigten: „Mich dürstet!“. Vielmehr verwandelt gerade die Anbetung des Vaters in Geist und Wahrheit all diese vermeintlichen Trivialitäten in sprechende Symbole und Zeichen des Kommenden. In dem Ausdruck †n pne‚mati sehen Schnackenburg (Komm. I/473) und Schweizer (Art. pneúma 438) eine nahe Affinität zu dem paulinischen †n Cristù. Doch diese Nähe dürfte wohl nur zwischen dem „in Christus“ und der ganzen Wendung von der „Anbetung in Geist und Wahrheit“ bestehen. Denn, wie de la Potterie (II/705 f) gezeigt hat, muß als Äquivalent von †n Cristù gerade nicht †n pne‚mati, sondern †n ülhje‡a begriffen werden. kaÑ gÅr ¨ patÉr toio‚tou" zhteõ toÜ" proskunoúnta" a§t∙n. pneúma ¨ jeÖ", kaÑ toÜ" proskunoúnta" a§tÖn †n pne‚mati kaÑ ülhje‡a deõ proskuneõn: Daß das zhteõn des Vaters kein passives Abwarten, sondern ein aktives Suchen ist, zeigt das begründende g›r am Anfang. Dieses Suchen vollzieht der Vater durch Sendung und Werk des ‚Sohnes‘. Es ist Grund und Bedingung der Möglichkeit seiner endzeitlichen Anbetung in Geist und Wahrheit als ‚Vater‘. Insofern entspricht das ‚Suchen des Vaters‘ seinem ‚Ziehen‘: o§deÑ" d‚natai †ljeõn prÖ" me †Ån mÉ ¨ patÉr ¨ pfimya" me ©lk‚sÔh a§t∙n (6,44), und seinem ‚Geben‘: o§deÑ" d‚natai †ljeõn prÖ" me †Ån mÉ Ôé dedomfinon a∂tù †k toú patr∙" (6,65; vgl. 15,1 f u. s. Okure 116). Ähnlich wie die Sätze: ¨ jeÖ" fù" †st‡n (1Joh 1,5), und ¨ jeÖ" üg›ph †st‡n (1Joh 4,16) hat auch die Wendung: pneúma ¨ je∙", definitorischen Charakter. Definiert wird damit freilich nicht jeweils ein abstraktes ‚Wesen‘ Gottes, sondern seine verläßliche Relation zu den Menschen und seine Gabe von Geist, Licht und Liebe an sie (vgl. Bultmann, Komm. 141; Porsch 151 f). So folgt etwa aus dem Satz, ¨ jeÖ" üg›ph †st‡n (1Joh 4,16): kaÑ ¨ mfinwn †n tÔö üg›pÔh †n tù jeù mfinei kaÑ ¨ jeÖ" †n a§tù mfinei. Und diese Liebe wird sodann als diejenige bestimmt, √n ≤cei ¨ jeÖ" †n ™mõn. Der ‚Anbetung in Geist und Wahrheit‘ aber dürfte dieses wechselseitige „Bleiben-in“ entsprechen, das „wir daran erkennen, Ωti †k toú pne‚mato" dfidwken ™mõn (1Joh 4,13). Hatte die Samaritanerin Jesus dadurch zu dieser längsten seiner Äußerungen unserer Szene provoziert, daß sie der durch die ‚Väter‘ legitimierten Kultpraxis auf dem Garizim das jüdische Dogma (≠meõ" lfigete) gegen261
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übergestellt hatte, wonach allein Jerusalem der Ort sei, Ωpou proskuneõn deõ, so läßt der Erzähler Jesus seine Antwort nicht ohne Ironie in Umkehrung der Wortfolge mit eben diesem deõ proskuneõn schließen. 25 f: Zum ersten Mal verbirgt sich die Frau nicht mehr hinter der Autorität der ‚Väter‘ und wappnet sich nicht mehr mit der samaritanischen Praxis, sondern sagt mit ihrem oèda: „ich“; und, wenn auch noch fragend, nimmt sie mit diesem oèda zugleich Jesu anfängliches Ô≥dei" auf: e¢ Ô≥dei" tÉn dwreÅn toú jeoú kaÑ t‡" †stin ¨ lfigwn soi: d∙" moi peõn, sÜ …n Ô≥thsa" a§tÖn kaÑ ≤dwken ±n soi ædwr zùn (V. 10; vgl. Okure 120). Ja, daß sie hier nicht mehr als Repräsentantin des Samaritanismus, sondern als ein durch die Begegnung mit dem fremden Anderen zum Ich gereiftes Individuum spricht, offenbart auch ihr durch das oèda prädizierter Satz, Ωti Mess‡a" ≤rcetai ¨ leg∙meno" crist∙": Ωtan ≤ljÔh †keõno", ünaggeleõ ™mõn πpanta. Denn, weil die Erwartung des oder eines „Messias“ den Samaritanern fremd ist, entspricht sie damit exakt Jesu Wort, daß ‚das Heil von den Juden kommt‘ (V. 22). Auf den Spuren der fragwürdigen messianischen Interpretation des samaritanischen Taheb durch Merx (Der Messias oder Ta’eb der Samaritaner) hatte schon Bornkamm (Paraklet 18 f) gemeint, mit Joh 4,25 sei „tatsächlich die auch sonst nachweisbare samaritanische Anschauung vom Messias richtig wiedergegeben“; ebenso und unter Berufung darauf verfahren F. Hahn (Heil), L. Schottroff (Dualismus 206), U. Wilckens („Dieser sog. Taëb war die Zentralgestalt der samaritanischen Messiaserwartung“, Komm. 86) u. a. Sie identifizieren den „Taheb“ zudem noch fälschlich mit dem ‚Propheten wie Mose‘. Hahn bedauert freilich zugleich, daß „eine eingehende Untersuchung des Materials und Darstellung der samaritanischen Ta’eb-Erwartung … immer noch“ fehle (Hoheitstitel 362 f). Kippenberg hat dieses Defizit längst behoben und die geforderte „eingehende Untersuchung“ vorgelegt. Dabei erweist seine Analyse des gesamten samaritanischen Materials über den Ta’eb (Garizim 276 ff) ebenso wie über den erwarteten ‚Propheten wie Mose‘ (ebd. 306 ff), daß Hahns eigener Abschnitt über den ‚Taheb‘ wohl die „beste Illustration“ des von ihm beklagten Fehlens einer zulänglichen Untersuchung ist (ebd. 276). Denn Kippenbergs bündiges Fazit lautet demgegenüber: „Joh 4,25 hat mit dem Taheb nichts zu tun. Überhaupt kennen die Samaritaner gar keinen jyçm. Lediglich die Erwartung eines Propheten (Joh 4,19) ist samar., hat aber wiederum mit dem Taheb nichts zu tun“ (ebd. 303). Eine Verbindung der Taheb-Erwartung mit Deut 18,15.18 wurde erst nach dem Untergang der Dositheaner im 14. Jh. n. Chr. möglich (ebd. 273). Darum kann von einer Selbstidentifikation Jesu mit einem „samaritanischen Messias“ und von einem damit vermeintlich zum Ausdruck gebrachten fast höhnischen Antijudaismus, wie ihn L. Schottroff hier ausmachen will, nicht im Entferntesten die Rede sein. Im Gegenteil! Die Samaritanerin nimmt hier vielmehr Jesu Wort, daß ‚das Heil von den Juden komme‘, durchaus positiv auf und redet jetzt von dem Messias, den die Juden als den erwarten, der Israel und den Völkern das Heil bringen wird. Becker sieht ganz richtig, daß es dem Text nicht um die „subjektive Erwartung“ der Frau, sondern um die Offenbarung Jesu als des ‚Christus‘ geht. Gerade darum aber sollte man die solenne Wendung: Mess‡a" ... ¨ leg∙meno" crist∙", die ja kaum zufällig an das Bekenntnis der Martha (11,27) und an die reflektierte Formulierung des Zwecks unseres Evangeliums in 20,31 erinnert, nicht auseinanderreißen, um sie vermeintlich verschiedenen ‚Schichten‘ des Evangeliums zuzuweisen. 262
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Solche Schichtenlektüre betreibt Becker auch hier (vgl. seinen Komm. z. St.). Er schreibt das Lexem ‚Messias‘ seiner fragwürdigen ‚Semeiaquelle‘ zu und sieht in der Wendung ¨ leg∙meno" crist∙" dessen Übersetzung „für griechische Leser“ durch seinen ‚Evangelisten‘. Zur Begründung dieser Operation verweist er auf die angebliche Analogie in 1,41, wo der Evangelist das Wort ‚Messias‘ seiner ‚Semeiaquelle‘ seinen „griechischen Lesern“ ebenfalls durch die Hinzufügung von Ω †stin mejermhneu∙menon crist∙" verständlich gemacht haben soll. Doch zum einen vermögen wir weder hier noch dort jene ominöse „Quelle“ auszumachen, und zum anderen markiert das Partizip mejermhneu∙menon den Relativsatz von 1,41 deutlich als einen Kommentar, den der Erzähler seiner eigenen Erzählung (und nicht etwa einer ‚Vorlage‘) hinzufügt, während er die Wendung ¨ leg∙meno" crist∙" an unserer Stelle der Samaritanerin in den Mund legt (vgl. Okure 123). Ein weiteres Indiz, das seine Schichtenanalyse bestätigen soll, sieht Becker darin, daß der ‚Evangelist‘ die nachfolgende Rede der Samaritanerin an ihre Landsleute: deúte ¥dete ±njrwpon ≈" eèpfin moi p›nta Ωsa †po‡hsa, mflti oñt∙" †stin ¨ crist∙" (V. 29; vgl. V. 39), die er wiederum seiner ‚Semeiaquelle‘ zuschreibt, durch die Hinzufügung des Satzes: Ωtan ≤ljÔh †keõno", ünaggeleõ ™mõn πpanta (V. 25), ungeschickt „vorweggenommen“ und so um ihre Pointe gebracht haben soll. Doch davon kann gar keine Rede sein, denn der Kontext von V. 25 verlangt, das besagte πpanta auf das Gespräch über Ort und Weise der eschatologischen Anbetung des Vaters (4,20–24) zu beziehen, p›nta Ωsa †po‡hsa dagegen auf die Geschichte der Frau mit ihren vergangenen „fünf Männern“ und dem gegenwärtigen, „der nicht ihr Mann ist“ (4,16–19). Ωtan ≤ljÔh †keõno", ünaggeleõ ™mõn πpanta bringt dagegen ihre Gewißheit zum Ausdruck, „that the Messiah, the one with authority, will ultimately ‚disclose‘ or ‚proclaim‘ (ünaggeleõ) the truth concerning the matter of worship“ (Okure 120). Mit Jesu Antwort: †g„ e¢mi, ¨ lalùn soi (V. 26) erscheint in unserem Evangelium zum ersten Mal sein prominentes †g„ e¢mi. Zugleich ist dieser Satz eine raffinierte ‚Wiederaufnahme‘ von Jesu Wort am Anfang seines Gesprächs mit der Samaritanerin: e¢ Ô≥dei" tÉn dwreÅn toú jeoú kaÑ t‡" †stin ¨ lfigwn soi: d∙" moi peõn, sÜ …n Ô≥thsa" a§tÖn kaÑ ≤dwken ±n soi ædwr zùn (V. 10). Nahm die Frau mit ihrem oèda daraus Jesu e¢ Ô≥dei" auf, so variiert und beantwortet er selbst jetzt sein t‡" †stin ¨ lfigwn soi durch die Worte †g„ e¢mi, ¨ lalùn soi. Die Variation besteht darin, daß es statt des t‡" †stin nun †g„ e¢mi und anstelle des der Eröffnung des Gesprächs dienenden ¨ lfigwn soi jetzt ¨ lalùn soi heißt. Dabei darf man den Gebrauch des Lexems laleõn im Unterschied zu dem alltagssprachlichen lfigein zumal in seiner Verbindung mit dem solennen †g„ e¢mi ebenso wie das vorausgehende ünaggfillein der Samaritanerin wohl als OffenbarungsTerminus ansehen. Gegenüber 474 Vorkommen des Lexems lfigw begegnen Formen von lalfiw 59mal bei Joh. Durch ihre Kontexte sind sie häufig als Ausdrücke der Offenbarung bestimmt. So ‚verkündet‘ (lalù) Jesus, was er beim Vater gesehen hat (8,38), wie auch der verheißene Paraklet nicht aus sich selbst reden, sondern ‚verkünden‘ (lalflsei) wird, was er (von Jesus) hören wird (16,13, wo zudem ünaggeleõ in synonymem Parallelismus zu lalflsei steht). 6,63 heißt es: „Die Worte, die ich euch verkündigt habe (lel›lhka), die sind pneúma“; und 15,22 erklärt Jesus: „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte (†l›lhsa), dann hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie keine Entschuldigung mehr für ihre Sünde“ (vgl. Okure 125 und de la Potterie, Vérité 683; sowie ders., L’arrière fond 289). – Von den rund 280 Vorkommen des Verbums ünaggfillein in der LXX finden sich im Jesajabuch allein 57. Young (224 ff) hat den jesajanischen Gebrauch des Verbums untersucht und erwiesen, daß ünaggfillein nicht nur ein für Jesaja höchst charakte-
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ristisches Lexem, sondern darüberhinaus – zumal für den deuterojesajanischen Teil des Buches – ein spezifischer Offenbarungsterminus ist. Von den insgesamt nur 14 neutestamentlichen Belegen von ünaggfillein entstammen sieben dem Corpus Iohanneum (Ev.: 4,25; 5,15; 16,13.14.15.25; 1Joh 1,5). Dabei ist der besondere Gebrauch, den Joh von dem Lexem macht, innerhalb des Neuen Testaments singulär, und er entspricht, wie Young (225 ff) gezeigt hat, schwerlich zufällig präzise demjenigen Deuterojesajas. So erscheinen Jes 45,19 – ebenso wie Joh 4,25 f – die Verben laleõn und ünaggfillein nahezu als Synonyma: †g„ e¢mi k‚rio" lalùn dikaios‚nhn kaÑ ünaggfillwn ülfljeian. Das ünaggfillein ist Gottes Privileg: tÑ" gÅr ünaggeleõ tÅ †x ürcö"; (41,26). tÑ" ünaggeleõ taúta; (43,9). tÅ †x ürcö" tÑ" ünaggeleõ ≠mõn; (43,9). tÑ" a§toõ" ünflggeilen taúta; (48,14). Im Gegensatz zu den Götzen und ihren Astrologen (¨rùnte" toÜ" üstfira"), die nicht sagen können: tÑ mfillei †pÑ sÇ ≤rcetai (47,13), hat allein Gott die Macht, die Ereignisse zu ‚verkündigen‘ (ünaggfillein), ehe sie geschehen: kaÑ tÅ †perc∙mena prÖ toú †ljeõn (44,7; vgl. 46,9 f). Dagegen gilt von den Heiden und ihren Idolen: üpÖ gÅr tùn †jnùn ¢doÜ o§de‡"; kaÑ üpÖ tùn e¢d„lwn a§tùn o§k én ¨ ünaggfillwn (41,28). Gottes ünaggfillein ist nicht bloßes Referat, sondern rettendes Handeln: ünflggeila kaÑ ≤swsa (43,12). „When Jesus confronts the Samaritan woman she says to him: oèda Ωti Mess‡a" ≤rcetai ¨ leg∙meno" crist∙": Ωtan ≤ljÔh †keõno", ünaggeleõ ™mõn πpanta. lfigei a§tÔö ¨ ûIhsoú": †g„ e¢mi, ¨ lalùn soi. Here Jesus by implication acknowledges His function as ¨ ünaggfillwn πpanta, the revealer of all things. And the words of Jesus bear a remarkable resemblance to Isaiah 52,6: diÅ toúto gn„setai ¨ la∙" mou tÖ µnom› mou †n tÔö ™mfira †ke‡nÔh, Ωti †g„ e¢mi ¨ lalùn. Obviously, as the revelation of the name is the most important factor in Isaiah so here the revelation of πpanta is in one sense the equivalent of the revelation of ‚the name‘. With reference to His continuing activity through the Holy Spirit after His death, Jesus says: Ωtan dÇ ≤ljÔh †keõno", tÖ pneúma tö" ülhje‡a" ¨dhgflsei ≠mô" e¢" tÉn ülfljeian pôsan. o§ gÅr lalflsei üfû ©autoú, üllû Ωsa üko‚ei lalflsei. kaÑ tÅ †rc∙mena ünaggeleõ ≠mõn (16,13) … Again, with reference to the activity of the Holy Spirit whom He sends, Jesus says: †keõno" †mÇ dox›sei, Ωti †k toú †moú lflmyetai kai ünaggeleõ ≠mõn. p›nta Ωsa ≤cei ¨ patÉr †m› †stin. diü toúto eèpon Ωti †k toú †moú lamb›nei kaÑ ünaggeleõ ≠mõn (16,14 f). … The use of ünaggfillein with the accompanying phrase tÅ †rc∙mena in the Fourth Gospel is virtually the same as the phrase ünaggfillein tÅ †perc∙mena in Isaiah. Only in these writings do we find this interesting cluster of words“ (Young 225 f).
Wie L. Schmid (Komposition) schon 1929 beobachtet hatte, schließt die durch das t‡" †stin ¨ lfigwn soi (V. 10) und Jesu Wort: †g„ e¢mi, ¨ lalùn soi (V. 26), gebildete Inclusio den gesamten Dialog Jesu mit der samaritanischen Frau so eng zu einer Einheit zusammen, daß auch thematisch zwischen dem „Lebenswasser“ und der „Anbetung in Geist und Wahrheit“ eine nahe Affinität bestehen muß. Einmal nämlich ist das ka‡ in dem Satz: e¢ Ô≥dei" tÉn dwreÅn toú jeoú kaÑ t‡" †stin ¨ lfigwn soi ktl. (V. 10) ein epexegetisches oder explikatives ka‡, so daß hier nicht zweierlei Gegenstände genannt werden, sondern nur von der einen Gabe Gottes die Rede ist, die sogleich als derjenige expliziert wird, der hier als Jude und ‚Sohn des Vaters‘ mit der Samaritanerin redet (vgl. 3,16 f u. s. E. Schweizer, Ego 161). Ja, über die genannte Inclusio hinaus besteht noch eine weitere Rahmung, die unsere gesamte Szene umgreift. Denn das t‡" †stin von V. 10 wird nicht nur durch Jesu †g„ e¢mi in V. 26, sondern endlich auch durch das oñt∙" †stin im Bekenntnis der Samaritaner zu Jesus als dem swtÉr toú k∙smou ‚wiederaufgenommen‘ (V. 42). Und auch hier besteht zwischen dieser Prädikation Jesu und dem Satz: o§ gÅr üpfisteilen ¨ jeÖ" tÖn u´Ön e¢" tÖn k∙smon ºna kr‡nÔh tÖn k∙smon, üllû ºna swjÔö ¨ k∙smo" diû a§toú (3,17), eine gewiß nicht nur zufällige Konkordanz. Darauf, daß die Bezeichnungen Jesu in unserer Erzählung eine absichtsvolle Steigerung erfahren, hatte L. Schmid ebenfalls bereits aufmerksam gemacht: Nennt die Frau Jesus zunächst einen „Juden“ (V. 9), so fragt sie alsbald, ob er womöglich „größer als Jakob“ sei 264
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
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(V. 12), äußert sodann ihre Überzeugung, daß er ein „Prophet“ sei (V. 19), gibt darauf ihre Gewißheit kund, daß der „Messias“ kommen werde, den sie als crist∙" qualifiziert (V. 25), und nach dem darauf folgenden solennen †g„ e¢mi Jesu (V. 26) erreicht diese Reihe in dem Bekenntnis der Samaritaner, daß Jesus der „Retter der Welt“ sei (V. 42), endlich ihre Klimax. Wegen dieser kunstvollen und vielgestaltigen Verknüpfung aller Details unserer Szene zu einer dynamischen Einheit dürfte auch die mit dem Mittel der Inclusio hergestellte nahe Affinität zwischen dem „Lebenswasser“ und der „Anbetung des Vaters in Geist und Wahrheit“ darin bestehen, daß die „Gabe Gottes“ (V. 10), die als „das Wasser, das ich geben werde“ (†gá d„sw), zugleich die Gabe Jesu ist (V. 14), im Herzen desjenigen, der es „trinken“, d. h. an Jesus glauben wird, zum nie versiegenden Quell jener Anbetung und zum Ursprung des ewigen Lebens werden wird. Mit dieser Identität der Gabe Gottes mit derjenigen Jesu ist schon hier jene „Einheit des Sohnes mit dem Vater“ impliziert, die erst Jesu Wort: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30), dramatisch explizieren wird. Und wie die „Gabe Gottes“ sein u´Ö" ¨ monogenfl" ist, den er in seiner Liebe zum Kosmos „gibt“ (3,16), so ist die „Gabe Jesu“ dieser Geber selbst, der sein Fleisch „gibt für das Leben der Welt“ (6,51). Unter dieser Perspektive müssen wir noch einmal auf die Frage der Frau danach, ob der heilige Garizim oder das Jerusalemer Tempelheiligtum der wahre Ort der Anbetung Gottes sei, und auf Jesu scheinbar ausweichende Antwort zurückkommen, in der anstelle des erfragten rechten Ortes nur noch von der rechten Art der Anbetung des Vaters die Rede zu sein schien. Denn, wie so oft, trügt auch hier der Schein. Antiker Tradition entsprechend geht es der Fragestellerin dabei nämlich nicht nur um die höhere Dignität dieses oder jenes Heiligtums. Impliziert ist vielmehr die viel entscheidendere Frage danach, welchen dieser Orte Gott dazu erwählt hat, unter seinem Volk zu „wohnen“. Das weiß der implizite Leser; und unvergessen sind ihm die Worte des Prologs vom „Wohnen“ (†skflnwsen) des von der Gnadengabe der Wahrheit erfüllten Logos, der Gott war (1,1) und nun Fleisch geworden ist (1,14), unter den Menschen (†n ™mõn). Und er erinnert sich der Lösung, die der Erzähler Jesu Rätselwort von Zerstörung und neuer Errichtung des Jerusalemer Tempels hinzugefügt hatte: †keõno" dÇ ≤legen perÑ toú naoú toú s„mato" a§toú (2,21). Ist für Paulus die messianische Gemeinde als der vom Geist Gottes bewohnte „Leib Christi“ der „neue Tempel“ (1Kor 3,16; 2Kor 6,16; vgl. 1Kor 6,19 u. Eph 2,20 ff), so ist in unserem Evangelium Jesus selbst als der Fleisch gewordene Logos der neue Tempel und Ort der Gegenwart Gottes unter den Menschen. Er ist der Tempel der messianischen Ära, aus dem nach 7,38 die von den Propheten verheißene Quelle lebendigen Wassers entspringen wird (vgl. Ez 47,1 ff; Joel 4,18; Sach 13,1; 14,8; sowie Jes 43,19 f; 49,10 u. s. dazu de la Potterie, Vérité 696 ff, u. u. zu Joh 7,37 ff und 19,31 ff). Nach Prov 13,14 (n∙mo" sofoú phgÉ zwö") und 14,27 (pr∙stagma kur‡ou phgÉ zwö") sowie nach dem vielfältigen Zeugnis der Rabbinen (vgl. Bill. II, 433 f) ist die Tora (und/oder die Weisheit) die nie versiegende Quelle, der das „Lebenswasser“ entspringt. In Qumran beschreibt 1QH 8,4 ff den (Tora‑)„Lehrer der Gerechtigkeit“ als Quell des Lebenswassers und Gärtner der ‚ewigen Pflanzung‘ Gottes: „Aber du, mein Gott, hast in meinen Mund gelegt (etwas) wie den Frühregen für alle [Durstigen] und eine Quelle lebendigen Wassers (µyyj µym), die nicht trügt, den Hi[mm]el zu öffnen“ (8,16; Text nach Lohse 145). Die Damaskusschrift identifiziert den seit den Tagen der Väter mit dem Gottesvolk mitwandernden Brunnen von Num 21 (s. o.) mit der Tora: hrwth ayh rabh (6,4) und erklärt das Verlassen der Gemeinde zum „Weggehen vom Brunnen lebendigen Wassers“ (19,34). „Vom Anfang bis zum Ende empfing ich seine Erkenntnis … und
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Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
redendes Wasser berührte meine Lippen aus der Quelle des Herrn ohne alle Mißgunst; und ich trank und wurde berauscht von dem Wasser, das niemals stirbt“ (OdSal 12,2 f; vgl. ebd. 6,18). Vom „redenden Wasser“ spricht auch Ignatius, wenn er erklärt: ædwr dÇ zùn kaÑ laloún †n †mo‡, ≤swjfin moi lfigwn: deúro prÖ" tÖn patfira (Röm 8,2). Darin, daß Jesus selbst nach Joh 1,17 und 4,7 ff „la loi et la révélation nouvelle“ und ædwr zùn ist, während eben dieses ‚Lebenswasser‘ nach Joh 7,37–39 aber den ‚heiligen Geist‘ symbolisiert, sieht de la Potterie zu Recht keinen Widerspruch, sondern vielmehr den Ausdruck der für unser Evangelium konstitutiven Unterscheidung der Zeit Jesu von derjenigen des Geistes (Vérité 693).
Wie die Frau die ‚Messias-Gestalt‘, die sie erwartet, durch die Wendung: ¨ leg∙meno" crist∙" näher bestimmt und diesen crist∙" sodann als denjenigen bezeichnet hatte, „der uns alles verkünden wird“ (ünaggeleõ ™mõn πpanta), so nimmt Jesus jetzt diese Bezeichnung des Kommenden als eines ünaggfillwn auf, indem er sein †g„ e¢mi durch den präsentischen Satz: ¨ lalùn soi, definiert. Auch wenn Wilckens den ‚Propheten wie Mose‘ von Deut 18,15–18 wohl zu Unrecht mit dem ‚Taheb‘ identifiziert und diesen als „die Zentralgestalt der samaritanischen Messiaserwartung“ bestimmt, macht er doch zu Recht darauf aufmerksam, daß Jesus sich mit seinem †g„ e¢mi nicht direkt mit dem von der Frau erwarteten Messias identifiziert. Denn: „Er sagt nicht: ‚Ich bin der Messias‘, sondern: ‚Ich bin (es), der mit dir redet‘. Seine Worte in V. 23 f weisen ihn als den aus, der er ist. Doch in V. 23 f ist von Jesus ja nicht die Rede, sondern nur vom ‚Vater‘ und von Gott, der Geist ist. Wenn er sich auf diese Worte zurückbezieht, muß dieses ‚Ich bin‘ seinen eigentlichen Sinn von deren Inhalt her haben. Jesus ist selbst ‚Geist und Wahrheit‘ Gottes; von ihm gilt, was im Prolog vom Logos gesagt ist: ‚Gott war der Logos‘. Das ‚Ich‘ Jesu und Gottes eigenes ‚Ich‘ stimmen überein. Gottes ureigener Name: ‚Ich bin, der ich bin‘ bzw. ‚Ich werde sein, der ich sein werde‘ (Ex 3,14; vgl. Ex 20,2), ist Jesu Name, mit dem er sich dieser Frau hier bekannt macht, wie Gott sich einst Mose bekannt gemacht hat. Darum ist die Rede von ‚Gott‘ in V. 24 durch die Rede vom ‚Vater‘ in V. 23 bestimmt: Gott ist Gott als der Vater des Sohnes. In diesem Sinn ist Jesus nicht nur mehr als ein Prophet (V. 19), sondern auch mehr als der Messias der samaritanischen Erwartungstradition (V. 25). Dieser Unterschied bleibt freilich der Frau auch jetzt noch verborgen. Nur die Leser begreifen den Sinn der Selbstvorstellung Jesu in V. 26 als †g„ e¢mi (vgl. 20,31)“ (Komm. 86 f). G. O’Day bestimmt dieses †g„ e¢mi als ein absolutes („an unqualified revelation of Jesus’ identity“) und erklärt im Blick auf den vorangegangenen Dialog, jetzt sei der Leser „faced with a direct, definitive revelation of Jesus that calls for a type of decision different from that of the ironic interplay of the rest of the dialogue. Now the decision is only to affirm or deny. The reader is prepared to make this decision, however, only because she or he has been involved in the revelatory process of the earlier dialogue. The ego eimi is therefore experienced, not just recounted“ (Revelation 72 f). Zimmermann hat die absoluten †g„ e¢mi-Worte Jesu eingehend untersucht und sie treffend als „die neutestamentliche Offenbarungsformel“ bestimmt. Zugleich hat er sie als den Schlüssel der Interpretation auch der durch Lexeme wie „Brot“ (Joh 6), „Licht“ (Joh 8 u. 9), „Guter Hirte“, „Tür“ (Joh 10), „Auferstehung und Leben“ (Joh 11), „Weg, Wahrheit und Leben“ (Joh 14) und „Weinstock“ (Joh 15) prädizierten Ichbin-Worte erwiesen; vgl. dazu Thyen, Ich-bin-Worte 174 ff. Wie die Exegese der einschlägigen Partien von Joh 8 f zeigen wird, sind Jesu absolutes †g„ e¢mi und seine Selbstprädikation als ‚Licht der Welt‘ ein absichtsvolles intertextuelles Spiel mit den 266
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awhAyna-Worten Jhwhs des Jesajabuches, das, wie Youngs Studie zeigt, überhaupt eine nahezu unerschöpfliche Quelle unseres Evangeliums ist; zur besonderen Relation der „Ich-bin-Worte“ zu Deuterojesaja vgl. Coetzee (Jesus’ Revelation). Dazu, daß über diese engen Beziehungen hinaus auch die paradoxe Bezeichnung des Kreuzestodes Jesu als das ≠ywjönai und doxasjönai des ‚Menschensohns‘ (3,14; 7,39; 8,54; 12,16.28; u. 21,19) als intertextuelles Spiel mit den jesajanischen ‚Gottesknechts-Liedern‘ und speziell mit deren Zeile: ¢doÜ sunflsei ¨ paõ" mou kaÑ ≠ywjflsetai kaÑ doxasjflsetai sf∙dra (52,13) begriffen sein will, s. o. zu 3,14. Darum dürfen wir im Hintergrund unseres V. 26 wohl auch den Vers Jes 52,6 vermuten: Ωti †g„ e¢mi a§tÖ" ¨ lalùn. Doch dieses intertextuelle Spiel muß Spiel bleiben und darf nicht zu der doktrinären Behauptung führen, Jesu †g„ e¢mi sei nicht zugleich auch seine Identifikation mit dem von der Frau erwarteten ‚Messias‘, ¨ leg∙meno" crist∙". Denn was der implizite Leser hier ahnen mag und wohl auch ahnen soll, das bleibt der Samaritanerin, wie ihre Kunde an ihre Landsleute zeigen wird (mflti oñt∙" †stin ¨ crist∙": V. 29), noch verborgen. Insofern ist es in der Tat am wahrscheinlichsten, „that John is using the phrase ego eimi with a double meaning at this point. On the one hand it is used absolutely, but on the other hand it takes the word ‚Christ‘ as an implied predicate“ (Harner, I am 47). (3) Jesus und seine Jünger (4,27–38) 27
Und darüber kamen seine Jünger zurück und waren verwundert, daß er mit einer Frau redete. Keiner von ihnen fragte jedoch: Was suchst du? oder: Was redest du mit ihr? 28 Da ließ die Frau ihren Krug stehen, ging in die Stadt und sagte den Leuten: 29 Kommt doch und seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe. Ob der wohl der Messias ist? 30 Sie gingen hinaus aus der Stadt und machten sich auf den Weg zu ihm. 31 Inzwischen forderten die Jünger ihn auf: Rabbi, iß! 32 Er aber sagte ihnen: Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt. 33 Da rätselten die Jünger untereinander: Hat ihm etwa jemand zu essen gebracht? 34 Jesus sprach zu ihnen: Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden. 35 Pflegt ihr nicht zu sagen: Es sind noch vier Monate und dann kommt die Ernte? Seht, ich sage euch: Erhebt doch eure Augen und seht die Felder an, denn sie sind schon weiß für die Ernte. 36 Der Schnitter empfängt seinen Lohn und sammelt Frucht für das ewige Leben, damit sich der Säende zugleich mit dem freue, der erntet. 37 Darin ist das Wort, daß der eine sät, ein anderer aber erntet, ja treffend. 38 Denn euch habe ich ausgesandt zu ernten, wo ihr nicht gearbeitet habt. Andere haben sich geplagt, und ihr erntet (jetzt) die Früchte ihrer Mühen. 27–30: War in V. 8 im Plusquamperfekt gesagt, daß die Jünger bereits weggegangen waren (üpeilhl‚jeisan), um Nahrung zu kaufen, ehe die samaritanische Frau Jesus am Jakobsbrunnen traf, so ist damit einerseits deutlich, daß hier insofern eine Ausnahmesituation in unserem Evangelium vorliegt, als Jesus nicht in Gegenwart seiner Jünger redet und handelt. Und andererseits wird so das ‚Schockiertsein‘ der zurückkehrenden Jünger darüber verständlich, daß sie Jesus im Gespräch mit einer samaritanischen Frau 267
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finden. Olsson macht darauf aufmerksam, daß das Verbum jaum›zein bei Joh stets negativ getönt ist: it „has a definitely negative ring“ (Olsson, Structure 156). Darüber, daß Jesus gesagt hat: ‚Ihr müßt von neuem (bzw. von oben) geboren werden‘, soll Nikodemus nicht schockiert sein: mÉ jaum›sÔh" (3,7). Jesus erklärt den Juden, der Vater werde ihm noch ‚größere Werke‘ zeigen als diese Heilung des Lahmen, ºna ≠meõ" jaum›zhte (5,20). Da diese me‡zona ≤rga auf Jesu göttliche Vollmacht verweisen, Tote zu erwecken (5,21; vgl. Joh 11), gewinnt jaum›zein hier fast den Sinn von skandal‡zesjai. Weil er keine entsprechende Ausbildung hat (mÉ memajhk„"), sind die Juden ‚schockiert‘ (†ja‚mazon) über Jesu öffentliches Lehren im Tempel (7,15), und in ihrem jaum›zein über sein am Sabbat vollbrachtes Heilungswerk erklären sie ihn für besessen: daim∙nion ≤cei" (7,20). Die Jünger dagegen sollen nicht ‚verwundert sein‘, wenn sie der Haß der Welt trifft (1Joh 3,13). ‚Schockiert‘, ‚betroffen‘ und ‚verwundert‘ sind also stets Außenstehende und Mißverstehende.
Wie die Frau Jesus sogleich als einen ‚Juden‘ erkannt hatte (V. 9), so werden natürlich erst recht seine Jünger bei ihrer Rückkehr diese Fremde mit ihrem Wasserkrug am Jakobsbrunnen als Samaritanerin wahrgenommen haben. Darum darf man trotz des absoluten metÅ gunaik∙" hier keine Alternative konstruieren und erklären, „die Verwunderung der Jünger (gelte) nicht der Unterredung mit einer Samaritanerin, sondern mit einem Weibe“ (Bauer, Komm. 71). Zur Begründung der ‚Verwunderung‘ der Jünger zitiert Bauer deshalb ebenso wie Bultmann (Komm. 142, Anm. 6), Brown (Komm. I, 1773) und andere Kommentatoren rabbinische Aussagen, die vor der Gefahr und Verderblichkeit von Gesprächen mit Frauen in der Öffentlichkeit warnen (vgl. schon Sir 9,1 ff; u. s. Bill. II, 438, sowie die Belege bei Bauer 71 f). Freilich sieht Bauer dabei selbst, daß der Kontext unserer Erzählung und zumal V. 9b eine derart einseitig im Umgang Jesu mit einer Frau begründete „jüdische Befangenheit der Jünger“ eigentlich ausschließt. Auf Kosten des Evangelisten (!) sucht er darum die vermeintliche Lösung dieses Problems in der Literarkritik: „Die sich hier offenbarende jüdische Befangenheit der Jünger würde besser als ins 4. Evangelium in die zu 4,22 vermutete Erzählung passen“ (ebd. 72). Doch zumal die Erzählung vornehmlich ein Text für seine potentiellen Leser ist, erscheint uns Okures Lesart doch plausibler: „The shock of the disciples, then, receives its full force when its object is seen in all its horror: Jesus’ dialogue partner is a woman and a Samaritan and he is speaking with her in a public setting. They have every reason, therefore, to be shocked, but the deeper the shock, the more the lesson should strike home when it is given (VV 31–42)“ (134). Unser allwissender Erzähler kennt die Fragen, die den schockierten Jüngern auf den Lippen liegen: t‡ zhteõ" À t‡ laleõ" metû a§tö"; Und er weiß, daß sie es nicht wagen, sie auszusprechen. Okure erwägt zu Recht, ob nicht der Einsatz von V. 27 mit der Wendung: kaÑ †pÑ to‚tw, sowie der Gebrauch des Imperfekts †l›lei zu bedenken geben, daß die Jünger möglicherweise noch zu Ohrenzeugen des solennen: †g„ e¢mi ¨ lalùn soi Jesu am Schluß seines Gesprächs mit der Frau geworden sein könnten. Und sie vergleicht unseren Vers mit Joh 21,12. Der Kontext beider Szenen ist eine Mahlzeit. Während es hier (4,31–34) die Jünger sind, die zu essen besorgt haben und Jesus – freilich vergeblich – auffordern: Øabb‡, f›ge, ist es da Jesus, der ihren wunderbaren Fischzug bewirkt und ihnen das Mahl bereitet hat: kaÑ lamb›nei tÖn ±rton kaÑ d‡dwsin a§toõ", kaÑ tÖ £y›rion ¨mo‡w" (vgl. Okure 134). Und während es die Jünger hier nicht wagen, Jesus die genannten Fragen: t‡ zhteõ" À t‡ laleõ" metû a§tö"; zu stellen, weil sie ihn mißverstehen und von seinem Verhalten schockiert sind, heißt es da: o§deÑ" dÇ †t∙lma 268
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tùn majhtùn †xet›sai a§t∙n: sÜ t‡" eè; e¢d∙te" Ωti ¨ k‚ri∙" †stin. Da es nach Joh 13,25.37; 14,5.8.22 geradezu ein „Attribut“ eines majhtfl" ist, Fragen zu stellen, damit er so in die ‚Wahrheit‘ geführt werde, muß auch das in ihrem ‚Schockiertsein‘ gründende ‚Nicht-Fragen-Können‘ als negative Qualifikation verstanden werden. Anders steht es dagegen in 21,12, denn jetzt ist Jesu Verheißung erfüllt: kaÑ †n †ke‡nÔh tÔö ™mfira †mÇ o§k †rwtflsete o§dfin (16,23), jetzt ist an die Stelle ihrer ‚Verwunderung‘ ihr Wissen (e¢d∙te") um die Gegenwart ihres k‚rio" und ihre unverlierbare Freude daran (16,22) getreten (vgl. Olsson 157). Wegen der Wiederaufnahme des Lexems zhteõn aus dem Satz: ¨ patÉr toio‚tou" zhteõ toÜ" proskunoúnta" a§t∙n, weiß der Leser die Antwort auf die ungestellte Jüngerfrage: t‡ zhteõ". Als derjenige, dessen ‚Speise‘ es ist, „den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hat und sein Werk zu vollenden“, ‚sucht‘ Jesus auch in Samaria die ülhjinoÑ proskunhtaÑ proskunoúsin tù patrÑ †n pne‚mati kaÑ ülhje‡a. Aber was die Jünger jetzt, da noch die Zeit dafür ist, nicht zu fragen wagen, wird Jesus ihnen im folgenden dennoch beantworten. Doch zuvor wendet sich der Erzähler noch einmal der Samaritanerin zu. Die Notiz, daß sie ihren ‚Wasserkrug‘ (hier wie Joh 2,6 u. 7 ≠dr‡a anstelle des eher technischen und auf den Vorgang des Schöpfens [üntlösai] bezogenen Lexems ±ntlhma von 4,10) zurückläßt (üföken), ist für den Fortgang der Erzählung ohne Bedeutung und darum wohl ein Signal für deren symbolischen Modus. Weil das Symbol sich nicht auf eine fixierte und intendierte Bedeutung festlegen läßt, sondern „zu denken gibt“ (Ricœur), darf und soll hier spekuliert werden. Entsprechend breit ist darum auch das Spektrum der Urteile der Kommentatoren. Es bewegt sich zwischen Bauers, uns allzu oberflächlich erscheinender Auskunft: „Dem Zug, daß die Frau ihren Krug … stehen läßt, ist ein tieferer Sinn nicht abzugewinnen“ (Komm. 72, wo der Autor wiederum mit dem Phantom einer „Vorlage“ liebäugelt, aus der unser Evangelist diesen Zug „einfach übernommen“ haben soll) und Boers semiotisch begründeter Einschätzung: „The woman dropping the jar is highly significant“ (182). Zu beachten ist zunächst die kunstvolle Verschränkung der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin mit dem Auftreten seiner vor ‚Verwunderung‘ sprachlosen Jünger. Denn durch die Fügung seiner Sätze macht der Erzähler die Frau und die Jünger wechselseitig zu Zeugen der Gegenwart des jeweils anderen. So erfährt die Frau, ehe sie sich auf den Weg in ihre p∙li" macht, daß der, der soeben zu ihr gesagt hat: †g„ e¢mi ¨ lalùn soi, nicht allein ist, sondern von einer Gruppe umgeben ist, die ihn verehrt. Das mag seinem „Ich bin“ nachträglich noch zusätzliches Gewicht verliehen haben (Okure 134 f). Und zugleich werden die Jünger so zu Zeugen des Aufbruchs der Samaritanerin, die in dem Relikt ihres zurückgelassenen Wasserkruges gleichsam präsent bleibt und die unterdrückten Fragen der Jünger an ihren Herrn nicht zur Ruhe kommen läßt. Zudem will doch bedacht sein, daß diese Samaritanerin, die sich in der größten Hitze des Tages aufgemacht hatte, Wasser vom heiligen Jakobsbrunnen zu holen, nach ihrer Begegnung mit dem fremden Juden nun diesen Zweck ihrer Mühe vergessen zu haben und so unverrichteter Dinge in ihre Stadt zurückzukehren scheint. All das macht das offenbar absichtsvolle Zurücklassen des Wasserkruges in der Tat „highly significant“ (Boers). Angesichts der Reaktion Jesu auf die Aufforderung seiner Jünger: ‚Rabbi iß!‘ (V. 31 ff), ist die Vermutung, die Frau habe ihr Schöpfgefäß dazu zurückgelassen, daß Jesus sich seiner nun bedienen könne, um endlich seinen Durst zu löschen, wobei er sich in jüdischer Sicht freilich verunreinigen würde, u. E. völlig abwegig (so Daube, s. o. zu 4,9; und so mit dem einschrän-
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kenden „wahrscheinlich“ auch Barrett, Komm. 257). Gewichtiger erscheint uns darum Browns Bemerkung, durch seine Notiz vom Zurücklassen des Kruges bringe Joh zum Ausdruck, „that such a jar would be useless for the type of living water that Jesus has interested in her“ (Komm. I, 173). Ähnliches erwägt Olsson: „The waterpot and the drawing of water could to some extent be symbols of her old life, or of her old religion“ (156, wo Olsson u. a. auf 1,19 ff; 2,6; und 3,22 als Beispiele dafür verweist, daß ‚Wasser‘ die ‚alte Ordnung‘ repräsentiere). S. Schneiders bemerkt: „We should not fail to note the feminine version of the standard Gospel formula for responding to the call to apostleship, namely to ‚leave all things‘, especially one’s present occupation, w hether symbolized by boats (e. g., Mt 4,19–22), or tax stall (cf. Mt 9,9), or water pot“ (Women 40; vgl. Seim 69; u. Lee 84 f). Im Blick auf die Szene erklärt Okure wohl ganz richtig: „From the perspective of the disciples, the abandoned waterpot serves as a reminder that the woman had been there, though from the woman’s standpoint its abandonment signifies her eagerness to run with zeal and speed to share the news of her encounter with her fellow Samaritans“ (135; ähnlich Schnackenburg, Komm. I, 478). Doch zu Unrecht scheinen uns darüber die symbolischen Obertöne überhört zu werden, die Brown, Olsson und Schneiders hier vernehmen und die Boers so auf den Begriff bringt: „If Jesus interprets what he does in terms of having other food for nourishment, which is to do the will of the one who sent him and to complete his work, there should be little doubt that his coworker in this work partakes of the living water which he offered her, signified by the dropping of her jar“ (182; vgl. 139).
Wenn auch noch unwissend von dem Lebenswasser erfüllt, das Jesu Worte ihr vermittelt haben, kehrt die Frau in ihre ‚Stadt‘ (p∙li") zurück und ruft deren Einwohner (±njrwpoi) mit den dringlichen Worten: deúte ¥dete ±njrwpon ≈" eèpfin moi p›nta Ωsa †po‡hsa zu Jesus. Zwar erfordert die Fragepartikel mht‡ mit dem Indikativ ebenso wie das einfache mfl im klassischen Griechisch eine verneinende Antwort, doch in der Koine verschwindet diese Eindeutigkeit (vgl. auch V. 33). Da kann die Frage: mflti oñt∙" †stin ¨ crist∙"; durchaus die Einstellung des Fragestellers offenlassen und den Sinn gewinnen: „das muß am Ende doch der Messias sein“ oder: „ob der nicht womöglich der Christus ist“ (vgl. B-D-R § 427.2; und siehe Bauer WB s. v.; Boers 183 f). Treffend erscheint uns Lees Bemerkung: „In this context, it makes more sense to interpret the force of mflti as indicative not of doubt, but of hope“ (Lee, Symbolic Narratives 86). Darauf, daß die Einladung der Frau an ihre Nachbarn genau den beiden Stufen ihres Dialogs mit Jesus entspricht, macht Lindars zu Recht aufmerksam: Sie nennt zunächst Jesu Allwissen, das ihr sein prophetisches Wesen offenbarte, und bezieht sich dann – ohne es freilich explizit zu nennen – doch wohl auf sein messianisches Selbstzeugnis (Komm. 193; anders Haenchen, Komm. 249). Daß religiöser Glaube der Gemeinschaft der Glaubenden bedarf, ist fraglos richtig. Ob man darin aber die subjektive Intention der Frau sehen und erklären kann, weil sie „einer Interpretationsgemeinschaft“ bedürfe, lege sie „ihren Dorfgenossen ihre aufkeimende Erkenntnis vor, damit es bei ihr zur vollen christologischen Erkenntnis“ komme (Rebell 186), kann man durchaus fragen. Denn die Wahrheit des immer nur hypothetischen Verstehens eines Textes oder einer Rede kommt erst durch die Zustimmung Dritter ans Licht (anders urteilt Boers 184). Jedenfalls machen sich die Samaritaner auf das Zeugnis der Frau hin auf den Weg zu Jesus (das ist der Sinn ≥rconto als eines impf. de conatu). 31–33: Das adverbial gebrauchte tÖ metax‚ (inzwischen) bezeichnet die Zeit des Unterwegsseins der Samaritaner. Mit der Anrede des Schülers an den verehrten Meister (Øabb‡) fordern die vom Einkauf der Nahrung zurückgekehrten Jünger Jesus auf zu essen. Doch der entgegnet ihnen: „Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr nichts wißt“, worauf die Jünger untereinander mißverstehend rätseln: „Hat ihm (inzwischen) 270
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etwa jemand zu essen gebracht?“ Olsson weist treffend auf die Strukturparallele in 16,17 f hin, wo die Jünger Jesus ähnlich verständnislos gegenüberstehen und über den Sinn seines kryptischen Wortes über die „kleine Weile“ rätseln: eèpan oên †k tùn majhtùn a§toú prÖ" üllfllou": t‡ †stin toúto ktl., und o§k o¥damen t‡ laleõ (219). 34: Mit anderen Worten und nun auf der Ebene fester Nahrung wiederholt sich hier der Sache nach der Dialog mit der Samaritanerin über das ‚Lebenswasser‘. Im Gegensatz zu dem bewegten Gespräch mit der Samaritanerin, zu dem Jesus durch seine Bitte um einen Trunk Wassers die Initiative ergriffen hatte, sind die Jünger, obgleich sie dieses Gespräch durch ihr: Øabb‡, f›ge, eröffnen, hier nur stumme Zuhörer. Jesu zuvor an die Samaritanerin gerichtetes e¢ Ô≥dei" (V. 10) hat in dem jetzt über die Jünger gesagten o§k o¥date seine präzise Entsprechung. „The role they play in the story is to show their ignorance, providing Jesus with the opportunity to comment on the meaning of the story. The ignorance they show is highlighted by their presumption that someone else must have provided him with something to eat. Ironically, someone did, the woman through her conversation with Jesus, but it was not the type of food they had in mind“ (Boers 187 f). Jesus „tut den Willen dessen, der ihn gesandt hat“, indem er sich dem göttlichen deõ fügt, durch Samaria zu ziehen (V. 4). Und er tut ihn durch sein Gespräch mit der Samaritanerin, das sie zu seiner Zeugin unter ihren Landsleuten macht. Strukturell ist das ein ganz ähnlicher Vorgang wie der Weg der beiden Johannesjünger, die Jesus auf die martur‡a ihres Meisters über das ‚Lamm Gottes‘ hin ‚nachfolgen‘ und jenen Tag ‚bei ihm bleiben‘, um dann ihrerseits als seine Zeugen andere zu ihm zu rufen (1,35 ff). 35–37: Der Zeitraum von vier Monaten (tetr›mhno" sc. cr∙no") ist die in Palästina übliche Zeit zwischen der in der Mitte unseres Monats Dezember erfolgenden Saat und der um den 15. April einsetzenden Ernte (vgl. Olsson 226). Aber wie Jesus schon dem guten Wasser des Jakobsbrunnens, der nach dem Glauben der Samaritaner seit den Tagen des Patriarchen nie versiegt war, sein unendlich besseres ‚Lebenswasser‘ gegenübergestellt hatte und wie er die Speise, die ihm seine Jünger fürsorglich beschafft hatten, unberührt ließ um seiner besseren ‚Speise‘ willen, nämlich „den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hat, und sein Werk zu vollenden“, so stellt er jetzt der verläßlichen Erfahrung der Zeit zwischen Saat und Ernte mit den Worten: ¢doÜ lfigw ≠mùn, seine neue Zeit und eine ganz andere Art von Ernte entgegen. Daß Jesus seinen Jüngern wegen des emphatischen ≠meõ" lfigete und der eingängigen Form der Wendung: ≤ti tetr›mhn∙" †stin kaÑ ¨ jerismÖ" ≤rcetai, „ein bekanntes ländliches Sprichwort“ in den Mund gelegt habe, hält Barrett zu Recht für ebensowenig wahrscheinlich wie alle Versuche, daraus die Jahreszeit der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin bestimmen zu wollen (Komm. 258; vgl. Bultmann, Komm. 145). Denn zum einen läßt sich ein derartiges „Sprichwort“ nicht nachweisen, und zum anderen macht die Emphase, die das einfache lfigete durch die Hinzufügung des Pronomens ≠meõ" erfährt, die Wendung nicht zu einer Art ‚Zitationsfomel‘, sondern markiert sie als die ‚These‘, der Jesus dann sein ¢doÜ lfigw ≠mùn als ‚Antithese‘ entgegenstellt. Als Katalog der elementaren Lebensgrundlagen der bäuerlichen Menschen Palästinas ist das Wortfeld um Saat und Ernte, Reifen und Fruchtbringen seit alters zum festen und bevorzugten Bestand der religiösen Metaphorik Israels geworden (vgl. Herrmann/ Opelt und Olsson 241 ff). Zumal die Lexeme jerism∙" und jer‡zw dieses Feldes sind 271
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zu derart gängigen Metaphern für Gottes endzeitliches Kommen zu Heil und Erlösung (Jes 27,12; Hos 6,11; Ps 126,5 f) wie zu Gericht und Verderben (Joel 4,13; Jes 18,5; 63,1 ff) geworden, daß die Jünger unmittelbar begreifen müssen, von was für einer Art von ‚Ernte‘ Jesus hier redet und wie er damit eben die Fragen beantwortet, die zu stellen sie nicht gewagt hatten: o§deÑ" mfintoi eèpen: t‡ zhteõ" À t‡ laleõ" metû a§tö" (V. 27). Denn zur eschatologischen ‚Ernte‘ gehört zuerst die Sammlung der Zerstreuten und die Versöhnung der Verfeindeten des Gottesvolkes, und das heißt vornehmlich: die Heilung des Bruchs zwischen Ephraim (Israel) und Juda (vgl. Ez 37,16 ff; Jer 31,17–20; Sach 10,6 f). Von dieser endzeitlichen Versöhnung Ephraims mit Juda her, die ein notwendiger Teil jenes ‚Werkes Gottes‘ ist, das zu vollenden Jesus seine ‚Speise‘ nennt, will nun auch das ≤dei des am Anfang unserer Szene noch dunklen Satzes: ≤dei dÇ a§tÖn difircesjai diÅ tö" Samare‡a" (V. 4) verstanden sein (vgl. Leidig 153 und Lee, Symbolic Narratives 88 f). Joh 1,32–34 hatte Johannes (der Täufer) erklärt, er habe gesehen, wie der Geist Gottes auf Jesus herabgekommen und auf ihm geblieben sei. Daran hat er ihn als denjenigen erkannt, der ‚mit dem heiligen Geist taufen‘ werde, und feierlich bezeugt: ©„raka kaÑ memart‚rhka Ωti oñt∙" †stin ¨ u´Ö" toú jeoú. Die Passage ist aber nicht nur ein absichtsvolles Spiel mit der synoptischen Tauferzählung (siehe oben z. St.), sondern zugleich eine intertextuelle Evokation des messianischen Kapitels Jes 11, dessen V. 2 lautet: kaÑ ünapa‚setai †pû a§tÖn pneúma toú jeoú ktl. (vgl. Reim, Hintergrund 220, der Jes 11,3 f wohl zu Recht auch im Hintergrund von Joh 7,24 sieht; u. Bittner 245 ff). Über die endzeitliche Sammlung des Gottesvolkes heißt es Jes 11,12 f: (k‚rio") kaÑ üreõ shmeõon e¢" tÅ ≤jnh kaÑ sun›xei toÜ" üpolomfinou" ûIsraÉl kaÑ toÜ" diesparmfinou" toú ûIo‚da sun›xei †k tùn tess›rwn pter‚gwn tö" gö". ka‡ üfairejflsetai ¨ zölo" ûEfra‡m, kaÑ o´ †cjroÑ ûIo‚da üpoloúntai: ûEfraÑm o§ zhl„sei ûIo‚dan, kaÑ ûIo‚da" o§ jl‡yei ûEfra‡m.
Um diese Sammlung der ‚Verlorenen Israels‘ geht es in unserer Szene. Und wenn Jesus seine Jünger auffordert, ihre Augen zu erheben und wahrzunehmen, daß die Felder bereits ‚weiß‘, d. h. reif zur Ernte sind, dann sollen sie natürlich auf die von ferne bereits nahenden Samaritaner blicken. Sie sind das Feld und die Frucht dieser reichen Ernte. Wie Jesus der Frau am Brunnen zuvor von der kommenden eschatologischen Stunde der Anbetung des Vaters in Geist und Wahrheit gesagt hatte: ≤rcetai øra kaÑ nún †stin ktl. (V. 23), so proklamiert er mit dem ≥dh des Satzes: ≥dh ¨ jer‡zwn misjÖn lamb›nei ktl., nun den gegenwärtigen Anbruch der endzeitlichen ‚Ernte‘ Gottes. Weil aber dieser jer‡zwn seinen ‚Lohn‘ nicht erst nach getaner Erntearbeit empfängt, wie die Tagelöhner des Gleichnisses von Mt 20, sondern schon jetzt (≥dh: vgl. Lee, Symbolic Narratives 88), kann es sich bei ihm nur um den Herrn der Felder handeln, dessen ‚Lohn‘ in der eingebrachten Ernte selbst besteht. Zudem zeigt die aus der Metaphorik ausbrechende Wendung: kaÑ sun›gei karpÖn e¢" zwÉn a¢„nion, daß dieser jer‡zwn als derjenige, der ‚ewiges Leben‘ gewährt, nur Jesus selbst sein kann. Und er sammelt diese ‚Frucht‘ jetzt, „damit sich der Säende zugleich mit dem Erntenden freue“ (V. 36). Und für diese gar nicht selbstverständliche Koinzidenz der Freuden gilt: †n gÅr to‚tw ¨ l∙go" †stÑn ülhjinÖ" Ωti ±llo" †stÑn ¨ spe‡rwn kaÑ ±llo" ¨ jer‡zwn (V. 37). Es ist strittig, ob die Wendung †n gÅr to‚tw auf den vorangegangenen Satz oder auf den folgenden V. 38 zu beziehen ist. Barrett erklärt dazu: „An ähnlichen Stellen verweist †n to‚tw gewöhnlich (so 9,30; 13,35 und 15,8; 16,13 ist die einzige Ausnahme) auf eine nachfolgende Aussage, und dies ist vermutlich auch hier der Fall. Es ist schwer zu sehen, wie V. 36 die Wahrheit des Sprichworts demonstriert; es ist V. 38, der zwischen Sämann und Schnitter unterscheidet“
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(Komm. 259). Das erscheint uns jedoch als eine falsche Alternative. Denn zum einen läßt Barrett das zwischen †n und to‚tw eingeschobene g›r unberücksichtigt, zum anderen liegt in keinem der von ihm genannten Fälle ein derartiger Subjektwechsel vor wie hier, und endlich bezieht sich †n to‚tw in 9,30 wegen der Wiederaufnahme des p∙jen auf den vorangegangenen V. 29 zurück; und das gilt auch für 13,35, während es in 15,8 weder auf das Vorausgegangene noch auf das Folgende verweist, sondern der Identifikation des in dem Satz selbst genannten ‚Fruchtbringens‘ und ‚Jüngerwerdens‘ mit der ‚Verherrlichung des Vaters‘ dient. In unserem konkreten Fall aber gibt der in V. 37 zitierte „Logos“ – mittels des zwischen †n und to‚tw eingeschobenen g›r – die Begründung für das in V. 36 Gesagte, wie dieses umgekehrt die ‚Wahrheit‘ jenes ‚Logos‘ bestätigt. Dagegen erklärt Barrett gewiß zu Unrecht: „So sind in diesem Vers (sc. 36) Sämann und Schnitter identisch“ (ebd.; so auch Preisker 702; und Bauer, Komm. 73: „so kann nur Jesus, wie er der Sämann war, auch der Schnitter sein“). Doch wegen ihrer gleichzeitigen Freude über die Ernte müssen diese beiden unterschiedene Subjekte sein: ºna ¨ spe‡rwn ¨moú ca‡rÔh kaÑ ¨ jer‡zwn (vgl. Schenke, Komm. 89). Im Blick auf den so verstandenen V. 36 wird man den Satz: †n gÅr to‚tw ¨ l∙go" †stÑn ülhjinÖ", deshalb etwa so paraphrasieren müssen: ‚Denn in diesem konkreten Fall – der im übrigen eher die Ausnahme als die Regel ist – trifft der Logos zu‘. An diese in der Erzählung von der Samaritanerin bewährte Unterscheidung des Säenden vom Erntenden knüpft dann V. 38 an: So wie in dem genannten Fall verhält es sich auch mit der Sendung der Jünger, auch sie werden nur ernten, was ‚andere‘ vor ihnen gesät haben. Weil aber dieser V. 38 mit seinem überraschenden und durch nichts in der Erzählung vorbereiteten, geschweige denn gedeckten Aorist in der Wendung: üpfisteila ≠mô" jer‡zein, zu den problematischsten und am heftigsten umstrittenen Sätzen unseres gesamten Evangeliums gehört, darf man ihn keinesfalls zum Schlüssel unserer Szene erheben, in der Jesus die ungestellten Fragen seiner Jünger beantwortet: t‡ zhteõ" À t‡ laleõ" metû a§tö";
Ist der ‚Erntende‘, wie wir gesehen haben, aber fraglos Jesus selbst, dann bleibt die Frage, wer dann der ‚Säende‘ ist, der nach V. 36 f an seiner Freude über die reiche Ernte teilhat. Im Blick auf V. 34, wo Jesus es seine „Speise“ nennt, „den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hat, und sein Werk zu vollenden“, wollen Schnackenburg und Thüsing den ‚Vater‘ als den spe‡rwn und den ‚Sohn‘, der dessen „Werk“ der Aussaat durch sein Ernten „vollende“, als den jer‡zwn begreifen: „Wie Jesus mit dem Vater beim Aussäen zusammenwirkte [V. 34], so können sie sich jetzt auch gemeinsam an der Ernte freuen“ (Schnackenburg, Komm. I, 484 f; vgl. Thüsing, Erhöhung 54). Doch eine derart schiedlich-friedliche Aufteilung des Erlösungswerkes auf den ‚Vater‘ und den ‚Sohn‘ läßt unser Evangelium schwerlich zu. In ihm gilt vielmehr vom ‚Werk‘ des Sohnes: p›nta diû a§toú †gfineto, kaÑ cwrÑ" a§toú †gfineto o§dÇ ¬n ¨ gfigonen (1,3) und: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30). Es bleibt darum nur die von Boers (92–94 u. 182 ff) vorgeschlagene und eingehend begründete Lösung, die Samaritanerin als die ‚Säende‘ zu begreifen: „She is Jesus’ co-worker in an unprecedented way, more concretely even than John the baptist, in the sense that John merely pointed to Jesus as ‚the Lamb of God who takes away the sins of the world‘ (1,29). The woman participates actively with Jesus in doing the will of his Father; … The significance of the parallel between John and the woman is highlighted by John’s statement …: ‚It is the bridegroom who has the bride. The friend of the bridegroom who stands there and hears his voice rejoices because of the bridegrooms voice. Thus my joy (chara) is complete. He must grow (in significance), I diminish‘ (3,29–30). What John says is the other side of what Jesus says about the sower and the reaper (4,36–37)“ (ebd. 185 f). Wie die Rede von der eschatologischen ‚Ernte‘ Gottes in unserer Szene, so ist auch das von Johannes gebrauchte Bild der endzeitlichen ‚Hochzeit Gottes mit seinem Volk‘ geläufige Metapher für die 273
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verheißene Erlösung und den Jubel der Erlösten. Wenn die Samaritaner der Frau am Ende erklären, sie glaubten nun nicht mehr auf Grund ihrer Rede, sondern weil sie selbst gehört und erkannt hätten, daß Jesus tatsächlich der swtÉr toú k∙smou sei (4,42), dann gilt – ohne daß sie es selbst eigens aussprechen müßte – auch von der Samaritanerin am Brunnen: aæth oên ™ carÅ ™ †mÉ peplflrwtai. †keõnon deõ a§x›nein, †mÇ dÇ †lattoúsjai (3,29 f; vgl. Lee ebd. 91). Die gewiß nicht zufällige Analogie zwischen der Hochzeitsfreude des Johannes und der Erntefreude der Samaritanerin wird im übrigen noch enger und gewinnt weiter an Plausibilität, wenn man von hier aus noch einmal das intertextuelle Spiel unseres Autors mit den biblischen Brunnenszenen bedenkt, das wir oben in anderem Zusammenhang bereits erörtert hatten. Die jeweils an einem Brunnen spielenden Szenen der Brautwerbung um Rebekka für Isaak durch Abrahams Knecht (Gen 24,10 ff), der Begegnung Jakobs mit Rachel am Brunnen von Haran (Gen 29,1 ff, wo Rachel im übrigen wie unsere Samaritanerin auf der ‚Höhe des Tages‘ [≤ti †stÑn ™mfira pollfl] erscheint), und Moses mit Zippora und ihren Schwestern am midianitischen Brunnen sowie Ruth 2,1 ff und 1Sam 9,11 f hat R. Alter in seiner Darstellung der „Art of Biblical Narrative“ eingehend analysiert. Er begreift sie als Varianten einer geprägten „type-scene of betrothal at the well“ und beschreibt ihre typischen Züge so: (1) Der künftige Bräutigam reist oder flieht in ein fremdes Land. (2) An einem Brunnen begegnet er einem oder mehreren Mädchen. (3) Das Mädchen (oder der Fremde) schöpft Wasser aus dem Brunnen. (4) Das Mädchen eilt nach Hause, die Ankunft des Fremden zu melden. (5) Der Fremde wird in das Vaterhaus des Mädchens eingeladen und die Verlobung wird beschlossen (52 ff). D. A. Lee hat diese Kategorie aufgenommen: „In form critical terms, the narrative belongs to the Gattung of biblical ‚betrothal narratives‘, which are centered on a meeting (usually romantic) at a well. The Johannine narrator, however, recasts the form in a fairly extensive way, while retaining the central metaphorical feature of the well. Thus the well, with its abundant supply of water, serves to hold together the narrative as a literary unit“ (67). Dieses Urteil scheint uns aber unzureichend. Denn einerseits zeigt doch der Blick auf die biblischen Prätexte, daß hier von einer nahezu völligen Preisgabe der ‚Form‘ keineswegs die Rede sein kann; und andererseits bleibt eine derart rein formale ‚Gattungsbestimmung‘ so lange überflüssig, als die durch den Einsatz dieser vertrauten Form fraglos beabsichtigte Lenkung des Lesers unbedacht bleibt. In diesem Sinne bemerkt Duke treffend: „A first-century reader steeped in the stories of the Hebrew faith would recognize the ironic situation of John 4 more quickly than do modern readers. The situation is precisely that of some Old Testament stories in which a man meets a woman at a well … When Jesus therefore ventures into foreign territory and meets a woman at a well, the properly conditioned reader will immediately assume some context or overtone of courtship and impending marriage. Such an assumption is rewarded here, for not only do narrative and dialogue keep well within the structure outlined above, but the author has placed this account closely following a story in which water transformed into wedding wine is attributed to the bridegroom (2,1–11), and almost immediately after John the Baptist has talked about hearing the Bridegroom’s voice (3,29). Such a context enriches the irony of the woman’s ignorance of Jesus’ identity…“ (Irony 101; vgl. Neyrey, Jacob Traditions 425 f). Duke macht die symbolische Erzählung dann jedoch zu Unrecht nahezu zur 274
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Allegorie, wenn er etwa zu Jesu Aufforderung an die Frau, ihren Mann zu rufen, und zu deren Antwort, daß sie keinen Mann habe, erklärt: „What is surprising is Jesus’ sudden revelation that contrary to both the reader’s expectation and the woman’s implication, her unmarried status is not because she is a maiden but because she is a five-time looser and currently committed to an illicit affair. This is situational irony par excellence. The Old Testament well scenes invariable feature a naarah, a girl whose virginity is assumed and sometimes made explicit (Gen 24,16). When the heavenly Bridegroom Jesus plays this scene, however, his opposite turns out to be a tramp. He weds himself not to innocence but to wounded guilt and estrangement.“ (Irony 102 f). Das klingt zwar erbaulich, wird aber weder unserer Erzählung noch auch ihrer keineswegs als reuige Sünderin, sondern als selbstbewußte Frau erscheinenden Samaritanerin gerecht. Darum können wir Boers nur zustimmen, wenn er urteilt: „Duke, however, over-interprets by taking this as the story of a betrothal in somewhat bizarre detail. The meaning of the story is in tension with what may be expected because of its closeness to such stories“ (170 f). Zudem legt es die – von Duke selbst beobachtete – enge Verwandtschaft der Rollen der Frau am Jakobsbrunnen mit derjenigen Johannes des Täufers (vgl. 3,29 f) doch nahe, nicht diese individuelle Frau, sondern die wachsende Gemeinde Jesu als bräutliches Symbol zu begreifen. Dank des Wirkens der Frau, die gesät hat, was Jesus jetzt ernten kann, und sich darüber zusammen mit ihm freut, beginnt hier mit dem Kommen der Samaritaner und ihrem Glauben die endzeitliche Restitution des erwählten Zwölf-Stämme-Volkes. Um ihretwillen mußte Jesus durch Samarien reisen (4,4). Zur intendierten Intertextualität mit den genannten biblischen Brunnenszenen vgl. noch Cahill (Narrative Art), Bonneau (Woman at the Well), Carmichael (Marriage) und Staley (First Kiss 98–103). – Daß die Situation von Joh 4 unmittelbar an die Begegnungen von Abrahams Knecht mit Rebekka (Gen 24,10 ff) und Jakobs mit Rachel (Gen 29) erinnert, ja daß „the whole passage … so full of patriarchal allusions“ ist, daß man sie als eine der ‚Imagination‘ des Johannes entsprungene ‚Allegorie‘ ansehen könnte, sieht auch Lindars, der dieser Möglichkeit jedoch vehement widerspricht (Komm. 179 f). Da für Johannes bereits Abraham den ‚Tag Jesu gesehen und sich gefreut hat‘ (8,56) und Jesaja Zeuge der Herrlichkeit des Auferstandenen wurde (12,41), dürfte zu dem „traditional material“, das Johannes (wie vor ihm schon Matthäus) ‚in freier Ausübung seiner Einbildungskraft reproduziert‘, auch die ganze biblische Geschichte des Gottesvolkes und seiner Patriarchen gehören. Zudem zeigt die Intertextualität mit allen drei synoptischen Evangelien sowie die fiktionale Gestalt des geliebten Jüngers und der entsprechenden Textpassagen, daß Johannes sich wohl dem narrativen Gesetz des Verisimile, nicht aber der (modernen) Forderung ‚historischer Zuverlässigkeit‘ verpflichtet weiß. Demgegenüber betont Lindars, daß Johannes stets gedacht habe, was er erzähle, sei etwas „that actually happened“ (ebd.), und darum müsse die Erzählung „at its face value“ genommen werden Doch Lindars setzt dabei ein dyadisches Oppositionsverhältnis von Fiktion und Wirklichkeit und damit eine fraglose Gewißheit darüber voraus, was denn Fiktion und was Wirklichkeit sei. Und diese dyadische Opposition ist insofern ontologisch gegründet, als Fikti‑ on hier dadurch charakterisiert ist, daß ihr einfach all jene Prädikate abgesprochen werden, die der Wirklichkeit eignen sollen. Daß diese naive Opposition von Fiktion und Wirklichkeit zum Erfassen literarischer Texte jedoch völlig unzureichend ist, hat W. Iser (Das Fiktive und das Imaginäre) überzeugend begründet. Er schlägt darum vor, „das geläufige Oppositionsverhältnis durch die Triade des Realen, Fiktiven und Imaginären abzulösen“. Denn „das Oppositionsverhältnis von Fiktion und Wirklichkeit würde die Diskussion des Fiktiven im Text um seine entscheidende Dimension verkürzen; denn offensichtlich gibt es im fiktionalen Text sehr viel Realität, die nicht
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nur eine solche identifizierbarer sozialer Wirklichkeit sein muß, sondern ebenso eine solche der Gefühle und Empfindungen sein kann. Diese gewiß unterschiedlichen Realitäten sind ihrerseits keine Fiktionen, und sie werden auch nicht zu solchen, nur weil sie in die Darstellung fiktionaler Texte eingehen. Andererseits ist es jedoch ebenso zutreffend, daß solche Wirklichkeiten, wenn sie im fiktionalen Text auftauchen, dort nicht um ihrer selbst willen wiederholt werden. Bezieht sich also der fiktionale Text auf Wirklichkeit, ohne sich in deren Bezeichnung zu erschöpfen, so ist die Wiederholung ein Akt des Fingierens, durch den Zwecke zum Vorschein kommen, die der wiederholten Wirklichkeit nicht eignen. Ist Fingieren aus der wiederholten Wirklichkeit nicht ableitbar, dann bringt sich in ihm ein Imaginäres zur Geltung, das mit der im Text wiederkehrenden Realität zusammengeschlossen wird. So gewinnt der Akt des Fingierens seine Eigentümlichkeit dadurch, daß er die Wiederkehr lebensweltlicher Realität im Text bewirkt, und gerade in solcher Wiederholung das Imaginäre in eine Gestalt zieht, wodurch sich die wiederkehrende Realität zum Zeichen und das Imaginäre zur Vorstellbarkeit des dadurch Bezeichneten aufheben“ (ebd. 19 f).
38: Daß dieser Vers mit seiner im Aorist formulierten Aussage: †gá üpfisteila ≠mô" jer‡zein ktl. und seiner rätselhaften Rede von den „Anderen“, die „vor den Jüngern mühsam gearbeitet haben“, zu den am heftigsten umstrittenen unseres Evangeliums gehört, hatten wir oben bereits gesagt. Die Schwierigkeit, die er der Auslegung bereitet, ist eine doppelte: Zum einen wurden die Jünger nach der Erzählung unseres Evangeliums bisher zu keiner Zeit von Jesus ausgesandt, geschweige denn mit dem Einbringen der eschatologischen „Ernte“ betraut; ihre ausdrückliche Sendung wird vielmehr erst durch den Auferstandenen und unter dem Geleit des österlichen Geistes erfolgen (20,21–23; vgl. u. a. Bultmann, Komm. 147). Und zum anderen wird das Problem der Identität der ±lloi, die vor den Jüngern gearbeitet haben sollen, höchst kontrovers diskutiert. Die Wendung: †gá üpfisteila ≠mô" jer‡zein ktl., auf den Weg der Jünger zum Einkaufen von Lebensmitteln in der samaritanischen p∙li" (V. 8) zu beziehen, wie Bligh vorschlägt, erscheint Brown zu Recht als „rather banal“, denn bei dieser ‚Sendung‘ geht es ja nicht um irgendeinen Einkaufs-Bummel, sondern um die große endzeitliche ‚Ernte‘ Gottes. Darum sieht Brown zur Deutung dieser Sendung denn auch nur diese beiden Möglichkeiten: Entweder versetze der Evangelist seine Leser hier in seine eigene nachösterliche Situation, so daß es sich bei dem üpfisteila um die Joh 20,19 ff erfolgte und Joh 21 beschriebene Sendung der Jünger handelte. Oder aber die hier im Tempus der Vergangenheit genannte Sendung der Jünger müsse sich auf einen in unserem Evangelium nicht erzählten Missionsauftrag Jesu an seine Jünger schon zu seinen Lebzeiten zurückbeziehen, wie ihn die Synoptiker berichten (vgl. die Aussendung der Zwölf: Mk 3,16–19 und 6,7 ff; Mt 9,37 f und 10,1 ff; Lk 9,1 ff; ihre Rückkehr: Mk 6,30; Lk 9,10 sowie die Aussendung der Zweiundsiebzig: Lk 10,1 ff). Da Brown es jedoch im Gegensatz zu unserer Überzeugung für „riskant“ hält, Johannes von der synoptischen Tradition her begreifen zu wollen, hält er diese letztere Interpretation nur dann für möglich, wenn V. 38 zuvor ein unabhängiges Logion gewesen sein sollte (Komm. I/183). Dagegen wird aber für eine leserorientierte Lektüre, wie die unsere, nur umgekehrt ein ‚Schuh daraus‘: Nicht irgendein dem Evangelisten vermeintlich bekanntes ‚isoliertes Logion‘, sondern allein die in den oben genannten synoptischen Prätexten erzählte Jüngeraussendung und das intertextuelle Spiel mit diesen Passagen, das der Autor seinem impliziten Leser zutraut und zumutet, eröffnet diesem die Möglichkeit, unseren V. 38 angemessen zu verstehen. 276
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Obwohl Schnackenburg sieht, daß Johannes im Gegensatz zu den synoptischen Aussendungsreden „gewiß nicht zufällig“ von einer derartigen Aussendung der Jünger zu Jesu Lebzeiten schweigt, so daß sich der „Aorist üpfisteila nicht darauf beziehen könne, fordert er dennoch, den Aorist üpfisteila ≠ma" ganz ernst zu nehmen. Doch sein „Ernstnehmen“ des Aorist besteht dann in der zweifelhaften Erklärung: „Jesus versetzt sich hier im Geiste in die Zukunft, da er die Jünger bereits ausgesandt hat“ und „Man wird also den Aorist üpfisteila, der genauso in 17,18 auftaucht, von der prophetischen Vorausschau her erklären müssen“ (Komm. I/485 f). Das ist jedoch ein äußerst schwaches Argument, denn es impliziert ja zugleich die unmögliche Voraussetzung, daß auch die Jünger, sofern sie hier doch als solche angeredet werden, die bereits ausgesandt wurden in die Ernte, sich ebenfalls „im Geiste“ – der ihnen doch noch gar nicht verliehen wurde – in den Status ihrer österlichen Sendung versetzt haben müßten. Unter Vernachlässigung des Ganges der Erzählung urteilen Becker, L. Schenke, Sanders/Mastin, Hoskyns, Haenchen, Wilckens, die hier die Stimme des Auferstandenen vernehmen wollen, und Bultmann, der V. 38 als zeitlose Beschreibung dessen auslegt, was den christlichen Missionar wesentlich ausmacht (Komm. 147; vgl. Wilckens, Komm. 88). Boers meint das Problem des Aorist mit der Schere der Literarkritik „lösen“ zu können, indem er den strittigen Satz zu einer späteren „Aktualisierung“ der alten Samaria-Erzählung durch einen Glossator erklärt (193 f).
Im Gegensatz zu all diesen und anderen doch sehr gewundenen Interpretationen hat Lindars als Implikation des Aorist üpfisteila sehr klar erkannt, daß Jesus hier unzweideutig von einer Aussendung seiner Jünger spricht, die vor unserer Erzählung erfolgt sein muß. Kaum befriedigend ist freilich seine Auskunft, daß – auch wenn Johannes diesen Missionsauftrag bis zu 20,21 ‚zurückhalte‘ („John actually reserves this [sc. mission charge] until 20,21“) – gleichwohl gelten soll: „However the charge has really been implicit in the apostolic call from the beginning“ (Komm. 197). Das letztere halten wir für ganz richtig. Doch diese Interpretation funktioniert nur, wenn unsere Passage als intertextuelles Spiel mit den entsprechenden synoptischen Prätexten von der Aussendung der Zwölf und der Zweiundsiebzig gelesen sein will. Und da haben wir in der Tat das Thema der eschatologischen Ernte und der Jüngeraussendung in unmittelbarem Zusammenhang: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige. Bittet daher den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende“ (Mt 9,37 f; in 10,12 folgt dann unmittelbar die Sendung der Zwölf). Noch näher steht unserer Erzählung freilich die durch das gleiche Wort von der „großen Ernte“ eingeleitete Aussendung der Zweiundsiebzig bei Lukas (10,1 ff), denn da heißt es nach deren Rückkehr am Ende: „Selig sind die Augen, die sehen, was ihr seht! Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige begehrten zu sehen, was ihr seht, und sahen es nicht, und zu hören, was ihr hört, und konnten es nicht hören“ (V. 23 f). Lindars bemerkt dazu treffend: „This is not dissimilar to the theme of the present verse. The point surely is that, whereas in the exciting eschatological perspective of Jesus’ preaching sowing and reaping coin cide, nevertheless the former labourers (i. e. the prophets) have died before seeing the harvest. There may perhaps be a verbal allusion to Jos 24,13, where the same word for labour (kopia¯ n) is used in the LXX“ (ebd.). Die in V. 38 als ±lloi Bezeichneten wären dann diese bei Lukas genannten „Propheten und Könige“. Und das erscheint uns auch als die weitaus plausibelste Lösung der viel diskutierten Frage nach deren Identität. Daß es sich bei der Sendung der Jünger, von der V. 38 redet, nicht um den Auftrag zu einer Samaria-Mission handeln kann, hatten wir in der Auseinandersetzung mit Olsson schon gesagt. Die Eröffnung dieser Mission ist vielmehr die göttliche Bestimmung Jesu (≤dei dÇ a§tÖn difircesjai diÅ tö" 277
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Samare‡a": V. 4). Als der „gute“ und „einzige Hirte“ (Ez 34,23) ist er dazu gesandt, die verirrten und getrennten Schafe Ephraims und Judas wieder zu vereinen zu der einen Herde seines ‚Vaters‘ (s. u. zu Joh 10 als intertextuellem Spiel mit Ez 34; und vgl. dazu Beutler, Hirtenrede). Da der Reiz jeglicher Intertextualität auf der Spannung beruht, die sie zwischen dem neuen Text und seinen Prätexten erzeugt, bleibt der neue Text auf den alten angewiesen. Wie sehr sein Autor den alten Text auch variieren mag, so setzt sein intertextuelles Spiel den Prätext gerade in Kraft, und es würde scheitern, wenn er ihn einfach ersetzen wollte. Vor dem Hintergrund von Jesu ausdrücklichem Gebot an seine zur Mission ausgesandten Jünger, keine Stadt der Samaritaner zu betreten (Mt 10,5), gewinnt darum Jesu ureigene Eröffnung dieser ‚Mission‘ ihren spezifischen Reiz. Die meisten Autoren beziehen die „Aussendung“ der Jünger unter Berufung auf den Kontext von Joh 4 auf deren Samaria-Mission; und zugleich begreifen sie die glückliche Koinzidenz der gleichzeitigen Erntefreude der Säenden – nämlich der Samaritanerin – und Jesu als des Erntenden (V. 37) nicht als die glückliche Ausnahme und Bestätigung der pessimistischen Regel, daß in der Welt zumeist andere die Früchte derer ernten, die sich auf dem Acker um Saat und Wachstum gemüht haben. Bultmann hat diese ‚Regel‘ beschrieben (Komm. 146), dabei aber den konkreten Fall dadurch um seinen Ausnahmecharakter gebracht, daß er die Regel zu einer Art Gesetz der „eschatologischen Zeit“ stilisiert. Daher und aus der Verknüpfung von V. 38 mit der (nachösterlichen) christlichen Mission Samarias (vgl. Act 1,8 und 8,4 ff) rühren die zahlreichen Versuche, jene „Anderen“ zu identifizieren, in deren mühsame Arbeit die ausgesandten Jünger eingetreten sind. Teresa Okure nennt die Frage nach der Identität der ±lloi „one of the most hotly debated issues in the whole passage“ (159). Sie bietet einen instruktiven Überblick über diese Versuche der Identifikation und unterscheidet dabei die folgenden sechs Perspektiven: (1) die literarischkontextuelle, der Jesus und die Samaritanerin im Gegensatz zu den Jüngern als die „Anderen“ gelten (so Bernard, Komm. I, 159; Olsson, Structure 233; Hoskyns, Komm. 247). (2) die literarisch-geographische, unter der J. A. T. Robinson die „Anderen“ in Johannes (dem Täufer) und dessen Jüngern identifiziert, weil die nach Joh 3,23 noch vor Jesus und den Seinen in „Ainon nahe bei Saleim“ getauft haben (Twelve Studies 61 ff; vgl. Bligh, Jesus in Samaria 342; falls V. 38 vorjohanneisch sein sollte, erwägt das auch Bultmann, Komm. 199, Anm. 2). (3) die gesamtbiblische, wonach die „Anderen“ Gottes Propheten (unter Einschluß des Täufers) wären, die ja eher auftraten als Jesus, der mit seinen Jüngern in deren Arbeit eingetreten sei (so schon die meisten Kirchenväter u. Lagrange, Komm. 121; F. M. Braun, Jean II 24; Odeberg 190; u. Boismard/Lamouille 144). (4) die gesamt-neutestamentliche Perspektive, unter der die „Anderen“ entweder die ersten Jünger Jesu, deren Werk allen späteren gegenüber ja unmittelbar im Werk Jesu gründet, seien (Spitta, JohEv 102 f; Wellhausen, Joh 21; Wilkens, Entstehung 136), oder aber Philippus und die hellenistischen Missionare (unter denen möglicherweise der vierte Evangelist gewesen sei) seien im Gegensatz zu den erst später nach Samaria gekommenen Aposteln Petrus und Johannes die „Anderen“ (Cullmann, Joh. Kreis 51 f; Bligh ebd. 344; Becker, Komm. I, 214; Schnackenburg, Komm. I, 486 f). (5) die existential-ontologische Perspektive Bultmanns, der in den ‚Anderen‘ jeweils die Vorläufer eines jeglichen missionarischen Wirkens sieht (Komm. 199; Haenchen, Komm. 247 f), und endlich (6) die strukturell-theologische Perspektive, der Jesus und der Vater als die ‚Anderen‘ gelten, in deren Arbeit die Jünger eingetreten sind (so mit Nachdruck Okure selbst [160 ff] sowie Zahn, Komm. 263; Thüsing, Erhöhung 57 und Giblin, Crossing 99 f).
Aus den oben genannten Gründen, vor allem aber weil es uns gänzlich unwahrscheinlich dünkt, daß mit V. 38 plötzlich und im Widerspruch zu dem hier gebrauchten 278
Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,38–39
Aorist üpfisteila „die Situation aus der vorösterlichen in die Zeit der Gemeinde nach Ostern“ hinüberspringen soll (Becker, Komm. I, 214), sind wir mit den Kirchenvätern und den oben genannten Zeitgenossen der Meinung, daß Mose und die Propheten bis hin zu Johannes dem Täufer und unserer samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen jene ±lloi sein müssen, die die Saat ausgebracht und die Felder bestellt haben, in deren Ernte die Jünger eintreten. Daß der Täufer (ebenso wie jetzt die Samaritanerin) nicht zu den ‚Säenden‘ gehören könne, weil er und seine Jünger „gerade Konkurrenten zur joh Gemeinde“ seien (Becker ebd.), ist ein schwaches Argument. Denn maßgebend kann hier ja nicht die historistische Konstruktion eines vermeintlichen KonkurrenzVerhältnisses von Täufer‑ und Jesus-Gemeinde zur Zeit unseres Evangelisten sein, sondern allein das in seinem Evangelium gezeichnete Bild des Täufers als des treuen und wahrhaftigen Zeugen Jesu, der als der Freund des Bräutigams seine Freude über das Erklingen von dessen Stimme äußert und als seine göttliche Bestimmung erklärt: „Er muß wachsen, ich aber abnehmen“ (3,28 ff). Und wie das Zeugnis der Samaritanerin als gute ‚Saat‘ ihre Landsleute zu Jesus führte, so daß er auf den Feldern von ‚Ephraims Erbteil‘ die ‚Ernte‘ eröffnen konnte, so hatte auch der Täufer sein notwendiges (deõ) ‚Abnehmen‘ ja eingeleitet durch seine martur‡a von Jesus als dem ‚Lamm Gottes‘, die diesem seine ersten beiden Jünger zuführte. Und weil in unserer Erzählung ganz eindeutig die Frau die ‚Säende‘ und Jesus als der messianische Gesandte Gottes der ‚Erntende‘ ist, erscheint uns Okures Konstruktion, wonach der Plural ±lloi sich auf Jesus und den ‚Vater‘ beziehen soll, während die Jünger die ‚Erntenden‘ seien, gänzlich unmöglich. Denn zum einen ist in der gesamten Tradition der Erntemetaphorik Gott (für Johannes in der Einheit mit seinem messianischen ‚Sohn‘) der „Herr der Ernte“, so daß die Jünger bestenfalls seine ‚Mitarbeiter‘ sind; und zum anderen scheint uns die Wendung ±lloi kekopi›kasin und die Rede von deren k∙po" schlecht auf das vom ‚Vater‘ durch den ‚Sohn‘ vollendete ‚Werk‘ zu passen. (4) Jesus und die Samaritaner aus Sychar (4,39–42) 39
Aus jener Stadt aber glaubten viele der Samaritaner an ihn aufgrund des Wortes, das die Frau ihnen bezeugt hatte, als sie erklärte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe. 40 Als die Samaritaner nun zu ihm gekommen waren, da luden sie ihn ein, doch bei ihnen zu bleiben. Und er blieb zwei Tage dort. 41 Und noch viel mehr von ihnen glaubten nun aufgrund seines Wortes. 42 Der Frau aber erklärten sie: Wir glauben jetzt nicht mehr (nur) aufgrund deiner Botschaft, denn nun haben wir ihn ja selbst gehört und die Gewißheit gewonnen: Dieser ist wahrhaftig der Erlöser der Welt. Boers überschreibt unsere Passage zu Recht mit „The Harvest“ (196–200). Nach der Jüngerepisode (V. 31–38), die vor allem der Einführung der Erntemetaphorik diente, nimmt der Erzähler mit V. 39 den in V. 30 niedergelegten Faden unmittelbar wieder auf. Dem zuvor Gesagten, daß die Leute von Sychar „aus der Stadt hinausgingen und sich zu Jesus auf den Weg machten“ (V. 30), fügt er nun als neue Information hinzu, daß sie diesen Weg angetreten hatten, „weil sie auf Grund des l∙go" der Frau, die bezeugt hatte: ‚Er hat mit alles gesagt, was ich getan habe‘, zum Glauben an Jesus gekom279
4,1–42
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
men waren (†p‡steusan e¢" a§t∙n). Wenn dieses Zeugnis der Frau hier noch einmal ausdrücklich als Grund des Kommens der Samaritaner zitiert wird, so ist dabei aber wohl weniger an ihre anfängliche Einsicht in das prophetische Wesen Jesu zu denken (k‚rie, jewrù Ωti profflth" eè s‚: V. 19), als vielmehr an ihre hoffnungsvolle und endlich von ihren Landsleuten bestätigte Erwartung: mflti oñt∙" †stin ¨ crist∙" (s. o. zu V. 29; und vgl. Bernard, Komm. I/152: „The question is put tentatively, with just a shade of hope, that the answer may turn out to be in the affirmative“). Auf Grund der analogen Formulierung in Jesu Gebet für die Seinen: „Ich bitte nicht allein für diese, sondern auch für diejenigen, die durch ihr Wort an mich glauben werden“ (pisteu∙ntwn diÅ toú l∙gou a§tùn e¢" †mfi (17,20), bezeichnet S. Schneiders die Wendung: diÅ tÖn l∙gon tö" gunaikÖ" marturo‚sh" ktl., wohl treffend als „apostolic identification of the woman“ (Women 40). Wenn ihre Landsleute diesen l∙go" der Samaritanerin in V. 42 als lal‡a bezeichnen und ihrer lal‡a als den wahren Grund ihres Glaubens den l∙go" Jesu gegenüberstellen, so darf dieses stilistisch motivierte Spiel mit Synonyma doch keinesfalls als Herabstufung des ‚apostolischen l∙go"‘ der Frau zum bloßen „Gerede“ und der dadurch erweckte Glaube der Samaritaner als unvollständiger und nur vorläufiger begriffen werden. Für den neutestamentlichen Gebrauch des Substantivs lal‡a, das im gesamten NT im übrigen nur dreimal vorkommt – nämlich Mt 26,73 sowie Joh 4,42 und 8,43 –, gilt im wesentlichen das bereits oben zum Gebrauch des Verbums lalfiw Gesagte. Keiner dieser drei Stellen haftet auch nur ein Hauch des negativen Beiklangs von ‚leerem Gerede‘ oder ‚törichtem Geschwätz‘ an, der für den Gebrauch des Lexems in der klassischen Literatur typisch ist (vgl. Debrunner, lalfiw 75 f). Bei Matthäus definiert der Kontext von 26,73 lal‡a als „Dialekt“. Dagegen ist es für das doppelte Vorkommen des Lexems bei Joh aufschlußreich, daß lal‡a hier in beiden Fällen als Synonym von l∙go" erscheint. Ist nämlich an unserer Stelle zunächst von dem Glauben weckenden l∙go" der Samaritanerin und von ihrem martureõn die Rede und, in deutlicher Bezugnahme darauf, danach erst von ihrer lal‡a, so fragt Jesus – in Umkehrung dieser Folge der beiden Lexeme – seine Opponenten in Joh 8,43 zunächst: diÅ t‡ tÉn laliÅn tÉn †mÉn o§ gin„skete; um darauf dann sogleich selbst zu antworten: Ωti o§ d‚nasje üko‚ein tÖn l∙gon tÖn †m∙n (vgl. R. Walker 52 f). Darum kann die Differenz, die Vers 43 ja ganz fraglos ausdrückt, nicht zwischen der lal‡a der Frau und dem l∙go" Jesu, sondern nur zwischen ihm und seiner Zeugin bestehen. Schnackenburg irrt, wenn er die lal‡a der Frau als bloßes ‚Gerede‘ bezeichnet, weil sie „weder Auftrag noch Vollmacht zur Verkündigung“ besessen habe (Komm. I, 489 f). Denn im Sinne des narrativen Genre unserer Szene ist die Frau durch Jesu Forderung: æpage f„nhson tÖn ±ndra sou kaÑ †ljÇ †nj›de (V. 16), vielmehr sehr wohl mit ‚Auftrag und Vollmacht‘ versehen. Das wird ja daran deutlich, daß auf ihren l∙go" und ihr martureõn hin die Samaritaner „an Jesus glaubten“. Nach Schnackenburgs Logik wäre ja auch die Berufung des Petrus durch Andreas (1,41 f), des Nathanael durch Philippus (1,45 ff) und der Maria durch Martha (11,28) ohne Auftrag und Vollmacht erfolgt. Dabei zeigen doch gerade Marthas Worte an ihre Schwester: ¨ did›skalo" p›restin kaÑ fwneõ se (11,28), daß allein die bloße Gegenwart Jesu schon ‚Auftrag und Vollmacht‘ impliziert. Angemessener urteilt darum u. E. Bultmann, wenn er hier unter Verweis auf Kierkegaards ‚Philosophische Brosamen‘ eine „symbolische Darstellung des Problems der Hörer ‚zweiter Hand‘“ erkennt und erklärt: Der Evangelist „konnte ja nicht wohl eine Szene bilden, in der Hörer der Boten Jesu zu diesem selbst vordringen, denn nach seinem Plane werden die Jünger ja erst vom Auferstandenen entsandt. Sie werden deshalb hier von der Frau vertreten; diese repräsentiert die vermittelnde Verkündigung, die den Hörer zu Jesus selbst führt. … Damit ist gesagt: der Glaube darf nicht auf die Autorität Anderer hin glauben, sondern muß selbst seinen Gegenstand finden; er muß durch das verkündigte Wort hindurch das Wort des Offenbarers selbst vernehmen. Es entsteht also die eigentümliche Paradoxie, daß die unentbehrliche Verkündigung, die den Hörer zu Jesus führt, doch gleichgültig wird, indem der Hörer im glaubenden Wissen
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Dritte Szene: Jesus und die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen von Sychar
4,39–42
selbständig und damit auch zum Kritiker an der Verkündigung wird, die ihn selbst zum Glauben führte“ (Komm. 148 f; s. auch u. zu 20,29).
Daß es „mehr und besseren Glauben als diesen“ durch das Zeugnis der Samaritanerin erweckten und hier mit „pisteuein eis auton umschriebenen … bei Joh nirgends“ gibt (R. Walker 51), zeigt sich auch daran, daß die Leute aus Sychar Jesus sogleich bitten, „doch bei ihnen zu bleiben“ (V. 40). Wie einst die Patriarchen der biblischen Brunnenerzählungen wird er damit von den Leuten der Frau eingeladen, und wie einst die Väter, so nimmt auch er jetzt diese Einladung an: kaÑ ≤meinen †keõ d‚o ™mfira". Dieses „Bleiben“ bei den Samaritanern will auf dem Hintergrund und im Gegensatz zu der fast förmlichen „Flucht“ Jesu aus Judäa verstanden sein, wo er keine „Bleibe“ fand, weil seinem allwissenden Blick die sich anbahnende Feindschaft der ‚Pharisäer‘ nicht verborgen bleiben konnte (4,1–3). Zugleich mag Jesu mfinein in Sychar erinnern an das Bleiben von Andreas und dessen anonymem Gefährten, den Erstlingen seiner Jünger (1,37–40). Und wenn nun über diesem „Bleiben“ Jesu unter den Leuten von Sychar noch weit mehr von ihnen diÅ toú l∙gou a§toú zum Glauben an ihn kommen und wenn diese der Samaritanerin dann erklären, nun nicht mehr auf Grund ihrer lal‡a, sondern darum zu glauben, weil sie jetzt selbst gehört und erkannt haben, daß dieser fremde jüdische Gast tatsächlich der swtÉr toú k∙smou ist, so dient diese scheinbare Herabsetzung der Frau ironischerweise in Wahrheit gerade ihrer Erhöhung und Bestätigung als „wahrhaftige Zeugin“, die – wie Johannes der Täufer – „abnehmen muß“, damit der Bezeugte „wachse“. Und wie der Täufer bleibt auch diese samaritanische Frau im geschriebenen Evangelium als Zeugin präsent, „damit ihr an dem Glauben festhaltet, daß Jesus der messianische Gottessohn ist, und als so Glaubende das ewige Leben gewinnt“ (20,31). Das indirekte (oñt∙" †stin) Bekenntnis der Samaritaner zu Jesus als dem swtÉr toú k∙smou ist in der Welt unseres Textes als die Nominalisierung der vorausgegangenen verbalen Aussage zu begreifen, daß Gott seinen Sohn gesandt habe: ºna swjÔö ¨ k∙smo" diû a§toú (3,17). In der Welt der frühen Leser unseres Evangeliums könnte dieses Bekenntnis aber zugleich als Antithese zu der im Kaiserkult ausgebildeten und z. B. für Hadrian belegten Prädikation des Imperators als swtÉr toú k∙smou begriffen worden sein. Ein intertextueller Reflex dieses Bekenntnisses der Samaritaner scheint 1Joh 4,14 zu sein: kaÑ ™meõ" teje›meja kaÑ marturoúmen Ωti ¨ patÉr üpfistalken tÖn u´Ön swtöra toú k∙smou (vgl. zum swtflr-Prädikat den entsprechenden Exkurs bei Dibelius-Conzelmann, Past 74 ff [Lit.!]). Wenn man mit E. Stegemann (Kindlein) den Schlußsatz des 1Joh: „Kindlein, hütet euch vor den Götterbildern!“ (5,21), als aktuelle Warnung vor dem Verleugnen des Christusbekenntnisses dem Kaiserbild gegenüber begreifen darf, gewinnt diese Perspektive erheblich an Plausibilität. In diesem Zusammenhang wird unten auch die Rede der ‚Juden‘ Pilatus gegenüber: o§k ≤comen basilfia e¢ mÉ Ka‡sara (19,15) sowie das an die Prädikation Domitians erinnernde Bekenntnis des Thomas: ¨ k‚ri∙" mou kaÑ ¨ je∙" mou (20,28), zu erörtern sein.
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4,43–54
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
Vierte Szene: Die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Kana (4,43–54) (1) Einleitung (4,43–46a) 43
Nach diesen zwei Tagen brach er von dort nach Galiläa auf. 44 Denn er selbst, Jesus, hatte ja bezeugt, daß ein Prophet in seinem eigenen Vaterland kein Ansehen genieße. 45 Als er nun in Galiläa angekommen war, da empfingen ihn die Galiläer (freundlich), weil sie ja noch alles vor Augen hatten, was er in Jerusalem während des Passafestes getan hatte, waren sie doch selbst auch zu diesem Fest hinaufgezogen. 46a Er begab sich aber wiederum nach Kana, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte. Nach der Unterbrechung seines Weges am Jakobsbrunnen bei Sychar setzt Jesus seine Reise aus dem feindlichen Judäa ins freundliche Galiläa nun fort (4,1–3). Vom Ende der Episode am Brunnen her weiß der Leser jetzt auch, warum Jesus durch Samarien reisen mußte (≤dei: 4,4). Denn nun ist deutlich, daß nicht die geographische Lage Samariens und Jesu Absicht, möglichst rasch nach Galiläa zu gelangen, ihn zur Wahl gerade dieser Route genötigt hatten. Sie erweist sich dem Leser jetzt vielmehr insofern als ‚heilsnotwendig‘, als Jesus als der messianische ‚Schnitter‘ in Samaria den ‚Anbruch‘ seiner eschatologischen ‚Ernte‘ unter den verlorenen Söhnen Jakobs einbringen mußte, der hier dank der ‚Sämanns-Arbeit‘ der Frau vom Brunnen des Patriarchen gereift war. Da der Satz: a§tÖ" gÅr ûIhsoú" †mart‚rhsen Ωti profflth" †n tÔö ¢d‡a patr‡di timÉn o§k ≤cei, in unserem Evangelium entgegen dem Tempus †mart‚rhsen bisher nicht vorkam, will er wiederum als Spiel des Erzählers mit den synoptischen Prätexten verstanden sein. Wir sagen ‚Spiel‘ und nicht ‚Zitat‘, weil nicht nur der Erzähler, sondern auch sein impliziter ‚Zuhörer‘ natürlich weiß, daß Jesus dieses Wort in den älteren Evangelien im Zusammenhang seiner ‚Verwerfung‘ im galiläischen ‚Nazareth‘ äußert: Mk 6,4 in der Passage Mk 6,1–6a; Mt 13,57 in V. 53–58; Lk 4,24 in 4,16–30 (vgl. EvThom 31 [= POx 1,6]: „Nicht ist ein Prophet [profflth"] genehm in seinem Dorfe. Nicht heilt ein Arzt die, welche ihn kennen“ und siehe dazu Resch, Agrapha 69). Anstelle des timÉn o§k ≤cei bieten Mk und Mt: o§k ≤stin ... ±timo" e¢ mÉ ktl. und Lk: o§deÑ" profflth" dekt∙" ≤stin ktl. Bei dieser Äußerung Jesu handelt es sich wohl um die Variante eines Sprichworts aus der Welt der Philosophen (vgl. das Material bei Wettstein zu Mk 6,4). Bauer (Komm. 77) zitiert dazu eine sachlich verwandte Passage aus Apolonius von Tyana, den es befremdet, daß gegenüber den vielen Menschen, die ihn als ‚gottgleich‘ (¢s∙jeon), ja als ‚Gott‘ verehren, „allein meine eigene Stadt mich verachtet“ (m∙nh mficri nún ™ patrÑ" ügnoeõ: Epist 44). Daß Jesus sich mit diesem Wort „nicht so sehr als Propheten“ bezeichnet, „als daß er sein Los mit dem eines solchen vergleicht“ (Klostermann, Mk 64), ist gewiß zutreffend. Trotz der immer wieder behaupteten, wenn auch nie zweifelsfrei erwiesenen Unabhängigkeit des Joh von den Synoptikern identifizieren die meisten Exegeten die ¢d‡a patr‡" Jesu, von der unser Vers spricht, gut synoptisch mit Galiläa oder sogar speziell mit Nazaret. So u. a. W. Bauer (Komm. 90), dem Bultmann darin folgt (Komm. 150), sowie Wilckens (Komm. 90), Schenke (Komm. 91), Brown (Komm. I, 186 ff), Schnackenburg (Komm. I, 494 f) und – zumindest implizit – de Jonge (Nikodemus 31 ff). Obwohl Schlatter erklärt: „Jerusalem ist die patr‡" jedes
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Vierte Szene: Die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Kana
4,43–45
Juden“, identifiziert auch er die in V. 44 genannte ‚eigene Heimat‘ Jesu mit Nazaret. In einer uns nicht nachvollziehbaren Verkehrung seines Sinnes soll der hier zitierte Spruch „den Gedanken ab(weisen), daß Jesus deshalb nach Galiläa gegangen sei, weil er timfl gesucht habe“, und daß ihm „nur da, wo er keine Ehre empfing … das Wirken noch nicht verwehrt“ gewesen sei (Evangelist 135). Hoskyns bemerkt dazu treffend: „This interpretation seems most unnatural“! (Komm. 260). Völlig unbegreiflich ist uns erst recht, wie Freed diese patr‡" Jesu, die ihrem ‚Propheten‘ die gebührende Ehre verweigert, in eklatantem Widerspruch zu der überwältigend freundlichen Aufnahme, die Jesus gerade unter den Samaritanern erfahren hat, ausgerechnet mit Samarien identifizieren kann (Samaritan Converts). Auch Lightfoot, der – anders als die eben Genannten – Johannes als einen Interpreten der Synoptiker begreift, will gegen Origenes (In Ioh XIII/54; GCS X/284) und die ihm folgende Tradition keinesfalls in Judäa und/oder Jerusalem, sondern in Galiläa die hier mit ¢d‡a patr‡" bezeichnete „Heimat“ Jesu sehen. Wie alle zuvor Genannten muß er dazu freilich die freundliche Aufnahme Jesu durch die Galiläer negativ bewerten. Dazu muß zu Unrecht V. 48 herhalten, der beweisen soll, daß Jesu freundliche Aufnahme in Galiläa nicht ihm selbst, sondern allein dem Täter großer shmeõa kaÑ tfirata galt (s. u. zu V. 48). Wie vor ihnen schon Bernard (Komm. z. St.) beseitigen Hirsch (Studien 55) und J. Jeremias (Literarkritik 44) das Problem, indem sie V. 44 kurzerhand einem späteren – und wie zumeist in diesen Fällen – noch dazu ausgesprochen geistlosen Glossator in die Schuhe schieben. Jeremias will dafür in dem artikellosen ûIhsoú" ein Indiz sehen. Doch der Artikel wird in diesem Fall ja wohl durch das eröffnende a§t∙" vertreten. Hirsch sieht dagegen wohl ganz richtig, daß, „wer V. 44 schrieb, … auf ein schriftliches Evangelium“ verwies. Doch weil der Evangelist das sonst nicht tue, ist ihm „damit …der Vers schon verdächtig“. Wegen der schon von Bauer, Bultmann, Brown u. a. genannten johanneischen Passagen, die Galiläa als die irdische Heimat Jesu erweisen, bestreitet Becker, daß V. 44 Jesu Weggang aus Judäa motivieren solle und daß darum Judäa die hier gemeinte patr‡" Jesu sein müsse. Er sieht in V. 44 die Marginalie eines frühen Lesers, die erst ein späterer Abschreiber in den Text „eingebaut“ habe, um dem Leser zu signalisieren: „In seiner Heimat (nämlich in Galiläa) fand Jesus keine Aufnahme, denn der Königliche ist (nur heidnische) Ausnahme“ (ebd.). Daß V. 44 möglicherweise eine „redaktionelle Glosse“ sein könnte, erwägt auch Schnackenburg (Komm. I, 495).
All diesen Versuchen gegenüber, die ¢d‡a patr‡" Jesu entweder mit Galiläa-Nazaret zu identifizieren, sie, wie Lightfoot, spiritualisierend in den Himmel zu versetzen oder aber den ganzen Vers als späte Glosse auszuscheiden, sieht Lindars klar, daß dem Spruch damit eine falsche und kontextwidrige Anwendung gegeben wird. Denn im Blick auf seinen Ort im Text gelte: „It can only be intended to explain Jesus’ move to Galilee, and so must apply to the first hints of opposition in Jerusalem“ (Komm. 200 f). Darum kann hier – wie Origenes bereits begründet hatte – nur Jerusalem, die Kapitale Judäas, die Stadt, die das ‚Haus seines Vaters‘ birgt und der unverwechselbare Ort seiner definitiven Verwerfung durch seine Kreuzigung ist, die ¢d‡a patr‡" Jesu sein. Hatte schon Schlatter gesagt, daß – unabhängig von dem zufälligen Ort seiner Geburt oder Erziehung – Jerusalem die patr‡" eines jeden Juden sei (s. o.), so muß das natürlich allen anderen Juden gegenüber vornehmlich von dem messianischen basileÜ" tùn ûIouda‡wn gelten. Das hat Hoskyns eingehend begründet: „Jesus was dishonoured in Jerusalem, His true native city, but was honoured in Samaria (4,39) and in Galilee the land of the Gentiles. … This means that a proverb which in the earlier tradition was applied to Nazareth is here applied to Jerusalem“ (Komm. 260 f). Ganz ähnlich erklärt Dodd im Blick auf Joh 1,11: „The Logos was in the world unknown. He came to His own place (Jerusalem is the patr‡" of Jesus in the Fourth Gospel, 4,44), and those who were His own received Him not“ (Interpretation 351 f; vgl. Tasker, Komm. 83). 283
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Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
Weil nun aber diese überraschende Beziehung des Logions vom Propheten, den seine eigene Vaterstadt verachtet, auf Jerusalem in schroffem Widerspruch zu der synoptischen Erzählung von Jesu Verwerfung in Galiläa (oder Nazaret: Lk 4,16 ff) steht, erklären die Kommentatoren fast durchgängig, das Wort müsse dem Evangelisten darum quasi kontextlos aus der „mündlichen Tradition“ zugekommen sein. Doch ebenso wie Teeple (Oral Tradition) halten wir diese viel beschworene „mündliche Tradition“, die behandelt wird, als sei sie eine gegebene Größe, seit langem für ein Phantom. Erst recht unvorstellbar ist die Hypothese, daß isolierte und damit nahezu beliebig einsetzbare Logia auf diese Weise tradiert worden seien. Ihr gegenüber ist Hirschs Einsicht, daß, „wer V. 44 schrieb“ damit „auf ein schriftliches Evangelium“ verwies, doch entschieden plausibler. Anders als Hirsch sehen wir darin freilich keinen Grund, den Vers unserem Evangelisten abzusprechen und ihn einem späteren Glossator zuzuschreiben. U. E. spielt hier vielmehr der Autor selbst mit seinen synoptischen Prätexten. Und dabei traut und mutet er seinem Leser die aktive Teilnahme an diesem Spiel zu. Wie die Variationen eines musikalischen Themas ihren Reiz allein aus der Spannung beziehen, die sie zwischen sich und dem vorgegebenen Thema erzeugen, so versetzt auch diese neue Gestaltung der alten Erzählung von Jesu Verwerfung in Nazaret (Lk 4,16 ff) den Leser in erstaunte Spannung und fordert ihn dazu heraus, darüber nachzudenken, ob – trotz Jesu unbestrittener Herkunft aus Galiläa und seiner Verwerfung in Nazaret, um die er ja aus den älteren Evangelien weiß – die wahre patr‡" des messianischen Gottessohnes in einem tieferen Sinn nicht dennoch nur die Davidsstadt Jerusalem sein kann. Das hätte in Jesu Wort: „Das Heil kommt von den Juden“ (4,22) seine Entsprechung. Die Formulierung, daß die Galiläer Jesus ‚gastlich aufnahmen‘ (†dfixanto), könnte ein Hinweis darauf sein, daß Johannes hier mit der lukanischen Gestalt der Erzählung spielt. Denn bei Johannes begegnet das Lexem dficomai einzig an dieser Stelle, und das Wort vom verachteten Propheten lautet bei Lukas so: ümÉn lfigw ≠mõn o§deÑ" profflth" dekt∙" †stin †n tÔö patr‡di a§toú (4,24). Man darf im übrigen aus diesem †dfixanto a§t∙n wegen der dafür gegebenen Begründung: „weil ihnen noch alles, was Jesus während des Festes in Jerusalem getan hatte, lebendig vor Augen stand“ (p›nta ©wrak∙te" ktl.: Perfekt!), keine nur halbherzige Aufnahme durch die Galiläer herauslesen und ihren Glauben als vermeintlich „bloßen Wunderglauben“ negativ bewerten. Denn zum einen ist hier von ‚Wundern‘ (shmeõa) mit keiner Silbe die Rede, und zum anderen kommt es ja gerade auf das richtige „Sehen“ der Zeichen an. Jesus tadelt die Galiläer, die ihn nach dem Brotwunder jenseits des Jordan endlich in Kapharnaum finden, ja nicht, weil sie seine „Zeichen“ gesehen hätten. Sein Tadel trifft sie vielmehr, weil sie seine shmeõa gerade nicht gesehen, sondern nur „von den Broten gegessen haben und satt geworden sind“ (6,26). Und nicht allein als einst sichtbare Geschehnisse sind Jesu shmeõa konstitutive Indizien dafür, daß der Vater diesen Sohn gesandt hat, die Welt zu retten, sondern noch als in diesem Evangelium erzählte und aufgeschriebene Spuren sollen sie seinen Lesern dazu verhelfen, unbeirrt an dem Glauben festzuhalten, daß Jesus der messianische Gottessohn ist, damit sie in solchem Glauben das ewige Leben gewinnen (20,30 f). – Eine breite und einleuchtende Begründung dafür, daß die hier genannte ¢dÑa patr‡" Jesu tatsächlich nur Judäa/Jerusalem sein kann, bietet die Untersuchung von Willemse (La patrie); vgl. in diesem Sinne außerdem Meeks (Galilee 39 ff); Fortna (Locale); Olsson (Structure 27 ff u. 143 ff); Merino (Galilee); und Bassler (Galileans). 284
Vierte Szene: Die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Kana
4,46
46a: Wenn der Erzähler jetzt das Lexem p›lin aus 4,3 ‚wiederaufnimmt‘ und so das Folgende mit 4,1–3 eng verknüpft, so macht er damit zum einen deutlich, daß die zwischen diesen beiden Versen liegende samaritanische Episode am Jakobsbrunnen erzählerisch in der Tat eine Art ‚Parenthese‘, „a passing through“ ist (Olsson, Structure 144). Zum anderen aber signalisiert er durch die Wiederaufnahme des p›lin zugleich nachdrücklich, daß Jesus über seinem Weg durch Samarien hindurch dennoch Galiläa als das eigentliche Ziel seiner Reise nie aus den Augen verloren hat. Schien das ≤dei von V. 4 zunächst nur auf den gewöhnlichen Weg der galiläischen Jerusalem-Pilger durch Samarien hindurch zu verweisen, so weiß der Leser inzwischen aus dem Verlauf der Erzählung, daß damit weit mehr als diese Banalität zur Sprache gebracht war: Markiert war damit die heilsgeschichtliche Notwendigkeit dieses Weges, auf dem Jesus das ‚Werk‘ der Ernte Gottes unter den samaritanischen Söhnen und Töchtern Jakobs ‚vollenden sollte‘. Nur wenn man diese kunstvolle Wiederaufnahme des p›lin übersieht, kann man wie Brown die Samaria-Episode zu einem sekundär eingeschobenen Stück erklären und behaupten, man dürfe die V. 43–45 nicht auf 4,1–3 zurückbeziehen, weil sie sich an ihrem Ort in der Erzählung ja nur auf Jesu Verlassen Samarias und nicht etwa Judäas bezögen (Komm. I, 187). (2) Die Fernheilung des Sohnes des basilikov" (4,46b–54) 46b
Und es war da ein gewisser königlicher Beamter, dessen Sohn in Kapharnaum krank darnieder lag. 47 Als der vernahm, daß Jesus aus Judäa nach Galiläa komme, ging er zu ihm und bat ihn, doch herunter zu kommen und seinen Sohn zu heilen, der liege im Sterben. 48 Da sagte Jesus zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, dann werdet ihr niemals glauben. 49 Doch der Königliche bat ihn weiter: Herr, komm doch bitte herab, ehe mein Sohn stirbt! 50 Und Jesus antwortete ihm: Geh hin, dein Sohn lebt! Und der Mann glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm gesprochen hatte, und ging hin. 51 Während er noch hinabstieg, da kamen ihm bereits seine Sklaven entgegen und meldeten ihm, daß sein Sohn lebe. 52 Da erfragte er von ihnen die Stunde, von der an er gesundet sei. Und sie sagten ihm: Gestern um die siebte Stunde verließ ihn das Fieber. 53 Da begriff der Vater, daß das in eben jener Stunde geschehen war, in der Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt! Und er glaubte, er selbst samt seinem ganzen Hause. 54 Dieses wirkte Jesus als zweites Zeichen, als er aus Judäa wieder nach Galiläa gekommen war. In dieser Erzählung von der Heilung des Sohnes eines Königlichen (Hofbeamten?) haben wir fraglos eine Variante der synoptischen Geschichte des ‚Hauptmanns von Kapharnaum‘ (Mt 8,5–13 // Lk 7,1–10) vor Augen. Denn hier wie da ist es ein Bewohner Kapharnaums, der Jesus um Hilfe bittet, und hier wie da ereignet sich auf das Wort Jesu hin eine ‚Fernheilung‘. Die Differenzen zwischen den beiden synoptischen Gestalten der Erzählung und dieser johanneischen werden zumeist auf das Konto verschiedener Quellen verbucht. Dabei sollen Mt und Lk je auf ihre Weise die einzige Wundererzählung ausgestaltet haben, die ihnen mit der hypothetischen ‚Logienquelle‘ zugekommen sei. Johannes dagegen soll die spezifische Gestalt dieser Erzählung aus 285
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Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
seiner vermeintlichen ‚Semeia-Quelle‘ übernommen haben. Wir halten diese Quelle jedoch für ein Phantom und haben das jeweils zu den auf diese Quelle zurückgeführten Passagen bereits damit begründet, daß alle für die Existenz dieser Quelle vorgebrachten Argumente nicht stichhaltig sind. Im Gegensatz zu dieser u. E. unhaltbaren Theorie sind wir der Überzeugung, daß auch hier wieder ein freies Spiel unseres Evangelisten mit seinen synoptischen Prätexten und insbesondere mit Lk 7,1–10 vorliegt. In beiden synoptischen Versionen der Erzählung wird der Mann, den Johannes als einen basilik∙" vorstellt, als römischer Offizier im Range eines ©kat∙ntarco" identifiziert, wie denn auch in beiden Fällen die Pointe auf der Äußerung Jesu beruht, daß er solchen Glauben, wie den dieses Heiden, in Israel nirgendwo gefunden habe (Mt 8,10; Lk 7,9). Den Kranken, um dessen Heilung der Mann aus Kapharnaum Jesus bittet – bzw. für den er Jesus bitten läßt durch die presb‚teroi tùn ûIouda‡wn, die ihm als dem großmütigen Stifter ihrer Synagoge dankbar verbunden sind (Lk 7,3 ff) –, bezeichnet Mt durchgehend als paõ", während Lk ihn in V. 2 u. 3 zunächst doúlo" und dann, im Munde seines Herrn, ebenfalls ¨ paõ" mou nennt (V. 7). Die drei gewichtigsten Differenzen zur synoptischen Gestalt der Erzählung, die sich aber alle drei aus spezifisch johanneischen Interessen ergeben, sind die folgenden:
Zum einen erreicht es der Erzähler durch das bereits erörterte dichte Geflecht von Reisenotizen, Jesu wundertätiges Wort wiederum im galiläischen Kana ergehen zu lassen. Ähnlich wie durch die Betonung, daß der Lahme am Teich Bethesda in Jerusalem schon achtunddreißig Jahre lang gelitten hatte, ehe Jesus ihn heilte (Joh 5,5 ff), daß der blinde Bettler von Joh 9 bereits als Blinder geboren worden war oder daß Lazarus, als Jesus ihn vom Tode erweckte, schon vier Tage im Grab gelegen und der Verwesungsprozeß bereits eingesetzt hatte (Joh 11; vgl. k‚rie, ≥dh µzei: V. 39), wird auch hier durch die große Entfernung Kanas, wo Jesus sein heilendes Wort spricht, von Kapharnaum, wo der kranke Sohn des basilik∙" mit dem Tode ringt, zugleich das Wunderbare gesteigert. Daß der Knecht des Hauptmanns ebenso wie hier der Sohn des basilik∙" dem Tode nahe ist, sagt mit den Worten: ≥mellen teleutôn auch Lukas (7,2). Johannes formuliert: ≥mellen gÅr üpojnÔflskein (7,47). Diese Wendung ist spezifisch johanneisch, denn sie kommt im gesamten Neuen Testament nur bei Johannes und hier gleich vierfach vor, nämlich außer 4,47 noch 11,51; 12,33 und 18,32. Weil sie sich in den letzteren drei Fällen jeweils sehr geprägt auf das heilsame Sterben Jesu bezieht, bezeichnen Boismard / Lamouille unsere Erzählung als „un ‚signe‘ de résurrection“ (Komm. 151 f). Zum anderen ist es bei Joh nicht ein doúlo" oder paõ", sondern der geliebte Sohn, den Jesus mit dem Wort: ¨ u´∙" sou zÔö dem Leben und seinem besorgten Vater zurückgibt. Da dieses lebendig-machende Wort Jesu: ‚Dein Sohn lebt!‘ in den V. 50.51 u. 53 gleich dreifach erscheint, ist sein Gewicht kaum zu unterschätzen, zumal es zugleich biblische Erinnerungen wachruft. Mit dem Wort: blfipe, zÔö ¨ u´∙" sou, hatte nämlich Elia einst der Witwe von Sarepta ihren toten Sohn lebendig wiedergegeben (1Kön 17,17 ff). Und daß diese Koinzidenz schwerlich bloßer Zufall ist, belegt der Prätext ‚Lukas‘. Denn da begründet Jesus sein Wort, daß kein Prophet in seiner Heimat willkommen ist, sogleich mit den folgenden Worten: „Ich sage euch die Wahrheit. In den Tagen Elias gab es viele Witwen in Israel. Und weil der Himmel drei Jahre und sechs Monate verschlossen war, war eine große Hungersnot über das ganze Land gekommen. Doch zu keiner dieser Witwen Israels wurde Elia gesandt, sondern allein zu einer verzweifelten Witwe im sidonischen Sarepta“ (Lk 4,24–26; als weiteres Beispiel dafür, daß 286
Vierte Szene: Die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Kana
4,46–48
der Prophet im eigenen Land unwillkommen ist, folgt dann die Erzählung von Elisa, der keinen der zahllosen Aussätzigen Israels heilt, sondern einzig den Syrer Naeman vom Aussatz befreit: Lk 4,27; vgl. Heekerens 125). Die dritte Differenzierung, die Joh vorgenommen hat, ist wohl die folgenreichste. Denn mit der Ersetzung des ©kat∙ntarco" durch den basilik∙" verschwindet nicht nur die ganze militärische Metaphorik von Befehl und Gehorsam aus der Erzählung, sondern mit dieser zugleich auch ihre Pointe, daß Jesus einzig bei diesem Heiden den Glauben findet, den er in Israel so schmerzlich vermißt. Zur Bedeutung des Lexems basilik∙" vgl. die Wörterbücher s. v. Bultmann erklärt dazu: „In den Pap. bezeichnet es königliche oder staatliche Zivil‑ und Militärbeamte. Bei Jos. heißen alle Verwandten und Beamten der Herodianer basiliko‡“ (Komm. 152). Ob es unserem Autor dabei bewußt war, daß zu Jesu Lebzeiten im galiläischen Kapharnaum, und das heißt im Herrschaftsbereich des Herodianers Antipas, kein römisches Militär stationiert war, können wir nicht wissen. Jedenfalls aber hat er schwerlich aus derart historistischen Motiven den römischen Offizier durch einen herodianischen Beamten ersetzt, sondern vielmehr darum, weil für ihn – ohne daß er Jesus das ausdrücklich aussprechen ließe, wie es Matthäus tut (15,24) – die Devise gilt, daß Jesus in der Zeit seines irdischen Wirkens ausschließlich zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel gesandt ist. Erst wenn die ‚Stunde Jesu‘ gekommen, erst wenn das ‚Weizenkorn in die Erde gefallen und erstorben ist‘, wird es (auch unter den ‚Griechen‘) reiche Frucht bringen (s. u. zu 12,20 ff). Durch diese scheinbar geringfügige Änderung seines Berufes aber ist der Mann aus Kapharnaum nun nicht mehr die Ausnahme eines glaubenden Heiden unter vielen ungläubigen Juden, sondern als pars pro toto der exemplarische Fall der freundlichen Aufnahme, die Jesus unter den Galiläern erfahren hat, und des Glaubens, den er dort fand. 48: eèpen oên ¨ ûIhsoú" prÖ" a§t∙n: †Ån mÉ shmeõa kaÑ tfirata ¥dhte, o§ mÉ piste‚shte. Diese scheinbar abweisende Antwort Jesu auf die Bitte des basilik∙", doch rasch mit ihm nach Kapharnaum zu eilen und seinem sterbenskranken Sohn Hilfe zu bringen, scheint unserer eben vorgeschlagenen Interpretation jedoch zu widersprechen. Man möchte sie darum gar nicht ‚Antwort‘, sondern ganz buchstäblich ‚Erwiderung‘ nennen. Fraglos ist dieser Satz im Zusammenhang unserer Erzählung sperrig. Darum werden für sein Erscheinen an dieser Stelle von den literarkritisch versierten Vertretern der Semeia-Quellen-Theorie zumeist extratextuelle Argumente im Verein mit der fragwürdigen Trennung von ‚Tradition‘ und ‚Redaktion‘ aufgeboten. So soll der „Evangelist“ diesen Satz hier seiner „Semeia-Quelle“ einverleibt haben, um so mit deren vermeintlich ‚naivem Wunderglauben‘ zugleich auch den ihrer mutmaßlichen ‚Tradenten‘ seiner radikalen Kritik zu unterwerfen. Weil nach V. 45 ausgerechnet die Galiläer Jesus einen freundlichen Empfang bereiteten, sind zumal diejenigen, die Jesu patr‡", ‚die ihren Propheten verachtet‘, dennoch mit Galiläa oder Nazaret identifizieren wollen (s. o.), in der Zwangslage, hinter der doch anscheinend durchaus positiven Notiz von der freundlichen Aufnahme Jesu durch die Galiläer dennoch Negatives aufweisen zu müssen. Und das soll ihnen eine merkwürdige Kombination von 2,23–25 mit 4,45 u. 48 leisten. Wir haben jedoch oben zu 2,23–25 bereits ausgeführt, daß Jesus den vielen Jerusalemern, „die an seinen Namen glaubten“, nicht deshalb mißtraut haben kann (o§k †p‡steuen a§tÖn a§toõ"), weil sie seine Zeichen gesehen hatten. Denn dazu, den Glauben zu erwecken, daß der Vater 287
4,43–54
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
ihn gesandt hat, hat er diese ‚Zeichen‘ ja eigens getan. Und ein besserer oder vollerer Glaube als der in der Erkenntnis seiner ‚Zeichen‘ gegründete ‚Glaube an seinen Namen‘ (vgl. 1,12) ist für Johannes überhaupt nicht denkbar (vgl. 20,31). Darum ist die Interpretation, daß Jesu Mißtrauen seinen Grund in dem vermeintlich „bloßen Wunderglauben“ dieser Jerusalemer habe, mit Sicherheit verfehlt. Sie ist ein spätes Kind des Rationalismus des neunzehnten Jahrhunderts. Daß Jesus sich ihnen nicht anvertraut, hat seinen Grund vielmehr darin, daß sie es nicht wagen, ihren Glauben öffentlich zu bekennen und meinen, ihn – wie ihr Repräsentant Nikodemus – im Schutze der Nacht verbergen zu können (vgl. Johns / Miller 528 ff). Im Gegensatz zu diesen kekrummfinoi majhta‡ (19,38) Jerusalems haben die Galiläer Jesus jedoch durchaus einen öffentlichen Empfang bereitet. Darum läßt sich sein Mißtrauen den Jerusalemern gegenüber auf sie keinesfalls übertragen. Auch zu 4,45 ist das Notwendige oben bereits gesagt. So bleibt uns nur noch die Frage nach dem Recht der verbreiteten Behauptung, erst der Evangelist habe den V. 48 in die Wundererzählung seiner vermeintlichen ‚Semeia-Quelle‘ eingeschaltet, um durch Jesu Zurückweisung des bloßen ‚Zeichenglaubens‘ der Galiläer das ‚naive Wunderverständnis‘ dieser Quelle zu kritisieren. Doch, auch wenn sie fast zum allgemeinen Konsensus der Johannes-Interpretation geworden ist, halten wir die These eines ‚wunderkritischen‘ Verhältnisses des ‚Evangelisten‘ zu seiner sogenannten ‚Semeia-Quelle‘ mit Bittner (128 ff) sowie Johns / Miller für ein verhängnisvolles Vorurteil. Zur Bildung dieses verfehlten Konsensus hat fraglos Bultmanns Kommentar erheblich beigetragen. Dennoch sieht der aber gerade deutlich, daß (seine Interpretation von) V. 48 die logische Kohärenz unserer schönen Erzählung von Grund auf zerstört: „Jesu Antwort V. 48 entspricht der Bitte schlecht; denn der Vater hat sich ja an ihn gewendet, weil er an seine Wunderkraft glaubt, in dem Sinne natürlich, in dem bei den Synoptikern von Glauben die Rede ist. In anderem Sinne war ja auch die Glaubensforderung bisher nicht an ihn gerichtet worden, und so hat er das Wunder auch gar nicht als Legitimation solcher Glaubensforderung erbeten“ (Komm. 152). Diese Sätze leuchten unmittelbar ein, ganz unabhängig davon, wie man den ja so oder so sperrigen V. 48 verstehen muß. Bultmann selbst begreift ihn als Jesu „Abweisung der Bitte des Vaters“. Und dem dadurch entstehenden Dilemma sucht er dadurch zu entrinnen, daß er unterstellt, der Evangelist müsse wohl „eine Missionspraxis im Auge haben, die unter Berufung auf shmeõa kaÑ tfirata um Glauben warb. Er wollte offenbar durch seine Bearbeitung den naiven Wunderglauben, wie ihn die synopt. Tradition zeigt, korrigieren, und hat deshalb das bei den Synoptikern neben der Wunderüberlieferung stehende Motiv, das das Wunder als Legitimation abweist, hier in die Wundergeschichte selbst eingearbeitet. Damit hat freilich Jesu Wort den Charakter einer in der Situation begründeten Abweisung verloren und ist zur allgemeinen Klage über die Schwäche der Menschen geworden, die das Wunder fordern, und denen es (wie 20,26 ff) schließlich konzediert wird; es hat ja immerhin die Möglichkeit, sie weiter zu führen. Was die Geschichte so an innerer Geschlossenheit verloren hat, hat sie an sachlichem Gehalt gewonnen“ (Komm. 152 f). Hätte Bultmann darin recht und wäre die Spiritualisierung unseres Evangeliums wirklich bereits so weit fortgeschritten, daß schon die Fürbitte eines besorgten V aters für seinen mit dem Tode ringenden Sohn ein „Mißverständnis“ genannt werden müßte, dann wäre die „Abweisung der Bitte des Vaters“ in der Tat „verständlich“. Aber 288
Vierte Szene: Die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Kana
4,48–49
sowohl diese spiritualistische Voraussetzung als auch und zumal Bultmanns Verständnis von V. 48 als „Abweisung der Bitte des Vaters“ erscheinen uns höchst fragwürdig. Zweifel daran sollten schon die Formulierung von V. 48 als zweifach verneinter Konditionalsatz unter Verwendung der biblischen Rede von shmeõa kaÑ tfirata und vor allem der Umstand erwecken, daß das Lexem shmeõon im gesamten Evangelium stets positiv konnotiert ist und durchgehend der Feder des Evangelisten entstammt. Denn daß Jesu shmeõa im Johannesevangelium nur Konzessionen an die Schwäche der wundersüchtigen Menschen wären, kann man angesichts des solennen Satzes 20,31 doch nicht behaupten. Und man kann es schon gar nicht durch 20,26 ff belegen, weil Thomas hier – anders als unser basilik∙" und alle anderen Zeichenzeugen im Evangelium – sein Glaubenkönnen unter Bedingungen gestellt und damit implizit gleichsam eine „Zeichenforderung“ erhoben hat. Die aber weist Jesus stets zurück (vgl. 6,30; 2,18 und Mt 12,38; 16,1 ff; Mk 8,11; Lk 11,16.29 f; u. s. dazu Bittner 167 ff; sowie u. zu Joh 20,26 ff). Der Satz: †Ån mÉ shmeõa kai tfirata ¥dhte, o§ mÉ piste‚shte, ist eine Konditionalperiode, in der sowohl die Protasis als auch die Apodosis verneint sind, die letztere sogar mit o§ mfl, dem stärksten Instrument der Negation. Der durch die doppelte Verneinung potenzierte Sinn dieses Satzgefüges kann nur der sein, daß hier das „Sehen von Zeichen und Wundern“ als die notwendige Bedingung des Glaubens proklamiert wird. Sein zweifaches Nein ersetzt also gewissermaßen ein ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn. Weil es sich um eine über diesen konkreten Einzelfall hinausgehende generelle Regel handelt, ist der Satz trotz seiner singularischen Einleitung: eèpen oên ¨ ûIhsoú" prÖ" a§t∙n: im Plural formuliert (vgl. 1,51; u. s. dazu Bittner 129 u. 133). Die hier wie Joh 3,7 aus der singularischen Anrede in die pluralische Aussage übergehende Formulierung macht zudem deutlich, daß der basilik∙" unserer Erzählung ebenso als der Repräsentant der Galiläer (4,45) verstanden sein will (vgl. Brown, Komm. I, 191), wie zuvor Nikodemus die Jerusalemer repräsentierte. Strukturanaloge konditionale Satzgefüge kommen im gesamten Neuen Testament nur 21mal vor. Da sich gegenüber drei dieser Vorkommen bei Mt (5,20; 6,15 und 18,3), nur einem bei Mk (10,29 f) sowie zweien bei Lk (13,3.5) allein bei Joh vierzehn, also zwei Drittel aller derartigen Sätze finden, wird man in diesem Gebrauch mit Bittner (131) wohl eine „johanneische Stileigentümlichkeit“ sehen dürfen, deren Einsatz stets „a solemn pronouncement“ zur Sprache bringt (Johns & Miller 530). Über das NT hinaus hat Bittner noch die gesamte LXX gemustert und dabei festgestellt, daß sich weder in ihr „noch im Neuen Testament (irgendein) Beleg für ironische oder negative Verwendung dieses Satzmodells findet. Unser Satz wäre also auch der einzige Beleg dafür, daß mit einem Bedingungssatz eben keine Bedingung formuliert, sondern negativ gegen die Bedingung Stellung genommen“ würde (130). Verstärkt wird dieser Charakter von V. 48 als solenne Verheißung und Formulierung der notwendigen Bedingung des Glaubens noch durch die Aufnahme des Hendiadyoins shmeõa kaÑ tfirata aus der Exoduserzählung. Denn da sind Gottes ‚wunderbare Zeichen‘ stets Zeugnisse seiner rettenden Macht, die er gewährt, damit Glaube daraus erwachse. Ambivalent sind die shmeõa beim Exodus wie bei Joh nicht, weil ein auf sie gegründeter Glaube etwa unzureichend wäre, sondern allein darum, weil sie zugleich eine kritische Funktion haben. Denn indem sie mit dem Glauben der einen zugleich die Verstockung und Feindschaft der anderen provozieren, trennen sie. Daran, daß unter ihnen ‚Zeichen und Wunder‘ geschehen, sollen die Ägypter erkennen, daß Jhwh der 289
4,43–54
Zweiter Akt: Nikodemus, erneute martur‡a, die Samaritanerin und der basilik·"
Herr ist (Ex 7,3–5; 11,9 f). Und wenn Israel, sein Eigentumsvolk, ihm den Glauben verweigert, klagt Gott: „Wie lange will mich dies Volk noch verschmähen? Wie lange noch wird es mir keinen Glauben schenken trotz alle der Zeichen (shmeõa), die ich unter ihnen getan habe?“ (Num 14,11). Der Psalmist ruft dazu auf, der Wundertaten (jaum›sia) sowie der tfirata und der kr‡mata zu gedenken, die Gott einst getan hat, und er erzählt von der Sendung Moses und Aarons zur Befreiung aus Ägypten: ≤jeto †n a§toõ" toÜ" l∙gou" tùn shme‡wn a§toú kaÑ tùn ter›twn †n gÔö C›m (Ps 104,5.27: LXX). Hatte der Erzähler die Bitte des Vaters zuvor in indirekter Rede wiedergegeben und dem Leser ihre Dringlichkeit durch sein ≥mellen gÅr üpojnflskein signalisiert, so läßt er sie jetzt den basilik∙" selbst in direkter Rede und mit der ausdrücklichen Begründung: prÑn üpojaneõn tÖ paid‡on mou, wiederholen. Und indem er seinen Leser an Elias Worte bei der Erweckung des einzigen Sohnes der Witwe von Sarepta erinnert, läßt der Erzähler Jesus nun zu dem Vater sagen: „Gehe hin! Dein Sohn lebt“. Die Formulierung, daß „der Mann dem Wort glaubte, das Jesus gesagt hatte“, ist wohl ein Spiel mit dem Satz des „Hauptmanns“ der Prätexte: „… Aber sprich nur ein Wort (üllÅ e¢pÇ l∙gw), so wird mein Knecht gesund werden“ (Mt 8,8; Lk 7,7). Über den „Glauben“ des Mannes im religiösen Sinne, daß er also etwa „an Jesus“ geglaubt hätte, ist damit noch nichts gesagt. Denn piste‚ein mit dem Dativ l∙gw bedeutet nicht mehr, als daß er Jesu konkretem Wort: ¨ u´∙" sou zÔö, einfach ‚Glauben schenkt‘ und darum dessen Aufforderung „Gehe hin!“ sogleich befolgt: kaÑ †pore‚eto. Fehl am Platz sind darum alle tiefsinnigen Spekulationen um einen wahren, allein auf „das Wort“ gegründeten Glauben im Unterschied zum ‚bloßem Wunderglauben‘ der Menge. Während das mit insgesamt 243 Vorkommen im Neuen Testament überaus häufige Nomen p‡sti" im ganzen Corpus Iohanneum nur ein einziges Mal, nämlich 1Joh 5,4, begegnet, steht es mit dem ebenfalls 243 mal bezeugten Verbum piste‚ein ganz anders: Mit 98 Belegen im Evangelium und 9 in den Briefen finden sich 44% aller neutestamentlichen Vorkommen bei Joh; das sind mehr als dreimal so viel wie in allen drei synoptischen Evangelien zusammen. Am prominentesten ist dabei die Wendung piste‚ein e¢" mit 39, nämlich 36 im Ev und 3 in 1Joh, gegenüber nur 8 Vorkommen im ganzen übrigen NT. Das durch e¢" bezeichnete Gegenüber ist am häufigsten Jesus, zweimal der ‚Vater‘ und viermal der ‚Name Jesu‘. Der Vorrang des Verbums vor dem Nomen und die durch 6,35; 7,37 f u. ö. erwiesene Synonymität von piste‚ein e¢" a§t∙n und ≤rcesjai prÖ" a§t∙n zeigen die Untrennbarkeit der fides qua von der fides quae creditur. Das zeigt auch die signifikante Verwendung des substantivierten Partizips (pô") ¨ piste‚wn, ‚der‘ oder ‚jeder Glaubende‘, das durch ein voranstehendes doppeltes ümfln potenziert sein kann (vgl. 6,47 und 14,12). Über die Bedeutung der etwa zwanzig Fälle von piste‚ein mit einem Dativ kann jeweils nur vom Kontext her entschieden werden; vgl. Brown, Komm. I, 512 f.
51–53: Das Partizip kataba‡nonto" sagt: „und als er unterwegs war hinab (sc. nach Kapharnaum)“. Dieses ‚hinab‘ (kat›) ist einerseits gewiß topographisch motiviert, denn es setzt voraus, daß ‚Kana‘ hoch im galiläischen Bergland, Kapharnaum aber unten in der Ebene am See Genezaret liegt. Zugleich aber könnten hier auch symbolische Obertöne im Spiel sein. Die Betonung des erneuten Kommens Jesu nach Kana, ‚wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte‘ (V. 46), könnte dem Ort der Präsenz dessen, der ‚eines ist mit dem Vater‘ (10,30), den symbolischen Rang einer Art galiläischen ‚Jerusalems‘ verleihen. Doch bleiben wir auf der Ebene des Geschehens. Auf seinem Weg ‚hinab‘ nach Kapharnaum und in seinen Alltag kommen dem basilik∙" seine doúloi bereits mit der guten Nachricht entgegen, daß sein ‚Sohn‘ lebe (Ωti ¨ paõ" a§toú zÔö). 290
Vierte Szene: Die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Kana
4,49–54
Zu dieser von P66*.75 a A B C Ws pc lat; Or früh und breit bezeugten Lesart bestehen die folgenden Varianten: (1) Ωti ¨ paõ" a§toú zÔö – (2) Ωti ¨ paõ" sou zÔö – (3) Ωti ¨ u´∙" sou zÔö und endlich das mixtum compositum (4) Ωti ¨ paõ" sou ¨ u´Ö" a§toú zÔö. Alle diese Lesarten setzen doch wohl den oben wiedergegebenen Text voraus, in dem das Lexem paõ" im übrigen durch den Kontext klar als Synonym von u´∙" definiert ist. Darum sind die Lesarten mit u´∙" ebenso wie die Ersetzung von a§toú durch sou, wodurch die indirekte Rede in Angleichung an das Jesuswort zur direkten und das Ωti zum rezitativen wird, sicher sekundär.
Und als der Vater von seinen Sklaven wissen will, zu welchem Zeitpunkt die glückliche Wende denn eingetreten sei, erfährt er, es sei „gestern um die siebte Stunde“ geschehen, also in eben dem Augenblick, da Jesus zu ihm gesagt hatte: „Gehe hin, dein Sohn lebt!“ Da bleibt ihm keine andere Wahl als diese: kaÑ †p‡steusen a§tÖ" kaÑ ™ o¢k‡a a§toú Ωlh. Der Aorist †p‡steusen steht hier absolut. Das e¢" a§t∙n braucht nicht eigens gesagt zu werden, denn es ergibt sich aus dem Kontext. Der Mann wird mit seinem ganzen Hauswesen zum Jünger und Nachfolger Jesu. Damit ist ein Doppeltes impliziert: Zum einen bestätigt sich von diesem Ende her Jesu Wort, daß nur wer seine Zeichen und Wunder offenen Auges wahrnimmt, glauben wird. Und zum anderen kann die Wendung: kaÑ ™ o¢k‡a a§toú Ωlh, die uns aus Texten wie Act 16,34 geläufig ist, ja nichts anderes bedeuten, als daß dieser Repräsentant der Galiläer sich mit seinem Haus öffentlich zu Jesus bekennt. So wird an diesem Einzelfall illustriert, was es mit dem †dfixanto a§tÖn o´ Galilaõoi (V. 45) auf sich hatte. Und endlich bestätigt sich von hier aus noch einmal, daß nur Jerusalem/Judäa mit seinen kekrummfinoi majhtaÑ diÅ tÖn f∙bon tùn ûIouda‡wn (vgl. 19,38) die patr‡" Jesu sein kann, die ihren ‚Propheten‘ verachtet. 54: Dieser Satz benennt die Heilung des Sohnes des basilik∙" ausdrücklich als shmeõon. Zusammen mit V. 46a rahmt er deren Erzählung. Beide Verse sind durch das Stichwort p›lin miteinander verbunden. Es erinnert den Leser daran, daß es ebenfalls in Kana geschah, wo Jesus als die ürcÉ tùn shme‡wn das Wasser zu Wein gemacht hatte. Hier hat er nun, nachdem er aus Judäa nach Galiläa zurückgekehrt war, dieses de‚teron shmeõon getan. Daran, daß V. 54 ein Rudiment aus einer vermeintlichen Semeia-Quelle sei oder ein solches auch nur enthalten soll, und daran, daß diese Art der ‚Zählung‘ als „zweites Zeichen“ als Indiz für die Existenz einer derartigen Quelle in Anspruch genommen werden darf, hegen wir erhebliche Zweifel, die wir unter der Fragestellung, ob dem Johannesevangelium jene Semeia-Quelle tatsächlich zugrundeliegt, andernorts noch eingehender begründen wollen. U. E. ist der gesamte V. 54 ebenso wie die Benennung der Wundertaten Jesu als shmeõa ganz und gar eine Schöpfung unseres Evangelisten, der seinen Erzähler damit Jesu Weg von Judäa nach Galiläa abschließend resümieren läßt. Wie der Neueinsatz mit metÅ taúta und der erneuten Festreise Jesu ‚hinauf nach Jerusalem‘ in 5,1 zeigen, ist 4,54 zugleich der Abschluß des zweiten Aktes unserer „dramatischen Historie Jesu“.
291
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten in Jerusalem – Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa – Erneute Reise nach Jerusalem zum Laubhüttenfest (5,1–7,52) Auch wenn Jesu Rückreise nach Galiläa weder motiviert noch beschrieben, sondern mit dem Einsatz von Kapitel 6 einfach vorausgesetzt wird, und auch wenn der Satz: metÅ taúta üpöljen ¨ ûIhsoú" pfiran tö" jal›ssh" tö" Galila‡a" tö" Tiberi›do" (6,1) sehr viel besser an 4,54 als an 5,47 anzuschließen scheint, so daß zahlreiche Exegeten die Kapitelfolge entsprechend umstellen oder Joh 6 zu einer Erweiterung des Textes in einer Neuedition des Evangeliums erklären (Lindars), folgen wir mit unserer Kommentierung dem überlieferten Text. Denn dessen vorliegende Folge vermögen wir uns weder als das Resultat gewaltsamer äußerer Zerstörung vorzustellen, noch können wir sie einfach der Nachlässigkeit eines Buchbinders zuschreiben, der das sechste Kapitel an falscher Stelle eingefügt hätte. Und da wir keinerlei Zeugnis einer anderen als dieser Textfolge besitzen, müßte dieses Mißgeschick ja schon dem Autographen widerfahren sein. Weil zudem nicht nur alle Erzähleinheiten, sondern auch deren Sätze bis hinunter zu ihren Wörtern völlig intakt sind, muß man eine derartige Kumulation von Zufällen ausschließen. Trotz aller Spannungen und Leerstellen in diesem Text muß aber derjenige, dem wir die überlieferte Gestalt unseres Evangeliums verdanken, auf jeden Fall von dessen Kohärenz und Lesbarkeit überzeugt gewesen sein. Wir machen uns diese Überzeugung zu eigen und sehen darin eine angemessene Voraussetzung unserer Lektüre (vgl. dazu Staley, Stumbling). Ob wir dies durchhalten können, muß sich von Fall zu Fall zeigen. Die Mehrheit der Kommentatoren verfährt freilich anders. So erklärt etwa Wilckens, obgleich derartigen Manipulationen des Textes im übrigen abhold, zu Joh 5–7: „In den folgenden Kapiteln finden sich mancherlei Unstimmigkeiten im Erzählungszusammenhang, die nicht als Absicht des Joh. evangelisten zu verstehen sind. Sie lassen sich jedoch allesamt mit einem Schlage beseitigen, wenn man annimmt, daß der Joh. evangelist das Urexemplar seines Buches nach seinem Tode in noch unfertigem Zustand hinterlassen hat: Hier lagen Kap. 5 und Kap. 6 sowie auch 7,15–24 an falscher Stelle, und seine Schüler haben sein Buch in Ehrfurcht vor ihrem Lehrer (vgl. 21,24!) in dem Zustand, wie sie es vorfanden, gebunden und herausgegeben, so daß es dann in der gesamten kirchlichen Überlieferung von Anfang an so überliefert worden ist, wie wir es heute noch vorfinden. Als einziger hat Tatian (2. Hälfte des 2. Jahrhunderts) offenbar die Unstimmigkeit bemerkt und bei seiner Zusammenarbeit der vier Evangelien Joh 6 seinen Platz vor Joh 5 gegeben“ (Komm. 91). Aber selbst dieser von Wilckens gewiß als ‚sanft‘ empfundene „eine Schlag“, mit dem er alle „Unstimmigkeiten“ beseitigen will, ist uns noch viel zu brutal. Denn zum einen können wir von den „Absichten“ des 292
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,1
Evangelisten nichts wissen, und zum anderen scheint uns die „Ehrfurcht“ vermeintlicher „Schüler“ vor ihrem großen toten Lehrer samt dem ganzen Konstrukt einer „johanneischen Schule“ ebenso eine moderne Fiktion zu sein, wie dieser zuletzt 21,24 genannte ‚geliebte Jünger‘ eine fiktionale Figur ist. Er ist nicht ein ‚Lehrer‘ von Fleisch und Blut, sondern das literarische Geschöpf des wirklichen Evangelisten, der seine Anonymität für immer hinter dieser Figur verborgen hat, um so, wie sein Namensvetter Johannes, abzunehmen, damit sein Herr wachse und in seinem Evangelium ‚bleibe‘ (siehe jeweils unten zu den Texten mit dem ‚geliebten Jünger‘ und vgl. Thyen, Noch einmal: Joh 21).
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda in Jerusalem und ihre Folgen (5,1–47) (1) Das Zeichen der Heilung des Gelähmten (5,1–9a) 1
Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. 2 In Jerusalem aber liegt beim Schaftor ein Teich, der hebräisch Bethesda heißt und von fünf Säulenhallen umgeben ist. 3 Darin lagen eine Menge Kranker, Blinder, Lahmer und Ausgezehrter. 4 Unter ihnen war dort ein Mann, der schon achtunddreißig lange Jahre unter seiner Krankheit litt. [5 Von Zeit zu Zeit stieg ein Engel des Herrn in den Teich hernieder und bewegte das Wasser. Und wer dann nach dieser Bewegung des Wassers als erster hineinstieg, der wurde geheilt, mit welcherlei Krankheit er auch behaftet sein mochte.] 6 Diesen Mann sah Jesus da liegen, und weil er wußte, daß der schon so lange unter seiner Krankheit litt, fragte er ihn: Willst du gesund werden? 7 Da antwortete ihm der Kranke: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich trägt, wenn das Wasser bewegt wird. Jedesmal wenn ich dann ankomme, ist schon ein anderer vor mir hinabgestiegen. 8 Da sagte Jesus zu ihm: Steh auf, nimm deine Liege und gehe hin! 9a Und sogleich wurde der Mann gesund, hob seine Liege auf und ging hin. 1: Die weder durch einen Artikel noch durch irgendeine nähere Bezeichnung definierte ©ortÉ tùn ûIouda‡wn hat schon die frühen Kopisten zu allerlei Ergänzungen herausgefordert. So versehen a C L D Y f1 33. 892. 1010. 1424 pm dieses „ein Fest“ mit dem Artikel ™ und machen es damit zu „dem Fest“. „Das Fest der Juden“ schlechthin ist aber das Laubhüttenfest, wie denn Cod. 131 ©ortÉ auch durch ™ skhnophg‡a ergänzt. L macht das Fest zur üz‚mwn ©ortfl. Da sich im gesamten fünften Kapitel keinerlei inhaltliche Gesichtspunkte finden, die auf ein bestimmtes jüdisches Fest hinwiesen und es so erlaubten, das hier genannte ‚Fest‘ näherzubestimmen, dürfte die vage Formulierung „ein Fest“ absichtsvoll sein (vgl. Barrett, Komm. 267). Lindars betont u. E. zu Recht: „accepting the Text as it stands, we have really no right to specify the feast; one can only guess that, as the next feast after the Passover of 2,13, it might be Pentecost“ (Komm. 211). Freilich noch vor dem Auffinden und darum ohne Kenntnis des gewichtigen Zeugnisses unserer Papyri hält Zahn die Lesart mit dem Artikel für „fraglos“ ursprünglich, weil „der Hebräer Joh damit ein ganz bestimmtes Fest, nämlich das 293
5,1–47
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Laubhüttenfest genannt haben wollte und bezeichnet zu haben meinte“ (Komm. 277). Doch das Bevorstehen eines „Festes der Juden“ soll hier allein den erneuten Weg Jesu „hinauf nach Jerusalem“ motivieren. Diese Reise ins feindliche Jerusalem, wo sich der Konflikt zwischen Jesus und den ûIoudaõoi dann soweit zuspitzen soll, daß sie ihn jetzt gar zu töten suchen (5,18), dient der Kontrastierung der Verehrung, die Jesus im vermeintlich „feindlichen“ Samarien erfuhr, sowie seiner freundlichen Aufnahme durch die Galiläer, die der glaubende basilik∙" exemplarisch repräsentierte, und seiner Ab‑ weisung in Jerusalem. Zugleich illustriert dieser Kontrast zwischen dem Verhalten der Samaritaner und der Bewohner des als das „Galiläa der Heiden“ geschmähten alten Nordreichs ‚Israel‘ und dem Verhalten der Bewohner Jerusalems noch einmal Jesu Wort, Ωti profflth" †n tÔö ¢d‡a patr‡di timÉn o§k ≤cei (4,44), und macht so unübersehbar, daß Jesus als seine patr‡" tatsächlich Jerusalem begreift (vgl. Bassler, Galileans 247). Auf diese Weise erscheint Joh 5 als eine Art großer Parenthese zwischen den galiläischen Szenen 4,43–54 und 6,1 ff. 2: Weil das Adjektiv probatikfl (‚Schafe‑ oder die Schafzucht betreffend‘) grammatisch auf jeden Fall die Ergänzung durch ein feminines Nomen erfordert, bereitet der Vers Schwierigkeiten, die sich schon früh in seiner handschriftlichen Überlieferung niedergeschlagen haben. Dabei ist zu bedenken, daß in der Majuskel-Überlieferung das Graphem KOLUMBHQRA nicht nur als Nominativ, sondern auch als Dativ begriffen werden konnte. Und so hat die gesamte Alte Kirche bis ins 13. Jahrhundert hinein in kolumbfljra das zur Ergänzung des Adjektivs probatikÔö notwendige Nomen gesehen. Aber damit wäre ja nur die erste Satzhälfte geheilt. Sie sagte dann nämlich: „Aber bei dem ‚Schafteich‘ in Jerusalem da ist ein …“, was für ein Ding da jedoch ist, das hebräisch Bhjzaj› oder Bhjfisda genannt wird, verriete diese Operation nicht. Das müßte sich der Leser nun wiederum als das fehlende Subjekt von ™ †pilegomfinh ûEbraÂstÑ Bhjzaj› hinzudenken. In diesem Sinne erwägt Metzger, ob das Graphem KOLUMBHQRA im ursprünglichen Text nicht unmittelbar nacheinander gleich zweimal gestanden haben könnte, zunächst nämlich als Dativ-Ergänzung von tÔö probatikÔö und danach als Nominativ und Subjekt des ‚Bethsatha‘ oder ‚Bethesda‘ genannten Ortes. Dann wäre unser überlieferter Text erst durch den leicht vorstellbaren Fehler der versehentlichen Auslassung des zweiten KOLUMBHQRA durch einen Kopisten entstanden (Comm. 207 f). Diese Hypothese ist zwar geistreich, doch der Preis dafür, unserem Evangelisten nämlich die stil‑ und einfallslose pure Verdoppelung von kolumbfljra zu unterstellen, erscheint uns entschieden zu hoch. Ähnlich wie Metzger argumentiert Brown. Als Subjekt des hebräisch Bhjzaj› (oder Bhjfisda) Genannten will er „the general noun ‚place‘“ ergänzen. Gegenüber der vielfach vertretenen Ergänzung von tÔö probatikÔö durch p‚lÔh (‚Schaftor‘; dazu gleich unten) ist er der Meinung: „It would do less violence to the Greek in either interpretation to supply ‚pool‘, thus indicating two pools: the Sheep Pool and the Pool of Bethesda“ (Komm. I, 206). Doch inwiefern es dem Griechischen weniger Gewalt antun soll, ™ †pilegomfinh durch „place“ als tÔö probatikÔö durch p‚lÔh zu ergänzen, leuchtet uns nicht ein, zumal man ja gerne wüßte, an welches feminine „general noun“ für „place“ Brown dabei wohl gedacht haben mag. Die glatteste, zugleich freilich auch brutalste Lösung aller Probleme bieten die Handschriften a* aur e vgcl u. a., indem sie nämlich kurzerhand die der Lokalisierung unserer Szene dienenden Worte †pÑ tÔö streichen und dafür einfach im Nominativ probatikÉ kolumbfljra setzen. Diese Deutung auf einen Schafteich ist so allgemein 294
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,1–2
geworden, daß etwa Chrysostomus unseren Vers so wiedergibt: ≤sti dÇ †n toõ" ‚Ier. probatikÉ kolumbfljra ktl. (In Ioannem, Migne 59,203). Wenn er Christus als ¨ jeÖ" tö" probatikö" kolumbfljra" anruft, setzt auch der christliche Papyrus 5b aus dem fünften Jahrhundert diesen „Schafteich“ voraus (Preisendanz, PGrM II/192); ebenso ein Ostrakon vom Ende des siebten Jahrhunderts (Ostrakon 3 bei Preisendanz 210; vgl. Bauer, Komm. 79; und – mit weiteren Väterbelegen für die Lesart „Schafteich“- Wieand 398). Auch wenn a2 den Gewaltstreich seines Vorgängers (a*) dadurch zu heilen sucht, daß er (im Verein mit A D L Q pc) anstelle von †p‡ die Lesart †n tÔö probatikÔö bietet, scheint doch auch darin das Graphem KOLUMBHQRA der Majuskelvorlage als Dativ begriffen und damit von einem ‚Schafteich‘ die Rede zu sein. Aber es kann ja wohl keine Frage sein, daß †pÑ tÔö ktl. als die lectio difficilior den Vorzug verdient, und daß unser V. 2 seiner inneren Logik nach darum die Funktion hat, eine offenbar weniger bekannte kolumbfljra Bhjzaj› (oder Bhjfisda, s. u.) durch den Verweis auf die allgemein bekannte (Artikel!) probatikfl zu lokalisieren. Die entschieden besseren Chancen, diesen Zweck zu erfüllen, hat gegenüber einem unbekannten und in jüdischen Quellen nie genannten „Schafteich“ jedoch das bekannte biblische „Schaftor“ Jerusalems. Und es ist ja nicht undenkbar, daß – wie etwa kuriakfl als Kurzform für die kuriakÉ ™mfira – so auch ™ probatikfl eine den Jerusalemern geläufige Bezeichnung der probatikÉ p‚lh, nämlich jenes „Schaftores“ gewesen sein könnte, das Elisub einst am nordöstlichen Ausgang des Tempelbezirks erbaut hatte (Esdra II/13,1; vgl. 13,32 und 22,39 = Neh 3,1.32 und 12,39) und das seinen Namen wohl dem Umstand verdankte, daß die Opfertiere durch dieses Tor in den Tempelbezirk gebracht wurden. Folgt man dieser Hypothese, dann sagt unser Vers: „Es befand sich aber in Jerusalem nahe beim Schaftor eine durch fünf ‚Säulenhallen‘ (sto›") geprägte ‚Badeanstalt‘ (kolumbfljra) mit dem – hier freilich in griechischer Transkription wiedergegebenen – hebräischen Beinamen Bhjzaj› (bzw. Bhjfisda)“. Inzwischen haben archäologische Grabungen nicht nur Reste jenes alten ‚Schaftores‘ nahe beim heutigen ‚Stephanstor‘, sondern in dessen unmittelbarer Nähe bei der Kirche St. Anna wohl auch jene kolumbfljra zu Tage gefördert; vgl. J. Jeremias (Wiederentdeckung), der freilich, anders als wir, dennoch für jenen „Schafteich“ plädiert und die Säulenreste einer Kirche des fünften Jahrhunderts wohl vorschnell mit den Joh 5,2 genannten sto›" identifiziert hat (vgl. Davies, Rhetoric 280). Damit bliebe aber dieser umstrittene V. 2 die einzige „Quelle“ für die Bezeichnung einer kolumbfljra Jerusalems als „Schafteich“. Deshalb sind wir mit Lindars der Meinung, daß hier die Rede vom „Schaftor“ im Sinne der oben gegebenen Paraphrase den Vorzug verdient: „gate is therefore to be accepted as the correct interpretation, and its omission is to be attributed to the colloquial usage which goes with personal familiarity with the site“ (Komm. 212; vgl. Bauer, Komm. 79; Metzger, Comm. 208; Wieand 392–394; B-D-R § 241,6). Auch hinsichtlich des ‚hebräischen Beinamens‘ (™ †pilegomfinh ûEbraÂst‡) jener kolumbfljra herrscht in den Handschriften große Verwirrung. Seine am weitesten verbreitete und am besten bezeugte Lesart ist BhjsaÂd›: P66.75 B T Ws (Y) pc aur c vg syh (co); Tert. Sie unterliegt jedoch dem dringenden Verdacht, eine Assimilation an den Namen der in 1,44 genannten Stadt Bethsaida zu sein. Zwar könnte demgegenüber das von A C Q 078 f 1.13, dem M(ehrheitstext), sowie von f q syc.p.hmg bezeugte und uns aus unseren Bibelübersetzungen geläufige Bhjfisda seinen Ursprung durchaus in der erbaulichen Volksetymologie adsj tyb (‚Haus der Gnade‘) haben. Doch anders als das Komi295
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
tee, das über den Text des GNT3 und Nestle-Aland26 entschied, vermögen wir aus dieser Vermutung einen Einwand gegen die Ursprünglichkeit von Bhjfisda nicht abzuleiten, denn warum sollte eine für heilsam gehaltene Badeanlage in Jerusalem nicht „Haus der Gnade“ geheißen haben können? Darum ist mit der Entscheidung für Bhjzaj› schwerlich schon das letzte Wort in dieser Sache gesagt: „In the opinion of a majority of the Commitee the least unsatisfactory reading appears to be Bhjzaj› (a 33 Eusebius), of which Bhzaj› (L ite) and perhaps Belzet› (D it(a).d.r) may be variant spellings“ (Metzger, Comm. 208). Für ‚Bethesda‘ könnte auch eine Passage aus der „Kupferrolle“ aus Qumran (3Q) sprechen, in deren Kolumne XI als der Ort eines verborgenen Schatzes ein Beth-Esdatain genannt ist. Nachdem zuvor derartige Verstecke imaginärer Schätze innerhalb des Tempelbezirks genannt waren, heißt es in den Zeilen 11–13: „Nahe dabei, in Bet-Esdatain, an dem Teich, wo man zu dem kleineren Bassin gelangt ….“. Sollte diese Transkription Miliks korrekt sein, dann hätten wir in Bhj-Esd› die Singularform eines Namens vor Augen, den die Kupferrolle in der Form eines Dual bietet, weil der Ort, wie die Grabungen bei St. Anna ergeben haben, an einem Doppelteich lag (vgl. Brown, Rez. von Petites Grottes 254 u. Leroy, Art. Bhjzaj›, Bhjesd›). Auch wenn sich der Text unseres Verses eindeutig nicht rekonstruieren läßt, erscheint es uns nach dem zuvor Gesagten am plausibelsten, ihn so zu übersetzen: „In Jerusalem befindet sich aber nahe beim Schaf(tor) ein Badeteich mit dem hebräischen Beinamen ‚Beth-Esda‘, der von fünf Säulenhallen umgeben ist“. Auch wenn er sich allem Anschein nach auf eine wirkliche Badeanlage für Heilung Suchende im Jerusalem der Zeit Jesu bezieht, beschreibt dieser Eingangsvers auch Lesern ohne jede Lokalkenntnis die vertraute Anlage eines antiken Heilbades (vgl. Schenke, Komm. 98). Ohne daß damit schon etwas über die Historizität des Erzählten gesagt wäre, hat der Vers hier die Funktion, der folgenden Erzählung von der Heilung des Lahmen das Flair des Verisimile zu verleihen. Das schließt nicht aus, sondern begründet vielmehr erst und gerade die Möglichkeit, daß hier auch symbolische Obertöne im Spiel sein können. In dem hebräischen Beinamen adsj tyb könnte darum der Gedanke an ein „Haus der Gnadenerweise“ durchaus mitschwingen. Und bei der Fünfzahl der Säulenhallen, in denen sich offenbar die Heilung Suchenden aufhalten, wird man an Mose und die Fünfzahl der Bücher der Tora denken dürfen. Denn kaum zufällig sagt Jesus seinen Anklägern am Ende seiner Offenbarungsrede: †raunôte tÅ" graf›", Ωti ≠meõ" dokeõte †n a§taõ" zwÉn a¢„nion ≤cein: kaÑ †keõna‡ e¢sin a´ marturoúsai perÑ †moú (V. 39), und dann noch: mÉ dokeõte Ωti †gá kathgorflsw ≠mùn prÖ" tÖn patfira: ≤stin ¨ kathgorùn ≠mùn MwÊsö", e¢" ≈n ≠meõ" °lp‡kate. e¢ gÅr †piste‚ete MwÊseõ, ≤piste‚ete …n †mo‡: perÑ gÅr †moú †keõno" ≤grayen (V. 45 f; s. u. z. St.). Auch die in V. 5 genannten achtunddreißig Jahre scheinen für einen derartigen symbolischen Modus unserer Szene zu sprechen. 3–5: Das in unserer Übersetzung oben in eckige Klammern gesetzte Textstück von dem Engel, der das Wasser bewegte, ist nach Ausweis der handschriftlichen Überlieferung zwar fraglos ein sekundärer Zusatz zu unserem Evangelium, denn mit geringfügigen Varianten, die wir vernachlässigen können, fehlt es in den gewichtigen alten Zeugen P66.75 a (A*) B C* D (L) T WS 33 pc f l q vgst syc co. Da diese hochpoetische Passage aber durch ihre Überlieferung im sogenannten ‚Reichstext‘ oder ‚textus receptus‘ zum festen und vertrauten Bestandteil nahezu aller unserer Bibelübersetzungen geworden ist, wollen wir sie nicht einfach übergehen. Zu dem verzweifelten Ausbruch 296
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5,2–9a
des Paralytischen: „Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt. Jedesmal, wenn ich komme, ist schon ein anderer vor mir hineingestiegen“ (V. 7), mag ein früher Leser am Rand seines Textexemplars diese Passage notiert haben. Wie dieses frühe und bewegende Zeugnis der Rezeptionsgeschichte unserer Erzählung es dann seinerseits wiederum vermag, Späteren zu denken zu geben, bezeugt das eindrucksvolle und hochtheologische ‚Dreiminutenspiel‘ Thornton Wilders: „Der Engel, der das Wasser bewegte“. Auch daß der Gelähmte schon und ausgerechnet achtunddreißig lange Jahre darauf wartet, daß ihm endlich einer hilft, in das rettende Wasser zu gelangen, gibt zu denken. Wie schon die Väter entdeckt haben, und wie es am Rande des ‚Nestle‘ notiert ist, dürften diese achtunddreißig Jahre absichtsvoll an Dtn 2,14 erinnern: „Die Zeit aber, die wir von Kades-Barnea zogen, bis wir an den Bach Sered kamen, dauerte achtunddreißig Jahre, so lange bis die gesamte Generation der Krieger aus dem Lager gestorben war, wie es JHWH ihnen geschworen hatte“ (vgl. Dtn 1,34 f). Die achtunddreißig Jahre sind die Zeit der Geschichte der Sünde Israels. Erst jetzt wird eine neue Generation des Volkes den Bach Sered überschreiten und den Einzug in das verheißene Land beginnen. An diesen Zusammenhang erinnern nicht nur die achtunddreißig Jahre, sondern wohl auch Jesu Wort an den Geheilten: ¥de ≠giÉ" gfigona", mhkfiti ®m›rtane, ºna mÉ ceõr∙n so‡ ti gfinhtai (V. 14). 6–9a: Jesus, der den Mann da liegen sieht, und dem dessen Schicksal und langjähriges Leiden nicht verborgen ist (gno‚"), ergreift nun mit der verwunderlichen Frage: „Willst du gesund werden?“ die Initiative. Weil das aber an diesem Ort und angesichts der elenden Lage des Lahmen, um die Jesus ja weiß, eine scheinbar widersinnige Frage ist, muß darin mehr im Spiel sein als Jesu Absicht, ein Gespräch mit dem Mann zu eröffnen. Dem Leser – und vielleicht auch dem Lahmen selbst – erschließt wohl erst Jesu späteres Wort an den Geheilten: ¥de ≠giÉ" gfigona", mhkfiti ®m›rtane, ºna mÉ ceõr∙n so‡ ti gfinhtai (V. 14), den tieferen Sinn dieser vordergründig so banalen Frage. Das heißt aber, daß Jesus zwischen Krankheit und Sünde einen geheimnisvollen Zusammenhang sieht, auch wenn der nicht einfach nach dem Schema eines Vergeltungsdogmas demonstriert und als Ursache jeden Leidens vorausgesetzt werden kann, wie das nicht nur Hiobs Freunde, sondern nach Joh 9,2 offenbar auch Jesu Jünger meinten. Schwerlich zu Recht meint Becker, daß Jesus in 9,2 ganz generell jeglichen Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünde bestreite. Weil er Joh 9,2 als einen Satz des „Evangelisten“ aber im Widerspruch zu 5,9b-16 sieht, wo eben dieser Konnex von Krankheit und Sünde ja vorausgesetzt sei, leitet er daraus ein literarkritisches Argument ab: Abgesehen davon, daß er Joh 5 auf Joh 6 folgen läßt und meint „das Itinerar der Semeiaquelle, das den Übergang zwischen 6,1–25 und Joh (5) abgab“, in 7,1 ff „als Torso“ wiederfinden zu können, trennt er in Joh 5 drei ‚Schichten‘ voneinander, nämlich (1) „eine gerundete Wundererzählung“ ungeklärter Herkunft in 5,2–9b, (2) deren nachträgliche ‚Umgestaltung‘ zu einem „Sabbatkonflikt“ durch den vermeintlichen „Verfasser der Semeiaquelle“ in 5,9b–16; und (3) die Bearbeitung dieser Komposition durch den „Evangelisten“, der die V. 1 und 17 ff geschaffen und das ‚ursprüngliche‘ o´ Farisaõoi in den V. 10, 15 und 16 durch o´ ûIoudaõoi ersetzt haben soll (Komm. 276 f). Das alles erscheint uns jedoch als eine vollkommen willkürliche Konstruktion, die zudem nur unter der fragwürdigen Voraussetzung der Inkohärenz des überlieferten Evangeliums und damit der Inkompetenz seines Herausgebers funktioniert. Statt sich 297
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unter der Voraussetzung der Kohärenz und Sinnhaftigkeit des seit Beginn des zweiten Jahrhunderts in der Kirche als das „Evangelium nach Johannes“ gelesenen und verehrten Werkes an dessen Lektüre zu machen und dabei zu versuchen, diese Voraussetzung durch die Interpretation ‚einzuholen‘, schafft sich Becker, wie zuvor schon Bultmann, zunächst selbst den Text seiner Interpretation und bleibt es darüber seinem Leser schuldig, ihm das überlieferte Evangelium mit all seinen Spannungen und Leerstellen zu erklären. Nein, davon, daß Jesus in 9,2 jeglichen Zusammenhang von Krankheit und Sünde bestritten habe, während er im Gegensatz dazu in 5,9 ff nicht nur diesen Konnex, sondern geradezu ein ‚Vergeltungsdogma‘ geltend mache, kann überhaupt keine Rede sein. Denn es geht doch hier wie da nicht um generalisierbare Gesetze, sondern um konkrete Lebensgeschichten Einzelner. Als derjenige, der Eines ist mit dem Vater (10,30), und der darum nicht auf das Zeugnis anderer angewiesen ist, „weil er selbst weiß, was im Menschen ist (2,25)“, redet Jesus im Wissen um die Sündengeschichte des Geheilten vom Teich Bethesda zu diesem Einzelnen, und in 9,2 redet er im Widerspruch zu dem von seinen Jüngern unterstellten generellen ‚Vergeltungsdogma‘ davon, daß weder die Sünde dieses konkreten Blinden noch die seiner Eltern Ursache seines Leidens ist. Wie Wilders geistvolles Spiel von dem „Engel, der das Wasser bewegte“ zeigt, gibt es durchaus ‚segensreiche‘ Krankheiten, die, wie die des Lazarus (Joh 11), „nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes sind“. Dennoch aber steckt hinter der Frage „Willst du gesund werden?“ wohl zugleich die andere: „Willst du zu mir kommen und bei mir bleiben, damit du das Leben gewinnst?“ (vgl. V. 39 f). Denn hier gilt ja: „Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.“ Und nur wen der Sohn frei macht, der ist wahrhaft frei (8,34–36) und ‚gesund‘. Nicht nur dieser Zusammenhang von Krankheit und Sünde und der Umstand, daß der Kranke hier wie da Helfer braucht, ihn zu tragen, erinnert an die Heilung des Paralytischen und an Jesu überraschendes Wort an ihn: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ (Mk 2,5), sondern auch und vor allem die hier wörtlich wiederkehrende Aufforderung an den Lahmen: ≤geire çron tÖn kr›batt∙n sou kaÑ perip›tei, aus Mk 2,9 spricht dafür, daß unsere Erzählung als intertextuelles Spiel mit Mk 2,3–12 begriffen sein will. Dem Lexem kr›batto", das hier in den Versen 8.9.10.11 und 12 sowie Mk 2,4.9.11.12 gebraucht ist, haftet ein Hauch des Vulgären an, so als ob wir einem sagten: „Nimm deine ‚Falle‘ und geh!“ Mt und Lk haben das Wort denn auch durch das gehobenere kl‡nh (Mt 9,6) bzw. klin‡dion (Lk 5,24) ersetzt; darüber hinaus begegnet kr›batto" im NT nur noch in Mk 6,55 und Act 5,15; 9,33, und zwar im Sinne von ‚Trage‘. Statt hinter unserer Erzählung nach irgendeiner ominösen und doch irgendwie mit Markus verwandten Quelle zu fahnden, nenne man diese nun Semeia-Quelle oder wie auch immer, erscheint es uns sehr viel plausibler, daß Johannes mit dem Satz: ≤geire çron tÖn kr›batt∙n sou kaÑ perip›tei, den literarischen Text ‚Markusevangelium‘ absichtsvoll ‚herbeizitiert‘, damit sein Leser dessen Variation erkenne und aus ihr lerne (vgl. Neirynck, John 5, 703 ff; anders Staley, Stumbling 62 mit Anm. 31, der jedoch das intertextuelle Spiel mit Mk nicht in Rechnung stellt). Die auffälligste Differenz zum Markustext ist zunächst das sorgfältig gestaltete Jerusalemer Lokalkolorit mit der Nähe des Tempels sowie der Gegenwart der ûIoudaõoi, mit dem Johannes diese galiläische Erzählung seines Prätextes versehen hat. Das war notwendig, weil es nach der Schilderung der freundlichen Aufnahme, die Jesus sowohl in Samarien als auch in Galiläa erfahren 298
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5,7–9a
hatte (Joh 4), nun ja darauf ankam zu demonstrieren, daß und wie einem Propheten gerade in seiner ¢d‡a patr‡" die timfl verweigert wird, die ihm gebührt (4,44). Aber muß deshalb der Paralytische so wie der basilik∙" als Repräsentant der glaubenden Galiläer verstanden sein wollte, jetzt als einer begriffen werden, der die Haltung der Jerusalemer zu Jesus repräsentiert? Das wird aus unserer Erzählung jedenfalls nicht evident. Denn der Satz: „Da ging der Mann hin und verkündete (ünflggeilen) den ‚Juden‘, daß es Jesus gewesen sei, der ihn gesund gemacht habe“ (V. 15), ist wohl absichtsvoll ambivalent. Er könnte ein öffentliches Bekenntnis des Geheilten zu Jesus sein (vgl. Thomas, Stop Sinning 14 ff), zumal das nur hier sowie 4,25 und 16,13.14.15 gebrauchte Verbum ünaggfillein bei Johannes stets positiv konnotiert ist (Staley, Stumbling 62 mit Anm. 29). Er könnte aber auch so verstanden werden, „als habe der Geheilte ausgerechnet auf Jesu Mahnung hin diesen bei den Juden denunziert“ und als versuche er jetzt für seine eigene Sabbatverletzung eine Art ‚Befehlsnotstand‘ geltend und so Jesus dafür verantwortlich zu machen (Haenchen, Komm. 2272; ähnlich Kysar, John’s Story 34; Smith, Komm. 41; Bassler, Galileans 247 f u. a.). Der Vergleich seines Verhaltens mit dem des königlichen Beamten und mit dem jenes anderen Jerusalemers, nämlich des Blindgeborenen, in der auffallend analog gebauten Erzählung von Joh 9 soll diesen Verdacht erhärten. In diesem Sinn erklärt Culpepper (Anatomy 138): „Both the official (sc. der basilik∙" von Joh 4) and the blind man (von Joh 9) come to believe, but there is no evidence of belief in the lame man. He complains that he cannot get into the water, not knowing that Jesus has living water in himself. To what extent his ‚naiveté‘ or ‚dullness‘ is culpable may be debatable, but there is little with which to excuse him. The man does not even know who healed him, but he is ready to blame his violation of the sabbath on his benefactor. Jesus seeks him out to tell him to sin no more, but the man, who can hardly have been so dense that he did not know the Jews were seeking to charge Jesus with sabbath violation (see 5,10–12), immediately reports him to the Jews (5,15). Neither the narrator’s explanation that there was a crowd there (5,13) nor the man’s report that Jesus made him ‚whole‘ is sufficient to offset the impression that the lame man represents those whom even the signs cannot lead to authentic faith“. Doch wie die sorgfältige Analyse unserer Erzählung durch Staley (Stumbling) zeigt, ist das ein allzu voreiliges Urteil. Denn weil weder Jesus noch unser Erzähler den Mann, sei es explizit oder auch nur implizit, verdammt, plädiert Staley für eine ‚Gegenlektüre‘, die er für zumindest ebenso legitim erklärt: „In his final narrated sentence, the healed man may unequivocally be making the case for the charismatic healer’s authority over and above Torah authority – this time supplying the name of the healer in the hope that his interrogators will be impressed (2,23; 3,1–2; 4,45). Perhaps he is not a tattletale, but a character who serves his own way, with his own theological argument, as a faithfull witness to the sign performed“ (ebd. 63). Beachtet sein will auch, daß der Mann den Juden, die wissen wollen, wer ihn beauftragt habe, (am Sabbat) sein Bett zu tragen, antwortet: ‚Der, der mich (nach achtunddreißigjährigem Siechtum) endlich gesund gemacht hat, der hat zu mir gesagt: Nimm dein Bett auf und gehe!‘ Auf diese glückliche Wende und wahre Sabbatfreude im Leben des Lahmen aber gehen sie auch nach dieser Antwort überhaupt nicht ein, sondern wiederholen nur stereotyp ihre Frage, wer ihn zu seinem eklatanten Bruch der Sabbattora angestiftet habe. Und wenig wahrscheinlich ist doch auch, daß einer, der achtunddreißig Jahre lang vergeblich auf einen Freund gewartet hat, der ihn im rechten Augenblick in das 299
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
heilsame Wasser des Teiches trägt, diesen einzigen Freund, der ihm endlich erschienen ist, sogleich denunzieren wird. Und in diesem letzteren besteht, wie oben bereits angedeutet wurde, eine weitere Differenz zu der markinischen Erzählung. Denn während Jesus dort den ‚Glauben‘ derer ‚anerkennt‘, die den Kranken auf dem mühsamen Weg über das Dach des Hauses zu ihm gebracht haben, muß hier unser Gelähmter selbst beklagen, keine derartige Freunde zu haben, die ihm helfen: k‚rie, ±njrwpon o§k ≤cw ºna Ωtan taracjÔö tÖ ædwr b›lÔh me e¢" tÉn kolumbfljran (V. 7). Das könnte ein weiteres Zeichen für das intertextuelle Spiel unseres Autors mit der Markus-Erzählung sein. Wissen können wir das freilich sowenig, wie sich entscheiden läßt, ob das ünaggfillein des Mannes ein öffentliches Bekenntnis oder ein schmählicher Verrat war. Die Erzählung gibt uns zu denken, fordert von uns, ihre ‚Leerstellen‘ aufzufüllen. Eine ganz ähnliche und ebenfalls fraglos absichtsvolle Ambivalenz besteht ja auch hinsichtlich der Figuren des Nikodemus (s. u. zu 7,45 ff u. 19,38 ff) oder der Samaritanerin. Völlig zu Recht erklärt Staley deshalb: „Finally, I would submit that no character in the Fourth Gospel fully grasps the narrator’s perspective that ‚Jesus is the Christ, the Son of God‘ (20,31), except for the story’s narrator, the beloved disciple (21,24 f)“ (ebd. 64). Das Lexem peripateõn in Jesu Aufforderung an den Geheilten: ≤geire çron tÖn kr›batt∙n sou kaÑ perip›tei (vgl. Mk 2,9 par.; Act 3,6.12; 14,8; Mt 11,5 u. ö.), sollte man nicht im Bann der Etymologie von per‡ mit „gehe umher“ übersetzen, sondern einfach mit „gehe hin“, „wandle!“ (Luther), „mach dich auf den Weg“. Denn auch wenn das „Gehen“ derer, die zuvor gelähmt waren, fraglos die Macht des Wundertäters demonstriert, erweckt die Übersetzung von perip›tei mit „gehe umher“ doch den fatalen Eindruck, als fordere Jesus hier zu solcher Demonstration seiner Macht auf. (2) Der Geheilte und die Juden (5,9b-15) 9b
Jener Tag war aber ein Sabbat. 10 Da sagten die Juden zu dem Geheilten: Heute ist Sabbat und darum ist es dir nicht erlaubt, deine Liege zu tragen. 11 Der (Mann) entgegnete ihnen jedoch: Der mich gesund gemacht hat, der hat mir geboten: Nimm deine Liege und gehe hin. 12 Da fragten sie ihn: Wer ist denn der Mann, der dir befahl: Hebe (deine Liege) auf und gehe hin? 13 Der Geheilte wußte nicht, wer das war, denn Jesus hatte sich entfernt, weil so viele Leute an dem Ort waren. 14 Bald darauf traf Jesus ihn im Tempel und sagte ihm: Siehe, du bist gesund geworden. Nun sündige hinfort nicht mehr, damit dir nicht noch Ärgeres widerfahre! 15 Da ging der Mann weg und erklärte den Juden, daß es Jesus gewesen sei, der ihn gesund gemacht habe. Wie im Markusevangelium der Heilung des Paralytischen (2,1–12) alsbald zwei Konflikte um die rechte Observanz des Sabbat folgen, nämlich die Erzählung vom ‚Ährenraufen der Jünger‘ (2,23–28) und die andere von der ‚Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand‘ (3,1–6), so wird jetzt auch unsere Heilungserzählung durch den kurzen Satz: én dÇ s›bbaton †n †ke‡nÔh tÔö ™mfira, nachträglich zum Anlaß des nun folgenden Sabbatkonflikts. Und ebenso wie diese Konflikte bei Markus zu dem Beschluß 300
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,9b–13
führen, Jesus zu beseitigen (3,6: Ωpw" a§tÖn üpolfiswsin), so heißt es auch hier: kaÑ diÅ toúto †d‡wkon o´ ûIoudaõoi tÖn ûIhsoún Ωti taúta †po‡ei †n sabb›tw (V. 16) und: diÅ toúto oên môllon †zfltoun a§tÖn o´ ûIoudaõoi üpokteõnai (V. 18). Wiederum fordert aber auch hier gerade diese intertextuelle Nähe zum Markusevangelium und zu den synoptischen Streitgesprächen über den Sabbat dazu heraus, genau zwischen der Art dieser Konflikte hier und da zu unterscheiden. Geht es nämlich bei den Synoptikern vorwiegend um die Frage nach Recht und Grenzen der Sabbat-Halacha, darum also, was der Mensch am Sabbat tun und was er nicht tun darf, sowie darum, ob und in welchen Fällen das Sabbatgebot hinter dem höheren Gebot der Liebe zurücktreten muß, so sind die beiden einzigen Sabbatkonflikte unseres Evangeliums in den Kapiteln 5 und 9 an diesen Fragen überhaupt nicht interessiert. Ihnen gegenüber sind sie vielmehr streng christologisch orientiert, so daß man sie als Variationen des einen – wiederum von Markus vorgegebenen – Themas begreifen muß, nämlich des Satzes: øste k‚ri∙" †stin ¨ u´Ö" toú ünjr„pou kaÑ toú sabb›tou (Mk 2,28; vgl. Bultmann, Komm. 184 f). Wenn der Leser hier erst nachträglich erfährt, daß sich die Heilung des Lahmen am Teich Bethesda an einem Sabbat zugetragen habe, so zeigt das die große dramaturgische Kraft dieses Autors und seine stilistische Kunstfertigkeit. Denn auf diese Weise nötigt er seinen Leser, ehe der mit den so angekündigten komplizierten Folgen dieser Heilung konfrontiert wird, zunächst noch einmal zurückzublicken und das Geschehen selbst unter dem Gesichtspunkt von Sabbatruhe und Sabbatfreude neu zu bedenken. Die Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9), die geradezu als das Pendant unserer Szene geschaffen zu sein scheint (vgl. Martyn, History 68 ff), zeigt ein ganz ähnliches Verfahren unseres Autors. Beide Erzählungen spielen an einem Teich in Jerusalem, dessen Name hier wie da symbolische Bedeutung zu haben scheint. Und wie hier, so läßt der Erzähler auch dort seine Leser erst nachträglich wissen, daß die glückliche Heilung an einem Sabbat geschah: én dÇ s›bbaton †n Ôî ™mfira tÖn phlÖn †po‡hsen ¨ ûIhsoú" (9,14). Und in beiden Fällen darf man diese späte Information des Lesers keinesfalls als ein Indiz dafür ansehen, daß hier jeweils irgendein späterer Redaktor seine Hand im Spiel gehabt und ‚in sich gerundete Wundergeschichten‘ nachträglich zu ‚Sabbatkonflikten‘ „umgestaltet“ hätte, wie das etwa Becker behauptet (vgl. dagegen Staley, Stumbling 60). Natürlich ist Hoskyns Feststellung, daß die Diskurse in Joh 7,14–24 und 5,19– 47 solenne Interpretationen ein und desselben Wunders seien, nicht zu bestreiten (Komm. 314). Aber deshalb kann man nicht behaupten, Joh 7,19–23 sei bereits in der vermeintlichen ‚Quelle‘ des Evangelisten fest mit 5,1–16 verknüpft gewesen (Attridge 165; Weiss 312 ff). Denn über eine derartige ‚Vorgeschichte‘ unseres Textes und die Rolle, die er in einer „johanneischen Gemeinde“ gespielt haben mag, können wir schlechterdings nichts wissen. Klar ist vielmehr nur, daß der Erzähler die Jerusalemer sich an den Konflikt um die Sabbatheilung des Lahmen erinnern und sie den Faden jener Auseinandersetzung wieder aufnehmen läßt, als Jesus ihre Stadt und den Tempel anläßlich des Laubhüttenfestes erneut besucht. Und da jener Konflikt im Äußersten, nämlich in den Plänen der ûIoudaõoi gipfelte, Jesus zu beseitigen, ist diese lebendige Erinnerung ja auch schwerlich verwunderlich. Wie durch andere Mittel schafft der Autor hier durch dieses „Sich-Erinnern“ die Kohärenz seines Buches und führt dessen ‚Plot‘ seinem Gipfel in Jesu Wort entgegen: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30; s. u. jeweils z. St.). Im Gegensatz zu den evolutionistischen ‚Entwicklungstheo301
5,1–47
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
rien‘ der älteren Formgeschichte und ihrer romantischen Vorstellungen festgeprägter „mündlicher Traditionen“, im Gegensatz aber auch zu den Versuchen der jüngeren „Redaktionsgeschichte“, durch die Unterscheidung von Tradition und Redaktion die Geschichte einer „johanneischen Gemeinde“ zu rekonstruieren (vgl. z. B. die Arbeiten von Martyn, Fortna und die eben genannten Beiträge von Attridge und Weiss), sehen wir in unserem Evangelium mit Güttgemanns die gelungene Realisierung einer „autosemantischen Sprachform …, deren Bedeutungsgefüge nicht aggregativ ableitbar, d. h. als allmähliche, kollektiv gesteuerte Summation von ‚Sinn‘-Einheiten erklärbar ist“ (Offene Fragen 258; vgl. ebd. 189 ff). Die in V. 10 o´ ûIoudaõoi Genannten sind keine anderen als die vom Autor geschaffenen fiktionalen Personen, die in unserer Szene aktuell handeln. Darum liegen Aussagen über „den Juden“ oder über „das Judentum“ und damit die Frage nach seinem vermeintlichen Antijudaismus völlig außerhalb des Horizontes unseres Evangeliums. Wenn der Erzähler aus seiner Perspektive den Lahmen vom Teich Bethesda jetzt als tejerapeumfino" bezeichnet, so erzeugt er damit absichtsvoll eine Spannung. Denn die Ioudaõoi, die dem Mann die Verletzung des Sabbat-Gebotes vorwerfen, weil das Tragen von Lasten am Sabbat verboten ist (vgl. Bill. II, 454 ff), werden ja erst aus seinem Munde erfahren, daß er ein soeben wunderbar Geheilter ist: ¨ poiflsa" me ≠giö †keõn∙" moi eèpen: çron tÖn kr›batt∙n sou kaÑ perip›tei. Das variationsreiche Spiel mit den bedeutungs-verwandten Ausdrücken tejerapeumfino" – ¨ poiflsa" me ≠giö – ¨ dÇ ¢aje‡" ist ein bezeichnendes Merkmal des Stils unseres Autors. Dabei verstehen wir im Anschluß an Schleiermacher unter „Stil“ gerade nicht literarische Ausdrucksformen, die irgendwelchen geprägten Regeln ‚antiker Kunstprosa‘ folgen (E. Norden), sondern den spezifischen ‚Zungenschlag‘ eines individuellen Autors, der keiner allgemeinen Regel subsumierbar ist (vgl. Frank, Das Sagbare 15 ff; u. s. speziell zu Johannes: Louw, Style 6 f). Das betonte ¨ ±njrwpo" in der Frage der Juden: t‡" †stin ¨ ±njrwpo" ¨ e¢p„n soi: çron kaÑ perip›tei; unterstreicht zunächst nur die Empörung der Toratreuen darüber, daß es ein Mensch gewagt hat, Gottes heiligstes Gebot, nämlich das der Sabbatruhe, das als einziges seinen Grund schon im Schöpfungswerk des ‚Anfangs‘ hat, dadurch zu übertreten, daß er nicht nur selbst den Sabbat ‚auflöst‘ (≤luen: V. 18), sondern auch noch andere zu solchem Frevel anstiftet. Zugleich ist mit dem Stichwort ±njrwpo" schon das Thema der gesamten folgenden Auseinandersetzungen mit den ûIoudaõoi genannt, das in ihrem Vorwurf gipfeln wird: Ωti sÜ ±njrwpo" œn poieÑ" seautÖn je∙n (10,33; vgl. 19,7). Der nach dem Anstifter dieses Frevels gefragte zuvor Lahme bleibt stumm und an seiner Stelle erklärt der Erzähler: ¨ dÇ ¢ajeÑ" o§k Ô≥dei t‡" †stin, ¨ gÅr ûIhsoú" †xfineusen µclou µnto" †n tù t∙pw. 14 f: Wie zuvor am Teich, so geht die Initiative auch jetzt wieder von Jesus aus. Er ‚trifft‘ (e≠r‡skei) den Geheilten und spricht ihn an, so wie er am Anfang Philippus getroffen (e≠r‡skei) und angesprochen hatte (1,43). Daß Jesu Worte: ¥de ≠giÉ" gfigona", mhkfiti ®m›rtane, ºna mÉ ceõr∙n so‡ ti gfinhtai, als Spiel mit Mk 2,1–12 verstanden sein wollen und in diesem konkreten Einzelfall, der den wissenden Augen Jesu nicht verborgen ist, sehr wohl einen Zusammenhang von Krankheit und Sünde voraussetzen, haben wir oben bereits erörtert. Der Satz: „Siehe, du bist gesund geworden, nun sündige hinfort nicht wieder …“ gibt zu verstehen, daß diese Heilung von der Krankheit zugleich die Befreiung von der Sünde ist. Um einen Ausgleich mit 9,2 f bemüht, erklärt 302
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5,13–15
Barrett dagegen, hier werde „weder implizit noch explizit gesagt, daß die Krankheit des Mannes Folge von Sünde war“; im Widerspruch dazu sagt er dann aber: „Der Befehl, nicht mehr zu sündigen, legt nahe, daß die bisherigen Sünden erledigt sind“ (Komm. 271). Wohl nicht zufällig erinnerten die achtunddreißig Jahre der Krankeit des Mannes darüber hinaus an die achtunddreißig Jahre der Sündengeschichte Israels in der Wüste und an Gottes Schwur, daß keiner dieses sündigen Geschlechts das verheißene Land je betreten werde (s. o. z. St.). Darum ist es nicht schwer, sich einen Reim auf das ‚Ärgere‘ zu machen, das dem Geheilten widerfahren könnte, wenn er sich nicht entschlossen von seinem vorigen Leben in der Sünde trennt: Es würde ihm ergehen wie der Wüstengeneration seiner Väter. Doch auch wenn hier kein explizites Bekenntnis über seine Lippen kommt, wie bei dem Blindgeborenen, bleibt sein wortloses Weggehen (üpöljen) und der Umstand, daß er den Juden verkündete (ünflggeilen), es sei Jesus gewesen, der ihn gesund gemacht habe, ambivalent. Zumal er den Juden, die von ihm wissen wollten, wer ihn denn zu dem sabbatwidrigen Tragen seiner Liege aufgefordert habe, Jesus nicht als den für seinen Sabbatbruch Verantwortlichen denunziert, sondern ihn vielmehr nur als seinen Wohltäter offenbart, läßt der Erzähler das Urteil über ihn zumindest offen. (3) Jesus verteidigt sich gegen die Anklagen der Juden (5,16–30) 16
Und deshalb verfolgten die Juden Jesus, weil er solches am Sabbat getan hatte. 17 Doch Jesus entgegnete ihnen: Mein Vater wirkt noch immer und (ebenso) wirke auch ich. 18 Deshalb trachteten die Juden nun erst recht danach, ihn zu töten, weil er nämlich nicht nur den Sabbat (die Sabbattora) auflöste, sondern auch noch Gott seinen eigenen Vater nannte und sich damit Gott gleich machte. 19 Doch Jesus hielt ihnen entgegen: Amen, Amen, ich sage euch: Nichts kann der Sohn von sich aus tun, sondern allein das, was er den Vater tun sieht. Denn eben das, was jener tut, das wirkt in gleicher Weise auch der Sohn. 20 Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er selbst tut. Ja, er wird ihm noch größere Werke als diese zeigen, so daß ihr euch wundern werdet. 21 Denn wie der Vater die Toten erweckt und sie lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, welche auch immer er will. 22 Denn der Vater richtet (verurteilt) niemanden. Alles Richten hat er vielmehr dem Sohn übertragen, 23 damit alle den Sohn ehren, so wie sie den Vater verehren. Wer (dagegen) den Sohn nicht ehrt, der ehrt auch den Vater nicht, der ihn doch gesandt hat. 24 Amen, Amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und an den glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht vor das Gericht. Er ist vielmehr bereits aus dem Tode in das Leben hinüber geschritten. 25 Amen, Amen, ich sage euch: Es kommt die Stunde – ja jetzt ist sie gekommen –, da die Toten die Stimme des Gottessohnes hören und leben werden, die sie erhören. 26 Denn wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er es auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich selbst zu haben. 27 Und Vollmacht hat er ihm gegeben, Gericht zu halten, weil er ein Menschenkind ist. 28 Verwundert euch nicht darüber, daß die Stunde kommt, da alle, die in den Gräbern ruhen, seine Stimme 303
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
hören werden, 29 und (dann) werden die, die das Gute getan haben, herauskommen zur Auferstehung in das Leben, die aber das Böse verübt haben, zur Auferstehung ins Gericht. 30 Von mir aus kann ich nichts tun. Sondern allein, wie ich es höre, so richte ich, und mein Gericht ist gerecht. Denn ich tue ja nicht meinen Willen, sondern vollstrecke nur den Willen dessen, der mich gesandt hat. 16–18: Das bei Joh nur hier und 15,20 begegnende Lexem di„kw bezeichnet eine ge‑ waltsame Verfolgung, die auf die Vernichtung des Verfolgten zielt (vgl. V. 18 und 16,2). In diesem Sinn fügen A Q Y 063 (f 13) M e q syp.h dem Satz: †d‡wkon o´ ûIoudaõoi tÖn ûIhsoún, aus dem späteren V. 18 hinzu: kaÑ †zfltoun a§tÖn üpokteõnai. Das ist sachlich richtig, jedoch kaum ursprünglich. Denn dem steht die lectio brevior der gewichtigen Zeugen P66.75 a B C D L W und vieler weiterer entgegen. Wie Lk 11,49; Act 7,52 und Mt 23,34 zeigen, gehört das Lexem di„kein in den von Steck in großer Breite untersuchten deuteronomistischen Motivzusammenhang ‚Israels und des gewaltsamen Geschicks seiner Propheten‘. Noch einmal wird daran deutlich, daß Joh 5 als Demonstration von Jesu Wort gelesen sein will, daß dem Propheten in seiner ¢d‡a patr‡" die ihm gebührende Ehre versagt wird (4,44). Die Textzeugen P66 A D L Q Y f 1.13 33 M latt sy(s) co eröffnen V. 17 mit den Worten: ¨ dÇ ûIhsoú" üpekr‡nato ktl. Dagegen sehen die nicht minder gewichtigen Mss. P75 a B W 892. 1241 pc pbo das Satzsubjekt in dem Prädikat üpekr‡nato impliziert und lassen den Jesusnamen aus. Weil die Entscheidung über die Ursprünglichkeit dieses ¨ ûIhsoú" schwierig ist, haben die Editoren von Nestle/Aland27 es in eckige Klammern gesetzt. Doch die Schwierigkeiten liegen hier wohl weniger in der Textüberlieferung als vielmehr im Textinhalt. Denn ohne daß er zuvor in die Szene eingeführt worden wäre, ist Jesus plötzlich und völlig unvermittelt da und ergreift zu den bloßen Absichten der ûIoudaõoi das Wort. Da ist es gut denkbar, daß ein früher Abschreiber diese Leerstelle wenigstens durch die Nennung des Namens Jesu füllen wollte. Ein zusätzliches – freilich nur sekundär psychologisches – Problem bietet die Art der Textdarbietung durch Aland, der im Gegensatz zum Greek New Testament mit V. 17 einen neuen Absatz beginnen läßt. Durch diesen interpretatorischen Eingriff in die lectio continua der alten Zeugen gewinnt der Leser jedoch fälschlich den Eindruck, als sei der Jesusnamen an dieser Stelle notwendig, wogegen er in dem fortlaufend wiedergegebenen Text des GNT eher als überflüssig erscheint. Darum halten wir allen derartigen Gliederungen der Texte und ihrer perikopenartigen, oft von literarkritischen Erwägungen bestimmten Anordnung gegenüber äußerste Askese für geboten und neigen dazu, V. 17 ohne den Namen ûIhsoú" unmittelbar an das Vorausgehende anzuschließen. Denn als ein im‑ perfectum de conatu entspricht der Modus des Verbums †d‡wkon (vgl. Moulton, Grammar I/128 f) in V. 16 nicht nur formal dem †zfltoun a§tÖn üpokteõnai von V. 18, sondern mit seinem môllon knüpft V. 18 auch sachlich an die dem †d‡wkon bereits inhärente Tötungsabsicht an. Wir paraphrasieren die Folge der beiden V. 16 f deshalb so: „Darum suchten die Juden Jesus zu verfolgen, weil er solches am Sabbat tat (†po‡ei). Der aber entgegnete (üpekr‡nato) ihnen: ‚Wie mein Vater bis zur Stunde ununterbrochen (∫w" ≤rti) wirkt, so wirke auch ich ohne Unterbrechung‘“. Das Imperfekt †po‡ei schließt zwar den aktuellen Fall von Jesu Sabbatheilung ein, beschreibt aber, wie V. 17 zeigt, darüber hinaus ganz allgemein die Souveränität seines Wirkens; es „will die Handlung 304
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als für Jesu Stellung zum Sabbat charakteristisch erscheinen lassen“ (Bauer, Komm. 82; vgl. Bultmann, Komm. 182). Der (attische) mediale Aorist üpekr‡nato anstelle des bei Joh über fünfzigmal begegnenden üpekr‡jh ist selten im Neuen Testament. Er begegnet bei Joh nur hier und 5,19 (daneben noch Mt 27,12; Mk 14,61; Lk 3,16 u. 23,9). Möglicherweise drückt das klassische üpekr‡nato, wie das ihm in V. 19 folgende doppelte ümfln nahelegen könnte, den absoluten Anspruch der Antwort Jesu aus (vgl. Bernard, Komm. z. St.). Das ∫w" ±rti der Antwort Jesu heißt nicht „bis jetzt“, als wolle Jesus das göttliche Wirken durch dieses ±rti terminieren, sondern wie 1Joh 2,9; 1Kor 4,13; 8,7; 15,6; Mt 11,12 u. ö. betont es die verläßliche Dauer im Sinne von „immer noch“, „unaufhörlich“, „auch am Sabbat“. Auch wenn Barrett das ausdrücklich bestreitet (Komm. 271), nimmt Jesus mit dem gedrängten kügá †rg›zomai dieses so verstandene ∫w" ±rti ausdrücklich auch für sein eigenes Wirken in Anspruch und rechtfertigt damit seinen vermeintlichen Sabbatbruch. Der Satz: ¨ patflr mou ∫w" ±rti †rg›zetai kügá †rg›zomai, hat also, wie Bultmann ganz richtig sieht (Komm. 182), dieselbe Struktur wie der mit øsper – oætw" gebildete V. 21. Barth paraphrasiert Jesu kügá †rg›zomai treffend so: „Ich tue …, was ich als Sohn meines Vaters tun muß und darf, ohne Rücksicht auf das den Menschen gegebene und für die Menschen gültige Gesetz, nach Sohnespflicht und Heilandsrecht, nach dem Recht, das das Mosegesetz nicht bricht, nicht aufhebt, das aber als ius divinum wie seinen Ursprung, so auch seine Grenze bildet“ (Erklärung 275). Im Hintergrund unserer Auseinandersetzung steht die jüdische Diskussion um die Gen 2,3 genannte Sabbatruhe Gottes: … †n a§tÔö (sc. ™mfira) katfipausen üpÖ p›ntwn tùn ≤rgwn a§toú, ón ≥rxato ¨ jeÖ" poiösai. Das hat schon Aristobul so erklärt: „Wenn aber im Gesetz klar ausgesprochen wird, daß Gott am (siebenten Tage) geruht habe, dann bedeutet das nicht, wie einige annehmen, daß Gott (seither) nichts mehr tue … Denn nachdem er (ein‑ für allemal alles) geordnet hat, erhält er es und läßt es … seine Wandlungen durchlaufen. Er hat uns aber den (siebenten Tag) klar als gesetzlich geboten(en Ruhetag) bezeichnet …“ (Euseb, Praep. Ev XIII 9 ff; Übersetzung: Walter, Fragmente 277; vgl. Philon, leg. alleg. I, 6; cher. 87; prov. I, 6). Rabbinisches bei Bill. I, 223 ff; II, 461 f; weiteres bei Odeberg, Fourth Gospel 2020.
Mit dem Wort von dem ununterbrochenen Wirken Gottes sagt Jesus also nichts anderes als das, was alsbald zur allgemeinen Ansicht der Rabbinen werden sollte (vgl. Harvey, Trial 51). Sein Frevel kann darum in den Augen seiner Ankläger nur darin bestehen, daß er dieses einzig Gott zustehende Privileg für sich selbst in Anspruch nimmt, daß er von Gott nicht als von „unserem Vater“, sondern höchst pointiert als von seinem Vater (¨ patflr mou) spricht. Und diese Differenz haben, die ihn anklagen, sehr wohl wahrgenommen: Sie suchen jetzt erst recht, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat gebrochen hat, üllÅ kaÑ patfira ¥dion ≤legen tÖn jeÖn ¥son ©autÖn poiùn tù jeù. Mochte seine Sabbat-Verletzung vielleicht noch durch ein rituelles Opfer zu sühnen sein, so erfüllt dieser hybride Anspruch auf jeden Fall den unsühnbaren Tatbestand der Gotteslästerung (blasfhm‡a), die nach Lev 24,10 ff und Num 15,30 f den Tod des Frevlers durch seine Steinigung fordert. Nach Dtn 21,22 f soll darüberhinaus sein Leichnam noch bis zum Anbruch der Nacht an einem Baum aufgehängt werden. War Num 15,30 f noch für jede nicht versehentlich, sondern vorsätzlich („mit erhobener Hand“) begangene Sünde die Tötung des Sünders geboten, so zeigen die rabbinischen Zeugnisse demgegenüber die Tendenz, die Zahl der Delikte, die nur durch den Tod des Delinquenten geahndet werden können, deutlich zu reduzieren. In diesem Sinne definiert der Mischna-Traktat Sanhedrin
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unter Berufung auf Lev 24,15 f als einzig todeswürdige Blasphemie, das unziemliche Aussprechen des Namens Gottes (Sanh 7,4). Doch ganz abgesehen von der Frage, ob und inwieweit dieses Tötungsgebot in der Rechtspraxis auch angewandt worden sein mag, zeigen Texte Philons, des Josephus und zumal unserer Evangelien, daß diese enge Auslegung von Lev 24,15 f im ersten Jahrhundert noch nicht verbreitet gewesen sein kann. In der LXX lautet Lev 24,15 f: ±njrwpo", ≈" †Ån katar›shtai je∙n, ®mart‡an lflmyetai. £nom›zwn dÇ tÖ µnoma kur‡ou jan›tw janato‚sjw: l‡joi" lijobole‡tw a§tÖn pôsa sunagwgÉ ûIsrafll. Den Anstoß, daß hier anscheinend zwischen der Verfluchung Gottes als einer geringeren Sünde und der bloßen Nennung seines Namens als todeswürdigem Frevel unterschieden wird, beseitigt Philon dadurch, daß er mit dem je∙n der LXX (HT: wyhla) die heidnischen Götter bezeichnet sieht, £nom›zein tÖ µnoma kur‡ou (HT: hwhyAµç bqnw) dagegen auf den Gott Israels bezieht und dazu erklärt: „Wenn aber einer gegen den Herrn der Götter und Menschen, ich will gar nicht sagen: Blasphemisches vorbringt (o§ lfigw blasfhmflseien), sondern es auch nur wagt, seinen Namen bei ungehöriger Gelegenheit auszusprechen, der soll als Strafe den Tod erleiden“ (Vit. Mos. II/204 ff). Josephus zieht Lev 24,15 f mit Dtn 21,22 f so zusammen: ¨ dÇ blasfhmflsa" jeÖn kataleusjeÑ" krem›sjw diû ™mfira" kaÑ üt‡mw" kaÑ üfanù" japtfisjw (Ant IV 202). In der synoptischen Passionserzählung antwortet Jesus auf die Frage des Hohenpriesters, ob er der Messias, der Sohn des Hochgelobten sei mit †g„ e¢mi (Mk 14,62) oder mit sÜ eèpa" (Mt 26,64) und fügt dem hinzu, daß seine Ankläger von nun an den Menschensohn zur Rechten der Kraft sitzen und ihn mit den Wolken des Himmels kommen sehen werden. Da der ganze Sanhedrin Ohrenzeuge dieses Bekenntnisses geworden ist, bedarf es keiner weiteren Zeugen gegen Jesus: †blasfflmhsen: t‡ ≤ti cre‡an ≤comen mart‚rwn; ¥de nún °ko‚sate tÉn blasfhm‡an. Und unisono antworten sie alle: ≤noco" jan›tou †st‡n (Mt 26,65 f; vgl. Mk 14,61 ff; Lk 22,66 ff).
Johannes läßt im Gegensatz zu den Synoptikern seine Geschichte von „Jesus on Trial“ (Harvey) schon mit unserem fünften Kapitel anheben. Das hat K. Barth schon sehr früh als intertextuelles Spiel unseres Evangelisten mit seinen synoptischen Prätexten wahrgenommen und dazu erklärt: „Man ist versucht, es einfach genial zu nennen, wie Johannes das, was nach Mt 26,63 ff der Abschluß der Auseinandersetzung mit der Judenschaft ist: seine durch den Hohepriester herausgeforderte Selbstoffenbarung als Gottes‑ und Menschensohn und das die Selbstoffenbarung so hell, wie es Menschen nur möglich sein kann, reflektierende Urteil: Er soll des Todes sterben! – wie Johannes diesen historischen Abschluß hier mit wenigen, aller Motivierungskunst spottenden Zügen als den selbstverständlichen Ausgang und Anfang, als die sozusagen metaphysisch notwendige Voraussetzung dieser Auseinandersetzung einführt“ (Erklärung 272 f). Nach Jesu beim Tempelweihfest gesprochenem Wort: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30) heben die Juden wiederum Steine auf, ihn zu steinigen. Und auf seine Frage, wegen welches seiner Werke sie ihn denn steinigen wollen, antworten sie mit deutlichem Bezug auf Lev 24,15: „Nicht wegen eines guten Werkes steinigen wir dich, sondern wegen der Blasphemie, in der du, obgleich doch nur ein Mensch, dich selbst zu Gott machst“ (10,33). Und endlich fordern sie, indem sie sich implizit auf Lev 24,15 berufen, mit den Worten: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muß er sterben, denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht“ (19,7), von Pilatus seine Kreuzigung (vgl. Hofius, blasfhm‡a). Wilckens notiert treffend, daß „gar nicht erst berichtet“ werde, „wie Jesus mit den Juden zusammentrifft“, und daß deshalb der Leser herausgefordert sei, das Fehlende „selbst zu ergänzen“, (Komm. 115; vgl. zur Funktion derartiger ‚Leerstellen‘ und zum Umgang mit ihnen: Iser, Akt des Lesens 284 ff). Gleichwohl können wir aber Wilckens Vorschlag zu dieser „Ergänzung“ nicht folgen. Danach wäre nämlich zu ergänzen, 306
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5,18–19
daß die Juden „aufgrund der Angabe des Geheilten nun auf Jesus zugehen, um ihn wegen des Schabbatbruchs zur Rede zu stellen“. Uns scheint auch hier der um ihre geheimsten Gedanken wissende Jesus die Initiative zu ergreifen, und sie wegen ihrer Verfolgungs‑ und Mordpläne zur Rede zu stellen. Seinem göttlichen Wissen entspricht seine unvermittelte Präsenz in ihrer Mitte. Hier tritt der Angeklagte als Richter vor seine Ankläger. 19–23: Daß Jesus für sein Tun auch am Sabbat göttliche Privilegien in Anspruch nimmt und Gott in einem ganz spezifischen Sinne seinen „eigenen Vater“ nennt, hatten seine Ankläger durchaus richtig wahrgenommen. Dennoch aber haben sie ihn insofern „mißverstanden“, als sie ihm vorwerfen, er mache sich selbst Gott gleich (¥son ©autÖn poiùn tù jeù). Als ob der, der †n ürcÔö prÖ" tÖn je∙n war, ja, von dem gilt: kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go" (1,1; vgl. 20,28), sich erst selbst zu etwas machen müßte oder auch nur könnte, was schon von Ewigkeit her die Bestimmung seiner Sendung ist (vgl. Meeks, Equal to God 310). Das wird seine nun einsetzende Offenbarungsrede, die seinen Anklägern die Sprache verschlägt, sie zu stummen Zuhörern und am Ende selbst zu den Angeklagten macht, eingehend begründen. Wir folgen in der Gliederung dieser Rede L. Schenke, der darin die folgenden drei deutlich voneinander abgehobenen Teile unterscheidet, nämlich (1) 5,19–30 als Jesu „Apologie“, (2) 5,31–40 als seine „Legitimation“ und endlich (3) 5,41–47 als seine „Anklage“ seiner Ankläger (Komm. 101 ff). Der erste dieser Redeteile, Jesu Apologie, ist eine kunstvolle ‚Ringkomposition‘, die Jesus mit der solennen Offenbarungsformel seines doppelten Amen eröffnet. Mit ihr verleiht er seiner Versicherung, daß ‚der Sohn‘ von sich selbst her überhaupt nichts tun könne, es sei denn, er sehe es ‚den Vater‘ tun (V. 19), einen nahezu beschwörenden Charakter. Und indem er in V. 30 diesen Eingangsvers fast wörtlich wiederaufnimmt, schließt sich der Kreis: o§ d‚namai †gá poieõn üpû †mautoú o§dfin: kajá" üko‚w kr‡nw, kaÑ ™ kr‡si" ™ †mÉ dika‡a †st‡n, Ωti o§ zhtù tÖ jfilhma tÖ †mÖn üllÅ tÖ jfilhma toú pfimyant∙" me (V. 30). Vorbereitet durch die V. 24 ff ist in diesem Schlußvers nun an die Stelle von ¨ u´∙" das Personalpronomen †g„ und an die von ¨ patflr die Wendung ¨ pfimya" me getreten; ferner ist das ‚Sehen‘ zum ‚Hören‘ geworden, und das poieõn ist konkretisiert als das Werk des gerechten Gerichts. Mit dieser Apologie verfolgt Jesus eine Doppelstrategie: Zum einen muß er nämlich seine ‚Gottgleichheit‘, die in seinen Worten ja tatsächlich impliziert war, verteidigen; und zum anderen muß er sich zugleich ebenso entschlossen gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, daß er als ein sterblicher Mensch sich selbst ‚gottgleich‘ mache. Denn der Wahn, Gott gleich zu sein, ist nicht nur selbstsüchtig und gottlos (f‡lauto" dÇ kaÑ ±jeo" ¨ noú", o¢∙meno" ¥so" eènai jeù: Philon, leg. alleg. I, 49), sondern er gilt in Israel als die Ursünde schlechthin. Nicht zufällig steht darum am Anfang der biblischen Geschichte der Menschheit die Vertauschung des bergenden göttlichen Gebotes mit der verderblichen Stimme der Paradieses-Schlange: kaÑ ≤sesje Æ" jeoÑ gin„skonte" kalÖn kaÑ ponhr∙n (Gen 3,5). Wer sich wie Antiochus Epiphanes gottgleich wähnt und gebärdet (jnhtÖn µnta ¢s∙jea froneõn: 2Makk 9,12), den trifft das vernichtende Strafgericht Gottes. In allen drei oben genannten Sätzen, in denen die ûIoudaõoi Jesus als todeswürdige Sünde vorwerfen, daß er sich selbst zu Gott mache, steht jeweils das Verbum poieõn mit dem Reflexivpronomen: er macht sich selbst Gott gleich (¥son jeù: 5,18), er macht sich selbst zu Gott (poieõ" seautÖn je∙n: 10,33) und er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht (u´Ön jeoú ©autÖn †po‡hsen: 19,7). Während seine Gegner darin seine unsühnbare Sünde se307
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
hen, weiß der Leser, wie falsch sie darin urteilen. Denn ‚gottgleich‘, ‚Gott‘ und ‚Gottes Sohn‘ war er schon von der ürcfl her (s. o. zu 1,1 ff). Er handelt überhaupt nicht nach seinem eigenen Willen, sondern tut in der Welt allein nur das, was zu tun ihm sein ‚Vater‘ aufgetragen hat. Aus der Parallelität der genannten drei Sätze muß man darum mit Meeks schließen, daß auch ihre Prädikationen ¥so" jeù, je∙" und ¨ u´Ö" toú jeoú sowohl für die Leser des Evangeliums als auch für Jesu Opponenten nahezu synonym sein müssen (Equal to God 310 f). In diesem spezifischen Sinn der Gottessohnschaft Jesu – und damit der Näherbestimmung von ¨ crist∙" durch ¨ u´Ö" toú jeoú in dem Schlüsseltext Joh 20,31 entsprechend – muß auch das Messias‑ bzw. Christus-Prädikat unseres Evangeliums verstanden werden. Denn nur so wird die Bedrohung derer, die sich zu Jesus als dem Christus bekennen, mit dem Ausschluß aus der Synagoge verständlich (... ºna †›n ti" a§tÖn ¨mologflsÔh crist∙n, üposun›gwgo" gfinhtai: 9,22; vgl. 12,42; 16,2 u. s. u. jeweils z. St.). Wenn aber dieses spezifische Messiasverständnis, in dem Matsunaga die „ultimate confession“ unseres Evangeliums sieht und das er pointiert seine „Theos-Christologie“ nennt, der Grund jenes üposun›gwgo" genfisjai der Christusbekenner ist (und nicht etwa nur sein ‚Ergebnis‘ [„outcome“: Matsunaga 125]), dann kann dieses Bekenntnis nicht in irgendeinem paganen Synkretismus wurzeln. Vielmehr müssen dann – wie auch die durchgehende Auseinandersetzung mit den o´ ûIoudaõoi Genannten, die zunehmende Schärfe dieses Konfliktes und die vielfältige Berufung auf Mose und die Schriften zeigt – die in dieser Synagoge selbst lebendigen Überlieferungen Israels der Mutterboden dieses Credo sein (vgl. Meeks, Equal to God 311 ff). Wenn in dem Satz: jeÖn o§deÑ" ©„raken p„pote: monogenÉ" jeÖ" ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patrÖ" †keõno" †xhgflsato (1,18), zwischen Gott, dem Vater, und seinem Sohn als dem monogenÉ" jeÖ" unterschieden und im Einklang mit Ex 33,20 zugleich behauptet wird, daß ‚Gott‘, nämlich eben diesen Vater-Gott, niemand jemals gesehen habe, so folgt daraus, daß Johannes die entsprechenden Theophanien des Alten Testaments nicht etwa bestreitet – gilt doch: kaÑ o§ d‚natai lujönai ™ graffl (10,35) –, sondern, daß er sie als Christophanien begriffen sehen will. In diesem Sinne hat bereits Abraham ‚den Tag‘ Jesu gesehen und darüber gejubelt (8,56) und so sah Jesaja Jesu d∙xa und redet über ihn (12,41). Und wenn Jesus in unserem Kapitel von Mose sagt: perÑ gÅr †moú †keõno" ≤grayen (5,46), so dürfte das die Schilderungen von dessen Theophanien am brennenden Dornbusch ebenso wie auf dem Sinai einschließen (vgl. Dahl, Johannine Church 130 ff). Das wird die Auslegung der absoluten †g„-e¢mi-Worte unseres Evangeliums als Spiel mit Ex 3,14 ebenso bestätigen, wie Jesu Bitte für die Seinen in seinem ‚Gebet an den Vater‘: p›ter πgie, tflrhson a§toÜ" †n tù £n∙mat‡ sou ó dfidwk›" moi, ºna ësin ¬n kajá" ™meõ" (17,11), zeigen wird, daß †g„ e¢mi der ‚Name‘ ist, den der Vater ihm gegeben und den er seinen Jüngern offenbart hat. Hatte Jesus im Blick auf das konkrete Geschehen der Heilung des Lahmen am Sabbat in V. 17 Gott noch seinen Vater (¨ patflr mou) genannt, so bringt er diese Relation des Sohnes zum Vater in seiner nun folgenden ‚Apologie‘ (V. 19–30) dadurch quasi objektiv zur Sprache, daß er, statt weiter von sich als dem Sohn und von Gott als seinem Vater zu reden, jetzt vorwiegend in dritter Person von „dem Sohn“ und „dem Vater“ spricht. Auf diese Weise macht er sein konkretes und einmaliges Tun am Teich Bethesda zugleich zum generellen ‚Zeichen‘ dessen, wozu er bestimmt und welcher Art das ‚Werk‘ ist, zu dessen ‚Vollendung‘ der Vater ihn gesandt hat. Ausnahmen sind das in der Wendung 308
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,19–21
ümÉn ümfln lfigw ≠mõn implizierte ‚Ich‘ (V. 19.24 f) und der gesamte V. 24. Erst mit V. 30 wird Jesus dann das in dem ¨ patflr mou von V. 17 implizierte †g„ explizit wiederaufnehmen und es zum beherrschenden Subjekt der folgenden Redeteile bis zum Ende der ‚Anklage‘ seiner Widersacher in V. 47 machen. Mit den Worten: o§ d‚natai ¨ u´Ö" poieõn o§dÇn †Ån mfl ti blfipÔh tÖn patfira poioúnta: ¡ gÅr …n †keõno" poiÔö, taúta kaÑ ¨ u´Ö" ¨mo‡w" poieõ, gewinnt Jesu Rede zugleich parabolischen Charakter: Wie ein kleines Kind, das noch nichts aus eigener Initiative vollbringen kann, sondern immer nur imitiert, was es seinen Vater tun sieht (vgl. Dodd, Parable; u. Meeks, Equal to God 311), so handelt dieser erwachsene Sohn. Die präsentischen Tempora der Verben d‚nasjai, poieõn und blfipein entsprechen den Perfektformen ©wr›kamen und ©„raken von 3,11 und 3,32 und zeigen, daß diesem Sohn der Vater und sein Tun ständig vor Augen stehen. Nicht von der Erinnerung an das Tun eines göttlichen Vaters in der Zeit der mythischen Präexistenz seines himmlischen Sohnes ist hier also die Rede, sondern vom gegenwärtigen Sehen, Tun und Reden dessen, der hier spricht (vgl. Bultmann, Komm. 191). Denn der – und daran muß sich der durch den Prolog in seine Geschichte eingeführte Leser hier erinnern – ist ja derjenige, von dem seit seiner göttlichen ürcfl gilt: p›nta diû a§toú †gfineto, kaÑ cwrÑ" a§toú †gfineto o§dÇ ∫n ≈ gfigonen (1,3). Bloßer Zuschauer und danach Imitator der Werke seines ‚Vaters‘ ist er nie gewesen. Sein Vater hat vielmehr von Anfang an alle seine Werke durch ihn getan. Darum kann der folgende Satz: ¡ gÅr …n †keõno" poiÔö, taúta kaÑ ¨ u´Ö" ¨mo‡w" poieõ, auch nicht so verstanden werden, als sollte hier das Tun des Vaters von dem des Sohnes unterschieden werden. Er besagt vielmehr, „daß beider Wirken völlig deckungsgleich, geradezu ‚synchron‘ ist“ (Schenke, Komm. 105). Wie wir bei der Auslegung des Prologs das Lexem l∙go" als Prädikat des jüdischen Mannes Jesus begriffen haben, so wird man auch die Rede vom „vorzeitigen Sein des Sohnes beim Vater“ als Prädikation dieses Menschen verstehen müssen. Schon 3,35 wurde Jesu Vollmacht mit dem Argument verteidigt, daß der Vater den Sohn liebe und alles in seine Hände gelegt habe. Und ebenso heißt es unserem neuen Kontext gemäß jetzt: ¨ gÅr patÉr fileõ tÖn u´Ön kaÑ p›nta de‡knusin a§tù ¡ a§tÖ" poieõ. Diesem „Zeigen“ des Vaters, das seinen Grund in dessen Liebe hat, entspricht synchron und spiegelbildlich das zuvor genannte „Sehen“ und „Tun“ des Sohnes. Kommt darin aber die Einheit des Wirkens von Vater und Sohn zur Sprache, so ist damit auch die vorausgegangene Heilung des Lahmen als in der Liebe des Vaters gründendes göttliches Wirken gedeutet (vgl. Augenstein, Liebesgebot 63). „… und der Vater wird dem Sohn noch größere Werke als diese zeigen, so daß ihr euch wundern werdet. Denn wie der Vater die Toten erweckt und sie lebendig macht, ebenso macht auch der Sohn lebendig, welche er will“ (20b.21). Die zurückliegenden Werke des Sohnes, denen gegenüber er hier künftige „größere“ verheißt, können nur die 2,23 genannten shmeõa unter Einschluß der Tempelreinigung sowie – als deren pars pro toto – zumal die jüngste Heilung des Lahmen sein. Diesen ≤rga oder shmeõa gegenüber – die beiden Lexeme scheinen hier nahezu synonym zu sein – können die me‡zona ≤rga, wenn die seine Ankläger in Verwunderung versetzen sollen, ja ebenfalls nur öffentlich sichtbare Taten dessen sein, der sie ihnen hier verheißt. Und nach dem Kontext müssen sie darin bestehen, daß der Sohn, „welche er will, lebendig machen wird“. Das aber weist innerhalb unseres Evangeliums voraus auf die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus (Joh 11), die das Tote erweckende Handeln Jesu exempla309
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
risch vor Augen führt. Doch schon hier wird sich der längst in das Spiel des Evangelisten mit den Prätexten der drei älteren Evangelien verwickelte Leser der Erzählungen von der Auferweckung der Tochter des Jairus (Mk 5,22–24.35–43 / Mt 9,18 f. 23–26 / Lk 8,40–42. 49–56), von der Lebendigmachung des Sohnes der Witwe von Nain (Lk 7,11–17; vgl. 1Kön 17,17–24 u. s. o. zu 4,43 ff) sowie der Summe der Botschaft Jesu an den eingekerkerten Johannes erinnern: kaÑ nekroÑ †ge‡rontai (Mt 11,5; vgl. van Hartingsveld 49). Daß Jesu Verheißung „größerer Werke“, über die sie sich „verwundern“ sollen, auf diese konkreten Erzählungen bezogen werden muß, wird deutlich auch aus der gewiß nicht zufälligen Differenzierung zwischen dem Handeln des Vaters und demjenigen des Sohnes. Während der Vater nämlich die – und das heißt ja: alle – Toten erweckt und lebendig macht, heißt es von dem Sohn zunächst einschränkend: o∆" jfilei zwopoieõ. Der zur Begründung jener „größeren Werke“ mit øsper g›r eingeführte Satz: „Denn ebenso, wie der Vater die Toten erweckt und sie lebendig macht“, setzt voraus, daß Jesu Ankläger dieser Prämisse zustimmen müssen. Denn als ûIoudaõoi hoffen sie auf die eschatologische Auferstehung der Toten und seit den Tagen der makkabäischen Erhebung beten sie mit ihrem Volk mit der zweiten Berakha des Schmone ‚Esre Tag für Tag: „Du bist ein Held, der Hohe erniedrigt, du bist der Starke, der die Gewalttätigen richtet, der ewig Lebende, der die Toten auferstehen läßt, der den Wind wehen läßt und den Tau herniederfallen, der die Lebenden versorgt und die Toten lebendig macht, in einem Augenblick möge uns Hilfe sprossen, gepriesen seist du Jhwh, der die Toten lebendig macht!“ (Text der palästinischen Rezension bei Bill. IV/211; vgl. Sap 16,13; Tob 13,2; Dtn 32,39; 1Sam 2,6; 2Kön 5,7; Jes 26,19; Dan 12,2; Röm 4,17; 2Kor 1,9 u. ö.). Die jüdische Hoffnung, daß Gott die Toten lebendig machen und Lebende wie Tote richten wird, richtet sich auf den „letzten Tag“ des „gegenwärtigen Äons“ und das Leben der neuen Weltzeit. Van Hartingsveld bestreitet u. E. zu Unrecht, daß toÜ" nekro‚" in V. 21 „alle Toten“ bezeichne: „Man hat aber übersehen: o´ nekro‡ (5,25) ist ebenso wie toÜ" nekro‚" (5,21) ein Semitismus. Die semitischen Sprachen verwenden den Artikel vor dem Nomen auch da, wo bei uns die Determination zu unterbleiben pflegt. … Und so sind 5,21.25 ‚die Toten‘ nicht alle Toten – 5,28 hat deutlich p›nte"! – sondern einige Tote. Damit stimmt auch das o∆" jfilei (5,21) überein. Zu übersetzen ist also: ‚denn wie der Vater Tote erweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn die lebendig, welche er will‘ (48). Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß unser Evangelium in griechischer Sprache nach den Regeln griechischer Grammatik für griechisch sprechende Leser geschrieben ist, die aus dem artikulierten Plural nicht herauslesen können, daß hier nur „einige Tote“ gemeint sein sollen. Zudem widerspricht der Gedanke, daß Vater wie Sohn jeweils ‚einige Tote‘ erwecken, dem Gedanken der seit der ürcfl (1,1) bestehenden Einheit von deren Wirken. Der von van Hartingsveld zur Begründung seiner Einschätzung von o´ nekro‡ als Semitismus genannte determinierte Singular ™ gunfl (16,21) ist als Beleg untauglich, denn hier dient der Artikel der Generalisierung. Auch wenn wir im Deutschen sagen ‚eine Frau‘, ist doch nicht wie im Fall von ‚einige‘ eine konkrete einzelne Frau gemeint, sondern die allgemeine Situation jeder Gebärenden. Die neue und für seine Zuhörer anstößige Information, daß nämlich Jesus als ‚der Sohn‘ teilhat an diesem einzigartigen Privileg ‚des Vaters‘, bringt erst der nachfolgende 310
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5,21–25
oñtw"-Satz: „… so macht auch der Sohn lebendig, welche er will“. Daß diese göttliche Vollmacht des Sohnes freilich über seine angekündigten „größeren Werke“, die die Juden in Erstaunen versetzen sollen, noch weit hinausgeht, machen die unmittelbar folgenden Sätze deutlich. Denn seine Macht, Tote zu erwecken, wird nun damit begründet, daß der Vater diesen Sohn als den eschatologischen Totenerwecker und Richter über Tote und Lebende eingesetzt hat: „Denn der Vater richtet niemanden, das ganze Gericht hat er vielmehr dem Sohn übertragen, damit alle den Sohn so ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt auch den Vater nicht, der ihn gesandt hat“. Darum können auch die „größeren Werke“ des Sohnes, die Johannes in der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus resümiert, nur ‚Zeichen‘ sein, nichts anderes als die ‚Spuren‘, die einer, der uneinholbar vorübergegangen ist, im Sand der Geschichte hinterlassen hat. Erst der österliche Geist wird ‚den Seinen‘ die blinden Augen dafür öffnen, aus diesen Spuren zu lesen, daß es die d∙xa Gottes war, die da in der Gestalt dessen, den der Vater gesandt hat, an ihnen vorübergegangen war. Erst dieser Geist wird auch ihre tauben Ohren auftun und die paroim‡ai seiner Rede zu einem Reden über den Vater †n parrhs‡a verwandeln (16,25 f) und so auch ihnen parrhs‡a †n tÔö ™mfira tö" kr‡sew" verleihen (1Joh 4,17). 24 f: Zu dieser parrhs‡a †n tÔö ™mfira tö" kr‡sew" will Jesu Verheißung des ewigen Lebens an den, ‚der sein Wort hört und an den glaubt, der ihn gesandt hat‘ (V. 24), ermutigen. Die erneute Eröffnung dieser Verheißung mit dem solennen ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn (vgl. V. 19) verleiht ihr besonderes Gewicht. Mit der infiniten Wendung ¨ tÖn l∙gon mou üko‚wn kaÑ piste‚wn tù pfimyant‡ me ergeht auf der Textebene die Einladung zum Glauben und die Verheißung ewigen Lebens an eben die ûIoudaõoi, die Jesus der Blasphemie zeihen. Da aber dieser Vorwurf der todeswürdigen Gotteslästerung, den die maßgeblichen Repräsentanten Israels gegen Jesus erheben, zugleich auch jeden trifft, der an ihn als an den vom Vater gesandten messianischen Gottessohn glaubt, ermutigt V. 24 auch den impliziten Leser dazu, sich durch solche Vorwürfe und Bedrohungen in seinem Glauben nicht beirren zu lassen, sondern vertrauensvoll an Jesu Verheißung des ewigen Lebens und der Rettung im Gericht festzuhalten. Da die Verheißung: e¢" tÉn kr‡sin o§k ≤rcetai, nur dem Glaubenden gilt, und damit zugleich impliziert, daß die ‚Nicht-Glaubenden‘ sehr wohl in diese kr‡si" geraten werden, kann das Lexem kr‡si" hier nicht neutral im Sinne von ‚Gericht‘ verstanden werden, sondern muß konkret die ‚Verurteilung‘ oder ‚Verdammung‘ in diesem Gericht bedeuten. Ehe wir darauf zurückkommen, müssen wir uns jedoch zunächst dem folgenden V. 25 zuwenden, weil der von vielen nicht nur als eine nahezu synonyme Parallele von V. 24 betrachtet, sondern geradezu zum Schlüssel zu dessen Interpretation gemacht wird. Doch daran, daß diese beiden Verse derart eng aufeinander bezogen, weitgehend von ihrem Kontext gelöst und zum dictum probans der sogenannten „präsentischen Eschatologie“ unseres Evangeliums gemacht werden dürfen, haben wir erhebliche Zweifel. Im Anschluß an zahlreiche Stimmen der Kirchenväter hat Calvin zu V. 25 erklärt, daß Christus „hier vom geistlichen Tode“ spreche, sei „völlig klar“ und darum werde, „wer das auf Lazarus und den Sohn der Witwe von Nain und ähnliche Fälle“ beziehen wolle, „durch den Zusammenhang selbst widerlegt“. Hier erinnere Christus vielmehr in erster Linie daran, „daß wir alle tot sind, bis er selbst uns zum Leben erweckt“ (Auslegung 130 = Evang. Ioannis 96). Ein Blick in die Johanneskommentare 311
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zeigt, daß diese u. E. gänzlich unbiblische Unterscheidung zwischen „geistig“ und „physisch Toten“ seit den Tagen Calvins einen förmlichen Siegeszug angetreten hat; vgl. etwa die Kommentare von Schenke (107), Bauer (86), Bernard (I/242), Godet (231), Büchsel (77), Strathmann (105) und Wikenhauser (117). Zahn bezieht eine mittlere Position: Er deutet V. 24 auf die „geistig Toten“, V. 25 auf die Totenerweckungen Jesu, zumal auf die Lazarus-Erzählung, und die V. 28 f auf die zukünftige Erweckung aller Toten (297 ff). Bultmann sieht durch V. 25 ein „neues Verständnis des Todes“ gefordert: „Denn die nekro‡, von denen die Rede ist, sind ja die Menschen des k∙smo", die ein uneigentliches Leben leben, da sie das ülhjinÖn fù" (1,9) und die von ihm gespendete zwfl nicht kennen“ (195). Dieser von dem fragwürdigen Schlagwort der ‚präsentischen Eschatologie‘ des Johannesevangeliums bestimmten und nahezu zum Standard der Johannesexegese gewordenen Auslegung der V. 24 f ist jedoch ebenso zu widersprechen, wie der – doch wohl eher gnostischen als biblischen – Unterscheidung „geistig Toter“ von wirklich, d. h. „physisch Toten“, auf der sie beruht, und der literarkritischen Abtrennung der V. 28 f, die sich weder textgeschichtlich noch literarisch begründen läßt (s. u. z. St.). Im Gegensatz zu dieser Exegese sind wir mit van Hartingsveld davon überzeugt, daß Jesu Verheißung in V. 24 als Anrede an seine lebenden Antagonisten unserer Szene begriffen werden muß. Mit V. 25 dagegen kommt Jesus auf die angekündigten „größeren Werke“, nämlich sein Auferwecken Toter, zurück. Wenn dabei jetzt an die Stelle der indefiniten einzelnen Toten, die der Sohn lebendig machen wird (o∆" jfilei zwopoieõ: V. 21), durch die artikulierte Aussage: o´ nekroÑ ... zflsousin, „die Toten“ getreten sind, so ist das kein Semitismus mit der Bedeutung „einige Tote“, wie van Hartingsveld meint, sondern die grammatisch korrekte Wiederaufnahme der in V. 21 mit o∆" jfilei bezeichneten Toten. „Das Verhältnis zwischen 5,28 und 5,25 läßt sich wie folgt bestimmen: die Stunde kommt, daß alle Toten auferstehen, die Stunde ist jetzt schon da, daß einige Tote auferstehen. Daß damit nicht geistig Tote, sondern leiblich Tote gemeint sind, beweist die Verwendung des Wortes fwnfl in 5,25.28“ (van Hartingsveld 48). Heißt es nämlich in 5,24: ¨ tÖn l∙gon mou üko‚wn, so ist in den V. 25 und 28 gesagt, daß die Toten die Stimme des Gottessohnes hören werden (üko‚sousin tö" fwnö"). „Man bemerke die verschiedene Terminologie …: l∙go" ist das gesprochene, verständliche Wort, fwnfl ist Laut, Klang, Geräusch. Der Wind hat nur eine fwnfl (3,89). Schafe kennen die fwnfl des Hirten (10,3.4.5.16.27). Der aus der Wahrheit ist, kennt die fwnfl Jesu (18,37). Die fwnfl Gottes tönt wie ein Donnerschlag (12,28 ff; vgl. 5,37). Der Freund freut sich über die fwnfl des Bräutigams (3,29) Lazarus im Grabe hört die meg›lh fwnfl Jesu (11,43)… In 5,28 ist fwnfl die Stimme Jesu, die alle Toten aus den Gräbern ruft; in 5,25 ist fwnfl die Stimme Jesu, die einige Tote ins Leben zurückruft. So ist 5,25 zu beziehen auf den Fall des Lazarus. … Zu denken ist auch an die Erweckung des Jünglings zu Nain, des Töchterchens des Jairus und an die Antwort, die Jesus den Jüngern des Täufers gibt: Tote werden erweckt (Mt 11,5; Lk 7,22). Joh 5,1–29 ist gut komponiert. Die Heilung des Kranken in Bethzata war ein messianisches Wunder. Daß einige Tote auferstehen werden, wird ein noch größeres Zeichen sein. Darüber werden sie staunen (5,20). Aber sie werden sich über noch Größeres wundern, wenn Jesus alle Toten erweckt. So bekommt die Rede seinen (!) Höhepunkt. Sie erreicht die Klimax. … Und weil Jesus als der Sohn den Kranken heilt, einige Tote erweckt und einst alle Toten aus den Gräbern rufen wird, eben deshalb ist er auch berechtigt zu sagen: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben, kommt nicht in die Verdammnis, sondern ist aus dem Tode ins Leben hinüber gegangen (5,24). … Es handelt sich in Joh 5,1–29 nicht um die Rückkehr des verlorenen Sohnes (Lk 15); nicht um Auferstehen aus dem Tode in Sünden und Gesetzesübertretungen zu
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5,25–27
Leben in Reinheit und Wahrheit; nicht um die Bekehrung von den heidnischen Ungerechtigkeiten zu den christlichen Tugenden (so Paulus); sondern um die Gewißheit des Glaubens, daß der, welcher sich Jesus anschließt und ihn als den Messias bekennt, ins ewige Leben eingehen wird. Die Rede Joh 5 wendet sich an die Juden, die Jesus wegen seiner Heilung eines Kranken am Sabbattage verfolgen (5,16), In ihren Augen ist er ein Gotteslästerer (5,19). In Wirklichkeit ist er aber der Messias, der Sohn, der Menschensohn. Kraft dieses Amtes verheißt er den Glaubenden das ewige Leben. Die Unterscheidung ‚geistig tot‘ / ‚leiblich tot‘ ist hier fern zu halten. Sie stiftet nur Verwirrung.“ (van Hartingsveld 48–50).
Wir haben van Hartingsveld, dessen scharfsinnige Untersuchung in der Flut der Johannesliteratur leider fast versunken und vergessen ist, hier so ausführlich zu Wort kommen lassen, weil wir seiner Exegese von Joh 5,1–30 nichts hinzuzufügen wissen. Er sieht völlig richtig, daß die ‚präsentischen‘ Aussagen unseres Evangeliums in der apokalyptischen Eschatologie gründen und daß Jesu Rede ohne diesen Hintergrund, den sie nicht nur voraussetzt, sondern auf ihre Weise sogar neu bekräftigt, seinen jüdischen Antagonisten unverständlich bleiben müßte. 26–29: Die Vollmacht des Sohnes, Tote zu erwecken, wird nun damit begründet, daß er – auch darin ¥so" tù jeù – wie der Vater das Leben †n ©autù hat. Neu ist das allein für die Ohren derer, die ihn hier als Gotteslästerer anklagen. Denn der Leser weiß es schon, seit er im Anfang des Prologs hörte: †n a§tù zwÉ én kaÑ ™ zwÉ én tÖ fù" tùn ünjr„pwn (1,4). Noch konsequenter als hier läßt sich die Einheit von Vater und Sohn, das †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30), kaum denken. Denn daraus, daß auch und einzig dieser Sohn das Leben in sich selbst hat, wie der Vater, folgt für Johannes: o§deÑ" a¥rei a§tÉn (sc. tÉn yucfln mou) üpû †moú, üllû †gá t‡jhmi a§tÉn üpû †mautoú. †xous‡an ≤cw jeõnai a§tÉn, kaÑ †xous‡an ≤cw p›lin labeõn a§tfln (10,18). Überspitzt gesagt heißt das, nicht nur Lazarus, den er liebte, erweckt Jesus von den Toten, sondern am Ende auch sich selbst. Und das ist angesichts der hier gedachten Einheit von Vater und Sohn kein Widerspruch zu den geläufigen Aussagen, daß Gott Jesus von den Toten erweckt habe (Act 3,15; 4,10; 5,30; 10,40; 13,30.37; Röm 4,24; 1Pt 1,21; an vielen weiteren Stelle ist nicht klar zu entscheiden, ob man °gfirjh mit „er wurde erweckt“ oder mit „er ist auferstanden“ übersetzen soll). Wie er ihm das Amt des Totenerweckers übertragen hat, so hat Gott den Sohn auch eingesetzt als den endzeitlichen Weltenrichter: kaÑ †xous‡an ≤dwken a§tù kr‡sin poieõn, Ωti u´Ö" ünjr„pou †st‡n. Weil die hier zusammen erscheinenden Lexeme †xous‡a, kr‡si" und u´Ö" ünjr„pou in ähnlicher Konstellation auch in Dan 7,13 f begegnen, sehen viele Ausleger in dieser Danielpassage die unmittelbare Quelle unseres Verses. Als untrüglicher Beleg dafür gilt ihnen der Umstand, daß die von Johannes sonst stets mit dem doppelten Artikel gebrauchte Selbstbezeichnung Jesu als ¨ u´Ö" toú ünjr„pou nur hier, ebenso wie Dan 7,13, artikellos als u´Ö" ünjr„pou erscheint (vgl. exemplarisch dafür Schulz, Menschensohn-Christologie 109 ff). Doch der vermeintlich ‚untrügliche Beleg‘ trügt, denn weder die Grammatik noch der Kontext erlauben diese Verbindung von 5,27 mit Dan 7,13. Burkett (The Son 41 ff) hat die umfangreiche Literatur nahezu vollständig gesichtet und kritisch geprüft. Er unterscheidet drei Typen der Erklärung: (1) Zahlreiche Exegeten sehen die artikellose Wendung u´Ö" ünjr„pou als gleichbedeutend mit dem artikulierten ¨ u´Ö" toú ünjr„pou an (so Bernard, Hoskyns, Wikenhauser, Schnackenburg, J. N. Sanders, Morris, Haenchen, Schulz, Beasley-Murray 313
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u. a. jeweils in ihren Komm. z. St.). Auch Moloney (Son of Man 60), Pamment (Son of Man 60) und Lindars (Son of Man 155) erklären die artikellose und die artikulierte Wendung für synonym und versuchen das auch grammatisch zu rechtfertigen. Doch das Fehlen auch des zweiten Atikels toú vor ünqr„pou vermögen diese Autoren nicht zu erklären; vgl. dazu Burkett 42; u. Leivestad, Exit 252. (2) Schulz (Menschensohn-Christologie 111 ff), Colpe (Art. u´∙" 464), Brown (Komm. I, 220), Barrett (Komm. 277), Lindars (Komm. 225 f), und Smalley (Son of Man 292) führen die artikellose Form unmittelbar auf Dan 7,13 f und den dortigen Kontext zurück, wo von dem Menschenähnlichen gesagt wird: kaÑ †d∙jh a§tù †xous‡a ktl. Diese Ableitung ist jedoch höchst problematisch. Denn zum einen ist bei Daniel gar nicht von einem „Menschensohn“ die Rede, wie in Joh 5,27, sondern von einem Himmelswesen, das wie ein Mensch aussieht. Was Daniel da sieht, könnte man geradezu als die Umkehrung von Gen 1,27 bezeichnen: Heißt es da nämlich, Gott habe die Menschen „nach seinem Bilde“ geschaffen, so sieht Daniel jetzt dieses göttliche Ur‑ und Vorbild selbst. Und zum anderen ist bei Daniel gerade nicht dieser ‚Menschenähnliche‘ der Weltenrichter, sondern der ‚Alte der Tage‘. Richterliche Funktionen werden „jenem Menschensohn“ erst in den Similitudines des äthiopischen Henochbuches zugeschrieben. In dessen ‚Bilderreden‘, deren vorchristlicher Ursprung freilich zweifelhaft ist, wird der „Menschensohn“ in deutlich erkennbar literarischem Bezug auf Dan 7,13 so eingeführt: Henoch schaut neben dem ‚Haupt der Tage‘ eine himmlische Gestalt, deren Aussehen „wie das eines Menschen“ und deren gütiges Angesicht „wie das eines der heiligen Engel“ ist (46,1). Unter Rückverweis auf diese Vision (und damit implizit stets auch auf Dan 7) nennen die Bilderreden diese himmlische Gestalt fortan stets „jener Menschensohn“. Ganz abgesehen davon, daß Johannes nach dieser Theorie unfähig gewesen wäre, das, was er meinte, auch grammatisch korrekt und verständlich auszudrücken (s. o.), müßte er das literarische Konstrukt „Menschensohn“ der Bilderreden seinerseits noch einmal mit Dan 7 kombiniert haben. (3) Mit Burkett sehen wir darum in u´Ö" ünjr„pou (V. 27) weder einen Hoheitstitel noch eine Referenz auf Dan 7,13 f, sondern vielmehr die Wiedergabe des geläufigen semitischen Idioms für „ein Mensch“. Die Lösung des Rätsels ist darum nicht von irgendwelchen religionsgeschichtlichen „Ableitungen“ zu erwarten, sondern allein vom Blick auf den Kontext. Liest man aber Joh 5,27 in seinem literarischen Zusammenhang, dann wird klar, daß die richterliche Vollmacht Jesus nicht als dem „apokalyptischen Menschensohn“, sondern als dem vom Vater geliebten „Sohn“ übertragen wurde. In dieser Einsicht besteht das relative Recht der Konjektur Wendts, der in V. 27 in der Wendung u´Ö" ünjr„pou das Lexem ünjr„pou streicht. Doch diese durch keinen Textzeugen unterstützte Konjektur, die darum im „apparatus criticus“ von Nestle-Aland u. E. fehl am Platze ist, macht den Satz zur Tautologie. Und wenn man sieht, daß das unartikulierte u´Ö" ünjr„pou hier mit „ein Mensch“ wiedergegeben werden muß, ist sie mehr als überflüssig. Gleichwohl erweckt V. 22 die bislang unbeantwortete Frage, warum denn ausgerechnet der ‚Sohn‘ anstelle des ‚Vaters‘ das Amt des Richters ausüben soll. Darauf gibt V. 27 mit den Worten: „Weil er ein Mensch ist“, die Antwort (vgl. Burkett 44: „Because the Son, unlike the Father, participates in human nature as well as divinity, he is uniquely qualified to act as judge of humankind“). Burkett verweist dazu auf Test Abr Rez. A 13,3 sowie auf Act 17,31 und Hebr 2,17 f; 4,15: In seiner Vision 314
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,27–30
sieht Abraham den Weltenrichter am Werk und fragt den „Archistrategen“ Michael, der ihm als angelus interpres zur Seite steht: „Mein Herr, wer ist dieser wunderbare Richter? Wer sind die Engel, die alles aufschreiben? Wer ist der sonnengleiche Engel, der die Waage, und wer der feurige, der das Feuer hält? Da antwortete ihm der Archistratege: Siehst du, frommer Abraham, den furchterregenden Mann auf dem Thron sitzen? Dies ist der Sohn des erstgeschaffenen Adam, der Abel genannt wird, den der böse Kain getötet hat. Er sitzt hier, die ganze Schöpfung zu richten, und untersucht Gerechte und Ungerechte. Deswegen sagt Gott: ‚Ich richte euch nicht, sondern jeder Mensch wird vom Menschen gerichtet‘ (Gen 9,6). Deswegen übergab ich ihm das Gericht, die Welt bis zu seiner großen und herrlichen Wiederkunft zu richten …“ (Übersetzung: E. Janssen, TestAbr 233 f). – In seiner Rede auf dem Areopag erklärt Paulus: kaj∙ti ≤sthsen ™mfiran †n Ôî mfillei kr‡nein tÉn o¢koumfinhn †n dikaios‚nÔh, †n ündrÑ ó ørisen ktl. (Act 17,31). Und im Hebräerbrief heißt es: „Darum mußte er (sc. der Sohn Gottes) in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er ein barmherziger und getreuer Hoherpriester für sie bei Gott werde, die Sünden des Volkes zu sühnen. Denn gerade weil er selbst gelitten hat und versucht worden ist, vermag er denen zu helfen, die versucht werden“ (2,17 f; vgl. 4,15). Uns erscheint diese streng auf Grammatik und Kontext bezogene Interpretation Burketts allen bisher vorgeschlagenen Lösungen des durch V. 27 aufgegebenen Problems gegenüber als die einzig plausible. Ihre Stärke besteht darin, daß sich ihr die Bedeutung der Sätze unter der Voraussetzung der grammatischen und semantischen Kohärenz des überlieferten Textes allein aus dessen sorgfältiger Lektüre ergibt. Burkett braucht diese Bedeutung nicht aus irgendwelchen vermeintlichen Traditionsrudimenten und „Thematraditionen“ (Schulz) abzuleiten, um dann zugleich die Uneinheitlichkeit dieses mixtum compositum zu beklagen und notwendige Teile des Textes dem Moloch der Literarkritik zu opfern. Der klare Sinn von V. 27 ist vielmehr: Weil der fleischgewordene Gottessohn ein Mensch ist wie wir, hat der Vater diesem Sohn das Richteramt über die Menschen übertragen. Daran schließt nun V. 28 unmittelbar an. Dem Vorwurf gegenüber, daß Jesus Gott lästere, weil er – ein bloßer Mensch – sich selbst Gott gleich mache (V. 18), bildet er die Klimax von Jesu Apologie. Hieß es in Bezug darauf eben, daß Gott ihm das Amt, über alle Menschen zu richten, gerade deshalb übertragen habe, weil er ein Mensch unter den Menschen ist, so kann nun vom ‚größten seiner Werke‘, nämlich vom Geschehen der endzeitlichen Erweckung aller Toten und vom ‚jüngsten Gericht‘ selbst die Rede sein: „Wundert euch also nicht darüber, daß die Stunde kommen wird, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme (nämlich die dieses Mensch gewordenen Gottessohnes) hören werden. Und dann werden die, die das Gute getan haben, hervorkommen zur Auferstehung ins Leben, die aber, die das Böse vollbracht haben, werden auferstehen zur Verdammnis“. Weil die endzeitliche Auferweckung aller Toten jenseits der erzählten Welt unseres Evangeliums liegt, heißt es von der ‚kommenden Stunde‘ nun auch nur noch ≤rcetai und nicht mehr: kaÑ nún est‡n, wie 4,23 und 5,25. Die beiden V. 28 und 29 sind nicht nur innerhalb unserer Erzählung unentbehrlich, sondern sie sind auch theologisch insofern notwendig, als die Sendung des Sohnes ihren Grund ja in der Liebe Gottes zum k∙smo" hat und ihr Ziel darin besteht, daß der k∙smo" durch ihn gerettet werde (3,16 f). Und so gewiß der Glaube denen, die Jesu Stimme hören, ein „neues Selbstverständnis“ gibt, so daß von ihnen gilt: e¥ ti" †n Cristù, kainÉ kt‡si". tÅ ürcaõa paröljen, ¢doÜ gfigonen 315
5,1–47
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
kain› (2Kor 5,17), so sicher kann darin ja nicht schon das verheißene Heil des Kosmos bestehen. Denn selbst wenn das Lexem k∙smo" hier – wie oft erklärt wird – nur die ‚Menschenwelt‘ bezeichnen sollte, bliebe ja nach dem Heil der zahllosen ‚Übergangenen‘ zu fragen, denn der Ausdruck p›nte" o´ †n toõ" mnhme‡oi" bezeichnet doch fraglos alle Toten ohne Ausnahme seit ‚Adams Zeiten‘, mögen sie nun begraben, verbrannt, auf hoher See ertrunken, von wilden Tieren gefressen oder „verschwunden“ sein (vgl. van Hartingsveld 49 f). Doch auch ganz abgesehen von der sich aufdrängenden Frage nach dem Schicksal dieser Übergangenen erscheint uns eine derart exklusive Beschränkung von k∙smo" auf die Menschenwelt höchst unwahrscheinlich. Denn auch wenn in diesem Evangelium, das für Leser geschrieben ist, die in ihrem messianischen Glauben angefochten sind, natürlich die Menschen und ihre Reaktionen auf Jesu Wort und Sendung im Vordergrund des Interesses stehen, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Lexem k∙smo" aufgrund der dichten biblischen Intertextualität des gesamten Evangeliums und zumal der absichtsvollen Verknüpfung seines Prologs mit Gen 1,1 ff zugleich immer die gesamte geschaffene Welt umfassen dürfte; vgl. nur: p›nta diû a§toú †gfineto kaÑ cwrÑ" a§toú †gfineto o§dÇ ∫n ≈ gfigonen (1,3). 30: Wie oben zu V. 19 bereits gesagt, führt V. 30 Jesu ‚Apologie‘ durch die Wiederaufnahme der Aussage, der Sohn könne nichts von sich selbst her unternehmen, sondern nur tun, was er den Vater tun sehe, in Gestalt einer ‚Ringkomposition‘ an ihr Ende. Zugleich aber bildet unser Vers die Brücke zu der nun folgenden „Legitimation Jesu“ (5,31–40). Das wird zum einen dadurch bewirkt, daß der Erzähler Jesus jetzt nicht mehr in dritter Person ‚der Vater‘ und ‚der Sohn‘, sondern ‚Ich‘ und ‚der mich gesandt hat‘ sagen läßt, und zum anderen dadurch, daß das „Tun“ dieses Sohnes aufgrund des zuvor Gesagten nun unter dem spezifischen Aspekt des richterlichen Wirkens Jesu erörtert wird. Daß Gottes Gerichte gerecht sind und daß er die Welt am Ende der Tage in Gerechtigkeit richten wird, ist die Jesus und seinen jüdischen Anklägern gemeinsame Überzeugung. Bei dieser von beiden ‚Parteien‘ geteilten Voraussetzung behaftet er sie nun: kajá" üko‚w kr‡nw, kaÑ ™ kr‡si" ™ †mÉ dika‡a †st‡n. Weil er auch nicht das Geringste von sich selbst her tun kann – das nachgestellte o§dfin ist emphatisch – und weil er nicht seinen eigenen Willen, sondern allein den Willen dessen zu verwirklichen trachtet, der ihn gesandt hat, und weil er endlich sein richterliches Amt im unablässigen Hören (Präsens!) auf dessen göttliche Stimme ausübt, handelt er als der Fleisch gewordene Weltenrichter und richtet darum „in Gerechtigkeit“. (4) Jesu Legitimation als der wahrhaftige Zeuge (5,31–40) 31
Wenn ich von mir selbst zeuge, dann ist mein Zeugnis nicht wahr. 32 Es ist (aber) ein anderer, der von mir zeugt. Und ich weiß, daß das Zeugnis, das er über mich ablegt, wahr ist. 33 Ihr habt (eine Gesandtschaft) zu Johannes geschickt, und er hat Zeugnis abgelegt für die Wahrheit. 34 Ich jedoch nehme von keinem Menschen das Zeugnis an. Sondern ich sage das nur, damit ihr gerettet werdet. 35 Jener war die Leuchte, die brennt und scheint. Ihr aber wolltet euch nur für eine kurze Weile an seinem Licht ergötzen. 36 Ich dagegen habe ein Zeugnis, das größer ist als das des Johannes. Denn die Werke, die mir der Vater dazu gegeben hat, daß ich sie vollende, eben diese Werke, 316
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,31–33
die ich tue, die sind meine Zeugen dafür, daß der Vater mich gesandt hat. 37 Und (er selbst) der Vater, der mich gesandt hat, der ist mein Zeuge. Doch ihr habt weder seine Stimme je gehört, noch habt ihr seine Gestalt jemals gesehen, 38 ja, auch sein Wort habt ihr nicht bleibend in euch wohnen, denn ihr glaubt dem ja nicht, den er gesandt hat. 39 Ihr forscht in den Schriften, weil ihr glaubt, in ihnen das ewige Leben zu haben. Dabei sind sie es gerade, die von mir zeugen. 40 Und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um das Leben zu gewinnen. 31 f: Wenn wir diesen seiner ‚Apologie‘ folgenden Teil der Rede Jesu (5,31–40) im Anschluß an Schenke mit ‚Legitimation‘ überschrieben haben, so will das vor dem Hintergrund des Umstands verstanden sein, daß der Erweis von ‚Glaubwürdigkeit‘ oder ‚Unglaubwürdigkeit‘ des Zeugen im Prozeß und in diesem Sinne seine ‚Legitimation‘ der entscheidende Grundzug des gesamten jüdischen Gerichtswesens ist. Dessen Differenz zu den uns geläufigen gerichtlichen Verfahren hat Harvey treffend beschrieben und darin geradezu einen Schlüssel zur literarischen Struktur unseres Evangeliums entdeckt: „The speeches of the parties to such a dispute were very different from what would have been expected, say, in a western court. There was no attempt to build up a case bit by bit, accumulating evidence by stages and giving the whole presentation a logical cogency of its own. Rather it was a matter of each party stating his case again and again in such a way as to dispel the doubts of his listeners. The object was not so much to present a case which could not be demolished as to present oneself as a person who deserved to be believed; and the most effective way of achieving this was often to say the same thing over and over again, with only small variations of detail, and with repeated insistence upon one’s own credentials …“ (Jesus on Trial 16). Darum ist es kein Zufall, daß Jesu gesamte Legitimation als ‚glaubwürdiger‘ (ülhjfl") Zeuge von den forensischen Termini martureõn und martur‡a beherrscht wird (vgl. zum „Zeugnisthema bei Johannes“ Beutler, Martyria 209 ff). Von den insgesamt elf Vorkommen dieser Termini in 5,31–40 begegnen allein fünf bereits in den oben zitierten beiden Eröffnungssätzen. Als guter Jude teilt Jesus mit seinen jüdischen Anklägern den Grundsatz, daß eine Zeugenaussage in eigener Sache unglaubwürdig ist, und eröffnet seine Legitimation darum mit dem Satz: †Ån †gá marturù perÑ †mautoú, ™ martur‡a mou o§k ≤stin ülhjfl". Da es in diesem Rechtsstreit nicht um die Rekonstruktion oder ‚Aufdeckung‘ irgendeiner abstrakten ‚Wahrheit‘, sondern ganz konkret um die Glaubwürdigkeit des Zeugen geht, wird man das Prädikat der Apodosis o§k ≤stin ülhjfl" am besten mit „ist nicht glaubwürdig“ wiedergeben. Nur scheinbar widerspricht Jesus sich selbst, wenn er auf die Anklage der Juden: sÜ perÑ seautoú martureõ": ™ martur‡a sou o§k ≤stin ülhjfl", entgegnet: k…n †gá marturù perÑ †mautoú, ülhjfl" †stin ™ martur‡a mou ktl. (8,13 f). Da muß man Johannes nicht der Flüchtigkeit verdächtigen und wie Barrett fragen, „ob ein Schriftsteller, der sein Werk vollständig durchgesehen hat, die zwei Aussagen in ihrer vorliegenden Form hätte stehen lassen“ (Komm. 279). Denn gerade in diesem gewiß nicht zufällig ‚stehen gebliebenen‘, sondern absichtsvoll gesetzten Widerspruch besteht ja das Paradox der Sendung Jesu als des fleischgewordenen Logos. Überall in unserem Evangelium und zumal in seinen †g„-e¢mi-Worten tritt Jesus ständig als Zeuge ‚in eigener Sache‘ auf. Und doch steht all das unter der ständigen Prämisse, daß er nichts von sich selbst her 317
5,1–47
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
tut noch überhaupt tun kann (5,19 f.30 f). „Man würdigt den Sachverhalt gewiß am besten, wenn man alle diese Fragen sieht, nicht eindeutig beantworten zu können meint, sondern fein offen läßt“ (K. Barth, Erklärung 289). ±llo" †stÑn ¨ marturùn perÑ †moú, kaÑ oèda Ωti ülhjfl" †stin ™ martur‡a √n martureõ perÑ †moú. Er ist es nicht selbst, der für sich als Zeuge auftritt, sondern es ist ‚ein anderer‘. „Darin besteht die Souveränität Jesu … Die Aufgabe, die Last, die Sorge, zu sagen, anzuzeigen, zu verkündigen: da bin ich und dieser bin ich – sie fällt nicht auf ihn. Es geschieht für ihn. Ein Anderer tut das alles für ihn“ (Barth, ebd. 289). Auch wenn er bei der Nennung dieses ‚Anderen‘ an Johannes den Täufer denken könnte und die folgenden Verse das sogar zunächst zu bestätigen scheinen, ahnt der Leser bereits, was explizit erst V. 37 erklären wird: Der ‚Andere‘ – und darin besteht das Paradox – ist der Vater, der aber durch den Mund und durch die Worte und Werke eben dieses Sohnes für ihn zeugt. Darum kann und muß der Sohn dem Satz, daß sein Zeugnis, wenn es denn ein Zeugnis in eigener Sache wäre, unglaubwürdig ist, in 8,14 den anderen Satz hinzufügen, daß aber sein Zeugnis gleichwohl glaubwürdig ist, weil es nämlich gar nicht das Seine ist. Daß es nicht das Zeugnis jenes Sohnes Josephs ist, dessen Eltern und Milieu seine Ankläger zu kennen meinen (6,42), sondern das Zeugnis des Vaters, macht den grammatisch (und juristisch) korrekten Realis von 5,31 zugleich zum logischen Irrealis, weil von diesem †g„ gilt, m∙no" o§k e¢m‡, üllû †gá kaÑ ¨ pfimya" me patflr (8,16). 33f: Mit den Worten „ihr habt zu Johannes gesandt“ erinnert Jesus seine Antagonisten an die Delegation, die sie einst ausgeschickt hatten, Johannes den Täufer nahezu förmlich zu ‚verhören‘ (s. o. zu 1,19 ff). Indem er dabei mit dem Namen Johannes zugleich auch dessen Zeugnis für die ‚Wahrheit‘ ins Spiel bringt, erweckt er den Anschein, als sei der Täufer der bisher unbenannte ‚Andere‘, der für ihn als Zeuge eintritt. Der Gegenwartsaspekt der Perfektform memart‚rhken in dem Satz kaÑ memart‚rhken tÔö ülhje‡a soll diesen ersten Eindruck womöglich sogar noch verstärken. Jedenfalls aber ist die einstige martur‡a des Johannes damit als bleibendes ‚Zeugnis für die Wahrheit‘ benannt, das auch die Gegenwart dieses Disputs bestimmt. Und wenn 3,24 im Spiel mit den synoptischen Prätexten gesagt war: „Denn Johannes war noch nicht in den Kerker geworfen“, so scheint der Ausdruck memart‚rhken jetzt ganz buchstäblich auf dessen ‚Martyrium‘ zurückzublicken. Die durch ihre Anfangsstellung betonten, einander absichtsvoll entgegengesetzten Pronomina †keõno" und ≠meõ" in V. 35 bestätigen das, wenn da „über jenen“, nämlich Johannes, definitiv gesagt wird, „er war“ (én), und „zu den ≠meõ"“, sie hätten damals doch nur danach getrachtet, sich eine vergängliche Stunde lang (prÖ" øran) seines Lichtes zu erfreuen. Die seltene Wendung martureõn tÔö ülhje‡a begegnet nur hier und Joh 18,37 (vgl. 3Joh 3). Bauer übersetzt sie mit: „er hat für die Wahrheit Zeugnis abgelegt“. Damit bringt er korrekt zum Ausdruck, daß tÔö ülhje‡a hier nicht formal einen Modus des Redens im Sinne von ‚die Wahrheit sagen‘ oder ‚lügen‘ bezeichnet, sondern einen konkreten Inhalt. Wenn Bauer dann jedoch seine eigene Übersetzung mit den Worten kommentiert: „denn er hat durchaus der Wahrheit die Ehre gegeben“ (Komm. 88), verspielt er deren Gewinn. Denn der Hinweis darauf, daß die Jerusalemer ûIoudaõoi einst eine Delegation zu Johannes gesandt hatten, dient ja nicht allein der literarischen Verknüpfung der Täuferpartien, sondern er soll mit den Anklägern Jesu in unserer Szene zugleich die Leser des Evangeliums an den Inhalt der damaligen martur‡a des 318
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,32–34
Täufers erinnern, der hier nur mit dem Stichwort ülfljeia angezeigt wird. Wie in einem Gerichtsverfahren hatte Johannes damals feierlich bekannt und nicht verleugnet, daß er nicht der Messias, nicht der wiedererschienene Elia und auch nicht der verheißene Prophet wie Mose sei (1,19 ff). Daß dieses alles und weit mehr als dies, was Johannes da verneinte, vielmehr einzig jener ‚Andere‘ sein mußte, der unerkannt bereits in ihre Mitte getreten war, das mußte aus diesem ‚negativen Bekenntnis‘ bereits damals heraushören, ‚wer Ohren dazu hatte‘. Zugleich hatte Johannes aber auch positiv bekannt, daß er mit seiner Taufe und mit seiner Botschaft nichts anderes sei, als die von dem Propheten Jesaja verheißene Stimme des Rufers in der Wüste und darum nichts anderes zu sagen habe als: e§j‚nate tÉn ¨dÖn kur‡ou. So weit waren die ûIoudaõoi damals seine Zeugen. Der Leser weiß darüber hinaus, daß Johannes am folgenden Tag noch viel konkreter geworden war. Denn da hatte er Jesus als „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt beseitigt“ prädiziert, hatte erklärt, daß Jesus anders als er, der Wassertäufer, mit dem „heiligen Geist taufen“ werde und endlich bekannt: kügá ©„raka kaÑ memart‚rhka µti oñt∙" †stin ¨ u´Ö" toú jeoú (1,29ff). All das und mehr ist die „Wahrheit“, für die Johannes als Zeuge eingetreten war (vgl. Beutler, Martyria 257 f). Darauf, daß schon Kyrill von Alexandria den Satz: memart‚rhken tÔö ülhje‡a, unter Verweis auf Joh 14,6 mit den Worten kommentierte: ülfljeia gÅr ¨ Crist∙" (PG 73,396), macht de la Potterie aufmerksam. Er bemerkt jedoch zugleich, daß diese Identifikation – so treffend sie auch sein mag – dennoch hinter dem 5,33 Gesagten zurückbleibt. Denn mit der da in Erinnerung gerufenen einstigen Täufermartyria war ja zugleich der Grund dieser Identität genannt (Vérité I, 96 f). Wenn das feierliche Bekenntnis des Johannes, daß er weder der Messias, noch Elia, noch auch ‚der Prophet‘ sei, nämlich der Dtn 18,18 f verheißene Prophet ‚wie Mose‘, aber impliziert, daß alle diese Verheißungen in Jesus erfüllt und überboten sind, dann hätten die, die Jesus hier der Gotteslästerung verdächtigen, zumindest offen sein müssen für seine Zeichen und Worte. Denn in den ‚Schriften‘, die sie doch mit großem Eifer durchforschen, weil sie in ihnen mit ebenso viel Recht wie Unrecht das ‚ewige Leben‘ zu finden hoffen (5,39), steht doch geschrieben: „Einen Propheten wie dich (nämlich wie Mose) werde ich ihnen ‚erwecken‘ (ünastflsw a§toõ") aus der Mitte ihrer Brüder, und ich werde mein Wort in seinen Mund legen, und er wird ihnen alles sagen, was ich ihm (zu sagen) gebiete. Und jeden (¨ ±njrwpo"), der nicht auf das hört, was der Prophet in meinem Namen redet, den werde ich zur Rechenschaft ziehen (†gá †kdikflsw †x a§toú)“ (Dtn 18,18 f). Gerade die ûIoudaõoi sollten wissen, daß kein Prophet sich je anders zu legitimieren vermag als dadurch, daß er auf seinen Auftraggeber verweist, der ihn der unentrinnbaren ün›gkh seines Propheten-Daseins unterworfen hat. In diesem Sinne kann Amos nur sagen: „Der Löwe brüllt, wer zittert nicht? Jhwh ruft, wer wird nicht sein Prophet?“ (Am 3,8). Und Paulus sagt, das Evangelium zu verkünden, sei nicht sein ka‚chma – das hieße johanneisch: darin suche er nicht seine eigene Ehre –, vielmehr gelte da: ün›gkh g›r moi †p‡keitai: o§aÑ gÅr mo‡ †stin †Ån mÉ e§aggel‡wmai (1Kor 9,16). Der folgende V. 34: †gá dÇ o§ parÅ ünjr„pou tÉn martur‡an lamb›nw, üllÅ taúta lfigw ºna ≠meõ" swjöte bereitet der Auslegung Schwierigkeiten: Jesus hatte auf den Vorwurf seiner Ankläger, daß er sich selbst gottgleich mache, erwidert, nicht er selbst, sondern ein ‚Anderer‘ sei es, der als verläßlicher Zeuge für ihn eintrete. Und danach hatte er sie daran erinnert, daß sie einst doch selbst das uneigennützige Zeugnis des Jo319
5,1–47
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
hannes ‚für die Wahrheit‘ gehört hatten. Durch diese Erinnerung an den Täufer mußte für sie der Eindruck entstehen, als habe Jesus mit jenem ‚Anderen‘ Johannes gemeint. Doch dem widerspricht ein Doppeltes: Zum einen nämlich hatte Jesus in V. 32 von dem Zeugnis des ‚Anderen‘ als einem gegenwärtigen gesprochen, während hier von Johannes als einem Zeugen der Vergangenheit die Rede ist. Und zum anderen scheint sich Jesus, obwohl er über Johannes doch gerade noch gesagt hatte: kaÑ memart‚rhken tÔö ülhje‡a, jetzt in gewisser Weise von ihm zu distanzieren, wenn er erklärt: †gá dÇ o§ parÅ ünjr„pou tÉn martur‡an lamb›nw. Zur Auflösung dieses Dilemmas bleibt deshalb wohl kein anderer Weg als der, V. 34 mit Barth so zu paraphrasieren: „Nicht als Menschenwort nehme ich sein Zeugnis als gültig an, anerkenne ich in ihm das Zeugnis des ‚Anderen‘ perÑ †moú. Kein Mensch als solcher kann einem Anderen das Zeugnis geben, das ich brauche. Auch Johannes konnte das nicht. Es ist aber auch nicht das ‚Zeugnis von einem Menschen‘, das ich meine und anerkenne, wenn ich euch auf ihn verweise, sondern ich verweise euch auf ihn – ‚damit ihr gerettet werdet!‘ Von wem kann man gerettet werden als von dem, der allerdings durch Johannes zu euch gesprochen, der aber nicht Johannes, sondern eben der ‚Andere ist? Habt ihr diesen gehört, als ihr Johannes hörtet? Nein, antwortet V. 35 …“ (Erklärung 291 f). 35: ≠meõ" dÇ °jelflsate ügalliajönai prÖ" øran †n tù fwtÑ a§toú. Hier wird Johannes nicht einfach mit einem brennenden Leuchter verglichen, der seinen Schein verbreitet, sondern mit dem wiederholten Artikel beim Prädikatsnomen: ¨ l‚cno" ¨ kai∙meno" kaÑ fa‡nwn, als der (bekannte) Leuchter bezeichnet. F. Neugebauer (Miszelle) hat wohl richtig erkannt, daß diese Artikel ein intertextuelles Spiel mit Psalm 131,16b17 signalisieren. Da heißt es nämlich: „kaÑ o´ Ωsioi a§tö" ügalli›sei ügalli›sontai: †keõ †xanatelù kfira" tù Dau‡d, ™to‡masa l‚cnon tù cristù mou“. Johannes war eben dieser Leuchter, den Gott aufgestellt hat, seinen Christus ins rechte Licht zu setzen. Das war sein Lebenszweck und der Inhalt der ‚Wahrheit‘, die er bezeugt hatte. Aber nicht über den von Johannes beleuchteten messianischen Gottessohn sind die Ωsioi in lauten Jubel ausgebrochen, sondern, blind für den wahren Zweck dieses ‚von Gott als Leuchter gesandten Menschen‘ (1,6), haben sie sich nur kurzweilig an seinem flackernden Schein ergötzt. Wenn dieses Begehren der ûIoudaõoi, sich im Licht des Johannes zu erfreuen, auch verfehlt ist, weil es den Zweck seiner Sendung verkennt, so erscheint uns ihre damit zugestandene Freude an Johannes doch als eine Bestätigung dafür, daß die vermeintliche Polemik unseres Evangeliums gegen eine ‚Täufersekte‘, wie schon Wrede gesehen hatte, sich in Wahrheit wohl gegen ein Judentum richtet, das Johannes als den ‚Seinen‘ beansprucht und ihn „gegen Jesus ausgespielt“ hat. Im Hintergrund unserer um die Frage nach der Vollmacht Jesu kreisenden forensischen Szene scheint überdies Mk 11,27–32 zu stehen. Ebenso wie hier wird auch da auf den Täufer und seine Taufe als auf eine abgeschlossene Episode zurückgeblickt, und die Frage nach seiner Vollmacht beantwortet Jesus da mit dieser Gegenfrage: „War die Taufe des Johannes vom Himmel oder war sie von Menschen? Antwortet mir! Da überlegten sie bei sich: ‚Sagen wir vom Himmel, dann wird er sagen: Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt? Oder sollen wir sagen: Von Menschen‘. Davor aber hatten sie Angst wegen der Menge, denn alle waren der Überzeugung, daß Johannes wirklich ein Prophet war“. 36: Daß das Zeugnis der Werke Jesu, des messianischen Gottessohnes, der mit dem heiligen Geist tauft und die Toten lebendig macht, größer sein muß als das Zeugnis des Johannes, dessen ratio essendi es war, abzunehmen, damit jener wachse (3,30), versteht 320
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,34–38
sich von selbst. Dennoch aber war Johannes nicht irgendwer. Er war der von Gott dazu erwählte ‚Mensch‘, von dem zu zeugen, der unerkannt bereits mitten in Israel als das Licht der Welt aufgetreten war (1,5 ff; 8,12). Sein Taufen mit Wasser war Vorspiel und Hinweis auf den, der das messianische Werk der Taufe mit dem heiligen Geist vollziehen sollte. Ihn Israel offenbar zu machen (ºna fanerwjÔö tù ûIsrafll: 1,29 ff), damit alle durch ihn zum Glauben fänden (1,7), das war der Sinn seiner Sendung. Wie der quantitative Komparativ me‡zw zeigt, sind aber beider ‚Werke‘ dennoch insofern ver‑ gleichbar, als durch beider Mund und Werk jener in V. 32 genannte ‚Andere‘ spricht und handelt. Allein darum konnte Jesus seinem Erinnern an den Wahrheitszeugen Johannes die Worte hinzufügen: „Ich sage das aber, damit ihr gerettet werdet!“ Und vergleichbar sind diese beiden unvergleichlichen Zeugen auch darin, daß sie beide mißverstanden werden, daß sie beide auf Ohren stoßen, die taub sind für die Stimme jenes ‚Anderen‘, die aus ihrem Munde erklingt, für sein Tun, das sich im Wirken dieses Sohnes vollendet. Stattdessen haben sie Johannes längst als einen der Ihren vereinnahmt, und auch Jesus halten sie, wie ihre Anklage gegen ihn wegen der Lästerung Gottes zeigt, für einen ihresgleichen. Daß aber „das geschichtliche Leben Jesu an sich, abgesehen von seinem Woher und Wohin, ohne Erkenntnis seiner theologischen und eschatologischen Bedeutung, das geschichtliche Leben Jesu bei Ablehnung des Zeugnisses des ‚Anderen‘, das da stattfindet, … so wenig selig (macht) wie irgend eine Geschichte“, das verkennen sie (Barth, Erklärung 293, mit Hinweis auf Fichtes ‚Anweisung zum seligen Leben‘: „Nur das Metaphysische, keineswegs aber das Historische macht selig; das letztere macht nur verständig“). 37 f: Neben das Zeugnis der Werke Jesu, die der Vater ihm ‚gegeben hat‘, damit er sie vollende (ºna telei„sw a§t›: V. 36) und so offenbar mache, daß er nicht aus eigenen Stücken, sondern als der vom Vater Gesandte gekommen ist, tritt nun noch das Zeugnis dieses sendenden Vaters selbst. Sein besonderes Gewicht ist durch den Einsatz des Demonstrativums †keõno" sowie durch das Perfekt memart‚rhken hervorgehoben. Wenn Jesus unter ausdrücklicher Berufung auf die Torabestimmung, daß für ein rechtsgültiges Urteil das verläßliche Zeugnis wenigstens zweier Zeugen notwendig ist (vgl. Dtn 19,15), später erklären wird: †g„ e¢mi ¨ marturùn perÑ †mautoú kaÑ martureõ perÑ †moú ¨ pfimya" me patflr (8,18), so darf man zwischen diesem präsentischen martureõ und dem Perfekt memart‚rhken unseres Verses keinen Gegensatz konstruieren, sondern muß das Präsens als eine korrekte Auslegung des dem griechischen Perfekt stets inhärenten Gegenwartsaspekts begreifen. Lightfoot verweist dazu auf das ∫w" ±rti von 5,17 und erklärt: „In other words, all life, in and from the beginning onwards, when rightly understood, has born witness, as the activity of the Father, to the Lord“ (Komm. 147). Da Johannes wohl mit der synoptischen Erzählung von der Taufe Jesu spielt, dabei aber über die darin erklingende „Himmelsstimme“ schweigt und deren Botschaft absichtsvoll dem Täufer in den Mund gelegt hat (oñt∙" †stin ¨ u´Ö" toú jeoú: 1,34; s. o. z. St.), kann man memart‚rhken schwerlich auf die Taufe Jesu und diese ‚Stimme‘ beziehen (vgl. Schneider, Komm. 133). Das gilt wohl auch für die ‚Schriften‘. Denn weil die als weitere Zeugen für Jesus erst in den folgenden V. 39 f und 45 ff ausdrücklich genannt werden, wird man sie von dem Zeugnis des Vaters unterscheiden müssen. Dabei kann „unterscheiden“ freilich nicht heißen, daß das Zeugnis des Vaters von den Stimmen seiner Propheten, von Wort und Taufe des Johannes, von den heiligen Schriften Israels 321
5,1–47
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
oder von Weg und Werk Jesu je getrennt und irgend etwas Vorhandenes mit ihm identifiziert werden könnte. Eine eigenwillige Identifikation dieses Zeugnisses des Vaters schlägt Becker vor. Er erklärt, das Perfekt memart‚rhken könne „analog zu 3,11–13 vom Standpunkt der Gemeinde aus gesprochen sein“, die damit „auf das abgeschlossene Wirken Jesu“ zurückblicke und es „als ein Zeugnis des Vaters wie 1Joh 5,10“ interpretiere (Komm. I, 304 ff; ganz ähnlich Schneider, Komm. 133). Doch der Vorstellung, daß unser Erzähler derart unvermittelt aus der Zeit seiner Erzählung in die nachösterliche Zeit seines Erzählens hinübergesprungen sein könnte, haben wir bereits bei der Interpretation der vermeintlichen Analogie von 3,11–13 widersprochen. Erst recht müssen wir Becker widersprechen, wenn er V. 37 „dahingehend (deutet), daß vor und abgesehen von Jesus Gott sich überhaupt nicht offenbart“ habe und den Juden damit jeglicher Zugang zu Gott abgesprochen werde. Dem Johannesevangelium sei vielmehr die Position eigen, „daß nur exklusiv der Sohn den unbekannten Vater offenbart mit den entsprechenden Konsequenzen“ (ebd.). Doch, wie unten zu 14,6 auszuführen sein wird, verhält es sich bei Johannes genau umgekehrt: Da tritt der bekannte Vater, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs als Zeuge für seinen unbekannten Sohn Jesus Christus vor die Schranken des vom Kosmos gegen diesen versammelten Gerichts und macht ihn als den bekannt und erkennbar, den er in seiner Liebe zum Kosmos zu dessen Erlösung gesandt hat.
Mit den Worten: o∂te fwnÉn a§toú p„pote ükhk∙ate o∂te eèdo" a§toú ©wr›kate, kaÑ tÖn l∙gon a§toú o§k ≤cete †n ≠mõn mfinonta, Ωti ≈n üpfisteilen †keõno", to‚tw ≠meõ" o§ piste‚ete, redet Jesus natürlich die in unserer Szene als fiktionale Akteure auftretenden ûIoudaõoi an, die ihn als Gotteslästerer zu töten trachten. Bei aller dadurch bedingten Schärfe der Auseinandersetzung darf man auch den dennoch um Zustimmung werbenden Ton dieser Sätze nicht überhören und muß bedenken, daß hier ja nicht ein „Christ“ über die Juden urteilt, sondern ein Jude mit anderen Juden über die ihnen gemeinsame Überlieferung streitet. Eine dogmatische Aussage, die „den Juden“, von denen nach 4,22 doch „das Heil kommt“, generell jegliche Kenntnis Gottes und jede Erfahrung seiner heilvollen Offenbarung bestritte, wie sie Becker hier zu finden meint, liegt u. E. völlig jenseits des Horizonts unseres Evangeliums. Zu der Aussage: „Weder seine Stimme habt ihr jemals gehört noch seine Gestalt gesehen“, die der Sache nach mit 1,18 kongruent ist, bemerkt Lindars treffend, daß die Rabbinen Jesus darin sicherlich zugestimmt hätten. Denn zur Wahrung der absoluten Transzendenz Gottes hatten sie in der Zeit des Neuen Testaments alle alttestamentlichen Theophanie-Schilderungen längst der Vermittlung durch Engelwesen zugeschrieben und die göttlichen Worte auf das Erklingen einer lwq tb (eines ‚Echos‘ auf die göttliche Stimme) zurückgeführt (Komm. 229). Daß Jesus mit seinem Wort von der ‚Stimme Gottes‘, mit dem er nicht zufällig das Lexem fwnfl aus 5,25 aufnimmt, die ‚Wirklichkeit‘ dieser lwq tb leugnen wolle, hält Odeberg darum für höchst unwahrscheinlich (Fourth Gospel 222 f). Im Gegensatz zu Lindars und Odeberg erklärt Wilckens, zwar sei es „jedem Leser des AT“ aus Texten wie Ex 33,20 oder Dtn 4,12 (vgl. Joh 1,18) bekannt, daß kein Mensch die ‚Gestalt‘ Gottes je gesehen habe. Wenn Jesus darüber hinaus aber behaupte: „Ihr habt niemals seine ‚Stimme‘ gehört!“, so sei das für „jüdische Ohren“ ein unerhörter Affront, weil doch „aller Glaube und alle Frömmigkeit Israels“ davon lebe, „daß Gott zu Mose ‚wie mit einem Freunde‘ geredet hat (Ex 33,11) und daß er in der Tora sein Volk sein Wort verbindlich und verläßlich hören läßt: ‚Höre, Israel‘ (Dtn 6,5) ist das Grundbekenntnis Israels!“ (Komm. 123). Dieses harsche Urteil ist jedoch aus einem 322
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,37–38
doppelten Grund völlig verfehlt: Zum einen macht Wilckens (ähnlich wie Becker) ein Wort, das der erzählte Jesus aus konkretem Anlaß zu seinen bestimmten Antagonisten in dieser singulären Szene sagt, zu einer generellen Disqualifikation des Gottesvolkes sowie seiner Väter und Moses. Derartige Generalisierungen liegen wohl auch Wilckens unglücklicher Formulierung, daß „die ‚antijudaistischen‘ Motive im Neuen Testament christlich-theologisch essentiell“ seien, zugrunde (NT und die Juden 611). Und zum anderen versäumt er es, zwischen den bereits 5,24 f in diesem distinkten Sinne eingeführten Lexemen fwnfl und l∙go" angemessen zu unterscheiden. Ganz abgesehen von dem, was einer sagt, bezeichnet fwnfl den individuellen ‚Klang‘ seiner Stimme, sein unverwechselbares Sagen, das allem Gesagten vorausliegt. Die Schafe folgen dem guten Hirten, weil sie seine ‚Stimme‘ kennen (10,4). l∙go" dagegen ist dieses ‚Gesagte‘, das entweder gehört und behalten, oder überhört und vergessen oder verleugnet wird. Als Signum einer individuellen Person entspricht dem hörbaren Klang ihrer Stimme das sichtbare Aussehen ihrer ‚Gestalt‘ (eèdo"). Der jenseitige Gott aber ist weder durch den Klang seiner Stimme noch durch das Aussehen seiner Gestalt identifizierbar. Unverwechselbar macht ihn allein sein schöpferischer l∙go", von dem Jesus sagt, daß seine Ankläger „ihn nicht bleibend in sich haben“, weil sie dem nicht glauben, den der Vater gesandt hat. Erkennbar am Klang seiner ‚Stimme‘ und an seiner durchbohrten ‚Gestalt‘ ist allein dieser Sohn (20,19 f). Nur wer den sieht, der sieht den Vater (14,9; vgl. 8,19). Schwerlich will unser Erzähler Jesus mit den Worten: o∂te fwnÉn a§toú p„pote ükhk∙ate o∂te eèdo" a§toú ©wr›kate, kaÑ tÖn l∙gon a§toú o§k ≤cete †n ≠mõn mfinonta, bestreiten lassen, daß Gott – durch welche Vermittlungen auch immer – seit alters zu seinem Volk Israel geredet und mit Mose gesprochen hat, ‚wie mit einem Freund‘ (Ex 33,11: kaÑ †l›lhsen k‚rio" prÖ" MwÊsÉn †n„pio" †nwp‡w, Æ" e¥ ti" lalflsei prÖ" tÖn ©autoú f‡lon). Ein derart schroffer Widerspruch gegen die ‚Schrift‘, die doch im unmittelbar folgenden Kontext als verläßliche Zeugin für Jesus aufgeboten wird, erscheint uns im Gegensatz zu Wilckens völlig unvorstellbar, zumal die bei Johannes singuläre Aussage über die nie gehörte fwnfl Gottes und seine niemals gesehene Gestalt (eèdo") ja wohl nur als ein absichtsvolles Spiel mit der biblischen Erzählung von der Sinai-Theophanie verstanden werden kann. Das hatten schon Chrysostomus (Hom. in Jo. XL, P. G. 59,233) und zumal Cyrill Alex. (Comm. in Jo, Lib. III, Pg 73,413) deutlich erkannt. Bestätigt haben es in neuerer Zeit Giblet (Témoignage 55): „Nous préférons voir ici une évocation de la théophanie du Sinai“; Dahl (Joh. Church 133) und mit ausführlicher Erörterung aller einschlägigen biblischen Passagen zumal Pancaro (Law 220 ff): Den Ort seines nächtlichen Kampfes mit dem ‚Engel‘ nennt Jakob ‚eèdo" jeoú‘ und erklärt: eèdon gÅr tÖn jeÖn pr∙swpon prÖ" pr∙swpon, kaÑ †s„jh mou ™ yucfl (Gen 32,30 f). Zu Mose hat Gott nicht wie zu anderen Propheten durch Gesichte oder Träume gesprochen, sondern: st∙ma katÅ st∙ma lalflsw a§tù, †n e¥dei kaÑ o§ diû a¢nigm›twn, kaÑ tÉn d∙xan kur‡ou eèden (Num 12,8). Als Mose das Begegnungszelt betreten hatte, hörte er die Stimme des Herrn zu sich reden (kaÑ ≥kousen tÉn fwnÉn kur‡ou laloúnto" prÖ" a§t∙n: Num 7,89). Als Mose am Sinai mit Gott redete, antwortete Gott ihm mit (s)einer Stimme (¨ dÇ jeÖ" üpekr‡nato a§tù fwnÔö: Ex 19,19). Mose sah den Gott Israels (ta warw larçy yhwla – LXX: kaÑ eèdon tÖn t∙pon, oñ e´stflkei †keõ ¨ jeÖ" toú ûIsrafll: Ex 24,10). Mose erinnert das Volk an die Sinai-Theophanie: Jhwh redete zu euch und fwnÉn Øhm›twn ≠meõ" °ko‚sate kaÑ ¨mo‡wma o§k e¥dete, üllû À fwnfln (Dtn 4,12). Hat etwa jemals ein Volk die Stimme des lebendigen Gottes (fwnÉn jeoú zùnto") mitten aus dem Feuer heraus reden hören (Dtn 4,33)? Im Rückblick auf Mose erklärt das Deu-
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5,1–47
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
teronomium: In Israel aber erstand hinfort kein Prophet mehr wie Mose, ≈n ≤gnw k‚rio" a§tÖn pr∙swpon katÅ pr∙swpon (Dtn 34,10). Bei Sirach heißt es im Blick auf die Gabe der Tora am Sinai: megaleõon d∙xh" eèdon o´ £fjalmoÑ a§tùn / kaÑ d∙xan fwnö" a§toú ≥kousen tÖ oñ" a§tùn (Sir 17,13); und über Mose: Gott ließ ihn seine Herrlichkeit schauen (≤deixen a§tù tö" d∙xh") und seine Stimme ließ er ihn hören (°ko‚tisen a§tÖn tö" fwnö" a§toú: Sir 45,3.5). – Weil Johannes das alles schwerlich bestreiten will, muß man doch wohl fragen, ob es nicht – wie im Falle Abrahams und Jesajas – die d∙xa und das eèdo" sowie die fwnfl Jesu waren, die Mose einst am brennenden Dornbusch hörte und die er und die Israeliten am Sinai dann ‚gesehen‘ und ‚gehört haben‘ (s. u. zu V. 45 ff).
39 f: †raunôn, das in der LXX noch fehlt und im gesamten NT nur sechsmal vorkommt, ist eine durch Inschriften und Papyri seit Pompeius belegte Spätform des klassischen †reunôn (vgl. Bauer, WB s. v.). Der Zusammenhang des Lexems mit den ‚Schriften‘ zeigt, daß es hier im Sinne des seit Esra 7,10 geläufigen und bei den Rabbinen dann überaus häufigen „Fachausdrucks“ (Bill. II, 467) çrd (vgl. ‚Midrasch‘) verstanden sein will. Der Kontext fordert †raunôte hier als präsentischen Indikativ und nicht als Imperativ zu lesen: „ihr durchforscht die Schriften“. Das ist durchaus positiv gemeint und entspricht dem in Ps 1 gezeichneten Bild des Frommen, der seine Freude an der Tora Jhwhs hat und Tag und Nacht darüber nachsinnt. Den Ton einer Verurteilung („a sweeping condemnation“) erzeugt erst der Nachsatz, und zumal der Ausdruck dokeõte (vgl. Blank, Krisis 208; Pancaro, Law 227): Statt das ewige Leben bei dem zu suchen und zu dem zu ‚kommen‘, von dem die Schriften ‚zeugen‘, suchen sie es unmittelbar in diesen selbst und verfehlen es damit ebenso, wie sie sich zwar im Lampenschein des Johannes erfreut, darüber aber übersehen haben, den Täufer als die Leuchte wahrzunehmen, die Gott seinem Christus bereitet hat (Ps 131,16 f; s. o. zu V. 35). „They do not even believe in the Scriptures, because they are closed to the reality to which the Scriptures belong, of which the Scriptures speak“ (Odeberg 224). Mit den Worten: ≈n ≤grayen MwÊsö" †n tù n∙mw kaÑ o´ profötai e≠rflkamen ktl. (1,45) hatte Philippus bereits Nathanael zu Jesus geführt. Als marturoumfinh ≠pÖ toú n∙mou kaÑ tùn profhtùn bezeichnet Paulus die mit Christus in die Welt gekommene Gottesgerechtigkeit (Röm 3,21). Und da der Apostel Christus mit dem wasserspendenden Felsen identifizieren kann, der sein Volk auf seiner Wüstenwanderung begleitete (1Kor 10,4), läßt sich dieses biblische Zeugnis für Christus nicht auf die wenigen sogenannten „messianischen Weissagungen“ reduzieren. Es will vielmehr bei Paulus wie in unserem Evangelium auf die gesamte Schrift bezogen sein. Darum ist es im Blick auf Johannes gewiß eine unzulässige Relativierung des Alten Testaments, wenn von Campenhausen dazu erklärt: „Der Christusglaube wird durch Christus begründet; er lebt durch seinen Geist und von seinem Wort. Die alte Bibel zeugt wohl von ihm und kann zu ihm hinführen. Aber entscheidend ist doch immer nur Christus selbst und Christus allein. Neben ihm verliert alles andere seinen Glanz, auch die Schrift hat nur noch um seinetwillen einen gewissen Wert“ (Entstehung 74). Denn Christus und die Schrift gewordene Geschichte seines Volkes gehören untrennbar zusammen, beide erschließen sich wechselseitig. Ein „Christus allein“, neben dem auch die Schrift ihren Glanz verliert und nur noch „einen gewissen Wert“ behält, ist eine blutleere Abstraktion. Beide gehören vielmehr so zusammen, daß der messianische Glanz Jesu ebenso von der Schrift herrührt, wie diese ihren Glanz von jenem her gerade gewinnt und nicht etwa verliert (vgl. Klappert 626 ff).
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Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,39–41f
(5) Jesus, der Angeklagte, wird zum Ankläger derer, die ihn anklagen (5,41–47) 41
Ruhm von Menschen nehme ich nicht an. 42 Euch aber habe ich durchschaut, daß ihr die Liebe zu Gott nicht in euch habt. 43 Ich bin gekommen im Namen meines Vaters, doch ihr nehmt mich nicht auf. Wenn jedoch ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, so werdet ihr den annehmen. 44 Wie solltet ihr denn auch glauben können, die ihr Ruhm voneinander annehmt und nicht nach dem Ruhm verlangt, den der einzige Gott verleiht? 45 Glaubt nicht, daß ich euch verklagen werde vor dem Vater. Da ist vielmehr einer, der euch verklagen wird, nämlich Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt. 46 Denn wenn ihr Mose (wirklich) glaubtet, dann würdet ihr auch mir glauben, weil der doch über mich geschrieben hat. 47 Wenn ihr aber schon seinen Schriften nicht glaubt, wie wollt ihr da meinen Worten glauben können? 41 f: Mit dieser Passage wendet sich das Blatt. Jetzt wird der Angeklagte zum Richter; und seine Legitimation wird zur Anklage derer, die ihn zu verurteilen trachten. Dazu nimmt Jesus mit V. 41 zunächst variierend den V. 34 wieder auf. Hatte er dort gesagt: „Ich nehme kein Zeugnis von einem Menschen an“, so erklärt er jetzt: „Ehre von Menschen nehme ich nicht an. Euch aber habe ich durchschaut (vgl. 2,25): Ihr habt nämlich keine Liebe zu Gott in euch“. Das Wort jeoú fehlt in den gewichtigsten Zeugen von V. 44, nämlich P66.75 B W a (b) sa ac2 pbo bopt. Doch dabei muß es sich um ein bloßes Abschreiber-Versehen handeln. Weil nämlich der Genitiv QEOU in den Majuskelzeugen, die ja ohne Zwischenräume zwischen den Wörtern geschrieben waren, als nomen sacrum nur durch die beiden Buchstaben QU mit einem Oberstrich wiedergegeben war, ist deren Auslassung aus der Buchstabenfolge TOUMONOUQUOU leicht zu begreifen (vgl. Metzger, Comm. 211; und siehe zum Gebrauch der Kürzel für die nomina sacra: Trobisch 16 ff). Auch wenn Zahn vehement dafür plädiert, den Genitiv toú jeoú als einen genitivus subjectivus zu begreifen (Komm. 314 f; ebenso Schlatter, Komm. 160), scheint er uns mit Odeberg (226) und zahlreichen anderen durch den gesamten Kontext doch als ein gen. objectivus definiert zu sein. ‚In sich haben‘ kann Gottes ausnahmslos dem gesamten k∙smo" zugewandte Liebe (3,16) nur, wer ihr mit seiner Liebe zu Gott entspricht. Der Gegensatz zwischen dem ‚Annehmen‘ einer d∙xa parÅ ünjr„pwn und dem ‚Haben‘ der üg›ph toú jeoú zeigt, daß es hier wie da um menschliches Verhalten geht. Zugleich bestimmt diese Entgegensetzung, wer und welcher Art die ±njrwpoi sind, deren Ehrerweisungen Jesus sich verschließt. Es sind nämlich diejenigen, von denen er zuvor gesagt hatte: °g›phsan o´ ±njrwpoi môllon tÖ sk∙to" À tÖ fù" (3,19). Daß das weder von Johannes dem Täufer noch von Mose noch auch von irgendeinem anderen Autor der Schrift gilt, versteht sich von selbst, denn in deren ‚Stimmen‘ wurde ja das für diesen ‚Sohn‘ zeugende ‚Wort‘ seines jenseitigen ‚Vaters‘ laut. Das ‚Sagen‘ dieser Stimmen war von der Liebe zu Gott bestimmt, und nur, wer in gleicher Weise von solcher Liebe zu Gott beseelt war, vermochte das von diesen Stimmen ‚Gesagte‘ zu hören und sich seiner mit Abraham zu freuen. 325
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
„Nicht der Täufer, nicht seine eigenen Werke, nicht die alttestamentliche Heilsgeschichte, nicht die Schrift als solche treten für ihn ein. Er sucht und begehrt nicht die d∙xa, die Herrlichkeit und Verherrlichung, die auf diesem Wege … etwa zustande kommen könnte. Wenn die Juden meinen, er habe einen geschichtlichen Beweis für seine geschichtliche Sendung und Bedeutung führen wollen, er wolle sich als Mensch unter Berufung auf Menschliches vor Menschen rechtfertigen, so täuschen sie sich. Wollten sie … einen derartigen Anspruch zurückweisen, so würden sie ganz recht haben. Er will nur auf das Zeugnis, das Zeugnis des ‚Anderen‘ sich berufen, und nur deshalb hat er die Zeugnisse zur Sprache gebracht, um sie zu erinnern, daß jenes ganz andere Zeugnis wirklich, nämlich in diesen menschlichen Zeugnissen, vorliegt… Ihr könnt wohl Johannes den Täufer bewundern, meine Werke sehen, der alten Offenbarungen gedenken, Theologie treiben – aber ihr liebt Gott nicht; das Subjekt aller dieser Zeugnisse ist euch gleichgültig. Sonst (V. 43) wäre es nicht möglich, daß ihr mich, der ich im Namen dieses Subjektes, im Namen Gottes gekommen bin – nicht wiederum als ein Zeuge, sondern als der, von dem alle diese Zeugnisse zeugen – nicht annehmt“ (Barth, Erklärung 295 f).
43f: ‚Ich bin im Namen meines Vaters gekommen‘. Die familiare Metaphorik der Rede von „meinem Vater“ impliziert die einzigartige Sohnschaft dessen, der so spricht. Darum ist hier mit der biblischen Wendung vom ‚Kommen im Namen Gottes‘ wohl mehr als das Gesandtsein und die Bevollmächtigung eines Propheten ausgedrückt. Das Perfekt †lflluja weist zudem auf den hin, der hier ‚im Namen Gottes‘ vor ihnen steht und zu ihnen spricht. Der scheidende Jesus kann sein gesamtes Werk in seinem Gebet an den Vater mit den Worten zusammenfassen: „Ich habe den Menschen, die du mir aus der Welt gegeben hast, deinen Namen kundgetan“ (†fanfirws› sou tÖ µnoma: 17,6; vgl. 17,26). Uns scheint – und das wird an den einschlägigen Passagen zu begründen sein –, daß diese Offenbarung des Gottesnamens in spezifischer Weise mit Jesu †g„e¢mi-Sagen verknüpft ist, das seinerseits in dem Mose aus dem brennenden Dornbusch zuteil gewordenen Gotteswort gründet: hyha rça hyha (Ex 3,14; LXX: †g„ e¢mi ¨ ∑n; vgl. Thyen, Die Erzählung). Über die Frage, wen Jesus denn mit jenem ‚Anderen‘ gemeint haben könnte, der ‚in seinem eigenen Namen‘ kommen und denen willkommen sein wird, die dem im Namen des Vaters zu ihnen gekommenen Gottessohn die Aufnahme verweigern, ist viel spekuliert worden. Ob der Autor dabei an jene †g„ e¢mi sagenden yeud∙cristoi yeudoprofötai und ihre shmeõa kaÑ tfirata von Mk 13,6.22 gedacht hat oder ob er, wie Schlatter (Komm. 160 f) meint, von seinen eigenen Erfahrungen mit derartigen ‚zelotischen Propheten‘ während des großen Aufstandes gegen Rom redet oder ob ihm bei dem ±llo" gar der ‚Teufel‘ vor Augen stand, wie das Odeberg (226) von 8,44 her zu begründen sucht, können wir nicht wissen. Das relative Recht solcher Spekulationen besteht allein darin, daß es sich bei allen diesen Figuren und zumal bei dem – freilich erst lange nach der Edition unseres Evangeliums aufgetretenen – Messias-Prätendenten Simon bar Kochbar im Sinne unseres Textes fraglos um solche handelt, die ‚im eigenen Namen‘ gekommen und von vielen „aufgenommen“ worden sind. Doch die generelle Sprache von V. 43b mahnt zur Bescheidenheit: „It is unlikely to refer to a particular individual, such as the Antichrist, the Devil, or some notorious figure of history“ (Beasley-Murray, Komm. 79). Das bestätigt der folgende V. 44, mit dem Jesus seine Ankläger generell als solche charakterisiert, die gar nicht glauben können, weil sie Ehre ausschließlich einander erweisen (vgl. Mt 23,5–12) und darüber die dem einzigen Gott geschuldete Verehrung aus den Augen verloren haben: pù" d‚nasje ≠meõ" pisteúsai d∙xan parÅ üllfllwn lamb›nonte", kaÑ tÉn d∙xan tÉn 326
Erste Szene: Die Heilung des Gelähmten in Jerusalem
5,42–47
parÅ toú m∙nou jeoú o§ zhteõte; Das absolute, aus 2Kön 19,15.19; Ps 85,10; Jes 37,20, Dan 3,45 u. ö. geläufige: ¨ m∙no" je∙" erinnert wohl nicht zufällig an das ‚Höre, Israel!‘ und behaftet Jesu Ankläger so bei ihrem eigenen Grundbekenntnis (vgl. Bauer, Komm. 91). 45–47: Wie Jesus nicht gekommen ist, den k∙smo" zu richten, sondern dazu, daß die Welt durch ihn erlöst werde (3,17), so dürfen die ihn anklagenden Juden auch nicht denken, er wolle sie beim Vater verklagen: „Derjenige, der euch permanent anklagt (kathgorùn), ist vielmehr schon auf dem Plan: Es ist Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.“ Dabei besagt die Wendung: e¢" ≈n ≠meõ" °lp‡kate, im Zusammenhang dieses aktuellen Prozeßgeschehens unserer Szene nicht, daß die Juden Mose etwa als künftigen Erlöser erwartet hätten. Sie haben ihre Hoffnung vielmehr darauf gesetzt, daß er als der treue Paraklet und Fürsprecher seines Volkes beim künftigen Weltgericht ebenso für Israel eintreten werde, wie er durch seine Fürbitte einst am Sinai den Zorn Gottes von ihnen gewandt hatte (Ex 19,11–14.30–35; vgl. Meeks, Prophet-King 159 ff; und O. Betz, Paraklet 36 ff). Doch diese Hoffnung trügt. Mose steht nicht da als ihr Advokat, sondern als ihr Ankläger (vgl. Bauer, Komm. 91). Denn – so begründet das nun V. 46 mit seinem g›r – „wenn ihr Mose glaubtet, dann müßtet ihr ja auch mir glauben, hat er doch über mich geschrieben!“ Mit dem e¢ samt dem imperfektischen Augmenttempus in der Protasis und dem korrespondierenden ±n mit dem gleichen augmentierten Tempus in der Apodosis ist dieser Satz ein klassischer Irrealis. Zur Rolle des Alten Testaments und namentlich zur Bedeutung Moses in unserem Evangelium erklärt W. Bauer: „Für unseren Evangelisten ist das AT völlig in den Besitz der christlichen Gemeinde übergegangen. Er sieht in ihm eine Sammlung von Weissagungen auf Jesus Christus, die ebensosehr die Ansprüche der Christen bestätigt, als sie den Unglauben der Juden verdammt. Deshalb ergibt sich für ihn hier eine etwas positivere Bewertung des Mose und seines Werkes als sonst (s. zu 1,16)“ (Komm. 91). Diese Einschätzung, die neuerdings auch D. Sänger prononciert vertritt, wird jedoch weder der Rolle des Alten Testaments noch der Bedeutung Moses für unser Evangelium gerecht. Die ‚Schrift‘ ist für Johannes keinesfalls nur „eine Sammlung von Weissagungen auf Jesus Christus“, sondern von ihrem ersten bis zu ihrem letzten Wort die Erzählung der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel. Und wie Jesus ‚eines ist mit dem Vater‘ (10,30), so ist der Vater von Ewigkeit her ‚eines mit diesem Sohn‘, den er schon prÖ katabolö" k∙smou geliebt hat (17,24). Nicht zufällig spielen darum gleich die ersten Zeilen des Prologs mit der biblischen Schöpfungsgeschichte. Und daß ‚Mose von Jesus geredet hat‘, bezieht sich keinesfalls nur auf einzelne ‚Weissagungen‘, wie etwa Dtn 18,18 f, die als dicta probantia „ebensosehr die Ansprüche der Christen“ bestätigten, wie sie „den Unglauben der Juden“ verdammten. Verfehlt ist auch Bauers Hinweis auf 1,16 (gemeint ist wohl vor allem 1,17!). Weil Bauer diesen Vers nämlich – ebenso wie Sänger (Von mir hat er geschrieben 124) – im Sinne eines Vulgär-Paulinismus als Antithese von „Gesetz“ und „Gnade“ begreift, sieht er darin ein Indiz für eine negative oder doch zumindest weniger positive „Bewertung des Mose und seines Werkes“. U. E. muß Joh 1,16 f jedoch als ein synthetischer, oder besser noch als ein ‚klimaktischer Parallelismus‘ verstanden werden: Die durch Mose vermittelte göttliche Gnadengabe (†d∙jh) des n∙mo" wird durch die eschatologische Gnadengabe der ülfljeia überboten und nicht etwa aufgehoben (s. o. z. St. u. vgl. J. Jeremias, Art. MwÊsö" 877; Hengel, Schriftauslegung 266). 327
5,1–47
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
War nach 5,39 das von keinem geringeren als von Gott selbst bezeugte und bekräftigte Verstehen Jesu die Voraussetzung und der Schlüssel für das rechte Verstehen der Schrift, so scheint nach dem nun Gesagten zugleich das Umgekehrte zu gelten. Denn in dem Satz: „Wenn ihr schon den gr›mmata des Mose nicht glaubt, wie wollt ihr dann meinen Øflmata glauben?“, erscheint das rechte Verständnis der Schrift nicht mehr als die Folge des wahren Verstehens Jesu, sondern seinerseits als dessen Voraussetzung. Und diese paradoxe Dialektik ist unhintergehbar. Die Differenz der Lexeme gr›mma und Øöma in dem zitierten Satz beruht einfach darauf, daß Mose noch vor dem Einzug ins Land der Verheißung gestorben ist. Seine Worte sind darum nur noch als schriftgewordene und durch das Medium der Schrift zugänglich. Dagegen äußert sich der lebendige Jesus in unserer Szene durch sein aktuelles Reden. Diese Differenz besteht also nur auf der fiktionalen Ebene unserer Erzählung. Für die Leser des Evangeliums ist sie dagegen längst versunken. Denn nach der Kreuzigung Jesu können ihnen seine Øflmata auch nur noch in der Gestalt ihres „grammatischen Verfaßtseins“ in Texten begegnen (vgl. Joh 20,31). Darum sollte man aus der narrativ bedingten Differenz der Wörter keine tiefsinnigen Schlüsse ziehen. Weder die paulinische Dialektik von ‚tötendem Buchstaben‘ und ‚lebendigmachendem Geist‘, die im Laufe der Geschichte ihrer Rezeption im übrigen weithin von einem vulgären Platonismus verschlungen wurde, ist hier im Spiel noch Platons eigene Auszeichnung der vermeintlich „lebendigen und beseelten Rede des Wissenden“ vor allen geschriebenen Wörtern als deren bloßem „Abbild“ (Phaidros 274 f), die zumal in der protestantischen Predigttradition virulent ist. Daß aber mit dem Satz: „Wenn ihr schon die gr›mmata des Mose nicht versteht, wie wollt ihr dann meine Øflmata begreifen?“, mehr als das Verstehen Moses als eines notwendigen „Propädeutikums“ für das Verständnis Jesu gemeint ist, sieht Marquardt u. E. zutreffend: „Mose, indem er das Gottesgesetz niederschreibt und deutet und es in den Zusammenhang der Urgeschichte der Menschheit und der Vätergeschichte Israels stellt, hat eben damit auch über Jesus gesprochen. Jesus war dem Mose schon bekannt: indirekt nur, anonym noch – aber doch so, daß er implizit auch schon von Jesus sprechen konnte. Denn wie jeder Israelit, Mose entsprechend, im dramatischen Spannungsfeld von Gottes Gesetz, Israels Erwählung und dem Zeugnis für die Völker lebt, so auch Jesus, und Jesus freilich besonders bewährt, so daß eine innere Bekanntschaft und Verwandtschaft zwischen Mose und ihm sich aus der ‚Sache‘ ergibt. Natürlich kann man das kein ‚historisches‘ Verhältnis nennen, aber ein sachliches Erkennungsverhältnis: Wer Mose wirklich versteht und ihm folgt, der muß eben damit auch Jesus verstehen können. Johannes hat die gleiche Verstehensmöglichkeit auch zwischen Jesaja und Jesus offengesehen“ (Christologie II, 298 f). Das Verhältnis Moses zu Jesus ist das des Zeugen zu dem, für den als Zeuge einzutreten, er berufen ist. Diese Differenz zwischen dem Zeugen und dem von ihm Bezeugten wird man sich nach Analogie der Beziehung zwischen Jesus und Johannes dem Täufer denken müssen. Wie sich Johannes als der von Gott gesandte Zeuge (1,6 f) und „Freund des Bräutigams“ darüber freut, dessen „Stimme zu hören“ (3,29 f), so ist auch Moses Verhältnis zu Jesus ein freundschaftlich-verbindliches zwischen dem Zeugen und dem von ihm Bezeugten. Diese Differenz darf weder durch eine völlige Parallelisierung der beiden Gestalten nivelliert noch in einen Gegensatz zwischen ihnen verkehrt werden. Während etwa Klappert zum ersteren dieser beiden Extreme neigt (Mose hat von 328
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
5,47
mir geschrieben 636 ff), gerät das Verhältnis des Zeugen Mose zu Jesus, dem von ihm Bezeugten, bei Sänger (Von mir hat er geschrieben 125) zu einem nahezu völligen Gegensatz. Um solche Irrwege zu vermeiden, wird man sich daran erinnern müssen, daß Johannes Jesus als den fleischgewordenen l∙go", der im Anfang bei Gott war und ohne den kein Geschöpf geworden ist, in sein Evangelium eingeführt hat. Das heißt aber, daß der in den Texten der Bibel ‚Schrift‘ gewordene Logos die ‚transsubjektive Bestim‑ mung‘ aller Wirklichkeit ist und als solche jeglicher ‚intersubjektiven Verständigung‘ der Menschen untereinander, über die Welt sowie über deren Natur und Geschichte als die Bedingung von deren Möglichkeit vorausgeht. Diese Unterscheidung zwischen ‚transsubjektivem Bestimmtsein‘ unseres In-der-Welt-Seins und ‚intersubjektiver Verständigung‘ verdanken wir J. Fischer. Jenseits der verhängnisvollen Verstrickungen der christlichen Theologie in ontologische Aussagen über das ‚Wesen‘ Gottes und des Gottmenschen Jesus Christus sowie seine ‚Naturen‘, die Unmögliches beanspruchen, nämlich intersubjektiv zu sagen, was der Fall ist, versucht Fischer, „das christologische Dogma der Einheit von Menschheit und Gottheit Jesu … so zu interpretieren, daß der, welcher als historischer Jesus im Zusammenhang unserer intersubjektiv erschlossenen Welt in Erscheinung getreten ist, zugleich der ist, dessen textgewordene Geschichte die Wirklichkeit im Ganzen auf transsubjektiver Ebene qualifiziert, was bedeutet, daß die Wirklichkeit im Ganzen von dieser seiner Geschichte her zu lesen ist. Christus ist Mensch, sofern er als historischer Jesus in den Zusammenhang unserer ‚story‘ gehört, und er ist Gott, insofern wir, was die transsubjektive Bestimmtheit unserer Welt betrifft, in den Zusammenhang seiner ‚story‘ gehören.“ (Wahrer Gott und wahrer Mensch 118 f). Ist Jesus aber der alles Wirkliche transsubjektiv qualifizierende Logos, dann wird man sich Sängers Diktum: „Ohne Christus keine Gotteserkenntnis“ johanneisch wohl so denken müssen, daß in der Begegnung mit Jesus herauskommt, ob einer einst am Sinai, in der Wüste oder wo auch immer die Worte des Ewigen recht gehört hat und in der Begegnung mit Jesus wie Philippus (1,45) den wiedererkennt, von dem Mose geschrieben hat.
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung und nächtlicher Seewandel Jesu, Lebensbrotrede, Schisma unter den Jüngern und Bekenntnis des Petrus (6,1–71) Joh 6 ist durch die beiden Wendungen metÅ taúta in 6,1 und 7,1 von seinem Kontext deutlich abgehoben. Crossan (It is Written) hat die literarische Einheit und strukturelle Kohärenz des gesamten Kapitels klar erwiesen. Obgleich man sich dafür u. a. auf den Ortswechsel vom transjordanischen Ufer des Sees Genezaret in die Synagoge von Kapharnaum berufen könnte, verzichten wir darauf, unser Kapitel in mehrere kleine Szenen zu zerlegen, weil darüber seine Einheit und Kohärenz aus dem Blick geraten könnte. Statt dessen folgen wir G. Phillips (Hard Saying 37 ff), der innerhalb unserer Szene je nach den wechselnden Diskurspartnern Jesu die folgenden sieben Episoden voneinander unterscheidet: (1) 6,1–13: Jesus mit seinen Jüngern, als deren Sprecher 329
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Philippus und Andreas mit Namen genannt werden – (2) 6,14–15: Jesus mit einer undefinierten Menschenmenge (o´ ±njrwpoi) – (3) 6,16–21: Jesus mit seinen Jüngern – (4) 6,22–40: Jesus und die von ihm zuvor gespeiste Menschenmenge (µclo") – (5) 6,41–58: Jesus und die Juden (o´ ûIoudaõoi) – (6) 6,59–65: Jesus und polloÑ †k tùn majhtùn a§toú – (7) 6,66–71: Jesus und die ‚Zwölf ‘ mit Simon Petrus als ihrem Sprecher. Die beiden Eckstücke dieser Reihe, nämlich 6,1–13 und 6,66–71, bilden eine Inklusion um die gesamte Szene. Nur hier ist Jesus von der definierten Gruppe „seiner Jünger“ umgeben, von denen jeweils zwei mit ihren Namen genannt werden, nämlich in der Eingangsepisode Philippus und Andreas (6,5.8) und im Schlußstück Simon Petrus und Judas, des Simon Iskariot Sohn (6,68.71). Anders als die Synoptiker erzählt Johannes die Geschichte von der Berufung und Institution des Kreises der „Zwölf “ nicht. Aber er setzt ihre Kenntnis voraus. Denn auch ohne daß „die Zwölf “ in 6,1–13 schon ausdrücklich genannt würden, weiß der intertextuell beschlagene implizite Leser, spätestens seit der Nennung der ‚zwölf Körbe‘, in die sie die übriggebliebenen Brocken der fünf Gerstenbrote gesammelt haben (6,13), daß Philippus und Andreas zuvor als Sprecher der „Zwölf“ genannt waren. Erst in V. 67 werden „die Zwölf “ durch das artikulierte Lexem o´ d„deka und mithin als bekannte Größe ausdrücklich in unser Evangelium eingeführt, und dann erinnert Jesus sie an ihre Erwählung: o§k †gá ≠mô" toÜ" d„deka †xelex›mhn; (V. 70; außer an den genannten Stellen kommen ‚die Zwölf`‘ nur noch zweimal vor, nämlich 6,71, wo Judas, und 20,24, wo Thomas als eï" †k tùn d„deka genannt wird). Eine weitere Analogie zwischen den beiden das Ganze einschließenden Randstücken (1) und (7) besteht darin, daß sich hier wie da die Stimme des Erzählers in die Erzählung einmischt. So erklärt er in V. 6: „Das aber sagte er (sc. Jesus), um ihn auf die Probe zu stellen. Denn er selbst wußte (natürlich), was er tun wollte“, und abschließend in V. 71: „Er (sc. Jesus) sprach aber von Judas dem (Sohn) des Simon Iskariot, denn der sollte ihn verraten, einer von den Zwölfen!“ Diese Rahmung des sechsten Kapitels durch die beiden Jüngerepisoden am Anfang und am Ende ist schon ein erstes und deutliches Indiz für die Kohärenz der gesamten Szene. Wie schon die unvermittelte Einführung der d„deka auf das Problem des intertextuellen Verhältnisses des Johannes zu den Synoptikern verwies, so ist – neben der Passionserzählung in den Kapiteln 18 und 19 – gerade Joh 6 seit langem „un terrain privilégié pour la comparison synoptique“ (Vouga, Jean 6, 267). Aber angesichts nicht nur der frappanten Übereinstimmungen von Details, die bis in den Wortlaut hineinreichen (s. u. zu 6,7.20.69), sondern zumal der Erzählfolge reicht es sicher nicht aus, hier vage auf die vermeintliche „mündliche Tradition“ zu verweisen (vgl. Kieffer, Jean et Marc 125). Die gesamte markinische Folge und damit der literarisch vorgegebene Zusammenhang von Brotwunder (Mk 6,32–44 und 8,1–10) – Seewandel (Mk 6,45–52) – Zeichenforderung (Mk 8,11–13) – Brotrede (Mk 8,14–21) – Petrusbekenntnis (Mk 8,27–30) – Leidensweissagung (Mk 8,31) – und Satanswort (Mk 8,32 f) findet sich in spezifisch johanneischer Metamorphose in unserem Kapitel wieder. Daß wir von einer „Brotrede“ bei Markus sprechen, mag überraschen. Zwar ist das absolute †g„ e¢mi bei Markus 6,50 insofern noch ambivalent, als Jesus damit dem Kontext entsprechend auch sagt, daß er es selbst und kein Gespenst ist, wie die Jünger wähnen. Doch deren damit nicht etwa gestilltes, sondern sogar noch gesteigertes Entsetzen zeigt, daß da mehr gesagt ist. Denn zwischen den Broten der Speisung und diesem †g„ e¢mi steht nicht erst bei Johannes, sondern schon bei Markus eine geheimnisvolle Entsprechung, die den Jüngern verborgen bleibt, weil ihre Herzen
330
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,1
verhärtet sind (6,52). Auch die Wiederholung des Speisungswunders (8,1–13) öffnet ihnen nicht die Augen für das Geheimnis. Ja selbst die – abermals im Boot erfolgende – ausdrückliche Thematisierung dieser Beziehung durch Jesus (8,14–21, eben das, was wir oben die markinische „Brotrede“ nannten) bleibt unverstanden: Obwohl sie doch das unerschöpfliche eine Brot, nämlich Jesus selbst, bei sich im Schiff haben, sind sie darüber besorgt, daß sie es vergaßen, Brote mitzunehmen. Darum müssen sie sich als Blinde, Taube und Unverständige tadeln und denen draußen gleichstellen lassen, denen das mustflrion tö" basile‡a" (Mk 4,10 f) entzogen ist. Erst die hochsymbolische, mühsame und doppelte Kur Jesu an dem Blinden öffnet ihnen halbwegs die Augen: Sie begreifen, daß sie mit dem Messias unterwegs sind (Petrusbekenntnis), begreifen aber nicht, daß dieser Messias seinen Weg im Sterben vollenden muß (Satanswort). Johannes hat verstanden, daß der Mysterion der Gottesherrschaft ebenso wie das geheimnisvolle eine Brot Jesus selbst in Person ist, und expliziert das auf seine Weise in unserem Kapitel (vgl. Thyen, Die Erzählung; Vouga, Jean 6; Wilckens, Komm. 59: „seine [nämlich des Johannes] Vorlage ist also der Markusbericht“). Auf Einzelheiten dieses Spiels mit dem Markustext kommen wir bei der folgenden Auslegung zurück.
(1) Die wunderbare Speisung am See (6,1–13) 1
Nach diesen (Reden) ging Jesus weg (und zog) an das jenseitige Ufer des galiläischen Sees von Tiberias. 2 Es folgte ihm aber eine große Volksmenge, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken wirkte. 3 Jesus aber stieg auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder. 4 Es war aber nahe das Passa(fest) der Juden. 5 Als Jesus nun seine Augen erhob und jene große Volksmenge auf sich zukommen sah, sagte er zu Philippus: Woher sollen wir Brote einkaufen, damit diese Leute zu essen haben? 6 – Das sagte er (freilich nur), um ihn zu versuchen, denn er selbst wußte (natürlich genau), was er tun wollte –. 7 Philippus antwortete ihm: Selbst Brote für zweihundert Denare reichten nicht dazu, daß jeder auch nur einen Bissen bekäme. 8 Da sagte einer seiner Jünger, nämlich Andreas, der Bruder des Simon Petrus, zu ihm: 9 Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das schon für so viele? 10 Jesus gebot: Laßt die Menschen sich lagern! Es war aber viel Gras an dem Ort. Und da lagerten sie sich, die Zahl (allein) der Männer war ungefähr fünftausend. 11 Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Segensgebet über ihnen und verteilte sie an die da Lagernden; ebenso auch die Fische, soviel sie wollten. 12 Als sie aber (alle) gesättigt waren, sagte er zu seinen Jüngern: Sammelt nun die übrigen Brocken, damit nichts verderbe. 13 Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit den Brocken der fünf Gerstenbrote, die die Essenden übrig gelassen hatten. 1–2: Die schwerfällig-doppelte Ortsbestimmung des ‚Sees‘ sowohl durch tö" Galila‡a" als auch durch tö" Tiberi›do" ist durch die Mehrzahl der gewichtigsten Handschriften bezeugt. Abweichend davon bieten P66* pc nur tö" Galila‡a" und N 0210 pc boms nur tö" Tiberi›do". D Q 892 pc b e j r1 fügen zwischen die beiden Genitive e¢" tÅ mfirh ein: „über den galiläischen See in die Gegend von Tiberias“. Das ist zwar stilistisch besser, aber sicher weder ursprünglich noch sinnvoll. Denn dann müßte sich Jesus in 6,1 ja am Ostufer des Sees befunden haben und die nächtliche Überfahrt der Jünger 331
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
nach Kapharnaum würde unverständlich. Darum ist gerade diese Lesart ein Indiz für die Ursprünglichkeit der doppelten Ortsbestimmung. (vgl. Metzger, Comm. 211; und Schnackenburg, Komm. II, 16 f). Die Stadt Tiberias wurde 26/27 n. Chr. von dem Herodianer Antipas zu Ehren des Kaisers Tiberius als hellenistische p∙li" gegründet. Da sie auf einem alten Gräberfeld entstand, galt sie den Juden als unrein, und Antipas mußte sie zwangsweise vornehmlich mit Fremden besiedeln. Um 200 wurde die Stadt für ‚rein‘ erklärt und unter Jehuda Ha-Nasi Sitz des jüdischen Patriarchats (vgl. EWNT III, 851 f). Der Name Tiberi›" begegnet im gesamten Neuen Testament nur dreimal und ausschließlich bei Johannes, nämlich hier sowie Joh 6,23 und 21,1. Vermutlich war j›lassa tö" Tiberi›do" in der Zeit und Umgebung unseres Evangeliums zur quasi offiziellen Bezeichnung des Sees geworden, den Lukas l‡mnh Gennhsarfit nennt (5,1; vgl. Mt 14,34; Mk 6,53), Markus und Matthäus aber gewöhnlich j›lassa tö" Galila‡a". Daß es sich bei der Doppelbestimmung der Lage des Sees durch tö" Tiberi›do" um eine redaktionelle Glosse des Autors von Joh 21 handeln könnte, wie Schnackenburg auch für 6,23 vermutet (Komm. II, 17), halten wir für höchst unwahrscheinlich, zumal wir – anders als die meisten – in Joh 21 keinen ‚redaktionellen Nachtrag‘ sehen können, sondern das Kapitel als einen integralen Bestandteil des Evangeliums betrachten müssen, ohne den es nie existiert hat und zudem ein völlig ‚anderes Evangelium‘ wäre (vgl. Thyen, Licht der Welt u. s. u. z. St.). Darum scheint uns nicht wie Schnackenburg vermutet, sondern genau ‚umgekehrt ein Schuh daraus zu werden‘: Der Evangelist hat der ihm geläufigen Bezeichnung des Sees als tö" Tiberi›do" (vgl. 21,1!) an unserer Stelle tö" Galila‡a" hinzugefügt, um damit so knapp wie irgend möglich zu sagen, daß Jesus dem feindlichen Judäa und der Tötungsabsicht der Ioudaõoi glücklich entronnen und wieder die Nähe Galiläas, des Landes des Glaubens und der Jüngerschaft, erreicht hat (Petrusbekenntnis!). Diese Erklärung hat außerdem den Vorzug, daß so endlich einmal nicht irgendein ‚Redaktor‘ für jede vermeintliche Stillosigkeit herhalten muß. Daß 6,23 keine Glosse ist und mit unserem Problem überhaupt nichts zu tun hat, muß unten z. St. begründet werden. Weil Jesus hier – abgesehen von diesem kryptischen tö" Galila‡a" – in krassem Gegensatz zu den sorgfältigen und nahezu umständlichen ‚Reisenotizen‘ in Kapitel 4 und 5,1 völlig unvermittelt erneut in Galiläa erscheint, und weil zudem die Auseinandersetzung mit den ûIoudaõoi um Jesu Heilung des Lahmen vom Teich Bethesda an einem Sabbat aus Joh 5 in 7,15 ff ihre unmittelbare Fortsetzung zu finden scheint, ändern zahlreiche Autoren die überlieferte Textfolge. Dabei zeigen sie sich zumeist recht unbekümmert um die Frage nach deren Zustandekommen und möglichem Sinn. So erklärt etwa Becker bündig, die Folge: 4,1–54; 6,1–71; 5,1–47; 7,15–24; 7,1 ff sei „die ursprüngliche Ordnung“ (Komm. I/35; vgl. 191 ff). Ähnlich urteilte vor Becker schon Bultmann (Komm. 154 ff), und nach Becker griffen Schnackenburg (Komm. II, 6 ff), Schulz (Komm. 82) und viele andere diese These auf. Wie oben bereits gesagt wurde, folgt dieser Linie jetzt auch Wilckens wieder (Komm. 91 ff). Derartige Umstellungen haben durchaus ihren Reiz und erfreuen sich darum großer Beliebtheit. Denn durch den unmittelbaren Anschluß von Joh 6 an Joh 4 verlöre die vermeintlich allzu dürftige Reisenotiz von 6,1 ihre Härte, weil Jesu Reise nach Galiläa dann ja bereits durch 4,1 ff eingehend begründet wäre. Nach 4,46 ff befände er sich längst westlich von Jordan und See Genezaret in Galiläa, so daß sein in 6,1 vermeintlich vorausgesetzter Weg ans östliche Seeufer sehr viel plausibler würde. Analoges wird auch für die ‚Wiederaufnah332
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,1
me‘ des Streites um die Lahmenheilung am Sabbat durch 7,15 ff geltend gemacht, die im überlieferten Evangelium ja durch das lange Kapitel 6 von dieser Debatte getrennt ist. Dennoch widersteht eine ganze Reihe von Autoren der Verlockung, sich durch solche Manipulationen einen glatteren Text als Objekt ihrer Interpretation erst selbst zu schaffen. So halten u. a. Dodd (Interpretation 297 ff), Barrett (Komm. 41 u. 286), Brown (Komm. I, 201 ff), Haenchen (Komm. 298 ff) und Schenke (Komm. 116 ff) an der überlieferten Textfolge fest und erweisen sie durch ihre Interpretation als durchaus sinnvoll. Einen dritten Weg beschreitet Lindars: Er beläßt Joh 6 an seiner Stelle, sieht das Kapitel aber ebenso wie den Prolog und die Lazaruserzählung von Joh 11 als „the more polished and assured pieces“ an, die der Evangelist seinem Werk erst in dessen „second edition“ hinzugefügt haben soll (vgl. Komm. 206 f u. ö.). Auch wenn uns diese Theorie höchst unwahrscheinlich dünkt, hat sie doch allen zuvor genannten „ReArrangements“ gegenüber den unschätzbaren Vorzug, daß sie erst recht dazu zwingt, über den dann ja um so gewisser nicht zufälligen Ort und Sinn dieser Stücke im über‑ lieferten Evangelium nachzudenken. All diesen und ähnlichen Versuchen gegenüber, die vermeintlichen oder tatsächlichen Spannungen im Text durch ihre redaktionsgeschichtliche Erklärung aus dessen mutmaßlicher Genese oder durch Umstellungen von Textstücken zu beseitigen (vgl. dazu D. M. Smith, Composition 116 ff; und Thyen, ThR 39,296 ff sowie: Art. Johannesevangelium 208 ff), soll für diesen Kommentar jedoch in etwa gelten, was Dahl in anderem Zusammenhang so ausgedrückt hat: „I have not taken account of questions of literary criticism in this essay, not because I do not think a complicated history of tradition preceded the present literary form of the Gospel, but because I am inclined to think that the Evangelist was himself the ‚ecclesiastical editor‘ of the tradition of the Johannine ‚school‘“ (Johannine Church 142, Anm. 29). Zudem dürfte es sich bei den vermeintlichen Spannungen im Text und der ‚Härte‘ von 6,1 um bloße Scheinprobleme handeln. Denn der Ausgangspunkt von Jesu ‚Weggehen‘: metÅ taúta üpöljen ¨ ûIhsoú" ktl., ist ja Jerusalem und keinesfalls das Westufer des galiläischen Sees. Darum kann Schenke denn auch ebenso treffend wie bündig erklären: „Die Abgrenzung bereitet keine Probleme. In 6,1 wird gesagt, daß Jesus (von Jerusalem) nach Galiläa geht … diesmal aufs jenseitige, nämlich das Ostufer des ‚Sees von Tiberias‘“ (Komm. 116). War bei Jesu vorhergehender Reise nach Galiläa mittels des lapidaren ≤dei (4,4) ausdrücklich als göttliche Notwendigkeit begründet worden, daß sein Weg ihn durch Samarien führen sollte, so wird man sich diese erneute Reise nach Galiläa auf einer Route durch Peräa und die Dekapolis bis ans gaulanitische Ostufer des ‚galiläischen Sees‘ denken müssen. Die große Volksmenge (µclo" pol‚"), die ihm auf diesem Weg ‚nachfolgte‘ (°kolo‚jei a§tù), weil sie ‚die Zeichen gesehen hatten, die er an den Kranken tat‘, könnten dann galiläische Festpilger sein, die Jesus schon auf seinem Weg ‚hinauf nach Jerusalem‘ begleitet hatten. Dazu würde auch der Plural der an „den Kranken“ getanen Zeichen passen (tÅ shmeõa ¡ †po‡ei †pÑ tùn üsjeno‚ntwn). Denn in der erzählten Welt unseres Evangeliums geschahen ja bisher nur die Fernheilung des Sohnes des basilik∙" in Kana (4,46 ff) und die des Lahmen am Teich Bethesda in Jerusalem. Zwar können diese beiden Heilungen für den intertextuell beschlagenen impliziten Leser als partes pro toto für alle Krankenheilungen Jesu stehen – und das Imperfekt †po‡ei legt nahe, daß er es tatsächlich so verstehen soll –, doch die Akteure der Erzählung können ja nur gesehen haben, was auch erzählt wurde. Daß sie mit dem bei Johannes nahezu technischen Ausdruck ükoloujeõn als „Nachfolger“ Jesu bezeichnet 333
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
werden, legt es darüber hinaus nahe, in ihnen die polloÑ †k tùn majhtùn a§toú zu sehen, die Jesu sklhrÖ" l∙go" nicht zu ertragen vermögen und ihn darum im Unterschied zu den ‚Zwölf ‘ am Ende verlassen (6,60 ff). Im Gegensatz zu den zitierten Sätzen Schenkes erklärt Bauer zu 6,1: „Ohne ein Wort der Aufklärung finden wir uns … am Ufer des Sees Genezaret. Als Ausgangspunkt für das, übrigens aus Mk 6,32 stammende, üpöljen müßte man doch nach dem Vorhergehenden Jerusalem ansehen. Aber nach 17.24.59 ist Jesus aus Kapernaum gekommen“ (Komm. 91). Nun, u. E. „müßte man“ nicht nur, sondern muß man Jerusalem als „Ausgangspunkt“ für das üpöljen ansehen. Und davon, daß Jesus nach den Versen 17, 24 und 59 „aus Kapernaum gekommen“ wäre, kann doch ebenfalls nicht die Rede sein. V. 17 sagt nur, daß Kapharnaum das Ziel der nächtlichen Überfahrt der Jünger ist; V. 24, daß der µclo" Jesus am folgenden Tage dort sucht; und V. 59 endlich, daß Jesus seine Lebensbrotrede in der Synagoge von Kapharnaum gehalten hat. Kapharnaum mag also von Anfang an das galiläische Ziel dieser Reise Jesu gewesen sein, die er am wüsten Ostufer des Sees wegen der wunderbaren Speisung der hungrigen Menge unterbrochen hatte. Daß Kapharnaum jedoch zugleich auch der Ausgangspunkt eines bloßen ‚Abstechers‘ in die östliche Wüste gewesen wäre, sagt keiner der dafür von Bauer angeführten Texte. Ganz ähnlich wie Bauer argumentiert Bultmann: „Wenn sich Jesus nach 6,1 ‚auf die andere Seite‘ (pfiran) des Sees begibt, so muß er vorher auf der einen Seite gewesen sein …“ (Komm. 154). Da Jesus aber in Joh 5 in Jerusalem war, sieht Bultmann in 6,1 eine Lizenz für seine Vertauschung der Kapitel 5 und 6.
3 f: Daß ‚der Berg‘ hier und in V. 15 durch den Artikel als ein bekannter Platz Jesu markiert ist, muß man wohl als ein Intertextualitäts-Signal begreifen (vgl. Mt. 5,1; 14,23; 15,29: kaÑ ünabÅ" e¢" tÖ µro" †k›jhto †keõ; 28,16; Mk. 3,13; 6,46; Lk 6,12; u.s. U. Wilckens, Komm. 96). Den folgenden Satz: én dÇ †ggÜ" tÖ p›sca, ™ ©ortÉ tùn ûIouda‡wn, kennen wir fast wörtlich schon aus 2,13. Joh 11,55 wird er ein drittes Mal begegnen und genau wie 2,13 lauten: „Es war aber nahe das Passa der Juden“. Wilkens (Entstehung 9 ff) spricht deshalb geradezu von „der Passa-Gliederungsformel“ und nennt das johanneische Werk in seiner überlieferten Endgestalt mit guten Gründen ein PassaEvangelium. Die außergewöhnliche und so nachdrücklich betonte Nachstellung dieses Satzes von der Nähe des Passa zeigt, daß er mehr ist als eine bloße Zeitangabe (vgl. Crossan, It Is Written 5). Er zeigt an, daß alles Folgende in der Perspektive des Passa gelesen sein will, und impliziert, daß der hier Handelnde derjenige ist, von dem Johannes der Täufer gesagt hatte: „Siehe, das Lamm Gottes, das der Welt Sünden beseitigt“ (1,29). So muß Jesus denn auch in der Stunde der Schlachtung der Passalämmer am Kreuz sterben und allein ihm darf, wie es die Passa-Halacha verlangt, „kein Bein gebrochen werden“ (19,31 ff; s. u. z. St.). Wenn Johannes mittels der bei ihm dreifach erscheinenden „Passa-Gliederungs-Formel“ von drei Passafesten auf dem Weg des irdischen Jesus redet, so beruht das nicht darauf, daß er über andere oder bessere Quellen verfügte als seine synoptischen Vorgänger. U. E. hat er vielmehr in intertextuellem Spiel mit deren Passionserzählung und Passamahl-Bericht aus kompositorischen und dramatischen Gründen unter je verschiedenen Aspekten gleich dreimal von diesem einen Todes-Passa Jesu erzählt. Denn im Zentrum des Geschehens aller dieser drei Szenen steht unübersehbar jeweils der Tod Jesu: Als Folge dessen, daß sein Eifer für das Haus seines Vaters ihn verzehren und der „Tempel seines Leibes“ abgebrochen werden wird (2,17–22); als die im Spiel mit dem synoptischen Passamahl-Bericht erfolgende Ankündigung der Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt (6,51 ff) und endlich als die Vollendung seiner Liebe zu den Seinen in seinem Sterben als das ‚Lamm Gottes‘ (13–19). 334
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6,2–9
Daß der Erzähler das Passa (tÖ p›sca) hier näherbestimmt als ™ ©ortÉ tùn ûIouda‡wn wird vielfach so gedeutet, als wolle er sich dadurch von den Juden und ihrem Passa distanzieren oder als stelle er damit dem jüdischen Passa-Fest stillschweigend die christliche Osterfeier entgegen. Das ist jedoch in der Erzählung von dem Leben, Sterben und Auferstehen des Juden Jesus, der zu den „Festen der Juden“ ‚hinaufzieht nach Jerusalem‘ (vgl. auch 7,2), der zu der Samaritanerin gesagt hatte: „Das Heil kommt von den Juden“, und der als das Lamm Gottes am ‚Passa der Juden‘ stirbt, wenig wahrscheinlich. So spricht denn auch der Jude Josephus – und doch ganz gewiß nicht in der Absicht, sich von den Juden und ihren Festen zu distanzieren – davon, daß das ‚Fest der ungesäuerten Brote‘ „bei den Juden ‚das Passa‘ genannt werde“ (p›sca parÅ ûIouda‡oi" kale‡tei: Bell. II, 10; vgl. Ant. XVII, 213 u. ö.). Darum erlaubt die Wendung „Fest der Juden“ nur den Schluß, daß der Autor seinen Text zumindest auch für Nicht-Juden geschrieben hat, während die Frage nach seiner eigenen jüdischen oder nichtjüdischen Identität offen bleibt (vgl. Crossan ebd.). 5 f: Abgesehen von der fraglos symbolischen Bedeutung „des Berges“ und seiner inneren Nähe zum Sinai als Offenbarungsort bietet Jesu ‚Sitzen‘ auf dem Berg auch eine glänzende Exposition für die folgende Erzählung. Als derjenige, von dem hier jegliche Initiative ausgeht, überblickt Jesus alles, was da auf ihn zukommt. Gleich mit seiner ersten Frage an Philippus führt er das Lexem ±rto" ein, das bis hin zu V. 58 seine Rede beherrschen wird. Auch wenn er seine Frage an Philippus: p∙jen ügor›swmen ±rtou" ºna f›gwsin oñtoi; nur stellt, „um ihn zu versuchen“, weil er natürlich weiß, was hier zu tun ist, wie der ebenfalls allwissende Erzähler seinen Zuhörern sogleich erklärt, erweist Jesus sich durch das „Wir“ des ügor›swmen ±rtou" mit seinen Jüngern solidarisch in der Verantwortung für das physische Wohl der nachfolgenden und jetzt auf ihn zukommenden Menschenmenge. Daß Jesus, als er auf dem Berg seine Augen erhebt und die andrängende Menge sieht (vgl. Mk 6,34; Mt 14,14), sogleich die Frage nach Mitteln zu ihrer Sättigung stellt, entspricht sachlich dem †splagcn‡sjh †pû a§to‚" von Mk 6,34 = Mt 14,14. Doch anders als dort, wo das Problem der Versorgung der Menge oder wenigstens die Wahrnehmung von deren Hunger Jesus von seinen Jüngern zugetragen wird, ergreift er hier – ebenso wie in Mk 8,2 – selbst die Initiative. Wie schon die oben erörterte Analogie zwischen der Folge der Texte in unserem Kapitel und der Folge der Texte in Mk 6 und 8 vermuten läßt, dürfte Johannes die beiden Speisungs-Episoden, nämlich die Speisung der Fünftausend in Mk 6,35 ff und die Sättigung der Viertausend (Mk 8,1–9) zu der einen Erzählung in unserer Szene verdichtet haben. Ohne daß wir das hier im Einzelnen begründen könnten, scheint uns Johannes damit den Weg des Markus in umgekehrter Richtung zurückgegangen zu sein. Denn wir vermuten, daß Markus aus der einen Speisungsgeschichte seiner Tradition aus bestimmten Gründen diese beiden gemacht hat, während Johannes seinerseits Gründe hatte, aus diesen beiden Erzählungen wieder eine zu machen. Das auffällige Interesse des Markus an der jeweiligen Zahl der Körbe voller übriggebliebener Brocken – hier zwölf und da sieben (8,14 ff, von uns oben seine „Brotrede“ genannt) – und die Struktur der Erzählung von der Speisung der Viertausend legen es nahe, Markus als deren Schöpfer anzusehen. Steht die Speisung der Fünftausend mit den zwölf Körben voller Reste bei ihm für die Sammlung des Zwölf-Stämme-Volkes Israel, so könnte die Speisung der Viertausend die aus den ‚vier Winden‘ zusammenkommende und durch die vollkommene Siebenzahl der Körbe voller Brocken repräsentierte Völkerwelt symbolisieren. Da deren Sammlung nach Joh 20 f aber erst die Aufgabe der durch den Auferstandenen mit dem Geist begabten und dazu ausgesandten Jünger ist, könnte Johannes deshalb die beiden Erzählungen in unserer Szene miteinander verschmolzen haben.
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7–9: Wenn Philippus Jesus nun antwortet: Auch wenn jeder hier nur ein kleines Stückchen bekommen soll, würden selbst zweihundert Denare nicht ausreichen, das nötige Brot zu kaufen, so ist das ganz fraglos ein Spiel mit Mk 6,37. Da stellen die Jünger Jesus nämlich die rhetorische Frage: „Sollen wir etwa hingehen und für zweihundert Denare Brote kaufen und sie ihnen zu essen geben?“ Ist dabei noch vorausgesetzt, daß zur Sättigung dieser Menschenmenge die den Jüngern schlechthin unerschwingliche Summe von zweihundert Denare aufgebracht werden müßte, so läßt Johannes Philippus erklären, daß selbst eben diese Summe bei weitem nicht ausreichen würde, die vielen Hungrigen zu sättigen. Daß solche Steigerungen des Wunderbaren ein typischer Zug unseres Evangeliums sind, ist oft beobachtet worden. Im folgenden Satz mischt sich nun Andreas in das Gespräch ein. Als eï" †k tùn majhtùn a§toú wird Andreas, wie schon bei seinem ersten Auftreten, eingeführt als ûAndrfia" ¨ üdelfÖ" S‡mwno" Pfitrou (1,40). Zu seiner Identifikation ist die Nennung seines Bruders darum nicht mehr nötig. Sie dient hier vielmehr durch die Verknüpfung des Anfangs unserer Szene mit ihrem Ende der Fundierung von ihrer Kohärenz. Denn an jenem Ende wird ein anderer †k tùn majhtùn a§toú, nämlich eben dieser Bruder Simon Petrus, stellvertretend für sie alle das Wort ergreifen und bekennen: kaÑ ™meõ" pepiste‚kamen kaÑ †gn„kamen Ωti sÜ eè ¨ πgio" toú jeoú (6,69; vgl. Crossan, It Is Written 4). Doch bleiben wir zunächst bei seinem Bruder Andreas. Der schafft nämlich durch seine Nachricht: „Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische“ die perfekte Exposition des folgenden Geschehens, auch wenn er dem Gewicht seiner eigenen Worte selbst nicht traut, wie seine anschließende skeptische Frage bekundet: „Aber was ist das schon für so viele?“ Ob auch der erzählte Andreas sich des „Urmusters unserer Erzählung“ erinnert, nämlich des Brotwunders Elisas von 2Kön 4,42–44 (Bauer, Komm. 92), wenn er die Brote des Knaben als ±rtoi krij‡noi beschreibt, können wir nicht wissen. Für seinen schriftkundigen Erzähler und dessen impliziten Zuhörer ist das dagegen schwerlich zu bezweifeln. Denn in der Elisa-Erzählung heißt es, daß da ein Mann aus Schalischa zu dem Propheten kam und ihm als Erstlingsgabe zwanzig Gerstenbrote und Schrotkorn brachte (e¥kosi ±rtoú krij‡nou"). Und der forderte ihn auf: ‚Gib das den Leuten (tù lôw) zu essen!‘ Doch der Diener erwiderte ihm: ‚Wie soll ich das denn wohl an hundert Leute verteilen?‘ Da sagte Elisa: dÖ" tù laù kaÑ †sjifitwsan, Ωti t›de lfigei k‚rio": f›gontai kaÑ katale‡yousin, kaÑ ≤fagon: kaÑ katfilipon katÅ tÖ Øöma kur‡ou. Da, wo die ‚Schrift‘ mit solchem Nachdruck als die verläßliche Zeugin Jesu aufgeboten wird (5,39), können diese Anklänge kein bloßer Zufall sein (vgl. die Gerstenbrote, die wiederholte Aufforderung, den Leuten zu essen zu geben, und das durch katfilipon bestätigte katale‡yousin der göttlichen Verheißung). Gerstenbrote sind die typische Speise der armen Leute (vgl. Bauer, Komm. 92: „Strafkost für schlechte Soldaten, Nahrung für Sklaven und kleine Leute“). Außer den ‚fünf Gerstenbroten‘ hatte der ‚Knabe‘ (paid›rion) nach Philippus noch zwei Fische (£y›ria) bei sich. Die beiden Lexeme für ‚Knabe‘ und ‚Fische‘ sind ebenso wie ploi›rion (6,22.23.24; 21,8) Deminutiva von paõ" und µyon sowie von ploõon. Was oben über den Gebrauch von Synonyma als ein Stilmerkmal unseres Evangelisten gesagt wurde, gilt auch für seine Vorliebe für Deminutiv-Formen. paid›rion begegnet im gesamten Neuen Testament nur hier; £y›rion ebenfalls nur bei Joh 6,8.11; 21,9.10 und 13; ploi›rion: Joh 6,22.23.24; 21,9.10.13; (aber auch Mk 3,9; Lk 5,2). µyon ist zumeist die Bezeichnung der gekochten Zuspeise zu Brot und Wein (vgl. die Belege 336
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6,7–11
bei Liddell-Scott s. v. u. siehe Bauer, Komm. 92). £y›rion fehlt auch in der LXX und kommt nur einmal in der griechischen Übersetzung des Tobit-Buches durch Symmachos vor (Tob 2,2). Wie Num 11,22 kollektiv von allem Fisch des Meeres (pôn tÖ µyo" tö" jal›ssh") redet, so ist jedenfalls bei Joh auch £y›rion Bezeichnung für ‚Fisch‘, was im übrigen ja auch durch die Parallelen: Mk 6,38.41; Mt 14,17.19; Lk 9,13.16 bestätigt wird, wo jeweils von d‚o ¢cj‚a" die Rede ist (vgl. das Material bei Bauer ebd.). 10: Nachdem Andreas mit seiner Nachricht von dem Knaben mit den fünf Gerstenbroten und den zwei Fischen wohl unwissend die Szenerie für das Folgende bereitet hat, gebietet Jesus seinen Jüngern, die Menschenmenge zu veranlassen, sich zu lagern: poiflsate toÜ" ünjr„pou" ünapeseõn. Und zugleich läßt der Erzähler seine Zuhörer wissen, daß an dem Ort ‚viel Gras wuchs‘: én dÇ c∙rto" polÜ" †n tù t∙pw. Im Unterschied zu Mk 6,39, wo Jesus selbst erklärt, daß die Leute sich gruppenweise auf der grünen Wiese zu Tisch legen sollen (ünaklõnai p›nta" sump∙sia sump∙sia †pÑ tù clwrù c∙rtw), erweckt dieser selbständige Hauptsatz aus dem Munde des Erzählers den Eindruck, als kämen hier symbolische Obertöne ins Spiel (vgl. etwa Ps 23,1 f). Darin, daß allein fünftausend (Mk 6,44) oder doch zumindest ‚etwa fünftausend‘ (ÆseÑ pentakisc‡lioi: Mt 14,21; Lk 9,14; bzw. Æ" pentak.: Joh 6,10) der Gesättigten Män‑ ner waren, was Mt treffend durch die Worte: cwrÑ" gunaikùn kaÑ paid‡wn expliziert (14,21), stimmen alle vier Evangelien überein, so daß sich als die Zahl der Mahlteilnehmer ein Mehrfaches von Fünftausend ergibt. Während aber Markus, dem Matthäus darin folgt, diese ungeheure Zahl erst nennt, nachdem alle gegessen haben und satt geworden sind und nachdem die Jünger ihre Körbe mit dem Übriggebliebenen gefüllt haben, zeigt Lukas größeren Sinn für das Dramatische: Denn wie Johannes, der ihm darin zu folgen scheint, läßt er seinen Erzähler diese unglaubliche Zahl schon mitten in die Ratlosigkeit der Jünger hinein nennen, noch ehe alle diese Menschen von den fünf Broten und den zwei Fischen satt geworden sind und am Ende ein Vielfaches dessen übriggelassen haben, was zu Anfang da war. 11: Durch die Lesart difidwken toõ" majhtaõ" (+ a§toú 1424 pc), o´ dÇ majhtaÑ ktl. läßt die Mehrzahl der Handschriften, nämlich a2 D Q Y f 13 M b e j (sys) ac2 bomss, in Angleichung an die Matthäus-Version unserer Erzählung anstelle Jesu seine Jünger Brot und Fisch an die Leute verteilen (Mt 14,19; vgl. Mk 6,41 und Lk 9,16). Demgegenüber bieten P28vid. 66.75 a* A B L N W 063. f1 33. 565.579 1010. 1241 al lat syc.p.h sa pbo bo den oben wiedergegebenen Text, der wohl darum ursprünglich ist, weil Jesus in ihm, wie in der gesamten Erzählung, der allein Handelnde ist. Der Segensspruch über dem Brot (e§caristflsa") ist feste jüdische Tischsitte (vgl. E. Lohse, Wort 117). Daraus allein ist deshalb ein absichtsvolles Spiel mit den Einsetzungsworten der Eucharistie noch nicht zu erkennen. Ob man freilich nicht nur für unser Speisungswunder, sondern darüber hinaus für das gesamte Kapitel und also auch für die V. 48–58 jeglichen Anklang an das Herrenmahl derart rigoros bestreiten kann, wie das Dunn (John VI, 332) unternimmt, ist uns indes fraglich. Denn anders als Dunn vermögen wir unser Evangelium nicht in einer derart ‚splendid isolation‘ vom Rest des Urchristentums und seiner sakramentalen Praxis zu sehen. Uns scheint im Gegensatz dazu eine „eucharistische Bedeutung“ nicht erst von der „späteren Kirche“ in unseren Text „hineingelesen“ worden zu sein. Durch seine enge Intertextualität mit den synoptischen Prätexten ist sie vielmehr von vornherein in ihm selbst angelegt. Insofern entsprechen die von einigen Kopisten (s. o.) vorgenommenen Angleichungen an die stärker eucharistisch geprägten synoptischen 337
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Parallelen durchaus dem von unserem Autor selbst geschaffenen ‚impliziten Leser‘. Es kommt hinzu, daß der Satz: ≤laben oên toÜ" ±rtou" ¨ ûIhsoú" kaÑ e§caristflsa" difidwken toõ" ünakeimfinoi", durch die rückblickende Bezeichnung des Speisungsortes als t∙po" Ωpou ≤fagon tÖn ±rton e§caristflsanto" toú kur‡ou (6,23; vgl. Schenke, Komm. 124, u. s. u. z. St.) nachträglich noch zusätzliches Gewicht erhält, und daß Joh 21,12 f, als österliche ‚Wiederholung‘ der Speisung am See fraglos eucharistische Obertöne hat (s. auch dazu z. St. sowie u. zu 6,48–58). 12 f: „Als sie aber gesättigt waren, gebot Jesus seinen Jüngern: ‚Sammelt die übriggebliebenen Brocken ein, damit nichts umkomme‘ (ºna mfl ti üp∙lhtai)“. Wenn die Menge der durch das Wunder Gesättigten gleich erklären wird: „Dieser ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll“ (V. 14; vgl. Dtn 18,15.18 und oben zu 1,21), so zeigt das, daß sie das Geschehen im Lichte des Mannawunders in der Wüste und gleichsam als dessen messianische Wiederholung sehen (Ex 16). Da die Szene am Seeufer spielt, entsprechen die Fische dem Fleisch der Wachteln aus der Erzählung von der Wüstenwanderung. Wenn Schenke im Blick auf die Nachricht von der Nähe des Passa (V. 4) und das geschehene ‚Zeichen‘ (V. 14) erklärt, „Die Leser sollen also bei dem Geschehen an die Eucharistie denken, wie sie sich überhaupt an das nahe Passa erinnern sollen“, so ist das gewiß ebenso richtig wie seine Bemerkung, daß die „wunderbare Speisung“ noch keine Eucharistie sei. Aber das ist darum richtig, weil die Eucharistie für Johannes den Tod Jesu als die Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt (6,51) voraussetzt. Ob man deshalb aber von dieser wunderbaren Speisung sagen sollte: „In ihr gibt Jesus nicht sich selbst als das Brot. Sie hatte somit keinerlei Heilskraft. Die Speise, die er hier gibt, ist vielmehr vergänglich und muß vor dem Verderben geschützt werden“, erscheint uns dennoch ebenso problematisch wie Schenkes Frage, ob die ‚zwölf Körbe‘ etwa zum Ausdruck bringen sollen, daß es sich hier um Dinge handele, die auf natürliche Weise satt machen und von neuem Hunger entstehen lassen, „so daß sich ihre Bevorratung lohnt“ (Komm. 124). Denn in rechter Weise als ‚Zeichen‘ begriffen, das auf den zeigt, der hier handelt, gab Jesus sich in dieser Speise proleptisch durchaus selbst. Insofern sind die zwölf Körbe voller Brocken keine pragmatische Mahnung zu kluger Vorratswirtschaft, sondern ihrerseits ein Zeichen, das hinweist auf die Speise, die gerade nicht vergänglich ist, sondern bleibt zum ewigen Leben (V. 27). „Wer im Brotwunder ein Semeion sieht, hat das bleibende Brot gesehen. … Diese Gabe, die der Mensch nicht selbst produzieren, sich nicht selbst geben kann, ist schon jetzt zu haben. Sie erscheint auch im Brot der Speisungsgeschichte, so gut wie sie erscheint als Wort des Menschen Jesus“ (Weder, Menschwerdung 374 f). Wie schon das Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana (vgl. 2,11) und in unserem Kapitel das endliche Bekenntnis des Petrus zeigen, haben diese Zeichen durchaus „Heilskraft“. Wir müssen darauf bei der Erörterung des folgenden Midrasch über das Mannawunder der Wüstenzeit zurückkommen. (2) Die Reaktion der Menge (6,14–15) 14 Als die Menschen nun sahen, was für ein Zeichen er getan hatte, da sagten sie: Dieser ist tatsächlich der (verheißene) Prophet, der in die Welt kommen soll. 15 Doch als Jesus begriff, daß sie kommen und ihn ergreifen wollten,
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Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,11–20
um ihn zum König auszurufen, zog er sich wieder zurück auf den Berg, er selbst allein. Daß mit dem fleischgewordenen Logos auch der verheißene ‚Prophet wie Mose‘ (Dtn 18,15.18) „in die Welt gekommen ist“, sehen die Leute ganz richtig (vgl. 1,21). Aber wenn sie ihn mehr oder weniger gewaltsam (®rp›zein a§tÖn) jetzt zum König proklamieren wollen, mißverstehen sie sein spezifisches Königtum. Denn zum einen gilt: So wenig Jesus sich selbst ‚Gott gleich‘ oder zum ‚Gottessohn‘ machen kann oder will, weil er das ja schon von Ewigkeit her ist (5,18 ff), so wenig vermögen sie ihn jetzt zum basileÜ" toú ûIsrafll zu machen, denn auch der war er schon †n ürcÔö (vgl. 1,49). Und zum anderen begreifen sie nicht, daß seine basile‡a nicht †k toú k∙smou to‚tou ist. König ist er nicht als politischer Befreier Israels vom Joch der Römer und damit als Konkurrent des Caesar, sondern er ist „dazu geboren und in die Welt gekommen, daß er Zeuge sei für die Wahrheit“ (18,36 f). Darum muß er sich solchem Zugriff entziehen: ünec„rhsen p›lin e¢" tÖ µro" a§tÖ" m∙no". Wie schon 5,13 weicht er vor der Menge. Aber im Gegensatz zu 6,3, wo Jesus sich „mit seinen Jüngern“ auf dem Berg niederließ, zieht er sich jetzt ganz allein (a§tÖ" m∙no") dorthin zurück. Damit ist zugleich die Exposition für das folgende geschaffen. (3) Die nächtliche Begegnung der allein gelassenen Jünger mit ihrem Herrn in der Mitte des Sees (6,16–21) 16
Als es aber Abend geworden war, gingen seine Jünger zum Seeufer hinunter 17 und bestiegen ein Boot, um damit über den See hinüber nach Kaphar naum zu gelangen. Darüber war es schon finster geworden, und Jesus war noch nicht zu ihnen gekommen. 18 Und weil sich ein heftiger Sturm erhoben hatte, wurde der See aufgewühlt. 19 Wie sie nun etwa fünfundzwanzig oder dreißig Stadien gerudert waren, sahen sie Jesus: Er ging auf dem See dahin und kam dem Boot immer näher. Und sie fürchteten sich. 20 Er aber sagte zu ihnen: Ich bin es. Fürchtet euch nicht! 21 Doch als sie ihn dann in das Boot aufnehmen wollten, da hatte es schon das Land an eben der Stelle erreicht, wohin sie fahren wollten. Jesus war zuletzt allein auf den Berg gestiegen. Die Jünger hatten ihn offenbar aus den Augen verloren und machten sich darum ohne ihn auf den Weg ins galiläische Kapharnaum, das wohl von Anfang an das Ziel ihrer Reise gewesen sein dürfte. Auf dem See, den sie in einem Boot überqueren wollten (≥rconto ist ein imperfectum de conatu: sie wollten den See überqueren), hatte sich ein heftiger Sturm erhoben. Als sie 25–30 Stadien zurückgelegt hatten, das ist bei der Länge einer Stadie von 192 Metern eine Wegstrecke von viereinhalb bis fünfeinhalb Kilometern, so daß sie sich in der nächtlichen Dunkelheit, von ihrem Herrn verlassen, etwa in der Mitte des stürmisch aufgepeitschten Sees befanden, vom rettenden Ufer hüben wie drüben gleich weit entfernt, in dieser bedrohlichen Lage also erblicken sie Jesus, der über den aufgewühlten See schreitet und sich ihrem Boot nähert. Und sie fürchten sich. Jesus aber sagt ihnen: †g„ e¢mi: mÉ fobeõsje. 339
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Auch wenn dieses absolute †g„ e¢mi Jesu im markinischen Prätext (Mk 6,49 f) insofern noch ambivalent war, als Jesus damit vom Kontext her ja auch sagt, daß er kein Gespenst (f›ntasma) sei, wie die Jünger wähnten, so ist damit schon bei Markus gleichwohl mehr gesagt. Das zeigt sich daran, daß ihr Entsetzen durch Jesu Wort nicht etwa gestillt, sondern sogar noch gesteigert wird. Denn auch bei Markus besteht ja zwischen den Broten der Speisung und diesem †g„ e¢mi eine geheimnisvolle Entsprechung, die den Jüngern nur darum verborgen bleibt, weil ihre Herzen verhärtet sind (6,52). Indem Johannes die beiden Speisungserzählungen (Mk 6 und 8) zu unserer Szene verdichtet, hat er im übrigen auch den nächtlichen Kurs des Bootes und des ‚Seewandels‘ Jesu umgekehrt. Nach Markus speiste Jesus die Fünftausend nämlich am galiläischen Ufer des Sees, so daß die stürmische Seeüberquerung und Jesu Seewandel dann an das Ostufer ins gaulanitische Bethsaida führte. Erst die Speisung der Viertausend findet dann im heidnischen Land der Dekapolis statt (Mk 8,1 ff). Die Vermutung, daß Markus mit dieser neuen Speisungs-Erzählung das Hinzukommen der Heidenwelt zum Gottesvolk symbolisieren will, hatten wir oben bereits ausgesprochen. In dieser Verschmelzung der beiden Speisungs-Szenen und in der dadurch bedingten Umkehrung des nächtlichen Weges über den See sehen wir im übrigen ein weiteres Indiz dafür, daß Johannes den literarischen Text unseres Markusevangeliums voraussetzt. Gegenüber dem Verdacht der Jünger der Markuserzählung, daß da ein ‚Gespenst‘ über den See wandele, hat Jesu absolutes †g„ e¢mi in unserem Text alle Ambivalenz verloren und ist, wie Joh 8,24.28.58; 13,19 und 18,5.7.8, zur reinen Epiphanieformel geworden, die nachher in dem sÜ-eè-Bekenntnis des Petrus ihre sachgemäße Entsprechung finden wird (6,69). Den Zusammenhang dieses absoluten †g„ e¢mi mit dem awh yna der Gottesrede des Alten Testaments hatte E. Stauffer (Art. †g„, 1935) schon früh erkannt. H. Zimmermann hat das aufgenommen, bestätigt und dahingehend präzisiert, daß er dieses ‚Ich bin‘ als „die biblische Offenbarungsformel“ erwies. Darüber hinaus hat jüngst Coetzee durch eine ebenso einfache wie eindrucksvolle Synopse noch viel konkreter die richterliche Gottesrede von Jes 42 f als den biblischen Hintergrund des dreifachen absoluten †g„ e¢mi Jesu in Joh 8 erwiesen (Jesus’ Revelation 170 ff; vgl. Thyen, Licht der Welt 24 ff). Den engen Zusammenhang unseres Evangeliums mit dem biblischen Jesajabuch haben treffend auch Aalen (Truth 15 ff) und Young (Relation) beobachtet und beschrieben. Bei der Kommentierung der genannten drei Verse in Joh 8 müssen wir noch einmal auf dieses absolute, und das heißt göttliche, †g„ e¢mi Jesu zurückkommen. Einerlei, ob die verängstigten Jünger das volle Gewicht dieses †g„ e¢mi jetzt schon begreifen oder nicht, so weiß doch der Leser am Ende seiner Lektüre dieses Evangeliums, daß das †g„ e¢mi, das da im Sturm auf dem nächtlichen See laut wurde, kein anderes ist, als das der Stimme, die Mose einst aus dem brennenden Dornbusch sagen hörte: „Ich werde sein, wer immer ich sein werde“ (hyha rça hyha – LXX: †g„ e¢mi ¨ ∑n: Ex 3,14). Hatte sich Jesus vor dem µclo" wegen dessen Mißverstehen seines ‚Königtums‘ in die Einsamkeit ‚des Berges‘ zurückgezogen, so läßt er dagegen ‚seine Jünger‘ in der Gefahr des nächtlichen Seesturms nicht allein, sondern kommt zu ihnen. Wegen der zuvor genannten ‚zwölf Körbe‘ müssen die hier als o´ majhtaÑ a§toú Bezeichneten (6,16–21) die bekannten Zwölf sein, als deren Sprecher Petrus am Ende dem †g„ e¢mi Jesu entsprechend bekennen wird: sÜ eè ¨ πgio" toú jeoú (6,69). Kaum wollen die (≥jelon ist wiederum ein impf. de conatu) ihren Herrn nach diesen Worten jedoch 340
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,21
zu sich ins Boot nehmen, da ist das Schiff schon genau an jenem Ufer angekommen, das sie erreichen wollten (†pÑ tö" gö" e¢" √n ≠pögon). Zum Motiv der ‚wunderbaren Landung‘ verweist Bultmann (Komm. 159) u. a. auf Act. Petri cum Simone [= Lipsius & Bonnet I/51,10 ff]. Da die viel erörterte „Zählung“ der beiden ersten Wundertaten Jesu im galiläischen Kana immer schon dazu angeregt hat – und das wohl auch soll –, auch die weiteren Semeia Jesu zu zählen, wird man darauf zu achten haben, daß dieser Seewandel Jesu samt der wunderbaren Landung des Bootes der Jünger, anders als zuvor die Speisung der Fünftausend (6,14), nicht ausdrücklich als shmeõon bezeichnet wird. Dazu fehlt dabei wohl auch das öffentliche Publikum, das durch die Wunder und Zeichen zu dem Glauben geführt werden soll, daß Jesus der messianische Gottessohn ist (20,31). Zählt man also weiter, dann war die Heilung des Lahmen das dritte und die wunderbare Speisung das vierte Zeichen. Das fünfte wird dann die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9), das sechste die Auferweckung des Lazarus (Joh 11) und endlich, darin bereits vorabgebildet, wird Jesu eigenes Sterben und Auferstehen als letztes und siebtes das vollkommene Zeichen aller Zeichen sein (s. u. z. St.). (4) Die Volksmenge der Speisung sucht Jesus und findet ihn in Kapharnaum (6,22–40) 22
Am folgenden Tag stand die Volksmenge (immer noch) am jenseitigen Ufer. Sie machten sich klar, daß dort (am Vortag) kein anderes Boot als nur das eine gewesen war und daß Jesus nicht zusammen mit seinen Jüngern dieses Boot bestiegen hatte; daß (damit) vielmehr allein seine Jünger (ohne ihn) abgefahren waren. 23 Doch aus Tiberias näherten sich andere Schiffe dem Ort, wo sie das Brot gegessen hatten, über dem der Herr das Segensgebet gesprochen hatte. 24 Als die Leute sich nun klar darüber wurden, daß Jesus nicht mehr dort war und auch seine Jünger nicht, da bestiegen sie die Boote und fuhren nach Kapharnaum, um Jesus dort zu suchen. 25 Als sie ihn dann (endlich) jenseits des Sees gefunden hatten, fragten sie ihn: Rabbi, wann bist du (denn) hierhergekommen? 26 Jesus antwortete ihnen: Amen, Amen, ich sage euch, ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen, sondern allein weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. 27 Verschafft euch nicht verderbliche Speise, sondern eine Speise, die bis ins ewige Leben bleibt. Die wird der Sohn des Menschen euch geben, denn den hat Gott, der Vater, versiegelt. 28 Da fragten die Leute ihn: Was sollen wir denn tun, um die Werke Gottes zu wirken? 29 Und Jesus antwortete ihnen: Das ist das Werk Gottes: Daß ihr an den glaubt, den er gesandt hat. 30 Da sagten die Leute zu ihm: Was für ein Zeichen tust du denn, damit wir’s sehen und dir glauben? Was wirkst du? 31 Unsere Väter haben das Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht: Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen. 32 Darauf erwiderte Jesus ihnen: Amen, Amen, ich sage euch, nicht Mose gab euch das Brot vom Himmel, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. 33 Denn das Brot Gottes, das ist der, der aus dem Himmel herabsteigt und der Welt das Leben gibt. 34 Da sagten die Leute zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot! 35 Jesus sagte ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. 341
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Wer zu mir kommt, der wird nie wieder Hunger leiden, und wer an mich glaubt, den wird niemals mehr dürsten. 36 Aber ich habe es euch ja bereits gesagt: Obwohl ihr gesehen habt, glaubt ihr doch nicht. 37 Alles, was mir mein Vater gibt, wird zu mir kommen, und wer immer zu mir kommt, den werde ich niemals hinausstoßen, 38 denn nicht dazu bin ich vom Himmel herabgekommen, meinen eigenen Willen durchzusetzen, sondern dazu, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat. 39 Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, daß ich keinen von allen, die er mir gegeben hat, verliere, sondern ihn auferwecke am Jüngsten Tage. 40 Das ist nämlich der Wille meines Vaters, daß jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe, und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage. 22–24: Zu diesen ersten drei Versen unserer Passage sagt Borgen treffend, sie erschienen auf den ersten Blick „very confused“ und ihre „apparent obscurity“ habe darum in den Handschriften eine Fülle von Varianten verursacht (John 6, 271). Da sich alle diese variae lectiones am besten als Versuche begreifen lassen, den auch von uns als ursprünglich vorausgesetzten Text von Nestle/Aland26 f zu glätten, müssen wir hier zunächst unsere oben gegebene Paraphrase erläutern. (1) Der Kontext erfordert es, daß pfiran tö" jal›ssh" hier das gleiche Seeufer bezeichnen muß wie 6,1, nämlich das Ostufer, wo Jesus die Menschen wunderbar gespeist hatte. Dieses Ufer ist aus der Erzählerperspektive das „jenseitige“, weil der Erzähler unter den mit Jesus nach Kapharnaum gekommenen Jüngern gesucht werden muß. (2) Beim Aorist eèdon ist dessen Nähe zur Perfektform des Lexems, nämlich zu oèda zu bedenken. Als das Resultat eines Prozesses der Einsicht heißt oèda: ‚ich weiß‘. Darum muß der Aorist eèdon dem Perfekt-Partizip ©sthk„" gegenüber, das die Volksmenge als eine gegenwärtig noch am jenseitigen Ufer weilende beschreibt, den Charakter der Vorzeitigkeit, also gewissermaßen plusquamperfektischen Sinn haben: Die Leute machen sich klar, was sie am Vortag „gesehen hatten“. Bultmann erklärt dazu treffend: „Der µclo" weiß, daß am Ort der Speisung nur ein einziges Boot zur Verfügung stand“ (Komm. 160, zu dem ‚Wissen‘ der Menge merkt er an: „Diesen Sinn hat das eèdon V. 22 zweifellos … Wahrscheinlich ist es plusquamperfektisch gemeint (wie †mart‚rhsen 4,44 und éljen 4,45)“. (3) Bultmanns eben zitierte Beschreibung des Gegenstandes jenes ‚Wissens‘ der Menge, nämlich „daß am Ort der Speisung nur ein einziges Boot zur Verfügung stand“, setzt voraus, daß auch „das én plusquamperfektischen Sinn“ hat (ebd. Anm. 3 mit Verweis auf Bl.-D. § 330). Aus diesen Vorklärungen ergibt sich etwa die oben wiedergegebene Übersetzung. So klärend diese Bemerkungen Bultmanns zu Modus und Tempora der Verben auch sind, so unbefriedigend ist seine eigene Auslegung der Passage. Denn auch hier macht er nicht den überlieferten Text, sondern den Prozeß von dessen vermeintlicher Genese zum Gegenstand seiner Interpretation. Er meint, die Menge sei am Abend nach Kapharnaum zurückgewandert. Der Evangelist soll das eèdon seiner Semeiaquelle mißverstanden und ihr pfiran fälschlich auf das Ostufer der Speisung bezogen haben. Darum mußte er „den µclo" noch an das Westufer hinüber gelangen lassen und fügte deshalb V. 23 f ein: als deus ex machina kommen Schiffe aus Tiberias in die Nähe des Speisungsortes und bringen die Menge nach Kapernaum hinüber. So ist schlecht und recht die durch die Quelle gegebene Situation von V. 25 erreicht, und die Frage: p∙te óde gfigona"; konnte gestellt werden“ (ebd. 160 f). Der Sinn dieses Berichtes sei „das 342
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,22–27
typische Motiv der Wunderbeglaubigung“. U. E. ist das jedoch eine unnötige Konstruktion. Denn aus der Sicht des Erzählers, der ja mit den Jüngern an das Westufer bei Kapharnaum gelangt sein muß, muß sich pfiran wie in V. 1 auf den Ort der Speisung am Ostufer des Sees beziehen. Dort erinnerten sich die Leute am folgenden Tag, daß doch nur ein Boot da gewesen und daß in diesem allein die Jünger, nicht aber Jesus auf den See gerudert waren. Daß Bultmann statt ±lla [ploi›ria] in V. 23 ein adversatives üll› liest und dazu erklärt, daß Sätze „mit dem üll› sofort folgenden Verbum (typisch seien) für den Evangelisten, vgl. 6,64; 8,37“ (ebd. Anm. 6), ist einleuchtend. Doch seine These vom mißverstehenden Evangelisten vermag das nicht zu begründen. Uns scheint dagegen die Frage, wer hier möglicherweise was mißverstanden hat, durchaus offen und jedenfalls klar zu sein, daß der überlieferte Text (des Evangelisten) nur im Sinn der oben gegebenen Paraphrase verstanden werden kann. 26–27b: Mit dem Gewicht seines unverwechselbaren doppelten ümÉn ümfln geht Jesus zwar nicht auf die Frage der Leute ein, wann er hierher gekommen sei, wohl aber auf ihre Suche nach ihm. Das doppelte Amen duldet keinen Widerspruch. Jesus sagt den Leuten auf den Kopf zu, was sie umtreibt: Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen hättet, sondern allein, weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Natürlich werden die Leute nicht dafür getadelt, daß sie gegessen haben und satt geworden sind, denn gerade dazu hatte Jesus die wenigen Brote ja so wundersam an die Vielen verteilt. Ein ‚Zeichen‘ bedarf stets eines materiellen Substrats, das dazu in Dienst genommen wird, über sich hinauszuweisen. Getadelt werden die Leute also allein darum, weil sie unfähig sind, in der Fülle der irdischen Gaben deren göttlichen Geber wahrzunehmen. Über der glücklichen Wiederholung des Mannawunders haben sie vergessen, daß Gott einst das Manna ebenso wie jetzt dieses Brot gab, „um ihnen kundzutun, daß der Mensch nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort lebt, das aus dem Munde Gottes hervorgeht“ (Dtn 8,3). Statt zu begreifen, daß ihnen das Brot dazu gegeben ist, die Beraka darüber zu sprechen: „Gepriesen seist du, Herr unser Gott, du König der Ewigkeit, der du das Brot hervorbringst aus der Erde“, reduzieren sie das Wunder am See auf den flüchtigen Aspekt ihrer Sättigung und machen so ihren Bauch zu ihrem Gott. Darum fordert Jesus sie nun auf: „Verschwendet eure ‚Arbeitskraft‘ (†rg›zesje mfl) doch nicht auf den Erwerb vergänglicher und verderblicher Speise. Empfangt vielmehr die bis ins ewige Leben bleibende Nahrung. Die wird euch ‚der Sohn des Menschen‘ geben, denn (dazu) hat ihn Gott, der Vater, ‚versiegelt‘“. Nach 1,51, sowie 3,13 und 14 nennt sich Jesus hier zum vierten Mal ¨ u´Ö" toú ünjr„pou. In den Versen 53 und 62 unseres Kapitels wird diese Benennung noch zwei weitere Male folgen. Anders steht es dagegen mit der artikellosen Wendung: Ωti u´Ö" ünjr„pou †st‡n (5,27), die ausdrückt, daß dem „Gottessohn“ gerade darum die richterliche †xous‡a übertragen ist, weil er ein bloßer und sterblicher Mensch ist (s. o. z. St.). Wir fragen zunächst nach der Bedeutung dieser dreimaligen Bezeichnung Jesu als ‚der Sohn des Menschen‘ in unserem Kapitel und danach nach dem Sinn seines „Versiegelt-Seins‘ durch Gott, den Vater. Dazu erinnern wir uns, daß die ‚Himmelsleiter‘, die Himmel und Erde, Gott und die Menschen miteinander verbindet, jene Leiter, von der Jakob einst in Bethel nur geträumt hatte, jetzt ‚Fleisch‘ und damit wirklich begehbar geworden ist, in dem, der sich 1,51 zum ersten Male ‚der Sohn des Menschen‘ nannte. Zusammen mit dem kryptischen ‚Namen‘ ¨ u´Ö" toú ünjr„pou wurde 343
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
hier auch das gewichtige Oppositionspaar ünaba‡nein – kataba‡nein in die Erzählung eingeführt. Daran knüpfte dann 3,13 an, wo im intertextuellen Spiel mit Prov 30,1–4 der geheimnisvolle ‚Name‘ „der Sohn des Mannes“ als ein Kryptogramm von ¨ u´Ö" toú jeoú lesbar wurde und wo die Frage: t‡" ünfibh e¢" tÖn o§ranÖn kaÑ katfibh, die hier beantwortet wird, ausdrücklich gestellt war (s. o. z. St.). Im folgenden Vers (3,14) wurde dann im Spiel mit der biblischen Erzählung von der ehernen Schlange (Num 21) dieser vom Himmel herabgestiegene ‚Sohn des Menschen‘ als derjenige präsentiert, der am Kreuz erhöht werden muß (oætw" ≠ywjönai deõ tÖn u´Ön toú ünjr„pou), damit jeder Glaubende in ihm ewiges Leben gewinne. Auch in Jesu Lebensbrotrede von Joh 6 ist seine dreimalige Selbstprädikation als ‚der Sohn des Menschen‘ fest verbunden mit dem Thema von dessen Abstieg aus dem Himmel und endlichem Aufstieg, dahin, „wo er zuvor war“ (6,62). Die neue Information gegenüber dem, was der Leser bisher über den Menschensohn weiß, besteht darin, daß Jesus als der ‚Menschensohn‘ sich hier zunächst als der Geber einer unverderblichen und noch im ewigen Leben sättigenden Speise bezeichnet (6,27). Doch dabei beläßt er es nicht: Indem er nämlich alsbald sich selbst „das Brot des Lebens“ nennt, das vom Himmel herab gekommen ist (6,35.48.51), macht er offenbar, daß er nicht nur der Geber, sondern als der Fleisch gewordene l∙go" zugleich auch die Gabe ist, die in Ewigkeit nährt. Und wie bei den bisher erörterten Menschensohn-Passagen, scheint auch hier ein intertextuelles Spiel mit biblischen Texten den Hintergrund zu bilden. Weil Jesus sich hier selbst als das Lebensbrot bezeichnet und am Ende sogar höchst drastisch dazu auffordert, sein ‚Fleisch‘ zu essen und sein ‚Blut‘ zu trinken (6,52 ff), wird vielfach postuliert, der Evangelist habe Jesus mit der personifizierten ‚Weisheit‘ der jüdischen Tradition identifiziert. Deshalb sehen u. a. Schnackenburg (Komm. II, 44 f), Lindars (Komm. 259), Beasley-Murray (Komm. 92), Feuillet (Studies 80 ff) und Brown (Komm. I, 269. 273 f) in den entsprechenden Weisheits-Texten auch den am nächsten liegenden Hintergrund von Joh 6. Besonders genannt wird in diesem Zusammenhang immer wieder Sir 24,21, wo die Weisheit tatsächlich von sich selbst sagt, daß sie ‚gegessen‘ und ‚getrunken‘ werde (o´ †sj‡ontfi" me ≤ti pein›sousin, kaÑ o´ p‡nontfi" me ≤ti diyflsousin: vgl. Prov 9,5 und Sir 15,3). Doch gegen Browns allzu rasche Identifizierung von Sir 24,21 mit Joh 6,35 (ebd.) macht Burkett (128 f) mit Recht auf die erheblichen Differenzen zwischen den beiden Texten aufmerksam. Während es nämlich bei Johannes in V. 35 nachdrücklich heißt: „Ich bin das Brot des Lebens, wer zu mir kommt, der wird nimmermehr hungern (o§ mÉ pein›sÔh), und wer an mich glaubt, den wird niemals wieder dürsten“ (ebenfalls mit o§ mfl als dem stärksten Modus der Verneinung), erklärt Sirach, der im übrigen die ‚Weisheit‘ sogleich mit der Tora identifiziert (24,23), daß das ‚Essen‘ und ‚Trinken‘ der ‚Weisheit‘ gerade erneuten und unstillbaren Hunger und Durst nach dieser Nahrung erzeugt und auch erzeugen soll. Doch in viel engerer Beziehung als zu diesen Weisheitstexten steht Johannes zu Jes 55,1–3.10–11. Wir erinnern hier daran, daß schon Lausberg bei seiner Interpretation der Prolog-Aussage von der Fleisch-Werdung des l∙go" Jes 55,10–11 als den „Bezugs‑ text“ identifiziert hatte, der Prolog und Evangelien-Corpus fest miteinander verknüpft (s. o.). Wenn wir dieser von Lausberg in dem Satz: kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto, entdeckten Spur folgen, ist es auch kein Zufall, daß im Spiel mit dem Jesaja-Text auch das Stichwort s›rx aus dem Prolog in unserer Lebensbrot-Rede ‚wiederaufgenommen‘ wird. Von den insgesamt dreizehn Vorkommen des Lexems s›rx bei Joh finden sich 344
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,27
hier allein sieben (6,51–56 und 63). Dem Gebrauch von rçb in der jüdischen Tradition entsprechend, ist Jesus hier durch s›rx ganz undualistisch als gebrechlicher und sterblicher Mensch definiert. Ob und inwieweit das auch für die sogenannte „eucharistische Rede“ mit ihrer drastischen Aufforderung gilt, das Fleisch des Menschensohns zu essen und sein Blut zu trinken, oder ob da etwa ‚Fleisch‘ und ‚Blut‘ Metaphern für ‚Brot‘ und ‚Wein‘ als Elemente der Eucharistie sind, wird unten zu prüfen sein. Sein absichtsvolles Spiel mit Jes 55 unterstreicht Johannes zusätzlich noch dadurch, daß er Jesus ausdrücklich, nämlich mit der einleitenden Formel: ≤stin gegrammfinon ≤n toõ" proffltai", aus dem unmittelbaren Kontext von Jes 55 zitieren läßt: kaÑ ≤sontai p›nte" didaktoÑ jeoú (6,45 = Jes 54,13). Zitate aus den Prätexten, die ausdrücklich als solche kenntlich gemacht sind, wie dieses, sind die denkbar intensivste Form der Intertextualität. Und daß hier Jesaja nicht als bloßer Schmuck der Rede zitiert oder als ein sogenanntes ‚Erfüllungs-Zitat‘ angeführt wird, sondern daß dabei vielmehr auch der gesamte Kontext des Zitierten mit im Spiel ist, wird sich unten bei der Erörterung von 6,41 ff zeigen. Die Kommentare von Bernard (I, 191), Brown (I, 264. 273 f), Lindars (254 f), Beasley-Murray (92) und die spezielle Untersuchung des Verhältnisses unseres Evangeliums zum Jesajabuch von F. W. Young (227 ff) zeigen, daß es in der Literatur über Joh 6 zwar nicht an allgemeinen Hinweisen auf die besondere Nähe der Lebensbrotrede zu Jes 55 fehlt. Aber dennoch hat erst die erneute und eindringliche Untersuchung dieser spezifischen Beziehung durch Burkett (127 ff) zu dem u. E. überzeugenden Ergebnis geführt, daß „the numerous and close parallels set out above indicate that Jn 6,27 ff is directly dependent on Isa 55,1–3. 10–11“ (ebd. 132). Burkett hat die Details seiner Analyse in einer eindrucksvollen Tabelle summiert, die wir hier wiedergeben: Isa 55,1–3. 10–11
Jn 6, 27–71
a. Two types of food are contrasted, that which perishes and that which remains (6,27) b. One should not work for the food which perishes (6,27) c. One should work for food which remains, which the Son of Man will give (6,27) d. To work for the food which remains is to believe in the one whom God sent (6,28 f) e. Everyone who has heard from the Father and learned comes to me (6,45; cf. 6,35.37.47.65) f. If one eats the bread of life one will live for f. If one listens to the Word of God (eats the ever (6,27.33.35.40 etc) bread which satisfies), one’s soul will live (55,3) g. Listening to the Word of God satisfies both g. ‚He who comes to me shall not hunger and hunger and thirst (55,1–2) he who believes in me shall never thirst‘ (6,35; cf. 53–56) h. The Word of God is sent by God (55,11) h. Jesus, the living bread, is sent by God (6,29.38 f.44.57) i. The Word of God, like the rain and snow, i. Jesus, the living bread, descends from heaven descends from heaven (55, 10–11) (6,29.38.39.44.57) j. The Word of God, like the rain and snow, j. ‚The bread of God is that which descends waters the earth and causes it to give birth from heaven and gives life to the world‘ and bear fruit (55,10 f) (6,33)
a. „Two types of food are contrasted, that which does not satisfy and that which does (55,1–2) b. One should not pay money or one’s labor for the food which does not satisfy (55,2) c. One should buy the food which satisfies, which is given without a price (55,1) d. To buy and eat the food which satisfies ist to listen (receptively) to the Word of God (55,2) e. ‚Incline your ear and come to me‘ (55,3)
345
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
k. The Word of God, like the rain and snow, gives bread to eat (55,10–11) l. The Word of God does the will of God, who sent it (55,11) m. The Word of God returns to God in heaven (55,10 f)
k. Jesus, or the Father, gives bread (6,27,32.51) l. ‚I have come down from heaven not to do my own will but the will of the one who sent me‘ (6,38) m. The Son of the Man ascends to where he was before (6,62)“ [Burkett 131 f].
Nach der solennen Eröffnung seiner Rede durch sein unverwechselbares ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn ktl. mit der Erinnerung an die wunderbare Speisung und Sättigung vom Vortag fordert Jesus in V. 27 sogleich dazu auf, nicht für die „vergängliche Speise“ zu ‚arbeiten‘ (tÉn brùsin tÉn üpollumfinhn), sondern sich um „die ins ewige Leben bleibende Speise“ (tÉn brùsin tÉn mfinousan e¢" zwÉn a¢„nion) zu mühen, die der Menschensohn geben wird. Da Jesus sich selbst aber alsbald mit dieser Speise ausdrücklich identifizieren wird, kann das Interesse von V. 27 nicht darin liegen, zwischen der Gabe und ihrem Geber zu unterscheiden. Vielmehr wird hier mit einem „hintergründigen Widerspruch“ der Menschensohn nur dazu als der von Gott autorisierte alleinige Geber der bleibenden Speise eingeführt, damit zur Sprache komme, daß man Jesu Ruf nur befolgen kann, „indem man auf alles ‚Sich-verschaffen‘ (†rg›zesjai) von Grund auf verzichtet und sich die Gabe des Lebens vom Menschensohn schenken läßt“ (Wilckens, Komm. 100; vgl. Weder, Menschwerdung 374 f, der darauf aufmerksam macht, daß das auch von der Speisung des Vortages gelten muß: „Wer im Brotwunder ein Semeion sieht, hat das bleibende Brot gesehen“, vielleicht sollte man sogar noch deutlicher sagen: ‚der hat das bleibende Brot gegessen‘). Wie schon die Lesart d‡dwsin ≠mõn in a D e ff 2 j anstelle des Futurums d„sei zeigte, steckt in dem Satz: √n ¨ u´Ö" toú ünjr„pou ≠mõn d„sei, ein Interpretationsproblem. Wilckens erklärt dazu: „‚Menschensohn‘ nennt der johanneische Jesus sich nicht als den Menschen gleich gewordener Mensch. Es ist hier wie durchweg sonst im Joh der Hoheitstitel dessen, der aus dem Himmel stammt, vom Himmel herabgekommen ist (3,13) und zum Himmel zurückkehrt (6,62), Jesus als der Erhöhte (3,1; 12,34) und Verherrlichte (12,23; 13,31; s. o. zu 1,51). Darum ist das Futur streng zu fassen: Der Menschensohn wird diese ‚bleibende Speise zum ewigen Leben‘ geben – nämlich als der Erhöhte im eucharistischen Mahl nach Ostern“ (Komm. 100; ähnlich urteilen Wikenhauser, Komm. 124, und Becker, der freilich die V. 22b.23.27. 39.40c.44c.51c–58.64b u. 65 kurzerhand aus dem vermeintlich ursprünglichen Werk des Evangelisten streicht und sie seiner „kirchlichen Redaktion“ zuweist). Uns erscheint der von Wilckens konstruierte Gegensatz zwischen Jesus als dem „den Menschen gleichgewordenen Menschen“ und Jesus als dem vom Himmel gekommenen und dahin zurückgekehrten „Erhöhten“ jedoch verfehlt. Denn wenn der „Menschensohn“ nach 3,14 ans Kreuz erhöht werden muß, und wenn Jesus 6,51 erklären kann, das Brot, das er geben werde (auch hier das Futur d„sw), sei ™ s›rx mo‚ ... ≠pÇr tö" toú k∙smou zwö", dann muß in unserem Evangelium „Menschensohn“ ja wohl der geheimnisvolle Name gerade des fleischgewordenen l∙go" sein. Ist aber die Hingabe des „Fleisches“ des Menschensohns die Bedingung der Möglichkeit des „Lebens der Welt“, dann kann man schwerlich sagen, nicht als den Menschen gleichgewordener Mensch nenne sich der johanneische Jesus ‚Menschensohn‘. Hier ist Wilckens doch wohl noch allzusehr dem „Phantom des apokalyptischen Menschensohns“ (Leivestad) verhaftet. Uns scheint dagegen der Name ‚Menschensohn‘ im Corpus des Evangeliums 346
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,27–30
das den Prolog bestimmende Logos-Prädikat zu ersetzen, wie dieses denn auch kaum zufällig in dem Satz: kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto, zum letzten Mal erschien. Gerade vor dem Hintergrund von Jes 55 zeigt Joh 6 deutlich, daß „‚the Word‘ and ‚the Son of the Man‘ are understood to refer to the same preexistent individual who has become incarnate as Jesus“ (Burkett 135). Bedenken haben wir auch gegen Wilckens’ Deutung des Futurums d„sei auf die künftige Gabe der Elemente Brot und Wein beim Herrenmahl. Abgesehen davon, daß in unserer Passage nicht das Essen von Brot und Wein, sondern der Glaube an den, den Gott gesandt hat, als „bleibende Speise“ und Gott geschuldetes „Werk“ definiert wird: toút∙ †stin tÖ ≤rgon toú jeoú, ºna piste‚hte e¢" ≈n üpfisteilen †keõno" (6,29), liegt es u. E. viel näher, d„sei als modales Futur zu begreifen. Dafür sprechen das hier vorherrschende Wortfeld um zhteõn, †rg›zomai und ≤rgon sowie der Umstand, daß d„sei hier als Prädikat eines Relativsatzes erscheint, der die „bleibende Speise“ als reine Gabe definiert. Wie in dem Satz: a¢teõte, kaÑ dojflsetai ≠mõn (Mt 7,7), so wird auch hier nicht von einem künftigen Zeitpunkt der Gabe „bleibender Speise“, sondern davon geredet, daß der Menschensohn sie dem geben wird, der sie sucht, statt für verderbliche Speise zu arbeiten. 27c: toúton gÅr ¨ patÉr †sfr›gisen ¨ je∙". Wie in Joh 3,33, so ist die Grundbedeutung von sfrag‡zw auch hier ‚bestätigen‘. Da hier aber – anders als in 3,33 – Gott das Subjekt solchen Bestätigens ist, gewinnt dieses den Charakter der rechtskräftigen Autorisierung und Ausstattung des ‚Menschensohns‘ mit göttlicher Vollmacht durch den Vater; vgl. zum Gebrauch von sfrag‡zein Moloney (Son 113 f) und Borgen (John 6, 273 f), der unter Verweis auf Liddell-Scott (s. v.) und 2Kor 1,22 die Bedeutung des Verbs in unserem Zusammenhang präziser als „accredit as an envoy“ bestimmt. Auffällig ist die eigentümliche Verdoppelung des Satzsubjekts ¨ je∙" durch das vorgezogene ¨ patflr, zumal patflr sonst stets nur mit u´∙", nie aber mit ¨ u´Ö" toú ünjr„pou konnotiert ist. Soll hier an die im Hintergrund von 3,13 stehende biblische Szene von Gott als dem ‚Mann‘ und seinem Sohn von Prov 30,1–4 erinnert werden (s. o. z. St.)? Dann würde sich auch der Aorist †sfr›gisen auf dieses vorzeitige Geschehen †n ürcÔö beziehen und noch dem p›nta diû a§toú †gfineto von 1,3 vorausgehen. Das scheint uns auf jeden Fall eine bessere Lösung zu sein als die Versuche, jene ‚Versiegelung‘ mit der Inkarnation (Spicq) oder mit der Taufe Jesu zu identifizieren (Bernard z. St.; Zahn, Komm. 334). 28 f: „Da fragten sie ihn: Was sollen wir denn tun, daß wir Gottes Werke vollbringen?“ Wenn Jesus ihnen darauf antwortet: toút∙ †stin tÖ ≤rgon toú jeoú, ºna piste‚hte e¢" ≈n üpfisteilen †keõno", so erweckt das zumindest den Anschein, als seien diese ≤rga toú jeoú die von Gott geforderten Werke. Doch dieser Schein trügt und wird alsbald Ursprung eines neuen Mißverständnisses werden. Die Formulierung: ºna †rgaz„meja tÅ ≤rga toú jeoú, ist wohl absichtsvoll ambivalent und nahezu paradox. Denn die ≤rga oder das ≤rgon toú jeoú sind und bleiben auch als vom Menschen geforderte dennoch Gottes eigene Werke, die kein Sterblicher von sich selbst her bewirken kann, sie seien ihm denn von Gott gegeben. Und das gilt nicht nur von dem hier im Singular genannten ‚Werk‘, an den zu glauben, den der Vater gesandt hat, sondern von allen Werken des Menschen. Wie niemand zu Jesus kommen, d. h. an ihn glauben kann, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist (6,65; vgl. 6,37.44), so kann auch keiner sich durch sein †rg›zein irgend etwas Bleibendes ‚verschaffen‘, †Ån mÉ Ôé dedomfinon a§tù †k toú o§ranoú (3,27). Darum darf auch die in Jesu Antwort 347
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
implizierte Summierung und Verdichtung der Werke auf das eine jetzt notwendige ‚Werk des Glaubens‘ keinesfalls umstandslos mit der im Kontext der paulinischen Heidenmission entwickelten Antithese von „Werken des Gesetzes“ und „Glauben an Christus“ identifiziert werden. Wie zahlreiche andere Autoren begreift auch Scherer (Jesus und das Gesetz) Joh 1,17 im Sinne dieser Antithese. Ja, er sieht in dem u. E. fälschlich (s. o. z. St.) so gedeuteten Vers nicht nur den „hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis des Johannes-Prologs“, sondern meint, hier zugleich das „Grundmotiv des ganzen vierten Evangeliums“ entdeckt zu haben (43): Hier werde das Gesetz durch das „neue Gebot der Liebe“ außer Kraft gesetzt (vgl. z. B. 176). Dagegen zeigt die Untersuchung gerade des johanneischen Liebesgebotes durch J. Augenstein, daß die Tora durch dieses ‚neue Gebot‘ keineswegs „außer Kraft gesetzt“ ist. Sie wird vielmehr in ihm als dem zugleich ‚alten Gebot‘ von Lev 19,17 f. 34 (vgl. 1Joh 2,7) im Gegenteil gerade aktualisiert und so als der doch Jesus und seinen Gegnern gemeinsame gottgegebene Grund eher neu in Kraft gesetzt (Liebesgebot 148 ff; vgl. auch Ders., Gesetz). Was Augenstein über das Verhältnis von Liebesgebot und Tora sagt, gilt mutatis mutandis wohl auch für das Verhältnis des einen Werkes des Glaubens zu den von der Tora geforderten ≤rga jeoú, von denen Jesu Dialogpartner in V. 28 sprechen. – Im übrigen halten wir selbst im Blick auf Paulus die vorherrschende und folgenreiche Übersetzung des Satzes: tfilo" gÅr n∙mou CristÖ" e¢" dikaios‚nhn pantÑ tù piste‚onti (Röm 10,4) durch: „Christus ist das Ende des Gesetzes“ für verfehlt, weil sie Subjekt und Prädikat vertauscht. Denn das Subjekt des Satzes ist tfilo" gÅr n∙mou im Sinne von „Ziel des Gesetzes“, und Crist∙" ist sein Prädikat (bzw. Prädikatsnomen).
Die Frage der Leute nach dem ‚Tun der Werke Gottes‘ zeigt, daß sie dem Verständnis der Worte Jesu jetzt wenigstens ein Stück weit nähergekommen sind. Sie scheinen immerhin begriffen zu haben, daß die bleibende und noch im ewigen Leben nährende Speise nur das verheißende und gebietende ‚Wort‘ sein kann, ‚das aus dem Munde Gottes hervorgeht‘ (Dtn 8,3; Sap 16,26; Jes 55,3). Dennoch aber bleiben sie ihrem Mißverstehen darin verhaftet, daß sie immer noch wähnen, die Werke Gottes durch ihr eigenes †rg›zesjai tun zu können. Es liegt also noch ein langer Weg vor ihnen, ehe sie vielleicht einmal mit Petrus fragen und sagen können: k‚rie, prÖ" t‡na üpeleus∙meja; Øflmata zwö" a¢wn‡ou ≤cei" (6,68). 30 f: Als wolle er das eben erörterte Mißverständnis damit noch unterstreichen, läßt unser Erzähler nun im Spiel mit dem Prätext (Mk 8,11 / Mt 16,1) und gewiß nicht ohne Ironie eben die Leute ein Zeichen von Jesus fordern, durch das der Himmel ihn legitimieren soll, die noch am Vortag nicht nur Zeugen des Zeichens der wunderbaren Speisung Tausender mit nur fünf Gerstenbroten und zwei Fischen geworden waren, sondern die alle satt und derart beeindruckt waren, daß sie in Jesus den verheißenen endzeitlichen ‚Propheten wie Mose‘ erkannt und ihn gewaltsam zum König hatten proklamieren wollen. Daß sie mit dieser Erkenntnis zwar auf dem richtigen Wege waren, aber das Spezifische der Sendung Jesu dennoch mißverstanden hatten, hatte der Erzähler durch Jesu einsamen Rückzug vor der Menge auf den Berg zu erkennen gegeben. Für ihre erneute Zeichenforderung beruft sich die Menge auf die wunderbare Speisung der Wüstengeneration ihrer Väter durch den Mannaregen vom Himmel und auf das Zeugnis der Schrift: †stin gegrammfinon: ±rton †k toú o§ranoú ≤dwken a§toõ" fageõn. Das wird vielfach so gedeutet, als fordere sie damit von Jesus, das einstige Manna-Wunder zu wiederholen. Schwerlich zu Recht! Denn ganz gegen seine Gewohnheit und weit über das seinem impliziten Leser Zumutbare hinaus müßte der Erzähler seine Ironie hier ins Absurde gesteigert haben, wenn er ausgerechnet dieje348
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,29–32
nigen die abermalige Wiederholung des Manna-Wunders fordern ließe, die doch am Vortag die wunderbare Speisung als dessen eschatologische Wiederkehr am eigenen Leibe erlebt und diese nach Ausweis der V. 14 f auch als solche begriffen hatten. Nein! Die gerade erst wie ihre Väter ‚jenseits des Jordan‘ und außerhalb des verheißenen Landes mit ‚Brot vom Himmel‘ gespeist worden waren und daran Jesus als den erwarteten ‚Propheten wie Mose‘ erkannt hatten, können mit ihrer Erinnerung an das ihren Vätern gewährte wundersame Manna keinesfalls ein neues Manna-Wunder fordern wollen. Sie deuten in V. 31 vielmehr ihre Erfahrung vom Vortag im Lichte der biblischen Manna-Erzählung. Man könnte also sagen, das ihnen unerbeten gewährte und von ihnen dankbar aufgenommene Zeichen der wunderbaren Speisung, an dem sie Jesus als den von Gott gesandten Propheten wie Mose erkannt hatten, hat sie ermutigt, Jesus nun darum zu bitten, ihnen doch ein weiteres Zeichen zu gewähren, und damit seine unerhörten Behauptungen zu legitimieren, daß ‚bleibende Speise‘ einzig diejenige sei, die der ‚Sohn des Menschen‘ ihnen geben werde, weil der ‚Vater‘ ihn eigens dazu ‚versiegelt‘ habe, und daß das einzige Werk (≤rgon im Singular!), das Gott von ihnen fordere, dieses sei: „An den zu glauben, den jener gesandt hat“ (6,27–29); vgl. Menken (Remarks) und Borgen (John 6, 276 ff). Auch wenn die genaue Herkunft des Zitates: ±rton †k toú o§ranoú ≤dwken a§toõ" fageõn, umstritten ist, weil es in diesem Wortlaut in der Schrift nicht vorkommt, zeigt sein Gebrauch in unserem Kontext aber jedenfalls, daß die Leute, die sich da auf die Schrift berufen, Mose als das Subjekt des ≤dwken und als den Geber des Manna begreifen. Als Herkunftsorte des Schriftzitates werden drei mögliche Quellen diskutiert: Entweder handelt es sich um eine Kombination der V. 4 und 15 von Ex 16 oder um eine freie Wiedergabe von Neh 9,15 oder endlich um ein intertextuelles Spiel mit Ps 78,24 f. Da auch das ‚Murren‘ der ‚Juden‘ gegen Jesus (†g∙gguzon oên o´ ûIoudaõoi perÑ a§toú kt. 6,41; vgl. 6,43) sein Vorbild in der Exodus-Erzählung hat: dieg∙gguzen pôsa sunagwgÉ u´ùn ûIsraÉl †pÑ MwÊsön kaÑ ûAar„n ktl. (Ex 16,2), liegt es nahe, zunächst Ex 16,4 und 15 zu mustern, zumal auch nur dort die Wendung: †k toú o§ranoú erscheint. Ex 16,4 lautet: eèpen dÇ k‚rio" prÖ" MwÊsön: ¢doÜ †gá æw ≠mõn ±rtou" †k toú o§ranoú. Und auf die erstaunte Frage nach dem nie gesehenen Manna erklärt Mose dem Volk: oñto" ¨ ±rto" ≈n ≤dwken k‚rio" ≠mõn fageõn (Ex 16,15). Im großen Bußgebet von Neh 9,15 heißt es dagegen in direkter Anrede Gottes: kaÑ ±rton †x o§ranoú ≤dwka" a§toõ" e¢" sitode‡an a§tùn / kaÑ ædwr †k pfitra" †xflnegka" a§toõ" e¢" d‡yan a§tùn (= LXX: 2Esdr 19,15). Und der Psalmvers lautet endlich: kaÑ ≤brexen a§toõ" m›nna fageõn / kaÑ ±rton o§ranoú ≤dwken a§toõ" / ±rton üggfilwn ≤fagen ±njrwpo" ktl. (= LXX: Ps 77,24 f). Während Reim (Hintergrund 12 ff) und Borgen (Bread 40 ff) vor allem vom Kontext her entschieden für Ex 16 als Quelle des Zitates votieren, sucht Burkett – wie vor ihm schon Loisy (Komm. 443), Westcott (Komm. I, 226), Lagrange (Komm. 175), Sanders / Mastin (Komm. 187), Morris (Komm. 363), Bruce (Komm. 152) und Haenchen (Komm. 321) – vor allem wegen seiner Nähe zu Jes 55 als dem ‚Grundtext‘ unseres Kapitels den Psalmvers als das Zitat zu identifizieren (133). Da aber ja in jedem Fall unübersehbar die Erzählung von Ex 16 im Hintergrund steht und sich sowohl Neh 9,15 als auch Ps 78,24 f darauf beziehen, braucht die Frage, welcher der drei Texte hier denn nun zitiert werde, nicht entschieden zu werden, zumal die Synopsie derartig homonymer Texte durchaus jüdischer Praxis entspricht (vgl. Barrett, Komm. 300 f).
32: Wie schon zuvor in V. 26 eröffnet Jesus seine Antwort wiederum mit dem solennen „Amen, Amen, ich sage euch!“, das keinen Widerspruch duldet, und als Kenner der Schrift entgegnet er ihnen: o§ MwÊsö" dfidwken ≠mõn tÖn ±rton †k toú o§ranoú, üllû ¨ patflr mou d‡dwsin ≠mõn tÖn ±rton †k toú o§ranoú tÖn ülhjin∙n. Weil dieser 349
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Satz jedoch „in verschiedener Weise verstanden werden“ kann (Barrett, Komm. 301), ist seine Auslegung umstritten. Hilfreich unterscheidet Barrett (ebd.) die folgenden Möglichkeiten seiner Interpretation: „1. Es war nicht Mose, der euch das Brot vom Himmel gab (sondern Gott). 2. Es war nicht Brot vom Himmel, das Mose euch gab (sondern lediglich irdisches Brot im Gegensatz zu dem wahren Brot vom Himmel, welches euch der Vater gibt). 3. Der Satz ist als Frage verstanden worden (Torrey 60–72): Gab euch Mose nicht Brot vom Himmel? (Ja, in der Tat. Aber der Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel)“. Völlig zu Recht betont Barrett selbst zunächst das unübersehbare Gewicht der von ihm nicht zufällig zuerst genannten Option: „Der Name Mose steht an betonter Stelle, und das o§ ist so gestellt, daß es ihn ins Negative kehrt. Außerdem wäre es schwierig für Joh, das, was das AT in positiver Weise sagt, zu leugnen: das Manna ist Brot vom Himmel – und die betonte Stellung des ülhjin∙" im nächsten Satz verneint nicht, daß das Brot, das Mose brachte, Brot vom Himmel war, sondern hält fest, daß es als solches Typus des himmlischen Brotes gewesen ist, das Jesus gibt“ (ebd.). In dem kurzen Relativsatz „das Mose brachte“ steckt freilich ein Selbstwiderspruch Barretts. Denn nach dem Text war und ist ja gerade nicht Mose der Geber des Lebensbrotes, sondern Gott. Wie aber Mose der erwählte Vermittler der göttlichen Gnadengabe der Tora war (diÅ MwÊsfiw" †d∙jh: 1,17), so ist er hier als der von Gott Gesandte auch der Vermittler des himmlischen Manna. Borgen (Bread from Heaven) spielt diesen klaren Sachverhalt zu Unrecht herunter und bevorzugt dagegen völlig einseitig die zweite der von Barrett genannten Optionen: „Verse 32 can therefore be paraphrased in the following way: Not the external sphere of the past in which Moses gave you the external bread from heaven, but the spiritual sphere of the present in which my Father gives you the true spiritual bread from heaven“ (172). Dagegen wendet Reim treffend ein: „Ich meine, daß die Exegese Jesu gerade darauf hinzielt, das ‚which Moses gave you‘ zu bestreiten“ (Hintergrund 13). Da Borgens minutiöse Untersuchung des Manna-Komplexes im jüdischen Midrasch, im Werk Philons und bei Joh (Bread from Heaven), wie die Kommentare von Brown (I, 262.269.277 f), Schnackenburg (II, 41), Lindars (251), Barrett (301), Morris (363 f), Beasley-Murray (91) sowie die Untersuchung von Moloney (Son of Man 95 ff) zeigen, für die Exegese von Joh 6 überaus einflußreich geworden ist, müssen wir hier kurz auf sie eingehen. Borgen beschränkt seine Untersuchung auf die Analyse des Abschnitts Joh 6,31–58. Da Jesus seine Lebensbrotrede jedoch nicht mit V. 31, sondern bereits mit dem doppelten Amen in V. 26 eröffnet, erscheint uns ihre Beschränkung auf die genannten Verse als eine willkürliche Anpassung der Rede an jenes „homiletic pattern“, das Borgen bei Philon und in jüdischen Midraschim entdeckt hat. Denn durch den Einsatz mit V. 31 erhält er ein Textcorpus, an dessen Spitze mit V. 31 ein Schriftzitat steht. Und auf diese Weise kann er dann alles auf V. 31 Folgende als eine „Homilie“ über diesen „Text“ begreifen: In den Versen 32–48 sieht er die ‚kunstgerechte‘ Auslegung des Satzes: ±rton †k toú o§ranoú ≤dwken a§toõ", während in den folgenden V. 49–58 nach den gleichen Prinzipien der Infinitiv fageõn ausgelegt werde. Diese ‚Prinzipien‘ sind die dem Midrasch eigenen Regeln der Textauslegung, die Borgen durch die Analyse von Partien aus ExR (25,2 ff), aus MekEx 16,4, aus Philons Vita Mosis I, 201 f; II, 267 u. a. Texten zu rekonstruieren sucht, um sodann ihren Gebrauch auch bei Johannes nachzuweisen. Auch wenn G. Bornkamm (Vorjoh. Tradition 54 ff), G. Richter (Studien 88 ff) u. a. in der Auseinandersetzung mit Borgen vehement für den sekun‑ dären Charakter der V. 48–58 plädiert haben (s. u. z. St.), bleibt Borgens Aufweis der Einheit der Rede und zumal ihres genuin jüdischen Hintergrundes dennoch eindrucksvoll. Das gilt trotz der u. E. unzulässigen Beschränkung der Rede vom Lebensbrot auf die V. 31–58, zumal Borgen mit
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Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,32–35
seinem glänzenden Beitrag über ‚John 6‘ inzwischen die enge Kohärenz des gesamten sechsten Kapitels eindrucksvoll demonstriert hat. Und Borgens Untersuchung bleibt auch dann gewichtig, wenn uns seine Argumentation mit einem Joh 6,31 vermeintlich zugrunde liegenden hebräischen Text und seine umstandslose Übertragung der Art des Umgangs der Rabbinen mit Lesarten des unvokalisierten hebräischen Bibeltextes auf unser doch in griechischer Sprache und für griechisch sprechende Leser geschriebenes Evangelium (vgl. Borgen, Bread 59–67) ebenso wenig einleuchtet wie seine insgesamt antidoketistische Johannesinterpretation (vgl. dazu Martyn, History 127).
Daß es nicht Mose, sondern Gott war, der seinem Volk mit dem Mannaregen der Wüstenzeit „Brot aus dem Himmel“ zu essen gab, kann jeder Leser auch der entsprechenden griechischen Bibeltexte leicht und sofort begreifen. Denn es ist ja Jhwh (LXX: k‚rio"), der zu Mose sagt: ¢doÜ †gá æw ≠mõn ±rtou" †k toú o§ranoú (Ex 16,4). Und wenn Jesus mit seiner Antwort darauf dringt, hier die Subjekte, nämlich Gott und Mose, nicht zu verwechseln, so versteht sich daraus auch die Richtigstellung des Modus der Prädikate. Denn im Unterschied zu dem Präsens d‡dwsin, das es nicht zuläßt, den Geber von seiner Gabe zu trennen oder diesen mit jener zu verwechseln, redet das Perfekt dfidwken von einer in der Vergangenheit erfolgten Gabe, die zum dauernden und gegenwärtigen Besitz der damit ‚Begabten‘ geworden ist. Diese Differenz zwischen den modi der sogenannten tempora verbi kann jeder des Griechischen Kundige begreifen. Der Kenntnis der rabbinischen Regel des ala – yrqt la (lies nicht: [‚gab‘ ˆtn], sondern [‚gibt‘ ˆtwn]), die dazu nach Borgen notwendig ist (Bread 63 f), bedarf es hierfür nicht, zumal sich von ihr hier auch nicht die leiseste Spur findet, und es primär ja gar nicht um ein anderes tempus, sondern um einen veränderten modus des Verbums geht. Und endlich will Jesus doch schwerlich bestreiten, daß das Manna von Gott gegebenes ‚Brot vom Himmel‘ war. Dabei sollte man darauf achten, daß Jesus den Geber des Himmelsbrotes nicht ‚Gott‘, sondern „mein Vater“ nennt und damit eine Nähe zu diesem ‚Vater‘ anzeigt, die seinen Hörern unerschwinglich ist; vgl. Morris (Komm. 364) und de Jonge (Stranger 57): „It is clear, however, that the unique relationship between Jesus and God is underlined by means of the expression ‚my Father‘ (vss. 32.37.40.44, and especially vs. 46) and the notion of ‚descent from heaven‘ (vss. 33.41.42.50.51)“. 33 f: Absichtsvoll ambivalent und im Deutschen schwer wiederzugeben, weil ±rto" im Gegensatz zum neutrischen ‚das Brot‘ im Griechischen ein Maskulinum ist, erklärt Jesus nun: „Denn der ‚Artos‘ Gottes ist derjenige, der vom Himmel herabsteigt und der Welt Leben verleiht“. Indem er das Brot und seinen Geber durch die GenitivVerbindung ¨ ±rto" toú jeoú so eng miteinander verbindet, wie nur Gott und dieser Sohn, der ‚mein Vater‘ sagt, einander verbunden sind, nimmt Jesus hier sein Wort: †g„ e¢mi ¨ ±rto" tö" zwö" von V. 35 verborgen schon vorweg. Doch seine Zuhörer und mit ihnen der implizite Leser müssen zuvor noch die Hürde eines weiteren Mißverständnisses überwinden. Denn auch wenn ihre Anrede Jesu als k‚rio" respektvoll klingt und ihre Bitte: „Herr, gib uns doch allezeit dieses Brot!“ formal durchaus so angemessen erscheint, als ahnten sie zumindest, um was es hier geht, scheinen sie immer noch das Brot von seinem Geber trennen zu wollen und zu meinen, dieses ohne jenen haben zu können. Erst die V. 36–40 werden zeigen, daß Jesus als der Erforscher der Herzen sieht, was ihnen noch fehlt . 35: Doch zuvor erklärt er ihnen nun unverhüllt mit dem ersten der sieben prädizierten †g„-e¢mi-Worte unseres Evangeliums: „Ich bin der ‚Artos‘ des Lebens, wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie wieder 351
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
dürsten“. Daß sich Jesus als der Geber des Lebensbrotes Schritt um Schritt mit seiner Gabe identifiziert, haben wir in den vorausgegangenen Passagen bereits beobachtet. Mit diesem Satz ist nun ein erster Gipfel dieses Identifikationsprozesses erreicht. U. E. ist die gesamte Lebensbrotrede eine Auslegung nicht irgendeines speziellen Bibelverses, sondern des shmeõon der vorausgegangenen wunderbaren Brotvermehrung. Daß diese Rede je für sich, oder daß diese Wundererzählung johanneisch – d. h. abgesehen natürlich von ihrer Existenz in den synoptischen Prätexten – je ohne sie existiert haben sollte, ist ein willkürliches Postulat. Daß und wie sich die beiden Wendungen „es steht geschrieben“ in den V. 31 und 45 entsprechen und die gesamte Rede so der Autorität der Schrift unterstellen, hat Crossan (It Is Written) aufgewiesen. Wenn man sie schon eine „Homilie“ nennen will, wie Borgen, der ihre Nähe zum homiletischen Midrasch ja tatsächlich sehr wahrscheinlich gemacht hat, dann muß man Jesu wunderbare Brotvermehrung vor dem Hintergrund von Jes 55 ihren „Text“ nennen. Der Satz: †g„ e¢mi ¨ arto" tö" zwö", ist – wie alle übrigen prädizierten †g„-e¢mi-Worte auch – eine poetische Metapher. Weil das von dem Satz, und nicht etwa nur von dem isolierten Lexem arto" gilt, ist zumal auch seine Kopula e¢m‡ metaphorischer Natur, d. h. sie versetzt ihren Sprecher in den Bereich der Ähnlichkeit mit dem eschatologischen Lebensbrot und damit zugleich in die unauflösbare Spannung zwischen einem „Ich bin“ und „Ich bin nicht“ (vgl. Ricœur, Metapher pass.; u. Thyen, Ich bin das Licht der Welt). Wir hatten gesehen, das Jesu Lebensbrotrede aus der Erzählung von dem Zeichen der wunderbaren Speisung erwächst. Sie gipfelt in den Ich-Bin-Worten der V. 35.41.48 und 51, die darum aus diesem Zusammenhang nicht gelöst werden dürfen. Nachdem der µclo" das Lexem ±rto" durch das Schriftzitat, „Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen“, artikellos eingeführt hat (V. 31), muß, wenn von demselben Brot die Rede sein soll, nach den Regeln narrativer Grammatik bei der Wiederaufnahme von ±rto", der Artikel stehen. Erst recht ist der Artikel in Jesu Ich-Bin-Wort als Antwort auf die Bitte der Menge: p›ntote dÖ" ™mõn tÖn ±rton toúton, grammatisch natürlich unvermeidbar (vgl. dazu 4,15). Mit irgendwelcher Polemik gegen die Ansprüche anderer, das wahre Brot zu sein, hat das nichts zu tun. Und wenn Jesus dieses Brot sodann durch den Genitiv tö" zwö" als lebenstiftendes qualifiziert, dann nimmt er damit die partizipiale Wendung kaÑ zwÉn didoÜ" tù k∙smw aus V. 33 wieder auf, die ihrerseits das in V. 32 betont an den Schluß gestellte tÖn ülhjin∙n als ‚lebenschaffend‘ interpretierte. Entgegen Schweizers Deutung kann deshalb keine Rede davon sein, daß Jesu †g„ hier Prädikatsnomen wäre. Es ist vielmehr eindeutig Subjekt. Weil sich aber dieses †g„ metaphorisch mit seiner Leben stiftenden Gabe identifiziert, ist es zugleich auch das Objekt dieses Gebens. Ja, mehr noch: Hatte Jesus die Meinung der Menge durch den Satz korrigiert: „Nicht Mose gab euch das Brot aus dem Himmel, sondern mein Vater gibt euch das Brot aus dem Himmel, das echte (tÖn ülhjin∙n)“ (V. 32), so erscheint in dem †g„ e¢mi in der Einheit mit dem Sohn zugleich der Vater als der Geber des Himmelsbrotes. Trotz seiner uns zweifelhaften These, daß der Evangelist Joh 6 und das gesamte Lazarusmaterial erst der ‚zweiten Auflage‘ seines Werkes eingefügt haben soll, insistiert Lindars zu Recht darauf, daß das Kapitel keinesfalls umgestellt und vor Joh 5 eingefügt werden dürfe, wie das selbst ein so behutsamer Exeget wie Schnackenburg unternehme. Denn „the present position of it is peculiary suitable because of the way in which it serves as an illustration of Jesus’ claim in 5,39. 46 f. For this is the most biblical section 352
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,35–39
of the whole gospel“ (Komm. 234). Als Demonstration, ‚daß die Schriften von Jesus zeugen‘ (5,39) und daß ‚Mose über ihn geschrieben hat‘ (5,46) und daß die Gabe des Manna in der Wüste, recht verstanden, „a sign about Jesus (not just as a prophetking, but) as the one who came down from heaven“ war, begreift auch Borgen Joh 6 (John 6, 278). 36: Daß eèpon ≠mõn zurückweist auf V. 26, sieht Barrett wohl ganz richtig. Doch es handelt sich nicht einfach um eine ‚Wiederaufnahme‘. Denn daß die Menge das Zei‑ chen gesehen habe, wird in V. 26 ja gerade bestritten. Es wird jetzt vielmehr unter dem Gesichtspunkt des seit V. 26 Gesagten auf diesen Vers zurückgeblickt. Darum kann man auch nicht, wie Barrett, zu dem kaÑ ©wr›katfi me erklären: „mfi sollte mit a a b e sys.c ausgelassen werden. Die Auslassung macht den Verweis auf V. 26 eindeutiger“ (Komm. 304). Der Modus des Perfekt ©wr›kate bezeichnet etwas Gesehenes, das den Angeredeten gegenwärtig vor Augen steht. Darum scheint gerade dieser Modus das mfi als den seit V. 26 explizierten Inhalt jenes unbegriffenen Gesehenen zu fordern. Man könnte den Satz deshalb etwa so paraphrasieren: ‚Ich habe es euch ja gesagt (V. 26), aber obwohl ihr mich als das damals von dem Zeichen bezeichnete Lebensbrot jetzt doch vor Augen habt, glaubt ihr immer noch nicht‘. Wie das o§ piste‚ete als Antithese den Satz aufnimmt: kaÑ ¨ piste‚wn e¢" †mÇ o§ mÉ diy„sei p›ntote (V. 35), so wird das in synonymem Parallelismus dazu stehende: ¨ †rc∙meno" prÖ" †mÇ o§ mÉ pein›sÔh im unmittelbar folgenden V. 37 mit der Wendung: kaÑ tÖn †rc∙menon prÖ" †mÇ o§ mÉ †kb›lw ≤xw, positiv wieder aufgenommen. 37: ‚Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir. Und den, der zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen nach draußen‘. Ebenso wie die Synonymität von „an mich glauben“ und „zu mir kommen“ macht der johanneische Gebrauch des Lexems †kb›llein (2,15; vgl. 10,4) und zumal der Wendung †kb›llein ≤xw (vgl. 9,34 f; 12,31) deutlich, daß in unserem Vers nicht davon die Rede ist, daß Jesus keinen abweist, der zu ihm kommen will (so u. a. Schlatter, Komm. 111; Schnackenburg, Komm. II, 72), sondern daß er keinen, der zu ihm gekommen ist, der an ihn glaubt und der zu ihm gehört, jemals ‚hinauswerfen wird‘, wie das dem Blindgeborenen durch die ûIoudaõoi widerfährt (9,34 f). Vielmehr redet unser Vers davon, daß Jesus alle, die zu ihm gehören, in Ewigkeit bewahren will, so daß die nächste Parallele zu unserem Vers die Aussage Jesu, des ‚guten Hirten‘, über ‚seine Schafe‘ ist: kaÑ o§ mÉ üp∙lwntai e¢" tÖn a¢ùna kaÑ o§c ®rp›sei ti" a§tÅ †k tö" ceir∙" mou (10,28; vgl. Hofius, Erwählung). Diese von Hofius sorgfältig begründete Auslegung wird durch die folgenden Verse bestätigt. 38 f: ‚Denn nicht um meinen eigenen Willen durchzusetzen, bin ich vom Himmel herabgekommen, sondern dazu, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat. Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, daß ich von alledem, was er mir gegeben hat, nichts verliere, sondern es am Jüngsten Tage auferwecke‘. Nach dem oben zu Joh 3,13ff; 5,28f u.ö. Gesagten versteht es sich wohl von selbst, daß wir – anders als etwa Bultmann, Haenchen, Richter u.a. – die Wendung: üllÅ ünastflsw a§tÖ [†n] tÔö †sc›tÔh ™mfira, die kunstvoll wie ein Refrain, in den folgenden Versen 40.44 u. 54 wiederkehrt, für unentbehrlich halten und in ihr nicht, wie die Genannten, die nachträgliche Korrektur der vermeintlich „rein präsentischen Eschatologie“ des Evangelisten durch einen „kirchlichen Redaktor“ zu sehen vermögen, der sich um einen Ausgleich der johanneischen mit der urchristlich-apokalyptischen Eschatologie bemüht haben soll. Denn nur auf dem als selbstverständlich vorausgesetzten Hintergrund 353
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
dieser Eschatologie und als intertextuelles Spiel mit den entsprechenden synoptischen Prätexten ist die johanneische Betonung des Glaubens als des Sieges, der die Welt bereits überwunden hat, überhaupt zu begreifen, hat doch Gott seinen Sohn nicht gesandt, daß er die Welt verurteile, sondern dazu, daß sie (der k·smo" und nicht allein die Glaubenden) durch ihn erlöst werde (3,17). Darum gelten auch für Johannes mutatis mutandis die paulinischen Sätze: parû †lp‡da †pû elp‡di †p‡steusen (sc. Abraham: Röm 4,18) und tÔö gÅr †lp‡di †s„jhmen (Röm 8,24). 40: ‚Denn das ist der Wille meines Vaters, daß jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe, (denn) ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage‘. In dem, der das göttliche †g„ e¢mi spricht, ist der Vater präsent. In ihm macht der, den keiner je gesehen hat noch sehen wird (1,18), sich sichtbar (vgl. 14,9). Daß der Sohn von „alledem, was der Vater ihm gegeben hat, nichts verliert“ (V. 39), schließt allerdings nicht aus, daß sich viele von ihm abwenden werden (6,60 ff), und daß Jesus gar von einem aus dem engsten Kreis der Zwölf, die er sich erwählt hat, sagen muß: kaÑ †x ≠mùn eï" di›bol∙" †stin (6,70). Der erste Johannesbrief wird diesen Abfall von Jesus so kommentieren: ‚Aus unserer Mitte sind sie weggegangen, aber sie gehörten nie wirklich zu uns (üllû o§k ésan †x ™mùn), denn wenn sie zu uns gehört hätten, dann wären sie ja bei uns geblieben. Aber (sie sind weggegangen), damit daran offenbar werde, daß eben nicht alle (die unter uns sind) auch wirklich zu uns gehören‘ (Ωti o§k e¢sÑn p›nte" †x ™mùn: 1Joh 2,18 ff). Das Präsens e¢s‡n signalisiert, daß hier eine unausgesprochene Warnung laut wird. Wohl können Autor wie Adressaten der göttlichen Zusage gewiß sein, daß keine Macht der Welt sie je der Hand Gottes zu entreißen vermag. Schwerlich aber können sie ihres eigenen Glaubens und der Überzeugung, daß sie, was immer ihnen widerfahren mag, bis zum Ende bei Jesus ‚bleiben werden‘, jemals ebenso gewiß sein. Kierkegaard beurteilt diese unüberwindbare Ungewißheit sogar als eine notwendige Bestimmung der Gewißheit des Glaubens: „Wie sich für den Existierenden die höchsten Prinzipien des Denkens nur negativ bestimmen lassen, und sie positiv beweisen zu wollen sofort verrät, daß der Beweisende, sofern er doch wohl ein Existierender ist, im Begriff ist, phantastisch zu werden, so läßt sich auch für einen Existierenden das Existenz-Verhältnis zum absoluten Guten nur durch das Negative bestimmen: das Verhältnis zu einer ewigen Seligkeit durch das Leiden, wie die Gewißheit des Glaubens, die sich zu einer ewigen Seligkeit verhält, durch die Ungewißheit bestimmt wird. Nehme ich die Ungewißheit weg – um eine noch höhere Gewißheit zu erhalten – dann erhalte ich nicht einen in Demut, in Furcht und Zittern Glaubenden, sondern einen ästhetischen Wildfang, einen Teufelskerl, der uneigentlich ausgedrückt mit Gott fraternisieren will, sich aber eigentlich überhaupt nicht zu Gott verhält. Die Ungewißheit ist das Merkmal, und die Gewißheit ohne sie das Kennzeichen dafür, daß man sich nicht zu Gott verhält“ (Nachschrift II, 639 f = SV VII, 639 f; vgl. zur Sache Lévinas, Gott 147 ff). (5) Jesus und die Juden (6,41–59) 41 Da murrten die Juden über ihn, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das aus dem Himmel herabgestiegen ist. 42 Und sie sagten: Ist der denn nicht der Sohn Josephs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann der nun
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Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,39–41
behaupten: Ich bin vom Himmel herabgestiegen? 43 Jesus entgegnete ihnen: Murrt doch nicht untereinander! 44 Es kann ja niemand zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht (zu mir) zieht. Und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage. 45 Es steht doch geschrieben in den Propheten(büchern): Und alle sollen sie von Gott Belehrte sein. Jeder also, der vom Vater hört und lernt, kommt zu mir. 46 Denn den Vater hat keiner je gesehen außer dem Einen, der beim Vater ist, der hat den Vater gesehen. 47 Amen, Amen, ich sage euch: Wer da glaubt, der hat ewiges Leben! 48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter haben das Manna gegessen in der Wüste und sind dennoch gestorben. 50 Dieser (!) ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, damit der, der von ihm ißt, nicht sterbe. 51 Ich bin das lebendige Brot, der ich vom Himmel herabgekommen bin. Wenn einer von diesem Brote ißt, wird er leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, das ist mein Fleisch für das Leben der Welt. 52 Da stritten die Juden miteinander und sagten: Wie kann der uns denn sein Fleisch zu essen geben? 53 Doch Jesus antwortete ihnen: Amen, Amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Sohnes des Menschen eßt und sein Blut trinkt, dann habt ihr kein Leben in euch. 54 Wer aber mein Fleisch verzehrt und mein Blut trinkt, der hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage. 55 Denn mein Fleisch ist die wahre Speise und mein Blut der rechte Trank. 56 Wer mein Fleisch verzehrt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. 57 Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich durch den Vater lebe, so soll auch derjenige, der mich verzehrt, durch mich leben. 58 Dieser, der herabgestiegen ist aus dem Himmel, der ist das Brot ‚des Lebens‘. Und nicht wie die Väter, die gegessen haben und doch gestorben sind, sondern: Wer von diesem Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit. 59 Das sagte Jesus als er in der Synagoge von Kapharnaum lehrte. 41: Auffällig ist, daß in diesem doch in galiläischem Milieu spielenden Text anstelle des µclo", der bisher die Szene beherrschte, als die Subjekte des gogg‚zein nun plötzlich o´ ûIoudaõoi genannt werden. Daß das aber auffallen soll und als ein Signal für die Intertextualität mit dem hier stets gegenwärtigen ‚Prätext‘ der biblischen Manna-Erzählung verstanden sein will, hat Lieu (Temple) allen Versuchen gegenüber, diesen vermeintlichen Anstoß mit den Mitteln der Literarkritik zu beseitigen, überzeugend begründet. Lowe (Who Where the ûIoudaõoi?) sucht zu erweisen, daß alle Vorkommen von o´ ûIoudaõoi bzw. ûIoudaõo" in unserem Evangelium einschließlich der Rede von den ©ortaÑ tùn ûIouda‡wn nicht mit dem religiösen Namen ‚die Juden‘ oder ‚ein Jude‘ (3,25), sondern stets mit der geographischen Bezeichnung ‚die Judäer‘ bzw. ‚ein Judäer‘ zu übersetzen seien. Weil Joh 6 über eine Festreise nach ‚Judäa‘ (Jerusalem) schweige, will er mit der Notiz: én dÇ †ggÜ" tÖ p›sca tùn ûIouda‡wn (6,4), auch die Nennung der ûIoudaõoi in den V. 41.52 einem vermeintlichen ‚Redaktor‘ zuschreiben oder sie auf unzureichend bearbeitete ‚Quellen‘ zurückführen (120 f). Dagegen erklärt von Wahlde, der mit o´ ûIoudaõoi stets die jüdischen Führer bezeichnet sieht: „The Ioudaioi of 6,41.52 are the only ones in the FG to appear outside of Judea. This fact of itself has led scholars to suggest that chap. 6 is the work of a redactor. These Ioudaioi are also the only ones in the gospel to be identified with the common people. All of these features suggest not a distinction between signs source material and Evangelist, but between signs source material and an author whose usage was different from the Evangelist (i. e. a redactor). If this is true, the usage of Ioudaioi here would not
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
be attributed to the original author – and an explanation is provided for the idiosyncratic usage in 6,41.52“ (Jews 44).
Dagegen erklärt Judith Lieu: „Recognition of the scriptural paradigm demands that the Jews who oppose Jesus in this chapter belong to the scriptural context rather than to the narrative context: their ‚murmuring‘ (gogg‚zw) in Vv. 41–3 is determined by the ‚murmuring‘ of the Israelites in the wilderness in Exod 16,2, a murmuring which led to the gift of manna, the leitmotiv of John 6. The seriousness of this is unmistakable. In V. 49 Jesus declares, ‚Your fathers ate manna in the wilderness and they died‘; the reference is not to the death that comes to all mortals but recalls Numbers 14, where God decrees, ‚of all of your number …who have murmured against me, not one shall come into the land … your dead bodies shall fall in this wilderness‘ (Num 14,29 f. 32). Murmuring led not only to manna but also to death“ (Temple 65). Und diese treffende Beobachtung wird sowohl durch den vorausgehenden als auch durch den nachfolgenden Kontext voll bestätigt. Denn zum einen will ja das gesamte sechste Kapitel als die Demonstration dessen verstanden sein, daß „die Schriften von Jesus zeugen“ (5,39) und daß „Mose von ihm geschrieben hat“ (5,46). Und zum anderen muß Jesu Lebensbrot-Rede, weil sie abschließend als sein „Lehren“ bezeichnet und von ihr gesagt wird: taúta eèpen †n sunagwgÔö did›skwn †n Kafarnao‚m (6,59), als pars pro toto und darum als in jeder Hinsicht sorgfältig gestaltetes Beispiel für Jesu öffentliches Lehren †n sunagwgÔö begriffen werden. Johannes hat nicht nur das in den synoptischen Prätexten vielfach genannte öffentliche Auftreten Jesu in Synagogen, sondern auch Jesu synagogales „Lehren“ in dieser einen Erzählung verdichtet. Wenn Jesus dem Hohenpriester – bzw. Hannas als der ‚grauen Eminenz‘ des Hohenpriestertums – auf dessen Frage nach „seinen Jüngern und nach seiner Lehre“ antwortet: †gá parrhs‡a lel›lhka tù k∙smw. †gá p›ntote †d‡daxa †n sunagwgÔö kaÑ †n tù ´erù, Ωpou p›nte" o´ ûIoudaõoi sunfircontai, kaÑ †n kruptù †l›lhsa o§dfin (18,19 f), so verweist das p›ntote †d‡daxa †n sunagwgÔö den impliziten Leser ausdrücklich auf Joh 6 zurück. Lieu macht darauf aufmerksam, daß Jesus bei Johannes – anders als in den Synoptikern, wo er auch ‚unterwegs‘ (Lk 13,22), ‚am See‘ (Mk 4,1), ‚im Boot‘ (Lk 5,3), ‚auf dem Berg‘ (Mt 5,1 ff) ebenso wie ‚in ihren Synagogen‘ (Mt 4,23) und ‚im Tempel‘ (Mt 26,55) „lehrt“ – nie außerhalb von Synagoge oder Tempel „lehrt“. Von einem aktuellen did›skein Jesu ist nur Joh 6,59 (†n sunagwgÔö); 7,14.28; 8,20 (†n tù ´erù) und 18,20 (†n sunagwgÔö kaÑ †n tù ´erù) die Rede; außerdem begegnet did›skein nur noch als Jesu ‚Belehrtsein‘ durch den Vater (8,28), als das verheißene ‚Belehrtwerden‘ durch den Parakleten (14,26) sowie zweimal im Munde seiner Antagonisten 7,35 und 9,34 (vgl. Lieu, Temple 53 f). Wenn V. 59 unsere Szene so resümiert: taúta eèpen †n sunagwgÔö did›skwn †n Kafarnao‚m, so ist nach der Bedeutung des hier – ebenso wie in dem darauf zurückblickenden V. 18,20 – artikellos und im Singular gebrauchten †n sunagwgÔö zu fragen. Weil der Vers höchst überraschend eine Erzählung, die nach 6,25 doch sehr viel einleuchtender als ein Geschehen am Seeufer zu lesen wäre, gleich doppelt lokalisiert, nämlich einmal durch †n sunagwgÔö und zum anderen durch †n Kafarnao‚m, nennt J. Lieu ihn „a bald statement“ und hält es für ‚weniger überraschend‘, daß etwa Loisy (Komm. 244) und Haenchen (Komm. 329) V. 59 dem Evangelisten absprechen und ihn dem Redaktor zuschreiben (Lieu, Temple 64 f). Natürlich ist dieses literarkritische Argument völlig willkürlich und schon im Blick auf 18,20 unhaltbar. Immerhin pro356
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6,41
voziert es aber zu der Frage, ob ‚Synagoge‘ hier überhaupt die – unserem Gebrauch des Lexems ‚Kirche‘ entsprechende – abgeleitete Bezeichnung eines Gebäudes und nicht vielmehr im Sinne des primären Gebrauchs von sunagwgfl der Name der öffentlichen Versammlung der Juden ist. Die könnte dann aber ja sehr wohl auch am Seeufer von Kapharnaum stattgefunden haben, zumal ein Synagogen-Gebäude dem Ansturm der etwa Zehntausend, die Jesus zuvor gesättigt hatte, ja wohl kaum gewachsen gewesen wäre und zugleich das von unserem Autor stets sorgfältig beachtete Verisimile seiner Erzählung gestört hätte. Wahrscheinlicher weist die ausdrückliche Betonung, Jesus habe seine Lehre über das Lebensbrot †n sunagwgÔö vorgetragen, darum doch auf den biblischen Prätext, die Manna-Erählung, wo die Septuaginta sowohl in den V. 1.2.9.10.22 von Ex 16 als auch in Num 14,1.2.5.7.10.27.35 und 36 die dort beschriebene ‚Versammlung ganz Israels‘ (HT: hd[) stets mit sunagwgfl wiedergibt; zur Notwendigkeit, klar zwischen ‚Synagoge‘ als „a social and religious institution“ und ‚Synagoge‘ als „a distinct and discrete architectural entity“ zu unterscheiden, vgl. Meyers (Anchor Bible Dictionary VI, 251–260). Es kommt hinzu, daß wir aus dem Palästina der Zeit des herodianischen Tempels keinerlei verläßliches archäologisches oder inschriftliches Zeugnis über spezifische Gebäude, die eigens zum Zweck gottesdienstlicher Versammlungen (sunagwgfl) der Juden errichtet worden wären, besitzen. Seit A. Deißmann die 1913 in der sogenannten ‚Davidsstadt‘ Jerusalems bei den Ausgrabungen römischer Badeanlagen gefundene ‚Theodotus-Inschrift‘ in seinem ‚Licht vom Osten‘ (1908, 41925) allgemein zugänglich gemacht hat, gilt sie als das älteste Zeugnis für die Existenz spezifischer Synagogen-Gebäude in Judäa. Die Inschrift hat den folgenden Wortlaut: „Theodotus, der Sohn des Vettenus, Priester und Archon der Synagoge, Sohn eines Synagogenvorstehers und Enkel eines Synagogenvorstehers, errichtete die Synagoge für die Lesungen der Tora (ün›gnwsi"), für die Unterweisung (didacfl) in den Geboten, aber auch als Herberge (xenùma) für Fremde, mit Speiseräumen (d„mata) und Waschgelegenheiten (crhsthr‡a tùn ≠d›twn) und Unterkünften (kat›luma) für Gäste aus fremden Ländern (xfinh"). Den Grundstein dieses Bauwerks haben seine Väter, die Presbyter und Simonides gelegt“ (vgl. Kee, Synagogue 484). Weil die Römer nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes und der Vernichtung des Tempels und zumal nach dem erneuten Aufstand unter Bar-Kochba alle Juden aus Jerusalem verbannt und ihnen untersagt hatten, die Stadt auch nur zu betreten, haben Deißmann, Schürer und neuerdings u. a. auch Hüttenmeister und Hengel (Art. Synagoge) die Inschrift in die Zeit vor der Tempelzerstörung im Jahre 70 datiert. Wie die eingehende Untersuchung von Kee (Synagogue) zeigt, jedoch schwerlich zu Recht. Neuere Forschungen haben erwiesen, daß schon unter Antoninus Pius (138–161) und erst recht dann unter den Severern Septimius und Alexander (193–211 und 222–235) die schroffen antijüdischen Edikte Hadrians gelockert und teilweise aufgehoben wurden (vgl. Avi-Yonah, Jews 77 ff; E. M. Smallwood, Jews 469 ff). Kee faßt seine Untersuchungen zu Bedeutung und Datierung der Theodotus-Inschrift so zusammen: „From the mid-second century on, the development in Jerusalem of facilities such as those described in the Theodotus inscription, including a place of study and guest accomodations for pilgrims, is completely plausible. A mid‑ to late third century date for the inscription, looking back on two previous generations of such an operation, is compatible with the historical, linguistic and archeological evidence of the development of the synagogue in the first four centuries which we have surveyed. The Theodotus inscription thus takes its place in the overall scheme of the evolution of the synagogue from voluntary gathering to institutionalized structure and organization, not as proof of the institutional and architectural form of the synagogue in the time of Jesus, but as a process taking place in the pre-Constantinian period“ (Synagogue 499 f).
Wegen dieses Fehlens archäologischer Zeugnisse früher Synagogengebäude zumal in Judäa ist der Umstand, daß Johannes – abgesehen von 6,59 und dem darauf zurückwei357
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senden V. 18,20 – in signifikantem Unterschied zu den Synoptikern von Jesu Auftreten in „Synagogen“ schweigt, schon des öfteren als Zeichen seiner größeren „historischen Zuverlässigkeit“ gedeutet worden. Doch da wir von den Motiven unseres Evangelisten nichts wissen können, ist das schwerlich entscheidbar. Fragen könnte man dagegen, ob nicht auch die Synoptiker, wenn sie von ‚Synagogen‘ reden, eher die örtlichen Versammlungen der Juden, in welchen Häusern diese auch immer stattgefunden haben mögen, als speziell für diese Zusammenkünfte errichtete Gebäude im Blick haben könnten. Es bleibt uns aber noch das Problem der gerade in den Evangelien mehrfach genannten Synagoge von Kapharnaum zu erörtern. Sie ist seit den Tagen der frühen Reisen christlicher Pilger ins ‚Heilige Land‘ hochberühmt. Doch die Ausgrabungen haben mittlerweile gezeigt, daß das prachtvolle Synagogen-Gebäude aus weißem und in der Gegend seltenem Kalkstein, das die Pilger einst als den Ort der Lebensbrot-Rede Jesu verehrten, und dessen rekonstruierte Relikte heutige Palästina-Reisende besichtigen, erst im vierten Jahrhundert errichtet wurde; und zwar über einem älteren Haus, „which may have served as a gathering place for pious Jews from the first century CE onward“ (Kee, Synagogue 495; vgl. A. Schlatter, Evangelist 179 f). 42 nennt Jesu Anspruch: †g„ e¢mi ¨ ±rto" ¨ katabÅ" †k toú o§ranoú, als den Grund für das ‚Murren der Juden‘: „Ist der denn nicht Jesus, der Sohn Josephs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann der denn jetzt behaupten, er sei vom Himmel herabgekommen?“ Wie einst ihre Väter in der Wüste „murrten“, so murren sie jetzt, weil sie das in dem †g„ e¢mi ausgesprochene Geheimnis der göttlichen Gegenwart nicht begreifen können und wollen. Typisch ist, daß sie es nicht wagen, Jesus, der doch in ihrer Mitte ist, offen anzureden und ihn zu fragen. Statt dessen reden sie in dritter Person (oñto") über ihn. Sie betrachten ihn also lediglich als einen ihresgleichen, als ein bloßes ‚Alter Ego‘, das sich zuviel herausnimmt (vgl. zu dieser Un-Beziehung der Dialogpartner G. Philipps 42 ff). Den unbegreiflich Anderen, in dem Gott ihnen näher ist, als sie es sich je selbst sein können, nehmen sie nicht wahr. Daß sie Jesus hier zunächst als den „Sohn Josephs“ identifizieren – während der Name seiner Mutter ebenso wie in Joh 2,1 ff und 19,25 ff ungenannt bleibt –, ist für einen Leser, der die ‚Vorgeschichten‘ Jesu bei Matthäus und Lukas kennt, nicht ohne Ironie. Denn von Matthäus ganz abgesehen heißt es auch bei Lukas im Stammbaum Jesu ausdrücklich, Joseph sei, wie man glaubte (Æ" †nom‡zeto: Lk 3,23), Jesu Vater. Doch ganz abgesehen von diesem möglicherweise ironischen Unterton ist der gesamte Einwand der ûIoudaõoi gegen Jesu himmlischen Ursprung wohl ein intertextuelles Spiel mit Mt 13,54–58 (Mk 6,1–5 / Lk 4,16–30). Bei Markus wie bei Matthäus spielt die Szene in Jesu nicht näher bezeichneter patr‡". Während für Mk offen bleiben muß, ob er bei dieser patr‡" Jesu an Nazaret, wie Lukas ihn interpretiert, oder an Kapharnaum gedacht hat, ist diese patrÑ" a§toú für Matthäus aufgrund von 4,13 f ganz eindeutig Kapharnaum. Wie in unserer Szene von Joh 6 so „lehrt“ Jesus dort in „ihrer Synagoge“. Erstaunt über ‚Weisheit‘ und ‚Gewalt‘ seiner Lehre fragen die Leute sich: „Ist dieser denn nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt seine Mutter nicht Maria und sind seine Brüder Jakobus, Joseph, Simon und Judas sowie alle seine Schwestern denn nicht hier unter uns?“ kaÑ †skandal‡zontai †n a§tù (Mt 13,55–57). Daß bei Johannes aus dem †skandal‡zontai †n a§tù das gogg‚zein der Juden geworden ist, ergibt sich aus dem die johanneische Szene beherrschenden Prätext der biblischen Manna-Erzählung von selbst. Wenig später, nämlich Joh 7,3 ff, sind bei Joh auch die Mt 13,55 genannten leiblichen Brüder Jesu zur Stelle. 358
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
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43 f: Als ob sie es gewagt hätten, ihn zu fragen, hat Jesus ihre stumme Anklage gleichwohl ‚gehört‘ und ‚antwortet‘ ihnen: „So murrt doch nicht untereinander! Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn (zu mir) zieht (©lk‚sÔh a§t∙n: Konj. Aorist), und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“. Unter Berufung auf die Heidelberger Dissertation von R. Bergmeier spricht Hofius (Erwählung 28 f) vom „prädestinatianischen Denken“ des Johannes und erklärt unter diesem Gesichtspunkt zu Bultmanns Auslegung von 6,44 (Komm. 172): „Es widerspricht der Intention des Evangelisten, wenn Bultmann … behauptet, ‚daß es jedem Menschen frei steht, zu den vom Vater Gezogenen zu gehören‘“. Trotz seines relativen Rechtes erscheint uns dieser Einwand jedoch höchst fragwürdig. Wenn man nämlich sieht, daß diese ‚Freiheit‘, zu den vom Vater Gezogenen zu gehören, ihren Grund und ihre Möglichkeit nicht in irgendeiner menschlichen Autonomie, sondern – völlig diesseits jeglicher Autonomie oder Heteronomie – allein in der zugesagten Gnadenwahl Gottes selber hat, dann wäre Bultmann Aussage völlig korrekt. Das relative Recht von Hofius’ Einwand besteht allein darin, daß Bultmann seine eigene Aussage durch seine ‚Existenzmetaphysik‘ und die dadurch bedingte Vorordnung der ‚Verstehbarkeit des Ke‑ rygmas‘ vor dieses selbst sowie zumal durch seine gehäufte und zumindest mißverständliche Rede von der „Glaubensentscheidung“ verdunkelt. Ihr gegenüber ist nämlich mit W. Joest zu fragen, wer denn da eigentlich entscheidet. Denn daß wir glauben können, wird doch als unverdientes Geschenk erfahren, und daß wir ‚im Glauben bleiben‘, verdanken wir allein dem, der sich für unser Leben und damit zugleich für unseren Glauben entschieden hat (Dogmatik II, 675 f). Völlig zu Recht widerspricht Hofius (ebd.) darum dem synergistischen Heilsverständnis Schnackenburgs, der in seinem Exkurs 11 („Selbstentscheidung und ‑verantwortung, Prädestination und Verstockung“) erklärt: „Der Glaube ist für Joh wirklich eine vom Menschen aufzubringende Haltung, das Grunderfordernis für die Heilserlangung, und es besteht für ihn kein Zweifel daran, daß es für jeden Menschen bei gutem Willen möglich ist, an Jesus zu glauben“ (Komm. II, 330 f). Nein, der Glaube ist kein bei gutem Willen leistbares „Grunderfordernis zur Heilserlangung“, sondern als das Werk und die unverdiente Gabe Gottes ist er „der Sieg, der die Welt überwunden hat“ (1Joh 5,4). Darum wiederholt Jesus das hier †n sunagwgÔö Gesagte anschließend nachdrücklich noch einmal auch vor seinen „Jüngern“: diÅ toúto e¥rhka ≠mõn Ωti o§deÑ" d‚natai †ljeõn pr∙" me †Ån mÉ Ôé dedomfinon a§tù †k toú patr∙" (6,65). Erst durch dieses ≠mõn erfährt der Leser, daß die Jünger unter den zunächst µclo" und danach o´ ûIoudaõoi Genannten waren. Kaum zu Recht unterstellen Bergmeier, Hofius u. a. im Anschluß an Calvins Lehre einer praedestinatio gemina auch Johannes den Gedanken eines doppelten Vorherbestimmtseins der einen zum Heil und der anderen zum Verderben. Das alles bedeutet im Blick auf die Wendung: o§deÑ" d‚natai †ljeõn pr∙" me †Ån mÉ ¨ patÉr ¨ pfimya" me ©lk‚sÔh a§t∙n in V. 44, daß Gottes „Ziehen“ kein vorzeitiges und schon gar nicht ein ‚doppeltes‘ Dekret, sondern aktuelles Geschehen ist. Gottes Gnadenwahl „ist so gegenwärtig wie Jesus Christus, in dem sie uns zugesprochen wird, gegenwärtig ist. In dem Wort, das uns Christus zuspricht, kommt Gottes Gnadenwahl je heute auf uns zu“ (Joest, Dogmatik II, 673). Allein dieses Wort vermag uns der tödlichen Herrschaft des ±rcwn toú k∙smou to‚tou zu entreißen, der wir ohne Ausnahme alle unterworfen sind. Und damit dieses Wort in aller Zukunft wirksam werde und bleibe, hat unser Evangelist sich unter dem Pseudonym „des Jüngers, den Jesus liebte“ 359
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
dem ihm aufgetragenen besonderen Weg der Nachfolge (21,20) seines Herrn dadurch „verschrieben“, daß er dieses Evangelium verfaßte, damit sich an allen, die es lesen oder vorgelesen hören, das „Ziehen des Vaters“ ereigne (20,30 f). Und wenn Jesus dann am Ende zu Petrus, der unterwegs ist, ihm ins Martyrium nachzufolgen, über seinen geliebten Jünger sagt: „Wenn ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was geht das dich an?“ (21,22), dann darf man dieses „Bleiben“ wohl auch darauf beziehen, daß er in und mit dem, was er „geschrieben“ hat, bleiben soll, „bis ich komme“ (s. u. z. St.). 45–48: Unser gesamtes Kapitel steht unter dem Zeichen des „Passafestes der Juden“ (V. 4). Und wie sich der µclo" für seine eigene Passa-Erfahrung ausdrücklich auf die „Schrift“ berufen hatte: ≤stin gegrammfinon: ±rton †k toú o§ranoú ≤dwken a§toõ" f›gein (V. 31), so beruft sich nun auch Jesus zum Erweis der Wahrheit seiner bisher gegebenen „Exegese“ jener Schriftstelle seinerseits auf die „Schrift“ als seine Zeugin (vgl. 5,39 f). Die absichtsvolle Korrespondenz jener beiden Schriftzitate ist dadurch hervorgehoben, daß sie beide durch das periphrastische Perfekt der Formel ≤stin gegrammfinon eingeleitet sind. Die „Schrift“ ist also die für beide Parteien – dieses freilich völlig asymmetrischen und einseitigen „Dialogs“ – die verbindliche und sie verbindende Autorität. Zwar nehmen die ûIoudaõoi, anders als zuvor der µclo", Jesu Worte immerhin in den Mund (V. 42), aber sie „kauen“ und „schlucken“ sie nicht. Sie sagen nie „du“ zu ihm, sondern reden nur in dritter Person über ihn als einen oñto" (V. 42.52) und gehen auf seine Fragen überhaupt nicht ein; vgl. Crossan (It is Written 18 f). Das Schriftzitat Jesu ist recht eindeutig Jes 54,13. Im HT lautet die entsprechende Passage: hwhy ydwml ˚ynb lkw. In der LXX dagegen: p›nta" toÜ" u´o‚" sou didaktoÜ" jeoú. Daß der Autor Jesus hier aus der Gottesrede des Jesajabuches zitieren läßt, die Jerusalem und seinen Kindern als didaktoÑ jeoú neues Glück verheißt (Jes 54 f), ist gewiß kein Zufall. Dieses Zitat aus dem unmittelbaren Kontext von Jes 55,1–3.10 f bestätigt vielmehr, daß diese Verse tatsächlich der „Grundtext“ der Rede Jesu sind (vgl. Burkett 133 f). Verwunderlich bleibt gleichwohl, daß hier gerade Jesaja, der einzige Prophet, den Johannes mehrfach mit seinem Namen benennt (1,23; 12,38; 12,40 und 41) und mit dessen gesamtem Buch er sich intim vertraut zeigt (vgl. Young), mit der vagen Formel †n toõ" proffltai" zitiert wird. Das will angesichts dieser prominenten Rolle Jesajas darum schwerlich sagen: ‚Irgendwo in den Propheten steht geschrieben‘, sondern doch wohl eher: ‚Bei mehreren Propheten steht (wenn auch nicht dem Wortlaut, so doch der Sache nach) geschrieben …‘. In diesem Zusammenhang hat Schlatter (Komm. 176) darauf aufmerksam gemacht, daß in den homiletischen Midraschim Tanch. 12,211 und Pesiqta Rab Kah. in den Passa-Homilien Jes 54,13 fest mit Jer 31,33 verbunden ist. Auch wenn diese Texte sehr viel später entstanden sind, könnte unsere Passage ja ein frühes Zeugnis dieser oder ähnlicher Verbindungen sein. In dem Jesajatext wird dem „trostlosen“ und elenden Jerusalem eine herrliche Zukunft verheißen, es soll in ‚Heil‘ (dikaios‚nh) gegründet und alle seine Söhne sollen von Gott Gelehrte sein, und alle seine Kinder in heilvollem Frieden leben. Wie bei Johannes auch sonst, wird mit dem Zitat zugleich dieser gesamte Kontext evoziert (vgl. Reim, Studien 16 ff). Mit der Wendung pô" ¨ üko‚sa" nimmt der folgende Satz das p›nte" des Zitats auf und legt es auf seinen neuen Kontext hin aus, so daß jetzt Jesu Stimme synchron mit derjenigen „der Propheten“ erklingt: „Jeder, der vom Vater gehört und gelernt hat, kommt zu mir“ (zur Synonymität der Wendungen „zu Jesus zu kommen“ und „an ihn zu glauben“ vgl. 5,40; 6,35.37; 7,37). Aber wie sich das „Ziehen“ des Vaters im 360
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,44–48
Erklingen der Stimme des Sohnes und dem seinem Ruf antwortenden Glauben ereignet, so erfüllt sich die prophetische Verheißung vom neuen Glück Jerusalems hier †n sunagwgÔö vor den Ohren der ûIoudaõoi, denn „das Hören (und Lernen) vom Vater und das Hören aus dem Munde Jesu fallen … in eins zusammen, weil Jesus und der Vater Eines sind (10,30)“ (Wilckens, Komm. 104). Daß er der allein bevollmächtigte „Exeget“ des Vaters ist (1,18), das erweist er gerade in diesem sechsten Kapitel. Allein er kann sagen: o§c Ωti tÖn patfira ©„rakfin ti" e¢ mÉ ¨ œn parÅ toú jeoú, oñto" ©„raken tÖn patfira (V. 46). Die Tempora der Verben zeigen, daß es bei diesem „Sehen“ des Vaters nicht um eine quasi ‚vorgeburtliche Erinnerung‘ Jesu an das präkosmisch-mythische Sein des l∙go" geht, der prÖ" tÖn je∙n, ja, der je∙" war (1,1 f). Das Perfekt ©„raken zeigt vielmehr an, daß es der fleischgewordene l∙go", der jüdische Mann Jesus ist, der als einziger den Vater so ‚gesehen‘ hat und sieht, daß er ihm ständig vor Augen steht, weil er, wie das präsentische Partizip ∑n es ausdrückt, ständig parÅ toú jeoú ist. Daß es sich bei diesem „Sehen“ weder um physisches Wahrnehmen mit den Augen noch um mystische Schau handeln kann, wird aus dem †xhgflsato von 1,18 erkennbar. Denn wenn es da hieß: jeÖn o§deÑ" ©„raken p„pote: monogenÉ" jeÖ" ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patrÖ" †keõno" †xhgflsato, so ist ja deutlich, daß †keõno" †xhgflsato nicht nur impliziert, daß dieser Einzige allen anderen gegenüber Gott sehr wohl ‚gesehen und vor Augen hat‘, sondern darüberhinaus, daß er solches ‚Sehen‘ auch den zuvor davon Ausgeschlossenen vermittelt hat. Die Parallelität der Sätze: e¢ †gn„katfi me, kaÑ tÖn patfira mou gn„sesje (14,7) und: ¨ ©„raká" †mÇ ©„raken tÖn patfira (14,9) zeigt, daß gin„skein und ¨r›w hier synonym sind und die Wahrnehmung des Glaubens ausdrücken: „But from all this follows an obvious conclusion. If only Jesus has seen the Father, and only through Him is it subsequently possible for others to see the Father, then the word ‚see‘ must mean the same in each case. That is to say, Jesus’ ability to see the Father must be as much a consequence of the Incarnation as the ability He communicates to others. There can be no reference to the seeing of God by the pre-incarnate Logos“ (Cadman, Open Heaven 95 f). Nachdem nun geklärt ist, welcher Art die bis ins ewige Leben „bleibende Speise“ und ihr Geber sind, heißt es – in Wiederaufnahme des solennen ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn, mit dem Jesus seine Rede in V. 26 eröffnet hatte –: ¨ piste‚wn ≤cei zwÉn a¢„nion. †g„ e¢mi ¨ ±rto" tö" zwö" (V. 47 f). Mit dem Gegensatz zwischen dem Sterben der ‚Väter‘, die das Manna gegessen hatten, und dem ewigen Leben derer, die Jesus als das vom Himmel gekommene ‚lebende Brot‘ (¨ ±rto" ¨ zùn) essen werden, erscheint in den folgenden V. 49–51 ein neuer Gedanke. Doch ehe wir zu deren Auslegung übergehen, wollen wir noch einmal zurückkommen auf Crossans gewichtigen und provozierenden Beitrag, ‚It Is Written‘. Er hat darin die zentrale Bedeutung der beiden Anrufungen der ‚Schrift‘ in den V. 31 und 45 herausgestellt. Beeindruckt von dem gewichtigen Werk J. Derridas, das M. Frank unter dem Titel „Eine fundamental-semiologische Herausforderung der abendländischen Wissenschaft“ besprochen hat (Das Sagbare 427 ff), stellt Crossan zu dem „Geschrie‑ bensein“ auch unseres gesamten Evangeliums (20,30 f; 21,24 f) die folgenden Fragen: „This central and double appeal to Scripture, and thus to script, force us to face what we are carefully avoiding in studying this ‚oral‘ Discourse, namely, the most obvious and therefore invisible fact about the Narrative and Discourse in John 6: it is written. Peter is absolutely correct in saying to Jesus: ‚You have the words of eternal life‘ (6,68b) but 361
6,1–71
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we, the readers, know them only as written, as script, and we know even Peter’s oral confession only as written, as script … Is it of any significance that we read John 6 as script rather than see and hear ‚it‘ happen as event? When John 1:14 says that ‚the Word became flesh‘ and John 6,63 adds that ‚the flesh is of no avail‘, should we conclude that the Word of God became flesh and voice in order finally to become script; ‚the Word became script‘? There, presumably, is the hermeneutical heart: is the Word of God oral or scribal or both, and, if both, are there differences and hierarchies to be maintained within that answer?“ (ebd. 17). U. E. sind das Fragen, die im exegetischen Umgang mit der Bibel noch längst nicht zureichend bedacht sind. Allzu rasch wird seit Platons Tagen (vgl. 7. Brief 341c; 344c u. Phaidr 275) bis hin zu Gadamers „Wahrheit und Methode“ (367 ff) die Schriftlichkeit von Texten zu Unrecht als Indiz für deren Verfallscharakter der „predig und dem mündlich geschrey“ (Luther) gegenüber herausgestellt; vgl. dazu Thyen, Das Johannesevangelium als literarisches Werk. 49–51: Natürlich sind die ‚Väter‘, die in der Wüste ‚das Manna‘ gegessen hatten, nicht etwa deshalb ‚gestorben‘, weil dieses ‚Himmelsbrot‘ eine minderwertige Speise gewesen wäre, sondern darum, weil sie sich mit ihrem ‚Murren‘ aufgelehnt haben gegen den Gott ihrer Väter, der sie aus der ägyptischen Sklaverei gerettet hatte, und gegen Mose, seinen Gesandten. Darum erklärt Jhwh: „Fürwahr, all die Männer, die meine Herrlichkeit und meine Zeichen geschaut, welche ich in Ägypten und in der Wüste gewirkt habe, und die mich dennoch schon zehnmal versucht und nicht auf meine Stimme gehört haben, die sollen das Land, das ich ihren Vätern zugeschworen habe, nicht zu sehen bekommen; keiner von allen, die mich geschmäht haben, soll es je sehen … In dieser Wüste sollen sie enden, und hier sollen sie sterben“ (Num 14,22 f.35; vgl. Jos 5,4 und siehe dazu Malina 104). Nicht vom Sterben als dem natürlichen Ende allen kreatürlichen Lebens spricht also das üpfijanon, sondern vom „Tod als der Sünde Sold“ (Röm 6,23). Das muß dann umgekehrt auch für das kaÑ mÉ üpoj›nÔh des folgenden Satzes gelten: Weil der, der hier †g„ e¢mi sagt und durch die ‚Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt“ diesen ‚Sold‘ ein für alle Mal bezahlt hat, als das ‚Lamm Gottes, das die Sünde der Welt beseitigt‘ (1,29), werden alle, die von diesem ‚Brot essen‘, das heißt, die an ihn glauben, ‚in Ewigkeit leben‘. Daran wird auch ihr kreatürliches Sterben nichts ändern, denn er wird sie daraus ja auferwecken (V. 39.40.44.54). Crossan meint, daß sich die †sc›th ™mfira dieser vierfältigen Verheißung nur auf den letzten Tag des Individuums beziehen lasse, denn „as used in John 6, it does not seem possible that the ‚last day‘ could refer specifically to an cosmic eschaton, else the believer would have to be ‚dead‘ for the period before its advent“ (ebd. 19). Doch da der auferstandene Jesus „der Mensch (ist), dem Gott alle Zeiten sperrangelweit geöffnet hat“ (Marquardt, Christologie II, 287), sollte man nicht versuchen, sie ihm wieder zu verschließen, indem man über „the period before its advent“ spekuliert. Seit er das Tor des Todes durchschritten hat, sind in ihm der letzte Tag eines jeden Individuums und der letzte Tag des Universums synchronisiert. Daß V. 51c zum vorangehenden Kontext gehört und als „Schlüssel zur großen johanneischen Brotrede“ primär auf Jesu erlösendes Sterben zu beziehen ist, hat H. Schürmann (Schlüssel 249 ff) einleuchtend erwiesen. Im Blick auf die Wendung ≠pÇr tö" toú k∙smou zwö" weist Barrett auf den Gebrauch von ≠pfir bei Joh hin: „10,11.15 (≠pÇr tùn prob›twn); 11,50 (≠pÇr toú laoú; vgl. 18,14), 11,51 f (≠pÇr toú ≤jnou"), 15,13 (≠pÇr tùn f‡lwn a§toú), 17,19 (upÇr a§tùn †gá ®gi›zw †maut∙n), vgl. 13,37 f. 362
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,48–52
Diese Stellen zeigen überzeugend, daß hier ein Verweis auf den Tod Jesu beabsichtigt ist – er wird sein Fleisch im Tod geben –, und lassen an Opfer denken … Der Ausdruck ™ toú k∙smou zwfl hat keine Parallele im NT. Der Sinn des ganzen Satzes ist der von 3,15 f: Gott liebte die Welt und gab in Christus die Mittel, durch welche sie ewiges Leben haben sollte. ≠pÇr tö" toú k∙smou zwö" entspricht dem ºna ¨ k∙smo" zÔö; vgl. 11,50: ºna eï" ±njrwpo" üpoj›nÔh ≠pÇr toú laoú kaÑ mÉ Ωlon tÖ ≤jno" üp∙lhtai. (Komm. 308 f)“. – Morris sieht in der Wendung ≠pÇr tö" toú k∙smou zwö" zu Recht ein weiteres Hindernis, die Aussage auf die Eucharistie hin zu deuten: „On Calvary Christ gave Himself ‚for the life of the world‘, but in the sacrament His gift is to the communicants there present, not to the world“ (Komm. 376). Darum muß der gesamte V. 51 einschließlich des Prädikats f›gÔh der Protasis des Bedingungssatzes metaphorisch verstanden werden, das heißt: Wer immer (†›n ti") Jesu Wort hört, der darf es sich nicht zum einen Ohr hinein‑ und zum anderen wieder herausgehen lassen, sondern muß es sich ‚einverleiben‘, so wie Ezechiel die ihm von Gott gereichte Buchrolle ‚aß‘ (Ez 2,8–3,3). Der dem katab›", „pointing to the single act of the incarnation“, entsprechende Aorist f›gÔh bringt die „once-for-all action of receiving Christ“ zum Ausdruck und ist deshalb schwerlich auf das wiederholte Essen der eucharistischen Speise zu beziehen (Morris, Komm. 373 f; vgl. Burkett 135 f). Weil aber V. 51 nicht nur fest mit dem Vorausgehenden verbunden ist, sondern zugleich in vollkommener Kohärenz mit den folgenden Versen 52–58 die Brücke zu ihnen bildet, sind Schürmanns Beobachtungen zugleich ein wesentliches Argument für die vielfach bestrittene literarische Integrität und Einheit der gesamten Lebensbrotrede einschließlich ihres sogenannten ‚eucharistischen‘ Teils. Abgesehen von den Stiluntersuchungen Ruckstuhls (Lit. Einheit; Joh. Language) und Ruckstuhl/Dschulnigg (Stilkritik) haben je auf ihre Weise neuerdings zumal Léon-Dufour (Le mystère 481 ff); L. Morris (Komm. 361 ff); M. Menken (John 6,51c–58); U. Wilckens (Eucharist. Abschnitt; und Komm. z. St.); Borgen (John 6); Dunn (John 6, 329 f); Burkett (The Son of the Man 129 ff); Barrett (Komm. 294 ff); L. Schenke (Komm. 137 ff) sowie Phillips (Hard Saying) und Crossan (It Is Written) derart einleuchtend für die literarische Einheit und semantische Kohärenz des gesamten Kapitels plädiert, daß wir uns ihren Argumenten nicht entziehen können. Weil unser Interpretationsinteresse ohnehin ja nicht einer vermeintlichen Genese, sondern der überlieferten Gestalt unseres Evangeliums gilt, setzen wir mit den genannten Autoren die literarische Integrität von Joh 6 voraus. Das Recht dieser Voraussetzung muß die folgende Auslegung des Kapitels erweisen. 52: „Da stritten die Juden miteinander und sagten: Wie kann der uns denn sein Fleisch zu essen geben?“ Natürlich ist das eines der vielen und für unser Evangelium typischen ‚Mißverständnisse‘ der ûIoudaõoi. Denn zu einem derartigen Akt von Kannibalismus hatte Jesus sie mit V. 51 ja keineswegs aufgefordert. Vielmehr hatte die Identifikation des „Brotes“, das Jesus „geben wird“ (≈n †gá d„sw), mit „seinem Fleisch“ (™ s›rx mou †stin ≠pÇr tö" toú k∙smou zwö", vgl. 1,14!), die ja nicht auf die wiederholte Feier der Eucharistie und deren ‚Mahlelemente‘ Brot und Wein, sondern auf Jesu einmaliges Sterben am Kreuz von Golgatha zum Heil der Welt verwiesen hatte, deutlich gemacht, daß der gesamte vorausgegangene Konditionalsatz: †›n ti" f›gÔh †k to‚tou toú ±rtou zflsei e¢" tÖn a¢ùna, einschließlich seines Prädikats f›gÔh metaphorisch verstanden sein wollte: Das ‚Brot‘, das Jesus als der fleischgewordene l∙go" selbst ist, zu „essen“ heißt also, sich ihn ganz und gar ‚einzuverleiben‘, an ihn, der mit dem Vater 363
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Eines ist, zu glauben und ihn ‚von ganzem Herzen und mit allen Kräften der Seele‘ zu lieben‘ (vgl. Dtn 6,5). So hatte schon das Deuteronomium den biblischen Mannaregen als Kundgabe dessen gedeutet, daß der Mensch nicht vom Brot allein, sondern vielmehr von allem lebt, das aus dem Munde Gottes hervorgeht (Dtn 8,3). Und Jeremia hatte erklärt: „Dein Wort ward meine Speise, da ichs empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und mein Trost“ (Jer 15,16). Im LXX-Text von Ps 118,103 heißt es: Æ" glukfia tù l›rugg‡ mou tÅ l∙gi› sou / ≠pÇr mfili kaÑ khr‡on tù st∙mat‡ mou. Amos hatte verkündet, daß Tage kommen sollten, da Jhwh einen Hunger ins Land schicken werde: o§ limÖn ±rtou o§dÇ d‡yan ædato", üllÅ limÖn toú ükoúsai l∙gon kur‡ou (Am 8,11). Zumal aber das von Burkett (127 ff) erwiesene intertextuelle Spiel des Autors der Lebensbrotrede mit dem Text von Jesaja 55,1–3 u. 10–11 macht ihren metaphorischen Charakter u. E. unüberhörbar. Ob das †m›conto in der Wendung kaÑ †m›conto oên prÖ" üllfllou" o´ ûIoudaõoi dem zuvor in V. 41 gebrauchten †g∙gguzon gegenüber eine absichtsvolle Steigerung darstellt, oder ob wir hier wiederum einen Fall des für den Stil unseres Evangelisten bezeichnenden Spiels mit Synonyma vor uns haben, ist schwer zu entscheiden. Schlatter scheint uns zu viel wissen zu wollen, wenn er dazu erklärt: „Es gab in Kapernaum Anhänger Jesu und andere, die ihm widersprachen. Jetzt aber, als er sein Fleisch das Brot hieß, waren die, die ihn angriffen, seinen Anhängern überlegen“ (Evangelist 178). Jedenfalls aber ist der Umstand, daß m›cesjai bei Joh nur hier erscheint, „kein Indiz für eine andere Hand als die des Evangelisten“, denn bereits „bei der Wüstenwanderung ist … außer vom ‚Murren‘ … auch von einem ‚Streiten‘ des Volkes mit Moses (Ex 17,2; Num 20,3) bzw. gegen den Herrn (Num 20,13) die Rede … Die hebräische Vokabel ist byr, von der LXX an diesen Stellen mit loidoreõsjai wiedergegeben, sonst aber (10mal) mit m›cesjai“ (Schnackenburg, Komm. II, 89).
Barrett gründet seine gesamte Exegese von Joh 6,52–58 und 62 f auf eine höchst fragwürdige textkritische Entscheidung. Er streicht nämlich in V. 52 das Pronomen a§toú als die sekundäre Interpolation eines Abschreibers, der es hier fälschlich eingefügt habe, um den Vers an Jesu vorausgegangenes Wort anzupassen: ‚Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch (™ s›rx mou) für das Leben der Welt‘ (V. 51). Doch damit habe er den gesamten Text um seine Pointe gebracht. Denn ursprünglich hätten die Juden nicht über die Frage gestritten, wie Jesus ihnen denn sein Fleisch (tÉn s›rka a§toú) zu essen geben wolle, sondern sich gefragt: ‚Wie will der uns denn Fleisch zu essen geben?‘ Das ist aber unsinnig. Denn zwar fehlt das a§toú in einer Reihe gewichtiger Handschriften wie a C D L f 1.13, doch ist es durch P66 B T lat syr gut und früh bezeugt. Ja, auch ganz abgesehen von der Näherbestimmung des Fleisches durch a§toú weist ja bereits der Artikel tÉn (s›rka) auf ™ s›rx mou in V. 51 zurück. Daß es darum um Jesu Fleisch geht, haben die Juden also durchaus richtig verstanden. Ihr Mißverständnis beruht darauf, daß sie den metaphorischen Sinn des ‚Essens‘ nicht begreifen. Zudem wäre ihre vermeintliche Frage: ‚Wie kann der uns Fleisch zu essen geben‘? ja auch wenig sinnvoll. Denn warum sollte der, der gerade die Fünftausend mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen gesättigt hatte, ihnen nicht in Analogie zum Wachtel-Wunder der Wüstenzeit auch Fleisch zu essen geben können? Barrett greift zu dieser unmöglichen Konstruktion, weil er hofft, mit ihrer Hilfe zugleich das Rätsel der Verse 62 f lösen zu können, wonach das ‚Fleisch nichts nützt, sondern allein der Geist lebendig macht‘: „Es ist so, daß V. 63 den Fehler korrigiert, den, wie wir sahen, die Juden in V. 52 machten. Das Fleisch als Substanz könnte ja höchstens ein zeitliches Gut darstellen: die Väter aßen Fleisch in der Wüste, und es erhielt ihr Leben für eine Weile, aber schließlich 364
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6,52–53
starben sie doch (V. 49). Das Fleisch des Menschensohnes allein, das Gefäß des Geistes und das Sprachrohr des Wortes, erhält Leben und erhält dazu in sich das Versprechen der Auferstehung am Jüngsten Tage“ (Komm. 348 f; s. u. zu 6,62 f). 53–55: Mit dem emphatischen doppelten ‚Amen‘ reagiert Jesus auf den „Streit“ der Juden und auf ihre absurde Unterstellung, er wolle ihnen buchstäblich sein Fleisch zu essen geben: „Amen, Amen ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Sohnes des Menschen eßt und sein Blut trinkt, dann habt ihr kein Leben, in euch. Nur wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage. Denn mein Fleisch ist die ‚wahre‘ (nämlich die bleibende und unverderbliche) Speise und mein Blut ist der ‚wahre‘ (nämlich allen Durst auf immer löschende) Trank“ (vgl. 6,35). Vordergründig erweckt diese drastische Redeweise den Anschein, als hätten die Juden Jesus gar nicht mißverstanden und als wolle er ihnen tatsächlich und buchstäblich sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken geben. Aber dieser Anschein ist ein trügerischer Schein. Denn die in unserer Passage geradezu rhapsodisch wiederholte Forderung, „das Fleisch des Menschensohnes (oder ‚mein Fleisch‘) zu essen und sein Blut (oder ‚mein Blut‘) zu trinken“, offenbart gerade die Absurdität jenes wörtlichen Verständnisses. Unser Evangelist zeichnet Jesus durchgehend als einen gerechten und toratreuen Juden. Darum gibt es auch nicht den geringsten Grund dafür, daß der jetzt völlig unvermittelt nicht mehr metaphorisch vom ‚Essen des Fleisches und Trinken des Blutes des Menschensohnes‘ als Ausdruck des Glaubens reden, sondern ausgerechnet von seinen jüdischen Antagonisten fordern sollte, ganz buchstäblich sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken. Kein denkbarer Jude könnte das je anders als metaphorisch verstehen. Denn wie schon der bloße Gedanke einer Anthropophagie für die gesamte zivilisierte Welt des Hellenismus einschließlich des Judentums ein unvorstellbarer Greuel ist, so ist zumal für die Juden jegliche Art von Blutgenuß eine unvergebbare Sünde vor Gott (vgl. Gen 9,4; Lev 3,17; 7,26; Jub 6,12 ff; Act 15,20.29; 21,25; und Morris, Komm. 377 f). Zu solchem Frevel wird kein Jude einen anderen jemals auffordern. Diese Unmöglichkeit eines wörtlichen Verständnisses ist wohl auch der Grund dafür, daß zahlreiche Ausleger von V. 51 an das ‚Essen‘ und ‚Trinken‘ nicht mehr als metaphorische Rede für die Verinnerlichung durch den Glauben begreifen, sondern die Rede vom Essen und Trinken von jetzt an vielmehr wörtlich nehmen, um nun umgekehrt gerade ‚Fleisch‘ und ‚Blut‘ zu Allegoremen für die eucharistischen Mahlelemente ‚Brot‘ und ‚Wein‘ zu erklären. Dazu sehen sie sich legitimiert durch das schon lange beobachtete Spiel mit eucharistischer Metaphorik, das unsere Passage offenkundig prägt. Doch zu dieser Umkehrung fragt Dunn ganz treffend: „But why should the ‚eating‘ be interpreted literally when the ‚bread‘ is not?“ (John 6, 333). Dennoch sieht etwa Brown in Joh 6,51–58 eine „eucharistische Dublette“ der vorausgegangenen Lebensbrotrede. Freilich soll nicht ein Redaktor, sondern der Evangelist selbst diese ‚Homilie über das Lebensbrot als eucharistische Speise‘, die er bei früherer Gelegenheit einmal gehalten haben soll, hier eingefügt haben (Komm. I, 285 ff). Aber ganz abgesehen von Browns fragwürdigem Umgang mit V. 63 (s. u. z. St.) erscheint uns das schon darum unmöglich, weil doch keiner der Zuhörer auf der Bühne der erzählten Welt angesichts des bis hierher erreichten Standes der Erzählung in der Lage wäre, das zu begreifen. Nicht einmal die anwesenden Jünger, geschweige denn der galiläische µclo" und die ûIoudaõoi könnten das verstehen. Und nirgendwo zerstört unser Evangelist das Verisimile 365
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seiner Erzählung durch derart plumpe Anachronismen (vgl. dagegen nur 2,22). Solche Verbindungen zur Feier der Eucharistie mag allenfalls der damit vertraute implizite (christliche!) Leser assoziieren: „Il est possible que, au second temps de lecture, le narrateur stigmatise l’incomprehension des milieux juifs à l’égard de l’eucharistie pratiquée par le chrétiens“ (Léon-Dufour, Komm. II, 163; vgl. Ders., Le mystère 481 ff). Aber diese zweite und weithin vorherrschend gewordene Lektüre des christlichen Lesers ist keinesfalls das Thema von Joh 6,51–58, zumal eine Rede Jesu über die Eucharistie und ihre Heilsbedeutung in unserem sechsten Kapitel ja nicht nur am falschen Ort und zur Unzeit, sondern vor allem vor einem falschen Auditorium laut würde. Hier liefert das Abendmahl vielmehr nur „das Bildmaterial für die Wahrheit, um die es sich handelt“ (Strathmann, Komm. 121, dessen glänzende Auslegung von Joh 6 hat in den ihm folgenden Kommentaren leider kaum auch nur Spuren hinterlassen). Als Kenner der synoptischen Evangelien und der urchristlichen Tradition weiß Johannes natürlich ebenso gut wie seine Leser, daß Jesus das Herrenmahl „in der Nacht, da er verraten ward“ im engsten Kreis der Zwölf eingesetzt und es dann durch sein Sterben am Kreuz in Kraft gesetzt hat. Wohl hat Johannes – aus Gründen, nach denen unten z. St. noch zu fragen sein wird – dem letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern statt durch die Einsetzung der Eucharistie dadurch sein besonderes Gepräge gegeben, daß Jesus als Symbol seiner Hingabe für die Seinen und als Reinigungsritus für deren Einzug in die himmlischen Wohnungen seinen Jüngern die Füße wäscht. Doch die Mahlsituation dieser Szene und die Ankündigung des Verrates durch ‚einen der Zwölf ‘ und die allein dem geliebten Jünger offenbarte Kennzeichnung des Judas als dieses Verräters dadurch, daß Jesus ihm den eingetauchten Bissen darreicht: b›ya" oên tÖ ywm‡on lamb›nei kaÑ d‡dwsin ûIo‚da S‡mwno" ûIskari„tou ktl. (13,26), ist fraglos ein absichtsvolles Spiel mit der synoptischen Abendmahlsszene. Im Sinne der von Léon-Dufour „au second temps“ genannten Lektüre könnte man auch in Joh 6,51–58 ein derartiges Spiel entdecken, so daß gerade dadurch in Joh 13 der Platz für die Fußwaschungsszene frei geworden wäre. Ohne das so zu benennen, hat Calvin diese Art von Intertextualität im Blick, wenn er zu V. 54 erklärt: „Und es wäre gewiß töricht und zur Unzeit geschehen, jetzt schon vom Abendmahl zu sprechen, das er noch gar nicht eingesetzt hatte. Deshalb spricht er hier sicher von der dauernden ‚Speise des Glaubens‘. Zugleich aber gebe ich zu, daß alles Gesagte für die Gläubigen tatsächlich auch auf das Abendmahl vorausdeutet und zutrifft: Christus wollte das heilige Mahl gleichsam als Besiegelung dieser Lehre. Deshalb wird bei Johannes das Abendmahl nicht erwähnt“ (Komm. 171). Vor allem aber verdeckt die weithin üblich gewordene und gewissermaßen zur Alleinherrschaft gelangte eucharistische Interpretation unserer Passage, daß es primär das Skandalon des Kreuzes ist, das hier zur Sprache kommt (vgl. Strathmann, Komm. 121), und daß der Abschnitt 6,51–58 darum sachlich eher eine Analogie zu den Leidensweissa‑ gungen der Synoptiker als zu deren ‚Einsetzungsberichten‘ ist (vgl. K. Barth, Erklärung 308 ff). Denn wie der Ausdruck doúnai tÉn s›rka in V. 51 den Tod Jesu zur Sprache brachte, so kann auch die Wendung p‡nein tÖ aïma „hardly fail to suggest shed blood, and therefore violent death. In such veiled terms the evangelist suggests that it is through death that Christ becomes bread of life to the world“ (Dodd, Interpretation 339, der ebd. Wettstein zitiert: „Ubi sanguinis a carne separati fit mentio, violenta morte mortuus intelligitur“; vgl. Morris, Komm. 376 ff). Das sieht auch Schlatter so, wenn er zu dem Satz: „Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns eßt und sein 366
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,53–55
Blut trinkt, dann habt ihr kein Leben in euch“, erklärt: „Weil er der Menschensohn ist, hat er Fleisch, und deshalb ist Sterben die Weise, wie er zum Geber des Lebens wird. … Damit war der Blick der Galiläer auf seinen Tod gerichtet; Blut kann man nur trinken, nachdem es ausgeschüttet ist. … Diese Formeln, die zunächst den die völlige Vernichtung verlangenden Willen beschreiben, werden aber von Jesus in eine Verheißung verwandelt. Daß der Wille, der ihn vernichten will, geschieht, ist das Heil der Welt“ (Evangelist 178). Und das von ganzem Herzen zu glauben, das heißt hier in der kühnen Metapher: sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken. Und wenn Jesus sich nach V. 27 jetzt in V. 53 zum zweiten Mal in unserer Rede mit dem geheimnisvollen Namen „der Sohn des Menschen“ bezeichnet, so ist diese Selbstprädikation, die in V. 62 endlich noch ein drittes Mal erscheint, weit mehr als nur eine Klammer, die das gesamte Kapitel zusammenhält und ihm Kohärenz verleiht. Denn daß das Prädikat ¨ u´Ö" toú ünjr„pou vor dem Hintergrund von Jes 55 schon in V. 27 als Kryptogramm für Jesus als den fleischgewordenen l∙go" verstanden sein wollte, hatten wir oben z. St. im Anschluß an Burketts Untersuchung ja bereits gesehen und damit Lausbergs Beobachtung bestätigt gefunden, daß Jesaja 55,10 f tatsächlich das Band ist, das den Prolog fest mit dem narrativen Corpus des Evangeliums verknüpft. Zugleich klärt sich von diesem intertextuellen Spiel her – wenigstens ein Stück weit – auch das viel verhandelte Rätsel, warum das allererste Prädikat Jesu als des göttlichen l∙go", das den gesamten Prolog bestimmt und darum für unseren Evangelisten wohl die signifikanteste Bestimmung Jesu ist, nach 1,14 nicht mehr erscheint. Zwar wurde der l∙go" mit dem Satz: kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto, gewissermaßen ‚verabschiedet‘. Doch wenn dafür in Joh 6 nun das gewichtige Lexem s›rx aus diesem Schlüsselsatz gehäuft wieder‑ aufgenommen wird, so ist das eine glänzende Bestätigung für Burketts Interpretation des Menschensohn-Prädikats und für seine These: „Jesus does in fact speak as the Word of God outside the prologue, in John 6, but in so doing designates himself ‚the Son of the Man‘. The latter title thus takes over the characteristics appropriate to the former. In the Prologue then, the Evangelist simply makes explicit what is implicit elsewhere in the Gospel“ (134). Wie die meisten der älteren griechischen und lateinischen Väter, nämlich etwa Clemens Alexandrinus und Origenes sowie Ammonius Sakkas, Apollinaris von Laodicea, Theodor von Heraclea, Didymus der Blinde (vgl. dazu die Passagen aus den ‚JohannesKommentare[n] aus der griechischen Kirche‘ bei Reuss 13; 74 f; 180 f; 252), aber auch Euseb und Augustin, so haben mit Luther und Calvin auch die meisten Reformatoren Joh 6 ohne jegliche Beziehung auf die Eucharistie als christologische Rede und das ‚Essen des Fleisches‘ und ‚Trinken des Blutes‘ dementsprechend als Metaphern für die Aneignung des gekreuzigten Jesus durch den Glauben verstanden. Von den neueren Exegeten folgen dieser Tradition u. a. McClymont (St. John z. St.), Schlatter (Evangelist 177 ff; Erläuterungen zum JohEv 82 ff), Bornhäuser (40 ff), K. Barth (Erklärung 298 ff), Odeberg (235 ff), Strachan (Komm. z. St.), Morris (Komm. 373 ff), Dunn (John 6), Burkett (129 ff). Aus den bereits genannten Gründen, vor allem aber, weil uns der Gedanke, Johannes habe Jesus im galiläischen Kapharnaum ein jüdisches Auditorium über die Feier der christlichen Eucharistie, über deren Heilsnotwendigkeit und Leben verleihende Wirkung „belehren lassen“ (did›skwn: 6,59), geradezu absurd erscheint, sehen wir mit den hier genannten Autoren keine andere Möglichkeit als die, die gesamte Lebensbrotrede (6,26–59) innerhalb der erzählten Welt des Evangeliums als 367
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
metaphorische Rede über die ‚manducatio perpetua fidei‘ (Calvin) zu begreifen. Während die V. 26–50 das erzählte Auditorium dazu aufrufen, an den zu glauben, den Gott als Lebensbrot vom Himmel gesandt hat, steigern die V. 51–59 das Paradox und machen deutlich, daß es mit dem bloßen Glauben an seine Sendung nicht getan ist, sondern daß es gilt, sich den „einzuverleiben“, der ‚sein Fleisch hingegeben und sein Blut vergossen hat für das Leben der Welt‘, damit so aller Hunger ein für alle Mal gestillt und aller Durst auf ewig gelöscht werde (6,35). Das zur Sprache zu bringen, ist der jenseits des lexikalisch Erfaßten liegende, im biblischen Sprechen aber gleichwohl bereits erprobte metaphorische Gebrauch der Lexeme f›gein bzw. tr„gein und p‡nein wohl am vorzüglichsten geeignet. Wenn wir damit entschieden für ein metaphorisches Verständnis der gesamten Lebensbrotrede einschließlich des so nachdrücklich und drastisch betonten „Essens des Fleisches“ und Trinken des Blutes Jesu“ plädieren und einen Satz wie: aæth dfi †stin ™ a¢„nio" zwÉ ºna gin„skwsin sÇ tÖn m∙non ülhqinÖn jeÖn kaÑ ≈n üpfisteila" ûIhsoún Crist∙n (17,3), als ihre Summa begreifen, so soll und kann damit freilich keineswegs geleugnet werden, daß da gleichwohl eine Beziehung zum Sakrament der Eucharistie besteht. Denn da, wo „einmal das Bild vom Essen des Brotes für die gläubige Aneignung gewählt war, bot sich ganz natürlich der Anschauungskreis des Abendmahls dar, diesen Glauben als Glauben an den Gekreuzigten zu veranschaulichen“ (Strathmann, Komm. 121). Dennoch aber bezweifeln wir mit den zuvor genannten Autoren, daß diese Beziehung zum Abendmahl die primäre Bedeutung von Joh 6,51c–58 ist: „But I very strongly doubt whether this is the primary meaning. It seems much better to think of the words as meaning first of all the appropriation of Christ“ (Morris, Komm. 377). Statt diese Passage, wie weithin üblich, einfach die „eucharistische Rede“ zu nennen und damit all ihren Mißverständnissen Tor und Tür zu öffnen, muß vielmehr zunächst die Art ihrer Beziehung zum Sakrament der Kirche möglichst präzise bestimmt werden. Was hier zu sagen ist, faßt K. Barth u. E. schlüssig so zusammen: „Also kein Bericht über die Einsetzung des Abendmahls und überhaupt keine Lehre vom Abendmahl soll hier geboten werden, sondern ein Äquivalent für beides, eine Darstellung des Gottesmysteriums, der ‚manducatio perpetua fidei‘ (Calvin), d. h. des Essens und Trinkens, der Speisung, von der der Glaube lebt, sofern er überhaupt lebt: der Ernährung durch den dahingegebenen Christus, durch die Kreuzigung seines Fleisches, durch das Vergießen seines Blutes (wir sahen ja, daß dies die von V. 51 an sichtbare Spitze des Satzes ‚Ich bin das Brot des Lebens ist‘)“ (Erklärung 313 f). Doch wegen des Anklangs des Satzes: kaÑ ¨ ±rto" ≈n †gá d„sw ™ s›rx mo‚ †stin ≠pÇr tö" toú k∙smou zwö" (V. 51c) an die aus den Synoptikern und Paulus bekannten Einsetzungsworte des Abendmahls, wegen der überraschenden Identifikation des „Brotes“, das Jesus geben werde, mit seinem „Fleisch“ und wegen der an die Mahlelemente ‚Brot‘ und ‚Wein‘ erinnernden Unterscheidung zwischen dem „Essen des Fleisches“ und dem „Trinken des Blutes Jesu“ in V. 52 ff wiederholen und variieren seit Anfang des 20. Jahrhunderts die meisten neueren Ausleger ständig Heitmüllers Versicherung, daß in Joh 6,51c-58 „von dem Essen und Trinken des Fleisches und Blutes Christi im heiligen Mahl der Eucharistie die Rede“ sei, unterliege „keinem Zweifel“ (Komm. 103). In diesem Sinne sieht Brown auch nicht „the slightest evidence“ dafür „that the living bread in 51–58 refers to anything other than the Eucharist“ (Komm. I, 286). Ganz ähnlich lauten die Urteile von MacGregor (Komm. z. St.), 368
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,55–57
Hirsch (Studien 63 ff), Bultmann (Komm. 174 ff), Köster (Geschichte 62), Richter (Studien 88 ff), Bornkamm (Eucharist. Rede; Vorjoh. Tradition), Becker (Komm. I, 263 ff), Schulz (Komm. 101 f), Schweizer (Joh. Zeugnis), L. Schenke (Komm. 138), Wilckens (Komm. 106 ff), W. Wilkens (Abendmahlszeugnis), Wikenhauser (Komm. 128 ff), Schnelle (Antidoketist. Christologie 222 ff) und vielen anderen. Sie alle sehen in V. 51c – oder wie Richter und Bornkamm bereits in V. 48 ff – einen völligen Bruch in der Argumentation. Während Jesus in dem Abschnitt 6,26–47 nämlich sich selbst als das vom Himmel gekommene Lebensbrot und als die ‚wahre‘, d. h. ‚unverderbliche‘ (V. 27) und lebenstiftende Speise bezeichnet und dann mit seinem solennen doppelten Amen den Glauben zur rechten Weise erklärt habe, diese Speise zu ‚essen‘: ¨ piste‚wn ≤cei zwÉn a¢„nion (V. 47), sei von V. 51c an (bzw. nach Richter und Bornkamm schon von V. 48 an) nicht mehr metaphorisch, sondern wörtlich von Essen und Trinken die Rede, und damit seien an die Stelle der Person Jesu unvermittelt die eucharistischen Elemente Brot und Wein als sein Fleisch und sein Blut getreten. Da aber bereits in den V. 49–51 von der Notwendigkeit die Rede ist, Jesus als das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu „essen“, erscheint uns der Vorschlag von Richter und Bornkamm, die sogenannte „eucharistische Rede“ mit V. 48 (als Wiederaufnahme von V. 35) beginnen zu lassen, insofern konsequenter, als alle Autoren, die den Bruch zwischen metaphorischer und wörtlicher Rede in V. 51c sehen, ja genötigt sind, zum einen das „Essen“ in den V. 49–51 metaphorisch zu verstehen, und zum anderen zu begründen, warum das von V. 51c an plötzlich nicht mehr gelten soll. Dagegen hatte aber schon Swete geltend gemacht: „as the food is spiritual, so must also be the eating“ (Holy Spirit 141; vgl. Howard, Komm. 572 ff). 56 f: Während die erste Hälfte von V. 56 eine wörtliche Wiederaufnahme des bereits in V. 54 Gesagten ist, erscheint als neue Information und als die Konsequenz dieses ‚Essens und Trinkens von Fleisch und Blut Jesu als des Menschensohnes‘ nun erstmals die spezifisch johanneische, fast formelhafte Rede von der wechselseitigen und bleibenden Immanenz des Glaubenden in Jesus und Jesu im Glaubenden: †n emoÑ mfinei kügá †n a§tù. Da diese reziproke Immanenzformel, die uns in 14,20; 15,4–7; 17,23.26 sowie 1Joh 3,6.24 wieder begegnen wird (vgl. dazu Borig, Weinstock 215 ff), hier exakt an die Stelle der Wendung: ≤cei zwÉn a¢„nion, von V. 54 getreten ist, sind das ‚wechselseitige In-Sein‘ und das ‚Haben des ewigen Lebens‘ nahezu synonym. Auch wenn die Rede von der wechselseitigen Immanenz und zumal die Verdoppelung des ‚Essens des Fleisches‘ durch das ‚Trinken des Blutes‘ den impliziten (christlichen) Leser an die Praxis der Eucharistie erinnern mag, ist die Immanenzformel bei Johannes keineswegs typisch für die Rede vom Herrenmahl. Sie hat ihren Grund vielmehr in der wechselseitigen Immanenz des Vaters im Sohn und des Sohnes im Vater (10,38; 14,10 f; 17,21). Und wenn Jesus im folgenden V. 57 erklärt: kajá" üpfisteilfin me ¨ zùn patÉr kügá zù diÅ tÖn patfira, kaÑ ¨ tr„gwn me kükeõno" zflsei diû †mfi, so heißt das im Licht der eben genannten Passagen, daß er dem ¨ tr„gwn me nichts Geringeres als die Partizipation an seinem „Einssein“ mit dem Vater verheißt (Cadman 88). Wenn V. 56 die Folge dieser gläubigen ‚Einverleibung‘ des Gekreuzigten durch die Worte: ¨ tr„gwn ... †n emoÑ mfinei kügá †n a§tù, ausdrückt, so liegt darin, daß anstelle der finiten Konjunktive des Aorist f›ghte und p‡hte in V. 53 in V. 54 u. 56 jetzt die präsentischen Partizipien tr„gwn und p‡nwn stehen, jedenfalls primär kein Hinweis auf das wiederholte Essen der eucharistischen Elemente Brot und Wein. Vielmehr findet 369
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
darin vor dem Hintergrund von Jes 55 die manducatio perpetua fidei ihren angemessenen Ausdruck. Und wenn hier anstelle des Partizips von †sj‡ein, dem klassischen Präsens des Aorist ≤fagon, das Partizip tr„gwn erscheint, so dient dieser Wechsel schwerlich dazu, den Realismus des Essens als „Kauen mit den Zähnen“ zu akzentuieren, und erst recht ist darin keine antidoketistische Intention zu erkennen, wie das u. a. Cullmann (Urchristentum 96), Bultmann (Komm. 176), Bornkamm (Eucharist. Rede 61), Wilkens (Abendmahlszeugnis 358, Anm. 21 u. 370, Anm. 55) und Schnelle (Antidoketische Christologie 224) dem Lexem tr„gw entnehmen wollen. Doch mit dem vielbeschworenen Antidoketismus (Schnelle pass.) oder mit einer Auseinandersetzung mit „gnostischen Doketen“ (Wilkens) hat das gesamte Corpus Iohanneum einschließlich der Johannesbriefe nichts zu tun; vgl. Thyen, Art. Johannesbriefe und Minear, Idea of Incarnation. Vielmehr hat im zeitgenössischen Griechisch tr„gw als Präsens des Aorist ≤fagon das klassische †sj‡w längst ersetzt, wie denn †sj‡w im Corpus Io‑ hanneum auch nicht erscheint (vgl. 13,18 und Mt 24,38 und siehe dazu Sanders & Mastin, Komm. 194, n. 11; Schnackenburg, Komm. I, 92 sowie Wilckens, Eucharist. Abschnitt 238 f; Dunn, John 6, 334; u. Borgen, Bread 93). Unter einem ganz anderen Gesichtspunkt erhebt Odeberg gewichtige Einwände gegen die primär eucharistische Auslegung von Joh 6 oder Teilen des Kapitels: „The transition to the conception of the consumption of the flesh and blood of the Son of Man is quite natural. Since the Son of Man is the Celestial Bread, He himself must really be ‚eaten‘ – nota bene: in the world of the spirit –, i. e. He must enter into and be assimilated with the spiritual organism of the believer; it is quite in keeping with the strong realistic emphasis of the discourse on the birth from above, if this eating of the spiritual bread is put realistically as eating the flesh and drinking the blood of the Son of Man, i. e. in order to impress strongly that the acquisition of the heavenly bread, the ‚imperishable food‘, was no mere allegory. But with this understanding of the meaning of the discourse it is obvious, that no part of the discourse, – still less the whole of it – can primarily refer to the sacrament of the Eucharist. In fact, one who understands the words of the eating and drinking of the flesh and blood to refer to the bread and wine of the Eucharist takes exactly the mistaken view of which Nicodemus in ch 3 and the ‚Jews‘ here are made the exponents, viz. that J’s realistic expressions refer to objects of the terrestrial world instead of to objects of the celestial world“ (239). Odebergs Unterscheidung einer „terrestrial“ von einer „celestial world“ erscheint uns hilfreich und notwendig. Aber gegen das Gefälle seiner Auslegung darf diese Un‑ terscheidung nicht zu einer Trennung dieser beiden ‚Welten‘ voneinander und zu einer totalen Dualisierung unseres Evangeliums führen. Immer gilt es, im Auge zu behalten, daß Johannes den l∙go" als denjenigen preist, ohne den auch nicht ein einziges Ding der geschaffenen Welt geworden ist (1,1 ff), und daß Gott seinen ‚einzigen Sohn‘ gesandt hat, daß der k∙smo" (!) durch ihn gerettet werde (3,17): „The importance assigned by the Evangelist in this very chapter to the work of Moses, to the history underlying the concrete existence of the Galilean crowd, to the bread and fish that had been given to them, to the actions of Jesus as well as to his words, to His death, and to the flesh and blood, not of the Son of God, but of the Son of man (V. 53); his general insistence in the Prologue to his gospel upon the creation of the world by the word of God (1,3) … and upon the flesh of Jesus as the ground and occasion and place of Christian, apostolic apprehension of truth and the glory of God (1,14) – all 370
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,57–62
this, and indeed much more, makes it quite impossible to suppose that at the conclusion of the discourse he should have denied everything he had said and fallen back upon an almost intolerable ultimate dualism and into a quite intolerable pessimism concerning the world in which men live and move and have their being“. Zugleich gilt aber: „The visible world, including the flesh of Jesus the Son of man, including also his audible words, is trivial and unimportant, if it is regarded as existing by and in itself and if its goal and purpose is attained by what it makes or shall make of itself (6,18 f. 30 f)“ (Hoskyns, Komm. 284 f). 58 f: nimmt das von der ‚Menge‘ ins Spiel gebrachte Mannathema (5,30 ff) wieder auf und markiert damit die Kohärenz der gesamten Lebensbrotrede Jesu nachdrücklich: oñt∙" †stin ¨ ±rto" ¨ †x o§ranoú katab›", o§ kajá" ≤fagon o´ patfire" kaÑ üpfijanon: ¨ tr„gwn toúton tÖn ±rton zflsei e¢" tÖn a¢ùna. Abschließend definiert der V. 59 Jesu Rede als sein †n sunagwgÔö did›skein (s. o. zu V. 41f) und lokalisiert sie †n Kafarnao‚m. (6) Jesus und ‚viele seiner Jünger‘, die seine Rede gehört hatten (6,60–66) 60
Viele seiner Jünger aber, die das gehört hatten, erklärten: Das ist eine harte Rede. Wer kann die hören? 61 Jesus aber, der von selbst wußte, daß seine Jünger darüber murrten, sagte zu ihnen: Das ist euch ein Ärgernis? 62 Was aber, wenn ihr nun den Sohn des Menschen dahin auffahren sehen werdet, wo er zuvor war? 63 Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt gar nichts. Die Worte, die ich geredet habe, die sind Geist und sind Leben. 64 Aber unter euch sind einige, die nicht glauben. – Jesus wußte ja von Anfang an, wer die sind, die nicht glauben, und wer der ist, der ihn ausliefern wird. – 65 Und er erklärte: Deswegen habe ich euch ja gesagt, daß niemand zu mir kommen kann, wenn ihm das nicht vom Vater gegeben ist. 66 Von da an wandten sich viele seiner Jünger von ihm ab, gingen weg und wandelten fortan nicht mehr mit ihm. 60–62: Jesus ist mit „vielen seiner Jünger“, die seine ‚Lehre‘ gehört hatten, allein. Wie zuvor die ûIoudaõoi, so reden nun auch diese Jünger nicht offen mit und zu ihm, sondern hinter vorgehaltener Hand über ihn: Sie sind sich einig, daß seine eben beendete Rede unzumutbar ist: sklhr∙" †stin ¨ l∙go" oñto": t‡" d‚natai a§toú üko‚ein; Das im NT mit nur fünf Vorkommen seltene Adjektiv sklhr∙" (‚hart‘) begegnet im gesamten Corpus Iohanneum nur hier. Unser ‚allwissender Erzähler‘ läßt Jesus als den göttlichen ‚Erforscher der Herzen‘ diesen unausgesprochenen Vorwurf seiner Jünger ebenso beurteilen wie zuvor das Verhalten der ûIoudaõoi, nämlich als ihr gogg‚zein (V. 61; vgl. V. 41). Und wenn Jesus sie dann explizit fragt: toúto ≠mô" skandal‡zei; wird erkennbar, daß er in der Tat um ihren Unglauben weiß (V. 64), weil sie seinem lebendigmachenden l∙go" (V. 63) unterstellen, was doch als sklhrokard‡a allein ihre eigenen verhärteten Herzen betrifft (vgl. Calvin, Komm. 174). ‚Skandal‘ ist diesen ‚Jüngern‘ nicht, wie zuvor den ‚Juden‘, Jesu Behauptung seiner himmlischen Herkunft, sondern – paulinisch gesagt – das sk›ndalon toú stauroú. „Unerhört“ in der ganzen Zweideutigkeit dieses Wortes (t‡" d‚natai a§toú üko‚ein;) ist ihnen Jesu Rede von der 371
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Lebens‑ und Heilsnotwendigkeit seines gewaltsamen Todes, von der Hingabe seines Fleisches und vom Vergießen seines Blutes für das Leben der Welt (6,51 ff). Der folgende Satz (V. 62), der zum dritten Mal in unserem Kapitel das Prädikat „der Sohn des Menschen“ enthält, bietet erhebliche Interpretationsprobleme: †Ån oên jewröte tÖn u´Ön toú ünjr„pou ünaba‡nonta Ωpou én tÖ pr∙teron. Formal hat er die Figur einer literarischen ‚Aposiopese‘, d. h. er ist ein unvollständiges Konditionalgefüge, das zwar eine Protasis, aber keine Apodosis hat (vgl. Lausberg, Handbuch § 887 f). Man kann ihn wohl als „emphatische Aposiopese“ klassifizieren, eine Figur, welche die „Vermeidung der vollen Äußerung“ dazu ausnutzt, „den Gegenstand als größer, furchtbarer, eben unaussprechbar hinzustellen“ (ebd.). Weil der Satz uns jedoch eher als eine Verheißung, denn als eine Drohung erscheint, sind wir geneigt, ihn anders als der Text von Nestle/Aland nicht als Frage, sondern als Aufruf zu lesen. Die erste Frage, der wir uns stellen müssen, ist die, durch welche mögliche Apodosis der implizite Leser die Aposiopese denn ergänzen soll. Schulz (Menschensohn 117 f) begreift 6,62 als eine an den Jüngerkreis gerichtete Frage, die „ihnen das noch größere Skandalon offenbar machen“ soll: „Die Auffahrt des Menschensohns in den Himmel wird die Jünger allein auf der Erde zurücklassen, und deutlich wird man an die Situation der Abschiedsreden erinnert, die angesichts des Weggangs Jesu für die Jünger durch l‚ph und jl‡yi" gekennzeichnet ist“. Abgesehen davon, daß er in unserem Kapitel nahezu keinen Stein auf dem anderen läßt und 6,60–71 erst auf Joh 12 und 8,30–40 folgen läßt, versteht auch Bultmann 6,62 als Frage, auf die zu ergänzen sei: „Dann wird … das Ärgernis erst recht groß sein! Wollte man einwenden, daß Jesu ünaba‡nein doch kein sk›ndalon sein könne, sondern vielmehr das Ärgernis des sklhrÖ" l∙go" aufheben würde, so würde man verkennen, daß sich dieses ünaba‡nein gar nicht als glorreiche Demonstration der d∙xa Jesu vor der Welt vollzieht; es ist ja nichts anderes als das am Kreuz geschehende ≠ywjönai und doxasjönai“ (Komm. 341). Auch Bornkamm begreift den Satz als Frage, die so zu ergänzen sei, daß „die Auffahrt des Menschensohnes … hier als das größere Geheimnis und Ärgernis bezeichnet“ werde. „Ihre Ankündigung ist also keineswegs, wie viele meinen, als die Überwindung des ersten Ärgernisses zu verstehen. Das entspricht durchaus der Anschauung des Johannes, für den jenes ünaba‡nein nicht in einer sinnenfälligen Himmelfahrt, sondern in dem paradoxen ≠ywjönai am Kreuz geschieht“ (Eucharist. Rede 64; vgl. Vorjoh. Tradition 57 ff). Ebenso wie Bultmann eliminiert freilich auch Bornkamm die sogenannte „eucharistische Rede“ und beurteilt sie als sekundäre Einfügung durch einen Redaktor. Den Beginn dieser den Textzusammenhang vermeintlich störenden Interpolation sieht er jedoch nicht erst in V. 51c, sondern bereits in V. 48. Wie Richter (Studien 99 ff) meint er, in dieser Passage ein deutlich antidoketistisches Interesse des Redaktors und dessen große Nähe zur „Auffassung von der Eucharistie … bei Ignatius von Antiochien“ (Vorjoh. Tradition 62) ausmachen zu können. Doch ob man das „erste Ärgernis“ der Jünger so umstandslos mit demjenigen der ûIoudaõoi identifizieren darf, deren goggusm∙" seinen Grund ja in Jesu Anspruch hatte, das vom Himmel herabgekommene Lebensbrot zu sein, und ob man Jesu ünaba‡nein als das vermeintlich „größere Ärgernis“ tatsächlich als nahezu synonym mit seinem (passiven!) ≠ywjönai an das Kreuz begreifen darf, ist jedoch ernsthaft zu bezweifeln. Denn dagegen spricht einmal, daß von der Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt, und das heißt doch von seinem gewaltsamen Tod durch sein ≠ywjönai an das Kreuz ja schon zuvor in der vermeintlich primär eucharistischen Passage die Rede war. Zum anderen läßt sich das Kreuz ja schwerlich als das Ziel des Aufstiegs und als der Ort begreifen, Ωpou én (sc. ¨ u´Ö" toú ünjr„pou) tÖ pr∙teron. Und zum dritten endlich spricht das Wort des auferstandenen Jesus an Maria Magdalena: „Halte mich nicht fest, denn noch bin ich nicht aufgefahren zum Vater (o∂pw gÅr ünabfibhka prÖ" tÖn patfira) …“ (20,17 f), gegen diese Deutung. Sie funktioniert im übrigen überhaupt nur durch die u. E. unberechtigte Amputation der sogenannten „eucharistischen Rede“ aus dem, wie wir gezeigt zu haben meinen, doch sinnvollen Text des überlieferten Evangeliums.
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6,62
Ganz anders und im Gegensatz zu den genannten Autoren sucht Bauer die Aposiopese zu ergänzen. Mit ihr wolle Jesus nämlich „das sk›ndalon keineswegs noch weiter steigern, sondern vielmehr das Rätsel seiner paradoxen Rede lösen: Daß er nicht zur Anthropophagie aufgefordert hat, wird seine Himmelfahrt (ünaba‡nein wie 3,13; 20,17 wegen des den ganzen Abschnitt beherrschenden Begriffs kataba‡nein †k toú o§ranoú, sachlich = dem Hingang zum Vater 7,33; 13,3; 16,5.7.28) erweisen. Als Nachsatz ist etwa zu ergänzen: wie könnt ihr dann noch sein Fleisch essen?“ (Komm. 101). Ähnlich sieht auch Lightfoot in V. 62 nicht die Ankündigung eines größeren Ärgernisses. Die von dem Vers geforderte Ergänzung summiert er in der sprichwörtlichen Wendung: „No cross, no crown“. Seine Pointe sei die Erinnerung der Jünger daran, daß der Tod des Menschensohnes nicht das letzte Wort in dieser Sache sein könne: „True, it involves for Him and for them ‚the scandal of the cross‘; but it is also the path of his exaltation, of his return to the glory of the father, and of His resultant work, only made possible by the cross, in and for them through the lifegiving presence of the Holy Spirit“ (Komm. 169; vgl. Hoskyns, Komm. 300 f; Lagrange, Komm. 187; Strathmann, Komm. 122; Schlatter, Evangelist 179; Zahn, Komm. 364 f). Wie vor ihm schon Bernard (Komm. z. St.) und Westcott (Komm. 109) sucht auch Barrett der Alternative zu entrinnen, entweder eine Potenzierung des sk›ndalon oder aber dessen Auflösung als die Ergänzung der Aposiopese postulieren zu müssen, indem er beide Aspekte miteinander verbindet: „Der ganze Vorgang der Rückkehr Christi zur Herrlichkeit des Vaters, die Kreuzigung eingeschlossen, war sowohl der höchste Anstoß als auch die Bestätigung Christi als des Lebensbrotes und zur selben Zeit der Beweis, daß das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes weder mörderisch noch magisch war“ (Komm. 313; vgl. Thüsing, Erhöhung 261 f). Dagegen hält Moloney sowohl diese als auch die beiden zuvor erörterten alternativen Lösungen für ‚unbefriedigend‘ und schlägt eine Interpretation vor, die u. E. jedoch nicht nur noch unbefriedigender ist, sondern uns schlicht unmöglich erscheint. Er beruft sich dafür auf seine fragwürdige Auslegung von Joh 3,13, deren grammatische und sachliche Unmöglichkeit wir z. St. bereits erörtert haben. Danach soll 3,13 lediglich besagen, daß keiner (einschließlich des Menschensohnes!) jemals in den Himmel aufgestiegen sei oder dahin aufsteigen werde. Im Gegensatz dazu sei aber ein einziger, nämlich der Menschensohn, als der definitive Offenbarer Gottes vom Himmel herabgestiegen. Weil Moloney damit jeglichen Gedanken eines Aufstiegs Jesu in den Himmel aus der Welt des Johannes ausgeschlossen zu haben glaubt, kann er in 6,62 nicht die Verheißung der ‚Himmelfahrt‘ Jesu sehen, sondern muß den Vers als eine ironisch-rhetorische Frage Jesu etwa dieses Sinnes begreifen: Soll ich etwa in den Himmel aufsteigen, wo ich doch zuvor schon war, damit ihr endlich glaubt? Zu dieser Art von ‚Interpretation‘ können wir nur mit Goethe sagen: „Im Auslegen seid frisch und munter. Legt ihr’s nicht aus, so legt was unter!“ Im Gegensatz zu Moloney vermögen wir hier weder jene „popular idea“ der Merkaba-Mystik im Spiel zu sehen, noch können wir, wie er, aus dem Umstand, daß Johannes, anders als Lukas (Lk 24,50; Act 1,9 ff), die Himmelfahrt Jesu nicht eigens erzählt, Kapital für die These schlagen, Johannes habe von einer Himmelfahrt Jesu nichts gewußt oder nichts wissen wollen. Vielmehr sehen wir in 6,62 sowie in 20,17 intertextuelle Signale, die auf die in den Prätexten erzählte und dem impliziten Leser darum bekannte Himmelfahrt Jesu 373
6,1–71
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
verweisen. Darüber, warum Johannes sie nicht eigens erzählt, wird unten zu 20,17 f nachzudenken sein. Weil bereits das in V. 61 durch das Verbum skandal‡zein bezeichnete ‚Ärgernis‘ die für die Zukunft angekündigte (d„sw) Hingabe seines getöteten Fleisches und seines vergossenen Blutes für das Leben der Welt und damit, paulinisch gesagt, das sk›ndalon toú stauroú ist, kann Jesus seine Jünger durch die Aposiopese von V. 62 schwerlich auf ein noch größeres Ärgernis vorbereiten wollen. Mag seine ün›basi" Ωpou én tÖ pr∙teron als ihre erste Stufe und Bedingung ihrer Möglichkeit auch sein ≠ywjönai an das Kreuz von Golgatha einschließen, so ist sie damit doch keineswegs schon vollendet. Cadman macht darauf aufmerksam, daß die für einen Leser am Ende des ersten Jahrhunderts ja schwerlich übersehbare „Erinnerung an das Abendmahl“ doch immerhin deutlich mache, daß selbst einem Glaubenden das Leben nicht abgesehen vom Tode Jesu gegeben werden könne (Open Heaven 89). Das verheißene „Sehen“ (†Ån oên jewröte tÖn u´Ön toú ünjr„pou ünaba‡nonta Ωpou én tÖ pr∙teron) ist nicht einfach sinnliches und jedermann mögliches Wahrnehmen, sondern, wie 6,40; 12,44 f u. ö., das ‚Sehen‘ und die ‚Erkenntnis‘ des Glaubens (vgl. Michaelis, Art. ¨r›w 362ff). Das betont auch Cadman, der jedoch, anders als Michaelis, in dem ‚Sehen‘ des auffahrenden Menschensohnes nicht das größere Ärgernis sieht, sondern die Verheißung, daß Jesu Logos die Jünger dann nicht mehr verstören werde, weil sein Inhalt ihnen dann erschlossen und „joyfully acceptable“ sein werde (ebd. 90; vgl. Thüsing, Erhöhung 262). Ähnlich wie Barrett insistiert auch Cadman darauf, daß Jesu ünaba‡nein zum einen in engem Zusammenhang mit Aussagen, wie 7,33; 8,14.21 f; 13,1.3; 14,28; 16,5.28, gesehen werden müsse, die Jesu Sterben als seinen Hingang zum Vater beschreiben, und daß hier zum anderen auch das doppelsinnige ≠ywjönai zu beachten sei, das zugleich mit der Jesus widerfahrenden blutigen Kreuzigung zur Sprache bringe, daß er auf Grund der freiwilligen Hinnahme dieses Todes in ‚figürlichem Sinn‘ in Golgatha zu Gott hin erhöht und vom Vater verherrlicht werde (vgl. ebd. 90 f). 63: „Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch nützt überhaupt nichts. Die Worte, die ich geredet habe, die sind Geist und sind Leben“. Hier ist zumal die Auslegung des Satzes: ™ sÅrx o§k •feleõ o§dfin, darum heftig umstritten, weil er allem Vorausgehenden zu widersprechen scheint. Galt nämlich bis hin zu V. 62 gerade das ‚Fleisch Jesu‘, d. h. sein freiwillig in den Tod hingegebenes ‚Menschsein‘, als das wahre ‚Lebensbrot‘, das allen, die es ‚essen‘, d. h. denen, die diesen Worten glauben, ewiges Leben verleiht, so wird nun von eben diesem Fleisch gesagt, es sei völlig nutzlos, lebendig mache vielmehr allein der Geist. Die Versuche, diesen Widerspruch aus der Welt zu schaffen, sind zahllos. Zumeist wird dabei postuliert, daß das Lexem s›rx in V. 63 eine andere Bedeutung habe als in den vorausgegangenen V. 51–58. Wie Schnelle meinen viele Exegeten, im Unterschied zum christologischen Gebrauch von s›rx in 1,14 u. 6,51 ff sei „der s›rx-pneúma-Dualismus“ (in V. 63a) „anthropologisch und nicht christologisch“ zu verstehen, so daß mit pneúma und s›rx die Bedingungen von Glaube und Unglaube genannt würden (Antidoketist. Christologie 214; ähnlich urteilen Moloney, Son of Man 123; K öster, Geschichte 60; Bornkamm (Eucharist. Rede 65 u. Vorjoh. Tradition 57 f; Becker, Komm. I, 259; Schulz, Komm. 111; Wilckens, Komm. 109; Borgen, Bread from Heaven 181; Schottroff, Glaubender 274 u. a.). Wilkens sucht die Härte der Aussage von V. 63 dadurch zu beseitigen, daß er ihn – schwerlich zu Recht – so paraphrasiert: „Das Fleisch allein ist nichts nütze. Der Geist muß hinzutreten“ (Abendmahlszeugnis 363). Wie wir oben bereits gesehen haben, will Barrett den Widerspruch durch die höchst fragwürdige Behauptung beseitigen, daß
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6,62–63
in V. 63 nur von der Nutzlosigkeit des ‚Fleisches im Allgemeinen‘ im Unterschied zu dem sehr wohl ‚nützlichen Fleisch des Menschensohnes‘ die Rede sei.
Mit insgesamt nur dreizehn Vorkommen ist das Lexem s›rx bei Johannes relativ selten. In offensichtlicher Wiederaufnahme seines spezifischen Gebrauchs in dem Satz: kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto (1,14) erscheint es in den Versen 6,51–58 gleich sechsfach zur Bezeichnung des für das Leben der Welt in den Tod gegebenen „Fleisches des Menschensohns“ bzw. „Jesu“. Daß dasselbe Wort, wenn es unmittelbar darauf in V. 63 ein siebtes Mal erscheint, nun plötzlich etwas gänzlich anderes bezeichnen sollte, ist schwer vorstellbar. Darum versuchen die meisten der eben genannten Autoren denn auch, 6,60 ff über die sogenannte „eucharistische Rede“ hinweg als Resümee von 6,26–50 begreifen. So erklärt etwa Brown, ebenfalls unter Berufung auf 3,6, daß das ‚Fleisch‘ in V. 63 nichts mit der Eucharistie zu tun habe, sondern nur „the natural principle in man which cannot give eternal life“ bezeichne (Komm. I, 300). Bultmann, Bornkamm, Köster, Schulz, Lohse, Haenchen, Becker u. a. meinen, das Problem auf literarkritischem Wege lösen zu können. Sie erklären die ‚eucharistische Passage‘ zur sekundären Interpolation durch einen „kirchlichen Redaktor“ und behaupten, im vermeintlich ‚ursprünglichen Evangelium‘ hätten V. 60 ff die unmittelbare Fortsetzung von V. 51a gebildet. Abgesehen davon, daß wir das für höchst unwahrscheinlich und weder stilistisch noch inhaltlich für erweisbar halten, müßte ein derartiger Interpolator, wenn er hier denn am Werk und ganz bei Sinnen gewesen sein sollte, doch auf jeden Fall gewußt und beabsichtigt haben, daß kein normaler künftiger Leser den V. 63 ohne seine Beziehung auf die V. 51–58 würde lesen können und sollen. Wohl unter dem Eindruck der Argumente seines Lehrers Bultmann hatte Schweizer 1939 die V. 51b–59 noch für einen „Anhang, sehr wahrscheinlich von zweiter Hand“ gehalten (Ego eimi 155). Doch mit guten Gründen hat er diese Position später revidiert und das gesamte Kapitel Joh 6 als kohärenten Text des Evangelisten gelesen (Neotestamentica 384 ff; Art. s›rx 138ff). Michaelis hat das sehr positiv gewürdigt und dazu die nachdenklich stimmende Bemerkung gemacht: „Irgendwie ist es aber doch auch symptomatisch für die in der exegetischen und isagogischen Arbeit eingerissene Verwirrung, daß ein Fortschritt, wie der Aufsatz von Schweizer ihn darstellt, auf der Grundlage erreicht werden konnte, daß einmal der Versuch gemacht wurde, von der ursprünglichen Zugehörigkeit von 6,51–58 zum Johannesevangelium auszugehen. Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, erscheint nun als das Ei des Kolumbus“ (Einleitung 120). „Bei dem seltenen Vorkommen von s›rx in Joh“ hielte Schweizer es zu Recht für „seltsam“, wenn das Wort in 6,63 „schon ohne Zshg mit den später zugefügten v 51–58 gestanden hätte“. Der Vers müsse vielmehr besagen: „Wer die s›rx Jesu, das heißt sein sichtbares Äußeres betrachtet, dem hilft das nichts. Erst die Verkündigung Jesu, der sich selbst als Sohn des Vaters verkündet, ist pneúma und zwfl … Der Vers wird dann geradezu warnen vor einem Sakramentalismus, der die im Abendmahl genossene s›rx als ‚Unsterblichkeitsmedizin‘ mißversteht … Ißt der Glaubende dort (sc. in der Eucharistie) die s›rx Jesu, dann wird ihm gesagt, daß nichts weniger als das Kommen des Gottessohns in die s›rx nötig war zu seinem Heil. Zugleich bekennt er damit, daß er sich dies gefallen läßt und aus diesem Geschenk leben will“ (Art. s›rx 140 f). Hatten wir gesehen, daß V. 62 die Jünger nicht mit einem noch größeren Ärgernis bedrohte, sondern ihnen im Gegenteil verhieß, daß sich kraft ihrer glaubenden Wahrnehmung der Auffahrt des Menschensohnes dahin, wo er zuvor war, das Ärgernis des 375
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Kreuzes zur lebendigmachenden Kraft Gottes wandeln werde (vgl. 1Kor 1,23 f), so zeigt auch die Voranstellung des Satzes: tÖ pneúm› †stin ¨ zwopoioún, in V. 63, daß wir hier eine Verheißung vor Augen haben. Sie zeigt, daß der gesamte Prozeß, in dem Jesus sich den Menschen darbietet und von ihnen glaubend akzeptiert wird, auf dem Wirken des Geistes beruht. Aber dieser Geist ist den Glaubenden noch nicht gegeben und kann ihnen vor der Verherrlichung Jesu durch die freiwillige Hingabe seines Fleisches und seines vergossenen Blutes für das Leben der Welt auch noch nicht zuteil werden (vgl. 7,39; 14,16; 16,7 und siehe dazu Thüsing, Erhöhung 163 ff). Wohl wirkt der Geist auch bis dahin schon kraft der Worte und der Gegenwart Jesu bei ihnen, aber eben noch nicht durch seine Einwohnung in ihnen. Darum kann die Intention des folgenden Satzes: ™ sÅrx o§k •feleõ o§dfin, auch nicht darin bestehen zu erklären, daß Jesu ‚Fleisch‘, sein Menschsein, das in die Einheit des Logos aufgenommen wurde, als bloß „irrelevante Vorfindlichkeit“ ohne Bedeutung für den Gewinn des ewigen Lebens wäre (so L. Schottroff, Glaubender 274). Was gemeint ist, ist vielmehr „that for undiscerning Jews (v. 52) and for shocked disciples (v. 60), not responsive to the Spirit active in the words of Jesus, not drawn to Him by the Father, as they have just shown themselves to be, even his physical existence is not the life-imparting miracle that it should be“ (Cadman, Open Heaven 92). Darum wird man die Wendung: tÅ Øflmata ¡ †gá lel›lhka ≠mõn pneúm› †stin kaÑ zwfl †stin, auch nicht einfach, wie Schweizer, auf die „Verkündigung Jesu“ im allgemeinen oder auf eine Unterscheidung von ‚Wort‘ und ‚Sakrament‘ beziehen dürfen, sondern wird diese Øflmata mit den konkreten Worten identifizieren müssen, die soeben in Joh 6 und zumal in der Passage 6,51–58 laut geworden sind. 64–66: Mit der Anmerkung, „Denn Jesus wußte von Anfang an, daß einige (von seinen Jüngern) nicht glauben würden, und wer der ist, der ihn ausliefern (verraten) sollte“, mischt sich in V. 64 wieder einmal der allwissende Erzähler in Jesu Rede ein. Wie Jesus, der an der Brust des Vaters liegt, dessen Allwissen teilt (1,18), so teilt dieser Erzähler, der beim letzten Mahl an der Brust Jesu lag (13,23), das Allwissen seines Herrn. Seinen anwesenden Jüngern sagt Jesus einstweilen nur: „Aber es sind einige unter euch, die nicht glauben. Darum habe ich euch ja auch gesagt, daß niemand zu mir kommen kann, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist“ (s. o. zu V. 37). Wie in V. 35 zeigt die parallele Stellung von „glauben“ und „zu mir kommen“ wiederum die Synonymität beider Wendungen. V. 66 bildet die Brücke zwischen dem fruchtlosen UnDialog Jesu mit den „Vielen seiner Jünger“, die nun frustriert weggehen, weil ihnen die von Jesus angebotene ‚Speise‘ ungenießbar und unverdaulich erscheint, und den Zwölf, die bei ihm bleiben und die sich – das zeigt ihr stellvertretend durch Petrus geäußertes ‚Du-Sagen‘ und die Wiedergabe der eigenen Worte Jesu in ihrem Bekenntnis – Jesus als das Lebensbrot wirklich ‚einverleibt‘ haben. Mit seinem emphatisch vorangestellten †k to‚tou eröffnet der Vers deutlich eine neue Phase der erzählten Geschichte Jesu mit seinen Jüngern. Das eindeutig temporale o§kfiti (‚fortan nicht mehr‘) des Nachsatzes nötigt u. E. dazu, auch das einleitende †k to‚tou als temporale Deixis zu verstehen: „von da an“ (vgl. Phillips 51: „It is as if Jesus the actor had been distanciated from the abortative discourses in 6,1–65 and now returns to the Twelve-Simon Peter“). Dagegen will Brown das †k to‚tou kausal und als synonym mit dem diÅ toúto von V. 65 verstehen. Er übersetzt es mit „at this“ und fragt: „Is John playing on the notion that the disciples left because the Father had not chosen them …? Or does ‚this‘ refer to the whole conversation
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6,63–67
and the difficulty of Jesus’ teaching?“ (Komm. I, 297). Ähnlich verfährt Theobald: Er übersetzt †k to‚tou mit „deswegen“ mit der Konsequenz, daß er V. 66 einseitig zum Abschluß der Verse 60 ff erklärt (Häresie 219 f). Auch Bauer gibt †k to‚tou mit „deshalb“ wieder und verweist dazu auf 19,12 (Komm. 103). Doch das †k to‚tou von 19,12 ist zumindest „ähnlich zweideutig“, wie die Wendung in V. 66. Darum hält Barrett nicht nur die temporale, sondern auch die kausale Bedeutung für möglich und sieht darüberhinaus keinen Grund dafür, „warum Joh nicht an beide gedacht haben sollte“ (Komm. 315). Aber nach dem vorangegangenen Urteil der Vielen über die ‚unerhörte Härte‘ von Jesu l∙go" (V. 60) bedarf ihr Weggehen u. E. keiner weiteren Begründung, seine einfache Konstatierung genügt nun. Phillips macht darauf aufmerksam, daß sich die „vielen Jünger“ Jesus gegenüber genau so unkommunikativ verhalten, wie am Anfang der Szene der µclo", während die ûIoudaõoi demgegenüber Jesu Worte doch wenigstens ‚in den Mund genommen‘ hätten (V. 42), ohne sie freilich auch zu ‚schlucken‘: „What is different and ironic, however, is the Jew’s mouthing of Jesus’ words and their failure to recognize it for what it is as ‚food that lasts‘, in short, their incapacity to become discoursive partners and to eat the imperishable food is greater than the crowd’s. The latter do not even recognize the importance of Jesus’ words; the Jews do. They ‚eat‘ (speak) this imperishable food, but cannot ‚stomach‘ it (cf. 6,60), just as the ‚many disciples‘ who similarly refuse to accept Jesus’ words as life-giving and life-sustaining“ (45).
Die Wendungen üpöljon e¢" tÅ £p‡sw und o§kfiti metû a§toú periep›toun interpretieren sich wechselseitig und beschreiben das Verhalten der ‚Vielen‘ als definitiven ‚Abfall‘ (vgl. Barrett, Komm 315). Spekulationen darüber, daß diese ‚Jünger‘ eine von 6,51–58 abweichende, in den Augen des Autors häretisch-doketistische Christologie und Abendmahlslehre vertreten und sich deshalb vom Hauptstrom der sogenannten ‚johanneischen Gemeinde‘ getrennt hätten, erscheinen uns absolut unbegründet und überflüssig. Daß sie fortan nicht mehr „mit Jesus wandelten“, kann nur heißen, daß sie aufgehört hatten, sich als ‚Christen‘ zu verstehen, nicht aber, daß sie nun eine andere Art von Christentum vertreten hätten. Es geht um die Apostasie von Christus und nicht etwa um die Genese eines innerchristlichen Schismas (vgl. dazu Wengst, Bedrängte Gemeinde 124 f; s. Becker, Komm. I, 261; und Neugebauer, Entstehung 19 f). (7) Jesus, die Zwölf und des Petrus Bekenntnis (6,67–71) 67
Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt ihr (etwa) auch weggehen? 68 Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollten wir denn weggehen? Du hast doch Worte ewigen Lebens. 69 Und wir haben den Glauben und die Gewißheit gewonnen, daß du der Heilige Gottes bist. 70 Jesus erwiderte ihnen: Habe ich nicht euch Zwölf erwählt? Und doch ist einer unter euch ein Teufel. 71 Damit meinte er Judas, Simons, des Iskarioten Sohn, denn der sollte ihn überliefern, und er war doch einer der Zwölf. Nach dem Weggang der ‚Vielen‘ e¢" tÅ £p‡sw und ihrer stillschweigenden Aufkündigung der ‚Nachfolge‘ fragt Jesus völlig unvermittelt die in unserem Evangelium bisher explizit noch gar nicht genannten „Zwölf “, die ihm offenbar allein die Treue gehalten haben: „Ihr wollt doch nicht etwa auch noch weggehen?“ Der implizite Autor setzt also voraus, daß sein impliziter Leser (beide sind, wie gesagt, nicht Menschen von Fleisch und Blut, sondern literarische Konstrukte) die Erzählungen von der Berufung dieser Jünger und der Einsetzung des Kreises der „Zwölf “ aus den synoptischen Prä377
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texten kennt (vgl. Mk 3,14 ff; Mt 10,1–4; Lk 9,1 ff). Sind sie aber der übriggebliebene Kern der ‚vielen Jünger‘, dann fällt von hier aus auch Licht auf die Speisungserzählung, die unsere Szene eröffnete. Denn wie jetzt Petrus der Sprecher und Repräsentant der ‚Zwölf ‘ ist, so waren es in 6,7 ff Philippus und Andreas. Und Jesu Aufforderung ‚an seine Jünger‘ (lfigei toõ" majhtaõ" a§toú), die von den fünf Gerstenbroten übriggebliebenen Brocken zu sammeln, muß eben diesen Zwölf gegolten haben, wie denn ja auch ein jeder von ihnen seinen Korb voller Brocken sammelt, ‚damit nichts umkomme‘ (ºna mfl ti üp∙lhtai: 6,12). Ungenannt waren sie also bereits in den d„deka kof‡noi zur Stelle. Ja mehr noch: Im Licht des gesamten Kapitels werden nun auch Züge der Erzählung von der wunderbaren Speisung erhellt, die sie von ihren synoptischen Prätexten unterscheiden. Diese differenten Züge faßt Crossan sehr schön so zusammen: „It is useful … to keep an eye on Mark, not in terms of sources but simply as a variation on the same story. Mark 6,41b-43 says: ‚and he divides the two fish among them all. And they all ate and where satisfied. And they took up twelve baskets full of broken pieces and of the fish‘. Note the vagueness of Mark’s they. Thus John is very different from Mark in that he has: (1) an explicit command from Jesus to gather the fragments; (2) the command is explicitly to his disciples; (3) the reason is also given by Jesus: ‚that nothing may be lost‘; (4) the disciples explicitly gather only the bread and not the fish. But there is something even more striking in John and that is the way these ‚twelve baskets‘ at the start of the chapter in 6,13 force a linkage with the previously unmentioned ‚twelve‘ disciples at the end of the text in 6,67–71. One therefore presumes that there is one basket for each of the twelve disciples who stay with Jesus after the others depart. … It is only of the bread that nothing must be lost, and the bread, with the fish quietly forgotten, becomes the Discourse ‚I‘ of Jesus. It is, then, the fragments of Jesus which must be gathered so that nothing may be lost“ (It Is Written 20). Dieses scheinbar unvermittelte Auftauchen der ‚Zwölf ‘ nötigt dann aber wohl auch dazu, schon die Joh 1,35 ff erzählten Jüngerberufungen als pars pro toto für die Einsetzung der Zwölf zu lesen. Im Gegensatz dazu sehen aber Brown (Community 81 ff), L. Schenke (Schisma 110 f) und Theobald (Häresie 236 ff) in den ‚Zwölf ‘ nicht die Repräsentanten des treugebliebenen Restes der Jünger Jesu, sondern meinen, in ihnen eine von den „johanneischen Christen“ sowie von den „Judenchristen“ und ihrem defizitären Glauben unterschiedene „dritte Gruppe von Christen“ ausmachen zu können. Brown nennt diese die „apostolischen Kirchen“ und unterscheidet von ihnen die um „den Jünger, den Jesus liebte“ gescharten ‚johanneischen Christen‘ (Community 84). Ganz ähnlich argumentiert Schenke: „Zu denen, die bei Jesus bleiben, gehören auch die ‚Zwölf ‘, aber keinesfalls nur sie … Die ‚Zwölf ‘ treten unterstützend neben die ‚rechtgläubige‘ johanneische Gemeinschaft. Petrus als ihr Sprecher erkennt ausdrücklich die Lebensbrotrede Jesu (6,26–58) sowie die Erwiderung Jesu an die schismatischen ‚Jünger‘ (6,62 f) als ‚Worte ewigen Lebens‘ an. Er bestätigt damit gewissermaßen im Namen der ‚Zwölf ‘ das ‚johanneische Kerygma‘ (6,68). Auch die ‚Zwölf ‘ – das ka‡ von 6,69 dürfte diesen Ton tragen – haben wie die ‚johanneischen‘ Christen ‚geglaubt und erkannt‘ (vgl. 8,31), daß Jesus ‚der Heilige Gottes‘ ist …“ (ebd. 118; vgl. Theobald 238 f). Doch da es – abgesehen von sehr unspezifischen Allgemeinheiten – theoretisch unmöglich ist, aus dem literarischen Konstrukt des impliziten Lesers in einem Text – oder, wie Eco formuliert, des ‚idealen Lesers‘ – auf die aktuellen Leser dieses Textes im ersten 378
Zweite Szene: Wunderbare Brotvermehrung in Galiläa
6,67–69
nachchristlichen Jahrhundert zu schließen und über sie historische Informationen gewinnen zu wollen, sollte man allen derartigen Versuchen entschlossen widerstehen (vgl. Vorster, Reader). Darum stimmen wir Bauckham zu, daß die seit einigen Jahrzehnten die Evangelienforschung förmlich beherrschende Rede von einer „Kirche des Matthäus“, „Markus“, „Lukas“, oder von der „johanneische Gemeinde“ oder „Schule“ preisgegeben werden muß: „They are no longer useful“ (Gospels 45). Als Spielart des Genres der griechisch-römischen b‡oi sind die Evangelien nicht wie paulinische Gemeindebriefe, die ja zudem gerade die Abwesenheit ihres Schreibers voraussetzen, an distinkte Gemeinden gerichtet, sondern virtuell an die gesamte Christenheit auch künftiger Generationen (vgl. Burridge, What Are the Gospels? und: About People). Zudem vermögen wir in der fiktionalen Figur des „Jüngers, den Jesus liebte“ als des allwissenden Erzählers der evangelischen Geschichte katÅ ûIw›nnhn keinen Menschen von Fleisch und Blut und schon gar nicht das verehrte „Schulhaupt“ einer „johanneischen Gemeinde“ zu erkennen (s. u. 13,23 ff und vgl. Thyen, Noch einmal: Joh 21). Auch wenn dieser Erzähler erst im 13. Kapitel mit dem schillernden Pseudonym „der Jünger, den Jesus liebte“ benannt und endlich Joh 21,24 als der Schreiber/Erzähler des Evangeliums bezeichnet wird, ist er doch von der Berufung der ersten Jünger an immer zur Stelle (s. o. zu 1,40 ff). Und da jeder Leser aus den Prätexten weiß, daß Jesus sein letztes Mahl, bei dem er seinen Verräter durch die Gabe des ‚Bissens‘ bezeichnete, im Kreise seiner zwölf Jünger gehalten hat, muß derjenige, der dabei an seiner Brust lag, einer der Zwölf sein. Nicht als Führer irgendeiner mit der „apostolischen Kirche“ (Brown) konkurrierenden johanneischen Sondergemeinde oder als deren ‚Schulhaupt‘, sondern als der von seinem sterbenden Herrn autorisierte „Evangelist“ hat er die bei der wunderbaren Speisung in seinem Korb gesammelten Brocken seines Herrn in sein Evangelium gefaßt, „damit nichts umkomme“. Und in und mit diesem Evangelium soll er „bleiben“ ∫w" ≤rcomai (21,22 f). 68 f: Für die Zwölf – einschließlich also des ‚geliebten Jüngers‘ als einem aus ihrem Kreis – antwortet nun stellvertretend Petrus mit dem Bekenntnis: „Herr, zu wem sollten wir denn gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist!“ Gegenüber dem von P75 a B C* D L W sams pbo bezeugten Wortlaut des Petrusbekenntnisses: sÜ eè ¨ πgio" toú jeoú, finden sich in den Handschriften zahlreiche Angleichungen an dessen synoptische Gestalt. So liest Tert: sÜ eè ¨ crist∙" (Mk 8,29); P66 samss ac2 bo bieten: sÜ eè ¨ crist∙" ¨ πgio" toú jeoú. Die Masse der Handschriften aber folgt mit leichten Variationen Mt 16,16 und bietet: sÜ eè ¨ crist∙" ¨ u´Ö" toú jeoú toú zùnto". Mit Metzger (Comm. 215) halten wir die Lesart ¨ πgio" toú jeoú als die lectio brevior für ursprünglich. Darin, daß Petrus Jesus hier, anders als in den synoptischen Prätexten nicht als den Messias/ crist∙", sondern als den πgio" toú jeoú bekennt, sehen wir – anders als Theobald (Häresie 228 ff) – kein Indiz dafür, daß Joh hier einer anderen und womöglich älteren Tradition folgte. Er schließt sich vielmehr auch hier der Szenenfolge von Markus an. Aber da er auf seine Weise das synoptische Petrusbekenntnis von Mt 16,16 f schon in 1,41 f verarbeitet hat, läßt er Petrus mit seinem Bekenntnis am Ende der Lebensbrotrede jetzt deren Anfang entsprechen, wo Jesus dazu aufgerufen hatte: Verschafft euch nicht vergängliche Speise, sondern solche Speise, die da bleibt bis ins ewige Leben, welche des Menschen Sohn euch geben wird: toúton gÅr †sfr›gisen ¨ je∙" (6,27). Die Zwölf haben jetzt geglaubt, erkannt und sich ‚einverleibt‘, daß Jesu Worte, die 379
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
sie soeben gehört haben, diese unverderbliche und ins ewige Leben dauernde Speise sind. Und mit seinem Bekenntnis: sÜ eà ¨ πgio" toú jeoú, entspricht Petrus endlich dem wiederholten †g„ e¢mi Jesu und dessen Wort: „Denn diesen hat Gott versiegelt“. 70: Daß Petrus hier als der Sprecher der Zwölf verstanden sein will, macht Jesu ‚ihnen‘ (üpekr‡jh a§toõ") gegebene Antwort deutlich: „Habe ich nicht euch Zwölf erwählt? Und dennoch ist einer unter euch ein Teufel“. Nicht zur Information des Lesers, sondern zur Erinnerung der Zwölf an ihre Einsetzung erscheint nun mit dem Verbum †xelex›mhn das Stichwort ihres Erwähltseins; vgl. Lk 6,13: prosef„nhsen toÜ" majhtÅ" a§toú, kaÑ †klex›meno" üpû a§tùn d„deka, o∆" kaÑ üpost∙lou" •n∙masen. Abgesehen von seinem unspezifischen Gebrauch in Joh 13,16 kommt das Lexem üp∙stolo" als Bezeichnung der Jünger bei Joh wohl darum nicht vor, weil ihre „Sendung“ in die Welt hier erst durch den Auferstandenen erfolgt, nachdem dieser sie mit dem österlichen Geist begabt hat (20,19 ff). Was der implizite Leser aus der kommentierenden Bemerkung des Erzählers (und wohl auch aus den Prätexten) längst weiß: Ô≥dei gÅr †x ürcö" ¨ ûIhsoú" t‡ne" e¢sÑn o´ mÉ piste‚onte" kaÑ t‡" †stin ¨ parad„swn a§t∙n (V. 64), erfahren die Jünger erst jetzt: kaÑ †x ≠mùn eï" di›bol∙" †stin. Auch wenn wir die im Markusevangelium vorgegebene Szenenfolge von der ‚wunderbaren Speisung‘ an über die ‚Zeichenforderung‘, die hochverschlüsselte ‚Brotrede‘ im Boot (Mk 8,14 ff) bis hin zum Petrusbekenntnis von Cäsarea-Philippi (Mk 8,27–30) und dem der ersten Leidensankündigung Jesu folgenden ‚Satanswort‘ (Mk 8,33) nicht anders denn als den ‚Prätext‘ und das Spielmaterial von Joh 6 zu begreifen vermögen, bleibt auch für denjenigen, der das bestreiten will, ein struktureller Vergleich mit dem synoptischen Text auf jeden Fall eindrucksvoll und aufschlußreich. Bei Markus, dem Matthäus und Lukas darin folgen (Mt 16,16 ff; Lk 9,18 ff), folgt dem Petrusbekenntnis von Cäsarea-Philippi Jesu gewichtige erste Ankündigung seines Leidens, Sterbens und Auferstehens (Mk 8,31–33 parr.). Weil Petrus das jedoch nicht wahrhaben will (≥rxato †pitimôn a§tù: Mk 8,32, von Mt 16,22 treffend so erläutert: ºle„" soi, k‚rie: o§ mÉ ≤stai soi toúto), muß er sich dafür von Jesus diesen schroffen Tadel gefallen lassen: æpage £p‡sw mou, satanô (Mk 8,33). Matthäus fügt dem noch die Interpretation hinzu: sk›ndalon eè †moú, Ωti o§ froneõ" tÅ toú jeoú üllÅ tÅ tùn ünjr„pwn (Mt 16,23). Im Gegensatz dazu geht bei Johannes – nämlich in Gestalt der sogenannten ‚eucharistischen Rede‘, die ja indirekt vom gewaltsamen Tod Jesu durch die Trennung seines Blutes von seinem Fleisch und von seinem darauf folgenden ünaba‡nein gesprochen hatte – die ‚Leidensweissagung‘ dem Petrusbekenntnis bereits voraus, und ist, indem Petrus sie als Øflmata zwö" a¢wn‡ou definiert, in dieses schon eingegangen. Damit ist aber das synoptische ‚Satanswort‘ gleichsam dafür ‚frei‘ geworden, nun den Verräter Jesu zu kennzeichnen: kaÑ †x ≠mùn eï" di›bol∙" †stin. Daß Joh hier nicht satanô", sondern di›bolo" sagt, hängt, wie der Vergleich von Joh 13,2 (di›bolo") mit 13,27 (satanô") zeigt, wohl eher mit seiner Vorliebe für das Spiel mit Synonyma als damit zusammen, daß er hier sklavisch eine andere „Quelle“ ausgeschrieben hätte, wie Theobald vermutet (Häresie 228 f).
Freilich bezeichnet Jesus hier den Zwölf gegenüber anstelle des Petrus nun nicht einfach einen anderen namentlich als ‚Teufel‘, so daß Petrus nun rehabilitiert und sie alle ihrer Erwählung gewiß wären. Rehabilitiert wird Petrus nach der dreifachen Verleugnung seines Herrn (18,15 ff) vielmehr erst ganz am Ende durch die dreifache Frage Jesu nach seiner Liebe und durch seine Einsetzung zum ‚Hirten der Schafe‘. Bis dahin aber versetzt Jesu vages Wort: kaÑ †x ≠mùn eï" di›bol∙" †stin, nicht nur ihn, sondern sie alle Zwölf in die heilsame Ungewißheit, sich – wie es bei Markus heißt – eï" katÅ eï" immer wieder fragen zu müssen, bin ich etwa dieser Eine? (mflti †g„; Mk 14,19 parr.). Daß wir diese Ungewißheit „heilsam“ nennen und in ihr eine „notwendige Bestim380
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
6,70–71
mung der Gewißheit des Glaubens“ sehen, haben wir unter Berufung auf Kierkegaard oben zu V. 40 begründet (vgl. Bultmann, Komm. 345 f). 71: Wieder erfährt der Leser durch den metatextuellen ‚Kommentar‘ des Erzählers, der die gesamte Szene beschließt, mehr über diesen ‚Einen‘, den Jesus di›bolo" nennt, als die in der erzählten Welt agierenden Zwölf: „Er hatte aber von Judas gesprochen, dem Sohn des Iskarioten Simon, denn der – und er war doch einer von den Zwölfen – sollte ihn ausliefern“. Von insgesamt acht Nennungen des Judas in unserem Evangelium ist dieses die erste. Ebenso wie 13,2 und 13,26 wird er hier mit seinem ‚Vaternamen‘ als ‚der (Sohn) des Simon‘ sowie mit dessen näherer Bestimmung als Iskariot bezeichnet. ûIskari„tou ist vermutlich Transkription des hebräischen twyrq çya (des Mannes aus Keriot, ein Ortsname, der im AT in Jer 48,24.41 und Am 2,2 begegnet; vgl. Barrett, Komm. 317). 12,4 überträgt, wie nicht unüblich, den Beinamen des Vaters auf den Sohn und nennt diesen selbst nun: ûIo‚da" ¨ ûIskari„th". Narrativ bedingt wird er 18,2 und 5 als Io‚da" ¨ paradidoÜ" a§t∙n bezeichnet und in der Wiederaufnahme derartiger Näherbezeichnungen 13,29 und 18,3 einfach ‚Judas‘ genannt.
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem (7,1–52) Obgleich Joh 7 – über die Erzählung von ‚Jesus und der Ehebrecherin‘ (7,53–8,11) hinweg, die nach Ausweis der Handschriften fraglos eine sekundäre Interpolation ist – sehr eng mit den folgenden Kapiteln 8–12 verknüpft und kaum davon zu trennen ist (s. u. zu 8,12 ff), ist die Verbindung des Kapitels auch mit dem in Joh 5 f Vorausgegangenen nicht minder eng und von derart großem Gewicht, daß wir das Kapitel als die Abschluß-Szene des dritten Aktes unserer ‚dramatischen Historie‘ der Geschichte Jesu behandeln wollen. Denn zum einen gehört Jesu Disput mit seinen ungläubigen Brüdern zu seiner durch 6,1 ff eröffneten erneuten galiläischen Wirksamkeit; und zum anderen ist Joh 7 dadurch, daß sich die ‚Juden‘ Jerusalems während des Laubhüttenfestes an Jesu Sabbatheilung am Teich von Bethesda erinnern und sie erneut thematisieren, eng mit Joh 5 verknüpft. Auf diese Weise bilden die beiden Jerusalem-Kapitel 5 und 7 einen Rahmen um das Galiläa-Kapitel (Joh 6) mit dem von Petrus als dem Repräsentanten der Zwölf gesprochenen Bekenntnis, das zugleich explizierte, daß und wie „Mose von Jesus geschrieben hat“ (5,45 ff). Mit dieser Gliederung folgen wir den Argumenten von Wyller (Solomo’s Porch) und Østenstad (Structure), die übereinstimmend Joh 8–12 als den „zentralen Akt“ und als die „Peripetie“ des gesamten Evangeliums als eines „dramatischen Dialogs“ bestimmen. (1) Einleitung: Jesu Disput mit seinen ungläubigen Brüdern und sein ‚heimlicher‘ Weg hinauf zum Fest (7,1–13) 1
Nach diesen Ereignissen hielt sich Jesus in Galiläa auf. Denn er wollte nicht in Judäa wirken, weil die Juden ihn doch zu töten trachteten. 2 Es war aber nahe das (große) Fest der Juden, nämlich das Laubhüttenfest. 3 Da forderten seine Brüder ihn auf: Brich auf von hier und ziehe nach Judäa, damit auch 381
7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
deine Jünger die Zeichen sehen, die du wirkst. 4 Denn keiner handelt im Verborgenen, der auf öffentliche Geltung Anspruch erhebt. Und da du solches willst, mußt du dich der Welt zeigen! 5 – Nicht einmal seine (eigenen) Brüder glaubten nämlich an ihn. – 6 Da erklärte Jesus ihnen: Meine Zeit ist noch nicht gekommen; eure Zeit dagegen ist immer da. 7 Euch kann die Welt nicht hassen, mich aber haßt sie, weil ich ihr bezeuge, daß ihre Werke böse sind. 8 Zieht ihr also nur hinauf zum Fest. Ich aber steige zu diesem Fest nicht hinauf, denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt. 9 Und als er das gesagt hatte, blieb er selbst in Galiläa. 10 Als seine Brüder dann zu dem Fest hinaufgezogen waren, da ging auch Jesus hinauf, freilich nicht öffentlich, sondern heimlich (im Verborgenen). 11 Die Juden suchten ihn im Festgedränge und fragten sich: Wo mag jener wohl sein? 12 Und es erhob sich ein heftiges Getuschel unter der Volksmenge. Die einen meinten: Er ist gut. Andere aber erklärten: Nein, er verführt vielmehr das Volk. 13 Aus Furcht vor den Juden sprach jedoch keiner öffentlich über ihn. 1: Die Wendung metÅ taúta dient hier wie 3,22; 5,1.14; 6,1; 19,38; 21,1 ebenso wie metÅ toúto: 2,12; 11,7.11; 19,28 zur Markierung des Übergangs in eine neue Szene. Da darin aber „ein unmittelbares Aufeinanderfolgen der Ereignisse nicht impliziert“ ist, wird durch dieses metÅ taúta auch die verbreitete Annahme nicht gestützt, daß „die Ordnung der Kap. 5 und 6 umgekehrt werden“ müsse (Barrett, Komm. 319). Jesus hält sich weiterhin in Galiläa auf, weil die ûIoudaõoi in Judäa ihn zu töten trachteten. Damit erinnert der Erzähler seinen impliziten Leser/Hörer zum ersten Mal an die im Zusammenhang mit Jesu Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda an einem Sabbat erwachte Absicht der ûIoudaõoi, Jesus zu töten (vgl. 5,18), und stellt so den Zusammenhang mit Joh 5 her. Anstelle der aktivischen Formulierung o§ gÅr ≥jelen ktl. lesen W it syc; Chr: eècen †xous‡an. Ohne die voranstehende Verneinung wäre das zwar gut ‚johanneisch‘ (vgl. 10,18; 19,10) und gewiß auch die schwierigere Lesart, weshalb z. B. Barrett für ihre Ursprünglichkeit plädiert (Komm. 319), doch der Kontext und das Gewicht aller übrigen Zeugen sprechen für ≥jelen als ursprüngliche Lesart (vgl. Metzger, Comm. 215 f). In der Wendung a§tÖ" †n parrhs‡a in V. 4 ist das Pronomen strittig: Da es in b e pbo syc gänzlich fehlt, P66 * B (D*) W pc dagegen das Neutrum a§t∙ und E* pc r1 den Akkusativ a§t∙n lesen, halten einige Kommentatoren das freilich nur äußerst schwach bezeugte Fehlen des Pronomens für ursprünglich und seine Hinzufügung entweder im Nominativ oder im Akkusativ für sekundär. Doch Metzger erklärt dazu treffend: „Among the variations of case of the pronoun, the nominative seems to be preferable on the basis of both external evidence (P66c.75 a Dgr c K L X D Q P Y f 1.13 28. 33. 565. 700 al) and internal considerations (as more appropriate with †n parrhs‡a). The neuter may have been suggested by Mt 10,26; Lk 12,2; the construction, however, of zhteõn with accusative and infinitive is found nowhere else in the New Testament“ (Comm. 216). Dem V. 5 fügen D (it sys.c) noch ein t∙te hinzu, um damit wegen der später prominenten Rolle, die etwa Jakobus spielte, auszudrücken: „Damals glaubten seine Brüder (noch) nicht an Jesus“. 2: Hieß es in 6,4: én dÇ †ggÜ" tÖ p›sca, ™ ©ortÉ tùn ûIouda‡wn, so variiert 7,2 nun diese Formulierung im Blick auf das bevorstehende ‚Laubhüttenfest‘ so: én dÇ 382
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,1–5
†ggÜ" ™ ©ortÉ tùn ûIouda‡wn ™ skhnophg‡a. Dabei zeigt die attributive Stellung von ™ skhnophg‡a an, daß das Wort hier den „Wert einer vollständigen Festbezeichnung“ hat und „Laubhüttenfest“ heißen soll (Michaelis, skflnh 393). Nicht nur das relativ seltene, aus skhnfl und pflgnumi (bzw. phgfiomai: ‚ein Zelt aufschlagen‘) gebildete Lexem, sondern auch das hier damit bezeichnete „Laubhüttenfest“ selbst kommt im gesamten Neuen Testament einzig an dieser Stelle vor (die einsame v. l., die das artikellos genannte ‚Fest‘ in 5,1 als ™ skhnophg‡a näherbestimmt, ist fraglos sekundär). Als Bezeichnung des Laubhüttenfestes, hebräisch twksh gr, kommt das Nomen skhnophg‡a in der LXX neunmal vor, nämlich Deut 16,16; 31,10; 1Esdr 5,50; Sach 14,16.18 f; 1Makk 10,21 sowie 2Makk 1,9 und 18. Dabei sind die letzteren beiden Belege aus 2Makk insofern interessant, als hier das seit der Makkabäerzeit zur Erinnerung an die Wiedereinweihung des geschändeten Tempels durch Judas Makkabaeus am 25. Kislew 164 v. Chr. gefeierte Hanukkah-Fest (™ †gka‡nia) mit skhnophg‡a bezeichnet wird. Das dürfte aber kein Zufall, sondern darauf zurückzuführen sein, daß auf dieses Fest „die acht Sukkot-Festtage analogiebildend eingewirkt“ haben (Maier, Judentum 552; vgl. Habicht, 2Makk 199 ff). Diese liturgische Nähe der beiden Feste könnte auch der Grund dafür sein, daß Joh 10,22 nach dem Laubhüttenfest nahezu übergangslos das Tempelweihfest (tÅ †gka‡nia †n toõ" ßIerosol‚moi") genannt wird. Während das Wort skhnophg‡a bei Philon fehlt – er bezeichnet das Fest als ™ tùn skhnùn ©ortfl (migr. Abr 202 u. ö.) –, nennt Josephus es stets ™ tö" skhnophg‡a" ©ortfl (z. B. Ant 4,209; 8,100; 13,241; bell 2,515) oder einfach ™ skhnophg‡a. Ant 8,100 bezeichnet er das Fest als ©ortÉ ®giwt›th kaÑ meg‡sth (vgl. Ant 15,50 und siehe Michaelis, skhnfl ktl. 392 f). Es war während der Zeit des zweiten Tempels tatsächlich das volkstümlichste und beliebteste Fest der Juden, so daß es auch einfach als „das Fest“ (™ ©ortfl) bezeichnet werden konnte; vgl. den „Exkurs: Das Laubhüttenfest“ bei Bill. II, 774–812. Um das unbenannte Pilgerfest von Joh 5,1 in diesem Sinne zu identifizieren, haben einige Abschreiber dem unbestimmten ©ortfl wohl auch den Artikel ™ und andere sogar noch ™ skhnophg‡a hinzugefügt (s. o. z. St.). Daß ausgerechnet dieses populärste und gewichtige Fest von den Synoptikern nirgendwo genannt wird, mag daran liegen, daß sie Jesus nur einmal, und zwar zu seinem ‚Todespassa‘, nach Jerusalem ziehen lassen. Johannes dürfte die Kapitel 7 f wohl darum am Laubhüttenfest spielen lassen, weil die dessen Liturgie bestimmenden Wasser‑ und Illuminationsriten (vgl. 7,37 ff und 8,12) den geeigneten Rahmen für Jesu Lehren im Tempel bildeten.
3–5: Hier wie in 2,12, jeweils deutlich von seinen ‚Jüngern‘ unterschieden, werden jetzt erstmals die leiblichen ‚Brüder‘ Jesu wieder genannt. Offenbar völlig ahnungslos hinsichtlich der Wege, Worte und Werke Jesu, der eben geschehenen Apostasie vieler seiner Jünger und des von Petrus stellvertretend für die Zwölf gesprochenen Bekenntnisses von deren Treue, fordern sie Jesus auf: „Gehe von hier weg und ziehe nach Judäa hinüber, damit deine Jünger deine Zeichen sehen, die du wirkst. Denn niemand, der Anspruch auf öffentliche Geltung erhebt, tut doch etwas im Verborgenen. Da du das tust (nämlich solchen Anspruch erhebst), so offenbare dich (endlich) dem k∙smo"“. Diese buchstäblich unglaubliche Ahnungslosigkeit und dieser ahnungslose Unglaube seiner eigenen Brüder und die rätselhafte Frage, wen die denn da wohl als o´ majhta‡ sou im Auge haben könnten, wenn Jesus nach Judäa gehen soll, damit seine Jünger seine Werke sehen (ºna kaÑ o´ majhta‡ sou jewrflsousin soú tÅ ≤rga ¡ poieõ"), stellt vor erhebliche Interpretationsprobleme. Denken sie etwa an eine spezifisch judäische Jüngerschaft Jesu, neben denen, die ihm durch Galiläa und bis nach Jerusalem ‚nachfolgen‘? Doch wohl schwerlich. Sogar das Weinwunder von Kana in Galiläa scheinen sie vergessen und von der Heilung des Sohnes des Königlichen von Kapharnaum sowie von der Speisung der Fünftausend am Ostufer des Sees von Tiberias nie etwas gehört 383
7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
zu haben. Merkwürdig ist auch, daß sie Jesus auffordern nach Judäa zu ziehen, wo er doch schon wiederholt gewesen ist und von wo er sich gerade ins freundliche Galiläa zurückgezogen hat, weil die ‚Juden‘ ihn zu töten trachteten. Alle diese Rätsel haben immer wieder dazu geführt, daß die Kommentatoren ihre Lösung auf dem Wege der Literarkritik zu finden suchten. Wellhausen sieht in 7,2 ff geradezu den Angelpunkt solcher Kritik (Komm. 34). Er postuliert darum von hier aus ein ‚Grundevangelium‘, das von einer 7,2 ff vorausgehenden Wirksamkeit Jesu in Judäa und Jerusalem noch nichts gewußt haben könne. Darum könnten vor 7,2 ff nur die galiläischen Zeichen des Weinwunders, der Heilung des Sohnes des Königlichen von Kapharnaum, der Speisung der Fünftausend und des Seewandels erzählt worden sein. Kapitel 5 müsse also in diesem Grundevangelium erst nach 7,2 ff gestanden haben, und die Tempelreinigung könne erst im Zusammenhang des letzten Jerusalembesuchs erzählt worden sein. W. Wilkens hat sich dem für sein „Grundevangelium“ im Wesentlichen angeschlossen (Entstehungsgeschichte 48 ff). Bultmann sieht in 7,1–13 die Einleitung zu 7,25–52; 8,48–50 und 54–55 als eines „ursprünglich“ so zusammengehörenden Abschnittes des Evangeliums, den er mit „Die Verborgenheit und Kontingenz der Offenbarung“ überschreibt (Komm. 216 ff). Er unterstellt dem Autor von 7,2–13 zwar eine gute und richtige Absicht, hält aber „die Form, in der (diese Absicht ihren) Ausdruck findet“, für höchst „anstößig“. Aber: „Der Anstoß hebt sich für die Erkenntnis, daß der Evangelist in 7,1–13 ein Traditionsstück zugrunde gelegt hat, nämlich die Einleitung zu einer Wundergeschichte. Dafür spricht auch die oft beobachtete Parallelität von 7,1–13 zu 2,1–11. Beide Male handelt es sich um den kair∙" (bzw. die øra 2,4), der (für das Wunder) nicht durch den menschlichen Wunsch bestimmt wird; warum der kair∙", der zunächst nicht da war, wenig später dann doch eingetreten ist, wäre in Bezug auf eine Wundergeschichte eine pedantische Frage, da es ihr nur auf die Demonstration der göttlichen Willkür ankommt. …“ (ebd. 216 f). Obgleich derartigen literarkritischen Kapriolen ansonsten erfreulich abhold, sieht sich auch U. Wilckens den „mancherlei Unstimmigkeiten im Erzählungszusammenhang“ gegenüber, „die nicht als Absicht des Joh. evangelisten zu verstehen“ seien, genötigt, seine Zuflucht zu jener ‚Schere‑ und Kleistermethode‘ zu nehmen. Zu den besagten „Unstimmigkeiten“ erklärt er: „Sie lassen sich jedoch allesamt mit einem Schlage beseitigen, wenn man annimmt, daß der Joh. evangelist das Urexemplar seines Buches nach seinem Tode in noch unfertigem Zustand hinterlassen hat: Hier lagen Kap. 6 und Kap. 5 sowie auch 7,15–24 an falscher Stelle, und seine Schüler haben sein Buch in Ehrfurcht vor ihrem Lehrer (vgl. 21,24!) in dem Zustand, wie sie es vorfanden, gebunden und herausgegeben, so daß es dann in der gesamten kirchlichen Überlieferung von Anfang an so überliefert worden ist, wie wir es heute noch vorfinden. … Diese Annahme einer ursprünglichen Reihenfolge 6,1–71; 5,1–47; 7,15–24 wird heute von einer Mehrheit der Ausleger vertreten“ (Komm. 91). Danach behandelt Wilckens dann 7,1–13 als die Einleitung von 7,14. 25–53 und 8,12–59 unter der Überschrift: „Krisis – Jesu Auseinandersetzung mit den Juden“ (ebd. 127 ff).
Doch mit diesem u. E. willkürlichen Herausschneiden von 7,15–24 aus dem siebten Kapitel ist keines der oben zu 7,1–13 genannten Probleme gelöst. War Wellhausens „Grundschrift“ immerhin noch ein wirkliches Buch, das er zu rekonstruieren suchte, so ist daraus bei Wilckens nun ein bloß virtuelles, allein in den vermuteten „Absichten“ des Evangelisten existierendes Werk geworden, das sich schwerlich jemals rekonstruieren lassen dürfte. Wie oben bereits gesagt wurde und wie unten zu den einschlägigen Passagen über „den Jünger, den Jesus liebte“ noch weiter begründet werden muß, sehen wir im Gegensatz zu Wilckens in diesem Jünger, der nach 21,24 „dieses (Buch) geschrieben“ haben und also der „Evangelist“ sein soll, eine rein fiktionale Größe, in die hinein sich der wirkliche Autor total entäußert hat, um damit einem aus dem Kreis der Zwölf ein literarisches Denkmal zu setzen. U. E. 384
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,3–5
spricht alles dafür, daß der längst als Märtyrer gestorbene Zebedaide Johannes dieser fiktionale Evangelist ist (vgl. Thyen, Noch einmal: Joh 21). Der aber war weder das „Schulhaupt“ einer „johanneischen Gemeinde“, noch einer, der bei seinem Tode ein ungeordnetes Manuskript hinterlassen hätte, das seine vermeintlichen „Schüler in Ehrfurcht vor ihrem Lehrer … in dem Zustand, wie sie es vorfanden, gebunden und herausgegeben“ hätten. Die Vorstellung, daß da imaginäre „Schüler“ aus lauter Ehrfurcht vor einem (fiktionalen) toten Meister dessen literarischen Nachlaß unbesehen und unbekümmert um seine Sinnhaftigkeit „gebunden“ und dann ediert haben sollen, mag zwar anrührend klingen, sie ist jedoch weder durch irgendwelche zeitgenössischen Analogien noch durch das, was wir über die antike Buchproduktion und ‑verbreitung wissen (vgl. L. Alexander), wahrscheinlich zu machen, geschweige denn zu begründen. Bauer notiert zu unserer Passage, daß nach dem Zeugnis des Hieronymus (c. Pelag. III/2) ein judenchristliches Evangelium eine Szene enthalten habe, „in der die Brüder Jesus durchaus freundlich gegenüberstehen und ihn, wie in unserer Geschichte, zu Entschließungen bewegen wollen“. Johannes habe vielleicht „eine ähnlich gestimmte Erzählung … verwertet“ (Komm. 108). Doch der Quellenwert und die Zuverlässigkeit der Zeugnisse des Hieronymus über das judenchristliche Evangelium (oder über mehrere?) samt den Zitaten daraus sind höchst umstritten (vgl. Strecker, Judenchristliche Evangelien 120 ff). Zudem sind diese Texte offenbar spät, setzen die kanonischen Evangelien voraus und zumindest eines unter ihnen, nämlich das sogenannte Nazaräerevangelium, hat den Charakter eines aramäischen Targums zum griechischen Text unseres Matthäusevangeliums. Darum könnte die von Bauer zitierte Quelle des Hieronymus ihrerseits durchaus von Joh 7 abhängig sein. Doch ganz abgesehen von all diesen offenen und schwerlich je beantwortbaren Fragen erscheinen uns alle derartigen Fluchten in die vermutete Genese des Evangeliums oder zu seinen mutmaßlichen „Quellen“ als Kapitulationen vor der Aufgabe der Interpretation seiner überlieferten Gestalt. Denn daß derjenige, dem wir diese ‚Endgestalt‘ verdanken, sie als ein sinnvolles und kohärentes Evangelium begriffen sehen wollte, meinen wir auf jeden Fall unterstellen und respektieren zu müssen. Darum lesen wir die Aufforderung seiner Brüder, Jesus möge doch endlich aus der provinziellen Enge Galiläas heraustreten und seinen Jüngern in Judäa nicht mehr †n kruptù, sondern †n parrhs‡a seine Werke zeigen, an ihrer Stelle im Plot der Erzählung so, wie der Erzähler sie verstanden wissen will, nämlich als den höchst ironischen Ausdruck ihres Desinteresses, Unwissens und Unglaubens: o§dÇ gÅr o´ üdelfoÑ a§toú †p‡steuon e¢" a§t∙n. Wie Jesus sich selbst der Zumutung seiner Mutter mit den Worten entzogen hatte: t‡ †moÑ kaÑ so‡, g‚nai; o∂pw ªkei ™ øra mou (2,4), so distanziert ihn jetzt sein Erzähler von der Forderung seiner Brüder. Auch wenn im Hintergrund dieser Distanzierungen nicht die synoptische Szene von Mk 3,31–34 parr. stehen sollte, ist ein Strukturvergleich doch jedenfalls aufschlußreich. Hatte Jesus in jener Szene, als ihm gemeldet wurde, draußen seien seine Mutter und seine Geschwister und suchten ihn, mit dem Blick auf die rings um ihn Versammelten erklärt: ¥de ™ mflthr mou kaÑ o´ üdelfo‡ mou (Mk 3,34), so kann eine derartige Identifizierung bei Johannes erst erfolgen, wenn Jesu „Stunde“ gekommen ist. Erst das Wort des Auferstandenen macht die um ihn Versammelten zur Familie Gottes. Es benennt seine Jünger erstmalig als seine „Brüder“ und seinen Vater als ihren „Vater“: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich steige (jetzt) auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott 385
7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
und zu eurem Gott“ (20,17). Aus dem gleichen Grund dürfte auch das „Vaterunser“ bei Johannes fehlen und durch Jesu große Meditation darüber in Joh 17 ersetzt sein. 6: Auf die Entsprechung der Worte Jesu: Ω kairÖ" ¨ †mÖ" o∂pw p›restin, und der Antwort an seine Mutter: o∂pw ªkei ™ øra mou (2,4), haben wir oben schon hingewiesen. Hinzuzufügen ist dem jetzt aber, daß das nicht einfach ein Topos des Genres ‚Wundererzählung‘ ist (so Bultmann), sondern ein absichtsvoll doppeldeutiger und damit genuin johanneischer Ausdruck, der die Stunde der ‚Erhöhung‘ Jesu bezeichnet, auf die das Weinwunder als ihr shmeõon nur hinweist. Daß jetzt statt von der „Stunde“ vom kair∙" Jesu (wie seiner Brüder!) die Rede ist, darf nicht als Indiz einer „Quelle“ ausgeschlachtet werden, sondern hängt wohl zum einen mit der Vorliebe unseres Autors für den Gebrauch von Synonyma und zum anderen damit zusammen, daß die øra auf eine so spezifische Weise mit dem Weg und der Person Jesu verbunden und dadurch definiert ist, daß es nahezu unmöglich wäre, von der „Stunde“ seiner Brüder zu sprechen. Um aber den Gegensatz zwischen Jesus und seinen ungläubigen Brüdern gleichwohl kompatibel zu machen, ist jetzt von seinem und ihrem kair∙" die Rede: ¨ dÇ kairÖ" ¨ ≠mfitero" p›ntotfi †stin ∫toimo". Jesu kair∙" steht als seine „Stunde“, die das Schicksal der Welt ‚wenden‘ wird, noch bevor. Vom kair∙" seiner Brüder und aller anderen Menschen dagegen gilt, daß er jederzeit, p›ntote, „solange es noch ‚heute‘ heißt“, da ist, dazu da ist, „seine (sc. Gottes) Stimme zu hören und sein Herz nicht zu verstocken“ (Ps 95,8). 7: „Euch kann die Welt nicht hassen, mich aber haßt sie, weil ich ihr bezeuge (marturù perÑ a§toú), daß ihre Werke böse sind“. „martureõn per‡ tino" ist die häufigste und hervorstechendste Konstruktion des Verbs bei Johannes. E. Ruckstuhl wertet sie … als ‚johanneisches Stilmerkmal‘. Wir finden sie bei Johannes nicht weniger als 19mal“ (Beutler, Martyria 223; vgl. Ruckstuhl, Einheit 204). Der Schlüssel zu Jesu Wort an seine Brüder, daß der k∙smo" sie gar nicht hassen könne, liegt in seiner abschiedlichen Rede an seine Jünger: „Wenn der Kosmos euch haßt, so bedenkt doch, daß er mich bereits vor euch gehaßt hat. Wenn ihr aus der Welt wäret (e¢ †k toú k∙smou éte), würde die Welt (euch als) ihr Eigenes lieben. Weil ich euch aber aus der Welt heraus erwählt habe, darum haßt euch die Welt“ (15,18 f). Man wende nicht ein, das könne der in seiner Lektüre bis Joh 7,7 gekommene Leser doch noch gar nicht wissen. Denn um diesen potentiellen Leser von Fleisch und Blut geht es hier gar nicht, sondern vielmehr um den ‚idealen Leser‘ als Konstrukt des gesamten Textes von dessen Anfang bis zu seinem Ende und von da zurück zum Anfang. Und der „weiß“, daß die Welt Jesu Brüder gar nicht hassen kann, weil sie †k toú k∙smou sind, weshalb der Kosmos sie im Gegenteil sogar als sein ¥dion lieben wird. In der erzählten Zeit unseres Evangeliums gehören sie jedenfalls nicht zu denen, die Jesus „aus der Welt heraus erwählt hat“ und die deshalb wie ihren Herrn der Haß der Welt trifft. Gerade das aber hat etwa das judenchristliche sogenannte ‚Hebräerevangelium‘ geändert und so implizit bestritten. Es macht den Herrenbruder Jakobus zum Teilnehmer am letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern und danach zum ersten Zeugen des Auferstandenen: Beim letzten Mahl „hatte Jakobus nämlich geschworen, er werde kein Brot mehr essen von jener Stunde an, da er den Kelch des Herrn getrunken hatte, bis er ihn von den Entschlafenen auferstanden sähe. Und kurz darauf sagte der Herr: Bringt einen Tisch und Brot! Und sogleich wird hinzugefügt: Er nahm das Brot, segnete es und brach es und gab es Jakobus dem Gerechten und sprach zu ihm: Mein Bruder, iß dein Brot, denn der Menschensohn ist von den Entschlafenen
386
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,6–10
auferstanden“ (Hieronymus, de vir. inl. 2; vgl. dazu Strecker, Hebräerevangelium 147). Eine ähnliche Rolle spielt Jakobus im Logion 12 des Thomasevangeliums: „Es sprachen die Jünger zu Jesus: Wir wissen, daß du von uns gehen wirst. Wer ist es, der dann groß sein wird über uns? Jesus sprach zu ihnen: Am Ort, wohin ihr gekommen seid, werdet ihr zu Jakobus dem Gerechten gehen, um dessentwegen der Himmel und die Erde geworden sind“.
8 f: „Zieht ihr hinauf zu dem Fest! Ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest, denn meine Zeit ist noch nicht vollendet. Das sagte er, blieb selbst aber in Galiläa“. Wie schon Ephraem, Epiphanius und andere Väter sieht Bauer ganz richtig, daß Johannes sich hier „einmal wieder in amphibolischer Redeweise“ bewegt: „ünaba‡nein blickt nicht nur auf die Reise nach Jerusalem, sondern ebenso auf den Aufstieg in den Himmel (wie 3,13; 6,62). Und da e¢" m. Akk. die Bedeutung von †n m. Dat. haben kann (s. z. 1,18), ergibt sich für das o§k ünaba‡nw e¢" tÉn ©ortÉn ta‚thn der Doppelsinn: 1. ich reise nicht zu diesem Fest hinauf und 2. ich steige nicht an diesem Fest nach oben.“ (Komm. 108; vgl. M. Davies, Rhetoric 192; U. Wilckens, Komm. 128). Ähnlich hatte schon Apollinaris von Laodicea das emphatische ta‚thn beurteilt und Jesus dazu die erklärenden Worte in den Mund gelegt: ∫tero" gÅr ¨ tö" †mö" ©ortö" kair∙" (Frgm. 33 bei Reuss, Johanneskommentare 15). Anstelle des o§k (ünaba‡nw) bieten P66.75 B L T W Q Y 0105. 0180. 0250 f1.13 M f q syp.h sa ac2 pbo in V. 8 – wohl im Blick auf Jesu in V. 10 dann dennoch erfolgendes „Hinaufgehen“ –: o∂pw ünaba‡nw. Das dürfte aber trotz des durch a D K 1241 al lat sys.c bo schwächer bezeugten o§k als der lectio difficilior eine sekundäre Erleichterung sein, zumal sich das o∂pw leichter aus dem o§k erklären läßt als dieses aus jenem. Möglicherweise zur Vermeidung einer Wiederholung seines o∂pw bietet P66 statt des o∂pw vor peplflrwtai die Lesart o§dfipw.
10: Indem Jesus nun doch – wenn auch o§ fanerù" üllÅ †n kruptù – zum Laubhüttenfest nach Jerusalem hinaufgeht, scheint er damit der Antwort, die er eben noch ‚seinen Brüdern‘ gegeben hatte, durch sein faktisches Verhalten zu widersprechen. Daß hier eine gewisse Analogie zu dem Wort an ‚seine Mutter‘: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (2,4) und seinem anschließenden Tun besteht, ist oft notiert worden. War dort der ‚Schlüssel‘ zur Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs die Kennzeichnung des Kanawunders als ürcÉ tùn shme‡wn (2,12), das heißt: als auf Jesu ‚Stunde‘ hinweisendes ‚Zeichen‘, so muß dieser Schlüssel hier zum einen in der oben erörterten absichtsvollen Doppeldeutigkeit von ünaba‡nw liegen, das vordergründig den Weg der Festpilger „hinauf nach Jerusalem“ bezeichnet, zugleich aber hintergründig den spezifischen Weg Jesu hinauf zu seinem Vater, wo er zuvor gewesen ist. Schlüsselfunktion dürfte zum anderen auch die wohl auf dieses doppeldeutige ünaba‡nw bezogene Wendung o§ fanerù" üllÅ †n kruptù haben. Denn wenn Jesus nicht während dieses, sondern eines anderen Festes, nämlich des kommenden Passa, dorthin „aufsteigen“ wird, wo er zuvor war, dann ist wohl erst aus den Hosianna-Rufen und dem Psalmengesang derer, die den zu seiner ‚Stunde‘ in die Davidstadt Einziehenden mit den Worten empfangen: e§loghmfino" ¨ †rc∙meno" †n £n∙mati kur‡ou, ¨ basileÜ" toú ûIsrafll (12,13), zu lernen, was es um ein ‚Hinaufgehen‘, o§dfipw †n kruptù, üllÅ fanerù" ist. Ob der Leser dem o§ fanerù" üllÅ †n kruptù freilich entnehmen soll, „daß Jesus sich nicht wegen des Festes in Jerusalem aufhält, sondern souverän die Festtage seinen Zwecken unterwirft und dazu nutzen wird, seine Sendung öffentlich zur Sprache zu bringen, wann er es will“ (L. Schenke, Komm. 160), erscheint uns 387
7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
indes fraglich. Denn zwischen Jesu durch das Laubhüttenfest motiviertem Aufenthalt in Jerusalem und dem Umstand, daß er ihn dazu nutzt, „seine Sendung öffentlich zur Sprache zu bringen“ besteht kein Gegensatz. Johannes zeichnet Jesus absichtsvoll als toratreuen Juden, zu dem auch seine Teilnahme an den großen Jahresfesten Israels gehört. Daß dieser Festpilger als der noch verborgene basileÜ" toú ûIsrafll aber zugleich derjenige ist, der Eines ist mit dem Vater, das werden sie erst später begreifen. – Abgesehen davon, daß Jesus als der von den Toten Auferstandene noch einmal an den Ort der wunderbaren Speisung am galiläischen ‚See von Tiberias‘ zurückkehren und dort mit seinen Jüngern erneut ein Mahl halten wird (Joh 21), gilt jedenfalls im Blick auf die Wege des irdischen Jesus tatsächlich: „Mit dieser Reise (V. 10) verschwindet Galiläa aus dem jo. Lebensbilde Jesu“ (Bauer, Komm. 107). 11–13: Zu dem Pro-Nomen †keõno" zitiert Bauer Chrysostomus: ≠pÖ toú polloú m‡sou" kaÑ tö" üpecje‡a" o§dÇ £nomastÑ a§tÖn kaleõn †bo‚lonto (Hom. 48,1; Bauer, ebd. 109). Während die ûIoudaõoi Jesu Namen aufgrund ihrer üpficjeia nicht nennen, sagen die Massen aus Furcht vor eben diesen ‚Juden‘ nur ‚er‘. Das zeigt eine neue Nuance im Gebrauch des Lexems ûIoudaõo" an. Denn wenn die skhnophg‡a in V. 2 als ™ ©ortÉ tùn ûIouda‡wn bezeichnet wurde, so war der Genitiv tùn ûIouda‡wn, der das Fest näher bestimmte, hier ganz fraglos neutral, wenn nicht im Lichte von 4,22 sogar positiv zu begreifen. Jetzt aber werden die doch gewiß jüdischen Festpilger nicht ûIoudaõoi, sondern absichtsvoll µclo" bzw. µcloi genannt und als solche gekennzeichnet, deren Verhalten durch ihre ‚Furcht vor den Juden‘ (diÅ tÖn f∙bon tùn ûIouda‡wn) bestimmt ist, und die damit deutlich von diesen unterschieden werden. Mit o´ ûIoudaõoi können hier darum keinesfalls ‚die Juden‘ schlechthin bezeichnet sein, nicht das jüdische Volk ist hier im Blick, sondern eine bestimmte Elite, deren faktische Macht ‚das Volk‘ fürchtet, und die dieses Volk ihrerseits verachtet und es als den µclo" … ¨ mÉ gin„skwn tÖn n∙mon (7,48) verflucht. Und es ist dann ironischerweise ein ±rcwn aus ihrer Mitte, nämlich jener Nikodemus, der des Nachts zu Jesus gekommen war (3,1 ff), der aufdecken muß, daß sie selbst die Tora nicht kennen und sich, von ihrer Feindschaft Jesus gegenüber geblendet, über deren Weisungen hinwegsetzen (7,50 f; s. u. z. St.). (2) Jesu Lehren während des Laubhüttenfestes im Tempel (7,14–52) 7,14–31: Geteilte Meinungen unter den Festpilgern über Jesus und seine Lehre 14
Auf der Höhe des Festes ging Jesus hinauf in den Tempel und lehrte. Und verwundert fragten sich die Juden: Woher kennt dieser denn die Schriften, wo er doch gar nicht studiert hat? 16 Doch Jesus antwortete ihnen und sagte: Meine Lehre ist gar nicht die Meine, sondern sie ist diejenige dessen, der mich gesandt hat. 17 Wenn einer dessen Willen tun will, dann wird er begreifen, ob meine Lehre aus Gott ist, oder ob ich aus eigenem Vermögen rede. 18 Wer derart aus sich selbst redet, der ist nur auf seine eigene Ehre aus. Wer dagegen allein nach der Ehre dessen trachtet, der ihn gesandt hat, der ist wahr und an dem ist kein Unrecht. 19 Hat euch nicht Mose das Gesetz gegeben? Und doch tut keiner unter euch das Gesetz. Denn warum 15
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Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,10–15
suchtet ihr sonst, mich zu töten? 20 Da erwiderte ihm die Volksmenge: Du bist ja von einem Dämon besessen! Wer (von uns) will dich denn töten? 21 Jesus antwortete ihnen mit diesen Worten: Ein (einziges) Werk habe ich getan, und darüber seid ihr alle in Verwunderung geraten. 22 Warum denn nur? Mose hat euch doch das Beschneidungsgesetz gegeben – nicht daß es erst von Mose stammte, sondern ja bereits von den Vätern – und danach beschneidet ihr einen Menschen selbst am Sabbat. 23 Wenn aber ein Mensch am Sabbat beschnitten werden muß, damit das Gesetz des Mose nicht aufgelöst wird, warum zürnt ihr mir dann, weil ich einen ganzen Menschen am Sabbat gesund gemacht habe? 24 Richtet doch nicht nach bloßem Augenschein, sondern fällt ein gerechtes Urteil! 25 Darauf äußerten einige der Jerusalemer: Ist das nicht der, den sie töten wollen? 26 Und siehe da, der redet hier ganz öffentlich und keiner widerspricht ihm! Haben denn etwa die Oberen jetzt wahrhaftig erkannt, daß dieser der Messias ist? 27 Doch von diesem wissen wir ja, woher er stammt. Wenn dagegen der Messias erscheint, dann weiß niemand um sein Woher. 28 Da erhob Jesus, während er im Tempel lehrte, seine Stimme und erklärte: Wohl kennt ihr mich und wißt auch, woher ich stamme. Und doch bin ich nicht aus eigener Initiative gekommen, sondern es ist der Wahrhaftige, der mich gesandt hat, und den kennt ihr nicht. 29 Ich dagegen kenne ihn, denn ich bin von ihm und er hat mich gesandt. 30 Da versuchten sie ihn zu ergreifen, doch niemand legte Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen. 31 Viele aus dem Volk aber fanden zum Glauben an ihn. Sie sagten: Wird denn etwa der Messias, wenn er kommt, mehr Zeichen tun als dieser getan hat? 14 f: Ob und wie Jesus mit seinen Jüngern an der von Freude erfüllten Feier des Laubhüttenfestes teilgenommen hat, wird nicht erzählt. Das ist jedoch kein argumentum e silentio für das doch eher Undenkbare, daß sie das Fest bis zu seiner ‚Mitte‘, von der nun erzählt wird, gemieden hätten. Wichtig ist dem Erzähler nach seinem Bericht von Jesu Lehren †n sunagwgÔö in Kapharnaum (6,58) allein zu erzählen, daß Jesus auch im Tempel, wo gerade auf der Höhe des Festes mit den zuletzt angekommenen Pilgern „alle Juden versammelt sind“ seine Lehre freimütig und öffentlich vorgetragen hat (vgl. 18,20: †gá parrhs‡a lel›lhka tù k∙smw, †gá p›ntote †d‡daxa †n sunagwgÔö kaÑ †n tù ´erù, Ωpou p›nte" o´ ûIoudaõoi sunfircontai, kaÑ †n kruptù †l›lhsa o§dfin (s. o. zu 6,59). Ähnlich wie in der lukanischen Erzählung ‚Vom zwölfjährigen Jesus im Tempel‘ (Lk 2,42 ff), wo das Kind freilich nicht ausdrücklich „lehrt“, aber gleichwohl die versammelten ‚Lehrer Israels‘ durch sein Zuhören und seine klugen Bemerkungen in höchstes Erstaunen versetzt (†x‡stanto dÇ p›nte" o´ üko‚onte" a§toú †pÑ tÔö sunfisei kaÑ taõ" üpokr‡sesin a§toú: Lk 2,47), geraten auch hier die versammelten ûIoudaõoi ins Staunen: „Wie kann dieser denn nur die Schriften kennen, ohne daß er darin unterwiesen worden wäre?“ Sie haben Jesus das gar nicht gefragt, sondern wiederum nur untereinander über ihn als einen oæto" räsoniert. Doch Jesus (und sein allwissender Erzähler) kennt ihre geheimsten Gedanken und ‚antwortet‘ ihnen auf die Frage, die sie ihm gar nicht gestellt haben: „Meine Lehre habe ich nicht aus mir selbst, sondern von dem, der mich gesandt hat. Wenn einer seinen Willen tun will, dann wird er erkennen, ob meine 389
7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Lehre aus Gott ist, oder ob ich aus mir selbst rede. Wer aus sich selbst heraus redet, der trachtet nach seinem eigenen Ruhm. Wer dagegen den Ruhm dessen sucht, der ihn gesandt hat, der (und dessen Rede) ist wahr und keine Ungerechtigkeit ist in ihm“. Bauer übersetzt V. 15 so: „Woher hat dieser die Elementarkenntnisse, ohne Unterricht empfangen zu haben?“ und gibt mit einer Menge von Belegen dafür diese Begründung: „Artikelloses gr›mmata mit einem Verbum wie †p‡stasjai, e¢dfinai, manj›nein, did›skein bedeutet die Elementarkenntnisse, spez. das Lesen und Schreiben“. Er sieht in V. 15, der „aus fremder Umgebung hierher verschlagen“ scheine, eine Zurückweisung „der antichristlichen Polemik, Jesus wäre ein Analphabet gewesen“, und erklärt: „Der Zusammenhang (könne) gegen (s)eine entsprechende Übersetzung schon deshalb nicht angerufen werden, weil sich bei Jo öfters Rede und Gegenrede nicht (entsprächen). Er (könne) es um so weniger, als auch die Bedeutung ‚Schriftgelehrsamkeit‘, wie sie die grammateõ" besitzen, dem, was Jesus lehrt, in keiner Weise (entspreche) …“ (Komm. 109). Gegen Bauer meinen wir jedoch, V. 15, wie jeden anderen Vers unseres Evangeliums, aus seiner eigenen und nicht aus einer vermeintlich „fremden Umgebung“ verstehen zu müssen. Daß Johannes hier apologetisch die Behauptung zurückweisen wolle, Jesus sei Analphabet gewesen, kann doch kein normaler Leser dem Text entnehmen. Und was „artikelloses gr›mmata mit einem Verbum“ in den von Bauer zitierten Zusammenhängen (und durch sie definiert!) jeweils bedeutet, kann über dessen Bedeutung in einem neuen Kontext keinesfalls entscheiden. Denn Sprache existiert nur in ihrem aktuellen Gebrauch, sie ist kein statisches, sondern ein virtuelles System. Mit oder ohne Artikel müssen die gr›mmata kontextbedingt darum hier Israels heilige Schriften sein.
16: Daß Jesu Lehre nicht seine eigene Erfindung, sondern die Lehre dessen ist, der ihn gesandt hat, wird im Evangelium vielfach wiederholt und variiert: vgl. nur 8,26 ff; 38 ff; 12,49 f; 14,10.24. Und für dieses Verständnis eines von Gott Gesandten kann er sich durchaus auf die ‚Schrift‘ berufen. Denn schon Mose hatte in Num 16,28 erklärt: †n to‚tw gn„sesje Ωti k‚rio" üpfisteilfin me poiösai p›nta tÅ ≤rga taúta, Ωti o§k üpû †mautoú ktl. So gesehen ist Jesu ‚Antwort‘ also sehr wohl als eine Demonstration seiner spezifischen ‚Schriftgelehrsamkeit‘ zu begreifen. Philon erklärt zu Deut 18,15, daß der von Gott gesandte Prophet, wenn er plötzlich erscheine, nichts ‚Eigenes‘ sagen werde (lfigwn mÇn o¢keõon o§dfin), denn die Propheten seien Sprecher für Gott, der sich ihrer Organe zur Offenbarung seines Willens bediene (katacrwmfinou toõ" †ke‡nwn £rg›noi" prÖ" dfllwsin «n …n †jelflsÔh: spec. leg. I, 65). 17 f: Hier wird klar, daß die geforderte Art von Erkenntnis nicht theoretischer, sondern eminent praktischer Natur ist. Denn nur wer sich mit Leib und Seele darauf einläßt (†›n ti" jfilÔh), den Willen Gottes zu tun, der allein vermag zu unterscheiden, ob Jesu Lehre ‚aus Gott‘ ist oder ob er aus sich selber redet. Wenn hier derart undefiniert vom ‚Willen Gottes‘ die Rede ist, so ist dabei vorausgesetzt, daß Jesus und seine Antagonisten über diesen Gotteswillen durch die von Mose übermittelte Tora (s. u. zu V. 19 u. ö.) zureichend informiert sind. Aber nicht schon das bloße Wissen, sondern allein das Tun zählt hier und öffnet die Augen. In V. 18 wird in zwei parallelen Sätzen derjenige (¨), der (in angemaßter Vollmacht) ‚aus sich selbst‘ redet und damit doch nur seinen eigenen Ruhm zu begründen trachtet, antithetisch demjenigen (ebenfalls das generelle ¨) gegenübergestellt, der allein die d∙xa dessen sucht, der ihn gesandt hat (toú pfimyanto" a§t∙n), und der darum ‚wahr‘ und ohne üdik‡a ist. Die bei Johannes stereotype Wendung ¨ pfimya" a§t∙n zeigt an, daß Jesus von sich selbst redet. Zugleich aber öffnet er durch das Gegenüber dessen, der seinen eigenen Ruhm sucht, und dessen der nach dem Ruhm dessen trachtet, der ihn gesandt hat, denen den Weg zu ülfljeia 390
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,15–24
und dikaios‚nh, die er als von den Toten Erstandener seinerseits mit dem heiligen Geist ausrüsten und senden wird mit den Worten: kajá" üpfistalkfin me ¨ patflr, kügá pfimpw ≠mô" (20,21). 19: Wenn Jesus die in V. 16 nominal genannten Juden hier betont fragt: „Hat Mose euch nicht das Gesetz gegeben?“, so darf dieses „euch“ keinesfalls so verstanden werden, als distanziere sich hier irgendeine „johanneische Gemeinde“ im Namen Jesu von dem jüdischen Gesetz. Daß Gott Israel durch seinen Knecht Mose die Tora gegeben hat (s. o. zu 1,17), damit es sie ‚tue‘, ist vielmehr das unwiderrufliche Zeichen der Erwählung Israels aus allen Völkern. Dabei behaftet Jesus die Juden, wenn er hier betont „euch“ sagt und von „eurem Gesetz“, spricht (vgl. 8,17; 10,34 f). Mit der Frage: „Warum suchtet ihr denn sonst, mich zu töten?“ erinnert er sie an ihre mörderischen Absichten: diÅ toúto oên môllon †zfltoun a§tÖn o´ ûIoudaõoi üpokteõnai, Ωti o§ m∙non ≤luen tÖn s›bbaton, üllÅ kaÑ patfira ¥dion ≤legen tÖn jeÖn ¥son ©autÖn poiùn tù jeù (5,18). Dieser kunstvolle Einfall des Erzählers, die Kohärenz der Auseinandersetzung Jesu mit den ûIoudaõoi dadurch sichtbar zu machen, daß er sie über die lange galiläische Episode des sechsten Kapitels hinweg durch seinen Protagonisten an das Geschehen am Teich Bethesda erinnern läßt, darf nicht, wie das etwa bei U. Wilckens geschieht (s. o.), durch literarkritische Eingriffe und Hypothesen über eine vermeintlich „ursprüngliche“ Textfolge zerstört werden. 20–24: Ebenso kunstvoll ist der Griff, daß der Erzähler die angeredeten ûIoudaõoi nun betroffen schweigen und statt ihrer den µclo", der von dieser mörderischen Absicht offenbar nichts weiß, erklären läßt: ‚Du bist ja besessen (daim∙nion ≤cei"). Wer wollte dich denn schon töten?‘ Jesus bleibt aber bei seiner Anrede an die schweigende Minderheit der ûIoudaõoi (eèpen a§toõ"): ¬n ≤rgon †po‡hsa kaÑ p›nte" jaum›zete (diÅ toúto). Im Text von Nestle/Aland steht das diÅ toúto als Eröffnung von V. 22, und entsprechend haben wir es oben als Frage übersetzt. Da aber unsere Texte in fast allen unserer Handschriften interpunktionslos geschrieben und ihre Gliederungen in Kapitel und Verse sehr spät sind, kann man das diÅ toúto mit Bauer (Komm. 110) natürlich mit dem gleichen Recht zu V. 21 ziehen: „Nur ein einziges Werk habe ich verrichtet, und darüber (diÅ toúto) seid ihr alle so befremdet?“ Nach Lev 12,3 bestimmt die Tora: kaÑ tÔö ™mfira tÔö £gd∙Ôh peritemeõ tÉn s›rka tö" ükrobust‡a" a§toú. Und wenn dieser ‚achte Tag‘ ein Sabbat ist, dann ‚verdrängt‘ die Beschneidung den Sabbat. Billerbeck zitiert dazu TSchab 15,16 (134): „Rabbi Eliezer (um 90) sagte: Die Beschneidung verdrängt den Sabbat; weshalb? weil man sich ihretwegen, wenn sie nach der bestimmten Zeit ausgeführt wird, der Ausrottung schuldig macht (ºna mÉ lujÔö ¨ n∙mo"). Und ist da nicht der Schluß von dem Leichteren auf das Schwerere berechtigt? Wegen eines seiner Glieder verdrängt er den Sabbat, und er ganz (in Lebensgefahr) sollte den Sabbat nicht verdrängen? – In Joma 85b, verglichen mit 85a, ist diese Ausführung dem R. Eleazar b. Azarja (um 100) zugeschrieben: R. Eleazar antwortete und sprach: Wenn die Beschneidung, die eins von den 448 Gliedern an Menschen betrifft, den Sabbat verdrängt, um wieviel mehr muß dann sein ganzer Leib (wenn er in Todesgefahr schwebt) den Sabbat verdrängen!“ (II/488; weiteres zur Sache ebd. 487 f).
Auch darin erweist sich also Jesus, wiewohl mÉ memajhk„" (V. 15), als überlegener Kenner der Schriften und durchaus auf der Höhe auch der halachischen Diskussion um den Sabbat. Im übrigen setzt unser Erzähler voraus, daß auch sein ‚idealer Leser‘ mit der Sabbat-Tora und der Diskussion darum vertraut ist, denn sonst müßte Jesu Rede ihm ja unverständlich bleiben. Von hier aus zeigt sich aber auch, daß der Vorwurf der Juden, 391
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Jesus löse nicht nur den Sabbat auf, sondern mache sich, indem er Gott seinen eigenen Vater nenne, darüberhinaus selbst zu Gott (5,18), in jeder Hinsicht ein Mißverständnis war. Denn Jesu Diskussion mit den Juden würde ja buchstäblich bodenlos, wenn er nicht die biblische Sabbat-Tora als für beide Parteien verbindlich und unauflöslich voraussetzte. Der Streit kann darum nur um die Auslegung und Anwendung dieser Tora in konkreten Fällen, nicht aber um ihre grundsätzliche Verbindlichkeit gehen. Das hat H. Weiss sehr klar begründet, auch wenn wir seinen Versuchen nicht folgen können, aus den vermeintlichen ‚Schichten‘ von Joh 5 und 7 eine Geschichte der wechselnden Bedeutung des Sabbats innerhalb einer „johanneischen Gemeinde“ zu rekonstruieren. Mit der Forderung: „Urteilt doch nicht nach dem bloßen Augenschein, sondern fällt ein gerechtes Urteil!“ beschließt Jesus diesen Redegang und beansprucht damit, der Intention der Sabbat-Tora entsprochen zu haben. Als ein ärgeres ‚Mißverständnis‘ als dasjenige der fiktionalen Antagonisten Jesu auf der Ebene des Textes, das der ‚Bildung‘ des idealen Lesers dient, erscheint es uns darum, wenn ein realer Kommentator zu 5,18 etwa erklärt, daß Jesu Wort und Wirken nicht nur „the violation of the law of the sabbath, but its complete overthrow and fulfilment“ umfasse (Hoskyns, Komm. 267), oder wenn Lohse den Vers als Beleg dafür anführt, daß „Jesus … den Sabbat aufgelöst“ habe (Art. s›bbaton 28). 25 f: Anstelle der in V. 15 als Antagonisten Jesu eingeführten ûIoudaõoi läßt der Erzähler nun eine unbestimmte Zahl (tine") der Jerusalemer (wiederum nicht mit, sondern) über Jesus reden: „Ist dieser nicht der, den sie zu töten suchen?“. Indem sie undefiniert von ‚denen‘ sprechen, die ihn zu töten suchen (≈n zhtoúsin üpokteõnai), drücken sie, wiewohl doch fraglos selber Juden, ihre Distanz zu diesen ‚sie‘ aus. Sie sind verwundert darüber, daß die gegen Jesus nicht einschreiten und ihm nichts entgegnen, obwohl er hier doch in aller Öffentlichkeit redet. Darum fragen sie sich: „Sollten die Oberen (o´ ±rconte") etwa tatsächlich zu der Überzeugung gekommen sein, daß dieser der Messias ist?“ (V. 26). Der Sprachgebrauch erweckt den Anschein, als seien die von ihnen o´ ±rconte" Genannten mit denen identisch, die in der Perspektive unseres Erzählers o´ ûIoudaõoi heißen. Und wie zuvor durch das undefinierte „sie“ bringen sie ihre Distanz zu ‚denen‘ jetzt dadurch zum Ausdruck, daß sie nicht „unsere Oberen“ sagen, sondern von „den Oberen“ im Sinne von „denen da oben“ sprechen. Ähnlich wie die µcloi, deren Verhalten diÅ tÖn f∙bon tùn ûIouda‡wn (V. 13) motiviert war, scheinen auch diese ‚Jerusalemer‘ jene Archonten zu fürchten. Seit dem 16. Jahrhundert, in dem dieser Gedanke virulent gewesen sei, hat Derrett (∞Arconte") zum „ersten Mal“ wieder den Versuch unternommen, über der Rede von den Archonten deren mögliche symbolische Obertöne hörbar zu machen. Er will den Gebrauch des Lexems ±rcwn im Licht der zumal in den Qumran-Texten breit belegten Vorstellung der überirdischen Herrscher verstehen. Unter diesem Aspekt sieht er durch die Bezeichnung der Mächtigen als ±rconte" zum Ausdruck gebracht, daß diese irdischen Machthaber zugleich die gefügigen Werkzeuge Satans, des überirdischen ±rcwn toú k∙smou to‚tou seien. Nach Lk 4,5 f hat er die Macht, wem immer er will, die †xous‡a über alle Reiche der Welt und die ihr entsprechende d∙xa zu verleihen. Wir müssen bei der Kommentierung der Aussagen über den ±rcwn toú k∙smou to‚tou (Joh 12,31; 14,30; 16,11) auf die Frage zurückkommen. So gelesen böte die Rede von den ±rconte" dem Leser nicht nur „a double entendre“, sondern zugleich „a marvellous piece of humor“ (ebd. 173 ff). Derrett schlägt vor, Joh 7,26 so wiederzugeben: „Do the Archons know … that this is the Messiah?“, und fügt hinzu: „‚Of course they do‘. Archons have their agents in the real world. So let us provide a second meaning for Jn 7,48 also: ‚Surely none of the archons has believed in
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Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,24–29
him, nor of the Pharisees‘. The implications are startling. Firstly the Pharisees are the Archons’ associates, tempters; secondly those Archons did believe; and the belief of Pharisees will convince any sceptic“ (ebd. 179).
27: „Aber von diesem wissen wir ja, woher er stammt. Wenn aber der Messias erscheint, dann wird niemand wissen, woher er kommt“. In ähnlichem Sinn hatte schon Johannes der Täufer erklärt, daß er den unbekannten und im Verborgenen schon mitten unter seinem Volk lebenden Messias erst an dem ihm von Gott verheißenen Zeichen erkannt habe: ¨ pfimya" me bapt‡zein ... †keõn∙" moi eèpen: †fû ≈n …n ¥dÔh" tÖ pneúma katabaõnon kaÑ mfinon †pû a§t∙n, oñt∙" †stin ¨ bapt‡zwn †n pne‚mati ®g‡w ktl. (1,33). Eben diese „jüdische Schulmeinung“ (Bauer, Komm. 36), die hinter dem Täuferwort steckt, äußern jetzt auch einige der Jerusalemer. In diesem Sinne erklärt etwa Tryphon bei Justin, daß der Messias womöglich schon geboren sei und unerkannt irgendwo weile (cristÖ" dÇ, e¢ kaÑ gegfinhtai kaÑ ≤sti pou ≤gnwst∙" †sti kaÑ o§dÇ a§t∙" pw ©autÖn †p‡statai o§dÇ ≤cei d‚nam‡n tina mficri" …n †lján ûHl‡a" cr‡sÔh a§tÖn kaÑ fanerÖn pôsi poiflsÔh: Dial. 8; vgl. ebd. 49; 110; 4Esr 13,52; und siehe Bill. II, 489; Bousset, Judentum 230; Bauer, Komm. 37; Hoskyns, Komm. 317 f). Dieser Einwand der Jerusalemer ist freilich nicht so zu verstehen, „als ob vom Messias niemand wisse, von wem er abstammen oder wo er werde geboren werden; denn daran, daß der messianische König ein Davidide sein werde, bestand seit Ps Sal 17,21 … kein Zweifel mehr …; u. ebensowenig war unbekannt, daß Bethlehem als sein mutmaßlicher Geburtsort anzusehen sei“ (Bill. ebd.; s. u. zu 7,42). 28 f: Durch ≤kraxen ... did›skwn wird Jesu Rede als laut, eindringlich und öffentlich (†n tù ´erù) vorgetragene „Lehre“ markiert (s. o. zu 6,58 und vgl. zu diesem Gebrauch von kr›zein 1,15; 7,37; 12,44). Ob man den Satz: „Mich kennt ihr, und ihr wißt, woher ich bin“ als ironische Frage oder als Aussage lesen soll, weiß man nicht so recht. Bauer plädiert für das Letztere: „Er (Jesus) gibt zu, daß sie ihn kennen und wissen, woher er ist“ (Komm. 111). Differenzierter urteilt L. Schenke (Komm. 161 f): „Die Antwort Jesu – ein Ruf aus einer anderen Welt – ist voll tiefer Ironie. Er gibt den Einwänden Recht: Die Leute kennen ihn und wissen, woher er ist. Er ist der Sohn des Josef aus Nazaret (6,42). Doch damit wissen sie über seine Herkunft noch nichts. Erst wenn sie den kennen würden, der ihn gesandt hat, wüßten sie auch etwas über ihn. Also stimmt ihre Dogmatik, er ist wirklich der unbekannte Messias, als den ihn schon Johannes der Täufer verkündet hatte (vgl. 1,26.31.33)“. Darum gilt ihrem vermeintlichen Wissen um sein ‚Woher‘ gegenüber immer noch Jesu Aufforderung: mÉ kr‡nete katû µyin, üllÅ tÉn dika‡an kr‡sin kr‡nete (V. 24). Denn erst wenn sie wahrnähmen, daß er nicht aus eigenem Antrieb (üpû †mautoú wie 5,19.30; 7,17 f; 8,28.42; 14,10) gekommen ist, und wenn sie den ülhjin∙" kennten, der ihn gesandt hat, erst dann urteilten sie nicht mehr katû µyin, sondern fänden zu einem ‚gerechten Urteil‘ über sein wahres „Woher“. Das dem folgenden Satz: †gá o¥da a§tÖn ktl., emphatisch vorangestellte †g„ macht ihn fast zu einer inhaltlichen ‚Wiederaufnahme‘ des „Epiphonems des Johannesprologs“ (Lausberg). Anstelle des hymnisch von Dritten besungenen monogenÉ" jeÖ" ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patrÖ", der als einziger den Vater gesehen und aus seiner intimen Kenntnis „Kunde“ gebracht hat (1,18), erklärt sich Jesus seinen unwissenden Zuhörern gegenüber jetzt selbst zu dem, der den kennt und innig mit dem verbunden ist (parû a§toú e¢m‡), der ihn gesandt hat. Durch par› tino" bezeichnet die Koine „auch sonst innig mit jemandem Verbundene“ (Bauer, WB s. v.). 393
7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
30: Die Reaktion der Jerusalemer ist gespalten. Wenn die einen Jesus auf diese Äußerung hin festnehmen wollen (†zfltoun a§tÖn pi›sai), so zeigt das, daß sie als willige Werkzeuge der Archonten seinen darin zum Ausdruck gebrachten Anspruch sehr wohl verstanden haben. Aber sowenig dieses Laubhüttenfest der kair∙" seines ünaba‡nein ist (s. o. zu V. 6 ff), sowenig ist dies schon die Stunde, da irgend jemand Hand an ihn legen könnte (kaÑ o§deÑ" †pfibalen †pû a§tÖn tÉn ceõra, Ωti o∂pw †lhl‚jei ™ øra a§toú). Die anderen aber – und zwar nicht wenige, sondern †k toú µclou pollo‡ – haben Jesus auf ihre Weise auch ‚verstanden‘, wenn der Erzähler von ihnen in V. 31 sagt †p‡steusan e¢" a§t∙n. Und wie es bei Jesu erstem Auftreten im Tempel keinen Grund gab, den Glauben ‚vieler Jerusalemer an seinen Namen‘ als vermeintlich inferioren ‚bloßen Zeichenglauben‘ herunterzuspielen, weil es da hieß: polloÑ †p‡steusan e¢" tÖ µnoma a§toú jewroúnte" a§toú tÅ shmeõa ¡ †po‡ei (2,23; s. o. z. St.), so darf auch hier an der Ernsthaftigkeit des Glaubens der Vielen an Jesus nicht gezweifelt werden. Seit dem Weinwunder bei der Hochzeit in Kana als der ürcÉ tùn shme‡wn (2,11) sind in unserem Evangelium „die Zeichen Jesu dem Glauben positiv zugeordnet. Jesus wird aufgrund der Zeichen als der Christus erkannt. Es sind die Zeichen, die dieses konkrete Urteil über die Sendung Jesu ermöglichen. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß solcher Glaube negativ bewertet wird“ (Bittner 113). Ja, nicht nur die erzählten fiktionalen Figuren als die unmittelbaren Zeugen der ‚Zeichen‘ Jesu glauben ihretwegen, sondern das gesamte Evangelium als eine Auswahl aus den „vielen Zeichen, die Jesus getan hat,“ ist dazu geschrieben, damit seine potentiellen Leser an dem Glauben festhalten sollen, „daß Jesus der messianische Gottessohn ist“ (20,30 f). Die in der Auslegung des Johannesevangeliums verbreitete und von seinem Autor vermeintlich intendierte Kritik an dem „bloßen Zeichenglauben“ ist ein typisches Kind des neuzeitlichen Rationalismus, der die rationale Schönheit der Welt mit ihrer schönen Rationalität verwechselt. Die Mahlteilnehmer von Joh 6 werden nicht darum getadelt, weil sie das ‚Zeichen‘ gesehen hätten, sondern gerade, weil sie es als ‚Zeichen‘ gar nicht wahrgenommen haben. Sie haben sich vielmehr bloß an den Broten gesättigt. 31: Wenn die zum Glauben Gekommenen sich fragen, ob der Messias bei seinem Erscheinen etwa mehr Zeichen tun wird, als dieser getan hat (¨ cristÖ" Ωtan ≤ljÔh mÉ ple‡ona shmeõa poiflsei ón oñto" †po‡hsen), so muß die Antwort auf diese rhetorische Frage lauten: „Doch gewiß nicht!“ Statt des gut und breit bezeugten Aorist †po‡hsen (P66.75 B L T W D P Y f1 28. 33. 565. 700. 892 al) bieten a* D Q f13 pc lat syp das Präsens po‡ei. Da Jesus ja weiterhin ‚Zeichen‘ wirkt, dürfte das Präsens eine sekundäre Korrektur aus der Leserperspektive sein (vgl. Metzger, Comm. 217). Mit ihrer rhetorischen Frage bekunden die Fragesteller, daß die Zeichen, von denen sie gehört oder die sie gesehen haben, sie zum Glauben daran geführt haben, daß kein anderer als Jesus der Messias ist (vgl. Bittner 113). Schlatter zitiert zu dem Satz die Mech. zu Ex 15,11: shmeõa kaÑ dun›mei", ¡ poiflsw metÅ tùn u´ùn, ple‡ona ≤sontai ón †po‡hsa toõ" patr›sin, und erklärt dazu: „Die jüdische Meinung war: je mehr Wunder, desto mehr Grund zum Glauben; aber auch Joh. sah in der großen Zahl der Wunder eine Verstärkung der zum Glauben berufenden Verpflichtung, 12,37; 20,30“ (Komm. 197). Dem unter dem Eindruck des Auftretens Jesu entstandenen Schisma wird auch L. Schenke schwerlich gerecht, wenn er den oben zitierten Gedankengang derer, die an Jesus glaubten, so kommentiert: „Zwar gibt es auch Nachdenklichere in der Menge, 394
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,30–31
die von den Zeichen Jesu beeindruckt sind. Aber wirklichen Glauben an ihn fassen sie nicht, sonst könnten sie nicht so über ihn sprechen, wie sie es tun (7,31; vgl. 2,23 f; 4,43)“ (Komm. 162). Ähnlich schränkt auch U. Wilckens ein: „Für einige liegt die Vermutung nahe, daß er der Messias ist. Der Grund dafür sind freilich seine Wunder (vgl. 2,23; 3,2; 6,2.14), nicht sein Selbstzeugnis“ (Komm. 131). Im Gegensatz dazu läßt sich im Sinne des Evangelisten aber Jesu „Selbstzeugnis“ gerade nicht gegen seine shmeõa ausspielen, weil diese die intensivste Form sind, in der sich der fleischgewordene Logos irdisch bezeugt. 7,32–52: Erneuter Konflikt mit den Hohenpriestern und Pharisäern 32
Den Pharisäern kam zu Ohren, daß das Volk im Für und Wider derart über ihn redete. Da sandten die Hohenpriester und Pharisäer Diener aus, ihn zu verhaften. 33 Jesus aber erklärte: Noch eine kurze Zeit bin ich unter euch. Doch dann gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat. 34 Ihr werdet mich suchen, doch ihr werdet mich nicht finden. Denn wo ich bin, dahin könnt ihr nicht gelangen. 35 Da sagten die Juden zueinander: Wohin will der denn gehen, daß wir ihn nicht finden werden? Will er etwa in die Diaspora unter den Griechen gehen und womöglich gar die Griechen lehren? 36 Was mag das Wort, das er gesagt hat, bedeuten: Ihr werdet mich suchen, doch ihr werdet mich nicht finden. Denn wo ich bin, dahin könnt ihr nicht gelangen? 37 Am letzten Tag des Festes, dem Großen Tag, stand Jesus da und rief aus: Wen da dürstet, der komme zu mir; und es trinke, wer an mich glaubt! 38 Wie die Schrift sagt: Ströme lebendigen Wassers werden aus seinem Leibe fließen. 39 Damit meinte er aber den Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glauben. Noch gab es den Geist freilich nicht, weil Jesus ja noch nicht verherrlicht war. 40 Als nun Leute aus der Menge diese Worte vernahmen, da sagten sie: Dieser ist tatsächlich der (verheißene) Prophet! 41 Andere erklärten: Er ist der Messias. Wieder andere aber entgegneten: Kommt denn der Messias etwa aus Galiläa? 42 Sagt die Schrift nicht vielmehr, daß der Messias dem Samen Davids entstammt und daß er aus dem Dorf Bethlehem kommen wird, wo David war? 43 So entstand seinetwegen eine Spaltung in der Menge. 44 Einige von ihnen wollten ihn festnehmen. Doch keiner legte seine Hände an ihn. 45 Inzwischen waren die Diener zu den Hohenpriestern und Pharisäern zurückgekehrt und die fragten sie: Warum habt ihr ihn nicht hergebracht? 46 Die Diener erwiderten: Nie zuvor hat ein Mensch derart geredet! 47 Da fragten die Pharisäer sie: Seid ihr denn etwa auch schon (von ihm) verführt? 48 Glaubt denn irgendeiner von den Oberen (Archonten) an ihn oder einer der Pharisäer? 49 Nein! Sondern nur diese Masse, die das Gesetz nicht kennt, sie sei verflucht! 50 Da sagte Nikodemus, der Mann, der einst zu ihm gekommen und einer der Ihren war, zu ihnen: 51 Läßt es unser Gesetz etwa zu, einen Menschen zu verurteilen, ehe man ihn zuvor angehört hat und weiß, was er tut? 52 Darauf erwiderten sie ihm: Bist du etwa auch aus Galiläa? Forsche doch (in der Schrift) und du wirst sehen, daß aus Galiläa kein Prophet ersteht! 395
7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
32: Wenn die Pharisäer auf die Kunde von dem hier durch die Wendung: toú µclou gogg‚zonto" perÑ a§toú taúta in Erinnerung gebrachten ‚Schisma‘ unter der Volksmenge hin Jesu Verhaftung ins Auge fassen, so bestätigt das die Auffassung, daß sie „mit dem Glauben der Vielen aus dem Volk an Jesus“ ihre Felle davon schwimmen sehen. Das Verisimile des Erzählten erfordert die Koalition der Farisaõoi mit den ürciereõ", weil allein die letzteren über die Tempelwache gebieten und darum in der Lage sind, ≠phrfitai zur Verhaftung Jesu auszusenden. Das Lexem ≠phrfith" kommt im Neuen Testament – und zwar zumeist in der absoluten Pluralform o´ ≠phrfitai – zwanzigmal vor, davon allein neunmal bei Johannes. Je nach dem Kontext dient es zur Bezeichnung von Untergebenen, die im Dienst der Mächtigen stehen. Wenn seine basile‡a †k toú k∙smou to‚tou wäre (18,36), hätte auch Jesus ≠phrfitai, die für ihn kämpfen würden. Als bewaffnete Untergebene dieser seltsamen Koalition von Oberpriestern und Pharisäern (†k tùn ürcierfiwn kaÑ †k tùn Farisa‡wn) werden diese ≠phrfitai zusammen mit einer römischen speõra Jesus erst wirklich verhaften können, wenn seine ‚Stunde‘ gekommen ist und er sich ihnen mit seinem dreifachen †g„ e¢mi freiwillig ausliefert (18,2 ff). Für diesmal füllt der Erzähler darum die Zeit, bis sie unverrichteter Dinge zu ihren Auftraggebern zurückkehren (45 ff), geschickt damit aus, daß er Jesus öffentlich weiterreden und ihn das Schisma unter der Menge so noch vertiefen läßt. 33 f: „Jesus sagte: Nur noch eine kleine Weile bin ich unter euch, doch dann gehe ich hinauf zu dem, der mich gesandt hat. Ihr werdet mich suchen, aber ihr werdet mich nicht finden, denn wo ich bin, dahin könnt ihr nicht gelangen“. Nach 2,19; 3,14 f und 6,62 spricht Jesus hier zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit von seinem kurz bevorstehenden Aufstieg zu dem, der ihn gesandt hat. Aber nicht diese Information über seine baldige Heimkehr zum Vater ist hier das Entscheidende, sondern die Betonung, daß die Zeit für die Umkehr seiner Hörer kurz ist, daß die ‚kleine Weile‘, in der er noch unter ihnen ist und mit all seinen Gaben gesucht und gefunden werden kann, bald verronnen sein wird. Das Gewicht dieses Wortes von der ‚kleinen Weile‘ zeigt sich daran, daß Jesus es – wiederum vor dem µclo" – später so variieren wird: „Nur noch eine kleine Weile (mikrÖn cr∙non) scheint das Licht in eurer Mitte. Wandelt im Licht, solange ihr es habt, damit euch die Finsternis nicht überwältige …“ (12,35), sowie daran, daß er in der Stunde des Abschieds seine Jünger so an unsere Szene erinnern wird: „Kindlein, noch eine kleine Weile bin ich unter euch. Ihr werdet mich suchen, und was ich den Juden gesagt habe – nämlich: ‚Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen!‘–, das sage ich jetzt auch euch“ (13,33). 35 f: Daß Jesus von seiner bevorstehenden Rückkehr zum Vater redet, während die, die ihn festnehmen sollen, schon unterwegs sind, ist nicht ohne Ironie. Denn auch wenn die ‚Diener‘ der ‚Pharisäer und Hohenpriester‘ für dieses Mal noch mit leeren Händen zu ihren Auftraggebern zurückkehren müssen, werden sie es ja sein, die ihm durch seine Verhaftung im Garten jenseits des Baches Kidron (18,1 ff) seinen eigentümlichen Weg zum Vater ‚bahnen‘ werden, so daß auch in diesem paradoxen Sinn ‚das Heil von den Juden kommt‘. Für die ûIoudaõoi unter dem µclo" ist Jesu Wort von seinem bevorstehenden Weggehen dahin, wo sie ihn nicht mehr finden werden, darum rätselhaft, so daß sie sich fragen: „Wohin will der (oñto") denn gehen, daß wir ihn nicht mehr finden sollen? Will er etwa in die Diaspora der ‚Griechen‘ (∏Ellhne") gehen und die ‚Griechen‘ lehren? Was mag das Wort bedeuten, das er gesagt hat: ‚Ihr werdet mich suchen, doch ihr werdet mich nicht finden. Denn wo ich bin, dahin 396
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,32-37
könnt ihr nicht gelangen‘?“ Das Mißverständnis beruht zumal darauf, daß sie Jesu Rede ihrem eigenen beschränkten Horizont angepaßt und darüber sein alles entscheidendes Wort überhört haben: ≠p›gw prÖ" tÖn pfimyant› me. Aber vor diesem Auftraggeber wird er nicht wie die ≠phrfitai der Pharisäer und Hohenpriester mit leeren Händen erscheinen, sondern als das aus dem Munde Gottes hervorgegangene und fleischgewordene Wort wird er vollbracht haben, was Gott wollte, und ausgeführt haben, wozu er gesandt war (Jes 55,11). Auch in der Fügung diasporÅ tùn ßEllflnwn ist diaspor› die gängige Bezeichnung für die unter die Heidenvölker zerstreuten Juden, in diesem Falle also der Juden, die im Machtbereich der Griechen leben. Schlatter zitiert dazu u. a. Gen. R 76,3 und gibt die Stelle aus dem Brief Gamaliels I. griechisch so wieder: toõ" üdelfoõ" ™mùn toõ" u´oõ" tö" diasporô" Babulùno", toõ" u´oõ" diasporô" Mhd‡a", toõ" u´oõ" diasporô" ßEllflnwn kaÑ loipaõ" p›sai" tÅ" diasporô" toú ûIsrafll. „Hellenen heißen schwerlich die griechisch redenden Juden, sondern, wie im Brief Gamaliels, die Griechen, in deren Machtbereich die Juden leben“ (Komm. 108; vgl. Zahn, Komm. 393 f). Das wird vollends durch die nachfolgende Wendung: kaÑ did›skein toÜ" ∏Ellhna", evident, denn die ∏Ellhne" sind schwerlich ‚hellenisierte Juden‘ (ßEllhnista‡), sondern heidnische Griechen. „In dieser massiven Verkennung liegt aber für die Leser ein verborgener Doppelsinn: Zu ihrer Zeit ist die Lehre von Jesus, dem Christus, in der Tat in die Diaspora zu den Griechen gekommen“ (U. Wilckens, Komm. 132). 37 f: Das Laubhüttenfest (s. o. zu V. 2) wird nach Ex 23,16; 34,22 am Ende des Jahres als Ernte‑ und Lesefest gefeiert. Es währte nach Deut 16,13–15 sieben Tage lang. Ez 45,23–25 und Num 29,12–38 beschreiben minutiös die Art der Opfer, die an jedem der sieben Festtage darzubringen sind. Eine wohl nachexilische und gewichtige Neuerung ist die Erweiterung des Festes um einen achten Tag, der mit der ‚heiligen Festversammlung‘ begangen wurde (Lev 23,34 ff; vgl. Num 29,35). In Neh 8,17 f (= LXX: Esdr II, 18,17 f) wird erzählt, das Fest sei von ‚großer Freude‘ erfüllt gewesen und Tag für Tag (™mfiran †n ™mfira), von seinem ersten bis zu seinem letzten und siebten Tag habe Esra aus dem Buch des Gesetzes Gottes vorgelesen. Endlich habe am ‚achten Tag‘ nach der Vorschrift die ‚heilige Festversammlung‘ stattgefunden (kaÑ tÔö ™mfira tÔö £gd∙Ôh †x∙dion [trx[] katÅ tÖ kr‡ma). Zur Eigenart des Festes und zu seinen spezifischen Riten vgl. den ausführlichen Exkurs bei Bill. II, 774–812. Wie sein Name sagt, ist das Fest durch das siebentägige ‚Wohnen‘ seiner Teilnehmer in ‚Laubhütten‘ bestimmt. Eine prägende Rolle spielen ferner bestimmte Wasserriten und endlich die festliche Illumination des Vorhofs der Frauen. An allen sieben Festtagen schöpfte der Priester, der durch das Los für diesen Dienst bestimmt war, mit einem goldenen Krug Wasser aus der Quelle des Gichon, der den Teich Siloa speist, brachte das Gefäß sodann in feierlicher Prozession unter den Lobgesängen seiner Begleitung in den Tempel und goß das Wasser über dem Brandopferaltar in die dafür vorgesehene Schale aus. Das im Anschluß an das messianische Kapitel 11 des Jesaja-Buches „auf die erwartete und ersehnte Heilszeit“ hinweisende Jesajawort: „Mit Frohlocken werdet ihr Wasser schöpfen“ (Jes 12,3) ist möglicherweise seinerseits schon ein Hinweis auf diesen Wasserritus des Laubhüttenfestes (Kaiser, Jesaja 135). Jedenfalls aber ist es schon früh mit diesem verbunden und beim Wasserschöpfen rezitiert worden. Wie Sach 9–14 zeigt, war das Fest in der Zeit des zweiten Tempels von eschatologisch-messianischen Erwartungen erfüllt und hat Prophetentexte wie Jes 11 f; Sach 12,19 ff; 14,8 ff; Ez 36,25; 47,1 ff an sich gezogen: 397
7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
„The feast was also associated with the triumphant ‚day of the Lord‘. In the setting of Tabernacles Zech IX–XIV describes the triumph of Yahweh: the messianic king comes to Jerusalem, triumphant and riding on an ass (IX 9); Yahweh pours out a spirit of compassion and supplication on Jerusalem (XII 10); He opens up a fountain for the house of David to cleanse Jerusalem (XIII 1); living waters flow out from Jerusalem to the Mediterranean and the Dead Sea (XIV 8); and finally, when all enemies are destroyed, people come up year after year to Jerusalem to keep Tabernacles properly (XIV 16) …“ (Brown, Komm. I, 326). Darum hatte fraglos „auch die Wasserspende … in Verbindung mit den besonderen Freudenveranstaltungen einen eschatologischen und messianischen Aspekt. Jesus knüpft mit seinem Ruf offensichtlich an den Festgedanken und diesen besonderen Ritus an, wie er in 8,12 auf die Festbeleuchtung an der ‚Stätte des Schöpfens‘ dem Frauenvorhof, anspielen dürfte“ (Porsch, Pneuma 55).
Zumal für keinen der beiden Tage die Bezeichnung „der Große“ bezeugt ist, läßt sich die Frage, ob unser Erzähler hier den festlichen siebten oder den abschließenden achten Tag als den „letzten“ und „großen“ Tag des Laubhüttenfestes bezeichnet, schwerlich definitiv entscheiden. Weil aber der Ritus des Wasserschöpfens am siebten Tage mit einer siebenmaligen Prozession um den Brandopferaltar besonders feierlich gestaltet war und weil das Wohnen in den Laubhütten an diesem Tag endete, plädieren Zahn (Komm. 394), Bultmann (Komm. 228), Billerbeck (II, 490 f), Jeremias (Golgotha 81), Wikenhauser (Komm. 161), Brown (Komm. I, 320 ff), Porsch (ebd. 54) u. a. mit guten Gründen für diesen Tag als den eigentlichen Höhepunkt des Festes. Dagegen haben Bernard, Hoskyns und Bauer in ihren Kommentaren z. St. für den achten Tag votiert, von dem Schlatter unter Berufung auf Tos. Sota 15,12 behauptet hatte: „An diesem Tag (habe) der Hohepriester den goldenen Krug an der Quelle Siloa (gefüllt), … ihn in den Tempel (gebracht) und am Altar (ausgegossen)“ (Komm. 199 f). Doch daß dieser Wasserritus auch am achten Tage zelebriert wurde, ist nach Succa IV, 9 eine „Sondermeinung des Juda hanasi, welche nicht rezipiert“ (Zahn ebd. 395) und schwerlich je praktiziert wurde. Vermutlich also am siebten, als dem ‚letzten und großen Tag‘ des Laubhüttenfestes erhob sich Jesus und rief feierlich aus: „Wen da dürstet, der komme zu mir / und es trinke, wer an mich glaubt! Wie die Schrift sagt: ‚Ströme lebendigen Wassers werden aus seinem Leibe fließen‘“. Das hier mit ‚Jesus erhob sich‘ wiedergegebene Plusquamperfekt e´stflkei drückt, wie oft in der Koine, wohl eher den neuen Zustand als eine vergangene Handlung aus. Der Leser soll sich vorstellen, daß Jesus als „Lehrender“ zuvor gesessen hat, nun aber seinem solennen Ruf dadurch noch Nachdruck verleiht, daß er sich erhebt. Die Zuordnung der Wendung ¨ piste‚wn e¢" †mfi ist seit der Zeit der Alten Kirche strittig. Grammatisch bestehen dafür die folgenden drei Möglichkeiten: (1) Die Wendung bildet zusammen mit dem Vorausgegangenen einen chiastischen parallelismus membrorum der Form A – B / B´ – A´: †›n ti" diyô †rcfisjw pr∙" me / kaÑ pinfitw ¨ piste‚wn e¢" †mfi. Die diesem Offenbarungsruf folgende Zitationsformel kajá" eèpen ™ graffl wäre dann, wie bei Joh und auch sonst üblich, die Ankündigung eines ihr folgenden Schriftzitates: (2) Oder die Wendung ¨ piste‚wn e¢" †mfi will mit dem Folgenden so zusammengenommen sein, daß die Zitationsformel das Schriftzitat als Parenthese unterbräche: ¨ piste‚wn e¢" †mfi – kajá" eèpen ™ grafÉ – potamoÑ †k tö" koil‡a" a§toú Øe‚sousin ædato" zùnto". Im Unterschied zu (1) müßte man dann aber das Pronomen a§toú auf ¨ piste‚wn e¢" †mfi beziehen, so daß sich statt aus der koil‡a des Erlösers nun aus dem Innersten des Glaubenden ‚Ströme lebendigen Wassers‘ ergössen. Kaum zu Recht verweisen die Vertreter dieses Verständnisses zumeist auf Jesu 398
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,37–38
Wort an die Samaritanerin als vermeintliche Analogie, weil darin das Wasser, das Jesus gibt, dadurch allen Durst auf ewig löscht, daß es tatsächlich in dem, der es getrunken hat, zu einem Quell wird, der ins ewige Leben ‚fließt‘ (≈" dû …n p‡Ôh †k toú ædato" oñ †gá d„sw a§tù o§ mÉ diyflsei e¢" tÖn a¢ùna, üllÅ tÖ ædwr ≈ d„sw a§tù genflsetai †n a§tù phgÉ ædato" ®llomfinou e¢" zwÉn a¢„nion: 4,14). Doch auch wenn die Frau vom Jakobsbrunnen in der erzählten Welt der Szene dadurch, daß sie ihre Landsleute zu Jesus führt, für diese gewissermaßen zur Mittlerin des Lebens wird, ist der zitierte V. 4,14 keine wirkliche Analogie. Denn in der Samaria-Episode geht es allein um das ‚ewige Leben‘ des Einzelnen, der von dem Wasser trinkt, das Jesus ihm gibt. Davon, daß die Samaritanerin durch ihr ‚Trinken‘ selbst zur Wasser‑ und Lebensquelle für andere würde, ist jedoch keine Rede, und das ist auch nicht das Thema der Szene. Die einzige Quelle des lebenspendenden Wassers ist und bleibt vielmehr Jesus als der swtÉr toú k∙smou (vgl. Thüsing, Erhöhung 162 f). Zwar können sich die beiden genannten Erklärungstypen auf sehr alte und breite Traditionen berufen, aber der letztere „erscheint dem Zusammenhang wenig angemessen, der sowohl in V. 37 wie in V. 39 an Jesus als den Spender denkt“ (Bauer, Komm. 112 f). (3) Darum bringt Bauer den folgenden dritten Lösungsvorschlag ins Spiel: „¨ piste‚wn e¢" †mfi (könnte) wohl noch zum Vorausgehenden gehören. Besser aber beginnt man damit den neuen Satz und faßt die Worte als Nominativus absolutus nach Art von 6,39; 8,45; 15,2; 17,2 … Das kajá" eèpen ™ gr. gehört dann aber nicht zu den Anfangsworten, als sei von schriftgemäßem Glauben die Rede“ (ebd.). In seiner Übersetzung, die diesen Erwägungen vorangestellt ist, paraphrasiert Bauer unsere Passage darum so: „Jesus … rief also: Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an mich glaubt (,der wird erleben, daß es so zugeht,) wie die Schrift gesagt hat: ‚Ströme werden aus seinem (des Erlösers) Leibe fließen lebendigen Wassers‘“ (112; vgl. Holtzmann, Komm. 124). Weil es johanneischem Stil widerspreche, das Partizip ¨ piste‚wn als antizipiertes Subjekt des folgenden Schriftzitats zu begreifen, argumentiert Kilpatrick ähnlich. Er versteht die Wendung ¨ piste‚wn e¢" †mfi als Anakoluth, der das indefinite Subjekt (t‡") der Imperative †rcfisjw und pinfitw durch ‚wer an mich glaubt‘ näherbestimmt (Punctuation; vgl. dazu Brown, Komm. I, 321). Wie Hugo Rahner und Boismard (De son ventre) aufgewiesen haben, geht die den Vorschlägen (1) und (3) gemeinsame christologische Interpretation von Joh 7,37 f schon auf die Zeit Justins zurück (vgl. EvThom Log,13 und siehe dazu Brown, Komm. I/320) und wird u. a. von Hippolyt, Tertullian, Cyprian, Irenaeus, Aphraates und Ephraem bezeugt. Unter den Zeitgenossen folgen ihr A. Schweitzer (Mystik 346 f), F.-M. Braun (L’eau et l’Esprit), Dodd (Interpretation 349), Jeremias (Golgotha 80 ff), Thüsing (Erhöhung 159 ff), Porsch (Pneuma 53 ff), Wetter (Sohn Gottes), Turner (Punctuation 66 f) sowie jeweils zur Stelle die Kommentare von Boismard/ Lamouille, Brown, Bultmann, Hoskyns, Macgregor, Mollat, Lagrange, Lindars, Sanders/Mastin, Schnackenburg, Schulz, U. Wilckens u. a. Die Deutung auf die koil‡a der Glaubenden als Quellort der lebendigmachenden Wasserströme wurde dagegen wohl zuerst in jener (alexandrinischen?) Tradition vertreten, deren Exponent der Schreiber von P66 sein könnte. Der setzt nämlich hinter das Verbum pinfitw einen Punkt und eröffnet den neuen Satz mit der Wendung ¨ piste‚wn e¢" †mfi: kajá" eèpen ktl. Da jedoch nur ganz wenige Handschriften unserer älteren Textzeugen Ansätze von Interpunktions-Zeichen bieten, ist dieser u. a. von P66 gesetzte Punkt hinter pinfitw von jeher strittig. Prominent gemacht hat die in dieser Interpunktion implizierte Deutung jedoch Origenes, der in 7,37 f „an echo of Philo’s doctrine (sah) that the perfect Gnostic could become, through his spiritual understanding of the Scriptures, a bubbling source of light and knowledge for others. Such an understanding
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7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
of John is not very persuasive“ (Brown, Komm. I, 321). Auch wenn dieser von Origenes eingeschlagene Weg „nicht sehr überzeugend ist“, folgen ihm – wie die Untersuchungen von H. Rahner und Boismard zeigen – die meisten der griechischen Väter. Von den neueren Exegeten und Kommentatoren vertreten namentlich Reim (Studien 54 ff) und F. Hahn (Worte vom lebendigen Wasser), dem Hoegen-Rohls 66 ff folgt, sowie die Kommentare von Barrett, Bernard, Heitmüller, Lightfoot, Odeberg, Schlatter, Strathmann, W. Temple, B. Weiß, Zahn u. a. diese Deutung (vgl. Brown ebd. 320). L. Schenke versucht beide Erklärungstypen zu verbinden. Er übersetzt die Passage so: „Wenn jemand Durst hat, soll er zu mir kommen und trinken! Wer an mich glaubt aus seinem (sic) Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen“. Doch diese Unklarheit ist offenbar beabsichtigt, denn Schenke kommentiert das dann so: Jesu „Leib ist der Tempel (vgl. 2,21), der Ort der wahren Anbetung Gottes (vgl. 4,21–23). Aus seinem Innern strömen die lebendigen Flüsse (7,38), die die fromme Erwartung mit dem Tempel (Ez 47,1–12) oder Jerusalem (Sach 14,8) verband. Die Leser sollen beim Ruf Jesu jene Verheißung von 4,10.14 mithören, in der Jesus der Samaritanerin lebendiges Wasser ankündigte, das denjenigen, der es trinkt, selbst zur sprudelnden Quelle macht“ (Komm. 164; ähnlich kombiniert Hoskyns: „The living water flows from the Christ to his faithful disciples, and from them to the world“; Komm. 320).
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß nicht nur der Umfang des Zitates nach wie vor strittig ist, weil die einen die Wendung ¨ piste‚wn e¢" †mfi als Teil davon ansehen, während die anderen gerade das bestreiten, sondern daß es darüberhinaus auch nicht gelingen will, seine Quelle aufzufinden, da es sich wörtlich weder in der Gestalt: potamoÑ †k tö" koil‡a" a§toú Øe‚sousin ædato" zùnto", noch in der Form: ¨ piste‚wn e¢" †mfi potamoÑ †k tö" koil‡a" a§toú Øe‚sousin ædato" zùnto", in der ‚Schrift‘ findet. Darum bietet auch kein entsprechender ‚Kontext‘ eine unmittelbare Hilfe dazu, zwischen den drei erörterten Optionen zu entscheiden. Auf die umfangreichste Suche nach dem Herkunftsort des ‚Zitats‘ hat sich wohl Reim (Studien 56 ff) begeben. Doch seine breite Untersuchung leidet darunter, daß er ohne zureichende Gründe die oben unter (1) und (3) genannten Optionen verwirft. Er hält sie für „dogmatischem Vorurteil“ entsprungen und will sich im Gegensatz dazu auf „rein exegetischem Wege“ (!) auf die Suche nach einem Text der Schrift machen, der dem Glaubenden verheißt, daß aus seinem Leibe Ströme lebendigen Wassers fließen sollen (56). Und diesen lange und bisher stets vergeblich gesuchten Text meint er endlich in Jes 28,16 gefunden zu haben! Doch da ist weder von Wasser noch vom Trinken und schon gar nicht davon die Rede, daß der Trinkende selbst zur unerschöpflichen Quelle würde, sondern allein davon, daß wer auf den von Gott auf dem Zion errichteten kostbaren Felsen baut, nicht zu Schanden werden soll (LXX: kaÑ ¨ piste‚wn †pû a§tÖn o§ mÉ kataiscunjÔö). Diesem Dilemma versucht Reim dadurch zu entrinnen, daß er den Satz: potamoÑ †k tö" koil‡a" a§toú Øe‚sousin ædato" zùnto", kurzerhand „zur Verheißung Christi“ erklärt, „die dem Zitat folgt“! So kann er sich dann am Ende „in den Grundzügen einig mit Chrysostomus“ wissen (ebd. 84), der zu Joh 7,37 f erklärt hatte: kaÑ poú eèpen ™ grafÉ Ωti potamoÑ †k tö" koil‡a" a§toú Øe‚ssousin ædato" zùnto"; o§damoú. t‡ oên ≤stin ¨ piste‚wn e¢" †mfi, kajá" eèpen ™ graffl; †ntaúta ≠post‡xai deõ, ºna Ô° tÖ potamoÑ ... tö" a§toú üpof›sew" (In Ioan. Hom. 51,1). Im Gegensatz zu Reim verbindet Bultmann, wie oben bereits gesagt, „das ¨ piste‚wn ... mit dem vorhergehenden pinfitw als dessen Subj. … nicht nur, weil sich, wenn das ¨ pist. e¢" †mfi zum folgenden gezogen wird, schlechterdings kein passendes Schriftwort finden läßt, sondern auch, weil der Satzrhythmus diese Verbindung verlangt, vor allem aber, weil sich sonst die grotesk-komische Vorstellung ergeben würde, daß aus 400
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,38
dem Leib des Trinkenden, der seinen Durst stillt, Wasserbäche strömen“ (Komm. 228, Anm. 6). Hinsichtlich des strittigen V. 38b mit dem ‚Schriftzitat‘ aber erklärt Bultmann apodiktisch: „V. 38b dagegen, der den Zshg. zwischen V. 37.38a und V. 39 sprengt, ist der kirchlichen Redaktion zuzuschreiben. Die Verlegenheit, die gemeinte Schriftstelle zu finden, entsteht vor allem dann, wenn man das ¨ pist. e¢" †mfi als zum Zitat gehörig ansieht.“ Doch auch wenn man es mit dem Vorangehenden verbinde, lasse „sich der Satz potamoÑ ktl. ... nicht als direktes Zitat nachweisen, wohl aber als deutliche Beziehungnahme auf eschatologische Weissagungen, daß in der Heilszeit aus dem Tempel oder aus Jerusalem eine Quelle entspringen wird … Die in at. lichen Texten nicht vorliegende Formulierung †k t. koil‡a" a§toú könnte dadurch veranlaßt sein, daß der Red. an 19,34 denkt (Jeremias, Golgotha 82; A. Schweitzer, Mystik 347 f). Da der Red. griechisch schreibt, ist an einen Übersetzungsfehler nicht zu denken“ (ebd. 229, Anm 2). Aber nicht nur der vermeintliche ‚Redaktor‘, sondern auch der Evangelist schreibt griechisch für griechischsprechende Leser, so daß auch im Blick auf ihn an irgendwelche „Übersetzungsfehler nicht zu denken“ ist. Weil wir aber nicht zu sehen vermögen, inwiefern V. 38b „den Zusammenhang zwischen V. 37.38a und V. 39“ sprengen soll, besteht für uns auch keine Nötigung, ihn der vermeintlichen „kirchlichen Redaktion zuzuschreiben“. Daß die in der ‚Schrift‘ nirgendwo nachweisbare Wendung †k tö" koil‡a" a§toú dagegen durch das Heraustreten von Blut und Wasser aus der durchbohrten Seite Jesu (kaÑ †xöljen e§jÜ" aïma kaÑ ædwr: 19,34) – von Bultmann (Komm. 525) ebenfalls seiner „kirchlichen Redaktion“ zugewiesen – „veranlaßt“ bzw. absichtsvoll auf sie bezogen ist, ist sicher ebenso zutreffend wie Bultmanns These, daß es sich bei dem Satz: kajá" eèpen ™ graffl: potamoÑ †k tö" koil‡a" a§toú Øe‚sousin ædato" zùnto", nicht um ein „direktes Zitat … wohl aber (um eine) deutliche Beziehungnahme auf eschatologische Weissagungen“ handele, die das heilszeitliche Entspringen einer unversieglichen Quelle aus dem Tempel oder aus Jerusalem verheißen (Komm. 229, Anm. 2; so auch Goppelt, Art. ædwr 326). Diese eschatologischen Verheißungen der Schrift sind zumal Jes 12,3; Ez 47,1–12; Joel 4,18; Sach 13,1; 14,8. Jüdische Exegese hat diese Texte alsbald mit der Tradition vom wasserspendenden Felsen in der Wüste verbunden (Ex 17,6; Num 20,7 ff; Ps 78,16). Paulus identifiziert diesen Felsen, der das Volk Israel während seiner vierzigjährigen Wüstenwanderung begleitete und seinen Durst stillte, mit Christus: ≤pinon gÅr †k pneumatikö" ükoloujo‚sh" pfitra", ™ pfitra dÇ én ¨ Crist∙" (1Kor 10,4; vgl. Apk 21,6; 22,17 und siehe dazu das oben zu Joh 4 im Anschluß an Olsson, Structure 162–173, über den Jakobsbrunnen Gesagte). Darauf, daß dieser wasserspendende Felsen das häufigste Symbol in den Malereien der Katakomben war, verweist Braun (Komm. I, 150). Boismard (Son Ventre) will den (späten!) Targum zu Ps 78,15 f, möglicherweise in einer Kombination mit Jes 48,21 f, als die unmittelbare Quelle unseres Zitats erweisen. In der Wendung †k tö" koil‡a" a§toú sieht er eine verfehlte Übersetzung des aramäischen hwg ˆym. Grelot (Son ventre und Eau du rocher) hat das bestritten und für Joh 7,38 dagegen eine „citation complexe“ postuliert, in der, wie bei den Rabbinen, die endzeitliche Wasserspende aus dem Tempelfelsen bereits mit der Tradition des wasserspendenden Wüstenfelsens verknüpft war (vgl. dazu Porsch, Pneuma 58 ff; und Brown, Komm. I, 322 ff). Auf diese Traditionen verweist auch Becker (Komm. I, 327), der jedoch zugleich seine Skepsis darüber äußert, ob der Evangelist „oder die joh. Gemeinde soviel spezielle Kenntnis jüdischer Festtradition noch besaß“. 401
7,1–52
Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Wie nicht nur das Spiel mit Sach 14,21 in Joh 2,16, in dessen unmittelbarem Kontext der Erzähler erklärt, mit dem Tempel, den Jesus nach seinem Abbruch binnen dreier Tage wieder errichten werde, habe er den Tempel seines getöteten Leibes gemeint (≤legen perÑ toú naoú toú s„mato" a§toú: 2,21), sondern wie auch die ausdrückliche Zitation von Sach 9,9 in Joh 12,15 (kaj„" †stin gegrammfinon) zeigt, und wie endlich das Zitat von Sach 12,10 in Joh 19,37 erweist, spielen die letzten Kapitel des SacharjaBuches eine prominente Rolle in unserem Evangelium. Die Auslegung der Szene mit dem Lanzenstich in die ‚Seite‘ des Gekreuzigten (19,31–37) wird zeigen, daß da mit den Worten: µyontai e¢" ≈n †xekfinthsan, nicht nur mit einem isolierten Bibelwort ein ‚Schriftbeweis‘ geführt wird, sondern daß dieses Zitat zugleich den gesamten Kontext von Sach 9–14 evoziert. Die Szenerie von Sach 14 ist die endzeitliche Freude, mit der die Erlösten im befreiten Jerusalem das Laubhüttenfest feiern und zusammen mit den ‚Übriggebliebenen aus allen Völkern‘ Jhwh Zebaoth als den universalen König anbeten. Da ist davon die Rede, daß es „an jenem Tage“ weder Tag noch Nacht, sondern selbst um die Abendzeit hell sein wird (vgl. Joh 8,12) und daß Jerusalem ‚lebendiges Wasser‘ entströmen wird (†xele‚setai ædwr zùn †x ûIerousalflm: 14,7 f; vgl. Ez 47,8 ff). Und im unmittelbaren Kontext der Ankündigung, daß sie auf den blicken werden, den sie durchbohrt haben, und um ihn trauern werden, wie man einen ‚einzigen Sohn‘ beklagt, erklärt Gott, daß er über die Bewohner Jerusalems „einen Geist des Erbarmens und des Gebetes“ ausgießen will und daß sich „an jenem Tage eine Quelle gegen Sünde und alle Befleckung für das Haus Davids und alle Bewohner Jerusalems öffnen werde“ (12,9–13,1). Darum sind die Deutero-Sacharja genannten Kapitel 9–14 des Prophetenbuches wohl schon früh zur prophetischen Haphtara des Laubhüttenfestes geworden (vgl. Guilding 92 ff). Und weil sich innerhalb der erzählten Welt unseres Evangeliums Jesu Verheißung, daß aus seinem Leibe Ströme lebendigen Wassers entspringen werden, mit der Szene vom Lanzenstich und dem Hervorströmen von Blut und Wasser aus seiner durchbohrten Seite, für das eigens ein Augenzeuge aufgeboten wird (19,33–37), förmlich erfüllt, scheint es uns am nächsten zu liegen, als Quelle unseres Zitats Sach 14,7 f anzusehen. Im übrigen ist Sach 14 wohl seinerseits ein intertextuelles Spiel mit Ez 47, wenn Sacharja statt des einen selbst das ‚Tote Meer‘ lebendigmachenden Flusses gleich deren zwei aus Jerusalem hervorgehen läßt. 39: Wie zuerst in dem Satz: „Als er aber auferstanden war von den Toten, da erinnerten sich seine Jünger, daß er dieses gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus ausgesprochen hatte“ (2,21 f), so meldet sich auch in unserem Vers der Erzähler und kommentiert das soeben Erzählte: „Das aber sagte er von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glauben. Denn den Geist gab es ja noch nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht war“. In beiden Fällen, wie in all seinen übrigen kommentierenden Sätzen, ist deutlich, daß der Erzähler aus der nachösterlichen Perspektive der Glaubenden und in der Gewißheit der Gegenwart des Erhöhten redet. Das ist nicht einfach das literarische Stilmittel der ‚Prolepse‘, sondern darin kommt eine grundsätzliche Wende der Erfahrung der Zeit zum ‚Vorschein‘, die in voller Klarheit erst Jesu Abschied und Abschiedsrede (Joh 13–17) thematisieren werden. Wenn da etwa der Irdische seine verzagten Jünger mit den Worten ermutigt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden!“ (16,33), so kommt darin zum Ausdruck, daß die österliche Realität der Gemeinde der Glaubenden, Gottes und Jesu nicht durch temporale Kategorien beschränkt ist: „The presence and interaction 402
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,38–39
of God and Jesus are not restricted by conventional notions of past, present, and future, nor is the community’s access to that presence bound by time … The fluidity of movement between present and future in the farewell discourse and the presence of the strong voice of the risen Jesus combine to give the reader of chaps. 13–17 in any generation full access to the presence of Jesus“ (O’Day, Overcome 164 f). Denn so wahr die österliche Verherrlichung Jesu ein Ereignis ist, „das in der Zeit geschieht“, so wahr ist sie in ihrer „Einzigartigkeit zugleich ein Ereignis, das ihr (sc. der Zeit) widerfährt und an ihr geschieht … Die Auferweckung Jesu aus dem Tode bricht die asynchrone Gewalt der Zeiten und eröffnet ihm eine ewige Nähe zu Nahen und Fernen, Lebenden und Toten, Gestorbenen und Ungeborenen, vor allem die Nähe eines lebendigen Erkennens und Erkanntwerdenkönnens über den Lauf der Zeiten hinweg … Man wird die Art und Weise, wie bereits Jesu Leben vor seiner Passion in den Evangelien geschildert wird, als erste Auslegung seines von der Macht des Todes über die Zeit befreiten Lebens verstehen müssen. Es ist jene anstößige Todesfreiheit, die ihn sein Leben kostet, aus deren Kraft er aber sein Leben schon von seiner ersten Stunde an geführt hat. Zu verstehen ist die biblische Darstellung des Wirkens, Lebens und Sterbens Jesu (aus der Kraft der angstbefreiten, vertrauenden Nähe) nur, sofern man Jesu Auferstehungsleben zuvor schon als die Kraft eines jeden richtigen jüdischen Lebens begreifen lernt. Jesus lebt bereits vor seinem Tod aus der Lebenskraft, die nach seinem Tod an ihm offenbar werden wird …“ (Marquardt, Christologie II, 304 f). Mit dem kommentierenden Satz: o∂pw gÅr én pneúma, Ωti ûIhsoú" o§dfipw †dox›sjh, erscheint im Evangelium zum ersten Mal – und zwar im Munde seines geisterfüllten und darum auf Jesu „Verherrlichung“ zurückblickenden Erzählers (vgl. Hoegen-Rohls 40) – das zumal Jesu Abschiedsrede prägende Lexem dox›zw (20mal im Munde Jesu, davon neunmal im Blick auf seine eigene Verherrlichung, und dreimal im Munde des Erzählers, nämlich hier, 12,16 und 21,19). Und nicht nur in diesem speziellen Fall, sondern weit darüber hinaus ist die Korrelation der erläuternden Kommentare des Erzählers mit den Themen der Abschiedsrede überraschend (Culpepper, Anatomy 39). Diese Kommentare betreffen außer dem doxasjönai Jesu und der Verleihung des Geistes an unserer Stelle und 12,16, Judas (6,71; 12,6; 13,11), die „Stunde“ Jesu 7,30; 8,20), den Ausschluß aus der Synagoge (9,22; 12,42), die Bedeutung des Todes Jesu (11,51 ff) und die Art seines Sterbens (12,33; 18,32). „In tracing the narrator’s foreshadowing of the events related to Jesus’ death, one sees that Jesus and the narrator share the same vocabulary and use terms with the same veiled or double meaning“ (ebd. u. vgl. 15 ff). Daraus, daß sich dieser rückblickende Kommentar des Erzählers rigoros über die erzählte Episode und die in ihr agierenden Figuren hinwegsetzt und sich allein an seine Zuhörer richtet – und das heißt ja praktisch: an alle potentiellen Leser des Schrift gewordenen Evangeliums –, wird deutlich, „daß das Ev gar keine Belehrung über die religiöse Situation der Hörer des irdischen Jesus geben will, sondern sich bewußt ist, daß alle von Jesus berichteten Worte in ihrem eigentlichen Sinn vom Erhöhten gesprochen werden, und zwar durch den Parakleten. … Wenn (aber) für 7,37–38a gilt, daß dieses Trinken Empfang des Geistes ist und daß dieser Geistempfang durch die Verherrlichung Jesu möglich wird, dann muß das auch für die anderen Aussagen gleicher Struktur, also für 4,10 ff; 6,35 usw., gelten. Aus Kap. 3 ist ja auch zu ersehen, daß die Möglichkeit der Wiedergeburt aus dem Geiste … durch das ünaba‡nein bzw. die Erhöhung des Menschensohnes 3,13 f gegeben ist; in Kap. 6 ist das ünaba‡nein in 403
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
gleicher Weise Voraussetzung für die Geist‑ und Lebensspendung durch das Brot des Lebens (das ja nach 6,51cff schon deutlich als aus dem Tode Jesu kommend dargestellt ist)“ (Thüsing, Erhöhung 163 f, der ebd. auf die Bemerkung von Joh 4,2 aufmerksam macht, wonach „Jesus selbst nicht taufte, (sondern) die Taufe mit dem Heiligen Geist … erst in der Verherrlichung“ vollzieht). Dieser treffenden Einsicht gegenüber meint Porsch, im Offenbarungswirken Jesu „zwei Stadien“ voneinander unterscheiden zu können. Dazu weist er auf die „Schwierigkeit“ hin, „die sich aus der Deutung des ‚lebendigen Wasser(s)‘ auf das Pneuma, d. h. auf eine noch ausstehende, zukünftige Gabe“ ergebe. „Die Einladung Jesu, bei ihm ‚trinken‘ zu kommen, konnte eigentlich nur einen Sinn haben, wenn sie sich an die unmittelbaren Hörer richtete und diese die Gabe wirklich empfangen konnten. In diesem Falle war mit den ‚Strömen lebendigen Wassers‘ ursprünglich (!) das Offenbarungswort Jesu, seine Wahrheit, gemeint, … was im übrigen der im AT, bei den Rabbinen und in Qumran belegten Symbolik entsprechen würde. Das Wort Jesu, das die Thora des AT ersetzt, ist die Gabe Jesu, des neuen Moses …, die mit ‚Strömen lebendigen Wasser(s)‘ verglichen werden kann und die fähig ist, den Durst nach Gottes Wahrheit und ewigem Leben (vgl. 6,63) zu stillen. – Spätere Erfahrung hat den Evg aber gelehrt, daß es zur vollkommenen, vertieften Erkenntnis des Wortes, der Wahrheit Jesu und zum entsprechenden Voll-Glauben der Wirksamkeit des Geistes bedarf, und er deutete daher das Wort von den ‚Strömen lebendigen Wassers‘ auf den Geist, die ‚Kraft des Wortes‘, die die Worte Jesu ‚aufschließt‘ und ‚in die Fülle der Wahrheit hineinführt‘ (16,13)“.
Abgesehen davon, daß uns die Behauptung, bei Johannes ‚ersetze‘ das Wort Jesu ‚die Thora des AT‘ ebenso verfehlt erscheint wie die Betrachtung Jesu als ‚neuer Moses‘, fragt man sich doch, was es heißen soll, „ursprünglich“ sei mit den ‚Strömen lebendigen Wassers‘ das „Offenbarungswort Jesu“ bezeichnet gewesen. Da nicht nur die Kommentare des Erzählers, sondern das ganze Evangelium Wort für Wort aus der Feder des Evangelisten stammt, kann das ja wohl nicht bedeuten, daß der ‚historische Jesus‘ in einer authentischen Rede auf dem Laubhüttenfest seine Worte als ‚Ströme lebendigen Wassers‘ bezeichnet habe. Denn dann müßte der Evangelist ja aufgrund seiner „späteren Erfahrung“ zum Kritiker des „ursprünglichen“ Wortes seines Herrn geworden sein. Da das eine absurde Vorstellung ist, kann das Nacheinander des ‚Ursprünglichen‘ und der ‚späteren Erfahrung‘ dann nur noch bedeuten, daß der Evangelist in einer verbesserten Neuauflage seines Werkes seine eigene einstige Ansicht korrigiert haben müßte. Auch das ist aber angesichts der Gestalt des Textes nicht vorstellbar. Darum wird man auf Porschs gesamte „Zwei-Phasen-Theorie“ verzichten müssen. Demgegenüber erklärt Becker treffend: „Für den unmittelbaren Kontext ist allein der formale Anstoß an Jesu Selbstzeugnis von Bedeutung. Der christliche Leser bekommt mit V. 38 f aber noch eine zusätzliche theologische Perspektive. Die joh Gemeinde weiß, daß der Geist erst nach der Erhöhung ihr gegeben wurde. Dann kann die Erfahrung, die Schrift habe sich erfüllt (V. 38), erst eine nachösterliche Erfahrung sein, denn so sicher Jesus schon als Irdischer den Geist besitzt (1,32 f), so doch nur er“ (Komm. I, 328; vgl. Lindars, Komm. 301 f). Fragwürdig scheint uns nur, wenn Becker ebd. fortfährt: „Diese Auffassung der joh Gemeinde legt ihr Selbstverständnis frei: Sie ist Gemeinde aus dem Geist des Erhöhten (14,16 f; 20,22; vgl. 2,21). Dies ist sie so betont, daß sie sich selbst absetzt von der vorösterlichen Situation, denn deren Geistmangel läßt Christentum im strengen Sinn erst mit der Erhöhung Christi beginnen. Christentum ist konstituiert durch den im Geist präsenten Christus als Quelle des Lebens“. Fragwürdig daran ist uns nicht die im zuletzt zitierten Satz gemachte Aussage, die im übrigen kein johanneisches Spezifikum ist, sondern für das gesamte Neue Testament gilt. Fragwürdig ist uns vielmehr die Einführung einer „johanneischen Gemeinde“ als Subjekt dieser treffenden Aussagen. Denn von ihr, von dem, was
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Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,39–40
sie ‚weiß‘, und davon, daß sie sich betont von der vorösterlichen Situation abgesetzt habe, können wir schlechterdings nichts wissen. Denn sie ist weder der kollektive Autor unseres Evangeliums, noch das darin gespiegelte Auditorium seiner Adressaten.
40: Auch ohne eine Ergänzung durch p∙lloi oder tinfi" vertritt die Präpositionalwendung †k toú µclou hier wie Joh 16,17 als ein Genitivus partitivus das Satzsubjekt (vgl. B-D-R § 164,6): Leute aus der Menge – ob es einige oder viele sind, wird nicht gesagt – äußern wie Joh 6,14 ihre Überzeugung: „Dieser ist tatsächlich (ülhjù") der Prophet“. Der Artikel zeigt, daß sie in Jesus den Dtn 18,15.18 verheißenen „Propheten wie Mose“ zu erkennen glauben. Gegen die Interpretation des Adverbs ülhjù" durch Meeks (Prophet-King 33 f) sagt dieses freilich nichts über die Beurteilung der wahren Identität Jesu durch den Erzähler aus, sondern macht nur deutlich, daß diese Leute ihn tatsächlich dafür halten. Wie zuvor Jesu glückliche Wiederholung des Mannawunders in der Wüste von Ex 16 durch seine wunderbare Brotvermehrung die Erinnerung an die Mosezeit wachgerufen und die Leute angeregt hatte, ihn mit dem verheißenen ‚Propheten wie Mose‘ zu identifizieren (6,14), so mag sie Jesu Verheißung der ‚Ströme lebendigen Wassers‘ jetzt an die dem Mannawunder in Ex 17 folgende Tränkung der Durstigen durch das Wunder des aus dem Felsen hervorquellenden Wassers erinnern und sie erneut sagen lassen: „Dieser ist tatsächlich der Prophet“ (vgl. Brown, Komm. I, 329). Die Folge von Israels Rettung durch das Mannawunder (Ex 16) und durch die unmittelbar danach in Ex 17 erzählte wunderbare Wasserspende ist zum festen Topos in der biblisch-jüdischen Überlieferung geworden. So heißt es etwa in Psalm 105,40 f: „Und er sättigte sie mit dem Brot vom Himmel/ und den Felsen öffnete er, da quoll das Wasser hervor und rauschte als Strom durch die Wüste“. Diese feste Folge des Wasserwunders auf den Mannaregen vom Himmel spricht im übrigen auch entschieden dagegen, die überlieferte Folge der Kapitel 6 und 7 zu vertauschen. Wie schon bei dem eigenartigen ‚Verhör‘ Johannes des Täufers durch die dazu aus Jerusalem entsandte Delegation (1,19 ff) wird dieser verheißene Prophet auch hier durch den folgenden V. 41 klar von dem Messias (¨ crist∙") unterschieden. Doch schwerlich berechtigt diese offenkundige Unterscheidung dazu, die prophetische Sendung des geisterfüllten Jesus von seinem königlich-messianischen Werk zu trennen. Denn nicht weil die Menge am See Jesus aufgrund des Zeichens der wunderbaren Speisung als den verheißenen Propheten wie Mose (¨ profflth" ¨ †rc∙meno" e¢" tÖn k∙smon: 6,14) erkannt hatte, sondern weil sie ihn gewaltsam zu ihrem König proklamieren wollte, hatte er sich in die Einsamkeit des Berges zurückgezogen. Hier ist dagegen weder von einer positiven noch auch von einer negativen Reaktion Jesu auf diese Prädikationen die Rede. Nach seiner solennen Einladung aller Durstigen zu ‚trinken‘, d. h. an ihn zu glauben, hat ihn jetzt vielmehr der Erzähler ‚zurückgezogen‘, so daß bis zum Ende des Kapitels nur noch unterschiedliche Gruppen von Leuten über Jesus und nicht mehr mit ihm reden. Bittner (Jesu Zeichen 57 ff) sieht wohl ganz richtig, daß der Evangelist Jesus nicht nach Analogie des Auftretens der von Josephus geschilderten ‚Zeichenpropheten‘ und ihrer politischen Ambitionen verstanden wissen will. Weil die Menge ihn in solchen Spuren als ihren König zu instrumentalisieren trachtet, läßt er Jesus sich dem Zugriff der Menge entziehen. Wenn Bittner jedoch „die Wurzel der johanneischen shmeõa-Problematik“ in dem Streit darüber meint ausmachen zu können, „ob Jesus in einer unmittelbaren politischen Sendung steht bzw. dafür in Anspruch genommen werden kann“ (ebd. 154), geht er wohl zu weit. Denn die Rede von einem derartigen
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
„Streit“ setzt doch voraus, daß solche Versuche in der Welt des Evangelisten noch akut gewesen sein müßten. Indem er eine strikte Alternative von „Prophet“ versus „Messias“ errichtet und vehement darauf insistiert, daß Jesus bei Johannes nicht „der Prophet wie Mose von Dtn 18,15.18, sondern der vom Geist erfüllte königliche Messias von Jes 11 sei, trennt er, was der Evangelist nur unterschieden wissen will. Wie zuvor schon sein ‚Namensvetter‘, der Täufer, der es weit von sich gewiesen hatte, „der Prophet“, „Elia redivivus“ oder gar der „Messias“ zu sein, um damit alle diese Prädikate für den freizuhalten, der nach ihm kommen soll und doch schon vor ihm gewesen ist (1,19 ff), so sieht auch der Evangelist ‚Johannes‘ alle diese endzeitlichen Erwartungen und Hoffnungen in Jesus erfüllt und zugleich überboten. Genau umgekehrt wie Bittner argumentiert Meeks. Er bestreitet jeglichen weiterreichenden Einfluß der verheißenen Erwartung eines königlichen Messias aus dem Hause Davids auf die johanneische Christologie. Statt ihrer habe sich mit dem Auftreten Jesu für Johannes vielmehr eine ganz andere Verheißung erfüllt, nämlich Gottes Mose gegebenes Versprechen: „Einen Propheten wie dich werde ich ihnen aus der Mitte ihrer Brüder erstehen lassen; ihm werde ich meine Worte in den Mund legen, und er hat ihnen alles zu verkünden, was ich ihm gebiete“ (Dtn 18,18). Wie schon der Titel seines Werkes: „The Prophet-King“ und zumal dessen Untertitel: „Moses Traditions and the Johannine Christology“ ankündigen, sieht Meeks in der jüdischen Tradition von Mose als dem königlichen Propheten („Prophet-King“) den Schlüssel zum Verstehen von Genese und Bedeutung der johanneischen Christologie. Zu dieser ungewöhnlichen These hat ihn vor allem das nahe Beieinander der beiden Lexeme profflth" und basile‚" in Joh 6,14 f inspiriert. Da äußern die eben wunderbar Gesättigten über Jesus: oñt∙" †stin ülhjù" ¨ profflth" ¨ †rc∙meno" e¢" tÖn k∙smon, doch in dem Wissen, daß sie sogleich kommen werden, um ihn gewaltsam zu ihrem basile‚" zu proklamieren, entzieht Jesus sich ihnen durch seinen Rückzug auf den Berg. Meeks sieht die Lexeme profflth" und basile‚" nicht nur eng aufeinander bezogen, sondern behauptet gleich auf der ersten Seite seiner „Introduction“, daß sie sich darüberhinaus wechselseitig interpretieren. Aus seiner Analyse der Hirtenrede von Joh 10 und des Dialogs zwischen Jesus und Pilatus (Joh 18,33 ff) folgert er: „In both cases kingship and prophecy are intimately joined. More precisely, the function of the king is absorbed almost completely into the mission of the prophet … In both passages – and in the whole Fourth Gospel – kingship is radically redefined. The remarkable thing is that it is being redefined in terms of the mission of the prophet“ (67). Und zu 6,14 f heißt es am Ende: „The mission described in this manner is the mission of ‚the prophet coming in the world‘ who, it is taken for granted, is to be ‚king‘. The identification of Jesus as this prophet king is by no means denied by Jesus’ ‚flight‘ to the mountain; only the time and the manner in which the men seek to make him king are rejected. At every point evidence has accumulated for connecting the ‚prophetking‘ of 6,14 f with the tradition of a prophet like Moses“ (99).
Auch wenn Meeks’ gründliche Analyse und Rekonstruktion der Genese der jüdischen Mose-Haggada aus ihren verstreuten Fragmenten sowie deren Kommentierung samt ihrer hellenistischen Einfärbung mit dem Kolorit des Bildes des idealen und wahrhaft ‚königlichen‘ griechischen Philosophen sich mittlerweile als eine verläßliche Quelle der Information über diese Traditionen bewährt hat, vermögen wir die von ihrem Autor behauptete „kumulierte Evidenz“ dafür nicht zu erkennen, daß der johanneische Jesus nach diesem Bild des ‚Prophet-King‘ geschaffen und diese Tradition darum der Schlüssel zum Verständnis der Christologie unseres Evangeliums sei. In ihrer Monokausalität ist diese These zumindest höchst einseitig und darum ebenso fragwürdig wie Bittners exklusive Bevorzugung der mit dem Königtum Davids verknüpften messianischen Verheißungen, wobei Johannes zugleich noch die Tradition vom ‚Propheten wie Mose’ bekämpft haben soll. Daß sowohl in Joh 1,21 ff; 6,14 f; 7,40–44 (vgl. 4,25) deutlich zwischen dem ‚Propheten (wie Mose)‘ und dem Messias als dem königlichen Erben Davids (7,42 ff) unterschieden wird, sollte nachdenklich stimmen. Zudem ist 406
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7,40–42
zu bedenken, daß es im Evangelium keinerlei Bekenntnis der Jünger oder anderer Glaubender zu Jesus als dem endzeitlichen Propheten gibt, sondern nur Mutmaßungen Ungenannter darüber, ob Jesus nicht dieser Prophet sein könnte. Und wenn das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias zum Ausschluß aus der Synagoge (9,22 u. 34!; 12,42), ja nach 16,1 ff möglicherweise gar ins Martyrium führt, ist doch wohl unübersehbar, daß das crist∙"-Prädikat in der Welt des Johannes eine höhere Dignität hat als dasjenige des ‚Propheten‘. Diesen einseitigen Positionen gegenüber hat de Jonge zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß bei Joh weder ¨ crist∙" noch ¨ profflth" der Schlüssel seiner Christologie seien. Wie die dem Christustitel im Bekenntnis der Martha (Joh 11,27) und der Zweckbestimmung des Evangeliums in Joh 20,31 unmittelbar folgende Näherbestimmung ¨ u´Ö" toú jeoú zeige, seien vielmehr ‚Son of Man‘ and ‚Son of God‘, interpreted in a special Johannine way, … clearly the central titles in the Fourth Gospel, not ‚king‘, ‚prophet‘ or even ‚the Christ‘“ (de Jonge, Jesus 50 f u. 37 ff). Im gesamten Kapitel 10, das als einer der Kronzeugen für Meeks’ These herhalten muß, findet sich auch nicht die Spur einer Andeutung, daß der ‚gute Hirte‘ mit dem ‚Propheten wie Mose‘ identifiziert werden könnte oder sollte. Im Gegenteil: Vor dem Hintergrund von Ez 34, einem Kapitel der Schrift, mit dem der Autor der Hirtenrede sein intertextuelles Spiel treibt (vgl. Beutler, Hintergrund 23 ff; s. u. z. St.), wird deutlich, daß Jesus hier als der redet, von dem es da heißt: „Und ich werde über sie einen einzigen Hirten bestellen, der sie weiden soll, meinen Knecht David, der soll sie weiden und ihr Hirte sein. Und ich, Jhwh, werde ihr Gott sein, und mein Knecht David wird Fürst sein in ihrer Mitte“ (Ez 34,23 f). Und auch dieses Prädikat des ‚Guten Hirten‘ ist noch nicht das letzte Wort über Jesu Identität. Die bringt vielmehr erst Jesu lapidares Wort zur Sprache: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smfin (10,30), in dem das gesamte Evangelium kulminiert. 41 f: Die Rede der ‚Anderen‘: „Dieser ist der Christus“ wird nun aber wiederum von Dritten in Frage gestellt. Der Erzähler bezeichnet sie sehr vage nur als o´ (dÇ ≤legon). Daß es sich bei diesen o´ Genannten vom Kontext her jedoch um ‚Dritte‘ handeln muß, haben die Schreiber der Kodizes P66* a D etc. ganz richtig verstanden, wenn sie anstelle von o´ verdeutlichend ±lloi schreiben. Der Einwand dieser Leute lautet: „Kommt denn der Messias etwa aus Galiläa? Sagt demgegenüber denn nicht die Schrift, daß der Messias aus dem Samen Davids und aus Bethlehem kommen wird, dem Dorf, in dem David lebte?“ Ganz ähnlich hatte schon Nathanael mit den Worten: „Was kann denn aus Nazaret schon Gutes kommen“, auf die Botschaft des Philippus reagiert, als der ihm erklärt hatte: „Den, über den Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, den haben wir gefunden, nämlich Jesus, den Sohn Josephs aus Nazaret“ (1,45 f). Und auf dem Laubhüttenfest hatten die Leute unter Berufung auf das Dogma: „Wenn der Messias erscheinen wird, dann weiß niemand, woher er gekommen ist“, gerade mit ihrem Wissen um seine Herkunft (aus dem galiläischen Nazaret) Jesu Messianität bestritten (7,27; vgl. 6,42). Aus dem Einwand der Leute ist aber nur ihr eigenes Unwissen, keinesfalls jedoch zu erschließen, daß unser Evangelist und sein ‚Erzähler‘ sowie sein mit den synoptischen Evangelien vertrauter ‚impliziter Leser‘ nicht um die bethlehemitische Geburt Jesu und um Judäa als seine ¢d‡a patr‡" (4,44) gewußt hätten. Daß diese Leute gerade nicht ein Stück jüdischer Messiasdogmatik gegen den ‚Galiläer‘ Jesus bzw. gegen den messianischen Glauben der Christen an diesen Galiläer ins Feld führen, wird daran deutlich, daß in der jüdischen Überlieferung und messianischen 407
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
Erwartung der Ortsname Bethlehem so gut wie keine Rolle spielt und daß Mi 5,2 im Zusammenhang mit der Geburt des Messias vor dem vierten Jahrhundert von den Rabbinen nie zitiert wird (Dodd, Interpretation 90; vgl. Bill. I, 76 und 83). Mit Lightfoot (Komm. 184), Zahn (Komm. 401) und Barrett sind wir überzeugt, daß Johannes mit der Tradition der bethlehemitischen Geburt Jesu vertraut war und hier „in seinem üblichen ironischen Stil“ schreibt und daß nur „die Kritiker Jesu … in ihrer Unwissenheit an(nehmen), daß er, weil er in Galiläa aufwuchs, auch dort geboren“ sein müsse (Komm. 337). Ja darüberhinaus sind wir geneigt, in dem ausdrücklich mit dem Zitat von Mi 5,2 begründeten Einwand gegen die Messianität des Galiläers Jesus ein intertextuelles Spiel mit der Geburtsgeschichte des Matthäus (Mt 2,4 ff) zu sehen. Dabei besteht die Ironie dieses Spiels darin, daß es jetzt ahnungslose Juden sind, die gegen die Messianität Jesu und das bessere Wissen des impliziten Lesers geltend machen, daß er nicht in Bethlehem geboren sei. Und „schon durch die Berufung auf die Schrift, welche der Ev diesen Leuten in den Mund legt, erkennt er (sc. der Evangelist) die Richtigkeit dieser ihrer Voraussetzungen an“ (Zahn ebd.) und macht sie so zu unfreiwilligen Zeugen der Messianität Jesu, denn auch hier muß ja wohl gelten: kaÑ o§ d‚natai lujönai ™ graffl (10,35; vgl. Wilckens, Komm. 136 f). Und daß die Eigennamen ‚David‘ und ‚Bethlehem‘ außer an unserer Stelle im Evangelium nicht mehr vorkommen, so daß das „Mißverständnis“ innerhalb der evangelischen Erzählung selbst aufgelöst würde, wie das Meeks postuliert (Prophet-King 36 f), ist angesichts des häufigen Spiels unseres Evangelisten mit seinen synoptischen Prätexten keineswegs notwendig: „In accordance … with St. John’s method (cf. 6,42) the objections raised in 7,42 can be mentioned, but left unrefuted“ (Lightfoot, Komm. 184). Zudem ist die Ironie des Johannes, wie Barrett treffend sieht, weit „tiefgründiger“. Denn die Frage nach dem irdischen Geburtsort Jesu „ist nur eine unbedeutende Angelegenheit im Vergleich zu der Frage, ob er †k tùn ±nw oder †k tùn k›tw ist, ob er von Gott kommt oder nicht“ (Komm. 337; vgl. Brown, Komm. I, 330). Im Blick auf dieses ‚Woher‘ (p∙jen – vgl. 7,28; 8,14; 9,29 f; 19,9) kann selbst seine von der Schrift verheißene Geburt in Bethlehem nur als ein darauf hinweisendes shmeõon verstanden werden. Jedenfalls aber vermögen wir in dem Einwand, den diese erzählten jüdischen Opponenten gegen Jesu messianischen Anspruch erheben – anders als Meeks (Prophet-King 41) –, keinerlei Polemik des Evangelisten „against the Davidic Judaean ideology of the eschatological redeemer“ zu erkennen (vgl. U. Wilckens, Komm. 137). Im Gegenteil: Auch ohne daß der Name Davids ausdrücklich noch einmal genannt würde, ist das Evangelium voll von dem, was Meeks „die davidisch-judäische Ideologie des eschatologischen Erlösers“ nennt. Davon zeugt in der spezifisch johanneischen Interpretation dieses Topos nicht nur die Hirtenrede, sondern das zeigen auch Jesu shmeõa (vgl. Bittner pass.) sowie die Erzählungen vom Einzug Jesu in Jerusalem (12,12 ff) mit den ausdrücklichen Zitaten zunächst von Ps 118 und Zeph 3,15 und danach von Sach 9,9 und der Bericht von seiner Passion und Kreuzigung. 43 f: Mit den Worten: sc‡sma oên †gfineto †n tù µclw diû a§t∙n, resümiert der Erzähler diese Auseinandersetzungen. Wie danach noch zweimal, in 9,16 und 10,19, gebraucht er – hier zum ersten Mal – das Lexem sc‡sma. Und die Art und Heftigkeit dieser ‚Spaltung‘ verdeutlicht er sogleich durch den Satz: tinÇ" dÇ ≥jelon †x a§tùn pi›sai a§t∙n. Darin ist ≥jelon ein Imperfectum de conatu, das zugleich den entschlossenen Willen wie die Vergeblichkeit des Versuchs dieser Leute bezeichnet, Jesus zu ver408
Dritte Szene: Jesu Auftritt beim Laubhüttenfest in Jerusalem
7,42–49
haften: üllû o§deÑ" †pfibalen †pû a§tÖn tÅ" ceõra". Das ‚Warum‘ dieses Unvermögens läßt der Erzähler offen, denn sein Zuhörer kennt es ja längst und kann diese ‚Leerstelle‘ füllen: Ωti o∂pw †lhl‚jei ™ øra a§toú (7,30; vgl. 2,4 und 7,6). 45 f: Wie von den t‡ne" eben gesagt worden war, daß sie es nicht gewagt hatten, ihre Hände an Jesus zu legen, so kehren nun auch die von den Hohenpriestern und Pharisäern zur Verhaftung Jesu ausgesandten ≠phrfitai (7,32) mit leeren Händen zu ihren Auftraggebern zurück (V. 45). Die Frage: „Warum habt ihr ihn nicht hergebracht?“, beantworten sie mit dem kurzen Satz: „Noch niemals hat ein Mensch auf solche Weise geredet!“ Diese lapidare Antwort zeugt davon, wie tief Jesu Reden seine bestellten Häscher betroffen haben muß. Es hatte sie ihren Auftrag ‚vergessen‘ lassen und sie unfähig gemacht, ihn auszuführen. Die längeren Versuche der Abschreiber, das zu verdeutlichen, scheinen uns mit Metzger auch darum allesamt sekundär zu sein, weil sie den Satz um seine elementare Kraft bringen. Die Pharisäer registrieren denn auch dieses Betroffensein ihrer Untergebenen sehr genau, wenn sie ihnen in Gestalt der rhetorischen Frage: mÉ kaÑ ≠meõ" pepl›nhsje; den Vorwurf des Abfalls vom rechten Glauben machen. Sie sind auf den hereingefallen, der das Volk verführt (üllÅ planô tÖn µclon: 7,12). planôn und plan›omai sind nahezu technische Ausdrücke für die endzeitliche Verführung der Glaubenden durch falsche Propheten und Pseudomessiasse. Indem Jesus sich selbst „Gott gleich“ (5,18) oder „zu Gott macht“ (10,33), verführt er das Volk zum Abfall von Jhwh als dem einzigen Gott. Die Bezeichnung Jesu als „Verführer“ (pl›no") scheint eine geläufige jüdische Anklage gegen Jesus gewesen zu sein (vgl. Mt 27,63 und siehe Stanton, Polemic 380 ff). Nach Justin wurden die Christen von offiziellen jüdischen Gesandten als aºrhs‡" ti" ±jeo" kaÑ ±nomo" †gflgertai üpÖ ûIhsoú tino" Galila‡ou pl›nou bezeichnet (Dial. 108). Und im Testament Levis – in einer wohl christlichen Glosse – weissagt der Patriarch seinen Söhnen: „Und einen Mann, der das Gesetz in der Kraft des Höchsten erneuern wird, den werdet ihr als Verführer bezeichnen, und ihn zuletzt töten, doch ihr kennt nicht seine ‚Aufrichtung‘ und laßt so das unschuldige Blut in Bosheit auf eure Häupter kommen“ (TestL 16,3; Übersetzung J. Becker, Test XII, 58). 48 f: Ihre wiederum rhetorische Frage: „Glaubt denn etwa einer von den Archonten an ihn oder einer von den Pharisäern?“, beantworten die Pharisäer mit einer von keinerlei Zweifel getrübten Arroganz sogleich selbst: „Nein! Sondern vielmehr nur dieses gemeine Volk (¨ µclo" oñto"), das die Tora nicht kennt. Es sei verflucht!“ Dabei „umschreiben die Worte“: ¨ µclo" oñto" ¨ mÉ gin„skwn tÖn n∙mon, „den rabb. Begriff des ≈rah µ[“ (Bill. II, 494; vgl. zu Geschichte und Gebrauch dieses ‚Begriffs‘ ebd. 494–519). Bezeichnete diese Wendung ursprünglich – und ohne jeglichen negativen Akzent – entweder das gesamte Volk Israel (Ez. 12,19; 22,29; 39,13 u. ö.) oder aber dieses Volk im Unterschied zu denen, die es regierten (vgl. Jer 1,18; 34,19; 37,2; Ez 7,27; 2Kön 11,14.19 u. ö.), so erfährt sie in der Zeit der Heimkehr der Exilierten aus Babylon einen charakteristischen Bedeutungswandel. Bei Esra und Nehemia, denen später die Rabbinen folgen werden, wird die Wendung und zumal der Plural ≈rah yµ[ zur geringschätzigen Bezeichnung derer, die während des Exils unter fremder Herrschaft im Lande verblieben waren. Ihnen war nicht nur der hohe Stand der Tora-Gelehrsamkeit der aus Babylon Heimgekehrten unerreichbar, sondern deren ganze unter dem Einfluß des Deuteronomiums und der Erfahrungen des Exils völlig verwandelte Jhwh-Religion war ihnen eine fremde Welt (vgl. M. Barker, Older Te409
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Dritter Akt: Heilung eines Gelähmten – Brotvermehrung – Jesus beim Laubhüttenfest
stament 186). Während die Heimkehrer stolz auf ihre Genealogien pochten und sich als die vermeintlich allein wahren Erben der Religion der Väter o´ ûIoudaõoi nannten, galten ihnen die Zurückgebliebenen als die der Tora unkundigen und darum unter deren Fluch stehenden ≈rah yµ[. 50: Die nun folgende Intervention des Nikodemus erweist die V. 48 f als ein Musterbeispiel der ironischen Raffinesse des Evangelisten. Denn das Auftreten dieses Mannes, der ja nach 3,1 ein ±njrwpo" †k tùn Farisa‡wn und ein ±rcwn tùn ûIouda‡wn obendrein war, scheint der Frage der Pharisäer, ob denn etwa einer der Archonten oder der Pharisäer an Jesus glaube, den Boden zu entziehen und ihre allzu selbstsichere Antwort als pure Heuchelei zu erweisen. Wenn Nikodemus hier als ¨ †lján prÖ" a§tÖn tÖ pr∙teron eingeführt wird, so signalisiert der Erzähler seinem Zuhörer durch das tÖ pr∙teron, daß er sich der damit bezeichneten Szene erinnern soll, und fordert zugleich den Leser des Evangeliums zu deren Relektüre auf. Wie in 19,39 fügen in diesem Sinne viele Zeugen dem ¨ †lján zur Erinnerung des Lesers an 3,2 die Zeitbestimmung nukt∙" hinzu; vgl. dazu den Apparat bei Nestle/Aland z. St. Daß sich dieser Rückblick auf 2,23 ff lohnt, zeigt Jouette Basslers unter dem Titel „Mixed Signals“ durchgeführte Untersuchung der höchst ambivalenten – und gewiß absichtsvoll so gezeichneten – Züge im Nikodemus-Bild unseres Evangeliums. Als ein Repräsentant (±njrwpo") der vielen Jerusalemer, „die an seinen Namen glaubten“ (vgl. 1,12), weil sie „die Wunder sahen, die er tat“, war Nikodemus tÖ pr∙teron, nämlich Joh 3,1 ff, „zu Jesus gekommen“. Und trotz der rätselhaften Verse 2,24 f sollte man weder den Glauben der vielen Jerusalemer, der ebenso wie in 1,12 ausdrücklich als piste‚ein e¢" tÖ µnoma a§toú bezeichnet wird, noch den ihres Repräsentanten Nikodemus als unzureichenden „bloßen Zeichenglauben“ und pure Wundersucht verdächtigen. Hier darf man nicht mit zweierlei Maß messen. Denn weil der Erzähler die Folge der ürcÉ tùn shme‡wn, die Jesus in Kana getan hatte, mit den Worten resümiert: kaÑ †fanflrwsen tÉn d∙xan a§toú, kaÑ †p‡steusan e´" a§tÖn o´ majhtaÑ a§toú (2,11), müßte sich dieser Verdacht dann ja auch gegen die Jünger richten. Und wo Jesu Zeichen einen zu dem Glauben führen, daß er „von Gott gekommen“ und daß „Gott mit ihm ist“ (3,2; vgl. im Gegensatz dazu 9,16, wo die Pharisäer erklären: o§k ≤stin oñto" parÅ jeoú ¨ ±njrwpo"), da haben sie ihr 20,31 formuliertes Ziel ja erreicht. Gewiß, Nikodemus war damals unter dem Schutz der Nacht zu Jesus gekommen. Doch berechtigt das dazu, ihn ein für allemal als ein Geschöpf der Nacht und der Finsternis abzustempeln? War er denn nicht zu dem gekommen, der gesagt hat: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (6,37)? Wohl muß er sich als einer †k tùn Farisa‡wn, gleichsam als deren Stellvertreter, harte Worte der Kritik gefallen lassen (3,11 f). Aber ist das nicht die kr‡si", die darin besteht, daß das Licht in den Kosmos gekommen ist, und – wenn auch in der Nacht – war Nikodemus doch zu eben diesem Licht gekommen (3,19–21; vgl. Bassler, Mixed Signals 638). So erscheint er schon bei seinem ersten Auftreten als einer, der zwischen die Fronten geraten ist. Noch ist er nicht wirklich ein Jünger Jesu und doch zugleich auch nicht mehr gänzlich einer †k tùn ûIouda‡wn. Aber sollten nicht gerade die kritischen Worte dessen, der nicht gekommen ist, die Welt zu verurteilen, sondern sie zu retten (3,17), Nikodemus auf den Weg gebracht haben, auf dem er dem Leser beim Laubhüttenfest (7,50–52) und endlich beim Begräbnis Jesu (19,38–42) wieder begegnen wird? Zudem sollte man bedenken, daß die Nikodemus-Szenen doch vor410
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7,50
nehmlich zum Zweck der Formation des impliziten Lesers und nicht dazu geschaffen sind, daß reale Leser diese fiktionale Figur verurteilen: „Nicodemus creates a cognitive ‚gap‘ in the text that the reader must fill … Indeed, each commentator who has confronted and resolved the question of Nicodemus’s indeterminacy has confronted and resolved a question that should confront every reader and by doing so has deprived the reader of some of the text’s meaning; for meaning is not exhausted by a text’s content, but is created anew as each reader becomes actively engaged with the text. In short, then, the ambiguity is that which attracted our attention to Nicodemus in the first place, that which set him apart from other more clearly defined figurs in the narrative, and that which keeps us actively engaged in the quest of meaning in this Gospel“ (Bassler, ebd. 644). Darum sollte man Nikodemus auch nicht vorschnell zum Sprecher oder Repräsentanten irgendwelcher Gruppen machen und in den Dialogen von Joh 7 f die Wiedergabe von „opinions among synagogue members in John’s city“ sehen, wie das etwa Martyn unternimmt (History pass.). Denn unser Evangelium ist kein „Schlüsselroman“, der neben seiner normalen Lektüre auf einem „Einmaliglevel“ der Geschichte Jesu noch eine zweite, allegorische Lektüre auf dem „level“ von „John’s community“ forderte. Und der erzählte Nikodemus ist weder ein „representative of the fearful leaders described in 12,42“ (Meeks, Breaking Away 94), noch der Vertreter von Juden ‚inadäquaten Glaubens“, die sich in Kapitel 8 als „potential Christkillers“ entpuppen (ders., Man from Heaven 55). Eher ist er da schon einer jener ‚sympathisierenden Juden‘, „and the question of his allegiance appears to be left ambigious, at least“ (Freyne, Vilifying 140). Auf jeden Fall aber sollte man Nikodemus nicht wie de Jonge als einen jener „Crypto-Christians (12,42–43), for whom no hope exists“, verurteilen (Nicodemus 30 f), sondern das Urteil über ihn dem überlassen, zu dem er das erste Mal bei Nacht gekommen war, für den er in unserer Szene dann öffentlich eintritt und dem er – zusammen mit Joseph von Arimathia im Licht der Sonne, denn es war noch vor Anbruch des Sabbat – am Ende den Tobias-Dienst eines rituellen jüdischen Begräbnisses leisten wird (s. u. zu 19,38 ff). Und so wenig das Johannesevangelium ein ‚Schlüsselroman‘ ist, ist es ein ‚Spiegelkabinett‘, dessen facettenreiche Innenarchitektur das Leben, die Geschichte und das Selbstverständnis einer real existierenden spezifisch ‚johanneischen Gemeinde‘ und/ oder ‚Schule‘ reflektierte. Vielmehr ist diese sogenannte ‚johanneische Gemeinde‘ ebenso wie der ‚implizite Leser‘ ein ideales literarisches Konstrukt und als solches ein rein intratextuelles Phänomen. Zu einer solchen Gemeinde – und die mag man eine johanneische nennen – will der Autor die Leser seines Evangeliums durch dessen Lektüre erst machen bzw. werden lassen, so daß jedermann sie daran, daß sie ihre Brüder lieben, als Jesu Jünger erkennen soll (13,34 f). Bauckham erklärt zu derartigen Unternehmungen: „There have been many subsequent reconstructions of the history of the Markan and Johannine communities. The many different reconstructions throw some doubt on the method, which to a sceptic looks like a kind of historic fantasy. It is difficult to avoid supposing that those who no longer think it possible to use the Gospels to reconstruct the historical Jesus compensate for this loss by using them to reconstruct the communities that produced the Gospels. All the historical specificity for which historical critics long is transferred from the historical Jesus to the evangelist’s community. The principle that the Gospels inform us not about Jesus 411
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but about the church is taken so literally that the narrative, ostensibly about Jesus, has to be understood as an allegory in which the community actually tells its own story“ (For Whom 20). 51 f: Als einer, „der zu Jesus gekommen war“ und doch zugleich einer „von ihnen ist“, nimmt Nikodemus also eine eigentümlich ambivalente Zwischenstellung ein: Er ist ‚noch nicht‘ Jünger Jesu und zugleich ‚nicht mehr‘ einer †k tùn ûIouda‡wn (vgl. Bassler, Mixed Signals; und Freyne, Vilifying 140). Jedenfalls aber macht er sich jetzt nicht mehr unter dem Schutz der Nacht (3,2) auf den Weg zu Jesus, sondern tritt in der Öffentlichkeit des Tages und wohl vor den Ohren der soeben als des Gesetzes Unkundige verfluchten ≠phrfitai als Jesu Anwalt auf: mÉ ¨ n∙mo" ™mùn kr‡nei tÖn ±njrwpon †Ån mÉ üko‚sÔh prùton parû a§toú kaÑ gnù t‡ poieõ; Wir können diese Frage wohl so paraphrasieren: „Erlaubt uns unser Gesetz etwa, einen Menschen zu verurteilen, ohne daß man ihn zuvor angehört und sich über sein Tun ins Bild gesetzt hat?“ Nikodemus beantwortet seine Frage nicht selbst, wie seine Vorredner, sondern überläßt es ihnen, ihrer eigenen Gesetzlosigkeit innezuwerden. Sie, die sich als solche rühmen, die das Gesetz kennen, müssen ja wissen, daß das Gesetz sagt: „Höret eure Brüder an und richtet gerecht zwischen einem Mann und seinem Bruder“ (Dtn 1,16 f; vgl. 19,18 f; Lev 19,15 ff u. ö.). Und auch das sollten sie wissen: Als eminent praktisches Erkennen kommt das gin„skein tÖn n∙mon erst im Tun des Gesetzes an sein Ziel. So ist, wie er es gesagt hatte, nicht Jesus, sondern Mose derjenige, der sie vor dem Vater anklagt (5,45 ff). Doch die Worte des Nikodemus, mit denen er unbewußt – aber im Sinne des Erzählers gewiß nicht zufällig – dem Aufruf Jesu, ein gerechtes Gericht zu üben (V. 24), genau entspricht, treffen auf taube Ohren. Denn die zu Recht und in Übereinstimmung mit der Tora Kritisierten gehen nicht etwa ‚in sich‘, sondern wenden sich nach außen gegen den, der ihnen die Wahrheit gesagt hat: „Bist du etwa auch aus Galiläa? Forsche doch (in der Schrift)! Da wirst du sehen, daß aus Galiläa kein Prophet erweckt wird“ (†ge‡retai: V. 52). Natürlich kennen die Pharisäer Nikodemus als ihren „Ratskollegen“ (Wilckens, Komm. 135) und wissen, daß er nicht im wörtlichen Sinne aus „Galiläa“ stammt. Darum kann die rhetorische Frage: mÉ kaÑ sÜ †k tö" Galila‡a" eè; nur den Sinn haben: „Bist du etwa auch ein ‚Galiläer‘ wie diese von jenem Galiläer verführten Leute, die die Tora nicht kennen? Hast du dich etwa auch schon verführen lassen?“ Daß die Namen ‚Galiläa‘ und ‚Judäa‘ in unserem Evangelium über ihre topographische Funktion hinaus symbolische Obertöne haben, ist schon oft beobachtet und beschrieben worden (vgl. Meeks, Galilee; Fortna, Use of Locale; Merino, Galilea). Bereits in Joh 2,1–11 hatten wir gesehen, daß ‚Kana in Galiläa‘ in gewissem Sinne als die Opposition von ‚Jerusalem in Judäa‘ begriffen sein will (s. o. z. St.). Olsson faßt seine diesbezüglichen Beobachtungen so zusammen: „These features of the Gospel make it difficult to deny Galilee the role of the site of ‚acceptance and discipleship‘, also confirmed by the addition in ch. 21, the revelation beside Lake Tiberias. This ‚geographical symbolism‘ seems to be specially connected with Cana in Galilee. There the disciples see Jesus’ doxa for the first time and believe; Nathanael, the typical disciple, was from there, and from Cana came the lifegiving word, which had immediate effect, 4,46 ff “ (Structure 29). Daß Jesus in seiner Heimat, nämlich in Judäa und Jerusalem, die Ehre versagt wird, während er unter den Galiläern freundliche Aufnahme findet, haben wir oben zu 4,43 ff bereits erörtert. 412
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In ihrem Beitrag (Galileans 252 ff) hat J. Bassler erneut versucht, die symbolischen Obertöne der Dichotomie von Galiläa, Samaria und Judäa zu entschlüsseln. In den ironischen Fragen der Juden: „Haben wir nicht recht, wenn wir erklären, daß du ein Samaritaner und besessen bist“? (8,48 f); oder der Pilatusfrage: „Bin ich etwa ein Jude?“ (18,35); oder der Frage an Nikodemus: „Bist du etwa auch aus Galiläa?“ (7,52) erkennt die Autorin einen Indikator für das symbolische Interesse des Evangeliums an den Bezeichnungen ‚Samaritaner‘, ‚Jude‘ und ‚Galiläer‘. Die genannten Fragen machen evident, daß die Bezeichnungen von Leuten als Juden, Samaritaner oder Galiläer nicht im buchstäblichen Sinn verstanden werden dürfen, sondern primär der symbolischen Information „about a person’s reaction to Jesus quite apart from the geographical location or identity of the person“ dienen (ebd. 253). Das Evangelium bietet ihrer Meinung nach die narrative Entfaltung des in den Prologversen 11 u. 12 Implizierten: „Thus the Gospel itself, the deliberately ironic questions, and the programmatic prologue all suggest that the primary symbolism intended by the evangelist functions not on the level of locale (Judea / rejection, Galilee / reception) but on the level of the people themselves. Galileans symbolize those who received the Word, Judeans symbolize those who reject it. Although the Galileans are primarily represented by references to their region, if we focus on the people as primary, many of the difficulties with this symbolism can be resolved“ (ebd. 253 f). Unter diesem Aspekt muß dann auch die unser Evangelium bestimmende Bezeichnung der Opponenten Jesu als o´ ûIoudaõoi und die daran anschließende, oft allzu emotional geführte Debatte um den vermeintlichen oder tatsächlichen ‚Antijudaismus‘ im Johannesevangelium gesehen werden. Im Gegensatz zu Nathanael, dem ülhjù" ûIsrahl‡th" †n ó d∙lo" o§k ≤stin (1,47), bezeichnet Johannes dann diejenigen als o´ ûIoudaõoi, die Jesus abweisen, und weil sie ihn abweisen. Nicht wegen ihrer Gesetzes treue heißen sie so, sondern gerade weil sie im Widerspruch gegen das Gesetz Gottes den gerechten Jesus verfolgen und ihn zu töten trachten. Das scheint uns angesichts der durch Jesu Auftreten erzeugten Spaltungen (sc‡smata) unter seinen ja durchweg jüdischen Zuhörern sowie der Rede davon, daß „viele an seinen Namen glaubten“ (2,23–25; s. o. z. St. u. vgl. 9,35 ff), angesichts des triumphalen Einzugs Jesu in Jerusalem (12,12 ff) samt der dadurch geschürten Angst der ‚Pharisäer‘, daß ihm am Ende die ganze Welt nachlaufen wird (12,19), angesichts des Erzählerkommentars, daß selbst von den Archonten viele an ihn glaubten (12,42), sowie unserer hier erörterten Nikodemus-Episode eine durchaus plausible Erklärung der Bezeichnung o´ ûIoudaõoi mit ihren doch unbestreitbar symbolischen Obertönen zu sein. Wenn die Lesart mit profflth" ohne den Artikel ¨ den ursprünglichen Text richtig bewahrt hat, dann setzten sich die Pharisäer auch sachlich ins Unrecht, wenn sie Nikodemus derart selbstsicher auffordern: „Forsche doch (in der Schrift), dann wirst du ja sehen, daß aus Galiläa kein Prophet ersteht“. Wie 5,39 ist †raunôn auch ohne ein hinzugefügtes tÅ" gr›fa" der dem hebräischen çrd (vgl. Midrasch) entsprechende terminus technicus für das Schriftstudium der Rabbinen. Abgesehen davon, daß die Rabbinen im Gegensatz zu diesen Jerusalemern überliefern: „R. Eli’ezer (um 90) hat gesagt: Du hast keinen einzigen Stamm in Israel, aus welchem nicht Propheten hervorgegangen wären“ (Sukka 27b; zitiert von Bill. II, 519; vgl. Seder OlamR 21: „Da ist keine Stadt im Lande Israel, in der es nicht Propheten gegeben hat“), und abgesehen auch davon, daß die Schrift an der geographischen Herkunft der Propheten kaum 413
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interessiert und darum aus ihr wenig darüber zu erfahren ist, stammt nach einem der wenigen Schriftzeugnisse in dieser Sache, nämlich nach 2Kön 14,25, der Prophet Jona, Sohn des Amittai, aus dem galiläischen Gat-Hepher. Da aber das Präsens †ge‡retai fraglos futurische Bedeutung hat, ist hier wohl vor allem an die Verheißung Jesajas zu erinnern: Gott, der das Land Sebulon und Naphtali einst verachtet hat, wird die ¨dÖ" jal›ssh", die Gebiete jenseits des Jordan und das Galila‡a tùn ≤jnwn wieder zu Ehren bringen. Und dann gilt: „Das Volk, das im Finstern wandelt, siehet ein großes Licht. Und über die, die im Lande der Schatten des Todes wohnen, erstrahlt es hell“ (Jes 8,23–9,1). Im Licht dieser Verheißung dürfte Jesu ursprünglich unmittelbar auf V. 52 folgendes Wort: †g„ e¢mi tÖ fù" toú k∙smou ktl. (8,12) sich als ein absichtsvolles Spiel mit dem Jesajatext erweisen (vgl. Lindars, Komm. 305, u. s. u. z. St.). Mit dem Postulat dieser direkten Folge von 8,12 auf 7,50–52 setzen wir voraus, daß die nach Ausweis der Handschriften und ihres Stils unjohanneische Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin (7,53–8,11) erst spät ihr sicheres Asyl in unserem Evangelium gefunden hat. Daß durch ihre Einfügung das reizvolle Spiel mit dem durch Jes 9,23 f gestifteten Zusammenhang zwischen 7,52 und 8,12 ff zerstört wurde, haben wir in der Festschrift für Klaus Berger eingehend begründet. Doch weil Lindars (Komm. 305) völlig zu Recht von den „glücklichen Umständen“ spricht, denen wir die Überlieferung dieser Episode verdanken, die durch ihr vielfältiges Echo in Kunst und Literatur zu einem unvergeßlichen Dokument urchristlichen Erzählens geworden ist, haben wir uns in dem genannten Beitrag nicht auf den faden Erweis ihrer „Unechtheit“ beschränkt, sondern diese eindrucksvolle Erzählung wenigstens durch eine knappe Kommentierung zu würdigen versucht. Obwohl in dem zumindest fragwürdigen Urteil der Autoritäten Jerusalems über die Rolle Galiläas gerade der ‚Witz‘ der Erzählung liegen könnte, scheuen sich zahlreiche Kommentatoren, die Pharisäer hier derart ins Unrecht gesetzt zu sehen. Darum bevorzugen viele den Text des Bodmer-Papyrus P66*, der hier wie in V. 40 ¨ profflth" liest. Für diese Lesart zeugt wahrscheinlich auch P75, der an dieser Stelle eine Lücke hat, in der das ¨ gestanden haben könnte. Danach hätten die Pharisäer nur zutreffend erklärt, Nikodemus möge sich doch selbst davon überzeugen, daß es für die Herkunft des verheißenen endzeitlichen Propheten wie Mose aus Galiläa keinerlei Schriftgrund gibt. So erklärt Bultmann, „das Ωti ... †ge‡retai kann nicht eine Tatsache der Gegenwart meinen, sondern ist ein dogmatischer Satz. Sollte das †ge‡retai wirklich Korrektur eines ursprünglichen †gflgertai (sein), das syrs.c gelesen haben, so wäre es freilich in dem abgewiesenen Sinn gemeint“ (Komm. 236). Darum hält er †ge‡retai als „das zeitlose Präsens des dogmatischen Satzes“ für ursprünglich. Hinsichtlich des Widerspruchs zu 2Kön 14,25 und zur genannten rabbinischen Doktrin, daß aus jedem der zwölf Stämme Propheten hervorgegangen seien, heißt es ebd., daß dies die Ursache der „Änderung eines †gflgertai in †ge‡retai“ gewesen sein könne. Und wenn man nicht annehmen wolle, „daß der Evangelist 2Kön 14,25 übersehen hat“, so liege die von Owens bereits im 18. Jh. vorgeschlagene Konjektur nahe, daß es ¨ profflth" heißen muß, und daß die Synhedristen die Herkunft ‚des‘ Propheten (im Sinne von V. 40) aus Galiläa bestreiten. Kaum wird man annehmen dürfen, daß der Evglist absichtlich die Synhedristen ‚im blinden Eifer‘ (Ho., B. Weiß) einen Fehler machen läßt“ (ebd.; dabei zeigt Bultmanns Rede von einer „Konjektur“, daß er damals [1941] die Bodmer-Papyri noch nicht kannte, die seine Position ja nachhaltig unterstützen). Ähnlich wie Bultmann argumentieren Schnackenburg (Komm. II, 223) und Brown, der das Fehlen des Artikels in der überwältigenden Mehrzahl der Handschriften und bei den Vätern damit begründet, daß „the Johannine concept of the Prophetlike-Moses could easily have been misunderstood in the process of copying“ (Komm. I, 325). Zwar übersetzt Sanders
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korrekt: „Search, and see that no Prophet arises from Galilee“, doch wegen 2Kön 14,25 sollen die Pharisäer damit nicht meinen, daß aus Galiläa noch nie ein Prophet hervorgegangen sei, sondern vielmehr nur, daß es keinen Schriftgrund dafür gebe, in Zukunft von dort her einen Propheten zu erwarten. Im Widerspruch dazu erklärt er dann aber: Genauso wie 7,41 ff die Herkunft des Messias aus Galiläa bestritten werde, so werde hier jetzt die galiläische Herkunft des Propheten wie Mose bestritten (Komm. 217). – Wilckens paraphrasiert V. 52b so: Nikodemus „solle doch die Schrift durchforschen: Ein Galiläer wie Jesus werde der Prophet nach Dt 18,15.18 keinesfalls sein!“ Dem folgt die lapidare Erklärung: „Es ist ‚der Prophet‘ zu lesen; daß es überhaupt keine Propheten aus Galiläa gebe, wird z. B. durch 2Kön 14,25 widerlegt“ (Komm. 137). Für die Ursprünglichkeit der Bodmer-Lesart „der Prophet“ plädieren auch Martyn (History 105; vgl. ebd. 115 u. 173), Beasley-Murray (Komm. 121), Glasson (Moses 29 f) und Meeks (Prophet-King 24). Meeks vertritt dabei unter Berufung auf Joh 7,37–52 zudem die kaum begründbare Hypothese, die emphatische Betonung des himmlischen Ursprungs Jesu in unserem Evangelium sei die sekundäre „Spiritualisierung“ der bereits bestehenden galiläischen Tradition einer Erlöserfigur (vgl. dazu de Jonge, Stranger 56 ff).
Dennoch plädieren wir, wie schon die frühen Korrektoren der Bodmer-Papyri P66 und P75, die den Artikel an dieser Stelle getilgt haben, mit der weit gestreuten und frühen Mehrzahl der Handschriften sowie mit Barrett (Komm. 338 f) und Lindars, der in dem artikulierten ¨ profflth" eine fälschliche Angleichung an V. 40 sieht (Komm. 305), für die artikellose Lesart. Denn die nimmt nicht etwa die längst erledigte alte Diskussion von V. 40 ff um den ‚Propheten wie Mose‘ wieder auf, sondern damit suchen die Pharisäer Jesus als einen ‚falschen Propheten‘ zu erweisen, der das Volk verführt. De Jonge (Stranger 57 ff) hat eindrucksvoll gezeigt, daß Dtn 13,1–5 und 18,15–22 nicht nur für Joh 7, sondern ebenso für 3,34; 8,28.40; 12,49 f; 14,10; und 17,8 von außerordentlicher Bedeutung sind. Aber wie in 4,19 und 9,17 geht es dabei nicht darum, Jesus als ‚den Propheten wie Mose‘ zu identifizieren, sondern allein darum, den ‚wahren Propheten‘, der Gottes Worte redet, vom ‚falschen Propheten‘ zu unterscheiden, der seine eigene Ehre sucht. Allein das Prädikat ¨ crist∙" wird im Evangelium positiv aufgenommen und im Sinne der Relation Jesu als des Sohnes zu Gott als seinem Vater reinterpretiert (vgl. nur 20,31). Während die biblische Unterscheidung von wahrer und falscher Prophetie und Zeugenschaft ein integrales Element zur Beschreibung dieser einzigartigen Relation ist, wird die Bezeichnung „der Prophet“ dagegen an keiner Stelle positiv aufgenommen. Jesu Gottessohnschaft ist gegen Meeks (Man from Heaven pass.) und Bühner (Der Gesandte 107 ff) nicht die nachträgliche ‚Spiritualisierung‘ einer dem Evangelisten vorgegebenen galiläischen Christologie der prophetischen Sendung Jesu, sondern die biblischen Aussagen über die Sendung des ‚wahren Propheten‘ stehen umgekehrt im Dienst der Sendung des Sohnes vom Vater her. Jesus „comes from God, as Son of Man, with the authority to perform God’s works as a perfekt servant of God like a true prophet and yet more than a prophet, more than Moses“ (Meeks, ebd. 63). Zu der Aufforderung der Pharisäer an Nikodemus: „Forsche doch in der Schrift, dann wirst du ja sehen, daß kein Prophet aus Galiläa ersteht!“ ist deshalb zu fragen: Warum sollte der Erzähler, der soeben durch die Stimme des Nikodemus offenbar gemacht hat, daß diejenigen, die das gemeine Volk verfluchen, weil es das Gesetz nicht kennt, selbst die elementarsten Gebote der Tora übertreten, warum sollte der sie nun nicht auch noch als solche überführen, die auch ihre Schriften nicht kennen? Warum sollte der Evangelist sie nicht – zwar nicht ‚in blindem Eifer‘, aber in ‚dogmatischem Verstocktsein‘ – tatsächlich gegen das Zeugnis der Schrift (2Kön 15,24; Jes 9,23–10,1) 415
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bestreiten lassen, daß je ein messianischer Heilbringer, heiße er nun ‚Messias‘ oder ‚der Prophet‘, aus dem ‚Galiläa der Heiden‘ (Jes 8,23–9,1) erscheinen könne? Und dabei muß die Einfügung des Artikels vor profflth" durch die Schreiber der beiden Papyri gar nicht auf deren gedankenloser Aufnahme von 7,40 beruhen, sondern sie könnten ja damals schon von ähnlichen Gedanken wie U. Wilckens bewegt gewesen sein.
416
Vierter Akt und Peripetie der dramatischen Historie Jesu nach Johannes (8,12–12,50) Wir folgen dem gut begründeten Vorschlag von Wyller (Salomon’s Porch) und dessen einleuchtender Modifikation durch Østenstad (Structure) und fassen diesen langen Abschnitt trotz seines ungewöhnlichen Szenen-Reichtums als nur einen Akt zusammen. Daß dieser, nach Østenstads Analyse, vierte Akt der dramatischen Historie „Evangelium nach Johannes“ zugleich deren zentraler Akt ist, muß die folgende Interpretation erweisen. Sie muß auch zeigen, daß innerhalb dieses zentralen Aktes, und zwar wiederum genau in dessen Mitte, Joh 10,22–39, die Szene von Jesu winterlichem Auftreten „in der Halle Salomons“ während des ‚Tempelweihfestes‘ (†gka‡nia: einzig hier im Neuen Testament genannt) die „Peripetie“ des gesamten Evangeliums bildet. Damit hängt es zusammen, daß wir der traditionellen und von den meisten als selbstverständlich übernommenen Zweiteilung des Evangeliums mit ihrer Zäsur zwischen Joh 12 und Joh 13 nicht zu folgen vermögen. In diesem Sinne benennen etwa Dodd, Brown und viele andere Joh 1–12 als das „Buch der Zeichen“, dem sie mit Joh 13–20 das „Buch der Passion“ (Dodd) oder „Das Buch der Doxa“ (Brown) folgen lassen. Bultmann, der darin viele Nachfolger gefunden hat, überschreibt die Kapitel 1–12 mit: „Die Offenbarung der Doxa Jesu vor der Welt“ und die darauf folgenden Kap. 13–20 mit: „Die Offenbarung der Doxa Jesu vor seiner Gemeinde“. Wie diese Autoren sehen auch viele weitere in Joh 20,30 f den „ursprünglichen Schluß“ des Evangeliums und behandeln das u. E. strukturell wie inhaltlich unentbehrliche Kap. 21 darum schwerlich zu Recht als einen sekundären „Appendix“ oder „Nachtrag“ (s. u. z. St.). Es ist zwar nicht zu bestreiten, daß zwischen den Kap. 12 und 13, wie an anderen Stellen des Evangeliums auch, ein deutlicher Einschnitt und ein völliger Wechsel des Auditoriums Jesu vorliegt. Doch neben solchen „Einschnitten“ („incisions between main sections“: Østenstad 44), die Anfang und Ende der jeweiligen Akte und Szenen markieren, findet sich in der kurzen Passage Joh 10,40–42, die der Tempelweihszene folgt, eine einmalige „Zäsur“, die sich deutlich von den genannten „Einschnitten“ unterscheidet und das gesamte Evangelium in zwei „Bücher“, nämlich in das Buch der martur‡a und in dasjenige der d∙xa, teilt (Wyller 152 f). Die besagte Passage 10,40–42 lautet: kaÑ üpöljen (sc. ¨ ûIhsoú") p›lin pfiran toú ûIord›nou e¢" tÖn t∙pon Ωpou én ûIw›nnh" tÖ prùton bapt‡zwn kaÑ ≤meinen †keõ. kaÑ polloÑ éljon prÖ" a§tÖn kaÑ ≤legon Ωti ûIw›nnh" mÇn shmeõon †po‡hsen o§dfin, p›nta dÇ Ωsa eèpen ûIw›nnh" perÑ to‚to ülhjö én. kaÑ polloÑ †p‡steusan e¢" a§tÖn †keõ. Das p›lin pfiran toú ûIord›nou ktl. knüpft hier ebenso unverkennbar an 1,28 an, wie das p›nta Ωsa eèpen ûIw›nnh" perÑ to‚to die Täufermartyria von 1,19 ff in Erinnerung ruft. Wenn von dieser Martyria nun im Präteritum gesagt wird: ülhjö én, wird damit wohl zugleich dem aus dem Zeugen mittlerweile zum ‚Märtyrer‘ gewordenen Johannes ein Epitaph errichtet. Jedenfalls aber wird mit diesem Rückblick 417
8,12–59
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
das mit 1,19 ff eröffnete Buch der martur‡a im Sinne einer Ringkomposition förmlich geschlossen. Nach diesem Rückblick auf die martur‡a des Täufers wird das Zeichen von Tod und Auferweckung des Lazarus das neue Buch der dreieinigen d∙xa des Vaters (11,4.40), des Sohnes (11,4) und des Geistes eröffnen. Dabei ist das Lazaruswunder wiederum hinweisendes Zeichen auf Jesu eigenes Sterben und Auferstehen als das letzte und größte aller shmeõa (20,30 f). Nach dem Buch des Zeugnisses hat damit auch dieses zweite Buch der Herrlichkeit den Charakter einer Ringkomposition. Freilich darf man die durch 10,40–42 markierte „Zäsur“, die das Evangelium in zwei Bücher teilt, nicht gegen die „Einschnitte“ ausspielen, die jeweils Anfang und Ende seiner fünf (Wyller), bzw. sieben Akte (Østenstad) deutlich markieren. Trotz dieser differierenden Zählung der Akte sind sich jedoch diese beiden Autoren mit überzeugenden Argumenten darin einig, daß Joh 8,12–12,50 der sorgfältig gestaltete zentrale Akt der dramatischen Erzählung „Evangelium nach Johannes“ ist. Exakt in der Mitte dieses Aktes, nämlich in der Szene auf dem Tempelweihfest (Joh 10,22–39), liegt die „Peripetie“ des gesamten Werkes. Der V. 10,30: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen, ist der Punkt, in dem die ün›basi" seines Protagonisten gipfelt und dessen kat›basi" beginnt. Unbeschadet seiner Gliederung in unterscheidbare „Akte“ liegt an dieser Stelle darum auch die durch die ‚Zäsur‘ von 10,40–42 markierte ‚Wasserscheide‘, die das Evangelium in zwei Bücher teilt. Wegen der schon oft beobachteten hohen symbolischen Bedeutung der Siebenzahl – u. a. sieben shmeõa, sieben prädizierte †g„-e¢mi-Worte und sieben ausdrücklich als solche bezeichnete Zitate aus dem Alten Testament, sieben um ihren auferstandenen Herrn versammelte Jünger (21,2) – folgen wir mit geringen Variationen dem Vorschlag von Gunnar Østenstad, der das Evangelium folgendermaßen gliedert: (1) Prolog:1,1–18 – (2) Erster Akt: 1,19–2,25 – (3) Zweiter Akt: 3,1–4,54 – (4) Dritter Akt: 5,1–7,52 – (5) Vierter und zentraler Akt: 8,12–12,50 – (6) Fünfter Akt: 13,1–17,26 – (7) Sechster Akt: 18,1–19,42 – (8) Siebter Akt: 20,1–21,24 – (9) Epilog: 21,25. Zwar erscheint uns an diesem Lektürevorschlag wesentlich, daß Østenstad das 21. Kapitel nicht als sekundären Nachtrag vom Rest des Evangeliums abtrennt, sondern es als dessen integralen Teil behandelt. Aber aufgrund der doch wohl allzu deutlichen Markierung des Endes des Evangelien-Corpus durch Joh 20,30 f erscheint uns Østenstads umstandslose Zusammenfassung von Joh 20,1–21,24 als siebter Akt und die Bezeichnung des einsamen Verses 21,25 als ‚Epilog‘ höchst fragwürdig. Wir bezeichnen darum nur die Ereignisse des Ostertags und die Erscheinung Jesu vor Thomas am darauf folgenden Sonntag (20,1–29) als den siebten und letzten Akt der Historie Jesu und begreifen Joh 20,30 f–21,25 als den Epilog des Evangeliums, der in dessen Prolog seine Entsprechung hat (s. u. z. St.). Weil aber die Strukturierung eines Textes, so sehr sie dessen internen Zeichen verpflichtet ist, zugleich immer das Ergebnis seiner subjektiven Lektüre ist, hegen wir zudem erhebliche Zweifel daran, daß „die Struktur des vierten Evangeliums (jemals) objektiv definiert werden kann“. Von ihr gilt vielmehr: „The work of John is a living spiritual organism, a ‚logos‘ in the platonic sense of the word. In the Phaedrus Plato has given a fundamental rule for the correct partition of an organic logos: mÉ †piceireõn katagn‚nai mfiro" mhdfin, kakoú mage‡rou tr∙pw cr„menon (‚Not to try to break any part across, using the way of a bad cook‘ – Phdr. 265 e), i. e. our intellectual knife has to follow the natural articulations of the organism. 418
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
8,12
Interpreters make their incisions in the logos, take their different ‚Roentgenpictures‘, so to speak, and each may be right. Nobody will be able, through scientific analysis, to grasp the whole of it and divide it in the one and only right way“ (Wyller 166). Wie Østenstads Analyse zeigt, ist unser gesamter vierter und zentraler Akt (8,12– 12,50) eine hochreflektierte konzentrische Ringkomposition, deren Mittelpunkt die von ihm als D bezeichnete Szene von Jesu Auftritt auf dem Tempelweihfest bildet (10,22–39). Jesu darin gesprochenes Wort: „Ich und der Vater sind Eines“, ist der Gipfel‑ und Wendepunkt (‚Peripetie‘) seines irdischen Weges und exakt die Mitte des Evangeliums. Eröffnet und beschlossen wird dieser kunstvoll komponierte Akt durch die Abschnitte A (8,12–20) am Anfang und A' (12,44–50) am Ende, die thematisch wie strukturell strikt parallel gebaut sind und so eine förmliche Inklusion des gesamten Aktes bilden (vgl. Structure 38 f). 8,21–59 samt der Demonstration des darin Gesagten durch die Heilung des Blindgeborenen in Joh 9 bilden den Abschnitt B, der wiederum in dem Abschnitt B' (11,1–10) und der darauf folgenden Demonstration durch die Auferweckung des Lazarus (11,11–44) seine Entsprechung hat. Dem Abschitt B folgt mit 9,39–10,21 der Abschnitt C, dem endlich mit 11,45–12,43 der Abschnitt C' korrespondiert. So ergibt sich für Østenstad für den gesamten Akt diese konzentrische Heptade: A – B – C – D – B' – C' – A'. „I conclude: In 8,12–12,50, the Evangelist has given a consistent and exhaustive treatment of the theme which is presented in the Prologue: Into the world’s darkness, God has sent His Son as the Light of the world, to speak His words and to do His works, in order that all may attain Life by faith in Him who is one with the Father. To reject His testimony is therefore to judge oneself. In forceful clarity this exposition is unsurpassed in any other section of the Gospel. Centered around Jesus’ triple self-testimony im 10,22–39: that He is the Messiah, the Son of God, who is one with the Father, chs. 8,12–12,50 stand out as the central section of the Fourth Gospel, from a compositorial as from a theological point of view“ (ebd. 40 f).
419
Erste Hälfte des vierten Aktes (8,12–10,42) Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern am Laubhüttenfest (8,12–59) (1) Ich bin das Licht der Welt (8,12–20) 12
Wiederum redete Jesus nun zu ihnen: Ich bin das Licht der Welt! Wer mir nachfolgt, tappt nicht in der Finsternis umher, sondern wird das Licht des Lebens haben. 13 Da erwiderten ihm die Pharisäer: Du legst Zeugnis ab in eigener Sache. Darum ist dein Zeugnis nicht wahr. 14 Doch Jesus antwortete ihnen: Selbst wenn ich über mich selbst zeugte, wäre mein Zeugnis wahr, denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe. Ihr aber wißt nicht, woher ich komme und wohin ich gehe. 15 Ihr (ver)urteilt nach dem Fleisch, ich dagegen verurteile niemanden. 16 Ja selbst wenn ich urteile, ist mein Urteil dennoch wahr, denn ich bin’s nicht allein: Vielmehr ich mit dem Vater. 17 Auch in eurem Gesetz steht ja geschrieben, daß zweier Menschen Zeugnis wahr ist. 18 Ich bin es, der von mir zeugt, und es zeugt von mir, der mich gesandt hat, der Vater. 19 Da fragten sie ihn: Wo ist denn dein Vater? Jesus antwortete: Ihr kennt weder mich, noch meinen Vater. Wenn ihr mich nämlich kenntet, dann würdet ihr auch meinen Vater kennen. 20 Diese Rede hielt er im Tempel bei der Schatzkammer. Und keiner nahm ihn fest, denn seine Stunde war noch nicht gekommen. 12: Das p›lin, das diese oben ‚A‘ genannte Passage und damit den neuen Akt eröffnet, erfüllt eine doppelte Funktion: Es markiert nämlich nicht nur den Neueinsatz, sondern verbindet zugleich auch das Folgende mit dem Vorausgegangenen. Weil die vorige Szene zuletzt von dem Disput zwischen Nikodemus und den Pharisäern beherrscht war, muß Jesus jetzt erneut namentlich und nicht nur pronominal wieder eingeführt werden, während die disputierenden Pharisäer mit dem Pronomen a§toõ" bezeichnet werden. Das heißt, daß Jesus jetzt unter die Disputierenden tritt und mit seinem †g„e¢mi-Wort: „Ich bin das Licht der Welt …“ nun seinerseits für den verstummten Nikodemus eintritt. Wie der zuvor unter Berufung auf die Schrift für Jesus Partei ergriffen hatte, so rechtfertigt Jesus nun den von den Pharisäern als einer †k tö" Galila‡a", das heißt wohl: als ein Quasi-Jünger Jesu, verdächtigten Nikodemus. Hatten sie den eben noch mit den selbstsicheren Worten abgefertigt: „Forsche doch (in der Schrift), da wirst du ja sehen, daß aus Galiläa kein Prophet ersteht“, so erklärt Jesus als derjenige, von dem die Schriften zeugen (†keõna‡ e¢sin a´ marturoúsai perÑ †moú: 5,39), jetzt: †g„ e¢mi tÖ fù" toú k∙smou: ¨ ükoloujùn †moÑ o§ mÉ peripatflsÔh †n tÔö skot‡a, üllû 420
Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,12–15
∫xei tÖ fù" tö" zwö". Das ist einerseits ein Spiel mit Jes 42 f, einem Text, der die johanneischen ‚Ich-Bin-Worte‘ nachhaltig geprägt hat. In dem Gottesknechtslied heißt es da: †gá k‚rio" ¨ jeÖ" †k›les› se †n dikaios‚nÔh kaÑ kratflsw tö" ceir∙" sou kaÑ †nisc‚sw se kaÑ ≤dwk› se e¢" diajflkhn gfinou", e¢" fù" †jnùn ünoõxai £fjalmoÜ" tuflùn ktl. (Jes 42,6 f; vgl. Joh 9 und siehe Thyen, Licht der Welt 24 ff und 37 f). Andererseits aber ist gerade dieses ‚Ich-Bin-Wort‘ durch seinen Kontext zugleich unübersehbar eng mit der Verheißung von Jes 8,23–9,1 verknüpft: In Kürze wird Jhwh die von ihm zuvor verachteten Gebiete Sebulons und Naphtalis … sowie das ‚Galiläa der Heiden‘ wieder zu Ehren bringen und: ¨ laÖ" ¨ poreu∙meno" †n sk∙tei, ¥dete fù" mfiga: o´ katoikoúnte" †n c„ra kaÑ skõa jan›tou, fù" l›myei †fû ≠mô" (vgl. Lindars, Komm. 315). Die folgende Interpretation von Joh 8, zumal von 8,24.28 und 58, wird erweisen, daß die absoluten „Ich-Bin-Worte“ den durch Lexeme wie ±rto", fù", zwfl, ¨ poimÉn ¨ kal∙" etc. prädizierten gegenüber „logisch primär“ sind (Zimmermann, Ntl. Offenbarungsformel 273). Weder logisch noch auch nur grammatisch ist das bei Johannes stets emphatisch vorangestellte †g„ e¢mi darum jemals bloßes Prädikatsnomen (s. o. zu 6,35 u. Thyen, Erzählung). Und das oft, wie etwa durch E. Schweizer (Ego eimi), betonte Konkurrenzverhältnis zu anderen Offenbarungsansprüchen ist – wenn es denn überhaupt bestehen sollte – allenfalls ein leiser Nebenton, der im übrigen schon der aufgenommenen Offenbarungsformel anhaftet: „Ich bin Gott und außer mir ist keiner!“ Das bestätigen auch die „soteriologischen Nachsätze“ der ‚Ich-Bin-Prädikationen‘, die für unser Evangelium typisch und nach Kundzins’ bisher unwiderlegtem Urteil vor Johannes nirgendwo nachzuweisen sind (Zur Diskussion 103). Für diese „Nachsätze“ ist es bezeichnend, daß sie sich nicht in zweiter Person an die dramatis personae richten, sondern mit Wendungen in dritter Person wie „Wer zu mir kommt …“, „Wer mir nachfolgt …“ oder „Wer an mich glaubt …“ dem Leser oder Hörer des geschriebenen Evangeliums Heimat und Fülle eröffnen (vgl. Crossan, It is Written 12 f). Mit fù" toú k∙smou, skot‡a und fù" tö" zwö", gewichtigen, bereits seit dem Prolog vertrauten Stichworten, sind bereits drei der Hauptthemen der folgenden Dialoge genannt. Ihre weiteren eng miteinander verflochtenen Themen sind: ükoloujeõn †mo‡ bzw. piste‚ein e¢" †mfi, kr‡nein und kr‡si", martureõn und martur‡a, Jesu Partnerschaft mit dem Vater hinsichtlich seiner Werke, sein davon zu unterscheidendes Einssein mit dem Vater („Wenn ihr mich kenntet, dann kenntet ihr auch meinen Vater“ [V. 19] und „Ich und der Vater sind Eines“ [10,30]) und endlich seine Vollmacht, dem k∙smo" als sein Licht das ewige Leben zu verleihen. Die Korrespondenz zwischen dem ersten und dem letzten Satz dieses Abschnittes bestätigt, daß Jesu Sein als tÖ fù" toú k∙smou seinen Grund darin hat, daß er als der Sohn eins ist mit dem Vater. Der „soteriologische Nachsatz“: ¨ ükoloujùn †moÑ o§ mÉ peripatflsÔh †n tÔö skot‡a, üllû ∫xei tÖ fù" tö" zwö", macht deutlich, daß der Genitiv toú k∙smou das Licht als die Gabe bezeichnet, die jedem, der ihm „nachfolgt“, das Leben unter der Verheißung eröffnet, nie mehr in der Finsternis umherirren zu müssen. 13–15: Nicht um das aus dem Munde Jesu ergehende übereinstimmende Doppelzeugnis des Vaters und des Sohnes wissend wenden die Pharisäer ein: „Du zeugst ja über dich selbst. Darum ist dein Zeugnis nicht wahr!“ Als ob Jesus das nicht wüßte, denn damit wenden sie ja nur Jesu eigene Worte gegen ihn selbst, der doch gesagt hatte: „Wenn ich für mich selbst als Zeuge aufträte, so wäre mein Zeugnis nicht wahr“ 421
8,12–59
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
(5,31). Darum hatte er dem sogleich hinzugefügt: „Es ist vielmehr ein anderer, der für mich zeugt, und ich weiß, daß das Zeugnis, das er über mich ablegt, wahr ist“ (5,32). Waren es in jenem Zusammenhang von Joh 5 noch die Jesus vom Vater gegebenen „Werke“, die zusammen mit dem Vater für ihn zeugten (5,36 ff), so erklärt er – in scheinbarem Widerspruch zu jenem früheren Wort – jetzt: „Ja selbst wenn ich von mir zeuge, so ist mein Zeugnis dennoch wahr, denn ich weiß ja, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe“. Die ‚Wahrheit‘ auch seines Zeugnisses für sich selbst begründet Jesus also mit seinem Wissen um sein Woher und sein Wohin. Weil er als der einzige Sohn, „den Gott nicht dazu gesandt hat, daß er die Welt verurteile, sondern dazu, daß die Welt durch ihn gerettet werde“ (3,17), um seinen Auftrag weiß und – wie er 5,34 bereits erklärt hatte – keines Menschen als seines Zeugen bedarf (†gá dÇ o§ parÅ ünjr„pou tÉn martur‡an lamb›nw), ist es unvermeidlich, daß er für sich selbst zeugen muß. „Ihr dagegen wißt weder, woher ich komme, noch, wohin ich gehe. Ihr richtet nach bloßem Augenschein (katÅ tÉn s›rka kr‡nete); ich dagegen verurteile niemanden“ (8,14 f). Auch ohne die von P75 u. a. hinzugefügte Partikel dfi markiert schon das emphatisch vorgestellte †g„ [o§ kr‡nw] diese adversative Bedeutung. In dem obigen Exkurs über die Erzählung von ‚Jesus und der Ehebrecherin‘ hatten wir schon vermerkt, daß wohl gerade dieser Satz: „Ich dagegen verurteile niemanden!“, der Grund dafür gewesen ist, die Szene zu seiner Illustration zwischen die Kapitel 7 und 8 einzufügen.
Weil Jesu Antagonisten weder um sein Woher noch um sein Wohin wissen und ihnen Gottes Plan noch verborgen ist, durch die Hingabe seines einzigen Sohnes die Welt zu erlösen, können sie nur „nach dem Fleisch urteilen“. Auf solche Weise dagegen verurteilt Jesus, „dem der Vater die †xous‡a verliehen hat, das Gericht zu halten, weil er ein Menschensohn ist“ (5,27), niemanden. Er, von dessen Richten ja gilt: kaÑ ™ kr‡si" ™ †mÉ dika‡a †st‡n (5,30), verurteilt niemanden katÅ tÉn s›rka, wie man hier wohl ergänzen muß (vgl. Lindars, Komm. 317). 16–19: V. 16 bestätigt das, indem er das den ≠meõ" in V. 15 emphatisch entgegengestellte †g„ wiederaufnimmt: Und wenn ich aber richte, so ist mein Urteil gerecht (ülhjinfl), denn ich bin ja nicht allein, sondern mit mir ist, der mich gesandt hat, der Vater. Und in eurem Gesetz steht ja geschrieben, daß das (übereinstimmende) Zeugnis zweier Menschen wahr ist. Daß mit der Rede von „eurem Gesetz“ keinerlei (christliche) Distanzierung von der Tora der Juden verbunden ist, sondern gerade deren unaufhebbare Verbindlichkeit ad hominem gewendet wird, hat Augenstein (Euer Gesetz) einleuchtend begründet. Der Hinweis auf das Gesetz (Dtn 19,15) ist in diesem Zusammenhang als ein argumentum a minore ad maius zu verstehen: Wenn nach dem Gesetz schon das übereinstimmende Zeugnis wenigstens zweier Menschen zur Überführung eines Schuldigen ausreicht, um wieviel verbindlicher muß dann das übereinstimmende Zeugnis des Vaters und seines göttlichen Sohnes sein: „Ich bin es, der von sich selbst zeugt, und es zeugt für mich der Vater, der mich gesandt hat. Da sagten sie zu ihm: Wo ist denn dein Vater? Und Jesus antwortete: Ihr kennt weder mich noch meinen Vater, denn wenn ihr mich kenntet, dann kenntet ihr auch meinen Vater“. „Consequently this further refinement of the issue of 5,30–47 deepens the sense of the unity of the Father and the Son, and so helps to prepare for the discourse in the second half of the chapter“ (Lindars, Komm. 316). 422
Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,14–21
20: Der Erzähler beschließt diesen Abschnitt nun mit dem folgenden Kommentar: „Diese Worte sprach er (sc. Jesus) bei der Schatzkammer (†n tù gazofulak‡w), als er im Tempel lehrte. Und keiner verhaftete ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen“. Zu Jesu öffentlichem Lehren †n sunagwgÔö kaÑ †n tù ´erù (18,20) s. o. zu 6,59. Der letzte Satz, daß ihn keiner verhaftete, weil seine Stunde noch nicht gekommen war, erinnert an 7,30 und daran, daß der den ≠phrfitai von den Hohenpriestern und Pharisäern erteilte Befehl, Jesus zu verhaften (7,32; vgl. 7,45 ff), immer noch besteht. (2) Erneute Auseinandersetzung mit den Juden auf dem Laubhüttenfest (8,21–30) 21
Abermals sagte er ihnen: Ich gehe weg, und ihr werdet mich suchen und werdet in eurer Sünde sterben. Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen. 22 Da fragten sich die Juden: Will er sich etwa selbst umbringen, weil er doch sagt, wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen? 23 Und er erklärte ihnen: Ihr seid von unten, ich aber bin von oben. Ihr seid aus dieser Welt, ich dagegen bin nicht von dieser Welt. 24 Ich habe es euch ja gesagt: Ihr werdet in euren Sünden sterben. Denn wenn ihr nicht glaubt, daß ICH BIN, werdet ihr in euren Sünden sterben. 25 Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Und Jesus erwiderte ihnen: Genau das, was ich euch von Anfang an sage! 26 Viel habe ich über euch zu sagen und zu kritisieren, doch der mich gesandt hat, der ist wahrhaftig, und ich, ich sage der Welt nur, was ich von ihm gehört habe. 27 Sie begriffen aber nicht, daß er vom Vater zu ihnen redete. 28 Darum sagte Jesus ihnen: Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, daß ICH BIN und daß ich aus eigener Initiative nichts tue, sondern nur sage, was mich der Vater gelehrt hat. 29 Ja, der mich gesandt hat, der ist mit mir und hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit tue, was ihm wohlgefällt. 30 Als er dies sagte, kamen viele zum Glauben an ihn. Weil der V. 30, der durch die Wendung taúta a§toú laloúnto" als Rückblick auf Jesu gesamte Rede seit 8,12 markiert ist und deren positiven Erfolg mit den Worten polloÑ †p‡steusan e¢" a§t∙n auszeichnet, behandeln wir die V. 21–30 als eine eigene Szene. Daß mit V. 31 eine neue und ungleich polemischere Rede Jesu vor einem anderen Publikum beginnt, wird sich z. St. zeigen. Jedenfalls aber sehen wir keinerlei Grund dafür, den Satz: polloÑ †p‡steusan e¢" a§t∙n, der die Reaktion „vieler“ auf Jesu Rede beschreibt, anders zu verstehen als die Reaktion seiner Jünger auf die ürcfl seiner Zeichen: kaÑ †p‡steusan e¢" a§tÖn o´ majhtaÑ a§toú (2,11). Zudem setzt ja auch der definitive Beschluß der Hohenpriester und der Pharisäer, Jesus zu töten, in 11,47 ff den Glauben vieler Juden an ihn voraus. Denn der Tötungsbeschluß wird ja ausdrücklich mit deren Angst begründet: „Wenn wir ihn so weitermachen lassen, dann werden sie schließlich alle an ihn glauben (p›nte" piste‚sousin e¢" a§t∙n), und dann werden die Römer kommen und uns gewaltsam Tempel und Volk nehmen“ (üroúsin ™mùn kaÑ tÖn t∙pon kaÑ tÖ ≤jno": 11,48). 21f: Nach seiner Rede †n tù gazofulak‡w spricht Jesus erneut zu den gleichen Zuhörern (a§toõ"). Und wie in V. 12 eröffnet er seine Rede wieder mit dem emphati423
8,12–59
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
schen †g„: „Ich gehe weg, und ihr werdet mich suchen, und (dann) werdet ihr in euren Sünden sterben. (Denn) wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen“. Kaum zu Recht läßt P75 mit wenigen anderen Zeugen das emphatische †g„ vor ≠p›gw aus, denn dieses „Ich“ Jesu beherrscht den gesamten Abschnitt und erreicht in dem zweimaligen absoluten †g„ e¢mi in den V. 24 und 28 seine absichtsvolle Klimax. Natürlich ist diese Aussage kein definitives Urteil, gilt doch auch von ihr: „Ich verurteile niemanden“ (V. 15), sondern Paränese, die gewinnen und retten will. Und sie kommt, wie V. 30 zeigt, ja auch zum Ziel. Aufgerufen sind die Hörer also dazu, die schwindende Zeit der Gegenwart Jesu zu nutzen, umzukehren und anstelle des Todes das Leben zu wählen. Freilich darf diese paränetische Aussage nicht so verstanden werden, als müßten alle, die dem irdischen Jesus nicht glauben, in ihren Sünden sterben. Denn nach Joh 7,39 ermöglicht und eröffnet ja gerade erst Jesu ‚Verherrlichung‘ oder – mit unserem V. 8,21 gesagt – sein ‚Weggehen‘ die Möglichkeit, unter dem Geleit des Geistes an ihn zu glauben und am ewigen Leben des Sohnes teilzugewinnen. Diese Schwierigkeit führt Burkett (The Son 150 f) zu der Erwägung, daß V. 21 ff ein Spiel mit Amos 8,11 f zugrunde liegen könnte: „Siehe, Tage werden kommen, spricht der Herr, da werde ich einen Hunger ins Land senden, doch nicht Hunger nach Brot noch Dürsten nach Wasser, sondern einem Hunger darauf, das Wort des Herrn zu hören. Sie werden von Meer zu Meer wandern, vom Norden bis zum Westen werden sie herumirren auf der Suche nach dem Wort des Herrn, und werden es niemals finden (kaÑ o§ mÉ eærwsin)“. Burkett sagt dazu: „As long as the Word is with them, they have the opportunity to hear what God is saying. When Jesus leaves, however, they will seek the Word in vain, without knowing that what they are looking for is Jesus“ (151 f). 22–24: „Da sagten die Juden“: – wieder wagen sie es nicht, ihn zu fragen, sondern nur über ihn zu tuscheln –: „Will der sich etwa selbst töten, wenn er sagt: ‚Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen?‘“ Abgesehen davon, daß sie nicht begreifen, daß er von seinem Weg zum Vater zu ihnen geredet hatte (V. 27), ist dieser Satz insofern zutiefst ironisch, als sein Weg zum Vater Jesus tatsächlich in den Tod führen wird. Und da nach Joh 10,18 niemand die Macht hat, ihm das Leben zu nehmen, wird er sich in gewisser Weise tatsächlich „selbst töten“: o§deÑ" a¥rei a§tÉn (tÉn yucÉn) üpû †moú, üllû †gá t‡jhmi a§tÉn üpû †mautoú. †xous‡an ≤cw jeõnai a§tÉn, kaÑ †xous‡an ≤cw p›lin labeõn a§tfln (vgl. 18,2 ff). Freilich ist der Weg, den Jesus da im Auge hat, nicht die verabscheuenswürdige ‚Todsünde‘ des Selbstmords (vgl. Gen 9,5 und 2Sam 17,23), wie die Zuhörer zu argwöhnen scheinen, sondern der Weg des ‚guten Hirten‘, der sein Leben für seine Schafe freiwillig (üpû †mautoú) hingibt. Die V. 23 u. 24 geben die Begründung dafür, daß sie nicht dahin gelangen können, wohin Jesus geht: „Ihr seid ‚von unten‘, ich aber bin ‚von oben‘; ihr seid von dieser Welt, ich aber bin nicht von dieser Welt. Darum habe ich euch gesagt, daß ihr in euren Sünden sterben werdet.“ Das ist auch in dieser Wiederholung wiederum kein Urteil über irgendwelche empirischen Juden oder gar über das jüdische Volk, sondern, ‚von unten und von dieser Welt zu sein‘, ist die Grundbefindlichkeit der gesamten adamitischen Menschheit. Ihr zu entrinnen, gibt es, wie Jesus Nikodemus gesagt hatte, nur den durch eine neue ‚Geburt von oben‘ eröffneten Weg des Glaubens: „Denn wenn ihr nicht glaubt, Ωti †g„ e¢mi, dann werdet ihr in euren Sünden sterben“ (V. 24). Nach Jesu an seiner Stelle in der Erzählung freilich noch dunklem Wort an die Samaritanerin am Jakobsbrunnen: †g„ e¢mi, ¨ lalùn soi (4,26) und dem nächtlichen 424
Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,21–25
Trost seiner vom Sturm auf dem See geängstigten Jünger durch sein: †g„ e¢mi, mÉ fobeõsje (6,20) ist dies das dritte der absoluten †g„-e¢mi-Worte des Evangeliums, dem in unserem Kapitel mit den V. 28 und 58 noch zwei weitere folgen werden (vgl. Thyen, Erzählung). Vor dem Hintergrund von Ex 3,14 ist das †g„ e¢mi im „Deuterojesaja“ genannten Teil des Jesajabuches geradezu zum Namen Gottes geworden. Daß diese Jesaja-Passagen buchstäblich als die ‚Prätexte‘ des absoluten †g„ e¢mi bei Johannes anzusehen sind, haben Young (Study 215 ff), Coetzee (Jesus’ Revelation 170 ff), Harner (The ‚I Am‘ 37 ff) und Burkett klar erwiesen. Wenn Jesus hier im Zusammenhang seines †g„-e¢mi-Sagens das üpojaneõsje †n taõ" ümart‡ai" ≠mùn aus V. 21 wiederholt, so liegt dem, wie Burkett (152) vermutet, wohl ein Spiel mit Jes 43,25 zu Grunde: †g„ e¢mi †g„ e¢mi ¨ †xale‡fwn tÅ" ünom‡a" sou kaÑ o§ mÉ mnhsjflsomai. Darin, daß Johannes Jesus diese Theophanie-Formel wieder und wieder in den Mund legt, ist deshalb von Anfang an bereits der Anspruch impliziert, den Jesus auf dem Gipfelpunkt seiner Auseinandersetzung mit den ûIoudaõoi so explizieren wird: †g„ kaÑ ¨ patÉr ¬n †smfin (10,30). Aber: „Während Gott sich im AT mit der Formel direkt kundtut, ist die Selbstkundgabe Jesu indirekter Art: Er bezieht sich mit seinem †g„ e¢mi auf jenes, das der Vater längst gesprochen hat, d. h. er identifiziert sich über den Vater, indem er über sich selbst sagt, was nur Gott zukommt. Gerade die Formel, die Gottes Unableitbarkeit und Selbstbegründung bekundet, wird im Munde Jesu zum Ausdruck seiner Abhängigkeit vom Vater. Nicht Gott wird hier also offenbart, sondern Jesus offenbart sich als Sohn“ (Astrid Schlüter 52). Das ist von der Autorin gegen Zimmermann gesagt, der sich zwar um die Deutung dieser ‚johanneischen Offenbarungsformel‘ hoch verdient gemacht hat, aber dennoch irrt, wenn er behauptet, durch das Aussprechen des †g„ e¢mi offenbare Jesus „zunächst nicht sich, sondern den Vater“ (†g„ e¢mi 270). Denn daß der ‚johanneische Jesus‘ keinesfalls als der Offenbarer eines bis dahin „unbekannten Gottes“ begriffen werden darf, wie das leider vielfach geschieht, hat Schlüter durch zahlreiche sorgfältige Interpretationen sowohl der einschlägigen Passagen des Prologs als auch der Ich-Bin-Worte gegen allen Zweifel evident gemacht. Die Verhältnisse sind hier genau umgekehrt: Nirgendwo zeugt ein bekannter Jesus für oder von seinem unbekannten Vater, sondern der bekannte Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zeugt für seinen unbekannten Sohn (vgl. K. Barth, Erklärung 364 ff). Ein Jesus, der sich in der heiligen Stadt Jerusalem und im ‚Haus seines Vaters‘ (2,16) im intertextuellen Spiel mit den heiligen Texten seines Volkes das göttliche †g„ e¢mi zu eigen macht, mit dem sich Jhwh seit den Tagen Moses diesem Volk offenbart hat, darf keinesfalls als der Offenbarer eines unbekannten Gottes begriffen werden. Wenn der ‚lukanische Paulus‘ dagegen im heidnischen Athen auf einen Altar mit der Inschrift AGNWSTWI QEWI gestoßen sein will und den Athenern nun Jesus Christus als den Offenbarer dieses Unbekannten präsentiert (Act 17,22 ff), dann mag das insofern hingehen, als Paulus hier ja eines interreligiösen Anknüpfungspunktes bedarf, wenn er den heidnischen Athenern den Gott seiner Väter und dessen Sohn Jesus Christus nahebringen will.
25: „Da fragten sie ihn: Wer bist du denn?“ Diese Frage setzt wohl voraus, daß sie das absolute †g„ e¢mi nicht begriffen haben und nun nach dem in ihren Augen fehlenden Prädikat dazu fragen (vgl. Lindars, Komm. 321). Und wenn Jesus ihnen dann antwortet: tÉn ürcÉn Ω ti kaÑ lalù ≠mõn“, so zeigt schon die Fülle der Varianten und Konjekturen dieses kurzen Satzes seine Mehrdeutigkeit und die Schwierigkeit, ihn zu übersetzen. Burkett, der den Satz für „perhaps the hardest sentence in the Gospel to translate“ hält, erörtert die Problematik sehr gründlich (The Son 152 ff); vgl. die Komm. von Bultmann 267 f; Brown I, 347 f; Schnackenburg II, 254 f u. a. sowie Metzger (Comm. 223 f); R. W. Funk (Pap. Bodmer II) und Smothers (Two Readings). Im wesentlichen werden die folgenden drei Problemlösungen vorgeschlagen: 425
8,12–59
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
(1) Obgleich nahezu alle älteren griechischen Handschriften weder Zeichen einer Interpunktion noch Spatien zwischen den Wörtern bieten, lesen viele – wie das Fragezeichen am Ende bei Nestle/Aland26 f zeigt – den Satz als eine (ärgerliche) Gegenfrage Jesu. Dazu ziehen sie die beiden Lexeme Ω und t‡ zu einem als „warum“ verstandenen Ωti zusammen und begreifen die Wendung tÉn ürcfln adverbial im Sinne von „überhaupt“. In diesem Sinn erklärt etwa Schnackenburg: „Nach dem Zusammenhang und der griechischen Formulierung muß man … wahrscheinlich (so) übersetzen: ‚Was rede ich überhaupt noch zu euch?‘ oder (als Ausruf) ‚Daß ich überhaupt noch zu euch rede!‘ Es ist zwecklos, diesen verschlossenen, ihn von vorneherein ablehnenden Menschen seinen Anspruch noch mehr zu verdeutlichen; jedes weitere Wort ist in dieser Situation überflüssig“ (Komm. II, 254; ähnlich die Komm. von Wilckens 143; und L. Schenke 169. 174). (2) Wie schon die Wendung „oder (als Aufruf)“ im eben zitierten Text Schnackenburgs zeigt, verstehen zahlreiche Ausleger das Ω ti im Sinne des hebräischen hm als Indiz dafür, den Satz als Ausruf zu verstehen: ‚Ach, daß ich überhaupt noch mit euch rede!‘. Mit ausführlicher Begründung versteht so auch Zahn den Satz (Komm. 411 ff). (3) Gegen diese grammatisch durchaus möglichen Versuche erklärt Barrett jedoch zu Recht, sie paßten „so schlecht zum nächsten Vers (pollÅ ≤cw perÑ ≠mõn laleõn)“ und erschienen ihm gegenüber „so unsinnig, daß man sich gegen diese Möglichkeit entscheiden“ müsse (Komm. 347). Er will den Satz darum als Aussage und Antwort Jesu auf die Frage: „Wer bist du?“ verstehen. Dazu plädiert er für die Lesart Ω ti und ergänzt das seiner Meinung nach implizierte †g„ e¢mi aus V. 24: „tÉn ürcfln ist dann wiederzugeben ‚zuerst‘, ‚am Anfang‘ ‚im Anfang‘; vgl. z. B. Thukydides II/74 (o∂te tÉn ürcfln ... o∂te nún); Gen 41,21; 43,18 (an jeder Stelle hljtb… ‚im Anfang‘); Dan 8,1 (Theodotion tÉn ürcfln = LXX tÉn pr„thn = hljtb); 9,21 (LXX tÉn ürcfln = Theodotion †n tÔö ürcÔö ...). Wir müssen wählen zwischen der Übersetzung a) ich bin von Anfang an, was ich euch sage, und b) ich bin, was ich euch von Anfang an sage“. Weil sie dem Präsens lalù besser entspreche, plädiert Barrett für die erstere (Komm. 347). Ähnlich hat schon der Korrektor von P66, der vermutlich mit dem ursprünglichen Schreiber identisch ist (vgl. dazu die genannten Untersuchungen von Funk und Smothers), den Satz verstanden, wenn er in einer Marginalie formuliert: eèpen a§toõ" ¨ ûIhsoú": eèpon ≠mõn tÉn ürcÉn Ω ti kaÑ lalù ≠mõn.
Wir folgen darum Barretts Interpretation, sehen in dem Satz das vorausgegangene †g„ e¢mi impliziert und übersetzen ihn: ‚(Ich bin) von Anfang an, was ich euch sage‘. Im Hintergrund unseres ‚Ich-Bin-Wortes‘ und seiner Bestätigung durch den hier erörterten strittigen Satz dürfte die Folge der V. 10 bis 12 von Jes 43 stehen; (vgl. Coetzee, Revelation 172). Burkett macht darauf aufmerksam, daß Jesus die Frage: „Wer bist du?“ nicht damit beantwortet, wer, sondern was er ist: „He states that he is, just what he speaks“. Damit beziehe er sich wohl auf das ‚Wort Gottes‘ (vgl. 12,48; 15,3; siehe das mögliche Spiel mit Am 8,11 f zu 6,59), so daß er erkläre, eben das Wort Gottes zu sein, das er sage. Denn dieses Wort sagt er ja nicht nur, sondern er ist es leibhaftig. Burkett sieht in unserem strittigen Satz darum eine Korrespondenz zu Joh 1,1a, dessen †n ürcÔö dem tÉn ürcfln, dessen én dem †g„ e¢mi, und dessen ¨ l∙go" dem Ω ti kaÑ lalù ≠mõn entspreche: „The phrase ‚at the beginning‘ would normally be followed by a verb in the past tense. However, the presence of the divine name ‚I Am‘ in the context may alter the normal use of tense, as in 8,58: ‚Before Abraham came to be, I Am“ (ebd. 154). 26: An den so verstandenen Satz schließt nun der folgende V. 26 sinnvoll an: ‚Vieles habe ich über euch zu sagen und zu urteilen (kr‡nein). Aber der mich gesandt hat, der ist wahrhaftig, und ich (emphatisches küg„) sage der Welt (nur), was ich bei ihm gehört habe‘. In den Zusammenhang des Jes 42 f bestimmenden ‚Rechtsstreites‘ Jhwhs gehören auch die Stichworte des „Richtens“ und „Zeugens“. Wie schon die rätselhafte ‚Stimme‘ 3,31 erklärt hatte, Jesus bezeuge nur, was ihm vor Augen stehe 426
Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,25–26
und was er gehört habe: ≈ ©„raken kaÑ ≥kousen toúto martureõ, kaÑ tÉn martur‡an o§deÑ" lamb›nei (s. o. z. St.), so beansprucht er selbst nun, nichts anderes zu sagen als das, was er bei dem gehört hat, der ihn gesandt hat und dessen ‚Wahrhaftig-Sein‘ außer Frage steht. Und gleich wird er sagen: „Und von mir selbst her tue ich überhaupt nichts, sondern ich rede allein, wie mich der Vater gelehrt hat“ (V. 28). Seit Bousset im Blick auf Joh 1,18; 3,11.32; 7,16; 8,26.28.38.47; 12,49; 14,10 erklärt hat: „Der Sohn verkündet, was er in der Ewigkeit beim Vater gehört (geschaut) hat“ (Kyrios Christos 170), gilt es weithin als ausgemacht, daß in all diesen Fällen der mythische Gedanke im Spiel sei, Jesus rede hier von dem, was er vor seiner Inkarnation als präexistenter Logos bei Gott ‚gesehen‘ und ‚gehört‘ habe. Zahn sucht das so zu modifizieren, daß er das Perfekt ©„raken auf die vorzeitige Schau des Präexistenten, dagegen aber den Aorist ≥kousen und die Präsensformen von üko‚w auf „ein in das Erdenleben Jesu fallendes, stufenweise fortschreitendes Hören und Lernen (8,26.40; 15,15 ≥kousa, 5,30 üko‚wn)“ bezieht, „welches einem ebensolchen göttlichen Lehren und Zeigen [entspreche] (8,28 †d‡daxen, 5,20 de‡knusin u. de‡xei)“ (Komm. 345, Anm. 49; ähnlich schon Holtzmann, Theologie II, 435). Bultmann unterscheidet nicht zwischen vorweltlicher ‚Schau‘ und innerweltlichem „Hören“, sondern er bezieht allein auf Grund der Tempora die präsentischen Aussagen auf Erfahrungen des irdischen Jesus, während die im Perfekt oder Aorist formulierten dagegen vom vorweltlichen Sehen und Hören des Präexistenten reden sollen. Zugleich macht er aber darauf aufmerksam, daß die Erwartungen der Leser, die das Reden Jesu von dem erweckt, was er bei seinem Vater „gesehen“ und „gehört“ haben will, durch die Lektüre des Evangeliums gründlich enttäuscht werden. Denn der Evangelist lehne es ab, ein anschauliches Bild des in der Präexistenz Geschauten und Gehörten zu zeichnen, und äußere nirgends mythologische Gedanken über Jesu Eintritt in die Welt. „Die Präexistenzaussagen kennzeichnen also im mythologischen Bilde den Charakter des begegnenden Wortes als eines nicht innerweltlich entsprungenen, und damit die Situation des Hörers als die Entscheidung über Tod und Leben. Die Präexistenzaussagen wollen den Glauben nicht erleichtern, indem sie Jesu Worte auf einen zuverlässigen Ursprung zurückführen, sondern sie sind das Ärgernis, indem sie den Anspruch des Wortes charakterisieren“ (Komm. 191 f). All diesen und ähnlichen Versuchen gegenüber hat Cadman, jedoch klar begründet, daß sie unbefriedigend sind und dem Evangelium nicht gerecht zu werden vermögen. Denn man könne das, was Jesus ‚beim Vater gesehen und gehört hat‘, weder insgesamt in eine mythische Präexistenz versetzen (Bousset), noch allein die ‚Schau‘ im vorinkarnatorischen Sein des himmlischen, das ‚Hören‘ aber im Leben des irdischen Jesus lokalisieren (Zahn), noch endlich je nach dem Gebrauch der tempora verborum Jesu irdisches von seinem vorweltlich-himmlischen Sehen und Hören des Vaters unterscheiden, um das Letztere sodann darauf zu reduzieren, daß es lediglich ein Instrument sei, ‚Anspruch‘ und ‚Bedeutsamkeit‘ der Worte Jesu auszudrücken (Bultmann). Es müsse vielmehr bedacht werden, daß unser Evangelist, wie seine synoptischen Vorgänger, ein Evangelium schreibe, das heißt, daß er die Geschichte von Weg, Wort und Geschick Jesu erzähle (vgl. Open Heaven 4). Als lebendiger Zeuge jahrelanger und intensiver Bemühungen seines Lehrers Cadman um die Interpretation des Johannesevangeliums hat Caird dessen reifes Werk posthum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zumal die Fülle der darin gegebenen Anregungen noch längst nicht ausgeschöpft ist, erscheint uns diese Publikation als ein 427
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
ausgesprochener Glücksfall der Forschung. Schon ihr treffender, in Anlehnung an Joh 1,51 formulierter Titel: ‚The Open Heaven‘, läßt das Resultat ahnen: Allein in Weg, Wort und Geschick des jüdischen Mannes Jesus sieht Johannes den Himmel geöffnet. Wohl ist Jesus nach Joh 1,18 der ‚Exeget des Vaters‘, aber seinem Wort entsprechend: ‚Wer mich sieht, der sieht den Vater‘ (14,9), erfolgt sein †xhgeõsjai des Vaters dadurch, daß er sich selbst auslegt. Und da sich nach Cadmans kaum zu bestreitender Einsicht, alle Aussagen Jesu auf seine irdische Person und Aktivität beziehen, gewinnt Jesus sein Selbstverständnis nach Johannes nicht aus irgendeinem präinkarnatorischen Wissen über Gott, die Welt und sich selbst, sondern ebenfalls allein aus der Anschauung seines eigenen irdischen Daseins, das er als seine ‚Sendung‘ begreift. Jenseits aller Onto-Theologie offenbart Jesus darum nicht das Wesen eines unveränderlichen Gottes, sondern er erklärt, „was in ihm (selbst) und durch ihn geschieht“ (A. Schlüter 44). Cadman formuliert das in äußerster Knappheit so: „To know Himself was, in His case, to see God“ (ebd. 8). Darum bezieht er alle Aussagen Jesu über das, was er bei seinem Vater gesehen und gehört hat, unbeschadet der Tempora ihrer jeweiligen Formulierungen auf die irdischen Erfahrungen dessen, der von sich sagt: „Ich und der Vater sind Eines“ (10,30), und: „Ich bin im Vater und der Vater ist in mir. Die Worte, die ich zu euch rede, sage ich nicht aus mir heraus, sondern der Vater, der in mir wohnt, tut (darin) seine Werke“ (14,10 f; vgl. 10,38 u. s. Cadman, ebd. 3–14). Das bedeutet im Blick auf unseren V. 26, daß das Prädikat ≥kousa in dem Satz: kügá ¡ ≥kousa parû a§toú taúta lalù e¢" tÖn k∙smon, als ein auf Jesu irdische Erfahrung bezogener ingressiver Aorist verstanden werden muß. Und entsprechend ist bei den im Perfekt formulierten Aussagen über Jesu ‚Sehen‘, ‚Hören‘ und ‚Lernen‘ beim und vom ‚Vater‘ zu bedenken, daß das Griechische keine consecutio temporum kennt, daß das griechische Perfekt dem Präsensstamm nahesteht und zumeist unter seinem resultativen, die Gegenwart bestimmenden Aspekt zu sehen ist. 27: Und wenn der Erzähler Jesu Satz sogleich dadurch erläutert, daß er ihm hinzufügt: „Sie begriffen nicht, daß er vom Vater zu ihnen gesprochen hatte“ (V. 27), so ist ja deutlich, daß Jesu absolutes †g„ e¢mi in V. 24 sein Eins-Sein mit dem Vater implizierte. Da die Juden aber den absoluten Sinn dieses †g„ e¢mi mißverstehen und ein Prädikat vermissen, wenn sie fragen: „Wer bist du?“, kann man es dem von Cullmann beschriebenen „johanneischen Gebrauch doppeldeutiger Ausdrücke“ zurechnen. Denn „the irony of this question, made possible by the double meaning of ego eimi, is that Jesus has just spoken of his identity but they have not understood his meaning“ (Harner, The ‚I Am‘ 43 f). 28 f: „Da sagte Jesus wiederum zu ihnen: ‚Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen: ich bin, und daß ich nichts von mir selbst her tue, sondern nur sage, was mich der Vater gelehrt hat. Und der mich gesandt hat, der ist mit mir. Und er läßt mich nicht allein, denn ich tue allezeit, was ihm wohlgefällig ist“. Das bei Johannes stets mit dem geheimnisvollen Prädikat ‚Der Sohn des Menschen‘ verknüpfte Lexem ≠y∙w erscheint zwar nur fünfmal im Evangelium, ist aber gleichwohl von höchstem Gewicht. Zweimal sind dabei Aktiv-Formen gebraucht, nämlich 3,14, wo von Mose gesagt wird, er habe die Schlange in der Wüste erhöht (æywsen), und hier, wo die Juden die Subjekte sind, die, wie einst Mose die Schlange, alsbald ‚den Sohn des Menschen‘ erhöhen werden (≠y„shte). Die übrigen drei Vorkommen sind Passiv-Konstruktionen: 3,14 und 12,34 formulieren die göttliche Notwendigkeit 428
Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,26–29
des ‚Erhöhtwerdens‘ Jesu mit ≠ywjönai deõ bzw. deõ ≠ywjönai, und in 12,32 erklärt Jesus: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen“. In allen diesen Fällen hat ≠y∙w absichtsvoll die doppelte Bedeutung der ‚Erhöhung‘ Jesu an das Kreuz und seiner ‚Erhöhung‘ in himmlische d∙xa. Wohl liegt der Akzent dieses „Erhöhtwerdens“ Jesu eindeutig auf seiner Kreuzigung, wie schon 3,14 deutlich und der Kommentar des Erzählers in 12,33 unüberhörbar machen. Dennoch kann man aber angesichts der beiden ausführlichen Osterkapitel Joh 20 und 21, die einen eigenen und gewichtigen ‚Akt‘ der dramatischen Erzählung bilden, und im Blick auf 2,22 oder Jesu Wort an Maria Magdalena: o∂pw gÅr ünabfibhka prÖ" tÖn patfira (20,17) schwerlich behaupten, „die Erhöhung Jesu ans Kreuz (bedeute) gleichzeitig die in den Himmel“ (Lüdemann, Art. ≠y∙w 982). Denn die Ostererzählungen und die Sendung der Jünger durch den Auferstandenen haben ihren eigenen Ort und ihr eigenes Recht und lassen sich nicht darauf reduzieren, lediglich symbolischer Ausdruck der ‚Bedeutsamkeit des Kreuzes Jesu‘ zu sein (Bultmann). Wie in den synoptischen ‚Leidens‑ und Auferstehungs-Weissagungen‘ und zumal in Mk 8,27 ff parr als den ‚Prätexten‘ gipfelt auch bei Johannes die seit Kapitel 7 debattierte Frage nach der Identität Jesu in einem Wort über „den Sohn des Menschen“. Dabei ist aber der synoptische Inhalt dieser Jüngerbelehrung (did›skein) Jesu, nämlich: „daß der Sohn des Menschen viel leiden muß, daß er von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten verachtet und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen wird“ (Mk 8,31), bei Johannes an die ‚Juden‘ gerichtet und in dem einen Satz verdichtet: Ωtan ≠y„shte tÖn u´Ön toú ünjr„pou, t∙te gn„sesje Ωti †g„ e¢mi. So klar hier ≠y„shte als aktives Handeln der Angeredeten auf die Kreuzigung Jesu verweist, so ist in diese Vollendung seines irdischen Werkes im Sterben des „Gotteslamms“ zur Beseitigung der Sünden der Welt (1,29) seine Auferstehung gleichwohl eingeschlossen: „The Jews will lift up the Son of the Man on the cross, an act which is the prerequisite for his being lifted up to heaven. The enthronement of the Son of the Man in heavenly glory is his vindication by God, through which all people will eventually know the truth of his claim, ‚I Am‘“ (Burkett 159). Natürlich ist Jesu Eins-Sein mit dem Vater bereits gegenwärtige Realität, weil der Vater, der ihn gesandt hat, ihn niemals allein läßt, sondern allezeit bei ihm ist und bleibt, in ihm gesehen und gehört wird, gleichwohl gilt aber, „daß die Menschen erst nach der Verherrlichung Jesu werden begreifen können“, daß er und sein Vater Eines sind (Harner, I Am 44). Durch seine Anmerkung: „Sie wußten aber nicht, daß Jesus zu ihnen vom ‚Vater‘ geredet hatte“ (V. 27), bringt der Erzähler zum Ausdruck, daß die Zuhörer Jesu nicht begriffen haben, daß Jesus mit dem ¨ pfimya" me Gott, seinen himmlischen Vater, gemeint hatte. Das heißt aber, daß in dem folgenden Satz, der dieses Defizit nun beheben soll (oên!), die Wendung ¨ u´Ö" toú ünjr„pou ebenso wie Joh 3,13 vor dem Hintergrund von Prov 30,1–4 als Kryptogramm für „Gottessohn“ oder „Sohn des Vaters“ steht. Für diese ‚Wiederaufnahme‘ von 3,13 spricht auch, daß der gesamte folgende V. 29 sich wie eine Variation des geheimnisvollen Namens des „Sohnes des Mannes“ von Prov 30,1–4 liest, der ja „Ithiel“, ‚Gott ist mit mir‘, lautete (s. o. z. St. u. vgl. Burkett 158 f). Darüber hinaus erweckt V. 28 den Eindruck, als spiele unser Erzähler hier absichtsvoll mit Jes 52,6: diÅ toúto gn„setai ¨ la∙" mou tÖ µnom› mou †n tÔö ™mfira †ke‡nÔh, Ωti †g„ e¢mi a§tÖ" ¨ lalùn: p›reimi, einem Satz, dem nur wenige Zeilen danach, gleichsam als Überschrift des vierten Liedes vom ‚Gottesknecht‘, die Verheißung folgt: ¢doÜ sunflsei 429
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¨ paõ" mou kaÑ ≠ywjflsetai kaÑ doxasjflsetai sf∙dra (Jes 52,13). Daß wir angesichts der prominenten Rolle, die das Jesajabuch in unserem Evangelium spielt, in diesem Satz die biblische ‚Quelle‘ des johanneischen Gebrauchs der Verbformen ≠ywjönai und doxasjönai sehen dürfen, ist wohl seit langem zu Recht vermutet worden (vgl. Dodd, Interpretation 247; Thüsing, Erhöhung 36; u. Burkett 160). Die Kommentatoren diskutieren die Frage, „in welchem Sinne … diese Voraussage (von V. 28) zu verstehen“ sei: „als ein Erkennen zum Gericht oder als ein Erkennen, in dem in paradoxer Weise auch den Gegnern der Heilsweg eröffnet wird“ (U. Wilckens, Komm. 145 f). Wie Wilckens nimmt auch Barrett die Zäsur zwischen V. 30 u. 31 nicht wahr und verkennt, daß V. 31 eine neue Rede Jesu vor einem neuen Publikum eröffnet. Darum muß er das polloÑ †p‡steusan e¢" a§t∙n – schwerlich zu Recht – als Bezeichnung eines defizitären Glaubens und ‚die Juden‘ als eine einheitliche massa perditionis verstehen: „Joh kann kaum meinen, daß sie nach der Kreuzigung den himmlischen Rang Jesu anerkennen werden, denn er wußte sehr wohl, daß die meisten von ihnen dies nicht getan hatten, und er betrachtet ja offensichtlich ‚die Juden‘ als die Gegner der Kirche. Entweder wechselt Joh das Subjekt ungeschickt und redet seine Leser an – ‚ihr Menschen werdet erkennen‘; oder er meint, daß die Juden die Wahrheit zu spät lernen werden. ‚Das Kreuz war die letzte und definitive Antwort der Juden auf Jesu Offenbarungswort, und immer, wenn die Welt ihren Unglauben die letzte Antwort sein läßt, ‚erhöht‘ sie den Offenbarer, indem sie ihn zu ihrem Richter macht‘ (Bultmann, S. 266)“ (Komm. 348). Doch mit o´ ûIoudaõoi sind u. E. die erzählten Figuren der jeweiligen Szenen bezeichnet und nicht extratextuelle Größen wie ‚die Juden‘ im allgemeinen, das ‚Judentum‘ oder das ‚jüdische Volk‘. Da V. 30, der unsere Passage beschließt, als positiven Erfolg des Redens Jesu erklärt, daß daraufhin „viele an ihn glaubten“, wird man V. 28 nicht als Gerichtsdrohung, sondern als positive Verheißung verstehen müssen; vgl. Moloney (Son of Man 136 ff) und Thüsing (Erhöhung 15 ff). Von diesen „Vielen“ muß man aber die pepisteuk∙te" der durch V. 31 eröffneten neuen Rede Jesu unterscheiden (s. u. z. St.). Für dieses heilvolle Verständnis von t∙te gn„sesje Ωti †g„ e¢mi spricht auch der durchgehend positive Gebrauch des Lexems gin„skein und dessen häufige und enge Konnotation mit piste‚ein bei Johannes; vgl. die Folge von o§k ≤gnwsan und gn„sesje in V. 27 f; 6,69 und siehe dazu Bultmann (Art. gin„skein 711ff) sowie Thüsing (Erhöhung 15 ff). Vor allem aber scheint uns dieses Verständnis von V. 28 dadurch gesichert, daß der Satz: Ωtan ≠y„shte tÖn u´Ön toú ünjr„pou, t∙te gn„sesje Ωti †g„ e¢mi, auf der Ebene der evangelischen Erzählung vorausweist auf die Szene mit dem Lanzenstich in die Seite des Gekreuzigten (19,31–37). Nach 19,36 erfolgte dieses ‚Durchbohren der Seite Jesu‘: ºna ™ grafÉ plhrwjÔö. Und als die dadurch „erfüllte Schrift“ zitiert der Erzähler dann Sach 12,10: „Sie werden schauen auf den, den sie durchbohrt haben“. Das ist innerhalb einer Gottesrede gesagt und lautet im hebräischen Text: wrqdArça ta yla wfybhw; entsprechend bietet die LXX: kaÑ †piblfiyontai pr∙" me ünjû ón katwcrflsanto: „Sie werden auf mich schauen, den sie durchbohrt haben“. Dieses Zitat und unser V. 28 „haben insofern die gleiche Struktur, als beidemal das Subjekt diejenigen sind, die Jesus zu Tode gebracht haben, und insofern, als beidemal ihr Blick auf Jesus gerichtet wird. ‚Erkennen‘ und ‚Schauen‘ scheinen durchaus in der gleichen Richtung zu liegen“ (Thüsing, ebd. 19). Und diese „Richtung“ ist hier wie da nicht die einer Gerichtsdrohung, sondern, wie 19,35 erweist, fraglos die einer 430
Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,29–30
Heilsverheißung; siehe dazu unten zu 19,31–37 sowie Minear (Diversity 162 ff) und Thyen (Joh und die Synoptiker 101 ff). (3) Schroffe Auseinandersetzung mit Apostaten (8,31–59) Mit der langen Passage 8,31–59 folgt nun eine neue und fraglos die polemischste Debatte Jesu mit seinen jüdischen Antagonisten in unserem Evangelium. Sie gipfelt in seinem solennen, mit dem doppelten ‚Amen Amen‘ eröffneten, Wort: prÑn ûAbra›m genfisjai †g„ e¢mi, auf das die Juden mit dem vergeblichen Versuch reagieren, ihn als Gotteslästerer zu steinigen. „Doch Jesus verbarg sich und verließ den Tempel“ (8,58 f). 31
Danach sagte Jesus zu den Juden, die an ihn geglaubt hatten: (Nur) wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr in Wahrheit meine Jünger 32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. 33 Sie erwiderten ihm: Wir sind doch Abrahams Same und niemals sind wir irgend jemandes Sklaven gewesen. Wie kannst du da behaupten: Ihr sollt frei werden? 34 Jesus antwortete ihnen: Amen, Amen, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, der ist ein Sklave der Sünde. 35 Der Sklave aber bleibt nicht ewig im Hause, der Sohn dagegen bleibt in Ewigkeit. 36 Nur wenn euch der Sohn befreit, seid ihr wirklich Freie. 37 Ich weiß natürlich, daß ihr Abrahams Same seid. Und doch sucht ihr mich zu töten, weil mein Wort folgenlos bleibt bei euch. 38 Was ich bei meinem Vater gesehen (und vor Augen) habe, das sage ich. Also tut auch ihr, was ihr beim Vater gehört habt. 39 Sie entgegneten und sagten ihm: Unser Vater ist Abraham! Doch Jesus erwiderte: Wenn ihr (wirklich) Abrahams Kinder wäret, dann tätet ihr auch Abrahams Werke. 40 Statt dessen aber sucht ihr mich nun zu töten, einen Menschen, der euch die Wahrheit sagt, die ich von Gott gehört habe. Derartiges hat Abraham nicht getan. 41 Ihr tut die Werke eures Vaters. Da sagten sie ihm: Wir sind doch nicht aus Unzucht geboren. Einen Vater haben wir, Gott! 42 Jesus sagte ihnen: Wäre Gott wirklich euer Vater, dann liebtet ihr mich, denn ich bin ja von Gott ausgegangen und gekommen. Nicht aus eigenem Entschluß bin ich gekommen, sondern weil jener mich gesandt hat. 43 Warum begreift ihr denn meine Rede nicht? Nun, weil ihr mein Wort gar nicht hören könnt. 44 Ihr stammt (nämlich) aus eurem Vater, dem Teufel, und wollt die Gelüste eures Vaters vollbringen. Der war von Anfang an ein Menschenmörder und hatte keinen Ort in der Wahrheit, weil die Wahrheit nicht in ihm war. Wenn er lügt, redet er aus seinem Eigenen (ist er in seinem Element), denn er ist ein Lügner und der Vater aller Lüge. 45 Ich dagegen, weil ich die Wahrheit sage, glaubt ihr mir nicht. 46 Wer von euch kann mich denn einer Sünde überführen? Wenn ich aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir dann nicht? 47 Der aus Gott ist, der erhört die Worte Gottes. Ihr aber erhört sie darum nicht, weil ihr nicht aus Gott seid. 48 Da erwiderten ihm die Juden und sagten: Sagen wir nicht zu Recht, daß du ein Samaritaner und von einem Dämon besessen bist? 49 Jesus antwortete: Ich habe keinen Dämon, 431
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
sondern ich ehre meinen Vater, ihr aber entehrt mich. 50 Aber ich suche ja nicht meinen Ruhm. Da ist vielmehr Einer, der sucht und richtet. 51 Amen, Amen, ich sage euch: Wenn einer mein Wort bewahrt, wird er in Ewigkeit den Tod nicht sehen. 52 Darauf erwiderten die Juden: Jetzt ist es uns ganz klar, daß du besessen bist. Denn selbst Abraham ist gestorben und ebenso auch die Propheten, und da behauptest du: Wenn einer mein Wort bewahrt, wird er den Tod in Ewigkeit nicht schmecken. 53 Bist du denn etwa größer als unser Vater Abraham, der doch gestorben ist, und als die Propheten, die gestorben sind? Was machst du aus dir selbst? 54 Jesus antwortete: Wenn ich mich selbst rühmte, dann wäre mein Ruhm nichtig. Es ist aber mein Vater, der mich verherrlichte, der, von dem ihr sagt, er ist unser Gott. 55 Doch ihr kennt ihn nicht, ich aber kenne ihn. Und wenn ich behauptete, ihn nicht zu kennen, dann würde ich zum Lügner, wie ihr (Lügner) seid. Doch ich kenne ihn ja und bewahre sein Wort. 56 Abraham, euer Vater, brach in Jubel darüber aus, daß er meinen Tag sehen sollte. Und er sah ihn und frohlockte. 57 Da erwiderten die Juden ihm: Du bist noch keine fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben? 58 Jesus sagte ihnen: Amen, Amen, ich sage euch: Ehe Abraham (geboren) wurde, BIN ICH. 59 Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Doch Jesus verbarg sich und ging hinaus aus dem Tempel. 31 f: Im Gegensatz zu dem verwirrenden Bild im Druck von Nestle-Aland26 f, wo zwischen den V. 29 und 30 ein Absatz markiert ist, so daß V. 31 als unmittelbare Fortsetzung von V. 30 erscheinen könnte, wird in der Edition des Greek New Testament3 mit V. 31 durch eine neue Überschrift: ‚The Truth Will Make You Free‘, ganz eindeutig und u. E. sachgemäß ein neuer Abschnitt eröffnet. Das erscheint uns darum notwendig, weil die V. 30 beschließende Wendung piste‚ein e¢" a§t∙n bei Johannes nirgendwo eine negative Färbung hat, als könne es sich hier um irgendeinen nur ‚halben‘ oder sonstwie defizitären Glauben handeln (s. o. z. St.). Darum können die Jesus von V. 31 an durchweg feindlich gegenüberstehenden pepisteuk∙ta" a§tù ûIoudaõoi, die ihn am Ende gar zu steinigen trachten, unmöglich mit den „Vielen“ identisch sein, die nach V. 30 „an ihn glaubten“. Brown sucht das Problem dadurch zu beseitigen, daß er V. 30 als die Glosse eines Editors ansieht, der – wenn auch mit untauglichen Mitteln – versucht haben soll, „to break up the long report of Jesus’ words into more tractable units“. Noch radikaler verfährt er mit der Rede von den pepisteuk∙ta" a§tù ûIoudaõoi in V. 31, die er als sekundäre Glosse ausscheidet (Komm. I, 351; ähnlich und unter Berufung darauf erklärt Lindars: „it is best to follow Dodd and Brown and to excise them [nämlich die Worte: ‚die ihm geglaubt haben‘] as a gloss“ Komm. 323; vgl. Dodd, Behind). Während Dodd in dem Wechsel zwischen piste‚ein mit e¢" und dem Akkusativ und piste‚ein mit dem Dativ a§tù u. E. zu Recht nur „a mere stylistic variation“ (ebd. 43) sieht, versucht de la Potterie eine erhebliche inhaltliche Differenz zu erweisen, wonach piste‚ein e¢" tina „une véritable adhésion à la personne“ ausdrücke, während piste‚ein tin‡ lediglich besage: „croire quelqu’un, admettre comme vrai ce qu’il affirme“ (Véritè II, 842 f). Bultmann behandelt 8,30–40 als ein versprengtes Stück, das ursprünglich an 12,20–33 angeschlossen haben soll. Er differenziert nicht zwischen dem Publikum in 8,21–30 und 8,31 ff und erklärt dazu: „Wie manchmal, so finden auch jetzt Jesu Worte Glauben bei vielen Hörern (V. 30). Ob solcher Glaube echter Glaube ist, muß sich daran zeigen, daß er die Probe besteht, daß er den Anstoß überwindet, den der Offenbarer und sein Wort für die Welt bedeuten. Auf solche Probe werden die ‚gläubig gewordenen Juden‘ sofort durch Jesu nächstes Wort gestellt (V. 31 f) …“ (Komm. 332; vgl. zu
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8,31–32
dieser u. E. höchst fragwürdigen (Re-)Konstruktion der vermeintlich ursprünglichen Textfolge Smith, Composition 139 ff; 198 ff). Auch Schnackenburg differenziert nicht zwischen dem mit V. 30 beschlossenen und dem mit V. 31 eröffneten Abschnitt: „Das eigentliche Anliegen des Evangelisten kommt in V. 31 zum Vorschein: Er will Juden ansprechen, die schon länger im Glauben stehen (part. perf.); ihnen gilt das Wort Jesu, sie müßten in seinem Wort bleiben. Dazu brauchte der Evangelist als Überleitung eine Bemerkung wie in V. 30“ (Komm. II, 259). In dem ganzen Abschnitt 8,30–59 sieht er den Evangelisten einerseits darum bemüht, „gläubig gewordene Juden in der Treue zu Jesus zu bestärken“, andererseits aber zugleich in heftiger Polemik „gegen das zeitgenössische Judentum, das in der härtesten Weise die Messianität Jesu angriff “ (ebd. 260).
Zu all diesen und ähnlichen Versuchen hat Swetnam scharfsinnig erklärt: „None of these interpretations is convincing. A glossator presumably inserts a gloss to clarify. But the glossator who added prÖ" ... ûIouda‡ou" has only added to the confusion. And the distinction between two types of faith in Jesus, while valid in itself, does not explain how those with the weaker faith can still be seeking to kill Jesus (V. 37). And to regard the discourse as being directed against nonbelieving Jews to help the believing Jews of V. 31 is to create a literary oddity in which there is an introduction (V. 31) with nothing to introduce, and something to introduce (V. 33–59) with no introduction“ (Meaning 107). Die Lösung des Problems, die Swetnam vorschlägt, ist ebenso überzeugend wie verblüffend wegen ihrer Einfachheit. Ausgehend von dem Partizip Perfekt pepisteuk∙ta" erklärt er: „All the suggested interpretations above presume that the word means that the Jews in question began to believe in Jesus and still believe in him. But this presumption ignores the fact that the perfect participle in Greek can also serve as a pluperfect. The meaning of pepisteuk∙ta" could well be ‚those who had believed in him‘ (sc. but do so no longer)“ (ebd.). Schnackenburgs Bemerkung, das Partizip Perfekt pepisteuk∙ta" drücke aus, daß die so Bezeichneten „schon länger im Glauben“ stünden, ist darum verfehlt, weil das Partizip im Griechischen (mit Ausnahme des Part. Fut.) „als nichtindikativische Verbalform … grundsätzlich keine Zeitbedeutung“ hat und „die Wahl des Tempus“ lediglich „aspektbedingt“ ist (Hofmann/Siebenthal § 228). Allein der jeweilige Kontext kann die Zeitform definieren, die für eine angemessene Übersetzung ins Deutsche zu wählen ist. Da die in 8,31 genannten o´ pepisteuk∙te" a§tù ûIoudaõoi Jesus aber von Anfang an feindlich begegnen und ihn zu töten trachten, ist es ausgeschlossen, die Wendung im präsentischen Sinn der indikativischen Perfektformen zu verstehen. In diesem Sinn erklärt Morris dazu ganz richtig: „The perfect may, as Abbott suggests (Johannine Grammar § 2506), be due to the fact that there is no pluperfect participle active, and John wants something to indicate more than the simple past. Certainly the context rules out the possibility of taking it to mean a continuing belief “ (Komm. 455). Wie vor ihm schon Abbott überträgt Morris diesen plusquamperfektischen Sinn dann jedoch zu Unrecht auch auf den vorausgegangenen V. 30, so daß diese glaubenden Juden ihren Glauben schon in dem unmittelbar folgenden V. 31 verloren haben sollen! Swetnam verweist zu diesem Gebrauch des Partizip Perfekt auf die Analogien Mk 5,15, wo der Erzähler den von Jesus geheilten Dämonischen aus Gerasa als tÖn †schk∙ta legiùna bezeichnet, sowie von Joh 11,44, wo es von dem aus dem Grab erweckten Lazarus heißt: †xöljen ¨ tejnhká" („der tot Gewesene kam heraus“). Bestätigt wird diese Interpretation noch dadurch, daß in V. 31 sowohl Jesus als auch seine Antagonisten nominal neu eingeführt werden, während Jesu Gesprächspartner in dem Abschnitt 21–30 nach ihrer 433
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nominalen Einführung als o´ ûIoudaõoi in V. 22 bis hin zu dem abschließenden V. 30 nur noch pronominal als a§to‡ bezeichnet wurden. Wenn – wie nahezu alle Ausleger postulieren – in V. 31 eben diese glaubenden Juden gemeint wären, bestünde keinerlei Grund dafür, sie nicht weiterhin einfach a§to‡ zu nennen (vgl. Swetnam ebd. 108). Aus alledem folgt, daß die pepisteuk∙te" a§tù ûIoudaõoi, die einst an Jesus geglaubt hatten, ihn jetzt aber zu töten trachten, Apostaten sein müssen, wie solche denn ja häufig zu den schärfsten Bestreitern dessen werden, was ihnen zuvor als unverbrüchliche Wahrheit erschienen war. Wenn sie nicht die polloÑ †k tùn majhtùn a§toú sein sollten, die Jesus wegen der unzumutbaren „Härte“ seines l∙go" verlassen und ihm die ‚Nachfolge‘ aufgekündigt hatten (6,60–66), dann waren die hier genannten pepisteuk∙te" a§tù ûIoudaõoi zumindest solche wie jene Jünger (vgl. 1Joh 2,18 ff, wo u. E. ebenfalls von Apostaten und nicht etwa von christlichen Häretikern die Rede ist). Auch wenn wir Martyn in seiner allzu schematischen Konstruktion unseres Evangeliums als eines auf „zwei Ebenen“ spielenden Dramas, nämlich einerseits auf der Ebene der erzählten Geschichte Jesu und andererseits auf derjenigen der schroffen Auseinandersetzung einer spezifisch „johanneischen Gemeinde“ unter der Führung ihres „Schulhauptes“, des vierten Evangelisten, mit der jüdischen Gerusie in „John’s town“, nicht zu folgen vermögen (History pass.), mag sich in dieser und in ähnlichen Passagen sowie im 1Joh gleichwohl die schmerzliche Erfahrung der Abwendung zahlreicher jüdischer Christen vom messianischen Bekenntnis zu Jesus spiegeln, die nach der Katastrophe des jüdischen Aufstandes gegen Rom und dem damit verbundenen Debakel des Messianismus ihre Zuflucht in dem relativ geschützten Raum der Synagoge gesucht haben. Solchen und allen potentiellen ‚Anschlußtätern‘ sagt Jesus nun: „Nur wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr in Wahrheit meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“. Den Spuren der außerordentlichen Bedeutung des sonst eher unbedeutenden Lexems mfinein, das der Erzähler mit der Frage der beiden ersten Jünger Jesu: did›slale, poú mfinei"; mit ihrem ‚Sehen‘ seiner ‚Bleibe‘ und dem Bericht: kaÑ parû a§tù ≤meinan tÉn ™mfiran †ke‡nhn (1,38 f) in unser Evangelium eingeführt hatte, ist Heise (Bleiben pass.) minutiös nachgegangen. Und wenn Jesus diesen Satz von der befreienden ‚Wahrheit‘ seines Wortes in V. 36 dann durch die Erklärung variiert: †Ån oên ¨ u´Ö" ≠mô" †leujer„sÔh, µntw" †le‚jeroi ≤sesje („Allein wenn euch der ‚Sohn‘ frei macht, seid ihr wirklich Freie“), so wird ja deutlich, daß das Lexem ülfljeia hier, ebenso wie in Joh 14,6, als ein Prädikat dessen verstanden werden muß, der zuvor in den V. 24 u. 28 zweimal das absolute †g„ e¢mi ausgesprochen hatte. Denn weil Jesus dieses Wort nicht nur sagt, als sei es die von einem Lehrer ablösbare Lehre, sondern weil er in Person der fleischgewordene l∙go" ist, wird es dem „Bleiben in meinem Wort“ entsprechend in 15,4 heißen: me‡nate †n †mo‡, kügá †n ≠mõn (s. u. z. St.). Daß die biblisch-jüdische Rede von Gottes ‚Wahrheit‘ (tma – LXX: ülfljeia) der feste Grund ist, in dem auch das johanneische Sprechen von der ‚Wahrheit‘ wurzelt, und nicht der hellenistischgnostische Dualismus von wahrer göttlicher Wirklichkeit im Gegensatz zum bloßen Schein und yeúdo" aller bloßen e¥dwla des Irdischen – wie das je auf ihre Weise Dodd (Interpretation 170 ff) und Bultmann (Exegetica 124 ff; Art. ülfljeia ktl. 245 ff; Art. gin„skw ktl. 711 ff; u. Komm. pass.) zu erweisen suchten –, haben wir oben zu Joh 1,14 ff bereits eingehend begründet. Darüber hinaus weist Lategan (Truth 71 ff) zu Recht darauf hin, daß auch die enge Konnotation von ülfljeia und gin„skw in unserem V. 8,32, auf die sich Bultmann für seine interpretatio
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Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,32–34
gnostica beruft (Art. gin„skw 712), ebenfalls aus dem biblischen Zusammenhang von tma und [dy begriffen sein will. Mit dem Erweis der biblischen Wurzeln des †g„-e¢mi-Sagens Jesu sowie des semantischen Feldes von ülfljeia und gin„skw bei Johannes ist aber zugleich gegeben, daß für dessen Rede vom „Erkennen der Wahrheit“ die primär ethischen Momente der ‚Wahrhaftigkeit‘, ‚Wahrheit‘, ‚Treue‘ und ‚Verläßlichkeit‘ sowie des Erkennens als eines vertrauensvollen ‚An-Erkennens‘ konstitutiv sind. Wären Jesu prädizierte †g„-e¢mi-Worte, wie etwa der Satz: †g„ e¢mi ™ ¨dÖ" kaÑ ™ ülfljeia kaÑ ™ zwfl (14,6) als sogenannte „Rekognitionsformeln“ (Bultmann), deren †g„ nicht Subjekt, sondern Prädikatsnomen wäre, dagegen polemisch gegen irgendwelche konkurrierenden Ansprüche anderer gerichtet, wie das oft behauptet wird, so hätte Jesus damit ja aufgehört, selbst Subjekt und Inhalt der ‚Wahrheit‘ zu sein, er hätte sich vielmehr einem vorgegebenen ‚Begriff von Wahrheit‘ unterworfen, an dem sein Anspruch dann zu messen wäre (vgl. Borig, Weinstock 32; und siehe den Exkurs: „Der joh. Wahrheitsbegriff “ bei Schnackenburg, Komm. II, 265–281).
33: Daß die Juden hier – anders als jene, die Jesus auf Grund seiner wunderbaren Brotvermehrung gewaltsam (®rp›zein) als ihren König salben wollten (6,14 f) – mit ihrem Einwand nicht ihre politische Freiheit im Auge haben und gewiß weder ihr Sklaven dasein in Ägypten noch ihre babylonische Gefangenschaft noch auch die Beschwernisse ihres gegenwärtigen Lebens unter der Herrschaft der Römer vergessen haben, sondern von ihrer religiösen Freiheit reden, die ihnen ihr Erwähltsein zum Bundesvolk Gottes verleiht, versteht sich dabei von selbst. Nur hier, in der kurzen Passage 8,32–36, finden sich bei Johannes die Lexeme †leujeroún und †leujer∙". Und kaum zufällig sind sie eng mit der Rede von ‚Abraham‘ als dem Vater der Juden verknüpft. Denn die Berufung auf Abraham als „unseren Vater“ ist stereotyper Ausdruck jüdischer Erwählungsgewißheit; vgl. Mt 3,9: „Wir haben Abraham zum Vater!“ und die dazu von Bill. (I, 116 ff) gesammelten rabbinischen Belege und siehe Dozeman (Sperma 344 ff). 34 f: Wenn hier der Rede von der Freiheit der Kinder Abrahams nun noch der Gegensatz zwischen dem Bleiben des freien Sohnes im (Vater-)Haus und dem NichtBleiben des Sklaven hinzugefügt wird, so hat das wohl nicht zufällig Exegeten, wie Heise (Bleiben 77 ff), Dozeman (ebd.), Neyrey (Jesus the Judge 521 ff) u. a., an die Genesis-Erzählung von der Verstoßung der Sklavin Hagar und ihres Sohnes Ismael aus dem Hause Abrahams erinnert (Gen 21,8–14), die auf seine Weise ja auch Paulus in Gal 4,21–31 verarbeitet hat. Wenn Dozeman in V. 31 ff allerdings „Sperma Abraam“ zu einem „technical term“ erklärt und behauptet, dieser repräsentiere „Christian Jews who advocate a law observing mission“, und hinter Joh 8 deren Konflikt mit den „law-free Christians of the Johannine community“ meint ausmachen zu können, so ist diese unmittelbare Übertragung nicht nur des paulinischen Gebrauchs von Gen 21 in Gal 4,21–31, sondern damit zugleich auch noch der galatischen Situation auf eine vermeintlich in Joh 8 reflektierte Auseinandersetzung innerhalb der sogenannten „johanneischen Gemeinde“ mit Sicherheit verfehlt. Denn hier wirft Jesus seinen Antagonisten ja gerade nicht ihre „Gesetzlichkeit“, sondern im Gegenteil ihre ünom‡a vor, die darin gipfelt, daß sie ihn, den gerechten und toratreuen Gesandten Gottes, zu töten trachten und damit gegen das elementarste Gebot der Tora verstoßen und „the ultimate sin“ (Neyrey, ebd. 521) auf sich laden. Daher gibt es für eine derart phantastische Konstruktion auch nicht den Hauch von Wahrscheinlichkeit (vgl. Augenstein, Euer Gesetz und: Jesus und das Gesetz). Dodd (Hist. Tradition 379 ff) übersieht zwar dieses intertextuelle Spiel mit Gen 21, er postuliert aber, ähnlich wie Dozeman, als „Sitz im Leben“ unserer Szene die Aus435
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einandersetzung von heidnischen Proselyten mit judaisierenden Christen, wie sie uns zumal aus dem Galaterbrief bekannt sei. Als den Ursprungsort dieser kurzen Szene mit der Berufung der pepisteuk∙te" ûIoudaõoi auf die ihnen als Same Abrahams angeborene Freiheit und auf Gott als ihren Vater (V. 41) und von Jesu Erwiderung, daß kein Sünder je ein freier Mann sei, wenn nicht der ‚Sohn‘ als derjenige, der die Sünde der Welt beseitigt (1,29), ihn befreie, sei er nun Heide oder Jude, meint er, die hellenistische Diaspora erweisen zu können. Denn dafür sprächen das „strongly Hellenistic colouring of (its) language and ideas“ sowie der Umstand, daß die Aussagen: „The truth will set you free“ und „He who commits sin is a slave“ typische „Stoic maxims“ seien (ebd. 380). Innerhalb dieses so verorteten Zusammenhangs hält er jedoch den Satz: ¨ dÇ doúlo" o§ mfinei †n tÔö o¢k‡a e¢" tÖn a¢ùna, ¨ u´Ö" mfinei e¢" tÖn a¢ùna, für einen störenden Fremdkörper, den er auf Grund seiner Ähnlichkeit mit entsprechenden synoptischen Texten als eine ursprünglich selbständige Parabel beurteilt. Wie sonst in Parabeln seien darin die Artikel bei doúlo" und u´∙" generisch und deshalb durch „ein Sklave“ und „ein Sohn“ zu übersetzen, und die Wendung e¢" tÖn a¢ùna müsse hier nicht mehr bedeuten als „permanently“. Man fragt sich freilich, wem dieser ganze Exkurs in die vermeintliche Vorgeschichte eines einzelnen Verses nützen soll, zumal Dodd doch selbst sieht, daß mit dem ‚Sohn‘ in der Wendung: ¨ u´Ö" mfinei e¢" tÖn a¢ùna in unserem überlieferten Evangelium nur Jesus als eben der bezeichnet sein kann, der nach V. 36 als der Freiheit verleihende ‚Sohn‘ die unter die Sünde Versklavten befreien wird. Da dem schwerlich zu widersprechen ist, muß dann aber auch das solenne e¢" tÖn a¢ùna im Vollsinn von „Ewigkeit“ verstanden werden und kann nicht auf die Banalität eines „permanently“ reduziert werden. Und was die Artikel bei doúlo" und u´∙" betrifft, so erscheint es uns doch erheblich plausibler zu sein, sie als Signale für die Intertextualität mit Gen 21 zu begreifen. Und endlich ist Dodd auch in seiner Einschätzung von Sprache und Gedanken unserer Szene als ‚streng hellenistisch eingefärbt‘ und ihrer Sätze von der ‚freimachenden Wahrheit‘ und davon, ‚daß, wer Sünde begehe, ein Sklave sei‘ als typisch ‚stoische Maximen‘ zu widersprechen. Denn weil wir mit Wittgenstein davon überzeugt sind, daß die Bedeutung eines Wortes erst durch seinen Gebrauch definiert wird („The meaning of a word is its use“), besagt das Vorkommen der gleichen Wörter angesichts des fundamental verschiedenen Gebrauchs der Lexeme ülfljeia und ®mart‡a in der Welt der Stoa einerseits und bei Johannes andererseits sowie im Blick auf das gesamte Evangelium als ‚Kontext‘ unserer Szene überhaupt nichts. Ähnlich wie Dodd, wenn auch nicht vor dem vermeintlichen Hintergrund von „Stoic maxims“, sondern vor demjenigen der von ihm postulierten gnostischen Quelle der „Offenbarungsreden“, urteilt Bultmann (Komm. 337). Doch all diesen Exkursionen in eine vermeintliche Vorgeschichte des Textes gegenüber scheint uns der Gedanke, daß unser Erzähler hier absichtsvoll mit Gen 21 spielt, wesentlich plausibler zu sein, zumal er ein kohärentes Verständnis nicht nur unserer kurzen Szene, sondern darüberhinaus der Rolle Abrahams in unserem gesamten Kapitel ermöglicht. Vor allem muß so kein Erzähler postuliert werden, der sich dem Eigengewicht seiner vermeintlichen „Quellen“ nicht zu entziehen vermag und sein eben erst eingesetztes ‚Bild‘ im unmittelbar folgenden Satz sogleich wieder ‚verderben‘ und widerrufen muß. 36–40: Jesu Rede setzt sich in dieser Passage unmittelbar fort, ohne daß sie durch irgendeinen Einwand seiner Antagonisten unterbrochen worden wäre. Darum halten 436
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8,35–40
wir den Absatz zwischen V. 36 u. 37 in der Textwiedergabe durch Nestle-Aland für verfehlt, denn er suggeriert einen Neueinsatz mit V. 37. Im folgenden V. 38 erklärt Jesus: Nur, was er den Vater tun sehe, sage er (¡ †gá ©„raka parÅ tù patrÑ lalù) und stellt dem entgegen: kaÑ ≠meõ" oên ¡ °ko‚sate parÅ toú patrÖ" poieõte. Die jeweils vorangestellten Pronomina †g„ und ≠meõ" markieren emphatisch einen einstweilen jedoch noch verborgenen Kontrast. Denn in beiden Sätzen ist nach dem Zeugnis von P66.75 B C L 070 pc vgst nur von „dem Vater“ (tù patr‡ bzw. toú patr∙") die Rede. Wenn die Textzeugen a Q Y 0250 f 1.13 M it vgcl sy hier dem Nomen patr‡ noch das Possessivum mou hinzufügen und D (W) 33. 892 pc (b c q) die Lesart bieten: tù patr‡ mou, taúta lalù, so sind das zwar sachlich richtige, aber vorschnelle Ergänzungen, denn sie enthüllen zu früh die Identität des jeweiligen Vaters und verderben damit die hier kunstvoll gestellte ‚Mißverständnis-Falle‘ (vgl. Metzger, Comm. 224). Nur das nicht durch das Possessivum definierte tù patr‡ ermöglicht es den Antagonisten Jesu ja, nun zu erklären: „Unser Vater ist (doch) Abraham!“ Worauf Jesus dann erwidern kann: „Wenn ihr (wirklich) Abrahams Kinder wäret, dann tätet ihr auch Abrahams Werke. Dagegen sucht ihr jetzt aber, mich zu töten, einen Menschen, der ich euch (doch nur) die Wahrheit gesagt habe, die ich bei Gott gehört habe. Das hat Abraham nicht getan. Ihr tut die Werke eures Vaters“. In Gen 21,9 f wird nur erzählt, daß Sarah den Sohn Hagars, der Ägypterin, mit ihrem Sohn Isaak ‚spielen‘ sah (pa‡zonta – HT: qjxm) und daraufhin von Abraham verlangte: „Wirf diese Magd (paid‡skh) und ihren Sohn hinaus. Denn der Sohn dieser Magd soll nicht zusammen mit meinem Sohn Isaak Erbe sein“. Die Targume und Midraschim spinnen das Spielen der beiden Halbbrüder aus: Während einige darin Götzendienerei und Ismael bei dem Versuch sehen, Isaak zur Sünde zu verführen (so Ps-Jonathan u. Neofiti jeweils zu Gen 21,9; vgl. Gen. R. 53,11), erklären andere: qjxm bedeute nichts anderes als „Blutvergießen“: T. Sota 6,6 (304). Diese Deutung erreichte R. Jismael mittels der beliebten Methode des Vergleichs ähnlicher Wörter (gezerah schavah), in diesem Fall von qjxm mit dem Lexem qjç (einen Kampf führen) von 2Sam 2,14: „Dieser Vergleich lehrt, daß Sarah gesehen hatte, wie Ismael Pfeile nahm und auf Isaak schoß, in der Absicht, ihn zu töten“. H. D. Betz, der diese Tradition bereits im Hintergrund von Gal 4,29 vermutet, bietet die entsprechenden Belege (Galatians 250, n. 116). Neyrey erklärt: „I suggest that this latter understanding of Ismael-as-murderer might also be operative in the Johannine argument, for Jesus accuses his hearers of ‚seeking to kill him‘ (8,37; see 8,28.40.44 and 59). In fact, this ‚seeking‘ of Jesus functions precisely as the proof that the audience is not descended from Abraham through Isaac, but through Ishmael, for they do what Ishmael did, i. e. attempt to kill“ (Jesus the Judge 523).
Anders als bei Paulus ist hier nicht vom Glauben, sondern von den Werken Abrahams und davon die Rede, daß einer tut, was sein Vater tat, denn der Glaube und die im Liebesgebot gipfelnde Ethik sind bei Johannes untrennbar miteinander verbunden. Philon (Abr. 114–116.132.167), Josephus (Ant. I, 196), 1Clem 10,6–8 und Test. Abr. 17 preisen Abraham zumal wegen seiner Gastfreundschaft. Dabei wird man vor allem an die Erscheinung Jhwhs bei den Terebinthen von Mamre denken (Gen 18,1 ff). Gott erscheint Abraham hier in der Gestalt dreier unerkannter ‚Männer‘. Abraham läßt diesen himmlischen Gesandten zunächst Wasser zum Waschen ihrer Füße bringen und beauftragt dann Sarah, ihnen ein festliches Mahl zu bereiten. Am Ende wiederholt Jhwh (18,13), obwohl Sarah angesichts ihres hohen Alters nur darüber lachen kann, mit den Worten: „Ist für Jhwh denn irgend etwas zu wunderbar?“, die Verheißung der Geburt Isaaks. Im Gegensatz zu Abraham, der die Boten Gottes „aufnahm“, erinnert das Verhalten derer, die sich hier „Abrahams Kinder“ nennen, an den schmerzlichen 437
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Prologsatz: „Er kam in sein Eigentum, doch die Seinen nahmen ihn nicht auf “ (1,11), ja sie trachten gar, ihn zu töten. „Das hat Abraham nicht getan“. Dodd hört hier wohl ganz richtig „echos of an earlier tradition“, nämlich konkret von Mt 3,7–10, wo Johannes der Täufer ganz ähnlich argumentiert wie hier Jesus. Die zu seiner Taufe drängenden ‚Pharisäer und Sadduzäer‘ schilt er als „Schlangenbrut“ (gennflmata †cidnùn) und fragt sie, wer sie denn gelehrt habe, daß sie dem kommenden Zornesgericht entrinnen könnten. Er verlangt von ihnen, eine der met›noia entsprechende ‚Frucht‘ hervorzubringen, warnt sie, sich mit der Illusion zu beruhigen: „Wir haben ja Abraham zum Vater“ und erklärt endlich: lfigw gÅr ≠mõn ¨ti d‚natai ¨ jeÖ" †k tùn l‡jwn to‚twn †geõrei tfikna tù ûAbra›m (vgl. Lk 3,7–9). 41–44: Ohne den wahren Vater seiner Antagonisten schon beim Namen genannt zu haben, erklärt Jesus mit den Worten: „Ihr tut die Werke eures Vaters“, daß sie sich jedenfalls zu Unrecht auf Abraham als ihren Vater berufen. Denn wie für die Christen gilt, daß sie allein an der Liebe, die sie untereinander üben, von allen als Jesu Jünger erkannt werden können und erkannt werden (13,35), so gilt auch in der Welt der Juden: „Wer sich über die Menschen erbarmt, von dem ist gewiß, daß er zu dem Samen unseres Vaters Abraham gehört; und wer sich nicht über die Menschen erbarmt, von dem ist (nicht minder) gewiß, daß er nicht zu dem Samen unseres Vaters Abraham gehört“ (TSota 15,10; zitiert bei Bill. II, 523 zu Joh 8,33). Darum können diejenigen, die „einen Menschen zu töten trachten, der ihnen doch nichts als die reine Wahrheit sagt, die er bei Gott gehört hat“ (V. 40), nicht „zum Samen Abrahams gehören“, sondern müssen die Kinder eines Anderen sein. Doch dagegen verwahren sie sich mit den Worten: ™meõ" †k porne‡a" o§ gegennflmeja. Es ist wohl richtig, daß das vorangestellte ™meõ" emphatisch ist. Aber der unmittelbar folgende Satz: ∫na patfira ≤comen tÖn je∙n, zeigt ja, daß diese Emphase nicht mehr ausdrücken muß als den Stolz der Redenden darüber, Glieder des erwählten Volkes des einzigen Gottes zu sein. Darum kann daraus schwerlich geschlossen werden: „Die Juden finden einen neuen Weg, das Argument gegen Jesus zu wenden. Die Implikation (bes. des betonten ™meõ") ist, daß Jesus aus porne‡a geboren sei“ (Barrett, Komm. 351, der sich dafür auf den MischnaTraktat Jebamot 4,13 sowie auf Origenes, Contra Celsum I, 28 beruft). Ähnlich, aber noch drastischer urteilt G. Schwarz (™meõ" †k porne‡a" o§ gegennflmeja 52f), der die Erklärung der Juden: „Wir stammen nicht aus einem Ehebruch!“ um den Vorwurf: „Wie du!“ ergänzen will, weil der Satz nur durch diese Ergänzung „hinreichend motiviert“ sei: „Der in diesem Zusammenhang übliche rabbinische Terminus war das Wort ryzmm (Mamser, ein in Blutschande Gezeugter, ein Bastard). Wenn feststeht, daß dieser Satz überhaupt den Mamser-Vorwurf beinhaltet, und daran gibt es keinen Zweifel (!), dann kann er nicht anders als indirekt auf ihn (sc. Jesus) gemünzt gewesen sein“. Auf den Gedanken, sich den symbolischen Obertönen dieser fiktionalen forensischen Szene mit Jesus als dem ‚Richter‘ zuzuwenden (vgl. Neyrey, Jesus the Judge), kommt Schwarz überhaupt nicht. Er setzt vielmehr nicht nur die Historizität des Dialogs von Joh 8, sondern darüberhinaus auch diejenige der legendarischen Erzählungen von Zeugung und Geburt Jesu in den ‚Vorgeschichten‘ des Matthäus‑ und/oder des Lukasevangeliums voraus und will seine Ausführungen vor diesem Hintergrund als einen ernsthaften Beitrag zur historischen Aufklärung der rätselhaften Ablehnung Jesu durch sein eigenes Volk verstanden wissen. Auf der ganzen Linie und wohlbegründet hat ihm Kügler (‚Wir stammen nicht aus einem Ehebruch‘) darin widersprochen. 438
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Zu der Passage des Mischna-Traktats Jebamot (4,13), auf die sich Barrett und Schwarz u. E. zu Unrecht berufen, ist zudem mit Maier zu bedenken, daß die Mischna hier ganz allgemein definiert, „wer als Mamzer – als Sprößling aus einer nichterlaubten Verbindung – zu betrachten sei. R. Akiba wollte eine Definition auf Grund von Dt 23,3 im weitesten Sinne. Die Halaka richtete sich aber nach R. Simon ha-Temani, nach dem es all jene betrifft, die aus einer Verbindung stammen, welche mit der göttlichen Strafe der ‚Ausrottung‘ (käret) bedroht ist; R. Josua nannte statt dessen die Todesstrafe durch ein Gericht. Um die Meinung R. Josuas zu stützen, wird hier zugefügt: ‚Es sagte R. Simon b. Azzaj: Ich fand eine Genealogierolle (megillat jûhãsîn) in Jerusalem und darin war geschrieben: Der N. N. (îsˇ pelônî) ist der illegitime Sprößling (mamzer) einer verheirateten Frau‘. Es folgen dann noch einige Bestimmungen über erlaubte bzw. unerlaubte Verbindungen. – Da auf Ehebruch die Todesstrafe stand, stützt die zitierte Notiz aus der Genealogierolle die Ansicht des R. Josua. Wer dieser N. N. war, steht gar nicht zur Debatte und ist für den Kontext auch völlig gleichgültig – wichtig ist der Beleg dafür, daß der Sprößling einer Ehebrecherin als ‚Mamzer‘ gilt. Das so beiläufig gebrachte Argument fehlt denn auch in Sifre Dt § 248 und in j Jeb IV/15 (6b), wird aber in b Jeb 49a–b vorausgesetzt, wobei das Interesse nicht mehr dem Mamzer gilt, sondern anderen angeblichen Inhalten jener sagenhaften Schrift, in der auch gestanden haben soll, der König Manasse hätte den Propheten Jesaja getötet. Kein Hinweis in der Textüberlieferung und in sonstigen Traditionen deutet darauf hin, daß man unter dem N. N. (pelônî) Jesus verstanden hätte. Die erweiterten Angaben über den Inhalt der ‚Genealogienrolle‘ im Babli könnten zwar jemanden auf den Gedanken bringen, daß mit N. N. … auch eine bekannte Person gemeint war, nur paßt dies gerade nicht gut zu Jesus (es sei denn man besteht darauf, daß er den frühen Rabbinen so wichtig war wie frommen Christen). Selbst wenn man diese Möglichkeit – für das Verständnis des Babli – einräumt, stellt sich allemal die Frage, wieso denn Jesus nicht mit Namen, sondern als N. N. bezeichnet wurde. Zu der Zeit bestand ja kein Anlaß zum Versteckspiel und einen Hinweis auf eine Zensurfolge, daß also der Jesusname durch ein pelônî nachträglich ersetzt worden sei, gibt es nicht …“ (Jesus 49 f). Daß der Erzähler hier auch nicht im Entferntesten an jene Mamzer-Diskussion „gedacht“ hat, zeigt der sogleich folgende Satz im Munde seiner „erzählten“ pepisteuk∙te" ûIoudaõoi, die nun erklären: ∫na patfira ≤comen tÖn je∙n. Denn wenn sie sich damit auf den einzigen Gott als ihren Vater berufen, wird ja klar, daß sie die symbolischen Obertöne der Rede Jesu von wahrer Abrahams-Kindschaft durchaus verstanden haben. Daß in diesem Kontext nicht etwa irgendwelche fragwürdigen Umstände der Geburt Jesu strittig sind, wie Barrett und Schwarz unterstellen, sieht U. Wilckens ganz richtig. Denn nach Jesu Wort: „Ihr tut die Werke eures Vaters“ müssen seine Antagonisten endlich begriffen haben, „daß es um Gott als Vater geht. Sie verwahren sich dagegen, sie könnten als Abrahams Kinder etwa nicht Gottes Kinder sein, sondern aus irgendeiner ‚Hurerei‘ mit Fremdgottheiten gezeugt sein. Im AT haben die Propheten das Gottesverhältnis im Bilde einer Ehe zwischen Jahwe als liebendem Ehemann und Israel als seiner einziggeliebten Ehefrau dargestellt. Der Bruch des 1. Gebots erscheint so im Bild ehelicher Untreue (vgl. Hos 1–3; 1,1–9; Jer 2 f; 13,20–27; Ex 16,23). In diesem Zusammenhang ist der Protest der Juden in V. 41 zu verstehen: Sollte Jesus ihnen zugleich mit ihrer Abrahamskindschaft etwa gar ihre Gotteskindschaft absprechen? …“ (Komm. 149). Denn daß hinter und über der Vaterschaft Abrahams diejenige ihres Gottes steht, der Abraham berufen und sie als seine Nachkommen zusammen mit ihrem Stammvater erwählt und gesegnet hat, das wissen sie aus ihren heiligen Schriften: So befiehlt Gott Mose: „Dann sollst du zu dem Pharao reden: ‚So spricht Jhwh: Israel ist mein erstgeborener Sohn‘“ (u´Ö" prwt∙tok∙" mou) (Ex 4,22). Und in seinem Lied singt Mose: „… Wagst du Jhwh so zu vergelten, du Volk der Torheit und des Unverstandes? Ist er denn nicht dein Vater und dein Schöpfer? Hat er dir nicht Dasein und Bestand gegeben? …“ (Dtn 32,6). Dem abtrünnigen Gottesvolk hält Jeremia Gottes Klage entgegen: „Doch du behieltest die Stirn einer Buhlerin, wolltest dich nicht schämen. Hast du denn nicht auch jetzt noch zu mir gerufen: ‚Mein Vater! Du bist doch der Vertraute meiner Jugend. Er wird doch nicht ewig zürnen und ohne Ende böse sein‘ …“ (Jer 3,3 f), und: „Ich hatte doch gedacht: Wie wollte ich dich gleich einem Sohn halten und dir ein liebliches Land verleihen, den herrlichsten Erbbesitz unter allen Völkern. Denn ich dachte, du würdest mich ‚Mein Vater‘ nennen und mich niemals verlas-
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
sen …“ (Jer 3,19). Noch unmittelbarer erinnert an die Folge der Vaterschaft Gottes auf diejenige Abrahams Jes 63,16: sÜ (jeÖ") gÅr ™mùn eè patflr, Ωti ûAbraÅm o∂k ≤gnw ™mô", kaÑ ûIsraÉl o§k †pfignw ™mô", üllÅ s‚, k‚rie, patÉr ™mùn: Øúsai ™mô", üpû ürcö" tÖ µnom› sou †fû ™mô" †stin. Und wenig später heißt es im Jesajabuch: kaÑ nún, k‚rie, patÉr ™mùn s‚, ™meõ" dÇ phlÖ" ≤rgon tùn ceirùn sou p›nte" (64,7). Bei Maleachi beklagt Gott, daß ihm sein Volk die Vaterehre verweigert: „Denn ich bin doch ein Vater für Israel, und Ephraim ist mein Erstgeborener“ (1,6).
Und auch wenn die unmittelbare Gebetsanrede Gottes als ‚Vater‘ selten sein mag, so haben doch zumindest die Übersetzer der LXX Davids Gebet in 1Chr 29,10 so wiedergegeben: e§loghtÖ" eè, k‚rie ¨ jeÖ" ûIsrafll, ¨ patÉr ™mùn üpÖ toú a¢ùno" kaÑ ∫w" a¢ùno" ktl. Zwar weichen sie damit von der hebräischen Vorlage, die Gott nicht als „unseren Vater“, sondern vielmehr als den Gott „unserer Väter“ anruft (hta ˚wrb µlw[Ad[w µlw[m wnyba larçy yhla hwhy), nicht unerheblich ab. Aber schwerlich darf man diese Abweichung einfach als eine Fehlübersetzung deklarieren, wie das J. Jeremias in dem Bestreben tut, die intime Vateranrede Gottes exklusiv Jesus als ihrem vermeintlichen Urheber zuzuschreiben (Abba 28). Mit K. Rupprecht (Herkunft und Alter der Vater-Anrede Gottes) sind wir vielmehr der Meinung, daß diese Übersetzer als ‚native speaker‘ beider Sprachen sehr wohl gewußt haben müssen, was sie da taten. Denn diese Gebetsanrede Gottes als „unser Vater“ dürfte ihrer und der religiösen Praxis ihrer Zeit entsprochen haben. Das belegen auch die beiden Gebetsanreden in Sir 23: k‚rie p›ter kaÑ desp∙ta zwö" mou in V. 1 und: k‚rie p›ter kaÑ jeÇ zwö" mou in V. 4. Darüber hinaus erwecken die oben zitierten Texte des Jeremia- sowie des Jesajabuches die Frage, ob diese Anrede womöglich schon „im vorexilischen Kult“ wurzelt, „auch wenn uns direkte Belege dafür nicht zugänglich sind“ (Rupprecht 354). Neben einigen grammatischen Klippen, die die Übersetzung der Passage 8,41–47 erschweren, bereitet vor allem der Umstand erhebliche Schwierigkeiten, daß Jesus seine jüdischen Antagonisten hier zu ‚Teufelskindern‘ erklärt und ihre Behauptung, Gott zum Vater zu haben, vehement bestreitet. Das ist in einem Evangelium, dessen jüdischer Protagonist doch der Samaritanerin erklärt hatte: „Ihr (Samaritaner) betet an, was ihr nicht kennt. Wir (Juden) dagegen beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt von den Juden“ (4,22), doch eine erschreckende Schärfe. Wie viele andere sieht Becker in dieser Disqualifikation der „Juden“ die wohl „antijudaistischste Äußerung des NT“ (Komm. 358). Der detaillierten Erörterung dieser grammatischen und inhaltlichen Probleme stellen wir zunächst diese Paraphrase des gesamten Abschnitts 8,41–47 voran: Wenn schon von der irdischen Abrahamskindschaft gilt, daß sich nur mit Recht auf sie berufen kann, wer ‚Abrahams Werke‘ tut und ‚Barmherzigkeit‘ übt wie der Patriarch (V. 40), dann gilt das natürlich auch und erst recht für die Inanspruchnahme Gottes als ‚Vater‘. Darum eröffnet Jesus seine lange und scharfe Anklage nun mit dem irrealen Bedingungssatz: „Wenn Gott euer Vater wäre, dann müßtet ihr mich lieben, mich, der ich doch von Gott ausgegangen und (zu euch) gekommen bin. Denn nicht aus eigenem Antrieb bin ich gekommen, sondern weil jener mich gesandt hat“ (V. 42). Und danach erst deckt er auf, wen er zuvor im Auge hatte, als er sagte, „Ihr tut die Werke eures Vaters“ (V. 41): Warum begreift ihr denn nicht, was ich euch sage (tÉn lal‡an tÉn †mfln)? Nun, ihr könnt mein Wort nämlich darum gar nicht hören, weil der Teufel euer Vater ist und ihr (nur) danach trachtet, die Begierden (dieses) eures Vater zu vollbringen. Der war (nämlich) ‚von Anfang an‘ (üpû ürcö") ein Mörder (ünjrwpokt∙no") und stand nicht in der Wahrheit, weil die Wahrheit in ihm keinen Ort hat. Nur wenn 440
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er lügt, ist er in seinem Element (†k tùn ¢d‡wn laleõ), denn er ist ein Lügner und der Vater der Lüge. Weil ich (im Gegensatz zu ihm: dfi) die Wahrheit sage, glaubt ihr mir nicht. Denn wer von euch könnte mich auch nur irgendeiner Sünde überführen? Sage ich also die Wahrheit, warum glaubt ihr mir dann nicht? (Denn) wer ‚aus Gott ist‘ (was ihr ja von euch behauptet, wenn ihr sagt: ∫na patfira ≤comen, tÖn je∙n), der hört Gottes Worte. Ihr aber hört (sie) darum nicht, weil ihr nicht aus Gott seid. Das nur hier und 4,42 vorkommende Lexem lal‡a bezeichnet an beiden Stellen „selbstverständlich nicht ‚Gerede‘ oder ‚Geschwätz‘ wie häufig im frühen Griechisch“ (Barrett, Komm. 352), sondern Jesu (bzw. der Samaritanerin) ‚Sagen‘ im Unterschied zu dem von ihnen ‚Gesagten‘, das Jesus hier gleich darauf tÖn l∙gon tÖn †m∙n nennt. Daß die Wendung o§ d‚nasje üko‚ein buchstäblich das meint, was sie sagt, macht der Kontext evident: An der Tötungsabsicht der Antagonisten Jesu wird erkennbar, daß sie einen anderen als Gott, nämlich den Teufel zum Vater haben. Und darum können sie in der Tat nicht hören. Denn „daß der Unglaube wirklich das Sein des Ungläubigen ist, und daß der Mensch nicht noch etwas Neutrales hinter seinem Unglauben ist, – das ist in dem Ωti o§ d‚nasje ausgesprochen“ (Bultmann, Komm. 240). Mit der Fügung: ≠meõ" †k toú patrÖ" toú diab∙lou †stfi, und dem begründenden Schlußsatz: Ωti ye‚sth" †stÑn kaÑ ¨ patÉr a§toú (V. 44), bereitet jedoch V. 42 die größte Schwierigkeit. Denn „grammatisch korrekt“ kann die erstere nur besagen: ‚Ihr stammt vom Vater des Teufels‘. Wäre nämlich gemeint: ‚Ihr stammt vom Teufel als eurem Vater‘, so „müßte vor dem dann prädikativen patr∙" der Artikel fehlen“ (Bultmann ebd. 241 f mit Verweis auf B-D-R § 268,2). Ja, darüberhinaus bemerkt Bultmann, daß – selbst wenn man hier noch „eine grammatische Inkorrektheit in Kauf nehmen“ wollte – jedenfalls der Schlußsatz keine andere Übersetzung als diese zulasse: „denn ein Lügner ist auch sein (nämlich des Teufels) Vater“. Weiter heißt es bei Bultmann: „Nun wäre es zwar möglich, daß hier ein Mythos vom Teufel und seinem Vater vorliegt; aber der Verweis auf den Teufelsvater hat hier ja keinen Sinn. Derjenige, der als ünjrwpokt∙no" und Lügner charakterisiert wird, ist der Teufel selbst; er ist der Vater der Juden, dessen Begierden sie zu vollbringen trachten, wie auch nach 1Joh 3,8 der Sünder ein Kind des Teufels ist. Und es wäre widersinnig, wenn der patflr in dem ≠meõ" †k toú patr∙" ein anderer wäre als der in dem t. †pijum‡a" t. patrÖ" ≠mùn, nämlich der Vater des Teufels. Es liegt also nahe, wenn man nicht gegen die Grammatik übersetzen will, am Anfang das toú diab∙lou als das, freilich richtige, Interpretament eines Glossators anzusehen, oder mit K und Orig. das toú patr∙" (aber nicht auch mit syrs und Chrys. das †k) zu streichen. Indessen würde damit der Teufelsvater am Schluß noch nicht beseitigt sein, und man müßte hier weitere Korrekturen vornehmen“ (ebd. 241). Für den Mythos vom Teufel und seinem Vater verweist Bultmann (ebd. Anm. 1) auf Bauer, (Komm. z. St.) sowie auf die gnostischen Texte Act. Thom. 32 u. 76 (= Bonnet, Act. Phil et Thom 148,15 ff u. 190 f,18 ff); Act. Phil. 110 (ebd. 42,18 ff). Mit dem im NT nur hier und 1Joh 3,15 vorkommenden Lexem ünjrwpokt∙no" wird in Act. Phil. 119 (= ebd. 48,10) die Paradiesesschlange bezeichnet.
Den so bezeichneten Widerspruch zwischen Grammatik und Inhalt der Passage sucht Bultmann dadurch aufzulösen, daß er eine kohärente semitische Vorlage rekonstruiert: „Im Urtext dürfte das ‚vom Vater‘ am Anfang des Verses durch das Pron. poss. determiniert gewesen sein, und die richtige Übersetzung wäre: †k t. patrÖ" ≠m. toú diab., wobei toú diab. Apposition wäre. So läßt sich auch der Schluß erklären. … Deshalb muß das laleõn tÖ yeúdo" nicht vom Teufel, sondern vom Teufelskind ausgesagt sein, auf den (sic) das ye‚sth" †stin kaÑ ¨ patÉr a§toú auch allein paßt: ein Lügner ist ja 441
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auch sein Vater, der Teufel“. Diese ‚Rekonstruktion‘ nötigt Bultmann dann aber zu der Erklärung: „Ist das der ursprüngliche Sinn, so muß freilich zugegeben werden, daß dieser im heutigen Text nicht vorliegt. Stammt dieser vom Evangelisten, so bleibt keine andere Auskunft, als daß der Evglist, seine Quelle mißverstehend, den Unglauben der Juden auf die direkte Vaterschaft des Teufels und die indirekte des Teufelsvaters zurückführt“ (ebd.). Das ist aber eine wenig befriedigende Auskunft, sofern sie den besagten Widerspruch ja nicht etwa beseitigt, sondern ihn im Gegenteil sogar verschärft. Denn danach hätte allein das Mißverstehen einer vermeintlichen „Quelle“ den Evangelisten daran gehindert, das zu sagen, was er eigentlich hat sagen wollen! Zudem ist es ja höchst problematisch zu meinen, wir könnten eine mutmaßliche „Quelle“, von deren Existenz und Gestalt wir nichts wissen können, besser verstehen als ein Evangelist, der sie nach Bultmanns Theorie ja schwarz auf weiß vor Augen gehabt haben muß, und der, nach allem, was wir über ihn wissen, ein ‚native speaker‘ auch des Aramäischen gewesen sein dürfte. Weil wir uns nicht in der Lage sehen, auf jene imaginäre „Quelle“ zurückzugreifen und dazu noch den Evangelisten mit deren Mißverständnis zu belasten, bleiben wir angewiesen auf die Interpretation des überlieferten Textes. Methodisch müssen wir dazu dessen Kohärenz und Sinnhaftigkeit voraussetzen. Auch ohne die Einfügung jenes ≠mùn als Determinante des toú patr∙" aus dem vermeintlich „semitischen Urtext“ ist der artikulierte Genitiv toú diab∙lou durch seinen Kontext ganz eindeutig als Apposition definiert, die den in V. 41 ohne nähere Bestimmung eingeführten ‚Vater‘ der Widersacher Jesu hier endlich mit Namen nennt (vgl. Barrett, Komm. 352). Als die einfachste Lösung des Problems, die zudem noch ohne jeglichen Eingriff in den ursprünglich ja interpunktionslos überlieferten Text auskommt, schlägt Haenchen vor, zwischen ‚Vater‘ und ‚des Teufels‘ ein Komma zu setzen (Komm. 371). Zudem ist das Possessivum ≠mùn, das Bultmann für notwendig erachtet und darum hinzugefügt, in der Wendung: ≠meõ" †k toú patrÖ" ... †stfi, ja gewissermaßen bereits impliziert. Denn der, aus dem einer ist, ist ja sein Vater. Und wenn man die dem vorangestellten Subjekt †keõno" in V. 44 folgenden Bestimmungen, wie das laleõn tÖ yeúdo" nach Bultmanns Vorschlag statt auf den Teufel auf das Teufelskind beziehen will, weil allein dazu auch das ye‚sth" †stin kaÑ ¨ patÉr a§toú passe, so fordert das weitere erhebliche Eingriffe in den überlieferten Textbestand. Die aber sind überflüssig, wenn man mit B-D-R § 282,4 und den meisten Kommentatoren das abschließende a§toú als die pronominale Wiederaufnahme von yeúdo" begreift: „Denn er ist ein Lügner und der Vater allen Lügens“. Weil uns die weit über Bultmanns soeben abgewiesenen Rekonstruktionsversuch hinausgehende Behauptung einiger Exegeten, der ‚ursprüngliche‘ Text des Evangelisten müsse nicht den Teufel, sondern den Brudermörder Kain als den ‚Vater der Juden‘ bezeichnet und vom Teufel als von dem ‚Vater Kains‘ gesprochen haben, allzu spekulativ erscheint und im überlieferten Text keinerlei konkreten Anhalt hat, soll sie hier nur kurz zur Sprache kommen. Als Kombination einer deutlich erkennbaren Paraphrase von Joh 8,41 ff mit Zügen der jüdischen Kain-Haggada bietet das Philippusevangelium, das sich auch sonst als von Johannes abhängig erweist, die wohl älteste Spur dieser Spekulation: „Zuerst entstand der Ehebruch, danach der Mörder [Kain]. Und er wurde im Ehebruch erzeugt. Denn er war der Sohn der Schlange. Deswegen entstand er, daß er die Menschen töte ebenso wie auch sein Vater. Und er tötete seinen Bruder [Abel]“ (Log. 42; vgl. Log. 79; zur haggadischen Tradition des ehebrecherischen Ursprungs Kains und ihrer Aufnahme in frühchristliche Texte vgl. Dahl, Erstgeborene Satans 72 ff). Nach Wellhausen (Erweiterungen
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19 ff; und Evangelium Johannis 42 ff) hatte Hirsch erklärt: „Daß der gegenwärtige Text nur aus Umkorrigierung einer Zuschreibung der Kainssohnschaft in die der Teufelssohnschaft entstanden sein“ könne, sei „schon längst beobachtet“. Er gibt dafür die folgende Begründung: „†k toú patrÖ" toú diab∙lou müßte heißen: aus dem Vater des Teufels. Da es den nicht gibt, man also ‚dem Vater, dem Teufel‘ übersehen (sic: übersetzen!) muß, so muß ‚dem Teufel‘ einen Eigennamen verdrängt haben: angesichts des übrigen Verses kann das nur Kain gewesen sein. … Ohne dabei die entstehende sprachliche Unmöglichkeit zu beachten, oder besser, sie mit in den Kauf nehmend“, habe erst R (sc. Hirschs Redaktor) „den Vater Kain in den Vater den Teufel verwandelt“ (Studien 78; vgl. ebd. 78–80). Als ursprünglichen Text konstruiert Hirsch sodann: ≠meõ" †k toú patrÖ" K›Ân †stÇ kaÑ tÅ" †pijum‡a" toú patrÖ" ≠mùn jfilete poieõn. †keõno" ünjrwpokt∙no" én kaÑ †n tÔö ülhje‡a o§k ≤sthken ¨ œn †k toú K›Ân ye‚sth" †st‡n, Ωti o§k ≤stin ülfljeia †n a§tù. Ωtan lalÔö tÖ ye‚do", †k tùn ¢d‡wn laleõ, Ωti ye‚sth" †stÑn kaÑ ¨ patÉr a§toú. Ähnlich argumentiert Dahl (Erstgeborene Satans). Dazu knüpft er an die folgende Passage im Brief Polykarps an die Philipper an: „Jeder, der nicht bekennt, daß Jesus Christus im Fleische gekommen ist (†n sarkÑ †lhlujfinai), ist ein ünt‡cristo"; wer das Zeugnis des Kreuzes nicht bekennt, ist aus dem Teufel (†k toú diab∙lou); und wer die Worte des Herrn nach seinen eigenen Begierden verdreht und weder Auferstehung noch Gericht lehrt, ist ein Erstgeborener des Satans (oñto" prwt∙tok∙" †sti toú satanô: 7,1)“. Hinter dem letzteren Prädikat vermutet Dahl eine durch die Haggada bezeugte jüdische Tradition vom betrogenen Adam, wonach der Teufel mit Eva Kain gezeugt habe, zumal Kain in der Haggada ganz ähnlich rede, wie der von Polykarp vorausgesetzte Ketzer: „Es gibt kein Gericht, es gibt keinen Richter, es gibt keine andere Welt“. Und weil Kain seinen gerechten Bruder Abel nach einem Streitgespräch mit einem Stein erschlagen habe, müsse er der 8,38 und 41 nicht näher bezeichnete ‚Vater der Juden‘ sein. Darum stellt Dahl für den strittigen V. 44 die beiden folgenden Konjekturen zur Wahl: (1) ≠meõ" †k toú prwtot∙kou (oder: †k toú u´oú) toú diab∙lou †stfi. (2) ≠meõ" †k toú patrÖ" toú †k toú diab∙lou †stfi. Ähnlich wie Dahl meint auch Leaney (Paraclete 55); „Both Jn 8,33–44 and 1Jn 3,7–12 seem to reflect themes according to which Cain became the first in a line of wicked men who derived their disposition from him, which reflected an origin in which the devil played a decisive role“.
In dem durchaus sympathischen Interesse, Joh 8,44, der nach dem Urteil von Becker (s. o.), Schulz (Komm. 136) u. a. vermeintlich schroffsten „antijudaistischen Aussage des Neuen Testaments“, ihre Schärfe zu nehmen, folgt Reim (Gotteskinder) Dahls Konjektur. Ja, über deren Begründung durch Dahl hinaus meint er, zusätzlich noch einen förmlichen Indizienbeweis durch ein Zitat aus dem Targum Neofiti führen zu können, wo Gen 4,7 so paraphrasiert ist: „Wenn du (sc. Kain) dein Werk in dieser Welt gerecht vollbringst, dann wird dir in der kommenden Welt gewiß verziehen und vergeben werden. Tust du dein Werk in dieser Welt aber ungerecht, so bleibt die Sünde bis zum Tage des großen Gerichts an dir haften. An der Pforte deines Herzens lauert die Sünde; aber ich habe die Herrschaft über den ‚bösen Trieb‘ in deine Hand gelegt und dir die Macht über Gerechtigkeit oder Sünde verliehen“ (Reim zitiert [ebd. 621] die englische Übersetzung des Targums von Diez Macho, Neophyti). Daraus, daß der Targumist hier das im HT singuläre Lexem rxy (†pijum‡a) aus Gen 6,5 in die Erzählung von Kains Brudermord eingetragen habe, und daraus, daß †pijum‡a auch im Johannesevangelium einzig in 8,44 vorkomme, schließt Reim, daß „mit diesem Vater nur Kain gemeint sein“ könne (ebd.). Da aber Kain nach dem Targum sowie „nach der Lehre von Qumran“ (vgl. 1QS 4,5 mit 1QH 7,3) die doppelte Möglichkeit habe, den bösen Trieb durch ‚Gerechtigkeit‘ zu beherrschen oder aber ihm in ‚Sünde‘ zu verfallen, müsse gelten: „Teufelskinder können Juden also nie grundsätzlich sein“ (ebd. 623). Abgesehen von dieser u. E. unbegründbaren Hypothese, wonach Tg. Neofiti die unmittelbare ‚Quelle‘ von Joh 8,44 sein müßte, sieht Reim im Blick auf den Kontext und 443
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die darin ‚erzählte Welt‘ im übrigen aber ganz richtig, daß „der johanneische Jesus … nicht generell von Teufelskindschaft der Juden (spricht), sondern nur im Gegenüber zu einer bestimmten Gruppe, die ihn steinigen möchte“ (ebd.); zum vermeintlichen „Antijudaismus“ des Johannesevangeliums vgl. im übrigen die gründliche Analyse aller einschlägigen Passagen durch Dunn, Question of Antisemitism 195 ff. Auch wenn die Aussage vom lügnerischen Wesen des Teufels (Ωtan lalÔö tÖ yeúdo", †k tùn ¢d‡wn laleõ), ob absichtsvoll oder nicht, den Leser/Hörer an den Betrug Evas durch die Paradiesesschlange erinnern mag und auch wenn er den Satz: †keõno" ünjrwpokt∙no" én üpû ürcö", als Spiel mit der Erzählung von Kains Brudermord in Gen 4 begreifen mag, was 1Joh 3,12–15 ja durchaus nahelegt, so scheinen uns doch Dahl und Reim ihre Theorie von der Teufels-Kindschaft Kains und der KainsSohnschaft der Juden weit zu überziehen (vgl. Brown, Komm. I, 358). Denn sie kann weder aus dem 1Joh noch aus der Passage Polykarps in seinem Philipperbrief, die ja ganz offensichtlich sowohl von Joh 8,31 ff als auch von 1Joh 4,2 f; 3,7–12 und 2Joh 7 abhängig ist, erschlossen werden. Daß es angesichts der Rede von der AbrahamsKindschaft der Juden, die den Zusammenhang bis hin zu 8,56 ff bestimmt (vgl. Dodd, Behind 41), sowie der Rede vom „Bleiben des u´∙" im Hause“ im Gegensatz zum „Nicht-Bleiben des doúlo"“ doch wohl näher liegt, hier an die ungleichen Brüder Isaak und Ismael zu denken, haben wir oben bereits gesehen. Vor allem aber kann, nachdem Jesu Antagonisten mit ihrer Behauptung: ∫na patfira ≤comen tÖn je∙n, Gott als ihren Vater ins Spiel gebracht hatten und nachdem Jesus diesen Anspruch durch den Irrealis: „Wenn Gott euer Vater wäre, dann müßtet ihr mich lieben …“, bestritten hat (V. 42 f), nicht mehr irgendein irdischer Stammvater, heiße er nun Abraham oder Kain, sondern in V. 44 nur noch der di›bolo" als der himmlische Gegenspieler Gottes derjenige sein, „aus dem“ Jesu Antagonisten sind und dessen †pijum‡a sie zu vollbringen trachten. Sie sind nicht die Söhne Kains, sondern wie Kain sind sie †k toú ponhroú (1Joh 3,12). Über die durch Kains Brudermord eröffnete ‚unendliche Geschichte‘ irdischen Mordens hinaus auf deren Anstifter weist auch die Wendung: †keõno" ünjrwpokt∙no" én üpû ürcö". Denn wie E. L. Miller (‚In the Beginning) durch seine Analyse des Gebrauchs des Lexems ürcfl im Corpus Iohanneum erwiesen hat, haben die für Johannes spezifischen Verbindungen †n ürcÔö, †x ürcö" und üpû ürcö" sowie tÉn ürcfln (8,25) stets eine Bedeutung, die sich der Reduktion auf eine simple temporale, historische oder chronologische Interpretation widersetzt (589 f). Auch wo sich diese Ausdrücke auf den Beginn des irdischen Weges Jesu und/oder der Nachfolge seiner Jünger zu beziehen scheinen, weisen sie mit einer gewissen „christological transparency“ doch über diese relativen und historischen Umstände hinaus. Das gilt auch für die Wendung in 8,44: „He [the devil] was a murderer from the beginning (üpû ürcö"), though here is not a christological but rather a diabolical transparency that is involved. In this statement the phrase ‚from the beginning‘ inevitably calls to mind, as most commentators emphasize, the Devil’s complicity in the murder of Abel by Cain, or the Devil’s deceptive … plunging of the human race into mortality, or both. That the prepositional phrase, however, has reference also to the nature of the Devil is suggested by the lines immediately following: ‚… and [the devil] is alien to the truth, because there is no truth in him. When he speaks a lie, he speaks from his nature, because he is a liar and the father of lies. That these further claims involve primarily an interest in essence rather than in history is evident“ (ebd. 590). 444
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45–47: Mit seinem emphatischen: †gá dÇ Ωti tÉn ülfljeian lfigw ktl. – weil ich, im Gegensatz zu eurem ‚Vater‘, der ja prinzipiell lügt, aber die Wahrheit sage, glaubt ihr mir nicht – stellt Jesus sich natürlich dem Teufel und nicht irgendwelchen irdischen Lügnern entgegen. Indem er die Wahrheit sagt, vollbringt er das Werk Gottes. Als Gerechter kann er seinen Antagonisten darum die rhetorische Frage stellen: „Oder könnte etwa irgendeiner von euch mich einer Sünde überführen?“ Daß das keiner kann, setzt der folgende Satz voraus: „Wenn ich aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir dann nicht? Wer aus Gott ist, der erhört die Worte Gottes. Ihr dagegen vermögt sie darum nicht zu erhören, weil ihr nicht aus Gott seid.“ Wir haben das Verbum üko‚ein hier nicht mit „hören“ als Bezeichnung eines bloßen Sinneseindrucks, sondern durch „erhören“ wiedergegeben, weil im biblischen Sprachgebrauch unseres Autors die ethische Komponente des „Ge-Horchens“ („in the Semitic sense of grasp and obey“, Lindars, Komm. 328) von üko‚ein unabtrennbar ist. 48: Auf Jesu Aussage, daß seine Antagonisten darum nicht zu hören vermögen, weil sie ‚nicht aus Gott‘ sind, reagieren sie nun mit diesen Worten: „Sagen wir etwa nicht mit Recht, daß du ein Samariter und von einem Dämon besessen bist?“ Zu der Wendung: o§ kalù" lfigomen, verweist Barrett (Komm. 353) treffend auf das neugriechische Idiom: kalÅ dÇ lfime †meõ", ‚Haben wir nicht recht, wenn wir sagen‘. Auf eine besondere Nähe und/oder Sympathie Jesu (oder einer vermeintlichen „johanneischen Gemeinde“) zu samaritanischer Theologie kann daraus, daß Jesus nur den Vorwurf zurückweist, er sei von einem Dämon besessen, nicht aber den, daß er ein Samaritaner sei, nicht geschlossen werden, sondern nur darauf, daß es sich hier um ein Hendiadyoin etwa dieses Sinnes handeln muß: „daß du einer von diesen verrückten Samaritanern bist“ (vgl. Lindars, Komm. 331 f). Hierin jedoch eine unmittelbare Bezugnahme auf die Samaritaner Simon Magus und Dositheus sehen zu wollen, weil die den Anspruch erhoben haben sollen, der ‚Sohn Gottes‘ zu sein, und nach Origenes (Contra Cels. 6,11) von den Juden deshalb zu Verrückten erklärt wurden, hält Lindars (ebd.) mit Recht für „too obscure and anachronistic“. Nach Joh 1,45 f wissen nicht nur die Jünger Jesu und mit ihnen der ‚implizite Leser‘, sondern nach 6,42; 7,52 auch seine jüdischen Antagonisten um die Herkunft Jesu aus dem galiläischen Nazaret. Darum muß man den Satz: Ωti Samar‡th" eè sÜ kaÑ daim∙nion ≤cei", metaphorisch in dem Sinn verstehen: „weil du wie ein von einem Dämon besessener Samaritaner bist“ oder: „You are no better than a Samaritan“ (Morris, Komm. 467). Paraphrasiert man den Satz, wie Lindars, jedoch einfach mit den Worten: „one of those mad Samaritans“ (ebd.), so verliert man leicht aus dem Auge, daß die Juden mit dem Vorwurf, Jesus sei von einem Dämon besessen, sein Wort von ihrer Teufels-Kindschaft zu konterkarieren und ihm so mit ‚gleicher Münze‘ heimzuzahlen suchen. Die gegen Jesus gerichtete Anklage, er sei von einem Dämon besessen, kennen wir schon aus 7,20, und seine Gegner werden sie in 8,52 und 10,20 wiederholen. Einer „kanonischen Lektüre“ ist sie aus dem synoptischen Vorwurf geläufig, Jesus treibe die Dämonen mit Hilfe Beelzebuls, des Herrschers über die Dämonen, aus (Mk 3,22 ff; Mt 12,22 ff. 9,34; 11,18; Lk 11,14 ff). Ob Johannes diese Passagen als ‚Prätexte‘ voraussetzt, ist darum schwer zu entscheiden, weil er – sicher nicht absichtslos – über den gesamten Komplex der Exorzismen Jesu schweigt. Immerhin könnte ja Jesu Wort: †Ån gÅr mÉ piste‚shte Ωti †g„ e¢mi, üpojaneõsje †n taõ" ®mart‡ai" ≠mùn (8,24) als ein Signal dafür verstanden werden, daß der Erzähler hier mit dem Disput über die ‚unvergebbare Sünde‘ in den 445
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
eben genannten synoptischen Texten spielt. Doch abgehen davon gehören die Erzählungen über Dämonen-Austreibungen fraglos zu „den vielen weiteren Zeichen, die Jesus vor seinen Jüngern getan hat, die aber nicht geschrieben sind in diesem Buch“ (Joh 20,30). Über die Gründe ihres Nicht-Geschrieben-Seins kann man nur spekulieren. Ob dafür die Reduktion der vielen Dämonen auf den einen ±rcwn toú k∙smou to‚tou als ihren Herrscher und Jesu Sieg über ihn durch seine ‚Erhöhung‘ an das Kreuz eine Rolle spielen, wird unten zu 12,31; 14,30 und 16,11 zu erörtern sein. 49–51: Jesu Reaktion auf den Vorwurf der Juden, er sei von einem Dämon besessen wie ein Samaritaner, die er mit seinem emphatisch vorangestellten †g„ eröffnet, läßt sich etwa so paraphrasieren: „Ich (für meine Person) bin jedenfalls mitnichten von einem Dämon besessen. Ich erweise vielmehr nur meinem Vater die ihm allein gebührende Ehre, die ihr mir (als dem von ihm Gesandten und damit zugleich auch ihm, dem Sender) verweigert. Im Gegensatz zu euch (dfi) suche ich nicht meinen eigenen Ruhm. Da ist vielmehr ein anderer, der um (meinen) Ruhm besorgt ist und (über die, die mich beleidigen) urteilen wird. Amen, Amen ich sage euch: Wenn einer mein Wort bewahrt, wird er den Tod in Ewigkeit nicht schauen“. Eingeleitet durch das gewichtige doppelte Amen, nimmt Jesus mit dem Bedingungssatz: †›n ti" tÖn †mÖn l∙gon thrflsÔh ktl., inhaltlich das wieder auf, womit er seine Rede an die pepisteuk∙te" a§tù ûIoudaõoi in V. 31 eröffnet hatte: †Ån ≠meõ" me‡nhte †n tù l∙gw tù †mù ktl. Die Differenz zwischen den beiden Sätzen besteht darin, daß es, dem generalisierenden Charakter des doppelten Amen entsprechend, jetzt t‡" anstelle von ≠meõ" heißt. Mit diesem unscheinbaren Austausch der Lexeme erhebt der Erzähler das „Einst“ unseres erzählten Streitgesprächs in den Rang einer unvergänglichen Verheißung für jeden potentiellen Leser. Ganz ähnlich hatte Jesu einleitendes: ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn, den Erzähler bereits in V. 34 dazu genötigt, das anfängliche ≠meõ" von V. 31 durch das generelle pô" zu ersetzen. 52–53a: Wieder mißverstehen Jesu Antagonisten seine Rede, als hätte er für sich und für die Seinen je Unsterblichkeit reklamiert. Dabei hat er doch – wenn auch zumeist noch sehr kryptisch – von Anfang an und zunehmend deutlicher davon gesprochen, daß er sterben muß für das Leben der Welt (6,51 ff); daß er „erhöht werden muß“, so wie Mose die eherne Schlange in der Wüste erhöht hat (3,14 ff); vgl. 2,18 ff; 7,33 f; 8,14.21.24 u. ö. Darum will beachtet sein, daß Jesu Verheißung, wer immer sein Wort bewahre, werde den Tod nicht sehen in Ewigkeit (j›naton o§ mÉ jewrflsÔh e¢" tÖn a¢ùna), unmittelbar auf den Satz folgt: ≤stin ¨ zhtùn kaÑ kr‡nwn. Und diese Folge kann ja nur bedeuten, daß gerade im Blick auf das unbestreitbare und unbestrittene Sterbenmüssen aller Menschen der Weltenrichter als der zhtùn kaÑ kr‡nwn alle, die in dem Wort dessen bleiben, den er gesandt hat, vor dem Geschick des ewigen Todes und des Ausgelöschtseins aus seinem Gedächtnis bewahren will (vgl. Morris, Komm. 469). Wenn die jüdischen Antagonisten Jesu seinen Satz jetzt nahezu wörtlich wiederholen, dabei jedoch anstelle von jewrflsÔh die Wendung ge‚shtai jan›tou gebrauchen, so ist das u. E. nur ein weiteres Indiz der Vorliebe unseres Erzählers für das Spiel mit Synonyma. Wie 4Esra 6,26 und die rabbinischen Belege bei Billerbeck (II, 751 f) zeigen, ist die Lexemverbindung ge‚omai jan›tou in jüdischen Texten geläufig. Im Neuen Testament begegnet sie viermal, nämlich Mk 9,1; Mt 16,28; Lk 9,27 und Hebr 2,9. Zieht man von diesen vier Belegen die beiden von Mk abhängigen Stellen bei Mt und Lk ab, so bleiben mit Hebr 2,9 und Mk 9,1 noch zwei. Mk 9,1 lautet: ümÉn 446
Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,48–53
lfigw ≠mõn Ωti e¢s‡n tine" óde tùn ©sthk∙twn oºtine" o§ mÉ ge‚swntai jan›tou ∫w" …n ¥dwsin tÉn basile‡an toú jeoú †lhlujuõan †n dun›mei. Mit Lindars (Komm. 332 f) neigen wir dazu, das unvermittelte Erscheinen von ge‚omai jan›tou in V. 52 als ein absichtsvoll gesetztes Signal dafür zu begreifen, daß unser Autor/Erzähler hier intertextuell mit dem zitierten Markustext spielt. Das zeigt sich wohl auch daran, daß er die synoptische Rede von der basile‡a toú jeoú hier, wie auch sonst stets, transformiert in diejenige vom ‚ewigen Leben‘. Wie wir bereits oben zu Joh 3,5 ff gesehen hatten, hat er den Grund dieser Transformation – und zwar dort ebenfalls im Spiel mit einem synoptischen Logion vom ‚Eingehen in die basile‡a toú jeoú‘ – schon in dem Dialog mit Nikodemus gelegt. Daß der scheinbar unvermittelte Gebrauch von ge‚omai dagegen eine inhaltliche Differenz zwischen dem von Jesus Gesagten (jan›tou o§ mÑ jewrflsÔh e¢" tÖn a¢ùna) und dem von seinen Gegenspielern Gehörten (o§ mÉ ge‚shtai jan›tou e¢" tÖn a¢ùna) ausdrücken soll, um so das ‚Mißverständnis‘ der ûIoudaõoi zu identifizieren, wie das seit Abbott einige Autoren immer wieder zu begründen versuchen, erscheint uns wenig plausibel. Abbott hatte vorgeschlagen, daß jewrflsÔh auf den spirituellen, ge‚shtai dagegen auf den physischen Tod bezogen werden müsse (Grammar 2576; ähnlich jetzt L. Schenke, Komm. 178). Doch jede derartige Trennung einer spirituellen Welt von den widerständigen Realitäten der physischen Welt macht die symbolische Sprache unseres Evangeliums zu Unrecht zur allegorischen Rede von einer ‚Hinterwelt‘. Demgegenüber besagt jedoch schon der fundamentale Prologsatz: kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto, programmatisch, daß der vom Vater zu ihrer Rettung in die Welt entsandte Sohn sich bis hin zum Erweis der ‚größten Liebe‘, die einer überhaupt üben kann, nämlich bis hin zum ‚Sterben für seine Freunde‘ (15,13) und zur ‚Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt‘ (6,51) rückhaltlos auf diese empirische Welt eingelassen hat. Darum ist die Fleischwerdung des l∙go" bei Johannes nicht nur ein theatralisches Stück der „Regieausstattung“ und bloße Bedingung der Möglichkeit dafür, daß ein Himmelswesen auf Erden seine d∙xa offenbaren kann, wie Käsemann argwöhnt, sondern mit all ihren Konsequenzen ist sie die Offenbarung selbst. Und „in all these ways John provides clues that guide the reader in overcoming the difference between the narrative world and the empirical world“ (Harner, Analysis 58). 53b–56: Ihre Anklage Jesu als eines hybriden Gotteslästerers und seiner Rede als „dämonischer Anmaßung“ haben seine Gegner – und das halten sie wohl für eine gelungene ironische Pointe – in die rhetorische Frage gekleidet: t‡na seautÖn poieõ"; Doch in Anknüpfung an diese Frage und im Widerspruch zu ihr antwortet Jesus ihnen nun: „Ja, wenn ich danach trachtete, meinen eigenen Ruhm zu begründen (wie ihr mir unterstellt), dann wäre dieser Ruhm in der Tat nichts als eitle Hybris. Doch es ist ja mein Vater, der meinen Ruhm ausbreitet (¨ dox›zwn me), von dem ihr behauptet: ‚er ist unser Gott‘. Anstelle der von P75 A B2 C W Q 0124 f 1.13 M sy sa pbo bo bezeugten Lesart: Ωti jeÖ" ™mùn †stin, bieten a B* D Y 700. 1010. 1424 al it vgcl boms: Ωti jeÖ" ≠mùn †stin. Die grammatische Differenz zwischen diesen beiden mit annähernd gleichem Gewicht bezeugten Lesarten besteht darin, daß bei ™mùn das Ωti als rezitatives eine direkte Rede einleitet, während bei der Lesart mit ≠mùn das Ωti als konsekutives der Einleitung einer indirekten Rede dient. Sachlich besteht zwischen beiden Lesarten also kein Unterschied. Dennoch ist eine sekundäre Transformation der direkten Rede in die indirekte wahrscheinlicher als der umgekehrte Vorgang (Metzger, Comm. 226). Wenn Jesus dann fortfährt: „Doch den kennt ihr (gar) nicht (o§k †gn„kate a§t∙n). Ich 447
8,12–59
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
aber kenne ihn. Und wenn ich je behaupten wollte, ihn nicht zu kennen, machte ich mich zum Lügner, wie ihr Lügner seid. Ich kenne ihn jedoch und bewahre sein Wort. Abraham, euer Vater, brach in Jubel aus darüber, daß er meinen Tag sehen sollte. Und voller Freude sah er ihn!“, so bestreitet er damit nicht etwa Gottes Offenbarungen in der Geschichte Israels, sondern die Asebie seiner konkreten Antagonisten in dieser Szene. Im fünften Kapitel hatte Johannes bereits Mose als den Zeugen Jesu aufgerufen, indem er Jesus erklären ließ: „Wenn ihr Mose glaubtet, dann würdet ihr eben damit auch mir glauben, denn über mich hat jener geschrieben“ (5,45). Treffend sagt Marquardt dazu: „Mose, indem er das Gottesgesetz niederschreibt und deutet und es in den Zusammenhang der Urgeschichte der Menschheit und der Vätergeschichte Israels stellt, hat eben damit auch über Jesus gesprochen. Jesus war dem Mose schon bekannt: indirekt nur, anonym noch – aber doch so, daß er implizit auch schon von Jesus sprechen konnte. Denn wie jeder Israelit, Mose entsprechend, im dramatischen Spannungsfeld von Gottes Gesetz, Israels Erwählung und dem Zeugnis für die Völker lebt, so auch Jesus, und Jesus freilich besonders bewährt, so daß eine innere Bekanntschaft und Verwandtschaft zwischen Mose und ihm sich aus der ‚Sache‘ ergibt. Natürlich kann man das kein ‚historisches‘ Verhältnis nennen, aber ein sachliches Erkennungsverhältnis: Wer Mose wirklich versteht und ihm folgt, muß eben damit auch Jesus verstehen können“ (Christologie II, 298 f). Daß Johannes später „die gleiche Verstehensmöglichkeit auch zwischen Jesaja und Jesus“ beschreiben wird, werden wir unten zu Joh 12,37 ff sehen. Zu unserem achten Kapitel erklärt Marquardt u. a., Johannes habe darin „eine dreiteilige Diskussion zwischen ‚den Juden‘ und Jesus über die Bedeutung Abrahams zusammengestellt: 1. über die Freiheit von Abrahams Nachkommen: ob sie wirklich Freiheit sei, d. h. ob sie auch praktizierte Freiheit von der Sünde sei (8,30–36); 2. über die Abrahams-Kindschaft: ob sie anderswie einen Wert beanspruchen könne als im Tun der Werke Abrahams (8,37–47); 3. über Abrahams Sterblichkeit und seinen eschatologischen Jubel (8,48–59). – Dieser dritte Gesprächsteil geht uns an. … ‚Euer Vater‘ – also der Ahn der Juden – steht genauso in einer Beziehung zu Jesus wie zu ihnen, wenn auch nicht in der gleichen; Jesu Verhältnis zu Abraham ist mehr als genealogisch, nämlich geschichtlich. Zwischen ihnen besteht eine Freuden‑ und Jubelrelation; vom Wortsinn aus könnte man auch von einer demonstrativen Beziehung sprechen: Jesus sagt, daß Abraham voll Stolz und Freude für ihn demonstriert habe. Johannes läßt Jesus von dieser Jubeldemonstration wie von einem sich steigernden Geschehnis sprechen. Zuerst jubelte Abraham dem zu, daß er den Tag Jesu sehen sollte, dann sah er den Tag auch wirklich, und indem er ihn sah, freute er sich; im Jubel Abrahams steigern sich also eine Verheißung und eine Erfüllung, er ist in sich bewegt, wird ausgelöst von einer Zukunft, ausgekostet aber in einer Gegenwart. – Abrahams Jubel richtet sich nicht auf Jesu Person, sondern auf seinen ‚Tag‘; wir wissen schon: auf Jesu Todes‑ und Verherrlichungstag; wie Mose, wie Jesaja, so ist auch Abraham intensiv auf Tag und Stunde der Lebensverherrlichung Jesu ausgerichtet“ (ebd. 299 f).
Marquardt unterstreicht hier zu Recht, daß die beiden Sätze: „Abraham, euer Vater, brach in Jubel darüber aus, daß er meinen Tag sehen sollte“ und der andere: „Er sah ihn wirklich und freute sich“ auf eine sich steigernde Folge zweier Ereignisse im Leben Abrahams verweisen. Zunächst wurde Abraham nämlich die Verheißung zuteil: ºna ¥dÔh tÉn ™mfiran tÉn †mfln, wobei ügalli›sasjai mit diesem ºna-Satz die Bedeutung von „jubelnd nach etwas verlangen“ gewinnt (Schlatter, Evangelist 219). Und danach erlebte der Patriarch deren buchstäbliche und glückliche Erfüllung: kaÑ eèden kaÑ †c›rh. Dieser zweite Satz darf also keinesfalls als eine bloß redundante und damit überflüssige Wiederholung des ersteren begriffen werden (Lindars, Komm. 334). Damit stellt unser Erzähler den Patriarchen Abraham als Zeugen Jesu und der durch ihn angebrochenen eschatologischen Freude über die Jahrhunderte hinweg unmittelbar neben Johannes 448
Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,53–56
den Täufer, der ja erklärt hatte: ¨ dÇ filÖ" toú numf‡ou ¨ ©sthká" kaÑ üko‚wn a§toú carô ca‡rei diÅ tÉn fwnÉn toú numf‡ou. aæth oên ™ carÅ ™ †mÉ peplflrwtai (3,29). Daß der „Tag Jesu“ die „Stunde“ seiner Erhöhung und Verherrlichung, also sein Sterben und Auferstehen einschließt, kann man sicher nicht bestreiten. Aber dieser Tag geht in jener Stunde schwerlich auf. Denn Jesu bei Johannes singuläre Rede von seinem „Tag“ dürfte sicher nicht absichtslos die biblischen Texte vom hwhy µwy (Am 5,18 ff u. ö.) sowie die synoptischen vom „Tag“ oder von „den Tagen des Menschensohnes“ (Lk 17,22 ff parr. u. ö.) und deren eigentümliche Transformation in der ‚johanneischen Eschatologie‘ in Erinnerung rufen. Darum dürfte ™ ™mfira ™ †mfl hier das Ganze der ‚Sendung‘ Jesu bezeichnen von der Inkarnation des l∙go" an bis hin zur Verherrlichung des erhöhten Menschensohns und seiner durch den Parakleten vermittelten bleibenden Gegenwart (vgl. Beasley-Murray, Komm. 138). Und das gilt wohl um so mehr, als viele Kommentatoren die Verheißung, die Abrahams Jubel auslöste, sicher nicht zu Unrecht darauf beziehen, daß durch Abraham „alle Geschlechter der Erde gesegnet sein sollen“ (Gen 12,3); daß Abraham der Verheißung glaubte, seine Nachkommenschaft werde so zahlreich sein wie das Heer der himmlischen Sterne, und daß dieser Glaube ihm „zu Gerechtigkeit angerechnet wurde“ (15,5 f); daß der Hundertjährige „lachte“, als ihm Isaaks Geburt aus der längst unfruchtbaren Sara verheißen wurde (Gen 17,17). Denn auch wenn Abraham (Gen 17,17) und auch Sara (18,12 ff) nach der biblischen Erzählung angesichts ihres hohen Alters über die Verheißung der Geburt eines leiblichen Sohnes nur ungläubig lachen können, hat doch etwa Philon dieses „Lachen“ als Ausdruck ihrer großen Freude gedeutet (mut. nom. 154 ff; vgl. ebd. 131: Isaaks Name verweist auf die Freude als höchste aller Emotionen, Isaak ist das ‚Gelächter des Herzens‘, ein wahrer ‚Sohn Gottes‘). Und das Buch der Jubiläen erzählt, wie die drei himmlischen Engel in Mamre zuerst Abraham und danach auch Sara die Verheißung der Geburt Isaaks noch einmal gedeutet haben, so daß sie beide sich nun „mit sehr großer Freude freuten“ (Jub 16,19). Auch daß nach Gen 18,1 Jhwh selbst bei der Terebinthe von Mamre Abraham erschien, wird man ebenso wie die Erzählung von der Akeda Isaaks (Gen 22) in den Kreis der möglichen Anspielungen einbeziehen müsse, zumal die letztere das jüdische Denken ja auf vielen Feldern so nachhaltig bestimmt hat. Und endlich könnte Johannes, ähnlich wie Paulus in Gal 3,16, ja auch die erneute Verheißung, die an Abraham erging, als er anstelle seines Sohnes das von Gott dazu ersehene Lamm geopfert hatte (Gen 22,16 ff), christologisch gedeutet haben. Doch weil Johannes uns auch nicht den leisesten Wink gibt, auf welchen dieser Texte er sich konkret bezogen haben mag, kommen wir über solche Mutmaßungen nicht hinaus (vgl. dazu auch Lona, Abraham 292 ff). Sicher scheinen nur die Aoriste °galli›sato und ¥dÔh zu verbürgen, daß wir beide Anlässe der Freude Abrahams in seinem irdischen Leben suchen müssen. Denn die oben erörterten Analogien von Mose, der von Jesus geschrieben hat, und von Jesaja, der seine Herrlichkeit geschaut hat, legen es keinesfalls nahe, die Wendung: „und er sah ihn und freute sich“, auf einen Abraham zu beziehen, der postmortal im Paradies zum Augenzeugen der Inkarnation geworden wäre, wie das u. a. Bernard (Komm. II, 321), Bauer (Komm. 131 mit Verweis auf Lk 16,22 ff), Sanders/Mastin (Komm. 234), Lindars (Komm. 334 f) und Haenchen (Komm. 371) tun. Beasley-Murray erinnert vor allem daran, daß man über allen derartigen Spekulationen den hier doch gewiß absichtsvoll hergestellten Kontrast zwischen Abraham, der über den Tag Jesu jubelte, 449
8,12–59
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
und den ûIoudaõoi, die Jesus von Haß erfüllt umzubringen trachten, nicht übersehen sollte. Und gegen die genannte Deutung, daß Abraham vom Paradies aus den ‚Tag Jesu‘ gesehen habe, wendet er ein: „In view of the Jewish background of prophetic vision and the implications of vv 57–58 this is unlikely“ (Komm. 139). Auch von einer visionären Schau der zukünftigen Erlösung, die Abraham zu seinen Lebzeiten bei Gelegenheit einer ‚Himmelsreise‘ zuteil geworden sein soll, wie die Väter bis in die Tage des Maldonatus unsere Passage gedeutet haben, ist hier wohl nicht die Rede. Ähnlich argumentiert noch Becker: „Abraham jubelte, den Tag Jesu zu sehen, konnte Jesu Kommen in seinen Tagen nicht erleben, aber er wurde gewürdigt, den Tag als zukünftigen zu schauen. So sah er ihn und freute sich“ (Komm. I, 364). Doch all diesen und ähnlichen Deutungen gegenüber erklärt Brown treffend: „Yet, John’s whole method of using the OT militates against this view“ (Komm. I, 359; vgl. Hoskyns, Komm. 347 f). 57–58: „Das sagten die Juden zu ihm: Du bist doch noch nicht einmal fünfzig Jahre alt, und da willst du Abraham gesehen haben? Und Jesus antwortete ihnen: ‚Amen, Amen, ich sage euch: Ehe Abraham wurde (prÑn ûAbraÅm genfisjai), bin ich‘. Daraufhin hoben sie Steine auf, um ihn damit zu steinigen. Doch Jesus verbarg sich vor ihnen und ging aus dem Tempel hinaus“. Die ‚fünfzig Jahre‘ sind hier natürlich als eine ‚runde Zahl‘ dem um viele Jahrhunderte ‚älteren‘ Abraham gegenübergestellt. Mit fünfzig scheiden die Leviten aus ihrem Tempeldienst; noch nicht einmal dieses ‚Pensionsalter‘ erreicht zu haben, heißt darum, ein noch junger und aktiver Mann zu sein. Die gelegentlich geäußerte Vermutung, Johannes müsse über Jesu Lebensalter andere Informationen besessen haben als die von Lk 3,23, wonach Jesus bei seinem ersten öffentlichen Auftreten „etwa dreißig Jahre alt“ gewesen ist (ÆseÑ †tùn tri›konta), erscheint uns darum völlig abwegig. Wohl im Bestreben um einen Ausgleich mit diesem Lukastext haben sich einige Kopisten (L* pc) und im Anschluß daran Chrysostomos „hingesetzt und flugs vierzig“ (tesser›konta) anstelle der „fünfzig“ geschrieben; statt ©„raka" lesen P75 a* 0124 sys sa ac2 pbo ©„rakfin se (vgl. Metzger, Comm. 226). Weil Jesu Gegenspieler mehr an der Pflege ihres Denkmals ‚Abraham‘ als an dessen ‚Nachfolge‘ auf dem Weg seiner ‚Werke‘ interessiert erscheinen, kommt es erneut zu einem ‚Mißverständnis‘ ihrerseits. Wenn sie Jesus nämlich fragen „und du als ein noch nicht Fünfzigjähriger willst Abraham gesehen haben?“, so unterstellen sie Jesus damit einen Anspruch, den er gar nicht erhoben hatte. Denn nicht, daß er Abraham gesehen habe, hatte Jesus gesagt, sondern umgekehrt, daß Abraham jubelnd darüber frohlockt habe, daß er den Tag Jesu sehen sollte und daß er ihn danach dann voller Freude auch tatsächlich gesehen habe. Und Abraham konnte das, weil da mit unumstößlicher Wahrheit gilt: ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn, prÑn ûAbraÅm genfisjai, †g„ e¢mi. Als Entsprechung des genfisjai erwartet der Leser ein Tempus der Vergangenheit wie ≥mhn. Doch diese Erwartung wird durch das grammatisch harte Präsens e¢m‡ enttäuscht; statt „ehe Abraham wurde, war ich“ heißt es – fraglos eine absichtsvolle Herausforderung des Lesers – „Ehe Abraham wurde, bin ich“. Das ist zum einen ein Spiel mit dem schon aus 6,20; 8,24 und 28 geläufigen absoluten und durch Jes 42 f inspirierten †g„ e¢mi, zum anderen aber werden hier wie bereits im Prolog „common words used in an uncommon way“. Damit hatte F. Kermode die Beziehung zwischen dem én, das in den beiden Eingangsversen des Prologs gleich vierfach gebraucht wird, und dem ihm folgenden 450
Erste Szene: Fortsetzung der Auseinandersetzung mit den Pharisäern
8,56–59
†gfineto charakterisiert (s. o. zu Joh 1,1 f). Wie das e¢m‡ von 8,58 im Selbstzeugnis Jesu, so hatte das én in der hymnischen Sprache des Prologs nicht den episodischen Sinn eines „Es war einmal …“, sondern diente der dreifältigen Bestimmung des l∙go" hinsichtlich seiner Existenz (†n ürcÔö én), seiner Relation zu Gott (én prÖ" tÖn je∙n) und seiner Prädikation als Gott (jeÖ" én). Mit einem vierten én rekapituliert V. 2 das noch einmal. Es geht also nicht darum, die Geschichte einer vergangenen Zeit zu erzählen, sondern allein darum, mit Hilfe der Wörter én und †gfineto das ewige „Sein“ des Logos jenseits von Sein und Zeit zu preisen. Beide Wörter definieren sich wechselseitig und das macht sie zur „Achse“, um die sich in diesem Prolog alles dreht; und indem ihr Kontext sie vom normalen Sprachgebrauch trennt, werden sie zu einer „eigentümlich verschlüsselten Kraft“, die sie für die Lektüre des gesamten Evangeliums bestimmend werden läßt (Kermode, St. John as Poet). Wie das én im Prolog so bezeichnet hier das e¢m‡ das Sein im Unterschied zum Werden und Geschehen (†gfineto). Während alles Werden und Geschehen einen Anfang ebenso wie ein Ende hat, ist das Sein dagegen anfangs‑ und endlos. én prädiziert ebenso wie hier e¢m‡ den transzendenten Schöpfer, †gfineto aber die Welt der geschaffenen Dinge. „Gott im Alten Testament und sein Sohn im Neuen haben über das Verbum ‚sein‘ spezifische Rechte; wenn sie sagen ‚Ich bin‘ machen sie ihre göttliche Autorität geltend“ (Kermode, St. John as Poet 7; vgl. Brown, Komm. I, 360). Und wie dieses ‚Ich bin‘ immer zugleich ein ‚Ich war‘ und ein ‚Ich werde sein‘ einschließt, so läßt sich auch das én des Prologs nicht auf irgendeinen kalenderzeitlichen Abschnitt reduzieren, sei das in die Zeit vor dem Sündenfall oder sei es in die Zeit des historischen Jesus. Wenn Jesus hier erklärt, prÑn ûAbraÅm genfisjai †g„ e¢mi (8,58), und wenn er noch vor seiner Kreuzigung mit der unverkennbaren Stimme des Auferstandenen sagt: †gá nen‡khka tÖn k∙smon (16,33), dann wird deutlich, daß hier mehr im Spiel ist als der Einsatz der literarischen Stilmittel von Retrospektion, Prolepse und Antizipation. Da zeigt sich vielmehr, daß Gott und sein Logos Herren der Zeit und von zeitlichen Kategorien nicht begrenzt sind; vgl. Marquardt, Christologie II, 301 f. Dadurch, daß die Itala und D das genfisjai auslassen, verderben sie die Pointe das Satzes. 59: Zu der Notiz: éran oên l‡jou" ºna b›lwsin †pû a§t∙n, bemerkt Brown, daß der herodianische Tempelbau noch nicht vollendet gewesen sei und deshalb unter dem Baumaterial auch Steine im Tempelvorhof herumgelegen hätten; und zu dem nahezu unvorstellbaren Vorgang einer Steinigung innerhalb des heiligen Tempelbezirks verweist er, wie vor ihm schon Bauer (Komm. 132), auf Josephus, Ant. XVII, 216 (Komm. I, 360). Auf diese Stelle hatte im übrigen schon Schlatter mit den Worten verwiesen: „Steinigungen im Tempel geschahen wiederholt“ (Evangelist 221, wo er außerdem noch bell II, 225 und 445 nennt). Doch das ist insofern keine Analogie als da nicht von irgendeiner ‚Steinigung‘ eines Einzelnen die Rede ist, sondern von einem förmlichen Volksaufstand, der sich während eines Passafestes unmittelbar nach dem Tode Herodes des Großen ereignet haben soll. Als dann Archelaus – der freilich vom Caesar noch nicht bestätigte und im Volk verhaßte Nachfolger des Herodes – ‚Soldaten‘ mit dem Befehl ausgeschickt habe, die ‚Rädelsführer‘ zu verhaften und ihm vorzuführen, sollen diese ‚Gesetzeslehrer‘ (†xhgfltai) die Pilgermassen derart aufgehetzt haben, daß die sich auf die Soldaten gestürzt und die meisten von ihnen umgebracht hätten (ørmhs›n te †pÑ toÜ" strati„ta" kaÑ perist›nte" katale‚ousi toÜ" ple‡stou" a§tùn). Als einen Fall versuchter Lynchjustiz durch eine aufgebrachte 451
9,1–41
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Menge beurteilen auch Schlatter (ebd.: „heben Steine auf, um an dem Gotteslästerer Volksjustiz zu üben“) und Morris (Komm. 474: „so they took the law into their own hands“) die Situation und erklären wie Brown das Vorhandensein von Steinen damit, „that building operations were still in progress“ (Morris ebd.). Da wir jedoch hinsichtlich der möglichen Historizität unserer Szene nicht nur wesentlich skeptischer sind als diese und andere Autoren, sondern sie als eine fiktionale Komposition des Evangelisten ansehen, braucht uns hier die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer Steinigung im Heiligtum und nach dem Woher der dazu notwendigen Steine nicht zu kümmern. ûIhsoú" dÇ †kr‚bh kaÑ †xöljen †k toú ´eroú: Obwohl der passivische Aorist in der LXX des öfteren mit medialer Bedeutung im Sinne von „er verbarg sich“ gebraucht wird (vgl. Gen 3,8.10; Jud 9,5; 1Kön 13,6; 14,11; Hiob 24,4; 29,8 u. ö.), legen es Genre und Kontext der Erzählung wohl näher, †kr‚bh hier als wirkliches Passiv beim Wort zu nehmen: „er wurde verborgen“. In diesem Sinn erklärt Morris: „John is perhaps hinting that God protected His Son. It is not so much that Jesus by superior cleverness was able to conceal Himself from them“ (Morris ebd.). Ähnlich haben schon frühe Abschreiber gedacht, denn auch wenn der Text, wie ihn P66.75 a* B D W Q* pc lat sys sa ac2 pbo boms bezeugen, fast sicher mit ´eroú schließt, haben sie ihn „in order to give the impression that Jesus escaped by miraculous power“ durch eine Anleihe aus Lk 4,30 um die Worte dielján diÅ mfisou a§tùn erweitert und ihm zur Vorbereitung von 9,1 hinzugefügt: kaÑ parögen oætw". Doch „if any of these longer texts were original, there is no reason why the best representatives of the earliest texttypes should have omitted it“ (Metzger, Comm. 227). Versteht man ûIhsoú" dÇ †kr‚bh in diesem passiven Sinn, dann braucht man auch nicht wie Zahn zu psychologisieren und von den mit Steinen bewaffneten Juden zu sagen: „Einen Augenblick müssen sie gezögert haben, welchen Jesus benutzte, sich ohne Aufsehen zu entfernen und den Tempelplatz zu verlassen“ (Komm. 434).
Zweite Szene: Das Zeichen der Heilung eines Blindgeborenen (9,1–41) Auch wenn wir – im Blick auf die Komposition des gesamten Evangeliums – diese Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen hier als die zweite Szene seines vierten Aktes (8,12–12,50) behandeln, ist sie für sich betrachtet, ebenso wie die Erzählung von der Auferweckung des toten Lazarus (11,11–44), doch ein eigenes kleines Dramolett mit einer Folge von sieben deutlich voneinander unterscheidbaren Auftritten wechselnder Konstellationen ihrer Personen. Und wie hier Jesu vorausgegangene Rede und sein Streit mit den ûIoudaõoi (8,20–59) durch das shmeõon der Heilung eines Blindgeborenen gleichsam autorisiert wird (9,1–39), so wird sein Dialog mit seinen Jüngern über die Krankheit des geliebten Freundes Lazarus (11,1–10) in den V. 11–44 durch das shmeõon von dessen Auferweckung aus dem Grabe seine Verifikation erfahren. Wegen dieser Korrespondenz der beiden jeweils durch ein „Zeichen“ bestätigten Passagen 8,20–9,39 und 11,1–46 hat Østenstad sie als B und B' bezeichnet (s. o. zu 8,12).
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Zweite Szene: Das Zeichen der Heilung eines Blindgeborenen
8,59–9,1
(1) Jesus trifft den Blindgeborenen und tut ihm die Augen auf (9,1–7) 1
Und als er vorüberging, sah er einen Mann, blind von Geburt an. 2 Und seine Jünger fragten ihn: Rabbi, wer hat denn gesündigt, dieser Mann oder seine Eltern, weil er doch blind geboren wurde? 3 Und Jesus antwortete: Weder hat dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern (er wurde blind geboren), damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden sollten. 4 Wir müssen die Werke dessen, der mich gesandt hat, wirken, solange es Tag ist. (Denn) es kommt die Nacht, in der keiner mehr wirken kann. 5 Jedesmal wenn ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6 Als er das gesagt hatte, spie er auf die Erde und machte einen Teig aus dem Speichel, strich ihm den Teig auf die Augen 7 und sagte zu ihm: Geh hin und wasche dich im Teich des Siloah, das heißt übersetzt: Gesandter. Und er ging hin, wusch sich und kam sehend zurück. Wenn W. D. Davies die letzten Worte des vorigen Szene: kaÑ †xöljen †k toú ´eroú, in dem Sinne symbolisch begreifen will, daß der „Ich-Bin“, indem er den Tempel verlasse, nun den ûIoudaõoi definitiv den Rücken kehre, um sich der leidenden Menschheit zuzuwenden, die er in der Gestalt des Blindgeborenen vor den Toren des Tempels repräsentiert sieht (The Gospel and the Land 1974, 295), so scheint uns das weit überzogen zu sein. Denn zum einen ist der hier als ±njrwpo" tuflÖ" †k genetö" Bezeichnete zwar weder ein Farisaõo" noch ein ûIoudaõo" in dem Sinne wie seine und Jesu Antagonisten hier gezeichnet werden, gleichwohl ist er jedoch fraglos wie diese ein Jude, ein Sohn Abrahams, von denen (und zu dem) das Heil kommt. Und zum anderen wird Jesus ja beim Fest der †gka‡nia in einer äußerst symbolträchtigen Szene, die wohl als ein Spiel mit der synoptischen Verhandlung gegen Jesus vor dem Sanhedrin begriffen sein will und zugleich die Peripetie des gesamten Evangeliums bildet (Wyller), „umringt von den ûIoudaõoi“, erneut †n parrhs‡a in der stoÅ toú Solomùno" des Tempels lehren (10,22–39). Von Gewicht ist dagegen, daß unsere neue Szene nicht durch ein metÅ taúta oder dergleichen und durch die erneute Nennung des Namens ¨ ûIhsoú" vom Vorausgehenden getrennt, sondern durch kaÑ par›gwn eèden und die in V. 2 folgenden Pronomina a§t∙n und a§toú so eng wie nur irgend möglich mit ihm verbunden ist. Morris macht darauf aufmerksam, daß es jenseits der Jesus-Erzählungen (Mt 9,27 ff; 12,22 f; 15,30 f; 21,14; Mk 8,22 ff; 10,46 ff; Lk 7,21 f und Joh 9) weder in antiken Texten noch im Alten Testament Berichte von Blindenheilungen gibt (Komm. 475). Allein Gott vermag den Stummen redend und den Blinden sehend zu machen (Ex 4,11); „Jhwh tut auf das Auge der Blinden“ (Ps 146,8). Und das ist Teil seines eschatologischen Heilswerkes: „An jenem Tag werden auch die Tauben die Worte des Buches hören, und aus dem Dunkel der Finsternis werden die Augen der Blinden sehen“ (Jes 29,18) und: „Sehet da, euer Gott! … Er selber kommt, euch zu retten. Dann öffnen sich die Augen der Blinden, und die Ohren der Tauben tun sich auf. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen jubelt“ (Jes 35,4 f). Und seinem erwählten Knecht, an dem er sein Wohlgefallen hat, sagt er: „Ich, Jhwh, habe dich in Gerechtigkeit berufen; ich habe deine Hand erfaßt und dich gebildet. Ich habe dich zum Bund für das Volk gemacht und zum Licht für die Heiden, daß du blinde Augen öffnest, 453
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Gefangene aus dem Gefängnis befreist und aus dem Kerker, die im Finsteren sitzen“ (Jes 42,6 f). „Ich führe Blinde auf dem Wege und lasse sie auf Pfaden schreiten. Das Dunkel mache ich vor ihnen zum Licht und wandle das Holperige zu ebenem Weg“ (42,16). „Zu wenig ist’s, daß du mein Knecht nur seiest, die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und zurückzubringen, was aus Israel noch übrig ist. Ich mache dich zum Licht der Heiden, daß mein Heil bis an die Grenzen der Erde reiche“ (49,6). Diese Texte machen die unmittelbare Zusammengehörigkeit von Joh 8 und 9 evident, und als sein messianischer Gesandter, auf dem der Geist Jhwhs ruht (Jes 11,2; 42,1; Joh 1,32), und als der, der da erklärt: †g„ e¢mi tÖ fù" toú k∙smou (8,12) vollstreckt Jesus hier Gottes eigenes eschatologisches „Werk“ an dem Blindgeborenen (9,3 f). 1 f: Die klassisch oft bezeugte Wendung †k genetö" findet sich im Neuen Testament nur hier (in der LXX nur Lev 25,47). Noch knapper läßt sich wohl nicht ausdrücken, daß Jesus zugleich mit dem blinden Mann dessen ganze durch seine angeborene Blindheit geprägte Lebensgeschichte ‚sieht‘. Erst durch ihr Fragen: „Rabbi, hat dieser gesündigt oder seine Eltern, daß er blind geboren wurde?“, erfährt der Leser, daß Jesus nicht allein, sondern mit „seinen Jüngern“ unterwegs ist. Dabei dürfte o´ majhtaÑ a§toú hier wohl die „Zwölf “ bezeichnen. Denn seit sich „viele seiner Jünger“ von Jesus wegen der „Härte seiner Worte“ abgewandt und ihm die Nachfolge aufgekündigt hatten und seit Petrus stellvertretend für die Zwölf erklärt hatte: „Herr, wohin sollten wir denn gehen. Du hast doch Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist“ (6,66 ff), waren allein sie ja bei Jesus und seinem Wort „geblieben“ und waren Augen‑ und Ohrenzeugen all dessen geworden, was er gesagt und getan hat. Für diese feste Verbindung Jesu mit ihnen spricht auch der sie verbindlich einschließende und verpflichtende Plural: ™mô" deõ †rg›zesjai tÅ ≤rga toú pfimyant∙" me in V. 4. Und weil da gilt: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr hingeht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibe“ (15,16), wird selbst die „kommende Stunde“, da sie „ein jeder in das Seine zerstreut und Jesus allein lassen werden“ (16,32), sie nicht von ihm trennen können. Dadurch aber, daß der Erzähler die nachfolgenden Jünger nicht sogleich in V. 1 nennt, sondern sie eher beiläufig als die erscheinen läßt, die Jesus fragen, wer denn da wohl ‚gesündigt habe‘, macht er deutlich, daß hier alle Initiative allein von Jesus ausgeht (vgl. Morris, Komm. 477; das ºna dem Satz: ºna tuflÖ" genhjÔö, bezeichnet Zahn als „einen der seltenen Fälle, wo ºna kaum von øste zu unterscheiden“ sei [Komm. 435]). Die Frage der Jünger impliziert, daß sie Jesu Wissen darum teilen, daß dieser Mann bereits blind geboren wurde. Über das Woher dieses Mitwissens wird nichts gesagt und braucht nichts gesagt zu werden; dem Leser muß es genügen, daß sie es wissen. Wichtiger ist, daß der Erzähler seine Hörer/Leser dadurch absichtsvoll in die Welt jüdischer Schriftgelehrsamkeit und rabbinischer Dispute versetzt, daß er die Jünger Jesus hier mit ‚Rabbi‘ anreden läßt. Die Jüngerfrage setzt ja auf jeden Fall voraus, daß zwischen Krankheit und Sünden ein geheimnisvoller Konnex besteht (s. o. zu 5,14). Das theoretisch unlösbare Dilemma entsteht daraus, daß in der Bibel auf der einen Seite die Drohung steht, Gott werde die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied (Ex 20,5; Dtn 5,9; 23,3; Num 14,33 f; Thr 5,7); und daß sich gegen solche Art von ‚Sippenhaftung‘ auf der anderen Seite aber im Namen der Gerechtigkeit der berechtigte Protest der Propheten erhebt: „In jenen 454
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Tagen wird man nicht mehr sagen: Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern werden die Zähne stumpf. Vielmehr wird dann jeder nur um seiner eigenen Schuld willen sterben“ (Jer 31,29 ff; Ez 18,2 ff; Dtn 24,16; vgl. Zahn, Komm. 435 f). 3–5: Jesus aber läßt sich auf diese Frage der theoretischen Vernunft nach der a¢t‡a der Blindheit des Mannes nicht ein, sondern redet allein von deren tfilo" in der göttlichen Heilsökonomie: „Weder dieser noch seine Eltern haben gesündigt, sondern (er ist blind geboren), damit die Werke Gottes an ihm offenbar würden“. „Jesus was asked about the cause of the man’s blindness, but he answers in terms of its purpose“ (Brown, Komm. I, 371). Eine unmittelbare Analogie zu dieser Ersetzung der kausalen Frage nach Ursachen und deren Wirkungen durch den teleologischen Blick auf das göttliche Ziel und den Zweck irdischen Geschehens findet sich Joh 11,4: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Doxa Gottes willen, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde“. Auch Jesu nun in 9,4 folgendes Wort: „Wir müssen die Werke dessen tun, der mich gesandt hat, solange es Tag ist. Es kommt (aber) die Nacht, in der keiner mehr wirken kann“, hat in der Lazarus-Erzählung seine exakte Entsprechung: „Hat nicht der Tag zwölf Stunden? Wenn einer am Tage wandelt und handelt (als Ausdruck für den ‚Lebenswandel‘ schließt peripatÔö Handeln und Wandeln ein), kommt er nicht zu Fall, denn er sieht das Licht dieser Welt. Wenn einer dagegen in der Nacht wandelt, kommt er zu Fall, weil das Licht nicht in ihm ist“ (11,9 f). Im Hintergrund dieser Aufforderungen zu wirken, solange es Tag ist, sieht Dodd unter Hinweis auf entsprechende rabbinische Parallelen weisheitliche Sprichwörter, die fordern, angesichts des gewissen Todes die gewährte Lebenszeit zu nutzen (Hist. Tradition 186 und 316 ff). Das hat fraglos sein gewisses Recht. Wichtiger ist es jedoch, darüber nicht zu übersehen, daß diese Worte Jesu eine spezifische Referenz zu der „christologischen Interpretation von Gen 1“ haben (Burkett, The Son 164 f; vgl. Grob 30 ff). Diese Anknüpfung an Gen 1 wurde bereits durch den Prolog eröffnet und durch 8,12 nachdrücklich in Erinnerung gerufen. Und wenn Jesus hier nun erklärt: „Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist. Es kommt (aber) die Nacht, in der keiner mehr wirken kann“, so nimmt er mit diesem seine Jünger in seine Sendung einschließenden „Wir“ implizit schon vorweg, was er ihnen ausdrücklich erst am Ostertage sagen und wozu er sie durch die ‚Einhauchung‘ des heiligen Geistes ermächtigen wird (20,21). Mit dem in V. 5 folgenden Satz: Ωtan †n tù k∙smw ë, fù" e¢mi toú k∙smou, stellt er dann selbst die Verbindung her zwischen der ‚sprichwörtlichen‘ Rede von Tag und Nacht mit seinem †g„-e¢mi-Wort von 8,12 sowie mit dem an Gen 1,3 anknüpfenden Prologsatz: kaÑ ™ zwÉ én tÖ fù" tùn ünjr„pwn (1,4). Gegen die Mehrheit der Exegeten will das Lexem Ωtan hier ganz buchstäblich beim Wort genommen werden: Es heißt „so oft“ oder „jedesmal wenn“ und darf keinesfalls einfach mit dem ∫w" („so lange“) des vorangehenden Satzes identifiziert werden, als ob das Licht mit dem Sterben Jesu und seiner ersten Jünger aus der Welt verschwände und nicht vielmehr gerade darin erst recht aufleuchtete und die Möglichkeit seines „Bleibens“ bei den Seinen eröffnete: „The ‚whenever‘ (Ωtan) indicates repeated visits of the Light to the world. As often as Jesus is in the world, he is its light. The statement presupposes that Jesus was the LightWord of Gen 1,3 who previously came in the world at creation. In the incarnation, he has again been sent into the world to be its light. On these and any other occasions when Jesus has been or will be in the world, he is its light“ (Burkett, The Son 165; s. o. zu Joh 3,13). In diesem Zusammenhang seines wiederholten „Kommens“ in die Welt 455
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wollen auch die Zeugnisse Abrahams, Moses und Jesajas für Jesus verstanden sein. Dieser Einwand trifft auch den geistreichen Vorschlag zu einer neuen Interpunktion von 9,3 f durch Poirier (Day and Night), der im Gefolge von Martyns Zwei-Ebenen-Drama in den ™mô" von 9,4 die Stimme einer johanneischen Gemeinde der Zeit des Evangelisten hören will und die Lexeme ∫w" und Ωtan miteinander identifiziert. 6–7: Ohne daß der blinde Mann auch nur ein einziges Wort gesagt, geschweige denn eine Bitte um Heilung ausgesprochen hätte, hat Jesus mit seinem eèden (V. 1) den stummen Hilferuf des seit seiner Geburt Blinden längst vernommen und vollbringt an ihm nun das ihm aufgetragene ‚Werk Gottes‘. Dieser Zug der alleinigen Initiative Jesu unterscheidet unsere Erzählung deutlich von derjenigen der Heilung des Blinden von Jericho bei Mk 10,46–52 / Lk 18,35–43 (bzw. der beiden Blinden bei Mt 20,29–34; vgl. Mt 9,27–31), der Jesus mit den Worten anruft: u´Ç DauÑd ûIhsoú, †lfihs∙n me. Auch wird der Blinde hier nicht – wie der von Bethsaida bei Mk 8,22–26 – von anderen zu Jesus gebracht (ffiousin a§tù tufl∙n), die ihn dann gebeten hätten, ihn zu heilen (ºna a§toú πyhtai). Kurz: Unter der Perspektive der in der Synoptiker-Exegese erprobten Scheidung von ‚Quelle‘ und ‚Redaktion‘ läßt sich keine der in den synoptischen Evangelien erzählten Blindenheilungen als die Quelle der durch und durch literarisierten Fügung von Joh 9,6–7 identifizieren. Erst recht aber ist die Behauptung, Johannes folge hier einer vermeintlichen Semeia-Quelle, ein leeres und gänzlich unbegründbares Postulat. Dagegen könnten aber die nicht nur postulierten, sondern ja tatsächlich vorhandenen und überprüfbaren synoptischen Erzählungen unter dem Gesichtspunkt der Intertextualität dem Leser durchaus aufgeben, gerade die oben erörterte Differenz zwischen diesen Prätexten und Joh 9 zu bedenken. Und speziell mit Mk 8,22–26 hat unsere Erzählung ja nicht nur gemein, daß Jesus hier wie da die Augen des Blinden mit seinem Speichel behandelt, sondern darüberhinaus sind diese beiden Erzählungen auch durch ein hohes Maß symbolischer Obertöne miteinander verbunden. Jesu mühsame und doppelte Kur an dem Blinden von Bethsaida, der zuerst nur verschwommene und schattenhafte Bilder und erst nach dem zweiten Heilungsversuch alle Dinge klar vor Augen sieht, dient bei Markus dazu, die „verhärteten Herzen“ der Jünger zu erweichen, ihre blinden Augen aufzutun und ihre tauben Ohren zu öffnen (£fjalmoÜ" ≤conte" o§ blfipete kaÑ ëta ≤conte" o§k üko‚ete: 8,17 f), so daß Petrus als ihr Sprecher mit seinem Bekenntnis: „Du bist der Christus“ (Mk 8,29), die Wahrheit schon schattenhaft erkennt, wie zuvor der Blinde. In voller Klarheit aber wird sie sich ihm erst erschließen, wenn er endlich beginnt, tÅ toú jeoú anstelle von tÅ tùn ünjr„pwn zu denken und zu begreifen, daß dieser Messias anders, daß er einer ist, der zuvor viel leiden, verachtet und getötet werden muß und nach drei Tagen auferstehen wird (Mk 8,31–33). Wie also bei Markus die Heilung des Blinden von Bethsaida ihr symbolisches Gegenüber in der Blindheit der Jünger hat und die mühsame Genese von deren Glauben vorabbildet, so stehen dem Blindgeborenen von Joh 9 die Pharisäer gegenüber, die sich sehend wähnen und gerade darum aber von ihrer Blindheit gefesselt bleiben. Zu den in der Antike aller ärztlichen Kunst als unerreichbar geltenden Heilungen Blinder, die nur ein Gott oder ein göttliches Wunder bewirken kann, hat Schrage das einschlägige Material gesammelt und erörtert (Art. tufl∙" 273 ff). Als ein göttliches Wunder gilt auch die mehrfach berichtete Heilung eines Blinden durch den eben zum Caesar erhobenen Vespasian: Wie Jesus in unserer Erzählung und bei Mk 8,23 soll der Kaiser dazu die Augen des Blinden ebenfalls mit seinem Speichel benetzt haben, welcher der Antike als heilkräftig galt. Tacitus erklärt zu diesem
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Bericht, das „remedium caecitas“ gehöre zu den „multa miracula, quis caelestis favor et quaedam in Vespasianum inclinatio numinum ostenderetur“ (Hist. IV,81). Ähnlich meint Sueton, daß Vespasian erst durch seine Heilung des Blinden (und eines Lahmen) „seine von Gott bestätigte maiestas“ gewonnen habe (Caes VIII 7,2 f; vgl. Dio C 66,8). Auch den Rabbinen gilt menschlicher Speichel als Heilmittel. Nach Baba Bathra 126b ist es traditionelle Ansicht, daß der Speichel (qwr) des Erstgeborenen des Vaters (Augenkrankheiten) heilt; daß dagegen der Speichel des Erstgeborenen der Mutter nicht heilt (Bill. II, 15). Aber wegen der Nähe derartiger Speichel-Therapien zu heidnischer Magie hat sie schon R. Akiba verboten und demjenigen, der sie ausübt, die Teilhabe am kommenden Äon abgesprochen (vgl. Bill. ebd. und Beasley-Murray, Komm. 155). Der singuläre Zug, daß Jesus die Augen des Blinden mit einem ‚Teig‘ aus Speichel und Erde ‚salbt‘, hat die frühen Väter wohl nicht zufällig an die Erschaffung des Menschen aus feuchter Erde in Gen 2.7 erinnert. So erklärt etwa Ammonius von Alexandria dazu: „deõxai boul∙meno" diÅ toú phloú, Ωti a§t∙" †stin ¨ kaÑ tÖn ûAdÅm üpÖ phloú pl›sa"“ (Frgm. 317 bei Resch, Joh. Kommentare 276; vgl. Frgm. 63 des Photius von Konstantinopel: ebd. 387). Und Irenaeus führt aus, daß der Logos hier öffentlich ergänze, was er in der Verborgenheit des Mutterleibes versäumt habe, damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden sollten (Adv. Haer. 15,2; vgl. Beasley-Murray, Komm. 155). Ephraem erklärt in seinem Diatessaron-Kommentar: „Er schuf Augen aus dem Teig“ (vgl. Metzger, Comm. 227 f). – „Daß es sich um die Heilung eines tuflÖ" †k genetö" handelt, soll“, wie V. 32 nachdrücklich unterstreicht, fraglos „die außergewöhnliche und alles Dagewesene übersteigende Größe des Wunders veranschaulichen“. Doch nicht nur dies, weshalb Schrage dem zitierten Satz hinzufügt, daß „sich damit bereits der symbolische Horizont“ ankündige, „in dem man die Geschichte zu verstehen hat: Der Mensch ist von Natur aus, †k genetö", blind für das Licht der Offenbarung“ (ebd. 290).
Wenn der Erzähler Jesu Befehl: æpage n‡yai e¢" tÉn kolumbfltran toú Silw›m, durch die Worte kommentiert: ≈ ©rmhne‚etai üpestalmfino", so soll das gewiß nicht lediglich der sprachlichen Information eines des Hebräischen unkundigen Lesers durch eine dazu noch fragwürdige Volksetymologie dienen. Dieser Kommentar hat vielmehr symbolische Bedeutung. Denn ohne ihn wäre ™ kolumbfltra toú Silw›m ja nichts anderes als der bekannte Name jenes Wasserbeckens, das Hiskia einst angelegt hatte (2Kön 20,20). Weil diese kolumbfltra durch einen unterirdischen Tunnel mit dem „lebendigen Wasser“ der Gihon-Quelle gespeist wurde, wird sie selbst in einer targumischen Paraphrase von Cant 4,15 als ein „Brunnen lebendigen Wassers“, µyyj ˆyym rab, bezeichnet, und Josephus erklärt, daß die Juden jene „süß und reichlich fließende Quelle“ SilwÅ phgfl nennen (Bell. V,140.145; vgl. Grigsby 229). Das Siloah-Wasser diente vornehmlich kultischen Zwecken und zumal den täglichen Wasserspenden während des achttägigen Laubhüttenfestes (vgl. Joh 7 f und besonders 7,37 ff). – Mit Seilw›m gibt die LXX das hebräische jlçh von Jes 8,6 und mit Silw›m das konsonantengleiche Lexem von Neh 3,15 (S) wieder. Der Jesaja-Text ist ein Drohwort gegen Juda: „Weil es die sanft fließenden Wasser Siloahs verachtet hat, soll es von den starken und vielen Wassern des Euphrat (nämlich von den feindlichen Mächten des Ostens) verschlungen werden“. Bultmann hält es für „möglich, daß der Evangelist angesichts des Unglaubens der Juden an Jes 8,6 denkt“ (Komm. 253, Anm. 3). Doch da von den Juden, geschweige denn von ihrem Unglauben, in unserer Erzählung bisher überhaupt noch nicht die Rede war, kann das nicht die primäre Bedeutung der Aufforderung an den Blindgeborenen sein, sich im Siloah-Teich zu waschen, zumal dafür dessen ©rmhne‚esjai als üpestalmfino" mehr als überflüssig wäre. Darum mag sich die von Bultmann erwogene Assoziation bestenfalls nach der Lektüre des gesamten Kapitels als zusätzliche einstellen. Primär muß es hier jedoch um anderes gehen. Darauf, daß dabei nur Messianisches im Spiel sein kann, 457
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verweist schon das in diesem Evangelium geradezu zum messianischen Prädikat gewordene Partizip üpestalmfino". Denn üpostfillw (und/oder seine Derivate) begegnen 28mal im Evangelium und dreimal im 1Joh; ebenso häufig, nämlich 32mal, erscheinen darüberhinaus Formen seines unmittelbaren Synonyms pfimpw (vgl. Grigsby 234). K. Müller macht darauf aufmerksam, daß die enge Verklammerung von Jes 8,5–8 und Joh 9,7 mit dem Schilo-Spruch von Gen 49,10 bei Euseb (Demonstratio Evangelica 7,333; ed. MG 22,524) einen Hinweis zur Lösung unseres Problems bieten könnte. Euseb erklärt nämlich „©rmhne‚etai gÅr SilwÅm üpestalmfino"“ so: oñto" dû …n e¥h ¨ †k toú patrÖ" ™mõn üpestalmfino" jeÖ" l∙go": perÑ oñ kaÑ Mwsö" fhs‡n: o§k †kle‡yei ±rcwn †x ûIo‚da, o§dÇ ™go‚meno" †k tùn merùn a§toú, ∫w" …n ≤ljÔh ó üp∙keitai, kaÑ a§tÖ" ≤stai prosdok‡a †jnùn. üntÑ gÅr ó üp∙keitai tÖ ßEbraikÖn SilwÅm perificei, tÖn †ntaúja Silw›m, toútû ≤sti tÖn apestalmfinon, kakeõ dhloúnto" toú l∙gou. Dabei bedient sich Euseb ganz offensichtlich der rabbinischen Auslegungsregel: hyç hryzg (= gleiche Satzung, gleiche Verordnung), die „die Anwendung eines Analogieschlusses auf zwei verschiedene Schriftabschnitte aufgrund eines an beiden Stellen vorkommenden gleichen oder ähnlichen Wortes“ gestattet. … Die Gleichsetzung des nomen proprium jlç aus Jes 8,6a (1QJesa: jlyç) und des Begriffes hlyç / hlç aus Gen 49,10b sub voce Silw›m / üpestalmfino" beruht für die eusebianische Auslegung von Joh 9,7b auf der Austauschbarkeit der Schlußkonsonanten h und j. Solcher Wechsel von h und j im Interesse einer exegetischen Deduktion ist in der rabbinischen Literatur nicht nur wiederholt belegbar, sondern entspricht einer offiziell gut geheißenen Technik des Schriftgebrauchs, für die sich schon im Midrasˇ der Schule Jisˇmaels die Einleitungsformel … ‚lies nicht …, sondern‘ nachweisen läßt“ (K. Müller, Joh 9,7, 252 f). Daß der schon früh messianisch gedeutete Segen Jakobs über Juda von Gen 49,8–12 und insbesondere dessen V. 10 aber nicht erst von Euseb mit Joh 9,7 in Zusammenhang gebracht wurde, sondern bereits in Joh 9,7 selbst impliziert ist und „der genuine Anlaß des schwierigen, meist zur Glosse abgewerteten Relativsatzes ≈ ©rmhne‚etai üpestalmfino"“ sein dürfte, haben Müller (ebd.) und Reim (Zu Joh 9) als überaus wahrscheinlich erwiesen. Die früh einsetzende messianische Deutung von Gen 49,8–12 in Qumran, durch die Targumisten und Rabbinen hat Müller (ebd. 254 f) sorgfältig registriert. Doch daß der Juda-Segen nicht erst durch diese Ausleger ‚messianisiert‘ wurde, sondern schon von Haus aus nie anders als messianisch gemeint war und so verstanden sein wollte, erweist seine Auslegung durch G. von Rad (Gen-Komm. 371 f). Die V. 10 und 11 des Juda-Segens lauten: „Nicht weicht das Szepter von Juda, / noch der Herrscherstab von seinen Füßen. / Bis daß sein ‚Herrscher‘ kommt (HT: hlyç abyAyk da), / dem der Gehorsam der Völker gehört. // Er bindet seinen Esel an den Weinstock / und an die Rebe das Füllen seiner Eselin. / Er wäscht im Wein sein Gewand / und in Traubenblut seinen Mantel“. Von Rad erklärt dazu: „Trotz mancher offener Fragen muß man an dem messianischen Verständnis des Spruches festhalten. Der Spruch weissagt die Dauer des Königtums in Juda und dann nach einer deutlich vermerkten Zäsur (‚bis daß‘) das Kommen eines Herrschers über die Völker, mit dem sich zugleich eine paradiesische Fruchtbarkeit für das Land verbindet. Gerade dies Letztere gehört ganz unveräußerlich zu der Erwartung eines ‚Gesalbten Jahwehs‘; wo er regiert, herrscht paradiesischer Friede und paradiesische Fruchtbarkeit (Jes 11,1–9; Hes 34,23–31; Am 9,11–15; Ps 72,16)…“ (ebd. 372). Auch wenn wir Reims Rekonstruktion der vermeintlichen Genese von Joh 9 nicht zu folgen vermögen, teilen wir doch sein Urteil, daß für den Evangelisten derjenige, dem nach Gen 49,10 „der Gehorsam der Völker gehört“, und der Knecht Gottes, der nach Jes 42,6 f und Jes 49,6 als „das Licht der Völker“ den Blinden die Augen öffnen soll, „ein und dieselbe Person ist“ (Zu Joh 9,250). Denn das bestätigt die unmittelbare Folge der V. 6 f auf V. 5, der eine ‚Wiederaufnahme‘ von Jesu Wort: „Ich bin das Licht der Welt“ (8,12) ist und auf diese Weise Jes 42,6 f und Gen 49,8–12 miteinander verknüpft. Müller faßt das Ergebnis seiner Untersuchung von Joh 9,7 im Blick auf das „jüdische Verständnis des Sˇiloh-Spruches“ so zusammen: „Wie das exegetisch technische Fundament wird auf der Linie dieser Erklärung auch der sachliche Zusammenhang der ©rmhne‡a in Joh 9,7b mit dem nomen proprium Silw›m unmittelbar einsichtig. Jes 8,6a steuert abgesehen von der durch die LXX gesicherten Gleichung jlyç = Silw›m zur Aussage von Joh
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9,5–7
9,7b nichts bei. Der inhaltlich tragende Beleg ist der durch eine hwç hryzg mit Jes 8,6a verklammerte Sˇiloh-Spruch: Gen 49,10b. Wie der Blinde durch das Wasser des Siloam seine Sehkraft empfängt, so erhält der Glaube durch Jesus, den erwarteten messianischen Gesandten, das Licht der Offenbarung“ (ebd. 256).
Als einen in diesen Untersuchungen noch nicht zu Tage getretenen weiteren symbolischen Oberton unserer Erzählung fügen wir noch hinzu, daß hier wohl nicht zufällig das Motiv des „lebendigen Wassers“ wieder erscheint. Der Erzähler hatte es bei der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen bei Sychar in unser Evangelium eingeführt (4,13 ff). Auf der Höhe des Laubhüttenfestes (7,37–39) läßt er es Jesus mit diesen Worten wiederaufnehmen: „Wen da dürstet, der komme zu mir, / und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Diesen Worten seines Protagonisten fügt er kommentierend unmittelbar hinzu: „Das sagte er aber über den Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glauben. Denn noch gab es den Geist ja nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht war“ (s. dazu o. z. St.). Längst zuvor hatte er Jesu Wort, er werde den von den ûIoudaõoi abgebrochenen Tempel binnen dreier Tage neu errichten, so kommentiert: „Das sagte er aber von dem ‚Tempel‘ seines Leibes. Und als er dann auferstanden war von den Toten, da erinnerten sich seine Jünger, daß er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte“ (2,21 f). Darum dürften die „Ströme lebendigen Wassers, die aus seinem Leibe fließen werden“ und die ihm nach 19,34 f dann ja auch tatsächlich entströmen, jene endzeitlichen Quellwasser sein, die nach Ez 36,25; 47,1; Sach 13,1; 14,8 dem Tempelfelsen entspringen und das Land mit paradiesischer Fruchtbarkeit erfüllen sollen (s. u. zu 19,31–37). Das bedeutet für unsere Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen, daß Jesu Auftrag: „Geh hin und wasch dich in der kolumbfltra toú Silw›m“, dadurch, daß der Erzähler Silw›m durch sein ©rmhne‚ein als üpestalmfino" nahezu förmlich mit Jesus selbst identifiziert hat, eine doppelte Bedeutung gewinnt: Der physischen Waschung im Wasser Siloahs muß die geistliche durch den Glauben an den ‚Gesandten‘ Gottes entsprechen, von der die folgenden Episoden unseres Kapitels erzählen werden (vgl. Grigsby 233 ff). Wie sich uns oben die Erzählungen von den beiden ersten ‚Zeichen‘ unseres Evangeliums, nämlich vom Weinwunder bei der Hochzeit in Kana (2,1–11) und von der Fernheilung des Sohnes des königlichen Beamten in Kapharnaum, die ebenfalls in Kana geschah (4,46–54), als ein intertextuelles Spiel mit den Wundertaten Elias im Hause der Witwe von Sarepta (1Kön 17) gezeigt hatten, so ist schon oft die Vermutung ausgesprochen worden, daß zwischen Jesu Speisungswunder von Joh 6 und Elisas wunderbarer Vermehrung von zwanzig „Gerstenbroten“ (2Kön 4,42–44) sowie zwischen Jesu Heilung unseres Blindgeborenen und der Reinigung des Syrers Naaman vom Aussatz durch Elisa (2Kön 5) eine ähnliche intertextuelle Beziehung besteht. Für das Verhältnis der Naaman-Erzählung zu Joh 9 hat Brodie diese Beziehung neuerdings als sehr wahrscheinlich erwiesen und sie damit weit über den Rang einer bloßen Vermutung erhoben. Und das gilt, auch wenn er das mit der Überschrift seiner Untersuchung: „Jesus as the New Elisha: Cracking the Code“, angekündigte Programm, das uns ohnehin weit überzogen zu sein scheint, selbst nur durch eine Isolierung der Erzählung vom Rest des Evangeliums einzulösen vermag. Da sich aber die Beziehungen zwischen Joh 9 und 2Kön 5 nicht nur auf den Befehl beziehen, sich zur Beseitigung des Leidens hier im ‚Teich Siloah‘ bzw. da im ‚Jordan‘ zu waschen, sondern, wie die folgenden Episoden 459
9,1–41
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
zeigen werden, auch auf die jeweilige Erkenntnis des Heilers als eines Propheten Gottes, auf die Proskynese der Geheilten sowie endlich auf die denkwürdige Rolle und das Geschick der Antagonisten, nämlich einerseits Gehasis und seiner Nachkommen, auf die sich Naamans Aussatz überträgt, und andererseits der Pharisäer, die sich sehend wähnen und gerade darum zu ‚Blindgeborenen‘ werden, kommen wir am Ende des Kapitels noch einmal auf seine Relation zur Naaman-Erzählung zurück. (2) Der Geheilte und seine Nachbarn (9,8–12) 8 Die Nachbarn und diejenigen, die ihn früher als Bettler gesehen (gekannt) hatten, sprechen: Ist das nicht der, der da saß und bettelte? 9 Die einen sagten: Er ist es; und die anderen erklärten: Nein, er sieht ihm nur ähnlich. Jener selbst jedoch erklärte: Ich bin es. 10 Da fragten sie ihn: Wie sind dir denn deine Augen geöffnet worden? 11 Jener antwortete: Der Mann, der Jesus heißt, der hat einen Teig gemacht, ihn auf meine Augen gestrichen und zu mir gesagt: Geh zum Siloah und wasche dich! Da ging ich hin, und kaum hatte ich mich gewaschen, da konnte ich sehen. 12 Und sie fragten ihn: Wo ist der denn? Und er sagte: Ich weiß es nicht.
8–12: Erst aus diesem Textstück erfährt der Leser, daß der eben noch Blinde ein ortsbekannter Bettler war. Nach Jesu Weggang aus dem Tempel (8,59) soll der Leser sich wohl vorstellen, daß er – wohl in der Hoffnung auf die Barmherzigkeit der Besucher des Heiligtums – seinen ‚Stammplatz‘ wie der Lahme von Act 3,1 ff in der Nähe eines der Tempeltore hatte. Die Selbstverständlichkeit, mit der die ‚Nachbarn‘ den Blinden hier als ‚den Bettler‘ bezeichnen, zeigt zudem, daß einem Blinden in der Welt der Antike gar nichts anderes übrigblieb, als seinen Lebensunterhalt durch Betteln zu bestreiten, so daß zwar nicht alle Bettler Blinde, alle Blinden aber wohl Bettler gewesen sein dürften. Wenn die Meinungen der Nachbarn über seine Identität auseinandergehen, so heißt das nicht etwa, daß die unter ihnen wirklich strittig gewesen wäre. Das negative Urteil einiger, daß er gar nicht jener Blinde sei, sondern dem bloß ähnlich sehe, dürfte seinen Grund vielmehr darin haben, daß sie sich weigerten, an das Wunder der Öffnung der Augen eines Blindgeborenen zu glauben, weil das ihre gesamte Lebenserfahrung auf den Kopf gestellt hätte. Nach dieser Logik muß dieser Mann trotz seiner Ähnlichkeit mit dem blinden Bettler ein anderer sein (vgl. Morris, Komm. 482), weil „nicht sein kann, was nicht sein darf “ (Morgenstern). Der Zweifel an seiner Identität ist also eine unfreiwillige Bestätigung dafür, daß hier „Unmögliches“ wirklich wurde. Im Unterschied zu dem, was der Blindgewesene gleich den Pharisäern sagen wird, die ihn beinahe förmlich ‚verhören‘ werden, zeugt alles, was er hier seinen Nachbarn erzählt und wie er es ihnen sagt, von gut nachbarlichem Vertrauen. Mit nichts von dem, was ihm widerfahren ist, hält er ihnen gegenüber hinter dem Berg. Wenn er dabei seinen Wohltäter als den Mann bezeichnet, „der Jesus genannt wird,“ so zeigt das, daß er, der Jesus natürlich niemals hat sehen können, auch dessen Namen nur vage und vom bloßen Hörensagen kennt. Damit hat der Erzähler den Wendepunkt einer dramatischen Entwicklung der Lebensgeschichte des Blindgeborenen markiert, von der er in den folgenden Episoden erzählen wird, einer Entwicklung, die nach dem Ausgestoßen460
Zweite Szene: Das Zeichen der Heilung eines Blindgeborenen
9,7–14
werden des Geheilten aus seiner bisherigen Lebenswelt (9,34) in seinem Bekenntnis zu Jesus als ‚dem Sohn des Menschen‘ und in der Proskynese des neu und ‚von oben‘ Geborenen gipfeln wird (9,35–38). Und wenn er den, der blind war, sagen läßt: kaÑ niy›meno" ünfibleya (wörtlich: und als ich mich wusch, sah ich wieder), so ist das mit dem „Wieder-Sehen-Können“ kein bloßer lapsus linguae und heißt auch schwerlich, daß er zu Jesus als seinem Retter „aufblickte“, zumal der gar nicht mehr in der Nähe war. Vielmehr wird sich in dem Gebrauch von ünablfipein die Überzeugung ausdrücken, daß das Sehvermögen eine wesentliche Auszeichnung des Menschen als Gottes Geschöpf ist (vgl. Westcott, Komm. z. St.). (3) ‚Verhör‘ des Eben-Noch-Blinden durch die Pharisäer (9,13–17) 13
Sie brachten ihn zu den Pharisäern, ihn, den eben noch Blinden. 14 Es war aber ein Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. 15 Und wiederum fragten ihn nun auch die Pharisäer, wie er sehend geworden sei. Er aber sagte ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen, und ich wusch mich und kann nun sehen. 16 Da sagten einige von den Pharisäern: Dieser Mensch ist nicht von Gott, denn er hält ja den Sabbat nicht. Andere erklärten dagegen: Wie soll denn ein sündiger Mensch derartige Zeichen tun können? Und es entstand ein Zwiespalt zwischen ihnen. 17 Da wandten sie sich wieder an den Blinden und fragten ihn: Was denkst du denn über ihn, denn dir hat er doch die Augen geöffnet? Er aber sagte: Er ist ein Prophet. 13 f: Wenn der Erzähler hier, ähnlich wie im Falle der Heilung des Lahmen am Teich Bethesda (5,9), erst nach dem von Jesus gewirkten Zeichen bemerkt, Jesus habe es an einem Sabbat getan, dann muß man den zweiten Satz wohl vor dem ersten lesen und in ihm eine Art von Begründung für diesen sehen: Die Leute, die den vormals Blinden den Pharisäern vorführten, wären dann diejenigen unter seinen ‚Nachbarn‘, die daran Anstoß genommen hatten, daß Jesus ausgerechnet am Sabbat einen Teig gemacht und dem Blinden die Augen geöffnet hatte. Und weil die Pharisäer allgemein als kompetente Autoritäten in allen Fragen der halachischen Toraauslegung galten, hätten diese Nachbarn den Mann zu ihnen gebracht, damit die von ihm selbst hörten, was an jenem Sabbat geschah, und sich ein Urteil darüber bildeten. Daß die Pharisäer hier agieren, als seien sie eine offizielle Behörde, ist seit langem bemerkt und diskutiert worden (vgl. nur Bultmann, Komm. 253 f). Ja aus ihrem Handeln „wie eine Behörde“ ist bei vielen mittlerweile ihr Handeln „als eine Behörde“ geworden; und nach Martyns Vorschlag, wonach das Evangelium als ein auf „zwei Ebenen“ spielendes Drama gelesen werden müsse, ist diese vermeintliche ‚Behörde‘ gar zur offiziellen örtlichen „Gerusie in John’s city“ avanciert und Jesus zu einem geistbegabten ‚johanneischen Wunderheiler‘ mutiert. Da aber weder das Verfahren noch das Urteil auch nur den Anschein erwecken, als gehe es hier um einen förmlichen forensischen Prozeß, wird man mit Morris (Komm. 484) wohl besser an eine Befragung durch solche denken müssen, die in halachischen Dingen als kompetent galten und einflußreich waren. Zugleich erinnert das Stichwort o´ Farisaõoi den Leser an das auf deren Initiative hin erfolgte ‚Verhör‘ Johannes des 461
9,1–41
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Täufers (1,19 ff), an ihr Mißtrauen der wachsenden Jüngerschaft Jesu gegenüber, das ihn zum Weggang aus Judäa veranlaßte (4,1 ff), an ihre Weisung an die Gerichtsdiener, Jesus zu verhaften (7,32 und 45 ff), sowie an ihren Widerspruch gegen sein Wort: „Ich bin das Licht der Welt“ (8,12 ff). 15–16: Daß die Pharisäer die Befragung des Mannes durch seine Nachbarn fort‑ setzen, ist durch das dem Subjekt o´ Farisaõoi vorangestellte ka‡ (auch) ebenso wie durch den Gebrauch des Imperfekts °r„twn markiert. Ob die Erzählung des nach seiner Heilung Befragten, die hier in einen einzigen kurzen Satz zusammengedrängt ist, wirklich nur darum „bei jeder Wiederholung kürzer“ wird, weil der Leser „sie ja nun kennt und … nicht gelangweilt werden“ soll (Haenchen, Komm. 379), bleibt aber zu fragen. Denn immerhin ist ja auffällig, daß der sehend Gewordene weder Jesu Namen nennt, noch dessen vermeintlich den Sabbat verletzendes Tun beschreibt, nämlich die Fertigung jenes ‚Teiges‘: „Nothing more is offered than the minimum required to answer the Pharisees’ question“ (O’Day, The Word Disclosed 63). Staley deutet die Knappheit der Antwort des zuvor Blinden so: „The man intends to protect his benefactor from his opponents’ opening jabs, and he will keep his guard up throughout most of his interrogation – in spite of the pointed questions peppering him“ (Stumbling 66 ff). Um so überraschender muß dann aber die Feststellung einiger der Pharisäer erscheinen, daß „dieser Mann nicht von Gott sein könne, weil er den Sabbat nicht bewahre“. Denn sie kann ja nicht auf der Auskunft des Mannes beruhen, sondern, ohne daß der Erzähler das berichtet hätte, muß sie ihnen, von den „lieben Nachbarn“ zugetragen worden sein. Dagegen weiß der implizite Leser ja längst, daß es hier gar nicht um die Sabbat-Halacha geht; daß also die Frage, was ein Jude am Sabbat tun darf und was ihm an diesem Tag verboten ist, gar nicht zur Debatte steht. Exklusiv für den „Sohn“, den der Vater zu ihrer Rettung in die Welt gesandt hat, gilt vielmehr auch am Sabbat: ¨ patflr mou ∫w" ±rti †rg›zetai kügá †rg›zomai (5,17; s. o. z. St.). Wenn dann andere unter den Pharisäern dem mit der Erkenntnis widersprechen, daß doch ein „sündiger Mensch“ (±njrwpo" ®martwl∙") nicht derartige Zeichen wirken könne, und mit ihrer Rede von „den Zeichen“ Jesu im Plural ausdrücken, daß sie den Weg Jesu schon länger im Auge haben und ihr Urteil nicht auf die isolierte Heilung dieses Blindgeborenen beschränken, dann verfolgen sie durchaus die richtige Spur, denn noch in ihrer erzählten und Schrift gewordenen Gestalt wollen Jesu Zeichen ja als Hinweise darauf begriffen sein, daß er als der messianische Gottessohn sehr wohl „von Gott“ ist (20,31). Während also die einen blind sind für die Zeichen, die Jesus tut, und nur auf die von ihnen gehütete und mit einem „Zaun“ umgebene Sabbat-Halacha blicken, um daraus zu schließen, daß deren Übertreter ein sündiger Mensch ist, der nicht „von Gott“ sein kann, erkennen die anderen in eben diesen Zeichen, daß Jesus ‚von Gott‘ sein muß. Wie schon in 7,34 und später nach Jesu Rede von sich als dem ‚guten Hirten‘ (10,19) entsteht darüber ein „Schisma“ unter ihnen. Das ist freilich noch kein Schisma im technischen Sinne der Abspaltung einer Gruppe vom ursprünglichen synagogalen Verband, aber immerhin ein gravierender Dissens in einer zentralen religiösen Frage (sc‡sma entspricht hier etwa dem tqlhm von Aboth 5,17). Doch dieser Dissens kann – wie das sogleich folgende Verhör der Eltern des Blindgeborenen und ihre Angst vor dem üposun›gwgo" gfinhtai zeigen wird (V. 22) – durchaus zu einem ernsten und schmerzlichen „Schisma“ der beschriebenen Art führen. 462
Zweite Szene: Das Zeichen der Heilung eines Blindgeborenen
9,14–23
17: Als ob sie’s nicht wahrhaben wollten, daß der Mann im doppelten Sinne zu einem Sehenden geworden ist, heißt es: „Da sagten sie wiederum zu dem Blinden“. Und auf ihre förmliche ‚Befragung‘, was er denn von dem Mann halte, der ihm die Augen geöffnet habe, erklärt er: ‚Er ist ein Prophet!‘. Auch wenn wir Brodies überspitzter These, Jesus werde hier als „der neue Elisa“ präsentiert, nicht zuzustimmen vermögen, erinnert diese Antwort fraglos an Elisas Wort in der Erzählung von der Heilung Naamans: „Er soll zu mir kommen, dann wird er erfahren, daß es in Israel einen Propheten gibt!“ (2Kön 5,8). Und es soll wohl auch daran erinnern. Daß es auch in der vielfach als „prophetenlose Zeit“ beklagten Gegenwart „in Israel einen Propheten gibt“, hat der eben noch Blinde erfahren, als er sich im Siloah wusch. So wenig wie das Bekenntnis der Samaritanerin: k‚rie, jewrù Ωti profflth" eè s‚ (4,19), und das der wunderbar Gesättigten: oñt∙" †stin ülhjù" ¨ profflth" ¨ †rc∙meno" e¢" tÖn k∙smon (6,14), sollte man dieses Bekenntnis disqualifizieren. Denn auch wenn Jesus gewiß mehr ist als Elia und Elisa, ja mehr selbst als Mose und der verheißene Prophet „wie Mose“, so ist mit ihm doch ein Prophet aufgetreten in Israel als Licht für die Völker. (4) Die Pharisäer verhören die Eltern des Wieder-Sehend-Gewordenen (9,18–23) 18
Doch die Juden wollten es nicht glauben, daß der Mann blind gewesen sei und nun wieder sehen könne, ehe sie nicht die Eltern des (angeblich) WiederSehend-Gewordenen gerufen (und angehört) hätten. 19 Und die befragten sie: Ist dies euer Sohn, von dem ihr behauptet, daß er blind geboren worden sei? Wie kommt es denn, daß er jetzt plötzlich sieht? 20 Da antworteten ihnen seine Eltern: Wir sind sicher, daß dies unser Sohn und daß er blind geboren worden ist. 21 Wieso er aber jetzt sehen kann, wissen wir nicht, auch davon, wer ihm die Augen aufgetan hat, haben wir keine Ahnung. Fragt ihn doch selbst! Er ist ja erwachsen und kann für sich selbst sprechen. 22 Das sagten seine Eltern, weil sie sich vor den Juden fürchteten. Denn die Juden hatten bereits den Beschluß gefaßt, daß jeder, der ihn als den Messias bekenne, aus der Synagoge ausgeschlossen werden solle. 23 Deswegen hatten seine Eltern gesagt: Er ist ja erwachsen, fragt ihn doch selbst! 18–23: Da für unseren Evangelisten zwar nicht alle ûIoudaõoi Pharisäer, wohl aber alle Pharisäer ûIoudaõoi sind, sehen wir in dem Umstand, daß dieselben Leute, die bisher als Farisaõoi bezeichnet waren, in V. 18 unvermittelt o´ ûIoudaõoi genannt werden, kein ernsthaftes Problem, sondern nur ein weiteres Beispiel der oft zu beobachtenden Vorliebe unseres Erzählers für das Spiel mit Synonyma oder ähnlichen Wörtern. Die Pharisäer waren in V. 13 aus einem doppelten Grund als Akteure eingeführt worden: Einmal, weil sie als solche galten, die sich auf den Umgang mit der Halacha verstanden, und zum anderen wohl, weil die Leute, die doch gewiß selbst ûIoudaõoi waren, ihren eben noch blinden Nachbarn dann wiederum den ûIoudaõoi vorgeführt hätten, wobei der Leser dann diese Nachbarn als gewöhnliche Judäer von den ûIoudaõoi als den Repräsentanten einer religiösen Ideologie unterscheiden müßte. 463
9,1–41
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Wie vor ihm bereits von Wahlde (Analysis 63 ff), so sucht auch Ashton das Problem der Nennung einerseits der ‚Pharisäer‘ und andererseits der ‚Juden‘ auf dem Wege der „Literarkritik“ zu beseitigen (Identity 61 f). Nicht nur in unserem Kapitel, sondern im gesamten Evangelium verteilen die beiden Autoren das „ûIoudaõoi-Material“ einerseits und das „Farisaõoi-Material“ andererseits auf zwei ‚Schichten‘ in der vermeintlichen Genese des Evangeliums, wobei sie der „älteren Schicht“ das ûIoudaõoi-, der jüngeren dagegen das Farisaõoi-Material zuweisen. Diese Operation ist jedoch mehr eine vorausgesetzte Behauptung als das Resultat einer begründeten Analyse. Und zudem ist diese Behauptung überhaupt nur um den allzu hohen Preis der Degradierung des Evangelisten zu einem geistlosen Kompilator überkommenen „Materials“ aufrechtzuerhalten. Statt dessen ist jeweils vom Kontext her zu fragen, warum die Antagonisten Jesu hier jeweils als o´ ûIoudaõoi und da als o´ Farisaõoi bezeichnet werden. Daß und wie die Bezeichnungen ûIoudaõoi und Farisaõoi austauschbar sind, wird im übrigen die Erörterung von 9,22 f zeigen.
Wie zuvor schon der Wortwechsel unter den Nachbarn das Unerhörte des Wunders unterstrichen hatte, so wollen nun auch die ûIoudaõoi es nicht wahrhaben, daß ein Blindgeborener sehend geworden sein könne. Darum müssen ihnen seine Eltern Rede und Antwort stehen und bestätigen, daß dieser Mann tatsächlich ihr Sohn ist und daß er blind geboren wurde. Durch die Frage: oñt∙" †stin ¨ u´Ö" ≠mùn, ≈n ≠meõ" lfigete Ωti tuflÖ" †gennfljh; die den Eltern nahezu eine Betrugsabsicht unterstellt, wird die Szene tatsächlich „zur Satire“ (L. Schenke, Komm. 185). Und daß die Antwort der verhörten Eltern: „Wir sind sicher, daß dies unser Sohn und daß er blind geboren wurde. Wieso er aber jetzt sehen kann, wissen wir nicht, auch davon, wer ihm die Augen aufgetan hat, haben wir keine Ahnung. Fragt ihn doch selbst! Er ist ja erwachsen und kann für sich selbst sprechen“, daß diese Antwort eine Notlüge war, kommentiert und entschuldigt der Erzähler sogleich mit diesen Worten: „Das sagten seine Eltern, weil sie sich vor den Juden fürchteten. Denn die Juden hatten bereits beschlossen, daß jeder, der ‚ihn‘ als den Messias bekenne, aus der Synagoge ausgeschlossen werden solle. Darum hatten seine Eltern gesagt: Er ist ja alt genug, fragt ihn doch selbst!“ (V. 22 f). Dieser Kommentar gibt zugleich zu erkennen, daß die Eltern des zuvor Blinden doch wohl mehr über die Heilung ihres Sohnes und über Jesus als seinen Wohltäter wissen, als sie den ûIoudaõoi zu erkennen geben. Hatte zuvor schon ihr Sohn von Jesus nur als von einem „Er“ geredet und seinen Namen verschwiegen, so nennen nun auch seine Eltern diesen brisanten Namen nicht und behaupten nur, den anonymen Wohltäter nicht zu kennen. Spuren dieser Angst der Sympathisanten Jesu vor möglichen Sanktionen der ûIoudaõoi zeigten schon die Debatten um Jesus auf dem Laubhüttenfest, wo von den Leuten aus dem µclo" gesagt war: „aber keiner wagte es, öffentlich über ihn zu reden, aus Furcht vor den Juden“ (diÅ tÖn f∙bon tùn ûIouda‡wn: 7,13). Solche Furcht vor sozialen Repressionen bestimmt nun auch die Aussage der Eltern, die offenbar wissen, daß „die Juden“ bereits verbindlich beschlossen hatten, daß jeden, der es wagen sollte, Jesus als den Messias zu bekennen, die Sanktion des Ausschlusses aus der Synagoge (üposun›gwgo" gfinhtai: V. 22) treffen sollte. Und „Synagoge“ ist in dieser Wendung kein Gebäude, das einer nicht mehr betreten dürfte, und auch nicht eine bloße Religionsgemeinschaft, aus der er ausgestoßen würde, sondern die Lebensgemeinschaft seines Volkes, in dem er alle seine Wurzeln hat. 22 f: Die Wendung üposun›gwgo" gfinhtai V. 22 (vgl. 12,42 u. 16,2: üposunag„gou" poiflsousin ≠mô") erscheint im Neuen Testament einzig bei Johannes. Außer in Texten, die von diesen Passagen abhängig sind, gibt es dafür weder in der griechischen noch in der jüdischen Literatur Belege. Wir halten zudem die Praxis eines förmlichen Ausschluß‑ 464
Zweite Szene: Das Zeichen der Heilung eines Blindgeborenen
9,18–24
verfahrens gegen jüdische Christen aus der Synagoge im ersten Jahrhundert für denkbar unwahrscheinlich. Das sonst nicht belegte Lexem üposun›gwgo" scheint uns vielmehr eine Ad-hoc-Bildung unseres Evangelisten zu sein. Da wir – auch und zumal im Blick auf die Synoptiker als intertextuellem Spielmaterial unseres Evangelisten – schon mehrfach unsere Zweifel an der Existenz einer vom Rest des Urchristentums isolierten, spezifisch johanneischen Gemeinde geäußert haben, halten wir die von Martyn, Meeks, Wengst u. a. vorgetragene Hypothese, wonach die gesamte ‚johanneische Gemeinde‘ zur Zeit der Abfassung des Evangeliums bereits aus der Synagoge ausgeschlossen gewesen sein soll, für undenkbar. Eher ist, wie M. Davies (Rhetoric 300) vermutet, doch ein Text wie die paradoxe Seligpreisung der Verfolgten, Ausgegrenzten und um des Menschensohnes willen Beleidigten von Lk 6,22 als das intertextuelle Spielmaterial des Johannes Ursprung von Joh 16,2. Denn die 16,2 genannten Bedrängungserfahrungen hat doch jeder christliche Leser mit den Martyrien des Stephanus, der Zebedaiden, des Herrenbruders Jakobus und der Apostel Petrus und Paulus ganz sicher vor Augen (s. u. zu 12,42; 16,2). (5) Erneutes Verhör und Ausstoßung des zuvor Blinden, der zum ‚Sehenden‘ geworden war (9,24–34) 24
Darauf riefen sie den Mann, der blind gewesen war, zum zweiten Mal und ermahnten ihn: Gib Gott die Ehre! Wir jedenfalls sind gewiß, daß dieser Mensch ein Sünder ist. 25 Da erwiderte jener ihnen: Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Des Einen aber bin ich gewiß, daß ich nämlich blind war und nun sehe. 26 Da fragten sie ihn: Was hat er mit dir angestellt? Wie hat er dir die Augen geöffnet? 27 Und er antwortete ihnen: Das habe ich euch doch bereits gesagt und ihr habt (wohl) nicht zugehört. Warum wollt ihr es noch einmal hören? Wollt ihr etwa auch seine Jünger werden? 28 Und sie beschimpften ihn und sagten: Du bist ein Jünger jenes Menschen, wir aber sind Moses Jünger! 29 Wir wissen, daß Gott selbst mit Mose geredet hat, von diesem dagegen wissen wir nicht, woher er kommt. 30 Da entgegnete der Mann und erklärte: Das ist doch erstaunlich, daß ihr nicht wißt, woher der ist, der mir doch die Augen geöffnet hat. 31 Wir wissen doch alle, daß Gott die Sünder nicht erhört, sondern daß er nur den erhört, der gottesfürchtig ist und seinen Willen tut. 32 Seit Ewigkeiten hat man doch nicht vernommen, daß einer einem Blindgeborenen die Augen aufgetan hätte! 33 Und wenn dieser nicht von Gott wäre, dann könnte er überhaupt nichts tun. 34 Da fuhren sie ihn an: Du, der du ganz und gar in Sünden geboren bist, willst uns belehren? Und sie warfen ihn hinaus. 24: Weil das ‚Verhör‘ der Eltern fast nutzlos verlief (oên), laden sie „den Menschen, der blind gewesen war“, nahezu förmlich (†f„nhsan) zum zweiten Male vor und ermahnen ihn mit den Worten: „Gib Gott die Ehre!“ dazu, jetzt endlich die Wahrheit zu sagen. „It implies that the Pharisees think he has been lying“ (Lindars, Komm. 347); zu der Wendung: dÖ" d∙xan tù jeù, vgl. Jos 7,18: dÖ" d∙xan sflmeron tù kur‡w jeù ûIsraÉl kaÑ dÖ" tÉn †xomol∙ghsin kaÑ ün›ggeil∙n moi t‡ †po‡hsa". Mit dem ™meõ", 465
9,1–41
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
das sie ihrem o¥damen betont voranstellen, umgeben sich die Verhörenden Jesus gegenüber, den sie geringschätzig als „dieser Mensch da“ bezeichnen, ebenso wie dem zuvor Blinden gegenüber, den sie alsbald zu einem „ganz in Sünden Geborenen“ erklären werden, mit der Aura religiöser Kompetenz und überlegener Autorität: „We, the religious leaders, know … and therefore others ought to follow the lead we give“ (Morris, Komm. 491). 25: Der eben noch Blinde aber läßt sich von dem autoritären Gehabe derer, die da meinen, ihn „verhören“ zu dürfen, nicht einschüchtern. Offenbar hat er zugleich mit der Fähigkeit zu sehen auch sich selbst entdeckt, gelernt, ‚ich‘ zu sagen und sich selbst zu behaupten. Auf die theologische Behauptung seiner Antagonisten, daß Jesus ein Sünder sei, läßt er sich überhaupt nicht ein. Davon will er nichts wissen und das kann auch nicht wahr sein. Denn dem steht seine reale Erfahrung des „seit Ewigkeit noch nie gehörten Wunders“ entgegen, „daß einer einem Blindgeborenen die Augen geöffnet hat“ (V. 32). Und diese Erfahrung allein zählt hier für ihn: „Eines aber weiß ich mit Gewißheit: Ich war blind, jetzt aber kann ich sehen!“ (vgl. Morris, Komm. 491: „No finespun web of airy theory can budge a man who is able to say with conviction ‚one thing I know‘. The man had sight. No mere words could alter that“.). 26 f: Weil auch die ûIoudaõoi, die ihn verhören, merken, daß dem Mann nichts vorzuwerfen ist, versuchen sie weiter, ihn als Zeugen gegen seinen Wohltäter zu instrumentieren, indem sie ihre Frage aus seinem ersten Verhör (V. 15) wiederholen: „Was hat er (mit) dir gemacht? Wie hat er dir die Augen geöffnet?“ Darauf antwortet der Mann mit wachsendem Selbstbewußtsein und höchst ironisch: „Das habe ich euch doch bereits erklärt, aber ihr wolltet es ja offenbar nicht hören. Wozu wollt ihr es denn jetzt nochmals hören? Wollt ihr denn etwa auch seine Jünger werden?“ Die Wendung kaÑ ≠meõ" läßt erkennen, daß dieser Mann sich bereits als Jesu Jünger begreift oder doch zumindest auf dem besten Wege ist, es zu werden (vgl. Morris, Komm. 491). Ja rückblickend wird von hier aus deutlich, daß und wie der einst Blinde schon bei seiner ersten ‚Vernehmung‘ für Jesus eingetreten war. Denn im Unterschied zu dem, was er seinen Nachbarn voller Freude erzählt hatte, nannte er den „Pharisäern“, die ihn vernahmen, weder Jesu Namen, noch sagte er ihnen, daß Jesus jenen Lehmbrei gefertigt, damit seine Augen „gesalbt“ und ihm befohlen habe, sich in den Wassern „Siloahs“ zu waschen. Statt dessen hatte er seinen Wohltäter nur vage „er“ genannt und erklärt: „Er legte mir einen pfllo" auf die Augen, und ich wusch mich und sah“ (V. 15). „In so doing he successfully shields Jesus from two possible Sabbath violations“ (Staley, Stumbling 66 f). 28 f: Statt weiter mit ihm zu reden, nutzen sie ihre angemaßte Überlegenheit: „Und sie beschimpften ihn (loidorfiw bei Joh nur hier; vgl. Act 23,4; 1Kor 4,12; 1Pt 3,9) und sagten: Du bist ein Jünger jenes (Mannes: †ke‡nou hier wohl in abschätzigem Sinn gebraucht), wir dagegen sind Jünger Moses. Wir (durch vorangestelltes ™meõ" wiederum betont!) wissen, daß Gott (selbst) zu Mose geredet hat (lel›lhken), von dem da (to‚ton) wissen wir dagegen nicht, von woher er ist“. Das Perfekt lel›lhken drückt die bleibende und die Gegenwart der Redenden bestimmende Bedeutung dieser Gottesrede zu Mose aus: Sie haben sie in der Tora Schwarz auf Weiß vor Augen und fühlen sich – im Gegensatz zu dem Mann, den sie wohl auch dem verfluchten µclo" zuschlagen, der das Gesetz nicht kennt (7.49), als die (allein) kompetenten Ausleger der Tora. Daß Gott mit Mose geredet hat, bezeugt die Tora vielfach; besonders eindringlich ist die Wendung: 466
Zweite Szene: Das Zeichen der Heilung eines Blindgeborenen
9,24–33
†l›lhsen k‚rio" prÖ" MwÊsön †n„pio" †nwp‡w, Æ" e¥ ti" lalflsei prÖ" tÖn ©autoú f‡lon (Ex 33,11; vgl. Dtn 34,10). Die Frage nach dem ‚Woher’ Jesu (p∙jen), nach 8,14 geradezu der Schlüssel zum Verständnis seiner Sendung, ist in diesem Zusammenhang natürlich die Frage nach seiner Autorität im Verhältnis zu derjenigen Moses. Denn sie kennen ja Jesu irdische Herkunft (7,27: toúton o¥damen p∙jen †st‡n; vgl. 6,41; 7,52) und spielen sie gerade gegen seine göttliche Sendung aus: ¨ dÇ cristÖ" Ωtan ≤rchtai o§deÑ" gin„skei p∙jen †st‡n (7,27). Im übrigen steht ihr Urteil über Jesus ja längst fest: Als Übertreter der von Gott durch Mose gegebenen Sabbat-Tora ist er ein Sünder (V. 25) und kann als solcher darum gar nicht von Gott sein. Diesem Vorurteil gegenüber weiß aber der implizite Leser längst, daß es gerade Mose ist, der für Jesus zeugt und über ihn geschrieben hat, und daß man Mose und Jesus, die wechselseitig füreinander zeugen, darum nicht gegeneinander ausspielen kann. Da gilt vielmehr: „Wenn ihr Moses ‚Buchstaben‘ nicht glaubt, wie wollt ihr dann je meinen ‚Worten‘ glauben können? Darum werde nicht etwa ich euch vor meinem Vater verklagen, sondern Mose, auf den ihr eure Hoffnung setzt“ (5,45 ff). „The Pharisees’ appeal to Mosaic discipleship as part of their opposition to Jesus, therefore, is an act of unfaithfulness to Moses and the torah, not faithfulness. The Pharisees’ antagonism towards Jesus disinherits them from their Mosaic heritage. The reader of the Fourth Gospel knows that to be a true disciple of Moses, one must be a disciple of Jesus also“ (G. R. O’Day, The Word Dis closed 69). Der Leser weiß auch, daß Gott zu Jesus nicht nur „gesprochen hat“, wie einst zu Mose, sondern daß er ständig zu ihm spricht, und daß Jesus nur tut, was der Vater ihm sagt und was er den Vater tun sieht. Wie sein Vater ist der Sohn „Herr über den Sabbat“ und muß darum wie der Vater auch am Sabbat wirken, weil die Erhaltung und Vollendung der Schöpfung keine Unterbrechung duldet (5,17; s. o. z. St. und vgl. Mk 2,28). „His working on the sabbath constituted no breach of God’s law, but must be perceived precisely as obedience to God’s will (5,31; 7,21–23)“ (Neyrey, ‚I said: You Are Gods‘ 660; vgl. auch Augenstein, Jesus und der Sabbat). 30–33: Der verhörte ±njrwpo" wird immer kühner: „Darin liegt ja gerade das Erstaunliche, daß ihr nicht wißt, woher er ist, der mir doch die Augen geöffnet hat. Wir (o¥damen) wissen doch, daß Gott die Sünder nicht erhört, sondern nur den, der gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den erhört er. Seit Ewigkeit hat man nie davon gehört, daß einer einem, der blind geboren wurde, die Augen aufgetan hätte. Und wenn dieser nicht von Gott wäre, dann könnte er überhaupt nichts tun!“ Das Kühnste an dieser Äußerung ist wohl der Gebrauch des Plurals „wir wissen“ (o¥damen) im Munde des isolierten und alsbald gänzlich ‚hinausgeworfenen‘ zuvor Blinden. Denn damit schließt er sich nicht nur mit den Jüngern Jesu zusammen, sondern damit ‚vereinnahmt‘ er zugleich seine Ankläger, indem er sie an das gemeinsame Grundwissen aller Juden erinnert, daß Gott nicht die Sünder, sondern allein den Gottesfürchtigen erhört, der seinen Willen tut; vgl. Jes 1,15; Ps 66 (65),18; 109 (108),7; Prov 15,29; Hiob 27,8 f; 35,13 u. ö. Ja, wie die von Bauer angeführten Belege aus der griechischen Welt: Ilias I/218; Platon, Nomoi IV/8 p. 717a; Jamblich, Vita Pythagoras 11 etc. zeigen, reicht das durch o¥damen eröffnete „Wir“ noch weit über den Kreis der aktuellen Disputanden hinaus in die Welt der Völker (Bauer, Komm. 136). Die Ironie liegt darin, daß hier einer, der vermeintlich die Schrift nicht kennt, diejenigen, die sich als deren ‚Pächter‘ wähnen, an solche Elementarkenntnisse und daran erinnern muß, daß allein Gott und sein geliebter „Knecht“, den er zum Licht der Völker gemacht hat, den Blinden die 467
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Augen zu öffnen vermag (Jes 42,6 ff). Darum findet der Mann es so verwunderlich, wie ausgerechnet diese Schriftkundigen vorgeben können, nicht um das ‚Woher‘ Jesu zu wissen. Daß Jesu Zeichen ihn als einen ausweisen, der „von Gott ausgegangen und mit dem Gott ist“, hatte zuvor nur Nikodemus bei seiner nächtlichen Begegnung mit Jesus geäußert (3,2). Jetzt ‚bekennt‘ es der sehend Gewordene im hellen Licht des Tages vor dem Forum seiner und der Ankläger Jesu: „Wenn dieser nicht von Gott wäre, dann könnte er überhaupt nichts tun!“ 34: Und ihre Reaktion darauf ist ganz so, wie sie seine Eltern gefürchtet hatten: „Du, der du ganz und gar in Sünde geboren bist, willst uns belehren? Und sie warfen ihn hinaus“. Die Lektion, die zu lernen Jesus seinen Jüngern zu Anfang aufgegeben hatte, nämlich daß weder dieser Mann noch seine Eltern gesündigt haben, sondern daß er blind geboren wurde, damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden sollten, haben diese Leute nicht begriffen. Unfähig, in die Freude des als Sehender neugeborenen Blinden einzustimmen, sind und bleiben sie – und das wird Jesus ihnen am Ende ins Gesicht sagen – die eigentlich Blinden und Verblendeten in dieser Erzählung. Vom Kontext her wird man den Satz: kaÑ †xfibalon a§tÖn ≤xw, nicht als bloßen ‚Lokalverweis‘ begreifen dürfen, sondern darin die Exekution jenes ‚Beschlusses‘ sehen müssen, die die Eltern unseres glücklich sehend Gewordenen so gefürchtet hatten, daß die ûIoudaõoi nämlich jeden, der es wagen sollte, Jesus als den crist∙" zu bekennen, zu einem üposun›gwgo" machen würden. Das gilt erst recht im Blick auf Lk 6,22 als den möglichen Prätext unserer Erzählung, wo Jesus diejenigen selig preist, die von den Menschen gehaßt, ausgegrenzt (üfwr‡swsin) und geschmäht werden, ja deren ‚Name‘ als böse hinausgeworfen werden wird um des Sohnes des Menschen willen. In dem letzteren Satz: kaÑ †kb›lwsin tÖ µnoma ≠mùn Æ" ponhrÖn ∫neka toú u´oú toú ünjr„pou, ist tÖ µnoma wohl als Inbegriff der verworfenen Person selbst zu verstehen. Zugleich macht der tatsächliche, hier durch †kb›llein ≤xw ausgedrückte Vollzug dieses ‚Beschlusses‘ deutlich, daß „Jesus als den Christus zu bekennen“ nicht heißen kann, ‚ihn für den Messias zu halten‘, so wie unter Wortführung des berühmten Rabbi Akiba einige Jahrzehnte später Tausende Simon Bar Kochba als dem Messias und ersehnten Befreier seines Volkes gehuldigt haben. Das kann es nämlich schon darum nicht heißen, weil das Wort „Messias“ an keiner Stelle des Verhörs gefallen ist. Es muß bei diesem „Beschluß“ also um das spezifische Bekenntnis unseres Evangeliums gehen, nämlich darum, daß Jesus, wie der Verhörte eben bekannt hatte, „von Gott ist“, daß er der messianische Gottessohn ist: Ωti ûIhsoú" †stin ¨ cristÖ" ¨ u´Ö" toú jeoú (20,31). Seit seinem Wort an den Blinden: „Geh hin und wasch dich im Teich Siloah!“ war Jesus physisch abwesend, gleichwohl jedoch in dem Für-und-Wider der um ihn streitenden Parteien höchst präsent. (6) Jesus und der zum Sehenden gewordene Blindgeborene (9,35–38) 35
Jesus erfuhr, daß sie ihn ausgestoßen hatten, und als er ihn traf, fragte er ihn: Glaubst du an den Sohn des Menschen? 36 Jener antwortete und sagte: Wer ist der denn, Herr, damit ich an ihn glauben kann? 37 Und Jesus sagte ihm: Du hast ihn ja vor Augen; der mit dir redet, der ist es. 38 Er aber bekannte: Ich glaube, Herr, und betete ihn an (fiel ihm zu Füßen). 468
Zweite Szene: Das Zeichen der Heilung eines Blindgeborenen
9,33–35
35: Die wörtliche Wiederaufnahme von †xfibalon a§tÖn ≤xw aus V. 34 unterstreicht das Gewicht dieser Maßnahme im Sinne von 9,22. Auf welche Weise Jesus von ihrer tatsächlichen Exekution gehört hat, wird nicht gesagt und braucht nicht gesagt zu werden, denn er teilt ja das Allwissen seines Vaters. War der Mann zuvor auf Grund seiner angeborenen Blindheit aus der Gesellschaft ausgeschlossen und als einer abgestempelt, der total in Sünden geboren wurde, so haben sie ihn nun erneut zum Ausgeschlossenen gemacht, gerade weil er zum Sehenden geworden ist; zum Sehenden in doppeltem Sinne, nämlich nicht allein im Blick auf seine frühere physische Blindheit, sondern auch und vor allem, weil er das ‚Zeichen‘ gesehen und erkannt hat, daß der, dem er seine ‚Erleuchtung‘ verdankt, „von Gott ist“. Daß und ob Jesus den nun erneut aus der Gesellschaft Verstoßenen „gesucht“ hat, wird ebenfalls nicht erzählt. Die knappe Notiz mit der partizipialen Wendung: kaÑ e≠rán a§tÖn, muß hier genügen. Noch ehe der Mann Jesus gesucht hat, hat der ihn gefunden. Und wie bei der ersten Begegnung geht auch hier die Initiative wieder von Jesus aus. Er fragt ihn: „Glaubst du an den Sohn des Menschen?“ Anstelle von tÖn u´Ön toú ünjr„pou (P66.75 a B D W pc sys co) bietet die Mehrzahl der Handschriften, nämlich A L Q Y 0124, 0250 f 1.13 M lat syp.h. bo: tÖn u´Ön toú jeoú. Weil aber das Gewicht der Zeugen für ünjr„pou die Wahrscheinlichkeit, daß irgendein Abschreiber ein vorgegebenes jeoú durch ein ünjr„pou ersetzt haben könnte, bei weitem übertrifft, dürfte ‚Menschensohn‘ hier fraglos ursprünglich sein. Das ist zwar insofern auffällig, als die Wendung „der Sohn des Menschen“ im gesamten Neuen Testament nie als das Objekt von piste‚ein e¢" erscheint (vgl. Metzger, Comm. 228 f). Doch gerade darum ist diese schwierigere Lesart der viel geläufigeren und darum zu erwartenden Frage: „Glaubst du an den Sohn Gottes?“ (vgl. 1,34. 49; 3,18; 11,27; 20,31) vorzuziehen. Die häufig für die Ursprünglichkeit von „der Sohn des Menschen“ vorgetragene sachliche Begründung, dieser ‚Titel‘ werde hier gebraucht, weil Jesus nach den folgenden V. 39–41 doch „zum Gericht in die Welt gekommen“ und das Thema des Gerichts „a frequent setting for the figure of the Son of Man“ sei (Brown, Komm. I, 375; ähnlich, und unter Berufung auf 5,27: Morris, Komm. 494), erscheint uns aus mehreren Gründen wenig wahrscheinlich. Denn einmal ist, wie oben zu 5,27 gezeigt, Jesus das Richteramt nicht übertragen, weil er der als Weltenrichter vermeintlich bekannte „Sohn des Menschen“ von Dan 7,13 wäre, sondern weil er „ein Mensch“ ist. Zum anderen kann der Ausdruck „der Sohn des Menschen“ schon darum nicht der bekannte ‚Hoheitstitel‘ des eschatologischen Weltenrichters sein, weil der Mann dann nicht fragen könnte: t‡" †stin, k‚rie; Denn die Frage setzt voraus, daß der Erfragte ein Gegenwärtiger und einer unter Seinesgleichen sein muß, ein Mensch unter Menschen, und jedenfalls nicht jenes Himmelswesen von Dan 7 (vgl. Burkett, The Son 166). Der gleiche Einwand gilt 12,34–36 gegenüber, wo der µclo" sich des Wortes Jesu erinnert und es zitiert: Ωti deõ ≠ywjönai tÖn u´Ön toú ünjr„pou, um unmittelbar daran die Frage an Jesus anzuschließen: t‡" †stin oñto" ¨ u´Ö" toú ünjr„pou. Anders als dem zum Sehenden gewordenen Blindgeborenen gegenüber beantwortet Jesus diese Frage hier aber nicht damit, daß er sich explizit mit „dem Sohn des Menschen“ identifiziert. Wenn er erklärt: „Noch eine kleine Weile ist das Licht in eurer Mitte, wandelt darum als solche, die das Licht haben, damit die Finsternis euch nicht überwältige“ (12,35), bleibt das Prädikat ¨ u´Ö" toú ünjr„pou hier vielmehr ein Kryptogramm seiner Identität. Implizit ist das, wie der Leser weiß und auch der µclo" wissen sollte, freilich auch eine Identifikation, denn Jesus hatte ja „in der Öffentlichkeit des Tempels, wo alle Juden zusammenkommen,“ (18,20) feierlich erklärt: †g„ e¢mi tÖ fù" toú k∙smou (8,12). Zum Dritten ist das Prädikat „der Sohn des Menschen“, nachdem bereits der Prolog im Spiel mit Gen 1,3 die Themen l∙go", fù" und zwfl eingeführt und sie wechselseitig miteinander identifiziert hatte, seit dem nächtlichen Gespräch mit Nikodemus (3,13–21) ebenso wie in unserer Szene und in der eben zitierten Passage aus Joh 12 fest mit den Lexemen „Licht“ und „Leben“ sowie durch das „Sagen“ Jesu mit dem anfänglichen „Wort“ und mit der „Scheidung“ der Finster-
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
nis von dem Licht in Gen 1 fest verknüpft. Und zum Vierten endlich dürfte die Frage: „Glaubst du an den Sohn des Menschen?“ ihre absichtsvolle Entsprechung in der Wendung: ∫neka toú u´oú toú ünjr„pou von Lk 6,22 haben und damit bestätigen, daß unsere gesamte Erzählung tatsächlich als eine „Illustration dieser Seligpreisung“ (Davies) gelesen sein will (s. o.).
Jesu unvermittelte Anrede des Geheilten mit den Worten: „Glaubst du an den Sohn des Menschen?“ setzt natürlich voraus, daß der Mann in ihm den wiedererkennt, dem er sein Augenlicht verdankt. Wenn Bultmann dazu anmerkt: „Wie das möglich ist, da er ihn doch vor der Heilung nicht hatte sehen können, darf man natürlich nicht fragen“ (Komm. 256, Anm. 8), so könnte man dem hinzufügen, daß der Leser das auch nicht zu fragen braucht, weil er es sogleich erfahren wird: „Seine Schafe erkennen den guten Hirten, dem sie nachfolgen, an seiner Stimme, auf die sie hören“ (10,4). Mit den zitierten Worten fragt Jesus den Mann natürlich nicht, ob er von der Existenz dieses „Menschensohnes“ überzeugt ist, sondern vielmehr – und das zeigt die geprägte Wendung piste‚ein e¢" – ob der Mann bereit ist, sein ganzes Vertrauen und all seine Hoffnung auf den hier „der Sohn des Menschen“ Genannten zu setzen (vgl. Beasley-Murray, Komm. 159). Die noch ein wenig ratlos fragende, zugleich aber dennoch glaubensbereite Antwort des Blindgeborenen lautet: „Und wer ist dies, Herr, damit ich an ihn glauben kann?“ Diese Frage zeigt einmal, daß „der ‚Glaube‘ an den Menschensohn … hier ja nicht die Erwartung des auf den Wolken des Himmels kommenden, sondern nur die Anerkennung eines Gegenwärtigen sein“ kann (Bultmann, Komm. 257). Zum anderen aber offenbart sie, daß der Fragesteller, ebenso wie der µclo" in 12,34 ff, dieses Prädikat weder kennt noch begreift, daß er aber auf Jesu Wort hin bereit ist, an jeden zu glauben, den der ihm als „den Sohn des Menschen“ nennen wird (Burkett, The Son 165). Wohl weiß der implizite Leser des Evangeliums seit dem intertextuellen Spiel des Erzählers mit Prov 30,1–4 in Joh 3,13, daß die Rede von „dem Sohn des Mannes“ im Munde Jesu ein Kryptogramm für „der Sohn Gottes ist“ (s. o. z. St.), daß aber auch die Frage der erzählten Figur des Blindgeborenen „natürlich den messianisch-eschatologischen Sinn des Titels“ voraussetze, wie Bultmann (ebd.) erklärt, erscheint uns indessen keineswegs „selbstverständlich“, sondern höchst fragwürdig (vgl. Schnackenburg, Komm. II, 321; und Burkett ebd.). Nicht durch die Übertragung eines geläufigen „messianisch-eschatologischen Titels“ auf Jesus wird er dessen Identität begreifen, sondern am irdischen Jesus und seinem Verhalten wird er lernen, was es um das geheimnisvolle Prädikat „Der Sohn des Menschen“ ist. 36–38: Wenn der Blindgeborene Jesus jetzt mit k‚rie anredet, nachdem er denen, die ihn verhörten, zuvor schon erklärt hatte, daß Jesus „von Gott sei“, wird man diese Anrede nicht als bloße Höflichkeitsfloskel begreifen dürfen, so wenig wie die folgende Proskynese (kaÑ prosek‚nhsen a§tù), mit der er sein Bekenntnis piste‚w sinnenfällig demonstriert, als bloße Geste der Dankbarkeit verstanden sein will (vgl. Bultmann, Komm. 257 f). Anders als der samaritanischen Frau, der Jesus in der entsprechenden Situation gesagt hatte: †g„ e¢mi, ¨ lalùn soi (4,26), antwortet er dem Blindgeborenen jetzt mit den Worten: „Du hast ihn ja vor Augen (©„raka" a§t∙n); der mit dir redet, der ist jener (Sohn des Menschen)“. Dem Gebrauch des Menschensohn-Prädikats entsprechend bleibt Jesus bei der Rede in der dritten Person. Und mit der Doppelung von Sehen und Sagen erweist er sich als der fleischgewordene Logos. Da bleibt dem Ausgestoßenen, der im Haus des Vaters Jesu eine neue und ewige Bleibe gefunden hat, nur noch ein einziges Wort zu sagen: piste‚w, k‚rie: kaÑ prosek‚nhsen a§tù (V. 38). 470
Zweite Szene: Das Zeichen der Heilung eines Blindgeborenen
9,35–39
Der gesamte V. 38 einschließlich der Worte: kaÑ eèpen ¨ ûIhsoú" aus V. 39 fehlt in den Textzeugen P75 a* W b (l) ac2. Darum vermutet Brown, diese Passage, zumal sie einige „non-Johannine pecularities“ enthalte, sei eine sekundäre „addition stemming from the association of John IX with the baptismal liturgy and catechesis“ (Komm. I, 375). Als eine „liturgical addition“ sucht auch C. L. Porter unter Hinweis darauf, daß das Imperfekt ≤fh bei Johannes nur noch 1,23 begegne und daß das Präsens piste‚w sowie eine Jesus erwiesene Proskynese nur hier vorkommen, die Passage zu erweisen. Infolge des liturgischen Gebrauchs der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen in der frühchristlichen Gemeinde soll ihr dessen explizites Bekenntnis hinzugewachsen sein (390). Es ist zwar richtig, daß zuerst Irenäus (Adv. Haer. V. 15,6) und nach ihm u. a. Ambrosius und Augustinus die Erzählung auf die Taufe bezogen haben und daß sie in den Bildern der Katakomben in diesem Zusammenhang erscheint (396 f), aber dieser – soweit wir sehen können – im dritten Jahrhundert einsetzende Gebrauch unserer Erzählung besagt nichts über ihre ursprüngliche Gestalt. Darauf, daß beim Gebrauch von Kirchenväter-Zitaten zur Rekonstruktion des vermeintlich ursprünglichen Textes äußerste Vorsicht geboten ist, weisen K. & B. Aland (Text 179 ff) mit guten Gründen hin. Erst recht ist der frühe liturgische Gebrauch neutestamentlicher Texte als kritische Instanz zur Beurteilung von deren frühester Gestalt völlig ungeeignet. Zur Ausscheidung der fraglichen Passage reichen auch die bei Johannes in der Tat seltenen oder sogar nur hier vorkommenden Verbformen schwerlich aus. Das Präsens piste‚w ist durch den Kontext zureichend motiviert, und daß der Mann durch seine Proskynese am Ende „Gott die Ehre gibt“, wie es die Pharisäer, zuvor von ihm verlangt hatten, hat ja auch seinen guten Sinn und eine feine ironische Pointe; vgl. Schnackenburg, Komm. II, 323; und Beasley-Murray, Komm. 160. Zudem hätte die Streichung der fraglichen Passage noch den Nachteil, daß Jesu folgende Gerichtsrede primär an den Blindgeborenen gerichtet wäre, so daß die Pharisäer, ihre eigentlichen Adressaten, nur als zufällige Zaungäste erschienen. Auch angesichts der Textüberlieferung und zumal der frühen Entstehungszeit von P66 erscheint uns darum die These nahezu undenkbar, daß hier eine im liturgischen Gebrauch der Erzählung entstandene aktuelle Zuspitzung sekundär in den Text des Evangeliums geraten sein soll, auch wenn neben Brown (Komm. I, 375) und Lindars (Komm. 351) noch andere Exegeten daran festhalten. (7) Jesu resümierende Gerichtsrede gegen die Pharisäer (9,39–41) 39
Und Jesus erklärte: Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die Nicht-Sehenden sehend und die Sehenden blind werden. 40 Das hörten (Mitglieder) der Pharisäer, die bei ihm waren, und fragten ihn: Sind wir denn etwa auch Blinde? 41 Wenn ihr blind wäret, dann hättet ihr keine Sünde. Da ihr nun aber behauptet: Wir sehen, bleibt es bei eurer Sünde. Zwar ist diese Passage durch ka‡ eng mit dem Vorausgehenden verknüpft, gleichwohl ist sie aber dadurch deutlich von ihm abgehoben, daß als Subjekt der folgenden Rede ausdrücklich und nicht nur pronominal ¨ ûIhsoú" benannt wird. Darum haben wir in diesen Versen die letzte der sieben Teilszenen unseres kleinen Dramoletts von der ‚Heilung des Blindgeborenen‘ vor Augen. Sie ist ein „kurzes Streitgespräch“, das un471
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
sere Erzählung mit Jesu Wort: „Ich bin das Licht der Welt“ von 8,12 ff verknüpft und zugleich die Brücke zu Jesu Rede vom ‚guten Hirten‘ im folgenden Kapitel 10 bildet. Eine analoge, zu der nachfolgenden Rede überleitende Funktion hatte auch das an die Heilung des Lahmen angeschlossene kurze Streitgespräch in 5,16–18 (vgl. Bultmann, Komm. 258). Im Unterschied von dem zuvor in dritter Person über „den Sohn des Menschen“ Gesagten erklärt Jesus jetzt – unterstrichen durch den zusätzlichen Einsatz des genuin johanneischen Gebrauchs des Pronomens †g„ – in erster Person: „Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die Blinden sehend, die Sehenden aber zu Blinden werden“. Auch wenn erst nach Jesu provokantem Wort über seine richterliche Sendung erzählt wird, daß einige Pharisäer bei ihm waren, sind die doch von vornherein die Adressaten dieser Rede. Woher sie gekommen sind und wie sie Jesus gefunden haben, wird nicht erzählt; denn wichtig ist allein, daß sie da sind und hören, was Jesus ihnen zu sagen hat. Weil Jesu erneute Begegnung mit dem Blindgeborenen, die zusammen mit 9,1 ff die Erzählung von seiner Heilung ‚rahmt‘, ein typisches Gespräch unter vier Augen war, das dergleichen Zuhörer nicht duldet, dürften die Pharisäer schwerlich schon seine Ohren‑ und Augenzeugen gewesen sein. Ihre erst nachträgliche Erwähnung hebt vielmehr die generelle und die aktuelle Situation übergreifende Gültigkeit von Jesu eröffnendem Wort hervor, daß er zum Gericht in diese Welt gekommen sei, damit die Blinden sehend, die sich sehend Wähnenden aber zu Blinden werden. Jesu Erklärung in der ersten Nikodemusszene: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern dazu, daß die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an den glaubt, wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt, der ist bereits gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes glaubt“ (3,17 f) widerspricht dieser Satz nicht, sondern er erläutert und ‚illustriert“ ihn an den erzählten Figuren. „Illustriert“ darf dabei wie in 3,18 ff ganz buchstäblich als „beleuchtet“ genommen werden. Denn erst wo das „Licht der Welt“ aufleuchtet, werden die dunklen Schatten sichtbar. Die Schöpfungsgeschichte, in der nichts ohne das Wort Gottes geschah, das in Jesus Fleisch geworden ist (1,1 ff), hebt an mit dem Wort: „Es werde Licht“ und damit, daß Gott die Finsternis von dem Licht scheidet (diec„risen: Gen 1,4). Und wie die Schöpfung keine vergangene Episode ist, sondern sich im ständigen Wirken des Vaters in der Gemeinschaft mit dem Sohn – selbst am Sabbat – fortsetzt, so setzt sich dieses anfängliche diacwr‡zein darin fort, daß der Sohn e¢" kr‡ma in diese Welt gekommen ist. G. R. O’Day sieht in V. 39 treffend den „hermeneutischen Schlüssel“, der das gesamte Kapitel erschließt, aber mit dem gleichen Recht und Gewicht fügt sie dem hinzu: „but it receives its full significance for the reader only because the reader has experienced the contrast between the Pharisees and the man born blind throughout the telling of the story“ (Word Disclosed 73). Darum darf auch die Frage, wieweit wir Nachgeborenen in unserer nahezu total konzeptionalisierten und besprochenen Welt die in der erzählten Welt der Geschichte Jesu von ihm vollbrachten ‚Zeichen‘ für möglich oder unmöglich halten, keinesfalls zum Maßstab unserer Auslegung gemacht werden. Denn daß der Evangelist und seine frühen Leser von dem realen Geschehensein der Wundertaten Jesu einschließlich seiner Auferstehung am dritten Tage überzeugt waren, und trotz aller sicher nicht undurchschauten Fiktionalität der Erzählung an die Wahrheit des Erzählten geglaubt haben, sollte man nicht bestreiten. Und nur auf dieser Basis kann überhaupt von einer symbolischen, das heißt: von einer über das 472
Dritte Szene: „Ich bin der gute Hirte“
9,39–41
konkrete Geschehnis hinausweisenden Bedeutung, eben von einem shmeõon, die Rede sein. Im Gegensatz zum Symbol wäre alles andere die doketistische Auflösung des Erzählten in pure Allegorie. Wohl ist „von vornherein klar, daß die Begriffe ‚sehend‘ und ‚blind‘ an den Begriffen von ‚Licht‘ und ‚Finsternis‘ orientiert sind, die 1,5 ff, 3,19 ff das gottgeschenkte Heil und das Sichverschließen gegen Gott bezeichneten. Wie die Begriffe ‚Licht‘ und ‚Finsternis‘ nicht ‚bildlich‘, sondern gerade im eigentlichsten Sinne gebraucht sind, … so gilt das Gleiche von den Begriffen ‚sehend‘ und ‚blind‘. Jedoch kann mit den Begriffen gespielt werden, und der Gebrauch kann jederzeit ins Bildliche umschlagen. Und so wird man auch in V. 39 in der Folge auf 9,1–38 bildliche Redeweise finden, die eigentümlich auf die eigentliche anspielt“ (Bultmann, Komm. 258 f). Doch u. E. läßt sich die Metaphorik des Symbolischen mit der Entgegensetzung von „Bildlichem“ und „Eigentlichem“ oder gar „Eigentlichstem“ nicht erfassen, zumal dabei das sichtbar Reale zum „Bloß-Noch-Bildlichen“ gerät, so wie Bultmann denjenigen, der in die Welt gekommen ist, die Werke Gottes zu vollenden, auf das punctum mathematicum des „Bloßen-Daß-Seines-Gekommenseins“ reduziert. Wie aber das Metaphorische und das Reale nicht getrennten Welten angehören, so konstituieren auch das „Symbolische“ und das „Wörtliche“ einander wechselseitig (vgl. Keith & Pile, Place 23). Unterschieden werden will vielmehr die besprochene von der erzählten Welt, ohne daß dabei die eine von der anderen getrennt werden könnte oder die besprochene der erzählten Welt gegenüber irgendeinen Realitätsvorrang hätte. Erst in ihrem wechselseitigen Bezogensein aufeinander konstituieren sie vielmehr unsere reale Lebenswelt; vgl. dazu M. M. Thompson (Humanity pass.) u. Bittner (Jesu Zeichen pass.). Von dieser Einschränkung abgesehen enthält Bultmanns Zusammenfassung unserer Passage jedoch so viel Bedenkenswertes, daß wir ihn hier zu Wort kommen lassen: „Die ‚Blinden‘ und die ‚Sehenden‘, für die Jesu Kommen das kr‡ma bedeutet, sind also keine vorhandenen und aufweisbaren Gruppen, sondern jeder ist gefragt, ob er zu diesen oder jenen gehören will. Ja, in Wahrheit waren bis jetzt alle blind; denn V. 41 zeigt, daß die ‚Sehenden‘ nur solche waren, die zu sehen wähnten, und die ‚Blinden‘ solche, die um ihre Blindheit wußten, wie denn das Blindsein gleichbedeutend ist mit dem Sein in der Finsternis, – vor der Offenbarung die einzige Möglichkeit (vgl. 12,46). Aber alle waren blind in einem vorläufigen Sinne; und durch das Kommen des Lichtes erhält das ‚Sehen‘ wie das ‚Blindsein‘ einen neuen und seinen definitiven Sinn. Und eben darin besteht das Gericht: die ‚Blinden‘ werden ‚sehend‘ als solche, die ‚glauben‘ an das ‚Licht‘, und deren Sehen jetzt nicht mehr ein ‚Sich-Selbst-Zurechtfinden‘ im Wahne des Sehenkönnens ist, sondern ein Erhelltsein durch die Offenbarung; und das ‚Blindsein‘ ist jetzt nicht mehr nur ein Irren im Dunkel, das um sich als Irren immer wissen kann und damit die Möglichkeit des Sehendwerdens hat, sondern es hat eben diese Möglichkeit verloren. Wer nicht glaubt, ist gerichtet (3,18), und eben in der Festhaltung des Wahnes, sehend zu sein, vollzieht sich an ihm das Gericht. Den Blinden, die sich (so) auf ihr Blindsein festlegen, gilt: ‚es bleibt eure Sünde‘. Es ist die Paradoxie der Offenbarung, daß sie, um Gnade sein zu können, Ärgernis geben muß und so zum Gericht werden kann. Um Gnade sein zu können, muß sie die Sünde aufdecken; wer sie sich nicht aufdecken lassen will, legt sich auf sie fest, und so wird durch die Offenbarung die Sünde erst definitiv zur Sünde“ (ebd. 259 f). Als die letzte Teilszene der dramatischen Erzählung von der Heilung des Blind geborenen bildet dieses kleine Streitgespräch nicht nur deren resümierenden Abschluß, 473
10,1–21
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
sondern es liefert zugleich die Szenerie und bildet den Auftakt zu der im zehnten Kapitel nun folgenden Hirtenrede (10,1–21), die ohne jegliche szenische Bemerkung mit Jesu feierlichem ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn einsetzt und in V. 21 mit einem Rückblick auf die Heilung des Blinden schließt. Als neue Szene, mit der das gesamte Evangelium in 10,30 den Gipfelpunkt seiner ‚Peripetie‘ erreichen wird (Wyllers), folgt ihr dann Jesu dramatischer Auftritt beim Tempelweihfest in Jerusalem (10,22–39) und endlich die kleine Erzählung von seinem Rückzug an den jenseits des Jordan gelegenen Ort, wo Johannes zuerst getauft und für Jesus gezeugt hatte (10,40–42).
Dritte Szene: „Ich bin der gute Hirte“ (10,1–21) (1) Ein Gleichnis führt die Themen der folgenden Hirtenrede ein (10,1–6) 1
Amen, Amen, ich sage euch: Wer nicht durch die Tür in den Pferch der Schafe hineingeht, sondern von anderswoher hineinsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. 2 Der aber durch die Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe. 3 Diesem öffnet der Türhüter, und die Schafe hören seine Stimme, und er ruft seine (eigenen) Schafe mit Namen und führt sie hinaus. 4 Wenn er die Seinen alle hinausgebracht hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. 5 Einem Fremden dagegen werden sie nicht nachfolgen, sondern vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen. 6 Diese Rätselrede hielt Jesus vor ihnen, doch was er ihnen damit sagen wollte, begriffen sie nicht. Der emphatische Einsatz von Joh 10 mit dem genuin johanneischen doppelten Amen: ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn, bestätigt im übrigen noch einmal, daß die ‚kurze Gerichtsrede‘ (Bultmann) von 9,39–41 nicht nur den Abschluß der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen, sondern zugleich die verbindende Brücke zu der ihr folgenden Hirtenrede bildete und als deren Auftakt gelesen sein will. Denn nirgendwo sonst in unserem Evangelium dient die Wendung: ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn, der Eröffnung einer neuen Rede Jesu, sondern stets folgt sie zuvor Gesagtem und greift darauf zurück. In unserem Fall knüpft das doppelte Amen darum an das 9,39–41 Gesagte an (vgl. Morris, Komm. 501). Auch wegen ihrer nur pronominalen Nennung können die hier mit lfigw ≠mõn Angeredeten auf der Ebene der Erzählung keine anderen sein als die zuvor als Leute †k tùn Farisa‡wn Bezeichneten. Wiederum nur mit einem Pronomen benennt V. 6 sie dann rückblickend als †keõnoi. Da die Pharisäer in unserem Evangelium des öfteren als Wortführer der ûIoudaõoi auftreten, können die Adressaten der Hirtenrede endlich auch nominal ausdrücklich als o´ ûIoudaõoi bezeichnet werden (V. 19). Die feste Verbindung zwischen der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen und der Hirtenrede wird am Ende noch einmal durch die Reaktion der ûIoudaõoi auf die letztere bestätigt. Wie schon in 7,43 und 9,16 verursacht Jesu Rede nämlich wiederum ein ‚Schisma‘ unter seinen Zuhörern. Deren Mehrheit erklärt ihn zum Besessenen, dem man nicht zuhören sollte. Eine kleinere Gruppe jedoch hat das shmeõon von Joh 9 vor Augen und widerspricht der Verurteilung Jesu deshalb mit der Frage, ob es denn etwa ein Besessener 474
Dritte Szene: „Ich bin der gute Hirte“
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vermöge, „den Blinden die Augen aufzutun“ (V. 21). Daß sich mit dem sehr offenen: lfigw umõn, das die Hirtenrede eröffnet und das durch das doppelte Amen darüberhinaus noch so stilisiert ist, als sei es von der erzählten Situation unabhängig, zugleich mit den Pharisäern auf der Erzählebene auch alle potentiellen Leser des Evangeliums von Jesus angeredet und unter die Verheißung des sicheren Geleits ihres ‚guten Hirten‘ gestellt wissen dürfen, ist sicher nicht unbeabsichtigt. Bestärkt durch den glänzenden Aufweis der syntaktischen Kohärenz von Joh 9 und 10 durch du Rand (Syntactical Reading) sowie durch Kysars minutiöse Nachzeichnung der semantischen Kohärenz der Hirtenrede und ihrer hochpoetischen Struktur (Johannine Metaphor), halten wir auch hier allen literarkritischen Operationen gegenüber an dem Prinzip fest, das überlieferte Evangelium als literarisches Werk und die Hirtenrede an ihrer Stelle als dessen unablösbaren Teil zu interpretieren. Zu den zahllosen Versuchen, die vermeintlichen Aporien der Hirtenrede auf literarkritischen Wegen zu beseitigen, verweisen wir hier darum auf unsere Studien [7 u. 36]. 1–6: Das metaphorische Feld, mit dessen Bildern und Erfahrungen aus dem Hirtenleben er im folgenden spielen wird, eröffnet (der erzählte) Jesus mit diesen Sätzen: „Amen, Amen ich sage euch: Wer den Pferch der Schafe nicht durch die Tür betritt, sondern von anderswoher in ihn eindringt (ünaba‡nwn üllac∙jen), der ist ein Dieb und ein Räuber. Dagegen ist allein, wer durch die Tür hineingeht, der (legitime) Hirte der Schafe. Dem öffnet der Türhüter (das Tor), und die Schafe hören (auf) seine Stimme, und er ruft seine eigenen Schafe mit Namen und führt sie hinaus. Wenn er alle die Seinen hinausgetrieben hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. Einem Fremden dagegen werden sie niemals (o§ mfl) folgen, sondern vor ihm fliehen, weil sie ja der Fremden Stimme nicht kennen“ (1–5). Nach diesem Auftakt seiner Rede unterbricht der allwissende Erzähler seinen Protagonisten mit den kommentierenden Worten: „Diese Rätselrede (paroim‡a) hielt Jesus ihnen, doch den Sinn dessen, was er ihnen damit sagen wollte (t‡na én ¡ †l›lei a§toõ"), begriffen jene nicht“ (V. 6). Im gesamten Neuen Testament findet sich das Lexem paroim‡a, außer einem Vorkommen in 2Pt 2,22, nur bei Johannes, und zwar viermal, nämlich hier sowie in 16,25 (zweimal) und 16,29. In Joh 16 ist es dadurch förmlich definiert, daß dem jetzigen Reden Jesu †n paroim‡ai" sein künftiges Verkünden vom Vater †n parrhs‡a als Oppositum gegenübergestellt wird. Das aber läßt vermuten, daß das Lexem paroim‡a dem Evangelisten nicht zur Bezeichnung des Genres besonderer Passagen der Reden Jesu dient, sondern daß er im Unterschied zu der †n parrhs‡a geschehenden Verkündigung des österlichen ‚Geistes der Wahrheit‘ alles Reden des irdischen Jesus als paroim‡a begreift (vgl. Cerfaux, Thème parabolique 20). Gegenüber dem 48maligen Vorkommen von parabolfl in den synoptischen Evangelien – einem Umstand, der Johannes und seinem impliziten Leser nicht unbekannt gewesen sein dürfte – ist das seltene Lexem paroim‡a wohl absichtsvoll gewählt. Weil keine der herkömmlichen Kategorien wie ‚Gleichnis‘, ‚Parabel‘ oder ‚Allegorie‘ das spezifische Genre dieser Rede zu erfassen vermag, haben wir paroim‡a durch den untechnischen Ausdruck „Rätselrede“ wiedergegeben. Aus den gleichen Gründen nennt Lagrange sie zurückhaltend: un petit tableau parabolique (Komm. z. St.); ähnlich neutral bezeichnet K. Berger die Passage als ein „Bildfeld“: „Der Verf. ‚spielt‘ mit dem gesamten Material des metaphernspendenden Bereichs, der in diesem Falle ‚Schafzucht‘ ist“ (Formgeschichte 39; vgl. Moloney, Komm. 303). Darauf, daß wir in der Mischna unter den 475
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vier Arten von Hirten auch dem „Lohnhüter“ begegnen, hatte Bornhäuser bereits hingewiesen (Johannesevangelium 58 f): „Da wird (ferner) darüber verhandelt, ob es ein Zwangsunfall ist, wenn ein Wolf kommt, d. h. ob der Hüter schadenersatzpflichtig ist, wenn der Wolf ein Schaf raubt … Da erscheint der Dieb, der stiehlt und schlachtet, und der Räuber, der im Gegensatz zum Dieb bewaffnet ist … Im Gegensatz zum feigen Lohnhüter, der sogar wegläuft, wenn ein Wolf kommt, obwohl er ihn abzuwehren verpflichtet ist, wagt der gute Hirte für seine Schafe das Leben. Im Gegensatz zum schwachen Lohnhüter, dem der stärkere Räuber das Schaf entreißt, ist Jesus der Hirte, aus dessen Hand niemand und nichts die Schafe reißen kann. – Es ist deutlich, daß hinter den Worten des Evangelisten der in der Mischna vorliegende Anschauungskomplex als Voraussetzung liegt“ (Schebuot 8 und Baba Mezia 7, zitiert bei Bornhäuser ebd.). Daß diese Rätselrede den Angeredeten rätselhaft bleibt, kann natürlich nicht heißen, daß sie das Gesagte nicht verstanden hätten. Denn das Leben und Tun von Hirten prägte ja ihre Welt und war, wie etwa Ps 23 zeigt, längst zum „metaphernspendenden Bereich“ auch ihres religiösen Sprechens in Gebet und prophetischer Rede geworden. Was sie nicht begriffen hatten und nicht begreifen wollten, kann darum nur Jesu Sagen sein, das nicht auf den propositionalen Gehalt des Gesagten reduzierbar ist, sondern im Sinne der Austin-Searleschen Sprechakttheorie („How to do things with words“) mit Worten etwas tun und in diesem Fall konkret die Umkehr der Angeredeten bewirken will (vgl. Botha, Jesus and the Samaritan Woman, der die Austinsche Theorie hier für die Interpretation der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin als überaus fruchtbar erwiesen hat). Die Pharisäer begreifen nicht, daß sie selbst gemeint sind und daß Jesus ihnen mit seiner paroim‡a einen Spiegel vor Augen hält, in dessen negativen Figuren sie sich selbst und ihr liebloses Verhalten dem Blindgeborenen gegenüber wiedererkennen sollten. Da ihr Unverständnis durch Jesu auf V. 6 folgende Rede aber nicht etwa aufgehoben, sondern sich im Gegenteil noch bis in den Versuch hinein steigern wird, Jesus zu steinigen (V. 31 ff), muß man wohl nicht nur die isolierten V. 1–5, sondern Jesu gesamte Rede als paroim‡a begreifen. Kontrastierend gerahmt wird das Verhalten des legitimen Hirten der Schafe, dem der Türhüter das Tor öffnet, durch das er den Pferch betritt, seine eigenen Schafe mit Namen ruft und sie hinausführt auf die Weide, wohin sie ihm folgen, weil ihnen seine Stimme vertraut ist (10,2–4), durch das Verhalten solcher, die nicht durch die Tür, sondern von anderswoher in den Pferch der Schafe eindringen, um als „Diebe“ und „Räuber“ ihr Werk zu vollbringen (V. 1), und solcher, die sich als „Fremde“ der Schafe bemächtigen, denen diese aber nicht nachfolgen, sondern vielmehr vor ihnen fliehen, weil sie ihre Stimme nicht kennen (V. 5). Wie alle seine Kommentare richtet der Erzähler die Bemerkung, Jesus habe seinen Zuhörern eine paroim‡a vorgetragen, deren verborgenen Sinn sie jedoch nicht begriffen hätten, an diejenigen, denen er die Geschichte Jesu erzählt. Sie und nicht etwa die erzählten Figuren sollen an deren Unverständnis lernen, sollen auf die womöglich überhörten symbolischen Obertöne achten und so das eben Gehörte noch einmal bedenken. An der Figur des jurwr∙", der nicht jedem, sondern nur dem ihm bekannten Hirten das Tor öffnet, hat der Erzähler kein selbständiges Interesse. Darum ist die Frage nach dessen Identität verfehlt. Er ist nur dazu in die Erzählung eingeführt, die Legitimität des Hirten zu verbürgen und zugleich die räuberische Absicht derer zu erweisen, die auf anderen Wegen in den Pferch der Schafe eindringen (vgl. Dodd, Hist. Tradition 384; und Hahn, Hirtenrede 192 f). 476
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In ähnlicher Weise wird auch das Tor zur a§lÉ toú ürcierfiw" durch eine paid‡skh als jurwr∙" bewacht, so daß Petrus seinem Herrn dahinein nicht nachfolgen kann. Er steht draußen vor dem Tor (prÖ" tÔö j‚ra ≤xw), und erst auf die Fürsprache des „anderen Jüngers“ hin eröffnet ihm die Türhüterin den Zugang zum Hof und schafft ihm damit ironischerweise die Gelegenheit dazu, seinen Herrn zu verleugnen (18,15 ff), wie der es ihm angekündigt hatte (13,38).
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Darauf sagte Jesus wiederum: Amen, Amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. 8 Alle, die vor mir gekommen sind, sind Diebe und Räuber. Doch die Schafe haben auf sie nicht gehört. 9 Ich bin die Tür, wenn einer durch mich eingeht, so wird er gerettet werden. Er wird eingehen und ausgehen und Weide finden. 10 Der Dieb kommt nur, damit er stehle, schlachte und verderbe. Ich (aber) bin gekommen, damit sie Leben im Überfluß haben. 11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe. 12 Wenn der Mietling (dagegen), der nicht Hirte ist und dem die Schafe nicht zu eigen gehören, den Wolf kommen sieht, dann läßt er die Schafe im Stich und flieht – und der Wolf raubt und zerstreut sie –, 13 weil er eben ein Mietling ist, dem die Schafe nicht am Herzen liegen. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen wie auch die Meinen mich kennen, 15 so wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 16 Noch andere Schafe habe ich, die nicht aus diesem Pferch sind. Auch die muß ich anführen. Und sie werden auf meine Stimme hören, und (dann) wird eine Herde sein und ein Hirte. 17 Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es dann wieder zurückzunehmen. 18 Niemand raubt es mir, sondern ich selbst gebe es freiwillig hin. Ich (allein) habe die Vollmacht, es hinzugeben, wie ich die Vollmacht habe, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag (Gebot) habe ich von meinem Vater empfangen. 19 Und wieder bewirkten diese Worte einen Zwiespalt (Schisma) unter den Juden. 20 Viele von ihnen sagten: Er ist von einem Dämon besessen und nicht bei Sinnen. Was hört ihr ihn überhaupt an? 21 Andere erklärten (dagegen): Das sind doch nicht die Worte eines Besessenen. Vermag etwa ein Dämon den Blinden die Augen aufzutun? Ein Blick in die Fülle der in den letzten fünf Jahrzehnten produzierten Literatur über die Hirtenrede von Joh 10,1–21 und zumal in die Kommentare zeigt, daß nahezu alle ihre Interpreten primär an der Aufklärung ihrer vermeintlichen Genese interessiert sind und die eigentliche Aufgabe der Interpretation darin sehen, durch die Unterscheidung der Traditionsstücke, die der Rede mutmaßlich zugrunde liegen sollen, von deren redaktioneller Bearbeitung durch den Evangelisten dessen Intentionen auf die Spur zu kommen. In diesem Sinne werden die V. 1–5 in der Regel als eine ältere „Parabel“ verstanden, die der Evangelist, wie seine redaktionelle Einfügung von V. 6–7a zeige, jedoch als Allegorie begriffen und darum in den folgenden V. 7–18 entsprechend de477
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codiert habe. Im Anschluß an J. A. T. Robinson (Twelve NT Studies 67 ff) sieht Dodd (Historical Tradition 382 ff) „the key to the right understanding of the passage“ in der Erkenntnis, daß hier zwei ursprünglich selbständige Parabeln miteinander verschmolzen seien, nämlich eine von der Tür zum Pferch der Schafe und eine andere vom Hirten der Schafe, wobei deren „Fusion“ die ursprüngliche Gestalt beider zerstört haben soll. Ähnlich argumentieren Brown (Komm. I, 391 ff), Lindars (Komm. 354 f) u. a. Doch im Gegensatz zu solchen primär „autororientierten“ Versuchen, die Bedeutung des Textes hinter ihm aus der vermeintlichen Intention seines Autors und/oder den Bedürfnissen seiner vermuteten ursprünglichen ‚Adressaten‘ erschließen zu wollen, setzt Kysar – unbeschadet der Frage nach der möglichen Genese der Hirtenrede – methodisch treffend deren Einheit voraus und ist primär an der Frage interessiert, wie der Erzähler seine Zuhörer durch den wechselnden Gebrauch der Metaphern des zuvor eingeführten ‚Feldes‘ Schritt um Schritt formt. Er sieht also die Bedeutung des Textes nicht irgendwo hinter ihm, sondern vor ihm in der „Welt“, die er seinem Leser als ‚Bleibe‘ erschließt. Und auf diese Weise gelingt es ihm, seine „Voraussetzung“ der literarischen Einheit des Textes am Ende tatsächlich einzuholen und so die Kohärenz der gesamten Hirtenrede zu erweisen. Ein gravierender Mangel von Kysars Interpretation besteht jedoch darin, daß er einen für das Verständnis der Hirtenrede wesentlichen Aspekt ausklammert oder doch zumindest vernachlässigt, nämlich ihr intertextuelles Spiel mit ihren biblischen Prätexten, zu denen, wie Sabbe (John 10) gezeigt hat, nicht zuletzt auch synoptische Texte gehören. Denn auch wenn wir über die bewußten und/ oder unbewußten Intentionen des realen Autors nichts wissen können, läßt sich die fundamentale Bedeutung dieses intertextuellen Spiels als die dem Evangelium eingeschriebene intentio operis doch schwerlich bezweifeln, zumal nur auf dieser Folie die Reaktionen der erzählten jüdischen Zuhörer Jesu, die endlich in dem Versuch gipfeln, ihn als Gotteslästerer zu steinigen, überhaupt verständlich werden (vgl. Nielsen, OT Imagery 69 ff). Mit dieser notwendigen Ergänzung der Fragestellung, die zugleich eine der durch den Text selbst vorgegebenen „Grenzen seiner Interpretation“ (Eco) markiert, werden wir darum nun Kysars Interpretation im wesentlichen folgen. Dazu muß aber zuvor noch darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Rede von „Intertextualität“ ein grundsätzlich anderes Verständnis dessen impliziert, was ein ‚Text‘ ist (vgl. dazu auch M. Frank, Das Sagbare 121 ff). Denn anders als die traditionellen Methoden von Form-, Redaktions-, Traditions‑ oder Religionsgeschichte begreift sie ‚Texte‘ nicht als unabhängige und in sich selbst ruhende Einheiten, sondern als Teile eines Netzwerkes von Texten, das prinzipiell unbegrenzt ist: „Tout texte se construit comme mosaïque de citations, tout texte est absorption et transformation d’un autre texte“ (J. Kristeva 146). Darum ist unter dem Gesichtspunkt von „Intertextualität“ nicht vage nach dem „religionsgeschichtlichen Hintergrund“ von Texten oder nach den „Quellen“ und/oder „Traditionen“, die in sie eingegangen sind, sowie nach der Art ihrer „redaktionellen“ Verarbeitung durch den Textautor zu fragen. Vielmehr verändert sich die traditionell eher passive Rolle des Lesers dadurch nicht unerheblich, daß er sich nun vor die Aufgabe gestellt sieht, die Bedeutung von Texten in dem „Zwischen“ (inter) wahrzunehmen, das ihm das Spiel des Autors mit anderen Texten eröffnet. In einem gewissen Sinn fungiert Intertextualität deshalb ganz ähnlich wie Metaphorik, denn die Bezugnahme auf einen Prätext versetzt den Interpreten „in a tensive ambiance of echos between the two texts and the question is how the two texts reverbarate with each other“ (Brawley, An Absent Complement 430). Und da Texte ihre mögliche Bedeutung nicht in sich selbst bergen, sondern sie überhaupt erst durch die Interaktion von Text und Leser gewinnen, wächst damit zugleich dessen Verantwortung dem ihm ausgelieferten Text gegenüber. Er muß versuchen, ihm ‚gerecht‘ zu werden, muß ihm ‚Ge-
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rechtigkeit‘ widerfahren lassen und die durch seine geschriebenen Zeichen markierten „Grenzen der Interpretation“ respektieren; vgl. zum Projekt der Intertextualität außer den bereits genannten Untersuchungen: W. S. Vorster, Intertextuality, die übrigen Beiträge in S. Draisma (ed.), Intertextuality; K. Nielsen, OT Imagery 69 ff und H. Thyen, Joh 10 im Kontext.
7: „Und Jesus erklärte erneut: Amen, Amen ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen (tùn prob›twn)“. Wegen des Fortgangs der Rede, wonach Jesus zunächst die Tür zu den Schafen ist (V. 7 f), danach aber die Tür für den Ein‑ und Ausgang der Schafe (V. 9 f), ist die Formulierung ™ j‚ra tùn prob›twn wohl absichtsvoll doppeldeutig (vgl. Bauer, Komm. 141; Barrett, Komm. 372). Zugleich aber dürfte in eben dieser Doppeldeutigkeit der Grund dafür liegen, daß in ihrem Streben nach Eindeutigkeit mit P75 einige Übersetzer (sa ac mf) anstelle von ™ j‚ra das eindeutige ¨ poimÉn tùn prob›twn geschrieben haben. Darum haben im Anschluß an das textkritische Urteil von Blass (Ev. sec. Ioannem z. St.) u. a. Wellhausen (Joh 48 f), Schwartz (Aporien 163 f), Heitmüller (Komm. 123; vgl. dazu Spitta, JohEv 209 ff), und Hirsch (Studien 82 f), zumal sie alle die erst im 20. Jahrhundert entdeckten Papyruszeugen noch nicht kannten, für die Ursprünglichkeit der Lesart ¨ poimÉn tùn prob›twn plädiert. Ja, trotz des Gewichts dieser Zeugen versuchen nach dem Vorgang von M. Black (Aramaic Approach 259) jetzt Haenchen (Komm. 388), Tragan (Parabole 131 ff) und Busse (Offene Fragen 519 f) erneut, die Lesart ¨ poimÉn als die ursprüngliche zu erweisen. Busse begründet diese textkritische Entscheidung inhaltlich damit, daß die Lesart: †g„ e¢mi ™ j‚ra tùn prob›twn eine der Hirtenrede von Haus aus fremde „ekklesiologische Deutung im Sinne von Jesus als der Tür zu den Schafen, durch die/den die christlichen Gemeindeleiter zur Gemeinde eintreten, zwingend erforderlich“ mache (Offene Fragen 519; vgl. dazu auch Jeremias, j‚ra 178 ff). Darum sei hier „eine textkritisch vertretbare Lösung unumgänglich“. Den entscheidenden Hinweis darauf habe bereits Schnackenburg gegeben, wenn er frage: „Aber wie konnte ein so viel passenderer Text [wie die Formulierung: Ich bin der Hirte der Schafe] untergehen?“ (Komm. II/363). Busse erklärt dazu: „Die Antwort liegt in dem späteren Gebrauch der Metapher ‚Tür‘. Sie wird mit der Zeit zu einer festen Vorstellung gegen jegliche falsche(n) Gemeindeleiter in der kirchlichen Apologetik. Nur der sich auf Christus berufende und von ihm eingesetzte Hirt durfte seiner Legitimität gewiß sein. Hier liegt der Grund für die schlechte Bezeugung der ursprünglichen Lesart ¨ poimfln“ (ebd.). Zum vermeintlich entsprechenden Gebrauch der Tür-Metapher verweist Busse auf 1Clem 48,4; Hermas, Sim. IX 2,12; X 7,9; Ign. Phld 9,1 f sowie auf eine Reihe von Vätertexten. Doch weder Clemens noch Hermas noch auch Ignatius gebrauchen die Metapher in dem von Busse behaupteten Sinn, sie reden nicht von christlichen ‚Gemeindehirten‘, sondern wie Joh 10 von Christus als der ‚Tür‘. Clemens sagt im übrigen nicht j‚ra, sondern spricht von der p‚lh toú kur‡ou, ™ … ≤stÑn †n Cristù; auch Hermas bietet p‚lh und nicht j‚ra. Daß dieses ‚Tor‘ aber der Zugang für die legitimen Gemeindehirten wäre, sagen beide so wenig wie Ignatius, der – wie Maurer (Ignatius 30 ff) vermutet – zudem von Joh 10 abhängig sein dürfte. Im Gegensatz zu Busse halten wir die Lesart ™ j‚ra als lectio difficilior für ursprünglich. Denn auch wenn der Text später einmal so „benutzt“ worden sein mag, vermögen wir in ihm selbst keinerlei Grund dafür zu entdecken, daß die Lesart ™ j‚ra den Interpreten dazu zwänge, in Jesu Rede anachronistisch die Frage nach der Legitimität christlicher Gemeindehirten einzutragen, wie das im übrigen schon Zahn erwogen hatte (Komm. 457; zur Differenz zwischen ‚Interpretieren‘ und ‚Benutzen‘ von Texten vgl. Eco, Grenzen 47 f). Doch all diesen Versuchen gegenüber, mit großem Aufwand die Ursprünglichkeit der Lesart ¨ poimfln zu begründen, trifft u. E. der lapidare Kommentar von Metzger ins Schwarze: „The reading ¨ poimfln (P75 copsa) is an early alleviation of the text, introduced by copyists who found the expression ‚the door of the sheep‘ too difficult“ (Comm. 229). Angesichts des Gewichts der handschriftlichen Überlieferung kehrt Moloney darum mit guten Gründen die Beweislast um und erklärt zur poimfln-Lesart: „This reading would make excellent sense and for that reason must be rejected“ (Komm. 309).
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Im Gegensatz zu Busse insistiert F. Hahn zwar nachdrücklich auf der ‚Ursprünglichkeit‘ der Lesarten ™ j‚ra in V. 7 und prÖ †moú in V. 8, aber dennoch sind beider Resultate am Ende doch sehr ähnlich, weil nämlich beide unter „Ursprünglichkeit“ jeweils ganz Verschiedenes verstehen. Während Busse unter der Voraussetzung der Kohärenz des überlieferten Textes nach dessen „ursprünglicher“ Lesart fragt, bestreitet Hahn eben diese Kohärenz und will die V. 7–10 als eine sekundäre Interpolation erweisen. Diese Passage soll erst durch eine „deuterojohanneische Redaktion“ geschaffen und der überlieferten Hirtenrede eingefügt worden sein. Ihr „eindeutig deuterojohanneischer Charakter“ werde daran offenbar, daß hier im Gegensatz zum übrigen Evangelium alle vor Jesus gekommenen Hirten Israels als „Diebe und Räuber“ (V. 8) disqualifiziert würden. Ähnlich wie Ashton (s. o.) scheint Hahn vorauszusetzen, daß die beiden „Ich-Bin-Worte“ von V. 9 und V. 14 bereits vor der Abfassung des Evangeliums ‚Traditionsgut‘ der „johanneischen Gemeinde“ gewesen seien (vgl. Hirtenrede 196). Und wie die „ursprüngliche“ Hirtenrede, der Hahn auch noch die V. 26–30 zurechnet, um das derart vorgegebene „Kernlogion“ von V. 14 herum komponiert worden sei, so habe auch der deuterojohanneische Redaktor seine Interpolation auf der Grundlage des ihm vorgegebenen ‚Türwortes‘ (V. 9) und um dieses herum geschaffen (ebd. 198). Mit der Zurechnung der V. 26–30 zur „ursprünglichen“ Hirtenrede wird auch die schon oft gestellte Frage erneut virulent, ob diese Rede von Haus aus „zum Laubhütten‑ oder zum Tempelweihfest“ gehört. Zumal Hahn einen „klar erkennbaren Zusammenhang zwischen dem Hirtenmotiv und dem Tempelweihfest“ vermißt, scheint er eher geneigt zu sein, die Hirtenrede dem Laubhüttenfest zuzuweisen (vgl. 197). Doch, wie schon des öfteren gesagt, halten wir diese ganze mittels einer „Schere-und-Kleister-Methode“ hergestellte Konstruktion für wenig hilfreich. Man kann auch dazu mit Moloney sagen: „This reading would make excellent sense and for that reason must be rejected“. Im Gegensatz zu Hahn sehen wir in den besagten V. 26–30 eine literarische Wiederaufnahme, die der Herstellung der Textkohärenz dient. Und da das Fest der Tempelweihe an die mit dem Blut der makkabäischen Märtyrer bezahlte neue Weihe des Tempels erinnerte, den Antiochus Epiphanes zuvor ja auf schändliche Weise profanisiert hatte, und so zugleich zum Märtyrerfest geworden war, sehen wir sehr wohl den von Hahn vermißten Zusammenhang zwischen diesem Fest und der Rede vom guten Hirten, der sein Leben für seine Schafe hingibt.
Weil Jeremias, dem Simonis (Hirtenrede 79 ff) darin folgt, die V. 1–5 unseres Kapitels als ein „Gleichnis“ im technischen Sinn versteht und darum das Lexem paroim‡a als Übersetzungsvariante des hebräischen lçm und bloßes Synonym von parabolfl begreift, sieht er in den darauf folgenden V. 7–18 unter Verweis auf Mt 13,37–39 die „Auslegung“ dieses Gleichnisses: „Alles folgende ist nichts anderes, als die von morgenländischer Freude an bunter Ausmalung diktierte, allegorisierend-paraphrasierende Deutung zweier Begriffe des Gleichnisses, nämlich der ‚Tür‘ (V. 7–10) u. des ‚Hirten der Schafe‘ (V. 11–18) auf Christus. … Auf diese einfache Weise dürfte sich die Wiederholung sowohl von †g„ e¢mi ™ j‚ra (in V. 7 u. 9) wie von †g„ e¢mi ¨ poimÉn ¨ kal∙" (in V. 11 u 14) erklären. Ist das richtig, dann ist das †g„ e¢mi ktl. ... nicht eine orientalischer Sakralrede entstammende Offenbarungsformel, sondern lediglich eine Formel der Gleichnisdeutung“ (Art. poimÉn 494 f). Trotz seiner emphatischen Voranstellung erklärt er darum das †g„ e¢mi zum Prädikatsnomen und sieht in ‚Tür‘ und ‚Hirte‘ die Subjekte der entsprechenden Sätze: Die Tür (aus dem Gleichnis) bin ich; und sein guter Hirte bin ich. Aber nur wenn es sich hier wirklich um ein „Gleichnis“ und seine ihm folgende „Auslegung“ handelte, was wir jedoch mit Kysar (Johannine Metaphor) und Moloney (Komm. 300 ff) bestreiten, und nur wenn sich diese Passage nicht in unserem Evangelium mit seinen längst geprägten †g„-e¢mi-Worten fände, deren Subjekt stets der †g„ e¢mi sagende Jesus ist und deren Prädikate als Konkretisierungen der biblischen Offenbarungsformel Gottes begriffen und nicht aus irgendeiner „orientalischen Sakral480
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rede“ abgeleitet sein wollen (vgl. Thyen, Ich-bin-Worte), könnte man dem zustimmen. Im Kontext des Evangeliums aber muß man den Satz: †g„ e¢mi ™ j‚ra tùn prob›twn, im Licht der übrigen „Ich-Bin-Worte“ interpretieren und 14,6 als die sachlich engste Parallele dazu ansehen. Sehr viel näher am Text bleibt die Gliederung und Kommentierung der Hirtenrede durch Moloney. Er sieht in den vier „Ich-Bin-Worten“ nicht einfach Gliederungsele‑ mente einer „Gleichnisauslegung“, sondern beobachtet treffend, daß nur eines dieser vier, nämlich 10,14, eine grundsätzliche Richtungsänderung der Rede markiert. Denn während Jesus in den V. 1–13 durchweg polemisch argumentiere, indem er seiner Hirten-Fürsorge für die Schafe das Tun anderer gegenüberstelle, die er als ‚Diebe‘, ‚Räuber‘ (V. 8.10) und ‚Mietlinge‘ (V. 12 f) bezeichne, wobei auch seine Selbstidentifikation mit der ‚Tür der Schafe‘ und mit ihrem ‚Hirten‘ insofern Teil dieser Polemik sei, als die ‚Güte‘ des Hirten am Kontrast zu den bösen Werken der schlechten und illegitimen Hirten erkennbar werde, gelte von dem mit V. 14 einsetzenden Teil der Rede: „In vv. 14–18 all such contrasts disappear. Without polemic Jesus describes the identity and mission of the Good Shepherd (vv. 14–16), based upon the relationship he has with the Father (vv. 17–18)“ (Komm. 300 f). Zugleich verweist Moloney, auch wenn sich in Joh 10,1–18 keine Zitationsformel und kein ihr entsprechendes ausdrückliches biblisches Zitat finde, auf die durch die Rede fraglos evozierte „strong biblical tradition presenting unfaithful leaders of Israel as bad shepherds who consign their flock to the wolves (cf. Jer 23,1–8; Ez 34,2 ff; Zeph 3,3; Sach 10,2–3; 11,4–17)“ (ebd.). Wir halten diesen Hinweis für entscheidend und sehen in der gesamten Hirtenrede ein intertextuelles Spiel mit diesen biblischen Texten und zumal mit Ez 34 und Sacharja, die den erzählten Zuhörern Jesu, die sich ja lautstark als Kenner der Schrift gerühmt hatten (7,45 ff), sehr wohl vertraut gewesen sein müssen. Unter Verweis auf Bill. II, 536 ff hatte Paul Fiebig schon früh darauf hingewiesen, daß die Rede von einem „guten Hirten“ einzig rabbinisch und sonst nirgendwo zu belegen ist (Mekhilta 57–59). Danach hat dann Odeberg (Fourth Gospel 138 f) u. a. diese einschlägige Passage aus der Mekhilta breit zitiert und erörtert. Wegen ihrer signifikanten Verknüpfung der Metaphern von der ‚Tür‘ und vom ‚Hirten‘ sowie des Hirten mit Gott weisen wir hier nachdrücklich auf Odebergs Untersuchung hin. 8: „Alle, die (vor mir) gekommen sind, die sind Diebe und Räuber, aber die Schafe hören nicht auf sie.“ Obgleich das hier im Klammern gesetzte prÖ †moú in den gewichtigen Zeugen P75 a* sowie u.a. in lat sys.p sa und wahrscheinlich in P45 fehlt, ist seine Auslassung durch diese Zeugen sehr viel plausibler als seine nachträgliche Hinzufügung durch die Schreiber der von P66 angeführten übrigen Handschriften, zumal der Aorist éljon dieses vorzeitige ‚Kommen‘ ja bereits impliziert. Die Auslassung dürfte darauf beruhen, daß diese Schreiber wie manche ihrer modernen Interpreten die paroim‡a Jesu fälschlich als Allegorie, d. h. als eine verschlüsselte Rede über konkrete Subjekte, gelesen haben. Zudem ist zu bedenken, daß der Papyrus 75 als der gewichtigste dieser Zeugen in V. 7 ja „Ich bin der Hirte“ bietet. Ganz richtig macht Morris darauf aufmerksam, daß man das prÖ †moú nicht historisieren und nicht versuchen sollte, die Identität der p›nte" zu ‚entschlüsseln‘, sondern es als Teil der ‚Bildwelt‘ (imagery) der Hirtenrede und ihrer metaphorischen ‚Logik‘ begreifen sollte: Das erste Tagewerk des Hirten besteht darin, daß er am frühen Morgen zur Hürde seiner Schafe kommt und sie durch die vom ‚Türhüter‘ bewachte Tür betritt (V. 2 f). Darum müssen alle, die vor 481
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
ihm gekommen sind, unter dem Schutz der Finsternis der Nacht von anderswoher und nicht durch die Tür in die Hürde gelangt sein, um ihr räuberisches Werk darin zu tun. Das ist auch darum um so wahrscheinlicher, als Jesus nicht sagt, ‚sie waren‘, sondern ‚sie sind Diebe und Räuber‘ (Komm. 507). Zugleich – und das hatte der Erzähler ja durch seine Bemerkung über das Unverständnis der erzählten Antagonisten Jesu in V. 6 signalisiert – ist natürlich deren arrogantes Verhalten dem Blindgeborenen gegenüber im Blick: „The narrator explicitly identifies the Pharisees with the thieves and robbers in V. 6 … This has been dramatically portrayed in 9,1–34. The claims of ‚the Jews‘ to be the leaders of God’s people are false. They are thieves and robbers, purveyors of a messianic hope of their own making. As the response to the man born blind to their interpretation of the Mosaic tradition has shown (cf. 9,24–33), the sheep have not listened to them. This forced him out of their company (v. 34) into belief in the Son of Man and the company of Jesus (vv. 35–38)“ (Moloney, Komm. 302 f). 9 f: Aufs Neue, und jetzt nicht mehr im Blick auf den Hirten und seine Widersacher, sondern auf das sichere Heraus‑ und Hineingehen der Schafe aus ihrer Hürde und in sie zurück, erklärt Jesus nun: „Ich bin die Tür. Wenn einer durch mich hineingeht, wird er ‚gerettet‘ werden (swjflsetai), und er wird hineingehen und herausgehen und Weide finden. Der Dieb erscheint nur dazu, daß er stehle, schlachte und verderbe. Ich (dagegen) bin gekommen, daß sie Leben und Überfluß haben sollen“. Die Rede vom Hineingehen der Schafe in die sichere Hürde, in der sie in der Finsternis der Nacht geborgen sind, und von ihrem Hinausgehen durch den, der ihre ‚Tür‘ und zugleich ihr „guter Hirte“ ist, der sie auf grüner Weide zu Leben und Überfluß führt, zeigt, daß es sicher verfehlt ist, den vorausgegangenen Satz: Ωtan tÅ ¢d‡a p›nta †kb›lÔh (V. 4), wegen seines Anklangs an das kaÑ †xfibalon a§tÖn ≤xw von 9,34 so zu interpretieren, als ob hier gesagt wäre, daß Jesus als der Hirte alle die Seinen, nämlich die christliche Gemeinde, mit sanfter Gewalt aus der beengenden „Hürde“ des „Tempel‑ und Synagogen-Judentums“ befreite, so daß dieser ‚Exodus‘ der Christen seine nächste Analogie in der gnädigen Errettung Israels aus dem ‚Sklavenhause Ägyptens‘ hätte. Mit derart antijüdischen Akzenten aber interpretiert Simonis Joh 10 (Hirtenrede 145 ff). Er behandelt nicht nur die einleitende Paroimia von Joh 10, sondern das gesamte Kapitel als die allegorische Schilderung eines realen Geschehens, das sich unter den Augen des Evangelisten (des Zebedaiden Johannes!) während des Laubhüttenfestes von 7,2 ff im Tempelbezirk zugetragen haben soll; vgl. zur Kritik: Thyen, Joh 10 im Kontext 128 ff. Daß „der Dieb“ (¨ klfipth") „nur kommt, um zu stehlen, zu schlachten und zu verderben“, ist die Summierung schmerzlicher Erfahrungen aus dem Hirtenleben. Der Artikel steht hier, weil es sich um die regelkonforme Wiederaufnahme der in V. 8 sachgemäß artikellos eingeführten klfiptai und lÔhsta‡ handelt: So ist er, der Viehdieb, und so ist sein Metier. „Abgesehen davon, daß Jesu aktuelle Zuhörer auf der literarischen Bühne, deren wölfisches Wesen der Leser ja gerade an ihrem Umgang mit dem Blindgeborenen und seinen Eltern erkennen konnte, sich ‚diesen Schuh natürlich anziehen sollten‘, dienen alle in der Rede neben dem guten Hirten genannten Aktanten einzig dazu, ihn unverwechselbar zu profilieren“ (Thyen, ebd. 130). Dem dient auch das unverkennbare Spiel mit den biblischen Prätexten, die Moloney benannt hat. Wie die entsprechende Untersuchung von M. Sabbe (Relationship) nahelegt, sind diese alttestamentlichen Texte und zumal die aus den letzten Kapiteln des Sacharjabuches Johannes wohl durch seine synoptischen Prätexte vermittelt. Da sich die Szene von 482
Dritte Szene: „Ich bin der gute Hirte“
10,8–13
Jesu Auftritt beim Fest der Tempelweihe (10,22–39), die unserer Hirtenrede unmittelbar folgt und inhaltlich eng mit ihr verknüpft ist, als eine johanneische Prolepse der synoptischen Verhandlung des Synhedriums gegen Jesus und als ein Spiel mit den entsprechenden Texten erweisen wird (vgl. Sabbe, ebd. 75 ff; s. u. z. St.), ist es um so wahrscheinlicher, daß auch in 10,1–21 synoptische Texte variiert werden. Zwar liegen in der fiktionalen „erzählten Zeit“ wenigstens drei Monate zwischen der Hirtenrede und der Szene auf dem Fest der Tempelweihe, doch „in Wirklichkeit“, nämlich in der „Erzählzeit“, liegt „dagegen (nur) ein Raum von etwa 30 Zeilen dazwischen. Das beide Ereignisse trennende Vierteljahr steht nur auf dem Papier. In Wahrheit erinnert der Schriftsteller sich und seine Leser an das, was er kurz vorher geschrieben hat, und ganz dieselbe Bewandtnis hat es mit der Erinnerung an den Blindgeborenen am Grabe des Lazarus (11,37) oder mit der noch auffälligeren Bezugnahme 12,34 auf 3,14; 8,28 (nicht etwa 12,23)“ (Holtzmann, Unordnungen 55).
11–13: Nach der synoptischen Getsemane-Szene erklärt Jesus im Zusammenhang mit seiner Ankündigung, daß ausgerechnet der selbstsichere Petrus ihn dreifach verleugnen werde: „Ihr werdet alle (an mir) Anstoß nehmen, denn es steht geschrieben: ‚Ich werde den Hirten schlagen (pat›xw tÖn poimfina), und die Schafe werden zerstreut werden (Sach 13,7). Aber nach meiner Auferstehung werde ich vor euch hergehen nach Galiläa“ (Mk 14,27 f; Mt 26,31 bezeichnet die zerstreuten Schafe als tÅ pr∙bata tö" po‡mnh"). Indirekt kommt dieser Sacharja-Text bei Markus dann noch einmal zur Sprache, wenn der Grabesengel den erschreckten Frauen, die Jesu Grab am Ostermorgen leer fanden, aufträgt, Jesu Jünger und namentlich Petrus an dieses Wort vom Vorangehen des geschlagenen Hirten vor seinen zerstreuten Schafen her nach Galiläa zu erinnern (kajá" eèpen ≠mõn: Mk 16,7). Wie Lukas in 22,31–34 hat auch Johannes die Ankündigung der Petrus-Verleugnung (13,36–38) ebenso wie die Warnung ºna mÉ skandalisjöte (16,1) und die Prophezeiung, daß die Stunde komme und bereits eingetreten sei, ºna skorpisjöte ∫kasto" e¢" tÅ ¥dia kümÇ m∙non üföte (16,32), in die Abschiedsreden Jesu integriert. Daß Johannes mit den Schlußkapiteln des Sacharja-Buches eng vertraut ist, hatten bereits die Szene der Tempelreinigung (2,16 als Spiel mit Sach 14,21) und Jesu Verheißung: „Aus seinem Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen“, am letzten Tag des Laubhüttenfestes gezeigt (7,37–39), die wir als Antizipation von 19,33–37 und als Spiel mit Sach 12,10; 13,1.7 und 14,8 begriffen hatten. „It seems that the evangelist has interpreted as one unit the oracle of Zech 12–13, on the siege of Jerusalem with the protection of its inhabitants and their mourning for the man who was wounded and killed, thus transforming the whole situation into conversion and blessings on the day of the Lord. In this way the suffering figure (12,10; 13,7) is understood as a prophetic symbol coming to its fulfilment in the death of Jesus“ (Sabbe, ebd. 86; s. u. zu 19,33 ff). Im Spiel mit den synoptischen Prätexten und unter Rückgriff auf das SacharjaBuch wird auch die Szene von ‚Jesu Einzug in Jerusalem‘ erzählt (12,12 ff): Als eine große Volksmenge (µclo" pol‚") den einziehenden Jesus als den basileÜ" toú ûIsrafll begrüßt und ihm damit als dem verheißenen Messias huldigt, begründet der Erzähler das mit Sach 9,9 so: „Jesus aber fand ein Eselsfüllen und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: ‚Fürchte dich nicht, Tochter Zion. Siehe dein König kommt, sitzend auf dem Füllen einer Eselin‘“. Obwohl nur rudimentär findet sich bei Sacharja auch das Gegenüber des „guten Hirten“, der bis zum Einsatz seines Lebens für seine Schafe sorgt, und der „bösen Hirten“, die im Gegensatz dazu allein auf ihr eigenes 483
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Wohlleben und auf ihren Profit bedacht sind. „… Darum verirren sie sich wie Schafe. Weil kein Hirte da ist, irren sie umher. Wider die Hirten entbrennt mein Zorn, und über die Leitböcke bringe ich Heimsuchung …“ (Sach 10,2 f) „… Dann sprach Jhwh abermals zu mir: Nimm dir die Ausrüstung eines unerfahrenen Hirten (skeuÉ poimenikÅ poimfino" üpe‡rou). Denn siehe, ich lasse einen unerfahrenen Hirten im Lande auftreten, der sich um das, was zugrunde geht, nicht kümmert, nicht aufsucht, was verirrt ist, was verwundet ist, nicht heilt und nicht versorgt, was noch gesund ist. Das Fleisch der fetten Tiere verzehrt er und reißt ihnen selbst die Klauen ab. Wehe über die schlechten Hirten, die ihre Schafe verlassen. Das Schwert falle ihm in den Arm und treffe sein rechtes Auge. Sein Arm soll verdorren und sein Auge verlöschen!“ (Sach 11,15–17; vgl. 11,4 ff). Weil Sacharja hier seinerseits ganz offensichtlich mit Jer 23,1–8 und zumal mit Ez 34 als seinen Prätexten spielt und diese so evoziert, nannten wir seine Gegenüberstellung von guten und bösen Hirten oben insofern „rudimentär“, als sie zur Lektüre dieser Prätexte herausfordert. „Wehe den Hirten, die meiner Herde Schafe sich verirren und zerstreuen lassen, spricht Jhwh. Deshalb sagt (er) über die Hirten, die mein Volk zu weiden haben: Ihr habt meine Schafe zerstreut und auseinandergetrieben und euch nicht um sie gekümmert. Deshalb werde ich euch jetzt eure bösen Taten heimzahlen, spricht Jhwh. Ich selbst aber werde den Rest meiner Schafe aus allen Ländern sammeln, wohin ich sie versprengt habe, und werde sie auf ihre Weideplätze zurückführen. Da werden sie fruchtbar sein und sich mehren. Und ich werde sie Hirten anvertrauen, die sie wirklich weiden, so daß sie nichts mehr zu fürchten und vor nichts mehr zu erschrecken brauchen und nicht mehr verloren gehen, spricht Jhwh. Siehe es kommen Tage, spricht Jhwh, in denen ich David einen gerechten Sproß werde erstehen lassen. Der wird als König herrschen, weise walten und für Recht und Gerechtigkeit im Lande sorgen. In seinen Tagen wird Juda Heil erfahren, und Israel wird in Sicherheit wohnen. Und das ist sein Name, den man ihm geben wird: ‚Jhwh unsere Gerechtigkeit‘“ (Jer 23,1–6; vgl. Zeph 3,3–5). Die größte Affinität zu unserer Hirtenrede aber hat Gottes Rede über die Hirten Israels in Ez 34. Dodd erklärt dazu, dem Verfasser der Hirtenrede müsse dieses Kapitel unmittelbar vor Augen gestanden haben, denn ohne diese Referenz könne sie nicht wirklich verstanden werden (Interpretation 358 ff; vgl. Beutler, Hintergrund 26 ff). Das muß dann aber auch heißen, daß die Hirtenrede dem potentiellen Leser/Hörer des Evangeliums Ez 34 ins Gedächtnis rufen soll. Darum seien die entscheidenden Passagen des Kapitels hier zitiert: „Das Wort Jhwhs erging an mich also: Menschensohn, weissage über die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: Ihr Hirten! So spricht Jhwh, der Herr. Wehe den Hirten Israels. Haben sie sich nicht nur selbst geweidet, wo Hirten doch die Schafe weiden sollen? Von deren Milch habt ihr euch genährt, mit ihrer Wolle euch gekleidet und die fetten Tiere geschlachtet. Aber die Schafe habt ihr nicht geweidet. Das Schwache habt ihr nicht gestärkt, das Kranke nicht geheilt, das Verletzte nicht verbunden, das Versprengte nicht zurückgeführt, das Verirrte nicht gesucht, das Kräftige aber niedergetreten und mißhandelt. Da zerstreuten sich meine Schafe, weil sie keinen Hirten hatten, und wurden allem Wild des Feldes zum Fraß, und sie zerstreuten sich. … Darum … spricht Jhwh, der Herr: Siehe, ich komme über die Hirten und werde meine Schafe aus ihrer Hand fordern, ich werde ihrem Hirtenamt ein Ende machen, und die Hirten sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich werde meine Schafe ihrem Rachen entreißen und sie sollen ihnen nicht mehr zum Fraße dienen. … Ich selbst will meine Schafe aufsuchen und nach ihnen sehen. Wie ein Hirt für seine Herde sorgt am Tage, da er mitten unter seinen Schafen steht, die sich zerstreut haben, so will ich mich meiner Schafe annehmen … Auf guter Trift will ich sie weiden auf den Bergen Israels, und ich selbst will sie lagern lassen … Das Verlorene will ich suchen, das Versprengte zurückführen, das Gebrochene verbinden, das Kranke stärken, das Fette aber und Kräftige will ich schützen und weiden, wie es recht ist. … Und ich werde über sie einen einzigen Hirten bestellen, der sie weiden soll, meinen Knecht David, der soll sie weiden und ihr Hirte sein. … Sie sollen nicht mehr eine Beute sein
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Dritte Szene: „Ich bin der gute Hirte“
10,13–15
den Völkern, noch sollen die Tiere des Landes sie fressen, sondern sie sollen sicher wohnen, ohne daß jemand sie schreckt … Und ihr, meine Schafe, Schafe meiner Weide seid ihr, ich aber bin euer Gott, spricht Jhwh, der Herr“ (Ez 34,1–12.14.16.23.28.31).
Sieht man durch das Zeugnis Sacharjas hindurch diesen Ezechiel-Text im Hintergrund unserer Hirtenrede, dann hat Jesus sich mit seinem Wort: „Ich bin der gute Hirte“ implizit bereits ganz eindeutig mit dem verheißenen „einzigen Hirten, … meinem Knecht David“ identifiziert, so daß von da aus auch die drängende Frage der ûIoudaõoi in der folgenden Szene verständlich wird: ∫w" p∙te tÉn yucÉn ™mùn a¥rei"; e¢ sÜ ¨ crist∙", eèpe ™mõn parrhs‡a (10,24). Und aus dem nahezu ununterscheidbaren Mit‑ und Nebeneinander Jhwhs und seines ‚Knechtes David‘ als des ‚guten Hirten‘ Israels will auch Jesu Wort verstanden sein: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30), in dem alle seine bis dahin laut gewordenen Selbstzeugnisse kulminieren (vgl. Simonis, Hirtenrede 167 f; s. u. z. St.). 14 f: Mit dieser neuen Proklamation Jesu: „Ich bin der gute Hirte“ ist jeglicher Konflikt verschwunden. Jesus setzt sich nun nicht mehr mit jenen „anderen“ auseinander, die für sich das Hirtenamt beanspruchen, sondern er spricht jetzt von seiner Beziehung zu seiner ‚Herde‘ (14–16), die ihrerseits in seiner Beziehung zu seinem ‚Vater‘ ihren festen Grund hat (vgl. Moloney, Komm. 304). Diese wechselseitigen Relationen zwischen Jesus als dem guten Hirten zu den Seinen als seinen Schafen und dieser zu ihm, sowie zwischen Jesus als dem Sohn und seinem himmlischen Vater und des Vaters zu diesem Sohn werden durch das jetzt neu eingeführte Lexem gin„skein als ein wechselseitiges ‚Miteinander-Vertrautsein‘ zur Sprache gebracht. So wenig sich das Werk des guten Hirten „auf die Betreuung der längst festgelegten Gotteskinder“ innerhalb der Menschheit als einer massa perditionis reduzieren läßt – so J. Becker (Komm. I, 382), der 10,1–18 als eine sekundäre Einfügung betrachtet, die inhaltlich der ‚Theologie‘ des ‚Evangelisten‘ widersprechen soll –, so wenig darf das Sterben Jesu „für seine Schafe“ als ein ‚Opfer‘ verstanden werden, das nur derart Prädestinierten zu gute käme. Es muß auch für die Interpretation der Hirtenrede als eines Teiltextes, der durch das gesamte Werk determiniert ist, in dem er sich findet, dabei bleiben, daß Gott seinen Sohn nicht in die Welt entsandt hat, „daß er die Welt verdamme, sondern daß die Welt (und nicht etwa nur Wenige, die dazu prädestiniert wären) durch ihn gerettet werde“ (3,17). In diesem Sinn ist es zumindest mißverständlich, wenn O. Betz zur Bedeutung von fwnfl bei Joh erklärt: „Die Stimme des Hirten hören (10,2 f. 16.27) heißt e¢dfinai tÉn fwnÉn a§toú und ihr folgen (v. 4); umgekehrt entziehen sich die Schafe der ihnen unbekannten Stimme eines Fremden durch die Flucht (v. 5). Die völkischen Schranken sind beseitigt: Auch außerhalb der Herde gibt es Schafe, die auf die Stimme des Hirten hören werden und darum Anschluß an die Herde finden sollen (v. 16). Nur wer zu den Erwählten zählt, kann Jesu Stimme hören, sie glaubend und gehorchend als das endzeitliche Wort der Gnade und der Wahrheit annehmen. An den Erwählten ist auch in dem deklaratorischen Satz gedacht, mit dem Jesus den Dialog mit Pilatus abschließt: pô" ¨ œn †k tö" ülhje‡a" üko‚ei mou tö" fwnö" (18,37)“ (Art. fwnfl 290). J.D. Turner knüpft daran an: „The basic idea here, that Jesus’ own can alone hear his voice, suggests a certain affinity, sympathy, even identity or consubstantiality between the saviour and those to whom he comes; both are ‚of the truth‘. Such an idea is more typical of Gnosticism than of any other religious stance of the period, although traces of it can be found in the wisdom literature.
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10,1–21
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Nowhere is there to be found a better parallel to the concept of the revealing voice in the Fourth Gospel than in the Gnostic treatise, the Trimorphic Protennoia (NHC XIII, 1)“ (History 41 f).
Doch solche Sätze wie: „Nur wer zu den Erwählten zählt, kann Jesu Stimme hören“ oder die Unterstellung, bei Johannes bestehe eine „certain affinity, sympathy, even identity or consubstantiality between the saviour and those to whom he comes“, und erst recht alle Versuche, das Evangelium in die unmittelbare Nähe der Gnosis zu rücken oder gar seine Abhängigkeit von gnostischen Texten zu postulieren, werden ihm schwerlich gerecht. Denn wenn ohne den l∙go", der im Anfang war, kein Geschöpf je geworden ist (1,1 ff), dann muß prinzipiell alles Geschaffene ‚sein Eigenes‘, und dann müssen zumal alle Menschen ‚die Seinen‘ sein. Bereits zu den Prologversen 1,10–13 haben wir in der Auseinandersetzung mit Trumbower und Bergmeier deren deterministische Interpretation von ‚Erwählung‘ und ‚Verwerfung‘ zurückgewiesen. Und auch das dogmatische Problem, daß jedes Reden von einer ‚doppelten Prädestination‘ in ebenso unangemessene wie unüberwindliche Aporien führt, haben wir im Anschluß an Joh 6,43 f.65 (s. o. z. St.) bereits erörtert. Wer Gott, der doch – ebenso wie unser ‚Nächster‘ – anders ist als Sein und als Sein geschieht (Lévinas), unserer Kalenderzeit einverleiben und Jesu poetische Rede von ‚seinen Schafen‘ der Logik der Ontologie unterwerfen und sie so begreifen will, als seien durch ein vorzeitiges göttliches Dekret nur einige Wenige zum Heil, die gesamte Masse der Übrigen aber zum ewigen Verderben bestimmt, dessen Heilsegoismus und sein Wahn, ein ‚Sehender‘ zu sein, stellt noch jene ‚blinden Pharisäer‘ in den Schatten, von denen Joh 9 eben erzählte. Darum darf Jesu poetische Hirtenrede keinesfalls als propositionale Behauptung über etwas begriffen werden, das in der Welt real der Fall wäre, sondern sie will als verheißende Einladung an alle gehört werden, die dazu aufruft, jene neue Welt zu bewohnen, von der sie spricht und die sie so als ‚Wirklichkeit‘ überhaupt erst stiftet. Unter Vernachlässigung der Intertextualität mit den oben genannten biblischen Texten und zumal mit Ez 34 sieht Bultmann zwar eine Entsprechung des Hirtenbildes von Joh 10 zu „einigen Zügen der at. lichen Tradition“, doch zugleich meint er, der „entscheidende Unterschied“ dazu bestehe darin, „daß der Hirt in Joh 10 nicht messianischer Herrscher“ sei und daß hier „alle Züge einer königlichen Gestalt“ fehlten (Komm. 278 ff). Bultmann nennt dann noch weitere Unterschiede zur biblischen und synoptischen Tradition und folgert daraus, daß „diesen Unterschieden gegenüber … die Übereinstimmungen (mit der biblischen Tradition), die sich auf die allgemeinen Charakteristika des Hirtenamtes beziehen, wenig“ besagen; die Unterschiede (zeigten) vielmehr, „daß das joh. Hirtenbild entweder eine originale Konzeption (sei) oder in einem anderen Traditionszusammenhang“ stehe (ebd. 279). Und wie E. Schweizer (Ego eimi 56 ff) sowie K.-M. Fischer (Johanneischer Christus 245 ff) und Turner (Background 43 ff) votiert er für das letztere und sieht jenen „anderen Traditionszusammenhang“ in gnostischen Texten. Dafür beruft er sich ebenso wie Schweizer, der die Passage ausführlich zitiert, zumal auf die folgende Passage aus dem Johannesbuch der Mandäer: „Ein Hirte bin ich, der seine Schafe liebt, Schafe und Lämmer hüte ich. Um meinen Hals (trage ich) die Schafe, und von dem Dorfe entfernen sich die Schafe nicht. Nicht trage ich sie an das Meeresufer, damit sie nicht den Strudel des Wassers sehen, damit sie sich nicht vor dem Wasser fürchten und, wenn sie Durst haben, kein Wasser trinken. Ich trage sie hin und tränke sie mit Wasser aus meiner hohlen Hand, bis 486
Dritte Szene: „Ich bin der gute Hirte“
10,14–15
sie sich satt getrunken haben. Ich bringe sie nach der guten Hürde, und bei mir weiden sie. … Nicht springt ein Wolf in unsere Hürde, und nicht vor einem grimmigen Löwen brauchen sie sich zu ängstigen. Und nicht brauchen sie sich zu fürchten vor dem Sturme …, und ein Dieb kann nicht eindringen bei uns. Nicht dringt ein Dieb in ihre Hürde, und um ein eisernes Messer brauchen sie sich nicht zu fürchten“ (Joh-Buch 44,27 ff; zitiert nach Schweizer 64 f; außer auf diesen Text verweisen Schweizer und Bultmann auf Rechter Ginza V/2). Doch der zitierte Text steht unserer Hirtenrede keineswegs näher als Ez 34, wo die bösen Hirten Gott und seinem Knecht David als dem einzigen guten Hirten gegenüberstehen. Zudem ist das mandäische Johannesbuch ganz offensichtlich erst im siebten Jahrhundert nach der Begegnung der Mandäer mit dem Islam entstanden (vgl. Rudolph, Mandäer I, 27). Schweizer behauptet zwar für die zitierte Hirtenpassage ein sehr viel höheres Alter, aber daß sie Johannes in schriftlicher Form vorgelegen haben könnte, erscheint uns ebenso unbegründet wie Bultmanns Behauptung, daß der ‚gute Hirte‘ in Joh 10 „nicht messianischer Herrscher“ sei. Denn vor dem Hintergrund und im Spiel mit Ez 34 ist der den bösen gegenüber einzig ‚gute Hirte‘ sehr wohl der messianische König: kaÑ ünastflsw †pû a§toÜ" poimfina ∫na kaÑ poimaneõ a§toÜ", tÖn doúl∙n mou Dau‡d, kaÑ ≤stai a§tùn poimfln (34,23). Nicht zufällig ‚umringen‘ die ‚Juden‘, denen dieser Zusammenhang also sehr wohl nicht entgangen sein dürfte, Jesus in der unmittelbar folgenden Szene darum (†k‚klwsan oên a§tÖn o´ ûIoudaõoi) und beschwören ihn mit den Worten: „Wie lange willst du unsere Seele noch im Ungewissen halten? Wenn du der Messias bist, dann sag es uns doch endlich frei heraus (e¢pÇ ™mõn parrhs‡a)“ (10,24; s. u. z. St.). Und bald nach dem Schisma von 10,19–21 huldigen jene ±lloi Jesus, der seinen Einzug in Jerusalem nach dem Bild von Sach 9,9 inszeniert – mÉ foboú, jug›thr Si„n: ¢doÜ ¨ basile‚" sou ≤rcetai, kajflmeno" †pÑ pùlon µnou –, als dem messianischen basileÜ" toú ûIsrafll (12,12 ff). Ebenso wie Schneider (Komm. 204) können wir uns darum nur dem begründeten Urteil von J. Jeremias anschließen, wonach „das palästinische Bildmaterial, die zahlreichen Semitismen und die Fülle der Anklänge an das Alte Testament (besonders an Ez 34) übereinstimmend in den alttestamentlich-palästinischen Bereich (weisen). Die wesentlichen Züge des deutenden Abschnitts 10,11–18 – Jesus der Hirte, das Zurücktreten des Herrschermotivs im Hirtenbilde, die Jüngerschar als Herde, der der Hirt vorangeht, der Tod des Hirten, die Sammlung der Völkerherde –: stimmen außerdem mit den synoptischen Selbstaussagen überein. Neu gegenüber dem Alten Testament ist der Gedanke, daß der Tod des Hirten freiwilliges, stellvertretendes Sterben für die Herde ist; hier haben die Leidensweissagungen Jesu und das geschichtliche Ereignis des Kreuzestodes Jesu die Ausgestaltung des Mark. 14,27 f. vorgegebenen Ansatzes bewirkt. Dagegen fehlen Hirtenaussagen aus der Welt des Synkretismus und der Gnosis, die Joh. 10 beeinflußt haben könnten; denn die einzig in Frage kommenden späten Hirtenstücke der mandäischen Literatur … sind offensichtlich aus ganz losen Reminiszenzen an Joh. 10 erwachsen“ (Art. poimfln ktl. 495 f). Dieses Urteil gilt auch gegenüber K.-M. Fischers Versuch (Joh. Christus), wesentliche Züge unserer Hirtenrede aus den Nag-Hammadi-Papyri abzuleiten. Das wechselseitige Sich-Kennen (gin„skein) Jesu als des ‚guten Hirten‘ und der ‚Seinen‘ hat seinen Grund in der ebenfalls durch gin„skein ausgedrückten wechselseitigen Nähe des Vaters zu Jesus als seinem Sohn. Wie auch sonst oft hat die Konjunktion 487
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
kaj„" hier neben dem vergleichenden Sinn (ebenso wie) zugleich begründenden Charakter (B-D-R § 253,2). Daß hier mit dem Verbum gin„skein „nicht ein rationales, theoretisches Erkennen“ bezeichnet wird, „bei dem das Erkannte dem Erkennenden gegenübersteht in der Distanz des objektiv Wahrgenommenen; sondern … ein Innewerden (meint), bei dem der Erkennende durch das Erkannte – nämlich durch Gott – in seiner ganzen Existenz bestimmt ist“, sieht Bultmann treffend (Komm. 290). Er zitiert dazu aus den Od. Sal.: „Erkennt meine Erkenntnis, die ihr wahrhaft von mir erkannt seid; liebt mich inbrünstig, die ihr geliebt seid! Denn ich wende mein Angesicht nicht von den Meinen, weil ich sie kenne“ (8,12 ff). Doch wenn er unter Berufung auf seinen Artikel gin„skein ktl. 692 ff dann erklärt: „Es ist ein Erkennen, in dem sich Gott dem Menschen erschließt und ihn damit in sein göttliches Wesen verwandelt“ (Komm. 290), bringt er Johannes wohl in allzu große Nähe zur Gnosis. Denn dieses gin„skein ist als ein ‚Erkennen‘ immer zugleich auch ein ‚Anerkennen‘ des Anderen und der Respekt vor seinem unassimilierbaren Anderssein. In anderem Zusammenhang hatten wir oben Lévinas mit den Worten zitiert: „Die Nähe des Nächsten ist meine Verantwortlichkeit für ihn. Nahen heißt: der Hüter seines Bruders sein. Hüter seines Bruders ist, wer als Leibbürge für ihn eintritt. Hierin besteht die Unmittelbarkeit. Die Verantwortlichkeit rührt nicht von der Brüderlichkeit her, sondern die Brüderlichkeit ist der Name für die Verantwortlichkeit für den anderen, die diesseits meiner Freiheit liegt“. Eben diese „Brüderlichkeit“ (vgl. 20,17) als die „Verantwortlichkeit für den anderen, die diesseits seiner Freiheit“ liegt, nämlich in der †ntolfl seines Vaters (V. 18), nimmt Jesus als der ‚gute Hirte‘ und Hüter seiner Brüder wahr. Doch auch die neue ‚Geburt aus dem Geist und von oben‘ (3,3 ff) „verwandelt“ den Menschen nicht in „göttliches Wesen“, sondern läßt ihn vor Gott nun erst wahrhaft Mensch sein. Neu ist in V. 15 auch, daß Jesus nun nicht mehr wie eben noch in V. 11 in dritter Person erklärt, der gute Hirte setze sein Leben ein für seine Schafe, sondern daß er jetzt in erster Person von sich selbst sagt: „Ich gebe mein Leben hin für meine Schafe“. Wie der Kontext und namentlich V. 18 deutlich macht, hat die doppeldeutige Wendung t‡jhmi tÉn yucfln (‚sein Leben einsetzen‘) jetzt den eindeutigen Sinn der tatsächlichen Hingabe des Lebens gewonnen. Wenn auch schwerlich ursprünglich bieten P45.66 a* D W pbo anstelle des genuin johanneischen t‡jhmi darum auch das geläufigere d‡dwmi. Und da diese Lebenshingabe Jesu durch seine Kreuzigung als das heilsnotwendige (deõ) „Erhöhtwerden des Sohnes des Menschen“ (3,14) ihren Grund in Gottes Liebe zum k∙smo" hat (3,16: oætw" gÅr °g›phsen ¨ jeÖ" tÖn k∙smon ktl.), muß jetzt über den Text von Ez 34 hinaus auch von jenen „anderen Schafen“ des guten Hirten die Rede sein, die nicht „aus dieser Hürde“, nämlich aus dem Gottesvolk Israel, sind. 16: „Und ich habe noch andere Schafe, die nicht aus dieser Hürde sind, und auch die muß (deõ) ich führen, und sie werden (auf) meine Stimme hören, und (alle) werden eine Herde sein unter einem Hirten“. Anstelle der durch P45 a 2 B D L W Q Y 1. 33. 565. (1424) al f syhmg ; Cl besser bezeugten Plural-Lesart genflsontai: „Sie [sc. die Schafe aus den verschiedenen Hürden] werden eine Herde sein“, bieten P66 a* A f13 M lat sy den Singular genflsetai, vermutlich nur eine „stylistic correction“ (Metzger, Comm. 230). Doch so oder so wird hier endlich deutlich, daß jene a§lfl und jene pr∙bata, von denen bisher die Rede war, keineswegs „die Welt der Finsternis“ samt den in ihr „eingekerkerten Menschenseelen war“, wie Fischer meint, sondern das Erbteil Israels und die Glieder des erwählten Gottesvolkes, von dem nach 4,23 die swthr‡a 488
Dritte Szene: „Ich bin der gute Hirte“
10,15–16
toú k∙smou kommt (vgl. das Bekenntnis der Samaritaner zu Jesus als dem swtÉr toú k∙smou in 4,42). Wie Jesus sich selbst in 8,12 im Spiel mit Jes 8,23–9,1 und den Liedern vom Gottesknecht, den Gott „zum Bunde des Volkes und zum Licht für die Heiden gemacht hat“ (Jes 42,6), als das fù" toú k∙smou proklamiert hatte, so spricht er jetzt von seiner göttlich-eschatologischen Bestimmung (deõ), der „Sammlung der Heiden zur Herde Israels“ (Hofius). Dieses Wort seines ‚guten Hirten‘ von der Notwendigkeit der Sammlung auch seiner anderen Schafe, die nicht aus dieser Hürde sind, zu der einen Herde nimmt der Erzähler gleich im folgenden Kapitel noch einmal auf. Nach dem Aufsehen erregenden Wunder der Auferweckung des Lazarus erklärt Kaiphas den versammelten Hohenpriestern und Pharisäern ebenso zynisch wie realistisch, daß es doch besser sei (sumffirei), nur einen Menschen für das Volk sterben als das ganze Volk unter dem dann unvermeidbaren Ansturm der römischen Legionen zugrunde gehen zu lassen (11,49 f). Dieses hohepriesterliche Wort, das dann zum definitiven Beschluß der Versammlung führt, Jesus zu töten, kommentiert der Erzähler nun nämlich so: „Das sagte er aber nicht aus sich selbst heraus (üfû ©autoú o§k eèpen), sondern weil er damals als Hoherpriester amtierte, war er vom Geist der Prophetie inspiriert, denn Jesus sollte ja (tatsächlich) für das Volk sterben, ja nicht nur für das Volk allein, sondern auch dazu, daß er die zerstreuten Kinder Gottes zu einer Herde zusammenführe“ (sunag›gÔh e¢" ∫n: 11,51 f; s. u. z. St.). Schon J. Jeremias hatte in Joh 10,16 und 11,51 f das biblische Motiv der Völkerwallfahrt zum Zion wirksam gesehen und formuliert: „Die verstreute Herde der Völker wird durch Gottes Hirten auf dem Zion mit der Herde des Gottesvolkes vereint“ (Jesu Verheißung 55; vgl. Art. poimfln 495–501). Daran knüpft Hofius an und zeigt, daß weit über Texte wie Ez 34, 11–31; 37,15–21 oder Mi 2,12 hinaus, die nur die endzeitliche Sammlung aller Verstreuten Israels verheißen, im Widerspruch gegen Dtn 23,2 ff bereits das Jesajabuch „das Offensein der Heilsgemeinde Israel für die ‚Verschnittenen‘ und ‚Fremden‘“ proklamiere: „Ich will sie zu meinem heiligen Berg bringen / und will sie erfreuen in meinem Bethaus … / denn mein Haus wird heißen: ‚Bethaus für alle Völker‘“ (Jes 56,7). Bei Markus zitiert Jesus eben diese Verheißung mit der Folge, daß die „Hohenpriester und Schriftgelehrten ihn zu beseitigen trachteten“ (Mk 11,17 f). Und unmittelbar auf Jes 56,7 folgt diese Verheißung: (wyxbqnl wyl[ ≈bqa dw[ larçy yjdn ≈bqm hwhy ynda µan V. 8): „Spruch des Herrn Jhwh, der die Versprengten Israels sammelt: Noch mehr werde ich zu ihnen hinzu sammeln, zu seinen Versammelten hinzu“. Diese Übersetzung hat Hofius (Sammlung 290 f) eingehend begründet; er kommt zu dem Schluß: „Es kann m. E. nicht zweifelhaft sein, daß die johanneischen Stellen 10,16 und 11,51 f an Jes 56,8 anknüpfen“. Ja, diese Schlußfolgerung wird noch stärker, wenn man in Betracht zieht, daß Joh nicht nur den Markustext mit dem Zitat von Jes 56,7 kennen dürfte, sondern daß er darüber hinaus durch sein Spiel mit einem Text aus der unmittelbaren Nähe von Jes 56,8, nämlich mit Jes 55,10 f, seinen Prolog fest mit dem narrativen Corpus des Evangeliums verknüpft und in dessen Licht seine Gesandten-Christologie sowie besonders seine Lebensbrotrede entfaltet (s. o. jeweils z. St.). Wenn Jesus nun auch von jenen ‚anderen Schafen‘ sagt: kaÑ tö" fwnö" mou üko‚sousin, so muß sich das wohl auf die im Evangelium bewahrte und vom Geist-Parakleten „erinnerte“ Stimme des irdischen Jesus beziehen, denn nach Joh 12,20 ff ist ja die „Stunde der Verherrlichung des Sohnes des Menschen“ die Bedingung der Möglichkeit für das Hinzukommen jener anderen Schafe. Erst wenn das Weizenkorn in die Erde gefallen und erstorben 489
10,1–21
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
ist, wird es nicht allein bleiben, sondern viel Frucht bringen (12,24; vgl. 17,20). Im übrigen gilt auch von den ‚anderen Schafen‘ das Paradox, daß es seine Stimme ist, die sie erst zu Erwählten macht, und daß sie zugleich doch dieser Stimme nur zu folgen vermögen, weil sie seine Erwählten sind. Und diese Relation kann in keine Ontologie von Ursache und Wirkung aufgelöst werden. 17 f: Ähnlich steht es mit der Relation zwischen der ‚Liebe des Vaters‘ und der freiwilligen Lebenshingabe des Sohnes. Wenn Jesus die letztere mit den Worten: „Der Vater liebt mich, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen“, zum Grund der väterlichen Sohnesliebe erklärt, dann „darf die mythologische Sprache (natürlich) nicht dazu verführen, den Gedanken ins Trivial-Menschliche herabzuziehen, als habe Jesus durch sein Opfer die Liebe des Vaters und damit seine Würde erst gewinnen müssen. Der Vater liebte ihn ja prÖ katabolö" k∙smou (17,24); und es ließe sich wohl auch umgekehrt sagen, daß er sein Leben hingibt, weil der Vater ihn liebt. Was gesagt werden soll, ist eben dieses, daß in seinem Opfer die Liebe des Vaters zu ihm wirklich ist, und daß deshalb dieses Opfer Offenbarung der Liebe des Vaters ist“ (Bultmann, Komm. 293). Daß der ºna-Satz nicht „die Absicht oder den Zweck“ der Lebenshingabe Jesu, sondern ihre Konsequenz zur Sprache bringt, bemerkt Bultmann ebd. zu Recht (vgl. Moloney, Komm. 311). Wenn Jesus dann fortfährt und erklärt: „Niemand nimmt mir mein Leben (a¥rei), sondern allein ich selbst (emphatisches †g„) gebe es freiwillig hin. Wie ich die Vollmacht habe, es hinzugeben, so habe ich auch die Vollmacht, es (mir) wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater erhalten“, so kommt hier zwar einstweilen nur implizit, wenn auch höchst pointiert zum Ausdruck, was Jesus erst in der folgenden Szene, als die Juden ihn auf dem Tempelweihfest förmlich ‚verhören‘, explizit sagen wird, nämlich: „Ich und der Vater sind Eines“ (10,30; s. u. z. St.), gleichwohl aber wird schon hier der genuin johanneische Gedanke formuliert, daß Jesus nicht nur der Herr seines Todes, sondern Herr auch seiner Auferstehung ist: Als der vom Vater Beauftragte hat er die Vollmacht, sein in den Tod gegebenes Leben erneut zu ergreifen. Wenn Hoskyns dazu erklärt: „Elsewhere throughout the New Testament (i. e. apart from here and 2,19) the Resurrection of Jesus is always referred to as an act of God“ (Komm. 380), so trifft das gewiß die allgemeine Tendenz, ist aber in dieser Schärfe sicher überzeichnet. Denn wenn auch selten, so finden sich doch auch im übrigen Neuen Testament Aussagen, in denen Jesus sich selbst als das handelnde Subjekt seiner Auferstehung benennt. So erklärt er etwa in Mk 8,31, „daß der Sohn des Menschen … getötet werden und nach drei Tagen auferstehen müsse“, vgl. Lk 24,7; und über Jesus ist in Act 10,41; 17,3 und 1Thess 4,14 gesagt, daß er „auferstanden sei“ (vgl. Morris, Komm. 513: „We ought not to put any opposition between the Father and the Son in this matter, nor should we doubt that the habitual New Testament form of expression is that the Father raised the Son. But we should not overlook the fact that there is also a strand of New Testament teaching which says that the Son ‚rose‘“). Dennoch aber sollte man Johannes nicht einfach diesem „strand“ zuordnen, sondern sehen, daß er ihn absichtsvoll und höchst konsequent auf die Spitze getrieben hat. Denn die seit Grundlegung der Welt waltende Einheit von Vater und Sohn läßt es nicht zu, daß der eine den anderen wie ein Objekt behandelt. Gegenüber der Lesart éren (‚niemand hat mir das Leben genommen‘), die u. a. Brown (Komm. I, 387), Morris (Komm. 513) für ursprünglich halten, weil sie früh durch P45 a* B syp bezeugt und zudem die lectio difficilior ist, ziehen wir mit der Mehrheit der 490
Vierte Szene: Jesu ‚Verhör‘ während des Festes der Tempelweihe
10,16–21
Herausgeber von Nestle-Aland26 f dennoch das Präsens a¥rei vor. Denn durch P66 und alle übrigen Handschriften ist es ebenso früh, vor allem aber sehr viel breiter bezeugt als der ausschließlich vom ägyptischen Texttypus gebotene Aorist. Auf Grund unserer Exegese von Joh 3,13 (s. o. z. St.) vermögen wir Browns Argument für die Lesart éren, daß Jesus ja in 3,13 ebenfalls im Tempus der Vergangenheit von seinem Tod und seiner Auferstehung rede, so wenig zu folgen wie seinem Vorschlag, éren auf die erfolglosen Anschläge auf Jesu Leben in 5,18; 7,25 und 8,59 zu beziehen. Als eine Verlegenheitsauskunft erscheint uns auch Schlatters Bemerkung: „Mit éren ist gesagt, daß die Entscheidung über den Ausgang Jesu bereits feststeht“ (Komm. 239). Will man hier überhaupt den Aorist lesen, dann läßt der Kontext nur die Möglichkeit, ihn als gnomischen oder futurischen zu begreifen (vgl. B-D-R § 333 und Bultmann, ebd. Anm. 4). 19–21: Das p›lin des erneuten ‚Schismas‘ unter den Juden weist zurück auf 7,43 u. 9,16. Der Vorwurf, Jesus sei von einem Dämon besessen und nicht Herr seiner Sinne, den die Juden schon in 8,48 und 52 gegen ihn erhoben hatten, erinnert an die synoptische Unterstellung, Jesus sei von Sinnen (†xfisth: Mk 3,21; das synonyme Lexem ma‡nomai findet sich bei Joh nur hier), und er sei von Beelzebul besessen und treibe die Dämonen durch den ±rcwn tùn daimon‡wn aus (Mk 3,22 ff; Mt 9,32–34; 12,22–30; Lk 11,14 ff). Gerade weil Jesus bei Joh – anders als in den synoptischen Evangelien – nie als Exorzist in Erscheinung tritt, dürfte es sich bei diesen Vorwürfen um ein Spiel mit den genannten synoptischen Texten handeln. Darüberhinaus macht Sabbe darauf aufmerksam, daß auch Jesu Apologie in Mk 3,23b: pù" d‚natai satanô" satônan †kb›llein; (vgl. Mt 12,26) der Reaktion derer, die hier erklären: mÉ daim∙nion d‚natai tuflùn £fjalmoÜ" ünoõxai; (Joh 10,21b), sehr nahe stehe (John 10, 92).
Vierte Szene: Jesu ‚Verhör‘ in der Halle Salomos während des Festes der Tempelweihe in Jerusalem (10,22–39) Ehe wir uns dem Text selbst zuwenden, sei hier ein Wort über die Funktion dieser und der folgenden fünften Szene (10,40–42) innerhalb der Komposition des gesamten Evangeliums vorausgeschickt. Die Szene des förmlichen Verhörs Jesu durch die ûIoudaõoi während des Festes der Tempelweihe (†gka‡nia) haben Wyller und Østenstad treffend als die ‚Peripetie‘ innerhalb der dramatischen Erzählung der Geschichte Jesu beschrieben. Sie steht exakt in der Mitte ihres mit 8,12 anhebenden und bis 12,50 reichenden zentralen Aktes und zeigt auffällige strukturelle Entsprechungen zu dessen Eröffnungsszene: 8,12–20. Zugleich wird ihre Interpretation sie als ein absichtsvolles Spiel mit der bei Joh ja an ihrem gewohnten Ort fehlenden synoptischen Szene des Verhörs und der Verurteilung Jesu durch das Synhedrion erweisen und auch dadurch das Urteil von Wyller und Østenstad bestätigen. Nach dieser dramatischen Wende der Geschichte Jesu entzieht er sich dem erneuten Versuch der Juden, ihn zu steinigen (10,31) oder ihn wenigstens zu verhaften (10,39): kaÑ †xöljen †k tö" ceirÖ" a§tùn. Dabei weiß der Leser des unmittelbar vorausgegangenen letzten Verses der Hirtenrede natürlich, daß das keine Fluchtbewegung ist. Denn ohne daß das eigens noch einmal gesagt werden müßte, muß Jesus sich ihnen einstweilen noch entziehen, weil seine Stunde noch nicht gekommen ist. 491
10,22–39
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Danach wird die folgende fünfte Szene (10,40–42) Jesus und mit ihm den Leser wieder an den Ort zurückbringen, wo mit 1,19 ff alles angefangen hat: pfiran toú ûIord›nou e¢" tÖn t∙pon Ωpou én ûIw›nnh" tÖ prùton bapt‡zwn kaÑ ≤meinen †keõ (V. 40). Wie die nahezu wörtliche Wiederaufnahme von 1,28 zeigt: taúta †n Bhjan‡a †gfineto pfiran toú ûIord›nou, Ωpou én ¨ ûIw›nnh" bapt‡zwn, ist dieser Ort im Gegensatz zu dem judäischen Bethanien, in dem die folgende Lazarus-Szene spielen wird, das peräische Bethanien jenes Anfangs. Wenn dann hier „viele zu Jesus kommen“ und erklären: p›nta dÇ Ωsa eèpen ûIw›nnh" perÑ to‚tou ülhjö én, „und an Jesus glaubten“, so bedeutet das, daß durch diese „Inclusio“ das „Erste Buch“ unseres Evangeliums abgeschlossen wird. Wir nennen es nach dem treuen Zeugen Jesu, dem zu diesem Zeugnis von Gott gesandten Mann, Johannes, das „Buch der martur‡a“. Eröffnet durch die Erzählung von Tod und Auferweckung des Lazarus (Joh 11) und beschlossen durch die Geschichte des Sterbens und Auferstehens Jesu (Joh 18–21), also gleichfalls durch eine Art von Inklusion zusammengehalten, folgt ihm dann als Zweites das „Buch der d∙xa“. Da diese Zäsur zwischen den beiden Büchern unseres Evangeliums in der Mitte seines zentralen Aktes liegt, nämlich innerhalb von 8,12–12,50, unterscheiden wir mit Østenstad (34) diese „Zäsur“ von den „Einschnitten“, durch welche die einzelnen Akte voneinander getrennt sind. Wenn Mlakuzhyil Joh 11,1–20,29 „The Book of Jesus’ Hour“ nennt, nimmt auch er diese Zäsur zwischen den Kapiteln 10 und 11 wahr. Freilich zieht er aus dieser Einsicht nicht die nötigen Konsequenzen. Denn im Widerspruch dazu stellt er die Kapitel 2–12,50 (!) unter die Überschrift: „The Book of Jesus’ Signs“ (238 ff) und behandelt 11,1–12,50 als eine „bridge-section“, die sowohl das Buch der Zeichen beschließen als auch dasjenige der „Stunde Jesu“ eröffnen soll (137 ff). Zumal Jesu Prozeß vor Pilatus und seine öffentliche Hinrichtung ja durchaus als die „Offenbarung seiner d∙xa vor der Welt“ bezeichnet werden müssen, und da nach Joh 20,30 f die Erweckung des Lazarus keinesfalls das letzte Zeichen gewesen sein kann, sondern auch die unmittelbar vorangehenden Ereignisse der Passion, des Sterbens und Auferstehens Jesu ausdrücklich als shmeõa verstanden sein wollen, widersprechen wir damit der üblich gewordenen Zäsur des Evangeliums nach 12,50. Nachdem Bultmann hier die Zäsur gesehen und Joh 1–12 mit „Die Offenbarung der Doxa Jesu vor der Welt“ überschrieben und 13–20 „Die Offenbarung der Doxa vor der Gemeinde“, genannt hatte, ist diese Zweiteilung des Evangeliums nahezu kanonisch geworden. Neben Dodd (1,19–12,50: „The Book of Signs“ und 13–20 „The Book of the Passion“) unterteilt auch Brown das Evangelium so. Wenn er dabei 13–20 „The Book of Glory“, statt „of Passion“ nennt, so ist das lediglich eine andere Akzentuierung, denn beide Autoren wissen natürlich um die paradoxe Einheit von Kreuzigung und Verherrlichung. Es muß aber gesagt werden, daß Brown zu den wenigen gehört, die das strukturelle Gewicht von 10,40–42 deutlich erkennen. Denn er erklärt dazu: „We suggest that the original ending of the public ministry came in 10,40–42“ (Komm. I, XXXVII und 414 f). Ähnlich wie Lindars sieht er in den Kapiteln 11 und 12 eine erst in einer späteren „edition“ des Evangeliums erfolgte Ergänzung, die seinen ursprünglich klareren Aufbau empfindlich störe. Doch die meisten der neueren Kommentatoren folgen Bultmanns Spur nicht nur darin, daß sie die Zäsur zwischen die Kap. 12 u. 13 setzen, sondern auch darin, daß sie, u. E. zu Unrecht, Joh 21 als einen sekundären Nachtrag behandeln. Beides wird im Zuge der folgenden Kommentierung zu begründen sein (vgl. dazu Wyller 152 f). 492
Vierte Szene: Jesu ‚Verhör‘ während des Festes der Tempelweihe
10,22–23
22
Danach war das Tempelweihfest in Jerusalem. Es war Winter. 23 Und Jesus wandelte im Tempel, in der Säulenhalle Salomos. 24 Da umringten ihn die Juden und beschworen ihn: Wie lange willst du uns noch auf die Folter spannen (Schenke). Wenn du der Messias bist, dann sage es uns endlich frei heraus! 25 Da antwortete Jesus ihnen: Ich habe es euch ja gesagt, und doch glaubt ihr nicht. Die Werke, die ich tue im Namen meines Vaters, die zeugen für mich. 26 Ihr aber glaubt nicht, weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört. 27 Meine Schafe hören auf meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir nach. 28 Und ich gebe ihnen das ewige Leben, und in Ewigkeit sollen sie niemals zugrunde gehen. Und keiner wird sie je meiner Hand entreißen. 29 Was mir mein Vater übergeben hat, ist größer als alles, und niemand vermag es, es der Hand meines Vaters zu entreißen. 30 Ich und der Vater sind Eines. 31 Da hoben die Juden erneut Steine auf, ihn zu steinigen. 32 Jesus aber entgegnete ihnen: Viele gute Werke habe ich euch gezeigt vom Vater. Welches dieser Werke ist es denn, um des willen ihr mich steinigen wollt? 33 Die Juden erwiderten ihm: Nicht wegen eines guten Werkes wollen wir dich steinigen, sondern wegen Lästerung, weil du, der du doch ein bloßer Mensch bist, dich selbst zu Gott machst. 34 Da antwortete Jesus ihnen: Steht denn nicht in eurem Gesetz geschrieben: Ich habe gesagt, ihr seid Götter? 35 Wenn er aber die, an die das Wort Gottes erging – und die Schrift kann doch nicht außer Kraft gesetzt werden –, Götter nennt, 36 wie könnt ihr dann zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat, sagen: du lästerst, nur weil ich gesagt habe: Ich bin Gottes Sohn? 37 Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, dann glaubt mir nicht! 38 Wenn ich sie aber tue, dann glaubt, wenn ihr mir auch nicht glauben wollt, doch den Werken, damit ihr erkennt und gewiß werdet, daß der Vater in mir ist und ich in ihm. 39 Da wollten sie ihn wiederum ergreifen, doch er entkam ihrer Hand. 22 f: Obgleich diese Passage durch die erneute Nennung der ‚Schafe‘ in den V. 26–29 eng mit der vorausgehenden Szene verknüpft ist, macht der Erzähler sie durch ihre Datierung in den folgenden Winter (ceimán én) sowie durch ihre Verbindung mit dem Fest der Tempelweihe (†gka‡nia) absichtsvoll zu einer eigenständigen neuen Szene. Das Fest der Tempelweihe, hebräisch hknh – sowie das dafür hier gebrauchte griechische Lexem (tÅ) †gka‡nia (‚die Erneuerungen‘) –, wird im gesamten Neuen Testament nur hier genannt. Seit der Zeit der Makkabäer und zur Erinnerung an die Reinigung und neue Weihe des Tempels durch Judas Maccabaeus am 25. Kislew (Nov./Dez.) des Jahres 164 wurde das Fest, nach dem Vorbild des Laubhüttenfestes, jährlich acht Tage lang gefeiert (vgl. 1Makk 4,36 ff): „Judas, seine Brüder und die ganze Gemeinde Israels faßten den Beschluß, daß die Tage der Altarweihe (a´ ™mfirai toú †gkainismoú toú jusiasther‡ou) alljährlich zur entsprechenden Zeit acht Tage lang vom 25. des Monats Kislew an in Jubel und Freude gefeiert werden sollten“ (ebd. V. 59; vgl. 2Makk 1,7–9.18; 2,16; 10,1–8; Josephus, Ant XII, 323 ff). Nach 2Makk 10,5 fiel die neue Weihe des Tempels auf eben den Tag, an dem Antiochus Epiphanes ihn drei Jahre zuvor profaniert hatte. Daß bei der Feier des neuen Festes nun auch der zuvor beim Laubhüttenfest erinnerten Tempelweihen Salomos (1Kön 8; vgl. 2Chron 7) und Serubbabels (Esr 3,4; 6,16) gedacht wurde, versteht sich wohl von selbst. Wohl wegen der nach 2Makk 1,18 ff damals neu entzündeten Altarfeuer sagt Josephus, das Fest werde als das der „Lichter“ (fwt›) bezeichnet (ebd. 325). Daß es bis heute das volkstümliche ‚Lichterfest‘ geblieben ist, zeigt der in jüdischen Häusern immer noch lebendige Gebrauch des achtarmigen Chanukka-Leuchters (vgl. H. Balz, Art. †gka‡nia; und Bill. II, 539–541).
493
10,22–39
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Daß der Erzähler Jesus beim Fest der Tempelweihe in der „Halle Salomos“ auftreten läßt und damit zugleich an die †gka‡nia des Tempels durch Judas Maccabaeus und an seine ursprüngliche Weihe durch Salomo erinnert, dürfte schon ein erstes Indiz für den hochsymbolischen Modus unserer Szene sein: „Using the symbolism of the feast of the Dedication John brings us to the last act in Jesus’ offer of salvation to the Jews“ (Morris, Komm. 515; vgl. Schneider, Komm. 205). Denn zum letzten Mal, ehe der ‚Eifer um das Haus seines Vaters‘ den, dessen ‚Leib‘ der ‚neue Tempel‘ ist (2,21 f), buchstäblich „verzehrt“ haben wird, und zugleich zum letzten Mal, ehe sich die düstere Ahnung der „Hohenpriester und Pharisäer“, daß nämlich die Römer kommen und ihnen die Tempelstadt und das Volk wegnehmen könnten (kaÑ üroúsin ™mùn kaÑ tÖn t∙pon kaÑ tÖ ≤jno": 11,47 ff), tatsächlich erfüllen wird, betritt Jesus hier den Tempel. 24: Dort bedrängen ihn die Juden von allen Seiten: †k‚klwsan oên a§tÖn o´ ûIoudaõoi. Sabbe (John 10, 76) sieht, daß dieser Satz eine doppelte Interpretation zuläßt. Entweder besagt er nämlich ganz neutral – wie etwa Joh 1,26; 20,19.26; Lk 2,46; 22,27; 24,36; Mk 14,60; Mt 18,2; Act 1,15; 17,22; 27,21 u. ö. –, daß die Juden sich um Jesus herum versammelten, daß sie ihn in ihre Mitte nahmen; oder aber, daß sie ihn in feindlichem Sinn „bedrängen“, ihn also gewissermaßen „in die Zange nehmen“. „Rather than suggesting such a neutral attitude of curiosity or of sympathy, the saying of verse 24 seems to purport threat and hostility: ‚The Jews encircled Jesus‘, introducing the ominous interrogation: ‚How long are you going to keep us in suspense?‘“ (Sabbe ebd.). Der gesamte Kontext und seine auffällige Nähe zur synoptischen Verhörszene spricht deutlich für diese letztere Deutung des †k‚klwsan a§t∙n im Sinne eines „Einkreisens in feindlicher Absicht“, so daß dem derart Gestellten kein Ausweg mehr verbleibt; vgl. Lk 21,20; Hebr 11,30. Bedrohlich klingt dann auch die beschwörende Frage: „Wie lange willst du uns denn noch hinhalten? Wenn du der Messias (crist∙") bist, dann sage es uns doch endlich gerade heraus (parrhs‡a)“. Und nicht zufällig führen dann Jesu in aller ‚Offenheit‘ und ‚Öffentlichkeit‘, eben in parrhs‡a gegebene Antworten zu dem erneuten Versuch der ihn umringenden ‚Juden‘, ihn zu steinigen (V. 31). Daß innerhalb der eigentlichen ‚Passionserzählung‘ unseres Evangeliums die synoptische Erzählung vom Prozeß Jesu vor dem Synhedrium und von seiner Verurteilung durch den Hohenpriester fehlt, ist oft beobachtet worden. Der lange und dramatische Prozeß vor Pilatus, der bald drinnen mit Jesus und dann wieder draußen mit den Juden verhandelt, scheint sie verdrängt zu haben. An ihre Stelle ist ein eher inoffizielles Gespräch zwischen Hannas, der ‚grauen Eminenz‘ der Jerusalemer Priesterschaft, und Jesus getreten, in dem Hannas Jesus nach seinen Jüngern und nach seiner Lehre befragt (18,19). Darauf antwortet Jesus ihm, daß er doch allezeit öffentlich vor aller Welt gesprochen (†gá parrhs‡a lel›lhka tù k∙smw) und in der Gemeindeversammlung (sungagwgfl) und im Tempel, wo alle Juden zusammenkommen, gelehrt und nicht etwa Geheimlehren verbreitet habe. Daran schließt er sogleich die Gegenfrage an: t‡ me †rwtô"; †r„thson toÜ" ükhko∙ta" t‡ †l›lhsa a§toõ". Mit diesem Hinweis auf sein öffentliches Reden bezieht Jesus sich natürlich auch, wenn nicht gar vornehmlich auf unsere Tempelweihfest-Szene. Denn sie ist nicht nur durch das gewichtige Stichwort der parrhs‡a, sondern auch dadurch mit der Hannas-Szene eng verknüpft, daß Johannes, wie Sabbe treffend beobachtet hat, hier (u. 11,46 ff) ganz offenkundig den in Joh 18 durch das Hannas-Gespräch ersetzten Prozeß der Juden gegen Jesus verarbeitet hat. 494
Vierte Szene: Jesu ‚Verhör‘ während des Festes der Tempelweihe
10,23–27
Wie oben zum Tempelwort bereits ausgeführt wurde, hat Joh das Gerichtsgeschehen zwischen Jesus und den Juden nicht etwa eliminiert, sondern er hat es im Gegenteil sogar zur bestimmenden Mitte seines gesamten Evangeliums gemacht. Die Erzählung von der Tempelreinigung eröffnet diesen Prozeß, und auf die Aufsehen erregende Kunde von der Auferweckung des Lazarus hin gipfelt er in dem Todesurteil, das das Synhedrium unter dem Vorsitz des Hohenpriesters Kaiphas gegen Jesus fällt (11,46–53). Weil dieses Urteil in Abwesenheit des Angeklagten ergeht und ohne daß er dazu zuvor angehört worden wäre, ist es ein schroffer Verstoß gegen alles, was die Tora für ein gerechtes Urteil fordert (vgl. 7,51). Die durch Jesu Tempelreinigung und sein doppeldeutiges Wort: „Brecht diesen Tempel nur ab, ich werde ihn binnen dreier Tage neu errichten“ (2,19) begründete Feindschaft eskaliert bis zu diesem fragwürdigen Todesurteil ständig. Auf Grund der Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda an einem Sabbat schlägt die gewaltsame „Verfolgung“ Jesu (†d‡wkon o´ ûIoudaõoi tÖn ûIhsoún) alsbald in das Trachten der Juden um, ihn als Gotteslästerer zu töten (5,16.18; vgl. Mk 3,6). Daß diese Erzählung von der Heilung des Lahmen und die daraus folgende Absicht, Jesus zu töten, zugleich als ein intertextuelles Spiel mit Mk 2,1–3,6 begriffen sein will, hat Sabbe treffend begründet (ebd. 76). Nachdem sich dann „viele seiner Jünger“ – und das kann in der erzählten Welt ja nur heißen: ‚viele Juden‘ – wegen seiner „harten Rede“ definitiv von Jesus abgewandt haben (6,60 ff), eskaliert der Konflikt während des folgenden Laubhüttenfestes: In 7,1 erinnert der Erzähler daran, „daß die ‚Juden‘ Jesus zu töten trachteten“ (5,18); danach fragt Jesus seine Antagonisten selbst: „Warum wollt ihr mich töten?“ (7,19; vgl. 7,25). Er redet in aller Öffentlichkeit (parrhs‡a laleõ), doch keiner wagt es, ihm zu widersprechen. Sie wollen ihn verhaften: „Doch niemand legte Hand an ihn, weil seine Stunde noch nicht gekommen war“ (7,30; vgl. 7,44; 8,20). Danach senden sie ganz offiziell ≠phrfitai, wohl Angehörige der Tempelpolizei, zu seiner Verhaftung aus. Doch überwältigt von der Art der Rede Jesu kommen die unverrichteter Dinge zu ihren Auftraggebern zurück (7,45 ff). Und nach Jesu Wort: „Amen, Amen, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich“ hoben sie endlich tatsächlich Steine auf, ihn zu töten: ûIhsoú" dÇ †kr‚bh kaÑ †xöljen †k toú ´eroú (8,58 f). Diese letztere Wendung erinnert wohl nicht zufällig an Lk 4,28–30: a§tÖ" dÇ dieljùn diÅ mfisou a§tùn †pore‚eto; vgl. Sabbe ebd. 77). In der synoptischen Szene des Prozesses Jesu vor dem Synhedrium lautet die entscheidende Frage des Hohenpriesters an Jesus bei Markus so: sÜ eè ¨ cristÖ" ¨ u´Ö" toú e§loghtoú? (Mk 14,61). Matthäus bringt den forensischen Charakter der Szene und das Beschwörende der Frage des Hohenpriesters noch pointierter zur Sprache, indem er ihn sagen läßt: †xork‡zw se katÅ toú jeoú toú zùnto" ºna ™mõn e¥pÔh" e¢ sÜ eè ¨ cristÖ" ¨ u´Ö" toú jeoú (Mt 26,63). Johannes dürfte in 10,24–38, „which is undeniably inspired by the Lukan account“ (Sabbe 78; Begründung ebd. 77–81) aber Lukas folgen. Der läßt nämlich zum einen die Episode mit dem Tempelwort im Munde der falschen Zeugen aus, um sie in Act 7,13 f als Anklage gegen Stephanus zu verarbeiten; und zum anderen macht er aus der einen Frage des Hohenpriesters zwei mit einer jeweils eigenen Antwort Jesu, nämlich (1) e¢ sÜ eè ¨ crist∙", e¢pÖn ™mõn (Lk 22,67) und (2) sÜ oên eè ¨ u´Ö" toú jeoú (V. 70).
25–27: Auf die Frage, ob er der Christus sei, antwortet Jesus nun: „Ich habe es euch (ja bereits) gesagt, und doch glaubt ihr nicht. Die Werke, die ich im Namen meines Vaters vollbringe, die zeugen für mich. Ihr aber glaubt darum nicht, weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört. Meine Schafe erhören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir nach“. In Jesu Antwort: „Ich habe es euch doch bereits gesagt“, die scheinbar alles andere ist als die geforderte Rede †n parrhs‡a, sehen viele Ausleger insofern ein „Problem“, als Jesus seine Messianität zwar der samaritanischen Frau (4,26) und dem Blindgeborenen (9,35) unverwechselbar zu erkennen gegeben habe, dagegen aber „den Juden“ bisher noch nirgendwo explizit erklärt habe, daß er der Messias sei (vgl. etwa Morris, Komm. 519: „But He has not said to any of the Jews in set terms that He is the Christ“). Uns erscheint dieses vermeintliche Problem jedoch als ein Scheinproblem. 495
10,22–39
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Denn Jesu Wiederaufnahme von Themen seiner Hirtenrede: „… weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört. Meine Schafe erhören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir nach“, ist mitnichten eine Lizenz zur beliebten Flucht in die Literarkritik, sondern die Angabe des Ortes, an dem Jesus denen, die sich doch rühmen, die Schrift zu kennen, im Spiel mit Ez 34 unzweideutig gesagt hat, daß er der verheißene Messias und Gottes davidischer Knecht ist: „Und ich werde über sie einen einzigen Hirten bestellen, der sie weiden soll, meinen Knecht David, der soll sie weiden und ihr Hirte sein“ (Ez 34,23). Und als pars pro toto der „Werke, die Jesus im Namen seines Vaters vollbringt und die für ihn zeugen“, sollte ihnen doch wenigstens die Heilung des Blindgeborenen noch im Gedächtnis sein, den sie wie ungetreue „Nicht-Hirten“ und bloße „Mietlinge“ gerade aus seiner sicheren Hürde ausgestoßen hatten (vgl. 10,19; Morris macht darauf aufmerksam, daß die ungewöhnliche Wendung: ¨ misjwtÖ" kaÑ o§k œn poimfln [10,12] wegen des Gebrauchs von o§k anstelle des mit dem Partizip üblichen mfl an biblische Namen wie „Lo-ammi“ erinnere, so daß man wohl verstehen müsse, daß ein ‚Mietling‘ ein „Nicht-Hirte“ ist; Komm. 510). Im Gegensatz also zu dem Verhalten dieser „Nicht-Hirten“ hatte Jesus mit seinem Tun an dem Blindgeborenen Gottes eigenes Hirtenwerk wahrgenommen: „Das Verlorene will ich suchen, das Versprengte zurückführen, das Gebrochene verbinden und das Kranke stärken“ (Ez 34,16). Wieder begegnet hier das Paradox, daß sie nicht glauben und nicht hören können, weil sie nicht seine Schafe sind, und daß sie sich durch ihr Nicht-Glauben‑ und Nicht-Hören-Wollen doch zugleich erst zu „Nicht-Schafen“ machen, so daß auch hier gilt: „Wenn ihr doch wenigstens blind wäret, dann hättet ihr keine Sünde. Weil ihr nun aber zu sehen behauptet, bleibt eure Sünde“ (9,41). 28–30: „Und ich gebe ihnen das ewige Leben, und in Ewigkeit sollen sie niemals (o§ mfl) zugrunde gehen, denn niemand wird sie meiner Hand je entreißen (ürp›zein in V. 12 vom ‚Wolf ‘ dem ‚Mietling‘ gegenüber gesagt). Was mein Vater mir gegeben hat, ist größer als alles; und niemand vermag (es) der Hand meines Vaters zu entreißen. Ich und der Vater sind Eines“. Mit dem Komitee der Herausgeber von GNT3 und NestleAland26 f halten wir in V. 29 die Lesart: ¨ patflr mou ≈ dfidwkfin moi p›ntwn meõz∙n †stin für die schwierigste und darum für ursprünglich. Barrett, der die Probleme breit erörtert (Komm. 380 f), erklärt dazu: „Der Text des ersten Teils dieses Verses ist in Unordnung. Die Worte zwischen mou und †stin erscheinen in folgender Weise: (a) ≈ dfidwkfin moi p›ntwn meõz∙n [B (it vg) boh]; (b) ≈ dfidwkfin moi p›ntwn me‡zwn [a W sah]; (c) ≈" dfidwkfin moi me‡zwn p›ntwn [W sin pesch hl (P66: ≈" ≤dwken)]; (d) ≈" dfidwkfin moi meõzon p›ntwn [Q]; (e) ¨ dedwk„" moi p›ntwn me‡zwn [D]. Das Maskulinum Ω" erscheint so in P66 Q sin pesch hl (= sys.p.h), das Neutrum Ω in a B W it vg: das Maskulinum me‡zwn findet sich in P66 a W syr, das Neutrum meõzon in B Q it vg. Die Lesart von D ist entweder zutreffend oder aber ein radikaler Versuch, mit dem Durcheinander aufzuräumen – wahrscheinlich trifft letzteres zu“. Zwar sieht Barrett das Gewicht der schwierigeren Neutrumformen trotz deren quantitativ viel schwächerer Bezeugung durchaus, dennoch aber erklärt er, daß die „Maskulinformen viel besser zum Kontext“ paßten. Bei der Annahme ihrer Ursprünglichkeit ergäbe sich der folgende Gedankengang: ‚Keiner soll sie aus meiner Hand reißen; mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alle anderen, deshalb kann sie niemand aus seiner Hand reißen‘. Dies ist zwar unkompliziert und ergibt einen guten Sinn. Wenn wir jedoch die Lesart mit dem Neutrum als ursprünglich annehmen, dann ist es schwierig, dem Satz einen Sinn zu geben, und unmöglich (!), ihn dem Kontext einzufügen. Der Satz würde dann lauten: „Wie meinem Vater (?), was er mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann entreißen … Der Kontext läßt an die Schafe denken, aber von diesen kann nicht gesagt werden, sie seien größer als alle“ (ebd. 381).
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Vierte Szene: Jesu ‚Verhör‘ während des Festes der Tempelweihe
10,25–30
Uns scheint der Fall jedoch unkomplizierter. Denn zum einen sind es natürlich nicht einfach die Schafe, die als solche und von Haus aus größer wären als alles andere, sondern weil der Vater sie ihm anvertraut hat (vgl. 6,39; 17,2), sind sie das kostbarste Gut des Sohnes als ihres ‚guten Hirten‘. Und zum anderen ist ¨ patflr das Subjekt des Relativsatzes, das diesem hier „echt johanneisch“ vorangestellt ist, und kein Nominativus pendens (Barrett). Der Sinn ist darum: „Was der Vater ihm gegeben hat und in folge dessen in der schützenden Hand Jesu ruht, ist eben dadurch größer als alles andere“ (Zahn, Komm. 466); oder: „The meaning appears to be that the flock that the Father has given the Son is greater in His eyes than anything else on earth. Since He thus attaches the highest value to it He will look to it to the end“ (Morris, Komm. 522; der für diesen Gebrauch von meõzon auf Mt 23,17.19 verweist). Abgesehen davon, daß uns diesem Gedanken gegenüber die bloße Deklaration, daß Gott größer als alle oder als alles sei – in signifikantem Unterschied zu der christologischen Relationsbestimmung: Ωti ¨ patÉr me‡zwn mo‚ †stin von 14,28 – allzu banal erscheinen will, lassen sich die genannten maskulinen Varianten auch leicht als Derivate der hier bevorzugten neutrischen Lesart begreifen, während der umgekehrte Vorgang doch kaum vorstellbar ist; vgl. zur Ursprünglichkeit der neutrischen Lesart, die freilich nur von B* (lat) bo; Ambr Hier u. a. bezeugt wird, Birdsall (John 10,29) und Metzger (Comm. 232).
Daß der Vater größer ist als der Sohn (me‡zwn mou: 14,28), mag in der Steigerung des Futurums kaÑ o§c ®rp›sei ti" a§tÅ †k tö" ceir∙" mou in V. 28 zu dem o§deÑ" d‚natai ®rp›zein †k tö" ceirÖ" toú patrÖ" in V. 29 seinen Ausdruck gefunden haben (vgl. Morris, Komm. 522). Jedenfalls aber kommt in diesen beiden parallelen Sätzen unüberhörbar zur Sprache, daß Jesus dazu gesandt und bestellt ist, als der vom Vater „erweckte eine“ und gute Hirte dessen ureigenes Hirtenamt wahrzunehmen (Ez 34,11ff.23 ff). Insofern ist hier schon impliziert, was der folgende Satz als die Peripetie des gesamten Evangeliums (Wyller) nun aussprechen wird: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen. Dabei ist durch das Neutrum ∫n die Einheit der Verschiedenen ausgesagt und nicht etwa behauptet, daß der himmlische Gott und der irdische Mann Jesus als sein fleischgewordener l∙go" einer und derselbe wären. „Identity is not asserted, but essential unity is. These two belong together. The statement does not go beyond the opening words of the Gospel, but it can stand with them“ (Morris ebd.). Diese Einheit der Verschiedenen – bei Paulus in der Metaphorik des Leibes und seiner Glieder ausgedrückt – gilt auch für die Relation der Jünger untereinander, für die Jesus den Vater bittet: „… Und die Herrlichkeit, die du mir gabst, die habe ich ihnen gegeben, damit sie Eines (∫n) seien, so wie wir Eines sind“ (17,22). Daß diese Einheit des Sohnes mit dem Vater weder eine bloß moralische noch eine metaphysische und auch nicht eine solche ist, die als mystische beschrieben werden könnte, sondern daß allen derartigen Erklärungsversuchen gegenüber gilt: „The background of the Johannine language and thought lies in the earlier tradition of the ministry of Jesus and, as the author carefully points out, in the Old Testament“, hat Hoskyns klar herausgestellt (Komm. 389 f). Diese negative Abgrenzung sowohl von einem moralischen als auch von einem metaphysischen, mystischen oder mythologischen Verständnis des Eins-Seins Jesu und des Vaters ist treffend, aber nicht zureichend, denn sie bedarf nicht nur der Präzision, sondern zugleich einer positiven Ergänzung hinsichtlich der Frage, worin die Einheit und ¢s∙th" Jesu und des Vaters denn nun bestehen könnte. Der Grundfehler all der von Hoskyns hier zu Recht zurückgewiesenen Interpretationen besteht in der von den christlichen Apologeten seit dem zweiten Jahrhundert in guter Absicht, aber mit unseligen Folgen vollzogenen Vermählung der biblischen Texte mit platonisch-stoischer Ontologie. Anlaß dieser unglücklichen Ehe war der Versuch der Apologeten, sich 497
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
durch den Nachweis der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens gegen die heidnischen Vorwürfe, daß die christlichen Theologen doch nichts anderes als nur leere und neue Mythen verbreiteten, zur Wehr zu setzen. Diese Vorwürfe sind uns zumal durch den ülhjÉ" l∙go" des Kelsos (um 178 n. Chr.) bekannt, einer verlorenen Kampfschrift gegen die Christen, deren Grundgedanken sich aber aus dem Werk „Contra Celsum“ des Origenes rekonstruieren lassen. Dabei bestand der Grundirrtum der Apologeten in ihrer Meinung, den Angriffen auf eben dem Feld widerstehen zu können, aus dem sie erwachsen waren, und sie mit eben dem Instrumentarium erfolgreich bekämpfen zu können, das ihre Widersacher ausgebildet hatten. Das heißt, sie begaben sich auf das Feld intersubjektiver Verständigung, die von Regeln geleitet und an den Eigenschaften der besprochenen Gegenstände orientiert ist. Wir haben zu den damit angebahnten und bis heute virulenten Irrwegen oben bereits auf die von J. Fischer (Wahrer Gott) begründete Unterscheidung zwischen dem „transsubjektiven Bestimmtsein“ aller Wirklichkeit durch „Texte“ und der durch Regeln geleiteten „intersubjektiven Verständigung“ aufmerksam gemacht. Dabei haben wir gesehen, daß es gilt, „das christologische Dogma der Einheit von Menschheit und Gottheit Jesu“ – jenseits der verhängnisvollen Verstrickungen der christlichen Theologie in ontologische Aussagen über das ‚Wesen‘ Gottes und des Gottmenschen Jesus Christus sowie über dessen vermeintliche ‚Naturen‘, die Unmögliches beanspruchen, wenn sie intersubjektiv sagen wollen, was ‚der Fall ist‘ – so zu interpretieren, „daß der, welcher als historischer Jesus im Zusammenhang unserer intersubjektiv erschlossenen Welt in Erscheinung getreten ist, zugleich der ist, dessen textgewordene Geschichte die Wirklichkeit im Ganzen auf transsubjektiver Ebene qualifiziert, was bedeutet, daß die Wirklichkeit im Ganzen von dieser seiner Geschichte her zu lesen ist. Christus ist Mensch, sofern er als historischer Jesus in den Zusammenhang unserer ‚story‘ gehört, und er ist Gott, insofern wir, was die transsubjektive Bestimmtheit unserer Welt betrifft, in den Zusammenhang seiner ‚story‘ gehören.“ (Wahrer Gott 171 f). Wenn Johannes Jesus als den fleischgewordenen l∙go", der im Anfang bei Gott war und ohne den kein Geschöpf geworden ist, in sein Evangelium einführt, so heißt das, daß der in den Texten der Bibel ‚Schrift‘ gewordene Logos die ‚transsubjektive Bestimmung‘ aller Wirklichkeit ist und als solche jeglicher ‚intersubjektiven Verständigung‘ der Menschen untereinander, über die Welt sowie über deren Natur und Geschichte als die Bedingung von deren Möglichkeit vorausgeht. 31–32: Es ist gewiß kein Zufall, daß die Juden, die Jesus in der Halle Salomos förmlich ‚umzingelt‘ haben und ihn in die Enge treiben wollen, auf sein provozierendes Wort hin: „Ich und der Vater, wir beide (†smfin), sind Eines“, erneut (vgl. 8,59) Steine ergreifen, um ihn zu steinigen. Denn das Wort, dessen „Wir“, das in dem †smfin impliziert ist, hat allein in 14,23 eine gewisse Analogie. Abgesehen davon aber übertrifft es alles, „was in den anderen Schriften des NT über das Verhältnis zwischen Jesus und Gott gesagt wird“ (U. Wilckens, Komm. 170). Auf ihre ‚handgreifliche‘ Absicht, ihn zu steinigen, reagiert Jesus (üpekr‡jh) mit diesen Worten: „Viele gute Werke ‚aus dem Vater‘ (Werke also, die ihren Ursprung in Gott haben) habe ich euch ‚gezeigt‘ (d. i. vor euren Augen getan), wegen welches dieser Werke wollt ihr mich denn nun steinigen?“ Wir haben das Präsens lij›zete mit „ihr wollt mich steinigen“ wiedergegeben, weil es sich hier und im folgenden Vers nach Ausweis des Kontextes natürlich um praesentia de conatu handelt. Die Bezeichnung der ‚Werke‘ Jesu als kal› (schön oder herrlich), ist ungewöhnlich, weil sie aber in der Auszeichnung des Hirten als ¨ kal∙" (10,11.14) 498
Vierte Szene: Jesu ‚Verhör‘ während des Festes der Tempelweihe
10,30–34
ihre Entsprechung hat, darf man in ihr wohl eine „intentional allusion“ an die Hirtenrede und damit zugleich eine Erinnerung an die Heilung des Blindgeborenen sehen (Lindars, Komm. 371). 33: Das Lexem blasfhm‡a kommt bei Johannes nur hier vor, ebenso findet sich auch das Verbum blasfhmeõn nur in der Zurückweisung dieser Anklage durch Jesus in V. 36. In den synoptischen Evangelien erscheint der Vorwurf der Gotteslästerung in zwei Zusammenhängen: nämlich zum einen in der Erzählung von der Heilung des Lahmen (Mk 2,1–12 / Mt 9,1–8 / Lk 5,17–26) im Munde der tine" tùn grammatfiwn, die Jesus vorwerfen, er maße sich göttliche Privilegien an, wenn er behaupte, Sünden vergeben zu können, und zum anderen in dem Prozeß Jesu vor dem Synhedrium (Mk 14,64 = Mt 26,65; bei Lk 22,66–71 ausgelassen). Das Gesetz über die Gotteslästerung steht Lev 24,15 f: ±njrwpo" ≈" †Ån katar›shtai je·n, ®mart‡an lflmyetai: £nom›zwn dÇ tÖ µnoma kur‡ou [hwhy µç bqn] jan›tw janato‚sjw: l‡joi" lijobole‡tw a§tÖn pôsa sunagwgÉ ûIsrafll. Das griechische Lexem blasfhm‡a fehlt in diesem Zusammenhang, wie es in der LXX überhaupt höchst selten ist; vgl. etwa: tÖ µnom› mou blasfhmeõtai †n toõ" ≤jnesin (Jes 52,5) und siehe zur halachischen Diskussion dieser todeswürdigen Sünde Bill. I, 1008 ff zu Mt 26,65. In dem singulären Vorkommen der Lexeme blasfhm‡a und blasfhmeõn in unserer Szene dürfen wir gewiß auch ein weiteres Indiz dafür sehen, daß sie als ein intertextuelles Spiel mit Mk 14,55 ff / Mt 26,59 ff verstanden sein will (vgl. Sabbe, John 10, 81 ff). Diesen Zusammenhang sieht auch Lindars (Komm. 372). Unter Verweis auf M.D. Hooker (The Son of Man 172 f) erklärt er, daß Jesu Antwort an den Hohenpriester: „Ihr werdet ‚den Sohn des Menschen‘ zur Rechten des Allmächtigen (d‚nami") sitzen sehen“, nur dann als Gotteslästerung verstanden werden könne, wenn damit gesagt sei: „Ihr werdet mich zur Rechten Gottes sitzen sehen“, so daß Jesus damit „a position equivalent to that of God himself “ beanspruche. Wenn Lindars dann allerdings zu der jüdischen Anklage: sÜ ±njrwpo" œn poieõ" seautÖn je∙n, bemerkt, weil je∙n hier artikellos gebraucht sei (obgleich P66* den Artikel „by mistake“ hinzugefügt habe), sei es wie in 1,1 „virtually adjectival“, so ist dem entschieden zu widersprechen, denn „Göttlichkeit“ ist schwerlich eine Eigenschaft des Menschen Jesus (s. o. zu 1,1). Das Mißverständnis der Juden, die Jesus ‚umringen‘, liegt hier wie in 5,18 darin, daß sie meinen, Jesus mache sich selbst zu etwas, was er doch von Ewigkeit her immer schon ist, nämlich ¥so" tù jeù (5,18) und, als der vom Vater, der freilich ‚größer‘ ist als er, unterschiedene Sohn, gleichwohl je∙" (10,33; 1,1; vgl. Neyrey, I said 649 ff). Darum kann man im Blick auf 5,18 und 10,33 wohl nicht sagen: „Here, as there, a literal interpretation of Jesus’ words produces the ironical situation that the Jews are formally justified in their objection, yet what they say (when properly understood), is precisely the truth which John wishes to assert“ (ebd. 373). 34–36: „Steht denn nicht in eurem Gesetz geschrieben: Ich habe gesagt, ihr seid Götter?“ Das „Geschriebene“, das Jesus hier zitiert, steht nicht im Pentateuch als der „Tora“ im engeren Sinne, sondern im Psalter (Ps 82). Und wenn er dazu dann sogleich erklärt: kaÑ o§ d‚natai lujönai ™ graffl, wird ja deutlich, daß es sich nicht etwa um einen Irrtum unseres Erzählers handelt, sondern daß hier n∙mo" als pars pro toto die gesamte ‚heilige Schrift‘ der Juden bezeichnet (vgl. Joh 12,34; 15,25). Und daß Jesus sich mit seinem Reden von „eurem Gesetz“ nicht etwa von den Juden und ihrer Bibel distanziert, haben wir unter Berufung auf Augensteins gewichtigen Beitrag zu dieser 499
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
Sache oben zu 8,17 ff bereits eingehend begründet. Jesu Berufung auf die Schrift würde ja buchstäblich bodenlos, wenn er deren unaufhebbare Verbindlichkeit für beide Partner des Dialogs in irgendeiner Weise in Frage stellen wollte. Weil die Inhalte der ‚Schrift‘ für Jesus wie für seine Antagonisten in gleicher Weise verbindlich sind und diese so miteinander verbinden, muß das Pronomen „euer“ (Gesetz) hier allein dazu dienen, „der Rede Nachdruck zu verleihen“ (Augenstein), indem sie die Angeredeten beim Wort ihrer feierlichen Selbstverpflichtung auf die Tora am Sinai nimmt. Wie stets bei Johannes, so wird auch hier durch das Schriftzitat dessen gesamter Kontext, in diesem Fall also der ganze 82. Psalm (in der LXX, wonach Joh hier zitiert, Ps 81) ins Spiel gebracht: „Gott steht auf in der Versammlung der Götter (sunagwgÉ jeùn) / inmitten der Götter hält er Gericht. / Wie lange wollt ihr noch ungerecht richten / und der Frevler Partei ergreifen?/ Schafft Recht den Waisen und Armen! / Sprecht frei (dikai„sate) die Niedrigen und Elenden! / Befreit die Bedürftigen und Bettler / und entreißt sie der Hand des Sünders. / Die haben weder Wissen noch Einsicht, / sie wandeln dahin (diapore‚ontai) in Finsternis / und machen die Fundamente der Erde wanken. / Ich habe gesagt: Ihr seid Götter (†gá eèpa qeo‡ †ste) / und allesamt Söhne des Höchsten (kaÑ u´oÑ ≠y‡stou p›nte"). / Aber wie Menschen sollt ihr sterben / und wie einer der Fürsten zu Fall kommen. / Erhebe dich, Gott, und richte die Erde, / denn du bist der Alleinerbe aller Völker“ (V. 1–8). Mag der Psalm mit seiner Rede von einer (offenbar himmlischen) Götterversammlung auch polytheistischem Milieu entstammen, und mögen die „Götter“ (µyhla) einst auch auf Engel oder Völkerengel als himmlische Göttersöhne gedeutet worden sein, so hat das Israel des zweiten Tempels den Psalm doch längst im Lichte seines Glaubens gedeutet, daß Jhwh der einzige Gott und Herr der Welt ist: „Ich allein bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte“ (Hos 11,9; Jes 31,3 u. ö.). A. Hanson (John’s Citation 363 ff) hat gezeigt, daß in der jüdischen Tradition vier Deutungen der „Götter“ des Psalms miteinander konkurrieren, nämlich deren Identifizierung (1) mit Engeln, (2) mit der rätselhaften Gestalt Melchizedeks, (3) mit den Richtern in Israel und endlich (4) mit dem gesamten einst am Sinai versammelten Gottesvolk. Die Deutung auf die Engel oder konkreter noch auf die Völkerengel, die Jhwh „allen Völkern unter dem ganzen Himmel zugeteilt hat“ (Deut 4,19; vgl. Dan 10), hat Emerton aus dem Psalmentargum, aus Qumrantexten sowie aus der Peschitta und den Kirchenvätern belegt (Some Notes). Als dann unter den Qumranfunden mit 11QMelch ein Fragment auftauchte, das Ps 82 in Verbindung mit Melchizedek zitierte (vgl. Van der Woude, Melchisedek als himmlische Erlösergestalt; und M. de Jonge & van der Woude, 11QMelch), identifizierte Emerton Melchizedek mit dem Erzengel Michael, dem Völkerengel Israels, und sah seine frühere Interpretation dadurch bestätigt (Melchizedek and the Gods). Auf den Spuren van der Woudes paraphrasiert J. Fitzmyer die Zeile 10 des Melchizedek-Fragments so: „Elohim (Melchizedek) has taken his stand in the assembly of El (Yahweh), in the midst of gods (angelic court) he gives judgement“, und sieht Melchizedek hier also nicht in der Rolle eines Engels, sondern eines Richters (Further Light 25 ff). Wie einst Westcott (Komm. 70), Lagrange (Komm. 290) und Lightfoot (Komm. 209) unter Berufung auf bBer 6a und einen Midrasch über die Psalmen die „Götter“ von Ps 82 mit den Richtern Israels identifiziert hatten, so erklärt jetzt auch Morris – ohne die konkurrierenden Deutungen ernsthaft zu diskutieren – bündig: „The passage refers to the Judges of Israel, and the expression ‚gods‘ is applied to them in the exercise of their high and God-given office“ (Komm. 525). Das erscheint uns jedoch deshalb fragwürdig, weil damit im Gegensatz zur faktischen jüdischen Jurisdiktion vorausgesetzt wird, daß es in Israel einen eigenen ‚Stand‘ unabhängiger Richter, also sozusagen eine ‚Dritte Gewalt‘, und eine klare Differenzierung zwischen ‚Zeugen‘, ‚Anklägern‘ und ‚Richtern‘ gegeben habe. Auch daß die metaphorische Benennung solcher vermeintlichen „Richter“ als „Götter“ auf ihre Teilhabe an der göttlichen Allmacht über Leben und Tod hinweise, muß man bezweifeln. Der Psalm und der Kontext von Joh 10,31 ff legen es doch näher, in der verlorenen Unsterblichkeit der hier Angeredeten, die nun aber wie Menschen in ihrer Sünde sterben müssen, den Grund ihrer ungewöhnlichen Prädikation zu sehen. „Götter und Söhne des Höchsten“ sind sie nicht aufgrund irgendwelcher Eigenschaften oder Machtbefugnisse, sondern dadurch, daß das
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Vierte Szene: Jesu ‚Verhör‘ während des Festes der Tempelweihe
10,34
‚Wort Gottes‘ zu ihnen gekommen ist: prÖ" o∆" ¨ l∙go" toú jeoú †gfineto (10,35). Dieses †gfineto muß auf ein gemeinsames Widerfahrnis der hier „Götter“ Genannten verweisen und kann nicht in der je individuellen Biographie einzelner ‚Richter‘ lokalisiert werden.
Neyrey (I said you are Gods) ist diesen Versuchen, die „Götter“ von Ps 82 zu identifizieren, sorgfältig nachgegangen. Dabei hat er klar begründet, daß keine der drei bisher genannten Deutungen einen nennenswerten Beitrag zur Interpretation von Joh 10,28 ff zu leisten vermag. Eine derartige Interpretationshilfe erwartet er dagegen allein von der Tradition, die das Volk Israel durch die Gabe der Tora am Sinai in den Stand von „Göttern“ versetzt sieht. Auf sie hatte schon Billerbeck aufmerksam gemacht, wenn er zu Joh 10,34 f die folgende Passage zitiert: „TanchB 9, 13a: R. Pinechas der Priester b. Chama (um 360) hat im Namen des R. Jochanan († 279) im Namen des R. Eliezer b. Jose Hagelili (um 150) gesagt: (Gott sprach:) Wenn der Todesengel kommt und zu mir sagt: Warum bin ich erschaffen worden (da die Israeliten nach der Annahme der Tora am Sinai vom Tode befreit worden sind), so werde ich ihm sagen: Wenn ich dich erschaffen habe, so habe ich dich wegen der Völker der Welt erschaffen, aber nicht wegen meiner Kinder; denn sie habe ich zu Göttern gemacht, ich selber habe gesprochen (Ps 82,6): ‚Götter seid ihr und Söhne des Höchsten allesamt‘“ (Bill. II, 543; ebd. weiteres Material). Neyrey fügt diesen Belegen noch folgende Texte hinzu: In der Mekilta de-Rabbi Ischmael (Bahodesh 9) erklärt Gott: „Wenn es möglich wäre, den Todesengel zu beseitigen, dann täte ich es. Doch das Dekret wurde schon vor langer Zeit erlassen. R. Jose sagt: Unter dieser Bedingung, daß der Todesengel keine Macht über sie haben sollte, standen die Israeliten am Fuße des Berges Sinai. Denn es war ja gesagt: Ich sagte: Ihr seid Götter (Ps 82,6). Aber ihr habt euer Versprechen gebrochen: Darum sollt ihr sterben wie Menschen“ (Ps 82,7)“. Im Anschluß an eine Diskussion über Dtn 5,25 f erklärt Rabbi Jose: „The Israelites accepted the Torah only so that the Angel of Death should have no dominion over them, as it is said: ‚I said ye are gods and all of you sons of the Most High‘ (Ps 82,6). Now that you have spoilt your deeds, ‚Ye shall die like mortals‘ (Ps 82,7)“ (bAbod. Zar. 5a; zitiert nach Neyrey 656). Ein dritter früher Midrasch klärt die Grundzüge dieser Interpretation unseres Psalms. Im Kontext einer Reflexion über Deut 32,20 heißt es da: „You stood at Mount Sinai and said: ‚All that the Lord hath spoken will we do and obey‘ (Ex 24,7), (whereupon) ‚I said: Ye are Gods‘ (Ps 82,6); but when you said to the (golden) calf: ‚This is thy God, o Israel‘ (Ex 32,4), I said to you: ‚Nevertheless, ye shall die like men‘ (Ps 82,7)“ (Sifre zu Dtn; bei Neyrey ebd. zitiert). All diese und weitere Belege zeigen deutlich, daß die Annahme der Tora und der Gehorsam ihr gegenüber „led to genuine holiness which resulted in deathlessness, hence, Israel could be called god because deathless“ (ebd.). Daß wir in Joh 10,31 ff der frühsten bisher bekannten Spur dieser Tradition des Midrasch begegnen, scheint uns keine Frage zu sein. Dafür spricht, daß die Schrift nach Jesu Wort diejenigen „Götter und allzumal Söhne des Höchsten“ nennt, an die das Wort Gottes erging. Und das sind, da die heilige Schrift ja nicht außer Kraft gesetzt werden kann, die Israeliten, die am Sinai die Tora empfingen und sich feierlich verpflichteten, sie zu halten. Wie einst Adam, den er „nach seinem Bilde“ geschaffen hatte, so wollte Gott seinem erwählten Volk durch seinen neuen Schöpfungsakt am Sinai ewiges Leben verleihen. Aber wie Adam dieses Leben für immer verlor, als er Gottes Gebot übertrat, so gilt auch von Israel, seit es mit der Anbetung des goldenen Stierbildes die Sünde zur Herrschaft brachte: „Doch sterben sollt ihr wie Menschen 501
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Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
und zugrunde gehen, wie einer der Fürsten“. In dem Psalm werden die Subjekte ‚Götter‘ und ‚allesamt Söhne des Höchsten‘ in synthetischem parallelismus membrorum genannt und dadurch als Synonyme erwiesen. Darum beansprucht Jesus, wenn er sagt: „Ich bin der Sohn Gottes“, nichts anderes als das, was ganz Israel sein sollte und sein könnte, wenn es nicht der Sünde Tür und Tor geöffnet hätte. Wir können darum Jesu Frage nun wohl so paraphrasieren: Wenn Gott selbst einst am Sinai eure Väter ‚Götter‘ genannt und ihnen gottgleiche Unsterblichkeit verheißen hat, weil sie sein in Gestalt der Tora zu ihnen gekommenes Wort willig angenommen und zu halten versprochen hatten, wie könnt ihr dann von dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat, behaupten: Du lästerst! Nur weil ich gesagt habe: Ich bin Gottes Sohn? Wie der Midrasch sieht Johannes die Prädikation: „Ihr seid Götter“ oder „Gottgleiche“ aufs engste mit Unsterblichkeit und Heiligkeit verknüpft und gebraucht den Psalm nicht nur aus äußerlichen Gründen als biblisches dictum probans für Jesu Anspruch, der Sohn Gottes zu sein. „Although deathlessness is not explicitly mentioned in 10,34, I would argue that it is assumed in the link between holiness and godlikeness. After all, it is not the mere physical hearing of the Word of God, but hearing in faith and obedience which constitutes holiness. Such is the hearing that is celebrated in John 5,24; 8,37; 9,27. This Gospel clearly sees an intrinsic link between hearing in faith and passing to eternal life“ (Neyrey, ebd. 659). Nicht Jesus selbst, sondern der Vater hat ihn geheiligt (™g‡asen) und in die Welt gesandt (V. 36), ºna swjÔö ¨ k∙smo" diû a§toú (3,17). „Geheiligt“ heißt, daß er als der „Heilige Gottes“ (6,69) das Werk vollenden wird, das der Vater ihm aufgetragen hat; daß er die Wahrheit ist und Wahres sagt; daß er sündlos ist und ihn darum niemand einer Sünde überführen kann (8,46). Nicht erst nachträglich, wie jener Generation Israels am Sinai, ist ihm das Wort Gottes widerfahren (†gfineto), sondern er ist dieses fleischgewordene Wort in Person, das „bei Gott“ war, noch ehe die Welt geschaffen wurde. Als der monogenÉ" toú patr∙" (1,14) – und das heißt: als der, den allein der Glaubende als sein transsubjektives Bestimmtsein wahrzunehmen vermag – hat er, im Unterschied zu allen Menschen, das Leben „in sich selbst“ wie sein Vater (5,26). Und er will und wird seinen Schafen das ewige Leben geben. Als ihr ‚guter Hirte‘ wird er sie bewahren, so daß sie keiner jemals seiner Hand entreißen wird (10,28). 37: Die Wendung tÅ ≤rga toú patr∙" mou weist noch einmal zurück auf das shmeõon der Heilung des Blindgeborenen, an der sich dieser Versuch, Jesus ‚den Prozeß zu machen‘, ja entzündet hatte. Denn als die Jünger Jesus beim Anblick des Blindgeborenen gefragt hatten, ob dessen Blindheit die Folge seiner eigenen Sünde oder die der Sünde seiner Eltern sei, hatte er ihnen geantwortet: „Weder dieser noch seine Eltern haben gesündigt, sondern (er wurde blind geboren), damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden sollten“ (9,2 f). Damit setzt er das ewige Rätsel der Frage der Theodizee nach dem „Warum“ der Übel und den vermeintlich von jedermann erkennbaren Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen in Epoche, um statt dessen von dem göttlichen tfilo" allen Geschehens zu sprechen und fortzufahren: „Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist, denn es kommt die Nacht, in der niemand mehr wirken kann“ (9,4; s. o. z. St.). Zu der Klassifizierung des shmeõon der Heilung des Blinden als eines der ≤rga toú patr∙" mou, die eine Klärung von Nähe und Differenz der Rede von Jesu ‚Zeichen‘ und von seinen ‚Werken‘ bzw. seinem ‚Werk‘ nahelegt, vgl. Morris, Komm. 684–691. 502
Fünfte Szene: Jesus begibt sich zurück an den Ort, wo Johannes zuerst getauft hatte
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39: Hatten die ûIoudaõoi in V. 31 auf Jesu Wort: „Ich und der Vater sind Eines“ hin Anstalten gemacht, ihn zu steinigen, so entzündet sich ihr vermeintlicher ‚Eifer für Gott‘ nun erneut an seinem nicht minder provokanten Wort, daß er im Vater und der Vater in ihm sei (V. 38): „Da versuchten sie erneut, ihn festzunehmen (a§tÖn pi›sei) – wohl um ihre Absicht, ihn zu steinigen, jetzt in die Tat umzusetzen –, doch er entrann ihren Händen“. Der implizite Leser ‚weiß‘ natürlich, daß damit nicht eine Flucht Jesu vor seinen übermächtigen Feinden beschrieben ist, sondern deren Unvermögen, ihn festzuhalten. Denn erst wenn „seine Stunde gekommen ist“, wird er sich mit seinem unüberhörbaren und sie zu Boden schmetternden Wort †g„ e¢mi freiwillig in „ihre Hände“ begeben (18,2 ff; vgl. Hoskyns, Komm. 394). Ganz ähnlich drückt Lukas die Ohnmacht der Gegner Jesu aus, wenn er nach deren dramatischen Versuch, Jesus zu töten, erklärt: a§tÖ" dÇ dielján diÅ mfisou a§tùn †pore‚eto (4,30).
Fünfte Szene: Jesus begibt sich zurück an den Ort, wo Johannes zuerst getauft hatte (10,40–42) 40
Und er ging wieder weg an den Ort jenseits des Jordan, wo Johannes zuerst getauft hatte und blieb dort. 41 Und es kamen viele zu ihm und sagten: Johannes hat zwar kein Zeichen gewirkt, doch alles, was Johannes über diesen gesagt hat, war wahr. 42 Darum fanden dort viele zum Glauben an ihn. Obgleich diese drei Verse dadurch aufs engste mit 10,22–39 verbunden sind, daß Jesus nicht erneut namentlich genannt wird, sondern in dem Verbum üpöljen nur als „er“ und danach in dem Demonstrativum als „dieser“ erscheint, und obgleich sie gewissermaßen die Brücke für Jesu Weg zum Grab des „Freundes“ Lazarus im folgenden Kapitel bilden (vgl. Bultmann, Komm. 299 f), behandeln wir diese kurze Passage wegen des gewichtigen Ortswechsels als eine Szene eigenen Rechtes. Wenn Jesus sich hier angesichts der seit Joh 7 ständig eskalierten Verhaftungs‑ und gar Steinigungs-Drohungen aus dem feindlichen Judäa auf peräisches Gebiet in Transjordanien zurückzieht und sich an den Ort begibt, wo mit Johannes und seiner Wassertaufe sein irdischer Weg seinen Anfang genommen hatte, so schließt sich damit absichtsvoll ein erster Kreis. Die Formulierung, Jesus habe sich e¢" tÖn t∙pon Ωpou én ûIw›nnh" tÖ prùton bapt‡zwn begeben, nimmt gewiß nicht zufällig den V. 1,28 weithin wörtlich wieder auf: taúta †n Bhjan‡a †gfineto pfiran toú ûIord›nou, Ωpou én ¨ ûIw›nnh" bapt‡zwn. Durch diesen ‚Wink‘, den der Erzähler ihm damit gibt, weiß der Leser nun, daß Jesus an den Ausgangspunkt seines öffentlichen Wirkens im peräischen ‚Bethanien‘ zurückgekehrt ist; zum Namen dieses bisher noch nicht identifizierten peräischen Ortes im Unterschied vom judäischen Bethanien, in das uns das folgende Kapitel führen wird, s. o. zu 1,28. Wie hier, auf die martur‡a des Johannes hin, die ersten beiden Jünger zu Jesus kamen, seine ‚Bleibe‘ sahen, bei ihm ‚blieben‘ und dann mit den anderen im galiläischen Kana seine Herrlichkeit sahen und an ihn glaubten (2,11), so kommen hier nun viele zu ihm und erklären: „Johannes hat zwar kein ‚Zeichen‘ getan, aber alles, was Johannes über diesen gesagt hat, das war wahr“. Mit dieser letzten und abschließenden Nennung Johannes des Täufers und der nachdrücklichen und nahezu feierlichen Bestätigung der 503
10,40–42
Vierter Akt (Erste Hälfte) und Peripetie der dramatischen Historie Jesu
vollen Wahrheit seiner martur‡a durch die „Vielen“ ist das dem Prolog folgende große erste Buch unseres Evangeliums im Sinne einer Ringkomposition zu Ende geführt. Wenn die Vielen, die nun, wie einst die ersten Jünger in Kana, an Jesus glauben, über Johannes erklären: p›nta dÇ Ωsa eèpen ûIw›nnh" perÑ to‚tou ülhjö én, so bestätigen sie damit nicht nur den Prologsatz: oñto" éljen e¢" martur‡an ºna marturflsÔh perÑ toú fwt∙", ºna p›nte" piste‚swsin diû a§toú (1,7) und das ihm entsprechende Täuferzeugnis von 1,19 ff, sondern mit dem im Tempus der Vergangenheit gesagten ülhjö én rufen sie zugleich seinen Tod in Erinnerung und errichten so dem unerschrockenen Bekenner nahe am Ort seines Martyriums gleichsam ein Epitaph. Bei seinem förmlichen ‚Verhör‘ durch jene aus Jerusalem von den Pharisäern zu ihm gesandte Delegation hatte Johannes u. a. feierlich „bekannt und nicht verleugnet“, daß er nicht „der Prophet“, nämlich der in Dtn 18,15.18 verheißene „Prophet wie Mose“ sei (1,19 ff). Damit hatte er den Platz für den bereitet, der in Wahrheit der „Christus“, der wiedergekehrte „Elia“ und der verheißene „Prophet wie Mose“ und als der u´∙" toú jeoú (1,34) und monohenÉ" parÅ patr∙" (1,14) zugleich mehr ist als diese (s. o. z. St.). Es versteht sich, daß der Prophet wie Mose die ‚Zeichen‘, die Mose getan hat, auch tun wird, ja größere als jene wird er tun. Denn was damals galt, gilt auch heute: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, werdet ihr niemals (o§ mfl) glauben“ (4,48). – Zwar nur via negationis, so daß der Leser sich die positive Ergänzung dazu denken muß, erklärt Mose im unmittelbaren Kontext jener Verheißung: „Der Spruch, den ein Prophet im Namen Jhwhs verkündet hat, (dessen Inhalt) aber nicht Wirklichkeit wird und nicht eintrifft, der ist ein Spruch, den Jhwh nicht geredet hat. Der Prophet hat ihn vielmehr in Gottlosigkeit (†n üsebe‡a) ausgesprochen“ (Dtn 18,22). Wenn die Vielen hier nun erklären: „Johannes hat zwar keine Zeichen getan, doch alles, was Johannes über diesen gesagt hat, war wahr“, so bestätigen sie damit, daß Johannes als ein ±njrwpo" üpestalmfino" parÅ jeoú (1,6) zwar nicht „der Prophet wie Mose“ war, daß er aber als ein rechter Prophet im ‚Namen Jhwhs‘ die in Jesus wahr gewordene Wahrheit bezeugt hat, ºna p›nte" piste‚swsin diû a§toú (1,7). „There is no polemic against the Baptist implied by the remark that he did not do any sign; the many were probably disciples of his who, in giving their allegiance to Jesus, recognize that John was a true prophet“ (Hoskyns, Komm. 261). Durch eine sorgfältige Untersuchung aller bisher bekannten Quellen einschließlich der Mandaica, in denen Johannes der Täufer genannt wird, erweist Bammel, daß es tatsächlich keinerlei seriöses Zeugnis über dessen tatsächliches oder auch nur fiktionales Wunderwirken gibt. Obwohl gerade das bei einem Mann wie Johannes in dessen von Wundern erfüllter Welt doch verwunderlich sei und innerhalb der vermeintlichen „baptist community“ eher als ein sk›ndalon habe empfunden werden müssen, habe dennoch zu gelten: „probably, the statement of John 10,41 is in agreement with the facts“ (John Did No Miracle 187). Das ist vielfach bestritten worden. Bereits 1898 hatte Baldensperger erklärt: „Es wäre gegen alle Analogie, wenn die Johannesjünger ihrem Meister keine Wundertaten zugeschrieben hätten. … Mit Joh 10,41 wird eine andere Ansicht negiert“ (Prolog 89). Dem folgt Bultmann (Syn. Trad. 22; u. Komm. 300 mit Anm. 4). Becker meint wie Bammel, daß der Täufer kein Wundertäter gewesen sei, begreift V. 41 aber gleichwohl als antitäuferische Polemik: „Jesus steht mit seinen Wundern besser da!“ Zudem halten Bammel wie Becker das in V. 41 gebrauchte Lexem shmeõon für ein Indiz dafür, daß hier gar nicht der Evangelist, sondern die von diesem häufig mit Polemik bedachte vermeintliche Semeiaquelle zu Wort komme.
504
Fünfte Szene: Jesus begibt sich zurück an den Ort, wo Johannes zuerst getauft hatte
10,41–42
Joh 10,40–42 beschließt in Gestalt einer großen Ringkomposition mit der eindrucksvollen Bestätigung der Wahrheit der martur‡a des von Gott als Zeuge Jesu gesandten Johannes durch die „Vielen“ den ersten Teil unseres Evangeliums. Wir nennen diesen darum „Das Buch des Zeugnisses“. Denn es ist ja nicht nur Johannes, der für Jesus als Zeuge eintritt, sondern es sind, woran V. 41 erinnert, ja auch und vor allem die Zeichen, Worte und Werke Jesu, in denen der Vater für ihn zeugt. Den folgenden zweiten Teil unseres Evangeliums, der durch Joh 11 mit dem Sterben und der Auferweckung des Lazarus eröffnet und ebenfalls in Gestalt einer Ringkomposition mit dem Sterben und Auferstehen Jesu (18–20) beschlossen wird, werden wir „Das Buch der Herrlichkeit Jesu“ nennen.
505
Zweiter Teil: Das Buch der dovxa Jesu (11,1–21,25) Zweite Hälfte des vierten Aktes (11,1–12,50) Auch wenn die durch 10,40–42 markierte Zäsur das Evangelium in zwei ‚Bücher‘ teilt und damit zugleich auch dessen ‚vierten‘ und zentralen ‚Akt‘ (8,12–12,50) genau im Augenblick der „Peripetie“ der dramatischen Erzählung von Jesus in zwei Hälften trennt, muß man dennoch sowohl an der Einheit dieses gesamten Aktes als auch daran festhalten, daß er sein Ende erst mit Joh 12,44–50 erreicht. Man muß also mit Østenstad die „Zäsur“ zwischen den beiden „Büchern“ des Evangeliums unterscheiden von den „Einschnitten“ („Incisions“), die die einzelnen Akte voneinander trennen, und sehen, daß und wie der zentrale Akt beide Bücher miteinander verklammert. Einheit und Kohärenz von 8,12–12,50 werden an der harmonischen inneren Beziehung aller Passagen dieses gesamten Aktes (8,12–12,50) und daran erkennbar, daß sie, kunstvoll ausbalanciert, mit größter Sorgfalt rings um die zentrale Szene von Jesu Auftritt in der „Halle Salomos“ beim Tempelweihfest in Jerusalem (10,22–39) angeordnet sind (vgl. Wyller 162; und Østenstad 47 ff). Zudem bilden die beiden Passagen, die den Akt eröffnen und beschließen, nämlich 8,12–19 u. 12,44–50, „the most elaborate inclusion“ unseres gesamten Evangeliums (Østenstad). Wie Jesu Proklamation: „Ich bin das Licht der Welt“ in Kapitel 8 das ‚Zeichen‘ der Heilung des Blindgeborenen folgte, so folgt seiner Hirtenrede und seinem Auftritt beim Tempelweihfest nun das ‚Zeichen‘ der Auferweckung des Lazarus und bestätigt damit seine Worte, daß seine Schafe seine Stimme kennen und ihm nachfolgen (10,4. 16. 27), daß er seine eigenen Schafe namentlich zu sich ruft (10,3; vgl. 11,43: fwnÔö meg›lÔh †kra‚gasen: L›zare, deúro ≤xw) und daß niemand – auch der Tod nicht – sie seiner Hand entreißen kann. Ja, weit über die Hirtenrede hinweg knüpft Joh 11 auch an 5,19 ff an, denn mit Tod und Auferweckung des „Freundes“ Lazarus (11,11) ist auch die Zeit gekommen, da der Vater dem Sohn noch weit größere Werke als die bisher Gesehenen zeigen wird, ºna ≠meõ" jaum›zhte (5,20). Und nun zeugt der Vater selbst im Zeichen der Erweckung des Lazarus für die Wahrheit der Worte des Sohnes: „Denn ebenso wie der Vater die Toten erweckt und sie lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, welche immer er will“ (5,21).
507
11,1–12,11
Zweite Hälfte des vierten Aktes
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus (11,1–12,11) Als einen „Palimpsest über synoptischen Texten“ haben wir in einem Beitrag zur Festschrift für Frans Neirynck die Erzählung von den „bethanischen Geschwistern“, nämlich von Lazarus und seinen Schwestern Maria und Martha in Joh 11,1–12,11 bezeichnet und mit Lk 10,38–42; 16,19–31; Mk 14,3–9; Lk 7,36–50 zugleich die entsprechenden ‚Prätexte‘ namhaft gemacht, mit denen der Erzähler hier intertextuell spielt. Alle Versuche, jenseits der überprüfbaren Beziehung zu diesen realen Texten noch eine ältere „Wundererzählung“ als die vermeintliche „Quelle“ des Evangelisten ausmachen und von dessen „Bearbeitung“ unterscheiden zu wollen, erscheinen uns ebenso überflüssig wie unmöglich: ‚Überflüssig‘, weil jede zusätzliche Hypothese und zumal das Postulat einer nicht aufweisbaren, sondern nur virtuellen Quelle die Argumentation unnötig belastet und um ihre Plausibilität bringt; und ‚unmöglich‘, weil das Gewebe dieser Erzählung derart kunstvoll und dicht sowie in all seinen Details so unverkennbar durch die individuelle ‚Handschrift‘ des Erzählers geprägt ist, daß keine der zahllosen und miteinander konkurrierenden Rekonstruktionen ihrer vermeintlichen „Quelle“ zu überzeugen vermag. Zudem ist auf dem Wege der Literarkritik auch kein Stratum der Erzählung auszumachen, in dem ihre Narratio noch nicht unlösbar mit Jesu offenbarenden Worten verflochten gewesen wäre: „There is no story of the Raising of Lazarus … separable from the pregnant dialogues of Jesus with his disciples and with Martha“ (Dodd, Interpretation 363). In seiner Leuvener Dissertation über Joh 11 mit dem Untertitel: „An Evaluation of the Hypothesis that a Written Tradition Lies Behind the Narrative“ hat Hennebery in seltener Vollständigkeit alle Versuche, eine solche Hypothese literarkritisch zu begründen, mit eindeutig negativem Resultat unter die Lupe genommen. Er mustert die folgenden drei prinzipiellen Wege, auf denen eine Lösung der Probleme gesucht wird, nämlich (1) die Voraussetzung der Historizität des Erzählten, (2) die redaktionelle Komposition der Erzählung durch den Evangelisten aus synoptischen Texten und (3) die Rekonstruktion einer Joh 11 zugrundeliegenden (Semeia‑)Quelle. Ebenso wie die Voraussetzung der Historizität des Erzählten sieht er auf Grund einer erneuten Untersuchung von Theologie, Vokabular und Stil von Joh 11 die beliebte Unterscheidung von Quelle und deren Bearbeitung durch den Evangelisten „zum Untergang verurteilt“ (doomed to end in failure: 208). Plausibel bleibt darum allein die Hypothese, daß Johannes hier absichtsvoll mit den oben genannten und dem idealen Leser vertrauten Texten der Synoptiker spielt. Höchst skeptisch haben schon Dodd (Tradition 232 und Interpretation 363) sowie Beasley-Murray (Komm. 186) und neuerdings D. A. Lee (Symb. Narratives 188 ff) sowie Frey (Eschatologie III, 405 ff) die frühere Zuversicht beurteilt, daß sich innerhalb der kunstvollen Komposition der Lazaruserzählung noch der Textbestand und die sinnbestimmende Gestalt einer vom Evangelisten verarbeiteten „Quelle“ „mit hinreichender Sicherheit“ (Frey, ebd. 406) isolieren lasse. Wir sind also davon überzeugt, daß unsere gesamte Lazarus-Erzählung als ein Spiel mit synoptischen Texten verstanden sein will. Weil diese Texte sich nicht darin erschöpfen, dem neuen Text ihr ‚Wasser‘ zuzuführen und so in ihm aufzugehen, nennen wir sie seine Prätexte und nicht mehr seine Quellen. Sie sind die notwendigen Fundamente für das Verstehen des neuen Textes und behalten darum nicht nur ihr eigenes 508
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,1
Gewicht, sondern sie werden durch ihn sogar neu in ihre Rechte eingesetzt. Um diese Prätexte vorweg zu benennen, sei gesagt, daß wir Joh 11,1–12,11 zum einen als eine Variation der Erzählung von der Auferweckung des Sohnes der Witwe zu Nain (Lk 7,11–17) verstehen; zum anderen sehen wir darin ein intertextuelles Spiel mit dem Gleichnis von Lk 16,19 ff sowie mit der Erzählung von Jesu Einkehr im Hause der Schwestern Maria und Martha (Lk 10,38–42); und zum dritten endlich spielt der Erzähler hier mit der Erzählung von der Salbung Jesu in Bethanien (Mk 14,3–9) samt ihrer lukanischen Variante (Lk 7,36–50). Indem Johannes damit den namenlosen Sohn der Witwe von Nain Lazarus genannt hat, hätte er ihm absichtsvoll den Namen jenes armen Mannes gegeben, der krank vor der Tür des Reichen gelegen hatte. Anstelle von dessen bei Lukas von dem reichen Mann in seiner Höllenqual zur Warnung seiner Brüder von Abraham nur erbetener Rückkehr aus dem Tode erzählt Johannes seine tatsächliche Erweckung durch Jesus. Und hier gilt nicht nur Abrahams Weissagung: „Wenn sie Mose und die Propheten nicht hören, dann werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht“ (Lk 16,31), sondern hier vollenden die Hohenpriester ihren Unglauben durch den Beschluß, den durch seine Errettung aus Grab und Tod zum wirkungsvollen Zeugen Jesu gewordenen Lazarus erneut zu töten (12,9–11). Weil diese drei bethanischen Geschwister, anders als die Jünger oder die Juden, nur hier begegnen, und weil die Erzählung von ihnen gleichsam ‚gerahmt‘ ist von der Botschaft der bedrohlichen Krankheit des Lazarus, die in seinem Sterben und in seiner Auferweckung gipfelt (11,1 ff), und dem Beschluß der ürciereõ", den eben Auferweckten zu töten und ihn damit als lebendigen Zeugen zu beseitigen (12,9–11), betrachten wir Joh 11,1–12,11 als einheitliche Erzählung. Darin folgen wir Dorothy Lee (191 ff), die den gesamten Komplex in folgender Weise in sieben kleine Szenen gliedert: (1) Krankeit und Tod des Lazarus (11,1–16) – (2) Jesus im Gespräch mit Martha (11,17–27) – (3) Jesus im Gespräch mit Maria und den jüdischen Trauergästen (11,28–37) – (4) Die Erweckung des Lazarus (11,38–44) – (5) Viele Juden glauben an Jesus, und das Synhedrium beschließt, ihn zu töten (11,45–57) – (6) Jesu Salbung durch Maria (12,1–8) – (7) Beschluß der Hohenpriester, auch Lazarus zu töten (12,9–11). Mittelpunkt und Peripetie der gesamten Erzählung ist fraglos das Wunder der Auferweckung des Lazarus, also die hier als vierte (4) bezeichnete Szene. Ihre herausragende Sonderstellung wird noch dadurch unterstrichen, daß zwischen den übrigen ein chiastisches Beziehungsgeflecht besteht. Es entsprechen sich nämlich als a und a’ die Szenen 1 und 7; als b und b’ die Szenen 2 und 6 sowie als c und c’ die Szenen 3 und 5 (vgl. Lee 192 ff). Obgleich er in Erinnerung an die Diskussion der Synoptiker noch von „Perikopen“ spricht, urteilt Suggit ähnlich, wenn er die beiden „Perikopen“ von der Erweckung des Lazarus (11,1–46) und von der Salbung in Bethanien (12,1–11) durch den Beschluß des Synhedriums, Jesus zu töten (11,47–53), fest miteinander verklammert sieht (Raising).
(1) Krankheit und Tod des Lazarus (11,1–16) 1
Es war aber einer krank, nämlich Lazarus von Bethanien, aus dem Dorf Marias und ihrer Schwester Martha. 2 Maria aber war diejenige, die den Herrn mit Myrrhe gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren getrocknet hatte. Deren Bruder Lazarus war erkrankt. 3 Da schickten seine Schwestern (Boten) zu ihm und ließen ihm sagen: Herr, siehe, den du lieb hast, der liegt krank 509
11,1–12,11
Zweite Hälfte des vierten Aktes
danieder. 4 Als Jesus das gehört hatte, erklärte er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern sie ist um der Herrlichkeit Gottes willen, dazu nämlich, daß der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde. 5 Jesus liebte aber Martha, ihre Schwester und Lazarus. 6 Als er nun erfuhr, daß der krank sei, da blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war. 7 Nach diesen beiden Tagen sagte er zu seinen Jüngern: Laßt uns wieder nach Judäa ziehen! 8 Da sagten seine Jünger zu ihm: Rabbi, jetzt suchen die Juden dich doch zu steinigen, und du willst wieder dorthin gehen? 9 Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wer bei Tage wandelt, der kommt nicht zu Fall, denn er sieht das Licht dieser Welt. 10 Wandelt einer dagegen in der Nacht, so stolpert er, weil kein Licht in ihm ist. 11 Das sagte er und danach erklärte er seinen Jüngern: Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen. Aber ich will hingehen, daß ich ihn aufwecke. 12 Darauf entgegneten die Jünger ihm: Herr, wenn er doch (jetzt) schläft, dann ist er ja auf dem Wege der Besserung. 13 Aber Jesus hatte von seinem Tod gesprochen, während sie der Meinung waren, er habe vom natürlichen Schlafen geredet. 14 Darauf sagte Jesus ihnen in voller Eindeutigkeit: Lazarus ist gestorben. 15 Und um euretwillen bin ich froh, nicht dort gewesen zu sein, damit ihr zum Glauben kommt. Aber laßt uns nun zu ihm gehen! 16 Da sagte Thomas, der (auch) Zwilling heißt, zu seinen Mitjüngern: Dann laßt auch uns gehen, daß wir mit ihm sterben. 1–3: Die in Erzählungen übliche Einführung einer neuen Figur durch die Wendung én dfi ti" ktl. und die nachfolgende Identifikation dieses t‡" durch die Nennung seines Namens oder anderer Charakteristika begegnet bei Johannes nur hier. Der Name ‚Lazarus‘ ist die Kurzform des biblischen Namens Eleazar (rz[la LXX: ûEleaz›r). Prominentester biblischer Träger dieses Namens ist der priesterliche Sohn Aarons, der im Josuabuch stets in engster Gemeinschaft, also gewissermaßen als dessen ‚Freund‘, mit Josua (LXX: ûIhsoú") handelt und kurz nach ihm stirbt; vgl. Jos 14,1; 17,4; 19,51; 24,33 u. ö. In Jos 24,30 ff wird erzählt, daß beide †n tù µrei tù ûEfra‡m ihr Begräbnis fanden. Auch auf Grund des in Joh 11,54 genannten ‚Ephraim‘ vermutet Guilding (Jewish Worship 150 f), daß hier absichtsvoll eine typologische Beziehung zwischen Josua – Eleazar einerseits und Jesus – Lazarus andererseits hergestellt ist. Zwar ist in unserem Text eine derartige „Absicht“ nicht deutlich markiert, gleichwohl ist er für solche Lektüre jedoch durchaus offen, zumal Jos 24,32 ja bereits im Hintergrund von Joh 4,4 ff sichtbar wurde. Außer in unserem Zusammenhang findet sich der Name ‚Lazarus‘ im Neuen Testament nur noch bei Lukas im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (16,19 ff). Das Haus des Lazarus und seiner Schwestern versetzt Johannes nach Bethanien, an den Ort der Salbung Jesu durch die namenlose Frau von Mk 14,3 ff, die er mit der Lazarus-Schwester Maria identifiziert. Ein erstes Signal dieses Verfahrens könnte schon mit der oben genannten Eröffnung der Erzählung durch én dfi ti" gegeben sein. Denn mit ti" én leitet auch Lukas sein Gleichnis ein, das er aber im Gegensatz zu Johannes nicht aus der Perspektive des Lazarus, sondern aus derjenigen des reichen Mannes erzählt. Darum lautet seine Eröffnung: ±njrwpo" dfi ti" én plo‚sio" ktl. (Lk 16,19). Anders als in Lk 10,38 f, wo die Schwestern als unbekannte Personen stilgerecht so eingeführt werden: gunÉ dfi ti" £n∙mati M›rja und kaÑ tÔöde én üdelfÉ kaloumfinh 510
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,1–4
Mari›m, nennt Johannes Maria und Martha sogleich namentlich. Er führt sie also als ein Schwesternpaar ein, das dem Leser von anderswoher, nämlich aus Lk 10, bekannt ist. Auch der folgende V. 2: én dÇ MariÅm ™ üle‡yasa tÖn k‚rion m‚rw kaÑ †km›xasa toÜ" p∙da" a§toú taõ" jrixÑn a§tö", verrät nicht etwa schon im voraus, was erst Joh 12,1–8 erzählt werden soll, sondern will gleichfalls als ein Intertextualitätssignal begriffen sein, das die Lazarusschwester Maria mit der Frau von Mk 14,3 ff identifiziert und diese wiederum mit den Farben aus der Erzählung von der gunÉ ®martol∙" von Lk 7,37 übermalt. Dieses Verfahren kennen wir bereits aus dem Täuferwort von Joh 1,15 und 1,30 als Spiel mit den entsprechenden synoptischen Prätexten (s. o. z. St.). Anders urteilt J. Frey, der sich zwar zu Recht gegen die Eliminierung von V. 2 als eine „späte Leserglosse“ wendet, im übrigen hier jedoch lediglich „einen Verweis auf die Salbung von Joh 12“ erkennen will (Eschatologie III, 422). Daß Lazarus der Bruder dieser beiden Schwestern ist, erfährt der Leser zugleich mit dem bedrohlichen Charakter seiner Krankheit erst jetzt. Die Schwestern sind vertraut mit Jesus, und er liebt sie ebenso, wie er ihren Bruder Lazarus liebt (V. 5). Darum wissen sie offenbar um Jesu Aufenthalt im peräischen Bethanien, denn dorthin senden sie ihre Boten mit der Nachricht: „Herr, siehe, den du lieb hast, der ist krank.“ 4: Jesus nimmt diese Nachricht mit den Worten auf: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern sie dient dem Ruhm Gottes dadurch, daß der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde.“ Das ist zumindest für die Boten, die der Leser sich offenbar als die Adressaten dieses Satzes vorzustellen hat, ein merkwürdiges Rätselwort. Die Jünger, deren Gegenwart V. 7 ja voraussetzt, und mit ihnen der Leser der Erzählung haben Ähnliches ja schon zuvor erfahren. Denn als die Jünger Jesus gefragt hatten, ob die Blindheit des Blindgeborenen die Strafe für seine eigenen Sünden oder für die seiner Eltern sei, hatte er ihnen ja geantwortet: „Weder dieser noch seine Eltern haben gesündigt, (er ist vielmehr blind), weil (oder: damit) die Werke Gottes an ihm offenbar werden sollen“ (9,3). Da Lazarus aber sehr wohl sterben wird, ist Jesu Erwiderung, daß seine Krankheit „nicht zum Tode“ sei (o§k ≤stin prÖ" j›naton), wie oft bei Johannes, zumindest nicht eindeutig, zumal Lazarus, wenn er bei Jesu Ankunft bereits seit vier Tagen im Grabe liegt (11,17), zur Zeit, als die Boten bei Jesus eingetroffen waren, womöglich bereits gestorben war; vgl. dazu die ausführliche Erörterung der auffälligen Doppelung der temporalen Angaben in den V. 6 und 17 bei Frey (ebd. 425 ff). Wenn Frey allerdings darin, daß die Adressaten der Antwort Jesu auf die Botschaft der Schwestern nicht ausdrücklich bezeichnet werden, sowie in der „subtilen Mehrdimensionalität“ des Jesuswortes einen Erweis dafür sehen will, daß hier „nicht primär die innertextlichen Personen …, sondern die Leser des Evangeliums“ angeredet seien, so erscheint uns das aus einem doppelten Grund jedoch wenig wahrscheinlich. Denn einmal handelt es sich hier – wie in unserem Evangelium sonst häufig – ja nicht um einen für seine Zuhörer bestimmten Kommentar des Erzählers, sondern um ein Wort des erzählten Protagonisten. Und zum anderen ist dieses Wort durch die einleitende Wendung: üko‚sa" dÇ ¨ ûIhsoú" eèpen, u. E. deutlich als Antwort an die Boten der Schwestern ausgezeichnet. Verfehlt ist freilich nur die Alternative, denn daß Jesu Wort sich darüberhinaus, wie alles in diesem Evangelium Gesagte, zugleich auch an dessen Leser richtet, versteht sich doch von selbst. Wenn dieser Leser dann in V. 11 zusammen mit den Jüngern erfährt: L›zaro" ¨ f‡lo" ™mùn keko‡mhtai und wenig später aus Jesu Mund das unzweideutige Wort hört: L›zaro" üpfijanen (V. 14), so ist damit ja
511
11,1–12,11
Zweite Hälfte des vierten Aktes
nicht nur das faktische Mißverständnis der Jünger ausgeräumt, sondern zugleich jedes mögliche Mißverständnis der Aussage Jesu, daß Lazarus „jetzt schlafe“ – wie man das griechische Perfekt keko‡mhtai ja wohl übersetzen muß – beseitigt. Der Leser muß darum versuchen, sich auf diesen offenbaren Widerspruch zwischen Jesu Bezeichnung der Krankheit des Freundes als „nicht zum Tode“ und dessen faktischem Gestorbensein einen Reim zu machen. Da er auf Grund seiner bisherigen Lektüre diesem allwissenden Protagonisten einen Irrtum schwerlich unterstellen kann, muß er erkennen, daß Jesus hier wohl in einem anderen als dem gewohnten Sinn vom Tod geredet haben muß. Wenn er von Lazarus sagt: keko‡mhtai, so ist das darum gewiß kein alltagssprachlicher Euphemismus für dessen unwiderrufliches Gestorbensein, zumal Jesus den ‚Freund‘ am Ende ja „mit lauter Stimme“ und den Worten: L›zare, deúro ≤xw, aus diesem ‚Schlaf ‘ erwecken wird (V. 43). Hellhörig sollte den Leser auch Jesu Wort machen, daß die „Krankheit“ des Lazarus nicht zum Tode führe, sondern dadurch die Herrlichkeit Gottes offenbare, daß der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde. Denn in unserem Evangelium kulminiert dieses wechselseitige doxasjönai des Vaters durch den Sohn und des Sohnes durch den Vater ja in Jesu eigenem Sterben und Auferstehen und der daraus resultierenden Gabe des lebendig machenden Geistes. Darum folgt der Lazaruserzählung nicht zufällig die Szene vom definitiven Beschluß des Synhedriums, daß Jesus sterben müsse (11,47–53). Denn erst in dieser Erhöhung Jesu an das Kreuz hat die Gabe „des ewigen Lebens an Menschen, die bislang dem Todesbereich angehörten“, ja ihren unverrückbaren Grund. „In ihr geschieht jene Stellvertretung, die in der Lazaruserzählung dramatisch zur Darstellung kommt. (Und) insofern ist die Erweckung des Lazarus als shmeõon nur von Jesu Kreuz und Auferweckung her zu verstehen, als solche weist sie hin auf die Errettung von der üsjfineia der Sünde, die remoto Christo ‚Krankheit zum Tode‘ ist, aber aufgrund von Jesu Kreuz und Auferstehung für Lazarus, den paradigmatisch Glaubenden, ihre an den Tod bindende Macht verloren hat“ (Frey, ebd. 425). 5: Wenn V. 5 dann noch einmal Jesu Liebe zu den bethanischen Schwestern Maria und Martha und zu ihrem Bruder Lazarus betont und damit zusammen mit V. 3 den Rahmen um den eben erörterten V. 4 bildet, dann verdeutlicht der Erzähler damit, daß die gesamte folgende Handlung unter dem Zeichen jener Liebe Jesu begriffen sein will, die sich in seiner „stellvertretenden Lebenshingabe“ für seine ¥dioi (13,1) und f‡loi (15,13–15), in der Hingabe „seines Fleisches für das Leben der Welt“ (6,51) vollendet. Diese Rahmung des V. 4 durch das Motiv der Liebe Jesu zu den Seinen läßt die „bethanischen Geschwister“ paradigmatisch als „Geliebte Jesu“ erscheinen und macht so deutlich, „daß das, was Lazarus erfährt, ein Bild dessen ist, was allen Glaubenden verheißen bzw. gegeben ist“ (Frey, ebd. 426). Anders als bei der ürcfl der Zeichen Jesu in Kana, wo abschließend im aktiven Modus gesagt war: kaÑ †fanfirwsen tÉn d∙xan a§toú. kaÑ †p‡steusan e¢" a§tÖn o´ majhtaÑ a§toú (2,11), stellt V. 4 hier die gesamte Lazarus-Erzählung und alles ihr noch folgende mit der passiven Formulierung: ºna doxasjÔö ¨ u´Ö" toú jeoú diû a§tö", unter das bestimmende Vorzeichen des heilsamen Sterbens Jesu für die Seinen. Die Implikationen dieser Wende vom aktiven Offenbaren seiner d∙xa zum passiven doxasjönai durch den Vater hat Cadman (Lazarus) einleuchtend aufgewiesen: „In that verse (sc. 11,4) however it is a question not of a revealing of His ‚glory‘ by Jesus, but of His being ‚glorified‘, being given ‚glory‘. That is so, but when we find in His ‚glory‘ the sense of His union with the Father, and 512
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,4–10
keep in mind that it is at and because of His dying that He is ‚glorified‘, given d∙xa, is rather to be expected that the verbal form of the term in vs. 4 (doxasjÔö) will relate to the union between Jesus and those who believe in Him into which His dying draws them according to Johannine teaching (observe, e. g., how the formula used in 10,38; 14,10.11, where Jesus has still to die, is ‚the Father is in me and I am in the Father‘, but in 14,20, where His death is contemplated in retrospect, is: ‚In that day ye shall know that I am in my Father, and ye in me, and I in you‘. … It appears then that as the d∙xa which Jesus already possesses and in his public ministry reveals is his union with the Father, so the d∙xa which in 11,4 is to be given to Him at the Crucifixion is His union with all who believe in Him. To His gaining of d∙xa in this sense the illness of Lazarus would be made by Jesus to minister“ (Lazarus 425; vgl. diesen gesamten Beitrag u. Schneiders, Death 52 ff). 6: Ohne irgendeinen erkennbaren Neueinsatz, d. h. ohne daß die in den V. 6–16 handelnden Personen, nämlich Jesus und seine Jünger, ausdrücklich neu eingeführt würden, fährt der Erzähler unvermittelt fort: „Als er (nämlich Jesus) von seiner (des Lazarus) Erkrankung gehört hatte (Ωti üsjeneõ), blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war“ (nämlich im peräischen Bethanien, wie in 10,40–42 erzählt wurde). Gewiß ist dieses Verweilen Jesu rätselhaft und soll dem Leser zu denken geben. Möglicherweise ist der Text von Hos 6,1 f der intertextuelle Code für dieses Abwarten Jesu (vgl. Guilding 151). Doch Auskünfte wie die, daß Johannes „durch Jesu ungewöhnliches Verweilen“ absichtsvoll „die Größe des Wunders“ steigern wolle, um so „aus einer bloßen Krankenheilung nach einiger Zeit eine Totenerweckung“ werden zu lassen (Schnelle, Christologie 144; ähnlich im Anschluß an viele ältere Ausleger schon Haen chen, Komm. 399), oder die – angesichts unseres allwissenden Protagonisten – doch eher ins Reich der Groteske gehörende Auskunft, um das spektakuläre Wunder der Totenerweckung vollbringen zu können, habe Jesus während dieser beiden Tage von Gott gar den Tod seines geliebten Freundes erbeten (Stimpfle, Blinde sehen 138), sind sicher fehl am Platze und weder V. 6 noch V. 15 zu entnehmen (vgl. Frey, ebd. 426 f). Denn schon seit Jesu Mutter ihren Sohn bei der Kanahochzeit mit den Worten: „Sie haben keinen Wein mehr“, bedrängt und Jesus ihr in erschreckender Schroffheit geantwortet hatte: „Was haben wir denn miteinander gemein, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (2,3 f; vgl. auch 7,2 ff und 10 f), weiß der Leser ja, daß Jesus stets nur dann handelt, wenn sein Vater ihm die Zeit dafür gewährt, und daß er, wenn diese Zeit gekommen ist, nur tut, was der Vater ihm dann „zeigen“ wird (5,20; vgl. Giblin, Suggestion 210 f). 7–10: „Danach (≤peita), nämlich nach diesen beiden Tagen (metÅ toúto), sagte er zu seinen Jüngern: Laßt uns wieder nach Judäa ziehen. Da entgegneten seine Jünger ihm: Rabbi, jetzt, da die Juden dich doch zu steinigen trachten (8,59; 10,39), willst du wieder dorthin gehen? Jesus erwiderte: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn einer am Tage wandelt (peripatÔö), stößt er sich nicht, denn das Licht dieser Welt leuchtet ihm, wandelt er dagegen in der Nacht, so stößt er an, denn das Licht leuchtet ihm nicht (o§k ≤stin †n a§tù)“. Die Anrede der Jünger, und das heißt hier wohl der Zwölf, kann so unvermittelt erfolgen, weil sie als Jesu ständige Begleiter zu denken sind, seit Petrus stellvertretend für die anderen Elf erklärt hatte: „Herr, wohin sollten wir denn gehen? Du (allein) hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist“ (6,68 f). Von dieser Stunde in Kapharnaum an, bis zu jener 513
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kommenden Stunde, da sie „zerstreut werden sollen, ein jeder in sein Eigenes, und Jesus allein lassen werden“ (16,23; vgl. 18,8), sind sie immer bei ihm und Zeugen aller seiner Worte und Werke. Wenn der Erzähler Jesus seine Jünger nun nicht dazu auffordern läßt, gemeinsam mit ihm nach Bethanien zum Haus der Schwestern des Lazarus zu wandern, sondern ihn absichtsvoll sagen läßt: „Laßt uns nun wieder (p›lin) nach Judäa ziehen“, so ist damit, wie V. 8 zeigt, nicht nur die Erinnerung an die eben erst erlebten bedrohlichen Versuche der ûIoudaõoi beschworen, Jesus zu steinigen, sondern wie Thomas alsbald ganz richtig begreift (V. 16), der Weg in Jesu eigenes und damit zugleich in das mögliche Martyrium seiner Jünger eröffnet. Das Bildwort vom Licht des Tages und der Finsternis der Nacht ist eine spezifizierende Wiederaufnahme von 9,4 f: „Wir müssen wirken, … solange (∫w") es Tag ist. (Denn) es kommt die Nacht, da keiner mehr wirken, kann. So oft (Ωtan) ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt“ (s. o. z. St.). Dabei zeigt im übrigen schon der Wechsel von dem Lexem †rg›zesjai in 9,4 zum Gebrauch von peripateõn in 11,9 f, daß dieses „Wandeln“ im Sinne unseres Sprechens vom „Lebenswandel“ eines Menschen in seiner unlösbaren Verknüpfung von Wandeln und Handeln begriffen werden muß. Die einleitende Frage: „Hat nicht der Tag zwölf Stunden?“ dient der Beschreibung eines vollen Tages im Unterschied zur Nacht und nicht etwa seiner Zerlegung in einzelne Zeitabschnitte, und daß sich natürlich auch in Palästina die Tagesdauer im Wechsel der Jahreszeiten verändert, spielt dabei keine Rolle (vgl. Morris, Komm. 541, und Cadman, Lazarus 426 f). Auffällig an der Formulierung von V. 9 f sind jedoch die wohl nicht zufällig an Joh 8,12 und an den abschließenden Satz in 9,5 erinnernde Prädizierung des Lichtes als tÖ fù" toú k∙smou to‚tou und die Rede davon, daß dieses „Licht der Welt“ nicht „in demjenigen“ sei, der in der Nacht wandelt. Das verweist auf den symbolischen Modus der Rede Jesu, der das irdische Licht des Tages mit dem vollkommenen Licht vermittelt, das in Christus, dem Licht der Welt, den Kosmos erleuchtet. Zugleich wird so die verrinnende chronische Zeit mit der aionischen Zeit verknüpft, die in Gottes Händen steht. Unsere mit dem unbestimmten ti" als Subjekt formulierte Lichtmetapher begründet im Zusammenhang weniger die Notwendigkeit, daß Jesus jetzt handeln muß (so u. a. Bultmann, Komm. 304), sondern sie ist an die Jünger gerichtet und will ihnen die Angst vor dem erneuten Weg nach Judäa nehmen, weil ihnen doch der vorangeht, der das Licht der Welt und ihr guter Hirte ist. Denn, wie das von Thomas an seine Mitjünger gerichtete Wort (V. 16) zeigen wird, war ihre Warnung, Jesus solle sich doch nicht erneut in die ‚Höhle des Löwen‘ begeben, ja gar nicht so uneigennützig, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Die Jünger fürchten vielmehr, daß auch sie selbst auf diesem Weg anstoßen, zu Fall kommen und am Ende zu Märtyrern werden könnten. Dabei darf man Thomas, der vielleicht das Hintergründige in Jesu Lichtwort wahrgenommen hat, nicht einfach von Joh 20,24 ff her als den sprichwörtlich „ungläubigen Thomas“ disqualifizieren. Als der Sprecher der Jünger spricht er hier vielmehr nur aus, was sie alle denken (vgl. Cadman, Lazarus 427 f). 11: Daß Jesus den Tod des Lazarus durch keko‡mhtai als „Schlaf “ bezeichnet, haben wir oben bereits erörtert. Erhellend ist dazu vielleicht ein Blick auf die Erzählung von der Auferweckung der Tochter des Synagogenvorstehers Jaïrus (Mk 5,22–24. 35–41 / Mt 13,53–58 / Lk 4,16–30). Denn dort melden die Boten dem besorgten Vater, der zu Jesus gekommen war, ihn um die Heilung seiner Tochter zu bitten: „Deine Tochter 514
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,10–15
ist gestorben“ (™ jug›thr sou üpfijanen); und im Blick auf dieses vermeintlich Unabänderliche fügen sie noch hinzu: „Wozu belästigst du da noch den Meister?“ (Mk 5,35). Und als Jesus dann zum Haus des Jaïrus kommt und das laute Klagegeschrei der Nachbarn hört, erklärt er: „Das Mädchen ist nicht gestorben, sondern es schläft nur“ (t‡ jorubeõsje kaÑ kla‡ete; tÖ paid‡on o§k üpfijanen üllÅ kaje‚dei: Mk 5,39). Obwohl hier für ‚schlafen‘ das Verbum kaje‚dein gebraucht ist, liegt es gerade wegen der umgekehrten Folge von ‚schlafen‘ und ‚sterben‘ in Joh 11,11 und 14 nahe, unsere Lazaruserzählung als ein Spiel mit diesem Prätext zu begreifen. 12: Die Jünger reagieren auf Jesu Wort, daß Lazarus jetzt schlafe und er hingehen wolle, ihn zu wecken, mit der Volksweisheit: „Herr, wenn er doch schläft, dann ist er ja auf dem Wege der Genesung“ (e¢ keko‡mhtai swjflsetai). Das Verbum s„zw findet sich bei Joh sechsmal, und zwar in 12,27 und 47 in Aktivformen und in 3,17; 5,34; 10,9 sowie an unserer Stelle mit dem Passiv swjönai. Es bezeichnet stets die eschatologische Rettung aus Tod und Gericht. Das dürfte auch hier der den ahnungslosen Jüngern freilich noch verborgene Hintersinn sein: „but the disciples, like Caiphas later in the chapter, are unaware of the true meaning of their statement“ (Schneiders, Death 49; vgl. Moloney, Komm. 337). In ähnlichem Doppelsinn hatte bereits Jaïrus in einem der Prätexte unserer Erzählung Jesus gebeten, er möge doch kommen und seiner Tochter die Hand auflegen, ºna swjÔö kaÑ zflsÔh (Mk 5,23). 13–15: Hier erklärt der Erzähler seinem Zuhörer/Leser das Mißverständnis der Jünger so: „Jesus aber hatte von seinem Tod gesprochen, sie aber meinten, er habe vom natürlichen Schlafen (perÑ tö" koimflsew" toú æpnou) geredet“. Die weite Verbreitung der metaphorischen Bezeichnung des Sterbens als „entschlafen“ und des Todes als „Schlaf “ sowohl in der alttestamentlichen und jüdisch-apokalyptischen Überlieferung als auch in frühchristlichen Texten wie 1Thess 4,13–16; 1Kor 7,39; 11,30; 15,6.18.51; Act 7,60; 13,36; 2Pt 3,4 u. ö. hat Rochais (Les récits 192 ff) eingehend untersucht. Seine Studie zeigt, daß die jüdische Tradition die verstorbenen Gerechten als solche bezeichnet, die in der Erwartung der allgemeinen Auferweckung der Toten am Jüngsten Tage friedvoll in der Scheol schlafen (vgl. dazu auch den Hinweis auf die Grabinschriften römischer Juden: †n e¢rflnh ™ ko‡mhsi" bei Bauer, Komm. 149), und daß demgegenüber die Metapher vom Tod als Schlaf in der frühchristlichen Tradition primär nicht der Beschreibung eines postmortalen Zustands der Frommen, sondern der Vergewisserung gilt, daß der Tod nur temporal und durch die Auferstehung Jesu definitiv überwunden ist. Wenn Jesus seinen Jüngern dann frei heraus (parrhs‡a) erklärt: „Lazarus ist gestorben. Und um euretwillen bin ich froh, nicht dort gewesen zu sein, damit ihr zum Glauben kommt. Aber laßt uns nun zu ihm gehen!“ (V. 14 f), so kann das darum nicht heißen, daß er seine vorausgegangene metaphorische Bezeichnung des Todes als ‚Schlaf ‘ nun durch eigentliche Rede ersetzt hätte. Vielmehr handelt es sich darum, daß er seinen Jüngern dabei hilft, seine um nichts weniger wörtlich zu nehmenden Worte vom Tod des Freundes als Schlaf, aus dem er ihn erwecken will, endlich zu begreifen. Sein finaler Satz: „damit ihr zum Glauben kommt (oder: findet)“, gibt in doppelter Hinsicht zu denken. Er verweist nämlich zum einen voraus auf die Klimax der Lazaruserzählung mit Jesu Ruf: „Lazarus, komm heraus!“ und dem Herauskommen des ‚Tot-Gewesenen‘ (¨ tejnhk„") aus seinem Grabe (11,40–44) als die Bedingung der Möglichkeit, die Herrlichkeit Gottes zu schauen (V. 40). Darum ist es höchst fragwürdig, Jesus vor dem Hintergrund der heraufziehenden Gnosis primär als „den Offenbarer“ zu bezeichnen 515
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und seine ‚Zeichen‘ und ‚Werke‘ demgegenüber als bloße Symbolisierungen seines offenbarenden ‚Wortes‘ zu begreifen, wie das in der Nachfolge Bultmanns zahlreiche Exegeten tun (vgl. dazu Thompson, Humanity 53 ff; Schnelle, Christologie 164). „The semeia are thus not events referring to something extraneous to themselves; rather, in them the d∙xa of the Christ actually takes place“ (Weder, Hermeneutics 334). Gerade die shmeõa, die der fleischgewordene l∙go" tut, machen deutlich, daß sich die Geschichte Jesu nicht reduzieren läßt auf „das bloße Daß seines Gekommenseins“ (Bultmann), und daß dementsprechend der Gegenstand der Theologie nicht „personalistisch-zweistellig als reine Korrelation von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis“ definiert werden kann, sondern „von vorneherein dreistellig bestimmt (ist) – durch Gott, Welt und Selbst: durch den immer schon weltlich vermittelt anredenden Gott und den ebenfalls weltlich vermittelten Menschen inmitten seiner Mitgeschöpfe“ (Bayer, Theologie 478). „Die Existenz läßt sich ohne Selbstzerstörung nicht aus dem Kosmos lösen; eine ‚Entweltlichung‘, die nicht eine Bekehrung zur Welt, eine neue Weltwahrnehmung wäre, ist eine tödliche Abstraktion“ (ebd. 483). Und zum anderen nötigt Jesu Wort: „damit ihr zum Glauben findet“, zum Bedenken dessen, was hier ‚glauben‘ heißt. Hatte unser Erzähler nicht unmittelbar nach dem Weinwunder von Kana als der ürcfl der wunderbaren ‚Zeichen‘ Jesu bereits erklärt: „Und so offenbarte er seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn“ (2,11)? Und hatte nicht Petrus als der Repräsentant der Zwölf in Kapharnaum deren Glauben mit den Worten bekannt: „Wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist“ (6,69)? Und doch werden die Jünger am Ende ein jeder in sein Eigenes zerstreut und lassen Jesus allein (16,32). Ähnlich steht es mit dem sogleich folgenden Bekenntnis der Martha: „naÑ k‚rie, †gá pep‡steuka Ωti sÜ eè ¨ cristÖ" ¨ u´Ö" toú jeoú ¨ e¢" tÖn k∙smon †rc∙meno" (11,27), einem Bekenntnis, das nichts zu wünschen übrigläßt und in jeder Hinsicht dem Joh 20,30 f formulierten Zweck des Evangeliums entspricht. Und doch muß Martha sich kurz darauf von Jesus sagen lassen: „Habe ich dir nicht gesagt, wenn du glaubtest, würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ (11,40). Aus diesen und zahlreichen anderen Passagen, wie etwa aus den Mißverständnissen auch der Jünger, wird deutlich, daß der Glaube niemals zum verfügbaren Besitz des Menschen werden kann, sondern vielmehr Gottes Gabe ist und dies immer bleiben wird. Solange wir im Glauben und noch nicht im Schauen leben (1Joh 3,2; vgl. 2Kor 5,7), bleibt er angefochtener Glaube. Daß er Gottes Gabe ist, betont auch Bultmann wiederholt. Doch er vermag diese Gabe nicht als eine solche zu begreifen, die sinnlich erfahren und genossen sein will (vgl. 1Joh 1,1–4), sondern er versteht sie lediglich als die „Aufgabe“ zur Glaubensentscheidung: „Die Verkündigung des Kreuzes als des Heilsereignisses fragt den Hörer, ob er sich diese Bedeutung aneignen, ob er sich mit Christus kreuzigen lassen will“ (Offenbarung und Heilsgeschehen 62). Unter dem Zwang der „Existenzmetaphysik“ (vgl. Bayer, Theologie 475 ff) seiner ‚existentialen Interpretation‘ scheidet er alles Naturhaft-Empirische von demjenigen, das er das „Geschichtliche“ nennt. Das verführt ihn dazu, nicht nur die zumal in seinen Zeichen sinnlich erfahrbare Gegenwart Jesu auf das „Bloße-Daß-Seines-Gekommenseins“ zu reduzieren, sondern dementsprechend auch dazu, der wahren Freiheit des Glaubens, die nach Joh 8,36 allein der Sohn zu verleihen vermag, jegliche Ausdehnung in Raum und Zeit und alle empirische Erfahrbarkeit zu bestreiten. Es soll den Glauben vielmehr punktuell im „Augenblick“ des in die Zeit einbrechenden Ewigen geben: „Existenz 516
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ist jeweils Ereignis in den Entscheidungen des Augenblicks. Sie ist nichts Vorhandenes, sondern je und je Geschehendes. Mein Sein als Vater oder als Sohn, als Gatte oder als Freund … steht ständig in Frage und kann nur in meinen Entscheidungen gewonnen oder verloren werden. Die ihm eigene Kontinuität ist keine naturhafte, sondern eine geschichtliche“ (Bultmann, Glauben und Verstehen III, 117). Aber dieser bereits von Hamann in seiner „Metakritik“ der „Kritik der reinen Vernunft“ als „Scheidekunst“ gerügten Trennung des Naturhaften vom Geschichtlichen ist schärfstens zu widersprechen. Auch wenn ich mein Sein als Vater, Sohn, Gatte oder Freund fraglos verfehlen kann, hat es seinen tragenden Grund doch in verläßlichen und durchaus empirischen Relationen und stets von dem Anderen her. So gründet auch der Glaube, der von jedermann daran erkannt werden soll, daß die Glaubenden einander lieben (Joh 13,34 f), in der tragenden Relation der Liebe zwischen den mit dem Glauben Begabten untereinander und ihrem Geber, den Johannes als wechselseitiges „In-Sein“ beschreiben kann. 16: In Aufnahme des ±gwmen Jesu „sagte daraufhin Thomas mit dem Beinamen Didymos (der Zwilling) zu seinen Mitjüngern (summajhtaõ"): Dann laßt auch uns gehen (±gwmen kaÑ ™meõ"), daß wir mit ihm sterben“. Abgesehen von seinem Vorkommen in den Listen der Zwölf (Mk 3,16–19 / Mt 10,2–4 / Lk 6,14–16 und Act 1,13) erscheint Thomas als handelnde Person nur bei Johannes, nämlich 11,16; 14,5.8 f; 20,24 ff und 21,2. Joh 20,24 wird er ausdrücklich als eï" †k tùn d„deka bezeichnet. Mit Ausnahme seines Auftritts in 14,5.8 f, wo er zusammen mit Philippus genannt wird, trägt er stets den „Beinamen“ ¨ D‡dumo". Mit dieser Bezeichnung hat es wohl die folgende Bewandtnis: Das aramäische Lexem amwat = ‚Zwilling‘, das des öfteren auch als Eigenname belegt ist, dürfte der eigentliche Name unseres Jüngers gewesen sein. Da ‚Thomas‘ vorchristlich als Eigenname aber nicht zu belegen ist (Klijn 89), läßt sich Bauers Erklärung, amwat sei „im griechischen Sprachgebiet mit dem echt Griechischen Namen“ Qwmô" zusammengefallen, nicht aufrechterhalten (Komm. 150). Vielmehr ist Qwmô" wohl die griechische Transkription des aramäischen Wortes. Wahrscheinlich ist die Wendung ¨ leg∙meno" D‡dumo" darum nach Analogie von 4,25 zu verstehen, wo das transkribierte Mess‡a" durch ¨ leg∙meno" crist∙" übersetzt und nicht etwa als Beiname genannt wird. Gleichwohl dürfte Johannes im Anschluß an die Apostellisten seiner Prätexte ‚Thomas‘ aber bereits als Eigennamen verstanden haben. Anders als ‚Thomas‘ tritt im übrigen D‡dumo" dagegen „schon in vorjohanneischer Zeit oft als Name auf “ (Bauer, Komm. 150). In den syrischen Thomasakten, die eigentlich als Judasakten bezeichnet werden müßten, weil ihr Protagonist gar nicht Thomas, sondern der Apostel Judas ist, der als syrische Transkription des aramäischen Lexems amwat den Beinamen „Zwilling“ trägt (vgl. Klijn), wird Judas von einer schwarzen Schlange mit den Worten angeredet: oèda g›r se d‡dumon µnta toú cristoú (Kap. 31). Und später redet ihn ein Eselsfüllen mit den Worten an: ¨ d‡dumo" toú cristoú, ¨ üp∙stolo" toú ≠y‡stou kaÑ summ‚sth" toú l∙gou toú cristoú ktl. (Kap. 39). Klijn erklärt dazu: „It is therefore striking that in the Acts of Thomas Jesus did appear again and under the form of Judas. It ist also striking that the person in whose form Jesus appeared is called ‚twin‘. For this idea we do not possess any parallel“ (ebd. 95). Uns scheint D‡dumo" hier aber weniger einen physischen ‚Zwilling‘ zu bezeichnen als vielmehr der symbolische Ausdruck dafür zu sein, daß der so Benannte summ‚sth" toú l∙gou toú cristoú ist. Darum ist es zumindest höchst mißverständlich, wenn Drijvers seine aus den Thomasakten gewonnenen Beobachtungen so umstandslos auf unser Evangelium überträgt: „Der Name (sc. Judas Thomas) begegnet auch in der Vetus Syra Joh 14,22 [syc] und weist
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darauf hin, daß im ostsyrischen Bereich Judas, der Bruder des Herrenbruders Jakobus, mit Judas ‚nicht dem Iskariot‘ identifiziert und als Zwillingsbruder Jesu betrachtet wurde, der übrigens als Thomas Didymus im Johannesevangelium erwähnt wird“ (Thomasakten 291 f).
Wenn Thomas seine ‚Mitjünger‘ nun auffordert: „±gwmen kaÑ ™meõ", daß wir mit ihm sterben“, so soll das im gesamten Neuen Testament nur hier gebrauchte Lexem summajhtfl" wohl die Solidarität der Jünger und den Umstand ausdrücken, daß Thomas hier als der Sprecher der Zwölf nur sagt, was sie in Erinnerung an ihre Warnung (V. 8) alle denken (s. o. und vgl. Morris, Komm. 544). Jesu Wort an seine Jünger: „Lazarus ist gestorben, und um euretwillen freue ich mich, nicht dort gewesen zu sein, damit ihr glaubt. Aber laßt uns nun zu ihm gehen!“, klingt nahezu zynisch: Allein damit seine Jünger zum Glauben finden, freut sich Jesus über den Tod seines geliebten Freundes und darüber, dessen Sterben nicht durch seine Anwesenheit verhindert zu haben! Jesu Freude hat einen doppelten Grund: Einmal freut er sich, daß seine Jünger mit Martha (V. 40) nun am Grabe des Lazarus die Herrlichkeit Gottes sehen sollen, aber zum anderen freut er sich zugleich darüber, daß eben diese Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, zu seinem eigenen doxasjönai durch Gott am Kreuz von Golgatha führen wird. Denn erst damit ist der letzte Grund des Glaubens gelegt, erst damit ist der Tag gekommen, da Jesus seine Jünger zu seinen ‚Brüdern‘ erklärt und da sie erkennen, daß er „in seinem Vater ist“ und daß „sie in ihm sind und er in ihnen ist“ (14,20; s. o. zu V. 4). Zwar liegt dieser Freude Jesu gegenüber in der Wiederaufnahme von Jesu „Laßt uns gehen“ durch Thomas noch ein unüberhörbarer Ton der Resignation, doch darüber sollte man mit Bultmann das Wahrheitsmoment in der Aufforderung des Thomas an seine Mitjünger, Jesus auf seinem Weg ins Martyrium nachzufolgen, nicht übersehen: „Des Thomas Wort, nicht mehr an Jesus, sondern an die Gefährten gerichtet, ist keine Warnung mehr, sondern bedeutet Ergebung in das den Jüngern mit Jesus gemeinsam drohende Schicksal. Zum ersten Mal taucht hier die Wahrheit auf, daß die Jünger das Schicksal Jesu für sich übernehmen müssen; die Abschiedsreden werden dieses Thema entwickeln, und an Stelle der resignierten Ergebung wird die klare Entschlossenheit treten“ (Komm. 305). Weil Thomas auf diese Weise eine gewichtige Rolle bei der Formation des impliziten Lesers spielt – denn dieser und nicht die erzählte Figur der fiktionalen Erzählung soll ja am Ende jene „klare Entschlossenheit“ gewinnen –, darf man seine Aufforderung an die Mitjünger, gemeinsam mit Jesus den Weg ins Martyrium zu beschreiten, nicht einfach unter der Rubrik des „ongoing misunderstanding of the disciples“ verbuchen (Moloney, Komm. 337). Auch darf man das „mit ihm“ in der Wendung: ºna üpoj›nomen metû a§toú, wie zuvor schon Grotius u. a., nicht mit Zahn auf Lazarus beziehen und das gar noch für „gründlich bewiesen“ erklären (Komm. 482 f), was Bultmann treffend eine „barocke Idee“ nennt (Komm. 305). Denn Lazarus ist ja bereits tot und eines natürlichen Todes gestorben. Dagegen fürchten die Jünger, in der Erinnerung an die vergangenen Versuche der ûIoudaõoi, Jesus zu steinigen, doch den gewaltsamen Tod durch das Martyrium. Daß schon die Übersetzung des jüdischen Namens Thomas durch d‡dumo" auf „eine zwiespältige Seele, die schwer zu entschiedenem Glauben kommt“, hinweise und Thomas dementsprechend in Joh 20,24 ff „dem Zeugnis von der Auferstehung des begrabenen Jesus ebenso trotzig den Glauben (versage), wie hier der Vorhersagung Jesu von der Auferweckung des begrabenen Laz(arus)“, ist wohl eine kaum minder „barocke Idee“ (Zahn, Komm. 483; s. u. zu 20,24 ff). 518
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,16–19
(2) Jesus im Gespräch mit Martha (11,17–27) 17
Als Jesus (dort) ankam, fand er ihn bereits seit vier Tagen begraben. Bethanien aber lag nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. 19 Es waren aber viele Juden zu Martha und Maria gekommen, um sie zu trösten wegen ihres Bruders. 20 Als Martha nun vernahm, daß Jesus komme, ging sie ihm entgegen. Maria aber blieb zu Hause sitzen. 21 Martha sagte dann zu Jesus: Herr, wenn du hier gewesen wärest, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. 22 Aber auch jetzt noch bin ich gewiß, daß Gott dir gewähren wird, was immer du von Gott erbitten wirst. 23 Jesus erwiderte ihr: Dein Bruder wird auferstehen. 24 Martha sagte ihm: Ich weiß, daß er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. 25 Jesus sagte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt, 26 und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit niemals sterben. Glaubst du das? 27 Und sie sagt zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, daß du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll. 18
17: „Als Jesus angekommen war, fand er ihn bereits seit vier Tagen in seinem Grabe“. Da später am Grab ihres Bruders auch Martha erklären wird: „Herr, er riecht schon, denn es ist (heute bereits) der vierte Tag“ (tetartaõo" g›r †stin: V. 39), scheint diese Angabe einer Zeitspanne von ‚vier Tagen‘ von besonderem Gewicht zu sein. Auch wenn sie erst im Anfang des 3. Jhs. belegt ist, haben wir hier womöglich das früheste Zeugnis der jüdischen Vorstellung vor Augen, daß die Seele eines Verstorbenen in der Hoffnung, in seinen Leib zurückkehren zu können, drei Tage lang in der Nähe seines Grabes weilt, um ihn erst am vierten Tage definitiv zu verlassen (vgl. das Material bei Bill. II, 544 f sowie die Komm. von Bultmann 305 und Morris 546). Jedenfalls aber ist durch die „vier Tage“ und durch Marthas Bemerken des Verwesungsgeruchs die Endgültigkeit dieses Todes unzweideutig zur Sprache gebracht. Zugleich könnte darin eine absichtsvolle Steigerung des Wunders den beiden synoptischen Totenerweckungen gegenüber liegen. Strachan bemerkt dazu, weil mit dem vierten Tag alle Hoffnung „of any restoration of life“ versunken sei, bleibe nun nur noch die Hoffnung auf Gottes schöpferische Macht, als deren Vollstrecker Jesus hier ja alsbald auftrete (Komm. z. St.). 18 f: „Bethanien aber liegt (én) nahe bei Jerusalem, nur etwa fünfzehn Stadien entfernt“. Das erzählende én haben wir durch das präsentische „es liegt“ wiedergegeben. Denn auch wenn das hintergründig ironische Wort des Kaiaphas in 11,48 ff zeigt, daß der Erzähler sehr wohl um die Zerstörung Jerusalems und seiner näheren Umgebung im Jahre 70 weiß, ist diese Katastrophe gegen die Meinung von Merx (Komm. 272) in dem bloßen Tempus von én so wenig bereits impliziert wie in 18,1 oder 19,41, als habe der Erzähler durch den Gebrauch des én die Lage in der erzählten Zeit Jesu von seiner eigenen Zeit der Erzählung unterscheiden wollen (vgl. Bauer, Komm. 151). Die präzise Lokalisierung und Benennung des Wohnortes der Schwestern Maria und Martha als ‚Bethanien‘, den Lukas nur vage eine k„mhn tin› nennt (Lk 10,38; vgl. Morris, Komm. 546), erfüllt einen dreifachen Zweck: Einmal dient sie der Identifikation der namenlosen Frau, die Jesus in Bethanien mit kostbarer Narde für sein Begräbnis gesalbt hat (Mk 14,3–9), mit Marthas Schwester Maria (Joh 12,1–8). Zum anderen erklärt sie durch die Nähe Jerusalems, das bei der Länge eines ‚Stadion‘ von 192 Metern 519
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Zweite Hälfte des vierten Aktes
nur knapp drei Kilometer vom Haus der Schwestern in Bethanien entfernt ist, die Anwesenheit der vielen ûIoudaõoi, die – wie 11,45 ff zeigt – wohl aus Jerusalem gekommen waren, um nach jüdischem Brauch mit den Schwestern den Tod des Lazarus zu beklagen. In diesem Sinne bietet der Codex D anstelle von ûIouda‡wn – wohl mit dem Blick auf V. 18 – die Lesart: ßIerosol‚mwn. Zur jüdischen Sitte und Verbreitung des Trauerbesuchs und der gemeinsamen Totenklage verweist Bauer (Komm. 151) auf Philon (Abr 260) sowie auf das Material bei Bill. IV, 592 ff. Die Wendung †ggÜ" tùn ßIerosol‚mwn Æ" üpÖ stad‡wn dekapfinte ist nicht etwa ein Latinismus, sondern gut griechisch; vgl. 21,8 und weitere Belege bei Bauer (Komm. 151). Und zum dritten endlich führt die Lokalisierung Bethaniens Jesus in die unmittelbare Nähe des Ortes seiner Verherrlichung am Kreuz von Golgatha, die nicht nur die unmittelbare Folge der Auferweckung des Lazarus ist (11,47 ff), sondern im Sterben und der Auferweckung des bethanischen „Freundes“ Jesu gewissermaßen ihre Vor-Abbildung erfährt. 20: Wenn Martha sich auf die Kunde hin, daß Jesus komme, sogleich aufmacht, ihn zu empfangen, Maria aber zu Hause bei den Trauergästen sitzen bleibt, so ist dieses Bild der geschäftigen Martha demjenigen ihrer kontemplativen Schwester Maria gegenüber dem Leser aus Lk 10,38–42 vertraut, auch wenn es im folgenden nicht unerheblich differenziert wird. Denn indem er nun auch an Martha als der aufmerksamen Zuhörerin der den Tod überwindenden Worte Jesu und als der Bekennerin des lebendigmachenden Glaubens deren kontemplative Seite und an Maria als derjenigen, die Jesus den Liebesdienst tut, ihn für sein Begräbnis zu salben, deren Aktivität entdecken soll, wird das Klischee einer die vita activa bei weitem überbietenden vita contemplativa höchst fragwürdig und deutlich, daß beide im rechten Christenleben jeweils ihre Zeit und ihren Ort haben müssen und – wie die beiden Schwestern – geschwisterlich zusammengehören. Onuki hat sehr schön gezeigt, daß so wie die Jünger in der erzählten Welt des Evangeliums in den kontemplativen Abschiedsreden für ihre Sendung in die Welt, deren Fürsten Jesus überwunden hat, bereitet werden, auch die Leser des gesamten Evangeliums zur Festigung ihres Glaubens und ihrer Bereitschaft, sich der Welt auszusetzen und auf sie einzugehen, immer wieder seiner erneuten Lektüre bedürfen (Gemeinde und Welt pass.). 21 f: Schon als die Schwestern Jesus mit der Botschaft rufen ließen: „Herr siehe, den du lieb hast, der liegt krank danieder“ (V. 3), sprach daraus ihr grenzenloses Vertrauen in Jesus als den Heiler der Kranken. Eben dieses ungebrochene Vertrauen offenbart auch diese neue Anrede Jesu durch Martha. Darum ist die Wendung: „Wärest du hier gewesen“ auch schwerlich ein Vorwurf, sondern eher ein Ausdruck „schmerzlichen Bedauerns“. Denn Marthas darauffolgender Satz ist „natürlich … eine indirekte Bitte, den Bruder zu erwecken; aber es ist bedeutsam, daß (er) nicht als Bitte, sondern als Bekenntnis formuliert ist“ (Bultmann, Komm. 306 mit Verweis auf das nún o¥damen von 16,30; vgl. Blank, Krisis 153). Da Johannes nach Bauers Meinung „nicht der Meinung ist, daß die Taten Jesu Folgen göttlicher Gebetserhörung sind“, sieht er in V. 22 ein bloß „übernommenes Element“ (Komm. 151). Ähnlich urteilt Frey, wenn er Marthas Glauben als defizitär erklärt, weil sie „die Kraft zum zwopoieõn nicht Jesus, sondern – wie im Kontext des antiken Judentums nicht anders denkbar – allein Gott“ zutraue. Jesus sei für sie nicht mehr als ein „ausgezeichneter Gerechter, dessen Gebet Erhörung“ finde wie einst dasjenige Elias und Elisas. Und zu V. 41 f erklärt er, Jesus brauche im Gegensatz dazu „gerade nicht um das Wunder zu bitten, sondern er dankt … für die 520
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,19–24
ständige ‚Erhörung‘, die eben darin besteht, daß der Vater dem Sohn alle seine Werke ‚zeigt‘ (Joh 5,20), die also ihren Grund in der Einheit des Sohnes mit dem Vater (Joh 10,30) besitzt“ (Eschatologie III, 433). Dieses Urteil erscheint uns jedoch aus einem doppelten Grund höchst problematisch: Denn einmal kann sich natürlich nur einer dafür bedanken, daß Gott ihn allezeit erhört (p›ntotfi mou üko‚ei": V. 42), der wie Jesus als der monogenÉ" u´∙" in ständiger und engster Kommunikation mit Gott als seinem himmlischen Vater begriffen ist. Auch wenn Johannes diese Einheit Jesu mit ‚dem Vater‘ im Gebet (und in der Liebe) exemplarisch nur im 17. Kapitel thematisiert, das, wie unten zu zeigen sein wird, wohl als ein intertextuelles Spiel mit dem ‚Vater Unser‘ verstanden sein will, sieht er Jesus sehr wohl in nie unterbrochener ständiger Kommunikation mit seinem ‚himmlischen Vater‘. Davon zeugt etwa der Satz: „Der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er selbst tut, und er wird ihm noch größere Werke als diese zeigen, so daß ihr euch wundern sollt“ (5,20), der mit seinem Kontext ja geradezu auf unsere Lazarus-Erzählung vorausweist. Und zum anderen hat Martha natürlich ganz recht, wenn sie mit ihrem jüdischen Volk das ‚Lebendigmachen‘ der Toten allein Gott „zutraut“. Denn Jesu kühnes Wort: „Ich und der Vater sind Eines“ (10,30) darf nicht im Sinne des von Origenes eingeführten gnostischen Gedankens der ‚Homousie‘ als einer ontologisch fundierten Wesenseinheit von Vater und Sohn verstanden werden, so daß man nun auch dem ‚Sohn‘ zutrauen müßte, was man bislang allein vom Vater erwartete, sondern vielmehr so, daß der Vater seine rechtfertigende und versöhnende Gegenwart in der Person des jüdischen Mannes Jesus mit ihren Worten und Werken „ereignet“. Einheit mit dem Vater heißt, daß Gott, der seine Wunder immer schon durch weltliche Vermittlungen getan hat, sie jetzt durch diesen jüdischen Mann tut. In diesem Sinne sucht Ratschow, die Christologie jenseits der Fallen ihrer Ontologisierung auf der einen Seite und ihrer puren Funktionalisierung auf der anderen zu begründen (vgl. Christologie 231 ff). Treffender als Freys Verdächtigung des Gebetsglaubens Jesu scheint uns darum Bultmanns Urteil, der zu V. 22 erklärt: „Auch das ist bedeutsam, daß ihr (sc. Marthas) Glaube an seine Kraft der Glaube an die Kraft seines Gebetes ist, was dann durch V. 41 f noch beleuchtet wird“ (Komm. 306). 23 f: „Da sagte Jesus zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Und Martha entgegnete ihm: Ich weiß wohl, daß er auferstehen wird bei der ‚Auferstehung am Jüngsten Tage‘“. Weil der Leser mit den Jüngern der Erzählung weiß, daß Jesus unterwegs ist, seinen verstorbenen ‚Freund‘ Lazarus aus seinem Todesschlaf zu ‚erwecken‘, ist Jesu Wort an Martha: „Dein Bruder wird auferstehen“, absichtsvoll doppeldeutig, zumal es durch den Gebrauch von ünastönai den Horizont der endzeitlichen Totenauferstehung evoziert (vgl. 6,39.40.44 u. 54) und Jesus weder sagt, daß dieses „Auferstehen“ unmittelbar bevorstehe, noch daß er es jetzt bewirken werde (vgl. Morris, Komm. 549). So ist also Marthas Antwort geradezu vorprogrammiert. Dabei bringt das oèda, mit dem Martha ihre Antwort einleitet, die Gewißheit ihrer Hoffnung auf die allgemeine Auferweckung der Toten am Ende der Tage zum Ausdruck, einer Hoffnung, die sie mit den Pharisäern, weiten Kreisen ihres Volkes und gewiß auch mit Jesus teilt. Weil Jesus selbst diese Antwort förmlich provoziert hat, sollte man sie auch nicht sogleich als Indiz eines defizitären Glaubens werten und als bloßes ‚Mißverständnis‘ qualifizieren. Denn Martha ist ja nicht Zeugin alles dessen gewesen, was der Leser seit Joh 5,19 ff weiß; und mit welchen Gefühlen sie Jesus gefolgt wäre, als er zu seinen Jüngern gesagt hatte: „Aber ich gehe jetzt hin, ihn zu erwecken“ (11,11 ff), können wir nicht wissen. 521
11,1–12,11
Zweite Hälfte des vierten Aktes
Bei Bauer, der die V. 20–22 ja als „übernommene Elemente“ angesehen hatte (s. o. z. St.), heißt es: „Dem Worte Jesu 23 folgt 24 das Mißverständnis der Martha. Damit treten wir ja zweifellos auf johanneischen Boden. Daß an unserer Stelle ein Übergang stattgefunden hat, ergibt sich auch daraus, daß die von Martha 24 ausgesprochene Erwartung, ihr Bruder werde erst (sic) am Jüngsten Tage auferstehen, gar nicht zu der 22 ausgedrückten Überzeugung paßt, die doch nur darauf hinausgehen kann, daß Jesus ihrem Bruder alsbald das Leben wiedergeben werde. Die Antwort Jesu 23 war keineswegs geeignet gewesen, diesen Glauben zu dämpfen. Offenbar muß wieder einmal ein Mißverständnis – hier nach dem unmittelbar Vorausgehenden besonders unmöglich und unwirklich – dem jo. Jesus Gelegenheit geben, sich über einen bestimmten Gegenstand zu verbreiten …“ (Komm. 151). Aber auch ganz abgesehen davon, daß nach Joh 7,37–39 vor Jesu Verherrlichung und der Gabe des Geistes aller Glaube gewissermaßen noch defizitär ist, läßt sich Marthas Äußerung nicht einfach als ‚johanneisches Mißverständnis‘ rubrizieren. Denn auch hier vermögen wir dieser Art von „Schichtenlektüre“ nicht zu folgen und können darum in dem Verlauf des Dialogs Jesu mit Martha den vermeintlichen „Übergang auf johanneischen Boden“ so wenig entdecken wie den angeblichen Bruch zwischen den V. 22 und 24. Daß und warum Marthas Gewißheit der Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag ihr in V. 22 geäußertes Vertrauen in Jesu Hilfe außer Kraft gesetzt haben soll, können wir so wenig sehen, wie wir Jesu folgendes Ich-Bin-Wort als Widerspruch gegen jene Gewißheit der endzeitlichen Totenauferstehung zu begreifen vermögen.
25–27: „Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder, der lebt und an mich glaubt, der wird in Ewigkeit nicht sterben. Glaubst du das? Da antwortete sie Ihm: Ja, Herr, ich glaube, daß du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt.“ Wie oben zu Joh 5,19 ff bereits ausgeführt, können wir – anders als Bultmann (Komm. 306 f), Becker (Komm. II, 422 ff; Abschiedsreden 222), L. Schottroff (Heil 298), Haenchen (Komm. 406 f), Klein (Licht 297), Wagner (Auferstehung 210), Kammler (Eschatologie 198 ff) u. a. – dieses †g„-e¢mi-Wort Jesu samt Marthas Antwort, die ihm mit dem sÜ-eè als Bekenntnis genau entspricht, keinesfalls als Polemik gegen den Glauben an die endzeitliche Auferstehung „aller, die in den Gräbern sind“ (5,28 f) begreifen. Weil „Christologie“ ebenso wie „Eschatologie“ keine Gegenstände der erzählten Welt des Textes unseres Evangeliums sind, sondern theologische Kategorien seiner Interpretation, halten wir alle Versuche, aus den zufälligen und über die Erzählung verstreuten Äußerungen ihres Protagonisten und/oder ihres Erzählers über entsprechende Themen die Eschatologie des Johannes konstruieren zu wollen, für höchst problematisch. Denn einmal sagt kein Autor in einem singulären Werk alles, was er über die berührten Dinge weiß und denkt, und zum anderen will die enge Intertextualität mit den biblischen Texten bedacht sein, zu denen in unserem Fall auch die synoptischen Evangelien mit ihrer Botschaft von der nahen Gottesherrschaft gehören. Dennoch ist an der verbreiteten Rede von der „präsentischen Eschatologie“ unseres Evangeliums – auf die Kammler es allerdings zu Unrecht reduzieren möchte – gewiß dieses richtig, daß Johannes angesichts der andauernden Erfahrung von Anfechtung und Leid sowie von Verfolgung und Tod ein vordring‑ liches Interesse daran hat, seine potentiellen Leser zu vergewissern, daß mit Jesu Weg und Werk Gottes neue Schöpfung und sein unzerstörbares Leben bereits in die noch vom Tod gezeichnete alte Welt eingebrochen sind. Aber der vom österlichen Geist gestiftete und unterhaltene, wenn auch noch ständig angefochtene Glaube ist noch nicht das Schauen des Eschaton (1Joh 3,2). Auch wenn Johannes das nicht wie Paulus eigens thematisiert, sind doch auch für ihn die Liebe und die Hoffnung die wesentlichen Strukturmomente des Glaubens. Das Ziel von Gottes Geschichte ist nicht die Sammlung der Erwählten, sondern die Erlösung des Kosmos (Joh 3,17). Und wie in diesem nichts ohne den Logos geschaffen ist, so darf bei seiner Erlösung auch kein einziges übergangen werden, weder die seufzende außermenschliche Kreatur, noch und schon gar nicht die Gerechten aus dem Gottesvolk Israel und all die unschuldig Gequälten und Ermordeten aus
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Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,25–27
den Völkern, mögen sie nun in ihren Gräbern schlafen oder nicht einmal diese letzte Stätte der Ruhe gefunden haben.
Wir hatten oben zu 5,24–29 unter Berufung auf van Hartingsveld bereits begründet, daß uns die eher gnostische als biblische Unterscheidung zwischen „geistig“ und „physisch Toten“, die in der Regel auf eine Trennung der einen von den anderen hinausläuft, zur Interpretation unseres Evangeliums untauglich erscheint. In Jesu Wort: „Amen, Amen, ich sage euch: Es kommt die Stunde, jetzt ist sie da, daß die Toten die Stimme des Gottessohnes hören und diejenigen, die sie erhören, leben werden“ (5,25), sind die als „Tote“ Bezeichneten darum wirklich, und das heißt nicht nur „geistig“, sondern physisch Tote und real Gestorbene, wie die Tochter des Jaïrus, der Jüngling aus Nain und Lazarus. Denn der Gedanke, daß die gesamte vorchristliche Menschheit einschließlich Abrahams, Moses, Jesajas und aller unerkannten ‚Gerechten‘ eine verlorene Masse „geistig Toter“ sei, ist doch alles andere als „johanneisch“. Zudem zeigt die zentrale Stellung der Szene von der Auferweckung des Lazarus aus seinem Grabe als Peripetie der gesamten Erzählung von den bethanischen Geschwistern, daß hier Leibliches und Geistiges nicht voneinander zu trennen sind. Jesu im synthetischen Parallelismus seiner Glieder gebildetes Wort: †g„ e¢mi ™ ün›stasi" kaÑ ™ zwÉ ktl. (V. 25f) gehört in die Reihe der durch Prädikatsnomina wie „das Brot des Lebens“ (6,35), „das Licht der Welt“ (8,12), „die Tür der Schafe“ (10,7 ff), „der gute Hirte“ (10,11.14), „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (14,6) und „der wahre Weinstock“ (15,1) prädizierten †g„-e¢mi-Worte. Zu deren grammatischen und semantischen Problemen sowie zu ihrem metaphorischen Charakter und ihrem von Jesu absolutem †g„ e¢mi als intertextuellem Spiel mit Ex 3,14 und den entsprechenden Jhwh-Worten Deuterojesajas abkünftigen Modus s. o. zu 6,35 und zu 8,24; vgl. auch unten. Hier sei daran erinnert, daß diese gesamten Sätze und nicht etwa nur die eben genannten Prädikatsnomina Metaphern sind und daß darin das †g„ Jesu stets das Subjekt und sein e¢m‡ das Prädikat ist. Gerade wegen der ‚Wiederaufnahme‘ des soeben von Martha auf die eschatologische Auferstehung der Toten bezogenen Lexems ün›stasi" sehen wir keinerlei Grund, für das Wort irgendeine mutmaßliche Vorgeschichte in einer sogenannten „johanneischen Schule“, „Gemeinde“ oder im Munde vermeintlicher „johanneischer Propheten“ zu postulieren. Unter Berufung darauf, daß andere †g„-e¢mi-Worte wie 6,35 etc. nur ein Prädikatsnomen haben und daß auch hier die drei Wörter kaÑ ™ zwfl im Sinaisyrer, bei Cyprian und anderen Zeugen fehlen, erklären Boismard/Lamouille (Komm. 277–281) sie ebenso wie die beiden zusätzlichen Prädikate kaÑ ™ ülfljeia kaÑ ™ zwfl in Joh 14,6 zu einer sekundären Hinzufügung durch den Verfasser ihres Dokuments ‚Jean II B‘ (vgl. ebd. 351). Aber textkritisch läßt sich diese These nicht begründen. Hier kommt vielmehr lediglich ein zufälliger und für die beiden Autoren glücklicher Befund der Textüberlieferung ihrem ideologischen Urteil entgegen, daß die einfachere ‚Form‘ immer auch die ursprüngliche sein müsse. Diese Ideologie entstammt der an der vermeintlichen „mündlichen Tradition“ orientierten frühen Formgeschichte und funktioniert nur bei der strikten Trennung der entsprechenden Passagen von ihrem jeweiligen literarischen Kontext. Zusammen mit der Wendung kaÑ ™ zwfl streichen Boismard/Lamouille dann auch die Passagen k…n üpoj›nÔh zflsetai und kaÑ pô" ¨ zùn kaÑ piste‚wn e¢" †mfi. Diesem u. E. völlig willkürlichen Verfahren folgt Hainz (Krisis 155 f). Er erklärt, mit diesen Wendungen habe die „Redaktion“ nicht nur das unausweichliche Sterben-Müssen, sondern vor allem die alte futurische Eschatologie in das Evangelium eingefügt. Mit ähnlicher Begründung streicht Hoffmann den gesamten V. 26 (Art. Auferstehung 460), während Neyrey (Ideology 84 f) genau umgekehrt
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11,1–12,11
Zweite Hälfte des vierten Aktes
die ursprünglich johanneische Aussage in V. 26 und deren Korrektur im Sinne der traditionellen Eschatologie in der redaktionellen Einfügung von k…n üpoj›nÔh zflsetai sieht. Ähnlich wie Boismard/Lamouille und Neyrey postuliert jetzt auch Stimpfle (Blinde sehen 114 f) hier eine „ursprünglich eingliedrige Selbstvorstellung“ Jesu. Unter völliger Absehung vom Kontext empfiehlt er die folgende Schichtenlektüre: Urgestalt der V. 25 f soll ein überliefertes „enthusiastischgnostisches“ Offenbarungswort sein, das der Evangelist seiner Erzählung einverleibt und ihm die Wendung kaÑ ™ ün›stasi" hinzugefügt habe. Durch diese Zutat, die an eine futurische Hoffnung erinnern solle, beabsichtige er, alle Leser, die nur „Traditionalisten“ und nicht „wahre Johanneiker“ (!) seien, zum Mißverständnis zu verleiten (vgl. zu dieser „absurden Theorie“, wie Frey sie nennt, dessen Eschatologie I, 344 ff). Nicht etwa aufgrund des Sterbens des Lazarus, das unsere Erzählung bestimmt, sondern erst wegen der schmerzlichen Erfahrung des tatsächlichen Sterbens „des Jüngers, den Jesus liebte“ habe der Redaktor unserem Logion endlich die Wendung k…n üpoj›nÔh eingefügt. Seiner Feder sollen auch 6,57 f und die Worte o§k üpojnÔflskei in 21,23 entstammen. Trotz der den Christen am Ende des ersten Jahrhunderts gewiß schmerzlich bekannten zahlreichen Martyrien – nicht nur des Stephanus (Act 7,58), des Zebedaiden Jakobus (Act 12,2) und nach Mk 10,39 wohl auch seines Bruders Johannes, des Petrus und Paulus sowie vieler Namenloser – und des natürlichen Sterbens zumindest einer ganzen Generation von Christen, meint Stimpfle allen Ernstes, sein Redaktor und dessen Umgebung habe bis zum Tod des „Lieblingsjüngers“ nicht damit gerechnet, daß Christen vor der Parusie Jesu sterben könnten (zum Tod des fiktionalen Jüngers, den Jesus liebte, und zu dessen vermeintlicher Rolle als Haupt einer „johanneischen Schule“ s. u. zu Joh 21,20 ff und Thyen, Die Erzählung). Wie die Vorstellung, Jesus habe, ehe er zu Lazarus ging, zunächst zwei Tage lang um dessen Sterben gebetet (s. o. z. St.), gehören auch dieser Schock, den das Sterben des „Lieblingsjüngers“ ausgelöst haben soll, samt den entsprechenden Konsequenzen für die Formulierung von Joh 11,25 f eher in das Reich der Groteske! Eine ausführliche Darstellung aller literarkritischen Scheidungen in Joh 11 bietet Wagner (Auferstehung 29 ff; zu der vermeintlichen „Bearbeitung von V. 25 f durch den Redaktor“ vgl. ebd. 219 ff).
Doch entgegen allen derartigen und anderen Rekonstruktionsversuchen von 11,25 f dürften diese beiden Verse in ihrer überlieferten Gestalt, ebenso wie alle anderen prädizierten †g„-e¢mi-Worte unseres Evangeliums auch, eine ad-hoc-Bildung unseres Evangelisten sein (jedenfalls für 11,25 f erklärt das mit guten Gründen auch Becker, Komm. II, 421 f). Und was wir oben zur Metapher „Ich bin das Brot des Lebens“ gesagt hatten, gilt auch hier: Die Kopula e¢m‡ versetzt ihren Sprecher in den Bereich der Ähnlichkeit mit der eschatologischen Auferstehung der Toten und des ewigen Lebens bei Gott und damit in die paradoxe Spannung zwischen einem „Ich bin“ und „Ich bin nicht“. Jenseits unseres gewöhnlichen Verständnisses von Realität, die mittels der Adäquation „verifiziert“, d. h. als ‚Wahrheit‘ erwiesen wird, versetzt die Metapher in den Raum einer dynamischen und nicht objektivierbaren Wirklichkeit, die nur bezeugt, nicht aber behauptet werden kann. Wenn Frey zu 11,25 f erklärt: „Die christologische Spitzenaussage ist daher im Sinne des Johannesevangeliums als eine Wesensaussage zu verstehen“ (Eschatologie III, 447), und dieses Wort „Wesensaussage“ dann mit Hinrichs (Ich bin 60) als „fundamentale Auto-Ontologie“ definiert, so ist ihm wegen des metaphorischen Charakters des Jesuswortes entschieden zu widersprechen. Ebenso wie Frey beurteilt Kammler die V. 25 f als „ontologische Wesensaussage“ (Christologie 201 f). Kaum zu Recht beruft er sich dafür auf Luthers Predigt vom 29. März 1539 (WA 47, 715), wo der Reformator zu der Prädikation ün›stasi" kaÑ zwfl erklärt, daß sie „keinem außer dem wahrhaftigen Gott“ gebühre. Denn was für Luther – und das zeigt schon das Genre ‚Predigt‘ an – vom Geist Gottes dem Glauben erschlossenes Zeugnis war, das um Zustimmung wirbt, kommt bei Kammler als methodisch gewonnene und vermeintlich 524
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,25–26
intersubjektiv verifizierbare exegetische Erkenntnis daher. Umgekehrt erklärt Becker: „Mit der Ich-bin-Präsentation stellt sich der Gesandte in seiner Heilsbedeutung vor. Der Satz ist also wie alle Ich-bin-Sätze Funktionsbeschreibung und nicht ontologisch aus‑ deutbare Wesensaussage. Nicht wer Jesus an und für sich ist, sondern was er beauftragt ist zu tun, das soll ausgesprochen werden“ (Komm. II, 422). So entschieden Becker hier hinsichtlich seiner Zurückweisung jeglicher Ontologisierung des göttlichen Wesens Jesu zuzustimmen ist, so entschieden muß aber seiner Reduktion Jesu auf dessen soteriologische Funktion als des Gesandten Gottes widersprochen werden. Denn damit verliert Jesus als der fleischgewordene Logos Gottes, der sein Fleisch hingibt für das Leben der Welt, seine Personalität und Definierbarkeit als der swtÉr toú k∙smoú (4,42). Ratschow spricht zu Recht vom „Nonsens der Seinsverfallenheit“ der Moderne, die vom Sein nur noch „in der Objektivität einer res extensa oder in der Subjektivität einer res cogitans“ reden könne, so daß „die Substanzen zu Funktionen und die Inhalte zu Methoden oder Strukturen“ werden (Christologie 257 f). Jesu †g„-e¢mi-Wort mit seinem durch ün›stasi" kaÑ zwfl verdreifachten Prädikatsnomen wird durch zwei ün›stasi" und zwfl jeweils entsprechende Partizipialkonstruktionen expliziert. Daß diese beiden „positiv und negativ das Gleiche“ sagen (Bultmann, Komm. 307), hat Frey zu Recht bestritten. Denn bei der Folge von V. 26 auf V. 25 handelt es sich – wie er (Eschatologie III, 450 f) einleuchtend begründet – um einen synthetischen, oder vielleicht besser noch: um einen klimaktischen Parallelismus (vgl. Dodd, Interpretation 365; Beasley-Murray, Komm. 190), und nicht etwa um Synonymität, wie Barrett (Komm. 396), Schnackenburg (Komm. II, 415), Becker (Komm. II, 422), Kremer (Lazarus 68) u. a. erklären. Auch wenn die partizipialen Wendungen ¨ piste‚wn und zumal das folgende pô" ¨ zùn kaÑ piste‚wn nicht mehr nur allein Martha gesagt sind, sondern mit ihr jedem Leser oder Hörer des Evangeliums die Fülle ewigen Lebens eröffnen wollen, darf darüber der enge Zusammenhang dieser Sätze mit unserer Erzählung nicht aus dem Blick geraten. Seit V. 11 weiß der Leser ja, daß Jesus sich aufgemacht hat, seinen verstorbenen ‚Freund‘ Lazarus aus seinem Todesschlaf zu erwecken. Darauf wird er auch Jesu an Martha gerichtetes Wort beziehen: „Dein Bruder wird auferstehen“ (V. 23). Und wenn die fromme Jüdin Martha darauf mit den Worten reagierte: „Ich bin gewiß (oèda), daß er auferstehen wird am Jüngsten Tage“ und damit innerhalb der Erzählung Jesu eigene Worte aufnimmt: üllÅ ünastflsw a§tÖ †n tÔö †sc›tÔh ™mfira (6,39.40.44.54), so sollte man das nicht als ihren „Unglauben“ tadeln (so Kammler 201 f), sondern als gewichtigen Schritt auf dem Weg zu ihrem den Tod überwindenden Glauben loben, den sie sogleich bekennen wird (vgl. Ricca, Eschatologie 145). Martha und mit ihr der Leser kann Jesu Wort, daß der Glaubende leben wird, auch wenn er stirbt, gar nicht anders als auf ihren gestorbenen Bruder beziehen. Zugleich ist damit gesagt, daß auch Glaubende wie Lazarus sterben müssen. Das steht aber – zumindest scheinbar – in eklatantem Widerspruch zum folgenden Satz: „Wer da lebt und an mich glaubt, der wird in Ewigkeit nicht sterben“. Da man aber Johannes kaum zutrauen wird, daß er Jesus in einem derart gewichtigen Wort sich selbst widersprechen läßt, können Leben und Sterben in den beiden Sätzen nicht das Gleiche bedeuten. Vielmehr „bleibt (dann) nur die Folgerung, daß üpojnÔflskein“ in den V. 25b und 26b „in unterschiedlichem Sinn zu lesen ist, nämlich in der Konzession k…n üpoj›nÔh in Bezug auf den leiblichen Tod (wie in Joh 11 von Lazarus berichtet), in der Lebenszu525
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Zweite Hälfte des vierten Aktes
sage V. 26b o§ mÉ üpoj›nÔh e¢" tÖn a¢ùna hingegen in einem spirituellen Sinn: Diese Wendung, die als emphatische Negation ‚gewiß nicht sterben‘ zu übersetzen ist, kann hier nur dies besagen, daß das in Christus geschenkte ‚ewige Leben‘ der Glaubenden unzerstörbar ist und … auch im leiblichen nicht endet. Negiert ist für die Glaubenden also nicht die Realität des leiblichen Todes, sondern die Bedrohung durch den ‚ewigen Tod‘“ (Frey, Eschatologie III, 450 f). Frey verweist dazu auf die Analogie der Rede vom ‚zweiten Tod‘ in Apk 2,11; 20,6.14 und 21,8 und schlägt vor, entsprechend auch zwischen dem Hendiadyoin ¨ zùn kaÑ piste‚wn e¢" †mfi, das von dem ‚ewigen Leben‘ rede, das dem Glaubenden bereits jetzt geschenkt sei, und dem „auffällig futurisch formulierten zflsetai“ zu unterscheiden, das im Sinne der Symbolik der Lazaruserzählung als die Verheißung eines ‚Auflebens‘ begriffen werden müsse, das „im Falle des leiblichen Todes dem Glaubenden zuteil“ werden solle (ebd.). Wir folgen diesem begründeten Lektürevorschlag auch darum, weil er – in Übereinstimmung mit Joh 5,19–29 – das verheißene eschatologische Ziel der Erlösung des k∙smo" (3,17), der Auferweckung der Toten und des gerechten Gerichts nicht preisgibt auf Kosten einer weltlosen „rein präsentischen Eschatologie“, deren Früchte allein den glücklichen Besitzern der „richtigen Christologie und richtigen Eschatologie“ (Kammler u. a.) oder des richtigen „Selbstverständnisses“ (Bultmann) zufallen, von Israels Erlösung ganz zu schweigen. Übersehen wird dabei vor allem, daß das späte Johannesevangelium durch seine enge Intertextualität mit den biblischen und auch den synoptischen Texten zu seiner „kanonischen Interpretation“ geradezu herausfordert. Man darf Jesu Offenbarungswort nicht aus dem Kontext der Erzählung von Tod und Auferweckung des Lazarus und vom Verhalten von dessen bethanischen Schwestern Maria und Martha isolieren und aus dem Auge verlieren, daß Jesus ja unterwegs ist, seinen entschlafenen Freund zu erwecken (11,11). Und man darf nicht übersehen, daß die Erzählung nicht etwa in diesem Offenbarungswort, sondern erst darin gipfelt, daß Jesus am Grabe des Lazarus mit lauter Stimme (fwnÔö meg›lÔh) ruft: „Lazarus, komm heraus!“, und daß der ‚Totgewesene‘ (¨ tejnhk„") dann – an Füßen und Händen noch von den Totenbinden gefesselt und mit durch ein Grabtuch (spoud›rion) verhülltem Antlitz – aus seinem Grab hervorkommt (s. o. zu 5,24). An diesem ‚Zeichen‘ sollen die Jünger (11,4.15), die Schwestern (11,40) und mit ihnen alle, die Augen haben zu sehen (11,45), die wechselseitige Verherrlichung des Vaters durch den Sohn und des Sohnes durch den Vater erkennen und zu glauben lernen (vgl. 20,31). Als Hinführung Marthas und mit ihr des impliziten Lesers zu dieser Peripetie der Erzählung kann Jesu Offenbarungswort darum nur begriffen werden, wenn man Freys oben dargestelltem Lektürevorschlag folgt. Nur so ist man nicht wie Becker genötigt, Joh 11,38–44 lediglich „illustrativen Charakter“ zuzuschreiben, an den Evangelisten „die Anfrage zu richten, ob solche Illustration wie in Joh 11 noch sachlichen Sinn hat“, um dann zu dekretieren: „Muß man nicht, um der Tragweite von 11,25 f willen … die theologische Bedeutungslosigkeit des Lazaruswunders herausstellen? In der Tat: von 11,25 f her muß das Bestaunen des Wunders und das Hoffen auf wunderbare Vorgänge wie in 11,1 ff als theologisch überflüssig und ohne Sinn gelten“ (Komm. II, 425; s. u. z. St.). 27: Auf Jesu Frage: piste‚ei" toúto; antwortet Martha nun: „Ja, Herr, ich glaube fest (pep‡steuka): Du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“ Mit ihrem sÜ eè ¨ crist∙" ktl. entspricht Martha formgerecht dem vorausgegangenen †g„ e¢mi Jesu (vgl. E. Norden, Agnostos Theos 141 ff). Im Zusammenhang dieses 526
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,26–27
geprägten Bekenntnisses, das exakt den Joh 20,30 f angegebenen ‚Zweck‘ des Evangeliums trifft, dürfte auch das eröffnende naÑ k‚rie weit über die anfängliche Nachricht der Schwestern: k‚rie, ¥de ≈n fileõ" üsjeneõ, hinausgehen und Jesus proleptisch bereits als den Erhöhten anreden. Ja, proleptisch ist Marthas gesamtes Bekenntnis, denn die Bedingung von dessen Möglichkeit ist die Gabe des Geistes. „Denn noch gab es den Geist ja nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht war“ (7,39). Mit den Worten Marquardts gesagt, begegnet Martha hier dem Erhöhten, so wie Johannes den „auferweckten Jesus … im Gespräch mit Abraham, Mose, Jesaja – und sie im Gespräch mit ihm“ zeichnet (Christologie II, 302; s. o. zu 8,48 ff). Ganz treffend bemerkt S. Schneiders zu der Folge von Marthas Bekenntnis (V. 27) auf Jesu Offenbarungswort (V. 25 f): „Jesus’ revelation to Martha, however, is not a presentation of eschatological propositions but a self-disclosure calling for personal response. Faith at this point is not theological assent but personal spiritual transformation“ (Death 53; vgl. Rochais, Récits 118 f). Die Autorin unterscheidet ebd. hilfreich zwischen ‚Theologie‘ und ‚Spiritualität‘ als der Differenz zwischen „reflection on revelation“ und „personal commitment to the one who reveals“ und sieht in Marthas Bekenntnis ihren Eintritt in das ewige Leben: „The scene ends abruptly, not because there is something inadequate in Martha’s response but because that response has initiated in her a new life which is the horizon of all further experience“. Darum dürfe man Marthas Glauben auch nicht „inadequate“ nennen, wie Pollard (Raising 440) u. a. das tun, die das mit Marthas Wort am Grab ihres Bruders in V. 39 begründen wollen. Denn dieses will nicht als Protest gegen Jesu Auftrag: ‚Schafft den Stein beiseite!‘ verstanden sein, sondern es drückt eher ihre Angst aus, daß selbst Jesus hier zu spät gekommen sein könne (Cadman, Lazarus 432 f). Zudem sollte man Marthas Äußerung nicht als Baustein eines Psychogramms der erzählten Figur mißbrauchen, sondern sie als ein Element der Erzählung begreifen, das deren Spannung bis ins Äußerste steigert. Darum gilt von dem Versuch, Marthas Glauben auf Grund ihrer in V. 39 erzählten Äußerung als ‚inadäquat“ zu erweisen: „this misses the point entirely. Like Peter, who did not fully understand the Bread of Life discourse, Martha believes not in what she understands but in the one who has the words of eternal life (cf. 6,68)“ (Schneiders, Death 53.). (3) Jesus im Gespräch mit Maria und den jüdischen Trauergästen (11,28–37) 28
Nachdem sie das ausgesprochen hatte, ging sie zurück, ihre Schwester Maria zu rufen, und sagte ihr heimlich: Der Meister ist da und ruft dich! 29 Als die das aber gehört hatte, erhob sie sich eilends und machte sich auf den Weg zu ihm. 30 Jesus war nämlich noch nicht in das Dorf gekommen, sondern er befand sich noch an dem Ort, wohin Martha ihm entgegengekommen war. 31 Als die Juden, die bei ihr im Hause waren, um sie zu trösten, bemerkten, daß Maria eilig aufstand und hinausging, folgten sie ihr in der Meinung, daß sie wohl zum Grab gehen wolle, um dort zu weinen. 32 Als Maria nun dort angekommen war, wo Jesus sich befand, und ihn erblickte, fiel sie ihm zu Füßen und sagte: Herr, wenn du hier gewesen wärest, dann wäre mein Bruder nicht gestorben! 33 Als Jesus sie so weinen sah und wie 527
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Zweite Hälfte des vierten Aktes
auch die Juden, die mit ihr gekommen waren, weinten, da erfaßte ihn tiefe Bewegung und er erregte sich 34 und fragte: Wo habt ihr ihn beigesetzt? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh! 35 Jesus weinte. 36 Da sagten die Juden: Seht doch, wie sehr er ihn geliebt hat! 37 Einige unter ihnen aber meinten: Konnte er, der doch dem Blinden die Augen aufgetan hat, denn nicht bewirken, daß auch dieser nicht sterben mußte? Da nach Joh 20,30 f alle auf Jesu ‚Zeichen‘ angewiesen sind, damit sie den Glauben gewinnen, daß Jesus der messianische Gottessohn ist und in solchem Glauben das ewige Leben finden in seinem Namen, erscheint uns Bultmanns Charakterisierung von 11,28–44 als bloßes „Gegenbild“ zu 11,17–27, in dem „der primitive Glaube derer“ gezeichnet werde, „die des äußerlichen Wunders bedürfen, um Jesus als den Offenbarer anzuerkennen“ (Komm. 309), ebenso entschieden zu kurz zu greifen wie J. Beckers oben (S. 527) zitiertes Urteil. Der ewige Logos Gottes ist in Jesu irdischem Weg und in seinen Werken Fleisch und sinnlich wahrnehmbar geworden. Seine Worte dürfen seinen Werken, die doch der Schöpfer selbst durch ihn wirkt, weder übergeordnet noch von ihnen getrennt werden. Beide interpretieren sich vielmehr wechselseitig. Doch folgen wir dem Weg der Erzählung: 28–31: Da Jesus Martha explizit gar nicht aufgefordert hatte, daß sie ihre Schwester rufen solle, muß sein †g„-e¢mi-Wort – ebenso wie Marthas dadurch herausgefordertes Bekenntnis – diesen ‚Missionsauftrag‘ bereits impliziert haben. Und das ist für den Leser ja in der Tat nichts Neues. Denn so hatte bereits der erste ‚Jünger‘ Andreas seinen Bruder Simon zu Jesus gerufen – und ungesagt hatte wohl auch der Zebedaide Johannes seinen Bruder Jakobus zu ihm geführt (s. o. zu 1,35 ff) –, und ebenso hatte die Samaritanerin vom Jakobsbrunnen ihre Landsleute aus Sychar zu Jesus geführt (4,39 ff). Dadurch, daß Martha, wie im Anfang Johannes der Täufer, zur Zeugin dessen geworden ist, der mitten in der Welt des andauernden Sterbens die Auferstehung und das Leben ist, bestätigt sie leibhaftig die Wahrheit ihres Bekenntnisses und zeigt so, daß „wer liebt, … auf keinen Fall allein errettet werden“ will (E. Fuchs, Marburger Hermeneutik 252). Daß Martha ihre Schwester mit den Worten: „Der Meister ist da und ruft dich!“ heimlich auf Jesu Ankunft aufmerksam macht, ist für die Ökonomie der Erzählung in dreifacher Weise bedeutsam: (1) Als heimlich mitgeteilt gilt der „Ruf “ Jesu allein Maria, und indem er sie so von den „vielen Juden“ isoliert, die zum Trauerbesuch zu den Schwestern gekommen waren, „lenkt (er) den Blick des Lesers“ auf sie als die alleinige Gesprächspartnerin Jesu in der folgenden Szene und fordert ihn dadurch zum Vergleich mit der vorausgegangenen Martha-Episode heraus (vgl. Bultmann, Komm. 309). (2) Da aber die Juden gerade wegen der unbemerkten Mitteilung Marthas an Maria für deren spontanes Aufstehen und Hinausgehen keine andere als die nächstliegende Erklärung haben, daß sie nämlich, der Sitte gemäß (vgl. Sap 19,3), ihre Totenklage nun am Grab ihres Bruders fortsetzen will, folgen sie ihr und treffen so unerwartet auf Jesus. (3) Auf diese Weise werden sie nicht nur zu Zeugen von deren Begegnung mit Jesus, sondern auch zu Zeugen des Wunders der Auferweckung des Gestorbenen. Daß Martha die Schwester wegen der Anwesenheit der „Jesus feindlich gesonnenen ‚Juden‘“ heimlich über Jesu Ankunft informiert habe (Stenger, Lazarus 21), ist sicher verfehlt. Denn von einer feindlichen Haltung derer, die – mit den Schwestern wohl freundschaftlich ver528
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,27–32
bunden – zu ihnen gekommen sind, solidarisch mit ihnen um Lazarus zu trauern, kann doch überhaupt keine Rede sein. Auch die Erklärung, durch die Heimlichkeit der Mitteilung Marthas solle Maria „aus dem Kreis der Juden entfernt werden“ (Schnackenburg, Komm. II, 418), ist angesichts des Fortgangs der Erzählung doch undenkbar, zumal die Juden als Zeugen des Wunders ja dabei sein müssen. Ähnlich wie Schnackenburg urteilen Becker und Wagner. Beide interpretieren freilich nicht den überlieferten Text als kohärentes literarisches Werk, sondern betreiben eine Art von vermeintlich literarkritisch fundierter „Schichtenlektüre“, indem sie innerhalb des Textes zwischen den „Intentionen“ der postulierten „Semeiaquelle“ und den Schichten von deren Bearbeitung durch den Evangelisten sowie durch eine spätere Redaktion unterscheiden. Gegen die Intention seiner Quelle, in der das V. 28 genannte „heimliche Rufen das Volk exkludieren soll“, habe erst der Evangelist die Juden als Zeugen des Wunders „eingeplant“ (Becker, Komm. II, 426). Bedenkenswert ist dagegen D. Lees Erwägung, daß Martha – womöglich im Wissen um die Jesus in Judäa drohenden Nachstellungen (vgl. 11,8) und besorgt um sein Leben – ihren ‚Herrn‘ vor der Öffentlichkeit habe verbergen und Maria deshalb heimlich zu ihm habe bringen wollen. Denn „Martha, it would seem, does not yet understand the symbolic meaning of Jesus’ journey to Judaea“ (Symbolic narratives 207). Tatsächlich ist Jesu erklärtes Reiseziel nach 11,7 ja Judäa. Wie der Erzähler seine Zuhörer erst nachträglich – und als dieser Umstand zum Gegenstand des Streites um Jesu Vollmacht wurde – hatte wissen lassen, daß Jesus den Paralytischen an einem Sabbat geheilt und zum Tragen seines Bettes veranlaßt hatte (5,10) und daß er auch die Heilung des Blindgeborenen an einem Sabbat vollbracht hatte (9,14), so trägt er hier die Information nach, daß Jesus das Dorf Bethanien noch nicht betreten hatte, sondern Maria an dem Ort erwartete, an dem er zuvor Martha begegnet war. Anstelle der Namensform Mari›m (P75 vid A B C D K L D Q 33 al), der von Johannes im Dienste des Verisimile seiner doch in jüdischem Milieu und unter jüdischen Akteuren spielenden Erzählung bevorzugten griechischen Transkription des hebräischen Namen ‚Mirjam‘, bietet die Mehrheit der Handschriften in den V. 28, 29, 31, 32 und 45 die zumal im christlichen Milieu geläufigere Namensform Mar‡a. 32: „Als Maria nun dahin gelangt war, wo Jesus war, und ihn erblickte, fiel sie ihm zu Füßen und sagte zu ihm: ‚Herr, wenn du hier gewesen wärest, dann wäre mein Bruder nicht gestorben‘.“ Absichtsvoll legt der Erzähler Maria damit eben die Worte in den Mund, mit denen zuvor Martha Jesus begrüßt hatte (V. 21). Doch weil im Munde Marias der hoffnungsvolle Nachsatz Marthas fehlt: „Aber auch jetzt noch weiß ich, daß Gott dir alles gewähren wird, was du von ihm erbitten wirst“ (V. 22), gibt gerade dieses Übereinstimmen der beiden Schwestern zu denken. Wie soll man es beurteilen, daß an die Stelle von Marthas indirekter Bitte, Jesus möge doch auch jetzt noch helfen, Marias stumme Tränen der Trauer um den verlorenen Bruder getreten sind? Darf man in diesen Tränen und in der solidarischen Totenklage der Juden, die mit Maria gekommen waren, wie Bultmann und viele andere einen Ausdruck des Unglaubens oder eines primitiven Wunderglaubens sehen? Doch an eine derartige Abwertung Marias ihrer Schwester Martha gegenüber darf man schwerlich denken. Denn den Gestus, daß sich Maria Jesus als ihrem k‚rio" zu Füßen wirft (vgl. 9,38), muß man wohl als Ausdruck ihres Glaubens und als ein stummes Bekenntnis ansehen (vgl. D. Lee 207). Zudem will bedacht sein, daß der Erzähler noch ehe er Martha als Marias Schwester identifiziert, diese als die bekannte Frau in seine Erzählung eingeführt hatte, die Jesu Füße gesalbt 529
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Zweite Hälfte des vierten Aktes
und sie mit ihren Haaren getrocknet hatte (V. 1 f). Und wie die Erzählung von den bethanischen Geschwistern mit der Nennung Marias eröffnet wurde, so wird sie durch deren Akt der Salbung Jesu beschlossen. Erst recht nicht darf man freilich Bultmanns Geringschätzung des Glaubens der Maria einfach umkehren und statt ihrer Maria zur Glaubensheldin stilisieren, wie das Moloney (Komm. 330 u. The Faith of Martha and Mary) unternimmt. 33–35: Da die Frage nach einer angemessenen Übersetzung und entsprechenden Sinndeutung der Wendung: †nebrimflsato tù pne‚mati kaÑ †t›raxen ©aut∙n, strittig ist, muß die Problematik hier zuvor kurz erörtert werden: Das Lexem †mbrim›omai ist insgesamt höchst selten. Im NT findet es sich nur 5mal, nämlich Mt 9,30; Mk 1,43; 14,5 sowie hier in Joh 11,33 u. 38. Von einer Vorgeschichte in der LXX kann ebenfalls nicht die Rede sein, denn da kommt es nur einmal in Dan 11,30 vor; darüberhinaus findet es sich gelegentlich in den Übersetzungen Aquilas, der damit regelmäßig das hebräische µ[z wiedergibt (etwa Ps 7,12; Jer 10,10; Num 23,8 u. ö.) und des Symmachus (Is 17,13). Die Vulgata übersetzt V. 33 so: „Iesus ergo, ut vidit eam plorantem et Iudaeos, qui venerant cum ea, plorantes, fremuit spiritu et turbavit seipsum“ und in V. 38, der durch sein p›lin das †nebrimflsato tù pne‚mati durch die synonyme Wendung †mbrim„meno" †n ©autù wiederaufnimmt, folgendermaßen: Iesus ergo rursum fremens in semetipso. Im Blick auf den Kontext wird man fremo hier mit ‚Betrübtsein‘ o. dgl. wiedergeben müssen. Luther übersetzt bekanntlich mit: „er ergrimmte im Geist und betrübte sich selbst“. Von seinem ältesten bekannten Gebrauch bei Aeschylos (Sieben gegen Theben I/461) an, wo es das laute Schnauben oder Wiehern der Rosse bezeichnet, bis hin zum Umgang der griechischen Väter mit den genannten biblischen Texten hat Lindars die Geschichte des Gebrauchs von †mbrim›omai minutiös nachgezeichnet (Rebuking 92 ff; vgl. dazu auch Story, Jesus at Bethany 52 ff). Sein Durchgang zeigt, daß †mbrim›omai sich in der Regel weniger auf innere Emotionen oder Ärger als solchen bezieht als vielmehr auf einen von außen wahrnehmbaren „aggressive style of behaviour“ (ebd. 96). Lindars nimmt diesen Sprachgebrauch auch für die von Johannes hier vermeintlich verarbeitete „Quelle“ an. Da †mbrim›omai in der Regel mit einem im Dativ genannten Objekt gebraucht werde, wie Mk 1,43, wo Jesus den eben geheilten Aussätzigen „bedroht“ und ihn zum Schweigen verpflichtet (†mbrimhs›meno" a§tù – vgl. Mk 14,5: kaÑ †nebrimùnto a§tÔö, nämlich die Frau, die Jesus in Bethanien gesalbt hatte), fordert Lindars dieses Verständnis des Dativs auch für das tù pne‚mati seiner vermeintlichen „Quelle“. Darum müsse dem Evangelisten eine Mk 9,14–29 ähnliche Erzählung vorgelegen haben, in der Jesus „den Geist“, nämlich den unreinen Geist eines Besessenen, schroff angefahren und ihm befohlen habe, aus seinem Opfer auszufahren. Danach habe er dann den „wie tot daliegenden“ (†gfineto ÆseÑ nekrÖ" ktl.) und von vielen für tatsächlich tot gehaltenen Knaben erweckt, und der sei vor aller Augen aufgestanden (≥geiren a§tÖn kaÑ ünfisth: Mk 9,26 f). Aus dem Befehl Jesu an den bösen Geist soll Johannes dann die Worte gemacht haben: L›zare, deúro ≤xw. Außer daß sie die reiche Phantasie ihres Urhebers offenbart, spricht jedoch nichts für diese abenteuerliche Konstruktion, die einzig in der Wortverbindung †nebrimflsato tù pne‚mati eine zudem noch höchst wackelige Stütze hat. Daß sie für die Interpretation unserer Lazaruserzählung völlig wertlos ist, weil Johannes – wie Lindars selbst ganz richtig sieht (ebd. 102) – den Dativ tù pne‚mati, wie schon die folgende synonyme Phrase kaÑ †t›raxen ©aut∙n und die Kombination beider Wendungen in der Fügung 530
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,33–35
†mbrim„meno" seautù in V. 38 beweisen, adverbial und nicht als Objekt verstanden wissen will und weil bei ihm tar›ssw nie äußeres Gebaren, sondern stets inwendigen Kummer oder Angst bezeichnet (12,27; 13,21; 14,1.27). Ähnlich wie Lindars meinen auch Bultmann (Komm. 310), Haenchen (Komm. 411), Schnackenburg (Komm. II, 420 f) und Story (Jesus at Bethany) zwischen Text und Sinn einer vermeintlichen Vorlage und deren Bearbeitung durch den Evangelisten unterscheiden zu müssen. Wir müssen solchen Exkursionen in eine imaginäre Vorgeschichte unseres Textes gegenüber aber dabei bleiben, daß das Weinen Marias und das Wehklagen der mit ihr gekommenen Juden Jesus in große innere Bewegung versetzt und ihn tief erschüttert und daß diese Emotion sich dann so äußert, wie es „der kürzeste Vers des gesamten Neuen Testaments“ (Morris z. St.) beschreibt: †d›krusen ¨ ûIhsoú" (V. 35). Während das ‚Weinen‘ im Kontext – und weit darüber hinaus im gesamten Neuen Testament – durch das Verbum kla‡w ausgedrückt wird, ist das Verbum dakr‚w in diesem „kürzesten Vers“ einzig den Tränen Jesu vorbehalten. Das mag Zufall sein oder sich aus der schon des öfteren beobachteten Vorliebe unseres Erzählers für den Gebrauch von Synonyma erklären. Doch wie Beutler (Ps 42/43) wahrscheinlich gemacht hat, gibt es dafür in dem nicht nur hier, sondern auch Joh 12,27 und 13,21 zu beobachtenden intertextuellen Spiel mit dem biblischen Doppelpsalm einen weit einleuchtenderen Grund. Der Psalm spricht von den Tränen, die seinem gerechten Beter Tag und Nacht zum Brot geworden sind (41,5), der erklärt: prÖ" †mautÖn ™ yucfl mou †tar›cjh, und zumal sein signifikanter Kehrvers: ºna t‡ per‡lupo" eè, yucfl, kaÑ ºna t‡ suntarr›ssei" me; ≤lpison †pÑ tÖn je∙n, Ωti †xomologflsomai a§tù (LXX 41,6.12; 42,5) weist auf diese Spur. Zudem macht Beutler darauf aufmerksam, daß das aktive und „reflexive †t›raxen ©aut∙n ... in der Tat in der gesamten griechischen Bibel am ehesten im Kehrvers unseres Psalms seine Entsprechung“ habe (ebd. 43). Als ein „Echo“ des ™ yucfl mou †tar›cjh aus Ps 41,7 (LXX) hatte schon Dodd die Wendungen †tar›cjh tù pne‚mati (Joh 13,21) und nún ™ yucfl mou tet›raktai (Joh 12,27) begriffen und dazu bemerkt: „John seems prepared to use yucfl or pneúma indifferently as an equivalent for çpn“, sowie auf die synoptische Getsemane-Szene verwiesen. Daß Johannes diese Szene tatsächlich mehrfach assoziiert, wird unten zu 12,27 und 13,21 zu zeigen sein. Es bleibt uns nun noch nach dem Grund für Jesu große Betrübnis und für seine Tränen zu fragen, in denen sie sich ausdrückt. Die gängige – uns jedoch wenig wahrscheinlich dünkende – Erklärung dafür ist die, daß Jesus über den Unglauben Marias und das vermeintlich nur äußerliche Lamento der sie begleitenden Juden erzürnt sei, weil die es wagten in der Gegenwart dessen, der sich doch bereits in V. 25 f als die Auferstehung und das Leben offenbart habe, noch den dadurch bedeutungslos gewordenen Tod des Lazarus zu beklagen (so urteilen in ihren Kommentaren z. St. u. a.: Bauer, Bultmann, Hoskyns, Schnackenburg, J. Becker, Beasley-Murray). Dabei trennt Schnackenburg kaum zu Recht Jesu Weinen in V. 35 von seinen in V. 33 beschriebenen inneren Emotionen, die er nun als „Anfahren der Klagenden“ interpretiert (Komm. II, 422). Dagegen sieht Brown in Jesu Tränen ganz richtig die Äußerung jener inneren Emotionen und verwirft darum den Gedanken, Jesu †mbrimôsjai sei durch den Unglauben Marias und der mit ihr klagenden Juden provoziert (Komm. I, 435). Das erscheint uns erheblich plausibler. Denn wenn sich Jesu Erregung tatsächlich gegen die Klagenden als Ungläubige richten sollte wie in Mk 5,39, dann wäre doch anstelle des tù pne‚mati eher ein a§toõ" sowie eine entsprechende Konstruktion des Objekts 531
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Zweite Hälfte des vierten Aktes
von †t›raxen zu erwarten und vor allem bliebe dann, wie Brown treffend urteilt, Jesu Weinen mit den Weinenden unverständlich (vgl. Beutler, ebd. 43). Eine höchst eigenwillige Interpretation des Grundes für Jesu †mbrimôsjai, eines Lexems, das fraglos „Ärger“ impliziere, bietet Barrett. Da das Wort in Mk 1,43 und Mt 9,30 im Zusammenhang des Messiasgeheimnisses dazu diene, den Ernst des Verbotes Jesu an die Geheilten zu unterstreichen, von den ihnen widerfahrenen Wundern zu reden, sieht Barrett „vernünftige Gründe“ dafür, daß Joh das Lexem hier „in ähnlicher Weise“ gebrauche: „Jesus erkennt, daß die Gegenwart und der Schmerz der Schwestern ihm ein Wunder fast abzwingen; und wie in 2,4 die Forderung nach einem Wunder eine harte, fast grobe Antwort hervorruft, so erregt sie hier, in einer Situation höchster Spannung, seinen Grimm. Dieses Wunder wird man unmöglich verbergen können (vgl. V. 28.30); und dieses Wunder wird, so erkennt Jesus, der unmittelbare Anlaß für seinen Tod sein“ (Komm. 396). Auf diese Weise kann er – wie Schnackenburg – Jesu Tränen in V. 35 von jenen Emotionen trennen: „Die hier ausgedrückte Emotion ist von der in V. 33 unterschieden, und es ist ebensowenig berechtigt zu sagen, daß Jesus weinte, wie daß er ärgerlich war angesichts des Unglaubens, der in dem Jammern der Maria und der Juden impliziert ist; vielmehr beteiligte er sich daran. Jesu Tränen veranlassen zwei kommentierende Bemerkungen seitens der Juden, die mehrmals in Joh, für den Ironie ein so auffälliger Zug ist, die Wahrheit ausdrücken müssen, ohne sie zu verstehen“ (ebd. 397). So lebhaft wir dieser Interpretation der Tränen Jesu und der Abweisung des Gedankens, Jesus habe sich über das Weinen Marias und der Juden geärgert, zustimmen müssen, so fragwürdig erscheint uns die Trennung des in V. 33 ausgedrückten inneren Aufgewühltseins Jesu von seinem Weinen und die Erklärung des ersteren nach dem Muster des markinischen Messiasgeheimnisses, als habe Jesus nicht von Anfang an gewußt, daß dieser Weg nach Judäa zum Grabe des Freundes ihn selbst in Tod und Grab bringen werde.
Wer Jesu †mbrimôsjai tù pne‚mati als Ärger über den sich in ihrer Totenklage ausdrückenden Unglauben Marias und der Juden begreifen will, der muß zudem bedenken, daß doch weder Maria noch erst recht ihre Freunde – der Sitte der Zeit entsprechend wohl vorwiegend Freundinnen –, die gekommen waren, mit den Schwestern den Tod des Bruders zu beklagen, Zeugen des an Martha ergangenen Offenbarungswortes Jesu waren. Wohl legt es der Erzähler selbst seinen Zuhörern nahe, die beiden Schwestern miteinander zu vergleichen. Doch bestellt er sie damit noch lange nicht zu deren Richtern. Problematisch sind darum Erklärungen wie diese: „The grief of Martha is one which has room for a growth in resurrection faith. The grief of Mary is a desperate, passionate and forlorn affair. She hurls herself at Jesus’ feet. Indeed, the pathos of her response is so intense that Jesus himself is said to weep. In portraying Mary in this wild and natural way, the author shows his concern to depict characters not only as stereotypes of faith response (Martha) but in the most realistic way possible (Mary)“ (Stibbe, Joh 11, 47). Denn auch wenn der Evangelist bei seiner Zeichnung dieser beiden so verschiedenen Schwestern tatsächlich großes literarisches Geschick zeigt, kann man – zumal angesichts von Joh 12,3 ff – doch schwerlich behaupten, Marias Kummer lasse dem Glauben an die Auferstehung keinen Raum. Außerdem sollte man sich auch nicht zum Richter über rituelle Sitten anderer Völker und Zeiten und deren Art von ‚Trauerarbeit‘ erheben und diese Nachbarn und Freunde solidarisch vereinende Totenklage als unangebrachtes Lamento und Ausdruck von Unglauben verdächtigen. Zu Recht fragt darum L. Schenke: „Darf Maria, wenn sie glaubt, nicht mehr über den Tod ihres Bruders, über den Tod als Geschick des Menschen überhaupt weinen? Das wäre ein harter, zynischer und unmenschlicher Glaube. Darum kann sich die Darstellung, daß Jesus beim Anblick der weinenden Maria und der sie begleitenden Juden ‚außer sich 532
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11,35–38
geriet und sich erregte‘ (11,33), nicht gegen ihre Emotionen richten. Ihr Weinen darf nicht als Zeichen des Unglaubens angesehen werden, gegen den sich Jesus wendet. Jesus weint schließlich selbst (11,35), und zwar, wie die Juden richtig feststellen, über den Tod des Lazarus (11,36).“ Da Jesu eigener Tod so eng mit dem seines Freundes Lazarus verbunden ist – wahrscheinlich ja auch durch das der Getsemane-Szene entstammende intertextuelle Spiel mit dem Leidenspsalm 42/43 (s. o.) –, „dürften seine Emotion und Erregung hier zugleich seinem eigenen Sterben gelten“ (Komm. 228). 36–37: Die Differenzierung zwischen „den Juden“ und „einigen unter ihnen“ entspricht wohl derjenigen in V. 45 u. 46, wonach „viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was er tat, an ihn glaubten“ (V. 45), während „einige von ihnen zu den Pharisäern hingingen und ihnen berichteten, was Jesus getan hatte“ (V. 46), und damit das Todesurteil des Synhedriums über Jesus auslösten. Deshalb wird man die Deutung der Tränen Jesu als Zeichen seiner Liebe zu Lazarus nicht einfach als ein „typisch johanneisches Mißverständnis“ deklarieren dürfen. Dagegen könnten sich in der distanzierten Frage von V. 37 durchaus schon jene späteren Denunzianten zu Wort melden. (4) Die Erweckung des Lazarus (11,38–44) 38
Abermals innerlich heftig bewegt gelangte Jesus zum Grabe. Das war aber eine Grabhöhle, die durch einen Stein verschlossen war. 39 (Und) Jesus forderte: Entfernt den Stein! Da sagte Martha, die Schwester des Verstorbenen, zu ihm: Herr, er riecht schon, denn heute ist bereits der vierte Tag. 40 Jesus (aber) erwiderte ihr: Habe ich dir nicht gesagt, daß du die Herrlichkeit Gottes schauen solltest, wenn du glaubtest? 41 Da hoben sie den Stein ab, Jesus aber hob seine Augen empor und betete: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast. 42 Ich weiß auch, daß du mich allezeit erhörst. Aber ich sage es um der Menge willen, die herumsteht, damit sie glauben, daß du mich gesandt hast. 43 Und als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! 44 Und der Totgewesene kam heraus, an Füßen und Händen gebunden mit den Grabbinden, und sein Antlitz verhüllt von einem Schweißtuch. Jesus aber forderte sie auf: Löst ihm (die Binden) und laßt ihn gehen! Die Wiederaufnahme der Wendung: †nebrimflsato tù pne‚mati kaÑ †t›raxen ©aut∙n, sowie die Kontraktion ihrer beiden Glieder, die noch einmal deren Synonymität erweist, durch die Fügung p›lin †mbrim„meno" †n ©autù zeigt, daß es die Nähe des Grabes ist, die Jesu erneute Trauer um den verstorbenen Freund auslöst (vgl. Schnelle, Christologie 182). Das Grab wird als eine Felshöhle beschrieben, die durch einen großen und schweren Stein verschlossen ist. Daraus kann freilich nicht „sozialgeschichtlich“ auf den Reichtum und die Zugehörigkeit von Gliedern einer vermeintlichen „johanneischen Gemeinde“ zur Oberklasse geschlossen werden, denn die so beschriebene und außerhalb des Dorfes gelegene Grabstätte ist sicher nicht zufällig nach dem Muster des Grabes Jesu gezeichnet (19,38–20,18). Die ‚Grabbinden‘ (keir‡ai), mit denen der Tote an Füßen und Händen gewissermaßen ‚gefesselt‘ ist (dedemfino"), und das ‚Schweißtuch‘ (soud›rion), das sein Antlitz verhüllt, entsprechen den ‚Leinenbin533
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den‘ (£j·nia), mit denen Jesus „gebunden“ (≤dhsan) wurde (19,40), wie sie auch sein Antlitz durch ein soud›rion verhüllten (20,7). Damit wurden beide bestattet, kajá" ≤jo" †stÑn toõ" ûIouda‡oi" †ntafi›zein (19,40). Die absichtsvolle Differenz zwischen der Auferweckung des Lazarus und der Auferstehung Jesu besteht zum einen darin, daß Maria Magdalena den schweren Stein, der Jesu Grab verschlossen hatte, wie von unsichtbarer Hand beseitigt findet (°rmfinon †k toú mnhme‡ou: 20,1), während der Stein vor dem Grab von Lazarus erst auf den Befehl Jesu hin von Leuten aus der Trauergemeinde beiseite geschafft werden muß (éran oên tÖn l‡jon); und zum anderen darin, daß im Falle Jesu ‚der Jünger, den Jesus liebte‘ die Grabtücher, mit denen Jesus gebunden gewesen war, und dazu das Schweißtuch, das sein Haupt verhüllte hatte, ordentlich gefaltet (†ntetuligmfinon) jeweils an ihrer Stelle liegen sah (20,6 f), während Lazarus noch gebunden aus dem Grab hervorkommt und erst von anderen entbunden werden muß. Einander gegenübergestellt sind so Jesus, der sich selbst und in eigener Vollmacht (10,18) aus Tod und Grab befreit, und Lazarus, den Jesus mit Hilfe der von ihm Beauftragten erst buchstäblich den „Banden des Todes“ entreißen muß (vgl. Frey, Eschatologie III, 443). Gewiß ist die Unwiderruflichkeit des Todes kaum „drastischer“ zur Sprache zu bringen und damit zugleich die Unmöglichkeit dessen, was hier möglich werden soll, nicht deutlicher auszudrücken als durch Marthas Einwand gegen Jesu Befehl, das Grab zu öffnen, daß doch „vom Leichnam bereits Verwesungsgeruch“ ausgehe (L. Schenke, Komm. 229). Ob man deshalb aber wie Schenke fortfahren kann, „die Haltung Marthas, die kein Zeichen mehr braucht und erwartet“, könne klarer „nicht beschrieben werden“, scheint uns ein problematischer Rückfall in die verbreitete Rede vom bloßen und unzureichenden Zeichenglauben zu sein. Wurde das Evangelium nicht deshalb geschrieben, weil alle Glaubenden der Zeichen bedürfen (20,30 f)? Und ist Marthas Intervention am Grab ihres Bruders darum nicht eher Ausdruck ihrer erneuten Zweifel und des Umstands, daß ihr Glaube durch die sinnlich wahrnehmbare Gewalt des Todes erneut ‚angefochten‘ ist? Bedarf sie nicht deshalb der ermahnenden Erinnerung Jesu: „Habe ich dir nicht gesagt, daß du die Herrlichkeit Gottes schauen solltest, wenn du glaubtest?“. Von der d∙xa toú jeoú und davon, daß „der Sohn Gottes“ durch Krankheit und Tod des Lazarus verherrlicht werden solle, hatte Jesus in V. 4 wohl zu seinen Jüngern, nicht aber zu Martha gesprochen. Weil er ihr jedenfalls wörtlich nicht gesagt hatte, daß sie die Herrlichkeit Gottes schauen solle, muß diese Mitteilung der Sache nach wohl in seinem göttlichen †g„ e¢mi (V. 25 f) und in Marthas Einverständnis damit bekundendem Bekenntnis (V. 27) impliziert gewesen sein (vgl. Morris, Komm. 560). Während „sie“ – wohl Juden aus Marias Begleitung – nun den Stein weghoben (éran), erhebt (éren) Jesus seine Augen (wie einige Zeugen wohl in Anlehnung an 17,1 ganz richtig hinzufügen: zum Himmel) und dankt seinem Vater für die Erhörung seines Gebets. Sowenig zuvor mitgeteilt wurde, daß Jesus Martha beauftragt habe, ihre Schwester zu rufen (V. 29), sowenig teilt der Erzähler jetzt über das Gebet und seinen Inhalt mit, für dessen Erhörung Jesus dem ‚Vater‘ nun dankt. Wie in 12,27 f und 17,1 sowie in der lukanischen Gestalt des Herrengebets (Lk 11,2–4), ist die Gebetsanrede das einfache und exklusive p›ter. Jesu besondere Relation zu Gott als die des monogenÉ" u´∙" ist eine andere als die aller übrigen Menschen. Erst nach seiner „Verherrlichung“ wird er Maria Magdalena, seine erste Osterzeugin, mit die534
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,39–44
ser Botschaft zu seinen Jüngern senden: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: ‚Ich fahre jetzt auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“ (20,17). So macht er erst durch seinen Weg durch Tod und Grab die Jünger zu seinen Brüdern und seinen Vater zu ihrem Vater, so daß sie fortan beten können: „Vater unser …“. Dem Dank für die Erhörung seines Gebets fügt er seine Gewißheit hinzu, „daß du mich ständig erhörst“, und daß er das in dieser Öffentlichkeit nur äußere, damit die Umstehenden zum Glauben kommen, „daß du mich gesandt hast“. Und danach ruft Jesus mit lauter Stimme (fwnÔö meg›lÔh): „Lazarus, komme heraus!“ Diese Nennung der fwnÉ erinnert den Leser nicht zufällig an das gerade zuvor von dem ‚guten Hirten‘ Gesagte, der seine Schafe bei Namen ruft (fwneõ katû µnoma: 10,3.27), der die Seinen kennt und den die Seinen kennen, wie der Vater den Sohn und der den Vater kennt (10,14), der ihnen das ewige Leben gibt und dessen Hand niemand die Seinen je entreißen kann, so wenig es einer vermag, sie der Hand seines Vaters zu entreißen (10,28–30). Ja weit über die Hirtenrede hinaus muß sich der Leser an Jesu sabbatliche Rede an die ûIoudaõoi erinnern, denen er, eingeleitet durch sein solennes ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn, gesagt hatte, es komme die Stunde, ja schon jetzt sei sie da, „da die Toten die Stimme des Gottessohnes hören und leben werden, die sie erhören“ (5,24; s. o. z. St.). In der erzählten Welt des Evangeliums ist diese Stunde mit Jesu lautem Ruf: „Lazarus, komme heraus!“ jetzt gekommen: „Und der Totgewesene kam heraus“. Das Perfektpartizip ¨ tejnhk„" hat hier ebenso wie die Rede von den o´ pepisteuk∙te" ûIoudaõoi in 8,31 plusquamperfektischen Sinn (s. o. z. St. u. vgl. Swetnam, Meaning). Möglicherweise ist dieser Ruf Jesu und sein Auftrag, Lazarus von seinen Fesseln zu lösen, ein Spiel mit Jes 49,8 f; vgl. Schneiders (Death 55). Und zugleich ist in dieser Erweckung des physisch Toten jene andere und eschatologische „Stunde“ vorabgebildet, da „alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und herauskommen werden, die da Gutes getan haben zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse getan haben zur Auferstehung des Gerichts“ (5,28 f). Das neue Leben des Erweckten offenbart beides: Seine gegenwärtige Teilhabe am ewigen Leben und „the final resurrection of those who die believing. It symbolizes the coincidence of present and future eschatology“ (Schneiders 55 f). Damit daß der Erzähler über die Reaktion der Umstehenden auf Jesu Gebot: „Löst ihm die Fesseln und laßt ihn gehen!“ schweigt, schafft er eine ‚Leerstelle‘ (Iser), die der Leser/Zuhörer füllen muß. „We are neither shown, nor told, that (let alone how, or by whom) Lazarus got untied and ‚let go‘. We are left completely in the dark about the reactions of the two sisters, or of the disciples, not to speak of the reactions of Lazarus himself. The unfinished task of untying Lazarus becomes the readers task of untying the text … This challenge to readers to untie this text is not only unfinished; due to the rhetoric of the narration of faith, it is an unfinishable task“ (Wuellner, Putting Life back 120).
Wie Kammler zu Joh 11,24–27 u. E. zu Unrecht bereits behauptet hatte, „daß das ‚Ich bin‘-Wort‘ (V. 25 f) die in V. 24 ausgesprochene Erwartung einer endzeitlichen Auferstehung der Glaubenden definitiv (ausschließe)“ (Christologie 205), so bestreitet er nun ebenso vehement, daß das Wunder der Auferweckung als „Zeichen und Prolepse der endzeitlichen Auferweckung“ (Frey, Eschatologie II, 575) begriffen werden dürfe, es wolle vielmehr „im Gegenteil – als Hinweis auf die geistliche Auferweckung gelesen und verstanden“ werden (ebd.). Doch ist eine derart spiritualisierte und von allen 535
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Weltbezügen gelöste Eschatologie, die als „rein präsentische“ auf den schmalen Sektor einer „geistlichen Auferstehung“ allein der an Christus Glaubenden reduziert ist – wobei diese Wenigen zu solchem Glauben noch von Ewigkeit her prädestiniert sein sollen –, überhaupt noch „Eschatologie“ zu nennen? Ist denn deren Thema etwa nicht die endzeitliche Erlösung und Verwandlung der gesamten geschaffenen Welt und zumal des von Gott erwählten Volkes Israel, die Auferstehung aller, „die in den Gräbern sind“ (Joh 5,28 f), und das gerechte Gericht Gottes? Unser überliefertes Johannesevangelium jedenfalls liefert für eine derartige Reduktion keinerlei Berechtigung, es sei denn, man rücke ihm literarkritisch mit Schere und Kleister zu Leibe und mißachte seine enge Intertextualität mit den synoptischen Evangelien und biblischen Texten. Johannes hat die „finale Eschatologie“ nicht beseitigt, sondern ihr aus der Erfahrung der Gegenwart des abwesenden Christus – „Herr, wärest du hier gewesen …“ – eine neue Tiefendimension erschlossen: „The resurrection on the ‚last day‘ is not a future purely beyond time which would defer life until the eschatological future but a future already filling the believer’s present with eternal life“ (Schneiders, Death in the Community 52 f; vgl. MacRae, The Fourth Gospel 18 ff). Auch wenn die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus und von seinen bethanischen Schwestern eine fiktionale Komposition auf der Grundlage der genannten synoptischen Texte sein dürfte, hegen wir doch nicht den geringsten Zweifel daran, daß der Autor und seine Leser an den Erweis von Jesu Macht auch über den physischen Tod ernsthaft geglaubt haben. Gewiß hat Johannes den Vorschein dieses Eschaton in der Sendung sowie im Sterben und Auferstehen Jesu deutlicher als andere neutestamentliche Autoren wahrgenommen und ihn als das Scheinen des Lichtes in der Finsternis (1,5; vgl. 1Joh 2,8) zum Brennpunkt seines Evangeliums gemacht. Denn es galt ja allen Zweifeln gegenüber, das Gekommensein des messianischen Gottessohnes „im Fleisch“ als die reale Prolepse des eschatologischen Heils inmitten einer noch von Gesetzlosigkeit, Leid und Tod gezeichneten, unerlösten Welt als den verläßlichen Grund der Hoffnung stark zu machen. Und er hat ihn so stark gemacht, daß einige glauben konnten, damit habe er das eschatologische Heil auf das reine Präsens der „Glaubensentscheidung“ reduzieren wollen. Es ist im übrigen wohl kein Zufall, daß die griechischen und lateinischen Väter sowie die mittelalterlichen Theologen auf solche Gedanken noch nicht gekommen sind. Denn dazu mußte die Welt erst in eine res extensa und eine res cogitans auseinanderfallen, dazu mußten Kosmos und Existenz erst unwiderrufbar voneinander getrennt werden, wie in Bultmanns ‚Existenzmetaphysik‘ (Bayer). Die Lazarus-Szene ist eine ‚symbolische Erzählung‘, das heißt, was hier irdisch manifest wird, hat zugleich symbolische Obertöne. Auf dieses ‚Zugleich‘ kommt dabei alles an: „Again, the reality of the sign … must be taken seriously, since it is not only a reference to the d∙xa but also an expression of the same“ (Weder, Deus Incarnatus 334; vgl. M. M. Thompson, Humanity 120). Dem Modus symbolischer Rede entsprechend lassen sich deren symbolische Obertöne weder von der Realität des erzählten Basisgeschehens abtrennen, weil es damit zur bloßen Allegorie würde, noch können sie einer Aussagenlogik unterworfen werden, so daß ihre Interpretationen, wie Kammler meint, als „richtige“ oder als „falsche“ zu qualifizieren wären, vielmehr gibt das Symbol, wie Ricœur es ausdrückt, jenseits der Ontologie „zu denken“ und eröffnet so Prozesse der Konkretion, die unabschließbar sind. 536
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11,44–45
(5) Viele Juden glauben an Jesus, und das Synhedrium beschließt, ihn zu töten (11,45–57) 45
Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was er getan hatte, glaubten nun an ihn. 46 Einige von ihnen aber gingen hin zu den Pharisäern und meldeten ihnen, was Jesus getan hatte. 47 Da riefen die Hohenpriester und Pharisäer ein Synhedrium zusammen und fragten sich: Was sollen wir denn tun? Denn dieser Mann tut viele Zeichen. 48 Wenn wir ihn so gewähren lassen, werden schließlich alle an ihn glauben, und dann werden die Römer kommen und uns diesen Ort und das Volk wegnehmen. 49 Doch einer unter ihnen, nämlich Kaiaphas, der in jenem Jahr Hoherpriester war, sagte zu ihnen: Ihr begreift aber auch gar nichts. 50 Ihr bedenkt ja nicht, daß es besser für euch ist, wenn ein Mensch für das Volk stirbt, als daß das ganze Volk zugrunde geht. 51 Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in jenem Jahr Hoherpriester war, weissagte er (ejprofhvteusen), daß Jesus für das Volk sterben solle, 52 ja, nicht nur für das Volk (Israel) allein, sondern auch dazu, daß er die zerstreuten Kinder Gottes zur Einheit sammle. 53 Von jenem Tage an waren sie entschlossen. ihn zu töten. 54 Doch Jesus wandelte nun nicht mehr öffentlich unter den Juden, sondern zog sich von dort in die Gegend nahe der Wüste zurück, in die Ephraim genannte Stadt, und dort blieb er mit seinen Jüngern. 55 Es war aber nahe das Passafest der Juden, und viele vom Lande zogen hinauf nach Jerusalem, um sich noch vor dem Fest zu heiligen. 56 Und als sie im Tempel standen, suchten sie Jesus und sagten zueinander: Was meint ihr? Er wird doch gewiß nicht zum Fest herkommen. 57 Die Hohenpriester und die Pharisäer hatten nämlich Steckbriefe (ejntolav") ausgegeben, daß jeder, der seinen Aufenthaltsort kenne, es anzeigen müsse, damit sie ihn festnehmen könnten. 45f: Daß viele der zur Totenklage zu den Schwestern gekommenen Juden, die so zu Augenzeugen von Jesu wunderbarem Zeichen geworden waren (jeas›menoi ¡ †po‡hsen), fortan an ihn glaubten, will im Gegensatz zu 6,26, wo die Menge Jesu Zeichen gerade nicht gesehen, sondern sich nur gesättigt hatte, so verstanden sein, daß diese Jesu Wirken tatsächlich als „Zeichen“ gesehen und begriffen haben und darum einstimmen können in den Lobpreis der „Wir“ des Prologs: „Und wir sahen seine Herrlichkeit …“. In ihrem Beitrag über „The Johannine Community and Its Jewish Neighbors“ hat Adele Reinhartz darauf aufmerksam gemacht, daß die Anwesenheit der vielen befreundeten Juden im Trauerhaus der bethanischen Geschwister – nach dem Kontext unserer Erzählung doch wohl ein ‚christliches‘ Haus – und der Joh 12,11 genannte Glaube vieler Juden an Jesus aufgrund der Erweckung des Lazarus unvereinbar sind mit dem Bild, das Martyn, Brown, Neyrey, Nicholson, Wengst und viele andere von der sogenannten „johanneischen Gemeinde“ gezeichnet haben. Danach soll diese „Johannine Community“ nämlich eine definierbare jüdisch-christliche Sondergemein‑ de gewesen sein, die sich zum einen durch ihren sektiererischen Charakter deutlich von der „Großkirche“ unterschieden habe und die zum anderen gewaltsam aus ihrer heimatlichen Synagoge ausgeschlossen und damit ihrer sozialen Wurzeln beraubt 537
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worden sei. Dieser vermeintliche Synagogenausschluß des gesamten „johanneischen Christentums“, der noch vor der Abfassung des Evangeliums erfolgt sein soll, wird von den genannten Autoren als bereits vollendete Tatsache behandelt. Doch das Fundament, auf dem diese ‚Johanneskirche‘ da begründet werden soll, ist wenig tragfähig. Denn die Wendung üposun›gwgo" gfinhtai bzw. poieõn, die außer in Joh 9,22; 12,42 und 16,2 nirgendwo belegt ist, vermag diese Last nicht zu tragen. Daß und warum der sogenannte „Ketzersegen“ (Birkat ha-minim) nicht das Instrument gewesen sein kann, mittels dessen der vermeintliche gewaltsame Ausschluß aus der Synagoge vollzogen worden sein soll, haben wir zu den genannten Stellen eingehend begründet. Daß die Birkat ha-minim keine offizielle Sanktion, sondern bestenfalls ein Filter war, der nach und nach diesen oder jenen Ketzer zu dem eigenen Entschluß veranlaßt haben mag, sich von der Synagoge abzuwenden, hat Kimelman in seiner sorgfältigen Untersuchung überzeugend erwiesen. Vor allem aber hat A. Reinhartz im Blick auf das positive Bild der vielen glaubenden Juden in Joh 11 und 12,11 mit guten Gründen erneut darauf aufmerksam gemacht, daß das Evangelium kein „window to the specific details of the community’s historical experience“ eröffnet (ebd. 134). Darum kann es nicht in der Weise als ein gleichzeitig auf zwei Ebenen spielendes Drama begriffen werden, wie Martyn das vornehmlich durch seine Analyse von Joh 9 begründen wollte, wonach zwischen der Ebene des irdischen Jesus und seiner Auseinandersetzungen mit seinen jüdischen Zeitgenossen und der Ebene einer spezifischen Gemeinde in „John’s town“ mit ihren Konflikten mit den lokalen jüdischen Behörden unterschieden werden müsse. Sofern Adele Reinhartz in ihrer begründeten Kritik an Martyns Johanneslektüre, die mittlerweile viele Nachfolger gefunden hat, jedoch selbst noch die Existenz einer spezifisch ‚johanneischen Gemeinde‘ voraussetzt und dabei nur die Metapher des „Fensters“ durch diejenige eines „Spiegels“ ersetzt, der „the community’s self-understanding“ reflektiere, ist sie u. E. bei weitem noch nicht kritisch genug. Denn wie etwa das nun schon mehrfach beobachtete intertextuelle Spiel unseres Evangelisten mit den Texten seiner synoptischen Vorgänger zeigt, will sein Werk als ein „Gospel for All Christians“ (Bauckham) gelesen werden. Es „spiegelt“ nicht das Selbstverständnis einer intendierten Adressatengruppe wider, sondern es will einer unvorhersehbaren Leser‑ oder Zuhörerschaft allererst Wege zu einem christlichen Selbstverständnis erschließen. Es ist auch nicht dem Schoß einer ‚johanneischen Gemeinde‘ entsprossen, über deren Existenz wir kein einziges externes Zeugnis besitzen. Und die poetische Sprache seines Evangelisten ist auch nicht die nur den Insidern verständliche „Sondersprache“ dieser Gemeinde (Leroy, Rätsel), die sich der Evangelist nur zu eigen gemacht hätte. F. Wisse bemerkt dazu treffend: „What has happened here is that a common but controversial assumption in biblical studies about the role of religious communities in the shaping of oral traditions has been extended without justification to the composition and redaction of literary texts. The problem is that communities do not produce texts. … It is wishful thinking to assume that early Christian authors encoded the historical reality of a community in their writings for the convenience of us latter-day historians“ (Historical Method 40). Statt das Phantom einer „johanneischen Gemeinde“ gleichsam zum Mutterschoß unseres Evangeliums zu erklären, könnte man eher umgekehrt sagen, daß dessen Lektüre, wie sich etwa an der Johannesverehrung der ephesinischen Kirche des zweiten Jahrhunderts und seiner kaum zu überschätzenden Bedeutung für die folgenden christologischen und trinitarischen Streitigkeiten
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Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
11,46–49
zeigt, hier und da so etwas wie „johanneische Gemeinden“ hat entstehen lassen. Statt den Gebrauch der Fügung o´ ûIoudaõoi auf die jeweils erzählten Antagonisten Jesu und auf ihr erzähltes Verhalten in den einzelnen Szenen des Evangeliums zu beziehen, sehen die meisten auf die Rede von „den Juden“ fixierten und von der Frage nach dem möglichen Antijudaismus oder Antisemitismus des Evangeliums bewegten Untersuchungen in den so Benannten eine extratextuelle Größe, seien es die empirischen Juden, das Judentum, die Judäer oder die jüdischen Führer zur Zeit des Evangelisten. Wir halten das für den grundsätzlichen Fehler einer „referential fallacy“ und sehen darin den frühen Ursprung der ja tatsächlich antijudaistischen Rezeptionsgeschichte unseres Evangeliums.
Die V. 45 u. 46 haben deutlich die Funktion einer Brücke zwischen den Teilszenen des Erweckungswunders (11,38–44) und des definitiven Beschlusses, Jesus zu töten (11,45–57). Während V. 45 der Sache nach wie Joh 2,11 noch unmittelbar zu dem Erweckungswunder gehört, leitet V. 46 über in das Lager der Feinde Jesu. Durch die einleitende, nur pronominale Wendung „Einige von ihnen aber“, nämlich von den vielen Juden, die zu Maria gekommen waren (V. 45), sind die beiden Teilszenen sehr eng miteinander verbunden. Doch wegen des Ortswechsels, der Abwesenheit Jesu und seiner Jünger sowie wegen der Versammlung des Synhedriums behandeln wir 11,45–57 als eine ‚Teilszene‘ eigenen Rechtes. Diejenigen, die Jesus jetzt bei den Pharisäern denunzieren, dürften, wie oben bereits vermutet, mit den tinfi" identisch sein, die einander zuvor tadelnd gefragt hatten, warum der, der dem Blinden die Augen aufgetan hatte, denn das Sterben des Lazarus nicht hat verhindern können (V. 37). 47–49: Die Reaktion der Pharisäer, daß sie nämlich zusammen mit den Hohenpriestern sogleich das Synhedrium zusammentreten lassen, um zu beraten, was sie denn gegen den Zustrom der Massen zu Jesus unternehmen könnten, läßt erkennen, daß in dem Bericht der tinfi" über die Dinge, die Jesus getan hatte (¡ †po‡hsen ûIhsoú"), auch davon die Rede gewesen sein muß, daß viele der Juden zum Glauben an ihn gekommen waren. Hatte Bultmann zu unserer Szene noch erklärt, daß sie insgesamt „eine johanneische Bildung (sei), der keine Quelle zugrunde (liege)“ (Komm. 313), so bestreiten J. Becker u. a. das neuerdings vehement (Komm. II, 428 ff). Er beruft sich für diese Kritik (1) auf Dodd (Prophecy), der in Joh 11,47–51 eine in sich geschlossene „pronouncement-story“ identifizieren wollte, V. 52 als ein typisch johanneisches Interpretament dieser vermeintlichen Quelle beurteilte und in den V. 53 ff deren Verknüpfung mit dem Kontext durch den Evangelisten sah; (2) auf Hahn (Prozeß 25 ff), der in 11,47–53 und 57 den Anfang einer vom Evangelisten bearbeiteten vorjohanneischen Passionsgeschichte erkennen wollte; und (3) auf P. Winter (Trial 50 ff), der hier, ähnlich wie Dodd, eine ältere Quelle vermutet, deren „traditional threads“ freilich „irreparably broken“ seien; zu dieser Tradition rechnet er V. 50.53 u. 57, während er V. 47b.49.51 f u. 54–56 der Bearbeitung dieser ‚Quelle‘ durch den Evangelisten zuweist. Im Gegensatz zu den komplizierten literarkritischen Analysen unserer Szene namentlich durch Becker und Wagner gehen wir in diesem Kommentar noch weit über Bultmanns oben genanntes Urteil hinaus, indem wir nicht nur Joh 11,46–54 und ähnliche Passagen, sondern das gesamte überlieferte Evangelium von Joh 1,1–21,25 für eine „johanneische Bildung“ halten.
Auf die Nähe unserer Szene zur synoptischen Erzählung von Verhör und Verurteilung Jesu durch das Synhedrium weisen sowohl das bei Joh nur hier begegnende Lexem sunfidrion (vgl. Mk 14,55; Mt 26,59; Lk 22,66) als auch das Auftreten des Ka›fa" als des amtierenden Hohenpriesters, der in dieser Rolle beim Verhör Jesu außer bei Joh 539
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namentlich nur von Mt (26,3.57) genannt wird. Wegen der unmittelbaren Folge der „Salbung in Bethanien“ auf diesen ‚Todesbeschluß‘, der bei Mt unter der Ägide des hier ausdrücklich als Hoherpriester genannten Kaiaphas gefaßt wird (Mt 26,1–5), dürfte Mt 26 der konkrete Prätext sein, mit dem Johannes hier spielt. Kaiaphas erscheint bei Joh außerdem in 18,13 f, wo der Erzähler an unsere Szene erinnert, und Joh 18,24. Die in der synoptischen Verhörszene bei Mt 26,57 neben dem Hohenpriester Kaiaphas genannten ‚Schriftgelehrten‘ und ‚Ältesten‘ identifiziert Joh mit den Pharisäern, „seeing the past in the light of the condition of his own day“ (Lindars, Komm. 404). Die Angabe, Kaiaphas sei „in jenem Jahre der (amtierende) Hohepriester gewesen“ (ürciereÜ" ën toú †niautoú †ke‡nou: V. 49), ist viel diskutiert worden, weil sie den Anschein erweckt, als sei Joh fälschlich der Meinung gewesen, daß es in Jerusalem wie an heidnischen Heiligtümern einen jährlichen Wechsel der Inhaber dieses Amtes gegeben habe (vgl. etwa Bauer, Komm. 156, Bultmann, Komm. 314, und Becker, Komm. II, 433 f). Doch mit Morris (Komm. 566) und Lindars (Komm. 406) scheint uns damit zu viel in die zitierte Wendung hineingelesen zu sein. Daß das Hohepriesteramt in Israel ein Amt auf Lebenszeit war, dürfte der auch sonst in Judaicis gut informierte Evangelist ebenso gewußt haben, wie daß gerade Kaiaphas im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Nachfolgern, die oft recht willkürlich von den Römern ab‑ und eingesetzt wurden, achtzehn Jahre lang, nämlich von 18–36, Hoherpriester war. Dabei ist es wohl kein Zufall, daß das Ende seiner Amtszeit mit derjenigen des Pilatus zusammenfällt, der wegen seines Überfalls auf die Samaritaner am Garizim durch den syrischen Legaten Vitellius seines Amtes enthoben und zum Rapport nach Rom bestellt wurde (vgl. Josephus, Ant 18,85 ff). Die lange Amtszeit des Kaiaphas spricht im übrigen wohl dafür, daß seine Kooperation mit Pilatus ziemlich reibungslos verlaufen sein muß, wie ja auch seine Stellungnahme in unserer Szene zumindest zugleich das Law-andOrder-Interesse der Römer vertritt. Darum ist es wohl kein Zufall, daß Vitellius alsbald auch den Jerusalemer Hohenpriester Kaiaphas absetzte. Auch die zweifache wörtliche Wiederholung der Wendung von V. 49. ürciereÜ" ën toú †niautoú †ke‡nou in 11,51 und 18,13 spricht nicht dafür, daß hier lediglich ein Irrtum gleich zweimal wiederholt würde. Sie verleiht der Wendung vielmehr besonderes Gewicht, so daß man sie mit Morris (ebd.) wohl so wiedergeben muß, daß Kaiaphas in jenem schicksalhaften Jahr der Kreuzigung Jesu Hoherpriester in Israel war. Daß Jesus „viele Zeichen tut“, hat sich bis zu den zum Synhedrium Versammelten herumgesprochen, und sie bezweifeln das nicht, sondern stellen es einfach nur fest: Was tun wir, während der doch viele Zeichen tut? Die Zeichen sind also nicht das Problem, sondern ihre Folgen, daß nämlich, wenn wir ihn so weitermachen lassen, schließlich alle auf Grund dieser Zeichen an ihn glauben werden, und daß dann womöglich die römischen Legionen anrücken „und uns den Tempel (t∙po") und das Volk nehmen“. Wie in 4,20 und Dtn 12,5 ist hier t∙po" wohl die fast technische Bezeichnung des Tempels als der heiligen Stätte Israels. Die Befürchtung der Versammelten setzt voraus, daß sie das Tun Jesu nach Analogie der von Josephus geschilderten „Zeichenpropheten“ gedeutet haben dürften, die für die Befreiung Israels vom römischen Joch kämpften (vgl. dazu Bittner 57 ff). Wie die Hohenpriester nach 12,10 f den Beschluß faßten, auch Lazarus zu töten, „weil um seinetwillen viele Juden hingingen und an Jesus glaubten“, so ist auch hier der Glaube vieler Juden an Jesus das eigentliche Ärgernis. 540
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11,48–50
50–53: In dieser Situation der Ratlosigkeit ergreift nun Kaiaphas das Wort: Implizit sagt er, wir lassen ihn eben nicht „so weitermachen“ (üfùmen a§t∙n), denn ihr habt ja nicht bedacht, daß es doch besser ist, einen Mann für das ganze Volk (la∙") sterben als um seinetwillen das ganze Volk (Ωlon tÖ ≤jno") zugrunde gehen zu lassen. Im Munde des Kaiaphas und als politisches Kalkül muß die Fügung ≠pÇr toú laoú natürlich die Bedeutung von „anstelle des Volkes“ haben. Doch hier liegt offenbar ein weiterer Fall der von Cullmann beobachteten Vorliebe unseres Erzählers für sein Spiel mit „doppeldeutigen Ausdrücken“ vor. Denn er kommentiert dieses Wort des Kaiaphas, das den Todesbeschluß des Synhedriums auslösen (†boule‚santo: V. 53) und Jesu irdisches Schicksal besiegeln sollte, sogleich so: „Das sagte er aber nicht aus eigenem Antrieb (üfû ©autoú), sondern weil er in jenem Schicksalsjahr Hoherpriester war, weissagte er (†profflteusen), denn Jesus sollte ja tatsächlich für das Volk (≠pÇr toú ≤jnou": zugunsten und zum Heil des Volkes) sterben, ja nicht nur für das Volk (Israel) allein, sondern auch dazu, daß er die zerstreuten Kinder Gottes zur Einheit zusammen führe (sunag›gÔh e¢" ∫n)“. Wie das ‚prophetische Wort‘ des Hohenpriesters zeigt, sind darin die Lexeme la∙" und ≤jno" als Synonyma gebraucht und können beide in dieser Situation nur auf das Volk Israel bezogen werden. Hier zeigt sich also einmal mehr die Vorliebe unseres Erzählers für den Gebrauch synonymer Ausdrücke. Darum muß – wie das Bultmann (Komm. 313) und Barrett (Komm. 403) ganz richtig sehen – auch die Aufnahme von ≤jno" im Kommentar des Erzählers (V. 52) auf Israel bezogen werden. Ob man dabei noch zwischen Israel als dem theokratischen la∙" und Israel hinsichtlich seiner zivilen Organisation als ≤jno" unterscheiden sollte, wie das u. a. Westcott und Hoskyns (Komm. z. St.) vorschlagen, kann man fragen. Es änderte aber jedenfalls nichts daran, daß beide Lexeme auf das Gottesvolk Israel bezogen werden müssen. Lindars macht darauf aufmerksam, daß die Wendung ≠pÇr toú ≤jnou in einigen patristischen Zitaten Augustins, Theodorets und des Chrysostomus sowie in einigen äthiopischen Texten fehle. Kaum zu Recht schließt er daraus, daß sie eine sekundäre Einfügung sei, die der Antizipation der V. 51 f diene; entsprechend beurteilt er auch 18,14 als eine spätere Glosse (Komm. 406 u. 547). Aufgrund einer breiten Untersuchung des Gebrauchs der beiden Lexeme la∙" und ≤jno" in der LXX und im außerjohanneischen Neuen Testament hat Pancaro (People 114 ff) der Synonymität von la∙" und ≤jno" entschieden widersprochen. Da aber nach Wittgensteins Dictum: „The meaning of a word is its use“, die Frage nicht lauten kann, ob die beiden Wörter von Haus aus Synonyma sind oder nicht, muß hier gefragt werden, ob Johannes sie als synonyme Lexeme gebraucht, was uns der Fall zu sein scheint, oder ob er das nicht tut. Pancaro fragt, warum denn der Erzähler die „ipsissima verba“ des Hohenpriesters über die Notwendigkeit von Jesu Sterben für den la∙" nicht wiederholt habe, sondern statt dessen von seinem Tod für das ≤jno" spreche. Dabei übersieht er aber, daß es sich bei den V. 51 f weder um ein Zitat noch um eine Interpretation des Kaiaphas-Wortes, sondern um einen höchst ironischen Kommentar darüber handelt. Dazu nimmt der Erzähler aus dem von Kaiaphas Gesagten nur das synonyme Stichwort ≤jno" auf. Wo er den Hohenpriester dagegen zitiert, wie in 18,14, sagt er korrekt la∙". Für das Nebeneinander der hier nach seinem Urteil keinesfalls synonymen Lexeme la∙" und ≤jno" beruft Pancaro sich auf Westcott, der es so interpretiert hatte: „St John does not repeat the word ‚people‘ [la∙"]. The Jews at this crisis had ceased to be a ‚people‘. They were a ‚nation‘ [≤jno"] only, as one of the nations of the world“ (Komm. 175). Pancaro übernimmt dieses antijudaistische Urteil und macht es zur Voraussetzung seiner Interpretation: „The condemnation and death of Jesus is, at the same time, the condemnation and death of the Jewish nation as a whole“ (123). Er übersieht
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aber nicht nur die Ironie des Erzählerkommentars, sondern auch die Doppeldeutigkeit von ≠pfir und erklärt darum apodiktisch: „Either Caiaphas prophesied that Jesus was to die for the Jews and the Gentiles, or he did not prophesy at all“ (122). Dabei schreibt er dem Lexem la∙" und dem Ausdruck tÅ tfikna toú jeoú eine merkwürdige „Doppeldeutigkeit“ zu. Im Munde des Kaiaphas bezeichne la∙" nämlich im traditionellen Sinne das Volk Israel und tfikna toú jeoú die Juden der Diaspora. Für den Evangelisten dagegen sei la∙" der „technische Name“ des „neuen Gottesvolkes“ aus Juden und Heiden als die Vereinigung aller zerstreuten Gotteskinder. Doch das im gesamten Corpus Iohanneum nur hier und in 18,14 im Munde des Kaiaphas vorkommende Lexem la∙" kann nicht als johanneischer terminus technicus für ein „neues Gottesvolk“ bezeichnet werden, von dem bei Johannes nirgendwo die Rede ist. Zudem hatte Kaiaphas ja gar nicht von den dieskorpismfina tfikna jeoú geredet. Das hatte vielmehr erst der Erzähler hinzugefügt, um damit zu bekunden, daß sich die Prophetie des Hohenpriesters tatsächlich erfüllt und mehr als erfüllt habe. Dagegen ist Pancaro zu dem Husarenstück genötigt, die Wendung des Kaiaphas: kaÑ mÉ Ωlon tÖ ≤jno" üp∙lhtai, als der Rede von den „verstreuten Gotteskindern“ äquivalent zu interpretieren (vgl. Morris, Komm. 568).
Von den tfikna toú jeoú ist in unserem Evangelium nur hier und im Prolog die Rede, wo gesagt war, daß der ‚Logos‘ denen, die an seinen Namen glauben, die Vollmacht gab, Gottes Kinder zu werden (≤dwken a§toõ" †xous‡an tfikna jeoú genfisjai: 1,12); vgl. 1Joh 3,1 f. 10 und 5,2. J. Becker, der wie oben gesagt, V. 51 f seinem „kirchlichen Redaktor“ zuschreibt, erklärt, daß Jesus hier im Unterschied zum universalen Horizont des Evangelisten „nur für Erwählte“ sterbe, „nämlich für das jüdische Heilsvolk und für die zuvor bestimmten Kinder Gottes aus den Völkern“ (Komm. II, 434). Wohl werden die Zerstreuten hier noch vor ihrer Sammlung e¢" ∫n bereits tfikna jeoú genannt, wie Jesus in 10,16 ja auch davon sprach, daß er noch andere Schafe habe, die nicht aus dieser a§lfl seien, die er leiten müsse: „und sie werden meine Stimme hören, und so wird eine Herde unter einem Hirten sein“. Wir haben oben z. St. unter Verweis auf Hofius (Sammlung) begründet, daß diese Hirtenpassage ebenso wie 11,52 als ein intertextuelles Spiel mit Jes 56,7 f begriffen sein will. Wie die „anderen Schafe“ ihre Entsprechung in den „zerstreuten Gotteskindern“ haben und wie die „eine Herde unter dem einen Hirten“ der Wendung sunag›gÔh e¢" ∫n entspricht, so dürfte a§lfl in 10,16 die Bezeichnung Israels sein und dem la∙" von 11,50 korrespondieren. Daß die Metapher von den „zerstreuten Schafen“ (Joh 10,12: skorp‡zw) schon Ez 34 und Sach 13,7, die Prätexte unserer Hirtenrede von Joh 10, prägt, haben wir oben bereits begründet. Auch Ezechiel drückt die Zerstreuung durch diasp›rw aus (34,5) und nicht durch diaskorp‡zw. Als den Schriftgrund dafür, daß Jesu Kreuzigung den Jüngern zum ‚Ärgernis‘ werden und ihre Flucht auslösen wird, zitiert Matthäus jedoch Sach 13,7: pat›xw tÖn poimfina, kaÑ diaskorpisjflsontai tÅ pr∙bata tö" po‡mnh" (26,31 = Mk 14,27). Daß Johannes diese Szene vertraut ist, zeigt Joh 16,32 (vgl. Lindars, Komm. 407). Darum ist Beckers Behauptung zu widersprechen, nach Joh 11,51 f sterbe Jesus nur für zuvor längst Erwählte. Denn sowenig nach Joh 1,12 der Glaube als die Bedingung angesehen werden darf, die einer erfüllen muß, damit er ein ‚Kind Gottes‘ werde (s. o. zu 1,12 sowie zu 6,43), sowenig darf die Rede von der Sammlung der zerstreuten Gotteskinder der unangemessenen Logik einer Lehre von der doppelten Prädestination unterworfen werden. Denn von Prädestination kann nicht in der Sprache der Aussagenlogik, sondern nur doxologisch gesprochen werden. Die Rede von der Sammlung der zerstreuten Gotteskinder widerspricht auch keineswegs dem universalen Erlösungshorizont des Evangelisten. Wir erinnern dazu an Jesu Tadel seiner 542
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11,50–54
pharisäischen Antagonisten in 9,41: „Wenn ihr wenigstens blind wäret, dann hättet ihr keine Sünde. Da ihr aber behauptet: ‚Wir sehen!‘, bleibt eure Sünde“ (9,41). Denn das kann, auf unsere Frage übertragen, ja nur heißen, daß potentiell alle Menschen ‚Gottes Kinder‘ sind, wie sie ja auch ausnahmslos alle ‚durch den Logos geschaffen wurden‘ (1,3). Darum ist die Vexierfrage, ob nur diejenigen der Stimme ihres guten Hirten zu folgen vermögen, die immer schon seine Schafe waren, oder ob das Hören seiner Stimme sie allererst zu seinen Schafen werden läßt, unbeantwortbar und muß es auch bleiben, solange unser ‚Erkennen Stückwerk ist‘ (1Kor 13,12). Wenn der Erzähler von Kaiaphas sagt, „er sprach prophetisch“, so erklärt er damit denjenigen, der doch in kaltem politischem Kalkül den Zweck das Mittel heiligen läßt, wider dessen Willen und ohne daß er es geahnt hätte, zum Werkzeug in der Hand Gottes, so daß Kaiaphas mit seinem vorgeschlagenen Unrecht in einem höheren Sinn auch noch Recht hat und dem Liebeswillen Gottes dienen muß. Zu derartigen prophetischen Weissagungen, die ohne Wissen und gegen den Willen der Sprechenden laut werden, hat Billerbeck rabbinisches Material gesammelt (II, 546). Und daß ein amtierender Hoherpriester die Gabe der Prophetie besitzt, sagt die Bibel zumindest indirekt in den Erzählungen von Eleasar (Num 27,21) und von Zadok, der David Gottes Urteil über ihn kund tun soll (2Sam 15,27 f). Philon als ungefährer Zeitgenosse unseres Evangelisten erklärt, daß jeder wahre Priester zugleich Gottes Prophet sei (spec. leg 4,192), und über Johannes Hyrcanus schreibt Josephus, Gott habe ihn mit drei der höchsten Privilegien begabt, nämlich mit der Führung des Volkes, dem Amt des Hohenpriesters und mit der Gabe der Prophetie (Ant 13,299; vgl. 11,327). Nach den vielen Versuchen und Plänen, Jesus zu beseitigen, führt das hohepriesterliche Wort des Kaiaphas nun zum definitiven Beschluß des Synhedriums: †boule‚santo ºna üpokte‡nwsin a§t∙n (V. 53). „The end of the narrative is the supreme irony of the Fourth Gospel. The religious authorities decide to kill Jesus because he gives life (cf. Acts 3,14–15). Yet his execution will be his glorification, the final revelation of the Resurrection and the Life“ (Schneiders, Death 56). Auch auf diesem merkwürdigen Umweg kommt das Heil mittels der prophetischen Stimme des Kaiaphas, weil der in jenem schicksalsträchtigen Jahr Hoherpriester war, von den Juden (4,22) und zu den Juden (≠pÇr toú laoú). 54: Abgesehen davon, daß dieser Todesbeschluß – worauf ja schon Nikodemus die Pharisäer nachdrücklich hingewiesen hatte (7,50 ff) – wiederum der Tora schroff widerspricht, weil er in Abwesenheit und ohne Anhörung des Beschuldigten gefaßt wurde, steht seiner Exekution einstweilen noch einiges entgegen. Zum einen nämlich war Jesus mittlerweile gar nicht mehr ‚greifbar‘, weil er nicht mehr öffentlich (parrhs‡a) unter den ûIoudaõoi auftrat, sondern sich von dort zurückgezogen hatte „in die Gegend nahe der Wüste, wo er sich mit seinen Jüngern in der Stadt namens ‚Ephraim‘ aufhielt“. Und zum anderen steht der Exekution des Todesurteils das Dilemma entgegen, in das sich das Synhedrium durch sein Urteil verwickelt hat. Auch wenn sein Urteil nämlich nach der Anhörung Jesu toragemäß nach Lev 24,16 ergangen wäre, wonach gilt: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muß er sterben, denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht“ (Joh 19,7), so könnten sie es dennoch nicht vollstrecken, weil die römische Besatzungsmacht ihnen das ius gladii entzogen hat: „Wir dürfen niemanden töten“ (18,31; s. u. z. St.). Sie sind also wohl oder übel auf die Kooperation mit dem im Volk verhaßten Römer Pilatus angewiesen. 543
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Eine ‚Stadt‘ (p∙li") namens ‚Ephraim‘ ist nicht sicher identifizierbar. Das zeigen schon die Differenzen in der handschriftlichen Textüberlieferung (s. o.): P66 * d und der Sinaisyrer lassen p∙li" aus und machen ‚Ephraim‘ so zum Namen der c„ra. Dabei mögen diese Schreiber wohl an das alte Gebiet des Stammes Ephraim rings um Bethel gedacht haben (Jos 16). Der Codex Bezae liest e¢" tÉn c„ran Samfour‡n. Das könnte eine korrupte Kontraktion des semitischen Ausdrucks µyrpa hmç (namens Ephraim) sein. Doch auch so könnte „Samphurim … nicht beanspruchen, ein ursprünglicher Teil des Textes zu sein, es würde aber etwas über den Ursprung von D verraten“ (Barrett, Komm. 404). Die des öfteren vorgeschlagene Konjektur, anstelle von ‚Samphurim‘ ‚Sepphoris‘ zu lesen, ist sicher verfehlt, denn nördlich von Nazaret in Galiläa gelegen ist Sepphoris viel zu weit entfernt und liegt auch nicht am Rande der Wüste. Die meisten neueren Kommentatoren identifizieren ‚Ephraim‘ mit dem 2Sam 13,23 genannten µyrpa (LXX: ûEfra‡m – v. l. Gofra⁄m), das auch Josephus kennt (Bell IV, 551) und das er, ebenso wie das ihm nahe gelegene Bethel, als ein „Städtchen“ (pol‡cnion) bezeichnet. Der Ort ist wohl mit dem biblischen hrp[ von Jos 18,23 und 1Sam 13,17 identisch. 1Makk 11,34 nennt dieses ursprünglich samaritanische Gebiet ûAfa‡rema. Der etwa 20 km nordöstlich von Jerusalem gelegene Ort heißt heute arabisch et-taijibeh. A. Guilding (Jewish Worship 150) sieht hier in den typologischen Entsprechungen zwischen Eleazar und Lazarus sowie zwischen Josua und Jesus ein intertextuelles Spiel mit Jos 24,29–33, wo von beider Tod und von ihrem Begräbnis im Gebirge Ephraim erzählt wird.
55–57: Wie in 2,13 und 6,4 bestimmt der Erzähler auch hier das Passafest als dasjenige ‚tùn ûIouda‡wn‘ (s. o. zu 2,13). Diese nähere Bestimmung des Festes als „Passa der Juden“ ist völlig neutral. Sie will als „Ausdruck der Kommunikation zwischen Autor und implizitem Leser“ und keinesfalls in dem Sinne verstanden sein, als solle damit eine Distanzierung der ‚Christen‘ vom Judentum und seinen Festen ausgedrückt werden. Eher ist schon daran zu denken, daß der Autor hier auch potentielle heidnische Leser seines Evangeliums im Blick hat. Denn in der „Außenperspektive“, das heißt, wenn Juden zu Heiden reden oder auch für Heiden schreiben, wie etwa Josephus, bezeichnen sie ihr Volk als o´ ûIoudaõoi und Jüdisches als ûIoudaÂk∙" (Bell. I, 209; III, 401; IV, 99; VII, 150; Ant. I, 95; XII, 20.36; XIII, 243.258.319 u. ö.; siehe auch 2Makk 12,40 und vgl. Tomson; G. Harvey, True Israel 276 ff sowie Augenstein, Gesetz 165). Auf der Ebene unserer Erzählung dient die Rede vom „Passa der Juden“ jedoch primär der Motivation des Pilgerwegs der vielen Juden aus dem Lande „hinauf nach Jerusalem“ und ihrer Absicht, sich dort vor dem Fest entsprechend zu „heiligen“. Denn es ist ja ihr (der Juden) hohes Fest, das dort gefeiert wird (vgl. Morris, Komm. 569) und zu dessen Feier auch der Jude Jesus mit seinen jüdischen Jüngern „hinaufzieht nach Jerusalem“. Und das Fest heißt auch darum das „Passa der Juden“, weil von seiner Feier alle Nichtjuden streng ausgeschlossen sind. Von einem freilich ungewöhnlichen Passafest, wohl im Jahre 66 während der Belagerung Jerusalems, schreibt Josephus: „Da nun gerade das sogenannte Passahfest begann, an dem von der neunten bis zur elften Stunde geopfert wird – um jedes Opfer sind nicht weniger als zehn Männer wie eine Bruderschaft versammelt, denn einer allein darf nicht essen, oft versammeln sich auch zwanzig – und so zählte man 255 600 Opfertiere. Das macht, um nur zehn für jedes Opfer anzusetzen, 2 700 000 Teilnehmer, alles reine und geweihte Personen (kajarùn ®p›ntwn kaÑ ®g‡wn), denn Aussätzige, Samenflüssige, in der monatlichen Reinigung befindliche Frauen sowie anderweitig Unreine durften nicht an diesem Opfer teilnehmen, ebensowenig wie Nichtjuden, die sich zum Gottesdienst eingefunden hatten“ (Bell. VI, 423–427; vgl. dazu Jeremias, Jerusalem 89). Auch wenn die Situation, in der dieses ‚Kriegs-Passa‘ begangen wurde, höchst ungewöhnlich und die exorbitante Zahl seiner Teilnehmer zweifelhaft sein mag, war die Menge der Festpilger auch in ‚normalen‘ Jahren sehr groß. Aufgrund aller uns zugänglichen Zeugnisse hat J. Jeremias vorsichtig geschätzt, daß durchschnittlich etwa 100.000 Pilger zum Passa nach Jerusalem kamen,
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in eine Stadt mit etwa 25.000 einheimischen Bewohnern (Abendmahlsworte 36; vgl. ZDPV 66, 24 ff). Da muß das Gedränge in den engen Gassen der Stadt und zumal im Tempelbezirk schon überwältigend gewesen sein. Und es wird verständlich, daß die Pilger frühzeitig zur Stelle sein mußten, wenn die nach 2Chr 30,17; Num 9,10 u. ö. für ihre Reinheit und Heiligung notwendigen Riten vor Festbeginn vollzogen sein sollten (vgl. Bill. II, 547).
Es ist nach 2,13 ff und 6,4 ff das dritte Passafest, von dem das Evangelium jetzt berichtet. Jede dieser drei Erzählungen wird mit der stereotypen Wendung eröffnet: „Es war aber nahe das Passa der Juden“. Doch dieses bei Johannes singuläre Erscheinen dreier Passafeste an Stelle des einen, von dem die Synoptiker erzählen, darf nicht als historisches Indiz dafür genommen werden, daß Jesu öffentliche Wirksamkeit 2–3 Jahre gewährt habe. Eher scheint uns hier die dichterische Freiheit unseres Evangelisten am Werk gewesen zu sein. Denn wie er die Ereignisse der einen Passionswoche aus dramaturgischen Gründen über sein gesamtes Evangelium verteilt hat (s. o. zu 10,22 ff), so hat er auch das eine Passafest seiner synoptischen Prätexte gewissermaßen verdreifacht. Durch die Wendung von der „Nähe des Passafestes“ in dessen Licht gestellt, erzählt er von der Tempelreinigung und von Jesu geheimnisvollem Wort über die Zerstörung und Neuerrichtung des Tempels binnen dreier Tage, womit Jesus – wie der Erzähler anmerkt – vom „Tempel seines Leibes“ gesprochen hatte, bereits im zweiten Kapitel (2,12 ff). Und auch das sechste Kapitel ist durch eben diese Wendung (6,4) ins Licht der synoptischen Passawoche getaucht, wenn der Erzähler da Jesu Lebensbrotrede in dem Wort gipfeln läßt: „Ich bin das vom Himmel herabgekommene ‚lebendige Brot‘, und dieses Brot ist mein für das Leben der Welt dahingegebenes Fleisch“ (6,51), und ihn danach mit den Texten der synoptischen Einsetzung des Herrenmahls spielen läßt (6,52 ff). So hat er aus dem Markusevangelium, das Kähler treffend als eine „Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“ bezeichnet hatte, sein „Passionsevangelium“ (Wilkens, Entstehungsgeschichte 123 ff) gestaltet. – Hinter der Wendung der Menge: „Er wird doch gewiß nicht zum Fest hierher kommen!“ (o§ mÉ ≤ljÔh e¢" tÉn ©ortfln), steckt gewiß bereits deren Wissen darum, daß die Pharisäer eine Fahndung nach ihm erlassen hatten (V. 56 f). (6) Jesu Salbung durch Maria (12,1–8) 1
Sechs Tage vor dem Passafest kam Jesus nach Bethanien, wo Lazarus lebte, den Jesus von den Toten erweckt hatte. 2 Und dort bereiteten sie ihm ein festliches Mahl. Martha bediente (die Gäste). Lazarus aber war unter denen, die mit ihm zu Tische lagen. 3 Da nahm Maria ein Pfund echten und sehr kostbaren Nardenöls. Damit salbte sie Jesu Füße und mit ihren Haaren trocknete sie seine Füße. Da aber wurde das ganze Haus vom Duft des Salböls erfüllt. 4 Judas jedoch, der Iskariote, derjenige seiner Jünger, der ihn ausliefern sollte, wandte ein: 5 Warum ist denn dieses (kostbare) Öl nicht für dreihundert Denare verkauft und (der Erlös) den Armen gegeben worden? 6 Das sagte er freilich nicht, weil ihm an den Armen gelegen gewesen wäre, sondern weil er ein Dieb war, der als der Verwalter der Reisekasse die Einlagen beiseite schaffte. 7 Doch Jesus erwiderte: Laß sie (gewähren), denn sie hat es für den Tag meines Begräbnisses aufbewahrt. 8 Die Armen habt ihr ja stets bei euch, mich aber habt ihr nicht alle Zeit (in eurer Mitte). 545
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1f: Entgegen der Erwartung derer, die während der Tage der Bereitung für das Fest, nach Jesus Ausschau halten, auch wenn sie der Meinung sind, daß er es angesichts der synhedrialen Verhaftungsorder kaum wagen wird, in Jerusalem zu erscheinen, kehrt Jesus „sechs Tage vor dem Passa“ nach Bethanien zurück. Der Erzähler bezeichnet das nur drei Kilometer von Jerusalem entfernte Bethanien als den Ort, „wo Lazarus lebte, den Jesus von den Toten erweckt hatte“. Wegen der Wendung, Lazarus sei einer von denen gewesen, „die mit Jesus zu Tische lagen“ (ünakeimfinwn sÜn a§tù), haben wir oben †po‡hsan a§tù deõpnon mit „sie bereiteten ihm ein festliches Mahl“ übersetzt. Denn während die gewöhnlichen täglichen Mahlzeiten im Sitzen eingenommen wurden, waren Festmahle oder rituelle Mahlzeiten wie das Passamahl dadurch ausgezeichnet, daß die Teilnehmer zu Tische lagen (vgl. Jeremias, Abendmahlsworte 42 f). Und zumal im Anschluß an 11,44 über keinerlei Reaktion der Betroffenen auf das Wunder berichtet worden war, ist die buchstäbliche ‚Wiedergeburt‘ des Lazarus jetzt doch wohl Grund genug, sie mit einem festlichen Mahl zu feiern. Daß es dabei Martha ist, die ihre Gäste bediente (dihk∙nei), weiß der Leser bereits aus dem lukanischen Prätext: ™ dÇ M›rja periespôto perÑ pollÉn diakon‡an (Lk 10,40). „Sechs Tage vor dem Passa“ kommt Jesus erneut nach Bethanien. Wie Jesu öffentliches Wirken durch eine minutiöse Zählung von sechs Tagen eröffnet wurde (s. o. zu 1,19 ff), die in dem Weinwunder von Kana als Prolepse seiner „Stunde“ gipfelten, so ist nun auch seine letzte Woche durch deutliche Markierungen ihrer Tage geprägt. Die Salbung in Bethanien eröffnet diese Woche, und durch 12,7 ist dieser erste Tag fest mit dem letzten verknüpft, mit dem Tag von Jesu Begräbnis am Abend vor dem Beginn des Passafestes: 19,14.31.42. Diese rahmende Verknüpfung der Salbung in Bethanien mit dem Begräbnis Jesu hat in Mk 14,3–8 und 15,42–46 ihre Entsprechung. Alles, was nach dieser Salbung „über Jesus kommen sollte“ (p›nta tÅ †rc∙mena †pû a§t∙n: 18,4), geschah noch vor Anbruch des Passafestes, das nach 19,31.42 in diesem Jahr mit einem Sabbat begann. Dann dürfte also auch das bethanische Festmahl und Jesu Salbung zu seinem Begräbnis an einem Sabbat erfolgt sein. Mit der aus 1,29.35.43 bekannten Wendung tÔö †pa‚rion wird in V. 12 dann der zweite Tag markiert. Es ist der Tag des triumphalen Einzugs Jesu in Jerusalem als des basileÜ" toú ûIsrafll (12,13). Die nächsten temporalen Markierungen des nun wohl dritten Tages mit dem letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern erscheinen dann 13,1 und 30. Da die Tage vom Abend her gezählt werden, eröffnet Jesu lange Abschiedsrede (13,31 ff) den vierten Tag. Der fünfte ist dann der Tag der Gefangennahme Jesu (18,1 ff) und der sechste endlich, durch én dÇ paraskeuÉ toú p›sca (19,14) markiert, ist der Tag seiner Kreuzigung und seines Begräbnisses (vgl. Olsson, Structure 23 f; sowie die Komm. von Westcott, Barrett und Brown z. St.). Wie sich schon die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus als intertextuelles Spiel mit den synoptischen Erweckungs-Szenen und mit dem lukanischen Gleichnis vom ‚armen Mann und dem reichen Lazarus“ (Lk 16,19–31) erwiesen hatte, so hat M. Sabbe (Anointing) u.E. schlüssig begründet, daß auch diese Salbungserzählung ihren Hintergrund in den synoptischen Evangelien hat und gezeigt, daß ihr nicht eine mutmaßliche „vormarkinische“ Quelle oder ein Stück der sogenannten „mündlichen Tradition“ zugrunde liegt, wie das je auf ihre Weise etwa Mohr (Markuspassion 129 ff) oder Fortna (Predecessor 139 ff) zu begründen versuchten, sondern daß sie vielmehr ohne derartige Konstrukte als eine genuin johanneische Bildung und als intertextuelles 546
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12,1–3
Spiel mit den nicht nur postulierten, sondern ja tatsächlich vorhandenen Erzählungen von Mk 14,3–11 / Mt 26,6–13 sowie von Lk 7,36–50 begriffen sein will (vgl. Thyen, Die Erzählung). Dabei verfährt Sabbe im wesentlichen nach der eingeschliffenen und an der Synoptiker-Exegese bewährten „redaktionsgeschichtlichen Methode“. Er ist darum vorwiegend an der Genese und Entwicklung der Erzählung interessiert. Das hat zwar den unschätzbaren Vorteil, daß er auf diese Weise die ‚Abhängigkeit‘ des Johannes von den literarischen Werken der Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas und nicht etwa nur von einer vagen „synoptischen Tradition“ zu erweisen vermag. Wenn wir demgegenüber jedoch versuchen, diese ‚Abhängigkeit‘ unter dem Gesichtspunkt der Intertextualität zu begreifen, so bedeutet das, daß diese Prätexte stets mitgelesen sein wollen. Denn der ‚Witz‘ solcher Intertextualität besteht ja gerade darin, daß der Sinn des neuen Textes in diesem „Inter“ (Zwischen) erscheint. Wie oben bereits gesagt, hat Johannes nicht nur das Haus der Geschwister deshalb im Jerusalem nahen Bethanien lokalisiert, sondern zugleich auch noch die merkwürdige Handlungsweise der ‚stadtbekannten Sünderin‘ aus der Erzählung von Lk 7,36 ff auf Maria übertragen, indem er sie Jesu Füße salben und mit ihren Haaren abtrocknen läßt. Daß Lukas unser Markusevangelium nicht nur kennt, sondern daß er es als die gewichtigste seiner in 1,1 genannten Quellen durchgehend benutzt hat, ist wohl unbestritten. Im konkreten Fall sehen wir in der Erzählung von der stadtbekannten Sünderin, die Jesu Füße mit ihren Tränen wäscht, sie danach mit ihren Haaren trocknet und ihn (seine Füße?) endlich aus dem ül›bastron m‚rou salbt, eine durch und durch lukanische Bildung, die freilich intertextuell mit Mk 14,3–11 spielt, weshalb es auch kein Zufall ist, daß er diese bereits hier verarbeitete Episode dann innerhalb seiner Passionserzählung ausläßt (vgl. dazu Sabbe, ebd. 2068 ff). Ob die Frau nach dieser ‚Fußwaschung‘ Jesu Haupt, wie bei Mk und Mt, oder seine Füße gesalbt hat, ist nicht ganz klar. Denn einmal hat die Wendung kaÑ ≥leifen tù m‚rw (Lk 7,38) kein explizites Objekt, und zum anderen fehlt in V. 46 bei den Zeugen D W 079 it das Objekt toÜ" p∙da" mou. Daraus hat K. Weiss (Westlicher Text 241–245) geschlossen, die ursprüngliche Lesart in V. 46 sei ≥leiyen a§tfln gewesen und erst unter dem Einfluß von Joh 12 hätten dann spätere Abschreiber dieses a§tfln durch toÜ" p∙da" mou ersetzt. 3: Maria, die schon in Lk 10,39 prÖ" toÜ" p∙da" toú kur‡ou saß, während Martha sich der diakon‡a hingab, wendet sich auch hier wieder den Füßen Jesu zu, die sie nun mit kostbarem Nardenöl salbt. Anstelle der Alabasterflasche (ül›bastron m‚rou: Mk 14,3 / Mt 26,7 / Lk 7,37) läßt Johannes Maria hier eine l‡tra m‚rou n›rdou pistikö" polut‡mou herbeibringen, um Jesu Füße damit zu salben. Die l‡tra, in Übersetzungen meist mit „Pfund“ wiedergegeben, ist ein römisches Maß von 327 Gramm. Das Lexem begegnet im NT nur hier und – ebenfalls im Zusammenhang der Salbung, nunmehr aber des Leichnams Jesu – Joh 19,39. n›rdo" ist wohl ein semitisches Lehnwort. Es ist der Name einer in Indien gedeihenden Pflanze und zugleich die Bezeichnung eines aus ihren Wurzeltrieben gewonnenen öligen und sehr kostbaren Parfüms, dessen Wert im konkreten Fall Judas, der sich auf solche Dinge zu verstehen scheint, sogleich mit ‚dreihundert Denaren‘ beziffern wird (V. 5). Der ‚Denar‘ ist eine römische Silbermünze, deren Wert dem Lohn für die Arbeit eines ganzen Tages entspricht. Sicher zu Unrecht schreiben f 13 1424 pc anstelle von „dreihundert Denare“ nur „zweihundert“ (diakos‡wn), denn der Erzähler dürfte hier mit den ‚dreißig Silberlingen‘ von Mt 26,15 spielen. 547
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Zu dieser Ersetzung der Alabastervase durch die Maßangabe l‡tra erklärt Sabbe: „The use of a measure of weight l‡tra instead of the alabaster vase corresponds to the Johannine preference for numbers and in particular to his similar interest for the amount of spices used for the burial of Jesus in 19,39 (Æ" l‡tra" ©kat∙n)“ und verweist für diese joh. Vorliebe für Zahlen auf Joh 6,7; 6,10; 11,18; 12,5; 19,39 ff; 21,8.11 im Vergleich mit den entsprechenden synoptischen Texten (ebd. 2060). Heißt es in Mk 14,3 von der anonymen Frau: ≤cousa ül›bastron m‚rou n›rdou pistikö" poluteloú", so schreiben Mt 26,7: ≤cousa ül›bastron m‚rou barut‡mou sowie Lk 7,37 von der notorischen Sünderin: kom‡sasa ül›bastron m‚rou, und Johannes von Maria: laboúsa l‡tran m‚rou n›rdou pistikö" polut‡mou. Diese drei Varianten des Markustextes sind, wie Sabbe zeigt, plausibel als dessen selbständige redaktionelle Bearbeitungen durch den jeweiligen Evangelisten, sein Erzählinteresse und seinen individuellen Sprachgebrauch zu erklären und bedürfen keiner zusätzlichen Quellenhypothese. Und das gilt vor allem, weil das Lexem pistik∙" (hier wohl mit der Bedeutung ‚echt‘, ‚unverfälscht‘) in der gesamten griechischen Literatur nur hier und Mk 14,3 sowie bei solchen Autoren begegnet, die sich auf diese Texte beziehen (vgl. Barrett, Komm. 407 f). Sehr eindrucksvoll, doch leider ohne den Reiz des intertextuellen Spiels zu erkennen, führt Barrett (ebd. 404–410) den Nachweis für die Abhängigkeit unserer Salbungserzählung sowohl von Mk 14 als auch von Lk 7. Am gründlichsten und in Auseinandersetzung mit nahezu der gesamten neueren Literatur hat Dauer (Johannes und Lukas 126–206 und in den Anmerkungen dazu: 367–410) die Relation zwischen der johanneischen und der lukanischen Salbungserzählung untersucht, leider jedoch mit dem Vorurteil der Unabhängigkeit des vierten von den drei älteren Evangelien, so daß er ständig irgendwelche „Vor‑ oder „Zwischenstufen der Tradition“ bzw. mutmaßliche „Sonderquellen“ postulieren und konstruieren muß (vgl. Thyen, Die Erzählung).
Die eigentliche Wendung unserer Erzählung dem Prätext ‚Markus‘ gegenüber liegt nun darin, daß Maria nicht wie jene anonyme Frau ein Alabastergefäß zerbricht, um mit dessen kostbarem Inhalt nun das Haupt Jesu zu salben (katficeen a§toú tö" kefalö"), sondern daß sie die erhebliche und höchst wertvolle (polut‡mou) Menge des echten Nardenöls dazu nutzt, Jesus damit die Füße zu ‚waschen‘, wie es die Sünderin bei Lukas mit ihren Tränen tat, um die so gewaschenen Füße dann, wie jene Frau, mit ihren Haaren zu trocknen, so daß das ganze Haus vom Duft des Öles erfüllt wurde. Dieser Duft, der das Haus erfüllt, unterstreicht zum einen das Luxuriöse dieser ungewöhnlichen „Fußwaschung“ und motiviert damit den folgenden Protest des Judas gegen solche Verschwendung. Zum anderen aber bringt dieser Zug unserer Erzählung fraglos symbolische Obertöne zum Erklingen: Er ist im Blick auf den unmittelbar folgenden öffentlichen Einzug Jesu in Jerusalem als des basileÜ" toú ûIsrafll (12,13) wohl ein intertextuelles Spiel mit Cant 1,12: ∫w" oñ ¨ basileÜ" †n ünakl‡sei a§toú, n›rdo" mou ≤dwken £smÉn a§toú, und zudem eine Art ‚Ersatz‘ für Mk 14,9 / Mt 26,13 (vgl. Bauer, Komm. 159). War dort nämlich explizit erklärt: „Wo immer dieses Evangelium in der ganzen Welt verkündet wird, da wird man zu ihrem Gedächtnis auch erzählen, was sie getan hat“, so kündet hier der sich ausbreitende Duft des Salböls von ihrem Tun. Bauer zitiert dazu ebd. Theodor von Heraclea: toú dÇ o¥kou plhrwjfinto" tö" †k toú m‚rou e§wd‡a" sumbolikù" †pede‡knuto †keõno, Ωper pneumatikù" o§k e¢" makrÅn üpotelesjönai ≥mellen: e§jÜ" gÅr metÅ tÖ p›jo" tö" Cristoú e§wd‡a" ™ s‚mpasa o¢koumfinh øsper mfiga" o¥ko" †plhr„jh m‚rou. tù to‡nun a¢sjhtù tÖ nohtÖn †keõnon proemflnue: toú gÅr s„mato" a§toú ül›bastron dikhn †kkenthjfinto" ™ tö" gn„sew" e§wd‡a tÖn Ωlon †plflrwse k∙smon (Catene 322,20 = Reuss, Joh-Komm. 110 [Nr. 174]).
Zugleich hat Johannes mit dieser Erzählung von der ungewöhnlichen und luxuriösen „Waschung“ der Füße des k‚rio" durch seine ergebene do‚lh Maria (vgl. 13,12–17) 548
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12,3–6
ein Gegenstück geschaffen zur Waschung der Füße der Jünger durch ihren ‚Herrn‘ (13,1–11; s. u. z. St. u. vgl. Sabbe, ebd. 2081). Diese letztere Fußwaschung entspricht auch darin dem Tun der Frau von Lk 7 und demjenigen Marias in unserer Szene, daß sie nicht vor, sondern während der Mahlzeit vorgenommen wird. Das widerspricht allen Bräuchen ritueller Reinigungen, die wir kennen. Nach Mk 7,3 / Mt 15,2 kann man für die Zeit des NT voraussetzen, daß vor den Mahlzeiten Füße und Hände gewaschen werden. Für eine entsprechende rituelle Waschung allein der Füße haben wir keine Belege (vgl. Kötting 751 ff). Dagegen ist in der Welt der Antike ebenso wie im Alten Testament und im Judentum der Brauch verbreitet, als Zeichen der Gastfreundschaft Gästen Wasser zum Waschen ihrer Füße zu reichen (vgl. Gen 18,4; 19,2; 24,32; 43,24; Jdc 19,21). In diesem Sinn tadelt Jesus seinen Gastgeber Simon, daß er ihm kein Wasser gereicht habe, seine Füße zu waschen (Lk 7,44). Bei der Brautwerbung Davids um Abigail erklärt diese den zur Werbung gesandten Knechten Davids „Siehe deine Magd (hma – LXX: do‚lh) ist bereit, deine Dienerin zu sein und den Knechten meines Herrn die Füße zu waschen“ (1Sam 25,41). Reichte Abraham nach Gen 18,4 den drei Männern der Gotteserscheinung von Mamre nur das Wasser zum Waschen ihrer Füße, so verrichtet er diesen Dienst am Erzengel Michael nach TestAbr III gemeinsam mit Isaak persönlich (Gen 18) und lädt ihn ein zum Mahl und zum Bleiben. Als Joseph das Haus des Priesters Pentephres betritt, wird er mit einer Fußwaschung empfangen (JosAs 7,1; vgl. 20,1–5 und siehe Burchard [JosAs] jeweils z. St.). Nach 1Tim 5,10 soll eine Frau nur dann in den Stand der Witwen aufgenommen werden, wenn sie neben anderen Bedingungen – wohl ebenfalls als Zeichen der Gastfreundschaft – „den Heiligen die Füße gewaschen hat“. „Die Waschung der Füße ist in der Antike ein verachtenswerter Sklavendienst. Ein jüdischer Diener durfte zu solchem Sklavendienst nicht gezwungen werden. Deshalb war im jüdischen Bereich die Fußwaschung nur als Arbeit nichtjüdischer Sklaven bekannt. Die Fußwaschung kann aber nicht nur das Verhältnis Sklave – Herr ausdrücken, sondern kann auch, wenn sie freiwillig geschieht, die Liebe zwischen zwei freien Personen darstellen. So ist es in Israel die Frau, die ihrem Mann aus Liebe – so zumindest als Motivangabe in unseren Quellen – die Füße wäscht. Auch den Kindern erwächst aus Kinderliebe und schuldiger Ehrerbietung die Pflicht, dem Vater die Füße zu waschen. Ehrerbietung soll auch darin ausgedrückt werden, daß Schüler ihrem Lehrer bzw. Rabbi die Füße waschen“ (Augenstein, Liebesgebot 31). Jenseits aller levitischen Reinigungen haben wir es also in Lk 7; Mk 14 parr.; Joh 12,3 ff und Joh 13 (vgl. 13,1) mit solchen Liebeserweisen zu tun.
4–6: Schon im Zusammenhang der Rede vom Lebensbrot hatte der Erzähler Jesu Wort: „Es sind aber einige unter euch, die nicht glauben“, so kommentiert: „Denn Jesus wußte von Anfang an, daß da einige waren, die nicht glaubten, und wer der war, der ihn verraten sollte“ (6,64). Und als Jesus dann den Zwölfen sagte: „Einer unter euch ist ein Teufel“, da weiht der Erzähler seine Zuhörer mit diesen Worten ein: „Damit hatte er von Judas, dem Sohn Simons, des Iskarioten, gesprochen, der ihn ausliefern sollte, und der war einer von den Zwölfen“ (6,70 f). Nach dieser ausführlichen und 13,2 sowie 13,26 wiederholten Kennzeichnung des Judas als des Sohnes Simons (toú S‡mwno"), des Iskarioten (ûIskari„tou), ist hier nun der Vatername ‚Simon‘ ausgelassen und statt seiner Judas selbst als ‚Iskariot‘ bezeichnet (ûIo‚da" ¨ ûIskari„th"). Die Lesart einiger Zeugen, nämlich a Q f 13 syh mg, die in 6,71 anstelle von ûIskari„tou die präpositionale Fügung üpÖ Kari„tou bieten, könnte ein Hinweis auf die mögliche Bedeu549
11,1–12,11
Zweite Hälfte des vierten Aktes
tung des Beinamens ‚Iskariot‘ sein und zugleich dessen Übertragung von dem Vater auf den Sohn erklären: Denn wie sein Vater stammte Judas dann als ein twyrq çya, ein ‚Mann aus Kerioth‘, aus dem Jos 15,25 genannten judäischen Ort ‚Kerioth‘ (vgl. Barrett, Komm. 317; anders Limbeck, Art, ûIskari„q; u. Gärtner, Rätselhafte Termini 62 ff, die trotz der doch eindeutigen Wendung üpÖ Kari„tou (6,71) das Lexem von rqç [täuschen, die Treue brechen] ableiten wollen. Waren es in Mk 14,4 ‚einige aufgebrachte Leute‘ (tine" üganaktoúnte"), die im Stillen (prÖ" ©auto‚") die Verschwendung des kostbaren Öls geißelten, so sind aus diesen unbestimmten tine" bei Matthäus die verärgerten Jünger geworden (o´ majhtaÑ °gan›kthsan lfigonte": 26,8), und endlich hat Johannes, der es liebt, konkrete einzelne Sprecher zu benennen, denjenigen, der Jesus ‚ausliefern sollte‘, nämlich Judas, zum Tadler der Verschwendung gemacht. Zugleich läßt der Erzähler seine Zuhörer/Leser aber wissen, daß des Judas Engagement für die Armen ein scheinheiliger Vorwand für seine eigene Geldgier ist: „Das sagte er freilich nicht, weil ihm an den Armen gelegen gewesen wäre, sondern weil er ein Dieb war, der als der Verwalter der Reisekasse die Einlagen beiseite schaffte“. Dennoch will beachtet sein, daß Johannes Judas stets als denjenigen bezeichnet, der Jesus „ausliefern sollte“, und ihn nie wie Lukas (6,16) den „Verräter“ (prod∙th") nennt. Auch bietet Johannes weder die Erzählung von den drei‑ ßig Silberlingen, um die Judas nach Mt 26,15 käuflich gewesen sein soll (vgl. Mk 14,10 und Lk 22,3–6, wo es nicht Judas ist, der auf diesen „Judaslohn“ aus ist, sondern wo es die Hohenpriester sind, die ihm eine Belohnung versprechen), noch die vom „Judaskuß“ (Mt 26,47 ff; Mk 14,44 f; Lk 22,47 f), ja auch die Erzählung vom Selbstmord des Judas (Mt 27,3 ff) oder von dem schrecklichen göttlichen Strafgericht, das den Verräter „mitten entzwei bersten ließ, so daß alle seine Eingeweide heraustraten“ (Act 1,15 ff), sucht man bei Johannes vergeblich. Vielmehr hat Jesus nach Joh 6,70 f im Wissen um alles, was ihm widerfahren sollte, Judas als einen der Zwölf von vorneherein dazu erwählt, daß der ihn ausliefern sollte. In diesem Sinn bietet K. Beckmann (Funktion u. Gestalt des Judas) eine bedenkenswerte Gegenlektüre zur gängigen Interpretation der Figur des Judas, die „mittels kollektiver Übertragung des doppelten Stigmas von Geldgier und Verrat auf ‚die Juden‘ eine in unserem Jahrhundert gipfelnde Wirkmächtigkeit furchtbarster Art und unvorstellbaren Ausmaßes entfaltet“ hat (ebd. 188 f). 7: Die Formulierung: ±fe" a§tÉn ºna e¢" tÉn ™mfiran toú †ntafiasmoú mou thrflsÔh a§t∙, ist schwierig. Die Herausgeber von Nestle/Aland26 f haben nach dem ±fe" a§tÉn wohl ganz richtig ein Komma gesetzt, so daß man paraphrasieren muß: Laß sie in Frieden! Sie hat das Nardenöl nämlich darum nicht verkauft, weil sie es für den Tag der Bereitung zu meinem Begräbnis aufbewahren wollte. Und dieser Tag im Haus der bethanischen Geschwister ist der Tag des †ntafiasm∙". Denn der Einspruch des Judas verlöre ja all seine Kraft und seinen ‚Witz‘, wenn man, wie etwa Zahn (Komm. 504) und Bauer übersetzen wollte: Nun laß sie doch den Rest der Narde für den Tag meines Begräbnisses aufbewahren! Zwar erklärt Bauer treffend, die Rede von einem Rest vertrage sich „gleich schwer mit a§t∙ wie mit V. 3“, dennoch aber soll sie „den Sinn des Evangelisten treffen, der den synoptischen Gedanken, daß der Tat prophetische Bedeutung zukomme, nicht mehr begriff “ (Komm. 159). Doch wer hier was „nicht mehr begriff “ ist ja gerade die Frage! Jedenfalls ist von irgendeinem Rest des Salböls nirgendwo die Rede. Die Pointe der Erzählung ist ja gerade die restlose Verschwendung der kostbaren Narde für diese seltsame ‚Fußwaschung‘. Darum kann †ntafiasm∙" 550
Sechste Szene: Die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus
12,5–11
hier nicht das Begräbnis bezeichnen, sondern muß Ausdruck der ihm vorausgehenden Einbalsamierung sein (vgl. Moloney, Komm. 357). Ob diese Interpretation von V. 7 allerdings ein Denkverbot den genannten symbolischen Obertönen einer königlichen Salbung gegenüber impliziert – „rejects the idea that the anointing is in some way royal“ (Maloney ebd.) – scheint uns indessen höchst fragwürdig zu sein, denn das Symbol gibt unbegrenzt zu denken (Ricœur). 8: Unbeschadet der bleibenden Forderung der Tora, sich der Armen in ihrer Not, der Witwen und Waisen in ihrer Einsamkeit solidarisch anzunehmen, die zu erfüllen Jesu Jünger allezeit Gelegenheit haben, gibt es hin und wieder gewichtigere Dinge, die unaufschiebbar an der Zeit sind: „Mich aber habt ihr nicht alle Zeit in eurer Mitte“. Darum hat Maria zur rechten Zeit das Eine getan, „das not ist“, darum hat sie tÉn ügaqÉn mer‡da erwählt, der nicht von ihr genommen werden soll (Lk 10,42), darum wird man, wo immer das Evangelium in der ganzen Welt verkündet wird, von dem erzählen, was sie getan hat, „zu ihrem Gedächtnis“ (Mk 14,9). (7) Beschluß der Hohenpriester, auch Lazarus zu töten (12,9–11) 9
Alsbald erfuhr die große Menge der Juden, daß er dort sei, und sie kamen nicht allein um Jesu willen, sondern auch, um Lazarus zu sehen, den er von den Toten erweckt hatte. 10 Da faßten die Hohenpriester den Beschluß, auch Lazarus zu töten, 11 weil seinetwegen viele Juden hingingen und an Jesus glaubten. Mit dieser letzten Nennung des von den Toten erweckten Lazarus und dem Beschluß der „hohepriesterlichen Brüder des reichen Mannes“, tdie doch „Mose und die Propheten haben“ (Lk 16,30 f), nun auch Lazarus zu töten, weil er zum lebendigen und in ihren Augen bedrohlichen Zeugen des Glaubens an Jesus geworden ist, beschließt unser Erzähler seine Geschichte von den bethanischen Geschwistern und „Freunden“ Jesu.
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem, sein letzter öffentlicher Aufruf und ein Epilog dieses vierten und zentralen Aktes (12,12–50) (1) Einzug in Jerusalem (12,12–19) 12
Als am folgenden Tag die große Volksmenge, die zum Fest gekommen war, vernahm, daß Jesus nach Jerusalem komme, 13 brachen sie Palmzweige ab, zogen zu seinem Empfang hinaus und riefen laut aus: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König Israels!14 Jesus aber fand ein Eselsfüllen und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: 15 Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe dein König kommt (zu dir); er sitzt auf dem Füllen einer Eselin. 16 Dies begriffen seine Jünger damals noch nicht, doch 551
12,12–50
Zweite Hälfte des vierten Aktes
als Jesus verherrlicht worden war, da erinnerten sie sich, daß dieses über ihn geschrieben stand und daß sie (die Leute) ihm solches (einen derartigen Empfang) bereitet hatten. 17 Und die Volksmenge, die bei ihm war, bezeugte, daß er Lazarus aus dem Grab herausgerufen und ihn von den Toten erweckt habe. 18 Darum war ihm die Volksmenge ja entgegengezogen, weil sie gehört hatten, daß er dieses Zeichen gewirkt habe. 19 Die Pharisäer aber klagten untereinander: Da seht ihr ja, daß ihr nichts erreicht. Schaut doch nur hin, wie alle Welt ihm nachläuft! Angesichts des bereits vielfach und eben erst wieder an der Erzählung von Jesu Salbung in Bethanien beobachteten Spiels unseres Evangelisten mit seinen synoptischen Prätexten erscheint uns auch diese Szene vom Einzug Jesu in Jerusalem als eine Art von Palimpsest über den entsprechenden synoptischen Texten (Mk 11,1–10; Mt 21,1–11; Lk 19,28–38). Doch da die „Analyse“ unserer Szene vielfach im Bann der bei der Synoptiker-Exegese geübten sogenannten „redaktionsgeschichtlichen Methode“ verläuft, die darauf aus ist, mutmaßliche Quellen oder Quellenfragmente von der „Schicht“ ihrer redaktionellen Bearbeitung durch den jeweiligen Evangelisten zu scheiden und damit auch die Differenzen zwischen den vermeintlichen „Intentionen“ ihrer jeweiligen Autoren zu erweisen, haben u. a. Dodd (Tradition 152 ff), Brown (Komm. I, 459–461), Fortna (Gospel of Signs 149–152), Haenchen (Komm. 432) und Tsuchido (Tradition 609 ff) jegliche Beziehung zu den synoptischen Prätexten vehement bestritten. Da es uns jedoch als ein methodisches Gebot erscheint, jeweils der plausibelsten Hypothese den Vorrang zu geben, und da wir weniger an der Eruierung einer mutmaßlichen Vorgeschichte unseres Textes als vielmehr an der Interpretation des überlieferten Evangeliums interessiert sind, halten wir es hier mit Hoskyns, der dazu erklärt: „The Johannine narrative depends upon the Marcan narrative … However, in addition to what is peculiar Johannine, it contains certain approximations to the Lucan and Matthean versions… In the welcome of the crowds, Luke inserts the word King (19,38); and he, like John, also states that the intensity of the welcome was, in part at least, grounded upon the knowledge of the miraculous power of Jesus (Lk 19,37). Matthew, like John, but unlike Mark and Luke, draws out the reference to the prophecy in Zechariah, and to this end records that the ass was accompanied by her foal (Mt 21,2–5)“ (Komm. 421). Barrett beschränkt sein Urteil auf die Beziehung zu Markus: „Der wesentliche Inhalt der Erzählung bei Joh ist der gleiche wie bei Mk, und obwohl nicht bewiesen werden kann, daß Joh Mk gelesen hat, gibt es doch keine einfachere und naheliegendere Hypothese, als daß er dies getan hat und sie im Licht seiner theologischen Interessen modifizierte“ (Komm. 411). 12 f: Der „folgende Tag“ ist der fünfte vor dem nahen Passafest. Da das bethanische Festmahl wohl ein sabbatliches war, ist es also wohl unser „Palmsonntag“. Jesu Kommen hat sich unter den Festpilgern herumgesprochen, und mit Palmzweigen ziehen sie ihm zu seinem Empfang entgegen. Der artikulierte Ausdruck tÅ ba⁄a tùn foin‡kwn ist auffällig, denn er ist gewissermaßen ein Hendiadyoin. Das Lexem tÖ ba⁄on (der Palmzweig) begegnet im NT einzig hier und foõnix (die Palme oder ebenfalls der Palmzweig) nur hier und in Apk 7,9. Die Wendung ba⁄a tùn foin‡kwn begegnet außer an unserer Stelle noch TestNapht 5,4, wo Levi wie die Sonne erscheint und als Zeichen seines Primats zur Zeit der Hasmonäer zwölf Palmzweige empfängt (vgl. Bill. 552
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,12–15
II/548). Mit „Lobgesängen und Palmzweigen“ (metÅ a¢nfisew" kaÑ ba⁄wn) huldigen die Jerusalemer dem Makkabäer Simon, weil er einen „großen Feind aus Israel beseitigt hat“ (1Makk 13,51). „Palmzweige schmückten den Triumphzug von Königen und Helden“ (Bauer, Komm. 160). Außerdem ist ein Palmwedel (blwl) als Siegeszeichen der gewichtigste Bestandteil im Feststrauß beim Laubhüttenfest (vgl. Bill. II, 780 ff), bei dessen Wasserprozession zudem Psalm 118 gesungen wird. Ob die artikulierte Wendung ‚die Palmzweige‘ wirklich schon auf einen christlichen Palmsonntagsbrauch hinweist, wie Bauer ebd. vermutet, oder ob sie, wie in den genannten Fällen Simons und Levis, nicht eher das Übliche bei der Akklamation eines Königs oder Gottes – wie beim Laubhüttenfest – benennt, ist schwer zu entscheiden. Der Kontext scheint uns aber das Letztere näher zu legen (vgl. Lindars, Komm. 422). Mit den Palmwedeln in Händen stimmt die große Pilgerschar den Psalm 118 an. Als pars pro toto zitiert der Erzähler dessen V. 26a: hwhy µçb abh ˚wrb (LXX: e§loghmfino" ¨ †rc∙meno" †n £n∙mati kur‡ou). Den in der LXX fehlenden Jubelruf „Hosianna“ (an h[yçwh) aus dem hebräischen V. 25 des Psalms hatte diesem Satz schon Markus (11,9) vorangestellt. Wohl wie beim Bekenntnis des Nathanael (s. o. zu 1,49) identifiziert Johannes im intertextuellen Spiel mit Zeph 3,15 denjenigen, der da kommt im Namen des Herrn, als ¨ basileÜ" toú ûIsrafll (vgl. Sach 9,9). Wie Nathanael Jesus, nachdem der ihn „Zeph 3,13 folgend einen Israeliten, an dem kein Trug ist, genannt hat, das eschatologische Gottesprädikat ‚König Israels‘ nach Zeph 3,15 zukommen“ läßt, so werden bei diesem Einzug in Jerusalem „mit dem in die Welt gekommenen Logos … der Sohn Gottes und Jhwh als ‚eines‘ (10,30) in der Mitte Israels epiphan: ‚Der König Israels, der Herr, in deiner Mitte‘ (†n mfisw sou, Zeph 3,15)“ (A. Steiger, 55). Um schon bei diesem Einzug zu verdeutlichen, daß Jesu Königsein „nicht von dieser Welt ist“ (18,36), übergeht Johannes den Lobpreis der „kommenden Königsherrschaft unseres Vaters David“ von Mk 11,10 und läßt die Menge Jesus darum als den „König Israels“ preisen (vgl. Lk 19,38). 14 f: Anders als seine synoptischen Prätexte und gewiß nicht absichtslos übergeht Johannes deren Erzählung von Jesu Beauftragung zweier seiner Jünger, den Esel (bzw. die Eselin und ihr Füllen: Mt 21,2) zu suchen und zu ihm zu bringen. Stattdessen heißt es erst nach dem königlichen Empfang, den die Festpilger Jesus bereitet haben, gleichsam als seine Reaktion darauf lapidar: „Jesus aber fand einen jungen Esel (£n›rion)“. Dabei könnte dieses Deminutivum wohl ein Spiel mit der Näherbestimmung dieses Tieres als ein pùlon … †fû ≈n o§deÑ" o∂pw ünqr„pwn †k›qisen bei Mk 11,2 sein (vgl. Lk 19,30). Jedenfalls aber ist £n›rion synonym mit pùlon µnou in V. 15. Wie Jesus Pilatus gegenüber sein Königtum verbal als eines bestimmen wird, „das nicht von dieser Welt ist“ wie geschrieben steht: „Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt zu dir sitzend auf dem Füllen einer Eselin“ (Sach 9,9). Wie zumeist bei Johannes dient auch hier das Zitat der Erinnerung an dessen Kontext: „Juble laut Tochter Zion, jauchze Tochter Jerusalem! Siehe dein König kommt zu dir, gerecht und siegreich. Demütig ist er und reitet auf einem Esel, auf dem Füllen einer Eselin. Er beseitigt die Streitwagen aus Ephraim und die Streitrosse aus Jerusalem. Die Kampfbogen werden vernichtet. Er gebietet den Völkern Frieden, und seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer, und vom Strom bis an die Enden der Erde“. So kommentiert Jesus durch sein Verhalten die Königsakklamation der Pilgerscharen und weist alle ihre möglichen nationalistischen Untertöne und Hoffnungen in ihre Schranken. Wenn der Erzähler 553
12,12–50
Zweite Hälfte des vierten Aktes
anstelle von Sacharjas Aufruf zu Freude und Jubel das Zitat mit den Worten: Fürchte dich nicht! einleitet, dürfte er, wie zuvor schon bei der Hinzufügung von ¨ basileÜ" toú ûIsrafll zum Zitat von Ps 118, das q›rsei Si„n aus der Rede vom Tag Jhwhs in Zeph 3,16 vor Augen haben. 16–18: Erst nach der Verherrlichung Jesu, und das heißt ja zugleich erst dadurch, daß der Geist-Paraklet sie an das Geschehen erinnert und sie in die ganze Wahrheit führt, werden die Jünger begreifen, daß Sacharja da über Jesus geschrieben hatte und daß die Festpilger recht hatten, Jesus als dem König Israels zu huldigen. Ob unsere Erzählung zusammen mit der vorausgegangenen Salbung in Bethanien einst die Eröffnung eines „vorjohanneischen Passionsberichts“ war, wessen sich Becker (Komm. II/435 ff) u. E. allzu sicher ist, können wir so wenig wissen, wie daß der Evangelist sich diese Erzählung erst durch die V. 16–19 „angeeignet“ und dann mit V. 16 „recht unvermittelt“ die Jünger „in den Erzählzusammenhang eingeführt“ habe (ebd. 445). Denn seit Petrus stellvertretend für die Zwölf erklärt hat: „Herr, wohin sollten wir denn gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und sind gewiß, daß du der Heilige Gottes bist“ (6,68 f), bedarf es keiner besonderen Einführung der Jünger mehr. Sie sind vielmehr stets da, wo ihr Herr ist. Zur Begründung dieser erst sekundären Einfügung der Jünger in die Erzählung, erklärt Becker sodann: Während die V. 14 f „der Einzugsszene direkt zugeordnet“ seien, erkennten die Jünger dagegen „erst viel später, was dem Ereignis nach der Erzählung längst als Wissen inhärent“ sei, womit deutlich werde, „daß V. 14 f und V. 16 f zu verschiedenen Schichten gehören“ (ebd.). Das ist ein uns schlechthin unverständlicher Gedanke. Denn wie das gesamte Evangelium ist natürlich auch diese Szene im Licht des Ostermorgens erzählt, und nicht ihr, sondern ihrem Erzähler ist kraft dieser österlichen Erleuchtung der Jünger diese Gewißheit inhärent. Denn aus seiner Feder und nicht aus dem Munde einer der erzählten Figuren stammt ja das die Szene erhellende Sacharjazitat. Ähnlich konstatiert Barrett: „Die Erzählung widerspricht sich wirklich selbst“. Denn wenn sogar „die Jünger im Einzug Jesu nicht den Einzug des Messias sahen“, sei es doch höchst unwahrscheinlich, „daß die Menge dies tat. Warum sollten sie schneller die atl. Anspielung sehen? Joh aber schildert sie, wie sie Jesus als ¨ basileÜ" toú ûIsrafll ... begrüßte“ (Komm. 414). Doch in unserer Erzählung folgt die „atl. Anspielung“ der Akklamation Jesu als des „Königs Israels“ durch die Menge ja erst (vgl. Hoskyns, Komm. 422). Sie ist also keinesfalls deren Motiv. Wie die V. 17 f ausdrücklich erklären, ist das vielmehr ihr Bezeugen (†mart‚rei) des messianischen Zeichens der Erweckung des Lazarus von den Toten. Und daß die Jünger in Jesu Weg nach Jerusalem „nicht den Einzug des Messias“ gesehen hätten, ist doch weder explizit noch auch nur implizit gesagt. Was sie erst nach der Verherrlichung Jesu am Kreuz begreifen werden, ist vielmehr die unverwechselbare Art seines messianischen Königtums, die sich ihnen u. a. im Licht von Sach 9 erschließen wird. Und das gilt, trotz seines korrekten Bekenntnisses für Nathanael (1,45 ff) natürlich ebenso wie für diese Pilgerscharen, die gleichwohl die Wahrheit proklamiert haben. Darum sollte man deren Empfang Jesu auch nicht einfach unter der Kategorie „Mißverständnis“ verbuchen, wie Hoskyns das tut (Komm. 422). Wie Kaiaphas (11,47 ff) unwissend die Wahrheit sagt, so hat Gott hier durch den Mund der Pilgerscharen des Passafestes seinem messianischen Sohn das angemessene Lob bereitet. Einen weiteren Widerspruch sieht Barrett in dem taúta †po‡hsan in V. 16: „Nur in den Synoptikern, nicht bei Joh, hatten sie (die Jünger) etwas zu dem Ereignis beigetragen; die Worte des Joh zeigen ein Wissen um die ältere Tradition, wahrscheinlich Mk“ (Komm. 414). Doch da die Jünger bei Johannes ja tatsächlich keinen eigenen Beitrag zu Jesu Einzug geleistet haben, wird man als das implizite Subjekt von taúta †po‡hsan ergänzen müssen: die Pilgerscharen.
19: Wenn die Pharisäer sich hier die Vergeblichkeit all ihrer bisherigen Bemühungen eingestehen müssen, Jesus zum Schweigen zu bringen, weil er bei vielen Gehör findet und sie an ihn glauben, und wenn sie das jetzt mit den Worten konstatieren: „Siehe, alle Welt läuft ihm nach!“, so haben wir darin eine der zahlreichen „doppeldeutigen Wendungen“ (Cullmann) unseres Evangeliums vor Augen. Denn einmal ist das der 554
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,15–20
Intention der Sprecher nach „eine gebräuchliche Redewendung in dem Sinne von ‚jedermann‘ (tout le monde)“ (Barrett, Komm. 415). Zum anderen aber ist es, wie das Wort des Kaiaphas über die Notwendigkeit des Sterbens Jesu für das Volk, wider den Willen der Sprecher zugleich eine prophetische Aussage über die Universalität des Evangeliums, die in dem eben durch das Zitat herbeigerufenen Sacharjatext ja bereits angelegt war und sich in der jetzt folgenden Szene von den „Griechen“, die Jesus gerne sehen wollen, fortsetzt. (2) Jesu Antwort auf den Wunsch einiger Griechen, ihn kennenzulernen (12,20–36) 20
Es waren aber einige Griechen unter denen, die hinaufgepilgert waren, um auf dem Fest anzubeten. 21 Die trafen auf Philippus, aus dem galiläischen Betsaida, und baten ihn: Herr, wir möchten Jesus kennenlernen! 22 Da ging Philippus hin und erzählte das Andreas, und sie gingen beide hin und sagten es Jesus. 23 Jesus aber erwiderte ihnen: Die Stunde ist gekommen, daß der Sohn des Menschen verherrlicht werde. 24 Amen, Amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, dann bleibt es allein. Stirbt es aber, dann bringt es reiche Frucht. 25 Wer sein Leben liebt, der verliert es; wer jedoch sein Leben in dieser Welt geringachtet, der wird es bewahren für das ewige Leben. 26 Wenn einer mir dienen will, so soll er mir nachfolgen. Und wo ich bin, da soll auch mein Diener sein. Wenn mir einer dienen will, so wird mein Vater ihn ehren. 27 Jetzt ist meine Seele erschüttert, und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Vater, mache du mich auch in dieser Stunde des Heils gewiß. Aber wohlan! Denn gerade dazu bin ich ja in diese Stunde gekommen! 28 Vater, nun verherrliche du deinen Namen! Da erklang eine Stimme aus dem Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und ich will ihn abermals verherrlichen. 29 Die Volksmenge jedoch, die umher stand und das hörte, meinte, es habe gedonnert; andere sagten: Ein Engel hat mit ihm geredet. 30 Jesus antwortete: Nicht um meinetwillen erklang diese Stimme, sondern um euretwillen. 31 Jetzt ergeht das Gericht über die Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden. 32 Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, dann will ich sie alle zu mir ziehen. 33 Das sagte er, um anzudeuten, was für eine Art von Tod er sterben werde. 34 Da entgegnete ihm die Menge: Wir haben aus dem Gesetz vernommen, daß der Messias für immer bleibt, wie kannst du da sagen, daß der Sohn des Menschen erhöht werden muß? Wer ist denn dieser Sohn des Menschen? 35 Da sagte Jesus zu ihnen: Noch eine kleine Weile ist das Licht in eurer Mitte. Wandelt solange euch das Licht scheint, damit euch die Finsternis nicht überwältige. Wer in der Finsternis wandelt, weiß nicht, wohin er geht. 36 Solange euch das Licht scheint, glaubt an das Licht, damit ihr zu Söhnen des Lichtes werdet. So sprach Jesus. Dann ging er weg und verbarg sich vor ihnen. 20: Auch wenn nach dem Satz: „Siehe, alle Welt läuft ihm nach“ jetzt kaum zufällig und nicht ohne tiefe Ironie „einige Griechen“ (∏Ellhnfi" tine") erscheinen, die sich 555
12,12–50
Zweite Hälfte des vierten Aktes
mit dem Wunsch, Jesus kennenzulernen, an Philippus wenden, dürfte es sich bei diesen Leuten kaum um ‚Griechen‘ im eigentlichen Sinn, oder in jüdischer Perspektive gesagt: um Heiden handeln. Denn sie werden als solche gekennzeichnet, die †k tùn ünabain∙ntwn ºna proskunflswsin †n tÔö ©ortÔö sind, das heißt, daß sie zu den Festpilgern gehören, die zur Feier des Passa nach Jerusalem gekommen sind. Da aber Heiden von der Teilnahme gerade am Passafest strikt ausgeschlossen waren, muß es sich bei diesen ‚Griechen‘ um griechisch sprechende Juden aus der Diaspora handeln oder, wenn nicht um von einer jüdischen Mutter als Juden Geborene, zumindest um zu Juden Gewordene, nämlich um Proselyten. Für eine nicht zufällige, sondern usuelle Pilgerreise dieser ‚Griechen‘ zum Passafest spricht zudem auch der Gebrauch des präsentischen Partizips ünabain∙ntwn anstelle des zu erwartenden ünab›twn. Das macht auch die These von Lindars fragwürdig, wegen ihrer Bezeichnung als ∏Ellhne" könne es sich nicht um griechisch sprechende Juden handeln, die nach dem Vorbild von Act 6,1 u. ö. vielmehr ∏Ellhnista‡ genannt werden müßten, sondern es müßten hier sogenannte ‚Gottesfürchtige‘ aus der Heidenwelt gemeint sein (Komm. 427; ebenso Hoskyns, Komm. 423). „∏Ellhne" here must signify persons of non-Jewish race and of Greek speech and culture, but not of pagan religion, since they attend the Jewish festival“ (Dodd, Interpretation 371). Mag das Lexem ßEllhnistfl" bei Lukas auch griechisch sprechende Juden bezeichnen, so ist es doch in der erzählten Welt der Evangelien keineswegs bereits ein terminus technicus im Sinne von Lindars. Der Sprachgebrauch scheint hier ähnlich wie in 7,35 zu sein, wo die Juden argwöhnen, Jesus wolle doch nicht etwa „in die Diaspora der Griechen gehen und die Griechen belehren“ (mÉ e¢" tÉn diasporÅn tùn ßEllflnwn mfillei pore‚esqai kaÑ did›skein toÜ" ∏Ellhna";), und die Rede von der Diaspora sicherstellt, daß es sich um die Mission unter Diasporajuden handeln muß. Gewiß mag sich hier in dem Erscheinen dieser „Griechen“ die nachösterliche Sammlung der verstreuten Gotteskinder auch unter den Heiden symbolisch schon ankündigen. Das war ja bereits mit dem Sacharja-Zitat ins Spiel gebracht worden und würde erst recht deutlich, wenn man mit Beutler (Greeks Come 342 ff) Jes 52,15 als Hintergrund des Kommens der Griechen sehen dürfte. Gleichwohl darf man diese Hellenen jedoch schwerlich wie Lindars als „representatives of the Gentile Church“ oder gar als „representatives of the gentiles“ (Kossen 108) ansehen. Denn zu derart groben Anachronismen ist Johannes, wie der unmittelbar folgende Abschnitt zeigt, nicht geneigt. Denn Barrett erklärt treffend, daß das Evangelium „erst nach der Kreuzigung … sowohl Juden als auch Heiden“ erreichen wird. Doch daß dann für Johannes – im Unterschied zu Paulus, der nach Röm 9–11 an der bleibenden Erwählung Israels festhalte – „Jesus … keinen Platz mehr im Judentum“ und dieses „für sich selbst seinen Platz in den Plänen Gottes verworfen“ haben soll (Komm. 415), vermögen wir dem Evangelium nicht zu entnehmen. 21 f: Zur Herkunft des Philippus aus Bethsaida, einer zur Zeit Jesu gaulanitischen Stadt, die der herodianische Tetrarch Philippus zu Ehren der Augustus-Tochter Julia zur stark hellenisierten Polis Bethsaida-Julia ausgebaut hatte, sowie zur Bezeichnung dieser Stadt als BhqsaÂdÅ tö" Galila‡a" s. o. zu 1,44, wo wir auch erwogen hatten, ob der griechische Name Philippus nicht eine Hommage an den Tetrarchen dieses Namens sein könnte. Wenn ausgerechnet Philippus hier von jenen ‚Griechen‘ angesprochen wird, darf man wohl annehmen, daß er, nach Meinung des Erzählers und seiner Herkunft aus Bethsaida entsprechend, auch des Griechischen mächtig war. Philippus 556
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,20–24
berät die Bitte der Griechen nun mit dem bereits vor ihm berufenen Andreas (1,35 ff), der ebenfalls Träger eines griechischen Namens und sein gaulanitischer Landsmann ist (nach 1,44 stammt das Brüderpaar Andreas und Simon Petrus auch aus Bethsaida). Philippus und Andreas kommen überein, Jesus die Bitte der Griechen vorzutragen. 23–24: Der antwortet ihnen jedoch mit einem Rätselwort: „Die Stunde ist gekommen, daß der Sohn des Menschen verherrlicht wird!“, als ob zwischen der Ankunft jener ‚Griechen‘ und dem Gekommensein der Stunde der Verherrlichung des Sohnes des Menschen eine geheime Beziehung bestünde. Diese Koinzidenz kommt u. a. in dem Spiel mit dem doppeldeutigen Ausdruck doxasqönai zur Sprache, sofern hier der Augenblick, da alle Welt einschließlich der Vertreter der fernen Diaspora ihm „nachläuft“, um ihm die ihm gebührende „Ehre“ (d∙xa) zu erweisen, und die „Stunde“, da der Vater den Sohn des Menschen mit seiner Herrlichkeit (dbk) bekleiden wird, zusammenfallen (vgl. Burkett 122 f). Dabei erinnert die Wiederaufnahme des Prädikats ¨ u´Ö" toú ünqr„pou aus 3,14 ff daran, daß diese „Erhöhung“ und „Verherrlichung“ des Sohnes des Menschen geschehen „muß“, daß die Welt durch ihn gerettet werde (ºna swqÔö ¨ k∙smo" diû a§toú: 3,17). Wir haben oben das mit der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus einsetzende „zweite Buch unseres Evangeliums“ das „Buch der Doxa“ genannt, denn während im ersten Buch, dem vom Zeugnis des Johannes gerahmten „Buch der Martyria“, stets betont war, daß Jesu „Stunde“ oder kair∙" (7,6 ff) noch nicht gekommen sei (2,4; 7,30; 8,20), heißt es jetzt erstmals im bezeichnenden Modus des griechischen Perfekts (†lflluqen), daß diese Stunde nun angebrochen und da ist (vgl. 13,1; 17,1 und Mk 14,41: élqen ™ øra). Eingeleitet durch das solenne ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn läßt Johannes Jesus in den folgenden Versen dann im Spiel mit synoptischen Prätexten erläutern, daß der irdische Tod des Menschensohns Teil und Vorbedingung seiner himmlischen Verherrlichung ist. Das Wort vom Weizenkorn, das sterben muß, ehe es Frucht tragen kann, „erinnert an die synoptischen Gleichnisse über Saat und säen (Mk 4,3–9.26–29.30–32; Mt 13,3–9. 42–30. 31 f; Lk 8,4–8; 13,18 f). Die folgenden Logien (V. 25 f) über den Verlust und die Errettung des Lebens werden mit nur geringen Veränderungen aus Mk (8,34 f; Mt 10,39; Lk 9,23 f; 17,33) entnommen. V. 27–30 entstammen den synoptischen Erzählungen über den Kampf Jesu in Gethsemane (Mk 14,32–42; Mt 26,36–46; Lk 22,40–46), und der Schlußabschnitt kehrt zurück zu den Bildern von Licht und Finsternis“ (Barrett, Komm. 415). Sein spezifisch johanneisches Gepräge erhält das Wort vom Weizenkorn dadurch, daß es in die Erde fallen und sterben muß, um reiche Frucht zu bringen, und dadurch, daß Jesus auf diese Weise jenes sterbende Weizenkorn zur Metapher für seinen eigenen Tod und sein Begräbnis macht. Wenn Dodd unter Verweis auf valentianische Texte wie die Exc. ex Theod. 38 ff erklärt, den „intelligenten hellenistischen Leser“ müsse das Wort vom Weizenkorn erinnern an die „widespread doctrine of a divine seed (spfirma) in man, derived from tÅ ≤nw and destined to return to its source“ (Interpretation 372 u. 108), so dürfte es sich bei diesen Texten doch eher um sekundäre Gnostisierungen johanneischer Theologumena handeln, die zudem, wie auch ein „intelligenter hellenistischer Leser“ bemerken müßte, weit entfernt sind von dem, was Johannes polÜn karpÖn ffirein nennt. Denn da geht es nicht um die Heimkehr himmlischer Lichtfunken ins heimische plflrwma, sondern um das irdische Zusammenkommen leibhaftiger Gotteskinder. So wie die Ankunft der Samaritaner zeigt, daß das Feld „weiß ist zur Ernte“ (Joh 4,31 ff), so zeigt das Kommen der Grie557
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Zweite Hälfte des vierten Aktes
chen an, daß die Stunde geschlagen hat, da eine Herde unter dem einen guten Hirten sein wird. 25 f: Dodd (Tradition 338–343) bietet eine breite Untersuchung der Beziehungen zwischen den synoptischen Varianten unseres Verses untereinander, nämlich zum einen zwischen Mk 8,35; Lk 9,24; Mt 10,39; 16,25 und Lk 17,33 und zum anderen des Verhältnisses von Joh 12,25 zu dieser Überlieferung. Er kommt zu dem – freilich unüberprüfbaren! – Resultat: „this very fundamental saying had a place in many separate branches of oral tradition, and that the variations belong to is preliterary history, originating, it may be, in varying attempts to translate the Aramaic in which it was first handed down“ (343; vgl. Brown, Komm. I, 473 f). Doch da V. 25 mit seinem Gegenüber von ‚Liebe‘ und ‚Haß‘, mit seiner Rede vom k∙smo" oæto" sowie von der zwÉ a¢„nio" allzu deutlich das Gepräge der Handschrift unseres Evangelisten zeigt und ihm zudem wie in Mk 8,35 Jesu Ankündigung seines Sterbenmüssens unmittelbar vorausgeht und ihm hier wie da der Ruf zur Nachfolge folgt, erscheint es uns sehr viel wahrscheinlicher, daß Johannes auch hier mit dem Markustext spielt (vgl. Barrett, Komm. 418). In dem Gegenüber der partizipialen Wendungen ¨ filùn und ¨ misùn tÉn yucÉn a§toú interpretieren die Lexeme fileõn und miseõn einander wechselseitig. „Sein Leben zu lieben“ heißt, das eigene Leben und Überleben als der Güter Höchstes zu betrachten, es heißt, allein darauf bedacht zu sein, die eigenen Interessen durchzusetzen, und das Ansehen unter den Menschen über dasjenige vor Gott zu stellen und damit das Grundgebot Israels von Dtn 6,4 f mit Füßen zu treten. Demgegenüber wird mit der Rede vom miseõn des eigenen Lebens „in dieser Welt“ nicht etwa zu pathologischem Selbsthaß aufgerufen (vgl. Schenke, Komm. 243), sondern eben die durch das Grundgebot geforderte Rangordnung eingeklagt. Anstatt mit dem so emotional gefärbten ‚Hassen‘, wird man miseõn darum im Sinne seines biblischen Gebrauchs als Wiedergabe des hebräischen anç (vgl. Dtn 21,15; Gen 29,31 ff) besser durch ‚hintansetzen‘ oder dem höheren Gut gegenüber ‚geringachten‘ übersetzen. Sachlich am nächsten steht V. 25 f wohl Lk 14,26, wo ebenfalls von der Notwendigkeit die Rede ist, die Sorge um das eigene Leben hintan zu setzen: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern und überhaupt sein eigenes Leben geringachtet (miseõ ... kaÑ tÉn yucÉn ©autoú), so kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein“. Denn die V. 25 f sind ja nicht nur Auslegung der ihnen vorausgehenden Metapher vom Weizenkorn, die Jesu Tod und Begräbnis als die notwendige Bedingung dafür benannte, daß er nicht allein bleiben muß, sondern reiche Frucht bringen wird. Vielmehr wird durch die partizipiale Formulierung von V. 25 sowie durch das generelle ti" als das Subjekt von V. 26 durch diese beiden Verse zusammen mit den angeredeten Jüngern und den zuhörenden Pilgerscharen (V. 29) nun auch der implizite Leser in diese Notwendigkeit des ‚Sterbens‘ miteinbezogen: Nachfolge Jesu als der Weg ins ewige Leben schließt „die Liebe der eigenen yucfl aus“ (Augenstein, Liebesgebot 64). Nach der Beschreibung Marthas als derjenigen, die beim bethanischen Mahl den Gästen und Jesus ‚diente‘ (dihk∙nei: 12,2), begegnet das Lexem diakoneõn im gesamten übrigen Evangelium nur noch zweimal, nämlich in unserem V. 26. Und die Bezeichnung dessen, der Jesus dient und ihm nachfolgt, als sein di›kono" findet sich nach der Benennung der Saaldiener als di›konoi, die im Unterschied zu ihrem ahnungslosen 558
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,25–28a
Speisemeister um das Woher des köstlichen Weines wußten und nach dem Gebot der Mutter Jesu „alles taten, was er ihnen sagte“ (2,5 u. 9), ebenfalls nur hier (vgl. Olsson, Structure 45 ff). Wo immer Jesus ist, nämlich in Leben oder Tod, in Niedrigkeit und Angst oder in Herrlichkeit, da wird auch sein Diener sein. Jenseits aller Ehrungen, auf die die Welt aus ist und die sie so freigiebig verteilt, soll demjenigen, der Jesus als sein Nachfolger ‚dient‘, die unvergängliche Ehrung durch den Vater zuteil werden (timflsei a§tÖn ¨ patflr: V. 26b). 27–28a: Selbst Exegeten, wie etwa Bultmann (Komm. 327) oder Becker (Komm. II, 452 ff), die dem Gedanken, daß Johannes unsere synoptischen Evangelien nicht nur selbst gekannt, sondern ihr Bekanntsein auch bei seinen Lesern vorausgesetzt habe, mit äußerster Skepsis begegnen, sehen sich genötigt einzuräumen, daß im Hintergrund dieser Passage die synoptische Gethsemane-Tradition steht. Dabei soll Johannes nach J. Becker jedoch nicht unmittelbar den synoptischen Erzählungen von Jesu nächtlichem Gebet in Gethsemane (Mk 14,32–42 parr.) folgen, sondern auf eine vermeintliche Gethsemane-Szene seines „vorjohanneischen Passionsberichts“ zurückgegriffen haben. Im Unterschied zu anderen, die hier wieder eine nur virtuelle „mündliche Tradition“ ins Spiel bringen, rechnet Becker also immerhin mit einer Art literarischer Intertextualität, deren Prätext freilich nur mit Hilfe der synoptischen Erzählungen rekonstruiert werden kann. Bultmann geht weiter, wenn er erklärt: „Da der Evglist die Mk 14,32–42 bezeugte Tradition, zu welcher in seiner eigentlichen Passionsgeschichte eine Parallele fehlt, gekannt haben wird, ist V. 27 f als das von ihm geschaffene Gegenstück dazu anzusehen. … Dem Gebet Jesu Mk 14,36 entspricht das sùs∙n me, und das dort folgende üllû o§ ktl. ist in dem d∙xason ktl. radikalisiert. Entsprechend ist das élqon ™ øra, Mk 14,41, das vielleicht schon V. 23 vorschwebt, in das nún V. 31 verwandelt worden und damit anstelle des sichtbaren geschichtlichen Geschehens das unsichtbare heilsgeschichtliche, das sich in diesem vollzieht, gesetzt worden. – Hat der Evglist das Mk-Evg gekannt, so ist es möglich, daß er, wie er sich in V. 25 f auf Mk 8,34 f bezogen hätte, jetzt auch ein Gegenstück zu Mk 9,2–8 zu geben beabsichtigt“ (Komm. 327). Da wir den sogenannten „vorjohanneischen Passionsbericht“ für eine Chimäre – oder mit einem Wort von Campenhausens gesagt: für eine „Legende der Kritik“ – halten, und da sowohl Becker als auch Bultmann ihre Argumentation auf einen Umgang des Johannes mit literarisch geprägten Texten gründen, sehen wir keine plausiblere Hypothese als die, unsere Passage ohne Bultmanns „hätte“ und „wäre“ als ein intertextuelles Spiel mit den synoptischen Szenen des Gebets Jesu in Gethsemane (Mk 14,32–42 parr) sowie mit der Erzählung von der Verklärung Jesu auf dem hohen Berg (Mk 9,2 ff parr.) zu begreifen. Das nún, das ihren Neueinsatz markiert, sowie die Wiederaufnahme des Lexems der øra verknüpft sie über die V. 24–26 hinweg mit der Wendung †lflluqen ™ øra von V. 23 (Moloney, Komm. 353). Dabei scheint der V. 23 seinerseits eine ‚Johanneisierung‘ von Mk 14,41 zu sein, wo es heißt: élqen ™ øra, ¢doÜ parad‡dotai ¨ u´Ö" toú ünqr„pou e¢" tÅ" ce‡ra" tùn ®martwlùn (vgl. Becker, Komm. II, 452 f; u. Thüsing, Erhöhung 75 ff). „Jetzt ist meine Seele betrübt“ (tet›raktai): Bereits in der Beschreibung der heftigen Emotionen Jesu (†nebrimflsato tù pne‚mati kaÑ †t›raxen ©aut∙n [11,33] und p›lin †mbrim„meno" †n ©autù [11,38]) sowie seiner Tränen am Grab des Freundes Lazarus (†d›krusen ¨ ûIhsoú" [11,35]) waren wir Beutlers gut begründetem Vorschlag gefolgt, diese Fügungen als ein intertextuelles Spiel mit dem biblischen Doppelpsalm 559
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41/42 zu begreifen. Da spricht der gerechte Psalmist von seinen Tränen, die ihm Tag und Nacht zum Brot geworden sind, und erklärt: prÖ" †mautÖn ™ yucfl mou †tar›cjh (LXX: Ps 41,7). Auf diesen biblischen Hintergrund verweist nicht nur der Kehrvers das Psalms: ºna t‡ per‡lupo" eè, yucfl, kaÑ ºna t‡ suntar›ssei" me; ≤lpison †pÑ tÖn je∙n, Ωti †xomologflsomai a§tù (LXX: 41,6.12; 42,5), sondern zumal der aktive und reflexive Gebrauch der Wendung †t›raxen ©aut∙n, die in der gesamten griechischen Bibel am ehesten in diesem Kehrvers eine Entsprechung hat (Beutler, Psalm 42/43, 43). Als Echo auf das ™ yucfl mou †tar›cjh aus Ps 41,7 hatte schon Dodd die Wendungen †tar›cjh tù pne‚mati (Joh 13,21) und nún ™ yucfl mou tet›raktai (Joh 12,27) begriffen und dazu zudem auf die synoptische Gethsemane-Szene verwiesen (Tradition, 37 f; 42–53 u. 69 ff). Beutlers Suche nach weiteren Spuren dieses Doppelpsalms in unserem Evangelium legt die Annahme nahe, daß die erörterten Wendungen „do not merely echo Mark 14,33“, sondern daß sie sich „even more directly“ auf den Psalm 42/43 selbst beziehen (Hoskyns, Komm. 424 f). Denn auch wenn der Psalm unserem Evangelisten durch die synoptische Gethsemane-Erzählung vermittelt sein sollte, könnte doch gelten: „Der Verweis auf den Psalm bei Mk wird ausgereicht haben, um die Aufmerksamkeit des Joh auf den ganzen Psalm zu lenken“ (Barrett, Komm. 419). Die Interpretation der Passage: nún ™ yucfl mou tet›raktai kaÑ t‡ e¥pw p›ter, sùs∙n me †k tö" øra" ta‚th": üllÅ diÅ toúto élqon e¢" tÉn øran ta‚thn p›ter, d∙xas∙n sou tÖ µnoma (V. 27 f), ist umstritten. Die Herausgeber von GNT3 setzen ebenso wie Nestle-Aland26 f sowohl hinter kaÑ t‡ e¥pw als auch hinter sùs∙n me †k tö" øra" ta‚th" ein Fragezeichen. Entsprechend zeigt die lange Liste bei Morris (Komm. 595), daß die meisten Kommentatoren beide Wendungen als rhetorische Fragen begreifen. Bauer spricht gar von einem nur „hypothetischen Gebet“ Jesu: „Die von Jesus gesprochenen Worte nämlich sind kein wirkliches Gebet, wie die alsbald erfolgende Verwerfung des Gedankens und das o§ diû †mfi 30 erweisen. So wenig wie die himmlische Antwort, hat die Frage für ihn selbst Bedeutung. Es gilt von ihr dasselbe wie von 11,41.42“ (Komm. 162). Nach Bultmann soll erst der ‚Evangelist‘ die in seiner vermeintlichen ‚Quelle‘ gnostischer Offenbarungsreden noch als ernsthaftes Gebet des angefochtenen Offenbarers gemeinte Bitte: p›ter, sùs∙n me †k tö" øra" ta‚th" (vgl. Mk 14,35), „durch die Einfügung von üllÅ diÅ toúto ktl. zur Frage“ gemacht und dadurch den Mythos „entscheidend korrigiert“ haben. Weil nämlich der gnostische Offenbarer „des göttlichen Zuspruchs zur Überwindung seiner Angst“ ja gar nicht bedürfe, seien in der Quelle sùs∙n me und d∙xason noch „gleichbedeutend“ gewesen: „Indem der Gesandte aus dem Erdendasein befreit wird, wird zugleich der Vater, der ihn befreit, verherrlicht“. Dadurch, daß der Evangelist seiner Vorlage jedoch die Wendung üllÅ diÅ toúto ktl. eingefügt und dadurch die Bitte sùs∙n me †k tö" øra" ta‚th" zur Frage gemacht habe – wobei Bultmann das nach dieser „Selbstfrage“ stehende üll› „wie klassisch (Bl.-D. 448,4)“ mit: Nein! übersetzt –, werde im Gegensatz zum Mythos bei Johannes der Vater nun dadurch verherrlicht, daß „der Sohn das Erdendasein in seiner ganzen Tiefe auf sich“ nehme (Komm. 327). Wegen des vorangestellten kaÑ t‡ e¥pw, das er ebenfalls als Frage versteht, sieht auch Thüsing den Beter als einen gezeichnet, der sich vor eine unausweichliche Alternative gestellt sieht (Erhöhung 82). Wie Becker schon Jesu Betrübnis und seine Tränen am Grabe des Lazarus als Ausdruck seines Zornes über den Unglauben Marias und der Umstehenden gedeutet hatte (s. o.), so will er nun auch das nún ™ yucfl mou tet›raktai von V. 27 begreifen. Weil „der joh Christus … Angst“ überhaupt nicht haben könne, paraphrasiert Becker die Szene, die „auf eine veränderte Einstellung der Leser zum traditionellen Gethsemane“ ziele, folgendermaßen: „Soll Jesus nun etwa seine Todesängste äußern? Nein, er ist zornig über ein traditionelles Mißverständnis! Man erwartet von ihm, er werde sprechen: Vater, rette mich aus dieser Stunde. Aber solche Erwartung widerspricht dem Heilssinn der Sendung Jesu; dazu ist er nicht in diese Stunde gekommen“ (Komm. II/454). Aber erzählt unsere Szene im Einklang mit dem synoptischen Gethsemane nicht gerade von der Überwindung der ängstenden Welt und ihres ±rcwn? Spricht Jesus als der Logos, der Fleisch geworden ist, nicht aus seiner
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Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,28
eigenen Erfahrung der Angst, wenn er seine Jünger am Ende seines langen Abschieds mit diesen Worten ermutigt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“ (nen‡khka: 16,33)? So wenig wie Jesu Gebet in der Lazaruserzählung (11,41 ff) eine bloße volksmissionarische Veranstaltung ist, so wenig ist es dieses Gebet. Natürlich will der Erzähler damit auch seinen Zuhörern/Lesern etwas sagen, aber eben das sagt er durch das Sagen Jesu. Dennoch aber bleibt der Text, den sich die meisten Ausleger dadurch ja erst selbst schaffen, daß sie hinter die beiden Fügungen kaÑ t‡ eèpw und p›ter, sùs∙n me †k tö" øra" ta‚th" jeweils ein Fragezeichen setzen, innerhalb des Johannesevangeliums höchst problematisch. Das hat wohl keiner klarer gesehen als Léon-Dufour (Père, fais moi passer und Lecture II, 466 ff), der die beiden strittigen V. 27 u. 28 mit guten Gründen so paraphrasiert: „Maintenant mon âme est troublée et je ne sais que dire. ‚Père, assure-moi le salut dès cette heure! Mais oui! c’est pour cela que je suis venu jusqu’à cette heure. Père, glorifie ton Nom!’ Vint alors du ciel une voix: ‚Et j’ai glorifié et je glorifierai encore‘“. Im Blick auf den spezifischen Gebrauch des Lexems s„zw in unserem Evangelium bestreitet er vehement die übliche und allzu selbstverständliche Identifikation der johanneischen Bitte: p›ter, sùs∙n me †k tö" øra" ta‚th", mit dem Satz aus Mk 14,35, wo es heißt: kaÑ prosh‚ceto ºna e¢ dunat∙n †stin parfilqÔh üpû a§toú ™ øra. Gegenüber 16 Vorkommen des Verbums s„zw bei Matthäus, 15 bei Markus und 17 bei Lukas erscheint es bei Johannes nur sechsmal. Während das Verb bei den Synoptikern ein breites Bedeutungsspektrum hat, ist es bei Johannes mit einer – freilich nur scheinbaren! – Ausnahme stets streng auf die eschatologische Errettung und Erlösung der Welt bezogen. Eingeführt wird das Lexem in 3,17 mit dem Satz, daß Gott seinen Sohn nicht in die Welt gesandt habe, die Welt zu verurteilen: üllû ºna swqÔö ¨ k∙smo" diû a§toú. Entsprechend bekennen dann in 4,42 die Samaritaner: o¥damen Ωti oñt∙" †stin ülhqù" ¨ swtÉr toú k∙smou. In 5,34 geht es bei den Worten ºna ≠meõ" swqöte ebenso wie in 10,9 gleichfalls um die eschatologische Rettung und Erlösung. Es folgt dann unser strittiges Gebet 12,27, und endlich schließt 12,47 den Kreis der Vorkommen des Lexems so, wie 3,17 ihn eröffnet hatte: o§ gÅr élqon ºna kr‡nw tÖn k∙smon üllû ºna s„sw tÖn k∙smon. Die einzige Ausnahme dieses strikt begrenzten Sprachgebrauchs scheint 11,12 zu sein, wo die Jünger Jesus auf seine Mitteilung, daß Lazarus eingeschlafen sei, mit der volkstümlichen Weisheit antworten: e¢ keko‡mhtai swqflsetai. Das ist zwar subjektiv eines der viel erörterten Mißverständnisse, zugleich aber – wie auch sonst bei Johannes gelegentlich (s. u. zu 20,11 ff) – insofern ein produktives Mißverständnis, als die Jünger damit unwissend die Wahrheit über die eschatologische Rettung des Lazarus aussprechen. Und nach 12,23–26 ist ja wohl auch klar, daß Jesus mit den Worten sùs∙n me nicht um sein physisches Überleben beten kann, und sei es auch nur „hypothetisch“ (Bauer). Darum hatte schon Westcott mit dem Blick auf den johanneischen Gebrauch von s„zw zu Joh 12,27 erklärt: „The petition is for deliverance out of (cf. Rev. III; 10) and not for deliverance from the crisis of trial. So that the sense appears to be ‚bring me safely out of the conflict‘ and not simply ‚keep me from entering into‘“ (Komm. II, 125). Das bedeutet aber, daß auch die Präposition †k nicht im Sinne von Mk 14,35 verstanden werden darf, als bitte Jesus hier darum, daß die Stunde oder der „Kelch“ an ihm vorübergehen möge. ûEk ist hier vielmehr im Sinne der Wendungen †k nukt∙" (bei Nacht) oder †x ™mfira" (im Laufe des Tages) zu verstehen. Denn es will ja beachtet sein, daß Jesus bereits in V. 23 f erklärt hatte, daß die Stunde, da der Sohn des Menschen verherrlicht wird, jetzt angebrochen ist, und daß seine Gegenwart fortan unter ihrer Bestimmung steht (dafür steht hier das Perfekt †lflluqen ™ øra). Im Unterschied dazu spielt das Gebet Jesu in Gethsemane (Mk 14,32 ff parr.) noch vor dem Eintritt dieser Stunde und ist gleichsam Jesu innere Bereitung darauf. Erst in Mk 14,41 erklärt Jesus seinen drei vertrautesten Jüngern, die wieder in den Schlaf entflohen sind, in aoristischer Formulierung: élqen ™ øra, ¢doÜ parad‡dotai ¨ u´Ö" toú ünqr„pou e¢" tÅ" ce‡ra" tùn ®martwlùn, um dann sogleich hinzuzufügen: †ge‡resqe ±gwmen: ¢doÜ ¨ paradido‚" me ≥ggiken (vgl. Thüsing, Erhöhung 83). Außerdem betont Thüsing zu Recht, daß die „Stunde Jesu“ bei Johannes kein leeres Zeitkontinuum ist, das auch anders als befürchtet an ihm „vorübergehen“ könnte, sondern daß es die Vollendung seines irdischen ‚Werkes‘ in seiner „Erhöhung an das Kreuz“ und der wechselseitigen Verherrlichung des Vaters durch den Sohn und des Sohnes durch den Vater ist, die ihr immer schon ihr unverwechselbares Gepräge als die eschatologische Stunde verleihen (ebd. 75 ff).
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12,12–50
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Schwerlich will Johannes seine Leser Jesu Gebet von Gethsemane gegenüber: ûAbb›, ¨ patflr, p›nta dunat› soi: parfinegke tÖ potflrion toúto üpû †moú, üllû o§ t‡ †gá qfilw üllÅ t‡ s‚ (Mk 14,36), hier nur eines Besseren belehren (Becker), um Jesus nicht als einen erscheinen zu lassen, der zwischen dem Verlangen e¢ dunat∙n †stin parfilqÔh üpû a§toú ™ øra (Mk 14,35) und dem uneingeschränkten Ja zum Willen Gottes hin‑ und hergerissen ist. Denn nach dem zuvor Gesagten erscheint es uns evident, daß unser Evangelist die synoptische Gethsemane-Erzählung kennt und durch die Wendung nún ™ yucfl mou tet›raktai kaum absichtslos an sie erinnert. Ja, daß er auch um Jesu Gebet weiß, Gott möge doch den bitteren Kelch des Todes an ihm vorübergehen lassen (Mk 14,36), zeigt die dramatische Zurechtweisung des Petrus, der meint, die Auslieferung seines Herrn an die Sünder mit dem Schwert verhindern zu können: b›le tÉn m›cairan e¢" tÉn qflkhn: tÖ potflrion ≈ dfidwkfin moi ¨ patÉr o§ mÉ p‡w a§t∙; (Joh 18,11). Doch auch wenn endlich selbst Jesu Bitte: p›ter, d∙xas∙n sou tÖ µnoma (V. 28) trotz ihres genuin johanneischen Kolorits ihre präzise Entsprechung in seinem synoptischen Gebet hat: „Doch nicht was ich will, sondern was du willst!“ (Mk 14,36), darf dieses intertextuelle Spiel nicht dazu verführen, den Prätext zum heimlichen Maßstab der Auslegung des neuen Textes zu machen. Wie es Jesu „Speise ist, den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hat, und sein Werk zu vollenden“ (4,34), so ist die Bitte: „Vater, verherrliche deinen Namen!“ das letzte Ziel seines Weges (s. u. zu 17,6). 28b.29: Da erklang eine Stimme aus dem Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn abermals verherrlichen! Uneinig sind sich die Kommentatoren über die konkrete Bedeutung der Modi des Verbums dox›zw im Wort der Himmelsstimme. Thüsing will den Aorist †d∙xasa als komplexiven begreifen und ihn auf Jesu gesamten irdischen Weg einschließlich der nun angebrochenen „Stunde seiner Erhöhung und Verherrlichung“ beziehen. Dagegen sieht er in dem Futurum kaÑ p›lin dox›sw die kommende Zeit angekündigt, da der Vater seinen Namen durch das Wirken des Parakleten verherrlichen wird (Erhöhung 193 ff); zumindest auf diese Zeit der christlichen Predigt ausgedehnt will nach Vorgang von Westcott (Komm. 182) auch Nicholson die futurische Wendung verstehen (Death as Departure 129 ff). Das erscheint uns jedoch ebenso wenig wahrscheinlich wie die älteren Versuche, die Tempora auf Prä‑ und Postexistenz des Fleischgewordenen zu beziehen. Denn das Evangelium ist die Biographie des jüdischen Mannes Jesus, und seine ganze Emphase liegt darauf, dessen Einheit als des ‚Sohnes‘ mit seinem himmlischen Vater zu erweisen. Darum ist das betonte nún unserer Passage als Gipfelpunkt dieses Weges Jesu anzusehen. Der Aorist muß also das Wirken des Vaters durch den Sohn von der Hochzeit in Kana an (2,11) bis zur Auferweckung des Lazarus (11,40) zusammenfassen (vgl. Moloney, Komm. 360), während das Futurum vorausweist auf die eben jetzt anhebende Stunde der „Erhöhung des Sohnes des Menschen an das Kreuz“ (12,32 f; vgl. Blank, Krisis 276 ff; Dodd, Interpretation 372 ff; Lindars, Komm. 432; Forestell, Cross 72; Moloney, Komm. 360). Wie „eine Stimme aus der Wolke“ über dem verklärten Jesus erklärt: „Dieser ist mein geliebter Sohn, den sollt ihr hören!“ (Mk 9,7), so ist es auch hier der angerufene Vater selbst, der dem Sohn antwortet und damit vor der Welt als Zeuge für ihn eintritt. Wohl mag diese Nennung einer aus dem Himmel erklingenden „Stimme“ an jene lwq tb (Tochter der Stimme) erinnern, die sich in zahllosen rabbinischen Erzählungen vernehmen läßt. Es will aber beachtet sein, daß diese lwq tb eben nicht die Stimme Gottes selbst, sondern nur deren „Tochter“ ist, von der die Rabbinen wissen (vgl. 562
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,28–33
Bill. I, 125 ff). Es ist eine Stimme, die nur bestätigt, was Gott selbst in der Schrift durch seine Knechte und Propheten gesagt hat. Hier gilt dagegen: †g„ e¢mi ¨ marturùn perÑ †mautoú, kaÑ martureõ perÑ †mautoú ¨ pfimya" me patflr (8,18). Nach V. 17 f wird jetzt unvermittelt zum erstenmal wieder die Volksmenge genannt (¨ oên µclo" ¨ ©stá" kaÑ üko‚sa"). Man muß sich die Menge also seit dem königlichen Empfang, den sie Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem bereitet hat, als Zeugen des Geschehens denken. Sie hören die Stimme, begreifen aber ihre Bedeutung nicht. Einige glauben, es habe gedonnert (vgl. Ps 29,3; LXX:28,3), andere vermuten, da habe ein Engel mit Jesus geredet (vgl. Gen 21,17; 22,11; 1Kön 13,18; Lk 22,43). Ob nun Donner oder die Stimme eines Engels vom Himmel, auf jeden Fall will der Erzähler durch diese Deutungen der Himmelsstimme ausdrücken, daß es sich bei ihr nicht um eine bloße Audition Jesu, sondern um ein sinnlich wahrnehmbares ‚Zeichen vom Himmel‘ gehandelt habe. 30: Denn nur vor solchem Hintergrund kann Jesus ihnen dann auch erklären, diese Stimme sei nicht um seinetwillen, sondern um ihretwillen erklungen. Daß dabei die Worte der Stimme ihm selbst galten, bestreitet er so wenig, wie er von der Menge eine Antwort auf eine Rede verlangt, die sie gar nicht verstanden hat. Er sagt den Leuten vielmehr, dieses von ihnen ja selbst wahrgenommene Erklingen der Himmelsstimme sei keine Privatangelegenheit zwischen ihm und seinem Vater, sondern es betreffe sie selbst unmittelbar, weil sich seine ganze Sendung zur Erlösung der Welt jetzt vollende: „A mission in which they all are involved. Of this the voice they had heard was the signal“ (Ridderbos, Komm. 437). Denn „da die Anwesenden Jesu Gebet zum Vater gehört haben, mußten sie in der himmlischen Stimme, auch wenn sie ihren Wortlaut nicht verstanden, die göttliche Antwort erkennen. Das setzt auch Jesu Wort an sie voraus“ (Wikenhauser, Komm. 234). Und in diesem Sinne deutet Jesus das Erklingen der Stimme der Menge dann mit den folgenden Worten: „Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt seiner Macht beraubt“ (†kblhqflsetai ≤xw). Nur unter dieser Voraussetzung, daß hier eine göttliche Epiphanie geschah, die alle wahrgenommen haben, kommt man dann auch nicht in die Verlegenheit, erklären zu müssen, es sei doch „schwer verständlich, wie man von einer Stimme sagen konnte, sie sei gekommen um der Menschen willen, die sie dann nicht verstanden und nicht einmal wußten, wer sprach“ (Barrett, Komm. 420; ähnlich Haenchen, Komm. 447). 31–33: Das zweifache nún in V. 31 nimmt das nún von V. 27 wieder auf und synchronisiert so die Stunde der kr‡si", die mit der Entmächtigung seines ±rcwn über den Kosmos ergeht, mit der Stunde, da der Vater durch die Verherrlichung des Sohnes des Menschen (V. 23) seinen Namen verherrlichen will. Nach 3,14 und 8,28 nimmt Johannes jetzt zum dritten Mal das Lexem ≠yoún wieder auf. Doch als dessen Objekt nennt Jesus hier, wie das emphatische küg„ zeigt, anstelle des kryptischen ‚der Sohn des Menschen‘ unverschlüsselt sich selbst als denjenigen, der ‚erhöht‘ werden soll. Für die zuhörende Menge besteht die durch V. 32 gegebene neue Information also darin, daß Jesus sich selbst jetzt unzweideutig mit jenem „Sohn des Menschen“ identifiziert. Zugleich kündigt er an, daß er als der Erhöhte alle zu sich ziehen werde. Durch den diesen Worten unmittelbar folgenden Kommentar des Erzählers: „Das aber sagte er, um anzuzeigen, was für eine Art von Tod er erleiden sollte“, wird der Leser an 3,14 und die biblische Erzählung von der Erhöhung der ehernen Schlange mittels eines in der Wüste aufgerichteten Pfahles erinnert. Auf diese Weise wird gesagt, daß es sich bei diesem ≠ywqönai nicht schon um Jesu ünaba‡nein prÖ" tÖn patfira (20,17) han563
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delt, sondern um sein Sterben am Kreuz von Golgatha. Dementsprechend können dann aber auch Jesu Worte: p›nta" ©lk‚sw prÖ" †maut∙n, nicht schon die Sammlung der Seinen in den „himmlischen Wohnungen“ (14,2 f) verheißen, sondern sie müssen primär auf die Nachfolge auf seinem Kreuzesweg verweisen. Damit nehmen sie wieder auf, was Jesus schon in den V. 25 f gesagt hatte, daß nämlich jeder, der sein Leben liebt, es verlieren, und allein, wer es ‚geringachtet‘, es bewahren und vom Vater ‚geehrt‘ werden wird. Dazu, daß Nicholson (Death 98 ff und 136 ff) sicher zu Unrecht darauf insistiert, Jesu Erhöhtwerden dürfe hier wie in 3,14 primär nicht auf seine Kreuzigung, sondern müsse darüberhinaus auf seine glorreiche Himmelfahrt und auf die Versammlung der Seinen in den himmlischen Wohnungen bezogen werden, vgl. Moloney, Komm. 361. 34: Die Leute (¨ µclo") erklären Jesus daraufhin, im Gegensatz zu seiner Rede von seiner Erhöhung wüßten sie aber doch „aus dem Gesetz“, daß der Messias für immer bleiben werde. Da vom Messias (crist∙") in der gesamten Passage jedoch bisher nicht die Rede war, muß dieser Einwand überraschen. Er erweist jedenfalls, daß die Leute, die sich hier um Jesus geschart haben, erfüllt sein müssen von messianischer Hoffnung und darum wohl zu denen gehörten, die Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem zuvor mit der Rezitation von Ps 118 als den messianischen basileÜ" toú ûIsrafll begrüßt hatten. Ihr Verweis auf die Tora (™meõ" °ko‚samen †k toú n∙mou) ist breit diskutiert worden (vgl. Moloney, Son of Man 182 f). Wie Joh 10,34 und 15,25 zeigen, wo, als im n∙mo" geschrieben, jeweils Psalmverse zitiert werden, vertritt das Lexem n∙mo" hier wohl – gut jüdisch – als pars pro toto die ganze jüdische Bibel. Van Unnik (Quotation 174 ff) hat es als überaus wahrscheinlich erwiesen, daß auch hier auf einen Psalm angespielt wird, nämlich auf Psalm 88, dessen V. 37 lautet: tÖ spfirma a§toú e¢" tÖn a¢ùna mfinei / kaÑ ¨ qr∙no" a§toú Æ" ¨ ªlio" †nant‡on mou. Denn allein hier begeg net das für den johanneischen Kontext entscheidende Verbum mfinein (vgl. Moloney, Komm. 359). Wenn die Leute Jesus nach dieser Berufung auf die Schrift dann fragen, wie er denn (im Gegensatz zum Gesetz) behaupten könne, „der Sohn des Menschen müsse erhöht werden“, und wer dieser „Sohn des Menschen“ denn überhaupt sei, so muß das den Leser in mehrfacher Hinsicht verblüffen. Einmal nämlich hatte Jesus wohl damals zu Nikodemus, nicht aber jetzt zu ihnen gesagt, daß der Sohn des Menschen erhöht werden müsse (≠ywqönai deõ: 3,14). Dagegen hatten sie nur gehört, daß die Stunde gekommen sei, daß der Sohn des Menschen erhöht werde (V. 23). Für den Leser mag das eine willkommene Erinnerung an die Nikodemus-Szene sein, woher kommt aber der Volksmenge das Wissen um dieses Müssen? Zum anderen müssen die Leute ganz richtig begriffen haben, daß ‚ewig bleiben‘ und ‚erhöht werden‘ einander wechselseitig ausschließen. Dabei werden sie freilich schwerlich an Jesu Kreuzigung gedacht haben als vielmehr an irgendeine Art von Entrückung Jesu, denn den Erzählerkommentar und den Ausgang der Geschichte Jesu kennen ja erst die Leser des Evangeliums. Und zum dritten endlich scheint diesen Zeitgenossen Jesu – im Gegensatz zu dem, was die modernen Kritiker über den Menschensohn zu wissen meinen – die Identität von Messias und Menschensohn keineswegs geläufig oder gar selbstverständlich zu sein. Denn wenn sie fragen: „Wer ist denn überhaupt dieser Sohn des Menschen?“, wollen sie ja nicht über irgendeinen ‚Hoheitstitel‘ aufgeklärt werden. Vielmehr setzt ihre Frage, ebenso wie schon zuvor diejenige des Blindgeborenen in 9,35, doch voraus, daß der, nach dessen Identität sie fragen, ein Mensch unter den Menschen im Sinne der hebräischen 564
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,33–36
Wendung µda ˆb sein muß. „The question raised by the crowd shows that ‚the Son of the Man‘ was not a familiar apocalyptic or Messianic designation. The people are puzzled by the title. In his reply, Jesus does not satisfy their curiosity concerning the designation itself, but he does to some degree explain the identity of the Son of the Man by indicating that the Son of the Man is the Light“ (Burkett, Son 168). 35 f: Wie schon in Joh 3,13–21 und in der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) so ist nun auch hier das Prädikat ‚der Sohn des Menschen‘ eng mit dem Lexem fù" verknüpft, das dabei an seinen Gebrauch als nahezu förmliches Prädikat des l∙go" im Prolog und an dessen ‚Genesisatmosphäre‘ (Lausberg) erinnert. Ja, Jesu Rede von ‚dem Licht‘, das nur noch eine kleine Weile unter ihnen sein wird, will geradezu als die Antwort auf die Frage der Menge verstanden sein, wer dieser ‚Sohn des Menschen‘ denn eigentlich sei: Er ist das Licht des ersten Schöpfungstages. Nicht nur Gottes erstes Wort bei der Schöpfung: „Es werde Licht“, sondern auch Gottes erste Tat der Schöpfung: „Und Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis“ (Gen 1,4: diec„risen ¨ qe∙" ktl.), ist in dem Fleisch geworden, der nun als ‚der Sohn des Menschen‘ erhöht werden muß. Wie alle Werke Gottes am Tage geschehen und ehe die Nacht einbricht, da niemand wirken kann, so muß auch der Sohn des Menschen als das Licht der Welt wirken, solange es Tag ist (9,4 f). Dabei bezieht Burkett die Wendung Ωtan †n tù k∙smw ë (jedesmal wenn ich in der Welt bin …) von 9,5 wohl zu Recht auch und gerade auf Gen 1,3 f (s. o. z. St.). Auch die Trennung des Lichtes von der Finsternis wird in Joh 9 narrativ entfaltet (vgl. Son 164 ff). Wenn Jesus dem, der blind geboren war, auf dessen Frage, wer denn dieser Menschensohn sei, damit er an ihn glauben könne, nicht direkt mit einem: †g„ e¢mi, ¨ lalùn soi, antwortet wie der Samaritanerin (4,26), sondern scheinbar umständlich erklärt: „Du hast ihn ja vor Augen, und der mit dir redet, der ist es“, so sind darin wohl nicht zufällig das Licht für die Augen und das Wort für die Ohren beieinander. Weil auch hier, wie überall und nicht nur bei Johannes, das Prädikat ‚der Sohn des Menschen‘ einzig im Munde Jesu vorkommt und nach dem intertextuellen Spiel mit Prov 39,1–4 in Joh 3,13 als Kryptogramm für ‚der Sohn Gottes‘ verstanden sein will (s. o. z. St.), antwortet der Blindgewesene nun treffend mit dem Gottesprädikat k‚rie und seiner Proskynese. Jesu Aufforderung an die um ihn Versammelten: „Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überwältige“ (katal›bÔh wie das katfilaben von 1,5), spricht in der Sprache des Psalters vom Wandel im Licht: „Du hast meine Seele aus dem Tode errettet und meine Füße vor dem Sturz bewahrt, damit ich vor dir wandele im Licht des Lebens“ (µyyjh rwa – LXX: †n fwtÑ z„ntwn: Ps 56,14). Geradezu zur Selbstprädikation Jesu wird das Lexem fù", wenn Jesus endlich fordert: Æ" tÖ fù" ≤cete, piste‚ete e¢" tÖ fù", ºna u´oÑ fwtÖ" gfinhsqe (V. 36). Mit diesen Worten geht Jesus weg und verbirgt sich vor ihnen. (3) Epilog des Erzählers (12,37–43) 37
Obgleich er derart große Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie dennoch nicht an ihn, 38 auf daß sich das Wort Jesajas, des Propheten, erfülle, das er sprach: Herr, wer glaubt denn unserer Predigt, und wem ist der Arm des Herrn offenbar geworden? 39 Ja, sie konnten gar nicht glauben, weil Jesaja 565
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wiederum gesagt hat: 40 Geblendet hat er ihre Augen und ihr Herz hat er verhärtet, damit sie mit den Augen nicht sehen und mit dem Herzen nicht begreifen und nicht umkehren, daß ich sie heile. 41 Das hat Jesaja gesagt, weil er seine Herrlichkeit geschaut und über ihn gesprochen hat. 42 Gleichwohl waren viele, selbst von den Oberen, zum Glauben an ihn gekommen. Doch um der Pharisäer willen bekannten sie (ihren Glauben) nicht, damit sie nicht aus der Synagoge ausgeschlossen würden. 43 Denn sie liebten den Ruhm der Menschen mehr als den Ruhm bei Gott. Mit den beiden letzten Passagen, nämlich zunächst mit diesem Epilog des Erzählers (12,37–43), der sich als intertextuelles Spiel mit Mk 4,10 ff parr. erweisen wird, und danach endlich mit dem erneuten Erklingen der Stimme Jesu aus seiner in V. 36 genannten Verborgenheit, mit einer Rede, die darum ebenso ortlos, wie zeit‑ und adressatenlos ist (12,44–50), beschließt unser Erzähler diesen vierten und zentralen Akt seiner dramatischen Historie Jesu. Und weil diese Stimme aus dem Verborgenen alle Themen derjenigen Passage wiederaufnimmt und kunstvoll variiert, die diesen zentralen Akt mit den Worten „Ich bin das Licht der Welt“ eröffnet hatte, nämlich Joh 8,12–19, gibt ihr abschließendes Erklingen dem gesamten Akt 8,12–12,50 die Gestalt einer Ringkomposition (vgl. Østenstad 38 f). Es ist zwar richtig, daß diese beiden Abschnitte nicht nur auf das in Joh 12 Gesagte, sondern das gesamte öffentliche Wirken Jesu seit 1,19 ff zurückblicken. Und richtig ist auch, daß auf Joh 12 als der fünfte Akt der Erzählung mit den Kapiteln 13–17 nun das esoterische Intermezzo des langen Abschieds Jesu von seinen Jüngern folgt. Doch das berechtigt nicht dazu, die eigentliche Zäsur des Evangeliums zwischen den Kapiteln 12 und 13 zu sehen und Joh 1–12 mit Bultmann als die „Offenbarung vor der Welt“ von Joh 13–21 als der „Offenbarung vor der Gemeinde“ zu unterscheiden. Denn die Kapitel 13–17 sind eben tatsächlich nur ein Intermezzo und für die Jünger wie für die Leser nur eine Atempause, ehe Gottes in der Person Jesu ausgetragener Rechtsstreit mit dieser Welt dann in den Kapiteln 18–21 seine Klimax und seinen Triumph erreicht. 37: Die einleitende Wendung: tosaúta dÇ a§toú shmeõa pepoihk∙to" ktl., wird von den meisten Kommentatoren mit „so viele Zeichen“ übersetzt. Nach Forestell (Word 69), dem Moloney darin folgt (Komm. 366 f), soll sich tosaúta shmeõa nicht nur auf die „signs narrated in the Gospel, but to the entire miracle activity of Jesus“ beziehen. Das erscheint uns jedoch fragwürdig. Wir haben die Wendung deshalb durch „derart große Zeichen“ wiedergegeben. Denn u. E. muß hier von den bisher erzähl‑ ten Zeichen die Rede sein, die Jesus „vor den Juden“ (≤mprosqen a§tùn) getan hat, und nicht von jenen vielen Zeichen, die er „vor seinen Jüngern“ tat und die „nicht geschrieben sind in diesem Buch“ (20,30 f). Und wie nun schon oft beobachtet und zumal von Bittner gründlich erwiesen, ist das Lexem shmeõon auch hier durchaus posi‑ tiv konnotiert. Wie einst durch seinen Knecht Mose in Ägypten, so wirkt Gott selbst diese Zeichen jetzt durch seinen Sohn, um den Menschen seine d∙xa zu offenbaren und sie zum Glauben zu führen. Die durch das Phantom der ‚Semeiaquelle‘ inspirierte und unterhaltene Rede von einem durch die Zeichen erweckten nur vorläufigen Glauben oder vom „bloßen Zeichenglauben“ ist für unser Evangelium eine ungeeignete und irreführende Interpretationskategorie. Nirgends wird ein bloßer Zeichenglaube beklagt, sondern das Rätsel ist, warum die ûIoudaõoi für die Sprache der Zeichen taub 566
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sind, ausgerechnet sie, die es aus ihrer Geschichte und aus ihren ‚Schriften‘ doch besser wissen müßten: „Und Mose rief alle Söhne Israels zusammen und sagte ihnen: Ihr habt doch noch alle Dinge vor Augen, die Jhwh in Ägypten, dem Pharao, all seinen Dienern und seinem ganzen Land angetan hat, all die großen Prüfungen, die du doch mit eigenen Augen gesehen hast, jene großen Zeichen und Wunder (tÅ shmeõa kaÑ tÅ tfirata tÅ meg›la †keõna). Aber Jhwh, euer Gott, hat euch bis auf diesen Tag nicht das Herz gegeben, das zu begreifen, nicht Augen, es wahrzunehmen, und nicht Ohren, es zu hören!“ (Dtn 29,1–3). Einerlei, ob nun diese spezielle Passage der Moserede hinter unserem V. 37 steckt, wie Brown vermutet (Komm. I, 485), oder nicht, so sieht er doch auf jeden Fall richtig, daß Johannes die Geschichte der Zeichen, die Jesus wirkt, vor dem Hintergrund der großen und rettenden Zeichen erzählt, die Gott beim Auszug aus Ägypten und während der vierzig Jahre der Wüstenwanderung Israels getan hat. 38–41: Und wie Mose erklärt, daß es Jhwh selbst ist, der die Verstockung nicht von ihren Herzen genommen und die Blindheit ihrer Augen sowie die Taubheit ihrer Ohren „bis auf diesen Tag“ nicht beseitigt hat, so sieht unser Erzähler nun in dem Unglauben der ûIoudaõoi das Jesajawort erfüllt: „Herr, wer glaubt denn unserer Predigt (ükofl), und wem ist denn der Arm des Herrn (¨ brac‡wn kur‡ou) offenbar geworden?“ (Jes 53,1). Diese rhetorische Frage, die das vierte Lied vom Gottesknecht eröffnet, erfordert die negative Antwort: ‚Kein einziger!‘ In ihr bilden Gottes Wort und seine Wundertat einen synonymen parallelismus membrorum. Keines von dessen beiden Gliedern darf dem anderen unter‑ oder übergeordnet werden. Und ebenso steht es auch mit dem Verhältnis der Worte Jesu zu seinen Zeichen, zu seinem ‚Werk‘ und zu seiner Person. Mit Jes 53,1 hatte schon Paulus in Röm 10,16 den Unglauben der Mehrheit der Juden begründet. Über diesen primären Zweck des wörtlich der LXX entsprechenden Zitats hinaus wird hier mit Jes 53,1 aber nicht nur das Faktum des Unglaubens Israels aus der Schrift belegt, sondern darüberhinaus wird damit das ganze Lied vom ‚leidenden Gottesknecht‘ herbeizitiert, der „durchbohrt wurde um unserer Sünden willen und um unserer Missetaten willen zerschlagen wurde“ (Jes 53,4; vgl. Blank, Krisis 299 f). Auch die Begründung für das mit Jes 53,1 benannte Faktum des Unglaubens Israels muß unserem Erzähler wiederum Jesaja liefern. Dazu erklärt er, daß sie gar nicht glauben konnten, und begründet dieses Nichtkönnen sodann mit Jes 6,10. Anders als zuvor Jes 53,1 zitiert er diesen Vers jedoch nicht mehr im Wortlaut der LXX. Vielmehr spielt er jetzt sehr viel freier mit dem Jesajatext, möglicherweise mit dem Blick auch auf dessen hebräische Fassung (vgl. Menken, Jes 6,10). Und wie die unmittelbare Fortsetzung zeigt, ruft er mit diesem Vers auch hier wieder zugleich die gesamte Erzählung von der Berufung Jesajas (Jes 6) in Erinnerung. Ja, mehr noch: Weil nämlich Jes 6,9 bereits im Hintergrund von Jesu Gerichtsrede stand, mit der er am Ende der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen (9,39–41) die Pharisäer als die wahren Blinden verurteilt hatte, weil sie sich als Sehende wähnten, dient diese Wiederaufnahme von Jes 6 ebenso der Verküpfung mit jener Szene wie der Herstellung der Kohärenz des Evangeliums (vgl. Lieu, Blindness 85). Das V. 39 einleitende diÅ toúto bezieht sich gegen Kühschelm (186 f) nicht auf das vorangegangene Zitat von Jes 53,1 zurück, sondern erfährt seine Explikation erst durch den ihm folgenden Ωti-Satz und das Zitat von Jes 6,10 (vgl. 5,16.18; 8,47; 10,17; 12,18). Diese Anrufung Jesajas, der gut acht Jahrhunderte vor Jesus als Gottes Prophet in Israel aufgetreten war, als des autorisierten Zeugen der Geschichte Jesu und 567
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hier speziell dafür, daß diejenigen, vor denen Jesus so große Zeichen getan hatte, gar nicht an ihn glauben konnten (o§k °d‚nanto piste‚ein), weil ‚er‘ (Gott?) ihre Augen geblendet hatte (tet‚flwken a§tùn toÜ" £fqalmo‚"), hat der Auslegung, zumal seit dem Aufkommen und der Herrschaft der historischen Kritik, erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Als die wohl deterministischste Aussage des gesamten Evangeliums stellt unsere Passage ihre Ausleger zugeich vor die (dogmatische) Frage, wie und ob denn ein ‚Unglaube‘, als dessen Urheber Gott selbst genannt wird, der durch die Verstockung der Herzen und die Blendung der Augen Umkehr und Heilung unmöglich gemacht hat, noch als ‚Schuld‘ begriffen und als ‚Sünde‘ zugerechnet werden kann (vgl. 9,41). Ganz treffend bemerkt Hoskyns zu den V. 37–41 deshalb: „The passage therefore reads like the crudest possible statement of a naked doctrine of predestination“. Dem fügt er jedoch sogleich hinzu, das sei aber beileibe nicht die Intention des Autors. Denn den habe das Problem der Relation von göttlichem Willen und menschlicher Freiheit an keiner Stelle ernsthaft beschäftigt. Darum müsse man entschlossen der Versuchung widerstehen, unsere johanneische Passage im Licht der späteren Debatten um die Prädestination zu lesen. Auch wenn sie diese Debatten rezeptionsgeschichtlich fraglos gespeist haben möge, gäbe es jedoch keinerlei Grund dafür, Joh 12,37–41 bereits als Reflex solcher Debatten zu begreifen (Komm. 429). Für Johannes schließt der sich in Gericht und Gnade äußernde göttliche Wille die menschliche Freiheit und Verantwortung keineswegs aus; vgl. Becker (Komm. II, 478). Man darf aber das Vorherbestimmtsein zum Unglauben nicht über die erzählten Juden und ihr erkennbares Verhalten hinaus auf das jüdische Volk insgesamt ausdehnen, wie das Becker zu tun scheint, wenn er 12,37 ff die „düsteren Worte zur Verwerfung Israels“ nennt (481) und erklärt: „Das neuzeitliche Problem einer Schuldzumessung nur bei Eigenverantwortung“ dürfe man in die Texte nicht eintragen (478). Denn daß Jhwh Schuld nur dem Schuldigen zurechnet, ist keine neuzeitliche Erfindung, sondern seit Ez 18 wohlgehütetes biblisches Erbe (vgl. von Rad, Theologie I, 405 f). Und dementsprechend dienen die Streitgespräche Jesu mit den jeweils erzählten Juden ja gerade dazu, sie konkreter Schuld und üdik‡a zu überführen. Sowohl für das Ja als auch für das Nein zu Gottes Gnadenangebot gilt da mutatis mutandis der paradoxe paulinische Satz: „Schaffet mit Furcht und Zittern, daß ihr gerettet werdet, denn Gott ist es, der beides in euch wirkt, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen“ (Phil 2,12 f). Im Gegensatz zu einem ‚prädestinatianischen Dualismus‘ nennt Bultmann das einen ‚Entscheidungsdualismus‘. Das ist freilich insofern mißverständlich, als Gott bereits so zu unserem Heil über uns entschieden und uns zu Jesus gezogen hat, daß uns zur Entscheidung, wenn wir uns unser Glauben nicht selbst zurechnen wollen, faktisch nur noch die negative Möglichkeit bleibt, von Jesus wegzugehen (6,66) und in unserer Sünde zu bleiben (9,41). Wie einst schon Cyrill von Alexandria (Frgm. zu Joh 12,40: PG 74,96 f), Ammonius von Alexandria (Frgm. 432 bei Reuss 304) und Apollinaris von Laodicea (Frgm., 87 bei Reuss 35), so will neuerdings – quasi zur ‚Entlastung‘ Gottes – J. Blank anstelle Gottes unter Berufung auf Joh 8,44 den Teufel als das Subjekt der Verben tet‚flwken und †p„rwsen einsetzen (Krisis 301 ff). Doch damit entfernt er sich nicht nur völlig vom Text Jesajas, an den doch der Verstockungsauftrag von Gott her erging, sondern so macht er den Teufel zugleich zu einem Gegengott und trägt in unser Evangelium damit einen ihm fremden Dualismus ein (vgl. L. Schenke, Komm. 249; Kühschelm 188 ff; u. M. Menken, Quotations 109). Mit einer verbreiteten Wirkungsgeschichte hatte einst schon Augustinus (In Ioh Tract. LII: CChr SL 36, 452–454) eine ähnliche Entlastung Gottes dadurch zu begründen versucht, daß er erklärte, Gott, der die Zukunft vorherwisse, habe durch
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seinen Propheten Jesaja den Unglauben der Juden vorhergesagt, nicht aber bewirkt. Denn weil Gott um die künftigen Sünden der Menschen schon wisse, brauche er niemanden zum Sündigen zu zwingen. Aber mit dieser Figur ist der Falle der doppelten Prädestination und Ontotheologie nicht zu entrinnen. Denn hat da einer wirklich noch die Freiheit, nicht zu sündigen, wenn Gott doch schon zuvor weiß, daß er sündigen wird? Nur wenn Gott sich in seinem Vorherwissen geirrt hätte, könnte einer dann der Sünde entrinnen.
Abgesehen von der Nichtbeachtung des Kontextes steckt der Fehler solcher Betrachtung doch wohl darin, daß hier die Rede von Gott und/oder vom Teufel als seinem Gegenspieler der Ontologie und dem Kausalitätsprinzip intersubjektiver Aussagenlogik unterworfen wird. Da Jesaja aber nach V. 41 in der zitierten Äußerung über Jesus gesprochen hat (†l›lhsen perÑ a§toú), muß man hier mit J. Lieu ernsthaft erwägen, ob das in den Verben tet‚flwken und †p„rwsen implizierte Subjekt nicht eher Jesus selbst ist. Denn: „It is Jesus who has done the signs (37), Jesus who is most probably the ‚Lord‘ of the quotation from Isa 53,1 (38) and Jesus whose glory Isaiah saw“ (Blindness 86; vgl. Schenke ebd.). Schon vor Johannes hat Jes 6,9 f in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte als Schlüssel dazu gedient, das rätselhafte Phänomen des Unglaubens gerade Israels zu erklären. So legt Markus Jesus als die Spitze seiner Antwort auf die Frage seiner Jünger nach der Bedeutung der „Bildworte“ des Gleichnisses vom Sämann die Worte aus Jes 6,9 f in den Mund (Mk 4,11 f innerhalb von 4,3–20). Seit Wredes Monographie über das Messiasgeheimnis im Markusevangelium wird Mk 4,10–12 nahezu unisono als die „Parabeltheorie“ des Markus bezeichnet und als eines der Elemente von dessen Messiasgeheimnis-Theorie betrachtet. Im Gegensatz zu Jesu ausdrücklicher Proklamation, daß man ein Licht nicht unter den Scheffel oder unter das Bett, sondern auf einen Leuchter stellen solle, damit alles Geheime offenbar werde (Mk 4,21 ff), soll Jesus selbst nach Wrede und allen, die ihm darin bis heute folgen, in Gleichnissen geredet haben, um „die draußen“ zu verstocken, damit sie nicht etwa umkehren und ihnen vergeben werde. Dementsprechend werden dann – schwerlich zu Recht – sowohl das ºna (blfiponte" ktl.) als auch das mflpote (†pistrfiywsin ktl.) als finale Bestimmungen aufgefaßt (vgl. dagegen schon Lohmeyer, Markus 83 f; Lampe, Deutung 140 ff; Lührmann, Markus 82 ff; Thyen, Mk 4,26–29). Lampe paraphrasiert Mk 4,10–12 begründet so: „Euch ist das Geheimnis des Gottesreiches gegeben, ihr seid – im Bilde gesprochen – ertragreicher Acker; denen draußen aber muß in Bildern (die noch leichter verständlich sind als ein Klartext) gesagt werden, daß sie zwar hören, aber nichts verstehen, daß sie wie ein unfruchtbarer Acker sind … Wenn sie das erkannt haben, werden sie vielleicht umkehren und Vergebung erlangen“ (ebd. 149). Also gerade nicht um seine Hörer zu verstocken, sondern „in der hoffnungsvollen Erwartung, daß sie umkehren und Vergebung erlangen“ möchten, redet Jesus zu ihnen in Parabeln (ebd. 143). Matthäus hat Markus also ganz richtig verstanden, wenn er dessen mißverständliches ºna durch ein konsekutives Ωti ersetzt und danach Jes 6,9 f im Wortlaut der LXX zitiert (Mt 13,13–15). Sachlich in größerer Nähe zu Johannes läßt Lukas, der die sogenannte ‚Parabeltheorie‘ an ihrer Stelle übergeht, seinen erzähl‑ ten Paulus am Ende seines Weges den Juden Roms erklären: „Treffend hat der Heilige Geist durch den Propheten Jesaja zu euren Vätern gesagt: … Ihr werdet hören und nicht verstehen, sehen werdet ihr, und doch nicht einsehen. Denn das Herz dieses Volkes ist verstockt (†pac‚nqh wie Jes 6,10 in der LXX), ihre Ohren sind schwer(hörig) und ihre Augen verschließen sie, so daß sie mit ihren Augen nicht sehen, noch mit 569
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ihren Ohren hören … und sich bekehren, daß ich sie heile. Darum sei euch kundgetan, daß das Heil Gottes nun zu den Heiden gebracht wird. Die werden ihm Glauben schenken (üko‚sontai)“ (Act 28,25–28). Jahrzehnte zuvor hatte der historische Paulus schon gefragt: „Was denn nun? Nun, was Israel erstrebte, das hat es nicht erlangt. Allein der auserwählte Teil (Israels) hat es erreicht. Die übrigen aber wurden verstockt (†pwr„qhsan), wie geschrieben steht: ‚Gott gab ihnen den Geist der Betäubung, Augen, um damit nicht zu sehen, und Ohren, um damit nicht zu hören, bis auf diesen heutigen Tag‘ (Dtn 29,3; vgl. Jes 6,9 u. 29,10). Und David spricht: ‚Ihr Tisch soll ihnen zur Schlinge werden, zur Falle, zum Fallholz (sk›ndalon) und zur Vergeltung (üntap∙doma). Ihre Augen sollen verfinstert werden, und ihren Rücken sollst du für immer beugen‘ (Ps 68,23 f)“ (Röm 11,7–10). Das Verbum pwr∙w begegnet bei Joh einzig hier und im gesamten übrigen Neuen Testament nur noch viermal, nämlich in Mk 6,52; 8,17; Röm 11,7 und 2Kor 3,14. Zudem besteht hier ein textkritisches Problem, das Menken (Quotations 101 ff) eingehend erörtert hat: Neben der Lesart †p„rwsen, die A B* L X Q Y f 13 33.1071.1230.1242* und Euseb sowie die meisten modernen Editionen und auch Nestle/Aland bieten, und dem an das vorausgegangene tet‚flwken angeglichenen Perfekt pep„rhken (B2 f 1 und M) lesen nämlich P66.75 a K W P 1079 und Didymus den Aorist †pflrwsen (von phr∙w: lähmen oder auch blenden; vgl. Bauer, WB s. v.); auch dazu bieten 63.122.185.259 die v. l. pepflrwken, die hier ebenfalls sekundäre Angleichung an das vorausgegangene tet‚flwken sein dürfte. Es bleibt also nur die Wahl zwischen den Lesarten †p„rwsen und †pflrwsen, die sich nur durch einen Buchstaben voneinander unterscheiden und die wegen ihres Definiertseins durch den Kontext nahezu synonym sind. Ebenso wie es pwr∙w ist, wäre auch phr∙w bei Johannes, und nicht nur hier, sondern darüberhinaus im gesamten NT ein hapax legomenon. Da die handschriftliche Bezeugung beider Lesarten etwa von gleichem Gewicht ist und Menken die Änderung von phr∙w in das geläufigere und auch sonst im Zusammenhang des Verstockungsmotivs gebrauchte pwr∙w wahrscheinlicher als der umgekehrte Vorgang erscheint, plädiert er für die Priorität von †pflrwsen. Auch wenn uns diese Argumentation einleuchtet, bleiben wir aufgrund der zumal zu Markus bestehenden Intertextualität bei der im Text von Nestle/Aland gebotenen Lesart †p„rwsen, zumal phr∙w auch sonst gelegentlich als v. l. zu pwr∙w erscheint (vgl. Bauer, WB s. v.). Auch das pwr∙w entsprechende Nomen p„rwsi" ist mit drei Vorkommen in Mk 3,5; Röm 11,25 und Eph 4,18 höchst selten; bei Mk 3,5 im übrigen mit der v. l. pflrwsi". Zur Bezeichnung der einem Teil Israels widerfahrenen Verstockung, die aber letztlich der Erlösung ganz Israels dienen muß (kaÑ oætw" pô" ûIsraÉl swqflsetai: Röm 11,26; vgl. Thyen, Mysterium Israel), gebraucht Paulus in Röm 11,25 das Nomen p„rwsi"; vgl. Eph 4,18 u. Mk 3,5.
Dafür, daß Johannes im Gegensatz zu Paulus mit diesem Resümee seines Erzählers die Juden definitiv aus der Heilsgeschichte habe ausschließen wollen, und daß er anstelle des „alten Bundes“ Gottes mit seinem Volk Israel einen „neuen Bund“ mit einem neuen Gottesvolk aus den Heiden oder aus Juden und Heiden im Auge habe, sehen wir nicht den geringsten Grund. Wie Gott sein Volk immer schon durch Gericht und Gnade dem Ziel seiner Verheißung entgegengeführt hat, so bleibt es auch für Johannes dabei, daß das Heil von den Juden kommt. Und wie das für Paulus gilt, so muß doch wohl auch für Johannes im Blick auf Israels Ungehorsam und Verstockung ebenso wie für Gottes Heilsversprechen an sein Volk, Jesu Wort gelten: kaÑ o§ d‚natai luqönai ™ graffl (Joh 10,35). Da Intertextualität nicht ein spezielles Phänomen des Johannes evangeliums, sondern ein wesentliches Konstituens aller geschriebenen Texte und zumal des Genres ‚Kommentar‘ ist, soll hier mit der folgenden Passage aus Marquardts Christologie einer unserer ‚Prätexte‘ ausdrücklich zu Wort kommen: „Wie Israel der 570
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Predigt des Propheten (Jesaja) nicht geglaubt hat, so auch nicht Jesus; es bleibt sich treu in seiner Augenblendung und in seinem Herzensunverstand, den Jesaja Israel gar nicht als Schuld vorwerfen konnte, weil er sie als zielgerichtete Fügung Gottes erkannte – Jesaja meinte wohl: hin zum Gericht… Aber sowenig die biblischen Überlieferer der Jesaja-Tradition in Gottes Zorn und Gericht sein letztes Wort an Israel sehen konnten und der Unheilsverkündigung des Propheten auch Heilsverkündigung folgen ließen, sowenig Johannes. Er deutet die Prophetenworte über Israels Verblendung jüdisch, wenn er nun 12,41 fortfährt: ‚Dies hat Jesaja gesagt, weil er seine (d. h. Jesu) Herrlichkeit sah, und von ihm hat er geredet‘. Im Johannes-Evangelium ist die d∙xa, Herrlichkeit, Jesu die unanschauliche Herrlichkeit des Gekreuzigten, die nur ein Glaubender an Jesus wahrnehmen kann; Jesus wird von Gott verherrlicht in der Stunde seines Todes (12,23); Tod und todüberwindendes Leben sind in dieser ‚Stunde‘ zu untrennbar einem geworden, hier gibt es eigentlich kein zeitliches Nacheinander von Tod und Auferweckung mehr. Erwählung bezeugt auch noch die Stunde des Gerichts. So hat Jesaja seinen schrecklichen Auftrag, Israel durch das Wort Gottes zu verblenden, verstanden. Er hat die ‚Herrlichkeit‘ Gottes über dem Gericht keine Sekunde geleugnet; von da aus erscheint es dem Johannes logisch, daß Jesaja perÑ a§toú, von Jesus geredet hat, denn in Jesu Geschichte gehört wie in der prophetisch verstandenen Israel-Geschichte unheilbare und zum Tode führende Verblendung zusammen mit der Herrlichkeit des rettenden Erbarmens Gottes, der Erwählung und des Dienstes“ (Christologie II, 299; vgl. ebd. 253 ff). Im Blick auf die, die „der Unheilsverkündigung des Propheten auch Heilsverkündigung“ folgen ließen – und das heißt in der Terminologie der historisch-kritischen Analyse: zumal im Blick auf diejenigen Partien des Jesajabuches, die wir Deutero‑ und Tritojesaja nennen –, spricht Marquardt hier treffend von „den biblischen Überlieferern der Jesajatradition“. Damit erinnert er uns daran, daß Jesaja für Johannes und seine Leser ja nicht der Name jenes Propheten aus dem achten vorchristlichen Jahrhundert ist, sondern der Name des biblischen Jesajabuches. Darum darf der Satz, Jesaja habe Jesu Herrlichkeit gesehen, nicht auf die Berufungsvision von Jes 6 beschränkt werden, als habe der Prophet da nur die d∙xa eines l∙go" ±sarko" geschaut. Denn von Jesus und seiner Herrlichkeit redet Jesaja doch vor allem in den Liedern vom Gottesknecht. In ihnen ist das †g„ e¢mi dessen zu Hause, der Eines ist mit dem Vater. In Jes 52,13 heißt es ganz ausdrücklich: ¢doÜ sunflsei ¨ paõ" mou kaÑ ≠ywqflsetai kaÑ doxasqflsetai sf∙dra ktl. Wie die bekennden ‚Wir‘ von 1,14, so hat Jesaja den die ‚Gezeiten durchdringenden‘ (Marquardt) Fleischgewordenen gesehen und von der d∙xa des Gekreuzigten geredet (vgl. Kühschelm 200 ff). Wenn Jesaja demgegenüber nach Becker (Komm. II, 478) nur „den präexistenten Christus in seinem Heilssinn“ gesehen haben soll, so fragt man sich, wie einer den hat ‚sehen‘ können, wenn Prä‑ existenz doch ein Prädikat des Fleischgewordenen ist. Solche Sätze wie diese jesajanischen aber sind für Johannes nicht konstatierende Aussagesätze, die zur Erscheinung bringen, was ist, sondern sie sind „Primärsätze des Glaubens“, nicht solche, die aus dem Glauben kommen, sondern solche, die ihn schaffen. Sie konstatieren nicht, was der Fall ist, sondern konstituieren, was nicht ist (vgl. Bayer, Gott als Autor 2). Als die Worte Gottes bewirken sie, was sie sagen (Gen 1,3 f; Ps 33,9). Wie Mose (5,45 ff) und Abraham (8,56 ff) kann Johannes darum auch Jesaja im Gespräch mit Jesus und als seinen Augenzeugen sehen. 571
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Jesaja wird also von Johannes nicht als jener historische Prophet im Jerusalem des achten vorchristlichen Jahrhunderts in Anspruch genommen, sondern als der Sprecher des Schrift gewordenen und damit zeitenthobenen Wortes Gottes. Darum ist es auch überflüssig, historisch-kritisch nach der ursprünglichen Intention des Propheten bei der Formulierung seiner Berufungs‑ und/oder Legitimationsvision in Jes 6 zu fragen, wie das etwa Kühschelm (78 ff) in großer Breite unternimmt. Denn so haben weder Johannes noch irgendeiner seiner Zeitgenossen Jesaja gelesen. Die Anrufung Jesajas erhebt vielmehr den Anspruch, „ein ‚kategorial Objektives‘ an Jesus auszusagen. Das alttestamentliche Gotteshandeln tritt nicht nur bestätigend als Vergewisserung zum Christusgeschehen, also in kognitiver Bedeutsamkeit, (hinzu), sondern das alttestamentliche Gotteshandeln hat kausative, axiomatische Bedeutung für Jesus, gehört also konstitutiv zu diesem Geschehen selbst“ (Ratschow, Glaube 70). Auch in dieser Hinsicht und nicht nur unter dem Aspekt seiner zufälligen historischen Genese gilt darum bleibend, daß das Heil von den Juden kommt (4,22). Zu dieser Art der Lektüre der biblischen Texte jenseits ihrer Reduktion zu historischen ‚Dokumenten‘ und jenseits von deren analytischer Auflösung des ‚Ursprünglichen‘ in bloße ‚Einflüsse‘ hat Lévinas (Judentum 38 ff) Entscheidendes zur bleibenden Aktualität des ‚Mysteriums Israel‘ gesagt. Und wie im Jesajabuch als Ganzem das in Jes 6 ausgesagte Gericht über Israel und seine Verstockung eine geschichtliche Phase darstellen und keinesfalls das letzte Wort Gottes in dieser Sache sind, so sind auch in unserem Evangelium das in unserer Passage ausgesagte „vor‑ und überindividuelle Gerichtet-Sein der Welt und die Sünde aller und eines jeden Menschen in ihr … geschichtlich (und darum) nicht unveränderlich… In diesem Sinne ist die pragmatische Funktion des johanneischen Dualismus und ‚Determinismus‘ genauso dialektisch zu verstehen wie die des Johannesevangeliums im ganzen“ (Onuki, Gemeinde 114; vgl. Kühschelm 271 ff und Wilkens, Zeichen 114 ff). Anders als in den Interpretationen von Käsemann, Schottroff, Becker, Trumbower u. a. sind der johanneische Dualismus und der scheinbare Determinismus des Evangeliums nicht die Fundamente von dessen Christologie und der Schlüssel zu deren Interpretation, sondern umgekehrt sind sie Funktionen des mit Jesus in die Welt gekommenen Lichtes, das die Finsternis überhaupt erst zur Erscheinung bringt. Darum darf unsere Passage keinesfalls so verstanden werden, als werde hier das definitive Verdammungsurteil über ‚die Juden‘ als Ungläubige ausgesprochen (vgl. Kühschelm 273). Denn wenn der Auferstandene seine Jünger am Ende mit dem Heiligen Geist begabt, sie mit den Worten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ in die Welt sendet, und ihnen dazu die Vollmacht verleiht, „Sünden zu vergeben oder zu behalten“ (20,19–22), dann zeigt sich ja, daß die nach 12,31 mit ihrem ±rcwn gerichtete Welt (k∙smo") auch in Zukunft Gegenstand der Liebeszuwendung Gottes bleibt und von den Lesern des Evangeliums fordert, sich dieser göttlichen Liebe entsprechend der Welt zuzuwenden und sich ihr auszusetzen (vgl. Onuki, Gemeinde 114). Und daß aus dieser ‚Welt‘, für die die Jünger so zur Verantwortung gerufen sind, ausgerechnet Gottes Eigentumsvolk Isarael ausgeschlossen sein sollte, ist doch schlechterdings undenkbar. Warum sollte der scheidende Jesus, wenn er seine Jünger nicht auch und zuerst zu Israel gesandt hätte, ihnen sonst sagen, daß die Juden sie aus der Synagoge ausschließen und womöglich gar ihre Tötung betreiben würden (16,1–4)? Nur unter der Bedingung, „daß das vor‑ und überindividuelle Gerichtet-Sein der Welt und die Sünde aller und eines jeden Menschen in ihr“ nicht von Ewigkeit her determinierte Größen, sondern geschicht572
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,41–42
lichen und darum veränderbaren Wesens sind, ist diese Sendung der Jünger überhaupt denkbar. Weil aber, wie bereits zum Prolog ausgeführt, das zeitliche Nacheinander des irdischen Weges Jesu und der österlichen Erkenntnis seiner Herrlichkeit „nicht auf ein zeitliches Nacheinander in der erkannten Sache selbst übertragen werden“ darf (Onuki, Gemeinde 199), ist es von Grund auf verfehlt, wenn Thüsing unter Berufung auf 7,37 ff das eine und untrennbare Heilswerk Jesu in zwei grundsätzlich voneinander unterschiedene ‚Stadien‘ zerteilt. Im Sinne von Phil 2,5 ff unterscheidet er die in der Kreuzigung Jesu gipfelnde Phase seiner ‚Erniedrigung‘ als das ‚Bild‘ von der nachösterlichen Phase seiner Erhöhung und Verherrlichung als die mit diesem Bild gemeinte ‚Sache‘. Im Kreuz als dem Beginn der Erhöhung sieht er die Trennung dieser beiden Stadien voneinander ebenso wie ihr Verbundensein miteinander markiert. „Die in den johanneischen Erhöhungsaussagen gemeinte ‚Sache‘ ist die Erhebung Jesu zur heilschaffenden Macht bzw. die Wirksamkeit des beim Vater herrschenden Jesus; das ‚Bild‘, in dem diese ‚Sache‘ meditativ geschaut wird, ist das des gekreuzigten Jesus. Das Bild des Gekreuzigten wird transparent für die Heilsbedeutung des Verherrlichten“ (Erhöhung 302; vgl. ebd. 201–204; 226–233; 289–294). Nicht nur die umstandslose Analogisierung der johanneischen Rede von Erhöhung und Verherrlichung mit dem Schema von Erniedrigung und Erhöhung in Phil 2,5 ff, sondern vor allem die Metaphorik von Bild und Sache führt hier in die Irre; vgl. zur Kritik an diesem Entwurf Onuki (Gemeinde 196 ff). Ähnlich unglücklich nennt Haacker, der Jesus als Religionsstifter begreifen will, die Lebenszeit Jesu „den Ursprung und die Norm“, die der johanneischen Gemeinde durch die Tradition vermittelt würden (Stiftung 69 ff). Doch gegen solchen nur traditionsvermittelten Glauben, der seinen Grund nicht in der Relation zum gegenwärtigen k‚rio" und seinem Erscheinen hat, sollten alle potentiellen Leser und/oder Hörer unseres Evangeliums sich nach dessen Lektüre wehren und dem anonymen Evangelisten bei aller Dankbarkeit mit den Leuten aus Sychar erklären: „Mein Lieber, nun glauben wir nicht mehr nur aufgrund deiner Erzählung, denn jetzt haben wir es von ihm selbst authentisch gehört und sind gewiß, daß dieser der Erlöser der Welt ist“ (4,42). Das Evangelium, das von den Zeichen erzählt, die Jesus vor seinen Jüngern getan hat, will selbst als ein Zeichen der realen Gegenwart des Auferstandenen bei den Seinen verstanden werden. Denn die vermeintlich „reale“ Ostererfahrung der „Urgemeinde“ war um nichts weniger „geistgewirkt“ als diejenige aller ihr folgenden Christengenerationen; und deren österlich-sonntägliche Begegnung mit ihrem auferstandenen Herrn ist um nichts weniger „real“ als die der in 1Kor 15,3 f aufgezählten ältesten Zeugen (vgl. dazu G. Koch, Auferstehung pass.).
42 f: Schon die Notiz, daß auf Jesu Wirken hin, wie es der Erzähler in unserer Passage resümiert, viele Juden, selbst von den ±rconte", an Jesus glaubten, ihren Glauben aber nicht öffentlich zu bekennen wagten, damit sie nicht zu üposun›gwgoi würden, zeigt deutlich, daß hier von einem unabänderlichen Determinismus überhaupt nicht die Rede sein kann. Der Abschnitt ist vielmehr geschrieben, um die Mutlosen (auch und gerade unter den Lesern!) zum Bekenntnis zu ermutigen und ihnen klarzumachen, was die Verweigerung des Bekenntnisses bedeutet, nämlich das Ansehen vor den Menschen höher zu achten als den Ruhm, den Gott verleiht. Im Blick auf das nach Joh 9,22 hier zum zweiten Mal erscheinende Lexem üposun›gwgo" spricht Kühschelm, der den damit ausgedrückten Vorgang wie viele als generelle Erfahrung des johanneischen Christentums deutet, von „dem nur im 4. Evangelium verwendeten terminus technicus“. Aber angesichts des Fehlens dieses Lexems in der gesamten urchristlichen und jüdischen Literatur ist das sicher ein Fehlurteil. Es dürfte sich eher um eine ad-hoc-Bildung unseres Evangelisten handeln, mit der er Erfahrungen resümiert, wie sie Mk 13,9 f; in Mt 10,17 ff; Lk 21,12 f u. ö. beschrieben werden. Auch diese Texte verknüpfen solche Erfahrungen mit dem Aufruf zum Festhalten am Bekenntnis. Dabei wird es 573
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Zweite Hälfte des vierten Aktes
sich um die Erfahrung einzelner Christen handeln, die hier zur Sprache kommt. Denn von einem bereits im ersten Jahrhundert komplett aus der Synagoge ausgeschlossenen Verband judenchristlicher Gemeinden wissen wir nichts, und angesichts der bis ins dritte Jahrhundert andauernden christlich-jüdischen Kommunikation ist ein derartiger Vorgang auch höchst unwahrscheinlich. Erst recht darf man Joh 12,37–50 aber nicht wie Blank so lesen, als werde hier eine spezielle „Krisis Israels“ beschrieben, in die das Gottesvolk „durch die Geschichte Jesu von Nazareth gebracht“ worden sei, und diese Krisis dann als ein „Zeichen und Musterbeispiel für die Krisis überhaupt“ deuten: „Hier liegt der Punkt, wo die Krisis Israels übergeht in die Krisis des Kosmos. Dieser Übergang ist vor allem durch zwei wichtige Faktoren bedingt: 1. Durch Jesu Erhöhung und Verherrlichung und die dadurch eingeleitete Verkündigung. Der ‚Jesus praedicans, moriens et resurgens clarificatus wird zum Jesus praedicatus‘. Das ist der erste wichtige Vorgang, der im Johannesevangelium seinen abschließenden Höhepunkt erreicht. 2. Diese Verkündigung wendet sich nicht mehr allein an die Juden, sondern auch an die Heiden, an den gesamten Kosmos. Zur Zeit, als Johannes schreibt, ist der Weg zu den Heiden längst entschieden und die endgültige Trennung von der Synagoge erfolgt. Diese Herkunft der ‚salus ex Iudaeis‘ und die Hinwendung zu den ‚Heiden‘ der späthellenistischen Welt kommt in der johanneischen Form des einen Evangeliums Christi zum Ausdruck …“ (Krisis 313). Von einem speziellen Gericht über Israel ist hier jedoch gar nicht die Rede. Es geht vielmehr um das Gericht über diese Welt und ihren ±rcwn (V. 31). Und in dem nún dieses Verses sind Jesu Erhöhung und Verherrlichung bereits impliziert. Sicher ist mit der Rede von „der Herkunft der salus ex Iudaeis“ im Sinne unseres Evangeliums auch zu wenig gesagt. Und so gewiß das Wort von den „anderen Schafen, die nicht aus dieser Aula stammen“ (10,16) und der Kommentar des Erzählers zur Kaiaphas-Prophetie, daß Jesus nicht allein für sein Volk Israel sterben müsse, sondern auch dazu, daß er die zerstreuten Gotteskinder zu einer Gemeinde zusammenführe (11,51 f), für die späteren Leser bereits die nachösterliche Mission auch unter den Heiden implizieren mag, so wird diese bei Johannes doch gerade nirgendwo eigens thematisiert, wie denn bei ihm auch kaum zufällig Jesu Wort an seine Jünger fehlt, daß man sie um seines Namens willen vor Könige und Statthalter führen werde (Mk 13,9 f parr.). (4) Aus dem Verborgenen erklingt Jesu Stimme (12,44–50) 44
Jesus aber rief: Wer an mich glaubt, der glaubt gar nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat. 45 Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat. 46 Als das Licht bin ich in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe. 47 Und wenn einer meine Worte hört und sie nicht bewahrt, dann werde ich ihn nicht verurteilen. Denn ich bin ja nicht gekommen, die Welt als Richter zu verurteilen, sondern dazu, die Welt zu erlösen. 48 Wer mich verachtet und meine Worte nicht annimmt, der hat schon seinen Richter: Das Wort nämlich, das ich gesprochen habe, eben das wird ihn richten am Jüngsten Tag. 49 Denn ich habe ja nicht aus eigenem Vermögen geredet, sondern der mich gesandt hat, der Vater, der hat mir geboten, was ich sagen und reden soll. 50 Und ich bin 574
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,43–44
gewiß, daß sein Gebot das ewige Leben ist. Was ich also sage, das sage ich so, wie es der Vater mir aufgetragen hat. Wie schon in Joh 3,13–21 aus dem Munde Jesu die Stimme des Geistes erklang und in 3,31–36 diejenige des Bräutigams, deren Klang dessen Freund, Johannes (den Täufer), mit tiefer Freude erfüllte (s. o. z. St.), so erklingt jetzt, ohne daß von einem erneuten Auftreten Jesu zuvor ausdrücklich die Rede gewesen wäre, aus der Verborgenheit, in die sich Jesus nach 12,36 zurückgezogen hatte, erneut seine Stimme. Bühner (Denkstrukturen 230) nennt das treffend einen „Schrei aus dem Verborgenen“; Ashton erklärt: „The first act of the great trial sequence is over; we are now in an interval, behind the scenes“ (Understanding 543). Auf die Weise folgt auf das Resümee des Erzählers noch eine Rede Jesu, die diesen zentralen Akt unseres Evangeliums (8,12–12,50) dadurch beschließt, daß sie ausnahmslos alle Motive der Passage 8,12–19 wiederaufnimmt, mit der Jesus diesen Akt eröffnet hatte. Neben dem Aufweis dieser neun Motive, die die beiden Passagen miteinander verbinden und die schon im Prolog eingeführt worden waren, nämlich denjenigen (1) von Licht und Finsternis, (2) von der Gabe ewigen Lebens, (3) von Jesu Zeugnis und Zeugesein, (4) von Nachfolge und Glauben, (5) vom Unglauben, (6) von Richten und Gericht, (7) von Jesu Gesandtsein vom Vater, (8) von Jesus als Concreator des Vaters und (9) von seinem Einssein mit dem Vater, hat Østenstad vor allem die analoge konzentrische Struktur dieser beiden Rahmenstücke erwiesen (Structure 37 ff). Diese so unvermittelt aus dem Verborgenen erklingende Rede Jesu hat schon früh zu Eingriffen in den überlieferten Text geführt. So hat bereits Tatian Joh 12,44–50 zwischen V. 36a u. 36b versetzt; Bernard und Moffatt jeweils z. St. folgen ihm darin. Becker schreibt das ganze Stück seiner „kirchlichen Redaktion“ und deren vermeintlichem Interesse an der futurischen Eschatologie der Apokalyptik zu (Komm. II, 480 ff). Schnackenburg bezeichnet die Passage als „Hinzufügung der Redaktion“ mit der Näherbestimmung: „aus Material des Evangelisten“ (Komm. II, 523 ff). Brown behandelt das Stück als „an unattached discourse of Jesus used as a summary proclamation“ und erklärt dazu: „The fact that 12,46–48 is very much like 3,16–19 … makes it quite plausible that, in part, 12,44–50 is a variant of material found elsewhere in John but preserved by a different disciple. In the final redaction of the Gospel this independent discourse was probably added where it would cause the least disarrangement“ (Komm. I, 490). Boismard / Lamouille lassen Joh 12,44a und 46–50 auf 12,33 folgen und schreiben die Passage der in etwa Schnackenburgs johanneischer Schülerredaktion entsprechenden Schicht Jean II B zu (Komm. 310 ff; vgl. Boismard, Caractère, u. s. dazu Schnackenburg, Komm. II, 524 f). Auch Schneider sieht in 12,44–50 ein vom Kontext „unabhängiges, selbständiges Stück“, für dessen Einfügung gerade an dieser Stelle er keinen „zwingenden Grund“ zu sehen vermag (Komm. 237). Neben anderen Beobachtungen hatte gerade die von Østenstad beobachtete auffällige Analogie zwischen 8,12 ff und 12,44 ff Bultmann zu erheblichen Eingriffen in den überlieferten Text veranlaßt und ihn bewogen, aus 8,12 + 12,44–50 + 8,21–29 + 12,34–36 eine vermeintlich ursprüngliche „Lichtrede“ des Evangeliums zu konstruieren. Diese Rede will er als die Bearbeitung einer entsprechenden Lichtrede der von ihm postulierten Quelle gnostischer Offenbarungsreden durch den Evangelisten erweisen (Komm. 260 ff).
Doch allen derartigen Spekulationen über die mutmaßliche Genese des Textes, über seine Vor‑ oder Nachgeschichte gegenüber sehen wir auch in dieser Passage des überlieferten ‚Evangeliums nach Johannes‘ einen konstitutiven Teil dieses auktorialen und kohärenten ‚literarischen Werkes‘. Und wer immer es in seiner überlieferten Gestalt ediert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben sollte, den nennen wir seinen 575
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‚Evangelisten‘. Von der strukturellen, Valeur und Kohärenz stiftenden Bedeutung der Passage 12,44–50 haben uns neben der gewichtigen Untersuchung von Mlakuzhyil vor allem die Beiträge von Wyller (Solomon’s Porch) und Østenstad überzeugt, davon also, daß Joh 8,12–12,50 den zentralen Akt und die Peripetie der Erzählung bildet und daß dessen Auftakt (8,12–19) und sein Finale (12,44–50) einander strukturell und hinsichtlich ihrer Motive genau entsprechen und ihm so den Charakter einer Ringkomposition verleihen. Und das gilt unbeschadet der Frage, ob man diesen Akt nun mit Wyller als den dritten von fünf oder mit Østenstad als den vierten von sieben Akten ansehen will. Entgegen allen Versuchen, für 12,44–50 einen passenderen Ort innerhalb des Evangeliums auszumachen, erklärt Dodd treffend: „Yet something seems to be needed at this point to pull the whole series auf discourses together, and this résumé of salient points from the discourses, in language which echoes their language without repetition, does this effectively“ (Interpretation 382). Dem schließt sich Ashton mit den Worten an: „The piece was designed as a coping-stone to crown all that has gone before – and perhaps with just a glimpse of what lies ahead“ (Understanding 545). 44 f: Mit seinem lauten Rufen (≤kraxen kaÑ eèpen; vgl. 1,15; 7,28.37) läßt der Erzähler Jesus aus seiner Verborgenheit noch einmal zu Wort kommen. Wie nach einigen Vätern schon Calvin (Komm. 329) bemerkt hat, dürfte dieses laute Rufen und †g„-Sagen Jesu zugleich einen absichtsvollen Kontrast zu denen bilden und sie ermutigen, die sich verängstigt nicht trauen, ihren Glauben auch öffentlich zu bekennen (vgl. Hoskyns, Komm. 430, u. Schnackenburg, Komm. II, 525). Jesu so eingeleiteter Doppelspruch: „Wer an mich glaubt, der glaubt gar nicht an mich, sondern (er glaubt) vielmehr an den, der mich gesandt hat. Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat“ (44 f), ist fraglos ein Spiel mit den entsprechenden synoptischen Texten. Borgen (Use of Tradition 23 ff) hat sie, nämlich (1) Mt 10,40 / Lk 10,16; Mk 9,37 / Lk 9,48 und Joh 13,20 sowie (2) Lk 10,16; Joh 5,23; 8,19; 12,44 f; 14,7.9; 15,23, zusammengestellt und analysiert. Mit guter Begründung vermutet er, daß die unter (1) genannten Logien traditionsgeschichtlich primär sein dürften. Wie Joh 13,20: ¨ lamb›nwn ±n tina pfimyw / †mÇ lamb›nei, ¨ dÇ †mÇ lamb›nwn / lamb›nei tÖn pfimyant› me und Mt 10,14 sowie in negativer Wendung Lk 10,16 sprechen sie von einer doppelten Sendung und bekleiden die von Jesus gesandten Jünger mit der Autorität des vom Vater gesandten Sohnes als ihres Senders. Unser mit Joh 13,20 eng verwandter Doppelspruch von 12,44 f wäre dann eine um der christologischen Pointe der Passage willen und um den Blick „ganz auf den Sendenden“ zu lenken, (Schnackenburg ebd.) um das Thema der Jüngeraussendung gekürzte Variante jener Texte, denen auch Mk 9,37 (≈" …n ¬n tùn toio‚twn paid‡wn dfixhtai †pÑ tù £n∙mat‡ mou, †mÇ dficetai: kaÑ ≈" …n †mÇ dfichtai o§k †mÇ dficetai, üllÅ tÖn üposte‡lant› me) und Lk 9,48 nahestehen; vgl. zum Thema des Erscheinens des Senders in dem von ihm Gesandten Borgen (God’s Agent) und Bühner (Der Gesandte pass.). Doch diese beiden Autoren, denen nun auch Becker weithin folgt, wenn er in seinem Kommentar immer wieder von der johanneischen ‚Gesandtenchristologie‘ spricht, verfahren nach der problematischen hermeneutischen Maxime, wonach ‚etwas zu verstehen‘ zu verstehen heißt, wie dieses Etwas geworden ist (vgl. Schnädelbach, Vernunft 125 ff). In diesem Sinne wollen sie die johanneische Christologie weitgehend aus ihrer vermeintlichen Genese erklären, nämlich aus dem (späten und sicher nachjohanneischen) rabbinischen Gesandteninstitut. Damit aber neigen sie dazu, die johanneische Christologie in reinen Funktionalismus und Sub576
Siebte Szene: Jesu königlicher Einzug in Jerusalem
12,43–45
ordinatianismus aufzulösen. Das gilt auch Barretts Beschreibung der johanneischen Christologie als einer subordinatianischen gegenüber (Subordinationist Christology). Doch gegen solche Fehlurteile hatte schon Rengstorf geltend gemacht, daß das sachlich primäre Moment bei Johannes „die wesenhafte Einheit Jesu mit Gott“ sei und daß von dieser Einheit her „in bestimmten Zusammenhängen üpostfillein und pfimpein ihre eigenartige Prägung im 4. Evangelium empfangen … und nicht umgekehrt die joh. Christologie geprägt“ haben (Art. üpostfillw 405; vgl. Käsemann, Letzter Wille 59; Appold, Oneness-Motif pass.). Auf das Dilemma, in das die altkirchliche ‚Zwei-Naturen-‘ und ‚Trinitätslehre‘ heutiges christologisches Denken verstricken muß, weil diese Lehren mit ihrer Rede von den ‚Eigenschaften‘ Gottes tief in einem onto-theologischen Gottesbegriff verwurzelt sind, haben wir unter Verweis auf J. Fischer oben zu Joh 1,14 aufmerksam gemacht. Fischer schlägt darum vor, anstelle einer zweifachen Substantialität bzw. zweier differenter Kategorien von Eigenschaften Gottheit und Menschheit Jesu als die Aspekte zweier voneinander zu unterscheidender Erkenntnisweisen zu begreifen. Einen ähnlichen Weg sucht Joest zu beschreiten, wenn er nach dem Durchgang durch die klassische Christologie erklärt: „Wir versuchen, das Zugleich der Gegenwart Gottes in Jesus und seines menschlichen Gegenüber(s) zu Gott nicht substantial als ontische Doppelbeschaffenheit seiner Person in sich selbst, sondern relational als das Miteinander zweier Beziehungen zu verstehen, die Jesus auf seinem Erdenweg von der Krippe bis zum Kreuz zukamen einmal in seinem eigenen Verhältnis zu Gott, und andererseits in dem Verhältnis, das Gott selbst in ihm zu uns eingegangen ist“ (Dogmatik I, 233; vgl. ebd. 231 ff). Solches Hören auf die einfache Sprache der biblischen Texte verlangt freilich einen „doppelten Verzicht“, den Verzicht nämlich sowohl auf das absolute ‚Objekt‘ als auch auf das absolute ‚Subjekt‘. Denn das ist der Preis, „der für das Eintreten in die Modalität einer radikal nicht spekulativen und vorphilosophischen Sprache zu zahlen ist“ (Ricœur, Gott nennen 58). Weil ein Satz wie der: „Jesus ist der Sohn Gottes“, seit den Tagen Descartes’ nur noch entweder als Identitäts‑ oder aber als bloßes Funktionsurteil verstanden werden kann, deren ersteres ebenso unbefriedigend ist wie das letztere, sehen wir in den genannten Beiträgen Fischers und Joests notwendige Hinweise auf einen Weg zwischen diesen die Sache der Christologie verschlingenden Extremen.
Daraus folgt, daß V. 44 f im Licht von 10,30 gesehen werden müssen. Es ist die Einheit Jesu mit dem Vater, ihr wechselseitiges Ineinander-Sein, die ihn sagen läßt, wer an ihn glaube, der glaube gar nicht an ihn, sondern vielmehr an den Vater, der ihn gesandt habe, und wer ihn sehe, der sehe den Vater. Und das wiederum hat seinen Grund in dem schon im Prolog ausgesprochenen Satz, daß niemand Gott jemals gesehen habe, sondern einzig der monogenÉ" qeÖ" ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patr∙" (ihn) offenbart habe (1,18). Das darf freilich nicht so verstanden werden, als ob Jesus – wie der lukanische Paulus auf dem Areopag vor den Griechen Athens – in unserem Evangelium als der Zeuge eines bis dato ‚unbekannten Gottes‘ aufträte. Es ist vielmehr stets der bekannte Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der für den unbekannten Jesus, den jüdischen Mann aus dem unbedeutenden Nazaret, als Zeuge eintritt. „Man findet im Sohne den Vater wieder, sofern man eben im Sohn durch den Vater gesucht und gefunden wird“ (K. Barth, Erklärung 365; vgl. ebd. 364 ff u. s. Appold 24 ff). Der Satz, daß keiner Gott jemals gesehen habe, gilt vielmehr prinzipiell. Auch seinem erwählten Volk Israel ist Gott immer schon allein durch weltliche Vermittlungen nahe gewesen. Darum muß die Geschichte seiner großen Taten und Wunder jeder Generation aufs Neue erzählt werden. In diesem Sinn hatte Jesus in Joh 9,5 erklärt: „Jedesmal, wenn ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt“, und entsprechend will auch unser Satz: „Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat“, verstanden sein. Da sind nicht zwei Objekte 577
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Zweite Hälfte des vierten Aktes
des Glaubens oder Sehens, sondern Gott selbst ‚ereignet‘ (Ratschow) seine rettende Gegenwart eben jetzt in Jesus. 46–50: Die folgenden, kunstvoll gebauten V. 46–50 legen das in V. 44 f Gesagte aus. Zunächst nimmt Jesus in V. 46 das Lichtwort von 8,12 wieder auf und variiert es so: Als das Licht bin ich in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt (pô" ¨ piste‚wn e¢" †mfi), nicht in der Finsternis bleibe. Der Vers ist eine Variante der schon in den synoptischen Evangelien häufigen Ich-Worte Jesu, in denen er mit dem Aorist élqon von seinem Gekommensein redet (vgl. etwa Mk 2,17; Lk 12,49 ff; Mt 5,17 u. s. Bultmann, Synoptische Tradition 161 ff). Mit dem emphatisch vorangestellten †g„ und dem Gebrauch des Perfekts †lflluqa anstelle des in diesen Logien üblichen Aorists ist in dieser quasi ort‑ und zeitlosen Passage die bleibende Gegenwart des Auferstandenen bei den Seinen zur Sprache gebracht. Danach bilden die V. 47 f einen Parallelismus, der nach dem folgenden Schema gebaut ist (vgl. Frey, Eschatologie III, 313 ff): A B C A' B' C'
kaÑ †›n t‡" mou üko‚sÔh tùn Øhm›twn kaÑ mÉ ful›xÔh †gá o§ kr‡nw a§t∙n: o§ gÅr élqon ºna kr‡nw tÖn k∙smon, üllû ºna s„sw tÖn k∙smon. ¨ üqetùn †mÇ kaÑ mÉ lamb›nwn tÅ Øflmat› mou ≤cei tÖn kr‡nonta a§t∙n: ¨ l∙go" ≈n †l›lhsa †keõno" krineõ a§tÖn †n tÔö †sc›tÔh ™mfira.
Schon diese poetische Struktur des Doppelverses zeigt, daß es nicht angeht, im Blick auf die vermeintlich rein präsentische Eschatologie des Evangelisten V. 48c (hier: C’) als redaktionell zu streichen (so etwa Becker, Komm. II, 481). Die jeweils mit zwei Verben formulierte Protasis, nämlich in A mit üko‚w und ful›ssw und in A’ mit üqetfiw und lamb›nw, zeigt, daß es nicht auf bloßes Hören, sondern auf das Bewahren und Bewähren des Gehörten ankommt, und daß dieses Hören nicht auf die weiter gehende Überlieferung des Gehörten und einen entsprechenden ‚richtigen Glauben‘ beschränkt werden kann, sondern in eine bleibende Relation zu dessen Sprecher stellt: Seine Worte nicht anzunehmen heißt, ihn selbst abzuweisen (vgl. Lk 10,16). Das Beispiel des Petrus, der als der Repräsentant der Zwölf erklärt und bekannt hatte: „Herr, du hast Worte des ewigen Lebens …“ (6,68 f), der aber diese Worte gleichwohl nicht bewahren konnte, sondern aus Angst zu einem üqetùn Jesu geworden war (18,15 ff), und den erst sein auferstandener Herr von seinem tiefen Fall zu heilen vermochte (21,15 ff), mag die Problematik der abstrakten Rede von ‚Glaubensentscheidung‘ und ‚präsentischer Eschatologie‘ anzeigen. Daß Jesus jetzt seinen l∙go" – hier wohl als Zusammenfassung seiner zuvor genannten Øflmata gebraucht und kaum nur zufällig an 1,1 ff erinnernd – quasi personalisiert und ihn als den endzeitlichen Richter benennt, hat eine gewisse Analogie darin, daß er den ungläubigen Juden, die ihn zu töten trachteten (5,18), erklären konnte: „Glaubt ja nicht, daß ich euch vor dem Vater verklagen werde (kathgorflsw: Futur wie das krineõ in 12,48). Da ist vielmehr einer, der euch verklagt (†st‡n Präsens wie das ≤cei in 12,48), nämlich Mose, auf den ihr doch eure Hoffnung gesetzt habt“ (5,45). Ähnlich wird schon Dtn 1,16 f; 17,2 ff; 19,18 die Tora jeweils als Richterin benannt; vgl. dazu Frey (Eschatologie III, 315). Ebenso wie vor ihm schon Hoskyns (Komm. 431) u. a. macht Frey hier auf die große Nähe der V. 47 ff zu Dtn 18,18 f aufmerksam, wo Gott über den Propheten seiner Verheißung erklärt: kaÑ d„sw tÖ Øöm› mou †n tù st∙mati 578
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a§toú, kaÑ lalflsei a§toõ" kaq∙ti …n †nte‡lwmai a§tù, und sagt, daß er denjenigen, der nicht auf das hört, was der Prophet in seinem Namen verkündigen wird, zur Rechenschaft ziehen werde: †gá †kdikflsw †x a§toú (V. 19). Uns erscheint diese Nähe so groß, daß wir geneigt sind, hier von einem intertextuellen Spiel mit diesem Text des Deuteronomiums zu sprechen. 49 f: Frey (317) gibt diese beiden kunstvoll strukturierten Verse graphisch so wieder: A Ωti †gá †x †mautoú o§k †l›lhsa B üllû ¨ pfimya" me patÉr a§t∙" moi †ntolÉn dfidwken C t‡ e¥pw kaÑ t‡ lalflsw. D kaÑ oèda Ωti ™ †ntolÉ a§toú zwÉ a¢„ni∙" †stin. C' ¡ oên †gá lalù, B' kaqá" e¥rhkfin moi ¨ patflr A' oætw" lalù. Variierend nehmen sie noch einmal die Themen der Einheit Jesu mit seinem himmlischen Vater und des ewigen Lebens auf (vgl. 8,12–19): Das einleitende Ωti zeigt, daß der erzählte Jesus das zuvor Gesagte jetzt begründet. Und zwar nennt er damit nicht nur den Grund für die richterliche Rolle seines l∙go" und die Dialektik von Gnade und Gericht, sondern durch die zentrale Aussage, daß die ihm aufgetragene †ntolfl des Vaters das ewige Leben sei, begründet er zumal seine Erklärung, daß er nicht gekommen sei, die Welt zu verurteilen, sondern sie zu retten (V. 47), und konkretisiert dieses: ºna s„sw tÖn k∙smon jetzt dadurch, daß er der Welt auf Weisung seines Vaters das ewige Leben bringt.
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Fünfter Akt und esoterisches Zwischenspiel der dramatischen Historie Jesu nach Johannes: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern (13,1–17,26) Trotz der vielfältigen Bemühungen, in den Kapiteln 13–17 verschiedenartige Schichten und Stufen der Genese dieses großen Blocks aufzuweisen und deren mutmaßliche Quellen zu eruieren (vgl. nur J. Becker, Abschiedsreden, ferner zu Joh 17: Aufbau; sowie zum Ganzen von Joh 13–17 seinen Komm.), nennen wir auch hier denjenigen, dem wir die überlieferte Gestalt und Textfolge der fünf Kapitel verdanken, den vierten Evangelisten. Auch hier unterstellen wir seinem Text, was immer dessen Vorgeschichte gewesen sein mag, daß er sinnvoll und kohärent ist, und versuchen diese Unterstellung durch unsere Auslegung ‚einzuholen‘. Im Anschluß an Østenstad sehen wir in Joh 13–17 den fünften Akt des Evangeliums. Und wenn wir ihn soeben als ein esoterisches Zwischenspiel bezeichnet haben, so soll damit zur Sprache kommen, daß wir Bultmanns Bezeichnung von Joh 1–12 als die „Offenbarung Jesu vor der Welt“ und deren Unterscheidung von Joh 12–20 (!) als „Offenbarung Jesu vor der Gemeinde“ nicht zu folgen vermögen, weil der Prozeß Gottes mit der Welt nach dieser Episode ja nicht nur weitergeht, sondern seine Klimax überhaupt erst in Kap. 18 f erreicht, wenn sich der Angeklagte, Verurteilte und Getötete endlich als der wahre Weltenrichter und Lebensstifter erweisen wird. Wie Segovia (vgl. etwa seine frühe Untersuchung ‚Love Relationships‘ u. a.) haben auch wir einst (vergeblich) versucht, der Lösung des ‚johanneischen Rätsels‘ auf dem Wege einer literarkritisch fundierten redaktionsgeschichtlichen Interpretation des Evangeliums näher zu kommen (vgl. Thyen, Johannes 13 und die kirchliche Redaktion, und: Entwicklungen innerhalb der johanneischen Theologie und Kirche; sowie unsere Literaturberichte in ThR). Doch unsere seit ihren Anfängen in Bultmanns Marburger Seminar andauernde Lektüre des Evangeliums hat uns, ebenso wie es Segovia auf ähnliche Weise ergangen sein mag, zu der Einsicht geführt, daß das gesamte Evangelium – mag es auch „the ultimate product of a process of accretion and expansion“ sein – dennoch als „an artistic and strategic whole“ gelesen sein will. Und das gilt zumal darum, weil wir erkannt haben, daß jegliche derartige „theory concerning such a process of accretion and expansion sheds little light on the present meaning of the speech“. Darum können wir uns Segovias Worte über diesen Wechsel von einer redaktionsgeschichtlichen zu einer integrativen Perspektive der Johanneslektüre zu eigen machen und zu unserem Umgang mit dem Text mit Segovia erklären: „With this change from a redactional to an integrative perspective has come a further change from the idea of one sole and objective meaning in the text or in the author of that text – a general presupposition of the redactional approach – to the idea of meaning as a negotiation between text and reader. With such a change I would no 580
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,1
longer claim to provide the definitive reading of this text against all those who posit a different reading. I seek to provide, instead, a reading that is comprehensive and persuasive, that reflects in some way my own social location and ideological stance as a reader and interpreter, and that is not presented as the only objective and definitive way to read the text. The reading is one of several such readings, and I offer it as such to my own readers.“ (The Farewell of the Word VIII f).
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße (13,1–38) (1) Einleitung nicht nur dieser Szene, sondern des gesamten Aktes (13,1–4) 1
Aber bereits vor dem Passafest wußte Jesus, daß seine Stunde nun gekommen war, aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen; und wie er die Seinen, die in der Welt sind, geliebt hatte, so erwies er ihnen nun seine Liebe bis zur Vollendung. 2 Und beim Mahl, als der Teufel Judas, dem Sohn des Iskarioten Simon, bereits den Plan ins Herz gelegt hatte, ihn (Jesus) auszuliefern, 3 und in der Gewißheit, daß der Vater ihm alles in seine Hände gelegt hatte und daß er, wie er von Gott ausgegangen war, nun wieder zu Gott hingehe, 4 erhob er (Jesus) sich vom Mahle, legte sein Obergewand ab, ergriff ein Leinentuch und umgürtete sich damit. Obwohl diese überladen erscheinende und angesichts der bei Johannes gewohnten Diktion überraschende Satzperiode, die zudem in sich noch keineswegs abgeschlossen ist, sondern vielmehr unmittelbar in die Erzählung von der Fußwaschung überleitet, viele ihrer Kommentatoren schon früh zu literarkritischen Eingriffen herausgefordert und Joh 13 geradezu zu einem Übungsfeld derartiger Unternehmungen gemacht hat, werden wir diesen Spuren nicht folgen (vgl. Thyen, Ich bin das Licht der Welt). Wir wollen hier vielmehr versuchen, diese nicht allein die Szene der Fußwaschung, sondern den gesamten Akt Joh 13–17 einleitende Periode gerade in ihrer Kohärenz stiftenden Komplexität zu verstehen. 1: Auch wenn wir darum Bultmanns Theorie der literarischen Genese des Evangeliums und hier speziell seiner Transplantation des größten Teils von V. 1 in Kap. 17 als dessen vermeintliche Einleitung und dieses Kapitels wiederum in unser dreizehntes nicht zu folgen vermögen, hat er doch die große Nähe dieser unsere Szene einleitenden Passage zu Joh 17, und zumal zum Schluß dieses Kapitels treffend beobachtet. Ähnliches gilt auch für Beckers These, erst seine „kirchliche Redaktion“ habe unserer Passage ihre überlieferte Gestalt verliehen, um die beiden einander von Haus aus widersprechenden Deutungen der Fußwaschung so miteinander zu verknüpfen. Beides sind zutreffende Beobachtungen. Da wir jedoch nicht, wie je auf ihre Weise Bultmann und Becker, re‑ daktionsgeschichtlich nach dem mutmaßlichen Werden des Evangeliums fragen, sondern im Zuge seiner „integrativen Lektüre“ (Segovia) zu erkunden suchen, was dieses Gewordene denn sei und was für eine Welt es seinem Leser eröffnet, gilt es nun, die genannten Beobachtungen Bultmanns und J. Beckers dieser Erkundung der „Textwelt“ zu integrieren. 581
13,1–38
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Im Lichte unserer integrativen Lektüre liegt das Wahrheitsmoment von Bultmanns Beobachtung der großen Nähe von Joh 13,1–4 zum Gebet Jesu im 17. Kapitel darin, daß diese beiden Texte tatsächlich nicht nur eng miteinander verwandt sind, sondern daß sie eine absichtsvolle Inclusio um die gesamte Szene des Abschieds bilden. Und daß gerade diese hochkomplexe Einleitung zum einen die Kohärenz zwischen den beiden Deutungen der Fußwaschung stiftet und zum anderen den Raum für das Liebesgebot der V. 34 f freihält, sieht Becker ganz richtig. Die Zeitangabe: prÖ dÇ tö" ©ortö" toú p›sca, muß sich auf den Abend (vgl. das én dÇ n‚x in V. 30) des vorletzten Tages von Jesu irdischem Leben beziehen. Mit diesem Abend und Sonnenuntergang beginnt nach jüdischer Zeitrechnung der neue Tag. Noch in dieser Nacht wird Jesus verhaftet, zu Hannas geführt und früh am folgenden Morgen (18,28: én dÇ prw⁄) an Pilatus ausgeliefert. Und dieser letzte Tag, an dem Jesus – in eben der Stunde, in der die Passalämmer im Tempelbezirk geschlachtet werden – als das ‚Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt‘ (1,29) am Kreuz stirbt, ist als die paraskeuÉ toú p›sca (19,14) der vierzehnte Nisan, der in jenem Jahr auf einen Sabbat fiel (19,31; s. u. jeweils z. St.). Erst am Abend dieser paraskeufl, also nach dem Tode Jesu, findet das Passamahl mit dem geschlachteten Lamm als seinem Mittelpunkt statt. Das könnte einer der Gründe sein, die Johannes bewogen haben, den Einsetzungsbericht bereits im Zusammenhang der wunderbaren Speisung der großen Menge zu verarbeiten und ihn hier durch eine tiefsinnige Deutung durch die Fußwaschung zu ersetzen, oder vielleicht besser: zu kommentieren. Ähnlich mag es mit dem bei Johannes verbatim fehlenden ‚Vater Unser‘ stehen. Weil nämlich erst Jesu Auferstehung und Aufstieg zu seinem Vater seine Jünger zu seinen Brüdern und damit seinen Vater auch zu ihrem Vater macht (20, 17), hat Johannes das Vater Unser durch sein intertextuelles Spiel mit dessen Wortlaut in Joh 17 ersetzt (s. u. z. St.). Jesus weiß (e¢d„"), daß seine Stunde, aus dieser Welt hinüber zum Vater zu gehen, jetzt angebrochen ist. Das in V. 3 wiederaufgenommene Partizip e¢d„" und das Gegenüber des Wissens Jesu und des Nichtwissens der Jünger „is central to the dynamic of the entire unit“ (Culpepper, Hypodeigma 135). Daß gerade dieser Eingangssatz samt der partizipialen Fügung: ügapflsa" toÜ" ¢d‡ou" toÜ" †n tù k∙smw, e¢" tfilo" °g›phsen a§to‚", den Bultmann ja nach Joh 17 versetzt hatte (s. o.), als ein konstitutiver Teil und als „Überschrift über die Kapitel 13–17, oder besser noch über 13–20“ gelesen sein will, sieht Bauer (Komm. 167) ganz richtig. Die Näherbestimmung der ¥dioi Jesu als solcher, die in der Welt sind, hat Ammonius von Alexandrien u. E. treffend so verstanden: °g›pa mÇn a§toÜ" kaÑ prÖ toú p›sca gegoná" ±nqrwpo". Ωte dÇ kaÑ †pfidwken ©autÖn e¢" tÖ üpoqaneõn, t∙te tele‡w" †nede‡xato tÉn e¢" toÜ" ünqr„pou" üg›phn. o§ m∙non ûIouda‡ou", üllÅ kaÑ ±llou" ≤cei Æ" dhmiourg∙". ¢d‡ou" lfigei p›nta" toÜ" †n tù k∙smw (Frgm. 442 bei Reuss 307). Er sieht also mit o´ ¥dioi, das als dieses artikulierte Maskulinum nur in 1,11 und hier erscheint, wie im Prolog vornehmlich die Juden bezeichnet (s. o. zu 1,11). Weil aber nichts und niemand ohne ihn geschaffen ist (Æ" dhmiourg∙"; vgl. 1,1 ff), sind weit über die ûIoudaõoi hinaus (üllÅ kaÑ) auch ‚alle Menschen, die in der Welt sind‘ die Seinen. Wie die Abschiedsszene insgesamt ein Text für alle potentiell des Lesens und/oder des Zuhörens Fähigen ist, so sollten seine Leser die Jünger, die da mit Jesus zu seinem letzten Mahl versammelt sind, als ihre und aller Menschen Repräsentanten begreifen und sie nicht als die Vertreter der sektiererischen In-Group einer vermeintlichen ‚johanneischen Gemeinde‘ identifizieren. Und dementsprechend sollten sie sich – und sollten wir uns – die bei Johannes übergangene Frage 582
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,1–4
nach dem ‚Verräter‘ und/oder ‚Verleugner‘ Jesu selbst stellen: „Herr, bin ich’s?“ (Mk 14,19 par). Daß die Wendung e¢" tfilo" °g›phsen a§to‚" auf jenes tetfilestai des Sterbenden von 19,30 vorausweist und also in dem Doppelsinn von ‚bis zuletzt‘ und ‚bis zur Vollendung‘ gelesen sein will (vgl. Bauer, Komm. 167), und daß in ihrem Licht die folgende Fußwaschung bereits als shmeõon der Lebenshingabe Jesu begriffen sein will, hat schon Ammonius treffend beobachtet (s. o.). 2: Erst durch die knappe Notiz: kaÑ de‡pnou ginomfinou, erfährt der Leser, daß Jesus hier mit seinen Jüngern zum letzten Mahl versammelt ist. Anstelle des von Nestle/ Aland26 f gebotenen und durch a* B L W Y 0124. 1241 pc d und r1 bezeugten Präsens ginomfinou lesen die kaum weniger gewichtigen Zeugen P66 a2 A D Q f 1.13 M die Aoristform genomfinou. Da aber das Mahl, wie der Kontext ausweist, keineswegs schon vorüber, sondern noch im Gange ist, müßte man den Aorist als ingressiven verstehen, so daß eine Entscheidung für eine der beiden Lesarten nicht gefällt zu werden braucht (vgl. Metzger, Comm. 239). Doch nicht nur diese Mahlnotiz, sondern auch die ihr unmittelbar folgende Aussage, daß der Diabolos Judas, dem Sohn des Iskarioten Simon, bereits den teuflischen Plan eingeflüstert habe (beblhk∙to" e¢" tÉn kard‡an ... ûIo‚da), Jesus auszuliefern, erinnert den Leser an die synoptische Abendmahls-Szene und soll das wohl auch (vgl. Sabbe, Footwashing 417 ff). Die Nennung des Teufels kommt für ihn nicht überraschend, denn Jesus hatte den Zwölfen ja schon in Joh 6,70 erklärt: kaÑ †x ≠mùn eï" di›bol∙" †stin, und zur Information der Leser hatte der Erzähler diesem vagen eï" hinzugefügt, Jesus habe damit Judas gemeint, den Sohn des Iskarioten Simon, der ihn ausliefern sollte (zum achtmaligen Erscheinen dieses Judas und zur jeweiligen Gestalt seines Namens s. o. zu 5,71 sowie zu 12,4). Da zwischen dieser teuflischen Einflüsterung und dem leibhaftigen Einfahren des Teufels in Judas in V. 27: kaÑ metÅ tÖ ywm‡on t∙te e¢sölqen e¢" †keõnon ¨ satanô", sicher absichtsvoll ein Spannungsbogen hergestellt ist, wird man in unserem V. 2 mit der Mehrzahl der Handschriften anstelle des Nominativs ûIo‚da" den Genitiv ûIo‚da lesen müssen, der kard‡a näherbestimmt als das Herz des Judas, dessen Name emphatisch an den Schluß gestellt ist (vgl. Bauer, Komm. 168 u. s. auch dazu Metzger ebd.). Daß der hier di›bolo" Genannte in V. 27 Satanô" heißt, sollte man nicht verschiedenen Quellenstücken, sondern der nun schon öfter beobachteten Vorliebe unseres Evangelisten für das Spiel mit Synonyma zuschreiben. 3 f: Indem V. 3 den Gedanken von V. 1 variierend wiederaufnimmt, bilden diese beiden Verse eine Inklusio um die Aussage des Erzählers über Judas als denjenigen, der Jesus „überliefern“ sollte. Dabei macht das wiederholte e¢d„" deutlich, daß zu Jesu Wissen um seine Stunde auch sein Wissen um diese Bestimmung des Judas gehört. Jetzt ist er gewiß, daß der Vater ihm alles in die Hände gelegt hat und daß es darum jetzt an ihm ist zu handeln, an ihm, der – von Gott ausgegangen – nun im Begriff ist, zu Gott zurückzukehren. Dazu erhebt er sich von dem Mahle, legt seine Kleider ab und schürzt sich, wie ein zu solchem Dienst bestimmter Sklave, mit einem Leinentuch. Da die Fußwaschung, wie wir sehen werden, als Symbol der Lebenshingabe Jesu für die Seinen verstanden sein will, ist es sicher nicht zufällig, daß hier das Ablegen der Kleider durch das Verbum tiqfinai ausgedrückt wird, das in Joh 10,11.15.17 f die Lebenshingabe Jesu bezeichnet hatte, und für ihr erneutes Anlegen – wie in 10,17 f für das vollmächtige Wiederergreifen seines Lebens – die Wendung ≤laben tÅ ´m›tia a§toú (V. 12). Der Plural tÅ ´m›tia anstelle des zu erwartenden tÖ ´m›tion (das Obergewand) scheint 583
13,1–38
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
diesen symbolischen Modus noch zu verstärken (vgl. Brown, Komm. II, 551; Hoskyns, Komm. 437 f). Was Jesus hier an seinen Jüngern tut, liest sich wie die Erfüllung des Makarismus von Lk 12,37: „Selig sind die Knechte, die ihr Herr bei seiner Heimkehr wachend findet. Amen, ich sage euch: Ωti periz„setai kaÑ ünaklineõ a§toÜ" kaÑ parelqán diakonflsei a§toõ".“ Das intertextuelle Spiel auch dieser Szene mit den synoptischen Abendmahlstexten, das M. Sabbe glänzend aufgewiesen hat (Footwashing), sowie Joh 6,60 ff nötigen dazu, in den hier mit Jesus versammelten Jüngern die Zwölf zu sehen. Und im Vorgriff auf das Intermezzo zwischen Petrus und ‚dem Jünger, den Jesus liebte‘ (V. 23–30) heißt das, daß dieser geliebte Jünger nur einer dieser Zwölf sein kann, zumal Intertextualität dem Leser ja die Kenntnis der Prätexte unterstellt und ihm zumutet, sich an dem Spiel mit ihnen zu beteiligen. Bei der Erörterung der seltsamen „Waschung“ der Füße Jesu durch die bethanische Schwester Maria hatten wir bereits darauf hingewiesen, daß eine derartige Waschung nur der Füße während eines Mahles nicht als ritueller Akt, sondern – wie die entsprechende Fußwaschung Jesu durch die Sünderin von Lk 7,36 ff – nur als ein außergewöhnlicher Liebesdienst begriffen werden kann. Mit den Worten e¢" tfilo" °g›phsen a§to‚" hatte der Erzähler diesen Liebeserweis Jesu den Seinen gegenüber ja bereits angekündigt. Wenn dabei die Wendung e¢" tfilo" zugleich vorausweist auf das definitive tetfilestai von 19,30, so deutet sich auch darin schon an, daß diese Fußwaschung, ohne daß sie ausdrücklich so benannt wäre, als ein shmeõon verstanden sein will, das hinweist auf die Lebenshingabe Jesu für den k∙smo". (2) Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße (13,5–17) 5 Darauf goß er Wasser in die Waschschüssel und begann, seinen Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er sich umgürtet hatte. 6 Als er nun zu Simon Petrus kam, sagte der zu ihm: Herr, du willst (doch nicht etwa) mir die Füße waschen? 7 Jesus erwiderte ihm und sagte: Was ich dir hier tue, das begreifst du jetzt noch nicht, du wirst es erst danach erkennen. 8 Petrus entgegnete: Niemals sollst du mir die Füße waschen, in aller Ewigkeit nicht! Und Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, dann hast du nicht Teil an mir. 9 Da erklärte Simon Petrus ihm: Herr, dann aber nicht allein die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt! 10 Jesus (aber) sagte ihm: Wer gebadet ist, der bedarf keiner weiteren Waschung. Er ist vielmehr ganz rein. Und ihr seid rein, freilich nicht alle. 11 Denn er kannte ja den, der ihn ausliefern sollte, und deshalb hatte er gesagt: Ihr seid nicht alle rein. 12 Nachdem er ihnen die Füße gewaschen hatte, zog er seine Kleider an, legte sich wieder zu Tisch und fragte sie: Begreift ihr, was ich euch getan habe? 13 Ihr nennt mich euren Lehrer und euren Herrn, und tut recht daran, denn der bin ich. 14 Wenn nun ich, euer Lehrer und Herr, euch die Füße gewaschen habe, dann seid auch ihr verpflichtet, einander die Füße zu waschen. 15 Denn ich habe euch damit ein Vorbild gegeben, damit, wie ich euch getan habe, auch ihr (aneinander) tun sollt. 16 Amen, Amen, ich sage euch: Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr, und ein Gesandter ist nicht
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größer als der, der ihn gesandt hat. 17 Wenn ihr das wißt: Selig seid ihr, wenn ihr danach handelt. Die obige Übersetzung von V. 10 bedarf zunächst einer textkritischen Erläuterung. Der Vers lautet im Text von Nestle/Aland so: lfigei a§tù ¨ ûIhsoú": ¨ leloumfino" o§k ≤cei cre‡an e¢ mÉ toÜ" p∙da" n‡yasqai, üllû ≤stin kaqarÖ" Ωlo": ktl. Die in unserer Übersetzung übergangenen Worte e¢ mÉ toÜ" p∙da" werden zwar, wenngleich mit einer auffälligen Häufung von kleineren Varianten, von der Masse der Handschriften bezeugt, sie fehlen aber im Sinaiticus, in der Itala, der Vulgata (Stuttg.), bei Origenes sowie in den Zitaten der ältesten lateinischen Väter wie Tertullian, Optatus von Mileve, Ambrosius, Hieronymus und Augustinus. Boismard/Lamouille beurteilen die Wendung e¢ mÉ toÜ" p∙da" kurz und bündig so: „Ces mots sont une glose de copiste“ (Komm. 330). Bultmann begründet das eingehend: Liest man nämlich den Text mit den Worten e¢ mÉ toÜ" p∙da", „so redet V. 10 von zwei Waschungen, einer vorausgehenden, umfassenden, dem Vollbad, und einer folgenden, partiellen, der Fußwaschung. Die erste wäre die entscheidende, die zweite, wenngleich noch notwendig, so doch zweiten Ranges. Das entspricht nicht dem Pathos von V. 8 f, wonach die Fußwaschung als das schlechthin Entscheidende erscheint. Und was wäre mit den beiden Waschungen gemeint? Nach der zumeist vertretenen Auslegung geht das lo‚esqai auf die Taufe als ‚Generalreinigung‘, die Fußwaschung auf das Herrenmahl, das die unvermeidlichen neuen Sünden vergibt. … Aber es ist doch grotesk, daß das Herrenmahl durch die Fußwaschung abgebildet sein soll, zumal da doch die Situation des Mahles gegeben war!“ (Komm. 357 f). Das ist im übrigen wohl der stärkste Einwand gegen die verbreitete These, die sogenannte eucharistische Rede von Joh 6,51c-58 sei eine primär am Sakrament des Herrenmahles interessierte Einfügung jenes vermeintlichen ‚kirchlichen Redaktors‘. Denn der hätte sein Interesse ja erheblich leichter und besser durch die Einfügung der Stiftung des Herrenmahls in unser 13. Kapitel realisieren können. Wie schon A. Schweitzer (Mystik 350) und P. Fiebig (Angelos 3,121 ff) sieht auch von Campenhausen (Zur Auslegung von Joh 13, 259 ff) in der Fußwaschung ein Symbol der Taufe. Er begründet das damit, daß der Täufling nach dem altkirchlichen Ritus und in absichtsvoller Unterscheidung von dem Tauchbad der Johannestaufe nur bis über die Knöchel im Wasser gestanden habe. Doch gegen diese sakramentalen Deutungen wendet Bultmann überzeugend ein, „daß in ihnen zwei notwendige Reinigungen unterschieden werden“. Dagegen heiße es jedoch „von dem leloumfino", daß er ganz rein sei (kaqarÖ" Ωlo"), und wenn nach dem lo‚esqai noch eine Fußwaschung nötig ist, so ist der Gebadete eben nicht ganz rein. Es folgt m. E. zwingend, daß das e¢ mÉ toÜ" p∙da" ein schlechter Zusatz ist (so auch Lagrange z. St.)“ (Bultmann ebd. 358; vgl. Richter, Fußwaschung 37 f; 293 u. 320; Boismard, Lavement; Brown, Komm. II, 451).
5–7: Das von n‡ptw (waschen) abgeleitete Nomen niptflr findet sich im NT nur hier. Der vorangestellte Artikel (tÖn niptöra) zeigt an, daß eine derartige Schüssel für rituelle Waschungen zur normalen Ausstattung eines jüdischen Speisezimmers gehört. Anders als bei dem pleonastischen Gebrauch von ≤rcesqai etwa in Mk 2,29 u. ö. heißt ≥rxato n‡ptein hier wohl ganz wörtlich, er begann damit, seinen Jüngern, einem nach dem anderen, die Füße zu waschen. Als Petrus dann an die Reihe kommt, weist der es entschieden von sich, sich von seinem ‚Herrn‘ die Füße waschen zu lassen und eröffnet damit einen Dialog, der die gesamte Szene erschließen wird. Schon seine Anrede Jesu als k‚rio" markiert den Widerstand des Petrus. Er weigert sich, seinen ‚Herrn‘ in der ungebührlichen Rolle eines Sklaven, ja man könnte sagen, eines heidnischen Sklaven sehen zu müssen. Denn der Dienst, den Gästen die Füße zu waschen, der freilich – anders als hier – stets schon beim Betreten des Hauses und vor der Mahlzeit zu verrichten war, galt als so entwürdigend, daß selbst ein jüdischer Sklave nicht damit beauftragt werden durfte (vgl. etwa Mekilta zu Ex 21,12 unter Berufung auf Lev 25,39 u. s. dazu Bill. II, 557; IV, 712 ff; sowie Hoskyns Komm. 437 f und Augenstein, Liebesgebot 31). 585
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Auch das der Nennung der Füße emphatisch vorangestellte mou (meine Füße) verdeutlicht die Situation: Petrus ist nicht bereit, seinen Herrn in der Rolle eines verachteten Sklaven zu akzeptieren. Dieser Dialog ist eine bemerkenswerte Variante der auf Jesu Leidensweissagung folgenden Replik des Petrus, der Jesus anfuhr und erklärte: ºle„" soi, k‚rie: o§ mÉ ≤stai soi toúto (Mt 16,22)! Der Unterschied besteht darin, daß die in der synoptischen Leidensweissagung von Jesus selbst klar ausgesprochene Notwendigkeit seines Leidens und Sterbens hier einstweilen noch im Symbol der Fußwaschung verborgen ist. Brown erklärt dazu: „We may have here John’s way of stressing the necessity of accepting the scandal of the cross“ (Komm. II, 566). Was in Joh 2,21 f nicht die Jünger, sondern aus dem Munde des Erzählers nur dessen Zuhörer/Leser erfuhren, nämlich daß Jesus da von dem „Tempel seines Leibes“ geredet hatte und daß die Jünger das erst begriffen, als sie es im Licht des Ostermorgens erinnerten, das sagt Jesus Petrus und mit ihm den Jüngern nun durch das Symbol der Fußwaschung: „Was ich dir hier tue, das begreifst du jetzt noch nicht, du wirst es aber danach (metÅ taúta) erkennen“ (V. 7). Daß das hier zu Petrus Gesagte den Jüngern insgesamt gilt, zeigt V. 10, der von der Anrede des Petrus in zweiter Person zu dem generellen nominalisierten Partizip ¨ leloumfino" übergeht, um dann die unmittelbare Anrede der Versammelten in der zweiten Person Pluralis folgen zu lassen: kaÑ ≠meõ" kaqaro‡ †ste. Wie schon des öfteren beobachtet, liebt unser Autor es, um des dramatischen Effektes seiner Erzählung willen Einzelne, die er bei ihrem Namen nennt, zu Sprechern zu machen. Darum können aus diesem Dialog mit Petrus natürlich keine Schlüsse auf dessen psychische Verfassung gezogen werden. 8: Als geriete damit seine Weltordnung von Herr und Knecht aus den Fugen, bleibt Petrus bei seinem Unverständnis. Ja, er verschärft seinen Einwand dagegen, daß Jesus ihm die Füße waschen will, jetzt noch durch den Gebrauch von o§ mfl, der stärksten Form der Verneinung, sowie durch die emphatische Betonung, daß das in Ewigkeit nicht geschehen dürfe (e¢" tÖn a¢ùna). Doch daraufhin muß er sich von Jesus sagen lassen, „Wenn ich dich nicht wasche, dann hast du nicht Teil an mir“ (o§k ≤cei" mfiro" metû †moú). Mit mfiro" gibt die LXX das hebräische qlj wieder, das der Bezeichnung von Israels Erbbesitz in dem ihm von Gott verheißenen und gegebenen Land dient. Wie der parallelismus membrorum in 2Sam 20,1 zeigt – o§k ≤stin ™mõn merÑ" †n DauÑd o§dÇ klhronom‡a ™mõn †n tù u´ù ûIessa‡ – sind mer‡" bzw. mer∙" und klhronom‡a häufig nahezu synonym; vgl. Jes 57,6. Eine bemerkenswerte Steigerung erfährt das Lexem mer‡", wenn Jhwh Aaron als dem Vertreter der levitischen Priesterschaft erklärt, diese solle keinen Erbbesitz an dem Land und keinen Anteil in der Mitte der Stämme haben, vielmehr solle gelten: †gá mer‡" sou kaÑ klhronom‡a sou †n mfisw tùn u´ùn ûIsrafll (Num 18,20; vgl. Dtn 12,12; 14,27). Mehr und mehr ist dieses priesterliche Privileg, daß Jhwh selbst Erbteil des Frommen ist, zum Besitz des gesamten Volkes geworden und mfiro" zur Bezeichnung des Lebens der zukünftigen Welt. (vgl. Kohler, Kreuz 214: „Das eschatologische Erbteil wird inmitten der Welt im unspektakulären Dienst der Fußwaschung ausgebreitet“). Mit Hoskyns (Komm. 438) muß man wohl beachten, daß in Jesu Antwort: „Wenn ich dich nicht wasche, dann hast du nicht Teil an mir“ zum einen vom Waschen allein der Füße nicht mehr die Rede ist. Die Füße wollen hier also als pars pro toto begriffen sein, so daß die Fußwaschung einem Vollbad gleichkommt, das die völlige Reinheit bewirkt (V. 10). Und zum anderen gibt nicht einfach der Ritus einer Fußwaschung Teil an Jesus, sondern allein der Umstand, daß Jesus ihn 586
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,7–13
vollzieht: „Wenn ich dich nicht wasche“. Die Mahlsituation unserer Szene mag und soll den Leser wohl an Lk 22,14–30 als den Prätext erinnern. Wie nach ihm Johannes hat hier schon Lukas das letzte Mahl Jesu mit einer Abschiedsrede verbunden, an deren Ende der scheidende Jesus seinen Jüngern verheißt, daß sie an seinem Tisch in seinem Reiche essen und trinken werden und auf Thronen sitzen sollen, die zwölf Stämme Israels zu richten (V. 30). Bei Johannes ist ≤cein mfiro" metû †moú wohl solche Teilhabe an dem ewigen Leben, das der Sohn wie sein Vater „in sich selbst“ hat (vgl. 5,26). Für die Leser des Evangeliums mag sowohl Jesu Wort, daß der Gebadete ganz rein ist, als auch seine Erklärung: „Wenn ich dich nicht wasche, dann hast du nicht Teil an mir“ ein verhüllter Hinweis auf die christliche Taufpraxis sein und auf ihr eigenes Getauftsein (vgl. Moloney, Sacramental Reading 244 ff). In seinem Kommentar fügt Moloney dem jedoch die gewichtige Einschränkung hinzu: „The author is not concerned with the rite but with the relationship baptism has with the death of Jesus [cf. Rom 6,3])“ (Komm. 375). 9–11: Petrus, der hier zur Erinnerung daran, daß ihm dieser Ehrenname einst von Jesus verliehen wurde (1,42), wie in V. 7 wieder als Simon Petrus bezeichnet wird, will an diesem Leben natürlich teilhaben. Darum fordert er nun überschwenglich: „Herr, dann aber nicht allein die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt!“ Jetzt ist er ins andere Extrem verfallen, wenn schon die Fußwaschung zum Miterben Jesu macht, dann muß eine Waschung von Kopf bis Fuß das ja noch viel vollkommener leisten! (Brown, ebd.). Er hat also den symbolischen Modus der Handlung Jesu immer noch nicht begriffen und hält das, was da an ihm geschieht, für eine Art levitischer Reinigung. Darum muß Jesus ihm nun erklären: Wer (so wie ich euch das jetzt tue) gewaschen ist, der bedarf keinerlei weiteren Waschung mehr, er ist vielmehr ganz rein. Und ihr seid rein; freilich nicht alle. Daß wir die Wendung e¢ mÉ toÜ" p∙da" für die sinnstörende sekundäre Glosse eines Abschreibers halten, haben wir oben bereits begründet. Dem ist jetzt noch hinzuzufügen, daß wir die Lexeme lo‚esqai und n‡yasqai als Synonyma begreifen (vgl. Hultgren 543, der dafür auf die Kommentare von Bultmann, Barrett und Lindars jeweils z. St. verweist). In dem wechselnden Gebrauch derart synonymer Lexeme sehen wir – hier wie auch sonst des öfteren – ein Charakteristikum der spezifischen ‚Handschrift‘ unseres Evangelisten. Abschließend kommentiert der allwissende Erzähler Jesu einschränkendes Wort üllû o§cÑ p›nte" für seine Zuhörer/ Leser so: „Denn er kannte den ja, der ihn ausliefern sollte. Darum hatte er gesagt: Ihr seid nicht alle rein“. Mit dieser Bemerkung versetzt er seine Leser in eine – den unwissenden Jüngern der Erzählung gegenüber – ausgesprochen privilegierte Position: „Such information only serves to heighten the impact of Jesus’ gesture. The recipients of this footwashing, a symbolic action that reveals Jesus’ limitless love for his own, are ignorant disciples, one of whom he knows will betray him“ (Moloney, Komm. 375). Zugleich soll Jesu Wendung üllû o§cÑ p›nte" die Jünger wohl dazu veranlassen – ohne daß das eigens expliziert werden müßte, wie in den synoptischen Prätexten –, daß jeder von ihnen sich fragen muß: Bin ich es etwa? 12–13: Nachdem Jesus das Waschen der Füße seiner Jünger beendet, seine Kleider erneut angelegt und sich wieder zu Tisch gelegt hat, eröffnet er mit der Frage: „Begreift ihr, was ich euch getan habe?“, eine neue und anscheinend ganz andersartige Deutung der Fußwaschung als die zuvor im Gespräch mit Petrus implizierte. Zudem scheint zwischen dem an Petrus gerichteten Wort Jesu: „Was ich an dir tue, das begreifst du jetzt 587
13,1–38
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
noch nicht, du wirst es erst nach diesen Geschehnissen (metÅ taúta) verstehen“ (V. 7), und dieser neuen Frage: „Begreift ihr, was ich euch getan habe?“ (V. 12), die ja eine Erklärung dessen einleitet, was Jesus mit der Fußwaschung getan hat, ein Widerspruch zu bestehen. Denn das geheimnisvolle metÅ taúta und die Teilhabe am Erbteil Jesu (≤cein mfiro" metû †moú) kann sich ja nicht auf dieses neue Gespräch nach der Beendigung der Fußwaschung beziehen, sondern nur auf die Zeit nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu, die er als seine selbsteigene Tat in dem shmeõon der Fußwaschung soeben vorabgebildet hat, auf die Zeit also, da der heilige Geist die Jünger in die ganze Wahrheit führen wird. Als die symbolische Vorabbildung von Jesu Passion nennen wir im Vorgriff auf Joh 20,30 f die Fußwaschung ein shmeõon, ebenso wie nachher die Erzählungen von Jesu Kreuzigung und Auferstehung als shmeõa begriffen sein wollen. Denn wenn der Evangelist hier ausdrücklich erklärt, es sei der Zweck des Evangeliums (ºna piste‚hte: 20,31), seine Leser durch die Präsentation einer Auswahl aus den vielen Zeichen, die Jesus getan hat, zu Glauben und ewigem Leben zu führen (vgl. 2,11), dann darf man nicht nur die in den Kapiteln 1–11 erzählten und ausdrücklich so benannten Wundertaten Jesu shmeõa nennen, sondern muß seinen gesamten Weg, seine Person und sein Geschick als shmeõon begreifen. So begreifen auch Dodd (Interpretation 401 f) und Dunn (Washing 247 ff) die Fußwaschung, und in diesem Sinn erklärt Sandra Schneiders zu unserer Erzählung treffend: „If the signs are what Jesus did to reveal his glory so that his disciples would believe in him (John 2,11), then surely his paschal mystery in which he is fully glorified … and his disciples come to believe and to know who he really is … must be included among the signs. In what follows, the footwashing is regarded as a sign par excellence, i. e., a work of Jesus which reveals the meaning of salvation as the Fourth Gospel understands and presents it. The symbolic revelation of the act of the footwashing is re-symbolized in the text. In other words, the sign which was done for Jesus’ first disciples is, by being written into the Gospel, made a sign for all who can read with understanding. This means that the footwashing is not an event which has a single, univocal meaning coterminous with the intention of the fourth evangelist and / or the understanding of his original audience, but that it is a symbol, endlessly giving rise to reflection, generating an ever deeper understanding of the salvation it symbolizes as the horizon of the text fuses with the various horizons of generations of readers“ (Footwashing 80).
Nicht nur weil wir das Urteil der Autorin über die Bedeutung der Rede von den shmeõa Jesu in unserem Evangelium teilen und die Erzählung von der Fußwaschung wie diese als ein shmeõon par excellence betrachten, haben wir sie hier so ausführlich zu Wort kommen lassen, sondern vor allem, weil ihre durch Ricœur inspirierten hermeneutischen Voraussetzungen recht genau unserer in diesem Kommentar praktizierten Johanneslektüre entsprechen. Diese ‚Voraussetzungen‘ hat Sandra Schneiders (ebd. 76 ff) klar formuliert und einleuchtend begründet; von besonderem Gewicht ist dabei ihr vehementes Plädoyer für die Untrennbarkeit der subtilitas interpretandi von der subtilitas applicandi bei der Lektüre literarischer Texte. Wohl sehen die meisten Interpreten mit Bultmann (Komm. 355), daß das metÅ taúta von V. 7 auf die Zeit des Geistes verweist. Aber gerade deshalb beurteilen sie Jesu neue Frage: „Begreift ihr, was ich euch getan habe?“ als einen Bruch in der Erzählung und als die Lizenz für allerlei literarkritische Operationen. So sehen Richter, Langbrandtner, Becker und Hultgren mit vielen anderen – und so sahen früher auch Thyen (Joh 13) und Segovia (Footwashing) – in der neuen Frage Jesu, ob die Jünger sein 588
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,12–13
Tun begreifen, ein Indiz dafür, daß von V. 12 an nicht mehr der Evangelist, sondern ein moralisierender ‚kirchlicher Redaktor‘ das Wort ergriffen habe, und daß dessen Deutung der Fußwaschung mit der in den V. 6 ff implizierten schlechthin unvereinbar sei. Durch einen Kompromiß, der uns jedoch eher kompromittierend als hilfreich erscheint, sucht Haenchen derartige Konsequenzen zu vermeiden, indem er zu V. 12 erklärt: „Es ist deutlich, daß hier eben jene Erklärung erfolgt, die in V. 7 verheißen war. Natürlich kann man dagegen mit Bultmann (Komm. 355) einwenden, daß Petrus für den Evangelisten die Tat Jesu erst wirklich verstehen konnte, wenn das Kreuz Jesu dazu die Erklärung gab. Aber der Evangelist, der ja auch sonst gern die Zeiten der irdischen Wirksamkeit Jesu und der Gemeinde ineins setzt, kann hier als Schriftsteller nicht warten, bis er Jesu Tod und Auferstehung erzählt hat. Er muß jetzt schon das sagen, was Jesu rätselhaftes Handeln zu bedeuten hat, und kann nicht erst den Auferstandenen in Kap. 20 auf die Fußwaschung zurückkommen lassen. Faktisch ist – darin hat Bultmann ganz recht – nach der Theologie des Evangelisten den Jüngern erst nach der Geistausgießung der Sinn dessen aufgegangen, was Jesus ist und bringt. Aber das ändert nichts daran, daß Jesus schon vorher, und nicht nur an dieser Stelle, die heilvollen Worte sprechen muß, die eigentlich erst nach der Geistmitteilung verständlich werden. Darum kann V. 12 unmittelbar V. 7 weiterführen …“ (Komm. 458 f). Der Fehler steckt wohl darin, daß Haenchen nicht unterscheidet zwischen den auf der literarischen Ebene agierenden Figuren, in diesem Fall also zwischen den noch unwissenden Jüngern, und dem impliziten allwissenden Erzähler samt dessen Zuhörern, die Schritt für Schritt in sein vom österlichen Geist erleuchtetes Wissen einbezogen werden. Diese gewichtige Differenz zwischen den erzählten Figuren und seinem impliziten Zuhörer/ Leser hat der Erzähler schon mit und seit seinem Prolog eröffnet. Da jedoch unser gesamtes Kapitel einschließlich der Erzählung vom nächtlichen Weggang des Judas und von der bevorstehenden Verleugnung Jesu durch Petrus seit V. 1 fest von dem Thema der Liebe Jesu zu den Seinen zusammengehalten wird, und da Zeit, Ort und handelnde Personen die gleichen bleiben, darf Jesu neue Frage: „Begreift ihr, was ich euch getan habe?“, weder als ein Bruch in der Erzählung und als ein Indiz dafür angesehen werden, daß jetzt ein anderer die Feder führte, noch als vorzeitige Auflösung des geheimnisvollen metÅ taúta von V. 7, wie Haenchen erklärt. Mit seiner Frage, ob die Jünger sein Tun begreifen, auf die Jesus offenbar gar keine Antwort erwartet, weil er sie sogleich selbst gibt, eröffnet er vielmehr einen für die Jünger durchaus schon jetzt begreiflichen, wenn auch nur partiellen Aspekt der Bedeutung der Fußwaschung, die sich ihnen erst metÅ taúta, nämlich im Licht des Ostermorgens, in ihrer ganzen Wahrheit bruchlos erschließen wird (vgl. Menken, Quotations 127 f). Denn Jesu Jünger haben ja soeben am eigenen Leibe erlebt, daß der, den sie zu Recht ihren Lehrer und Herrn nennen (kaÑ kalù" lfigete: e¢mÑ g›r: V. 13), sich scheinbar „erniedrigt“ und ihnen den Liebesdienst der Fußwaschung erwiesen hat. Auch wenn sie wie ihr Sprecher Petrus noch nicht begreifen, daß dieses in seiner „Freundschaft“ wurzelnde Tun Jesu (15,12 ff) ein smheõon war für die Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt, können sie es doch jetzt schon als einen elementaren Akt seiner liebenden Zuwendung verstehen und darin ein Zeichen dafür erkennen, daß er sich für sie verantwortlich weiß und gerade damit sein wahres k‚rio"-Sein bestätigt und sein Königtum ausübt, das nicht von dieser Welt ist (18,36). Das Thema der Liebe Jesu und sein darin begründetes ‚neues Gebot‘ (13,34 f) sowie seine Explikation dieses Gebots durch 15,12 ff sind also 589
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keinesfalls sekundäre Moralisierungen des christologischen Symbols der Fußwaschung, sondern sie bringen vielmehr zum Vorschein, was Jesu ungewöhnliches Tun bedeutete. Sie begründen, daß eben das, was Petrus zuvor befürchtet und weit von sich gewiesen hatte, nämlich daß Jesu Verhalten die gesamte Weltordnung von Herrschaft und Knechtschaft, von Subjekt und Objekt außer Kraft setze, tatsächlich die Absicht dieses Herrn war (vgl. dazu Mk 10,35–45 / Mt 20,20–28 / Lk 22,24–27). Wir haben oben absichtsvoll von Jesu ‚scheinbarer Erniedrigung‘ gesprochen, weil ebenso wie der geforderte Dienst der Kinder für die Eltern, der Ehefrau für den Mann, der Untergebenen für die Herrschenden usw. auch die Erniedrigung der Herrschenden zum Wohle ihrer Untergebenen, Klienten oder Patienten den ontologischen Primat der Herrschaft der Einen über die Anderen nicht zu brechen vermag. Denn „das ontologisch ergreifende – nicht das ethisch antwortende – Verstehen des Anderen ist ihm gegenüber Gewalt, weil es gerade die Andersheit des Anderen auslöscht, sich unterwirft, im extremen Fall dadurch, daß es den Anderen tötet“ (Wenzler, Zeit als Nähe des Abwesenden 71). Daß und wie diese ontologisch ergreifende Gewalt am Anderen, an dem ‚Einander‘ des Neuen Gebots Jesu und an seiner Freundesliebe scheitern muß, und wie damit die Rolle einer Ersten Philosophie von der Ontologie übergeht auf die Ethik, zeigt Lévinas in ‚Die Zeit und der Andere‘; s. dazu u. zu 13,34 f und 15,12 ff, und vgl. H. Timm, Geist der Liebe 72 ff. Daß unsere gesamte Fußwaschungsszene samt der sie rahmenden Ankündigung der Auslieferung Jesu durch Judas und seiner Verleugnung durch Petrus als ein intertextuelles Spiel mit Lk 22 und als die Dramatisierung des da nur Gesagten durch Jesu hier erzähltes konkretes Tun begriffen sein will, haben je auf ihre Weise Sabbe und Kleinknecht als nahezu evident erwiesen. Damit haben sie das ältere und längst vergessene Urteil von H. J. Holtzmann rehabilitiert, der die gesamte Fußwaschungserzählung als eine fiktionale Bildung des Evangelisten begriffen und das Vorliegen einer johanneischen Sondertradition bestritten hatte. Vielmehr habe Johannes hier Lk 22,24–27 so „in Szene, (gesetzt, daß) er zunächst das entsprechende Wort Lk 12,37 (Selig jene Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet; denn er wird sich schürzen und sie zu Tische legen und herantreten und ihnen dienen) zur Beschreibung der Handlung (4–5), das andere aber zur 13–16 nachgeschickten Erklärung derselben verwendet“ habe (Komm. 176; ähnlich Bauer: „Was Jesus im Lc sagt, stellt er bei Jo handelnd dar“ Komm. 171). Darüberhinaus dürfte es, wie schon zu Joh 12,1 ff beobachtet, wiederum die als Liebeserweis gedeutete Waschung der Füße Jesu durch jene stadtbekannte Sünderin von Lk 7,36 ff gewesen sein, die Johannes zu dem ungewöhnlichen Akt der Fußwaschung inspiriert hat. Wie Kleinknecht treffend zeigt, folgt Joh im 13. Kapitel ebenso wie in Joh 6 dem Aufriß des Markusevangeliums (s. o. z. St.). Darum sollte man auch im Blick auf Lukas für die johanneische Komposition unseres Kapitels nicht über irgendeine vermeintliche und ungreifbare ‚vorlukanische Tradition‘ spekulieren (so Kleinknecht pass.), sondern unser überliefertes Lukasevangelium als den auch dem Leser geläufigen Prätext ins Auge fassen. Wie Johannes in 6,51 ff die eucharistische Sprache gebraucht hatte, um Jesu reales Menschsein und die Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt zu unterstreichen, die durch Brot und Kelch der Eucharistie als bleibende Realität bezeugt wird, so gilt für die Ersetzung der Abendmahls-Institution durch die Fußwaschung, daß Johannes damit sein Verständnis der Eucharistie und ihre Einsetzung durch Jesu Sterben für die Seinen zur Sprache bringt (vgl. Brooks 298 f). 590
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13,13–17
14 f: Kunstvoll vertauscht Jesus nun die Folge von ‚Lehrer‘ und ‚Herr‘, indem er erklärt: Wenn nun ich euch die Füße gewaschen habe, der ich doch ¨ k‚rio" kaÑ ¨ did›skalo" bin, dann müßt ihr erst recht auch einander die Füße waschen. Denn damit habe ich für euch ein Exempel statuiert: ≠p∙deigma gÅr ≤dwka ≠mõn. Das Lexem ≠p∙deigma begegnet bei Johannes nur hier; es fehlt in den synoptischen Evangelien und kommt in der LXX sowie im übrigen NT nur je fünfmal vor, nämlich in Ez 42,15; Sir 44,16; 2Makk 6,28.31; 4Makk 17,23 und Hebr 4,11; 8,5; 9,23; Jak 5,10 und 2Petr 2,6. Man muß das Nomen statt durch Beispiel (Exemplum) wohl treffender durch Urbild (Exemplar) wiedergeben. In diesem Sinne ist Henoch, an dem Gott Wohlgefallen hatte und der darum ‚entrückt wurde‘, für alle folgenden Generationen das ≠p∙deigma metano‡a" (Sir 44,16); noch gewichtiger in unserem Zusammenhang sind aber die drei Belege aus den Makkabäerbüchern, auf die Culpepper (Footwashing 142 f) aufmerksam gemacht hat, wo das Martyrium des alten Eleazar als das ≠p∙deigma gennaõon eines schönen Todes für die ehrwürdigen und heiligen Gesetze bezeichnet wird (2Makk 6,28); und durch dieses Sterben hinterließ er nicht nur der Jugend, sondern der Mehrheit seines ganzen Volkes ein ≠p∙deigma gennai∙thto" kaÑ mnhm·sunon üretö" (ebd. V. 31). Und das Martyrium der Mutter und ihrer sieben toratreuen Söhne wird als ünt‡yucon (Ersatzleistung) für die Sünden des Volkes bezeichnet: kaÑ diÅ toú aºmato" tùn e§sebùn †ke‡nwn kaÑ toú ´lasthr‡ou toú qan›tou a§tùn ™ qe‡a pr∙noia tÖn ûIsraÉl prokakwqfinta difiswsen. Selbst der grausame Tyrann Antiochus ist von der Mannhaftigkeit dieser Märtyrer derart beeindruckt, daß er ihre Standhaftigkeit öffentlich als ≠p∙deigma für seine eigenen Soldaten ausrufen ließ (4Makk 17,21 ff). So verbindet auch das Lexem ≠p∙deigma die Fußwaschung mit dem Tod Jesu und fordert von den Jüngern die Bereitschaft, füreinander zu sterben (vgl. 15,13; 16,2; 21,19 u. s. Culpepper ebd.). Darum hat Calvin die seit dem dritten oder vierten Jahrhundert jährlich in der Liturgie des Gründonnerstags vollzogene „theatermäßige Fußwaschung“ als ein groteskes Mißverständnis kritisiert und dazu erklärt: „Mit dieser nichtigen Zeremonie meinen sie, ihre Pflicht getan zu haben. Ihre Brüder danach zu verachten, daraus machen sie sich kein Gewissen. Sicherlich aber befiehlt Christus hier keine jährlich zu wiederholende Handlung, sondern heißt uns, das ganze Leben bereit (zu) sein, den Brüdern die Füße zu waschen“ (Komm. 338). 16 f: Mit dem genuin johanneischen doppelten Amen, das nie einen neuen Abschnitt eröffnet, sondern stets auf zuvor Gesagtes und/oder Getanes zurückweist und es resümiert, und mit der unter die Bedingung ihres Wissens und ihres daraus folgenden Tuns gestellten Seligpreisung der Jünger beschließt Jesus die Erläuterung dessen, was er mit seiner Fußwaschung an ihnen getan hat: e¢ taúta o¥date, mak›rio‡ †ste †Ån poiöte a§t› (V. 17 mit der Wiederaufnahme des gin„skete von V. 12 durch o¥date). Wie das wechselseitige Bedingungsverhältnis von Glauben und Erkennen in 6,69 u. ö., so ist auch hier die Konstellation von Wissen und Tun nicht deren scharfe Gegenüberstellung. Die Seligpreisung der wissenden Jünger ist nicht die Mahnung, das gewußte Jüngerverhältnis nun im Tun der Liebe zu verwirklichen (so Schnackenburg, Komm. III, 29). Vielmehr liegt die Pointe dieses Makarismus darin, „daß er auf überraschend selbstverständliche Weise ein Wissen vorstellt, das gar nicht ohne Tun existiert. Und damit stellt er ein Tun vor, das einzig im Rahmen dieses Wissens selbstverständlich wird“ (Kohler, Kreuz 228; vgl. ebd. 227 ff). Das Tun ist bleibend auf dieses Wissen angewiesen und lebt von ihm, läßt es nicht hinter sich zurückbleiben, sondern vertieft es ständig. „Dieses Wissen 591
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
ist zur Signatur seines Seins (nämlich des Seins dessen, dem Jesus die Füße gewaschen hat) geworden, und würde er sich in seinem Tun darüber erheben wollen, so würde er sich seiner Lebensgrundlage berauben“ (ebd.). – Von den insgesamt 24 Vorkommen des doppelten Amen erscheint die Wendung nach unserem V. 16 in den V. 20, 21 und 38 ebenso wie im Rest des gesamten Aktes, nämlich in 14,12; 16,20 und 16,23 jeweils noch drei weitere Male. Simoens hat diese ümÉn-ümfln-Worte als gewichtige Elemente der Gliederung von Joh 13,1–17,25 erwiesen (Gloire d’aimer 115 ff u. 151 ff). Wir behandeln nach seinem Vorschlag darum die V. 18–20 als einen Abschnitt eigenen Rechts (vgl. Moloney, Sacramental Reading 242 f). (3) Jesu absolutes ejgwv eijmi als Zentrum unserer Szene (13,18–20) 18
Nicht von euch allen rede ich. Ich weiß wohl, was für Leute ich erwählt habe. Aber (sc. ich habe meine Wahl getroffen) damit das Schriftwort erfüllt werde: Der mein Brot ißt, der erhebt seine Ferse wider mich (Ps 41,10). 19 Schon jetzt sage ich euch das, noch ehe es geschieht, damit ihr, wenn es dann geschieht, glaubt, daß ich bin (o{ti ejgwv eijmi: daß ich der ejgwv eijmi bin). 20 Amen, Amen, ich sage euch: Wer einen, den ich senden werde, aufnimmt, der nimmt mich auf. Wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. 18: Erneut ist hier dem göttlichen Allwissen Jesu das Unwissen der Jünger gegenübergestellt. Er redet nicht von ihnen allen, weil er ebenso um seine Auslieferung an seine Feinde durch Judas wie um seine dreimalige Verleugnung durch Petrus weiß. Man muß die elliptische Wendung üllû ºna wohl so paraphrasieren: ‚Aber ich habe meine Wahl – nämlich, wie einstweilen freilich allein der Erzähler und seine Zuhörer wissen, die Wahl des Judas – getroffen, damit so die Schrift erfüllt werde‘: ºna ™ grafÉ plhrwqÔö (vgl. Menken, Quotations 123). Diese finale Fügung „damit die Schrift erfüllt werde“ (vgl. 17,12; 19,24; 19,36; aber auch 12,38; 15,25; 18,9.32) gehört zu den unverwechselbaren Merkmalen des Stils unseres Evangelisten (vgl. Sabbe, Footwashing 415). Als die Schrift zitiert der erzählte Jesus hier mit Ps 41,10 einen Text, mit dem schon sein Prätext Mk 14,18 ff gespielt hatte: ¨ tr„gwn metû †moú tÖn ±rton †pören †pû †mÇ tÉn ptfirnan a§toú. Anstelle des breit bezeugten metû †moú (P66 a A D W Q Y f 1.13 M lat sy bo; Eus Epiph) bieten B C L 892 pc (q) sa ; Or hier die Lesart mou (tÖn ≤rton). Wie das Komitee der Herausgeber von Nestle / Aland (vgl. Metzger, Comm. 240) sieht auch Menken (Quotations 123) trotz ihrer entschieden besseren Bezeugung in der Lesart metû †moú eine sekundäre Angleichung des ursprünglichen mou an das ¨ †sq‡wn metû †moú von Mk 14,18. Doch weil die Lesart metû †moú, wie schon Bauer (Komm. 171) gesehen hatte, zugleich eine Anpassung an die Mahlsituation des Kontextes ist, und da wir in unserer Passage zudem mit Sabbe und Kleinknecht ein absichtsvolles Spiel mit Mk 14 sehen – und nicht wie Menken „no more than common tradition“ (ebd. 128) –, erscheint es uns sehr viel wahrscheinlicher, daß die Lesart ‚mein Brot‘ eine sekundäre Anpassung an den Text der LXX ist. Und das gilt umso mehr, weil Johannes – wie gerade Menken einleuchtend begründet – hier gar nicht die LXX zitiert, sondern auf seine Weise den hebräischen Text übersetzt bzw. seinem Kontext dienstbar macht. Der HT lautet: bq[ yl[ lydgh ymjl lkwa (… der mein Brot mit mir aß, hat seine Ferse gegen mich groß gemacht); in der LXX (Ps 40,10) heißt es: ¨ †sq‡wn ±rtou"
592
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,17–20
mou, †meg›lunen †pû †mÇ pternism∙n (… der meine Brote aß, hat seine Hinterlist gegen mich groß gemacht). Da tr„gein – aufgrund des parallelismus membrorum in 6,53 f synonym mit f›gein – ein johanneisches Vorzugswort ist und unsere Mahlszene zugleich absichtsvoll mit Joh 6 verknüpft, sieht Menken in dem Evangelisten selbst wohl zu Recht den Übersetzer des hebräischen Psalms. Er vermag darüberhinaus auch plausibel zu machen, warum Johannes das Verbum lydgh (groß machen) durch †pören (seinen Fuß erheben, mit Füßen treten) wiedergibt, indem er zeigt, daß in der jüdischen Exegese die Davidspsalmen (!) 41 und 55 im Lichte des Verrats des Königs David durch Ahitophel ausgelegt worden sind. Als Ahitophel dem Absalom seinen Plan mitteilt, David in der Nacht zu überfallen und zu erschlagen, so daß alle seine Getreuen die Flucht ergreifen, erklärt er ihm – ähnlich wie Kaiaphas in Joh 11,47 ff –: „Du trachtest ja nur nach dem Leben eines einzigen Mannes. Das ganze Volk aber wird dann endlich Frieden haben“ (2Sam 17,3). Weil Absalom Ahitophels Rat dann aber doch nicht befolgt, erhängt der sich selbst (ebd. V. 23). Abgesehen von den Erzählungen über die Selbsttötungen Sauls (1Sam 31,4ff; vgl. dazu auch das ähnlich beschriebene und motivierte Ende Abimelechs in Ri 9,54) und Simris (1Kön 16,18), deren Protagonisten sich in aussichtsloser militärischer Lage auf diese Weise dem Triumph ihrer Feinde zu entziehen suchen, ist das Motiv von Ahitophels Selbstmord im Alten Testament singulär und vermutlich Ursprung der entsprechenden Erzählung über das Ende des Judas in Mt 27,5; vgl. Act 1,18. Denn wie Jesus nach dem Zeugnis der Synoptiker (Mk 14,32 / Mt 26,36ff / Lk 22,40ff) in der Nacht des Verrats mit seinen Getreuen über den Kidron zieht und danach den Ölberg ersteigt, wo er Gott bittet, den Leidenskelch an ihm doch vorübergehen zu lassen, so überschreitet auch David den Kidron und betet auf dem Ölberg: „Herr, mache doch die Anschläge Ahitophels zur Torheit“ (2Sam 17,31). Nach 2Sam 18,28 berichtet Abimaaz dem König von der Niederlage seiner verräterischen Feinde, verkündet David Frieden, fällt vor ihm nieder, so daß sein Antlitz die Erde berührt und sagt: „Gelobt sei Jhwh, dein Gott, der die Leute vernichtet hat, die ihre Hand erhoben haben gegen meinen Herrn, den König“. Dieser Vers, der die Feindschaft durch die Worte ausdrückt: … toÜ" ±ndra" toÜ" misoúnta" tÉn ceõra a§tùn †n tù kur‡w mou tù basileõ, wurde in der jüdischen Auslegungstradition als Analogon zu Ps 41,10 (LXX: Ps 40,10) betrachtet. Darum hält Menken es für legitim, daß der Evangelist das Großmachen (lydgh) des Psalmverses durch das Erheben (waçn) aus 2Sam 18,28 ersetzt habe. Die Wiedergabe des Psalmverses in 13,18 mache zudem die Verknüpfung mit unserer Mahlszene sehr viel deutlicher als es der LXX-Text getan hätte. Johannes habe diesen Text auch darum nicht gebrauchen können, weil seine Wendung vom Großmachen des pternism∙" ein Moment hinterlistigen Betruges enthalte, das mit dem Allwissen Jesu unverträglich sei. Darum habe er auch die ersten Worte des Psalmverses, die den Verräter einen „Mann meines Friedens, dem ich vertraut habe“ nennen, auslassen müssen. Denn wer, wie Jesus, alle Dinge wisse, der könne seinem Verräter nicht vertrauen und schon gar nicht von ihm betrogen werden (Menken, ebd. 137).
19: Wenn der Erzähler Jesus jetzt erklären läßt: „Ich sage euch das jetzt schon, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es dann geschieht, glaubt, Ωti †g„ e¢mi“, so werden damit die beiden ‚Deutungen‘ der Fußwaschung, die viele für miteinander inkompatibel erklären, hier noch einmal als voneinander unablösbare Momente fest miteinander verknüpft. Denn mit diesem Vers nimmt Jesus wieder auf, was er zuvor zu Petrus gesagt hatte, daß er nämlich sein Tun und Sagen erst metÅ taúta verstehen werde (V. 7). Daß ihnen in demjenigen, der ihnen soeben die Füße gewaschen hatte, kein geringerer nahe gekommen war als jener, der aus dem brennenden Dornbusch Mose gesagt hatte: hyha rça hyha, ‚Ich werde sein, wer immer ich sein werde‘, das werden sie erst „wenn es dann geschieht“ oder metÅ taúta erkennen und glauben (vgl. zu diesem Verständnis des absoluten †g„ e¢mi im Licht von Ex 3,14 Thyen, Ich bin das Licht der Welt). 20: Wieder resümiert ein mit der Wendung ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn eingeleitetes Wort Jesu unsere kurze Passage. Mit den Worten, daß ein Apostel nicht größer sei als derjenige, der ihn gesandt hat, war – zumindest implizit – schon in V. 16 f von einer Sendung 593
13,1–38
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
anderer die Rede. Und da fast überall, wo dieses doppelte Amen erscheint, vertraute Tradition laut wird, dürfte das auch in V. 16 f u. 20 der Fall sein. Weil sich das gewiß jedem Leser vertraute Lexem üp∙stolo" bei Johannes einzig in V. 16 findet, der ebenfalls durch das doppelte Amen ausgezeichnet ist, dürfte sich darin ein intertextuelles Spiel mit der matthäischen Aussendungsrede (vgl. Mt 10,24) verbergen. War in V. 16 noch allgemein von einem Apostel und demjenigen, der ihn gesandt hat, die Rede, so tritt jetzt Jesus als der Sendende noch deutlicher ins Blickfeld, wenn er mit dem beschwörenden doppelten Amen erklärt: „Wer einen aufnimmt, den ich senden werde, der nimmt mich auf, wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (vgl. Mt 10,40; Lk 10,16 sowie Mk 9,37 und Lk 9,48). Auch wenn in diesen synoptischen Texten das Thema der Einheit Jesu als des Sohnes mit seinem himmlischen Vater noch nicht derart reflektiert ist wie bei Johannes, wo es in dem Satz gipfelt: „Ich und der Vater sind Eines“ (10,30), darf man in unserer Passage mit ihrem †g„-e¢mi-Wort doch wohl einen authentischen Kommentar dieser Prätexte sehen. Johannes schweigt freilich über eine Jüngeraussendung zu Lebzeiten Jesu. Und auch wenn Jesus in seinem Gebet zum Vater erklärt: „Ich habe sie in die Welt gesandt“ (17,18), so spricht er da, ebenso wie zuvor schon in 16,33, doch bereits als der erhöhte Herr der Gezeiten. Denn die Aussendung der Jünger mit den Worten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ erfolgt bei Johannes erst nachdem ihr auferstandener Herr sie mit dem heiligen Geist ausgerüstet und ihnen die Vollmacht verliehen hat, Sünden zu vergeben oder aber sie zu ‚behalten‘ (20,19 ff). (4) Das Mahl dauert an: Der Jünger, den Jesus liebte, zwischen Judas und Petrus (13,21–38) 21 Als Jesus das gesagt hatte, wurde er betrübt im Geiste und bezeugte das mit diesen Worten: Amen, Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. 22 Ratlos, von wem er wohl rede, blickten die Jünger einander an. 23 Einer seiner Jünger (aber) lag an der Brust Jesu, derjenige nämlich, den Jesus liebte. 24 Dem gab Simon Petrus einen Wink, er möge doch herausfinden, wer das sei, von dem er (sc. Jesus) rede. 25 Und da er nun so nahe an der Brust Jesu lag, fragte er ihn: Herr, wer ist es? 26 Jesus antwortete ihm: Derjenige ist es, dem ich den Brotbrocken eintauchen und geben werde. Darauf tauchte er den Brocken ein, nahm ihn und gab ihn Judas des Iskarioten Simons Sohn. 27 Und sogleich nach dem Brocken fuhr der Satan ein in ihn. Jesus aber sagte ihm: Was du tun willst, das tue rasch! 28 Doch keiner von denen, die da zu Tisch lagen, wußte, warum er ihm das sagte. 29 Einige von ihnen glaubten, da Judas doch die Kasse verwaltete, daß Jesus ihn beauftragt habe: Kaufe ein, was wir für das Fest nötig haben! oder daß er den Armen etwas geben solle. 30 Als jener nun den Bissen genommen hatte, ging er sogleich hinaus. Es war aber Nacht. 31 Kaum war er aber hinausgegangen, da erklärte Jesus: Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott hat sich in ihm verherrlicht. 32 Hat sich Gott aber in ihm verherrlicht, dann wird Gott ihn auch in sich selbst verherrlichen, und er wird ihn sogleich verherrlichen. 33 Kindlein, (nur) noch
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Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,20–23
eine kleine Weile bin ich bei euch. Ihr werdet mich (dann) suchen. Doch was ich schon zu den Juden gesagt habe: Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen, das sage ich jetzt auch zu euch. 34 Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebt. So wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. 35 Daran sollen alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander übt. 36 Da fragte Petrus ihn: Herr, wohin gehst du denn? Jesus antwortete ihm: Wohin ich gehe, dahin kannst du mir jetzt (noch) nicht folgen. Später aber wirst du mir nachfolgen. 37 Da fragte Petrus: Herr, warum kann ich dir denn jetzt noch nicht folgen? Mein Leben will ich für dich geben! 38 Jesus antwortete ihm: Du willst dein Leben für mich geben? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Noch ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. 21 f: Zu Jesu ‚Betrübtsein im Geist‘ (†tar›cqh tù pne‚mati) als intertextuellem Spiel mit dem Doppelpsalm 42/43 s. o. zu 11,33 und 12,27 und vgl. dazu Beutler (Psalm 42/43, 34 ff) sowie Dodd (Tradition 37 f. 69 ff). Mit der emphatischen Verstärkung durch sein doppeltes Amen faßt Jesus seine Betrübnis dann in diese Worte: „Einer von euch (nämlich von den hier Anwesenden) wird mich ausliefern“. Ratlos darüber, wen von ihnen er wohl gemeint haben könne, sehen die Jünger einander an. Damit bleiben die Zuhörer/Leser, denen der Erzähler ja schon in Joh 6,71 und nun wieder in 13,2 verraten hatte, daß Judas derjenige sei, der Jesus ausliefern sollte, den immer noch ratlosen Jüngern gegenüber durch ihr Wissen überlegen. 23: Obwohl er – wie sich noch zeigen wird – von Anfang an unter ihnen war, wird hier nun einer der Zwölf mit dem sonderbaren Pseudonym „der Jünger, den Jesus liebte“ ausgezeichnet. Der Leser kennt ihn schon lange. Doch er weiß es noch nicht. Denn er soll erst ganz am Ende (21,24) erfahren, daß dieser geliebte Jünger der allwissende Erzähler der Geschichte Jesu ist, der ihn schon mit den ersten Sätzen des Prologs an die Hand genommen und ihn Schritt um Schritt geführt und eingewiesen hat in das Geheimnis des Heils, das mit Jesus in die Welt gekommen ist und sie von Grund auf verändert hat. Mit den Worten: „Bei Tisch lag einer seiner Jünger an der Brust Jesu, derjenige nämlich, ‚den Jesus liebte‘ (≈n °g›pa ¨ ûIhsoú")“, wird der Leser hier nun zum ersten Mal auf die permanente Gegenwart dieses Jüngers aufmerksam gemacht. Daß nur die Zwölf mit Petrus als ihrem Sprecher Jesus treu geblieben sind, weiß er seit 6,66 ff. Und daß beim letzten Mahl nur die Zwölf Jesu Tischgenossen waren, ist ihm aus den synoptischen Prätexten geläufig. Wohl erklärt sich die intime Nähe eines der Zwölf zu Jesus beim letzten Mahl aus den „griechisch-römischen Tischsitten“, die „bei den Juden des damaligen Palästina … wenigstens insoweit in Geltung standen, daß man auf der kl‡nh, dem lectus liegend speiste, mit dem linken Arm aufgestützt, mit der Rechten essend, die Füße nach hinten gestreckt. So befand sich der auf demselben Polster jeweils Folgende mehr vor als neben dem ihm Vorausgehenden, lag nicht an seiner Seite, sondern, ihm den Rücken zukehrend, ‚an seiner Brust‘“ (Bauer, Komm. 173). Doch mit diesem Zug des Verisimile seiner Erzählung, daß einer von den Zwölfen auf diese Weise an der Brust Jesu liegen mußte, hat der Erzähler das geheimnisvolle Pseudonym dieses Einen als des Jüngers, den Jesus liebte noch lange nicht erklärt. Darum muß dem Ruhen dieses Jüngers an der Brust Jesu noch ein tieferer symbolischer Sinn innewohnen. Der Schlüssel dazu liegt wohl in 1,18, wo gesagt war, daß niemand Gott je 595
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
gesehen habe, daß vielmehr allein der monogenÉ" qeÖ" ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patr∙" Kunde gebracht habe (†keõno" †xhgflsato: s. o. z. St.). Und wie Jesus so als der Exeget des Vaters in das Evangelium eingeführt und das Nomen l∙go" dabei zu †xhgflsato verbalisiert wurde, so erscheint hier nun der geliebte Jünger als der Exeget Jesu. Seine Rolle als der implizite Erzähler der Geschichte Jesu setzt voraus, daß er von Anfang an (15,27) bis zum Ende unter dem Kreuz (19,25–27) und am leeren Grab Jesu (20,3 ff) der authentische Zeuge all dessen gewesen ist, was Jesus getan und gesagt hat. Da dieser Erzähler aber ein Geschöpf des Autors und damit eine fiktionale Figur der Textwelt unseres Evangeliums ist, wobei wir auch dessen Evangelisten nur als seinen impliziten Autor kennen, weil der sich rückhaltlos in sein Werk und dessen Erzähler entäußert hat, kann ‚authentischer Zeuge‘ natürlich nicht heißen, daß diese vom Evangelisten als der verläßliche Zeuge geschaffene literarische Figur ein historischer Augenzeuge gewesen wäre (vgl. Thyen, Noch einmal Joh 21). 24: Petrus gibt nun dem geliebten Jünger einen Wink (ne‚ei), er solle doch erkunden (puqfisqai), von wem Jesus da geredet habe. Obgleich die Lesart puqfisqai t‡" …n e¥h perÑ oñ lfigei mit …n e¥h das einzige Vorkommen eines Optativs bei Johannes enthält, spricht doch die breite Streuung ihrer Zeugen (P66 A D K W D P f 1.13 28. 565. 700) für ihre Ursprünglichkeit, zumal sie besser als der nur von alexandrinischen Handschriften bezeugte Text: kaÑ lfigei a§tù: eèpe tÑ" ≤stin (B C L 068. 33. 892 pc) das Geheimnistuerische des Vorgangs zum Ausdruck bringt. Daß der Sinaiticus mit dem Text: t‡" …n e¥h perÑ oñ ≤legen, kaÑ lfigei a§tù: eèpe tÑ" ≤stin, beide Lesarten miteinander kombiniert, spricht wohl ebenfalls für den Vorrang der Lesart mit dem Optativ (vgl. Metzger, Comm. 240 f). Es kommt hinzu, daß sich ebendieser Optativ e¥h schon im Prätext Lk 22,23 findet, mit dem Johannes hier ganz offenkundig spielt. Denn der Sache nach eröffnet Lukas die Mahlszene und das sich daran anschließende Symposion ganz ähnlich wie Johannes. Heißt es bei Lukas: kaÑ Ωte †gfineto ™ øra, ünfipesen ktl. (22,14), so lesen wir bei Johannes in dessen typischer Diktion: e¢dá" ¨ ûIhsoú" Ωti élqen a≠toú ™ øra ktl. (13,1). Die Ankündigung der Verleugnung Jesu durch Petrus, die Markus und Matthäus auf dem Weg zum Ölberg und nach Gethsemane situieren (Mk 14,26 ff; Mt. 26,30 ff), hat Lukas ebenso wie Johannes, der ihm darin wohl folgt, seiner Abschiedsrede integriert (Lk 22,31 ff). Mit einer signifikanten Ausnahme erscheint Petrus hier und in allen folgenden Szenen mit dem geliebten Jünger an der Seite: (1) als Petrus seinen Herrn im Hof des hohepriesterlichen Palastes dreimal verleugnet (18,15 ff); (2) als er sich auf die Kunde Marias von Magdala hin, daß Jesu Grab leer sei, mit dem geliebten Jünger in einem förmlichen Wettlauf auf den Weg zum Grab Jesu macht (20,3 ff); (3) als sich unter Führung des Petrus am galiläischen See von Tiberias sieben Jünger zunächst vergeblich zum Fischen aufmachen und erst nach der Intervention des unerkannten Auferstandenen ihren wunderbaren Fischzug tun (21,1 ff); (4) und endlich im Zusammenhang der Rehabilitation des dreifachen Verleugners seines Herrn durch Jesu dreifache Frage nach seiner Liebe und seiner Bestallung als Hirte der Schafe Jesu (21,20 ff). Da unsere gesamte Szene, wie Sabbe gezeigt hat, ganz offenkundig ein intertextuelles Spiel zumal mit Lk 22 ist, und da nur bei Lukas – anstelle der beiden anonymen Jünger von Mk 14,13 – Petrus und Johannes als ein Paar auftreten (Lk 22,8), könnte nach Sabbes Vermutung gerade dieser Zug Johannes zu seinem ständigen Gegenüber von Petrus und dem geliebten Jünger inspiriert haben (Footwashing 418). 596
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,23–24
Die genannte signifikante Ausnahme, wo der geliebte Jünger nicht neben Petrus erscheint, sondern an der Seite der Mutter Jesu und der treu gebliebenen Frauen steht, ist die Szene unter dem Kreuz Jesu, (19,25–27 u. 35). Denn weil die Jünger sich nach seiner Gefangennahme (18,8 ff) alle, ∫kasto" e¢" tÅ ¥dia, zerstreut und Jesus allein gelassen hatten, wie der es 16,32 – wohl im Spiel mit Mk 14,27 und Sach 13,7 – vorausgesagt hatte, kann Petrus natürlich nicht unter dem Kreuz Jesu erscheinen. Daß zu seinen Getreuen neben den Frauen (vgl. Mk 15,40 f parr.) auch der geliebte Jünger gehört, erfährt der Leser erst hier. Und doch muß auch hier gerade die Abwesenheit des Petrus leisten, was in den übrigen Szenen seine Anwesenheit tat: Sie muß dazu dienen, den geliebten Jünger zu profilieren und zu autorisieren. Petrus dagegen vermag Jesus erst nach seiner Rehabilitation von der schändlichen Verleugnung erneut und nun tatsächlich bis zur Lebenshingabe (13,37) nachzufolgen. Da alle diese Passagen mit dem geliebten Jünger von vornherein auf ihre Klimax in Joh 21,24 f hin angelegt sind, wo endlich enthüllt wird, daß dieser Jünger der implizite Erzähler unseres Evangeliums ist, muß man von diesem Ende her den Blick nochmals auf den Anfang richten, nämlich auf den Umstand, daß dort einer der beiden ersten Jünger Jesu – ganz offenbar absichtsvoll – anonym geblieben war (s. o. zu 1,35 ff). Da wurde erzählt, daß Johannes (der Täufer) diese beiden, die bis dahin seine Jünger gewesen waren, mit den Worten: „Siehe das Lamm Gottes“, in die Nachfolge Jesu eingewiesen und damit angefangen hatte, sein Wort einzulösen: „Er muß wachsen, ich aber abnehmen“ (3,30). Und wenn es da weiter hieß, der Eine der beiden, die auf des Johannes Botschaft hin Jesus ‚nachgefolgt‘ und bei ihm ‚geblieben‘ waren, sei Andreas, der Bruder des Simon Petrus, gewesen, der danach sogleich seinen Bruder Simon aufgesucht und ihn mit den Worten: „Wir haben den Messias gefunden!“ zu Jesus geführt hatte, zugleich aber über den Anderen dieser ‚Wir‘ kein einziges Wort verlautet, dann ist hier offenbar absichtsvoll eine ‚Leerstelle‘ gelassen, die den Leser auffordert, sie zu füllen. Er weiß aus den synoptischen Prätexten, daß da am Anfang neben dem Brüderpaar Andreas und Petrus noch ein zweites Paar von Brüdern war, das zu Nachfolgern Jesu wurde, nämlich Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus (Mk 1,16–20 parr.). Und auch, wenn er das, wiederum absichtsvoll, erst Joh 21,2 ausspricht, weiß das natürlich auch der Erzähler. Darf der Leser diese Lücke also dadurch füllen, daß er sich denkt, der Andere müsse dann wohl Johannes gewesen sein, der danach ebenfalls seinen eigenen Bruder, nämlich Jakobus, aufgesucht und ihn zu Jesus geführt habe? So haben jedenfalls die Väter unser Evangelium gelesen. Nicht erst Irenäus, der um 180 erklärt: „Zuletzt gab Johannes, der Jünger des Herrn, der auch an seiner Brust gelegen hatte, sein Evangelium in Ephesus heraus“ (adv. haer. III/1; vgl. Euseb, HE V/8,4), und die Schreiber der Papyri 66 und 75, die das Werk mit der Inscriptio e§aggfilion katÅ ûIw›nnhn herausgehen ließen (P66 dazu noch mit der Subscriptio katÅ ûIw›nnhn), sondern schon gut drei Jahrzehnte vor Irenäus bezeugt die in ägyptischem Milieu entstandene und eng mit unserem Evangelium und den Johannesbriefen vertraute Epistula Apostolorum den Apostel Johannes als den Verfasser unseres Evangeliums (vgl. Müller, Übersetzung und Bearbeitung der Schrift bei Schneemelcher, Apokryphen I, 205–233; und siehe dazu Hengel, Joh. Frage 59 ff). Von diesem Urteil der Väter unterscheidet sich unsere Interpretation freilich dadurch, daß es uns unmöglich erscheint, den historischen Zebedaiden und Apostel Johannes mit dem tatsächlichen Verfasser unseres Evangeliums zu identifizieren, denn ebenso wie sein Bruder Jakobus (vgl. Act 12,2), wenn auch nach Ausweis von Gal 2,9 nicht 597
13,1–38
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
zur gleichen Zeit, dürfte der bereits als Märtyrer gestorben sein, noch ehe Markus sein Evangelium schrieb (Mk 10,35 ff). Die Väter haben jedoch insofern wohl eine richtige Spur verfolgt, als der Zebedaide Johannes – neben Petrus und Jakobus nach Mk 9,1 ff parr. und 14,32 parr. einer der drei vertrautesten Jünger Jesu – wohl tatsächlich das Modell ist, nach dem der Evangelist seinen fiktionalen Erzähler geschaffen und damit dem Märtyrer Johannes zugleich ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Daß das mehr als nur wahrscheinlich ist, haben wir in unserem Beitrag zur Festschrift für Lars Hartman (Noch einmal Johannes 21 und „der Jünger, den Jesus liebte“) begründet. Die unten folgende Kommentierung von Joh 20–21 muß das bestätigen und zugleich zeigen, daß Joh 21 – ein Kapitel, ohne das unser Evangelium nach Ausweis seiner Handschriften öffentlich nie existiert hat – integraler und notwendiger Teil des gesamten Werkes und nicht etwa der spätere Nachtrag irgendeiner Redaktion ist. 25 f: Der Bitte des Petrus entsprechend (oætw") neigte sich der geliebte Jünger daraufhin noch näher an die Brust Jesu zurück (ünapesán oên) und fragte ihn: Herr, wer ist es? Wenn der Erzähler jetzt anstelle von †n tù k∙lpw toú ûIhsoú (V. 23) sagt: †pÑ tÖ stöqo" toú ûIhsoú, so spielt er wiederum mit Synonyma und unterstreicht durch diesen Zug das Geheimnisvolle des Vorgangs und die Intimität zwischen Jesus und seinem geliebten Jünger. Denn wenn es in V. 28 heißt, keiner der mit Jesus zu Tisch Liegenden, also auch Petrus nicht, habe die Bedeutung der Gabe des Bissens an Judas und des Auftrags Jesu an ihn: „Was du tun willst, das tue sogleich“, verstanden, dann ist ja ein Doppeltes deutlich: Einmal nämlich, daß der geliebte Jünger das ihm vertraulich Gesagte – „Es ist der, dem ich den Bissen eintauchen und ihm geben werde“ – für sich behalten haben muß; und zum anderen, daß die Pointe hier nicht die ‚Entlarvung des Verräters‘ sein kann, wie in den Prätexten Mk 14,17 ff; Mt 26,20 ff; Lk 22,21 und wie Schnackenburg die Szene überschreibt (Komm. III, 32), sondern daß sie in der Gabe des eingetunkten Bissens an Judas liegen muß. Denn weil die erzählten Jünger nichts von dem Wortwechsel zwischen Jesus und seinem Vertrauten erfahren, während der Leser bereits seit der wunderbaren Speisung am Seeufer und Jesu Rede in der Synagoge von Kapharnaum um die Identität dessen weiß, der Jesus an seine Feinde ausliefern sollte (6,70 f), muß das zentrale Anliegen des Erzählers die neue Information für den Leser/ Zuhörer sein, daß auch Judas am letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern Teil hatte. Jesu Mitteilung an den geliebten Jünger: †keõn∙" †stin ó †gá b›yw tÖ ywm‡on kaÑ d„sw a§tù, ist ebenso wie seine darauffolgende Aktion: b›ya" oên tÖ y„mion lamb›nei kaÑ d‡dwsin ûIo‚da S‡mwno" ûIskari„tou, in zahlreichen Varianten überliefert. Mit dem Textkommentar von Metzger (241) sehen wir in dem von Nestle/Aland wiedergegebenen Text einschließlich des dort nach dem zweiten tÖ y„mion in eckige Klammern gesetzten [lamb›nei kaÑ] dessen wahrscheinlich ursprünglichste Gestalt. Moloney (Komm. 383 ff) erklärt zu dieser ersten Benennung eines der Zwölf als ‚der Jünger, den Jesus liebte‘: „Despite his position of honor, he is included in the perplexity. As will happen regularly from this point on in the story, Peter is subordinated to the Beloved Disciple as he asks: ‚Tell us who it is of whom he speaks‘ (V. 24). This request supposes that the Beloved Disciple has some privileged access to this knowledge, but such is not the case. He must ask Jesus, and his question triggers the words and actions that follow: ‚Lord, who is it?‘ (V. 25)“.
Moloney als einer, der das Evangelium doch schon wiederholt und bis zum Ende gelesen hat, übersieht dabei, daß der geliebte Jünger doch der allwissende Erzähler der 598
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13,24–26
Geschichte Jesu ist, der schon 6,71 wußte, daß Judas derjenige ist, der Jesus ausliefern sollte. Nicht weil er unwissend wäre, sondern weil er im Interesse des Lesers der Aufforderung des Petrus folgt, fragt der geliebte Jünger seinen Herrn. Gewiß löst seine Frage die folgenden Worte und Aktionen Jesu aus, aber das ist nur dem Einen und seinen Lesern ins Ohr gesagt, während alle anderen in ihrer „perplexity“ verbleiben. Wie bei der Auslegung der folgenden Texte um den geliebten Jünger noch gezeigt werden muß, ist auch die Aussage, Petrus sei ihm ‚subordiniert‘ allzu pauschal. Denn wie jener Jünger hier nicht als das allseits bekannte und beliebte ‚Schulhaupt‘ eines ‚johanneischen Christentums‘, sondern als ein unbekannter Anonymus eingeführt wird, als einer seiner Jünger mit der betonten Nachstellung seines Quasi-Pseudonyms: ≈n °g›pa ¨ ûIhsoú", so muß hier, wie bei seinen folgenden Auftritten, „die anerkannte Autorität des Petrus“ dazu dienen, sein „Ansehen … zu stärken und seine vertraute Nähe zu Jesus hervorzuheben“ (Schnackenburg, Komm. III, 35). Denn in der Gemeinde derer, die einander lieben, wie Jesus sie geliebt hat, ist ebensowenig ein Platz für derartige Verhältnisse der Subordination wie für irgendeine Form von ‚Antipetrinismus‘. Da gilt es, den Anderen in seinem Anderssein zu respektieren: Petrus als den guten Hirten der Schafe Jesu und den geliebten Jünger als den Evangelisten und Erzähler der Geschichte Jesu und seiner Jünger. Und das muß dann wohl auch für Judas gelten, der dazu erwählt ist, Jesus auszuliefern. Wohl erklärt Jesus seinen Jüngern schon früh: ‚Einer von euch ist ein Teufel‘ (6,70), was der Erzähler sogleich so kommentiert: ‚Er sprach aber über Judas, Simons, des Iskarioten, Sohn …‘. Und wohl regt sich Judas scheinheilig auf über Marias Verschwendung des kostbaren Nardenöls, dessen Erlös man besser den Armen gegeben hätte (12,4 f), wozu der Erzähler wiederum bemerkt: ‚Das sagte er aber nicht, weil ihm an den Armen gelegen gewesen wäre, sondern weil er ein Dieb war, der Gelder aus der Reisekasse unterschlug, die er verwaltete‘ (12,6). Und wohl erfuhr der Leser in 13,2, daß der Teufel Judas bereits eingeflüstert habe, Jesus auszuliefern, und sogleich wird er erfahren, daß mit der Annahme des Bissens der Satan selbst in Judas einfuhr (V. 27; vgl. Lk 22,3!). Dieses wenig schmeichelhafte Judasporträt hat in der Alten Kirche, die schon früh alle notorischen Sünder strikt ausschloß von der Feier der heiligen Eucharistie, alsbald zum Streit darüber geführt, ob Jesus Judas mit dem eingetauchten Bissen des Brotes etwa an der eucharistischen Speise Anteil gegeben habe oder nicht; vgl. zu den Positionen in diesem Streit Lagrange (Komm. 362 f u. s. Moloney, Sacramental Reading 250 ff). Moloney dringt darauf, diese Frage nicht mit psychologischen Argumenten, sondern auf der Ebene der Lektüre des Textes zu entscheiden. Dazu verweist er zunächst noch einmal auf die besondere Gestalt des Zitates aus Ps 42/43 in V. 18 zurück (s. o. z. St.) und darauf hin, daß schon Markus im Zusammenhang mit dem Her‑ renmahl mit diesem Psalm spielt: kaÑ †sqi∙ntwn ¨ ûIhsoú" eèpen: ümÉn lfigw ≠mõn Ωti eï" †x ≠mùn parad„sei me ¨ †sq‡wn metû †moú (Mk 14,18), der wohl auch hinter Jesu lukanischem Wort am Abendmahlstisch steckt: plÉn ¢doÜ ™ ceÑr toú paradid∙nto" me metû †moú †pÑ tö" trapfizh" (Lk 22,21). Weil Johannes hier anstelle von ¨ †sq‡wn das Lexem tr„gw gebraucht und ¨ tr„gwn sagt, sieht Moloney darin eine absichtsvolle Verknüpfung mit 6,54 ff (ebd. 252 f). Mit Berufung auf das Brotwunder und dessen eucharistische Anklänge in allen vier Evangelien (Mk 6,41; 8,6; Mt 14,19; 15,36; Lk 9,16 und Joh 6,11) sowie auf die synoptischen und paulinischen Institutionsberichte des Herrenmahls (Mk 14,22; Mt 26,26; Lk 22,19; 1Kor 11,23) plädiert er für die Ur599
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sprünglichkeit der Wendung kaÑ lamb›nei in V. 26 (s. o. z. St.). Zu ihrer Auslassung in einer großen Zahl der Handschriften erklärt er einleuchtend: „Scribes could not tolerate the idea that the sharing of the morsel between Jesus and Judas might have eucharistic overtones and thus they eliminated words that made this association explicit“ (Komm. 384). Sein Fazit lautet darum: „We can now claim that there are sufficient indications in the text itself to argue that a subtheme to the meal, the gift of the morsel and of the new commandment in vv 21–38, is eucharistic, just as a subtheme to the footwashing and the gift of example in vv 1–17 was baptismal. The whole of 13,1–38 indicates that Jesus shows the quality of his love – a love which makes god known – by choosing, forming, sending out, and nourishing his disciples of all times, catching them up in the rhythm of his own self-giving life and death. Within the context of a meal which is indicated as eucharistic, Jesu gives the morsel to the most despised ‚character‘ in the Gospel’s narrative: Judas!“ (ebd. 254). Ohne der zugespitzten und uns darum fragwürdigen These von Martyn zu folgen, wonach unser Evangelium auf zwei Ebenen zugleich spielen und zum einen die Geschichte Jesu und seiner Jünger im Palästina seiner Tage und zum anderen diejenige einer ‚johanneischen Gemeinde‘ und ihrer spezifischen Probleme in ‚John’s city‘ spiegeln soll, sieht Moloney jedoch ganz richtig, daß die auffällige Häufung von Un‑ und Mißverständnis, von Verrat und Verleugnung in unserem Kapitel anzeigt, wie sehr sich Johannes, als er am Ende des ersten Jahrhunderts sein Evangelium schrieb, bewußt war, „that disciples always have and always will display ignorance, fail Jesus and deny him, and that some may even betray him in an outrageous and public way“ (ebd. 254). Aber gerade Jesu niemals ausbleibende Liebe zu derartigen Jüngern, die sogar den Archetyp des bösen Jüngers einschloß, erweise ihn als denjenigen, in dem sich Gottes Liebe zum k∙smo" vollende (3,16 f). Und wenn Jesu Liebe mit der Gabe des eingetauchten Bissens auch seinem intimsten Feinde galt, dann kann der Leser diesem Gott nur in „a commitment to a similar quality of love“ entsprechen (ebd. u. s. u. zu V. 34 f). 27–29: Im Prätext Lk 22,3 heißt es bereits vor der Feier des Passamahles und seiner Vorbereitung durch Petrus und Johannes: e¢sölqen dÇ satanô" e¢" ûIo‚dan tÖn kalo‚menon ûIskari„thn, µnta †k toú üriqmoú tùn d„deka. Zur Steigerung der Spannung hat Johannes den di›bolo" zu Beginn des Mahles Judas nur den Plan ins Herz geben lassen, Jesus auszuliefern, und erst nachdem Judas den eingetauchten Bissen genommen hat, kommentiert der Erzähler wie Lukas: t∙te e¢sölqen e¢" †keõnon ¨ satanô". Doch auch da bleibt Jesus noch der Herr des Geschehens, indem er Judas mit den Worten: ≈ poieõ" po‡hson t›cion, in die Rolle einweist, zu der er erwählt ist und die er bei der Verherrlichung des Sohnes des Menschen zu spielen hat (V. 27). Zu dem folgenden Satz, daß keiner von denen, die da zu Tisch lagen (o§deÑ" ≤gnw tùn ünakeimfinwn), begriffen habe, zu welchem Zweck Jesus ihm das gesagt habe, erklärt Moloney – ebenso wie schon zuvor zu der auf Geheiß des Petrus erfolgten Frage des geliebten Jüngers nach der Identität dessen, der Jesus ausliefern sollte –: das Lexem o§de‡" „includes the Beloved Disciple“ (Komm. 384). Aber nicht nur vom Ende her, wo der Leser explizit erfährt, daß der geliebte Jünger von Anfang an immer schon der Erzähler war, der Teil hatte an dem Allwissen seines Herrn und seine Zuhörer durch dessen Geschichte geleitet hat, sondern schon aus dem unmittelbaren Kontext unseres Kapitels ist deutlich, daß von dem Mißverstehen der anderen nur einer erzählen kann, der weiß, was hier geschieht, weil sein Herr es ihm anvertraut hat (V. 26; vgl. L. Schen600
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,26–31
ke, Komm. 276 f). Er weiß sogar, was die anderen nur dachten, einige nämlich, daß Jesus Judas beauftragt habe, das Notwendige für das Passafest einzukaufen, und andere, daß er Almosen an die Armen verteilen solle, wie es Brauch war am Passafest. 30: labán oên tÖ ywm‡on †keõno" †xölqen e§q‚". én dÇ n‚x. Mit dem Pronomen †keõno" wird Judas, bis der Leser ihm am Ort der Verhaftung Jesu in 18,2 erneut begegnen wird, aus der Geschichte verabschiedet (vgl. zu diesem Gebrauch des Pronomens 1,8). Kaum hat er den Bissen genommen, da ging er hinaus. Es war aber Nacht. Die Sonne ist untergegangen und damit ist der Tag der paraskeufl des Passa angebrochen: Der Tag, an dem gleichzeitig mit dem Schlachten der Lämmer im Tempelbezirk Jesus als das ‚Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt‘, durch die Kreuzigung getötet wird (vgl. 1Kor 5,7: kaÑ gÅr tÖ p›sca ™mùn †t‚qh Crist∙"). Zugleich dürfte die Zeitangabe ‚Es war aber Nacht‘ symbolische Obertöne haben. Wie am Anfang Nikodemus, der Lehrer Israels, aus der Nacht zu dem gekommen war, der das Licht der Welt ist (3,1 ff), so geht Judas jetzt von ihm weg in die Nacht. Mit Moloney, der das in seinem Kommentar (381 ff) sowie in Sacramental Reading sorgfältig begründet hat, sehen wir in den V. 31–38 den organischen und notwendigen Abschluß des 13. Kapitels, mit seinen beiden Szenen der Fußwaschung und der Gabe des eingetunkten Bissens an Judas. Denn zu den unverständigen Jüngern und Judas, der Jesus ausliefern sollte, gehört natürlich auch Petrus, der ihn dreimal verleugnen wird. Vor allem aber gehört neben der Gabe des ≠p∙deigma (V. 15) die Gabe des ‚neuen Gebots‘ (V. 34 f) dazu. Mit dieser Gliederung widersprechen wir den meisten Auslegern, die in 13,31–38 die Eröffnung der sogenannten ‚ersten Abschiedsrede‘ (Joh 13,31–14,31) sehen; so etwa Brown, Komm. II, 581 ff; Schnackenburg, Komm. III, 53 ff; Becker, Komm. II, 523 ff; L. Schenke, Komm. 277 ff; Beasley-Murray, Komm. 240 ff; Dettwiler 111 ff; Tolmie, Farewell 105 ff, und Segovia, Farewell 59 ff. 31 f: Unmittelbar an V. 30 angeschlossen, durch das verknüpfende oên fest mit dem Vorausgehenden verbunden, und ohne daß Judas, wie es ein Neueinsatz doch erforderte, noch einmal namentlich genannt würde, sondern nur in der Wendung „als er nun hinausgegangen war“ zur Sprache kommt, erklärt Jesus nun: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott hat sich verherrlicht in ihm. Hat Gott sich aber in ihm verherrlicht, dann wird Gott ihn auch in sich selbst verherrlichen; und er wird ihn sogleich verherrlichen“. Im Anschluß an die eingehende Studie von Caird (Glory) haben wir die beiden Aoriste des Passivs trotz ihrer identischen Grapheme †dox›sqh in verschiedener Weise übersetzt. Wird nämlich vom ‚Sohn des Menschen‘ im üblichen Passiv gesagt, daß er jetzt verherrlicht worden sei, so daß er als das passive Objekt der Aktivität eines anderen, nämlich Gottes, erscheint, so kann das ja nicht in gleicher Weise auch von Gott gesagt werden. Vielmehr muß das Passiv jetzt – wie häufig in der LXX, deren Übersetzer das reflexive Niphal dbkn der hebräischen Bibel durch Passivformen von dox›zesqai wiedergeben – als ein reflexives Intransitivum verstanden werden, so daß man V. 31 paraphrasieren kann: ‚Jetzt ist der Sohn des Menschen dadurch verherrlicht, daß sich Gott in ihm verherrlicht hat‘. Auch darin, daß das †n a§tù hier nicht instrumental, sondern ganz wörtlich lokal zu verstehen ist, folgen wir Caird (271), der seine eingehende Untersuchung des LXX-Sprachgebrauchs so resümiert: „It therefore seems reasonable for me to suppose that a Jew, searching for a Greek word to express the display of splendid activity by man or God, which in his native Hebrew could be expressed by the niphal dbkn, might have felt justified in adapting the 601
13,1–38
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
verb dox›zesqai to this use, with every expectation that his Greek neighbour would correctly discern his meaning. Thus when John put in the mouth of Jesus the words ¨ QeÖ" †dox›sqh †n a§tù, he could confidently expect his readers, whether Jews or Greeks, to understand that God had made a full display of his glory in the person of the Son of Man“ (277). Der folgende V. 32 nimmt das zuletzt Gesagte in der Fügung: e¢ ¨ qeÖ" †dox›sqh †n a§tù, als die Protasis eines Bedingungssatzes wieder auf und erklärt dann in der Apodosis im Futurum: kaÑ ¨ qeÖ" dox›sei a§tÖn †n a§tù, kaÑ e§qÜ" dox›sei a§t∙n. Auch wenn die Protasis dieses Satzes in den gewichtigen Zeugen P66 a* B C* D L W 1 al it sys.h ac2 mf bopt fehlt – weshalb die Editoren von Nestle/Aland sie in eckige Klammern gesetzt haben –, folgen wir hier trotz des fraglosen Gewichts der genannten Zeugen nicht der bewährten lectio-brevior-Regel. Denn der Stufenparallelismus mit seiner Aufnahme des zuvor Gesagten in die Protasis eines Bedingungssatzes ist ein allzu deutliches Kennzeichen der individuellen Handschrift unseres Evangelisten. Gegen Barrett (Komm. 450), Hoskyns (Komm. 450) u. a. wird man darum das Fehlen dieser Protasis nicht einer versehentlichen Dittographie durch die Schreiber des Mehrheitstextes zuschreiben, der von a2 A C2 Q Y f 13 33 lat syp sa bopt und Origenes angeführt wird, sondern darin wegen des Homoioteleuton ¨ qeÖ" †dox›sqh †n a§tù eher eine versehentliche Haplographie der früheren Zeugen sehen müssen (vgl. Metzger, Comm. 242; Burkett, The Son 124; Moloney, Son of Man 197; Lindars, Komm. 462). Anstelle von †n a§tù in dem Satz: dox›sei a§tÖn †n a§tù, bietet der Mehrheitstext hier zur Verdeutlichung †n ©autù, zumal der Schreibweise ENAUTWI der frühen Manuskripte ja nicht anzusehen ist, ob hier †n a§tù oder †n a≠tù zu lesen ist (vgl. auch dazu Metzger ebd.). Unzweideutig bezieht sich das nún von V. 31 auf den Weggang des Judas und auf Jesu Worte: „Was du tun willst, tue unverzüglich!“ und damit auf die ‚Stunde‘ der Kreuzigung Jesu. Das Jesus hier in den Mund gelegte dreimalige †dox›sqh darf man darum trotz seines aoristischen Modus weder wie Sanders/Mastin (Komm. 315) auf die Fußwaschung als symbolische Antizipation der Passion zurückbeziehen, noch sollte man darin wie Macgregor (Komm. 283), Brown (Komm. II, 585) u. a. einen Anachronismus sehen und mit Barrett (Komm. 441) erklären: „Der wahre Schauplatz dieser Kapitel ist das Leben der Christen am Ende des 1. Jh.; aber von Zeit zu Zeit bringt Joh, der das Leben der Kirche in seiner eigenen Zeit an die Geschichte, auf welcher sie gründet, zu binden sucht, seine Erzählung zu einem Schauplatz zurück, der offensichtlich ursprünglich ist: die Nacht, in welcher Jesus verraten wurde“. In diesem Sinne soll der Evangelist mit den Aoristen †dox›sqh aus seiner eigenen Gegenwart auf die Verherrlichung Jesu durch Kreuz und Auferstehung zurückblicken, um dann mit dem Futurum dox›sei von V. 32 Jesus selbst in seiner ‚Stunde‘ wieder zu Wort kommen zu lassen. Das erscheint uns jedoch aus mehreren Gründen als eine unmögliche Interpretation. Denn zum einen ist das auf den Weggang des Judas bezogene nún sowenig in eine beliebige andere Zeit übertragbar wie das ausschließlich vom irdischen Jesus als Selbstbezeichnung gebrauchte Kryptogramm ‚Der Sohn des Menschen‘. Und zum anderen erzählt Johannes zwar aus seiner österlichen Perspektive und sieht insofern im irdischen Jesus immer schon den Auferstandenen, doch derartige Anachronismen, wie Barrett sie ihm unterstellt, leistet er sich u. E. an keiner Stelle. Darum bleibt keine andere Wahl als die, die besagten Aoriste †dox›sqh mit Bernard (Komm. 524) „more like the prophetic perfect of certainty“ zu verstehen: „It is as if the act has been already done“ (Lindars, 602
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,31–32
Komm. 462; vgl. Westcott, Komm. 159 f; Lagrange, Komm. 365; Bruce, Komm. 293; Burkett, The Son 125 u. a.). Dem Aorist †tar›cqh, der in V. 21 verbunden war mit der Ankündigung Jesu, daß einer aus dem Kreis der Zwölf ihn ausliefern werde, entspricht, nachdem Judas hinausgegangen ist in die Nacht, nun der Jesu Sieg verkündende Aorist †dox›sqh. Daß Judas nun unterwegs ist, Jesu ‚Erhöhung an das Kreuz‘ in Gang zu setzen, nimmt Jesus mit seinem Wort von der Verherrlichung des Sohnes des Menschen, in dem Gott sich selbst verherrlicht, als pars pro toto. Insofern enthält auch der Aorist ein futurisches Moment. Burkett hat darauf aufmerksam gemacht, daß gerade der Gebrauch dieser beiden Modi des Verbums – nämlich in V. 31 zunächst des passiven und dann des intransitiven Aorist und danach in V. 32 des echten Futurums dox›sei mit Gott als handelndem Subjekt – es dem Erzähler ermöglicht, hier zwei Momente der einen Verherrlichung des Sohnes des Menschen voneinander zu unterscheiden: „The reason for the tense in this context is that it allows Jesus to distinguish between two future moments of glorification: the past tenses in 31–32a refer to one, and the future tenses in 32b refer to another. The distinction would have obscured if the future tense had been used for both events. … The first moment of glorification, on the cross, will be followed by a second, in which the Son is glorified by the Father. … This second glorification will take place shortly after the glorification on the cross, for God will glorify him ‚short away‘“ (The Son 125 f; vgl. Lindars, Komm. 462, u. s. u. zu Joh 17). Schulz (Untersuchungen 120–122; vgl. Komm. 178 f) will Joh 13,31 f als einen „vorjohanneischen Menschensohn-Hymnus“ erweisen. Dessen „ursprünglich apokalyptisch“ geprägte, judenchristliche Urheber sollen diesen Hymnus aus der „apokalyptischen Weissagung“ von äthHen 51,3 geschaffen haben. Sie lautet: „Und der Erwählte wird in jenen Tagen (sc. den Tagen des Jüngsten Gerichts) auf meinem Thron sitzen, und alle Geheimnisse der Weisheit werden aus dem Urteil seines Mundes hervorgehen, denn der Herr der Geister hat (dies) ihm gegeben und ihn verherrlicht“ (Übersetzung: S. Uhlig, äthHen 594). Da in diesem Satz aus der zweiten Bilderrede des Henochbuches jedoch vom ‚Sohn des Menschen‘ überhaupt nicht die Rede ist, sondern von einem ‚Erwählten‘, müßte Schulz eine Abhängigkeit jener Schöpfer seines vermeintlichen ‚Menschensohn-Hymnus‘ vom literarischen Text des Henochbuches postulieren. Darin wird nämlich bereits in 46,1 ff im intertextuellen Spiel mit Dan 7,9 f neben dem ‚Haupt der Tage‘ ein anderes göttliches Himmelswesen eingeführt als einer, „dessen Gestalt wie das Aussehen eines Menschen (war), und sein Angesicht voller Güte wie (das) von einem der heiligen Engel“. Wenn dann im folgenden auf diese Gestalt stets mit den Demonstrativa dieser oder jener Menschensohn zurückverwiesen wird (vgl. 46,2.3.4; 48,3 ff u. ö.), so wird daraus ja deutlich, daß ‚Menschensohn‘ hier kein messianisches Hoheitsprädikat sein kann, das den intendierten Lesern des Buches geläufig wäre, sondern daß hier die Dan 7 entstammende Beschreibung eines göttlichen Himmelswesens vorliegt (vgl. Colpe, Art. u´Ö" toú ünqr„pou 425 ff). Ohne hier einen geprägten vorjohanneischen ‚Menschensohn-Hymnus‘ zu postulieren, wie Schulz, sieht auch Colpe, der die joh. Worte vom ‚Sohn des Menschen‘ traditionsgeschichtlich wohl treffend zwischen den synoptischen Leidensweissagungen und Mk 14,41 ansiedelt, im Hintergrund der Verbindung des ‚Sohnes des Menschen‘ mit dem Gedanken seiner Verherrlichung, die nur Joh 12,23 und 13,31 f erscheint, die Tradition der himmlischen Inthronisation des Menschenähnlichen, die Dan 7, sowie äthHen 51,3; 45,3; 55,4; 61,8; 62,2.5; 69,27.29; 71,7 bezeugen (ebd. 472). Im Blick auf den Kontext und die Formulierung von 13,31 f sind wir mit Schnackenburg der Meinung, daß es keinen triftigen Grund dafür gibt, hinter diesen Versen „einen vorgegebenen Spruch aus apokalyptischer Tradition oder einen kleinen vorjoh. ‚Hymnus‘ zu vermuten. (Denn) die in der joh. Christologie tief verwurzelte Anschauung von der gegenseitigen Verherrlichung zwischen Jesus als dem ‚Sohn‘ oder ‚Menschensohn‘ und Gott, seinem Vater, weist die fünf Zeilen als typisch johanneisches, vom Evangelisten gebildetes Logion aus“ (Komm. III, 57 f).
603
13,1–38
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Die beiden bei Johannes mit der Rede vom „Sohn des Menschen“ in dritter Person verbundenen und nahezu synonymen Passiva ≠ywqönai (3,14; 8,28; 12,32.34) und doxasqönai (12,23; 13,31 f) dürften, wie bereits oft gesehen wurde, ihren Ursprung in Jes 52,13 haben: ¢doÜ sunflsei ¨ paõ" mou kaÑ ≠ywqflsetai kaÑ doxasqflsetai sf∙dra ktl. (vgl. Burkett, Son 127 und die ebd. genannten Autoren). Wie bei Jes 52,13 ff steht die Verherrlichungsaussage auch in Joh 13 im Kontext der durch die Fußwaschung symbolisierten und durch den Weggang des Judas akut gewordenen stellvertretenden Lebenshingabe dort des Gottesknechts und hier des Sohnes des Menschen. Mit V. 32 geht Johannes freilich über das bei Jesaja Gesagte hinaus, wenn es da heißt: e¢ ¨ qeÖ" †dox›sqh †n a§tù, kaÑ ¨ qeÖ" dox›sei a§tÖn †n a§tù, kaÑ e§qÜ" dox›sei a§t∙n. Denn bei dieser künftigen Verherrlichung des Sohnes des Menschen in Gott selbst, die alsbald geschehen soll, geht es ja – wie 17,4 explizieren wird – darum, daß der Vater seinen aufgefahrenen Sohn mit derjenigen d∙xa verherrlichen wird, die er, noch ehe die Welt geschaffen war, beim Vater hatte. „Nothing in Isa 52,13 ff, however, indicates that the Servant returns to glory formerly possessed. The idea of the previous glory of the Son of the Man must therefore have another source. Such a source appears in Isa 6,1 ff, a passage to which the Evangelist refers in Jn 12,37–41. In the vision of Isa 6, the prophet Isaiah sees Yahweh on a throne ‚high and lifted up‘, his ‚skirts‘ (wylwç) filling the temple. The LXX translates ‚skirts‘ as ‚glory‘ (d∙xa), understanding the term as a reference to the splendor in which Yahweh is clothed. Yahweh receives further ‚glory‘, in the sense of ‚praise‘, from the seraphim, who cry to one another, ‚Fill all the earth with his glory‘. In this vision, therefore, Yahweh is both ‚lifted up‘ and ‚glorified‘. In referring to this vision, the Evangelist identifies ‚Yahweh‘ the glorified figur seen by Isaiah, as the pre-existent Son reigning in glory, remarking that Isaiah ‚saw his [Jesus’] glory‘ (12,41)“ (Burkett, ebd. 127). Das ‚Epiphonem‘ des Prologs (Lausberg), daß keiner Gott jemals gesehen habe, sondern daß vielmehr einzig der monogenÉ" qeÖ" ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patr·" ihn kund gemacht habe (†xhgflsato: 1,18), impliziert – da die Schrift nach Jesu Wort ja nicht aufgelöst werden kann (10,35) –, daß alle Erscheinungen Jahwes, von denen die hebräische Bibel berichtet, Erscheinungen nicht des Vaters, sondern des Sohnes waren. Er hat auf dem Sinai mit Mose geredet wie mit einem Freund (Ex 33; Phil 2,11), und von ihm hat Mose geschrieben (Joh 5,46). Er ist Abraham bei der Terebinthe von Mamre erschienen (Gen 18; Joh 8,56 ff). Im intertextuellen Spiel mit Zeph 3,8 ff hatte Nathanael Jesus als den zum endzeitlichen Weiden seines Volkes in dessen Mitte erschienenen basileÜ" toú ûIsrafll begrüßt (1,49; vgl. J.A. Steiger, Nathanael). Und wie Nathanaels Bekenntnis zu dem in der Mitte seines Volkes erschienenen Gott (Jhwh) die anfängliche Jüngerberufung vollendet, so erfährt diese in Joh 20 mit der Sendung der Jünger ihre glückliche Wiederholung, gipfelt in dem Bekenntnis des Thomas: ¨ k‚ri∙" mou kaÑ ¨ je∙" mou (20,28), und holt damit die Prologverse 1 und 18 ein: kaÑ jeÖ" én ¨ l∙go", und: monogenÉ" jeÖ" ¨ ∑n e¢" tÖn k∙lpon toú patrÖ" †keõno" †xhgflsato. In Joh 3,13 hatten wir im Anschluß an Burkett ein intertextuelles Spiel mit Prov 30,1–4 erkannt, das Jesu Bezeichnung ‚der Sohn des Mannes‘ als ein Kryptogramm für ‚der Sohn Gottes‘ erschloß. Wie in Dan 7,13 f, wo zu dem ‚Hochbetagten‘ (Gott Vater) einer von Gestalt ‚wie eines Menschen Sohn‘ gebracht wird und diesem Himmelswesen dann Gewalt, Ehre und Königsherrschaft über alle Völker, Stämme und Zungen verliehen werden, so erscheint – in dem doppeldeutigen Rätselwort verborgen – auch in Prov 604
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,32–35
30,1–4 die von den Rabbinen so erbittert als Häresie bekämpfte Anschauung, daß da ‚Two Powers in Heaven‘ walten (vgl. Segal, Two Powers). 33–35: Die das folgende Liebesgebot einleitende Anrede der Jünger mit dem Diminutiv tekn‡a (Kindlein) begegnet in unserem Evangelium einzig an dieser Stelle. Als Anrede seiner Leser ist sie darüber hinaus dem anonymen Verfasser des Ersten Johannesbriefs geläufig (2,1.12.28; 3,7.18; 4,4 u. 5,21; vgl. Gal 4,19, wo sie als v. l. von tfikna erscheint). Im Blick auf das die Briefe einschließende Corpus Iohanneum darf man die Anrede darum wohl als eine joh. Stileigentümlichkeit bezeichnen. Mit der liebevollen Anrede seiner doch so fehlsamen Jünger als ‚meine Kindlein‘ bringt der Erzähler Jesu bedingungslose Liebe zu denen zum Ausdruck, deren Kassenverwalter Judas bereits unterwegs ist, seinen Herrn dem Tode auszuliefern, deren als ‚Felsenmann‘ ausgezeichneter Sprecher Petrus (1,42; 6,68 f) ihn dreimal verleugnen wird (13,13,38; 18,15 ff) und die ihn (bis auf den einen, ‚den Jesus liebte‘) in der entscheidenden Stunde alle allein lassen werden (16,32). Auf der Höhe des Laubhüttenfestes, als die von den Hohenpriestern und Pharisäern ausgesandten Tempelpolizisten (≠phrfitai) bereits zu seiner Verhaftung unterwegs waren, hatte Jesus der Volksmenge erklärt: „Noch eine kurze Weile bin ich unter euch, dann aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat. Ihr werdet mich (dann) suchen, doch nicht finden, denn wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen“ (7,33 f). Fast mit den gleichen Worten erinnert Jesus seine Jünger hier an diese Szene: kaqá" eèpon toõ" ûIouda‡oi" ... kaÑ ≠mõn lfigw ±rti. Aber als sein bleibendes Vermächtnis hinterläßt er ihnen sein ‚neues Gebot‘: †ntolÉn kainÉn d‡dwmi ≠mõn, ºna ügapôte üllfllou", kaqá" °g›phsa ≠mô" ºna kaÑ ≠meõ" ügapôte üllfllou". †n to„tw gn„sontai p›nte" Ωti †moÑ maqhta‡ †ste, †Ån üg›phn ≤chte †n üllflloi" (34 f). Der Sinaisyrer macht diesen Zusammenhang zwischen Jesu Scheiden und dem Liebesgebot noch deutlicher, indem er das ±rti von V. 33 zu V. 34 zieht: „Aber für das Jetzt, d. h. für die Zeit der Trennung, gebe ich euch ein neues Gebot“ (Bultmann, Komm. 403). Zwar vermögen wir Bultmanns komplizierten Textumstellungen innerhalb von Joh 13–17 nicht zu folgen (vgl. ebd. 348 ff, wo er die vermeintlich ursprüngliche Textfolge so rekonstruiert: Joh 13,2–30 + 13,1 + Joh 17 + Joh 13,31–35 + Joh 15–16 + Joh 13,36–38 + Joh 14 + Kap 18,1 ff). Wir halten diesen Versuch vielmehr für unbegründbar und überflüssig, zumal er die Genese der u. E. durchaus sinnvollen überlieferten Textfolge schlechthin unerklärlich macht. Das schließt freilich nicht aus, daß Bultmann sich in vielen Details als ein wahrhaft kongenialer Interpret unseres Evangeliums erweist. So sieht er etwa in V. 34 f treffend eine erste Antwort auf die Frage, wie es den Jüngern denn möglich sein soll, in ihrer Verlassenheit (V. 33) das Verhältnis zu ihrem Herrn festzuhalten, und erklärt dazu: „Die Zukunft wird unter einen Imperativ gestellt! Die um ihr Sein als zuständliches Sein Besorgten werden in ein Sein verwiesen, das den Charakter des Sollens hat. Dem Wahn, daß das Haben ein verfügendes Besitzen sei, wird ein Haben gezeigt, das in der Erfüllung einer Aufgabe besteht. Der verzweifelnde Blick in die Vergangenheit, die nicht mehr ist, wird umgewendet in die Zukunft, die verpflichtend kommt. Eine unechte Zukunft, die nur das Verharren im Vergangenen wäre, wird zur echten Zukunft gemacht, die den Glauben fordert. Und indem der Inhalt der †ntolfl lautet: ºna ügapôte üllfllou", wird die Sorge um das Ich in die Sorge um den Anderen verwandelt. … Nicht so steht es also, daß Jesus beim Scheiden als Ersatz für seine Gegenwart ein ethisches Prinzip aufrichtet, unter das das menschliche Leben allgemein zu stellen wäre; ein Prinzip, das etwa in Jesu historischer Gestalt anschaulich geworden wäre. Gerade dann wäre ja das Problem des Abschieds, das Problem des Verhältnisses zum entschwundenen Offenbarer, nicht
605
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
gelöst; denn dann wäre dieses Verhältnis aufgelöst, man brauchte den Offenbarer nicht mehr, und der Gewinn der Zukunft wäre in die eigene Hand gelegt. Damit hätte aber auch die Vergangenheit ihren Sinn verloren; sie wäre, auch wenn sie pädagogische Bedeutung gehabt hätte, doch für die Zukunft gleichgültig geworden“ (ebd.).
Moloney (Komm. 385 ff) hat einleuchtend gezeigt, daß die Gabe (d‡dwmi ≠mõn) des neuen Gebots und dessen inhaltliche Explikation ihre exakte, nicht nur formale, sondern auch inhaltliche Entsprechung in der Gabe der Fußwaschung als ≠p∙deigma hat: ≠p∙deigma gÅr ≤dwka ≠mõn ºna kaqá" †gá †po‡hsa kaÑ ≠meõ" poiöte (V. 15). Diese Beobachtung bestätigt auch Moloneys Gliederung, wonach das gesamte Kapitel 13 von V. 1–38 als Einheit gelesen sein will. Zwar sieht und betont auch Dettwiler (Gegenwart 74 f) diese Entsprechung zwischen der Gabe des ≠p∙deigma und der †ntolÉ kainfl. Doch schwerlich zu Recht und zu Lasten seiner eigenen Beobachtung, die er zudem mit der Trennung des Verleugners Petrus von dem Verräter Judas um ihre Pointe bringt, behandelt er die Passage 13,31–38 dann – wie im übrigen die meisten Kommentatoren – als die Einleitung der sogenannten Abschiedsreden der Kapitel 14–17 (so etwa Tolmie, Farewell 201 ff; Segovia, Farewell 62 ff; sowie die Komm. von Zahn 548 ff; Hoskyns 447 ff; Schnackenburg, III, 53 ff; Brown, II, 581 ff; Wikenhauser 260 ff; L. Schenke 277 ff; Schneider 251 ff; Morris 628 ff; Becker II, 523 ff; Beasley-Murray 240 ff u. a.). Dagegen behandelt Lindars (460 ff) unsere Passage zu Recht als konstitutiven Teil von Joh 13. Wie die Gabe des eingetauchten Bissens an Judas, der ihn ausliefern sollte, Jesu bedingungslose Liebe auch zu seinen Feinden offenbart – zu Petrus, der ihn dreimal verleugnen wird, und zu seinen wankelmütigen Jüngern, die ihn am Ende alle verlassen werden –, so und nicht anders sollen auch die Jünger einander lieben. Darum entspricht die Wendung ºna ügapôte üllfllou" lediglich der intimen Situation des abschiedlichen Symposions Jesu mit den Seinen, und davon, daß das Liebesgebot durch den Gebrauch des Lexems üllfllou" im Sinne der Binnenethik eines Konventikels auf die Liebe der Gemeindeglieder zueinander beschränkt würde, kann natürlich im entferntesten nicht die Rede sein. Vielmehr setzt sich ja Gottes Liebe zum k∙smo", die er in der Gabe und Sendung seines einzigen Sohnes erwiesen hat (3,16) und die sich im Sterben Jesu für das Leben der Welt vollenden soll, in der Sendung der Jünger in die Welt fort und fordert mit der Wendung: kaqá" °g›phsa ≠mô" auch von ihnen eine Liebe, die bereit ist, Jesus selbst ins mögliche Martyrium nachzufolgen (13,36–38; 16,2 f u. ö.), so daß in ihrem Tun Jesu Tat gegenwärtig bleibt (Bultmann, Komm. 404). Während solche bedingungslose Liebe das unverwechselbare Signum der Jüngerschaft Jesu ist, liebt der k∙smo" gerade umgekehrt stets nur das ihm Eigene und Entsprechende (vgl. 7,7) und trachtet allein nach seiner eigenen d∙xa (7,18), und wie Jesus haßt er auch die Seinen, weil sie ihm bezeugen, Ωti tÅ ≤rga a§toú ponhr› †stin (7,7; vgl. 16,1 ff; u. s. zum Streit der Exegeten über die Reichweite des Neuen Gebots Augenstein, Liebesgebot pass.). Daß der Scheidende das Liebesgebot als sein Vermächtnis an seine Jünger, die in der Welt zurückbleiben – hier ebenso wie bei dessen Wiederaufnahme und neuer Interpretation in 15,12 ff – als das nach seinem Weggang von ihnen geforderte Verhalten zueinander formuliert, ist natürlich richtig und gar nicht zu bestreiten. Nissen erklärt dazu treffend: „It is undeniable that the command to love in John focuses on relations within the community. But a focus is not necessarily a restriction“ (Community 211). Ja, mehr noch: Im Zusammenhang mit dem ≠p∙deigma der Fußwaschung, das er ihnen ‚gegeben hat‘, nimmt er ihnen jegliche Art von Autonomie und macht sie, wie zuvor 606
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13,34–35
sich selbst, zu Sklaven von- und füreinander. Er unterwirft sie damit dem strengen ∫tero" n∙mo" des jeweils Anderen (vgl. 13,15 f). Van Tilborg erklärt dazu: „The narrator makes Jesus say: if I, although I am your teacher and Master, have made myself a slave, then you must also be prepared to be each other’s slave, because you are not higher than I am. Jesus makes his disciples each other’s slave: a story of instalment which has no comparison in world literature“ (Imaginative Love 159). Darum ist die Forderung der wechselseitigen Liebe auch keine sekundäre Moralisierung des ‚Heilsindikativs‘ der sogenannten ‚ersten Deutung‘ der Fußwaschung und auch nicht erst die Konsequenz des Glaubens, sondern vielmehr dessen von ihm unablösbare Praxis, sein Wurzelgrund und Inhalt. „Liebe meint keinen Bestandteil des Evangeliums neben anderen. Sie ist die einigende Einsicht des Ganzen“ (Timm, Geist der Liebe 95). Wenn einst der Glaube im Schauen aufgehoben und die Hoffnung darin ans Ziel gekommen sein wird, daß wir ihn sehen werden, kaq„" †stin, wird die Liebe als ‚die größte unter ihnen‘ und als ihr unerschöpflicher Nährboden bleiben. (1Joh 3,1 ff; vgl. 1Kor 13,13 u. s. dazu Theunissen, Negative Theologie 321 ff, besonders ebd. 356 ff). Zudem steht diese durchaus positive Forderung – wie V. 35 zeigt – ja insofern im Dienste der Liebe Gottes zur Welt und ihrer Erlösung, als an der Liebe der Jünger zueinander alle erkennen sollen, daß sie Jesu Jünger sind. Und wahrnehmen kann die Welt das ja nur, wenn die einander liebenden Jünger als die von Jesus Gesandten sich in deren nur das Eigene liebendes Wesen einmischen. Darum darf das ‚Einander‘ keinesfalls als argumentum e silentio für die Behauptung mißbraucht werden, daß Jesu Liebesforderung dadurch auf das Verhalten innerhalb einer ‚johanneischen Gemeinde‘ reduziert und die gebotene Liebe zum Nächsten, auch wenn er der Feind sein sollte, ausgeschlossen werde (vgl. Lindemann, Gemeinde 148 f; Augenstein, Liebesgebot 93). Daß Jesu ‚neues Gebot‘ an seine Jünger, einander zu lieben, so wie er sie durch die Hingabe seines Lebens geliebt hat, nicht als Paradigma einer individuellen Ethik oder Situationsethik interpretiert werden darf, sondern vielmehr auf eine Liebe bezogen sein will, die sich „in einer bestimmten Sozialgestalt manifestiert, nämlich (in) einer Gemeinde solidarischer Brüder, … (die) als ein Stück Gegenwelt eine eminente Herausforderung“ und unzweideutige Botschaft an die nur ihr Eigenes liebende Welt ist, hat K. Wengst ganz richtig bemerkt (Bedrängte Gemeinde 226 ff; vgl. Onuki, Gemeinde und Welt 102 ff; Collins, These Things 217 ff). Das den unverständigen Jüngern (13,28 f) gegebene und gewiß nicht zufällig zwischen dem Weggehen des Judas und der Ankündigung der dreifachen Verleugnung Jesu durch Petrus erscheinende Liebesgebot und zumal das gleich zweifach gesagte ºna ügapôte üllfllou" sowie das über die erzählte Geschichte hinausweisende Futurum: †n to‚tw gn„sontai p›nte" ktl. (V. 35), machen deutlich, „that the installation of the group of friends as a group of people who truly love one another, does not have a solid base. Linguistically it is an optative sentence, i. e. there is a wish but there is as yet no corresponding reality“ (van Tilborg, Imaginative Love 160). Das heißt aber zugleich, daß unser Evangelium nicht das Porträt einer in Bruderliebe verbundenen und vom Rest der Welt getrennten johanneischen Gemeinde einander liebender Brüder ist, sondern der Aufruf des Evangelisten an die Christenheit seiner Tage – eine Christenheit, die wohl eher dem Bild der erzählten Jünger gleicht, die ihren Herrn verraten, verleugnet und ihn, wenn es ernst wurde, im Stich gelassen haben –, doch endlich zu einer solchen Gemeinde zu werden, damit die Welt sie als die Jünger Jesu erkennen kann. 607
13,1–38
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Gegen alle Versuche, aus dem Jüngerbild des Evangeliums und aus seiner durch „Rätsel und Mißverständnis“ (Leroy) geprägten, vermeintlich nur ‚Insidern‘ verständlichen ‚Sondersprache‘ sowie aus der angeblichen Einschränkung des universalen Liebesgebotes des historischen Jesus auf den engen Kreis ‚johanneischer Christen‘ die Existenz einer vom Rest des Urchristentums abgetrennten und auch im soziologischen Sinn ‚johanneischen Sekte‘ erschließen zu wollen, ist darum einzuwenden, daß jegliche Entfaltung einer johanneischen Ekklesiologie von der Sendung der Jünger durch den Auferstandenen (20,19 ff) ausgehen muß. Denn sie ist der Grund, in dem sie wurzelt. Darum darf auch die Liebesethik unseres Evangeliums nicht von diesem Fundament getrennt und auf das eine neue Gebot von 13,34 f und 15,12 ff reduziert werden. Wie van Tilborgs Untersuchung der ‚Imaginative Love in John‘ erweist, muß sie vielmehr im Zusammenhang mit der gesamten Evangelienerzählung als einer von unserem Evangelisten sorgfältig komponierten, um den oèko" des himmlischen Vaters Jesu zentrierten ‚love story‘ gelesen werden, die sie von allen anderen ähnlichen Erzählungen unterscheidet. In erkennbarem Zusammenhang mit der Szene des letzten Mahles und der Fußwaschung in ihrer doppelten Bedeutung als Symbol der Lebenshingabe Jesu und als ≠p∙deigma, das er seinen Jüngern gegeben hat, ºna kaqá" †gá †po‡hsa ≠mõn kaÑ ≠meõ" poiöte (13,15), nennt Jesus seine Forderung an die Jünger hier eine †ntolÉ kainfl. Da das Gebot ‚einander zu lieben‘ aber bereits in der Tora, nämlich in Lev 19,18 mit dem nachdrücklichen Nachsatz hwhy yna (LXX: †g„ e¢mi k‚rio") gegeben und dort – ohne daß es die ‚Fremdlinge‘ ausschlösse (Lev 19,34: Ωti prosfllutoi †genflqhte †n gÔö A¢g‚ptw) – ebenfalls auf das ‚Einander‘ der Glieder des Gottesvolkes Israel bezogen ist, hat man oft gefragt, inwiefern es hier als eine †ntolÉ kainfl bezeichnet werden kann. Das Lexem kainfl findet sich im gesamten Evangelium nur hier und in 19,41, wo der Erzähler Jesu Grab als ein mnhmeõon kain∙n bezeichnet und kain∙n sogleich durch die Erklärung: †n ó o§dfipw o§deÑ" én teqeimfino", definiert. Doch in solchem oder ähnlichem Sinn, als wäre ein derartiges Gebot niemals zuvor laut geworden, kann die Neuheit von Jesu Gebot nicht verstanden werden. Eine kainfl heißt Jesu †ntolfl „nämlich nicht als ein neu entdecktes Kulturideal, das durch Jesus in der Welt proklamiert worden wäre. Das Liebesgebot ist nicht ‚neu‘ wegen seiner relativen Neuheit in der Geistesgeschichte. ‚Neu‘ in diesem Sinne ist es weder im Blick auf das AT noch im Blick auf die heidnische Antike, in der die Forderung des dienenden Füreinanderseins – wie auch immer motiviert – längst erfaßt ist. … Aber ‚neu‘ ist das Liebesgebot Jesu auch, wenn es altbekannt ist, sofern es das Gesetz der eschatologischen Gemeinde ist, für die ‚neu‘ nicht eine historische Eigentümlichkeit, sondern ein Wesensprädikat ist. ‚Neu‘ ist das in der empfangenen Liebe des Offenbarers begründete Liebesgebot als ein Phänomen der neuen Welt, die Jesus heraufgeführt hat; und so wird 1Joh 2,8 seine Neuheit als die des eschatologischen Geschehens beschrieben“ (Bultmann, Komm. 404 f; vgl. das Material aus der antiken Welt, insbesondere die Freundschaftsethik des Aristoteles, das van Tilborg und Timm diskutieren). Wie Gott nach Jer 31,31 erklärt: ¢doÜ ™mfirai ≤rcontai, fhsÑn k‚rio", kaÑ diaqflsomai tù o¥kw ûIsraÉl kaÑ tù o¥kw ûIo‚da diaqflkhn kainÉn ktl. und dabei mit der Verheißung diaqflsomai ... diaqflkhn kainfln und der Einschreibung seiner Gebote (n∙mou" mou) in die Herzen der Kinder Israels und Judas nicht einen anderen Bund als den vom Sinai und nicht eine andere Tora als die damals gegebene, sondern die eschatologische Erneuerung 608
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,34–35
und neue Inkraftsetzung des von seinem Volk vielfach gebrochenen alten Bundes und der so oft übertretenen Sinaitora verheißt (= LXX Jer 38,31 ff), so dürfte das Lexem kainfl auch in Joh 13,34 nicht ein geistesgeschichtliches Novum bezeichnen, sondern die eschatologische Inkraftsetzung des alten Gebots von Lev 19,18 zur Sprache bringen. In diesem Sinne bietet der 1Joh den ältesten und u. E. authentischen Kommentar zu Joh 13,34 f, wenn er erklärt: ügaphto‡, o§k †ntolÉn kainÉn gr›fw ≠mõn üllû †ntolÉn palaiÅn √n e¥cete üpû ürcö": ™ †ntolÉ ™ palai› †stin ¨ l∙go" ≈n °ko‚sate. p›lin †ntolÉn kainÉn gr›fw ≠mõn, Ω †stin ülhqÇ" †n a§tù kaÑ †n ≠mõn, Ωti ™ skot‡a par›getai kaÑ tÖ fù" tÖ ülhqinÖn ≥dh fa‡nei. ¨ lfigwn †n tù fwtÑ eènai kaÑ tÖn üdelfÖn a§toú misùn †n tÔö skot‡a †stÑn ∫w" ±rti. ¨ ügapùn tÖn üdelfÖn a§toú †n tù fwtÑ mfinei kaÑ sk›ndalon †n a§tù o§k ≤stin. ¨ dÇ misùn tÖn üdelfÖn a§toú †n tÔö skot‡a †stÑn kaÑ †n tÔö skot‡a peripateõ kaÑ o§k oèden poú ≠p›gei, Ωti ™ skot‡a †t‚flwsen toÜ" £fqalmoÜ" a§toú (2,7–11). In diesem Sinn hat Augenstein (Liebesgebot 94 ff) 1Joh 2,7 ff sorgfältig analysiert. Von den 67 Vorkommen der Singular‑ und Pluralformen des Lexems †ntolfl / †ntola‡ im NT finden sich, gegenüber je 6 bei Mt und Mk sowie 4 bei Lk, bei Joh 11 (dazu weitere 18 in den Johannesbriefen). Typisch für Johannes ist der Gebrauch des Singulars †ntolfl, der sechsmal im Evangelium und zehnmal in 1/2Joh erscheint. Im Evangelium bezeichnet dieser Singular viermal das Gebot, das der Vater Jesus gegeben hat: (1) Jesus hat die Vollmacht, sein Leben hinzulegen, wie er auch die Vollmacht hat, es wieder (an sich) zu nehmen: ta‚thn tÉn †ntolÉn ≤labon parÅ toú patr∙" mou [10,18] (2) Jesus sagt nichts von sich selbst aus, sondern der Vater hat ihm die †ntolfl gegeben, was er reden und sagen soll [12,49] (3) „Und ich weiß, daß seine †ntolfl das ewige Leben ist …“ [12,50] (4) „Aber damit die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe und so handle, wie mir der Vater geboten hat …“ (kaqá" †nete‡lat· moi ¨ patflr mit der v. l. kaqá" †ntolÉn ≤dwkfin moi ¨ patflr) [14,31]. Zweimal, nämlich in 13,34 und 15,12 bezeichnet Jesus sein Gebot an die Jünger, einander zu lieben, mit dem Singular †ntolfl (vgl. 1Joh 2,7 f u. 2Joh 4–6). Ohne daß deren Inhalte bezeichnet würden, wird der Plural †ntola‡ nahezu formelhaft mit dem Verbum threõn verbunden: Joh 14,15. 21, 15,10, sowie 1Joh 2,3.4; 3,22.24; 5,2 f; vgl. 2Joh 6: kaÑ aæth †stÑn ™ üg›ph, ºna peripatùmen katÅ tÅ" †ntolÅ" a§toú: aæth ™ †ntolfl †stin kaqá" °ko‚sate üpû ürcö", ºna †n a§tÔö peripatöte. Augenstein hat aufgewiesen, daß Joh „das Gebotehalten ähnlich wie das Deuteronomium und die deuteronomistische Literatur verwendet“, wo ein enger Zusammenhang besteht zwischen der erwählenden Liebe Gottes, der Liebe zu Gott (Dtn 6,4 f) und dem Halten seiner Gebote. Er schließt daraus: „Im Joh wird die Wendung †ntolÅ" threõn ähnlich wie im Dt nicht benutzt, um das Halten bestimmter, inhaltlich fest umrissener Gebote, sondern den Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes zum Ausdruck zu bringen“ (Liebesgebot 52).
Gegen Strecker (Anfänge; Johannesbriefe), der in den beiden kleinen Briefen (2 u. 3Joh) die ältesten Zeugnisse eines ‚johanneischen Christentums‘ entdeckt zu haben glaubt und im 1Joh ebenso wie im Evangelium voneinander unabhängige Weiterentwicklungen dieser vermeintlichen ‚johanneischen Tradition‘ sieht, sind wir der Meinung, daß alle drei Briefe unser überliefertes Evangelium voraussetzen und intertextuell mit ihm spielen (vgl. Vouga, Johannesbriefe 15 ff, Kritik an Strecker ebd. 83 f). So ist das Proömium des 1Joh (1,1–4) ganz fraglos ebenso ein Spiel mit dem Evangelienprolog, wie die eben zitierte Passage mit Joh 13,34 f und 15,12 ff spielt, zumal sie den Inhalt dieses ‚alt-neuen‘ Gebotes gar nicht angibt, sondern ihn als aus dem Evangelium bekannten voraussetzt (vgl. Augenstein ebd. 149). Und daß im Gegensatz zur herrschenden Interpretation in den Johannesbriefen nicht eine doketistische Christologie abgefallener Häretiker bekämpft wird, sondern daß ihr Autor schwankende 609
13,1–38
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Gemüter der Christenheit seiner Tage zum ‚Bleiben‘ bei Jesus ermutigen will, nachdem viele schon weggegangen und nicht bei Jesus und seiner Gemeinde ‚geblieben‘ sind, haben wir andernorts begründet (Thyen, Art. Johannesbriefe). Danach ist die Situation in den Johannesbriefen wohl die, daß sich jüdische Christen von ihrem messianischen Bekenntnis zu Jesus abgewendet haben und weitere ihnen darin zu folgen drohen. Darum wird man die Rede von der †ntolÉ palaiÅ √n e¥cete üpû ürcö": ™ †ntolÉ ™ palai› †stin ¨ l∙go" ≈n °ko‚sate (1Joh 2,7), nicht als eine Berufung auf Joh 13,34 als die ‚johanneische Urverkündigung‘ (Vouga, Johannesbriefe 34; ähnlich Wendt, Anfang 40; Conzelmann, Anfang 196; vgl. dazu Augenstein, Liebesgebot 100 ff) begreifen dürfen. Die Wendung: √n e¥cete üpû ürcö", kann weder einseitig mit dem Schöpfungsbeginn (Joh 1,1) noch mit dem durch den irdischen Jesus eröffneten Traditionsbeginn identifiziert werden. Wahrscheinlich ist „mit dieser Ambivalenz ein Oszillieren zwischen beiden Verständnissen intendiert“. Denn wenn das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias fragwürdig geworden ist, dann wäre „ein Rückbezug allein auf den Verkündigungsbeginn für eine Legitimierung … nicht ausreichend, dann muß der Verfasser, um einen unstrittigen Anknüpfungspunkt zu finden, noch einen Schritt zurückgehen und auf das Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer rekurrieren“ (Fehlandt 32). Das dürfte auch für den Satz: ≈ én üpû ürcö" ktl., gelten, der den 1Joh eröffnet: Gegen Vouga (Johannesbriefe 25), Conzelmann (Anfang) u. a. greift der Verfasser hier sehr wohl auf das †n ürcÔö én ¨ l∙go" von Joh 1,1 und nicht etwa auf die an die Zwölf gerichtete Aussage von Joh 15,27 zurück (so Vouga ebd. 34). Die mit dem l∙go" ≈n °ko‚sate identifizierte †ntolÉ palai› wird darum keine andere sein als das Gebot von Lev 19,17 f. 34 (s. u. zu 15,12 ff). Und palai› ist hier als ein durchaus positives Prädikat zu begreifen. Die Rabbinen haben die Präexistenz der Tora gelehrt, und dem entspricht es, daß für unseren 1Joh das Gebot der Bruderliebe bereits bei der ersten Mordtat der Menschheitsgeschichte, beim Brudermord Kains, in Kraft ist (3,11 f). Wie bereits im Evangelium die Schrift für Jesus und durch sie der Vater für seinen Sohn zeugt, und wie das Evangelium Jesus als den Toratreuen, die ûIoudaõoi dagegen aber als die Übertreter ihres eigenen Gesetzes darstellt, so ist auch in den Briefen Gottes Gesetz die unumstrittene Basis der Argumentation. Es ist für den Schreiber und seine Adressaten ebenso verbindlich wie für die Apostaten, die die koinwn‡a verlassen haben (2,18 ff). Augenstein zeigt, „daß der Abschnitt 1Joh 2,2–11 die beiden vorausgegangenen Untereinheiten voraussetzt und sie fortführt, indem er die Themenkreise beider, den Wandel im Licht und das Halten der Gebote, auf die im Zentrum des Abschnitts stehende †ntolfl zuspitzt. Die †ntolfl ist eine alte, weil sie das Gebot Gottes ist, das schon immer bekannt ist. Der verpflichtende Charakter der †ntolfl zeigt sich in der Einordnung der †ntolfl unter die Gebote Gottes und in der Mahnung, die Gebote Gottes zu halten. Das Halten der †ntolfl wird deshalb zum Gehorsam gegen Gott“ (ebd. 108). Daß im Evangelium im Unterschied zu den Briefen nicht von der Bruderliebe, sondern vom Gebot, einander zu lieben, die Rede ist, dürfte seinen Grund in der erzählten Welt des Evangeliums einmal darin haben, daß Jesu Brüder hier im Unterschied zu seinen Jüngern seine leiblichen Brüder sind (2,12 und 7,2 ff), und zum anderen darin, daß hier erst der Auferstandene seine Jünger, die er in 15,14 bereits seine Freunde genannt hatte, zu seinen Brüdern erklärt und macht (20,17). Im übrigen wird das alte neue Gebot von Lev 19,17 f.34 durch den Gebrauch des ‚Brudernamens‘ gerade nicht auf den Kreis einer ‚johanneischen Gemeinde‘ beschränkt. 610
Erste Szene: Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern wäscht Jesus ihnen die Füße
13,35–38
Vielmehr dient dieser Name der Einschärfung der Verantwortung für den Anderen und intensiviert so das Gebot (vgl. Augenstein, Liebesgebot 22 ff und 94 ff). Und wie oben bereits gesagt, macht die Nennung Kains in 1Joh 3,12 deutlich, daß „die Nähe des Nächsten … meine Verantwortlichkeit für ihn (ist). Nahen heißt: der Hüter seines Bruders sein. Hüter seines Bruders ist, wer als Leibbürge für ihn eintritt. Hierin besteht die Unmittelbarkeit. Die Verantwortlichkeit rührt nicht von der Brüderlichkeit her, sondern die Brüderlichkeit ist der Name für die Verantwortlichkeit für den anderen, die diesseits meiner Freiheit liegt“ (Lévinas, Gott 112 f). Andererseits ist das Gebot für 1Joh 2,8 ‚neu‘ und „in ihm und in euch wahr“ und verwirklicht, weil seit dem Kommen Jesu die Finsternis versinkt und das wahre Licht bereits scheint. In dem Satz: Ω †stin ülhqÇ" †n a§tù kaÑ †n ≠mõn (1Joh 2,8) kann sich das neutrische Relativum Ω als constructio ad sensum nur auf die Neuheit des Gebotes beziehen, und das †n ≠mõn drückt wohl mehr den Wunsch des Verfassers als die Wirklichkeit bei den Adressaten aus. Gegen Klein (Licht 276 f) schließen die Tempora der Verben par›getai und ≥dh fa‡nei es aus, hier eine vergangene Epoche der Finsternis von der gegenwärtigen des Lichts zu unterscheiden. Sie bezeichnen vielmehr „das unabgeschlossene Ineinander beider Bewegungen“ (Augenstein, Liebesgebot 103 f) und geben damit dem Eschaton Raum. Diese Begründung der Neuheit des (alten) Gebots – und deshalb hatten wir oben 1Joh 2,7 f einen authentischen Kommentar zu Joh 13,34 f genannt – ist nur eine johanneische Variante der in 13,34 durch die Wendung: kaqá" °g›phsa ≠mô" ºna kaÑ ≠meõ" ügapôte üllfllou", gegebenen, wobei das kaq„" nicht nur das Wie, sondern zugleich auch den Grund angibt. Weil die Welt (p›nte") daran, daß die Christen einander lieben, erkennen soll, daß sie Jesu Jünger sind, steht ihre Liebe zueinander im Dienste ihrer Sendung, „to bear witness to the love of God for the world and so to offer eternal life to all men (cf. 1Joh 1,3)“ (Hoskyns, Komm. 451; vgl. Carson, Komm. 484 f, der dazu die Reaktion vieler Leute auf das Verhalten der Christen bei Tertullian (Apol 39,7) zitiert: „Seht, sagen sie, wie sie einander lieben – sie selbst hassen einander nämlich – und wie sie bereit sind, füreinander zu sterben – während sie selbst eher dazu bereit wären, einander umzubringen“). 36–38: Wie Petrus sich zuvor den Dienst der Fußwaschung durch seinen Herrn nicht gefallen lassen wollte (13,6 ff), so mißversteht er auch jetzt wieder Jesu Rede von seinem Weggang und überhört förmlich das ‚neue Gebot‘, das die Jünger von nun an wechselseitig für einander verantwortlich macht. Weil des Petrus neue Frage: k‚rie, poú ≠p›gei"; so nahtlos an V. 33 anzuschließen scheint, beurteilen zahlreiche Ausleger die V. 34 f mit dem ‚neuen Gebot‘ als eine sekundäre Einfügung durch den sogenannten ‚kirchlichen Redaktor‘. Aber wozu sollte der den vermeintlich festen Zusammenhang zwischen V. 33 und 36 durch die Einfügung des Liebesgebots zerstört haben? Und macht nicht erst das Liebesgebot, das die Jünger statt auf ihren Herrn, der sie verläßt, ganz und gar auf einander verweist, das Mißverständnis des Petrus völlig offenbar? Denn es will als die erste Antwort auf die Frage verstanden sein, wie es den Jüngern denn möglich sein soll, auch wenn ihr Herr sie uneinholbar verlassen hat (Ωpou †gá ≠p›gw ≠meõ" o§ d‚nasqe †lqeõn V. 33), und sie es lernen müssen, daß er „für sie durch ihren Glauben nicht verfügbar geworden“ ist, dennoch „das Verhältnis zu ihm festzuhalten“ (Bultmann, Komm. 402). Obgleich – auch für Johannes – fortan gilt: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40), meint Petrus immer noch, Jesus in seiner Liebe festhalten zu können. Aber wie er, als Jesus ihm die 611
14,1–31
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Füße waschen wollte, noch nicht begreifen konnte, was die Fußwaschung bedeutete, sondern das erst später verstehen sollte (13,7), so kann er, und so können seine Mitjünger, für die er spricht, Jesus jetzt noch nicht nachfolgen. Sie werden ihm freilich später nachfolgen, und Petrus wird ihm sogar im qualifizierten Sinne seines Martyriums nachfolgen (vgl. 21,18 f). Um das ‚Wohin‘ des Weggangs Jesu wissen einstweilen mit dem geliebten Jünger und Erzähler der Geschichte Jesu allein die Leser. Wie zuvor Thomas (11,16) scheint auch Petrus jetzt zu denken, daß Jesus sich in eine gefährliche Situation begeben könnte. Und da will er ihn nicht allein lassen: „Herr, warum sollte ich dir denn jetzt nicht folgen können? Sogar mein Leben will ich für dich hingeben“! Und bei der Verhaftung Jesu macht er dann tatsächlich entsprechende Anstalten und muß sich von Jesus sagen lassen: „Stecke dein Schwert in seine Scheide! Soll ich denn etwa den Kelch nicht trinken, den der Vater mir gegeben hat?“ (18,11). Fast im Wortlaut nimmt Petrus auf, was Jesu als der gute Hirte gesagt hatte: ¨ poimÉn ¨ kalÖ" tÉn yucÉn a§toú t‡qhsin ≠pÇr tùn prob›twn (10,11). Doch damit überschätzt er sich bei weitem. Denn allein auf diesem Sterben des guten Hirten für seine Schafe beruht und darin gründet die Neuheit des neuen Gebots. Für Jesus kann Petrus und wird Petrus sein Leben nur vermittelt hingeben, indem er es als Konsequenz des Gebots, einander zu lieben, für seine Brüder hingibt. „Daran haben wir die Liebe erkannt, daß er sein Leben für uns hingegeben hat. Darum sind auch wir verpflichtet (£fe‡lomen), unser Leben für unsere Brüder hinzugeben“ (1Joh 3,16; vgl. Lévinas, Schwierige Freiheit 27 ff). Mit der Gegenfrage: „Du willst dein Leben für mich hingeben?“ gibt Jesus Petrus auf zu bedenken, daß die Relation des guten Hirten zu seinen Schafen unumkehrbar ist. „Amen, Amen, ich sage dir: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen!“ (V. 38; s. u. zu 18,15 ff). Wie 13,1 unser Kapitel eröffnete mit den Worten: ügapflsa" toÜ" ¢d‡ou" toÜ" †n tù k∙smw e¢" tfilo" °g›phsen a§to‚", so bildet das neue Gebot mit seiner Begründung in dem kaqá" °g›phsa ≠mô" ebenso eine Inclusio um das gesamte Kapitel wie das zweifache Mißverstehen des Petrus in V. 7 ff u. 36 ff. Das erscheint uns als eine weitere Bestätigung der von Moloney und Lindars vorgenommenen Gliederung, wonach 13,31–38 nicht der Beginn der sogenannten ersten Abschiedsrede (13,31– 14,31) ist, sondern unablösbarer Bestandteil unseres 13. Kapitels, das als Ganzes Jesu Abschiedsrede eröffnet und ihre Themen vorgibt. Daß dieses gesamte Kapitel als intertextuelles Spiel mit den synoptischen Prätexten und insbesondere mit der lukanischen Mahlszene (Lk 22,14 ff) gelesen sein will, hat Sabbe als höchst plausibel erwiesen (Footwashing). Nur bei Lukas folgen dem Mahl sowohl die Ankündigung des Verrats (22,21 f) als auch der Petrusverleugnung (V. 33 f), und in der Mitte der Passage erklärt Jesus seinen Jüngern: †gá dÇ †n mfisw ≠mùn e¢mi Æ" ¨ diakonùn (V. 27). Dieses lukanische diakoneõn dürfte Johannes im Spiel mit den Salbungserzählungen von Lk 7,36 ff (vgl. Joh 12,3 ff u. Mk 14,3 ff parr.) durch seine Erzählung von der Fußwaschung dramatisiert haben. Hatte unser Evangelist aber diesen lukanischen Text vor Augen, dann könnte auch die Prädikation der †ntolfl Jesu, einander zu lieben, als einer ‚neuen‘ (kainfl) ihren Ursprung in der paulinisch-lukanischen Wendung von dem potflrion als der kainÉ diaqflkh †n tù aºmat‡ mou haben (Lk 22,20 / 1Kor 11,25). Denn „in any case, new here refers to the new situation which is created by the sacrifice of Christ, in which the conditions of the Age to Come are already anticipated“ (Lindars, Komm. 463 f). 612
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern
13,36–38
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern (14,1–31) 1
Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt (vielmehr) an Gott und glaubt an mich. Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt, daß ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten? 3 Und wenn ich hingegangen bin und euch die Stätte bereitet habe, dann werde ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit da, wo ich bin, auch ihr seid. 4 Und wohin ich gehe, dahin kennt ihr ja den Weg. 5 Da sagte Thomas zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir da den Weg kennen? 6 Jesus sagte ihm: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, außer durch mich. 7 Wenn ihr mich kennengelernt habt, dann werdet ihr auch meinen Vater kennen. Und von jetzt an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. 8 Da sagt Philippus zu ihm: Herr, zeige uns den Vater, das soll uns genügen. 9 Jesus fragte ihn: Schon eine so lange Zeit bin ich mit euch, und dennoch hast du mich noch nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen. Wie kannst du da sagen: Zeige uns den Vater? 10 Glaubst du denn nicht, daß ich im Vater bin und der Vater in mir ist? Die Worte, die ich euch sage, die sage ich nicht von mir selbst aus, vielmehr tut der Vater (durch sie) seine Werke. 11 Glaubt mir darum doch, daß ich im Vater bin und der Vater in mir ist. Und wenn nicht, dann glaubt doch um dieser Werke selbst willen. 12 Amen, Amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird eben die Werke, die ich tue, auch selbst tun, ja, noch größere als diese wird er tun, denn ich gehe zum Vater. 13 Und was immer ihr in meinem Namen erbitten werdet, das werde ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht werde. 14 Wenn ihr mich also in meinem Namen um etwas bitten werdet, so werde ich es tun. 15 Wenn ihr mich liebt, dann werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde den Vater bitten, daß er euch einen Anderen als Parakleten (euren Anwalt) gebe, damit der bis in Ewigkeit mit euch sei, 17 nämlich den Geist der Wahrheit, den der Kosmos nicht empfangen kann, weil er ihn weder sieht noch erkennt. Ihr aber kennt ihn, denn er wird bei euch bleiben und in euch sein. 18 Ich lasse euch nicht zurück als Waisen, ich komme (vielmehr) zu euch. 19 Nur noch eine kleine Weile, dann wird der Kosmos mich nicht mehr sehen. Ihr aber werdet mich sehen, denn ich lebe und ihr sollt auch leben. 20 An jenem Tage werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin und ihr in mir seid, so wie auch ich in euch bin. 21 Wer meine Gebote hat und sie hält, das ist der, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird auch von meinem Vater geliebt werden, wie auch ich ihn lieben und mich ihm offenbaren werde. 22 Da sagte Judas, nicht der Iskariote, zu ihm: Herr, wie soll das denn zugehen, daß du dich uns offenbaren willst, nicht aber der Welt? 23 Jesus antwortete ihm und erklärte: Wenn einer mich liebt, dann wird er auch mein Wort bewahren, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm unsere Wohnstatt nehmen. 24 Wer mich dagegen nicht liebt, der bewahrt auch meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, das ist ja nicht meines, sondern (das Wort) dessen, der mich gesandt hat. 25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch war. 26 Der Anwalt 2
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14,1–31
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
(Paraklet) aber, nämlich der heilige Geist, den mein Vater (euch) in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Frieden hinterlasse ich euch, ja, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch. Euer Herz erschrecke nicht und ängstige sich nicht. 28 Ihr habt (ja) gehört, daß ich euch sagte: Ich gehe weg, (aber) ich komme wieder zu euch. Wenn ihr mich liebtet, dann solltet ihr euch freuen, daß ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich. 29 Das (alles) habe ich euch gesagt, ehe es geschieht, damit ihr dann, wenn es geschieht, Glauben faßt. 30 Ich werde nicht mehr viel mit euch reden, denn es kommt der Herrscher der Welt. Doch an mir wird er nichts finden. 31 Damit die Welt aber erkenne, daß ich den Vater liebe und so handle, wie es mir der Vater geboten hat, steht auf und laßt uns von hier weggehen! Im Anschluß an Alters Untersuchung, The Art of Biblical Narrative (47 ff), nennt Segovia die Kap. 13–17, die wir oben mit „Fünfter Akt und esoterisches Zwischenspiel“ überschrieben hatten, eine durch die Einheit von Zeit, Ort und Charakteren konstituierte geschlossene Erzählung, die auf ihre höchst individuelle Weise das von Alter beschriebene Genre einer biblischen Farewell Type-Scene repräsentiert (Farewell 2 ff). Anders als Segovia, Dietzfelbinger (Abschied 16 ff), Dettwiler (Gegenwart 53 ff) und die meisten Kommentatoren haben wir oben die V. 13,31–38 freilich nicht von der Mahl‑ und Fußwaschungsszene von Joh 13 gelöst, um sie wie die genannten Autoren als die Eröffnung der sogenannten ‚Abschiedsrede‘ (bzw. Abschiedsreden) von Joh 14–17 zu behandeln. Vielmehr haben wir mit Moloney (Komm. 381 ff) den konstitutiven Zusammenhang dieser Verse mit Kapitel 13 betont, weil zu den unverständigen und zweifelnden Jüngern neben Judas, der Jesus ausliefern sollte, auch Petrus gehört, der ihn dreifach verleugnen sollte. Abgesehen von dieser Differenz in der Disposition folgen wir jedoch Segovias Behandlung von Joh 13–17 als einer ebenso typischen wie einheitlichen „Farewell Type-Scene“, zu der Joh 13 die Szenerie und den literarischen ‚Sitz im Leben‘ liefert. Die Hinzunahme dieses gesamten Kapitels zu der folgenden Abschiedsrede und dem abschließenden Gebet Jesu zum Vater ist um so notwendiger als die Weinstockrede von Joh 15 ebenso als die Reinterpretation von Joh 13 einschließlich des Liebesgebots (V. 34 f) verstanden sein will, wie sich Joh 16 als eine in neue Dimensionen vorstoßende Reinterpretation von Joh 14 erweisen wird. Und endlich muß auch Jesu Gebet zum Vater (Joh 17) als die reinterpretierende Klimax des gesamten Aktes (Kap. 13–17) begriffen werden, der Jesu Abschied von seinen Jüngern und dessen Folgen für sie thematisiert. Daß die an Joh 13 und 14 anschließenden Redeteile diese Kapitel in chiastischer Form reinterpretieren oder – wie Dettwiler diesen Vorgang nennt – als deren ‚Relektüre‘ verstanden sein wollen, hat er breit und einleuchtend erwiesen (Gegenwart pass.). Er unterscheidet dabei Joh 13 und 14 als die Bezugstexte von den um ihre Relektüre bemühten folgenden Kapiteln als deren Rezeptionstexten (vgl. ebd. 46 ff). Im Gegensatz zu Bultmanns allzu willkürlicher Neuordnung des Textes von Joh 13–17 sowie zu den vielfältigen literarkritischen Versuchen, Joh 15–17 in einst vermeintlich autonome Texte zu zerlegen und die kirchliche Redaktion oder eine johanneische Schule für deren Anfügung und Einfügung an und in die originalen 614
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern
14,1
Abschieds-Kapitel 13 und 14 verantwortlich zu machen, wie das je auf ihre Weise etwa J. Becker (Abschiedsreden; Aufbau), Richter (Studien 42 ff und 58 ff), Painter (Farewell Discourses), Kaefer (Les discours) u. a. unternehmen, erklärt Dettwiler begründet, daß „der Rezeptionstext von Anfang an als Rezeptionstext konzipiert worden (sei und) … für genau den literarischen Zusammenhang geschaffen wurde, in dem wir ihn auf der redaktionellen Endstufe des Textes vorfinden“. Das Verhältnis des Rezeptionstextes zu seinem Bezugstext ist also in gewisser Weise ein Analogon zu der bereits erörterten Relation von Text und Prätext unter dem Gesichtspunkt von deren Intertextualität. Denn auch hier soll der Bezugstext nicht negiert, kritisiert oder korrigiert werden, sondern vielmehr „den weiterhin gültigen Verstehenshorizont (bilden), innerhalb dessen theologisch weitergedacht wird. … Die da und dort geäußerten Vermutungen, wonach entweder verschiedene Versionen von Abschiedsreden des Evangelisten später von seinem Schülerkreis redaktionell zusammengestellt und herausgegeben worden seien oder wonach die verschiedenen Abschiedsreden unabhängig voneinander in verschiedenen johanneischen Zirkeln entstanden seien, verkennen m. E. auf grundlegende Weise das enge Rezeptionsverhältnis von Joh 15–16 zu Joh 13–14“ (Gegenwart ebd. 49). 1: Wenn die Schreiber von D a aur c sowie des Sinaisyrer Jesu Mahnung: „Euer Herz erschrecke nicht!“, die Worte kaÑ eèpen toõ" maqhtaÑ" a§toú voranstellen, so bekunden sie damit deutlich, daß sie in 14,1 die Eröffnung der Abschiedsrede Jesu gesehen haben (vgl. G. Fischer, Wohnungen 21). Dieses Empfinden hat in der späteren Einteilung des Evangeliums in Kapitel seine Entsprechung. Das hier in der Mahnung mÉ tarassfisqw ≠mùn ™ kard‡a gebrauchte Verbum tar›ssw, das jetzt die Gemütsverfassung der Jünger angesichts des bevorstehenden Weggangs Jesu spiegelt, diente zuvor bereits dreimal, nämlich in 11,33; 12,27 und 13,21, der Beschreibung von Gemütsbewegungen Jesu. Wie zuvor schon Dodd, der auf die Nähe dieser Passagen zur synoptischen Gethsemane-Szene hingewiesen hatte, so hat Beutler danach diesen Gedanken aufgegriffen und darüberhinaus wahrscheinlich gemacht, daß in dem wiederholten Gebrauch des Lexems tar›ssw ein intertextuelles Spiel mit dem Doppelpsalm 42/43 vorliegt (s. o. zu 11,33; zu 12,27 u. zu 13,21). In seiner Untersuchung von Joh 14 (Habt keine Angst!) sucht er nun auch 14,1–14 als einen um diesen Psalm kreisenden Midrasch zu erweisen. Daraus, daß im dreifachen Kehrvers des Doppelpsalms: ºna t‡ per‡lupo" eè, yucfl, kaÑ ºna t‡ suntar›ssei" me; ≤lpison †pÑ tÖn qeÖn, Ωti †xomologflsomai a§tù: swtflrion toú pros„pou mou ¨ qe∙" mou, der Offenbarung der bedrängten Gemütslage des Beters durch die Lexeme per‡lupo" und suntar›ssw unmittelbar und in synthetischem parallelismus membrorum die Selbstaufforderung zum Vertrauen auf Gott (≤lpison †pÑ tÖn qe∙n) und das Versprechen folgen, Gott als „das Heil meines Angesichts und meinen Gott zu preisen“, erschließt Beutler den Ursprung der bei Johannes singulären Aufforderung: piste‚ete e¢" tÖn qe∙n. Schon Bauer (Komm. 177), der das zweifache piste‚ete dem vorausgegangenen mÉ tarassfisqw entsprechend in beiden Fällen zu Recht als Imperativ verstehen will (ebenso Hoskyns und Barrett z. St.), hatte darauf aufmerksam gemacht, daß piste‚ein in unserem Evangelium nur hier die Bedeutung des „gläubigen Vertrauens auf Gott“ hat. Es entspricht darin genau der LXX-Formulierung ≤lpison †pÑ tÖn qe∙n aus unserem Doppelpsalm. In dem Satz mit dem zweifachen piste‚ete, das zunächt mit e¢" tÖn qe∙n und danach mit e¢" †mfi verbunden ist, verstehen wir das beide Glieder verknüpfende ka‡ als ein epexegetisches, das man etwa mit das heißt wiedergeben könnte. Der Gedanke ist also 615
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
derselbe wie in Jesu Offenbarungsruf (≤kraxen kaÑ eèpen) in 12,44: ¨ piste‚wn e¢" †mÇ o§ piste‚ei e¢" †mÇ üllÅ e¢" tÖn pfimyant› me kl. ‚Der ihn gesandt hat‘, das ist aber der Gott, der den Kosmos so geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an den glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe (3,16). Wie der Glaube an Gott den Glauben an Jesus als seinen Gesandten impliziert, so impliziert das Glauben an Jesus den Glauben an den Vater, der ihn gesandt hat (vgl. Segovia, Farewell 81). Zumal sie mit 14,6 inkompatibel ist, erscheint uns dagegen die Interpretation von Fischer (Wohnungen 24 ff) völlig abwegig. Er begreift das erste piste‚ete als Indikativ und paraphrasiert den Satz dann so: „Da ihr an Gott glaubt, d. h. doch nicht zu denen gehört, die sehen und doch nicht sehen (9,39–41), hören und doch nicht hören, sondern vielmehr die Ehre sucht, die vom alleinigen Gott kommt (5,44), so glaubt an mich“ (ebd. 26). Doch der damit von Fischer bei den Jüngern vorausgesetzte Glaube an Gott, der den Glauben an Jesus gewissermaßen erst ermöglichen soll, wird dem Text u. E. ebensowenig gerecht wie Bultmanns Interpretation des Satzes: „Glaubt ihr an Gott? Dann glaubt ihr auch an mich; denn an Gott könnt ihr ja nur glauben durch mich!“ (Komm. 463). Iwand, der in seine Auslegung viel stärker den Kontext mit dem Trostwort Jesu an die wegen seines Weggangs verstörten Jünger einbezieht, paraphrasiert den Text einleuchtend so: „Bewährt euren Glauben an Gott an mir! An diesem meinem Weggang und Hingang. Erst dann ist es der durch die Endlichkeit durchbrechende, sich ihr gegenüber kräftig erweisende Glaube. Gott Vater kann nicht von unseren Augen weggenommen werden, ihn hat niemand gesehen, aber durch den Sohn kommt Sehen und Nichtsehen, kommt die Negativität, kommt der Tod als Aufgabe der Bewältigung für den Glauben ins Spiel“ (Predigtmeditationen 642; vgl. Calvin, Komm. 350 f). Dazu, daß derart ermutigende Worte eines Helden oder Patriarchen, der seine Schüler oder Kinder sterbend verläßt, fester Bestandteil der jüdischen Testamenten-Tradition sind, vgl. das Material bei Beutler, Angst 15 ff. 2: In dem zweiten Kolon des Verses: e¢ dÇ mfl, eèpon ân ≠mõn Ωti pore‚omai ©toim›sai t∙pon ≠mõn; fehlt das von der Mehrheit der alten Zeugen gebotene Ωti, das entweder kausal denn oder konsekutiv daß bedeuten muß, in den Handschriften P66* C2 Q M a e f q. Diese Auslassung erklärt Metzger einleuchtend „as a simplification introduced by copyists who took it as Ωti recitativum, which is often omitted as superfluous“ (Comm. 243). Am Ende seines Erdenweges, gleichsam bereits dorthin unterwegs, spricht Jesus jetzt vom „Haus seines Vaters mit seinen vielen Wohnungen“. In der Erzählung von der Tempelreinigung hatte er zuvor bereits den Jerusalemer Tempel das „Haus seines Vaters“ genannt (2,16) und sein Tun hatte seine Jünger daran erinnert, daß geschrieben steht: „Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren“ (Ps 69,10; s. o. zu 2,17). Darum muß man hier wohl die enge Beziehung zwischen dem himmlischen Heiligtum, zu dem Jesus nun unterwegs ist, als dem Urbild und dessen irdischem Abbild, dem Tempel Jerusalems, im Auge behalten. Fern von Gottes Heiligtum fleht der Beter in dem Doppelpsalm 42/43: †xap∙steilon tÖ fù" sou kaÑ tÉn ülflqei›n sou: a§t› me Ædflghsan kaÑ ≥gag∙n me e¢" µro" πgi∙n sou kaÑ e¢" tÅ skhn„mat› sou (LXX: 42,3). Das im NT nur hier und in Joh 14,23 vorkommende und in der LXX einzig in 1Makk 7,38 erscheinende Lexem monfl, das Joh hier anstelle der skhn„mata des Psalms benutzt, muß hier wohl als ad-hoc-Substantivierung des Verbums mfinein begriffen werden, das in unserem Evangelium vierzigmal erscheint (vgl. Heise, Bleiben 93; Winter, Wohnungen 71; u. Moloney, Komm. 394). In seinem Vorwort zu diesem 616
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14,1–2
Buch seines Schülers Heise resümiert E. Fuchs dessen Ertrag mit diesen Worten: „Das johanneische Bleiben hebt in die Liebe. Sie ist der wahre Raum und die ewige Zeit, das der Welt verkündigte Dasein Gottes in unserer Existenz. Was Bultmann das eschatologische Ereignis nennt, das erschließt sich bei Johannes als der Raum, von dem das Wort sagt, daß Gott in uns bleibt und wir in ihm“ (S. III). Den Satz: e¢ dÇ mfl, eèpon …n ≠mõn Ωti pore‚omai ©toim›sai t∙pon ≠mõn, haben wir oben so übersetzt: Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt, daß ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten? Das ist jedoch umstritten. Schwerlich zu Recht hatte bereits Schlatter (Evangelist 292) dagegen eingewandt, „daß ein Bedingungssatz mit e¢ mfl und folgendem ±n zugleich eine Frage“ sein könne, sei „kaum glaublich“. Gravierender erscheint uns dagegen der häufige Einwand, daß Jesus seinen Jüngern dergleichen – zumindest wörtlich – bisher noch gar nicht gesagt habe. Doch der Sache nach hat er ihnen das durchaus bereits gesagt: „Wenn einer mir dienen wird, dann wird er mir nachfolgen, und wo ich bin, da wird mein Diener auch sein“ (12,26) und: „Und ich, wenn ich erhöht bin von der Erde, werde ich alle zu mir ziehen“ (12,32). Das halten wir mit Bauer, zumal „die Selbstzitate bei Jo … in der Regel ungenau“ sind (Komm. 178), Bultmann (Komm. 464) und L. Schenke (Komm. 282) für die plausibelste Lösung, zumal im unmittelbaren Kontext das „Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein“ von 12,26 in der Gestalt ºna Ωpou e¢mÑ †gá kaÑ ≠meõ" éte wiederaufgenommen wird (V. 3; vgl. Hoskyns, Komm. 452 f). In großer Breite hat Fischer (Wohnungen 32 ff) die zur Lösung des Problems von V. 2 vorgeschlagenen Wege erörtert. Brown übersetzt: „There are many dwelling places in my Fathers house; otherwise I would have warned you. I am going off to prepare a place for you …“ (Komm. II, 617; Begründung dafür 619 f). Ähnlich schlagen Barrett, der das Ωti kausal nimmt (Komm. 447), und Morris (Komm. 639) vor, die Wendung e¢ dÇ mfl, eèpon …n ≠mõn als Parenthese zu begreifen: „if it were not so, I would have told you“; so auch Schneider (Komm. 258) und Ibuki (Wahrheit 214 f). Das hatten mit Recht aber schon Bauer (ebd.) als den „Gipfel der Plattheit“ und Bultmann (ebd.) als „trivialen Gedanken“ bezeichnet. Schnackenburg konjiziert folgendermaßen: „Hinter dem Ωti stand ursprünglich noch ein ≠p›gw (vgl. 13,33.36). Der Ausfall im heutigen Text würde sich durch den gleichen Sinn des folgenden Wortes erklären. Im Zusammenhang müßte man also die Sätze wie folgt lesen: ‚Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe weg? Ich gehe hin, euch einen Platz zu bereiten‘“ (Anliegen 97). Moloney übersetzt V. 2 so: „In my fathers house are many abiding places, and if it not had been so I would have told you, for I am going to prepare a place for you“ (Komm. 392). Fischer selbst will den strittigen Satz zwar ebenfalls als rhetorische Frage lesen. Aber das „hätte ich euch sonst gesagt …“ soll sich nach ihm auf die Ankündigung der Trennung in 13,33 und ihre erste Modifikation in 13,36 und damit auf ein Wort Jesu beziehen, „das genau das Gegenteil von dem besagt, was er nun behauptet. … In einem Rückverweis wird daran erinnert, daß Jesus vom Fortgehen gesprochen hat. Unausgesprochen verbirgt sich darin die vorwurfsvolle Frage, ob nicht die Jünger hätten wissen müssen, daß Jesu Fortgehen ein Gehen zum Vater ist, und daß sein Tod die Vollendung seines Weges ist (vgl. 14,28). … Das Kommende stellt sich für den Glaubenden anders dar als für den Nichtglaubenden. Das hätten die Jünger wissen können“ (ebd. 54 u. 56). Das erscheint uns aber als die unwahrscheinlichste aller möglichen Interpretationen, zumal die Jünger das erst im Lichte des österlichen Geistes „hätten wissen können“, denn ehe Jesus am Kreuz verherrlicht war, gab es diesen in die ganze Wahrheit führenden Geist nach Joh 7,39 ja noch nicht. Auch Winters neuerlicher Vorschlag, das eèpon ±n als einen Irrealis der Gegenwart zu lesen: ‚Wenn es nicht so wäre (daß nämlich in meines Vaters Haus viele Wohnungen sind), würde ich euch dann sagen, daß ich jetzt hingehe, euch einen Platz zu bereiten?‘ (Vermächtnis 143 ff), erscheint uns aber nicht nur allzu banal, sondern es ist – trotz Dettwilers breiten Versuchs, diese Lesart zu begründen (Gegenwart 143 ff) – keineswegs so „plausibel“, wie auch Dietzfelbinger (Abschied 28) meint.
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
3: Die neue Information, die dieser Vers bietet, besteht darin, daß Jesus jetzt erklärt, nachdem er hingegangen sei und seinen Jüngern ihren Platz bereitet habe, werde er wiederkommen und sie zu sich nehmen, ºna Ωpou e¢mÑ †gá kaÑ ≠meõ" éte (vgl. 12,26). Das „lebhaft vergegenwärtigende Präsens“ p›lin ≤rcomai tritt hier, wie oft in Verheißungszusammenhängen, für das Futurum ein (B-D-R § 323). Die Bedeutung dieses Wiederkommens ist ebenso umstritten, wie die Metaphorik der Rede Jesu vom Haus seines Vaters mit seinen vielen mona‡ der Erläuterung bedarf. Wenn Jesus hier dem intimen Kreis seiner um ihn versammelten Jünger verheißt, daß er wiederkommen und sie zu sich nehmen werde, damit sie da, wo er ist, ihre ewige Bleibe finden, so darf man diese Verheißung trotz ihrer fraglos apokalyptischen Metaphorik keinesfalls unmittelbar oder gar ausschließlich auf seine endzeitliche Parusie und das Gericht über Lebende und Tote beziehen. Denn einmal ist die Parusie des Menschensohnes in der urchristlichen Tradition ein Vorgang vor der Öffentlichkeit des Kosmos. Schulz (Komm. 183) weist zu Recht darauf hin, daß nach Joh 14,18 „die Welt den wiederkommenden Jesus im Unterschied zur sichtbaren Menschensohnankunft gar nicht sehen wird“. Zudem müßte man dann für die meisten der hier Angeredeten zwischen ihrem Martyrium oder ihrem natürlichen Sterben und jener noch ausstehenden Parusie einen Zwischenzustand konstruieren und die mona‡ nicht als Orte des ewigen Bleibens, sondern als bloß vorläufige Asyle begreifen. Doch von einem derartigen Zwischenzustand weiß Johannes nichts. Für ihn gilt vielmehr, daß jeder, der an Jesus glaubt, leben wird, auch wenn er stirbt, und daß jeder, der lebt und an ihn glaubt, in Ewigkeit nicht sterben wird (11,25 f; vgl. 5,24 f). Das berechtigt freilich nicht dazu, Jesu vierfach wiederholte Verheißung, am Jüngsten Tage werde er jeden, den der Vater ihm ‚gegeben‘ oder ‚zu ihm gezogen hat‘, auferwecken (6,39 f.44.54; vgl. 3,36; 5,28 f), als eine mit der vermeintlich rein präsentischen Eschatologie unseres Evangeliums unvereinbare Glosse einer ‚kirchlichen Redaktion‘ auszuscheiden. Ausscheiden muß man vielmehr alle Versuche, den auferstandenen Jesus unserem landläufigen Verständnis der Zeit und ihrem kalendarischen Diktat zu unterwerfen. Denn durch die österliche „Befreiung Jesu von der Macht des Todes“ hat Gott zugleich „das zerstörerische Wesen der Ungleichzeitigkeit“ beseitigt und Jesus das „unter der Herrschaft der Todes-Endgültigkeit“ undurchdringliche Tor zwischen den ‚Gezeiten‘ der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft „sperrangelweit geöffnet“ (Marquardt, Christologie II, 302 u. 287). Im Sinne unseres Evangeliums sind darum alle Konstruktionen von „Zwischenzuständen“ ebenso wie die Rede von einer die Synoptiker vermeintlich bedrängenden „Verzögerung der Parusie“ törichte Mißverständnisse. Wie schon Bultmann gesehen hatte, geht diese Verheißung mit ihrem paralflmyomai ≠mô" prÖ" †maut∙n weit über das µyesqfi me von 16,16 und das µyomai ≠mô" von 16,22 hinaus. „Die Vorläufigkeit, der dieses paral. ein Ende macht, kann nicht die jenes zweiten mikr∙n von 16,16 sein. Die Verheißung der himmlischen Wohnungen und des ‚Seins, wo er ist‘, ist etwas anderes als die Verheißung der car›, in die sich die l‚ph der Glaubenden verwandeln wird. Es ist die Verheißung der Schau der jenseitigen, nicht mehr von der s›rx verhüllten d∙xa des Offenbarers in einer Existenz jenseits des Todes“ (Komm. 464 f; vgl. Lightfoot, Komm. 276). Ähnlich urteilen L. Schenke (Komm. 283) und J. Neugebauer, der im Blick auf die jüdischen Apokalypsen und zumal auf die Testamenten-Literatur darauf hinweist, daß „die Kombination unterschiedlicher eschatologischer Konzepte in einer Schrift … nichts Besonderes“ sei, und daß eben dieser Brauch die Theorie 618
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern
14,3
erübrige, wonach hier eine ‚ursprüngliche Parusieaussage‘ polemisch uminterpretiert werde, und daß endlich „gerade die Vorstellung eines ‚eschatologischen Primats‘ der Märtyrer … sich häufiger in der frühjüdischen und urchristlichen Literatur“ finde (Eschatologische Aussagen 137 f). Zum eschatologischen Primat der Märtyrer verweist er auf 4Makk 5,37; 9,8; 13,17; 16,25; 18,23; TestJud 25,4; Herm Vis III 1,9; 2,1; Sim VIII 1,18 ff; 3,6; IX 28,1 ff; MartPol 14,2; 17,1; Mt 10,39; Lk 17,33; Joh 12,25; Röm 8,17; Phil 1,23 f; 1Petr 4,13 sowie auf Böcher, Ausbleibende Parusie 688 ff. Auch Barrett sieht das p›lin ≤rcomai „auf das eschatologische Kommen Jesu oder jedenfalls auf sein Kommen zu dem einzelnen Jünger bei dessen Tod“ bezogen und fügt dem treffend hinzu: „Aber die anschließende Rede, in der das Thema des ‚Gehens und Kommens‘ ständig wiederholt wird, zeigt deutlich, daß das Denken des Joh über das Kommen Jesu sich keineswegs in der älteren, synoptischen Vorstellung der Parusie erschöpft. Die Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern, ihre wechselseitige Einwohnung (monfl – mfinein) wird nicht bis zum Jüngsten Tag oder auch bis zum Todestag eines Jüngers aufgeschoben“ (Komm. 447). Daß sich Jesu Rede von seinem Gehen und Kommen nicht in der synoptischen Parusievorstellung „erschöpft“, erscheint uns als eine glückliche Formulierung, da so der Gedanke der Parusie mit seinen kosmischen und universalen Implikationen nicht bestritten, sondern im Blick auf die unzerstörbare Gemeinschaft Jesu mit den Seinen vertieft wird. In ähnlichem Sinn kann Dodd (Interpretation 404 f), der in Joh 14,2 f „the closest approach to the traditional language of the Church’s eschatology“ sieht, am Ende seiner Lektüre von Joh 14 erklären: „By now it is surely clear that the ‚return‘ of Christ is to be understood in a sense different from that of popular Christian eschatology. It means that after the death of Jesus, and because of it, His followers will enter into union with Him as their living Lord, and through him with the Father, and so enter into eternal life. That is what He meant when He said, ‚I will come again and receive you to myself, that where I am you too may be‘ (cf. also XVII 24)“. Doch wenn der Auferstandene seinen Jüngern bei Mt verheißt: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (28,20), ohne daß der Evangelist die traditionelle Erwartung der weltöffentlichen Parusie Jesu deshalb preisgegeben hätte, ist die Differenz zur „popular Christian eschatology“ wohl doch nicht so groß, wie sie oft dargestellt wird. Im Sinne von Moule (Neglected Factor) spricht Barrett mit guten Gründen davon, daß die johanneische Eschatologie zwar modifiziert, jedoch „nicht so sehr ‚realisiert‘, als vielmehr individualisiert“ sei. „Denn Jesus kommt zu dem Glaubenden wahrscheinlich bei seinem Tod, um ihn in die himmlische Wohnung aufzunehmen. Ob man dies nun (wie Bultmann es tut) als gnostische Eschatologie beschreiben sollte, ist nicht klar; jüdische Eschatologie erfuhr eine ähnliche Transformation nach 70 n. Chr. … Martyn (History 139) sagt, Johannes modifiziere die Hoffnung auf eine Heimat im Himmel (14,2) in die Realität einer Heimat auf Erden (V. 23); Joh scheint aber doch eher beide Vorstellungen nebeneinander beizubehalten“ (Komm. 445 f).
Über den intimen Abschiedsreden Jesu an seine über sein Weggehen zutiefst erschreckten Jünger, die – wie Joh 13 gezeigt hatte – unverständig zwischen Verrat und Verleugnung schwanken, darf der bereits durch den Prolog eröffnete kosmische Horizont und der Umstand nicht vergessen werden, daß Gott seinen Sohn nicht sandte, ºna kr‡nÔh tÖn k∙smon, üllû ºna swqÔö ¨ k∙smo" diû a§toú (3,17). Der chiastische Aufruf piste‚ete e¢" tÖn qeÖn kaÑ e¢" †mÇ piste‚ete (14,1) zeigt, daß das ‚in Christus‘ bereits eröffnete ‚ewige Leben‘ kein sicherer Besitz ist, sondern allen Anfechtungen und Anläufen des 619
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‚Fürsten dieser Welt‘ gegenüber ständig in Glaube, Hoffnung und Liebe bewährt werden muß. Auch für das Evangelium muß deshalb gelten, was 1Joh 3,2 so expliziert: „Geliebte, schon jetzt sind wir Gottes Kinder. Doch noch ist nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es offenbar werden wird, daß wir ihm dann gleich sein werden, weil wir ihn sehen werden, wie er ist“. Dieser Satz liest sich geradezu wie ein Kommentar zu Joh 14,2 f und bestätigt Bultmanns Verständnis der Verheißung der Aufnahme der Jünger in die ewigen Wohnungen. 4 f: P66c a B C* L W X al bezeugen Jesu folgendes Wort in der syntaktisch harten Fügung: Ωpou †gá ≠p›gw o¥date tÉn ¨d∙n, die wir oben mit den Worten: „Und wohin ich gehe, dahin kennt ihr ja den Weg“, wiedergegeben haben. Demgegenüber bietet der Mehrheitstext, angeführt von P66* A C3 D K, die längere Lesart: Ωpou †gá ≠p›gw o¥date kaÑ tÉn ¨dÖn o¥date. Sie ist mit ihrem zweifachen o¥date aber sicher zum einen der Versuch, die harte Syntax des Kurztextes zu glätten, und zum anderen dürfte sie eine Assimilation an die ihr folgende Reaktion des Thomas sein (Segovia, Farewell 85 f; vgl. Metzger, Comm. 243). Wenn sich nun ausgerechnet Thomas zum Sprecher der Jünger macht und erwidert: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollten wir da den Weg kennen?“, so gibt das in doppelter Hinsicht zu denken. Denn zum einen offenbart dieser Einwand den ironischen Unterton von Jesu vorausgegangenem Wort und zeigt, daß die Jünger, was sie längst wissen sollten, faktisch noch lange nicht begriffen haben. Und zum anderen soll der Leser wohl erinnern, daß es ja Thomas war, der, wenn auch mit einem resignierten Unterton, beim Aufbruch Jesu nach Bethanien zum Grab des Freundes Lazarus seine Mitjünger aufgefordert hatte: „Dann laßt auch uns gehen, daß wir mit ihm sterben“ (11,16). Er hat also zumindest damals bereits geahnt, was da auf sie zukommen würde. Und auch, daß Wege nicht nur im Kopf gewußt, sondern mit den Füßen gegangen sein wollen, auch wenn sie in die äußerste Gefahr führen, schien er damals begriffen zu haben. Aber es geht hier ebenso wie in Joh 11,16 und 20,24 ff nicht darum, ein Charakterbild dieses Thomas zu zeichnen. Vielmehr müssen die Irrtümer und das nur halbe Verstehen dieses treuen Jüngers dem Erzähler jeweils dazu dienen, die Wahrheit ans Licht zu bringen (vgl. Barrett, Komm. 448). So muß Thomas Jesus mit ¨d∙" jetzt das Stichwort für seine solenne Antwort geben: †g„ e¢mi ™ ¨dÖ" kaÑ ™ ülflqeia kaÑ ™ zwfl: o§deÑ" ≤rcetai prÖ" tÖn patfira e¢ mÉ diû †moú. e¢ †gn„katfi me, kaÑ tÖn patfira mou gn„sesqe. kaÑ üpû ±rti gin„skete a§tÖn kaÑ ©wr›kate a§t∙n (V. 6 f). Zwar gehörten zur Isotopie des ‚Weges‘ bereits Jesu Worte von seinem ‚Weggehen‘ (13,33), des Petrus Frage: poú ≠p›gei"; und der Wortwechsel über das ükolouqeõn (13,36 f). Doch das Thema ist jetzt nicht mehr Jesu Weggehen und sein Weg, sondern allein dessen Zweck, nämlich den Jüngern in seinem Vaterhaus ihren t∙po" zu bereiten, um danach wiederzukommen, damit er sie zu sich nehme. Darum dürfte Thomas, wie Jesu Antwort in V. 6 f deutlich zeigt, auch nicht nach Jesu Weg, sondern nach seinem eigenen und dem Weg seiner mit ihm über das Weggehen Jesu erschreckten und ratlosen Mitjünger fragen; vgl. dazu die einleuchtenden Interpretationen unserer Passage durch Michaelis (¨d∙" 80–88) und de la Potterie (Vérité I, 241–278). Beide Autoren haben neben der inneren Logik und Kohärenz von Joh 14,1– 14 den durchgehend johanneischen Charakter dieses Abschnittes erwiesen, so daß sich alle literarkritischen Eingriffe und traditionsgeschichtlichen Versuche erübrigen, die vermeintlichen Spannungen im Text durch die nicht recht geglückte Verschmelzung heterogener Traditionen zu erklären. Auch daß im Hintergrund unserer Passage 620
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14,3–6
schwerlich der gnostische Mythos von der Himmelsreise der Seele steht, einer Seele, die präexistent ja schon immer im Himmel zu Hause war und insofern nur heimkehrt, haben beide Autoren gut begründet; vgl. auch Fischer, Wohnungen 236 ff. Gegen das harte Pauschalurteil von Michaelis, der lapidar erklärt: „Eine Nachwirkung des AT liegt nicht vor“ (ebd. 85), hat de la Potterie jedoch im Zusammenhang seiner Untersuchung des Gebrauchs und der Bedeutung des Lexems ülflqeia bei Johannes gerade diese nach Michaelis nicht vorhandenen ‚Nachwirkungen‘ alttestamentlich-jüdischer Tradition als Hintergrund von Joh 14,1 ff erhellend identifiziert; vgl. auch dazu Fischer, ebd. 115 ff. Falls die von Bultmann z. St. zitierten literarisch späten Stellen aus der mandäischen Literatur, die vom himmlischen ‚Haus des Lebens‘, von den himmlischen Wohnungen (sˇkina, skhnfl) als Heilsorten für die Seelen der Gläubigen und von dem ‚Helfer‘, der „mit uns zum Haus des Lebens emporsteigt“ (GL 479,17; 537,6.9.13.33; 590,3.9), sprechen, bereits urmandäische Tradition aus der Zeit vor den möglichen Anfängen der Mandäer als jüdisch-häretische Taufsekte im Jordantal sein sollten (vgl. Rudolph, Mandäer 194), liegt es nahe, auch darin jüdisches Erbe zu sehen. 6: Das †g„-e¢mi-Wort: †g„ e¢mi ™ ¨dÖ" kaÑ ™ ülflqeia kaÑ ™ zwfl: o§deÑ" ≤rcetai prÖ" tÖn patfira e¢ mÉ diû †moú, ist so eng auf die vorangehenden Verse bezogen, daß wir keinerlei Grund dafür zu erkennen vermögen, es als ein hier eingefügtes Traditionsrudiment aus einer ‚johanneischen Schule‘ oder als einen isolierten Offenbarungsspruch eines urchristlichen Propheten zu beurteilen. Der Kontext macht deutlich, daß in V. 6 als Antwort auf die Thomasfrage jetzt der ‚Weg‘ (†g„ e¢mi ™ ¨d∙") das zentrale Thema sein muß. Die beiden, jeweils durch ka‡ hinzugefügten Lexeme ™ ülflqeia und ™ zwfl sind nicht selbständige Prädikate, sondern Präzisierungen dessen, was hier ‚Weg‘ heißt. Das doppelte ka‡ muß darum als ein epexegetisches verstanden werden: „Les mots ™ ülflqeia kaÑ ™ zwfl servent à indiquer – explicitement et sans image – le sens de la métaphore employée par Jésus au début du verset: †g„ e¢mi ™ ¨d∙". Ce premier terme, ‚le chemin‘, est plus important. Il est vrai que les trois substantifs sont coordonnés grammaticalement (par un double ka‡), mais ils ne sont pas pour le sens. … Le premier ka‡ est simplement épexégétique. Le verset ne signifie donc pas que Jésus est la chemin vers le Père, précisément en tant qu’il est la vérité et la vie; ülflqeia et zwfl expliquent son rôle de médiateur: c’est parce que Jésus est la vérité et la vie qu’il peut nous conduire au Père“ (de la Potterie, Vérité I, 252 f; vgl. ebd. 241–278). Wie in allen †g„-e¢mi-Worten unseres Evangeliums ist auch hier das †g„ Jesu das Subjekt und nicht etwa ein Prädikatsnomen. Es ist der in seinen Tod weggehende jüdische Mann Jesus, der fleischgewordene und damit sterbliche Logos, der hier als der Weg der Wahrheit und des Lebens prädiziert wird. Daß ülflqeia bei Johannes nicht ein Abstraktum wie „die göttliche Wirklichkeit“ bezeichnet (so Bultmann, Art. ülflqeia ktl. 245 ff; u. Komm. pass.), sondern daß hier, wie sonst auch, einzig der konkrete historische Jesus „dans la transparence totale de sa vie et sa parole à celles du Père, peut dire de luimême: Je suis le Vérité“ (de la Potterie ebd. 276 f), erscheint uns als gesicherter Ertrag des Werkes von de la Potterie. Weil der ‚soteriologische Nachsatz‘ unseres †g„-e¢mi-Wortes: o§deÑ" ≤rcetai prÖ" tÖn patfira e¢ mÉ diû †moú, häufig als Grund der gnadenlosen Behauptung und oft rigorosen Durchsetzung eines Absolutheitsanspruchs des Christentums herhalten mußte, der sich bis zu den Zwangstaufen der spanischen Juden und den öffentlichen Verbrennungen der Ketzer zur höheren Ehre Gottes verstieg, bedarf er noch einer besonderen 621
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Erörterung. Vor allem Eingehen auf den oft kontroversen Umgang mit Joh 14,6 in der Literatur sind zunächst noch einige Klarstellungen nötig. Zum ersten muß gesagt werden, daß es Jesus, der historische Jude aus Nazaret, ist, der hier erklärt, daß er, und allein er und keiner sonst (o§de‡") der Weg der Wahrheit und des Lebens ist, durch den einer zum Vater und der Vater zugleich zu einem kommt. An ihm vorbei kommt niemand zum Vater. Die Rede von einem Absolutheitsanspruch des Christentums oder irgendeines vermeintlichen irdischen Vertreters Jesu Christi ist darum ein Akt hybrider Usurpation der Majestät Gottes, ganz abgesehen von dem in diesem Zusammenhang unerträglichen Reden von ‚Ansprüchen‘ irgendwelcher Art. – Zum zweiten ist zu sagen, daß ≤rcesqai prÖ" tÖn patfira und piste‚ein e¢" tÖn qe∙n (V. 1) synonym sind, wie etwa der parallelismus membrorum von 6,35 zeigt: ¨ †rc∙meno" prÖ" †mÇ o§ mÉ pein›sÔh / kaÑ ¨ piste‚wn e¢" †mÇ o§ mÉ diyflsei p„pote (vgl. 7,37 f: †›n ti" diyô †rcfisqw pr∙" me / kaÑ pinfitw, ¨ piste‚wn e¢" †mfi). Glauben aber ist bei Johannes niemals die Bedin‑ gung, die einer erfüllen müßte oder auch nur erfüllen könnte, um zu Gott zu kommen und des ewigen Lebens teilhaftig zu werden. Der Glaube ist vielmehr stets die Folge der Rettung. „Darum ist es nötig, 14,6b zusammen zu sehen mit 6,44: ‚Niemand kann zu mir kommen außer dem, den der Vater zieht‘“ (Gollwitzer, Außer Christus kein Heil 180). Marquardt kommentiert diesen gewichtigen Beitrag Gollwitzers so: „Hier revidiert Gollwitzer die Suggestionen konditionaler Logik, die von nicht wenigen biblischen Texten ausgehen, durch sachreflektierte Exegese. Der Glaube ist überall nicht die Bedingung, sondern die Folge der Rettung. Als solcher ist er das Tun der Geretteten. Die Glaubenskonditionen des biblischen Textes bezeichnen – sachlich gesehen – die von Gott selbst längst erfüllten Konditionen des Heils. ‚Niemand kommt zum Vater denn durch mich‘ ist modellhaft: nicht von uns abgeforderte Bedingung, sondern vom Vater längst vollzogene Öffnung des Weges, der Wahrheit, des Lebens, das uns zugesprochen und verheißen wird. Wo immer es geschieht, daß Menschen mit Gott leben, da war Christus der ermöglichende Grund. Nach Gollwitzer vereinigen sich in der Zuversicht der Apokatastasis panton, des universalen Heils, prädestinatianische, universale und konditionale ‚Redeweisen‘. Prädestinatianische Aussagen der Bibel erklären: Heil ist nimmermehr menschliches Verdienst. Universale Aussagen verheißen: Allen gilt das Christusgeschehen. Konditionale Heilsaussagen besprechen die Art und Weise, in der das Heilsgeschehen sich beim einzelnen wirksam macht: Er glaubt dann, erkennt und tut. Daraus ergibt sich als Verstehensregel: Verstehe konditionale von prädestinatianischen her – und beide von den universalen her. Isoliere keine Redeweise von der anderen, schließe keine von der anderen aus und bevorzuge keine. Vergiß die Fragen abstrakter Logik nach Bedingungen des Heils: Denn da fragst du wie ein Pelagianer, der noch mitten im Heilsgeschehen der Rechtfertigung das ‚Werken‘ nicht lassen mag und, wenn schon in nichts sonst, dann wenigstens im ‚Allein aus Glauben‘ die bedingte Leistung – anderen abfordern möchte! Nirgendwo richtet der Protestantismus soviel Werkgerechtigkeit auf wie in der Glaubensforderung an die Juden“ (Hermeneutik 151). Drittens ist dem hinzuzufügen, daß „der geläufige positive Gedanke“, wonach man erst durch „Jesus zu seinem Vater“ kommt und erst „in ihm das ‚väterliche Herz Gottes‘ (Luther, Großer Katechismus: WA 30/I, 191) erkennt, das man sonst nicht erkennen würde“, trotz des verbreiteten Gebrauchs, der von ihm gemacht wird, „durchaus nicht in der Linie des Johannesevangeliums“ liegt (Barth, Erklärung 364 f; vgl. Thyen, Licht 622
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern
14,6
der Welt 42 ff). Diese ‚Linie‘ besteht nämlich durchweg darin, daß es der bekannte Vater ist, der für seinen unbekannten Sohn zeugt und ihn bekannt macht (vgl. auch Wengst, Juden 37 f). „Es gibt ja merkwürdigerweise im ganzen Johannesevangelium keine Stelle, wo etwa von einem martureõn oder einer martur‡a Jesu perÑ patr∙" die Rede wäre, immer nur vom Umgekehrten: von dem martureõn des Vaters für ihn und von seinem martureõn perÑ †mautoú. Jesus, der unbekannte Sohn Gottes, wird bekannt durch den bekannten Vater. Nicht durch sich selbst …Wahr und kräftig will (Jesu) Zeugnis selbst nicht anders sein denn als Zeugnis zu zweit (8,16 ff; 5,32). Alles hängt daran, daß man mit seinem Zeugnis von sich selbst zusammenklingen hört das Zeugnis des ±llo", des Vaters. Der Vater aber ist bekannt. Jesus appelliert an diese Größe als an eine bekannte Größe und ist befremdet, wenn sie das für die Menschen offenbar nicht ist“ (Barth, ebd. 365 f). Darum muß Joh 14,6 in Analogie zu Worten wie 15,23 oder 5,23 begriffen werden: ‚Wer nicht zu mir kommt, der kommt auch nicht zum Vater‘. Und endlich muß viertens daran erinnert werden, daß auch für Johannes die Hoffnung ebenso wie die Liebe konstitutive Momente des ‚Glaubens‘ sind. Obgleich das Lexem †lp‡" in unserem Evangelium – wie im übrigen auch in den Synoptikern! – nicht vorkommt, muß auch für Johannes gelten, was Paulus so expliziert: tÔö gÅr †lp‡di †s„qhmen (Röm 8,24), und daß in dieser unerlösten Welt allein die Hoffnung nicht zuschanden werden läßt (Röm 5,5). Auch das Verbum †lp‡zein kommt bei Johannes nur ein einziges Mal vor, wenn Jesus den mit ihm streitenden Juden erklärt, er werde sie nicht vor dem Vater verklagen, derjenige, der sie verklagen werde, sei vielmehr Mose, „auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt“ (e¢" ≈n ≠meõ" °kp‡kate). Implizit heißt das zum einen, daß sie ihre Hoffnung auf den setzen sollten, über den Mose geschrieben hat, auf ihn, der jetzt zu ihnen spricht, und der nicht ihr Ankläger, sondern ihr Fürsprecher beim Vater ist und sein wird (5,45–47). Und zum anderen spiegelt sich in diesem Wort Jesu positive Einschätzung der Tora; denn als deren Übertreter wird Mose sie anklagen, weil sie den Gerechten zu töten trachten wie einst der Brudermörder Kain, statt sich als seine Hüter zu erweisen (5,18). Aber auch ohne den Gebrauch der geläufigen Lexeme der Hoffnung und des Hoffens ist unser gesamtes Evangelium ein Aufruf zur Hoffnung. Derjenige, der die Welt überwunden hat, will in denen, die mit ihrer Angst in der Welt zurückbleiben, lebendige Hoffnung erwecken (16,33). Und wie alle anderen Ich-Bin-Worte, so ist auch 14,6 eine dementsprechende Verheißung. Allein durch das Gebet im Namen Jesu vermögen seine Jünger in all ihren irdischen Nöten dieser Verheißung gerecht zu werden (14,13 f). Und Betende sind allemal Hoffende, die mit leeren Händen dastehen und deren Hoffnung sich auch darauf richtet, daß Jesu Verheißung wahr werde: kügá †Ån ≠ywqù †k tö" gö" p›nta" ©lk‚sw prÖ" †maut∙n (12,32). Angesichts des vielfältigen und oft gar mörderischen Mißbrauchs dieser Verheißung Jesu zur Selbstbehauptung des Christentums betrachten wir es als ein Stück notwendiger Selbstkritik unserer Theologie, das den Jüngern in der Stunde des Abschieds Gesagte als Jesu messianisches Geheimnis im Herzen zu bewahren und „den Mund (darüber) auch dann nicht übergehen zu lassen, wenn unser Herz voll sein sollte von der Hoffnung, daß Jesus schon überall da wirkt, wo der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs auch ohne ihn gepriesen wird“. Ja, „daß Jesu Eintreten für alle Menschen umgekehrt auch ein Leben aller Menschen durch ihn war und ist“, das ist noch nicht vollendet. Wir könnten es einstweilen nur behaupten, uns fehlt dazu noch das „beistimmende Zeugnis aller Menschen“ (Marquardt, Christologie II, 428; vgl. ebd. 425 ff). 623
14,1–31
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Doch als derjenige, der in 10,30 gesagt hat: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen, und dessen Worte und Werke nicht die seinen, sondern diejenigen seines Vaters sind, macht Jesus hier mit seinem Wort: †g„ e¢mi ™ ¨dÖ" kaÑ ™ ülflqeia kaÑ ™ zwfl: o§deÑ" ≤rcetai prÖ" tÖn patfira e¢ mÉ diû †moú, nichts anderes als den alten Absolutheitsanspruch des Vaters geltend, wie er zumal in den Kapiteln 40 ff des Jesajabuches immer wieder erklingt. Darum ist ein Satz wie Joh 14,6 nicht zufälliger Ausdruck der historisch bedingten Aporie einer bedrängten Gemeinde, sondern notwendiger Ausdruck der Gewißheit des Glaubens. Denn „die Überzeugung von der ‚Absolutheit der eigenen Religion‘ gehört zum unmittelbaren Eindruck des ‚eigenen‘ Gottes, der in seinem Hervortreten als ‚der‘ Gott – Grund und Grenze allen Seins, Sinn und Freude allen Daseins wie Möglichkeit und Zukunft allen wahren Lebens – wirksam wird. Die ‚Absolutheit‘ einer Religion drückt als reflektiertes Urteil einer Religion über eine andere die tatsächliche Unfähigkeit aus, neben dem eigenen Gott die Gottheit anderer Götter zu erfassen. Die ‚Absolutheit‘ der religiösen Nomoi – Einrichtungen, Antworten und Sitten – zu behaupten, ist die Dämonisierung der eigenen Religion“ (Ratschow, Religionen 126; vgl. Ebeling, Dogmatik I, 129 ff; und Maurer, Exklusivanspruch). 7: V. 7 liest die Mehrheit der Textzeugen als einen nach dem Vorbild von 8,19 geformten irrealen Bedingungssatz, so daß Jesus hier seine Jünger ebenso wegen ihres Unverständnisses tadelte wie dort die Juden: e¢ †gnwkeõte †mfi ... kaÑ tÖn patfira ±n Ô≥deite (Hättet ihr mich verstanden, dann kenntet ihr auch den Vater). Diese von A B C D1 L Q Y f1.13 M und der Vulgata bezeugte Lesart versteht die Plusquamperfekta wie Imperfekta und den Satz damit als einen Irrealis der Gegenwart. Dieser auch in den Übersetzungen verbreiteten Lesart gegenüber folgen wir hier jedoch dem von Nestle-Aland27 gebotenen Text: e¢ †gn„katfi me, kaÑ tÖn patfira mou gn„sesqe (Wenn ihr mich erkannt und vor Augen habt, dann werdet ihr auch meinen Vater kennen). Diese Lesart wird bezeugt von P66 a A D W it u. a. Danach ist der Satz in Harmonie mit dem Folgenden: kaÑ üpû ±rti gin„skete a§tÖn kai ©wr›kate a§t∙n, als ein Realis zu verstehen. Deshalb ziehen Bauer (Komm. 180), Bultmann (Komm. 469) und fast alle nachfolgenden Kommentatoren diesen Text vor. Die erst genannte irreale Lesart dagegen „seems to have arisen either because copyists recalled Jesus’ reproach against unbelieving Jews in 8,19 or because Philip’s question (ver. 8) and Jesus’ reply (ver. 9) suggested to them that the disciples knew neither Jesus nor the Father“ (Metzger, Comm. 243). Der Vers erläutert V. 6 und leitet zugleich über zu dem nun folgenden Gedanken, „daß Jesus nicht allein der Weg zum Vater ist, sondern daß er geradezu den Seinen den Vater verkörpert“ (Bauer ebd.). Mit Jesu überraschenden Worten: Ja, jetzt schon kennt ihr den Vater und habt ihn vor Augen (V. 7b), zeigt der Erzähler, daß das vorausgegangene Futurum gn„sesqe nicht als temporales, sondern als logisches begriffen sein will. 8–11: Das aber begreifen die Jünger einstweilen noch nicht, so daß Philippus als ihr Sprecher Jesus bitten muß: Herr, zeige uns doch den Vater, dann wollen wir zufrieden sein! Wie zuvor Thomas, der statt den Weg, auf dem er doch schon ist, in der Nachfolge Jesu zu beschreiten, danach fragt, „wie man den Weg dort drüben hin findet“, und sich damit „zwischen sich und seine Gegenwart und die Gegenwart Gottes bzw. des ewigen Lebens stellt“, so flieht jetzt auch Philippus aus der Wirklichkeit des in Jesus eröffneten Heils in die bloße Möglichkeit: „Herr, zeige uns den Vater! Das Zeigen ist ein Von-Sich-Wegweisen. Das Zeigen ist Sache des Lehrers. Aber Jesus ist mehr als ein Rabbi, Jesus ist die ‚praesentia dei in Person‘ (Schniewind). Darum verweist Jesus 624
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern
14,6–11
auf sein Dasein. Sein Dasein ist die Offenbarung Gottes. Darum offenbart er sich den Seinen, indem er sie an die untrennbare Einheit zwischen dem Vater und dem Sohn erinnert. Denn was auch immer an Worten von Jesus ausgeht, er ist nie das Subjekt seiner Rede, sondern es ist der Vater in ihm und er im Vater“ (Iwand, Meditationen 644 f). So begegnet er Philippus denn auch mit der Gegenfrage: „So lange bin ich schon bei euch, und du kennst mich immer noch nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht (ja) den Vater. Wie kannst du da sagen: Zeige uns den Vater! Glaubst du denn nicht, daß ich im Vater bin, wie der Vater in mir ist? Die Worte, die ich euch sage, die rede ich nicht aus meinem Vermögen (üpû †mautoú), vielmehr vollbringt darin der Vater, der in mir wohnt, seine Werke. Glaubt mir (darum), daß ich im Vater bin, wie der Vater in mir ist. Und wenn nicht (d. h. wenn ihr das nicht glauben könnt), dann glaubt doch um dieser Werke selbst willen (diÅ tÅ ≤rga a§tÅ piste‚ete)!“ Anstelle des absoluten piste‚ete, das die gewichtigen Zeugen P66.75 a D L W 33 597 al lat syc.p sa ac2 pbo bieten, liest der Mehrheitstext, angeführt von A B Q Y f 1.13 it syh bo, diÅ tÅ ≤rga a§toú piste‚ete moi. Metzger (Comm. 244) beschreibt diesen Vorgang wohl treffend so: „A variety of witnesses, including several of the earliest … have resisted the temptation to assimilate the construction to the preceding piste‚ete moi“. Dadurch daß Jesus die Bitte des Philippus, den Jüngern den Vater zu zeigen, mit einer Gegenfrage beantwortet, mit der er die Seinen an das zwischen ihm und ihnen nun schon so lange währende Vertrauensverhältnis erinnert, und endlich seinen Freund Philippus ausdrücklich bei seinem Namen nennt, macht er deutlich, daß er „über sein Zusammensein mit Gott und Gottes mit ihm … nicht behauptend, thetisch (redet). Er antwortet so, daß er selbst die Antwort, die er geben kann und will, nur in fragender Gestalt, nur in der Weise von Fraglichkeit, gibt…. Feiner als in diesem Wortwechsel kann einem theologischen und dogmatischen Positivismus nicht begegnet werden, der nirgendwo so falsch wäre, wie in einer platten Ja-Nein-Rede über die mysteria divinitatis und Jesu (Ph. Melanchthon)“ (Marquardt, Christologie II, 421). In der Stunde seines Abschieds ringt Jesus hier um das Vertrauen seiner Jünger. Denn „die christologische Bestimmung hat gerade in diesem Fall nur Sinn als eine soteriologische. Wer nicht sagen kann, zu welchem Vertrauen, in welche Gemeinschaft und Liebe ihn selbst das Bekenntnis zum vere Deus, zum ‚Gott war in Christo‘ überwindet, unterlasse dergleichen christologische und trinitätstheologische Behauptungen. Ohne eine Ekstase des Vertrauens, der Freundschaft, der Liebe läßt sich das Dogma nicht lehren“ (ebd. 422 f). Mit den Worten: e¢ dÇ mfl, diÅ tÅ ≤rga a§tÅ piste‚ete, äußert Jesus seine Skepsis über die Fähigkeit seiner Jünger, seinen Worten zu vertrauen. Darum weist er sie auf seine Werke hin, um durch sie ihr Vertrauen zu gewinnen. „Johannes läßt Jesus hier gut jüdisch reden und urteilen. ‚Ich will dir aus meinen Werken den Glauben zeigen‘, den Grund meines Vertrauens (Jak 2,18)“ (Marquardt, ebd. 423). Daß es in den V. 11 f um den Wirkzusammenhang zwischen Jesus und seinem Vater geht, den bereits der Prolog durch die hymnische Prädikation dessen preist, ohne den kein einziges Geschöpf geworden ist (1,3; vgl. 5,17), betont auch Iwand zu Recht (ebd. 645). Gegen diese offensichtliche Überordnung der Werke Jesu über seine Worte erklärt Bultmann, dem darin viele folgen, jedoch: „Diese ≤rga können ja nach V. 10 nichts anderes sein als Jesu Offenbarerwirken im Worte. Und wie 10,38 wird der Glaube an dieses Wirken von einem nur auf das Gesagte gerichteten Glauben abgehoben. Wem Jesus nicht schon Autorität geworden ist, so daß er reflexionslos seinem Worte glauben kann, der soll 625
14,1–31
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
auf das blicken, was sein Wort wirkt, d. h. aber: auf sich selbst. Sein Wort teilt ja nicht Mysterien oder Dogmen mit, sondern deckt die Wirklichkeit des Menschen auf. Versucht er es, sich unter diesem Worte zu verstehen, so wird er das Werk des Vaters an sich erfahren …“ (Komm. 471; vgl. dagegen Marquardt, Christologie II, 423 ff). Diese u. E. gegen das Gefälle des Textes erfolgende Vorordnung der Worte Jesu vor die konkreten Werke des Fleischgewordenen hat in Bultmanns Reduktion des jüdischen Mannes Jesus auf das „Bloße-Daß-seines-Gekommenseins“ und dessen stete Bezeichnung als der Offenbarer ihre exakte Entsprechung. Doch in dieser Stunde des Abschieds geht es ja wohl zumal um das eine große Werk seines Hingehens zum Vater, in dem sich die vielen Zeichen versammeln, „die er vor seinen Jüngern getan hat, damit sie glauben, daß er der messianische Gottessohn ist, und so das ewige Leben gewinnen“ (20,30 f). Sein Weg zum Vater ist ja zugleich sein Weg in Kreuz und Tod, die Vollendung seiner Liebe zu den Seinen (13,1) durch die Hingabe seines Fleisches für das Leben der Welt (6,51) und Voraussetzung für die Gabe des Geistes, der nach 7,38 f solchen Glauben ja allererst ermöglicht. Gegen die ausblendende Konzentration auf das Sagen und die Worte Jesu, die u. a. auch Käsemanns Darstellung beherrscht (Letzter Wille 65 ff), und die Lattkes Reduktion der Liebe auf eine „Einheit im Wort“ ebenso bestimmt wie Hinrichs’ Analyse der Ich-Bin-Worte, deren Untertitel lautet: „Die Konsistenz des Johannes-Evangeliums in der Konzentration auf das Wort Jesu“ (vgl. Ich bin 94 ff), muß daran festgehalten werden, daß auch das Johannesevangelium primär die Biographie des jüdischen Mannes Jesus als des Fleisch gewordenen Wortes Gottes ist und kein gnostischer Offenbarungstraktat. „The words and the works of Jesus are not to be collapsed into one theological concept called ‚revelation‘ as do Bultmann … and others. Both reveal God, but there is a close association between what Jesus does (ta erga) and the revelation of the doxa tou theou … that must be respected“ (Moloney, Komm. 399; vgl. Brown, Komm. II, 622). Schwerlich zu Recht beurteilt Dietzfelbinger den Satz: e¢ dÇ mfl, diÅ tÅ ≤rga a§tÅ piste‚ete (V. 11b) als „nachträgliche Bemerkung“, die ein Redaktor hier eingefügt haben soll, „um 14,4–11 zur möglichst exakten Parallele von 10,30–39“ auszugestalten, zumal es „sicher (sei), daß V. 11b zum Gedankengang von V. 4–11 nichts (beitrage)“ (Abschied 43 f). 12–14: Mit dem doppelten Amen nimmt Jesus das Stichwort der Werke, die ja nach 5,36 und 10,25 für ihn zeugen, wieder auf: „Wer an mich glaubt, der wird eben die Werke, die ich tue, auch tun, ja er wird größere als diese tun, denn ich gehe zum Vater“. Nicht irgendeine Ausstattung der Jünger mit übernatürlichen Kräften wird sie zum Tun jener „größeren Werke“ ermächtigen, das der Scheidende ihnen hier verheißt, sondern die größeren Werke haben ihren Grund allein in dem Satz: Ωti †gá prÖ" tÖn patfira pore‚omai. Denn wie die Werke Jesu nicht seine eigenen, sondern diejenigen seines Vaters waren, so werden auch ihre größeren Werke nicht die ihren, sondern die Werke dessen sein, der zum Vater gegangen ist und ihnen gewähren wird, um was auch immer sie ihn in seinem Namen bitten werden, damit so der Vater in seinem Sohn verherrlicht werde. Der V. 14: †›n ti a¢tflshtfi me †n tù £n∙mat‡ mou †gá poiflsw, fehlt in einer breit gestreuten Anzahl von Handschriften. Gerade weil er jedoch das soeben in V. 13 Gesagte mit nahezu den gleichen Worten wiederholt, ist er schwerlich eine sekundäre Hinzufügung, sondern wohl eher von den betreffenden Schreibern, sei es absichtlich oder sei es versehentlich auf Grund der Dittographie, ausgelassen worden (vgl. Metzger, Comm. 244). Weil das Pronomen me dem vorangegangenen Vers gegenüber die 626
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern
14,11–14
einzig neue Information ist, die V. 14 bietet, ist dessen Auslassung in A D K L Q Y 1010. 1241. 1424 u. a. Textzeugen sicher verfehlt und gerade das Vorhandensein dieses me ein zusätzliches Argument für die Ursprünglichkeit von V. 14. Becker streicht dagegen nicht nur V. 14 als „traditionsgeschichtliche Dublette“, sondern mit ihm zugleich auch noch V. 15 als „traditionelle joh Paränese“. Zwar seien die beiden Verse gleich gebaut und stünden in sachlich gutem Zusammenhang, doch störten die den vermeintlich ursprünglichen Zusammenhang zwischen V. 13 u. 16, „der nicht durch Mahnung, sondern Verheißung“ bestimmt sei, ganz empfindlich. Ebenso wie das Liebesgebot von 13,34 f und 15,12 ff schreibt Becker darum die V. 14 u. 15 seinem moralisierenden ‚kirchlichen Redaktor‘ zu (Komm. II, 555). Abgesehen davon, daß wir Jesu Gebot von seiner Verheißung so wenig zu trennen vermögen wie den Glauben von der Liebe, macht Moloney gegen Becker zu Recht darauf aufmerksam, daß die Streichung der V. 14 f die gewichtige literarische Beziehung zerstört, die zwischen V. 15 (‚Wenn ihr mich liebt‘) und V. 24 (‚Wer mich liebt, der wird meine Gebote halten‘) besteht und die die durch diese Inklusion strukturierte Passage V. 15–24 als eine Einheit eigenen Rechts ausweist (Komm. 400). Die überraschende Aussage, daß die Jünger nach dem Weggang Jesu nicht nur eben die Werke tun werden, die er getan hat, sondern daß sie darüberhinaus sogar größere als diese vollbringen werden, wird von vielen Kommentatoren auf die größeren Missionserfolge und zumal auf die Ausdehnung der Mission auf die Heidenvölker gedeutet. So erklärt etwa Bauer: „Bei den me‡zona ≤rga (vgl. dazu 1,50; 5,20) wird der Evangelist an die Missionserfolge seiner Religion in der Welt denken, dann aber auch an die zahlreichen Wunder und seltsamen Manifestationen des Geistes“ (Komm. 181; ähnlich Hoskyns, Komm. 457; Ruiz, Missionsgedanke 171 ff; und Schnelle, Abschiedsreden 67; vgl. dagegen Dietzfelbinger, Größere Werke; Abschied 48). Schon Bultmann hatte gegen diese Deutung der verheißenen ‚größeren Werke‘ eingewandt, ihre Verheißung bedeute nicht, „daß das Wirken der Jünger weiteren geographischen Umfang, größeren Erfolg haben wird als Jesu Wirken; erst recht nicht, daß sie größere Wunder tun werden als er. Denn so wenig sein Wirken nach menschlichen Maßstäben zu bemessen war, so wenig das ihre, wenn es gleicher Art sein soll wie das seine. Und so sehr der Erfolg seines Wirkens nur dem Glauben sichtbar war, so sehr wird es auch der ihre sein. Aber die ausdrückliche Begründung zeigt ja, worum es sich handelt: Ωti †gá prÖ" tÖn patfira pore‚omai. Daß ihr Wirken größer sein soll als das seine, gilt insofern, als das seine als zeitlich begrenztes, durch seinen Hingang beendetes ins Auge gefaßt wird. Insofern ist es ‚unvollständig‘ und hat seinen Sinn noch nicht erfüllt“ (Komm. 471 f). Aber es geht bei dem Satz: ‚Denn ich gehe zum Vater‘, wohl um mehr noch als nur darum, daß hier das bloß zeitliche Begrenztsein des Erdenwirkens Jesu ausgesagt werden soll, zumal dieser conditio humana natürlich auch das Wirken der Jünger unterworfen ist. Nein, Jesu Hingang zum Vater sprengt zugleich alles zeitliche Begrenztsein seines Wirkens, es erhebt das Einmal dieses Wirkens in den Rang des „Einfürallemal“ und macht Jesus durch das Gebet †n tù £n∙mat‡ mou anrufbar, so daß er selbst ihre größeren Werke wirken wird: †gá poiflsw, ºna doxasqÔö ¨ patÉr †n tù u´ù. Wenn Jesus 16,23 f erklären wird: „Und an jenem Tage werdet ihr mich nach nichts mehr fragen. Amen, Amen, ich sage euch: Um was auch immer ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, das wird er euch geben. Bis jetzt habt ihr noch nichts erbeten in meinem Namen. Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen werde“, so zeigt das 627
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
deutlich, daß das Gebet im Namen Jesu sein Hingegangensein zum Vater voraussetzt. Denn daß diese Näherbestimmung des Gebetes der Jünger durch die Wendung ‚in meinem Namen‘ nur die Anrufung des erhöhten Jesus bezeichnen und nicht etwa heißen kann ‚in meinem Auftrag‘, wie das B. Weiß unter Berufung auf 5,43 und 10,25 vorschlug (Komm. z. St.), dürfte durch Heitmüllers Untersuchung der Wendung wohl definitiv geklärt sein (vgl. Bauer, Komm. 181). Damit ist aber zugleich deutlich, daß die V. 12–14 mit ihrem viermaligen Gebrauch von Futurformen des Verbums poieõn der Überleitung in die neue Zeit der größeren Werke und des Geistes dienen. Sehr klar hat das Dettwiler (Gegenwart 175 f) herausgearbeitet; vgl. dazu auch Dietzfelbinger (Die größeren Werke; Abschied 44 ff). Im Bann seiner Überzeugung von der vermeintlich rein präsentischen Eschatologie des Evangeliums und seiner Vorordnung des Wortes vor das Werk Jesu neigt Dietzfelbinger freilich allzu sehr dazu, die nachösterliche und vom Parakleten inspirierte Predigt der Jünger als Vollbringen der größeren Werke platt mit der eschatologischen Auferweckung und dem Lebendigmachen der Toten zu identifizieren. Darüber scheint er vergessen zu haben, daß nach 13,34 f doch nicht an der vollmundigen Predigt der Jünger, sondern gerade an ihrem stillen Wirken in der Liebe zueinander, so wie Jesus sie geliebt hat, jedermann (p›nte") erkennen soll, daß sie Jesu Jünger sind, und daß dieses Wirken der Kirche in der Einheit mit ihrer missionarischen Verkündigung wiederum nur shmeõon des künftigen ≤scaton und keinesfalls schon dieses selbst sein kann. Trotz dieser kritischen Bedenken macht jedoch Dietzfelbingers Untersuchung, ebenso wie diejenige Dettwilers, deutlich, daß Becker die Rede von den größeren Werken ganz sachgemäß von der nun folgenden Geist-Paraklet-Thematik her auslegt (Komm. II, 553 f), auch wenn wir ihm in der Zuweisung der V. 14 f an eine ‚kirchliche Redaktion‘ nicht zu folgen vermögen (s. o.).
15–24: Wie oben bereits gesagt, ist dieser neue Abschnitt umschlossen vom Liebesgebot, in V. 15 zunächst in der positiven Gestalt: „Wenn ihr mich liebt, dann werdet ihr meine Gebote halten“ (das Futurum thrflsete dürfte hier – auch im Blick auf das in V. 16 folgende †rwtflsw – ursprünglich sein; vgl. Metzger, Comm. 245) und am Ende (V. 24) in der negativen Form: „Wer mich nicht liebt, der wird auch meine Worte nicht beachten“. Diese Inklusion macht deutlich, daß die Wendungen tÅ" †ntolÅ" tÅ" †mÅ" threõn und toÜ" l∙gou" mou threõn synonym sind. Wohl nicht zufällig soll das zunächst gebrauchte Lexem †ntolfl die Jünger (und mit ihnen die Leser des Evangeliums) an Jesu neues Gebot erinnern, einander zu lieben (13,34 f). Und das gilt um so mehr, als Jesus hier ja im Begriff ist, von den Jüngern weg hin zu seinem Vater zu gehen, und sich ihnen damit als unmittelbares Objekt ihrer Liebe entzieht. In dieser nahen Zukunft gilt vielmehr mutatis mutandis Jesu mit dem doppelten Amen eingeleitetes Wort: „Wer einen aufnimmt, den ich sende, der nimmt mich auf, wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (13,20). Ebenso wie Beutler (Angst 55 ff) weisen auch Léon-Dufour (Lecture II, 112 ff) und Augenstein darauf hin, daß Johannes mit den Wendungen †ntol›" bzw. l∙gou" threõn „auf das alttestamentliche Konzept des Gebotehaltens, wie es besonders in der deuteronomistischen Literatur zum Ausdruck kommt, zurückgreift“ (Augenstein, Liebesgebot 54 ff). 16 f: Abgesehen davon, daß der Erzähler bei seinen Zuhörern/Lesern die Kenntnis der synoptischen Prätexte voraussetzt, zeigt die artikellose Einführung eines ±llo" par›klhto" und dessen sogleich folgende Identifikation mit dem ‚Geist der Wahrheit‘ (tÖ pneúma tö" ülhqe‡a": V. 17), daß hier dieses pneúma, das jedem Leser seines Evangeliums seit 1,32; 4,24; 7,37 ff bekannt ist, und nicht etwa das hier neu eingeführte Lexem par›klhto" den Ton trägt. Wir übersetzen die V. 16 u. 17 deshalb so: „Und ich 628
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern
14,14–17
werde den Vater bitten, daß er euch einen Anderen als Parakleten gebe, damit der in Ewigkeit bei euch sei, nämlich den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht zu ergreifen vermag, weil sie ihn weder sieht noch erkennt. Ihr dagegen kennt ihn, denn er wird bei euch bleiben und in euch wohnen“. So wie der Geist seit Jesu Taufe durch Johannes auf ihm blieb (kaÑ ≤meinen †pû a§t∙n) und ihn als denjenigen erwies: ¨ bapt‡zwn †n pne‚mati ®g‡w (1,32 f), so wird der Geist, nachdem Jesus ihn hingegeben (parfidwken tÖ pneúma: 19,30; s. u. z. St.) und ihn als Auferstandener seinen Jüngern eingehaucht hat (20,22), nun in ihnen bleiben. 17: Wenn Jesus die parakletische Funktion des verheißenen pneúma tö" ülhqe‡a" dadurch zur Sprache bringt, daß er den Jüngern erklärt, er werde ihnen nach seinem Weggang einen anderen als ihren Parakleten senden, und so dessen Wirken mit seinem eigenen irdischen Weg parallelisiert und diesen Anderen dann sogleich als den ‚Geist der Wahrheit‘ identifiziert, so muß man nicht lange nach vermeintlichen religionsgeschichtlichen Parallelen für diese Wortverbindung fahnden. Denn der unmittelbare Kontext macht ja deutlich, daß sich diese Parallelisierung hier fortsetzt. ülflqeia ist hier mit anderen Worten also nichts anderes als die Wahrheit dessen, der soeben gesagt hatte, er selbst sei die Wahrheit in Person: †g„ e¢mi ™ ¨dÖ" kaÑ ™ ülflqeia kaÑ ™ zwfl (V. 6). Er, Jesus, ist auch die ülflqeia pôsa, in die jener ‚Geist der Wahrheit‘ die Jünger nach Joh 16,13 f einführen wird, denn †keõno" †mÇ dox›sei, Ωti †k toú †moú lflmyetai kaÑ ünaggeleõ ≠mõn (16,13 f). Als derjenige der die Wahrheit bezeugt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, kann von ihm gesagt werden: tÖ pneúm› †stin ™ ülflqeia (1Joh 5,6; vgl. 1Joh 4,6, wo dem pneúma tö" ülhqe‡a" als dem Geist, der sich zu Jesus bekennt, das pneúma tö" pl›nh" dessen gegenübergestellt wird, ≈ mÉ ¨mologeõ tÖn ûIhsoún: V. 3). Demgegenüber sind die beiden in Qumran (1QS III, 18 f; vgl. IV, 12.23) genannten Geister, die Gott für den Menschen dazu bestimmt hat, darin bis zur vorbestimmten Zeit seiner Heimsuchung zu wandeln, nämlich die Geister der Wahrheit und des Frevels (lw[hw tmah twjwr), wie Braun (ThR 28, 227 f) erwiesen hat, keine wirkliche Parallele; und auch die beiden Geister, nämlich tÖ tö" ülhqe‡a" und tÖ tö" pl›nh", die sich nach TestJud 20,1.5 mit dem Menschen beschäftigen (scol›zousi tù ünqr„pw) und zwischen denen seine sune‡dhsi" zu wählen hat, vermögen die johanneische Rede vom Geist der Wahrheit als dem Parakleten der Jünger nicht zu erhellen (vgl. Barrett, Komm. 452). Von diesem Geist heißt es nun, daß der Kosmos ihn nicht aufzunehmen vermag, weil er ihn weder sieht noch erkennt. Bultmann bemerkt zu diesem Satz treffend, er bedeute nicht, daß ein Ungläubiger nicht zum Glauben kommen könne. Vielmehr bezeichne er den Gegensatz zwischen Gemeinde und Welt und besage: „Die Welt kann als Welt den Geist nicht empfangen; sie müßte ja sonst ihr Wesen, das, was sie zur Welt macht, preisgeben“ (Komm. 476). Deshalb sei auch der Satz: Ωti o§ qewreõ ktl., keine eigentliche Begründung, sondern eher eine „Beschreibung, wie denn entsprechend das ≠meõ" gin„skete durch parû ≠mõn mfinei ktl. in umgekehrtem Sinne begründet wird“. Darin, daß der Kosmos den Parakleten nicht aufnimmt, wiederholt sich also, was der Leser von den Reaktionen der Welt auf Jesu Auftreten kennt. Offenbar muß demnach mutatis mutandis auch vom Geist der Wahrheit gelten, daß niemand zu ihm zu kommen und ihn aufzunehmen vermag, wenn der Vater ihn nicht ‚zieht‘ (6,44). Die Jünger dagegen werden ihn erkennen, weil er bei ihnen bleibt und in ihnen sein wird (Ωti parû ≠mõn mfinei kaÑ †n ≠mõn ≤stai). Anstelle des Futurums ≤stai, das P66c .75vid a A Q Y f 13 28 33vid 700 syrs. h. al bezeugen, wiederholt die Mehr629
14,1–31
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
heit der Handschriften hier das vorausgehende Präsens mfinei. Mit dem Komitee der Herausgeber des Greek New Testament3 und Nestle-Aland27 lesen wir hier jedoch das Futurum ≤stai, das schwerlich sekundär ist und den Charakter der Verheißung besser zum Ausdruck bringt (vgl. Metzger, Comm. 245). 18–20: Unmittelbar neben die Geistverheißung stellt (der erzählte) Jesus nun das Versprechen seiner eigenen Wiederkunft, die vom Kommen des Geist-Parakleten ebenso deutlich unterschieden wie zugleich unlösbar mit ihr verknüpft ist, indem er erklärt: „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück, ich komme (vielmehr) zu euch! Es dauert nur noch eine kleine Weile, dann wird die Welt mich nicht mehr sehen. Ihr dagegen werdet mich sehen, denn ich lebe, und so sollt auch ihr leben. An jenem Tage werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin und daß ihr in mir seid, so wie ich in euch bin“. Die Wendung ≤ti mikr∙n kann unmöglich die Zeit bis zur Parusie Jesu bezeichnen, zumal die ja zur Zeit der Niederschrift des Evangeliums immer noch aussteht, und Jesus so zumindest eine ganze Generation von Christen als Waisen in der Welt zurückgelassen hätte. Und da sich auch Johannes die endzeitliche Parusie Jesu schwerlich anders denn als ein weltöffentliches Geschehen vorgestellt haben dürfte, könnte er von diesem Kommen Jesu ja auch kaum gesagt haben, daß die Welt ihn dann nicht sehen könne. In 13,33 hatte Jesus seine Jünger als seine tekn‡a angeredet und ihnen gesagt: „≤ti mikrÖn meqû ≠mùn e¢mi. (Danach) werdet ihr mich suchen, doch wie ich den Juden bereits gesagt habe: Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen (7,34), so sage ich jetzt auch euch: Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen“. Als Wiederaufnahme dieses Verses 13,33 kann sich das ≤ti mikr∙n auch hier in 14,19 nur auf Jesu unmittelbar bevorstehendes Weggehen in den Tod am Kreuz als seine Verherrlichung beziehen, und darum muß das ≠meõ" dÇ qewreõtfi me, das er den Jüngern, nicht aber der blinden Welt verheißt, auf das österliche Wiedersehen bezogen werden. Daß es sich hier um eine absichtsvolle Wiederaufnahme von 13,33 mit dem anschließenden Liebesgebot (13,34 f) handelt, verdeutlichen auch das Lexem £rfano‡, das den dort als tekn‡a Jesu Angeredeten entspricht, sowie Jesu erneute Rede von seinen †ntola‡ und von der wechselseitigen Liebe (ügapôn) zwischen Jesus, seinem Vater und den Jüngern in V. 21. Da die Jünger, wie Jesus ihnen in 13,33 gesagt hatte, von sich aus nicht dahin gelangen können, wohin er gehen wird, kommt er in Kürze zu ihnen. Dann werden sie ihn sehen, weil er (der am Kreuz Gestorbene) lebt und auch sie (kraft seines Todes) leben werden. Statt auf das österliche Kommen Jesu zu seinen Jüngern (vgl. élqen ¨ ûIhsoú": 20,19 u. 24) wollen Zahn u. a. das ≤rcomai prÖ" ≠mô" von V. 18 auf seine endzeitliche Parusie beziehen. Zahn muß deshalb den Satz: Ωti †gá zù kaÑ ≠meõ" zflsete, statt ihn als Begründung des vorausgehenden „Ihr werdet mich sehen“ zu verstehen, als „einen selbständig neben 19a tretenden Satz“ begreifen: „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben“ (Komm. 569); vgl. dagegen Bultmann (Komm. 478, Anm. 7) sowie Dietzfelbinger: „Die Jünger werden Jesus sehen, weil er ihnen an Ostern als der Lebendige entgegentreten wird. Seine Lebendigkeit aber erfaßt und umschließt die Jünger; als der Träger des Lebens (5,26; 6,35.63b. 68) bezieht er sie in seine österliche Existenz ein“ (Abschied 56). 21: Wer an meinen Geboten festhält und sie erfüllt (¨ ≤cwn tÅ" †ntol›" mou kaÑ thrùn a§t›"), der ist derjenige, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird auch von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren. Da Jesus seinen Jüngern in Kürze (≤ti mikr∙n) als unmittelbares Objekt ihrer Liebe ent630
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern
14,17–24
zogen sein wird, kann sich ihre Liebe zu ihm fortan nur noch im Halten seiner Gebote äußern. Als pars pro toto dieser Gebote hatte er in 13,34 f seinen Jüngern für die Zeit, da sie nicht mehr dahin gelangen können, wohin er nun weggeht, sein neues Gebot gegeben. Nur darin, daß die in der Welt Zurückgebliebenen jetzt einander so lieben, wie er sie bis zur Lebenshingabe geliebt hat, können sie ihre Liebe zu ihm erweisen. Daß das ‚Einander‘ nicht limitiert ist auf die eingetragenen Mitglieder einer ‚johanneischen Gemeinde‘, sondern vielmehr jeden möglichen Anderen einschließt, sofern Jesus seine Jünger ja in die Welt sendet, so wie der Vater ihn gesandt hat (20,21), versuchten wir oben zu 13,34 f zu begründen. Und wer Jesus auf diese Weise im Anderen liebt, den wird sein Vater lieben und Jesus wird ihn lieben und sich ihm offenbaren (†mfan‡sw a§tù †maut∙n). Die reflexive Wortverbindung †mfan‡zw seaut∙n bedeutet: sich zeigen, sich offenbaren. Bei Mt 27,53 heißt es von denen, die beim Sterben Jesu, als die Erde bebte und der Vorhang im Tempel zerriß, aus ihren Gräbern auferstanden und sich in die heilige Stadt begaben, daß sie dort von vielen gesehen wurden (Passiv: †mfan‡sqhsan polloõ"). Ähnlich dürfte es in unserem V. 21 stehen: Der getötete Jesus wird sich seinen Jüngern als Lebendiger zeigen und damit seine Verheißung erfüllen: ≠meõ" dÇ qewreõtfi me (V. 19). 22–24: Judas, mit der Näherbezeichnung o§c ¨ ûIskari„th" (D: o§c ¨ üpÖ Karu„tou), erscheint als einer der Zwölf im Neuen Testament nur hier und in Lk 6,16 sowie Act 1,3, wo er als ûIo‚da" ûIak„bou näherbestimmt wird (vgl. dazu Barrett, Komm. 454). Vielleicht unter dem Eindruck der Rede Jesu von „jenem Tag“ (™ †ke‡nh ™ ™mfira) mißversteht dieser Judas seinen Herrn, ähnlich wie Zahn (s. o.). Denn seit Amos (5,18 ff) den hwhy µwy beschwor, ist dessen Bezeichnung als jener Tag nahezu zum termi‑ nus technicus geworden. Das zeigen Jes 2,11.17; Sach 12,3 f. 6.8 f; 14,6; äthHen 45,3 f; 63,3.8, der Sprachgebrauch der Rabbinen sowie im Neuen Testament Mt 7,22; Lk 10,12; 17,31; 2Thess 1,10; 2Tim 4,8; vgl. Röm 2,16; Mk 13,32; u. ö. Da Johannes, ähnlich wie Matthäus (s. o.) und viele der übrigen urchristlichen Zeugen, diesen Tag Jhwhs mit der Auferstehung Jesu von den Toten bereits angebrochen sieht, ist die Doppeldeutigkeit des Ausdrucks an jenem Tage wohl absichtsvoll. Judas scheint die Rede von jenem Tage und das zur Bezeichnung göttlicher Epiphanien gebräuchliche Lexem †mfan‡zein, das er in seiner Frage aufnimmt (Ωti ™mõn mfillei" †mfan‡zein seaut∙n), wohl auf das eschatologische Erscheinen des Weltenrichters zu beziehen, wenn er nun verwundert fragt: Herr, wie soll das denn zugehen, daß du dich allein uns, nicht aber der Welt zeigen willst? (k‚rie, kaÑ tÑ gfigonen ktl.). Auch wenn das in der Mehrheit der Handschriften einschließlich der gewichtigen und frühen Zeugen P66*.75 B lat sy fehlende ka‡ nur von P66c a W Y 0250 f1.13 M q sys geboten wird, ist es sehr viel wahrscheinlicher, daß das Wort als überflüssig empfunden und darum ausgelassen wurde, als daß es hier nachträglich eingefügt worden wäre. Metzger (Comm. 245) bemerkt dazu: „See 9,36 for a similar construction, where some witnesses omit ka‡ (in talmudic discussions, however, questions are normally introduced by ‚and‘)“. Dietzfelbinger (Abschied 60 f), dem wir darin freilich nicht zu folgen vermögen, verläßt hier die Welt des Textes und fragt, „welchem geschichtlichen Anlaß … diese im Neuen Testament singuläre Frage entsprungen“ sein könne. Und er vermutet: „Wahrscheinlich ist sie Reflex antichristlicher Polemik, in Jüngerbesorgnis gehüllt, und noch in dieser Verhüllung ist Kritik und Hohn solcher Polemik vernehmbar: Die Rede von Jesus, dem Auferstandenen, ist unglaubwürdig, weil sie nur von der Zeugenschaft seiner Anhänger getragen wird. Deren Zeugnis aber ist
631
14,1–31
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
von durchsichtigem Interesse bestimmt: Die alte Anhänglichkeit an Jesus läßt den Getöteten zum Lebendigen werden“ (ebd. 60). Unterwegs zu derartiger Apologetik sieht er schon Matthäus (27,62–66; 28,4.11–15) und dann vor allem das Petrusevangelium. Aber daß Johannes hier seine vermeintlich apologetische Absicht derart fein in die Besorgnis des Judas gehüllt haben sollte, so daß das außer Dietzfelbinger bisher keiner je bemerkt hat, halten wir für eine absurde Idee, zumal Johannes der von Dietzfelbinger hinter dem Einwand des Judas vermuteten antichristlichen Polemik ja nichts entgegensetzt, sondern ihr eher neue Nahrung gäbe. Uns scheint darum eine Deutung der Frage des Judas im Horizont johanneischer ‚Mißverständnisse‘ wahrscheinlicher.
So antwortet Jesus seinem Jünger denn auch mit der Wiederholung des Liebesgebotes aus V. 15: „Wenn einer mich liebt, wird er mein Wort bewahren (tÖn l∙gon mou thrflsei)“ und mit der Verheißung „dann wird mein Vater ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und unsere Wohnung bei ihm bereiten (†leus∙meqa kaÑ monÉn parû a§tù poihs∙meqa)“. Wenn es in dieser Wiederholung des in V. 15 als tÅ" †ntolÅ" tÅ" †mÅ" thrflsete Formulierten jetzt heißt „er wird mein Wort bewahren“, so sehen wir in diesem wechselnden Gebrauch der Lexeme †ntolfl / †ntola‡ und l∙go" nur ein weiteres Beispiel für die Vorliebe unseres Evangelisten, mit Synonyma zu spielen, und nicht etwa eine absichtsvolle oder gar wertende Unterscheidung zwischen Jesu Gebot und seinem Wort. In der Tradition des Deuteronomiums heißt †ntolÅ" threõn bei Johannes Gottes Willen tun (vgl. Augenstein, Liebesgebot 45 ff). Und daß von einer Abrogation der Tora bei Johannes nirgendwo die Rede ist und sich bei ihm auch keine entsprechende Andeutung findet, sondern die Geltung der Tora vielmehr stets vorausgesetzt ist, hat Augenstein in seinem Beitrag: „Jesus und das Gesetz im Johannesevangelium“, scharfsinnig erwiesen: „Das Gesetz und die Schrift zeugen von Jesus. Sie machen sein Tun verständlich. Durch sein Handeln legt er das Gesetz aus. Das Gesetz stellt den Anspruch Jesu heraus und legitimiert ihn. Gleichzeitig verurteilt es seine Gegner der Gesetzesübertretung. In all seinen Funktionen bleibt das Gesetz Gottes Gabe. Dem Gesetz kommt deshalb eine Schlüsselrolle im Joh zu, die weit über das traditionelle Schema von Verheißung und Erfüllung hinausweist. Das Joh zeigt vielmehr die Einheit von Christusgeschehen und dem in der Schrift niedergelegten Willen Gottes auf und bezieht sie so auf Christus, daß es ihren Ursprung in der Fülle des Logos sucht“ (ebd. 172). Mit der Wendung: †leus∙meqa kaÑ monÉn parû a§tù poihs∙meqa, nimmt der Erzähler das Stichwort monfl aus der einleitenden Rede Jesu von den himmlischen Wohnungen in seinem Vaterhaus (14,2 f) wieder auf. Er tut das freilich nicht im Zuge einer entmythologisierenden Destruktion von deren apokalyptischem Hintergrund zugunsten seiner vermeintlich rein präsentischen Eschatologie, wie ihn u. a. Becker interpretiert, sondern er kann das tun, weil für ihn gilt, „daß die biblischen Zeugnisse präsentischer Eschatologie der Sache nach von denen futurischer her ihre Wirklichkeit haben, umgekehrt aber unser futurisches Sprechen in der Schule der Gegenwart (‚präsentischer Eschatologie‘) gelernt werden kann“. Und daß es darum unmöglich ist, „die beiden Gestalten biblischer Eschatologie gegeneinander ausspielen zu wollen“ (Marquardt, Eschatologie III, 424). Mit der Wiederaufnahme des in V. 21 vor dem Einwand des Judas Gesagten vollendet V. 24 die Passage: Wer mich nicht liebt, der wird auch meine Worte (= Gebote s. o.) nicht halten. Und der Logos, den ihr gehört habt, ist nicht mein Wort, sondern (das Wort) dessen, der mich gesandt hat. 25 f: „Das (alles) habe ich euch gesagt, solange ich bei euch bin. Der Paraklet aber, der heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles 632
Zweite Szene: Jesu Abschied von seinen Jüngern
14,23–29
lehren, indem er euch an alles erinnert, was ich euch gesagt habe.“ Wie oben zu 14,16 bereits gesagt, vertritt der dem Lexem par›klhto" jetzt hinzugefügte Artikel ¨ als Rückverweis auf 14,16 ein Demonstrativum. Der oben verheißenen Bitte Jesu an seinen Vater entspricht hier die Aussage, daß der Vater den Geist-Parakleten „im Namen Jesu“ senden wird. Das ka‡ zwischen ‚er wird euch alles lehren‘ und ‚er wird euch an alles erinnern‘ verstehen wir als ein epexegetisches: Der Geist lehrt alles dadurch, daß er an alles von Jesus Gesagte erinnert. Wie Jesu Logos nicht sein eigener, sondern der Logos dessen ist, der ihn gesandt hat (V. 24), so ist auch die Lehre des Geist-Parakleten nicht seine, sondern nur die Erinnerung an Jesu Worte und Taten, ein Erinnern, das den Glaubenden freilich jenseits aller Mißverständnisse des Irdischen erst erschließt, wer dieser Jesus wirklich war, ist und in aller Zukunft sein wird. Gerade indem er so an den Weg des historischen Jesus erinnert, fügt der Geist ihm aber nichts hinzu, sondern deckt nur auf, was da, unter Zeichen und Mißverständnissen verborgen, wirklich geschah. D. h. auf dem Wege historischer Rekonstruktion, die unlösbar an die Maxime gebunden ist: etsi deus non daretur, läßt sich der wirkliche Jesus nicht entdecken, ihn vermag allein der Glaube zu sehen, den erst der Geist der Wahrheit „ereignet“. Zu diesem transitiven Gebrauch des Lexems „ereignen“ als einer vox media zwischen in gleicher Weise unzureichenden ontologischen Seinsaussagen und technologischen Funktionsaussagen über Gott und Jesus Christus vgl. Ratschow, Jesus Christus 251 ff. 27 f: Mit den Worten: e¢rflnhn üf‡hmi ≠mõn, e¢rflnhn tÉn †mÉn d‡dwmi ≠mõn, und der Näherbestimmung dieses Friedens Jesu als eines solchen, wie ihn die Welt nicht zu geben vermag, sowie der abschließenden Wendung: mÉ tarassfisqw ≠mùn ™ kard‡a mhdÇ deili›tw, schließt sich der Bogen, den V. 1 mit dem Satz: mÉ tarassfisqw ≠mùn ™ kard‡a: piste‚ete e¢" tÖn qeÖn kaÑ e¢" †mÇ piste‚ete ausgespannt hatte. Man muß in dem derart verdoppelten Wunsch des Friedens, der als der Friede Jesu so ausdrücklich von allen Arten von Frieden, die die Welt zu bieten vermag, unterschieden wird, das Lexem e¢rflnh wohl im Vollsinn des biblischen µwlç als von Gott gewährtes Heil verstehen (vgl. 16,33 und 20,19.21.26). Nachdem unser Vers durch die Wiederaufnahme von V. 1 eine formale Inklusion um die ganze Rede Jesu gebildet hat, bietet der nun folgende V. 28 ein knappes Resümee ihres Inhalts. Dazu nennt er mit den Stichworten des Weggehens und erneuten Kommens Jesu und dem Liebesgebot noch einmal ihre Hauptthemen. Das Liebesgebot erscheint jetzt in einem Konditionalsatz, dessen neue Information darin besteht, daß Jesus seinen von Trennungsschmerz und Angst bewegten Jüngern eschatologische Freude verheißt: e¢ °gapôtfi me †c›rhte ân Ωti pore‚omai prÖ" tÖn patfira, Ωti ¨ patÉr me‡zwn mo‚ †stin. Auch wenn einige Kopisten, wie D L f 13 33. 892 al, anstelle des Imperfekts °gapôtfi me das Präsens ügapôtfi me geschrieben und damit aus dem irrealen einen realen Konditionalsatz gemacht haben, weil sie es wohl nicht wagten, den heiligen Aposteln einen solchen Mangel an Liebe zu unterstellen, ist das Imperfekt doch wohl ursprünglich und der Satz darum fraglos ein Irrealis: „Wenn ihr mich wirklich liebtet, dann müßtet ihr (statt euch zu ängsten) euch doch freuen, daß ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich“ (vgl. Brown, Komm. II, 651). 29: Als Jesus seinen Jüngern nach der Fußwaschung beim gemeinsamen Mahl vorausgesagt hatte, damit die Schrift erfüllt werde – nämlich Ps 41,10: ¨ tr„gwn mou tÖn ±rton †pören †pû †mÇ tÉn ptfiran a§toú (s. o. zu 13,18 f) – werde einer der Mahlteilnehmer ihn mit Füßen treten, fügte er dem hinzu: „Das sage ich euch jetzt schon, ehe 633
15,1–16,3
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
es geschehen wird, damit ihr, wenn es denn geschieht, glaubt (ºna piste‚shte), daß ich der †g„ e¢mi bin (Ωti †g„ e¢mi)“. Ganz ähnlich erklärt er hier nun: „Und jetzt habe ich (dies alles) zu euch gesagt, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es denn geschehen wird, Glauben faßt (ºna ... piste‚shte)“. Auch hieran wird wieder deutlich, daß der nach dem Weggang Jesu kommende österliche Geist der bleibende Grund des Glaubens ist (vgl. 7,38 f). 30 f: Diese beiden Verse, in denen Jesus seinen Jüngern erklärt, weil der ‚Fürst der Welt‘, der über ihn freilich keine Macht habe, bereits unterwegs sei, werde er nicht mehr vieles mit ihnen reden, und die in der Aufforderung gipfeln: †ge‡resqe, ±gwmen †nteúqen, gehören darum zu den rätselhaftesten unseres Evangeliums, weil sich zwischen diesen Aufbruchsbefehl und seine Ausführung in Joh 18,1 ff mit den Kapiteln 15–17 und im Widerspruch zu dem o§kfiti pollÅ lalflsw meqû ≠mùn drei lange Kapitel mit weiteren Reden Jesu einschieben. Vielfältig sind die Versuche, diese Aporie aufzulösen, sei es durch Textumstellungen (Bultmann), sei es durch die Hypothesen, daß hier Schüler des Evangelisten nach dessen Tod die von ihm selbst verfaßten Varianten seiner Abschiedsrede seinem Werk eingefügt hätten (Schnackenburg) oder daß hier die ‚kirchliche Redaktion‘ eingegriffen und die Kapitel 15–17 dem ursprünglichen Evangelium hinzugefügt hätte. Becker meint gar, diese drei Kapitel noch mehreren durch ihre jeweiligen spezifischen Interessen voneinander unterscheidbaren Autoren zuschreiben zu können (vgl. die gründliche Diskussion dieser Probleme bei Dettwiler, Gegenwart 34 ff). Weil man in all diesen Fällen die durch 14,31 entstehende Aporie der Unfähigkeit der Herausgeber aus dem Kreis der vermeintlichen johanneischen Schule zuzuschreiben hätte, und weil u. E. auch Dettwilers Relektüre-Modell voraussetzt, daß unserem überlieferten Evangelium ein in irgendeiner Weise bereits publiziertes Urevangelium vorausgehen müßte, bleiben wir hinsichtlich „der Hypothese einer johanneischen Schule“ als der Urheberin von Joh 15–17 höchst skeptisch und beurteilen Joh 15–17 als einen Autographen des Evangelisten. Strukturell läßt sich ja nur feststellen, daß der Autor den Faden seiner Erzählung mit 14,31 niederlegt, um ihn erst mit Kapitel 18 wieder aufzunehmen und daran anzuknüpfen, so daß die folgenden Reden Jesu (Joh 15–17) formal als eine große Parenthese erscheinen. Wie der Leser mit diesem Verfahren umgehen soll, ist dagegen eine andere Frage. Jedenfalls aber scheint uns Dodd treffend zu urteilen, wenn er die Behauptung, die langen ihm folgenden Reden widersprächen dem Satz Jesu, weil der Fürst der Welt bereits unterwegs sei, werde er nicht mehr vieles mit seinen Jüngern bereden können, „an example of precisely the kind of wooden criticism (nennt) which ought never to be applied to the work of a mind like our evangelist’s.“ Denn „however long these discourses may be, they are burdened from beginning to end with the sense of parting, and the time is short“ (Interpretation 407). Allen Hypothesen über die mögliche Genese der durch 14,31 bezeichneten Aporie gegenüber sehen wir uns mit Dodd „still faced with the problem of explaining the existing text“. Im Unterschied zu Markus, wo Judas, der Verräter, naht (¢doÜ ¨ paradido‚" me ≥ggiken), ist bei Johannes der Teufel bereits unterwegs (≤rcetai gÅr ¨ toú k∙smou ±rcwn). Das entspricht der lukanischen Version, wo Jesus denen, die gekommen sind, ihn zu verhaften, erklärt: aæth †stÑn ≠mùn ™ øra kaÑ ™ †xous‡a toú sk∙tou" (22,53). Wie bei Lukas (22,3) ist der wahre Feind Jesu der Satan und Judas nur eines von dessen 634
Dritte Szene: Jesus prädiziert sich selbst als der wahre Weinstock
14,29–31
menschlichen Werkzeugen (s. o. zu 13,2 und 27). Darum fragt sich Dodd, ob man nicht sagen könne, daß Johannes „the inner spiritual aspect of the situation immediately before the betrayal“, wie Markus sie beschreibe, in den Kontext des Redens Jesu mit seinen Jüngern beim letzten gemeinsamen Mahl verlagert habe. Denn „it was not only in the Garden that Jesus faced His enemy. There He met the Adversary in the person of Judas and went to meet him, but the power and wickedness of the Archon were not confined to his human agent. Christ was already engaged with him; He was already advancing to the conflict, spiritually, while He yet spoke with his disciples in the upper room. That at least is a possible way of understanding the passage, and one well in accord with the evangelist’s manner“ (ebd. 408). Von allen bisher vorgeschlagenen Lösungen zur Interpretation von Joh 14,30 f erscheint uns diese die plausibelste.
Dritte Szene: Jesus prädiziert sich selbst als der wahre Weinstock, nennt seinen Vater den Weingärtner und seine Jünger die frucht tragenden Reben, die nur dann der Haß der Welt nicht verschlingen wird, wenn sie in ihm bleiben, wie er in ihnen (15,1–16,3) 15,1
Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. 2 Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab; jede fruchtbringende Rebe aber reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringe. 3 Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch geredet habe. 4 Bleibt in mir, so wie ich in euch (bleibe). Genau wie eine Rebe aus sich selbst heraus keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie mit dem Weinstock verbunden bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr (seid) die Reben. Wer in mir bleibt, wie ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. 6 Wenn einer nicht in mir bleibt, wird er hinausgeworfen wie die (unfruchtbaren) Reben, die verdorren und die sie sammeln und ins Feuer werfen, damit sie verbrennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann könnt ihr erbitten, was immer ihr wollt, und es wird euch widerfahren. 8 Darin, daß ihr viel Frucht bringt und meine Jünger werdet, ist mein Vater verherrlicht. 9 Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, dann bleibt ihr in meiner Liebe, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. 11 Das habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde. 12 Das ist mein Gebot: Daß ihr einander liebet, so wie ich euch geliebt habe. 13 Keiner hat größere Liebe als der, der sein Leben für seine Freunde einsetzt. 14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. 15 Nicht mehr nenne ich euch Sklaven, denn der Sklave weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber nenne ich Freunde, weil ich euch alles kundgetan habe, was ich von meinem Vater gehört habe. 16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr hingeht und 635
15,1–16,3
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Frucht bringt und eure Frucht bleibe, damit, was immer ihr den Vater in meinem Namen bittet, er euch gebe. 17 Das habe ich euch geboten, damit ihr einander liebt. 18 Wenn die Welt euch haßt, dann bedenkt, daß sie mich schon vor euch gehaßt hat. 19 Wäret ihr aus der Welt, dann liebte die Welt euch als ihr Eigenes. Weil ihr aber nicht aus der Welt seid, ich euch vielmehr aus der Welt heraus erwählt habe, haßt euch die Welt. 20 Erinnert euch des Wortes, das ich euch gesagt habe: Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie also mich verfolgt haben, dann werden sie auch euch verfolgen. Und wenn sie mein Wort bewahrt haben, dann werden sie auch das eure bewahren. 21 Aber das alles werden sie euch antun um meines Namens willen, denn sie kennen den nicht, der mich gesandt hat. 22 Wäre ich nicht gekommen und hätte zu ihnen geredet, dann hätten sie keine Sünde. Nun aber haben sie keine Entschuldigung für ihre Sünden. 23 Wer mich haßt, der haßt auch meinen Vater. 24 Hätte ich unter ihnen die Werke nicht getan, die kein anderer getan hat, dann hätten sie keine Sünde. Jetzt aber haben sie (sie) gesehen und sind doch voller Haß gegen mich und meinen Vater. 25 Aber dadurch sollte sich das Wort erfüllen, das in ihrem Gesetz geschrieben steht: Grundlos haben sie mich gehaßt! (Ps 35,19). 26 Wenn aber der Paraklet kommen wird, den ich euch vom Vater her senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird der mein Zeuge sein. 27 Aber auch ihr werdet meine Zeugen sein, weil ihr von Anfang an mit mir seid. 16,1 Das (alles) habe ich euch gesagt, damit ihr nicht zu Fall kommt. 2 Sie werden euch nämlich aus ihren Synagogen vertreiben. Ja, die Stunde wird kommen, da jeder, der euch tötet, glauben wird, Gott damit ein (wohlgefälliges) Opfer darzubringen. 3 Und das werden sie euch antun, weil sie weder meinen Vater noch mich kennen. Nach dem förmlichen Abschluß des ersten Teils der Abschiedsrede Jesu durch 14,30 f ist diese neue Szene sowohl formal als auch inhaltlich ein in sich wohlkomponierter und selbständiger Teil seines abschiedlichen Redens zu seinen Jüngern. Durch den unvermittelten Neueinsatz mit dem †g„-e¢mi-Wort, in dem Jesus sich selbst als ‚der wahre Weinstock‘ prädiziert, seinen ‚Vater‘ als dessen ‚Weingärtner‘ und seine Jünger als die fruchttragenden Rebzweige daran bezeichnet, ist er deutlich vom Vorausgehenden abgegrenzt. Wie häufig in unserem Evangelium, und wie wir schon in seinem dritten Kapitel beobachten konnten, geht auch hier der von dialogischen Partien unterbrochene Diskurs des 14. Kapitels mit Joh 15 über in einen reinen Monolog Jesu. Stand in Joh 14 der unmittelbar bevorstehende Abschied Jesu im Zentrum, so richtet sich der Blick jetzt zunehmend auf die Zeit danach, auf Weg und Auftrag der Jünger, nachdem ihr Herr von ihnen gegangen ist. Auch wenn zahlreiche Kommentatoren und Texteditoren die Zäsur zwischen Joh 15 und Kapitel 16 innerhalb von 16,4 sehen und dementsprechend dessen erste Hälfte bis zu den Worten Ωti †gá eèpon ≠mõn noch zu Joh 15 ziehen, so daß erst der Satz: taúta dÇ ≠mõn †x ürcö" o§k eèpon, Ωti meqû ≠mùn ≥mhn, die neue Szene eröffnete, folgen wir den begründeten Vorschlägen von Simoens (Gloire 132 ff) und Moloney (Structure 35 ff und Komm. 416), die beide urteilen, daß die stärkere Zäsur nicht innerhalb von 16,4, sondern zwischen V. 3 und V. 4 liege. Wir begreifen deshalb nicht erst V. 4b, sondern 636
Dritte Szene: Jesus prädiziert sich selbst als der wahre Weinstock
15,1
den gesamten V. 4 als die Eröffnung von Joh 16. Dabei soll freilich nicht übersehen werden – und darin liegt particula veri jener üblichen Gliederung –, daß V. 4 zugleich eine Brückenfunktion hat zwischen Joh 15 und 16 (s. u. z. St.). Entscheidend erscheint uns für diesen Gliederungsvorschlag die Beobachtung der beiden Autoren, daß zwischen 15,21 und 16,3 eine gewiß nicht zufällige Entsprechung besteht: Faßte 15,21 mit den Worten: üllÅ taúta p›nta poiflsousin e¢" ≠mô" diÅ tÖ µnom› mou, Ωti o§k o¥dasin tÖn pfimyant› me, alles zuvor Gesagte zusammen und schloß so den Gedankengang ab, so blickt 16,3 mit nahezu gleichsinnigen Worten abschließend auf das in 15,22–16,2 zum Thema des Hasses der Welt Gesagte zurück: kaÑ taúta poiflsousin Ωti o§k ≤gnwsan tÖn patfira o§dÇ †mfi, vgl. Moloney (Komm. 416 f). Im Anschluß an Moloneys Kommentar haben wir die obige Übersetzung in drei Abschnitte unterteilt, die jeweils durch das auf das Vorangehende zurückblickende Gliederungselement taúta lel›lhka ≠mõn ktl. (V. 11), taúta †ntfillomai ≠mõn ktl. (V. 17) und wieder taúta lel›lhka ≠mõn ktl. (16,1) abgeschlossen werden. Alle drei Passagen beleuchten jeweils einen besonderen Aspekt dessen, was es heißt, Jesu Jünger zu sein. Die erste (V. 1–11) thematisiert das zunächst unter dem siebenfachen Einsatz des Lexems mfinein (Bleiben). Mit den Stichworten †ntolfl / †ntfillomai und ügapôn reinterpretiert der folgende zentrale Abschnitt von Joh 15 in den V. 12–17 danach das Liebesgebot von 13,34 f und expliziert das Einander-Lieben als sichtbares Zeugnis wahrer Jüngerschaft und Ursprung des Hasses der Welt. Und endlich bringt der dritte und letzte Abschnitt (15,18–16,3) diesen Haß, dem die Jünger mit derselben Notwendigkeit ausgesetzt sein werden wie zuvor ihr Herr, mit den Leitwörtern miseõn, di„kein und poieõn e¢" ausdrücklich zur Sprache. Daß der 16,3 folgende Satz üllÅ taúta lel›lhka ≠mõn ktl. in 16,4 nicht einfach mit 16,1 zusammen eine Inklusion um 16,1–4a und so den Abschluß von Joh 15 bildet, wie ihn zahlreiche Exegeten begreifen, sondern vielmehr mit dem betont vorangestellten adversativen üll› einen Neueinsatz markiert, hat Moloney ebenfalls einleuchtend begründet (ebd. 417). Es ist zwar richtig, daß Jesu metaphorische Rede, die er mit dem Satz †g„ e¢mi ™ ±mpelo" ™ ülhqinÉ ktl. eröffnet, das gesamte Kapitel prägt und unvergeßlich macht, zumal er dieser †g„-e¢mi-Prädikation dadurch noch besonderen Nachdruck verleiht, daß er sie in verkürzter Form in V. 5 wiederaufnimmt. Dennoch aber scheint uns Moloney im Recht, wenn er Joh 15,1–11 unter der Überschrift ‚Vom Bleiben‘ und nicht unter dem geläufigen Titel: ‚Die Weinstockrede‘ behandelt. Denn nicht die Weinstockmetaphorik selbst, sondern das durch sie unüberhörbar gemachte lebensnotwendige Bleiben der Jünger bei Jesus ist das eigentliche und mit V. 11 abgeschlossene Thema dieser Passage. (1) Vom Bleiben (15,1–11) 1: Wenn Jesus sich hier als ™ ±mpelo" ™ ülhqinfl und seinen Vater als den gewrg∙" bezeichnet, haben wir darin fraglos metaphorische Rede vor Augen. Wie wir oben zu dem ersten derart prädizierten †gw-e¢mi-Wort in 6,35 (†g„ e¢mi ¨ ±rto" tö" zwö") im Anschluß an Ricœurs Arbeiten zur Metapher bereits ausgeführt haben, ist Metaphorik ein Phänomen von Texten und nicht einzelner Lexeme, die dabei im Gegensatz zu ihrer ‚eigentlichen‘ Bedeutung als Metaphern gebraucht würden, wie in unserem Fall 637
15,1–16,3
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
etwa ±mpelo" und gewrg∙". Metaphorisch ist vielmehr das gesamte Ich-Bin-Wort einschließlich seiner Kopula e¢m‡ und der gesamte ihm folgende Kontext. Ricœur nennt solche Texte ‚poetische Metaphern‘ und führt aus, daß sie als Selbstprädikationen ihren Sprecher in den Bereich der Ähnlichkeit mit einem Weinstock und ‚seinen Vater‘ in den der Ähnlichkeit mit einem Winzer versetzen. Als ein ‚Ist-Wie‘ versetzt gerade die Kopula e¢m‡ in eine Spannung zwischen einem ‚Ist‘ und einem ‚Ist-Nicht‘. Der grundlegende Unterschied zwischen wörtlicher und metaphorischer Rede beruht auf dem ihnen jeweils entsprechenden Wahrheitsbegriff. Im Gegensatz zu unserem gewöhnlichen ontologischen Verständnis von Realität und Wahrheit als einer mittels der adaequatio zu verifizierenden setzt die metaphorische Rede eine dynamische Anschauung der Wirklichkeit voraus, und entgegen der aristotelischen Ansicht ist die Metapher nicht bloßer Schmuck der Rede oder pädagogisches Instrument, sondern eine Redeweise, die auf gar keine Weise „zugunsten einer gleichsam authentischen Präsenz des vollen Sinnes hintergehbar“ ist (Frank, Das Sagbare 217). Wenn das Ich-Bin-Wort vom Weinstock hier ohne jede Vorbereitung mit dem bestimmenden Artikel eingeführt wird: †g„ e¢mi ™ ±mpelo" ™ ülhqinfl, so wird dadurch markiert, daß hier von einer bestimmten Größe die Rede ist, die den Jüngern wie den Lesern wohlbekannt sein dürfte. Der wiederholte Artikel will hier mit anderen Worten als ein Intertextualitätssignal gelesen werden. Damit schließt sich unsere Rede an die Fülle der biblischen Texte vom Weinstock bzw. vom Weinberg an. Der außergewöhnliche Nachsatz dieses Ich-Bin-Wortes, kaÑ ¨ patflr mou gewrg∙" †stin, bestätigt diese Herkunft nachdrücklich. Die biblischen Texte, denen Johannes diese Rede wie einem Palimpsest einschreibt, sind rasch genannt. Da ist zunächst das Weinberglied Jesajas, der von der enttäuschten Liebe und dem Zorn eines Freundes über seinen trotz aller Mühen der Anlage und Pflege dennoch mißratenen Weinberg singt. Das Sängers Freund ist Gott und Israel dessen geliebter Weinberg (Jes 5,1–7). Dieses Lied hat zahlreiche Nachklänge in der Bibel; vgl. Hos 10,1; Jer 2,21; 5,10; 6,9; 12,10; Ez 15,1–8; 17,3–10; 19,10–14; Mt 21,33–44 par.; vergleichbar ist die paulinische Rede vom edlen Ölbaum und seinen Zweigen Röm 11,17 ff. Daß der Weinstock nicht wegen möglicher und konkurrierender Ansprüche anderer Retter‑ oder Offenbarergestalten polemisch als der ‚wahre‘ (™ ±mpelo" ™ ülhqinfl) bezeichnet wird, als wäre ±mpelo" ein derartiges Hoheitsprädikat, zeigt sehr schön Jer 2,21, der den von Gott gepflanzten fruchttragenden Weinstock als den ‚wahren‘ (†f‚teus› se ±mpelon karpof∙ron pôsan ülhqinfln) dem fruchtlos wildwachsenden oder verwilderten (±mpelo" üll∙tria) gegenüberstellt. Aber der in der Gegenwart verwilderte, fremden Völkern, wilden Tieren und dem Feuer ausgelieferte Weinberg oder Weinstock Gottes wird im Eschaton wieder üppig blühen und fruchten: „An jenem Tage wird man sagen: Ein köstlicher Weinberg, besingt ihn! Ich, Jhwh, will ihn behüten. Immerfort will ich ihn tränken, daß sein Laubwerk nicht falle; bei Tag und Nacht will ich ihn bewachen …“ (Jes 27,2). Joel kündet von der endzeitlichen Fülle des Ertrags von Feigenbaum und Weinstock (2,22; vgl. dazu J. A. Steiger, Nathanael; u. s. o. zu 1,45–51). In dem Juda-Segen von Gen 49,11, den die Rabbinen früh auf den Messias gedeutet haben, heißt es: „An den Weinstock bindet er sein Füllen, an die Rebe das Junge seiner Eselin. Im Wein wäscht er sein Gewand, im Blute der Reben sein Kleid“. Fast alle Züge dieser Weinstock-Metaphorik sind in Ps 80 (LXX: 79) versammelt. Weil darin der Weinstock auf eigenartige Weise, nämlich durch einen 638
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synthetischen parallelismus membrorum mit dem Menschensohn identifiziert wird, weist Dodd (Interpretation 136) im Anschluß an Bernard (Komm. II, 447 f) zur Erklärung von Joh 15 auf die V. 9–20 dieses Psalms und zumal auf diese Passage hin: ¨ qeÖ" tùn dun›mewn, †p‡streyon dfl, / †p‡bleyon †x o§ranoú kaÑ ¢dÇ / kaÑ †p‡skeyai tÉn ±mpelon ta‚thn / kaÑ kat›rtisai a§tfln, √n †f‚teusen ™ dexi› sou / kaÑ †pÑ u´Ön ünqr„pou, ≈n †krata‡wsa" seautù (V. 15 f). Anstelle von kaÑ †pÑ u´Ön ünqr„pou ktl. (LXX) bietet der HT in der letzten Zeile: ˚l htxma ˆb l[w. Durch den parallelismus membrorum identifiziert er also Israel, den Weinstock, den Jhwh Zebaoth aus Ägypten geholt und, nachdem er die Völker vertrieben hatte, eingepflanzt hat, so daß seine Schatten die Berge und seine Ranken die Zedern Gottes bedeckten, mit dem ‚Sohn‘. Und wenn Jesus, nachdem er sich selbst metaphorisch als den wahren Weinstock identifiziert hat, Gott seinen Vater und den Weingärtner nennt (kaÑ ¨ patflr mou ¨ gewrg∙" †stin), dann übernimmt er damit als der Sohn die Rolle dessen, der als Stellvertreter vor Gott eintritt für Gottes Weinstock Israel, ja, wie der Hohepriester kraft seines Amtes geweissagt hatte, nicht nur für dieses Volk allein, sondern darüberhinaus für die weltweit zerstreuten Gotteskinder (11,51 f). R. Borig (Weinstock) hat nicht allein alle biblischen Texte untersucht, die das Thema des Weinstocks oder Weinbergs Gottes behandeln (79 ff), sondern darüberhinaus auch das gesamte einschlägige Material aus den Mandaica einer Überprüfung unterzogen (145 ff), weil Bultmann, Schweizer (Ego eimi) u. a. darin den Hintergrund von Joh 15 entdeckt zu haben glaubten. Borig kommt dabei zu dem begründeten Resultat, daß als die ‚Quelle‘ von Joh 15, aus der der Evangelist schöpft – wobei freilich Quelle nicht im Sinne irgendeiner literarischen Quellenschrift verstanden werden darf –, keinesfalls die späten und verworrenen Mandaica in Frage kommen, sondern daß allein die den Jüngern der Erzählung ebenso wie ihren potentiellen Lesern vertrauten biblischen Texte den Hintergrund bilden können. Schon die Eröffnung der Rede durch die Selbstprädikation Jesu als der wahre Weinstock zeigt an, daß der Weinstock eine Jüngern wie Lesern bekannte Größe sein muß. Bei einem Autor, der seinen Protagonisten in ständiger Auseinandersetzung mit den ûIoudaõoi als einen zeichnet, der nichts selbst unternimmt und sagt, sondern einzig den Willen dessen tut, der ihn gesandt hat, der stets in Übereinstimmung mit der ‚Schrift‘ handelt, um diesen Jesus als den „Messias, von dem Mose in der Tora und die Propheten geschrieben haben“ (1,45), ja als „den Sohn Gottes und basileÜ" toú ûIsrafll“ (1,49) zu erweisen, damit seine Leser an diesem Glauben festhalten und so teilhaben am ewigen Leben (20,31), wird man den Wurzelgrund dieses Redens vom Weinstock schwerlich anderswo suchen dürfen als in der Welt der Bibel (vgl. dazu auch Segovia, Farewell 136). Entgegen seiner früheren Überzeugung von der mandäischen Herkunft der Metaphorik vom guten Hirten und wahren Weinstock sieht das inzwischen auch Schweizer so. Unter Berufung auf Dodd (Interpretation 411 f) erklärt er, dessen Argument, „daß der jüdisch-alttestamentliche Gebrauch des Wortes zu beachten ist“, sei um so gewichtiger, „als auch in 10,1 ff die jüdischen ‚Hirten‘ den Kontrast zum rechten Hirten abzugeben scheinen“, und habe ihn überzeugt, so daß er nun sagen kann: „An die Stelle Israels tritt der wahre Weinstock Christus, der die fruchttragenden Ranken in sich schließt“ (Neotestamentica 260; vgl. das Vorwort zur Neuauflage von Ego eimi S. VIII sowie Gemeinde 106). Hier kommt freilich alles darauf an, wie man das „An-die-Stelle-Treten“ verstehen will. Denn ‚Vertreten‘ oder ‚Ersetzen‘, das ist hier die Frage. Schweizer scheint sie im 639
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Banne der alten ‚Substitutionstheorie‘, wonach die Kirche als das ‚neue Gottesvolk‘ Israel, Gottes altes Eigentumsvolk, aus der göttlichen Erwählungsgeschichte verdrängt und ersetzt haben soll, im letzteren Sinne beantworten zu wollen. Doch in einem Evangelium, dessen jüdischer und mit seinen jüdischen Volksgenossen solidarischer Protagonist erklärt: „Das Heil kommt von den Juden“ (4,22), und der seinem geliebten Jünger sterbend die Fürsorge für seine jüdische Mutter anbefiehlt (19,27; s. u. z. St.), wird man das ‚An-die-Stelle-Treten‘ wohl im Sinne der Stellvertretung begreifen müssen, die Israels Erwählung nicht abrogiert, sondern sie im Gegenteil ebenso voraussetzt wie sie sie zugleich neu in Kraft setzt (vgl. Thyen, Licht 44 f). Auch wenn die ‚Seinen‘, nämlich die ûIoudaõoi, den fleischgewordenen l∙go" nicht aufnahmen (1,11), bleiben sie gleichwohl die Seinen und werden nicht etwa durch andere ersetzt. Nach dem prophetischen Wort des Kaiaphas (11,49 ff) stirbt Jesus für dieses Volk, so daß die über der intimen Szene der Fußwaschung beim letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern stehende Wendung des Erzählers: ügapflsa" toÜ" ¢d‡ou" toÜ" †n tù k∙smw e¢" tfilo" °g›phsen a§to‚" (13,1), sie durchaus ein‑ und nicht etwa ausschließt. 2–5: Wie Gott, den Jesaja im Weinberglied (5,1 ff) als seinen ‚Freund‘ besingt, seinen Weinberg liebevoll angelegt hat, damit er gedeihe und reiche Frucht bringe, und ihm deshalb seine kundige Pflege zuwendet, so ist der ‚Vater‘ Jesu auch hier als gewrg∙" um seinen Weinstock bemüht. Er beseitigt (a¥rei) die wilden und unfruchtbaren Triebe und ‚reinigt‘ (kaqa‡rei) die edlen, damit sie noch reichere Frucht bringen. Darauf, daß diese Paronomasie (a¥rei / kaqa‡rei) die Aufmerksamkeit des Lesers nicht nur auf die beiden konträren Rollen des Vaters, sondern zugleich damit auch auf das gegensätzliche Schicksal der entsprechenden Zweige lenkt, weist Segovia hin (Farewell 138). Völlig unvermittelt wendet sich Jesus dann im folgenden V. 3 mit diesen Worten an seine Jünger: ≥dh ≠meõ" kaqaro‡ †ste, diÅ tÖn l∙gon ≈n lel›lhka ≠mõn (vgl. 13,10). Das Perfekt lel›lhka muß man mit Segovia wohl als eines „of completed action pointing to the full ministry, including the ‚hour‘, as already accomplished“ verstehen (Farewell 139). Jesus spricht hier mit anderen Worten bereits als der zum Vater Erhöhte und Verherrlichte. „Ihr seid bereits rein“ muß im Licht der Weinstockmetaphorik darum heißen: Euch hat der Vater als der gewrg∙" bereits gereinigt, und zwar durch das Wort, das ich zu euch geredet habe. Dabei ist dieser l∙go", wie Jesus wiederholt betont hat, ja nicht sein eigener, sondern nur der vom Vater gehörte. Und er ist nicht das von Jesus Gesagte, das von ihm ablösbar wäre und nach seinem Weggang als Lehre bliebe, sondern der l∙go" ist er selbst und leibhaftig als sein allem von ihm Gesagten zugrundeliegendes Sagen. Implizit ist damit in V. 3 bereits ausgedrückt, was V. 5 durch die Wiederaufnahme des eröffnenden eg„-e¢mi-Wortes dann so explizieren wird: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“. Mit dem Imperativ me‡nate des von nun an das Weitere beherrschenden Lexems mfinein gebietet Jesus im folgenden V. 4 seinen Jüngern, so ‚in ihm‘ zu bleiben, wie er ‚in ihnen‘ bleiben wird. Schon die Statistik erweist das Lexem mfinein als ein Lieblingswort unseres Evangelisten. Von seinen insgesamt 118 Vorkommen im ganzen Neuen Testament finden sich 67, also weit über die Hälfte, im Corpus Iohanneum (40 im Evangelium gegenüber 3 bei Mt, 2 bei Mk und 7 bei Lk; außerdem 24 im 1Joh und 3 im 2Joh). Typisch und im übrigen Neuen Testament ohne Analogie ist vor allem die Verwendung von mfinein in den sogenannten ‚reziproken Immanenzformeln‘ vom wechselseitigen Bleiben des Sohnes in den Glaubenden und der Glaubenden im Sohn (vgl. dazu den Exkurs: Zu den joh. Immanenzformeln bei Schnackenburg, Johannesbriefe 105–110 so-
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15,1–8
wie J. Heise, Bleiben pass. und Borig, Weinstock 199 ff). Daß die bereits in Joh 6,56 und 14,20 begegnende Immanenzformel ihren Ursprung nicht in der Weinstock-Metaphorik hat, sondern daß diese erst umgekehrt über „das bildlose kaqaro‡ in V. 3“ mit ihr verbunden wird, hat Borig (200 f) klar erwiesen. Zudem sprengt die Rede vom ‚Bleiben‘ die Metaphorik vom Weinstock, „denn eine Rebe des natürlichen Weinstocks hat (ja) nicht die ‚Wahl‘, zu bleiben oder zu gehen“ (Augenstein, ebd. 68 f). Die auf das Verhältnis zwischen Jesus und seinen Jüngern bezogene Immanenzformel scheint vielmehr eine Übertragung der Rede Jesu von seiner eigenen reziproken Immanenz im Vater und des Vaters in ihm auf seine Relation zu seinen Jüngern zu sein. Ohne sie „wie sonst als ‚Auftakt‘ zur Sohn-Jünger-Immanenzformel zu benutzen“, spricht Jesus in 10,18 sowie zweifach in 14,10 f vom In-Sein des Vaters in ihm und seinem In-Sein im Vater, und zwar jeweils im Blick auf die ‚Werke‘, deren gemeinsames Subjekt der Sohn in der Einheit mit dem Vater ist (vgl. 10,30; u. s. Borig 208 f).
So wie die Rebe keine Frucht tragen kann, wenn sie nicht ‚im Weinstock‘ (†n tÔö ümpfilw) und so mit ihm verbunden bleibt, so bleiben auch die Jünger fruchtlos, wenn sie nicht in Jesus bleiben: oætw" o§dÇ ≠meõ" †Ån mÉ †n †moÑ mfinhte. Denn von ihnen gilt ja, wie nun mit der Wiederaufnahme des †g„-e¢mi-Wortes von V. 1 ausdrücklich gesagt wird: ≠meõ" tÅ klflmata. Und wie die Werke des Sohnes nicht in seiner Autonomie, sondern in seiner ‚Wirkeinheit‘ mit dem Vater gründen, so gilt auch vom Wirken der Jünger: Ωti cwrÑ" †moú o§ d‚nasqe poieõn o§dfin. „Union with Jesus with its consequent fruitfulness is not a matter of enjoying the oneness that exists between the disciple and the master; it also consists of doing something, and without Jesus this is impossible. To bear fruit (V. 4b) means, to do something (V. 5c). That ‚something‘ has already been summarized in the command to love, which Jesus taught would be the hallmark, of his disciples (cf. 13,34–35)“ (Moloney, Komm. 420 f). Die größeren Werke der Jünger (14,12) haben ihren Grund also in ihrer Wirkeinheit mit dem Weggegangenen, der jetzt nicht mehr nur bei ihnen (parû ≠mõn mfinwn: 14,25), sondern ‚in ihnen‘ ist. 6–8: Die generelle Formulierung: †Ån mfl ti" mfinÔh †n †mo‡ ktl. faßt nicht nur die Möglichkeit, sondern wohl die konkrete Erfahrung ins Auge, daß sich auch ein Jünger, einer derer, die rein sind durch das Wort, das Jesus zu ihnen gesagt hat, von diesem Herrn abwenden und fortan nicht mehr mit ihm wandeln mag (vgl. 6,66). Solche Erfahrungen könnten der Grund dafür sein, daß Johannes statt vom reziproken eènai †n bevorzugt vom Bleiben spricht und zum Bleiben mahnt. Die gnomischen Aoriste †blflqh ≤xw und †xhr›nqh, deren Passivform und die Wendung Æ" tÖ klöma, die zur Metaphorik des Weinstocks zurücklenkt und an die in V. 2 beschriebene Tätigkeit des gewrg∙" erinnert, zeigen an, daß es der Vater als dieser Winzer ist, der jeden, der nicht im Sohn bleibt, wie eine fruchtlose Rebe beseitigt und verdorren läßt, damit sie (die Arbeiter dieses Winzers?) diese (a§t›) einsammeln, ins Feuer werfen und verbrennen. Trotz der grammatischen Härte lesen wir in V. 6 mit Nestle-Aland kaÑ sun›gousin a§t›, weil uns nach dem Übergang der Passiva †blflqh ≤xw und †xhr›nqh in aktive Verbformen und zumal nach dem Kompositum sun›gousin dieser Plural a§t› allein sinnvoll erscheint, auch wenn ihn eine große Zahl auch gewichtiger Textzeugen wegen des singularischen t‡" und tÖ klöma – wohl allzu pedantisch und in Verkennung des metaphorischen Charakters der Passage – durch den Singular a§t∙ ersetzt hat (vgl. Metzger, Comm. 246). Wie schon lange erkannt ist, wird der schlichten Beschreibung gegenüber, die V. 2 von der Tätigkeit des gewrg∙" gab, jetzt „synoptische Gerichtsterminologie“ (Borig 51) oder allgemeiner gesagt: biblische Gerichtssprache eingesetzt. „The language belongs to the earlier tradition“ (Hoskyns, Komm. 476). Dazu verweist 641
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Hoskyns auf Mt 5,13 (blhqÇn ≤xw); 13,30.40 f (sun›gousin; vgl. Mk 13,27 par.); Mt 15,13; 18,8 f sowie auf Röm 11,22. Zu erinnern ist aber auch an Ps 80,17; Ez 15,2 ff und Mal 3,19. Angesichts dieses Hintergrundes vermögen wir weder der Interpretation Barretts noch derjenigen von Lindars zu folgen. Barrett erklärt zu den Worten e¢" tÖ púr ... ka‡etai, sie seien „in erster Linie gleichnishaft; d. h., es sind die unfruchtbaren Reben, die in das Feuer geworfen und verbrannt werden“. Ähnlich will Lindars die Wendung Æ" tÖ klöma lediglich auf das metaphorische †blflqh ≤xw beziehen, „which is not intended to be taken literally. Jesus is not talking about excommunication. The rest of the verse tells what happens to the branches which are thrown away. They wither for lack of sap, and their only usefulness is for firewood. Again, Jesus is not talking about eternal punishment; all he is saying is that a disciple who breaks fellowship with him is useless“ (Komm. 489; vgl. auch Sanders/Mastin, Komm. 337 f). Auch wenn V. 6 im Zusammenhang vornehmlich der Warnung der Jünger vor dem Abfall dient und kein Interesse daran zeigt, die Schrecken des Jüngsten Gerichts auszumalen, dürfen die gewiß nicht zufälligen Anklänge daran nicht überhört werden. Denn nicht vom Schicksal der unfruchtbaren Reben, die endlich verbrannt werden, ist hier die Rede, sondern von demjenigen (t‡"), der nicht ‚in Jesus‘ bleibt und dem es darum Æ" tÖ klöma ergehen wird (vgl. auch Segovia, Farewell 144). Nach dieser deutlichen Warnung vor dem Abfall und seinen Folgen nimmt V. 7 den verheißenden Ton von V. 5 wieder auf. Wenn Jesus da in der Protasis und nach dem generellen t‡" von V. 6 wieder in direkter Anrede seiner Jünger erklärt: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben …“, dann wird man das nicht als eine Variation der reziproken Immanenzformel begreifen dürfen, sondern eher als einen synonymen Parallelismus: Das Bleiben der Worte Jesu in den Glaubenden ist also die Weise, wie sie selbst in ihm bleiben. Endlich kommt V. 8 auf das in V. 1 mit den Worten „und mein Vater ist der Winzer“ Gesagte zurück: Wie es allein Jesu himmlischer Vater ist, der wie ein Winzer alles Unfruchtbare beseitigt und das Fruchtbare mehr als fruchtbar macht, so ist er es, der als liebender Vater die Gebete derer erhört, die in seinem Sohn bleiben, indem sie dessen Worte in sich bewahren. Denn nicht die Verherrlichung des Sohnes, die der Vater ja längst vollbracht hat, sondern die Verherrlichung des Vaters durch ihr fruchtbringendes Bleiben in seinem Sohn, das sie zu rechten Jüngern und als solche erkennbar macht (13,34 f), ist Ziel und Inhalt ihres Weges (vgl. Moloney, Komm. 421): †n to‚tw †dox›sqh ¨ patflr mou. 9–11: Als den Urgrund des wechselseitigen und befruchtenden In-Seins der Jünger in Jesus und Jesu in seinen Jüngern nennt V. 9 nun die Liebe des Vaters zu Jesus und Jesu Liebe zu seinen Jüngern: kaqá" °g›phsfin me ¨ patflr, kügá ≠mô" °g›phsa. Die beiden Aoriste, mit denen die Liebesrelationen ausgesagt werden, wird man mit Segovia (Farewell 150) als konstative begreifen müssen, d. h. beide blicken auf das im Sterben Jesu vollendete Heilswerk Gottes zurück, so daß Jesu Liebe zu seinen Jüngern hier in der Perspektive des tetfilestai und der Hingabe des Geistes (parfidwken tÖ pneúma) von 19,30 gezeichnet ist. Hier spricht also bereits der, der die größte Liebe, die einer überhaupt haben kann, dadurch erwiesen und konkretisiert hat, daß er für seine ‚Freunde‘ gestorben ist (15,13 ff). Und in solcher Liebe zu bleiben, ruft er sie auf: me‡nate †n tÔö üg›pÔh tÔö †mÔö. In seiner Liebe zu bleiben, das heißt, seine Gebote zu halten, so wie er die Gebote seines Vaters gehalten hat (tetflrhka) und damit in dessen Liebe bleibt. Wie zuvor die konstativen Aoriste blickt auch dieses Perfekt tetflrhka auf 642
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15,6–12
die am Kreuz vollendete Liebe Jesu zurück und bestimmt sie darüberhinaus zugleich als eine Liebe, in der die Jünger jetzt und auch in jeder künftigen Gegenwart geborgen sein werden. Mit der zusammenfassenden Wendung taúta lel›lhka ≠mõn (s. o.) und mit der Angabe des Zieles dieses Gesagten: ºna ™ carÅ ™ †mÉ †n ≠mõn Ôé kaÑ ™ carÅ ≠mùn plhrwqÔö, schließt dieser erste Abschnitt von Joh 15. Die Freude Jesu, von der er wünscht, daß sie auch seine Jünger erfülle, hat ihren Grund darin, daß er die Gebote seines Vaters gehalten hat und darum in dessen Liebe bleibt. Wenn Bultmann zu 16,28 erklärt, als Kennzeichen der ‚eschatologischen Existenz‘ der Jünger, habe deren Freude „kein angebbares Woran“ (Komm. 449), so muß man ihn mit Fuchs fragen, ob „die eschatologische Freude nicht dennoch konkret als Freude an der Liebe bezeichnet werden (muß), so daß hier Werk und Person des Offenbarers von selbst im Blickfeld des Glaubens bleiben“ (Marburger Hermeneutik 155). Zuvor hatte in unserem Evangelium der Täufer Johannes, den von der Osten-Sacken wohl zu Recht „den ersten Christen“ genannt hat, als erster von solcher zur Fülle gelangten Freude (™ carÅ ™ †mÉ peplflrwtai: 3,29) gesprochen. Mit derartiger Freude hatte ihn das Kommen des Sohnes Gottes in die Welt erfüllt. Damals hatte er seinen Jüngern erklärt, als ‚Freund des Bräutigams‘ habe ihn das Hören von dessen Stimme mit großer Freude erfüllt (carô ca‡rei), und nun, da jener wachse, er selbst aber abnehme, sei seine Freude vollkommen geworden. Beim nächsten Vorkommen des Lexems ca‡rw in 14,28 ging es nicht mehr um das Kommen, sondern um das Weggehen Jesu, als er seinen verschreckten Jüngern erklärte: „Wenn ihr mich liebtet, dann müßtet ihr euch darüber freuen, daß ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich“; weiteres zur Freude der Jünger s. u. zu 16,20 ff; 17,13 und 20,20. (2) Das neue Gebot (15,12–17) V. 12 ist im wesentlichen die Wiederaufnahme des neuen Gebotes Jesu von 13,34. Diesem intertextuellen Verfahren entsprechend wird es jetzt nicht mehr als neues, sondern, weil es den erzählten Jüngern ebenso wie den potentiellen Lesern ja bereits bekannt ist, als Jesu Gebot bezeichnet: ™ †ntolÉ ™ †mfl. Hatte Jesus in V. 10 noch im Plural von ‚seinen Geboten‘ gesprochen, so sind alle diese Gebote jetzt in dem einen Gebot, einander so zu lieben, wie Jesus seine Jünger geliebt hat, konzentriert. Die Wendung kaqá" °g›phsa ≠mô" ist, wie der Kontext von Joh 13 gelehrt hat, nicht nur ein Hinweis auf das Wie der Liebe zueinander, sondern unveräußerlicher und seine eschatologische Neuheit begründender Teil des Gebots selber. Und im Licht des Sklavendienstes der Fußwaschung als der Vorabbildung des Liebestodes Jesu für seine Freunde fordert sein Gebot, den Anderen zu lieben kaqá" °g›phsa ≠mô", nichts geringeres als dies, daß der eine zum Sklaven des Anderen werde und dessen Tod mehr fürchte als den eigenen (vgl. 18,8). Wenn Timm erklärt, mit der Bezeichnung seines neuen Gebotes als ™ †ntolÉ ™ †mfl beanspruche Jesus „die Liebesidee als geistiges Eigentum. Und das zu Recht“ (Geist der Liebe 95), und wenn er dieses Gebot – entgegen dem oben zu 13,34 Gesagten – ein geistesgeschichtliches Novum nennt, muß man sich doch fragen, warum hier etwas als das geistige Eigentum eines Mannes ausgegeben wird, der nicht müde wird, immer wieder zu betonen, daß er nichts aus sich selber und seinem Eigenen tue oder rede, sondern 643
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
nur solches sage und wirke, das der allen bekannte Vater ihm zeige und sage. Und wenn Timm dann fortfährt, mit diesem neuen Gebot habe „die alttestamentliche Rede von Herr(gott) und (Gottes-)Knechtschaft ihre Legitimation verloren. Die Liebeserkenntnis alteriert das dominante Gottesprädikat des überkommenen Glaubens, weil sie keine Herrschaft und keinen blinden Gehorsam mehr zuläßt“ (ebd. 95), so scheinen uns die da erklingenden antijüdischen Töne und Timms Rede von der abrogatio legis doch völlig jenseits der Welt unseres Evangeliums zu liegen. Sein Plädoyer gegen den vermeintlichen „Sklavengeist des monotheistisch-monarchischen Juden-Philosophengottes, der seine Ratschlüsse zu inkommunikablen Seinsgeheimnissen tabuisier(e), weil er selbst in der despotischen Ohnmacht des Suisuffizienten befangen“ sei, beruht doch wohl eher auf der uns höchst fragwürdigen Interpretation einer zudem willkürlich isolierten Einzelpassage unseres Evangeliums. Es spiegelt überholte Meinungen aus dem Spektrum von dessen romantisch-idealistischer Benutzung und ein Gemenge aus pseudoprotestantischen und antijüdischen Affekten gegen die Tora als angeblichen Heilsweg. Auf den Text des gesamten Evangeliums und sein intertextuelles Spiel mit der jüdischen Bibel als seine Zeugin und den synoptischen Prätexten kann es sich jedoch schwerlich berufen. Nur wenige Zeilen nachdem Jesus seinen Jüngern gesagt hat, sie seien seine Freunde und er nenne sie nicht länger Sklaven, muß er sie nachdrücklich an sein Wort erinnern, daß ein Knecht nicht größer sei als sein Herr (13,16 = Mt 10,24!). Und das hatte er bei Gelegenheit der Fußwaschung durchaus nicht beiläufig gesagt, sondern es mit seinem solennen doppelten Amen nachdrücklich unterstrichen. Wenn auch fraglos verwandelt, bleibt die Dialektik von Herr und Knecht doch bestehen: ≠meõ" fwneõtfi me: ¨ did›skalo" kaÑ ¨ k‚rio", kaÑ kalù" lfigete: e¢mÑ g›r (13,13). Ohne diesen Hintergrund brächte man den Akt der Fußwaschung um seine Pointe, die doch in dem wunderbaren Tausch (Luther) besteht, daß der Herr sich hier zum Sklaven seiner Jünger macht: „Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein“ (Luther, Lobt Gott ihr Christen alle gleich). Als Gebot (†ntolfl), den jeweils anderen zu lieben, d. h. ihn in seinem Anderssein zu respektieren, ist das Verhältnis zum anderen Menschen ein irreduzierbar ethisches Verhältnis. Das hat Lévinas in zahlreichen Studien dadurch erwiesen, daß er dessen Differenz zum ontologischen Verhältnis herausgestellt hat. In seinem gewichtigen Nachwort zu dessen Schrift Die Zeit und der Andere hat L. Wenzler das im Blick auf das Gesamtwerk von Lévinas u. a. so zusammengefaßt: „Der ‚Primat der Ontologie‘, das heißt der Erfassung und Konstitution der Wirklichkeit durch das transzendentale Bewußtsein oder – in der Fundamentalontologie Heideggers – durch das Seinkönnen des Daseins, scheint universal unerschütterlich zu sein. Mit einer Ausnahme: der Andere widersetzt sich dem Verstandenwerden in den Kategorien des Seins. Dem Anderen gegenüber erscheint das Verstehen und Ergreifen im Licht des Seins als ein Akt der Gewalt, weil es gerade die Anderheit des Anderen auslöscht, sich unterwirft, im extremen Fall dadurch, daß es den Anderen tötet. – Zugleich aber muß diese Gewalt am Anderen scheitern. Der Gewalt des Könnens und Verstehens stellt sich im Anderen eine unbedingte Grenze entgegen: Genau das, was den Anderen als ihn selbst ausmacht, entgeht dem Können des autonomen Subjekts. Der Andere stellt der Gewalt des Verstehens und Beherrschens einen Widerstand entgegen, der selbst nicht wieder von der Art der Gewalt ist, sondern gerade in der Schutzlosigkeit des Anderen besteht. Diese Schutzlosigkeit spricht sich aus in der Bitte: Du wirst mich nicht töten. Diese Bitte hat 644
Dritte Szene: Jesus prädiziert sich selbst als der wahre Weinstock
15,12–13
den Rang eines Befehls. Der Widerstand gegen die Gewalt ist ethischer Widerstand. In diesem ethischen, gewaltlosen Widerstand drückt sich ein Bedeuten aus, das nicht von der sinngebenden Intentionalität eines erkennenden Subjekts ausgeht, sondern das vom Anderen selbst kommt. Lévinas nennt dieses Bedeuten, in dem sich der Andere selbst ausdrückt und in dem er sich als ethischer Widerstand jedem Ergreifenwollen entgegenstellt, das Antlitz des Anderen [„Wir nennen Antlitz die Epiphanie dessen, was sich so direkt und eben dadurch von Außen kommend einem Ich darstellen kann“, Lévinas, Spur 199]. Dieses Antlitz entzieht sich der Gewalt, die im Ergriffenwerden durch das Sehen besteht. Es gibt sich nicht durch Gesehenwerden kund, es spricht. Es spricht mich an und fordert von mir eine Antwort. Es stellt durch seinen Widerstand mein Können und meine Gewalt in Frage und fordert Gerechtigkeit. Es macht mich verantwortlich. Durch diesen ethischen Anspruch ist jedes ontologische Verständnis des Anderen und jedes auf dem Vollzug des Seins beruhende Verhältnis zu ihm in Frage gestellt und unterfangen. Die Rolle der Ersten Philosophie geht von der Ontologie auf die Ethik über“ (ebd. 70 f). Wie der barmherzige Samariter der lukanischen Erzählung durch das geschlagene und entstellte Antlitz des unter die Räuber Gefallenen in eine Verantwortung gerufen ist, der er sich nicht enziehen kann, so sollen die Jünger sich wechselseitig von dem jeweils Anderen in dessen Geiselhaft nehmen und sich vor ihm auf die Anklagebank setzen lassen (Lévinas, Wenn Gott ins Denken einfällt 224 ff), so wie Jesus sie geliebt hat, indem er sein Fleisch für das Leben der Welt gab (6,51). Der n∙mo", dem mich das Antlitz des Anderen unterwirft und für ihn verantwortlich macht, ist ein heteronomer, der meine Autonomie und mein Können zerbricht. Mit den ontologischen Kategorien von Intersubjektivität, Symmetrie, Synchronie und Gleichursprünglichkeit (Timm, ebd. 93 ff) läßt sich das Verhältnis zum Anderen nicht beschreiben. Liebe beruht vielmehr auf einem diachronen in keiner Vergangenheit lokalisierbaren Erwähltsein des Einen durch den Anderen. Anders als Heidegger, dem „der Tod … die eigenste Möglichkeit des Daseins“ ist (SuZ 264), sieht Lévinas den Tod nicht als die letzte Möglichkeit des Daseins, sondern als dessen absolute Grenze und als die Unmöglichkeit meines Könnens. „Eine einzige Möglichkeit läßt mir der Tod, die aber in keiner Weise meine Möglichkeit ist, sondern die mir allein durch den Tod gewährt wird; es ist die Möglichkeit, im unabwendbaren Sein zum Tode – für den Anderen zu sein, den Tod des Anderen mehr zu fürchten als den eigenen Tod … Der Umstand, daß der Tod die Möglichkeit eröffnet, im Sein zum Tode für den Anderen zu sein, deutet darauf hin, daß es ‚jenseits des Todes‘ eine Dimension des Sinnvollen, des Unzerstörbaren, des Friedens geben kann“ (Wenzler, ebd. 73 f). 13: Als bis in unsere Gegenwart für die Auslegung dieser Passage höchst einflußreich hat sich die „Studie zum Traditionsproblem des Johannesevangeliums“ über Joh 15,13 von M. Dibelius erwiesen (vgl. dazu Thyen, Niemand hat größere Liebe; u. Augenstein, Liebesgebot 67 ff). Formal sah Dibelius in der von dem Liebesgebot der V. 12 u. 17 eingeschlossenen Passage 13–15 eine „midraschartige Abschweifung“, nach der V. 16 zum Liebesgebot zurücklenke. Mit dieser Abschweifung soll der Evangelist den Zweck verfolgt haben, seinem Werk mit V. 13 ein ihm gewichtig erscheinendes vorjohanneisches Traditionsstück einzuverleiben. Wenn Dibelius dann aber erklärt: „Die Bedeutung des Wortes ‚Liebe‘ in dem Spruch 15,13 aber ist nicht die johanneische, sondern eine populärere, allgemeine; der hier angedeutete Gedanke vom Opfertod 645
15,1–16,3
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
aus Liebe wird im Evangelium weder sonst noch hier besonders hervorgehoben“ (ebd. 217), dann desavouiert er damit seine eigene Argumentation. Denn warum sollte ein Autor seinem Werk mittels einer eigens dazu gebildeten midraschartigen Abschweifung ein traditionelles Wort über das freiwillige Sterben für die Freunde als Gipfel aller Freundesliebe inkorporiert haben, wenn sein eigenes Verständnis von Liebe als Wesensgemeinschaft (Dibelius) dessen ‚gemeinchristlich-ethischer‘ Bedeutung als altruistischer Liebesgesinnung diametral widerspricht? Nein! Denn selbst wenn der mittels der sogenannten midraschartigen Abschweifung vom Evangelisten seinem Werk integrierte V. 13 überhaupt vorjohanneischen Ursprungs sein sollte, was man wegen des klaren Aufbaus von Joh 15 mit guten Gründen bezweifeln kann, dann muß er doch einen dem Evangelisten wesentlichen und unverzichtbaren Aspekt seines Verständnisses von Liebe zur Sprache bringen. Wie sich nach Dtn 6,4 f die Liebe zu Gott mit allen Kräften des Leibes und der Seele, und das heißt unter Einschluß der Sinnlichkeit, nicht anders als im Halten seiner Gebote zu äußern vermag, so muß auch die Liebe zu Jesus sich nach seinem Weggang mit Leib, Seele und allen Sinnen auf den Anderen richten. Auch bei Johannes dürfte also mutatis mutandis Jesu Wort gelten: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Wegen seines Akzentes auf der Lebenshingabe für die Freunde schließt V. 13 aber nicht etwa die Feindesliebe aus. Denn das ist gar nicht sein Thema. Gesagt wird vielmehr nur, daß es keinen größeren Liebeserweis als die Lebenshingabe für die Freunde gibt (Barrett, Komm. 464; vgl. Wengst, Komm. II, 145). Dibelius hat gewiß recht, wenn er die große Nähe von Joh 15,13–15 zur antiken, namentlich durch Aristoteles ausgebildeten Freundschaftsethik betont (vgl. dazu auch Timm, Geist der Liebe 56 ff). In diesem Sinn sagt Aristoteles etwa: „Von einem hervorragenden Mann gilt auch die schlichte Wahrheit, daß er sich für Freund und Vaterland immer wieder einsetzt und, wenn es not tut, für sie sein Leben gibt“ (EthNic IX 8 1169s 18–20). Aristoteles behandelt die Lebenshingabe des Hervorragenden als Element von dessen wahrer Selbstliebe und als Ausweis dafür, daß diese frei ist von allem Egoismus. Dabei setzt Aristoteles fraglos Platons Symposion voraus, wo bereits gesagt war, daß die Liebenden, und zwar nicht allein Männer, sondern auch Frauen bereit sind, ‚füreinander zu sterben‘ (Symp 179b; vgl. Symp 207, wonach selbst unter den Tieren die Schwächsten mit den Stärksten um ihre Jungen kämpfen und für sie zu sterben bereit sind). Weitere Belege bieten: Stählin, filfiw 151; u. Versnel, Herkunft 182 f; vgl. Augenstein, Liebesgebot 72 ff). Diese Gedanken haben in der hellenistischen Zeit nach Alexander Eingang in die jüdische Märtyrerliteratur gefunden: vgl. 1Makk 9,10; 6,44; 2Makk 6,28; 7,9.37; 8,21; 14,37; 4Makk 6,28; 17,20 ff. Der Tod der Märtyrer, die auch in Verfolgung und Leiden treu an Gott und seinem Gebot festhalten, wird nicht als ihr Ende beklagt, sie werden vielmehr zu idealen Vorbildern und von Gott mit neuem Leben belohnt; vgl. dazu Dehandschutter / van Henten, Einleitung 5 sowie van Henten, Martyrien 145 u. Versnel, Herkunft 174. Im Unterschied zu dem zumeist auf Freundespaare bezogenen antiken Freundschaftsideal ist bei Johannes – wie auch sonst im Neuen Testament – das ≠p∙deigma der Lebenshingabe Jesu (13,15) nicht nur Mo‑ tiv, sondern zugleich auch Grund des Gebotes, den Anderen auch mit dem Einsatz des eigenen Lebens zu lieben. Anstelle des synoptischen d‡dwmi tÉn yucfln ≠pfir tino" gebraucht Johannes die scheinbar schwächere Wendung t‡qhmi tÉn yucfln mou ≠pfir tino", die in griechischen Texten das Wagen oder den Einsatz des Lebens für jemanden oder für eine Sache ausdrückt. Auch wenn das t‡qhmi im Blick auf den Einsatz Jesu durch Joh 10,17 f längst als dessen tatsächliche Lebenshingabe definiert ist, dürfte in der Mahnung an die Jünger die Bedeutung, für den Anderen das eigene Leben einzusetzen, gleichwohl stets mitschwingen, so daß t‡qhmi tÉn yucfln zu den absichtsvoll doppeldeutigen Ausdrücken bei Johannes zu zählen wäre; vgl. Augenstein, Liebesgebot 74. Wenn man V. 13 nicht wie Dibelius von seinem Kontext isoliert, dann erscheint der Tod Jesu hier nicht
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Dritte Szene: Jesus prädiziert sich selbst als der wahre Weinstock
15,13–15
als seine heroische Tat, sondern als treuer Gehorsam gegenüber dem väterlichen Gebot und als der Gipfel seines rettenden Heilshandelns (vgl. Augenstein, ebd. 75 f). Auf die problematische Wirkungsgeschichte und Benutzung des aus seinem Kontext isolierten V. 13 als Text von Kriegspredigten und Inschrift auf Kriegerdenkmalen weist Wengst hin (Komm. II, 145).
14 f: Nach der allgemeinen Maxime (o§de‡" und t‡") von V. 13, die freilich insgeheim schon auf Jesu Sterben für seine Jünger bezogen war, deckt V. 14 das dadurch auf, daß Jesus nun in direkter Anrede seiner Jünger und in Wiederaufnahme des Lexems f‡lo" erklärt: Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Was es heißt, ein Freund zu sein, erläutert V. 15 dann an dem Gegensatz zum Dasein eines Sklaven. Wenn Jesus sagt, er nenne seine Jünger nun ‚nicht mehr‘ (o§kfiti) seine Sklaven, sondern vielmehr seine Freunde, denn als seinen Freunden habe er ihnen ja stets alles kundgetan, was er bei seinem Vater gehört habe, während der Sklave blind gehorchen müsse, weil er ja nicht wisse, was sein Herr vorhabe und tue, so darf man dieses o§kfiti nicht so deuten, als habe Jesus seine Jünger zuvor jemals seine Sklaven genannt und sie als solche behandelt, als distanziere er sich hier von seinem 13,13 ausgesprochenen Wort und mache seine vormaligen Sklaven erst jetzt und durch dieses Wort zu seinen Freunden. Denn was er bei seinem Vater gehört hat, das tut er ihnen ja nicht erst jetzt kund, sondern das hat er seit dem ersten Tage ihrer Berufung immer schon getan. Gleichwohl muß es aber ja einen Sinn haben, daß Jesus den Jüngern nicht einfach sagt, sie seien seine Freunde und nicht (o§) seine Sklaven, sondern erklärt, euch die ihr jetzt meine Freunde seid, nenne ich nicht mehr (o§kfiti) Sklaven. Denn das Lexem o§kfiti muß ja dazu dienen, ein Vorher von einem Nachher zu unterscheiden, in diesem Fall also das Vorher blinden Sklavengehorsams von dem Nachher freundschaftlicher Freiheit. Dieses Vorher kann sich aber nur auf eine Zeit vor ihrer Erwählung zu seinen Jüngern beziehen, eine Zeit, ehe er ihnen, die an seinen Namen glaubten, die Vollmacht gegeben hatte, Gottes Kin‑ der zu werden (1,12 f). Im Blick ist also eine Zeit, da Jesus ihnen wie den ûIoudaõoi von 8,31 ff hätte sagen müssen: „Amen, Amen, ich sage euch: Jeder der Sünde tut, der ist ein Sklave der Sünde. Ein Sklave aber bleibt nicht für immer im Hause, sondern allein der Sohn bleibt in Ewigkeit. Nur wenn der Sohn euch befreit, seid ihr wirklich Freie“ (8,34–36) und müßt nicht in euren Sünden sterben (8,24). Ist es bloßer Zufall, daß diese Metaphorik von Sklaverei und Freiheit aus Kapitel 8 hier wiederaufgenommen und durch das Gegenüber des Sklaven und des Freundes variiert wird? Seine Freunde nennt Jesus hier diejenigen, die er in sein Vertrauen gezogen, denen er das Geheimnis seines Weges kundgetan hat und denen er sogleich offenbaren wird, daß der Haß der Welt, so wie er ihn jetzt trifft, auch sie nicht verschonen wird. Das sieht beinahe so aus, als spiele unser Erzähler hier mit Lk 12,4: lfigw dÇ ≠mõn toõ" f‡loi" mou, mÉ fobhqöte üpÖ tùn üpoktein∙ntwn tÖ sùma ktl. Jedenfalls aber muß man die Bezeichnung der Jünger als Freunde Jesu im Zusammenhang mit den analogen Vorbildern solcher Rede im Alten Testament und in der jüdischen Überlieferung sehen, wo z. B. Abraham, dem Gott nicht verbarg, was er zu tun gedenke, der Freund Gottes genannt wird: Jes 41,8; 2Chr 20,7; Jak 2,23; vgl. Sap 7,27. Wengst (Komm. II, 146) zitiert dazu BerR 49,2, wo sich die folgende Auslegung von Gen 18,17 findet: „‚Gleich einem König, der drei Freunde hatte und nichts ohne ihr Wissen tat. Einmal aber wollte der König etwas ohne ihr Wissen tun‘. Zwei schaltete er aus. ‚Im Blick auf den dritten aber, der ihm der liebste war, sprach er: Ich tue nichts ohne sein Wissen‘. Das wird auf Gott im Verhältnis zu Adam, Noach und Abraham bezogen und schließ647
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
lich gesagt: ‚Im Blick auf Abraham, der ihm der liebste von ihnen war, sprach er: Ich tue nichts ohne sein Wissen‘“. Zusammen mit dem Gegensatz zwischen dem Freund und dem Sklaven nennt Philon Mose den Freund Gottes: MigrAbr 45; sobr 55 (vgl. Stählin, f‡lo" 153 ff; u. Barrett, Komm. 464 f). Wenn wir uns daran erinnern, daß nach Joh 14,31 f in unserem Kapitel verborgen bereits der zum Vater erhöhte Sohn spricht, dann wird man das o§kfiti zugleich auch auf die kommende Zeit des Geistes beziehen dürfen, so daß die Neuheit des Gebotes dann wie bei Jeremia 31,31 ff auch darin bestünde, daß Jesu Gebot seinen Jüngern fortan in die Herzen geschrieben wäre, wie das bereits Calvin zu 13,34 erwogen hat; vgl. dazu Wengst (Komm. II, 113). Daß im übrigen die Herr-und-Knecht-Relation durch diese Erklärung der Freundschaft nicht etwa aufgehoben wird, wie Timm meint, sondern daß dieser Herr sie nur zutiefst verwandelt, zeigt auch der Bedingungssatz: †Ån poiöte ¡ †gá †ntfillomai ≠mõn, der dem „Ihr seid meine Freunde“ folgt. Danach bleibt Jesus, aus dessen Mund der Vater spricht, der gebietende Herr. Und als seine Freunde können sich die Jünger nur dadurch erweisen, daß sie tun, was er ihnen gebietet. Dabei darf man das eine neue Gebot Jesu nicht wie Zahn (Komm. 582) gegen die vielen Gebote Moses ausspielen, vielmehr kommt es darauf an, „daß dieses eine im Halten der vielen zum Zuge kommt“ (Wengst, Komm. II, 145). 16: Der asymmetrische Charakter der Liebesrelation kommt auch darin zum Ausdruck, daß sich in ihr der Eine stets vom Anderen erwählt und zur Liebe ‚erweckt‘ weiß. Nicht kraft meiner freiheitlichen Autonomie habe ich mir den Anderen in meiner Zeit zu meinem Alter-Ego erwählt, sondern längst bevor ich überhaupt ich im Nominativ sagen konnte und vor aller Zeit dieses Ich war da der Andere, der mich (Akkusativ!) erwählt, für sich verantwortlich gemacht und in den Zustand der Anklage versetzt hat (Lévinas, Wenn Gott ins Denken einfällt). Wenn Jesus jetzt also erklärt: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt …“, so spricht er damit nur aus, was die Urerfahrung eines jeden Geliebten ist, wenn er sein Ich erst im Mich und im ethischen Gebot der Verantwortung für den Anderen entdeckt, das anders ist als Sein und als das Geschehen von Sein, das vielmehr diesseits der egologischen Herrschaft der Ontologie liegt. Nicht ihm Gleiche und insofern Liebenswerte hat er sich erwählt, sondern Ungleiche und Schwache. In die heillosen Strukturen ‚dieser Welt‘ verstrickte und sich unter der Gewalt ihres ‚Fürsten‘ ängstende Sünder hat er sich als seine Freunde erwählt und sie dadurch erst zu Liebenswerten gemacht. Wenn Jesus diejenigen, die er ins Vertrauen gezogen hat, seine Freunde nennt, so ist er dadurch doch nicht „in gleicher Weise ihr Freund; zusammen bilden sie keinen Freundschaftsbund. (Denn) das im Vergleich von Herr und Sklave ausgesagte Gefälle bleibt bestehen“ (Wengst, Komm. II, 146). Daß die Liebesrelation bei Johannes nicht ‚Wesensgemeinschaft‘ ist (Dibelius), sondern vielmehr ‚Tätergemeinschaft‘, zeigt auch die Wiederaufnahme des Lexems karp∙" aus der einleitenden Weinstock-Metaphorik: „sondern ich habe euch erwählt und dazu ausersehen, daß ihr Frucht bringen sollt, und daß eure Frucht bleibe“. Das Fruchtbringen besteht nach dem näheren Kontext im Tun der Gebote Jesu, die sich verdichten in dem einen Gebot, einander zu lieben. Auch wenn Erwählung und Sendung als die beiden Seiten ein und derselben Medaille aufs engste miteinander verbunden sind, wird man – unter Berufung auf 4,31 ff – das Fruchtbringen doch nicht einseitig auf die möglichen und erwünschten Missionserfolge der Jünger reduzieren dürfen. „Im Blick ist damit (vielmehr) noch einmal ein ‚fruchtbares‘ Gemeindeleben, 648
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15,15–18
das (die) ‚neue Welt‘ aufleuchten läßt und so bleibt“ (Wengst, Komm. II, 146), ein Gemeindeleben, an dem „jedermann erkennen soll, daß ihr meine Jünger seid“ (13,35). Parallel zu dem ºna-Satz, der das Fruchtbringen als Zweck und Inhalt der Erwählung zur Sprache bringt, folgt ihm ein zweiter: ºna Ω ti …n a¢tflshte tÖn patfira †n tù £n∙mat‡ mou dù ≠mõn. Als den vom Sohn Erwählten wird der Vater ihnen gewähren, um was auch immer sie ihn im Namen des Sohnes bitten werden. Die Parallelität der beiden ºna-Sätze zeigt damit an, daß auch die Früchte, die die Jünger durch ihr Tun hervorbringen sollen, vom Vater gewährte Gaben sind. 17: Mit den Worten: „Das (alles) gebiete ich euch, auf daß ihr einander liebet!“, kommt Jesus auf seine Worte zurück, mit denen er in V. 12 diesen zweiten Abschnitt seiner Rede eröffnet hatte. Wengst bemerkt dazu treffend, die „für die erste Leser‑ und Hörerschaft des Evangeliums elementare Bedeutung dieser Mahnung zur Solidarität untereinander (trete) angesichts des im folgenden Abschnitt Ausgeführten deutlich hervor“ (ebd. 147). (3) Wie der Haß der Welt Jesus trifft, so wird er auch seine Freunde nicht verschonen (15,18–16,3) Was die Leser nicht erst seit jenem nun schon mehrfach wiederholten „Wie ich euch geliebt habe“ von 13,34 f und der Ankündigung der Petrusverleugnung (13,36 ff) längst wissen, zumal unser Erzähler ja ihre Kenntnis der synoptischen Prätexte voraussetzt, daß das Jüngersein einen nämlich zum Schicksalsgenossen Jesu macht und daß folglich der Haß der Welt, der Jesus getroffen hat, auch die treffen wird, die ihm ‚nachfolgen‘, das ahnen zumindest auch die erzählten Jünger bereits, seit Thomas sie vor dem Aufbruch nach Bethanien zum Grab des Freundes Lazarus mit dem Wort: ±gwmen kaÑ ™meõ" ºna üpoq›nwmen metû a§toú (11,16) zur Nachfolge aufgerufen hatte. Gleichwohl wird den Jüngern hier nun zum ersten Mal eingehend expliziert, daß die Welt sie hassen wird, weil sie Jesus haßt. Nach 16,4 hatte Jesus ihnen von dieser dunklen Kehrseite ihres Jüngerseins zuvor nämlich darum noch nichts gesagt, weil er selbst ja bei ihnen war und sie als ihr guter Hirte behütete, so daß keines seiner Schafe Schaden nehmen (10,28 f) und keiner derer, die der Vater ihm gegeben hatte, verloren gehen sollte (6,39; vgl. 18,8). 18 f: Anders als die Synoptiker (vgl. Mt 10 parr.) erzählt Johannes von keiner missionarischen Aussendung der Jünger und von deren Negativerfahrungen bei dieser Mission zu Lebzeiten Jesu. Mit den Worten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“, sendet in unserem Evangelium vielmehr erst der Auferstandene seine Jünger in die Welt, nachdem er sie zuvor mit dem Geist begabt und mit der Vollmacht ausgestattet hat, Sünden zu vergeben oder die Sünder bei ihnen zu behaften (20,19 ff). Dennoch entspricht er darin, daß er dies den Jüngern vor seinem Leiden und Sterben erklärt, damit sie von dem Kommenden nicht überrascht und zu Fall gebracht werden, dem Aufriß des Markusevangeliums, wo Jesus die Jünger in seiner ‚apokalyptischen Rede‘ (Mk 13,9–13 parr.) auf die ihnen als seinen Nachfolgern bevorstehenden Verfolgungen vorbereitet. Johannes übernimmt diese Verfolgungstradition aus seinen Prätexten und gibt ihnen dadurch noch „a peculiar Johannine turn“ (Dodd, Interpretation 412), daß er Jesus erklären läßt: „Die Welt haßt euch, weil ihr nicht ihresgleichen seid“ (Ωti dÇ †k toú k∙smou o§k †stfi: V. 19). Auf Mk 13,9 ff 649
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verweisen auch Brown (Komm. II, 692 ff) und Schnelle (Abschiedsreden 73 f), der des Evangelisten Verhältnis zu seinen synoptischen Prätexten freilich durch eine wenig wahrscheinliche Zusatzhypothese belastet und es dadurch unnötig kompliziert, daß er die sogenannte ‚johanneische Schule‘ zur Vermittlerin jener Markustradition an den Evangelisten erklärt. Weil Jesus jetzt von einer Zeit nach der erzählten Zeit redet, wird man das gin„skete in V. 18 als Imperativ begreifen müssen: Wenn es ernst wird, sollen die Jünger bedenken, daß die Welt ihren Herrn schon vor ihnen mit ihrem Haß verfolgt hat. V. 19 fährt dann fort: Wenn ihr †k toú k∙smou wäret, dann würde die Welt euch als ihresgleichen lieben. Weil ihr aber nicht (mehr) aus der Welt seid – denn ich habe euch ja aus der Welt heraus erwählt (†xelex›mhn ≠mô" †k toú k∙smou) –, haßt euch die Welt. Früher hatte Jesus den ûIoudaõoi gesagt: „Ihr seid von unten (†k tùn k›tw †stfi), ich dagegen bin von oben (†gá †k tùn ±nw e¢mi). Ihr seid aus dieser Welt, ich aber bin nicht aus dieser Welt (†gá o§k e¢mÑ †k toú k∙smou to‚tou)“ (8,23). Und am Ende dieser Rede heißt es dann: „Und als er das sagte, glaubten viele an ihn“ (8,30; s. o. z. St.). Und das muß ja heißen, daß sie als Glaubende die Vollmacht empfingen, Gottes Kinder zu werden (1,12 f), daß sie nun nicht mehr †k toú k∙smou to‚tou sind, sondern solche, ‚aus Gott‘ (1,13), die ‚von oben‘ und ‚aus dem Geist geboren sind‘ (3,3 ff). Hier werden wir zu Zeugen dessen, was auch den Jüngern widerfahren sein muß. Denn auch sie sind, was sie jetzt sind, ja nur kraft seines Erwählens. Sie sind nicht, wie ihr Herr, von Haus aus †k tùn ±nw, sondern wie jene ûIoudaõoi waren sie, ehe sie glaubten, ‚von unten‘ und ‚aus dieser Welt‘. Und wie die Reben ihr Wachstum, ihre Kraft und ihre Fruchtbarkeit allein vom Weinstock empfangen, so verbindet sie jetzt allein sein Erwählen mit ihrem Herrn. 20 f: Mit den Worten: „Erinnert euch des Wortes, das ich euch gesagt habe: Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr …“ (13,13 ff), ist unmißverständlich ausgesprochen, daß sie durch sein Erwählen nicht etwa gleichen Wesens mit ihrem Herrn geworden sind. Die neue Information dieser Erinnerung an 13,13 ff besteht darin, daß jetzt die Schicksalsgemeinschaft der Jünger mit ihrem Herrn den definierenden Kontext bildet. Im Hintergrund dürfte Mt 10,24–26 stehen: „Ein Schüler steht nicht über seinem Lehrer und ein Knecht nicht über seinem Herrn. Es genügt, daß der Schüler werde wie sein Lehrer und der Knecht wie sein Herr. Wenn sie schon den Hausherrn Beelzebul gescholten haben, um wieviel mehr werden sie dann seine Hausdiener schelten. Fürchtet euch darum nicht vor ihnen!“ (vgl. Hoskyns, Komm. 480 sowie die entsprechenden Verfolgungstexte: Mt 5,10–12; 10,16 ff; 23,34; Mk 13,9 ff; Lk 9,23 f; 14,27) Mit Jesus und seinem Schicksal verbindet die Jünger allein seine Liebe, und die stiftet – wie wir von Lévinas gelernt zu haben glauben – diesseits aller Rede vom Wesen ein genuin ethisches Verhältnis, das sie zu Schicksalsgenossen ihres Herrn und füreinander verantwortlich macht: „Wie sie mich verfolgt haben, so werden sie auch euch verfolgen. Und wie sie mein Wort bewahrt haben, so werden sie auch das Eure bewahren“. Wenn hier von der Verkündigung der Jünger die Rede ist, dann spricht hier wiederum der bereits zum Vater Erhöhte, der sie mit den Worten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch …“ erst am Ostertag senden wird. Indem Jesus sie aus der Welt heraus als die Seinen erwählt hat, hat er sie der Welt entfremdet, so daß die sie nicht mehr als ihr ‚Eigenes‘ (V. 19) betrachten kann. Darum wird die Liebe der Welt, die nur nach ihrer eigenen Ehre trachtet und allein das Eigene liebt, umschlagen 650
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in Verfolgung und Haß des Fremden. V. 21 erklärt ausdrücklich, daß dieser Haß den Jüngern um des Namens Jesu willen (diÅ tÖ µnom› mou) widerfahren wird, weil sie sich nämlich zu ihm bekennen und seine Gebote halten und damit anzeigen, daß sie auf seine Seite übergelaufen sind. Auch hier dürfte der Evangelist wieder intertextuell mit Mt 10,22 spielen: „kaÑ ≤sesqe miso‚menoi ≠pÖ p›ntwn diÅ tÖ µnom› mou“. So können die Jünger gerade daran, daß sie vom Haß der Welt verfolgt werden, erkennen, daß sie, wenn auch nach wie vor ‚in der Welt‘, dennoch, wie ihr Herr, nicht mehr †k toú k∙smou sind. Umgekehrt soll ihnen daran zugleich deutlich werden, daß ihre Verfolger, weil sie den nicht anerkennen, den der Vater gesandt, durch dessen Mund er gesprochen und dessen Werke er gewirkt hat (5,36 f; 14,10 f u. ö.), mit dem Gesandten auch den Sender hassen, den einzigen Gott, auf den sie sich berufen und von dem sie behaupten, daß er ihr Vater sei (8,41 ff; vgl. Hoskyns, Komm. 480 f). 22–25: Dodd (Interpretation 413) verweist darauf, daß diese Verse auf ihre Weise wiederholen und variieren, was Jesus jenen gesagt hatte, die den Blindgeborenen verfolgt und ausgestoßen hatten. Der war nach dem Täufer, Johannes, der erste Christ, der seinen Glauben öffentlich bekannt hatte und der darum den Haß der Welt erfahren mußte. Und Jesus war vor denen, die sich das Richteramt über ihn angemaßt hatten, für ihn eingetreten und hatte ihnen erklärt: „Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die Blinden zu Sehenden werden, die Nicht-Sehenden aber zu Blinden“. Und als sie ihn daraufhin fragten: „Sind wir denn etwa auch Blinde?“ hatte er ihnen geantwortet: „Wenn ihr denn wenigstens Blinde wäret, dann hättet ihr keine Sünde. Weil ihr (im Gegensatz dazu) aber behauptet: Wir sind Sehende, bleibt eure Sünde!“ (9,39 ff). Das muß, wie V. 22 f sagt, ja wohl heißen, daß bis zum Kommen Jesu die Sünde gleichsam suspendiert ist: „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, dann hätten sie keine Sünde. Jetzt (da ich ja zu ihnen gekommen bin und zu ihnen geredet habe) haben sie im Blick auf ihre Sünde aber keine Ausrede mehr (pr∙fasin o§k ≤cousin). (Denn) wer mich haßt, der haßt auch meinen Vater“. Seinem Reden zu ihnen fügt Jesus sogleich noch seine Werke hinzu, die er unter ihnen getan hat: „Hätte ich unter ihnen die Werke nicht getan, die kein anderer je gewirkt hat, so hätten sie keine Sünde. Doch die haben sie jetzt ja vor Augen (©wr›kasin), und dennoch verfolgen sie nicht nur mich mit ihrem Haß, sondern (wie daran offenbar wird) auch meinen Vater. Doch das tun sie, damit sich das Wort erfülle, das in ihrem Gesetz geschrieben steht: Grundlos haben sie mich gehaßt!“ (V. 24 f). Wieder distanziert Jesus sich nicht von der Tora, wenn er die seinen Jüngern gegenüber jetzt als ¨ n∙mo" a§tùn bezeichnet. Damit behaftet er vielmehr die, die Gott sich zum Eigentumsvolk erwählt und denen er als Unterpfand seiner Treue sein Gesetz gegeben hat, bei ihrer Tora (vgl. Augenstein, Euer Gesetz; u. Hoskyns, Komm. 481). Im übrigen ist n∙mo" hier wohl wieder Bezeichnung der gesamten jüdischen Bibel, denn das Zitat über den grundlosen Haß (†m‡shs›n me dwre›n) entstammt dem Psalter, nämlich Ps 69,5: µnj yanv (= Ps 68,5 LXX: †plhq‚nqhsan ≠pÇr tÅ" tr‡ca" tö" kefalö" mou o´ misoúntfi" me dwre›n). Zwar wäre es auch möglich, daß es sich hier um ein Zitat aus Ps 35,19 handelt, wo es heißt: „Nicht freuen sollen sich, die mich zu Unrecht bekriegen (o´ †cqra‡nontfi" moi üd‡kw"), die mich grundlos hassen (o´ misoúntfi" me dwre›n)“; vgl. auch PsSal 7,1. Doch da Johannes den Psalm 69 bereits in 2,17 zitiert hat und ihn in 19,28 f abermals anrufen wird, dürfte er auch hier sein Prätext sein (vgl. Reim, Studien 42 f u. 160 ff). 651
15,1–16,3
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
26 f: Mit dem nun folgenden Wort von dem Parakleten (¨ par›klhto") nimmt Jesus die Rede von dem Geist der Wahrheit wieder auf, den er in 14,16 als einen nach ihm kommenden ‚anderen Parakleten‘ eingeführt hatte. Wie schon in 14,26 (s. o. z. St.) dient hier der definierende Artikel ¨ als auf 14,16 zurückverweisendes Demonstrativum. Hatte Jesus zu Anfang gesagt, er werde den Vater bitten, daß der den Jüngern einen Anderen als ihren Parakleten geben möge, und hieß es 14,26, der Vater werde diesen ‚im Namen Jesu senden‘, so sagt Jesus jetzt, er selbst werde den Jüngern den Parakleten, nämlich den Geist der Wahrheit (wie 14,16), der vom Vater ausgehe (≈ parÅ toú patrÖ" †kpore‚etai), vom Vater her senden. Bei einem Autor, der gewiß ist, daß nichts von alledem, was existiert, je ohne den geworden ist, der ‚im Anfang bei Gott war‘ (1,1), und den er sagen läßt: ‚Ich und der Vater sind Eines‘ (10,30), ist diese Verschiebung des Akzents vom Vater auf den Sohn sicher nicht absichtslos erfolgt, und erst recht ist sie kein Indiz dafür, daß in den Kapiteln 15–17 ein anderer die Feder geführt hätte als unser Evangelist, wie das einige Ausleger mutmaßen. Im Gegenteil! „Bei einer so kontextbedingten Differenzierung und zugleich sorgfältigen Wahrung des theologisch entscheidenden Verhältnisses zwischen Vater und Sohn ist die (gegenwärtig verbreitete) literarkritische Annahme verschiedener Verfasser in Kap. 14 und Kap. 15 f. weder notwendig noch hilfreich. Sie reißt auseinander, was nach der deutlich erkennbaren Konzeption von Kap. 14–16 insgesamt zusammenzusehen ist“ (Wilckens, Komm. 247). Als der Zeuge dessen, der die Wahrheit ist, heißt der Geist tÖ pneúma tö" ülhqe‡a", denn perÑ †moú wird er zeugen. Es ist u. E. keine Frage, daß Johannes in diesem Verfolgungs-Kontext wiederum mit dem synoptischen Logion spielt: „Wenn sie euch aber vor die Synagogen, vor die Machthaber und vor die Herrschenden führen, dann seid nicht besorgt darum, wie ihr euch verteidigen oder was ihr sagen sollt, denn der Heilige Geist wird euch in jener Stunde lehren, was ihr sagen sollt“ (Lk 12,11; vgl. Lk 21,12 ff; Mk 13,11; Mt 10,19). Mit der Wendung kaÑ ≠meõ" dÇ martureõte, Ωti üpû ürcö" metû †moú †ste (V. 27), werden die Jünger nicht einfach als weitere Zeugen neben den Parakleten gestellt. Von ihrem kontextbedingten futurischen Sinn abgesehen ist die hier gebrauchte Form martureõte des forensischen Terminus martureõn (vgl. Beutler, Martyria pass.) vielmehr als Imperativ zu begreifen, was Beutler (ebd. 271) u. E. unbegründet bestreitet. Darüberhinaus ist das einleitende ka‡ mit dem emphatischen ≠meõ" dfi explikativ, so daß man mit Hoskyns paraphrasieren muß: Ja, ihr seid es vielmehr, die da als Zeugen auftreten müssen und werden („it is ye who must and do bear witness“, Komm. 481 f, wo Hoskyns auf 3Joh 12 als inhaltliche Parallele verweist). 16,1–3: Das habe ich euch gesagt, damit ihr nicht zu Fall kommt (skandalisqöte; vgl. Mt 24,10). V. 2 konkretisiert dann die kommenden Anstöße (sk›ndala), die die Jünger zu Fall bringen könnten, und nennt diese beiden: (1) „Sie werden euch zu aus der Synagoge Ausgeschlossenen machen“ (üposunag„gou" poiflsousin ≠mô"). Und danach: (2) „Ja, es kommt die Stunde, da jeder, der euch tötet, glauben wird, Gott damit ein wohlgefälliges Opfer darzubringen“ (latre‡an prosffirein tù jeù: 16,2). Wie bereits des öfteren gesagt, schreibt Johannes ja nicht die Biographie einer vermeintlichen johanneischen Gemeinde, sondern diejenige Jesu. Und dessen Ankündigung von Verfolgung und Martyrium gilt den in der Erzählung um ihn versammelten Jüngern. Und das sind nach dem Weggang „vieler seiner Jünger“ (6,66 ff) und nachdem Judas vom Tisch des letzten Mahles hinausgegangen war in die Nacht, wohl die verblie652
Dritte Szene: Jesus prädiziert sich selbst als der wahre Weinstock
15,26–16,3
benen Elf. Und ebenso wie unser Erzähler wissen natürlich auch seine potentiellen Leser um die traurige Erfüllung dieser ‚Weissagung‘ Jesu. Denn die Martyrien des Zebedaiden Jakobus (Act 12,2 um 44), und nach Mk 10,35 ff wohl auch das seines Bruders Johannes (s. u. zu 21,20 ff), sowie dasjenige des Petrus (Joh 13,36; 21,18 f) und darüberhinaus diejenigen des Stephanus (Act 7), des Herrenbruders Jakobus mit weiteren unbekannten Judenchristen um das Jahr 62 (Josephus, Ant XX, 200), aber auch die wohl ebenfalls mit Martyrien verbundenen Verfolgungserfahrungen der jungen Gemeinde von Thessaloniki (1Thess 2,14 ff), das Paulusmartyrium sowie die Opfer des neronischen Wütens nach dem Brand Roms im Juli 64 dürften der Christenheit am Ende des ersten Jahrhunderts allgemein bekannt gewesen sein und Jesu Worte hinreichend illustrieren. Daß Jesu Aussage: pô" ¨ üpokte‡na" ≠mô" d∙xÔh latre‡an proffirein tù jeù, schwerlich eine jüdische Praxis zur Zeit des Evangelisten spiegelt, sondern wohl eher „aus der Schrift extrapoliert ist“, sieht M. Davies (Rhetoric 299 f) wohl ganz richtig. Das bei Johannes hier singuläre Lexem latre‡a, das auch im gesamten übrigen Neuen Testament nur noch viermal vorkommt, nämlich in Röm 9,4 und 12,2 sowie in Hebr in 9,1 und 6, ist Ausdruck für den kultischen Dienst Gottes und zumal für die Opferdarbringung. Das letztere gilt natürlich erst recht für die in Joh 16,2 vorliegende Verknüpfung von latre‡a mit prosffirein (vgl. Schnackenburg, Komm. III, 139). Kaum zu Recht spricht Schnackenburg dem Evangelisten freilich die zitierte Aussage von der Opferdarbringung ab und schreibt sie „einem anderen Angehörigen der joh. Schule“ zu. Er begründet das damit, daß die Wendung ≤rcetai øra sonst stets auf die kommende Stunde der Verherrlichung Jesu bezogen sei und daß der Ausdruck latre‡an prosffirein singulär bei Johannes sei. Doch gerade in der absichtsvollen Parallelisierung der Stunde Jesu mit derjenigen seiner Jünger dürfte die Pointe von 16,2 liegen; vgl. Minear, Martyr’s Gospel 24 ff. Dabei macht im übrigen Schnackenburg selbst auf die Nähe dieser Aussage zur biblischen Erzählung von Pinhas aufmerksam, der in heiligem Eifern für Gott den abgöttischen Juden Simri mitsamt seiner midianitischen Buhlerin Kosbi tötete und damit die wütende Seuche vom Gottesvolk abwandte, die schon vierundzwanzigtausend Israeliten dahingerafft hatte (Num 25). Jhwh selbst erklärt Mose dazu: „Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, des Priesters, hat meinen Zorn von den Söhnen Israels abgewandt, indem er mit meinem Eifer unter ihnen eiferte“ (V. 11 ff). Zu dem folgenden V. 13: „Dafür, daß er für seinen Gott eiferte, kann er den Sühneritus an den Söhnen Israels ausführen“, heißt es in NuR 21 (191a): „Pinechas hat für die Kinder Israel Sühnung geschaffen. Hat er denn ein Opfer dargebracht, da von ihm Sühnung ausgesagt wird? Allein es will dich lehren, daß jeder, der das Blut des Gottlosen vergießt, ist wie einer, der ein Opfer darbringt“ (Bill. II, 565). Seit den Tagen der Makkabäer ist der „heilige Eifer des Pinhas“ Motiv aller jüdischen Freiheitsbewegungen (vgl. Hengel, Zeloten 151 ff). Der Traktat Sanhedrin (IX, 6a) sichert allen Eiferern Straffreiheit zu, „‚wenn sie über bestimmte religiöse Verbrecher herfallen‘. d. h. sie töten“ (Schnackenburg ebd.). Doch von derartigen Taten und den entsprechenden Freisprüchen in Prozessen, die solchen Äußerungen entsprächen, wissen wir nichts. Wengst erklärt dazu, „daß in einzelnen Fällen Glaubende aus dem Judentum durch Verursachung oder Beteiligung anderer Juden getötet worden sein können“, und daß es vorstellbar sei, „daß solches Handeln nachträglich im Rückgriff auf die Gestalt des Pinhas Rechtfertigung fand“ (Komm. II, 154). Er fügt dem hinzu, daß Juden an 653
16,4–33
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
solchen Tötungen wohl nur mittelbar als Anstifter und Unterstützer staatlicher Verfolgungsmaßnahmen beteiligt waren: „Sind sie aber als eigentliche Täter gemeint, kann es sich nur um Akte von Lynchjustiz handeln“. Mit der Erinnerung daran, daß diejenigen, die den Jüngern solches antun werden, weder den Vater noch Jesus (an)erkennen, beschließt 16,3 unsere Szene.
Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten (16,4–33) (1) Der Abschied und der kommende Paraklet (16,4–15) 4
Aber das (alles) habe ich euch gesagt, damit ihr euch, wenn ihre Stunde kommt, daran erinnert, daß ich es euch gesagt habe. Ich habe euch das von Anfang an (noch) nicht gesagt, weil ich ja bei euch war. 5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat, und keiner von euch fragt mich: Wo gehst du hin? 6 Vielmehr hat gerade, weil ich euch das gesagt habe, die Trauer eure Herzen erfüllt. 7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, daß ich weggehe. Denn ginge ich nicht weg, dann käme der Paraklet nicht zu euch. Wenn ich aber weggehe, dann werde ich ihn zu euch senden. 8 Und wenn jener dann kommt, dann wird er der Welt demonstrieren, was es um Sünde, um Gerechtigkeit und um Gericht ist. 9 Und zwar um Sünde, sofern sie nicht an mich glauben; 10 um Gerechtigkeit aber, sofern ich zum Vater gehe und ihr mich nicht mehr seht; 11 und um Gericht endlich, sofern der Fürst dieser Welt bereits verurteilt ist. 12 Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber das könnt ihr jetzt (noch) nicht ertragen. 13 Sobald jener aber kommt, nämlich der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn nicht aus sich selbst wird er reden, sondern allein, was er hören wird, wird er sagen, und die künftigen Dinge wird er euch verkündigen. 14 Jener wird mich dadurch verherrlichen, daß er alles aus dem Meinen nehmen und euch verkündigen wird. 15 Alles, was der Vater hat, das ist auch meines. Darum sagte ich: Er wird alles aus dem Meinen nehmen und euch verkünden. V. 4 verknüpft unsere neue Szene mit der vorausgegangenen einmal durch die Wiederaufnahme der Rede von der kommenden Stunde derer, die die Jünger mit ihrem Haß verfolgen werden. Wenn diese Stunde anbricht, sollen sie sich daran erinnern, daß Jesus ihnen das bei seinem Abschied bereits angekündigt hatte. Zum anderen aber weist das taúta lel›lhka nicht nur auf die eben angekündigten künftigen Verfolgungen und möglichen Martyrien der Jünger zurück, sondern auf Jesu gesamte Abschiedsreden seit 14,1. Denn von allem darin Gesagten gilt ja: taúta dÇ ≠mõn †x ürcö" o§k eèpon, Ωti meqû ≠mùn ≥mhn. Weder von seinem Abschied und Hingang zu dem, der ihn gesandt hat, der die Herzen der Jünger mit Trauer erfüllt (V. 6), noch von dem kommenden Parakleten, der ihre Trauer in Freude verkehren soll, noch auch von dem auf sie zukommenden und sie womöglich gar verschlingenden Haß der Welt hatte er †x ürcö" zu ihnen geredet, weil er ja als ihr Paraklet (14,6) und guter Hirte (10) bei ihnen war 654
Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
16,4–5
und sie vor allem Übel bewahrt hat (vgl. 18,8 f). Wegen dieser umfassenden Perspektive von V. 4 folgen wir Moloney, der der traditionellen Zuweisung von V. 4a zu Kapitel 15 und V. 4b zu Kapitel 16 zu Recht widersprochen hat, und begreifen 16,4 darum als die unteilbare Eröffnung der neuen Szene. War das gesamte Kapitel 15 ein reiner Mo‑ nolog Jesu, der sich als Reinterpretation von Joh 13 erwies und seine Mitte hatte in der Wiederaufnahme und Vertiefung des Liebesgebots (13,34 f) und in der Entfaltung von dessen Kehrseite im Haß der Welt, so zeigt sich Joh 16 jetzt als ‚Relektüre‘ (Dettwiler, Gegenwart 213 ff) von Joh 14. Abgesehen von der Wiederaufnahme und Reinterpretation nahezu aller Themen von Joh 14 entspricht Joh 16, im Gegensatz zu dem rein monologischen Charakter von Joh 15, dem 14. Kapitel als seinem von ihm unablösbaren ‚Bezugstext‘ auch darin, daß Jesu Rede hier wie dort von Jüngerfragen unterbrochen wird und so einen dialogischen Charakter gewinnt (vgl. zu den engen Beziehungen zwischen den Kapiteln 14 und 16 auch deren eingehende Auflistung durch Brown, Komm. II, 588 ff). Daß unser Kapitel nicht etwa nur eine Parallelversion von Joh 14 aus dem vermeintlichen ‚Nachlaß‘ des Evangelisten oder eine entsprechende Rede aus seiner ‚Schule‘ ist, die sie hier eingefügt hätte, sondern an seiner Stelle im überlieferten Text des Evangeliums mit seinen konstitutiven Bezügen auf Joh 14 überhaupt erst geschaffen wurde und nur in dieser Relation verstanden werden kann, hat Dettwiler breit und einleuchtend begründet. Da wir aber weder stilistische noch gravierende inhaltliche Differenzen zwischen Joh 13 f und 15–17 zu erkennen vermögen, und da die These, diese Relektüre sei ein Werk der sogenannten ‚johanneischen Schule‘ – ein Gedanke, den Schnackenburg entschieden vertritt (Komm. III, 140 ff) und mit dem auch Dettwiler liebäugelt –, nicht ohne die Belastung durch die zusätzliche Hypothese auskommt, daß vor unserem überlieferten bereits ein Johannesevangelium ohne die Kapitel 15–17 öffentlich existiert haben müßte, erscheint es uns wahrscheinlicher, daß diese Art der weiterführenden Relektüre von zuvor bereits Gesagtem als eine stilistische Eigenart des vierten Evangelisten selbst betrachtet werden muß. 5: Schroff stellt dieser Vers dem †x ürcö", da Jesus noch bei seinen Jüngern war, mit dem nún dÇ ≠p›gw sein Weggehen zu dem gegenüber, der ihn gesandt hat, und nimmt damit erneut das Thema des Abschieds aus Kapitel 14 auf. Als ein absichtsvoller Zug der ‚Relektüre‘ erscheint hier auch erneut die schon 13,36 von Petrus gestellte Frage: k‚rie, poú ≠p›gei"; die Thomas dann so variiert hatte: k‚rie, o§k o¥damen poú ≠p›gei" (14,5): „Jetzt gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat (prÖ" tÖn pfimyant› me), und keiner von euch fragt mich: Wohin gehst du?“ Bei diesem Satz weiß man nicht so recht, ob Jesus nur konstatiert, daß sie ihn nach seinem Wohin nicht fragen, oder ob er beklagt, daß sie verstummt und ihre Herzen von Trauer erfüllt sind, denn sein Wohin hat er ja förmlich im selben Atemzug als seinen Weg zu dem genannt, der ihn gesandt hat. Und schon 14,28 hatte er ihnen ja gesagt: „Wenn ihr mich liebtet, dann müßtet ihr euch darüber freuen, daß ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich“. Mit Dodd (Interpretation 401 ff) sind wir der Meinung, daß sowohl die genannten Neuordnungen der Textfolge als auch die Zuschreibung von Textteilen an andere Autoren, und erst recht die oft damit verbundene Unterstellung, jene Redaktoren, die diese Texte jeweils an ihrem Ort einem vorhandenen Evangelium wenig glücklich eingefügt haben sollen, seien wohl nicht Herren der Lage gewesen, weitaus mehr Probleme erzeugen als sie zu lösen vermögen. Da es nicht unser Ziel ist, die vermeintliche Genese des Evangeliums aufzuklären, sondern seinen überlieferten Text zu begreifen, 655
16,4–33
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
erscheinen uns die zur Interpretation von Joh 16,5 von Hoskyns, Barrett und Dodd gemachten Vorschläge am plausibelsten. Dettwiler, der in der literarischen Wiederaufnahme der Petrus‑ und Thomasfragen von 13,36 und 14,5 ein absichtsvolles Indiz des Vorgangs der Relektüre sieht, erklärt Jesu Vorwurf, daß die Jünger ihn nicht nach seinem Wohin fragten, doppelt: Zum einen seien die Jünger derart in ihrer Trauer gefangen, daß es ihnen die Sprache verschlagen habe, so daß sie nur noch schweigen und das Schicksal Jesu nicht mehr wahrzunehmen vermöchten; zum anderen aber solle V. 5 „dem Leser bereits zu Beginn den neuen Hauptakzent der Rede signalisieren: Nicht mehr die Frage nach dem Weg Jesu (christologische Fragestellung), sondern nach dem Weg der Jüngergemeinde, nach ihrer kritischen Befindlichkeit in einer feindlichen Welt (anthropologisch-ekklesiologische Fragestellung) ist nun Gegenstand der Ausführungen“ (Gegenwart 219 f). Mit anderen Worten heißt das ja wohl: In der Trauer der Jünger und ihrer Furcht vor dem Verlassensein in einer feindlichen Welt hat die Sorge um ihre eigene Zukunft die Frage nach dem Weg ihres Herrn verdrängt. 6–7a: Dabei sollte doch nach 14,28 die Freude darüber, daß Jesus zum Vater geht, der größer ist als er, ihre Herzen erfüllt haben. Aber im Gegensatz zu der Freude, die seine Worte über sein Hingehen zum Vater ihnen eröffnen sollten (üllû Ωti taúta lel›lhka), hat sich ihrer nun Trauer bemächtigt und ihre Herzen erfüllt. l‚ph mit dem aktiven Prädikat peplflrwken ist das ‚handelnde‘ Subjekt des Satzes (vgl. Barrett z. St.). Wörtlich heißt es, die Trauer hat ‚euer Herz‘ (≠mùn tÉn kard‡an) erfüllt. Doch hier wie in 12,40 (= Jes 6,10), 14,1.27 und 16,22 ist der Singular wohl hebräisch-biblischem und aramäischem Sprachgebrauch entsprechend distributiv gebraucht (vgl. Sanders/Mastin 349). So zeigt V. 6 noch einmal, daß Jesu vorausgegangene Klage über das Desinteresse der Jünger an dem Wohin seines Weggehens „the function of a literalistic question“ hatte und dazu diente, „to introduce a deeper explanation, which is such a frequent device in the Johannine discourses. But it is put in this unusual form of a suggestion by Jesus himself, so as not to anticipate the dialogue of verses 16–19, which John is using as his model for the quasi-dialogue at this point“ (Lindars, Komm. 499). Die Wendung: üllû †gá tÉn ülflqeian lfigw ≠mõn, dient der Einführung der neuen und vierten Verheißung des Geistes der Wahrheit als des Parakleten. Schwerlich ist darin ülflqeia einfach als Gegensatz zu yeúdo" zu begreifen, wie Bultmann zu unterstellen scheint, wenn er erklärt, das †g„ sei unbetont und die Wendung habe hier „den formalen Sinn: es ist wahr, was ich sage; also etwa = ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn“ (Komm. 430; Ähnliches erwägt auch Barrett, Komm. 472). Doch dafür würde Johannes wie in 4,18 oder 19,35 ülhqfi" oder ülhqö lfigein gebrauchen (de la Potterie, Vérité I, 58 f). Es geht vielmehr auch hier um die Wahrheit der Offenbarung, zu der Jesu Weggehen als die Bedingung für das Kommen des Parakleten konstitutiv hinzugehört. Diese ‚Wahrheit‘ ist für die Jünger jedoch einstweilen noch eine paroim‡a (16,25), die ihnen erst der verheißene Paraklet erschließen wird. „En déclarant à ses disciples qu’il s’en aille. Jésus, certainement, dit une chose paradoxale, énigmatique, que les apôtres étaient incapables de comprendre sur l’heure: ils ne pourraient en saisir le vrai sens que lorsque le Paraclet serait venu. Ainsi, la parole dit par Jésus à la dernière Cène était déjà une vraie révélation, quoique encore implicite et voilée“ (ebd.). Zu der Wendung sumffirei ≠mõn ºna ≤gá üpfilqw, es kommt euch zugute und geschieht zu eurem Heil, daß ich fortgehe, vgl. das prophetische Wort des Hohenpriesters in 11,50 u. 18,14 u. s. Barrett (Komm. 472). Da das Weggehen Jesu die heilsge656
Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
16,5–8
schichtlich notwendige Bedingung dafür ist, daß der Paraklet zu den Jüngern kommen kann, geschieht es tatsächlich zu ihrem Heil: †Ån gÅr mÉ üpfilqw, ¨ par›klhto" o§k †le‚setai prÖ" ≠mô" (vgl. 7,37ff). Auch wenn man aufgrund der Mehrheit, der Diversität und Qualität der Zeugen wohl mit Nestle/Aland27 das durch einfaches o§k verneinte †le‚setai lesen muß, ist die von B L Y 33 pc anstelle der einfachen Verneinung durch o§k bezeugte stärkste Verneinung o§ mÉ (≤lqÔh) als eine frühe Paraphrase sachlich jedenfalls treffend. Der kurze Satz: „Wenn ich aber hingehe, werde ich ihn (den Parakleten) zu euch senden“ (pfimyw a§tÖn prÖ" ≠mô") fehlt in P66*vid u. a. wohl nur aufgrund des Homoioteleutons prÖ" ≠mô" im vorausgegangenen Satz. 7b–8: Wir behandeln diesen Abschnitt als die vierte, letzte und umfassendste der Verheißungen des Parakleten. Sie setzt alle drei ihr vorausgegangenen, nämlich 14,16 f, 14,26 und 15,26, voraus und will als deren Resümee verstanden sein. Darum verbieten sich u. E. auch alle Textumstellungen. Auch daß Jesus nun – wie schon in 15,26 (≈n †gá pfimyw ≠mõn parÅ toú patr∙") – ausdrücklich sagt, er selbst werde den Parakleten zu ihnen senden, ist angesichts seiner Einheit mit dem Vater kein Widerspruch zu 14,16, wo er erklärt hatte, der Vater werde den Geist auf seine Bitte hin senden, und zu 14,26, wo es hieß, der Vater werde ihn in seinem Namen senden. Denn gerade diese, bei einem Autor wie unserem Evangelisten, gewiß nicht zufälligen Variationen bringen auf ihre Weise unnachahmlich das †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30) zur Sprache. War von dem Parakleten zuerst gesagt, daß der Kosmos ihn nicht empfangen könne, weil er ihn im Gegensatz zu den Jüngern weder sehe noch erkenne (14,17), so heißt es nun in scheinbarem Widerspruch dazu, der Paraklet werde den Kosmos bezüglich dessen, was Sünde, was Gerechtigkeit und was Gericht ist, ins Unrecht setzen, oder er werde ihm demonstrieren, was diese Trias in Wahrheit bedeute: †keõno" †lfigxei tÖn k∙smon perÑ ®mart‡a" kaÑ perÑ dikaios‚nh" kaÑ perÑ kr‡sew". Gleichwohl wäre es aber töricht zu fragen, wie denn ein Geist eine Welt soll überführen können, den diese weder zu sehen noch zu erkennen vermag. Denn zum einen ist k∙smo" bei Johannes ein höchst ambivalentes Lexem, dessen jeweilige Bedeutung nur der Kontext erschließt. Darum muß hier daran erinnert werden, daß es Gottes Liebe zum Kosmos ist, die ihn zur Gabe seines Sohnes bewegte, und daß er diesen Sohn ebenso wie ja wohl auch jenen ‚anderen Parakleten‘ nicht in die Welt gesandt hat, ºna kr‡nÔh tÖn k∙smon, üllû ºna swqÔö ¨ k∙smo" diû a§toú (3,17). Und zum anderen vollzieht sich das Zeugnis des Geistes für Jesus ja nicht nur neben, sondern zugleich auch in, mit und unter dem Zeugnis der Jünger, die sehr wohl sichtbar sind und an deren Liebe zueinander der k∙smo" sie doch als Jesu Jünger erkennen soll (13,34 f). De la Potterie (Vérité I, 399 ff u. 422 ff) unterscheidet innerhalb dieser Passage die V. 7–11 als die vierte von V. 12–15 als fünfte und letzte der Paraklet-Verheißungen. Sofern die Tätigkeit des Parakleten in den V. 7–11 auf den k∙smo" gerichtet ist (†lfigxei tÖn k∙smon), während in den V. 12–15 wieder seine Relation zu den Jüngern im Zentrum steht, könnte man tatsächlich so unterscheiden. Doch de la Potterie bezieht die V. 7–11 gerade nicht auf das Forum der Weltöffentlichkeit, sondern deutet sie als „la démonstration de la culpabilité du monde par le Paraclet, qui se passe uniquement dans le cœur des disciples“ (ebd. 410). Das aber macht seine eigene Unterscheidung zweier Verheißungen fragwürdig. Im Anschluß an Berrouard (Paraclet) bezweifelt er nämlich, daß es sich bei diesem ‚Überführen der Welt‘ primär überhaupt um das Zeugnis des Parakleten vor dem k∙smo" und/oder um das geistvermittelte Zeugnis 657
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
der Jünger vor Synagogen und Herrschenden handeln könne, wie in den synoptischen Verfolgungslogien. Denn auch wenn von dem Parakleten hier gesagt werde: †keõno" †lfigxei tÖn k∙smon, dürfe man darüber doch nicht übersehen, daß er auch hier nicht in die Welt gesandt werde, sondern daß Jesus verspricht, ihn zu seinen Jüngern zu senden (pfimyw a§tÖn prÖ" ≠mô"). Darum will de la Potterie die Passage in dem Sinne verstehen, daß der Geist den Jüngern als testimonium internum die Sünde der Welt aufdecken und sie dadurch allererst zu Zeugen Jesu machen wird. Doch dabei übersieht er, daß nach V. 8 doch der k∙smo" der Adressat des parakletischen †lfigcein ist und nicht etwa die Jünger. Immerhin könnte er mit seiner einseitigen Interpretation aber einen Nebenton der Verheißung hörbar gemacht haben. Denn unter dem Gesichtspunkt der ≤legxi" des k∙smo" durch den Parakleten perÑ dikaios‚nh" erklärt Jesus: Ωti prÖ" tÖn patfira ≠p›gw kaÑ o§kfiti qewreõtfi me (V. 10). Zu dieser unvermittelten Anrede der Jünger mit dem auffälligen qewreõtfi me hatte schon Bultmann bemerkt: „Es könnte ja auch heißen: Ωti o§kfiti qewroús‡n me. Aber die Paradoxie des Sieges wird durch das qewreõtfi me viel stärker zum Ausdruck gebracht, indem vom Standpunkt der Jünger aus geredet wird: sie sollen wissen, daß gerade die Tatsache, daß sie ihn nicht mehr sehen, sein Sieg ist“ (Komm. 435, Anm. 2). Im Sinne de la Potteries wäre dem nur noch hinzuzufügen: Eben dessen wird der verheißene Paraklet sie gewiß machen „by providing convincing proof of the world’s wrongdoing“ (Tolmie, Farewell 217). 9: „Das Ωti der Sätze V. 9–11 ist natürlich jedesmal explikativ, nicht begründend gemeint“ (Bultmann, Komm. 434). Wir haben es deshalb oben mit ‚sofern‘ übersetzt. Weil Carson dagegen den abstrakten Charakter der drei artikellosen Lexeme ®mart‡a, dikaios‚nh und kr‡si" nicht beachtet, sondern sie als konkrete Beschreibungen des verlorenen Zustandes der Welt nimmt, begreift er das dreifache Ωti jeweils als kausale Konjunktion (Function 558 ff: „he will convict the world of its sin, its righteousness, and its judgment“; ebd. 565). Da diese Explikationen durch Ωti alle drei auf den Weg und den Sieg Jesu bezogen sind, stimmen wir Thüsing zu, der ganz zutreffend auf die Parallelität des martureõn des Parakleten in 15,27 mit seinem †lfigcein in unserer Passage verweist und daraus schließt, daß „das †lfigcein als Bezeugen des Unrechts der Welt … durch denselben Akt (geschieht), der positiv Bezeugung Jesu und seines Sieges ist“, und daß gerade deshalb „auch dieses †lfigcein (bei dem als Objekt vor allem die den Glauben Verweigernden im Blick stehen) noch ein martureõn ist, das auf die Weckung des Glaubens hingeordnet ist“ (Erhöhung 143 f). In diesem Sinne hält auch Hegermann eine „heilvolle Zuspitzung des Überführens (für) das Wahrscheinlichste“ (Eigentum 118). Darum sind die V. 8–11, die vom †lfigcein tÖn k∙smon perÑ ®mart‡a" kaÑ perÑ dikaios‚nh" kaÑ perÑ kr‡sew" reden, nichts anderes als die negative Kehrseite des positiven Zeugnisses des Parakleten und der Jünger für Jesus von 15,26 f; Blank nennt sie die „Komplementärfunktionen des einen Zeugnisses“ des Parakleten und der Jüngergemeinde (Krisis 332; vgl. Lindemann, Gemeinde 152 f). Und wie die durch die österliche Gabe des Geistes ausgerüsteten und als seine Zeugen in die Welt gesandten Jünger Jesu (20,21 f), so setzt auch der Paraklet mit seiner ≤legxi" des k∙smo" nur fort, was schon die Kehrseite von Jesu eigenem Wirken durch seine Worte und seine Taten war: vgl. nur Jesu eigenes Resümee seiner öffentlichen Wirksamkeit in 12,44 ff sowie in 3,19 ff; 5,45; 8,46; 9,39 ff; 15,22 ff u. s. Schenke, Komm. 313). Ist aber das †lfigcein des k∙smo" durch den Parakleten nur die negative Kehrseite seines positiven und die Welt zum Glauben rufenden martureõn, dann darf man diese beiden Seiten nicht aus658
Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
16,8–9
einanderreißen und zur Funktion seiner ≤legxi" erklären: „Seine Aufgabe besteht also nicht im Gewinnen von Menschen. Hier wird nicht missioniert, sondern gerichtet“ (Dietzfelbinger, Abschied 189). Was es um Sünde ist, wird der Paraklet daran aufdecken, daß sie nicht an Jesus glauben (Ωti o§ piste‚ousin e¢" †mfi: V. 9). Dabei nimmt der Erzähler mit dem Plural sie glauben nicht die Rede von denen wieder auf, von denen Jesus zuletzt gesagt hatte: „Aber das alles werden sie euch antun, weil sie weder meinen Vater noch mich anerkennen“ (16,3). Statt sich von dem Wort: „Grundlos haben sie mich mit ihrem Haß verfolgt“ (Ps 69,10), das in ihrer eigenen heiligen Schrift geschrieben steht, zur Umkehr bewegen zu lassen, haben sie es an dem gerechten Jesus ganz buchstäblich zur Erfüllung gebracht (15,21 ff; s. o. z. St.). Schon einmal, nämlich nach Jesu Reinigung des zum Kaufhaus verkommenen ‚Hauses seines Vaters‘ in Jerusalem (2,14 ff), hatten sich die Jünger eines anderen Wortes aus eben diesem Psalm 69 ‚erinnert‘, nämlich des Wortes: ¨ zölo" toú o¥kou sou kataf›geta‡ me (V. 10). Im Vorblick auf das tatsächliche Ende Jesu am Kreuz hatte der allwissende Erzähler dabei das Vergangenheitstempus katfifagfin me der LXX durch das Futurum kataf›geta‡ me ersetzt (2,17). Darum bezeichnen die Worte: Ωti o§ piste‚ousin e¢" †mfi, primär nicht irgendein dogmatisches Defizit jener hier unbestimmt ‚sie‘ Genannten, sondern damit zugleich ihr zutiefst ethisches Versagen. Zu lieben vermögen sie nur ihr Eigenes. Statt nach der Ehre Gottes zu trachten und seine Gebote zu halten, sind sie allein auf ihre eigene Ehre aus und verfolgen alles Fremde mit ihrem grundlosen Haß. Darin manifestiert sich, daß sie nicht ‚an Jesus glauben‘. Denn allein daran, daß einer Jesu Gebote hält, die in seinem Liebesgebot gipfeln, vermag er zu erkennen, daß er ihn erkannt hat und an ihn glaubt (1Joh 2,3 ff). Wird das nicht stets mitbedacht, dann ist es zumindest höchst mißverständlich, die Verweigerung des Glaubens an Jesus als die ‚Ursünde‘ des k∙smo" zu bezeichnen. Die beginnt vielmehr bereits im Paradies und dann mit dem Haß Kains, der †k toú ponhroú war und seinen Bruder ‚abschlachtete‘ (≤sfaxen tÖn üdelfÖn a§toú: 1Joh 3,11 f; vgl. dazu Augenstein, Liebesgebot 109 ff). Das Lexem ®mart‡a begegnet in unserem Evangelium ganz programmatisch zum ersten Mal im Munde Johannes des Täufers, als er seinen eigenen Jüngern gegenüber Jesus als das Lamm Gottes prädiziert, das die Sünde der Welt beseitigt: ¥de ¨ ümno" toú qeoú ¨ a¥rwn tÉn ®mart‡an toú k∙smou (1,29); erinnernd wieder aufgenommen durch das Kürzel: ¥de ¨ ümno" toú qeoú in 1,36 und – in intertextuellem Spiel mit diesem Täuferwort – in 1Joh 3,5 mit den Worten o¥date Ωti †keõno" †faner„qh, ºna tÅ" ®mart‡a" ±rÔh. Daß und wie Jesus gekommen ist, die Sünde der Welt zu beseitigen, zeigt auch Joh 5,14, wo er dem soeben geheilten Paralytischen gebietet: mhkfiti ®m›rtane, ºna mÉ ceõr∙n so‡ ti gfinhtai (vgl. Mk 2,1ff u. s. o. z. St.). Wenn endlich der Auferstandene seine Jünger mit dem Geist begabt und sie bevollmächtigt, Sünden zu vergeben oder sie zu behalten, damit sie als seine Gesandten so sein Werk der Erlösung des k∙smo" fortsetzen (20,19 ff), muß der Leser sich wieder an jenes Täuferwort vom Anfang erinnern. Gehäuft erscheint danach ®mart‡a in Joh 8, wo Jesus den Pharisäern dreimal sagt, wenn sie nicht glaubten, daß er der †g„ e¢mi ist, müßten sie ‚in ihren Sünden sterben‘ (V. 21–24). In V. 34 erklärt er, daß jeder, der sündige, ein Sklave der Sünde sei. Und endlich müssen seine Antagonisten sich fragen lassen, ob denn etwa einer unter ihnen ihn der Sünde überführen könne (†lfigcei me perÑ ®mart‡a": V. 46). Als die Pharisäer den eben sehend gewordenen Blindgeborenen zum zweiten Mal verhören (Joh 9,24 ff) und dabei als angeblich ausgewiesene ‚Jünger Moses‘, durch den Gott selbst geredet habe, zu wissen behaupten, daß Jesus doch Mose gegenüber nichts anderes als ein sündiger Mensch sei, widerspricht ihnen der derart Verhörte mit dem Argument, ein derartig beispielloses Wunder könne doch nur einer vollbringen, der Gott fürchte und seinen
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Willen tue. Doch als einen, der ganz und gar in Sünde geboren sei, erklären sie ihn in derartigen Fragen für inkompetent (9,34). Und, als sei Jesus Ohrenzeuge dieses merkwürdigen Verhörs gewesen, urteilt er dann über diese sich die Rolle von Richtern anmaßenden Pharisäer so: „Wenn ihr doch wenigstens blind wäret, dann hättet ihr keine Sünde. Da ihr jetzt aber behauptet, wir sehen, bleibt eure Sünde bestehen“ (V. 41). Ähnlich, wenngleich problematischer, ist die oben behandelte Aussage des scheidenden Jesus über die, die seine Jünger mit ihrem Haß verfolgen werden: „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, dann hätten sie keine Sünde. Jetzt aber haben sie keine Entschuldigung mehr für ihre Sünde, (denn) wer mich haßt, der haßt auch meinen Vater“ (15,22 f).
Die problematische Differenz zu 9,41 liegt darin, daß jetzt nicht wie dort gesagt wird, die Sünde derer, die behaupten, Sehende zu sein, und Jesus dennoch verwerfen, bleibe an ihnen haften, sondern daß es hier heißt, sie hätten überhaupt keine Sünde (®mart‡an o§k e¥cosan), wenn Jesus nicht gekommen und zu ihnen geredet sowie seine Werke vor ihren Augen getan hätte. Das läßt sich kaum anders als so verstehen, „daß die Sünde der Welt erst nach dem Gekommensein Jesu und in ihrer Entscheidung gegen Jesu Wort und Werk definitiv geworden ist“ (Onuki, Gemeinde 135). Weil aber mit dieser Entscheidung ja derjenige verworfen wird, der von Gott gesandt war, die Sünde der Welt zu beseitigen, kann das im Kontext unseres Evangeliums natürlich nicht heißen, daß die Sünde nicht schon vor Christus in der Welt gewesen wäre. So fährt Onuki ebd. denn auch fort: „Jesu Gekommensein und seine Zuwendung zur Welt setzen freilich ihre tatsächliche Verlorenheit einfach voraus“. Wir fragen uns allerdings, ob man aus dieser isolierten Stelle wie Onuki schließen darf, daß für den Evangelisten die Sünde nicht schon in dieser Verlorenheit bestehe, sondern daß erst der Haß der Welt gegen Jesus und den göttlichen Liebesakt seiner Sendung ‚Sünde‘ genannt werden könne. Noch schärfer formuliert Stenger: „Ohne dieses sein Kommen in Wort und Werk und ohne die damit gegebene Möglichkeit positiver wie negativer Stellungnahme gegenüber seiner Person gäbe es keine Sünde“ (Dikaios‚nh 6). Doch für Johannes war der di›bolo" als ±rcwn toú k∙smou to‚tou schon üpû ürcö" ein ünqrwpokt∙no" (8,44; vgl. 1Joh 3,11 ff), und bereits Abraham, der derartige vom Haß inspirierte Werke nicht getan hat (8,40), hat den Tag Jesu voller Freude gesehen (8,56). Sünde gibt es also nicht erst post Christum natum in der Welt, sondern bereits üpû ürcö", so wahr das im Fleischgewordenen erschienene und Sünder von Gerechten scheidende Licht den Menschen immer schon leuchtete. Nicht „solange“ (∫w"), sondern „jedesmal (Ωtan), wenn ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt“, hatte Jesus seinen Jüngern erklärt (9,5; s. o. z. St.). Seine Kommentierung von Joh 15,21–25 beschließt L. Schenke mit der nachdenklichen Anmerkung: „Der Text legt die Annahme nahe, daß der Autor und seine Leser wegen religiöser Auseinandersetzungen unter den Gewalttätigkeiten einer jüdischen Mehrheit zu leiden hatten. Dafür suchen sie nach Gründen und finden keine. Aber Vorsicht vor Verurteilung! Nur etwa 200 Jahre später werden sich die Verhältnisse umgekehrt haben und eine friedliche jüdische Minderheit wird durch eine staatlich protektionierte christliche Mehrheit bedrängt werden, Jahrhunderte lang mißachtet, verfolgt und fast ausgerottet sein. Deshalb dürfte sich das Urteil Jesu im JohEv längst gegen die ‚Christen‘ gewendet haben und jetzt ihnen den Vorwurf grundlosen Gotteshasses entgegenhalten“ (Komm. 307). Ähnlich urteilt Wengst: „Die in V. 2 angesprochene Erfahrung ist es also, die Johannes so reden läßt, wie er es tut. Wie in Kap. 8 ‚die Juden‘ auf die Tötungsabsicht festgelegt werden, so wird hier die jüdische Welt 660
Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
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aufgrund gemachter Erfahrungen nur in ihrem negativen Verhalten gegenüber der Gemeinde gesehen. Löst man die Aussagen des Johannes aus diesem Zusammenhang und spricht gegen inzwischen gemachte andere Erfahrungen weiterhin vom ‚Unglauben der Juden‘, werden sie zur bloßen Ideologie“ (Komm. II, 158). 10: perÑ dikaios‚nh" dfi, Ωti prÖ" tÖn patfira ≠p›gw kaÑ o§kfiti qewreõtfi me. Umstritten ist, was hier mit dem Lexem dikaios‚nh bezeichnet wird. Von den insgesamt 92 Vorkommen des Lexems im gesamten NT, davon 50 allein bei Paulus, finden sich in unserem Evangelium nur zwei, nämlich hier und in V. 8; dazu kommen noch drei für die Deutung unserer Passage gewichtige Vorkommen in 1Joh 2,29; 3,7 und 3,10. Ähnlich wie hier, wo dikaios‚nh offensichtlich das Oppositum zu ®mart‡a ist, wird das Adjektiv d‡kaio" im 1Joh gebraucht, wo etwa von Kain gesagt wird: tÅ ≤rga a§toú ponhrÅ én, tÅ dÇ toú üdelfoú a§toú d‡kaia (3,12), wo Jesus im Sinne seiner Sündlosigkeit als der ‚Gerechte‘ bezeichnet wird (1,9; 2,1.29; 3,7), und 3,7: ¨ poiùn tÉn dikaios‚nhn dikai∙" †stin, kaqá" †keõno" d‡kai∙" †stin. Das mit 39 Vorkommen im NT und zumal für die paulinische Theologie bezeichnende Verbum dikai∙w (25mal!) fehlt dagegen kaum zufällig im gesamten Corpus Iohanneum. Daß Johannes an Stellen, wo man das Lexem dikaios‚nh erwartet, das Nomen ülflqeia verwendet (vgl. 3,21; 4,23 f; 8,32.44; 14,6; 17,17.19; 18,37 f), hat Lindars wohl treffend beobachtet (Komm. 502). Hinsichtlich des Gebrauchs der Konstellation von †lfigcein mit Sünde, Gerechtigkeit und Gericht in unserer Passage ist zunächst nur ein Doppeltes klar. Einmal nämlich, daß sie in der jüdischen Apokalyptik beheimatet ist. Das haben neben anderen zumal O. Betz (Paraklet 192 ff) und U. B. Müller (Parakletvorstellung 69 f) einleuchtend erwiesen. Der Judasbrief beruft sich darauf, daß Henoch prophezeit habe: „Siehe, es kommt der Herr mit seinen heiligen Myriaden, um über alle zu Gericht zu sitzen (poiösai kr‡sin katÅ p›ntwn) und jeden Menschen wegen aller seiner gottlosen Werke anzuklagen“ (kaÑ †lfigxai pôsan yucÉn perÑ p›ntwn tùn ≤rgwn üsebe‡a" a§tùn: Jud 14 f). Der Verfasser spielt hier wohl mit dem Text einer griechischen Version der Henochapokalypse; vgl. die Kommentare z. St. und s. Uhlig (äthHen 508 f). Ähnliches findet sich in 4Esr 12,32 f; 13,37 f; syrBar 40,1 f. Dieser feste apokalyptische Zusammenhang zeigt, daß im eschatologischen Gericht die Scheidung der Sünder von den Gerechten erfolgt. Darum müssen die Lexeme ®mart‡a und dikaios‚nh auch in unserer Passage wohl der Bezeichnung dieser Alternative dienen. Auch die durch das Zeugnis des Parakleten heraufgeführte kr‡si" scheidet also die Sünder von den Gerechten (vgl. Lindars, Komm. 502 f). Und zum anderen zeigen die drei Ωti-Explikationen von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht, daß der Paraklet, was es um diese Trias ist, an Jesus und seinem Weg zum Vater erweisen wird. Hatch hatte einst vorgeschlagen, dikaios‚nh hier im Sinne des paulinischen Gedankens der gnadenhaften Rechtfertigung des Sünders zu begreifen, „according to which the believer is justified, or acquitted of his sins, through the pleading of Christ as his advocate in presence of the Father in heaven“ (Meaning 105). Lindars erklärt dazu jedoch treffend, hier dürfe keine unmittelbare Abhängigkeit von Paulus postuliert werden. Man müsse vielmehr sehen, daß Paulus und Johannes den genannten apokalyptischen Hintergrund je auf ihre Weise verarbeitet haben. Seiner Meinung nach macht der Satz über die dikaios‚nh deutlich, daß es nicht das bloße Glauben an Jesus ist, das von den Sünden befreit, sondern, daß es darauf ankommt, was einer 661
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
glaubt: „It is the fact that God has taken action for the salvation of men (3,16), and that belief is not merely intellectual assent but a matter of entrusting oneself to God on the grounds that he has done so“ (ebd.). Wie in den apokalyptischen Prätexten sieht Lindars dikaios‚nh als das positive Gegenüber von ®mart‡a, so daß nur derjenige sich im Gericht – d. h. hier: im †lfigcein des Parakleten – als Gerechter erweisen wird, der an die Vollendung des göttlichen Erlösungswerkes durch Jesu Hingehen zum Vater glaubt und diesen Glauben durch die ihm entsprechende Praxis sichtbar macht. Die Worte: kaÑ o§kfiti qewreõtfi me, deutet Lindars dementsprechend so: „i. e. you will remain in the world to make known this fact, and so to bring it to bear upon the lives of men. For it is in the mission of the disciples that the Paraclete convicts the world, exposing men’s hearts for the verdict one way or the other, according to their response“ (503; vgl. auch ders., Dikaios‚nh). Das Verständnis der ≤legxi" des Kosmos durch den Parakleten bezüglich Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist höchst umstritten. All den dort erörterten Interpretationen gegenüber halten wir diejenige von Lindars für die plausibelste und folgen ihr darum. Da der k∙smo" nach Joh 14,17 den Geist der Wahrheit weder zu empfangen, noch zu sehen oder zu erkennen vermag, müssen es nach 15,27 die Jünger sein, die ihm Gestalt und Stimme verleihen, oder besser: in denen er sich sichtbar, hörbar und – da der geliebte Jünger ja einer aus ihrer Mitte ist – auch lesbar machen wird. „Jesu Schülerschaft, die ihn nicht mehr sieht, vertraut im Blick auf den im Evangelium erzählten Weg Jesu doch auf ‚Gott …, der Recht und Gerechtigkeit schafft für alle Bedrängten‘ (Ps 103,6); und sie praktiziert selbst diese Gerechtigkeit im Halten des Vermächtnisses Jesu“ (Wengst, Komm. II, 159). Ob sie diese Gerechtigkeit indes wirklich praktiziert, ist freilich eine andere Frage. Sicher ist nur, daß sie das tun sollte, weil allein daran erkannt werden kann, daß sie Jesu Jüngerschaft ist (13,35). 11: Endlich heißt es, daß der Paraklet den Kosmos auch darüber ins Bild setzen wird, was es um das Gericht ist: perÑ dÇ kr‡sew", Ωti ¨ ±rcwn toú k∙smou to‚tou kfikritai. Wie das Perfekt kfikritai zeigt, ist die definitive Verurteilung des Fürsten der Welt, die das †lfigcein des Parakleten ans Licht bringen wird, zwar in der Vergangenheit erfolgt, als Jesus durch seinen Tod hindurch zu seinem Vater ging, aber sie bleibt fortan das jede neue Gegenwart bestimmende Geschehen. Im Futurum hatte Jesus zuvor schon einmal erklärt: Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt nach außen hinausgestoßen werden 12,31: nún ¨ ±rcwn toú k∙smou to‚tou †blhqflsetai ≤xw (s. o. z. St.). Und in 14,30 hatte er mit dem Nahen des Fürsten der Welt begründet, daß er vieles nicht mehr mit seinen Jüngern bereden könne (s. o. z. St.). „Auch hier ist es so, daß der Beistand, der Geist, dieses Gericht durch die Gemeinde aufdeckt. Sie erweist es, sie zeigt die Nichtigkeit des ‚Herrschers dieser Welt‘, indem sie sich seinem Einfluß verweigert, indem sie sich in ihrem Verhalten von Unrecht und Gewalt nicht bestimmen läßt. Bleibt sie trotz der sie treffenden Feindschaft bei Jesus, bleibt sie in der Liebe (vgl. 15,19), so gibt sie Zeugnis für das, was wirklich gilt und Zukunft hat“ (Wengst, Komm. II, 159). 12: Nachdem Jesus seine Jünger in den V. 8–11 über das richterliche Wirken des Parakleten der Welt gegenüber ins Bild gesetzt hat, folgt in diesem neuen Abschnitt nun die Explikation seiner Funktionen innerhalb der Jüngerschaft. Eingeleitet wird sie durch den Satz: „Ich habe euch noch vieles zu sagen, doch das könnt ihr jetzt noch nicht ertragen“ (V. 12). Wie 14,30; 2Joh 12; 3Joh 13 zeigen, ist die Wendung pollÅ 662
Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
16,10–13
≤cw ≠mõn lfigein eine „konventionelle Abschlußformel“ (vgl. Dietzfelbinger, Abschied 193; u. Bultmann, Komm. 441). Das daran angeschlossene üllû o§ d‚nasqe bast›zein ±rti liefert die Begründung dafür, daß Jesus jene poll› jetzt noch nicht sagen kann: Seine Jünger könnten sie in dieser Abschiedsstunde noch nicht ertragen (bast›zein heißt im Alltagsgebrauch tragen, metaphorisch – wie hier – gelegentlich ertragen, die Bedeutung begreifen oder verstehen, so Strathmann z. St. und ähnlich Dettwiler, Gegenwart 231, Anm. 65, ist nicht nachweisbar; vgl. Bauer, WB s. v.). 13: Durch das maskuline Demonstrativum †keõno" nimmt der Erzähler das eher personal klingende ¨ par›klhto" von V. 7 auf und verknüpft so – im Spiel mit der Rede vom ‚Geist der Wahrheit‘ als einem ‚anderen Parakleten‘ (14,16 f) – das folgende Neutrum tÖ pneúma tö" ülhqe‡a" geschickt mit diesem Maskulinum. Dadurch verleiht er dem pneúma die Personalität des Parakleten. Und wie er zu Eingang (14,16) den Geist der Wahrheit als ‚einen anderen Parakleten‘ bezeichnet hatte, so kommt er in diesen letzten Worten über den jetzt ja bekannten Parakleten auf diesen Anfang zurück, indem er ihn wieder den ‚Geist der Wahrheit‘ nennt. Die erste neue Information über diesen Geist besteht darin, daß er die Jünger in die ganze Wahrheit führen wird: ¨dhgflsei ≠mô" †n tÔö ülhqe‡a p›sÔh. Gegenüber dieser von a D L W Q 1.33.565 al it bezeugten Lesart bietet der Mehrheitstext, angeführt von A B 054 u. a.: ¨d. ≠m. e¢" tÉn ülflqeian pôsan. Da ¨dhgeõn mit der Angabe des Zieles solcher Weg-Führung durch e¢" aber geläufiger Sprachgebrauch und deshalb die Formulierung mit †n die lectio difficilior ist, wird man die letztere vorziehen (vgl. Metzger, Comm. 247). Doch weil in der Koine †n eine große Bedeutungsbreite hat und auch im Sinne des klassischen e¢" gebraucht werden kann, ist der Unterschied zwischen diesen Lesarten nicht so groß (vgl. Dettwiler, Gegenwart 232, Anm. 66). Das Verbum ¨dhgeõn kommt bei Johannes nur hier vor und seine Konnotation mit ülflqeia verweist deutlich auf das †g„-e¢mi-Wort von 14,6 zurück, durch das Jesus sich als der Weg, die Wahrheit und das Leben prädiziert hatte. Jesus selbst ist der Weg, auf dem der Geist der Wahrheit seine Jünger führen, und er ist die ganze Wahrheit, in der er sie orientieren wird. Im Blick auf Psalmtexte wie: ¨dflghs∙n me †pÑ tÉn ülflqei›n sou, kaÑ d‡dax∙n me (Ps 24,5) oder d‡dax∙n me toú poieõn tÖ qfilhm› sou ... tÖ pneúm› sou tÖ ügaqÖn ¨dhgflsei me †n gÔö e§qe‡a (Ps 24,9; 142,10), wo ¨dhgeõn und did›skein jeweils in synonymen Parallelismen stehen, hatte Michaelis (Art. ¨d∙" 104 ff) geurteilt, daß ¨dhgeõn in Joh 16,13 nicht die Bedeutung von führen oder leiten, sondern vielmehr die von anleiten oder lehren (did›skein) habe. Er betrachtet diesen letzten der Paraklet-Texte darum als Reinterpretation von 14,26. Aber gerade weil Joh 14 u. E. tatsächlich der Prätext ist, der in Kapitel 16 reinterpretiert wird, sollte man die Beziehung zu 14,6 nicht übersehen und darum das ambivalente Lexem ¨dhgeõn nicht einseitig auf die Bedeutung des Lehrens festlegen. Gerade dadurch, daß Johannes hier nicht wie in 14,26 vom Lehren des Geistes, sondern von seinem ¨dhgeõn spricht, evoziert er, schwerlich absichtslos, die Metaphorik des Weges, den die Jünger zu gehen haben. Und wie in 16,1–3 deutlich wurde, wird das gewiß kein leichter und sicherer Weg sein, sondern ein Weg, auf dem die, die darauf unterwegs sind, ständiger Ermutigung und sicherer Führung bedürfen. Darum ist das Lexem ¨dhgeõn, das bei Johannes einzig hier vorkommt, „wohl sehr bewußt gewählt“, um auszudrücken, daß das Wirken des Geistes nicht die bloße Mitteilung dessen sein kann, was an Jesu Offenbarung etwa noch fehlte, sondern daß es ein offener Prozeß ist, der andauern wird bis zum Jüngsten Tage (vgl. Onuki, Gemeinde 149; u. Dettwiler, Gegenwart 232). 663
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Freilich wird der Geist als dieser Führer auf dem Wege der Wahrheit nicht aus eigener Vollmacht reden, sondern nur das sagen, was er jeweils hören wird: üllû Ωsa üko‚sei lalflsei. Diese von B D E* H W Y Y 1.213.397.579.1071.1689 al bezeugte futurische Lesart ist hier vorzuziehen, weil sich aus ihr der Ursprung der beiden anderen, nämlich Ωsa üko‚ei (a L 33.1819 al) und Ωsa …n üko‚sÔh (A G K M S U G D P al), am besten erklärt (Metzger, Comm. 247). Ob der Geist diese Dinge vom Vater oder vom Sohn ‚hören wird‘, ist hier zunächst wohl absichtsvoll offen gelassen und kann, wie das folgende zeigen wird, auch offenbleiben. Zunächst fügt der scheidende Jesus dem eben Gesagten jedoch noch hinzu: kaÑ tÅ †rc∙mena ünaggeleõ ≠mõn. Klar ist daran zunächst, daß dieses Künden der künftigen Dinge erläutert, wie der Geist die Jünger auf dem Wege in die ganze Wahrheit leiten wird. Darum sind diese †rc∙mena gewiß nicht Enthüllungen jenes mfiga kaÑ ±rrhton mustflrion. ≈ m∙noi" ≤xestin e¢dfinai toõ" tele‡oi" (Reitzenstein, Poimandres 91), wie Bauer mutmaßte, und schwerlich wird hier gesagt, daß der Geist den Jüngern nach und nach die „final apocalyptic climax of world history“ erschließen werde, um sie so in Stand zu setzen, den göttlichen Erlösungsplan zu begreifen (Carson, Discourse 149; ähnlich schon Windisch, Parakletsprüche 131; Sasse, Paraklet 274; und Betz, Paraklet 191 f), als müsse bei Johannes erst der Ostern verliehene Geist die synoptische apokalyptische Rede Jesu halten. Als derartige Reapokalyptisierung der Eschatologie des Evangelisten und das heißt als die traditionellen ‚letzten Dinge‘ deuten die †rc∙mena nach Holtzmann (Komm. 195) auch Bauer (Komm. 198 f), Becker (Komm. II, 596), Müller (Parakletvorstellung 72), Moloney (Komm. 442) u. v. a. Von der im Kontext vorausgesetzten Situation des Abschieds Jesu her will Thüsing (Erhöhung 149 ff) Jesu Tod und Erhöhung als das Referenzobjekt der †rc∙mena begreifen. Das ist jedoch höchst unwahrscheinlich, weil der Geist doch erst nach diesen Ereignissen gesandt und verliehen werden wird (vgl. Onuki, Gemeinde 150). Dagegen hält es Strathmann (Komm. 216) „für das einzig Natürliche“, bei der Offenbarung der künftigen Dinge „an die Gabe der urchristlichen Prophetie zu denken, wie sie in der Offenbarung des Johannes ihr mächtigstes Zeugnis hinterlassen hat“. Wie zu den Passagen mit dem geliebten Jünger erörtert, meinte ähnlich vor allem Kragerud, als die treibende Kraft und den konkreten Hintergrund unseres Evangeliums den nachapostolischen Wanderprophetismus erweisen zu können. Namentlich in den Texten über den geliebten Jünger mit dessen charakteristischem Gegenüber zu Petrus sowie in denjenigen über den Parakleten sah er die Auseinandersetzung des johanneischen Wanderprophetentums, das die fiktionale Gestalt des geliebten Jüngers symbolisieren soll, mit dem „Amtschristentum der Großkirche“, das Petrus repräsentiere (113 ff). In dem Schlußabschnitt des Evangeliums (Joh 21,20–25), als dessen Pointe Overbeck die „Sicherung der Autorität des vorliegenden Evangeliums“ durch Jesus selbst einleuchtend erwiesen hatte (447), nimmt Kragerud das Lexem mfinein so wörtlich, daß er Overbecks Deutung mit der Begründung zurückweist, danach bliebe ja gar nicht der geliebte Jünger selbst, sondern mit dem geschriebenen Evangelium trete vielmehr etwas ganz anderes an seine Stelle. Von einem wirklichen Bleiben des geliebten Jüngers könne dagegen nur dann gesprochen werden, wenn der kein Individuum sei, sondern nichts anderes als der symbolische Repräsentant der wandernden Propheten des johanneischen Kreises (126 ff). Das Geschriebensein des Evangeliums, das doch all jene vermeintliche Mündlichkeit der wandernden Propheten besiegelt, – und das gilt auch, auch wenn sein wirklicher Autor es durch seinen fiktionalen geliebten Jünger geschrieben sein läßt (21,24 f; s. u. z. St.) – spielt Kragerud zu Unrecht herunter. Er macht stattdessen das Kollektiv eines „johanneischen Kreises“ zum Evangelisten, so daß Jesus am Ende nicht das literarische Werk Johannesevan-
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Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
16,13–15
gelium, sondern eben diesen Kreis, der es selbst hervorgebracht haben soll, als das bleibende und notwendige Korrektiv der ‚Großkirche‘ autorisiert hätte. – Auf ähnlichen Bahnen bewegen sich Boring (Christian Prophecy), Hawthorne (Christian Prophets 105 ff), Aune (Prophecy), Hill (NT Prophecy), Franck (Revelation 116 ff); U. B. Müller (Prophetie); vgl. auch Käsemann (Letzter Wille 71), Blank (Komm. II/185), Kysar (Komm. 249) und Dietzfelbinger (Paraklet 394 f). Allen derartigen „Deutungsversuchen (gegenüber), denen man in manchen Spielarten begegnet“, können wir jedoch mit Schnackenburg „nur mit kritischer Reserve“ begegnen (Komm. III, 170 ff; IV, 56 ff). Denn gerade die Texte über den Parakleten legen ja „den größten Nachdruck darauf, daß der Geist nur an das erinnert, was Jesus gesagt hat (14,26), daß er bei seinem Hineinführen in die ganze Wahrheit nicht von sich aus redet, sondern das, was er hört, kundtut (16,13). … So kann es auch unbefangen heißen: ‚Und er wird euch das Zukünftige verkünden‘; wiederum soll das im Zuge der ganzen Aussage sicher keine Empfehlung für zukunftsdeutende Propheten sein. Im Spruch 15,26 f werden die Jünger ausdrücklich deshalb als Zeugen beansprucht, weil sie ‚von Anfang an‘ mit Jesus zusammen waren“ (ebd. 170 f).
Die ‚kommenden Dinge‘, die der Geist der Wahrheit den Jüngern von Fall zu Fall, und wenn es jeweils an der Zeit ist, kundtun wird, können darum nicht apokalyptische Mysterien sein, um die er Jesu Offenbarung noch ergänzen müßte (Bauer), sondern es müssen die konkreten Hindernisse, Ängste und Probleme auf dem Weg sein, den die Jünger in der Nachfolge ihres weggegangenen Herrn fortan gehen müssen. „Was der Beistand leistet, ist die aus österlicher Perspektive erfolgende Erschließung dessen, was Jesus gesagt, getan und erlitten hat, die je neu erfolgen muß. So gelesen besteht auch kein Widerspruch zu 15,15“ (Wengst, Komm. II, 160). Noch treffender formuliert Wengst im Blick auf die †rc∙mena: „Durch den Beistand wird Jesu Wirken so zum Zuge kommen, daß die Gemeinde die Herausforderungen dessen bestehen kann, was in ihrer Situation auf sie zukommt“ (ebd. 161; vgl. Schenke, Komm. 314). Treffend sieht Onuki dieses jeweils auf die Gemeinde Zukommende „durch die plurale Form von tÅ †rc∙mena ausgedrückt. Die nachösterliche Situation der Lesergemeinde bleibt inmitten der feindlichen Welt nicht immer ein und dieselbe, sondern verändert sich. Das vollendete Offenbarungswerk Jesu ist also doch insofern noch unvollendet, als es für die jeweils wechselnde Situation aktualisiert werden muß“ (Gemeinde 151). In diesem Sinne sind die †rc∙mena die ‚vielen Dinge‘ (poll›), die Jesus noch zu sagen hat (V. 12), über die er in der Abschiedsstunde aber schweigt, weil seine Jünger sie jetzt noch nicht zu ertragen vermögen. Er wird sie ihnen aber, wenn es jeweils an der Zeit ist, durch den Parakleten sagen, der als die „Stimme Christi in der Gegenwart“ auf das eingehen wird, „was man nicht voraussehen konnte, auf das, was die Gemeinde in Schrecken und Verwirrung“ setzen wird (Dietzfelbinger, Paraklet 395). 14 f: Das hier in den V. 13–15 gleich dreifach und in V. 25 dann ein viertes Mal erscheinende Lexem ünaggfillw, Kompositum des Verbs üggfillw, begegnet im Evangelium insgesamt sechsmal. Eingeführt wurde es in der Erzählung von Jesu Begegnung mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen (4,4 ff; s. o. z. St.). Da hatte die Frau Jesus, weil er ihr ein Prophet zu sein schien, die Frage gestellt, ob das jüdische Jerusalem oder der samaritanische Garizim der rechte Ort der Anbetung Gottes sei, und der hatte ihr geantwortet, die Stunde werde kommen, „da ihr den Vater weder auf diesem Berge noch in Jerusalem anbeten werdet … Ja, die Stunde wird kommen, und sie ist bereits angebrochen (üllÅ ≤rcetai øra kaÑ nún †stin: V. 23), da die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden. … (Denn) Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“. Darauf hatte die 665
16,4–33
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Samaritanerin ihm – wie die Fortsetzung der Erzählung zeigt: ahnungsvoll – erwidert: „Ich weiß, daß der Messias kommen wird, der Christus genannt wird. Und wenn der kommt, wird er uns alles offenbaren“. Zumal in der Fügung: ünaggeleõ ™mõn πpanta (4,25), hat das Lexem ünaggfillw hier, ebenso wie in unseren Parakletsprüchen, deutlich den Klang der eschatologischen und definitiven Offenbarung, die auch alle †rc∙mena einschließt. Das zuvor letzte der Vorkommen von ünaggfillw findet sich in 5,15: Jesus trifft den Mann wieder, den er nach dessen schon 38 Jahre währendem Leiden am Teich Bethesda geheilt hatte, und sagt ihm: „Siehe, du bist gesund geworden. Sündige fortan nicht mehr, damit dir nicht noch Ärgeres widerfahre!“ Und danach fährt der Erzähler fort: „Und der Mann ging weg und verkündete den Juden (kaÑ ünflggeilen toõ" ûIouda‡oi"), daß es Jesus gewesen sei, der ihn gesund gemacht habe“. Auch wenn diese Juden daraufhin erste Mordpläne gegen Jesus schmieden (V. 18), wird man den Geheilten gerade wegen des Gebrauchs des in unserem Evangelium derart ausgezeichneten Lexems ünaggfillw als einen rechten Zeugen Jesu begreifen müssen, und nicht etwa als einen üblen Denunzianten. Weil der Paraklet alles, was er Jesu Jüngern offenbaren wird, einschließlich der von Jesus bisher ungesagten kommenden Dinge, aus dem Jesu Eigenen nehmen wird (†k toú †moú lflmyetai), wird er ihn verherrlichen, und, von diesem Geist erfüllt, werden ihn auch seine Jünger verherrlichen. Und weil hier gilt: „Alles, was mein Vater hat, das ist (auch) das Meine“, wird so mit dem Sohn zugleich auch der Vater verherrlicht (V. 15). (2) Eine kleine Weile … und abermals eine kleine Weile. Der Abschluß der Abschiedsrede Jesu (16,16–33) 16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen. Und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. 17 Da sagten einige seiner Jünger zueinander: Was mag das bedeuten, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen. Und wiederum eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? Und: Ich gehe zum Vater? 18 Und sie fragten sich: Was mag sie bedeuten, die kurze Zeit, von der er spricht? Wir können nicht begreifen, was er da redet. 19 Jesus erkannte, daß sie ihn fragen wollten, und sagte zu ihnen: Darüber rätselt ihr untereinander, daß ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen, und wiederum eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? 20 Amen, Amen, ich sage euch: Ihr werdet weinen und wehklagen, die Welt aber wird sich freuen. Ihr werdet voller Traurigkeit sein, doch eure Trauer soll zur Freude werden. 21 Wenn eine Frau gebiert, dann hat sie Schmerzen, weil ihre Stunde gekommen ist. Sobald sie aber das Kind geboren hat, gedenkt sie ihrer Angst nicht mehr vor lauter Freude darüber, daß da ein Menschenkind zur Welt gekommen ist. 22 So seid auch ihr jetzt voller Traurigkeit. Aber ich werde euch wiedersehen. Dann soll sich euer Herz freuen und keiner kann euch eure Freude nehmen. 23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts mehr fragen. Amen, Amen, ich sage euch: Um was auch immer ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, das wird er euch geben. 24 Bis
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Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
16,15–16
jetzt habt ihr noch nichts in meinem Namen erbeten. Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei. 25 Das (alles) habe ich euch in Bildern gesagt. Doch es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern zu euch sprechen werde, sondern euch unverhüllt vom Vater künden werde. 26 An jenem Tage werdet ihr (selbst) in meinem Namen bitten, und ich sage euch nicht, daß ich den Vater für euch bitten werde. 27 Denn er selbst, der Vater, liebt euch, weil ihr mich geliebt und geglaubt habt, daß ich von Gott ausgegangen bin. 28 Ja, vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen, und jetzt verlasse ich die Welt wieder und gehe zum Vater. 29 Da sagten seine Jünger zu ihm: Siehe, jetzt redest du ja unverhüllt und sprichst nicht mehr in (rätselhaften) Bildern. 30 Jetzt sind wir gewiß, daß du alles weißt und es nicht nötig hast, daß einer dich frage. Darum glauben wir auch, daß du von Gott ausgegangen bist. 31 Jesus entgegnete ihnen: Jetzt glaubt ihr? 32 Siehe es kommt die Stunde, ja sie ist bereits gekommen, da ihr zerstreut werdet, ein jeder in seine Heimat, und mich allein laßt. Doch ich bin nicht allein, denn der Vater ist ja bei mir. 33 Das (alles) habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, (denn) ich habe die Welt überwunden. 16: Bereits auf dem Laubhüttenfest, als die Hohenpriester im Verein mit den Pharisäern gerade ihre Diener mit dem Befehl ausgesandt hatten, Jesus zu verhaften, hatte er zu den Leuten, die ihn umgaben, gesagt: „Noch eine kleine Weile bin ich unter euch, dann gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat. Da werdet ihr mich suchen und doch nicht finden, denn wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen“ (7,33). Und nach dem letzten Mahl mit seinen Jüngern, unmittelbar ehe er ihnen das neue Gebot als sein Vermächtnis hinterließ, sagte er auch zu ihnen: „Kindlein, noch eine kleine Weile bin ich unter euch, dann werdet ihr mich suchen. Doch was ich schon zu den Juden gesagt habe: ‚Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht gelangen‘, das sage ich jetzt auch euch“ (13,33). Dem hatte er im folgenden Kapitel 14 noch hinzugefügt: „Noch eine kleine Weile, dann wird der Kosmos mich nicht mehr sehen, ihr dagegen werdet mich sehen, denn ich lebe und ihr sollt auch leben. An jenem Tage werdet ihr begreifen, daß ich in meinem Vater bin, so wie ihr in mir seid und ich in euch bin“ (14,19 f). Dieses letztere Wort über die ‚kleine Weile‘ wird nun in 16,16–19 reinterpretierend so präzisiert, daß aus der einen zwei ‚kleine Weilen‘ werden: die eine nämlich als die Zeit bis zu Jesu Hingang durch den Tod zu seinem Vater und die darauf folgende andere als die kurze Zeit bis zu seinem österlichen Wiedersehen mit den Jüngern (vgl. das kaÑ †mfan‡sw a§tù †maut∙n mit der anschließenden Jüngerfrage, wie das denn zugehen solle, daß Jesus sich wohl den Jüngern, nicht aber der Welt zeigen will, von 14,21 ff). An den Satz kaÑ p›lin mikrÖn kaÑ µyesqfi me haben zahlreiche Abschreiber mit geringen Variationen die Begründung angefügt: Ωti ≠p›gw prÖ" tÖn patfira (A G D Q Y 054. 068. f1.13 itc.q vg syc.s.p.h.pal copbo arm geo). Diese Anfügung dürfte dem Wunsch jener Kopisten entstammen, den Leser auf die Frage der Jünger in V. 17 vorzubereiten. Aber dabei haben sie den vorausgehenden V. 10 übersehen, der die Doppelfrage der Jünger ja hinreichend erklärt (vgl. Metzger, Comm. 247). Wir bleiben darum bei dem besser bezeugten kurzen Text wie Nestle-Aland27. Daß das p›lin mikr∙n ebenso wie das ≤rcomai von 14,18, das es reinterpretiert, auf Jesu österliches Erscheinen bezogen 667
16,4–33
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
werden muß, sieht Bauer (Komm. 199) mit den meisten der griechischen Väter ganz richtig. Freilich hat Johannes dieses österliche Erscheinen Jesu nicht wie Lukas zeitlich auf die vierzig Tage bis zur Himmelfahrt limitiert und historisiert. Darum fügt Bauer dem eben Gesagten sogleich hinzu: „Damit ist aber auch jetzt wieder nicht alles gesagt. Denn 20–24 ist offenbar nicht an einen kurzen Tag der Wiedervereinigung gedacht, sondern an einen ewig dauernden Zustand der Freude … Ist die kurze Spanne der Trauer verflossen, so bleiben Jünger und Meister vereint“. Doch wie die Offenbarung der †rc∙mena durch den Parakleten ein bis zum Eschaton währender Prozeß ist, so dürfte parallel dazu auch die Verwandlung der Traurigkeit der Jünger in vollkommene Freude ein unabgeschlossenes Prozeßgeschehen sein. Denn der Haß der Welt und die Verfolgung und damit die Anfechtung des Glaubens der Jünger dauern ja an bis zu dem Tage, da sie Gott sehen werden, wie er ist (1Joh 3,2). Darum ist da keine „kurze Spanne der Trauer“, die Ostern „verflossen“ wäre, sondern es gilt vielmehr auch nach Ostern: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (16,33). Daß das gesamte Verständnis unseres Textes davon abhängt, ob das p›lin mikr∙n auf Jesu österliches Erscheinen oder auf seine endzeitliche Parusie verweist, hat bereits Wikenhauser (Komm. 296) richtig eingeschätzt. Onuki (Gemeinde 153 f) möchte diese Alternative zunächst noch dadurch präzisieren, daß er fragt: „Wie soll die johanneische Lesergemeinde, die ja schon nachösterlich lebt, unserem Text zufolge ihre eigene Gegenwart und Zukunft verstehen?“ In dem Relativsatz: ‚die ja schon nachösterlich lebt‘, steckt freilich ein Pferdefuß. Denn daß die potentiellen Leser des Evangeliums am Ende des ersten Jahrhunderts lange nach jenem Auferstehungstag und nach den Jüngern lebten, von denen das Evangelium erzählt, ist eine allzu banale Feststellung. Wenn man aber den Prologsatz: „und wir sahen seine Herrlichkeit“ und das ihm entsprechende Proömium des 1Joh als gemeinchristliches Bekenntnis begreift und sich weigert, beides auf die Erfahrung der ersten Augenzeugen zu beschränken, dann muß die von Onuki gestellte Frage doch wohl lauten, ob die ja auch weiterhin unter Verfolgung und in Angst lebende Gemeinde die Begegnung mit ihrem auferstandenen Herrn nicht mit jeder Feier des achten Tages zugleich immer auch noch vor sich hat, wie der zweifelnde Thomas, ohne den und dessen Zweifel sie im Evangelium überhaupt nicht vorkäme (s. u. zu 20,24 ff). Historisiert man dagegen den Auferstandenen und fragt unter dieser Voraussetzung, was das p›lin mikr∙n dann noch für die späten Leser des Evangeliums bedeuten könne, dann wird man es, wie bereits Augustin (In Ioh CI/6; PL 35, 1895), Wellhausen (Komm. 73 f), Betz (Paraklet 186 u. 211), van Hartingsveld (Eschatologie 117 ff u. 129 ff), Stählin (Problem 241 ff), L. Schenke (Johannesevangelium 43), Corell (Consummatum 108), Neugebauer (Aussagen 90 f u. 136 f), Schnelle (Abschiedsreden 75) u. a. auf die endzeitliche Parusie Jesu beziehen und dem Evangelisten eine entsprechende Naherwartung unterstellen müssen. Da das p›lin mikr∙n aber zudem auch hinsichtlich seiner Dauer in dem mikr∙n bis zur Kreuzigung Jesu seine Entsprechung haben muß, wäre es ja mehr als nur Ironie, sondern purer Zynismus des Erzählers, wenn er am Ende des ersten Jahrhunderts und lange nach dem Tod (zumindest der meisten) seiner Jünger Jesus im Blick auf den Zeitpunkt seiner endzeitlichen Parusie von einem mikr∙n sprechen ließe. Schon das Rätseln der Jünger über jenes mikr∙n in Verbindung mit der Wiederaufnahme des V. 10 aus dem vorangegangenen Paraklettext: Ωti prÖ" tÖn patfira ≠p›gw 668
Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
16,16
kaÑ o§kfiti qewreõtfi me, in den V. 17–19 sowie Jesu ausdrückliche Qualifizierung seiner Rede als †n paroim‡ai" gesagter (V. 25) mag die Verwirrung auch der späteren Interpreten erklären. Sie rührt ganz fraglos daher, daß Johannes hier Erfahrungen der österlichen Freude mit Elementen der eschatologischen Hoffnung auf die Parusie Jesu zu einer neuen Einheit verschmolzen hat, wie er ja auch die Begabung der Jünger mit dem Geist als Anbruch der neuen Schöpfung versteht (s. u. zu Joh 20,19 ff). Davon jedoch, daß Johannes Karfreitag, Ostern, Pfingsten und die Parusie oder Jesus und den Parakleten einfach miteinander identifiziert hätte, kann nicht die Rede sein. Die österlichen Erscheinungen Jesu sind sowenig wie die übrigen shmeõa bloße und eigentlich überflüssige Zugeständnisse an die „Schwachheit der Jünger“, denen „die Erscheinung des Auferstandenen konzediert“ würde, obwohl es dessen „im Grunde nicht bedürfen“ sollte (Bultmann, Komm. 539). Auch der These Bultmanns, „daß die von anderen als in die Zeit fallendes Ereignis erwartete Parusie“ von Johannes zwar nicht einfach geleugnet … oder gar zu einem Seelenvorgang, einem Erlebnis umgedeutet“ würde, sondern daß er seinem Leser vielmehr die Augen öffne, damit er begreife: „Die Parusie ist schon gewesen! Jene naive Teilung in eine erste und zweite Parusie, die wir anderswo finden, wird verworfen“ (Eschatologie 144), vermögen wir sowenig zuzustimmen wie seiner durch literarkritische Amputationen begründeten Konstruktion der johanneischen Eschatologie als einer rein präsentischen. Diese Kritik gilt auch Bultmanns Reduktion Jesu als des doch Fleisch gewordenen l∙go" auf das bloße Daß seines Gekommenseins, seinem Kierkegaard entlehnten Reden vom weltlosen Augenblick sowie von der Forderung und Entscheidung des Glaubens, Interpretamenten, für die der Text des Evangeliums keine zureichenden Gründe bietet. Und endlich bleibt uns Bultmanns Reden von der „Entweltlichung“ der Glaubenden solange höchst fragwürdig, als die solcher Entweltlichung notwendig korrespondierende neue Zuwendung der Glaubenden zum k∙smo" als Gottes Schöpfung und Spiegel seiner Herrlichkeit unbedacht bleibt, denn um dieser Erfahrung willen wird Jesus doch bereits im Prolog unseres Evangeliums als der Schöpfungsmittler gepriesen (vgl. dazu O. Bayer, Schöpfung pass.). Auch im Blick auf die Implikationen des intertextuellen Spiels unseres Evangelisten mit seinen synoptischen Prätexten sind wir davon überzeugt, daß die in unserer Passage fraglos zu beobachtende Amalgamierung der durch den Geist vermittelten Gegenwart des Erhöhten mit Zügen seines künftigen und weltöffentlichen Erscheinens in Herrlichkeit nicht bedeuten kann, daß die letzteren von der ersteren verschlungen worden wären. Ebenso wie die Erwählung der ûIoudaõoi bestehen bleibt, weil von ihnen nach 4,22 doch die swthr‡a kommt, bleibt es auch dabei, daß Gott seinen Sohn gesandt hat, damit der k∙smo" – und nicht etwa nur eine kleine Gruppe dazu Prädestinierter – durch ihn erlöst werde (3,17). In diesem Sinne können wir Brown nur zustimmen, wenn er erklärt: „We find no evidence that Johannine theology ever abandoned the hope of the final return if Jesus in visible glory, although the Gospel clearly put more emphasis on all the eschatological features that have already been realized in Jesus’ first coming. The question is not one of the presence in and through the Paraclete as opposed to the coming of Jesus in glory, but one of the relative importance of each“ (Paraclete 131). Ähnlich begreift Ricca (Eschatologie 153 ff) das Verhältnis zwischen Jesu erstem Kommen und dem traditionell seine Parusie Genannten. Da er jedoch – anders als Brown – die bleibende Gegenwart des weggehenden Jesus bei den Seinen und in der Welt nicht durch diejenige des Parakleten ersetzt, sondern den Parakleten als einen ±llo" streng 669
16,4–33
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
von Jesus unterscheidet, kann er Jesu Parusie als einen einzigen Prozeß begreifen, der durch seine Inkarnation und die geistvermittelte Gegenwart des Erhöhten unter den Seinen eröffnet wurde, gleichwohl aber bis zu Jesu endgültigem und weltöffentlichem Erscheinen noch unvollendet ist. 17–19: Wie in dem hier reinterpretierten Kapitel 14 erscheinen jetzt nach dem rein monologischen Reden Jesu in 15,1–16,15 wieder dialogische Elemente. Den Übergang dazu bildet dieser monologische Dialog oder dialogische Monolog Jesu, der auf Fragen der Jünger antwortet, über die sie nur untereinander gerätselt und die sie ihm unmittelbar aber gar nicht gestellt haben. Jesus weiß, was sie bewegt hat, und kennt ihre unausgesprochene Bitte um eine Erklärung seiner rätselhaften Worte. Und dennoch läßt er den Kern ihrer Frage und ihres Nichtwissens (o§k o¥damen: V. 18), was es nämlich um dieses siebenfach wiederholte mikr∙n ist, im Dunkel des Rätsels. Als den Grund des Rätselns der Jünger (perÑ to‚tou zhteõte metû üllfllwn;) wiederholt Jesus in V. 19 ausdrücklich sein ihnen unbegreifliches Wort (V. 16) von den beiden jeweils durch mikr·n bezeichneten kurzen Zeitspannen, nach deren erster sie ihn zunächst nicht mehr sehen werden (o§kfiti jewreõtfi me), um ihn dann aber nach einem weiteren mikr·n erneut zu sehen (kaÑ p›lin mikrÖn µyesjfi me). 20: Durch sein solennes doppeltes Amen leitet Jesus seine Antwort ein: „Amen, Amen, ich sage euch: Ihr werdet weinen und wehklagen (kla‚sete kaÑ jrhnflsete), der k∙smo" aber wird sich freuen (carflsetai). Ihr werdet voller Trauer sein (luphjflsesje), aber eure Trauer soll in Freude verkehrt werden“ (V. 20). Schon in Jer 22,10 dient die Kombination der Lexeme kla‡ein und qrhneõn der Beschreibung der Totenklage; kla‡ein beschrieb diese auch bereits in Joh 11,31 ff; entsprechend wird qrhneõn in 2Kön 1,17 in diesem Sinne gebraucht (vgl. Bultmann, Komm. 445). Mit dieser Ankündigung der Totenklage und der Trauer der Jünger, deren besonderes Profil darin besteht, daß ihrer Trauer über Jesu Tod die Freude der Welt über seine Beseitigung korrespondiert, wird das Rätsel um das erste mikr∙n gelöst. Ob man deshalb freilich mit Bultmann (ebd.) die Alternative konstruieren darf, die l‚ph der Jünger sei „nicht die persönliche Trauer über den Verlust eines geliebten, über den Hingang eines großen Menschen“, sondern „vielmehr die Situation der Einsamkeit im k∙smo", in der diejenigen stehen, die durch Jesus aus dem k∙smo" herausgerufen sind (17,16; 15,19)“ (ebd.), erscheint uns jedoch höchst fragwürdig. Denn einmal weist die der Totenklage entstammende Terminologie doch eindeutig auf die reale Trauer um den Tod eines geliebten Menschen. Zum anderen ist es doch die Trauer der Jünger über den Tod Jesu – und nicht etwa ihre Welteinsamkeit –, der die Freude der Welt über dieses Ende des vermeintlichen Gotteslästerers korrespondiert. Was Bultmann auseinanderreißt und einander alternativ entgegensetzt, ist vielmehr ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis. Als Ausdruck ihres Verbundenseins mit Jesus scheidet gerade ihr Klagen und Trauern die Jünger vom k∙smo" und seiner Pseudofreude und macht sie zu Einsamen und Verfolgten (s. dazu u. zu 19,31 ff). 21 f: Jesus erläutert sein mit dem doppelten Amen eingeleitetes Wort von Trauer und Wehklagen der Jünger und der ihr entsprechenden Freude des k∙smo" über seinen Tod durch das Rätselwort (paroim‡a) von der gebärenden Frau, deren Freude über die Geburt ihres Kindes sie den Schmerz und die Qual ihrer Wehen alsbald vergessen läßt. Der metaphorische Gebrauch der Wehen der Schwangeren zur Beschreibung der Not des unterdrückten Volkes ist im Alten Testament geläufig: vgl. Jes 13,8 f; 26,16 ff; 37,3. 670
Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
16,16–24
Im Anschluß an diese Metaphorik entstand der Ausdruck von den Wehen des Messias, der in der Apokalyptik nahezu zum terminus technicus für die Katastrophen geworden ist, die der verheißenen Geburt des Messias und seines messianischen Volkes vorausgehen müssen. Am nächsten steht unserer Passage wohl Jes 66,5 ff: „Hört das Wort Jhwhs, die ihr vor seinem Wort zittert: Wohl sagten eure Brüder, die euch hassen und euch um meines Namens willen geächtet haben: Soll Jhwh doch seine Herrlichkeit offenbaren, damit wir Zeugen eurer Freude werden. Doch sie sollen zuschanden werden. Horch, Lärm aus der Stadt. … Horch, Jhwh zahlt seinen Feinden heim. Ehe sie noch kreißte, hat sie geboren; ehe noch Wehen über sie kamen, hat sie ein Kindlein zur Welt gebracht. Wer hat solches je gehört und jemals gesehen? Wird denn ein Land an einem Tag zur Welt gebracht? Wird ein Volk etwa auf einmal geboren? Kaum ist Zion in Wehen, da hat sie ihre Kinder schon geboren. Sollte ich denn durchbrechen, aber nicht geboren werden lassen, spricht Jhwh? … Freu dich Jerusalem, jubelt über sie alle, die ihr sie liebt! Jubelt und frohlockt mit ihr, die ihr um ihretwillen getrauert habt“; vgl. 1QH 3,9 f. Lindars begreift unsere Passage wohl zu Recht als ein intertextuelles Spiel mit diesem Jesajatext: „There is probably a literary allusion to Isa. 66,14: ‚You shall see, and your heart shall rejoice‘“ (Komm. 509). Er warnt vor einer allegorischen Ausschlachtung der Parabel von der Gebärenden und sieht deren Pointe wie die des jesajanischen Prätextes in dem plötzlichen Übergang der Bedrückung in unbeschreibliche Freude: „The point of the parable is simply the sudden transition from grief to joy“. In V. 22 dürfte das dem nún korrespondierende Präsens ≤cete dem von P66 ac A D W* Q Y 33 al bezeugten Futurum ∫xete vorzuziehen sein, da dieses vermutlich eine Assimilation an das luphqflsesqe von V. 20 ist (vgl. Metzger, Comm. 247). Zu dem unerwarteten Subjektwechsel von dem: kaÑ p›lin mikrÖn kaÑ µyesqfi me in V. 16 zu dem p›lin dÇ µyomai ≠mô" in V. 22 bemerkt Lindars, damit verfolge der Erzähler wohl die Intention, die Gedanken seiner Zuhörer/Leser von den Erscheinungen des Auferstandenen weg auf die bleibende Beziehung Jesu zu den Seinen zu richten, die er durch sein Sterben und Auferstehen gestiftet habe. Wie in der Thomaserzählung von 20,24 ff wird damit die Initiative von demjenigen, der sein Sehen zur Bedingung seines Glaubenkönnens machen will, auf Jesus verlagert, der ihn sieht und sich ihm zeigt. In der Verheißung, daß fortan niemand den Jüngern die durch dieses neue Sehen verursachte Freude rauben kann (kaÑ tÉn carÅn ≠mùn o§deÑ" a¥rei üfû ≠mùn), hat das Präsens, wie oft bei Johannes, futurische Bedeutung und dient zugleich der Qualifikation dieser Freude als einer unzerstörbaren Gabe. Onuki, der (Gemeinde 154 ff) breit begründet, daß das zweite mikr∙n auf die mit Ostern einsetzende neue Gegenwart des Erhöhten bezogen werden muß, hat diesen qualifizierenden Sinn des Satzes, daß niemand den Jüngern ihre Freude rauben könne, ganz richtig verstanden, wenn er feststellt, damit sei vorausgesetzt, „daß der Gegensatz zwischen den Jüngern und der Welt eben auch an ‚jenem Tage‘ fortdauern wird“ (154). 23 f: Die üblicherweise auf das Eschaton verweisende Wendung ‚an jenem Tage‘ (†n †ke‡nÔh tÔö ™mfira) bezeichnete schon in 14,20 den Ostertag als den Zeitpunkt, durch den der Prozeß der Parusie Jesu, die in seinem weltöffentlichen Erscheinen am Jüngsten Tage gipfeln wird, eröffnet und in Kraft gesetzt wird (vgl. Ricca 160 f und Lindars, Komm. 509 f). Darum sollte man zwischen dem österlichen Wiedersehen und dem traditionell ‚Parusie‘ genannten Kommen Jesu keinen Gegensatz konstruieren, wie das 671
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Neugebauer (Aussagen 136) unternimmt, der Joh 16,16–28 strikt und ausschließlich auf die endzeitliche Parusie bezogen wissen will, sondern die Doppeldeutigkeit der Sprache als durchaus absichtsvoll begreifen. Ricca übersieht das Phänomen der Intertextualität des Joh mit seinen synoptischen Prätexten. Aus dem Schweigen über das traditionelle Eschaton schließt er, „die Parusie (könne) eigentlich nur für die Kirche bedeutungsvoll sein“. Darum abstrahiere Joh „ständig von einer kosmologischen Eschatologie. … Jesus betet nicht für die Welt (17,9). Die d∙xa des endgeschichtlichen Jesus wird nicht klarer sein als die, die im historischen Jesus erschienen ist. Wenn die Augen der Welt sich vor jener Herrlichkeit nicht geöffnet haben, wie werden sie sich dann bei der Erscheinung der künftigen Herrlichkeit auftun? Wenn die Welt Jesus nicht sah und jetzt den Geist nicht sieht, wie wird sie dann Christus in seiner Wiederkunft sehen? Joh läßt diese verhängnisvolle Frage offen“ (ebd.). Dabei übersieht Ricca jedoch den ambivalenten Gebrauch des Lexems k∙smo" bei Joh. Denn natürlich betet Jesus nicht für einen k∙smo", der die Seinen mit seinem Haß blutig verfolgt, sehr wohl aber bittet er den Vater insofern dennoch für die Welt, als er zu ihm betet: o§ perÑ to‚twn dÇ †rwtù m∙non, üllÅ kaÑ perÑ tùn pisteu∙ntwn diÅ toú l∙gou a§tùn e¢" †mfi, ´na p›nte" ¬n ësin ktl. (17,20 f). Auch wenn das Lexem †rwtôn in V. 26 als Synonym von a¢teõn für das Beten erscheint, wird man es in V. 23 ganz eindeutig mit fragen übersetzen müssen. Denn nach der Frage, die die Jünger soeben bewegt hatte (V. 17 f) – ohne daß sie es gewagt hätten, sie Jesus zu stellen – und die Jesus ihnen dann förmlich aus dem Mund genommen und mit der Paroimie von der gebärenden Frau beantwortet hatte (V. 19 ff), kann †rwtôn hier nur fragen heißen. Im Gegensatz zu dem in diesem Sinne ambivalenten Lexem †rwtôn wird das Beten bei Johannes durchgängig durch a¢teõn ausgedrückt; vgl. nur die Passage 14,12–14, die hier ja ganz offenkundig reinterpretiert wird. Allein die Wiedergabe von kaÑ †n †ke‡nÔh ™mfira †mÇ o§k †rwtflsete o§dfin durch „an jenem Tage werdet ihr mir keine Fragen mehr stellen“ vermeidet nicht nur den Widerspruch zu 14,12 ff, dem hier vorausgesetzten Prätext, sondern sie lenkt den Blick der Angeredeten zugleich auf die ihnen verheißene Freude (vgl. V. 30 u. s. dazu Lindars, Komm. 509 f). Unterstrichen durch die solenne Eröffnung: ümÉn ümÉn lfigw ≠mõn erklärt Jesus nun, daß nach seinem Weggang an die Stelle ihrer unmittelbaren Kommunikation mit ihm das Gebet zum Vater in seinem Namen treten wird, dessen Erhörtwerden sie gewiß sein dürfen. Wie sein Hingehen zum Vater die Bedingung dafür ist, daß der Paraklet erscheinen kann, damit er die Jünger in die ganze Wahrheit führe (16,13), so eröffnet Jesu Gang zu seinem Vater den Jüngern auch die Möglichkeit, sich nun mit ihren Bitten unmittelbar an den Vater zu wenden, der ihnen gewähren wird, um was auch immer sie ihn in Jesu Namen bitten werden (V. 24). Die neue Information besteht in der Wendung in meinem Namen. Denn ausdrücklich erklärt Jesus: „Bisher habt ihr noch nichts in meinem Namen erbeten“, und im Spiel mit den synoptischen Prätexten vom Beten und der Erhörung des Gebets (Mt. 7,7 f; Lk 11,9 f) fügt er hinzu: a¢teõte kaÑ lflmyesqe, ºna ™ carÅ ≠mùn Ôé peplhrwmfinh (V. 24); vgl. Lindars, Komm. 510; Dodd, Tradition 34 ff. 25–28: Wie schon die Wendungen: taúta lel›lhka ktl. in 14,25; taúta lel›lhka ktl. in 15,11 und taúta lel›lhka ktl. in 16,1 auf alles bezogen sein wollen, was Jesus im Evangelium bis dahin jeweils gesagt hat, so auch sein Wort in V. 25. Das Neue gegenüber den genannten Zusammenfassungen des Redens Jesu besteht darin, daß er 672
Vierte Szene: Jesu Abschied und neue Information über den verheißenen Parakleten
16,23–33
nun erklärt, das alles habe er seinen Jüngern †n paroim‡ai" (in verhüllter Rede) gesagt. Da aber nach 7,39 erst der Geist, dessen Erscheinen Jesu Verherrlichung im Tode und seinen Hingang zum Vater voraussetzt, alle Rätsel lösen und die ganze Wahrheit erschließen wird, müssen die genannten Wendungen in 14,25; 15,11 und 16,1 wohl auch die jetzt erst explizierte Näherbestimmung des Gesagten als Rätselrede (†n paroim‡ai" lel›lhka) implizieren. Darum muß die kommende Stunde, da Jesus nicht mehr in Rätseln, sondern unverhüllt (parrhs‡a) von seinem Vater künden wird (V. 25), die Stunde des Geistes sein; vgl. Brown (Komm. II, 723). Dabei zeigt die Wiederaufnahme der Wendung: †n †ke‡nÔh tÔö ™mfira aus V. 23 in V. 26 erneut, daß jene Stunde, bzw. jener Tag, nicht auf den Tag der endzeitlichen Parusie Jesu beschränkt werden kann, sondern daß dies die Stunde der Begabung der Jünger mit dem österlichen Geist sein muß: „An jenem Tage werdet ihr in meinem Namen beten, und ich sage euch (ausdrücklich), daß ich den Vater nicht für euch bitten werde, denn er selbst, der Vater, liebt euch, weil ihr mich liebt und glaubt, daß ich von Gott ausgegangen bin“. Zumal Jesus in 14,23 jedem, der ihn liebt und seine Gebote hält, verheißen hatte, daß er zusammen mit dem Vater zu ihm kommen und daß sie ihre Wohnung bei ihm errichten werden, müssen die Perfektformen †mÇ pefilflkate und pepiste‚kate im Deutschen sinngemäß durch präsentische Indikative wiedergegeben werden. Mit dem kunstvoll formulierten V. 28 beschließt Jesus seine abschiedliche Rede. Wohl versehentlich wegen des Homoioteleuton †gá parÅ toú qeoú †xölqon in V. 27 haben einige Textzeugen, nämlich D W itb.d ff sys coach, dessen eröffnende Wendung: †xölqon parÅ toú patr∙" ausgelassen. Wahrscheinlich in Angleichung an das Kompositum †xölqon bieten B C* L Y 33 pc hier – anstelle der von P5. 22 a A C2 Q 054 f 1.13 M wohl etwas besser bezeugten Wendung: parÅ toú patr∙" – zudem die Lesart: †k toú patr∙" (vgl. Metzger, Comm. 248f). Neben dem Aorist †xölqon, der den historischen Anfang des irdischen Weges Jesu markiert, bringt das ihm folgende Perfekt †lflluqa die bleibende Gegenwart des Weggehenden zur Sprache. Brown macht darauf aufmerksam, daß Jesus in ähnlichem Sinne bereits in 8,42 gesagt hatte: †gá gÅr †k toú qeoú †xölqon kaÑ ªkw (Komm. II, 42). 29–33: Zum letzten Mal mischen sich jetzt die Jünger in Jesu Rede ein. Denn aufgrund seiner letzten Worte von seinem Hingang zum Vater wähnen sie, mit ihnen sei die verheißene ‚Stunde‘ des Geistes bereits angebrochen, die Stunde, da er ihnen ‚unverhüllt‘ (†n parrhs‡a) vom Vater künden und nicht mehr in Rätselworten (†n paroim‡ai") zu ihnen reden werde. Daß alles Reden des Irdischen und nicht etwa nur spezielle ‚Bildworte‘, wie zuletzt das von der gebärenden Frau, †n paroim‡ai" erging, und daß Jesus erst in der Zeit des Geistes †n parrhs‡a zu ihnen reden wird, haben sie nicht begriffen. Ähnlich wie Petrus als ihr Sprecher in 6,68 f (Dodd, Interpretation 392) bekennen sie darum nun unisono: „Jetzt wissen wir, daß du alles weißt und es nicht nötig hast, daß einer dich fragt. Darum glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist!“ Nach dem Bekenntnis der Jünger zum Allwissen Jesu erwartet man die Fortsetzung: Darum brauchst du niemanden zu fragen. In diesem Sinne zitiert Bauer aus dem Linken Ginza (I/1): „Vor dir, mein Vater, sind die geheimen Dinge offenbar. Du bedarfst keiner Belehrung und brauchst nicht zu fragen“ (Komm. 201). Doch stattdessen heißt es hier: Du hast es nicht nötig, daß jemand dich frage! Bultmann erklärt dazu: „Du weißt schon voraus, was jeder dich fragen möchte – wie es ja gerade vorher durch V. 19 demonstriert war. Die Allwissenheit des Offenbarers ist also nicht als eine 673
16,4–33
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
abstrakte Eigenschaft verstanden, sondern als sein Wissen, das sich den Seinen mitteilt“ (Komm. 455). Zugleich aber ist offenbar gemeint, daß es für die Jünger notwendig war, Jesus Fragen zu stellen, solange er stets in Rätselworten zu ihnen geredet hatte. Jetzt aber, da er ihnen vermeintlich ‚frei heraus‘ (†n parrhs‡a) von seinem Vater kündet, besteht diese Notwendigkeit nicht mehr (wörtlich: hat er es nicht mehr nötig [o§ cre‡an ≤cei"]). Denn die Jünger wähnen sich bereits an jenem Tage, von dem Jesus gesagt hatte: kaÑ †n †ke‡nÔh ™mfira †mÇ o§k †rwtflsete o§dfin (V. 23). Aber wie Jesus auf das Petrusbekenntnis mit dem Wort reagiert hatte, daß einer aus dem engen Kreis der Zwölf von ihm Erwählten ihn ausliefern werde (6,70 f), so antwortet er jetzt auf das vorzeitige Bekenntnis der Jünger mit der ironischen Gegenfrage: ±rti piste‚ete? Ihr meint, jetzt schon glauben zu können? Und dem fügt er im Spiel mit Sach 13,7 und den synoptischen Prätexten (Mk 14,27; Mt 26,31; vgl. Bultmann, Komm. 456) hinzu: „Siehe, es kommt die Stunde, ja sie ist bereits angebrochen, daß ihr zerstreut werdet (ºna skorpisqöte), ein jeder in sein Eigenes (e¢" tÅ ¥dia), und mich allein lassen werdet. Allein bin ich freilich niemals, denn der Vater ist ja stets an meiner Seite“ (V. 32). Von der sogenannten Jüngerflucht nach Galiläa weiß Johannes nichts. Doch die ist ebenso wie die oft wiederholte Behauptung, daß die ersten Erscheinungen des Auferstandenen nicht in Jerusalem, sondern in Galiläa zu lokalisieren seien, u. E. eine späte ‚Legende der Kritik‘ (von Campenhausen). Zur Begründung der Hypothese einer Flucht der Jünger nach Galiläa und der dortigen Erscheinungen des Auferstandenen muß in der Regel das Phantom des vermeintlich verlorenen oder absichtsvoll weggebrochenen ‚ursprünglichen‘ Markusschlusses herhalten, der von diesen Erscheinungen erzählt haben soll. Demgegenüber sind wir jedoch der Meinung, daß Mk 16,8 der ursprüngliche und absichtsvolle Schluß des Markusevangeliums ist, der dessen Leser zur Relektüre der in Galiläa beginnenden Jesuserzählung im Lichte der Auferstehung Jesu auffordert. Erst Matthäus und das späte Petrusevangelium haben aus Mk 14,27 und 16,7 derartige galiläische Erscheinungen Jesu erschlossen und Entsprechendes erzählt; vgl. dazu Steinseifer (Ort 251 ff) u. s. u. zu Joh 20 f.
Aus der Wendung e¢" tÅ ¥dia darf darum nicht jene vermeintliche Flucht der Jünger und schon gar nicht deren Flucht ins ferne Galiläa erschlossen werden. Denn bei Jesu Verhaftung im Garten offenbart er sich den Häschern mit seinem †g„ e¢mi und fordert zugleich freien Abzug seiner Jünger: „Wenn ihr also mich sucht, dann laßt diese ziehen!“, was der Erzähler sogleich so kommentiert: „Damit das Wort, das er (17,12) gesprochen hatte, erfüllt werde: Ich habe keinen von denen, die du mir gegeben hast, verloren“ (18,8 f). Die Jünger bleiben beieinander, und der Auferstandene erscheint den ängstlich Versammelten in Jerusalem (Joh 20). Von diesem Kontext her muß e¢" tÅ ¥dia deshalb primär nicht als Ortsveränderung begriffen werden, wie 1Makk 6,54: kaÑ †skorp‡sqhsan ∫kasto" e¢" tÖn t∙pon a§toú, sondern als das Komplement des folgenden „und mich laßt ihr allein“. Daß die Jünger in der Stunde des Todes Jesu in das ihnen je Eigene hinein zerstreut werden, heißt, daß sie ihre Gemeinschaft mit Jesus und sein Liebesgebot preisgeben, daß jetzt jeder von ihnen sich selbst der Nächste ist. Die Verleugnung dieser Gemeinschaft durch Petrus, ihren Sprecher (18,15 ff), und ihre Abwesenheit in der Stunde seiner Kreuzigung – mit der Ausnahme des Jüngers, den Jesus liebte – sind sprechende Beispiele solchen ‚Zerstreutwerdens in das je Eigene‘. V. 33 beschließt Jesu abschiedliches Reden zu seinen Jüngern endlich mit dem triumphierenden Satz: „Das (alles) sage ich euch (taúta lel›lhka ≠mõn), damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt dagegen habt ihr Angst. Aber seid getrost, denn ich habe 674
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
16,30–33
die Welt besiegt (†gá nen‡khka tÖn k∙smon)“. Unwiderlegbar erhebt in diesem Satz der bereits zu seinem Vater erhöhte Sieger seine Stimme. Gail O’Day hat treffend beobachtet, daß das mehr und anderes ist als eine simple Prolepse, die als eine temporale Figur lediglich die Zeitfolge des Erzählten überspränge: „John 16,33 is more than (or other than) proleptic because it does not anticipate or look ahead to the moment of victory. It does not bring the narrative present into the future, but brings the future in the narrative present. This is different from speaking of the overlap between the future envisioned by Jesus and the present experience of the Johannine community (Culpepper, Anatomy 37). A temporal link is established between the narrative and the reader’s experience, but it is established by changing the shape of the narrative present, not simply by using the future tense to point to the reader’s present. … John 16,33 makes categories of prolepsis, anticipation, and retrospection essentially non-functional because it establishes its own temporal order. The temporal figures of the farewell discourse convey its central theological conviction: the future is assured because the victory has already been won“ (I Have Overcome 162 f). Hatte Jesus seinen Jüngern in 14,30 erklärt, daß er ihnen viele Dinge nicht mehr sagen könne, weil der Fürst der Welt komme (≤rcetai gÅr ¨ toú k∙smou ±rcwn), der ihm freilich nichts anhaben könne, so sagt er jetzt, daß er den k∙smo" bereits besiegt habe. Dieser Wechsel zwischen dem Sieg über den Fürsten dieser Welt bzw. den ponhr∙" und dem Sieg über den k∙smo", der die beiden Wendungen als synonym erweist, findet sich auch in 1Joh 2,13 f und 5,4. Dort wird freilich nicht von Jesus, sondern von den Glaubenden gesagt: Ihr habt den Bösen besiegt (nenikflkate tÖn ponhr∙n) und: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt besiegt hat (aæth †stÑn ™ n‡kh ™ nikflsasa tÖn k∙smon, ™ p‡sti" ™mùn). Statt vom Glauben der Jünger ist hier demgegenüber von ihrem In-Sein in Jesus die Rede: Inmitten der euch ängstigenden Welt (vgl. 15,18–16,3) habt ihr in mir Frieden. Reinterpretierend nimmt der Erzähler hier mit dem Lexem e¢rflnh das Thema von Joh 14,27 ff wieder auf. Und wie dort ist dieser Friede nicht von der Art, wie die Welt Frieden gibt und begreift (o§ kaqá" ¨ k∙smo" d‡dwsin), sondern mitten in der fortbestehenden Bedrückung und Anfechtung (qlõyi") der Glaubenden kommt in ihm das eschatologische Heil zum Vorschein und gibt ihnen teil an dem von Jesus errungenen Sieg über den k∙smo". Dieser Friede gründet im Glauben und besteht in dem wechselseitigen In-Sein Jesu in den Glaubenden und der Glaubenden in ihm. Darum ist mit der Wendung In mir habt ihr Frieden nichts anderes gesagt als in 1Joh 5,4, daß nämlich der Glaubende an Jesu Sieg über den k∙smo" teilhat. Darum ist die Mahnung qarseõte hier von großem Gewicht, denn sie erinnert an die niemals endende Aufgabe, zwischen Jesus und der Welt zu wählen (Brown, Komm. II, 738).
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater (17,1–26) 1
Und als er das gesagt hatte, erhob Jesus seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche nun deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche, 2 so wie du ihm Macht über alles Fleisch gegeben hast, damit er allem, das du ihm gabst, ewiges Leben gewähre. 3 Das aber ist das ewige Leben, daß sie dich, der du allein der wahre Gott bist, 675
17,1–26
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
erkennen, und den, den du gesandt hast, Jesus Christus. 4 Ich habe dich auf Erden verherrlicht und das Werk, das zu vollbringen du mir aufgetragen hast, vollendet. 5 Und jetzt verherrliche du mich, Vater, mit eben der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. 6 Ich habe den Menschen, die du mir aus der Welt gegeben hast, deinen Namen offenbart. Dein waren sie, und mir hast du sie gegeben, und dein Wort haben sie bewahrt. 7 Jetzt sind sie gewiß, daß alles, was du mir gegeben hast, von dir stammt. 8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, die habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und die Wahrheit erkannt, daß ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zum Glauben gekommen, daß du mich gesandt hast. 9 Ich bitte für sie. Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast, weil sie die Deinen sind, 10 – wie ja alles meine deines ist und alles deine meines – und ich in ihnen verherrlicht bin. 11 Ich bin schon nicht mehr in der Welt, sie aber sind in der Welt, ich dagegen komme zu dir. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins seien wie wir. 12 Solange ich bei ihnen war, habe ich sie bewahrt in deinem Namen, den du mir gegeben hast, und ich habe sie behütet, so daß keiner von ihnen verdorben ist außer dem Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt würde. 13 Jetzt aber komme ich zu dir, und dies rede ich in der Welt, damit sie an meiner Freude vollkommen teilhaben. 14 Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie (darum) gehaßt, weil sie nicht aus der Welt sind, so wie auch ich nicht aus der Welt bin. 15 Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt wegzunehmen, sondern darum, daß du sie bewahrest vor dem Bösen. 16 Sie sind nicht aus der Welt, so wie ich nicht aus der Welt bin. 17 Heilige sie in der Wahrheit. Dein Wort ist Wahrheit. 18 So wie du mich gesandt hast in die Welt, so habe ich auch sie in die Welt gesandt. 19 Und zu ihrem Heil heilige ich mich, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. 20 Doch nicht nur für diese bitte ich, sondern ebenso für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, 21 damit alle Eines seien, so wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. 22 Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, die habe ich ihnen gegeben, damit sie Eines seien, so wie wir Eines sind: 23 ich in ihnen und du in mir, damit sie zur vollendeten Einheit gelangen, so daß die Welt (daran) erkennen soll, daß du mich gesandt und sie geliebt hast, so wie du mich geliebt hast. 24 Vater, ich will, daß alle, die du mir gegeben hast, da, wo ich bin, bei mir seien, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon vor der Grundlegung der Welt geliebt hast. 25 Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht (an)erkannt, ich aber habe dich erkannt, und diese haben erkannt, daß du mich gesandt hast. 26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn ihnen auch weiterhin kundtun, damit die Liebe, mir der du mich geliebt hast, in ihnen sei, wie ich in ihnen bin. Schon Loisy (Komm. 53; vgl. 798) beurteilte Joh 17 u. E. treffend als „eine sehr regelmäßig konstruierte, lyrische Paraphrase“ der Vater-Unser-Bitten des Matthäus 676
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,1
evangeliums. Soweit wir sehen, hat von den Kommentatoren zuletzt W. Bauer, der Joh 17 als ein „schriftstellerisches Produkt des Evangelisten“ beurteilt, eine unmittelbare Abhängigkeit einzelner Züge des Gebets von dem matthäischen Vater-Unser erwiesen. Unter dem Gesichtspunkt der Intertextualität beider Gebete haben zuletzt Walker (The Lord’s Prayer), der in Joh 17 „a type of ‚midrash‘ on the Matthean version of the Lord’s prayer in terms of the specifically Johannine theology“ sieht, und W. Schenk (Um-Codierungen) diese Beobachtungen einleuchtend verstärkt. Als den Sitz im Leben dieses Gebets meinte Loisy, das Passionsgedenken bei der Eucharistiefeier ausmachen zu können und bestimmte das Kapitel seiner Gattung nach deshalb als eucharistisches Gebet; vgl. Schenk, ebd. 588. Im Anschluß daran bestimmt Cullmann Joh 17 als ein „typisch eucharistisches Gebet“ (Urchristentum 108); darin folgt ihm sein Schüler W. Wilkens: „Bemerkenswert sind die Parallelen aus den eucharistischen Gebeten der Didache. Und gewiß (sic) spielt das kaÑ ≠pÇr a§tùn †gá ®gi›zw †maut∙n V. 19 auf das ≠pÇr ™mùn des Abendmahlsberichts an. Bezeichnenderweise folgt dann auch sogleich die Bitte um die Einheit der Gemeinde (V. 20 ff). Das Gebet erhält von der Eucharistie her Farbe“ (Entstehungsgeschichte 156). Gegen diese dem Arsenal der älteren Formgeschichte und ihrer Hochschätzung der vermeintlichen ‚mündlichen Tradition‘ sowie ihrer Vernachlässigung der Kategorie der ‚Schriftlichkeit‘ entstammende Rede vom ‚Sitz im Leben‘ einer ‚Gattung‘ eucha‑ ristischer Gebete hat Barrett im Blick auf den poetisch-literarischen Charakter von Joh 17 zu Recht eingewandt, auch wenn die Ansicht „in einem gewissen Maße … plausibel (sei), daß das Gebet sich im Kontext der Abendmahlsliturgie entwickelt“ habe, müsse dabei aber „immer beachtet werden, daß kein Zelebrant sich so mit dem Herrn selbst und mit der Stellung des Herrn in der Nacht, in welcher er verraten wurde, identifizieren konnte, daß er tatsächlich in der ersten Person Singular sagen konnte: ‚verherrliche mich … ich habe deinen Namen offenbart … ich kam von dir … ich komme zu dir‘ usw.“ (Komm. 485; vgl. Becker, Komm. II, 510: „Das Gebet ist nie so von Jesus gesprochen worden, noch im Gottesdienst der Gemeinde verwendet worden“). Für seine Vermutung, das Gebet Jesu habe sich „im Kontext der Abendmahlsliturgie entwickelt“, verweist Barrett ebenso wie andere vor und nach ihm auf die Abendmahlsgebete der Didache (Did 9–10). Doch das ist aus zwei Gründen höchst problematisch: Zum einen ist das von der Didache zitierte Vater-Unser mit Sicherheit keine von Matthäus unabhängige Tradition. Daß der Verfasser hier vielmehr unmittelbar aus dem Matthäusevangelium schöpft, zeigt schon seine Einführung des Gebets in 8,2 durch die Worte: mhdÇ prose‚cesqe Æ" o´ ≠pokrita‡ (vgl. Mt 6,5), ebenso wie der Umstand, daß er es als Anordnung des Herrn in seinem Evangelium autorisiert (üllû Æ" †kfileusen ¨ k‚rio" †n tù e§aggel‡w a§toú, oætw" prose‚cesqe: ktl.). Genau wie in Did 15,4 verweist aber die Wendung †n tù e§aggel‡w a§toú „nicht auf die mündliche Predigt Jesu, sondern (betont) die auctoritas des schriftlichen Evangeliums: Es ist sein Evangelium, weil er es ist, der in ihm redet“ (Wengst, Didache 26; vgl. Schenk, Um-Codierungen 589 f). Und zum anderen ist das Vater-Unser weder bei Matthäus noch in der Didache ein Eucharistiegebet. Bei Matthäus ist es vielmehr das Muster des privaten Betens, zu dem sich der Jünger in sein tamieõon zurückziehen und die Tür verschließen soll (Mt 6,6). Das tamieõon als die Vorrats‑ oder Speisekammer ist der einzig verschließbare und insofern privateste Raum des Hauses. Und daß es sich auch in Did 8 um das private Gebet handelt, wird zum einen daran deutlich, daß dem Vater677
17,1–26
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Unser der Satz folgt: trÑ" tö" ™mfira" oætw" prose‚cesqe, und zum anderen durch den Umstand, daß die Did 9 folgenden Eucharistiegebete durch die Wendung: perÑ dÇ tö" e§carist‡a", oætw" e§caristflsate ktl., deutlich davon abgesetzt sind. Jannasch hat darauf aufmerksam gemacht, daß das Vater-Unser erst um 350 bei Cyrill von Jerusalem als „fester Bestandteil der orthodoxen Gottesdienstordnung“ erscheint (Art. Vaterunser 1237 f; vgl. Schenk, ebd. 590). Obwohl Thüsing in seiner ‚Auslegung des Hohepriesterlichen Gebets‘ auf dessen mögliche Beziehung zum Vater-Unser nicht eingeht, sah er schon damals ganz richtig, daß wir kein Recht haben, „Jo 17 zu einem Eucharistiegebet bzw. zu einer Liturgie der johanneischen Gemeinden zu stempeln“, daß es aber gleichwohl „nur wenige Texte des Neues Testaments (gebe), die so sehr zum Verständnis der eucharistischen Wirklichkeit“ beitrügen (Herrlichkeit und Einheit 125). Erst 1977, in seinem Beitrag zur Schürmann-Festschrift, erklärt Thüsing dann ausdrücklich: „Inzwischen bin ich zu der Auffassung gekommen, daß das Gebet Joh 17 … vor allem mit dem synoptischen Herrengebet kontrastiert und zusammengeschaut werden sollte“ (Bitten 308). Der älteren Formgeschichte bleibt auch Dodd verhaftet, wenn er im Gegensatz dazu bestreitet, daß Johannes das Vater-Unser erst aus dem Matthäusevangelium habe lernen müssen. Vielmehr müsse das Gebet „have belonged to the liturgical tradition of the church from the earliest period, and it is from that source that both Matthew and John (as well as Luke) have drawn“ (Tradition 334 f; vgl. Interpretation 414). Nach Auskunft seines Schülers R. H. Fuller hat sich Dodd freilich erst unter dem Eindruck von Gardner-Smiths Monographie, Saint John and the Synoptic Gospels (1938), von der Annahme einer literarischen Abhängigkeit des Johannes von den Synoptikern abgewandt (vgl. Neirynck, John and the Synoptics 74, Anm.4; u. Schenk, Um-Codierungen 589). Das ist insofern symptomatisch, als es seit Gardner-Smiths Beitrag nahezu zum Dogma der Johannesexegese geworden ist, daß Johannes keines der überlieferten synoptischen Evangelien gekannt haben soll, sondern sich ausschließlich auf andere Quellen und zumal auf nur mündlich überlieferte Traditionen bezogen habe. Gardner-Smith folgen u. a. Goodenough (Primitive Gospel), Bultmann (Komm. pass.), Noack (Joh. Tradition), Haenchen (Joh. Probleme) und Dodd (Interpretation 448 f). Andere, wie Wilkens (Entstehungsgeschichte 174 u. ö.), Guilding (Jewish Worship pass.) übergehen die Frage nach der Relation des Johannes zu seinen synoptischen Prätexten ebenso wie Ritt, in dessen umfangreicher Monographie (‚Das Gebet zum Vater‘) eine mögliche Beziehung zum matthäischen Vater-Unser nirgendwo erörtert wird. Obwohl das auch für Bultmanns Behandlung von Joh 17 gilt, sofern er dessen Grundbestand seiner gnostischen Quelle der Offenbarungsreden zuweist, sieht er doch zumindest seinen ‚kirchlichen Redaktor‘ von den Synoptikern abhängig und um einen Ausgleich mit deren Tradition bemüht. Demgegenüber erklärt Becker dann dekretorisch: „Der joh Gemeindeverband kennt auf keiner theologiegeschichtlichen Stufe auch nur eines der synoptischen Evangelien“ (Komm. I, 36 ff; vgl. zu Joh 17: II, 506 ff). Daß in diesem Satz die doch nur virtuelle Größe ‚johanneischer Gemeindeverband‘, über deren Existenz wir nicht ein einziges externes Zeugnis besitzen, Subjekt ist und so anstelle des individuellen Evangelisten zum Autor des Evangeliums wird, erscheint uns für Beckers gesamte Johannesinterpretation bezeichnend.
Doch zumal die sorgfältigen Arbeiten von Neirynck und Sabbe sowie einige Beiträge in dem von A. Denaux herausgegebenen Sammelband, John and the Synoptics (1992), haben der alten Frage nach dem Verhältnis unseres Evangeliums zu den Synoptikern mit guten Gründen einen neuen Boden bereitet. Angesichts der von Literar‑ und Quellenkritik sowie seit einigen Jahrzehnten durch die Redaktionsgeschichte dominierten Forschungslage auf diesem Feld, waren diese Autoren als die Begründer dieses neuen Paradigmas freilich genötigt, nun als Antikritik ihrerseits die synoptischen Evan678
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,1
gelien in dem Sinne, wie Markus als Quelle von Matthäus und Lukas gilt, ebenfalls als die Quellen des vierten Evangeliums zu behandeln. Wir haben demgegenüber das Verhältnis des vierten zu den drei älteren Evangelien unter dem Gesichtspunkt ihrer Intertextualität behandelt und die letzteren deshalb als die Prätexte bezeichnet, die durch den neuen Text nicht etwa abgelöst oder gar verdrängt werden sollen (Windisch u. a.), sondern vom neuen Text vielmehr in ihrer Geltung vorausgesetzt werden. Daß darum gerade das Spiel mit ihnen, das ‚Zwischen‘ der Intertextualität also, die Pointe des neuen Textes ist, hat sich u. E. zumal an der Auslegung von Joh 6 und 11 f bewährt; vgl. unsere Kommentierung der beiden Kapitel und Thyen, Johannes und die Synoptiker. Sofern Jesus in seinem Gebet zum Vater bereits auf sein vollendetes Erlösungswerk zurückblickt, betet er hier gleichsam als der schon Erhöhte: kaÑ o§kfiti e¢mi †n tù k∙smw (17,11). Und weil mit V. 6–26 der größte Teil seines Gebets beherrscht ist von seinem Eintreten und seiner Fürbitte für die Seinen, wird das Gebet seit den Tagen Cyrills von Alexandria weithin als das Hohepriesterliche Gebet bezeichnet. D. Chytraeus (1531–1600), der darin viele Nachfolger gefunden hat, begriff in diesem Sinn V. 19 als den Schlüssel zum Verständnis des gesamten Gebets, das er dementsprechend als die praecatio summi sacerdotis bezeichnete. Man könnte sagen, daß Jesus hier, obgleich noch irdisch und inmitten seiner Jünger, bereits als ihr himmlischer Paraklet für sie vor seinem Vater eintritt, wie es 1Joh 2,1 f im Spiel mit unserem Gebet und Joh 14,16 f formuliert; vgl. Walker, Lord’s Prayer 239). Ja, trotz der ausdrücklichen Aussage: o§ perÑ toú k∙smou †rwtù (17,9), wo k∙smo" freilich im Gegensatz zu den Glaubenden die ihnen feindlich begegnende Welt bezeichnet, bittet Jesus dennoch auch ‚für alle Menschen‘ oder, wie es in 1Joh 2,2 heißt: perÑ Ωlou toú k∙smou, nämlich für die gesamte geschaffene Welt (s. u. z. St.) . Trotz der verschiedenen Genres von Joh 13 und Joh 17 bilden diese beiden Kapitel insofern eine Inclusio um den Block des abschiedlichen Redens Jesu in den Kapiteln 14–16, als Jesus in seinem Gebet zum Vater nahezu alle Themen der um die Fußwaschung zentrierten Narratio von Joh 13 wiederaufnimmt, nämlich diejenigen der wechselseitigen Verherrlichung des Sohnes durch den Vater und des Vaters durch den Sohn, der in seiner Lebenshingabe gipfelnden Liebe Jesu und seines Liebesgebots, der Unbeständigkeit und Anfechtung der Jünger und der Offenbarung des Vaters durch Jesu Wort und Weg (vgl. Moloney, Komm. 459). Auf diese offenkundige Nähe der eröffnenden Szene unseres Aktes (Joh 13) zu der ihn beschließenden Szene mit dem Gebet Jesu macht auch Becker (Komm. II, 619) aufmerksam; auch wenn wir ihm in seiner Zuweisung von Joh 17 an seine „kirchliche Redaktion“ nicht zu folgen vermögen, erklärt er treffend: „Jedoch steht 13,31 f am Anfang der Abschiedsreden und 17,1 ff am Schluß (Inklusion), und das Thema wechselseitiger Verherrlichung von Vater und Sohn ist eine beide Texte einende Zentralaussage. Darum liegt die Vermutung näher, der Redaktor, der 17,1 ff an den Schluß der Abschiedsszene stellte, hat bewußt in freier Formulierung auf 13,31 f zurückgegriffen“. Ganz richtig sieht Becker auch, daß der große Block Joh 13–17 als eine Spielart der Gattung des ‚literarischen Testaments‘ begriffen sein will, die zumal im Alten Testament und im frühen Judentum ihre spezifische Prägung erfuhr; vgl. dazu Beckers entsprechenden Exkurs: ebd. 523–529. Häufig, und zwar stets erst nach der eigentlichen Abschiedsrede der scheidenden Helden oder Patriarchen, erscheinen in diesen Testamenten als deren typische Äußerungen auch abschiedliche Gebete, vgl. etwa Test Hiob 43,1–17; Test Isaak 8,6 f; Test Jakob 8,6–9 679
17,1–26
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
u. s. Deut 32; Jub 1, 19–21 [Mose]; 10,3–6 [Noah]; 20–22 [Abraham]; slavHen 22; AntBib 19,8 f; 21,2 ff; 33,4 f; VitAd 50; ActThom 142 ff. (vgl. Moloney, Komm. 463). Diese formale Beobachtung macht Becker treffend gegen Bultmanns Eingliederung des Gebets Jesu in das 13. Kapitel geltend. Ebenso wie Appold (Oneness 217 ff), der sich breit mit Beckers literarkritischer Analyse und dessen Konstruktion der Verkirchlichung des johanneischen Dualismus und seiner Weltfeindlichkeit auseinandersetzt, vermögen wir im Gegensatz zu Becker keinerlei ernsthafte stilistische und inhaltliche Argumente und erst recht nicht das geringste Indiz in der Textüberlieferung für die spätere Einfügung von Joh 17 in ein bereits publiziertes Evangelium zu erkennen. Auch daß der vermeintliche Autor des Gebets Jesu von theologischen Interessen beseelt gewesen sein soll, die denen des Evangelisten nicht nur fremd sein, sondern seiner universalen Intention sogar schroff widersprechen sollen, erscheint uns nicht plausibel. Denn immerhin und ganz abgesehen von der unentscheidbaren Verfasserfrage ist Joh 17 ja ein Teiltext unseres Evangeliums, dessen Lektüre unter dem für alle literarischen Werke geltenden Postulat seiner Kohärenz steht. Zudem geht es nicht an, die doxologischen Aussagen eines Beters über Gottes Erwählen und Verwerfen in intersubjektive Sätze über eine praedestinatio gemina als die vermeintliche Weltanschauung eines ‚johanneischen Gemeindeverbandes‘ zu verkehren. Darum lesen wir Jesu abschiedliches Gebet als konstitutiven und dem Genre des literarischen Testaments adäquaten Teiltext unseres Evangeliums und bemühen uns im Folgenden darum, seine Kohärenz aufzuweisen. Dazu verweisen wir auf die in diesem Sinne erfolgreiche narratologische Interpretation von Joh 13,1–17,26 durch Tolmie (Farewell) sowie auf Segovias Untersuchung dieses Teiltextes (Farewell). Im Anschluß an Brown (Komm. II, 748–751) und Moloney (Komm. 458 ff) gliedern wir das Kapitel – seiner dreifachen formalen Nennung des Betens Jesu in V. 1 (‚Jesus erhob seine Augen zum Himmel‘), V. 9 (‚Ich bete für sie‘) u. V. 20 (‚Nicht allein für diese bete ich.‘ ) entsprechend – in die folgenden drei Abschnitte: (1) 1–8; (2) 9–19 und (3) 20–26. (1) Jesu Bitte um die wechselseitige Verherrlichung des Sohnes durch den Vater und des Vaters durch den Sohn und seine Offenbarung des göttlichen Namens (17,1–8) 1–2: Wie bereits bei Jesu Gebet am Grabe des Lazarus (11,41: ¨ dÇ ûIhsoú" éren toÜ" £fqalmoÜ" ±nw) drückt der Erzähler die Gebetshaltung Jesu auch hier durch die Worte aus: kaÑ †p›ra" toÜ" £fqalmoÜ" a§toú e¢" tÖn o§ran∙n. Und wie dort sowie bei dem Spiel des Erzählers mit der synoptischen Getsemane-Szene (12,28) ist die Gebetsanrede Gottes auch hier der einfache Vokativ p›ter (vgl. Mk 14,35: ûAbb› [¨ patflr]). Schenk (593) hat gegen Ritt (160 f u. 175 f) und W.O. Walker (250 f), die mit dem Vaticanus und einigen weiteren Zeugen in V. 21.24 u. 25 den Nominativ patflr bevorzugen, einleuchtend begründet, daß mit Nestle-Aland27 durchgehend der Vokativ p›ter zu lesen ist. Jesu Gebetsgestus des Erhebens seiner Augen zum Himmel ersetzt gewissermaßen die matthäische Näherbestimmung des Vaters als des p›ter ... ¨ †n toõ" o§ranoõ" (Mt 6,9). Daß Johannes hier aber, anders als Matthäus, nicht p›ter ™mùn sagt, hat einen doppelten Grund. Einmal ist Joh 17 ein aktuelles Gebet Jesu in einer konkreten Situation und nicht Modell für das tägliche Beten der Jünger (vgl. Walker 238 f); und zum anderen 680
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,1–2
ist die Vateranrede in der Erzählung des irdischen Weges Jesu als des fleischgewordenen l∙go" bei Johannes stets die exklusive Anrede dieses monogenÉ" parÅ patr∙" (1,14) an seinen himmlischen Vater und nie, wie im synoptischen Vater-Unser, die Gottesanrede der Gemeinde (vgl. Becker, Komm. II, 614). Erst nach der Vollendung seines Heilswerkes erklärt der Auferstandene seine Jünger ausdrücklich zu seinen Brüdern und seinen Vater zu ihrem Vater (20,17 f). Wie das Herrenmahl so hat darum auch das Vater-Unser seinen Platz erst in der österlichen Gemeinde und unter dem Geleit des Geistes. Daß die potentiellen Leser des Evangeliums am Ende des ersten Jahrhunderts Gott aber nicht mit dem Vater-Unser als ihren himmlischen Vater angerufen haben sollen, ist dem Evangelium als der Geschichte des irdischen Jesus nicht zu entnehmen. Wie Jesus seinen verzagten Jüngern, als habe er den Sieg über den k∙smo" bereits errungen, als letztes Wort seiner abschiedlichen Reden gesagt hatte: üllÅ qarseõte, †gá nen‡khka tÖn k∙smon (16,33), so erklärt er betend nun – obgleich noch als der Irdische inmitten der Seinen und insofern noch vor seiner ‚Stunde‘ –: p›ter, †lflluqen ™ øra. „The use of this technique has a very powerful effect. It puts across forcefully the notion of Jesus absolute certainty that things will happen exactly the way he predicts“ (Tolmie 221). Bei dem an den folgenden Imperativ-Satz: „Verherrliche deinen Sohn!“ anschließenden finalen Satz folgen wir der von Nestle-Aland27 bevorzugten kürzeren Lesart: ºna ¨ u´Ö" dox›sÔh sfi (P66 vid a B C* W 0109 pc d e ff 2 pbo; Or). Wenn A D Q 0250. 1 pc lat sy dagegen dem ¨ u´∙" das Pronomen sou hinzufügen und der von C(2) 3 angeführte Mehrheitstext: ºna kaÑ ¨ u´∙" sou dox›sÔh sfi, bietet, so wurde das Pronomen hier schwerlich ausgelassen, weil die betreffenden Abschreiber es für überflüssig gehalten hätten, sondern es wurde wohl eher hinzugefügt, „in order to enhance the solemnity of the style“ (Metzger, Comm. 249). Mit der Bitte um seine Verherrlichung: d∙xas∙n sou tÖn u´∙n, ºna ¨ u´Ö" dox›sÔh sfi nimmt Jesus betend wieder auf, was er seinen Jüngern gesagt hatte, nachdem Judas hinausgegangen war in die Nacht (13,31 f; vgl. Ritt, Gebet 288 ff). Er erbittet seine Verherrlichung aber nicht für sich, sondern dazu, daß so der Sohn den Vater verherrliche. Diese wechselseitige Verherrlichung geschieht nämlich in ein und demselben Akt und demonstriert Jesu Wort: †gá kaÑ ¨ patÉr ∫n †smen (10,30). Das in V. 2 als satzeinleitende Konjunktion gebrauchte Lexem kaq„" hat begründende Funktion: ‚weil‘ oder ‚insofern‘ (vgl. B-D-R § 453/2 u. Bauer, WB s. v.). Der Sohn wird den Vater verherrlichen, sofern der ihm die Macht über alle Menschen (†xous‡an p›sh" sark∙") verliehen hat, damit er allem, das der Vater ihm gegeben hat, ewiges Leben gewähre. Wie die bei Johannes nur hier erscheinende Wendung pôsa s›rx zur Bezeichnung der gesamten Menschheit den biblischen Ausdruck rçbAlk aufnimmt (vgl. Jes 40,5 [LXX]: kaÑ £fqflsetai ™ d∙xa kur‡ou, kaÑ µyetai pôsa sÅrx tÖ swtflrion toú qeoú), so zeigt auch der singularische Ausdruck pôn ¨ dfidwka" a§tù, dem dann anstelle eines neutrischen Singulars in einer casus-pendens-Konstruktion der maskuline Plural d„sei a§toõ" folgt, den Einfluß des biblischen Hebräisch. Mit Lindars (Komm. 519) sehen wir darin jedoch keinen Hinweis auf ein aramäisches Original, sondern eher ein Indiz für die Zweisprachigkeit unseres Evangelisten. Wie es hier heißt, der Vater habe dem Sohn die Macht über alles Fleisch gegeben, so hatte Jesus bereits in 5,27 gesagt, daß der Vater dem Sohn die †xous‡a gegeben habe, das Gericht abzuhalten. Ob das freilich, wie Lindars meint, eine „direkte Reminiszenz von Dan 7,13 f “ ist, so daß man von dorther auch hier von einem „Son of Man context“ sprechen könnte, scheint uns höchst zweifelhaft (s. o. zu 5,27). 681
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
3: V. 3 ist eine der häufigen Parenthesen in unserem Evangelium (vgl. dazu van Belle, Parenthèses pass.). Sie ist hier freilich nicht, wie sonst zumeist, Kommentar des Erzählers, sondern Erläuterung durch den erzählten Beter Jesus, der damit förmlich definiert, was es um das ewige Leben ist: Darin aber besteht das ewige Leben, daß sie dich, den einzig wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Dabei bezeichnet das ºna gin„skousin nicht ein theoretisches Erkennen, sondern die höchst praktische Erkenntnis des Glaubens. Als Anerkennen, Sich-Umfangen-Wissen von der Liebe Gottes, die sich in der Sendung des Sohnes manifestiert, und als Wahrnehmung der Welt als Gottes Schöpfung ist das ‚Erkennen‘ auf den Glauben angewiesen. „Denn nicht die Erkenntnis der Theologie verifiziert den Glauben, sondern die Erkenntnis des Glaubens verifiziert die Theologie, indem sie als praktische Erkenntnis und mythische Erfahrung in diejenige Wirklichkeit stellt, der die Theologie zudenkt. Alles andere liefe darauf hinaus, die Rede vom Priestertum aller Gläubigen zur Farce zu machen und in Wahrheit das Hohepriestertum der Theologie aufzurichten, womit aus dem Christentum eine ‚Gelehrtenreligion‘ würde, zu welcher es Overbeck zufolge dank einer sich als Wissenschaft verstehenden Theologie längst geworden ist“ (Fischer, Glaube als Erkenntnis 51; vgl. ebd. 49 ff) Es ist umstritten, ob diese Parenthese der Feder des Evangelisten entstammt, oder ob der Satz die sekundäre Glosse eines Abschreibers ist. Für das Letztere plädieren u. a. Schnackenburg (Komm. III, 195 f), Becker (Aufbau 73), Onuki (Gemeinde 169), Brown (Komm. II, 741: eine Glosse, „reflecting a confessional or liturgical formula of the Johannine church“), Ritt (Gebet 346 ff) und Dietzfelbinger (Abschied 270 f), der dafür die folgende Begründung gibt: (1) „Indem er lehrhaft das Wesen von ewigem Leben“ erkläre, falle V. 3 „aus dem Gebet und seinem Anredecharakter heraus“. (2) „Von ‚Jesus Christus‘ (werde) im Johannesevangelium nur noch in 1,17 gesprochen, dort sachgemäß im Bekenntnis der Gemeinde (nicht hierher gehört 20,31). In V. 3 dagegen (sei) die Wendung, eingefügt in das Gebet, analogielose Selbsttitulatur Jesu“. (3) „Die Reihenfolge ™ a¢„nio" zwfl (begegne) nur hier; sonst (heiße) es immer zwÉ a¢„nio". Ebenso (sei) die Wendung m∙no" ülhqinÖ" qe∙" auf V. 3 beschränkt“. (4) V. 3 erwecke den Eindruck, als wolle er „den Inhalt von V. 24.26 vorwegnehmen und in einer eigenen Formel zusammenfassen“.
Zu Dietzfelbingers erstem Argument ist jedoch zu sagen, daß V. 3 mit seiner Gebetsanrede „dich, den einzig wahren Gott, …“ (sÇ tÖn m∙non ülhqinÖn qeÖn ktl.) keinesfalls aus dem Charakter des Gebets herausfällt. Und daß Jesus seinen Vater hier in absichtsvollem Spiel mit dem Grundbekenntnis seines Volkes von Dtn 6,4f („Höre Israel …“) als den m∙no" ülhqinÖ" qe∙" anruft und sich selbst, wie oft bei Johannes, in dritter Person als den vom Vater Gesandten bezeichnet, erscheint uns an dieser Stelle des Evangeliums keineswegs so abwegig, wie Dietzfelbinger meint (vgl. dazu Olsson, Deus semper maior 165 ff, und Barrett, Komm. 487 f). Das zweite Argument, daß nämlich Jesu Name zusammen mit seiner Prädikation als crist∙" nur hier und in 1,17 erscheine, ist zwar zutreffend, aber kein Grund, den Satz dem Evangelisten abzusprechen, zumal uns Dietzfelbingers Parenthese, daß 20,31 „nicht hierher“ gehöre, kurzschlüssig erscheint. Denn gerade aus 20,31 ist zu lernen, daß crist∙", auch in der Wendung ûIhsoú" Crist∙", bei Johannes noch den vollen Klang des messianischen Prädikats hat und nicht zum bloßen Eigennamen erstarrt ist. Käsemann urteilt u. E. treffend, wenn er zu Joh 17 erklärt, das Kapitel bilde „unverkennbar … ein Summarium der johanneischen Reden und insofern ein Gegenstück zum Prolog“ (Letzter Wille 14). Darum ist die Wiederaufnahme der Prädikation ‚Jesus Christus‘ aus 1,17 auch ge682
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
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wiß kein Zufall. Erst recht gelten diese Einwände Dietzfelbingers dritter Begründung gegenüber. Denn mit dem artikulierten ™ a¢„nio" zwfl wird ja Jesu Wort d„sÔh a§toõ" zwÉn a¢„nion sachgemäß wiederaufgenommen und diesem Leben durch die Voranstellung von a¢„nio" besonderes Gewicht verliehen. Es kommt hinzu, daß unser Satz in keiner der überlieferten Handschriften fehlt. Er müßte darum schon dem Autographen eingefügt worden sein. Und warum sollte dabei dann ein anderer als der Autor selbst am Werk gewesen sein? So urteilen auch Barrett (Komm. 487) und unter Berufung darauf auch Beasley-Murray (Komm. 296 f), ferner Blank (Komm. II, 254 ff: „Auf dieser Anerkennung Gottes und seines Offenbarers beruht auch das Gebet mit allem, was es zu sagen hat“; ebd. 260), Lindars (Komm. 519, der freilich erwägt, ob nicht allein die beiden letzten Lexeme des griechischen Satzes: ûIhsoún Crist∙n eine sekundäre Interpolation sein könnten) u. a. Aufgrund dieser Einwände gegen die Bestreiter der Ursprünglichkeit von V. 3 halten wir es für plausibler, ihn zwar als Parenthese zu begreifen, diese aber dem Evangelisten selbst zuzuschreiben. In diesem Sinne bemerkt Moloney treffend: „Widely regarded as an addition to the original Prayer, v. 3 can also be seen as its leitmotif. Knowledge of God comes through the revealing words and actions of the Sent One (cf. 1,14. 16–18; 3,14–15. 16–17. 31–36a; 4.13–14; 5,24–25; 6,35.51; 7,37–38; 8,12; 9,5; 10,27–29; 11,42; 13,18–20; 14,6–7). This is not a gnostic promise of a saving ‚knowledge‘, but the promise of life that can be had by those who believe that Jesus Christ has told the saving story of God (cf. 1,18). The believer has eternal life by knowing the God revealed by Jesus, the logos of God. The revelation that makes eternal life possible for ‚all flesh‘ (V. 2–3) has taken place in Jesus’ revealing words and works“ (Komm. 461). V. 3 definiert ewiges Leben förmlich als das glaubende ‚Erkennen des einzig wahren Gottes und dessen, den er gesandt hat, Jesus Christus‘. Daß zwÉ a¢„nio" „John’s regular substitute for the ‚kingdom of God‘ in the earlier tradition (ist), cf. 3,3. 15 ff “ (Lindars, Komm. 519), wurde schon oft beobachtet. Lindars schließt daraus: „It is therefore true to say, that the first two verses of the prayer correspond with the opening of the Lord’s Prayer: ‚Our Father who art in heaven, hallowed be thy name. Thy kingdom come‘…“ (ebd.); vgl. auch Joh 12,28: p›ter, d∙xas∙n sou tÖ µnoma, u. s. dazu Schenk (UmCodierungen 594 f). Als die engste Parallele zu V. 3 nennt Lindars treffend 1Joh 5,20. Zur Bedeutung des Verbums gin„skein in V. 3 verweist W. Bauer auf seinen Exkurs: Glaube und Erkenntnis zu Joh 6,69 (Komm. 103–105). Darin macht er zunächst darauf aufmerksam, daß – von der einzigen Ausnahme in 1Joh 5,4 abgesehen, wo ™ p‡sti" ™mùn als der Sieg gepriesen wird, der die Welt überwunden hat – die Nomina p‡sti" und gnùsi" im gesamten Corpus Iohanneum fehlen, während die Verba piste‚ein, gin„skein und oèda im Vergleich mit allen übrigen Schriften des Neuen Testaments überaus häufig erscheinen, piste‚ein nämlich 107mal, gin„skein 83mal und oèda (e¢dfinai) 100mal. piste‚ein habe bei Johannes weniger den Sinn von fiducia, sondern werde vielmehr in der Grundbedeutung gebraucht: „Das Bekenntnis der Kirche zu Christus für wahr (zu) halten“. Dieser Glaube sei die „von Gott dem Menschen auferlegte Leistung (6,29) und (stehe) als solche auf einer Linie mit den Geboten (13,34; 14,21; 1Joh 2,4.7.8; 3,24; 5,3)“ (194). Wie viele andere meint Bauer, daß Johannes verschiedene Stufen des Glaubens voneinander unterscheide, angefangen von dem primitiven Glauben, der der Stützung durch die Wunder bedürfe und deshalb ‚gering gewertet‘ werde, bis hin zu dem allein auf Jesu Selbstzeugnis gegründeten echten Glauben, der nicht zu ‚sehen‘ brauche, wofür Bauer 4,41; 6,69; 17,8.20 und 20,29 als Belege nennt. Dieses Urteil über die vermeintlichen Stufungen des Glaubens läßt ihn fragen, ob man nach Johannes über sie hinaus etwa „vordringt zu der, fast ebensooft wie der Glaube begegnenden, Erkenntnis“ (104). Zwar erschwere das Fehlen des Lexems gnùsi" „die
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Vermutung, Jo hätte den Ausdruck vermieden als Bestandteil einer Richtung, zu der samt ihrem himmlischen Erlöser er sich im Gegensatz fühlte“. Dennoch aber offenbare der Evangelist dadurch enge „Beziehungen zur ‚Gnosis‘, daß er das Verbum gin„skein weit häufiger gebraucht, als irgendeiner der Synoptiker“. In 8,30–32 erscheine „die Erkenntnis der Wahrheit insofern als etwas dem Glauben Überlegenes, als nur ein Verharren im Glauben zur Erkenntnis (werde). Auch Philo ist der Überzeugung, daß im Verkehr mit Gott die Stufe des Glaubens überschritten werden kann und dann tatsächlich überholt wird, wenn man den Gipfel der †pistflmh, das ist eben die Gnosis … erreicht (migrAbr 175)“; vgl. CorpHerm 10,9: gnùsi" dfi †stin †pistflmh" tÖ tfilo". „Das energische Drängen auf Erkenntnis, dem die stete Wiederkehr des Begriffs ülflqeia (1,14.17; 4,23 f; 5,38; 8,32.34.40.44 u. ö.) und die Vorstellung von Christus als dem Licht (1,4–9; 3,19; 8,12; 9,5; 12,46) entspricht, offenbart den hellenistischen Charakter der Religiosität unseres Evangelisten …“. Das sucht Bauer durch zahlreiche Belege aus philonischen und gnostischen Texten und durch den Verweis auf Reitzenstein (Mysterienreligionen 66 ff u. 284 ff), Wetter (Sohn Gottes 124 ff), Bousset (Kyrios Christos 162 ff) u. a. zu begründen: „Solche himmlische Schau, wie sie hier beschrieben wurde, bringt den Mandäern Manda d’Haije auf die Erde herab: Du stiegest herunter und ließest uns an den Quellen des Lebens wohnen. Du gossest in uns und fülltest uns mit deiner Weisheit, deiner Einsicht und deiner Güte. Du zeigtest uns den Weg, auf dem du aus dem Hause des Lebens gekommen bist. Auf ihm wollen wir den Gang der wahrhaft gläubigen Männer gehen, auf daß unser Geist und unsere Seele in der Skîna des Lebens weilen“ (Lidzbarski, Mand. Lit. 38).
Aber daß Johannes ausgerechnet im Anschluß an seine Rede von dem ‚einzig wahren Gott‘, die im übrigen Evangelium ohne Parallele ist und als Spiel mit dem ‚Höre Israel!‘ „splendidly voices Jewish Monotheism“ (Lindars, Komm. 519), halb in die Arme der Gnosis gezogen und halb darin versunken sein soll, erscheint uns als ein unmöglicher Gedanke, zumal der Evangelist auch mit seiner Bezeichnung der Erkenntnis Gottes als Grund ewigen Lebens „the whole weight of the OT“ hinter sich hat (Lindars ebd.). Im Eschaton wird die Erkenntnis der Herrlichkeit Jhwhs die ganze Erde erfüllen (plhsqflsetai ™ gö toú gnùnai tÉn d∙xan kur‡ou: hwhy dwbkAta t[dl ≈rah almt yk), so wie die Wasser das Meer bedecken (Hab 2,14). Solche Erkenntnis ist kein theoretisches Wissen um eine jenseitige Wirklichkeit Gottes, sondern die praktische Wahrnehmung seiner heilvollen Gegenwart in dieser Welt. Nach Hos 4,1 sind Israels Treue und Liebe (tma und dsj – LXX: ülflqeia und ≤leo") die notwendigen Implikationen von Gotteserkenntnis (µyhla t[d – †p‡gnwsi" qeoú), und wo sie fehlen ist auch keine Erkenntnis Gottes (gnùsi": Hos 4,6; vgl. Hos 6,3.6: „Laßt uns streben, Jhwh zu erkennen [LXX: kaÑ gnws∙meqa di„xomen toú gnùnai tÖn k‚rion]. Sein Aufgang ist sicher wie die Morgenröte. Er wird zu uns kommen, wie der Regenguß, wie der Frühlingsregen, der die Erde tränkt. … Denn Liebe will ich, nicht Opfer, Gotteserkenntnis, nicht Brandopfer“; vgl. zu dieser Art der durch den Glauben vermittelten praktischen Erkenntnis auch die schönen rabbinischen Belege bei Wengst (Komm. II, 176 f). Es geht also nicht um eine den Glauben überbietende und ihn hinter sich lassende theo‑ retische Erkenntnis propositionaler Sätze über Gott, nicht um das Für-Wahr-Halten der Aussagen des Credos (so Bauer), sondern um die praktische Wahrnehmung der mit dem Evangelium erschienenen neuen Welt Gottes, die sich allein dem Glauben, nicht aber dem Schauen erschließt. „Der Gedanke der Jenseitigkeit der Wirklichkeit Gottes meint nicht, wie es ein Supranaturalismus unterstellt, eine Art ‚höhere‘ Welt, die als solche in dieselbe theoretische Erkenntnisperspektive fällt wie die sichtbare Welt (mag auch die theoretische Erkenntnis hier an ihre Grenze stoßen). Dieses Mißverständnis führt zu einer Verdoppelung der Wirklichkeit und zieht die Erkenntnis des Glaubens von 684
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der sinnlich erfahrbaren Welt fort zu den Fragen und Problemen einer anderen Sphäre. Damit aber besteht die Gefahr, daß die Wahrnehmung und Erfahrung der wirklichen Welt der Beliebigkeit, d. h. anderen Mächten, Gestalten und Wahrheiten überlassen bleibt. … Für den Glauben meint die Jenseitigkeit Gottes nicht eine besondere Sphäre innerhalb des Bereichs der theoretischen Erkenntnis, sondern ein Jenseits der theoretischen Erkenntnis“ (J. Fischer, Glaube als Erkenntnis 32). 4 f: Über den parenthetischen V. 3 hinweg beginnt Jesus nun in V. 4 mit der Entfal‑ tung seiner in den beiden ersten Versen vorgetragenen ‚Grundbitte‘ an den Vater. Hatte er in dieser Grundbitte von sich selbst in dritter Person als dem ‚Sohn‘ geredet und sich in dem parenthetischen V. 3 ebenfalls in dritter Person als „den du gesandt hast, Jesus Christus“ bezeichnet, so setzt mit dem V. 4 eröffnenden †g„ nun der genuin johanneische Ich-Stil ein, der das gesamte folgende Gebet beherrscht (vgl. Becker, Komm. II, 617): „Ich habe dich auf Erden verherrlicht (†g„ se †d∙xasa), indem ich das Werk vollendet habe, das zu vollbringen du mir aufgetragen hast. Und nun verherrliche du auch mich, Vater, bei dir selbst mit jener Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“. Gegen den Mehrheitstext (tÖ ≤rgon †tele‡wsa) lesen wir in V. 4 mit NestleAland27 die von P66 a A B C L N (W) u. a. bezeugte kausale Partizipialkonstruktion tÖ ≤rgon telei„sa": „dadurch daß ich das Werk vollendet habe“. Problematisch erscheint uns aus mehreren Gründen Wengsts Einwand, daß hier „die Grenze des Bildes vom Boten deutlich“ werde, weil Jesus ja gar nicht „wie ein Gesandter zu seinem Auftraggeber ‚zurückkehren‘ (könne)“. Seine Rückkehr setze vielmehr voraus, daß der Vater ihn ‚verherrliche‘, ihn nicht im Tode belasse, sondern ihn von den Toten auferwecke (Komm. II, 175). Denn die Gesandten-Metaphorik gerät im Evangelium nicht erst dadurch an ihre Grenze, daß Jesus auf Grund der intersubjektiven Logik gar nicht wie ein Gesandter zu seinem Auftraggeber zurückkehren könnte, sondern vielmehr bereits dadurch, daß Jesu Rede von seinem Einssein mit dem Vater ihre wahre Grenze markiert. Denn „die Formel ‚der Vater, der mich gesandt hat‘ (wechselt) unablässig mit der anderen vom Einssein mit dem Vater, welche ihr erst ihren spezifisch christologischen Sinn gibt“ (Käsemann, Letzter Wille 31 u. ö.). Mit dem Vater teilt Jesus das göttliche Privileg, wen immer er will lebendig zu machen (zwopoieõn: 5,21), weil allein er das Leben in sich selbst hat, wie sein Vater (5,26). Die Worte, die er geredet hat, sind Geist und Leben (6,63). Als derjenige, der die Auferstehung und das Leben in Person ist (11,25), gibt er den Seinen das ewige Leben (10,28). Ja, auch wenn seine Jünger ihn alle im Stich lassen werden, ist er doch nicht allein, denn der Vater ist stets mit ihm (16,32). Und wie er die †xous‡a hat, sein Leben (tÉn yucfln mou) hinzugeben, so hat er auch die Vollmacht, sein Leben wieder an sich zu nehmen (p›lin labeõn a§tfln: 10,17 f). Nicht zufällig ist darum in unserem Evangelium von einer Erweckung des toten Jesus durch Gott nirgendwo die Rede. Vielmehr wird Jesus den von den ûIoudaõoi niedergerissenen Tempel (seines Leibes!) binnen dreier Tage selbst wieder errichten (†n trisÑn ™mfirai" †gerù aut∙n: 2,18 ff); dementsprechend hat das Passiv: Ωte oên °gfirqh †k nekrùn: 2,22) die Bedeutung: als er dann auferstanden war von den Toten (vgl. Bauer, WB s. v.). Auch der Gedanke, daß Jesu Erhöhung zur Rechten des Vaters der Lohn für seinen irdischen Gehorsam bis zum Tode am Kreuz sein könnte – wie Thüsing Jesu ‚Wiedererlangung seiner Präexistenzherrlichkeit‘ in Analogie zu Phil 2,6–11 erklären will (Erhöhung 222 ff) –, ist Johannes gänzlich fremd; vgl. Käsemann, Letzter Wille 30; u. Blank, Krisis 112 f). 685
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Außerdem ist gegen Wengsts Interpretation einzuwenden, daß er mit der Reifizierung des Abstractums l∙go" Subjekt und Prädikat vertauscht. Denn, wie zum Prolog in der Auseinandersetzung mit M. Davies und unter Hinweis auf Mildenberger (Dogmatik II, 386 ff) bereits begründet wurde, ist das einzig reale Subjekt unseres Evangeliums der jüdische Mann Jesus. Und ebenso wie die Rede von Jesu Präexistenz-Herrlichkeit ist l∙go" sein Prädikat und nicht irgendein gegenständlicher l∙go" ±sarko", der vom Fleischgewordenen getrennt werden könnte. Daß Jesu †g„-e¢mi-Worte, zumal in ihrer prädikationslos-absoluten Gestalt, absichtsvoll mit dem „Deutero-Jesaja“ genannten Abschnitt des Jesaja-Buches spielen, haben wir bereits mehrfach beobachtet (vgl. dazu C. H. Williams, I Am He). Gerahmt ist dieser Teil des Jesajabuches durch die Sentenz: „Das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit“ (40,8) am Anfang und am Ende mit dem Wort: „Wie der Regen und der Schnee vom Himmel kommen und nicht wieder dahin zurückkehren, es sei denn, sie hätten zuvor die Erde getränkt …, so soll auch das Wort sein, das ausgeht aus meinem Munde. Es soll wahrlich nicht zu mir zurückkehren, ehe es nicht vollbracht hat, was ich wollte (suntelesjÔö Ωsa °jfilhsa), und ehe es nicht meine Gebote zu meinem Wohlgefallen erfüllt hat“ (55,10 f). Mit guten Gründen hat Lausberg diesen letzteren Jesajaspruch als den Prätext erwiesen, der den Prolog mit der Jesuserzählung des Evangeliums fest verbindet. Da der erzählte Jesus in Texten wie Joh 17,5.24; 6,33 ff.42.62 u. ö. völlig unzweideutig von seiner Präexistenz und Herrlichkeit beim Vater noch vor Grundlegung der Welt spricht, kann man doch schwerlich bestreiten, daß für Johannes nicht irgendein abstrakter l∙go", sondern Jesus der präexistente Schöpfungsmittler ist. Nicht wegen der großen Verbreitung der Schöpfungslehre „zur Zeit der Entstehung des Joh“ ist der Evangelist darum bemüht, seine „Christologie konstitutiv in der Schöpfungslehre zu verankern“ (Becker I, 95), sondern umgekehrt hat Johannes den Schöpfungsglauben konstitutiv in der Christologie verankert, sofern nämlich Jesus Christus als der göttliche Logos die Welt transsubjektiv als Gottes Schöpfung erschließt. Dazu erklärt J. Fischer u. a.: Denn „in ihm und seiner Geschichte wird offenbar, wie Gott selbst seiner Schöpfung zugewandt ist und wie folglich die Wirklichkeit im Ganzen von Gott her zu sehen ist. Damit ist es vom Neuen Testament her evident, daß die Aussage der Gottessohnschaft bzw. der Gottheit Jesu nicht im Sinne intersubjektiver Bestimmtheit zu verstehen ist, so als würden dem Menschen Jesus damit auch noch göttliche Qualitäten zugeschrieben. Zwar ist es richtig, daß man im Neuen Testament Aussagen finden kann, die ein solches Verständnis nahelegen könnten. Doch die eigentliche Pointe der Aussage der Gottheit Jesu liegt im Logos-Charakter seiner Person und Geschichte, in welcher die Wirklichkeit im Ganzen offenbar wird, wie sie von Gott her ist, und man verfehlt eben diesen Sinn, wenn man die Gottheit Jesu in bestimmten Eigenschaften aufzuweisen sucht, die der vor knapp 2000 Jahren lebende Jesus zusätzlich zu seinen menschlichen Eigenschaften besessen haben soll. Wenn aber die Aussage der Gottheit Jesu Christi auf den transsubjektiven Offenbarungscharakter seiner Geschichte zielt, dann folgt daraus, daß die biblischen Texte, in denen Jesus als ‚Sohn Gottes‘ oder ‚Gott‘ zur Sprache kommt, angemessen nur in der Einstellung des Hörens rezipiert werden können, bei welcher der Blick gerade nicht auf ihn gerichtet ist, sondern vielmehr auf die Wirklichkeit, die wir vor Augen haben, so daß das, was über ihn gesagt wird, über diese Wirklichkeit gesprochen ist und ihr als ihre Bestimmtheit durch ihn zugesprochen wird“ (J. Fischer, Wahrer Gott 174 f). 686
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
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Nicht im Sinne des transsubjektiven Offenbarungscharakters der Geschichte Jesu, sondern in dem intersubjektiver Bestimmtheit urteilt Wengst, wenn er erklärt: „Von sich aus (könne) Jesus gar nicht wie ein Gesandter zu seinem Auftraggeber ‚zurückkehren‘. Seine ‚Rückkehr‘ (könne vielmehr) nur gelingen, wenn der Vater ihn ‚verherrlicht‘, wenn Gott ihn nicht im Tode beläßt, sondern von den Toten auferweckt“. Diese Verschiebung der Vollmacht, die Toten aufzuerwecken, von Jesus auf Gott ist aber nicht minder problematisch. Denn sie setzt eine Art von Theismus voraus, nach der Gott ontologisch definiert werden kann und unabhängig von seinem Wort existiert, wirkt und erkennbar ist (vgl. dazu R. Zuurmond, The Power of the Word 11 ff). 6–8: Die V. 6 eröffnenden Worte mit der Nennung des Namens Gottes: †fanfirws› sou tÖ µnoma ktl. bilden zusammen mit der das Gebet beschließenden Wendung: kaÑ †gn„risa a§toõ" tÖ µnom› sou kaÑ gnwr‡sw eine förmliche inclusio. Der parallele Gebrauch der Lexeme faneroún am Anfang dieser Inklusion und von gnwr‡zein an deren Ende zeigt, daß die beiden Verben hier in der Bedeutung von Kundmachen als Synonyma gebraucht sind und bestätigt so die schon des öfteren beobachtete Vorliebe unseres Erzählers für das Spiel mit synonymen Ausdrücken (vgl. Bultmann/Lührmann, Art. fa‡nw 5). Mit Wengst erscheint uns freilich Bultmanns Wiedergabe der Lexeme durch ‚offenbaren‘ (ebd.) und seine dementsprechende Kommentierung, daß „für den Evangelisten … die Mitteilung des Gottesnamens nicht mehr die Übermittlung eines geheimnisvollen, machthaltigen Namens (bedeute), der im Mysterium, in der Himmelsreise der Seele oder im Zauber durch das Aussprechen wirksam wird, sondern die Erschließung Gottes selbst, die Erschließung der ülflqeia“ (Komm. 380 f), zumindest höchst mißverständlich. Denn zum einen vermögen wir das Lexem ülflqeia nicht mit Bultmann als ‚die göttliche Wirklichkeit‘ zu definieren, sondern müssen es mit Joh 14,6 sehr viel konkreter auf Jesus als den fleischgewordenen l∙go" und auf die geschriebenen l∙goi beziehen, die von ihm zeugen. Und zum anderen könnte man Bultmanns Rede von der „Erschließung Gottes selbst“ ja so verstehen, als ob „Gott vorher in Israel unbekannt und unerschlossen gewesen wäre. Das wird im Johannesevangelium (aber) an keiner Stelle behauptet, sondern das Gegenteil vorausgesetzt“ (Wengst, Komm. II, 179). Im Anschluß an K. Barths Auslegung haben wir zu Joh 14,6 begründet, daß in unserem Evangelium nicht etwa der bekannte Mann Jesus für seinen unbekannten Vater im Himmel zeugt, sondern daß es durchgehend der bekannte Gott Israels ist, der für seinen unbekannten irdischen Sohn als Zeuge eintritt. Bei Jesu Aussage †fanfirws› sou tÖ µnoma ktl. dürfte es sich um ein Spiel mit der Vater-Unser-Bitte um die Heiligung des Gottesnamens handeln: ®giasqfltw tÖ µnom› sou (Mt 6,9). Denn auch die bei Johannes singuläre Wendung †pÑ tö" gö" in V. 4, die den Gegensatz zur Richtung des Gebets Jesu e¢" tÖn o§ran∙n und seines bevorstehenden Weges markiert: kügá prÖ" sÇ ≤rcomai (V. 11), hat in der Bitte: genhqfltw tÖ qfilhm› sou Æ" †n o§ranù kaÑ epÑ gö" (Mt 6,10) ihre Entsprechung; vgl. Schenk, Um-Codierungen 594 f und Lindars, Komm. 521. Weil die Bezeichnung Gottes als des Vaters Jesu in unserem Evangelium mit 118 Vorkommen überaus häufig ist, und zumal wegen des mehrfachen Gebrauchs der Vater-Anrede in unserem abschiedlichen Gebet Jesu, haben zahlreiche Kommentatoren in dem Lexem patflr den spezifischen Namen gesehen, den Jesus nach V. 6 den Seinen kundgetan habe. So urteilen etwa Lagrange, Komm. 442; Schlatter, Komm. 319 f; Strathmann, Komm. 233; Strachan, Komm. 301; F. M. Braun, Komm. 447; Bieten687
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
hard, µnoma 271; sowie Westcott, der dazu erklärt: „Christ made perfectly the name of God as Father in His life. Even to the Jews this conception of the relation of God to man was new“ (Komm. 241). Doch diese Identifizierung des µnoma mit der VaterBezeichnung Gottes ist sicher verfehlt. Dagegen hatte schon Büchsel erklärt: „An den Vaternamen ist hier nicht gedacht, aber an all das, wodurch Jesus Gottes Wesen dem Menschen zum Bewußtsein gebracht hat“ (Komm. 160). Denn einmal ist Vater in unserem Evangelium kein Eigenname, sondern, abgesehen von 20,17 (s. u. z. St.), Ausdruck der einzigartigen Relation Jesu zu Gott als seinem Vater. Und zum anderen ist die Vater-Bezeichnung Gottes als Ausdruck seiner Beziehung zu Israel und zum einzelnen Menschen dem Judentum – entgegen anderen Behauptungen – durchaus geläufig; vgl. dazu Wengst, Komm. II, 180, wo er auf das breite Material verweist, das die 2002 erschienene Monographie von Elke Tönges bietet (‚Unser Vater im Himmel‘. Die Bezeichnung Gottes als ‚Vater‘ in der tannaitischen Literatur). Da Jesus nur hier und in 17,26 erklärt, den Namen Gottes kundgemacht zu haben, und da er in V. 11 u. 12 von diesem Namen gleich zweimal sagt, Gott habe ihn ihm gegeben (ó dfidwk›" moi), darf man sich wohl nicht mit der allgemeinen Auskunft begnügen, daß der Name hier einfach die Person Gottes oder gar sein ‚Wesen‘ (Büchsel) bezeichne. Man muß vielmehr an einen konkreten Gottesnamen denken. Ähnlich wie hier in V. 6 läßt der Psalmist den Sänger David Gott mit den Worten preisen: „Deinen Namen will ich meinen Brüdern kundtun, inmitten der Gemeinde will ich dich loben“ (Ps 21,23: LXX: dihgflsomai tÖ µnom› sou toõ" üdelfoõ" mou ktl.; vgl. das den Prolog beschließende: †keõno" †xhgflsato). Daß dieser Psalm mit seinem „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ unserem Evangelisten geläufig ist, zeigt Joh 19,24, wo das Tun der Soldaten als Erfüllung des in Ps 22,19 Gesagten beschrieben wird: „Meine Kleider haben sie unter sich geteilt und über mein Obergewand das Los geworfen“. In Hebr 2,12 ist Jesus der Sprecher der Worte von Ps 22,23: üpaggelù tÖ µnom› sou toõ" üdelfoõ" mou, †n mfisw †kklhs‡a" ≠mnflsw se. Bietenhard (µnoma 271) und Wengst (Komm. II, 180) sehen denn auch diesen Psalmvers im Hintergrund der Namensaussagen in Joh 17. Weil er faneroún samt seinem Synonym gnwr‡zein in V. 26 fälschlich im Sinne der Offenbarung von zuvor Unbekanntem begreift (s. o.), bestreitet Schnackenburg jede Beziehung von V. 6 zu Ps 22,23 mit dem Argument, daß der Psalmist den Gottesnamen doch nur rühmend nenne, während es sich in Joh 17,6 um ‚Offenbarung‘ handele (Komm. III, 199). Mit ganz anderer Begründung kommt auch Bultmann zu dem Urteil: „Nicht zu vergleichen ist also Y 21,23“. Er postuliert nämlich als den von seinem Evangelisten bearbeiteten Prätext auch für Joh 17 seine vermeintliche Quelle gnostischer Offenbarungsreden, wonach der Offenbarer himmlische Mysterien bringt. In diesem Sinne verweist er auf Passagen aus Ginza 296,9 ff; 316,20; 319,3 f; 392,29; MandLit 193,1 ff, aus den Zauberpapyri PapGraecMag II/127 f; XII/92 ff sowie aus OdSal 8,21 f; 15,6 ff; 22,6; 23,22; 39,7 f; 41,15; 42,20 (Komm. 380). Doch abgesehen von der nachjohanneischen Entstehung aller dieser Texte und der möglichen Abhängigkeit der Oden Salomonis von Johannes dürfte es sich bei deren Spekulationen über den göttlichen Namen um die sekundäre Gnostisierung jüdischer Theologumena handeln, die bei Johannes noch viel ursprünglicher erscheinen (vgl. Brown, Komm. II, 755; u. Quispel, Jung Codex 68 ff). Zudem bieten die von Bultmann angeführten Textpassagen auch keine wirklichen Analogien. Brown zitiert darüberhinaus noch zwei weitere Texte aus den Nag-Hammadi-Codices, nämlich einmal EvVer (= NHC I/2; 16.31–43,24): „Der Name des Vaters aber ist der Sohn. Er ist es, der zuerst den benannte, der aus ihm hervorgegangen war, der er selbst war, und er brachte den Sohn hervor. Er gab ihm seinen Namen, den er hatte, weil er es ist, der alle Dinge besitzt, da sie bei ihm, dem Vater sind. Er hat
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Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,6
den Namen, er hat den Sohn. Es ist möglich, ihn zu sehen, der Name aber ist unsichtbar. … … Denn den Namen des Vaters spricht man nicht aus. In seinem Sohn aber ist er offenbar …“ (38,6 ff; vgl. Excerpta ex Theodoto 26,1: „Das Unsichtbare aber war der Name, das ist der eingeborene Sohn …“); und zum anderen EvPhil (= NHC II, 51,29–86,19): „Einen einzigen Namen spricht man nicht aus in der Welt. Der Name, den der Vater dem Sohn gegeben hat, ist über jeden Namen erhaben – und ist der Name des Vaters. Der Sohn würde nämlich nicht Vater werden, wenn er sich nicht den Namen des Vaters beigelegt hätte. Die diesen Namen haben, kennen ihn, sprechen aber nicht über ihn. Die ihn aber nicht haben, kennen ihn nicht, (sprechen) aber (über ihn)“ (12; Übersetzungen von M. Krause in: C. Andresen [Hg.], Die Gnosis II, 80 f u. 97). Diese Texte sind wohl darum näher bei unserem Evangelium, weil sie es u. E. voraussetzen. Doch mit ihrer genuin gnostischen Identifizierung des Sohnes mit dem Vater („in identifying the Son and the Father and in stressing the unspeakable character of the name“, Brown ebd. u. Untergaßmair 245 ff) gehen sie weit über Johannes hinaus. Es bleibt also mit Brown zu fragen, welches denn der Name Gottes sei, den Jesus kundgemacht hat. Dazu weist er darauf hin, daß der Gebrauch von µçh im Judentum ein Weg war, das unaussprechliche Tetragramm Jhwh zu vermeiden. Zum ersten Mal findet sich diese Vermeidung in Lev 24,11 und 16. „Von da her wurde auch das Tetragramm hw:hy“ vokalisiert …, was als am;ç] = Name zu lesen ist“ (Bietenhard, µnoma 268). Bonsirven (Intelligence) hat die frühe Rezeptionsgeschichte von Joh 17,6.11 f u. 26 untersucht und gezeigt, daß die Väter bis zu den Tagen Cyrills von Alexandria und Augustins noch dazu neigten, die personale Relation des konkreten Namens zu betonen, während die späteren Kommentatoren darin nur noch eine Abstraktion für Person oder Wesen Gottes sahen. Mit Brown (ebd. 756) und Wengst (Komm. II/180) folgen wir dieser Spur und sind der Meinung, daß Jesu †g„ e¢mi, das über die Texte Deuterojesajas ganz eng mit dem hyha rça hyha von Ex 3,14 verknüpft ist (vgl. Thyen, Licht der Welt 24 ff; u. C. H. Williams, I Am He 255 ff) der göttliche Name ist, den der Vater ihm gegeben und den er den Menschen kundgetan hat. In Jesaja 52,6 erklärt Gott: „Darum soll mein Volk meinen Namen erkennen. An jenem Tage soll es erkennen, daß ich es bin, der da spricht: Hier bin ich“ (LXX: Ωti †g„ e¢mi a§tÖ" ¨ lalùn: p›reimi). Ganz ähnlich hatte Jesus den ûIoudaõoi erklärt: „Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, Ωti †g„ e¢mi“ (8,28). Brown kommt zu dem Schluß: „So also the Johannine Jesus has come among men, not only knowing the name of God as ‚I Am‘, but even bearing it, because he is the revelation of God to His people“ (Brown ebd.). Ganz ähnlich beurteilt Wengst die Dinge. In dem rühmenden Nennen des Namens Gottes von Ps 22,23 sieht er nicht eine Offenbarung von Gottes Wesen, sondern ein Erinnern an „bestimmte Situationen, in denen Gottes helfende und rettende Gegenwart erfahren wurde, in denen er spricht: ‚Hier bin ich‘ …“. Als seinen Vater macht Jesus denjenigen bekannt, „nach dessen Namen schon Mose gefragt hatte (Ex 3,13), der sich ihm als der Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs vorgestellt (Ex 3,6) und sein Dasein denen versprochen hatte, die sich auf den Weg mit ihm einlassen (Ex 3,14)“ (Komm. II, 180).
Es ist Israels Gott, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Mose verheißen hatte: „Ich werde da sein, als derjenige, als der ich da sein werde“ (hyha rça hyha: Ex 3,14), der durch Jesu Mund noch in der Stunde von dessen Verhaftung sein „Hier bin ich“ (†g„ e¢mi) spricht (Joh 18,5–8). Wenn Jesus seinem Vater betend erklärt, er habe dessen Namen den Menschen kundgetan, die Gott ihm aus der Welt heraus gegeben habe, wenn er hier und im folgenden nicht von der Welt oder der Menschheit, sondern allein von denen redet, die Gottes Eigentum waren, die er ihm aber anvertraut und für die er ihn verantwortlich gemacht habe, so sollte man das nicht auf irgendein Prädestinationsdogma zurückführen und darin keinen Widerspruch zu der universalen Perspektive von 3,16 f wittern. Denn Jesus „hat ja im Effekt den Namen Gottes nur denen bekannt gemacht und bekannt machen können, denen im Blick auf ihn und seinen Weg die Gegenwart Gottes erkennbar geworden ist – die sich darauf einlassen, daß es so sei“ 689
17,1–26
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
(Wengst, Komm. II, 181). Und dieses Sich-Einlassen impliziert, daß sie das in Jesus unter ihnen gegenwärtige Wort Gottes gehalten und bewahrt haben (V. 6). Natürlich besagt der Satz: „Sie waren dein Eigentum, doch mir hast du sie anvertraut, und dein Wort haben sie gehalten“, nicht, daß nicht auch alle anderen Menschen Gottes Eigentum wären und zu seiner Anbetung im Geist und in der Wahrheit gelangen sollten (4,22 ff). Dazu wird Jesus die ihm Anvertrauten mit dem österlichen Geist begaben und sie in die Welt entsenden, so wie der Vater ihn gesandt hat (20,21 f). 7f: Mit dem nún samt dem Perfekt ≤gnwkan, jetzt sind sie gewiß, redet Jesus wieder, als sei er bereits zum Vater erhöht, als der, der im Gegensatz zu den Seinen nicht mehr in der Welt ist (V. 11). Er allein kann dieses nún jetzt schon sagen. Nähmen seine Jünger es dagegen – wie 16,29 f – bereits jetzt in den Mund, so müßten sie sich erneut Jesu ironische Frage gefallen lassen: „Jetzt schon meint ihr zu glauben? Siehe, es kommt die Stunde und sie ist bereits angebrochen, da ihr, ein jeder in das Seine, zerstreut und mich allein lassen werdet“. Doch der, der in Wahrheit nie allein ist, weil sein himmlischer Vater stets bei ihm ist (16,32), redet hier aus der Perspektive des vollendeten Erlösungswerkes. „Jetzt sind sie gewiß, daß alles, was du mir gegeben hast, von dir ist. Denn die Worte (Øflmata), die du mir gegeben hast, die habe ich an sie weitergegeben, und sie haben sie angenommen und erkannt, daß ich wahrlich von dir ausgegangen bin, und zum Glauben gefunden, daß du mich gesandt hast.“ In Jesu Øflmata ist für sie der l∙go" Gottes laut geworden, den sie nach V. 6 bewahrt haben. Die Wendung vom wahrhaften Erkennen bezeichnet wie das gin„skwsin in V. 3 wieder die praktische Erkenntnis des Glaubens, so daß ≤gnwsan ülhqù" und †p‡steusan die beiden Seiten der einen Medaille sind. Lindars erklärt dazu treffend: „Both verbs express the appropriation of divine truth with the heart and mind and will“ (Komm. 522). Dementsprechend sind auch die beiden abschließenden Ωti-Sätze, daß ich von dir ausgegangen bin und daß du mich gesandt hast, der nahezu synonyme Ausdruck der Inkarnation. Allein durch ihren Subjektwechsel vom Ich Jesu zum Du des Vaters zeigen sie noch einmal unüberhörbar das Einssein beider an. (2) Jesu Fürbitte um die Bewahrung seiner Jünger (17,9–19) 9 f: Daß Jesus den Vater inmitten seiner Jünger, die er in einer Welt zurückläßt, die sie mit ihrem Haß verfolgt und sie auszurotten sucht (15,18–16,4), um die Bewahrung der Seinen bittet, die der Vater ihm anvertraut hat, und nicht für die sie hassende Welt betet, versteht sich aus dem Kontext der Abschiedsreden von selbst. Für diese Welt müßte ganz anders gebetet werden. Etwa so, wie Jesus bei Lukas für diese feindliche Welt den Vater gebeten hat: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34); vgl. Calvin, der gegenüber der Notwendigkeit, die ‚ganze Menschheit‘ in unser Beten einzuschließen, bemerkt: „Das Gebet aber, das hier mitgeteilt wird, war von einer ganz anderen, besonderen Art, die wir uns nicht zum Vorbild nehmen dürfen“ (Komm. 414; vgl. auch Wengst, Komm. II, 182). Neu für den Leser ist Jesu Aussage, er sei in seinen Jüngern verherrlicht (kaÑ ded∙xasmai †n a§toõ": V. 10). Das erinnert an den im Zusammenhang des Liebesgebots gesagten Satz: „Daran sollen alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt“ (13,35). An der Sendung der Jünger, die das Halten von Jesu Gebot und das Bewahren seiner Worte einschließt, soll die 690
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,6–11
Herrlichkeit Jesu auch in Zukunft der Welt sichtbar werden (s. u. zu V. 21). Das Perfekt ded∙xasmai zeigt erneut, daß Jesus hier redet, als sei er bereits erhöht, und blicke aus dieser Perspektive auf seine Jünger und die Verläßlichkeit ihres Glaubens nach seiner Auferstehung (Lindars, Komm. 523). Nachdem Petrus als Sprecher der treu gebliebenen Zwölf Jesus gefragt und bekannt hatte: „Herr, wohin sollen wir denn gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist“ (6,69), kann sich dieses Perfekt „ich bin in ihnen verherrlicht“ aber wohl allein auf die nach dem Weggang des Judas bei Jesus gebliebenen Elf beziehen. Es ist sicher kein Porträt der realen Kirche, wie sie unser Evangelist am Ende des ersten Jahrhunderts kennt, geschweige denn das getreue Abbild jener vermeintlichen ‚johanneischen Gemeinde‘. Im Blick auf die realen Leser/Hörer des Evangeliums, die ja nicht nur um die Treue der Elf und die Martyrien einiger von ihnen und vieler anderer wissen, sondern auch erfahren haben, daß Judas beileibe nicht der einzige Abtrünnige geblieben ist, und die mit eigenen Zweifeln und Anfechtungen zu ringen haben, muß Jesu Aussage „und in ihnen bin ich verherrlicht“ der kontrafaktische Ansporn sein, ihr zu entsprechen, und sie zur Bitte an den Vater führen, daß er es doch so fügen möge. Weil Haenchen dagegen die erzählten Jünger nicht von den späteren Christen unterscheidet, gerät er in das folgende Dilemma: „Die Christen gehören dem Vater, der sie darum dem Sohn geben kann, und der Sohn hat den Namen des Vaters … geoffenbart, und die Jünger und die späteren Generationen der Christen haben sie (sc. Jesu Øflmata) angenommen und bewahrt. Alles fügt sich also fest ineinander. Das wird so nachdrücklich ausgesprochen, daß man sich zu fragen versucht fühlt, inwiefern das geschieht. Ist diese Einheit der johanneischen Gemeinde [!] wirklich so frei von aller Unsicherheit und nur der ‚Sohn des Verderbens‘ aus der Einheit herausgefallen (weil die Schrift oder der wirkende Gotteswille es so geschehen ließ), oder ist Judas am Ende nur die Andeutung einer Möglichkeit, die sich je und je wiederholen kann?“ (Komm. 512)
Problematisch ist darin die Alternative: „oder ist Judas am Ende nur die Andeutung einer Möglichkeit, die sich je und je wiederholen kann?“, denn Judas ist beides. In der erzählten Welt der bei seinem langen Abschied um Jesus versammelten Zwölf ist er es, den Jesus eigens dazu berufen zu haben scheint, damit er ihn ‚ausliefern‘ und so seinen notwendigen Beitrag zur Erhöhung des Sohnes des Menschen leisten sollte. Nachdem Jesus ihm mit dem eingetauchten Bissen an seinem letzten Mahl teilgegeben und der Satan dann von ihm Besitz ergriffen hatte, sandte Jesus selbst ihn mit dem ebenso vertraulichen wie förmlichen Auftrag ‚in die Nacht‘ hinaus, seinen Plan nun rasch auszuführen: ≈ poieõ" po‡hson t›cion (13,27); vgl. zu dieser gewissermaßen ‚heilsgeschichtlichen Rolle‘ des Judas als des Jüngers, der Jesus auslieferte L. Steiger (Er geht mit uns 33 ff) und K. Beckmann (Funktion). In der Welt der Erzählung dagegen sind Judas ebenso wie der Verleugner Petrus und die unverständigen und ihren Herrn immer wieder mißverstehenden Jünger durchaus Möglichkeiten, die sich ‚je und je wiederholen‘. Und nicht um Judas oder Petrus moralisch zu disqualifizieren, sondern eigens dazu wird deren Verhalten so breit erzählt, damit die Leser/Hörer daran ihrer eigenen Schwächen innewerden und jene ‚Möglichkeiten‘ nicht realisieren. 11 f: Als derjenige, der nicht mehr in der Welt, sondern bereits unterwegs ist zu seinem Vater, bittet Jesus diesen um die Bewahrung seiner in einer Welt zurückbleibenden Jünger, die sie mit ihrem Haß verfolgen wird. Erneut redet Jesus Gott als seinen Vater an und präzisiert den Vokativ p›ter jetzt durch die Hinzufügung des Adjektivs ‚heilig‘: p›ter πgie. Eingeleitet durch das Trishagion in Jes 6,3 wird die Wendung ‚der 691
17,1–26
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Heilige Israels‘ im Jesajabuch geradezu zum festen Gottesnamen. „Während (dabei) aber Protojesaja mit diesem Namen vorwiegend den Gerichtsgedanken verbindet, so daß der Gegensatz zwischen Jahwe und Israel zum Ausdruck kommt, verbindet ihn Deuterojesaja gerade umgekehrt mit dem Erlösungsgedanken. Denn der ‚Heilige Israels‘ hat nunmehr sein Gericht vollzogen; hinter dem Gericht aber steht als letztes Ziel die Erlösung Israels“ (Kuhn, πgio" 93); vgl. Ps 71,22; 78,41; 89,19. In Gebete eingegangen ist die Prädikation Jhwhs als des Heiligen in dem priesterlichen Gebet um die Erhaltung des eben neu geweihten Tempels: kaÑ nún, πgie pantÖ" ®giasmoú k‚rie, diatflrhson e¢" a¢ùna üm‡anton t∙nde tÖn prosf›tw" kekaqarismfinon oèkon (2Makk 14,36) sowie 3Makk 2,2, wo der Hohepriester Simon Gott anruft: k‚rie, k‚rie, basileú tùn o§ranùn kaÑ dfispota p›sh" kt‡sew", πgie †n ®g‡oi", m∙narce, pantokr›twr ktl. Wie in Joh 17 wird Gott im eucharistischen Dankgebet der Didache mit den Worten angerufen: e§caristoúmfin soi, p›ter πgie, ≠pÇr toú πg‡ou £n∙mat∙" sou ktl. (Did 10,2). Lindars ist mit guten Gründen der Meinung, daß dieses Gebet der Didache von unserem Evangelium beeinflußt ist (Komm. 524). Wie wir schon mehrfach beobachten konnten, folgt Johannes mit der Gebetsanrede p›ter πgie auch hier den Spuren Deuterojesajas. Damit die Jünger, die der Vater Jesus gegeben hat, so Eines seien, wie Jesus als der Sohn und Gott als sein Vater Eines sind (vgl. 10,30), bittet Jesus den Vater, sie in seinem göttlichen und heiligen Namen zu bewahren. Diese Bitte begründet er in V. 12 damit, daß er, solange er bei ihnen war, diese Aufgabe selbst wahrgenommen hat: Er hat die ihm Anvertrauten im Namen Gottes bewahrt und sie behütet, so daß keiner von ihnen verdorben ist außer dem ‚Sohn des Verderbens‘, damit die Schrift erfüllt werde. Wird hier Judas im Spiel mit dem vorausgegangenen Verbum üp∙llumi (o§deÑ" †x a§tùn üp„leto) als ¨ u´Ö" tö" üpwle‡a" bezeichnet, so wie Jhwh die ‚blinden Hirten‘ Israels als tfikna üpwle‡a" und spfirma ±nomon disqualifiziert hatte (Jes 57,4 LXX)? In Qumran werden die eschatologischen Widersacher der Gemeinde der Einung als ‚Männer des Verderbens‘ (tjçh hçna) bezeichnet, denen mit ‚ewigem Haß‘ zu begegnen ist (IQS 9, 16. 22; CD 6,15). Nach 2Thess 2,3 muß vor der Parusie des Kyrios zunächst die Apostasie geschehen und der ±nqrwpo" tö" ünom‡a", der u´Ö" tö" üpwle‡a", offenbar werden. Lindars vermutet wohl zu Recht, daß Johannes diese apokalyptischen Obertöne im Sinn habe, wenn er vom Sohn des Verderbens rede. Aber identifiziert er wirklich Judas mit dieser eschatologischen Figur (Komm. 526)? Moloney bestreitet das und sieht in dem u´Ö" tö" üpwle‡a" den Teufel, der von Judas Besitz ergriffen hat (Komm. 467 f; s. u. zu 18,9). So oder so aber liegt das Interesse dieser Benennung schwerlich darin, Judas moralisch zu disqualifizieren, denn die Treue der anderen ist ja nicht ihre sittliche Leistung, sondern sie hat ihren einzigen Grund in der vergebenden Liebe Jesu, mit der er sie behütet hat (vgl. 21,15 ff). Auch wenn Johannes so „die Gefahr endgültigen Verderbens … stark heraus“ stellen mag, erscheint uns die von Kretzer daraus gezogene Konsequenz doch höchst fragwürdig: „Danach liegt es in der Verantwortung des Menschen, durch Glaube (3,15 f) und Nachfolge (10,27) ewiges Leben zu erlangen (10,28)“ (Art. üp∙llumi 326). Denn die viel und kontrovers diskutierten sogenannten prädestinatianischen Aussagen, wonach keiner zu Jesus ‚kommen‘, d. h. ‚an ihn glauben‘, kann, wenn der Vater nicht ‚zieht‘ oder ihn Jesus ‚gegeben hat‘, und die Parakletverheißungen zeigen doch sehr deutlich, daß Glaube und Nachfolge Gottes Gaben und nicht dem Menschen erschwingliche Mittel sind, durch die er das 692
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,11–15
ewige Leben erlangen könnte, und daß darum auch für Johannes gilt, daß keiner Jesus k‚rio" nennen kann außer durch den heiligen Geist (1Kor 12,3). Der Akzent der Benennung des Judas als ‚Sohn des Verderbens‘ liegt vielmehr auf der eschatologischen Rolle, die Jesus selbst diesem Jünger zugewiesen hat: Durch sein ‚Überliefern‘ Jesu muß er das Werkzeug sein, durch das die Schrift erfüllt wird. So wurde die Auslieferung Jesu durch Judas schon beim letzten Mahl (13,27) „doppelt charakterisiert: einmal durch die Aussage, daß nach diesem Bissen der Satan von Judas Besitz ergriff, sodann durch Jesu Aufforderung: ‚Was du tust, das tu alsbald!‘ Durch beides ist die Tat aus dem Bereich menschlichen, psychologisch-motivierten Handelns hinausgehoben. Hier handelt nicht ein Mensch; hier handelt der Satan selbst, der Gegenspieler Gottes und des Offenbarers. Und doch zeigt sich auch hier die abgründige Nichtigkeit dieses Gegenspielers, dessen scheinhaftes Sein nur die Empörung des Nichts ist. Sofern sein Handeln in die Geschichte des Offenbarers eingreift, ist es von diesem selbst angeordnet“ (Bultmann, Komm. 368). 13 f: Mit dem „jetzt aber bin ich unterwegs zu dir“ nimmt Jesus das o§kfiti von V. 11 wieder auf und fährt dann fort: taúta lalù †n tù k∙smw ºna ≤cwsin tÉn carÅn tÉn †mÉn peplhrwmfinhn †n ©autoõ". Es ist nicht klar, worauf sich die Wendung, diese (Dinge) sage ich in der Welt, bezieht. Bezieht sie sich unmittelbar auf Jesu aktuelles Beten, so daß er auch hier als der seiner Erhörung stets Gewisse allein um seiner Jünger willen, die ihn umgeben, zum Vater betet, so wie er am Grab des Lazarus gebetet hatte: „Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast. Ich weiß jedoch, daß du mich alle Zeit erhörst. Aber um der Leute willen, die hier stehen, bete ich, damit sie glauben, daß du mich gesandt hast“? Eine derart volksmissionarische Geste ist jedoch für Jesu langes Gebet zum Vater schwer vorstellbar. Eher ist die Wendung taúta lalù †n tù k∙smw mit Lindars (Komm. 526) auf Jesu gesamtes abschiedliches Reden zu seinen Jüngern zu beziehen, zumal die Rede von seiner vollendeten Freude ja gewiß nicht zufällig eine Wiederaufnahme des in 15,11 und 16,24 Gesagten ist. Dieser auf den gesamten Abschied zurückblickenden Interpretation fügt sich auch der folgende V. 14: „Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und der Kosmos hat sie mit seinem Haß verfolgt, weil sie nicht (mehr) aus der Welt sind, so wie auch ich nicht aus der Welt bin“. Die im übrigen gut bezeugte und wohl ursprüngliche Wendung kaqá" †gá o§k e¢mÑ †k toú k∙smou fehlt in den folgenden Zeugen: P66* D f 13 pc it sys. 15 f: Während sie durch a A B C D L W al gut bezeugt sind, fehlen die gesamten V. 15 u. 16 in den Zeugen 33 pc sowie in einem Teil der bohairischen Überlieferung; V. 16 darüberhinaus noch in P66c. Statt der Wortfolge kaqá" †gá o§k e¢mÑ †k toú k∙smou in V. 16 bieten P66* Q Y 054 f 1.13 M syh kaqá" †gá †k toú k∙smou o§k e¢m‡. Wir sehen in diesen Auslassungen keinen ernsthaften Grund, von dem oben übersetzten Text, wie er bei Nestle-Aland27 wiedergegeben ist, abzuweichen. Denn keinesfalls darf Jesu Wort fehlen, daß er den Vater nicht darum bitte, die Seinen aus der Welt zu entrücken, sondern allein darum, daß er sie in der Welt vor dem Bösen bewahre (üllû ºna thrflsÔh" a§toÜ" †k toú ponhroú). Wie bereits Bauer (Komm. 205), Dodd (Tradition 333), Brown (Komm. II, 761), Walker (Lord’s Prayer 246 f), Lindars (Komm. 527: „This is the one indisputable allusion to the Lord’s Prayer“) und Schenk (Um-Codierungen 600 f) sehen wir in V. 15 ein absichtsvolles Spiel mit der matthäischen Schlußbitte des Vater-Unser. Da diese Bitte vor dem Hintergrund des die Jünger treffenden aktiven Hasses der Welt ergeht (V. 14), wird man †k toú ponhroú als den 693
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Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
Genitiv des maskulinen Nomens ¨ ponhr∙" begreifen müssen, das im Evangelium nur hier erscheint. Wie in 1Joh 2,13 f; 3,12 und 5,18 f ist das Nomen synonym mit ¨ ±rcwn toú k∙smou to‚tou und mit ¨ Satanô", der nach 13,27 von Judas Besitz ergriffen hatte (vgl. Lindars, Komm. 527). Ebenso wie das verneinte a¥rein †k toú k∙smou entspricht das erbetene threõn †k toú ponhroú rabbinischem Sprachgebrauch (vgl. Schlatter, Komm. 323; u. Bultmann, Komm. 389). Bultmanns Erklärung, daß es für Johannes „zum Wesen der Kirche gehört … innerhalb der Welt eschatologische, entweltlichte Gemeinde zu sein“, ist nur dann richtig, wenn man zugleich bedenkt, daß solcher Entweltlichung der Jünger Jesu mit ihrer Sendung in die Welt als seine Zeugen (20,21) ihre neue Zuwendung zur Welt und deren Wahrnehmung als die von Gott geliebte Schöpfung korrespondieren muß. Doch daß Jesu Bitte, Gott möge die Seinen nicht aus der Welt nehmen, sondern sie vielmehr in der Welt vor dem Bösen bewahren, ausdrücklich und polemisch „gegen die urchristliche Naherwartung des Endes und die Sehnsucht nach der glorreichen Parusie“ gerichtet sein soll, wie Bultmann ebd. urteilt, vermögen wir ihr nicht zu entnehmen. Denn Gottes a¥rein der Gerechten aus der Welt hat mit dem Parusiegeschehen nichts zu tun, sondern bezieht sich in Analogie zum bevorstehenden Kreuzestod Jesu auf das individuelle Sterben Einzelner. „Sie aus der Welt wegzunehmen, würde bedeuten, daß Gott sie sterben ließe und sie durch den Tod zu sich nähme“ (Wengst, Komm. II, 185). Schlatter (Komm. I, 323) zitiert dazu Jer. Berak. 5c und gibt die Stelle ins Griechische übersetzt so wieder: ¨ qeÖ" oèden p∙te ¨ kairÖ" dika‡wn †stÑn toú çrai †k toú k∙smou; vgl. Wengst ebd. Bultmann kann sich im übrigen für sein Urteil nicht auf das überlieferte Evangelium berufen, denn es beruht ja außer auf seinem radikalen Rearrangement der Textfolge vor allem auf seinen literarkritischen Amputationen von Passagen wie 5,28 f; 6,39.40.44.51–58; 12,48 sowie von Joh 21, die uns höchst fragwürdig erscheinen (s. jeweils z. St.). Und daraus, daß die Parusie Jesu in Joh 17 nicht thematisiert wird, weil es um Schicksal und Bestimmung der in der Welt zurückbleibenden Jünger Jesu geht, läßt sich eine Polemik gegen die urchristliche Parusieerwartung nicht konstruieren. Gottes Liebe zum k∙smo" und daß er seinen Sohn nicht dazu in die Welt gesandt hat, daß er sie verurteile, sondern vielmehr dazu, daß der k∙smo" durch ihn erlöst werde (3,16 f), darf über solchen Spekulationen nicht vergessen werden. 17 f: Wie der Vater Jesus geheiligt hat, um ihn in die Welt zu senden (10,36), so bittet Jesus nun den Vater, auch seine Jünger zu heiligen, damit er, so wie der Vater ihn in die Welt gesandt hat, nun auch sie in die Welt entsenden kann. Durch ihre Heiligung bewahrt der Vater die Jünger dadurch vor dem Bösen, daß er sie zu seinem unveräußerlichen Eigentum macht. Das erbetene Heiligen wird als ein solches †n tÔö ülhqe‡a beschrieben. Und diese Wahrheit wird ihrerseits mit dem Worte Gottes identifiziert: ¨ l∙go" ¨ sÖ" ülflqei› †stin. „Die Frage, wie der Jünger der Lüge entgehe und Gottes Eigentum werde, findet ihre Beantwortung dadurch, daß es ein Wort Gottes gibt, das er hören und bewahren kann“ (Schlatter, Komm. 323). In Ps 119,142 erklärt der Beter: ™ dikaios‚nh sou dikaios‚nh e¢" tÖn a¢ùna, kaÑ ¨ n∙mo" sou ülflqeia, und R. Ex 38,1 heißt es nach Schlatters griechischer Übersetzung: øsper sÜ ülflqeia eè, oætw" o´ l∙goi sou ülflqei› e¢sin (ebd.). Daß der Heiligung durch das Wort nicht die Heiligung durch die in der jüdischen Tradition immer wieder genannten Gebote, die doch Gottes gebietendes Wort sind, entgegengestellt werden kann, weil nach 10,35 die Schrift doch nicht aufgelöst werden darf, betont Wengst (Komm. II, 186 f) völlig 694
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,16–19
zu Recht. Denn da es ja die Schrift ist, die für Jesus zeugt, „liegt alles daran, daß dem Wort Jesu die Verläßlichkeit des Wortes Gottes zukommt“ (ebd. 187). 19: „Und für sie heilige ich mich selbst, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit“. Daß Jesus sich selbst heiligt (†gá ®gi›zw †maut∙n), begegnet in unserem Evangelium nur hier. Die LXX gibt das hebräische çdq (zum Opfer oder zum Priester weihen) in der Regel durch ®gi›zw wieder. So bezeichnet das Verbum etwa in Ex 13,2 und Deut 15,19 die Weihe aller erstgeborenen Lämmer zum Opfer und in Ex 28,41 die Priesterweihe. Bultmann erklärt, auch wenn es an sich richtig sei, „daß Jesu Selbstopfer das priesterliche Opfer ersetzt“, bestimme V. 19 ihn doch schwerlich als Priester und Opfer zugleich wie Hebr 9,11–14 (so aber Thüsing, Herrlichkeit 92). Wohl begreife Dibelius (John 15,13: 182) das ®gi›zein zu Recht vom Sendungsgedanken her, „falsch aber ist es, dadurch den Opfergedanken auszuschließen; beides ist für Joh eine Einheit; für ihn beginnt die Passion schon mit der Fleischwerdung“ (Komm. 391, vgl. 344 f). Im Zusammenhang mit der vorausgestellten Hingabe-Formel ≠pÇr a§tùn, die dem Leser aus dem Spiel mit den traditionellen Abendmahlsworten Jesu in 6,51 und überhaupt aus den synoptischen Prätexten, aus den Reden vom guten Hirten (10,11.15–18) und vom Weinstock (15,13) sowie aus dem unfreiwillig prophetischen Wort des Kaiaphas (11,51 f) bereits geläufig ist, kann Jesu ‚Selbstheiligung‘ nichts anderes bedeuten als dies, daß er als das Lamm Gottes die Sünden der Welt trägt (1,29) und sein Fleisch hingibt für deren Leben (6,51), daß er sein Leben (yucfl) für seine Schafe gibt (10,11; vgl. 10,15.17 f), daß er nicht allein für das Volk (Israel), sondern auch für alle in der Welt zerstreuten Gotteskinder stirbt (11,51 f), und daß er in der denkbar größten Liebe sein Leben hingibt für seine Freunde (15,13). Bultmann verweist dazu auf die schon von Bauer (Komm. 205) zitierte Passage aus der Catene 373,31 des Chrysostomos: t‡ †stin: ®gi›zw †maut∙n; prosffirw soi qus‡an. a´ dÇ qus‡ai pôsai πgiai lfigontai: kaÑ kur‡w" πgia tÅ tù qeù. Doch Bauer übersieht die am Herrenmahl haftende Bedeutung des dem †gá ®gi›zw †maut∙n vorangestellten ≠pÇr a§tùn und postuliert für alle Vorkommen von ®gi›zein einschließlich seines singulären reflexiven Gebrauchs in unserem V. 19 „ein einheitliches Verständnis“. Er vermeidet den Gedanken des Opfers, so daß aus V. 19 in seiner Übersetzung die hochmythologische Aussage wird: „Zu ihrem Besten gehe ich zur Göttlichkeit ein, damit auch sie selbst wahrhaft göttlichen Wesens seien“ (Komm. 206 f). Mit Chrysostomos, Bultmann und den meisten Kommentatoren vermögen wir darum das ®gi›zw †maut∙n nur in dem Sinne zu begreifen, daß Jesus hier von seinem Selbstopfer für die Seinen spricht. Wenn er dann mit dem gleichen ®gi›zein als den Zweck seiner Selbstheiligung erbittet, daß auch sie wahrhaft Geheiligte seien, so muß man sich doch fragen, ob das zweite ®gi›zein die Opfer-Bedeutung nicht zumindest auch impliziert (Thüsing, Herrlichkeit 92). Bei der Wendung: ºna ësin kaÑ a§toÑ ™giasmfinoi †n ülhqe‡a muß wohl offen bleiben, ob das artikellose †n ülhqe‡a hier im Gegensatz zu dem artikulierten in V. 17 adverbial im Sinne von ülhqù" gebraucht ist (Bultmann 391 f) oder ob es wegen des engen Zusammenhangs mit V. 17 im Vollsinn wie dort verstanden sein will (vgl. Barrett, Komm. 494). Hinsichtlich des Partizips ™giasmfinoi denkt Bultmann ähnlich wie Thüsing: „Es hätte wohl auch gesagt werden können: ‚damit auch sie sich heiligen füreinander‘. Und zweifellos schließt die Sendung der Gemeinde in die Welt (V. 18) auch die Forderung der Opferbereitschaft in der Nachfolge Jesu ein“ (Komm. 392); vgl. 15,12 f. 695
17,1–26
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
In einer breiten Auseinandersetzung mit der neueren Diskussion um das Verständnis des Todes Jesu als Sühnopfer, die – angeregt durch die Arbeiten der Alttestamentler Gese (Sühne) und Janowski (Sühne) – die im Literaturverzeichnis genannten Beiträge von G. Friedrich, P. Stuhlmacher und O. Hofius spiegeln, hat J. Fischer die hermeneutische Bedeutung der Übertragung der biblischen Sühnopfer-Rituale auf den Kreuzestod Jesu einleuchtend erklärt. Er zeigt nämlich, daß, wie schon in den biblischen Sühnopfer-Ritualen, „der eigentliche Gehalt der zunächst so befremdlichen Deutung dieses Todes als Sühnopfer in einer hermeneutischen Anweisung (besteht, in der Anweisung) …, nämlich, daß wir uns in diesem Tod so erkennen sollen, wie wir von Gott darin erkannt sind. Alles kommt also darauf an zu verstehen, daß der Glaube an den Sühnopfertod Christi kein theoretischer Glaube an eine irgendwie außerhalb seiner selbst sich vollziehende Wirkung dieses Todes ist, sondern praktischer Glaube, der die soteriologische Wirkung des Kreuzes Christi dadurch selbst vollzieht, daß er den Glaubenden in das neue Gottesverhältnis hineinstellt, in dem eben dieser sich vor Gott erkennt, wie er erkannt ist“ (Fischer, Glaube 84; vgl. ebd. 76 ff). (3) Jesus betet auch für die, die durch das Zeugnis seiner Jünger zu ihm kommen werden, und darum, daß die Seinen ‚Eines‘ sein möchten, so wie er und der Vater ‚Eines‘ sind (17,20–26) 20 f: Nicht für diese allein, nämlich für die verbliebenen Elf, die bei ihm sind, sondern auch für die ruft er den Vater an, die nach seinem Weggang durch deren Wort an ihn glauben werden. Auch wenn in dem Satz, üllÅ kaÑ perÑ tùn pisteu∙ntwn diÅ toú l∙gou a§tùn e¢" †mfi, das zeitlose und die Christen aller künftigen Generationen einschließende präsentische Partizip pisteu∙ntwn durch die Näherbestimmung der Vermittlung dieses Glaubens (diÅ toú l∙gou a§tùn) von dem betont ans Ende gestellten e¢" †mfi getrennt ist, muß man letzteres wegen der festen Zusammengehörigkeit von piste‚ein mit e¢" auf pisteu∙ntwn beziehen. Barretts Erwägung, e¢" †mfi wegen seiner Stellung im Satz im Sinne von ‚durch das Wort ihres Zeugnisses für mich‘ auf l∙go" zu beziehen, scheint uns demgegenüber höchst unwahrscheinlich, zumal er für einen derartigen Umgang mit präpositionalen Wendungen kein johanneisches Beispiel, sondern nur 1Kor 1,12 zu nennen weiß (Komm. 495). Das Zeugnis der Jünger an die künftigen Glaubenden muß ergehen, „damit (ºna) sie alle Eines seien, so wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, und damit (ºna) auch sie in uns seien, damit (ºna) die Welt glaube, daß du mich gesandt hast“. Zu den drei ºna-Sätzen erklärt Bauer treffend, daß die ersten beiden koordiniert seien, während der dritte die „bezweckte Folge“ des in den beiden ersten erbetenen Zustandes angebe (Komm. 206). Aufgrund seiner Textumstellungen und seiner dadurch bedingten Auslegung von Joh 17 sowohl vor 13,34 f als auch vor 15,9 ff muß Bultmann fragen, „warum von der Einheit der Liebe, wie sie in 1Joh als Konsequenz des Glaubens entwickelt wird, hier nicht die Rede ist“. Er antwortet darauf, daß „das Thema der üg›ph ... ausdrücklicher Behandlung vorbehalten bleiben“ solle und darum „hier nur angedeutet“ werde (Komm. 393). Da wir für Bultmanns Rearrangement keine überzeugenden Gründe zu erkennen vermögen, vermissen wir dagegen hier die Rede von der Einheit in der Liebe nicht. Vielmehr sehen wir umgekehrt in der Rede vom wechselseitigen 696
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,19–23
In-Sein des Vaters im Sohn und des Sohnes im Vater sowie der Glaubenden in ihnen beiden, und in der nachdrücklichen Wiederaufnahme des Stichwortes der Liebe in V. 23 Züge, die den Leser an bereits in 13,34 f und 15,9 ff Gesagtes erinnern sollen. Denn nicht darum geht es hier, sondern darum, daß dieses wechselseitige In-Sein das bleibende Zeugnis ist, das die Welt zu dem Glauben führen soll, daß Gott Jesus gesandt hat. Insofern ist Jesu Gebet für die Gemeinde und ihr in der Einheit von Vater und Sohn begründetes Einssein „zugleich auch eine Fürbitte für die Welt, in der die Gemeinde, wie schon V. 18 sagte, ihre Aufgabe hat“ (Bultmann, ebd. 394). 22 f: In nahezu völliger Parallelität zu dem in V. 20 f über das piste‚ein Gesagte variieren diese beiden Verse das unter dem Stichwort der d∙xa. Wieder wird hier, nachdem in zwei koordinierten ºna-Sätzen das vollendete Einssein der Christen erbeten wurde, als dessen Zweck formuliert: ºna gin„skÔh ¨ k∙smo" Ωti s‚ me üpfisteila" kaÑ °g›phsa" a§toÜ" kaqá" †mÇ °g›phsa". War dort von dem Glauben an Jesus derer die Rede, die durch das Wort seiner Jünger zu ihm finden sollten, und von ihrem Einssein in Jesus und dem Vater, damit die Welt glaube, daß Gott ihn gesandt hat, so heißt es nun, daß Jesus ihnen (a§toõ") die Herrlichkeit gegeben habe, die der Vater ihm verliehen hat, damit die Welt erkenne, daß der Vater ihn gesandt und sie mit der gleichen Liebe wie den Sohn geliebt hat. Der Kontext fordert, in den a§to‡ die durch das Zeugnis der Jünger zu Jesus Gekommenen zu sehen. Und das bedeutet, daß Jesus hier wiederum als der bereits zum Vater Erhöhte spricht. Darum muß das Perfekt als zeitloses verstanden und darf „die historische Situation, in die der Evangelist das Gebet gefaßt hat, … nicht gepreßt und das dfidwka nicht pedantisch auf den historischen Moment eingeschränkt werden“ (Bultmann, Komm. 395). Die Parallelität von piste‚ein und gin„skein in den beiden Fügungen und deren jeweilige Pointe auf Glauben und Erkennen des k∙smo" als dem letzten Ziel der Sendung Jesu zeigen, daß die beiden Verben einander wechselseitig so interpretieren, daß der Glaube als verstehender und das Erkennen als glaubendes erscheinen. Wir kennen diese Konstellation von Glauben und Erkennen aus 6,68 f. Da hatte Jesus, als alle anderen ihn verlassen hatten, die Zwölf gefragt, ob sie denn auch weggehen wollten, und Petrus hatte ihm die Gegenfrage gestellt: „Herr, wohin sollten wir denn gehen?“ Und dann hatte er als der Sprecher der Zwölf bekannt: „Du hast doch Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist“. Wie damals das Petrusbekenntnis schon die österliche Gabe des Heiligen Geistes voraussetzte, so setzt nun die Weitergabe der Herrlichkeit, die der Vater Jesus verliehen hatte, an alle künftigen Christen auch deren Begabung mit dem Heiligen Geist voraus. Unter dem Geleit des Geistes sollen sie zur völligen Einheit gelangen (ºna ësin teteleiwmfinoi e¢" ∫n). Das heißt, daß nicht nur Glauben und Erkennen einander wechselseitig interpretieren, sondern daß ebenso auch die vom Geist gewirkte Gabe des Glaubens und diejenige der Herrlichkeit einander entsprechen (s. o. zu 7,39). Daß die Einheit der Gemeinde in der Einheit von Vater und Sohn und in Wort und Glauben ihren Grund hat und nicht „in natürlichen oder weltgeschichtlichen Gegebenheiten“, und daß sie auch „nicht durch Organisation, durch Institutionen oder Dogmen hergestellt werden“ kann, daß sie also eine eschatologische und keine empirische Größe ist, betont Bultmann völlig zu Recht (Komm. 392 ff). Wenn er dann aber erklärt, solche Gestalten und Institutionen könnten „echte Einheit höchstens bezeugen, sie … aber auch vortäuschen“, so erscheint uns darin die Formulierung „höchstens 697
17,1–26
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
bezeugen“ doch entschieden zu schwach. Denn nicht zu irgendeinem Selbstzweck, sondern zu solchem Zeugnis vor dem k∙smo" ist die Gemeinde eigens berufen, darin besteht ihre d∙xa, und an ihrer allen sichtbaren Praxis der Liebe zueinander soll doch jeder erkennen, daß sie Jesu Jünger sind (13,34 f). Sind auch Glaube, Liebe und Hoffnung der Christen gewiß noch defizitär, so sind sie dennoch sichtbare shmeõa und sollen es sein, damit die Welt dadurch zum Glauben finde, wie seine Jünger aufgrund der vielen Zeichen, die Jesus vor ihnen getan hat, geglaubt und erkannt haben, daß er der messianische Gottessohn ist (20,30 f). Mutatis mutandis muß deshalb auch auf die Christen anwendbar sein, was Fischer in kritischer Aufnahme der altkirchlichen Zwei-NaturenLehre über die beiden Erkenntnis-Einstellungen dem Christus gegenüber ausgeführt hat. D. h., daß mir im anderen Christen Empirisches und Eschatologisches ungetrennt und unvermischt begegnen. Als mein Gegenüber gehört der Andere durchaus in den Zusammenhang unserer intersubjektiv erschlossenen Welt, zugleich ist er aber transsubjektiv als Träger der d∙xa Jesu und als Teilhaber an ihr bestimmt und will als der so Bestimmte wahrgenommen und entsprechend respektiert werden. Zumal Bultmann sieht, daß die Gemeinde „sich nach 13,35 in dem üllfllou" ügapôn bezeugen soll“, ist es u. E. wenig hilfreich, wenn er auf die altprotestantische Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche zurückgreift und die echte Einheit der Gemeinde unsichtbar nennt, da sie als eschatologische „überhaupt kein weltliches Phänomen sei“ (ebd. 394). So wenig sich der historische Mann Jesus auf das punctum mathematicum des „Bloßen-Daß-Seines-Gekommenseins“ reduzieren läßt, und so wenig sein Offenbarersein von Verhalten und Geschichte der konkreten Person dieses Juden aus Nazaret abstrahiert werden kann, so wenig kann von Glaube, Liebe und Hoffnung der Christen abgesehen von ihrer empirischen Existenz und Geschichte die Rede sein. 24: Die erneute Vater-Anrede, die V. 25 noch mit einem Appell an Gottes Heil schaffende dikaios‚nh wiederholt (p›ter d‡kaie), und das dem †rwtù der vorigen Bitten gegenüber stärkere qfilw (ich will) markieren den Einsatz der abschließenden Bitten Jesu. Gegen Barrett (Komm. 496), der den Nominativ patflr vorzieht und sich dafür auf die Textzeugen A B N pc beruft, lesen wir auch hier, wie im gesamten Gebet, mit Nestle-Aland den von a C D L W Q Y f 1.13 M und Cl bezeugten Vokativ p›ter (vgl. Schenk, Um-Codierungen 592 f). Zu dem fordernden qfilw erklärt Bultmann, man dürfe es „auch nicht zu einem ‚ich möchte‘ abschwächen; der Ausdruck ist sehr kühn: Jesus, der auf Erden nichts von sich hat, sondern nur den Willen des Vaters erfüllt …, stellt hier gleichsam eine Forderung an Gott. Es ist ein Ausdruck der Sicherheit des Glaubens, daß er als der Verherrlichte für die Seinen da ist“ (Komm. 397). Es ist wohl deutlich, daß Jesus, der hier wiederum als der bereits Erhöhte spricht, mit dem „wo ich bin“ (Ωpou e¢mÑ †g„) nur sein Sein beim Vater meinen kann, und daß darum seine d∙xa, die die Seinen dort schauen sollen, nur diejenige sein kann, die er aufgrund der Liebe des Vaters schon prÖ katabolö" k∙smou bei ihm hatte. Bultmann, der bekanntlich aufgrund von Passagen wie 3,18 f; 5,24 f; und 11,25 f von der „kritischen Beseitigung“der „alten jüdisch-urchristlichen Eschatologie“ spricht, hält es für „ausgeschlossen“, diese fordernde Bitte Jesu in deren Sinn zu verstehen (Komm. 398). Dennoch aber vermag er sie seinem Entwurf einer rein präsentischen Eschatologie nicht einzuordnen. Denn „wollte man danach V. 24 interpretieren, so würde man den paradoxen Charakter der Aussagen verkennen, die von der gegenwärtigen Schau der d∙xa, von der schon vollzogenen Entweltlichung der Gemeinde reden. Was die Gemeinde ist, das ist sie ja nicht in einer erfüllten
698
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,23–24
gegenwärtigen Zuständlichkeit, sondern im Glauben als der ständigen Überwindung der Gegenwart, des Weltseins, in ständiger Überwindung des Anstoßes, daß die d∙xa nur an dem sÅrx gen∙meno" zu sehen ist. Aus der Zukunft lebt die Gemeinde, lebt der Glaubende; und der Sinn des Glaubens hängt daran, daß diese Zukunft nicht ein illusionärer Traum, nicht ein futurum aeternum ist. Daß sie sich realisiere, darauf geht die Bitte. … (Ihr) Sinn kann also nur der sein, daß ihre Trennung von ihm eine vorläufige sein soll, daß sie nach ihrer weltlichen Existenz mit ihm vereint sein sollen. Das ‚mit ihm sein, wo er ist‘ ist etwas anderes als sein Sein ‚in ihnen‘, von dem V. 23 redete; und die Schau der d∙xa, die V. 24 meint, ist eine andere als die von 1,14. Es ist die von der Hülle der s›rx befreite d∙xa, in die er selbst eingeht und in die ihm sein ‚Diener‘ nach 12,26 folgen soll; er wird ja nach 14,3 wiederkommen und die Seinen zu sich holen. Es ist also die Schau gemeint, von der 1Joh 3,2 sagt: £y∙meqa a§tÖn kaq„" †stin“ (ebd.). Wegen der mit V. 22 „fast identischen Formulierung“ bestreitet Wengst (Komm. II, 193), daß in V. 24 von einer anderen d∙xa die Rede sei. Barrett folgt Bultmann, den er im übrigen aber fälschlich so zitiert: „Aber sie werden ihm folgen und ‚die von der Hülle der d∙xa befreite s›rx‘ (!) sehen“ (Komm. 497). Gerade diese irrtümliche Vertauschung von s›rx und d∙xa gibt aber zu denken. Denn man muß sich doch fragen, ob Bultmann mit seiner nahezu doketistisch erscheinenden Rede von der ‚Hülle der s›rx‘ hier nicht mit seiner eigenen treffenden Auslegung des kaÑ ¨ l∙go" sÅrx †gfineto von 1,14 in Konflikt und in gefährliche Nähe zu Käsemanns konträrer Interpretation gerät. Kann das wir werden ihn sehen wie er ist von 1Joh 3,2 wirklich heißen, daß da ein fleischloser Logos gesehen würde, einer, dessen ‚Fleischwerdung‘ nur eine Episode in der ewigen Geschichte eines l∙go" ±sarko" gewesen wäre? Trägt etwa der, dessen Schau den Jüngern hier verheißen wird, dann seine Wundmale nicht mehr, die allein ihn doch identifizierbar machen (vgl. 20,19 ff; vgl. dazu Minear, Idea of Incarnation)?
Wir sehen den gesamten ersten Johannesbrief als eine Art von intertextuellem Spiel mit dem Evangelium an und fragen uns mit Overbeck, ob er womöglich tatsächlich keinerlei „selbständige Bedeutung“ haben sollte, weil er in seiner engen Anlehnung an das Evangelium wohl von vorneherein „nur im Zusammenhang mit diesem etwas bedeuten (sollte), etwa als begleitendes Erläuterungsschreiben“ (Johannesevangelium 474; vgl. Thyen, Johannesbriefe 191). Ganz speziell erscheint uns das Textsegment 1Joh 2,28–3,3, aus dem Bultmann zitiert, als eine Reinterpretation der Schlußpassage unseres Gebets Jesu zum Vater. „Und jetzt, meine Kinder, bleibt in ihm, damit wir, wenn er offenbar wird, voller Zuversicht sind und bei seiner Parusie nicht beschämt vor ihm zurückweichen müssen. Wenn ihr wißt, daß er gerecht ist, dann erkennt ihr ja auch, daß jeder, der das Gerechte tut, aus ihm geboren ist. Seht doch, welch große Liebe der Vater uns erwiesen hat, daß wir Gottes Kinder heißen dürfen und das auch sind. Deshalb kennt uns der Kosmos nicht, weil er ihn nicht kennt. Geliebte, jetzt (schon) sind wir Gottes Kinder, und es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Wir sind aber gewiß, daß wir, wenn es offenbar werden wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der von dieser Hoffnung auf ihn erfüllt ist, der heiligt sich selbst, wie auch er heilig ist“. Was Bultmann in der oben zitierten Passage über das Leben der Gemeinde „aus der Zukunft“ sagt, um deren Realisierung Jesus hier bittet, ist in 1Joh 3,3 mit den Worten pô" ¨ ≤cwn tÉn †lp‡da ta‚thn †pû a§tù auf den Begriff gebracht. Auch für Johannes gilt darum der Sache nach das paulinische: tÔö gÅr †lp‡di †s„qhmen (Röm 8,24). Ohne daß Lexeme wie †lp‡zw oder †lp‡" im Evangelium vorkämen, ist auch für Johannes die gewisse Hoffnung auf die endliche Realisierung der Eschata notwendiges und konstitutives Moment des Glaubens. ‚Gegenwärtig‘ sind die Eschata jetzt nur im Glauben und noch nicht im Schauen, ja sogar nur gegen allen Augenschein, alle Zweifel und alle Anfechtungen. Und wenn der scheidende Jesus im Kreis seiner treu gebliebenen Jünger für sie und alle, die künftig durch ihr Wort an 699
17,1–26
Fünfter Akt: Der lange Abschied Jesu von seinen Jüngern
ihn glauben werden, betet, dann darf das nicht als ein argumentum e silentio dafür angesehen werden, daß er darüber sein Wort vergessen hätte, er sei nicht zur Verurteilung der Welt, sondern zu ihrer Erlösung erschienen. Am dezidiertesten behauptet das aber Stimpfle (Blinde sehen 217 ff), der die vermeintliche ‚johanneische Gemeinde‘ als eine Sekte prädestinierter ‚Insider‘ ausmachen will und die Welt der ‚Outsider‘ vergeblich auf eine Endzeitlösung hoffen läßt. Doch Jesus hat ja nach V. 21 u. 23 seine Jünger eigens dazu erwählt und gesandt, daß der k∙smo" durch ihr Zeugnis zum Glauben und zur Erkenntnis komme, daß er der eschatologische Gesandte des Vaters ist. Darum sind wir mit Moule (Individualism 180) im Blick auf die Passagen, die immer wieder für eine angeblich rein präsentische Eschatologie des Johannes herangezogen werden, der Meinung, daß „neither of these pregnant uses precludes the holding of a ‚normal‘ expectation of a future consummation in addition. It is not a realized eschatology in exchange for a futurist, but merely an expression of that element of the realized which inheres in any Christian eschatology“ (vgl. auch Moloney, Komm. 480). 25 f: In dieser abschließenden Bitte redet Jesus Gott als p›ter d‡kaie an. Die Lexeme d‡kaio" und dikaios‚nh sind im Corpus Iohanneum auffällig selten. Das Nomen findet sich im Evangelium nur zweimal (s. o. zu 16,8 u. 10) sowie in der Wendung vom poieõn tÉn dikaios‚nhn in 1Joh 2,29; 3,7 u. 10. Das Adjektiv d‡kaio" erscheint außer in unserer Gebetsanrede nur noch in 5,30, wo Jesus sein Richten als gerechtes bezeichnet (™ kr‡si" ™ †mÉ dika‡a †st‡n) und in ähnlichem Sinn in 7,24. Der erste Johannesbrief gebraucht d‡kaio" sechsmal: (1) in 1,9 heißt es, daß Jesus treu und gerecht sei, daß er unsere Sünden vergibt (pist∙" †stin kaÑ d‡kaio", ºna üfÔö ™mõn tÅ" ®mart‡a"); (2) 2,1 versichert: „Wir haben einen Parakleten beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten“ (ûIhsoún CristÖn d‡kaion); (3) 2,29 lautet: „Wenn ihr begreift, daß er gerecht ist, dann werdet ihr auch erkennen, daß jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus ihm geboren ist“; (4 u. 5) in 3,7 erscheint, wiederum mit dem Tun der dikaios‚nh verknüpft, das Adjektiv gleich zweimal: ¨ poiùn tÉn dikaios‚nhn d‡kai∙" †stin, kaqá" †keõno" d‡kai∙" †stin; (6) endlich sagt 3,12 über die Werke Kains, der †k toú ponhroú war und seinen Bruder abschlachtete (≤sfaxen), daß er das tat, weil seine Werke böse waren, diejenigen seines Bruders aber gerecht (tÅ dÇ toú üdelfoú a§toú d‡kaia). In dem parenthetischen V. 3 hatte Jesus das ewige Leben und damit das Ziel seiner Sendung förmlich dadurch definiert, daß er erklärte, es bestehe in der Erkenntnis dessen, den Jesus hier als seinen Vater anredet, als des einzig wahren Gottes und dessen, den er gesandt hat, Jesus Christus (ºna gin„skwsin sÇ tÖn m∙non ülhqinÖn qeÖn kaÑ ≈n üpfisteila" ûIhsoún Crist∙n). Zu diesem Anfang schließt sich der Bogen dadurch, daß V. 25 das Verbum gin„skein mit den Worten wieder aufnimmt: ‚Gerechter Vater, auch wenn die Welt dich nicht kennt (sÇ o§k ≤gnw), so kenne ich dich doch (†gá dfi se ≤gnwn), und diese haben erkannt, daß du mich gesandt hast (kaÑ oñtoi ≤gnwsan ktl.)‘. Mit dem Lexem gnwr‡zein (zu erkennen geben), das dem gin„skein korrespondiert, benennt Jesus in V. 26 sodann sein vergangenes ebenso wie sein künftiges Offenbarungswirken als den Grund solcher ‚Erkenntnis‘: kaÑ †gn„risa a§toõ" tÖ µnom› sou kaÑ gnwr‡sw, ºna ™ üg›ph √n üg›phs›" me †n a§toõ" Ôé kügá †n a§toõ" (vgl. A. Jaubert, Jean 17,25). Daß es sich bei dem Erkennen des einzig wahren Gottes nicht um die theo‑ retische Einsicht in die Wahrheit des israelitischen Monotheismus handelt, sondern um die praktische Anerkennung dessen, der in der Vergangenheit seines Volkes ebenso wie in der Gegenwart durch den Mund und das Werk seines Gesandten immer wieder sein 700
Fünfte Szene: Jesu Gebet zum Vater
17,24–26
†g„ e¢mi gesagt und die Seinen damit seiner verläßlichen Gegenwart versichert hat und versichert, und daß Jesus – außer für uns Christen aus den Heidenvölkern – nicht der Zeuge eines bis dato unbekannten Gottes ist, sondern daß es in der Schrift, die doch nicht außer Kraft gesetzt werden darf (10,35), ebenso wie in unserem Evangelium der in Israel bekannte Gott ist, der für seinen unbekannten Sohn zeugt, haben wir schon des öfteren begründet (s. z. B. o. zu 14,6). Der das Gebet abschließende ºna-Satz: „Damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen“, bildet zusammen mit 13,1 f eine große Inklusion um die gesamten Abschiedsszenen; vgl. L. Schenke, Komm. 328. Von Jesu neuem Gebot her, einander zu lieben (13,34 f), darf man das †n a§toõ" sicher in dem Doppelsinn von in und unter ihnen verstehen. „Der kühne Gedanke, daß die Liebe Gottes, deren nächster Gegenstand Jesus gewesen ist und von Ewigkeit zu Ewigkeit ist, in den Jüngern sei, hat zur Voraussetzung, daß die Liebe Gottes zu Jesus von vornherein auf die durch Jesus zu rettende Menschheit gerichtet war (Joh 3,16; 1Joh 4,9 f), daß dieselbe aber auch von den Gläubigen erfahren und empfunden wird (1Joh 3,1; 4,16cff. Rm 5,5)“ (Zahn, Komm. 616).
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Sechster Akt: Jesu Gefangennahme. Er wird gefesselt zu Hannas geführt; während Hannas ihn drinnen befragt, verleugnet Petrus seinen Herrn draußen am Kohlenfeuer. Jesu Prozeß vor Pilatus, seine Kreuzigung und sein Begräbnis (18,1–19,40) Erste Szene: Jesu Gefangennahme (18,1–13a) 1
Nachdem er dies (alles) gesagt hatte, ging Jesus mit seinen Jüngern hinaus, überquerte den Bach Kidron und begab sich dahin, wo ein Garten war, in den er mit seinen Jüngern eintrat. 2 Diesen Ort kannte aber auch Judas, der ihn ausliefern sollte, denn oft war Jesus dort mit seinen Jüngern zusammengekommen. 3 Judas führte also die Kohorte samt den Dienern der Hohenpriester und Pharisäer, und mit Laternen, Fackeln und Waffen kamen sie dorthin. 4 Jesus, der bereits alles wußte, was über ihn kommen sollte, ging ihnen entgegen und fragte sie: Wen sucht ihr? 5 Sie antworteten ihm: Jesus, den Nazarener. Und er sagte ihnen: Ich bin es. Bei ihnen aber stand Judas, der ihn ausliefern sollte. 6 Als er aber zu ihnen gesagt hatte: Ich bin es, da wichen sie zurück und fielen zu Boden. 7 Doch abermals fragte er sie: Wen sucht ihr? Und sie sagten: Jesus, den Nazarener. 8 Da erwiderte Jesus: Ich habe euch doch gesagt, daß ich (es) bin. Wenn ihr also mich sucht, dann laßt aber diese ziehen! 9 (Damit sich das Wort erfülle, das er gesagt hatte: Ich habe keinen von denen verloren, die du mir gegeben hast [6,39]). 10 Simon Petrus aber, der ein Schwert trug, zog es und schlug damit auf den Sklaven des Hohenpriesters ein und hieb ihm das rechte Ohr ab. Der Sklave aber hieß Malchus. 11 Da sagte Jesus zu Petrus: Stecke dein Schwert in die Scheide! Soll ich denn den Kelch, den mein Vater mir gereicht hat, etwa nicht trinken? 12 Da nahm die Kohorte mit ihrem Befehlshaber und den Dienern der Juden Jesus fest, fesselte ihn 13a und führte ihn zunächst vor Hannas. 1–2: Nachdem Jesus in den Kap. 13 und 14 noch ganz als der Irdische zu seinen Jüngern geredet und ihnen für die Zeit nach seinem Weggang die Sendung des Heiligen Geistes als ihren anderen Parakleten versprochen hatte, sprach er in den Kap. 15–16 zu ihnen und in seinem Gebet zum Vater bereits als derjenige, der gleichsam schon unterwegs war zwischen den Schauplätzen seines irdischen Wirkens und den himmlischen Wohnungen im Haus seines Vaters (14,2 f), ja, wie etwa 16,33 und 17,1 ff und 17,11: „Ich bin nicht mehr in der Welt“ zeigen, spricht er hier gewissermaßen schon als der, der bereits am Ziel dieses Weges angekommen zu sein scheint (vgl. O’Day, 702
Erste Szene: Jesu Gefangennahme
18,1–2
I Have Overcome). Diesem Unterwegssein entspricht auch der Umstand, daß der Erzähler unter Rückgriff auf Mk 14,42 am Ende des 14. Kapitels mit den Worten: ‚Es kommt der Fürst der Welt. An mir kann er jedoch nichts ausrichten. Aber damit die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe und zuende bringe, was er mir geboten hat, steht auf und laßt uns von hier weggehen (±gwmen †nteúqen)‘, den Erzählfaden niederlegt, um ihn nach den langen Diskursen der Kap. 15 und 16 sowie nach dem Gebet Jesu in Joh 17 erst in 18,1 ff wieder aufzunehmen. „Die synoptischen Parallelen (Mc 14,26 usw.) zeigen, daß 18,1 trotzdem auf einen Bericht über eine Szene folgen kann, die im Hause gespielt hat“ (Bauer, Komm. 208; vgl. Schnelle, Abschiedsreden 70 ff; u. Lang, Johannes 61). Hieß es 14,31: ‚Laßt uns von hier weggehen‘, so erfährt der Leser erst hier, wohin dieser Weg führen soll. Sein Ziel ist jener Garten (köpo") jenseits des Baches Kidron, in dem Jesus oft mit seinen Jüngern zusammen war (V. 2). Und auch, in welcher konkreten Gestalt der ‚Fürst der Welt‘ kommen wird (14,31), wird nun sichtbar: Denn, angeführt von Judas, der, seit Jesus ihm beim letzten Mahl jenen eingetauchten Bissen gegeben hatte, vom Teufel besessen ist (13,27), erscheinen mit der römischen Kohorte unter ihrem cil‡arco" (V. 12) und den Dienern der Hohenpriester und Pharisäer die irdischen Archonten und Vollzugsorgane des ±rcwn toú k∙smou. Als gälte es, einen Schwerverbrecher zu stellen, treten sie mit Laternen, Fackeln und als Bewaffnete auf. Auch wenn die Lesarten tùn kfidrwn (Gen. Pl. von kfidro" = die Zeder) durch a2 B C L Q Y f 1.13 33 M, und toú kfidrou (Sg.: = Bach der Zeder) durch a* D W a b r1 besser bezeugt sind als der nur von A D 0250 pc vg sy gebotene Text: ceim›rrou toú Kedr„n (= der Bach Kidron), dürfte der letztere ursprünglich sein. Die Nichtübereinstimmung zwischen dem Genitiv des Artikels toú und dem Nomen Kedr„n hat die Abschreiber wohl zu einer unnötigen Korrektur verführt. Sie dürften den indeklinablen Eigennamen ˆwrdq fälschlich als den Genitiv Pluralis des Lexems kfidro" angesehen und den vermeintlichen grammatischen Fehler entsprechend zu ‚Bach der Zedern‘ (bzw. ‚Bach der Zeder‘) ‚korrigiert‘ haben (vgl. Metzger, Comm. 250 f). Jesus begibt sich mit seinen Jüngern auf den Ölberg, dazu müssen sie das östlich des Tempelbergs gelegene Tal des Kidronbaches überqueren, der nach Süden ins Tote Meer fließt. Jenseits des Kidrontales liegt der Ölberg mit dem Garten Getsemane, wohin Jesus mit seinen Jüngern aufbricht. Das Lexem ce‡marro", das zumal in der LXX überwiegend in der Form von ceim›rrou" begegnet, wird von Suidas so definiert: ¨ †n tù ceimùni Øfiwn potam∙"; als ein Fluß oder Bach also, der nur im Winter Wasser führt (vgl. Bauer, WB s. v.). In 1Kön 2,36 f erlaubt Salomo Schimi, sich in Jerusalem ein Haus zu bauen, und erklärt ihm: An dem Tag aber, an dem du weggehst und den Bach Kidron überschreitest (ˆwrdq ljn ta), bist du des Todes; Josephus gibt das durch mÉ diaba‡nein tÖn ceim›rron Kedrùna wieder (Ant VIII/17).
Wie sich bereits Joh 12,27 ff als ganz offenkundiges intertextuelles Spiel mit der synoptischen Getsemane-Szene erwies und wie das Wort vom Trinken des Kelchs in V. 11 bestätigen wird, ist Johannes mit dieser Szene seiner Prätexte (Mk 14,32–42; Mt 26,36–46; Lk 20,40–46) vertraut. Er vermeidet jedoch, wie Lukas, der Jesus mit seinen Jüngern nach seiner Gewohnheit (katÅ tÖ ≤qo") auf den Ölberg ziehen läßt (Lk 22,39), den von Mk 14,32 und Mt 26,36 zur Bezeichnung eines Landstücks (cwr‡on) gebrauchten Eigennamen Geqshman‡. Stattdessen spricht er nur von einem ‚Garten‘ (köpo") jenseits des Kidrontales, in den sich Jesus mit seinen Jüngern begibt. Daß sie sich dorthin öfter zurückzogen (V. 2), entspricht der Wendung nach seiner Gewohnheit bei Lukas und erklärt vielleicht auch das nur hier von Johannes gebrauchte Lexem poll›ki" (vgl. Sabbe, Arrest 387). Den Namen Getsemane dürfte er wohl deshalb 703
18,1–13a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
vermeiden, weil er ihm allzu eng mit Jesu Bitte verknüpft schien: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so laß diesen Kelch an mir vorübergehen“. Denn, wie 12,27 ff und Jesu an Petrus gerichtete Frage: „Soll ich denn etwa den Kelch nicht trinken, den mein Vater mir gegeben hat?“ (V. 11), zeigen, widerspricht diese Frage seinem eigenen Jesusbild. Auch die mit diesem Weg eröffnete Passionserzählung im engeren Sinn (18,1–19,40) sowie die daran angeschlossenen Ostererzählungen (20,1–21,25) sind kohärente Kompositionen aus der Feder des Evangelisten, die eng und vielfältig mit dem gesamten ihnen vorausgehenden Evangelium verknüpft sind. Gegen einen breiten Strom, zumal in der deutschen Forschung, vermögen wir darum außer unseren drei synoptischen Evangelien in ihrer überlieferten Gestalt als seinen Prätexten und Gegenständen seines intertextuellen Spiels mit ihnen ebenso wie Sabbe (Arrest und: Trial of Jesus), Neirynck (pass.) u. a. auch für diese beiden letzten Akte keinerlei besondere Quellen auszumachen. Allen Versuchen, solche vermeintlichen Quellen dennoch zu rekonstruieren, mangelt es an der notwendigen methodischen Sicherheit, sie von den sie vermeintlich redigierenden Partien aus der Feder des Evangelisten überzeugend abzugrenzen. Erst recht sind die johanneischen Passions‑ und Ostererzählungen kein bloßes Rudiment der Tradition und nicht nur notwendiges Ausstattungsstück eines ‚Evangeliums‘, das ansonsten nur von der Herrlichkeit Jesu wüßte und von einem naiven Doketismus beherrscht wäre, wie Käsemann meint. Nein, von den Prologsätzen an, daß das Licht in der Finsternis scheint, die es trotz aller Anstrengungen nicht auszulöschen vermochte (1,5), und seit der den Tod Jesu einschließenden Aussage: „Das Wort ward Fleisch“ (1,14), ist unser Evangelium nicht mehr wie das des Markus eine ‚Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung‘ (M. Kähler), sondern von Anfang an ein Passionsevangelium und allein als solches Zeugnis der Herrlichkeit Jesu. Johannes hat Jesu Passion, die paradoxerweise gerade seine göttliche Aktion ist, ganz programmatisch zum durchgehenden Darstellungsprinzip seines Werkes gemacht (vgl. Beasley-Murray, Komm. 305 f). Das demonstrieren u. a. das Täuferwort über Jesus als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt (1,29); die Erzählung von der Tempelreinigung mit Jesu Wort von der Zerstörung des Tempels seines Leibes durch die Juden bereits im zweiten Kapitel; das Spiel mit den synoptischen Worten der Einsetzung des Abendmahls in Joh 6,51 ff; die seit 5,18 wiederholten Versuche der Juden, Jesus zu töten oder ihn wenigstens zu verhaften; Jesu Rede vom guten Hirten, der sein Leben hingibt für seine Schafe (10,11 ff); die intertextuell mit dem synoptischen Prozeß Jesu vor dem Synhedrium spielenden Szenen 10,31 ff und 11,47 ff; der Plan, nicht nur Jesus, sondern auch den durch seine Erweckung zu seinem Zeugen gewordenen Lazarus zu töten (12,10); das Wort von dem Weizenkorn, das sterben muß, damit es viel Frucht bringe (12,24); und endlich die gesamten um das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern zentrierten Abschiedsreden. Die Versuche, hinter den Passions‑ und Ostererzählungen unseres Evangeliums irgendeine zusammenhängende Quelle zu rekonstruieren und diese von den Partien ihrer Bearbeitung durch den Evangelisten verläßlich zu unterscheiden, sind zahllos. Sie reichen von dem Postulat, Grundlage unseres Evangeliums sei eine zusammenhängende Grundschrift (Wellhausen und neuerdings variiert von Schmithals), über Fortnas Vermutung, dem Evangelium liege ein den Synoptikern verwandter ‚Predecessor‘ zugrunde, der seinerseits aus einem ‚Gospel of Signs‘ erwachsen sein soll, das wiederum eine Erweiterung der vermeintlichen Semeiaquelle sei (vgl. Thyen, Joh u. d. Synoptiker, sowie unsere Rezension von Fortnas Predecessor), bis hin zu der These, den johannei704
Erste Szene: Jesu Gefangennahme
18,2–3
schen Passions‑ und Ostererzählungen liege ein von den überlieferten synoptischen Evangelien unabhängiger, womöglich auf seine Weise auch von Markus benutzter zusammenhängender Passions- und Osterbericht zugrunde (Bultmann, Becker, Mohr u. a.). Noch der von der Benutzung unserer synoptischen Evangelien überzeugte M. Lang meint, innerhalb der johanneischen Passionserzählung zwischen Partien unterscheiden zu können, die einer sogenannten johanneischen Gemeinde entstammen sollen, und dem diese Stücke redigierenden Evangelisten. Er nennt dieses Verfahren ein redaktionsgeschichtliches und glaubt, auf diese Weise das diachronische Profil des Textes sichtbar machen zu können. Wir fragen uns aber, wie das denn funktionieren soll, wenn diese hier vermeintlich bearbeiteten Prätexte aus der johanneischen Gemeinde nicht reale schriftlich verfaßte und als solche rekonstruierbare Texte sind, wie etwa das Markusevangelium in seiner Relation zu Matthäus und Lukas, sondern nur höchst hypothetische Konstrukte, die womöglich gar nur mündlich überliefert sind. Mündliche Überlieferung aber besteht nicht aus Texten, die sich redigieren ließen. Sie geht darum auch nicht auf einen Urtext zurück, sondern in ihrem Fall ist jeder neue mündliche Vortrag gewissermaßen ein neuer Urtext. Darin, daß Johannes außer den Synoptikern noch weitere Jesusüberlieferung kennt, hat Lang natürlich ganz recht. Aber warum muß die einer „johanneischen Gemeinde“ entstammen, und wie soll man sie vom individuellen Stil des Evangelisten unterscheiden können? In seinen beiden großen Monographien Passionsgeschichte und Johannes und Lukas hat Dauer sowohl die Relation der johanneischen Passionserzählung zu den synoptischen Evangelien als auch die schon früher von Schniewind analysierten ‚Parallelperikopen‘ bei Johannes und Lukas erneut einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Darüberhinaus ist er in dem von Denaux herausgegebenen Band über Johannes und die Synoptiker den Spuren der synoptischen Synhedriumsverhandlung bei Johannes nachgegangen. Sein Resultat erscheint uns jedoch allzu hypothesenfreudig und zudem höchst widersprüchlich: Denn einerseits ist bisher selten so klar erwiesen worden, daß unser Evangelium nicht nur irgendeine mündliche synoptische Tradition voraussetzt, sondern die drei konkreten Evangelien in der ihnen von ihrem jeweiligen Autor verliehenen redaktionellen Gestalt. Andererseits aber bestreitet Dauer aus uns nicht nachvollziehbaren Gründen zugleich jegliche direkte Abhängigkeit des Johannes von den Synoptikern. Stattdessen soll er aus einer unbekannten schriftlichen Quelle geschöpft haben, die ihrerseits bereits eine Kombination von Texten aus allen drei synoptischen Evangelien gewesen sein soll. Zusätzlich belastet Dauer seine Konstruktion noch mit der weiteren Hypothese, daß diese Passionsquelle des Johannes ein Teil der vermeintlichen Semeiaquelle sei, so daß Sabbe, der sich detailliert mit Dauers Theorie auseinandergesetzt hat, zu Recht fragt, ob da zwischen der Endredaktion der drei synoptischen Evangelien und der Veröffentlichung des vierten für die Entstehung eines derartigen nachsynoptischen und vorjohanneischen Evangeliums überhaupt Zeit genug gewesen sei (Arrest 388). Ebenso wie jene Semeiaquelle halten wir auch Dauers vorjohanneischen Passionsbericht für ein Phantom und bleiben bei der weitaus plausibleren Arbeitshypothese, daß Johannes selbst, der auch hier intertextuell mit seinen synoptischen Prätexten spielt, der Schöpfer seiner Passions‑ und Ostererzählung ist; vgl. dazu Sabbes Resümee ebd. 387. 3: Die Wendung ¨ oên ûIo‚da" labán tÉn speõran ktl. wird man am besten rein funktional verstehen und so wiedergeben, daß Judas als der Ortskundige sich an die Spitze derer setzte, die Jesus verhaften sollten. Denn lab„n kann hier ja schwerlich 705
18,1–13a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
heißen, daß er sich nicht nur der ≠phrfitai der Hohenpriester und Pharisäer (s. o. zu 7,32.45), sondern darüber hinaus noch einer gesamten römischen Kohorte samt ihres Befehlshabers (cil‡arco": V. 12) als seiner Helfer bedient hätte (vgl. Brown, Komm. II, 807). Eine Legion bestand aus zehn Kohorten (speõrai), deren jede etwa fünf‑ bis sechshundert Soldaten umfaßte. Als der militärische Arm des römischen Präfekten, in unserem Fall also des Pilatus, war eine solche Kohorte in unmittelbarer Nähe des Tempels auf der Burg Antonia stationiert. Die synoptische Szene der Verhaftung Jesu (Mk 14,43–52; Mt 26,47–56; Lk 22,47– 53) weiß nur von einem mit Schwertern und Knüppeln bewaffneten Haufen (µclo"), den die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Presbyter zur Festnahme Jesu ausgesandt hatten (Mk 14,43). Matthäus redet gar von einem µclo" pol‚" und eliminiert die grammate‡" (26,47), während Lukas nicht von solchen spricht, die die Hohenpriester etc. ausgesandt hatten, sondern diese selbst zusammen mit Angehörigen der Tempelpolizei und den Presbytern hier agieren läßt (22,52). Von römischen Soldaten (strati-ùtai) und davon, daß die Römer die gesamte Kohorte (speõra) zusammenriefen, ist bei Markus und Matthäus erst die Rede, nachdem das Synhedrium Jesus zum Tode verurteilt und ihn gefesselt an Pilatus überstellt hat (Mk 15,16; vgl. Mt 27,27). Im Gegensatz zu allen Versuchen, für Johannes hier eine eigene Quelle rekonstruieren zu wollen, erscheint es uns am plausibelsten, auch diese Erzählung als ein Spiel mit den genannten synoptischen Prätexten zu begreifen. Da nach Joh 11,47 ff das Synhedrium unter Vorsitz und auf Anraten des Hohenpriesters Kaiaphas das Todesurteil gegen Jesus längst gefällt hat (11,47 ff) – ein Urteil freilich, das, wie Nikodemus in 7,51 zu Recht erklärt hatte, darum torawidrig war, weil es in Abwesenheit des Verurteilten und ohne ihn zuvor anzuhören gefällt worden war –, findet nach der Gefangennahme Jesu statt eines Prozesses gegen ihn vor dem Synhedrium nur noch die Verhandlung vor Pilatus statt. Als der bereits zum Tode Verurteilte wird Jesus hier darum schon unmittelbar nach seiner Festnahme sogleich gefesselt abgeführt. Nach einer kurzen Befragung durch Hannas, den Schwiegervater des Kaiaphas und die graue Eminenz der Jerusalemer Priesterschaft, wird Jesus dann zu Kaiaphas gebracht, der ihn sogleich an Pilatus ausliefert. Deswegen mußte Johannes das Auftreten der speõra aus Mk 15,16 schon in unserem V. 3 vorwegnehmen. Zugleich läßt er anstelle des mit Schwertern und Knüppeln ausgerüsteten jüdischen µclo" zur Festnahme Jesu neben einigen ≠phrfitai der Priester und Pharisäer eine bewaffnete römische Kohorte mit Fackeln und Laternen anrücken. Abgesehen davon, daß historisch unmittelbar vor dem Passafest und angesichts der Masse von Festpilgern in Jerusalem gewiß nicht die gesamte römische Kohorte Jerusalems zur Festnahme eines einzigen Mannes ausgerückt ist, bleibt es schwer zu entscheiden, ob speõra, ein Lexem, das gelegentlich auch der Bezeichnung kleinerer militärischer Einheiten, wie z. B. eines Manipels, dienen kann, hier wirklich technisch gebraucht ist und die gesamte römische Kohorte der Burg Antonia bezeichnen soll (vgl. Brown, Death I, 248 ff). So oder so bringt Johannes damit aber zum Ausdruck, daß der Fürst der Welt mitsamt all seinen irdischen Repräsentanten keine Macht über Jesus hat, ja daß sie, wie die beiden folgenden Verse zeigen, nicht nur ohnmächtig vor ihm zurückweichen, sondern angesichts dessen, der hier sein göttliches †g„ e¢mi sagt, zu Boden fallen. 4–6: Trotz der nahenden Übermacht behält Jesus, der von allem weiß, was da auf ihn zukommen wird, die Initiative. Er geht hinaus, den Anrückenden entgegen, und fragt sie: ‚Wen sucht ihr?‘. Und sie antworten ihm: ‚Jesus, den Mann aus Nazaret‘. Hier 706
Erste Szene: Jesu Gefangennahme
18,3–9
bieten die besseren Handschriften und die Mehrheit der Zeugen die Form: ûIhsoún tÖn Nazwraõon. Dagegen findet sich in D a c vg die Lesart: ûIhsoún tÖn Nazarhn∙n. Ganz unabhängig von der schwierigen und viel diskutierten Frage, ob die Bezeichnung Jesu als ¨ Nazwraõo" etymologisch überhaupt von einem Ortsnamen Nazarfit abgeleitet werden kann, oder ob sie einst etwas anderes bedeutete und erst auf dem Wege einer Volksetymologie mit Nazaret als dem Heimatort Jesu in Verbindung gebracht wurde, ist auf jeden Fall klar, daß die beiden Lexeme Nazarhn∙" und Nazwraõo" im Neuen Testament Synonyma sind und beide dazu dienen, Jesus als denjenigen näher zu bezeichnen, der aus dem galiläischen Flecken Nazaret herkommt (vgl. Kuhli, Art. Nazarhn∙" / Nazwraõo"). Der Ortsname Nazaret ist außerhalb des NT vor dem dritten Jahrhundert nirgendwo bezeugt. In wechselnder Schreibweise, nämlich als Nazarfit (4mal: Mk 1,9; Mt 2,23; Joh 1,45 und 46), als Nazarfiq (6mal: Mt 21,11; Lk 1,26; 2,4; 2,39; 2,51 u. Act 10,38) und als Nazar› (2mal: Mt 4,13 und Lk 4,16), begegnet er zwölfmal im NT. Da Josephus von 204 p∙lei" kaÑ kùmai in Galiläa (Vit 235) weiß, von denen uns aber die meisten namentlich nicht bekannt sind, ist es mit Sicherheit weit überzogen, die Existenz eines galiläischen Ortes Nazaret und/oder die Herkunft Jesu aus diesem Ort zu bestreiten.
Von Judas erfährt der Leser in V. 5 nur noch, daß er bei denen stand, die Jesus festneh men sollten. Damit, daß er sie in den Garten geführt hatte, hat er seine Rolle zu Ende gespielt, zu der Jesus ihn erwählt hatte. Eines Judaskusses bedarf es nicht, weil Jesus sich selbst als der Gesuchte zu erkennen gibt. Nach Jesu †g„ e¢mi kann Judas nur noch dabeistehen. Es wird nichts von seiner Reue erzählt oder davon, daß er irgendeinen Lohn für sein Ausliefern Jesu empfangen und diesen bekümmert zurückgegeben hätte; auch davon, daß Judas sich verzweifelt erhängt hätte (Mt 27,3 ff) oder daß ein schreckliches göttliches Strafgericht über ihn gekommen wäre und ihn vernichtet hätte (Act 1,15 ff), erfährt der Leser nichts. Mit den Worten „als er zu ihnen aber †g„ e¢mi gesagt hatte“ nimmt der Erzähler dieses †g„ e¢mi Jesu in V. 6 wörtlich wieder auf, um die Reaktion derer, die gekommen waren, Jesus zu verhaften, darauf zu beschreiben: „sie wichen zurück und fielen zu Boden“. Schon diese Wiederaufnahme des †g„ e¢mi durch den Erzähler, das im Kontext dieses Evangeliums ja weit mehr ist als eine Selbstidentifikation Jesu als des Gesuchten (vgl. Williams, I Am He 293 ff u. Lindars, Komm. 541), unterstreicht dessen offenbarungs-theologische Bedeutung, die erst recht durch das Zu-Boden-Fallen der Angeredeten als eine typische EpiphanieReaktion markiert ist. 7–9: Auf Jesu erneute Frage: „Wen sucht ihr?“ und ihre wiederholte Antwort: „Jesus, den Mann aus Nazaret“, erklärt er ihnen erneut: eèpon ≠mõn Ωti †g„ e¢mi. Und, damit er sein eigenes Wort erfülle: ‚Keinen von denen, die du mir gegeben hast, habe ich verloren‘ (6,39), fügt er seinem †g„ e¢mi nun hinzu: ‚Wenn ihr also mich sucht, dann laßt doch diese ziehen!‘ Im Vergleich mit der Formulierung in seinem Gebet zum Vater, wo Jesus gesagt hatte, solange er bei seinen Jüngern gewesen sei, habe er sie als die ihm vom Vater Anvertrauten in dessen Namen bewahrt (†tflroun), und er habe sie behütet (†f‚laxa), so daß keiner von ihnen verloren gegangen sei (üp„leto; vgl. Jes 34,16: m‡a a§tùn o§k üp„leto), außer dem Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt werde (17,12), fällt auf, daß der Erzähler Jesus jetzt in Gegenwart des dabeistehenden Judas ohne jede Einschränkung erklären läßt, er habe keinen von denen verloren, die der Vater ihm gegeben habe. 707
18,1–13a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
Zu der Fügung ¨ u´Ö" tö" üpwle‡a", die im Neuen Testament außer in Joh 17,12 nur noch in 2Thess 2,3 vorkommt, erklärt Moloney: „The only figure in the story Jesus could not ‚care for‘ is Satan who planned the betrayal (cf. 13,2). Jesus washed the feet and shared the morsel with Judas despite Satan’s designs (cf. 13,2). Nevertheless, Satan entered Judas (cf. 13,27) ‚that the Scripture might be fulfilled‘ (17,12d; cf. 13,18). There is a divine order in the events of the life and death of Jesus beyond his control. The son of perdition is beyond the control of Jesus, but he has cared for his disciples. During their time with him they have been made clean by his word (cf. 13,10; 15,3) that they have kept (17,6), and they have believed that he is the Sent One of the Father (cf. 16,30; 17,8). He has manifested the name of God to them (cf. 17,6). Jesus has kept and cared for all the disciples entrusted to him by the Father, including Judas. The intervention of the son of perdition is part of the larger plan of God manifested in the Scriptures, but so is the limitless love of God revealed in the unfailing love of Jesus for fragile disciples (cf. 13,18–20). He is asking the Father to be ‚father‘ to all the disciples, including Judas“ (Komm. 467 f). Zu unserem Vers 18,9 sagt er dementsprechend: „The position taken in the interpretation, that the absolute nature of Jesus’ claim both here and in 17,12 includes Judas, is further indication that ‚the son of perdition‘ in 17,12 is not Judas, but Satan (cf. 2Thess 2,3.8 f)“ (ebd. 485).
10–13a: Gegen Dauer, der diese Szene mit dem Schwertstreich wieder seiner vermeint lichen vorjohanneischen Quelle zuschreibt, die aber ihrerseits von allen drei synoptischen Evangelien abhängig sein soll, haben wir hier ganz fraglos wieder ein intertextuelles Spiel des Johannes mit seinen synoptischen Prätexten vor Augen, nämlich mit Mk 14,47 ff; Mt 26,47 ff und Lk 22,47 ff. (vgl. Sabbe, Arrest 374 ff). Freilich hat bei Johannes Jesu souveräne Selbsthingabe an seine Häscher und seine Forderung, den Jüngern freien Abzug zu gewähren, so daß sich darin sein Wort erfüllt, er habe keinen von ihnen verloren, nicht nur die in den synoptischen Prätexten auf den Schwertstreich folgende Jüngerflucht obsolet gemacht, sondern ihn auch dazu genötigt, das ohnehin schwer auszumachende Schriftzitat seiner Prätexte zu einem Selbstzitat Jesu zu machen und es seiner Forderung des freien Abzugs seiner Jünger unmittelbar folgen zu lassen. Demgegenüber ist die Textfolge bei Markus diese: Nach dem Judaskuß und der Festnahme Jesu zieht ein Ungenannter (eï" dfi [ti"] tùn paresthk∙twn) das Schwert und schlägt dem Knecht des Hohenpriesters das Ohr ab (•t›rion wie Joh 18,10), dem folgt Jesu Reaktion auf den Aufwand an Waffen und Personal zur Festnahme eines, der doch stets in ihrer Mitte im Tempel gelehrt hat, und nach dem Verweis auf die Schriften (üllû ºna plhrwqùsin a´ grafa‡) endlich die Jüngerflucht (14,47–52). Ähnlich ist die Textfolge bei Matthäus, der die gesamte Szene der Verhaftung Jesu mit den Worten beschließt: toúto dÇ Ωlon gfigonen ºna plhrwqùsin a´ grafaÑ tùn profhtùn. t∙te o´ maqhtaÑ p›nte" üffinte" a§tÖn ≤fugon (26,56). Lukas läßt Jesus, nachdem Judas ihn geküßt hat, fragen: ‚Judas, verrätst du den Sohn des Menschen mit einem Kuß?‘ Nach der darauffolgenden Festnahme Jesu fragen die um Jesus Herumstehenden (o´ perÑ a§t∙n): ‚Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?‘‚ und tatsächlich zieht einer von ihnen das Schwert und schlägt dem Knecht des Hohenpriesters das rechte Ohr ab (kaÑ üfeõlen tÖ oê" a§toú tÖ dexi∙n: Lk 22,50). Doch Jesus gebietet den Seinen einzuhalten, berührt das Ohr und heilt den Knecht. Die Jüngerflucht und das Schriftzitat läßt Lukas aus. Abgesehen davon, daß die Formulierung bei Markus ‚er hieb ihm das Ohr ab‘ (tÖ •t›rion) – und nicht etwa artikellos ‚ein Ohr‘ – ja förmlich nach einer Ergänzung schreit und fragen läßt, welches von beiden denn, haben Lukas und Johannes ja schwerlich zufällig beide tÖ dfixion ergänzt. Daß Johannes nicht mehr einen der Herumstehenden, sondern den Sprecher der Jünger, Simon Petrus, zum Schwert greifen und dem Knecht 708
Zweite Szene: Jesus wird vor Hannas geführt und Petrus verleugnet ihn dreimal
18,9–13a
des Hohenpriesters das rechte Ohr abschlagen läßt, entspricht ebenso seiner Vorliebe für Konkretisierungen und für seinem Interesse am Verisimile seiner Erzählung wie die Bemerkung, daß der Name jenes hohepriesterlichen Knechtes Malchus war (vgl. Sabbe, Arrest 375 f). Mit seinem typischen oên und mit dessen Doppelnamen führt er den Petrus in seine Erzählung ein: S‡mwn oên Pfitro" ≤cwn m›cairan ktl. Schon im Zusammenhang der Ankündigung seines Verleugnens Jesu hatte Petrus erklärt, daß er bereit sei, sein Leben hinzugeben für Jesus (13,36 ff). Darüberhinaus findet sich bereits in Joh 6,67 ff eine Konstellation von Petrus und Judas: Als Jesus nach dem Weggang der Vielen die Zwölf gefragt hatte, ob sie denn auch weggehen wollten, hatte ihm als ihr Sprecher Simon Petrus (auch hier der Doppelname!) mit dem messianischen Bekenntnis geantwortet: ‚Du bist der Heilige Gottes‘. Und unmittelbar danach erklärt Jesus: ‚Und doch ist einer von euch ein Teufel (di›bolo")‘, und das kommentiert der Erzähler dann so: ‚Er hatte aber von Judas, dem Sohn Simons des Iskarioten gesprochen‘. Mit dem solennen doppelten Amen eingeleitet, hatte Jesus dann bei seinem letzten Mahl mit seinen Jüngern erklärt, daß einer von ihnen ihn ausliefern werde. Und Petrus hatte heimlich von dem geliebten Jünger zu erfahren versucht, wer dieser Eine denn sei (13,21 ff). Auch hier hat Johannes der Voraussage Jesu über seine Auslieferung an seine Feinde durch einen der Jünger der synoptischen Erzählung gegenüber die Figur des Petrus und die des geliebten Jüngers hinzugefügt (vgl. Sabbe, Arrest 376). Anstelle des lukanischen ‚Haltet ein!‘ gebietet Jesus bei Johannes allein dem Petrus: ‚Stecke dein Schwert in seine Scheide!‘ (vgl. Mt 26,52), um ihn dann in einem ähnlichen Spiel mit der synoptischen Getsemane-Szene wie in 12,27 ff zu fragen: ‚Soll ich denn etwa den Kelch nicht trinken, den mein Vater mir gegeben hat, daß ich ihn trinke?‘ Also wird Jesus gefesselt abgeführt, und zwar zunächst (prùton) zu Hannas.
Zweite Szene: Jesus vor Hannas, dem Schwiegervater des Kaiaphas; Petrus verleugnet ihn dreimal (18,13b–27) 13b
Hannas war der Schwiegervater des Kaiaphas, der in jenem Jahr Hoherpriester war. 14 Dieser Kaiaphas war aber derjenige, der den Juden den Rat gegeben hatte, daß es besser sei, wenn (nur) ein Mensch anstelle des ganzen Volkes sterbe. 15 Simon Petrus aber folgte Jesus nach und ein anderer Jünger (der andere Jünger?). Dieser andere Jünger aber war ein Bekannter des Hohenpriesters, und so betrat er zusammen mit Jesus den Hof des hohenpriesterlichen Anwesens. 16 Petrus aber stand draußen vor der Tür. Da ging der andere Jünger, der ein Bekannter des Hohenpriesters war, hinaus, redete mit der Türhüterin und führte Petrus hinein. 17 Da sagte die Magd, die die Tür hütete, zu Petrus: Bist du nicht auch einer der Jünger dieses Menschen? Und der erwiderte: Das bin ich nicht. 18 Da standen aber die Sklaven und die Diener herum. Weil es kalt war, hatten sie sich ein Kohlenfeuer entzündet, um sich daran zu wärmen. Und auch Petrus stand unter ihnen und wärmte sich. 19 Währenddessen befragte der Hohepriester Jesus nach seinen Jüngern und nach seiner Lehre. 20 Jesus antwortete ihm: Ich habe (doch) öffentlich zur 709
18,13b–27
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
Welt geredet. Allezeit habe ich in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und im Verborgenen habe ich nichts geredet. 21 Was fragst du mich also? Frag doch die, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe. Siehe, die wissen, was ich gesagt habe. 22 Als er das aber gesagt hatte, gab einer der Diener, der dabeistand, Jesus einen Backenstreich und sagte: Antwortest du so dem Hohenpriester? 23 Jesus entgegnete ihm: Habe ich Böses gesagt, so beweise, daß es Böses war. War es aber das Rechte, warum schlägst du mich dann? 24 Danach sandte Hannas ihn in Fesseln zu Kaiaphas, dem Hohenpriester. 25 Simon Petrus aber stand noch da und wärmte sich. Da sagten sie zu ihm: Gehörst nicht auch du zu seinen Jüngern? Er aber leugnete und sprach: Ich bin’s nicht. 26 Da sagte einer von den Sklaven des Hohenpriesters, ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgeschlagen hatte: Habe ich dich etwa nicht im Garten bei ihm gesehen? 27 Und wiederum leugnete Petrus. Und sogleich krähte der Hahn. 13b–14: Gefesselt, wie ein bereits Verurteilter, wird Jesus zunächst (prùton) vor Hannas geführt. Hannas war nicht nur der Schwiegervater des damals amtierenden Hohenpriesters Kaiaphas (s. o. zu 11,47 ff), sondern er scheint überhaupt die graue Eminenz innerhalb der tonangebenden Priesterschaft Jerusalems gewesen zu sein. Hannas, Kurzform von ∏Anano" (hebr. hynnj), war im Jahre 6 von Quirinius, dem Statthalter Syriens, zum Hohenpriester eingesetzt worden. Als der Sohn eines Priesters Sethi war er nicht zadokitischen Geschlechts und galt darum als illegitimer Hoherpriester. Im Jahre 15 wurde er seines Amtes enthoben, und als Hoherpriester folgte ihm zunächst sein Sohn Eleazar (16–17) und danach in den Jahren 18–36 sein Schwiegersohn (Joseph) Kaiaphas. Danach bekleideten wieder Söhne des Hannas das Amt, nämlich zunächst Jonathan (36–37), dann Theophilos 37–41, Matthias um 43, und endlich Hannas der Jüngere um 62, der als ein rigoroser Sadduzäer das Interim zwischen dem Tod des Festus und dem Eintreffen des Albinus in Jerusalem dazu nutzte, den Herrenbruder Jakobus hinrichten zu lassen; vgl. dazu Josephus Ant. XX/197 ff. „Das Haus des Hannas stand bei den Zeitgenossen in keinem guten Ruf; aber auch die übrigen hohenpriesterlichen Familien erscheinen in keinem besseren Licht. Man warf der Priesteraristokratie ganz allgemein vor, daß sie sich durch Bestechung der römischen Machthaber das hohepriesterliche Amt erschliche und durch List und Gewalt die gewöhnlichen Priester um ihre Bezüge brächte, insbesondere bezichtigte man die Familie des Hannas der Intrige und Verleumdung, wie es scheint auch, daß sie durch unredlichen Handel Reichtümer zusammenzubringen suchte“ (Bill. II, 569 mit entsprechenden Belegen). Aus der Bezeichnung des Hannas als ürciere‚" (Joh 18,19!) und der Reihe seiner Söhne sowie seines Schwiegersohns im hohepriesterlichen Amt sind sein Jahrzehnte währender Einfluß und seine Komplizenschaft mit dem römischen Präfekten unschwer zu erkennen.
Von den Synoptikern nennt im übrigen nur Matthäus den Hohenpriester mit seinem Namen Kaiaphas. Noch vor der Salbung Jesu in Bethanien und dem letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern heißt es Mt 26,3: ‚Da versammelten sich die Hohenpriester und Presbyter des Volkes im Hof (a∂la) des Hohenpriesters, der Kaiaphas hieß‘ (Mt 26,3). Weil die Synoptiker allesamt von dieser Befragung Jesu durch Hannas nichts wissen, haben einige, freilich sehr späte Abschreiber die Textfolge nach V. 13 geändert. So hat die Handschrift 225 (um 1192 entstanden) den gesamten V. 24 nach dem Lexem prùton in V. 13 interpoliert. Der Sinaisyrer, der darin vermutlich Tatians Diatessaron folgt 710
Zweite Szene: Jesus wird vor Hannas geführt und Petrus verleugnet ihn dreimal
18,13b–16
(Metzger, Comm. 251 f), bietet diese Textfolge: V. 13.24.14–15.19–23.16–18.25–27. Ähnlich verfahren syhmg Cyrcom und der Schreiber von 1195 (um 1123 entstanden): Sie verdoppeln den V. 24 dadurch, daß sie ihn zum einen nach V. 13 in den Text einfügen, ihn zum anderen aber auch an seiner Stelle belassen. Es kann darum kein Zweifel darüber bestehen, daß der überlieferte Text ursprünglich ist, und daß die genannten Eingriffe Versuche sind, Johannes und die Synoptiker zu harmonisieren. 15 f: Simon Petrus folgt Jesus nach zusammen mit einem (oder: dem) ‚anderen Jünger‘. Gegen das breite Zeugnis von P66 a* A B Ds W Y pc sys. p samss pbo bo des artikellosen ±llo" maqhtfl" bieten hier die Mss. a2 C L Q f1.13 33 M samss ac2 die Lesart ¨ ±llo" maqhtfl". Auch wenn diese Lesart, die den Jünger als den zuerst in 13,23 ff in der Konstellation mit Petrus erschienenen bekannten anderen Jünger, nämlich als den, den Jesus liebte, einführt, eine frühe Interpretation ist und kaum ursprünglich sein dürfte, könnte sie doch sachlich im Recht sein. Denn daß dieser ‚andere Jünger‘ – mit oder ohne Artikel – trotz des Fehlens seiner nahezu stereotypen Näherbezeichnung als „der Jünger, den Jesus liebte“ dennoch kein anderer als dieser sein kann, hat Neirynck (The ‚Other Disciple‘) vor allem unter Verweis auf die analoge Struktur der Wettlaufszene von Joh 20,3–8 sorgfältig und überzeugend begründet. Wie Ammonius von Aleandrien, der V. 15 f so paraphrasiert: suneisölqen ¨ ûIw›nnh" tù ûIhsoú metÅ toú µclou ügn„sto" kaÑ t∙te Æ" gnwstÖ" eèpe tÔö qurwrù kaÑ e¢s›ge tÖn Pfitron (Fragm. 579 bei Reuss, Johanneskommentare 339), haben die meisten der griechischen Väter den anderen Jünger mit dem geliebten identifiziert. Dessen Quasi-Pseudonym dürfte hier ausgelassen sein, weil es damit in eine fragwürdige Konkurrenz geraten wäre mit seiner für diese Episode um ihres Verisimile willen notwendigen Näherbestimmung als eines mit dem Hohenpriester Bekannten oder Befreundeten (Thyen, Noch einmal 160; vgl. Hengel, Joh. Frage 216). Kügler (Jünger 224–228) bietet zwar eine lange Liste derer, die den ‚anderen‘ mit dem ‚geliebten Jünger‘ identifizieren, bestreitet diese Möglichkeit selbst jedoch vehement. Er sieht in der Figur des anderen Jüngers keinen Helfer, sondern eher einen Verführer, eine Art ‚Halbjünger‘ à la Nikodemus, dessen schlechtes Beispiel die guten Sitten des Petrus verderbe. Hier solle gezeigt werden, „wohin Petrus gerät, wenn er sich der Führung der falschen Leute anvertraut“ (427). Abgesehen davon, daß uns auch Nikodemus bei Johannes sehr viel positiver gezeichnet zu sein scheint, als Kügler ihn sieht, vermögen wir erst recht an diesem ‚anderen Jünger‘ nicht den geringsten Makel zu entdecken und auch nicht zu sehen, warum er gegen seine Funktion im Text kein Helfer des Petrus sein sollte.
Im Gegensatz zu vielen Auslegern seit der Zeit der Alten Kirche bis hin zu M. Hengel (Joh. Frage 321 ff) können wir diese Bekanntschaft unseres fingierten Jüngers/Erzählers mit dem Hohenpriester, der hier ja zudem nur dessen Schwiegervater Hannas sein könnte, freilich nicht für eine historische Nachricht halten, die sich entsprechend ausschlachten ließe. Wir sehen in ihr vielmehr ein glänzend erfundenes Mittel der narratio verisimilis, das es erlaubt, den geliebten Jünger ungehindert eintreten zu lassen, damit er dann Petrus den Zutritt verschaffen kann (vgl. Lausberg, Handbuch 165 f). Aufgrund der Notiz seiner „Bekanntschaft mit dem Hohenpriester“ haben wohl schon die Bischöfe des zweiten Jahrhunderts zur Legitimation ihrer eigenen priesterlichen Ansprüche den Zebedaiden Johannes zum „Träger des priesterlichen Stirnschildes“ (Lev 8,9) gemacht; so etwa Polykrates von Ephesus in seinem Brief an Victor von Rom im Zusammenhang des Passafest-Streites (Text bei Euseb, h. e. 5/24,3). Wie alle 711
18,13b–27
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
Väter bezieht Polykrates Joh 18,16 freilich auf den Zebedaiden Johannes als einen der Zwölf. Hengel (ebd. 321 ff) überträgt dessen vermeintlich priesterlichen Status umstandslos auf seinen Presbyter Johannes, der bei ihm zu einem Mitglied der Jerusalemer Priesteraristokratie avanciert und als dort ansässiger Hausbesitzer nach Jesu Tod dessen Mutter bei sich aufgenommen haben soll (Joh 19,27). Wir können nicht verhehlen, daß wir derartige Historisierungen so hochsymbolischer Texte wie Joh 18,15 ff und 19,25 ff nur als deren Banalisierung empfinden können (vgl. dagegen zu 19,25–27 Minear, Martyr’s Gospel 143 ff). Die Konstellation von Judas, dem geliebten Jünger und Petrus in 13,21 ff, die Nähe unserer Szene zu Jesu Weissagung seiner Verleugnung durch Petrus in 13,36 ff und dabei zumal die Wiederaufnahme des Schlüsselwortes ükolouqeõn, das Petrus schmerzhaft an seine Verleugnung am ‚Kohlenfeuer‘ (ünqraki›) erinnernde ‚Kohlenfeuer‘ in 21,9 und sein Gegenüber zum geliebten Jünger mit der ausdrücklichen Erinnerung an das letzte Mahl und die Petrusfrage: ‚Herr, wer ist der, der dich ausliefern wird?‘ (21,20 ff), all das gibt u. E. dem Zweifel daran, daß der andere Jünger von 18,15 f kein anderer sein kann als der geliebte, wenig Spielraum. Zudem signalisieren die Umständlichkeit der Szeneneinführung und das hier kaum zufällig gehäufte Auftreten des Vokabulars der Hirtenrede von Joh 10 (a§lfl, q‚ra, qurwr∙", ükolouqeõn, e¢s›gein, suneisfircesqai), daß die Szene voller symbolischer Obertöne ist. Darum könnte man ja fragen, ob oder inwieweit das möglicherweise auch von dem Bekanntsein des anderen Jüngers mit dem Hohenpriester gelten könnte. Denn immerhin läßt Johannes den Hohenpriester kraft seines ihm von Gott verliehenen Amtes ja Jesu Sterben für das Volk weissagen (11,47 ff) und macht ihn so zum Mitvollstrecker von Gottes Heilsplan. 17 f: Während Petrus noch draußen vor der Tür steht, spricht der andere Jünger mit der Türhüterin und kann Petrus daraufhin hineinführen in die Aula. Gleich bei seinem Eintritt fragt ihn jedoch die als Türhüterin bestellte Magd: Bist du nicht auch einer der Jünger dieses Menschen? Und anders als sein Herr, der in großem Freimut gesagt hatte: †g„ e¢mi (18,5 u. 7), antwortet Petrus der Magd: o§k e¢m‡. Weil es draußen kalt war, hatten die Sklaven und die Diener (der Hohenpriester und Pharisäer V. 3) ein Kohlenfeuer (ünqraki›) entzündet, um sich zu wärmen. Deshalb stand nun auch Petrus bei diesen Leuten. Das seltene Wort ünqraki› findet sich im gesamten Neuen Testament nur hier und in 21,9. 19–21: Wie die folgende Szene des Verhörs Jesu durch Pilatus geschickt durch den Wechsel zwischen Drinnen und Draußen gegliedert ist, drinnen im Prätorium nämlich verhört Pilatus Jesus und draußen verhandelt er mit den Juden, die das heidnische Prätorium nicht betreten, um sich für das nahe Passamahl nicht zu verunreinigen, so wechseln auch hier die Schauplätze zwischen draußen und drinnen. Hatte Petrus seinen Herrn draußen soeben zum ersten Mal verleugnet, so macht der Erzähler seine Zuhörer/Leser in den Versen 19–23 (24) nun zu Zeugen der Befragung Jesu durch Hannas drinnen. Hannas befragt Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Und mit dem betont vorangestellten †g„ antwortet Jesu ihm, er habe doch in aller Weltöffentlichkeit frei heraus geredet (†gá parrhs‡a lel›lhka tù k∙smw), allezeit habe er in der Synagoge und im Tempel gelehrt, dort also, wo alle Juden zusammenkommen, und im Verborgenen habe er darüberhinaus überhaupt nichts gesagt. „Wozu befragst du mich also? Frag doch die, die gehört haben, was ich ihnen gesagt habe. Siehe, die wissen doch, was ich gesagt habe.“ 712
Dritte Szene: Jesus wird von Pilatus verhört
18,16–27
22–24: Als Jesus das gesagt hatte, gab ihm einer der hohenpriesterlichen Diener, der dabei stand, einen Backenstreich und tadelt ihn wegen seiner ihm wohl allzu freimütig und zu wenig unterwürfig erscheinenden Rede mit der Frage: Redet man etwa so mit dem Hohenpriester? Aber Jesus weicht vor keiner menschlichen Autorität zurück und ebenso freimütig, wie er eben zu Hannas gesprochen hatte, entgegnete er jetzt dem, der ihn geschlagen hat: Wenn ich Böses gesagt haben sollte, dann beweise bitte, daß es Böses war. Habe ich aber die Wahrheit gesagt, warum schlägst du mich dann (e¢ dÇ kalù", t‡ me dfirei";)? Danach sandte Hannas Jesus gefesselt zu Kaiaphas, dem Hohenpriester. 25–27: Doch ehe sie Jesus am frühen Morgen wirklich dorthin führen (V. 28), muß der Leser noch einmal nach draußen in den Hof blicken, wo Simon Petrus immer noch unter den Leuten stand und sich wärmte. Und anstelle der Türhüterin fragten die ihn jetzt: „Bist nicht auch du einer seiner Jünger?“ Und wieder leugnete er das mit seinem o§k e¢m‡. Doch einer der Sklaven des Hohenpriesters, ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgeschlagen hatte, sagte: „Habe ich dich denn etwa nicht im Garten bei ihm gesehen?“ Doch abermals leugnete Petrus, und sogleich krähte der Hahn, wie Jesus ihm das 13,38 vorausgesagt hatte.
Dritte Szene: Jesus wird drinnen im Prätorium von Pilatus verhört, die Juden stehen draußen, um sich angesichts des bevorstehenden Passamahles und Passafestes nicht zu verunreinigen (18,28–19,16a) 28 Danach brachten sie Jesus von Kaiaphas weg in das Prätorium. Es war aber früh am Morgen. Und sie selbst gingen nicht mit hinein in das Prätorium, damit sie sich nicht verunreinigten und (am Abend) das Passamahl essen könnten. 29 Darum ging Pilatus hinaus zu ihnen und fragte sie: Welche Anklage bringt ihr gegen diesen Menschen vor? 30 Sie antworteten und erklärten ihm: Wäre dieser nicht ein Übeltäter, so hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert. 31 Darauf sagte Pilatus zu ihnen: Dann nehmt ihr ihn doch und richtet ihn nach eurem Gesetz. Da entgegneten die Juden ihm: Uns ist es nicht erlaubt, jemanden zu töten. – 32 Auf daß sich Jesu Wort erfülle, das er gesagt hatte, um damit anzuzeigen, was für eine Art von Tod er sterben müsse (vgl. 12,32 f). 33 Daraufhin ging Pilatus wieder hinein in des Prätorium, rief Jesus und fragte ihn: Bist du der König der Juden? 34 Jesus aber antwortete: Fragst du das von dir selbst aus, oder haben es dir andere über mich gesagt? 35 Pilatus entgegnete: Bin ich denn etwa ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan? 36 Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht aus dieser Welt. Wäre mein Königtum aus dieser Welt, dann hätten meine Diener gekämpft, so daß ich den Juden nicht ausgeliefert worden wäre. Nun ist aber mein Königtum nicht von hinnen. 37 Da fragte Pilatus ihn: Bist du also doch ein König? Jesus erwiderte: Gewiß! Ich bin ein König. Dazu bin ich geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die
713
18,28–19,16a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
Wahrheit als Zeuge auftrete. Jeder, der aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. 38a Da sagte Pilatus zu ihm: Was ist (schon) Wahrheit? 38b Und als er das gefragt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und erklärte ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm. 39 Es ist aber ja Brauch bei euch, daß ich euch am Passafest einen (Inhaftierten) freilasse. Wollt ihr nun, daß ich euch den König der Juden freigebe? 40 Da schrien sie wieder: Den nicht, sondern Barabbas. Barabbas aber war ein Räuber. 19,1 Darauf nahm Pilatus sich Jesus vor und ließ ihn geißeln. 2 Die Soldaten aber flochten einen Kranz aus Dornen, setzten ihm den auf das Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an. 3 Und sie traten auf ihn zu und sagten: Sei gegrüßt, du König der Juden. Und sie gaben ihm Backenstreiche. 4 Und (dann) ging Pilatus wieder hinaus und sagte ihnen (sc. den Juden): Seht, ich bringe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennt, daß ich keine Schuld an ihm finden kann. 5 So kam Jesus heraus, gekrönt mit der Dornenkrone und (bekleidet) mit dem purpurnen Gewand. Und er (Pilatus) sagte zu ihnen: Seht den Menschen. 6 Als ihn nun die Hohenpriester und ihre Diener (so) sahen, schrien sie und riefen: Kreuzige! Kreuzige ihn! Und Pilatus entgegnete ihnen: Nehmt ihr ihn doch hin und kreuzigt ihr ihn, denn ich kann keine Schuld an ihm finden. 7 Die Juden erwiderten ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muß er sterben, denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht. 8 Als Pilatus dies Wort hörte, fürchtete er sich noch mehr. 9 Und er begab sich wieder hinein in das Prätorium und fragte Jesus: Woher bist du? Jesus aber gab ihm (darauf) keine Antwort. 10 Da sagte Pilatus zu ihm: Redest du nicht (mehr) mit mir? Weißt du etwa nicht, daß ich die Macht habe, dich freizulassen, wie ich auch die Macht habe, dich kreuzigen zu lassen? 11 Darauf entgegnete Jesus ihm: Du hättest überhaupt keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre. Deshalb hat der, der mich dir ausgeliefert hat, die größere Sünde. 12a Aus diesem Grund trachtete Pilatus nun, ihn freizulassen. 12b Die Juden aber schrien und sprachen: Wenn du diesen freiläßt, bist du des Kaisers Freund nicht (mehr). (Denn) jeder, der sich selbst zum König macht, der ist gegen den Kaiser. 13 Als Pilatus dieses Wort vernommen hatte, ließ er Jesus herausführen und setzte (sich oder ihn?) auf den Richterstuhl auf dem Lithostratos (Mosaikboden) oder hebräisch Gabbatha genannten Platz. 14 Das geschah aber am Rüsttag des Passa um die sechste Stunde. Und da sagte er zu den Juden: Da ist euer König. 15 Die aber schrien: Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn! Pilatus aber sagte ihnen: Soll ich denn euren König kreuzigen? Da erwiderten ihm die Hohenpriester: Wir haben keinen König außer dem Kaiser. 16 Daraufhin lieferte er ihn an sie aus, daß er gekreuzigt werde. 28: Seit Judäa im Jahre 6 n. Chr. römische Provinz geworden war, residierten die Statthalter Roms als Präfekten und/oder Procuratoren in Caesarea. Wenn sie von dort zeitweilig nach Jerusalem kamen, diente ihnen der an der westlichen Stadtmauer Jerusalems nahe beim Gennath-Tor gelegene einstige Palast der Hasmonäer, den Herodes der Große prächtig ausgebaut und mit drei mächtigen Türmen versehen hatte (Jose714
Dritte Szene: Jesus wird von Pilatus verhört
18,28–32
phus, bell. V/4), als Amtssitz, der mit dem griechischen Lehnwort als das prait„rion (praetorium) bezeichnet wurde (vgl. Bauer, WB s. v.). Jesu Festnahme im Dunkel der Nacht illustriert der Erzähler trefflich dadurch, daß er die zu seiner Verhaftung Ausgesandten mit Fackeln und Laternen ausrüstet. Nach jüdischer Zeitrechnung beginnt der neue Tag stets nach dem Sonnenuntergang des Vortages mit dem Einbruch der Nacht. Danach wurde Jesus nach Johannes also zu Beginn jenes Tages verhaftet, der paraskeufl heißt, weil er der Zurüstung des Passafestes diente. Während Petrus seinen Herrn in dieser Nacht der paraskeufl draußen im Hof dreimal verleugnete, befragte Hannas ihn drinnen nach seiner Lehre und seinen Jüngern. Der dieser Nacht folgende Tag der paraskeufl ist wesentlich durch die rituelle Schlachtung der Passalämmer bestimmt, mit der Johannes Jesu Tod als das Sterben des Gotteslammes, das der Welt Sünde beseitigt (1,29), absichtsvoll synchronisiert. Erst nachdem die Sonne an diesem Rüsttag untergegangen ist, wird dann mit dem festlichen Verzehr dieser Lämmer das hohe Passafest beginnen. Doch zurück zum frühen Morgen (prw⁄) dieses Rüsttages. Da läßt Hannas Jesus zu Kaiaphas, dem Hohenpriester, bringen, auf dessen Anordnung er unverzüglich in das Prätorium überführt und vor Pilatus als seinen Richter gestellt wird. Zumal es dieser heilige Tag ist, mit dessen Sonnenuntergang das feierliche Passamahl das Fest eröffnen soll, bleiben die Juden draußen vor dem Prätorium stehen, um sich in diesem heidnischen Haus nicht zu verunreinigen und sich damit von der Teilnahme an ihrem hohen Fest auszuschließen. Daß sich die Wendung üllÅ f›gwsin tÖ p›sca anders als in der synoptischen Chronologie und gegen zahlreiche Väter sowie gegen Zahn (Komm. 631 ff) auf den Verzehr des Passalammes bezieht, der darum am Abend dieses Tages noch bevorsteht, geht aus unserem Evangelium völlig eindeutig hervor (s. u. 19,31 ff mit dem entsprechenden Zitat Ex 12,46 und vgl. Bauer, Komm. 214 f). Bauer zitiert da aus Ephraems Diatessaron-Kommentar: „Und sie traten nicht in das Gerichtshaus ein, um nicht befleckt zu werden, damit sie zuvor das Lamm in Heiligkeit essen könnten“. Zugleich führt der Evangelist mit der Wendung üllÅ f›gwsin tÖ p›sca erneut das schon in 1,29.36 deutlich benannte Thema seiner Passatheologie ein (Lang, Johannes 122 f). Da wir hier mit der Kommentierung des Johannesevangeliums als eines literarischen Textes befaßt sind, braucht die schwierige und strittige historische Frage, ob Jesus, wie Johannes erzählt, am 14. Nisan, der paraskeufl des Passafestes, verurteilt und hingerichtet wurde, oder ob sein Prozeß und seine Kreuzigung der synoptischen Chronologie entsprechend am 15. Nisan, dem ersten und gewichtigsten Tag des Passafestes, stattfanden, hier nicht entschieden zu werden. 29–32: Da die Kohorte mit ihrem Chiliarchen am Vorabend sicher nicht ohne Befehl von oben zur Festnahme Jesu ausgezogen war, darf man vermuten, daß Johannes Pilatus über den Fall Jesu informiert und mit dessen Festnahme nicht nur einverstanden denkt. Darum ist seine Frage an die Juden als Zeugen in diesem Prozeß: ‚Was für eine Anklage erhebt ihr gegen diesen Menschen?‘, wohl mehr eine formale Prozeßeröffnung und schwerlich dem bloßen Informationsbedürfnis des Präfekten entsprungen. Wenn es in V. 29 bei der ersten Nennung des Namens Pilatus in unserem Evangelium völlig kommentarlos heißt: †xölqen oên ¨ Pilôto" ≤xw, so ist hier wiederum deutlich erkennbar, daß Johannes bei seinen Lesern/Hörern die Kenntnis seiner synoptischen Prätexte voraussetzt. Auf seine Frage danach, welches Verbrechens sie Jesus denn beschuldigen, antworten die Juden ihm: „Wenn dieser (Mann) nicht ein Übeltäter (kakÖn 715
18,28–19,16a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
poiùn: ac B L W ite syrh.pal al; oder kakopoiùn: C* Y 33 al) wäre, dann hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert“. Diesen beiden Lesarten gegenüber bieten zahlreiche Abschreiber das Substantiv kakopoi∙", das, wie Metzger (Comm. 252) vermutet, 1Pt 2,12; 4,15 entstammen könnte. Wenn die Juden Jesus einfach als Übeltäter bezeichnen, nehmen sie ihre Zuflucht zu einem Gemeinplatz und bleiben Pilatus so die Antwort auf seine Frage schuldig, wegen welcher konkreten Übeltat sie Jesus denn anklagen. Wie ist die Antwort des Pilatus darauf zu verstehen? Reagiert er so, daß er – wenn sie sich ihm schon nicht anvertrauen wollen – ihnen empfiehlt, mit Jesus dann doch nach ihrem eigenen Gesetz zu verfahren (Bauer, Komm. 215)? Und erfährt Pilatus nun erst durch ihre Antwort, daß es ihnen doch von Roms Macht verboten sei, an einem Angeklagten die Todesstrafe zu vollstrecken (™mõn o§k ≤xestin üpokteõnai o§dfina), daß sie Jesus eines todeswürdigen Delikts für schuldig halten und ihn deshalb an Pilatus ausgeliefert haben? Der Erzähler kommentiert diese Auslieferung Jesu durch die Juden an Pilatus in V. 32 sogleich mit den Worten: ºna ¨ l∙go" toú ûIhsoú plhrwqÔö ≈n eèpen shma‡nwn po‡w qan›tw ≥mellen üpoqnÔflskein. Der ‚Logos‘, den Jesus ausgesprochen hat, muß darum ein Wort von der Heilsnotwendigkeit seines ‚Erhöhtwerdens‘ sein, wie es etwa in 3,14 erklingt: oætw" ≠ywqönai deõ tÖn u´Ön toú ünqr„pou. Wiederaufgenommen wird das in 12,32: kügá †Ån ≠ywqù †k tö" gö", p›nta" ©lk‚sw prÖ" †maut∙n, wo es der Erzähler mit nahezu den gleichen Worten wie in 18,32 kommentiert: „Das sagte er aber, um anzudeuten, was für eine Art von Tod er erleiden sollte“ (12,33: shma‡nwn po‡w qan›tw ≥mellen üpoqnÔflskein). Die besondere Art seines Todes kann also nur seine ‚Erhöhung‘ von der Erde durch seine Kreuzigung als eine spezifisch römische Weise der Exekution von Aufrührern sein. Da dieser Satz die im Evangelium längst vorbereitete Pointe dieses ersten Gesprächsgangs des Pilatus mit den anklagenden Juden ist – „it is the point of the whole paragraph“ (Lindars, Komm. 557) –, darf man ihn keinesfalls der kirchlichen Redaktion zuweisen, wie Bultmann (Komm. 505) das tut. Mit Sherwin-White (Roman Society 36 f), Wengst (Komm. II, 221 f), Brown (Komm. II, 849 ff) u. a. sind wir allen neueren Bestreitungen gegenüber der Meinung, daß sich an dem römischen Privileg des Präfekten, in seiner Provinz Judäa allein die Todesstrafe vollstrecken zu dürfen, seit der Umwandlung der Ethnarchie des Archelaus in die römische Provinz Judaea i. J. 6 n. Chr. und der Einsetzung des Coponius zum Präfekten, „eines Mannes aus römischem Ritterstand, … der vom Kaiser obrigkeitliche Gewalt einschließlich des Rechtes empfing, die Todesstrafe zu verhängen“ (Josephus, Bell II/117), bis zum Beginn der Aufstandes der Juden gegen Rom nichts geändert hat. Brown (Komm. II, 850) faßt seine Erwägungen zu der Frage behutsam so zusammen: „Although no firm decision is possible on the present state of the evidence, there is impressive cogency in the arguments that Sherwin-White has brought forward in support of John’s overall accuracy. From his detailed study of Roman provincial structure, he concludes that the Romans zealously kept control of capital punishment; for in local hands the power of a death sentence could be used to eliminate pro-Roman factions. Turbulent Judea was the last place where the Romans would have been likely to make an exception (Roman Society 36 f)“. Bedacht sein muß dazu auch die offenbar besonders enge Kooperation von Kaiaphas mit Pilatus und wohl schon mit dessen Vorgängern. Kaiaphas wurde nach Josephus (Ant XVIII/35) im Jahre 18 n. Chr. von dem Präfekten Valerius Gratus in sein hohepriesterliches Amt eingesetzt und wohl im Zusammenhang der Absetzung des Pilatus durch den syrischen Legaten Vitellius seines 716
Dritte Szene: Jesus wird von Pilatus verhört
18,30–38a
Amtes enthoben. „Politisch geschickt taktierend (konnte er sich) durch Nachgebigkeit den Römern gegenüber (später vermutlich auch durch Geldzuwendungen an Pilatus)“ ganze 19 Jahre lang in diesem Amt halten, das die römischen Präfekten in der Regel jährlich neu besetzten (W. Schenk, Ka›fa" 561f). In seinem Rat an das Synhedrium, daß es doch besser wäre, wenn ein Mensch für das Volk sterbe, ehe das ganze Volk zugrunde gehe (Joh 11,49), sieht Schenk „eine typische Anekdotisierung seiner Person und seines Charakters“ (ebd.). Angesichts der uns wahrscheinlich erscheinenden engen Kooperation des Kaiaphas mit Pilatus, die durch das Auftreten der römischen Kohorte mit ihrem Chiliarchen bei der Verhaftung Jesu zusätzliches Gewicht gewönne, muß man wohl annehmen, daß Pilatus über den ‚Fall Jesus‘ und den Wunsch des Kaiaphas, daß er ihn töten möge, bereits vor dessen Verbringung in das Prätorium gut informiert war. Ist das aber der Fall, dann wird man seine Antwort: „Nehmt ihr ihn doch mit und richtet ihn nach eurem Gesetz“, anders als Bauer (s. o.), als pure Ironie verstehen müssen, als einen Satz, der die Juden schmerzlich an ihre Ohnmacht erinnert, was ihre Antwort denn ja auch sogleich demonstriert (vgl. Brown, Komm. II, 848). 33–38a: Nachdem Pilatus mit den Juden draußen vor dem Prätorium verhandelt hatte (V. 29–32), wendet er sich nun drinnen dem angeklagten Jesus zu. Schon seine erste Frage: „Bist du der König der Juden?“ zeigt, daß er weit mehr weiß, als seine anfängliche Frage an die Juden ahnen ließ. So antwortet Jesus ihm denn auch mit der rhetorischen Gegenfrage: Fragst du das von dir aus, oder haben dir das andere über mich erzählt? (V. 34). Und Pilatus entgegnet: Bin ich (betontes †g„) denn etwa ein Jude? Dein Volk und seine Hohenpriester haben dich an mich ausgeliefert! Was hast du also getan? Mit seiner ersten Frage an Jesus, ob er der König der Juden sei, folgt Johannes, wie schon bei der Zeitangabe in V. 28 én dÇ prw⁄, bis in den Wortlaut hinein seinen Prätexten: sÜ eè ¨ basileÜ" tùn ûIouda‡wn; (Mk 15,2; Mt 27,11; Lk 23,3); vgl. M. Lang, Johannes 121. Die ‚Anderen‘, die ihm das gesagt haben, werden ihm am Ende dieses Prozesses gottvergessen erklären: o§k ≤comen basilfia e¢ mÉ Ka‡sara (19,15). Und wenn Pilatus sagt, nicht ich der Römer, sondern dein jüdisches Volk und seine Hohenpriester haben dich an mich ausgeliefert, so unterstellt er damit wohl zu Unrecht, daß das Synhedrium, das im Falle der Hinrichtung Jesu nach Mk 14,1; Mt 26,3 ff doch einen Aufstand des Volkes befürchtet, dessen wahrer Repräsentant sei. Als einer, der sich sehr wohl als der ‚König Israels’ weiß (1,49), antwortet Jesus: Mein Königsein [oder mein Königtum: basile‡a] ist nicht von dieser Welt (†k toú k∙smou to‚tou). Wäre mein Königtum nämlich ‚von dieser Welt‘, dann hätten meine Diener (≠phrfitai!) darum gekämpft, so daß ich den Juden nicht ausgeliefert worden wäre. Aber Jesus hat keine ≠phrfitai wie Pilatus und die Synhedristen (vgl. Brown, Komm. II, 852 f). Er hat maqhta‡ und die hatte er beim Abschied meine Freunde genannt (15,15), und beim österlichen Wiedersehen wird er sie meine Brüder nennen (20,17). E contrario mußte das Petrus bestätigen, wenn er, als wäre er ein ≠phrfith" Jesu, denen mit dem gezogenen Schwert entgegengetreten war, die in Wehr und Waffen gekommen waren, Jesus zu verhaften, und dabei einem der Tempelpolizisten das rechte Ohr abgetrennt hatte (vgl. Lk 22,50 f, wo Jesus den von einem der Seinen angerichteten Schaden freilich sogleich wieder heilt). Und wenn es bei Johannes, anders als bei Lukas, nicht ein Namenloser aus der Schar der Jünger ist, sondern Petrus, der den Schwertstreich ausführt, und wenn Johannes dann auch den Geschlagenen mit seinem Eigennamen Malchus benennt, so 717
18,28–19,16a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
sollte man dafür nicht irgendeine Quelle suchen, sondern darin typische Züge der Weise sehen, in der unser Evangelist hier wie auch sonst um das Verisimile seiner Erzählung bemüht ist. Petrus demonstrierte hier noch einmal, daß er seinem Herrn jetzt noch nicht nachzufolgen vermag (13,36), und muß sich von seinem Herrn in seine Schranken weisen lassen. Denn mit seinem dem Leser vertrauten †g„ e¢mi hatte Jesus sich ja freiwillig selbst in die Hände seiner Häscher begeben, damit er als das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt beseitigt, endlich den Kelch trinke, den zu trinken sein Vater ihm aufgetragen hatte. Darum war Petrus mit seinem Schwertstreich in Wahrheit nicht den Feinden Jesu, sondern seinem Herrn selbst in den Weg getreten. Bis er die besondere Art des Königseins Jesu wirklich begriffen haben wird, liegt darum noch ein langer Weg vor ihm, der sich erst 21,15 ff vollenden wird. Jesu Antwort auf die erste Pilatusfrage ist durch und durch johanneisch, so daß dieser Gesprächsgang nur mit der fragenden Schlußfolgerung des Pilatus schließen kann: Also bist du ja wohl doch ein König? Jesus antwortet darauf: sÜ lfigei", Ωti basile‚" e¢mi (vgl. Mk 15,2 par.), was Bauer treffend mit: „Gewiß, ich bin ein König“ übersetzt (Komm. 216). Worin aber dieses Königtum Jesu besteht, wie es begriffen sein will, und was er als derartiger ‚König‘ getan hat, erklären seine beiden folgenden Sätze: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, damit ich Zeugnis ablege für die Wahrheit. Wer aus der Wahrheit ist (†k tö" ülhqe‡a"), der hört meine Stimme“. Morris erklärt zu dem ersteren, da Jesus hier von dem Zweck seines Kommens in die Welt rede, sei der Implikation, daß Jesus hier von seiner Präexistenz rede, kaum zu entgehen, auch wenn Pilatus das schwerlich begreife (Komm. 771). Zu dem zweiten Satz bemerkt Brown (Komm. II, 854) treffend, daß das Verbum üko‚ein hier ebenso wie in 10,3 mit dem Genitiv tö" fwnö" konstruiert ist und dadurch den Sinn von verstehendem Hinhören und Sich-Einlassen auf das Gesagte („listening with understanding and acceptance“) gewinne. Anders als in 8,43, wo üko‚ein mit dem Akkusativ gebraucht ist (o§ d‚nasqe üko‚ein tÖn l∙gon tÖn †m∙n) und eher das physische Nicht-Hören-Können tauber und verstockter Ohren ausdrückt (vgl. 12,40), ist der Ton hier durchaus einladend, so daß hier mit Pilatus alle potentiellen Leser/Hörer des Evangeliums dazu aufgerufen werden, aufmerksam auf die Stimme Jesu, ihres guten Hirten, zu hören und ihm nachzufolgen. Da Jesu Rede vom guten Hirten, wie schon des öfteren begründet wurde (s. dazu o. zu Joh 10), wohl vor biblischem Hintergrund und zumal vor dem von Ez 34 gelesen werden will, hält Brown die Entsprechung zwischen 10,3 und 18,37 darum für bedenkenswert, weil in beiden Fällen ein Königtum im Spiel sei, das nicht von dieser Welt ist. Bei Ezechiel erklärt Gott, daß er selbst dem eigensüchtigen Regime der ungetreuen Hirten seines Volkes jetzt ein Ende bereiten und als der königliche Hirte seine zerstreuten Schafe in dem Land sammeln will, das er ihren Vätern gegeben hat. Und daß er ihnen als ihren treuen Hirten und gesalbten König seinen ‚Knecht David‘ senden will. Auf dessen ihnen vertraute Stimme werden sie hören, ihm nachfolgen und gute Weidegründe finden. Das in den synoptischen Evangelien häufig vorkommende und prominente Lexem basile‡a erscheint bei Johannes nur hier im Gespräch mit Pilatus und zuvor in Jesu nächtlicher Unterredung mit Nikodemus (3,3 u. 5). Aus der letzteren ist zu lernen, daß keiner die basile‡a toú qeoú sehen und in sie eingehen kann, der nicht zuvor ‚von oben‘ und ‚aus Wasser und Geist‘ neugeboren wurde. Und dem entsprechend heißt es in 1Joh 5,19 f: „Wir wissen, daß wir aus Gott sind (Ωti †k qeoú †smen) und daß die 718
Dritte Szene: Jesus wird von Pilatus verhört
18,37–40
gesamte Welt im Bösen liegt (†n tù ponhrù keõtai). Aber wir sind auch gewiß, daß der Sohn Gottes gekommen ist und uns die Augen geöffnet hat (dfidwken ™mõn di›noian), den wahren (Gott) zu erkennen (ºna gin„skwmen tÖn ülhqin∙n), und wir sind (nun) in dem wahren (Gott) und in seinem Sohn Jesus Christus. Dieser ist der wahre Gott und das ewige Leben“. Das bedeutet aber, daß der Satz: pô" ¨ œn †k tö" ülhqe‡a" üko‚ei mou tö" fwnö", zugleich auch in umgekehrter Folge gelesen werden muß: „Jeder, der auf meine Stimme hört, ist aus der Wahrheit“ und wird durch solches Hinhören neu und von oben geboren, und der österliche Geist wird ihn in die ganze Wahrheit führen. Wir haben also das Paradox vor Augen, daß nur, wer gehorsam hört, aus der Wahrheit ist und daß zugleich allein, wer aus der Wahrheit ist, so zu hören vermag. Daß dieses in der Erfahrung des Glaubens gegründete Sprechen nicht in die Ontologie einer Lehre von einer vorzeitigen Prädestination der einen zum Heil und der anderen zum Unheil transformiert werden darf, haben wir bereits mehrfach begründet (s. o. zu 1,12 f; u. vgl. de la Potterie, Vérité II, 624 ff; Bultmann, Theol. NT 367 ff; u. H.-M. Schenke, Determination). Pilatus beendet dieses erste Verhör Jesu mit der skeptischen Frage: t‡ †stin ülflqeia; „Pilatus fragt … noch: ‚Was ist Wahrheit?‘…. Er meint, die Wahrheit sei ein ‚Was‘. Er merkt nicht, daß er vor der Wahrheit in Person steht und diese ein basile‚" ist, der die Herrschaft nicht ‚aus dieser Welt‘ empfängt“ (Schlier, Meditationen 276). Da Pilatus mit seiner Frage auf den Lippen hinausgeht zu den wartenden Juden, erwartet er von Jesus keine Antwort mehr. Aber wenn Jesus ihm hier auch keine verbale Antwort auf seine Frage, was denn Wahrheit sei, mehr geben kann, wird er sie in der folgenden Erzählung durch die Tat der Vollendung seiner Liebe (13,1) in der Hingabe seines Lebens für seine Freunde (15,13) geben (vgl. Morris, Komm. 771), denn die Wahrheit, von der Jesus spricht, hat ihren Grund und ihr Ziel in der Liebe. 38b–40: Diese kurze Szene spielt wieder draußen vor dem Prätorium. Mit den Worten, daß er keinerlei Schuld an Jesus finden könne (†gá o§dem‡an e≠r‡skw †n a§tù a¢t‡an; vgl. Lk 23,4!), erklärt Pilatus den wartenden Juden das Resultat seines Verhörs, das ihn von der politischen Irrelevanz und Unschuld dieses sonderbaren ‚Königs der Juden‘ (vgl. Mk 15,9) überzeugt hat. Wie zuvor in V. 31 dürfte sich die Wendung, daß Pilatus hinausgegangen sei prÖ" toÜ" ûIouda‡ou", zusammenfassend auf diejenigen beziehen, die Jesus gefesselt vom Palast des Hohenpriesters Kaiaphas zum Prätorium vor Pilatus geführt hatten, und sicher nicht auf das gesamte jüdische Volk, unter dem Jesus ja zahlreiche Sympathisanten hatte. Pilatus hofft nun, sich dem Druck der auf Jesu Verurteilung zum Tode drängenden Juden dadurch entziehen zu können, daß er sie an einen bei ihnen bestehenden Brauch erinnert, daß er am Passafest einen der unter seiner Aufsicht gefangenen Delinquenten zu amnestieren pflege. Unter Berufung auf diesen angeblichen Brauch einer Passaamnestie fragt er sie nun: Wollt ihr, daß ich euch den ‚König der Juden‘ freilasse? (vgl. Mk 15,9!). Sie empfinden dieses Angebot, zumal mit der Bezeichnung Jesu als des ‚Königs der Juden‘, als zynisch und reagieren darauf mit dem Schrei: Nicht diesen, sondern Barabbas! Wozu der Erzähler nur knapp bemerkt: Barabbas aber war ein Räuber (lÔhstfl", ein Wort das Josephus häufig zur Bezeichnung der Zeloten gebraucht, um ihre terroristischen Ambitionen auszudrücken). Den wütenden Schrei: „Nicht diesen, sondern Barabbas!“ erheben bei Johannes aber allein die draußen stehenden Ankläger Jesu, nämlich die von Kaiaphas zur Auslieferung Jesu an Pilatus ausgesandten Oberpriester samt ihrer Dienerschaft (vgl. V. 6 u. Wengst, 719
18,28–19,16a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
Komm. II, 226, Anm. 102), und nicht etwa das „verhetzte Volk“ der Juden (so Schneider, Komm. 303) oder ein aufgebrachter „Mob“ (Barrett, Komm. 519). Wenn der Erzähler diese ûIoudaõoi hier auf solche Weise die Freilassung eines Mannes namens Barabbas fordern läßt, der im gesamten Evangelium bisher überhaupt noch nicht genannt, geschweige denn näher charakterisiert worden ist, so demonstriert der Artikel (üllÅ tÖn Barabbôn) gleichwohl, daß Barabbas hier als eine den Lesern bekannte Figur eingeführt wird. Das bedeutet mit anderen Worten gesagt aber, daß wir hier wiederum ein intertextuelles Spiel unseres Evangelisten mit seinen synoptischen Prätexten vor Augen haben, an die auch die kurze nachgestellte Bemerkung: „Barabbas aber war ein Aufrührer“ (lÔhstfl") erinnern will. Das Lexem lÔhstfl", gepaart mit klfipth", hatte Johannes zur Bezeichnung der Gegenspieler des messianischen ‚guten Hirten‘ schon 10,1 u. 9 gebraucht. Wie zu Joh 10 oben ausgeführt, ist die Hirtenrede weithin ein intertextuelles Spiel mit Ez 34. Wohl ist sein Königreich, wie Jesus Pilatus versichert hatte (V. 36), nicht von dieser Welt. Dennoch greift aber die oft wiederholte Beteuerung von dessen unpolitischem Charakter entschieden zu kurz. Denn auch wenn Jesu Reich zwar nicht von und nach Art dieser Welt ist, „so ist es doch ‚in dieser Welt‘ und erhebt in ihr seinen Anspruch. … Es ist gerade der nichtwelthafte Charakter dieses Reiches, durch den es auch die gesamte politische Sphäre an ihrer Wurzel tangiert und in Frage stellt“ (Blank, Komm. III, 83; vgl. Wengst ebd.). 19,1–3: Diese kurze Episode spielt wieder drinnen im Prätorium. Pilatus nimmt sich Jesus vor und läßt ihn geißeln. Römischem ‚Recht‘ entsprechend folgt die Auspeitschung Jesu bei Mk 15,15 ff und Mt 27,26 ff erst nach seiner Verurteilung zum Tod am Kreuz. Denn die Geißelung (verberatio) ist die auf ergangene Todesurteile stets folgende ‚Begleitstrafe‘. „Die römische Geißel, das horribile flagellum, auch flagrum, war eine Ledergeißel mit eingeflochtenen Knochen und Metallstücken“, mit ihr wurde so lange auf den an eine Säule gefesselten Delinquenten eingeschlagen, „bis das Fleisch in blutigen Fetzen herabhing“ (Schneider, Art. mastig∙w 523 f). Mit dem derart Geschundenen treiben die Soldaten dann ihren grausamen Spott. Sie setzen ihm eine aus dornigen Zweigen geflochtene Krone aufs Haupt und werfen ihm ein purpurnes Gewand über. Nach Hart (Crown of Thorns 71 ff) muß man sich unter der Dornenkrone wohl ein Geflecht aus Zweigen der Dattelpalme vorstellen. Mit deren bis zu 30 cm langen Dornen ist sie die Karikatur der Strahlenkrone göttlicher Herrscher, so daß Jesus in dieser Szene als divus rex radiatus erscheint (ebd. 74; vgl. Beasley-Murray, Komm. 336). Das purpurne Obergewand ist wohl als eine entsprechende rote Toga zu denken. Nach Mt 27,30 drücken die Soldaten Jesus als königliches Zepter zudem noch ein Rohr (k›lamo") in die Rechte und geben ihrer sarkastischen Verehrung dieses lächerlichen Judenkönigs dadurch Ausdruck, daß sie vor ihm auf die Knie fallen, ihm als dem König der Juden huldigen und ihm ins Gesicht schlagen. Wie Becker (Komm. II, 678) meint auch Wengst, daß „diese Momente … auch sehr gut in die Darstellung des Johannes gepaßt“ hätten, doch wenn er sie nicht biete, so weise das „darauf hin, daß er sie in seiner Tradition nicht vorfand … und daß er die synoptischen Evangelien nicht kannte“ (Komm. II, 231). Wie nun schon oft gesagt, sind wir nicht dieser Meinung, sondern denken, daß Johannes im intertextuellen Spiel mit seinen synoptischen Prätexten (vgl. Lang, Johannes 176 ff) sowie mit dem Alten Testament und zumal mit dem Jesajabuch gelesen sein will. In Jes 50,6 spricht der Knecht Jhwhs und erklärt: „Ich aber widerstrebte nicht und wich auch nicht zurück. Meinen Rücken bot ich den Schlagenden 720
Dritte Szene: Jesus wird von Pilatus verhört
18,40–19,5
dar und meine Wangen den Raufenden. Ich verbarg mich nicht vor Schmähung und Bespeien“. Daß Pilatus den, den er soeben öffentlich für unschuldig erklärt hat, nun auspeitschen läßt, weist u. E. nicht auf eine andere Tradition, der Johannes hier folgte, sondern das entspricht, wie auch Wengst treffend sieht (ebd. 232), genau seinem Pilatusbild und dem „Zynismus der Macht“, die er den Römer hier ausüben läßt. 4f: Diese Szene spielt nun wieder draußen vor dem Prätorium. Zum ersten Mal sind in ihr nun alle drei Parteien versammelt, nämlich die Ankläger, der Richter und der Angeklagte. Pilatus tritt also vor die draußen versammelten Oberpriester und ihre Diener (V. 6) und erklärt ihnen, daß er ihnen Jesus jetzt vorführen werde, „damit ihr erkennt, daß ich keinerlei Schuld an ihm habe erkennen können“. Wie zuvor die Wendung: ≤laben ¨ Pilôto" tÖn ûIhsoún kaÑ †mast‡gwsen (V. 1) natürlich nicht sagen will, Pilatus persönlich habe Jesus ergriffen und ihn gegeißelt, sondern vielmehr, daß Pilatus die Ergreifung Jesu und seine Geißelung angeordnet habe, so muß auch das ¥de ±gw ≠mõn a§tÖn ≤xw verstanden werden: „Seht, ich lasse ihn euch vorführen“. Inwiefern der Anblick des derart geschundenen und entstellten ‚Narrenkönigs‘, den Pilatus dessen Anklägern da zur Schau stellt, sie davon soll überzeugen können, daß er keinerlei Schuld an ihm gefunden habe, läßt sich wohl nur so erklären, daß er ihnen so mit dem ihm eigenen Zynismus die Gegenstandslosigkeit ihrer Anklage demonstrieren will (so Blank, Komm. III, 91). Denn schwerlich darf man in dieser Zur-Schau-Stellung Jesu – wie Bauer (217), Schulz (230), Haenchen (537), Wilckens (283) u. a. in ihren Kommentaren – einen Akt sehen, „mit dem Pilatus bei den Anklägern Mitleid mit dem Angeklagten erregen wollte, um ihn auf diese Weise freilassen zu können“. Derartige Deutungen bezeichnet Wengst zu Recht als ‚absurd‘, denn „für eine Freilassung, wenn er sie denn wirklich wollte, brauchte er nicht die Zustimmung der Ankläger. … Wer einen Angeklagten, den er für unschuldig hält, so zurichten läßt wie Pilatus Jesus, legt einen solch menschenverachtenden Zynismus an den Tag, daß ihm auch die Erwartung menschlichen Mitgefühls bei anderen fremd sein muß“ (Komm. II, 233). Wie schon bei seiner Verhaftung im Garten (18,2 ff), so wird Jesus aber auch hier nicht von anderen ergriffen und vorgeführt, sondern es heißt: †xölqen oên ¨ ûIhsoú" ≤xw. Er ist also auch hier noch Herr der Lage und tritt als der soeben verhöhnte König purpurfarben gewandet und mit einer Dornenkrone auf dem Haupt vor die Priesterschaft seines Volkes (vgl. Moloney, Komm. 495). Denn anders als in den synoptischen Prätexten (Mk 15,20; Mt 27,31) werden Jesus diese königlichen Insignien vor seinem Weg nach Golgatha nicht wieder ausgezogen und durch seine eigenen Kleider ersetzt, sondern Johannes läßt ihn diesen Weg als den mit Dornen Gekrönten und in Purpur Gekleideten gehen. Daß er auch darin noch Herr der Lage und unterwegs ist, sein Leben, das ihm keiner nehmen kann, freiwillig hinzugeben, markiert der Evangelist – wiederum in intertextuellem Spiel mit Mk 15,21 (Mt 27,32; Lk 23,26) – dadurch, daß in seiner Erzählung Jesus selbst sein Kreuz trägt (bast›zwn ©autù tÖn staur∙n: V. 17) und kein Simon von Kyrene von den zur Kreuzigung Jesu abkommandierten Soldaten dazu gezwungen werden muß, es zu tragen. Mit den Worten: ¢doÜ ¨ ±nqrwpo", „Seht, da ist der Mensch!“, präsentiert Pilatus den Juden Jesus als einen ‚Spottkönig‘, „als die Karikatur eines Königs … Da seht die Jammergestalt! Im Sinne des Evangelisten ist damit die ganze Paradoxie des Anspruchs Jesu zu einem ungeheuren Bilde gestaltet. In der Tat: solch ein Mensch ist es, der behauptet, der König der Wahrheit zu sein! Das ¨ l∙go" sÅrx †gfineto ist in seiner 721
18,28–19,16a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
extremsten Konsequenz sichtbar geworden“ (Bultmann, Komm. 510; dem folgen u. a. Hahn, Prozeß 44; Beasley-Murray, Komm. 337; M. M. Thompson, Humanity 107 f). Becker (Komm. II, 679 f) hält das für eine unangebrachte paulinische Auslegung der Passion Jesu nach Art von Phil 2,8 und bestreitet es mit dem Argument, der Evangelist habe hier doch „mit keinem noch so winzigen sprachlichen Indiz zu erkennen gegeben, daß sich der Leser an 1,14 erinnern soll“. Deshalb habe „die Erklärung des ecce homo … ausschließlich von seiner Funktion im Kontext her zu erfolgen“. Für diesen Evangelisten sei das Kreuz gerade „nicht Tiefpunkt in der Konsequenz der Inkarnation, vielmehr Rückkehr des Gesandten zum Vater, nicht paradoxe Einheit von Niedrigkeit und Verherrlichung, sondern nach der Sendung in die Welt der notwendige komplementäre Teil dazu, nämlich Jesu Erhöhung als Rückkehr zum Vater“. Wir vermögen solcher Lektüre, die zwar auf den ‚Kontext‘ pocht, gleichwohl aber vermeintliche Schichten voneinander isoliert, nicht zu folgen. Denn Kontext ist uns stets das gesamte Evangelium, das von Anfang bis Ende unter der ‚Leseanweisung‘ seines Prologs steht, an den sich der Leser tatsächlich ständig „erinnern soll“. Daß Pilatus mit seinem ¢doÜ ¨ ±nqrwpo" den Blick seiner jüdischen Zuhörer auf den erniedrigten Jesus als den in seiner Travestie geradezu lächerlich-harmlos erscheinenden ‚Judenkönig‘ lenken will, ist eines. Ein anderes aber ist die Frage, ob denn damit „im Blick auf die Leser‑ und Hörerschaft des Johannes schon alles gesagt (ist. Denn) sie soll sich ja nicht die Einschätzung des Pilatus zu eigen machen, sondern in seiner Aussage mehr erkennen, als dieser in der erzählten Situation meint. … Jesus ist hier der elende und erniedrigte Mensch. Wenn er den Menschen repräsentiert, dann ist er Repräsentant der Erniedrigten und Beleidigten, der Geschlagenen und Gefolterten“ (Wengst, Komm. II, 235). Gegen Schnackenburg, der in seinem Kommentar wiederholt von Jesus als dem ‚scheinbar Erniedrigten‘ und dem ‚scheinbar Ohnmächtigen‘ spricht (III, 296 u. 301 f), wendet Wengst (ebd. Anm. 135) zu Recht ein, daß die Schilderung des Johannes kein solches ‚Scheinbar‘ vertrage, denn realistischer als Johannes könne man Jesu tatsächliche und totale Erniedrigung ja wohl kaum beschreiben. Darin, daß die paradoxe Einheit von Erniedrigung und Verherrlichung keinesfalls zugunsten oder zu Lasten der einen oder der anderen Seite aufgelöst werden darf, besteht darum das unumstößliche Recht von Bultmanns Interpretation (vgl. Baum-Bodenbender, Hoheit 66 f). Der Artikel bei ±nqrwpo", der im Vaticanus wohl nur zufällig fehlt, hat – wie das ihm vorausgehende ¢do‚ noch unterstreicht – hier den Charakter eines Demonstrativpronomens. Er ist deshalb kein Indiz dafür, daß ¨ ±nqrwpo" hier als messianisches Prädikat im Sinne von ‚königlicher Urmensch‘ und ‚neuer Adam‘ (Richardson, Komm. 197), von dem Messias als ‚königlichem Menschen‘ (Meeks, Prophet King 68 ff) oder von ‚Menschensohn‘ gebraucht wäre (vgl. Schnackenburg, Ecce homo 371 ff; u. Komm. III, 295). Im letzteren Sinne deuten aber viele Kommentatoren das ¨ ±nqrwpo". Dodd (Interpretation 437), Moloney (Son of Man 202–207; und Komm. 499), Blank (Verhandlung 75 ff), Dauer (Passionsgeschichte 264 f), de la Potterie (Hour 78 ff), Giblin (John’s Narration 230), Stibbe (Komm. 191) und viele andere sehen in der Wortverbindung ¨ u´Ö" toú ünqr„pou ein geläufiges apokalyptisch-messianisches Hoheitsprädikat, das der Erzähler Pilatus hier nur deshalb nicht gebrauchen lasse, weil diese semitische Wendung im Munde des Römers doch unpassend und seltsam klänge (vgl. Schnackenburg, Ecce homo 373). Zudem begegnet die Wendung ¨ u´Ö" toú ünqr„pou in unseren Evangelien ausschließlich als Selbstbezeichnung und im Munde Jesu. Auch Joh 12,34 ist keine Ausnahme von dieser strikten Regel, denn hier zitiert der µclo" ja eine Selbstaussage Jesu. Darüberhinaus zeigt er durch seine Nachfrage: ‚Wer ist denn dieser Sohn des Menschen?‘, daß diese Bezeichnung bei Johannes
722
Dritte Szene: Jesus wird von Pilatus verhört
19,5–8
keinesfalls ein dem Volk bekanntes messianisches Prädikat sein kann (vgl. auch Joh 9,35 f). Die rätselhafte Selbstbezeichnung Jesu als ¨ u´Ö" toú ünqr„pou dient bei Johannes vielmehr ebenso der Bestätigung der messianischen Rolle Jesu, wie sie diese zugleich verbirgt (Louw & Nida I, 104), ja, wie Burkett zu Joh 3,13 gezeigt hat, will sie geradezu als ein Kryptogramm verstanden sein, hinter dem sich Jesu Gottessohnschaft verbirgt (s. o. z. St.).
6 f: Doch als die Oberpriester und ihre Diener den so Zugerichteten erblickten, da schrien sie laut: Kreuzige, kreuzige ihn! Wie sie zuvor lauthals die Freilassung des Barabbas gefordert hatten (18,40), so drängen sie Pilatus jetzt dazu, Jesus zu kreuzigen. Da der Präfekt natürlich weiß, daß die Kreuzigung eine spezifisch römische Art der Hinrichtung ist und daß den Juden überhaupt jegliche Kapitalgerichtsbarkeit entzogen ist, antwortet er ihnen mit dem ihm eigenen Sarkasmus: Dann nehmt ihr ihn doch hin (l›bete a§tÖn ≠meõ") und kreuzigt ihn, denn ich (†gá gÅr ktl.) finde keine Schuld an ihm. Deutlich markieren hier die pronomina den Abstand zwischen den Klägern und dem Richter. Erst daraufhin und zum Erweis, daß sie von Pilatus nicht die Tötung eines Unschuldigen fordern (Weiß, Komm. 584 f), offenbaren die Oberpriester Pilatus nun den wahren Grund ihrer Anklage mit den Worten: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muß er sterben, denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht“. Wie in Mk 14,61–64 / Mt 26,63–66 das Synhedrium sein Todesurteil auf Jesu in seinen Augen blasphemische und damit todeswürdige Aussagen über sich selbst stützte, so klagen die Oberpriester Jesus jetzt vor Pilatus der Blasphemie an. Haenchen bemerkt dazu: „Daß wir uns hier im Bereich einer nachösterlichen Diskussion zwischen Christen und Juden befinden, ist deutlich“ (Komm. 539). Das ist freilich kein johanneisches Spezifikum, sondern das gilt bereits den genannten synoptischen Prätexten gegenüber, mit denen Johannes wie bereits beim Tempelweihfest (10,22 ff) so auch hier spielt. Als die konkrete Torabestimmung, auf die sich Jesu Ankläger berufen, wird in der Regel Lev 24,13 u. 16 genannt: „Wer den Namen Jhwhs lästert, der soll mit dem Tod bestraft werden. Die ganze Gemeinde soll ihn steinigen“ (vgl. zur näheren Bestimmung der Gotteslästerung in der rabbinischen Literatur Billerbeck (I, 1006 ff), der die Rabbinen darum bemüht sieht, „durch engste Fassung des Begriffs Gotteslästerung ein Todesurteil wegen dieses Vergehens so gut wie unmöglich zu machen“ (ebd. 1018; vgl. auch Wengst, Komm. II, 236 f). Doch das Synhedrium, das vor der Tempelzerstörung von der sadduzäischen Priesterschaft beherrscht war, dürfte da wesentlich rigoroser geurteilt haben. Josephus erklärt, im Vergleich mit allen übrigen Juden seien die Sadduzäer die unbarmherzigsten Richter gewesen (e¢sÑ perÑ tÅ" kr‡sei" •moÑ parÅ p›nta" toÜ" ûIouda‡ou": Ant XX/199). Der jetzt vorgebrachten Anklage Jesu, daß er sich selbst zum Sohn Gottes gemacht habe, entsprechen auch die in 5,18 und 10,33 ff vorausgegangenen Vorwürfe gegen Jesus sowie das Urteil des Synhedriums unter der Ägide des Kaiaphas (11,47 ff) und endlich die wiederholten Versuche seiner Gegner, ihn zu steinigen (10,31 ff; 11,8; vgl. Mt 27,43). 8: Die Anklage der Priesterschaft, daß Jesus sich selbst zu Gottes Sohn erklärt habe und darum nach ihrem Religionsgesetz getötet werden müsse, steigert die Furcht des Pilatus (môllon †fobflqh). Der Komparativ môllon drückt aus, daß Pilatus in dieser heiklen Sache von Anfang an von Furcht beherrscht war. Bauer erklärt dazu, der Vers bereite in zweifacher Hinsicht „Schwierigkeiten, formell, weil môllon in der Luft“ stehe, und sachlich, weil nicht klar sei, „vor wem sich Pilatus“ fürchte. Zum Sachlichen fragt er, ob es etwa „der Fanatismus der Juden“ sei, den Pilatus fürchte, oder 723
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„die römische Obergewalt, die ihren Organen Beschützung der religiösen Gefühle der unterworfenen Völker zur Pflicht machte“, oder ob er sich jetzt gar vor Jesus fürchte, den er nach der letzten jüdischen Anklage vielleicht „nicht mehr (für) einen Unschuldigen, sondern (für) ein höheres Wesen“ hielt. Dazu verweist er auf das Verhalten des Tigellinus dem vor seinem Richterstuhl stehenden Apollonius gegenüber (Philostrat, Vita Apolloni IV/44; bei Bauer, Komm. 218 f; vgl. Haenchen, Komm. 539; u. Wengst, Komm. II, 238). Zwar paßte diese letztere Erklärung glänzend zu der nun folgenden Frage des Pilatus nach dem Woher Jesu, mit der er in V. 9 sein neues Verhör eröffnet, dennoch bleibt sie aber insofern unbefriedigend, als sie das môllon nun wirklich in der Luft hängen lassen muß. Brown sucht das dadurch zu vermeiden, daß er erklärt: „Pilate is afraid because it becomes clearer and clearer that he will not be able to escape making a judgement about truth“ (Death I, 830). Blank blickt auf die skeptische Frage des Pilatus „Was ist Wahrheit?“ (18,38) zurück und erklärt: „Da er der Macht der Wahrheit nicht traut, sucht er jetzt seinen Rückhalt in der ‚Wahrheit der Macht‘“ (Komm. III, 96). Man wird also die drei von Bauer genannten möglichen Motive der Angst des Präfekten nicht als Alternativen ansehen müssen, zwischen denen zu wählen wäre, sondern als ein unauflösliches Geflecht, in das sich noch die Angst vor dem Zusammenbruch der eigenen Karriere mischt. Wenn Johannes vermerkt, daß Pilatus sich jetzt noch mehr fürchtete, „läßt er gerade dessen so machtbewußt erscheinendes Handeln aus Angst heraus getan sein. Die Angst, die Macht zu verlieren, führt dazu, sie demonstrativ zu gebrauchen – und zu mißbrauchen“ (Wengst, Komm. II, 238). 9: Wieder drinnen im Prätorium stellt Pilatus Jesus also die Frage nach seinem Woher: p∙qen eè s‚. Damit legt der Erzähler dem Heiden Pilatus die seinen Lesern/ Zuhörern seit langem vertraute, genuin johanneische Frage danach in den Mund, ob einer †k tö" sark∙" geboren ist oder †k toú pne‚mato", ob er †k tö" gö" bzw. †k tùn k›tw oder aber †k toú o§ranoú bzw. †k tùn ±nw ist (vgl. 3,3 ff; 8,23 u. ö.). Wenn Jesus ihm auf diese Frage jetzt „keine Antwort“ gibt – denn dazu hatte er sich in 18,36 ff ja schon eingehend geäußert –, so bricht er damit, wie der Fortgang zeigt, das Gespräch nicht ab, sondern verbirgt in seinem Schweigen beredt das Geheimnis seines Gekommenseins †k toú o§ranoú. Ob deshalb freilich dieses paradoxe Geheimnis der Gegenwart Gottes in, mit und unter Jesus, dem Mann aus Nazaret, in der Sprache der heidnischen Ontologie als dessen wesenhafte Einheit mit dem Vater deklariert werden darf, die „von Anfang an nicht nur die Grenze zwischen Christentum und Judentum, sondern einen tiefgreifenden Gegensatz“ markiere (Wilckens, Komm. 286), bleibt mit Wengst zu fragen, der moniert, daß solches Reden „aufgrund mangelnder Wahrnehmung gegenüber jüdischen Zeugnissen und aus einem nicht geführten Gespräch heraus“ erfolge (Komm. II, 237 f). 10 f: Pilatus beantwortet Jesu Schweigen mit der Frage: „Mit mir (vorangestelltes †mo‡!) redest du wohl nicht?“ Und dann versucht er Jesu Schweigen durch das Ausspielen seiner Macht zu brechen, indem er ihn fragt, ob er denn etwa nicht wisse, daß allein er die Macht (†xous‡a) habe, ihn freizulassen oder ihn zu kreuzigen? Blank bemerkt dazu: „Da er der Macht der Wahrheit nicht traut, sucht er jetzt seinem Rückhalt in der ‚Wahrheit der Macht‘“ (Komm. III, 96). Doch nicht wie ein Angeklagter, sondern als der wahre Richter in diesem Prozeß (Brodie, Komm. 538) antwortet Jesus ihm: „Du hättest jedoch keinerlei Macht über mich, wenn es (dedomfinon!) dir nicht von oben (±nwqen) gegeben wäre“. Mag Pilatus dieses Von-Oben auch auf seine Bevoll724
Dritte Szene: Jesus wird von Pilatus verhört
19,8–12
mächtigung als provinzialer Repräsentant des Caesar beziehen, so ist jedem Leser aus dem Kontext des Evangeliums ja deutlich, daß sich in diesem ±nwqen Jesu verweigerte Antwort auf die Frage nach seinem Woher verbirgt. Im Gegensatz zu den problematischen Ausführungen zu V. 11 in der ersten Auflage seines Kommentars (1941, S. 512 f), wo Bultmann den Vers noch als grundsätzliche Aussage über die gottgegebene Macht des Staates begriff, demgegenüber, sofern er sachlich handele, „von einer ®mart‡a … überhaupt nicht die Rede sein“ könne, hat er diese Ausführungen in seinem Ergänzungsheft (S. 54) ganz entschieden korrigiert. Einmal hat er nämlich unter Berufung auf von Campenhausen (Verständnis von Joh 19,11) sowie auf die Kommentare von Zahn, Lagrange und Hoskyns (jeweils z. St.) richtiggestellt, daß es nicht abstrakt die staatliche Autorität ist, die Pilatus von Gott gegeben wäre, weil es dann anstelle von dedomfinon ja dedomfinh heißen müßte, sondern daß Jesus dem Pilatus durch Gottes Fügung in die Hand gegeben ist, damit der als Gottes Werkzeug den göttlichen Ratschluß ausführe. Und zum anderen begreift er Jesu Antwort jetzt als Korrektur des Machtverständnisses des Präfekten. Dessen Macht resultiert nach Jesu Wort nicht aus seiner amtlichen Stellung, sondern sie ist ihm für diesen spezifischen Fall von Gott gegeben. Die im Blick auf das Johannesevangelium u. E. anachronistische Unterscheidung eines quasi neutralen Staates von der Welt, die dagegen †k toú ponhroú ist, behielt Bultmann jedoch auch in dieser Neubearbeitung bei; ähnlich urteilen auch Peterson (Zeuge) und Schlier (Jesus und Pilatus); vgl. dagegen aber Wengst (Komm. II, 240).
Jesus fährt dann fort: „Darum hat der, der mich dir ausgeliefert hat, größere Sünde“. Wen meint er mit diesem parado‚"? Wohl wurde Judas bereits in 6,64.71; 12,4; 13,2.11.21 und 18,2.5 als derjenige bezeichnet, der Jesus ausliefern sollte, ja nach 13,2 hatte der Teufel ihm diesen Plan suggeriert, und nachdem Jesus ihm den Bissen des letzten Mahles gereicht hatte, war der Satan gar in ihn eingefahren (13,27). Dennoch hat Judas ihn aber ja nicht an Pilatus ausgeliefert, sondern das hat erst Kaiaphas getan, der Hohepriester (18,28), auf dessen Anordnung es die Oberpriester mit ihren Dienern dann ausgeführt haben (18,30: soi pared„kamen a§t∙n). Und dementsprechend erklärte Pilatus dann ja dem verhörten Jesus: Dein Volk hat dich mir durch seine ürciereõ" ausgeliefert (18,35). Auch wenn der Erzähler das singularisch formuliert, ist also zunächst an diese, und dann an Kaiaphas und an Judas zu denken. Immerhin zeigt aber der Komparativ me‡zona ®mart‡an, daß Jesus hier auch seinen Richter als Sünder verklagt. 12: Auch wenn Pilatus bisher mehrfach die Unschuld Jesu beteuert hat (18,38; 19,4 u. 6), ist – im Gegensatz zu Lk 23,14 ff. 20 u. 22) – bei Johannes erst jetzt (†k to‚tou) davon die Rede, daß er nun tatsächlich danach trachtet, Jesus freizulassen. Wie auch immer, jedenfalls müssen die draußen stehenden ûIoudaõoi von dieser Wende erfahren haben, denn daraufhin protestieren sie erneut mit lauter Stimme (†kra‚gasan): „Wenn du diesen freiläßt, dann bist du kein Freund des Kaisers, denn wer sich selbst zum König macht, der widersetzt sich (üntilfigei) dem Kaiser!“ Haenchen erinnert daran, daß der Caesar im Osten basile‚" genannt wird (Komm. 541). üntilfigein hat nicht nur die Bedeutung von widersprechen, sondern heißt wie hier auch sonst öfter sich widersetzen, tätlichen Widerstand leisten (Belege bei Bauer, Komm. 219). Daß der dem Ritterstand entstammende Pontius Pilatus, der durch die Gunst des allmächtigen Prätorianer-Kommandanten Seianus zum Präfekten Judäas aufgestiegen war und das bis zum Sturz seines Förderers blieb, den offiziellen Titel eines f‡lo" toú Ka‡saro" geführt und damit zum engsten Beraterkreis des Caesar gehört hätte, ist gegen Bammel (Philos 205 ff) jedoch höchst unwahrscheinlich. Joh 19,12 als dem einzigen Beleg in 725
18,28–19,16a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
dieser Sache ist das jedenfalls sowenig zu entnehmen wie dem Zeugnis des Tacitus, wonach jeder, der Aelius Seianus nahestand, einen Anspruch auf die Freundschaft des Kaisers gehabt habe (Ann 6,8). Ohne weitere Argumente oder Belege folgen Bammel die Kommentatoren Schnackenburg, Becker, Wilckens, Beasley-Murray (jeweils z. St.) und auch Sherwin-White (Roman Society 47). Doch Wengst erklärt dazu, „der Ritter Pontius Pilatus, Präfekt einer kleinen Provinz, (sei) mit Sicherheit nicht“ ein Freund des Kaisers in diesem technischen Sinn gewesen. Wesentlich näher liege dagegen aber die Annahme, „daß Johannes bei seiner Formulierung beeinflußt ist durch den häufigen Gebrauch des Adjektivs philokaisar (etwa ‚kaiserliebend‘, ‚kaiserfreundlich‘), mit dem Angehörige einheimischer Eliten in den Provinzen und abhängigen Vasallenreichen ihre Loyalität gegenüber dem Princeps bekundeten“ (Komm. II, 242 f). Kaum hat Pilatus beschlossen, Jesus freizulassen (V. 12), da verfällt er schon der Erpressung der Priester, die ihn mit einer Denunziation beim Caesar bedrohen: „The threat to denounce Pilate before Caesar if he sets Jesus free is evident. And that really was something for Pilate to fear! For Tiberius was notoriously suspicious of any who threatened his position, and he dealt with them ruthlessly and savagely. Pilate knew that an accusation of aiding and abetting a revolutionary king in turbulent Palestine would be highly dangerous. He was caught in a trap of his own making, unable to escape“ (Beasley-Murray, Komm. 340). Sueton erklärt, daß gerade Tiberius Majestätsbeleidigungen aufs grausamste ahndete (iudicia maiestatis atrocissime exercuit: Tiberius 58). Sofern hier Roms höchster Repräsentant in Judäa fürchten muß, ausgerechnet durch die Vertreter eines Volkes, das leidenschaftlicher als alle übrigen Völker des Imperiums vom Haß gegen das römische Joch beseelt ist, der Illoyalität dem Caesar gegenüber angeklagt zu werden, bezeichnet Blinzler diese Situation treffend als ‚grotesk‘ (Prozeß z. St.). 13 f: Darum bringt Pilatus Jesus nun erneut aus dem Prätorium nach draußen. Zum zweiten Mal steht der Angeklagte so zwischen seinem Richter und seinen Anklägern, die ebenso wie die Leser erwarten, daß Pilatus nun wohl endlich sein Urteil verkünden wird. Doch der Präfekt zögert noch einmal und erklärt den gespannt Wartenden stattdessen erneut: „Seht, da ist er, euer König!“ Der Erzähler hebt das außerordentliche Gewicht dieses Augenblicks dadurch hervor, daß er eindrucksvoll Ort und Stunde dieses Geschehens benennt: ≥gagen ≤xw tÖn ûIhsoún kaÑ †k›qisen †pÑ bflmato" e¢" t∙pon leg∙menon Liq∙strwton, ßEbraÂstÑ dÇ Gabbaq›. én dÇ paraskeuÉ toú p›sca, øra én Æ" ∫kth. Unter Berufung auf Fragmente des apokryphen Petrusevangeliums hatte Harnack einst für eine transitive Bedeutung des Verbums †k›qisen plädiert, so daß Pilatus nicht sich selbst, sondern Jesus als den königlichen Richter auf das böma gesetzt hätte (Bruchstücke 63 f). Das entsprechende Fragment aus dem akhmimischen Fragment des EvPetr lautet: „… Und sie legten ihm ein Purpurgewand an und setzten ihn auf den Richterstuhl (†k›qisan a§tÖn †pÑ kaqfidran kr‡sew") und sprachen: ‚Richte gerecht, o König Israels!‘“ (3,7). Ähnlich heißt es in Apol I/35 bei Justin: kaÑ g›r, Æ" eèpen ¨ profflth", dias‚ronte" a§tÖn †k›qisen †pÑ bflmato" kaÑ eèpon: krõnon ™mõn. Harnacks Interpretation folgen u. a.: Corssen (†k›qisen 338–340), Boismard (Royauté 47 f), Bonsirven (Hora talmudica 511–515), de la Potterie (Jésus, roi et juge 217 ff), Gardner-Smith (St. John 67), Kurfess (†k›qisen 271), Haenchen (Jesus vor Pilatus 93–102; u. Komm. 541), Lightfoot (Komm. 325 f), Loisy (Komm. 480) und Meeks (Prophet-King 73–76). Da wir sowohl das Petrusevangelium als auch Justin nicht als unabhängige Quellen der Geschichte Jesu ansehen, sondern der Meinung sind, daß beide unsere kanonischen Evangelien voraussetzen, und zwar alle
726
Dritte Szene: Jesus wird von Pilatus verhört
19,12–14
vier (vgl. Dauer, Passionsgeschichte 270 f; und Brown, Gospel of Peter, sowie Death II, 1317 ff), scheint uns Harnacks Verweis auf das Petrusevangelium eher ein Beleg dafür zu sein, daß dessen Verfasser ebenso wie Justin das †k›qisen von Joh 19,13 schon längst vor ihm als transitives Verbum begriffen und das durch die Hinzufügung von a§t∙n unübersehbar gemacht hat. Zwar überwiegt der intransitive Gebrauch des Verbums kaq‡zein im Sinne von sich setzen seinen transitiven Gebrauch (jemanden setzen oder jemanden Platz nehmen lassen) im griechischen Schrifttum bei weitem. Intransitiver Gebrauch liegt auch in Joh 8,2 und 12,14 vor. Da sich jedoch 8,2: „Jesus setzte sich und lehrte“ (kaÑ kaq‡sa" †d‡dasken a§to‚"), in der nach Ausweis der handschriftlichen Überlieferung mit Sicherheit sekundären Erzählung von Jesu Begegnung mit der Ehebrecherin findet (7,53–8,11; s. o. z. St. u. vgl. Thyen, Erzählung der Begegnung), sagt die Stelle über den Sprachgebrauch des Evangelisten nichts. Intransitiver Gebrauch liegt auch in Joh 12,14 vor, in dem neben 19,13 einzigen weiteren Vorkommen von kaq‡zw. Als Jesus sechs Tage vor dem Passafest in Jerusalem einzieht, wird erzählt: e≠rán dÇ ¨ ûIhsoú" £n›rion †k›qisen †pû a§t∙. Der Kontext und das intertextuelle Spiel mit Sach 9,9 machen es evident, daß Jesus sich selbst auf jenes £n›rion setzte, um so die Schrift zu erfüllen. Doch dieser einmalige intransitive Gebrauch von kaq‡zw kann kein Indiz dafür sein, daß das auch in 19,13 der Fall sein müßte. Zumal wegen der Stellung von tÖn ûIhsoún zwischen dem ≥gagon ≤xw und dem †k›qisen †pÑ bflmato" könnte man den fraglichen Satz ja rein sprachlich durchaus auch so übersetzen: Und er führte Jesus hinaus und ließ ihn auf dem böma Platz nehmen (vgl. Bauer, WB 770). Das böma wäre dann nicht ein einzelner Richterstuhl, sondern, wie häufig in griechischen Texten, das Podest, auf dem sich das Tribunal versammelte, also eine ‚Tribüne‘. Dazu paßte das Wort: ¥de ¨ basileÜ" ≠mùn, das Pilatus in der entscheidenden sechsten Stunde an die ûIoudaõoi richtet, trefflich. Denn es setzt doch voraus, daß Jesus ihnen allen sichtbar gegenüberstehen oder ‑thronen muß. Da sie ihn nicht als ihren König haben wollen, erscheint er vor ihnen als ihr Richter. Das ist die Pointe von de la Potteries eingehender Analyse unserer Szene, in der er die bisher wohl stärksten Argumente für diese transitive Deutung des †k›qisen vorgetragen hat (Jésus, roi et juge). Und im Blick auf das Hochartifizielle und Symbolische der gesamten Pilatusszene mit ihrem ständigen Ortswechsel zwischen dem Draußen bei den Anklägern und dem Drinnen mit Jesus, für das es ja gewiß keinen Augenzeugen, sondern nur einen gegeben haben dürfte, der erzählt, wie es gewesen sein könnte, sowie unter dem Aspekt ihrer theologischen Pointe ist de la Potteries Deutung durchaus denkbar. Beeindruckt von ihr zeigt sich auch Barrett, wenn er erwägt, daß Johannes auch hier womöglich absichtsvoll doppeldeutig rede. Auch wenn Pilatus vordergründig auf dem böma gesessen haben möge, thront da jedoch für alle, die Augen haben zu sehen, Jesus als der Mensch, dem Gott nach Joh 5,27 (s. o. z. St.) ja alles Gericht übergeben hatte (Komm. 523). Dennoch ist die Liste derer lang, die seit Bultmanns Kommentar (514) diese Deutung bestritten haben und bestreiten. Exkurse über diese offene Frage bieten die Monographien von Blinzler (Prozeß 346 ff) und Dauer (Passionsgeschichte 269 ff); vgl. auch die Komm. von Morris (799), Schnackenburg (III, 305) und Beasley-Murray (342).
Wenn Pilatus Jesus seinen Anklägern nun erneut mit den Worten präsentiert: „Seht her, da ist er, euer König!“, so hebt unser Erzähler, wie oben bereits gesagt, die Bedeutung dieser Präsentation Jesu, in der der ganze Prozeß kulminiert, dadurch hervor, daß er sie genau lokalisiert und ihre Stunde an jenem Rüsttag des Passa benennt, indem er erklärt, daß sie um die sechste Stunde (øra én Æ" ∫kth: d. h. mittags gegen zwölf Uhr) jener paraskeufl auf dem Liq∙strwto" (Steinpflaster oder Mosaikboden) genannten Platz erfolgte, den die Juden auch Gabbatha nannten (ßEbraÂstÑ dÇ Gabbaq›). Wegen des auslautenden A muß Gabbatha ein aramäisches Wort sein. Keinesfalls ist es eine Übersetzung von Liq∙strwto", sondern vielmehr ein anderer Name des gleichen Platzes, der ihn als die Kuppe des hohen Hügels (h[bg) bezeichnen dürfte. Das paßt trefflich auf den Platz vor dem alten herodianischen Palast (™ toú basilfiw" a§lfl: Josephus, bell. V/172 ff), der sich auf dem westlichen Hügel befand (vgl. Brown, Death I, 706 ff). Die 727
18,28–19,16a
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
Bezeichnung dieses Platzes als Gabbaq› begegnet jedoch weder bei Josephus noch in der rabbinischen Literatur und findet sich einzig in Joh 19,13. Das besagt freilich nicht, daß es einen so bezeichneten Platz in Jerusalem nicht gegeben hätte; vielmehr wird „aufgrund der Ortskenntnis Jerusalems, die Johannes an anderen Stellen zeigt, … das Gegenteil richtig sein“ (Wengst, Komm. II, 244). Anstelle des ehemaligen Herodespalastes auf dem Westhügel Jerusalems favorisieren zahlreiche Autoren die Burg Antonia als den Ort des Prätoriums. Diese lag unmittelbar beim Tempel jenseits von dessen nördlicher Mauer. Seit dem zwölften Jahrhundert wurde ihr Gebiet als die Szenerie des Prozesses Jesu verehrt. Noch heute beginnt der karfreitägliche Kreuzweg der Pilger im Westen der Antonia und führt von dort zur Grabeskirche. Nachdem 1870 Grabungen auf dem Gelände der einstigen Antonia eine Pflasterung mit riesigen Steinquadern zu Tage förderten, hat L. H. Vincent sie als den Lithostrotos von Joh 19,13 identifiziert (L’Antonia u. Le lithostrotos). Auf dem Gelände des Klosters der ‚Schwestern von Zion‘ wird sie den Besuchern Jerusalems immer noch als jener Lithostrotos vorgeführt, auf dem Pilatus den Juden Jesus als ‚ihren König‘ und mit den Worten ¢doÜ ¨ ±nqrwpo" präsentiert haben soll. Die Nonne Mutter Aline vom Zion hat in ihrer Pariser Dissertation von 1956 versucht, diese Identifikation durch weitere archäologische Details zu bestätigen. Doch sie stützt sich dabei auf Zeugnisse, die allzumal erst der Zeit der Kreuzzüge entstammen, als Christen anfingen, das Gebiet der einstigen Antonia als den Ort der Verurteilung Jesu zu verehren (A. de Sion, La Forteresse Antonia). Doch diese Identifizierung war sicher voreilig und verfehlt, denn jene Gebäudereste samt dem sogenannten Ecce-Homo-Tor und dieser Steinpflasterung dürften zur Zeit Jesu noch gar nicht existiert haben. Benoit hat sie vielmehr als Teile der erst nach dem Bar-Kochba-Aufstand von den Römern auf dem Gebiet der heutigen Altstadt Jerusalems gegründeten Aelia Capitolina identifiziert (L’Antonia; vgl. Brown, Death I, 705 ff; Barrett, Komm. 524; Wengst, Komm. II, 244 f).
15.16a: Soeben zum Opfer der Erpressung durch die jüdischen Ankläger Jesu geworden, „die sich dem Kaiser gegenüber loyaler gaben als der römische Richter“, rächt sich Pilatus an ihnen nun dadurch, daß er ihnen mit höhnischer Ironie erneut den geschundenen, purpurgekleideten und dornengekrönten Jesus mit den Worten präsentiert: „Seht her! Da ist euer König“. Wie zuvor Kaiaphas, weil er zu der Zeit Hoherpriester war, ohne es selbst zu wissen, die Wahrheit gesagt hatte (†profflteusen), denn Jesus sollte ja tatsächlich für das jüdische Volk sterben, ja nicht nur für dieses allein, sondern darüber hinaus dafür, daß er alle in der Welt zerstreuten Gotteskinder zur Einheit versammele (11,49 ff), so bezeugt jetzt Pilatus, als derjenige, dem es ‚von oben‘ aufgegeben ist, Jesus zum Kreuzestod zu verurteilen (19,11), ebenfalls unwissend eben die Wahrheit, von der er in 18,38 doch nichts wissen wollte: „Dieser geschundene Mensch, der gekreuzigt wird, ist in der Tat der wahre König“ (Wengst, Komm. II, 245). Die Ankläger können das natürlich nur als blanken Hohn begreifen und erheben darum abermals laut ihre Stimmen und schreien (†kra‚gasan): „Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn!“ Doch mit der Gegenfrage: „Euren König soll ich kreuzigen (lassen)?“, setzt Pilatus ihre Verhöhnung fort und fordert damit die Oberpriester (o´ ürciereõ"!) zu dem fragwürdigen Loyalitätsbekenntnis heraus: „Wir haben keinen König, außer dem Kaiser!“ Wie die Wende im Verhalten des Pilatus dadurch verursacht war, daß die Oberpriester ihn mit dem Vorwurf mangelnder Loyalität dem Kaiser gegenüber erpreßbar gemacht hatten, so muß auch ihre erneute Antwort auf seine höhnische Frage, ob er denn etwa ihren König kreuzigen lassen solle, als Bekundung ihrer politischen Loyalität verstanden werden. Vielfach sehen die Kommentatoren in dieser Aussage eine „Absage des Judentums“ an das alleinige Königtum Gottes und die Preisgabe seiner 728
Vierte Szene: Jesu Kreuzigung
19,14–16a
messianischen Hoffnungen. In diesem Sinne sieht Bultmann in dieser Antwort nicht nur die Preisgabe des messianischen Anspruchs Israels, sondern zugleich seine Selbstpreisgabe besiegelt (Komm. 515; vgl. Barrett, Komm. 525). Gegen alles, was wir aus der weitergehenden Geschichte Israels wissen, erklärt Wilckens, die Juden hätten ihre Messiashoffnung „zugunsten einer totalen Unterwerfung unter die Gewalt des heidnischen Imperators preis(gegeben)“ (Komm. 290); nach Schnelle unterwerfen sie sich damit gar „einem Kaiser, der seine Verehrung als Gott fordert“ (Komm. 281 ff). Gegen solche und ähnliche Pauschalurteile über ‚das Judentum‘, das seinen Glauben an Gottes alleiniges Königtum und seine messianische Hoffnung zugunsten seiner Unterwerfung unter den römischen Caesar preisgegeben habe, zitiert Schnackenburg (Komm. III, 308) zu Recht aus dem bis heute in allen Synagogen täglich gebeteten Achtzehngebet: „Laß zurückkehren unsere Richter wie früher und unsere Ratgeber wie am Anfang; nimm von uns Trauer und Seufzen; Du allein, Adonaj, sei König über uns in Freundlichkeit und Erbarmen, und rechtfertige uns im Gericht! Gesegnet seist Du, Adonaj, König, der du Recht und Gerechtigkeit liebst!“ (Benediktion 11) Und: „Den Sproß Davids, Deines Knechtes, laß schnell ersprießen, und erhöhe sein Horn durch Deine Hilfe! Ja, auf Deine Hilfe hoffen wir den ganzen Tag. Gesegnet seist Du, Adonaj, der Du das Horn der Hilfe ersprießen läßt“ (Benediktion 15). Solchen Gebeten gegenüber kann von einem Abrücken vom Glauben an Gottes alleiniges Königtum und von der Preisgabe der messianischen Hoffnungen Israels nicht entfernt die Rede sein. Wengst wendet gegen solche Pauschalurteile über ‚die Juden‘ oder ‚das Judentum‘ zu Recht ein, daß das ausdrücklich noch einmal genannte Subjekt der fraglichen Aussage doch die ürciereõ" seien, weshalb sich jegliche Pauschalität verbiete, „in der hier in der Auslegung von ‚den Juden‘ und ‚Israel‘ geredet wird“ (Komm. II, 246). Im Blick auf die häufige und zuweilen höchst willkürliche Absetzung und Neueinsetzung von Hohepriestern durch die römischen Präfekten des Imperiums, die in der Antonia auch die hohepriesterlichen Kultgewänder unter Verschluß hielten, verstand es Kaiaphas, der im Jahre 18 n. Chr. von Valerius Gratus in dieses Amt eingesetzt worden war, sich ungewöhnlich lange darin zu halten, nämlich 19 Jahre lang. „Seine Absetzung durch den (syrischen) Legaten Vitellius im Jahre 37 n. Chr. (Josephus, Ant XVIII/95) steht sicher nicht nur im zeitlichen Zshg. mit der Absetzung des Pilatus“ durch eben diesen Vitellius (Schenk, Ka›fa"; vgl. zu den Gründen dieser Amtsenthebung des Pilatus und der ihm auferlegten Pflicht, sich in Rom vor Tiberius für sein Massaker am Berg Garizim zu verantworten: Josephus, ebd. 88 ff). Bis zur Schreckensherrschaft des Antiochus Epiphanes (175–164 v. Chr.) und nach dessen Sturz durch den Aufstand der Hasmonäer und der Konsolidierung von deren Herrschaft sowie der neuen Tempelweihe wurde bis zum Regierungsantritt Herodes des Großen (37–4 v. Chr.) das Hohepriesteramt innerhalb einer Familie jeweils vom Vater auf den Sohn vererbt. Das änderte sich jedoch unter der Herrschaft des Herodes. „Während der gesamten Epoche von Herodes I. bis zum Großen Aufstand vollzieht sich die zunehmende Konsolidierung einer priesterlichen Oligarchie; bestehend aus einer Reihe von Priesterfamilien, die das Hohepriesteramt als ihr ausschließliches Privileg beanspruchten. … Von nun an beschränkte sich die Berufung auf eine bestimmte Amtsperiode. Manchmal blieb ein Hoherpriester jahrelang im Amt, wie etwa Josef Kajafas (achtzehn Jahre, von 18–36) und Hananja ben Nedebai (zwölf Jahre, von 47–59); in anderen Fällen wurde die Amtsdauer auf ein Jahr oder gar auf ein paar Monate verkürzt. Aber Herodes und die römische Regierung anerkannten de facto das hohepriesterliche Amt als Monopol einiger weniger Familien. Erst die Zeloten des Großen Aufstandes gingen von dieser Praxis ab und
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19,16b–30
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
revidierten das System grundlegend“ (M. Stern, Palästina 327). Da es die römischen Statthalter waren, die den Hohenpriester ein‑ oder absetzten, war die Versuchung natürlich groß, daß der sich oft als deren verlängerter Arm gerierte und sich in seiner Loyalität dem Caesar gegenüber kaum überbieten ließ. Die Unzufriedenheit der Hachamim mit dieser Priesteroligarchie demonstriert eine Passage aus dem Babylonischen Talmud treffend: „Wehe mir vor der Familie Boetos, wehe mir vor ihren Knütteln; wehe mir vor der Familie Hanin, wehe mir vor ihrem Getuschel; wehe mir vor der Familie Kathros, wehe mir vor ihrem Schreibrohre; wehe mir vor der Familie Ismael ben Phiabi, wehe mir vor ihrer Faust. Sie selbst waren Hohepriester, ihre Söhne waren Schatzmeister, ihre Schwiegersöhne waren Tempelherren, und ihre Diener schlugen das Volk mit Stöcken“ (Pesachim 57a, Tosefta Menohot 13,21; zitiert von Stern ebd.).
Der letzte Satz unserer Szene: t∙te oên parfidwken a§tÖn a§toõ" ºna staurwqÔö (V. 16a), ist nur implizit das Todesurteil des Pilatus. Nicht eines, das er souverän von seinem böma herab verkündet hätte, sondern eher Ausdruck seiner Kapitulation vor der Erpressungsdrohung der priesterlichen Ankläger Jesu (parfidwken a§tÖn a§toõ"). Denn auch wenn die Wendung ‚er lieferte ihn an sie aus‘ – grammatisch an die ürciereõ" – so aussehen mag, als seien es die Priester, die Jesus nun kreuzigen sollten, zeigt doch das Passiv ºna staurwqÔö deutlich, daß das Urteil jetzt durch die Kreuzigung und damit durch die römischen Instanzen exekutiert werden soll. Statt ‚er lieferte ihn an sie aus‘, könnte es also geradezu heißen, er unterwarf sich ihrer Drohung und lieferte damit sich selbst ihrem Drängen aus.
Vierte Szene: Jesu Kreuzigung, seine letzten Worte an seine Mutter und an den Jünger, den er liebte, und sein Sterben (19,16b–30) 16b Da übernahmen sie Jesus, 17 und der trug sein Kreuz selbst und ging hinaus zu dem Schädelstätte genannten Ort, der hebräisch Golgotha heißt. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm noch zwei andere, den einen zur Rechten und den anderen zur Linken, Jesus aber in der Mitte. 19 Pilatus aber hatte eine Inschrift schreiben und an das Kreuz heften lassen, auf der geschrieben stand: Jesus, der Nazoräer, der König der Juden. 20 Diese Inschrift lasen viele der Juden, denn der Ort, wo Jesus gekreuzigt wurde, lag nahe bei der Stadt. Und sie (sc. die Inschrift) war in hebräischer, römischer und griechischer Sprache verfaßt. 21 Da wandten sich die Hohenpriester der Juden mit der Forderung an Pilatus: Schreibe nicht: der König der Juden, sondern daß dieser behauptet hat: Ich bin der König der Juden! 22 Doch Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben! 23 Als die Soldaten Jesus aber gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und teilten sie in vier Teile, für jeden der Soldaten einen Teil, und dazu noch seinen Leibrock. Dieser Rock aber war ohne Naht, von oben bis unten ganz durchgewebt. 24 Da sagten sie zueinander: Laßt uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. Damit sich die Schrift erfülle, die da sagt: Sie haben meine Kleider unter sich geteilt, und über meinen Leibrock haben sie das Los geworfen (Ps 22,19). Das also taten die Soldaten. 25 Es standen aber beim Kreuz Jesu seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria die Magdalenerin. 26 Als Jesus
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Vierte Szene: Jesu Kreuzigung
19,15–17
nun seine Mutter sah und den Jünger, den er lieb hatte, bei ihr stehen, da sagte er zu der Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Und darauf sagte er dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter. Und von Stund an nahm sie der Jünger zu sich. 28 Danach sagte Jesus im Wissen, daß nun alles vollbracht war, damit auch die Schrift endgültig erfüllt werde: Mich dürstet! 29 Da stand aber ein Gefäß mit Essig gefüllt. Und die Soldaten steckten einen mit Essig getränkten Schwamm auf einen Ysopzweig und reichten ihn Jesus zum Munde. 30 Als Jesus den Essig genommen hatte, sagte er: Es ist vollendet, neigte das Haupt und gab den Geist hin. (1) Jesus trägt sein Kreuz selbst und wird in Golgotha gekreuzigt (19,16b–18) 16b Grammatisch müssen jene a§to‡, denen Pilatus Jesus zur Kreuzigung übergeben hatte, nämlich die in V. 15 genannten ürciereõ", auch das in dem parfilabon implizierte Subjekt sein. Sachlich ist das jedoch nicht möglich, da die Kreuzigung ja eine römische Art der Hinrichtung zum Tode Verurteilter ist und deshalb auch von römischen Instanzen exekutiert werden muß. Wegen Jesu Rede von der größeren Sünde dessen oder derer, die ihn Pilatus ausgeliefert haben (V. 11), hat der Erzähler das Subjekt von parfilabon vermutlich absichtsvoll im Unbestimmten der Doppeldeutigkeit belassen und diese a§to‡ erst in der Episode von der Verteilung der Kleider des Gekreuzigten (V. 23 f) zunächst als o´ strati„tai des Hinrichtungskommandos bezeichnet, um dann implizit noch zu sagen, daß dieses Kommando, den vier Teilen der Kleidung Jesu entsprechend, aus vier Soldaten bestand. Wie stets beim Militär muß einer dieser vier die Verantwortung für die Exekution getragen und das Kommando geführt haben. Vermutlich war das jener kentur‡wn, der in Mk 15,39 unter dem Kreuz Jesu stand und bekannte: Dieser Mensch ist wahrhaftig der Sohn Gottes gewesen. Jedenfalls hat die Tradition diesen ‚Hauptmann‘ alsbald mit dem Soldaten von Joh 19,32 ff identifiziert, der, bewehrt mit einer Lanze, Jesu Seite durchbohrt und bezeugt hat, daß daraus sogleich Blut und Wasser herausgeströmt seien. Die späte Legende hat den Lanzenbewehrten Longinus genannt und ihn wegen seines Bekenntnisses unter dem Kreuz als frühen Christen verehrt. Da wir, wie unten begründet werden muß, in Joh 19,32 ff ein intertextuelles Spiel mit Mk 15,39 sehen, hat die Tradition den Mann mit der Lanze wohl nicht nur zufällig mit dem bekennenden Centurio von Mk 15,39 identifiziert. 17: Wenn der Erzähler den synoptischen Prätexten gegenüber betont, daß Jesus – so wie er sich selbst mit seinem †g„ e¢mi freiwillig denen ausgeliefert hatte, die gekommen waren, ihn zu verhaften (18,12 ff) – sein Kreuz selbst getragen habe (bast›zwn ©autù tÖn staur∙n), setzt er wieder voraus, daß seine Zuhörer/Leser jene Prätexte kennen, wonach der gerade von seinem Feld kommende Simon von Kyrene von den Soldaten gezwungen worden sei, Jesu Kreuz zur Hinrichtungsstätte zu schleppen (Mk 15,20 f; Mt 27,32; Lk 23,26). Da die Gnostiker im Bann der Ontologie griechischer Philosophie die Gottheit Jesu nur als dessen wesenhafte Leidensunfähigkeit zu denken vermochten, ließ etwa Basilides jenen Simon aus Kyrene nicht nur Jesu Kreuz tragen, sondern ihn aus Unwissenheit und Irrtum der irdischen Mächte dann auch noch an 731
19,16b–30
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
Jesu Stelle gekreuzigt werden, während Jesus, der zuvor sein Aussehen mit dem Simons vertauscht hatte, neben dessen Kreuz stand und lachte (Irenaeus, adv. haer, I/24,4; vgl. 2LogSeth [NHC VII/2,56]; vgl. Bauer, Komm. 221). Dadurch, daß Jesus selbst sein Kreuz trägt, wird sein Weg zum ≠p∙deigma für seine Jünger: ºna kaqá" †gá †po‡hsa ≠mõn kaÑ ≠meõ" poiöte (13,15) und zur Motivierung ihres Weges der Nachfolge: „Wenn einer mir nachfolgen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich, und so wird er mir nachfolgen“ (Mk 8,34; Mt 16,24; Lk 9,23). Viele Kirchenväter sahen in Isaak, der an der Seite seines Vaters Abraham mit dem Holz für seine eigene Hingabe als Brandopfer beladen den Berg Moria bestieg, den Jesu Kreuzweg vorabbildenden Typos. Daß die Weisen Israels seit den Tagen der makkabäischen Märtyrer diesen Weg Isaaks als dessen freudiges Selbstopfer begriffen haben, das alle Sünden des Gottesvolkes sühnt, haben wir zu Joh 1,29 bereits ausgeführt. Nach Gen 22,8: ¨ jeÖ" µyetai ©autù pr∙baton e¢" ¨lok›rpwsin, sahen sie in Isaak das von Gott selbst ersehene Opferlamm, an das alle folgenden Schlachtungen von Opfertieren Gott nur erinnern sollen und aus dem sie ihre sühnende Kraft beziehen. Das gilt auch für die Schlachtung der Passalämmer. Wie einst Isaak das Holz für seine ¨lok›rpwsi" trug, so trägt jetzt Jesus sein Kreuz. Da die aufrechten Balken bereits fest im Boden der Hinrichtungsstätte verankert waren, mußten die Verurteilten als ‚ihr Kreuz‘ wohl nur dessen Querbalken tragen, an den sie mit ausgestreckten Armen angenagelt oder angebunden wurden (vgl. Beasley-Murray, Komm. 344 f). Daß Jesus bis zuletzt der Handelnde und „sole Master of his destiny“ bleibt (Brown, Komm. II, 917), bringt unser Erzähler auch dadurch zum Ausdruck, daß er formuliert: „Er selbst ging, sein Kreuz tragend, hinaus an den sogenannten ‚Ort des Schädels‘, der hebräisch Golgotha heißt“, und Jesus nicht durch andere dahin bringen läßt, wie seine Prätexte erklärten: kaÑ ffirousin a§tÖn †pÑ tÖn Golgoqôn t∙pon, Ω †stin meqermhneu∙menon Kran‡ou T∙po" (Mk 15,22). Der in Joh 19,17 ebenso wie zuvor schon bei Markus durch den qualitativen Genitiv kran‡ou näherbestimmte t∙po" dürfte ein Hügel gewesen sein, dessen Gestalt an eine Schädelkalotte erinnerte, und keinesfalls ein Ort, wo die Schädel zuvor Hingerichteter herumlagen. Zur Lokalisierung dieses Platzes hilft auch sein hebräischer bzw. aramäischer Name Golgoqô nicht weiter, da er als Ortsbezeichnung abgesehen von Mk 15,22; Mt 27,33 und Joh 19,17 nirgendwo belegt und zudem nichts anderes ist als ein Derivat des aramäischen Lexems atlglg (hebräisch tlglg = Schädel, Kopf). Um der bequemeren Aussprache willen wurde in der griechischen Transkription das zweite l ausgestoßen (Bill. I, 1037). Als Stätte der Hinrichtung muß der ‚Schädelberg‘ nach Num 15,35 (vgl. Sanh 42b; Mt 27,32; Hebr 13,12) außerhalb Jerusalems und seiner Mauern gelegen haben. Da auch die Toten nur außerhalb der Stadt begraben werden durften, wird der Garten mit dem Grab Jesu in unmittelbarer Nähe von Golgotha gelegen haben. Auch wenn die topographischen Zeugnisse für die Lage jenes Platzes Golgotha nicht hinter Eusebs Vita Constantini (III/25 ff) zurückreichen, dürfte der etwa 300 Meter nordnordöstlich des Prätoriums und damit außerhalb der herodianischen Stadtmauern gelegene Platz, an dem Konstantin um 326 einen Venustempel bis in dessen Fundamente hinein abreißen und an seiner Stelle die Grabeskirche errichten ließ, die wahrscheinlichste Lage von Golgotha sein (vgl. Guthe, Grab 44 ff; Jeremias, Golgotha). Alle Versuche, aufgrund der Unterschiede zwischen der johanneischen Passionserzählung und ihren synoptischen Prätexten einen dritten Text zu rekonstruieren, der die Quelle sowohl von Markus als auch von Johannes gewesen sein soll (so etwa Lührmann, Markus pass.), halten wir nicht nur für allzu spekulativ, sondern für überflüssig, weil sich gerade die dafür oft genannten Abweichungen nahezu vollständig als Indizien für die redaktionelle Arbeit unseres Evangelisten erklären lassen. Das gilt auch für das von M. Lang (Johannes pass.) auf die vermeintliche ‚johanneische Gemeinde‘ zurückgeführte Material.
732
Vierte Szene: Jesu Kreuzigung
19,17–22
18: Daß Jesus zusammen mit zwei anderen, die Markus und Matthäus als Aufrührer (lÔhsta‡) und Lukas als Übeltäter (kakoúrgoi) bezeichnen, und in deren Mitte gekreuzigt wird, erzählen bereits die Prätexte (Mk 15,27; Mt 27,38; Lk 23,33). Brown (Komm. II, 900) bemerkt dazu, daß auch dabei der Passionspsalm 22 sowie Jes 53,12 im Hintergrund stehen könnten. In Ps 22,17 klagt der Beter, daß ihn eine Versammlung von Verbrechern umgeben habe (LXX: sunagwgÉ ponhreuomfinwn perifiscon me), und in dem von Johannes immer wieder assoziierten Jesajabuch lautet der letzte Vers des vierten Liedes vom Gottesknecht: „Darum will ich ihm die Vielen als Anteil geben, und die Mächtigen fallen ihm als Beute zu dafür, daß er sein Leben in den Tod dahingegeben hat und unter die Übeltäter gezählt ward, während er doch die Schuld der Vielen trug und eintrat für die Sünder“ (vgl. Beasley-Murray, Komm. 346). Während bei Markus und Matthäus dem Akt der Kreuzigung die Gabe gewürzten Weines (†smurnismfino" oèno": Mk) bzw. mit Galle gemischten Weines (oènon metÅ colö" memigmfinon: Mt) an den Verurteilten vorausgeht und allein Lukas die Soldaten dem bereits Gekreuzigten aus Spott Essig reichen läßt (µxo" prosffironte" a§tù: 23,36), hat Johannes diesen Zug zu einer Jesu Sterben unmittelbar vorausgehenden eigenen Episode gestaltet (19,28–30). Das gilt auch für das Verteilen und Verlosen der Kleidung Jesu unter die Soldaten. Waren hier schon die Prätexte im intertextuellen Spiel mit Ps 22,19 begriffen, so hat Johannes auch diesem Zug ein eigenes Gewicht verliehen: Vier Soldaten teilen sich Jesu Kleider und über seinen ungenähten Leibrock werfen sie das Los. Und das erhält seine besondere Beleuchtung durch andere Vier, nämlich Jesu Mutter, die beiden Marien und den geliebten Jünger (23–24 u. 25–27; s. u. z. St.). Endlich hat Johannes auch aus der in den Prätexten bloß mitgeteilten Kreuzesinschrift eine eigene Episode gemacht, in der es erneut zum Zusammenstoß der Ankläger Jesu mit Pilatus kommt (19–22). (2) Die Kreuzesinschrift: Jesus, der Nazoräer, der König der Juden (19,19–22) 19–22: Johannes führt die Kreuzesinschrift ausdrücklich auf die Anordnung durch Pilatus zurück; wir verstehen das ≤grayen kausativ, denn er hat natürlich nicht selbst geschrieben, sondern schreiben lassen. Die Inschrift oder vielleicht die sie tragende Tafel, von der dann das darauf Geschriebene (gegrammfinon) zu unterscheiden wäre, bezeichnet Johannes mit dem Lexem t‡tlo", einem Lehnwort nach dem lateinischen titulus, das sich im gesamten Neuen Testament nur hier findet. Möglicherweise hat er anstelle des gebräuchlicheren Lexems †pigraffl seiner Prätexte das seltene t‡tlo" gewählt, weil es einerseits zwar terminus technicus für eine beschriebene Tafel ist, die Namen und Verbrechen des Verurteilten angibt und ihm auf dem Gang zur Exekution umgehängt oder vorangetragen wird, andererseits aber dient das Wort titulus in der Regel der Bezeichnung von Ruhmes‑ oder Ehrentiteln, so daß es in diesem Kontext absichtsvoll doppeldeutig sein könnte: „There is another sense of titlos as a royal ‚title‘, and that may not be completely absent from John“ (Brown, Death II, 962 f). Als Belege für den Brauch, vermeintliche oder tatsächliche Verbrechen durch derart beschriebene Tafeln, die dem Delinquenten umgehängt oder vorangetragen wurden, nennt Brown (ebd.) Sueton, Caligula 32,2 u. Domitian 10,1; Tertullian, Apol. 2,20; Cassius Dio, 733
19,16b–30
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
Hist. 54,3.7; Euseb, HE 5/1,44. Als den Grund der Hinrichtung (a¢t‡a: Mk 15,26) läßt unser Erzähler Pilatus aber nicht einfach schreiben: ¨ basileÜ" tùn ûIouda‡wn, wie Markus, oder ¨ basileÜ" tùn ûIouda‡wn oñto", wie Lukas, und auch nicht oñt∙" †stin ûIhsoú" ¨ basileÜ" tùn ûIouda‡wn, wie Matthäus. Sehr viel ‚dokumentarischer‘ und ‚titularer‘ heißt es bei ihm vielmehr: ûIhsoú" ¨ Nazwraõo" ¨ basileÜ" tùn ûIouda‡wn. Anzumerken ist hier freilich, daß wir jenseits des Neuen Testaments und der darauf bezogenen Literatur keinen einzigen Beleg für den Brauch haben, daß ein derartiger titulus je zu Häupten von Hingerichteten an deren Kreuzen angebracht worden wäre. Pilatus hatte diese Inschrift nach V. 19 dazu noch in drei Sprachen nämlich hebräisch, lateinisch und griechisch abfassen lassen, nämlich in der Volkssprache, in der lateinischen Amtssprache (ûRwmaÂst‡) und auf griechisch, jener Sprache, die seit dem Alexanderzug zur lingua franca der Alten Welt geworden war. Weil Jesu Kreuz offenbar an einer belebten Straße stand, die in die Stadt Jerusalem führte, gingen viele Juden daran vorüber und lasen die Inschrift. Das aber erweckte den zornigen Widerspruch der Oberpriester. Sie wandten sich also an Pilatus und forderten, er müsse die Inschrift revidieren. Das drückt der negierte Imperativ Präsens mÉ gr›fe aus; Bauer paraphrasiert ihn so: „Es darf fortan nicht mehr geschrieben stehen“ (Komm. 222). Pilatus dürfe den Nazarener Jesus doch nicht als König der Juden proklamieren, sondern müsse stattdessen schreiben lassen: ‚Dieser (Mann) hat behauptet: Ich bin der König der Juden‘. Doch Pilatus weicht nun nicht noch einmal vor ihnen zurück, sondern erklärt: ‚Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben‘. Wiederum unwissend macht sich der Statthalter Roms mit dieser unabänderlichen Inschrift zum Zeugen der Wahrheit Jesu, von der er doch im Verhör noch nichts wissen wollte, wie seine skeptische Frage: ‚Was ist Wahrheit?‘ verriet. Ja, die Dreisprachigkeit der Inschrift macht ihn ironischerweise nolens volens zum ersten Missionar Jesu über die Sprachgrenzen Israels hinaus. (3) Die Soldaten teilen Jesu Kleider unter sich (19,23–24) 23f: Daß vier Soldaten mit der Kreuzigung Jesu beauftragt waren, also die kleine militärische Einheit eines tetr›dion (Act 12,4; Bauer, Komm. 223), erfährt der Leser – wie oben bereits gesagt – erst jetzt aus dem Umstand, daß sie vier Teile aus Jesu Kleidung machen, ‚für jeden der Soldaten einen Teil‘. Während alle drei Synoptiker bei der Schilderung der Verteilung der Kleidung Jesu unter die Soldaten an Ps 22,19 nur anspielen (Mk 15,24; Mt 27,35; Lk 23,34), wählt Johannes hier mit dem wörtlichen Zitat des LXX-Textes von Ps 22,19 die unmittelbarste Form der Intertextualität. Selbst dieses Tun der Soldaten, das dem christlichen Leser makaber erscheinen mag, aber wohl das Gewohnheitsrecht der zur Hinrichtung kommandierten Soldaten war, muß bei ihm noch der Erfüllung der Schrift dienen, die da sagt: diemer‡santo tÅ ´m›ti› mou ©autoõ" / kaÑ †pÑ tÖn ´matism∙n mou ≤balon klöron. Der dem Schriftzitat unmittelbar nachgestellte Satz: „Das taten die Soldaten damals“, zeigt, daß auch sie ihren Part hatten bei der Vollendung von Gottes Plan, die Welt durch die Hingabe seines Sohnes zu erlösen: „It was their contribution to the plan of God“ (Lindars, Komm. 578). Und anders als seine Prätexte begreift Johannes die beiden Glieder dieses parallelismus membrorum nicht als synonym. Er unterscheidet darin vielmehr das Verteilen der Kleider (tÅ ´m›tia) von der Verlosung des Untergewandes (´matism∙"), das er als den cit„n 734
Vierte Szene: Jesu Kreuzigung
19,22–25
bezeichnet. Die Angabe, daß dieser cit„n nahtlos und von oben bis unten aus einem Stück gewebt war, dient auf der Ebene der Erzählung allein der Begründung des Umstandes, daß das Los entscheiden sollte, wer dieses unteilbare Stück bekomme. Ob dieser Zug der Erzählung darüberhinaus noch einen symbolischen Sinn haben könnte, ist umstritten und schwer zu entscheiden. Da Josephus (Ant III/161) das Gewand (cit„n) des Hohenpriesters als ungenäht und aus einem Stück gewebt beschreibt und Philon (fuga 110 ff) darin das unzerreißbare, aus den Elementen der Welt gewobene Kleid des göttlichen Logos symbolisiert sieht, wollten seit der Zeit der Kirchenväter zahlreiche Kommentatoren in der ausdrücklichen Beschreibung dieses Gewandes einen Hinweis auf das hohepriesterliche Amt Jesu finden. Obgleich Brown zu Recht feststellt, daß wir keine Möglichkeit haben, zu erkennen, ob Johannes hier überhaupt im symbolischen Modus redet und wenn ja, welche Art von Symbolismus er mit seiner Rede von dem ungenähten Gewand im Sinn gehabt haben mag, hält Brown die Deutung auf das Hohepriestertum Jesu für ‚plausibel‘ (Komm. II, 921 f). Er beruft sich dafür auf Spicq, der für die Konzeption des Hebräerbriefes von Christus als dem himmlischen Hohepriester gar den johanneischen Ursprung erweisen wollte (Origine). Doch für dieses im Hebräerbrief prominente Thema vermögen wir in unserem Evangelium keinerlei Indizien, ja nicht einmal die entfernteste Andeutung zu entdecken (vgl. Bultmann, Komm. 519 f; Hahn, Hoheitstitel 234 f; Barrett, Komm. 528 f; Lindars, Komm. 577 f). Wenig wahrscheinlich erscheint uns auch die seit Cyprian (de cathol. eccl. unitate 7) öfter wiederholte Deutung des ungenähten Untergewandes Jesu auf die Einheit der Kirche. Angesichts eines durch das Los an einen der heidnischen Soldaten gefallenen Kleidungsstückes ist sie nicht plausibel. Mit Lindars erscheint es uns darum weiser, Bernard zu folgen, der alle derartigen Anspielungen bestreitet und klar sieht, daß die Beschreibung der Beschaffenheit des cit„n nur erklären soll, warum die Soldaten ihn verlosen (Komm. 578). (4) Jesu letzte Worte an seine Mutter und an den Jünger, den er liebte (19,25–27) 25: Nachdem bisher nur von den Anklägern Jesu, von seinem Richter Pilatus und von den Soldaten die Rede war, die dessen Urteil durch Jesu Kreuzigung vollstrecken mußten, stehen nun der Gekreuzigte selbst und die Seinen im Zentrum. Das Tun der Soldaten, mit dem sie, ohne es zu wissen, die Schrift erfüllt hatten, hatte der Erzähler abschließend noch einmal in dem kurzen Satz zusammengefaßt: o´ mÇn oên stratiùtai taúta †po‡hsan. Wenn er die folgende Episode dann mit der bei ihm seltenen Adversativ-Partikel dfi eröffnet, macht er deutlich, daß sie als Kontrast zur vorausgegangenen begriffen sein will. In den Prätexten wird erzählt, daß die Frauen, die Jesus bereits von Galiläa an nachgefolgt waren (Mk 15,40; Mt 27,55; Lk 23,49), das Geschehen auf Golgotha nur von fern (üpÖ makr∙qen qewroúsai) beobachteten. Lukas fügt diesen bei ihm namenlosen Frauen noch ‚alle Bekannten Jesu‘ hinzu. Namentlich nennt Markus unter diesen Frauen die Magdalenerin Maria, daneben eine weitere Maria, nämlich die Mutter der Brüder Jakobus des Kleinen und des Joses sowie endlich eine Salome. Die letztere fehlt bei Matthäus oder sie ist mit der von ihm ohne Namen genannten Mutter der Zebedaiden identisch. Wegen der Intimität der letzten Worte des Gekreu735
19,16b–30
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
zigten an seine Mutter und an den Jünger, den er liebte, läßt Johannes die Frauen, die in seinen Prätexten das Geschehen auf Golgotha nur von fern beobachten, unmittelbar unter das Kreuz treten. Doch der auffälligste Zug seiner Erzählung ist der, daß er unter den Frauen an erster Stelle die Mutter Jesu (™ mflthr a§toú) nennt, von deren Gegenwart seine synoptischen Prätexte nichts wissen. Wie bei ihrem ersten Auftreten bei der Hochzeit zu Kana, wo sie einfach als ™ mflthr toú ûIhsoú bezeichnet wurde (s. o. zu 2,1 ff), so wird ihr Name auch hier nicht genannt. Und wie damals in Kana redet Jesus sie auch hier mit der für einen Sohn doch ungewöhnlichen Anrede g‚nai an. Dieser Zug und die gleichzeitige und doppelt überraschende Gegenwart des geliebten Jüngers unter dem Kreuz seines Herrn zeigen schon, daß wir es mit einer fiktionalen und hochsymbolischen Szene zu tun haben. Doppelt überraschend nennen wir diese Gegenwart zum einen deshalb, weil dieser Jünger, ohne daß er wie die Frauen erst eingeführt worden wäre, plötzlich einfach da ist neben Jesu Mutter. Das erinnert an seine explizite Einführung in das Evangelium in 13,21 ff, wo von ihm als einem der Jünger Jesu gesagt wird, daß er beim letzten Mahl an der Brust seines Herrn gelegen habe. Und zum anderen überrascht seine Gegenwart in dieser Stunde, weil keiner der Prätexte von der Gegenwart eines der Zwölf in der Stunde der Kreuzigung weiß, sie sind im Gegenteil alle geflohen und haben ihren Herrn allein gelassen (vgl. 16,32 f). Und als Teilnehmer am letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern muß er doch einer der Zwölf sein. Neben der Mutter Jesu stehen noch deren Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria, die Magdalenerin. Ob es sich dabei um vier Frauen als das Gegenüber der vier Soldaten oder um drei Frauen handelt, die mit dem geliebten Jünger ja ebenfalls eine Vierergruppe bildeten, ist schwer zu entscheiden. Entweder hat der Evangelist wie die Mutter Jesu auch deren Schwester namenlos gelassen, oder diese Schwester ist Maria, die Frau des Klopas. Jedenfalls aber war Maria, die Magdalenerin, wenn auch nur als Zuschauerin von fern, ja schon von Mk und Mt genannt. Johannes übernimmt ihre Gegenwart aus diesen Prätexten und führt damit zugleich seine erste Osterzeugin in sein Evangelium ein (s. u. zu 20,1 ff). Da die Frauen als Augenzeuginnen des Sterbens Jesu hier nur zur Vervollständigung des Quartetts neben den Hauptpersonen der Episode stehen, nämlich neben der Mutter Jesu und dem geliebten Jünger, muß die Frage nach ihrer Zahl und Identität nicht entschieden werden. 26 f: Als Jesus die Mutter und neben ihr den Jünger stehen sah, den er liebte, sagte er zu der Mutter: ‚Frau, siehe, der ist dein Sohn‘. Und danach sagte er zu dem Jünger: ‚Siehe, die ist deine Mutter‘. Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich. Die erneute Gegenwart der auch hier anonymen Mutter Jesu läßt den Zuhörer zurückdenken an ihr erstes Auftreten bei der Hochzeit in Kana und an das von ihr herausgeforderte Weinwunder als den Ursprung der Zeichen Jesu. Denn von hier aus erscheint auch dieses in neuem Licht, in dem sichtbar wird, daß die Fülle des Weines von damals nicht nur Symbol der anbrechenden messianischen Zeit war, sondern zugleich das konkrete Zeichen des am Kreuz für das Leben der Welt vergossenen Blutes Jesu. Obgleich sich die Mutter Jesu in Kana – in einer wohl nicht nur zufälligen Umkehrung der Frage der Witwe von Sarepta an den Propheten Elia: ‚Was habe ich denn mit dir zu schaffen, du Mann Gottes?‘ (1Kön 17,18) – von Jesus fragen lassen mußte: ‚Frau, was habe ich denn mit dir zu schaffen?‘ und so ihres unendlichen Abstandes von diesem Sohn inne werden mußte, bleibt sie die treue und auf die Erfüllung von Gottes Verheißungen wartende Zeugin des Sinaibundes, wenn sie in Abwandlung der Worte von Ex 19,8 736
Vierte Szene: Jesu Kreuzigung
19,25–27
den Dienern aufträgt: ‚Alles, was er euch sagt, das tut!‘ (2,5; vgl. dazu Olsson, Structure 45 ff sowie zur gesamten Episode: Minear, John 143–152). Wie in Johannes dem Täufer (1,19 ff), in Abraham (8,56 ff), in Mose (5,45 ff) und in Jesaja (12,41) muß man in ihr eine Gerechte des alten Gottesvolkes Israel und dessen Repräsentantin sehen. Bultmanns Auslegung (Komm. 529 f), wonach Jesu Mutter die Repräsentantin des noch an die Tora gebundenen Judenchristentums sein soll, während der geliebte Jünger den wahren Glauben des endlich vom Gesetz befreiten Heiden christentums repräsentiere, ist sicher von Grund auf verfehlt. Das hatte schon Bultmanns Schülerin Eva Kraft (Personen 19 u. ö.) gegen ihren Lehrer eingewandt. Denn so wie Bultmann denkt Johannes nicht über die Tora. Auch wenn die Gnadengabe der Wahrheit des Fleischgewordenen sie übertrifft, bleibt sie doch Gottes durch seinen Knecht Mose vermittelte gnädige und verbindliche Gabe (s. o. zu 1,17). Darum gibt es für einen Streit zwischen Judenchristen und Heidenchristen um die Verbindlichkeit von Gottes Gesetz im gesamten Evangelium keinerlei Indiz, ja nicht einmal eine vage Andeutung. Nicht innerchristliche Querelen, sondern die Auseinandersetzung mit der Synagoge um die Messianität Jesu ist sein bestimmender Zug. Und nach Jesu letztem Willen darf diese Auseinandersetzung nicht in einer Trennung enden, sondern sie muß dem Ziel dienen, „daß sie alle Eines seien“ (17,11), daß sie alle „eine Herde unter dem einen guten Hirten werden, der hier sein Leben hingibt für seine Schafe“ (10,11). Indem Jesus seiner Mutter seinen geliebten Jünger als neuen Sohn gibt, macht er sie zur Mittlerin zwischen der alten und der neuen Familie Gottes. Mit dem geliebten Jünger sind zugleich alle Christen, für die er spricht und für die er dieses Evangelium „geschrieben hat“ (21,24) aufgefordert, Jesu ‚Mutter‘ nämlich das messianische Volk Israel wahrzunehmen und in ihrer eigenen Gemeinschaft willkommen zu heißen: „They must continue to seek reconciliation with their enemies in synagogues and temple. They must refuse to despair of the ultimate success of that mission. ‚From that hour‘ they must obey this word as the command of their king: ‚Look! This is your mother!‘ The exclamation points are entirely justified. The obedience of the beloved disciple makes obligatory the same obedience on the part of the community… . In their action of hospitality the past history of God’s people becomes reconciled to its future history. This is not an idle dream. This is what happened in the hour of Jesus’ death. This is an index to the power released by that death. The beloved disciple welcomed the Messiah’s beloved mother into the community of those reborn as God’s children. The word of the crucified cancels out anti-Semitism among his disciples by means of a pro-Semitic command, an inescapable ‚Love your enemies!‘“ (Minear ebd. 150). Ganz ähnlich hatte 1893 schon H. J. Holtzmann in seinem Kommentar (216 f) geurteilt. Da allein der geliebte Jünger dadurch, daß er Jesu Mutter zu sich nimmt, auf dessen Wort: ‚Siehe, die ist deine Mutter!‘, reagiert und den in diesem Vermächtnis seines Herrn implizierten Auftrag sogleich wahrnimmt, ist die ganze Episode wohl nur um seinetwillen und dazu erzählt, ihn und sein Evangelium zu autorisieren. Denn aus dem Satz, daß er die Mutter von jener Stunde an bei sich aufgenommen habe (≤laben ... e¢" tÅ ¥dia), darf man angesichts dieser fiktionalen und hochsymbolischen Szene nicht die Züge eines Schlüsselromans machen und den, der in 18,15 um des Verisimile der Erzählung willen als ein Bekannter des Hohenpriesters beschrieben wurde (én gnwstÖ" tù ürciereõ), nun zu einem Jerusalemer Hausbesitzer erklären, in dessen Haus Jesu Mutter 737
19,16b–30
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
fortan gelebt habe. So gewiß man diese symbolische Szene nicht zur Allegorie für ganz Anderes machen darf, und darum daran festhalten muß, daß Jesus seine Mutter nicht unversorgt in einer feindlichen Welt zurückläßt, sondern seinen geliebten Jünger mit der Verantwortung für sie betraut, so gewiß liegt ihr Akzent doch auf ihren symbolischen Obertönen, die Minear so feinsinnig herausgehört und expliziert hat. Stibbe (John as Storyteller) unterscheidet in V. 35 nicht zwischen demjenigen, der es gesehen und bezeugt hat, und dem, der für die Wahrheit von dessen Zeugnis bürgt, sondern sieht hier, wie die meisten Ausleger, nur den geliebten Jünger im Spiel (s. aber u. z. St). Diesen identifiziert er mit dem auferweckten Lazarus aus Joh 11. Im Unterschied zu den galiläischen Zwölf soll der aber ein judäischer Jesusjünger sein. In dessen Lebenserinnerungen – möglicherweise gar in Gestalt einer frühen Evangelienschrift – sieht er die Hauptquelle der gesamten von den Synoptikern unabhängigen johanneischen Passionserzählung (vgl. ebd. 168 ff). Für die Sonderexistenz einer derartigen Jüngerschaft Jesu judäischer Provenienz beruft Stibbe sich in höchst fragwürdiger Weise auf Joh 7,3, wie er auch sicher zu Unrecht das peräische Bethanien von 1,28 mit dem judäischen Heimatort des Lazarus identifiziert. Der nach Joh 11,3 von Jesus geliebte Lazarus soll der Repräsentant dieser judäischen Jüngerschaft und diese wiederum der Kern der johanneischen Gemeinde gewesen sein. Zu unserer Lanzenstich-Episode erklärt er: „We can suppose that Lazarus testified to this fact many times in the presence of the storyteller who wrote the gospel“ (John as Storyteller 157). Ohne den geliebten Jünger mit Lazarus zu identifizieren, hatte schon Cullmann ihn im Kreis eines heterodoxen judäischen Judenchristentums vermutet (Joh. Kreis 77 ff), und Ruckstuhl wollte in ihm einen Mönch der Essener Jerusalems ausmachen (Der Jünger, 131 ff); vgl. zur Kritik derartiger Unternehmungen Sabbe, Joh. Account 40 ff.
(5) Jesu letztes Wort: ‚Mich dürstet‘, sein Sterben und die Hingabe des Geistes (19,28–30) 28: Das Verständnis des Satzes: metÅ toúto e¢dá" ¨ ûIhsoú" Ωti ≥dh p›nta tetfilestai, ºna teleiwqÔö ™ graffl, lfigei: diyù, ist umstritten. Es ist nämlich umstritten, ob der ºna-Satz dem ihm folgenden lfigei oder aber dem ihm vorausgehenden tetfilestai zuzuordnen ist. Für die erstere Option hatte schon Zahn plädiert und unseren Vers dann so paraphrasiert: „Nach diesen Dingen wußte Jesus, daß …; und damit die Schrift erfüllt werde, sprach er“ (Komm. 659 f). Er muß dazu dem ausdrücklichen p›nta freilich widersprechen. Schwerlich zu Recht folgen dieser Interpretation bis heute zahlreiche Kommentatoren und identifizieren die graffl, die erfüllt werden mußte, dann mit dem singulären Psalmvers: kaÑ ≤dwkan e¢" tÖ brùm› mou colÉn kaÑ e¢" tÉn d‡yan mou †p∙tis›n me µxo" (Ps 69,22 = LXX 68,22). Dagegen beziehen wir mit Bergmeier (TETELESTAI) den ºna-Satz auf den ihm vorausgehenden Ωti-Satz, den er präzisierend erläutert, und paraphrasieren unseren Vers dementsprechend so: ‚In der Gewißheit, daß bereits alles realisiert war und die Schrift dadurch ihre Erfüllung gefunden hatte, sagte Jesus nach diesen Worten (an seine Mutter und an seinen geliebten Jünger): Mich dürstet!‘ Das Lexem telei∙w erscheint bei Johannes fünfmal: 4,34; 5,36; 17,4; 17,23 und 19,28. Es ist vorwiegend auf das ≤rgon des Vaters bezogen, das Jesus nach dessen Willen ausführen muß (4,34), bzw. auf die ≤rga, die zu vollbringen der Vater ihm aufgetragen hat (5,36; 17,4). Auf das Offenbarungswerk Jesu und seine Sendung vom Vater bezieht sich auch das Vorkommen des Lexems in der Form des Part. Pass. Perf. teteleiwmfinoi in 17,23. Und endlich gilt auch für das
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Vierte Szene: Jesu Kreuzigung
19,27–28
teleiwqÔö unseres Verses, daß dadurch das, was durch das Tun und Sagen des Sohnes vollbracht ist (tetfilestai), seinen Grund in der Schrift und in dem hat, was Mose über ihn geschrieben hat (5,46 f). Dagegen kommt das Lexem telfiw im gesamten Evangelium nur in der Passivform tetfilestai und einzig hier und gleich danach im gleichen Sinne noch einmal in V. 30 vor. – Wenn es gilt, von der Erfüllung eines konkreten Einzeltextes der Schrift oder eines bestimmten Wortes Jesu zu reden, gebraucht Johannes nahezu technisch das Verbum plhr∙w, zumeist in der Wendung ´na plhrwqö ktl.; vgl. 12,38; 13,18; 15,25; 17,12; 18,9.32; 19,24.36. Niemals verwendet er dagegen das Lexem telei∙w, wenn von dem Erfülltsein eines Einzeltextes der Schrift die Rede sein soll. Dieser Sprachgebrauch läßt es darum wenig plausibel erscheinen, daß die finale Bestimmung ºna teleiwqÔö ™ graffl sich auf Jesu isoliertes Wort diyù bezieht und auf Ps 69,22 verweisen will. Denn dazu wäre die Formulierung: ºna plhrwqÔö ™ graffl mit einer entsprechenden Näherbestimmung zu erwarten. Daß der Satz ºna teleiwqÔö ™ graffl in dem Sinne von dem ihm vorausgehenden Ωti-Satz abhängig ist, daß er besagt: „Alles ist geschehen, was geschehen mußte, um die Schrift zu vollenden“, hatte schon Holtzmann sehr klar gesehen und begründet. Anders als Bultmann bestreitet er die Synonymität von plhroún und teleioún und betont, daß teleiwqÔö ™ graffl hier „die abschliessliche Erfüllung des gesamten Schriftinhalts“ ausdrücke (Komm. 217). Zudem schließe das zuvorstehende p›nta es aus, daß an dem tetfilestai noch irgendetwas fehle. Das letztere sieht auch Haenchen so. Weil er aber den ºnaSatz auf das Verbum eèpen bezieht und ihn darum als Widerspruch gegen das p›nta begreifen muß, streicht er ihn samt der gesamten Szene der Tränkung Jesu mit dem µxo" als sekundäre Einschiebung durch den ‚Ergänzer‘, den er den Synoptikern verpflichtet sieht. Zur Begründung erklärt er: „Daß man Jesus einen mit Essig getränkten Schwamm emporreicht, paßt nicht in das johanneische Bild des Sterbens Jesu, aus dem die Züge der Qual und Kränkung entfernt sind und nur noch die siegreiche Überwindung und Vollendung geblieben ist“ (Komm. 553). Wie Jesus in Joh 16,33 und dann in Kap. 17 als der bereits Erhöhte spricht, so ist das tetfilestai des Erzählers in V. 28 ebenfalls im Lichte von Jesu eigenem tetfilestai in V. 30 gesagt. Daß aber die fraglose Intertextualität mit Ps 69,22, die wohl schon die synoptischen Prätexte bestimmt, bei Johannes nicht schon durch Jesu bloßes Wort ‚mich dürstet‘ ins Spiel kommt, sondern erst durch die gesamte Szene 19,28 f, in der Jesus durch sein diyù das Handeln der Soldaten auslöst, hat Brawley sehr klar erwiesen (Absent Complement 435 ff). – Außer den genannten acht Belegen für plhr∙w, die auf die Erfüllung konkreter biblischer Aussagen bezogen sind, finden sich für das Lexem noch sieben weitere, die vom Vollkommenwerden der Freude (3,39; 15,11; 16,24; 17,13) oder davon reden, daß Jesu kair∙" noch nicht gekommen ist (o∂pw peplflrwtai: 7,8), daß Trauer die Herzen der Jünger erfüllt hat (16,6), und daß der Duft der köstlichen Narde das ganze Haus erfüllte (12,3).
Zur Konstruktion unseres Verses hat Bergmeier darauf aufmerksam gemacht, daß die Sätze 6,15 und 13,1 syntaktisch in nahezu völliger Analogie zu unserem V. 28 gebaut sind. Wie 19,28 die Sterbeszene Jesu eröffnet, so dient 13,1 der Eröffnung der gesamten Passionserzählung bis hin zu diesem Ende (e¢" tfilo" °g›phsen a§to‚"). Beide Verse beginnen mit einer Zeitbestimmung, nämlich hier mit dem metÅ toúto, das auf das Vermächtnis Jesu an seine Mutter und den geliebten Jünger zurückweist, und dort – dem Gang und Stand der Erzählung entsprechend – mit den vorausweisenden Worten: prÖ dÇ tö" ©ortö" toú p›sca. Hier wie dort schließt sich daran die Wendung e¢dá" ¨ ûIhsoú" an. Und in beiden Fällen folgt darauf ein ¨ti-Satz, der sogleich durch einen ºna-Satz näherbestimmt wird: Ωti élqen a§toú ™ øra, ºna metabÔö †k toú k∙smou to‚tou prÖ" tÖn patfira, ügapflsa" toÜ" ¢d‡ou" toÜ" †n tù k∙smw e¢" tfilo" °g›phsen a§to‚". Nicht nur formal, sondern zumal auch inhaltlich bilden so der Satz, mit dem in 13,1 die Passionserzählung eingeleitet wird, und unser Vers 19,28 eine Inklusion, die sie umschließt (vgl. Brown, Death II, 1070 f, der allerdings kaum zu Recht den ºna-Satz in V. 28 sowohl auf den vorausgehenden Ωti-Satz als auch auf das ihm fol739
19,16b–30
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
gende lfigei beziehen will; ebd. 1072 f). Daß das einzig hier und in V. 30 gebrauchte tetfilestai „den gleichen Doppelsinn (hat) wie das e¢" tfilo" 13,1, das in ihm nun seine Realisierung gefunden hat“, hatte bereits Bultmann gesehen (Komm. 522; vgl. Haenchen, Komm. 553). 29: Da stand – ≤keito wie in 2,6 (Holtzmann ebd.) – ein mit µxo" gefülltes Gefäß. Bauer erklärt zu dem Lexem: „Er war zum nachhaltigen Stillen starken Durstes geeigneter als Wasser und, weil billiger als der eigentl. Wein, bei kleinen Leuten sowie solchen von bescheideneren Lebensgewohnheiten beliebt … besonders auch Soldatengetränk“ (WB 1138; vgl. Wengst, Komm. II, 260). Nachdem sie einen Schwamm damit getränkt und auf einem Ysopzweig befestigt hatten, reichten sie ihm den zum Munde (prosflnegkan a§toú tù st∙mati). Die in dem Verbum implizierten ‚sie‘ dürften die Soldaten sein, die, wie die folgende Episode 19,31 ff zeigt, zur Bewachung der Gekreuzigten am Ort bleiben mußten und über den µxo" verfügten (vgl. Beasley-Murray, Komm. 351). Anstelle der Bitte Jesu um einen Trank (diyù) bieten die Prätexte Mk 15,36 und Mt 27,48 f Jesu Ps 22,2 folgenden Gebetsruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Auf diesen Ruf hin, auf den die Soldaten mit der Bemerkung reagieren: ‚Der ruft Elia zu Hilfe!‘, stecken sie einen Schwamm auf ein Rohr (k›lamo") und setzen bei Lukas mit der Gabe dieses Trankes nur ihre Verspottung Jesu fort (vgl. Lk 23,36). Johannes, bei dem Jesus seinen Jüngern beim Abschied ausdrücklich versichert hatte: ‚Wenn ihr mich auch alle verlassen werdet, so bin ich dennoch nicht allein, denn der Vater ist ja bei mir‘ (16,32), hat Jesu Gebet von seiner Gottverlassenheit darum durch seinen Ausruf: ‚Mich dürstet!‘ ersetzt. Dodd fragt dazu: „Is the ‚Thirst‘ of the Crucified in some sort an equivalent (symbolically) of the cry of direliction?“ (Tradition 42, A.1). Außerdem ist bei Johannes an die Stelle des ‚Rohres‘ der Ysopzweig getreten. Der Ysop (æsswpo") ist ein kleiner, aromatisch duftender Busch, der bis zu einem Meter hoch wird und verholzte Zweige hat. Da die Ausleger einen derartigen Zweig aber für wenig geeignet hielten, einem Gekreuzigten damit einen Trank zu reichen, hat wohl zuerst J. Camerarius (um 1550) trotz der nahezu einhelligen Überlieferung der Lesart ≠ss„pw vorgeschlagen sie zu ≠ssù (lat. pilum, der etwa zwei Meter lange mit eiserner Spitze versehene Wurfspieß der römischen Legionäre) zu konjizieren. Zahlreiche Interpreten wie Dalmann, Lagrange, Bernard und Goodspeed sind ihm darin gefolgt; und noch Bultmann hielt die Konjektur für verlockend, zumal die Minuskel 476 (11. Jh.) tatsächlich die Lesart ≠ssù biete (Komm. 522). Aufgrund der breiten und frühen handschriftlichen Überlieferung sowie der gewiß nicht zufälligen symbolischen Obertöne, die der Gebrauch von Ysop hier assoziieren läßt, folgen wir dieser Verlockung jedoch nicht, zumal das pilum erst mit den regulären römischen Legionen im Jüdischen Krieg nach Palästina gekommen sein dürfte, und bleiben beim Ysop. Haenchen weist im übrigen darauf hin, daß „der Gekreuzigte nicht, wie es viele Bilder darstellen, hoch über der Menge (hing), sondern (daß) seine Füße dicht über der Erde“ waren (Komm. 553). „In Shem 17,12 (Wilna 33b) werden die biblischen Vorkommen von Ysop [bwza] miteinander verbunden und einer bestimmten Deutung zugeführt: ‚Und so gibt es Dinge, die als niedrig erscheinen; und doch hat der Heilige, gesegnet (sei) er, geboten, mit ihnen viele Dinge zu verrichten. Der Ysop erscheint dem Menschen als überhaupt nichts; und doch ist seine Kraft groß vor Gott. Denn er hat ihn an vielen Stellen mit der Zeder verglichen: bei der Reinigung des Aussätzigen (Lev 14,4.6) sowie beim Verbrennen der roten Kuh (Num 19,6), und in Ägypten
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Vierte Szene: Jesu Kreuzigung
19,28–29
gebot er ein Gebot mit Ysop zu verrichten. Denn es ist gesagt: ‚Und nehmt ein Büschel Ysop‘ (Ex 12,22). Und so sagt sie (die Schrift) von Salomo: ‚Und er redete über die Bäume – von der Zeder auf dem Libanon bis zum Ysop, der an der Wand wächst‘ (1Kön 5,13), um dich zu lehren, daß das Große und das Kleine gleich sind vor dem Heiligen, gesegnet (sei) er, und er mit kleinen Dingen Wunder tut. Sogar durch den Ysop, der niedrig ist unter den Bäumen, hat er Israel erlöst‘. Der Niedrigkeit des Ysop entspricht die Niedrigkeit Jesu in der erzählten Situation – und doch hat Gott ihn zum ‚Retter der Welt‘ gemacht (4,42), zum ‚Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt‘ (1,29)“ (Wengst, Komm. II, 260 f; vgl. Bill. II, 581).
Da Jesus bei Johannes in ebender Stunde stirbt, in der im Tempel die Passalämmer geschlachtet werden, halten wir die durch den Gebrauch des Ysop bewirkte Assoziation an das Passalamm keineswegs wie Bultmann für „kaum glaublich“ (Komm. 522) und auch nicht wie Schnackenburg für „weit hergeholt und dem Vorgang nicht entsprechend“ (Komm. III, 331), zumal die Identifikation Jesu mit dem Passalamm durch des Zitat von Ex 12,10 in V. 37 gleich darauf ja ausdrücklich vollzogen wird. Für Jesu Ausruf diyù, den nach Becker schon der von ihm postulierte ‚vorjohanneische Passionsbericht‘ enthalten haben soll, schlägt er die folgende Interpretation vor: Mit diesem diyù habe Jesus „nicht eigentlich um einen Trank gebeten, weil er Durst hatte, sondern damit seine Passion für den gläubigen Betrachter einer Deutung zugeführt werden könne, die es erlaubt, darin göttliches Planen am Werk zu sehen“ (Komm. II, 701). Daran ist zwar richtig, daß Jesu Bitte um einen Trank die Soldaten in die entsprechende Aktivität versetzt und sie ironischerweise zu unwissenden Vollstreckern der Schrift als der Zeugin von Gottes Heilsplan macht. Aber daß der zunächst gegeißelte und danach gekreuzigte Jesus nicht wirklichen physischen Durst gehabt, sondern ihn nur simuliert haben soll, erscheint uns denn doch als eine doketistische Leugnung der Grundaussage unseres Evangeliums, daß in Jesus Christus das ewige Wort tatsächlich Fleisch geworden ist, Fleisch, das es nun einmal an sich hat, Hunger und Durst zu haben und unter Mangel zu leiden. Sofern von allem ironischen Sprechen gilt: „Irony is a matter of perception and it must, to become manifest, be seen by an observer or it does not exist“ (Amante, Theory 81), erfährt die johanneische Ironie mit dieser letzten Bitte Jesu einen paradoxen Zusammenbruch (vgl. dazu Moore, Lit. Criticism 151 ff). Denn bisher war es ja stets so, daß die erzählten Personen – wie Nikodemus, die Samaritanerin am Jakobsbrunnen, die wunderbar gesättigte Menge am See von Tiberias oder die unverständigen Jünger – in den Augen des vermeintlich mehr wissenden Lesers Opfer der Ironie geworden waren. Das geschah etwa, als Jesus, ermüdet von der Wanderung und durstig in der Mittagshitze am Jakobsbrunnen bei Sychar, die samaritanische Frau um einen Becher Wasser gebeten und gesagt hatte: „Gib mir zu trinken!“ (4,7 ff). Ebenso wie jetzt der Gegeißelte und Gekreuzigte hatte er damals einfach physischen Durst. Gleichwohl hatte er der Samaritanerin danach im Blick auf das Wasser des Jakobsbrunnens gesagt: „Jeder, der von diesem Wasser trinkt, den wird es wieder dürsten. Wer dagegen von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, der wird in Ewigkeit nicht mehr dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm zur strömenden Wasserquelle werden, die in das ewige Leben mündet“. Darauf hatte die Frau erwidert: „Herr, gib mir doch solches Wasser, damit ich fortan nicht dürste und nicht mehr hierher kommen muß, um Wasser zu schöpfen!“ (4,14 f). Diesen plötzlichen Übergang von der wörtlichen zur figürlichen Rede über das Wasser begreift die Frau nicht. „A two-storey ironic structure is errected. ‚Below‘ is the apparent meaning, which the woman as unwitting victim reads. ‚Above‘ is a higher level of meaning of which the woman is unaware, in sharp contrast to the reading or listening audience“ (Moore, ebd. 160). Solches Verhalten der erzählten Personen pflegen wir, die Leser,
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19,16b–30
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
als eines der vielerörterten johanneischen Mißverständnisse und als ein Beispiel johanneischer Ironie zu registrieren. Ebenso wie jetzt die Samaritanerin war in den Augen des Lesers zuvor schon Nikodemus zum Opfer der Ironie geworden, als er Jesus gefragt hatte, ob einer denn etwa in den Leib seiner Mutter zurückkehren könne, wenn er doch von neuem (oder: von oben) geboren werden müsse (3,4). Und nicht anders wird der Leser nachher über die Masse der am See von Tiberias wunderbar Gesättigten urteilen, die statt das ‚Zeichen‘ wahrzunehmen, das Jesus getan hat, sich nur satt gegessen haben und Jesus daraufhin zum König machen wollten (6,14 f). Ebenso vermögen auch die Jünger Jesu wörtliche Rede (†n paroim‡a) nicht von dem zu unterscheiden, was er †n parrhs‡a sagt (16,25.29). Was es mit jenem anderen Wasser auf sich hat, das Jesus der samaritanischen Frau als unversiegbaren Quell verheißt, erfährt im übrigen auch der Leser erst bei Jesu Auftreten auf dem Laubhüttenfest, wo er erneut die Durstigen zu sich ruft und der Erzähler dem Leser erklärt: „Das sagte er aber über den Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glauben würden. Denn noch gab es den Geist ja nicht, weil Jesus noch nicht verherrlicht war“ (7,37 ff). Das natürliche Wasser ist also zugleich Symbol des österlichen und in alle Wahrheit leitenden heiligen Geistes. Darum erscheinen in der Szene der Kreuzigung als der Verherrlichung Jesu die Themen von Durst und Trinken in einem denkwürdigen Echo ihres ersten Vorkommens in Joh 4 aufs neue. Waren, zumal seit 4,10 ff, alle Erwartungen des Lesers/Zuhörers stets vom Irdischen weg und auf das Himmlische gerichtet worden, so erscheint Jesus, die Quelle des Geistes als des himmlischen ‚Wassers‘, nun unvermittelt den Bedingungen ganz irdischen Dürstens unterworfen. Und erst nachdem sein Durst gestillt ist, erreicht die Szene mit seinem Ausruf tetfilestai ihre Klimax. „Irony – which depended on the clean separation of flesh and glory, earthly and heavenly, material and spiritual, literal and figural, water and ‚water‘ – is now collapsed in paradox“ (Moore ebd. 163). Und anstelle der erzählten Personen versetzt dieser Kollaps jetzt den vermeintlich überlegenen Leser in ein ironisches Dilemma und wirft die Frage auf: „But who perceives the reader’s ironic dilemma at the death scene?“ (ebd. 168). Das kann ja nur ein zweiter Leser sein, der seine eigene Lektüre erneut liest und dabei endlich begreift, daß er mit seiner Trennung des Irdischen vom Himmlischen auf dem Holzwege war, daß vielmehr, dem Chalcedonense folgend, in Christus jenseits aller Ontologie Fleisch und Geist üsugc‚tw" und ütrfiptw" sowie üdiairfitw" und ücwr‡stw" wahrgenommen sein wollen.
30: Jesu letztem Wort tetfilestai folgen nur noch zwei stumme Gesten: kaÑ kl‡na" tÉn kefalÉn parfidwken tÖ pneúma. Das im gesamten Neuen Testament nur sieben mal vorkommende Verbum kl‡nw findet sich bei Johannes nur hier. Wie in dem synoptischen Wort vom Menschensohn, der keinen Ort hat, wo er sein Haupt hinlegen könnte: poú tÉn kefalÉn kl‡nÔh (Mt 8,20 / Lk 9,58), ist auch hier das Neigen des Hauptes nicht Ausdruck der Schwäche eines Sterbenden, sondern – zumal es der aktiven Hingabe des Geistes vorausgeht – willentliches Tun Jesu, der bis zuletzt die Initiative behält (vgl. Bauer, WB s. v. u. Komm. 224). Kanonisch gelesen heißt das: Erst am Kreuz hat der daran erhöhte Menschensohn den Ort gefunden, wo er sein Haupt niederlegen kann. Im Unterschied zu den Prätexten, wo Jesus mit einem gewaltigen Schrei den Geist aufgibt (fwnÔö meg›lÔh üföken tÖ pneúma: Mt 27,59; bzw. †xfipneusen: Mk 15,37), ist die Formulierung: parfidwken tÖ pneúma (er gab den Geist hin) sicher nicht zufällig gewählt. Als Ausdruck zur Beschreibung des Sterbens eines Menschen ist sie in der gesamten griechischen Literatur ohne Parallele. Mag man sie im Blick auf den Kontext auch als einen, wenn auch befremdlichen, Euphemismus für das Sterben Jesu lesen können, so erschöpft sie sich darin doch schwerlich. Zumal wegen der Verwendung des prominenten Lexems paradid∙nai haben Hoskyns (Komm. 532), Brown (Komm. II, 931), Swetnam (Bestowal 564 ff) u. a. die absichtsvolle Doppeldeutigkeit der Wendung wohl treffend beschrieben. Denn diese Hingabe 742
Fünfte Szene: Die Kreuzabnahme und die Bestattung Jesu
19,29–30
des Geistes durch den am Kreuz Erhöhten muß den Leser ja daran erinnern, daß es abgesehen von jenem Geist, der seit der Stunde seiner Taufe auf Jesus geblieben war (1,32), zu dessen Lebzeiten den verheißenen Geist noch nicht gab (o∂pw gÅr én tÖ pneúma). Der sollte vielmehr erst in der Stunde der Verherrlichung Jesu in die Welt kommen (7,39) und in die ganze Wahrheit führen (16,13); vgl. Thyen, Ich bin das Licht der Welt. Wenn Brown dabei aber betont, diese symbolischen Obertöne seien nur evokativ und proleptisch und dienten hier vornehmlich dazu, den Leser an den letzten Zweck der Erhöhung Jesu an das Kreuz zu erinnern, denn die aktuelle Begabung der Jünger mit dem heiligen Geist werde Johannes erst nach der Auferstehung in 20,22 erzählen, so nimmt er die von ihm selbst konstatierte Doppeldeutigkeit der Wendung parfidwken tÖ pneúma doch wohl nicht ernst genug. Auch wenn die Hingabe des Geistes noch einmal die Souveränität Jesu und die Freiwilligkeit seines Sterbens unterstreichen möge, sieht Hoskyns in dem ungewöhnlichen Ausdruck – „but it is very strange language“ – doch, daß sich dessen Bedeutung darin nicht erschöpfen kann. Darum erwägt er, ob der Leser sich nicht vorstellen solle, daß Jesu Mutter und der geliebte Jünger noch unter dem Kreuz stehen, so daß Jesus ihnen als den Repräsentanten des Alten wie des Neuen Gottesvolkes sein Haupt zugeneigt und ihnen den Geist übergeben habe. Dazu erklärt er: „This is no fantastic exegesis, since vv. 28–30 record the solemn fulfilment of 7,37–39. The thirst of the believers is assuaged by the rivers of living water which flow from the belly of the Lord, the author having already noted that this referred to the giving of the Spirit. The outporing of the Spirit here recorded must be understood in close connection with the outporing of the water and the blood (v. 34). The similar association of Spirit and Water and Blood in 1John 5,8, There are three who bear witness, the Spirit and the water and the blood: and the tree agree in one, seems to make this interpretation not only possible, but necessary“ (Komm. 532). Auch Swetnam, der unserer Passage eine umfangreiche Untersuchung gewidmet hat (Bestowal), sieht sehr klar, daß bei Johannes angesichts der Verse 19,30 und 20,22 f von einer zweifachen Verleihung des Geistes gesprochen werden muß. Beide seien sie bezogen auf das parfidwken tÖ pneúma des Gekreuzigten: „which is the climax of the crucifixion. This bestowal constitutes the Spirit as Jesus’ ‚successor‘, so to speak, whereas the bestowal in 20,22 seems to constitute the Spirit as Jesus’ ‚presence‘“ (569). Doch auch wenn Joh 20,22 f mit der Sendung der Jünger und ihrer Bevollmächtigung, Sünden zu vergeben oder aber sie zu ‚behalten‘, eine spezifische Funktion des Geistes thematisiert (s. u. z. St.), darf man die Passage nicht wie Swetnam als die Verleihung eines spezifischen Amtscharismas exklusiv an die Zwölf verstehen, vielmehr repräsentieren die da um Jesus versammelten Zehn (an der Zwölfzahl fehlen ja Judas und Thomas!) alle potentiellen Jesusjünger auch unter den späteren Lesern des Evangeliums. Mit Recht nennt Swetnam die ‚klassische Christologie‘, wonach Jesus als göttliche Person, weil er eine menschliche Natur besaß, zwar sterben muß, doch kraft seiner göttlichen Natur zugleich auch nicht sterben kann, im Blick auf unser Evangelium anachronistisch. Widersprechen müssen wir ihm aber, wenn er dann fortfährt: „However, to deny that the basis for such thinking is present in the Passion account which he has carefully crafted would seem to go against the linguistic evidence. The linguistic evidence is indirect and evocative. This explains, in part at least, the instinctive repugnance the normal person immersed in biblical language has to seeing the climax of the Fourth Gospel in terminology which involves explicit ontology“ (ebd. 567). Denn auch eine indirekte und evokative linguistische Evidenz dafür, daß Johannes die allein dem Glauben erschlossene transsubjektive Wahrheit des Wortes Gottes in die Sphäre der von der Ontologie beherrschten intersubjektiven Verifizierbarkeit verlagert hätte, vermögen wir nicht zu erkennen. Weder implizit, geschweige denn explizit ist Ontologie in seiner Terminologie involviert. Vielmehr wollen, wie bereits des öfteren gesagt, Fleisch und Geist in dem Menschen Jesus Christus jenseits aller Ontologie üsugc‚tw" und ütrfiptw" sowie üdiairfitw" und ücwr‡stw" wahrgenommen sein (vgl. Fischer, Wahrer Gott 118 f).
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19,31–42
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
Fünfte Szene: Die Kreuzabnahme und die Bestattung Jesu (19,31–42) 31
Weil es der Rüsttag war und damit die Leiber (der Gekreuzigten) nicht den Sabbat über am Kreuze blieben, war der Tag jenes Sabbats doch ein großer, baten die Juden Pilatus, daß man ihnen doch die Schenkel zerschmettern und sie fortschaffen möge. 32 Daraufhin kamen die Soldaten und zerschlugen dem ersten die Schenkel und danach auch dem anderen, der mit ihm gekreuzigt worden war. 33 Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, daß er bereits gestorben war, da zerschlugen sie ihm nicht die Schenkel, 34 vielmehr stieß ihm einer der Soldaten seine Lanze in die Seite und sogleich strömten daraus Blut und Wasser hervor. 35 Und der das gesehen hat, der hat es bezeugt und jener weiß, daß er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt. 36 Dies geschah aber, damit die Schrift erfüllt werde: Kein Knochen soll ihm zerbrochen werden, 37 und eine andere Schriftstelle, die da sagt: Schauen werden sie auf den, den sie durchbohrt haben. 38 Danach bat Joseph von Arimathaia, der ein Jünger Jesu war – aus Furcht vor den Juden freilich ein verborgener Jünger –, Pilatus, den Leichnam Jesu wegbringen zu dürfen. Und Pilatus erlaubte es ihm. So ging er also hin und holte seinen Leichnam. 39 Es kam aber auch Nikodemus, der das erste Mal des Nachts zu ihm gekommen war, und brachte eine Mischung aus Myrrhen harz und Aloe, etwa hundert Pfund. 40 Dann nahmen sie den Leichnam Jesu und umwickelten ihn zusammen mit den aromatischen Gewürzen mit Binden, so wie es die Bestattungssitte der Juden ist. 41 An dem Ort, wo Jesus gekreuzigt worden war, befand sich aber ein Garten, und in diesem Garten war ein neues Grab, in das noch nie jemand gelegt worden war. 42 Wegen des Rüsttages der Juden und weil das Grab in der Nähe lag, legten sie Jesus da hinein. (1) Was noch am toten Jesus geschah, damit die Schrift erfüllt werde (19,31–37) 31: Auch wenn Israel die grausame Strafe der Kreuzigung fremd ist, kennt es doch den Brauch, hingerichtete Verbrecher dadurch zu entehren, daß ihre Leichen an Pfählen oder Bäumen öffentlich zur Schau gestellt werden (vgl. Jos 8,29; 10,26 f; 2Sam 4,12; 21,8 f; Gal 3,13). Doch, damit das Land Israel, das Gott seinem Volk gegeben hat, nicht verunreinigt werde, ist Dtn 21,23 geboten: ‚Kein Leichnam darf über Nacht an dem Baum hängen. Du mußt ihn unbedingt noch am gleichen Tage begraben, denn ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter‘. Wegen dieser Bestimmung der Tora – und unausgesprochen natürlich auch, damit all die Passapilger nicht länger den mit dem Titulus: ‚Jesus der Nazoräer, der König der Juden‘ Gekreuzigten vor Augen haben – bitten die Juden Pilatus, das Sterben der Gekreuzigten dadurch zu beschleunigen, daß er ihr Crurifragium, d. h. das in solchen Fällen übliche Zerschmettern ihrer Schenkel, anordnen und sie noch vor Anbruch des Passafestes von den Kreuzen abnehmen lassen möge. Pilatus gewährt ihnen diese Bitte und beauftragt die Soldaten mit ihrer Ausführung. 744
Fünfte Szene: Die Kreuzabnahme und die Bestattung Jesu
19,31–37
32–37: An den beiden Mitgekreuzigten vollzogen sie das Crurifragium, als sie aber zu Jesus kamen und sahen, daß der bereits gestorben war, brachen sie ihm seine Beine nicht. Vielmehr stieß ihm einer der Soldaten seine Lanze in die Seite, und sogleich strömten daraus Blut und Wasser hervor. Ebenso wie die Episode mit Jesu Vermächtnis an seine Mutter und an den Jünger, den er liebte, ist auch diese ganze Szene fiktional und hochsymbolisch. Wie jene hat sie keine unmittelbare Analogie in den synoptischen Prätexten. Auch wenn der in seiner Auslegung umstrittene V. 35 zwar in e und einigen Manuskripten der Vulgata fehlt, ist er im übrigen jedoch derart früh, breit und glänzend bezeugt, daß die handschriftliche Überlieferung keinerlei Grund dafür liefert, ihn als eine sekundäre Einfügung eines Redaktors aus dem vermeintlich ursprünglichen Evangelium auszuschließen. Wir halten es dagegen auch diesem Abschnitt gegenüber mit dem Wort der Soldaten: ‚Lasset uns ihn nicht zerteilen, sondern darum losen, wes er sein soll‘. Doch ehe wir uns an die Interpretation des umstrittenen V. 35 machen, müssen wir darum unsere Passage als Ganze ins Auge fassen. Der Umstand, daß Jesus die Beine nicht zerschlagen wurden, wird ebenso wie der Lanzenstich in seine Seite in den folgenden beiden Versen (36 f) als die Erfüllung konkreter und ausdrücklich zitierter Schriftstellen gedeutet (†gfineto gÅr taúta ºna ™ grafÉ plhrwqÔö). Wie auch sonst und in der jüdischen Tradition üblich steht hier die einzelne Schriftstelle für das Ganze der Schrift (™ graffl). Das erste der Zitate lautet: ‚Kein Bein soll ihm gebrochen werden‘ (£stoún o§ suntribflsetai a§toú). Im Blick auf das anfängliche Täuferwort: ‚Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt beseitigt‘ (1,29), sowie auf die Bedeutung des ‚Passarahmens‘ (Wilkens, Entstehungsgeschichte) des gesamten Evangeliums und der genauen chronologischen Bestimmung der Todesstunde Jesu dürfte es sich hier um die Zitierung von Ex 12,10.46 (vgl. Num 9,12) handeln. Da ergeht über die Schlachtung und das Essen des Passalammes die Bestimmung: kaÑ £stoún o§ suntr‡yete üpû a§toú (Ex 12,46). Daß diese Bestimmung über das Passalamm hier im Vordergrund steht, gilt auch dann, wenn darüberhinaus möglicherweise noch das Psalmwort mit anklingen mag, das über den Gerechten sagt, auch wenn er viel leiden müsse, rette ihn daraus doch der Herr, „der alle seine Gebeine behütet, daß keines von ihnen zerbrochen wird“ (k‚rio" ful›ssei p›nta tÅ £stô a§tùn, ¬n †x a§tùn o§ suntribflsetai: Ps 34,20 f). Jedenfalls sollte man aber zwischen Ex 12,46 und Ps 34,20 f keine Alternative konstruieren. Denn in der jüdischen Art der Bibellektüre, in der Johannes zu Hause ist, werden derartige Stellen stets aufeinander bezogen. Für Johannes ist Jesus gerade als der leidende Gerechte, als Gottes Knecht und Sohn, von dem es bei Jesaja heißt: ¢doÜ sunflsei ¨ paõ" mou kaÑ ≠ywqflsetai kaÑ doxasqflsetai sf∙dra (52,13), das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt; vgl. dazu Frey, Theologia Crucifixi 200 ff und Augenstein, Opfermetaphorik 212 ff. Wie einst in Ägypten das Blut des Lammes dem Todesengel die Tür zu den Kindern Israels verschlossen hatte, so verschließt ihm nun das vergossene Blut Jesu den Zutritt zu allen, die an ihn glauben, und eröffnet ihnen den Weg zum Vater und den Einzug des Vaters und des Sohnes bei ihnen. Das zweite Schriftzitat, das nun auf den Lanzenstich in die Seite Jesu bezogen ist: µyontai e¢" ≈n †xekfinthsan, entstammt dem Sacharjabuch (12,10). Aber wie das Exoduszitat nicht als isolierter ‚Schriftbeweis‘ verstanden sein will, sondern vom Leser fordert, das Geschehen in der Stunde des Todes Jesu im Lichte der gesamten Stiftung, Geschichte und Praxis des Passafestes wahrzunehmen, so muß auch das Sacharjazitat als intertextuelles Spiel mit seinem Kontext (Sach 12 f) begriffen werden. Hier erfüllt 745
19,31–42
Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
sich symbolisch Sacharjas Weissagung von Jerusalems Bedrängnis und Erlösung: „An jenem Tage werde ich … alle Völker vernichten, die gegen Jerusalem heraufgezogen sind. Aber über das Haus David und die Bewohner Jerusalems werde ich einen Geist der Erbarmung und des Gebets ausgießen, und sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben; ihn werden sie betrauern, wie man trauert um den einzigen Sohn, und bitter werden sie um ihn klagen, wie man klagt um den Erstgeborenen. … An jenem Tage wird ein Quell sich öffnen für das Haus David und die Bewohner Jerusalems gegen Sünde und Befleckung“ (Sach 12,9 f u. 13,1). Im hebräischen Text von Sach 12,10 erklärt Jhwh in der Gottesrede: „Sie werden auf mich schauen, den sie durchbohrt haben“ (wrqdArça ta yla wfwbhw – LXX: kaÑ †piblfiyontai pr∙" me ünqû ón katwrcflsanto). Johannes dürfte diese Textgestalt gekannt haben. In der Person seines gekreuzigten Sohnes ist der †g„ e¢mi der Durchbohrte. Zugleich mit Sacharjas Weissagung erfüllt sich hier auch noch Jesu eigenes Wort an die Juden, von denen daraufhin viele an ihn glaubten (8,30): „Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich (es) bin“ (t∙te gn„sesqe Ωti †g„ e¢mi: 8,28; s. o. z. St.). Minear (Diversity 163) macht darauf aufmerksam, daß Jesus einzig in dieser Ankündigung seiner Erhöhung seinen jüdischen Gesprächspartnern die Erkenntnis verheißt, daß er der †g„ e¢mi ist („in which knowledge is to be given to Jesus’ enemies“). Ehe wir nun zu der folgenden Szene des Begräbnisses Jesu durch Joseph von Arimathaia und Nikodemus kommen, die mit ihrem Tun und den hundert Pfunden kostbarer Narde tatsächlich um ihn trauern, wie um einen einzigen Sohn, und klagen, wie um einen Erstgeborenen, muß jetzt endlich von der wunderbaren Folge jenes Lanzenstiches und von dem die Rede sein, der sie gesehen und bezeugt hat. 34b.35: „Und sogleich strömten Blut und Wasser hervor. Und der das gesehen hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr. Ja, jener weiß, daß er die Wahrheit sagt, damit auch ihr an dem Glauben festhaltet“. Als die schwierigere Lesart, die aber zugleich einen Grundzug unseres Evangeliums markiert, nämlich das Festhalten und Bleiben am und im Glauben, daß Jesus der messianische Gottessohn ist, lesen wir hier – wie nachher in 20,31– mit a B Y; Or anstelle des von der Masse der Handschriften bezeugten Aorist piste‚shte den Konj. Präs. piste‚hte (s. u. zu 20,31). In dem Sacharjatext ist der Sache nach deutlich von Umkehr und Reue die Rede: Vom Geist der Erbarmung und des Gebets erfaßt, werden Mörder umkehren und den, den sie durchbohrt haben, wie einen einzigen Sohn betrauern. Da das Sacharja-Zitat den Lanzenstich und seine Folgen deuten soll, kann derjenige, der das gesehen und bezeugt hat, nur der Soldat sein, der den Lanzenstich ausführte, keinesfalls aber der geliebte Jünger. Denn das Zitat fordert, daß diejenigen, die ihn durchbohrt haben, mit denen identisch sind, die jetzt, erfaßt vom Geist des Erbarmens, auf ihn schauen: „The very person who struck the last blow against the Son of Man becomes the first witness to him“ (Minear, Diversity 164; vgl. Thyen, Joh. u. d. Synoptiker). Schon lange vor Minear hatte Michaels (The Centurion’s Confession) über die Einsicht hinaus, daß „the soldier who pierced Jesus’ side was also the witness who saw and testified of him“, einleuchtend begründet, daß wir in der Szene mit dem Lanzenstecher eine Variante des Bekenntnisses des synoptischen Hauptmanns unter dem Kreuz vor Augen haben. Er sieht in dieser Parallelität der beiden Szenen freilich nicht ein intertextuelles Spiel des Johannes mit dem Markustext, sondern ist primär an der historischen Frage nach dem Ereignis interessiert, dem die beiden Szenen Ausdruck verleihen. Erst Sabbe (Joh. Account 43 ff) hat sehr einleuchtend 746
Fünfte Szene: Die Kreuzabnahme und die Bestattung Jesu
19,33–35
die markinische Szene als die plausibelste Quelle von Joh 19,33–37 erwiesen. Statt im Sinne der älteren Literarkritik nach der mutmaßlichen Quelle zu fragen, ziehen wir es dagegen vor, hier von Intertextualität zu sprechen, weil der Erzähler auf diese Weise zugleich seinen Prätext mit ins Spiel bringt; vgl. Thyen, Ich bin das Licht der Welt. Und doch hat Minear mit seiner einleuchtenden Einsicht den fast einhelligen Konsensus darüber, daß in Joh 19,35 von dem geliebten Jünger die Rede sei, nicht etwa beseitigt. Seine Kritik, die diesen Jünger verdrängen wollte, hat ihm vielmehr im Gegenteil überhaupt erst den angemessenen Platz eingeräumt. Denn gegen seine Deutung ist die Wendung †keõno" oèden nicht einfach ein emphatischer Rückverweis auf den ©wrak„", sondern bei dem ‚Wissenden‘ und bei dem ‚Sehenden‘ muß es sich um zwei verschiedene Personen handeln (vgl. Sabbe, ebd. 49). Diesen durch †keõno" markierten Subjektwechsel innerhalb von V. 35 haben bereits die griechischen Kirchenväter deutlich wahrgenommen. Und in diesem Sinne fragt Bultmann denn auch treffend: „Wer ist der †keõno"? Der Augenzeuge selbst kann es ja nicht sein, sondern nur ein Anderer, der in der Lage ist, für die Wahrheit des Zeugnisses zu bürgen“ (Komm. 526). Wenn Bultmann jedoch fortfährt: „Dann aber kann doch nur Jesus selbst gemeint sein“, so ist ihm zu widersprechen, denn nicht der tote Jesus, sondern nur der von ihm soeben autorisierte geliebte Jünger und Evangelist kann der um die Wahrheit des Zeugnisses des Soldaten Wissende sein. Bestätigt wird das durch 21,24, wo der geliebte Jünger als der fiktionale Evangelist in seine einladenden Worte: kaÑ o¥damen Ωti ülhqÉ" a§toú ™ martur‡a †st‡n, das Zeugnis des Soldaten von 19,35 erkennbar mithineinnimmt. Darum hegen wir mit Sabbe keinen Zweifel daran, daß der wissende Andere nur der geliebte Jünger sein kann. Wie auch sonst im Evangelium behält er sein Wissen jedoch für sich, bis er es als der, „der dies geschrieben hat“, in seinem Evangelium öffentlich bezeugen wird, „damit auch ihr (so wie dieser Zeuge unter dem Kreuz) glaubt“. Die Notwendigkeit, zwischen dem ©wrak„" und dem †keõno" zu unterscheiden, wird auch aus der fundamentalen Bedeutung des biblischen Zeugenrechts von Dtn 19,15 für unser Evangelium klar. Selbst Jesu eigenes Zeugnis verlöre seine Wahrheit, wenn er nur für sich selbst zeugte (5,31; 8,16 f u. ö.). Weil es stets des übereinstimmenden Zeugnisses zumindest zweier Zeugen bedarf, wird auch Joh 19,35 die Wahrheit des Zeugnisses des Einen erst durch den Anderen verbürgt. Diese Deutung bewahrt endlich auch das Rätsel um den geliebten Jünger, der im gesamten Corpus des Evangeliums nie als der öffentliche Zeuge seines Herrn hervortritt. Dieses ihm bestimmte Zeugenamt tritt er erst im Epilog (Joh 21) an; und zwar zunächst noch innerhalb der Erzählung dem engeren Jüngerkreis gegenüber (21,7) und am Ende vor aller Welt durch sein geschriebenes Evangelium (21,24). Wir haben oben zu 7,37 f eingehend begründet, daß Jesu Einladung an alle Durstigen so zu gliedern ist: „Wenn einen dürstet, so komme er zu mir. / Und es trinke, wer an mich glaubt. / Wie die Schrift sagt: Aus seinem Leibe werden Ströme lebendigen Wassers entspringen“. Die Schrift verheißt danach also, daß aus seinem Leib – nämlich aus dem Leib Jesu und nicht etwa aus den Leibern der Glaubenden – Ströme lebendigen Wassers hervorgehen sollen. Zugleich hatte der Erzähler diese Wasserströme dann als Symbol des österlichen Geistes identifiziert und dessen Ausgießung in die Stunde der Verherrlichung Jesu datiert (7,39). Auch wenn wir Bultmann darin nicht zu folgen vermögen, daß er sowohl 7,38 als auch 19,34bf seinem ‚kirchlichen Redaktor‘ zuschreibt, hat er doch sehr klar gesehen, daß diese beiden Passagen jedenfalls im überlieferten Text unseres Evangeliums absichtsvoll aufeinander bezogen sind, so daß unsere Szene die Erfüllung jener Verheißung von 7,38 f erzählt (Komm. 229 u. 525). Und er urteilt auch treffend, daß es sich
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Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
trotz des Fehlens der Wendung: †k tö" koil‡a" a§toú in der Schrift bei dem Satz: kajá" eèpen ™ graffl: potamoÑ †k tö" koil‡a" a§toú Øe‚sousin ædato" zùnto", zwar nicht um ein „direktes Zitat … wohl aber (um eine) deutliche Bezugnahme auf eschatologische Weissagungen“ wie Jes 12,3; Ez 47,1 ff; Joel 4,18; Sach 13,1 und 14,8 handeln müsse, die das heilszeitliche Entspringen eines unversieglichen Quells lebendigen Wassers aus dem Tempel oder aus Jerusalem verheißen. Ähnlich urteilen Goppelt (Art. ædwr 326) sowie die oben zu 7,37 ff zitierten Autoren Daniélou und Grelot (Son ventre; und: Eau du rocher), der Joh 7,38 eine jüdischem Brauch entsprechende „citation complexe“ nennt. Die Kap. 9–14 des Sacharjabuches spielen in unserem Evangelium eine prominente Rolle. Das zeigen u. a. das Spiel mit Sach 14,21 in Joh 2,16, in dessen unmittelbarem Kontext der Erzähler erklärt, daß Jesus mit dem Tempel, den er nach seinem Abbruch binnen dreier Tage wiedererrichten werde, den Tempel seines getöteten Leibes gemeint habe (≤legen perÑ toú naoú toú s„mato" a§toú: 2,21), ferner die ausdrückliche Zitierung von Sach 9,9 in Joh 12,15 (kaj„" ≤stin gegrammfinon) und endlich unser Zitat von Sach 12,10 in Joh 19,37. Weil die in der kritischen Forschung ‚Deutero-Sacharja‘ genannten Kapitel Sach 9–14 schon früh zur prophetischen Haphtara des Laubhüttenfestes geworden sind (vgl. Guilding 92 ff), und weil innerhalb der erzählten Welt unseres Evangeliums Jesu Verheißung, daß aus seinem Leibe Ströme lebendigen Wassers entspringen werden, mit der Szene vom Lanzenstich und dem Hervorströmen von Blut und Wasser aus seiner durchbohrten Seite, für das eigens ein Augenzeuge aufgeboten wird (19,33–37), ihre förmliche Erfüllung erfährt, haben wir oben als die primäre Quelle der in 7,37 zitierten ‚Schrift‘ Sach 13,1 und 14,8 identifiziert: „An jenem Tage (nämlich am Tage, da sie auf den blicken, den sie durchbohrt haben, und alle um ihn trauern) öffnet sich ein Quell für das Haus David und alle Bewohner Jerusalems gegen Sünde und Unreinheit“ (13,1) und: kaÑ †n tÔö ™mfira †ke‡nÔh †xele‚setai ædwr zùn †x ûIerousalÉm ktl. (Sach 14,8); vgl. dazu auch Brown (Komm. I, 319ff). Im übrigen ist Sach 14 wohl seinerseits ein intertextuelles Spiel mit Ez 47, wobei Sacharja statt des einen Stromes, der selbst das ‚Tote Meer‘ mit Leben erfüllt, gleich deren zwei aus Jerusalem hervorgehen läßt.
Das Hervorgehen von Blut und Wasser aus der durchbohrten Seite Jesu wird von vielen Auslegern so verstanden, als solle dadurch dem Doketismus gegenüber die wirkliche Leiblichkeit Jesu oder seinem bloßen Scheintod gegenüber sein tatsächliches Gestorbensein zum Ausdruck gebracht werden (vgl. u. a. Richter, Studien 120 ff; Langbrandtner pass.; Schnelle, Antidoketische Christologie 228 ff; und damals auch noch Thyen, ThR 42, 250 f u. Entwicklungen pass.). Doch dazu hatte nach Holtzmann (Komm. 218) schon Bauer ganz richtig bemerkt: „Dazu hätte das Blut ausgereicht. Das Wasser, das, wie schon Origenes (c. Cels. II/36) gesehen hat, den Vorfall schlechthin wunderbar macht, muß seine Bedeutung haben. Vgl. bereits Apollinaris von Hierapolis … ¨ tÉn ®g‡an pleurÅn †kkenthqe‡", ¨ †kcfia" †k tö" pleurô" a§toú tÅ d‚o p›lin kaq›rsia, ædwr kaÑ aïma, l∙gon kaÑ pneúma [Frgm. IV, Otto p. 487]“ (Komm. 226). Nach vielfältiger erneuter Lektüre des Evangeliums erscheinen uns heute alle antidoketistischen Deutungen unserer fiktionalen und hochsymbolischen Lanzenstich-Szene ebenso wie alle Exkursionen in die Gefilde antiker Volksmedizin völlig abwegig. Mag der Lanzenstich den Soldaten auch nur als Bestätigung dafür gedient haben, daß Jesus tatsächlich schon tot war (vgl. Wengst, Komm. II, 264, der auf das analoge Verfahren in Plutarch, Cleomenes 37,5 verweist), so geht seine symbolische Bedeutung für den Evangelisten doch weit darüber hinaus. Denn einen Zeugen für den jedermann sichtbaren tatsächlich eingetretenen Tod Jesu oder für seine in der antiken Welt aus dem Herausfließen von Blut und Wasser aus seiner Wunde angeblich einfach diagnostizierbare menschliche Natur würde Johannes schwerlich mit der emphatischen Wendung: kaÑ ¨ ©wraká" memart‚rhken eingeführt und als endzeitliche Erfüllung der Schrift ausgezeichnet haben. Mit den Worten: kügá ©„raka kaÑ memart‚rhka Ωti oñt∙" †stin ¨ 748
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19,35
u´Ö" toú qeoú, die wohl kaum zufällig an das Bekenntnis des synoptischen Hauptmanns unter dem Kreuz anklingen, hatte er bereits die Martyria des Johannes beschrieben (1,34), und ebenso erweisen Joh 3,11 und 32 f dieses Syntagma als geprägten Ausdruck. Wo es erscheint, wird nicht eine jedermann sichtbare Banalität des Alltags bezeugt, sondern die allein dem Glauben sichtbare himmlische Welt (vgl. Minear, Diversity 164; u. Thyen, Johannes und die Synoptiker). Holtzmann und Bauer sowie neuerdings u. a. Haenchen (Komm. 555) haben die Ströme von Blut und Wasser aus der durchbohrten Seite Jesu zu Recht als ein ‚Wunder‘ bezeichnet. Denn wenn für dessen Bezeugung sogleich ein Augenzeuge aufgeboten wird und wenn der Erzähler dazu dann ausdrücklich vermerkt, das sei geschehen, damit seine Zuhörer/Leser in ihrem Glauben nicht wanken, dann müssen die Ströme von Blut und Wasser ja unterscheidbar zu sehen gewesen sein, so daß an ihrer soteriologischen Bedeutung nicht der geringste Zweifel bestehen kann. Über das Wasser als Symbol des Geistes und die Beziehung unserer Passage zu 7,37 ff haben wir oben bereits das Nötige gesagt. Im Gegensatz zum häufigen Vorkommen des Lexems ædwr – etwa in 3,5 und dann gehäuft in Joh 4 – kommt aïma bei Johannes nur selten vor. Abgesehen von dem neutralen Gebrauch des Lexems in 1,13, wo der seltsame Plural aºmata in der Konnotation mit qfilhma sark∙" und dem qfilhma ündr∙" der Charakterisierung derer dient, die nicht ‚aus Gott‘ und ‚von oben‘ geboren, sondern †k toú k∙smou sind, ist vom aïma als dem Blut Jesu außer in unserer Passage nur noch in dem Abschnitt 6,51–58 die Rede. In diesem Abschnitt, der auf seine Weise mit den überlieferten verba testamenti spielt, erscheint aïma aber in auffälliger Häufung, nämlich gleich viermal. Jesu Hingabe seines Fleisches, die nach dem Kontext natürlich mit dem Vergießen seines Blutes verbunden ist, geschieht nach 6,51 ff ≠pÇr tö" toú k∙smou zwö" (s. o. z. St.). In deutlich erkennbarer Rezeption dieser Passagen des Evangeliums findet sich im 1Joh die Rede vom Blut Jesu gleich zu Anfang: kaÑ tÖ aïma ûIhsoú toú u´oú a§toú kaqar‡zei ≠mô" üpÖ p›sh" ®mart‡a" (1,7), und erscheint danach noch zweimal in 5,5–8: „Wer ist es denn, der die Welt besiegt hat, wenn nicht der, der glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist? Der ist es doch, der mit Wasser und mit Blut gekommen ist (¨ †lqán diû ædato" kaÑ aºmato"), Jesus Christus, nicht im (oder: mit) dem Wasser allein, sondern in (oder: mit) dem Wasser und in (oder: mit) dem Blut (o§k †n tù ædati m∙non üllû †n tù ædati kaÑ †n tù aºmati). Und der Geist ist es, der es bezeugt, weil der Geist die Wahrheit ist. Denn es sind drei, die da Zeugen sind: der Geist und das Blut und das Wasser, und diese drei stimmen überein“; vgl. zu dem übereinstimmenden Zeugnis der drei Zeugen Dtn 19,15. Auch in dieser Passage aus dem 1Joh als dem frühsten Zeugnis der Rezeption des Evangeliums ist, wie in Joh 19,34–37, zugleich der Sacharjatext im Spiel. Weil aber im 1Joh das Sterben Jesu und seine Folgen nicht erzählt werden, wie im Evangelium, sondern weil hier die bleibende Gegenwart dieses Geschehens im Blick auf die bedrohte koinwn‡a der Adressaten mit ihrem Herrn und untereinander reflektiert und zugleich dazu ermutigt wird, auch das eigene Leben für die Brüder hinzugeben (1Joh 3,16), hat der Autor die Folge von Blut und Wasser vertauscht und damit zugleich dem von aller Sünde reinigenden Blut das größere Gewicht gegeben. Gegen Wengst, der eine Beziehung dieser Passage auf Joh 19,34 ff für „ausgeschlossen“ erklärt (JohBr Komm. 208), zeigt der Kommentar von F. Vouga diese Abhängigkeit auf Schritt und Tritt, und speziell für unsere Passage wird sie von Venetz begründet (Wasser 354 f), der auch mit Recht betont, daß Wasser und Blut nicht die Elemente von Taufe und Abendmahl bezeichnen, sondern die Heilsbedeutung des Sterbens Jesu explizieren (vgl. auch Hoskyns, Komm. 532). Da es inzwischen nahezu Mode geworden ist, aus allen möglichen Aussagen des 1Joh Polemik gegen die Lehren vermeintlich der Irrlehre schuldiger Gegner herauszuhören, fügen wir noch hinzu, daß wir die Wendung o§k †n tù ædati m∙non üllû †n tù ædati kaÑ †n tù aºmati ebenso wie den völlig par-
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Sechster Akt: Jesu Gefangennahme, Kreuzigung und Begräbnis
allel gebauten Satz in 1Joh 2,2 für absolut unpolemisch halten. Sie will als eine Ermutigung nach innen, nicht aber als eine Polemik nach außen verstanden sein (vgl. zum Problem Minear, Idea).
Auch über 19,35 hinaus vermögen wir im gesamten Evangelium nirgendwo auch nur das geringste Anzeichen irgendeines Antidoketismus zu entdecken. Solche Akzente setzten ja einen dem Evangelium vorausgehenden oder mit ihm gleichzeitigen aktiven Doketismus voraus. Auch wenn wir Käsemanns berühmter Diagnose eines bei Johannes virulenten ‚naiven Doketismus‘ nicht zustimmen können, dürfte er den Evangelisten doch zu Recht eher auf dem Weg in die Gnosis als unter ihren Bekämpfern sehen. Denn das Problem, das unser Evangelist bearbeitet, besteht ja gerade darin, daß Jesus ein bloßer Mensch ist, einer, der sich in den Augen seiner Gegner anmaßt, Gottes Sohn zu sein (10,33); einer, der behauptet, vom Himmel herabgestiegen zu sein, obwohl man doch seinen Vater und seine Mutter genau kennt (6,41 f); einer, der messianische Ansprüche erhebt, wo er doch aus dem heilsgeschichtlich irrelevanten Nazaret stammt; einer, der elend am Kreuz verendet, ohne daß sein ‚himmlischer Vater‘ da interveniert hätte. Solchem durch die jüdische Katastrophe des Jahres 70 genährten Zweifel an der Messianität Jesu gegenüber wird nun die Gottheit und göttliche Sendung Jesu in unserem Evangelium in einer Weise betont, daß es, wo der Boden dazu bereitet ist, zu seiner gnostischen Lektüre durchaus verführen kann und ja tatsächlich auch vielfach dazu verführt hat. Damit Schnelle seine bereits im Buchtitel angekündigte These von einer ‚antidoketischen Christologie im Johannesevangelium‘ überhaupt durchführen kann, muß er – neben zahllosen unkontrollierbaren literarkritischen Operationen und Traditionszuweisungen – zu dem Geniestreich greifen, die Johannesbriefe zeitlich vor dem Evangelium anzusetzen. Doch dagegen erweist etwa Vougas Kommentar über die Johannesbriefe sehr eindeutig, daß alle drei Briefe das Evangelium voraussetzen und mit dessen Texten spielen (vgl. zu den beiden kleinen Briefen auch J. Lieu). Dagegen gerät Schnelle der Poet Johannes (Kermode) dann zu einem ‚Quasi-Kirchlichen Redaktor‘ und Gefangenen seiner vermeintlich ‚johanneischen Schultradition‘. (2) Jesu Begräbnis durch Joseph von Arimathaia und Nikodemus (19,38–42) 38: Erst jetzt führt der Erzähler den aus den synoptischen Prätexten bekannten Joseph von Arimathaia als einen ein, der aus Furcht vor den Juden verbirgt, daß er ein Jünger Jesu ist. (Derart furchtsame und sich ins Verborgene zurückziehende Jünger [kekrummfinoi maqhta‡] zum öffentlichen Bekenntnis zu Jesus, zu wechselseitiger Bruderliebe und zur offenen Teilnahme an der gemeinsamen Kultgemeinschaft zu ermutigen, erscheint uns als der Hauptzweck des ersten Johannesbriefes). Johannes folgt hier wieder der Markuskomposition (vgl. Lang, Johannes 252 ff), doch er spielt intertextuell zugleich auch mit den synoptischen Parallelen. Denn während Markus unseren Joseph nur als einen ‚angesehenen Ratsherrn‘ bezeichnet und erklärt, daß er das Gottesreich erwartet habe (15,43), und Lukas ihn wie Markus einen Ratsherrn (bouleutfl") nennt und hinzufügt, er sei ein guter und gerechter Mann gewesen (23,50), sagt nur Matthäus über diesen Joseph, den er als einen ‚reichen Mann‘ und Besitzer jenes neuen Grabes bezeichnet (27,60), daß er zum Jünger Jesu geworden sei (≈" kaÑ a§tÖ" †maqhte‚qh tù ûIhsoú: 27,57). Wie einst Tobias, der seine toten Brüder, die einfach hinter die Mauern 750
Fünfte Szene: Die Kreuzabnahme und die Bestattung Jesu
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Ninives geworfen worden waren, und auch die von Salmanassar Hingerichteten in Treue zur Tora begrub (Tob 1,17 ff), so bittet nun der fromme Arimathaier Joseph den Präfekten Pilatus um die Freigabe des Leichnams Jesu, damit er ihn begraben könne. Pilatus gewährte ihm die Bitte, und Joseph ging hin und nahm Jesu Leichnam vom Kreuz ab (kaÑ éren tÖ sùma a§toú). Auch hier mutet Johannes seinen potentiellen Lesern wohl zu, sein intertextuelles Spiel mit Mt 27,57–61 zu durchschauen. Denn was Mt 27,61 explizit erklärt, daß nämlich Maria von Magdala und die andere Maria Zeuginnen der Grablegung Jesu waren und darum die Lage des Grabes kannten, das setzt Johannes offenbar stillschweigend voraus, wenn er sich die Magdalenerin dann in der Morgendämmerung des ersten Tages der Woche zielsicher auf den Weg dorthin machen läßt. Sie findet aber den Verschlußstein des Grabes entfernt und das Grab leer. Da Johannes diesen Stein aber in seiner Bestattungs-Szene gar nicht erwähnt hat, setzt er auch hier voraus, daß seine Leser seine Prätexte kennen, nach denen Joseph die Grablegung Jesu damit beschließt, daß er das Felsengrab mit einem riesigen Stein verschließt (kaÑ proskul‡sa" l‡qon mfigan tÔö q‚ra toú mnhme‡ou: Mt 27,60; vgl. Mk 15,46). 39: Wohl zusammen mit Joseph war auch Nikodemus zur Bestattung Jesu erschienen. Bei dessen Namensnennung erinnert der Erzähler seine Zuhörer/Leser daran, daß es eben dieser Nikodemus war, der Jesus das erste Mal bei Nacht aufgesucht hatte (3,1 ff). Dabei mag dem Leser auch einfallen, daß es zwischen diesen beiden Szenen, zuerst im Gespräch mit Jesus als dem ‚von Gott gekommenen Lehrer‘ (3,2) und nun bei dessen Begräbnis, noch eine dritte gab (7,45 ff). Da hatte sich Nikodemus mit seinem Eintreten für Jesus, ebenso wie jetzt im Verein mit Joseph, als toratreuer Jude erwiesen, als er seine Kollegen aus dem Synhedrium daran erinnert hatte, daß sie mit ihrer Verurteilung Jesu, ohne ihn selbst zuvor angehört zu haben, gegen die Tora verstießen. Sie hatten aber nichts auf sein Wort gegeben und ihn als einen ‚Galiläer‘ verspottet. Dieser Nikodemus erscheint jetzt also zum dritten Mal und bringt zur Salbung des Leichnams Jesu ungefähr ‚hundert Pfund‘ (Æ" l‡tra" ©kat∙n; das sind etwa 33 kg) eines kostbaren Gemischs aus Myrrhe und Aloe mit. Die Erinnerung des Lesers an das erste nächtliche Auftreten des Nikodemus und seine Nennung unmittelbar zusammen mit dem ‚heimlichen Jünger‘ Joseph zeigt aber auch, daß jener erste Dialog mit Jesus wohl nicht unfruchtbar geblieben ist. Darum darf man wohl auch in Nikodemus einen heimlichen Jünger Jesu sehen; freilich einen, der, ebenso wie der Arimathaier Joseph, mit seinem Barmherzigkeitswerk des Begräbnisses Jesu gerade dabei ist, diesen Status der Heimlichkeit und der Furcht vor den Juden hinter sich zu lassen (vgl. Lindars, Komm. 592). So vertreten diese beiden gerechten Juden hier Jesu Jünger, die sich jetzt, als wären sie nun ‚heimliche Jünger‘, aus Furcht vor den Juden irgendwo hinter verschlossenen Türen verschanzt haben (20,19). Daß die exorbitante Menge des kostbaren Salböls dagegen Ausdruck vermeintlicher johanneischer Ironie wäre und Nikodemus als einen darstellen wollte, für den mit dem Tode alles aus ist, ist dem Text nicht zu entnehmen. So erklärt etwa Meeks: „Die lächerlichen ‚hundert Pfund‘ Myrrhe und Aloe (sic!), die er für die Einbalsamierung mitbringt, sind ein deutlicher Hinweis darauf, daß er das ‚Auffahren‘ des Menschensohns nicht verstanden hat“ (Funktion 260). Und de Jonge konstatiert: „And it is equally clear that in the present Gospel Joseph and Nicodemus are pictured as having come to a dead end; they regard the burial as definitive“ (Stranger 349); ähnlich negativ urteilt L. Schenke (Komm. 364). Doch was diese Ausleger 751
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Nikodemus ankreiden, das muß dann ja wohl auch und erst recht von Jesu Jüngern gelten, die doch erst im Licht der Begegnung mit dem Auferstandenen und unter der Gabe des österlichen Geistes begreifen werden, was hier geschah! Zudem ist dieses Bild von Nikodemus schon darum unglaubhaft, weil der doch gleich bei seinem ersten nächtlichen Auftreten als ein ±nqrwpo" †k tùn Farisa‡wn vorgestellt worden war (3,1). Und daß in der Glaubenswelt der Pharisäer, im Gegensatz zu derjenigen der Sadduzäer, die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten eine zentrale Rolle spielt, ist doch bekannt (vgl. Mk 12,18 ff par. und die Kommentare dazu). Eher weisen das hier geschilderte Begräbnis Jesu und die Menge des Salböls sowie das neue Grab im Garten, in dem noch kein Toter jemals gelegen hatte (vgl. Lk 23.53!), im Blick auf den Kontext doch darauf hin, daß hier tatsächlich der „König der Juden“ bestattet wird und daß Joseph und Nikodemus hier stellvertretend für „alle Bewohner Jerusalems“ um den „Durchbohrten trauern, wie um einen einzigen Sohn und den Erstgeborenen“ (Sach 12,10 ff). „The Evangelist thus continues the theme of kingship of Jesus into the account of his burial“ (Beasley-Murray, Komm. 359; vgl. auch Brown, Komm. II, 960 u. Death II, 1258 ff). 40–42: Wie es jüdischer Begräbnissitte entspricht (kaqá" ≤qo" †stÑn toõ" ûIouda‡oi" †ntafi›zein) umwickeln Joseph und Nikodemus nun den Leichnam Jesu mit Leinenbinden samt den Aromen (£qon‡oi" metÅ tùn ürwm›twn). †ntafi›zein heißt: einen Leichnam für die Bestattung bereiten. Schon bei der Salbung in Bethanien (12,7) war vom †ntafiasm∙" Jesu die Rede. Damals hatte Judas sich über die Verschwendung des kostbaren Salböls empört und erklärt, daß man es doch für dreihundert Denare hätte verkaufen und das Geld den Armen geben sollen, und Jesus hatte ihm entgegnet: Laß sie doch gewähren, denn sie hat das Öl für den Tag der Bereitung meines Leichnams aufbewahrt. Was Maria in Bethanien proleptisch an Jesus getan hat, das vollenden nun Joseph und Nikodemus. Statt einer Litra, deren Wert Judas auf dreihundert Denare schätzte, verwenden sie nun deren hundert! Und wenn schon der Duft der einen Litra des Salböls das ganze Haus erfüllte (12,3), wie müssen dann die Hundert das Grab erfüllt haben! Wie die immense Menge des Weins bei der Kanahochzeit, die Speisung der Fünftausend oder die 153 großen Fische (21,11), so ist auch diese Menge der Gewürzmischung ein Zeichen der messianischen Fülle (vgl. Brown, Death II, 1260 u. Wilckens, Komm. 303). Brown sucht genauer zu ergründen, um welche Duftstoffe es sich bei dem m‡gma sm‚rnh" kaÑ ül∙h" gehandelt haben mag, und kommt zu dem Ergebnis, daß wohl eine pulverisierte Substanz aus Myrrhenharz und Aloe vera zwischen die Grabbinden gestreut worden sei (ebd. 1261 ff). Angesichts der u. E. fiktionalen Szene scheinen uns derartige Überlegungen jedoch völlig abwegig. Zudem zeigt die Zusammenstellung von „Narde und Krokus, Kalmus und Zimt mit allen Weihrauchhölzern sowie Myrrhe und Aloe samt den besten Balsamen“ in Cant 4,14, daß es sich bei Aloe doch wohl eher um den „an der Luft rasch trocknenden, stark aromatischen Saft e. Baumes (Aquillaria)“ handeln dürfte (Bauer WB s. v.). Mehr Gewicht scheint uns demgegenüber Wengsts Erwägung zu haben, daß die Zusammenstellung von Myrrhe und Aloe ein intertextuelles Spiel mit Ps 45,9 sein könnte, wo vom König gesagt wird; vor seinen Genossen habe Jhwh ihn mit Freudenöl gesalbt, Myrrhe, Aloe und Kassia seien alle seine Gewänder (Komm. II, 270). Daß zum ≤qo" †ntafiasmoú der Juden in erster Linie die gründliche rituelle Waschung des Leichnams gehört, dürfte Johannes wissen; vgl. die dafür eintretende merkwürdige Waschung der Füße Jesu durch 752
Fünfte Szene: Die Kreuzabnahme und die Bestattung Jesu
19,39–42
die bethanische Maria (12,3). Erzählt wird hier aber nur das Außergewöhnliche dieser Bestattung des messianischen Königs. Darum hält Haenchen die Wendung kaqá" ≤qo" †stÑn toõ" ûIouda‡oi" †ntafi›zein wohl zu Unrecht für unangemessen, wenn er schroff erklärt: „Der Schreiber dieses Verses kannte weder die jüdischen Bestattungssitten, noch wußte er über das Einbalsamieren Bescheid“ (Komm. 556). Denn wenn hier nicht Irgendeiner, sondern ein König bestattet wird, dann sollte man auf entsprechende Texte schauen, wie den über die Bestattung des Königs Asa von Juda (2Chr 16,14) oder über die Herodes des Großen (Josephus, Ant XVII, 199). Außer in unserem Zusammenhang und den darauf bezogenen Versen 20,5.6 u. 7 findet sich das Lexem £q∙nion im Neuen Testament nur noch in Lk 24,12. Da wir die Szene vom Wettlauf des Petrus und des geliebten Jüngers (20,3–10), wie unten zu begründen ist, für ein intertextuelles Spiel mit Lk 24,12 halten, dürfte auch das Lexem £q∙nion aus diesem Vers stammen. Die gleiche Art der Bereitung eines Leichnams zur Bestattung zeigt auch die Lazaruserzählung. Wie Jesu Grab ist das des Lazarus mit einem schweren Stein verschlossen. Jesus gebietet, ihn zu entfernen, und auf seinen Ruf hin kam der Totgewesene dann aus seinem Grab hervor: dedemfino" toÜ" p∙da" kaÑ tÅ" ceõra" keir‡ai" kaÑ ™ µyi" a§toú soudar‡w periedfideto, worauf Jesus dann befiehlt: Löst ihm die Binden und laßt ihn hingehen! (11,43 f). Anstelle des Plurals £q∙nia gebraucht Johannes hier den für derartige Totenbinden gebräuchlicheren Plural von keir‡a. Daß es sich bei dem von Nikodemus mitgebrachten Gemisch von Myrrhe und Aloe wohl um Salböl handeln wird, legt dessen Bezeichnung als ür„mata nahe. Nach Mk 16,1 hatten die Frauen derartige ür„mata gekauft, um Jesu Leichnam damit früh am Ostermorgen zu salben: °g∙rasan ür„mata ºna †lqoúsai üle‡ywsin a§t∙n. Sie kamen aber zu spät und fanden Jesus nicht mehr in seinem Grabe. Darum läßt Johannes Joseph und Nikodemus diese Salbung zur rechten Zeit durchführen. Endlich erinnert der V. 42 noch einmal daran, daß Jesu Bestattung in unmittelbarer Nähe der Stätte seiner Kreuzigung erfolgen mußte, weil sich mit dem Untergang der Sonne der Tag der Bereitung auf Passamahl und ‑fest seinem Ende neigte. Und weil die Nacht des Passamahles und der erste Passatag in jenem Jahr auf einen Sabbat fiel, stand ein ganz besonderes Passa vor der Tür.
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Siebter und letzter Akt der dramatischen Historie Jesu: Jesu neue österliche Gegenwart (20,1–29) Erste Szene: Die Ereignisse am leeren Grab Jesu (20,1–18) 1
Am ersten Tag der Woche begibt sich Maria, die Magdalenerin, früh am Morgen, als es noch finster war, zum Grabe und entdeckt, daß der Stein von dem Grab entfernt worden ist. 2 Da läuft sie weg und kommt zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und berichtet ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben. 3 Da machten sich Petrus und der andere Jünger auf den Weg und kamen zum Grabe. 4 Die beiden liefen aber um die Wette. Doch der andere Jünger lief voraus. Er lief schneller als Petrus und kam als erster zum Grabe. 5 Und er bückte sich und sieht die Grabbinden dort liegen, er ging jedoch nicht hinein. 6 Nun kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und der ging hinein in das Grab und sieht dort die Grabbinden liegen 7 samt dem Schweißtuch, das seinen Kopf bedeckt hatte. Das lag aber nicht bei den Binden, sondern zusammengefaltet für sich an besonderer Stelle. 8 Darauf ging auch der andere Jünger, der zuerst angekommen war, in das Grab hinein, und er sah und glaubte. 9 Denn sie hatten ja die Schrift noch nicht verstanden, daß er von den Toten auferstehen müsse. 10 Dann gingen die Jünger wieder nach Hause. 11 Maria aber stand weinend draußen vor dem Grabe. Wie sie so weinte, beugte sie sich vor zum Grabe hin 12 und da sieht sie zwei Engel in weißen Gewändern dasitzen, den einen zu Häupten und den anderen zu Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. 13 Und die sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Und sie antwortete ihnen: Sie haben meinen Herrn weggebracht, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. 14 Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und jetzt sieht sie Jesus dastehen, daß es Jesus war, wußte sie freilich (noch) nicht. 15 Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, er sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, so sag mir doch, wo du ihn hingelegt hast. Dann werde ich ihn holen. 16 Da sagte Jesus zu ihr: Maria. Da wandte sie sich ihm zu und sagte zu ihm auf hebräisch: Rabbuni, das heißt: Meister. 17 Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest! Denn noch bin ich nicht hinaufgestiegen zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich steige (jetzt) hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 18 Und Maria von Magdala geht hin und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen! und dieses habe er ihr gesagt. 754
Erste Szene: Die Ereignisse am leeren Grab Jesu
20,1–2
Frans Neirynck hat 1984 nahezu alle neueren Untersuchungen unserer Szene Joh 20,1–18 gründlich gemustert (John and the Synoptics). Mit guten Gründen hat er dabei alle literarkritisch orientierten Versuche zurückgewiesen, hinter diesem Text von den Synoptikern unterschiedene und von ihnen unabhängige Quellen zu eruieren, die der Evangelist – und/oder ein sein Evangelium nachträglich bearbeitender Redaktor – seinem Werk einverleibt haben soll. Da wir Neiryncks glänzende Analyse hier nicht wiederholen wollen, fassen wir nur ihre wichtigsten Resultate zusammen. (1) Die knappe Christophanie-Erzählung bei Matthäus (Mt 28,8–10) ist kein Traditionsstück, das der Evangelist vorgefunden und mit seiner Bearbeitung von Mk 16,1–8 nur verbunden hätte, sondern ganz und gar seine eigene Invention. Denn inhaltlich sagt sie der vorausgehenden Angelophanie gegenüber nichts Neues, zu deutlich ist die Hand des ersten Evangelisten in ihr erkennbar, und es ist kaum vorstellbar, daß sie je für sich tradiert wurde. (2) Lukas 24,12, gerade in der diesem Vers eigenen, gleichsam schwebenden Position im Kontext, ist ein textkritisch gesicherter Bestandteil des Lukasevangeliums (vgl. Lk 24,24!). Mit diesen beiden Stellen in ihren jeweiligen Kontexten (!) ist das Material genannt, aus dem Joh 20,1–18 gebaut ist. Da beide Stellen redaktionelle Bildungen ihres jeweiligen Evangelisten sind, ist deutlich, daß Johannes intertextuell mit unseren kanonischen Evangelien spielt und nicht etwa mit deren vermeintlichen Quellen oder Traditionen. Außer diesen synoptischen Texten noch irgendwelche anderen Quellen für Joh 20,1–18 anzunehmen, ist nicht nötig und daher nach dem Gesetz, das äußerste Sparsamkeit im Gebrauch von Hypothesen verlangt, auch nicht zulässig. (1) Früh am Ostermorgen, als es noch finster ist, besucht Maria von Magdala Jesu Grab (20,1–2) 1 f: Wie sonst oft, macht Johannes auch hier eine namentlich genannte Einzelperson zur Antagonistin, jetzt also Maria von Magdala, die der Leser ja schon von der Szene unter dem Kreuz Jesu kennt; vgl. das Auftreten von Nikodemus, Malchus und nachher von Thomas (20,24 ff), der die Zweifler: o´ dÇ †d‡stasan, von Mt 28,17 repräsentiert. So muß auch Maria allein hier die Frauen vertreten, die am Ostermorgen das Grab Jesu besuchten (Mk 16,1 ff parr.). Daran erinnert der Erzähler seine Zuhörer hier durch den unvermittelten Pluralgebrauch im Munde Marias als sie Petrus und dem geliebten Jünger berichtet: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggebracht, und wir (!) wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben“. Wir hatten oben bereits vermutet, daß die Beerdigungs-Szene als intertextuelles Spiel mit Mt 27,57–61 verstanden sein will. Matthäus nennt da in V. 61 ausdrücklich die beiden Marien als Augenzeuginnen der Grablegung und damit als Kennerinnen der Lage des Grabes Jesu. Die Kenntnis dieses Berichts setzt Johannes bei seinen Lesern wohl voraus, denn nur, wenn sie weiß, wo das Grab Jesu zu finden ist, kann Maria sich in der Morgendämmerung des ersten Tages der Woche, als es noch finster war, zielsicher auf den Weg dorthin machen. Und weil Johannes sich die Magdalenerin offenbar auch als Zeugin der üppigen Salbung des Leichnams Jesu durch Joseph und Nikodemus vorstellt, kann er die vergebliche Salbungsabsicht der Frauen am Ostermorgen übergehen (Mk 16,1; Lk 24,1 ff). Wie die andere Maria, die Schwester des Lazarus, von der die Juden, die zum Trauern in ihr Haus gekommen waren, glaubten, daß sie zum Grab des Bruders gegangen sei, um 755
20,1–18
Siebter und letzter Akt: Jesu neue österliche Gegenwart
dort um ihn zu trauern (ºna kla‚sÔh †keõ: 11,31), so hat sich nun Maria von Magdala tatsächlich zum Grab Jesu begeben: ºna kla‚sÔh †keõ. Und dann findet sie das Grab leer und den Stein, der es verschloß, weggerückt! Sie fürchtet das Schlimmste! Denn als sie bei Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, angekommen ist, klagt sie ihnen: Sie haben (oder: man hat) den Herrn aus dem Grab geraubt, und wir wissen nicht, wohin sie ihn gebracht haben! Zu dem überraschenden Plural o¥damen erklärt Lang treffend: „Es ist die bewußt gesetzte Markierung, die die Kenntnis von Mk 16,1 (mehrere Frauen) belegt“ (Johannes 262). Lindars vermutet, daß die Quelle des Johannes, ähnlich wie Matthäus, wohl von einer Erscheinung Jesu vor mehreren Frauen berichtet habe. Doch „John has made this the foundation of the beautiful story of the appearance of Jesus to Mary Magdalene“ (Komm. 595). Brown sieht in der Reduktion auf die eine Frau, Maria aus Magdala, einen Fall der Tendenz unseres Evangelisten, um der Dramatik seiner Erzählung willen deren Akteure zu individualisieren (Komm. II, 999). Mit Ausnahme der Szene unter dem Kreuz, wo die Mutter Jesu das Gegenüber des geliebten Jüngers ist, erscheint dieser wie hier stets neben und in Interaktion mit Petrus. Eindrucksvoll hatte die Szene des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern die besondere Nähe dieses anonymen Anderen zu seinem Herrn demonstriert: Da ruhte er †n tù k∙lpw seines Herrn, so wie der als der einzige Sohn an der Brust seines Vaters ruht (1,18), und der Erzähler bezeichnete ihn hier zum ersten Mal als den ‚Jünger, den Jesus liebte‘ (13,21 ff). Diese Bezeichnung erscheint danach fast wie der feste Name jenes Anonymen. Beim Mahl hatte Petrus ihn gebeten, Jesus doch nach der Identität dessen aus ihrem Kreis zu fragen, der ihn an seine Feinde ausliefern sollte. Doch mit dem geliebten Jünger erfuhr da nur der implizite Leser, nicht aber der Fragesteller Petrus, daß Judas gemeint war. Danach war es dann wieder der geliebte Jünger, der Petrus den Eintritt in die hohepriesterliche Aula des Hannas verschaffte, wo der seinen Herrn dreimal verleugnen sollte (18,15 ff). (2) Auf Marias Botschaft hin eilen Petrus und der Jünger, den Jesus liebte, zum Grab (20,3–10) 3–7: Auf die bestürzende Nachricht Marias hin machen sich also nun Petrus und der andere Jünger unverzüglich auf den Weg zum Grabe Jesu. Wie V. 11 ff zeigen, scheint Maria ihnen dahin gefolgt zu sein. Doch bleiben wir zunächst bei dem ungleichen Jüngerpaar. 4 Unter ihren Füßen wird der Weg zum Grab zu einem förmlichen Wettlauf. Der geliebte Jünger läuft schneller als Petrus und erreicht die Grabstätte als erster. Weil er zugleich der allwissende Erzähler dieses Evangeliums ist, der ja detailliert auch die Szene der Beerdigung Jesu beschrieben hat, kennt er natürlich die Lage des Grabes Jesu. Da der Evangelist aber erst ganz am Ende seines Werkes (21,24) verrät, daß es der geliebte Jünger war, der darin die Geschichte Jesu erzählt hat, kann das einstweilen nur ein Leser wissen, der das Buch nicht zum ersten Male liest. 5 Als der geliebte Jünger sich vor dem Grabe bückt, sieht er darin die Leinenbinden liegen (mit denen der Leichnam Jesu umwickelt war). Doch er geht noch nicht in die Gruft hinein, sondern überläßt dem nun dazukommenden Petrus den Vortritt. 6 Der betritt unmittelbar nach seiner Ankunft Jesu Grab und sieht dort aus größerer Nähe, was der Andere schon von außen gesehen hatte. 7 Er sieht da nämlich nicht nur die Leichenbinden Jesu liegen, 756
Erste Szene: Die Ereignisse am leeren Grab Jesu
20,2–7
sondern darüberhinaus auch noch das Schweißtuch, das Jesu Haupt verhüllt hatte. Es lag sorgsam zusammengefaltet an einer anderen Stelle der Gruft (kaÑ tÖ soud›rion, ≈ én †pÑ tö" kefalö" a§toú, o§ metÅ tùn £qon‡wn ke‡menon üllÅ cwrÑ" †ntetuligmfinon e¢" ∫na t∙pon). Dieses soud›rion erinnert wohl nicht nur zufällig an die Art der Beerdigung und an die Auferweckung des Lazarus; vgl. 11,44. In dem Prätext dieser Szene (Lk 24,1 ff) finden die Frauen Jesu Grab geöffnet und leer, doch zwei Engel (±ndre" d‚o †pfisthsan a§taõ" †n †sqöti üstrapto‚sÔh: V. 4) verkünden ihnen, daß Jesus auferstanden sei, wie er es doch schon in Galiläa vorausgesagt habe (Lk 9,22). Mit dieser Botschaft kehren sie nun zu den ‚Aposteln‘ zurück. Doch die halten ihre Worte für leeres Gerede und glauben ihnen nicht (V. 11). Dann heißt es in V. 12 aber, daß allein Petrus sich von der Wahrheit der unglaublichen Botschaft der Frauen zu überzeugen suchte: ¨ dÇ Pfitro" ünastÅ" ≤dramen †pÑ tÖ mnhmeõon kaÑ parak‚ya" blfipei tÅ £q∙nia m∙na, kaÑ üpölqen prÖ" ©autÖn qaum›zwn tÖ gegon∙". Dieser Vers fehlt zwar im Codex Bezae (D) und wenigen anderen Zeugen des einst sogenannten ‚westlichen Textes‘ und galt nach der mittlerweile aber obsolet gewordenen Theorie der ‚Western-Non-Interpolations‘ von Westcott & Hort als ein später Eindringling in das Lukasevangelium aus Joh 20. Darum fehlte er bis zur 25. Auflage im Text von Nestle und fand sich dort nur im Apparat. Doch diese Theorie beruhte auf einer maßlosen Überschätzung des sogenannten westlichen Textes. Zuletzt hat die These, daß Lk 24,12 nicht authentisch, sondern ein später Eindringling aus dem Johannesevangelium sei, in Dauer (Authentizität 294 ff; u. Lk 24,12, 1697 ff) und in Mahony (Two Disciples 41 ff) zwei vehemente Verfechter gefunden (vgl. gegen deren Argumentation aber Neirynck, Once more Luke 24,12, und Lang, Johannes 263 f). Denn daß der Vers mit Sicherheit original lukanisch ist, zeigen die Worte der beiden Emmaus-Jünger, die dem unerkannt mit ihnen wandernden Jesus sagen: Einige ihrer Frauen hätten sie mit ihrem Bericht von einer Engelerscheinung am Grabe und von der Botschaft der Engel, daß Jesus lebe, in Bestürzung versetzt. Die beiden Jünger fügen dem dann in Übereinstimmung mit dem strittigen V. 12 noch hinzu, daraufhin seien einige der Ihren (tine" tùn sÜn ™mõn: Lk 24,24) zum Grabe gegangen und hätten dort alles so vorgefunden, wie die Frauen es gesagt hätten. Ihn selbst hätten sie jedoch nicht gesehen (24,22–24). Diese Rede von den ‚Einigen‘ hat etwa Gardner-Smith (St. John 76) als Indiz dafür genommen, daß der seiner Meinung nach von den Synoptikern unabhängige Johannes hier ebenso wie Lukas aus einer beiden vorliegenden älteren Quelle geschöpft hätte. Dodd ist dagegen vorsichtiger, wenn er erklärt, selbst wenn es dem dritten Evangelisten bekannt gewesen sein sollte, daß einer dieser tine" Petrus war, sei die Wendung im Munde des Kleopas einem vermeintlich völlig Fremden gegenüber doch angemessen. Er vermutet darum eine Quelle, die nur von Petrus und einem weiteren Jünger (oder: von Petrus und einigen weiteren) gewußt habe (Tradition 141; ähnlich urteilt Becker, Komm. II, 613). Dagegen halten wir es mit Neirynck (ebd. 173 f) für höchst unwahrscheinlich, daß der ‚andere Jünger‘ in irgendeiner Tradition einen Vorläufer gehabt haben könnte. Denn der ‚Jünger, den Jesus liebte‘, oder wie in 18,15: ‚der andere Jünger‘, ist eine literarische Fiktion, von unserem Evangelisten eigens dazu erfunden, daß er ihn am Ende seines Werkes seinen Lesern als den verläßlichen Augenzeugen und Erzähler der Geschichte Jesu präsentieren kann. Wie in Joh 13,21 ff und 18,15 f, wo er ihn den Petruserzählungen seiner synoptischen Prätexte einfach hinzugefügt hat, damit er an dem bekannten Petrus sein besonderes Profil 757
20,1–18
Siebter und letzter Akt: Jesu neue österliche Gegenwart
gewinne, so gilt auch für die Erzählung vom Wettlauf der beiden Jünger zum Grabe Jesu: „The comparative study of Jn 20,3–10 and Lk 24,12 leads to the conclusion that this is what happened also in John’s empty tomb story“ (Neirynck ebd.). Gegen alle Hypothesen eines Proto-Lukas hat Neirynck u. E. im übrigen überzeugend begründet, daß Mk 16 die einzige Quelle ist, die Lukas für seine Erzählung vom leeren Grabe Jesu bearbeitet hat. 8–10: Obgleich er doch zuerst das Grab erreicht hatte – woran der Erzähler ausdrücklich noch einmal erinnert! –, betritt nach Petrus nun auch der ‚andere Jünger‘ die Gruft, und dazu heißt es ausdrücklich: „Und er sah und glaubte“ (kaÑ eèden kaÑ †p‡steusen). Es ist wohl zu beachten, daß nur über den Jünger, den Jesus liebte, nicht aber über Petrus gesagt wird: Er sah und glaubte. Byrne (Beloved Disciple 85 ff) stellt mit Recht die Frage, was der geliebte Jünger denn nach seinem Eintritt in die Gruft Jesu gesehen und ihn zum Glauben veranlaßt habe. Das könne nach dem Duktus der Erzählung ja wohl nur das sorgfältig zusammengefaltete und an einen besonderen Platz gelegte soud›rion (V. 6f) gewesen sein. Das habe er, als er von außen in die Gruft hineinblickte und darin nur die £q∙nia liegen sah, noch nicht wahrnehmen können. Damit er es als das seinen Glauben gründende shmeõon sehen kann (vgl. 20,31), läßt der Erzähler ihn nach Petrus nun auch noch die Gruft betreten: kaÑ eèden kaÑ †p‡steusen. Und dafür gibt der Erzähler dann sogleich diese höchst merkwürdige Begründung: Denn noch kannten sie die Schrift ja nicht, daß er von den Toten auferstehen müsse (o§dfipw gÅr Ô≥deisan tÉn grafÉn Ωti deõ a§tÖn †k nekrùn ünastönai). U. E. kann dieser verwunderliche Satz ja nur das außergewöhnliche Wunder dieses anachronistischen Glaubens des geliebten Jüngers begründen wollen: Ohne den Auferstandenen selbst gesehen zu haben, glaubt er aufgrund dieses für ihn untrüglichen Zeichens schon jetzt im Vollsinn des Wortes. Daß er auch hier seine Glaubenserkenntnis nicht an Petrus weitergibt, sondern sie – anders als dann Maria, die Jesus ja ausdrücklich als die Botin seines neuen Lebens zu den Jüngern senden wird – für sich behält, entspricht seinem im Evangelium seit 13,21 ff absichtsvoll gezeichneten Bild. Zum Verkündiger der Glorie seines Herrn wird er erst im letzten Kapitel (21,7) und vor allem dann und dadurch werden, daß er die Feder in die Hand nimmt und Jesu ganze Geschichte in festen Buchstaben schreibt (21,24). Dagegen fordert Minear u. E. zu Unrecht „a radical revision in the usual exegesis of verse 8“. Er bezieht den Satz vom Glauben dieses Jüngers zu Unrecht auch auf Petrus und sieht beide Jünger dem gleichen ‚Mißverständnis‘ und derselben Ratlosigkeit verfallen, wie zuvor die Magdalenerin. Nach ihm glauben die beiden Jünger, nachdem sie das leere Grab Jesu in Augenschein genommen haben, jetzt lediglich den Worten Marias und teilen deren Bestürzung: „They now ‚believed‘ in Mary’s report and thus joined in her confession of ignorance, ‚we don’t know where‘“ (We don’t know where 127 f). Doch uns erscheint diese radikale Revision der üblichen Exegese von V. 8 und die damit verbundene Einschätzung des geliebten Jüngers völlig verfehlt. Erwägenswert und weiterführend erscheint uns dagegen die Bemerkung von D. A. Lee, daß die Erzählung von den beiden Jüngern und ihrem Wettlauf, zumal wegen des scheinbaren Widerspruchs zwischen den V. 8 und 9, nämlich noch unvollendet sei, und daß dieses Rätsel seine Lösung vielmehr erst im folgenden Kapitel 21 finde (Partnership 40 f). Wie in dem hier assoziierten lukanischen Prätext bleibt es, ohne daß das ausdrücklich gesagt werden müßte, einstweilen vielmehr dabei, daß Petrus über das Gesehene verwun‑ 758
Erste Szene: Die Ereignisse am leeren Grab Jesu
20,7–10
dert und ebenso ratlos wie zuvor Maria neben dem bereits vom Wunder des Glaubens eingeholten geliebten Jünger nach Hause geht (kaÑ üpölqen prÖ" ©autÖn qaum›zwn tÖ gegon∙": Lk 24,12!; vgl. Joh 20,10: üpölqon oên p›lin prÖ" [©]a§toÜ" o´ maqhta‡, wo das qaum›zwn tÖ gegon∙" wegen der Gegenwart des glaubenden geliebten Jüngers nicht zufällig fehlt). Als der Erzähler der Geschichte Jesu, „der dies geschrieben hat“ (21,24), und zwar dazu geschrieben hat, damit auch seine potentiellen Leser ebenso wie er selbst aufgrund der Zeichen, die Jesus getan hat, an dem Glauben festhalten, daß Jesus der messianische Gottessohn ist, und so am ewigen Leben teilgewinnen (20,31), ist der geliebte Jünger von Anfang seines Erzählens an einer, der als Jesu Zeuge vom österlichen Geist erfüllt und vom Parakleten in die ganze Wahrheit eingewiesen ist. Seine zahlreichen das Geschehen von seinem Osterglauben her kommentierenden Parenthesen und Kommentare erweisen ihn als einen, der bereits aus dem Licht des Ostermorgens kommt und sich noch einmal als Nachfolger seines Herrn auf die Wege des irdischen Jesus gemacht hat (vgl. zu diesen Parenthesen und Kommentaren van Belle, Parenthèses; und Hedrick, Authorial Presence). Er ist nicht einer der erzählten Mißverstehenden, sondern derjenige, der deren Mißverständnisse durch seine Kommentare überhaupt erst erkennen läßt und seine Hörer/Leser so zum lebendig machenden Glauben führt. Fragt man sich mit Byrne (ebd. 87 ff), inwiefern denn das an separater Stelle liegende Schweißtuch (soud›rion) eine derart entscheidende Rolle für das Glauben des geliebten Jüngers spielen kann, so muß man sich der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus erinnern. Und als einer, der das Evangelium ja nicht zum ersten Male liest, hat man dabei zu bedenken, daß der geliebte Jünger als fiktionaler Erzähler und Verfasser des gesamten Evangeliums natürlich auch Zeuge der Auferweckung des Lazarus war und davon im elften Kapitel erzählt hat. Deswegen darf man ihn aber schwerlich mit einem ‚historischen Lazarus‘ identifizieren, wie das manche Autoren vorschlagen. Denn wie unser Erzähler ist ja auch der aus Lk 16,19 ff bekannte Lazarus nur eine er‑ zählte Figur. Mit dem Lazarus-Kapitel, das in der Weissagung des Hohenpriesters und dem Todesbeschluß des Synhedriums gipfelt (11,47 ff), leitet Johannes das zweite Buch seines Werkes mit der Geschichte des langen Abschieds Jesu von seinen Jüngern, seiner Passion und endlich seiner Auferstehung ein (s. o. z. St.). Um der Liebe (11,3.5.36) zu seinem ‚entschlafenen Freund‘ (11,11.14) und um dessen Leben willen riskiert Jesus sein eigenes Leben und gibt es endlich hin (vgl. 15,12 ff), indem er sich wieder nach Judäa wagt, wo die Juden doch gerade erst versucht hatten, ihn zu töten. Auf dem Höhepunkt der Lazarus-Erzählung ruft er dem toten Freund in seinem Grabe mit lauter Stimme zu: ‚Lazarus, komm heraus!‘. Und dann heißt es: ‚Und der Tot-Gewesene kam heraus, an Händen und Füßen gefesselt mit den Totenbinden, und sein Angesicht war verhüllt unter einem soud›rion‘ (43f). „What the neatly folded and separately lying soudarion indicates is that whereas Lazarus was completely passive in his coming back to life, entirely reliant upon the command of Jesus and needing others to remove the facial cloth and so restore him to full human and social life, Jesus has actively raised himself. The neatly folded, separately placed facial cloth would appear to be the culminating indication of this totally self-possessed, majestic act of Jesus“ (Byrne, ebd. 88, der treffend auf 10,18 verweist). Weil Byrne, wie die meisten Kommentatoren, den vermeintlich ‚ursprünglichen Schluß‘ des Evangeliums in Joh 20,30 f sieht und Joh 21 zu Unrecht für eine sekundäre Ergänzung hält (s. u. z. St.), vermag er natürlich auch 759
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den geliebten Jünger als den Erzähler von Joh 11 nicht wahrzunehmen und muß ihn erst am leeren Grab Jesu zum Glauben kommen lassen. (3) Maria ist zurückgekehrt und wird zur ersten Zeugin ihres auferstandenen Herrn (20,11–18) 11 f: Mittlerweile ist auch Maria von Magdala zum Grab zurückgekehrt, weinend steht sie draußen vor dem Grab. Und als sie sich über ihrem Weinen in das Grab hinein vorbeugt, sieht sie dort zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen zu Häupten und den anderen zu Füßen an der Stelle, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. Wußte Markus (16,5) nur von einem Grabesengel (nean‡sko"), der mit einem weißen Gewand bekleidet war, zu berichten, worin Matthäus ihm auf seine Weise folgt (28,2–6), so läßt Lukas den Frauen deren zwei erscheinen: „Und siehe, da traten zwei Männer in strahlenden Gewändern zu ihnen“ (24,4); auch darin dürfte Johannes Lukas folgen. Da er aber stets intertextuell mit seinen als bekannt vorausgesetzten Prätexten spielt und sie sich nicht in der Weise einfach einverleibt hat, wie das Matthäus und Lukas weitgehend mit dem Markustext getan haben, wird unnötigerweise immer wieder nach vermeintlichen von den Synoptikern unabhängigen Quellen gefahndet und damit die poetische Kraft unseres Evangelisten weit unterschätzt. 13–15: Die beiden Engel fragen Maria, warum sie weine, und darauf weiß sie nur zu wiederholen, was sie zuvor schon Petrus und dem anderen Jünger geklagt hatte: Sie haben meinen Herrn weggeschafft, und ich (!) weiß nicht, wohin sie ihn gebracht haben. Kaum hat sie das gesagt, da wendet sie sich um und sieht nun Jesus vor sich stehen. Doch trotz ihrer Wendung weg von Grab und Tod zu dem Lebendigen, der ihr gegenübersteht, begriff sie noch nicht, daß dieses Gegenüber Jesus war. Der redet sie nun mit den gleichen Worten an wie zuvor die beiden Engel, indem er sie fragt: Frau, warum weinst du? Wen suchst du denn? Und sie, in dem Glauben, daß er der Gärtner sei, erwidert ihm: Herr, wenn du ihn weggetragen hast, dann sag mir doch, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen. Daß Maria ihren Herrn für den Gärtner hält, darf man wohl als ein produktives Mißverständnis bezeichnen, denn als der Herr des köpo" (vgl. 18,14; 19,41 f) – im Alten Testament traditionell der Ort der Königsgräber und zumal des Davidsgrabes – ist Jesus in der Tat nicht nur der khpour∙", sondern zugleich auch der, der den Toten weggeschafft hat. Sein Garten ist der Ort des Lebens, wie denn dieser ‚Gärtner‘ allein die Vollmacht hat, sein Leben hinzugeben, so hat er allein auch die Vollmacht, es wieder an sich zu nehmen (10,18) und es, wie einst Gott dem ersten Menschenpaar, den Seinen einzuhauchen (20,22). So ruft dieser Garten wohl nicht zufällig den Garten Eden in Erinnerung. 16–18: Darauf sagt Jesus in ihrem eigenen Idiom zu ihr: Mirjam (Mari›m). Und daran erkennt sie nun in ihm ihren Herrn wieder. Er ist der gute Hirte, dessen Stimme ihr vertraut ist und der alle seine Schafe namentlich kennt und sie zu sich ruft (10,3 ff. 27 f). Wie er sie mit ihrem hebräischen Namen Mirjam genannt hat, so antwortet sie ihm jetzt in der ihnen gemeinsamen Muttersprache mit der Anrede: Øabboúni, was der Erzähler durch die Bemerkung kommentiert, das heißt: mein Meister. Mit dieser Anrede erweist Maria, daß sie jetzt zur reifen Meisterschülerin ihres Lehrers geworden ist, und erst mit diesem intimen Wortwechsel ist der Bann des Todes gebrochen, 760
Erste Szene: Die Ereignisse am leeren Grab Jesu
20,11–17
der auf ihr lastete (vgl. dazu Lee, Partnership 44 f). 17 Wenn Jesus ihr dann gebietet: mfl mou πptou ...: „Halte mich nicht fest!“ oder: „Halte mich nicht auf, denn noch bin ich nicht aufgefahren zu meinem Vater“, so ist das erkennbar ein Spiel mit dem Verhalten der Frauen in dem matthäischen Prätext: †kr›thsan a§toú toÜ" p∙da" (Mt 28,9). Denn der Gebrauch des verneinenden mfl mit dem nachfolgenden Imperativ Präsens fordert zum Abbruch einer andauernden Handlung auf und spricht nicht etwa ein grundsätzliches Berührungsverbot aus, wie das die meisten Kommentatoren behaupten. mfl mou πptou heißt also nicht: ‚Rühr mich nicht an!‘ (Noli me tangere!), sondern: ‚Halte mich nicht auf!‘, in dem sprichwörtlichen Sinn, daß man Reisende nicht aufhalten soll. Maria und mit ihr alle potentiellen Leser müssen es lernen, in Jesu Abschied einzuwilligen, denn nur so wird seine Gegenwart fortan erfahrbar bleiben (vgl. Wengst, Komm. II, 286). Wie die Fortsetzung zeigt, ist Jesus bereits unterwegs zu seinem Vater. Von einem erneuten, vierzig Tage währenden, irdischen Wirken des auferstandenen Jesus (diû ™merùn tesser›konta: Act 1,3) und seiner erst danach erfolgenden Himmelfahrt will Johannes offenbar nichts wissen. Jesu Auferstehen aus dem Grabe und sein Aufstieg zu seinem Vater, also Ostern und Himmelfahrt, ereignen sich – ebenso wie die pfingstliche Anhauchung mit dem Heiligen Geist (V. 22!) – am gleichen Tage. Für irgendeinen „Zwischenzustand“ Jesu (so Schnelle, Komm. 303) ist jedenfalls bei Johannes kein Platz. Auch als Auferstandener ist und bleibt Jesus der unter Pontius Pilatus gekreuzigte Jude aus Nazaret, in dem der ewige l∙go" Fleisch geworden ist. Und diese Fleischwerdung ist keine Episode in der Geschichte eines ewigen Geistwesens (vgl. 1Joh 1,1–4 u. s. dazu Minear, Idea). Darum erscheint es uns problematisch, wenn Wilckens erklärt, Johannes, der in Wahrheit nicht nur Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten zusammenfallen lasse, sondern diese drei auch noch mit der Kreuzigung Jesu identifiziere, handle gegen seine eigene theologische Überzeugung, wenn er überhaupt von Ostern erzähle! Und wenn er das dennoch tue, so habe das seinen Grund darin, daß er „die Geschehenswirklichkeit der Auferstehung des Gekreuzigten“ keinesfalls preisgeben wolle. Sei die Auferstehung aber ein wirkliches Geschehen, dann müsse sie auch erzählbar sein. Darum sei es nicht nur (!) seine Reverenz vor der kirchlichen Tradition, die ihn die Ostergeschichten – wenn auch auf seine spezifische Weise – erzählen lasse, sondern das liege durchaus auch in seinem eigenen theologischen Interesse. Freilich müsse er dabei von Ostern im Widerspruch zu seinem eigenen Verständnis der Auferstehung Jesu erzählen. Und so komme es dann in 20,17 „zu der eigenartigen Aussage Jesu, daß er zwar auferstanden, also verherrlicht ist und in seiner geistlichen Existenzweise Maria erscheint, in der sie ihn nicht mehr leibhaft berühren kann, wie in der Zeit vor seinem Tod, – daß er aber gleichwohl noch nicht zum Vater aufgestiegen ist“ (Komm. 309 f). Darin folgt er in gewisser Weise Bultmann, der ebenfalls Karfreitag und Ostern identifiziert, die Ostererzählungen für ‚eigentlich‘ überflüssig hält und in ihnen darum nur symbolische Illustrationen des Kreuzigungsgeschehens sieht. Aber auch wenn sich zu Recht kaum bestreiten läßt, daß für Johannes Jesu Kreuzigung als seine Erhöhung sowie seine Auferstehung und Auffahrt zu seinem Vater zwei Seiten nur einer Medaille sind, so bleiben sie doch auch für ihn zwei unverwechselbare und nicht zu identifizierende Seiten. Und daß Maria Jesus nicht mehr leibhaft berühren kann (Wilckens), sagt der Text ja gar nicht. Sie soll ihn vielmehr loslassen, und das kann ja nicht heißen, daß er jetzt zu einem unberührbaren Geistwesen geworden wäre!
Seinen Jüngern zu verkünden, daß sie Jesus gesehen hat, daß er lebt und jetzt auffährt zu seinem und ihrem Vater, sendet er die Magdalenerin Maria als die erste Zeugin seiner neuen österlichen Gegenwart. Wie der geliebte Jünger zuvor Petrus den Vortritt in das Grab Jesu überließ, so überläßt er mit seinem Schweigen über sein Glauben nun 761
20,1–18
Siebter und letzter Akt: Jesu neue österliche Gegenwart
auch der zur Jüngerin Jesu gewordenen Maria den Vorrang, als erste Osterzeugin vor die männlichen Jünger zu treten. Im Gegensatz zu Paulus, der 1Kor 15,5 ff Petrus als den ersten Osterzeugen benennt, und nahezu der gesamten kanonischen Tradition ist dieser Zeuge bei Johannes mit Maria eine Frau! (vgl. Wengst. Komm. II, 288: Schneiders, John 20,11–18; Lee, Partnership 42 ff). Vom Himmel her wird Jesus dann am Abend dieses Tages zu seinen Jüngern kommen und auch ihren Todesbann lösen und ihnen an seinem Sieg teilgeben, mit dem er die Welt überwunden hat (16,33). Und am folgenden Sonntag – zur Zeit, da das Evangelium geschrieben wurde, sicher bereits der Tag der Feier seiner Auferstehung – wird er auch seinem vom Zweifel geplagten Jünger Thomas erscheinen, so daß der aus vollem Herzen bekennen kann: „Mein Herr und mein Gott“ (V. 28). Insofern besteht also zwischen dem mfl mou πptou und der Aufforderung an Thomas, er solle doch seinen Finger in Jesu Nägelmale und seine Hand in seine durchbohrte Seite legen, auch überhaupt kein Widerspruch (vgl. Thyen, Johannes und die Synoptiker z. St. u. Neirynck, Evangelica II, 579 ff). Jesu Sendungsauftrag an Maria lautet: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern (prÖ" toÜ" üdelfo‚" mou) und sage ihnen: Ich steige (jetzt) hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“. Wohl dürfte auch der Auftrag: „geh hin und sage meinen Brüdern“ dem Prätext Mt 28,10 entstammen, wo Jesus den Frauen gebietet: „Geht hin und verkündet meinen Brüdern“. Doch damit folgt der Evangelist nicht einfach einer Quelle. Vielmehr ist Jesu bei ihm hier erstmals erscheinende Bezeichnung seiner Jünger als meine Brüder – im Gegensatz etwa zu Mk 3,31 ff / Mt 12,49 f – die große Überraschung. Schon in der Stunde seines Abschieds hatte Jesus ihnen erklärt, fortan seien sie nicht mehr blinde Sklaven, die nicht wüßten, was ihr Herr im Sinn hat, sondern seine Freunde, die er dazu erwählt habe, daß sie auch untereinander als Freunde bis zur Konsequenz der Lebenshingabe füreinander verantwortlich seien (15,12–17). Doch erst jetzt, nachdem Jesus das ihm aufgetragene Werk des Vaters sterbend vollbracht und die Schrift erfüllt hat, sind seine Freunde zu seinen Brüdern geworden. Zugleich damit nennt er Gott, den er bisher in einer auffälligen Exklusivität stets nur als ‚meinen Vater‘ bezeichnet hatte, nun auch ihren Vater und ihren Gott (vgl. Lee, Partnership 45: „This language expresses the strong sense of identification between Jesus and his disciples in relation to God. But it is also carefully nuanced to reflect the difference in status between Jesus and his disciples. The covenant relationship in which believers become God’s ‚family‘ is dependent on Jesus as Son (14,5; also 10,7.9)“. Daß sich aber mit Jesu Wort von ‚eurem Vater und Gott‘ „die große Verheißung zu Anfang des Dekalogs allererst wirklich erfüllt (habe): ‚Ich bin Jahwe, dein Gott‘, Ex 20,2“ (Wilckens, Komm. 310), darf man im Blick auf unser Evangelium sicher nicht sagen, denn „damit wird die im ersten Gebot ausgesprochene konkrete Bindung Gottes an sein Volk Israel gelöst und zugleich unsichtbar gemacht, daß Jesu Gott kein anderer ist als der Gott Israels“. Zudem ist natürlich auch Jesu Reden von ‚eurem Gott‘ Ver‑ heißung, die wahrgenommen sein will, und kein Garantieschein (Wengst, Komm. II, 287 f). 18 In äußerster Knappheit, und ohne daß Maria Jesu Auftrag an die Jünger vor ihnen noch einmal wörtlich wiederholte, berichtet der Erzähler am Ende dieser Szene nur noch, daß Maria ihren Auftrag erfüllt und den über das Leersein des Grabes verängstigten Jüngern verkündet: „Ich habe den Herrn gesehen! und das Folgende habe er ihr gesagt: kaÑ taúta eèpen a§tÔö.“ Im übrigen wäre es in diesem Evangelium auch erst jetzt nach Jesu Rede von ‚meinem Vater und eurem Vater‘ an der Zeit, daß er 762
Zweite Szene: Der Auferstandene erscheint seinen Jüngern
20,17–19
seine neuen Brüder das Vater-Unser lehrte. Vielleicht hat Johannes auch darum dieses Gebet durch sein intertextuelles Spiel mit ihm in Jesu großem Gebet von Joh 17 ersetzt.
Zweite Szene: Der Auferstandene erscheint seinen Jüngern und am achten Tage darauf dem zweifelnden Thomas (20,19–29) 19 Als aber der Abend jenes ersten Tages der Woche anbrach und die Jünger sich – aus Furcht vor den Juden – hinter verschlossenen Türen versammelt hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und seine (durchbohrte) Seite. Da wurden die Jünger von Freude erfüllt, weil sie den Herrn erkannten. 21 Danach sagte Jesus ihnen abermals: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich (nun) euch! 22 Und als er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! 23 Welchen ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. 24 Thomas aber, einer der Zwölf, mit dem Beinamen Didymos (Zwilling), war nicht bei ihnen gewesen, als Jesus zu ihnen gekommen war. 25 Da sagten ihm die anderen Jünger: Wir haben den Herrn gesehen! Der aber entgegnete ihnen: Wenn ich in seinen Händen nicht die Male der Nägel sehe und meinen Finger nicht in die Nägelmale und meine Hand nicht in seine Seitenwunde lege, so werde ich niemals glauben. 26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen, und Thomas war (nun) bei ihnen. Da trat Jesus durch die verschlossenen Türen ein, stellte sich in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! 27 Und darauf sagte er zu Thomas: Leg deinen Finger hierher und sieh meine Hände an, strecke deine Hand aus und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Dann sagt Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und dennoch glauben!
(1) Jesus erscheint seinen Jüngern und sendet sie in die Welt, so wie sein Vater ihn gesandt hat. Dazu rüstet er sie aus mit dem Heiligen Geist und gibt ihnen die Vollmacht, Sünden zu vergeben oder zu behalten (20,19–23) 19: Ohne daß das eigens erzählt worden wäre, hatten die Jünger – mit Ausnahme dessen, den Jesus liebte – ihren Herrn nach 16,32 nach seiner Festnahme im Garten allein gelassen und waren zerstreut worden ‚ein jeder in das Seine‘. Daß wir sie nun, am Abend des Ostertages – freilich wiederum mit einer Ausnahme, nämlich der von Thomas, wie wir in V. 24 nachträglich erfahren – wieder alle versammelt finden, muß seinen Grund wohl in der nahezu gemeindegründenden Osterbotschaft Maria Magdalenas als ihres „Easter Apostle(s)“ haben (Schneiders, John 20, 164 ff). Wie zuvor diese eine namentlich genannte Maria aus dramaturgischen Gründen die Frauen der Prätexte repräsentieren mußte, so muß nachher der eine Jünger Thomas alle zweifelnden 763
20,19–29
Siebter und letzter Akt: Jesu neue österliche Gegenwart
Jünger und potentiellen Leser (o´ dÇ †d‡stasan: Mt 28,17) vertreten. Da Jesu Jünger ja allzumal Juden sind und das auch zeitlebens bleiben werden, können die ûIoudaõoi, vor denen sie sich aus Angst hinter verschlossenen Türen verschanzt haben, ja nur solche sein, die der Hörer/Leser aus zahlreichen Szenen (vgl. etwa 7,13; 9,22; 19,38) und zumal aus der Passionserzählung bereits als Feinde Jesu kennengelernt hat; Wengst spricht darum treffend von den „führenden Juden“ (Komm. II, 289 f). Durch die verschlossene Tür tritt der Auferstandene mit den Worten e¢rflnh ≠mõn in die Mitte seiner Jünger. ‚Friede sei mit euch!‘ (µkyl[ µwlç) ist „der übliche Gruß der Hebräer“ (Wengst z. St.), wobei µwlç als Heil und Heilsames mehr ist als das Schweigen der Waffen und Frieden im landläufigen Sinn. Darüberhinaus ist dieser Wunsch von Heil und Frieden im Munde Jesu durch seine beim Abschied gesagten Worte definiert: e¢rflnhn üf‡hmi ≠mõn, e¢rflnhn tÉn †mÉn d‡dwmi ≠mõn: o§ kaqá" ¨ k∙smo" d‡dwsin †gá d‡dwmi ≠mõn (14,27) und: taúta lel›lhka ≠mõn ºna †n †moÑ e¢rflnhn ≤chte ktl. (16,33). Diese abschiedlichen Verheißungen Jesu finden hier ihre Erfüllung. 20: Nach dieser Gabe der eschatologischen e¢rflnh zeigt Jesus den Jüngern seine von den Malen der Nägel gezeichneten Hände und seine von der Lanze des Soldaten durchbohrte Seite: Da wurden seine Jünger von Freude erfüllt, weil sie ihren Herrn erkannten. Wengst macht zu Recht auf die unübersehbaren Berührungen von Joh 20,19–23 mit Lk 24,36–43 aufmerksam. Er nennt vier beiden Texten gemeinsame Punkte: (1) Jesus erscheint vor allen Jüngern; (2) plötzlich und unvermittelt tritt er in ihrer Mitte auf (Joh 20,19; Lk 24,36); (3) der die Welt überwunden hat (16,33) gibt den Jüngern mit den Worten e¢rflnh ≠mõn Teil an seinem Frieden (20,19.21; Lk 24,36); (4) die Jünger werden von Freude erfüllt (20,29; Lk 24,41). Daß diese Freude Lk 24,41 freilich mit Unglauben und Verwunderung verbunden ist (≤ti dÇ üpisto‚ntwn a§tùn üpÖ tö" carô" kaÑ qaumaz∙ntwn), markiert Wengst als einen gewichtigen Unterschied. Doch weil er mit dem Vater des epileptischen Jungen aus Mk 9,24 weiß, daß auch Glaubende nur beten können: ‚Ich glaube, hilf meinem Unglauben!‘, wird Johannes diesen zweifelnden Unglauben in der folgenden Erzählung ja eigens thematisieren. Wiederum muß da der einzelne Thomas alle üpistoúnte" unter den Jüngern (und Lesern!) repräsentieren: mÉ g‡nou ±pisto" üllÅ pist∙" (20,27). Auch wenn man als fünften Berührungspunkt noch anführen könnte, daß Jesus bei Johannes den Jüngern seine Hände und seine Seite, ihnen nach Lukas aber seine Hände und seine Füße zeigt, sieht Wengst darin jedoch eine derart große Differenz, daß es ihm unmöglich erscheint, aufgrund dieser fraglos vorhandenen Berührungen ein literarisches Verhältnis der beiden Texte zueinander zu bestimmen (Komm. II, 289). Aber daß Jesus den Jüngern bei Johannes seine Hände mit den Nägelmalen und seine durchbohrte Seite zeigt und sich dadurch als der Gekreuzigte zu erkennen gibt, ihnen bei Lukas aber nur seine Hände und seine Füße „als die unbekleideten Körperteile zum Erweis seiner Leibhaftigkeit im Unterschied zu einem Geistwesen“ zeigt (ebd.), läßt sich u. E. sehr viel plausibler als das von den theologischen Interessen des Evangelisten geprägte intertextuelle Spiel mit dem Lukastext erklären. Denn daß die Jünger Jesus für ein Gespenst halten, hatte Johannes schon in der Erzählung vom Seewandel Jesu (6,16 ff) überspielt (s. o. z. St.), und daß bei ihm an die Stelle der Füße Jesu als ein johanneisches Spezifikum dessen durchbohrte Seite getreten ist, deren Ursprung wohl in Sach 12,10 zu suchen sein dürfte (s. o. z. St.), läßt sich auch plausibler als absichtsvolles Spiel mit dem existierenden Lukastext als durch das Postulat irgendeiner verlorenen Quelle erklären. Wenn 764
Zweite Szene: Der Auferstandene erscheint seinen Jüngern
20,19–23
Wengst demgegenüber empfiehlt, „im Vergleich der vorliegenden Texte ihr jeweiliges besonderes Profil herauszustellen“ (ebd.), so entspricht er damit auf seine Weise in etwa unserer intertextuellen Fragestellung. Ohne daß sie damit aufhörte, selbst wiederum Verheißung zu sein, die wahrgenommen und eingeholt sein will, erfüllt sich in dieser Freude der Jünger daran, daß sie ihren k‚rio" sahen, Jesu abschiedliche Verheißung: ‚Jetzt seid ihr traurig, aber ich werde euch wiedersehen, und eure Herzen werden von Freude erfüllt werden, und eure Freude wird euch keiner trüben können‘ (16,22). Zwar werden mit dem Osterglauben Trauer und Verzweiflung samt ihren vielfältigen Anlässen nicht einfach aus der Welt verschwunden sein, aber „mitten im unbegreiflichen, sinnlosen Leid der Welt“ bricht er doch immer wieder der freudigen Hoffnung auf dessen endliche Überwindung Bahn (Blank, Komm. III, 171). Beachtet sein will auch, daß der Erzähler die Freude der Jünger darin begründet sieht, daß sie Jesus als den zum Vater erhöhten k‚rio" sahen; wie ihnen entsprechend ja auch schon Maria erklärt hatte: ©„raka tÖn k‚rion (V. 18). Aber auch als ihren k‚rio" erkennen die Jünger Jesus nur an seinen Wundmalen. „Sie gehören unablösbar zu ihm … (und) bestimmen bleibend, wer er ist: der Gekreuzigte“ (Wengst, Komm. II, 291). Auch wenn Calvin es lächerlich findet, wenn jemand aus dieser Wiedererkennungs-Szene schließen wollte, „Christi Seite sei immer noch durchstochen, seine Hände seien immer noch durchbohrt“ (Komm. 475; ähnlich Zahn, Komm. 678), erklärt Wengst treffend, daß es hier doch nicht um unsere ‚kindlichen‘ Vorstellungen, sondern darum gehe, „was Jesu Identität ausmacht. Er ist kein heiler Siegertyp, sondern bleibend als Verwundeter gekennzeichnet“ (ebd.). Die großen Maler scheinen das besser begriffen zu haben als viele große Theologen, wenn sie selbst den Weltenrichter als den Durchbohrten erscheinen lassen. 21: Mit dem wiederholten Segenswort e¢rflnh ≠mõn eröffnet Jesus jetzt seine weltweite Sendung der Jünger: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich nun euch!“ Als Entsprechung der Sendung des Sohnes durch den Vater ist das Ich Jesu als des Senders der Jünger hier nachdrücklich betont: kügá pfimpw ≠mô". Wir nannten diese Sendung ‚weltweit‘, weil jetzt die Stunde der Sammlung auch der über die Welt zerstreuten Gotteskinder gekommen ist (11,51 f). Jetzt, da das Weizenkorn in die Erde gefallen und gestorben ist, können auch die ‚Griechen‘ zu Jesus kommen (12,24). Proleptisch hatte Jesus diese Sendung seiner Jünger schon in seinem großen Gebet vor seinen Vater gebracht und ihm versichert, daß er sich für sie heiligen werde, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt seien (17,18 f). 22 f: „Und als er das gesagt hatte, hauchte er sie an und erklärte ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen auch immer ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben; welchen ihr sie aber behaltet, denen bleiben sie behalten.“ Gewiß nicht absichtslos versetzt der mit der Gabe des Heiligen Geistes verbundene Hauch Jesu die Hörer/Leser dieser Erzählung in die Atmosphäre der Genesis, wo Gott dem aus Erde geformten Adam seinen Lebensodem einhauchte, so daß er zu einem lebendigen Wesen wurde (Gen 2,7 – LXX: kaÑ †nef‚shsen e¢" tÖ pr∙swpon a§toú pnoÉn zwö", kaÑ †gfineto ¨ ±nqrwpo" e¢" yucÉn zùsan). Wir haben hier also den Anfang der neuen Schöpfung vor Augen. Gerade darum halten wir es gegen Swetnam (Bestowal 571 ff) auch für wenig wahrscheinlich, daß die Gabe des Geistes und der ‚Schlüsselgewalt‘ (vgl. Mt 16,18 f; 18,18) als die Verleihung eines besonderen Amtscharismas an einen entsprechend begrenzten Kreis von Jüngern verstanden werden darf (s. o. zu 19,30). Daß 765
20,19–29
Siebter und letzter Akt: Jesu neue österliche Gegenwart
von der Sündenvergebung als Gabe des Geistes nicht schon in den Verheißungen des Parakleten (siehe aber 16,7–10) und explizit auch nicht in 19,30 die Rede war, dürfte seinen Grund einmal darin haben, daß sich für Johannes in Jesu Sterben primär die Liebe Gottes zum k∙smo" vollendet (vgl. Swetnam, ebd. 563 u. ö.), zum anderen aber vor allem darin, daß es dazu erst der Hingabe des Fleisches des Sohnes des Menschen für das Leben der Welt bedurfte (6,51). Denn was Jesus am Kreuz erworben hat, das sollen seine Jünger nun weitergeben. Gleichwohl ist aber implizit auch schon in 19,30 von Sünde und Vergebung die Rede. Denn die Ströme lebendigen Wassers, die nach dem Zeugnis der Schrift aus dem Leib des Erhöhten fließen sollen, hatte der Erzähler in Joh 7,39 als Symbol des österlichen Geistes identifiziert. Und dabei hatten wir als die primäre Quelle jenes Zeugnisses der Schrift Sach 12,10 ff und 14,8 ausgemacht (s. o. z. St.). Deshalb hat uns die Lektüre der Szene vom Lanzenstich und dem Hervorströmen von Blut und Wasser aus der durchbohrten Seite Jesu (19,33–37) nahegelegt, sie als die förmliche Erfüllung jener Verheißungen Sacharjas zu begreifen: „An jenem Tage (nämlich am Tage, da sie auf den Durchbohrten schauen und alle um ihn trauern werden) wird sich ein Quell öffnen für das Haus David und alle Bewohner Jerusalems gegen Sünde und Unreinheit“ (Sach 13,1); und: „An jenem Tage wird lebendiges Wasser aus Jerusalem hervorquellen“ (Sach 14,8). Dazu daß die Gabe der Sündenvergebung schon traditionell mit derjenigen des Geistes sowie mit der neuen Schöpfung verbunden ist, verweist Wengst (Komm. II, 292 f) u. a. auf Ez 36,25 ff; Ps 51,3 ff; 1QS IV, 21; III, 6 ff. Angesichts der Talebene voller Totengebeine hatte Jhwh Ezechiel aufgefordert, er solle dem Geist zurufen: „Komm, o Geist, komm aus den vier Windrichtungen und wehe diese Erschlagenen an, daß sie lebendig werden“ (e¢pÖn tù pne‚mati: t›de lfigei k‚rio": †k tùn tess›rwn pneum›twn †lqÇ kaÑ †mf‚shson e¢" toÜ" nekroÜ" to‚tou", kaÑ zhs›twsan (Ez 37,9). Hier wird die Wiederbelebung der Totengebeine zum Bild für den neuen Exodus des Gottesvolkes aus dem babylonischen Exil als neue Schöpfung. „Auf solchem Hintergrund zeichnet Johannes, indem er den endzeitlich Auferweckten den Geist vermitteln läßt, die Entstehung von Gemeinde als endzeitliche Neuschöpfung“ (Wengst 292). (2) Jesus und Thomas (20,24–29) 24 f: Erst jetzt erfährt der Leser, daß Thomas, der hier als einer der Zwölf und wie schon in 11,16 als der Jünger mit dem Beinamen D‡dumo" (Zwilling) eingeführt wird (s. dazu o. z. St.), nicht unter den Jüngern war, als Jesus ihnen am Osterabend erschien. Doch mit denselben Worten wie zuvor Maria den Jüngern verkündet hatte, daß sie den Herrn gesehen habe, so hatten sie Thomas gesagt: ©wr›kamen tÖn k‚rion. Doch der hatte ihnen entgegnet: ‚Wenn ich nicht (selbst) die Male der Nägel in seinen Händen sehe und meinen Finger in diese Nägelmale lege und meine Hand in seine Seitenwunde, werde ich das nie und nimmer glauben!‘ (stärkste Verneinung: o§ mÉ piste‚sw). Ein Grund für die Abwesenheit des Thomas an jenem ersten Osterabend wird nicht genannt, und wir sollten auch nicht danach suchen. Unter Berufung auf Alter, der gezeigt hat, daß in der Kunst biblischen Erzählens derartige Details wie in unserem Fall die Abwesenheit des Thomas oder in Joh 5,9 der Umstand, daß der Tag der Heilung ein Sabbat war, oft bis zur letzten Minute verborgen bleiben (Art 66), macht D.A. Lee 766
Zweite Szene: Der Auferstandene erscheint seinen Jüngern
20,23–28
darauf aufmerksam, daß auch für Johannes „absence … a favourite literary device“ ist (Partnership 43). 26 f: Nach acht Tagen, also wiederum am Sonntag als dem Tag der Auferstehung, an dem sich sicher bereits, als unser Evangelium geschrieben wurde, und bis in unsere Gegenwart Jesu Jünger versammeln, sind die Jünger wieder beieinander, und nun ist auch Thomas unter ihnen. Trotz ihrer österlichen Sendung verschanzen sie sich immer noch hinter verschlossenen Türen. Doch die hindern Jesus nicht, erneut mit dem Friedensgruß e¢rflnh ≠mõn in ihre Mitte zu treten. Und völlig unvermittelt, als habe er die zweifelnde Entgegnung des Thomas an seine Mitjünger Wort für Wort mitgehört, fordert er den nun auf: ‚Reiche mir deinen Finger her und sieh dir meine Hände an; und gib mir deine Hand und lege sie (in die Wunde) in meine(r) Seite. Und sei nicht ungläubig, sondern glaube!‘ 28: Darauf antwortet Thomas nun mit dem Bekenntnis: ‚Mein Herr und mein Gott!‘. Dies ist das adäquateste und gefüllteste Bekenntnis des gesamten Evangeliums. In ihm gipfeln alle bisherigen Prädikationen Jesu, und zugleich werden hier die Aussagen des Prologs: kaÑ qeÖ" én ¨ l∙go" (1,1) und monogenÉ" qeÖ" ¨ œn e¢" tÖn k∙lpon toú patrÖ" †keõno" †xhgflsato wieder eingeholt. Im Blick auf die Äußerung der Oberpriester und ihres Gefolges, die auf die Pilatusfrage: ‚Soll ich etwa euren König kreuzigen?‘ emphatisch geantwortet hatten: ‚Wir haben keinen König außer dem Caesar!‘ (19,15), kann das Thomas-Bekenntnis von den Lesern des Evangeliums vielleicht zugleich als eine Absage an jegliche Form des Kaiserkultes verstanden worden sein, die sich wohl auch hinter dem rätselhaften Schlußwort des ersten Johannesbriefes verbirgt: tekn‡a, ful›xate ©autÅ üpÖ tùn e¢d„lwn (5,21; vgl. dazu E. Stegemann, Kindlein, hütet euch). Ähnlich – freilich nur auf 1Joh 5,14–21 als vermeintlich sekundären ‚Anhang‘ bezogen – urteilt Wengst, Johannesbriefe 224 ff. Das erscheint uns jedenfalls insofern nicht abwegig, als sich der zur Zeit der Entstehung unseres Evangeliums regierende Imperator Domitian, sei es mündlich oder sei es schriftlich, stets mit der Anrede ¨ k‚rio" ™mùn kaÑ ¨ qeÖ" ™mùn prädizieren ließ, nachdem er sich selbst in einem amtlichen Erlaß einmal so genannt hatte (Sueton, Domitian 13). Thomas, der häufig als der ‚ungläubige Thomas‘ mehr karikiert als in seinem berechtigten Anliegen verstanden wird, weigert sich, aufgrund bloßen Hörensagens zu glauben. Er will die Gegenwart seines Herrn durch eigenes Sehen und Fühlen selbst erfahren (vgl. Lee, Partnership 43). So wird Thomas kritisiert, weil er nicht um des rei‑ nen Glaubens willen glauben, sondern selbst sehen will. Dazu erklärt L. Steiger treffend: „Aber um diese falsche Reinheit geht es gar nicht. Und Thomas will ja nicht nur sehen, sondern auch anfassen. Selber will er seine Erfahrung machen, will nicht glauben, weil andere erfahren haben. Diesen Thomas darf keiner sich schenken“ (Erinnerung 100). Wie die Leute aus dem samaritanischen Sychar will Thomas am Ende auch sagen können: Ich glaube jetzt nicht mehr aufgrund eurer Botschaft, sondern weil ich selbst gehört und begriffen habe, daß dieser wahrhaftig der Erlöser der Welt ist (4,42). Steiger fährt fort, oft werde von Theologen gesagt, „daß wir vom Auferstandenen keine ‚objektiven‘ Zeugen haben, sondern nur solche Zeugen, die auch zum Glauben gelangten durch ihr Sehen. Das ist richtig – und bleibt doch eine unwahre Behauptung, weil man damit sagt, daß einer heute den Auferstandenen nicht sehen könne. Und so zweifelt man insgeheim auch, ob er denn je gesehen wurde. Daß es den Thomas geben muß, liegt eben daran, daß er den Zweifel festhält. Gäbe es diesen Zweifel nicht in einer Geschichte, die vom auferstandenen Herrn erzählt,
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20,19–29
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so kämen wir alle nicht vor, die wir zweifeln müssen, solange wir nicht erfahren haben. Mag sein, daß die Geschichte von Thomas bereits für diejenigen geschrieben ist, die meinen (sic!), den Auferstandenen nicht mehr sehen zu können. Daß diesen deshalb zugerufen wird: Selig, wer nicht sieht und doch glaubt! Wäre dies so, Thomas bliebe doch wieder die Ausnahme, hätte seinen Platz bei den Jüngern, die den Herrn sahen. Und wer wollte nicht da seinen Platz haben? … Zu tadeln ist Thomas nicht, weil er seinen Herrn so nah haben wollte. Damit machte er ja nur aufmerksam auf den Zusammenhang, der besteht zwischen Geist, Seele und Leib. Daß es um die ganze unteilbare Wirklichkeit im Glauben zu tun ist. Sondern zu tadeln ist, daß Thomas etwas zur Bedingung seines Glaubens macht. Wenn ich nicht …, kann ich nicht glauben (20,25). Verständlich, daß Thomas so redet, denn er will nicht ausgeschlossen sein von der Erfahrung der anderen Jünger. Und dennoch verschließt er sich so die Möglichkeit, den Auferstandenen zu sehen. In keiner Geschichte, in der sich Jesus lebendig zeigte, hieß es, daß ‚deswegen‘ geglaubt wurde. Ja vom Glauben war nicht eigens die Rede, weil von der Erfahrung erzählt wurde, durch die Glaube entsteht. Diese logische Struktur Wenn – dann widerspricht der Erzählstruktur und dem Medium der Beschreibung. Der Auferstandene läßt sich gleichwohl in der Erzählung auf die Logik des Zweifels ein. Er ahmt den Sprachbau des Thomas (weil – darum) in der Antwort nach. Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Und dann folgt der berühmte Satz, der im Zusammenhang mit dem vorigen erst seinen Sinn gewinnt: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ (L. Steiger, ebd.).
29: Zu Unrecht wird dieser Makarismus fast immer so ausgelegt, als formuliere er die Moral von der Geschichte des Zweiflers, als preise er im Gegensatz zu Thomas allein die Nachgeborenen selig, die sogenannten ‚Schüler zweiter Hand‘, deren Glaube sich nicht mehr auf eigene Erfahrungen mit dem Irdischen und dem Auferstandenen, sondern nur noch auf das apostolische Zeugnis seiner originären Augenzeugen gründen könne. Demgegenüber hatten wir schon zu dem Prologsatz: „Und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als die des Einzigen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ ausgeführt, daß in ihm nicht die Stimme zufälliger historischer Augenzeugen erklingt. Vielmehr wird darin die Erfahrung der Glaubenden aller Zeiten laut, so daß hier deren „Gleichzeitigkeit in der Autopsie des Glaubens“ (Kierkegaard) zur Sprache kommt. Ebenso will auch das Proömium des ersten Johannesbriefs (1,1–4) verstanden sein. Da will nicht, wie Kügler (Belehrung) argwöhnt, ein autoritärer Anonymus durch die Fiktion seiner Augenzeugenschaft des historischen Jesus seinem Schreiben eine unhinterfragbare Autorität verleihen, sondern da wollen im glaubenden Umgang mit dem gegenwärtigen Auferstandenen Erfahrene eine von Apostasie bedrohte Christengemeinde für die volle koinwn‡a „mit dem Vater und mit seinem Sohn, Jesus Christus“ zurückgewinnen, damit auch sie die 16,22 verheißene Freude erfülle. Das zeigen die auffallend neutrische Formulierung, der Perfekt-Aspekt der Verben, ≈ ükhk∙amen, ≈ ©wr›kamen toõ" £fjalmoõ" und die Formulierung perÑ toú l∙gou tö" zwö" deutlich. Es ist der Auferstandene selbst, der dafür sorgt, daß die falsche Fragestellung des Zweiflers nicht fehlschlägt. „Er spricht mit Thomas und führt seinen Finger. Damit konnte der Zweifler nicht rechnen, der doch ‚selber‘ sehen und anfassen wollte. … So darf der Zweifler dennoch in die Erfahrung des Auferstandenen gelangen. Sein Zweifel wird nicht ausgeschlossen, sondern behoben und über sich aufgeklärt. Behoben wird er, weil er sehend und fühlend wird! Über sich aufgeklärt wird er, weil Thomas glaubend seinem früheren Sehenwollen gegenüberstehen darf. In diesem Gegenüber ist er nicht mehr unglücklich, sondern selig“ (Steiger, ebd. 101 f).
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Der Epilog des Evangeliums (20,30–21,25) 20,30 Noch viele andere Zeichen hat Jesus vor seinen Jüngern getan, die nicht in diesem Buch geschrieben stehen. 31 Diese aber stehen geschrieben, damit ihr an dem Glauben festhaltet, daß Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr als derart Glaubende in seinem Namen das Leben habt. 21,1 Nach diesem (allen) offenbarte sich Jesus seinen Jüngern erneut am Ufer des Sees von Tiberias; er offenbarte sich aber so: 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas mit dem Beinamen Didymos sowie Nathanael, der aus dem galiläischen Kana, und die (Söhne) des Zebedäus sowie noch zwei weitere seiner Jünger. 3 Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie erwiderten: Dann wollen wir mit dir gehen. So gingen sie hinaus und bestiegen das Boot. Doch in jener Nacht fingen sie nichts. 4 Als es aber schon Morgen wurde, da stand Jesus am Ufer. Die Jünger wußten freilich (noch) nicht, daß es Jesus war. 5 Da sagte Jesus zu ihnen: Kindlein, habt ihr nichts zu essen? Und sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sagte (darauf) zu ihnen: Werft das Netz zur rechten Seite des Bootes aus, dann werdet ihr fangen. So warfen sie es dann aus und konnten es wegen der Menge der Fische nicht mehr einziehen. 7 Da sagte jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr. Als Simon Petrus vernahm, daß es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. 8 Die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot nach – sie waren nämlich nicht mehr weit vom Ufer entfernt, nur etwa zweihundert Ellen –, und sie schleppten das Netz mit den Fischen (hinterher), 9 Als sie dann an Land gegangen waren, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer mit Fisch darauf und Brot. 10 Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen her, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Da stieg Petrus hinauf (in das Boot) und schleppte das Netz an Land, das war voll von großen Fischen, einhundertdreiundfünfzig an der Zahl. Und obgleich es so viele waren, riß das Netz nicht. 12 Da forderte Jesus sie auf: Kommt zum Frühstück! Keiner der Jünger aber wagte es, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wußten ja, daß es ihr Herr war. 13 Jesus kommt, nimmt das Brot und gibt es ihnen, und ebenso auch vom Fisch. 14 Dies war das dritte Mal, daß Jesus sich seinen Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war. 15 Als sie dieses Frühmahl beendet hatten, fragte Jesus Simon Petrus: Simon, (Sohn) des Johannes, liebst du mich mehr als diese anderen? Der antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt doch, daß ich dich liebe! 16 Und wieder, zum zweiten Male, fragte er ihn: Simon, Johannessohn, liebst du mich? Und der antwortete: Ja, Herr, du weißt doch, daß ich dich liebe. Da sagte er zu
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20,30–31
Der Epilog des Evangeliums
ihm: Weide meine Schafe! 17 Endlich fragte er ihn zum dritten Mal: Simon, Johannessohn, hast du mich lieb? Da wurde Petrus traurig, weil er ihn nun schon zum dritten Mal gefragt hatte: Liebst du mich? Und erwiderte ihm: Herr, du weißt doch alles, Du weißt auch, daß ich dich liebe. Und Jesus sagte ihm: Weide meine Schafe! 18 Amen, Amen, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du sich selbst und wandertest, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. 19 Das sagte er aber, um anzudeuten, mit was für einer Art des Todes er Gott verherrlichen werde. Und nach diesen Worten forderte er ihn auf: Folge mir nach! 20 Als Petrus sich umwandte, sah er, daß der Jünger, den Jesus liebte, (ihm ebenfalls) nachfolgte, der, der beim (letzten) Mahl an seiner Brust gelegen und ihn gefragt hatte: Herr, wer ist es, der dich ausliefern soll? 21 Als Petrus den erblickte, fragte er Jesus: Herr, was soll denn aus diesem werden? Und Jesus erwiderte ihm: Wenn ich will, daß der bleibt, bis ich komme, was kümmert das dich? Du (jedenfalls) sollst mir nachfolgen. 23 Daraufhin verbreitete sich unter den Brüdern dieses Wort: Jener Jünger stirbt nicht. Doch Jesus hatte zu ihm ja nicht gesagt, daß er nicht sterben werde, sondern: Wenn ich will, daß der bleibt, bis ich komme, was kümmert das dich? 24 Dies ist der Jünger, der diese ganze Geschichte bezeugt und der sie aufgeschrieben hat. Und wir sind gewiß, daß sein Zeugnis wahr ist. 25 Da sind aber noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn man das alles eines um das andere niederschreiben wollte, so könnte, wie ich überzeugt bin, die (ganze) Welt die Bücher nicht fassen, die dann geschrieben werden müßten. 20,30–31: Auch wenn die meisten Exegeten in diesen beiden Versen immer noch den ursprünglichen Schluß des Evangeliums erkennen wollen und Joh 21 als den sekundären Nachtrag eines epigonalen Redaktors von bescheidenem literarischen Vermögen beurteilen, plädieren wir hier für die ursprüngliche und unauflösliche Zusammengehörigkeit von Joh 21 mit den vorausgegangenen Kapiteln 1–20 und dafür, daß gerade dieser vermeintliche ‚Nachtrag‘ ein unentbehrlicher Schlüssel für die Interpretation unseres Evangeliums ist; vgl. dazu schon Overbeck (Johannesevangelium) und neuerdings: Hartman (Attempt), Minear (Original Functions), Neirynck (John 21), Smalley (Sign), Ellis (Authenticity), Breck (Appendix), Franzmann & Klinger (Call Stories), de la Potterie (Témoin), Segovia (Final Farewell), Thyen (Licht der Welt pass. u. Noch einmal Joh 21), Bauckham (Beloved Disciple) u. a. Wie D.A. Lee (Partnership 40) ganz richtig gesehen hat, fungieren die Verse 20,8–10 „as a prolepsis, pointing forward to the meeting with the risen Christ in John 21 and the key roles each disciple will play“ (s. o. z. St.). Ja mehr noch, alle Texte, die seit 13,23 einen der Jünger Jesu als denjenigen benennen, den Jesus liebte, oder auch nur auf seine Gegenwart anspielen, wie 1,40 ff, 18,15 ff und 19,35b, blieben ohne 21,20 ff schlechthin rätselhaft und hingen ohne diese Klimax förmlich in der Luft. Schon als einer der Jünger Jesu zum ersten Mal mit dem Quasi-Pseudonym der Jünger, den Jesus liebte benannt wird (13,23 ff), erscheint er als derjenige, der †n tù k∙lpw Jesu liegt. Durch diese nicht nur physische Nähe erfährt er als einziger, welcher unter den Mitjüngern es ist, der Jesus an seine Feinde ausliefern sollte. Er gibt dieses Wissen freilich einstweilen noch nicht an seine Mitjünger weiter, 770
Der Epilog des Evangeliums
20,30–31
sondern behält es für sich, bis er nach der Verherrlichung Jesu die ganze Geschichte vom Leben, Sterben und der Auferstehung seines Herrn erzählen und aufschreiben wird (21,24). So wird er zu dem von seinem Herrn dazu bestimmten Exegeten Jesu, ebenso wie dieser, wie das Epiphonem (Lausberg) sagt, der einzige und verläßliche Exeget Gottes ist: qeÖn o§deÑ" ©„raken p„pote: monogenÉ" qeÖ" ¨ w]n e¢" tÖn k∙lpon toú patrÖ" †keõno" †xhgflsato (1,18). In engem Anschluß an die Untersuchung von Minear (Functions) hat R. Bauckham (Beloved Disciple) zunächst die unauflösbare Zusammengehörigkeit von Joh 21 mit dem Rest des Evangeliums aufgewiesen und überzeugend begründet, daß die Einführung des geliebten Jüngers von vorneherein allein dem Zweck dient, ihn dem Leser am Ende seiner Lektüre als den ‚idealen Autor‘ und Evangelisten zu präsentieren Daß alle Texte über den geliebten Jünger von Anfang an auf ihre Klimax in Joh 21,20 ff hin geschrieben sind, hatten wir bereits 1977 (Entwicklungen) begründet. Weil wir damals jedoch noch unter dem Bann des literarkritischen Konsensus über Joh 21 standen, wonach das Kapitel als der sekundäre Nachtrag einer ‚johanneischen Redaktion‘ galt, mußten wir die fraglichen Texte um den geliebten Jünger dem Verfasser von Joh 21 zuschreiben und diesen den ‚vierten Evangelisten‘ nennen. Denn ein Johannesevangelium hat nach Ausweis seiner handschriftlichen Überlieferung ohne Joh 21 nie öffentlich existiert. Weder auf der inhaltlichen noch auf der linguistischen und/ oder stilistischen Ebene gibt es irgendein verläßliches Indiz für den sekundären Charakter von Joh 21. Zudem ist ein seiner überlieferten Gestalt gegenüber vermeintlich ursprünglicheres Evangelium eine rein hypothetische Größe, die zuverlässig nicht rekonstruiert werden kann und darum auch nicht interpretierbar ist. Und endlich wäre ein Evangelium ohne seine charakteristischen Texte über „den Jünger, den Jesus liebte“ ein schlechthin anderes und nicht unser Johannesevangelium. – Auch aufgrund der neuen Untersuchung der johanneischen Sprachmerkmale durch Ruckstuhl & Dschulnigg (Stilkritik) haben wir die 1977 noch vertretene These von der Überarbeitung eines vermeintlichen Grundevangeliums durch eine in Joh 21 am deutlichsten sichtbar werdende ‚johanneische Redaktion‘ inzwischen preisgegeben und kommentieren nun unser überliefertes Johannesevangelium – unter Absehung von der u. E. nicht mehr aufklärbaren Frage nach seiner Genese – als ein kohärentes literarisches Werk (vgl. Thyen, Licht der Welt pass. u. Art. Johannesbriefe). Einen ganz ähnlichen Paradigmenwechsel von einer redaktionskritischen Schichtenlektüre des Evangeliums zu seiner Interpretation unter einer ‚integrativen Perspektive‘ hat etwa gleichzeitig mit uns Segovia vollzogen und darüber im Vorwort zu ‚The Farewell of the Word‘ (VII–IX) Rechenschaft abgelegt.
Weil die beiden Verse 20,30 und 31 eine Brückenfunktion haben, indem sie sowohl das Corpus des Evangeliums, nämlich das Zeugnis für Jesus, den messianischen Gottessohn (Joh 1–20), beschließen (Ωti ûIhsoú" †stin ¨ cristÖ" ¨ u´Ö" toú qeoú), zugleich aber auch der Eröffnung seines Epilogs als des Zeugnisses Jesu für dieses Evangelium dienen, haben wir sie zur Verdeutlichung dieser Funktion zu Joh 21 gezogen. Schon Overbeck (Johannesevangelium 434–455) hatte Joh 20,30–21,25 (!) unter der Überschrift „Der Abschluß“ behandelt und dazu erklärt: „Kap 21 kommt als scheinbarer Nachtrag besser zur Geltung und zur Anerkennung seiner besonderen Bedeutung, als wenn es sich unmittelbar an 20,29 anschlösse. Je weniger streng man aber 20,30 f als Schluß des Evangeliums auffaßt, um so weniger braucht man sich dann auch Umstände zu machen, 21,24 f richtig zu fassen, d. h. wiederum als Schluß zum ganzen Evangelium, nicht etwa nur zu Kap. 21“ (Johannesevangelium 435; vgl. ebd. 434–455). Neuerdings folgt ihm Segovia (Final Farewell 173 ff) darin. Nach Joh 19,35b ist 20,31 der einzige Fall, in dem der Erzähler seine Zuhörer/Leser in der zweiten Person Pluralis direkt anredet und damit als Mittler zwischen sie und sein geschriebenes Werk tritt. Wenn auch ohne diese 771
20,30–31
Der Epilog des Evangeliums
direkte Anrede, jedoch der Sache nach ähnlich und mit der bezeichnenden Wiederaufnahme des Lexems gr›fein, findet sich diese Reflexion auf das geschriebene Buch dann auch in den beiden Schlußversen von Joh 21,24–25, so daß 20,30 f und 21,24 f in chiastischem Spiel mit den Motiven ‚geschrieben – nicht geschrieben‘ eine kunstvolle Inklusion um Joh 21 bilden. De la Potterie (Le témoin) hat mit diesem Spiel, das dem Schema A B B' A' folgt, zugleich die Kohärenz des gesamten Epilogs von 20,30–21,25 aufgewiesen. A redet von den Zeichen, „die nicht geschrieben sind“ (20,30); B dagegen von denen, „die geschrieben sind“ (20,31); B' erklärt: „dies ist der Jünger, … der dieses geschrieben hat“ (21,24); und A': „wollte man das alles im Einzelnen niederschreiben“, also wiederum „nicht geschrieben“; vgl. Segovia (Final Farewell 175). Wenn der Erzähler in 20,30 sagt, daß Jesus über die in seinem Buch beschriebenen Zeichen hinaus noch viele weitere vor seinen Jüngern getan habe, so setzt er wiederum voraus, daß seine potentiellen Leser, vermutlich doch wohl aus ihrem Vertrautsein mit den synoptischen Evangelien, um derartige Zeichen wissen. Unter Rückgriff auf diese Wundererzählungen, gelegentlich wohl auch durch deren Kombination, bietet er seinen Lesern jedoch nur eine repräsentative Auswahl aus den zahlreichen Wundertaten Jesu. Wenn er sie an diesem Ende wie schon bei ihrer ürcfl im galiläischen Kana shmeõa nennt (2,11), so lassen diese Zeichen sich weder mit Minear auf Joh 20, noch mit Hartman auf die Thomas-Erzählung begrenzen. Der Gebrauch des prominenten Lexems shmeõon und der Verweis auf ‚dieses Buch‘ fordern vielmehr, hier alle im Evangelium erzählten Zeichen Jesu ins Auge zu fassen. Den sieben prädizierten Ich-Bin-Worten Jesu korrespondierend sind das wohl die folgenden sieben Zeichen: (1) Das Weinwunder von Kana als ihre ürcfl; (2) die Rettung des Sohnes des königlichen Beamten (4,46–54); (3) die Heilung des Lahmen (5,1–16); (4) die wunderbare Speisung der Fünftausend (6,1 ff); (5) die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9); (6) die Erzählung von Tod und Auferweckung des Lazarus (Joh 11); und endlich (7) das im sechsten Zeichen bereits vorabgebildete letzte und größte Zeichen, nämlich die Geschichte von Verhaftung, Verurteilung, Hinrichtung und Auferstehung Jesu (Joh 18–20). Alle diese Zeichen sind längere, oft von Diskursen unterbrochene Erzählungen und nie solche symbolischen Einzelzüge wie etwa die sechs steinernen Krüge bei der Hochzeit in Kana, der weggeschaffte Stein vor dem Grabe Jesu oder seine geordneten Grabtücher (so Minear). Daß die Reihe der ‚Zeichen‘ nicht, wie häufig behauptet wird, mit dem Lazarus-Wunder als ihrem siebten beendet sein kann – wobei man dann Jesu Seewandel (6,16 ff) vom Brotwunder abtrennen und ihn als eigenes shmeõon zählen müßte, obwohl er so nicht bezeichnet ist –, macht die hier erörterte Passage 20,30 f evident. Denn weil kein Erzähler seinem Zuhörer zumuten kann, bei der Rede von den in diesem Buch aufgeschriebenen Zeichen über die langen Kapitel 12–20 hinweg an die schon mit dem Lazarus-Wunder abgeschlossene Reihe der Zeichen zu denken, müssen sich die Verse 20,30 f auch auf die ihnen unmittelbar vorausgehende Erzählung von Jesu Passion und Auferstehung als shmeõon beziehen. Dazu, daß Jesu Sterben und Auferstehen als letztes Zeichen begriffen sein wollen, macht Minear (Functions 90) noch auf die Zeichenforderung der ûIoudaõoi in 2,18 aufmerksam. Auf diese Forderung eines seine Tempelreinigung beglaubigenden Zeichens hatte Jesus geantwortet: „Brecht diesen Tempel nur ab, ich werde ihn binnen dreier Tage wieder aufrichten“. Und dazu hatte der Erzähler bemerkt: „Das sagte er aber im Blick auf den Tempel seines Leibes“, und hinzugefügt, daß die Jünger das erst im Lichte des Sterbens und Auferstehens Jesu begreifen sollten (2,18–22). 772
Der Epilog des Evangeliums
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31: Die genannten ausgewählten Zeichen hat der Erzähler in seinem Evangelium aufgeschrieben, damit seine Leser zum Glauben kommen (piste‚shte) – oder: an dem Glauben festhalten und in ihm bleiben (piste‚hte) –, daß Jesus der Messias und Gottessohn ist, und in solchem Glauben das ewige Leben bewahren. Carson (Purpose), der zwar die aoristische Lesart piste‚shte als ursprüngliche zu erweisen sucht, sieht aber gleichwohl auch in der präsentischen keinen Hinderungsgrund dafür, unser Evangelium als „primarily evangelistic“zu beurteilen (640 f). Wie vor ihm schon Oehler (Missionsschrift für die Welt) oder Bornhäuser (Missionsschrift für Israel) hält auch er es jedenfalls für eine Missionsschrift. Die Lesart mit dem Konj. Präs. ºna piste‚hte bieten die folgenden Zeugen: P66 vid a* B Q 0250 1010 al f ; den Konj. Aor. dagegen a2 A C D L W Y 0100 f 1.13 M lat sy. Riesenfeld, der die johanneischen ºna-Sätze eingehend untersucht hat, plädiert hier u. E. völlig zu Recht für die Ursprünglichkeit der präsentischen Lesart und urteilt, daß unser Evangelium dazu geschrieben wurde, wankende Glaubende (und wer wäre das nicht?) dazu zu ermutigen, am Glauben festzuhalten und in ihm zu bleiben; nicht aber dazu, Außenseiter zum Glauben zu bewegen (ºna-Sätze). Carson (640 f) wendet dagegen jedoch ein, daß Riesenfelds Beispiele für den Gebrauch von ºna mit nachfolgendem Konjunktiv Präsens zumeist dem 1Joh entstammten, der als ein Brief an Christen natürlich deren innergemeindliche Probleme thematisiere und insofern gewiß keine ‚evangelistischen‘ Interessen verfolge. Das Argument klingt auf den ersten Blick zwar einleuchtend, sieht man jedoch genauer hin, so offenbart es zugleich seine Schwäche. Denn die prominente Rolle, die das Lexem mfinein im gesamten Corpus Iohanneum spielt (vgl. Heise, Bleiben pass.), die gewichtige, an die Jünger und zugleich alle späteren Leser gerichtete Frage: ‚Wollt ihr etwa auch weggehen?‘ (Joh 6,67; vgl. 1Joh 2,18 ff) sowie das Spiel mit der jüdischen Bibel und den synoptischen Prätexten zeigen u. E. unübersehbar, daß das Evangelium – ebenso wie der weithin darauf beruhende und es auslegende erste Johannesbrief – sich primär an eine von Zweifeln und Apostasie bedrohte Christenheit richtet. Auch wenn das Evangelium in der Hand derer, die Jesus als seine Brüder in die Welt sendet, sekundär eine quasievangelistische Rolle spielen mag, ist es jedoch primär keinesfalls ein missionarischer Traktat. Wenn Carson es aber dennoch als einen solchen begreifen will, dann weiß er natürlich, daß allein der Modus des Verbums piste‚ein in 20,31 nicht dazu ausreicht, die intendierte Leserschaft des Evangeliums als Ungläubige, seien diese nun Juden, Gottesfürchtige oder Heiden, zu identifizieren (vgl. Barton, Can We Identify). Darum ist das Hauptargument für seine These auch nicht die Wendung ºna piste‚[s]hte, sondern der ihr folgende Ωti-Satz: Ωti ûIhsoú" †stin ¨ cristÖ" ¨ u´Ö" toú qeoú. Schwerlich zu Recht sieht er darin die Prädikation Jesu als des messianischen Gottessohnes als das Subjekt und den Jesusnamen als Prädikatsnomen an. Dann müßten die hier zum Glauben Gerufenen (ºna piste‚[s]hte) solche sein, die in der messianischen Erwartung Israels zu Hause und mit der jüdischen Bibel vertraut sind, und ihnen sagte der Autor: Ihr braucht nicht länger zu warten, denn der Erwartete ist längst gekommen, er ist Jesus, dessen Geschichte ich euch hier erzählt habe. Uns erscheint diese Interpretation der von allem Vorausgehenden isolierten Passage 20,30 f aber als eine unzulässige Vertauschung von Subjekt und Prädikat. Denn im gesamten Evangelium ist der Jude Jesus aus dem unbedeutenden Nazaret, dessen Vater und Mutter man kennt, das einzige Subjekt, und Messias, Gottessohn, Gott, Logos, Licht, Brot des Lebens, Weg, Wahrheit und Leben, Auferstehung, guter Hirte, wahrer Weinstock etc. sind seine Prädikate. Das 773
20,30–31
Der Epilog des Evangeliums
dürfte in 20,31 nicht anders sein. Wir bleiben darum also bei der von Riesenfeld vorgeschlagenen Lektüre (piste‚hte) und sehen die Christenheit zur Zeit der Abfassung des Evangeliums samt allen ihr folgenden Generationen als die intendierte Leserschaft des Evangeliums an (vgl. Bauckham, For Whom Were the Gospels Written?). Wir betonen das auch deshalb, weil sich das Interesse der Forschung in den letzten drei Jahrzehnten in signifikanter Weise und u. E. zu Unrecht von der Frage nach dem Evangelium und seinem Evangelisten „as one of the most creative individual theologians of early Christianity“ (Barton, Audiences 193) weithin abgewandt und sich verlagert hat auf die Frage nach Geschichte und Geschick einer vermeintlichen johanneischen Gemeinde, die weithin zum Schlüssel der Johannes-Interpretation geworden ist. Die Protagonisten dieser neuen Fragestellung sind u. a. Meeks (Man from Heaven), Martyn (History and Theology) und Brown (Community). Diese johanneische Gemeinde (bzw. diese Gruppe von Gemeinden) soll – und dafür berufen sich die Autoren auf Leroy (Rätsel und Mißverständnis) – eine nur Insidern verständliche Sondersprache gepflegt haben und, isoliert vom Rest des Urchristentums, als eine Art Sekte existiert haben. Anstelle des Evangelisten erklärt Meeks, der damit aber wohl auch für Martyn, Brown und viele andere spricht, diese Gemeinde gar zum eigentlichen Autor des Evangeliums, das er dementsprechend nicht als literarisches Werk liest, sondern nur als ‚Produkt‘ begreifen kann: „Nevertheless, it has become abundantly clear that the Johannine literature is the product not of a lone genius but of a community or group of communities that evidently persisted with some consistent identity over a considerable span of time“ (ebd. 173). Im Anschluß an die eben genannten Autoren beschreibt Malina (Gospel of John in Sociolinguistic Perspective) das JohEv wegen seines signifikant geringen Wortschatzes als das Zeugnis einer „überlexikalisierten“ und durch das dichte Netz seiner Metaphorik „re-lexikalisierten“ Sprache, die nur ‚Insidern‘ verständlich sei. Doch Joh ist im Gegenteil unter allen neutestamentlichen Schriften wohl diejenige, die gerade Außenstehende am besten in die christliche Tradition einzuführen vermag. Denn Johannes benutzt nicht die vermeintlich vorhandene metaphorische Sondersprache eines esoterischen Konventikels, sondern er verwendet im Gegenteil große Mühe darauf, seine gesamte Metaphorik vor den Augen seiner Leser erst eigens aus deren Alltagssprache zu erschaffen (vgl. Dokka 99 ff). Unter Verweis auf MacRae (Fourth Gospel 23) und K. Berger (Exegese 230 f) erklärt auch Nissen zur Sprache des Evangeliums treffend: „To be a community of Jesus the Son of God the Johannine community could not close itself off from human expressions of longing for wholeness and salvation. The community’s openness and diversity where necessary features of ist congruence with Jesus; John’s language is characterized not by a ‚closed metaphorical system‘ (Meeks), but by a ‚semantic openness‘; he speaks not only to ‚insiders‘ but also to ‚outsiders‘“ (Community 197). Im Unterschied zu Malina spricht Dokka darum nicht von dem Gebrauch einer relexikalisierten Sprache, sondern von dem narrativen Prozeß der Relexikalisierung der Alltagssprache: „John takes great care in textually reproducing its production“ (ebd. 104 f). Wie Stephen Moore (Literary Criticism 159–163) in dem Kapitel: The Failure of Johannine Irony an der Wassermetaphorik von Joh 4 und 7,37 ff sowie an Jesu endlich ganz unmetaphorischem Durst nach physischem Wasser (19,28 ff) gezeigt hat, verhält es sich wohl eher umgekehrt, nämlich so, daß „while John teaches his language to the outsiders, he de-teaches and confuses their [i. e. the insiders] metaphorical competence by time and again fetching in the normal ‚outside‘ meaning of his words“ (Dokka 104). Die stärkste Instanz solcher „insider-confusing de-metaphorization“ sieht Dokka in Jesu Dialog mit Martha (Joh 11,20 ff). In allen übrigen Zeichenerzählungen wird nämlich die metaphorische Bedeutung dieser physischen Zeichen erst durch einen Diskurs erschlossen, der sich an die Erzählung anschließt. Und: „This order is generally taken to reflect an essential feature in Johns theology, particularly as regards the semeia. The general view is that
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Erste Szene: Die neue Gegenwart des auferstandenen Jesus am See von Tiberias
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John thinks of a belief based on signs – or on anything visible and earthly – as being inferior or altogether mistaken. Signs are at best a kind of pedagogy, the first stage in lifting prospective believers from this world to the height of spiritual truth“ (ebd. 105). Hier dagegen legt Martha ihr scheinbar vollgültiges Bekenntnis zu Jesus als die Auferstehung und das Leben (11,27) bereits ab, noch ehe Jesus das Zeichen überhaupt vollbracht hat. Und zudem muß Jesus die vermeintlich spirituell initiierte Martha gegen deren Protest (11,39 f) kurz darauf förmlich dazu zwingen, ihre Sinne auf das Grab und seinen Verwesungsgeruch zu richten. Dabei wird die brutale Physikalität betont. Und als Jesus Lazarus dann aus dem Grabe ruft, geschieht das ohne jegliche Metaphorisierung des Vorgangs, und die Erzählung endet mit der trivialen Aufforderung: ‚Löst ihm die Fesseln und laßt ihn gehen!‘: „This does not annul the metaphorical or spiritual. But the order of events in the story remains an almost brutal corrective to a spirituality which is severed from the common physicality of humans. It is, in a sense, Mary with her bodily expression of emotion, that wins the scene – not over the metaphorical meaning of resurrection, but over the esoteric aloofness it apparently might aquire“ (ebd.). Wie J. Becker Ethik und Soteriologie auseinanderreißt, so allegorisiert er auch Jesu Zeichenhandlungen dadurch, daß er sie von ihrer spirituellen Bedeutung trennt. Die Zeichen gehören für ihn der Welt der s›rx an, die ja nach 6,63 ‚zu nichts nütze‘ sein soll. (Wunder und Christologie 147). Sie sind bloße pädagogische Eselsbrücken, denn nicht, wie in der vermeintlichen ‚Semeiaquelle‘ im Wunder, sondern allein „im anredenden Wort“ offenbare sich für den Evangelisten der Sohn, rufe „in die Krisis“ und mache die „Wunder entbehrlich“ (ebd. 148). Weil er auch die Erweckung des Lazarus als bloße Illustration des Offenbarungswortes Jesu von 11,25 f begreift, sei an den Evangelisten „die Anfrage zu richten, ob solche Illustration (hier) … noch sachlichen Sinn hat. Kann man wirklich den Tod, der seinen eigenen Tod mit 11,25 f schon gestorben ist, nochmals als ernstzunehmenden Feind des Lebens betrachten und ihm ausnahmsweise einmalig ein Beutestück auf Zeit entreißen? Muß man nicht, um der Tragweite von 11,25 f willen …, die theologische Bedeutungslosigkeit des Lazaruswunders herausstellen? In der Tat: von 11,25 f her muß das Bestaunen des Wunders und das Hoffen auf wunderbare Vorgänge wie in 11,1 ff als theologisch überflüssig und ohne Sinn gelten“ (Komm. II, 425). Doch diese Art von Herrschaft über den Text läuft auf nichts anderes als darauf hinaus, daß der Exeget damit gegen den johanneischen Jesus für Marthas weltlose und unkorrigierte Spiritualität Partei ergreift. Im Gegensatz dazu hat nach Dokka aber gerade Joh 11 erschließende Kraft für alle übrigen Zeichenerzählungen unseres Evangeliums, weil „the cognitive movement ist not a one-way spiritual metaphorization. One cannot toil or toy long with any of them before seeing their double effect of creating heavenly metaphors of normal human life – and of recreating normal human life out of the heavenly metaphors“ (Dokka 106). Zusammenfassend kann darum gesagt werden: Hätte eine dem modernen Konstrukt entsprechende, vom Rest des Urchristentums isolierte esoterische ‚johanneische Gemeinde‘ real überhaupt je existiert, und hätte sich diese Gemeinde dann tatsächlich zu einer ‚Sekte‘ im soziologischen Sinn des Wortes entwickelt, dann könnte man dazu nur mit Dokkas Worten erklären: „If so, however, in my reading this would be at odds with the Gospel of John … [which] offers considerable resistance to [that] kind of sectarian diagnosis … and, for that matter, to its shadowy twin, the exegetical sectarianism which it implies“ (ebd. 102).
Erste Szene: Die neue Gegenwart des auferstandenen Jesus am See von Tiberias (21,1–14) Wie dieser Epilog in der Erzählung von dem wunderbaren österlichen Fischzug der Jünger durch das Gegenüber von Petrus und dem ‚Jünger, den Jesus liebte‘ eröffnet wird (21,7), so wird er mit der Gegenüberstellung dieser beiden Jünger auch beschlossen (21,20–25). Durch das auf die Kapitel 1–20 zurückblickende metÅ taúta, den 775
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Der Epilog des Evangeliums
Ortswechsel von Jerusalem nach Galiläa, der zugleich einen Wechsel der Zeit impliziert, in V. 1 sowie durch das Resümee der Fischfang-Erzählung in V. 14 bildet diese eine in sich geschlossene Einheit und fungiert zugleich als Exposition für die beiden ihr folgenden Szenen. Dabei will beachtet sein, daß mit Joh 21,1–14 nicht einfach eine weitere und – wenn man J. Becker folgt – zudem an ihrer Stelle gänzlich deplazierte ‚Ostererzählung‘ folgt. Becker hält die Erzählung nämlich deshalb für an ihrer Stelle unpassend, weil er sie im Bann der älteren Formgeschichte als eine ‚Wiedererkennungslegende‘ bestimmt und in ihr darum den Bericht von einer ersten Erscheinung des Auferstandenen nach seinem Begräbnis sieht. Darum muß er sie nach den Erzählungen von Joh 20 natürlich für deplaziert halten! Aber deplaziert ist hier jene ältere Formgeschichte, die offensichtlich nicht dazu taugt, literarische Werke angemessen zu interpretieren. Wenn diese österliche Erzählung den Leser nun an den See von Tiberias in Galiläa versetzt, so will sie ihn – gewiß absichtsvoll – an die wunderbare Speisung der Fünftausend an jenem See in Joh 6 erinnern. Das, samt der Einführung des erneuten Gegenübers von Petrus und dem geliebten Jünger, dürfte das primäre Interesse des Erzählers sein, der Petrus nach dessen dreifacher Verleugnung am Kohlenfeuer (ünqraki› wie 21,9) in der Aula des Hannas (18,18) damit an den Ort seines einstigen Bekenntnisses zurückführt und damit die folgende Szene der liebevollen Restitution des Verleugners durch seinen Herrn (21,15–19) einleitet. Demgegenüber halten wir es für völlig abwegig, dem Evangelisten zu unterstellen, durch diese galiläische Ostererzählung wolle er einen Ausgleich bewirken zwischen den vermeintlich rivalisierenden Ostertraditionen Jerusalems und Galiläas. Denn einmal sehen wir in der sogenannten ‚Jüngerflucht nach Galiläa‘ mit von Campenhausen eine „Legende der Kritik“ (Ablauf). Und zum anderen dürfte Galiläa, wie schon für Markus, so auch für Johannes der Ort des Glaubens und seiner Bewährung im Alltag sein. Mit der Verheißung des Engels, Jesus werde den Seinen nach Galiläa vorangehen: „Da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat“ (Mk 16,7), werden nämlich nicht irgendwelche galiläischen Ostererscheinungen angekündigt, die Markus, ebenso wie nach ihm Lukas, ja auch gar nicht zu kennen scheint, sondern da werden die Leser mit den Jüngern zur Relektüre des Evangeliums in ihrem weltlichen Alltag aufgerufen. Nach Mk 16,8 hat wohl erst Matthäus ein Sehen des Auferstandenen in Galiläa vermißt und darum die Erzählung von der Versammlung der Jünger auf jenem galiläischen Berg geschaffen, auf dem Jesus ihnen einst seine ‚Bergpredigt‘ gehalten hatte. An sie erinnert der Evangelist mit den Jüngern seine Leser mit Jesu abschiedlichem Wort: „und lehrt sie halten alles, was ich euch geboten habe!“ (vgl. Steinseifer, Ort der Erscheinungen). Nachdem der Auferstandene seine Jünger durch den Hauch seines Mundes neu geschaffen und sie mit dem Geist der Wahrheit begabt hatte (20,22; vgl. Gen 2,7), und nachdem er sie mit der ‚Schlüsselgewalt‘ ausgestattet hatte, Sünden zu vergeben oder sie zu behalten, und sie endlich mit den Worten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ zum Vollbringen ihrer ‚größeren Werke‘ (14,12) in die Welt gesandt hatte (20,21 f), kann unsere Erzählung vom wunderbaren Fischzug natürlich nicht so verstanden werden, als hätten die Jünger nun ihren alten Fischerberuf wieder aufgenommen. Auf der Ebene der unüberhörbaren symbolischen Obertöne unserer Erzählung kann darum der vergebliche nächtliche Fischzug der Jünger nichts anderes als dies bedeuten, daß sie sich jetzt erstmals auf dem Feld ihres neuen Berufs als ‚Menschenfischer‘ versuchen (Lk 5,10). Doch auf sich allein gestellt müssen sie bei diesem 776
Erste Szene: Die neue Gegenwart des auferstandenen Jesus am See von Tiberias
21,1
Versuch ihr Scheitern und die Wahrheit von Jesu Wort erfahren: „Ohne mich könnt ihr nichts tun!“ (15,5). Erst als sie auf die Weisung des Unerkannten am Ufer hin den reichen Fischzug tun und der geliebte Jünger, der sich – wie 20,8 ja bereits gezeigt hat – auf die Lektüre der Zeichen seines Herrn versteht, zu Petrus sagte: „Es ist der Herr!“, bekleidet der sich rasch mit seinem Obergewand – denn er war nackt (vgl. Gen 3,7) – und wirft sich, seinem Herrn entgegen, in den See (21,7). Wie zumal die Lazaruserzählung (Joh 11f; vgl. dazu Thyen, Noch einmal Joh 21) und die Kommentierung von Joh 6 gezeigt haben, hat es sich als äußerst fruchtbar erwiesen, Johannes in ständiger Korrespondenz mit seinen synoptischen Prätexten zu sehen. Darum wird man auch unsere Erzählung vom wunderbaren Fischzug auf dem galiläischen See von Tiberias als eine Art von Palimpsest über Lk 5,1–11 und 24 lesen müssen (vgl. Neirynck, John 21). Vielleicht darf man deshalb auch den ungewöhnlichen ‚Wasserweg‘, auf dem sich Petrus zu seinem Herrn begibt, als die nun glücklich-gelingende Wiederholung seines einst vergeblichen Versuches dazu ansehen (Mt 14,28–31; vgl. Steiger, Erinnerung 91 f). Mit Neirynck sehen wir in Lk 5,1 ff die einzig überlieferte und überprüfbare ‚Quelle‘ – oder vielleicht besser: das einzig überlieferte Modell –, nach dessen Gestalt Johannes unsere Erzählung geschaffen hat. Darum läßt sich unsere Erzählung auch nicht länger als das lange beliebte Argument dafür gebrauchen, daß auch die lukanische Fischfang-Erzählung ursprünglich eine Ostergeschichte gewesen sei, die erst Lukas ins Leben Jesu zurückprojiziert habe, wie das neben vielen anderen etwa Bultmann meint (Komm. 545 f; vgl. Syn. Tr. 246). Er erklärt, daß die ‚Vorlage‘ von Joh 21,1–14 Lukas gegenüber zwar darin ursprünglicher sei, daß hier eine Ostergeschichte erzählt werde, gleichwohl aber kann er sagen, daß ihm die Variante Joh 21,1–14 als eine spätere Fassung erscheine, „die auf Lk irgendwie zurückgehen wird“ (Syn. Tr. 232). Weil die Vertreter der älteren Formgeschichte, die fundamentale qualitative Differenz zwischen der mündlichen Überlieferung einzelner Traditionsstücke und der Schriftlichkeit literarischer Werke nicht wahrgenommen haben, sahen sie in der schriftlichen Gestalt der Erzählungen unserer Evangelien nur das verschriftlichte Endprodukt der allmählichen und quasi naturhaften Entwicklung von zuvor mündlich Erzähltem (vgl. Güttgemanns, Offene Fragen pass.). In diesem Sinne wollte R. Pesch (Fischfang 131 ff) eine ältere Wundererzählung als die gemeinsame Quelle von Lukas und Johannes ausmachen, die freilich ihrerseits bereits die Kombination dreier ursprünglich selbständiger Traditionen gewesen sein soll, nämlich einer Wundergeschichte, eines Erscheinungsberichtes und einer Mahlszene. Abgesehen von den beiden rahmenden V. 1 und 14 und der Hinzufügung von Thomas, Nathanael und den beiden Anonymen zu V. 2 soll sich die redaktionelle Bearbeitung dieser vermeintlichen Quelle durch den Evangelisten auf die Einfügung der verbindenden V. 5 und 10 beschränkt haben. Fortna schreibt unsere Erzählung wegen des Lexems tr‡ton in V. 14 als das dritte Wunder seinem Gospel of Signs zu (87 ff; vgl. Predecessor 65 ff). Ähnlich sieht Heekerens (Zeichenquelle 102 ff) in dem Fischfangwunder nach dem Weinwunder von Kana (2,1 ff) und der Heilung des Sohnes des königlichen Beamten (4,46 ff) das dritte Wunder seiner Zeichenquelle, die nur diese drei Wundererzählungen enthalten habe und dem Evangelium erst sekundär von einer ‚johanneischen Redaktion‘ eingefügt worden sein soll. Sie sei strikt von der Frage nach der vieldiskutierten Semeiaquelle zu unterscheiden, deren Existenz dadurch insofern in Frage gestellt wird, als sie so ihrer Zählung der Zeichen in 2,11; 4,54 und 21,14, des gewichtigsten Elements ihrer Begründung, beraubt wird. Aber selbst wenn es bei der Genese unserer Erzählung so oder ähnlich zugegangen sein sollte, wie diese Autoren mutmaßen, so bliebe solches Bemühen doch ein unnützes Gedankenspiel, weil uns auch die vollkommenste Aufklärung des Gewordenseins unseres Evangeliums dem Verstehen der Bedeutung des so Gewordenen um keinen Schritt näher brächte. Denn auch von dem geschriebenen Evangelium muß all seinen möglichen Traditionen gegenüber gelten, daß sie in ihm aufgehoben und zu etwas unvorhersehbar Neuem geworden sind.
1: Nach 20,30 f muß sich das unseren Epilog eröffnende metÅ taúta auf das gesamte ihm vorausgehende Evangelium beziehen. Das Lexem faner∙w, das im Neuen Testa777
21,1–14
Der Epilog des Evangeliums
ment 49mal vorkommt, ist kein gebräuchlicher Terminus für Erscheinungen des Auferstandenen. Abgesehen von seinen drei Vorkommen in den V. 1 u. 14 unser Erzählung, wo es, durch das p›lin noch verstärkt, zumindest zurückweist auf die Erscheinungen vor den Jüngern (20,19–23) und vor diesen und Thomas (20,24–29), findet es sich im Neuen Testament – wohl unter dem Einfluß von Joh 21 – nur noch zweimal im sekundären Markusschluß (Mk 16,12 u. 14). Im Corpus Iohanneum erscheint das Verb 18mal, und zwar je 9mal im Evangelium und im ersten Brief (Ev.: 1,31; 2,11; 3,21; 7,4; 9,3; 17,6 sowie zweimal in 21,1 u. 21,14; – 1Joh: 1,2 [2x]¸ 2.19. 28. 3,2 [2x]; 3,5. 8; 4,9). Abgesehen von unserer Passage wird es in keinem dieser Fälle speziell zur Bezeichnung einer Ostererscheinung gebraucht. Wir fragen uns indes, ob das nicht auch für die drei Vorkommen in unserer Erzählung gilt, die mit dem Lexem, p›lin und V. 14: toúto ≥dh tr‡ton †faner„qh ûIhsoú" toõ" maqhtaõ" †gerqeÑ" †k nekrùn, zwar deutlich auf die vorangegangenen österlichen Erscheinungen zurückweisen, aber doch wohl mehr und anderes als diese bedeuten wollen. Lindars weist zu Recht auf die Nähe zwischen 21,14 und Joh 2,11 hin, wo es heißt: kaÑ †fanfirwsen tÉn d∙xan a§toú, kaÑ †p‡steusan e¢" a§tÖn o´ maqhtaÑ a§toú (Komm. 624). Darauf, daß Johannes – anders als Lukas – von einem erneuten, vierzig Tage währenden, irdischen Wirken des auferstandenen Jesus (diû ™merùn tesser›konta: Act 1,3) und seiner erst danach erfolgenden Himmelfahrt nichts wissen will, haben wir oben bereits hingewiesen. Bei allen, die von und mit Maria Magdalena das Loslassen des irdischen Jesus lernen, will er vielmehr als der zum Vater Erhöhte alle Tage bis an der Welt Ende bleiben und sich ihnen zeigen. Seine österliche Erscheinung vor seinen Jüngern (20,19–23) darf nicht historisiert, zu einem Stück der toten Vergangenheit und zum Privileg damaliger Augenzeugen gemacht werden. Mit ihr hat er vielmehr die Zeit seiner bleibenden Gegenwart eröffnet (Dettwiler pass.). In der sonntäglichen Begegnung mit Thomas hat er sie erneut bestätigt, und mit dem metÅ taúta von 21,1 erfüllt sich seine Verheißung, daß die Seinen fortan nicht als Waisen in der Welt zurückbleiben sollen, sondern daß er zu ihnen kommt (14,18) und sich ihnen zeigt (†mfan‡zw: 14,21), ja, daß er zusammen mit seinem Vater zu ihnen kommt und bleibend bei ihnen wohnen will (14,23). Während Matthäus und Markus Jesus am Anfang seines Wirkens am See von Galiläa entlanggehen lassen (par›gwn parÅ tÉn q›lassan tö" Galila‡a": Mk 1,16 f, vgl. Mt 4,18) und Lukas ihn am Ufer des Sees Gennezaret stehen läßt (kaÑ a§tÖ" én ©stá" parÅ tÉn l‡mnhn Gennhsarfit: 5,1), benennt Johannes diesen See Galiläas, wie schon 6,1, mit dem zu seiner Zeit wohl offiziellen Namen als den See von Tiberias (vgl. o. zu 6,1). Schnackenburg (Komm. II, 16 f u. III, 418) meint, diese im Neuen Testament singuläre Benennung des galiläischen Sees als q›lassa tö" Tiberi›do" stamme hier wie in 6,1 nicht aus der Feder des Evangelisten. Er sieht in Joh 21 einen sekundären Nachtrag zum Evangelium, den ein anderer als der Evangelist verfaßt haben soll (Komm. III, 406 ff). Diesem sei die Bezeichnung des Sees als des tiberianischen geläufig gewesen, und er habe sie auch 6,1 eingefügt. Da wir jedoch Schnackenburgs Urteil über Joh 21 ebenso wie seine Umstellung des Kapitels 6 vor Joh 5 nicht zu teilen vermögen, können wir natürlich auch das der Bezeichnung q›lassa tö" Galila‡a" angeblich sekundär hinzugefügte tö" Tiberi›do" in 6,1 nicht jenem vermeintlichen Redaktor zuschreiben. Wegen seiner Vertauschung der Folge von Joh 5 und 6 kann Schnackenburg zudem nicht wahrnehmen, daß nach den mörderischen Verfolgungserfahrungen 778
Erste Szene: Die neue Gegenwart des auferstandenen Jesus am See von Tiberias
21,1–2
Jesu in Jerusalem (5,16) Galiläa der Ort des Glaubens und des Bekenntnisses ist (2,11; 4,53; 6,68 f). Darum dürfte der Evangelist der ihm geläufigen Bezeichnung des Sees als des tiberianischen in 6,1 noch dessen Lokalisierung in Galiläa hinzugefügt und dafür mit seiner Bezeichnung des Sees als der q›lassa tö" Galila‡a" tö" Tiberi›do" die schwerfällig erscheinende Verdoppelung des Genitivs in Kauf genommen haben. Der Gebrauch der Präposition †p‡ mit dem Genitiv, wie hier und in 6,16.19.21 †pÑ tö" qal›ssh" (auf oder an dem See), ist bei Johannes relativ selten. Er ist jedoch gut griechisch, und es besteht kein Grund, den Vers darum einem Redaktor zuzuschreiben. Gerade wegen seiner Ambivalenz dürfte †p‡ mit dem Genitiv hier absichtsvoll gewählt sein, denn mit dem Zeichen des wunderbaren Fischzugs offenbart sich Jesus seinen Jüngern ja zunächst auf dem See (vgl. 21,7!) und danach bei dem geheimnisvollen Frühmahl am Kohlenfeuer dann an dem See. Damit der Leser diese doppelte Offenbarung auch wahrnehme, fügt der Erzähler dem Vers noch den Satz hinzu: „Er offenbarte sich aber in folgender Weise“. 2: Sieben der Jünger Jesu sind am See versammelt und werden zu Zeugen seiner neuen Offenbarung, nämlich Simon Petrus, Thomas mit dem Beinamen Zwilling, Nathanael aus dem galiläischen Kana, die (beiden) Söhne des Zebedäus und noch zwei weitere seiner Jünger. Während Thomas der zuletzt Genannte im Corpus des Evangeliums war, erinnert das Auftreten von Nathanael an dessen Anfang (1,45–51). Von seiner Herkunft aus dem galiläischen Kana erfährt der Leser erst hier und wird damit zugleich an die dortige ürcÉ tùn shme‡wn Jesu erinnert (2,1–11 u. 4,46–54). So sind hier Anfang und Ende der Historia Jesu absichtsvoll verknüpft. Wie V. 7 zeigt, muß einer dieser Sieben der namenlose Jünger sein, den Jesus liebte. Da der bis zum Ende des Evangeliums auch namenlos bleibt und das offenbar auch bleiben soll, kann er mit keinem der drei namentlich Genannten identisch sein. Er kann also nur einer der beiden ‚Anderen‘ aus dem Jüngerkreis oder er muß einer der beiden im gesamten Evangelium bisher nirgendwo genannten Zebedaiden sein, also entweder Jakobus oder Johannes. Als die Genossen des Petrus (koinwno‡) erscheinen diese beiden auch in dem lukanischen Prätext (Lk 5,10). Dort jedoch werden sie ausdrücklich mit ihren Namen Jakobus und Johannes genannt und dann erst als die Söhne des Zebedäus bezeichnet. Daß Johannes sie gedankenlos aus der lukanischen Erzählung übernommen haben sollte, erscheint uns nahezu ausgeschlossen. Die Kurzform ihrer Bezeichnung als o´ toú Zebeda‡ou entspricht der dreifachen Anrede des Petrus als S‡mwn ûIw›nnou in den folgenden V. 15, 16 und 17. Sie setzt auf jeden Fall voraus, daß die Leser die Brüder und ihre Namen kennen. Gerade die Auslassung ihrer Namen aber muß (und soll wohl auch) sofort den Verdacht erregen, einer dieser beiden könnte doch der Jünger sein, den Jesus liebte. Dann hätte der Erzähler die „beiden anderen seiner Jünger“ nur hinzugefügt, um das Rätsel um den geliebten Jünger zu komplizieren: „Sie machen die Identifizierung des Jüngers, den Jesus liebte unmöglich“ (Haenchen, Komm. 595). Denn nach Overbeck hat unser Erzähler ja „zwei ganz entgegengesetzte Interessen … unzertrennlich ineinandergeflochten, von denen das eine darauf ausgeht, uns den Evangelisten ebenso sicher zu verbergen, wie das andere, ihn uns erraten zu lassen“ (JohEv 240 f). Zudem erreicht er durch die Hinzufügung dieser beiden ‚Anderen‘ die von ihm geliebte Siebenzahl, als Symbol der Fülle und Vollkommenheit: „Doubtless a symbolical number, representing the whole disciple group, and indeed the whole Body of disciples, the Church“ (Beasley-Murray, Komm. 399). 779
21,1–14
Der Epilog des Evangeliums
Die Väter der Alten Kirche haben den geliebten Jünger ja bekanntlich mit dem Zebedäussohn Johannes identifiziert und sein Evangelium deshalb als das e§aggfilion katÅ ûIw›nnhn bezeichnet. Daß dieser Johannes ein anderer als der Apostel und Jakobusbruder gewesen sein könnte, ist keinem der Väter je in den Sinn gekommen, sondern dessen Identifizierung etwa mit Johannes Markus oder mit dem kleinasiatischen Presbyter Johannes ist erst eine verfehlte neuzeitliche Folgerung aus der historischkritischen Einsicht, daß der Zebedaide keinesfalls der tatsächliche Autor unseres Evangeliums sein kann. Wir haben oben zu 13,23 ff (und in unserer Studie Noch einmal Joh 21) bereits ausführlich begründet, daß der geliebte Jünger als der Evangelist und Erzähler der ganzen Geschichte Jesu von ihrem Anfang an ihr Augenzeuge gewesen sein muß, und daß er als derjenige, der beim letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern an der Brust seines Herrn gelegen hatte, einer der Zwölf sein muß. Darum sehen wir in ihm, neben dem namentlich genannten Andreas, den namenlos gelassenen Anderen der beiden Täuferjünger, die Jesus auf das Zeugnis des Johannes hin nachgefolgt und bei ihm geblieben waren (1,35 ff). Denn daß zwei Brüderpaare, nämlich Andreas und Petrus, sowie Johannes und Jakobus, die ersten Jünger Jesu waren, weiß der Erzähler, und das wissen mit ihm seine Leser aus den synoptischen Prätexten. Darum dürfte der Zebedaide Johannes, der namenlose Namensvetter seines einstigen Meisters Johannes, der Tradent und Fortsetzer von dessen martur‡a sein. Wir folgen darin F. C. Baur, der u. E. ganz richtig gesehen hat, daß der reale Autor unseres Evangeliums zwar nicht der Zebedaide Johannes ist, daß er sein Werk aber gleichwohl dessen apostolischer Autorität unterstellen will (Krit. Unters. 377 ff). Ähnlich unterscheidet Overbeck zwischen dem Evangelisten im vierten Evangelium und dessen „wahrem Verfasser“ und hält nur die Frage nach dem ersteren für sinnvoll, die nach dem letzteren dagegen für „bare Absurdität“ (Johannesevangelium 240 f). Darin, daß die Kirchenväter den Evangelisten im vierten Evangelium mit dem Zebedaiden Johannes identifiziert haben, folgten sie ganz richtig der Spur, auf die sie der wahre Verfasser gelockt hatte. Daß unser Evangelium aber ein Pseudepigraph und dazu noch anonym sein könnte, haben sie nicht geahnt, als sie den erzählten und erzählenden fiktionalen Evangelisten mit dessen unbekanntem Schöpfer identifizierten. Der tatsächliche Evangelist, von dem wir nichts wissen können und nach dem zu fragen Overbeck für absurd hielt, weil er sich bis zur Selbstaufgabe in den Evangelisten im Evangelium entäußert hat, der hat mit seinem Werk dem Zebedaiden Johannes, der wie Petrus schon lange zuvor als Märtyrer gestorben war, ein unvergeßliches literarisches Denkmal gesetzt (s. u. zu V. 20 ff). 3–5: Petrus erklärt: Ich gehe fischen, und die anderen folgen ihm und besteigen das Boot. Wie in Lk 5,5, wo freilich Petrus im Gespräch mit Jesus sagt: „Herr, die ganze Nacht über haben wir uns gemüht und doch nichts gefangen“ (diû Ωlh" nuktÖ" kopi›sante"), so muß hier, weil Jesus ja noch gar nicht aufgetreten ist, der Erzähler berichten: „Doch in jener Nacht fingen sie nichts“. 4 Erst mit dem folgenden Satz bringt er dann Jesus ins Spiel: Im heraufdämmernden Morgenlicht (prw⁄a" dÇ ≥dh ginomfinh"; v. l. genomfinh") steht er am Ufer. Wie zuvor Maria (20,15) erkennen seine Jünger ihn jedoch einstweilen noch nicht (o§ mfintoi Ô≥deisan o´ maqhtaÑ Ωti ûIhsoú" †stin). 5 Und der für einen Fremden Gehaltene fragt sie: „Kinder (paid‡a), ihr habt wohl keinen Fisch?“ Wir übersetzen diese Frage so, weil mit mfl eingeleitete Fragen eine negative Antwort erwarten lassen (vgl. B-D-R § 440). Das Lexem prosf›gion, eigentlich Zubrot, geben wir kontextbedingt mit Fisch wieder. Mit den Textzeugen A 780
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21,2–7
B C L al und Lindars (z. St.) lesen wir am Anfang von V. 4 das Part. Präs. ginomfinh". Dagegen geben Nestle-Aland der ja tatsächlich breiter und besser bezeugten Lesart genomfinh" den Vorzug. Doch einmal erscheint uns die sekundäre Angleichung des Partizips an den Modus des ihm folgenden Aorist ≤sth wahrscheinlicher als der umgekehrte Vorgang, und zum anderen erlaubt es die präsentische Variante des genitivus absolutus prw⁄a" ... ginomfinh", in der gerade erst anbrechenden Morgendämmerung den Grund dafür zu sehen, daß die Jünger ihren Herrn nicht erkennen konnten. Die Situation müßte man sich dann so vorstellen wie diejenige bei der Ankunft Marias am Grabe Jesu: ≤rcetai prw◊ skot‡a" ≤ti o∂sh" ktl. (20,1). Es ist des öfteren angemerkt worden, daß das Nomen prw⁄a (die Morgendämmerung) in Joh 1–20 nicht vorkomme, daß Johannes vielmehr wie im eben zitierten V. 20,1 sowie in 18,28 nur das Adverb prw⁄ gebrauche. Doch dieser nur zweifache Gebrauch des Adverbs taugt natürlich nicht dazu, dem Evangelisten das Nomen abzusprechen und es seiner vermeintlichen Quelle zuzuschreiben, zumal die Konstruktion des absoluten Genitivs doch das Nomen fordert. Neben dem zweifachen Gebrauch des Lexems paid‡on in 4,49 und 16,21 ist dieses Diminutiv als Anrede der Jünger mit paid‡a (Kinderchen) singulär im Evangelium. Es findet sich aber in 1Joh 2,14 und 2,18. 6: Im lukanischen Prätext gebietet Jesus Petrus und seinen Gefährten Jakobus und Johannes: Rudere hinaus ins tiefe Wasser, und werft dort eure Netze zum Fang aus! (Lk 5,4). Darauf erwidert ihm Petrus, der was vom Fischfang versteht und weiß, daß dafür die Nacht der günstigste Termin ist: „Meister, wir haben bereits die ganze Nacht über (diû Ωlh" nuktÖ" kopi›sante") gefischt und nichts gefangen. Doch auf dein Wort hin, will ich die Netze (nochmals) auswerfen“. Bei Johannes wird diese Geschichte, ebenso wie alles, was ihr noch folgt, aus der Perspektive der Jünger erzählt, unterbrochen nur durch gelegentliche Kommentare des Erzählers. Mit der ersten seiner kommentierenden Bemerkungen in V. 3bf übersetzt er das Petruswort in seine Erzählperspektive: Und sie gingen hinaus und bestiegen das Boot, doch in jener Nacht (†n †ke‡nÔh tÔö nukt‡), die bis zum Morgengrauen währte (prw⁄a" dÇ ≥dh ginomfinh"), fingen sie nichts. Bei Lukas, wie bei Johannes, folgt darauf Jesu Aufforderung, das Netz auszuwerfen. Johannes motiviert die Aufforderung durch die Bitte des einstweilen noch für einen Fremden gehaltenen Jesus um ein prosf›gion (vgl. Lk 24,41 f) und präzisiert sie durch den Auftrag Jesu, das Netz an der rechten Seite des Bootes auszuwerfen: „Und so werdet ihr Erfolg haben“ (kaÑ e≠rflsete). Der Größe des Fischfangwunders gibt Lukas dadurch Ausdruck, daß er erzählt, sie hätten so viele Fische gefangen, daß ihre Netze zu zerreißen drohten (dierrflsseto dÇ tÅ d‡ktua a§tùn) und daß sie zu deren Bergung noch die Kollegen aus einem anderen Boot zu Hilfe rufen mußten. Johannes sieht das Wunder umgekehrt darin, daß das Netz trotz der Menge der darin gefangenen 153 großen Fische nicht riß (kaÑ toso‚twn µntwn o§k †sc‡sqh tÖ d‡ktuon: V. 11). 7: Der Jünger, den Jesus liebte, ein Erfahrener in der Lektüre der Zeichen seines Herrn – wie zuletzt 20,8 gezeigt hat –, sagt daraufhin zu Petrus: Es ist der Kyrios! In typisch johanneischer Darstellungsweise erfährt der Zuhörer/Leser erst durch diese Äußerung, daß der geliebte Jünger einer der in V. 2 aufgezählten Sieben ist; vgl. die ebenso nachträglichen Erklärungen, daß der Tag, an dem Jesus den Lahmen geheilt (5,9) und den Blindgeborenen sehend gemacht hatte (9,14), ein Sabbat war. Abgesehen von 18,15 ff, wo der geliebte Jünger insofern den Gang der Handlung beeinflußt, als 781
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Der Epilog des Evangeliums
er Petrus Zutritt zur Aula des Hannas und damit ironischerweise zum Ort von dessen dreimaliger Verleugnung seines Herrn verschafft, ist an seiner Äußerung zu Petrus: ‚Es ist der Kyrios‘ neu, daß er erst in diesem Epilog zum ersten Mal sein Glaubenswissen auch weitergibt (vgl. dagegen 13,26). Und kaum hat Petrus vernommen, daß es der Kyrios ist – bei Johannes ist ¨ k‚rio" der Name des Auferstandenen; vgl. 20,18.20.25.28; proleptisch und auf 21,12 ff vorausweisend schon 6,23 –, da gürtete er sich mit seinem Obergewand, denn er war nackt. D. h. er wird wohl, wie unter Fischern üblich, mit entblößtem Oberkörper seine Arbeit verrichtet haben. So aber kann er nicht vor seinen Herrn treten, ihn zu begrüßen (vgl. Gen 3,7.10). Barrett verweist auf T. Ber 2,20 (5), wonach „die Entbietung des Grußes (µwlç laç) … eine religiöse Handlung (war, die) nicht in unbekleidetem Zustand ausgeführt werden (konnte)“ (Komm. 555). Weil er meint, Petrus wolle eilends zu Jesus schwimmen, läßt Brown ihn sein Obergewand lediglich festbinden und begründet das damit, daß das Verbum diaz„nnumi „to tie (clothes) around oneself “ bedeute (Komm. II, 1072). Dazu wäre freilich der Nachsatz: „Denn er war nackt“, mehr als nur überflüssig. Nicht weil er zu ihm schwimmen wollte, sondern weil er so rasch wie möglich und angemessen bekleidet vor seinen Herrn treten und ihn begrüßen wollte, hat Petrus sein Obergewand angelegt. Zudem fragt man sich doch, ob ein galiläischer Fischer im ersten nachchristlichen Jahrhundert überhaupt schwimmen konnte, zumal Mt 14,29 f ja auf jeden Fall das Gegenteil voraussetzt. Im Gegensatz zu derartigen historischen Recherchen und zu Barretts Bemerkung, es sei nicht nötig (!), „hier den Bericht des Mt (14,28–32) über Petrus’ Versuch, auf dem See zu wandeln, zum Vergleich heranzuziehen“ (Komm. 556), scheint uns Steiger der Intertextualität unseres Evangeliums mit seinen synoptischen Prätexten und dem Geist dieser Erzählung doch viel näherzukommen, wenn er erklärt: „Petrus, als er den Herrn erkennt, wirft sich ins Wasser, um ihm entgegenzugehen (Joh 21,7). Das tut er wie vormals (Mt 14,29 f), doch ohne zu sinken“ (Erinnerung 91). 8 f: Die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht mehr weit vom Ufer entfernt, nur etwa zweihundert Ellen, und hatten das Netz mit den Fischen im Schlepp. Als sie ausgestiegen und an Land gegangen waren (üpfibhsan), sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer (ünqraki› wie 18,18), und darauf lagen Fisch und Brot. Im Zusammenhang mit der Seefahrt ist üpoba‡nein terminus technicus mit der Bedeutung: sich ausschiffen, an Land gehen. In diesem speziellen Sinn begegnet das Lexem im Neuen Testament nur hier und Lk 5,2 (!). Ob die Singulare £y›rion kaÑ ≤rton kollektive Bedeutung im Sinne von Fisch(en) und Brot(en) haben oder wirklich nur von einem Fisch und einem Brot sprechen, ist schwer zu entscheiden. Da uns das Ganze aber als eine österliche Wiederholung jenes Mahles am gleichen See mit den fünf Gerstenbroten und den zwei Fischen zur Sättigung der Fünftausend erscheint und da es nachher, ähnlich wie dort, in nahezu sakramentaler Sprache heißt: „Und er nahm das Brot und gab es ihnen und ebenso auch den Fisch“ (V. 13), sollte zur Sättigung dieser Sieben und ihres Gastgebers wohl erst recht ein Brot und ein Fisch ausreichend gewesen sein. 10 f: Auf Jesu Aufforderung an die Jünger hin, ihm nun auch Fische aus dem eben gelungenen Fang zu bringen, handelt für sie alle allein Simon Petrus: Er bestieg dazu zunächst das Boot, in dessen Schlepptau sich das prall gefüllte Netz ja noch befand. ünaba‡nein muß hier der Logik der Erzählung nach den Gegensatz zu dem gerade zuvor gebrauchten Lexem üpoba‡nein bezeichnen, so daß ünfibh oên S‡mwn Pfitro" nur heißen kann, daß Petrus sich erneut an Bord des Bootes begab. 782
Erste Szene: Die neue Gegenwart des auferstandenen Jesus am See von Tiberias
21,7–11
Wie andere vor und nach ihm folgt Schnackenburg hier Peschs literarkritischer Analyse unserer Erzählung. Sein Interesse gilt darum mehr ihrer vermeintlichen Genese als der Interpretation ihrer überlieferten Gestalt im Kontext unseres Evangeliums. So erklärt er etwa zu V. 9–10: „Die folgende Szene ist vorzeitig in die Fischfanggeschichte eingeblendet; denn in ihr gehen die Männer im Boot sicher nicht vor Petrus an Land. Dem Redaktor lag daran, den reichen Fischfang mit dem Mahl, von dem in dem Erscheinungsbericht erzählt wurde, in Verbindung zu bringen: Einige der soeben gefangenen Fische sollten auch zum Mahl dienen (V. 10). Die entsprechende Aufforderung Jesu stößt sich aber mit der Schilderung des schon auf einem Kohlenfeuer zugerüsteten Mahles“ (Komm. III, 424 f). Schnackenburg bezieht also das ünaba‡nein des Petrus nicht darauf, daß der sich wieder an Bord begab, um das dort vertäute Netz an Land zu bringen, sondern auf seinen Gang die Uferböschung hinauf, so daß der unglückselige Kompilator der ihm vermeintlich vorgegebenen Erzählungen den so eilig seinem Herrn zustrebenden Petrus am Ende noch nach den Jüngern im Boot das Ufer erreichen läßt. Wie schon zuvor bei seinem Lauf zum Grabe geriete er also auch hier ins Hintertreffen! Doch woran einem vermeintlichen Redaktor gelegen haben soll, können wir nicht wissen. Wir haben nur den überlieferten Text und müssen bis zum Erweis des Gegenteils dessen Sinnhaftigkeit und Kohärenz unterstellen. Vor allem dürfen wir nicht vergessen, daß dieser Fischfang ja ein Handeln der Jünger ist, die Jesus zuvor mit dem heiligen Geist begabt und als seine Zeugen in die Welt gesandt hatte.
Petrus besteigt also erneut das Boot, löst die Vertäuung des Netzes und zieht es an Land: Es war voller großer Fische, einhundertdreiundfünfzig an der Zahl. Da Johannes hier eine genaue Zahl nennt und nicht wie sonst von ‚etwa (Æ") 150‘ spricht, kann man an der symbolischen Bedeutung dieser Zahl schwerlich zweifeln. Augustin sah in ihr ein ‚großes Mysterium‘; und seit alters ist die Zahl der Versuche, es zu enträtseln, Legion. So beruft sich Hieronymus bei seiner Auslegung von Ez 47 darauf, daß griechische Zoologen als die Zahl aller Arten von Fischen 153 angeben (In Ez 47,6–12: PL 25, 474 C). Daß im Hintergrund der Erzählung des Stromes von Blut und Wasser aus der durchbohrten Seite Jesu (19,34 f) wohl Sacharjas Verheißung der endzeitlich in Jerusalem entspringenden Quelle gegen alle Sünde und Befleckung steht (Sach 12 f), haben wir oben bereits begründet und darauf aufmerksam gemacht, daß diese Sacharja-Kapitel ihrerseits wiederum ein intertextuelles Spiel mit Ez 47 sind. In einer Vision sieht der Prophet da im Eschaton eine Quelle aus dem Tempel Jerusalems entspringen, die zu einem mächtigen Strom anschwillt, das Wasser des Toten Meeres gesund macht und ‚zahllosen Fischen‘ Lebensraum bietet: „Und Fischer werden an ihm stehen von En-Gedi (ydg ˆy[) bis En-Eglajim (µylg[ ˆy[), es wird eine Stätte sein, wo man die Netze ausbreitet, und Fische werden da sein gleich denen des großen Meeres, zahlreich und über die Maßen“ (Ez 47,9 f). Nach den Regeln der Gematrie, d. h. der Ersetzung der Ziffern durch die ihnen entsprechenden Buchstaben des Alphabets (vgl. Apk 13,17 f u. d. Komm. z. St.), entspricht nach Emerton (153 Fishes) En-Gedi der Zahl 17 und En-Eglajim der Zahl 153. Ähnliche Überlegungen mögen wohl schon Hieronymus bewegt haben. Doch abgesehen von dem Vorgegebensein der geheimnisvollen Dreieckszahl 153 hält Rissi (Voll großer Fische 82 ff) alle bisher vorgetragenen Deutungsversuche für unbefriedigend. Allein wegen der unübersehbaren Nähe unserer Mahlszene zu Joh 6 sieht auch er in der Grundzahl 17, die den 153 zugrunde liegt, ein Verbindungsglied zwischen den beiden Mahlszenen. Siebzehn sei nämlich die Summe aus den fünf Gerstenbroten und den zwölf Körben voller Brotreste (Voll großer Fische 82 ff; vgl. Beasley-Murray, Komm. 401 ff). Schreibt man Punkte in siebzehn Zeilen, beginnend mit einem Punkt in der ersten, zweien in der zweiten usw. bis hin zu siebzehn Punkten in der Letzten, so ergibt sich das folgende gleichseitige Dreieck mit insgesamt 153 Punkten: 783
21,1–14
Der Epilog des Evangeliums
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine knappe Übersicht über die Deutungsversuche seit der Zeit der Alten Kirche bieten auch die Kommentare von Beasley-Murray (401 ff), Lindars (629 ff) und Brown (II, 1074 ff). Wenig überzeugend will Letzterer freilich die Zahl 153 allein auf das Interesse des Erzählers an der Bekundung authentischer Augenzeugenschaft reduzieren. 12: Davon, daß diese Fische oder ein Teil davon nun noch gebraten worden wären, ist nicht die Rede. Jesus hat den Seinen unabhängig davon das Frühmahl bereits bereitet und lädt nun mit den Worten: deúte üristflsate dazu ein. Wenn die 153 großen Fische, wie wir überzeugt sind, die Fülle aller potentiellen Glaubenden symbolisieren, zu deren Sammlung Jesus seine Jünger ja gesandt hat, dann sind sie ja auch weniger ein Nahrungsmittel (prosf›gion) als vielmehr das Symbol künftiger Mahlteilnehmer. Auf seine Weise sieht Johannes die Jünger also auch zu ‚Menschenfischern‘ bestellt. Er bedient sich dazu, wie die folgende Passage zeigen wird, aber lieber der in Kapitel 10 schon eingeführten und durch den Tod des guten Hirten für seine Schafe bereits bewährten Hirtenmetaphorik. Wenn der Erzähler der Einladung Jesu zum Mahl jetzt noch den sich scheinbar selbst erübrigenden Satz hinzufügt, daß es keiner der Jünger gewagt habe, Jesus mit der Frage: Wer bist du? zu bedrängen (†xet›sai), weil sie ja alle wußten, daß es der Herr war, so macht er damit deutlich, daß der Zweifel des Thomas kein spezielles Problem dieses Einen war, sondern daß er in ihnen und in uns allen wohnt und immer erneut der Überwindung bedarf. 13: Und von dieser Überwindung durch den gegenwärtigen Herrn ist nun die Rede: „Und Jesus trat herzu und nahm das Brot und gab es ihnen und desgleichen auch von dem Fisch“. Ob man daraus freilich wie Rissi eine spezielle Art der Herrenmahlsfeier in einer johanneischen Gemeinde (!) erschließen darf, bei der nicht Brot und Wein, sondern Brot und Fisch gereicht wurden, und in deren Zentrum nicht der Tod Jesu, sondern seine Auferstehung gestanden habe, darf man sicher bezweifeln (Voll großer Fische). Denn einmal sind wir, wie ja schon öfter gesagt, hinsichtlich der Sonderexistenz jener ‚johanneischen Gemeinde‘ äußerst skeptisch, und zum anderen spielen ja auch in Rissis Deutung der Zahl 17 gerade die Fische keine Rolle. 14: Dieses war bereits das dritte Mal, daß Jesus sich seinen Jüngern offenbarte, nachdem er auferstanden war von den Toten. Daß es zugleich das letzte Mal gewesen wäre, ist nicht vorausgesetzt, geschweige denn gesagt. Vielmehr ist damit die lange, bis ans Ende der Weltzeit währende Geschichte seines Kommens zu den Seinen eröffnet. Jetzt ist die Zeit, da die Jünger im Licht seiner Auferstehung erst die ganze Wahrheit seines irdischen Weges begreifen (2,22). Und für alle Leser heißt das, daß sie von diesem Licht erleuchtet mit der erneuten Lektüre des Evangeliums beginnen sollten. 784
Zweite Szene: Jesus bestellt Petrus zum Hirten und autorisiert das Evangelium
21,11–17
Zweite Szene: Jesus befreit Petrus von dem Makel seines Verrats, bestellt ihn zum Hirten seiner Schafe und autorisiert das Evange lium s eines geliebten Jüngers (21,15–25) Es sieht so aus, als wolle Johannes hier erzählen, was bei Lukas als die Zukunft des Petrus nur angekündigt wird. In Lk 22,31–34 heißt es nämlich: „Simon, Simon, siehe, der Satan hat sich euch ausgebeten, daß er euch siebe wie den Weizen. Ich aber habe für dich darum gebetet, daß dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst umkehrst, dann sollst du deine Brüder stärken. Der aber entgegnete ihm: Herr, als dein Gefährte bin ich bereit, auch in die Gefangenschaft, ja selbst in den Tod zu gehen. Doch Jesus sagte: Ich sage dir, Petrus, kein Hahn wird heute krähen, ehe du nicht drei Mal geleugnet hast, mich zu kennen“. Von diesem ‚Dermaleinst‘ der Umkehr, oder vielleicht besser: der ‚Umkehrung‘ des Petrus durch seinen auferstandenen Herrn erzählt uns Johannes hier. Begonnen hatte bei Petrus diese Umkehr, als er im Boot seine Nacktheit wahrnahm und sich schämte, wie einst Adam; als er sein Obergewand anlegte und sich über das Wasser hinweg auf den Weg zu seinem Herrn machte und dann mit ihm das Mahl teilen durfte. Doch Krisis und Klimax seiner Umkehr stehen ihm in dem intimen Vier-Augen-Gespräch mit Jesus nach der gemeinsamen Frühmahlzeit noch bevor. 15–17: Jesu erste Frage an ihn lautet: Simon, des Johannes (Sohn), hast du mich lieber als diese (anderen)? Als Jesus diesen Jünger zum ersten Mal erblickt hatte, das hatte er zu ihm gesagt: „Du bist Simon, der Sohn des Johannes, fortan sollst du Kephas heißen!“. Der Erzähler fügte dem sogleich hinzu, daß Kephas auf griechisch der Felsen, Petrus, heißt (1,42). Wir sehen in dieser Passage ein intertextuelles Spiel mit Mt 16,13 ff. Als Antwort auf des Petrus Bekenntnis in Caesarea-Philippi hatte Jesus ihn dort mit den folgenden Worten seliggepriesen: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jona …“. Anders als Matthäus, der Jesus den Andreasbruder mit Simon Bariwnô anreden läßt, also mit der griechischen Transkription von dessen aramäischem Vaternamen: Sohn des Jona, läßt unser Evangelist ihn Jesus als den Sohn des Johannes (1,42) oder wie hier verkürzt als den des Johannes anreden. Daß er damit den weithin unbekannten Namen Jona durch den (zumal ja ihm!) geläufigeren Namen Johannes ersetzt, läßt sich wohl nur mit seiner dichterischen Freiheit begründen. Denn daß ihm für die Genealogie des Petrus eine andere oder gar bessere Quelle als Matthäus vorgelegen hätte, darf man bei dieser geringen Variation des Vaternamens eines Mannes, von dessen Abstammung wir ohnehin nichts Verbürgtes wissen, schwerlich postulieren. Der Komparativ in der Frage Jesu, ob Petrus ihn mehr liebe als die anderen (plfion to‚twn), muß und soll wohl auch die Erinnerung des Gefragten wachrufen und an sein Gewissen rühren. Denn natürlich wollte Petrus das gerne (und wer wollte das nicht?): Sich in seiner Liebe zu seinem Herrn von niemandem übertreffen lassen. In diesem Sinne hatte er Jesus beim letzten Abendmahl gefragt: „Herr, warum sollte ich dir denn jetzt nicht nachfolgen können?“, um ihm im gleichen Atemzug dann zu versichern: „Ich will sogar mein Leben für dich einsetzen!“ (13,37; vgl. Mk 14,29 / Mt 26,33). Aber als dann im Hof des Hannas-Palastes der Hahn krähte, war alles ganz anders verlaufen. Obwohl er inzwischen gehört hatte, daß niemand größere Liebe habe als der, der sein Leben für seine Freunde hingebe (15,13), fürchtete er seinen eigenen Tod mehr als den seines Herrn und verleugnete ihn gleich dreifach (18,15 ff). Dieser 785
21,15–25
Der Epilog des Evangeliums
Verrat muß jetzt bereinigt werden. „Deutlich entspricht die dreimalige Frage Jesu und die ebensooft erfolgende Übertragung des Hirtenamtes der dreimaligen Verleugnung“ (Bauer, Komm. 238). Jesus führt so zudem mit Petrus auch allen folgenden Lesern des Evangeliums authentisch vor, was es mit dem Amt der Schlüssel (Mt 16,19) auf sich hat, und wie die ja nicht allein dem Petrus, sondern allen Jüngern verliehene Vollmacht, Sünden zu vergeben oder aber den Sünder bei ihnen zu behaften (20,23; vgl. Mt 18,18), wahrgenommen sein will. Damit die Liebe die Menge der Sünden zudecken kann (1Pt 4,8), müssen die aber erst erinnert und aufgedeckt werden. Steiger (Er geht mit uns 53 ff) nennt dieses Verfahren den ‚Rückweg‘. Ob man bei dem dreifachen Hirtenauftrag zwischen den ürn‡a als den schwachen und hilflosen Lämmern, die Petrus durchaus mehr lieben darf, und den erwachsenen pr∙bata unterscheiden soll, wie das etwa Steiger tut (ebd. 55 f), ist schwer zu entscheiden. Fragen kann man auch, ob das Wechselspiel von ügapôn und fileõn semantische Nuancen im Auge hat, oder ob unser Erzähler hier, wie auch sonst oft, lediglich mit Synonyma spielt. So oder so zeigt jedenfalls der wechselnde Gebrauch von ügapôn und fileõn, daß hier himmlische und irdische Liebe nicht voneinander getrennt werden können. Hier gilt vielmehr: Wer behauptet, er liebe Gott, seinen Bruder aber haßt, der ist ein Lügner (1Joh 4,20; vgl. Timm, Geist 93 ff). Bei diesem dreifachen Hirtenauftrag Jesu an Petrus geht es u. E. jedoch weder um einen Primat des Petrus noch um die Installation eines besonderen ‚Petrusamtes‘, sondern um die Suche des ‚guten Hirten‘ nach seinem ‚verlorenen Schaf ‘, um Jesu liebevolle Kur an seinem Verleugner, um dessen Rehabilitation und Bevollmächtigung zu wahrer ‚Nachfolge‘ an den Ort, wohin sein Herr ihm vorausgegangen ist. Die Wiederaufnahme des Namens Simon, (Sohn) des Johannes, aus 1,42 zeigt zudem, daß dieser Simon nach seinem tiefen Fall hier wieder erhöht und wieder geboren werden soll als Petrus, der Felsenmann. Zu dessen Kur gehört es auch, daß er hier lernen muß, allein auf seinen eigenen ihm bestimmten Weg zu sehen und darüber das dem Eigenen niemals assimilierbare Anderssein des Anderen zu respektieren (V. 22). Denn Hirte und damit in der ursprünglichen Bestimmung des Menschen als ‚Hüter seines Bruders‘ (Gen 4,9) ist allein, „wer als Leibbürge für ihn eintritt. Hierin besteht die Unmittelbarkeit. Die Verantwortlichkeit rührt nicht von der Brüderlichkeit her, sondern die Brüderlichkeit ist der Name für die Verantwortlichkeit für den Anderen, die jenseits meiner Freiheit liegt“ (E. Lévinas, Gott u.d. Philosophie 112 f). Man darf angesichts unserer Szene auch das literarische Gegenüber von Petrus und dem geliebten Jünger nicht als Spiegel einer extratextualen Auseinandersetzung zwischen einer johanneischen Kirche und dem Petrinismus oder gar der Großkirche ausschlachten, wie das vielfach geschieht. Die sogenannte johanneische Gemeinde, die vom Rest des übrigen Urchristentums isoliert als Sekte existiert haben soll, erscheint uns ebenso als ein Phantasma der modernen Kritik, wie die Rede von der Großkirche im Blick auf unser Evangelium und seine Zeit ein grober Anachronismus ist. Daß die beschädigte Autorität des Petrus in unserer Szene eigens dazu wiederhergestellt werden muß, damit sie der Autorisierung des ‚geliebten Jüngers‘ und damit seines Evangeliums dienen kann, meint auch Bultmann (Komm. 555; ähnlich auch Kragerud 53 f). Abgehen davon, daß Bultmann unser gesamtes Kapitel seinem ‚kirchlichen Redaktor‘ zuschreibt, der zu Unrecht die rein symbolische Figur des geliebten Jüngers historisiert und zum Autor des Evangeliums gemacht habe, erscheint uns selbst unter dieser 786
Zweite Szene: Jesus bestellt Petrus zum Hirten und autorisiert das Evangelium
21,15–17
fragwürdigen Voraussetzung seine Folgerung aus dem eben zitierten Satz jedoch völlig abwegig, daß nämlich „der Lieblingsjünger den Petrus gleichsam ablöst (und) daß die dem Petrus zugesprochene Autorität auf ihn übergegangen“ wäre (ebd.). Bis zum Erscheinen von Ruckstuhl & Dschulnigg (Stilkritik 1991) hielt auch Ruckstuhl – trotz seiner besseren Einsicht in die ‚literarische Einheit des Johannesevangeliums‘ (!) – lange Jahre daran fest, daß Joh 21 ein sekundärer ‚Nachtrag‘ zum Evangeliums sei, dessen Verfasser damit ‚petrinischen Gemeinden‘ dieses ‚johanneische Evangelium‘ empfehlen wolle. Gegenüber der in seinen Augen „starken Rücksichtnahme unseres Kapitels auf Petrus, petrinische Gemeinden und Überlieferung“ empfindet er „die Vernachlässigung des paulinischen Christentums und Missionsgebietes“ als ‚merkwürdig‘ und schließt daraus, daß die johanneische Kirche schwerlich in Ephesus gelebt haben könne, sie müsse vielmehr in Syrien oder ‚jenseits des Jordan‘ zu Hause gewesen sein (Aussage 356 ff). Hinsichtlich der These, daß der vermeintliche Verfasser des Nachtrags sein Evangelium der Großkirche empfehlen wolle, urteilt Brown unter Berufung auf Ruckstuhl ganz ähnlich (Community 161 f). Doch außer der Verarbeitung der synoptischen Petrusüberlieferung vermögen wir weder in Joh 21 noch irgendwo sonst im Evangelium eine Verbeugung vor irgendeiner Art von ‚Petrinismus‘ zu erkennen und fänden es im Gegensatz zu Ruckstuhl höchst ‚merkwürdig‘, wenn in einem Evangelium (!) als der Biographie des irdischen Juden Jesus der Apostel Paulus und sein Missionsgebiet oder die nachösterliche Wirksamkeit des Petrus erkennbar würden. Erst recht gibt es in unserem Evangelium auch nicht die geringste Spur irgendeines ‚Antipetrinismus‘, wie das neuerdings vielfach behauptet wird (vgl. nur Snyder, Anti-Petrinism). So ist im Anschluß an das Petrusbekenntnis (Joh 6,68) die synoptische Schelte des Petrus als Satan kaum zufällig ausgelassen und auf Judas übertragen (6,70 f). Denn nicht ein vorsätzlich geschwächter, sondern nur ein starker Petrus, der in den Fußstapfen seines Herrn als ein guter Hirte für dessen Schafe sterben wird, kann der Autorisierung des anonymen Jüngers und seines Werkes erfolgreich dienen. Das hatte schon Overbeck sehr klar gesehen: „Ganz im Gegenteil ist die Höhe des Petrus der Fußsockel für die des Johannes“ (JohEvg 458; vgl. ebd. 456 ff). Nirgendwo geht es um einen Rangstreit zwischen Petrus und dem geliebten Jünger oder um die ‚Ablösung‘ des Einen durch den Anderen, sondern stets um deren jeweils besondere Bestimmung. In hierarchischen Kategorien ist unser Evangelium der Brüderlichkeit nicht zu begreifen.
Auf Jesu komparative Frage, ob er ihn lieber habe als die anderen Jünger, geht Petrus gar nicht ein. Er ist wohl schon unterwegs, ‚älter‘ zu werden und zu begreifen, daß sein kindisches Mehr-Lieben-Wollen im Grunde ein Weniger war, und daß es nicht einfach ist liebzuhaben, weil einer immer lieber haben will (Steiger, ebd. 55). So antwortet er denn auch: Ja, Herr, du weißt doch genau, daß ich dich liebhabe. 16 Doch wieder, und nun schon zum zweiten Male (p›lin de‚teron), fragt Jesus ihn – nun ohne jenen peinlichen und durch die Antwort des Gefragten ja obsolet gewordenen Komparativ lieber (als die anderen Jünger) –: Simon Johannessohn, hast du mich lieb? (ügapô" me). Und wieder antwortet der mit den gleichen Worten: Ja, Herr, du weißt doch, daß ich dich liebe (Ωti filù se). Beim Abschied hatte Jesus seinen Jüngern versichert, daß sie seine Freunde (f‡loi) seien, wenn sie täten, was er ihnen geboten habe (15,14). Petrus weiß natürlich, daß er diese Bedingung nicht erfüllt hat, dennoch möchte er Jesu Freund bleiben und erklärt ihm seine Liebe. Doch der ‚Rückweg‘ (Steiger) ist noch nicht zuende gegangen. 17 Zum dritten Mal muß er sich fragen lassen: Simon, Johannessohn, hast du mich lieb? (anstelle von ügapô" me sagt jetzt auch Jesus: fileõ" me). Dazu merkt der Erzähler ausdrücklich und unter Wiederholung dieses tÖ tr‡ton an: „Da wurde Petrus traurig (†lupflqh), weil er ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Liebst du mich?“ Diese Anmerkung signalisiert, daß Petrus traurig wurde, weil ihn dieses ‚dritte Mal‘ an seine Tränen beim Hahnenschrei im Palasthof des Hohenpriesters erinnern mußte: 787
21,15–25
Der Epilog des Evangeliums
„Und er ging hinaus und weinte bitterlich“ (≤klausen pikrù": Mt 26,75). Wieder setzt der Erzähler dabei voraus, daß seine Zuhörer/Leser diesen Prätext kennen. In seiner so wieder heraufbeschworenen Traurigkeit antwortet Petrus auf diese dritte Frage nach seiner Liebe nicht mehr allein: Herr, du weißt doch, daß ich dich liebe, sondern zunächst: Herr, du weißt doch alles! Das emphatische p›nta sÜ oèda" bringt zum Ausdruck, daß Petrus sich trotz seines Versagens in dem Wissen seines Herrn um seine Liebe zu ihm geborgen weiß. Erst danach fährt er sinngemäß fort: Darum mußt du ja auch um meine Liebe zu dir wissen (vgl. Morris, Komm. 871). Es scheint so, als habe Petrus mit dieser Erkenntnis des Allwissens Jesu endlich sein vormaliges Bekenntnis am See wieder eingeholt, als er stellvertretend für seine Mitjünger bekannt hatte: „Wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist!“ 18 f: Eingeleitet mit dem genuin johanneischen doppelten Amen erklärt Jesus dem Petrus nun: „Amen, Amen, ich sage dir, als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und wandeltest, wohin du wolltest, wenn du aber alt geworden bist, dann wirst du deine Hände ausstrecken, und ein Anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst!“ Wenn der Erzähler dieses Wort nicht sogleich folgendermaßen kommentiert hätte: „Das sagte er aber, um so anzudeuten (shma‡nwn), mit was für einer Todesart er (Petrus) Gott preisen werde“, bliebe es ein mißverständliches Orakel, als habe Jesus hier Sturm und Drang der Jugend des Petrus mit der Hilflosigkeit seines Greisenalters kontrastieren wollen. Erst dieser Erzählerkommentar hebt diese Ambivalenz auf und zeigt, daß Jesus dem gesamten irdischen Leben des Petrus mit all seinen Irrungen und Wirrungen sein Sterben als treuer Märtyrer gegenübergestellt hatte. Dann weisen das Ausstrecken der Hände und das von einem anderen Gefesseltsein auf das Tragen des patibulum zur Stätte seiner Hinrichtung. Das Patibulum ist der Querbalken des Kreuzes, an den die Hände des zu Kreuzigenden gefesselt waren. Weil es um die Kreuzigung des Petrus geht, ist dieser Kommentar des Erzählers gewiß auch nicht zufällig in engem Anklang an die Worte formuliert, mit denen er zuvor schon Jesu Rede von seiner ‚Erhöhung‘ kommentiert hatte: „Das hatte Jesus aber gesagt, um anzuzeigen, was für eine Art von Tod er erleiden müsse“ (toúto dÇ ≤legen shma‡nwn po‡w qan›tw ≥mellen üpoqnÔflskein: 12,33). Jesus beschließt dann seine an Petrus gerichtete Rede über dessen Geschick mit der Aufforderung: Folge mir nach! Jetzt ist also die Stunde gekommen, die Petrus schon in der Nacht des letzten Mahles angebrochen glaubte, als er sich sagen lassen mußte, jetzt könne er Jesus noch nicht nachfolgen, später aber werde er ihm nachfolgen (ükolouqflsei" dÇ æsteron: 13,36). Wie schon damals, so hat das Lexem ükolouqeõn erst recht hier martyrologische Obertöne. 20–22: Als Petrus sich umwandte, sah er den Jünger, den Jesus liebte, ebenfalls nachfolgen (ükolouqoúnta). Das soeben martyrologisch imprägnierte Lexem ükolouqeõn dürfte diese Prägung zwischen den beiden Sätzen kaum verloren haben und darum auch das Martyrium des geliebten Jüngers implizieren. In der für unseren Erzähler typischen Manier identifiziert er den geliebten Jünger hier noch einmal ausdrücklich als denjenigen, der beim letzten Mahl an der Brust Jesu gelegen und ihn (im Auftrag des Petrus!) gefragt hatte: „Herr, wer ist es denn, der dich ausliefern wird?“ (13,23 ff; vgl. zu diesem Verfahren die erneute Nennung von Nikodemus in 19,39, von Judas in 6,71 u. ö. sowie von Kaiaphas in 18,14. Diese Rückverweise sind freilich nicht rein formal, sondern sie dienen dazu, jeweils die vorigen Kontexte mit ins Spiel zu bringen). Nach der Bestimmung des Geschicks des Petrus, das diesem einstweilen freilich noch 788
Zweite Szene: Jesus bestellt Petrus zum Hirten und autorisiert das Evangelium
21,17–23
ebenso verborgen ist, wie ihm damals die Identität dessen, der Jesus seinen Feinden ausliefern sollte, verborgen geblieben und nur dem erzählenden und kommentierenden geliebten Jünger und seinen Zuhörern/Lesern offenbar geworden war, geht es jetzt um dessen eigene Bestimmung. Sie wird dem Leser freilich insofern nur indirekt mitgeteilt, als sie ihm nämlich durch das andauernde Gespräch zwischen Jesus und Petrus vermittelt wird. Nachdem er den geliebten Jünger ebenfalls auf dem Weg der Nachfolge Jesu gesehen hat, fragt Petrus Jesus nach dessen Bestimmung: Herr, was ist es um diesen? (k‚rie, oñto" dÇ t‡;). So wie Petrus sich jetzt umwendet und sieht, daß der geliebte Jünger Jesus bereits nachfolgt, ohne daß der ihm das eigens hätte gebieten müssen, so hatte sich Jesus selbst einst umgewandt und jene beiden Jünger des Johannes erblickt, die aufgrund von dessen martur‡a zu Nachfolgern Jesu geworden und bei ihm geblieben waren (1,35 ff). Die Frage, warum der Erzähler nur den Namen des einen dieser beiden Täuferjünger nennt, nämlich den des Petrusbruders Andreas, den des anderen aber verschweigt und damit eine ‚Leerstelle‘ schafft, deren Ausfüllung er seinen Zuhörern/Lesern überläßt, haben wir oben z. St. breit erörtert und sind dabei zu dem Schluß gekommen, daß dieser Anonymus neben Andreas der geliebte Jünger sein muß (vgl. auch Thyen, Licht der Welt; u. Noch einmal Joh 21). Denn nur wenn er von Anfang an bei Jesus geblieben und ihm überall hin nachgefolgt ist, kann von ihm ja gesagt werden, daß er der Zeuge der ganzen Geschichte Jesu ist und dieses Zeugnis in unserem Evangelium in festen Buchstaben verfaßt hat. Zugleich ist er damit auch der ideale Zeuge der martur‡a seines vorigen Meisters Johannes. 23: Auf die Petrusfrage, wozu denn dieser Andere bestimmt sei, antwortet Jesus ihm wiederum mit einem höchst ambivalenten Orakel: „Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich komme, was geht das dich an? Du jedenfalls sollst mir nachfolgen!“ Und auch diese Ambivalenz bliebe bestehen, wenn der Erzähler sie nicht sogleich durch seinen erneuten Kommentar aufgehoben hätte: „Daraufhin verbreitete sich unter den Brüdern das Gerücht: Dieser Jünger wird nicht sterben. Doch Jesus hatte ihm (nämlich Petrus) ja nicht gesagt, daß der nicht sterben werde, sondern er hatte gesagt: Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich komme, was geht das dich an?“ Ganz offensichtlich unterscheidet der Erzähler hier zwischen ‚Nicht-Sterben‘ und ‚Bleiben‘. Daß dieser Jünger aber nicht sterben, sondern bis zur Parusie ‚übrigbleiben‘ und leben werde, hatte Jesus nicht gesagt. Dergleichen hatte Paulus fast ein halbes Jahrhundert zuvor den Thessalonichern geschrieben: Bei der Parusie Jesu würden zuerst die Toten auferweckt und danach erst würden „wir, die Lebenden, die wir übriggeblieben sind, zugleich mit ihnen zur Einholung des Herrn in die Wolken entrückt“ werden (1Thess 4,17). Doch im Unterschied zu seinem Wort an Petrus und dessen Wißbegier hatte Jesus im Blick auf den geliebten Jünger gerade nichts über dessen Leben und Sterben und erst recht nichts über sein NichtSterben gesagt, sondern erklärt, der solle als sein treuer Zeuge (¨ marturùn) und als sein von ihm selbst autorisierter ‚Exeget‘ (vgl. 1,18 mit 13,23 u. s. o. z. St.) bis ans Ende der Tage (∫w" ≤rcomai) bleiben. Einerlei also, ob er lebt oder stirbt, auf alle Fälle soll er nach dem letzten Willen seines Herrn bleiben und schreiben, soll schreiben und damit in seinem geschriebenen Zeugnis bleiben, so daß fortan alle Hirten wie Petrus, vermittelt durch sein Zeugnis, zu ihrem Herrn kommen werden. Mit dem konditionalen ‚Wenn ich will …‘ (†Ån a§tÖn qfilw mfinein) läßt Johannes nicht etwa offen, was und ob Jesus will oder nicht will, wie seit Zahn (Komm. 702 ff) vielfach und neuerdings etwa von Beasley-Murray (Komm. 412) und Morris (Komm. 878) erklärt wird, sondern damit
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Der Epilog des Evangeliums
tut Jesus gerade seinen unverbrüchlichen Willen kund. Denn jede Deutung, die sich derart auf die konditionale Form des Satzes stützt, übersieht, daß mit dem fraglichen Satz ja Petrus angeredet, wegen seiner ungehörigen Einmischung in die Frage nach dem Geschick des geliebten Jüngers schroff zurückgewiesen und an seine eigene Bestimmung erinnert wird. „Das qfilw in dem Falle des Johannes ist nämlich nichts anderes als der Ersatz für den Imperativ im Falle des Petrus, und die Notwendigkeit dieses Ersatzes ist einfach durch den Umstand herbeigeführt, daß der Gesamtanlage der Erzählung gemäß nur die für Petrus bestimmte Willenserklärung sich an diesen direkt richtet. Zugleich aber erklärt sich nun auch das diesem qfilw vorgesetzte †›n. Auch dieses ist lediglich durch den Umstand herbeigeführt, daß die für Johannes bestimmten Jesusworte nicht als direkte Anrede an Johannes auftreten, sondern in der Form einer Zurechtweisung des Petrus“ (Overbeck, JohEv 450). Übersetzt in eine Anrede an den geliebten Jünger müßte der Satz darum lauten: „Du sollst bleiben und schreiben, schreiben und darin bleiben!“
Zu dem l∙go", der sich nach dem Kommentar unseres Erzählers unter den Brüdern verbreitete, daß nämlich der geliebte Jünger nicht sterben, sondern als Lebender die Parusie seines Herrn erfahren werde, muß bedacht werden, daß die Bezeichnung der Christen als der Brüder Jesu, abgesehen von Mt 23,8 und der damit spielenden Passage Joh 20,17, in keinem unserer Evangelien vorkommt. Darum können die Brüder, unter denen sich der Logos verbreitete, u. E. nur die vom Auferstandenen selbst in 20,17 so bezeichneten Elf und nicht etwa völlig anachronistisch die Glieder einer johanneischen Gemeinde am Ende des ersten Jahrhunderts sein. Treffend macht Kügler darauf aufmerksam, „daß der implizite Autor den Verbreitungskreis des Gerüchts von seinen Adressaten unterscheidet, die der Erzähler ja sonst direkt anreden kann“ (Jünger 484). In unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Verklärung auf dem ‚hohen Berg‘ (Mk 9,2 ff), als deren Zeugen Petrus, Jakobus und Johannes ausdrücklich benannt werden, hatte Jesus feierlich erklärt: „Amen, ich sage euch, da sind einige unter denen, die hier stehen, die werden den Tod nicht schmecken, ehe sie nicht den machtvollen Anbruch der Gottesherrschaft gesehen haben“ (Mk 9,1). Es ist zumindest denkbar, daß sich dieses sogenannte ‚Naherwartungs-Logion‘ nach den Martyrien von Jakobus (Act 12,1 f) und Petrus an den einstweilen Überlebenden, nämlich an Johannes, geheftet haben könnte. Der muß nach Mk 10,35 ff freilich ebenfalls, und zwar noch vor der Abfassung dieses Evangeliums, den Märtyrertod erlitten haben. Doch gegen Schwartz (Tod der Söhne [1904] und: Noch einmal [1910]) starb er sicher nicht zugleich mit seinem Bruder Jakobus, der etwa im Jahre 42 unter Agrippa I. mit dem Schwert hingerichtet wurde (Act 12,2). Er gehörte vielmehr noch im Jahre 49 neben dem Herrenbruder Jakobus und Petrus als eine der drei ‚Säulen‘ der Jerusalemer Gemeinde zu den Verhandlungspartnern des Paulus beim sogenannten Apostelkonvent (Gal 2,1 ff; vgl. dazu Hengel, Joh. Frage 86 ff; u. Thyen, Noch einmal Joh 21). Da er u. E. der fiktionale und anonyme Evangelist im Evangelium (Overbeck) ist, könnte der wirkliche Evangelist noch um die Trauer um dessen gar nicht erwarteten Tod gewußt und dieses Wissen hier eingebracht haben, denn immerhin will er diesem Jünger mit seinem Evangelium ja ein bleibendes Denkmal setzen. Dagegen identifiziert Zahn jene ‚Brüder‘ mit „Gemeinden, welche (im Gegensatz zu jenen Spöttern von 2Pt 3,3 ff) nicht spotteten oder auch nur zweifelten, sondern auf die Verheißung Jesu, wie sie dieselbe verstanden, den Glauben gründeten, daß Jo nicht sterben, sondern die Parusie des Herrn erleben werde“. Zahn hält den Zebedaiden Johannes für den tatsächlichen Autor unseres Evangeliums. Daß Joh 21 dessen Tod voraussetze, bestreitet er vehement. Er müsse vielmehr zur Zeit der Niederschrift von Joh 21 noch am Leben gewesen sein, weil der Tag seines Todes
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Zweite Szene: Jesus bestellt Petrus zum Hirten und autorisiert das Evangelium
21,23–24
die Möglichkeit, Joh 21 zu schreiben, „für immer ausgeschlossen“ hätte (Komm. 704 ff). Ganz ähnlich urteilt nach ihm Morris: „After John died Christians would not keep saying ‚He will not die‘! The fact that an explanation was called for surely shows that the Beloved Disciple was still alive, though possibly quite old“ (Komm. 879).
Zumal Küglers Monographie über ‚den Jünger, den Jesus liebte‘ und seine gelungene Destruktion von dessen außertextlicher Existenz hat uns davon überzeugt, daß – auch wenn Joh 21,22 f u. E. fraglos den Tod des geliebten Jüngers voraussetzt – dieser Tote doch keinesfalls der verehrte Gründer, der allseits bekannte Lehrer und das ‚Schulhaupt‘ einer spezifisch ‚johanneischen Gemeinde‘ sein kann, die in ihrem tiefen Betroffensein über dieses unerwartete Sterben durch eine präzisere Exegese dessen, was Jesus wirklich gesagt hatte, hätte getröstet werden müssen. Abgesehen davon, daß diese Art von Naherwartung schwerlich zu dem Evangelium jener vermeintlich johanneischen Gemeinde passen würde, wird dieser Jünger in 13,23 ja auch nicht als ‚der (bekannte) Jünger, den Jesus liebte‘ in das Evangelium eingeführt, sondern als ‚einer seiner Jünger, den Jesus liebte‘: „The difference is slight but shows that the reader ist not expected to recognize the Beloved Disciple. At the end, the reader must also be told, that it was the Beloved Disciple who bore witness to, and wrote, these things“ (Culpepper, Anatomy 215). Unbegreiflich ist uns allerdings, wie Kügler dann gegen seine bessere Einsicht am Ende dennoch den Rückweg antreten und konzedieren kann: „Die Existenz einer apostolischen Lehrer‑ oder Gründergestalt, die am Beginn des johanneischen Christentums steht oder zumindest in der Gemeindegeschichte eine wichtige Rolle gespielt hat, kann naürlich nicht bestritten werden. Unbestreitbar ist ferner die Möglichkeit, daß die Redaktion diese Gestalt kannte und bei der Gestaltung der Lieblingsjüngerfigur an diese dachte“ (482). Denn weil die Rede von einer johanneischen Schule und ihrem Schulhaupt ja überhaupt nur aufkommen konnte, solange man glaubte, diese Person im Spiegel der Textpassagen um den geliebten Jünger als deren reales Modell entschlüsseln zu können, erscheinen uns alle derartigen Erwägungen als bloße Varianten der alten ephesinischen Johanneslegende, die u. E. allein aus Joh 21,23–25 herausgesponnen ist (vgl. Thyen, Noch einmal Joh 21). 24: Das deiktische oñto", das diesen Vers einleitet, hat außerhalb des Evangelientextes keinerlei reales Referenzobjekt. Es verweist dessen Leser vielmehr allein auf jene von dem realen Evangelisten mit literarischen Mitteln geschaffene fiktionale Figur, die bei der Lektüre des Evangeliums erst nach und nach ihre Konturen gewinnt. Darum ist allen Autoren, die die V. 24 und 25 als sekundäre Zusätze von ‚Redaktoren‘ oder ‚Editoren‘ des Evangeliums von Joh 21 abtrennen wollen, aufs entschiedenste zu widersprechen. Denn, wie die absichtsvolle Rekapitulation der ersten Einführung jenes Jüngers als des von Jesus geliebten (13,23 ff) in V. 20 zeigt, läuft nicht nur Joh 21, sondern vielmehr das gesamte Evangelium auf die unlösbar zusammengehörigen V. 23–25 hinaus. Darum ist „jede Herauslösung dieser beiden Schlußverse 24 und 25 auch nur durch Alinea absolut grundlos“ (Overbeck, Johannesevangelium 453). Das gilt auch den meisten modernen Texteditionen gegenüber, die mit ihren vielfältigen Alinea anstelle des überlieferten Textes häufig fragwürdige Interpretationen desselben bieten. Zwar fehlte im Sinaiticus prima manu zunächst der V. 25, doch die sorgfältige Untersuchung des Codex durch Milne & Skeat (Scribes 12 f) hat ergeben, daß es sich dabei um ein bloßes Versehen des Schreibers handelt, das er durch das Löschen der dem V. 24 folgenden Corona und Subscriptio: e§aggfilion katÅ ûIw›nnhn, sowie durch 791
21,15–25
Der Epilog des Evangeliums
deren neue Setzung nach dem nun eingefügten V. 25 sofort und eigenhändig korrigiert hat (vgl. Trobisch, Endredaktion 152 f). Sollte unser Evangelium im übrigen – wie Hengel vermutet (Frage 31–33 u. 204–209) – vom Augenblick seiner ersten Publikation an bereits durch die Inscriptio e§aggfilion katÅ ûIw›nnhn und/oder die Subscriptio katÅ ûIw›nnhn bezeichnet gewesen sein (so P66), dann müßte sein Autor zugleich der Editor unseres Vier-Evangelien-Kanons sein. Denn der denkwürdige Gebrauch des Lexems e§aggfilion als Gattungsname und die ebenso ungewöhnliche Zuschreibung eines Exemplars dieser Gattung an einen Autor durch kat› mit dessen Namen kann nur der Feder des Herausgebers einer Reihe solcher Evangelien und dessen Absicht entstammen, sie so unterscheidbar und damit auch zitierbar zu machen. Zu solcher Ein‑ schreibung unseres Evangeliums in einen Evangelienkanon würde sein souveränes Spiel mit den synoptischen Texten ebenso passen wie sein Schlußvers (21,25), der sich mit seinem Verweis auf Bücher (!) ja wirklich ausnimmt wie „das höchst charakteristische Schlußwort der urchristlichen Evangelienschriftstellerei“, das alle weiteren Versuche dazu „entmutigt“ oder ihnen doch zumindest „das Gehör der Gläubigen“ verschließt (Overbeck, Johannesevangelium 455; vgl. ebd. 409). Der fast unausrottbare Grund für diese Abtrennung der beiden Schlußverse unseres Kapitels liegt wohl in Harnacks Urteil, daß, verborgen in „einem dunklen Wir“, nämlich in dem wir wissen (o¥damen), Spätere das Werk des Presbyters Johannes eigenmächtig um die V. 24 f ergänzt und dessen Verfasser mit dem Zebedaiden identifiziert haben sollen (Geschichte 675). Mit diesem bereits 1897 gefällten Urteil hat Harnack den Reigen vieler Nachfolger eröffnet. Fast ein Jahrhundert später hat Hengel Harnacks Ansichten fast in allen Einzelheiten wiederholt (Joh. Frage 224 f). Wohin aber solche gewaltsame Abtrennung führen kann, demonstriert Wiardas höchst fragwürdiges Urteil, das die Dinge geradezu auf den Kopf stellt: „The narrative of John 21,1–23 is about Peter, not about Peter and the beloved disciple“ (Unity 68). Völlig unverständlich ist uns, warum ausgerechnet Bauckham, der doch ohne Joh 21,24 schwerlich je auf seine treffliche Charakterisierung des geliebten Jüngers als des ‚idealen Autors‘ gekommen wäre, gerade diesen für seine These doch entscheidenden Vers für sekundär erklären kann (Beloved Disciple 30 f). Alle diese Autoren – und ihre Zahl dürfte die der 153 großen Fische weit übertreffen – urteilen so, weil sie aus V. 23 nicht den Tod des Evangelisten im Evangelium (Overbeck), sondern den Tod von dessen realem Verfasser herauslesen und die dadurch bestürzten Brüder mit dessen vermeintlichen Schülern identifizieren. Die sollen sich in den Wir von V. 24 als die Herausgeber des Evangeliums ihres eben verstorbenen Meisters zu Wort gemeldet und dem Werk mit V. 25 noch „die mächtigste Hyperbel, die je ein Buch schließen kann“, angefügt haben (Herder, Werke 273; zitiert von Overbeck, Johannesevangelium 454). Ganz abgesehen von jenem doch schwer vorstellbaren schreibenden Kollektiv beruht diese Konstruktion auf der unmöglichen Voraussetzung, daß mit dem geliebten Jünger, entgegen der ihm anhaftenden Verheißung Jesu, ein allseits bekannter und verehrter Lehrer einer johanneischen Gemeinde plötzlich gestorben sei. Diese Voraussetzung ist darum unmöglich, weil sie zugleich mit dem kunstvollen Spiel um die Anonymität des geliebten Jüngers auch das Rätsel um seinen Namen und damit einen der wesentlichen Reize dieses Evangeliums zerstört. Aber wie nun schon mehrfach gesagt, ist der geliebte Jünger der fiktionale, von dem realen Evangelisten geschaffene, erzählte und erzählende Evangelist im Evangelium. Darum besteht gegen Roloffs Konstruktion 792
Zweite Szene: Jesus bestellt Petrus zum Hirten und autorisiert das Evangelium
21,24
zwischen ‚dem Jünger, den Jesus liebte‘ und dem qumranischen ‚Lehrer der Gerechtigkeit‘ als einer realen Person von Fleisch und Blut auch nicht die entfernteste Analogie (Lieblingsjünger). Lassen wir uns also von dem Plural in o¥damen nicht irreführen! Wie in den Prologen Joh 1,14 und 1Joh 1,1 ff greift der implizite Autor auch in diesem Epilog auf das bewährte Instrument des plural auctoris zurück. „Mit diesem seinem ‚Wir wissen‘ spricht der Verfasser nur den Glauben aus, mit dem er die Leser seiner Schrift zu entlassen wünscht. Es ist das Glaubensbekenntnis, in dem er sich und den Leser, den er durch seine Schrift gewonnen hat, eins weiß. Als Zeugnis eines Fremden an Fremde könnte es nur das Evangelium verdächtigen“ (Overbeck, ebd. 454). Als der Zeuge für die Wahrheit des im Evangelium Buch gewordenen Zeugnisses des Evangelisten im Evangelium meldet sich mit diesem plural auctoris am Ende der reale Evangelist und Verfasser dieses anonymen Pseudepigraphen zu Wort. Und daß keiner, der zu dem Mittel der Pseudepigraphie greift, es riskieren wird, daß ihm sein fingierter Autor oder dessen Freunde eines Tages als lebendige Kritiker gegenübertreten könnten, versteht sich ja wohl von selbst. Es kommt hinzu, daß die Bezeichnung des impliziten Evangelisten als des Jüngers, den Jesus liebte, als eine literarische Invention des realen Evangelisten betrachtet werden muß. Denn so hat sich gewiß kein realer Christ je selbst genannt, und so werden ihn auch seine Mitjünger und Freunde schwerlich jemals bezeichnet haben. Hat der reale Autor, der sich nach dem Motto des Johannes: Er muß wachsen, ich aber abnehmen! absichtsvoll und unwiderruflich in sein Werk und den geliebten Jünger als dessen Autor entäußert hat, aber die Figur dieses Jüngers eigens dazu geschaffen, seinem Evangelium Autorität und Autorisierung durch keinen geringeren als den auferstandenen Jesus zu verschaffen, so kann derjenige, der ihm für sein Bild des geliebten Jüngers als Modell gedient hat, nur einer aus dem Kreis der Zwölf sein, einer, der üpû ürcö" bei und mit Jesus gewesen und geblieben ist. Ja mehr noch, das einzigartige Täuferbild unseres Evangeliums und das von der martur‡a des Johannes gerahmte Buch des Zeugnisses (Joh 1,19–10,40–42) setzen doch voraus, daß der erzählte geliebte Jünger intime Kenntnis auch von dessen Botschaft und Weg haben muß. Und das führt uns wieder zurück zu jenem anonym gebliebenen anderen Jünger Johannes (des Täufers) neben Andreas (1,35 ff). Trobisch fragt, ob der etwa anonym bleibe, weil der Evangelist seinen Namen nicht gekannt habe, um darauf zu antworten: „Nein, sondern weil es sich um den Zebedaiden Johannes handelt, den Verfasser des Evangeliums, und weil dieser sich auch sonst in seinem Werk nicht nennt, (denn) als ehemaliger Jünger des Täufers konnte Johannes (auch über diesen) aus eigener Anschauung berichten, so die Leserperspektive“ (Endredaktion 85). Wir haben eben von dem Zebedaiden Johannes als Modell gesprochen. Denn es erscheint uns zur Klärung der Frage nach der Figur des geliebten Jüngers sinnvoll und methodisch weiterführend, zwischen diesem Modell, seinem Maler, nämlich dem tatsächlichen Evangelisten, den wir freilich nur als den Autor im Text kennen, und dem daraus entstandenen Bild des Jüngers, den Jesus liebte, zu unterscheiden. Dabei sind der Maler und sein Modell ganz fraglos reale Personen, der geliebte Jünger ist es jedoch nicht. Ihn gibt es nur als das aus dem Gegenüber von Maler und Modell entstandene abstrakte und idealisierte Porträt. Overbeck, der deutlich sieht, daß der Autor als den Erzähler der Geschichte Jesu nur einen Apostel gebrauchen konnte, fragt sich aber: „Warum mußte es gerade Johannes sein?“ Da wir seiner Meinung nach ohne das uns überlieferte Vorurteil in dieser 793
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Der Epilog des Evangeliums
Frage niemals weiterkämen, gälte es, den uns von der Tradition zugespielten Namen des Apostels Johannes „mit Hilfe unserer Konjizierungsgabe am Text zu überprüfen“ (ebd. 409). Schleiermacher nannte dieses hermeneutische Verfahren Divination. Zur Beantwortung seiner Frage, warum es gerade Johannes sein mußte, lenkt Overbeck seinen Blick auf Gestalt und Rolle jenes anderen Johannes, die in der gesamten übrigen Tradition nirgendwo „so kühn und willkürlich“ behandelt werde wie in unserem Evangelium, nämlich auf Johannes den Täufer, der in unserem Evangelium so freilich nie bezeichnet wird: „Nimmt man z. B. an, daß für den Verfasser des Evangeliums der Apostel Johannes für den eben angegebenen Zweck der gegebene Mann war, weil er seinem Evangelisten zu Jesus nach seinem Hinscheiden dieselbe Stellung zu geben gedachte, wie dem Täufer vorher, so verstand sich die mysteriöse Einführung des Evangelisten von selbst. Sein Name konnte dann im Evangelium gar kein anderer als ein Geheimname sein. Denn er trug ihn nicht wegen irgendwelcher Beziehung zum wirklichen Apostel Johannes, sondern wegen seiner Beziehung zur Idealfigur des Täufers im Kopfe des Verfassers des Evangeliums. Dieser hat selbst seinen Evangelisten unnennbar gemacht, weil er überhaupt nur eine Gestalt seiner Idealwelt ist, nur in dieser lebt und einen Namen hat. Natürlich mußte dieser Jünger einen Namen erhalten, aber ihn unter den ihm gegebenen Aposteln unmittelbar zu finden, konnte der Verfasser selbst nicht denken, sondern es handelt sich für ihn (darum), diesen Namen in den Apostelkreis hinein zu praktizieren, d. h. zu seiner Identifikation außerhalb dieses Kreises einzusetzen. Das gelang ihm, indem er zu seinem Idealjünger die Täufergestalt seines Evangeliums dazu erfand. Unter den Aposteln ist Johannes der Evangelist dieses Evangeliums nicht um seiner selbst willen, sondern um des Täufers willen als sein Namensvetter, oder anders gesagt: Er heißt Johannes um des ihm in seinem Evangelium zugefallenen Berufs willen und um der inneren Verwandtschaft dieses Berufs willen mit dem des Täufers in der ganzen Oekonomie der Offenbarung des göttlichen Lichts in der Welt nach der Grundvorstellung dieser Oekonomie, auf der laut Prolog das ganze 4. Evangelium beruht“ (ebd. 417).
Um sie der Vergessenheit zu entreißen und erneut zum Nachdenken darüber anzuregen, haben wir diese bedenkenswerte und in der neueren Literatur, so weit wir sie überschauen, vergessene Passage bereits anderswo schon einmal zitiert (Noch einmal Joh 21). Denn diese geniale Zusammenschau der beiden Träger des Namens Johannes in unserem Evangelium, die Matthias Grünewald in dem zentralen Kreuzigungsbild des Isenheimer Altars bereits vorweggenommen hat, erscheint uns für die Interpretation unseres gesamten Evangeliums überaus fruchtbar. 25: Mit seinem Spiel um die geschriebenen Bücher sowie um die ungeschriebenen, die aber geschrieben werden müßten, wenn man die unbeschreibbare Fülle alles dessen erzählen wollte, was Jesus getan hat, bildet dieser letzte Vers zusammen mit Joh 20,30 f eine vollendete Inklusion um diesen Epilog. Das haben wir oben bereits begründet. Hatte der Evangelist sich in V. 24 mit dem auktorialen Plural o¥damen (wir sind gewiß) zur Wahrheit des Zeugnisses des geliebten Jüngers bekannt, eines Plurals, der, wie das †qeas›meqa von 1,14, zugleich alle Leser einladen will, in dieses Bekenntnis einzustimmen, so tut er in V. 25 mit dem singularischen oèmai (ich bin der Meinung) jenseits des verbindenden und verbindlichen Bekenntnisses seine persönliche Meinung kund. Darauf, daß sich dieser Schlußvers tatsächlich ausnimmt wie „das höchst charakteristische Schlußwort der urchristlichen Evangelienschriftstellerei“, mit dem sein Verfasser alle weiteren Versuche dazu „entmutigt“ oder ihnen zumindest „das Gehör der Gläubigen“ verschließt (Overbeck 455), haben wir oben bereits hingewiesen. 794