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German Pages 499 [512] Year 1989
Frank-Peter Hansen „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus"
W G DE
Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland
Band 23
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1989
(
Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus"
Rezeptionsgeschichte und Interpretation von Frank-Peter Hansen
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1989
Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig - p H 7, neutral)
CIP-Titelaufnabme
der Deutschen
Bibliothek
Hansen, Frank-Peter: „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus" : Rezeptionsgeschichte u. Interpretation / von Frank-Peter Hansen. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1989 (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 23) ISBN 3-11-011809-2 NE: GT
© 1989 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany. Alle Rechte, inbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Saladruck, Berlin 36 Einband: Lüderitz und Bauer, Berlin 61
Vorwort Erste wichtige Hinweise zu dem Thema dieses Buches verdanke ich meinem 1977 verstorbenen Lehrer Dr. Jürgen Rollwage, entscheidende Anregungen Herrn Dr. Klaus Christian Köhnke. Herr cand. phil. Joachim Butzlaff gab mir immer wieder wichtige Hinweise, die im Text nicht alle einzeln vermerkt wurden. Ihm möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Fernerhin danke ich Frau Ursula Rollwage für die freundliche Erlaubnis, aus der unveröffentlichten Habilitationsschrift ihres Gatten zitieren zu dürfen. Außerdem möchte ich bei dieser Gelegenheit meinen Eltern für die jahrelange finanzielle Unterstützung danken. Mein Dank gilt schließlich den Herausgebern der Reihe „Quellen und Studien zur Philosophie", vor allem jedoch den Herren Prof. Dr. Wolfgang Wieland und Prof. Dr. Heinz Wenzel, die sich dieser Arbeit angenommen und sie zur Übernahme durch den Verlag de Gruyter empfohlen haben. Herr Dipl.-Architekt Reiner Friebus stand mir bei der Komposition der Schaubilder mit Rat und Tat zur Seite. Bei der Durchsicht und Korrektur des Manuskripts waren mir Herr cand. phil. Thomas Ertelt, Herr Uwe Vones und meine langjährige Freundin Tanja Beer behilflich. Ihr widme ich diese Arbeit. Berlin-Tiergarten, im September 1988
Frank-Peter Hansen
Inhalt Vorwort
V
Abkürzungsverzeichnis Einleitung
XI 1
Erster Teil: 70 Jahre „Systemprogramm" Die Situation der Forschung I.
Erste Periode (1917-1930) Franz Rosenzweig (1917) 19, Arthur Liebert (1918) 42, Ernst Cassirer (1917/18) 44, Wilhelm Böhm (1926) 47, Ludwig Strauß (1927) 56, Wilhelm Böhm (1927) 67, Ludwig Strauß (1927) 70, Wilhelm Böhm (1928/30) 72, Adolf Allwohn (1927) 75, Ausklang der ersten Periode 76, Hinweis zum Gebrauch der nachfolgenden Tafel 85
19
II.
Zweite Periode (1931-1965) Kurt Schilling (1934) 87, Emil Staiger (1935) 90, Johannes Jeremias (1938) 93, Kurt Hildebrandt (1939) 100, Hermann Glockner (1940) 103, Wilhelm Michel (1940) 106, Johannes Hoffmeister (1942) 109, Ernst Müller (1944) 114, Georg Lukäcs (1948) 115, Richard Geis (1950) 117, Hermann Zeltner (1954) 123, Karl Jaspers (1955) 129, Walter Schulz (1955) 132, Alexander Hollerbach (1957) 136, Manfred Schröter (1960) 142, Heinz Otto Burger (1962) 150, Horst Fuhrmans (1962) 152, Friedhelm Nicolin (1962) 156, Otto Pöggeler (1965) 157, Resümee der zweiten, und Ausblick auf die dritte Periode 171
87
III a Dritte Periode. Die Hegel-Forschung nach 1965 175 Otto Pöggeler 175, Die Systemprogrammtage in Haus Villigst (1969) 182-227: Rüdiger Bubner 182, Dieter Henrich 186, Hermann Braun 188, Xavier Tilliette 192, Klaus Düsing 196, Hanne-
VIII
Inhalt
lore Hegel 204, Friedrich Strack 207, Johann Heinrich Trede 215, Otto Pöggeler 219. Hans-Otto Rebstock 227, Shlomo Avineri 235, Guido Schmidlin 236, Dieter Henrich 238, Friedhelm Nicolin 244, Dieter Henrich 246, Die Franz-Strack-Kontroverse (1977-79) 254-276, Klaus Düsing 277, Christoph Jamme / Helmut Schneider 277, Andreas Thomasberger 284, Annemarie Gethmann-Siefert 286, Otto Pöggeler 287 III b Dritte Periode. Die Schelling-Forschung nach 1965 290 Wolfgang Wieland 290, Hans Jörg Sandkühler 294, Bernhard Dinkel 298, Klaus Düsing 302, Horst Fuhrmans 304, Manfred Frank 308, Wilhelm Raimund Beyer 308, Wolfgang Förster 308, Wilhelm Raimund Beyer 309, Hermann Timm 312, Dietrich Eberhard Sattler 313, Horst Fuhrmans 317, Manfred Frank/ Gerhard Kurz 323, Manfred Frank 331 Zweiter Teil: Interpretation der Handschrift IV.
V.
„Eine Ethik" a Die Rezeption von Kants praktischem Postulat der Freiheit im Systemprogramm b Hegels Berner Fragmente: „Volksreligion und Christentum", „Das Leben Jesu". „Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit", Teil I: Kritik an Klerus und Staat c „Die Positivität der christlichen Religion". „Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit", Teil II: Das „unglückliche Bewußtsein" und der „Kammerdiener der Moralität" d „Absolute Freiheit aller Geister"; intelligible und phaenomenale Welt. Hegels Rezeption von Schillers „Briefen . . . " und von Kants „Ideal des höchsten Guts" in der KrV und in der GMdS. Der kategorische Imperativ und die Moraltheologie
347 347
382
392
419
Eine Ästhetik 445 a Die synthetische Funktion der „Idee der Schönheit" in der Vermittlung des Naturbegriffs mit demjenigen der Freiheit in Schillers „Briefen . . . " und in Kants KrU. Die „Dichtkunst" als „Lehrerin der Menschheit" 445 b Die Vorbildstellung von Kants sinnlich-vernünftiger Religionsstiftung in RGV (1793) und von Schillers Schönheitskonzept in den „Briefen . . . " für den volksreligiösen Monotheismus-Polytheismusentwurf des Systemprogramms. Die „unsichtbare Kirche": politisches Symbol der 1789er Ideen von „Freiheit" und „Gleichheit" 465
Inhalt
Quellen- und Literaturverzeichnis Vorbemerkung Erste Periode (1917-1930) Zweite Periode (1931-1965) Dritte Periode (seit 1965) Literaturverzeichnis Personenregister
IX
475 475 476 476 478 484 487
Abkürzungsverzeichnis Briefe DVjs DZfPh EdM GMdS HJb KantST KrpV KrU KrV Nohl RGV ZfphF
Briefe von und an Hegel I Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Deutsche Zeitschrift für Philosophie (Berlin/DDR) Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Hölderlin-Jahrbuch Kant-Studien Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft Herman Nohl, Hegels theologische Jugendschriften Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Zeitschrift für philosophische Forschung
Einleitung Wer sich heute, 70 Jahre nach der Erstpublikation des sogenannten „Altesten Systemprogramms des deutschen Idealismus" durch Franz Rosenzweig im Jahre 1917 1 , über die Rezeptions- und Diskussionsgeschichte des Zweiseitenpapiers informieren möchte, wird vergeblich nach einer zusammenfassenden Darstellung Ausschau halten. Zwar sind in die inzwischen nach Hunderten zählenden Systemprogrammbeiträge immer wieder auch mehr oder weniger ausführliche Hinweise auf den jeweils aktuellen Erkenntnisstand eingegangen, aber da sie bestenfalls den Stellenwert von verstreuten Momentaufnahmen hatten und vor allem nie als allgemeine Orientierungshilfen gedacht waren, wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, sich im Für und Wider der Argumente überhaupt noch zurechtzufinden. Allein seit 1965 dürften weit mehr als 150 mit dem Systemprogramm direkt oder indirekt befaßte Arbeiten - zumeist Zeitschriftenaufsätze - publiziert worden sein, und vor allem: Ein Ende dieser regen Publikationstätigkeit ist nirgendwo in Sicht. Denn noch immer fordern die zwei Seiten Text zu dezidierter Stellungnahme heraus, noch immer geben sie Anlaß zu teilweise heftig geführten Kontroversen, zu deren Repertoire Verunglimpfungen genauso gehören wie gegenseitige Inkompetenzerklärungen. Eine sachliche Diskussion des Textfragments gibt es, überschaut man die bisherige Diskussionsgeschichte, bislang entweder gar nicht oder allenfalls ansatzweise. Statt dessen stößt man allenthalben auf unzureichend abgesicherte Hypothesenbildungen, ,kontrafaktische' Spekulationen, fiktive Korrespondenzen, ominöse Initiationsriten und selbst auf eine religiös gefärbte Gnadenwahltheorie. Stellt man fernerhin in Rechnung, daß diese verschwommenen und teilweise geradezu abwegigen Interpretationsansätze in einer teils latenten, teils offenen Streitatmosphäre
' Franz Rosenzweig, „ D a s älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus". Ein handschriftlicher Fund, Heidelberg 1917 (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Jg. 1917, 5.Abh.); auch in: „Zweistromland". Kleinere Schriften zur Religion und Philosophie, Berlin 1926, S. 123-175; ders., „Kleinere Schriften", Berlin 1937, S. 230-277.
2
Einleitung
diskutiert werden, dann scheint in Sachen Systemprogramm alles möglich und nichts entschieden zu sein. Was, so muß man fragen, kann drei bis vier Forschergenerationen veranlaßt haben, sich auf eine solch ,einfallsreiche' und emphatische Weise mit einem nicht einmal vollständig überlieferten Text auseinanderzusetzen? So gewiß es auf diese Frage mehr als nur eine plausible Antwort gibt, so gewiß ist es auch, daß der kleinste gemeinsame Nenner all dieser möglichen Erklärungsversuche eine bestimmte Erwartungshaltung war: In dem Entwurf sollten nicht zuletzt auch philosophische Anliegen der eigenen Zeit vorformuliert worden sein. Hierüber waren sich alle Diskussionsteilnehmer über sämtliche Differenzen hinweg einig; strittig war nur, wie das aus der Handschrift zu abstrahierende Selbstverständnis beschaffen sein sollte. Also streiten die Parteien auch heute noch unverdrossen weiter, ähnlich ausdauernd wie die Interpreten der ersten Stunde, denen ebenfalls sofort deutlich geworden war: ,nostra res agitur'. Und weil, wenn nicht alle Zeichen trügen, dieses Credo auch noch für die zukünftige Systemprogrammforschung bestimmend sein wird, ist es endlich einmal an der Zeit, ein vorläufiges Fazit zu ziehen. Im Laufe 70jähriger Systemprogrammdiskussion haben sich die Fronten geklärt, sämtliche überhaupt in Betracht kommenden Positionen sind bezogen, alle nur erdenklichen Varianten kritischer Vergegenwärtigung sind erprobt, diskutiert und verworfen worden; aber der Versuch, die Geschichte dieser an Farbkontrasten wahrlich überreichen Diskussion zu schreiben, ist nach wie vor Desiderat. Christoph Jamme und Helmut Schneider haben in ihrer kommentierten Aufsatzsammlung „Mythologie der Vernunft. Hegels ,ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus'" einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen. 2 Ihnen gebührt u. a. das Verdienst, erstmals eine auf Vollständigkeit bedachte Bibliographie der einschlägigen Veröffentlichungen zum Systemprogramm erstellt zu haben. Wenn sie diesem Anspruch nun auch bei weitem nicht zu genügen vermochten - mit ihren 48 Titeln haben sie nur einen Bruchteil der kaum noch überschaubaren Literatur verzeichnet - eine erste Orientierungshilfe, die ich in meiner Arbeit immer wieder zu Rate gezogen habe, bietet dieses Buch unbedingt. Wer heute jedoch glaubt, ausnahmslos alle Publikationen zum Systemprogramm auch nur bibliographisch erfassen zu können, sollte sich von vornherein zweierlei
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Mythologie der Vernunft. Hegels ,ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus', hg. von Chr. Jamme u. H.Schneider, Frankfurt a. Main 1984.
Einleitung
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klarmachen. Einerseits nämlich ist die Beschäftigung mit der Handschrift schon seit geraumer Zeit keine ausschließliche Domäne der Philosophie mehr. Seit 1969 ist mit Friedrich Strack 3 auch die Literaturwissenschaft an dem Streit um den Entwurf beteiligt, aber auch Theologen 4 und selbst Schulbuchautoren 5 tragen inzwischen ihren Teil zur Meinungsbildung bei. Folglich müßten sämtliche Periodika, Monographien etc. zumindest der literaturwissenschaftlichen und theologischen Fakultät, die im Laufe der letzten 20-30 Jahre erschienen sind, zur Kenntnis genommen werden, ein schier aussichtsloses Unterfangen. Andererseits aber hat sich inzwischen auch das Ausland in die laufende Diskussion eingeschaltet, zunächst einmal mit Ubersetzungen des Programms. Wie aus dem Sammelband Jammes und Schneiders hervorgeht, existieren unterdessen italienische, englische, russische, spanische und polnische Ubersetzungen des Entwurfs 6 , aber auch mit Kommentaren haben sich Autoren aus Italien, England, Frankreich, Polen und den USA seit Anfang der 70er Jahre zu Wort gemeldet. 7 Wer will, mag die philosophischen Publikationen der letzten 20 Jahre, die in diesen Ländern erschienen sind, auf eventuelle Hinweise zum Systemprogramm durchblättern, in der vorliegenden Arbeit jedenfalls wurde die umgekehrte Konsequenz gezogen. Der Anspruch auf Vollständigkeit wurde von vornherein nicht erhoben, indem ausnahmslos Zeitschriftenaufsätze und Bücher aus dem deutschsprachigen Raum zu Rate gezogen wurden. Und auch wenn die Bibliographie am Ende der Arbeit eine Vielzahl von Veröffentlichungen benennt, die bei Jamme und Schneider unberücksichtigt geblieben sind: Die Dunkelziffer nicht erfaßter Arbeiten zum Systemprogramm dürfte noch immer beträchtlich sein. Vollständigkeit brauchte vor allem aber auch deswegen nicht angestrebt zu werden, weil diese Geschichte der Systemprogrammdiskussion kein Forschungsbericht im herkömmlichen Sinne sein will. Das vorliegende
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Friedrich Strack, „Das Systemprogramm und kein Ende. Zu Hölderlins philosophischer Entwicklung in den Jahren 1795/96 und zu seiner Schellingkontroverse", in: Hegel - Tage Villigst 1969. Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus, hg. von Rüdiger Bubner (Hegel-Studien, Beiheft 9), Bonn 1973, S. 107-149. Vgl. ζ. B. Hermann Timm, „Remythologisierung? Der akkumulative Symbolismus im Christentum", in: Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion, hg. von Karl Heinz Bohrer, Frankfurt a. Main 1983, S. 432^156. Vgl. Wilhelm G r o ß e / L u d g e r Grenzmann, Geschichte der deutschen Literatur 2, Klassik und Romantik, hg. von Joachim Bark, Dietrich Steinbuch, Hildegard Wittenberg, Stuttgart 1983. Vgl. Mythologie der Vernunft, a. a. O. S. 17. A . a . O . S.263ff.
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Einleitung
Buch verfolgt ein anderes Ziel: Es wurde der Versuch unternommen, anhand der Diskussionsgeschichte des Textes ein Stück deutscher Geistesgeschichte zu schreiben. Das mag auf den ersten Blick unangemessen erscheinen; gleichwohl sollte man sich vor übereilten Schlußfolgerungen hüten. Denn gerade die Interpretationsgeschichte des Systemprogramms ist vielleicht doch aussagekräftiger, als es zunächst scheinen mag. Wenn es nämlich richtig ist, daß fast alle Exegeten des Systemprogramms ein mehr oder weniger intensives Aktualisierungsanliegen hatten, dann dürfte es eben doch nicht abwegig sein, auch und gerade geistesgeschichtlich relevante Tatsachen aus dem Umgang mit diesem Manuskript abstrahieren zu wollen. Dann müßte es zumindest möglich sein, die Entwicklung der Schelling-, Hölderlin- und seit 1965 auch der Hegelforschung in Umrissen nachzuvollziehen. Es läßt sich nun aber tatsächlich zeigen, daß es speziell jener Trend zur modernisierenden Vergegenwärtigung war, der das Interesse an dem anonymen Blatt über 70 Jahre wachzuhalten vermochte. Der Text mußte immer wieder dafür herhalten, die diversen Probleme, die die jeweilige Gegenwart mit sich oder auch mit,ihrer' Vergangenheit zu haben glaubte, zu kommentieren, zu illustrieren, bzw. am liebsten auch gleich noch zu eliminieren. Ein wirklich philosophiehistorisches oder im weitesten Sinne geistesgeschichtliches Interesse, das den Text adäquat aus den zeitgenössischen Quellen heraus zu begreifen sucht, wird man jedenfalls kaum einem Interpreten attestieren können. Statt dessen wurde ein ums andere Mal einem ausgesuchten Problem eine mehr oder weniger kreative Antwort zuteil und das zu beantwortende Problem lautete jederzeit so: SchellingHölderlin-Hegel, das Systemprogramm und wir. Fast allen Systemprogrammbeiträgen, und hierbei macht es keinen Unterschied, ob man Publikationen der 20er oder der 70er Jahre zu Rate zieht, ist eins gemeinsam: Sie enthalten tatsächlich so gut wie keine Information über das Systemprogramm, den historischen Zusammenhang, aus dem heraus es verstanden werden muß, oder auch über die Intentionen des nach wie vor fraglichen Verfassers. Statt dessen erfährt man bei der Lektüre der einschlägigen Literatur regelmäßig etwas über das jeweilige Anliegen der Interpreten und bekommt überraschenderweise einen ziemlich guten Einblick in den sich entwickelnden Zeitgeist dieses Jahrhunderts. Es mutet paradox an, nichtsdestoweniger aber entspricht es den durch die Diskussionsbeiträge geschaffenen Tatsachen: das Wissen, das die diversen Meinungen über das Manuskript vermitteln, tendiert gegen Null. Der zu verbuchende Wissenszuwachs besteht tatsächlich nur in einer Einsicht, angesichts derer die viel-
Einleitung
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diskutierte Handschrift letztendlich zu einer Quantite negligeable wird: Man gewinnt einen summarischen Einblick in das Erkenntnisinteresse, das die Hölderlin-, die Schelling- und die Hegelforschung während der letzten 70 Jahre geleitet hat. „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus", das 1913 von der Königlichen Bibliothek in Berlin auf einer Auktion des Hauses Liepmannssohn ersteigert wurde, hat diesen auch heute noch gebräuchlichen Namen von seinem ersten Herausgeber Franz Rosenzweig erhalten. Die Uberlieferungsgeschichte des Fragments lag bis 1976 im Dunkeln, da die versteigernde Firma auf Rosenzweigs Nachfrage, aus welchem Nachlaß der Text erworben worden sei, keine Informationen geben konnte oder wollte. Erst Dieter Henrich gelang es 60 Jahre später, die Herkunft des Manuskripts aufzuklären. 8 Seit 1976 steht zweierlei fest: Das sogenannte Systemprogramm stammt aus dem Nachlaß des Hegelschülers Friedrich Förster und folglich aus Hegels eigenem Nachlaß. In dem Zeitraum zwischen 1960 und 1979 waren sämtliche an der Diskussion um das Systemprogramm beteiligten Forscher auf eine Photographie, die Rosenzweig für Ludwig Strauß angefertigt hatte, angewiesen, da das Original der Handschrift nach 1945 als verschollen galt. Die Nationalsozialisten hatten kurz vor Kriegsende die wertvollsten Bestände (Sammlung ,Autographa') der Preußischen Staatsbibliothek, zu denen auch der Programmentwurf gehörte, in das schlesische Grüssau überführt. Infolge der Nachkriegswirren ging die Sammlung verloren, bis 1979, auf wiederholte Nachfrage bei den zuständigen polnischen Behörden, die interessierte Fachöffentlichkeit darüber in Kenntnis gesetzt wurde, daß der sogenannte Grüssauer Schatz in die Jagellonische Bibliothek Krakau gelangt war. Vor allem Henrichs diplomatischem Geschick ist es zu verdanken, daß die Forschung seit 1979 wieder auf das Original der Handschrift zurückgreifen kann. Denn die zuständigen polnischen Stellen, die noch bis weit in die 70er Jahre hinein auf wiederholte Anfragen ein ums andere Mal erklärt hatten, sie befänden sich nicht im Besitz der nach Grüssau ausgelagerten Handschriften, ließen sich schließlich doch vom Gegenteil überzeugen. Dieser Gesinnungswechsel ist sicherlich nicht zuletzt auch dadurch hervorgerufen worden, daß Henrich in dem Systemprogramm einen freiheitlichen, demokratisch-herrschaftsfreien
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Dieter Henrich, „Aufklärung der Herkunft des Manuskripts ,Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus'", in: ZfphF 30, H . 4 (1976), S. 510-528; Neudruck in: Mythologie der Vernunft, a . a . O . S. 144-169 (um einen „Nachtrag" erweitert).
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Einleitung
Grundgedanken ausfindig gemacht haben wollte, an dem sich, wie Henrich zu verstehen gab, die polnische Regierung dann messen lassen mußte. Mit anderen Worten: Das Fragment wurde in diplomatische Dienste genommen und avancierte sogleich zu einem Politikum ersten Ranges. Denn für Henrich stand außer Zweifel, daß „viele der mit dem Grüssauer Schatz verschwundenen Manuskripte . . . in der Uberzeugung geschrieben" worden sind, „daß Denken und Kunst der ,gleichen Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen' dienen - (und, F.-P. H . ) daß sie dort, wo sie angemessen angeeignet sind, dem Krieg und der Unterdrükkung entgegenwirken". 9 Die polnischen Offiziellen reagierten prompt und unverzüglich auf diesen dezenten Hinweis Henrichs. Es dauerte nur zwei Jahre, bis auch sie schließlich eingesehen hatten, daß die Annexion des Grüssauer Schatzes dem in Wahrheit demokratischen Geist des Systemprogramms - und nicht nur ihm - widersprach. Sie ließen sich von der Unangemessenheit und/oder Unrechtmäßigkeit der Besitzergreifung überzeugen und gaben den Entwurf wieder frei. Zwischenzeitlich jedoch, von 1960 bis 1979, war die bundesrepublikanische Systemprogrammforschung auf diejenige Photographie angewiesen, die Rosenzweig für Strauß hatte anfertigen lassen. Strauß, so konnte Friedhelm Nicolin ermitteln 1 0 , hatte die Reproduktion des Originals seinem Schwiegervater Martin Buber geschenkt, und dieser stellte dann 1960 die Kopie dem Berliner Hegel-Nachlaß der Staatsbibliothek preußischer Kulturbesitz (Handschriftenabteilung) zur Verfügung, wo sie noch heute eingesehen werden kann. 11 Dietrich Eberhard Sattler, der Herausgeber der Frankfurter Hölderlinausgabe, traf 1981 die Feststellung, das Systemprogramm sei „zum Fetisch
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D. Henrich, „Beethoven, Hegel und Mozart auf der Reise nach Krakau (Vom Grüssauer Depot der Preußischen Staatsbibliothek)", in: Neue Rundschau 88, H . 2, Frankfurt a. Main 1977, S. 1 6 5 - 1 9 9 , hier 193.
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Friedhelm Nicolin, „Philologische Aufgaben der Hegelforschung. Bemerkungen zur kommenden Hegel-Gesamtausgabe", in: Heidelberger Hegel-Tage 1962, hg. von H . - G . Gadamer, Bonn 1964 (Hegel-Studien, Beiheft 1), S. 3 2 7 - 3 3 7 , hier 331 f., A n m . 4 ; vgl. ebenso: F. Nicolin, „Aus der Uberlieferungs- und Diskussionsgeschichte des ältesten Systemprogramms", in: Hegel-Studien 12, Bonn 1977, S. 2 9 - 4 2 .
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Die Photographie wurde also dem Hegel-Nachlaß einverleibt, der zum Zeitpunkt der Ubergabe (Sommer 1960) noch in Tübingen verwahrt wurde. Buber hatte übrigens zunächst beabsichtigt, die Kopie Friedrich Beißner, dem Begründer des Hölderlin-Jahrbuchs, auszuhändigen. Vgl. Nicolin, a. a. O . S. 32.
Einleitung
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der Lemuren geworden". 1 2 Mit dieser Kurzcharakteristik, die bezeichnenderweise einen ironisch distanzierten „Bückling vor P" implizierte, wollte dieses Enfant terrible der ,alternativen' Frankfurter ,Hölderlin-Ausgabe' die neuere Hegelforschung des Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum exekutieren. Daß ein solcher Nekrolog, der sich selbst der „getünchten Gräber" aus Hegels Kritik der Romantik zu bedienen weiß, tatsächlich schon auf Rosenzweigs kommentierte Erstpublikation von 1917 verfaßt werden kann, w i r d spätestens dann deutlich, wenn man sich einmal klarmacht, w a r u m der Erstherausgeber fest davon überzeugt war, in der Hegelhandschrift ein Schellingianum entdeckt zu haben. Rosenzweig, ein dezidierter Anti-Hegelianer, fabulierte wie folgt: er habe, als Anhänger Schellings, dasjenige finden sollen, was er gefunden hat: einen Text seines ,Schutzheiligen' Schelling. Für diesen Interpreten, der sich ernsthafterweise prädestiniert glaubte, ein Schelling-Original entdecken zu müssen11, w a r die schlichte Tatsache des Handschriften-Fundes Anlaß genug, auch gleich noch die Behauptung zu wagen, mit der Entdeckung dieses Entwurfs sei eine neue Epoche der Schellingforschung angebrochen. Der von Hegel als Proteus verdächtigte Schelling sollte mit Hilfe des Manuskripts rehabilitiert werden. Diese These vom Beginn einer neuen Epoche, auch wenn (oder gerade: w e i l ) ihr eine Mystifikation zugrunde lag, erwies sich als äußerst wirkungsmächtig. Alle möglichen - nicht nur an Schellings Verfasserschaft interessierten - Systemprogramminterpreten der nächsten Jahrzehnte w o l l ten das Fragment als ein Antizipationsprogramm verstanden wissen. Rosenzweigs Jugendlicher Husarenritt ins Imaginäre' (Pöggeler) zeigte sehr schnell W i r k u n g , und an den Folgen dieser Legendenbildung laboriert auch noch die Systemprogrammforschung der Gegenwart. Allenthalben versuchten und versuchen engagierte Interpreten anhand des fragmentarisch überlieferten Textes die Geradlinigkeit von Schellings Entwicklung zu beweisen. Schelling sollte auf einmal das Vorbild der anderen Idealisten oder auch wahlweise der Romantiker gewesen sein. M a n verständigte sich darauf, daß Schelling mit dem Programm seine alles antizipierende Genialität und Initiiertheit bewiesen habe und w a r der festen Überzeugung, den ganzen Schelling mittels des doppelseitig beschriebenen Blatts ganz neu verstehen zu können. Diese Euphorie der ersten und zweiten Forschergene-
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D . E . Sattler, Friedrich Hölderlin. 144 fliegende Blätter, B d . 2 (73-144), Darmstadt u. Neuwied 1981, S . 5 7 1 . Vgl. Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk, Ges. Schriften I, Briefe und Tagebücher, 1. Bd., Den Haag 1979, Brief Nr. 538.
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Einleitung
ration der Jahre 1920 bis 1950 war freilich nur ein Anfang, denn die Durchführung des von Rosenzweig angestimmten Themas blieb der Nachkriegsgeneration vorbehalten. Schelling avancierte zum Wegbereiter der Heideggerschen Existenz- und Lebensphilosophie 14 , das eigentliche Anliegen des Systemprogramms - das, wie sich versteht, nur das Anliegen des sich gerade zu Wort meldenden Interpreten war - sollte ,Existenzerhellung' gewesen sein.15 Dann wieder glaubte man sich, im Zuge der Studentenbewegung, autorisiert, die Handschrift in die in der 1968er Zeit so beliebte Theorie-Praxis-Diskussion zu integrieren. 16 Denn diesmal galt es, einen ,ordentlichen' Praxisbegriff zu kreieren, und folglich wurde das Fragment ganz unbefangen in den Dienst einer kritischen Selbstdarstellung bzw. Selbstfindung genommen, wenn man es nicht lieber gleich vorzog, ganz global weltanschauliche Orientierungsfragen zu erörtern. In den 80er Jahren schließlich war es Manfred Frank 17 , der die Thesen des Systemprogramms unter das sogenannte Entfremdungstheorem meinte subsumieren zu müssen. Der Systemprogrammautor wurde zum Mitbegründer moderner Demokratie deklariert, da er auf das Sinn- und Legitimationsdefizit der spätbürgerlichen Gesellschaft aufmerksam gemacht haben sollte. Nicht Karl Marx, Jean-Paul Sartre oder auch der kritische Kommunikationstheoretiker Jürgen Habermas galten diesem Interpreten als Schöpfer der Entfremdungstheorie, sondern dem Autor des Programms wurde bescheinigt, er habe die moderne, und das heißt allemal auch: kritische Soziologie auf den Weg gebracht. Schelling, die ,stürmisch aufbrechende Märznatur' 18 , wurde allenthalben auch noch für unsere ,Lebenswelt' aktuell befunden, denn schließlich habe er nicht nur den Deutschen Idealismus und die Romantik vorweggenommen, sondern letztlich auch die ganze kritische Intelligenz des 19. und 20. Jahrhunderts. Wenn Karl Jaspers (1955) das Stichwort gegeben hatte, Schelling gebühre das Verdienst, „bleibende Möglichkeiten unseres Zeitalters"
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Vgl. Karl Jaspers, Schelling. Größe und Verhängnis, München 1955. So Walter Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Stuttgart, Köln 1955. Vgl. Hans-Jörg Sandkühler, Freiheit und Wirklichkeit, Frankfurt a. Main 1968, S. 116-123. Manfred Frank, „Die Dichtung als ,Neue Mythologie'", in: Recherches Germaniques 9 (1979), S. 122-140. Neudruck in: Mythos und Moderne, a. a. O . S. 15-40; ebenso ders., Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie. 1. Teil, Frankfurt a. Main 1982, S. 153-187 u.ö. So Horst Fuhrmans, F . W . J . Schelling, Briefe und Dokumente, Bd. 1 (1775-1809), Bonn 1962, S. 55-59, 69 ff.
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Einleitung
gezeigt zu haben, oder wenn Walter Schulz (1955) davon sprach, das Systemprogramm habe „ein Schicksal heraufbeschworen, das keineswegs schon bewältigt" sei, dann hatten sie von vornherein zu erkennen gegeben, daß ihnen ein wirklich historisches Verständnis des Systemprogramms gleichgültig war. Der Text diente nur noch Illustrationszwecken, man zog ihn heran, um möglichst inspiriert über das eigene Säkulum urteilen zu können, und man tat dies unter der selbstgeschaffenen Voraussetzung, daß Schellings Jugendgedanken unmittelbar an die (nicht nur) philosophische Problematik der Gegenwart heranreichten. Wer freilich glaubt, dieser Trend zur Aktualisierung sei eine Domäne der Schellingforschung, muß sich eines Besseren belehren lassen. Denn auch die Hegelforschung der letzten 20 Jahre hat sich auf diesen Streit der Zeitgeister eingelassen, auch sie sucht in dem Programm nach Antworten auf die offenen Fragen der Gegenwart. Schon 1969 glaubte der rührigste Systemprogramminterpret der 70er und 80er Jahre, O t t o Pöggeler, anläßlich eines vom Hegel-Archiv (Bochum) veranstalteten Colloquiums in Haus Villigst feststellen zu müssen, daß in der Hegelhandschrift „philosophische Anliegen der eigenen Zeit" vorformuliert seien, und daß der Text entsprechend stelle.
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„auch
noch
unser Denken
vor entscheidende
Fragen"
Zwar gehört Pöggeler zusammen mit Henrich zu denjenigen, die
ausnahmsweise dem Systemprogramm keine Begründungsfunktion für den gesamten Deutschen Idealismus bzw. für Schellings Spätwerk zuerkannt wissen möchten, das hinderte ihn aber nicht, auch noch in jüngster Vergangenheit 20 die These zu vertreten, das Programm werde selbst noch für die Menschheit des Jahres 2000 bedeutungsvoll sein. Denn für Pöggeler, ähnlich wie für seinen Schüler Christoph Jamme 2 1 , ist es eine Selbstverständlichkeit, daß der Systemprogrammautor Hegel ein früher Theoretiker ,gewaltloser Verständigung', ein Protagonist kritischer Interaktionsmodelle ä la Habermas war. Folgerichtig wird auch gleich noch das ,Ver-
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Otto Pöggeler, „Hölderlin, Hegel und das älteste Systemprogramm", in: Hegel-Tage Villigst 1969, a . a . O . S.211-259, hier 248, 258; ebenso auch Rüdiger Bubner in der „Einleitung", a. a. O. S. 1-3. O.Pöggeler, „Das Menschenwerk des Staates", in: Mythologie der Vernunft, a . a . O . S. 175-225, hier 187. Chr. Jamme, H.Schneider, Mythologie der Vernunft, a . a . O . S . 2 1 - 7 6 (Einleitung der Herausgeber), spez. 45ff.; ebenso Chr. Jamme: „Ein ungelehrtes Buch". Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797-1800 (Hegel-Studien, Beiheft 23), Bonn 1983, S. 171-174 u.ö.
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Einleitung
ständnis', „das unsere Zeit von sich hat" 2 2 , anhand des Fragments überprüft. Es bedarf wahrlich keiner besonderen divinatorischen Begabung, um angesichts solcher und ähnlicher Praktiken eine Zukunftsprognose zu wagen. Solange sich die Forschung auf Sinnsuche kapriziert, solange wird sie weder das Systemprogramm selbst, noch auch ihre eigene ,desaströse Lage', die, Henrichs gegenteiliger Ansicht zum Trotz 2 3 , de facto besteht, wirklich begreifen und sachlich angemessen einordnen können. Denn hier gibt es tatsächlich nur ein ,entweder-oder': entweder die auch von Pöggeler (und nicht nur von ihm) immer wieder beschworene historische Treue, oder aber ein typisch modernes, will heißen innovatives Forschen, dessen Rezeptionsanliegen sich hauptsächlich über ein ausgeprägtes Aktualisierungsbedürfnis definiert. Innovatives Forschen aber ist beileibe keine Erfindung der Gegenwartsphilosophie und -Soziologie. Schon die Systemprogrammforschung der 20er Jahre liefert dafür reichlich Anschauungsmaterial, wie man denn auch sagen muß, daß schon Franz Rosenzweig in die Gepflogenheiten alternativer Wissensvermittlung umfassend eingeweiht war. Neun Jahre nach der von ihm besorgten Erstpublikation war es Wilhelm Böhm (1926), der in seiner umfangreichen Abhandlung „Hölderlin als Verfasser des ,Altesten Systemprogramms des deutschen Idealismus'" die These vertrat, nicht Schelling, sondern der bis dato von der Forschung - und zuletzt von Ernst Cassirer - verkannte Systematiker der Philosophie, Hölderlin, sei als der Verfasser der Handschrift anzusehen. 24 Anders als Rosenzweig, der das Systemprogramm als einen insgesamt praktisch fundierten Entwurf verstanden wissen wollte, legte Böhm das Schwergewicht auf den ästhetischen Mittelteil und versuchte von hier aus die Gedankenwelt des Fragments zu erschließen: Das vereinigungsphilosophische reine Sein der Schönheit sollte auch schon im ethischen Einleitungsteil dominieren. Anläßlich der Diskussion dieser These brachte Ludwig Strauß in seinem Aufsatz „Hölderlins Anteil an Schellings frühem Systemprogramm" (1927) eine Synthese zwischen Schelling und Hölderlin in Vorschlag mit der Absicht, Rosenzweigs Urteil, in dem der praktische Gesichtspunkt akzen-
« Vgl. O . P ö g g e l e r , a . a . O . S. 188. 23 Vgl. D . H e n r i c h , „Systemprogramm? Vorfragen zum Zurechnungsproblem", in: HegelTage Villigst 1969, a . a . O . S . 5 - 1 5 , hier 15. 24 Wilhelm Böhm, „Hölderlin als Verfasser des ,Altesten Systemprogramms des deutschen Idealismus'", in: D V j s 4 (1926), S. 3 3 9 ^ 2 6 .
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tuiert worden war, entsprechend modifiziert, in sein ursprüngliches Recht zu setzen. 2 5 Dieser Abhandlung begegnete Wilhelm Böhm mit der unverzüglichen „Erwiderung", daß die ,ethische' Einleitung dem ästhetischen Ideal des Mittelabschnitts restlos untergeordnet werden müsse 26 , und dieser Antwort ließ Ludwig Strauß eine sofortige Wieder-Erwiderung folgen. Er betonte einmal mehr, daß Böhms Alternative, das Ethische ästhetisch fundiert sein zu lassen, schlechterdings auszuschließen sei. 27 Aber selbst diese Replik blieb nur insofern das letzte Wort, als Wilhelm Böhm es vorzog, durch die Schriftleitung der „Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte" die Mitteilung an das Publikum ergehen zu lassen, daß er, „um weitere (gemeint sind wohl ,fruchtlose', F.-P. H . ) Erörterungen abzubrechen auf seine umfassende Darstellung Hölderlins, welche im Verlag der ,Deutschen Viertel)ahrsschrift' in Vorbereitung ist" verweise. 28 - Diese erste große Kontroverse um das Systemprogramm war aber vor allem auch ein Streit um ein adäquates Hölderlinbild,
das die Diskussionsteilnehmer
sich gegenseitig
streitig
machten. So viel war also auch schon zu Beginn des in den späten 20er Jahren einsetzenden - in der Gegenwart vollends Usus gewordenen Replikenwechsels
-
deutlich geworden, daß in die Diskussion um das
Systemprogramm einzutreten mit der Proklamation offener ,Kriegserklärungen' und unsicherer ,Friedensschlüsse' gleichbedeutend war. Wilhelm Böhm jedenfalls meinte schon 1926 ganz unbefangen und naiv, mit seiner das Systemprogramm okkupierenden' systematischen Hölderlininterpretation eine „Schlacht gewonnen" zu haben. Dies war nun doch stark übertrieben, denn seine Argumente gerieten nach 1930 gründlich in Vergessenheit - um freilich 1969 - auf dem Villigster Systemprogrammcolloquium - von Friedrich Strack reaktiviert zu werden. 40 Jahre lang herrschte Burgfrieden, und die Forschung schien sich schließlich doch mit dem schon damals umstrittenen und hart umkämpften Lösungsvorschlag von Ludwig Strauß zufriedengeben zu wollen. Seit spätestens 1940 war man sich einig, daß Rosenzweig den Text ausgezeichnet erläutert und zutreffend datiert haben sollte. Nur der Herausgeber der Jubiläumsausgabe von Hegels sämtlichen Werken, Hermann Glockner,
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26 27 28
Ludwig Strauß, „Hölderlins Anteil an Schellings frühem Systemprogramm", in: DVjs 5 (1927), S. 679-734. W . B ö h m , „Zum .Systemprogramm': eine Erwiderung", a . a . O . S. 734-743. L.Strauß, „Zu Böhms Erwiderung", a . a . O . S. 743-748. W . B ö h m , a . a . O . S. 747.
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meldete Zweifel an der Angemessenheit seiner Auslegung der Quellen an und brachte darüber hinaus den angemessenen - weil nicht tendenziösen Titel „Entwurf eines philosophischen Arbeitsplanes" in Vorschlag. 29 Die Ausnahme von der Regel macht freilich Wilhelm Michel, der keine Interpretation zur Diskussion stellen wollte, die von vornherein einen bestimmten Verfasser - ganz Partei - favorisierte. 30 Dabei nimmt Michels Erläuterung in mancherlei Hinsicht Otto Pöggeler vorweg, denn genau wie dieser plädiert er dafür, daß der ästhetische Mittelteil zwar von Hölderlin beeinflußt sei, daß aber letztendlich doch der Kant-Fichteschen ,Tathandlung' das letzte Wort belassen werde. Von Pöggelers Position trennt ihn eigentlich nur die fehlende Einsicht in Hegels Verfasserschaft, denn wie die übrigen Diskussionsteilnehmer der zweiten Forschergeneration vertritt auch er die von Rosenzweig inaugurierte These von der Verfasserschaft Schellings. Die Systemprogrammforschung schien auf der Grundlage der Rosenzweig-Strauß-Variante in eine Phase allgemeiner Konsolidierung eingetreten zu sein. Erst im Jahre 1965, anläßlich der Hegel-Tage von Urbino, entflammte eine Auseinandersetzung um das Fragment, deren Vehemenz die 1926/ 27er Diskussion noch in den Schatten stellte, als nämlich Otto Pöggeler in seinem Referat „Hegel, der Verfasser des Altesten Systemprogramms des Deutschen Idealismus" 31 erstmals mit der These auftrat, der Text in Hegels Handschrift sei auch von Hegel verfaßt worden. 3 2 Dieses Referat war die ,Initialzündung' für eine Publikationsflut, die seitdem, sei's in Aufsätzen, sei's in eigenständigen Buchveröffentlichungen den Markt
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Hermann Glockner, Hegel, 2. Bd., Entwicklung und Schicksal der Hegeischen Philosophie, Stuttgart 1940, S. 78 ff., hier 78/79. Wilhelm Michel, Das Leben Friedrich Hölderlins, Bremen 1940, S. 2 0 3 - 2 0 6 . O . Pöggeler, „Hegel, der Verfasser des ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus", in: Hegel-Tage Urbino 1965. Vorträge, hg. von H.-G. Gadamer (Hegel-Studien, Beiheft 4) Bonn 1969, S. 1 7 - 3 2 . Schon 1941 allerdings hatte Herbert Marcuse einen mehr oder weniger eindeutigen Zusammenhang zwischen der ,sozialen' Thematik des Systemprogramms und dem f ü r Hegel insgesamt typischen Begriff der ,kritischen' Vernunft hergestellt. Vgl. H. Marcuse, Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie, Darmstadt u. Neuwied 4 1972, S. 22 f. - Der überhaupt erste Interpret jedoch, der ganz ausdrücklich für Hegels Verfasserschaft plädierte, war 1943 Boris Jakowenko. Dieser Exeget - ein zweiter Swedenborg - wollte schon 1 9 1 1 , fünf Jahre vor der Erstpublikation des Textstükkes, die Mythologiepassage W o r t f ü r W o r t vorweggenommen haben!? Vielleicht blieb nicht zuletzt deswegen dieser Gedankenblitz von der übrigen Systemprogrammforschung bis heute gänzlich unbeachtet. Vgl. B. Jakowenko, Uber die Hegeische Philosophie, Prag 1943, S. 51 f., A n m . 3 5 .
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überschwemmte. Wenn man nämlich seit Rosenzweig über etwas nicht gestritten hatte, dann über die von jenem vorgenommene Datierung des Fragments. Rosenzweig war zu der Uberzeugung gelangt, Schelling habe das Systemprogramm im Frühjahr 1796 konzipiert. Pöggeler nun glaubte, Hegels Verfasserschaft nur dadurch plausibel machen zu können, daß er die Entstehungszeit in Hegels erste Frankfurter Monate vorverlegte: Erst zu Beginn des Jahres 1797 kam Hegel wieder mit Hölderlin zusammen, und dieses Wiedersehen soll dann sofort seinen gedanklichen Niederschlag in dem - wie Pöggeler glaubt - doch ganz offensichtlich von Hölderlin beeinflußten ästhetischen Mittelteil des Programms gefunden haben. 33 Seit 1965 haben die Mitarbeiter des Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum unzählige Versuche unternommen, eventuell übrig gebliebene Zweifel hinsichtlich Pöggelers Neudatierung aus der Welt zu schaffen. 34 Heute, 20 Jahre nach diesem ,denkwürdigen' Ereignis, kommt man angesichts der seither veröffentlichten Literatur zu dem paradoxen Ergebnis, daß trotz (oder vielleicht gerade wegen) dieser kaum überschaubaren Vielfalt nicht nur keine Einigung hinsichtlich der Verfasserfrage erzielt werden konnte, sondern daß es für den Nicht-Spezialisten nahezu unmöglich geworden ist, im Hin und Her der Argumentationsweisen den Überblick zu behalten. Die Situation ist inzwischen schon so unübersichtlich geworden, daß ζ. B. zwei Autoren, indem sie sich ein und desselben Arguments in ihrer Beweisführung bedienen, zu zwei ganz entgegengesetzten Ergebnissen gelangen können, ohne von dem Beweisverfahren des anderen auch nur N o t i z zu nehmen. 3 5 Diese desolate Forschungssituation sollte Anlaß genug sein, endlich einmal die längst überfällige Geschichte der überaus facettenreichen Systemprogrammdiskussion zu schreiben. Das ist die Absicht des vorliegenden Buches ( E r s t e r T e i l : 70 J a h r e Systemprogramm'. D i e S i t u a t i o n d e r F o r s c h u n g ) . Darüber hinaus enthält das Literaturverzeichnis die bis heute wohl umfangreichste Bibliographie zum Systemprogramm. Ein am Ende der ersten und zweiten Periode stehendes
33 3,1
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O . Pöggeler, a. a. O . Zuletzt Chr. Jamme u. H . Schneider in Mythologie der Vernunft („Einleitung der Herausgeber"), a . a . O . S.21-76 spez. 36ff. Gemeint sind die Villigster Diskussionsbeiträge Hermann Brauns und Dieter Henrichs. Vgl. Hegel-Tage Villigst 1969, a . a . O . , D.Henrich, „Systemprogramm? Vorfragen zum Zurechnungsproblem", S. 5—15; Hermann Braun, „Philosophie für freie Geister. Zu Hegels Manuskript: . . . eine Ethik", S. 17-33.
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Schaubild soll dem Leser die Möglichkeit bieten, sich die chronologisch geordneten Veröffentlichungen in ihrer jeweiligen Bezugnahme auf einen Blick zu vergegenwärtigen. Am Schluß des ersten Teils wurde auch noch der Briefwechsel Franz Rosenzweigs zum Systemprogramm gesondert aufgeführt, da er in der ersten Graphik unberücksichtigt bleiben mußte. Das gleiche gilt für die Korrespondenz zwischen Rudolf Pannwitz und Martin Buber, die in den Anhang zur zweiten Periode aufgenommen wurde. Schließlich sind, wiederum als Anhang zu den ersten beiden Perioden, die Diskussionsteilnehmer des jeweils vorangegangenen Abschnitts und ihre ,Favoriten' zur nochmaligen Orientierung vollständig aufgelistet worden. Die Anregung zu dieser Darstellungsweise verdanke ich der herausragenden Arbeit Klaus Christian Köhnkes „Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus", Frankfurt a. Main 1986, wo entsprechend gedankliche Zusammenhänge mit Hilfe von Tafeln illustriert werden. Für die dritte Periode schließlich wurde deswegen eine andere Darstellungsart gewählt, weil sich seit spätestens 1969 die Systemprogrammforschung, vor allem am Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum, zu organisieren begann. An die Stelle derjenigen Wissenschaftler, die, wie speziell noch in den 50er Jahren, relativ unabhängig voneinander dachten und schrieben, traten sozusagen Interessengruppen, als deren Repräsentanten und Mitarbeiter die Diskutanten von nun ab in der Regel publizierten. Foren der Kontroverse waren die Hegel-Studien der Internationalen Vereinigung zur Förderung des Studiums der Hegeischen Philosophie und das Hölderlin-Jahrbuch der Hölderlin-Gesellschaft. In diesen Periodika ist denn auch ein gut Teil der seit 1969 veröffentlichten Diskussionsbeiträge erschienen. Die Auseinandersetzung der letzten 20 Jahre unterscheidet sich folglich von derjenigen der voraufgegangenen fünf Jahrzehnte nicht zuletzt dadurch, daß sich Autoren wie Pöggeler, Nicolin, Düsing, Trede, Jamme etc. im Namen des Hegel-Archivs zu Wort melden und entsprechend ihrer Mitgliedschaft von dritter Seite (Bsp. Henrich, Strack) immer wieder - als Gruppe - aufgefordert werden, eventuell offengebliebene Fragen zu beantworten. In dem Maße jedoch, in dem man sich organisierte, wuchsen auch die wechselseitigen Abhängigkeiten, und diese Vervielfältigung der Beziehungen ließ es ratsam erscheinen, von der graphischen Darstellung der dritten Periode Abstand zu nehmen. Fernerhin: In die dritte Periode wurde aus naheliegenden Gründen kein gesonderter Hölderlinabschnitt aufgenommen. Das liegt ganz einfach daran, daß seit 1965 F. Strack der einzige war, der unter Rückgriff auf
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W. Böhm das Systemprogramm insgesamt zweimal vom ästhetischen Mittelteil her begreifen, und d . h . entsprechend: die Verfasserschaft Hölderlins nachweisen wollte. 3 6 Strack ist der ,outsider' der gegenwärtigen Forschung, und nicht zuletzt deswegen, mangels Material, wurde in die dritte Periode kein eigenes Hölderlinkapitel eingearbeitet. Ohnehin stand Strack von vornherein im Streit mit der Hegelforschung, denn nicht erst zwischen 1975 und 1979 - im 19. bis 21. Band des Hölderlin-Jahrbuchs - kam es zu einer Auseinandersetzung mit einem Verfechter der Hegel-These, Michael Franz 37 , sondern auch schon 1969 reagierte Strack in seinem Villigster Systemprogrammbeitrag vorrangig auf Otto Pöggelers 1965 in Urbino gehaltenes Referat. Allein schon dieser Sachverhalt verdeutlicht, in welch enger Beziehung Stracks Überlegungen zu denjenigen der HegelForschung standen. Dabei ist die Franz-Strack-Kontroverse tatsächlich nichts weiter als eine Neuauflage des Streitgesprächs zwischen Strauß und Böhm, denn hier, wie schon 1927, wurde, auf eine recht kuriose Weise, wieder einmal um ein adäquates Hölderlinverständnis gestritten, wenn man sich des Fragments in vorwiegend illustrierender Absicht bediente. Da die Auseinandersetzung um das Systemprogramm bislang fast ausschließlich von der Verfasserfrage her geführt wurde, und weil dadurch ein nicht geringer Teil der Diskussionsteilnehmer dazu veranlaßt wurde, ihrem jeweiligen ,Favoriten' die Autorschaft zuzusprechen, wird im zweiten Teil dieser Arbeit ( Z w e i t e r T e i l : I n t e r p r e t a t i o n der H a n d s c h r i f t ) der Versuch unternommen, den geistigen Standort und das geistige Umfeld des Systemprogramms zu bestimmen. Hier ließen sich zum Teil weitläufigere Exkurse über die Quellen des Programms nicht vermeiden. Ein Ergebnis dieser Standortbestimmung lautet wie folgt: Man wird in Zukunft Hegels Autorschaft wohl nicht mehr ernstlich anzweifeln können. Außerdem stellte sich heraus, daß die bisher übliche Datierung des Entwurfs revidiert werden muß. Seit Rosenzweig ist sich die Forschung darin einig, als Entstehungszeit des Manuskripts in groben Umrissen 1796/97 anzunehmen. Indem der Verfasser im zweiten Teil der Arbeit den
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Erstmals 1969 anläßlich der Hegel-Tage Villigst: F. Strack, „Das Systemprogramm und kein Ende. ...", a. a. O. S. 1 0 7 - 1 4 9 . Dann wieder 1 9 7 8 - 7 9 in dem Aufsatz „Nachtrag zum .Systemprogramm' und zu Hölderlins Philosophie", in: HJb 21 (1978-79), S. 6 7 - 8 7 . Gemeint ist Michael Franz' „Hölderlin und das .Alteste Systemprogramm des deutschen Idealismus'", in: HJb 19/20 (1975-77), S. 3 2 8 - 3 5 7 .
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geistigen Horizont, vor dem das Systemprogramm gelesen werden muß, wo vor allem Namen wie Kant und Schiller bedeutsam werden - , entwikkelt, nimmt er - parallel - einen Vergleich einerseits mit den Schriften Hegels aus den Berner Hauslehrerjahren, andererseits mit dem Briefwechsel Hegels vor. Dieser Vergleich führte zu der Erkenntnis, daß das Systemprogramm zwischen März und August 1795 verfaßt worden sein muß. Denn während die Gedanken der Fragment gebliebenen Berner Schriften und Exzerpte und die der einschlägigen Briefe dieser Zeit unmißverständlich in demjenigen (Kantischen!) Problemhorizont stehen, den auch das Systemprogramm aufmacht, weisen die Frankfurter Fragmente auf eine Umbruchstimmung im Denken Hegels hin. War Hegel in Bern nämlich, wie zu zeigen sein wird, noch eindeutig Kantianer 38 , um dergestalt abgesichert programmatische Skizzen und Entwürfe zu verfassen, so befand er sich in Frankfurt in einem Experimentierstadium, in dem schon Ansätze seiner späteren Kantkritik zu finden sind. Hölderlin und Schelling aber hatten schon viel früher den Boden der Kantischen Philosophie verlassen, und vor allem Schelling war bereits zu Beginn des Jahres 1795 erklärter Anhänger der spinozistisch modifizierten Fichteschen Wissenschaftslehre. Von dieser geistigen Verwandtschaft mit Fichte findet sich im Systemprogramm keine Spur, und da nur Hegel noch bis einschließlich 1795 sozusagen der ,Vollblutkantianer' war, der ein Verfasser des Systemprogramms sein mußte, so bleibt nur folgender Schluß übrig: Hegel hat das Systemprogramm vor seinem geistigen Umbruch niedergeschrieben, um zu demonstrieren, was vor dem Hintergrund der Kantischen Vernunftkritik, in ihren Spuren wandelnd, den jungen Idealisten der Nachfolgegeneration noch zu tun übrigblieb.
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Von dem Hegel der Berner Zeit als einem Kantianer sprechen neben Otto Pöggeler, Klaus Düsing, Hannelore Hegel, H a n s - O t t o Rebstock, Xavier Tilliette, Manfred Frank und Gerhard Kurz auch noch - freilich modifiziert - Bernhard Dinkel und Dieter Henrich. Vgl. die entsprechenden Abschnitte der Hegel- und der Schellingforschung nach 1965.
Erster Teil 70 Jahre „Systemprogramm" Die Situation der Forschung
Erste Periode (1917-1930) Franz Rosenzweig
(1917)1
Franz Rosenzweig 2 hatte die in acht Abschnitte untergliederte Studie „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus. Ein handschriftlicher Fund" bereits im Sommer des Jahres 1914 fertiggestellt, aber der ausbrechende Krieg verhinderte vorerst die Publikation und zögerte sie bis ins Frühjahr 1917 hinaus. Der Leser wird eingangs darüber informiert, daß das unzweideutig von Hegels Hand stammende Fragment 1913 von der Königlichen Bibliothek in Berlin bei Liepmannssohn (Rosenzweig schreibt: Liepmannsohn) ersteigert wurde, und daß der Katalog das Hegelmanuskript unter der Bezeichnung „Abhandlung über Ethik" führte. Diese Namengebung, so Rosenzweig, dürfte sich daraus erklären, daß die versteigernde Firma irrtümlicherweise die beiden ersten - unterstrichenen - Wörter für eine Uberschrift gehalten hat und nicht für das, was sie sind: das Ende eines auf dem vorhergehenden Blatt begonnenen Satzes. Es handelt sich bei dem Text um ein „ungebrochenes Folioblatt, die zweite Seite nicht ganz vollgeschrieben." (3) Angestellte Nachforschungen über die Herkunft der Handschrift blieben ergebnislos; auch die Firma Liepmannssohn konnte Rosenzweig hierüber keine Auskunft erteilen.
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Franz Rosenzweig, Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus. Ein handschriftlicher Fund, in: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 1917, 5. Abhandlung. In Rundklammern gesetzte Seitenzahlangaben im laufenden Text verweisen hier, wie auch in dem ganzen laufenden Kapitel, immer auf die gerade besprochene Quelle. Zu Rosenzweigs Biographie vgl. z . B . O t t o Pöggeler, „ D a s Menschenwerk des Staates", in: Mythologie der Vernunft. Hegels .ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus', hg. von Christoph J a m m e u. Helmut Schneider, Frankfurt a. Main 1984, S. 175-225, hier 177 ff. Weitere biographische Details zu Rosenzweig und Ludwig Strauß im Hinblick auf das Systemprogramm in O . Pöggelers „Einleitung" zu dem Sammelband H o m b u r g vor der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte, hg. von Chr. J a m m e u. O . Pöggeler, Stuttgart 1981, S. 18.
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Erste Periode (1917-1930)
Bei seinem Versuch, das ungefähre Datum der Niederschrift des Fragments zu bestimmen, stützte sich Rosenzweig auf entsprechende Vorarbeiten Wilhelm Diltheys und Herman Nohls. Nohl, der Herausgeber der Berner und Frankfurter Manuskripte Hegels, hatte in Nachfolge Diltheys die Handschrift der undatierten Blätter mit derjenigen der datierten verglichen und erreichte so eine, wie er glaubte, in sich schlüssige Datierung für das gesamte aus dieser Zeit vorliegende Material. Es stellte sich nämlich heraus, daß „Hegels Schriftzüge . . . in der Zeit bis 1801 eine klare Entwicklung durchgemacht" hatten. (3) Ein auf diesen von Dilthey/Nohl bereitgestellten Ergebnissen fußender Vergleich der „Formveränderungen jedes Buchstaben" führte Rosenzweig zu dem vorläufigen Ergebnis: Dieses Hegelmanuskript ist spätestens am 2.7.1797, frühestens aber am 29.4.1796, dem Termin der Fertigstellung der „Positivität der christlichen Religion" verfaßt worden. Der endgültige Befund ergab sich, nachdem Rosenzweig einen handschriftlichen Vergleich mit dem im August 1796 geschriebenen Gedicht „Eleusis", einer Briefbeilage Hegels an Hölderlin, vorgenommen hatte. Nunmehr stand für Rosenzweig zweifelsfrei fest, daß Hegel das Manuskript „Abhandlung über Ethik" vor dem seinem Freund Hölderlin gewidmeten Gedicht zu Papier gebracht hatte, und daß es folglich zwischen dem 29.4.1796 und dem August desselben Jahres notiert worden war. Franz Rosenzweig ist von Anfang an daran gelegen, beim Leser hinsichtlich der Verfasserschaft Hegels Zweifel aufkommen zu lassen. Gleich zu Beginn der eigentlichen Diskussion des Textstückes macht er den Rezipienten mit dem Gedanken vertraut, daß Hegel dieses Programm zwar aufgeschrieben habe, daß aber einzig und allein Schelling als Verfasser in Betracht komme. Hegel könne den Systementwurf schon deswegen gar nicht konzipiert und formuliert haben, weil er schon in Tübingen von seinen Kommilitonen der „alte Mann" genannt worden war, und weil er danach in Bern und Frankfurt „auf verschlungenen Eigenwegen durch historische Untersuchungen" hindurchgegangen sei. Außerdem habe er sich nur „langsam", bis Ende 1800, sein System erarbeitet, wohingegen dieses Systemprogramm sich gerade durch „erregende" systematische Zukunftsgedanken auszeichne. Es beinhalte die „Fichtesche Erzeugung des Seins im Ich, eine spekulative Physik, wie sie der junge Schelling bald entwarf, eine revolutionäre Staatslehre, eine idealistisch-aufklärerische Geschichtsphilosophie, die Kunstlehre des ,Systems des transzendentalen Idealismus"' und schließlich „eine Philosophie der Mythologie." (8) - Schon diese Aufzählung gibt unmißverständlich Aufschluß über Rosenzweigs leitendes
Franz Rosenzweig (1917)
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Erkenntnisinteresse. Er will mit Hilfe der Handschrift beweisen, daß sein ,Favorit' Schelling nie der ,Proteus' des deutschen Idealismus gewesen ist. Kein geringerer als Hegel hatte behauptet, Schelling habe seine „philosophische Ausbildung vor dem Publikum gemacht" 3 , und genau diese Feststellung galt es nun zu widerlegen. Nicht zuletzt, um dieses Hegeische Vorurteil aus der Welt zu schaffen, hat Rosenzweig dem Stück Papier seinen auch heute noch gebräuchlichen - etwas hochfahrenden - Namen gegeben: Schelling sollte, kaum 20 Jahre alt, ein sein (Euvre vollständig antizipierendes Systemprogramm geschrieben haben. Zum Zwecke der Absicherung dieser gleich eingangs behaupteten tendenziösen - These von Schellings Verfasserschaft stellt Rosenzweig vier Suggestivfragen, und sie alle verstehen sich von der als selbstverständlich angenommenen Voraussetzung her, daß die Gedanken des Systemprogramms Schellings Gedanken der Reifezeit seien, die er hier genial vorformuliert habe. 1. Wie konnte Hegel den Ansatz der Schellingschen Spätphilosophie antizipieren, da er doch selbst keinen einzigen der hier angekündigten Entwürfe realisiert hat? 2. Wie konnte „der in Bern mißmutig und schwermütig gewordene Hegel, den die treuen Freunde vergeblich zum Selbstvertrauen aufzuwecken suchten, den die Angehörigen daheim verändert fanden", „mit der Geste des siegesgewissen Eroberers sein Reich" (8) antreten wollen? 3. Wie kann ein in Schwermut Versunkener „mit dem stolzen ,ich werde' alten Wissenschaften ,Flügel geben'" wollen (8), wie läßt sich diese Gedrücktheit mit der Begeisterung desjenigen vereinbaren, „der von neuer ,nun' eben gewonnener Erkenntnis trunken, voll von Ideen, die ,noch in keines Menschen Sinn gekommen', seines schöpferischen Geistes' froh den königlichen Weg vom Ich durch die Reiche der Welt zum Himmel" (9) anzutreten gewillt ist? 4. Wie schließlich ist es zu erklären, daß der Hegel, „der sein Leben lang nie ,ich werde' und ,ich will' sprach, sondern nur das vollendete nach langem Zuwarten gereifte Werk für sich zeugen ließ" (9), hier unversehens mit der Geste des Erneuerers bzw. Eroberers auftritt?
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Sämtliche Werke (Jubiläumsausgabe), hg. von Hermann Glockner, Stuttgart 1959, Bd. 19, S. 647 ff.
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Erste Periode (1917-1930)
Dies alles, so die indirekte Behauptung Rosenzweigs, sind sämtlich Charaktereigenschaften des vor dem philosophischen Publikum philosophierenden Schelling. Mittels einer neuerlichen Handschriftenanalyse will Rosenzweig den endgültigen Beweis dafür erbringen, daß der Entwurf die Hegeische Abschrift einer fremden Vorlage ist. Im Gegensatz zu sonstigen Erstniederschriften von Hegels Hand ist dieser Text sehr sauber geschrieben und weist nur wenige Korrekturen auf, wie denn auch auffällig ist, daß, anders als in diesem speziellen Fall, fast sämtliche Handschriften Hegels einen ziemlich breiten Rand haben. Den Korrekturen merke man darüber hinaus an, daß sie sofort, noch während der Niederschrift, angebracht wurden. Und nachdem Rosenzweig alle Verschreibungen in Augenschein genommen hat, resümiert er wie folgt: Hegel soll diese „Abschrift einer fremden Urschrift" (11) im Juni oder Juli des Jahres 1796 angefertigt haben. Nur der 21jährige Schelling habe zu dem fraglichen Zeitpunkt diesen ausgeprägten „jugendlich-sieghaften Ton" besessen, nur ihm sei dieser programmatische Gestus eigen, der sich in „Verheißungen" und „halben Erfüllungen" erging, und der nie „zur ganzen Tat" kam. (11) Nur Schelling könne der Verfasser des Altesten Systemprogramms des deutschen Idealismus sein. Rosenzweigs sich anschließender Versuch, die Gedankenwelt des Systemprogramms auf den Begriff zu bringen, orientiert sich an den Publikationen Schellings der Jahre 1795-1797 und zwar so, daß ausnahmslos Schellings geistige Biographie den Hintergrund dieser Betrachtungen bildet. Es lassen sich fünf Sachgebiete unterscheiden, denen wir, zusammen mit Rosenzweig - und d. h.: vorerst rein referierend - unsere Aufmerksamkeit schenken wollen. Wir geben also Rosenzweigs auf Schellings frühe geistige Biographie bezogene Systemprogramminterpretation im folgenden in seiner ausschließlich eigenen Auffassung wieder. Z«r Ethik: Schelling stand in dem fraglichen Zeitraum unter dem Eindruck Kantischer und Fichtescher Philosophie. Von hier aus unternahm er den Versuch, Spinozas und Fichtes Ethikkonzept zur Deckung zu bringen. Seine Kritik galt den positiven Offenbarungstheologen der Tübinger Orthodoxie, die mittels des moralischen Gottesbeweises „das persönliche individuelle Wesen, das da oben im Himmel sitzt" (12), deduzieren wollten. - Erst durch Fichte war Schelling der praktische Charakter der theoretischen
Franz Rosenzweig (1917)
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Philosophie klar geworden. Zu Beginn seiner Entwicklung hatte er nämlich das „Unbedingte" noch nicht unter der Perspektive des „antispekulativen Ethizismus" des „Ich" gedacht. Vielmehr wurde noch zu Beginn des Jahres 1795, in der Abhandlung „Vom Ich als Prinzip der Philosophie", das Unbedingte qua Freiheitsbegriff gut spinozistisch als „absolutes Sein" konzipiert und erst im Laufe des Jahres 1795, in der Schrift „Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kritizismus", qualifizierte Schelling die Freiheit als „absolute Tat", bzw. als „absolute Handlung des Ichs". (12) Entsprechend verlor in dieser Schrift das ,Ich* seinen „Seinscharakter" und unterstand fortan der Postulatenmetaphysik einer praktisch-schöpferischen Vernunft. Gott und Unsterblichkeit wurden zu Postulaten der praktischen Vernunft und die ganze Aufgabenstellung des Kritizismus erschöpfte sich nunmehr darin, eine umfassende Postulatenlehre aufzustellen. Schelling verwandelte alle Ideen in praktische Postulate und dadurch wurde die Weltschöpfung durch das Absolute mittels des als allgemein gedachten praktischen Postulats erklärbar. Philosophie war nur noch „das reine Produkt des freien Menschen", und „das Reich der Ideen (hatte, F.-P. H.) nur für die moralische Tätigkeit des Menschen Realität". (13)
Zur Physik: Schelling hatte sich im Frühjahr 1796 an der Leipziger Universität dem Studium der Physik, Mathematik und Chemie zugewandt. Noch 1795 hatte er, in Anlehnung an Fichte, „die Natur als das Gebiet des moralischen Ichs philosophisch" praktisch konstruieren wollen. (18) Erst Ende 1796 - davor lagen erste naturwissenschaftliche Versuche - kündigte sich der spätere, ausgereifte Standpunkt von Schellings Naturphilosophie an. Aufgabe der „spekulativen Physik" soll es sein, den Weg oder den stufenweisen Fortschritt von der bewußtlosen Materie zum selbstbewußten Geist zu verfolgen. Zu diesem Zweck steht die Rezeption der Erfahrung immer im Dienst der Ideen; und weil die Naturphilosophie praktisch begründet wird, deswegen wird die spekulative Physik entsprechend zum praktischen „Anwendungsgebiet der theoretischen Philosophie". (18)
Zur
Geschichtsphilosophie: Zur fraglichen Zeit (1795-1797) hatte Schelling ein eher distanziertes
Verhältnis zum Staat, auch wenn Goethe 1798, im Zusammenhang der vorgesehenen Berufung Schellings an die Jenaer Universität, mit Befriedi-
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Erste Periode (1917-1930)
gung feststellte, daß Schelling von umstürzlerischen Ambitionen gänzlich frei sei. Schelling nämlich stand in dem Ruf, „Demokrat, Aufklärer, Illuminat usw." zu sein, welche Ansicht wohl auf diejenige Zeit zurückdatierte, als er noch aktives Mitglied des revolutionsfreundlichen politischen Clubs während seiner Tübinger Stiftszeit gewesen war. Außerdem wäre er gerne für einige Zeit nach Paris, dem zentralen Schauplatz der Französischen Revolution, gegangen. Erst der Umgang mit Hegel in Jena nach 1800 soll Schelling von dem selbständigen sittlichen Wert des Staates überzeugt haben. Aber noch im „System des transzendentalen Idealismus" ist er unumwundener Anhänger der Kantischen Geschichtsphilosophie: Der Staat soll nur „eine Vorstufe auf dem Wege zur weltbürgerlichen Verfassung" sein. (19) Das Erreichen des Endzustandes der Menschheitsentwicklung macht Schelling von der Verwirklichung des allesumfassenden Gesetzes der Freiheit abhängig. Freiheit aber wird als ein Uberwiegen der „Moral" gegenüber der „Ethik" verstanden, will heißen: Freiheit wird nicht als institutionalisierter Rechtszustand begriffen (Recht geht unwillkürlich in Zwangsrecht über), sondern als Gemeinschaft freier Persönlichkeiten. Nicht physische Übermacht soll das natürliche Verhältnis der Menschen zueinander bestimmen, sondern die höchste Bestimmung des Menschen wird darin gefunden, den Rechtszustand einer äußerlich, mechanisch (heteronom) wirkenden Naturmacht qua Staat durch die Autonomie der „moralischen Einheit der Zwecke" zu ersetzen. (19) Schellings Moralauffassung war folglich 1796 schroff individualistisch, er ließ „alle ,Ethik', alle Gemeinschaftssittlichkeit, nur als ein Mittel zur Moral" gelten. Sie war nur „eine wenn auch notwendige Unterlage der unbedingten Freiheit eines ,individuellen Wesens', der ,Selbstheit aller Individuen'". (20) Indem Schelling freilich die Menschheit auf diese sozusagen idyllische Weise in die ,Freiheit' entließ, entzog er sie umgekehrt „den Schrecken der objektiven Welt", deren absolute Inferiorität von vornherein feststehen sollte. Eine letzte Aufgabe lautete schließlich, Kant vor den theologisierenden Pseudo-Kantianern des Tübinger Stifts in Schutz zu nehmen. Sie - die Tübinger theologischen Lehrer Flatt, Storr, Süskind - bedienten sich des Kritizismus, um das „Ignoranz, Aberglaube und Schwärmerei" befördernde religiöse Dogma moralphilosophisch wieder abzusichern. Dagegen müsse „der besseren Menschheit die Freiheit der Geister" verkündet werden. „Junge Männer, entschlossen alles zu wagen', sollen ,sich zusammentun'. ,Hierin allein liegt die letzte Hoffnung zur Rettung der Menschheit, die nachdem sie lange alle Fesseln des Aberglaubens getragen hat, endlich
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einmal das, was sie in der objektiven Welt suchte, in sich selbst finden dürfte, um damit von ihrer grenzenlosen Ausschweifung in eine fremde Welt - zu ihrer eigenen, von der Selbstlosigkeit - zur Selbstheit, von der Schwärmerei der Vernunft - zur Freiheit des Willens zurückzukommen.'" (21)
Zur
Ästhetik:
Schellings Kunstphilosophie wurde bislang immer an denjenigen Aussagen gemessen, die er um 1800, speziell im ,System des transzendentalen Idealismus', zum Umkreis dieser Fragestellung gemacht hatte. Er galt der Forschung in kunstphilosophischer Hinsicht immer als der Philosoph der Romantik, und entsprechend wurden seine Bezugsquellen bei Novalis und dem Hölderlin des Jahres 1797 ausfindig gemacht. Rosenzweig nun versucht zu beweisen, daß die Quellen, aus denen Schellings kunstphilosophische Studien gespeist wurden, wesentlich früheren Datums sind. Schon K a n t formulierte in der KrU die Frage nach der „gemeinsamen Wurzel" der theoretischen und praktischen Philosophie, ohne für dieses Problem eine definitive „systematische Klärung" gegeben zu haben. S c h i l l e r hatte in den 1795 erschienenen ästhetischen Briefen die „Mittlerrolle der Schönheit" thematisiert; sie sollte „zwischen der Wirklichkeit des sinnlichen Triebes und der Idealität der sittlichen Vernunft die Brücke" schlagen. (22) Auch F i c h t e hatte sich Anfang 1798 mit dem Vermittlungsanliegen der Schönheit auseinandergesetzt, aber all diese Anläufe blieben fragmentarisch, weil weder Fichte noch Schiller sich der entscheidenden Aufgabe der KrU zugewandt hatten, nämlich die „Teleologie des Organischen" einer Erklärung zuzuführen. - Nur Schelling soll bereits 1795 diese Thematik beschäftigt haben, und er soll schon zu diesem Zeitpunkt ganz deutlich dasjenige gesehen haben, was in seinem ausgereiften kunstphilosophischen System gerade das „wissenschaftlich Bedeutende" werden sollte: „daß die Frage eines Abschlusses in der Philosophie nur mit der Frage des Ausgangspunktes zusammen gelöst werden könne oder daß die Frage nach dem Gegenstand der Philosophie und nach ihrem Wesen, die Frage nach ihrem Inhalt und nach ihrer Form, nur eine ist." (23) Rosenzweig überprüft anschließend die verschiedenen Ansätze zur Lösung der angestrebten Vereinigung und beginnt mit der 1795 erschienenen Schrift „Vom Ich", in der das unbedingte Ich Anfangs- und Endpunkt aller Philosophie sein soll. In diesem Grundbegriff sind „Freiheit" und
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„Natur" identisch, in ihm soll, gemäß § 76 der KrU, die „sittliche Einheit der Zwecke" in einem moralischen „Endzustand der Geschichte" verwirklicht sein, und außerdem soll sich in ihm die Lebendigkeit des Organischen realisiert haben. In der Schrift „Vom Ich" wird freilich noch überhaupt nicht das ästhetische Aufgabengebiet thematisiert. Dies geschieht erst in den darauffolgenden „Philosophischen Briefen" (1795/96), die das Ästhetische als „objektiv gewordene intellektuelle Anschauung" einführen. Unter „Hinweis auf Plato" kündigen die „Briefe" an, „daß eine vollendete Ästhetik empirische Handlungen aufstellen wird, die nur als Nachahmungen jener intellektualen Handlung erklärbar seien". (24) Die Einbildungskraft hat die Funktion des Mittlers zwischen theoretischer und praktischer Vernunft inne. Seit 1797/98 soll Schelling endgültig von der Vermittlerrolle des Ästhetischen überzeugt sein, nachdem er sich im Stuttgarter Winter des Jahres 1795/96 auf Kunststudien verlegt hatte; in der Kunst sind Natur und Freiheit in ungeschiedener Harmonie. Aber auch schon 1796/97 hat Schelling den „Organon"-Charakter der Kunst behauptet, wenn er konstatierte, daß sie die „höchste Handlung des menschlichen Geistes überhaupt" sei (24), da sie die theoretische und praktische Philosophie in eins zusammenfasse. Und diese Handlung soll dann unter dem moralphilosophischen, d. h. praktischen Zeichen der „Selbstbestimmung des Geistes", der „Autonomie" stehen. - Wenn für Schelling 1795 das ,Ich' noch wesentlich „seinshaft" (spinozistisch) gewesen war, dann begreift er es jetzt, zwei Jahre später, im Sinne der „Aktivität" und der praktischen Willensbestimmung. Die Ästhetik steht von nun an definitiv am Anfang und am Ende jeder Beschäftigung mit der Philosophie. Weil aber der für die Ästhetik typische „philosophische Geist" ebenso auch eine wesentliche Voraussetzung des philosophischen Studiums ist, muß man ihn „zum Lernen schon mitbringen" und das bedeutet: die ästhetische Philosophie kann „,nicht jedermanns Sache sein'". (25) Sie hat folglich den geistesaristokratischen Kampf gegen die „Geistesarmut", gegen die „Geistlosigkeit" zu führen. Zur
Mythologie:
Rosenzweig beginnt seine diesbezüglichen Überlegungen damit, daß er sich den „Philosophie der Kunst" überschriebenen abschließenden Betrachtungen des 1800 erschienenen ,Systems des transzendentalen Idealismus' zuwendet. Er stellt die Frage, ob „die Kunst tatsächlich" jemals „das Höchste" in Schellings Philosophie gewesen sei. (26) Am Ende des
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Abschnitts von der Kunst gibt Schelling in dieser Arbeit den eigentümlichen Stellenwert einer neu zu schaffenden Mythologie an. Die Philosophie, die ihren Ausgang von der Poesie nahm, wird am Ende wieder in die Poesie zurückkehren und als Mittler soll eben die Mythologie fungieren. Sie führt die Wissenschaft zur Poesie zurück und hat sie schon zur Zeit der griechischen Klassik immer wieder in dieselbe ausmünden lassen. Ihr obliegt es, die esoterischen Einsichten der philosophischen Wissenschaft „allgemeingültig" zu machen, und so „die sittliche Einheit des weltgeschichtlichen Endzustands" herbeizuführen. Seit 1800 ist es die Mythologie, der eine maßgebliche Bedeutung für Schellings weitere geistige Entwicklung zukommt. Schon 1793 aber, so Rosenzweigs Feststellung, hatte Schelling sich mit diesem Thema in der Schrift „Uber Mythen, Sagen und Philosopheme der ältesten Welt" befaßt. (26) Die Frage lautete zu diesem vergleichsweise frühen Zeitpunkt: wie verhalten sich Mythologie und Philosophie zueinander? Hier entwickelte Schelling erstmals seine diesbezüglichen Ansichten, die - freilich modifiziert - auch noch für seine entsprechenden Betrachtungen aus dem Jahre 1800 bestimmend sein sollten. In der Mythologie fanden die ältesten Philosopheme den ihnen gemäßen Ausdruck. Ihre Aufgabe war es, „Harmonie" und „Einheit" universell auszubilden. Die Sprüche der Weisen, an denen sich das ,sinnliche' Volk orientierte, wurden eben nur dadurch allgemein mitteilbar, daß sie in mythologische, und das bedeutet: in sinnliche Bilder gekleidet wurden. Dieser auf die Vergangenheit gerichtete Aspekt der 1793er Veröffentlichung soll mit den Ausführungen des Jahres 1800 identisch sein. - Andererseits jedoch kritisierte Schelling in diesem frühen Stadium seiner Entwicklung den Gebrauch von Mythen in der gegenwärtigen und zukünftigen Philosophie. Mit dieser Auffassung steht er in der Tradition der Aufklärung, die ihrerseits auch schon die Tätigkeit des Verstandes höher gestellt hatte als die „Bilder und Träume der Jugend". (27) Das bilderreiche mythologische Denken bezeichnet den Mangel an klar ausgebildeter Begrifflichkeit, so lautete die Kritik, und folglich war der „Gedanke, daß ,Mythologie' am Ziele der Menschheit steht, wie sie an ihrer Wiege stand, . . . (zu diesem frühen Zeitpunkt, F.P. H.) noch ungedacht". (27) Was freilich auch schon zu diesem frühen Zeitpunkt der intellektuellen Biographie Schellings existiert, ist die Perspektive auf eine allesumfassende „Einheit des Wissens, des Glaubens und des Wollens". (27) Hierin findet er 1794 „das letzte Erbe der Menschheit, das sie bald lauter als jemals fordern werde". (27) Auch in der Vorrede der Schrift „Vom Ich" (1795) wird die
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Freiheit als der herannahende Vereinigungspunkt der ganzen Menschheit gepriesen; die Freiheit ist das Stichwort für die herbeizuführende „absolute Ubereinstimmung" aller „moralischen Wesen". (28) Und angesichts dieses moralphilosophischen Programms der Zukunft einer zu befreienden Menschheit wird die Mythologie „in den Schlußworten der Philosophischen Briefe" resolut verworfen. Hier unterläuft Rosenzweig erstmals das ,Mißgeschick', den spezifischen Unterschied zwischen der esoterischen Geheimlehre des Mysteriums und dem exoterischen - auf allgemeine Mitteilbarkeit bedachten - Mythos, nicht klar herausgearbeitet zu haben, auf welchen Sachverhalt Otto Pöggeler 50 Jahre später zu Recht aufmerksam machen sollte. Denn Schelling selbst spricht an der von Rosenzweig herangezogenen Stelle ausdrücklich davon, daß der „Weise" sich bisher nur deswegen zu „Mysterien (Hervorhebung von mir, F.-P. H.)" geflüchtet habe, „um seine Grundsätze vor profanen Augen zu verbergen". (28) Das soll ihm künftig verwehrt sein, deswegen nämlich, weil diese ,Geheimniskrämerei' einem „Verbrechen an der Menschheit" gleichkomme, wenn, wie es heißt, „allgemein mitteilbare" Grundsätze verborgen werden. Aber Schelling schränkt diesen Aufruf zur Popularisierung der philosophischen Ideen bezeichnenderweise gleich darauf maßgeblich ein, wenn er den wahrhaft philosophischen Gedanken für einen auserwählten Zirkel von Eingeweihten reserviert wissen will, in dem entsprechend umgekehrt auf eine allgemeine Mitteilbarkeit der Ideen prinzipiell Verzicht getan wird. Nur die „Würdigen" verfügen über die Fähigkeit, sich dieser esoterischen Philosophie zu bemächtigen, einer Philosophie, reserviert nur für „freie Geister", die selbstverständlich nicht „gelernt" werden kann. Ein erlesener Zirkel von Auserwählten hat einzig an dieser Esoterik teil, dem Rest der Menschheit bleibt deren Symbolik ein „ewiges Räthsel". Auffälligerweise redet Rosenzweig angesichts dieser durchschlagenden Abfuhr des geistigen Pöbels seitens Schelling nur ganz vorsichtig von einem „ersten leisen Aufklingen der esoterischen Stimmung" und bemüht sich gleich anschließend, den für die Interpretation des letzten Abschnitts des Systemprogramms maßgeblichen Gesichtspunkt der demokratischen allgemeinen Mitteilbarkeit wieder diskussionsfähig zu machen. Dieser Gesichtspunkt soll nämlich trotzdem das Ideal dieser Periode gewesen sein, auch wenn Schelling für die Philosophie eindeutig einen angeborenen „philosophischen Geist" forderte, der das Exoterische unmißverständlich ausgrenzte. Rosenzweig jedenfalls unternimmt - von solchen offensichtlichen
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Ungereimtheiten völlig ungerührt - den nach unserer Meinung äußerst gewagten Versuch, unter nochmaliger Verwechslung von Mythen und Mysterien, eine bemerkenswert verquere Synthese zu entwickeln: Die, wie es verräterisch heißt: aristokratische „Stimmung" soll nämlich, erstens, mit der demokratischen „mythologischen Mitteilungsweise des Wahren" durchaus vereinbar sein, und zwar, zweitens, vermittels derjenigen „Mysterien", von denen doch Schelling selbst überdeutlich gesagt hatte, daß sie dazu dienen sollten, die allgemein mitteilbaren Grundsätze im Gegenteil vor den Blicken der Profanen zu verbergen. Man vergegenwärtige sich: Am Anfang wie am Ende steht der Geistesaristokratismus und in der Mitte die demokratische Mitteilbarkeit; sie nun bedient sich der schwer verständlichen Mysterien, wozu?: doch wohl kaum, um für die umfassende Verbreitung der Grundsätze Sorge zu tragen, sondern um de facto zurückgenommen zu werden in die Esoterik des geheimbündlerischen Einweihungsritus. Diese gedankliche Glanzleistung soll Schelling in dem Brief vom 12.3.1796 an Obereit vollbracht haben. Schelling aber spricht in dem Brief unzweideutig davon, daß „zu einer Nationalerziehung Mysterien gehören, in welche der Jüngling stufenweise eingeweiht wird". (28) Der Zweck der projektierten ,neuen Philosophie' erschöpft sich für Schelling folgerichtig darin, die Mysterien nur einem kleinen Kreis von Adepten zugänglich zu machen, und demgemäß wird diese neue Philosophie als „letzte Enthüllung" bestimmt, „die man dem erprobten Schüler der Weisheit widerfahren lasse". Schelling will folglich ganz eindeutig mit dem Gebrauch der Mysterien auf den geheimbündlerischen Zusammenschluß ,freier Geister' hinwirken und eben n i c h t auf das demokratische Gut allgemeiner Volksaufklärung. Rosenzweig freilich ist nicht gewillt, diese gegenaufklärerische Gesamthaltung des Briefeschreibers undiskutiert passieren zu lassen. Dieser Interpret fingiert statt dessen einen Scheinwiderspruch; er fingiert eine demokratische Absicht, die Schelling dann, erzwungen durch öffentliche Rücksichten, annullieren mußte. Zunächst macht Rosenzweig einmal mehr aus Mysterien Mythen, dann verknüpft er mit diesen die allgemeine Mitteilbarkeit, was ganz in der Ordnung wäre, wenn diese beiden Begriffe f ü r S c h e l l i n g dasselbe bedeuteten. Daß sie genau dies nicht taten, sondern daß sie sich im Original ausschließend zueinander verhielten, wird einfach nicht zur Kenntnis genommen. Statt dessen heißt es: „die Mysterien (Hervorhebung von mir, F.- P. H.) sollen stufenweise' zur Philosophie führen" und das einzige, was diesen auslegenden Satz mit dem Schellingschen Original verbindet, ist das unscheinbare Wörtchen ,stufenweise'. Was
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Rosenzweig aber unterschlagen hat, ist die Tatsache, daß Schelling diese Hinführung unmißverständlich als Initiationsritus konzipiert hatte, wenn er ausdrücklich von einer ,Einweihung' sprach, so daß die Profanen wie selbstverständlich ausgeschlossen blieben. Gerade diese überhebliche Ausgrenzung will Rosenzweig systematisch verschleiern, weil nämlich der Verfasser des Systemprogramms seinerseits vehement gegen die Esoterik der Mysterien polemisiert hatte. Da er dies aber tat, so dürfte es an dieser Stelle besonders schwer sein, Schellings Verfasserschaft zu beweisen, es sei denn, man tritt den manipulierenden Nachweis dafür an, daß Schellings Mysterien eigentlich Mythen gewesen seien, was, wie inzwischen klar geworden sein dürfte, selbst der redlich bemühte Rosenzweig nicht zu leisten in der Lage war. Bestenfalls kontaminiert er allenthalben diese beiden Begriffe, die dadurch selbstverständlich unspezifisch und verschwommen werden. Denn wenn er gerade noch von Mysterien sprach, die .stufenweise' in die Philosophie „führen" (nicht, wie bei Schelling, ,einweihen'), dann spricht er sofort danach, des demokratischen Uberschwangs voll, von der Mythologie, die eine „Zukunftsforderung" sein soll im Sinne der ,neuen Mythologie', „und die im Dienste der neuen (auf die allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister bezogenen, F.-P.H.) Philosophie steht". (28) Das Kunststück ist vollbracht: Die Mysterien sind - freilich nur für diesen Interpreten - die Vermittler auf dem Weg zur zukünftigen Philosophie der Freiheit. Dieser Gewaltstreich hat selbstverständlich weder mit der eindeutigen Position eines Schelling (seinem Votum für das esoterische Mysterium) etwas gemein, noch mit der nicht weniger eindeutigen Haltung des Verfassers des Systemprogramms (und d. h.: mit dessen Votum für die allgemein mitteilbaren Mythen). Rosenzweig aber scheint schließlich doch auf die Differenz zwischen seinen Ausführungen und den zitierten Texten Schellings aufmerksam geworden zu sein. Denn letztlich soll bei Schelling doch die „esoterische Stimmung" dominieren, und zwar aus rein äußerlichen, merkwürdigerweise „literarischen" Gründen. Der literarische „Betrieb der Gegenwart" so Rosenzweigs auf unsachliche psychologische Erwägungen gestütztes Urteil - hat Schellings eigentlich demokratische Grundgesinnung untergraben; Schelling hat sich folglich wider Willen zu dem esoterischen Standpunkt bekannt, wenn Rosenzweig ihn sagen läßt, daß „die Philosophie deswegen (weil der literarische Betrieb nichts anderes zulasse, F.-P. H.) ,ihrer Darstellung soviel Würde, Strenge und Erhabenheit des Vortrags geben (muß), daß jedes Blatt dem Profanen zuruft: procul, procul esto'". (29) - Klingt dies - so glauben wir uns berechtigt zu fragen - wie ein
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erpreßtes Eingeständnis, wie Rosenzweig will, oder klingt es nicht vielmehr wie eine begeisterte Proklamation, die ,Würde' des gemeinen Menschen mit Füßen zu treten? Rosenzweig jedenfalls will Schelling auch für die nächsten Jahre vor dem Verdacht in Schutz nehmen, er habe eigenmotiviert
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sozusagen ,ohne N o t ' - das allgemeine Postulat der Freiheit in seiner Geltung auf den philosophierenden Genius eingeschränkt. Deswegen redet er im folgenden mit Vorliebe a) im Konjunktiv, konstruiert b) haltlose Hypothesen, um schließlich nochmals gleich zweimal c) seine Konstruktion der freiheitlichen' Mysterien, diese contradictio in adjecto aus dem Frühjahr 1796 zu strapazieren. Dies hat übrigens einen guten Grund: Genau zu dieser Zeit, in etwa am 1 2 . 3 . 1 7 9 6 , soll Schelling das Systemprogramm geschrieben haben. Ein halbes Jahr nach dem 1 2 . 3 . 1 7 9 6 „scheint es fast" (29), als ob Schelling nun endgültig in den Kampf gegen die Profanität eingetreten sei; Wissenschaft soll nicht mehr mitteilbar sein, sie ist das esoterische Besitztum einiger Weniger und von nun an, Rosenzweig benennt als Datum den 2 6 . 1 0 . 1 7 9 6 , beherrscht diese Sicht der Dinge den ganzen folgenden Winter. Philosophie soll „nicht jedermanns Ding" - , „geistlose Menschen" sollen von der wahren Philosophie ausgeschlossen sein. Was noch vor einem halben Jahr - Rosenzweig spielt auf die Mysterienbetrachtung vom 1 2 . 3 . 1 7 9 6 an - ein „Verbrechen an der Menschheit geheißen hatte", nämlich die „Wahrheit vor den Profanen, d. h. Unwürdigen, durch Mysterien zu verbergen", das soll jetzt „ein Ruhmestitel jener ,herrlichsten Staaten der alten Welt'" (29) gewesen sein. - Genau diese spätere Auffassung war aber auch schon Schellings Position im Frühjahr gewesen, als die Mysterien Einweihungsriten darstellten und folglich den - man könnte sagen: geistig zu kurz gekommenen ,Pöbel' in Abwehr hielten. Dieses Ergebnis führt nunmehr zu der umgekehrten Ansicht, daß Schelling schon zu Beginn des Jahres 1796 die geistesaristokratische Haltung systematisch abzusichern suchte, und daß sich dieses Konzept, je länger, je mehr, schließlich endgültig durchsetzte. Die mysteriöse Unverständlichkeit ist alles andere als eine von Außen erzwungene Ausnahme, wie Rosenzweig glauben machen möchte, wenn er die Vermutung äußert, Schelling habe derart „scharfe Worte" nur deswegen gewählt, weil er persönlich verärgert gewesen sei „über die ersten literarischen Widerwärtigkeiten, die dem jungen Philosophen" begegnet waren. U m Schelling von der automatischen Unverständlichkeit der Philosophie zu überzeugen, bedurfte es keiner „literarischen Widerwärtigkeiten". Denn er war auch ohne sie der Ansicht, daß zur wahren Philosophie ein ,besonderer Sinn' - später auch intellektuelle Anschauung genannt -
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unerläßlich sei. 1796 waren es die Mysterien, die der geforderten ,Erhabenheit' zu ihrem Recht verhalfen, vier Jahre später, im „System des transzendentalen Idealismus", sollte dasselbe von der begrifflosen und gegenbegrifflichen intellektuellen Anschauung geleistet werden.4 Für Rosenzweig freilich stellt sich Schellings intellektuelle Entwicklung anders dar. Dieser Interpret ist nun einmal der festen Uberzeugung, daß die Mysterien qua Mythen ursprünglich zur Aufklärung des Volkes bestimmt gewesen seien. Er ist zwar bereit, eventuelle Schwankungen in Rechnung zu stellen, aber sein erstes Wort sollte schließlich doch auch sein letztes bleiben, wenn hier wie auch sonst konstatiert wird, daß „der Gedanke einer neuen Mythologie als der Religion der Zukunft" Schellings ursprüngliche Absicht am zuverlässigsten wiedergebe. (29) Die „Richtung" der Schellingschen „Zukunftsreligion, in die sich die neue Mythologie umsetzen müsse, sollte schon damals, ja schon seit dem Brief vom 12.3.1796, entschieden" sein. (29) Weil Rosenzweig also dem ,Mysterium-Brief' vom 12. März diese entscheidende Beweiskraft - nicht zuletzt auch unter Bezugnahme auf die fragliche Datierung des Systemprogramms - gleich dreimal zuerkennt, und weil er außerdem den Inhalt des Briefes in sein genaues Gegenteil verkehrt hat, deshalb sind all seine diesbezüglichen Ausführungen so besonders fragwürdig. Zu dem Zeitpunkt, als Schelling nach Rosenzweig ein Anhänger moralphilosophischer, auf Freiheit bezogener Zukunftsreligion sein sollte, war er nach den Quellen das genaue Gegenteil: Die Mysterien waren das Vehikel, mittels dessen die Sortierung der Menschheit nach Eingeweihten und Uneingeweihten vonstatten ging. Dem Eleven wurde der Eintritt in die Welt der Mysterien gestattet, dem Uneingeweihten wurde dieser Eintritt rigoros verwehrt. Das aber heißt: Der demokratische' Gesamtcharak-
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Vgl. ebenso auch Alexander Hollerbach, D e r Rechtsgedanke bei Schelling. Quellenstudien zu seiner Rechts- und Staatsphilosophie, Frankfurt a. Main 1957, S. 165 f. H i e r wird generalisierend - der „unverkennbar . . . aristokratische G r u n d z u g " in Schellings D e n k e n hervorgehoben: „Schelling geht von der natürlichen Ungleichheit der Menschen in , H o h e ' und ,Niedere', Herrschende und Beherrschte aus. . . . Anti-aristokratische Nivellierung aller Unterschiede bedeutet ihm besonders eine Gefahr für die Philosophie, die einen ,Aristokratismus des Geistes' unverzichtbar voraussetzt." usw. Ebenso auch Wilhelm Metzger, Gesellschaft, Recht und Staat in der Ethik des D e u t schen Idealismus, Heidelberg 1917, S. 2 4 7 f. Schließlich auch schon Gertrud Jäger, Schellings politische Anschauungen, Historische Studien, Heft 357, Berlin 1939. H i e r wird verallgemeinernd von Schellings „stark antidemokratischer Einstellung", die sich seit 1796 (Neue D e d u k t i o n . . . ) ausgebildet und bis in sein Spätwerk kontinuierlich durchgehalten haben soll, gesprochen. C f . S. 71.
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ter des Schlußstücks des Systemprogramms wird mit diesen „scharfen Worten", die Schelling im März 1796 sprach, ganz einfach unterminiert. Das Band, das der Verfasser des Systemprogramms zwischen „Aufgeklärten" und „Unaufgeklärten" mittels der neuen - aufgeklärt vernünftigen Mythologie knüpfen wollte, wird in den von Rosenzweig bemühten Texten Schellings definitiv zerschnitten. Schelling propagiert nicht die ,ewige Einheit unter uns', sondern er setzt sich vielmehr für dasjenige ein, was für den Autor des Programms der eigentliche Stein des Anstoßes war: für ,den verachtenden Blick' und „das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern". N u r eine interpretatorische Fehlleistung vom Range derjenigen Rosenzweigs, die die tatsächlichen Aussagen der selbst herangezogenen und bereitgestellten Quellen in ihr nachweislich genaues Gegenteil verkehrt, kann angesichts dieser erdrückenden Beweislast behaupten wollen, die Handschrift entstamme der Gedankenwelt Schellings. 5 Wie immer man zu derlei Konstruktionen auch stehen mag, Rosenzweig jedenfalls ist der festen Uberzeugung, die These von Schellings Verfasserschaft hinreichend untermauert zu haben. U m ihr aber noch größere Durchschlagskraft zu geben, wird der Versuch unternommen, unter Berücksichtigung inhaltlicher Kriterien das Datum der Niederschrift möglichst exakt zu bestimmen. Rosenzweig glaubt nämlich, in dem Fragment vier Stellen benennen zu können, die für die fragliche Datierung deswegen auswertbar sein sollen, weil, wie es heißt, der Verfasser hier „selbst auf den Augenblick Bezug" nimmt. Es sind dies: 1. die „Felder der Physik"; 2. die „Prinzipien einer (im Systemprogramm heißt es „für eine", F.-P. H . ) Geschichte der Menschheit"; 3. die „Abschlußstellung der Kunst" (die Einsicht in diese soeben erst ausfindig gemachte Funktion der Kunst wird „durch ein ,nun' ausdrücklich" pointiert) und schließlich, 4., die Idee der „neuen Mythologie, die, soviel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn (Rosenzweig schreibt ,Hirn', F.-P. H . ) gekommen ist". (32)
Zur Physik: Ein wirklich gezieltes Studium der Physik soll Schelling erst Ostern 1796 begonnen haben, wenngleich selbstverständlich auch schon die Schrift
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Ein ähnlicher Fehler wird Rosenzweig später übrigens noch einmal im Kontext der Datierung eines Briefes von Schelling an Niethammer vom 2 2 . 1 . 1 7 9 6 unterlaufen, und zwar wiederum deswegen, um für das von ihm favorisierte D a t u m der Niederschrift des Systemprogramms (Frühjahr 1796) plädieren zu können.
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„Vom Ich" diverse Bemerkungen enthalten soll, die, jedenfalls ansatzweise, in Richtung der „naturphilosophischen Grundfrage des Systemprogramms" tendieren. Will man Rosenzweig Glauben schenken, dann stand Schellings naturphilosophisches Engagement von vornherein im Dienst der moralphilosophischen Fragestellung, um erst später, 1796/97, ein selbständiges theoretisches Interesse zu gewinnen. Also glaubt sich der Interpret einerseits zu der Feststellung berechtigt, daß die Physikbetrachtungen des Systemprogramms in der Zeit nach 1795 anzusiedeln sind. Weil er aber andererseits ganz genau weiß, daß die physikalischen Gedanken der Handschrift schon wesentlich komplizierter und umfangreicher als Schellings entsprechende Anläufe des Jahres 1795 sind, deswegen kann auch Rosenzweig diesem Teilaspekt seiner Beweisführung kein allzu großes Gewicht beimessen. Das Fazit kann nur lauten: Schellings frühe physikalische Studien, sofern sie denn überhaupt nachweisbar sind, bewegen sich auf ungleich geringerem Niveau als die ein Jahr später - Frühjahr bis Sommer 1796 - publizierten Arbeiten. Eine schlüssige Verbindung zwischen Schellings vergleichsweise bescheidenen naturwissenschaftlichen Kenntnissen des Jahres 1795 und der schon relativ weit fortgeschrittenen systemprogrammatischen Verarbeitung glaubt folglich auch Rosenzweig nicht ziehen zu können, oder kurz: Auch er ist nicht dazu in der Lage, ein wirkliches Interesse Schellings für die Physik vor dem Sommer des Jahres 1796 auszumachen.
"Zur Geschichte der
Menschheit:
Die Betrachtungen zur Ethik, so Rosenzweig weiter, fußen auf Gedankengängen, die Schelling ansatzweise schon 1795, in der Abhandlung „Vom Ich", entwickelt hatte. Andererseits war die Rezeption von Piatons Politeia zu diesem vergleichsweise frühen Zeitpunkt noch nicht von der maßgeblichen Einsicht des Systemprogramms bestimmt, daß der Staat aufhören solle. Deshalb lautet die Auskunft auch hier: das Programm muß nach der Schrift „Vom Ich" verfaßt worden sein.
Zur Kunst: Die poetischen Überlegungen des Fragments sollen nach Rosenzweig noch beweiskräftiger sein. In der Abhandlung „Vom Ich" habe Schelling zwar auch schon die Aufgabe formuliert, die theoretische und praktische Philosophie in eine systematische Position' aufzuheben; aber dieser Einheitspunkt wurde in der Arbeit des Jahres 1795 erstens noch nicht als
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praktischer verstanden, sondern, in Anlehnung an Spinoza, als seinshaftes Prinzip, und zweitens wurde diese Einheitsfunktion noch nicht (und zwar definitiv) der „Kunst" zuerkannt. Die ein halbes bzw. ein dreiviertel Jahr später edierten „Philosophischen Briefe" (1795/96) dagegen nahmen ausdrücklich den ästhetischen Gedanken der KrU auf: Der ästhetische Akt kündigte sich im Sinne eines „Dokuments" bzw. eines „Organons" der Philosophie an, und folglich rückte die Ästhetik hier langsam in das Zentrum der Schellingschen Gedankenwelt. Also sei man zu der Annahme berechtigt, daß das Systemprogramm nach Abschluß der „Philosophischen Briefe" verfaßt wurde. Da in den „Briefen" jedoch der Kunstphilosophie noch nicht die Schlüsselstellung zugesprochen werde, wie es dann im Systemprogramm eindeutig geschehen sei, dürfe auch dieser Hinweis noch nicht als bündig und unwiderlegbar eingestuft werden. Denn in Schellings Schriften gibt es diesen Gedanken der Abschlußstellung der Kunst erst ab 1797. Erst hier wird die Kunst unmißverständlich zum „Organon" der Philosophie erklärt. (34) Andererseits aber sollen die Abhandlungen des Jahres 1797 jene umfassende Aussage des Programmentwurfs, daß man in nichts geistreich sein könne „ohne ästhetischen Sinn", doch auch wieder ganz entscheidend eingeschränkt haben, wenn sie „die Abhängigkeit vom Vorhandensein ästhetischen Geists auf den Philosophen" beschränkten. (34) Deswegen soll es schließlich mehr oder weniger wahrscheinlich sein, daß Schelling das Systemprogramm nach den „Philosophischen Briefen" geschrieben hat. Dieser Ansatz läßt sich, so Rosenzweig, noch von seiten der ,logischmetaphysischen Partie des Programms' erhärten. Wenn hier die Metaphysik künftig in die Moral fällt, indem die Postulate von Gott und Unsterblichkeit gleichgestellt werden, und wenn das Systemprogramm den „schöpferischen Akt des Ichs als Grund der Welt" benennt, dann finden sich diese Überlegungen zuerst in den „Philosophischen Briefen" und noch nicht in der Schrift „Vom Ich". Aber die zum großen Teil im Herbst 1795 erschienenen „Briefe" experimentieren erst mit diesen Gedanken, im Winter 1796 hingegen sind sie (nun jedoch endgültig) ausgereift. - Auch hier also kommt Rosenzweig zu dem Ergebnis, daß der Text nach den „Philosophischen Briefen" niedergeschrieben worden sein muß, da nämlich auch in ihm schon diese Gedanken als fertige Resultate vorliegen. „Jedoch absolute Gewißheit ist auch das noch nicht; eine solche wäre erst erreicht, wenn die Gedanken des Programms wie von der Schrift ,vom Ich' so auch von den Philosophischen Briefen geradezu abwichen und zwar im Sinne einer später, also Winter 96 auf 97, erkennbaren Entwicklungsphase." (35) Und diese ,abso-
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lute' Gewißheit sollen jetzt Rosenzweigs Gedanken über die Mythologie erbringen, jene Gedanken, von denen oben gezeigt wurde, daß sie das Ergebnis einer unhaltbaren Konstruktion sind. Das nach Rosenzweig sicherste Argument ist im Gegenteil das mit Abstand unsicherste und läßt somit - es ist wohl nicht zuviel gesagt - sein ganzes Beweisverfahren letztlich scheitern. "Zur Mythologie: Die „Philosophischen Briefe" entwickelten nach Rosenzweig erstmals den Gedanken, daß die Philosophie den Würdigen vorbehalten sei, die den Uneingeweihten entsprechend ein ewiges Rätsel bleiben müsse. Sie, so Rosenzweigs nochmals wiederholte ,Einsicht', ließen noch „keinen Zusammenhang zwischen dem ,Weisen' und den ,Mysterien'" (35) gelten. Die Art und Weise, in der an dieser Stelle der zunächst infragegestellte - und gerade deswegen wiederherzustellende Zusammenhang zwischen den Weisen und den Mysterien thematisiert wird, ist aber, wie erinnerlich, äußerst problematisch, mindestens jedoch zweideutig. Rosenzweig meint, wenn er in diesem Kontext von Mysterien spricht, eigentlich die Mythologie, mittels derer die Philosophie der Freiheit ohne Einschränkungen mitteilbar werden soll. Die Mysterien sollen, dieser Interpretation zufolge, das Werkzeug in den Händen der Weisen sein, um die Unaufgeklärten umfassend einzuweihen. Schelling aber hatte, wie oben entwickelt wurde (28 ff.), auch schon in dieser Schrift des Jahres 1795 einen eindeutigen und folglich nie problematischen Zusammenhang zwischen dem Weisen und den Mysterien behauptet, und zwar den genau entgegengesetzten im Vergleich zu demjenigen, den ihm Rosenzweig generell unterschieben möchte: Die Mysterien dienen den Weisen dazu, auserwählte Jünglinge unter Ausschluß der übrigen Menschheit in das Geheimnis einzuführen. Sie haben für Schelling folglich nie volksaufklärerische Absichten zu verfolgen, auf welche Ansicht Rosenzweig nur deswegen verfallen kann, weil er unwillkürlich statt Mysterien immer wieder Mythen liest. So auch hier, wenn er den als zentral eingestuften Brief vom 1 2 . 3 . 1 7 9 6 an Obereit für seine Beweisführung nochmals heranzieht, weil er nämlich einmal mehr Mysterien im Sinne volksaufklärerischer Mythologie mißversteht, da sie doch von Schelling unmißverständlich in gegenaufklärerischer Absicht angewendet werden. Auch hier besteht, wie schon zuvor, der Zusammenhang zwischen dem Weisen und den Mysterien im esoterischen Initiationsritus, in der Geheimbündelei, und nicht, wie Rosenzweig will, in einer umfassenden Befreiung des Volkes.
Franz Rosenzweig (1917)
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Aber auch an dieser späteren Stelle vergißt Rosenzweig nicht, vorsichtigerweise darauf hinzudeuten, daß im Winter 1796/97 dieser „schrankenlose Optimismus des Programms" einer universell auszubildenden Verbindung zwischen „Aufgeklärten und Unaufgeklärten" schon wieder von dem Priorität beanspruchenden außerordentlichen philosophischen Sinn „stark verdeckt wird", nicht ohne zuvor anzumerken, daß diese Esoterik ja auch schon, wenn auch nur ganz ansatzweise, im Systemprogramm vorhanden sei; genau so verhalten wie in dem ominösen Brief Schellings vom 12.3.1796. - Dazu ist zweierlei zu sagen: Derlei esoterische Tendenzen werden im Systemprogramm ausdrücklich bekämpft, während umgekehrt Schelling diese Tendenzen in jenem Brief, aber auch sonst immer wieder, begünstigt hat. Bei Schelling ist der Aristokratismus des Geistes kein bloßes Epiphänomen, sondern tritt, je länger, je mehr, kontinuierlich immer ausdrücklicher zutage.6 All diese Verdrehungen erlaubt sich Rosenzweig aber ersichtlicherweise nur, um voller Zuversicht verkünden zu können, daß das Programm „mit Sicherheit . . . nach den Philosophischen Briefen" (35) verfaßt wurde, weil diese das Esoterische der Philosophie noch zu sehr akzentuieren. Und weil diese Esoterik nur ganz zaghaft, verschleiert und andeutungsweise in dem Brief vom 12.3.1796 auftaucht, genau so zaghaft wie im Systemprogramm, deswegen lautet Rosenzweigs Plädoyer kurz und bündig: Der Entwurf kann nur kurz vor diesem Brief geschrieben worden sein. Hierauf gibt es tatsächlich nur eine sinnvolle Antwort: Wenn für den Absender des Briefes die Geheimbündelei eine - von Rosenzweig freilich ein ums andere Mal unterschlagene - Selbstverständlichkeit ist, dann bleibt der Verfasser des Systemprogramms von derlei Berührungsängsten nicht nur gänzlich unbeeindruckt, sondern will sie auch endgültig bekämpfen und zerstören. Rosenzweig jedenfalls, der sich am Ziel seiner Untersuchung glaubt, betrachtet im folgenden die Lebensumstände Schellings zu Beginn des Jahres 1796. Schelling hielt sich in Stuttgart auf, und wenn man den „redehaften Charakter" des Manuskripts in Betracht zieht, dann - so Rosenzweigs Schlußfolgerung - wird er es hier Freunden vorgetragen haben. Nach der Abreise aus Stuttgart nach Leipzig (April 1796) verfügte Schelling ja nicht mehr über einen derart intimen „Freundeskreis", „wie ihn die Rede voraussetzen würde". (35/36) Wenn er das Programm aber doch
6
Vgl. hierzu auch A n m . 4.
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erst in Leipzig geschrieben haben sollte, dann muß es sich um eine „briefliche Kundgebung an die auswärtigen Freunde" (36) gehandelt haben. Aber erst jetzt setzt Rosenzweig seinem manipulierenden Verfahren die Krone auf. Er stellt nämlich fest, daß „sich die Arbeit an den Philosophischen Briefen bis kurz vor den 22.1.96 hingezogen" habe (36), um dann diesem Tag eine alles entscheidende Bedeutung deswegen zuzuerkennen, weil Schelling genau an diesem Tag an Niethammer einen Brief geschrieben hat, der drei zentrale Punkte des Systemprogramms unter der Rubrik zukünftige Arbeitsvorhaben' aufführte („System der Ethik ä la Spinoza", „Philosophie der Geschichte der Menschheit", „Auslegung der KrU nach meinen (Schellings, F.-P. H.) Prinzipien"). Die Thematik dieses Briefes aber hatte Schelling schon ein Jahr zuvor, in dem Brief vom 6.1.1795 an Hegel, zu seinen bevorstehenden Arbeitsplänen gerechnet7, und folglich war sie zu jenem späteren Zeitpunkt gar nicht mehr so neu, wie Rosenzweig glauben machen möchte. Rosenzweig jedenfalls zieht nur den späteren Brief an Niethammer zu Rate und unterschlägt dadurch nicht allein die Tatsache, daß Schelling schon zu Beginn des Jahres 1795 in jenes gedankliche Umfeld eingetreten war, von dem er dann später zu Niethammer sprechen sollte, sondern er, Rosenzweig, läßt diesen Brief an Niethammer nun eine äußerst bemerkenswerte Odyssee durch die Zeit antreten. Wenn er ein paar Seiten später (48 unten) jenen Brief nochmals heranzieht, dann läßt er ihn jetzt im „März" 1795 geschrieben
7
Schelling sprach schon in dem Januarbrief des Jahres 1795 an Hegel davon, er arbeite „an einer Ethik ä la Spinoza; sie soll die höchsten Prinzipien aller Philosophie aufstellen, in denen sich die theoretische und praktische Vernunft vereinigt. Wenn ich M u t und Zeit habe, soll sie nächste Messe oder längstens nächsten Sommer fertig sein". Ebenso äußert sich Schelling einen M o n a t später gegen Hegel in der Weise, daß er „indessen Spinozist geworden!" sei. Vgl. Briefe von und an Hegel, Bd. I, Hamburg 1969, 1. Schelling an Hegel, Dreikönigsabend 1795; 2. Schelling an Hegel, 4. Februar 95, S. 15 bzw. 22. Es erscheint nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß den Herausgebern in der A n m . 6 des Januarbriefes, a. a. O . S. 435, ein kleiner Fehler bei der Datierung des Briefes von Schelling an Niethammer unterlaufen ist. Schelling hat diesen Brief nicht, wie dort vermerkt, am 2 2 . 1 . 1 7 9 5 , sondern ein J a h r später, am 2 2 . 1 . 1 7 9 6 geschrieben. Vgl. Schellings Briefwechsel mit Niethammer vor seiner Berufung nach Jena, hg. von G e o r g D a m m k ö h l e r , Hegel Archiv Bd. II, Η . 1, Leipzig 1913, S. 18 f. E b e n s o : F . W . J . Schelling, Briefe und D o k u m e n t e , Bd. I, 1 7 7 5 - 1 8 0 9 , hg. von H o r s t Fuhrmans, B o n n 1962, S . 5 9 f f .
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sein.8 Gleich darauf aber (49) datiert er den fraglichen Brief wieder um, jetzt wurde er nicht schon im März 1795, aber auch nicht am 22.1.1796, sondern am 20.1.1796 geschrieben... Wir können also angesichts dieses bemerkenswerten Durcheinanders einer zweimaligen Falschdatierung, inklusive der Tatsache des von Rosenzweig fälschlicherweise behaupteten Originalitätswertes des Briefes an Niethammer nur zu dem Schluß kommen, daß die Nichtberücksichtigung jenes Briefes an Hegel vom 6.1.1795 wenn nicht Absicht gewesen ist, so doch dem Wunsch Rosenzweigs entsprach, die Datierung der Handschrift im zuvor schon praktizierten Sinne fortzusetzen. Erkennt man hingegen diesem frühen Brief Schellings eine Vorbildfunktion für die parallelen Ausführungen des späteren Briefes an Niethammer zu, dann könnte Schelling das Systemprogramm schon im Frühjahr 1795 verfaßt haben. Rosenzweig aber baut unter Nichtberücksichtigung des ,Originals' den zweiten Brief jetzt ganz zuversichtlich in seine bisherige Versuchsanordnung ein. Die Frage der Mythologie ist ja positiv geklärt mit Hilfe des Schellingschen ,Mysteriumsbriefes' vom 12.3.1796. Was am Ende der „Philosophischen Briefe" noch Esoterik war, das ist im März nur leicht getrübte Volksaufklärung - wie im Systemprogramm... Aber auch die physikalischen Betrachtungen des Programms sollen es möglichst nahe „an den Beginn des Sommersemesters" 1796 heranrücken. „Man sieht", so beschließt Rosenzweig diese euphorische Auflistung, „es sind . . . genau die drei Punkte, die uns schon rein aus dem Text heraus den Augenblick zu bezeichnen schienen: der Gedanke des ,Systems aller Ideen' (das Gegenstück zu Spinozas Ethik), die ,Prinzipien der Philosophie der Geschichte der Menschheit' und die ,nun' gewonnene Uberzeugung von der Stellung der Kunst. Als terminus a quo ergibt sich also der 22.1.96." (36)
8
Es ist freilich sehr wahrscheinlich, daß Rosenzweig in diesem Fall nicht an den Niethammer-Brief gedacht hat, sondern an den Schlußsatz der Vorrede zur ersten Auflage der Schrift „Vom Ich", die Schelling am 29.3.1795 in Tübingen beendet hatte. Hier spricht Schelling nämlich wörtlich von dem projektierten „Gegenstück zu Spinozas Ethik" und das ist auch genau die Wendung, die Rosenzweig dem Hinweis auf den Märztermin zugrundelegte. Aber weder hier, noch sonst an irgendeiner Stelle seines Aufsatzes nimmt Rosenzweig explizit Bezug auf die Schlußpassage dieser Vorrede, in der es heißt: „und hoffen darf ich es, daß mir noch irgend eine glückliche Zeit vorbehalten ist, in der es mir möglich wird, der Idee, ein Gegenstück zu Spinozas Ethik aufzustellen, Realität zu geben". In: F . W . J . Schellings sämtliche Werke, l . A b t . , l.Bd., (1792-1797), Stuttgart und Augsburg 1856, S. 159.
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Alle diese Programmpunkte sind aber von Schelling schon ein Jahr zuvor projektiert worden, so daß der terminus a quo ebensogut der 6.1.1795 sein könnte. Wenn man nämlich bedenkt, daß all die entscheidenden' Ausführungen Rosenzweigs über Schellings Mysteriumskonzeption falsch gewesen sind, dann bleibt tatsächlich von der ganzen Argumentation Rosenzweigs nur noch der Brief an Niethammer beweiskräftig, und dessen Gedanken hat Schelling schon in dem Brief an Hegel vom 6.1.1795 zu Papier gebracht. Entsprechend rückt das Datum, das wir im zweiten Teil dieser Arbeit für die Zeit der Niederschrift benennen werden - das Frühjahr bzw. der Sommer 1795 - in den Bereich größter Wahrscheinlichkeit, und zwar ironischerweise dadurch, daß wir Rosenzweigs Argumentation und seinen beiden entscheidenden Fehlern einfach nur gefolgt sind, bzw. sie als solche nachgewiesen haben. Nicht „spätestens Anfang März 96", sondern nur im Frühjahr 1795 kann das Systemprogramm, Rosenzweigs Einsichten zufolge, geschrieben worden sein. Ist dies der ,Geist' von Rosenzweigs Demonstrationen, dann entpuppt sich der ,Buchstabe' als eine Aneinanderreihung von Fehlschlüssen. Der Buchstabe kündet nämlich davon, daß „die Kette der Beweise für die Schellingsche Verfasserschaft . . . nunmehr unzerreißbar geschlossen sei". (36) „Nunmehr" heißt: angesichts der ,äußeren Uberlieferung', der ,inneren Einordnung in die Schellingsche Gedankenentwicklung' und endlich des Obereitbriefes vom 22.1.1796. Was nach all diesen Ausführungen allenfalls wirklich noch beweiskräftig ist, das ist allerdings nur die vergleichsweise unwichtige „äußere Uberlieferung". Im übrigen zieht Rosenzweig natürlich auch noch speziell ein Fazit aus seinen voraufgegangenen Überlegungen, und dieses Fazit ist dann von der Schellingforschung der nachfolgenden Jahrzehnte dankbar aufgegriffen und diskutiert worden. Gemeint ist folgendes: Weil Schelling, so Rosenzweig, schon zu diesem frühen Zeitpunkt seiner Entwicklung einen vollständig ausgearbeiteten Systementwurf vorgelegt hatte - daher auch der Name „Systemprogramm" 9 deswegen soll man in Zukunft nicht mehr davon sprechen können, er sei der „Proteus der Philosophie" gewesen. Hier soll schon all das geschlossen vorliegen, was er in späteren Jahren nach und nach zur Reife brachte, und das bedeute umgekehrt, daß er nicht ein ums andere Mal ihm fremde Gedanken von außen empfangen habe, um sie dann in immer wieder unvollständig gebliebenen Systemaufrissen
' Vgl. oben, S . 2 1 .
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nur andeutungsweise zu skizzieren. Schellings ganze Lebensarbeit soll in diesen zwei Seiten punktuell antizipiert worden sein, und das 1796 bloß Antizipierte soll er in jahrtzehntelanger Arbeit, sukzessive, zur Vollendung gebracht haben. Eines nämlich weiß Rosenzweig ganz genau: Nicht eine immer wieder durchbrochene, immer wieder neu begonnene Aneinanderreihung von letztlich unausgeführt gebliebenen ,Versuchen' ist für Schellings intellektuelle Biographie charakteristisch, sondern diejenigen Aufgaben, die sich ihm von Anbeginn stellten, blieben zeitlebens für Schelling verbindlich. Sein Lebenswerk ist eine sich von Anfang an ankündigende überschaubare Einheit, in dem sich alle Teile zu einem klar gegliederten Kontinuum auseinanderlegen. Der frühe Schelling ist dergestalt letztlich identisch mit dem späten, der späte Schelling ist fast ausnahmslos der Programmatik dieses frühen Entwurfs treu geblieben. „So bleibt in den großen Inhalten seines Denkens der ,Proteus des Idealismus' merkwürdig stabil. Was scheinbar nach und nach hervortrat, lag schon von Anfang an, in allem Wesentlichen erkennbar, nebeneinander." (39/40) Schellings Entwicklung soll folglich organische „Evolution" und nicht ein immer wieder ansetzendes Erstellen von neuen, sich regellos abwechselnden gedanklichen Ansätzen gewesen sein. Und vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis bleibe es die Aufgabe künftiger Schellingforschung, die Wandlungen von Schellings geistigem Werdegang insgesamt neu zu beleuchten. 10 Rosenzweig beschäftigt abschließend nochmals flüchtig die Frage, ob Hegel nicht vielleicht doch das Systemprogramm verfaßt haben könnte, um dann sowohl für die Mythologiekonzeption, als auch für den revolutionären Gedanken eines notwendigen Transzendierens des Staates zu dem ,bündigen' Ergebnis zu gelangen, daß Hegel nie so gedacht habe, wie im Systemprogramm hinsichtlich dieser beiden Themenkreise gedacht werde. Hegel habe sich ganz unabhängig von Schelling zum Systematiker der Philosophie entwickelt, „langsam", „zähe" und „im Kampf mit rein historischen Problemen". (43) Fernerhin habe Schelling all die wesentlichen Gedanken des Ostern 1797 erschienenen ersten Hyperionbandes Hölderlins mit den Ausführungen des Systemprogramms maßgeblich geprägt. Nicht die kunstphilosophischen Erörterungen der Handschrift sollen sich
10
Dieser Aufgabenstellung hat sich dann die zweite Forschergeneration in Sachen Systemp r o g r a m m (1930-1965) in großer Weitläufigkeit angenommen. Vgl. hierzu in der vorliegenden Arbeit die Zweite Periode, speziell die Publikationen der 50er Jahre eines H e r mann Zeltner, Karl Jaspers und Walter Schulz.
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in gedanklicher Abhängigkeit von Hölderlin befinden, sondern Hölderlin soll sich umgekehrt unwillkürlich die Schönheitskonzeption des jüngeren Freundes angeeignet und in dichterische Sprache umgesetzt haben. Außerdem sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die Gedankenwelt des Jenaer Romantikerkreises über Poesie und Mythologie durch Schellings Jenaer Aufenthalt Anfang 1798 ins Leben gerufen worden sei. Nicht diese jungen Romantiker sollen Schellings beweglichem Geist neue Anregungen gegeben haben, sondern „gewisse entscheidende Gedanken im romantischen Kreise" (45) sollen ganz einfach aus Schellings Systemprogramm des Jahres 1796 entnommen worden sein. Und schließlich soll kein anderer als Schelling den für die moderne Philosophie maßgeblichen Systembegriff kreiert haben, den Hegel dann nur noch zu rezipieren brauchte. - „In der Weltgeschichte des philosophierenden Geistes", so Rosenzweigs hymnisches Schlußwort, „macht das vergilbte Blatt mit den abgeblaßten Hegeischen Zügen, dem wir unsere Aufmerksamkeit widmeten, Epoche." (50) Rosenzweigs Uberzeugung war es eben doch, die Pforten der Zukunft aufgestoßen, bzw. einen ganz neuen Zeitabschnitt auf den Weg gebracht zu haben. Damit sollte er, wenn auch anders als es ihm vorgeschwebt haben mochte, Recht behalten. Zunächst freilich reagierte A r t h u r L i e b e r t mit einer Apologie auf Rosenzweigs 1917er Publikation. 1 1 In dieser Quasirezension reproduzierte Liebert sämtliche Vorurteile und - nach einem Wort Otto Pöggelers Mystifikationen des Erstherausgebers, wenn er dessen euphorisches Schellingbekenntnis ganz einfach nur wiederholte: „Das Blatt enthält nichts weniger als ein vollständiges Systemprogramm des spekulativen Idealismus, dessen sämtliche Teile in kurzen, scharfen Strichen und mit äusserst zukunftssicherem Selbstbewusstsein skizziert werden; . . . Die Stufen der geistesgeschichtlichen Entwicklung vom subjektiven Idealismus Fichtes hin zur Frühromantik des Athenäumskreises, weiter zum objektiven und dann zum absoluten Idealismus, wie diesen später Hegel ausbildete", all dies und noch einiges mehr soll von dem Spiritus rector Schelling im Juni des Jahres 1796 nicht nur „in blitzartiger Geschwindigkeit durchmessen",
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Arthur Liebert, „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus", in: K a n t S T . , Bd. 22, Berlin 1918, S. 4 6 0 ^ ( 6 3 . Wichtig sind diese von der Forschung regelmäßig übersehenen drei Seiten eigentlich nur aus einem Grund: Sie sind die bis heute wohl gelungendste Zusammenfassung der 50seitigen Arbeit Rosenzweigs, eine Art unmittelbares E c h o auf die Euphorie des Erstherausgebers. In der Tafel am E n d e der ersten Periode blieben sie deswegen unberücksichtigt.
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sondern tatsächlich auch systematisch verwirklicht worden sein. (460/61) Liebert orientiert sich in seinem Kurzresümee ganz offensichtlich an der ,mustergültigen', ,aufschlussreichen' und ,überaus dankenswerten' Untersuchung seines Gewährsmanns Rosenzweig. Im Stile permanenter Gegenüberstellung kreiert er einerseits ,unser Vorbild' Schelling, von dem und dessen Programm dann andererseits nicht allein Hegel und Hölderlin, sondern ebensosehr auch der Jenaer Romantikerkreis um Friedrich Schlegel und Novalis abhängig gewesen sein soll. Für einen Interpreten, der „auf Grund des Systemprogramms" der festen Uberzeugung ist, man müsse Schelling „anders sehen lernen", als bislang geschehen, ist es freilich selbstverständlich, daß der durch die Schweizer Einsamkeit ,missmutig' und ,gedrückt' gewordene Hegel außerstande war, mit einem so „ausserordentlich" emphatischen Entwurf aufzuwarten. N u r der unverdrossen Pläne schmiedende Schelling habe sich auf diese entschieden selbstbewußte Art zu Wort melden können. Der Berner Hauslehrer Hegel, der, „von jeder selbständigen philosophischen Arbeit entfernt", ohnehin eher „langsam, bedächtig, umständlich, etwas mühsam", die personifizierte ,Ruhe' und ,Beharrlichkeit' war; der 21jährige Schelling hingegen, - das Antizipationsgenie par excellence - hatte „schon einen systematischen Gesamtplan für seine ganze philosophische Lebensarbeit im K o p f . . . " , besaß „das heisse Temperament des Künstlers, der gleich mit den grössten Perspektiven beginnt", wie er ja ohnedies ein wenig „überschnell, hitzig" war und „wie in fliegender Glut" produzierte. (461) So Lieberts wort- und kontrastreiche Rosenzweigadaption. Wer, wie Liebert und Rosenzweig, ein neues Schellingbild entwerfen will, der trägt dann natürlich auch keinerlei Bedenken, überall Enthüllungen zu wittern, der findet,grosse Gedankenwelten' und ist allemal bereit, eine ganze Epoche in ein Zweiseitenpapier hineinzugeheimnissen. Schelling war eben alles andere als die viel gescholtene Proteusnatur: Er nahm zwar umfassend vorweg, führte aber auch nicht weniger umfassend aus; er schrieb ein „grossartiges und grosszügiges Systemprogramm", das aber „zweifellos" auch „den zusammengefaßten Entwurf dessen" darstellt, „was dann in den folgenden Jahren in sprudelnder Eile und Fülle ans Licht trat". (461) Und schließlich: Es war, wie schon bemerkt, Schelling, der nicht allein die Jenaer Frühromantik entscheidend motivierte, sondern genausogut auch maßgeblich an der Asthetikkonzeption des im Entstehen begriffenen Romans „Hyperion" beteiligt war. (cf. 462) - Summa summarum bieten „unser Systemprogramm" und ,unser frühreifes Wunderkind Schelling' zweierlei: „ . . . den ersten Entwurf eines alle Richtungen
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und Ausprägungen des deutschen spekulativen Idealismus ins Auge fassenden Systems" und eine ,bewundernswerte' und „zugleich . . . kolossale "Weite und Spannkraft des B l i c k e s " : Schelling hat ,als erster' „unter den spekulativen Philosophen die Idee eines ganz umfassenden Systems für alle Gedankenrichtungen des Idealismus" verbindlich auf den Begriff gebracht. (463) Dieser Rosenzweig nachempfundene ,neue', gegenwartsnahe Schelling avancierte dann übrigens zum Lieblingsgegenstand der Schelling- und Systemprogrammforschung der zweiten Periode, wodurch sie vor allem eines zu erkennen gab: Rosenzweigs Jugendlichen Husarenritt ins Imaginäre' (Pöggeler) unbedingt nachvollziehen zu wollen.
Ernst Cassirer
(1917/18)12
Ernst Cassirer hat seinen 1917/18 erschienenen Aufsatz
„Hölderlin
und der deutsche Idealismus" als eine „geistesgeschichtliche Betrachtung" verstanden wissen wollen, „für die zuletzt doch das Individuum Anfangsund Zielpunkt bleibt". (265) E r grenzt sein Verfahren von jener F o r m „literarischer Forschung" ab, der sich das denkende oder dichtende E i n zelwesen in das Produkt sozialhistorischer Einflußnahme auflöst. Dieser Betrachtungsweise stellt sich das Verhältnis, das Hölderlin „zur idealistisch-philosophischen Bewegung" (264) hatte, als ein ständiger Wechsel zwischen äußerlicher Anregung durch die anderen Idealisten und entsprechend fremdbestimmter geistiger Verarbeitung dar. Sie leistet folgerichtig, da sie Hölderlins Entwicklung „in die Vielheit und in den Widerstreit einzelner geschichtlicher Beziehungen" (264) auseinanderdividiert, auf die ,wahrhaft selbständige geistige Eigenart Hölderlins Verzicht'. (265) Genau dieses unverkennbare ,dichterische Wesenselement' Hölderlins bildet den Ausgangspunkt von Cassirers Betrachtungen. Indem Hölderlin diese charakteristische Eigenart seines ,Wesens' dichterisch
entwickelt,
k o m m t er, so Cassirers Überlegung, mit „den Grundgedanken des philosophischen Idealismus" in Berührung und eignet sie sich seiner speziellen
12
Ernst Cassirer, „Hölderlin und der deutsche Idealismus I " , in: Logos, Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, B d . V I I , 1917/18, S . 2 6 2 - 2 8 2 . D i e a . a . O . in Bd. V I I I , 1919/20 erfolgte Fortsetzung dieses Aufsatzes gleichen Titels ist für unsere Darstellung unerheblich, weil in ihr ein jeglicher Hinweis auf das Systemprogramm fehlt. Im folgenden verarbeitete Zitate wurden ausnahmslos dem ersten Teil des Jahres 1917/18 entnommen.
Ernst Cassirer ( 1 9 1 7 / 1 8 )
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„seelischen" Disposition gemäß an. Diese Grundgedanken unterliegen folglich einer Modifikation durch das Individuelle, sie werden von Hölderlin nicht einfach nur rezipiert, „sondern er bereichert sie, indem er sie sich aneignet, zugleich mit einem neuen positiven Gehalt. Diesen Doppelprozeß des Nehmens und Gebens, der rezeptiven Bestimmtheit und der aktiven Bestimmung, durch welche Hölderlin in die Geschichte des deutschen Idealismus eingreift, versuchen die folgenden Betrachtungen näher zu entwickeln." (265) Das Prinzip dieser geistesgeschichtlichen Betrachtung ist das Wechselspiel von heteronomer Wirkung und autonomer dichterischer Gegenwirkung. Wenn die Forschung der „Begegnung zwischen Hölderlin und Schelling im Sommer 1795" immer eine maßgebliche Bedeutung „für die Entwicklungsgeschichte des deutschen Idealismus" (278) zugesprochen hatte, dann unter dem Aspekt, daß Hölderlins Denken von demjenigen Schellings entscheidend beeinflußt wurde. Cassirer begegnet dieser gängigen Sichtweise mit der Überlegung, ob nicht vielmehr Schellings generell aufnahmebereiter „Geist" durch dieses Zusammentreffen mit Hölderlin in eine „neue Richtung" gedrängt worden sei. Zwar handelt es sich, wie Cassirer zugesteht, bei diesem Gedanken zunächst um eine bloße Hypothese, aber er meint endlich doch, sie wissenschaftlich absichern zu können, und zwar mittels des von Franz Rosenzweig herausgegebenen und „vortrefflich"
kommentierten
(279) Handschriftenfundes des Jahres 1917. Dieses doppelseitig beschriebene Blatt beinhaltet nach Cassirers Meinung „Gedanken von größter geschichtlicher und systematischer Tragweite". (279) Nach einer kurzen Rekapitulation des Textinhalts trifft Cassirer die auf Rosenzweig zurückdatierende Feststellung, daß dieses Schriftstück zwar von Hegel „im Juni oder Juli 1796 niedergeschrieben" worden sei, daß es sich aber nur um die Abschrift einer fremden Vorlage handeln könne. Er schließt sich den, wie er meint, überzeugenden und sachlichen Gründen des Herausgebers an, die diesen schließlich zu dem Urteil bestimmt hatten, daß Schelling der Verfasser des Manuskripts sei und daß er es im Stuttgarter Winter 95/96 verfaßt habe. - Wir erinnern hier nur kurz daran, daß Rosenzweig nicht den Winter 95/96 als möglichen Termin der Niederschrift angegeben hatte, sondern das Frühjahr, genauer: den März 1796. - Es ist genau derjenige Zeitraum, der „unmittelbar (Sommer 1795 ! ?, F.-P. H.) dem Besuch Hölderlins bei Schelling folgt". (280) Diese erneute Zusammenkunft der beiden ehemaligen Stiftler soll sich dann im Systemprogramm - einer Gemeinschaftsarbeit - gedanklich niedergeschlagen haben. Hölderlins noch im Werden begriffenen ungelösten philosophischen Vorstellungen sollen von
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Schelling in dem Manuskript „energisch zusammengefaßt und in geschlossener, systematischer Fassung aufgestellt" worden sein. (281) Nicht Schelling hat mit diesem Programm dem ausschließlich rezeptiv eingestellten Hölderlin neue Wege gewiesen, wie es noch von Rosenzweig unterstellt worden war, sondern „Schelling hat dem, was damals als Forderung in Hölderlins Geiste bereit lag, zuerst die bewußte systematische Formulierung gegeben". (281) Schelling brachte nur dasjenige auf den Begriff, was in „Hölderlins Intuition" noch halb unbewußt vorbereitet lag. Wenn man sich aber, so Cassirer weiter, das im Systemprogramm Gestalt gewordene Verhältnis zwischen Schelling und Hölderlin auf diese Weise verdeutlicht, dann entgeht man damit einer Schwierigkeit, die zwangsläufig derjenigen Interpretation begegnet, die die Gedanken des Programms ausschließlich für Schelling vereinnahmen will. Schelling nämlich hat vielen der hier anklingenden „gedanklichen Motive" in seinen Arbeiten der späteren Jahre keine systematische Durchführung folgen lassen. Sie stehen teils ganz vereinzelt da, teils liegt zwischen der Erstformulierung des Jahres 1796 und der endgültigen systematischen Klärung ein Zeitraum von mehreren Jahren. Nimmt man jedoch mit Cassirer an, daß „es sich in dem neuen Systemprogramm eben nur um einen raschen Entwurf handelte, zu dem sich Schelling von außen her gedrängt und aufgefordert fühlte, zu dessen vollständiger Durchführung ihm aber vorerst noch alle Mittel und Bedingungen fehlten" (282), dann bereitet die festgestellte Diskontinuität keine Schwierigkeiten mehr. Schelling, das „Genie der Rezeptivität", der auch noch in späteren Arbeiten „die Aufstellung eines philosophischen Plans unmittelbar für seine Lösung nahm", hat in diesem Programm demjenigen einen „bewußten Ausdruck" gegeben, was bei Hölderlin vorerst nur der gedanklichen Anlage nach vorhanden war. Diese Fähigkeit Schellings, für alle Tendenzen seiner Zeit empfänglich zu sein, hat sich nicht zuletzt auch nach der Begegnung mit Hölderlin im Sommer 1795 bewährt. Das Ergebnis der Zusammenkunft soll in dem Systemprogramm handgreiflich vorliegen. Und liest man es auf diese Weise, dann, so Cassirers Resümee, „läßt sich über die wechselseitige Einwirkung, die beide aufeinander geübt haben, eine (geistesgeschichtliche, F.-P. H.) Anschauung gewinnen, die ihrer beiderseitigen Eigenart gerecht wird - die, ohne die geistigen Zusammenhänge und Einflüsse zu leugnen, dennoch die Eigentümlichkeit der individuellen Gestalten, zwischen denen diese Einflüsse stattfinden, völlig bestehen läßt". (282) 1 3
13
Schon 1926 war es Manfred Schröter, der, noch vor dem ersten großen Streit um das Systemprogramm zwischen Wilhelm B ö h m und Ludwig Strauß, die Ansicht vertrat, daß
Wilhelm B ö h m (1926)
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Wilhelm Böhm (1926)H Wilhelm Böhm, der Herausgeber der 1910 bei Diederichs in Jena in zweiter Auflage erschienenen Hölderlin-Gesamtausgabe schließt sich zu Beginn seiner sehr umfangreichen Abhandlung des Jahres 1926 sowohl der Datierung des Manuskripts durch Rosenzweig an, als auch dem Urteil des Herausgebers, es könne sich bei diesem Text nur um die Hegeische Abschrift einer fremden Vorlage handeln. Dem in „theologisch-historischen Problemen vergrübelten, noch stark unter dem Rationalismus der Kantischen Schrift von der ,Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft'" ,stehenden Jüngling' Hegel (340) sei die erregend wirkende .systematische Vielseitigkeit' des Entwurfs keinesfalls zuzutrauen. Wenn jedoch Rosenzweig „mit verführerischer Kombinationsgabe, aber innerhalb zu enger Grenzen" (340/41) in Schelling den Verfasser des Programms meint gefunden zu haben, dann ist es Wilhelm Böhms Absicht, den Beweis für Hölderlins Verfasserschaft zu führen. Das Böhms Ausführungen zugrundeliegende Hölderlinbild ist das eines Dichterphilosophen; Hölderlin soll ein ,streng systematisch denkender Dichter' (341) gewesen sein.
Rosenzweigs „Gründe für die Autorschaft Schellings wohl endgültig überzeugend" seien. Zwar sei der „Einfluß Hölderlins . . . unverkennbar", aber letztlich habe E . Casssirer ihn „doch wohl überschätzt". Schröter schließt sich übrigens der Datierung der Hegelhandschrift durch Rosenzweig an: Sie muß „aus der ersten Hälfte des Jahres 1796 stammen". Cf. Manfred Schröter, Schellings Schriften zur Gesellschaftsphilosophie (Die Herdflamme, 12. Bd.), Jena 1926, S. 832, A n m . zu II. Auch Paul Kluckhohn hatte schon ein Jahr zuvor (1925), in stillschweigender Ubereinstimmung mit Rosenzweig, in dem „Systemprogramm von 1 7 9 6 " den Beweis für Schellings staatsfeindliche Gesinnung gefunden. Dieser Interpret ging jedoch auch über den interpretatorischen Ansatz des Herausgebers hinaus, wenn er „diese Negierung eines bloß mechanisch aufgefaßten Staates . . . als Vorstufe zu romantisch organischer Staatsauffassung" ansah. C f . Paul Kluckhohn, Persönlichkeit und Gemeinschaft. Studien zur Staatsauffassung der D e u t schen Romantik, in: D V j s , Buchreihe, Bd. 5, Halle/Saale 1925, S . 5 8 ; ebenso 82 (Anm.). Es handelt sich freilich hier, wie auch bei M . Schröter, um nicht mehr als illustrierende Marginalien und folglich vernachlässigenswerte G r ö ß e n . F ü r die Diskussionsgeschichte der Handschrift sind beide Texte ohne Belang, sie wurden nur der Vollständigkeit halber erwähnt und blieben entsprechend in den Tafeln unberücksichtigt. 14
Wilhelm B ö h m , „Hölderlin als Verfasser des ,Ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus'", in: D V j s , 4. Jahrg., I V . Bd., Halle/Saale 1926, S. 3 3 9 - 4 2 6 . Vgl. hierzu und zum nachfolgenden Replikenwechsel zwischen Wilhelm B ö h m und Ludwig Strauß auch die Kurzübersicht aus der „Einleitung der Herausgeber. 3. D e r Streit um die Verfasserschaft" der Dokumentation Mythologie der Vernunft, a. a. O . S. 63 ff.
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Schon während der Studienjahre am Tübinger Stift soll sich Hölderlin, Wilhelm Böhms Einsicht zufolge, vom „moralischen Rigorismus" (342) Kants und Fichtes losgesagt haben, um an dessen Stelle den stark von Piaton beeinflußten, aber auch auf Leibniz zurückdatierenden „Schönheitstraum" eines von der sinnlich-weltlichen Liebe her gedachten vereinigungsphilosophischen „Harmoniesystems" zu setzen. Bei der Ausbildung dieses aus den Quellen des Lebens gespeisten, stark mystisch gefärbten ,objektiven Idealismus' standen Hölderlin unter den Zeitgenossen Schiller und Herder, vor allem aber Jacobi zur Seite, dessen „Glaubensphilosophie" an der Leibnizischen prästabilierten Harmonie ihr Vorbild besaß. Das aus diesem kosmisch verstandenen objektiven Idealismus resultierende ,neue Lebensgefühl' hielt aber nicht nur die zwischen „Uberschwang und Gedrücktheit" schwankenden einseitigen Überspanntheiten seiner frühen dichterischen Produktion im Zaum, sondern „das neue Lebensgefühl" suchte sich auch „eine neue dichterische Ausdrucksform in dem beabsichtigten Prosaroman H y p e rion'". (343) Spätestens seit der Arbeit am Hyperion (1794) soll sich bei Hölderlin eine Schwerpunktverlagerung zwischen „philosophischem Bedürfnis" und poetischer „Formgebung" vollzogen haben; die Poesie wurde der weltanschaulichen Einheitsperspektive der Philosophie untergeordnet. Und die zentrale Aufgabenstellung des philosophischen Bedürfnisses bestand für Hölderlin im folgenden darin, den aus Kants Kritizismus resultierenden Dualismus zwischen theoretischer und praktischer Philosophie zu überbrücken, bzw. den Primat der praktischen Vernunft, wie er von Kant kreiert und von Fichte, aber auch von Schiller - wenngleich entschärft wiederaufgenommen worden war, in eine höhere Einheit zurückzunehmen, die er hauptsächlich an Piatons Ideenlehre orientiert sein ließ. Hölderlins Versuch, in der „ästhetischen Idee" die Differenz zwischen der Sinnlichkeit und dem Geist aufzuheben, mündete in das Platonische Konzept „einer (enthusiastischen, F.-P. H . ) Philosophie der Naivität" aus. (351) Hier wird „der Kantische Primat der praktischen Vernunft" durch den gleichberechtigten Zusammenschluß „von Sittlichkeit und Wahrheit" abgelöst, „und der darüber aufsteigende Begriff von Glaube an Heiligkeit und Weisheit führt in den Enthusiasmus des Erkennens". (355) N u r der Platonische Enthusiasmus gewährleistet die angestrebte Gleichstellung der ästhetischen mit der moralischen Idee. Das stehende Bild für diesen Enthusiasmus aber ist die in Piatons ,Phädrus' beschriebene „Wechselseitigkeit der Liebesbeziehungen, daß sich (nämlich, F.-P. H.) die Quelle des Liebreizes des Liebenden reichlich gegen den Liebhaber ergießt...". (357) Entsprechend löst Hölderlins ästhetische Idee „die extremen Möglichkeiten des menschlichen Verhaltens zur Natur in
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eine Wechselbeziehung" auf. (357) Und zwar in eine lebendig anschauliche Wechselbeziehung, in der nicht, wie noch bei dem Kantschüler Schiller, das Schöne unter einseitig moralphilosophischem Blickwinkel erscheint, sondern die die „Offenbarung des Absoluten im Schönen" (358) als eine unmittelbare Vereinigung der Freiheit mit der Natur begreift. Diese vereinigungsphilosophisch verstandene Gleichberechtigung zwischen
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schem und praktischem Vermögen hat nach Böhm ihr Vorbild an der Philosophie des ehemaligen Kantianers Karl Leonhard Reinhold. Im Gegensatz zu Fichte, der für das praktische Ich unbedingte Priorität beanspruchte, impliziert der Reinholdsche „Satz des Bewußtseins" die Gleichwertigkeit von theoretischem und praktischem Streben. Und diese von Reinhold postulierte Parallelität hat ihr geschichtliches Vorbild einmal mehr an der enthusiastischen „Philosophie der Naivität", wie sie Piaton mit seiner Erosund Anamnesislehre der Ideenschau inauguriert hatte. Aus all dem zieht Böhm den Schluß, daß Hölderlin weder der Fichteschen Wissenschaftslehre, noch dem Kantischen Primat der Moralität jemals besonders verpflichtet gewesen sei, sondern daß er im Gegenteil deren moralphilosophisch begründete Einseitigkeiten vor dem Hintergrund einer zu stiftenden Vereinigung des Theoretischen und Praktischen zusammen mit Piaton und Leibniz, aber auch mit Jacobi und Reinhold bekämpft habe. Fernerhin sieht sich Böhm vor die Aufgabe gestellt, die tiefgreifenden Unterschiede im Denken Hölderlins und Schellings endlich einmal ausführlich zu würdigen, (cf. 363 ff.) Schelling war - so Böhm - mit Hölderlin im August des Jahres 1795 zusammengetroffen und bei dieser Gelegenheit sollen die beiden ehemaligen Stiftler über Schellings unlängst erschienene Schrift „Vom Ich" und über die in Druck gegangenen „Philosophischen Briefe" gesprochen haben. - Aber abgesehen davon, daß Hölderlin und Schelling „erst im Spätherbst 1795 in Nürtingen" 1 5 zusammentrafen, setzt Böhm in diesem Zusammenhang zu allem Überfluß auch noch die Tradition der schon von Rosenzweig praktizierten Falschdatierung der Korrespondenz Schellings mit Hegel fort. Denn nicht schon im Januar 1795 - „kurz vor der Drucklegung der Schrift ,Vom Ich'" (364) - legte Schelling sein sogenanntes Spinoza-Bekenntnis ab, sondern erst in dem am 4. Februar desselben Jahres geschriebenen Brief an Hegel. 1 6 - Wie dem auch sei: Vor dem
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Vgl. Briefe von und an Hegel, a. a. O . , A n m . 9 zum Brief Schellings an Hegel vom 21. 7 . 1 7 9 5 , S. 439.
" Vgl. a. a. O . S. 22. Auch der von Rosenzweig als zentral eingestufte Brief Schellings an Niethammer vom
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Hintergrund dieser spätherbstlichen Zusammenkunft zwischen Schelling und Hölderlin weist Böhm die Ansicht Rosenzweigs zurück, Hölderlin sei durch den Gedankenaustausch mit seinem jüngeren Freund in eine „geistige Abhängigkeit" geraten. Vielmehr beweise Hölderlins Brief vom 1.9.1798 an seine Mutter, daß er sich mit Schelling des öfteren „gezankt" habe, und nicht zuletzt der „Brief an Niethammer vom 22. Dezember 1795" deute mit dem Hinweis, Schelling sei „von seinen ersten Uberzeugungen" „ein wenig abtrünnig geworden", den wahren Sachverhalt an: Hölderlin soll über Schelling triumphiert haben und umgekehrt: Schelling soll sich nach dem Gespräch mit Hölderlin von seinem „extremen Fichteschen Standpunkt" gelöst haben, um sich entsprechend den „Hölderlinschen Anschauungen" anzunähern. (364) Um aber die auch schon von Ernst Cassirer behauptete Selbständigkeit von Hölderlins intellektueller Entwicklung zu beweisen, beruft Böhm sich in seiner Interpretation auf drei Fragment gebliebene Texte des Jahres 1795, die Hölderlin als einen eigenständigen Systematiker ausweisen sollen. Es sind dies: 1. die von Hölderlin selbst titulierte Abhandlung „Uber den Begriff der Strafe", 2. der „von den Herausgebern . . . nicht ganz glücklich" überschriebene Text „Uber das Gesetz der Freiheit" und 3. das in Briefform abgefaßte Manuskript „Hermokrates an Cephalus". (365) Schelling soll 1795 eindeutig unter dem Einfluß von Fichtes Theorie der „Tathandlung" gestanden haben und maß folglich der theoretischen Naturdimension nur eine sekundäre Bedeutung bei. N u r sehr langsam sollen sich danach „die Geister der abgetanen Plato, Jacobi, Leibniz, Spinoza" (367) wieder zu Wort gemeldet haben und der erste Hinweis auf diese gedankliche Umstellung wird von Böhm in dem Bekenntnisbrief Schellings an Hegel vom 4. Februar 1795 ausfindig gemacht. Zunächst freilich fungiert, speziell in der Schrift „Uber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt" (1794), das Kant/Fichtesche Spontaneitätsprinzip des Verstandes als das „Einheitsprinzip des Philosophierens überhaupt". (367) Wenn hier der funktional-praktischen Seite eindeutig eine Vorrangstellung zuerkannt wird, dann war es umgekehrt gerade Hölderlin gewesen, der diesen moralphilosophischen Primat des praktischen Ich dadurch relativiert hatte, daß er ihm „die
22.1.1796 wird von Böhm an späterer Stelle umdatiert. Zunächst übernimmt er zweimal Rosenzweigs ursprüngliche Datierung, wenn er S. 405 und S. 414 den Brief am 22. Januar 1796 geschrieben sein läßt, um ihn schließlich jedoch ins Jahr 1 7 9 7 (425) hinauszuverlegen. Immerhin schwankt er nicht im Stile Rosenzweigs bei der Feindatierung, denn das Datum des Tages jedenfalls bleibt in allen drei Fällen der 22.1.
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lebend" sich entwickelnde Objektivität des theoretischen Ich gleichstellte. Nicht ein oberstes, praktisch ausgerichtetes Prinzip sollte - wie bei Schelling und Fichte - die „oberste Bedingung aller Wissenschaft" sein (368), sondern diese Grundlegung sollte sich in zwei gleichwertigen Grundsätzen, einem formalen und einem materialen, durch ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis realisieren. Wenn auch Schelling in der nächstfolgenden Schrift „Vom Ich" der theoretischen Seite des Ich mehr Aufmerksamkeit entgegenbrachte, und wenn er auch den schon deutlich an Hölderlin anklingenden Satz formulierte, daß „im Ich Natur, in der Natur Ich hervorzubringen" sei (369), dann bildete doch letztlich immer noch das praktische absolute Ich Fichtes den Ausgangs- und den Endpunkt seiner Überlegungen. Hölderlin hingegen fand diese auch von ihm angestrebte Synthese zwischen dem Gesetz der Natur und dem der Freiheit - seinem Piatonismus entsprechend - in dem „Gesetz des absoluten Seins". (369) Und wenn Schelling schließlich in den „Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Skeptizismus" den „Begriff eines philosophischen Systems als einer unendlichen Aufgabe" formulierte, in der das spontane Realisieren sowohl auf praktischem, als auch auf theoretischem Terrain durchgeführt werden sollte, dann nahm er zu guter Letzt doch auch hier dieses auf Hölderlin vorverweisende vereinigungsphilosophische Programm in die Fichtesche Einseitigkeit des „praktisch-moralisch realisierbaren Ich" zurück. (371) Hölderlin nun hat in dem Bruchstück „Hermokrates an Cephalus" eindeutig an der Vorherrschaft des absoluten dogmatischen Ichs Fichtescher Provenienz Kritik geübt und forderte statt dessen „ein System, dessen phänomenale Richtungen gleichberechtigt sind". (373) Er ordnete die sich entgegengesetzten Positionen des Wissens und des Handelns dem unendlichen Fortschritt unter und fand in der unbegrenzten Zeit die Gewähr dafür, „sich dem grenzenlosen Ideal zu nähern". „Hier ist der wie für Kant so auch für die ganze Fichtesche Weltauffassung maßgebliche Primat der praktischen Vernunft in genau derselben Weise wie in der Vorstufe zum Hyperion gesprengt, zugunsten der Koordination der theoretischen und der praktischen Vernunft, die beide nur im unendlichen Progreß sich vollenden." (373) Hölderlins Position soll einzig aus dem „Protest gegen den Fichteschen Subjektivismus" (378) verstanden werden können, dessen frevelhafte Selbstüberhebung sich andererseits Schelling immer wieder im Stile umfassender „Freiheitspropaganda" zueigen gemacht hatte, wenn er ζ. B. die griechische Mythologie unter dem Vorzeichen der Fichteschen Tathandlung interpretierte. Hölderlin hingegen hat sowohl in dem von Herder beeinflußten Fragment „Uber den Begriff der Strafe", als auch „in dem Bruchstück ,Uber das
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Gesetz der Freiheit'" einmal mehr die Moralität in die „Erkenntnis eines großen Naturzusammenhangs" (383) einmünden lassen, um so der schroffen Einseitigkeit des Fichteschen Ethizismus zu begegnen. Parallel hierzu wird der von Kant inaugurierte „Primat" des Apriorischen, „durch das nur erst die Natur Bedeutung gewinnt" (385), einer einschneidenden Kritik unterworfen. Für Hölderlin dagegen ist die Vernunft in ihrer theoretischen und praktischen Spielart nur eine, Theorie und Praxis gelten ihm als zwei gleichwertige Prinzipien, die in einer „höheren Synthese" (384) aufgehoben werden sollen. Sowohl das „System des Handelns", als auch das „System des Denkens" werden maßgeblich von dem „unendlichen Progreß" bestimmt, und das Ziel besteht darin, „beide Systeme in einem höheren System" zu vereinigen. (387) Diesen Gedanken hatte Hölderlin in dem Brief an Schiller vom 4 . 9 . 1 7 9 5 formuliert, und wenn er einerseits die Einseitigkeiten des Kant-Fichte-Schellingschen Praktizismus in eine umfassende theoretischpraktische Totalität zurückführte, dann verzichtete er andererseits „auf eine eindeutige Begriffsbestimmung des höchsten Ideals" (387), wie es von den Programmatikern des deutschen Idealismus in der Beschränktheit der praktischen Vernunft gefunden worden war. Hölderlin hingegen soll die von ihm projektierte unendliche Vereinigung als das Sein der Schönheit gedacht haben, so daß Böhm als ein Zwischenergebnis seiner Untersuchung notieren kann, daß die „Schönheit der Angelpunkt des Hölderlinschen systematischen Denkens" (393) gewesen sei. „Schönheit ist reines Sein, aber nicht etwa in dem Sinne, den Schelling dem spinozistischen Sein als ein Ruhen Gottes unterstellt, sondern als die Beziehung alles Lebens zu einer Einheit, aber auch nicht in dem Schellingschen Sinne, daß es zur Parteinahme für Theorie oder Praxis zwingt, sondern ,Sein' in jenem einzigen Sinne des Wortes, der höher als phänomenologisches Sein ist, zu dessen Verständnis erst ergänzend das Handeln treten muß. Gerade indem Hölderlin den obersten Begriff von jeder näheren Bestimmung frei macht, sah er weiter als seine Genossen Schelling und Hegel, die mit wachsendem systematischen Bedürfnis immer doktrinärer wurden, während Hölderlins Schönheitsevangelium der eigentliche adäquate begriffliche Ausdruck für Goethes Weltanschauung ist, die unserer Zeit maßgeblich wurde." (393/94) Hölderlin soll in der Heraklitschen Formel von dem ,einen in sich selbst Unterschiedenen', an der sich die synthetische Bestimmung des Ideals der Schönheit herauskristallisiert, das Losungswort für die „Absage an das einseitige Fichte-Schellingsche Postulieren" gefunden haben. (396/97) Hölderlins Idee der Schönheit steht also im Zentrum von Böhms sich anschließender Interpretation des Systemprogramms. (398 ff.) In Abwand-
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lung des Rosenzweigwortes, daß keiner „im Jahre 1796 das Wort vom Ideal der Schönheit so gebrauchen (konnte, F.-P. H.) wie Hölderlin" und daß „Schönheit . . . sein letztes Wort (blieb, F.-P. H.), wie es sein erstes war" (398), weist Böhm darauf hin, daß der „ästhetische Akt", von dem der Verfasser des Programms spreche, mit dem von Hölderlin projektierten vereinigungsphilosophischen Zusammenschluß des Theoretischen und Praktischen im Ideal der Schönheit identisch sei. Aber auch schon die ethischen Überlegungen zu Beginn des Systemprogramms, in denen statt „des Primates (wie noch bei Schelling, F.-P. H.) die Koordination der praktischen Vernunft" gefordert werde, sollen eigentlich von Hölderlin stammen. Denn die einleitend postulierte Ethik soll nicht ein einseitig praktizistisches Handeln, sondern das für Hölderlin typische vereinigungsphilosophisch gedachte reine Sein akzentuieren, in dem die theoretische und praktische Vernunft sich wechselweise ergänzen: Hölderlins „Schönheitssystem (bedeutet) die Erneuerung der prästabilierten Harmonie des Leibniz als Ausdruck des Lebens". (401) Entsprechend liest Böhm das ganze Systemprogramm als eine „Phänomenologie der Schönheit" (402), in der die von Jacobis Spinozarezeption beeinflußte creatio ex nihilo für die Einheit des theoretischen und praktischen Vermögens im Absoluten einstehen soll. Aber auch der naturphilosophische Gedanke der Handschrift wird der Schönheitsperspektive „der Frankfurter Hyperionvorrede" unterstellt, in der es heißt, daß wir ohne die „Schönheit" nicht „strebten", „die Natur mit uns zu vereinigen". (403) Die Natur, so Böhm, werde von Hölderlin generell unter dem Gesichtspunkt des die Gegensätze vermittelnden Ideals der Schönheit expliziert; sie trete dem vom Kritizismus einseitig hervorgehobenen moralphilosophischen Postulat in der Mittlerposition des ästhetischen Ideals gleichberechtigt zur Seite. Auch das im Systemprogramm thematisierte „Menschenwerk" mit seinem betont revolutionären Pathos soll dem „Menschheitsschwärmer" Hölderlin von Jugend auf geläufig gewesen sein. Hiermit hänge Hölderlins durch Helvetius angeregte Kritik der Staatsmaschinerie zusammen, aber auch der alte „Stiftlerhaß gegen die Orthodoxie" halte sich bis in den „Empedokles" Hölderlins durch, gepaart mit dem Ausblick auf eine dem „Ideale menschlicher Gemeinschaft" verpflichtete „Volkserziehung" (407), die wiederum von der Einheitskonzeption der Schönheit her gesehen werde. Und schließlich habe Hölderlin die Ideen der „Philosophie, Kunst und Religion" als ,Dokumente' aufgefaßt, „in denen sich die absolute Schönheit" ,offenbaren' sollte. Mittels dieser drei,Organe' erfasse „der menschliche Geist die ewige Schönheit" (408) und weil das zentrale Anliegen des Dichters eben jene Schönheit sei, deswegen realisiere
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sich in ihm die außerordentliche Würde des einheitstiftenden Dichterberufs. In der Abschlußformel des Systemprogramms vom „Monotheismus der Vernunft und des Herzens, (dem) Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst" aber findet Böhm „die schönste Zusammenfassung der ganzen Hölderlinschen Denkweise". (409) Dieser Polytheismus, indem er „eine mythologische Phänomenologie" des absoluten Schönheitsideals anstrebe, gebe die ,ursprünglichsten' „Forderungen seiner (Hölderlins, F.-P.H.) ästhetischen Weltanschauung" (411) wieder. Und außerdem sei „diese mythologische Vernunftreligion für ihn das wichtigste Band der großen Volksgemeinschaft" gewesen (411), in der wiederum „die Schönheit Königin" sein sollte. (412) Wenn Schelling aber in dem von Rosenzweig für seine Beweisführung als entscheidend eingestuften,Mysteriumsbrief' vom 12.3.1796 für den esoterischen Initiationsritus Partei ergriff, der nur dem Würdigen in die Philosophie einzutreten erlaube, dann sieht Böhm hierin einen so „tiefgreifenden Unterschied gegen die Hoffnung des ,Programms' auf allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister, daß Rosenzweig nicht hätte versuchen dürfen, ihn durch einen langsichtigen Wechsel auf Schellings mythologische Zukunft abzugleichen". (414) Außerdem aber sei der von Rosenzweig herangezogene Brief Schellings „an Niethammer vom 22. Januar 1796" 17 auch nicht von der Beweiskraft, die Rosenzweig ihm zuerkennen möchte. Denn erstens sei die dort von Schelling projektierte Ethik sozusagen sein durchgängiges Thema gewesen, und zweitens war das Interesse an der ,Bearbeitung der KrU' und der,Philosophie der Geschichte der Menschheit' eine nicht nur für Schelling charakteristische „Allgemeintendenz" dieser Zeit. Drittens aber gehe aus der Tatsache, daß dieser Brief an erster Stelle die geplante Ethik nenne, hervor, „daß es sich nicht um die ästhetische, sondern um die teleologische Urteilskraft" handeln sollte. Diese Beschränkung auf die Moralphilosophie vertrage sich jedoch nicht mit „dem enzyklopädischen Weitblick des Textes". (414) Hatte Cassirer in dem Systemprogramm eine ,energische Zusammenfassung' Hölderlinschen Gedankenguts durch Schelling gefunden, dann besteht Böhm abschließend darauf, daß nicht nur die Gedankenwelt, sondern auch die geschlossene Systematik des Manuskripts „Hölderlins Konto" gutgeschrieben werden müsse. Denn „Hölderlins Theorie des philosophischen Systems", indem sie einerseits zwar gegen die Einseitigkeiten der aus einem
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Vgl. hierzu auch S. 38 f. und A n m . 7 des laufenden Abschnitts.
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Prinzip deduzierenden Kritischen Philosophie gerichtet war, hatte andererseits jedoch das systematisierende „Ideal der Schönheit" zu ihrem Vorbild. Dieses ästhetische Ideal soll für das gesamte Systemprogramm beispielhaft und richtungweisend, es soll, wenn man Böhm glauben darf, der alles umfassende „Mittelpunkt" gewesen sein. Daß es sich entsprechend bei diesem ästhetisch dominierten Text um eine Abschrift Hegels von einer fremden Vorlage handeln muß, ist nach Böhms Ansicht genauso evident wie die Tatsache, daß Hegel einer derjenigen gewesen ist, die der Absender ausdrücklich hat ansprechen wollen. Daraus, daß Schelling und Hölderlin sich im April des Jahres 1796 in Frankfurt getroffen haben, zieht Böhm den Schluß, daß „Schelling den Text aus Hölderlin herausgeholt hat". (417) Nun sei es erstens möglich, daß Hölderlin den Entwurf selbst geschrieben habe, um ihn daraufhin Hegel zuzusenden „mit der Bitte, ihn nach Kenntnisnahme an Schelling weiterzuschicken... Daß Hegel Hölderlins Bitte, den Text an Schelling weiterzuschicken, zu erfüllen beabsichtigte, ginge dann aus der Abschriftnahme hervor". (419) Zweitens aber sei als wahrscheinlich anzunehmen, „daß Schelling das Manuskript schon von Frankfurt mitgenommen und es Hegel mit der Bitte um Rückgabe zur Abschrift gesandt" habe. (419) Böhm entscheidet sich für die zweite Variante und geht noch einen Schritt weiter mit der Behauptung, Hölderlin habe Schelling den Text in die Feder diktiert. Anders nämlich ließe sich nicht der redehafte Gesamteindruck, den das Manuskript hinterlasse, begreifen, das übrigens nicht, wie noch Rosenzweig behauptet hatte, von dem „Unfehlbarkeitsgefühl" des Verfassers Zeugnis ablege, sondern viel eher von einem ,labilen Selbstbewußtsein', „das zu seiner Durchsetzung der äußersten Anstrengung seines Trägers" bedürfe. (420) Trotz dieser skeptischen Schlußbetrachtung kommt Böhm zu dem Ergebnis, daß Hölderlin nicht nur ein systematischer Denker war, sondern daß er sowohl Schelling, als auch Hegel maßgeblich beeinflußt hat, bzw. dem einen wie auch dem anderen „vorangegangen" ist. In Abwandlung einer Sentenz Schillers heißt es: „Man hat es ja schon immer empfunden, aber doch nicht gewagt, zu begründen, daß hier der Philosoph tatsächlich durch das Morgentor der Dichtung in das Land der Erkenntnis gedrungen ist." (425)
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Ludwig Strauß (1927)18 Indem Ludwig Strauß Rosenzweig seinen Dank für die von jenem bereitgestellte „Photographie der Hegeischen Handschrift" und auch für „manchen wertvollen Hinweis" abstattet (680, Anm. 2), macht er umgekehrt gleich eingangs darauf aufmerksam, daß der Titel seiner Studie „den Widerspruch gegen das Resultat von Wilhelm Böhms Untersuchung" (679) ausdrücken soll. Nicht allein viele Einzelbefunde der Böhmschen Abhandlung, sondern auch die Methode als Ganzes will Ludwig Strauß einer eingehenden Kritik unterziehen. Wenn Böhm sich hauptsächlich den Inhalten „von Hölderlins philosophischem Denken" zugewandt hatte, dann, so meint Strauß, sei es „zur Feststellung der Autorschaft des Systemprogramms" genauso wichtig, sich dem Stil und dem Lebenszusammenhang, aus dem dieser Text hervorgegangen ist, zu widmen. Generell merkt Strauß zu Böhms Interpretationsversuch an, daß dessen Ansatz, Hölderlin als einen philosophischen Systematiker vorzustellen, „unter dem Mangel an Material" leide. (684) Auf Grund dieser Mangelsituation sei Böhm dazu gezwungen gewesen, teils frei zu kombinieren, teils „schwach gegründete Deutungen" für wissenschaftlich absicherbare Einsichten auszugeben. Wenn aber „der Dichter Hölderlin nun einmal wichtiger ist als der Philosoph Hölderlin" (684), dann muß erstens äußerste Vorsicht walten bei dem Versuch, abstrakt philosophische Begriffe aus den dichterischen Manifestationen Hölderlins abzuleiten, und zweitens müsse man sich hüten, „Ursprung und Wesen der Dichtungen in der Philosophie zu suchen". (684) Hölderlin hatte, nach Strauß' Einsicht, von den Anfängen seiner geistigen Biographie an ein gebrochenes Verhältnis zur Philosophie, er war nie, wie Böhm es noch unterstellt hatte, ein Philosoph unter Philosophen. Die Philosophie zog ihn zwar immer wieder zu sich hin, aber ebenso groß war auch Hölderlins Widerstreben, sich ihr ganz hinzugeben. Schon seine Fichtebegeisterung der Jenaer Zeit war nicht ganz vorbehaltlos, denn wenn er auch einerseits dem revolutionären Heroismus der praktischen Philosophie Fichtes seine Anerkennung zollte, so widerstrebte ihm doch das Resultat derselben. Wenn sie die Natur nur als einen bloß „notwendigen Widerstand . . . des freien Geistes" (682) gelten ließ, dann war es umgekehrt
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Ludwig Strauß, „Hölderlins Anteil an Schellings frühem Systemprogramm", in: DVjs., 5. Jahrg., Bd.V, Halle/Saale 1927, S. 679-734.
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Hölderlins Bestreben, mit der lebendigen Natur in Eintracht zu leben und sich ihr anzuvertrauen. Genau dieses Bestreben Hölderlins ist es, was „Fichte und Schelling damals grundfremd war und das von Schillers Versuchen, über Kants moralischen Rigorismus hinauszukommen, schon durch die entschiedene Richtung auf die nach Schiller leblose äußere Natur als auf ein Lebendiges unterschieden ist". (682) Verschiedene Dokumente sollen darauf hinweisen, daß Hölderlin sich nicht nur in schwankenden, tendenziell depressiven Stimmungslagen der Philosophie als eines ,Elendenasyls' (686) zuwandte, sondern daß vielmehr die philosophische Arbeit selbst es gewesen sei, die ein ums andere Mal diese seelische Niedergeschlagenheit bei Hölderlin allererst hervorgerufen habe. Am 4. September 1795 schreibt Hölderlin an Schiller, daß „das Mißfallen" an sich selbst und an dem, was ihn umgibt, ihn „in die Abstraktion hineingetrieben" habe. Anfang November desselben Jahres schreibt er an Neuffer: „Jetzt habe ich wieder zu Kant meine Zuflucht genommen, wie immer, wenn ich mich nicht leiden kann". (686) Diese eindeutige Verwandtschaft zwischen innerer Zerrüttung und aus N o t geborenem philosophischen Bedürfnis soll sich über die Jahre hin fortgesetzt haben, denn noch im Januar 1799 rechnete Hölderlin in einem Brief an seine Mutter schonungslos mit dem philosophischen Engagement der letzten Jahre ab. In diesem Bekenntnisbrief spricht Hölderlin davon, daß die Philosophie es gewesen sei, die „tiefen Unfrieden und Mißmut" in ihn „gebracht habe", daß sie ihn, je länger, je mehr, immer „friedensloser und selbst leidenschaftlich" gemacht habe, um ihn schließlich von seiner „eigentümlichen Neigung" immer mehr abzuziehen und zu entfremden. (687) Aus all dem und aus beliebig vermehrbaren einschlägigen Briefen und Mitteilungen an Freunde spricht nach Strauß' Ansicht die innere Reserviertheit und Distanziertheit, die für alle spezifisch philosophischen Versuche Hölderlins charakteristisch gewesen sein soll. Entsprechend sei es auch kein Zufall, daß die philosophischen Anläufe Hölderlins insgesamt fragmentarisch geblieben sind; nicht e i n philosophischer Plan sei jemals vollendet worden. Und das wiederum begreife sich, so Strauß, daraus, daß Hölderlin immer dann, wenn „er seine Zeit und Kraft an Philosophie wandte", sich gleichzeitig immer mehr von seiner eigentlichen Berufung, dem „lieben Geschäfte" der Dichtung, entfernt habe. Die „philosophische Arbeit" soll „von der dichterischen" himmelweit unterschieden gewesen sein und zwar deswegen, „weil sie eine völlig andere Bewußtseinslage voraussetzte". (688/89) Der Abstraktionsgeist der Philosophie stand immer wieder dem religiös-poetischen Anliegen, den „,mehr als notwendigen (freien) innigeren Zusammenhang des Lebens (mythisch, F.-P. H . ) zu denken'" im
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Weg. (689) Deswegen aber sei es umgekehrt nicht statthaft, aus diesen ,religiösdichterischen Erkenntnisformen' (690) philosophische Begriffsbildungen zu abstrahieren, wie es bei Böhm freilich ein ums andere Mal geschehen ist. „Die problematische Situation" von Hölderlins Philosophieren „macht eine Vollendung einzelner Arbeiten von vornherein so unwahrscheinlich wie sie den Plan eines umfassenden Systems unglaubhaft macht." (691) Abgesehen aber davon, daß der Abstraktionsgeist der Philosophie Hölderlins poetischem Bemühen um die „Totalität des religiösen Lebens" im Wege stand, so war auch die für das philosophische Denken typische philosophische Sprache, in der „eine isolierte geistige M a c h t . . . das Gesetz" (691) gibt, dem Hölderlinschen Wesen fremd. Im Gegensatz zu Hölderlin, dessen Stil die zwar immer vorhandene ,logische Struktur' „durch ein Verhülltlassen und nur tastendes Hindeuten" immer wieder verdeckt, war es vielmehr Schelling, der „das Zwanghafte der logischen Folgerung mit herrischer Freude" hervorhob. N u r Schelling entfernte sich immer wieder von der temperierten „Mittellage des philosophischen Stils . . . durch lustvolles, energisches Ubersteigern", während bei Hölderlin der logische Fortgang „durch Leiden gehemmt" erscheint. (692) Wenn also Schellings Sprache einerseits „die logische Gliederung gleichsam im Skelett sichtbar werden" ließ, und wenn er andererseits immer wieder dazu neigte, jene Mittellage im Stile euphorischen Freiheitsgefühls zu durchbrechen, dann sind dies zwei auch für die Sprachgebung des Systemprogramms charakteristische und verbindliche Züge. Die in der Handschrift feststellbare „Häufung . . . durchsichtig gegliederter Sätze" ist „in Hölderlins philosophischer Prosa beispiellos"; genauso beispiellos, wie „das schneidige Schlag-auf-Schlagfallen der Behauptungen", da doch Hölderlins „Stil fast immer die Spuren eines edlen Zögerns, in der philosophischen Prosa die eines schweren Zauderns" zeigt. (693) All das, was sowohl das Systemprogramm, als auch der Schellingsche Gestus an Typischem zeigt, soll Hölderlin von Grund auf fremd gewesen sein. Weder findet sich bei ihm „Diktatorenfreude", noch „die Neigung, das Kategorische und Ausschließliche seiner Behauptungen recht kräftig zu betonen". (693) Wenn Böhm „das von Rosenzweig mit Recht festgestellte Unfehlbarkeitsgefühl", wie es sich im Systemprogramm manifestiert, gegen ,„Hölderlins labiles Selbstbewußtsein'" meinte austauschen zu müssen, dann kann es sich, so Strauß, bei dieser unterstellten „Labilität" nur um die „latente Labilität aller Tyrannis" handeln. (694) Aber auch in den von Böhm herangezogenen Briefen Hölderlins an seinen Bruder, ebenso wie in dem ,Brieffragment' „Hermokrates an Cephalus", findet sich nirgends der
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für das Programm so überaus charakteristische „rasche, stramme Wortschritt, die betonte Schärfe der Behauptung, die Neigung zum kurzen, hämmernden Satz". (694) Hier wie auch sonst neigt Hölderlin viel eher zu halber Behauptung, zaudernder Frage und bagatellisierender Einschränkung. - Ein ausführlicher Vergleich typisch Hölderlinscher und Schellingscher Stilelemente und Wortverbindungen mit denjenigen des Systemprogramms läßt Strauß schließlich zu dem definitiven Ergebnis kommen, daß nur Schelling als Autor des Programms in Betracht komme. Denn, so die inzwischen klassische Formel, „das Systemprogramm im Kopf, Hölderlin lesen, heißt soviel wie Mozart spielen und Brahms dazu singen". (695) Annähernd alle Sätze des Systemprogramms sollen „aus Schellingschen Sprachelementen konstruierbar" sein (696) und diese Parallelen werden in einer sich anschließenden vergleichenden Tabelle (696-701) ausführlich gewürdigt. In einem nächsten Schritt will Strauß „den Inhalt des Systemprogramms in seinem Zusammenhang mit Schellings und Hölderlins philosophischer Entwicklung . . . untersuchen und auch die unmittelbaren biographischen Bedingungen seiner Entstehung . . . überprüfen". (703) Dadurch soll dann schließlich auch Klarheit darüber hergestellt werden, inwieweit Hölderlin „Schellings Systemplan und damit (auch) seine ganze künftige Philosophie" wirklich beeinflußt hat. Diesen Einfluß „in vollem Umfang deutlich gemacht zu haben, (bleibt) Böhms hohes Verdienst". (703) Böhms Kardinalfehler besteht freilich nach Strauß darin, Hölderlin als Systematiker der Philosophie überpointiert zu haben, wenn er ihn schon im Oktober 1794 die für sein späteres Denken maßgeblichen Einsichten finden ließ. Dies sei aber vor allem deswegen geschehen, um die Eigenständigkeit von Hölderlins geistiger Entwicklung behaupten- und den entscheidenden nämlich erschütternden - Einfluß Fichteschen Denkens auf Hölderlin während der Jenaer Zeit leugnen zu können. N u r sehr langsam habe sich Hölderlin danach, so Strauß' gegenteilige Position, vom extremen Praktizismus Fichtescher Provenienz losgelöst und nur stockend sei es ihm gelungen, an die Stelle des Fichteschen Subjektivismus das theoretisch-praktisch vermittelte, in unendlichem Fortschritt sich entwickelnde ästhetische Ideal zu setzen. Es sei nicht von allem Anfang an, im Sinne einer autonomen intellektuellen Leistung Hölderlins, existent, sondern habe sich in jahrelanger Auseinandersetzung mit der einseitigen Kant-Fichteschen
Position
mühsam herauskristallisiert. Dies zeige sich wiederum daran, daß Hölderlin noch in dem Fragment „Uber den Begriff der Strafe" (Frühjahr 1795) seine Kritik an den „Feinden der Prinzipien" mit den Mitteln des „rein morali-
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stisch" verstandenen Kantischen „Sittengesetzes" bestreitet. Dieses D o k u ment sei folglich nichts weiter als eine praktisch fundierte, „gute kritizistische Schularbeit" (708) Hölderlins und bei weitem nicht das, was Böhm aus ihm meinte machen zu müssen: Einen Versuch, theoretische und praktische Vernunft im ästhetischen Ideal vereinigungsphilosophisch zusammenzufassen. Selbstverständlich will Strauß nicht die Selbständigkeit des philosophischen Denkens Hölderlins abstreiten', aber im Gegensatz zu Böhm, der „für Hölderlins selbständige, stetige und früh schon reife philosophische Entwicklung" plädiert hatte, will er den Beweis dafür erbringen, daß Hölderlins Denken nur „langsam, mühsam", unter „Einflüssen und Irrungen" sich fortentwickelt habe. (709) Für die Richtigkeit dieser Behauptung soll nicht zuletzt Hölderlins generell skeptische Haltung gegenüber dem „systematischen Denken" sprechen. Wenn Schelling in einen „Freiheitsjubel" darüber ausbrach, „daß in keinem Systeme der schöpferische Geist gefangen werden könne", dann steht dieser „Systemfreude" Schellings ein ,bald latenter bald offener Wissenschaftspessimismus' seitens Hölderlin gegenüber. (710) Und wenn auch Hölderlin vorübergehend immer wieder eine tendenziell positive Haltung zum „wissenschaftlichen Denken" einnahm, dann wird dennoch „der unbeirrte Ton der Zuversicht eigener Herrschaft über das ganze Gebiet der Philosophie, in dem das Systemprogramm s p r i c h t , . . . aus den Gehalten von Hölderlins Philosophie, die eben immer von jener tragisch gestimmten Skepsis bedroht sind, so wenig erklärlich wie aus seinem Verhältnis zur Philosophie überhaupt". (710) V o r dem Hintergrund dieser Erkenntnis nimmt Strauß die Detailinterpretation des Systemprogramms in Angriff. Einerseits geschieht dies immer im Hinblick auf Schellings und Hölderlins philosophische Position, andererseits aber argumentiert er, bis auf eine Ausnahme, m i t den Ergebnissen Rosenzweigs g e g e n Böhms Einzelauslegungen. Im Gegensatz zu Hölderlin, der nie ein Programm für eine künftig auszuarbeitende Ethik entworfen hat, soll Schelling schon seit Anfang des Jahres 1795 dieser Plan beschäftigt haben. Schon in dem Brief an Hegel vom Dreikönigsabend 1795 (also dem 6. und nicht, wie Strauß schreibt, dem 5. Januar) taucht der Gedanke einer geplanten „Ethik ä la Spinoza" das erste Mal auf, um sich dann kontinuierlich bis zu dem Januarbrief vom 2 2 . 1 . 1 7 9 6 an Niethammer durchzuhalten. 1 9 „Aus den Zeugnissen (die Strauß noch um die Vorrede der Schrift ,Vom Ich' und den Februarbrief Schellings an Hegel
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Vgl. hierzu die A n m . 7 des laufenden Abschnitts.
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komplettiert [1795], F.-P. H.) geht hervor, daß in der neuen Ethik ein umfassendes (praktisch motiviertes, F.-P. H.) System im Sinne des Programms erstehen sollte." (711) Hölderlin dagegen sei nie versucht gewesen, den praktischen Teil der Philosophie so eindeutig an die Spitze des die Einheitsdimension thematisierenden ästhetischen Ideals zu stellen. Er habe nie wie späterhin Schelling (1796/97) „das theoretisch-praktische Ganze gleichsam unter praktischer Flagge" (712) segeln lassen, sondern die praktische Komponente sei von ihm der theoretischen schon sehr früh, Anfang 1796, parallel gesetzt worden. Wenn also der Verfasser des Programms die auf Kant zurückgehende Forderung stellt, daß alle „metaphysischen Ideen" künftig den Charakter von praktischen Postulaten haben sollen, dann „kann . . . mit dem ,System aller Ideen' nicht eine ,Ethik des reinen Seins' gemeint sein, wie sie Böhm als Hölderlinisch konstruiert". Sondern bei diesem projektierten System kann es sich einzig um die von Kant inaugurierte „Moral" der praktischen Vernunft handeln, „in deren Bereich nun auch alles Sein fällt, wie, in andrer Weise bei Fichtes Wissenschaftslehre von 1794". (713) Dieser Kant-Fichtesche Primat des Praktischen soll aber genau Schellings Position zu dem fraglichen Zeitpunkt markieren, was, so Strauß, schon durch Rosenzweig bewiesen worden sei. Darüber hinaus habe Rosenzweig herausgefunden, daß „Schelling schon Ostern 1796 (noch vor der mutmaßlichen Entstehungszeit des Programms, F.-P. H.) seine naturwissenschaftlichen Studien" begonnen habe. (714) Sie sollen, wiederum nach Rosenzweig, unter dem Vorzeichen einer moralphilosophisch akzentuierten Konstruktion der Natur, wie sie auch vom Verfasser des Systemprogramms gefordert wurde, gestanden haben. Außerdem sei der Schöpfungsgedanke der Handschrift - die creatio ex nihilo - nur von Schelling und nie - wie Böhm will - von Hölderlin in dieser allgemeinen, verwegen praktischen Bedeutung gebraucht worden. N u r Schelling habe sich „die Fichteschen Ansätze" zueigen gemacht, wenn er, parallel zur Formulierung des Systemprogramms, in dem „die Natur nur als Stoff des,moralischen Wesens'" akzeptiert wird, im „§ 8 der Naturrechtsaphorismen" die Forderung aufstellt, „daß ,ich . . . die Natur nur nach moralischen Gesetzen regieren' soll". (715) Hölderlin dagegen soll - so Böhm - auch schon zu dem damaligen Zeitpunkt (1796) den herrisch-kühlen praktischen Einfluß des Ich auf die Natur zugunsten „,der Offenbarung der („weiten, frohen", F.-P. H.) Natur'" aufgegeben haben. In den geschichtsphilosophischen Passus des Systemprogramms soll nach Strauß ebensowenig typisch Hölderlinsches Gedankengut eingegangen sein. Abgesehen davon, daß „der hier besonders scharfe Diktatorenton"
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Hölderlin zeitlebens fremd geblieben ist, so hat er auch nie eine derart ablehnende Position dem Staat gegenüber eingenommen, sondern im Gegenteil immer wieder mit Humboldt und Schiller darauf hingewiesen, daß es die Aufgabe des Staates sei, „um den lebendigen ,Kern'" menschlicher Freiheit eine „schützende ,Hülse'" zu legen. N u r Schelling stand, wie wiederum Rosenzweig gezeigt habe, dem Staat prinzipiell verneinend gegenüber, und zwar deswegen, weil der Staat, wie es der Tendenz nach im Systemprogramm heißt, „notwendigerweise ins Gebiet der Freiheit verderbend eingreifen muß". (716) Außerdem zeige der Brief vom 22.1.1796 an Niethammer, daß Schelling sich (ebenso wie der Verfasser der Systemskizze) die Aufgabe gestellt hatte, eine ,Philosophie der Geschichte der Menschheit' zu schreiben, wofür sich bei Hölderlin einmal mehr kein Hinweis finden lasse. Und außerdem gäbe es auch kein Dokument, aus dem hervorginge, daß Hölderlin jemals in den Kampf gegen die religiöse Orthodoxie eingetreten sei. N u r Schelling habe „zur Entstehungszeit des Programms" gegen die noch hautnah miterlebte Orthodoxie der Tübinger „Priesterphilosophen" „mit zähem Grimm" gestritten, wie die einschlägigen Briefe an Hegel und Niethammer beweisen sollen. Schließlich aber sei auch nach Böhm die emphatische Forderung des Verfassers, ,Gott und Unsterblichkeit' fortan nur noch in sich selbst zu suchen, „von Schellingscher Art". Denn Hölderlin, „der schon im metrischen Hyperionfragment das Recht verfochten hatte, außen wie innen die begegnende Gottheit zu ehren, war nun der,Seele der Natur' allzu schmerzlich-selig inne geworden, um noch so sprechen zu können". (717) Strauß weiß sich folglich mit Rosenzweig darin einig, daß die bis zu dieser Stelle nachvollzogene Gedankenwelt der Handschrift mit dem „damaligen Stand von Schellings Philosophie" identisch ist, während Hölderlins intellektuelle Biographie bis auf einige wenige Ausnahmen sich „in vollem Widerspruch" zum geistigen Horizont des Programms befindet, oder ihm gleich ganz „beziehungslos" gegenübersteht. (718) Eine Ausnahme freilich bilden die ästhetischen Eingangsüberlegungen des Systemprogramms und hier ist es auch, wo Strauß die Einsichten Rosenzweigs unter Zuhilfenahme des Böhmschen Interpretationsansatzes modifizieren möchte. 20 Die an dieser Stelle konstatierte „Abschlußstellung 20
Vgl. hierzu auch noch das von Dieter Henrich und Christoph Jamme herausgegebene Buch Jakob Zwillings Nachlaß. Eine Rekonstruktion (Mit Beiträgen zur Geschichte des spekulativen Denkens), Hegel-Studien, Bh.28, Bonn 1986, S. 42. Hier besonders folgende Stelle aus dem Jerusalemer Strauß-Nachlaß, der in diesem Beiheft der Hegel-Studien erstmals veröffentlicht worden ist: „Die Zwillingschen Entwürfe vom 26. April 1796 berühren aber auch
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der Schönheit" soll in der Tat ureigenstes Gedankengut Hölderlins in den Jahren 1795/96 sein, während Schelling, wie man bislang immer annahm, diese theoretische Position erst erheblich später bezog. Also stellt sich nach Strauß die Frage, ob und wenn ja, auf welche Weise sich Schelling diese zentrale Einsicht Hölderlins angeeignet hat. Wenn die Forschung bis dato immer davon ausgegangen war, daß sich Hölderlins Einfluß auf Schelling erst in dessen kunstphilosophischen Überlegungen des Systems des transzendentalen Idealismus (1800) niedergeschlagen habe, dann plädiert Strauß dafür, daß „die Einwirkung Hölderlins auf Schelling erheblich früher anzusetzen" sei, indem nunmehr „der ästhetische Teil des Systemprogramms als ihr erstes großes Dokument zu betrachten ist". (719) Die Möglichkeit gedanklichen Austauschs zwischen Hölderlin und Schelling war ja in dem fraglichen Zeitraum zweimal unmittelbar gegeben: im „Sommer und Herbst 1795" und dann im Frühjahr 1796 in Frankfurt. Außerdem aber hatte sich Schelling, was Rosenzweig überzeugend nachgewiesen haben sollte, schon zu dieser Zeit selbsttätig und kontinuierlich, und nicht, wie von Böhm behauptet, „rein meteorisch", mit dem ästhetischen Problem der „Mittlerrolle der Einbildungskraft zwischen theoretischer und praktischer Vernunft" (721) auseinandergesetzt. Eine abschließende Formulierung habe dieser Schelling schon von langer Hand her vertraute Themenkreis dann im System des transzendentalen Idealismus gefunden. Schon im Frankfurter Frühjahr aber soll Schelling „Hölderlins mächtig lebensvolles Schönheitsideal mit Leidenschaft" ergriffen haben, um in ihm „die Elemente der eigenen Philosophie mit einem raschen Blick zur Einheit zusammenschießen" zu sehen. (722) Folglich werde auch in diesem Kontext die von Rosenzweig vorgeschlagene Datierung der Handschrift (Frühjahr 1796) in hohem Grade wahrscheinlich. Für die sich an diesen Passus über die Idee der Schönheit anschließenden mehr polemischen Ausführungen soll sich nach Strauß keine eindeutige
Gedanken, die gerade damals Hölderlin wie Schelling besonders beschäftigten: so die Abschlußstellung der Ästhetik innerhalb der Philosophie (...) Wie dort (sc. im Systemprogramm) ist bei Zwilling der Einbildungskraft eine entscheidende Stelle zugewiesen, wie dort der ,Ästhetische Gesichtspunkt' der höchste. Das ,Eins', das nur der .Empfindung' gegeben ist, und die .Trennung', welche die ,Reflexion' vollzieht, treffen in ihm zusammen." - Jamme übrigens faßt in seinen einleitenden Betrachtungen Strauß' Position im Streit um den fraglichen Verfasser wie folgt zusammen: „Strauss ... nahm . . . im Streit um die Verfasserschaft des von Rosenzweig entdeckten Systemprogramms aktiv gegen W. Böhm und für Rosenzweig Stellung: nur Schelling, nicht Hölderlin könne der Verfasser sein, wenn auch Hölderlinsche Einflüsse nicht zu leugnen seien. Uber diese Fragen hat er dann mit Rosenzweig in Briefen diskutiert." (S. 12) Zu dieser Korrespondenz über das Systemprogramm vgl. auch den „Ausklang der ersten Periode" überschriebenen Abschnitt der vorliegenden Arbeit.
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Priorität, weder im Sinne Rosenzweigs, noch in demjenigen Böhms, feststellen lassen. Allerdings deute der polemische Gestus dieses Abschnitts eher auf Schelling als auf Hölderlin hin. Und außerdem sei es sehr unwahrscheinlich, daß der Dichter Hölderlin die im Systemprogramm thematisierte Vorbildfunktion der Dichtkunst für die Philosophie vertreten haben soll. So könne nur ein ex professo Philosoph wie Schelling reden, „dem etwas am Wesen des Dichters als für den eigenen Bereich beispielhaft aufgegangen" sei. (724) Die im mythologisch-religionsphilosophischen Schlußabschnitt des Programms anklingende „Prioritätsfreude" schließlich soll im Gegensatz zu Hölderlin, dem „die Hervorhebung des Neuen an seinem Schaffen" immer fern lag (726), nur für Schelling typisch sein. Böhm nun meinte einen Widerspruch finden zu müssen zwischen den volksaufklärerischen Tendenzen des Systemprogramms und jenem Brief Schellings vom 12.3.1796 an Obereit, in dem er die Mysterien im Sinne eines geheimnistuerischen Initiationsritus verstanden wissen wollte, die entsprechend den Profanen den Eintritt in die Philosophie verwehren sollten. Strauß seinerseits reproduziert den schon von Rosenzweig vertretenen Gedanken, daß ja auch das Fragment in dem ästhetischen (zweiten) Abschnitt den Menschen ,ohne ästhetischen' Sinn das Begreifen der Ideen unmöglich mache und daß es folglich selbst schon den esoterischen Abgrenzungsgedanken postuliere. Wenn man also überhaupt an dieser Stelle von einem Widerspruch sprechen könne, dann nicht im Böhmschen Sinne, daß er zwischen „dem Programm und Schelling" bestehe, „sondern zwischen dem ästhetischen und dem mythologischen Teil des Programms selbst". (726) Der Widerspruch aber sei, so Strauß, gar kein wirklicher, sondern lasse sich sehr wohl, unter Berücksichtigung sonstiger Schellingscher Positionen, auflösen. Schon im Frühjahr 1795 nämlich, in der „Neuen Deduktion des Naturrechts", habe sich an die in einem ersten Schritt als notwendig erkannte esoterische Haltung des philosophischen Werks der Hinweis darauf angeschlossen, daß die zunächst in aller Strenge entwickelten philosophischen Gedanken in einem zweiten Schritt - modifiziert - dem Volk nahegebracht und verständlich gemacht werden müssen. Die ,absolute Freiheit aller Geister' soll also auch in dieser Schrift, in genauer Parallele zu den Ausführungen des Systemprogramms, „durch die geforderte philosophische Volkserziehung bewußter Gemeinbesitz" werden. (727) Diese auf nachfolgende, zukünftige Popularisierung angelegte - , und das heißt: bloß als vorläufig angesehene anfängliche Esoterik der Philosophie soll Schelling immer wieder auch in anderen Zusammenhängen vertreten haben. Folglich gelte „die strenge Exklusivität, die Schelling immer wieder aufs Schärfste formuliert, nur für die Philosophie in abstracto..., nicht für ihre Umsetzung
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in lebendige Wirkung, für den gegenwärtigen Zustand geistiger Unfreiheit des Volks, nicht für die erstrebte Zukunft". (727) Damit werde auch die von Rosenzweig für den Winter 96/97 in Erwägung gezogene Neubesinnung Schellings auf eine nunmehr esoterische Philosophiekonzeption hinfällig. Das ,procul profani' hat auch zu diesem späteren Zeitpunkt nicht „alles andere zurückgedrängt", sondern Schelling hat die der Freiheit verpflichtete Volkserziehung der Zukunft auch hier noch unverändert beibehalten, die freilich dann erst einsetzen sollte, „wenn die Akten der Philosophie geschlossen" sein werden. Schließlich aber, so Strauß, sei die antithetische Mythologiekonzeption des Systemprogramms mit Hölderlins Streben nach einer Einheit des religiösen Lebens unvereinbar. Bei Schelling dagegen waren diese in sich widersprüchlichen gedanklichen Zuspitzungen nicht allein Usus, sondern er hatte sich, wie bereits Rosenzweig zu zeigen in der Lage war, schon in der Schrift des Jahres 1793 „Uber Mythen, Sagen und Philosopheme der ältesten Welt" eine erste Konzeption der Mythologie erarbeitet und in den folgenden Jahren dann weiterentwickelt, die, in Ubereinstimmung mit derjenigen des Systemprogramms, den Mythos als eine sinnlich-symbolisch „verkleidete Begriffswelt verstanden" wissen wollte. In diesem Zusammenhang bestätigt Strauß nicht allein den von Böhm infragegestellten dokumentarischen Wert des Schelling-Briefes an Obereit vom 1 2 . 3 . 1 7 9 6 , sondern er zieht auch all jene auf Verwechslung beruhenden Konsequenzen aus diesem Mysteriumsbrief, die auch Rosenzweig schon aus ihm gezogen hatte. 21 Er soll „die Bejahung der Mythologie auch für die neue Philosophie" beinhalten. (728) Zwar habe Hölderlin „in seiner Jugendarbeit das Problem der Mythologie gestreift" (729), aber bei ihm deute der Mythos nicht auf eine hinter der symbolischen Einkleidung liegende begriffliche Wahrheit, sondern werde „als angedeutetes notwendiges Phantasiewachstum hingenommen". (730) Er ist nicht, wie bei Schelling, Mittel zum Zweck für eine indirekte, sei's willkürliche, sei's planmäßige Ideen- bzw. Begriffsdarstellung, sondern die mythologischen Gestalten führen bei Hölderlin ein autonomes poetisches Eigenleben. Hölderlin hat nie, wie der Verfasser des Entwurfs, „die Mythologie aus philosophischen Motiven abzuleiten" gesucht, er hat nie, wie Schelling, den „Gebrauch des Polytheismus" als ein künstlerisches und volkspädagogisches Darstellungsmittel' (730) verstanden wissen wollen. Die dem religiösen Thema verpflichtete Poesie sollte nach ihm immer die ganze und nie die
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Vgl. die entsprechenden Ausführungen des laufenden Abschnitts, S. 28 ff.
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partielle, nur bedingungsweise zu benennende Wahrheit ausdrücken. Mit einem Wort: Hölderlin hat nie den „allegorischen Charakter der Mythologie" (730), wie dies noch Böhm unterstellt hatte, akzentuieren wollen, sondern alle mythologischen Erscheinungen sind bei ihm immer „wirkliche und eigentliche Wesen". (731) Hölderlin „brauchte nicht,Ideen ästhetisch, d. h. mythologisch zu machen', um neue Götter zu finden, da ihm die uralten Götter in immer neuer Gestalt, ...,,begegneten'". Genauso „unvorstellbar ist von solchem Glauben aus auch, daß (wie im Systemprogramm, F.-P. H.) die neue Mythologie gefordert werden könnte; ihr künftiger Kult kann erschaut und ersehnt, aber sein Gegenstand nicht Programmpunkt oder gar erfordertes Mittel zu einem noch so hohen Zweck werden". (731) Schelling mag also, wie noch Cassirer gemutmaßt hatte, durch „Hölderlins Leben mit den Göttern" wieder an die Problematik der Mythologie herangeführt worden sein; aber dieser Anstoß wurde dann von Schelling einer charakteristischen Modifikation unterzogen. Denn was der Freund, quasi unmittelbar, erlebte, „dessen Schattenbild will Schelling mit der Macht des Willens und Gedankens zwingen". (732) An „Böhms biographischer Konstruktion" bemängelt Strauß endlich, daß Böhm aus dem in dem Brief Hölderlins vom 2. Juni 1796 an seinen Bruder benannten Vorhaben, philosophische Briefe für Niethammers Journal' zu schreiben, den Plan für ein System gemacht habe. Abgesehen aber davon, daß dieser Plan nie zur wirklichen Ausführung gelangt sei, wäre er unterstellt es handelte sich tatsächlich um einen Hinweis aufs Systemprogramm - für eine Zeitschriftenveröffentlichung ohnehin viel zu umfangreich gewesen. Das in der Handschrift gleich zu Anfang konzipierte vollständige System aller Ideen' hätte zumindest ein ganzes Buch nach sich ziehen müssen, wie es das von Schelling geplante ,Gegenstück zu Spinozas Ethik' hätte sein können, wenn man es sich nicht lieber gleich als die Arbeit eines ganzen Lebens - eines Philosophen und nicht eines Dichterphilosophen denken wolle. Außerdem sei die „von Böhm vorgesehene Möglichkeit, daß Hölderlin Schelling das Programm diktiert haben könnte, . . . ohne Beispiel in Hölderlins Produktion". (733) Und auch die andere Variante Böhms, daß nämlich Hölderlin auf Schellings Anregung hin nach dessen Weggang aus Frankfurt das Programm formuliert haben könnte wird mit der Begründung verworfen, daß für die rein Schellingsche Terminologie des Entwurfs dessen Gegenwart „bei der Niederschrift" unbedingt erforderlich gewesen wäre. Aber selbst die von Rosenzweig übernommene Hypothese Böhms, daß es sich bei dem Programmtext um eine Rede oder einen Brief handele, sei vor dem Hintergrund der nunmehr als gesichert anzunehmenden Verfasserschaft
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Schellings überflüssig. Denn Schelling habe auch in anderen Arbeiten die die Rede fingierende direkte Form der Anrede verwendet. Wenn also, so Strauß' Resümee, angesichts der beigebrachten biographischen, philosophischen und religiösen Gründe' „die Autorschaft Hölderlins bis zur Grenze negativer Gewißheit unwahrscheinlich" geworden ist, „so wird die Unwahrscheinlichkeit von philologischen Gründen zur Unmöglichkeit erhärtet. Dagegen glaube ich, Rosenzweigs philosophischen Nachweis von Schellings Autorschaft durch meinen philologischen solcherart bestätigt zu haben, daß die Autorfrage wiederum, und nun wohl endgültig, als gelöst gelten darf". (733/34) Dieser siegesgewisse Optimismus des Straußschen Epilogs sollte freilich schon sehr bald eine Ernüchterung erfahren. Denn noch im selben Jahrgang der DVjs erschien eine gereizte Erwiderung Wilhelm Böhms. Ganz besonders mag ihn hierzu die eine Ehrenrettung Hölderlins fingierende Schlußbemerkung von Strauß animiert haben, wenn dieser nämlich letztlich so tut, als sei es ihm gar nicht so sehr darum gegangen, den Programmentwurf für Schelling zu reklamieren, sondern vielmehr und ausschließlich darum, „das Bild Hölderlins" von (Böhmschen) Verstellungen frei zu halten, um so dem unverfälschten, nicht mehr durch wesensfremde Züge entstellten wahren Hölderlin wieder zu seinem Recht zu verhelfen. 22 Diese demonstrative subtil Unschuld heuchelnde - Bescheidenheit des Straußschen Resümees hätte Böhm durchaus als eine versteckte Attacke gegen seine Person werten können.
Wilhelm Böhm
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Wilhelm Böhm schließt sich zu Beginn seiner Gegendarstellung der Rosenzweig-Straußschen Behauptung von der enzyklopädischen Weite des Schellingschen Gedankenkreises zur Zeit der Niederschrift des Systemprogramms an, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß auch schon bei Hölderlin und Hegel dieser systematische Ansatz bis in deren Tübinger Studienzeit
22
Eine erkennbare Fortsetzung fand diese mit viel Rhetorik vorgetragene Ehrenrettung des .wahren' Hölderlin in der im Frühjahr 1929 abgeschlossenen, aber erst im Herbst 1933 publizierten Untersuchung Strauß' „Das Problem der Gemeinschaft in Hölderlins H y p e r i o n ' " , in: V o n Deutscher Poeterey, Bd. 15, Leipzig 1933, S. 17ff., 27 ff., 37, 50 u. passim.
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Wilhelm B ö h m , „Zum S y s t e m p r o g r a m m ' . Eine Erwiderung", in: D V j s . , 5.Jahrg., B d . V , Halle/Saale 1927, S. 7 3 4 - 7 4 3 .
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zurückreiche. Obwohl also auch Böhm nunmehr prinzipiell von der „Befähigung" Schellings überzeugt ist, „den Begriffsbestand des Systemprogramms zu umspannen" (735), bleibt er dennoch seinem früheren Standpunkt von der Autorschaft Hölderlins verpflichtet. Das entscheidende Problem stellt sich ihm so dar: Wenn der Anfang des Programms vom „Primat des Praktischen" her bestimmt ist, dann widerspricht dieser Priorität des Ethischen zu Beginn die in der Mitte behauptete Priorität des Ästhetischen. Für Schellings Autorschaft spricht der ethische Einleitungs-, für diejenige Hölderlins der ästhetische Schlußteil. Da aber Schelling letztlich erst im Jahre 1800 ein klar durchdachtes, dem Systemprogramm analoges Ästhetikkonzept vorlegen wird, deswegen sei es äußerst unwahrscheinlich, daß er den Text verfaßt hat. Hölderlin dagegen habe schon sehr früh jene „emphatische Behandlung des Ästhetischen", wie sie im Systemprogramm vorgetragen wird, zum ausschließlichen Thema seines Nachdenkens gemacht; der „metaphysische Begriff der ästhetischen Idee" liege „bei Hölderlin seit 1794 fest". (736) Aus dieser Gesamtlage habe sich dann aber auch für Strauß die Notwendigkeit ergeben, für den ästhetischen Teil des Programms einen entscheidenden Einfluß Hölderlins auf Schellings Philosophie zuzugeben. Gegen Strauß' extrem praktizistische Schellinginterpretation meint Böhm nun seinerseits, Schelling in Schutz nehmen zu müssen, wenn er darauf hinweist, daß das Schellingsche „Sollen" letztlich mit der Einheitsperspektive des Hölderlinschen,Seins' identisch sei. Dieser Tatbestand aber spreche, noch diesseits der umstrittenen Verfasserfrage, dafür, den ethischen Hinleitungsteil des Programms dem ästhetischen Ideal des Schlußabschnitts zu subsumieren. Für ihn nun habe freilich auch Strauß die Vorrangstellung Hölderlins anerkannt, so daß es eben doch „nichts Künstliches zu haben braucht", „pro Hölderlin" die These „eines akkommodierenden Gebrauches des Wortes ,Ethik'" (736) zu vertreten. Bestehen bleibt jedenfalls, daß Schelling sich erst sehr spät eine definitive Lösung zum Problem des ästhetischen Ideals erarbeitet hat und daß wohl erst dann, wenn der verlorengegangene erste Teil des „Bruchstückes" wieder aufgefunden werden sollte, die Frage nach der Gewichtung des Ethikabschnittes befriedigend gelöst werden könnte. Strauß' stilistische Erörterungen und Vergleiche verwirft Böhm mit dem Hinweis darauf, daß mangels einschlägigen Materials bei Hölderlin der Vergleich notwendig einseitig - pro Schelling - ausfallen müsse. Außerdem berücksichtige die Straußsche Tabelle hauptsächlich Schriften „aus der Zeit nach der Abfassung des Programms" (738) und darüber hinaus korrespon-
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dierten den Textzusammenhängen der linken Spalte nicht „entsprechende Zusammenhänge" sondern nur „Einzelwendungen" auf der rechten. Schließlich aber seien die meisten der dort aufgelisteten Begriffe Allgemeingut der Zeit gewesen. Entscheidend aber bleibt für Böhm die Frage nach „Hölderlins Verhältnis zur Philosophie". (739) Hölderlin habe nicht, wie Strauß unterstellt hatte, „den Begriff der Schönheit und des Ästhetischen nur zaghaft und zaudernd Schelling überliefert. . . . Wenn es für Schelling recht ist, ein Organ für das Wesen des Ästhetischen zu postulieren, das später systembildende Kraft entwickelt, so muß dies für Hölderlin billig sein". (739) Uber jeden Straußschen - Zweifel erhaben ist nach Böhm die Tatsache, daß Hölderlin sich ganz ausdrücklich philosophischen Fragen gewidmet hat. Und wenn Strauß Hölderlins Beschäftigung mit der Philosophie ausnahmslos an depressive Phasen rückbinden will, dann hat er nach Böhm übersehen, daß sich Hölderlin in diesen Stimmungslagen immer nur dem Kant-Fichteschen Kritizismus zuwandte, den er aber andererseits mit dem Heraklitschen Philosophem von dem Einen in sich selber Unterschiedenen, in dem sich das „innerste Lebensbedürfnis" Hölderlins ausdrücken soll, zu bekämpfen suchte. Insgesamt, so Böhms Kritik, habe Strauß nur diejenigen Quellen berücksichtigt, in denen sich Hölderlins distanziertes Verhältnis zur KantFichteschen Philosophie bekunde, während er die bei weitem umfangreicheren enthusiastischen vereinigungsphilosophischen Bekenntnisse des „spekulativen Philosophierens bei Hölderlin" (741) einfach unterschlagen bzw. vernachlässigt habe. Und wenn er sie schließlich doch berücksichtigt, dann spricht er ihnen jeden spezifisch philosophischen Stellenwert ab, charakterisiert sie als „mythisch-religiöse Erkenntnis" und macht sie ausschließlich „zum Merkmal des Dichters". (741) Nimmt man aber Strauß beim Wort und begreift Hölderlin als „einen mythisch-religiösen Dichterphilosophen", dann rückt man „Hölderlin in größere Nähe zu den mythisch-religiösen Alleinphilosophen Schelling und H e g e l . . . , als Strauß lieb" sein dürfte. (742) Böhm betrachtete also „den Straußschen Versuch, Hölderlin aus philosophischen Gründen von der Autorschaft des Systemprogramms auszuschließen, als in sich zusammenbrechend". (742) Einer möglichen Verständigung zwischen Böhm und Strauß sollten die sogenannten ,Verdrehungen' eines Strauß im Wege stehen. Um so verwirrender war es dann freilich, daß auch Böhm, ähnlich wie Strauß für Hölderlin, eine Ehrenrettung Schellings fingierte. Er meinte nämlich konstatieren zu müssen, daß in dem Augenblick ein schiefes Licht auf die Integrität von Schellings Charakter falle, wenn man, wie Strauß, die
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Behauptung aufstelle, Schelling habe sich zur Komplettierung seines Systems einen „fremden Lehrbegriff" - den Hölderlinschen - angeeignet, um diese „von außen" bezogene „Denkhilfe" dann für sein Eigenstes in „dem ,tollkühnen' ,Ich w e r d e . . . ' seines Programms" (743) auszugeben. Böhm jedenfalls plädierte abschließend für die Notwendigkeit, sich der „gemeinsamen Quelle" der Tübinger Stiftsphilosophie zu vergewissern, der für die nachmalige ,denkerische Übereinstimmung' zwischen Hölderlin, Schelling und auch Hegel eine maßgebliche Bedeutung zukomme.
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Ludwig Strauß' Wiedererwiderung auf diesen Böhmschen Abgrenzungsversuch repräsentiert dann selbstverständlich auch nicht unbedingt das, was man sich gemeinhin unter einem freundlich-kollegialen Gedankenaustausch unter Gelehrten vorstellen möchte. - Zunächst weist er ganz entschieden Böhms Kritik an seiner Stiluntersuchung zurück und macht noch einmal deutlich, daß Schellings Sprache mit derjenigen des Systemprogramms übereinstimme, während diese Ubereinstimmung in Texten Hölderlins nirgendwo nachweisbar sei. Außerdem gehe es nicht an, stilistische Eigenheiten bestimmter Autoren in stilistische Anleihen' umzuinterpretieren, weil dann „Zufall und Willkür an die Stelle von Wesen und Gesetz erhoben (werden), es gibt keinen Stil mehr und, was die Sprache angeht, kann jeder Autor jede Schrift verfaßt haben". (744) Ebenso sei der Böhmsche Hinweis darauf falsch, daß die in der vergleichenden Tabelle aufgeführten terminologischen Verwandtschaften zwischen Systemprogramm und sonstigen literarischen Produktionen Schellings sich nur auf später geschriebene Arbeiten beziehen. Genauso falsch bzw. unbegründet sei auch die Böhmsche Forderung danach, daß „zum stilistischen Nachweis der Autorschaft nicht Einzelwendungen, sondern ,entsprechende Zusammenhänge' beizubringen seien". (744) Kein Autor pflege in verschiedenen Veröffentlichungen ganze Perioden aus anderen seiner Schriften wortwörtlich zu reproduzieren. Und schließlich habe zu dem fraglichen Zeitpunkt zwischen Hölderlin und Schelling eine tiefe, und zwar sowohl sprachliche, als auch gedankliche „Wesensverschiedenheit" bestanden. Hölderlin habe auch in späteren Jahren nie einen Text von „der
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Ludwig Strauß, „Zu Böhms Erwiderung", a. a. O . S. 743-747.
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spröden Härte unseres Textes" geschrieben, sondern seine Arbeiten sollen „bei aller Kraft vibrierende Zartheit" zeigen. (744) Aber auch „Böhms Deutung der Hymne ,An die Unerkannte'" wird als „unzulänglich" abgetan. Anstatt, wie Böhm es tat, dieses „Gedicht als ein Rätsel in Hymnenform (welches Unding!) mit vom Dichter geheimgehaltener Lösung zu nehmen", solle man es doch endlich „als die antwortlose Frage verstehen, die es ist!" (745), und es nicht mit fragwürdigen Gedichtcharakteren konfundieren, mit denen es gleich gar nichts zu tun hat. Aber auch Böhms Abrechnung mit der Straußschen Darstellung der Hölderlinschen „Beziehung zur Philosophie" soll nach Strauß größtenteils auf Unterstellungen des Kritikers beruhen. Denn seine ausdrückliche Absicht sei nicht gewesen, ganz pauschal Hölderlins Verhältnis zur Philosophie in Frage zu stellen, sondern einerseits nachzuweisen, daß Hölderlin ihr immer „Ehrfurcht" entgegengebracht - , andererseits aber sich nie bei ihr heimisch gefühlt habe, sondern „als Philosoph (immer, F.-P.H.) ein ,friedenslos' Leidender" geblieben sei. Ebenso hält Strauß an seiner strikten Trennung zwischen wissenschaftlicher und poetischer „Erkenntnisform" fest und weiß sich darin mit der ganzen „altabendlichen" Wissenschaftstradition einig, die nie wissenschaftliche Erkenntnisse in „außerwissenschaftliche Gebilde" hineininterpretiert habe. Das habe auch Hölderlin nie getan, der wie selbstverständlich von einer Trennung zwischen mythisch-religiöser „Erkenntnissphäre" und Philosophie ausgegangen sei. Und wenn Böhm es endlich „rätselhaft" nennt, „wie Schelling, nachdem er das Systemprogramm verfaßt habe, noch in den Abhandlungen zum Idealismus der Wissenschaftslehre das Ästhetische aus dem Ethischen habe,erklären' können" (747), dann verkenne er ganz einfach, daß im Systemprogramm ja ebenfalls von der Fundierung des Ästhetischen durch das Ethische gesprochen werde. Zwar habe Böhm „seine grundsätzlichen Einwände gegen die Möglichkeit von Schellings Autorschaft" aufgegeben, aber auch Strauß macht sich abschließend mit dem Gedanken vertraut, daß „eine tiefere Verständigung zwischen Böhm" und ihm wohl kaum zu erwarten sei. Die trotzdem geäußerte Hoffnung, daß Böhm nach „Revision seiner Anschauung" doch noch angesichts der strittigen „Frage der Autorschaft des Systemprogramms" zu der „Einmütigkeit im Sinne von Rosenzweigs Antwort" (747) zurückkehren werde, blieb von Böhm unbeantwortet. Er zog es vor, dem Publikum durch die Schriftleitung der DVjs mitteilen zu lassen, daß er, „um weitere Erörterungen abzubrechen auf seine umfassende Darstellung Hölderlins, welche im Verlag der,Deutschen Vierteljahrsschrift' in Vorbereitung ist" verweise. (747) Sie erschien in zwei Bänden in den Jahren 1928/30, aber
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auch hier sollte sich Wilhelm Böhm in den einschlägigen Passagen kein einziges Mal mehr mit den von Strauß vorgebrachten Einwänden befassen. Strauß' H o f f n u n g auf eine wiederherzustellende Einmütigkeit wurde dadurch beantwortet, daß sie nicht, oder doch nur implizit beantwortet wurde.
Wilhelm Böhm
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Für Wilhelm Böhm ist seine zweibändige Hölderlinbiographie eine Gelegenheit mehr, die erstmals 1926 vorgelegte Interpretation des Systemprogramms indirekt noch einmal gegen Strauß' Angriffe zu verteidigen. Daß nur Hölderlin und Schelling als Verfasser des Programms in Frage kommen, wird hier nochmals bekräftigt, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß die „Verfasserschaft des Textes . . . umstritten" sei. (172) Diese Streitsituation läßt Böhm ein letztes Mal Revue passieren, ohne jedoch den Namen seines Kontrahenten ein einziges Mal zu nennen. Hatte Strauß „den Text . . . im Sinne Schellingscher Diktatorenfreude gedeutet" und sowohl den redehaften Ton, als auch bestimmte termini technici als für Schelling typisch behauptet, dann besteht Böhm einmal mehr darauf, daß sich entsprechende Parallelen auch in Hölderlins Arbeiten nachweisen lassen. - Auch der doppelten - ethischen und ästhetischen Grundlegung widmet Böhm zum wiederholten Male seine Aufmerksamkeit. Zwar spreche der moralphilosophische Beginn der Handschrift für Schellings Autorschaft, aber genauso sicher sei auch, daß der vereinigungsphilosophische ästhetische Mittelteil einzig von Hölderlin geschrieben sein könne. Weil aber quasi zwei sich widersprechende Ansätze im Systemprogramm auszumachen seien, so stelle sich die Frage, ob, pro Schelling, der ästhetische dem ethischen oder ob, pro Hölderlin, der ethische dem ästhetischen Ansatz anzupassen sei, oder ob nicht vielmehr doch Hölderlin sich dem Schellingschen Gebrauch des Ethischen anbequemt habe. Wird jedoch - wie in diesem Fall - für Hölderlins Verfasserschaft plädiert, dann wird man sich auch mit dem Gedanken vertraut machen müssen, in Hölderlin fortan einen
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Wilhelm Böhm, Hölderlin, Bd. 1 u. 2, Halle/Saale 1928/30, 1. Bd., 2. Buch, 4. Kapitel, ,Das Systemprogramm', S. 172-177 u. passim; vgl. spez. Bd. 2, 5. Buch, 9. Kapitel, ,Die Philosophie der Freunde', S. 225-261; zu Schelling: 244, 247, 254 f.; ebenso: 226, 228, 235. Übrigens hat Böhm in den dem Systemprogrammabschnitt des ersten Bandes vorangehenden Passagen ganze Absätze aus seiner zwei Jahre zuvor erschienenen Studie wortwörtlich übernommen!
Wilhelm B ö h m (1928/30)
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Systematiker der Philosophie zu erblicken. Angenommen aber auch, Schilling habe diesen Text nicht geschrieben, dann beweise doch sein Brief an Niethammer vom 22.1.1796, daß auch er schon zu diesem frühen Zeitpunkt - und nicht erst seit 1800 - mit dem Systemgedanken beschäftigt war. So die nochmalige Ehrenrettung Schellings. Allerdings steht für Böhm im Gegensatz zu Strauß fest, daß Schellings früher systematischer Ansatz von Hölderlin geprägt worden ist. Wenn nämlich Schelling schon in seiner 1795er Schrift „Vom Ich" eindeutig dahin tendierte, sich von der praktizistischen „Prinzipien-Metaphysik" ab-, und zur auf der Vermittlung der Gegensätze beruhenden Einheitsphilosophie hinzuwenden, dann stand dieser Modifikation bzw. diesem Gesinnungswandel Hölderlinsches Denken Pate. Trotzdem bleibe es rätselhaft, wie Schelling, seine Verfasserschaft vorausgesetzt, hier das Ästhetische so stark betonen konnte, um es dann ein Jahr später, „in den Abhandlungen zum Idealismus der Wissenschaftslehre vom Winter 1796 bis 1797 . . . nur tastend" herauszuarbeiten. (174) Ist dies eine Frage, deren anonymer Adressat einmal mehr Ludwig Strauß ist, und hatte Strauß diese Frage mit dem Hinweis darauf beantwortet, daß im Systemprogramm eben doch der Primat des Ethischen behauptet werde, dann kommt Böhm zu dem Schluß, daß unabhängig von der nach wie vor fraglichen Verfasserschaft dieser Programmtext auf jeden Fall in eine Hölderlinbiographie hineingehöre. Erstens nämlich sei der regulierende Einfluß' Hölderlins auf Schelling auch von dem ungenannt bleibenden Strauß nicht bestritten worden, und zweitens sei der ,enzyklopädische Weitblick' Resultat der sowohl für Schelling, als auch für Hölderlin verbindlichen Stiftstradition. Drittens aber mache „Hölderlins Plan zu philosophischen Briefen an Niethammer" es sehr wahrscheinlich, daß er in diese Briefe die Gedanken des Systemprogramms eingearbeitet hätte, und viertens schließlich müsse man endlich Hölderlins prinzipielle Befähigung zur begrifflichen Zusammenfassung des dichterisch Erschauten anerkennen. Diese prinzipielle Fähigkeit werde nur dadurch eingeschränkt, daß es den Poeten Hölderlin selbstverständlich mehr „zu dichterischer als zu philosophischer Gestaltung trieb", so daß es ihn an der „Stetigkeit gebrach, ein solches Programm voll klar erfaßter Probleme im Einzelnen ausführlich darzustellen". (174) Zu Beginn seiner kurzen Interpretation des Fragments behauptet Böhm wie nicht anders zu erwarten - auch für den ethischen Anfang schon eine definitive Absage an das Fichtesche ,Ich' und läßt dann das sich entfaltende Ideentableau zielstrebig in die ästhetische Synthese des Hölderlinschen Mittelteils ausmünden. Nicht allein aber, daß Hölderlin, „von Schillers 13. ästhetischen Brief beschwingt", die Frage nach der moralischen Konstitution
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Erste Periode (1917-1930)
der Natur stellen konnte, so konnte er genausogut, volkspädagogisch motiviert wie er war, „radikale Forderungen gegen jeden staatlichen Mechanismus" formulieren. (175) Außerdem hatte er schon in dem Gedicht „An die Unerkannte" der „Idee vom ewigen Frieden" eine bloß sekundäre Bedeutung eingeräumt. Darin aber, daß aus dem „unendlichen Progreß eine ,absolute Freiheit aller Geister'" resultiert, waren sich die Freunde schon in Tübingen einig gewesen. Die Art, in der im ersten Teil des Systemprogramms die Ubergänge gestaltet werden, sei ebenso typisch für Hölderlin, wie die Kritik des Vernunft heuchelnden Priestertums für alle drei Freunde verbindlich gewesen sein soll. Wenn Hölderlin „gegen Schillers einseitiges ästhetisches Prinzip der Kunst den weiteren Ausdruck der intellektuellen Anschauung wählte" (175), dann leitete er aus diesem universellen Prinzip nicht zuletzt auch die untergeordnete philosophische Disziplin ab. Sein als umfassend konzipierter Ausgangspunkt machte Hölderlin unter anderem auch zum Philosophen. Die Kritik der Buchstabenphilosophie hingegen war ein jeglicher Originalität entbehrendes Allgemeingut dieser Zeit, genauso wie die von der Klassik her gedachte - humanistische - Bildungsfunktion der Poesie schon von „Herders Lehre von der Poesie als Muttersprache des Menschengeschlechts" vorformuliert worden war. Insofern aber die Poesie der,Alten' mythisch gefärbt ist, insofern „muß auch die Volkserzieherin der Zukunft . . . mythische Poesie sein"; sie muß „volkstümliche Sinnlichkeit und philosophische Vernunft" im Stile des Systemprogramms zu wechselseitiger Deckung bringen. Der im Systemprogramm geforderten Verschmelzung von Monotheismus und Polytheismus schließlich soll „die große Rede Diotimas über die religiöse Zukunft im fünften Jenaer Hyperionkapitel" korrespondieren (176), wobei Böhm in diesem Zusammenhang noch einmal seine Position, in dem Gedicht „An die Unerkannte" einen Lobgesang auf die „ästhetische Idee der Schönheit" zu sehen, indirekt gegen die von Strauß vorgebrachte Kritik verteidigt. Zuletzt aber soll auch die vom Verfasser des Manuskripts unterstellte Originalität seiner Forderung nach einer vernunftbestimmten Mythologie anfechtbar sein, da schon „Winckelmann, Herder, Schiller und der Tübinger Schnurrer" ein vergleichbares Programm aufgestellt hatten. Dieses sinnlich-vernünftige Mythologiekonzept jedoch hat Hölderlin einige Jahre später in seinem Empedoklesdrama poetisch gestaltet und soll dabei sowohl in der begrifflichen Strenge, als auch in dem „warmen Schwünge" eine bemerkenswerte Kongenialität mit dieser Erstformulierung bewahrt haben. Wenn Böhm in diesem Unterabschnitt seiner Hölderlinbiographie den insgesamt dritten Anlauf nahm, den Programmtext definitiv für Hölderlin zu
Adolf A l l w o h n (1927)
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reklamieren, dann sollte dies jedoch der vorläufig letzte Versuch in diese Richtung bleiben. Die Forschung der nächsten drei Jahrzehnte Schloß sich im großen und ganzen dem Strauß-Rosenzweigschen Interpretationsansatz an, während Böhms Überlegungen mehr und mehr in Vergessenheit gerieten.26
Adolf Allwohn
(1927j17
Schon Adolf Allwohn sollte in seiner 1927, also noch während der ersten ,heißen' Phase des Streites zwischen Böhm und Strauß publizierten Arbeit „Der Mythos bei Schelling" in die Strauß-Rosenzweig-Variante einschwenken, ohne auch nur Böhms Namen ein einziges Mal zu erwähnen. Wie selbstverständlich vereinnahmt er im Stile Rosenzweigs den „ästhetischen Mythosbegriff" des Systemprogramms für Schelling, nicht ohne den Ausführungen Rosenzweigs zu bescheinigen, daß es ihnen „mit zwingenden Gründen" gelungen sei, diese Handschrift „als die Abschrift eines Schellingschen Entwurfes aus dem Winter 1795/96" auszuweisen. (28) Allwohn sucht und findet in dem Text den ersten programmatischen Niederschlag und tastenden Ausblick auf Schellings „ästhetischen Idealismus", wie er in der .„Philosophie der Kunst'" des Systems des transzendentalen Idealismus (1800) in ausgereifter Fassung vorliegt. Dieses Manuskript soll der erste zaghafte Anlauf Schellings sein, die ,historisch-rationalistische Mythenauffassung' seiner Frühzeit zu überwinden. Es soll ein typisches Dokument des Übergangs sein, ein erstes vorsichtiges Experimentieren mit dem dann in späteren Jahren verbindlichen ästhetischen Mythologiekonzept. Wenn sich Allwohn aber an späterer Stelle (48) die Frage vorlegt, wie diese spezifische „Mythenauffassung" an Schelling gekommen sein könnte, dann macht er zwar auch den Hölderlinschen Einfluß geltend, aber ausdrücklich n i c h t unter Berufung auf Böhm, sondern im Hinblick auf Ernst Cassirers 1917/18 erschienenen Aufsatz „Hölderlin und der deutsche Idealismus". Gemäß Cassirers Position müsse man, so Allwohn, zu dem Ergebnis einer ausgeprägten Parallelität zwischen Schellings Systemprogramm und „dem Gedankenkreise Hölderlins in dieser Zeit" kommen.
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Vgl. hierzu z. B . J o h a n n e s H o f f m e i s t e r , der schon 1934 in der DVjs., 12. Jg., XII. Bd., H . 4, in seinem Bericht „Die Hölderlin-Literatur 1926-1933", S. 613-645, die Position B ö h m s als durch Strauß definitiv widerlegt ansah (spez. S. 625), u n d auch insgesamt von B ö h m s Anstrengungen wenig Gutes zu berichten w u ß t e (621-628). Adolf Allwohn, D e r M y t h o s bei Schelling, in: KantST., Ergänzungsheft 61, Berlin 1927.
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Erste Periode ( 1 9 1 7 - 1 9 3 0 )
Wenn also auch eine gewisse Beeinflussung Schellings durch Hölderlin vorhanden sei, dann sei es doch übertrieben, mit Cassirer „eine spezielle Abhängigkeit des Philosophen vom Dichter festzustellen". Nach Allwohn müsse man zukünftig noch viel mehr, als von Cassirer geleistet, „den Doppelprozeß des Nehmens und Gebens", nämlich das gemeinsame Verflochtensein in die allgemeine Geisteslage' akzentuieren.
Ausklang der ersten Periode Drei Jahre nach der Erstpublikation seiner Systemprogrammstudie erschien im Jahre 1920 Franz Rosenzweigs zweibändiges Werk „Hegel und der Staat". 2 8 In diesem Klassiker des Neuhegelianismus hat Rosenzweig die Ausführungen der Erstlingsschrift an zwei Stellen noch einmal Revue passieren lassen. Zwar sei, so merkt er einschränkend an, die Freundschaft zwischen Hegel und dem gleichaltrigen Hölderlin „die persönlich wärmste seiner (Hegels, F . - P . H . ) Jugendjahre" gewesen, aber diese auch geistige Verbundenheit mit dem jungen Dichter habe nichts gegen die „Achtung" vermocht, die Hegel „dem frühreifen Genie" Schellings entgegenbrachte. Den Beweis für diese Achtung erblickt Rosenzweig in der Tatsache, daß Hegel sich Schellings „Systemprogramm damals sorgfältig abschrieb". (66) Und zwar, so Rosenzweigs Behauptung, brachte Hegel diesem Text nicht zuletzt deswegen ein außergewöhnlich hohes Maß an Aufmerksamkeit entgegen, weil er in ihm ausgesprochen fand, was ihn selbst in diesem Sommer 1796 besonders intensiv beschäftigte: Die Kritik am Mechanismus des Staates. Hegel soll in dem Schellingianum durch die „leidenschaftliche Anklage gegen den Staat" fasziniert worden sein, wenngleich ihn seine polemische Haltung nie zu der extremen Position der „Staatsverneinung", wie sie von Schelling im Systemprogramm vertreten worden war, führen sollte. (39) Aber auch der Autor des anderen neuhegelianischen Klassikers - „Von Kant bis Hegel" - Richard Kroner 2 9 nimmt im Zusammenhang der kursori-
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Franz Rosenzweig, Hegel und der Staat, 1. Bd., Lebensstationen ( 1 7 7 0 - 1 8 0 6 ) , München und Berlin 1920.
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Richard Kroner, V o n Kant bis Hegel, 2 Bd., Tübingen 1921 und 1924, hier: Bd. 1, Einleitung, „II. Methode und Absicht der folgenden Darstellung", S . 2 2 ; ebenso: Bd. 2, Fünfter Abschnitt: „Naturphilosophie und Identitätssystem", S. 6 (Anm.), 43 f. (Anm.); vgl. hierzu auch die A n m . 11 zu Hermann G l o c k n e r , Erster Teil, zweite Periode.
Ausklang der ersten Periode
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sehen Betrachtung der zu Beginn unseres Jahrhunderts einsetzenden Publikationstätigkeit, die sich auf bislang unbekannte „Manuskripte der großen Systematiker" (21) erstreckte, flüchtig von der 1917 edierten Handschrift Hegels Notiz. Unter Berücksichtigung der Überlegungen „jenes sonderbaren Blattes von Hegels Hand" sei es nunmehr möglich geworden, nicht allein „die Entstehung des Schellingschen Systems" im besonderen, sondern auch „des Systemgedankens im deutschen Idealismus" im allgemeinen - konzentriert auf einen Augenblick - nachzuvollziehen. Außerdem aber sei durch diesen Text einerseits die Diskussion der Beziehung zwischen Schelling und Hegel - , andererseits das Interesse an Hölderlins Verhältnis zu seinen beiden Studienkollegen „neubelebt worden". Entsprechend sieht Kroner in Cassirers Abhandlung „Hölderlin und der deutsche Idealismus" den ersten Versuch einer Vergegenwärtigung derjenigen „Rolle, die Hölderlins Anregungen bei der frühesten Konzeption der Systeme Schellings und Hegels gespielt haben". Die Frage nach Hölderlins Anteil an der Entstehung des deutschen Idealismus sei durch die Entdeckung des Systemprogramms „zu einem wichtigen, bisher noch ungeklärten Problem der deutschen Geistesgeschichte geworden". (22, Anm. 1) Zwei Jahre später war es Nicolai Hartmann, der in dem ersten Teil seiner zweibändigen Arbeit „Die Philosophie des Deutschen Idealismus" (1923)30 diesen Gedanken von Hölderlins Vermittlerrolle wiederaufnahm, als er im IV. Abschnitt, „Die Philosophie der Romantiker", unter der Überschrift „Hölderlin" (184-188) auf das „Blatt von Hegels Hand aus dem Jahre 1796" zu sprechen kam. Dabei geht Hartmann über die ersten, noch zaghaften Andeutungen Kroners hinaus, wenn er das Systemprogramm Schellings als ein Dokument dafür liest, „wie auch das Ganze der Philosophie ihm (Hölderlin, F.-P. H.) lebendig ist, und wie es eine große ethische, ästhetische und religionsphilosophische Perspektive ist, mit der er, wie es scheint, der philosophischen Mitwelt vorangegangen ist". (186) Zwar sei Rosenzweig zuzustimmen, daß
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Nicolai Hartmann, Die Philosophie des Deutschen Idealismus, I. Teil, Fichte, Schelling und die Romantik, erstmals 1923; zitiert nach der dritten, unveränderten Aufl., B e r l i n / N e w York 1974, S. 186 ff. Diese Arbeit Nicolai Hartmanns hebt übrigens Richard Kroner im Vorwort zum 2. Band „Von Kant bis Hegel" lobend als eine vorzügliche Ergänzung seiner eigenen Bemühungen hervor, wörtlich: „Wer das Verhältnis derselben (der Romantiker, F.-P. H.) zur Philosophie des deutschen Idealismus kennen lernen will, sei an das jüngst erschienene Buch von Nicolai Hartmann gewiesen, welches das meinige wie in anderer, so auch gerade in dieser Beziehung vorzüglich ergänzt; . . . " A. a. O. S. XIII f.
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Erste Periode (1917-1930)
es sich bei diesem „vollständigen philosophischen Systementwurf im engsten Umriß" um ein Schellingsches Original „in Hegelscher Abschrift handle", aber Cassirers Annahme, Hölderlin als den eigentlichen Schöpfer des in der Handschrift gegebenen Ideentableaus anzusehen, diese Position hat auch Nicolai Hartmann nachdrücklich vertreten. Wenn nämlich „der kühne, um Durchführung und Konsequenzen unbesorgte Charakter der Formulierungen . . . deutlich die etwas großspurige Art des jungen Schelling" zeige, dann sei der Inhalt des Fragments vielmehr von gediegener „künstlerischer Weltanschauung und antik-mythologischem Empfinden" getragen. (188) Die eigentliche „Tragweite" und Brisanz des Entwurfs aber drücke sich darin aus, daß er wesentliche Programmpunkte des - im weitesten Sinne deutschen Idealismus, auf der Grundlage eines ,einheitlichen künstlerischen Weltempfindens', gleichsam „in nuce" antizipiere. Schellings „Primat des Ästhetischen" im „System des transzendentalen Idealismus" sei hier schon genauso präsent, wie die dann von den Romantikern prinzipiell vertretene universelle Bildungsfunktion der Poesie. Aber auch die „Opposition Hegelscher Geistesphilosophie gegen den starren Ethizismus Fichtes" soll nach Hartmann in der Hauptsache poetisch vermittelt sein. Die programmatisch geforderte mythologische Religionsstiftung sollte sich zwar erst in Schellings Spätwerk, der „Philosophie der Mythologie", realisieren, war aber letztlich schon zu diesem frühen Zeitpunkt in Hölderlins ,götterreichen Weltstimmung' präsent. N u r „Hölderlins Ideal des griechischen Geistes" konnte die vom Systemprogrammautor projektierte „Wiedererweckung des nicht nur künstlerisch, sondern auch religiös als Glaubens- und Lebenselement verstandenen antiken Polytheismus" auf eine auch nur einigermaßen tragfähige Basis stellen. In dieser „Idee einer künstlerisch erweiterten und beseelten Welt" trafen, so Nicolai Hartmanns Resümee, „der träumerisch versonnene Dichter Hölderlin und der noch im ersten Schaffensdrang jeder Anregung nachgebende, sorglos Pläne machende Philosoph Schelling" zusammen. (188) Wenn Richard Kroner und Nicolai Hartmann - Ernst Cassirer nachfolgend - zu Beginn der 20er Jahre das Systemprogramm als eine Art Gemeinschaftsarbeit des Dichterphilosophen Hölderlin und des ,Rezeptionsgenies' Schelling verstanden wissen wollten, dann war es Ferdinand Clemens 3 1 , der am Ende der ersten Periode (1930) wieder vollends in die ursprüngliche
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Johann Eduard Erdmann, Grundriß der Geschichte der Philosophie, neu bearbeitet von Ferdinand Clemens, Berlin, Zürich 1930; unter der Uberschrift „Schelling", S.603.
Ausklang der ersten Periode
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Lesart Rosenzweigs und Lieberts einschwenkte. Ferdinand Clemens, der den 1866 erstmals erschienenen „Grundriß der Geschichte der Philosophie" Johann Eduard Erdmanns neu bearbeitet und bis in die Gegenwart fortgeführt hatte, will anhand des Systemprogramms den Beweis führen, daß Schellings oftmals festgestellte Wandlungsfähigkeit doch letztlich in der schon von Anfang an gegenwärtigen Systemabsicht begründet liege. Ohne Rosenzweigs Namen ein einziges Mal zu erwähnen, schließt er sich doch der von jenem behaupteten These an, daß eigentlich Schelling es gewesen sei, der den fälschlicherweise Hegel zugeschriebenen modernen Systemgedanken kreiert habe. Der „genial-jugendliche" Philosoph soll in dem 1796er Fragment erstmals „ein umfassendes, großartiges System des ,objektiven Geistes'" antizipiert haben, und „manches, was sich bei Hegel findet, war hier schon im Ansatz gestaltet und genial geschaut". (603) Und auch darin weiß sich Ferdinand Clemens mit Rosenzweigs - neuromantischer - Auslegung des Systemprogramms einig, daß nämlich nicht Schelling sich während seiner ersten Jenaer Jahre der frühromantischen Schule einfach nur angeschlossen habe, sondern daß vielmehr diese jungen Romantiker es gewesen seien, die dem systematisch-philosophischen Genie Schellings - , und das heißt: den „Grundgedanken" des Programmentwurfs - nachfolgten. 32 Schließlich aber gewährt die Korrespondenz Rosenzweigs, die er in den Jahren 1916-1927 führte, noch manch interessanten Einblick in die persönlichen Hintergründe s e i n e r Beschäftigung mit diesem Dokument des
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Ähnlich übrigens auch schon ein Jahr zuvor Hinrich Knittermeyer in seiner Arbeit „Schelling und die romantische Schule", M ü n c h e n 1929, S. 66-68, 84, 107, 466 A n m . 8 2 . Mit viel Rhetorik wird auch hier das Antizipationsgenie in Schelling gefeiert, w e n n er mit dem Entwurf vor allem eines geleistet haben soll: Das,universelle Schöpfertum' des romantischen Unendlichkeitsstrebens soll hier von ihm grundgelegt w o r d e n sein. - A u ß e r d e m w e r d e n die im besten Sinne innovativen Lieblingsgedanken der zweiten Forschergeneration stichwortartig gestreift: Schelling a l s Systembildner, Schelling a l s Sinnbild f ü r Kontinuität ( „ U n d doch bleibt das erste Systemprogramm* die träumende V o r w e g n a h m e dessen, was sich später ihm reifer erschloß." 68, ebenso 66/67) u n d schließlich wird auch - generalisierend - die tendenziöse Aktualisierung und Vergegenwärtigung seiner Philosophie betrieben: Schelling a 1 s eminent bedeutungsvoller Zeitgenosse (Einleitung 13 u. passim). Mit einem W o r t : A u c h hier schon - nicht viel anders als in der 2. Periode insgesamt - ein Sammelsurium von willkürlichen, wortreich vorgetragenen A n n a h m e n , Kombinationen und K o n s t r u k t i o n e n . Treffsicher auch O t t o Pöggelers Urteil über u. a. diesen Beitrag z u m Systemprogramm am Ausgang der ersten Periode. Er sagt: „Wenn sonst die Schellingforschung das Systemprogramm f ü r Schelling in A n s p r u c h nahm, hat sie zumeist nur in einer sehr vagen Weise behauptet, der späte Schelling habe die Motive entfaltet, die das Systemprogramm angeschlagen habe (Knittermeyer, Jaspers, Zeltner, Schulz)." Cf. O t t o Pöggeler, Hegels Jugendschriften u n d die Idee einer Phänomenologie des Geistes, masch. Habil., Heidelberg 1966, S.240 Anm.63.
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E r s t e Periode (1917-1930)
Frühidealismus. 33 Schon am 29. Mai 1916 zollte Eugen Rosenstock der Abhandlung Rosenzweigs höchstes Lob, wenn er ihm, unter Anspielung auf eine Wendung der bevorstehenden Publikation mitteilte, daß „dies Meisterstück der Textillumination" ihn „mehr erregt" habe, „als Ihnen nötig scheinen wird". 3 4 In dem Antwortbrief vom 8.6.1916 erinnert Rosenzweig sich seines vor dem Krieg gefaßten Plans, den schon 1914 fertiggestellten Systemprogrammaufsatz bei Meiner zu veröffentlichen. Seine Absicht sei es gewesen, zuerst das ,kleine Effektstück' Meiner zu offerieren, in der Hoffnung, ihn nach erfolgter Abnahme des dünnen Buches „zu dem dicken Hegel (Rosenzweig spielt hier auf sein zweibändiges Werk „Hegel und der Staat" an, F.-P. H.) williger" zu finden, „als welcher dann kurz danach zu erscheinen gehabt hätte und nach dem sicheren Einschlagen der kleinen Publikation nicht mehr das (übrigens verdiente) Odium des Erstlingswerks tragen würde". (643) Dieses Projekt nun habe der Kriegsausbruch verhindert, so daß er jetzt, zwei Jahre später, „am liebsten alles abschieben" würde, „nur um nicht etwa 1918 wieder anfangen zu müssen, wo ich 1914 aufgehört habe". (643/44) Es schließen sich redaktionelle Erwägungen an, etwa der Art, daß noch ein diplomatischer' Abdruck des Manuskripts, ein zunächst unlesbar gehaltenes Original in Abschnitt II anzufertigen sei, das dann erst in der sich anschließenden Interpretation entschlüsselt werden solle. Fernerhin beauftragt Rosenzweig Eugen Rosenstock damit, „die Publikationserlaubnis für das ,Hegelmanuskript'" zu erwirken, nicht ohne abschließend darauf hinzuweisen, daß „dem Schellingianum die Kenntnisnahme der neuesten Hölderlinpublikationen" „der Böhmschen Ausgabe" fehle. (644) Diesem Mangel sollte Rosenzweig auch dann noch nicht abgeholfen haben, als die Studie endlich 1917 in der Philosophisch-historischen Klasse der Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften erschien und zwar dank der freilich nur widerwillig angenommenen Unterstützung Heinrich Rickerts, der zunächst eine von Rosenzweig abgelehnte Kürzung des Entwurfs in Vorschlag gebracht hatte.
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D i e s e K o r r e s p o n d e n z ist in d e m am E n d e der ersten Periode erstellten Schaubild unberücksichtigt geblieben, genauso wie übrigens auch die zur D i s k u s s i o n um das S y s t e m p r o g r a m m nichts wirklich N e u e s beitragenden Positionen der zuletzt genannten drei A u t o r e n ( K r o n e r , H a r t m a n n , Clemens). Sie sind hier nur der Vollständigkeit halber, und weil sie in der 1984er Bibliographie C h r i s t o p h J a m m e s und H e l m u t Schneiders keine A u f n a h m e gefunden haben, am R a n d e verarbeitet worden.
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F r a n z R o s e n z w e i g , Briefe, hg. von Edith R o s e n z w e i g , Berlin 1935, S . 6 4 1 .
Ausklang der ersten Periode
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Im Vorfeld der Debatte zwischen Ludwig Strauß und Wilhelm Böhm sind zwei Briefe Franz Rosenzweigs an Strauß anzusiedeln 35 , in denen er zu Strauß' geplanter Publikation - wenngleich widerstrebend - Stellung bezieht. Diese Korrespondenz fiel genau in die Zeit des Neuabdrucks des Schellingianums in dem Sammelband „Zweistromland", so daß die annähernd 10 Jahre zurückliegende Beschäftigung mit diesem Gegenstand Rosenzweig zu diesem späten Zeitpunkt wieder gegenwärtig war. Wenn er in dem ersten Brief zunächst das summarische Urteil fällt, daß „Böhm es sich mit der Widerlegung arg leicht gemacht" habe und daß dessen Argumentation „mehr Munitionsverschwendung als Zielfeuer" (563) sei (man beachte die dem Kriegsszenario entliehene Terminologie), dann rekapituliert er im folgenden noch einmal die entscheidenden Argumente, die ihn vor neun Jahren bestimmt hatten, in der Hegelhandschrift einen Text von Schelling zu finden. Ludwig Strauß übrigens sollte sich wenig später in seiner Replik auf Böhm nicht allein der von Rosenzweig in diesem Brief beigebrachten Argumente auf eine wahlverwandte Weise bedienen, sondern er sollte sie in zum großen Teil wörtlicher Wiederholung bloß reproduzieren. Im Gegensatz zu Böhm, so Rosenzweig, habe er das Systemprogramm auch schon zum damaligen Zeitpunkt „als Programm eines Lebens, einer Lebensarbeit gelesen" und eben nicht „als Programm für einen Zeitschriftaufsatz". (563) Liest man es freilich auf diese Weise, dann verliert der Text seine Schellingsche „Vermessenheit" und es wird möglich, ihn im Sinne Hölderlinscher Zurückhaltung aufzufassen. Weil aber zu Beginn des Manuskripts ausdrücklich von einem vollständigen System aller Ideen' gesprochen werde, deswegen sei die Aufsatzhypothese nicht länger aufrecht zu erhalten: „Das klingt nach Buch, eben nach dem Gegenstück zu Spinozas Ethik, nicht nach einem allenfalls einen Bogen langen Teil eines Artikels." (563) Ganz so wie Strauß in seiner Replik auf Böhm plädiert auch Rosenzweig für die ungebrochene „Beweiskraft" des Briefes an Obereit vom 12.3.1796, in dem Schelling, ähnlich wie in dem Ästhetikteil des Programms, „die automatische Unverständlichkeit der wahren Philosophie für den Geistlosen" demon-
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A . a . O . , Brief N r . 4 7 0 an Ludwig Strauß vom 1.9.26, S . 5 6 2 f . ; Brief N r . 4 8 2 an Ludwig Strauß vom 15.3.27, 574 f. Vgl. ebenso: Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk, Ges. Schriften I, Briefe und Tagebücher, 2. Bd., Den Haag 1979. - Der Brief vom 1 . 9 . 2 6 an L. Strauß ist hier unter der N r . 1102, S. 1102 ff., der Brief vom 15.3.27 an denselben unter der N r . 1130, S. 1125 ff. abgedruckt. Der in der Bibliographie Jammes und Schneiders angegebene dritte Brief an L. Strauß vom 10.4.27, N r . 1135, S. 1130 ff. enthält hingegen k e i n e Angaben zur Systemprogrammfrage.
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Erste Periode (1917-1930)
striert habe. Nach einer kurzen Abfertigung von Böhms Versuch, die Mythologiekonzeption des Textes für Hölderlin zu vereinnahmen, weist Rosenzweig darauf hin, daß „die synthetische Stellung des Schönen . . . damals zu sehr auf der Straße" gelegen habe, als daß man aus ihr irgendwelche Rückschlüsse auf einen bestimmten Autor ziehen könne. Deswegen sei er zwar generell mit dem Straußschen „großen Unbekannten, dem g i e r ten'" einverstanden, erklärt aber schließlich doch, daß er ihn „für das Programm im Ganzen für ausgeschlossen halte. So unökonomisch" - in diese lapidare Formel kleidet Rosenzweig sein Mißtrauen gegen den unbekannten Vierten - „so unökonomisch verfährt der liebe Gott nun doch nicht". (564) Außerdem aber, so die ebenfalls von Strauß gegen Böhm wiederaufgenommene Überlegung Rosenzweigs, könne ja nur ein ex professo Philosoph wie Schelling von der im Systemprogramm entwickelten Vorbildfunktion der Kunst für die Philosophie sprechen und selbstverständlich nicht „ein Dichter der mal (quasi zum Zeitvertreib, F.-P. H.) philosophiert". Und schließlich würde die von Böhm behauptete terminologische und gedankliche Anleihe jedes von jedem eine allgemeine Relativierung nach sich ziehen, so daß, wie Strauß dies wenig später ausdrücken sollte, ,jeder jeden Text geschrieben haben könnte'. Dieser erste Gedankenaustausch zwischen Rosenzweig und Strauß fand seine Fortsetzung in dem Brief Rosenzweigs vom 15.3.1927. Hier verdeutlicht der Briefschreiber ein letztes Mal seine in der Erstpublikation vertretene Auffassung von der ,innersystematischen' „Abschlußstellung des Ästhetischen gegenüber theoretischer und praktischer Vernunft". (574) Er habe freilich nicht die Behauptung aufstellen wollen, daß dieses Konzept eine typisch Hölderlinsche Position repräsentiere, die dann von Schelling aufgenommen worden sei. Das habe er allein schon deswegen nicht zu tun vermocht, weil er einerseits diesen Abschlußgedanken der Kunst nur im Zusammenhang der KrU entwickelt hatte und weil er andererseits damals „von dem Zusammentreffen" Schellings „mit Hölderlin im Frühjahr in Frankfurt" nichts gewußt habe. Folglich habe er auch gar nicht auf den Gedanken einer möglichen Einflußnahme kommen können, die er aber nunmehr im Sinne des Straußschen Ergebnisses anerkennen müsse. Rosenzweig erklärt mithin abschließend, mit der von Strauß vorgenommenen Modifikation seiner Erstposition, wie sie durch Böhms Asthetiküberlegungen überhaupt erst eingeleitet worden war, generell einverstanden zu sein. (575) Schließlich aber mag Franz Rosenzweig in der bei Gelegenheit des Neuabdrucks seiner Systemprogrammstudie in dem 1926 erschienenen
Ausklang der ersten Periode
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Sammelband „Zweistromland" 36 hinzugefügten Fußnote nicht zuletzt an die positive Resonanz seitens Georg Lasson aus dem Jahre 1917 gedacht haben, wenn er rekapitulierend schreibt: „Nachdem, soweit meine Kenntnis reicht, die in der Abhandlung vorgenommene Zuteilung der Autorschaft des Programms an Schelling von allen Beurteilern anerkannt wurde, ist neuerdings von dem bekannten Hölderlinherausgeber Wilhelm Böhm der Versuch gemacht worden, die Autorschaft Hölderlin zuzuschreiben (...). Böhm stellt eine Menge für Hölderlin interessanten, freilich für die Frage der Autorschaft des Programms meist nicht belangvollen Materials zusammen. Immerhin", mit dieser diplomatischen Wendung läßt Rosenzweig seine Kurzwürdigung des Böhmschen Versuchs ausklingen, „verdient sein Versuch Beachtung." (32/33) Mehr als nur diese oberflächliche ,Beachtung' maß nämlich Rosenzweig dem Urteil des Hegelherausgebers Georg Lasson bei, wenn er neun Jahre zuvor in dem Brief vom 31. 8.1917 an seine Eltern 37 seiner Neugierde darüber Ausdruck gab, wie die Antwort dieses Mannes auf sein Schellingianum ausfallen würde. Seine Hoffnung, so hieß es dort, ginge im Stillen darauf, daß „er (G. Lasson, F.-P. H.) . . . die Schellingsche Verfasserschaft abstreiten" würde; die völlige Uberzeugtheit von der Richtigkeit seiner Schelling favorisierenden Textauslegung ließ Rosenzweig in diesem erwarteten Widerspruch seitens Lasson nur den Anlaß für ein unterhaltsames „Gaudium" erblicken. Diese Hoffnung nun wurde freilich nicht erfüllt: Denn genau eine Woche später, am 6.9.1917, übermittelte die Mutter Rosenzweigs ihrem erwartungsvoll gespannten Filius das auf den 4.9.1917 datierte Urteil des protestantischen Theologen Lasson: „Sehr geehrter Herr Doktor! Besten Dank für die frdl. Zusendung Ihrer sehr gelungenen Studie über das Hegeische Blatt mit einer Abschrift aus einem sonst unbekannten Schellingschen Schriftstück. Ihre Deutung ist natürlich ganz richtig; als ich die ersten Zeilen des Dokumentes in Ihrem Druck gelesen hatte, rief ich laut: das ist aber doch Schelling und nicht Hegel. Auf der Bibliothek habe ich mir dann das interessante Blatt angesehen, das einen neuen Beweis dafür gibt, daß Hegel einer der fleißigsten Excerpisten gewesen ist." „Du wirst", dies das wohl ganz im Sinne ihres Sohnes sich anschließende verständnisvolle Resümee der Mutter, „über die glatte Anerkennung enttäuscht sein. Aber du glaubtest doch, daß er das Blatt unter
36
37
Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk, Ges. Schriften III, Zweistromland, Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, Dordrecht/Boston/Lancaster 1984. Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk, Ges. Schriften I, Briefe und Tagebücher, 1. Bd., Den Haag 1979, Brief Nr. 422, S.433f.
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Erste Periode (1917-1930)
Hegel eingeordnet hat? Und nun wußte er's gleich. Also Kampf scheint dir nicht zu erwachsen." (434) Nicht zuletzt dieser intimen Anteilnahme der Mutter Rosenzweigs an dem mit Sorge beobachteten wissenschaftlichen Fortkommen ihres Zöglings verdanken wir eine letzte vertrauliche Information über das eigentliche Motiv, warum Rosenzweig in der Hegelhandschrift ein Schellingianum meinte entdecken zu m ü s s e n. In dem Brief vom 15.4.1918 an seine Mutter nämlich38 nimmt er nicht allein eine Ehrenrettung des Marburger Neukantianers Hermann Cohen (1842-1918) vor, wenn er ihn vor dessen verkappten Hegelianismen verwahrt, sondern er bekennt voller Uberschwang, daß gerade er, der eingefleischte ,Antihegelianer' dazu ,bestimmt' und gewissermaßen ausersehen gewesen sei, das Schellingianum zu entdecken. Wenn von Cohen richtigerweise behauptet worden sei, daß er „viel hegelianischer war als er wußte", dann war es gerade dieses „Hegelianische an ihm", was Franz Rosenzweig nie hatte „schlucken" können. So wenig er sich aber mit der Hegelianischen Seite Cohens habe anfreunden können, so wenig habe er sich jemals mit dem Hegelianischen „bei Hegel selbst" abgefunden. Vielleicht, so dürfen wir mutmaßen, war gerade dieses bemerkenswert prekäre Differenzierungsanliegen des Cohenanhängers Rosenzweig maßgeblich dafür, daß er in der harmlosen Tatsache, den Text entdeckt zu haben, eine ausgewachsene Prädestination sich auswirken sah, deren unterstellte Notwendigkeit sich selbstverständlich nur durch das eitle und völlig nichtssagende Insistieren darauf beweist, daß nur dieses bestimmte Individuum, diesen ,Fund', zu dieser Zeit habe machen können. Es ist ein, wie wir finden, beachtliches Dokument früher deutscher Hegelphilologie, wenn wir Rosenzweig - voluntaristisch - künden hören, er habe hauptsächlich s e i n e r S c h e l l i n g a n h ä n g e r s c h a f t w e g e n dasjenige finden s o l l e n , was er gefunden hat...: ein Schellingianum. „Ich bin ja Antihegelianer (und Antifichteaner); meine Schutzheiligen unter den Vier sind Kant und - vor allem - Schelling. Daß gerade ich das Schellingianum gefunden habe, ist ein ganz merkwürdiger Zufall (der sich aber in der Geschichte solcher Entdeckungen öfter gezeigt hat - daß der Fund grade dann und grade von dem gemacht wird, der dazu bestimmt ist)." (538)
38
A. a. O . Brief N r . 508, S. 538; vgl. ebenso: Franz Rosenzweig, Briefe, a. a. O . Brief N r . 221, 299.
Franz Rosenzweigs Briefwechsel zum Systemprogramm
Hinweis zum Gebrauch der nachfolgenden
85
Tafel
Auf der senkrechten Achse sind die Daten der Erstpublikation eingetragen, auf der waagerechten die Namen der drei in Frage kommenden Autoren (Hölderlin/Schelling/Hegel). Die Interpreten des Entwurfs sind, unter jedesmaliger Benennung des betreffenden Publikationsorgans, ihrer Parteinahme gemäß, einer der drei Spalten zugeordnet worden. Eine Ausnahme bildet die 1917/18er Publikation Ernst Cassirers, in der das Systemprogramm als eine Gemeinschaftsarbeit von Schelling und Hölderlin gelesen wird, so daß diese Position in der graphischen Darstellung entsprechend in die Mitte zwischen Hölderlin und Schelling rückt. Entsprechendes gilt auch für das zweite Schaubild am Ende der zweiten Periode. Die Pfeile sollen den Tenor der Resonanz der verschiedenen Autoren aufeinander veranschaulichen. Zur Erklärung vergleiche die vier Varianten der unter der Graphik
befindlichen
Legende.
Daß
schließlich
in
beiden
Tafeln
(1917-1930; 1931-1965) die rechte Hegel-Spalte bis 1930 gar keine - , im zweiten Schaubild aber erst im Jahre 1965 ihre erste Eintragung verzeichnet - wenn man den bloßen Wahrscheinlichkeitswert der schallanalytisch abgesicherten Position eines Johannes Jeremias als vernachlässigenswerte Größe behandelt - liegt ganz schlicht daran, daß eben bis zu diesem vergleichsweise späten Termin kein Interpret für die Autorschaft Hegels plädiert hatte. Etwaige Rückbezüge der Autoren der zweiten Periode auf diejenigen der ersten sind in der zweiten Tafel den entsprechenden Positionen in Form von Kürzeln beigefügt. Zur Entschlüsselung vergleiche hier wie auch sonst die Legende.
Franz Rosenzweigs Briefwechsel zum
Systemprogramm
29.5.1916
Eugen Rosenstock an Franz Rosenzweig.
8.6.1916
Franz Rosenzweig an Eugen Rosenstock.
31.8.1917 6.9.1917
Franz Rosenzweig an seine Eltern. Die Mutter Rosenzweigs übermittelt ihrem Sohn den auf den 4 . 9 . datierten Brief Georg Lassons.
15.4.1918: 1926:
Franz Rosenzweig an seine Mutter. Neuabdruck der Systemprogrammstudie in dem Sammelband
Zu den Quellen vgl. Anm. 3 4 - 3 8 .
Erste Periode (1917-1930)
86
1.9.1926: 15.3.1927:
„Zweistromland"; um eine Anmerkung.zu W . B ö h m s Erstpublikation erweitert. Franz Rosenzweig an Ludwig Strauß. Franz Rosenzweig an Ludwig Strauß.
Die Diskussionsteilnehmer Franz Rosenzweig Arthur Liebert Ernst Cassirer Richard Kroner Nicolai Hartmann Paul Kluckhohn Manfred Schröter Wilhelm Böhm Ludwig Strauß Wilhelm Böhm Ludwig Strauß Wilhelm Böhm Adolf Allwohn Hinrich Knittermeyer Ferdinand Clemens
der ersten Periode und ihre ,Favoriten'
(22.3.1917) (1918) (1917/1918) (1921/1924) (1923) (1925) (1926) (1926) (1927) (1927) (1927) (1928/1930) (1927) (1929) (1930)
-
Schelling. Schelling. Schelling und Hölderlin. Schelling und Hölderlin. Schelling und Hölderlin. Schelling. Schelling. Hölderlin. Schelling. Hölderlin. Schelling. Hölderlin. Schelling. Schelling. Schelling.
Die königliche Bibliothek in Berlin erwirbt 1913 das Hegelmanuskript Erstpublikation durch Franz R o s e n z w e i g , in: S i t z u n g s berichte der Heidelberger - A k a d . d. Wiss., P h i l - h i s t . Kl., -5. Abh.
1917
_L E r n s t C a s s i r e r , in: L o g o s , Int. Zeitschr. für P h i l . d. Kultur, Bd. 2 1 .
1917/ 1918
Ί
F r a n z R o s e n z w e i g , Hegel und der Staat, 1.Bd. München/ Berlin.
1920
W i l h e l m B ö h m , in: DVjs.,
1926 4-Jahr9-
W i l h e l m B ö h m , in: D V j s . , 5. Jahrg.
W i l h e l m B ö h m , in: D V j s . , 5. Jahrg., B e m e r k u n g der Schriftleitung.
" L u d w i g Strauß, in: D V j s . "5. J a h r g .
I
^Ludwig S t r a u ß , >5. J a h r g .
A d o l f A l l w o h n , in: KantSt., E r g ä n z u n g s h e f t 61.
1927
1 9 2 8 Ί Ο Ο Π l y o U
in: DVjs.,
w i l h e l r n
B ö h m , Hölderlin · ' · B u c h v e r ° f f e n t l - bei Max Niemeyer, H a l l e - S a a l e .
(2
Bd
Hölderlin Legende
positive R e s o n a n z : positive R e s o n a n z (modifiziert): Kritik: Kritik (implizit):
Schelling
u
Zweite Periode
(1931-1965)
Kurt Schilling
(1934)1
Kurt Schilling, neben Johannes Hoffmeister (s. u.) der erste Autor der zweiten Periode überhaupt, der, wenngleich nur in Form einer Marginalie, das Systemprogramm in seine Überlegungen über die frühe geistige Biographie Schellings miteinbezieht, stellt sich am Ende seiner Studie über Schelling die Frage, nicht allein, ob „die Entstehung des Schellingschen Systems" sich in gedanklicher Folgerichtigkeit vollzogen habe, sondern auch, ob sie in all ihren Etappen und „schon von Anfang an" als ein Schelling jederzeit bewußtes Programm verstanden werden müsse. In Anbetracht der ,ganz immanenten sachlichen Interpretation der Schriftenreihe Schellings' müsse man, so Schilling, zu dem Ergebnis kommen, daß Schelling im „System des transzendentalen Idealismus" (1800) nur dasjenige „seiner letzten Erfüllung" entgegenführte, was er in der Schrift „Vom Ich" (1795) „ursprünglich bereits" in einem „alle einzelnen Schritte latent enthaltenden Gedanken" antizipiert hatte. (134) Den „konsequenten systematischen Abschluß" der Frühentwicklung Schellings soll das System von 1800 repräsentieren, wenn es die schon 1795 entworfene intellektuelle Anschauung der philosophischen Wahrheitssuche in die ,ästhetische Anschauung als des Organs der Philosophie' ausmünden läßt. Wenn Schilling also meint, seine erste Frage nach der logisch konsequenten Abfolge der rein sachlichen Entwicklung Schellings von 1795-1800 definitiv positiv beantworten zu müssen, dann nimmt er in Beantwortung der zweiten eine ungleich verhaltenere Position ein. Zwar sei es ausgemacht, daß das ausgereifte System von 1800 nur die faktische Auflösung eines tatsächlich schon von langer Hand her vorbereiteten Problems war, und daß dieses ursprüngliche Problem - wenngleich latent - alle zu seiner
1
K u r t Schilling, N a t u r u n d Wahrheit. U n t e r s u c h u n g über E n t s t e h u n g u n d E n t w i c k l u n g des Schellingschen S y s t e m s bis 1800, M ü n c h e n 1934, S. 135 f.
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Zweite Periode ( 1 9 3 1 - 1 9 6 5 )
Beantwortung notwendigen gedanklichen Schritte selbst schon in sich geborgen habe. Was hier, der Anlage nach, vorhanden war, sollte dort, zum Zeitpunkt des vorläufig ersten ,Höhepunkts der Philosophie Schellings' nur endgültig expliziert worden sein. Aber „eine ganz andere Frage" sei es eben doch, „ob Schelling sich schon von Anfang an aller Konsequenzen seines ursprünglichen Apergus bewußt gewesen ist, seine literarische Produktion also psychologisch zu verstehen wäre als bloße Ausarbeitung eines Programms - . . . - oder ob nur ein Schritt immer den anderen nach sich gezogen hat, sodaß erst der Uberblick über die Gesamtentwicklung, den Schelling hier nimmt, ihm den vollen Zusammenhang und damit die Bedeutung des letzten Gliedes erschloß". (134/35) Schilling seinerseits neigt eher zur Annahme der zweiten - tendenziell gegenprogrammatischen Variante, die entsprechend auch seiner ganzen voraufgegangenen Darstellung der Jugendentwicklung Schellings zugrundelag. Die erste Variante mit ihrer Behauptung, Schelling habe „schon von Anfang an die Rolle des Ästhetischen für sein System durchschaut", und es habe ihm „mehr oder weniger das ganze System, wie es um 1800 entstanden ist, der Disposition nach von Anfang an vor Augen gestanden" (135), soll sich nun aber mit Hilfe der von Franz Rosenzweig publizierten Hegelhandschrift argumentativ untermauern lassen. Denn schon das, von Rosenzweig Schelling zugeschriebene und auf 1796 datierte sogenannte „älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus" habe von dem ,höchsten Akt der Vernunft' als von einem „ästhetischen" gesprochen. - Wenngleich nun aber auch, so Schillings vorläufiges Resümee, „Rosenzweigs Datierung und Zuschreibung an sich recht überzeugend" sei, so könne er doch trotzdem nicht Rosenzweigs Uberzeugung teilen, es handle sich bei dem Fragment zweifelsfrei um ein Schellingsches Original. Schilling schließt sich vielmehr der modifizierenden Sichtweise Ernst Cassirers an, daß nämlich der Gedanke, die intellektuelle Anschauung in die ästhetische zu überführen, ursprünglich von Hölderlin stamme, oder, in abgeschwächter Formulierung, „zum mindesten von Hölderlin in Schelling geweckt worden" sei. Daß nämlich Hölderlin schon 1794 der ästhetischen Anschauung jene dann auch vom Systemprogrammautor postulierte Ausnahmestellung zuerkannt wissen wollte, geht nach Schilling unmißverständlich aus jener inzwischen ,berühmt' gewordenen Briefstelle Hölderlins an Schiller hervor. In jenem Brief vom 4. September 1795 heißt es: „Ich suche mir die Idee eines unendlichen Progresses der Philosophie zu entwickeln, ich suche zu zeigen, daß die unnachlässige Forderung, die an jedes System gemacht werden muß, die Vereinigung des Subjekts und Objekts in einem absoluten - Ich
Kurt Schilling (1934)
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oder wie man es nennen will - zwar ästhetisch, in der intellektualen Anschauung, theoretisch aber nur durch eine unendliche Annäherung möglich i s t . . . " (135) Ist dieses ästhetisch pointierte vereinigungsphilosophische Anliegen Hölderlins aber für den zweiten Teil des Systemprogramms vorbildlich, und hatte vor allem Cassirer von hier aus eine direkte Einflußnahme Hölderlins auf Schelling behauptet, dann war schon Rudolf Haym im Jahre 1870 - trotz Unkenntnis jener Hegelhandschrift - in seinem Buch „Die romantische Schule" zu einer ganz ähnlichen Auffassung gelangt. Dort nämlich traf er die Feststellung, „daß Hölderlin damals (in den Jahren 1794/95 also, F.-P. H.) auf dem gleichen Standpunkt stand, wie Schelling einige Jahre später im System des transzendentalen Idealismus". (135)2 Schilling jedenfalls plädiert zum Abschluß seiner Kurzdarstellung noch einmal für die Lesart Cassirers, nicht zuletzt auch deswegen, weil er die für seine ganze Abhandlung maßgebliche (eben tendenziell gegenprogrammatische) zweite Variante nachträglich nochmals absichern möchte. Selbst nämlich, wenn es sich bei dem Programm - wie von Rosenzweig behauptet um ein Fragment Schellings handeln sollte, so müsse man doch die von Cassirer inaugurierte Hypothese einer erweiterten Erklärung zugrundelegen. Danach sei „also zwar bereits sehr früh die Absicht, mit der Ästhetik das System abzuschließen von außen an Schelling herangetragen" worden, letztlich aber sei „eine diesbezügliche Gedankenkette . . . in seiner Entwicklung nur mehr oder weniger seitwärts vom Hauptstrom seines Interesses" nebenhergelaufen, um „erst in dem Augenblick größere Bedeutung" zu gewinnen, „als auch von der sachlichen Grundlage der Naturphilosophie aus das systematische Bedürfnis nach einem philosophischen Wahrheitskriterium relevant wurde". (135/36) Für die von ihm (Schilling) vorgenommene Untersuchung aber, in „der es lediglich auf eine Interpretation der systematischen Einheit der Entwicklung Schellings ankam", ist dieses für die Systemprogrammdiskussion inzwischen typische Pro und Contra selbstverständlich nur von sekundärer Bedeutung. Denn ob man sich angesichts der für seine Abhandlung maßgeblichen Fragestellung nun für die von Rosenzweig oder auch von Cassirer bezogene Position entscheide, sei für deren spezielles Resultat letztlich unerheblich.
2
Vgl. entsprechend Rudolf Haym, Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes, Berlin 1870, S.305.
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Zweite Periode ( 1 9 3 1 - 1 9 6 5 )
Emil Staiger (1935f Emil Staiger hat in seiner mit viel Rhetorik vorgetragenen Studie das Stichwort für eine spezielle Interpretationsweise des Systemprogramms gegeben, die, ihrer ,Einmaligkeit' zum Trotz, nur von der schon 1941 fertiggestellten, aber erst 1949/50 angenommenen Dissertation Richard Geis' (s. u.) wieder aufgenommen und systematisch durchgeführt worden ist. Wenn nämlich Ernst Cassirer schon 1917/18 die These vertreten hatte, es handle sich bei dem Entwurf um eine Gemeinschaftsarbeit von Schelling und Hölderlin, dann greift Staiger diesen vermittelnden Interpretationsansatz seines Vorgängers zwar generell auf, um ihn dann jedoch um einen charakteristischen Gesichtspunkt zu ergänzen. Das Systemprogramm ist ihm zufolge zwar „stark von Hölderlin inspiriert", aber man könne diesem frühesten „Entwurf idealistischer Systematik" nur dann ganz gerecht werden, wenn man ihn „als letztes Dokument, an dem noch alle drei Freunde mehr oder minder beteiligt sind", betrachte. (31) Diese auch Hegel in die Diskussion um das Programm miteinbeziehende Position ist dann freilich bei Staiger so gut wie unausgeführt geblieben. Denn kaum daß er diese doch immerhin originelle Variante in Vorschlag gebracht hat, schwenkt er schon wieder in das von Ludwig Strauß kreierte und für die ganze zweite Periode verbindliche traditionelle Interpretationsschema ein, der von Hölderlin inspirierte Schelling habe als der Verfasser des Fragments zu gelten. Zwar scheint es auch ihm bedenklich, daß der für seine ausgeprägte Esoterik bekannte Schelling einen Entwurf geschrieben haben soll, „dessen Gehalt so durch und durch volkspädagogisch orientiert ist, . . . " ; aber Staiger begegnet diesem sich meldenden Vorbehalt gegen Schellings Verfasserschaft dadurch, daß er sich der in Rosenzweigs Nachfolge befindlichen Position Strauß' Punkt für Punkt anschließt. Der junge Schelling soll demnach das für das Systemprogramm charakteristische demokratische „Pathos" nicht allein in seinen in etwa gleichzeitig erschienenen Abhandlungen ein ums andere Mal aufgegriffen haben, sondern auch „in den Briefen an Hegel" soll es immer wieder zum Vorschein gekommen sein. Außerdem aber lassen sich nach Staiger die ethischen und geschichtsphilosophischen - , ebenso wie auch die poetischen und religionsphilosophischen Ansätze des Fragments sehr wohl
1
Emil Staiger, D e r Geist der Liebe und das Schicksal. Schelling, Hegel und Hölderlin, in: Wege zur Dichtung, Bd. 19, Frauenfeld/Leipzig 1935, S . 3 1 ff., 38 (implizit), 52 f., 59, 62 f.; außerdem: Literaturverz. 7/8, 122 A n m .
Emil Staiger (1935)
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mit „Schellings philosophischer Entwicklung" vereinbaren, auch wenn man konstatieren muß, daß für die Vielzahl und Intensität der in dem Entwurf aufgeführten Programmpunkte Hölderlins anregende Gegenwart förderlich gewesen sein mag. Für Schelling typisch dagegen sollen folgende auch schon von Strauß hervorgehobene Merkmale des Textes sein: Eine ausgeprägte ,Herrscherfreude', der extreme revolutionäre Elan, „der keines Gegners Anspruch schont", und schließlich ein von keinen Zweifeln und Skrupeln angekränkeltes ,gesundes' Selbstbewußtsein. (cf. 32) Nur das Antizipationsgenie Schelling - , dem dann von der Schellingforschung der 50er Jahre (so bei Zeltner, Jaspers und Schulz, s. u.) eine Ehrenrettung nach der anderen zuteil wurde, wenn er gleichzeitig von dem Hegeischen Vorurteil freigesprochen wurde, eine Proteusnatur gewesen zu sein - , habe „mit solcher Ungeduld der Erfüllung" eine ganze Zukunft auf zwei Seiten vorwegnehmen können. Denn: „Die Botschaft des Systemprogramms, das missionäre Pathos des Jünglings erlebt im Mann, der das Leben erfahren, eine nüchtern-entschlossene Auferstehung". (52/53) Derjenige aber, der diese Kühnheit, Böhms gegenteiliger Behauptung zum Trotz, am wenigsten aufzubringen vermochte, war „der scheue Jüngling" Hölderlin, den - und auch hierin bleibt Staiger der Sichtweise seines Vorgängers Strauß verpflichtet - „vor Schillers Grösse bangte..." (32) Hegels Berner und Frankfurter Arbeiten schließlich waren „lange nicht so glanzvoll wie des Freundes Systemprogramm, (dafür, F.-P. H.) aber umso überdachter, detaillierter und tragfähiger". (59)4 Angesichts dieses eher als traditionell zu apostrophierenden Interpretationsansatzes ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, daß Staiger
4
Vgl. ebenso auch die vorurteilsbefrachteten, feuilletonistischen Ausführungen der Seiten 62 f.; dort heißt es: „Eben damals schreibt er sich (gemeint ist Hegel, F.-P. H.) Schellings Systemprogramm ab, das Manifest des jüngeren Freundes, der so zuversichtlich erklärt, dass er das ganze elende Machwerk von Kirche und Staat, Verfassung, Recht über den Haufen rennen werde. Hegel ist jetzt schon weit entfernt von solchen enthusiastischen Plänen. Freilich, auch bei ihm vernimmt man oft genug den Schrei der Entrüstung. Ja, er kommt wohl aus tieferer Brust als Schellings drängerisches ecrasez l'infäme. A b e r Hegel sieht zu klar die zwingende Logik im Gange der Dinge, die Unentbehrlichkeit der geschmähten, gewiss bedenklichen Institutionen, um wie Schelling ohne weiteres herzhaft dagegen zu revoltieren. So werden die Berner Jahre für ihn Jahre trüber Resignation, noch mehr verdüstert durch die wenig erquicklichen äussern Verhältnisse, den Aufenthalt in einer Stadt, mit der er sich nicht befreunden konnte, in einer Familie, die ihm fremd blieb, und den Zwang des Hauslehreramtes, dem er kein Interesse abgewann. Man könnte fast zu glauben geneigt sein, dass er die Sprache der Jugend, die hohen Gedanken bereits vergessen habe, während er mühsam .unterhandelt mit der trägem Wirklichkeit'."
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Zweite Periode ( 1 9 3 1 - 1 9 6 5 )
wenige Seiten später Rosenzweigs mythologisches Hauptargument einer erneuten Besprechung für wert befindet. Zwar bemerkt auch er einen Widerspruch zwischen ,Schellings esoterischer Haltung um die Wende des Jahrhunderts' und der demokratischen Grundeinstellung des vier Jahre zuvor entstandenen Entwurfs; aber wenn auch zu diesem späteren Zeitpunkt die volkspädagogische Grundhaltung des Programms ganz offensichtlich hinter „dem anderen Gedanken", der „die strengste Auswahl begnadeter Geister" fordert, zurücktritt, dann holt sich Staiger in Schellings 1795er „Briefen über Dogmatismus und Kritizismus" Rat, um diesen handgreiflichen Widerspruch dennoch schlichten zu können. Charakteristischerweise jedoch stellt sich bei seinem Rosenzweig nachempfundenen Versuch, den festgestellten Widerspruch aus der Welt zu schaffen, dieser Widerspruch im Resultat nur um so deutlicher wieder ein. Denn wenn der konstatierte Gegensatz zunächst immerhin noch innerhalb eines vergleichsweise großen Zeitraums von vier Jahren angesiedelt war, dann schrumpft dieser Zeitraum in dem Augenblick auf nur e i η Jahr zusammen, wenn die in Wirklichkeit eben doch als esoterisch zu qualifizierenden „Briefe" als Beweismittel herangezogen werden, um - paradoxerweise -
Schellings
gegenesoterische Haltung der Jahre 1795/96 zu belegen. Staiger, genauso wie vor ihm schon Rosenzweig, wird das Opfer seiner eigenen Voraussetzung, wenn er glaubt, mittels der 1795er Publikation Schelling von dem Verdacht des Geistesaristokratismus freisprechen zu können. Denn der Textauszug, den er bemüht, spricht eine andere - nämlich genau entgegengesetzte - Sprache als die, die der Interpret, seinem Erkenntnisinteresse gemäß, in ihm finden möchte. Soll Schelling, Staiger zufolge, 1795 noch „in einwandfreier Distinktion" volksaufklärerische Absichten von dem sich erst um 1800 endgültig durchsetzenden Initiationsritus
unterschieden
haben, dann begeht Schelling in Wirklichkeit schon in dieser frühen Abhandlung jenes zunächst verworfene „Verbrechen an der Menschheit, (nämlich, F.-P. H . ) Grundsätze zu verbergen, die allgemein mitteilbar sind", wenn er - und wir zitieren hier nur Staiger - wörtlich fortfährt: „Aber die Natur selbst hat dieser Mitteilbarkeit Grenzen gesetzt; - sie hat für die Würdigen
eine Philosophie aufbewahrt, die durch sich selbst zur
esoterischen wird, weil sie nicht gelernt, nicht n a c h g e b e t e t , . . . werden kann, . . . und das (gemeint ist das esoterische ,Symbol für den Bund freier Geister', F.-P. H . ) . . . für die andern ein ewiges Rätsel sein wird." (38) Dieser ausgeprägte Traditionalismus von Staigers Gesamtwürdigung des Systemprogramms mag der Grund dafür gewesen sein, daß diese Veröffentlichung - jedenfalls in den Teilen, die sich mit der Hegelhand-
Johannes Jeremias (1938)
93
schrift beschäftigen - bis heute in vollständige Vergessenheit geraten ist. Publikationen diesen Geistes sind ohnehin längst Legion. Kein Autor, der in den nächsten fünf Jahrzehnten wie auch immer ausführlich mit dem Systemprogramm befaßt war, hat diese Schrift zur Kenntnis genommen. Sie wird in keinem einschlägigen Literaturverzeichnis - auch nicht in demjenigen der 1984er Dokumentation Christoph Jammes und Helmut Schneiders - erwähnt, so daß es de facto nur der nicht weniger unbekannt gebliebene Richard Geis gewesen ist, der in seiner 1950er Dissertation den gedanklichen Ansatz dieser Arbeit nicht allein zu würdigen, sondern auch systematisch auszuarbeiten und zu gestalten wußte (s. u.). Jenen Ansatz, der Hegel in die Diskussion um das Fragment miteinbezog und so die von Ernst Cassirer ins Leben gerufene Gemeinschaftsarbeitshypothese um einen interessanten Aspekt zu erweitern versprach. - Emil Staiger jedenfalls, so können wir resümierend festhalten, schien eben genau dasjenige n i c h t „der Beachtung wert" zu sein, was doch als seine ureigenste ,Erfindung' angesprochen werden muß: Die These, daß es sich bei dem Systemprogramm um das „letzte Dokument" handelt, „an dem noch alle drei Freunde mehr oder minder beteiligt sind". (31) Die die nächsten drei Jahrzehnte dominierende Strauß-Rosenzweig-Variante blieb auch sein letztes Wort.
Johannes Jeremias (1938f Die von Johannes Jeremias 1938 angefertigte Schallanalyse des Systemprogramms war auf Anregung Rudolf Pannwitz' zustandegekommen, der
5
Johannes Jeremias, Neues zur stimmvergleichenden Statistik des Prosarhythmus, in: Deutsches Pfarrerblatt, 42, Essen 1938, S . 3 8 f . Neudruck in: Hegel-Studien 12, Bonn 1977, S. 3 6 - 4 0 . Dieser Neudruck ist in den Aufsatz Friedhelm Nicolins „Aus der Uberlieferungsund Diskussionsgeschichte des ältesten Systemprogramms", a. a. O . S. 2 9 - 4 2 , integriert. Nicolin publiziert an dieser Stelle auch den in den Umkreis der „stimmvergleichenden Statistik" gehörigen Briefwechsel des Jahres 1937 zwischen „dem Kulturphilosophen und -pädagogen" Rudolf Pannwitz ( 1 8 8 1 - 1 9 6 9 ) und dem Schwiegervater Ludwig Strauß' Martin Buber, dessen wesentliche Aussagen im folgenden resümiert werden. Zu den Quellen dieser Korrespondenz vergleiche die Anm. 12 des Aufsatzes von Nicolin, a . a . O . S.33. A m Schluß der zweiten Periode wird dieser Briefwechsel zum Systemprogramm noch einmal gesondert aufgelistet, da er in der zweiten Tafel, genauso wie der Briefwechsel Franz Rosenzweigs zum Systemprogramm in der ersten, unberücksichtigt bleiben mußte. Der Aufsatz von Jeremias wird nach der Paginierung des Deutschen Pfarrerblattes zitiert.
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Zweite Periode (1931-1965)
den Nachfolger Eduard Sievers' „um eine abhörung des tones auf Hölderlins gleichzeitige aufsätze und auf Schellings frühzeit hin gebeten" hatte. 6 Rudolf Pannwitz waren auf Veranlassung Martin Bubers „die Schriften von Franz Rosenzweig' zugestellt worden, und unter ihnen befand sich auch der 1926 in Berlin erschienene Sammelband „Zweistromland", der einen Neuabdruck der Rosenzweigschen Systemprogrammstudie nebst Neuedition der Handschrift enthielt. Am 2 9 . 1 . 1 9 3 7 antwortete Pannwitz auf den Brief Martin Bubers vom 1.1.1937, in dem dieser ihm die Schriften Rosenzweigs vorangekündigt hatte. Dieser Antwortbrief macht vor allem eines deutlich: Pannwitz war nicht allein über die gängige Datierung des sogenannten Schellingianums schlecht informiert - er datiert es auf 1797 sondern auch seine Vertrautheit mit der damals zwei Jahrzehnte dauernden Forschung kann nur als äußerst bruchstück- und lückenhaft bezeichnet werden. War sich nämlich die Forschung bis dahin, noch diesseits der fraglichen Verfasserschaft, wenigstens insofern einig, als Entstehungszeit der Handschrift das erste Halbjahr 1796 anzunehmen, dann kann auch Pannwitz' Suche nach dem Systemprogramm so besonders intensiv nicht gewesen sein, wie er selbst es behauptet. Er hätte, um an den Text heranzukommen, eben nur einen Blick in die 5. Abhandlung der Phil.-hist. Klasse der 1917 erschienenen „Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften" werfen müssen, um fündig zu werden. Aber auch in Fragen der Autorenzuweisung befindet er sich nicht auf dem aktuellen Stand der Dinge. Zwar unterläßt er es nicht, den „philologisch-historischen apparat und . . . die wesentlichen deutungen" Rosenzweigs lobend hervorzuheben, aber wenn er sich dann seine Meinung nach dem Hörensagen bildet, es stünde „heute fest dass es von Hölderlin ist", so ist diese Meinung eben auch nur eine Meinung. Sie kann jedenfalls fehlendes Wissen auch dann nicht ersetzen, wenn Pannwitz in der Folge von seinem Bemühen spricht, „die spräche (des Systemprogramms, F.-P. H.) zu hören", und das Ergebnis dieser Hörversuche, „danach . . . auch nichts anderes (mehr als Hölderlins Autorschaft, F.-P. H.) für möglich" zu halten, hat dann selbstverständlich seiner zuvor getätigten Meinungsbildung auch nur diese ,Einsicht' voraus, daß „eine vergleichung der pläne Vorstellungen und begriffe bis in Hölderlins späteste weit" reiche. Aber auch dieser ,Einfall' Pannwitz'
6
Vgl. F. Nicolin, a. a. O . S. 35 (Rudolf Pannwitz an Martin Buber, Brief vom 20.2.1937). Zur Biographie Jeremias' und Sievers' und zur Charakteristik des schallanalytischen Verfahrens vgl. die Anm. 17 u. 18 bei Nicolin, a. a. O. S. 34.
Johannes Jeremias (1938)
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soll nach seinem eigenen Bekunden - worauf er freilich kaum noch hätte ausdrücklich hinweisen müssen - „gar nichts von der bedeutung der aufweisung der zusammenhänge mit Schelling" wegnehmen. Man müsse eben nur, so eine ,pfiffige' Schlußbemerkung, „die spitze des pfeils . . . umkehren". (Nicolin, 33) Nicht zuletzt diese lückenhafte Informiertheit seines Gesprächspartners mag Martin Buber veranlaßt haben, ihm die beiden 1927er Arbeiten von Ludwig Strauß zum Systemprogramm, also diejenigen, die die erste ,heiße' Phase der Debatte mit Wilhelm Böhm eröffneten, zuzusenden. In dem Begleitbrief vom 4.2.1937 weist er den Empfänger ausdrücklich auf die seines Erachtens für die Frage nach der Autorschaft des Fragments gewichtigen Argumente seines Schwiegersohns hin. Er selbst glaube freilich „an einen damaligen elementaren, also bis an die Wurzeln der Sprache rührenden Einfluß Hölderlins auf Hegel und Schelling und an ein geradezu leibliches Symphilosophieren". (Nicolin, 34) Rudolf Pannwitz' Antwort vom 20.2.1937 auf diese Materialsammlung, die den unausgesprochenen Zweck verfolgt haben mochte, ihn mit dem aktuellen Informationsstand bekannt zu machen, enthält nun jenen schon oben bemerklich gemachten Hinweis auf die von ihm initiierte Schallanalyse. Er habe, natürlich nicht ohne Skrupel und unter Vorbehalten - „ich weiss nicht ob es zu billigen ist oder nicht?" - Johannes Jeremias um die Klanguntersuchung der Handschrift gebeten und weiß jedenfalls insofern seinen - nur allzu berechtigten - Zweifeln zu begegnen, als es sich ja schließlich, wie er erläuternd hinzufügt, bei diesem Mann um den allseits bekannten „nachfolger von Sievers in der klangforschung am Neuen Testament doch ausserdem sehr bedeutenden theologen philologisch-historischkosmischer methode)" handelt. (Nicolin, 34/35) Zur weiteren Legitimation seines Schrittes weiß er dann auch noch darauf hinzuweisen, daß „morphologisches . . . als naturforschung immer wert da (hat, F.-P. H.) wo naturformen den geist tragen". Zwar stimme er nunmehr der von Martin Buber an ihn herangetragenen Straußschen Argumentation zu, daß nämlich „die Verankerung in Schelling wort für wort . . . zwingend" sei, vermerkt auch enthusiasmiert, daß Bubers Hinweis auf „die gemeinschaft der drei und Hölderlins leitender anteil" ihn überwältigt habe, aber seine bemühten Hörversuche lassen ihn immer noch zur Vorsicht gemahnen: „ich höre nun einmal unmittelbar Hölderlin sprechen." Letztlich nämlich, so weiß er es darzustellen, hätten diese um Wissenschaftlichkeit bemühten Skrupel ihn veranlaßt, es nunmehr mit der „stimmvergleichenden Statistik des Prosarhythmus" zu versuchen, „darum möcht ich wissen was man - nur um die
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Streitfrage nicht irgendwie einseitig orientiert - vom klang aus sagen wird." (Nicolin, 35)
Am 15.4.37 endlich weiß Rudolf Pannwitz es zu sagen! Die „klanganalytische Untersuchung über Hölderlin-Schelling", so teilt er Martin Buber mit, „ist gemacht worden und soll auch veröffentlicht werden". Wir geben das Folgende im Wortlaut wieder, nicht ohne schon hier darauf hinzuweisen, daß Pannwitz offensichtlich nicht einmal dazu in der Lage gewesen ist, das Ergebnis der von ihm für so aufschlußreich gehaltenen Schallanalyse korrekt wiederzugeben. Johannes Jeremias nämlich beschließt seine ,akribisch' durchgeführte Klanganalyse wörtlich wie folgt: „Nach Ausweis der vorgenannten rhythmischen Werte ist Hegel wahrscheinlich der Urheber des anonymen Systemprogramms des deutschen Idealismus", und: „Hölderlin scheidet aus der engeren Auswahl als Urheber des Systemprogramms aus, . . ( 3 9 ) Schelling gar - die dritte Testperson - findet überhaupt keine Erwähnung mehr . . . Und nun Pannwitzens Lesart: „das kurze resultat (also rein phonetisches!): Hölderlin vollständig ausgeschlossen, der befund (genaue fixierung aufs individuum ist unmöglich [wie verträgt sich dies mit dem soeben noch behaupteten vollständig ausgeschlossen'?, F.-P.H.]) kommt am nächsten an Schelling heran, könnte auch zu Hegel noch passen und erinnert noch an Schiller, es handelt sich um eine bestimmte methode die mit Sicherheit erst generaltypen feststellen kann, für Dich ist nun was Du ohnedies wusstest bestätigt und für mich ist mein ohreneinwand beseitigt, ich bin sehr für solche methoden wo sie in eine lücke springen oder von ihrer seite aus geistige einsichten ergänzen." (Nicolin, 35)
Martin Bubers Antwort vom 20.4.1937 auf diese sogenannten geistigen Einsichten war, ohne daß er den Befund des Interpreten mit demjenigen des Originals hätte vergleichen können, entsprechend unterkühlt. „Uber Schallanalyse im allgemeinen" könne er „nicht urteilen", er müßte „erst Proben anstellen". (Nicolin, 35) Vielleicht, so dürfen wir mutmaßen, war ihm eine Ahnung davon gekommen, daß sein Gesprächspartner es vorzog, nicht nur ohne Proben, sondern gleich noch an allen Proben vorbei zu urteilen. Aber auch Bubers Urteil über die Protagonisten der Schallanalyse fiel nicht gerade positiv aus, eher im Gegenteil: Er habe nämlich „gegen Sievers ein Dossier beisammen, eine Reihe stärkster Bedenken auf Grund genauer Nachprüfung. Zu Joh. Jeremias' Arbeiten an den Evangelien", mit diesen Worten schließt die Korrespondenz, „will ich Dir mündlich darlegen, an einem Beispiel, was mir daran problematisch erscheint". (Nicolin, 35)
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Friedhelm Nicolin freilich, eingeweiht in die Intention von Bubers Lebensarbeit, erklärt - was hier noch ausdrücklich erwähnt werden soll die offensichtliche Reserviertheit Martin Bubers gegen die angestrengten phonetischen Methoden mit dem Hinweis darauf, „daß das von Pannwitz Ubermittelte in einen Herzbezirk von Bubers eigenem Nachdenken und Arbeiten hineinreichte.... So urteilte er hier als Beteiligter und Betroffener. Worauf sich (aber, F.-P. H.) seine Einwände gegen Sievers und Jeremias im einzelnen richteten", wisse er (Nicolin) „leider nicht" zu sagen. (Nicolin, 35/36) Er sehe schließlich in „der Initiative von Pannwitz ... den interessanten Aspekt eines Versuchs, die inhaltliche Diskussion des Systemprogramms durch objektivierende sprachanalytische Verfahren zu ergänzen, um der Bestimmung des Verfassers näherzukommen. Im übrigen" aber, auch wenn „überraschenderweise" das - wie auch Nicolin bemerkt - in der „stimmvergleichenden Statistik" Johannes Jeremias' „veröffentlichte Ergebnis nicht mit dem, was Pannwitz zuvor an Buber schrieb", übereinstimme, verdienten „auch die subjektiven Stellungnahmen dieses Briefwechsels . . . (als, F.-P. H.) Momente der Auseinandersetzung um das Programm, . . . vermerkt zu werden." (Nicolin, 36) Diesem zeitgeschichtlichen Interesse wollten wir in Rekapitulation der Korrespondenz ein Genüge tun, auch wenn wir eher der zugegebenermaßen polemischen Ansicht zuneigen, daß dieser Kuriositätensammlung in Briefform die Schallanalyse eines Johannes Jeremias gleichberechtigt zur Seite steht. Nicolin seinerseits ist jedenfalls auch nicht unbedingt positive Partei, wenn er das Untersuchungsergebnis der „stimmvergleichenden Statistik des Prosarhythmus" Revue passieren läßt. Zwar verdiene das „Fazit" des Autors, daß „,Hegel wahrscheinlich der Urheber des anonymen Systemprogramms'" sei, „als solches Beachtung". Betrachte „man allerdings die vorliegende Erörterung im ganzen, beginnend mit der nicht genügend gesicherten Ausgangsbasis (ungenau bezeichnete und darum nicht nachprüfbare Textstücke, wozu im Falle Hegels die nicht hinreichend originalgetreue Wiedergabe durch die Νoh Ische Edition tritt), so erscheint die Frage weniger beantwortet als in der Schwebe gehalten". (Nicolin, 40/41) Sein auf das Scheitern dieses Erstversuchs antwortendes Plädoyer für eine in der Gegenwart neu aufzunehmende ,mathematisch-statistische Analyse des Systemprogramms' (Nicolin, 41), muß an dieser Stelle vorerst unberücksichtigt bleiben. Wir werden erst in der dritten Periode auf dieses neuerliche Anliegen und auf diesen Aufsatz insgesamt zu sprechen kommen, können aber abschließend nur der Einschätzung Nicolins beipflichten, daß sowohl die Schallanalyse, als auch die Buber-Pannwitz-Korrespondenz „zwar die
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gegenwärtige Argumentation des noch unabgeschlossenen Streitgesprächs kaum beeinflussen" werde, „aber doch die Palette der bisher in ihm angeklungenen Motive farblich" bereichere. (Nicolin, 32). Da es für unseren Zusammenhang nur darauf ankommt, Direktaussagen über das Systemprogramm zusammenzustellen, und da der Leser nicht mit wie auch immer sinnvollen statistischen Erhebungen gelangweilt werden soll, beschränken wir uns in unserer Wiedergabe von Jeremias' „Neues zur stimmvergleichenden Statistik des Prosarhythmus" auf die das Systemprogramm direkt betreffenden Ausführungen des Autors. 7 Den Interessenten des statistischen Apparats empfehlen wir, sich an die Nicolin-Publikation zu halten, da das Original nur schwer beschaffbar ist. Nach einem kurzen Hinweis auf die Geschichte der rhythmisch-statistischen Forschung und ihre inzwischen wissenschaftlich abgesicherte Mehrzweckverwendung teilt Jeremias dem Leser mit, daß sich ihm „ungesucht" ein „Anlaß" bot, „eine Urkunde des hochdeutschen Schrifttums, deren Verfasserschaft nicht eindeutig feststeht, durch Stimmvergleichung des Prosarhythmus der als Urheber in Betracht kommenden Personen rhythmisch-statistisch zu untersuchen". (38) Jeremias meint „das 1913 entdeckte älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus". Dieses Fragment „aus Hegels Nachlaß" - hierin schließt sich Jeremias den Überlegungen der Erstpublikation Rosenzweigs an - „ist auf Grund wissenschaftlich unbestrittener Schriftenvergleichung von Hegel 1796, spätestens im August, handschriftlich abgefaßt, weist aber weder Verbesserungen noch Randbemerkungen auf, wie sie sonst (wiederum nach Rosenzweig, F.-P. H.) fast sämtliche Manuskripte des Philosophen Hegel zeigen". (38) Von dem Inhalt der Handschrift weiß Jeremias - Rosenzweig nachfolgend - mitzuteilen, er sei „hinreißend, revolutionär und aufbauend zugleich, einem Sturzbach zu vergleichen, der am Ende im Strom ruhiger Betrachtung mündet". (38) Den Verlauf der Rezeptionsgeschichte des Programms faßt Jeremias in die Information zusammen, daß „die germanistische Forschung . . . sich in der Mehrheit für Schelling als Urheber, eine kleine Minderheit für Hölderlin" entschieden hätte. „Alle drei Philosophen - Hegel, Schelling, Hölderlin - besuchten in der Jugendzeit das Tübinger Stift, waren in ihrem Werdegang miteinander verbunden und hatten eine und dieselbe geisteswissenschaftliche Schulung." (38) - Soweit Jeremias zum Systemprogramm und zu dessen geistigem Umfeld. Er selbst weist ausdrücklich
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Johannes Jeremias, a . a . O . , „Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin".
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darauf hin, daß die von ihm vorgenommene „Durchprüfung" auf briefliche „Anregung" seitens des Philosophen Rudolf Pannwitz zustandekam. Um aber doch, jedenfalls die nötigsten Informationen über die zwei Tabellen am Ende des Textes zu geben, sei folgendes mit Jeremias angemerkt: Diese beiden Tabellen enthalten „die rhythmischen Werte vom Systemprogramm unbekannter Herkunft sowie von gleichgeschalteten, je 700 Worte umfassenden philosophischen Jugendschriften von Hegel, Schelling und Hölderlin: aus Hegels Schrift ,Positivität' (1800 erschienen), Schellings Abhandlung ,zur Erläuterung des Begriffes der Wissenschaftslehre' sowie Hölderlins gleichzeitiger Abhandlung ,über den Begriff der Sprache' (Jeremias meint wahrscheinlich Hölderlins „Über den Begriff der Strafe", F.-P. H.). Sämtliche Schriften gehören ein und derselben Schrifttumsgattung an und stellen inhaltlich eine Ideengemeinschaft von zeitgenössischen Denkern dar. Von grundlegender Bedeutung für die Feststellung der Urheberschaft der anonymen Urkunde ist die Unterscheidung von Gattungsrhythmus des neuhochdeutschen Schrifttums und Individualrhythmus der Verfasser. Während der Gattungsrhythmus konstante Werte im Durchschnitt aufweist, sind die Werte des Individualrhythmus in den Spannweiten und den Durchschnittswerten des Rhythmus stark differenziert". (38/39) - Indem wir die sich anschließenden ausführlichen Erläuterungen der Tabellen überspringen, wenden wir uns gleich dem schon oben zitierten Ergebnis der Untersuchung zu: „Hölderlin scheidet aus der engeren Auswahl als Urheber des Systemprogramms aus, . . . Hegel (ist, F.-P. H.) wahrscheinlich der Urheber des anonymen Systemprogramms des deutschen Idealismus." (39) Schelling und erst recht der von Pannwitz vollkommen unmotiviert herbeizitierte Schiller bleiben in diesem Resümee unberücksichtigt. Was aber nicht unberücksichtigt bleiben darf, und zwar angesichts des im nächsten Unterabschnitt zu besprechenden Pamphlets Kurt Hildebrandts, „Hölderlin. Philosophie und Dichtung" (1939), ist der Hinweis auf die geistige Atmosphäre, in der sich auch schon Johannes Jeremias' Überlegungen aufhalten. Abschließend nämlich plädiert er für die Notwendigkeit, „die erbkundlichen Forschungen des Rhythmus fortzusetzen, der keine Funktion des Intellekts ist, sondern in seiner fließenden Bewegung eine an Blut und Boden haftende seelische Tätigkeit". (39) Diese Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten wird in Hildebrandts Hölderlinverzeichnung zu einem entschlossenen furor teutonicus, dessen erstes Wort ein ums andere Mal „deutsche", und dessen zweites „Verjüngung" ist, wenn es gilt, den Nachweis dafür zu erbringen, daß „sich vom kategorischen Imperativ (Kants, F.-P. H.) die bolschewistische Maschine
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mit mindestens gleichem Recht ableiten (lasse, F.-P. H.) wie die (von Hildebrandt bei Hölderlin zielsicher gefundene, F.-P. H.) völkische Idee". (Hildebrandt, 63)
Kurt Hildebrandt
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Dieses nazistische Agitationsprogramm, das Hölderlin zum Protagonisten deutsch-vaterländischer Verjüngung aktualisiert, Kant, Fichte und Schiller antideutscher, will sagen, humanistisch-weltbürgerlicher Uberfremdung und Entartung anklagt, um schließlich in Hegel denjenigen zu finden, der „auf das marxistische 19. Jahrhundert vorausschaut" (279), hat, wie nicht anders zu erwarten, in den Kriegsjahren 1939-1943 drei Auflagen erlebt. Kurt Hildebrandt, der sich übrigens für einen „Kenner der Philosophiegeschichte" hält, sieht in dem Text den maßgeblichen Einfluß Hölderlins auf seinen jüngeren Freund sich auswirken. Zwar stamme „der kühne, systematische Zugriff, die klare, begriffliche Ubersicht von Schelling, . . . von Hölderlin (aber, F.-P. H.) die lebendige, führende Schau". (89) Schellings Lebenswerk aber sei nur die - wenn auch philosophisch einseitige Durchführung des auf ,Ganzheitlichkeit', auf die „geistige Führung des
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Kurt Hildebrandt, Hölderlin. Philosophie und Dichtung, Stuttgart, Berlin 1939. Wir zitieren diese 300seitige arische Wesensschau nach der 3. Aufl., 1943, zu deren .Würdigung' es schließlich nur dieser einen Probe bedarf: „Es wäre unrecht, Hegel für die marxistische Anhängerschaft verantwortlich zu machen, aber es ist auch nicht ganz sinnwidrig, daß er der Philosoph des gegenwärtigen Rußland ist, denn zur Selbsterhaltung des persönlich-einmaligen, ewig unersetzlichen deutschen Volks- und Rassegeistes gegenüber den andern Nationen hat er (im Gegensatz zu den Theoretikern deutschen Wesens und Erlebens, Heraklit, Piaton, Leibniz, Klopstock, Herder, Goethe, Schelling und eben allen zuvor: Hölderlin, F.-P. H.) wenig beigetragen." (280) Die einschlägigen Seiten, in denen das Systemprogramm als das Dokument des „ewig unersetzlichen deutschen Volks- und Rassegeistes" qualifiziert wird, sind die der Uberschrift „Hölderlins Einfluß auf Schelling" folgenden (88-101). Außerdem noch: 106, 135/36, 161, 164, 221, 224, 266 und indirekt 249. Der Kürze halber resümieren wir nur den Frontabschnitt' 88 ff.; die Nachfolgestellen sind ohnedies nur propagandistisch einhämmernde Wiederholungen. Vgl. auch Johannes Hoffmeisters Rezension von Hildebrandts Hölderlinverzeichnung, in: Zeitschrift für Deutsche Bildung, 15. Jg., Frankfurt a. Main 1939, S.442f.
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Gesamtlebens" angelegten Hölderlinexposes. 9 Entsprechend wird die Handschrift zum Dokument „hochgemuter" „heroischer Philosophie", die mit dem Schlagwort „Verjüngung" gegen jedwede Form „engherziger (nämlich „hochmütiger", F.-P. H.) Erstarrung" zu Felde zieht, welche Formel jederzeit zu einer persönlichen Beschimpfung wahlweise am „Subjektivisten" Fichte, am ,Mechanisten' Kant oder am ,Dualisten' Schiller gebraucht werden kann. Die ,positiven' Bezugsquellen dieses Ressentiments sind dann in stetem Wechsel sowohl das „Feuer Platonischer Begeisterung", Goethes „heroische" Naturverehrung, nicht zuletzt aber auch „Nietzsches dionysische Weltbejahung" (92), von anderen wahllos aufgelesenen ,Größen' der Philosophiehistorie ganz zu schweigen. Es ist folglich auch nicht weiter verwunderlich, daß sich für Hildebrandt jede Art zeitgenössischer geistiger Einflußnahme oder Schülerschaft sei's auf ein „Unterdrücken" und einen konsequent geführten „Kampf" dagegen, sei's auf eine genialisch inspirierte „Unterordnung", „geistige Führerschaft" und Gefolgschaft einschränkt, die sich vornehmlich des rhetorischen Kürzels, der bombastischen Phrase und der persönlichen Beleidigung zu bedienen weiß. In der „zornigen Polemik" Schellings gegen ,„einen unvertilgbaren gemeinen Grundton seiner (Fichtes, F.-P. H.) Natur'" findet Hildebrandt konsequenterweise „eine der schönsten (Polemiken, F.-P. H.) der deutschen Philosophie". (92) Die ganze Gedankenfolge des Systemprogramms stellt sich denn auch als eine einzige - persönlich motivierte - Kriegserklärung dar: Die identitätslogische „Schöpfung aus Nichts" antwortet auf die Kant- bzw. Fichtesche „Unterdrückung" platonisch inspirierter Alleinheitsbestrebungen. Mit der „Naturphilosophie" wird der „Donnerkeil auf den Gegner" - nämlich „Fichtes Naturhaß" (91) geschleudert. In der „Staats- und Geschichtslehre" äußert sich der „den Freunden gemeinsame" „Haß gegen alle Erstarrung,
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Auf seine Weise hatte schon ein Jahr zuvor Theodor Ludwig Haering in dem Aufsatz „Schelling und Hegel", in: Ernst Müller, Stiftsköpfe, Heilbronn 1938, einen Hymnus auf den ,Bund der Geister' und dessen Dokument, das Systemprogramm, angestimmt, freilich um eine Nuance dezenter als der Blut- und Bodenideologe Hildebrandt. Denn nicht nur Hölderlin und Schelling, sondern auch der dritte ,Stiftskopf', Hegel, erstrebten ein von Fall zu Fall verschieden tituliertes „Ideal" lebendiger' „All-Einheit", das vor allem eines n i c h t sein sollte: politisch einseitig und folglich .verknöchert'. „Eben darum ist es möglich, daß man sich noch heute darüber streitet, ob jenes ,Erste Systemprogramm des deutschen Idealismus', das wir in der Handschrift Hegels besitzen, seinem Inhalt nach eigentlich von Hegel oder von Schelling oder von Hölderlin verfaßt sei." S. 217 - Abgesehen jedoch davon, daß man allenfalls noch bis 1930 im .Streit' lag, ist es Haering auch entgangen, daß Hegels Verfasserschaft bis dahin nie ernsthaft in Erwägung gezogen worden war.
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gegen Maschinisierung des Staates, . . . " (93), will heißen: gegen die Überfremdung des Deutschdumms (Hegel) durch die ,positivistisch-marxistische' westliche Zivilisation. Durch die „Idee der Schönheit" soll „der deutsche Geist auf einen Gipfel" gestiegen sein, auf dem „die höchsten Lebenswerte" sich endlich gegen Kants, Fichtes und Schillers Ignoranz in Sachen „Dichtung" und „Natur" durchsetzen konnten. „Fichte, aber auch Schillers Philosophie waren entthront: Schelling war der (durch Hölderlin allererst eingeweihte, F.-P. H.) Führer der Philosophie" (94); und: Schillers „fragwürdige Prophetie des künstlerischen Weltendes" ist eine in dem „Wort Ästhetik" zusammengefaßte „Mißgeburt begrifflicher Aufklärung". (95) Kant schließlich wird als „Beispiel des nicht-Wein-trinkenden Gichtikers" denunziert und im Vergleich zur „sittlichen" Höhe von „Goethes Iphigenie" ganz einfach lächerlich gemacht. „Das Volk durch eine neue Religion zu einen", so ganz zuletzt Hildebrandts volksgemeinschaftlicher Verjüngungsjubel, „das wäre tatsächlich für das deutsche Volk die größte Tat gewesen!" (99) - Kurz: Schiller, Kant und Fichte sind die Repräsentanten einer erst von der deutschen Gegenwart widerlegten, aufklärerisch infiltrierten Verirrung, Hölderlin und Schelling dagegen sind die geistigen Koryphäen des durch das 19. Jahrhundert verschütteten, und erst in der Gestalt des ,unzeitgemäßen' Nietzsche wiederauflebenden schöpferischen deutschen Volkstums. Denn, wie sagte schon Piaton: „Es kann der Beste nur das Schönste machen" (96), und folglich wird der Schöpfer des „Timaios" in die Phalanx völkischer Verjüngung gleich mit integriert. „Die tiefe deutsche Philosophie errang damit den Sieg über die westliche Aufklärung, die auch im Kritizismus weiterlebte." (97) Das Systemprogramm aber habe als das von Hölderlin in allen wesentlichen Stücken inspirierte Dokument der gegen den Geist „der europäischen Aufklärung" gerichteten „zweiten (nämlich wesenhaft,deutschen', F.-P.H.) Renaissance" zu gelten (99), „aus welcher Volkheit und neue Kultur entspringen müssen". (101) Denn: „Schelling ist ursprunghaft deutsch wie Goethe und Hölderlin und braucht keinen ideologischen Zugang wie Schiller. Schon im Systemprogramm von 1795/96 stimmt er mit Hölderlin im Gedanken wirklicher Volksgemeinschaft durch mythologische, nicht vernunftmäßige Religion überein, doch . . . erst im Fragment ,Uber das Wesen deutscher Wissenschaft' (1811?) kommt der vaterländische, ja kriegerische Glaube herrlich zum Ausdruck - . . . " (135/36) Aber auch „Hölderlin ist deutscher Philosoph", wie der Leser 100 Seiten später sei's zu seiner Belustigung, sei's auch im Stillen angewidert, erfährt, wenn er es nicht lieber gleich vorgezogen hat, diese fast schon komisch-unbeholfen und infantil wirkende, trotz allem
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aber bösartige Schmäh- und Jubelschrift frühzeitig beiseitezulegen. - Er, Hölderlin, ist aber „deutsch" nicht zuletzt deshalb, „weil er die Welt als zeitlichen Kraftstrom empfindet", der, qua „dynamische Philosophie . . . Fortsetzung in der Tat" erheischt. (224) Diese „Fortsetzung in der Tat" war zum Zeitpunkt der 3. Auflage von Kurt Hildebrandts „Hölderlin. Philosophie und Dichtung" in vollem Gange.
Hermann
Glockner
(1940)w
Hermann Glockner, der Herausgeber der 100 Jahre nach Hegels Tod erschienenen - ursprünglich 20bändigen - Jubiläumsausgabe seiner „Sämtlichen Werke", hatte die Edition der 30er Jahre dieses Jahrhunderts noch um eine zweibändige Hegel-Monographie nebst Hegel-Lexikon erweitert. In dem 2. Band der Monographie kam er unter der Kapitelüberschrift „Stilles Reifen in großer Zeit /Seite 3 bis 183" in einem kurzen Unterabschnitt auch auf „Schellings Systemprogramm'" zu sprechen, und ließ damit von vornherein über die fragliche Autorschaft keinen Zweifel aufkommen. Seiner Ansicht nach schrieb sich Hegel im Frühsommer 1796 „den Entwurf eines philosophischen Arbeitsplanes ab, den ihm Schelling wohl selbst mitgeteilt, aber wieder zurückerbeten hatte". (78/79) Diese von der ursprünglichen Titulierung des Fragments abweichende Namengebung Glockners hat gegenüber derjenigen Rosenzweigs den Vorteil, weniger tendenziös zu sein, da der Erstherausgeber schon mit dem von ihm gewählten „anspruchsvollen" Titel die Absicht verfolgt hatte, Schelling als den eigentlichen Systematiker des Deutschen Idealismus auszuweisen. Wenn sich Glockner also auch der von Rosenzweig behaupteten Autorschaft Schellings ohne weiteres anschließt, wenn er in der Fußnote der Seite 79 feststellt, daß der „nur in Hegels Abschrift erhaltene" Text „fraglos von Schelling" stamme, dann weiß er doch über den „48 Druckseiten füllenden ,Kommentar"' Rosenzweigs ein sehr interessantes Gesamturteil abzugeben. In diesem ,Kommentar', so heißt es, liege „die ,Methode' seines (Rosenzweigs, F.-P. H.) für die deutsche Hegel-Forschung später so verhängnisvoll gewordenen Werkes ,Hegel und der Staat' (1920) bereits vollständig ausgebildet" vor, und diese ,Methode' wird nun wie folgt charakterisiert: „Übertrieben-philologische
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Hermann Glockner, Hegel, 2. Bd., Entwicklung und Schicksal der Hegeischen Philosophie, Stuttgart 1940, S. 78 ff.
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Scheinexaktheit und aphoristisch-geistreiches Literatentum werden geschickt verbunden und in den Dienst einer Geschichtsschreibung gestellt, welche wurzelkrank ist, weil sie auf einem unwahr-sentimentalen Verhältnis zu ihrem Gegenstande beruht." (79) Diese, wie wir finden, vortreffliche Beschreibung der Methode Rosenzweigs hat Glockner aber nicht daran gehindert, jedenfalls in einigen nicht unwesentlichen Punkten den ,Einsichten' des Erstinterpreten nachzufolgen. Konnte Hegel nämlich den moralphilosophischen Eingangsüberlegungen des Entwurfs „im großen und ganzen" beipflichten, dann „stand Hegel damals noch dem zweiten (naturphilosophischen, F.-P. H.) Programmpunkte Schellings" „sehr viel ferner", denn erst in „der Jenaer Zeit" - so Glockner - setzte seine Beschäftigung „mit naturphilosophischen Problemen" ein. Von der im geschichtsphilosophischen Teil des Entwurfs geforderten revolutionären Aufhebung der Staatsmaschine behauptet Glockner ganz einfach, daß Hegel diesem Programmpunkt „unmöglich zustimmen" konnte, sagt aber auch - jedenfalls andeutungsweise - warum er dies nicht konnte: Im Gegensatz nämlich zu Rosenzweig, der seiner Erstbehauptung zum Trotz, daß „die unbedingte Verneinung des Staates... nicht unmittelbar auf Hegel hinübergewirkt zu haben" scheint, dennoch daran festhält, daß diese,Verneinung' trotz allem „in den nächsten Jahren" für die Entwicklung der Hegeischen Staatsidee „bedeutungsvoll" geblieben sei, besteht Glockner, in Beantwortung dieses „verkleisternden" Verfahrens, auf Hegels „dauernden Bemühungen" um den Staat. (80, Fußn.) Diese nach Glockners Befinden „in die Augen springende Hauptdifferenz zwischen Schellings damaligem Entwurf und Hegels dauernden Bemühungen" hat aber selbstverständlich nur solange diese von dem Kritiker unterstellte Evidenz, solange Hegels Entwicklung gewissermaßen vom Ende her buchstabiert, solange der ,reife' Hegel zum Maßstab der Beurteilung des,jungen' gemacht wird. Daß wir mit dieser Auslegung der Replik Glockners der Intention seiner Kritik entsprechen, läßt sich, abgesehen von der Fußnote, auch am Text selbst belegen. Wenn nämlich zunächst die Feststellung getroffen wird, daß Hegel den umstürzlerischen Ambitionen des Arbeitsplanes' „unmöglich zustimmen" konnte, dann konnte er sich doch andererseits, wie es unmittelbar anschließend heißt, diesem revolutionären Aufruf gegenüber auch nicht „gleichgültig" verhalten: „denn der Staat war für ihn von Anfang an (und das heißt eben: sein ganzes Leben lang, F.-P. H.) ein zentrales Problem." (79) Von einem ununterbrochen mitlaufenden ,Problem' ist aber sinnvollerweise nur da zu sprechen, wo nicht von vornherein eine - wie im Falle des Systemprogramms - für das, Aufhören' des Staates plädierende Lösung angeboten wird.
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Für „die zweite Hälfte" der Hegelhandschrift pflichtet Glockner vorerst der von Ludwig Strauß protegierten Annahme einer direkten Einflußnahme Hölderlins bei. Er nennt zwar keine Namen, aber aus dem Zusammenhang der Interpretation geht dennoch eindeutig hervor, daß er sich nicht der Variante Böhms sondern - wenn auch unter Vorbehalten - eben der Rosenzweig modifizierenden Straußschen Position anschließt. Hatte Böhm dafür plädiert, das Systemprogramm als Ganzes vom ästhetischen Mittelteil, dem - wie er meinte - eigentlichen Zentrum des Fragments her zu lesen, dann spricht Glockner, sehr viel zurückhaltender, bloß davon, daß es „nicht unmöglich" sei, für die Gedanken des Ästhetikteils einen „Anteil" Hölderlins anzunehmen. Schelling und Hölderlin könnten, so der hier immer wieder gebrauchte Konjunktiv, in ihren Nürtinger Gesprächen über die ,Idee der Schönheit', aber auch n u r über s i e , diskutiert haben. Der gedankliche Niederschlag dieser Diskussionen fände sich dann in den einschlägigen Ausführungen über die Schönheit, die in den bis dahin erschienenen Schriften Schellings noch vollkommen unberücksichtigt geblieben waren und erst jetzt „eine neue Epoche seines Schaffens" ankündigten. Gesetzt den Fall aber, so der interessante Abschlußgedanke Glockners, man pflichte der Strauß-Variante einer Einflußnahme Hölderlins auf den poetischen Teil des Programmentwurfs bei, dann sei doch damit trotz allem noch nicht gesagt, daß „die Konzeption dieser,Philosophie der Kunst' wirklich in entscheidender Weise auf Hölderlin zurückzuführen" sei. „Ist es nicht (vielmehr, F.P. H.) unverkennbar, daß auch hier Schillers mächtige Gestalt alles andere überragend im Hintergrunde steht?" (80) Wenn dem aber so sei, dann, so will es Glockner scheinen, - und wir können uns hier seinen freilich nur problematisch formulierten, hier und da etwas zu rhetorischen Schlußfolgerungen nur anschließen - , seien „auch die Beziehungen zwischen Hegel und Hölderlin in erster Linie unter diesem Gesichtspunkte zu betrachten . . . Wohl sucht der Dichter bereits einen eigenen Weg; als Mensch jedoch stand Hölderlin damals völlig in Schillers Bann; auch seine Auffassung des Altertums war weitgehend von Schiller beeinflußt. Bedenken wir nun, welch tiefen Eindruck die,Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen' auf Hegel machten, so ist es doch beinahe selbstverständlich, daß er sich nach jenem Studienfreunde sehnte, welcher nicht nur dem Griechenideale, sondern auch dem Geiste Schillers am nächsten stand". (80/81) 11
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Dieser H i n w e i s auf die Vorbildstellung Schillers f ü r Hölderlins Schönheitskonzeption der „ästhetischen A n s c h a u u n g " datiert freilich schon auf Richard Kroners „Von Kant bis Hegel",
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Wilhelm Michel (1940)12 In Wilhelm Michels tendenziell uninteressierten' Lesart des Systemprogramms wird die Verfasserschaft Schellings distanzierterweise als unbedingt gesichert und unproblematisch angenommen, und folglich waltet hier auch nicht die sonst übliche, auf einen bestimmten ,Favoriten' eingeschworene Parteilichkeit vor. Michels Interpretation, die keinen ,Favoriten' im herkömmlichen Sinne kennt, basiert einerseits auf der 1917/18 von Ernst Cassirer erstmals behaupteten Vorbildlichkeit des Hölderlinschen Asthetikkonzepts für die von Schelling im zweiten Teil des Entwurfs vertretene Abschlußstellung der Idee der Schönheit. Andererseits aber, und mit dieser Einschränkung nimmt Michel einen charakteristischen Gedanken der Strauß-Böhm-Kontroverse wieder auf, habe Schelling Hölderlins Begriff der Schönheit unter den Kant-Fichteschen Primat des Praktischen subsumiert und habe ihn also nicht als das bestehen lassen, als was er von Hölderlin konzipiert worden war: als ein objektives, idealisches Sein. Wenn Michel sich also auch nirgends, weder auf Cassirer, noch auf die Straußsche Variante der 1927er Diskussion beruft, so sind es doch unverkennbar diese beiden Interpreten, die seiner auf zwei Aspekte reduzierten Betrachtungsweise zugrundeliegen. Der von Schelling im Frühjahr 1796 abgefaßte Systementwurf steht nach Michel von vornherein unter der - praktischen - Perspektive, sämtliche Ideen als eine immer wieder wirksam werdende „Selbstsetzung des Ichs" zu begreifen. „Kant mit seiner Kritik der praktischen Vernunft und Fichte mit
B d . 2 (1924) zurück. Richard K r o n e r tritt a . a . O . , S.43/44 (Anm.), unter B e r u f u n g auf Rosenzweigs Systemprogrammstudie den Beweis d a f ü r an, daß die intellektuelle Anschauung' Schellings „in Wahrheit von A n f a n g an als ästhetische gemeint" gewesen sei. W e n n Rosenzweig „mit überzeugenden G r ü n d e n " in Schelling den A u t o r der H a n d s c h r i f t gefunden hatte, und w e n n sie „nach Rosenzweigs sorgfältiger U n t e r s u c h u n g " auf A n f a n g 1796 „zu verlegen ist", dann m u ß man auch der von ihm inaugurierten Ansicht beipflichten, daß der ä s t h e t i s c h e A k t ' , von dem das Fragment spricht, eine f r ü h e Formulierung der dann erst im „System des transzendentalen Idealismus" von 1800 ausgereiften kunstphilosophischen Überlegungen repräsentiert. Cassirers indirekt gegen Rosenzweig gerichtetes A r g u m e n t , daß eigentlich Hölderlin es gewesen sei, der die im Systemprogramm auftretenden G e d a n k e n Schellings maßgeblich geprägt habe, müsse n u n freilich, so Kroner, noch u m den Aspekt einer E i n f l u ß n a h m e Schillers komplettiert werden. Letztlich jedoch hält Kroner zweierlei f ü r besonders erwähnenswert: Schelling pointierte schon sehr f r ü h (1796) die vereinigungsphilosophische F u n k t i o n der „ästhetischen Anschauung"; sein - ebenfalls f r ü h e r - Versuch, „die Poesie als die berufene Interpretin der lebendigen N a t u r " zu verstehen, d ü r f t e „von Hölderlin inspiriert" w o r d e n sein. S. 44. 12 Wilhelm Michel, Das Leben Friedrich Hölderlins, Bremen 1940, S. 203-206.
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dem schroffen Idealismus der Wissenschaftslehre bilden somit die entscheidenden Grundlagen des Arbeitsplanes." (204) Erst die im Mittelteil des Programms proklamierte einheitsstiftende Funktion der Schönheit läßt der Vermutung Raum, daß Hölderlin hier direkt auf Schelling eingewirkt haben könnte. Wenn nämlich in Schellings Frühschriften der Jahre 1794/95 noch keinerlei Hinweise auf den ,ästhetischen Akt' des Systemprogramms zu finden sind, und wenn außerdem nur Hölderlin gerade zu diesem Zeitpunkt - 1796 - „die Schönheit als Inbegriff, Maß und Zeichen der ,seligen Einigkeit'" zu verstehen begann, dann besteht nach Michel Grund zu der Annahme, daß Hölderlin Schelling bei Gelegenheit der Frankfurter Zusammenkunft im April 1796 mit dieser „Thronerhebung der Schönheit" bekannt gemacht hat. In der Strauß-Böhm-Debatte hatte sich letztlich alles auf die eine Frage zugespitzt, ob das Fragment Schellings vom Anfang oder von der Mitte her zu lesen sei. Böhm war schon 1926 dafür eingetreten, als das eigentliche Zentrum der Handschrift den - Hölderlinschen - Primat des Ästhetischen anzusehen, um von hier aus die anderen, scheinbar praktisch motivierten Ideen zu entziffern. Strauß hatte sich dagegen - Rosenzweig nachfolgend für die praktische Fundierung des g a n z e n Programms entschieden, um nur insofern dem Böhmschen Ansatz entgegenzukommen, als er für das ästhetische Mittelstück, und n u r f ü r e s , einen Hölderlinschen Einfluß konstatierte. Michel nun folgt ganz eindeutig dem Straußschen Interpretationsansatz, wenn er ausdrücklich darauf hinweist, daß der ästhetische Plan des Fragments in Wirklichkeit von Hölderlins ,Alleinheitsbestrebungen' maßgeblich differiere. Zwar könne man Cassirer und Böhm insofern beipflichten, daß die Aufnahme der Schönheitsproblematik ins Systemprogramm generell Hölderlins Gegenwart verrate, aber man müsse eben doch unbedingt festhalten, daß es sich hier schon um Hölderlinsche ,Schönheit' in spezifisch Schellingscher Verarbeitung handle. Und zwar einer Verarbeitung, die wiederum der Kant-Fichteschen Tathandlung auch in diesem ästhetischen Bezirk das letzte Wort belasse. Das ganze Systemprogramm ist nach Michel ein Dokument für die unangefochtene Ausnahmestellung des ethisch fundierten Idealismus, dem konsequenterweise auch die ,Idee der Schönheit' angepaßt wird, wenn von ihr als von einem , A k t e der Vernunft' gesprochen wird. „Hat Schelling" also auch „diese Idee aus Hölderlins Gedankenwelt übernommen, so hat er sie doch sogleich unter das Gesetz seines schroffen Idealismus gebracht, hat sie also durchaus unhölderlinisch eingebaut." (204/05) Hölderlins Schönheitsreligion nämlich unterscheidet sich gerade darin von dem „idealistischen Beharren auf der autonomen
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Vernunft" (206) des Schellingianums, daß sie „die Lösung des ewigen Widerstreites . . . als eine versöhnte Heimkehr des Menschengeistes in ein ,unendliches Ganzes'" begreift. (205) Der ,ästhetische Akt' wird von Hölderlin nicht - wie noch in der Hegelhandschrift - nach dem Vorbild jeglichen Idealismus' gedacht, für den der „freie A k t " einer autonomen Vernunft letztendlich seinsbestimmend bleibt, sondern Hölderlin hat die Schönheit schon sehr früh „als Wiederbringung des ,Friedens alles Friedens, der höher ist, denn alle Vernunft'" verstanden wissen wollen. Sie steht ihm „unter dem Zeichen einer Rückbeziehung der Vernunft auf eine höhere, gemeinsame Instanz, die . . . gedacht ist als objektiv vorhanden, ausgestattet mit selbständiger, unauflösbarer Realität". (205) Schellings letztes Wort in Bestimmung der Schönheitsidee bleibt im Systemprogramm die - gemessen an Hölderlin einseitige „schöpferische Tat des Menschengeistes, eingereiht in jene Schöpfung aus nichts, welche das große Objekt dieses ganzen Programms bildet". (204) Hölderlin dagegen integriert die praktische und auch die theoretische Seite der Vernunft in ,jene unendliche Vereinigung' des in der Schönheit präsenten, von der trennenden Reflexion unberührten universellen Seins. Indem Michel das ganze Systemprogramm inklusive der Idee der Schönheit dem für Schellings damalige Position typischen Primat des Praktischen unterstellt, schränkt er die von Cassirer/Böhm behauptete Vorbildstellung Hölderlins für die Gedankenwelt des Entwurfs maßgeblich ein. Indem er sich aber umgekehrt der für Schellings Verfasserschaft plädierenden StraußVariante anschließt, nimmt er wie dieser eine Ehrenrettung Hölderlins im Vergleich zu den Kant-Fichteschen Einseitigkeiten des Systemprogrammautors Schelling vor. Auf jeden Fall ist Wilhelm Michel der erste Interpret, der das Systemprogramm nicht, wie alle seine aktualisierenden Vorgänger dies taten, einem von vornherein feststehenden Favoriten vindizieren will, sondern der es nur als ein Beweismittel für die tiefgreifende gedankliche Differenz zwischen Hölderlin und Schelling heranzieht, ohne in die Diskussion um den Verfasser überhaupt eingreifen zu wollen. Deshalb auch ist die von uns bei Michel festgestellte ,Ehrenrettung' Hölderlins nicht - wie noch bei Strauß eine bloß fingierte, da Strauß den sogenannten ,wahren', von (Böhmschen) Herstellungen' befreiten Hölderlin doch nur zu dem Zwecke rehabilitierte, um s e i n e n Schelling um so sicherer als den einzig in Frage kommenden Autor ins Ziel zu bringen. Die Verfasserfrage aber war ja für Michel, vor jeder inhaltlichen Auseinandersetzung, pro Schelling entschieden, was seine ganze
Argumentation
vor
Strauß'
subtilen
Pseudodifferenzierungen
bewahrt. Folglich interessiert ihn (implizit) an der ganzen Straußschen Beweisaufnahme auch nur der eine Befund: Daß nämlich das ganze System-
Johannes Hoffmeister (1942)
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programm praktisch fundiert sei und mithin - gegen Cassirer/Böhm (implizit) - vom eine Ethik postulierenden Anfang her gelesen werden müsse. Böhm/Cassirer schließlich müssen sich entsprechend von Michel indirekt darüber belehren lassen, nicht verstanden zu haben, daß das Ästhetikkonzept des Fragments zwar - oberflächlich betrachtet - Hölderlins Einfluß verrate, tatsächlich jedoch in der für den frühen Schelling typischen Kant - Fichteschen - also praktischen - Variante zur Durchführung gelange und eben n i c h t - wie noch von ihnen unterstellt - im Sinne des von Hölderlin vertretenen vereinigungsphilosophischen Ideals der Schönheit, dessen Symbol das Hen kai Pan ist.
Johannes Hoffmeister
(1942)[i
Johannes Hoffmeister hatte sich schon in seiner 1931er Schrift „Hölderlin und Hegel" 14 in einer flüchtigen Nebenbetrachtung des wie selbstverständlich für Schelling vereinnahmten Textes angenommen, um nämlich zu zeigen, daß die ,Idee der Schönheit', wie sie hier von Schelling proklamiert werde, von Hölderlin inspiriert worden sei. Wenn Hölderlin in der Schönheit „die höchste objektive Einheit (...), nach der alle Gebiete des Geistes auszurichten sind" gefunden hatte, dann soll es nach Hoffmeister diese für den Hölderlinschen Schönheitsbegriff charakteristische unendliche Vereinigung gewesen sein, die Schelling „an das Ende seines Systemprogramms die
13
14
Johannes Hoffmeister, Hölderlin und die Philosophie, Leipzig 1942, S. 1 f., 60, 68, 120, 163 (Anm.55), 164 (Anm.66), besonders aber 79-81 und 83. Johannes Hoffmeister, Hölderlin und Hegel, Tübingen 1931, S.30, 46 (Anm. 13). Auch Hans-Gero Boehm behält übrigens in „Das Todesproblem bei Hegel und Hölderlin (1797-1800)", Hamburg 1932, die Rosenzweig modifizierende Position Strauß' in etwas erweiterter Fassung bei, wenn er - von Schellings Verfasserschaft überzeugt - zu dem Ergebnis gelangt, daß das Systemprogramm „in entscheidenden Partien die Anschauungen des Dichters (Hölderlin, F.-P. H.)" widerspiegele. (2) Darüber hinaus glaubt er annehmen zu dürfen, daß die Handschrift eine Briefbeilage Hölderlins gewesen sei, um schließlich die vollkommen haltlose Vermutung zu äußern, Hegel habe in seinem Gedicht ,Eleusis' „die Verpflichtung" ,gefühlt', „auch seinerseits (quasi als Antwort auf Schellings/Hölderlins Entwurf, F.-P. H . ) die .Grundlagen ihrer Gemeinsamkeit' darzustellen . . . " . Deswegen habe er „in der zweiten Hälfte des Gedichtes Eleusis einen Abriß seiner eigenen Weltanschauung - " gegeben, und diese „für den jungen Hegel einzigartige Erscheinung" meint Boehm abschließend dadurch .verständlich' machen zu können, daß er unterstellt, Hegel sei „von der Begeisterung der Freundschaftsgefühle fortgerissen" worden, (ebd.) Freilich: Diese Art verstehender, intim-einfühlsamer Psychologie stellt eine wirklich originelle Bereicherung gemessen am Standard der bislang üblichen Systemprogramminterpretation dar.
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Schönheit ,im höheren platonischen Sinne' als ,die Idee, die alle vereinigt'", stellen ließ. (30) Und auch in der Anmerkung 13 derselben Abhandlung konstatiert Hoffmeister, unter Anspielung auf das Programm, daß das Hegeische Wort von der Dichtung als der vorzüglichsten Lehrerin der Menschheit von Hölderlin „schon 1795 (!, F.-P. H.) dem Freunde Schelling eingegeben" worden sei. (46) Kursorische Hinweise dieser Art finden sich in Hoffmeisters Publikationen des nächsten Jahrzehnts, die im übrigen ausnahmslos um den Schwerpunkt Hölderlin gruppiert sind, immer wieder. Ein Jahr später schon bereichert Hoffmeister in dem Aufsatz „Zum Geistbegriff des deutschen Idealismus bei Hölderlin und Hegel" 15 seine das Systemprogramm betreffende Ersteinsicht um einen weiteren Gesichtspunkt. Wenn Hölderlins „Welt- und Geschichtsgeist", parallel zu demjenigen Goethes, als „offenbarter Geist" verstanden sein will, dann findet Hoffmeister in der Religionsstiftung des Systemprogrammepilogs eine tragfähige Illustration für diesen Spezialaspekt seiner vielschichtigen Hölderlin-Interpretation: Die bis ins „Systemprogramm von 1795" (!) 16 zurückdatierende ,Philosophie des Geistes' Schellings schließt sich danach der Hölderlinversion des offenbarten Geistes vorbehaltlos an, wenn der eine neue Religion stiftende,höhere Geist' in diesem Fragment als ein vom Himmel gesandter apostrophiert wird. (12) Bevor Hoffmeister aber in seiner 1942er Habilitationsschrift „Hölderlin und die Philosophie" auf die Systemprogrammthematik etwas ausführlicher eingehen wird, wiederholt er in dem Aufsatz „Das Verhältnis von Dichtung und Philosophie bei Hölderlin" 17 nochmals die Einsicht seiner 31er Publikation „Hölderlin und Hegel", daß nämlich Hölderlin die in Schellings ^Systemprogramm' von 1796 (!, F.-P. H.)" verkündete,ästhetische Philosophie' inspiriert habe. Dieser schon 1931 für Hoffmeisters flüchtige Systemprogrammdeutung maßgebliche Gedanke von der - Hölderlinschen - Idee der Schönheit liegt nun auch - leitmotivisch - seinen Erläuterungen des Jahres 1942 über „Hölderlin und die Philosophie" zugrunde. Für Hoffmei-
15
Johannes Hoffmeister, „Zum Geistbegriff des deutschen Idealismus bei Hölderlin und H e g e l " , in: D V j s . , 10. Jhg., Η . 1, 1932, S. 1—45, hier 12.
16
Es handelt sich bei dieser außergewöhnlichen Datierung aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Druckfehler oder um eine Unachtsamkeit seitens Hoffmeister, die er aber später, schon in der 1939er Publikation, kommentarlos zurückgenommen bzw. korrigiert hat, wenn er dann die bis zu diesem Zeitpunkt in der Forschung übliche Jahreszahl - 1796 - einsetzt.
17
Johannes Hoffmeister, „Das Verhältnis von Dichtung und Philosophie bei Hölderlin", in: Zeitschrift für Deutsche Bildung, 1 5 . J h g . , Frankfurt a. Main 1939, S . 2 1 5 - 2 2 4 , hier 222 (Anm.).
Johannes Hoffmeister (1942)
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sters gesamte Bemühungen aber gilt, was auch schon in Anbetracht der Hölderlinmonographie Wilhelm Michels festgestellt wurde: Daß die für die zweite Periode insgesamt verbindliche Art, das Systemprogramm nur zum Zwecke der Illustrierung spezieller Fragestellungen zu gebrauchen, sich hier, wie auch bei Michel, besonders intensiv ausgeprägt hat. Wenn mit der BöhmStrauß-Debatte von 1927 die erste,heiße' Phase der Auseinandersetzung um das Systemprogramm als vorerst abgeschlossen behauptet wurde, dann wird diese von uns aufgestellte Ansicht nicht zuletzt dadurch bestätigt, daß die Interpreten der zweiten Periode sich fast ausschließlich i m p l i z i t auf die Ergebnisse ihrer Vorgänger beziehen und zwar zumeist im Sinne einer positiven Resonanz auf die Strauß-Rosenzweig-Variante. Gleich zu Beginn seiner Abhandlung über „Hölderlin und die Philosophie" referiert Hoffmeister den Versuch Böhms, das Systemprogramm als ein Dokument dafür zu verwerten, daß Hölderlin ein philosophischer Systematiker im Stile Schellings und Hegels gewesen sei. Dieser überzogenen Darstellung aber sei (der ungenannt bleibende) Ludwig Strauß noch in dem gleichen Jahrgang derselben Zeitschrift entgegengetreten und habe sie, so Hoffmeister, „bündig widerlegt". (2) Uber diese Widerlegung hinaus wird aber für Hoffmeister im folgenden die ebenfalls Straußsche Einsicht entscheidend, daß Hölderlin, nicht ohne bestimmte Aspekte von Schillers ästhetischen Erziehung des Menschen' aus den „Briefen" verarbeitet zu haben, auf die Schönheitsidee des im Frühsommer 1796 entstandenen Schellingianums eingewirkt habe. Schelling habe „die neue Grundidee Hölderlins", die „Erfahrung des Seins der Schönheit" (68), nach dessen frühsommerlichen Besuch aufgegriffen, um mit ihrer Hilfe „ein eigenes Systemprogramm"' zunächst freilich nur zu entwerfen (60), das dann erst „im ,System des transzendentalen Idealismus' von 1800" (68) zur tatsächlichen, prinzipiellen Durchführung gelangte, (ebenso: 163, Anm. 55) Dieses einstweilen nur aus den flüchtigen Nebenbemerkungen der verschiedenen Publikationen Hoffmeisters abgezogene Ergebnis zum Systemprogramm stimmt in allen wesentlichen Punkten mit den Ausführungen der Seiten 79 ff. der zuletzt besprochenen Schrift überein. Denn auch in dieser - ansonsten für Hoffmeister unüblichen - systematisch geschlossenen Gesamtdarstellung der Handschrift steht die von Hölderlin angeregte Idee der Schönheit nicht allein am Anfang, sondern auch insgesamt im Mittelpunkt der ganzen Betrachtung. Wenn Hölderlin „die schroffen Konturen der Philosophie . . . im Lichte der Schönheit" sich lösen ließ, dann läßt entsprechend auch Schelling im Systemprogramm die „Idee der Schönheit" zur „höchsten, abschließenden Idee des Systems" (79) werden. Das bedeutet
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aber, daß Schelling sich, indem er den „höchsten Akt der Vernunft" als einen „ästhetischen" apostrophiert, und indem er die „ D i c h t k u n s t . . . alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben" läßt, schon sehr früh der Hölderlinschen Uberordnung der Dichtung über die Philosophie angeschlossen hat. Auf den ersten Blick - so Hoffmeister - sähe es zwar so aus, als wollte Schelling die Poesie in den Dienst der Philosophie ausschließlich deshalb nehmen, um durch diese Indienstnahme der Philosophie nur um so entschiedener „ihre volle Kraft und G r ö ß e " wiederzugeben. Tatsächlich jedoch verhält es sich genau umgekehrt: Nicht die Philosophie, sondern die Dichtung soll einer höheren Würde entgegengeführt werden und nur deswegen wird die Philosophie „in die Nähe der Dichtung gerückt, um ihre Auflösung (die der Philosophie, F.-P. H.) in diese (die Dichtung nämlich, F.P. H . ) vorzubereiten, nicht um ihr (der Philosophie, F . - P . H . ) die gleiche Wirksamkeit zu sichern". (80/81) Wenn Schelling in diesem frühen Fragment in Hölderlins Spuren wandelt, dann ist dies darum so außerordentlich bemerkenswert, weil Schelling eben nicht als Dichter, sondern als „Philosoph sich anschickt, die Philosophie überflüssig zu machen". (81) Daß Schelling sich vorerst noch und gleichzeitig gegen diese Uberführung der Philosophie in die Poesie zur Wehr setzte wird durch den einfachen Hinweis darauf verständlich, daß er mit dieser Parteinahme seinem eigentlichen Beruf - der Philosophie - entgegenhandelte. Dieser vorläufige Widerstand macht es auch erklärlich, warum Schelling diese Grundidee Hölderlins erst vier Jahre später, im „System des transzendentalen Idealismus", jedenfalls teilweise, durchgeführt hat. Hoffmeister sagt: „Erst im Jahre 1800 gibt Schelling wiederum nur in programmatischer Weise - eine Ausführung des Systemprogramms, - ein Beweis, wie stark die Widerstände gegen die Grundidee Hölderlins in der Sache, im Stoff und Verfahren der Philosophie, begründet sein mußten." (81) Trotz dieser von Hoffmeister angeführten - philosophisch motivierten Widerstände dürfte es deutlich geworden sein, daß an dieser zentralen Stelle eine tiefgreifende Differenz zwischen der Position Hoffmeisters und derjenigen Michels vorhanden ist. Michel hatte noch in aller Deutlichkeit dafür plädiert, den Schönheitsentwurf des Systemprogramms als von der praktischen Philosophie dominiert zu begreifen, um ihn dergestalt von der objektiv-seinshaften Schönheitsidee Hölderlins schroff abzusetzen, die freilich fälschlicherweise - von Böhm zum Vorbild des ganzen Schellingianums stilisiert worden war. Hoffmeister aber schwenkt, seiner ursprünglichen Absicht entgegen, gerade in diese Böhmsche Lesart ein, wenn er nicht allein Hölderlins Einfluß auf das Poesiekonzept des
Schellingianums
Johannes Hoffmeister (1942)
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behauptet, sondern darüber hinaus für die Wesensgleichheit der Schönheitsidee Schellings mit den Hölderlinschen Alleinheitsbestrebungen eintritt. Er entziffert folglich, genau wie schon Böhm, das Systemprogramm von der Mitte her, wenn er über Schellings eigentliche Intention das abschließende Urteil meint fällen zu müssen: „Das Ungenüge daran, daß die Philosophie nicht selbst Kunst sei, läßt ihn (Schelling, F.-P. H.) jedoch - wie schon im Systemprogramm' - ,erwarten (und zwar im System des transzendentalen Idealismus, F.-P. H.), daß die Philosophie, so wie sie in der Kindheit der Wissenschaft von der Poesie geboren und genährt worden ist, und mit ihr alle diejenigen Wissenschaften, welche durch sie der Vollkommenheit entgegengeführt werden, nach ihrer Vollendung als ebenso viel einzelne Ströme in den allgemeinen Ozean der Poesie zurückfließen, von welchem sie ausgegangen waren'". (83) - Hoffmeisters Untersuchung mündet damit in eine bemerkenswert paradoxe, bislang noch nicht dagewesene und tatsächlich auch einmalige Strauß-Böhm-Synthese aus, die freilich durch eine Sentenz wie diese wieder an - ursprünglicher - Bestimmtheit einbüßt: „Damit wiederholt Schelling den Grundgedanken der Hyperionrede (mit dem zuvor zitierten Auszug aus dem System des transzendentalen Idealismus, F.-P. H.), nur daß sich bei ihm die Philosophie doch a 1 s Philosophie erhält, während sie bei Hölderlin mit diesem Grundgedanken als Philosophie aus dem Bereich des eigensten Interesses, der existentiellen Beanspruchung verschwindet." (83) Dieses prekäre Differenzierungsanliegen kann aber nicht nur nicht über die ursprüngliche Paradoxie hinwegtäuschen, sondern macht sie - im Gegenteil - nur um so deutlicher. Hoffmeister folgt nämlich zunächst Strauß' restriktiver Position, wenn er sich davon überzeugt, daß Hölderlin zwar auf den ästhetischen Mittelteil des Programms Einfluß genommen habe, ohne dadurch freilich der philosophischen Eigenleistung Schellings Abbruch getan zu haben. Diese in einem ersten Schritt - mit Strauß - unterstellte Eigenständigkeit der Philosophie Schellings wird nun aber doch - mit Böhm - in das von Hölderlin inaugurierte vereinigungsphilosophische Ideal der Schönheit zurückgenommen, mit dem durch die obige Sentenz verbürgten fragwürdigen Resultat, daß Schellings Philosophie a) zwar selbständig, aber auch b) ästhetisch präformiert und folglich c) in dieser Präformation wiederum selbständig sein soll. Wollten wir Hoffmeisters Systemprogrammbesprechung resümieren, dann wäre eine griffige Formel wie diese dem Sachverhalt noch am ehesten angemessen, da sie einen einfachen Tatbestand nicht künstlich kompliziert: weder-sowohl-als-auch.
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Ernst Müller (1944)™ Weil Ernst Müller sich gleich zu Beginn seiner Hölderlinstudie, in einer Anmerkung zur dritten Seite, der gegen Böhm gerichteten Ansicht der Forschung von der zweifelsfreien „Urheberschaft des Systemprogramms durch Schelling" anschließt, deswegen geht er nur ganz episodisch - in illustrierender Absicht - auf den Entwurf ein. Wenn Müller in der Anmerkung notiert, daß Böhms Plädoyer für die Autorschaft Hölderlins kontrovers diskutiert worden sei, um sich dann aber doch - kurz und trocken - für die inzwischen übliche Schelling-Variante zu entscheiden, dann keimt bei dem Leser dieses alles in allem und zweifelsohne sehr lesenswerten, wenn auch vielleicht etwas zu sehr Heideggers existentieller Ausdeutung verpflichteten Buches 1 9 schon sehr früh der ,Verdacht', daß diese Monographie zur Sache des Systemprogramms nicht mehr allzuviel beitragen wird. Jedenfalls bei weitem nicht so viel, wie von den Herausgebern der Dokumentation „Mythologie der Vernunft", Christoph Jamme und Helmut Schneider, in der abschließenden Bibliographie zum Systemprogramm in Aussicht gestellt wird. Die Seiten 121-172 geben nicht nur keine - wie man unwillkürlich erwartet - zusammenhängende Interpretation der Handschrift, sondern enthalten in Wirklichkeit n i c h t e i n e n ausdrücklichen Hinweis auf das Systemprogramm. U m fündig zu werden, muß man die Seite 292 f. erreicht haben, um dort auf die inzwischen Gemeingut gewordene Position zu stoßen, daß der Vereinigungspunkt der Schönheit, wie er vom Verfasser im zweiten Teil des Programms eingeführt wird, in Hölderlins „platonischen Idee . . . von der ewigen Schönheit" sein Vorbild respektive seine Entsprechung habe. Daß Müller, wie schon einige Autoren der zweiten Periode vor ihm, das Systemprogramm nur noch zu Illustrationszwecken verwendet, als
ein
veranschaulichendes Beispiel unter a n d e r e n , das geht unmißverständlich aus der Art und Weise hervor, in der er - und zwar nur dies eine Mal - auf das Schellingianum zu sprechen kommt. Er sagt, daß in der mythisch veranschaulichten, sinnlich bebilderten und n i c h t spekulativ deduzierten Idee der Schönheit Hölderlins „sachlich . . . dasselbe gemeint" sei, „wie etwa in dem von Schelling geschriebenen ersten Systemprogramm aus dem ersten
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Ernst Müller, Hölderlin. Studien zur Geschichte seines Geistes, Stuttgart, Berlin 1944, S. 627 (Anm. zu Seite 3), 2 9 2 / 9 3 .
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Vgl. hierzu vor allem a. a. O . S. 4 3 4 - 4 4 4 u. passim.
Georg Lukacs (1948)
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Drittel des Jahres 1796". (292) U n d schließlich wäre es schon zuviel behauptet, wollte man Müllers Position auf die sattsam bekannte Vorbildtheorie reduzieren. Hölderlins religiöse Schönheitsvision ist, so Müller, in Wirklichkeit gar kein Beispiel für Schelling gewesen, sondern e i η Beispiel unter beliebig vermehrbaren a η d e r e n. Er sagt es selbst: „Alle Zeitgenossen von Rang lieferten dazu (zu dem Problem der Philosophie-DichtungRelation, F.-P. H.) einen Beitrag, eine Entscheidung war also gar nicht zu umgehen." (292) E i n e n Beitrag zu dieser Frage steuerte Hölderlin bei, einen entsprechenden, aber keineswegs durch Hölderlin angeregten, Schelling mit seinem Systemprogramm. Es handelt sich folglich für Müller nur um parallele Entwürfe und nicht um Originalität hier, Nachahmung dort. Wenn nämlich, um noch ein Beispiel anzuführen, in dem von Hölderlin projektierten „neuen Reich . . . die Schönheit Königin" sein soll, dann, so Müllers bezeichnende Wendung, folgt in diesem Kontext bei Hölderlin „der Anruf Piatons ganz wie in dem Schellingschen Entwurf". (293) Mehr als diesen um Neutralität bemühten untermalenden Seitenblick aufs Systemprogramm wirft die 600 Seiten starke Hölderlininterpretation Müllers nicht ab. Wir müssen also feststellen, daß die Herausgeber der 1984er Systemprogrammdokumentation den Literaturapparat künstlich haben anschwellen lassen, wenn sie für diese Publikation eine 50seitige Systemprogrammbesprechung behaupten.
Georg Lukacs (1948)20 Weil Georg Lukacs sich vor allem - was schon aus dem Untertitel seiner Studie über den jungen Hegel hervorgeht - für die geschichtsphilosophischen und gesellschaftlichen Implikationen der geistigen Biographie Hegels bis zur Phänomenologie des Geistes interessiert, deswegen konzentriert er sich in seiner Kurzdarstellung des Systemprogramms auf die in ihm vertretene „Auffassung von Gesellschaft und Staat". (62) Genauer aber ist ihm daran gelegen, mittels des „in einer Hegeischen Abschrift aus dem Jahre 1796" überlieferten Schellingtextes die schon sehr früh sich herauskristallisierenden Differenzen zwischen Schellings ,anarchistischen Utopie' „von
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Georg Lukacs, Der junge Hegel. Über die Beziehungen von Dialektik und Ökonomie, Zürich/Wien 1948; zitiert nach: Georg Lukacs Werke, Bd. 8, Neuwied und Berlin 3 1967, S. 61 ff.
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einer staatenlosen Befreiung der Menschheit" und Hegels tendenziell schon historisch-konkret verstandenen ^evolutionären Utopie' darzulegen. Der ganze Text ist nach Lukäcs' Dafürhalten ein einziges Plädoyer für den extremen Ethizismus Fichtes, wobei er nicht vergißt, darauf hinzuweisen, daß „zwischen der (ins Extrem getriebenen, F.-P. H . ) Kantischen Erkenntnistheorie des jungen Schelling und seinem antihistorischen Standpunkt" (63/64) eine genaue Parallelität besteht. Hegels und Schellings „Jugendphilosophie" sollen zwar von einem beiden gemeinsamen Ausgangspunkt - dem Primat der praktischen Vernunft Kantischer Provenienz - ausgegangen sein. Schelling aber sei, im Gegensatz zu Hegel, schon sehr früh in die Position Fichtes eingeschwenkt, wenn er das ,Absolute' mit der unbedingten ,Tathandlung' des Ich identisch setzte und aus diesem Vereinigungszentrum jegliche Bezugnahme auf ein außersubjektives Objekt rigoros ausgrenzte. Kündigt sich aber dieser maßlose Subjektivismus in Schellings 1796er Publikation „Neue Deduktion des Naturrechts" erst an, dann findet Lukäcs die Bestätigung dieser Tendenz „mit allen ihren Konsequenzen" in der Handschrift Hegels. Abgesehen davon, daß in dem der Natur gewidmeten Abschnitt des Schellingianums Schellings im Reifen begriffene Naturphilosophie vorweggenommen worden sein soll, wird dieser Text vor allem als ein urkundlicher Beweis dafür gelesen, „daß bereits in dieser Periode tiefgehende - wenn auch niemals offen ausgesprochene Gegensätze zwischen Schelling und Hegel obwalten". (62/63) Wenn Hegel mit seiner in die Berner Zeit fallenden Kritik an der ,Positivität' von Kirche und Staat ausschließlich den historisch verstandenen despotischen Staat vom kaiserlichen Rom bis zur Gegenwart' im Auge hatte, und wenn ihm dagegen „der Staat der A n t i k e . . . Produkt und Ausdruck der freien Selbsttätigkeit der Menschen, der demokratischen Gesellschaft" war (63), dann wurde Schelling durch den bei ihm besonders stark ausgeprägten Ethizismus Fichtescher Herkunft dazu verleitet, den Staat überhaupt vernichten zu wollen. Weil Schelling, so Lukäcs' Befund, in seinem „kleinen, nicht zur Veröffentlichung bestimmten Aufsatz (Lukäcs spricht übrigens vom Systemprogramm, F.P. H.)" das ganze Gewicht seiner Argumentation auf die von Kant nur inaugurierte, von Fichte dann vollendete Ethik gelegt hat, deswegen sei er „in der Ablehnung einer jeden ,Positivität' (bzw. Objektivität, F.-P. H.) viel weiter als der junge Hegel" gegangen. (63) Der junge Hegel bezweckte mit der von ihm propagierten „radikalen Erneuerung von Staat und Gesellschaft" nur die Vernichtung der,positiven' Eigenschaften desselben. Für den jungen Schelling dagegen war, und die Ausführungen des Systemprogramms sollen dies belegen, „eine Befreiung der Menschheit . . . identisch mit einer
Richard Geis (1950)
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Befreiung vom Staate überhaupt". (63) Indem er die ,Idee der Freiheit' an die Spitze seines Ideentableaus stellte, oder indem er die künftige Metaphysik in die Moral ausmünden ließ, nur deswegen - so Lukäcs' immerhin interessanter Gedanke - sei für ihn alles, „was für die Ethik nur den Gegenstand, nicht das Subjekt der Praxis b i l d e t , . . . zum bloßen Objekt (oder eben:,positiv', F.P. H.)" geworden. (63) Folglich könne sich der Mensch nur durch die praktisch fundierte Freiheit, die jeden objektiven bzw. positiv gegenständlichen Widerstand, sei's in Gestalt des Staates, sei's der Kirche von vornherein negiert, „mit der wahren Wirklichkeit, mit dem Wesen in Verbindung" setzen. Der Staat des Systemprogramms soll also, Lukäcs' Lesart gemäß, nur deswegen , a u f h ö r e n ' , weil er den moralischen Unendlichkeitsansprüchen des als frei verstandenen Subjekts gegenüber immer schon ein per se Endliches, Positives, Objektives, - oder was der Bezeichnungen mehr sein mögen - ist. Lukäcs' zentrale - nach unserem Dafürhalten zwar sehr interessante, nichtsdestoweniger jedoch stark verkürzende - Aussage über das Systemprogramm läßt sich in den einen Satz resümieren: Es repräsentiert die Summe des „entschiedenen Fichteanismus (d. h.: extremen Subjektivismus, F.-P. H.) des jungen Schelling". (63) Damit schließt sich Georg Lukäcs - wenngleich unter umgekehrtem Vorzeichen - vollkommen unkritisch, - trotz der ansonsten und auch hier von ihm recht heftig geübten Kritik an bürgerlichen' Philosophiehistorikern und ihren wie selbstverständlich ein ums andere Mal behaupteten ,Verdrehungen' und ,Verfälschungen', dem nun wirklich manipulierten Urteil Rosenzweigs an, es handle sich bei dem Systemprogramm, und zwar seiner ethischen Fundierung wegen, um Hegels Abschrift eines Schelling-Originals.
Richard Geis
(1950)n
Weil diese übrigens schon 1941 fertiggestellte (vgl. die Vita des Verfassers am Ende der Arbeit) maschinenschriftliche Dissertation nur sehr schwer, und in Berlin überhaupt nicht beschaffbar ist - Fernleihe München, Universitäts-Bibliothek - , deswegen hat sie wohl auch nur in einem Fall - in
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Richard Geis, Die Tübinger Freundeslosungen „Hen kai Pan" und „Reich Gottes". Ein Beitrag zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus, Diss, phil., München 1950, Einleitung S.II, 34 (implizit), 38, 146-155.
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Hollerbachs kenntnisreicher Arbeit (s. u.) - Berücksichtigung gefunden, und dies, obwohl Geis ein ganzes Kapitel seiner Studie, und das sind immerhin neun Seiten, dem Systemprogramm gewidmet hat. Wenn allerdings Geis in den Ausführungen der Hegelhandschrift so etwas wie ein Konzentrat und einen ersten Höhepunkt der Frühgeschichte des deutschen Idealismus ausfindig macht, wenn er ihr für die geschichtliche' „Begegnung der drei Stiftsköpfe Hegel, Hölderlin und Schelling" (Einl., I) eine maßgebliche Bedeutung beimißt, dann fällt auch Hollerbachs lakonische Notiz unter die Rubrik flüchtiger und oberflächlicher Kenntnisnahme. Denn Hollerbach faßt Geis' neunseitige Systemprogrammbesprechung in den einen Vermerk zusammen, er („Geis, a. a. O . S. 150 f.", ebenso übrigens auch 90) habe „mit Recht ein,Unbetont-Lassen des völkischen Bezugs' konstatiert, wofür Kant verantwortlich (gewesen, F.-P. H.) sei". 2 2 Angesichts dieser offensichtlichen Differenz zwischen den Ansprüchen der Interpretation eines Richard Geis und der Tatsache, daß sein Text von der neueren Systemprogrammforschung als sozusagen nicht existent angesehen wird, halten wir es für angebracht, seine entsprechend bis heute so gut wie unbekannt gebliebenen Überlegungen zum Systemprogramm in einem eigenen Abschnitt Revue passieren zu lassen. Und zwar nicht zuletzt auch deshalb, weil dieser ausnahmsweise n i c h t an der Verfasserfrage interessierte Interpret eine in gewisser Hinsicht einmalige - modifizierte - Gemeinschaftsarbeitshypothese zur Diskussion stellte, die, ihrer ,Einmaligkeit' zum Trotz, in vollständige Vergessenheit geraten ist. Richard Geis will mit seiner Dissertation, in deren Zentrum die beiden Tübinger Freundeslosungen des „Hen kai Pan" und des „Reichs Gottes" stehen, die neuere Auseinandersetzung um die „Frühgeschichte des deutschen Idealismus" um einige bislang unberücksichtigt gebliebene Aspekte komplettieren. Wenn die „Hegel- und Hölderlinforschung" der Gegenwart den beiden „Losungen" auch insgesamt eine große Bedeutung für das Verständnis der „Beziehungen der Freunde" beimißt, dann muß es nach Geis doch letztendlich darum gehen, diese Pauschalaussage auch an allen nur irgendwie in Frage kommenden Quellen en detail zu bewähren. Zu diesem Zweck zieht Geis das gesamte „Schrifttum" Hegels, Hölderlins und Schellings (Fragmente, Entwürfe, Exzerpte, Publikationen, Gedichte und ein-
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Alexander Hollerbach, Der Rechtsgedanke bei Schelling. Quellenstudien zu seiner Rechtsund Staatsphilosophie, Frankfurt a. Main 1957 (Philosophische Abhandlungen, 13) S. 88, Anm.23.
Richard Geis (1950)
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schlägige Briefe) der Jahre 1794-96 zu Rate, um den Extrakt dieser weitgefächerten Spezialuntersuchung dann schließlich in dem „Das älteste Systemfragment des deutschen Idealismus" überschriebenen Schlußkapitel IX auf den Begriff zu bringen. Dabei schließt auch er sich der seit 1940 Usus gewordenen Uberzeugung an, Schelling sei der Verfasser des Manuskripts, um aber doch insofern von der herkömmlichen Sichtweise abzuweichen, als er in dem Fragment eine Art Gemeinschaftsarbeit von Schelling, Hölderlin und . . . Hegel ausfindig macht. Weil alle drei sich, wenn auch unter jeweils verschiedenen Vorzeichen und unterschiedlich gewichtet, schon als Tübinger Stiftler zu den beiden „Losungen" bekannt hatten, an denen sie sich jederzeit wiedererkennen wollten, deshalb mußten sie sich auch in dem Systemprogramm wiederfinden, das ja schließlich - so Geis - nicht weniger als die Summa aller in den Freundeslosungen enthaltenen Gedankenansätze repräsentierte. So weckte z.B. Hegel in seinem Brief vom 16.4.95 an Schelling „alte Losungen (nur, F.-P. H.) neu auf, in denen sich die Tübinger Freunde (ehedem, F.-P. H.) gefunden und verschworen hatten". (38) In diesem Frühjahr 1795 (!) „bemühten" sich aber auch Schelling und Hölderlin „um eine neue Ausarbeitung, um ein festeres Programm mit Systemcharakter und setzten so dem alten Geist ein neues zukunftsweisendes Denkmal: das sogenannte - ,erste Systemprogramm des deutschen Idealismus'", (ebd.) Wenn Geis also auch die Verfasserfrage im Sinne der sich nach 1940 in der Forschung etablierenden Schellingvariante beantwortet, dann distanziert er sich doch gleichzeitig von dem „hinlänglich" bekannten Streit um die Autorschaft, um sich vielmehr der Position Emil Staigers anzuschließen, der das Programm „,als letztes Dokument, an dem noch alle drei Freunde mehr oder minder beteiligt'" waren, verstanden hatte. 23 Geis' Interesse gilt entsprechend vorrangig dem Problem, „inwieweit diese dritte, idealistische ,Losung' mit den früheren in Beziehung steht". (146) Dabei geht auch er, ähnlich wie vor ihm schon Cassirer, Strauß oder Schilling, von der Annahme aus, daß das Systemprogramm aus dem spätherbstlichen „Meinungsaustausch" des Jahres 1795 zwischen Hölderlin und Schelling hervorgegangen sei. Hegels Interesse, vor allem aber auch seine Befähigung, sich die von den Freunden erarbeiteten Ergebnisse ihrer Unterredung produktiv anzueignen, drücke sich darin aus, daß er, obwohl zu dieser Zeit in Bern als Hauslehrer
23
Vgl. Emil Staiger, D e r Geist der Liebe und das Schicksal. Schelling, Hegel u n d Hölderlin, a . a . O . S.31; ebenso auch die „Emil Staiger" überschriebene Passage des laufenden A b schnitts.
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tätig und folglich von seinen beiden ehemaligen Kommilitonen getrennt, alles daran setzte, an den Diskussionen, und sei es auch nur indirekt, teilzunehmen. N u r diese wissende Anteilnahme an den Bestrebungen seiner ihm geistverwandten Freunde habe Hegel letztendlich veranlaßt, sich eine Abschrift derjenigen „Gedanken" anzufertigen, „die in der Form eines systematischen Programms ihren Niederschlag gefunden hatten und in denen" Geis entsprechend „das abgerundete Ergebnis der Freundesaussprache" erblickt (146), an der Hegel seinerseits immer schon beteiligt gewesen war, und von der er auch in Zukunft nicht ausgeschlossen sein wollte. Für Geis ist das Systemprogramm Schellings vor allem ein Dokument ausgeprägter intellektueller Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft, wie sie sich zwischen den drei ehemaligen Stiftlern - ausgelöst durch die Tübinger Freundeslosungen „Hen kai Pan" und „Reich Gottes" - in jahrelangem geistigen Verkehr ausgebildet hatte. In diesem Entwurf ist mit der Losung „Vernunft und Dichtung" dasjenige Kennwort gefunden worden, das den zunächst noch halbverdeckten Hauptinhalt und Kern der beiden anderen Kennworte einer letzten Klärung entgegenführte. „Dieser Schlussabschnitt wie das ganze Systemprogramm bietet uns in dieser Fassung den Sinn und die Tragweite der alten Formel (gemeint ist das ,Hen kai Pan', F.-P. Η.) sowie deren Einmündung in die Abschiedslosung.... Vernunft und Dichtung sind die berufenen Führer zu Menschlichkeit und Menschheit, zum Hen kai Pan und zum Reich Gottes." (155) Weil also nicht allein die beiden in unmittelbarem gedanklichen Austausch stehenden Gesprächspartner Schelling und Hölderlin ihre um einen gemeinsamen Mittelpunkt kreisenden Motive in dieses Abschluß- und Zukunftsprogramm hineingelegt haben, sondern weil auch Hegel - seiner räumlichen Entfernung zum Trotz - ein wenn auch nur indirekt beteiligter Diskussionsteilnehmer gewesen ist, deswegen entdeckt Geis in dem Entwurf neben typisch Schellingschen und Hölderlinschen Programmpunkten auch solche Hegels. Schelling, Hölderlin und selbst Hegel, der bis 1950 und auch später noch von der Forschung stiefmütterlich behandelte Außenseiter, haben, jeder auf seine Weise, ihren Anteil zur Gedankenwelt des Systemprogramms beigetragen. S c h e l l i n g , angeregt durch die Lehren eines Spinoza, Piaton und Fichte, faßte schon Anfang 1795 den „Plan", eine neue „Ethik" zu entwerfen, „deren Aufgabe es sein sollte, theoretische und praktische Vernunft zu vereinen ( . . . ) " (148), und die letztlich von dem „freien selbstbewußten Wesen" des Systemprogramms getragen wurde. Die von dem „absoluten freien Ich" projektierte moralische Welt aber sollte vor allem die schon von
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der frühen All-Einheitslehre intendierte Vollkommenheit und universelle Harmonie verwirklichen helfen. - H ö l d e r l i n seinerseits hatte schon 1794 mit der Heraklitschen Formel des „Einen in sich selbst Unterschiedenen" (149) seinen - geistverwandten - Beitrag zu dem die Gegensätze vermittelnden „Vollkommenheitsstreben" des Systemprogramms abgegeben. Und diese auf die Einheit der Gegensätze bezogene Identitätsphilosophie läßt wiederum S c h e 11 i η g in der Handschrift die Forderung nach einer in sich vermittelten Subjekt-Objekt-Beziehung aufstellen. Darin allerdings, daß Schelling in dem Programm eine dem moralischen Wesen adäquate moralische Welt bloß postuliert, entdeckt Geis eine wesentliche Differenz zu der realisierten All-Einheit der Schönheitskonzeption Hölderlins, komplettiert freilich um den Hinweis darauf, daß er (Schelling) „sich auf dem Weg dorthin befindet". (150) Dieser im ersten Teil des Programms an der Idee der Freiheit orientierte Weg veranlaßt dann folgerichtig auch eine grundsätzliche Kritik des Staatsmechanismus. Schelling fordert die „Überwindung und Beseitigung" des Staates im Namen der Freiheit, was Geis, in Antizipation der Position Hermann Zeltners (s. u.) und in Übereinstimmung mit derjenigen Georg Lukäcs', zu dem Ergebnis kommen läßt, daß der Systemprogrammautor Schelling ein radikaler ,Anarchist' und ,Umstürzler' gewesen sei. „Hiermit geht Schelling wieder über Hegel und Hölderlin hinaus, die lediglich dem Staat als dem ,Sittenwächter' und Gehilfen kirchlicher Gesetzesherrschaft das Recht absprechen. Im Prinzip (aber, F.-P. H.) bleibt (auch, F.-P. H.) dieser Abschnitt des Systemprogramms dem (allen drei Freunden gemeinsamen, F.-P.H.) Tübinger Freiheitsideal treu." (151) Wenn Schelling das den zweiten Teil der Handschrift dominierende platonisierende - „Schönheitsideal" mit dem Attribut des „Schöpferischen" versieht, dann hat er mit dieser Verbindung nur dasjenige auf den Begriff gebracht, was auch Hölderlin in seinen Gedichten auszudrücken suchte. Auch für den Dichter Hölderlin war die „Teilnahme an der Schöpferkraft... ein ästhetischer Akt, (der, F.-P. H.) zugleich ein Eindringen ins Reich der Philosophie und Moral" ermöglichte. (151/52) Einig waren sich die Freunde - Hegel eingeschlossen - fernerhin auch darin, daß dem besonders von Hölderlins „intellektualen Schau" projektierten „All-Schönheits-Ideal" die „Buchstabenphilosophen", wie sie im Systemprogramm genannt werden, gefährlich werden konnten. Und wenn auch Schelling die von Hölderlin de facto begründete „Vorzugsstellung der Poesie" einmal mehr nur zu propagieren, bzw. als ein zu erstrebendes Ziel nur zu fordern wußte, dann stimmten alle drei Freunde doch wiederum darin überein, daß nur über die ästhetische „Erziehung des Volkes ihre Ideale zu erfüllen" seien. (153)
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Schließlich aber, so Geis, trugen Hölderlin, Schelling u n d Hegel jeder ihren Teil zu der im Systemprogramm angestrebten Stiftung einer neuen „sinnlichen Religion" bei. H ö l d e r l i n hatte sein ästhetisches All-EinheitsIdeal immer schon als eine - quasi säkularisierte - religiöse Vorstellungswelt, als ein zur Welt gewordenes „Reich Gottes" verstanden wissen wollen; S c h e l l i n g s intellektuelle Anfänge wurzelten in dem „Versuch", „die Vielgestaltigkeit des Hen kai Pan mit dem Reich der Ideen, dem Reich Gottes" zu verbinden (153); H e g e l endlich war in seinen religionsphilosophischen Frühschriften immer wieder auf der Suche nach einem modernen „Gegenstück zur griechischen Phantasiereligion" gewesen, um mit Hilfe einer gegenwartsnahen „Nationalphantasie" die in der klassischen Antike realisierte Freiheitsidee auch in der Gegenwart neu zu etablieren, (cf. 154) Der gemeinsame „Nenner" all dieser Anläufe ist aber nach Geis darin zu finden, daß sich die von den ehemaligen Stiftlern projektierte neue Mythologie generell auf „Versinnlichung" bezieht. Darüber hinaus erhält durch diese Verknüpfung von „.Mythologie und Vernunft"' der in den beiden Freundeslosungen implizierte Identitätsaspekt „einen neuen Ansatz": Durch die als universell verstandene Verbindung zwischen „Geist" und „Herz", respektive Sinnlichkeit und Vernunft ist „der alte Dualismus in einer höheren Einheit aufgehoben . . . , das Ziel (ist, F.-P. H.) erreicht". (155) - Und wenn auch Geis in Übernahme von Rosenzweigs ,Mysterienkonstruktion' das immer wieder aktivierte Vorurteil aufgreift, Schelling habe mit dem esoterischen Initiationsritus seines Obereit-Briefes einen erneuten Beweis dafür geliefert, daß es darum gehen müsse, das demokratische Ideal „der Tübinger Frühzeit" in das ausgereifte Ideal allgemeiner Menschlichkeit zu überführen, dann kann er letztendlich selbst diesen offensichtlichen Fehlgriff seinem allgemeinen und konsequent durchgehaltenen Erkenntnisinteresse dienstbar machen, wenn er resümierend festhält: „Mit klaren Sätzen, negativ und positiv, lässt der Schlussabschnitt (des Systemprogramms, F.-P. H.) ans Licht treten, um was es im alten Hen kai Pan ging. Die alten Ideale leben auf, ebenso der Sieg über Positivität, die Ausbildung aller Lebenskräfte von Individuum und Volk drängt ins Allgemeine, in ewige Einheit. Die Geschichte erfährt ein neues Stadium der Vollendung und empfängt eine neue Religion, die die Menschheit zu einem Reich Gottes zusammenschliesst." (155) Das Systemprogramm ist nach dieser immerhin ungewöhnlichen Lesart die Summa und die Krönung des unter der Losung des Hen kai Pan stehenden jugendlichen Bundes der Geister; es repräsentiert die Essenz der frühen Bestrebungen Schellings, Hölderlins u n d Hegels.
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Hermann Zeltner (1954)
Hermann Zeltner (1954)24 Hermann Zeltner läßt in seiner Schellingmonographie von Anfang an kein Mißverständnis darüber aufkommen, in welchem Sinne er sich des Systemprogramms zu bedienen gedenkt. In ihm soll das gesamte Lebenswerk Schellings in nuce antizipiert worden sein. Dabei gestattet ihm seine von der üblichen monographischen Darstellungsweise abweichende Schellinginterpretation, auf diese Erkenntnis ein ums andere Mal hinzuweisen. Zwar bespricht auch er die Publikationen Schellings nach der Chronologie ihres Erscheinens, aber weil er dessen (Euvre um Themenschwerpunkte gruppiert, kann er gleich mehrere Male - und zwar in sieben von elf Fällen die Handschrift an den Anfang einer immer wieder von Neuem beginnenden Werkbesprechung, die dann an einem jeweils vorgegebenen
Stichwort
entlangläuft, stellen. Dieses Vorgehen ermöglicht es dem Interpreten, die a priori unterstellte Kontinuität von Schellings intellektueller Biographie in einem sich sieben Mal wiederholenden aktualisierenden bzw. vergegenwärtigenden Mitvollzug Revue passieren zu lassen. Wenn andere Autoren der gleichen Periode, so z . B . der drei Jahre später publizierende Alexander Hollerbach (s. u.), sich in ihrer Diskussion des Schelling-Gesamtwerks - in einmaligem Durchlauf - von den Frühschriften bis zum Spätwerk durcharbeiten, und zwar mit dem auch für Alexander Hollerbach verbindlichen Erkenntnisinteresse, den Beweis für die Kontinuität in Schellings geistiger Entwicklung zu erbringen, dann sind sie von vornherein darauf festgelegt, immer nur retrospektiv den zugrundegelegten Schellingtext aktualisieren zu können. Zeltner dagegen beginnt fast jeden Abschnitt seiner Studie, - und das bedeutet: in mehr als der Hälfte aller möglichen Fälle - , mit einem mehr oder weniger ausführlichen Hinweis auf einen dem gerade behandelten Gegenstand entsprechenden Gesichtspunkt des Systemprogramms und leitet daraus, vergleichsweise eindringlich, die in allem Wandel sich doch letztendlich durchsetzende Stetigkeit von Schellings intellektuellem Werdegang ab. Man könnte mit einigem Recht sagen: Zeltners ganzes Buch ist ein einziger groß angelegter Versuch, unter Zuhilfenahme des Systemprogramms den Beweis dafür zu erbringen, daß Schelling in Wirklichkeit nie der „Proteus" der Philosophie gewesen sei, als der er von Hegel, fälschlicherweise und
24
Hermann Zeltner, Schelling, Stuttgart 1954, S. 2 5 - 2 7 , 6 2 / 6 3 , 113, 147, 173, 1 8 9 / 9 0 , 1 9 7 , 2 0 9 / 10, 218, 316, 319, 3 2 2 / 2 3 ; 6 5 - 6 7 : vollständiger Abdruck des Systemprogramms d i r e k t sich anschließenden Kommentar.
ohne
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vorurteilsbefrachtet, dem Publikum nahegebracht worden war. Im Gegensatz zu Hegel nämlich, so weiß es Zeltner darzustellen, zeichne Schelling positiv eine „bis ins Alter bewahrte Bereitschaft zu neuen geistigen Erfahrungen" aus. Nicht allein habe Schelling „seine Partner und Gegenspieler . . . an Jahren überdauert", sondern er habe „diese geschichtliche Situation auch genützt", indem er „in der Auseinandersetzung mit ihnen zu neuen und weiterführenden Konzeptionen gelangte, Konzeptionen, die unmittelbar heranführen an die philosophische Problematik der Gegenwart". (47/48) Hat der Interpret mit dieser Feststellung die eine Hälfte seines Erkenntnisinteresses auf den Begriff gebracht - die Aktualität Schellings für die Gegenwart - dann lassen sich für sein anderes, daß nämlich „die Wandelbarkeit, die Unstetigkeit, die man an Schelling hat feststellen w o l l e n , . . . weithin doch nur scheinbar" sei, beliebig viele Textstellen ausfindig machen. Freilich sei Schelling „allen Anregungen offen" gewesen, aber, so die unzählige Male wiederholte Richtigstellung Zeltners, das spreche doch nur für die besonders stark ausgeprägte geistige Regsamkeit seines Protagonisten. Zwar sei es richtig, Schellings Wandlungsfähigkeit aus seiner Offenheit für äußere Einflüsse abzuleiten, aber das bedeute nicht geistige „Haltlosigkeit oder gar, wie man vorwiegend in der zeitgenössischen Polemik behauptet hat, opportunistische Wendigkeit". Ganz verfehlt aber sei es schließlich, wenn man bei Schelling „drei oder sechs oder gar noch mehr systematische Grundstellungen . . . (meint, F.-P. H.) unterscheiden zu können". Eine „an den konkreten philosophischen Problemen orientierte Betrachtung" zeige erst den wahren Sachverhalt: „Schellings Philosophie" hat sich „wohl allmählich entfaltet und in dieser Entfaltung auch gewandelt . . . " , aber es handelt sich doch „im wesentlichen (um, F.-P.H.) eine freilich nicht in drei Sätzen zu fassende große Grundkonzeption . . . , die alles trägt und bewegt und die nur zunehmend in die Tiefe dringt und zugleich in die Fülle und in die Breite sich entwickelt." 25 Wenn Schellings Philosophie also auch nicht in drei Sätzen resümierbar sein soll, dann soll die sogenannte „große Grundkonzeption" seines Philosophierens aber doch in den zwei Seiten des Rosenzweigfundes von 1917 dingfest zu machen sein. Dabei schließt sich Zeltner der seit spätestens 1940 Usus gewordenen Position der Forschung an, Rosenzweig habe den Text
25
A. a. O . S. 47. Für diese um den Kontinuitätsaspekt gruppierte permanente Ehrenrettung Schellings, deren Häufigkeit den Verdacht aufkommen läßt, Schelling habe diese Ehrenrettung nötig, vgl. ebenso: S. 62, 71, 100, 106, 136/37, 150, 186, 277 u. passim.
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nicht allein ausgezeichnet erläutert (316), sondern auch zutreffend datiert. Daß es sich bei der Handschrift um einen Text Schellings in der Abschrift Hegels handelt, dessen ist sich Zeltner mit Rosenzweig ebenso sicher, wie der ,Tatsache', daß dieser „sichtlich nicht zur Veröffentlichung" bestimmte Text „eine vertrauliche Mitteilung an den Freund (Hegel, F.-P. H.)" gewesen ist. Folgerichtig wird auch der Antipode des Rosenzweiganhängers Strauß Wilhelm Böhm - in Zeltners Gesamtwürdigung des Programms kein einziges Mal erwähnt. Dafür weiß sich Zeltner in Fragen der Textauslegung und -Zuordnung um so mehr mit seinem Vorgänger Rosenzweig einig, der ja übrigens auch schon das Programm zu einer einmaligen Gelegenheit hochstilisiert hatte, nun endlich, mit seiner Hilfe, den Beweis erbringen zu können, daß Schellings Werdegang sich kontinuierlich vollzogen habe. Genau in diesem Sinne will Zeltner das Systemprogramm verstanden wissen, wenn er, zum Zwecke erster, dafür aber um so maßgeblicherer Orientierung, gleich einleitend das Fragment auf folgende Weise in Schellings Gesamtschaffen einordnet: „Ein höchst merkwürdiges Dokument, auffallend schon durch die Selbstgewißheit und Überlegenheit, mit der es den künftigen Weg des jungen Philosophen vorzeichnet. Hier ist in Umrissen bereits die ganze Fülle der Welt gegenwärtig, gesehen mit den Augen des philosophischen Genius: . . . " (25/26) Und nachdem der Interpret sowohl einen summarischen Uberblick über die verschiedenen Gegenstände des Programms gegeben, als auch ausdrücklich - in Nachfolge Rosenzweigs darauf hingewiesen hat, daß es sich hier nicht um eine bloße „Bestandsaufnahme", sondern um eine „philosophische Gesamtschau" handele, und zwar „unter der Leitidee der freien schöpferischen Persönlichkeit", dann weiß er abschließend dieser Gesamtschau auch noch eine aufschlußreiche Perspektive zu geben: Sie soll alle „Satzung" und alle „Dogmatik" überwinden, sie soll „mit einer dem Dichterischen verwandten und zugleich überlegenen Kraft den neuen Mythos stiften" helfen, „durch den die Ideen der philosophischen Vernunft zur Religion der freien Menschheit werden sollen". (26) Die eigentliche Bedeutung dieses nach Zeltner wahrhaft ,divinatorischen' Textes soll aber letztlich gerade darin zum Ausdruck kommen, daß er dem Titel, der ihm von Rosenzweig gegeben wurde, voll und ganz gerecht wird. Er ist eben ein Systemprogramm' und verbürgt deswegen eines in ganz außerordentlichem und konsequentem Maße: Kontinuität. „Höchst merkwürdig ist aber insbesondere, wie dieses Programm mit divinatorischer Sicherheit die philosophischen Gegenstände in derselben Reihenfolge verzeichnet, in der sie bei Schelling dann wirklich nacheinander die Mitte seines Philosophierens bildeten. Freilich ändert sich in diesem Prozeß dann die
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jeweilige Perspektive, unter der diese Gegenstände erscheinen, wandeln neue Fragestellungen den ursprünglich revolutionären Ansatz - aber doch wird man in aller Verwandlung eine letzte Kontinuität wiederfinden, wie sie in diesem ersten Programm angedeutet ist." (26) Diese „letzte Kontinuität" ist also offensichtlich nur deswegen auf das Systemprogramm zurückführbar, weil sie, ausgehend von den Einsichten des ,reifen' Schelling, immer wieder in diesem frühen Text gesucht und: entsprechend auch gefunden wird. Die vom Systemprogramm inaugurierte Kontinuität beweist sich dann selbstverständlich auch in mehr als nur einer Hinsicht. Daß Schelling sich nämlich schon in den beiden Leipziger Hauslehrerjahren (1796-1798) für die Naturwissenschaften interessierte, soll nach Zeltner ebenso auf die Gedankenwelt des Systemprogramms zurückverweisen (cf. 27), wie die Tatsache, daß Schelling sich noch 1844 in der .„Darstellung des Naturprozesses'" mit diesem Bereich befaßte. (cf. 62) Aber auch die in etwa gleichzeitige Übertragung der gesamten Naturphilosophie in das Gebiet der „Philosophie der Mythologie und Offenbarung" wird als eine „merkwürdige Konsequenz" interpretiert, die sich eben darin ausdrücken soll, daß Schelling das 50 Jahre zuvor im Systemprogramm entworfene Mythologiekonzept in seiner Spätphilosophie, wenngleich modifiziert, wieder aufgenommen hat. (62/63) Gleich zu Beginn des dritten Unterabschnitts, der sich - chronologisch - mit dem philosophischen Gegenstand der „ N a t u r " bei Schelling beschäftigt, wird dieser Gedanke dann folgerichtig weitergesponnen. Nunmehr wird in der ideell geflügelten' Experimentalphysik des Systemprogramms diejenige „Neubegründung der Naturphilosophie" durch den jungen Schelling gefunden, mit der er „in seiner Zeit" nicht allein „Epoche gemacht", sondern „die ihn auf den Gipfel des Ruhmes geführt" haben soll. (113) Aber auch in der sich unmittelbar anschließenden „Philosophie der Geschichte" finden wir Schelling nicht allein auf der Höhe der Zeit, sondern auch hier zeigt sich einmal mehr seine Originalität und epochemachende Wirkung, (cf. 147) Schellings Geschichtsphilosophie ist aber nicht zuletzt gerade deswegen so besonders denkwürdig, weil sie das objektive Wissen um den „Verlauf der Geschichte" in einen „utopischen" Zukunftsentwurf integriert. Wenn die Tübinger Stiftler, insbesondere aber Schelling, eschatologische Hoffnungen auf ein „grundsätzlich neues" zukünftiges Sein der Menschheit hegten, dann sollen diese Hoffnungen in der Handschrift ihren ersten theoretischen Niederschlag gefunden haben. Hier vor allem, so Zeltner, wird es deutlich, daß Schellings philosophisches Engagement von vornherein darauf abgestellt war, aktiv „in den Gang der Geistesentwicklung, die sich auf dieses
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Kommende zubewegt, . . . einzugreifen". (147) Dieses praktische bzw. rein „willensmäßige" Verhältnis zur Geschichte zieht aber freilich spätestens dann problematische Konsequenzen nach sich, wenn es sich mit der konkreten Rechts- und Staatssphäre (cf. 173) konfrontiert sieht. Dann nämlich führt dieser unbedingte Appell der Idee der Freiheit zwangsläufig zu einer „Absage an den Staat", und diese „radikale" Schlußfolgerung hat Schelling im Systemprogramm dann ja auch tatsächlich gezogen: „ - der junge Schelling ist überzeugter Anarchist, .. ." 26 - Wenn Zeltner diese anarchistische Tendenz des jungen Schelling aus seinem unbedingten Freiheitsstreben, aus der „moralischen Selbstmacht" des ,Individuums' ableitet, dann befindet er sich mit dieser Konzeption in größerer Nähe zu Georg Lukäcs' Systemprogramminterpretation, als ihm selbst lieb sein dürfte. Denn auch Lukäcs fand ja schon in dem durch Fichtes extrem subjektivistischen Ethizismus angeregten Fragment Schellings eine abstrakt „anarchistische Utopie von einer staatenlosen Befreiung der Menschheit". (Lukäcs, 63) Deshalb ist es auch unzutreffend, wenn Zeltner in der Fußnote zu dieser Seite die Behauptung aufstellt, daß, soweit er sehe, „die anarchistische Tendenz der ,Neuen Deduktion' . . . bisher niemandem aufgefallen" sei. (322) Denn Georg Lukäcs war sie nicht allein aufgefallen, sondern er hatte den ganzen frühen Schelling aus diesem Blickwinkel einer ausführlichen Kritik unterzogen. Daß Zeltner wiederum diesen offensichtlichen Tatbestand übersehen konnte ist um so verwunderlicher, wenn man andererseits bedenkt, daß er ganz prononciert von Georg Lukäcs' „Haß gegen Schelling" zu berichten weiß, der nun wiederum seinerseits alles mögliche an Schelling übersehen haben soll.27 Der nächste Abschnitt, in dem Zeltner seinen Lieblingsgedanken von Schellings kontinuierlicher Entwicklung anhand des Systemprogramms illustrieren kann, ist der mit „Kunst" überschriebene. (189) Für „die Idee der Schönheit" und für die sie hervorbringende „Poesie" hat Schelling nämlich
26
27
A . a . O . S. 172. Vgl. hierzu gleichfalls S.322, die Anm. zu den Seiten 173ff. Ähnlich auch, neun Jahre später, wird Jürgen Habermas von einer kaum verhüllten anarchistischen Konsequenz im Denken des jungen Schelling sprechen, wie sie sich „auch schon in dem von Rosenzweig (Habermas schreibt .„Rosenkranz"', F.-P. H.) aufgefundenen Systemprogramm des Jahres 1795" herauskristallisiert haben sollte. Cf. Jürgen Habermas, Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, den Aufsatz „Dialektischer Idealismus im Ubergang zum Materialismus. Geschichtsphilosophische Folgerungen aus Schellings Idee einer Contraction Gottes" (172-227); Neuwied und Berlin 1963. Zitiert nach der 4. Aufl., Frankfurt a. Main 1972, S. 175 und 224, Anm. 10. Den Hinweis auf diese Publikation verdanke ich Herrn Uwe Vones (Berlin). Vgl. a. a. O . S. 322, die Fußnote zur S. 179. Zu diesem bemerkenswerten Beziehungsreichtum vgl. ebenso den Abschnitt über Alexander Hollerbach und die Anm. 29.
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„von vornherein . . . eine zentrale Stellung" gefordert. Das soll zunächst freilich nur besagen, daß alle Wissenschaften und Künste, schließlich aber auch die Philosophie vor der Poesie zurückzutreten haben, wobei andererseits aber doch durch das „Zusammenwirken . . . von Philosophie und Kunst" eine „neue Mythologie" gestiftet werden soll, deren Ziel „die ,allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister'" ist. (189) Diese Begründungsfunktion der Schönheit, die Schelling „von vornherein" gefordert haben soll, wird nun aber von Zeltner nicht etwa auf die immanente Diskussion des Systemprogramms eingeschränkt. Der Interpret spielt vielmehr hier schon auf die sattsam bekannte antizipierende - in diesem speziellen Fall auch Zeitgeschichte antizipierende - Tendenz dieses frühen Entwurfs an, also dergestalt, daß Schelling all das, was er hier an Wesentlichem nur anzudeuten vermochte, späterhin - und das bedeutet: in seinem ganzen Lebenswerk - einer letztgültigen Realisierung entgegenführte. Folglich heißt es: „In diesen Gedanken ist bereits alles enthalten, was die Besonderheit von Schellings Philosophie der Kunst ausmacht. Daraus folgt aber - worauf schon Franz Rosenzweig hingewiesen hat - daß die Grundzüge von Schellings Kunstphilosophie schon feststanden, ehe er mit den Romantikern in Berührung kam, ja ehe er mit ihnen gemeinsam die tiefe und nachhaltige Begegnung mit den Kunstschätzen der Dresdener Galerie hatte. Die Etappen seiner Philosophie der Kunst entfalten nur, was in den programmatischen Erklärungen des Jünglings angelegt w a r - w o b e i " , - so die ,einschränkende' Floskel Zeltners
„sie es freilich, der gereiften Einsicht des
Philosophen entsprechend, zugleich verwandeln." (190) Daß sich dieses systemprogrammatische Credo genereller Vorwegnahme dann auch in Schellings identitätsphilosophischen Phase - nach 1800 - bewährt haben soll, ist nach diesen Ausführungen dann auch nicht weiter verwunderlich. „In reifer Form kehrt" hier einmal mehr „ein Grundgedanke des Systemprogramms wieder . . . : die enge Beziehung von Kunst und Religion und die Rolle, welche der Kunst bei der notwendigen Versinnlichung der Religion zufällt ( . . . ) . " (197) Insgesamt noch zweimal kommt der Leser nach diesen kunsttheoretischen Erörterungen in den ,Genuß', die divinatorische Begabung des frühen Schelling bewundern zu dürfen. Wir enthalten ihm diesen doppelten ,Genuß' vor, wenn wir ihn abschließend nur noch an der „Reich-Gottes"-Gesinnung des vermeintlichen Systemprogrammautors Schelling teilnehmen lassen. Unter der beeindruckenden Hauptüberschrift „ G o t t " wird zwar zunächst die antireligiöse Stimmung des Systemprogramms wie des jungen Schelling überhaupt namhaft gemacht, aber letztlich, so wird mit Befriedigung festge-
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stellt, „schließt das Fragment (doch, F.-P. H . ) mit dem Ausblick auf eine neue („sinnliche", mythologisch vermittelte, F.-P. H.) Religion". (209) „Kein Zweifel" nämlich besteht für Zeltner an der zuguterletzt doch siegreichen „enthusiastisch-utopischen" Religiosität des 20jährigen:
„in
jenem Kampf gegen Theologie und Kirchenchristentum ebenso wie in diesem Zukunftsprogramm ist eine starke persönliche Religiosität lebendig." (209/10)
Karl Jaspers
(1955)n
Wenn Georg Lukäcs, seinem Erkenntnisinteresse gemäß, die Handschrift ohne vorherige Prüfung als ,Aufhänger' gedient hatte, Schellings geistige Entwicklung von derjenigen Hegels besonders markant abzuheben, dann war er mit dieser tendenziösen Berichterstattung wider Willen dem Beispiel Rosenzweigs gefolgt, der das Fragment auch schon - im Gegensatz zu Lukäcs freilich positiv motiviert - als einen willkommenen Anlaß dafür nahm, s e i n e n
Schelling von diesem Programm her insgesamt neu zu
deuten. Dieses Aktualisierungsanliegen hat der sich „in Existenz verstehende" Karl Jaspers in seinem Schellingbuch - wenig Größe, viel Verhängnis - auf die Spitze getrieben, wenn er den Leser schon im Vorwort mit seinem
Erkenntnisinteresse vertraut macht: Schelling verstehen ist für
Jaspers dasselbe, wie „uns selber besser zu verstehen, weil er uns bleibende Möglichkeiten unseres Zeitalters zeigt: . . . " (7) Daß „wir uns in ihm wiedererkennen" ist für diesen Exegeten genauso selbstverständlich, wie es für Lukäcs selbstverständlich war, sich n i c h t in ihm und dem ihm fraglos zugehörigen Fragment wiedererkennen zu können. Das Resultat allerdings ist in beiden Fällen dasselbe: eine sei's positiv, sei's negativ motivierte Identifikation, für die das Begreifen des Textes in beiden Fällen zur Nebensache wird wenn es gilt, den Autor besser zu verstehen, als er selbst sich zu verstehen vermocht hat. 2 9
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Karl Jaspers, Schelling. Grösse und Verhängnis, München 1955, S. 5 6 - 5 8 , 60, 2 3 7 (implizit), 249, 2 5 1 , 2 7 5 , 300, 345.
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Eine ähnliche - kritisch gemeinte - Parallele zwischen Lukäcs und Jaspers hat auch schon Alexander Hollerbach festgestellt, wenn er für beide Schelling-Interpreten einen tendenziös verkürzenden, um Differenzierung unbekümmerten U m g a n g mit den Quellen konstatiert. Vgl. a. a. Ο . S. 273, A n m . 725. Eine dieser Quellen ist der von Hermann Zeltner 1954 erstmals gedruckte Brief Schellings an Gotthilf Heinrich Schubert vom 1 5 . 2 . 1 8 4 9 ; cf.: Hermann
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Jaspers Tendenz zur Aktualisierung ist freilich im Vergleich zu derjenigen Lukäcs' noch um einiges großzügiger. Nicht allein, daß er Schellings „Bedeutung für heute" ins allgemeine Bewußtsein heben will, daß er die Beschäftigung mit Schelling als ein probates Mittel dafür hält, „zu hellerem Bewußtsein seiner selbst (zu, F.-P. H . ) gelangen" (8, vgl. auch 63 u. ö.), läßt er sich endlich und zu allem Uberfluß auch noch zu intimen Bekenntnissen wie z . B . demjenigen herab, daß ihn Schelling „betroffen" gemacht, „ja hingerissen" habe, um schließlich so eitel wie nichtssagend und bar jeden Interesses zu verkünden: „ich verdanke Schelling viel." (9, ebenso 273, 331) Daß Jaspers ihm aber tatsächlich nur dasjenige verdankt, was er vorher in ihn hineingeheimnist hat, oder was allenthalben, speziell von Rosenzweig, in ihn und das sogenannte Schellingianum hineingeheimnist wurde, wird spätestens dann deutlich, wenn man sich s e i n e r Systemprogrammausdeutung zuwendet. Denn in dem Fragment einen „kostbaren Beweis für die frühe umfassende, fast alles im Ansatz vorwegnehmende Denkungsart Schellings" (56) kann man nur dann finden, wenn man diesen Beweis sowieso schon vorher gesucht hat, oder wenn man, anders gesagt, willkürlich herangezogene Texte nur auf dasjenige hin befragt, was man - ganz Partei unbedingt in ihnen finden möchte. Jaspers jedenfalls findet in dem Manuskript, d'accord mit Rosenzweig, den sich schon im „21jährigen Jüngling" ankündigenden, aber tragisch scheiternden Systematiker der Philosophie oder kurz: den „enthusiastischen" Genius der Antizipation. „Hier hat Schelling seine kommende Philosophie entworfen", und das ganze Programm wird folglich als ein einziges Dokument frühreifer Prophetie gefeiert, in dem „der Jüngling" vorweggenommen hat, „was er ein Leben lang festhält, verwirklichen will, ohne es zu erreichen: . . . " (57, ebenso 60) Jaspers kreiert, wie kein zweiter vor ihm, einen zum Mythos stilisierten Schelling, der in einem auch noch für die Gegenwart verbindlichen, und deshalb
aufzubewahrenden
Teil
seines
Werks
„Existenzerhellung",
„ursprünglich fragende, öffnende Spekulation" (212), „die uns erweckt zu uns selbst" (9) im Sinne des Interpreten getrieben haben soll, ohne sich selbst übrigens „grundsätzlich" begriffen zu haben. (343) Dagegen hätten all jene, auf Hegel hinweisenden rationalen bzw. „negativen" Elemente seiner Philosophie ihm den „positiven", „offenen", „existentiellen Ursprung" des freien „Sichfindens im Ganzen des Seins" (65), kurz: das „Fragen in den
Zeltner, Neue Schellingiana, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, VI. Jg., H . 3, 1954, S. 219.
Karl Jaspers (1955)
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Grenzsituationen" (211) versperrt, (vgl. bes. 208 ff.) Die an Schelling herangetragene Alternative „Gnosis" oder „Existenzerhellung" ist aber nach unserem Dafürhalten nicht weniger prekär, als der ziemlich unerfreuliche, familiär-idyllische, mit viel psychologisierender Rhetorik vorgetragene Bombast von Jaspers Systemprogrammnekrolog: „Sieht man das Systemprogramm im Zusammenhang mit den Jugendschriften und vergleicht diese Gedankenwelt mit dem ganzen Schelling, wie er bis zuletzt dachte, so zwingt sich der Eindruck auf: Da ist kein Nacheinander verschiedener Grundhaltungen, Positionen, Systeme, die jeweils allein bestanden hätten und auseinander hervorgegangen wären, sondern ein Bleibendes, das wie mit einem Schlage da ist, nun weiter sich entfaltet, aufschließt - . . . oder eine flammende Substanz, die ausstrahlt, in das eigene Feuer hinein aneignet, sich verliert und wiedergewinnt - oder eine umfassende Grundhaltung, die verschiedene Stimmungen in sich schließt, deren einzelne wechselnd hervortreten, gestört und unterbrochen durch Enttäuschungen in der Welt und dadurch entstehende Ressentiments und durch eigene Gewaltsamkeiten." (57/58) So groß wie die „Gewaltsamkeiten", die Jaspers - modernisierend diesem Text und Schelling insgesamt antut, können diejenigen „Gewaltsamkeiten" gar nicht gewesen sein, die Schelling sich selbst zugefügt haben soll. Zumal da sie ja ohnehin nichts weiter sind als Erfindungen des „betroffenen" Existentialontologen, der mit seiner bemühten „existenzerhellenden" Selbsterweckung sich und Schelling und damit die ganze „freie" - bzw. „offene" Welt - „die Freiheit als Grund aller Wirklichkeit" - (173), gegen gnostische, will heißen: totalitär und doktrinär verfestigte „Visionen eines (,objektiven', F.-P. H.) Scheinwissens" meint beschützen zu müssen, und hiermit letztlich auch ein mehr oder weniger deutliches politisches Anliegen verfolgt, dessen Absender seine Adressaten ziemlich genau kennt: „Zwar begegnen wir dem Fremden, das seinerseits gar nicht Kommunikation will, Mitteilung verwehrt, Unterwerfung und Nachfolge fordert, nicht Prüfung zuläßt. Aber hier liegt etwas wie die Grenze zum Verlust des Menschseins. Hier wird die Frage beschwörend: bist du noch ein Mensch, wenn du irgendwo grundsätzlich verweigerst, zu hören, zu prüfen und zu antworten, - kannst du Wahrheit verwirklichen, wenn du eine Gesellschaft mitformst und ihr gehorchst, die den offenen, für Leben und Sicherheit des Leibes gefahrlosen Verkehr des Geistes verbietet?" (215)30
30
Entsprechend auch: „Ich wende mich gegen diese und andere A b w a n d l u n g e n der Chiffer einer transzendent bewirkten, im ewigen Plan festgelegten Geschichte, mag sie sich als
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Walter Schulz
(1955)il
Schon der Titel der Arbeit von Walter Schulz gibt in dankenswerter Klarheit Auskunft über das Lernziel dieser Studie: In der Spätphilosophie Schellings soll sich der deutsche Idealismus vollendet haben. Das die Schellingforschung bislang bestimmende Hegeische Vorurteil, Schelling sei der ,Proteus des Deutschen Idealismus', er sei der „lebendig und vielseitig anregbare", „geniale Kopf" ohne systematischen Tiefgang gewesen (cf. 7, 81, 112, 144), da er zeitlebens immer nur ,vor dem Publikum philosophiert' habe, will Schulz revidieren. Tatsächlich nämlich sei Schellings Entwicklung nicht nur „erstaunlich geradlinig" verlaufen, sondern sie „vollzog sich als der überwindende Einbau der beiden anderen führenden Idealisten (gemeint sind Fichte und Hegel, F.-P. H.) in das eigene Denken". (7, cf. 95, 124) Diese von Schulz immer wieder konstatierte Geradlinigkeit (cf. 135,143 u. ö.) der intellektuellen Biographie Schellings soll sich daraus erklären, daß Schelling zeitlebens - sowohl in seiner Früh-, als auch in seiner Spätphilosophie - an der Lösung des idealistischen Grundproblems, wie Schulz es versteht: „der reinen sich in der Vernunft auslegenden Subjektivität" (143) gearbeitet haben soll. Weil Schelling die „Problematik der sich im Denken ergreifen wollenden reinen Subjektivität" (167), oder weil er die „aus dem idealistischen Denken selbst erwachsene Besinnung auf die Problematik der absoluten Selbstbestimmung" (113) zu seinem sich durchhaltenden Untersuchungsgegenstand machte, deswegen meint Schulz in Schelling den „Vollender des Deutschen Idealismus" (167) gefunden zu haben. Um aber den Beweis für diese behauptete Kontinuität in Schellings geistiger Entwicklung wirklich erbringen zu können, dazu müsse sich nach Schulz „in der Frühphilosophie etwas finden lassen, was Schelling auf die Problematik der
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objektive Heilsgeschichte, als geheimnisvolle Schellingsche Seinsgeschichte, als marxistische Geschichtserwartung nach einem erkannten unabänderlichen Gesetz aussprechen." A. a. O. S. 219. Oder endlich auch diese zugegebenermaßen etwas abseitige Stilblüte: „Was in gröbster Form als die Polarität von Sadismus und Masochismus der Sexualität vorkommt, verkleidet sich durch endlos viele Einkleidungen, gegen deren Unreinlichkeit und Unwahrhaftigkeit nur die Helligkeit der Philosophie hilft. N u r am Rande kann sich bei Schelling - und nur selten jene Schwüle geltend machen. Er ist bemerkenswert frei von der romantischen Atmosphäre des Erotischen, Perversen, Androgynen und dergleichen. Aber seine Chiffern der Natur können leicht und schnell in diese Richtung führen." A . a . O . 220. Walter Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Stuttgart, Köln 1955, S. 304-306.
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Selbstbestimmung, und das heißt auf die Problematik der Spätphilosophie hinführt". (113) Und dieses gesuchte - Kontinuität verbürgen sollende ,Etwas' findet er in dem „Altesten Systemprogramm des Deutschen Idealismus", das, als Keimzelle des ganzen Idealismus „ein Schicksal" heraufbeschwört, „das keineswegs schon bewältigt ist". (237) Schulz' Schelling- und Systemprogrammdiskussion gliedert sich folglich von ihrem eigenen Anspruch her in die Reihe derjenigen - aktualisierenden Interpreten ein, die, angefangen bei Rosenzweig, über Strauß und Böhm, bis hin zu Lukäcs, Zeltner und Jaspers, das Systemprogramm als willkommenen Anlaß dafür benutzten, wahlweise ihrem Schelling, ihrem Hölderlin oder auch - kontrastierend - ihrem Hegel neue Konturen zu geben. Wenn Rosenzweig nämlich schon 1917 die von ihm besorgte Publikation des „vergilbten Blattes mit den abgeblaßten Hegeischen Zügen" zu einem Epocheneinsatz stilisiert hatte 32 , wenn er sich selbst, ineins, als den auserwählten Initiator und Vollstrecker einer längst fälligen Schellingrenaissance gefeiert hatte, dann basierte die von ihm ausgerufene ,Stunde Null' der Schellingforschung letztlich nur auf einer einzigen ,Einsicht': Der ,Proteus des Idealismus' Schelling sei „in den großen Inhalten seines Denkens . . . merkwürdig stabil" geblieben. Denn „was scheinbar nach und nach hervortrat lag schon, von Anfang an, in allem Wesentlichen erkennbar" in dem Fragment „nebeneinander". Genau diesem Interpretationsansatz schließt sich Walter Schulz an, er setzt die von Rosenzweig postulierte Aufgabe künftiger Schellingforschung, die Wandlungen von Schellings Entwicklung insgesamt neu zu beleuchten, 40 Jahre später als Einer unter Vielen in die Tat um und verifiziert, bzw. vertieft den von Rosenzweig nur erst antizipierten Befund: Der späte Schelling der ,positiven' Offenbarungsphilosophie hat den im Systemprogramm genial geschauten Idealismus der sich selbst bestimmenden Subjektivität konsequent fortgeführt und vollendet, (cf. 269) Außerdem aber, und darin besteht nach Schulz die eigentliche Aktualität und Modernität des ,ganzen' Schelling, habe sich in ihm „erstmalig die Bewegung" vollzogen, „in
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Bezeichnenderweise ist es gerade dieses euphorische Schlußwort Rosenzweigs, das Schulz an den Anfang seiner abschließenden Systemprogrammbesprechung stellt. Er sagt: „Der Titel ,Programm' ist wohl ein wenig zu dogmatisch. - Franz Rosenzweig hat dies Blatt vorzüglich herausgegeben und eingehend kommentiert (...). - R. schließt seinen Kommentar mit folgenden Worten: ,Auch Schelling selbst hat am Ende seiner Laufbahn nur den Sinn dieser Aufgabe, nicht die Aufgabe selber anders gesehen, als er sie zuerst damals im Frühjahr 1796 erkannt haue. In der Weltgeschichte des philosophierenden Geistes macht das vergilbte Blatt mit den abgeblaßten Hegeischen Zügen Epoche' (...)." A. a. O . S. 304, Anm.
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der die sich übersteigende Subjektivität in sich selbst zu kreisen beginnt". (272) Schelling sei mit diesem „System der in sich vollendeten Subjektivität" (273) - abzüglich einiger weniger unerheblicher Differenzen - zum Wegbereiter der mit Marx, Kierkegaard, Nietzsche aufkommenden, in Heidegger zu einem vorläufigen Abschluß gebrachten ,Existenzphilosophie' und der ,Philosophie des Lebens' des 19. und 20. Jahrhunderts geworden. Entsprechend bedient sich diese von Rosenzweig angeregte 300seitige Ehrenrettung des einzig wahren Idealisten Schelling, auch wenn sie gerade n i c h t „die idealistische Philosophie des späten Schelling an unseren Weltanschauungen" messen will (272), ausgiebig des Heideggerjargons, wenn sie „die reine Vermittlung selbst anwesend" wesen läßt (267), wenn sie „das wesende Wesen Gottes" (251) feiert, wenn „Vater, Sohn und Geist west" (254) bzw. „durchwest" (255) oder wenn schließlich die „einigende Einheit" „im Menschen . . . s e l b s t an-wesend" ist. (257, u.ö.) Selbstverständlich ist Schulz auch der „Seinserhellung" ,mächtig' (222, u. ö.), hat auch einiges über die uns schon von Jaspers her vertraute „Selbsterhellung" (229) in petto, und daß die „Schöpfung" eine sich „vollziehende Lichtung" (229), bzw. daß „Lichtung" eine „Ubergangsmöglichkeit überhaupt" ist (240), das gehört für den mit Heideggers „Schicksal", „Angst" und „Sorge" existentiell vertrauten Schulz zur Grundausstattung seines lebensphilosophischen Engagements. Dieses lebensphilosophische „Sich-in-Existenz-Verstehen" und das durch Karl Jaspers geprägte Bedürfnis, eine von „Unterjochung" freie „echte Kommunikation zu pflegen, die wahre Auseinandersetzung im Geist der Liebe" (303), bilden den unmittelbaren Anlaß für Schulzens abschließende Systemprogrammwürdigung. In Rekapitulation der Ausgangsthese, daß Schellings „Aufgabe" gewesen sei, den deutschen Idealismus und den ihm wesentlich zugehörigen „Subjektivismus" zu vollenden, will der Interpret nun den ganzen - und das heißt eben vorrangig auch den frühen Schelling dem Prädestinationsgesichtspunkt unterstellen. Wenn der späte Schelling eine ihm - von wem auch immer - gestellte Aufgabe zu lösen hatte, dann folgt aus dieser phantastischen Konstruktion mit Notwendigkeit auch, daß diese Sendung schon in den Anfängen von Schellings philosophischer Entwicklung „vorgebildet" lag. Freilich nicht im Sinne eines konsequent durchführbaren, weil schon von Anfang an feststehenden Leitbildes, sondern in der undogmatischen Gestalt einer „Idee", deren adäquate Illustration für den delikat nuancierenden Schulz der „durchleuchtende Blitz" Schellings ist, „,der sichtbar und erscheinen macht'", ohne natürlich schon der „Tag" selbst zu sein. Folglich entziffert er das Systemprogramm als eine Art Enzyklika, in der „das Ganze der Vollendung der Subjektivität, wie sie innerhalb der
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idealistischen Philosophie geschah" (304), antizipierend sichtbar geworden sei, ohne doch jemals „voll verwirklicht" worden zu sein. Und wenn Schulz diese von ihm vertretene Ansicht auch - einmal mehr - nur skrupulös zu vertreten wagt (er „meint" dies eben nur), dann ist ihm doch immerhin Schellings Urheberschaft unmittelbar gewiß. Ebenso gewiß ist es für ihn auch, daß „das Thema dieses Blattes . . . die Versöhnung jeder Wissenschaft in sich selbst und aller miteinander" sei. (304) Entsprechend stellt sich ihm die ganze Ideenfolge der Handschrift als ein einziges Vermittlungs- bzw. Versöhnungsanliegen dar. - Die von Kants Freiheitslehre her gedachte Ethik versteht sich weder als „eine weltlose Autarkie reiner Selbstbestimmung", noch „als bloße Forderung einer realen Welt gegenüber" (304), sondern ihr eigentliches Ziel ist die „Überwindung des Gegensatzes von zwei Welten", was aber, so Schulz, nur dann möglich ist, „wenn die Welt selbst mit der Moralität in Einklang steht". (305) Folglich müssen „Ethik" und „Physik" sich wechselweise ergänzen, jedoch selbstverständlich so, daß die Physik sich in sich selbst mit der Freiheit vermittelt. Das Resultat dieser ersten Vermittlungsbewegung ist „eine natürlich freie Welt" und in diese Weltharmonie muß der „Staat" integriert werden. Handelt es sich zunächst bloß um die tatsächlich realisierbare „Versöhnung" der vorhandenen, diesseitigen Welt mit sich selbst, dann treten wir mit Schulz angesichts der „Idee der Schönheit" in „eine neue", sozusagen vergeistigte „Dimension" ein. Denn diese Platonische Idee soll „nie antreffbar im Sinne des Vorhandenen" sein, sie ist „nie da", kann nicht als „durch Freiheit herzustellende Ordnung" „geboten werden". (305) N u r in dem imaginären „Medium" der „Poesie" ist die selbst imaginäre „Schönheit" wiederum nur imaginär realisierbar. In der Religion schließlich kommt die Unwirklichkeit der poetischen Versöhnung zu sich selbst, so daß resümierend festzuhalten bleibt: Auf der ersten weltbezogenen Stufe wurde nur,uneigentlich' vermittelt, auf der zweiten, ihrer vergleichsweisen Abstraktheit entsprechend, schon ,eigentlicher', aber erst die dritte Stufe, die „Religion", soll das nun tatsächlich „eigentliche Medium der Vermittlung" sein. (305) Schulz verfährt mithin bei seiner Systemprogrammausdeutung insofern konsequent, als der Entwurf eines Stufenbaus der Eigentlichkeit mit seinem existenzphilosophischen Engagement bruchlos harmoniert, das, wie gesehen, eine im Geist der Liebe gepflegte Kommunikation gegen jede Form unterjochender' und ,autoritärer' „Autarkie" verteidigt. Es ist denn auch in keiner Weise überraschend, abschließend zu erfahren, daß „das Letzte dieses frühen E n t w u r f e s . . . die vollendete Subjektivität an ihr selbst" sein soll, und es ist ebensowenig überraschend, daß diese frühe Schellingsche selbstvermit-
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telte Subjektivität mit der späten Schellingschen „ohnmächtigen Macht" identisch ist. Für einen mit der sich „an-wesend" „vollziehenden Lichtung" vertrauten Vertreter moderner Existenzphilosophie ist sowieso alles „dasselbe: vollendete Vollendlichkeit". (306) Denn: „Das Ende des Weges, den Schelling ging, eines Weges, auf dem sich das Ganze des Subjektivismus darstellt, vermittelt nichts anderes, als was im Anfang schon war. Und darum ist das wissende Selbstverständnis des frühen und des späten Schelling so eigentümlich sich nah: der späte Schelling sieht den Geist der Vermittlung und Versöhnung anwesend in der Religion der Freiheit, der wahrhaft öffentlichen Religion, die, ohne Autorität, die Religion des Menschengeschlechts als solchen ist, und der frühe Schelling schließt seinen Entwurf mit dem Bilde einer durch eine neue Religion geeinten Menschheit: ,Ein höherer Geist, vom Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte, größte Werk der Menschheit seyn.'" (306)
Alexander Hollerbach (1957)* Die kenntnisreiche Arbeit Alexander Hollerbachs schließt sich von ihrer Grundintention her „der wohlbegründeten Tendenz der neueren Schellingforschung" an, „die Momente der Kontinuität und Einheit, wenn nicht der Lösungen so doch der Fragestellungen" in Schellings Entwicklung „herauszuarbeiten". (9/10) Hollerbach vertritt, in Anlehnung an die Periodisierung Horst Fuhrmans, die Auffassung, „daß Schellings Gesamtphilosophie nur zwei große Perioden kennt, nämlich die von 1795-1806 (Periode der Identitätsphilosophie) und die von 1806-1854 (Periode der theistisch bestimmten positiven und negativen Philosophie), wobei man noch einmal je eine Periode der Vorbereitung (1795-1800 in der Ich- und Naturphilosophie bzw. 1806-1827 in der Freiheits- und Weltalterspekulation) unterscheiden kann". (10) Es ist denn auch der Konsequenz dieser vereinheitlichenden Sichtweise gemäß, wenn Hollerbach, nachdem er schon sehr früh den „programmatischen Charakter" (85) des Schellingianums hervorgehoben hat, - er bespricht das „Systemprogramm des Deutschen Idealismus" gleich nach „der ersten Abhandlung Schellings, seiner philosophischen Magister-
33
Alexander Hollerbach, Der Rechtsgedanke bei Schelling. Quellenstudien zu seiner Rechtsund Staatsphilosophie, Frankfurt a. Main 1957 (Philosophische Abhandlungen, 13) S. 85-88, 96 (implizit), 115, 117, 119, 121, 137, 204, 256-258.
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dissertation von 1792" (80) - , immer wieder, bei Gelegenheit der Diskussion der verschiedenen Spätschriften Schellings, den Bezug zu diesem frühen Fragment herstellt. Im Mittelpunkt seines Interesses steht dabei - der Themenstellung seiner Studie entsprechend - ein ums andere Mal die dem Staatsmechanismus kontrastierte Freiheitsproblematik des Programms. Schon die im Vergleich zum Systemprogramm zeitlich früher gelegenen sogenannten „ichphilosophischen Frühschriften" Schellings (89) (gemeint sind die Publikationen der Jahre 1794/95) mißt Hollerbach an der dann im Programm endgültig durchbrechenden Staatsverneinung. Zwar, so die Einschränkung des Interpreten, spreche Schelling hier noch „nicht die Sprache des radikalen Staatsverneiners, aber doch ist auch hier (schon, F.-P. H.) die Tendenz spürbar, den Staat als ein zu Überwindendes anzusehen", da sich in ihm der „Mechanismus des freiheitszerstörenden Zwanges" manifestiere. (96) Diesem Zwangsmechanismus in Gestalt des Staates begegnet die Gedankenwelt des Systemprogramms mit dem Glauben „an ein ideales Reich der Vernunft und der Menschheit", dem letztlich die Idee der Freiheit zugrundeliegt. (85) - Gleich zu Beginn seiner eigentlichen Systemprogrammbesprechung schließt sich Hollerbach in Fragen der Datierung des Fragments dem Urteil Rosenzweigs an, Schelling habe die „Gedanken im Winter 1795/96, jedoch spätestens bis 12. März 1796 niedergeschrieben". (85, Anm. 17) Auch die Autorschaft Schellings gilt ihm nunmehr, unter Berufung auf Hoffmeisters positive Resonanz auf „die Analyse Rosenzweigs", als „,vollkommen gesichert'" und „unzweifelhaft". (85/86) Wilhelm Böhms Hölderlinplädoyer schließlich sei „von Strauß (...) mit überzeugenden Gründen widerlegt" worden 34 , und nur insofern sei Böhms Initiative auch für die gegenwärtige Forschung noch relevant, als er erstmals auf „die Verwandtschaft vieler Gedanken mit denen Hölderlins" hingewiesen habe. Wenn Hollerbach allerdings in diesem Zusammenhang, um seinen summarischen Uberblick zu illustrieren, auf die Publikation Erik Wolfs „Vom Wesen des Rechts in deutscher Dichtung" (1946) hinweist, dann ist dazu korrigierenderweise anzumerken, daß in dieser Veröffentlichung weder auf das Systemprogramm selbst, noch auf die Diskussionsgeschichte des Textes Bezug genommen wird. Schelling hat, so Hollerbachs Grobeinschätzung, im Systemprogramm „mit selbstbewußtem Schwung und kräftigen Worten thesenartig" seine
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A. a. O . S. 86, Anm. 18. Zu einem Spezialaspekt der Debatte zwischen Strauß und Böhm, den ,mos geometricus' Spinozas in Schellingscher Verarbeitung betreffend, vgl. S. 119 u. Anm. 135.
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„philosophischen Pläne" angekündigt. Sie stehen, wie schon Rosenzweig/ Strauß konstatiert hatten, unter dem Primat der praktischen Philosophie, wenn die ,Ethik' an den Anfang des Systemaufrisses gestellt wird, wie Schelling ja auch schon in dem Brief vom 22. Januar 1796 an Niethammer davon gesprochen hatte, eine „Ethik ä la Spinoza" schreiben zu wollen. Wird also hier wie dort das Ich zum „Prinzip der Philosophie" erhoben, dann fällt Hollerbach im Anschluß an eine Kurzrekapitulation des Textes das summarische Urteil, daß „der revolutionäre vernunftgläubige Ton des Systemprogramms . . . - unverkennbar" sei. (86/87) Er aber resultiere aus der eigentlichen Zentralidee des Entwurfs, - „der absoluten Freiheit des Menschen" - , an der „alles Menschenwerk, das sich dieser Freiheit entgegenstellt, gemessen" wird. (87) In der Staatsmaschine, und zwar, so Hollerbach, in dem Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschenden „absolutistischen Wohlfahrtsstaat", sei die Freiheit des Menschen liquidiert worden, woraus umgekehrt - immer vor dem Hintergrund der absoluten Priorität des Freiheitspostulats - der Schluß zu ziehen sei, daß dieser Freiheit liquidierende Staatsmechanismus nun seinerseits liquidiert werden müsse. An seine Stelle habe die von der ^evolutionären' Aufhebung intendierte Zielvorstellung einer „Verwirklichung der Idee der Menschheit, eines Vernunftreichs" zu treten, „das auf der allgemeinen Freiheit und Gleichheit der Menschen aufbaut". (87) Hollerbach geht an dieser Stelle, da die ,Idee der Menschheit' vom Systemprogrammautor entworfen wird, in einer bislang nicht üblichen und deshalb um so dankenswerteren Weise ausführlich auf die Quellenlage ein. Als Vorbilder in Betracht kommen sowohl Herder mit seinen „Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit", die Schelling schon in der Magisterdissertation von 1792 verarbeitet hatte, als auch Kant mit seiner „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht". Außerdem aber lasse „die Erwähnung der Idee vom ewigen Frieden . . . auf eine kritische Auseinandersetzung mit Kants diesbezüglicher Abhandlung, die gerade 1795 erschienen war, schließen" und endlich sei „von dem Plan, die ,Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit' niederzulegen, . . . auch (schon, F.-P. H.) in dem Brief an Niethammer vom 22. Jan. 1796 (...) die Rede" gewesen und zwar „in noch deutlicherem Anklang an Herder: ,eine Philosophie der Geschichte der Menschheit'" ,35 - Aber abgesehen von diesen
" A. a. O. S. 87, Anm. 20. Vgl. zur Quellenlage auch noch den Hinweis der Anm. 24, S. 88/89, auf Fichtes „Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten" des Jahres 1794.
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interessanten Hinweisen auf eventuell in Betracht kommende Quellen begegnen wir bei Hollerbach auch noch der Abwehr eines spätestens seit Lukäcs aktuell gewordenen
Interpretationsansatzes.
Hatte Lukäcs die
Handschrift deswegen kritisiert, weil sie nach ihm eine -
ethizistisch
verkürzte - „anarchistische Utopie von einer staatenlosen Befreiung der Menschheit" thematisierte, dann hatte sich Hermann Zeltner dieser Sichtweise ohne weiteres angeschlossen, wenn er die These aufstellte, „an die Stelle des Staates trete Anarchie", oder, noch prononcierter: „Schelling sei ,überzeugter Anarchist'" gewesen. (87) Diese Behauptung, so Hollerbach, komme einer vollständigen Verkehrung des wahren Sachverhalts in sein genaues Gegenteil gleich. In Wahrheit sei es vielmehr so, daß für Schelling gerade die Vorherrschaft des Staatsmechanismus Anarchie bedeute, und zwar wegen der für den Staat charakteristischen Prinzipienlosigkeit. U m ihr zu begegnen, habe Schelling die Idee eines Vernunftreichs postuliert, und dieser „unbedingte (praktische, F . - P . H . ) Glaube an die Vernunft" sei „zugleich ein Glaube daran" gewesen, „daß sich die Vernunft auch im Bereich des Sozialen eine Ordnung schaffen wird, die allen freiheitszerstörenden Mechanismus" vermeidet. (87) Die projektierte ,allgemeine Freiheit und Gleichheit der Menschen', weit entfernt davon, „anarchistisches Chaos" zu sein, ist vielmehr an der „Hoffnung auf ein Wiedererscheinen des goldenen Zeitalters" orientiert. (88) Und gemessen an diesem utopischen Horizont sei es Schelling selbstverständlich nicht mehr möglich, „den Staat in die darauf gerichtete Entwicklung . . . einzubeziehen"; vor der Freiheitsidee kann es „keine Staatsmetaphysik" mehr geben. Denn die für die physische Existenz des Staates typische kausale Mechanik seines Aufbaus ist für den Schelling des Systemprogramms der Idee der Freiheit prinzipiell entgegengesetzt. - Weil aber „Mechanismus und F r e i h e i t . . . unversöhnliche Gegensätze sind", muß Schelling nach Hollerbach den als rein mechanisch erfahrenen Staat radikal verneinen, und deswegen ist auch der von Kluckhohn vertretenen These 3 6 mit äußerster Vorsicht zu begegnen, Schelling habe durch die Verneinung des „bloß mechanisch aufgefaßten Staates" der „romantisch organischen Staatsauffassung" Vorschub geleistet. Diese alternative Theorie des Staates habe Schelling aber allein deswegen nicht vertreten können, weil ihm, gemessen an dem Ideal der Freiheit, jedweder „Sozialbezug des Staates" auf die Stufe der doch rigoros kritisierten Mechanik zurückfallen mußte. Für Schelling hingegen habe sich alle „Intersubjektivität
36
Vgl. die A n m . 13 von Teil 1.1.
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. . . in die allgemeine Idee der Menschheit verflüchtigt" und gemessen an diesem auf die Spitze getriebenen idealistischen „Einsatz bei der Subjektivität und Freiheit des Menschen" werden „alle sonstigen sozialen Grundfügungen außer acht gelassen". (88) Und selbst der in Kants
„weltbürgerlichen
Verfassung" oder dem „Förderalismus freier Staaten" nur noch flüchtig angedeutete Konkretheitsgrad ist vor der utopischen Perspektive auf die Idee einer befreiten Menschheit noch zu real; sie stellt jede, wenn auch noch so schwach begründete Reminiszenz an das jederzeit empirisch rückgebundene ,Menschenwerk' unbedingt in Frage. „Im Blick auf die geschichtlichzukünftige Ordnung des allgemeinen Vernunftreiches sind der Staat und die verschiedenen Formen seiner Existenz zwar empirisch-geschichtliche, weil tatsächlich bestimmte Größen, aber ihre Ideenlosigkeit' läßt sie nicht an der auf Zukünftiges gerichteten Entfaltung der Geschichte teilhaben. Nicht die Vervollkommnung des Staates, sondern seine Uberwindung ist das Ziel." (88) Dieses aus der Besprechung des Systemprogramms abgezogene Resultat - die aus der Idee der Freiheit abgeleitete Notwendigkeit, den Staatsmechanismus zu überwinden - wird von Hollerbach ein ums andere Mal mit den nachfolgenden Publikationen Schellings konfrontiert. Schon angesichts der „Neuen Deduktion des Naturrechts" aus dem Jahre 1796 erneuert Hollerbach seinen Vorbehalt gegenüber Zeltners Tendenz, „in der Neuen Deduktion ebenso wie im Systemprogramm einen anarchischen Grundzug sehen zu wollen". (115) Vielmehr müsse man in Schellings dort geübter Kritik am Naturrecht, in Übereinstimmung mit Rosenzweig, auch eine gleichzeitige Kritik des Staatsrechts annehmen, wie sie im Systemprogramm vorformuliert worden war. An die Stelle des mechanischen Zwangsapparates des jederzeit naturrechtlich bedingten Staates - „der O r t des Staates" wird „innerhalb des Naturrechts bezeichnet durch die Schilderung, wie das Recht Zwang wird" - habe eine Staatsverfassung zu treten, in der der Zwang überhaupt abgeschafft wird. Wenn man Rosenzweig aber darin zustimmt, daß „die staatsverneinenden Gedanken des Systemprogramms mit denen der neuen Deduktion in Einklang" stehen (115), dann kann man sich auch der entsprechenden - positiven - Schlußfolgerung anschließen, daß Schelling an die Stelle des ad absurdum geführten Staatsrechts „letzten Endes wiederum . . . das allgemeine Vernunftreich im Sinne des Systemprogramms" (117) gesetzt wissen wollte. Denn schließlich sei „auch rechtlich sanktionierter und mit physischer Übermacht übereinstimmender Zwang (wie im Staatsrecht, F.-P. H . ) nur durch naturgesetzlichen Mechanismus, der die Freiheit zerstört, möglich", (ebd.) „Die Begriffe Zwang, Gesetz und Staatsverfassung
Alexander Hollerbach (1957)
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haben also keine philosophische Qualität, sie haben, um mit dem Systemprogramm zu reden, keinen Anteil an ,Ideen', sondern bezeichnen nur empirische Gegebenheiten. Deshalb tauge auch ein philosophisches Staatsrecht' nichts." (121) Die nächste Publikation, deren rechtsphilosophische Aussagen an den Ausführungen des Systemprogramms gemessen werden, ist das „System des transzendentalen Idealismus" von 1800. Auch hier wird der Staat von Schelling ausdrücklich als eine „Maschine" bzw. als eine ,mechanistische Zwangsordnung' verstanden. „Als Maschine ist der Staat etwas bloß empirisch Bestimmtes, er hat keinen Anteil an Ideen; dieser Gedanke des Systemprogramms hat also auch hier noch seine Gültigkeit." In wörtlicher Anspielung auf die zentrale Einsicht seiner Systemprogrammerörterung beschließt Hollerbach dieses Kurzresümee mit dem Hinweis darauf, daß es auch im „System" „keine eigentliche Staatsmetaphysik" gebe. (137) In dem 1812/13 entstandenen Fragment „Uber das Wesen deutscher Wissenschaft", das erst aus dem Nachlaß veröffentlicht worden ist, findet Hollerbach einen erneuten Hinweis auf Schellings frühe staatsverneinende Grundüberzeugung. Im Zuge der „Freiheitskriege", so mutmaßt Hollerbach, habe „sich bei Schelling wieder einmal ein starker Impuls zu politischem Denken" vorgedrängt, der sich nicht zuletzt darin äußern soll, daß Schelling sich mit Vehemenz „gegen das alle Individualität zerstörende gleichmacherische Räderwerk des mechanischen Zwangs- und Sicherungsstaates" wandte. Diese offensichtliche Schmährede auf den Staat erinnere aber wiederum „an diejenige des Systemprogramms". (204) In der ebenfalls zu Schellings Lebzeiten nicht veröffentlichten „philosophischen Einleitung in die Philosophie der Mythologie oder der rein rationalen Philosophie" - einer Vorlesungsreihe aus der Zeit von Schellings Berliner Lehrtätigkeit der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts - schließlich seien diejenigen „Gedanken zur Mythologie" wieder in den Vordergrund getreten, „die ihn von Anfang an (nämlich schon im Systemprogramm, wie aus der entsprechenden Anm. 678 hervorgeht, F.-P. H . ) lebhaft beschäftigt haben". (256) - Angesichts dieser immer wieder feststellbaren Vorbildfunktion des Systemprogramms für das Gesamtschaffen Schellings kommt Hollerbach abschließend zu dem Resultat, daß trotz mancher „Biegungen und Krümmungen" und trotz mancher „Höhenunterschiede" im „sozialphilosophischen Denken" Schellings, dieses Denken doch letztendlich annähernd kontinuierlich verlaufen sei. Wenn nämlich auch - so die Einschränkung Hollerbachs - „die Fragen der Sozialphilosophie nie ins Zentrum Schellingschen Philosophierens" gerückt seien, so sei doch andererseits
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Zweite Periode (1931-1965)
daran festzuhalten, daß sich Schelling „von Anfang an . . . , um mit den Worten des Systemprogramms zu reden, das Menschenwerk von Staat, Regierung, Verfassung und G e s e t z e n . . . als Problem" darstellte, und „daß es gerade die letzten Blätter von Schellings Hand waren, die sich wieder darum mühten". (257) 37
Manfred Schröter (I960)™ Manfred Schröters kursorischer „Rückblick auf Schellings Mythologie" setzt die Tradition derjenigen Schellingforscher fort, die spätestens seit 1950, unter Rückbesinnung auf Rosenzweigs Kontinuitätsthese, den Beweis für die Vorbildfunktion des Systemprogramms in Hinblick auf Schellings Lebensarbeit erbringen wollen. Ahnlich wie ζ. B. schon Schulz, Zeltner und Hollerbach in jenem frühen Systementwurf Schellings von 1796 der Anlage nach vorweggenommen fanden, was sich danach in jahrzehntelangem Bemühen herauskristallisieren sollte, will auch Schröter diesem Text eine entscheidende Bedeutung für Schellings Entwicklung im Besonderen, für „die
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38
Schon 1939 hatte übrigens Gertrud Jäger in ihrer wohl auch ansonsten für Hollerbach maßgeblichen Arbeit „Schellings politische Anschauungen" (Historische Studien H. 357, Berlin 1939, S. 46 f., 68) auf den soeben bei Hollerbach referierten Zusammenhang zwischen der „Deduktion des Naturrechts" von 1796 und dem in etwa zur selben Zeit entstandenen Systemprogramm aufmerksam gemacht. Auch diese Interpretin liest das Fragment als ein Dokument dafür, daß Schelling, ähnlich wie schon in der Naturrechtsstudie, „die staatliche Einrichtung als eine positiv-wertvolle in seine Gedankengänge nicht einordnen kann. Es bleibt bei einer klaren Ablehnung" des Staates (47), da sich der „Anspruch des Ich auf Behauptung seiner Freiheit (nur, F . - P . H . ) gegen . . . äußeren Eingriff" (51), - in extremer Ichbezogenheit - , (cf. 56) durchzusetzen vermag. „Er (der ,Staat' des Systemprogramms, F.P. H.) hemmt mit der ihm eigenen sozialen Ordnung jede schrankenlose Ausübung der Freiheit, die als solche als ein Ideal angesehen und erstrebt wird, und muß ihr daher weichen." (68) Darüber hinaus findet Gertrud Jäger in der Handschrift, unter impliziter Bezugnahme auf Rosenzweigs Mysterienkonstruktion des Obereit-Briefes, ein schon sehr früh sich einstellendes Interesse Schellings an Fragen der Mythologie, das sich dann bis in sein Spätwerk durchgehalten haben soll. Dabei unterläuft ihr freilich derselbe ,Fehler', der schon Rosenzweig unterlaufen war. Denn wenn sie sich zunächst auf die im Obereitbrief vertretene Verbindung zwischen „Nationalerziehung" und „Mysterien" (!) beruft, dann behauptet sie gleich anschließend, diese Verbindung sei mit derjenigen des Programms zwischen,Mythologie' und .Vernunft' eines Sinnes: Die Mysterienkonzeption des Briefes und der Mythologieentwurf des Programms sollen beide, wie schon Rosenzweig unterstellt hatte, volkspädagogischen Einheitsbestrebungen dienstbar sein. Manfred Schröter, Ein Rückblick auf Schellings Mythologie, in: ZfphF., Bd. XIV, Meisenheim/Glan 1960, S. 264-272.
Manfred Schröter (1960)
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Entwicklungsgeschichte des deutschen Idealismus" im Allgemeinen zuerkannt wissen. Auch für ihn gilt es als ausgemacht, daß Schelling in diesem Fragment nicht allein, wie schon von Jaspers behauptet, seine außerordentliche Antizipationsbegabung bewiesen, sondern daß er es außerdem noch verstanden habe, diese frühreife Prophetie in seinen späteren Werken, nach und nach, zu konkretisieren und systematisch durchzuführen. „Die programmatischen Gedanken sind dem Inhalt wie dem Ausdruck nach typisch und unverkennbar Schellingisch und umreißen geradezu den späteren Entwicklungsgang seines gesamten Lebenswerkes in den grundsätzlichen Richtungen. In der gleichen Reihenfolge wird er die hier dargelegten Keime später nacheinander systematisch ausgestalten." 39 Schröters interessierte Lesart schließt sich folglich vollkommen unkritisch jener von Rosenzweig inaugurierten Epocheneinsatzhypothese an, es handle sich bei dem Entwurf um eine einmalige Gelegenheit, sei's die Geradlinigkeit von Schellings Entwicklung, sei's dessen Vorbildfunktion für die anderen Idealisten oder auch wahlweise für die Romantiker, sei's endlich auch Schellings alles antizipierende Genialität und Initiiertheit nachzuweisen. Entsprechend muß auch unser Gesamturteil über Schröters der Tradition verbundenen Interpretationsansatz ausfallen: Sein von der Favoritenfrage geprägtes - vorurteilbefrachtetes - Rezeptionsinteresse hat ihn, wie schon zuvor Lukäcs, Zeltner, Jaspers und Schulz, von den Autoren der ersten Periode ganz zu schweigen, von vornherein daran gehindert, die theoretische Position des Verfassers aus dem Text selbst heraus zu begreifen. Weil er den ganzen
Schelling unter Zuhilfenahme dieser e i n e n ,
und dabei nicht
einmal vollständig überlieferten Handschrift wieder einmal ganz neu verstehen lernen, oder weil er Schelling von dem Hegeischen Proteus- und Labilitätsverdacht im Sinne einer späten Ehrenrettung freihalten will, deswegen liest auch er den zur Diskussion stehenden Entwurf so, wie zwei Jahre später Horst Fuhrmans (s. u.) ihn lesen wird: Als ein vor jeder Prüfung für Schelling vereinnahmtes Dokument, mittels dessen es gelingen soll, den wahren Schelling umfassend zu würdigen und zu aktualisieren. O t t o Pögge-
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A. a. O . S. 265. Ebenso auch: „In dieser schöpferischen Zwischenpause, nach Abschluß der eigentlichen philosophischen Jugendarbeiten der Tübinger Zeit und vor dem Einsatz seiner naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Anfangsstudien in Leipzig kann am ehesten diese visionsartige Zusammenfassung all der in ihm gärenden, geahnten und keimhaft bereitliegenden
Inhalte
seiner
kommenden
philosophischen
Entwicklung
unter
dem
Anhauch von Hölderlins Genius plötzlich gereift und in fliegender Eile niedergeschrieben worden sein." (265)
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Zweite Periode (1931-1965)
ler hat diese mit wenigen Ausnahmen für die gesamte Systemprogrammforschung typische Voreingenommenheit und Parteilichkeit, unter Zuhilfenahme der Hegelhandschrift wahlweise einen neuen Schelling oder einen neuen Hölderlin kreieren zu wollen, in seinem die zweite Periode beendenden, - die dritte Periode einleitenden Urbinovortrag von 1965 in dankenswerter Klarheit auf den Begriff gebracht, wenn er über die jüngst vergangene Schellingforschung folgendes Urteil fällt: „Ist die Schellingdeutung nicht in einer Sackgasse angekommen, in der sie nur noch mit dem Kopf gegen die Wand rennen kann, wenn sie - wie Horst Fuhrmans das konsequenterweise in seiner Ausgabe der Briefe und Dokumente Schellings tut - sich zu der These versteigt, man müsse Schellings Entwicklung vom Systemprogramm her verstehen, da man schon das Systemprogramm nicht aus der sonst bekannten Entwicklung Schellings verstehen könne?" 40 Diese von Pöggeler konstatierte Sackgasse läßt sich denn auch Punkt für Punkt an Manfred Schröters Versuch verifizieren. Gleich zu Beginn seiner Kurzdarstellung nämlich stellt Schröter ausdrücklich fest, Rosenzweig habe das „Folioblatt mit Hegels H a n d s c h r i f t . . . mit Recht als ,das Systemprogramm von 1796' bezeichnet und Schelling" zugeschrieben. (264) Mit dieser Aussage hat er seine ganze nachfolgende Untersuchung von vornherein unter dasjenige - Rosenzweigsche - Vorurteil gestellt, Schelling sei der eigentliche Systematiker des deutschen Idealismus gewesen, um dann den Beweis für diese vorgefaßte Meinung in einem Text suchen zu können, dem schon durch die Titelgebung - tendenziös systemprogrammatische Absichten unterstellt worden sind. Schröter gibt folglich gleich einleitend zu erkennen, daß er, im Stile seines Vorbildes Rosenzweig, in dem Textstück eben nur dasjenige suchen wird, was er - ganz Partei-in ihm finden möchte: Ein Systemprogramm Schellings inklusive der sich dann kontinuierlich einstellenden Erfüllung des vorerst bloß Antizipierten. Dieses zweiseitig beschriebene Blatt soll nämlich, wie schon oben erwähnt, nicht bloß Schellings persönlichen Werdegang maßgeblich geprägt haben, sondern es wird auch für die gesamte „Entwicklungsgeschichte des deutschen Idealismus als entscheidend wichtig" eingestuft. (264) Die von dem Interpreten in dem Text selbst ausfindig gemachte divinatorische Ausstrahlung „erregte" dann selbstverständlich „berechtigtes Aufse-
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Otto Pöggeler, „Hegel, der Verfasser des ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus", in: Hegel-Tage Urbino 1965, hg. von H . - G . Gadamer, (Hegel-Studien, Beiheft 4), Bonn 1969, S. 17-32, hier 29.
Manfred Schröter (1960)
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hen in der philosophischen Literatur", aber nicht zuletzt auch Rosenzweigs „vorzügliche" Kommentierung des Schellingianums soll die ,steigende Intensität' der Auseinandersetzung der Forschung mit diesem Dokument des Frühidealismus von Anfang an befördert haben. Für die nächsten drei Jahrzehnte weiß Schröter mit Cassirer, Böhm, Schilling, Hildebrandt, Hoffmeister einen Bruchteil derjenigen Forscher zu benennen, die sich, angeregt durch Rosenzweig, mit diesem frühen Systementwurf beschäftigt haben. Nicht allein aber, daß man bei den drei zuletzt genannten Autoren kaum von einer sich steigernden Intensität der Auseinandersetzung wird sprechen können, da sie alle das Systemprogramm doch nur zu Illustrationszwecken benutzten, so hat Schröter darüber hinaus in dieser eher willkürlich anmutenden Auflistung den ersten wirklichen Höhepunkt in der Diskussion um das Fragment ganz einfach unterschlagen: Es ist die Rede von der StraußBöhm-Debatte des Jahres 1927. - Zwar ist es richtig, daß bis 1926 „nur einer, Böhm, Hölderlin die Autorschaft" zusprach, aber die fulminante Wirkung, die dieses bis dato unübliche Erkenntnisinteresse bei dem Rosenzweiganhänger Strauß hervorrief, wird in dieser 1960er Publikation mit keinem Wort erwähnt. Vielleicht, so dürfen wir mutmaßen, paßte die teilweise persönlich werdende Kontroverse des Jahres 1927 zwischen Strauß und Böhm nicht in Schröters eher harmonisierend angelegten Uberblick, der lieber von einer sich kontinuierlich steigernden Intensität spricht, wo es sich doch in Wirklichkeit um zwei kollidierende Erkenntnisanliegen und einen daraus resultierenden Streit handelte. Vielleicht aber auch ist dem modernen Schellinginterpreten Schellings Autorschaft zu gewiß, als daß er von Böhms Position mehr als nur am Rande meinte Notiz nehmen zu müssen, so daß es letztlich einmal mehr s e i n Erkenntnisinteresse ist, das ihn zu der Schlußfolgerung kommen läßt, Böhms auch von der Nachkriegsschellingforschung bestätigte Außenseiterposition gestatte es, diesen Einzelgänger als vernachlässigenswerte Größe zu behandeln. Bemerkenswerterweise nämlich geht seine Kurzrekapitulation von drei Jahrzehnten Systemprogrammforschung nach einem ganz bestimmten Schema vonstatten: Zuerst wird die Ausnahme - Böhm - als eine solche ausgewiesen; dann wird Cassirers Gemeinschaftsarbeitshypothese gewürdigt und um Hildebrandts Schelling-Hölderlinsche Verjüngungsarbeit deutschen Wesens komplettiert; schließlich aber, - vielleicht nicht zuletzt deswegen, weil Hildebrandts „Konstruktion" „nicht ganz" überzeugen konnte, so „wertvoll" sein „Werk" auch war - , schlossen sich, so Schröters für die Kontinuität von Forschung und Lehre plädierende Lesart, „die übrigen . . . Rosenzweigs Ansicht von der vollen Autorschaft Schellings
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Zweite Periode ( 1 9 3 1 - 1 9 6 5 )
an, die wohl nicht bezweifelt werden kann". (264) Daß aber auch schon Rosenzweigs Ansicht von Schellings Autorschaft sehr wohl bezweifelt werden kann, von den anderen aktualisierenden, illustrierenden oder auch modernisierenden Interpreten der zweiten Periode ganz zu schweigen (wir nennen nur Jaspers, Schulz oder auch Zeltner), diese Offenheit für eine unbefangene Betrachtung sowohl der Situation der Forschung, als auch des Fragments selbst, hat sich Schröter durch sein von der Favoritenfrage her geprägtes Erkenntnisinteresse von vornherein verbaut. Wofür er allenfalls noch „offen" ist, das ist die gemessen an seinem Rezeptionsanliegen vergleichsweise unwichtige Frage nach „Art und Grad der Einwirkung Hölderlins" auf den Systemprogrammautor Schelling, und diese Frage „wird offen bleiben je nach Maßgabe der Kenntnis und des Verständnisses für den Genius Hölderlins wie für die Jugendschriften und die damalige Geisteslage Schellings". (264) Aber auch diese Kenntnislücke meint Schröter nunmehr ausfüllen zu können. Schelling soll die Thematik des Programms nicht zuletzt der anteilnehmenden Gegenwart Hölderlins verdanken, mit dem er im Sommer und Herbst des Jahres 1795 zusammengetroffen war. Hölderlin aber habe den Text nach Frankfurt mitgenommen, um ihn dort Hegel vorzulegen, der ihn sich dann, wohl seiner Bedeutsamkeit wegen, abgeschrieben haben soll. Eines nämlich ist auch für Schröter unmittelbar gewiß: Daß es „für jeden Kenner" von Hegels Schriften „eine Selbstverständlichkeit" sei, daß der Letztgenannte auf gar keinen Fall der Verfasser dieses Entwurfs sein könne. Ebensowenig aber komme auch Hölderlin als Verfasser in Frage, da „dessen kunstphilosophische Aufsätze alle erst später fallen und gleichfalls einen völlig anderen Stil zeigen". (265) Dieser Einsicht gemäß bedürfe nun auch die Position Cassirers und diejenige Hildebrandts einer Korrektur. Es sei, so Schröter, vor allem deswegen problematisch, in Hölderlin den eigentlichen Initiator des Entwurfs erblicken zu wollen, weil doch schon der insgesamt ungenannt bleibende Ludwig Strauß darauf hingewiesen habe, daß Hölderlin immer dann „mit schwerer Depression zu kämpfen hatte", wenn er sich mit philosophischen Fragestellungen auseinandersetzte. Gleichwohl habe der von Strauß in Nachfolge Böhms konstatierte Einfluß Hölderlins auf den ästhetischen Mittelteil des Programms als tatsächlich vorhanden zu gelten. Nicht allein nämlich habe Schelling den kunsttheoretischen Erörterungen des Programms die intellektuale Anschauung zugrundegelegt, sondern auch Hölderlins in etwa gleichzeitigen theoretischen Erwägungen kreisen allesamt um diesen „mehrdeutigen schwer faßlichen Begriff der ,intellektualen Anschauung'". (266)
Manfred Schröter (1960)
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In diesem Zusammenhang nun seien Hoffmeisters kenntnisreiche Überlegungen seiner 1942er Habilitationsschrift besonders beachtenswert. In dieser Arbeit über „Hölderlin und die Philosophie" habe sich Hoffmeister in dankenswerter Ausführlichkeit auf die Diskussion dieser Schelling-Hölderlinschen Zentralkategorie eingelassen. Freilich bedürfe das Ergebnis seiner Untersuchung einer Korrektur: Hoffmeister nämlich habe in Schellings „Philosophischen Briefen" - fälschlicherweise - einen zweideutigen Gebrauch dieses philosophischen Terminus ausfindig machen wollen. Der unter Dogmatismusverdacht stehenden „Anschauung eines Objektes außer uns" kontrastiere die in denselben,Briefen' „enthusiastisch" gefeierte „ästhetische die objektiv gewordene Intellektualanschauung", „die hier in ihrem Vermögen noch über die philosophische Anschauung erhoben werde". (266) - Schröter jedoch, einmal mehr seiner Kontinuitätsthese von Schellings Entwicklung verpflichtet, meint diesen von Hoffmeister festgestellten „Widerspruch" als einen scheinbaren nachweisen zu können, wenn er, seiner Sache gewiß, konstatiert, es handle sich um einen „durchaus organischen Fortschritt in den sich klärenden Gedanken Schellings . . . " . (266) Diese planvoll geordnete Entwicklung Schellings trete allerdings in diesem speziellen Fall erst dann zutage, wenn man, mit Schröter, berücksichtige, daß Schelling, jeder scheinbaren Widersprüchlichkeit zum Trotz, mit der intellektualen Anschauung „in Wirklichkeit . . . jedesmal die metaphysische Erlebnisform des Absoluten" projektiert habe, die von Anbeginn „das höchste Ziel seines Philosophierens" gewesen sei. (266/67) Vor diesem Idealzustand sei die von Hoffmeister bemerkte verfälschende „objektivisierte intellektuale Anschauung" nur als eine in dieser Zielvorstellung immer wieder aufzuhebende Unvollkommenheit relevant. Schellings ganzes Lebenswerk aber sei letztendlich immer nur um diese eine, schon in seinen Tübinger Schriften geschaute Aufgabe zentriert gewesen, „fortzuschreiten zu dem überkühnen Versuch, diesen visionären Gipfel der intellektualen Selbstanschauung zu erweitern und zu erfüllen zur inhaltlichen intellektualen Weltanschauung vom Standpunkt des Schöpfers a u s , . . . " . (267) Von dieser Voraussetzung her sei Schellings Weg zur „Natur- und Identitätsphilosophie" zu begreifen. Aber auch die kunstphilosophischen Erörterungen des Systems des transzendentalen Idealismus von 1800 haben nach Schröter jene um die ästhetische Philosophie gruppierte „Vorahnung des Systementwurfs" in eine ,nun endgültig aufleuchtende Erkenntnis' umfunktioniert. Konsequenterweise sieht der Interpret in allen zeitlich später gelegenen Schriften Schellings immer nur das eine Resultat sich auswirken: Erst hier habe Schelling ein ums andere Mal das zunächst bloß Antizipierte in eine endlich
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Zweite Periode (1931-1965)
erreichte, vollgültige Erkenntnis überführt. Dergestalt sollen sich in Schellings Lebenswerk immer „vollkommenere", immer „reinere" Lösungen wechselseitig ablösen, freilich so, daß diese als steigerungsfähig behauptete Vollkommenheit schon, nur eben unausgeführt, im Systemprogramm vorgelegen haben soll. Die erste Stufe dieser sich stetig überhöhenden Vervollkommnungstendenz bildet Schellings Kunstapotheose „am Ende seines ersten systematischen Hauptwerks" des Jahres 1800, in dem die noch unvollkommene metaphysische Position des jungen Schelling endgültig abgestreift wird. Und zwar, so Schröter, habe Schelling „hier jene bedeutsame Vorahnung im Systemprogramm von 1796" eigentlich nur „wörtlich wiederholt und bestätigt". (268) Aber auch diese schon vergleichsweise vollkommene Position der 1800er Publikation wird in einem zweiten Schritt der nächsten Vollkommenheitsstufe entgegengeführt. Erst die „Philosophie der Kunst" (1802) „erschließt" „den inneren Zusammenhang dieser weitdeutenden Gedanken . . . ganz". (268) Erst dieses zwei Jahre später erschienene „nächstfolgende Hauptwerk" realisiert nämlich wirklich die im Systemprogramm nur erst angedeutete Funktion der Mythologie, erst hier wird es endgültig deutlich, daß die Philosophie der Mythologie der .inhaltliche Wesensausdruck der Kunst selbst' ist. (268) Im Vergleich zum System des transzendentalen Idealismus soll diese Schrift der zweiten Vervollkommnungsperiode nicht allein „Ausdruck eines neuen, vertieften metaphysischen Empfindens und Verstehens" sein, sondern sie soll, weil sie die Mythologie als „Mittelglied zwischen Philosophie und Religion" stellt, die systemprogrammatische Andeutung von 1796 jetzt erst zu sich selbst gebracht haben. - Aber bei näherem Hinsehen ist man, mit Schröter, zu der Feststellung genötigt, daß Schelling selbstverständlich nicht schon 1802 sein letztes Wort zu diesem Thema gesprochen hat, sondern daß er hier, wie auch sonst immer wieder, mit Vorausdeutungen und prophetischen Zukunftsprognosen zu überraschen wußte. Hier und natürlich in dem Systemprogramm „sehen wir bereits die Wurzeln jenes tieferen religiös-metaphysischen Verstehens der alten Mythen, das - erstmalig in der Welt - Schelling erreicht und in seiner späteren Philosophie der Mythologie ausgesprochen hat: . . . " . (269)41
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Vgl. ebenso S. 270, Anm.: „Doch bezeugt die Anmerkung, wie fortdauernd, von Anfang an, das mythologische Problem in ihm arbeitete, als dessen Ausführung dann die sämtlichen Bände seines Nachlasses ( · . . ) - die ,Philosophie der Mythologie und Offenbarung' vor uns liegen."
Manfred Schröter (1960)
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Schröters Erkenntnisinteresse läßt sich angesichts aller bisher beigebrachten Beispiele, die sich übrigens noch um etliche überhöhende Stufen vermehren ließen, in den einen Satz zusammenfassen: Schellings einzigartige Begabung setzt sich aus einem außerordentlichen Antizipationsvermögen und einer sich in allen Etappen durchhaltenden Konsequenz und Stetigkeit des Denkens zusammen. 42 Schelling, ein „unaufhaltsam und im gleichen Bette" weiterdrängender „Strom" (271), so Schröters der Genialitätsmetaphorik der Romantik entliehene poetische Vision: „Im Durchlaufen dieses Ringes (Schröter meint den „Ring von Natur-, Kunst- und Religionserfassen", F.-P.H.) vollzieht sich der Entwicklungsgang der Schellingschen Philosophie und Metaphysik, die letzten Grundes von jeher und immer wieder ,Philosophie der Mythologie' war und geblieben ist - die tiefste, bedeutungsvollste und umfassendste, die je entworfen worden ist. Sie ist der innere zentrale Untergrund seines Philosophierens vom jugendlichen Anfang bis zum späten, greisenhaften Ausklang organisch sich entfaltend, wachsend und sich wandelnd." (270) Der Schelling des Systemprogramms und folglich auch der ganze Schelling: Antizipationsgenie und tiefschauender Visionär, gepaart mit der Integrität des philosophischen Systematikers, so lautet auch Schröters abschließende euphorische Gesamtwürdigung eines der Großen der Philosophiegeschichte, der schließlich den „größten Genius" in Sachen Prophetie und Erfüllung, Hölderlin nämlich, antizipiert habe, der nun seinerseits „für kommende Jahrtausende und ihr nachholendes Verstehen . . . kostbare Ernte" verheißt, „auch wenn diese . . . Ernte unserer Vergangenheit von keiner Zukunft jemals wieder erreicht werden sollte". (272) Diese auf die Spitze getriebene - ausschließlich gefühlsbetonte Voreingenommenheit des Schellingproselyten Schröter ist selbst von Forschern wie Rosenzweig, Jaspers und Schulz unerreicht geblieben.
42
Schon 1939 übrigens hatte Erich Ruprecht - auf den sich Schröter in der Anm. 1 der S. 270 anerkennend bezieht - in dem Aufsatz „Der Mythos bei Schelling" versucht, Schelling von dem Vorwurf, er sei eine „Proteuserscheinung" gewesen, zu reinigen. Die vielberufene Wandlungsfähigkeit Schellings sei in Wirklichkeit geistige „Fülle" und eben k e i n „Chaos" gewesen, und es bedürfe „immer nur der Entdeckung des geheimen Mittelpunktes,..., um die innere Ordnung zu erkennen". (389) Dieser geheime Mittelpunkt von Schellings Gesamtschaffen soll, wie es schon der Titel dieser Kurzdarstellung sagt, der „Mythos" gewesen sein (ebenso auch 404), und Ruprecht verfolgt nun in chronologischer Verarbeitung der Schriften Schellings den Wandel dieser trotz allem „gemeinsamen Mitte" seines CEuvres, merkwürdigerweise jedoch, ohne auf das Systemprogramm ein einziges Mal Bezug zu nehmen. Erich Ruprecht, „Der Mythos bei Schelling", in: Bl. f. Deutsche Philosophie (Zeitschr. d. Deutschen philosophischen Ges.), Bd. 12, H . 4 , Berlin 1938/39, S. 389-404.
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Heinz Otto Burger
(1962)4i
Heinz Otto Burger, dessen Laudatio auf Hans Heinrich Borcherdt den Festschriftenband zu dessen 75. Geburtstag eröffnet, kommt im Verlaufe seiner intim gehaltenen Rundreise durch die Literatur deutscher Klassik und Romantik auch auf die zweiseitig beschriebene Hegelhandschrift des Jahres „1796" zu sprechen, die er als „das älteste programmatische Manifest der deutschen Romantik" (17) feiert. „Das Grundmotiv" dieses Folioblattes soll auch dasjenige von „Hardenbergs programmatischer Schrift ,Die Christenheit oder Europa' (1799)", - oder auch wahlweise dasjenige von Wackenroders ,Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders' - des „ersten Buches der deutschen Romantik" - sein, denn hier, wie in den beiden anderen Arbeiten auch, stehe die „Hoffnung" im Mittelpunkt, „durch eine neue Mythologie die Gemeinschaft unter den Menschen wiederherstellen zu können". (17, ebenso 18/19) Entsprechend kontrastiert der Festredner das „Manifest" „des so ereignisreichen, epochalen Jahres 1796" (17) dem in etwa gleichzeitigen, oder etwas früher gelegenen Aufklärungsanliegen eines Kant und Lessing, aber auch der „Hochklassik" in der Gestalt Schillers und Goethes. Dabei schließt er sich, nach voraufgegangener Kurzrekapitulation der Diskussionsgeschichte der ersten Periode, der Rosenzweig-Straußschen Variante an, es handle sich bei dem Fragment um einen „zum Teil durch Hölderlin" angeregten Text Schellings, den dieser während seines Besuchs „bei Hölderlin in Frankfurt am Main im April 1796 ,oder bald darauf' entworfen" habe. (15) Burgers Rückblick auf die Zusammenhänge zwischen den Diskussionsteilnehmern des ersten Jahrzehnts zeichnet sich übrigens gegenüber demjenigen Schröters durch Authentizität aus, denn abgesehen davon, daß er Cassirers Gemeinschaftsarbeitshypothese erwähnt, weist er auch ausdrücklich auf die von seinem harmonisierenden Vorgänger unterschlagene StraußBöhm-„Kontroverse" hin (14/15), um dann schließlich die von fast allen Autoren der zweiten Periode vertretene - Rosenzweig modifizierende Strauß-Variante von Schellings Verfasserschaft als „relativ gesichert" anzunehmen.
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Heinz O t t o Burger, ,„Eine Idee, die noch in keines Menschen Sinn gekommen ist'. (Ästhetische Religion in deutscher Klassik und R o m a n t i k ) " , in: Stoffe, F o r m e n , Strukturen. Studien zur deutschen Literatur, hg. von Albert Fuchs und Helmut Motekat, München 1962, S. 1 - 2 0 ; zum Systemprogramm: 1 4 - 1 9 .
Heinz Otto Burger (1962)
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Dieses erste romantische „Manifest" soll aber antiaufklärerisch vor allem deswegen sein, weil es, unter Berufung auf Piatons schwärmerische' Ideenschau, einen vornehm-esoterischen T o n anschlägt, den kein geringerer als Kant pauschal kritisieren zu müssen meinte. Aber auch das Konzept einer intellektuellen Anschauung, verbunden mit dem Ausblick auf eine sinnlichmythologische Religionsstiftung, hätte den beiden Vertretern der Aufklärung, Kant und Lessing, „die Haare zu Berge" stehen lassen. „Philosophie, Dichtung und Religion . . . in einer neuen Mythologie" zusammenfließen zu lassen, dies wäre schließlich „für jeden Aufklärer ein absurder, im eigentlichen Sinn perverser Gedanke" gewesen. Gemessen also an der vernunftorientierten Aufklärung müsse das ganze Programm als ein Rückschritt in den „Obskurantismus" bewertet werden, da es nichts anderes propagiere, als den „Fortschritt des Jahrhunderts, ja der gesamten , N e u z e i t ' . . . rückgängig" zu machen. (15) Dieses Dokument „konservativer Revolution", so Heinz Otto Burgers immerhin origineller Einfall, verbindet revolutionären Enthusiasmus mit „eschatologischem Pathos". Schellings modifizierte Revolutionsbegeisterung sei aber auch - so der nächste Gedankenblitz des Interpreten - derjenigen Schillers vergleichbar, denn beide hätten „die wahre Erneuerung der Menschheit nicht vom politischen Umsturz . . . oder - im Sinne Lessings - von der Erziehung des Menschengeschlechts als progressiver Aufklärung der Vernunft" erwartet, „sondern von deren Asthetisierung". (16) Der Konservatismus Schellings aber auch Schillers soll sich also letztlich nur darin zeigen, daß beide durch die Französische Revolution sowohl, als auch durch Kants Vernunftkritiken zu produktiver Gegenwirkung' angeregt wurden, mit dem Resultat, auf die eine wie die andere ,Fragwürdigkeit' mit der ^ästhetischen Religion'" geantwortet zu haben. Schiller habe freilich „mit dem Ideal der schönen Sittlichkeit", - und hierin soll er sich von der projektierten Religionsstiftung des Systemprogrammautors unterscheiden - „über Kants ethischen Rigorismus hinweg die Sittenlehre der Aufklärung erneuert,...". (17) Dagegen sei es Schellings explizites Anliegen gewesen, mittels des Ideals „einer neuen Mythologie Kants Abwertung aller ästhetischen Religionen'" zu unterlaufen, und das habe schließlich zum Bruch „mit der gesamten Aufklärung, die Hochklassik Schillers und Goethes eingeschlossen", geführt. Nicht allein Schelling, sondern auch die beiden anderen Stiftler, Hölderlin und Hegel, - „diese schwäbischen Theologen aus dem Tübinger Stift" - , sollen als „klassisch Gebildete und dazu Aufgeklärte", fernerhin bekannt mit der „kritischen Philosophie Kants und sogar (der, F.-P. H.) Ich-Philosophie Fichtes", „auf einmal Leere und Kälte um sich" gefühlt, - und sich daraufhin „zurück in eine umfassende, lebendige
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Zweite Periode (1931-1965)
Gemeinschaft" gesehnt haben. In dieser bemerkenswert verqueren,Einsicht' will Heinz Otto Burger, - „selbst auf dem Hintergrund der Vorromantik, das Neue, das spezifisch Romantische oder Frühromantische am ,Altesten Systemprogramm des deutschen Idealismus"' gefunden haben. (17) Horst Fuhrmans
(1962)44
Horst Fuhrmans, der Herausgeber der Briefe und Dokumente F. W . J . Schellings, hat in den ersten Band seiner durchgehend mit Erläuterungen
« F. W.J. Schelling, Briefe und Dokumente, Bd. 1 (1775-1809), hg. von Horst Fuhrmans, Bonn 1962, S. 55-59, 69 ff. Vgl. ebenso: F. Hölderlin, Sämtliche Werke, Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe, hg. von Friedrich Beißner, Bd.4.1, 4.2, Stuttgart 1961. Abdruck des Systemprogramms hier: Bd.4.1, S. 297-299. Erläuterung im Anhang unter der Uberschrift „Entwurf. Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus", S.425f. Neben dem Hinweis auf Schellings „in hohem Maße" von Hölderlin angeregte Autorschaft und auf die Strauß-Rosenzweig-These, es handle sich bei dem „ungemein wichtigen" Fragment „nicht etwa um den Entwurf eines einzelnen Aufsatzes", wie noch von Böhm behauptet, „sondern um das Programm eines philosophischen Lebenswerkes" (425), schließt sich Beißners Kommentar auch in Fragen der Datierung Rosenzweigs Position an. Es folgt ein vergleichsweise ausführlicher Hinweis auf die Rezeptionsgeschichte des Programms, angefangen mit dem Rosenzweig-Straußschen und Rosenzweig-Rosenstockschen Briefwechsel, fortgeführt mit den Publikationen Cassirers, Böhms, Strauß', Schillings, Hildebrandts, Hoffmeisters und Schröters, ohne daß jedoch die Positionen der letztgenannten Autoren gewürdigt würden. Es bleibt bei einer Auflistung der Titel der verschiedenen Arbeiten, außerdem werden das jeweilige Publikationsorgan nebst Erscheinungsjahr und die einschlägigen Seitenzahlen angegeben. - In Bd. 4.2, S. 801 f., wird flüchtig die Uberlieferungsgeschichte des Programms, das „nach dem letzten Krieg aus dem Bergungsort (in Schlesien?) nicht zurückkehrte" (801), rekapituliert, und es wird, wie ein Jahr später auch von Friedhelm Nicolin, auf die von Rosenzweig für Ludwig Strauß hergestellte Photographie hingewiesen, die, bislang im Besitz Martin Bubers, von diesem „dankenswerterweise zur Verfügung gestellt" worden sei. „Diese wertvolle Photokopie befindet sich nun, . . . , in dem von der Universitätsbibliothek in Tübingen verwalteten Depot der Berliner Staatsbibliothek, ein Abzug davon im Hölderlin-Archiv der Stuttgarter Landesbibliothek." (801) Das ganze wird abschließend um einige Lesartenvarianten komplettiert. Ahnlich lakonisch war übrigens auch schon 1936 Johannes Hoffmeisters Kommentar zur Hegelhandschrift ausgefallen, wenn er seinen Abdruck des Programms in der diesbezüglichen Anmerkung nur noch mit dem lapidaren Zusatz versah, Rosenzweigs „Analyse" sei „vollkommen" gesichert: Schelling habe, angeregt „durch mündliche Unterredungen mit Hölderlin", den Entwurf zu Papier gebracht. Hoffmeister sagt: „Da Rosenzweig selbst die persönlichen und geschichtlichen Zusammenhänge, in und aus denen dieser Entwurf zu begreifen ist, genügend deutlich gemacht hat und Ludwig Strauß dies in der Dt. Vierteljahresschrift (sie) für Literaturwiss. und Geistesgesch. 1927 . . . in Abwehr des W. Böhm'sehen Versuchs einer Neuerklärung (...) wiederholt hat, erübrigt sich hier ein weiteres Eingehen." Johannes Hoffmeister, Dokumente zu Hegels Entwicklung, Stuttgart 1936. Systemprogrammabdruck: S.219—221; K o m m e n t a r : 455.
H o r s t Fuhrmans (1962)
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versehenen Materialsammlung auch einen vollständigen Abdruck des Systemprogramms aufgenommen. Engagierter Schellingforscher der er ist, attestiert er Rosenzweigs Ausführungen außerordentlichen Scharfsinn, nicht zuletzt deswegen, weil dieser in der Hegelhandschrift „mit sehr gewichtigen Gründen" ein Schelling-Original ausfindig zu machen wußte, (cf. 55, 57 [Anm.], 69) Rosenzweigs - mythologisches - Hauptargument für die Verfasserschaft Schellings, schon damals komplettiert um den Mysterienbrief Schellings vom 12.3.1796 an Obereit, wird annähernd 50 Jahre später von Fuhrmans reaktiviert, wenn auch er die These vertritt, Brief und Systementwurf seien dazu geeignet, sich wechselweise zu kommentieren, (cf. 70/71, Anm. 35 u. 36 a) Vor allem aber steht für Horst Fuhrmans das Eine fest: Dieser „in der letzten Zeit seines Stuttgarter Aufenthalts" entstandene Text soll das „Bedeutendste" sein, „was Schelling in dieser Zeit schrieb". (55) Konsequenterweise und in Übereinstimmung mit den meisten Interpreten der zweiten Periode entdeckt denn auch Fuhrmans in dem Programm nicht allein einen für die frühe intellektuelle Biographie Schellings entscheidend wichtigen Text, sondern dieser Entwurf soll vor allem deswegen so außerordentlich bedeutsam sein, weil er den „ganzen kommenden objektiven Idealismus" „faktisch" antizipiert hat. „Kühn und fast herausfordernd" werden hier von Schelling nicht länger mehr an Fichtes Philosophie orientierte „Einzelprobleme" erörtert, sondern in dieser Schrift soll er erstmals „in großen Zügen ein ganzes philosophisches Programm entworfen" haben, „das Fichtes Sichten nicht unerheblich überschritt...". (55) Um aber diesen eine ganze Epoche antizipierenden und initiierenden Entwurf überhaupt formulieren zu können, dazu bedurfte es der schon von Ernst Cassirer bzw. Ludwig Strauß festgestellten aktiven Teilnahme Hölderlins. Dadurch, daß Schelling mit Hölderlin im Herbst des Jahres 1795 in Stuttgart zusammengetroffen ist, soll „Schelling manche Klarheit geworden" sein. Der in mancherlei Hinsicht „klarer" sehende Hölderlin soll die ihm und Schelling gemeinsame „Sehnsucht" nach „dem neuen Weltbild" auf den Begriff gebracht haben. (56/57) Und das Resultat dieser spätherbstlichen Zusammenkunft der beiden ehemaligen Stiftler soll nun einmal mfehr das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus sein. Tatsächlich jedoch entdeckt Fuhrmans in diesen zwei Seiten noch mehr. In ihnen nämlich soll Schelling die esoterische Mitte seiner ,eigentlichen' philosophischen Bemühungen fixiert haben, sie gewähren dem Interpreten einen, wie er sagt, überraschenden Einblick in das, „was damals in Schelling letzthin vorging - hier kristallisiert sich erstmals, was seit Tübingen eigentlich von ihm gewollt war, . . . " . (57) Wenn man einmal davon absieht, daß
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Zweite Periode (1931-1965)
Fuhrmans mit dieser Behauptung den von der neueren Schellingforschung insgesamt vertretenen Gedanken, Schellings Entwicklung habe sich kontinuierlich vollzogen, wieder aufgreift, dann versucht er darüber hinaus, - wenn er sich im Systemprogramm die eigentliche Intention der Philosophie Schellings manifestieren läßt - , aus seiner ,Not' eine ,Tugend' zu machen. Aus dem Dilemma, das Systemprogramm nicht aus „seinen (Schellings, F.P. H.) sonstigen damaligen Schriften" heraus erklären zu können, zieht der Interpret nicht etwa den naheliegenden Schluß, das Programm aus Schellings (Euvre auszugliedern, sondern er schließt umgekehrt die nun wirklich von Schelling verfaßten Frühschriften, weil nämlich s i e das eigentlich ,Fremde' „in Schellings Beginn" sein sollen, aus seinen gesammelten Werken aus! Um das Systemprogramm überhaupt noch Schelling zuschreiben zu können, kreiert Fuhrmans eine exoterische und eine esoterische Entwicklungslinie im Denken seines Protagonisten. Und zu dieser verzweifelten' Konstruktion wurde er nach Pöggelers scharfsinnigen Einsicht deswegen genötigt, weil, wie er selbst sagt, die Thematik der Handschrift nicht in Schellings frühen Tübinger Schriften „zu ahnen", geschweige denn „zu finden" ist. Folglich, immer unter der Voraussetzung, nur Schelling komme als Verfasser des Entwurfs in Frage, muß Fuhrmans in jenen Frühschriften etwas dem eigentlichen Wesen Schellings Fremdes sehen, um umgekehrt von dem Systemprogramm sagen zu können, daß nur hier Schellings „echte Stimme" zu Wort komme. N u r „von ihm aus sollte man Schellings Weg zu begreifen suchen". (57) Angesichts dieser gewagten Hypothesenbildung, in der nur noch der Wunsch der Vater des Gedankens ist, kann man mit Pöggeler eben nur noch feststellen, daß „die Schellingdeutung . . . , in einer Sackgasse angekommen" ist, „in der sie nur noch mit dem Kopf gegen die Wand rennen kann, wenn sie - . . . - sich zu der These versteigt, man müsse Schellings Entwicklung vom Systemprogramm her verstehen, da man schon das Systemprogramm nicht aus der sonst bekannten Entwicklung Schellings verstehen könne (·..)"· (Pöggeler, 29) Aber auch die von Fuhrmans aus dieser ersten Hypothese gezogenen ,Schlußfolgerungen' stehen der Verstiegenheit seiner Ersterfindung in nichts nach. Wollte er zunächst noch, gestützt auf das Programm, „Schellings Weg . . . begreifen", dann wartet er anschließend nur noch mit Annahmen auf, ja er geht sogar so weit, nie geschriebene Briefe Hölderlins nicht allein zu erfinden, sondern auch gleich noch zu schreiben. - Jetzt nämlich nimmt er an, Schelling habe sich, ruhelos wie er nach Hölderlins Besuch war, „Anfang Januar" „hingesetzt . . . , um all das miteinander Erwogene zu formulieren,
H o r s t Fuhrmans (1962)
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gesonnen, es gelegentlich Hölderlin vorzulegen". (57) Fernerhin vermutet er, freilich nicht als erster, denn auch schon Rosenzweigs Vermutungen gingen in diese oder eine ähnliche Richtung, daß „Schelling seinen Entwurf mit auf die Reise genommen (hat, F.-P. H.), um ihn Hölderlin bei der Begegnung in Frankfurt (Frühjahr 1796, F.-P.H.) vorzulegen". (58) Dann wieder, stutzig gemacht durch die Tatsache, „daß wir für Schellings Verfasserschaft und die Abfassungszeit keine direkten Zeugnisse haben" (57, Anm. 3), begibt er sich auf die Suche nach fehlenden Briefen und macht deren insgesamt drei ausfindig. Im Vorbeigehen weiß er mitzuteilen, daß Böhms Hölderlinthese „mit Recht widersprochen worden" sei, wenngleich, und dies soll seiner Meinung nach das in jederlei Hinsicht entscheidende Problem sein, durch diesen - überzogenen - Hinweis Böhms eines ganz deutlich geworden sei: „die Anteilnahme Hölderlins am Programm", (ebd.) Von hier aus, so,glaubt' der Herausgeber Schellings, lasse sich „alles" ableiten, aber mehr als eine These, die nicht mehr als eben eine These sein soll, will er auch hier nicht aufstellen. Sie lautet: Hölderlin hat Schelling mit „hoher Wahrscheinlichkeit" dessen ursprüngliche Begeisterung für Fichte ausgetrieben bzw. gedämpft, weil er nämlich schon als Student in Jena erkannt hatte, „welch tiefe Gefährdung Fichte . . . für ,ihre' (Schellings, Hegels, Hölderlins) so sehnsüchtig erstrebte neue Weltsicht" bedeutete. Und wenn Schelling auch offensichtlich den Argumenten des Freundes vorerst eher distanziert gegenüberstand, dann sollte sich Hölderlins „Hoffnung" auf Schellings Wandlungsfähigkeit schließlich doch erfüllen: Schelling schrieb das Programm, um Hölderlin nun doch „zu zeigen, wie er alles versuchen, ja wie es ihm gelingen werde, doch zum Ziel zu kommen, . . . " . (58, Forts. Anm. 3) Auf diese, Hölderlin konforme Weise zum Ziel gelangt, legte Schelling anläßlich seines Frankfurter Kurzaufenthaltes den Entwurf Hölderlin vor, und diese persönliche Ubergabe würde dann eben auch - so Fuhrmans geheimnisvolle Formulierung - erklären, „warum wir zunächst keine Briefe über das ,Programm' haben: . . . " . (ebd.) Denn in Wirklichkeit gibt es natürlich eine schriftliche Mitteilung zum Systemprogramm, selbstverständlich aber nicht - der persönlichen Aushändigung wegen - von Schelling an Hölderlin, sondern von Hölderlin an Hegel, und zwar in jenem - verlorengegangenen Brief „zu Anfang des Sommers" 1796. Fuhrmans jedoch weiß nicht nur ganz genau, d a ß Hölderlin in diesem mysteriösen Brief zu Hegel von dem Programm gesprochen, sondern er weiß auch, w a s er ihm hier mitgeteilt hat; wörtlich: „ich habe viel mit Schelling diskutiert, wie er mit Fichte weiterkommen wolle - sieh, hier ist sein Entwurf. Hier magst Du sehen, wo er hinaus will." (ebd.)
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Zweite Periode (1931-1965)
Diese zweifelsohne mit wahrhaft freundschaftlicher und einfühlsamer Anteilnahme gesetzten Worte können unseres Erachtens jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier tatsächlich einer „mit dem Kopf gegen die Wand" rennt, wenn er selbst davor nicht zurückschreckt, Briefe oder auch Gespräche zu fingieren, nur um auch weiterhin Schellings Autorschaft behaupten zu können. Auch das kann Philologie sein! - Mit diesen einfallsreichen Ausführungen Fuhrmans' scheint die Schellingforschung tatsächlich „in einer Sackgasse angekommen" zu sein.45
Friedhelm Nicolin
(I962fb
Friedhelm Nicolin kommt in dem Beiheft 1 der Hegel-Studien, dem Publikationsorgan der am 31. Juli 1962 ins Leben gerufenen „Internationalen Vereinigung zur Förderung des Studiums der Hegeischen Philosophie", in einer ausführlichen Fußnote auch auf die Hegelhandschrift zu sprechen, um unter anderem an diesem speziellen Beispiel von den Schwierigkeiten zu berichten, mit denen sich die Herausgeber der geplanten „neuen großen kritischen Hegel-Ausgabe, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft getragen wird" (327), konfrontiert sehen. In diesem Aufsatz berichtet Friedhelm Nicolin erstmals47 von der „Suchaktion" nach dem Verbleib der
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Vgl. hierzu und zum Umgang der Nachkriegsschellingforschung mit dem Systemprogramm insgesamt auch O t t o Pöggelers instruktive Ausführungen in „Hölderlin, Hegel und das älteste Systemprogramm", in: Hegel-Tage Villigst 1969, Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus, hg. von Rüdiger Bubner, HegelStudien (Beiheft 9), Bonn 1973, S. 233-235. Friedhelm Nicolin, Philologische Aufgaben der Hegelforschung. Bemerkungen zur kommenden Hegel-Gesamtausgabe, in: Heidelberger Hegel-Tage 1962, hg. von H . - G . Gadamer, Hegel-Studien (Beiheft 1), Bonn 1964, S. 327-337. Zum Systemprogramm: 331 f., Anm.4. Diese Kurzdarstellung der Suchaktion nach der von Rosenzweig in den 20er Jahren angefertigten Photographie der Handschrift bleibt in der 2. Tafel unberücksichtigt, weil sie in die eigentliche Diskussionsgeschichte des Textes (Fragen der Autorschaft, Aussagen über die Intention des Programmautors etc.) nicht eingreift. Ausführlicher dann: Friedhelm Nicolin, „Aus der Uberlieferungs- und Diskussionsgeschichte des ältesten Systemprogramms", in: Hegel-Studien, Bd. 12, Bonn 1977, S. 31/32. Vgl. auch O . Pöggelers „Einleitung" in den Sammelband „Homburg vor der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte", hg. von Chr. Jamme u. O.Pöggeler, Stuttgart 1981, S. 11-24, hier 13. Ebenso auch: Dieter Henrich, „Jacob Zwillings Nachlaß. Gedanken, Nachrichten und Dokumente aus Anlaß seines Verlustes", a. a. O . S. 245-266, hier 260. Und schließlich: Jakob Zwillings Nachlass. Eine Rekonstruktion (Mit Beiträgen zur Geschichte des spekulativen Denkens), hg. von D. Henrich u. Chr. Jamme, Hegel-Studien (Beiheft 28), Bonn 1986, S. 11, (3).
Otto Pöggeler (1965)
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Photographie des Systemprogramms, die Franz Rosenzweig für Ludwig Strauß angefertigt und für die sich der Letztgenannte gleich zu Beginn seiner 1927er ,Erstantwort' auf Wilhelm Böhm bedankt hatte. Weil „die gesamte Autographenabteilung der ehem. Preussischen Staatsbibliothek", zu deren Bestand auch das Systemprogramm gehörte, „seit 1945 verschollen" war, und weil die Ende der 50er Jahre einsetzende Suche nach dem Original der Handschrift ergebnislos blieb, deswegen konnte sich die neuere Schelling-, Hölderlin- und Hegelforschung in ihrer Beschäftigung mit dem Fragment immer nur auf Rosenzweigs Erstabdruck von 1917, bzw. die beiden Neuauflagen der Jahre 1926 und 1937 beziehen. In dieser Situation nun wurde Nicolin auf Strauß' Danksagung für die von Rosenzweig erhaltene Photokopie des Originals aufmerksam, und von da an konzentrierten sich seine Nachforschungen auf den Verbleib dieser Kopie. Nachdem Strauß' Nachlaß, der „sich bei seiner Witwe, der Tochter Martin Bubers, in Jerusalem" befand, ergebnislos durchgesehen worden war, „fand sich das Gesuchte im Besitz von M. Buber: Strauß hatte die beiden Fotoblätter vor langen Jahren seinem Schwiegervater geschenkt. M. Buber brachte sie bei anschließender Gelegenheit selbst mit nach Deutschland und ließ sie dem z. Zt. in Tübingen aufbewahrten Berliner Hegel-Nachlaß einverleiben, wo sie als Ersatz des Originals jetzt wieder der Forschung zur Verfügung stehen". (331/32)
Otto Pöggeler (1965)4S Der Hoffmeister-Schüler O t t o Pöggeler eröffnet seinen 1965 in Urbino gehaltenen Vortrag, in dem dann erstmals Hegels Verfasserschaft definitiv vertreten wird 49 , mit einem Rückblick auf die Positionen der Forschung der
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49
O t t o Pöggeler, „Hegel, Der Verfasser des ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus", in: Hegel-Tage Urbino 1965, a. a. O . S. 17-32. Tatsächlich jedoch hat schon 1943 Boris Jakowenko in dem dritten Teil seiner Aufsatzsammlung „Uber die Hegeische Philosophie", Prag 1943, S. 51/52, Anm.35, nicht allein die Resultate der bisherigen Systemprogrammforschung energisch bestritten, sondern auch ganz ausdrücklich für H e g e l s Verfasserschaft plädiert. Freilich: In den durch S. D. Tschizewskijs abwertendes Urteil des CEuvres Jakowenkos veranlaßten rechtfertigenden Bekenntnissen „Mein Verhältnis zu Hegel" (33-67) handelt es sich letztendlich um die Selbstdarstellung eines Autors, der Hegel besser als Hegel verstanden haben will. Im Gegensatz zu Hegel nämlich bleibt Jakowenko Hegel treu: „Hegel ist meiner Meinung nach in den wichtigsten Punkten sich selbst untreu geblieben", und: Hegel hat an Hegel einen „Verrat" begangen.
158
Zweite Periode ( 1 9 3 1 - 1 9 6 5 )
ersten Periode. Er resümiert Rosenzweigs Schelling verpflichtete Interpretation
des
Programms,
erwähnt
Böhms
Versuch,
den
Entwurf
Hölderlin zuzuschreiben, und würdigt anschließend Strauß' Replik auf Böhm. Wenn Pöggeler hier nun auch - fälschlicherweise, freilich nicht, wie sich zeigen wird, ohne Grund - die Behauptung aufstellt, „man", also doch wohl Strauß und Böhm - , habe sich darauf geeinigt, „daß die Gedanken über die Schönheit ursprünglich von Hölderlin stammten" (17) 5 0 ,
„Dieser an sich selbst begangene V e r r a t bildet, wie ich glaube, eben die Seele der H e g e i s c h e n Dialektik,
die sich
darum
als prinzipiell
unhaltbare und p h i l o s o p h i s c h
unbrauchbare
M e t h o d e e r w e i s t . " ( 4 3 ) E s handelt sich hier nur um eine bescheidene A u s w a h l typisch J a k o w e n k o s c h e r Stilblüten, die übrigens alle nach dem M u s t e r des für jedwede M o d e r n i s i e rungs- b z w . Aktualisierungsabsicht charakteristischen Zweischritts f u n k t i o n i e r e n : 1. H e g e l hat sich selbst und seine - vermeintlichen - F o r d e r u n g e n nicht begriffen; also gelte es, 2., hegelianischer als H e g e l selbst zu sein, b z w . H e g e l vor H e g e l in S c h u t z zu n e h m e n . - D a ß sich aber J a k o w e n k o zu R e c h t f ü r einen, w e n n nicht für d e n H e g e l i a n e r k a t e x o c h e n hält, dafür gibt er einen e h e r als eitel, denn als initiiert zu a p o s t r o p h i e r e n d e n „ B e l e g " . S c h o n 1911 nämlich will er in seinem „ V o m L o g o s " betitelten A u f s a t z die erst sechs J a h r e später durch R o s e n z w e i g edierte M y t h o l o g i e p a s s a g e des S y s t e m p r o g r a m m s antizipiert haben. O h n e zu wissen, was er tat, sei es ihm g e s c h e h e n ' , einen T e x t zu Papier zu bringen, der m e h r als 100 J a h r e z u v o r - von H e g e l - zu Papier gebracht w o r d e n w a r . . . . H i e r m i t hat J a k o w e n k o „in der T a t " am „auffallendsten und gültigsten" b e w i e s e n , d a ß er „tatsächlich" das Z w e i t e G e s i c h t besaß und folglich unter die R u b r i k , G e i s t e r s e h e r ' und , B e s c h w ö r u n g s k ü n s t l e r ' gehörte. - O b nun eitel, m a ß l o s überspannt o d e r auch ganz einfach v e r r ü c k t : J a k o w e n k o jedenfalls zweifelt die E r g e b n i s s e R o s e n z w e i g s , die originellen, a u ß e r d e m aber v o r e i n g e n o m m e n e n und künstlichen Phantastereien B ö h m s - w e r im Glashaus sitzt . . . - und schließlich auch S t r a u ß ' bestenfalls h y p o t h e t i s c h e B e w e i s f ü h r u n g an, „so daß man die F r a g e nach der Z u g e h ö r i g k e i t des rätselhaften M a n u s k r i p t e s auch heute im W e s e n n o c h als ungelöst betrachten d a r f " . ( 5 2 ) J a k o w e n k o s L ö s u n g s v o r s c h l a g aber lautet k u r z und bündig wie folgt: Schellings F r ü h s c h r i f ten sind m i t den A u s f ü h r u n g e n des P r o g r a m m s in keinerlei H i n s i c h t vergleichbar. W e d e r beschäftigte sich Schelling mit einer , M y t h o l o g i e der V e r n u n f t ' , n o c h m i t der .ästhetischen P h i l o s o p h i e ' . Schließlich aber sei der zentrale T e r m i n u s , B u c h s t a b e n p h i l o s o p h ' für H e g e l sehr viel früher nachweisbar als für Schelling, der ihn erst „ein J a h r später, als das M a n u s k r i p t wahrscheinlich entstanden ist ( 1 7 9 6 , F . - P . H . ) " , verwendet, so daß der ,neue' H e g e l dem ,alten' mitteilen k a n n : „Was den Verfasser dieser Zeilen anbetrifft, so findet er bis auf weiteres keinen gewichtigen G r u n d dazu, den Inhalt des M a n u s k r i p t e s eben Schelling und nicht d e m , mit dessen H a n d es tatsächlich geschrieben ist, d. h. H e g e l , z u z u s c h r e i b e n . " (ebd.) Selbstverständlich verdient dieses e x t r e m e K u r i o s u m nur en passant e r w ä h n t zu w e r d e n , und sicherlich auch ist das A n t i z i p a t i o n s g e n i e J a k o w e n k o nicht zufällig von der sonstigen grammforschung
ignoriert w o r d e n . ( N u r H . O .
Systempro-
R e b s t o c k e r w ä h n t ihn 1971 in seiner
verdienstvollen Studie „Hegels Auffassung des M y t h o s in seinen F r ü h s c h r i f t e n " ganz am R a n d e ; s. u.) D a s ändert aber nichts an der T a t s a c h e , daß dieser z w e i t e S w e d e n b o r g der erste überhaupt gewesen ist, der s c h o n 1943 für H e g e l s Verfasserschaft Partei ergriff. 50
D a d u r c h nämlich, daß sich P ö g g e l e r der B ö h m m o d i f i z i e r e n d e n S t r a u ß - T h e s e anschließt, H ö l d e r l i n h a b e den ästhetischen Mittelteil des P r o g r a m m s b e e i n f l u ß t , ist er von A n f a n g an vor die A u f g a b e gestellt, die E n t s t e h u n g s z e i t des P r o g r a m m s neu zu b e s t i m m e n . H e g e l s A u t o r s c h a f t läßt sich - vor dem H i n t e r g r u n d der als gesichert a n g e n o m m e n e n E i n f l u ß n a k m e
O t t o Pöggeler (1965)
159
dann entspricht sein sich anschließender Hinweis auf die Haltung der Hegelforschung zu dem Fragment jedoch wieder den Tatsachen, wie sie durch die Quellen verbürgt sind. Entweder nämlich ignorierte die mit der Jugendgeschichte Hegels befaßte Hegelforschung das Systemprogramm überhaupt, oder aber so namhafte Wissenschaftler wie Glockner und Lukäcs versuchten unter Übernahme der Strauß-Rosenzweig-Variante „zu zeigen, daß Hegel nicht so gedacht habe, wie im Systemprogramm gedacht werde", (ebd.) Tatsächlich jedoch, so Pöggelers Gegenthese, sei das theoretische Niveau des Manuskripts demjenigen der Berner und Frankfurter Fragmente Hegels sehr wohl vergleichbar. In Wirklichkeit nämlich sei die von Rosenzweig in die Welt gesetzte Behauptung, „die Gedankengänge des Systemprogramms" wichen „von Hegels damaligem Denken stark" ab, ein bündig zu widerlegendes Vorurteil, das auch dadurch nicht wahrscheinlicher werde, daß sich ihm ausnahmslos alle Interpreten im- oder explizit angeschlossen haben. Pöggeler jedenfalls glaubt nicht allein, Hegels sogenannte Frankfurter Wende mittels des Systemprogramms erklären zu können, sondern auch schon die Berner Aufzeichnungen Hegels sollen sich - in zum Teil wörtlicher Vorwegnahme von charakteristischen Formulierungen des Entwurfs - in dem gedanklichen Umfeld des Manuskripts bewegt haben. Umgekehrt aber steht es für Pöggeler - unter Berufung auf die diesbezüglichen Argumente Böhms und Schillings - fest, „daß Schelling im Jahre 1796 anders gedacht hat, als im Systemprogramm gedacht wird", und er ist der festen Überzeugung, daß sich die von den Letztgenannten beigebrachten Beweise „vermehren und verstärken" lassen, (vgl. ebenso 29) Vor dem Hintergrund dieser einleitenden Bestandsaufnahme formuliert der Interpret zwei den gesamten Verlauf seiner Untersuchung maßgeblich prägende Überzeugungen: 1. Hegel ist „der
Hölderlins - selbstverständlich nur dann behaupten, w e n n Hegel und sein Studienfreund Hölderlin vorher in einen unmittelbaren Gedankenaustausch getreten waren. Weil dieser frühestens aber A n f a n g 1797, nach Hegels A n k u n f t in F r a n k f u r t , stattgefunden haben konnte, sieht sich Pöggeler - u n d mit ihm die ganze neuere Hegelforschung - genötigt, das Systemprogramm auf die ersten M o n a t e des Jahres 1797 zu datieren. Ansonsten ließe sich die These von Hegels Verfasserschaft nicht länger aufrechterhalten. - Man k ö n n t e also mit einigem Recht auch gegen Pöggeler u n d gegen die Hegelforschung der letzten 20 Jahre einwenden, sie sei „das O p f e r (ihrer, F . - P . H . ) eigenen Voraussetzungen g e w o r d e n " . (Pöggeler, 27) D e n n seit 1965 stehen alle der Hegelfraktion zugehörigen Forscher unter dem Beweiszwang, A r g u m e n t e f ü r diese U m d a t i e r u n g erbringen zu müssen, und diese F o r d e r u n g wird nicht zuletzt auch von der Schelling- u n d H ö l d e r l i n f o r s c h u n g immer wieder an sie herangetragen. - Vgl. hierzu und zu den ,absonderlichen' Konsequenzen, die dieser - interne und externe - Beweiszwang mit sich bringt, auch die im Text folgenden A u s f ü h r u n g e n .
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Zweite Periode (1931-1965)
Verfasser des Systemprogramms"; 2. er hat „es wahrscheinlich in Frankfurt (also 1797, F.-P. H.) unter dem Einfluß Hölderlins niedergeschrieben . . . , da der Einfluß Hölderlins in den Aussagen, die das Systemprogramm über die Schönheit macht" - so Pöggelers ein ums andere Mal geltend gemachte petitio principi - „unverkennbar ist". (18; vgl. Anm. 50) Nicht allein aber widerspricht Pöggelers These von Hegels Autorschaft in Verbindung mit der Neudatierung des Entwurfs den bis 1965 üblichen Einsichten 50jähriger Forschung, sondern er sollte dann auch mit diesen beiden, bis dato,unerhörten' Behauptungen den ganzen weiteren Verlauf der Forschung bis heute maßgeblich prägen. Sowohl die Schelling-, als auch die Hölderlinforschung der nächsten zwei Jahrzehnte machte es von nun ab der Hegelforschung immer wieder zur Aufgabe, sie müsse für die von Pöggeler inaugurierte Neudatierung einen in sich schlüssigen Beweis beibringen. 51 Nur wenn ihr dies gelinge, könne man sich endgültig mit Hegels Verfasserschaft einverstanden erklären. Aber auch die Hegelforschung selbst stellte sich von nun an unter den auch von außen an sie herangetragenen Beweiszwang. Für sie nämlich - ganz genauso wie auch für die beiden anderen in die Auseinandersetzung verwickelten Fraktionen - stellte sich die Situation, wie sie durch Pöggeler vorgegeben war, ungefähr folgendermaßen dar: Indem sie die schon seit Strauß' Böhmreplik gängige Annahme, Hölderlin habe den ästhetischen Mittelteil des Programms angeregt, beibehielt, sah sie sich von
51
Zuletzt hat diese Forderung Friedrich Strack in seinem 1979 publizierten Aufsatz „Nachtrag zum Systemprogramm' und zu Hölderlins Philosophie", in: HJb 21 (1978-79), S. 68 formuliert. Es heißt dort: „So notigen sich bereits die Parteien gegenseitig zur Beweisführung und umreißen das Aufgabenfeld ihres Gegners, um Belege für dessen These herauszufordern. - Dieter Henrich hat zuletzt deutlich gemacht, was die Hegelforschung leisten müßte, wenn sie ihren Favoriten erfolgreich ins Ziel bringen wollte. - Eine ihrer dringlichsten Aufgaben wäre es nach wie vor, Beweise dafür zu erbringen, daß Rosenzweigs Datierung der Niederschrift Hegels tatsächlich ,falsch' ist. Das heißt genauer: Sie müßte sogar zeigen, daß das Fragment mit einiger Wahrscheinlichkeit in Hegels Frankfurter Zeit (1797) geschrieben sein kann. Denn darauf laufen fast alle Argumente der Hegel-Partei hinaus: allein in der Nähe Hölderlins, dessen Anteil am zweiten Teil des Systemfragments unbestritten ist, kann dieses Programm entstanden sein. Nur um Raum für eine spätere Datierung zu gewinnen, an der die Verfechter der Hegel-These ein profundes Interesse bekunden, sind Rosenzweigs Überlegungen angefochten worden. Der Nachweis, das Fragment könne auch ,in Hegels ersten Frankfurter Monaten' geschrieben sein, reicht deshalb nicht aus. Die zaghaft erwogene Möglichkeit einer späteren Niederschrift erfordert unter den gegebenen Umständen größere Uberzeugungskraft. Erst dann, wenn die Hegelforschung zeigt, daß das bekannte Manuskript nicht schon 1796 geschrieben sein kann, ist ein entscheidender Schritt getan im Hinblick auf eine mögliche Autorschaft Hegels."
Otto Pöggeler (1965)
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vornherein vor die Notwendigkeit gestellt, die Entstehungszeit in Hegels Frankfurter Zeit vorzuverlegen, weil nur zu dieser Zeit ein persönlicher Gedankenaustausch zwischen Hölderlin und Hegel stattgefunden haben konnte. Sollte nämlich einzig und allein Hegel, wie von Pöggeler behauptet, als Verfasser des Programms in Frage kommen, dann war hierzu Hölderlins unmittelbare Gegenwart unbedingt erforderlich, jedenfalls solange, solange man an seiner traditionellerweise feststehenden Einflußnahme festhielt. „Wenn es stimmt, daß der Einfluß Hölderlins in den Gedanken über die Schönheit unverkennbar ist, dann müßte Hegel - sofern er der Verfasser ist den Text in der Nähe Hölderlins, also in Frankfurt geschrieben haben." (19, ebenso 28 f. u. ö.) Dieser Hölderlinsche Einfluß auf den Systemprogrammautor war sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich von nun ab die Hölderlin-, die Schelling- und die Hegelforschung verständigte. Die Konsequenz dieser Gemeinsamkeit bestand dann aber darin, daß der Beweiszwang, der zunächst von außen an die Hegelforscher herangetragen wurde, de facto ein Beweiszwang war, unter den sie sich von sich aus stellten. Denn auch darin waren sich ja alle drei an der Diskussion beteiligten Parteien einig, daß man nur dann Hegels Verfasserschaft behaupten könne, wenn es gelingen sollte, das Fragment in Hegels erste Frankfurter Zeit zu verlegen, in die Zeit mithin, als Hölderlin und Hegel sich wieder zu ersten Gesprächen zusammengefunden hatten, als deren gedanklicher Niederschlag dann das Systemprogramm zu gelten hätte. Die abschließend geäußerte Hoffnung des Referenten jedenfalls, das Systemprogramm könne „noch einmal ein Anlaß werden, daß die Schelling-, die Hölderlin- und die Hegel-Forschung zu einer gemeinsamen Diskussion zusammenfinden" (32), sollte sich also wenigstens in dieser Hinsicht erfüllen. Seit Otto Pöggelers 1965er Urbinovortrag hat die Hegel-Forschung denn auch konsequenterweise unzählige Versuche unternommen, über den ,Umweg' einer in sich schlüssigen Neudatierung des Programms - Anfang 1797 - ihren ,Favoriten' - Hegel - als den nunmehr einzig möglichen Autor ins Ziel zu bringen. Sie unterließ folgerichtig keine - und sei es auch noch so abwegige Anstrengung, um in ihrem Bemühen erfolgreich zu sein. Zuletzt waren es Christoph Jamme und Helmut Schneider, die in ihrer 1984er Systemprogrammdokumentation, Einleitung, das seit 1979 wieder (in Polen, in der Jagiellonska Bibliothek in Krakau) zugängliche Original der Handschrift einer Wasserzeichenbeobachtung unterzogen. Sie sagen es selbst: „Um zu einer gesicherten Datierung des Systemprogramms zu kommen, kann man neben der Schriftstatistik und inhaltlichen Kriterien auch das Wz (Wasserzeichen, F.-P. H.) im Papier als Hilfsmittel
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heranziehen." 52 Als Resultat dieser Wasserzeichenprobe ergab sich: Eine „auf den Monat genaue Datierung" ist nicht möglich, aber „der Zeitraum 1796/97 (Tendenz Anfang 1797!, F.-P.H.) als Zeit der Abfassung des Systemprogramms" kann als ziemlich sicher angenommen werden, (a. a. O. 38) Weil dem Begründer von derlei Anstrengungen, Otto Pöggeler, dieses Original 1965 für seine Beweisführung selbstverständlich noch nicht zur Verfügung stand, sah er sich nun seinerseits an diejenige Photographie verwiesen, die in den 20er Jahren von Rosenzweig für Strauß angefertigt worden war, und die nicht zuletzt dank Nicolins tatkräftiger Mitarbeit 1960 wieder ausfindig gemacht werden konnte (vgl. den letzten Absch.). Unter Zuhilfenahme dieser Kopie glaubt Pöggeler exakt dasjenige beweisen zu können, was dann ebenso, 20 Jahre später, die zweite Forschergeneration der 1962 ins Leben gerufenen „Internationalen Vereinigung zur Förderung des Studiums der Hegeischen Philosophie" unter Berücksichtigung des Originals, diesmal allerdings endgültig, beweisen wollte: 1. Daß „es . . . keinerlei Indizien (gibt, F.-P. H.), die erkennen ließen, daß es sich bei der Hegeischen Niederschrift um die Abschrift einer fremden Vorlage handelte", oder positiv ausgedrückt: Hegel ist auch der V e r f a s s e r des Programms; 2. daß „die bisherige Datierung des Manuskripts . . . falsch" ist; es kann „im Jahre 1796, aber auch schon in den ersten Monaten des Jahres 1797, als Hegel schon in Frankfurt war, geschrieben worden sein". (18; vgl. wiederum Anm. 50) Eine erste Einsichtnahme in die Photographie des Manuskripts läßt Pöggeler zu der Gewißheit kommen, es müsse sich bei den zwei Seiten um eine „Unterlage für eine Diskussion unter Freunden" handeln. In Frankfurt nun habe sich Hegel, nach dreijährigem Hauslehrerdasein in der Schweiz, wieder unter Freunden befunden, und in diesem Freundeskreis - dem ja neben Sinclair und Zwilling vor allem auch noch Hölderlin angehörte hätten die Thesen des Programms durchaus zu Diskussionen Anlaß geben können. Da jedoch die Forschung in der Gestalt Diltheys, Rosenzweigs und Lukäcs' bislang von der Annahme ausgegangen ist, Frankfurt sei „für Hegel das ,unglückselige Frankfurt'" gewesen, und da sich diese Diagnose nur schwer mit der enthusiastischen Haltung des Systemprogrammautors vereinbaren ließ, deswegen muß Pöggeler diese Behauptung, Hegel sei in Frankfurt chronisch schwermütig gewesen, als unhaltbare Legendenbildung
52
Vgl. „Mythologie der Vernunft. Hegels ,ältestes Systemprogramm des deutschen Idealism u s ' " , a. a. O . S. 36.
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widerlegen. In Wirklichkeit habe Hegels Umsiedelung nach Frankfurt auf ihn vielmehr „wie eine Befreiung" gewirkt, da er nun wieder, nach dreijährigem Auslandsaufenthalt, „unter Freunden und Gleichgesinnten war", mit denen er, kaum angekommen, „erregte philosophische Diskussionen" führte. (19) Diesen „Frankfurt-Homburger" Freundeskreis, dem dann seit Anfang 1797 auch Hegel zugehörte, verband neben einer sehr stark ausgeprägten Begeisterung für Fichte auch noch der allen gemeinsame Enthusiasmus für die Ideen der französischen Revolution. Hegel bearbeitete nicht zufällig während seiner Frankfurter Hauslehrerjahre „neben grundsätzlichen geschichtlich-zeitgeschichtlichen . . . und philosophischen" Themen politische und selbst ökonomische Gegenstände. Auf diese vielfältige Weise angeregt - nicht zuletzt auch durch Diskussionen mit den Freunden - könnte Hegel, so Pöggelers,interessierte' Sichtweise, zu Beginn seines Frankfurtaufenthaltes zur Niederschrift des Systementwurfs motiviert worden sein. Abgesehen aber von diesen Argumenten, denen Hegels Biographie zugrundeliegt, und die allesamt als Abfassungszeit des Manuskripts die ersten Monate des Jahres 1797 wahrscheinlich machen sollen, glaubt Pöggeler nun auch zeigen zu können, daß sich das Systemprogramm sehr wohl auch „in die Entwicklung des frühen Hegeischen Denkens und Wirkens" einordnen lasse. (20) Hegels früher philosophischer Werdegang - so der interessante, und von uns im Z w e i t e n T e i l dieser Arbeit wiederaufgenommene Gedanke des Interpreten - müsse von der praktischen Philosophie Kants, von dem praktischen Postulat der Freiheit der Kritik der praktischen Vernunft her begriffen werden. Freilich habe Hegel sehr bald schon Kants restriktiven - moralischen Glauben, „der vom Jenseits den Ausgleich von Sittlichkeit und Glückseligkeit erwartet" (21), heftig kritisiert, wenn er in dieser - heteronomen - Erwartungshaltung einen Widerspruch zu der von Kant doch gleichfalls postulierten - selbstbestimmenden - Autonomie der praktischen Vernunft entdeckte. Hegels ausdrückliches Anliegen dagegen habe vielmehr darin bestanden, jede Art von Fremdbestimmung aufzuheben, um statt dessen, in Ubereinstimmung mit Schelling, „die Freiheit in ihrer Absolutheit als in sich stehend und in sich vollendet (zu, F.-P. H.) fassen". (20) Diese in sich vollendete Freiheit sei das Charakteristikum der verlorengegangenen „Sittlichkeit d e s . . . Polisbürgers" gewesen, und die Aufgabe, vor die die Gegenwart angesichts dieses Verlusts gestellt ist, bestehe entsprechend darin, dieses Ideal sittlicher Vollkommenheit wiederherzustellen. Das aber könne selbstverständlich nur unter der Voraussetzung der sich selbst setzenden Freiheit der Vernunft gelingen, die entsprechend keinen äußerlichen Beschränkungen unterliegen dürfe, sondern sich in völliger Autonomie
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ihre Gesetze selbst geben müsse. Wenn also für Hegel „das Wesen der Vernunft" die Freiheit ist, dann leitet sich aus diesem Ansatz zwanglos die Forderung des Systemprogrammautors ab, daß sich „die Vernunft . . . in einer Metaphysik als M o r a l . . . als ein vollständiges System aller Ideen oder praktischen Postulate" zu entfalten habe. (21) Diese von Hegel projektierte Uberführung aller Ideen der Metaphysik in die moralphilosophische Freiheitslehre, diese Absolutsetzung der praktischen Idee der Freiheit, hat nun aber nach Pöggeler in „der Fichteschen Verwurzelung der gesamten Philosophie in der praktischen Philosophie", der „alle Ideen Postulate" sind, ihr eigentliches Vorbild. „Was bei Kant (nur, F.-P. H . ) der Schlußstein war, der zu einem Gewölbe zusammenfaßte, was aus verschiedenem Grund heraufwuchs - die Freiheit als das Absolute - , das wird nun (will heißen: im Systemprogramm, F.-P. H . ) das Erste, aus dem alles Weitere sich entfaltet." (ebd.) Das erste wesentliche Resultat, das Pöggeler aus seiner Betrachtung der frühen philosophischen Bemühungen Hegels abstrahieren kann, ist also die Erkenntnis, daß Hegel schon in den Jahren seiner Berner Hauslehrertätigkeit Kants praktisches Postulat der Freiheit an den Anfang einer fälligen Neubearbeitung der Metaphysik stellte. Fichte hatte als erster begriffen, daß das eigentliche Zentrum von Kants ,Vernunftkritiken' in der Postulatenlehre der praktischen Vernunft zu finden war, woraus nun wiederum Hegel, wie schon in den Berner Fragmenten, prononcierter aber noch in dem sogenannten Systemprogramm, den Schluß zog, daß die von Kant nur erst inaugurierte „neue Philosophie" nichts anderes als eine moralphilosophisch fundierte Metaphysik sein könne. „Philosophie sollte ihr Wesen wandeln, ,künftig' sollte Metaphysik Moral, Philosophie Ethik sein. Dieses ,künftig' meint: nach Kant!" (22) Dieser von Kant freigelegten Tendenz schloß sich der junge Hegel ohne Vorbehalte an, der Philosophie als Ethik wurde die praktische Realisierung all ihrer Ideen zur Aufgabe gemacht. Eine an der praktischen Durchführung ihrer Ideen interessierte Philosophie hat aber mit diesem ausdrücklichen Handlungsbezug von vornherein zu erkennen gegeben, daß sie auch ein politisches Anliegen verfolgen wird. Sie soll, gemäß der brieflichen Mitteilung Hegels an Schelling 53 , nicht zuletzt auch eine Philosophie der Revolution sein: „Vom Kantischen System und dessen höchster Vollendung" erwartete sich Hegel „eine Revolution in Deutschland".
53
Vgl. „Briefe von und an H e g e l " , Bd. 1, hg. von J . Hoffmeister, H a m b u r g 1969, S . 2 3 , Brief N r . 11.
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(Briefe, 23) In diesem nachkantischen Programm einer moralphilosophisch zu begründenden Metaphysik, komplettiert um die politische Dimension einer revolutionären Anwendung der von der Philosophie bereitgestellten Prinzipien, entdeckt Pöggeler die „,esoterische' Mitte" im Denken Hegels zur Zeit seines Berner Aufenthaltes. „Nur in wenigen Fragmenten" dieser Jahre soll diese eigentliche Intention Hegels „faßbar" sein, das Frankfurter Systemprogramm jedoch hat dann schließlich die noch halb verdeckten Einsichten der frühen Bruchstücke unmißverständlich auf den Begriff gebracht. Hier sagt Hegel, worauf es ihm in seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants wirklich angekommen sei: Auf die moralphilosophische Metaphysik der Zukunft und auf die revolutionäre Verwirklichung dieser Philosophie. Die Ideen der „Freiheit und Selbstbestimmung (sollen, F.-P. H . ) gegenüber den überlieferten politischen und religiösen Vorstellungen geltend" gemacht werden (22), mittels „jener,künftigen' Metaphysik als Moral" wird „die Philosophie auf die Revolution" bezogen. (23) Dieses ethische Programm absolut freier Selbstgesetzgebung soll sich dann auch in der Konfrontation des moralischen Individuums mit der physischen „Welt" bewähren. Wenn Hegel schon „in den letzten Berner Aufzeichnungen . . . das Absolute der Selbstbestimmung . . . als Selbstbehauptung gegen Natur und Fatum" (ebd.) konzipiert hatte, dann greift er diesen Ansatz einer Versöhnung des moralischen Ichs mit der es umgebenden Welt im Systemprogramm wieder auf. E r fordert eine Welt, die den Selbstbestimmungsansprüchen eines schlechthin freien Wesens genügt, er fragt danach, wie eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein müsse. Die Anregung zu dieser Frage erhielt Hegel wiederum von seinem ,Lehrer' Kant, und zwar in diesem speziellen Fall von dem Verfasser der K r U . Aber auch Hegels Tagebuch der Reise durch die Berner Ober-Alpen, Juli/August 1796, macht für Pöggeler noch einmal ganz deutlich, in welchem Sinne Hegel den Gegensatz von Welt und Freiheit überbrückt wissen wollte. Auch hier setzte Hegel die unbedingte Priorität des Freiheitspostulats voraus, wenn er die Forderung aufstellte, „daß der Mensch trotz des Widerstandes von Natur und Fatum der Natur seine Zwecke gebieten und so das Absolute der Freiheit verwirklichen könne". (24) Für den Hegel der Berner und Frankfurter Jahre ist aber auch eine ablehnende Haltung zu dem modernen Staatsmechanismus durch entsprechende Quellen verbürgt. Indem Hegel die für „die antike Republik" charakteristische „Wirklichkeit gemeinsamer Freiheit" aller Polisbürger mit dem Staatsapparat der Gegenwart vergleicht, in dem der Einzelne wie ein beliebig verfügbares „Maschinenrädchen" rangiert wird, stellt er eben nicht
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nur im Systemprogramm die Forderung auf, daß dieser die Freiheit des Menschen untergrabende Staat der Moderne aufhören solle. Dabei bemißt sich die Kritikwürdigkeit der zeitgenössischen Staatsmaschine einmal mehr an ihrer Entfernung von dem Ideal des Postulats der Freiheit. Schon in Bern nämlich hatte Hegel begriffen, daß der „moderne Staat" nicht „als die Wirklichkeit des Absoluten gemeinsamer Freiheit und damit der ,Idee'" gelten könne. Es war ihm, wie übrigens auch schon Schiller „in den Briefen über die ästhetische Erziehung" (24), klar geworden, daß für diesen Staat der Einzelne eben nur als eine beliebig verfügbare Manövriermasse in Betracht kommt, und daraus zog er im Systemprogramm - aber auch in seinen übrigen Berner und Frankfurter Aufzeichnungen - den Schluß, daß dieser mechanisch funktionierende Staat „aufhören" müsse. Er muß aber nicht zuletzt auch deswegen abgeschafft werden, weil er die „Organisation gemeinsamer Freiheit in einem Volk" verhindert, „wie sie in der antiken Polis schon einmal wirklich gewesen ist, (und, F.-P. H.) wieder wirklich werden soll". (25) Das Postulat der Freiheit, wie es von Hegel an den Anfang des Systemprogramms gestellt wurde, wird hier zum insgesamt dritten Mal zum Maßstab der Beurteilung und der Kritik gemacht. In dem „Entwurf einer umfassenden praktischen Philosophie" (25) findet Pöggeler folgerichtig die alles bedingende Grundposition des jungen Hegel, die sich durch seine Berner und Frankfurter Fragmente wie ein roter Faden zieht. Hegels frühes philosophisches Engagement orientiert sich an dem Begriffspaar „Freiheit" und „Revolution", in diese Formel läßt sich das Ergebnis von Pöggelers Untersuchung des ersten - ethischen - Teils des Systemprogramms zusammenfassen. Zu Beginn seiner Analyse des ästhetischen Mittelabschnitts greift Pöggeler diejenige Problematik auf, vor die sich auch schon Böhm und Strauß in ihrer Kontroverse gestellt sahen. Läßt der Systemprogrammautor den Entwurf mit der moralphilosophischen Idee der Freiheit anheben, dann verliert diese Idee ihren dreimal erprobten zentralen Stellenwert in dem Augenblick, „wenn Hegel schließlich die Idee der Schönheit als jene Idee bezeichnet, die alle Ideen vereinige". (25) Vergleicht man diese Aussage mit der einleitend getroffenen Behauptung, daß „das vollständige System der Ideen . . . eine Ethik sein" solle, dann ist man tatsächlich zu der jedenfalls vorläufigen Feststellung genötigt, daß durch diese Schwergewichtsverlagerung der gedankliche Aufbau des Manuskripts in sich brüchig geworden sei. Wenn Hegel zuerst das alles bedingende und tragende Freiheitspostulat zum Zentrum jeder künftigen Metaphysikbearbeitung qualifiziert, um es dann in das vereinigungsphilosophische Schönheitsideal zurückzunehmen bzw. zu
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integrieren, dann entsteht der Verdacht, es handle sich bei dem Fragment in Wirklichkeit gar nicht um einen einheitlich konzipierten und konsequent zu Ende geführten Entwurf. Diese auffällige „Spannung" will Pöggeler mittels der traditionellerweise bestehenden Annahme von Hölderlins Einflußnahme auf den ästhetischen Mittelteil des Programms auflösen, um so, indirekt, noch einmal die These von der Niederschrift des Systemprogramms in Frankfurt wahrscheinlich zu machen. Dieser Hölderlinsche Einfluß zu Beginn von Hegels Frankfurter Zeit soll sein bis dahin ausschließlich an der ethischen Fragestellung interessiertes Denken um den Gesichtspunkt der ästhetischen Idee der Schönheit komplettiert und erweitert haben. Hölderlin soll Hegel gesprächsweise davon überzeugt haben, daß „nicht die Moralität (die Freiheit, der Natur entgegengesetzt) . . . das Höchste (sei, F.-P.H.), sondern die Schönheit, in der der Gegensatz von Natur und Freiheit von vornherein überbrückt ist (...)". (26) Und diese durch Hölderlin vermittelte neue Erkenntnis sei dann von Hegel in der sogenannten ästhetischen „Wendung" des Systemprogramms sofort verarbeitet worden. Wenn Hegel hier aber auch, ähnlich „wie Schiller in den Künstlern und wie Hölderlin im Hyperion, . . . die Poesie als die Lehrerin der Menschheit" (ebd.) feiert, dann findet diese Thronerhebung der Schönheit doch innerhalb ganz bestimmter Grenzen statt. Im Gegensatz nämlich zu Hölderlins endgültiger „Uberwindung" des Fichteschen Ethizismus befindet sich die Schönheitsidee des Entwurfs letztendlich immer noch im Umkreis der KantFichteschen - will heißen: der praktischen Philosophie. „Die Schönheit wird nicht (wie dann bei Hölderlin, F.-P. H.) erfahren als Sein, sondern gesetzt in einem Akt der Vernunft; dieser ästhetische Akt erscheint noch innerhalb der Ethik, also innerhalb einer Lehre von der Freiheit (wenn auch als deren Gipfel)." (28) Schließlich aber zeige - so Pöggeler - ein Blick in Hegels frühe Fragmente, Entwürfe und Exzerpte, daß sich Hegel „schon in seiner Studienzeit" die Aufgabe gestellt hatte, ,„mit der Religion selbst Mythen zu verbinden'". Sein stetes Interesse an der Religion habe sich schon sehr bald zu der auch für das Systemprogramm entscheidenden Frage zugespitzt, wie eine „wahre" Religion aussehen müsse. Die Lösung dieses Problems orientierte sich immer wieder an der ,mythensagenden Phantasiereligion' der antiken Republiken, bezeichnenderweise aber vor allem deshalb, weil es diese Mythologie gewesen war, die „das griechische Volk zu einer großen Einheit zusammengeschlossen" hatte, deren Richtwert einmal mehr die Idee freier Selbstbestimmung war. Eine mythologisch fundierte Religionsstiftung war für den Hegel der Berner Fragmente und auch noch für den Hegel des
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Frankfurter Systemprogramms gleichbedeutend mit der eminent „politischen", nämlich demokratischen Aufgabenstellung, „die Menschen zu einer Einheit des Vorstellens zusammenzuschließen". (27) „Die religiöse Frage ist zugleich eine politische: die Religion soll helfen, wieder das Leben in einem politischen Ganzen möglich zu machen, soll ζ. B. helfen, die,Arbeit' und den auf das bloße ,Haben' ausgehenden Bourgeois-Geist in das politische Leben zu integrieren." (29) Hier nun kommt Pöggeler auf Rosenzweigs Mysterienkonstruktion anläßlich des Schellingbriefes an Obereit zu sprechen, worauf wir schon zu Beginn der ersten Periode hingewiesen hatten. (Vgl. 28 ff.) Rosenzweig hatte die Behauptung aufgestellt, daß die in diesem Brief geäußerte Forderung Schellings, mittels „einer Nationalerziehung durch Mysterien" ausgewählte „Jünglinge" in die philosophische Geheimwissenschaft „stufenweise einzuweihen . . . , mit dem Mythologiegedanken des Systemprogramms" identisch sei. Pöggeler schließt sich, unseres Erachtens zu Recht, dem schon von Böhm gemachten Einwand an (vgl. hier 54), daß der esoterische Initiationsritus, für den Schelling in dem Brief an Obereit ausdrücklich Partei ergreift, mit der in dem Programm geäußerten Hoffnung auf eine allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister nicht nur nichts zu tun hat, sondern ihr in jederlei Hinsicht entgegengesetzt ist. 54 Abgesehen nämlich davon, daß „der Mythos . . . schon dem einfachen wörtlichen Sinn nach das Gesagte, die Mysterien . . . (hingegen, F.-P. H . ) das Verschwiegene" sind, ist es schließlich für Pöggeler nicht weniger als für Böhm mindestens genauso evident, daß der von Schelling propagierte Initiationsritus sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet. 55 Diese Esoterik jedoch sei dem Systemprogrammautor Hegel nicht nur fremd gewesen, sondern er habe seinen Entwurf nicht zuletzt deswegen geschrieben, um jene von Schelling unterminierte „Einheit
54
Paradoxerweise wird noch 17 Jahre später Manfred Frank den Rosenzweigschen Versuch unternehmen, unter Zuhilfenahme des Briefes an Obereit Schellings Verfasserschaft zu beweisen. Vgl. Manfred Frank, D e r kommende G o t t . Vorlesungen über die N e u e M y t h o l o gie, 1. Teil, Frankfurt a. Main 1982, S . 2 5 2 .
55
Außerdem sei Schelling „in seiner Veröffentlichung aus der Stiftszeit über die Geschichte des Sündenfalls . . . (den, F . - P . H . ) damaligen Bestrebungen, den Mythosbegriff Heynes auf das Alte Testament zu übertragen", gefolgt. Sein Interesse an der Mythologie war also an der Vergangenheit orientiert, und nicht, wie dasjenige des Systemprogrammautors, von utopischen Zukunftsaussichten bestimmt. - Vgl. entsprechend O t t o Pöggelers 17 Jahre später publizierten Aufsatz „Idealismus und neue M y t h o l o g i e " , in: Europäische R o m a n t i k , Bd. 1, hg. von Karl R o b e r t Mandelkow, Wiesbaden 1982 (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, 14), S. 1 7 9 - 2 0 4 , hier 187.
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des Volkes und der Weisen durch die neue Mythologie" nun wirklich hervorzubringen. (27) Nach all diesen - vergleichenden - Überlegungen steht für Pöggeler nunmehr das eine fest: Dieser Text gehört „eindeutig in das Werk Hegels", und kann nicht mehr, wie bislang üblich, „aus diesem Werk ausgeschlossen, jedenfalls ganz an den Rand dieses Werks gedrängt" werden. Freilich gelte es „erst noch, das Systemprogramm, seit 50 Jahren ediert, als einen Hegeischen Text zu entdecken". (28) Erst dann nämlich sei es auch möglich, die eminente Bedeutung, die diese Handschrift für Hegels frühe geistige Biographie gehabt hat, zu erkennen. Solange aber die durch Rosenzweig angeregte neuere Schellingforschung von der fälschlichen Annahme ausgehe, Hölderlin habe Schelling in Gesprächen seine aus der Auseinandersetzung mit Fichte gewonnene Schönheitsidee nahegebracht, die dieser dann in das Programm aufgenommen habe, um so sein Lebenswerk sowohl zu begründen, als auch zu antizipieren, solange kann die Auseinandersetzung mit dem Systemprogramm, wie ζ. B. bei Fuhrmans geschehen (s.o.), nur in eine „Sackgasse" führen. In Wirklichkeit nämlich sei es vielmehr so gewesen, daß Hölderlin und Schelling sich bei ihren spätherbstlichen Zusammenkünften des Jahres 1796 des öfteren „gestritten" haben, so daß von einer für Schellings Schaffen fruchtbaren Diskussion kaum gesprochen werden kann. Nur „von Hölderlin zu Hegel f ü h r t . . . ein direkter Weg, bzw. Hölderlin und Hegel standen (seit Hegels Frankfurter Zeit, F . - P . H . ) im engsten Gedankenaustausch". (28/29) Rosenzweig freilich, in Nachfolge Diltheys, wollte den Frankfurter Hegel zu einem schwermütigen Grübler umfunktionieren; Hegel sollte sich in Frankfurt in einer „Lebenskrise" und in der Ausweglosigkeit „einer radikalen Entzweiung mit seiner Zeit" befunden haben. Kurt Hildebrandt seinerseits „schloß . . . in seinem Hölderlinbuch den marxismusverdächtigen Hegel überhaupt von der Möglichkeit aus, ein Verständnis gehabt zu haben für Hölderlins Prophetie des Kommenden, . . . " . (30) Und schließlich war es Georg Lukäcs, der bei seinem Versuch, „die reaktionäre Hegellegende der Firma Dilthey, Rosenzweig u. Co, . . . , grundsätzlich (zu, F.-P. H.) korrigieren", im Gegenteil gerade diejenigen Positionen der beiden kritisierten Neuhegelianer übernahm, die tatsächlich eine „Legende" gewesen waren: „die Erzählung von Hegels Hypochondrie und Weltflüchtigkeit". Diese Herangehensweise an die Jugendentwicklung Hegels habe es dann selbstverständlich auch unmöglich gemacht, in dem Systemprogramm ein Hegel-Original zu finden. „Die Hoffnung des Systemprogramms, die neue mythologische Religion solle Freiheit und
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Gleichheit unter den Menschen herstellen, (mußte, F.-P.H.) ein unhegelscher Gedanke bleiben." (ebd.) 56 Aus dieser „Hoffnung" leitet Pöggeler das Zentrum von Hegels frühen philosophischen Bemühungen insgesamt, speziell aber den sich in diese Bemühungen zwanglos einordnenden gedanklichen Ansatz des Systemprogramms ab. Hegel soll während seiner Berner und Frankfurter Zeit immer wieder „nach dem Wesen der Philosophie" gefragt, und diese Frage generell auf die Weise beantwortet haben, daß die gesuchte neue Philosophie sich aus ihrem Verhältnis zur „Revolution" definiert. Die Philosophie der Zukunft verfolgt die Realisierung ihrer praktischen, und das bedeutet letztendlich eben immer auch, ihrer politischen Ziele; sie wird „zur Metaphysik als Moral". Im Systemprogramm hat Hegel den notwendigen Handlungsbezug der Theorie in unmißverständlicher Weise auf den Begriff gebracht; hier hat er klar ausgesprochen, was in den in etwa gleichzeitig entstandenen Fragmenten immer bloß angedeutet worden war. Folglich könne man, so Pöggeler, „ohne Berücksichtigung dieses Programms nicht in die Mitte des frühen Hegeischen Denkens vorstoßen . . . " . (31) Weil sich dieses Fragment problemlos in Hegels frühe geistige Entwicklung einordnen lasse, deswegen sei den vorurteilsbefrachteten Ausführungen des Schellinganhängers Rosenzweig, die den Verlauf 50jähriger Systemprogrammforschung maßgeblich geprägt haben, fortan mit äußerster Vorsicht zu begegnen. Vor allem aber sei es endlich an der Zeit, in Hegel denjenigen zu erkennen, „der das Systemprogramm (nicht allein, F.-P.H.) geschrieben", sondern der - angeregt durch Schelling und vor allem Hölderlin - „die Gedanken des Programms (auch,
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Vgl. ebenso auch, in z u m Teil wörtlicher Wiederholung des hier Gesagten, O t t o Pöggelers Aufsatz „Philosophie und Revolution beim jungen Hegel", in: Hegels Idee einer P h ä n o m e nologie des Geistes, F r e i b u r g / M ü n c h e n 1973, S. 22/23. In d e m V o r w o r t zu diesem Sammelband stellt der A u t o r übrigens wieder einmal die interessante' Frage, „ob nicht Hegel selber der Verfasser eines der berühmtesten Texte des Deutschen Idealismus, des von ihm überlieferten sog. ältesten Systemprogramms ist". (11) Z u m Problem der „esoterischen Mitte" des Hegeischen D e n k e n s während der Berner Hauslehrerjahre - gemeint ist die praktische Philosophie Kants u n d der Modifikation dieses einseitig moralphilosophischen Standpunktes durch den Gedankenaustausch mit Hölderlin in F r a n k f u r t , vgl. ebenso a. a. O . S. 39/40 und S. 69/70. U b e r den f ü r den gedanklichen A u f b a u des P r o g r a m m s insgesamt verbindlichen Ausgang von Kants praktischem Postulat der Freiheit vgl. auch a. a. O . , „Die Verwirklichung der Philosophie. Hegel u n d Marx", S. 381, A n m . Z u m gedanklichen U m f e l d der H a n d s c h r i f t - speziell z u m Verhältnis H ö l d e r l i n - H e g e l - wie Pöggeler es in dem Referat von 1965 erstmals entworfen hatte, vgl. schließlich auch noch den in etwa gleichzeitig (1964-66) konzipierten Aufsatz „Philosophie und Geschichte", a . a . O . S. 327 ff. Diese aus Vorträgen hervorgegangene A b h a n d l u n g bezieht sich freilich auf Hegels Manuskript ausnahmslos implizit.
Resümee der zweiten, und Ausblick auf die dritte Periode
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F.-P. H.) gedacht" hat. „Solange man keine neuen Argumente bringt - denn die Argumente von Rosenzweig sind nicht haltbar - , kann man Hegel das Systemprogramm nicht absprechen." (31) Bevor sich allerdings die Hölderlin- und Schellingforschung der dritten Periode auf die Suche nach den von Pöggeler geforderten neuen Argumenten machen sollte, reagierte auf diesen bemerkenswerten Aufsatz einer sofort: Martin Heidegger. Seine auf den 19.9.1965 datierte briefliche Stellungnahme zu dem Urbino-Vortrag Otto Pöggelers lautete: ,„Ich konnte mich nie mit der Ansicht befreunden: Text von Schelling, Niederschrift von Hegel. Aber ich wußte keinen Rat.'" 5 7
Resümee der zweiten, und Ausblick auf die dritte Periode Es fällt auf, daß fast alle Autoren der zweiten Periode - spätestens seit 1940 - für Schellings Verfasserschaft plädieren. Dabei b e d i e n e n sie sich des Manuskripts in illustrierender, oder aber auch in modernisierender bzw. aktualisierender Absicht, um, unter Berufung auf Rosenzweigs Epocheneinsatzhypothese, den Beweis zu erbringen, daß der sogenannte ,neue' Schelling vor allem eines n i c h t gewesen sei: eine Proteusnatur. Dieses um eine Ehrenrettung Schellings bemühte Erkenntnisinteresse findet sich in ausnahmslos allen Publikationen der 50er Jahre. Hermann Zeltner machte 1954 den Anfang, 1955 folgten seinem Beispiel Karl Jaspers und Walter Schulz, aber auch Alexander Hollerbach (1957) und Manfred Schröter (1960) schlossen sich der von Rosenzweig inaugurierten, von Zeltner wiederaufgenommenen Kontinuitätsthese von Schellings Entwicklung an. Dem Systemprogramm wurde in diesen Jahren endgültig diejenige Stellung gegeben, die es, bis auf einige wenige Ausnahmen, auch noch für die Interpreten der Gegenwart besitzt: Mittels seiner sollte - noch diesseits der bis heute fraglichen Verfasserschaft - die Entstehungsgeschichte des deutschen Idealismus begriffen werden können. Nur die die zweite Periode abschließende Abhandlung Otto Pöggelers fiel aus dieser allgemein verbreiteten Sichtweise gleich in zweierlei Hinsicht heraus. Abgesehen nämlich davon, daß dieser Interpret als erster für Hegels Autorschaft Partei ergriff, war er es auch, der sich gegen die überzogene Position der Schellingforschung wandte, die dieses Arbeitsprogramm ein
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Zitiert nach: Mythologie der Vernunft . . . , a. a. O . S. 69.
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ums andere Mal zu einem ausgewachsenen System-Programm hochstilisiert hatte. Pöggeler dagegen beschränkte sich in seiner vergleichsweise zurückhaltenden Darstellung darauf, den Entwurf in die Jugendentwicklung Hegels einzugliedern. Die Handschrift war jetzt nicht länger mehr Programm einer ganzen Epoche, sondern nur noch die,Mitte' von Hegels frühen philosophischen Bemühungen. 5 8 Wenn Pöggeler damit auch die maßlosen und überspannten Konstruktionen der zweiten Forschergeneration auf eine, wie wir finden, überzeugende - weil an den Quellen orientierte - Weise korrigiert hatte, dann barg sein Plädoyer für Hegels Autorschaft doch so viel Zündstoff in sich, daß die Diskussionsteilnehmer der nächsten Jahre sich unversehens in die Streitatmosphäre der ersten Periode zurückversetzt fanden. Die von Pöggeler geäußerte Hoffnung, das Systemprogramm könne „noch einmal ein Anlaß" für eine gemeinsame Diskussion der Schelling-, der Hölderlin- und der Hegel-Forschung werden, sollte sich also in diesem Sinne nicht erfüllen. Das änderte jedoch nichts daran, daß die Systemprogrammforschung mit Pöggelers Urbino-Vortrag in ein neues Stadium eingetreten war. Entsprechend gehörten die bei aller Verstiegenheit doch untereinander einigen - weil durch ein gemeinsames Erkenntnisinteresse verbundenen Interpreten der zweiten Periode seit 1965 endgültig der Vergangenheit an. Es bildete sich eine,Interessengruppe' in Gestalt der „Internationalen Vereinigung zur Förderung des Studiums der Hegeischen Philosophie", eine rege Publikationstätigkeit der Hegel-Studien und des Hölderlin-Jahrbuchs setzte ein, und ein Großteil der neueren Beiträge zum Systemprogramm fand seinen Platz in den Publikationsorganen dieser beiden Gesellschaften. Dieser neuen Forschungslage wollen wir im nachfolgenden dritten Abschnitt durch eine modifizierte Darstellungsweise Rechnung tragen. Wir lassen nicht länger mehr, wie bislang geschehen, in chronologischer Verarbeitung die Interpreten und mehr oder weniger,autonomen' Forscherindivi-
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Z u m systematischen Aufbau dieses für Hegels frühe geistige Biographie zentralen Entwurfs vgl. auch die Kurzcharakteristik O . Pöggelers in „Hegels Phänomenologie des Selbstbewußtseins" in dem Sammelband „Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes", a . a . O . S. 2 7 6 / 7 7 . W e n n der Interpret in diesem Vortrag - einmal mehr - die These aufstellt, Hegel habe „in F r a n k f u r t . . . Hölderlins Umbildung der idealistischen Systematik aufgenommen", dann ergänzt er diese altbekannte petitio principi seiner 65er Publikation hier aber noch um den interessanten Hinweis auf die Systemkonzeption, wie sie für das Manuskript des Jahres 1797 charakteristisch sein soll. E r sagt: „Schon das ,älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus' zeigt so etwas wie eine Vierteilung: zuerst wird die Idee der Freiheit als Leitgedanke eingeführt, dann eine Philosophie der Natur, eine Moralphilosophie und eine Philosophie des Schönen und der Religion skizziert."
Die Diskussionsteilnehmer der zweiten Periode
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duen einzeln Revue passieren, sondern ordnen sie, ihren Positionen entsprechend, den in Frage kommenden Interessengruppen bzw. Institutionen, als deren Repräsentanten und Mitarbeiter sie von nun ab in der Regel auftreten, zu. In zwei Abschnitten werden die Argumente der nachfünfundsechziger Hegel-, Hölderlin- und Schelling-Forschung rekapituliert, wobei wir uns, wie bislang auch (bis auf einige Ausnahmen), auf Beiträge aus dem deutschsprachigen Raum beschränken. Schließlich aber entfällt in der dritten Periode - aus naheliegenden Gründen - das zu Illustrationszwecken den beiden ersten Abschnitten jeweils nachgestellte Schaubild.
Briefwechsel zwischen Rudolf Pannwitz und Martin Buber zum Systemprogramm' 1. 1. 1937 29. 1. 1937 4. 2. 1937 20. 2. 1937 15. 4. 1937 20. 4. 1937
Martin Rudolf Martin Rudolf Rudolf Martin
Buber an Rudolf Pannwitz, Pannwitz an Martin Buber. Buber an Rudolf Pannwitz, Pannwitz an Martin Buber. Pannwitz an Martin Buber. Buber an Rudolf Pannwitz.
Die Diskussionsteilnehmer Johannes Hoffmeister Hans-Gero Boehm Johannes Hoffmeister Kurt Schilling Emil Staiger Johannes Hoffmeister Theodor Ludwig Haering Johannes Jeremias Gertrud Jäger Kurt Hildebrandt Johannes Hoffmeister
der zweiten Periode und ihre ,Favoriten' (1931) (1932) (1932) (1934) (1935) (1936) (1938) (1938) (1939) (1939) (1939)
-
Schelling. Schelling. Schelling. Schelling und Hölderlin. Schelling. Schelling. Schelling/Hölderlin/Hegel? Hegel? Schelling. Schelling und Hölderlin. Schelling.
Ausführlich bei Friedhelm Nicolin, „Aus der Überlieferungs- und Diskussionsgeschichte des Altesten Systemprogramms", Hegel-Studien, Bd. 12, Bonn 1977, S. 33 ff.
174 Hermann Glockner Wilhelm Michel Johannes Hoffmeister Boris Jakowenko Ernst Müller Georg Lukäcs Richard Geis Hermann Zeltner Karl Jaspers Walter Schulz Alexander Hollerbach Manfred Schröter Friedrich Beißner Heinz Otto Burger Horst Fuhrmans Jürgen Habermas Otto Pöggeler
Zweite Periode (1931-1965)
(1940) (1940) (1942) (1943) (1944) (1948) (1950) (1954) (1955) (1955) (1957) (1960) (1961) (1962) (1962) (1963) (1965)
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Schelling und Hölderlin. Schelling. Schelling. Hegel! Schelling. Schelling. Schelling. Schelling. Schelling. Schelling. Schelling. Schelling. Schelling. Schelling. Schelling. Schelling. Hegel.
— Q. ί . Ε a r ören."2i Und wenn Hegel in den bisher zitierten Briefstellen generell von der praktischen
enthalten scheint, der sich nicht wohl mit dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person vereinigen läßt." Dieses Bild von der Staatsmaschine ist ein allgemein gebräuchliches Bildungsgut dieses Zeitraums von 1 7 8 0 - 1 8 0 0 . Weitere Belegstellen anzuführen kann deswegen als überflüssig angesehen werden. 22
Vgl. Briefe, a. a. O . N r . 11, S. 23.
23
Das Systemprogramm wird zitiert nach J . Hoffmeister, D o k u m e n t e . . . , a. a. O . S. 2 1 9 - 2 2 1 , hier 2 1 9 f.
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Eine Ethik
Postulatenlehre Kants als der „höchsten Vollendung" der Kantischen Philosophie24, ausgegangen war, dann beschreitet diesen Weg ganz explizit auch der Autor des Programms, wenn er unmißverständlich proklamiert: „- eine Ethik. Da die ganze Metaphysik künftig in die Moral fällt - . . . , so wird diese Ethik nichts andres als ein vollständiges System aller Ideen, oder, was dasselbe ist, aller praktischen Postulate sein." 25 Und daß auch Schiller, der - wie gesehen - im Systemprogramm in die kontrastierende Darstellung der Idee der Freiheit verwoben wurde, in seinen „Briefen" „größtenteils Kantische Grundsätze" zugrundelegte, schickt er programmatisch für alles weitere gleich im ersten Brief voraus26, so daß auch von dieser Seite aus die Integrität der Einleitungsformel des Systemprogramms gewahrt bleibt. Die Gedankenführung des Manuskripts mit Schiller erklären, heißt nicht nur an dieser Stelle, sie aus sich selbst heraus zu erklären. In dem Brief vom 30. August 1795 an Schelling gedenkt Hegel rückblikkend eines Versuchs, es sich „in einem Aufsatz deutlich zu machen, was es heißen könne, sich Gott zu nähern, .. ," 2 7 Das Schlüsselargument, mittels dessen es ihm gelang, dieses Problem einer transzendenten Gottheit aufzulösen, ist dasjenige des moralphilosophischen Postulats der Vernunft, „daß die praktische Vernunft der Welt der Erscheinungen gebiete, .. ." 2 8 Hegel schlug folglich in diesem Aufsatz denjenigen Weg ein, den auch Kant beschritten hatte, wenn er die Idee Gottes zu einem praktischen Postulat des moralischen Vernunftgebrauchs umfunktionierte. Indem die Beweisansprüche der theoretischen Vernunft eingeschränkt wurden, wurde für einen Glauben Platz geschaffen, der auf der Grundlage der praktischen Idee der Freiheit den Menschen als vernünftiges Wesen oder als Intelligenz, das unabhängig von den Einflüssen der Sinnlichkeit sich selbst aus autonomer Vernunft praktische Gesetze gibt 29 , eben wegen dieser praktischen Autono-
Vgl. Briefe, a . a . O . S.23; vgl. auch a . a . O . Nr. 8, 16. Systemprogramm, a . a . O . S.219; vgl. auch den Beginn des zweiten Teils dieser Arbeit, S. 347 f. 2« EdM, a . a . O . S . 3 f . 27 Vgl. Briefe, a. a. O. S. 29. 28 Ebda.; vgl. zu diesem eindeutigen Bedingungsverhältnis ζ. B. auch folgende Wendung aus der KrU, a. a. O. S. 116, wo es unmißverständlich heißt: „ . . . , welches die ächte Beschaffenheit der Sittlichkeit des Menschen ist, wo die Vernunft der Sinnlichkeit Gewalt anthun muss;" Ebenso auch a . a . O . 120: „ . . . ; weil die menschliche Natur nicht so von selbst, sondern nur durch Gewalt, welche die Vernunft der Sinnlichkeit anthut, zu jenem Guten zusammenstimmt." 29 Denn: „Alle praktischen Prinzipien, die ein Objekt (Materie) des Begehrungsvermögens als Bestimmungsgrund des Willens voraussetzen, sind insgesamt empirisch und können keine 24
25
Die Rezeption von K a n t s praktischem Postulat
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mie zum Mitglied einer intelligiblen- oder Verstandeswelt qualifiziert. 30 Diese notwendige Autonomie des Willens manifestiert sich negativ darin, daß sie nichts zur Geltung kommen läßt, was sie, als zur phaenomenalen Welt der Erscheinungen gehörig, in eine sinnliche Abhängigkeit von Begierden und Neigungen versetzen könnte. 31 Die Notwendigkeit der moralisch autonomen Handlungen ist einzig und allein dadurch verbürgt,
praktischen Gesetze abgeben." I . K a n t , KrpV, a . a . O . S . 2 1 , § 2 ; und etwas ausführlicher: „Das Prinzip der eigenen Glückseligkeit, soviel Verstand und Vernunft bei ihm auch gebraucht werden mag, w ü r d e doch f ü r den Willen keine anderen Bestimmungsgründe, als die dem unteren Begehrungsvermögen angemessen sind, in sich fassen, und es gibt also entweder gar kein oberes Begehrungsvermögen, oder reine Vernunft m u ß f ü r sich allein praktisch sein, d. i. ohne Voraussetzung irgend eines Gefühls, mithin ohne Vorstellungen des Angenehmen oder Unangenehmen, als der Materie des Begehrungsvermögens, die jederzeit eine empirische Bedingung der Prinzipien ist, durch die bloße Form der praktischen Regel den Willen bestimmen können. Alsdann allein ist Vernunft, nur sofern sie für sich selbst den Willen bestimmt (nicht im Dienste der Neigungen ist), ein wahres oberes Begehrungsvermögen, dem das pathologisch bestimmbare untergeordnet ist, und wirklich, ja spezifisch von diesem unterschieden, sodaß sogar die mindeste Beimischung von den Antrieben der letzteren ihrer Stärke und Vorzuge (sie) Abbruch tut, sowie das mindeste Empirische, als Bedingung in einer mathematischen Demonstration, ihre W ü r d e und N a c h d r u c k herabsetzt und vernichtet. Die Vernunft bestimmt in einem praktischen Gesetze unmittelbar den Willen, nicht vermittelst eines d a z w i s c h e n k o m m e n d e n Gefühls der Lust und Unlust, selbst nicht an diesem Gesetze, und nur, daß sie als reine Vernunft praktisch sein kann, macht es ihr möglich, gesetzgebend zu sein." A . a . O . 2 4 f . Vgl. ebenso 25, 27, 42 ff., 72 f. 30 31
Vgl. a . a . O . S . 4 9 , 5 5 f . Vgl. a. a. O . S. 33, w o auch die .positive' Seite der A u t o n o m i e des Willens erwähnt wird, w i e sie oben im Text entwickelt w u r d e . U n t e r § 8 , Lehrsatz IV, heißt es: „Die Autonomie des Willens ist das alleinige Prinzip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten; alle Heteronomie der W i l l k ü r gründet dagegen nicht allein gar keine Verbindlichkeit, sondern ist vielmehr dem Prinzip derselben und der Sittlichkeit des Willens entgegen. In der Unabhängigkeit nämlich von aller Materie des Gesetzes (nämlich einem begehrten Objekte) und zugleich doch Bestimmung der W i l l k ü r durch die bloße allgemeine gesetzgebende Form, deren eine M a x i m e fähig sein m u ß , besteht das alleinige Prinzip der Sittlichkeit. Jene Unabhängigkeit aber ist Freiheit im negativen, diese eigene Gesetzgebung aber der reinen und als solche praktischen Vernunft ist Freiheit im positiven Verstände. Also drückt das moralische Gesetz nichts anderes aus als die Autonomie der reinen praktischen Vernunft, d. i. der Freiheit, und diese ist selbst die formale Bedingung aller M a x i m e n , unter der sie allein mit dem obersten praktischen Gesetze zusammenstimmen können. W e n n daher die Materie des Wollens, welche nichts anderes als das O b j e k t einer Begierde sein kann, die mit dem Gesetz verbunden w i r d , in das praktische Gesetz als Bedingung der Möglichkeit desselben hineinkommt, so w i r d daraus Hetronomie der W i l l k ü r , nämlich Abhängigkeit vom Naturgesetze, irgend einem Antriebe oder N e i g u n g zu folgen, und der W i l l e gibt sich nicht selbst das Gesetz, sondern nur die Vorschrift zur vernünftigen Befolgung pathologischer Gesetze; die M a x i m e aber, die auf solche Weise niemals die allgemein-gesetzgebende Form in sich enthalten kann, stiftet auf diese Weise nicht allein keine Verbindlichkeit, sondern ist selbst dem Prinzip einer reinen praktischen Vernunft, hiermit also auch der
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Eine Ethik
daß die Zufälligkeiten und Unwägbarkeiten, die die Fremdbestimmung durch sinnliche Anreize mit sich führen, vollständig beiseitegesetzt - , oder daß die materialen Bestimmungsgründe des zeitlich affizierten sinnlichen Begehrungsvermögens durch den formalen Bestimmungsgrund der gesetzgebenden Form des freien Willens qua Sittengesetz ersetzt werden. 32 In ihm wird an Stelle der empirischen Kausalität des Naturmechanismus, der die Sinnenwelt trifft, eine Kausalität aus Freiheit angetroffen, in der der Mensch rein als Intelligenz figuriert, so daß die Gesetze seiner Wirkungen und Handlungen ausschließlich die allgemeinen Prinzipien einer intelligiblen Welt repräsentieren. Und in dieser Welt gibt entsprechend ausnahmslos eine von jeglichen empirischen Einflüssen der Sinnlichkeit unabhängige Vernunft, in vollständiger Autonomie, ihre allgemeingültigen praktischen Gesetze. 33 Dem Menschen aber, da er als Mitglied dieser intelligiblen Welt (mundus intelligibilis) entsprechend nur als Intelligenz angesehen wird, gelten die dort einschlägigen Gesetze unbedingter- und notwendigerweise. Wohingegen er als von sinnlichen Antrieben bestimmtes, leidendes Wesen sofort auf die Stufe der phaenomenalen Erscheinungswelt hinabsinkt, in der dem sinnlich motivierten Begehrungsvermögen generell der Charakter bloßer Zufälligkeit anhaftet. 34 Diese Autonomie des allgemein gesetzgebenden praktischen Vernunftgebrauchs diente Kant dann aber in seiner im Frühjahr 1793 veröffentlich-
32
33 34
sittlichen Gesinnung entgegen, wenngleich die Handlung, die daraus entspringt, gesetzmäßig sein sollte." Vgl. ebenso 34ff. Vgl. entsprechend I. Kant, KrpV, a. a. O. S. 31, wo es heißt: „Der Wille wird als unabhängig von empirischen Bedingungen, mithin, als reiner Wille, durch die bloße Form des Gesetzes als bestimmt gedacht und dieser Bestimmungsgrund als die oberste Bedingung aller Maximen angesehen." Entsprechend auch a . a . O . 63f. Es heißt: „Nur ein formales Gesetz, d.i. ein solches, welches der Vernunft nichts weiter als die Form ihrer allgemeinen Gesetzgebung zur obersten Bedingung der Maximen vorschreibt, kann a priori ein Bestimmungsgrund der praktischen Vernunft sein." Ebenso auch: 29f., 34, 68, 80, 109, 117f. Vgl. entsprechend auch I. Kant, Zum ewigen Frieden, a. a. O. S. 158 f. Ebenso auch RGV, a. a. O. S.III (Vorrede zur ersten Aufl. von 1793). Endlich noch KrU, a . a . O . S.461, Anm. Kant sagt: „Der Endzweck, den das moralische Gesetz zu befördern auferlegt, ist nicht der Grund der Pflicht; denn dieser liegt im moralischen Gesetze, welches, als formales praktisches Prinzip, kategorisch leitet, unangesehen der Objekte des Begehrungsvermögens (der Materie des Wollens), mithin irgend eines Zweckes. Diese formale Beschaffenheit meiner Handlungen (Unterordnung derselben unter das Prinzip der Allgemeingültigkeit), worin allein ihr innerer moralischer Werth besteht, ist gänzlich in unserer Gewalt, . . . " Vgl. I.Kant, KrpV, a . a . O . S. 94. Vgl. I.Kant, GMdS, hg. von Karl Vorländer, Hamburg 1965, den Dritten Abschnitt, Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft, S. 446 ff. (nach der Paginierung der Akademie-Ausgabe).
Die Rezeption von K a n t s praktischem Postulat
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ten Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" dazu, von dem ,Ganzen einer Religion überhaupt' nachzuweisen, daß es bloß von eben jener „durch moralische Ideen geleiteten Vernunft entwickelt werden kan". 3 5 Kant wendet sich folglich mit dieser in Aussicht gestellten Vernunftreligion gegen die orthodoxe Dogmatik der Offenbarungstheologie. 36 Es soll verhindert werden, daß die „allgemeinen praktischen Regeln einer reinen Vernunftreligion" wiederum dogmatisch werden, was in dem Augenblick unweigerlich geschehen würde, wenn diese - p r a k t i s c h e n
-
Regeln für eine - t h e o r e t i s c h e - Erkenntnis des Ding an sich herhalten müßten. Nur insofern die „Ideen derselben praktisch sind", können „sie zur Religion
als moralischer
Gesinnung
(Herv.
v. Verf.,
F.-P. H . ) "
gebraucht werden. 37
" Vgl. I.Kant, RGV, a . a . O . S . X C , Beilagen. Vgl. ebenso I.Kant, KrU, a . a . O . §86, S.410ff. (Von der Ethikotheologie), speziell aber folgendes Resümee S.414: „ - Auf solche Weise ergänzt die moralische Teleologie den Mangel der physischen, und gründet allererst eine Theologie, da die letztere, wenn sie nicht unbemerkt aus der ersteren borgte, sondern konsequent verfahren sollte, für sich allein nichts als eine Dämonologie, welche keines bestimmten Begriffs fähig ist, begründen könnte." Ebenso die diesbezügliche Anm. S. 416 ff. und den §87, S. 418-429 (Von dem moralischen Beweise des Daseins Gottes). » Vgl. I.Kant, RGV, a . a . O . S.156f. 37 Vgl. a. a. O. S. 280. Dort heißt es: „Nun gibt es aber eine praktische Erkenntnis, die, ob sie gleich lediglich auf Vernunft beruht und keiner Geschichtslehre bedarf, doch jedem, auch dem einfältigsten, Menschen so nahe liegt, als ob sie ihm buchstäblich ins Herz geschrieben wäre: ein Gesetz, was man nur nennen darf, um sich über sein Ansehen mit jedem sofort einzuverstehen, und welches in jedermanns Bewußtsein unbedingte Verbindlichkeit bei sich führt, nämlich das der Moralität; und was noch mehr ist, diese Erkenntnis führt entweder schon für sich allein auf den Glauben an Gott oder bestimmt wenigstens allein seinen Begriff als den eines moralischen Gesetzgebers, mithin leitet sie zu einem reinen Religionsglauben, der jedem Menschen nicht allein begreifflich, sondern auch im höchsten Grade ehrwürdig ist; . . . " Ebenso S. 229 f., Anm., 298 ff. Vgl. auch die den Beweisanspruch des theoretischen Vernunftgebrauchs einschränkende Begründung der Theologie durch den praktischen Vernunftgebrauch in der KrU, a . a . O . §85, S.403f.; dort heißt es: „Wenn aber verlangt wird, anzuzeigen: was uns denn antreibe und überdem berechtige, jene Ergänzungen zu machen (die physische Teleologie in ihrem eingeschränkt theoretischen Gebrauch auf die Begründung der erfahrungsunabhängigen Theologie auszudehnen, F.-P. H.), so werden wir in den Prinzipien des theoretischen Gebrauchs der Vernunft, welcher durchaus verlangt, zur Erklärung eines Objekts der Erfahrung diesem nicht mehr Eigenschaften beizulegen, als empirische Data zu ihrer Möglichkeit anzutreffen sind, vergeblich Grund zu unserer Rechtfertigung suchen. Bei näherer Prüfung würden wir sehen, dass eigentlich eine Idee von einem höchsten Wesen, die auf ganz verschiedenem Vernunftgebrauch (dem praktischen) beruht, in uns a priori zum Grunde liege, welche uns antreibt, die mangelhafte Vorstellung einer physischen Teleologie von dem Urgründe der Zwecke in der Natur bis zum Begriffe einer Gottheit zu ergänzen; und wir würden uns nicht fälschlich einbilden, diese Idee, mit ihr aber eine Theologie durch den theoretischen Vernunftgebrauch der physischen Weltkenntniss zu Stande gebracht, viel weniger ihre Realität bewiesen zu haben." Ebenso S. 406:
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Eine Ethik
Diese durch die Schaltstelle der Idee der praktischen Vernunft hindurchgegangene Begründung einer sich als moralische Gesinnung äußernden Vernunftreligion bestimmt gleichfalls den Versuch Hegels, „sich Gott zu nähern". 38 Denn auch Hegel wählt den bemerklich gemachten ,Umweg' Kants über die praktischen Postulate der Moralphilosophie. Jenseits der empirischen „Welt der Erscheinungen" wird die auf Freiheit errichtete intelligible Welt allgemein verpflichtender Gesetzmäßigkeit angesiedelt, um so dem fremdbestimmten Begehrungsvermögen des phaenomenalen Menschen seine Grenzen an dem intelligiblen Reich freier, selbstgesetzgebender Intelligenzen zu setzen. Genau diese moralphilosophisch begründete Vernunftreligion meint aber auch der Verfasser des Systemprogramms, wenn er die absolute „Freiheit aller Geister" fordert, die eben einzig und allein unter Berufung auf das praktische Postulat der Freiheit die „intellektuelle Welt in sich tragen". 39 Für den Autor der Handschrift, insofern er der uneingeschränkte Parteigänger der zuvor entwickelten praktischen Postulatenlehre Kantischen Musters ist, bedeutet es nämlich eine Selbstverständlichkeit, als die „erste Idee" diejenige „Vorstellung von mir selbst" zu proklamieren, in der ich mich als ein „absolut freies Wesen" beweise. Mit dieser moralisch autonomen Gesetzgebung einer freien Intelligenz „tritt zugleich" an Stelle der empirisch fremdbestimmenden Erscheinungswelt „eine ganze Welt aus dem Nichts (ex nihilo, F.-P.H.) hervor", und zwar aus dem „Nichts" deswegen, weil sie das Werk oder die Schöpfung eben jener autonomen, selbstgesetzgebenden Vernunft ist, der nichts Sinnliches mehr gegenübersteht, von dem her sie, als von einem Etwas, determiniert wäre.40 Es ist
38 39 40
„Nach bloss theoretischen Prinzipien des Vernunftgebrauchs (worauf die Physikotheologie sich allein gründet) kann also niemals der Begriff einer Gottheit, der für unsere teleologische Beurtheilung der Natur zureichte, herausgebracht werden." Ebenso §88, 429 ff., spez. 434: „Die Wirklichkeit eines höchsten moralisch-gesetzgebenden Urhebers ist also bloss für den praktischen Gebrauch unserer Vernunft hinreichend dargethan, ohne in Ansehung des Daseins desselben etwas theoretisch zu bestimmen." Vgl. Briefe, a . a . O . S.29. Vgl. Systemprogramm, a. a. O. S. 220. Vgl. entsprechend auch Nohl, a . a . O . S.374, den Anfang des achten Entwurfs, überschrieben „Moralität, Liebe, Religion", wo es heißt: „Die praktische Tätigkeit handelt frei, ohne Vereinigung eines Entgegengesetzen, ohne durch dieses bestimmt zu werden - sie bringt nicht Einheit in ein gegebenes Mannigfaltiges, sondern ist die Einheit selbst - die sich nur rettet gegen das mannigfaltige Entgegengesetzte, das in Rücksicht auf das praktische Vermögen immer unverbunden bleibt, die praktische Einheit wird dadurch behauptet, daß das Entgegengesetzte ganz aufgehoben wird." - Dagegen: „Die theoretische Einheit ist leer bedeutungslos ohne ein Mannigfaltiges, nur in Beziehung auf dieses denkbar." Ebda. (Anm.). Vgl. ebenso a . a . O . 154, 375.
Die Rezeption von K a n t s praktischem Postulat
363
diejenige Welt, die Kant auf der Grundlage der praktischen Idee der Freiheit als die intelligible Welt allgemein verpflichtender Gesetzmäßigkeit bestimmt hatte, und die der Verfasser an späterer Stelle ganz genauso in der ,absoluten Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen', wiederfinden wird. 41 Und indem sie die von jeglichen empirisch-zufälligen Bindungen befreite „intellektuelle"- bzw. „intelligible" „Welt" in sich tragen, die „zugleich
(Herv. v. Verf., F.-P. H . ) " mit ihnen hervorgetreten
ist - und n i c h t per actio in distans - qualifizieren sich diese autonomen „Geister", respektive das „absolut freie Wesen" zu jener einzig möglichen Form einer ,creatio ex nihilo' 42 , zu jener ,einzig wahren und gedenkbaren Schöpfung
aus Nichts',
deren unmittelbares Resultat eine moralische Welt
ist. In dieser noumenalen Welt werden sie als vollständig autonome moralische Wesen zu der praktischen Gewißheit geführt, daß sie „weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich" suchen dürfen, insofern sie nämlich selbst die Repräsentanten dieser intellektuellen Welt sind, die von jeder sei's empirischen, sei's transzendenten Fremdbestimmung befreit ist. 43 Sie tragen
41
Vgl. Systemprogramm, a. a. O. S. 220. Vgl. entsprechend auch I. Kant, KrU, a. a. O. S. 467f.; dort heißt es: „Es bleibt hierbei immer sehr merkwürdig, dass unter den drei reinen Vernunftideen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, die der Freiheit der einzige Begriff des Uebersinnlichen ist, welcher seine objektive Realität (vermittelst der Kausalität, die in ihm gedacht wird) an der Natur, durch ihre in derselben mögliche Wirkung, beweist, und eben dadurch die Verknüpfung der beiden anderen mit der Natur, aller drei aber unter einander zu einer Religion möglich macht; und dass wir also in uns ein Prinzip haben, welches die Idee des Uebersinnlichen in uns, dadurch aber auch die desselben ausser uns, zu einer, obgleich nur in praktischer Absicht möglichen Erkenntniss zu bestimmen vermögend ist, woran die bloss spekulative Philosophie (die auch von der Freiheit einen bloss negativen Begriff geben konnte) verzweifeln musste; mithin der Freiheitsbegriff (als Grundbegriff aller unbedingt-praktischen Gesetze) die Vernunft über diejenigen Grenzen erweitern kann, innerhalb deren jeder Naturbegriff (theoretischer) ohne Hoffnung eingeschränkt bleiben müsste."
42
Vgl. dagegen Hegels Polemik gegen die creatio ex nihilo des Wunderglaubens, der gerade dieses unmittelbar Heterogene zusammenzwingen will, in Nohl, a. a. O. S. 338, Anm., wo es wörtlich heißt: „Durch die Erniedrigung des Göttlichen zu einer Ursache ist der Mensch nicht zu ihm emporgehoben; ein Wunder ist eine wahre creatio ex nihilo und kein Gedanke paßt so wenig zum Göttlichen, als dieser; denn es ist die Vernichtung oder die Erschaffung einer ganz fremden Kraft; die wahre actio in distans; ..." Vgl. hierzu auch Nohl, a . a . O . S.361 f., Anhang, Nr.3 (1795): „Praktische Vernunft bringt selbsttätig ein Gesetz hervor, welches als Form des obern Begehrungsvermögens als eine Tatsache erscheint. . . . Vorstellung in praktischer Bedeutung unmittelbare Bestimmung des in der Vorstellung enthaltenen Ichs durch das absolute Ich (und Aufhebung des in der Vorstellung enthaltenen Nicht-Ichs, insofern es in derselben unter der Form des Bestimmens vorhanden ist - ) . . . " Vgl. ebenso, a. a. O. 127, 238; es heißt: „In dieser Rücksicht heißt Glauben, Mangel des Bewußtseins, daß die Vernunft absolut, in sich selbst vollendet ist daß ihre unendliche Idee nur von sich selbst rein von fremder Beimischung geschaffen
43
Eine Ethik
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als moralisch autonome Wesen die moralische Welt gleichursprünglich in sich selbst. 44 Nur dadurch, daß sie als praktische Intelligenzen in das Reich der autonomen Freiheit eingetreten sind, bzw. mittels ihrer absoluten moralischen Autonomie diese intelligible Welt der Freiheit überhaupt erst begründet haben, haben sie sich auch gleichzeitig damit in den Stand versetzt, die praktischen Ideen der Vernunftreligion in demjenigen Glauben an Gott zu realisieren, der weder dieses höchste Wesen, „noch Unsterblichkeit außer sich suchen" darf. „Der Zweck und das Wesen aller wahren Religion und auch unserer Religion" kann folglich nur die „Moralität der Menschen" sein. 45 Nur mittels der praktischen Vernunftidee der Freiheit, wie sie sich in
44
45
werden muß, daß diese nur durch Entfernung eben dieses sich aufdringenden Fremden nicht durch eine Anbildung desselben vollendet werden kann - D e r auf diese Art bedingte Endzweck der Vernunft gibt den moralischen Glauben an das Dasein Gottes, . . . " Vgl. entsprechend Nohl, a. a. O . S. 171: „; der Glauben an Tugend stützt sich auf das Gefühl ihrer Notwendigkeit, auf das Gefühl, daß sie eins ist mit dem eigensten Selbst; . . . " Ebenso auch 212: „Die einzig moralische Triebfeder, Achtung für das Sittengesetz, kann nur in demjenigen Subjekt bewirkt werden, in welchem dieses Gesetz gesetzgebend ist, aus dessen Innern es selbst hervorgeht; . . . " Vgl. auch I . K a n t , KrpV, a . a . O . 132, speziell aber folgenden Passus der Seite 105f.: „Der einzige Begriff der Freiheit verstattet es, daß wir nicht außer uns hinausgehen dürfen, um das Unbedingte und Intelligibele zu dem Bedingten und Sinnlichen zu finden. Denn es ist unsere Vernunft selber, die sich durchs höchste und unbedingte praktische Gesetz und das Wesen, das sich dieses Gesetzes bewußt ist (unsere eigene Person), als zur reinen Verstandeswelt gehörig und zwar sogar mit Bestimmung der Art, wie es als ein solches tätig sein könne, erkennt. So läßt sich begreifen, warum in dem ganzen Vernunftvermögen nur das Praktische dasjenige sein könne, welches uns über die Sinnenwelt hinaushilft und Erkenntnisse von einer übersinnlichen Ordnung und Verknüpfung verschaffe, die aber ebendarum freilich nur so weit, als es gerade für die reine praktische Absicht nötig ist, ausgedehnt werden können." Zitiert nach Nohl, a . a . O . S. 153. Vgl. entsprechend auch I . K a n t , R G V , a . a . O . S . 2 5 5 f . Dort heißt es wörtlich unter der Überschrift „Vom Afterdienst Gottes in einer statutarischen Religion": „Die wahre alleinige Religion enthält nichts als Gesetze, d.i. solche praktische Prinzipien, deren unbedingter Notwendigkeit wir uns bewußt werden können, die wir also als durch reine Vernunft (nicht empirisch) offenbart anerkennen. N u r zum Behuf einer Kirche, deren es verschiedene gleich gute Formen geben kann, kann es Statuten, d. i. für göttlich gehaltene Verordnungen geben, die für unsere reine moralische Beurteilung willkürlich und zufällig sind. Diesen statutarischen Glauben nun (der allenfalls auf ein Volk eingeschränkt ist und nicht die allgemeine Weltreligion enthalten kann) für wesentlich zum Dienste Gottes überhaupt zu halten und ihn zur obersten Bedingung des göttlichen Wohlgefallens am Menschen zu machen, ist ein Religionswahn, („welches nicht zu vermeiden ist, solange wir die Religion nicht in uns, sondern außer uns suchen" (Herv. v. Verf., F.P. H.), vgl. die fast wörtliche Formulierung im Systemprogramm, a. a. O . 220), dessen Befolgung ein Afterdienst, d. i. eine solche vermeintliche Verehrung Gottes ist, wodurch dem wahren, von ihm selbst geforderten Dienste gerade entgegengehandelt wird." Auch auf die Gefahr der Langatmigkeit hin wollen wir dem Leser noch die den „Religionswahn"
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der intelligiblen Welt ausdrückt, kann der Weg zur moralisch fundierten Vernunft- bzw. Tugendreligion gefunden werden. 46 Dies ist die „neue
betreffende Anmerkung derselben Seiten vollständig zitieren, weil sie mehrere exzellente Definitionen des „Wahns" enthält, und weil sie darüber hinaus Kants brillanten Sprachstil an einem außerordentlichen Beispiel illustriert. Kant schreibt: „Wahn ist die Täuschung, die bloße Vorstellung einer Sache mit der Sache selbst für gleichgeltend zu halten. So ist es bei einem kargen Reichen der geizende Wahn, daß er die Vorstellung, sich einmal, wenn er wollte, seiner Reichtümer bedienen zu können, für genügsamen Ersatz dafür hält, daß er sich ihrer niemals bedient. Der Ehrenwahn setzt in anderer Hochpreisung, welche im Grunde nur die äußere Vorstellung ihrer (innerlich vielleicht gar nicht gehegten) Achtung ist, den Wert, den er bloß der letzteren beilegen sollte; zu diesem gehört also auch die Titelund Ordenssucht; weil diese nur äußere Vorstellungen eines Vorzuges vor anderen sind. Selbst der Wahnsinn hat daher diesen Namen, weil er eine bloße Vorstellung (der Einbildungskraft) für die Gegenwart der Sache selbst zu nehmen und ebenso zu würdigen gewohnt ist. - Nun ist das Bewußtsein des Besitzes eines Mittels zu irgend einem Zweck (ehe man sich jenes bedient hat), der Besitz des letzteren bloß in der Vorstellung; mithin sich mit dem ersteren zu begnügen, gleich als ob es statt des Besitzes des letzteren gelten könne, ein praktischer Wahn; als von dem hier allein die Rede ist." Vgl. entsprechend auch den 33.Aphorismus Hegels aus der Jenenser Periode bei Karl Rosenkranz, G . W . F . Hegels Leben, Darmstadt 1972, S.543: „Notwendigkeit, ein System der Philosophie ganz zu studieren. Das Princip enthält Alles eingehüllt, aber auch nur eingehüllt, latent, den leeren formalen Begriff, nicht die Sache selbst. Wie ein Geiziger im Beutel alle Genüsse als Möglichkeiten behält und sich die Wirklichkeit, die Beschwerlichkeit des Genusses selbst, erspart." Vgl. zur Bestimmung des „Wahns" endlich auch I. Kant, KrU, a. a. O. § 89, S. 439 ff., wo unter der Uberschrift „Von dem Nutzen des moralischen Arguments" gleich anschließend zu lesen steht: „Die Einschränkung der Vernunft in Ansehung aller unserer Ideen vom Uebersinnlichen auf die Bedingungen ihres praktischen Gebrauchs hat, was die Idee von Gott betrifft, den unverkennbaren Nutzen: dass sie verhütet, dass Theologie sich nicht in Theosophie (in vernunftverwirrende überschwängliche Begriffe) versteige, oder zur Dämonologie (einer anthropomorphistischen Vorstellungsart des höchsten Wesens) herabsinke; dass Religion nicht in Theurgie (ein schwärmerischer Wahn, von anderen übersinnlichen Wesen Gefühl und auf sie wiederum Einfluss haben zu können) oder in Idololatrie (ein abergläubischer Wahn, dem höchsten Wesen sich durch andere Mittel als durch eine moralische Gesinnung wohlgefällig machen zu können) gerathe.)" Die hierauf gemünzte Fußnote kommentiert wie folgt: „Abgötterei in praktischem Verstände ist noch immer diejenige Religion, welche sich das höchste Wesen mit Eigenschaften denkt, nach denen noch etwas Anderes als Moralität die für sich taugliche Bedingung sein könne, seinem Willen in dem, was der Mensch zu thun vermag, gemäss zu sein. Denn so rein und frei von sinnlichen Bildern man auch in theoretischer Rücksicht jenen Begriff gefasst haben mag, so ist er in praktischer alsdann dennoch als ein Idol, d. i. der Beschaffenheit seines Willens nach anthropomorphistisch vorgestellt." 46
In „Die Positivität der christlichen Religion" (2.11.1795-29.4.1796), Nohl, a . a . O . S. 161, drückt Hegel sich zu diesem Sachverhalt wie folgt aus: „Ungeachtet Jesus nicht wegen dieser seiner Wunder, sondern wegen seiner Lehre Glauben verlangte, ungeachtet ewige Wahrheiten ihrer Natur nach, wenn sie notwendig und allgemein - gültig sein sollen, auf das Wesen der Vernunft allein, nicht auf für die Vernunft zufällige Erscheinungen der äußeren Sinnenwelt gegründet werden können, so nahm itzt doch die Ueberzeugung von der Verbindlichkeit zur Tugend folgenden Weg - . . . Außerdem, daß dieser Umweg zur
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Religion", die, indem sie die Idee Gottes zu einem praktischen Postulat des moralischen Vernunftgebrauchs umfunktioniert, die Anleitung für „das letzte größte Werk der Menschheit" an die Hand gibt. 47 Dieses „letzte größte Werk der Menschheit" einer moralphilosophischen Religionsstiftung hat Hegel in dem Brief an Schelling Ende Januar 1795 in die Parole zusammengefaßt: „Vernunft und Freiheit bleiben unsre Losung, und unser Vereinigungspunkt die unsichtbare Kirche." 48 Daß Hegel aber diese „unsichtbare Kirche" als ein an der Tugendlehre orientiertes Reich der moralischen Selbstgesetzgebung verstanden wissen wollte, geht noch deutlicher und ganz unmittelbar aus seiner Schrift über „Die Positivität der christlichen Religion" hervor. In direkten Gegensatz nämlich zum gegenaufklärerischen statutarischen System der positiv religiösen Sekten, deren ganze Pflichtenskala sich in der Abhängigkeit von einer über
Moralität über W u n d e r u n d Autorität einer Person, und dann noch manche Stationen, an denen m a n sich aufzuhalten hat, - den Fehler jedes U m w e g s hat, daß er das Ziel entfernter macht, als es wirklich ist, u n d den W a n d e r e r leicht veranlassen kann, in seinen Beugungen u n d zerstreuenden Stationen den Weg gar aus den Augen zu verlieren, so tut er der W ü r d e der Moralität A b b r u c h , die selbständig jedes andere F u n d a m e n t verschmäht, sich selbst genug n u r auf sich gegründet sein will." Vgl. ebenso a . a . O . 176. Vgl. entsprechend auch I . K a n t , K r U , a . a . O . §89, S.441 f.; d o r t heißt es, in A b w e h r der theoretischen Erkenntnis Gottes, die - umgekehrt - die Moral in den Dienst der Religion nimmt, wie folgt: „ - Was aber Religion betrifft, d. i. die Moral in Beziehung auf G o t t als Gesetzgeber, so muss, w e n n die theoretische Erkenntniss desselben vorhergehen müsste, die Moral sich nach der Theologie richten, u n d nicht allein statt einer inneren nothwendigen Gesetzgebung der V e r n u n f t eine äussere willkürliche eines obersten Wesens eingeführt, sondern auch in dieser alles, was unsere Einsicht in die N a t u r desselben Mangelhaftes hat, sich auf die sittliche Vorschrift erstrecken, und so die Religion unmoralisch machen u n d verkehren." Vgl. ebenso a . a . O . 482: „ - Es ist also w o h l eine Ethikotheologie möglich; denn die Moral kann zwar mit ihrer Regel, aber nicht mit der Endabsicht, welche ebendieselbe auferlegt, o h n e Theologie bestehen, o h n e die V e r n u n f t in A n s e h u n g der letzteren im Blossen zu lassen. Aber eine theologische Ethik (der reinen V e r n u n f t ) ist unmöglich; weil Gesetze, die nicht die V e r n u n f t ursprünglich selbst giebt, und deren Befolgung sie als reines praktisches Vermögen auch bewirkt, nicht moralisch sein k ö n n e n . " 47 48
Vgl. Systemprogramm, a . a . O . S.221. Vgl. Briefe, a . a . O . S. 18. Vgl. zu dieser W e n d u n g auch I . K a n t , R G V , a . a . O . S.271: „Diejenige allein, die ihn (,ihren Gottesdienst', F.-P. H . ) lediglich in der G e s i n n u n g eines guten Lebenswandels zu finden gemeint sind, unterscheiden sich von jenen (deren Glauben ein ,Glauben gewisser statutarischer Sätze oder Begehen gewisser willkürlicher O b s e r v a n zen' ist, F.-P. H . ) durch den Uberschritt zu einem ganz anderen und über das erste weit erhabenen Prinzip, demjenigen nämlich, w o d u r c h sie sich zu einer (unsichtbaren) Kirche bekennen, die alle W o h l d e n k e n d e n in sich befaßt und ihrer wesentlichen Beschaffenheit nach allein die wahre allgemeine sein kann." Ebenso a . a . O . S. 142, 179ff., 197f., 205f., 227 f., 237 f.
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jeden Vernunftgebrauch erhabenen Autorität manifestiert 49 , stellt er die philosophischen Sekten, die er dann wie folgt, immer mit Blick auf die religiöse Sekte, charakterisiert: „Auch hierdurch unterscheidet sich eine positive Sekte von einer philsophischen; durch die Anerkennung und Ueberzeugung von den Lehrsätzen eines philosophischen Systems, oder im Praktischen, durch Tugend wird in jenem Fall ein Mann Anhänger einer philosophischen Sekte, oder in diesem Bürger des Reichs der Moralität, der unsichtbaren Kirche, ohne dadurch andere Pflichten auf sich zu nehmen, als die er sich selbst auferlegt, einer solchen Gesellschaft Rechte über sich zu geben, als die er selbst einräumt: die Pflicht rechtschaffen zu handeln, das Recht, dies an ihn zu fordern; durch den Eintritt in die Gesellschaft der positiven christlichen Sekte hingegen übernahm er die Pflicht des Gehorsams gegen ihre Statuten, nicht weil er selbst etwas für pflichtmäßig, für gut und nützlich hielt, sondern ,er hatte' die Beurteilung hierüber der Gesellschaft zu überlassen, und auf anderer Gebot und Einsicht hin etwas als Pflicht anzuerkennen; . . . " 5 0 Die „unsichtbare Kirche" ist das substantivische Losungswort für denjenigen Geist der Tugendlehre, der aus Achtung für die Pflicht handelt, weil sie Pflicht ist, und weil sie sich nur auf dieser von jeder Fremdbestimmung losgelösten autonomen moralphilosophischen
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Vgl. hierzu ausführlich: „Die Positivität der christlichen Religion", N o h l , a . a . O . S . 2 0 6 f . : Bei allen diesen Regeln der Moral und der Klugheit ist a priori verfahren worden, d. h. ein toter Buchstabe ist zum Grunde gelegt, und auf ihm ein System aufgeführt worden, wie der Mensch handeln, empfinden, was diese und jene sogenannten Wahrheiten für Bewegungen hervorbringen sollen - dem Gedächtnis ist über alle, selbst die edelsten Kräfte der Seele die gesetzgebende Gewalt eingeräumt worden. In wen nicht diese Fäden des Systems von Jugend eingewoben worden sind, und wer sonst durch Erfahrung an andern und eigne Empfindung die menschliche Natur kennen gelernt hat, und nun mit dem System bekannt wird, und darin leben soll der befindet sich in einer bezauberten Welt; . . . - und wenn er sich vor G o t t und den Menschen als einen armen Sünder und verdorbenen Menschen niederwirft, so ist bei der angebornen Verderbnis unsrer Natur ein solcher Fehler nicht der Mühe wert, sich vor G o t t , sich selbst und andern desselben schuldig zu erkennen, auch ohne dies sind wir ja nichts nütze, und ein T r o s t dabei ist, daß wir dies mit allen andern Menschen ohnedem gemein haben, in Vergleichung mit welchen dann jeder noch voraus zu haben glaubt - W e n n dann ein Mensch den ganzen von der Kirche vorgeschriebenen Gang von Erkenntnissen, Empfindungen und Gemütszuständen durchgeloffen (sie) ist, und es doch nicht weiter gebracht hat als ein andrer, der alles dieses Apparats entbehrte, wie so manche Tugendhafte unter den sogenannten blinden Heiden, und es zwar in Aengstlichkeit und Vorsicht, Unterwerfung und Gehorsam sehr weit gekommen, dagegen in M u t , Entschlossenheit, Kraft und andern Tugenden, wodurch man allein fähig wird, das Beste der Einzelnen und des Staates zu befördern, dahintengeblieben ist oder gar leer ausgegangen ist - was hat dann das Menschengeschlecht durch das mühsame Regelsystem der Kirche gewonnen?"
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A. a. O . S. 177; vgl. entsprechend auch 205, 211 f.
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Grundlage auch zum göttlichen Gebot der „unsichtbaren Kirche" bzw. einer „neuen Religion" qualifiziert, die „das letzte größte Werk der Menschheit sein" wird. 51 U n d gemessen an diesem aufgeklärten Gebrauch des Vernunftvermögens „wird einem bange um die Brust", wenn man sich in die Lage der völligen Unterwerfung und des blinden Gehorsams unter fremde Gebote, Satzungen, Statute hineinversetzt, wenn man bedenkt, daß „das Ideal von Vollkommenheit, das die christliche Sekte in ihren Mitgliedern zu realisieren suchte . . . durch Ertötung aller Freiheit des Willens und der Vernunft, (der theoretischen und praktischen Vernunft)" vonstatten gegangen ist. 52 . „Noch trauriger wird die Aussicht, wenn man denkt, was bei einer solchen Pedanterei herauskommen konnte, und am kläglichsten ist der Anblick, wenn man wirklich in der Geschichte nachsieht, welche elende Form von Bildung dadurch, daß jeder für sein Individuum und für seine Nachkommen allem Recht, selbst zu beurteilen, was in den wichtigsten Gegenständen unseres Wissens und Glaubens und in allen andern Dingen wahr sei, was gut und recht sei, entsagte, das Menschengeschlecht angenommen hat - .. ." 53 An den Helden, „an denen die Kirche ihr Ideal realisiert gefunden hat", läßt es sich beurteilen, „wo das, was wirklich fromme Menschen mit Tagdieben, Tollhäuslern und Schurken gemeinschaftlich haben können, in einen Begriff vereinigt, die Heiligkeit des Willens gibt, wie ihn die christliche Kirche von ihren Idealen forderte." 5 4 Mit eben diesem aufklärerischen Gestus der autonomen Gesetzgebung der praktischen Vernunft wendet sich der Verfasser des Programms implizit gegen jegliche Esoterik in der Philosophie, die es unternimmt, „die Idee Gottes als des absoluten Ichs" mit den Mitteln des theoretischen Vernunftgebrauchs ableiten bzw. beweisen zu wollen. Der moralische Beweis ist einzig noch offen und folglich fällt auch an dieser Stelle, an der die Stiftung einer neuen Religion in Frage steht, „die ganze Metaphysik künftig in die Moral". Eine erläuternde Erörterung genau dieser Gedankengänge findet sich in dem Brief Hegels vom 16. April 1795 an Schelling, nur daß hier die im Systemprogramm nur unterschwellig anklingende Esoterik explizit erwähnt wird. „Immer", so sagt Hegel, „wird freilich eine esoterische Philosophie bleiben", die deswegen esoterisch ist, weil sie „die Idee Gottes als des
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Systemprogramm, a . a . O . S.221. Nohl, a . a . O . S.177f.; vgl. ebenso 205ff., 209ff. » A . a . O . S. 177. 54 A . a . O . S. 178. 52
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absoluten Ichs" aus theoretischer Vernunft beweisen will. 55 Nicht also die Kantische Philosophie und deren höchste - praktische - Vollendung bleibt der Esoterik verhaftet, sondern gerade mittels derselben soll das dogmatische Beweisverfahren aus den Angeln gehoben werden, das, in Gestalt des Priestertums, „neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst." 56 - Hegel dagegen befreite sich gerade durch das erneute „Studium der Postulate der praktischen Vernunft" von der Untertanenmentalität, so daß wir umgekehrt, „wenn nach Jahrhunderten die Menschheit wieder Ideen fähig wird, . . . , das Schöne der menschlichen Natur, was wir selbst in das fremde Individuum hineinlegten, indem wir von ihr nur alles Ekelhafte, dessen sie fähig ist, zurückbehielten, - wieder als unser eigenes Werk freudig erkennen, es uns wieder aneignen, und dadurch Selbstachtung für uns empfinden lernen, da wir vorher nur uns eigen glaubten, was nur Gegenstand der Verachtung sein kann - .. ," 57 Eben dieser Geist selbsttätiger Befreiung von einer jahrhundertelangen Unterdrückung spricht sowohl aus dem namhaft gemachten Brief, als
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Briefe, a . a . O . S . 2 3 f . Systemprogramm, a. a. O. S. 220. Vgl. Nohl, a . a . O . S. 71; ebenso 206 f. S.208 heißt es so prägnant wie bündig: „ - Nichts hat der Mönchsasketik und Kasuistik so sehr geschadet als die größere Ausbildung des moralischen Sinnes unter den Menschen und die bessere Kenntnis der Natur der menschlichen Seele." Ausführlicher derselbe Gedanke S.211: „Der Grundfehler, der bei dem ganzen System einer Kirche zum Grunde liegt, ist die Verkennung der Rechte einer jeden Fähigkeit des menschlichen Geistes, besonders der ersten unter ihnen, der Vernunft; und wenn diese durch das System der Kirche verkannt worden ist, so kann das System der Kirche nichts anders als ein System der Verachtung der Menschen sein. Die heilsame Trennung des Gebiets der Kräfte des menschlichen Geistes, die Kant für die Wissenschaft gemacht hat, diese Trennung ist von der Gesetzgebung der Kirche nicht gemacht worden, und Jahrhunderte werden noch vergehen, bis der Geist der Europäer im tätigen Leben, in den Gesetzgebungen, jenen Unterschied wird erkennen und machen lernen, worauf das richtige Gefühl der Griechen sie von selbst gebracht hatte. Die moralischen Gebote der Vernunft werden nämlich ( . . . ) ,in der Religion der Griechen' sowie in jeder, deren Prinzip reine Moral ist, ( . . . ) ,nicht' wie Regeln des Verstandes behandelt, und aufgestellt, jene sind subjektiv, diese objektiv; von der christlichen Kirche hingegen wird das Subjektive der Vernunft wie etwas Objektives als Regel aufgestellt." Vgl. ebenso auch I.Kant, RGV, a . a . O . S . 2 8 4 f f . : „Dieser Mut, auf eigenen Füßen zu stehen, wird nun selbst durch die darauf folgende Versöhnungslehre gestärkt, indem sie, was nicht zu ändern ist, als abgetan vorstellt und nun den Pfad zu einem neuen Lebenswandel für uns eröffnet, anstatt daß, wenn diese Lehre den Anfang macht, die leere Bestrebung, das Geschehene ungeschehen zu machen (die Expiation), die Furcht wegen der Zueignung derselben, die Vorstellung unseres gänzlichen Unvermögens zum Guten und die Ängstlichkeit wegen des Rückfalls ins Böse dem Menschen den Mut benehmen und ihn in einen ächzenden moralisch-passiven Zustand, der nichts Großes und Gutes unternimmt, sondern alles vom Wünschen erwartet, versetzen muß."
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auch aus den aus der Idee der Freiheit gezogenen Schlußfolgerungen des Systemprogramms. Ein Parallelvergleich soll diesen Sachverhalt veranschaulichen: In dem Brief verfolgt Hegel die Konsequenzen, die sich aus der Postulatenlehre Kants, aus der allgemeinen Bearbeitung der praktischen Prinzipien und aus ihrer praktischen Anwendung auf alles bisherige Wissen ergeben. „Manche Herren", so meint er, „werden durch diese Konsequenzen . . . in Erstaunen gesetzt werden." 5 8 Gerade das Freiheitspostulat wird es sein, das als der Gipfelpunkt aller Philosophie den Menschen als Selbstzweck in eine Höhe emporhebt, dessen Resultat ein „Schwindeln" sein wird. Denn erst jetzt ist man dazu gekommen, „die Würde des Menschen höher anzuschlagen, sein Vermögen der Freiheit anzuerkennen, das ihn in die gleiche Ordnung aller Geister setzt." Im Systemprogramm wird, wie schon gesehen, gleichfalls von der Idee der Freiheit, als dem „System . . . aller praktischen Postulate" ausgegangen. Verglichen mit seiner Wichtigkeit, so resümiert der Verfasser, sind „alle die Ideen, vom ewigen Frieden usw. 5 9 nur untergeordnete Ideen einer höhern Idee", was nach dem zuvor Festgestellten nur besagen kann, daß an der Spitze all dieser Ideen eben jenes Postulat selbstgesetzgebender Freiheit stehen muß. Und wenn Hegel in dem Brief an Schelling diesen Gedanken dahingehend zusammenfaßte, daß die Würde des Menschen dadurch höher veranschlagt worden sei, daß sein „Vermögen der Freiheit" anerkannt wurde, „das ihn in die gleiche Ordnung aller Geister" gesetzt habe, dann heißt es im Systemprogramm in zum Teil wörtlicher Wiederholung: „Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen « In seinem Brief wendet sich Hegel darüber hinaus der zeitgeschichtlichen Beschreibung zu, und es kristallisiert sich dadurch die Einsicht in die von den französischen Revolutionsereignissen beeinflußte politische Dimension seiner Freiheitsidee heraus: „Kein besseres Zeichen der Zeit als dieses", so seine Mitteilung an Schelling, „daß die Menschheit an sich selbst so achtungswert dargestellt wird". Dieser von der Idee der Freiheit getra-
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Briefe, a. a. O . S. 24. Zum Begriff „ewiger Frieden" vgl. I. Kant, Uber den Gemeinspruch: D a s mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793), in: Kleinere Schriften . . . , a. a. O . S. 112. Ebenso auch I. Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786), a. a. O . S. 62 f. Entsprechend die ganze Schrift Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795), a . a . O . S. 115-171. Schließlich auch I . K a n t , R G V , a . a . O . S. 31 ff., 183.
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gene Optimismus zeitigt nämlich über die theoretische Anerkennung des Freiheitsvermögens des Menschen hinaus auch noch realgeschichtliche Konsequenzen. In dieser Achtung für die Idee der Menschheit erblickt Hegel den antizipierten Beweis dafür, „daß der Nimbus um die Häupter der Unterdrücker und Götter der Erde verschwindet." In diesem politischen Geschäft der Aufklärung fällt den Philosophen die Aufgabe der theoretischen Beweisführung zu; die „Völker" aber werden die Würde, die ihnen in der philosophischen Antizipation zugesprochen wurde, „fühlen lernen", und sich an die Aufgabe der praktischen Verwirklichung dieser Idee machen. Sie werden nämlich, so prophezeit Hegel, „ihre in den Staub erniedrigten Rechte nicht fodern (sic., F.-P. H.), sondern selbst wieder annehmen, - sich aneignen." 60 Zu diesem politisch praktischen Veränderungsanliegen stößt aber auch der Autor des Manuskripts durch. Für ihn geht es darum, vor dem Hintergrund der Idee einer moralischen Welt, „den Umsturz alles Afterglaubens 61 , Verfolgung des Priestertums" zu betreiben. Er will, wiederum unter Berufung auf die Idee der Freiheit, „das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung - bis auf die Haut entblößen", und sich dafür einsetzen, daß der den freien Menschen „als mechanisches Räderwerk" behandelnde Staat „aufhört". Und indem er auf diese Weise über den Staat hinaus will, stellt er sich die von der Aufgabe zur
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Briefe, a. a. O . S. 24. Vgl. entsprechend auch Nohl, a. a. O . S. 225; in fast wörtlicher Entsprechung heißt es dort: „Außer früheren Versuchen blieb es unsern Tagen vorzüglich aufbehalten, die Schätze, die an den Himmel verschleudert worden sind, als Eigentum der Menschen, wenigstens in der Theorie, zu vindizieren, aber welches Zeitalter wird die Kraft haben, dieses Recht geltend zu machen, und sich in den Besitz zu setzen?" Vgl. zu dieser Prägung I.Kant, RGV, a . a . O . S.225-314, das ganze 4.Stück, „Vom Dienst und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Prinzips oder von Religion und Pfaffentum", besonders aber 255 ff. Wir bringen hier nur ein paar besonders prägnante Beispiele: 228f. z.B. heißt es: „Im Gegenteil werden die Diener einer Kirche, welche darauf gar nicht Rücksicht nehmen (auf die Errichtung der reinen moralischen Vernunftreligion, F.-P. H.), vielmehr die Maxime der kontinuierlichen Annäherung zu demselben für verdammlich, die Anhänglichkeit aber an den historischen und statutarischen Teil des Kirchenglaubens für allein seligmachend erklären, des Afterdienstes der Kirche oder (dessen, was durch diese vorgestellt wird) des ethischen gemeinen Wesens unter der Herrschaft des guten Prinzips mit Recht beschuldigt werden können. - Unter einem Afterdienst (cultus spurius) wird die Überredung, jemand durch solche Handlungen zu dienen, verstanden, die in der Tat dieses seine Absicht rückgängig machen. Das geschieht aber in einem gemeinen Wesen dadurch, daß, was nur den Wert eines Mittels hat, um dem Willen eines Oberen Genüge zu tun, für dasjenige ausgegeben und an die Stelle dessen gesetzt wird, was uns ihm unmittelbar wohlgefällig mache; wodurch dann die Absicht des letzteren vereitelt wird." Ebenso auch S. 250, 255 ff. u.ö.
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praktischen Veränderung bestimmte Frage: „Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein?"62 Diese aufklärerische Kritik an der despotischen Staatsmaschinerie und an dem vom Priestertum kultivierten „Afterglauben" führt der Briefeschreiber nun weiter ins Detail: „Religion und Politik haben unter einer Decke gespielt, jene hat gelehrt, was der Despotismus wollte, Verachtung des Menschengeschlechts, Unfähigkeit desselben zu irgend einem Guten, durch sich selbst etwas zu sein."63 Statt dessen „der verachtende Blick" und „das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern", wie es im Systemprogramm heißt. Und wenn der Verfasser des Programms die Frage stellte, wie eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein müsse, dann stößt Hegel seinerseits nach beendeter Beschreibung dieser als universell aufgefaßten Unterdrückung unter dem Vorzeichen einer zu vollziehenden Verbreitung der moralischen Ideen gleichfalls zu dieser Schlußfolgerung einer dramatischen Veränderung der Welt durch: „Mit Verbreitung der Ideen, wie etwas sein soll, wird die Indolenz der gesetzten Leute, ewig alles zu nehmen, wie es ist, verschwinden. Diese belebende Kraft der Ideen —... — wird die Gemüter erheben, und sie werden lernen, ihnen aufzuopfern, da gegenwärtig der Geist der Verfassungen mit dem Eigennutz einen Bund gemacht, auf ihn sein Reich gegründet hat. Ich rufe mir immer aus dem Lebensläufer zu: ,Strebt der Sonne entgegen, Freunde, damit das Heil des menschlichen Geschlechtes bald reif werde! Was wollen die hindernden Blätter? Was sie Aeste? - Schlagt euch durch zur Sonne, und ermüdet ihr, auch gut! Desto besser läßt sich schlafen!"64 Ganz ähnlich lauteten die Überlegungen, die Hegel Schelling im Januar desselben Jahres mitgeteilt hatte65, nur daß sie auf die Wendung des Systemprogramms von der geheuchelten Vernunft des Priestertums noch ein besonderes, universitätspolitisches Licht warfen. Von Schelling hatte Hegel erfahren, daß die „Philosophie in Tübingen", einer contradictio in adjecto gleich, einen „theologisch-Kantischen (si diis placet) Gang" angenommen hätte. Mit dieser paradoxen Feststellung trifft Hegel ganz genau den springenden Punkt desjenigen Gedankens des Systemprogramms, daß das Priestertum „neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst." Hinter dieser Kurzformulierung verbirgt sich nämlich die Kritik der orthoSystemprogramm, a.a.O. S.219. " Briefe, a. a. O. S. 24. « A.a.O. S.24f. 62
« V g l . a. a. O . S. 15 ff., Brief N r . 8.
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doxen Offenbarungstheologen, die sich der moralisch fundierten Vernunftreligion Kants bedienen, um ihren dogmatisch behaupteten Lehrsätzen, deren Deduktion ihnen nach wie vor am Herzen liegt, den Schein von kritisch abgesegneter Vernünftigkeit zu vindizieren. Sie mißbrauchen den praktischen Vernunftglauben folglich für eine theoretisch gemeinte Beweisführung, um deren Zerstörung es Kant und - in seiner Nachfolge Hegel nachweislich gegangen ist. „Und die Erscheinung, wie eine positive Religion so sehr Eingang finden konnte, erklärt sie (Sittah, in Lessings „Nathan der Weise", F.-P. H.) dadurch, daß keine Religion wie diese den Bedürfnissen der Menschheit so sehr angemessen sei, indem sie die Probleme der praktischen Vernunft, die diese sich unmöglich selbst lösen könne, z.B. wie Vergebung der Sünden, auch für den Besten der davon nicht frei ist, zu hoffen sei, befriedigend beantwortet habe, wodurch diese seinsollenden Probleme itzt gar zu dem Rang von Postulaten der praktischen Vernunft erhoben werden, und was ehemals auf dem theoretischen Wege versucht worden ist, die Wahrheit der christlichen Religion aus Vernunftgründen zu erweisen, das wird itzt durch eine sogenannte praktische Vernunft erwiesen." 66 Und eben dieser Etikettenschwindel, sich kritischen Rüstzeugs zu bedienen in der nochmaligen, verstärkten Befestigung orthodoxer Glaubensartikel, ist es, den Hegel in dem namhaft gemachten Brief an Schelling, und den der Verfasser des Entwurfs mit kaustischem Witz geißeln. Außerdem kehren in diesem Brief Gedanken wieder, die uns schon aus dem Umkreis des oben durchgeführten Vergleichs bekannt sind. Auch hier weist Hegel darauf hin, daß die unerschütterliche Stellung der Orthodoxie darauf beruhe, daß „ihre Profession mit weltlichen Vorteilen verknüpft in das Ganze eines Staates verwebt" sei. Und nachdem er von der Stärke und entsprechenden Langlebigkeit dieses Interesses, von dessen versteckter Wirksamkeit - das seine Wirkung auch auf „den ganzen, immer zahlreichsten Trupp von gedanken- und höherem Interesse - losen Nachbetern oder Schreibern" nicht verfehlt - gesprochen hat, geht er dazu über, dieser ,Fan-Gemeinde' eine handfeste Abfuhr zu erteilen: „Liest dieser Trupp etwas, das seiner Ueberzeugung (wenn man ihrem Wortkram die Ehre antun will, es so zu nennen) entgegen ist und von dessen Wahrheit sie etwas fühlten, so heißt es: J a , es ist wohl wahr', legt sich dann auf's Ohr, und des Morgens trinkt man seinen Kaffee und schenkt
«• Nohl, a . a . O . S. 156.
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ihn andern ein, als ob nichts geschehen wäre. Ohnedem nehmen sie mit allem vorlieb, was ihnen angeboten wird und was sie im System des Schlendrians erhält." 67 Und schließlich geht Hegel ganz explizit auf jenes Problem des Systemprogramms mit seinem Vernunft heuchelnden Priestertum ein, diesmal freilich mit der ,gehässigen' Spitze versehen, den kritischen ,Spieß', den sich die Theologen dienstbar zu machen gedachten, sich gegen ihr heuchlerisches Anliegen kehren zu lassen. Hegel baut diese beflissene, emsig beweisende Priesterschaft in eine Versuchsanordnung ein, deren Bedingungen sie selbst vorgegeben haben, nur daß freilich die „List der Vernunft" den Gang der Ereignisse in eine Richtung ausschlagen läßt, die ihrem „verhehlten" Interesse geradewegs entgegen ist. Dieser Tragik-Komik schaut Hegel mit der Unbeteiligtheit eines Laboranten, mit „interesselosem Wohlgefallen" zu, selbstverständlich jedoch nicht, ohne zuvor, probehalber, ein akutes Störungsmanöver durchgeführt zu haben. Er sagt: „Aber ich glaube, es wäre interessant, die Theologen, die kritisches Bauzeug zur Befestigung ihres gotischen Tempels herbeischaffen, in ihrem Ameisen-Eifer so viel als möglich zu stören, ihnen alles zu erschweren, sie aus jedem Ausfluchtswinkel herauszupeitschen, bis sie keinen mehr finden und sie ihre Blöße dem Tageslicht ganz zeigen müßten. Unter dem Bauzeug, das sie dem Kantischen Scheiterhaufen entführen, um die Feuersbrunst der Dogmatik zu verhindern, tragen sie aber wohl immer auch brennende Kohlen mit hinein; sie bringen die allgemeine Verbreitung der philosophischen Ideen." 68 Gesetzt den Fall, Hegel ist der Verfasser des Ideenentwurfs, wofür wir bislang, was den ersten, moralphilosophischen Teil eines projektierten Systems aller praktischen Postulate betrifft, einige Indizien gesammelt haben, dann kann er dieses Programm nicht nach dem 30. August 1795 geschrieben haben. Denn in dem auf diesen Tag datierten Brief an Schelling69 spricht Hegel in der Vergangenheitsform davon, daß er in einem Aufsatz damit begonnen habe, bzw. im Begriff gewesen sei, „sich Gott zu nähern", und zwar in Gestalt einer durch die Schaltstelle der praktischen Postulatenlehre Kants hindurchgegangenen Vernunftreligion. Diese durch die Idee der Freiheit säkularisierte Auffassung der Religion liegt aber, wie gesehen, ganz zentral dem ersten Teil des Systemprogramms zugrunde.
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Briefe, a . a . O . S. 16. A . a . O . S. 16f. 9 A . a . O . S . 2 9 f f . , Brief N r . 14.
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Andererseits läßt sich auch der frühest mögliche Abfassungstermin, jedenfalls relativ genau, festlegen. Denn in dem nicht genau datierbaren Brief an Schelling Ende Januar 1795 7 0 teilt Hegel seinem Freund mit, daß er „seit einiger Zeit wieder das Studium der Kantischen Philosophie . . . hervorgenommen" habe, in der Absicht, „seine wichtigen Resultate" - also doch wohl diejenigen seiner praktischen Philosophie - in gleichfalls praktischer Manier „auf manche uns noch gang und gäbe Idee anwenden zu lernen". Hegel wollte die Dogmatik des theoretischen Vernunftgebrauchs mit den Mitteln der praktischen Postulatenlehre kritisch bearbeiten. - Daß Hegel ein solches kritisches Geschäft vorschwebte, geht dann auch aus einer etwas späteren Stelle desselben Briefes hervor, wenn er darauf zu sprechen kommt, daß ihm daran gelegen sei, herauszubekommen, „wieweit wir nach Befestigung des moralischen Glaubens die legitimierte Idee von Gott jetzt rückwärts brauchen, ζ. B. in Erklärung der Zweckbeziehung usw., sie von der Ethikotheologie her jetzt zur Physikotheologie mitnehmen und da jetzt mit ihr walten dürften." 7 1 An oberster Stelle steht auch hier die moralphilosophische Begründung der Vernunftreligion bzw. Ethikotheologie als der einzig möglichen Weise, die Idee von Gott zu legitimieren. Ausgemacht aber ist für Hegel noch nicht die an Fichtes „Kritik aller Offenbarung" (1792, anonym) orientierte Frage danach, ob es rechtens sei, diese Basis der praktischen Vernunftreligion nun auszuweiten, und mittels derselben die anderen Beweisarten Gottes - im Stile der „theologischen Logik" - in ihr zunächst unterlaufenes Recht wieder einzusetzen. Und wenn er diesem Anliegen der Orthodoxie, mit Hilfe kritischen Bauzeugs das dogmatische Beweisverfahren zu rehabilitieren, auch generell ablehnend gegenübersteht, so meint er doch, daß es vielleicht die Mühe' lohnte, „dies näher zu beleuchten". „Sollte ich dazu kommen", so beschließt er seine diesbezüglichen Überlegungen, „meine Meinung breiter zu entwickeln, so werde ich sie Deiner (Schellings, F . - P . H . ) Kritik unterwerfen, aber zum Voraus dabei um Nachsicht flehen." 7 2 Mithin: Projektstimmung hier, Rückblick auf getane Arbeit dort. Und
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° A . a . O . S. 15 ff., Brief N r . 8.
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A . a . O . S. 17.
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Ebda. D a ß es sich bei dieser projektierten Schrift auch um die Fragmente 1 - 5 , Volksreligion und Christentum, handeln könnte ( N o h l , a. a. O . S. 1 - 7 2 ) , ergibt ein Vergleich mit dem vierten Fragment, in dem Hegel darauf hinweist, daß „besonders in neuern Zeiten . . . man immer sehr eifrig bemüht (ist), von jeder dogmatischen Lehre das praktische M o m e n t auszubilden und aufzusuchen - . . . " A . a. O . S. 53.
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wenn man sich daraufhin die Korrespondenz Hegels innerhalb dieses Zeitraums ansieht, dann stellt man fest, daß es der ungefähr in der Mitte zwischen beiden Eckterminen angesiedelte Brief vom 16. April 1795 an Schelling ist 73 , in dem Hegel alle - auch die politischen Konsequenzen - aus der Freiheitsidee zieht, die sich, in teilweise wortwörtlicher Übernahme, auch im Systemprogramm ausweisen lassen. Und auch in der - dramatischen - Tonlage und Stimmführung besteht zwischen diesen beiden Texten kein Unterschied: beide sind von einem revolutionären Freiheitspathos durchdrungen. Danach dann freilich ebbt dieses Pathos ab, die Arbeit ist getan, die Positionen sind geklärt und ein nüchtern prosaischer Rückblick setzt sich durch, bzw. an deren Stelle tritt die Beschäftigung mit der neuesten Publikation Schellings, deren Lektüre die Erinnerung an die frühere Arbeit nochmals wachruft. Außerdem wird das Studium von Fichtes „Grundlage und Grundriß der gesamten Wissenschaftslehre" (Jena 1794) erwähnt, nicht ohne abschließend zu versichern, daß es von seinen Arbeiten „nicht der Mühe wert" sei, zu reden. In seinen Frankfurter Briefen an Nanette Endel aber 74 macht Hegel bemühte Komplimente und nette Konversation, von wissenschaftlicher Arbeit, die ihm eine briefliche Mitteilung wert gewesen wäre, keine Spur. Schließlich aber bricht der Briefverkehr zwischen Hegel und Schelling danach für annähernd vier Jahre ab, da Hegel doch schließlich während des zuvor namhaft gemachten Zeitraums in der Hauptsache mit Schelling all diese dramatischen Fragen erörtert hatte. Es bleibt, so glauben wir uns berechtigt festzustellen, nur ein Schluß übrig: Wenn Hegel der Autor gewesen ist, dann hat er diesen fragmentarisch überlieferten Text im Laufe des April, vielleicht auch schon im März 1795 - spätestens aber im Juli/August desselben Jahres geschrieben. Für den letztgenannten Termin spricht die Tatsache, daß Hegel im Frühjahr 1795 noch nicht die für den Ästhetikteil des Systemprogramms entscheidenden Briefe 20 ff. der Schillerschen Studie „Uber die ästhetische Erziehung des Menschen" kennen konnte. Zu dem erstgenannten Zeitpunkt waren nur die ersten 16 Briefe im 1. und 2. Stück der Hören erschienen, und zwar enthielt die Januarausgabe die ersten neun Briefe, die Februarausgabe die Briefe 10-16. Danach trat eine dreimonatige Pause ein; in den März-, April- und Maiheften 3-5 wurde der im Februar liegengelassene Text zunächst nicht weitergeführt. Erst Ende Juni 1795 wurden die
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Briefe, a. a. O . S. 23 ff., Brief Nr. 11. Vgl. a . a . O . S . 4 9 - 5 8 , Briefe N r . 2 2 - 2 8 .
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letzten elf Briefe des 6. Stücks ausgeliefert, in Tübingen am 2 4 . 6 . '95, in Jena am 2 9 . 6 . Angesichts diesen Tatbestandes muß als eventuelles Entstehungsdatum des Entwurfs auch der Juli bzw. August 1795 erwogen werden. Hier nun gewinnt eine von Schellings Hand stammende Korrektur in dem zentralen Brief Hegels vom 16. April 1795 an Bedeutung. Schelling nämlich datierte diesen Brief um, wenn er ihn am Ende mit folgendem Vermerk versah: „resp. (lies respektive, F.-P. H . ) den 16. Jul." Und dies ist nun genau derjenige Zeitpunkt, den wir für die zweite Variante der Datierung annahmen. Die Publikation des 6. Stücks der Hören war drei Wochen vor diesem Datum erfolgt und Hegel, als Abonnent der Zeitschrift, befand sich folglich Mitte Juli im Besitz derselben. Aber machen wir uns vor dem Hintergrund dieser Zwischenerörterung zur fraglichen Datierung daran, den moralphilosophischen ersten Teil des Programms noch um einige weitere charakteristische Einsichten zu komplettieren. Nachdem der Verfasser die einzig „wahre und gedenkbare" Form der creatio ex nihilo im Rahmen seiner von jeglicher Fremdbestimmung abgezogenen Autonomievorstellung erläutert hat, bei der die intelligible Welt des Sittengesetzes gleichzeitig mit der moralischen Autonomie eines „absolut freien Wesens" hervortritt 7 5 , beschließt er, mit diesem Rüstzeug einer praktischen Philosophie ,auf die Felder der Physik herabzusteigen'. Es soll nicht länger mehr die an der streng kausalen Gesetzmäßigkeit der physikalisch geordneten Erfahrungswelt orientierte vollständige Determination des phaenomenalen Menschen der Richtwert der Theorie sein, sondern dadurch, daß an deren Stelle der noumenale Mensch und mit ihm eine Welt moralischer Autonomie gesetzt wird, lautet die entscheidende Frage nicht mehr: wie muß der Mensch angesichts jener streng physikalisch gedachten kausalen Notwendigkeit der Welt beschaffen sein?, sondern vielmehr umgekehrt: „Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein?" Indem die intelligible Welt der Freiheit der praktischen Vernunft an die erste Stelle jeder künftigen Metaphysikbearbeitung tritt, rückt entsprechend die kausal determinierte Erscheinungswelt der „langsamen an Experimenten mühsam schreitenden Physik" ins zweite Glied, oder wird von der praktischen Postulatenlehre der Moralphilosophie und ihrer Ideen in Pflicht genommen, um so - rückwirkend - der Physik „einmal wieder Flügel" zu geben, d.h. sie über ihr einseitiges Fixiertsein auf die
75
Vgl. entsprechend den laufenden Abschnitt, S. 358 ff.
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Erfahrungswelt hinauszuführen. 76 Im übrigen findet man diese Gegenüberstellung von intelligibler Welt einerseits, phaenomenaler Erscheinungswelt andererseits, auch in dem 4. Fragment der „Volksreligion und Christentum" betitelten Berner Arbeit Hegels. „Um das Gute zu lieben, das Rechte recht zu üben", dürfe man nicht einfach nur „augenblicklichen guten Regungen den Schein der Tugend zu danken haben." Sondern um „aus freier Wahl" die Tugenden „zu lieben", „dazu gehören (eben, F.-P. H.) Grundsätze, ein Uebergewicht unserer Metaphysik über unsere Physik, abstrakter Ideen über das Sinnliche - .. ." 77 Hegel spricht also im Gefolge Kants die Einsicht aus, daß die „oberste Bedingung der Möglichkeit des höchsten Guts . . . nach der Vernunft die Angemessenheit der Gesinnung zum moralischen Gesetz" sei.78 „Die Physik im Großen" aber, die sich der Verfasser „von spätem Zeitaltern" erwartet, soll die „jetzige Physik" ablösen, die „einen schöpferischen Geist, wie der unsrige ist, oder sein soll", nicht „befriedigen" kann. Sie kann es aber darum nicht, weil sie sich, wie oben gezeigt wurde, ausschließlich darauf beschränkt, die Data der Erfahrung in das Korsett streng kausaler Notwendigkeit zu zwängen, wodurch sie ausnahmslos in der Erscheinungswelt festgehalten wird. Die „Physik im Großen" aber kommt nur durch eine Synthese zustande, die so angelegt ist, daß „die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die Data angibt". Auf diese Weise wird positiv ein Doppeltes erreicht: die Erfahrungen werden, indem sie nicht mehr nur der Sinnenwelt verpflichtet sind, sondern sich an den Ideen der Philosophie ausrichten, über das empirische Experiment hinausgehoben, oder kurz: die Sinnlichkeit wird mit Form begabt. Die Ideen der Vernunft dagegen erhalten umgekehrt, indem sie ihr bestimmendes Vermögen dem sinnlich empfangenden Vermögen gegenüber einschränken, einen Inhalt, oder kurz: die Form wird mit der Sinnlichkeit begabt. Von diesem synthetischen Konzept einer wechselseitigen Einflußnahme der Vernunftideen und der Erfahrung aufeinander erwartet sich der Verfasser eine Beschleunigung des Fortschritts der künftigen Physik gemessen an dem langsamen Tempo der gegenwärtigen Naturwissenschaften. 79
76 77 78 79
Vgl. Systemprogramm, a . a . O . S.219. Vgl. Nohl, a. a. O. S. 56. A. a. O . S. 62. Vgl. Systemprogramm, a . a . O . S.219. Vgl. zu diesem wechselseitigen Bedingungsverhältnis ebenso I.Kant, KrU, a . a . O . §66, S.295-298, §68, 307-310, §71, 317f.; dort heißt es: „Für die reflektierende Urtheilskraft ist also das ein ganz richtiger Grundsatz, dass für die so
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Wenn wir uns hier nochmals daran erinnern, daß Hegel in dem Brief vom 16. April 1795 an Schelling die „aesthetische Erziehung des Menschengeschlechts" als ein „Meisterstück" qualifiziert hatte 8 0 , und dann feststellen, daß Schiller im 13. Brief dieses Aufsatzes eine Begründung dafür liefert, „warum unsre Natur-Wissenschaften so langsame Schritte machen", die derjenigen des Systemprogramms sehr ähnlich ist, dann befestigt sich nach allen bisherigen Ausführungen einmal mehr die Ansicht, daß es Hegel gewesen sein muß, der das Programm ungefähr zu diesem Zeitpunkt verfaßte, da ihm die „Briefe" noch in lebhafter Erinnerung waren. - Schiller schreibt: „Eine der vornehmsten Ursachen, warum unsre Natur-Wissenschaften so langsame Schritte machen, ist offenbar der allgemeine und kaum bezwingbare Hang zu teleologischen Urteilen, bei denen sich, sobald sie konstitutiv gebraucht werden, das bestimmende Vermögen dem empfan-
m
offenbare Verknüpfung der Dinge nach Endursachen eine vom Mechanismus unterschiedene Kausalität, nämlich einer nach Zwecken handelnden (verständigen) Weltursache gedacht werden müsse: so übereilt und unerweislich er auch für die bestimmende sein würde. In dem ersteren Falle ist er blosse Maxime der Urtheilskraft, wobei der Begriff jener Kausalität eine blosse Idee ist, der man keineswegs Realität zuzugestehen unternimmt, sondern sie nur zum Leitfaden der Reflexion braucht, die dabei für alle mechanischen Erklärungsgründe immer offen bleibt und sich nicht aus der Sinnenwelt verliert; . . . " Ebenso §78, S. 354 ff., speziell 355 f.; dort heißt es: „Von der anderen Seite ist es eine ebensowohl nothwendige Maxime der Vernunft, das Prinzip der Zwecke an den Produkten der Natur nicht vorbei zu gehen, weil es, wenn es gleich die Entstehungsart derselben uns eben nicht begreiflicher macht, doch ein heuristisches Prinzip ist, den besonderen Gesetzen der Natur nachzuforschen; gesetzt auch, dass man davon keinen Gebrauch machen wollte, um die Natur selbst darnach zu erklären, indem man sie so lange, ob sie gleich absichtliche Zweckeinheit augenscheinlich darlegen, noch immer nur Naturzwecke nennt, d.i. ohne über die Natur hinaus den Grund der Möglichkeit derselben zu suchen. Weil es aber doch am Ende zur Frage wegen der letzteren kommen muss, so ist es ebenso nothwendig, für sie eine besondere Art der Kausalität, die sich nicht in der Natur vorfindet, zu denken, als die Mechanik der Naturursachen die ihrige hat, indem zu der Rezeptivität mehrerer und anderer Formen, als deren die Materie nach der letzteren fähig ist, noch eine Spontaneität einer Ursache (die also nicht Materie sein kann) hinzukommen muss, ohne welche von jenen Formen kein Grund angegeben werden kann. Zwar muss die Vernunft, ehe sie diesen Schritt thut, behutsam verfahren, und nicht jede Technik der Natur, d. i. ein produktives Vermögen derselben, welches Zweckmässigkeit der Gestalt für unsere blosse Apprehension an sich zeigt (wie bei regulären Körpern), für teleologisch zu erklären suchen, sondern immer so lange für bloss mechanisch - möglich ansehen; allein darüber das teleologische Prinzip gar ausschließen und, wo die Zweckmässigkeit für die Vernunftuntersuchung der Möglichkeit der Naturformen durch ihre Ursachen sich ganz unleugbar als Beziehung auf eine andere Art der Kausalität zeigt, doch immer den blossen Mechanismus befolgen wollen, muss die Vernunft ebenso phantastisch und unter Hirngespinsten von Naturvermögen, die sich gar nicht denken lassen, herumschweifend machen, als eine bloss teleologische Erklärungsart, die gar keine Rücksicht auf Naturmechanismus nimmt, sie schwärmerisch machte." Vgl. entsprechend den laufenden Abschnitt, S. 350, und Briefe, a. a. O. S. 25.
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genden unterschiebt. Die Natur mag unsre Organe noch so nachdrücklich und noch so vielfach berühren - alle ihre Mannigfaltigkeit ist verloren für uns, weil wir nichts in ihr suchen, als was wir in sie hineingelegt haben, weil wir ihr nicht erlauben, sich gegen uns herein zu bewegen, sondern vielmehr mit ungeduldig vorgreifender Vernunft gegen sie hinaus streben. Kommt alsdann in Jahrhunderten einer, der sich ihr mit ruhigen, keuschen und offenen Sinnen naht und deswegen auf eine Menge von Erscheinungen stößt, die wir bei unsrer Prävention übersehen haben, so erstaunen wir höchlich darüber, daß so viele Augen bei so hellem Tag nichts bemerkt haben sollen. Dieses voreilige Streben nach Harmonie, ehe man die einzelnen Laute beisammen hat, die sie ausmachen sollen, diese gewalttätige Usurpation der Denkkraft in einem Gebiete, wo sie nicht unbedingt zu gebieten hat, ist der Grund der Unfruchtbarkeit so vieler denkenden Köpfe für das Beste der Wissenschaft, und es ist schwer zu sagen, ob die Sinnlichkeit, welche keine Form annimmt, oder die Vernunft, welche keinen Inhalt abwartet, der Erweiterung unserer Kenntnisse mehr geschadet haben." 81 E i n Indiz für Schellings Autorschaft allerdings gibt es. Schelling hatte in seinem Brief an Hegel vom heiligen Dreikönigsabend 1795 82 seinem Freund gegenüber davon gesprochen, daß er „an einer Ethik ä la Spinoza" arbeite, die die „höchsten Prinzipien aller Philosophie aufstellen" solle, „in denen sich die theoretische und praktische Vernunft vereinigt." 83 Daß sich freilich diese Arbeit an Fichte orientieren sollte, geht aus den sich an diese Stelle unmittelbar anschließenden Zeilen hervor, woraus auf den deduktiven Charakter dieser projektierten Ethik geschlossen werden kann. Nicht allein aber, daß das Systemprogramm nichts von dieser deduktiven Verarbeitung erkennen läßt, so folgt es darüber hinaus n i c h t Fichte, um „den neuen Helden", wie Schelling sich in dem Brief an Hegel ausdrückt, „im Lande der Wahrheit (zu, F.-P. H.) begrüßen", sondern vielmehr und ausdrücklich K a n t , um nach seiner Vorgabe und in seinen Spuren wandelnd
81
E d M , a . a . O . S . 5 2 f . , A n m . D e n Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Herrn D r . Klaus Christian K ö h n k e .
82
Vgl. Briefe, a. a. O . S. 13 ff., Brief N r . 7.
83
A . a . O . S. 15; vgl. ebenso den Anmerkungsapparat zu diesem Brief, a . a . O . 435, A b s . 6 . D o r t wird Schellings Brief an Niethammer vom 2 2 . 1 . 1 7 9 6 auszugsweise zitiert: „ . . . ich bin entschlossen, eine Zeitlang mich größtenteils wenigstens der Philosophie zu widmen; das nächste, was ich unternehme, ist ein System der Ethik (ein Gegenstück zu Spinoza, ein W e r k , dessen Idee mich schon längst begeisterte und das schon begonnen ist), eine Philosophie der Geschichte der Menschheit . . . und eine Auslegung der Kritik der Urteilskraft nach meinen Prinzipien; . . . "
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ein „vollständiges System . . . aller praktischen Postulate" ins Werk zu setzen. Wenn wir uns aber darüber hinaus an eine der zentralen Aussagen Hegels erinnern, nämlich die Idee Gottes zu einem praktischen Postulat des moralischen Vernunftgebrauchs umzufunktionieren, um von dieser Position aus das dogmatische Beweisverfahren der orthodoxen Theologie zu attackieren84, dann entspricht dieser Programmatik unbedingt auch das theologische Interesse desjenigen, der das Systemprogramm zu Papier gebracht hat. Schelling aber spricht Hegel gegenüber ganz unmißverständlich davon, daß er von seinen „theologischen Arbeiten . . . nicht viel Nachricht geben" könne, weil sie ihm „seit einem Jahr beinahe . . . Nebensachen geworden" seien, um an etwas späterer Stelle desselben Briefes dann eine Feststellung zu treffen, die derjenigen des Systemprogramms diametral entgegengesetzt ist. Heißt es in der Handschrift, daß „Kant mit seinen beiden85 praktischen Postulaten nur ein Beispiel gegeben, nichts erschöpft" habe86, dann steht bei Schelling das genaue Gegenteil: „Die Philosophie ist noch nicht am Ende. Kant hat die Resultate gegeben; die Prämissen fehlen noch." 87 Außerdem fällt von hier aus ein sehr bezeichnendes Licht auf die in Arbeit befindliche, jedoch nie fertiggestellte Ethik Schellings. An den ,Prämissen' orientiert, muß sie sich des oben bemerklich gemachten deduktiven Ableitungsverfahrens befleißigen. - Hegel dagegen ging in seiner Kritik Fichtes so weit, daß dieser mit seiner „Kritik aller Offenbarung . . . die alte Manier, in der Dogmatik zu beweisen, wieder eingeführt" habe.88 Deshalb, so meint er, lohne es vielleicht die Mühe, „es näher zu bestimmen, wie weit wir - nach Befestigung des moralischen Glaubens die legitimierte Idee von Gott jetzt rückwärts brauchen" können, um sie
84
Vgl. entsprechend Briefe, a . a . O . S. 17. Ebenso auch Nohl, a . a . O . S.361, den dritten Entwurf des Anhangs (1795), in dem es heißt: „I. Die transzendente Idee von Gott als dem allerrealsten Wesen, wenn auch die spekulative Vernunft fähig wäre, die Realität und Existenz derselben zu beweisen, oder auch nur einen Glauben an dasselbe hervorzubringen, würde doch an sich für uns schlechterdings nicht erkannt, aus sich allein seinen Eigenschaften nach bestimmt werden können, wenn nicht Naturbetrachtung und der Begriff von einem Endzweck der Welt zu Hilfe genommen werden - Da aber der Versuch der spekulativen Vernunft, ihrem Ideal, das so erfüllt es scheint, doch insofern als es allein Interesse für den Menschen, nicht bloß für die Logik hat, leer wäre, Wesenheit und Bestimmung zu verleihen, selbst wenn sie Naturbetrachtung zu Hilfe ruft, fehlschlägt, so kann nur praktische Vernunft einen Glauben an einen Gott gründen (Herv. v. Verf., F.P. H . )
85 86 87 88
-"
Vgl. hierzu die Anm. 6 des laufenden Abschnitts. Vgl. auch Briefe, a. a. O. S. 24. A . a . O . S. 14. A . a . O . S. 17; ebenso für das folgende Zitat.
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nämlich von dem Vernunft ,heuchelnden' Verfahren der dogmatischen Offenbarungstheologie, wie es Fichte protegiert hatte, abzugrenzen. 89 Genau das aber war auch die zentrale Aufgabenstellung des Systemprogramms gewesen. Mit einem Wort: Ist für Schelling zu der fraglichen Zeit Fichte die zentrale Figur, an der er sein Denken orientiert, dann ist dies für Hegel vielmehr der Kant der praktischen Postulatenlehre. An diesem alles entscheidenden Punkt stimmen Hegel und der Autor vollständig miteinander überein. Vor dieser erdrückenden Beweislast, die Hegels Verfasserschaft mehr als nur wahrscheinlich macht, ist es dann auch unerheblich, daß Schelling in dem oben erwähnten Brief an Niethammer vom 22.1.1796 davon spricht, daß er „eine Philosophie der Geschichte der Menschheit" zu schreiben beabsichtige 90 , wofür ja auch Hegel im sogenannten Systemprogramm die Prinzipien niederlegen wollte. Eine wörtliche Ubereinstimmung in der Diktion zwischen Schelling und Hegel - dem Verfasser des , Ε η t w u r f s e i n e s p h i l o s o p h i s c h e n A r b e i t s p l a n e s ' (Glockner) gibt es ζ. B. auch noch in dem Gebrauch der folgenden Wendung: „ . . . man wird bei dieser höchsten Höhe aller Philosophie schwindeln" (Hegel) 91 ; „Fichte wird die Philosophie auf eine Höhe heben, vor der . . . schwindeln werden . . . " (Schelling).92 N u r daß Hegel sich auch hier in Kantischer Nachfolge befindet, wenn er „vom Kantischen System und dessen höchster Vollendung . . . eine Revolution in Deutschland" erwartet 93 , während Schelling einmal mehr zum Verfechter der gegen die Kantianer gerichteten Position Fichtes avanciert.
Hegels
Berner Fragmente: „Volksreligion und Christentum", „Das Leben Jesu". „Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit", Teil I: Kritik an Klerus und Staat Wir wollen in diesem Abschnitt versuchen, Hegels Interessen während seiner Berner Hauslehrerjahre auf eventuell vorhandene Anklänge in Rich-
89
Vgl. auch N o h l , a . a . O . S.361; vgl. auch A n m . 84 des laufenden Abschnitts. Vgl. A n m . 83 des laufenden Abschnitts. 91 Briefe, a . a . O . S.24. 92 A . a . O . S. 15. « A . a . O . S.23. 90
H e g e l s Berner Fragmente: „Volksreligion und Christentum"
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tung Systemprogramm zu untersuchen. Dieser Besprechung liegen die von Herman Nohl erstmals 1907 herausgegebenen sogenannten „theologischen Jugendschriften" Hegels zugrunde. Die von Herman Nohl mit „Volksreligion und Christentum" betitelten Fragmente 1-5 1 , deren Entstehungszeit in die Jahre 1793-1795 fällt, stehen wie das Systemprogramm - ausnahmslos im Zeichen der von sinnlichen Neigungen und Triebfedern vollständig befreiten reinen sittlichen Achtung fürs moralische Gesetz. Jesus oder Sokrates sind die Inkarnationen der moralphilosophisch postulierten Freiheit der Autonomie des praktischen Sittengesetzes2, und tragen als solche die Idee der Tugend und des höchsten Gutes in sich. 3 Sie repräsentieren die dem Fetischglauben entgegengesetzte reine Vernunftreligion, „die Gott im Geist und in der Wahrheit anbetet, und seinen Dienst nur in die Tugend setzt - " , und sich nicht anders, als durch „einen an sich guten Willen beliebt machen zu können glaubt." 4 Unter der Regie dieser Vernunftreligion wird dann die erstarrte, dem Verstand und dem Gedächtnis 5 überlieferte Objektivität bzw. Positivität der „über-
1 2
Vgl. N o h l , a. a. O . S. 1 - 7 2 . Zum Vergleich Jesus-Sokrates vgl. auch N o h l , a. a. O . S. 163. Vgl. entsprechend auch I. Kant, R G V , a . a . O . S. 1 9 0 f f . , 2 3 8 f . , 2 4 2 f f .
3 Vgl. N o h l , a . a . O . S . 3 4 , 5 6 f . , 6 7 f . 4
A . a . O . S. 17. Vgl. ebenso I . K a n t , R G V , a . a . O . S . 2 3 9 ; dort heißt es: „Zuerst will er (der „Stifter ... der ersten wahren Kirche", F . - P . H . ) , daß nicht die Beobachtung äußerer bürgerlicher oder statutarischer Kirchenpflichten, sondern nur die reine moralische H e r zensgesinnung den Menschen G o t t wohlgefällig machen könne ( . . . ) ; " - Dagegen: „Die enge Pforte und der schmale Weg, der zum Leben führt, ist der des guten Lebenswandels, die weite Pforte und der breite Weg, den viele wandeln, ist die Kirche. Nicht als ob es an ihr und ihren Satzungen liege, daß Menschen verloren werden, sondern daß das Gehen in dieselbe und Bekenntnis ihrer Statute oder Celebrierung ihrer Gebräuche für die A r t genommen wird, durch die G o t t eigentlich gedient sein will." S. 2 4 1 , A n m . ; vgl. ebenso auch zur „Religion des guten Lebenswandels" im Gegensatz zu der abergläubischen „Anbetung mit niederhängendem H a u p t e " , I . K a n t , K r U , a . a . O . S. 1 0 8 f . , spez. 109. Vgl. hierzu auch die A n m . 64 des nächstfolgenden Abschnitts.
5
Vgl. zum Begriff „Gedächtnis" auch N o h l , a. a. O . S. 206. Entsprechend Karl Rosenkranz, G . W . F . Hegels Leben, a . a . O . S . 5 1 8 , Fragmente historischer Studien; dort heißt es: „Das Gedächtnis ist der Galgen, an dem die Griechischen G ö t t e r erwürgt hängen. Eine Galerie solcher Gehenkten aufweisen, mit dem Winde des Witzes sie im Kreise herumtreiben, sie einander necken machen und in allerlei Gruppen und Verzerrungen blasen, heißt oft Poesie. Gedächtnis ist das G r a b , der Aufbehälter des T o d t e n . Das T o d t e ruht darin als Todtes. Es wird wie eine Sammlung Steine gewiesen. Das O r d n e n , Durchgehen, Stäuben, alle diese Beschäftigungen haben zwar eine Beziehung auf das T o d t e , aber sind von ihm unabhängig. Aber unverständliche Gebete plappern, Messen lesen, Rosenkränze sprechen, bedeutungsleere gottesdienstliche Ceremonien üben, dies ist das T h u n des Todten. D e r Mensch versucht es, völlig zum O b j e c t zu werden, sich durchaus von einem Fremden regieren zu lassen. Dieser Dienst heißt Andacht. Pharisäer!"
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vernünftigen" 6 christlichen Offenbarungsreligion und die zu einem theologischen Lehrgebäude verfestigte Dogmatik kritisiert, und diese Kritik bezieht sich einmal mehr auf das moralphilosophisch begründete Ideal des höchsten Guts Kantischer Prägung. 7 Auch das vom 9. Mai bis zum 24. Juli 1795 geschriebene Leben Jesu 8 steht unter dem Eindruck des Kantischen moralischen Sittengesetzes. Jesus ist der über jegliche sinnlich affizierte Neigung erhabene Tugendlehrer 9 , der unter Berufung auf den inwendigen ,Richterstuhl der Vernunft' - den auswendigen nimmt die Kirche mit ihren Satzungen ein - das Gebot der Sittlichkeit als Pflicht gegen sich selbst repräsentiert. 10 „Aber was ich, um
' Vgl. Nohl, a. a. O. S. 55. 7 Entsprechend heißt es im vierten Fragment, Nohl, a . a . O . S . 4 8 f . : „Nicht alle Triebe der menschlichen Natur als ,der' der Fortpflanzung usw. haben Moralität zum Zwecke - aber der höchste Zweck des Menschen ist Moral und unter seinen Anlagen diesen zu befördern ist seine Anlage zur Religion eine der vorzüglichsten - Die Erkenntnis Gottes kann ihrer Natur nach nicht tot sein, sie hat in der moralischen Natur des Menschen, im praktischen Bedürfnisse ihren Ursprung und aus ihr entspringt wieder Moral - . . . " - Vgl. auch folgenden Abschnitt der Seite 61: „Wirkung der Religion ist Verstärkung der Triebfedern der Sittlichkeit durch die Idee von Gott als moralischem Gesetzgeber - und Befriedigung der Aufgaben unserer praktischen Vernunft in Ansehung des von ihr uns gesetzten Endzwecks, des höchsten Guts - " Ebenso 62: „Die oberste Bedingung der Möglichkeit des höchsten Guts ist nach der Vernunft die Angemessenheit der Gesinnung zum moralischen Gesetz - " Vgl. auch a. a. O. S. 9, 17f., 44, 50f., 64 ff., 70. Vgl. auch I. Kant, KrpV, a. a. O. S. 109, 129f., 137, 140, 142f., 145. Schließlich auch I.Kant, RGV, a . a . O . S.VIII (Vorrede zur ersten Aufl. von 1793), 147 f., 209 ff. Vgl. Nohl, a . a . O . S. 73-136. Dieser Begriff wird wörtlich (Lehrer der Tugend) a. a. O. S. 104 gebraucht. 10 Vgl. entsprechend Nohl, a . a . O . S. 80 ff., 92, 96, 102, 119. Ebenso auch noch die „Neue Einleitung zur Positivität der christlichen Religion" (24.9.1800), Nohl, a. a. O. S. 139-151, spez. 149, und „Die Positivität der christlichen Religion" (2.11.1795-29.4.1796), a . a . O . 154. Zur Illustrierung bringen w i r hier zwei Zitate, eines aus „Das Leben Jesu", a. a. O. 98, eines aus „Die Positivität der christlichen Religion", a . a . O . 212. ad 1: „Dieses innerliche Gesetz ist ein Gesetz der Freiheit, dem sich, als von ihm selbst gegeben, der Mensch freiwillig unterwirft, es ist ewig, in ihm liegt das Gefühl der Unsterblichkeit - " ad 2: „Was nun der Mensch Gott und sich selbst schuldig sei, dies behauptet die Kirche zu wissen, und setzt zugleich einen Richterstuhl, vor dem sie darüber richtet - Vor diesen hat sie alles, was in den Handlungen und Begebenheiten der Menschen Göttliches sein kann, gezogen, und in ihr Gesetzbuch eingetragen, was die Menschen hierbei empfinden sollen - und auf diese Art einen weitläufigen moralischen Kodex aufgestellt - der teils enthält, was der Mensch tun, teils was er wissen und glauben, teils was er empfinden soll - Auf den Besitz und Handhabung desselben gründet sich die ganze gesetzgebende und richterliche Gewalt der Kirche, und ist es dem Rechte der Vernunft eines jeden Menschen entgegen, daß er einem solchen fremden Kodex unterworfen sei, so ist die ganze Gewalt der Kirche unrechtmäßig; und auf das Recht, sich selbst sein Gesetz zu geben, sich allein für die Handhabung desselben Rechenschaft schuldig zu sein, kann kein Mensch Verzicht tun, denn mit dieser Veräußerung hörte er auf, Mensch zu sein."
8 9
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das ganze System der Gesetze auszufüllen hinzusetze, ist die Hauptbedingung, daß ihr euch nicht mit der Beobachtung des Buchstabens der Gesetze begnügt, die allein der Gegenstand menschlicher Gerichte sein kann, wie die Pharisäer, und die Gelehrten eures Volks, sondern im Geiste des Gesetzes aus Achtung für die Pflicht handelt." 11 In diesem Sinne legt Hegel Jesus den leicht abgewandelten kategorischen Imperativ der Kantischen Moralphilosophie als den ,höchsten Grundsatz der Sittenlehre' 12 in den Mund, wenn er ihn sagen läßt: „Was ihr wollen könnt, daß ,es' als allgemeines Gesetz unter den Menschen, auch gegen euch gelte, nach einer solchen Maxime handelt - dies ist das Grundgesetz der Sittlichkeit." 1 3 Wenn Hegel in den Fragmenten 1 - 5 jenes mit „Phantasie" und „Herz" gepaarte praktische Moralgebot, wie es sich in der öffentlichen Tugend der republikanischen griechischen Volksreligion ausdrückte, mit dem politischen Zustand der Moderne vergleicht, dann apostrophiert er diesen Zustand als einen der „Unterdrückung", der Heteronomie oder Abhängigkeit von fremden Gesetzen und fremden Stützen. In diesem Zusammenhang spricht er von dem Angewiesensein auf eine Trostsprechung, die zwar an dem aktuellen Elend nichts ändert, da sie es „nicht zu vermindern" vermag, aber dafür eine wenngleich nichtige „Entschädigung" an die Hand zu geben verspricht. Aus diesem Zustand uneingeschränkter passiver Ergebung, in der jede freie Entfaltung der Kraft unterdrückt wird, ist die „oberste Bedingung der Möglichkeit des höchsten Guts" verschwunden, nämlich die der Vernunft entsprechende „Angemessenheit der Gesinnung zum moralischen Gesetz - . . ," 1 4 An die Stelle dieser „inneren Gewißheit
11
Vgl. Nohl, a. a. O. S. 83; ebenso 85, 89 f., 99, 112 ff. Vgl. entsprechend I. Kant, RGV, a. a. O. S. 242; dort heißt es: „ - Endlich faßt er (gemeint ist Jesus, der ,Stifter' der ,ersten wahren Kirche', F.-P. H.) alle Pflichten 1) in einer allgemeinen Regel zusammen (welche sowohl das innere als das äußere moralische Verhältnis der Menschen in sich begreift), nämlich: tue deine Pflicht aus keiner anderen Triebfeder als der unmittelbaren Wertschätzung derselben, d.i. liebe Gott (den Gesetzgeber aller Pflichten) über alles, . . . "
12 Vgl. Nohl, a.a.O. S. 120. 13 A. a. O. S. 87. Ahnlich auch schon bei Günther Rohrmoser, „Zur Vorgeschichte der Jugendschriften Hegels", in: ZfphF 14, Meisenheim a. Glan 1960, S. 182-208. Rohrmoser sagt: „Er (Hegel, F.-P. H.) hat ihn (Jesus, F.-P. H.) vielmehr im .Leben Jesu' und in ,Die Positivität und die christliche Religion' (sie) als Träger der Kantischen praktischen Vernunft und den Verkünder der erhabenen Anforderung des Sittengesetzes interpretiert." A. a. O. S. 206. 14 Nohl, a. a. O. S. 62. Entsprechend heißt es auch in „Die Positivität der christlichen Religion", a.a.O. S.211: „Der Grundfehler, der bei dem ganzen System einer Kirche zum Grunde liegt, ist die Verkennung der Rechte einer jeden Fähigkeit des menschlichen Geistes, besonders der ersten unter ihnen, der Vernunft; und wenn diese durch das System der
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des Glaubens an Gott und Unsterblichkeit" 15 - dem ,moralischen Gesetz in mir' - ist ein dogmatisches Versichern, der vernunftlose Glaube an Menschen getreten, die aus der Exegese der Glaubensartikel ein ,esoterisches Besitztum' gemacht haben. 16 Diese Kritik am Priestertum findet sich ganz genauso im Systemprogramm. Nachdem dort nämlich eben jene drei Ideen „von einer moralischen Welt, Gottheit und Unsterblichkeit" erwähnt worden sind, ruft Hegel zum Umsturz des passive Ergebenheit fordernden „Afterglaubens" auf und gibt die Statthalter desselben, die Priester, der „Verfolgung" preis. 17 Sie, die ihre Erhebung dem „verachtenden Blick" auf das ,Volk' verdankten, die die Lehre der natürlichen Verworfenheit des Menschen predigten, provozierten und kultivierten entsprechend „das blinde Zittern" des Volks vor der ihm aufgebürdeten äußeren Autorität einerseits, vor seiner inneren Verworfenheit angesichts der drohenden ewigen Verdammnis andererseits. 18 Daß aber überhaupt dieser Betrug der Priesterschaft stattfinden konnte, dazu bedurfte es eines Volks „von der höchsten Verdorbenheit, von der tiefsten
Kirche verkannt w o r d e n ist, so kann das System der Kirche nichts anders als ein System der Verachtung der Menschen sein. Die heilsame Trennung des Gebiets der Kräfte des menschlichen Geistes, die Kant für die Wissenschaft gemacht hat, diese Trennung ist von der Gesetzgebung der Kirche nicht gemacht worden, und Jahrhunderte werden noch vergehen, bis der Geist der Europäer im tätigen Leben, in den Gesetzgebungen, jenen Unterschied wird erkennen und machen lernen, worauf das richtige Gefühl der Griechen sie von selbst gebracht hatte. Die moralischen Gebote der Vernunft werden nämlich ( . . . ) ,in der Religion der Griechen' sowie in jeder, deren Prinzip reine Moral ist, ( . . . ) ,nicht' w i e Regeln des Verstandes behandelt, und aufgestellt, jene sind subjektiv, diese objektiv; von der christlichen Kirche hingegen w i r d das Subjektive der Vernunft w i e etwas Objektives als Regel aufgestellt." 15
17 18
A . a. O . S. 70. Vgl. entsprechend auch I . K a n t , R G V , a . a . O . S. 195f. Vgl. S y s t e m p r o g r a m m , a . a . O . S.220. Vgl. ebenso I . K a n t , R G V , a . a . O . S . 2 7 6 f . : „Das Pfaffentum ist also die Verfassung einer Kirche, sofern in ihr ein Fetischdienst regiert, welches allemal da anzutreffen ist, w o nicht Prinzipien der Sittlichkeit, sondern statutarische Gebote, Glaubensregeln und Observanzen die Grundlage und das Wesentliche desselben ausmachen. N u n gibt es z w a r manche Kirchenformen, in denen das Fetischmachen so mannigfaltig und so mechanisch ist, daß es beinahe alle Moralität, mithin auch Religion zu verdrängen und ihre Stelle vertreten zu sollen scheint und so ans H e i d e n t u m sehr nahe angrenzt; allein auf das M e h r oder Weniger k o m m t es hier nicht eben an, w o der W e r t oder U n w e r t auf der Beschaffenheit des zu oberst verbindenden Prinzips beruht. W e n n dieses die gehorsame U n t e r w e r f u n g unter eine Satzung als Frondienst, nicht aber die freie H u l d i g u n g auferlegt, die dem moralischen Gesetze zu oberst geleistet werden soll, so mögen der auferlegten Observanzen noch so wenig sein; genug, w e n n sie f ü r unbedingt notwendig erklärt werden, so ist das immer ein Fetischglauben, durch den die Menge regiert und durch den Gehorsam unter eine Kirche (nicht der Religion) ihrer moralischen Freiheit beraubt w i r d . " A u ß e r d e m : 278, 311.
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moralischen Kraftlosigkeit", das den „blinden Gehorsam unter die bösen Launen verworfener Menschen sich zur Maxime" gemacht hatte. 1 9 Hegel wendet sich hier folglich den historischen Bedingungen zu, unter denen dieser zu konstatierende Verfall der schönen Sittlichkeit der griechischen Polis sich zwangsläufig in Gestalt der christlichen Religion einstellen mußte. Die Aktivität des „freien Republikaners" war gerade darin frei, daß seine Tätigkeit nicht dem persönlichen Vorteil und privaten Nutzen diente, sondern in der Erhaltung des Geistes seines Volkes sich bewährte, der ebensogut sein Geist war. Indem er in diesem Geiste „für sein Vaterland seine Kräfte, sein Leben aufwandte", unterstand er nicht einem heteronomen Gesetz, das ihm von außen gebot, solches zu tun, sondern diese Pflicht gegen sein Vaterland war ebenso eine Pflicht gegen sich selbst. Denn für seine Idee, für seine Pflicht zu arbeiten war unmittelbar mit der allgemeinen Idee, dem allgemeinen Pflichtgebot, wie es der Geist seines Volkes und insofern auch der Einzelne - als organischer Bestandteil desselben - repräsentierte, identisch. Wenn jedoch diese unmittelbare Identität des Allgemeinen und Besonderen ins Wanken gerät, wenn sich dieser in jedem Einzelnen lebende Geist eines Volkes in Auflösung befindet und sich das private Leben von den öffentlichen Angelegenheiten getrennt hat, dann folgt aus dieser vollständigen Vereinzelung der individuellen Interessen, die keine öffentlichen, allgemein verbindenden Tugenden mehr darstellen, eine Abhängigkeit von einer fremdbestimmenden Gesetzgebung. D a die atomisierte Tätigkeit jedes Einzelnen nicht länger mehr Ausdruck einer in der Gegenwart seines Tuns gefundenen Allgemeinheit ist, da mit dem Vertrauen auf das Allgemeine auch der „Glauben in sich selbst" verloren gegangen ist, braucht der solcherart Vereinzelte „Versicherungen von der Gottheit, daß (er, F.-P. H . ) ein zukünftiges Leben habe", weil es nämlich in seiner Gegenwart nicht mehr anzutreffen ist. 2 0 Folglich resultiert aus der für das gesellschaftliche Leben typischen Entzweiung und Entäußerung, insofern ihm die selbstgesetzgebende Autonomie des moralischen Willens abhanden gekommen ist, ein diesem Zustand der Besonderung entsprechender blinder Gehorsam und eine Abhängigkeit von der Willkür einer ebenso besonderen Person, an die der Glauben wie an einen Fetisch 2 1 sich anhängt, und die für jeden
"
N o h l , a. a. O . S. 70.
20
Ebda.
21
Zum Fetischglauben vgl. auch N o h l , a. a. O . S. 206, w o von einer „bezauberten W e l t " gesprochen wird. Ebenso I . K a n t , R G V , a . a . O . S . 2 7 2 f f . , 3 0 0 f .
388
Eine Ethik
Einzelnen das ihm entfremdete Beispiel, „der Gegenstand seiner Bewunderung ist". „Daher der offene, willkommene Empfang der christlichen Religion zu den Zeiten der verschwundenen öffentlichen Tugend der Römer, und der sinkenden äußern Größe." 2 2 Dieser Phase jahrhundertelang währender Entfremdung, deren nächster Ausdruck die Herrschaft christlicher Religion-, und d.h.: die strikte Trennung zwischen diesseitiger Verworfenheit und jenseitiger Erlösung und Seligkeit war, will Hegel ein Ende bereiten. Der Weg, den er zu diesem Zwecke einschlägt, ist einmal mehr an der Kantischen Idee der moralischen Autonomie des Subjekts orientiert. Gegen die phaenomenale Welt, in der das auf sinnlicher Neigung begründete Streben nach besonderer Glückseligkeit eine von äußerlichen Mitteln abhängige Fremdbestimmung mit sich führt, proklamiert Hegel die praktische Idee einer intellektuellen Welt, in der die Freiheit des Subjekts sich selbstbestimmend realisiert. Mittels ihrer wird das Fixiertsein auf die diesseitige Verdorbenheit, wie es sich in der auf die Partikularität des Eigennutzes eingeschränkten besonderen Individualität ausdrückt, aufgehoben, und die bisher in das Jenseits delegierte Idee wird vom Himmel auf die Erde zurückgeholt. Hegels Einsicht besteht nämlich gerade darin, daß der Zustand der Entzweiung ein von den Menschen selbstgemachter ist. Wenn sie einerseits dem Himmel sämtliche Ideen, derer sie fähig waren, zusprachen, dann behielten sie andererseits für sich selbst nur Erniedrigung, Elend, Abhängigkeit von fremdem Trost übrig. Für alles, was sie sich in ihrem diesseitigen Leben versagten, erhofften sie sich Entschädigung von der selbstgeschaffenen Chimäre einer jenseitigen Idee. Je mehr sie sich selbst erniedrigten, desto größer wurde ihre Abhängigkeit von der Gnade dieser losgelöst für sich bestehenden ,Gottheit'. N u r wenn dieser Glaube wieder zu einem Glauben in sich selbst wird, was nur auf der Grundlage der moralischen Autonomie des freien, selbstgesetzgebenden menschlichen Subjekts geschehen kann, nur wenn diese Idee der praktischen Freiheit das Eigentum des Menschen wird, soll jener Dualismus aufgehoben werden können. Mit dieser Tendenz zur Säkularisierung der jenseitigen Gottesvorstellung antizipiert der junge Hegel Feuerbachs anthropologische Kritik der Religion. Denn wenn dasjenige, „was uns das Individuum interessant machte, selbst als Idee in ihrer Schönheit nach und nach hervortritt, von uns gedacht, unser Eigentum wird", dann werden wir „das Schöne der mensch-
22 Nohl, a . a . O . S.71.
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liehen Natur, was wir selbst in das fremde Individuum hineinlegten, indem wir von ihr nur alles Ekelhafte, dessen sie fähig ist, zurückbehielten, wieder als unser eigenes Werk freudig erkennen, es uns wieder aneignen, und dadurch Selbstachtung für uns empfinden lernen, da wir vorher nur uns eigen glaubten, was nur Gegenstand der Verachtung sein kann - . . ," 2 3 N u r also, „wenn moralische Ideen in dem Menschen Platz greifen können" 2 4 , wird sich dasjenige einstellen, was Hegel im Systemprogramm - in völliger Ubereinstimmung mit dem zuvor beschriebenen Aneignungsprozeß - forderte: „Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen." 2 5 Aber selbst mit dieser bis hierher schon ziemlich ausgedehnten Materialsammlung aus den „Volksreligion und Christentum" betitelten Fragmenten 1-5 ist der Vorrat an Parallelstellen, die den Gedanken verlauf des Entwurfs zu erhellen vermögen, noch bei weitem nicht erschöpft. Wenn Hegel im Fragment N r . 3 2 6 auf den Verlust der „Einfalt der Sitten" zu sprechen kommt, dann ist ihm dieser Verlust der beredte Beweis dafür, daß die Einheit des Volkes mit seinen „Fürsten" und „Priestern" „unwiederbringlich dahin" ist. Wenn aber „ein Stand - der regierende oder der Priesterstand - oder beide zugleich diesen Geist der Einfalt verlieren, der ihre Gesetze und Ordnungen stiftete und bisher beseelte", dann ist diese Einheit „nicht nur unwiederbringlich dahin - sondern die Unterdrückung, die Entehrung, Herabwürdigung des Volks ist dann gewiß." 2 7 Mit dieser Ableitung des beginnenden Verfalls der ehemals sittlichen Gemeinde, wie sie für Hegel in der Volksreligion der Griechen vorhanden war, hat er aber diejenigen „Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit" 2 8 formuliert, wie er sie dann auch - freilich auf die Moderne übertragen - im Systemprogramm entwickeln wird. Dort führt er nämlich ebenfalls diesen Doppelangriff, einerseits gegen den Despotismus der weltlichen Herrschaft, um sie „bis auf die Haut zu entblössen", andererseits gegen das heuchlerische
Ebda. Vgl. ebenso Nohl, a. a. O . 290. Vgl. entsprechend auch Georg Lukäcs, Der junge Hegel, a . a . O . S . 4 2 f . , 119f., und, im Zusammenhang der „Skizze des Aufbaus der Phänomenologie des Geistes" zur Religionskritik der Aufklärung 605. » N o h l , a . a . O . S.71. 25 Systemprogramm, a. a. O . S. 220. 26 Vgl. N o h l , a . a . O . S.36-47, spez. 38ff. 27 A . a . O . S.38. 28 Vorbild für diese Namengebung könnten J. G. Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit gewesen sein. Vgl. auch I.Kants Rezensionen der Ideen (1785), in: Kleinere Schriften . . . , a. a. O . S. 21-47. 23
390
Eine Ethik
Priestertum, um für den „Umsturz alles Afterglaubens" Sorge zu tragen. Der „Afterglaube" der in Auflösung begriffenen Gemeinde, die nur noch einen desorganisierten ,Haufen' darstellt, äußert sich nach dem Fragment Nr. 3 entsprechend darin, daß ihm „seine Führer heilige Empfindungen ablocken und dabei selbst nicht mitfühlen." 29 Diese zutage tretende Hinterlist veranlaßt Hegel, jene Führer in einem ersten Schritt mit Taschenspielern zu vergleichen, die „dem gaffenden Publikum Bewunderung" ablocken, ohne sich freilich derart zu verstellen, als teilten sie ihr Staunen. Genau diese dem Taschenspieler fremde Verstellung aber ist es, die Hegel in einem zweiten Schritt - nicht weniger aufklärerisch als im Systemprogramm den das Volk betrügenden Führern anlastet, da sie bewußterweise „in Anstand, Gesicht und Worten, die Mitempfindung heucheln (Herv. v. Verf., F.-P. H.)." 3 0 In dieser Heuchelei erblickt Hegel das ausnahmslose
29
N o h l , a. a. O . S. 38; vgl. entsprechend auch a. a. O . S. 168 und 2 0 7 ; dort heißt es: „Vollends möchte man diese Frage aufwerfen (nämlich: „ - was hat dann das Menschengeschlecht durch das mühsame Regelsystem der Kirche gewonnen?", F . - P . H . ) , wenn man die zahlreichen Mengen der Heuchler in jeder solchen Kirche bedenkt, die alle jene Kenntnisse, Empfindungen, auch die Sprüche der Kirche innehaben, in solchen kirchlichen Uebungen leben und weben; welche Kraft kann man ihnen zuschreiben, wenn sie doch alles beobachteten und taten, was die Kirche forderte, und doch dabei Bösewichter bleiben, und Betrüger obendrein sind? - Einen Vorteil, und zwar einen großen hat der Staat, oder vielmehr, die Gewalthaber in demselben, - denn jener ist dabei zertrümmert, - erhalten durch dieses Vorhaben der Kirche, auf die Gesinnungen zu wirken - nämlich eine Herrschaft, einen Despotismus, der nach Unterdrückung aller Freiheit des Willens durch die Geistlichkeit völlig gewonnenes Spiel hat, - bürgerliche und politische Freiheit hat die Kirche als K o t gegen die himmlischen Güter und den G e n u ß des Lebens verachten gelehrt, und so wie die Entbehrung der Mittel, die physischen Bedürfnisse zu befriedigen, den tierischen Teil des Menschen des Lebens berauben, so bringt auch die Beraubung des Genusses der Freiheit des Geistes, der Vernunft den T o d - in welchem Zustand die Menschen den Verlust, Gebrauch derselben, Sehnsucht nach ihr, so wenig fühlen werden - als der tote Körper sich nach Speise und T r a n k sehnt."
30
N o h l , a . a . O . S . 3 8 ; vgl. ebenso „Das Leben J e s u " , a . a . O . 121: „Die Pharisäer und Gesetzesgelehrten haben sich, sagte er (Jesus, F . - P . H . ) auf den Stuhl des Moses gesetzt - die Gesetze nun, die sie euch gebieten zu halten, die haltet; aber ihrem Beispiele, ihrer Handlungsweise folget nicht - denn sie handhaben zwar die Gesetze des Moses, aber sie selbst halten sie nicht - Ihre Handlungen haben allein den Zweck, sich vor den Menschen einen äußern Schein der Rechtschaffenheit zu geben - Ihr verzehrt das G u t der Witwen, und tut euch gütlich bei ihnen, unter dem Vorwand, mit ihnen zu beten - Ihr gleicht übertünchten Gräbern, deren Aeußeres bemalt ist und in deren Innerem die Verwesung haust; äußerlich gebt ihr euch den Schein der Heiligkeit, euer Inneres ist Heuchelei; und U n g e rechtigkeit - " Ebenso a. a. O . 210. Vgl. zu der Wendung „übertünchte G r ä b e r " auch Hegels Vorlesungen über die Ästhetik, in: G . W . F. Hegels Werke, Vollständige Ausgabe, Zehnter Bd., erste Abt., hg. von H . G . H o t h o , Berlin 1845, S . 2 8 4 f . Zu der Wendung „Mitempfindung heucheln" vgl. auch I. Kant, R G V , a. a. O . S. 231, A n m . Vgl. in diesem Zusammen-
H e g e l s Berner Fragmente: „Volksreligion und C h r i s t e n t u m "
391
Vorrecht der objektiven, dogmatischen Theologie des Christentums und des ihr korrespondierenden modernen Staatsapparates. Denn nicht allein, daß sie es nicht vermochte, „über die Verdorbenheit aller Stände, über die Barbarei der Zeiten, über die groben Vorurteile der Völker Meister" zu werden, so fanden vielmehr unter ihrem Banner „brilliante Begebenheiten" von der Art der „Kreuzzüge", der „Entdeckung Amerikas" und des legitimierten Sklavenhandels' statt. 31 Und wenn dann „Gegner der christlichen Religion" darüber hinaus jene „ganze Kette der fürstlichen Verdorbenheit und der Verworfenheit der Nationen lasen und denen das Herz dabei blutete", wenn sie die religiöse Unterdrückung des ,inneren Menschen' sich mit der weltlichen Unterdrückung des ,äußeren' verbinden sahen, „und dann dagegen die Ansprüche der Lehrer und Diener der Religion an Vortrefflichkeit, an allgemeine Nützlichkeit u. dgl. Deklamationen hielten - " , dann „mußten sie mit einer Bitterkeit, mit einem Haß gegen die christliche Religion erfüllt werden, den ihre Verteidiger oft einer teuflischen Bosheit des Herzens zuschrieben -," 3 2 - Auch dies ist ein Gemälde der „Geschichte der Menschheit", wie es Hegel selbst im Systemprogramm nicht farbenfroher zu zeichnen vermocht hat. 33 Und schließlich war es einmal mehr der Schiller der „Erziehung des Menschen" - mit dem Hegel, wie gesehen, nicht nur bekannt war, sondern dessen Schrift er auch als ein „Meisterstück" in dem zentralen Brief vom 16. April 1795 zu würdigen wußte 34 - der einen ebensolch kritischen Akkord gegen die Kirche und den Staat anstimmte, wie Hegel es in „Volksreligion und Christentum", wie er es im Systemprogramm mit seiner projektierten Geschichte der Menschheit getan hatte. Schiller spricht nämlich in dem siebenten Brief von der durch die Kirche autorisierten Unterdrückung 35 , um dann im achten Brief - in Kontrastierung zum Zeitalter der Aufklärung - auch eine „Geschichte der Menschheit" (und zwar der nachaufklärerischen) in Szene zu setzen: Trotz all des Lichts, das die aufgeklärte Philosophie und Erfahrung verbreitete, bestand nach wie vor diese „allgemeine Herrschaft der Vorurteile und . . . Verfinsterung der
hang auch die W e n d u n g „Gängelband" b z w . „Gängelwagen" in „Das Leben Jesu", a . a . O . S. 125 u n d entsprechend I. Kant, „Was ist A u f k l ä r u n g " , a. a. O . S. 171. 31 Vgl. entsprechend N o h l , a. a. O . S. 360 (Anhang 2). Ebenso auch Kants A u f z ä h l u n g in R G V , a . a . O . S. 195ff. 32 N o h l , a. a. O . S. 39. 33 Vgl. hierzu fernerhin „Volksreligion und C h r i s t e n t u m " , N o h l , a . a . O . S. 40-44, 63. 3 -> Vgl. Briefe, a. a. O . S. 25. » Vgl. E d M , a . a . O . S.28.
392
Eine Ethik
Köpfe". Obwohl mit der Aufklärung des Zeitalters „die Kenntnisse . . . gefunden und öffentlich preisgegeben (sind, F.-P. H.), welche hinreichen würden, wenigstens unsre praktischen Grundsätze zu berichtigen"; und obwohl „der Geist der freien Untersuchung . . . die Wahnbegriffe zerstreut" hat, „welche lange Zeit den Zugang zu der Wahrheit verwehrten"; und da außerdem der „Grund unterwühlt" ist, „auf welchem Fanatismus Betrug
und
(Herv. v. Verf., F.-P. H.) ihren Thron erbauten; . . . - woran liegt
es", so schließt Schiller, „daß wir noch immer Barbaren sind?" 3 6
Eine
Antwort Schillers lautet: „Zufrieden, wenn er („der zahlreichere Teil der Menschen", F.-P. H . ) selbst der sauren Mühe des Denkens entgeht, läßt er andere gern über seine Begriffe die Vormundschaft führen, und geschieht es, daß sich höhere Bedürfnisse in ihm regen, so ergreift er mit durstigem Glauben die Formeln, welche der Staat und das Priestertum F.-P. H . ) für diesen Fall in Bereitschaft halten."
37
(Herv. v. Verf.,
- Also auch Schillers
Geschichte der Menschheit befaßt sich vorzüglich mit der Kritik der weltlichen Herrschaft des Staates, der geistlichen Herrschaft des Priesterstandes.
„Die Positivität der christlichen
Religion".
„Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit", Teil II: Das „unglückliche Bewußtsein" und der „Kammerdiener der Moralität" Sowohl die von Hegel in „Volksreligion und Christentum" entwickelten Prinzipien für eine
Geschichte
der
Menschheit,
als auch
diejenigen Schillers aus der „Erziehung des Menschen",sind aber lediglich eine Ouvertüre im Vergleich zu derjenigen ausgereiften Durchführung, die Hegel in „Die Positivität der christlichen Religion" unter der Uberschrift „Unterschied zwischen griechischer Phantasie- und christlicher positiver Religion" hat folgen lassen. 1 Nohl weist seinerseits in einer Fußnote der Seite 214 darauf hin, daß „der Kern, das Stück über die griechische Phantasiereligion, . . . die reifere Fassung von N r . 5 in Volksreligion und Christentum ( . . . ) auf der Grundlage der ,Positivität'" sei. 2 Dieser Ansicht schließen wir uns ohne jeden Vorbehalt an, bevor wir jetzt versuchen
» A . a . O . S.29f. " A . a . O . S.30. 1 Vgl. Nohl, a . a . O . S . 2 1 4 - 2 3 2 . 2 A . a . O . S . 2 1 4 , Anm.
,Die Positivität der christlichen Religion"
393
werden, die wesentlichen Gedankenschritte dieses resümierenden Textes nachzuzeichnen. Er umfaßt die Seiten 2 1 4 - 2 3 2 des Nohlschen Buches, und der von Nohl festgestellte „Kern" befindet sich auf den Seiten 219-232. Hegel beginnt mit der Beschreibung der Phantasie der Völker, und es ist ihm hierbei um den Nachweis dafür gelegen, daß jede Phantasievorstellung, welchen besonderen Inhalts sie auch ansonsten sein mag, an eine jeweils besondere historische Stunde gebunden - und insofern immer eine „Nationalphantasie" gewesen ist. Hierzu bedient er sich des allgemeinen Unterscheidungsmerkmals, ob es sich bei den Gegenständen der Phantasie um solche eines f r e i e n oder u n f r e i e n Volkes handelt. Das Andenken der f r e i e n Völker knüpft sich vorzüglich an deren Staatengründer, an „die alten Helden der Geschichte ihres Vaterlandes" 3 , seien dies nun „Stifter" oder auch „Befreier" des fraglichen Staates gewesen. All diesen freien Phantasievorstellungen ist es gemeinsam, daß ihnen ihre Helden nicht in den inneren Bezirk einer isoliert für sich bestehenden Einbildung, in die Abgeschiedenheit einer still beschaulichen Betrachtung verbannt waren, sondern „ihre Geschichte", „die Erinnerung ihrer Taten" lebte in ,öffentlichen Festen', „in Nationalspielen" usw. Sie waren nicht der museale Gegenstand eines distanzierten Interesses an antiquiiertem Bildungsgut, sondern sie waren immer wieder neu erlebte und belebte allgemeine Gegenwart. Hierin unterscheiden sich die Nationalphantasien der „Aegypter, Juden, Griechen, R ö m e r " in keiner Weise von denen der „alten Germanier, Galen und Skandinavier". Auch sie „hatten ihr Walhalla, wo ihre Götter wohnten, ihre Helden, die in ihren Gesängen lebten, deren Taten sie in den Schlachten begeisterten, . . . ; sie hatten ihre heiligen Haine, wo diese Gottheiten ihnen näher waren - . . ." 4 All diese verschiedenen Nationalphantasien gediehen aber ausnahmslos nur unter dem jeweiligen Himmelsstrich, der für ihr Entstehen notwendig und anabdingbar war. Sie alle hatten ihren bestimmten historischen O r t und atmeten den spezifischen Geist des jeweiligen Zeitenlaufs. Änderte sich dieser Geist im Wandel der Jahrhunderte, so unterlag auch die Nationalphantasie einem Wandel und paßte sich der vorgegangenen Veränderung harmonisch an. Ein Anachronismus nun wäre es, wollte man eine aus der Entwicklung hervorgegangene neue Entwicklungsstufe der Menschheit mit der Phantasie eines Volkes, das längst vergangenen Zeiten angehört, in eine
5 A.a.O. S.214. < A.a.O. S.214/15.
394
Eine Ethik
Einheit zusammenbinden. Der von der Historie widerlegte und aufgegebene Geist früherer politischer und sozialer Bildung duldet keine Wiederbelebung unter gänzlich veränderten sozialen und politischen Bedingungen. Wird sie dennoch unternommen, dann wird ihr Resultat keine harmonische Einheit, sondern vielmehr eine willkürliche Kombination von Unvereinbarkeiten sein. Einen erstorbenen Geist in einer gänzlich veränderten Gegenwart wiedererwecken zu wollen ist negativ: ein historisches Quidproquo, positiv: ein Zeichen geistiger Knechtschaft und Unfreiheit. Diesen Mißverstand hat sich aber das Christentum zuschulden kommen lassen, und damit indirekt schon zu erkennen gegeben, daß sein Maxime eine vollständige Unterwerfung unter eine höchste Autorität sein wird. Nachdem es „Walhalla entvölkert, die heiligen Haine umgehauen, und die Phantasie des Volks als schändlichen Aberglauben, als ein teuflisches Gift ausgerottet" hatte, hatte es „uns dafür die Phantasie eines Volks gegeben (gemeint ist die jüdische des von einer obersten Autorität abhängigen Gesetzes- und Statutenglaubens, F.-P. H.), dessen Klima, dessen Gesetzgebung, dessen Kultur, dessen Interesse uns fremd, dessen Geschichte mit uns in ganz und gar keiner Verbindung ist." 5 Zu dieser unzulässigen Verwechslung aber ist es nach Hegel deswegen gekommen, weil es der Moderne, vor allem aber ihrer spezifisch deutschen Abart, generell an volkstümlichen Helden gebricht, so daß sie an der antiquiierten Einbildungskraft der Juden einen unzeitgemäßen Ersatz findet. Einerseits nämlich erkünstelt sich das „gemeine Volk" aus dieser Not das Surrogat einer unangemessenen Zeitgenossenschaft biblischer Gestalten, andererseits aber sind „die Helden unseres Vaterlandes . . . in den Geschichtsbüchern der Gelehrten" vergraben, „und für diese hat ein Alexander, ein Cäsar usw. ebensoviel Interesse als die Geschichte eines Karls des Großen oder Friedrich Barbarossa." 6 Den Hauptgrund für das Fehlen einer lebendigen Nationalphantasie in der Gegenwart ortet Hegel aber in dem Mangel jeglicher nationalen Einheit, so daß weder zu Ehren eines Staatengründers, noch eines Befreiers von ausländischer Herrschaft öffentliche Feste abgehalten werden können. Angesichts dieses Mangels an politischer Freiheit und ihr entsprechender religiöser und politischer Phantasie, die nur ein Ausdruck dieser Freiheit sind, indem sich in diesen Phantasien das Volk in lebendigen Zusammen-
5
A . a . O . S.215.
6
Ebda.
,Die Positivität der christlichen R e l i g i o n "
395
hang mit den selbständigen Taten seiner Vorfahren setzt, ist es nur konsequent, wenn die moderne Aufklärung diesen Phantasien den Kampf ansagt. Sie selbst nämlich ist nichts anderes als die Manifestation allgemein gewordener Unfreiheit, universell ausgedehnter Abhängigkeit, in deren Namen nun gegen denjenigen Teil der Mythologie vorgegangen wird, der „die Empfindungsweise und Phantasie des Volks zu veredeln" in der Lage war. 7 Mit einem Wort: Wenn die Phantasien und die Mythologie freier Völker gerade Ausdruck von deren politischer Freiheit sind, dann legt das Fehlen von solch lebendigem Volksgut beredtes Zeugnis von politischer Niedergeworfenheit und allgemeiner Unterdrückung ab. Entsprechend tragen die religiösen Phantasien des Christentums, für die die Moderne einzig noch empfänglich ist, allesamt den Charakter geistiger Abhängigkeit von fremder Autorität und auferlegtem Zwang, der sich „dem Genüsse der Schönheit, der aus dem freien Spiele der Seelenkräfte hervorgeht", nicht zugänglich zeigt. 8 Nachdem Hegel damit in groben Umrissen denjenigen Punkt angegeben hat, von dem her der spezifische Unterschied zwischen griechischer Mythologie und moderner christlicher Religiosität nachvollzogen werden kann, wendet er sich in dem von Nohl bezeichneten Stück über griechische Phantasiereligion' ausführlich derjenigen Frage zu, wie „eine Religion verdrängt werden" konnte, „die seit Jahrhunderten sich in den Staaten festgesetzt hatte" und „die mit der Staatsverfassung (der Griechen, F.-P. H.) aufs Innigste zusammenhing." 9 Für die Christen freilich, die sich ihrer allgemeinen Überlegenheit gegenüber „dem Unglück und der Finsternis der Heiden" sicher sind 10 , ist die Antwort auf diese Frage schnell gegeben. In angenehmer „Selbstzufriedenheit" und „stolzer Demut" wird auf die Vorzüglichkeit der christlichen Religiosität reflektiert, die nicht allein „Vergebung der Sünden" verheißt, sondern darüber hinaus auch noch den „Glauben an eine Vorsehung" kultiviert, die die Schicksale ihrer Anhängerschaft „nach weisen und wohltätigen Zwecken" leitet. Nachdem die heidnischen Völker mit diesen außerordentlichen Errungenschaften des Christentums bekannt geworden waren - dies die Behauptung ihrer Protagonisten mußten sie nicht allein das „Dürftige und Trostlose ihrer Religion" einsehen, sondern ihr Verstand mußte auch „das Ungereimte und Lächerliche
A.a.O. A.a.O. ' A . a. O . A.a.O. 7 8
S.216. S.217. S. 220. S.219.
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der Fabeln ihrer M y t h o l o g i e " begreifen. 1 1 Außerdem aber, und über dieses kritische Geschäft der Zerstörung hinaus, empfahl sich christliche Religiosität auch deswegen so vorzüglich, an die Stelle dieser inferioren Phantasiewelt zu treten, weil sie „allen Bedürfnissen des menschlichen Geistes und Herzens so angemessen" ist, weil sie „alle Fragen der menschlichen V e r nunft so befriedigend beantwortet", und weil sie nicht zuletzt
„ihren
göttlichen Ursprung noch durch W u n d e r " zu beglaubigen vermag. - Hegel aber hat für diese sich jeder historischen Betrachtung selbstgefällig überhebende Litanei von der eigenen Vortrefflichkeit nur H o h n und Spott übrig. Freilich sind der Moderne Ausdrücke wie die von der „Aufklärung des Verstandes", von der neu gewonnenen Einsicht, die zum Zwecke der Verächtlichmachung der griechischen Phantasiereligion im U m l a u f sind, außerordentlich geläufig. Selbstverständlich besteht die Illusion, sie markierten außergewöhnliche Errungenschaften und mittels ihrer sei schon alles erklärt. U n d freilich auch stellt sich die von ihrer großen Gesittetheit durchdrungene Moderne nichts leichter vor, als mittels ihrer „Operation e n " die von ihr beabsichtigte Wirkung ganz natürlicherweise hervorzubringen. D e n n : wie leicht ist es ihr, „einem jeden Kinde begreiflich zu machen, wie ungereimt es ist, zu glauben, daß da oben im Himmel ein solches Rudel von Göttern, als die Heiden glaubten, herumrumorten, essen und trinken, sich herumbalgen und noch andere Dinge treiben, deren sich bei uns jeder gesittete Mensch schämt - . " 1 2 Diese Argumentation pro domi zieht ihre vermeintliche Überlegenheit aber einzig und allein daraus, daß sie ihren aufgeklärten Standpunkt zum undiskutierten M a ß aller Dinge macht, um dementsprechend in der V o l k s religion der Griechen nur die Karikatur ihrer unterstellten eigenen Vollkommenheit zu erblicken. Was diese tendenziöse Berichterstattung allerdings dadurch, daß sie ihres angemaßten überhistorischen Richteramtes waltet, nicht in den Blick bekommt, ist derjenige Charakter der Freiheit, der das Zusammenleben der Griechen ausnahmslos durchdringt. Was sie nicht zu erklären vermag, weil es ihr nämlich als Frage gar nicht entgegentritt, ist dasjenige Problem, wie einem freien V o l k der Glaube an seine Götter, der selbst nur Ausdruck ihrer freien Verfassung gewesen war, entrissen werden konnte. W i e , so resümiert Hegel das aufzulösende Problem, wie konnte eine nicht auf den Privatgebrauch eingeschränkte, eine
A.a.O. S.220. 12 A.a.O. S.221. 11
„Die Positivität der christlichen Religion"
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nicht „isolierte" Religion, „wie jetzt häufig die Religion ist", wie konnte vielmehr eine Religion, „die alle Seiten menschlicher Kräfte durchschlingt, und mit der selbsttätigsten Kraft selbst aufs innigste verwebt ist" überwunden werden? 1 3 In der unparteiischen Auflösung dieser Fragestellung findet Hegel die Aufgabe für denjenigen Geschichtsforscher, der nicht a priori Gestalten der Vergangenheit - aktualisierend und wertend - an der unterstellten Fortschrittlichkeit seines als außergeschichtlich angenommenen Standpunktes mißt. Es ist nun bemerkenswert, worin Hegel das Prinzip für jene in Angriff genommene „Geschichte der Menschheit" findet, so daß vorzüglich auf dieses Prinzip der „denkende Geschichtsforscher" seine Aufmerksamkeit lenken muß: Auf das „wunderbare" Prinzip der Revolution nämlich, das sich ursächlich in der Überwältigung der „heidnischen Religion durch die christliche" manifestiert. Und hier nun antizipiert Hegel eine Einsicht in das Wesen der Revolution, wie sie sich zehn Jahre später in der Vorrede der Phänomenologie des Geistes in dem zentralen Absatz 11 wiederfinden wird. Dort nämlich wird Hegel die geistige Vorbereitungsphase der Revolution, die unbewußt und quasi unterirdisch - der direkten Einsichtnahme verborgen - hinter dem Rücken ihrer Protagonisten vor sich geht, und die „die Physiognomie des Ganzen nicht veränderte", in direkte Beziehung zu demjenigen „Aufgang" setzen, „der, ein Blitz, in einemmale das Gebilde der neuen Welt hinstellt." 14 Entsprechend formuliert Hegel an dieser Stelle der Positivitätsschrift: „Den großen, in die Augen fallenden Revolutionen muß vorher eine stille, geheime Revolution in dem Geiste des Zeitalters vorausgegangen sein, die nicht jedem Auge sichtbar, am wenigsten für die Zeitgenossen beobachtbar, und ebensoschwer mit Worten darzustellen, als aufzufassen ist. Die Unbekanntschaft mit diesen Revolutionen in der Geisterwelt macht dann das Resultat anstaunen; eine Revolution von der Art, wie die, daß eine einheimische, uralte Religion von einer fremden verdrängt wird, eine solche Revolution, die sich unmittelbar im Geisterreiche zuträgt, muß um so unmittelbarer in dem Geiste der Zeit selbst ihre Ursachen finden - , " 1 5 Und dieser Geist der Zeit ist es, den Hegel einer
13 14
15
A . a . O . S.220. . G . W . F . Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: G . W . F . Hegels Sämtliche Werke, Bd.2, hg. von Hermann Glockner, Stuttgart-Bad Cannstatt 1964, S. 18. Nohl, a. a. O . S. 220. Entsprechend auch a. a. O . 261: „Jesus trat nicht lange vor der letzten Krise auf, welche die Gärung der mannigfachen Elemente des jüdischen Schicksals herbeizog. In dieser Zeit der inneren Gärung, der Entwicklung dieses verschiedenen Stoffes, bis er
398
Eine Ethik
unparteiischen Analyse unterziehen will, um in ihm selbst die Ursachen für die bemerklich gemachte Veränderung zu finden, und sie aus ihm heraus zu verstehen. - V o r diesem entwicklungsgeschichtlichen Verfahren blamiert sich das selbstgefällige und selbstüberhebliche Vergleichen der modernen christlichen Exegeten allein schon deswegen, weil es keiner großen geistigen Anstrengung bedarf, um selbst bei einem flüchtigen Blick einzusehen, daß das von diesen Interpreten allein der Moderne vorbehaltene Besitztum des Verstandes auch bei den Griechen schon einheimisch war. Gegenläufig vielmehr könnte es einem auffallen, daß die Griechen über diese dürre Verstandesbildung hinaus auch dasjenige noch ihr eigen nannten, „was groß, schön, edel und frei ist", und was der Moderne, ihrer vermeintlichen Überlegenheit zum Trotz, immer noch das für sie unerreichbare Muster ist, so daß es eigentlich, statt sich ihrer eingebildeten Größe zu freuen, der Moderne viel angemessener wäre, diesem fremden Geschlecht Bewunderung zu zollen, wie sie es ja auch tatsächlich tut. Aber auch bei einem weitergeführten Vergleich schneidet die christliche Religiosität mit fragwürdigem Erfolg ab. Entstammt nämlich die Phantasiereligion der Griechen „aus dem Herzen und dem ganzen Leben des Volks", dann basiert die christliche Religiosität auf der Buchgelehrsamkeit der „Studierstube" und den dazugehörigen kalten Verstandesschlüssen. Und daß dieses Schlußverfahren nicht dazu in der Lage sein wird - sozusagen von der Kanzel herab eine im Herzen des Volkes verwurzelte Phantasiereligion einfach zu eliminieren, liegt klar zutage und ist genauso evident, wie dasjenige historische Faktum, „daß bei der Verbreitung der christlichen Religion eher alles andre als Vernunft und Verstand sind angewendet worden." 1 6 - Schließlich aber: „wer, statt durch die Wunder den Eingang des Christentums erklärbar zu finden, eher sich die Frage schon aufgeworfen hat: wie muß das Zeitalter beschaffen gewesen sein, daß Wunder, und zwar solche Wunder, als uns die Geschichte erzählt, in demselben möglich wurden" 1 7 , der wird nach Hegels
zu einem Ganzen gesammelt wird, und die reinen Entgegensetzungen, offner Krieg entsteht, gingen dem letzten A k t e mehrere partielle Ausbrüche vorher. Menschen von gemeinerer Seele, aber von starken Leidenschaften, faßten das Schicksal des jüdischen Volkes nur unvollständig auf, und waren also nicht ruhig genug, weder um leidend sich von seinen Wellen ohne Bewußtsein forttragen zu lassen, und nur in der Zeit mit fortzuschwimmen, noch um weitere Entwicklung abzuwarten, die nötig gewesen wäre, um sich eine größere Macht beizugesellen, ,so' liefen sie der Gärung des Ganzen zuvor, und fielen ohne Ehre, und ohne W i r k u n g . " " A . a . O . S.221. " Ebda.
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Ansicht aus diesen Überlegungen zweierlei gelernt haben: Erstens, daß diese hybride Vermessenheit der aburteilenden Moderne auf tönernen Füßen steht; zweitens, daß die Frage nach dem notwendigen Untergang der antiken Städterepubliken und der ihnen angemessenen Volksreligion nicht damit schon beantwortet ist, daß man ihnen ihre vielberufene Inferiorität im Geiste der Moderne vorrechnet. Zunächst also muß, dem entwicklungsgeschichtlichen Verfahren gemäß, der wesentliche Charakterzug des Griechentums herausgestellt werden, um sich daraufhin derjenigen Kräfte zu vergewissern, die den notwendigen Untergang jener Stufe der Menschheit bewirkten. Hier nun kommt Hegel einmal mehr auf die Freiheit des antiken Menschen zu sprechen. Sie ist der Richtwert, der sowohl dem politischen Handeln des Polisbürgers, als auch seiner Religionsausübung zugrunde liegt. Alles, was sie als freie Menschen taten, war, als eine jeweils besondere Tat unmittelbar mit dem Allgemeinen verknüpft. Das Allgemeine, das sie sich in Gestalt von „Gesetzen", Lenkern des Staates gaben, war ihr Werk, und indem sie ihm gehorchten, gehorchten sie nur dem, was ebenso auch ihr eigen war. Die Kriege, die sie führten, waren von ihnen selbst beschlossen, und sie „gaben ihr Eigentum, ihre Leidenschaften hin, opferten . . . tausend Leben für eine Sache, welche die ihrige war." 1 8 Hegel zeichnet das Bild einer Menschenklasse, die sich in tätiger Ausübung ihrer subjektiven Tugendmaximen in völliger Autonomie ein allgemein verpflichtendes Gesetz gab, das für jeden ihrer Mitbürger unumstößliche Gewißheit besaß. U n d lebte dergestalt jeder seinen eigenen frei gegebenen Gesetzen, so fand er die Realisierung derselben in der allgemeinen „Idee seines Vaterlandes". Für diese Idee, für dieses allgemein verbindende „Unsichtbare" und „Höhere" setzte der Polisbürger sich ein, ihm opferte er sein Individuum auf, aber er wurde von ihr nicht bloß wie von einem unrealisierbaren Ideal angetrieben, sondern diese Idee existierte in der Wirklichkeit und jeder einzelne Bürger trug zu ihrer aktuellen Realisierung bei. Nicht die Individualität des Einzelnen, isoliert für sich genommen, beanspruchte ihr unumstrittenes Recht, sondern diese Individualität war nur das Medium, durch das sich der Staat verwirklichte. Im Zentrum der Polisdemokratie der Griechen stand mithin die moralische Autonomie des selbstgesetzgebenden Willens, dem jegliche Unterwürfigkeit unter eine von außen gesetzte Autorität fremd war. Ihre göttlichen Gebote waren nicht in Form von Statuten ihnen auferlegte fremde Gesetze,
18
Ebda.
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Eine Ethik
denen sie sich zu unterwerfen hatten, und „wenn sie das Moralgesetz ein göttliches Gebot nannten, so war es ihnen nirgend, in keinem Buchstaben gegeben, es regierte sie unsichtbar (Antigone)." 1 9 Diese spezifische Form der griechischen Freiheit war also die verwirklichte Harmonie und Einheit einer Tugendlehre, in der die subjektiven Maximen einer Handlung sich selbst zu einer allgemeinen Gesetzgebung bestimmen. Sie steht im Zeichen der praktischen Postulatenlehre Kants, die nicht nur die äußerliche Legalität einer Handlung (nach dem Buchstaben des Gesetzes) verbürgen soll, indem sie das individuelle Handeln den gegebenen Gesetzen eines Staates anpaßt und unterwirft, sondern die Gesinnung dieser Taten, die Willensbestimmung muß um des Gesetzes selbst willen, aus Achtung für es erfolgen (im Geiste des Gesetzes), das sie sich, in völliger moralischer Autonomie, selbst gegeben hat, und nicht, wie bei der bloß legalen Handlung, nur von Außen auferlegt empfängt, indem sie sich ihm dann nur gemäß verhält. 20 „Mit diesem freien, selbstbewußten Wesen", so könnte man unter Verwendung der Formulierung aus dem Systemprogramm sagen, „tritt zugleich eine ganze Welt" - diejenige des
15 20
A . a . O . S.222; vgl. ebenso a . a . O . 228f. Vgl. entsprechend I.Kant, KrpV, a . a . O . S. 71-73, 78 f., 80 f., 151; 80 f. heißt es: „Das Bewußtsein einer freien Unterwerfung des Willens unter das Gesetz, doch als mit einem unvermeidlichen Zwange, der allen Neigungen, aber nur durch eigene Vernunft angetan wird, verbunden, ist nun die Achtung fürs Gesetz. . . . Der Begriff der Pflicht fordert also an der Handlung objektiv Ubereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber subjektiv Achtung fürs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe. Und darauf beruht der Unterschied zwischen dem Bewußtsein, pflichtmäßig und ans Pflicht, d. i. aus Achtung fürs Gesetz, gehandelt zu haben, davon das erstere (die Legalität) auch möglich ist, wenn Neigungen bloß die Bestimmungsgründe des Willens gewesen wären, das zweite aber (die Moralität), der moralische Wert, lediglich darin gesetzt werden muß, daß die Handlung aus Pflicht, d. i. bloß um des Gesetzes willen geschehe." Vgl. ebenso zur Unterscheidung zwischen dem „Buchstaben" und dem „Geist" des Gesetzes, KrpV, a . a . O . S. 152. Entsprechend auch I.Kant, RGV, a . a . O . S.24, 36, 37, 54f., 137f., 139, 244. Schließlich aber auch J. Hoffmeisters Dokumente zu Hegels Entwicklung, a. a. O. S. 218/19 (den Auszug aus der Literatur Zeitung n. 59 (1796)). Dort heißt es: „Prinzipien der Gesetzgebung dürfen nicht mit Prinzipien der Sittlichkeit verwechselt werden. Das Prinzip der Moral soll nicht die einzelnen Vorschriften der Sittenlehre gleichsam in sich enthalten, sondern soll nur das höchste Kriterium sein, ob sich eine Maxime mit der Sittlichkeit verträgt. Sie ist objektiv das für Maximen, was der Satz des Widerspruchs für Behauptung ist. Subjektiv aber muß sie den Beweggrund enthalten, durch den eine Handlung moralisch ist. Das, wodurch eine Handlung moralisch ist, muß aber in unserer Gewalt stehen und kann daher nie in einen Zweck gesetzt werden, dessen Erreichung vom Zufall abhängt. Sie erhält auch nicht die Bestimmungsgründe zu handeln, sondern drückt die Gesinnung aus, in der wir die Bestimmungsgründe abwägen sollen. Die geforderte Reinheit der Gesinnung ist daher nicht ein Ideal, sondern eine unnachläßliche Forderung der Vernunft."
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griechischen Gemeinwesens - hervor. Und insofern sie der Endzweck der Tätigkeit jeden freien Bürgers war, so war sie nicht nur eine ihm äußerliche Wirklichkeit, sondern das Werk seiner moralischen Autonomie, da sich in ihr das Handeln eines absolut freien Wesens manifestierte, das weder „Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen" durfte.21 Unter dem Vorzeichen dieser Freiheit trug das „freie, selbstbewußte Wesen" nicht nur die „intellektuelle Welt in sich", sondern realisierte sie darüber hinaus auch als eine äußere Welt, die ein direkter Widerschein seiner sich entäußernden inneren Freiheit war.22 Die intelligible Welt des noumenalen Menschen war gleichzeitig objektiv real. „Mit dem Verlust der Freiheit muß (aber, F.-P. H.) auch der Sinn, die Kraft derselben, ihre Angemessenheit für die Menschen verloren gehen." Was, so fragt Hegel, „was sollen einer Armee Kanonen, die ihre Ammunition verschossen hat?, sie muß andre Waffen suchen. Was sollen dem Fischer Netze, wenn der Strom vertrocknet ist?" 23 - Solange aber das Individuum seine Freiheit im Staat realisierte, solange war es ihm fremd, auf seine persönliche Eigenheit zu pochen. Es bedurfte nicht derjenigen Erziehung, die eine Aufhebung der Negativität, des Subjektiven ist, sondern seine Erziehung war die selbsttätige Objektivierung und Erhaltung derjenigen Idee, die es sowohl als „intellektuelle Idee" in sich trug, als auch als einen selbstgegebenen Zweck außerhalb seiner verwirklichte. Und da der griechische Bürger ausschließlich an dem „Leben" und der Fortdauer des Produkts seiner Tätigkeit - folglich seinem Staat - Interesse nehmen konnte, in dem er seine diesseitige Erfüllung fand, so war es ihm umgekehrt unmöglich, „für sein Individuum Fortdauer oder ewiges Leben zu verlangen, oder zu erbetteln." 24 Dieses Verlangen nach einem Trost, das sich einzig an der individuellen Bedürftigkeit orientierte, konnte ihn nur in Situationen der Ohnmacht und Schwäche anwandeln. Nur also „in tatenlosen, in trägen Augenblicken" konnte er punktuell „einen Wunsch, der bloß ihn betraf, etwas stärker empfinden", und dieser Wunsch wurde allgemein erst in dem Augenblick, als das Bild des Staates erloschen war, als der innere Mensch sich in seinen äußeren Taten nicht mehr wiederfinden konnte, sondern sich im Zustand der Entzweiung befand.
21 22 23 2,1
Systemprogramm, a. a. Ο . S. 220. Vgl. auch Nohl, a. a. O . S. 262. A . a . O . S.221. A . a . O . S.222.
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In dieser verlorengegangenen Einheit wird Hegel in der Differenzschrift von 1801 den Grund für „das Bedürfnis der Philosophie" entdecken, das nämlich dann entsteht, „wenn die Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet und die Gegensätze ihre lebendige Beziehung und Wechselwirkung verloren haben und Selbständigkeit
gewinnen." 2 5
Entsprechend formuliert Hegel in der Positivitätsschrift, und wir müssen wohl nicht ausdrücklich noch darauf hinweisen, daß dieser Gedanke von der notwendigen Entzweiung, von den „durch die Entwicklung notwendigen Trennungen" 2 6 und dem entgegensetzend sich entwickelnden Leben seine nachfolgenden Überlegungen maßgeblich leiten wird, wenn er sich nunmehr dem ebenfalls als notwendig angesehenen Niedergang dieser schönen griechischen Freiheit und deren Resultat, dem prosaischen Alltag der arbeitsteiligen bürgerlichen Gesellschaft zuwendet. E r sagt: „ - Cato wandte sich erst zu Piatos Phädon, als das, was ihm bisher die höchste Ordnung der Dinge war, seine Welt, seine Republik zerstört war; dann flüchtete er sich zu einer noch höheren Ordnung - , " 2 7 Die Voraussetzung für diese Flucht aus der Wirklichkeit, für diese Entzweiung mit ihr, ist nach Hegel die immanente Entzweiung der gesellschaftlichen Wirklichkeit selbst. Dadurch nämlich, daß „glückliche Kriege" mit einer „Vermehrung des Reichtums" Hand in Hand gingen, entstand in Athen und Rom einerseits eine „Aristokratie des Kriegsruhms und des Reichtums", die andererseits den Rest der Bevölkerung in Abhängigkeit von ihrer Herrschaft versetzte, so daß der Bürger aus dem lebendigen Zusammenhang des Staatslebens herausgerissen wurde, den er ehemals „als ein Produkt seiner Tätigkeit" 2 8 selbst realisiert hatte. Nunmehr verselbständigen sich die staatlichen Institutionen und verschaffen sich eine von den Privattätigkeiten des Bürgers abgesonderte Existenz, indem die Regierungsgeschäfte sich in der Hand einer besonderen Menschenklasse konzentrierten. Die im Zuge dieser Arbeitsteilung entstehende Konzentration der politischen Macht auf der einen Seite, bewirkte auf der anderen eine Vereinzelung der Tätigkeiten, so daß jeder nur noch einer besonderen, von allen anderen Tätigkeiten verschiedenen, mithin spezialisierten Beschäftigung nachging.
25
G . W . F . Hegel, Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen Systems der Philosophie, a . a . O . S. 14.
26
N o h l , a . a . O . S . 2 6 2 ; vgl. ebenso 2 8 2 , 289.
27
A . a . O . S.222.
28
A . a . O . S.223.
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In diesem Zusammenhang bedient sich Hegel zum wiederholten Male des Bildes der „Staatsmaschine", um auf die Entfremdung hinzuweisen, die aus der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit entsteht. Indem Reichtum und Macht sich in den Händen einiger weniger Bürger versammeln, dienen die anderen „nur als einzelne Räder", deren vereinzelte Tätigkeit keinen Wert mehr für sich selbst besitzt, sondern „die ihren Wert erst in Verbindung mit andern erhalten". 2 9 Mit seiner ganzen Existenz auf einen eingeschränkten Teilabschnitt des „zerstückelten Ganzen" fixiert, geht er seiner bornierten Tätigkeit nach, ohne das Ganze dabei vor Augen zu haben. Das einzige Interesse und der einzige Zweck, an dem sich seine atomisierte Wirksamkeit bemißt, ist die „Brauchbarkeit" des Untertanen für den Staat. Und der Zweck des Untertanen ist der ausschließlich an die Kategorie des Eigentums angemessene „Erwerb und Unterhalt", so daß „entweder . . . jeder für sich, oder gezwungen für einen andern Einzelnen" arbeitet. 30 Im Zuge dieser umfassenden arbeitsteiligen Partikularisierung stellte sich folgerichtig als negative Begleiterscheinung das Ergebnis ein, daß jedwede Tätigkeit „für ein Ganzes, für eine Idee" aufgehoben wurde. - Diesen Verlust aller Freiheit - unter anderem auch der politischen - illustriert Hegel bezeichnenderweise an erster Stelle wieder an dem Verlust der moralischen Autonomie, nicht mehr die Freiheit zu besitzen, „selbstgegebenen (moralischen, F.-P. H . ) Gesetzen zu gehorchen". An die Stelle dieser Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes, dem ich in völliger Autonomie, in der Achtung um seiner selbst willen, folge, ist die Fremdbestimmung durch das „Recht an Sicherheit des Eigentums" getreten, das „der Angel" ist, um den sich die ganze äußere Gesetzgebung dreht. 31 Dieser Vervielfältigung der Tätigkeiten der Menschen in ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der jeder nur seinen partiellen - individuellen Interessen nachgeht, ohne sich für die Idee eines Ganzen, die er in sich trägt, produktiv einsetzen zu können, dieser Entzweiung seiner realen Welt korrespondiert eine religiöse Vorstellung, die diese Entzweiung auf erhöhter Stufenleiter reproduziert. Trugen die griechischen Polisbürger „das Ewige, das Selbständige . . . in ihrem eigenen Busen", so brauchten sie
' Ebda. Ebda. 31 Vgl. entsprechend die Fragmente historischer Studien bei Karl Rosenkranz, G. W. F. Hegels Leben, a.a.O. S.525: „In den Staaten der neueren Zeit ist Sicherheit des Eigenthums der Angel, um den sich die ganze Gesetzgebung dreht, worauf sich die meisten Rechte der Staatsbürger beziehen." usw. 2
30
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weder „Gott noch Unsterblichkeit außer sich"i2 zu suchen. Sie realisierten es in ihrer unmittelbaren Wirklichkeit selbst und standen folglich in keiner Abhängigkeit von einem ihnen von außen auferlegten, heteronom gebietenden Gesetz einer höchsten Autorität. Die einzige Autorität, die sie gelten ließen, weil sie sie sich selbst gegeben hatten, war das Sittengesetz in ihnen, dem sie dadurch folgten, daß sie es in der äußeren Wirklichkeit de facto herstellten. - Dem christlichen Menschen der Moderne hingegen ist das Prinzip dessen, was er zu tun habe, nicht in seinem Innern selbst gegeben, sondern er, schon mit seiner äußern Wirklichkeit entzweit, empfängt dieses Prinzip von einer seinem Innern vorgestellten Autorität. Der Entzweiung des äußeren Menschen entspricht die des inneren. Indem er im gesellschaftlichen Verkehr schon einer ihm äußerlichen, fremden Gesetzgebung unterworfen ist, um so mit dem Ganzen, dem er gezwungenermaßen dient, entzweit zu sein, ist er es gleichermaßen in seinem Innern, und dient auch hier einem ihm von außen auferlegten höchsten Gesetz eines ihm fremden Willens, dem er sich nur in vollständiger Unterwürfigkeit zu nähern vermag.33 Was Hegel aber in diesem frühen Entwurf beschreibt ist nichts anderes als diejenige Zerrissenheit, die er in der Phänomenologie des Geistes unter der Uberschrift des unglücklichen Bewußtseins im Zusammenhang der christlichen Theologie thematisieren wird. 34 Auch für dieses mit sich entzweite Bewußtsein steht auf der einen Seite das „einfache unwandelbare, als das Wesen", auf der anderen aber „das vielfache wandelbare, als das Unwesentliche"35, und beide sind sowohl durch einen unüberbrückbaren Abgrund voneinander getrennt, als auch in dem einen - mit sich entzweiten Bewußtsein vereinigt. Dieses in sich widersprüchliche Bewußtsein „stellt sich auf die Seite des wandelbaren Bewußtseins, und ist sich das Unwesentliche." 36 Weil es aber ebenso sehr von dem Wesentlichen weiß, dem es nicht
32
S y s t e m p r o g r a m m , a. a. O . S. 2 2 0 .
33
V g l . entsprechend N o h l , a. a. O . S. 2 2 6 : „; ihm (dem christlichen G o t t , F . - P . H . ) w u r d e nicht nur das R e c h t der G e s e t z g e b u n g ausschließend eingeräumt, s o n d e r n von i h m jede gute R e g u n g , jeder bessere V o r s a t z und E n t s c h l u ß als sein W e r k erwartet, nicht in dem Sinne, wie die S t o i k e r alles G u t e der G o t t h e i t z u s c h r i e b e n , i n d e m sie ihre Seelen als ihres G e s c h l e c h t s , als einen F u n k e n v o n ihr sich d a c h t e n , s o n d e r n in d e m Sinne, als das W e r k eines W e s e n s , das außer uns ist, dessen T e i l w i r nicht sind, das uns ferne ist, mit dem wir nichts G e m e i n e s h a b e n . "
34
G . W . F . H e g e l , P h ä n o m e n o l o g i e des Geistes, a . a . O . S. 1 6 6 - 1 8 2 .
» A . a . O . S. 167. Μ Ebda.
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entspricht, so wird es über seine Mangelhaftigkeit hinausgetrieben und geht darauf aus, sich dem Umwandelbaren zu nähern, indem es sich von seiner Mangelhaftigkeit und eigenen Nichtigkeit befreit. Aber es kann die von ihm selbst produzierte Entzweiung nicht überwinden. Es hat zwar das Bewußtsein seiner eigenen Wandelbarkeit nur deswegen, weil es um das Unwandelbare in sich weiß und strebt so über seine eigene Inferiorität hinaus. Es ist sich des Unwandelbaren als seines eigentlichen Wesens zwar bewußt, kann sich dieses aber nie aneignen, sondern es bleibt als das ihm Fremde immer nur der Gegenstand eines nie erfüllbaren Strebens. - Mit einem Wort: Es ist deswegen in sich zerrissenes, unglückliches Bewußtsein, weil es sowohl das Wandelbare, als auch das Unwandelbare in sich trägt, aber diesen immer wieder aufs Neue reproduzierten Zwiespalt nicht zu schlichten vermag. Es als das wandelbare Bewußtsein sollte zwar das Unwandelbare des Wesens sein, diesen Anstoß hat es in sich selbst, es weiß das Unwandelbare als sein Wesen, dem es entsprechen müßte. Aber es kann diese Entsprechung aktualiter nie verwirklichen und es bleibt bei dem ewig in sich entzweiten Zustand eines bloßen Sollens stehen. Und weil dieses Bewußtsein beide sich absolut entgegengesetzten Positionen unmittelbar in sich trägt, die immer wieder aufs Neue kollidieren, deswegen kann es sich dagegen auch nicht gleichgültig verhalten, sondern wird in eine sich unendlich widerstreitende Bewegung hineingerissen. In Hegels Worten: „Die Stellung, welche es (das Bewußtsein, F.-P. H.) beiden giebt, kann daher nicht eine Gleichgültigkeit derselben gegen einander, d. i. nicht eine Gleichgültigkeit seiner selbst gegen das Unwandelbare seyn; sondern es ist unmittelbar selbst beide, und es ist für es die Beziehung beyder als eine Beziehung des Wesens auf das Unwesen, so daß dies letztere aufzuheben ist, aber indem ihm beyde gleichwesentlich und widersprechend sind, ist es nur die widersprechende Bewegung, in welcher das Gegentheil nicht in seinem Gegentheile zur Ruhe kommt, sondern in ihm nur als Gegentheil sich neu erzeugt." 37 Das letzte Wort bleibt auf dieser Stufe der Schmerz darüber, als das lebendige Wirkliche nur das Nichtige zu sein, dem das unlebendige Wesentliche das absolut Jenseitige ist, dem es als seinem Ideal nachstreben muß, ohne es doch jemals erreichen zu können. Das Bewußtsein empfindet in seinen diesseitigen endlichen Werken immer den Mangel, nicht das jenseitige unendliche Wesen zu sein, vor dem seine ganzen Aktivitäten wie ein
"
A . a . O . S. 167/68.
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Nichts vergehen. Gerade sein Verhaftetsein an das Endliche gibt ihm das Bewußtsein, nur das Gegenteil des vollkommenen Wesens zu sein, vor dessen Maßstab, den es in sich selbst trägt, sein Tun und Treiben verworfen ist. Und erhebt es sich auch über seine Wandelbarkeit und geht ins Unwandelbare über, so kann es doch nie seinen bloß negativ motivierten Antrieb, seine Mangelhaftigkeit abzulegen, loswerden, sondern behält immer diese Partikularität seines Strebens als einen Makel an sich. N u r im Bewußtsein eigener Verworfenheit geschieht diese Erhebung, so daß die Erhebung eigentlich nichts anderes als die Anerkennung derjenigen Verworfenheit ist, die aufgehoben werden sollte. „Das Unwandelbare, das in das Bewußtseyn tritt, ist ebendadurch zugleich von der Einzelnheit berührt, und nur mit dieser gegenwärtig; statt diese im Bewußtseyn des Unwandelbaren vertilgt zu haben, geht sie (die Einzelnheit, F.-P. H . ) darin immer nur hervor." 3 8 Am Ende triumphiert folglich die Verderbtheit des endlichen Bewußtseins, das sich mit dem Unendlichen immer wieder wegen seiner eigenen Endlichkeit konfrontiert, das aber, als dieses Endliche sich des Unendlichen nie bemächtigen kann, es sei denn um den Preis, daß es dieses dadurch selbst verendlichte. Es ist das mit sich entzweite, unglückliche Bewußtsein, das immer soll und nie kann, und das „das Ewige, das Selbständige", das die Griechen „in ihrem eigenen Busen" trugen 3 9 , nunmehr außer sich suchen muß, ohne es doch je finden zu können, weil es das Unendliche nur dadurch aufrecht erhalten kann, daß es seine eigene Minderwertigkeit pflegt und kultiviert. „In dem Schöße dieser verdorbenen Menschheit, die sich von der moralischen Seite selbst verachten mußte, aber sonst als einen Liebling der Gottheit hochhielt, mußte die Lehre von der Verdorbenheit der menschlichen Natur erzeugt, und gern angenommen werden; sie stimmte einerseits mit der Erfahrung überein, andrerseits tat sie dem Stolze Genüge, die Schuld von sich abzuwälzen, und im Gefühl des Elends selbst einen Grund des Stolzes zu geben, sie brachte zu Ehren, was Schande ist, sie heiligte und verewigte jene Unfähigkeit, indem sie selbst das, an die Möglichkeit einer Kraft glauben zu können, zur Sünde machte." 4 0
3» A . a . O . S. 168. « Nohl, a . a . O . S.223. 40
A . a. O . S. 225. Vgl. entsprechend auch I. Kant, R G V , a. a. O . S. 285, A n m . ; dort heißt es: „ N u n liegt es gewiß nicht an der inneren Beschaffenheit des christlichen Glaubens, sondern an der A r t , wie er an die G e m ü t e r gebracht wird, wenn ihm an denen, die es am herzlichsten mit ihm meinen, aber vom menschlichen Verderben anhebend und an aller Tugend
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Und so prägnant wie bündig wird Hegel in seinen erstmals 1805/06 gehaltenen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie in gleichem Geiste jene „falsche christliche Demut und Bescheidenheit" geißeln und verhöhnen, die diese Verdorbenheit als ein hinzunehmendes Faktum propagiert und - was noch mehr ist - kultiviert. „Wir taugen eben einmal nicht, und weil wir nichts taugen, so taugen wir eben nichts und wollen nichts taugen. Es ist eine sehr falsche christliche Demut und Bescheidenheit, durch seine Jämmerlichkeit vortrefflich sein - das Erkennen seiner Nichtigkeit ein innerer Hochmut und Selbstgefälligkeit." 41 Weil wir also nichts taugen oder weil wir, ausführlicher gesagt, das moralische Gesetz nicht mehr in uns tragen, hängte sich die christliche Demut an ein Absolutes, das sie nunmehr außer sich, außerhalb „der Sphäre ihrer Macht", suchen mußte, und das sie nur noch durch Wünschen, Flehen und Bitten sich geneigt zu machen hoffen konnte. „Die Realisierung einer moralischen Idee konnte also nur noch gewünscht, (denn was man wünschen kann, kann man nicht selbst vollbringen, man erwartet, es ohne unser Zutun zu erhalten) nicht mehr gewollt werden." 4 2 Die conditio sine qua non für diese Ergebenheit in fremde Autorität und die damit zusammenhängende absolute Passivität findet Hegel einmal mehr in der realen Ohnmacht, die nicht mehr dazu in der Lage ist, ihr eigenes Interesse selbsttätig durchzusetzen. Erst wenn das äußere Leben der Menschen in sich entzweit ist, wenn sie sich auch hier in Abhängigkeit von einer sie manövrierenden Staatsmaschine befinden, der sie nur als das „mechanische Räderwerk" 4 3 eines „zerstückelten Ganzen" gelten, erst im Gefühl dieser wirklichen Ohnmacht, Schwäche und Zerrissenheit bildet sich auch jenes zerrissene Bewußtsein heraus, das sie in „träger Messiashoffnung" dazu treibt, „nach einem solchen Trost in ihren
verzweifelnd, ihr Religionsprinzip allein in der Frömmigkeit (worunter der Grundsatz des leidenden Verhaltens in Ansehung der durch eine Kraft von oben zu erwartenden Gottseeligkeit verstanden wird) setzen, ein jenem ähnlicher Vorwurf gemacht werden kann; weil sie nicht ein Zutrauen in sich selbst setzen, in beständiger Ängstlichkeit sich nach einem übernatürlichen Beistande umsehen und selbst in dieser Selbstverachtung (die nicht Demut ist) ein Gunst erwerbendes Mittel zu besitzen vermeinen, wovon der äußere Ausdruck (im Pietismus oder der Frömmelei) eine knechtische Gemütsart ankündigt." Auf die Vorbildstellung dieser frühen Überlegungen aus der „Positivität der christlichen Religion" für die entsprechenden Ausführungen über das „unglückliche Bewußtsein" in der Phänomenologie des Geistes macht übrigens schon H. Glockner in Nachfolge Wilhelm Diltheys aufmerksam. Vgl. Hermann Glockner, Hegel, 2. Bd., a. a. O. S. 52 f. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, hg. von H. Glockner, Stuttgart-Bad Cannstatt 1965, S.586. « Nohl, a . a . O . S.224. 43 Systemprogramm, a. a. O . S. 220. 41
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heiligen Büchern (zu, F.-P. H.) graben." 44 Gegen diese Unterwürfigkeit der christlichen Religiosität, die ein direktes Resultat oder der parallele Ausdruck der Entzweiung innerhalb der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Menschen ist, in der die Menschen nur als „einzelne Räder" der „Staatsmaschine" dienen, gegen diese doppelte Entzweiung macht Hegel darauf aufmerksam, daß „es unsern Tagen vorzüglich aufbehalten" blieb, „die Schätze, die an den Himmel verschleudert worden sind, als Eigentum der Menschen, wenigstens in der Theorie, zu vindizieren." „Aber", so ruft er aus, „welches Zeitalter wird die Kraft haben, dieses Recht geltend zu machen, und sich in den Besitz zu setzen?" 45 Den gleichen gedanklichen Duktus zeigt uns das Systemprogramm. Indem es die moralische Idee der Freiheit, wie sie sich in jedem einzelnen Menschen als Repräsentanten der Menschheit niederschlägt, mit dem Staatsmechanismus konfrontiert, so stellt sich heraus, daß der Staat, eben weil er wesentlich auf die kausal bestimmte Mechanik bezogen ist, der Idee der Menschheit entgegen ist. Sind nach dieser Idee die Menschen moralisch autonome Wesen, dann behandelt hingegen der Staat - seiner Mechanik entsprechend - freie Menschen wie ein mechanisches Räderwerk, die innerhalb einer Maschine nur ihre partikularen Tätigkeiten verrichten, ohne die von der moralischen Idee geforderten Repräsentanten der ganzen Menschheit zu sein, ohne in ihrer Einzelnheit die allgemeine Idee der Menschheit in sich zu tragen. - Statt dessen verrichten sie, innerhalb eines „zerstückelten", atomisierten Ganzen ausschließlich eine Teiltätigkeit, die der Beziehung auf eine sinnvolle Einheit in ihrer mechanisierten Arbeitsteiligkeit vielmehr entbehrt. Deshalb, weil „jeder Staat . . . freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln" muß, und weil er das - gemessen an ihrer moralischen Autonomie - nicht soll, deshalb „soll er aufhören".46 Diesem Kampf gegen die Fremdbestimmtheit auf der realen Ebene des Staates, gegen diese Zerissenheit und Entzweiung, folgt aber im Systemprogramm die entsprechende Absage an die Entzweiung auf religiöser Ebene: Die „absolute Freiheit aller Geister" wird gefordert, und diese freien
44
Nohl, a . a . O . S.225. Entsprechend formuliert Hegel in der Vorrede der Phänomenologie des Geistes, a. a. O. S. 17, wenn er in Abs. acht sagt: „Der Geist zeigt sich so arm, daß er sich, wie in der Sandwüste der Wanderer nach einem einfachen Trunk Wassers, nur nach dem dürftigen Gefühle des Göttlichen überhaupt f ü r seine Erquickung zu sehnen scheint. A n diesem, woran dem Geiste genügt, ist die Größe seines Verlustes zu ermessen."
45
Nohl, a . a . O . S.225. S y s t e m p r o g r a m m , a. a. O . S. 220.
46
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Geister verschleudern nicht länger mehr ihre Schätze an den Himmel, sondern sollen „die intellektuelle Welt (nunmehr, F.-P. H . ) in sich tragen". Parallel lautete die Aufgabenstellung des Nohl-Fragments, wenn die an den Himmel verschleuderten Schätze als Eigentum der Menschen zurückerobert werden sollten, was positiv mit dem Systemprogramm zu besagen hat, daß die freien Geister nicht länger mehr „Gott" oder „Unsterblichkeit ...
außer
sich suchen dürfen". 4 7 Wir finden also auch hier die schon oft
beobachtete Ubereinstimmung zwischen den Gedanken des Fragments und denjenigen Überlegungen, die Hegel während seiner Berner Jahre als Hauslehrer zu Papier brachte. Hier sei außerdem noch darauf hingewiesen, daß es in dem Bruchstück zur Positivität der christlichen Religion einen interessanten Hinweis auf einen derjenigen Begriffe der Phänomenologie des Geistes gibt, die sich bis auf den heutigen Tag ihre Popularität bewahrt haben, und, es ist wohl nicht zu viel gesagt, den Stellenwert von klassischen Prägungen für sich beanspruchen dürfen. Es ist die Rede von dem K a m m e r d i e n e r d e r M o r a lität. In der Positivitätsschrift entwickelt Hegel diesen terminus an dem Schicksal der Juden und derjenigen Einschätzung, der ihr Schicksal aus der
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Ebda. Vgl. auch Nohl, a. a. O. S. 233/34: „Ein positiver Glauben ist ein solches System von religiösen Sätzen, das für uns deswegen Wahrheit haben soll, weil es uns geboten ist von einer Autorität, der unsern Glauben zu unterwerfen wir uns nicht weigern können. In diesem Begriff kommt vors erste ein System religiöser Sätze, oder Wahrheiten vor, die, unabhängig von unserm Führwahrhalten, als Wahrheiten angesehen werden sollen, die wenn sie auch keinem Menschen nie bekannt, von keinem Menschen nie für wahr gehalten worden wären, dennoch Wahrheiten blieben, und die insofern häufig objektive Wahrheiten genannt werden - diese Wahrheiten nun sollen auch Wahrheiten für uns, subjektive Wahrheiten werden - Diejenigen Wahrheiten, die den Verstand oder die Vernunft betreffen, sollen von diesen als solche aufgenommen, diejenigen, die Gebote für unsern Willen enthalten, sollen von ihm als Maximen aufgenommen werden, und zwar ist derselben erstes Gebot, die Bedingung aller übrigen - dasjenige, das uns gebietet, jene Wahrheiten für solche zu halten - dies wird uns nämlich geboten von einer Autorität, der wir es schlechterdings nicht ausschlagen können zu gehorchen - . . . — Die Fähigkeit zu einem solchen (positiven Glauben, F.-P. H.) setzt notwendig Verlust der Freiheit der Vernunft, der Selbständigkeit derselben voraus, die einer fremden Macht nichts entgegenzusetzen vermag." Vgl. besonders auch I. Kant, RGV, a. a. O. S. 255, die Wendung, „ . . . , solange wir die Religion nicht in uns, sondern außer uns suchen." Ebenso I. Kant, KrU, a. a. O. § 87, S. 419; dort heißt es: „Wir finden aber in uns selbst und noch mehr in dem Begriffe eines vernünftigen, mit Freiheit (seiner Kausalität) begabten Wesens überhaupt auch eine moralische Teleologie, die aber, weil die Zweckbeziehung in uns selbst a priori sammt dem Gesetze derselben bestimmt, mithin als notwendig erkannt werden kann, zu diesem Behuf keiner verständigen Ursache ausser uns für diese innere Gesetzmässigkeit bedarf, ... (Herv, v. Verf., F.-P. H.)"
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Eine Ethik
Perspektive des heutigen Betrachters unterliegt. Solange, so beginnt Hegel seine Überlegungen, der „jüdische Staat Mut und Kraft" hatte, „sich unabhängig zu erhalten", und diese Kraft „in sich selbst fand, finden wir die J u d e n ' zur Erwartung eines Messias selten." 48 Sobald sie aber „von fremden Nationen" unterdrückt wurden, rief diese Unterdrückung in ihnen ein „Gefühl" der „Ohnmacht und Schwäche" hervor und ließ sie ihren „Trost in ihren heiligen Büchern" suchen. Als sich ihnen dann „ein Messias anbot, der ihre politischen Hoffnungen nicht erfüllte" - denn bekanntermaßen war das Reich des Gottessohnes nicht von dieser Welt - hielt sich das jüdische Volk deswegen nicht an ihn, weil es sich von ihm im Gegenteil erwartet hatte, daß er einen neuen - diesseitigen - Staat errichte. Es war ihnen also positiv daran gelegen, daß „ihr Staat noch ein Staat" sei, und mit dieser Hoffnung wandten sie sich an den Messias, die er ihnen jedoch n i c h t erfüllte. Jedes Volk aber, so Hegel weiter, welchem es gleichgültig ist, ob sein „Staat noch ein Staat" sei, „solches wird bald aufhören, ein Volk zu sein." 49 Nachdem sich nun die jüdischen Hoffnungen auf den Messias nicht erfüllt hatten, warf das jüdische Volk kurz danach „seine trägen Messiashoffnungen weg, griff zu den Waffen" und pflanzte das „Panier eigenen Mutes" auf. Hiermit verfolgte es selbstverständlich nur e i n e n Zweck: ihr Staat sollte ein wirklicher Staat sein. Und „nachdem es alles getan, was höchstbegeisterter Mut leisten kann, das grauenvollste menschliche Elend ertragen hatte, begrub es sich und seinen Staat unter den Ruinen seiner Stadt, und würde in der Geschichte, in der Meinung der Nationen neben Karthaginiensern und Sanguntinern, größer als die Griechen und Römer, deren Städte ihren Staat überlebten, dastehen." 50 Sie täten dies aber nur dann, wenn den modernen Betrachtern ihres Schicksals nicht genau dasjenige Gefühl ermangelte, wegen dessen sie sich in den Kampf begeben hatten. Uns nämlich, so stellt Hegel resigniert fest, ist „das Gefühl dessen, was ein Volk für seine Unabhängigkeit tun kann", vollkommen fremd. Statt dessen, so Hegels sarkastische Bemerkung, mit der er zehn Jahre später den Kammerdiener der Moral mit Hohn und Spott überschütten wird, statt dessen beweist sich der Mut der modernen Kritiker, Pädagogen und Schulmeister darin, daß sie aus einer gesicherten Distanz von annähernd 2000 Jahren das jüdische Volk darüber belehren - ,
48 Nohl, a.a.O. S.224. « A.a.O. S.225.
so Ebda.
,Die Positivität der christlichen Religion"
411
ja es ihm vorschreiben wollen, es hätte seine Sache nicht zu der seinigen machen sondern vielmehr die Meinungen dieser „psychologischen Kleinmeister" beherzigen sollen, um für diese Meinungen zu leben und zu sterben, „zu deren Behauptung sie (die feinen Menschenkenner der Moderne, F.-P. H.) keinen Finger rühren." 51 Mit all dieser Schulmeisterei haben diese delikat abwägenden psychologischen Kleinmeister freilich nur das Eine bewiesen: Daß es ihnen gleichgültig ist, ob ihr Staat noch ein Staat sei. - Mit dieser Kritik an der „Moralität solcher feinen Menschenkenner" vergleiche man nun die Polemik, die Hegel gegen die moralisierend beschauliche Besserwisserei der Kammerdienerperspektive in der Phänomenologie des Geistes vorbringt, wenn er ihr folgende handfeste Charakteristik zuteil werden läßt: „Es gibt keinen Helden für den Kammerdiener; nicht aber weil jener nicht ein Held, sondern weil dieser - der Kammerdiener ist, mit welchem jener nicht als Held, sondern als Essender, Trinkender, sich Kleidender, überhaupt in der Einzelnheit des Bedürfnisses und der Vorstellung zu thun hat. So gibt es für das Beurtheilen keine Handlung, in welcher es nicht die Seite der Einzelnheit der Individualität der allgemeinen Seite der Handlung entgegensetzen und gegen den Handelnden den Kammerdiener der Moralität machen könnte.... Es ist ferner Heuchelei, weil es solches Beurtheilen nicht für eine andere Manier, böse zu seyn, sondern für das rechte Bewußtseyn der Handlung ausgiebt, in dieser seiner Unwirklichkeit und Eitelkeit des gut und besser Wissens sich selbst über die heruntergemachten Thaten heraufsetzt und sein thatloses Reden für eine vortreffliche Wirklichkeit genommen wissen will." 52
51 52
Ebda. G . W . F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, a . a . O . S. 510. Vgl. ebenso G . W . F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Bd. 1, Die Vernunft in der Geschichte, hg. von J. Hoffmeister, Hamburg 1955, S. 102 ff. Ich gebe hier eine ausführliche Zusammenfassung der besonders charakteristischen und prägnanten Äußerungen: „Es ist die psychologische Kleinmeisterei, die diese Trennung vornimmt; indem sie der Leidenschaft den Namen einer Sucht gibt und dadurch die Moral jener Menschen verdächtig macht, stellt sie die Folgen von dem, was sie getan haben, als ihre Zwecke vor und setzt die Taten selbst zum Mittel herab: sie haben nur aus Ruhmsucht, Eroberungssucht gehandelt. So wird ζ. B. das Streben Alexanders als Eroberungssucht zu etwas Subjektivem gemacht und ist deswegen nicht das Gute. Diese sogenannte psychologische Betrachtung weiß alle Handlungen ins Herz hinein so zu erklären und in die subjektive Gestalt zu bringen, daß ihre Urheber alles aus irgendeiner kleinen oder großen Leidenschaft, aus einer Sucht getan haben und um dieser Leidenschaften und Suchten willen keine moralischen Menschen gewesen seien. Alexander von Makedonien hat zum Teil Griechenland, dann Asien erobert, also ist er eroberungssüchtig gewesen. Er hat aus Ruhmsucht, Eroberungssucht gehandelt, und der Beweis, daß diese ihn getrieben haben, ist, daß er solches getan habe, das Ruhm brachte. Welcher Schulmeister hat nicht von Alexander dem Großen, von Julius Cäsar
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Eine Ethik
Auf den letzten Seiten des Abschnitts über den „Unterschied zwischen griechischer Phantasie- und christlicher positiver Religion" gibt Hegel einen zusammenfassenden Uberblick über diejenigen Formen staatlicher, gesellschaftlicher und religiöser Entäußerung bzw. Entfremdung, wie wir sie schon im Einzelnen kennengelernt haben, und die seine „Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit" abschließend auf den Begriff bringen. Er wendet seine Aufmerksamkeit nochmals jenem „kraftlosen (in sich entzweiten, F.-P. H.) Geschlecht" zu, das mit „redlichem Herzen und einem gutmeinenden Eifer . . . sich . . . zu dem Altar" flüchtete, auf dem es dasjenige fand und anbetete, was es nicht länger mehr in selbstgesetzgebender Autonomie sein eigen nennen konnte: „Selbständigkeit und Moralität", und dem es sich nun, als etwas von fremder Hand ihm Auferlegten, restlos unterwarf. Das Christentum, nicht allein daß es der unmittelbare Reflex der Zerrissenheit des gesellschaftlichen Seins des Menschen war, reproduzierte als Institution selbst jenen Unterschied zwischen arm und reich, „vornehm" und „gering", und „vergiftete" mit seiner despotischen Ausübung von Herrschaft „alle Quellen des Lebens und Seins". Vor diesem Hintergrund erschien die „ganze Unbedeutsamkeit" des Zeitalters, das einerseits - Hand
vordemonstriert, daß diese Menschen von solchen Leidenschaften getrieben worden und daher unmoralische Menschen gewesen seien? woraus sogleich folgt, daß er, der Schulmeister, ein vortrefflicherer Mensch sei als jene, weil er solche Leidenschaften nicht besitze und den Beweis dadurch gebe, daß er Asien nicht erobere, den Darius, Porus nicht besiege, sondern freilich wohl lebe, aber auch leben lasse. - Diese Psychologen hängen sich dann vornehmlich auch an die Betrachtung von den Partikularitäten, welche den großen, historischen Figuren als Privatpersonen zukommen. D e r Mensch muß essen und trinken, steht in Beziehung zu Freunden und Bekannten, hat Empfindungen und Aufwallungen des Augenblicks. Solche Partikularitäten haben jene großen Männer auch gehabt, haben gegessen, getrunken, dies Gericht lieber gegessen, diesen Wein lieber getrunken als einen andern oder als Wasser. F ü r einen Kammerdiener gibt es keinen Helden, ist ein bekanntes Sprichwort; ich habe hinzugesetzt, - und G o e t h e hat es zwei Jahre später wiederholt, - nicht aber darum, weil dieser kein Held, sondern weil jener der Kammerdiener ist. Dieser zieht dem Helden die Stiefel aus, hilft ihm zu Bette, weiß, daß er lieber Champagner trinkt usf. F ü r den Kammerdiener gibt es den Helden nicht; der ist für die W e l t , die Wirklichkeit, die Geschichte. - D i e geschichtlichen Personen, von solchen psychologischen Kammerdienern in der Geschichtsschreibung bedient, kommen schlecht weg; sie werden von ihnen nivelliert, auf gleiche Linie oder vielmehr ein paar Stufen unter die Moralität solcher feinen Menschenkenner gestellt. D e r Thersites des H o m e r , der die Könige tadelt, ist eine stehende Figur aller Zeiten. Schläge, d. h. Prügel mit einem soliden Stabe, b e k o m m t er zwar nicht zu allen Zeiten, wie in den homerischen; aber sein Neid, seine Eigensinnigkeit ist der Pfahl, den er im Fleische trägt; und der unsterbliche W u r m , der ihn nagt, ist die Q u a l , daß seine vortrefflichen Absichten und Tadeleien in der Welt doch ganz erfolglos bleiben. M a n kann auch eine Schadenfreude am Schicksal des Thersitismus haben."
„Die Positivität der christlichen Religion"
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in Hand mit dem Despotismus - die extremste Form weltlicher und geistiger Unterdrückung praktizierte, und andererseits im Gefühl universeller Verworfenheit des Menschengeschlechts, dem sie den „Nimbus der Heiligkeit" gab, schwelgte, so daß Niedertracht und Jämmerlichkeit Ausdruck des Vortrefflichen waren und als „die höchste Ehre der Menschheit" gepriesen wurden. „An diesem", so können wir wiederum mit Hegels Vorrede der Phänomenologie des Geistes sagen, „woran dem Geiste genügt, ist die Größe seines Verlustes zu ermessen." 5 3 Darüber hinaus kritisiert Hegel mit Hilfe von Kants Sittengesetz und der daraus abgeleiteten Postulatenlehre vom höchsten Gut, daß das Göttliche nicht mehr als ein moralisches Postulat der praktischen Vernunft, dem als einem „Ideal der Vollkommenheit" uns anzunähern aufgegeben ist, begriffen wurde, sondern daß an die Stelle dieser einzig noch übrig gebliebenen - moralischen - Beweisart, auf das Dasein Gottes (praktisch) zu schließen, wieder das orthodox dogmatische Schlußverfahren getreten ist. Mit den Kategorien und Anschauungsformen der physikalischen Naturerkenntnis wurde jetzt der Versuch unternommen, sie unbedenklich über jede Erfahrungsgrenze hinaus anzuwenden und zu erweitern. Von diesem auf die Welt
der
Erscheinungen
eingeschränkten
naturwissenschaftlichen
Erkenntnisrepertoir wurde ohne jede Rechenschaft ein transzendenter Gebrauch gemacht, um so einen theoretischen Beweis von der Existenz Gottes abzuliefern. Anstatt die Ideen der Vernunft als Regulativa, oder, wie Hegel sagt: dynamische Verstandesbegriffe zu gebrauchen, um so der empirischen Naturerkenntnis der theoretischen Vernunft eine sich immer weiter ausdehnende Ausbreitung zu verschaffen, wurde die regulative Idee von der transzendenten Gottheit in eine immanente Kategorie des empirischen Verstandesgebrauchs umgewandelt. Das Resultat davon war, daß nicht allein
„Zahlenbegriffe",
„Reflexionsbegriffe von
Verschiedenheit
udgl." auf die Vernunftidee Gottes angewendet wurden, sondern das Unendliche wurde mittels empirisch sinnlicher Anschauungen endgültig verendlicht, wenn „seine Eigenschaften aus Begebenheiten in seiner Natur" hergeleitet werden sollten, die sich an sinnlichen Vorstellungen wie „Entstehen, Schaffen, Erzeugen" ausrichteten. 54 Mit diesen „Spitzfindigkeiten" verband sich das vollständigste Quidproquo: Das Unendliche wurde verendlicht, und das Endliche setzte sich in den Besitz der Unwandelbarkeit
53 54
G . W . F . Hegel, Phänomenologie des Geistes, a . a . O . S. 17. Nohl, a . a . O . S . 2 2 6 f .
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Eine Ethik
des Wesens, ohne sich doch seiner Endlichkeit entledigt zu haben. „Diese Bestimmungen und Spitzfindigkeiten blieben nicht, wie sonst, in den Studierstuben der Theologen eingeschlossen, ihr Publikum war die ganze Christenheit, alle Stände, alle Alter, beide Geschlechter nahmen gleichen Anteil daran, und die Verschiedenheit in solchen Meinungen erregte den tödlichsten Haß, die blutigsten Verfolgungen, oft eine völlige Zerrüttung aller moralischen Bande und der heiligsten Verhältnisse. Eine solche Umkehrung der Natur konnte nicht anders als sich aufs fürchterlichste rächen." 55 Mit feiner Ironie schildert Hegel daraufhin die Auswirkungen dieser vollständigen Verkehrung und Entzweiung. An die Stelle jenes praktisch motivierten moralischen Endzwecks der Welt trat die „Ausbreitung" der institutionalisierten „christlichen Religion". Die damit schon vorgegebene Partikularität der Zwecksetzung wurde aber dadurch noch mehr ins Extrem getrieben, daß „eine einzelne Gemeinde, einzelne Menschen besonders Priester" sich ihren besonderen Interessen hingaben, die von „Eigendünkel, Stolz, Ehrfurcht, Neid, Haß" und anderen „Leidenschaften" bestimmt waren. - Für die „schöngemalte Vorsehungs- und Trosttheorie" der die „Glückseligkeitslehre" akzentuierenden Moderne war selbstverständlich zu der Zeit, als sich die christliche Religion erst ausbreitete, noch kein Raum. Das „blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern" 56 , und das damit verbundene Unglück verhinderte den Anspruch auf eine diesseitige Glückseligkeit. Nur diejenigen Forderungen, die der Einzelne im Gefühl seiner Abhängigkeit von der Kirche - im Namen der Kirche tat, konnten sich sehen lassen. Entsprechend nahmen sie sich aus: Verzicht auf „die Freuden der Welt und die Güter der Erde, die sie (ohnehin, F.-P. H . ) entbehren mußten"; dafür aber „reichliche Entschädigung im Himmel". Und war an die Stelle der schönen griechischen Freiheit, w o der Einzelne organisches Glied der harmonisch zusammengefügten Allgemeinheit gewesen war, für deren Idee er sich einsetzte, die „Idee der Kirche getreten", so unterschied sich diese neue Idee und die dazugehörige Realität nicht nur ganz unerheblich von der vormaligen Totalität, sondern bot außerdem auch noch reichlichen Ersatz für eventuelle Entbehrungen. Zwar gab es in der institutionalisierten Kirche keine Freiheit mehr, die das griechische Gemeinwesen auf der Erde selbst realisiert hatte. Aber was ist schon die
« A . a . O . S.227. 56 S y s t e m p r o g r a m m . a . a . O . S. 221.
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,Die Positivität der christlichen Religion"
Bestimmtheit verwirklichter Freiheit im Vergleich zu derjenigen erhabenen Stimmung, in die uns ein inniger Gedankenaustausch mit dem Himmel versetzt. U m diesen Unterschied in seiner ganzen Tiefe würdigen und ausmessen zu können, bedarf es freilich des delikaten ,Empfindungssystems der Christen'. Wer aber, in irdischen Banden befangen, sich dieses Hohegefühls nicht bemächtigen kann, der wird in seiner Erdgebundenheit versucht sein, „das (christliche, F.-P. H . ) Hingeben aller Freuden und Güter" als eine „Aufopferung"
und
einen
Verlust
anzusehen,
„und
nur
denjenigen
Zuschauern des Todes der Märtyrer" mußte dieser Tod „außerordentlich vorkommen, die jene Empfindung der Nähe des Himmels nicht kannten." 5 7 So die feine Ironie, mit der Hegel der in der Niedrigkeit und Verworfenheit gefundenen Größe des ,guten Christenmenschen" gedenkt. Die festgestellte Entzweiung zeigte aber selbstverständlicherweise auch ihr ernstes Gesicht; man könnte, in Fortführung der Hegeischen Ironie sagen: um den Christen ihre Zugehörigkeit zu „den oberen Rängen" (Th. Mann) nicht in den Kopf steigen zu lassen. - Der Despotismus und der damit verbundene Verlust gesellschaftlicher Freiheit verjagte das Bewußtsein des Menschen aus dem Diesseits und zwang ihn, statt dessen sein Heil im Jenseits zu suchen. Aus dem diesseitigen Elend erwuchs die Hoffnung auf eine jenseitige Glückserfahrung, die sich auf diese Weise von vornherein als eine Mangelerscheinung zu erkennen gab. Und je verworfener und versklavter sich das Menschenlos gestaltete, desto unnachgiebiger wurden auch die Forderungen, die aus dem Jenseits' an den Menschen ergingen. U m also einen Begriff von der weltlichen Verderbtheit zu bekommen, um den jeweiligen „Geist der Zeiten" einzusehen, braucht man sich nur die Schärfe der Abhängigkeit und des Druckes zu vergegenwärtigen, mit welcher das Jenseits auf dem Diesseits lastet. Dieser Stärkegrad ist demjenigen direkt proportional, der auch für das weltliche Treiben verbindlich ist. Je mehr also von diesem Jenseits gesprochen wird, je populärer es wird, und je intensiver es „in aller Welt ausgeschrien" wird, bis „Kinder" es „auswendig" wissen, desto sicherer kann man des diesseitigen Zustandes gewiß sein: Es kann sich nur um einen Zustand vollständiger Unterwerfung und Abhängigkeit handeln. So viel nämlich, als „Gott in eine uns fremde Welt gesetzt wurde, an deren Gebiet wir keinen Anteil haben, wo wir durch unser Tun nichts anbauen, sondern (uns, F.-P. H . ) höchstens hineinbetteln
57
N o h l , a. a. O . S. 2 2 7 ; vgl. ebenso Hegels positive Darstellung dieses Vergleichs a. a. O . 2 2 8 f.
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Eine Ethik
oder (ehrfürchtig, F.-P. H.) hineinzaubern können" 5 8 , soviel nämlich und so intensiv war der Mensch auch mit seiner irdischen Wirklichkeit entzweit, in der er nunmehr ausschließlich noch als ein beliebig zu manövrierendes „mechanisches Räderwerk" der „Staatsmaschine" in Betracht kam. Dem Menschen, dergestalt selbst ein „Nicht-Ich", korrespondierte das andere ,Nicht-Ich seiner Gottheit'. Und ist das Bild der Gottheit ein direkter Widerschein der gesellschaftlichen Verhältnisse des Menschen, dann gilt dies entsprechend und noch viel deutlicher auch für das „System jeder Kirche". Je furchtbarer und erhabener die Vorstellung von Gott ist, desto furchtbarer nimmt sich auch das Zwangssystem der Kirche aus. Offenbart sich die Gottheit in Wundern, so tritt „in Ansehung des Entschließens und der Uberzeugung an die Stelle eigener Vernunft" die Abhängigkeit von derselben und von deren diesseitigem Statthalter. In dem Augenblick, da die Vorstellung von der Gottheit nur noch als ein einziger Kanon von unbedingt zu befolgenden Geboten und Verboten gegenwärtig war, wurde in ihrem Namen und in dem der Kirche „gefochten, gemordet, verläumdet, gebrannt, gestohlen, gelogen und betrogen." 5 9 Und weil die Christen ohnehin die unbedingte und uneingeschränkte Herrscherwürde ihres „hocherhabenen" obersten Gesetzgebers anerkennen, deswegen ist es „notwendig Undank und Verbrechen", „diesem König seine Ehrfurcht zu versagen". Und auch das Richteramt der Verbrechen bestrafenden Inquisition behält sich einmal mehr jede Kirche in ebenso uneingeschränkter Souveränität vor, wobei die etwaigen Modifikationen der Strafverfolgung wiederum Einblick in den Geist der jeweiligen Kirche gewähren. „Die eine Kirche verwaltet dieses Richteramt selbst; die andre verdammt in ihrem System, rührt aber keinen Finger, diesen Richterspruch schon auf Erden auszuführen, und ist dagegen versichert, daß die Gottheit selbst ihn ausführen werde, und der Eifer, durch Lehre oder andre kleine Mittel der Bestechung, oder Unterdrückung, die nur nicht bis zum Tode gehen durfte, mitzuwirken, scheint nach und nach zu erkalten, und ein Mitleiden an die Stelle des Hasses zu treten, eine Empfindung der Ohnmacht, die, so sehr ihr Grund ein Eigendünkel ist, der sich im Besitze der Wahrheit zu sein überredet, doch dem letzteren vorzuziehen ist." 60 Den Schlußpunkt in dieser Zusammenfassung der „Prinzipien für eine
58 59
Nohl, a . a . O . S.228. Ebda.
"> E b d a .
,Die Positivität der christlichen Religion"
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Geschichte der Menschheit" setzt Hegel damit, daß er sich noch einmal der gesellschaftlichen Entzweiung und ihren spezifischen Resultaten zuwendet. Als Selbstverständlichkeit wird von ihm zum wiederholten Male darauf hingewiesen, daß die unabdingbare Voraussetzung für das tätige „Interesse an einem Staate" die von ihm garantierte politische Freiheit ist. Nur daran nämlich kann man ein Interesse haben, für das man tätig sein kann.61 Einem Volk also, das keine politische Freiheit mehr hat, ist damit konsequenterweise auch das Interesse an seinem Staate abhanden gekommen. Wenn überdem der Zweck der gesellschaftlichen Tätigkeit von jedem Einzelnen nur noch in seinem partikularen Privatinteresse gefunden wird, und dem Staat nur noch die Aufgabe zugedacht ist, dieses System eigennütziger Bedürfnisse zu erhalten bzw. gegen fremde Angriffe in Schutz zu nehmen, dann, so schlußfolgert Hegel, wird ein Charakteristikum des ,Geistes der Zeit' „notwendig auch Abneigung gegen Kriegsdienste" sein. Sie nämlich stören in jederlei Hinsicht das allgemeine Bedürfnis nach einem „ruhigen, gleichförmigen" Genuß und setzen an seine Stelle „Beschwerlichkeiten" und die Gefahr des Todes, der jeglichem Privatinteresse unmittelbar ein Ende bereiten würde. Wer also ausschließlich seinen eigennützigen Interessen nachgeht und nur seinen eingeschränkten Begierden lebt, „wird im Angesichte des Feindes nur feige sein". 62 Darüber hinaus aber ist diese Feigheit auch noch ein sicheres Indiz für politische „Unterdrückung" und die ihr korrespondierende „Untätigkeit" des Einzelnen, der kein Interesse mehr an den Angelegenheiten seines Staates nehmen kann. Diesem politischen Zustand der Unterdrückung und daraus zwangsläufig sich einstellender völliger Passivität entspricht aufs genaueste der Geist
61
Vgl. entsprechend auch G. W . F. Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, a. a. O . S. 82; dort heißt es: „Interesse heißt (:) darin, dabei sein; ein Zweck, für welchen ich tätig sein soll, muß auf irgendeine Weise auch mein Zweck sein; ich muß meinen Zweck zugleich dabei befriedigen, wenngleich der Zweck, für welchen ich tätig bin, noch viele andere Seiten hat, nach welchen er mich nichts angeht. Dies ist das unendliche Recht des Subjekts, das zweite wesentliche Moment der Freiheit, daß das Subjekt sich selbst befriedigt findet in einer Tätigkeit, Arbeit; und wenn die Menschen sich für etwas interessieren sollen, so müssen sie tätig dabei sein können, d. h. sie verlangen bei einem Interesse ihr eigenes, wollen sich selbst darin haben und ihr eigenes Selbstgefühl darin finden." Ebenso auch 85.
« Nohl, a. a. O . S. 229. Vgl. entsprechend auch I. Kant, K r U , a. a. O . S. 107: „Selbst der Krieg, wenn er mit Ordnung und Heiligachtung der bürgerlichen Rechte geführt wird, hat etwas Erhabenes an sich und macht zugleich die Denkungsart des Volks, welches ihn auf diese Art führt, nur um desto erhabener, je mehreren Gefahren es ausgesetzt war und sich mutig darunter hat behaupten können; dahingegen ein langer Frieden den blossen Handelsgeist, mit ihm aber den niedrigen Eigennutz, Feigheit und Weichlichkeit herrschend zu machen und die Denkungsart des Volks zu erniedrigen pflegt."
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Eine Ethik
einer Religion, die dem wirklichen Zeitgeist darin parallel war, daß sie der tatsächlichen Ohnmacht die moralische zugesellte, und „die Unehre, mit Füßen getreten zu werden, unter dem Namen des leidenden Gehorsams zur Ehre und zur höchsten Tugend stempelte, durch welche Operation die Menschen mit fröhlicher Verwunderung die Verachtung anderer, und das Selbstgefühl eigener Schande in Ruhm und Stolz verwandelt sahen." 6 3 Ein Volk mithin, dem es gleichgültig geworden ist, ob sein Staat noch ein Staat sei, das der obersten Autorität im Staate, an der es keinen Anteil mehr hat, freiwillig sich unterwirft und von ihr wie ein „mechanisches Räderwerk", wie eine Manövriermasse behandelt wird, und das sich überdies nur noch dem „selbstsüchtigen" Privaterwerb verschrieben hat, ein Volk diesen Charakters hat das „Panier eigenen Mutes" gegen politische Unterwürfigkeit sowohl, als auch gegen eine „träge Messiashoffnung" eingetauscht. Dieses Volk, das sich der „Selbständigkeit" und der „Freiheit" eigener Vernunft vollständig begeben hat, ist damit auch unvermögend geworden, „einer fremden Macht" und Autorität, egal welchen Geistes und welcher Herkunft sie auch sei, entgegenzutreten. Indem es nicht länger mehr in moralischer Autonomie sich selbst seine Gesetze gibt, sondern sich einer fremden, von außen gegebenen Gesetzgebung unterwirft, untersteht es ohnmächtig sowohl der weltlichen Autorität, als auch derjenigen einer ins Jenseits expedierten Gottheit, um deren Beistand es mit „blindem Zittern" 6 4 fleht. „So sehen wir nun den heiligen Ambrosius oder Antonius mit seinem zahlreichen Volke, dessen Stadt sich eine Horde Barbaren näherte, statt auf die Wälle zu ihrer Verteidigung zu eilen, in den Kirchen und auf den Straßen knieend, um Abwendung ihres zu fürchtenden Unglücks die Gottheit anflehen." 6 5
« N o h l , a. a. O . S. 229. 64 Systemprogramm, a . a . O . S . 2 2 1 . Vgl. ebenso folgende Gegenüberstellung „einer Religion des guten Lebenswandels" und der aus „Furcht" und „Angst" resultierenden „Gunstbewerbung und Einschmeichelung" der „Superstition" (des Aberglaubens), wie sie in der K r U , a. a. O . S. 109 festgehalten ist. D o r t heißt es: „Auf solche Weise unterscheidet sich innerlich Religion von Superstition; welche letztere nicht Ehrfurcht für das Erhabene, sondern Furcht und Angst vor dem übermächtigen Wesen, dessen Willen der erschreckte Mensch sich unterworfen sieht, ohne ihn doch hochzuschätzen, im G e m ü t h e gründet; woraus denn freilich nichts als Gunstbewerbung und Einschmeichelung, statt einer Religion des guten Lebenswandels, entspringen k a n n " . ω N o h l , a. a. O . S. 229.
.Absolute Freiheit aller Geister"
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„Absolute Freiheit aller Geisterintelligible und phaenomenale Welt. Hegels Rezeption von Schillers „Briefen ..." und von Κ a nts „Ideal des höchsten Guts" in der KrV und in der GMdS. Der kategorische Imperativ und die Moraltheologie Wir hatten zu Beginn des Interpretationsteils gesehen, wie außerordentlich positiv sich Hegel gegen seinen Freund Schelling über die Schillerschen Briefe „Uber die ästhetische Erziehung des Menschen" in seiner brieflichen Mitteilung vom 16. April 1795 geäußert hatte. 1 Bei Gelegenheit der Rekapitulation des von Schiller im sechsten Brief durchgeführten Systemvergleichs zwischen dem „gegenwärtigen Zeitalter" und demjenigen der Griechen hatten wir uns davon überzeugt, daß Schillers Kritik an der erstarrten Mechanik der ideenlosen Maschinerie des modernen Staates von der an der Idee der Freiheit orientierten praktischen Postulatenlehre Kants inspiriert ist. Abgesehen also davon, daß die zur Charakterisierung des Staates herangezogene Metapher von einem künstlichen und lichtscheuen Uhrwerk mit dem begrifflichen Instrumentarium des Systemprogramms identisch ist, wenn dort der Staat mit einem mechanischen Räderwerk verglichen wird, so ist es hier wie dort die Idee autonomer, selbstgesetzgebender Freiheit, die den Maßstab für die Kritik am Mechanismus der Staatsmaschine abgibt. Auf diesem Hintergrund aber war auch die Frage des Systemprogrammautors danach anzusiedeln, wie eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein müsse. Wenn die neuzeitliche Physik seit Descartes den Weg einer experimentell verfahrenden Hinwendung zum Besonderen beschritten hatte, dann bedeutete dies vor allem, daß die Naturbetrachtung nach Maßgabe empirisch angelegter Versuchsanordnungen vollzogen wurde. Das Experiment war das zentrale Mittel, die immanente Erforschung einer gesetzmäßig geordneten Natur voranzutreiben, und entsprechend wurde das Besondere ausschließlich unter der physikalisch modellhaften Perspektive verhandelt und auf diese reduziert. Im Rahmen dieser Auffassung wurden Bewegung sowohl, als auch Ursache nach dem kausalen Mechanismus einer physikalisch geordneten Welt gedacht, und, auf die Einordnung des Menschen in diesen mathematisch physikalischen Weltzusammenhang bezogen war nur die Frage danach sinnvoll zu stellen, wie der Mensch für diese kausal mechanisch bestimmte Erscheinungswelt beschaffen sein müsse. Diese Problemstellung wird von
1 Vgl. S. 350 ff.
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Eine Ethik
Hegel im Systemprogramm, in Anlehnung an die Postulate der praktischen Philosophie Kants, umgekehrt, wenn er, gemäß seiner brieflichen Äußerung Schelling gegenüber, jetzt vielmehr zu der Forderung übergeht, „daß die praktische Vernunft der Welt der Erscheinungen gebiete .. ." 2 Indem er den Prioritätsanspruch der kausal mechanisch erklärenden Naturwissenschaft negierte, setzte er an ihre Stelle die von der praktischen Postulatenlehre her gedachte moralische Konstitution des vernünftigen Subjekts, das, dieser Konstitution gemäß, danach fragt, wie eine Welt beschaffen sein müsse, um der Idee der Freiheit, der moralischen Autonomie des Subjekts angemessen zu sein. Gleichzeitig mit dieser Richtungsumkehr der Fragestellung, die nicht mehr das Subjekt der streng kausalen Zeitfolge der sinnlichen Erfahrungswelt anpaßt und von ihr her ausschließlich bestimmt sein läßt, wird die reale Beschaffenheit der Welt in Frage gestellt, wie sie sich besonders in der Mechanik der Staatsmaschinerie manifestiert. Vorzüglich Kant und Schiller, so können wir resümierend festhalten, waren es also, die der Hegeischen Gedankenführung im Systemprogramm in ihrem ersten Teil Pate standen. Bevor wir uns dem zweiten Teil zuwenden, wollen wir den Nachweis für diese doppelte Einflußnahme noch an einer zentralen Stelle des ersten Teils so vor Augen führen, daß etwa noch übrig gebliebene Zweifel endgültig aus dem Weg geräumt werden. Es ist die Rede von der moralphilosophisch intendierten intellektuellen Welt, die von der Freiheit vernünftiger Wesen repräsentiert wird. Wenn Hegel im Systemprogramm die Frage danach gestellt hatte, wie „eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen" sein müsse, dann hatte er die Auflösung dieser Frage in der Programmformel von der „absoluten Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen" gefunden. Schiller aber und auch Kant haben nicht allein dasselbe Problem aufgeworfen, sondern haben ihm auch eine Antwort gegeben, die derjenigen des Systemprogramms im Geiste wie im Buchstaben vollständig entspricht. - Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst dem Schiller der ästhetischen Erziehung des Menschen zu. Im 24. Brief seines Aufsatzes3 geht Schiller auf das Verhältnis des „Moralgesetzes" zur „Sinnlichkeit" ein, und zwar unter spezieller Berücksichtigung des entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunktes, der eine
2 3
Vgl. Briefe, a . a . O . S.29, Brief Nr. 14. Vgl. EdM, a. a. O. S. 98 ff.
.Absolute Freiheit aller Geister"
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bestimmte, nicht umkehrbare Ordnung in der Entfaltung und Aufeinanderfolge von dreierlei spezifisch menschlichen Zuständen behauptet. Zu Beginn seiner Entwicklung, der ontogenetischen sowohl, als auch der phylogenetischen, befindet sich der Mensch in einem „physischen Zustand", in dem er „bloß die Macht der Natur . . . erleidet." Durch den sich anschließenden „ästhetischen Zustand" befreit er sich von dieser aus der Fremdbestimmung resultierenden vollständigen Passivität seines ersten Naturzustandes, um schließlich im „moralischen" zum Beherrscher der Naturmacht zu avancieren. Dieser in fein säuberlich geschiedene Entwicklungsetappen auseinandergelegte Fortschritt in der menschlichen Befreiung von den Unwägbarkeiten einer restlosen Naturabhängigkeit kennt freilich auch Zwischentöne, und vor allem diese sind es, die Schiller interessieren. Was, so fragt er, geschieht nämlich in dem Augenblick, wenn sich die Vernunft in dem Menschen zu regen beginnt, ohne daß der maßgebliche Einfluß der Natur in ihm schon gebrochen ist?; wenn dem Menschen als leidendem und ziellos umhergeworfenem Naturwesen zum erstenmal das Bewußtsein seiner autonomen Vernunftbestimmung aufgeht? Seine Antwort lautet: Die Vernunft wird in den Dienst der Sinnlichkeit genommen, um so den Wirkungskreis der letzteren schrankenlos, bzw. die „sinnliche Abhängigkeit" des Menschen „grenzenlos zu machen". Zur „Menschheit" nämlich qualifizierte sich der Mensch erst dann, wenn er als moralisch autonomes Wesen die Fesseln der Natur gänzlich ablegte, um durch die Selbstgesetzgebung der Vernunft seine Freiheit zu realisieren. „Die Vernunft, wissen wir, gibt sich in dem Menschen durch die Forderung des Absoluten (auf sich selbst Gegründeten und Notwendigen) zu erkennen, welche, da ihr in keinem einzelnen Zustand seines physischen Lebens Genüge geleistet werden kann, ihn das Physische ganz und gar zu verlassen und von einer beschränkten Wirklichkeit zu Ideen aufzusteigen nötigt." 4 Zwar besteht das Postulat der Vernunft darin, den Menschen über die phaenomenale, an die zeitliche Sukzession gebundene sinnliche Welt hinaus- und in eine „Idealwelt empor zu führen", aber indem die Priorität der fremdbestimmenden Erscheinungswelt noch ungebrochen fortbesteht, wird die Forderung der Vernunftautonomie nach absoluter Selbstbestimmung des Menschen zu einem Werkzeug seines physischen Lebens, das untere Begehrungsvermögen der Sinnlichkeit allgemein zu machen. Der Unbedingtheitsanspruch der autonomen Vernunft, so Schillers These, wird in der
< A . a . O . S. 101.
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d i r e k t e n Auseinandersetzung mit der sinnlichen Welt immer den Kürzeren ziehen, und statt sich über diese Welt hinwegzusetzen, wird sie umgekehrt den rein physischen Ansprüchen dieser Welt dienstbar und dehnt deren inhaltliche Ambitionen ins Unabsehbare aus. Anstatt der von der Vernunft projektierten Unabhängigkeit des Menschen von sinnlichen Einflüssen bewirkt sie, nolens volens, eine absolute Abhängigkeit von denselben, sobald sie auf dem Schauplatz der phaenomenalen Welt sich unmittelbar Wirkung zu verschaffen sucht. Dieser Verkehrung der Vernunftautonomie in das ihren Ansprüchen zuwiderlaufende Gegenteil geht Schiller nun quasi entwicklungsgeschichtlich nach, indem er das erste Erwachen der Vernunft innerhalb eines ansonsten hermetisch abgeschlossenen Kreises natürlich sinnlicher Fremdbestimmtheit nachzeichnet. Wenn der physische Mensch ausschließlich den Ansprüchen einer sinnlichen Gegenwart unterworfen ist, dann ist es zuerst die „Einbildungskraft", die den Menschen von diesem vollständigen Bestimmtsein durch ein rein gegenständliches Angetriebensein befreit, und die ihn die natürliche Borniertheit instinktiv tierischen Verhaltens zu verlassen antreibt. Ist er hier nur in den engen Kreis einer immer unmittelbar augenblicklich wirkenden Begehrlichkeit eingeschlossen, deren jeweilige Befriedigung ihn ausnahmslos an „die engen Schranken der Gegenwart" bindet, dann ruft umgekehrt die „Einbildungskraft" in ihm das Bedürfnis nach einer nicht auf den jeweiligen Augenblick eingeschränkten Zukunft wach. Die über das physische Bedürfnis und dessen unmittelbare Befriedigung hinausgehenden Vorstellungen bewirken mithin, indem sie das Fixiertsein auf die endliche Gegenwart unterlaufen, gleichzeitig auch das vermittelte Bedürfnis nach einem Unbeschränkten. - Aus dieser Gegenüberstellung resultiert nun aber nach Schiller zwangsläufig ein Widerstreit. Der durch die Einbildungskraft wachgerufene Drang nach dem Unbedingten und Unendlichen kollidiert mit der noch maßgeblichen Vorherrschaft des der Gegenwart verbundenen Augenblicks, ,in welchen die bloße Tierheit' sich eingeschlossen hat. Indem, so heißt es, vor der „schwindelnden Imagination" des Menschen „das Unendliche aufgeht, hat sein Herz noch nicht aufgehört, im Einzelnen zu leben und dem Augenblick zu dienen." 5 Der Konflikt zwischen dem unteren und dem oberen Begehrungsvermögen wird also dadurch hervorgerufen, daß der sinnlich affizierte, natürliche Mensch der ersten Entwick-
5
A.a.O. S. 102.
.Absolute Freiheit aller Geister"
lungsstufe sich u n v e r m i t t e l t
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mit dem moralischen Trieb zum unbe-
dingt gebietenden Absoluten konfrontiert sieht. Wird mit diesem Trieb die Frage nach der Freiheit der Menschheit in der Person jedes Einzelnen aktuell, dann ist diese Frage doch solange noch nicht im Sinne der praktischen Vernunftautonomie entschieden, solange sie noch vor dem Hintergrund der „Tierheit" des Menschen gestellt wird. Indem diese „Tierheit" vielmehr das unhinterfragte Medium ist, in dem sich die erwachende Vernunfttätigkeit zu entfalten beginnt, ist mit ihrer noch ungebrochenen Vorrangstellung automatisch auch eine Vorentscheidung darüber gefallen, wie sich der Widerstreit beider Grundtriebe in diesem Zusammenhang auflösen wird. Die von der praktischen Vernunft postulierte Autonomie selbstgesetzgebender Freiheit wird der Heteronomie des sinnlichen Begehrungsvermögens dienstbar. Man könnte auch sagen: Die moralphilosophisch fundierte Befreiung von den Antrieben der Sinnlichkeit wird in die schrankenlose Freiheit der Sinnlichkeit verkehrt. Anstatt daß ihre Ansprüche eingeschränkt würden, wird sie vielmehr über ihren bedingten Geltungsbereich hinaus ins Unendliche ausgedehnt und folglich in ihrem Gebrauch maßlos. „Mitten in seiner (des Menschen, F.-P. H . ) Tierheit überrascht ihn der Trieb zum Absoluten - und da in diesem dumpfen Zustande alle seine Bestrebungen bloß auf das Materielle und Zeitliche gehen und bloß auf sein Individuum sich begrenzen, so wird er durch jene Forderung bloß veranlaßt, sein Individuum, anstatt von demselben zu abstrahieren, ins Endlose auszudehnen, anstatt nach Form nach einem unversiegenden Stoff, anstatt nach dem Unveränderlichen nach einer ewig dauernden Veränderung und nach einer absoluten Versicherung seines zeitlichen Daseins zu streben. Der nämliche Trieb, der ihn, auf sein Denken und Tun angewendet, zur Wahrheit und Moralität führen sollte, bringt jetzt, auf sein Leiden und Empfinden bezogen, nichts als ein unbegrenztes Verlangen, als ein absolutes Bedürfnis hervor." 6 Dieses von der Vernunftautonomie infiltrierte und dadurch überschwänglich gewordene untere Begehrungsvermögen ist das allgemeine Charakteristikum aller „Glückseligkeitssysteme". Sie resultieren daraus, daß sich der Unbedingtheitsanspruch des Vernunftvermögens nicht in der noumenalen Welt praktischer Ideen durchsetzt, sondern vielmehr sein Betätigungsfeld in der endlichen Welt der Erscheinungen findet. Wenn also die Vernunft, wie Schiller sagt, „ihren Imperativ unmittelbar auf den Stoff
6
Ebda.
424
Eine Ethik
anwendet", dann zieht diese Grenzüberschreitung zweierlei Folgen nach sich: Die beabsichtigte Vernunftautonomie untersteht der Fremdbestimmtheit durch die Sinnlichkeit, und die Sinnlichkeit ihrerseits, indem sie an Ideen ihren Richtwert hat, überschreitet die ihr gezogenen Grenzen und wird in ihrem Gebrauch transzendent. Die Postulate der praktischen Vernunft, dadurch, daß sie in einem ersten Schritt restringiert und der Sinnlichkeit verfügbar gemacht werden, dehnen in einem zweiten die ursprüngliche Endlichkeit der Sinnenwelt ins Unendliche aus, ohne daß dadurch die Einschränkung auf die endlichen Phänomene aufgegeben wäre. Diese Verwischung der Grenzen zwischen phaenomenaler und intelligibler Welt ist d a s Charakteristikum der „Glückseligkeitssysteme". Sie beziehen ihr Streben nach dem Unendlichen aus der Sphäre praktischer Ideen und wenden deren Anspruch auf absolute Verbindlichkeit unversehens auf die phaenomenale Welt an, in der diese unbedingte Notwendigkeit der Vernunftautonomie gerade nicht anzutreffen ist, oder sich doch nur so verwirklicht, daß das Endliche als solches absolut wird. Sie verendlichen folglich das Unendliche und machen das Endliche unendlich. Werden dergestalt die Prädikate der intelligiblen Welt auf die Erscheinungswelt angewendet, dann wird ζ. B. die zeitlose Unendlichkeit der noumenalen Welt in eine unendliche Zeit und Dauer der phaenomenalen verkehrt. „Eine grenzenlose Dauer des Daseins und Wohlseins, bloß um des Daseins und Wohlseins willen, ist bloß ein Ideal der Begierde, mithin eine Forderung, die nur von einer ins Absolute strebenden Tierheit kann aufgeworfen werden." 7 Dieser fehlgeleitete Gebrauch der praktischen Vernunftautonomie konstituiert also nicht das Ideal selbstgesetzgebender moralischer Freiheit, wie es die „Idee der Menschheit in mir" aufgibt, sondern setzt vielmehr sämtliche Instinkte und Begierden des sinnlichen Menschen in umfassender Weise frei. Der problematische moralische Mensch hat sich durch diese der Sinnlichkeit angemessene Äußerung seiner Vernunft nicht nur nicht von dem unteren Begehrungsvermögen befreit, sondern hat vielmehr die natürliche Borniertheit seines ersten Naturzustandes mit sich selbst entzweit und in eine unerfüllbare Sehnsucht aufgelöst. Weder also bewirkt die beginnende Vernunfttätigkeit die praktische Erhebung des Einzelnen in den Status eines Repräsentanten der Idee der Menschheit qua moralisch autonomer Person, noch setzt sie den fremdbestimmenden sinnlichen Antrieben eine Grenze. Vielmehr bewirkt sie den Verlust der von Schiller als „glückli-
1 Ebda.
„Absolute Freiheit aller Geister"
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che Beschränktheit" apostrophierten natürlichen Sinnlichkeit des Menschen, indem sie ihn mit einem Ideal der Vernunftautonomie konfrontiert, ohne doch dadurch schon den Einfluß der Sinnlichkeit durchbrochen bzw. aufgehoben zu haben. Sie entzweit das Sinnenwesen mit seiner Natur, indem sie ihm seine vernünftige Bestimmung entgegenhält, die es nun innerhalb seines beschränkten Standpunktes zu realisieren unternimmt. Indem sich aber vor diesem Hintergrund die vernünftige Reflexion einstellt, wird einerseits die „glückliche Beschränktheit des Tiers" vernichtet, um andererseits mit dem „unbeneidenswerten Vorzug" vertauscht zu werden, „über dem Streben in die Ferne den Besitz der Gegenwart zu verlieren, ohne doch in der ganzen grenzenlosen Ferne je etwas anders als die Gegenwart zu suchen." 8 Wenn man, wie Hegel sich im Systemprogramm ausdrückt, „ohne ästhetischen Sinn" „in nichts geistreich sein", und „selbst über Geschichte . . . nicht geistreich raisonieren" könne, dann bewährt sich diese Aussage vor allem an diesem 24. Brief der ästhetischen Briefe. Denn nachdem Schiller die Problematik des unmittelbar auf die Sinnlichkeit angewandten moralischen Vernunftvermögens und die daraus resultierende doppelte Entzweiung - sowohl die der Vernunft mit sich selbst, als auch die der Sinnlichkeit - demonstriert hat, geht er in dem schon zuvor namhaft gemachten entwicklungsgeschichtlichen Sinne dazu über, eine zweite Perspektive des problematischen menschlichen Fortschritts von der Sinnlichkeit zur Vernunft kategorial zu beschreiben. Hier können wir auch besonders deutlich die Verwandtschaft Schillerscher Überlegungen mit den Ausführungen der Kantischen Vernunftkritik nachvollziehen, die ihrerseits den gedanklichen Aufbau des Systemprogramms maßgeblich prägten. Wir hatten gesehen, daß Schiller an den Anfang der menschlichen Entwicklung die Vorherrschaft der Sinnlichkeit und die ihr entsprechende subjektive Außerungsform des Gefühls gesetzt hatte. Selbstverständlich war er sich über das Vorhandensein von Grenzverschiebungen im Klaren, die sich in der realen Entwicklung dergestalt äußern, daß ein vollständig von Gefühlen getriebener Mensch de facto genauso wenig anzutreffen ist wie einer, der ausnahmslos der Notwendigkeit der Vernunftbestimmung folgt. N u r für die Idee einer Geschichte der Menschheit erschien es ihm notwendig, sich nicht so sehr auf die Mischformen einzulassen, als vielmehr, geleitet von der Idee dieser Entwicklung, diese verschiedenen Perio8
A . a . O . S. 1 0 2 f .
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den voneinander zu trennen, wenngleich sie in jeder gemachten individuellen Erfahrung jederzeit mehr oder weniger ineinanderübergehen. Ausschließlich also in abstracto, in einer an Ideen orientierten transzendentalen Versuchsanordnung, sind die drei Stufen menschlichen Werdens (der physische, der ästhetische und der moralische Zustand) als „drei verschiedene Epochen für die Entwicklung der ganzen Menschheit und für die ganze Entwicklung eines einzelnen Menschen" 9 fein säuberlich auseinanderzuhalten. Wenn man aber sein Augenmerk auf die Bedingungen jeder einzelnen menschlichen Erkenntnis richtet, wird man finden, daß sich diese drei Bestandteile nicht allein, „bei jeder einzelnen Wahrnehmung eines Objekts unterscheiden" lassen, sondern daß sie ebensowohl als „die notwendigen Bedingungen jeder Erkenntnis, die wir durch die Sinne erhalten", zur Einheit dieser Erkenntnis zusammenwirken. 1 0 Schon diese mehr verfahrenstechnischen Äußerungen über die Anwendung von Prinzipien, respektive Ideen in der Beschreibung der Geschichte der Menschheit lassen ganz unmißverständlich den Einfluß Kants erkennen. N o c h viel intensiver aber äußert sich diese unmittelbare Schülerschaft in Überlegungen, die Schiller der autonomen Vernunftbestimmung in ihrem theoretischen Gebrauch widmet. In völliger Ubereinstimmung mit den diesbetreffenden Ausführungen Kants aus der KrV weist er nämlich darauf hin, daß die Vernunft, indem sie das Vermögen der Ideen ist, „auf eine absolute Verknüpfung und auf einen unbedingten Grund" 1 1 in ihrem Gebrauch abzielt. Sie läßt sich nicht auf das für den Verstand verbindliche endlose Subsumieren der Erscheinungen unter das zeitliche Ursache-Wirkungsverhältnis einschränken, dem kein bedingungsloser Anfang und kein absoluter Zweck in seinem empirisch geleiteten Fortschreiten gegeben - , sondern bestenfalls aufgegeben ist. Gerade diesen empirischen Vorbehalt der Erfahrungserkenntnis, die ausschließlich dem zeitlichen Nacheinander und dem räumlichen Nebeneinander in ihrer nur bedingungsweisen, auf die Welt der Erscheinungen bezogenen Geltung verpflichtet bleibt, setzt die Vernunft außer Kraft, indem sie sich der noumenalen bzw. intelligibelen Welt des von zeitlichen und räumlichen Bedingungen unbeeinflußten Dings an sich zuwendet. Hier allein, abgezogen von jeglicher empirischen Beschränkung und zeitlich-räumlichen Zufälligkeit, kann sich der Unbe-
A . a . O . S. 106, Anm. Ό Vgl. hierzu a. a. O . S. 106, den 25. Brief (Anm.). >1 A . a . O . S. 103.
9
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dingtheitsanspruch des Vernunftgebrauchs in per se notwendigen Ideen realisieren. Dieses ist der Begriff des der Vernunft gemäßen Objekts als einer nicht nur bedingungsweise geltenden, auf die Zeitreihe eingeschränkten kausalen Verknüpfung, sondern von derjenigen, die den absoluten Vereinigungspunkt jener endlos verlaufenden zeitlichen Sukzession thematisiert, indem sie dieselbe auf einen unbedingten Grund zurückführt. Betrachten wir nun aber mit Schiller den entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund, vor dem diese Forderung nach der bedingungslos geltenden Vernunftautonomie gestellt wird, dann finden sich unversehens Widersprüche ein. Selbst nämlich eine dem Vernunftvermögen angemessene Bestimmung ihres Objekts kann nicht verhindern, daß sie in ihrer Aufgabenstellung fehlgeht, solange noch der physische Zustand einer Abhängigkeit von den Sinnen fortbesteht. Denn da auch der kategoriale Verstandesgebrauch jederzeit noch in seiner Erkenntnis an die sinnlichen Anschauungsformen gebunden bleibt, verknüpft er entsprechend nur die Erscheinungen nach dem Ursache-Wirkungsverhältnis und nach begrenzten Zwecken zu einer bedingungsweisen Einheit, die sich fortwährend an der Empirie bewähren muß. Selbst also der nach Ursachen, Relationen, Wechselwirkungen fragende menschliche Verstand fragt nach diesen kategorialen Gesetzmäßigkeiten doch nur in Hinblick auf empirisch wahrnehmbare Gegenstände, die ihm durch den Spiegel der Anschauungsformen gegeben sein müssen. Derlei Abhängigkeit von einer nicht dem Begriffsvermögen unterstehenden Instanz äußerer Anschauung ist aber der Bestimmung der Vernunft unangemessen. Sie fragt vielmehr, wie gesehen, nach einer von jeglicher Fremdbestimmtheit abstrahierenden absoluten Verknüpfung, d.h. nach einer solchen, die nicht nur rezeptiv empfangene sinnliche Eindrücke zu einer nur bedingt geltenden Einheit verbindet. Sie fragt nicht nur nach einer Ursache, deren Verhältnis zu der ihr entsprechenden Wirkung nur Anlaß gibt, fortgesetzt nach der nächstgelegenen Ursache zu fragen, die wiederum eine veränderte Wirkung hervorbringt, sondern sie fragt, unabhängig von dem Nacheinander zeitlicher Sukzession nach der Notwendigkeit des unbedingt geltenden Grundes, der in dem zuvor namhaft gemachten bedingungsweisen Fortschreiten gerade n i c h t gefunden werden kann. Mit diesen vorausgeschickten Überlegungen befindet sich Schiller in völliger Ubereinstimmung mit denjenigen Gedankengängen, die Kant in der transzendentalen Analytik und Dialektik der KrV entwickelt hatte. Sie sind die notwendigen Präliminarien, auf deren Grundlage die entwicklungsgeschichtliche Diskussion geführt wird. - Wenn sich nämlich, so Schiller weiter, der Mensch den Absolutheitsforderungen der Vernunft stellt, dann
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sieht er hierin einen Beweis dafür, daß „der Mensch über die Sinnlichkeit schon hinausgeschritten" ist.12 Dieses Verlassen der Sinnlichkeit bleibt aber vorerst nur eine Tendenz, die Rückbindung an seinen physischen Zustand wird dadurch nicht aufgehoben, daß sich die selbstgesetzgebende Autonomie der Vernunft zu Wort meldet. Verführe der Mensch der Konsequenz dieser Tendenz gemäß, er müßte seine Abhängigkeit von der phaenomenalen Welt ganz aufheben, um auf dem Wege dieser vollständigen Lossage von seiner empirischen Eingeschränktheit zur intelligiblen Welt aufzusteigen. Denn auch der Verstand verbleibt, der Kantischen Prämisse gemäß, „ewig innerhalb des Bedingten stehen und frägt ewig fort, ohne je auf ein Letztes zu geraten."13 Diesen Unbedingtheitsanspruch der Vernunft kann aber der sinnliche Mensch ebensowenig einlösen, wie der verständige. Die Autonomie freier Selbstgesetzgebung ist für ihn in dem fortdauernden Zustand physischer Fremdbestimmung, wie sie die Sinnlichkeit unmittelbar, die Verstandestätigkeit vermittelterweise verkörpert, schlechthin unzugänglich. Unfähig einer solchen von der Vernunft geforderten ,Abstraktion', wird der Mensch, „was er in seinem sinnlichen Erkenntniskreise nicht findet und über denselben hinaus in der reinen Vernunft noch nicht sucht, unter demselben in seinem Gefühlkreise suchen und dem Scheine nach finden." 14 Hier ist der Punkt, an dem Schiller, unter Gebrauch Kantischer Resultate, zu derjenigen Wendung einer falschgeleiteten Vernunft durchstößt, wie sie uns schon in den voraufgegangenen Überlegungen begegnet ist. Einer erst erscheinenden und unvorbereitet auftretenden Äußerung der Vernunft widerfährt nämlich zwangsläufig das ,Mißgeschick', ihre unbedingt gestellten Forderungen unmittelbar auf die Materie anzuwenden, mit dem zweifelhaften Erfolg, die Ansprüche derselben ins Maßlose auszudehnen. Nicht allein folglich, daß es ihr mit ihrer Ambition auf selbstgesetzgebende Freiheit mißlingt, so schlägt ihr Versuch, die Einflüsse der Sinnlichkeit aufzuheben, in das genaue Gegenteil um: Ihr der Ideenwelt verpflichtetes unendliches Ideal und der damit verbundene praktische Auftrag wird in ein endloses, schrankenloses Sollen der Sinnlichkeit selbst verkehrt. Der Imperativ autonomer Vernunft wird zu einem physisch infiltrierten Imperativ uneingeschränkt waltender Sinnlichkeit, die sich nur der unbedingt gestellten Forderung (also der formalen Seite) der Vernunft bedient, „um den Flüchtling zurückzuholen", ohne ihre absoluten Inhalte einer projek-
Ebda. » Ebda. 14 Ebda. 12
.Absolute Freiheit aller Geister"
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tierten Ideenwelt übernehmen zu können. Entsprechend zeigt die Sinnlichkeit dem Menschen nichts, „was sein eigener Grund wäre und sich selbst das Gesetz gäbe; aber sie zeigt ihm etwas, was von keinem Grunde weiß und kein Gesetz achtet. Da er also den fragenden Verstand durch keinen letzten und innern Grund zur Ruhe bringen kann, so bringt er ihn durch den Begriff des Grundlosen wenigstens zum Schweigen und bleibt innerhalb der blinden Nötigung der Materie stehen, da er die erhabene Notwendigkeit der Vernunft noch nicht zu erfassen vermag. Weil die Sinnlichkeit keinen andern Zweck kennt als ihren Vorteil und sich durch keine andre Ursache als den blinden Zufall getrieben fühlt, so macht er jenen zum Bestimmer seiner Handlungen und diesen zum Beherrscher der Welt." 1 5 Das Verhältnis zwischen Sinnlichkeit und Vernunft verkehrt sich aber spätestens dann vollständig, wenn die höchste Vernunftbestimmung des Menschen - das Moralgesetz - zu einem Anhängsel des unteren - sinnlichen Begehrungsvermögens herabgesetzt wird. Dann nämlich geschieht es, daß die Sinnlichkeit der praktischen Vernunftautonomie gebietet und sie unter Regie nimmt, anstatt, wie es sein sollte, von dieser vielmehr in ihren Ansprüchen eingeschränkt zu werden. N u r vor diesem den blinden Zufall der empirischen Welt restringierenden Primat des gesetzgebenden Postulats der Freiheit kann die Frage des Systemprogramms sinnvoll gestellt werden, „wie eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein" müsse. Besteht hingegen nach wie vor die Vorherrschaft der Erscheinungswelt, dann kommt diese projektierte Fragestellung der notwendig gebietenden Vernunft nicht nur nicht in den Blick, sondern wird vielmehr den heteronom wirkenden Kräften der Sinnlichkeit dienstbar. Dann stellt sich nicht einmal mehr die Frage nach der notwendigen Beschaffenheit dieses ausnahmslos physisch bestimmten Subjekts, weil es von vornherein dem regellosen Treiben der phaenomenalen Welt ausgeliefert ist. - Schiller verfolgt also in diesem Diskussionszusammenhang die Absicht, auf indirektem Wege, indem er die fehlgeleiteten Ambitionen der Vernunft sowohl, als auch der Sinnlichkeit aufdeckt, den Primat der recht verstandenen praktischen Vernunft zu entwickeln. Hierin befindet er sich in direkter Nachfolge der Kantischen Moralphilosophie, derer sich ebenso Hegel im Systemprogramm kongenial bemächtigt hatte, wenn er an den Anfang seiner Ethikbetrachtung die programmatische Forderung nach einem
15
A . a . O . S. 103/04.
„vollständigen
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System aller Ideen", respektive „aller praktischen Postulate" gestellt hatte. N u r wenn diese praktischen Postulate der Welt der Erscheinungen gebieten, wie es in dem namhaft gemachten Brief Hegels an Schelling hieß, nur dann können einerseits die vom Prinzip her maßlosen Ansprüche einer ausschließlich sinnlichen Motivation eingeschränkt werden, und nur dann kann sich der Mensch andererseits in das „reine Ideenreich . . . aufschwingen" 1 6 , das, als intelligible Welt, von den Zufälligkeiten des physischen Zustandes völlig absolviert ist. Die Welt, nach der Hegel unter moralphilosophischer Perspektive im Systemprogramm fragt, ist genauso das problematische Ideenreich Schillers, das, bestimmt vom Prinzip des Moralgesetzes, die Einflußnahme der Sinnenwelt aufheben soll. N u r daß freilich Schiller diese Fragestellung nicht unmittelbar angeht, nicht direkt danach fragt, wie eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein müsse, sondern vielmehr erst per negationem sich diese Zielsetzung erarbeitet, indem er unter entwicklungsgeschichtlichem Blickwinkel die etwaigen Modifikationen wechselweise verfälschender Einflußnahme veranschaulicht. Er untersucht folglich vorrangig diejenigen Positionen, in denen entweder „das Physische . . . mit blinder Notwendigkeit" herrscht, oder in denen sich die postulierte Vernunftautonomie noch in direkter Abhängigkeit von den Sinnen befindet, so daß „das Moralische dem Physischen noch dient". 1 7 Genau aber diese Dienstbarkeit der sinnlich unterlaufenen Vernunft will Schiller durchbrechen, die von ihm gestellte Aufgabe erfüllt sich darin, das uneingeschränkt „gewalthabende" materielle Prinzip aufzuheben, indem der Mensch zu dem praktischen Ideal des freien Gebrauchs seiner Vernunftautonomie erzogen wird. N u r so qualifiziert sich der einzelne Mensch zum Repräsentanten der ganzen Gattung, nur so wird jede bestimmte menschliche Äußerung zu der allgemeinen Äußerung der ganzen Menschheit in ihm, wie sie von Kant im kategorischen Imperativ vorformuliert wurde. Und nur so, im Hinblick auf diesen moralphilosophischen Horizont, wird das Problem einer Welt zum Thema, die nicht mehr in letzter Instanz von physischen Einflüssen vorbestimmt ist, sondern einer Welt, die den unbedingt gestellten praktischen Anforderungen gemäß nur als die - wie sie Hegeische Formulierung des Systemprogramms lautet intelligible Welt einer absoluten Freiheit aller Geister gefaßt werden kann. Die Schillersche, ganz genauso wie die Hegeische Antwort auf die Frage
" A . a . O . S. 103. " A . a . O . S. 105.
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nach der Beschaffenheit der Welt angesichts der moralischen Bestimmung des Menschen lautet also negativ: Sie darf nicht die Unterordnung moralischer Autonomie unter die sinnliche Fremdbestimmtheit beinhalten; positiv: Diese Welt muß selbst objektiver Ausdruck einer freien Selbstgesetzgebung sein, wie sie das moralphilosophische Postulat der Vernunftautonomie fordert. Zunächst freilich, solange die Herrschaft des materiellen Prinzips fortbesteht und der Mensch nur als ein sinnliches Wesen in Erscheinung tritt, muß die Notwendigkeit des unbedingt gebietenden Moralgesetzes dem physisch motivierten Menschen „als etwas Auswärtiges erscheinen". Er erleidet einen äußerlichen Zwang von dieser Gesetzgebung, da sie zunächst „bloß verbietend und gegen das Interesse seiner sinnlichen Selbstliebe spricht." 18 Weil der Mensch noch nicht unter dem Primat der praktischen Vernunft steht, sondern vielmehr unter demjenigen der Sinnlichkeit, scheint ihm zwangsläufig der reglementierende Einfluß des Sittengesetzes als etwas seine freie Willkür einschränkendes. Erst wenn er sich seiner autonomen Vernunftbestimmung bewußt geworden ist, wenn er, wie es im Systemprogramm heißt, die Vorstellung von sich selbst „als einem absolut freien Wesen" erfaßt hat, erst dann wird der Prioritätenstreit auflösbar, indem die von der,absoluten Freiheit aller Geister' - qua oberes Begehrungsvermögen geprägte intelligible Welt ihre bestimmende Kraft gegenüber dem sinnlich affizierten unteren Begehrungsvermögen behauptet. In diesem idealen Zustand einer durch das „freie, selbstbewußte Wesen" hervorgebrachten moralischen Welt ist das dergestalt objektivierte Moralgesetz nicht länger mehr etwas Auswärtiges, weil nämlich der Mensch dahin gelangt ist, die überwundene sinnliche „Selbstliebe" nun seinerseits „als das Auswärtige und die Stimme der Vernunft als sein wahres Selbst anzusehen". 1 9 Solange dem Menschen allerdings an seiner immer nur bedingungsweisen, von sinnlichen Triebfedern abhängigen, mithin einem fremden Gesetz gehorchenden empirischen Glückseligkeit gelegen ist, solange wird er sich nur der Beschränkung bewußt sein, die das unbedingt gebietende moralische Gesetz dem pathologischen unteren Begehrungsvermögen auferlegt. Den Schritt über diese bloß negative, limitierende Funktion des Sittengesetzes hinaus kann der ausschließlich sinnlich motivierte phaenomenale Mensch nicht nachvollziehen. Er bestünde nämlich in der positiven Einsicht in die
's A . a . O . S. 104. " Ebda.
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„unendliche Befreiung", die mit der „Würde" der autonom - moralischen Selbstgesetzgebung unmittelbar verkoppelt ist. - N u r indem sich der Mensch dieser Würde und Erhabenheit des freien Gesetzgebers in sich-, also der praktischen Idee der Freiheit bewußt wird, nur auf dieser moralphilosophischen Basis ergibt die Forderung des Systemprogrammautors nach der ,absoluten Freiheit aller Geister', „die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen", einen Sinn. Einen Sinn, den auch Schiller zu explizieren beabsichtigt, wenn er im Folgenden in der uns schon bekannten entwicklungsgeschichtlichen Manier die Auswirkungen etwaiger Prioritätsverschiebungen analysiert. Wenn nämlich, wie erinnerlich, der am Anfang seiner Entwicklung begriffene Mensch - ob phylo- oder ontogenetisch, gleichviel - ausschließlich durch sinnliche Triebfedern bestimmt ist, und sich erst im Laufe seiner Fortentwicklung die Stimme der Vernunft zu Wort meldet, dann nimmt der auf diesen Entwicklungsgang reflektierende und diese spezifische Art des Fortschreitens rekapitulierende Mensch unversehens auch die der Zeit nach erste Position für die dem Wesen nach frühere. Weil also, wie Schiller sich ausdrückt, „der sinnliche Trieb dem moralischen in seiner Erfahrung (in der des Menschen, F.-P. H.) vorhergeht", deswegen läßt er die ewige Notwendigkeit des moralischen Gesetzes in sich nicht allein von einem positiven, quasi empirisch datierbaren endlichen „Anfang in der Zeit" herrühren, sondern macht, als logische Konsequenz, aus diesem solchergestalt verendlichten Unendlichen, aus diesem der Zeitbedingung unterstellten Unveränderlichen und Ewigen in sich' ein bloßes „Accidens des Vergänglichen". Durch diese Verzeitlichung werden die moralischen „Begriffe von Recht und Unrecht" ihrer tatsächlichen Zeitenthobenheit, ihrer unbedingten und notwendigen Gültigkeit beraubt, und werden einem zufälligen Statutenglauben subsumiert, der einer willkürlichen und dem zeitlichen Wandel ausgesetzten positiven Gesetzgebung unterworfen ist. Wir haben in diesen kritischen Ausführungen Schillers die von Kant in „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" inaugurierte und von Hegel im Systemprogramm aufgenommene Polemik gegen den statutarischen Kirchenglauben nochmals gegenwärtig. Ihn meinte Kant als einen „Afterglauben" und einen „Religionswahn" abqualifizieren zu müssen angesichts der Tatsache, daß unter seiner Regie an die Stelle des moralisch guten Lebenswandels, der die Religion in sich und nicht außer sich sucht, äußerliche Handlungen getreten seien, die den geforderten Glauben darein setzten,,gewissen statutarischen Sätzen' zu folgen, oder ein
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„Begehen gewisser willkürlicher Observanzen" zu zelebrieren. 20 - In dieser Kritik an dem verendlichten Unendlichen stimmen folglich nicht allein Kant und Schiller überein, sondern diese Kritik machte sich auch Hegel in modifizierter Weise im Systemprogramm zu eigen, wenn er den „Umsturz alles Afterglaubens" und „die Verfolgung des Priestertums" als eine zwingende Notwendigkeit postulierte. Der Angriff auf die „geheuchelte Vernunft" dieses Priestertums verstand sich ja daraus, daß es den nach der kritischen Bearbeitung einzig noch übrig gebliebenen moralischen Beweis, auf das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele praktisch zu schließen, nunmehr in dogmatischer Manier dazu gebrauchte, das ausgeschlossene
theoretische
Beweisverfahren
indirekt
wieder
gangbar
zu
machen. Die jegliche mögliche Erfahrung und damit jede mögliche bedingte Erkenntnis überschreitenden unbedingten praktischen Postulate wurden von der „theologischen Logik" wieder auf die Ebene des theoretischen Vernunftgebrauchs zurückgeholt, so daß jetzt, unter dem Scheine der praktischen Beweisart, wieder theoretische Lehrsätze über das Unbedingte für beweisbar gehalten wurden. Das auf das Endliche restringierte theoretische Vernunftvermögen wurde durch diese Ambition, das Unendliche auf theoretischem Wege beweisen zu wollen, indem es sich auf das praktische Beweisverfahren
berief, wieder überschwänglich
und dogmatisch.
Es
wandte seine endlichen Prädikate auf das Unbedingte an und verendlichte das Unendliche, indem es, wie Hegel in dem Brief an Schelling Ende Januar 1795 schreibt 2 1 , „aus der Heiligkeit Gottes . . . räsoniert, was er vermöge seiner rein moralischen Natur tun müsse usw.", wodurch „die alte Manier, in der Dogmatik zu beweisen, wieder eingeführt" worden ist. Diese auffällige Ubereinstimmung im Bereich ethischer Überlegungen zwischen Schiller und Kant einerseits, dem Hegel des Systemprogramms und Schiller andererseits, wollen wir abschließend noch an einem besonders prägnanten Beispiel illustrieren. Kant hatte seine KrV nicht zuletzt in der Absicht geschrieben, die Grenzen zwischen dem Gebrauch des Verstandes und demjenigen der Vernunft prinzipiell festzusetzen, um so etwaigen Grenzüberschreitungen entgegenzuwirken. Die Naturerkenntnis wurde auf Gegenstände der Erfahrung, auf die phaenomenale Welt der Erscheinungen festgelegt, und die Aufgabe bestand darin, die innere Gesetzmäßigkeit dieser empirisch rückgebundenen Erkenntnis zu explizieren. Andererseits wurde
20
I.Kant, R G V , a . a . O . S.271. Vgl. ebenso diese Arbeit S.366ff. Vgl. Briefe, a . a . O . S . 1 5 f f .
434
Eine Ethik
die jede mögliche Erfahrung und deren Prinzipien überschreitende Vernunfterkenntnis einer kritischen Betrachtung unterzogen mit dem negativen Resultat, daß die theoretischen Ambitionen der Vernunft, aus reinen Begriffen eine objektiv notwendige Erkenntnis abzuleiten, restringiert-, mit dem positiven, daß ihre Ansprüche zu solchen des praktischen Vernunftgebrauchs erweitert wurden. Besteht nämlich die unabdingbare Voraussetzung jeder objektiv notwendigen theoretischen Erkenntnis in ihrer Rückgebundenheit an ein anschaulich vorgegebenes Material, das sie kategorial zu einer Einheit verbindet, dann sind die Ideen bzw. praktischen Postulate gerade von der Notwendigkeit dieser empirischen Rückbindung absolviert, indem sie bloß die Form einer allgemein notwendigen praktischen Gesetzgebung thematisieren und sich von den Inhalten eines empirisch motivierten zufälligen Willens distanzieren. 22 Und schließlich waren es diese von jeglicher empirischen Beimischung befreiten praktischen Postulate, die Kant seiner Religionslehre zugrundelegte. Die von ihm konzipierte Religion sollte sich innerhalb der Grenzen der bloßen praktischen Vernunft bewegen, sie wurde von ihm vor dem Hintergrund praktischer Ideen zu einer Religion der moralischen Gesinnung und des guten Lebenswandels. Religion bewährt sich folglich nach Kant nur innerhalb einer von moralischen Ideen geleiteten Vernunft, die sich am Sittengesetz orientiert, und nicht an einem heteronom gebietenden positiven Gesetzes- und Statutenglauben. Diese prinzipielle Grenzziehung zwischen den einzelnen Wissenschaftszweigen hat sich Schiller uneingeschränkt zu eigen gemacht, wenn er sowohl die Problematik der ihre Grenzen überschreitenden Naturerkenntnis thematisiert, als auch die Notwendigkeit, der „Erklärung des Sittlichen" den praktischen Vernunftgebrauch zugrundezulegen. Schließlich aber
22
Vgl. zu dieser wechselseitigen Ausgrenzung den 9. Abschn. der Einl. zur K r U , w o dieses Anliegen prägnant beschrieben wird. Es heißt: „ D e r Verstand ist a priori gesetzgebend für die Natur als O b j e k t der Sinne, zu einer theoretischen Erkenntniss derselben in einer möglichen Erfahrung. D i e Vernunft ist a priori gesetzgebend für Freiheit und ihre eigene Kausalität, als das Uebersinnliche in dem Subjekte, zu einer unbedingt-praktischen Erkenntniss. Das Gebiet des Naturbegriffs unter der einen, und das des Freiheitsbegriffs unter der anderen Gesetzgebung sind gegen allen wechselseitigen Einfluss, den sie für sich (ein jedes nach seinen Grundgesetzen) auf einander haben können, durch die grosse Kluft, welche das Uebersinnliche von den Erscheinungen trennt, gänzlich abgesondert. D e r Freiheitsbegriff bestimmt nichts in Ansehung der theoretischen Erkenntniss der Natur; der Naturbegriff ebensowohl nichts in Ansehung der praktischen Gesetze der Freiheit; und es ist insofern nicht möglich, eine B r ü c k e von einem Gebiete zu dem anderen hinüberzuschlagen."
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bestimmt er, in Kantischem Geiste, die wahre Religion als die einer moralischen Gesinnung, die, in Befolgung des inneren Sittengesetzes, mit dem Begriff der Menschheit (in mir) gleichzeitig auch den einer nicht auswärtig gebietenden Gottheit realisiert, sondern eben einer Gottheit, der einzig in Befolgung des moralischen Gesetzes ein Genüge getan wird. In diesem sich der kritischen Philosophie und ihrer maßgeblichen Einsichten bedienenden Sinne läßt Schiller zusammenfassend alle Fehlgriffe sowohl des theoretischen Verstandes-, als auch des praktischen Vernunftgebrauchs Revue passieren, wenn er sagt: „Wie er (dieser fehlgeleitete, auf der Grundlage von Prioritätsverschiebungen arbeitende Verstand, F.-P.H.) in Erklärung einzelner Naturphänomene über die Natur hinausschreitet und außerhalb derselben sucht, was nur in ihrer innern Gesetzmäßigkeit kann gefunden werden, ebenso schreitet er in Erklärung des Sittlichen über die Vernunft hinaus und verscherzt seine Menschheit, indem er auf diesem Weg eine Gottheit sucht." 23 Positiv ausgedrückt haben wir in dieser letzten Ausführung aber nichts anderes als denjenigen Gedankengang des Systemprogramms vor uns, der dafür plädiert, auf der Grundlage der moralphilosophischen ,absoluten Freiheit aller Geister', „die die intellektuelle (d. h. die sittliche, F.-P.H.) Welt in sich tragen", den Begriff einer Menschheit zu prägen, die „Gott und Unsterblichkeit" nur noch in sich - insofern sie moralischen, sittlich vernünftigen Wesens ist - suchen darf. Eine Religion aber, die nicht auf dem Fundament des die Menschheit repräsentierenden praktischen Sittengesetzes errichtet wurde, sondern die vielmehr einen positiven Statutenglauben akzentuiert, zeigt sich entsprechend auch dieser „Abstammung würdig". Sie findet die praktischen Postulate von Gott und Unsterblichkeit nicht nur nicht in sich, sondern bestreitet darüber hinaus auch deren unbedingt gebietenden ideellen Charakter, eben weil sie die Religion und das ihr entsprechende Objekt nicht in sich sondern außer sich sucht. Ihr verkehrt sich das jeglicher Zeitbestimmung überhobene unbedingte Moralgesetz, das „von Ewigkeit her" bindet „und in alle Ewigkeit bindend" ist in ein zeitlich affiziertes, wandelbares, von einer äußerlich gebietenden Autorität auferlegtes positives, statutarisches Gesetz. Indem diese Religion den Menschen nicht in seiner moralischen Bestimmung in Betracht zieht, dem die Idee Gottes das innerlich vorgegebene Richtmaß und Ideal eines sittlich guten Lebenswandels ist, unterwirft sie ihn einem äußerlich auferlegten, unbedingten Gehorsam fordernden Zwang. „Er hat
» E d M , a . a . O . S. 104.
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Eine Ethik
es nicht mit einem heiligen, bloß mit einem mächtigen Wesen zu tun. Der Geist seiner Gottesverehrung ist also Furcht, die ihn erniedrigt, nicht Ehrfurcht, die ihn in seiner eigenen Schätzung erhebt." 24 Diese nicht an der moralischen Bestimmung des Menschen orientierte Religionsausübung befördert also nach Schillers Einsicht genau dasjenige Verhalten des von einer äußerlichen Autorität abhängigen Menschen, das auch Hegel im Systemprogramm einer scharfen Kritik unterwarf, wenn er den „Umsturz alles Afterglaubens", wenn er die „Verfolgung des Priestertums" nicht zuletzt deswegen forderte, weil der „verachtende Blick" dieser „Weisen und Priester" „das blinde Zittern des Volks" vor diesen Statthaltern Gottes auf Erden, und in Folge davon auch vor dieser obersten Autorität, bewirkte. 25 Wir können also resümierend festhalten, daß es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dieser 24. Brief der ästhetischen Erziehung des Menschen gewesen ist, der als Vorbild den ethischen Überlegungen des Systemprogramms zugrundeliegt, wenn wir den außerordentlich hohen Verwandtschaftsgrad der Gedankenführung dieser beiden Texte in Betracht ziehen. Parallele Überlegungen finden wir schließlich auch noch in Kants KrV, im zweiten Hauptstück der transzendentalen Methodenlehre unter der Überschrift „Von dem Ideal des höchsten Guts". 2 6 Hier ist der systematische Ort, an dem Kant den Begriff einer moralischen, bzw. intelligiblen Welt expliziert, um daraufhin deren Verhältnis zur sinnlichen Welt einerseits, zu einer Religionslehre der praktischen Postulate andererseits zu thematisieren. Die intelligible Welt ist eine Idee der reinen praktischen Vernunft. Eine theoretische Erkenntnis dieser Welt ist von vornherein ausgeschlossen, da Erkenntnisse immer nur so weit reichen, als uns Erscheinungen anschaulich gegeben werden können, also immer nur insoweit, als wir von Gegenständen der Sinne affiziert werden. Was die hinter diesen Erscheinungen liegenden Dinge an sich selbst sein mögen entzieht sich dem Zugriff dieser auf Anschauungen restringierten Erkenntnis. Gerade diese Anschaulichkeit, die das Charakteristikum aller möglichen Gegenstände der Erfahrung ist, ist den Ideen der Vernunft nicht gegeben. Sie entbehren jeglicher empirischen Rückkoppelung an die Erscheinungen und sind dementspre-
24 25 26
A . a . O . S. 104/05. Vgl. Systemprogramm, a . a . O . S.221. Vgl. I. Kant, KrV, a. a. Ο. A 808, Β 836 ff. Zum Zweck der kommentierenden Erläuterung d i e s e r A u s f ü h r u n g e n z i e h e n w i r n a c h f o l g e n d a u s g e w ä h l t e A b s c h n . aus d e r G M d S z u R a t e .
.Absolute Freiheit aller Geister"
437
chend reine, spontan gebildete Begriffe a priori, mittels derer die Welt nicht erkannt wird nach den sinnlichen Bedingungen, die ihrer Wahrnehmung prinzipiell zugrundeliegen, sondern unabhängig von der Affizierung durch die Sinne bloß gedacht wird, weshalb sie von Kant auch als intellektuelle-, bzw. Verstandeswelt apostrophiert wird. Das von aller Affizierung durch Gegenstände der Sinne befreite rein intellektuelle Vernunftvermögen unterscheidet sich als „reine Selbsttätigkeit" 27 von derjenigen des Verstandes darin, daß dessen Tätigkeit immer auf ein von den Sinnen bereitgestelltes Material bezogen und eingeschränkt bleibt in der Absicht, „die sinnlichen Vorstellungen unter Regeln zu bringen und sie dadurch in einem Bewußtsein zu vereinigen, ohne welchen Gebrauch der Sinnlichkeit er gar nichts denken würde." 28 Diese spezifische Limitation der Verstandeserkenntnis auf Sinnendinge wird durch die reine, nicht bedingungsweise geltende Spontaneität der Vernunftideen aufgehoben. Sie gelten nicht nur, wie die Kategorien des Verstandes, relativ und in Abhängigkeit von den Erscheinungen der Sinnenwelt, sondern lassen in ihrem Unbedingtheitsanspruch einerseits jegliche Fremdbestimmung durch die Gegenstände der Anschauung hinter sich, um andererseits in völliger Autonomie eine reine Verstandeswelt zu begründen. „Um deswillen muß ein vernünftiges Wesen sich selbst als Intelligenz (also nicht von Seiten seiner unteren Kräfte) nicht als zur Sinnen-, sondern zur Verstandeswelt gehörig ansehen; mithin hat es zwei Standpunkte, daraus es sich selbst betrachten und Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich aller seiner Handlungen erkennen kann: einmal, sofern es zur Sinnenwelt gehört, unter Naturgesetzen (Heteronomie), zweitens als zur intelligibelen Welt gehörig, unter Gesetzen, die, von der Natur unabhängig, nicht empirisch, sondern bloß in der Vernunft gegründet sind." 29 Diese Naturunabhängigkeit der Gesetze der Vernunft ist aber nur der negative Ausdruck für die positive Bestimmung der „Idee der Freiheit", wie sie von dem Willen eines Wesens vorgestellt wird, das als vernünftiges zum Repräsentanten der intelligibelen Welt aufgerückt ist. Insofern der Mensch dieser Welt der Ideen angehört, hat er einerseits jegliche von sinnlichen Datis abhängige Fremdbestimmung abgelegt und untersteht folglich nicht länger mehr dieser ihm auswärtigen, empirischen Gesetzmäßigkeit. Andererseits, gerade insofern er sich dieser Fremdbestimmtheit entledigt hat,
27 28 29
I.Kant, GMdS, a . a . O . S.452. Ebda. Ebda.
438
Eine Ethik
macht er die Autonomie seines Willens geltend, oder setzt an die Stelle der Kausalität der Naturnotwendigkeit eine Kausalität auf der Grundlage der Idee der Freiheit. Diese für die intelligibele Welt charakteristische „Unabhängigkeit von den bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt ( . . . ) ist Freiheit. Mit der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie
unzer-
trennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Prinzip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen Handlungen vernünftiger
Wesen ebenso zum
Grunde liegt, als das Naturgesetz allen Erscheinungen." 3 0 Die conditio sine qua non in Bestimmung der intellektuellen Welt ist also nach Kant die Idee der Freiheit, denn nur, wenn „wir uns als frei denken", nur auf der Basis dieser praktischen Vernunftautonomie „versetzen wir uns als Glieder in die Verstandeswelt und erkennen die Autonomie des Willens samt ihrer Folge, der Moralität." 3 1 Wir haben also in diesen Ausführungen der im Jahre 1785 erschienenen GMdS nicht allein einen ausführlichen Kommentar zu denjenigen Überlegungen der K r V in Händen, die sich um die Bestimmung der moralischen Welt bemühen, sondern auch einen Hinweis auf die Idee der Freiheit, wie sie im Systemprogramm ihren Ausdruck findet. Denn auch in dieser vier Jahre zuvor erschienenen Arbeit hatte Kant die moralische oder intelligible Welt auf die Grundlage der sittlichen Idee der Freiheit bzw. der praktischen Vernunftautonomie gestellt, die „von allen Bedingungen (Zwecken) und selbst von allen Hindernissen der Moralität in derselben (Schwäche oder Unlauterkeit der menschlichen Natur) abstrahiert . . . " 3 2 Auch hier schon wurde also die Idee der Freiheit von Kant einerseits in die Unabhängigkeit von
der
fremdbestimmenden
Gesetzmäßigkeit
der
Erscheinungswelt
gesetzt, andererseits in die Autonomie eines selbstgesetzgebenden Willens, um vor diesem Hintergrund die praktische Idee einer intellektuellen Welt zu formulieren. Genau diese Grundlage hat sich Hegel in der entsprechenden Kurzformulierung des Systemprogramms zu eigen gemacht, wenn er die „intellektuelle Welt" sich in der praktischen Idee der Freiheit manifestieren ließ. Und wenn er angesichts dieser moralphilosophischen Bestimmung des Menschen danach fragte, wie eine Welt für ein solches Wesen beschaffen sein müsse, dessen eigentliches Selbst in der Idee der Freiheit zu finden ist, dann hatte er damit indirekt die Forderung ausgesprochen, die
30
32
A . a . O . S.452f. A . a . O . S.453. I. Kant, KrV, a. a. Ο. A 808, Β 836.
439
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phaenomenale Welt dieser praktischen Idee entsprechend
abzuändern.
Nicht die Erscheinungswelt und die ihr adäquate Notwendigkeit kausaler Naturgesetzmäßigkeit sollte den Menschen in seinem Handeln fremdbestimmend bedingen, sondern er sollte sich vielmehr, der Idee seiner moralischen Autonomie gemäß, in freier Selbstgesetzgebung zum Glied einer intelligiblen Welt qualifizieren, vor der die Abhängigkeit von sinnlichen Einflüssen verschwindet. - Eben diesen praktischen Einfluß des noumenalen Menschen auf die Sinnenwelt hatte aber auch Kant proklamiert, wenn er davon sprach, daß die praktische Idee einer intellektuellen Welt „wirklich ihren Einfluß auf die Sinnenwelt haben kann und soll, um sie dieser Idee so viel als möglich gemäß zu machen." 3 3 Vor diesem Horizont der praktischen Einflußnahme der Prinzipien der intelligiblen auf die phaenomenale Welt entwickelt Kant nunmehr die Frage danach, wie der kategorische Imperativ möglich sei. Zum Glied der Verstandeswelt wird ein Wesen dadurch, daß es als eine mit Vernunft begabte Intelligenz jede mögliche Handlung auf die bloß formale Idee des freien Willens bezogen sein läßt. Andererseits aber befindet es sich doch auch in dem empirisch bestimmten Zusammenhang der Sinnenwelt, in der seine Handlungen jederzeit von äußerlichen Einflüssen abhängig sind, deren Kausalität nicht eine der autonom bestimmenden Freiheit, sondern der heteronom bestimmten Naturnotwendigkeit ist. Auf dieser phaenomenalen Ebene werden alle möglichen Handlungen „als bestimmt durch andere Erscheinungen, nämlich Begierden und Neigungen, als zur Sinnenwelt gehörig eingesehen . . ," 3 4 Betrachtet man also diese doppelte Kausalität des Willens zunächst als vollkommen unabhängig voneinander, dann wird man betreffs der Kausalität aus Freiheit mit Kant folgendes feststellen müssen: „Als bloßen Gliedes der Verstandeswelt, würden also alle meine Handlungen dem Prinzip der Autonomie des reinen Willens vollkommen gemäß sein;". Betrachtet man sie unter dem Blickwinkel
fremdbestimmender
Naturnotwendigkeit, dann werden alle dergestalt präformierten Handlungen ganz konsequent der Sinnenwelt subsumiert, und würden „gänzlich dem Naturgesetz der Begierden und Neigungen, mithin der Heteronomie der Natur gemäß genommen werden müssen." 3 5 Tatsächlich aber läßt sich diese strenge Absonderung der noumenalen von der phaenomenalen Welt (und die beiden Welten jeweils korrespondie-
" 34 35
Ebda. I.Kant, GMdS. a . a . O . S.453. Ebda.
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Eine Ethik
rende Kausalität des Willens) nicht aufrechterhalten. Zwischen diesen beiden Welten und den ihnen entsprechenden Willensäußerungen besteht ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis inklusive einer eindeutigen Prioritätszuweisung. Und zwar einer Prioritätsbestimmung, die nicht allein derjenigen aus der KrV, wie wir sie oben entwickelt haben, analog ist, sondern auch derjenigen des Systemprogramms. Kant nämlich bedient sich ausdrücklich des Kursivdrucks, wenn er in der GMdS unmißverständlich darauf hinweist, daß die sich in der Verstandeswelt niederschlagende praktische Vernunftautonomie „den Grund der Sinnenwelt, mithin auch der Gesetze derselben enthält" ?b Dieser eindeutige Prioritätsnachweis ist es, der Hegel im Systemprogramm - in Kantischen Spuren wandelnd - veranlaßte, die Forderung nach einer an der Idee der Freiheit orientierten moralischen bzw. intellektuellen Welt aufzustellen, die der Welt der Erscheinungen sowohl, als auch dem dort ansässigen Sinnenwesen gebietet. Insofern also die Verstandeswelt der Sinnenwelt und der ihr korrespondierenden Gesetzmäßigkeit zugrundeliegt, insofern ist sie „in Ansehung meines Willens (der ganz zur Verstandeswelt gehört) unmittelbar gesetzgebend". Und wenn, der Programmatik des Systemprogramms gemäß, die praktische Idee der Freiheit der moralphilosophische Dreh- und Angelpunkt einer diesem Prinzip entsprechend einzurichtenden Welt ist, dann fällt diesem Prinzip autonomer Selbstgesetzgebung nicht zuletzt die Aufgabe zu, den Widerstand der heteronom gebietenden phaenomenalen Welt zu brechen, wie sie sich in dem durch Neigungen affizierten unteren Begehrungsvermögen manifestiert. Also „werde ich mich als Intelligenz, obgleich andererseits wie ein zur Sinnenwelt gehöriges Wesen, dennoch dem Gesetze der ersteren d. i. der Vernunft, die in der Idee der Freiheit das Gesetz derselben enthält, und also der Autonomie des Willens unterworfen erkennen, folglich die Gesetze der Verstandeswelt für mich als Imperativen und die diesem Prinzip gemäßen Handlungen als Pflichten ansehen müssen." 37 Die Möglichkeit des kategorischen Imperativs beruht also darauf, daß die praktische Verunftbestimmung der Idee der Freiheit „mich zu einem Gliede einer intelligibelen Welt" bestimmt. Verhielte ich mich ausschließlich nach dem Vorbild dieses Prinzips, dann würden „alle meine Handlungen der Autonomie des Willens jederzeit" entsprechen. Da ich aber außerdem der fremdbestimmenden Gesetzmäßigkeit der Sinnenwelt angehöre und 36
Ebda.; vgl. ebenso S. 461. " A . a . O . S.454.
.Absolute Freiheit aller Geister"
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von ihr vorherbestimmt bin, deswegen ist die Idee der praktischen Vernunftautonomie kein Faktum, sondern ein Postulat, das an das von Erscheinungen abhängige Sinnenwesen mit der Forderung herantritt, sich der Idee der Freiheit, die ihm sein praktisches Vernunftvermögen gebietet, gemäß zu verhalten. Wenn also „über meinen durch sinnliche Begierden affizierten Willen noch die Idee ebendesselben, aber zur Verstandeswelt gehörigen reinen, für sich selbst praktischen Willens hinzukommt", dann ist es von Kant nur konsequent, diesen Unbedingtheitsanspruch des an der Idee der Freiheit ausgerichteten praktischen Willens zur obersten Bedingung der immer nur bedingungsweise geltenden empirischen Willensäußerung zu machen. Und genau diese Konsequenz hat auch Hegel im Systemprogramm gezogen, wenn er die praktische Vernunft und die ihr korrespondierende Idee der Freiheit, wie sie sich in der intellektuellen Welt manifestiert, zum Maßstab für eine entsprechende Veränderung der Erscheinungswelt nahm. Die praktische Vernunft sollte, wie es in dem Brief vom 30. August 1795 an Schelling hieß, ,der Welt der Erscheinungen gebieten', oder sie war, qua Sittengesetz, das Richtmaß für das praktische Postulat, das danach fragt, wie „eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein" müsse mit dem expliziten Ziel, das die Idee der Freiheit akzentuierende vernünftige Wesen zu einem Glied der intellektuellen Welt zu machen, das sich von den fremdbestimmenden Einflüssen und Antrieben der Sinnenwelt vollständig emanzipiert hat. Die Moralität des Menschen beweist sich also Kant und Hegel zufolge darin, daß „er sich in den Standpunkt eines Gliedes der Verstandeswelt versetzt, dazu die Idee der Freiheit d. i. Unabhängigkeit von bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt ihn unwillkürlich nötigt . . . Das moralische Sollen ist also eigenes notwendiges Wollen als Gliedes einer intelligibelen Welt und wird nur sofern von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet." 38 Die Priorität der intellektuellen Welt und der für sie maßgeblichen Idee der Freiheit im Verhältnis zur empirischen Welt der Erscheinungen ist für Kant und für den Hegel des Systemprogramms von unerschütterlicher praktischer Gewißheit. Das praktische Postulat der Freiheit ist diejenige Vernunftidee, an der sich die phaenomenale Welt und die ihr angepaßte Willensäußerung unbedingt zu orientieren haben, mit der Perspektive auf die „absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen", und die folglich von den „Antrieben der Sinnlichkeit" vollständig
58
A. a. O . S. 455.
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Eine Ethik
absolviert sind. Nur auf dieser Grundlage läßt sich die Forderung nach einer dem moralischen Wesen adäquaten moralischen Welt realisieren, wie sie von Hegel im Systemprogramm ausgesprochen wurde. Schließlich aber ist es diese Idee einer moralischen Welt, die als ein Postulat der reinen praktischen Vernunft und der ihr angemessenen Idee der Freiheit des Willens auch den Begriffen von Gott und Unsterblichkeit zugrundeliegt. In der KrV 39 weist Kant ausdrücklich darauf hin, daß „Gott . . . und ein künftiges Leben, . . . zwei von der Verbindlichkeit (seien, F.P.H.), die uns reine Vernunft auferlegt . . . " Mit dieser Feststellung hat er den Boden für die von ihm beabsichtigte Moraltheologie bereitet. Die praktische Vernunft und die ihr adäquaten moralischen Gesetze sind es, aus denen die Ideen „eines einigen Urwesens" und die Unsterblichkeit der Seele abgeleitet werden. Wogegen Kant sich folglich unmißverständlich wendet ist das umgekehrte Verfahren, von den transzendenten Begriffen von Gott und Unsterblichkeit, die jeglicher empirischen Rückbindung entbehren, eine unmittelbare theoretische Kenntnisnahme zu behaupten, um dann „von diesem Begriffe auszugehen, und die moralischen Gesetze selbst von ihm abzuleiten". 40 Nur aus diesen moralischen Gesetzen und ihrer ,inneren praktischen Notwendigkeit' werden wir „zu der Voraussetzung einer selbständigen Ursache, oder eines weisen Weltregierers" geführt, so daß wir dessen Begriff „jenen Gesetzen gemäß gebildet" haben.41 Legte man hingegen den Begriff dieses „weisen Weltregierers" zugrunde, dann würde sich die „innere praktische Notwendigkeit" der moralischen Gesetze in eine zufällige, nicht einsehbare Willensäußerung dieses höchsten Wesens verkehren, da wir uns solange von diesem Willen keinen Begriff machen können, solange wir ihn nicht als ein moralphilosophisches Postulat der Freiheit bestimmen. Weil also die unmittelbare Erkenntnis einer für sich bestehenden, selbständigen Ursache ausgeschlossen ist, insofern ihr keine korrespondierende Anschauung untergelegt werden kann, deswegen ist die Idee Gottes ein Postulat der reinen praktischen Vernunft, das den moralischen Gesetzen gemäß gebildet wird. Angesichts dieser eindeutigen Restriktion der Religion in die Grenzen der praktischen Vernunft und der ihr adäquaten Idee der Freiheit des Willens ist die von Kant getroffene Feststellung folgerichtig, daß wir
I.Kant, KrV, a. a. Ο . A 811, Β 839. « A . a . O . A 818, Β 846. ι' Ebda. 39
. A b s o l u t e Freiheit aller G e i s t e r "
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„Handlungen nicht darum für verbindlich halten, weil sie Gebote Gottes sind, sondern sie darum als göttliche Gebote ansehen, weil wir dazu innerlich verbindlich sind." 42 Die göttlichen Gebote sind also, diesem Gedankengang zufolge, nicht von außen auferlegte, heteronom gebietende Gesetze, sondern sie sind nur dann als göttlich zu apostrophieren, wenn sie der Ausdruck eines moralisch autonomen Willens sind. Mit den Worten des Systemprogramms: Die moralphilosophische „Freiheit aller Geister" macht, daß „weder Gott noch Unsterblichkeit" außer derselben gesucht werden dürfen, da sie nämlich selbst Postulate der praktischen Vernunft sind, an denen wir unser Handeln auszurichten haben, nicht, indem sie in Form eines äußerlichen Statutenglaubens gebieten, sondern weil sie unserem praktischen Vernunftvermögen innerlich aufgegeben sind. Entsprechend glauben wir nur insofern, „dem göttlichen Willen gemäß zu sein, als wir das Sittengesetz, welches uns die Vernunft aus der Natur der Handlungen selbst lehrt, heilig halten, ihm dadurch allein zu dienen glauben, daß wir das Weltbeste an uns und an anderen befördern." 43 Diese Moraltheologie wendet sich also nicht zuletzt gegen einen positiv statutarischen Gesetzesglauben, der nicht deswegen Gefolgschaft fordert, weil die innere Stimme der moralisch selbstgesetzgebenden Vernunft uns, da wir intelligente Wesen sind, einen guten Lebenswandel gebietet gegen die sinnlich affizierten Neigungen des heteronom bestimmten unteren Begehrungsvermögens, sondern weil eine äußere Autorität nicht weniger heteronom uns zur Befolgung beliebig gegebener Gebote verbindet. Sie wendet sich folglich gegen eben diejenige Form des „Afterglaubens", wie sie von Hegel im Systemprogramm einer scharfen Polemik unterzogen wird, wenn er dieser spezifischen Form des Glaubens indirekt attestiert, daß sie die Ideen von Gott und Unsterblichkeit eben „außer sich" suche. Anstatt sie als praktische Postulate des autonomen moralischen Vernunftgebrauchs-, und damit als das zu qualifizieren, wozu wir „innerlich verbindlich" sind, weil wir nämlich selbst unter der Idee der Freiheit stehende (moralische) Vernunftwesen bzw. Intelligenzen sind, die einen freien Willen haben, wird ihre Verbindlichkeit gerade darin ausfindig gemacht, daß sie der Vernunftautonomie entgegenstehen und ihren Selbstgesetzgebungsanspruch aufheben. Ihre Würde wird also ausdrücklich darin gefunden, „schwärmerisch oder wohl gar frevelhaft den Leitfaden einer moralisch gesetzgebenden Vernunft
« A . a . O . A 819, Β 847. « Ebda.
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im guten Lebenswandel zu verlassen, um ihn unmittelbar an die Idee des höchsten Wesens zu knüpfen, welches einen transzendenten Gebrauch geben würde, aber ebenso, wie der der bloßen Spekulation, die letzten Zwecke der Vernunft verkehren und vereiteln muß." 4 4 Dieser tranzendente Gebrauch der Idee des höchsten Wesens, insofern sie unmittelbar eingesehen werden soll, resultiert eben daraus, daß es nicht die moralphilosophische Idee der Freiheit ist, die dieser Idee einen immanenten - und zwar praktischen - Gebrauch verschafft, zu deren Annahme wir als vernünftige Wesen innerlich verbunden sind. Es ist also selbstverständlich so, daß Gott und Unsterblichkeit, wenn sie nicht als praktische Postulate des moralischen Vernunftgebrauchs aufgefaßt werden, nicht allein die Freiheit des vernünftigen und autonomen Wesens eliminieren, sondern auch zu einer Autorität stilisiert werden, die ich, wie es e contrario im Systemprogramm heißt, ausschließlich noch außer mir suchen darf. Dies heißt aber mit Kant genauso sehr wie mit dem Hegel des Programmentwurfs, „die letzten Zwecke der Vernunft verkehren und vereiteln". 4 5
« A . a . O . A 8 1 9 , Β 847. 45 Vgl. zu diesen letzten (moralphilosophischen) Zwecken der Vernunft auch meine Ausführungen S. 358 ff.
Eine Ästhetik Die synthetische Funktion der „Idee der Schönheit" in der Vermittlung des Naturbegriffs mit demjenigen der Freiheit in Schillers „Briefen ..." und in Kants KrU. Die „Dichtkunst" als „Lehrerin der Menschheit" Wir hatten im letzten Teil des voraufgegangenen Abschnitts an einem ausgewählten Beispiel nochmals den Beweis dafür geführt, in wie großer Nähe die moralphilosophischen Überlegungen des Systemprogramms zu denjenigen Gedankengängen stehen, die Schiller in seinen ästhetischen Briefen, die Kant nicht zuletzt in der transzendentalen Methodenlehre der KrV, aber auch in der GMdS entwickelt. Für den jetzt in Angriff zu nehmenden zweiten Abschnitt wird dieser Schrift Schillers wiederum eine wesentliche Kommentierungsfunktion in Erhellung des Gedankenverlaufs des Systemprogramms zukommen. Aber auch Kant, diesmal der Verfasser der KrU, wird uns diejenigen Informationen geben, mittels derer wir den gedanklichen Duktus des zweiten Teils des Systemprogramms begreifen können. Hegel beginnt seine Ausführungen über die „Idee der Schönheit" in der Handschrift mit dem Hinweis auf deren synthetischen Charakter. Sie ist „die Idee, die alle vereinigt", oder der „ästhetische Akt" als „der höchste Akt der Vernunft" ist diejenige Instanz, die „alle Ideen umfaßt", so daß die theoretische Idee der „Wahrheit" und das moralphilosophische Ideal der „Güte" „nur in der Schönheit verschwistert sind".1 In gewisser Hinsicht wandelt Hegel hier in den Spuren der Ideenlehre Piatons, so daß es kein Zufall ist, wenn er ausdrücklich das Konzept der Idee der Schönheit „in höherem platonischem Sinne" verstanden wissen will. Denn auch Piaton hatte in sein Ideentableau die Idee der Schönheit aufgenommen und sie entsprechend an die Seite der Idee der Wahrheit und des Guten gestellt. Nur besaß diese Idee bei Piaton nicht den Stellenwert einer Leitidee,
1
Systemprogramm, a. a. O . S. 220.
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Eine Ästhetik
sondern wurde der Idee des Guten, an der sie sich zu orientieren hatte, untergeordnet. Entsprechend formuliert ζ. B. Rudolf Eisler in dem „Philosophen-Lexikon" über Piaton, wenn er sagt: „Die höchste Erkenntnis ( . . . ) ist die Erfassung der höchsten Idee, der Idee des Guten ( . . . ) . Die Idee des Guten ist die oberste N o r m des Wahren und des Schönen, der Grund der Wahrheit, des Erkennens und der Erkennbarkeit." 2 Aber auch diese von Hegel vorgenommene Gewichtsverlagerung hat ihr gedankliches Vorbild und zwar - einmal mehr - an den ästhetischen Briefen Schillers. Der 15. und 16. Brief geben uns zunächst einmal darüber Aufschluß, daß Schiller nicht allein für den Ideenstatus des Schönen 3 , sondern darüber hinaus auch für deren synthetische Funktion plädierte. Der Idee des Schönen dachte er die Aufgabe zu, sowohl den ,materiellen Zwang der Naturgesetze als den geistigen Zwang der Sittengesetze' „in ihrem höhern Begriff von Notwendigkeit, der beide Welten zugleich umfaßte", aufzuheben, so daß „aus der Einheit jener beiden Notwendigkeiten . . . erst die
2
Rudolf Eisler, Philosophen-Lexikon, Wien 1911, S. 554/55. Bei Piaton liest sich das so: „Und so räume denn auch nun ein, daß den durch die Vernunft erkennbaren Dingen von dem eigentlichen Guten nicht nur das Erkanntwerden zuteil wird, sondern daß ihnen dazu noch von jenem das Sein und die Wirklichkeit kommt, ohne daß das höchste Gut Wirklichkeit ist: es ragt vielmehr über die Wirklichkeit an Hoheit und Macht hinaus." Oder auch kurz und bündig so: „ . . . daß die Idee des Guten der Gegenstand der größten Wissenschaft ist, . . . " Vgl. Piaton, Sämtliche Werke Bd. II, Der Staat, Berlin (o. J.), 509 Β bzw. 505 A. Ebenso auch a. a. O . Bd. III, Philebos, 66 B. Gemäß der Ausgabe des Henricus Stephanus (1578), nach der Piaton üblicherweise zitiert wird. Vgl. hierzu auch Olof Gigon u. Laila Zimmermann, Piaton. Lexikon der Namen und Begriffe, Zürich u. München 1975, S. 155 f. (unter dem Begriff „Das Gute"), 289 (unter dem Begriff „Wahrheit"). Vgl. entsprechend auch Kirchners Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe, Leipzig' 1911, S. 24. Unter der Rubrik „Ästhetik" heißt es: „So definiert z . B . Piaton ( . . . ) das Schöne, den Hauptgegenstand der Ästhetik, (im Phaidros B, D) als das Nachbild der Ideen, in deren Reich die Idee des Guten die herrschende ist, . . . " So auch schon Klaus Düsing in dem Aufsatz „Ästhetischer Piatonismus bei Hölderlin und Hegel", in: Homburg v. d. Höhe in der deutschen Geistesgeschichte, a . a . O . S. 101-117, hier 115. Dort heißt es, unter Bezugnahme auf das Systemprogramm, wie folgt: „Mit Hölderlin interpretiert Hegel von den grundlegenden klassischen Ideen Piatos aus die Ideen des theoretischen und des praktischen Vernunftgebrauchs sowie deren Verbindung, nämlich daß die Wahrheit und die Güte durch die leitende Idee der Schönheit vereinigt werden. Die Platonische Rangfolge der Ideen wird dabei abgeändert; nicht das Gute, sondern das Schöne an sich ist die höchste, grundlegende Idee. So entwirft Hegel hier wie Hölderlin Grundzüge eines ästhetischen Piatonismus." Ähnlich übrigens auch O . Pöggeler in seinen einschlägigen Publikationen, spez. in dem Abschlußbericht der Villigster Systemprogrammtage. Vgl. Teil I dieser Arbeit, Die Hegel-Forschung nach 1965, S.219-227; ebenso zu K.Düsing, a . a . O . S. 196-203, spez. Anm.29.
3
Vgl. zum Ideenstatus des Schönen auch EdM, a. a. O . S. 108, den 25. Brief: „Die Schönheit ist allerdings das Werk der freien Betrachtung, und wir treten mit ihr in die Welt der Ideen — . .
Die synthetische Funktion der „Idee der Schönheit"
447
wahre Freiheit" hervorgehen sollte. 4 Diese Idee soll sich nach Schiller gerade dadurch realisieren, daß sie die Erkenntnisbedingung sowohl, als auch die moralphilosophische Freiheit des Willens in einem noch nicht näher charakterisierten ,Bund zu verknüpfen wußte'. 5 Die Verwirklichung des Schönen wird also ausdrücklich in ,der Verbindung zweier entgegengesetzter Prinzipien' gefunden, und das von ihr intendierte Ideal der Vereinigung hat seinen Maßstab an „dem möglichstvollkommensten Bunde und Gleichgewicht der Realität und der Form . . ." 6 Wenn die Ausnahmestellung der Idee des Schönen sich einerseits aus ihrer einigenden, die extremen Prinzipien verbindenden Funktion versteht, dann versteht sich andererseits gerade hieraus auch ihr Eingeschränktsein auf den Status eines Vorbildes, wie es Plato mit seiner Ideenlehre inauguriert hatte. Vor der sinnlich bestimmten Wirklichkeit bleibt das von der Schönheit vorgestellte „Gleichgewicht . . . immer nur Idee", die demgemäß „von der Wirklichkeit nie ganz erreicht werden kann". 7 Diese Wirklichkeit, weil sie dem empirischen Einfluß untersteht, bietet den Anblick eines regellosen Entstehens und Vergehens. Sie ist das uneingeschränkt Wandelbare und in unendlich viele Teile aufgefächerte vergängliche Akzidentelle, das immer nur w i r d , aber nie, im Sinne der als unvergängliche Substanz gedachten Idee, das unteilbare Einfache i s t . „Die Schönheit in der Idee" wird also von Schiller, ganz im Platonischen Sinne, in ihrer Gegenstellung zur vergänglichen Empirie der Wirklichkeit als das bestimmt, was „ewig", was ein ,unteilbares einziges ist', „weil es nur ein einziges Gleichgewicht geben kann; . . ." 8 Dadurch erhält die Frage nach der Wertigkeit der Idee des Schönen einen doppelbödigen Charakter. Piaton hatte sie auf seiner Ideenskala der Idee des Guten untergeordnet und sie mehr oder weniger explizit in deren Dienst genommen. Andererseits behielt die Idee des Schönen trotz dieser subordinierten Stellung ihren ideellen Charakter bei, den wir mit Schiller in ihrer Vorbildfunktion für die vergängliche Wirklichkeit festmachen konnten. 9 Sie repräsentierte vor der generellen Wandelbarkeit des Wirklichen das 4 5
A . a . O . S.64. Ebda.
' A . a . O . S.65. 7 Ebda. 8 Ebda. ' Vgl. a. a. O . S. 41 (den 10. Brief); es heißt: „Dieser reine Vernunftbegriff der Schönheit, wenn ein solcher sich aufzeigen ließe, müßte also - weil er aus keinem wirklichen Falle geschöpft werden kann, vielmehr unser Urteil über jeden wirklichen Fall erst berichtigt und leitet - auf dem Wege der Abstraktion gesucht und schon aus der Möglichkeit der sinnlich-vernünftigen
448
Eine Ästhetik
als substantiell gedachte, und damit als unwandelbar bestimmte ewige Gleichgewicht. Dies ist ein ganz in Piatons Sinne gehaltener Begriff der Idee der Schönheit, wie er sowohl von Schiller entwickelt, als auch von Hegel im Systemprogramm aufgenommen wird. Denn die Frage nach der Wertigkeit dieser Idee wird vorläufig bloß wie folgt entschieden: N u r im Vergleich zur wandelbaren Wirklichkeit hat die unwandelbare Idee des Schönen Vorbildcharakter, über ihr Verhältnis zur Idee des Guten ist damit vorerst noch keine Entscheidung gefallen. - Andererseits hatten wir gesehen, daß Schiller schon an der namhaft gemachten Stelle nicht nur die Frage nach der Wertigkeit der Idee des Schönen in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit stellt, sondern daß er - und damit wird indirekt schon ihre Relation zur Idee des Guten zum Thema - ihre Ausnahmestellung in ihrer Gleichgewicht herstellenden Synthesefunktion ansiedelt. Damit hat er sie eigentlich schon in der Werteskala über die Idee des Guten gestellt, weil nämlich, wie gesehen, von der Idee des Schönen keine andere Verbindung gemeint ist, als die der Idee des Guten qua Sittengesetz mit der Idee der Erkenntnis qua Naturgesetz. Mit diesem zweiten Schritt geht Schiller über die Platonische - restringierte Idee des Schönen hinaus, und zwar mittels desjenigen Arguments, dessen sich auch Hegel im Systemprogramm bedient: Diese erweiterte Idee des Schönen „vereinigt" alle andern Ideen, sie stellt das zu einer Einheit verbundene „Gleichgewicht" aller Ideen dar. Diese eindeutige Wertverschiebung entwickelt Schiller in den Briefen 20 folgende seiner Briefe „Uber die ästhetische Erziehung des Menschen". Wir hatten im zurückliegenden Abschnitt auf die zentrale Aufgabenstellung hingewiesen, die Schiller sich mit seiner pädagogisch gemeinten Abhandlung gestellt hatte. Der seinen Trieben, Neigungen und Begierden ausgelieferte sinnliche Mensch sollte von dieser materiellen Fremdbestimmtheit abgezogen, und zur Autonomie vernünftiger Selbstbestimmung hingeleitet werden. Dabei waren wir ausführlich auf diejenigen Gefahren eingegangen, die aus der Vermischung des natürlichen mit dem vernünftigen Triebe resultieren, insofern nämlich der ausnahmslos sinnlich
Natur gefolgert werden können; mit einem Wort: die Schönheit müßte sich als eine notwendige Bedingung der Menschheit aufzeigen lassen. Zu dem reinen Begriff der Menschheit müssen wir uns also nunmehr erheben, und da uns die Erfahrung nur einzelne Zustände einzelner Menschen, aber niemals die Menschheit zeigt, so müssen wir aus diesen ihren individuellen und wandelbaren Erscheinungsarten das Absolute und Bleibende zu entdecken und durch Wegwerfung aller zufälligen Schranken uns der notwendigen Bedingungen ihres Daseins zu bemächtigen suchen."
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affizierte Mensch unvorbereitet mit seiner Vernunftbestimmung konfrontiert wird. U m diesen Gefahren zu begegnen einerseits, und um andererseits einen vermittelnden Ubergang zwischen diesen beiden sich wechselweise ausschließenden Zuständen anzubahnen, kreiert Schiller einen mittleren Zustand, den er als den „ästhetischen" apostrophiert. In diesem Zustand sind alle etwaigen Einschränkungen und Einseitigkeiten aufgehoben, so daß weder der sinnliche Zustand noch die vernünftige Bestimmung des Menschen ein ausschließendes Vorrecht für sich beanspruchen können. Indem der Mensch diesen mittleren Zustand durchläuft, ist er, wie Schiller sich ausdrückt, „augenblicklich von aller Bestimmung frei" 1 0 und folglich auf eine unendliche Weise bestimmbar. Diese „unbegrenzte Bestimmbarkeit" ist nun freilich nicht mit einer bloß negativen Bestimmungslosigkeit zu verwechseln. Entbehrt die letztere nämlich allen und jeden Inhalts, dann ist das Resultat dieser Abstraktion von jeglicher Begrenzung ein absolutes Vakuum. Die unbegrenzte Bestimmbarkeit hingegen negiert nicht einfach bloß alle mögliche Begrenzung und schließt sie aus sich aus, sondern nimmt sie in sich auf, indem sie alle Bestimmungen in sich zu einem Ganzen vereinigt. Dadurch hebt sie die Schranken, die jeder einzelnen Bestimmung für sich, im Status der Isolation, anhaften, auf, ist folglich nicht mehr ausschließend bestimmt sondern auf eine unendliche Weise bestimmbar. „Das Gemüt ist bestimmbar, bloß insofern es überhaupt nicht bestimmt ist; es ist aber auch bestimmbar, insofern es nicht ausschließend bestimmt, d. h. bei seiner Bestimmung nicht beschränkt ist. Jenes ist bloße Bestimmungslosigkeit (es ist ohne Schranken, weil es ohne Realität ist); dieses ist die ästhetische Bestimmbarkeit (es hat keine Schranken, weil es alle Realität vereinigt)." 11 Diese mittlere ästhetische Stimmung ist also deswegen so außerordentlich fruchtbar, weil sie, negativ, jede etwaige Begrenzung aufhebt, indem sie, positiv, „das Ganze unserer verschiedenen Kräfte" zu einem Ganzen zusammenschließt. 12 In ihr ist keine bestimmte Kraft ausschließend tätig, weder verdrängt der physische Zustand den vernünftigen, noch verdrängt umgekehrt der vernünftige Zustand den physischen, sondern beide sind „zugleich tätig". Der Zweck der Schönheit realisiert sich also darin, „das Ganze unsrer sinnlichen und geistigen Kräfte in möglichster Harmonie auszubilden". 13 Aus diesen Überlegungen zieht Schiller im 22. Brief diejenigen Konsequenzen, die das Konzept der „Idee der Schönheit", wie es von Hegel im Systemprogramm entworfen wird, maßgeblich geprägt haben. Da in der
A . a . O . S.82. n A . a . O . S. 84. 10
12 A . a . O . S. 83, Anm. » A. a. O . S. 84, Anm.
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„ästhetischen Stimmung des Gemüts" eine jede bestimmte Äußerungsweise desselben aufgehoben ist, kann man diese spezifische Stimmung in einem ersten Schritt als bestimmungslos apostrophieren. Andererseits hatten wir gesehen, daß in diesem Zustand nicht nur jede mögliche Einschränkung aufgehoben wurde, sondern parallel mit dieser Aufhebung fand gleichzeitig eine Erweiterung statt. Mit der „Abwesenheit aller Schranken" war in dieser ästhetischen Stimmung des Gemüts ebenso auch „die Summe der Kräfte" mitgesetzt, „die in derselben gemeinschaftlich tätig sind". 14 Indem sie alle möglichen Kräfte in sich vereinigte, qualifizierte sie sich gerade wegen dieses zusammenschließenden Vermögens zur „höchsten Realität". Deswegen aber, so resümiert Schiller, weil dieser ästhetische Zustand die Integration aller menschlichen Betätigungsweisen verbürgt, kann man „denjenigen ebenso wenig Unrecht geben, die den ästhetischen Zustand für den fruchtbarsten in Rücksicht auf Erkenntnis und Moralität erklären." 15 Dieser ästhetische Zustand ist mit den Worten des Systemprogramms „der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfaßt, ein ästhetischer Akt ist, und daß (folglich, F.-P. H.) Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind." 16 Und da seit dem klassischen Altertum diese drei Ideen die Summe der Idee der Menschheit repräsentieren, sie aber in dieser modernen Neubewertung unter die Idee der Schönheit subsumiert werden, deswegen kann Schiller davon sprechen, daß die ästhetische Gemütsstimmung „das Ganze der Menschheit in sich begreift". 17 Deshalb aber auch, unter Rückgriff auf die klassische Vorlage, kann Hegel im Systemprogramm die Feststellung treffen, daß der „Poesie" wieder „eine höhere Würde" zukomme, indem sie „am Ende wieder (wird, F.-P. H.), was sie am Anfang war - Lehrerin der Menschheit" . 18 Vor dem Hintergrund dieses durch die Brille der Moderne gesehenen Verständnisses der antiken Klassik hat Hegel sich mit seiner Ästhetikauffassung genau diejenige Aufgabe gestellt, die auch Schiller seiner Schrift zudachte: Sie sollte, worauf schon die Namengebung ausdrücklich hinweist, eine auf das Ästhetische bezogene Erziehung des Menschen sein.19 Das Ästhetische aber, so » A . a . O . S.87. 15 Ebda. 16 Systemprogramm, a. a. O . S. 220. " E d M , a . a . O . S. 87. 18
Systemprogramm, a. a. O . S. 220.
19
Vgl. zu dieser Vorbildstellung der Klassik im Hinblick auf die pädagogische Aufgabe der Moderne auch folgenden Passus des neunten Briefes, a. a. O . S. 32 f.: „ D e r Künstler ist zwar der Sohn seiner Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar noch ihr Günstling ist. Eine wohltätige Gottheit reiße den Säugling bei Zeiten von seiner
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können wir zusammenfassend festhalten, erschöpft sich in dem Vermögen, alle Ideen zu umfassen bzw. zu vereinigen. Der „ästhetische Akt" ist „der höchste Akt der Vernunft" gerade weil er, in Schillers Worten, „jede einzelne Äußerung" der Menschheit, „dem Vermögen nach, in sich schließt". 20 In dieser Gemütsstimmung ist sowohl das Ganze ,der menschlichen Natur als auch jede einzelne Äußerung derselben' von etwaigen einschränkenden Grenzziehungen absolviert. „Eben deswegen, weil sie keine einzelne Funktion der Menschheit ausschließend in Schutz nimmt, so ist sie einer jeden ohne Unterschied günstig, und die begünstigt ja nur deswegen keine einzelne vorzugsweise, weil sie der Grund der Möglichkeit von allen ist. Alle andere Übungen geben dem Gemüt irgend ein besondres Geschick, aber setzen ihm dafür auch eine besondere Grenze; die ästhetische allein führt zum Unbegrenzten." 21 Und wenn wir uns erinnern, daß Schiller vermittels der ästhetischen Gemütsstimmung die sinnlich affizierte „Empfindung" zum reinen Gedanken übergehen läßt, da in ihr „Sinnlichkeit und Vernunft zugleich tätig sind" 22 , dann können wir auch ihre Uberbrückungsfunktion „in Rücksicht auf Erkenntnis und Moralität" ermessen.23 Weil nämlich der ästhetische Zustand „ein Ganzes in sich selbst" ist, da er „alle Bedingungen seines Ursprungs und seiner Fortdauer in sich vereinigt", deswegen äußert sich in ihm „unsre Menschheit . . . mit einer Reinheit und Integrität" 24 , in die sowohl Erkenntnis als auch Moralität eingeschlossen sind. Deshalb aber spricht Hegel im Systemprogramm auch die Überzeugung aus, daß darum, weil der ästhetische Akt als „der höchste Akt der Vernunft . . . alle Ideen umfaßt, . . . , Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind". Diese verbindende Mittelstellung zwischen den theoretischen Erkenntnisansprüchen des Verstandes und dem praktischen Gesetzgebungsanliegen
Mutter Brust, nähre ihn mit der Milch eines bessern Alters und lasse ihn unter fernem griechischen H i m m e l zur Mündigkeit reifen. Wenn er dann Mann geworden ist, so kehre er, eine fremde Gestalt, in sein Jahrhundert zurück; aber nicht, um es mit seiner Erscheinung zu erfreuen, sondern furchtbar wie Agamemnons Sohn, um es zu reinigen. D e n Stoff zwar wird er von der Gegenwart nehmen, aber die F o r m von einer edleren Zeit, da jenseits aller Zeit, von der absoluten unwandelbaren Einheit seines Wesens entlehnen." 20
A . a . O . S. 87.
21
A . a . O . S. 88.
22
A . a . O . S.83. A . a . O . S. 87. A . a . O . S. 88.
23 24
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der Vernunft attestierte aber auch schon Kant in seiner KrU dem ästhetischen Urteilsvermögen. 25 Es ist nun bemerkenswert, daß Kant, ebenso wie in seiner Nachfolge Schiller, dem Ästhetischen deswegen die Funktion des Mittlers zuerkennen, weil es weder durch den materiellen Zwang der Naturgesetze, noch durch den geistigen Zwang des Sittengesetzes ausschließend bestimmt ist. In dem mittleren ästhetischen Zustand waren nach Schiller sowohl die Einseitigkeiten des naturgesetzlich vorgeformten sinnlichen Zustandes, als auch die Einseitigkeiten der vernünftigen Bestimmung des einer intelligibelen Welt zugehörigen freien Individuums in eine höhere Einheit aufgehoben. In dieser höheren Einheit trat an die Stelle sei's der Abhängigkeit von der Naturgesetzlichkeit, sei's von der unbedingt gebietenden Strenge des Sittengesetzes ein Zustand freier Bestimmbarkeit, der alle verschiedenen Kräfte in die Harmonie eines gemeinsam wirkenden Ganzen zusammenfaßte. Diese Einheit, indem sie - negativ - jede denkbare Beschränkung annulierte, realisierte entsprechend - positiv - eine gemeinschaftliche Betätigung aller Kräfte, so daß Kant sie als die „Spontaneität im Spiele der Erkenntnisvermögen" bezeichnete.26 Indem in diesem spontanen Spiel das theoretische sowohl, als auch das praktische „Erkenntnisvermögen" zusammenstimmen, wird in dieser Zusammenstimmung einerseits der Grund für die Lust, welche das ästhetische Urteil mit sich führt, ausfindig gemacht, und andererseits macht diese alle Kräfte vereinigende „Spontaneität im Spiele der Erkenntnisvermögen" „den gedachten Begriff zur Vermittlung der Verknüpfung der Gebiete des Naturbegriffs mit dem Freiheitsbegriffe in ihren Folgen tauglich.. ." 2 7 Diese programmatische Mittelstellung des Schönen in der Verbindung des Freiheitsbegriffs mit demjenigen der Natur - wofür der Kantische Spontaneitätsbegriff nur ein anderer Ausdruck ist - , die wir nicht allein bei Schiller feststellen konnten, sondern die auch von Hegel im Systemprogramm mit der Formulierung von der „Idee der Schönheit", die alle Ideen „vereinigt" bzw. „umfaßt", wiederaufgenommen wurde, liegt auch der klassischen Geschmacksdefinition als eines uninteressierten, freien Wohlgefallens zugrunde, wie sie von Kant im § 5 der KrU entwickelt wird. Wenn
Vgl. entsprechend K r U , a. a. O . S. V (Vorrede); ebenso auch X X I ff. (Abschn. 3 der Einl.) und L U I f f . (Abschn. 9), dessen Uberschrift schon über diese Aufgabenstellung Auskunft gibt: „Von der Verknüpfung der Gesetzgebungen des Verstandes und der Vernunft durch die Urtheilskraft". * A. a. O . S. LVII. 27 Ebda. 25
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nämlich, so führt Kant aus, daß bloß sinnlich affizierte untere Begehrungsvermögen von vornherein mit einem bestimmten Interesse, das an einem Objekt genommen wird - demjenigen der Annehmlichkeit - verbunden ist, dann befindet sich dieses Begehrungsvermögen selbstverständlich in einer Abhängigkeit von äußeren Sinnenreizen und kann entsprechend als „tierisch" qualifiziert werden. Andererseits ist das obere, von sinnlichen Reizen und Antrieben absolvierte, mithin nicht pathologisch bedingte, sondern unbedingte praktische Begehrungsvermögen doch auch mit einem Interesse verbunden: Die Vernunft und der ihr gemäße Zweck des moralisch Guten sollen unbedingt gebieten. In beiden Fällen wird folglich ein Zwang ausgeübt; hier ein pathologisch-bedingter durch die Sinne, dort ein moralischunbedingter durch die Vernunft, da beide ihrem jeweils spezifischen praktischen Interesse nachgehen. Das untere Begehrungsvermögen wird durch die Annehmlichkeiten des Sinnenreizes-, das obere durch die Vernunftbestimmung des Sittengesetzes angetrieben, und beide Vermögen sind deswegen a u s s c h l i e ß e n d bestimmt. - Das Geschmacksurteil hingegen untersteht keinem bestimmten praktischen Interesse, es ist „bloss kontemplativ, d. i. ein Urteil, welches, indifferent in Ansehung des Daseins eines Gegenstandes, nur seine Beschaffenheit mit dem Gefühl der Lust und Unlust zusammenhält."28 Diese Gleichgültigkeit - ins Positive gewendet - bedeutet aber, daß das Wohlgefallen „des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressiertes und freies Wohlgefallen" ist. Es ist weder auf das sinnliche Begehrungsvermögen fixiert, noch auf die unbedingt gebietende moralische Vernunftbestimmung: „kein Interesse, weder das der Sinne noch das der Vernunft, zwingt den Beifall ab." 2 9 Ein Wohlgefallen also, das sich auf „Neigung" bezieht, befindet sich in Abhängigkeit von dem äußerlich motivierenden Sinnenreiz. Ein Wohlgefallen, das sich auf „Achtung" bezieht, ist abhängig von dem praktischen Vernunftgesetz, das dem Begehren nicht weniger äußerlich auferlegt wird. Beide Arten des Wohlgefallens „lassen uns keine Freiheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen." 30 Nur ein Wohlgefallen, das sich auf „Gunst" bezieht, hat sich von jeglicher Abhängigkeit und Einschränkung losgemacht und wird von Kant entsprechend als das „einzig freie Wohlgefallen" bestimmt.31 Denn nur dieses gunstbezogene Wohlgefallen ist interesselos und setzt
A.a.O. » A.a.O. » A.a.O. 31 A . a . O . 28 2
S. S. S. S.
14. 15. 15/16. 15.
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Eine Ästhetik
folglich keine Bedürftigkeit voraus und bringt keine hervor, wie es auch den „Bestimmungsgrund des Beifalls" nicht an ein von einem Bedürfnis abhängiges Interesse anknüpft. Mit anderen Worten: es ist das einzig freie. Und seine Freiheit äußert sich in der schon bemerklich gemachten „Spontaneität im Spiele der Erkenntnisvermögen", die alle Kräfte dadurch unter sich vereinigt, daß sie von keiner Kraft ausschließend bestimmt ist. Hier wird mit allen „Gegenständen des Wohlgefallens nur (ge)spielt, ohne sich an einen zu hängen". Und dieses an kein bestimmtes Interesse gebundene freie Spiel aller Kräfte qualifiziert den umfassenden „Gegenstand eines solchen Wohlgefallens . . . (als, F.-P. H.) schön" }2 Schönheit ist also auch nach Kant ein Zustand freier Bestimmbarkeit, in der die erkennenden (theoretischen) und die praktisch gebietenden (moralischen) Kräfte nur deswegen nicht ausschließend bestimmend sind, weil sie in ihr zu einer harmonischen Einheit zusammengefaßt wurden. Und diese im ästhetischen Zustand verbindliche gemeinschaftliche Betätigung aller Kräfte ließ diesen Zustand „zur Vermittlung der Verknüpfung der Gebiete des Naturbegriffs mit dem Freiheitsbegriffe"33 geeignet-, oder, mit den Worten des Systemprogramms: ließ „Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert" sein. Fassen wir zusammen: Das untere Begehrungsvermögen ist durch sinnliche Anreize nicht weniger bestimmt und eingeschränkt als das obere Begehrungsvermögen durch die praktische Notwendigkeit des Sittengesetzes. Beide Vermögen führen ein Interesse an ihrem je spezifischen Gegenstand mit sich und schließen dadurch jeden anderen Gegenstand aus sich aus. Das Interesse des ersteren ist dessen Beziehung auf das Angenehme, das den Sinnen unmittelbar Befriedigung verschafft und deswegen „ein pathologisch-bedingtes" Wohlgefallen ist. Das Interesse des zweiten ist seine Beziehung auf das Gute, das die Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch befriedigt und darum von Kant als „reines praktisches Wohlgefallen" bezeichnet wird. Das Geschmacksurteil hingegen ist in keiner Weise ausschließend bestimmt, es hat weder ein Interesse an einem sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand, den es begehrt, noch ist es auf die Realisierung der praktischen Vernunftidee bedacht und insofern von ihr her in seinem Verhalten festgelegt. Es ist von aller Bestimmung frei, wie die Formulierung Schillers lautet, und daher „auf eine unendliche Weise
« A . a . O . S. 16. 33 A . a . O . S . L V I I .
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bestimmbar". Diese Interesselosigkeit des Geschmacksurteils, da es sich „indifferent in Ansehung des Daseins eines Gegenstandes" 34 verhält, macht es, in Kants Terminologie, zu einem „kontemplativen". Und sein Wohlgefallen am Schönen, weil es von keinen äußerlichen Bestimmungsgründen motiviert ist, die sein Interesse in Anspruch nähmen, macht es zu einem f r e i e n Wohlgefallen. Dieses ,frei-sein-von' Bestimmungen, dieses ,absolviert-sein-von' jeglichem Interesse ist - positiv gewendet - das freie Wohlgefallen des Geschmacks am Schönen. Dagegen: „Ein Gegenstand der Neigung und einer, welcher durch ein Vernunftgesetz uns zum Begehren auferlegt wird, lassen uns keine Freiheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen. Alles Interesse setzt Bedürfnis voraus oder bringt eines hervor, und, als Bestimmungsgrund des Beifalls, läßt es das Urtheil über den Gegenstand nicht mehr frei sein." 35 Freiheit in der ersten Bedeutung ist folglich Schillers ,Zustand' völliger Bestimmungslosigkeit. Aber bei dieser eingeschränkten Bedeutung bleibt Kant so wenig stehen, wie Schiller es in seinen ästhetischen Briefen in dem entsprechenden Kontext tat. An die Stelle dieser von jeglicher Begrenzung abstrahierenden bloß negativen Bestimmungslosigkeit, die man als ,Freiheit von . . a p o s t rophieren könnte, tritt bei Kant, wie auch schon bei Schiller, eine positiv bestimmte ,Freiheit zu . . u n d zwar dadurch, daß alle möglichen Bestimmungen, im Sinne der „unbegrenzten Bestimmbarkeit", zu einem Ganzen vereinigt werden. Mit diesen möglichen Bestimmungen, als Gegenständen des Wohlgefallens, spielt der Geschmack, „ohne sich an einen zu hängen". 36 Wurde also in einem ersten Schritt die Freiheit des ästhetischen Urteils nur in der Aufhebung jeglicher Einschränkung gefunden, dann wird in einem zweiten diese Aufhebung um den Gesichtspunkt der (spielenden) Erweiterung komplettiert. Und diese Erweiterung, indem sie alle Bestimmungen in sich aufnimmt, ohne an eine gebunden zu sein, macht das ästhetische Urteil und dessen Gegenstand - die Schönheit - zu dem Vereinigungspunkt aller Kräfte, oder zu dem, was Schiller als die freie Bestimmbarkeit des mittleren - ästhetischen - Zustandes bezeichnete. Er ist derjenige Zustand, der alle andern unter sich beschließt, und der sich in der Idee der Schönheit objektiviert. Entsprechend ist sie der Vereinigungspunkt der sinnlichen und der erkennenden, schließlich aber auch der praktisch gebietenden (morali-
34
A . a . O . S. 14. A . a . O . S. 15. » A . a . O . S. 16. 35
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sehen) Kräfte, und deswegen, so können wir mit Schiller ebensogut wie mit dem Hegel des Systemprogramms sagen, kann man „denjenigen ebenso wenig Unrecht geben, die den ästhetischen Zustand für den fruchtbarsten in Rücksicht auf Erkenntnis und Moralität erklären." 3 7 Die „Idee der Schönheit" ist diejenige Idee, die sowohl „Wahrheit", als auch „ G ü t e " in sich vereinigt, und die „gleichsam den Ubergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse ohne einen zu gewaltsamen Sprung möglich" macht. 38 Schließlich aber zeigt ein Vergleich mit dem Fragment „Die Positivität der christlichen Religion", einem Fragment Hegels aus der Berner Zeit, daß Hegel dieses Kant-Schillersche Konzept der Schönheit geläufig gewesen ist. Wenn Kant in der „Spontaneität im Spiele der Erkenntnisvermögen" die Instanz „zur Vermittlung der Verknüpfung der Gebiete des Naturbegriffs mit dem Freiheitsbegriffe" 3 9 ausfindig machte, dann bestand zwischen diesem Spontaneitätsbegriff und demjenigen eines uninteressierten freien Wohlgefallens des Geschmacks am Schönen eine eindeutige Beziehung. Dieses uninteressierte freie Wohlgefallen, indem es von keinem Gegenstand ausschließend bestimmt war, war deswegen - umgekehrt - auf eine unendliche Weise bestimmbar und wegen dieser uneingeschränkten Aufnahmefähigkeit zur Synthese des erkennenden und praktischen Vermögens besonders geeignet. - Auf dem gleichen gedanklichen Niveau bewegten sich Schillers Überlegungen, wenn er den mittleren ästhetischen Zustand in eine unbegrenzte Bestimmbarkeit übersetzte. In ihm waren einerseits alle erdenklichen Beschränkungen aufgehoben, aber andererseits wurden sie auch in dem Sinne aufgenommen, daß er sie zu einem Ganzen vereinigte. Dieser ästhetische Zustand konnte gerade wegen dieses alle möglichen Kräfte zusammenschließenden Vermögens den Stellenwert einer „höchsten Realität" für sich in Anspruch nehmen. Er war infolgedessen auch der ,fruchtbarste in Rücksicht auf Erkenntnis und Moralität'. 40 Hegel nun läßt in „Die Positivität der christlichen Religion" den Genuß „der Schönheit, . . . aus dem freien Spiele der Seelenkräfte hervorgehen". 4 1 Die Parallele mit der Kantischen Formulierung von der „Spontaneität im Spiele der Erkenntnisvermögen" ist offensichtlich, und deswegen halten wir
" 3» 39 « 41
EdM, a. a. O. S. 87. I. Kant, KrU, a. a. O. S. 260. A.a.O. S.LVII. EdM, a.a.O. S.87. Nohl, a.a.O. S.217.
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es auch für zulässig, aus dieser Formel all jene Folgerungen zu ziehen, die Kant und mit ihm Schiller aus dieser wahlverwandten Formel de facto gezogen hatten. Dieses „freie Spiel der Seelenkräfte" muß entsprechend als interesselos charakterisiert werden, insofern es eben, wie die Bestimmung Kants lautet, „mit den Gegenständen des Wohlgefallens nur spielt". 42 Weil es auf keinen bestimmten Gegenstand in diesem freien Spiel eingeschränkt ist, umfaßt es alle möglichen Gegenstände und verbindet sie zu einer Einheit. Es ist, in der Terminologie Schillers, auf eine unendliche Weise bestimmbar, „es hat keine Schranken, weil es alle Realität vereinigt". 43 Und deswegen, weil in diesem freien Spiel keine bestimmte Kraft unter Ausschluß aller anderen tätig ist, verdrängt weder der physische Zustand und der ihm anhängende erkennende den vernünftigen, noch behauptet der vernünftige Zustand in Abwehr des physischen sein begrenztes Recht. Beide sind hier - in diesem mittleren Zustand des freien Spiels und der diesem freien Spiel korrespondierenden Schönheit - zugleich tätig, und weil sie dies sind, darum ist er wie kein anderer dazu geeignet, als der „höchste (ästhetische, F.-P. H.) Akt der Vernunft" alle andern Ideen unter sich zu befassen und „Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert" sein zu lassen. Insofern aber der Philosoph es im Wesentlichen mit diesen drei Ideen zu tun hat - in Analogie zu den drei Fragen der spekulativen sowohl, als auch der praktischen Vernunft, wie sie von Kant in der transzendentalen Methodenlehre der KrV gestellt werden - deswegen „muß (er, F.-P. H.) ebensoviel ästhetische Kraft besitzen, als der Dichter". 44 N u r mit Hilfe dieser ästhetischen Kraft kann er alle Ideen unter eine Einheit zusammenfassen und folglich den von der Vernunft geforderten Zusammenhang aller Ideen gewährleisten. Lautet die theoretische Frage der Vernunft der Kantischen Dreiteilung entsprechend: Was kann ich wissen?, dann fällt die Frage der praktischen Vernunft in zwei Teilabschnitte auseinander. In einem ersten Schritt wird danach gefragt, was ich, vor dem Hintergrund freier Selbstgesetzgebung, tun solle; in einem zweiten, was ich, wenn ich mich dieser moralischen Gesetzgebung gemäß verhalte, alsdann zu hoffen berechtigt bin. 45 Damit hatte Kant die praktische Vernunftbestimmung zur Grundlegungsdisziplin der Moraltheologie umfunktioniert, so daß es jetzt
« I.Kant, KrU, a . a . O . S. 16. 43 EdM, a. a. O. S. 84. 44 Systemprogramm, a. a. O . S. 220. « I.Kant, KrV, a . a . O . A805, Β833ff.
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nur noch eine Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft geben konnte. Sind damit aber alle möglichen Fragestellungen, wie sie von der reinen Vernunft formuliert werden können, erschöpft, dann ist es in einem letzten Schritt eben jenes interesselose Wohlgefallen des Geschmacks am Schönen, das den - theoretischen - Naturbegriff mit dem - praktischen Freiheitsbegriff und der aus ihm abgeleiteten Ethikotheologie vereinigt. Nur vermittels dieser ästhetischen Kraft kann also der Philosoph den Zusammenhalt aller philosophischen Disziplinen zu gewährleisten hoffen, und deswegen darf sein Anteil an „ästhetischem Sinn" nicht hinter demjenigen des Dichters zurückstehen. „Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind (folglich, F.-P. H.) unsre Buchstabenphilosophen." 46 Dieser Begriff ist ein gebräuchlicher Terminus des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Er wird sowohl von Kant, als auch von Schiller in einem stets abwertenden Sinne verwendet, wenn es darum geht, heteronome Autoritätshörigkeit gegen autonome Freiheit abzusetzen, und auch Hegel gebraucht dieses Wort immer dann, wenn er gegen die Untertanenmentalität polemisiert. Schiller unterscheidet im sechsten Brief der ästhetischen Erziehung des Menschen 47 den ,toten Buchstaben' von dem „lebendigen Verstand". Und wenn ein wesentliches Charakteristikum dieses Verstandes seine Selbsttätigkeit ist, dann korrespondiert dem toten Buchstaben entsprechend die ,skrupulöse Strenge eines Formulars, in welchem die freie Einsicht gebunden' ist. Erinnern wir uns hier der substantiellen Beziehung, die nach Schiller zwischen dem ästhetischen Zustand und der ihm angemessenen freien Bestimmbarkeit bestand, dann sehen wir indirekt, wie sehr eben jener tote Buchstabe dem freien ästhetischen Spiel entgegen ist. Der „tote Buchstabe" ist geradezu die Chiffre für einen antiästhetischen Zustand, und genau diese gegenästhetische Position repräsentierten ja auch die Buchstabenphilosophen des Systemprogramms. Kant seinerseits stellte in „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" 4 8 dem ,bloßen Buchstabenglauben' die „wahre", moralphilosophisch begründete „Religionsgesinnung" des guten, tugendhaften Lebenswandels entgegen und verband dies mit dem Hinweis darauf, daß der Buchstabenglauben, der sich an äußerlich auferlegten Gesetzen und statutarisch festgelegten Maßregeln des Verhaltens orientiert, „die wahre
Systemprogramm, a. a. O. S. 220. « EdM, a . a . O . S.21. 48 I.Kant, RGV, a . a . O . S.222.
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Religionsgesinnung eher verdirbt als bessert". Dies tat er aber wiederum nur deswegen, weil er die freie Einsicht der guten Gesinnung und der ihr entsprechenden Taten gebunden hielt, um an ihre Stelle eine Abhängigkeit von den Einschränkungen fremder Gebote zu setzen. Folglich liegt auch der religionsphilosophischen Schrift Kants in ihrer Kritik am orthodox kirchlichen Afterdienst Gottes die positive Bestimmung freier Selbstgesetzgebung zugrunde, die sich polemisch gegen die Verhaltensregeln des toten Buchstabenglaubens kehrt. In den „Volksreligion und Christentum" betitelten Fragmenten 1 - 5 , die Hegel noch während seiner Tübinger Studienzeit verfaßte, grenzt schließlich auch Hegel den passiv aufnehmenden ,Buchstabenmenschen' gegen einen Menschen ab, der in freier Tätigkeit „sich selbst gelebt und gewebt" hat. 4 9 Wenn der Buchstabenmensch sich immer nur alles aus zweiter Hand aneignet, wenn er nur „kopiert" und ohne Anteil eigener Spontaneität nur „sammelt", dann ist es das entgegengesetzte Verhalten, das den freien Menschen auszeichnet. Er baut „sich in sich selbst und aus sich selbst ein eigenes Häuschen . . . zu seiner Bewohnung . . . , wo er ganz einheimisch ist, wo er jeden Stein wo nicht ganz aus dem Rohen gearbeitet - doch ihn zurecht gelegt, ihn in den Händen herumgekehrt hat - . . . " 5 0 Der Buchstabenmensch, wie er - kontrastierend - in diesen biedermeierlich gesetzten Worten gezeichnet ist, ist also auch schon für den Studenten Hegel mit dem Makel behaftet, nichts aus der Autonomie selbstgesetzgebender Freiheit ins Werk setzen zu können, sondern immer sein Verhalten an fremden Vorlagen ausrichten zu müssen, die ihm positiv gegeben sind. - In dem Brief an Schelling vom 30. August 1795 schließlich identifiziert Hegel die „seinwollenden Philosophen", die Fichte „wegen seiner Bestrebungen, das studentische Verbindungswesen zu reformieren und die sog. Drei Orden aufzuheben" 5 1 anfeindeten, kurzerhand mit „Sklaven", wenn er ausrief: „Mein Gott, was für Buchstabenmenschen und Sklaven sind noch darunter!" 5 2 Nicht zuletzt also, um jene Untertanenmentalität der jedes ästhetischen Sinns
entbehrenden
Buchstabenphilosophen
zu demontieren,
plädiert
Hegel für die Gleichsetzung der „Philosophie des Geistes" mit der ästhetischen Philosophie'. Positiv aber bezweckt er mit dieser Ausrichtung der Philosophie an der ästhetischen Fragestellung, jene Einheit der verschiede-
49
N o h l , a . a . O . S. 17.
50
Ebda. Vgl. Briefe, a . a . O . S . 4 3 8 , A n m . 5 zu Brief N r . 13.
51 52
A . a . O . S.33.
460
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nen Erkenntnisgebiete und der ihnen entsprechenden Ideen zu gewährleisten, die durch die unendliche Bestimmbarkeit des freien ästhetischen Spiels garantiert wird. Um diese Aufgabenstellung einer von der Ästhetik zu leistenden Vereinigung aller möglichen Erkenntniskräfte noch genauer zu demonstrieren, bedient Hegel sich des von Kant in der KrU 5 3 geprägten Begriffs des „Geistes" und des ihm korrespondierenden Adjektivs „geistreich". Nachdem er, wie oben gesehen, die „Philosophie des Geistes" sich in der ästhetischen Philosophie' hatte realisieren lassen, kam er zu dem Schluß, daß man „in nichts geistreich sein, (und, F.-P. H.) selbst über Geschichte . . . nicht geistreich raisonieren (könne, F.-P. H.) - ohne ästhetischen Sinn." 54 - Daß Hegel aller Wahrscheinlichkeit nach Schillers entwicklungsgeschichtliche Ausführungen des 24. Briefes der ästhetischen Erziehung des Menschen im Auge hatte, wenn er hier das geistreiche Raisonnement über Gegenstände der Geschichte thematisiert, darauf hatten wir schon im letzten Teil des Ethikabschnitts hingewiesen. Daß sich aber mit Bestimmtheit derjenige Begriff des Geistreichen, auf den Hegel sich im Systemprogramm im Rahmen der ästhetischen Überlegungen beruft, an die von Kant im § 49 der KrU aufgestellte, und entsprechend von Schiller in der Fußnote des 23. Briefes wiederaufgenommene Bestimmung des Geistes anlehnt, der Nachweis hierfür ist zweifelsfrei zu erbringen. Die Definition des „Geistes", die Kant gleich zu Beginn des §49 der KrU gibt, enthält nämlich sämtliche Charakteristika jenes mittleren, alle Erkenntniskräfte zusammenschließenden ästhetischen Zustandes. Kant sagt: „Geist, in ästhetischer Bedeutung, heisst das belebende Prinzip im Gemüthe. Dasjenige aber, wodurch dieses Prinzip die Seele belebt, der Stoff, den es dazu anwendet, ist das, was die Gemüthskräfte zweckmässig in Schwung versetzt, d. i. in ein solches Spiel, welches sich von selbst erhält und selbst die Kräfte dazu stärkt." 55 In einem ersten Schritt - demjenigen des Systemprogramms analog - verknüpft Kant den Geist unmittelbar mit dem ästhetischen Zustand des Gemüts, um in ihm dasjenige Prinzip zu finden, das, indem es „belebend" wirkt, keinen Einschränkungen und Begrenzungen unterworfen ist, sondern vielmehr „auf unbegrenzte Art ästhetisch erweitert". 56 In einem zweiten Schritt stellt er dieses Prinzip in einen direkten Zusammenhang mit dem freien, schöpferisch ungebundenen
» I.Kant, KrU, a . a . O . §49, S. 192ff. 54 Systemprogramm, a. a. O . S. 220. 55 I.Kant, KrU, a . a . O . S. 192. 5' A . a . O . S. 194.
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Spiel der Gemütskräfte, in dem sich die Idee der Schönheit manifestiert. Folgerichtig ist „dieses Prinzip . . . das Vermögen der Darstellung ästhetischer Ideen"57, die von keinem Begriff, weder dem der praktischen Vernunftidee, noch demjenigen der theoretischen Verstandeserkenntnis der Natur angemessen erfaßt werden können. Sie repräsentieren vielmehr nach Kant ,diejenigen Vorstellungen der Einbildungskraft, die viel zu denken' geben, oder denen in der freien Kombination aller Gemütskräfte keine Schranken von etwaigen begrifflichen Fixierungen gesetzt werden können. Hierin, freilich auf eine umgekehrte Weise, korrespondieren die ästhetischen Ideen denen der Vernunft. Ist das freie Spiel der auf eine unendliche Weise bestimmbaren Vorstellungen von jedweder begrifflichen Einschränkung befreit und nicht zuletzt deswegen unendlich bestimmbar, dann ist die Autonomie der Vernunftidee gerade dadurch begründet, daß sie von keiner sinnlichen Anschauung restringiert wird. Vor dem freien Spiel der ästhetischen Idee versagt der bestimmte Begriff, vor der Autonomie der Vernunftidee versagt die Anschauung. - In diesem (geistreichen) Spiel hat sich das produktive Vermögen einer alle Erkenntniskräfte zusammenschließenden höchsten Einheit, wie sie sich in der ästhetischen Idee niederschlägt, herauskristallisiert. Und dieses Vermögen einer sich per Vermittlung realisierenden Einheit illustriert Kant nun bezeichnenderweise an der „Dichtkunst", „in welcher sich das Vermögen ästhetischer Ideen in seinem ganzen Masse (geistreich, F.-P. H.) zeigen kann." 58 Die Dichtkunst nämlich betreibt genau dieses für die ästhetischen Ideen charakteristische Geschäft, wenn sie die disparaten Erkenntniskräfte in eine Einheit zusammenfaßt. Einerseits versinnlicht sie die Vernunftideen, andererseits führt sie dasjenige, was nur ein Gegenstand sinnlich wahrnehmbarer Erfahrung sein kann, und das deswegen von sich aus auf den Bereich empirischer Naturgesetzlichkeit eingeschränkt ist, in der Absicht „über die Schranken der Erfahrung hinaus", um es soviel als möglich den Vernunftideen anzunähern. Sie ist sozusagen der in praktische Anwendung gebrachte Vereinigungspunkt von Wahrheit und Güte, oder sie ist die institutionalisierte poetische Instanz des unendlich bestimmbaren, und deswegen als geistreich zu apostrophierenden mittleren ästhetischen Zustandes, der alle Ideen unter sich befaßt. Dieser ästhetische Zustand und die ihm korrespondierenden ästhetischen Ideen führen also über jede Grenzziehung, die mit einem bestimmten
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Ebda. Ebda.
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Eine Ästhetik
Begriff automatisch gegeben ist, hinaus. Sie sind es, die jeden Begriff auf „unbegrenzte Art ästhetisch erweitern", indem sie von einer „Mannigfaltigkeit von Theilvorstellungen" einen freien, uneingeschränkt sich ausdehnenden Gebrauch machen. Folglich sind sie auf keinen definitiven Begriff zu bringen, sondern sie denken „zu einem Begriffe viel Unnennbares" hinzu, beleben die Erkenntnisvermögen, indem sie sie untereinander in Beziehung setzen, und verbinden schließlich „mit der Sprache, als bloßem Buchstaben, Geist .. ," 5 9 - Die ästhetische Idee wird also auch schon von Kant zum Träger des Geistbegriffs qualifiziert, und zwar eines Geistbegriffs, der mit dem Vermögen spontaner Erweiterung und unendlicher, freier Bestimmbarkeit ausgestattet ist. Jene Menschen hingegen, die des für die Idee der Schönheit unabdingbaren ästhetischen Sinns entbehren, sind deswegen umgekehrt als geistlos zu bezeichnen, weil bei ihnen an die Stelle des die Erkenntnisvermögen vereinigenden freien Spiels der Einbildungskraft ein tabellarischer Verstand getreten ist, der - qua Buchstabengläubigkeit immer an einen in bestimmte Grenzen eingeschlossenen Begriff gebunden bleibt. Hegel aber weist an dieser Stelle des Systemprogramms, an der es um die positive Beziehung zwischen der Philosophie des Geistes und der ästhetischen Philosophie geht, auch noch auf den defizitären Status der Buchstabenphilosophen, die des ästhetischen Sinns entbehren, hin. Dies geschieht vor allem deswegen, um von dem sich selbst begrenzenden Buchstabenglauben nur umso deutlicher das geistreiche Verfahren einer freien ästhetischen Kombination abheben zu können: „Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich den Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen, und treuherzig genug gestehen, daß ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinausgeht." 60 Es fehlt ihnen eben an der ästhetischen Freiheit unendlicher Bestimmbarkeit, die jeden begrenzten Begriff einerseits ins Unendliche erweitert, ihn aber andererseits auch - geistreicherweise - „in einen Begriff ( . . . ) zu vereinigen" weiß, der alle Realität in sich zu einem Ganzen zusammenschließt und „sich ohne Zwang (einseitig fixierter, F . - P . H . ) . . . Regeln mittheilen lässt". 61 Es fehlt ihnen „das Kennzeichen einer edeln Seele", wie es von Schiller in der Fußnote des 23. Briefes expliziert wird, wenn er es - mit der Terminologie des Systemprogramms sowohl, als auch mit derjenigen des § 4 9 der K r U - in der geistreichen und
A . a . O . S. 197. 60
Systemprogramm, a . a . O . S . 2 2 0 .
« I . K a n t , K r U , a . a . O . S. 1 9 8 f .
Die synthetische Funktion der „Idee der Schönheit"
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ästhetisch freien Behandlung gemeiner Wirklichkeit' findet. 62 Eine edle Seele ist sozusagen die Inkarnation des freien ästhetischen Sinnes und entsprechend beweist sich ihre Fähigkeit in der - geistreichen - Uberführung eines ästhetisch ins Unbeschränkte erweiterten Begriffs in gesetzmäßige Harmonie. Und endlich ist sie, mit diesen zwei Attributen angetan, die personifizierte Idee der Schönheit. Schiller sagt: „Edel ist überhaupt ein Gemüt zu nennen, welches die Gabe besitzt, auch das beschränkteste Geschäft und den kleinlichsten Gegenstand durch die Behandlungsweise in ein Unendliches zu verwandeln. Edel heißt jede Form, welche dem, was seiner Natur nach bloß dient (bloßes Mittel ist), das Gepräge der Selbständigkeit aufdrückt. Ein edler Geist begnügt sich nicht damit, selbst frei zu sein; er muß alles andere um sich her, auch das Leblose in Freiheit setzen. Schönheit aber ist der einzig mögliche Ausdruck der Freiheit in der Erscheinung." 63 Wir hatten oben schon auf die Ausnahmestellung hingewiesen, die nach Kant die „Dichtkunst" deswegen einnimmt, weil sich in ihr „das Vermögen ästhetischer Ideen in seinem ganzen Masse zeigen kann". 64 Sie verwirklichte nämlich das für die ästhetischen Ideen typische Verfahren, eine unendliche Bestimmbarkeit und spontane Erweiterung auf der einen Seite, mit der Synthese in eine höchste Einheit auf der anderen geistreicherweise zu verbinden, und allgemein mitteilbar zu machen. - Außerdem hatte Schiller im 22. Brief der ästhetischen Erziehung des Menschen eine Charakteristik der,ästhetischen Stimmung' gegeben, die derjenigen der Kantischen ästhetischen Ideen analog ist. Waren in ihr zunächst jegliche Begrenzungen und Einschränkungen aufgehoben, so konnte man sie in einem ersten Schritt als bestimmungslos kennzeichnen. Darüber hinaus aber repräsentierte diese Stimmung einen Zustand „höchster Realität", weil in ihr nämlich nicht nur sämtliche Schranken annuliert waren, sondern weil sie in einem zweiten Schritt alle erdenklichen Kräfte in einen Vereinigungspunkt Zusammenschloß. Einer größtmöglichen Ausdehnung der Kräfte lief eine umfassende Betätigung derselben im ästhetischen Zustand parallel. Weil dem aber so war, deswegen erklärte Schiller diesen Zustand „für den fruchtbarsten in Rücksicht auf Erkenntnis und Moralität". 65 Und daraus zog er dann den bemerkenswerten Schluß, daß in dieser ästhetischen Gemütsstimmung „das
« EdM, a. a. O. S. 96. « A . a . O . S.96f. M I.Kant, KrU, a . a . O . S. 194. 65 EdM, a. a. O . S. 87.
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Eine Ästhetik
Ganze der Menschheit" begriffen sei. Im sechsten Brief hatte er diesen harmonischen Zusammenschluß aller Kräfte schon in der griechischen Klassik ausfindig gemacht, die „zugleich voll Form und voll Fülle, zugleich philosophierend und bildend, zugleich zart und energisch" gewesen war, und die deswegen „die Jugend der Phantasie mit der Männlichkeit der Vernunft in einer herrlichen Menschheit" vereinigte.66 Aus dieser Konstellation zieht Hegel im Systemprogramm die folgerichtige Konsequenz: Wenn die Poesie bzw. die Dichtkunst mit der unendlichen Bestimmbarkeit gleichzeitig eine Tendenz zu umfassender Vereinigung verband, dann konzentrierten sich in ihr sämtliche Außerungsweisen der Menschheit. Da aber andererseits nach Schiller das Vorbild für diesen von der Poesie projektierten Zusammenschluß in der antiken Klassik zu finden ist, darum kann diese „höhere Würde", die der Poesie in einem ersten Schritt zuerkannt wurde, in der Moderne keinen Originalitätswert für sich in Anspruch nehmen. Indem sie alle Ideen unter sich vereinigt, qualifiziert sie sich zur „Lehrerin der Menschheit", und das macht eben ihre höhere Würde aus. Damit ist sie aber nur zu dem geworden, was sie schon am Anfang - in der Klassik - gewesen ist. In Hegels Worten: „Die Poesie bekommt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wieder, was sie am Anfang war - Lehrerin der Menschheit; ..." Sie wird dies aber, wie gesehen, vor allem deswegen, weil in ihr jede Begrenzung aufgehoben-, und weil umgekehrt in ihr das „freie und gleichförmige Spiel der . . . Schönheit" 67 realisiert wurde. Der ,freie Gang der Dichtungskraft' 68 ersetzt die Unterteilung in einzelne Erkenntniskräfte durch den Zusammenschluß aller in eine Einheit. Die „Anspannung einzelner Geisteskräfte (kann, F.-P. H.) zwar außerordentliche, aber nur die gleichförmige Temperatur derselben glückliche und vollkommene Menschen erzeugen." 69 Indem also die Poesie an die Stelle der getrennten Ausbildung der menschlichen Kräfte' 70 deren umfassende Vereinigung setzt, repräsentiert sie nicht allein die ganze Menschheit, sondern wird auch deren Lehrerin. Weil aber in diese von der Poesie repräsentierte allesumfassende Idee jegliches beschränkte Spezialgebiet integriert wurde, deshalb gibt es angesichts dieser Synthese, die alle Realität mit Geist verbindet, „keine
« A.a.O. S. 18. ' 7 A.a.O. S.25. 68 Ebda. " A.a.O. S.25 f. 70 A.a.O. S.25.
Kants sinnlich-vernünftige Religionsstiftung / Schillers Schönheitskonzept
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Philosophie, keine Geschichte mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben". 71 Genau diese Ausnahmestellung schließlich attestierte auch Kant im § 53 der KrU der Dichtkunst, nicht zuletzt deswegen, weil sie einerseits das Gemüt in eine unendlich bestimmbare Freiheit versetzt, weil sie andererseits das Sinnliche mit dem Ubersinnlichen zu einer Einheit verbindet. Er sagt: „Unter allen behauptet die Dichtkunst (die fast gänzlich dem Genie ihren Ursprung verdankt und am wenigsten durch Vorschrift oder durch Beispiele geleitet sein will) den obersten Rang. Sie erweitert das Gemüth dadurch, daß sie die Einbildungskraft in Freiheit setzt und innerhalb der Schranken eines gegebenen Begriffs unter der unbegrenzten Mannigfaltigkeit möglicher damit zusammenstimmender Formen diejenige darbietet, welche die Darstellung desselben mit einer Gedankenfülle verknüpft, der kein Sprachausdruck völlig adäquat ist, und sich also ästhetisch zu Ideen erhebt. Sie stärkt das Gemüth, indem sie es sein freies, selbstthätiges und von der Naturbestimmung unabhängiges Vermögen fühlen lässt, die Natur, als Erscheinung, nach Ansichten zu betrachten und zu beurtheilen, die sie nicht von selbst, weder für den Sinn noch den Verstand in der Erfahrung darbietet, und sie also zum Behuf und gleichsam zum Schema des Uebersinnlichen zu gebrauchen." 72
Die Vorbildstellung von Kants sinnlich-vernünftiger Religionsstiftung in RGV (1793) und von Schillers Schönheitskonzept in den „Briefen ..." für den volksreligiösen Monotheismus-Polytheismusentwurf des Systemprogramms. Die „unsichtbare Kirche": politisches Symbol der 1789er Ideen von „Freiheit" und „Gleichheit" Dasselbe Vereinigungsanliegen, das Hegel - Kant und Schiller nachfolgend - der Idee der Schönheit und der ihr korrespondierenden Dichtkunst attestierte, liegt auch den abschließenden Betrachtungen des Systemprogramms über Religion und Mythologie zugrunde. Dies ist zunächst einmal in dem ganz populären Sinne zu verstehen, daß eine Einheit zwischen dem ,großen Haufen' und dem „Philosophen", zwischen dem „Philosophen"
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Systemprogramm, a. a. O . S. 220. I.Kant, KrU, a . a . O . S.215.
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Eine Ästhetik
und dem „Volk", kurz: zwischen ,Aufgeklärten und Unaufgeklärten' hergestellt werden soll. 1 Zu diesem Zweck schließt Hegel sich der oft gehörten Forderung an, daß „der große Haufen . . . eine sinnliche Religion haben" müsse, um dieses Programm dann - gleich nachfolgend - durch den charakteristischen Hinweis zu erweitern und zu komplettieren, daß nicht „nur der große Haufen" dieser Religion bedürfe, sondern in gleichem Maße „auch der Philosoph". Daraus können wir vorläufig schon ersehen, daß diese Religion von Hegel als dasjenige Zentrum der Vereinigung gedacht wird, in dem sich Eingeweihte sowohl, als auch Uneingeweihte treffen können. Diese „sinnliche Religion" aber, derer nicht allein der große Haufen, sondern ebensosehr auch der Philosoph bedarf, wird nun wie folgt definiert: „Monotheismus der Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, .. ." 2 Kant hatte in seinem philosophischen Entwurf „Zum ewigen Frieden" (1795) 3 in der letzten Fußnote des zweiten Abschnittes auf den Gebrauch dieser Termini in den „griechischen Mysterien" hingewiesen, wenn er „den Monotheism für die Epopten (Eingeweihten, F.-P. H . ) " von „dem Polytheism des Volks" unterschied. Diese strenge Entgegensetzung war zwar an dieser Stelle Kants letztes Wort geblieben, aber es war ganz offensichtlich nicht sein erstes, und erst recht nicht ein erschöpfendes Wort gewesen. Denn in der zwei Jahre zuvor erschienenen Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" hatte er diese beiden Begriffe auch schon verarbeitet, dort aber unter der Perspektive, daß sie sich gegenseitig ergänzen sollten. - Wir haben schon im Ethikabschnitt unserer Arbeit wiederholt auf die Absicht hingewiesen, die Kant mit diesem Buch über die Religion verfolgte. Es ging ihm hier um eine Befestigung der „allgemeinen praktischen Regeln einer reinen Vernunftreligion", die „zur Erfüllung aller Menschenpflichten als göttlicher Gebote (was das Wesentliche aller Religion ausmacht) hinwirkt." 4 Vor dem Hintergrund dieser moralphilosophi1
D e r Terminus „großer H a u f e n " war übrigens Kant sowohl, als auch Schiller geläufig. Kant verwendet ihn in seiner 1784 in der Berlinischen Monatsschrift erschienenen Abhandlung „Was ist Aufklärung", a . a . O . S. 171/72, zur Charakterisierung des Zustandes allgemein verbreiteter Unmündigkeit. D e r große Haufen ist die Inkarnation der Gedankenlosigkeit, die sich an einem fremden Leitbande orientiert, bzw. in einen „Gängelwagen" eingesperrt ist. U n d darin ist er nicht allzu sehr von dem tabellarischen Verstand des Buchstabenphilosophen, wie wir ihn weiter oben beschrieben fanden, unterschieden. Schiller seinerseits spricht im 1 7 . B r i e f der E d M , a . a . O . S. 70, kurzerhand von dem „großen Haufen der Beurteiler", die die Idee der Schönheit aus einer einzelnen Erfahrung meinen ableiten zu müssen.
Systemprogramm, a. a. O . S. 220. I. Kant, Kleinere Schriften . . a . a. O . S. 138. t I . K a n t , R G V , a . a . O . S. 158. 2
3
Kants sinnlich-vernünftige Religionsstiftung / Schillers Schönheitskonzept
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sehen Programmatik hatte sich Kant dann in dem Absatz „Der Sieg des guten Prinzips über das böse und die Gründung eines Reiches Gottes auf Erden" an die Auslegung der Offenbarung gemacht, um bei dieser Gelegenheit ebenso auch die Exegese vergangener Jahrhunderte zu beleuchten. Das allgemeine Ergebnis dieser Betrachtung bestand darin, daß die vernünftigen wohldenkenden Volkslehrer' aller Jahrhunderte die Glaubensarten aller nur erdenklichen heiligen Bücher letztendlich immer so deuteten, daß sie deren „wesentlichen Inhalte . . . nachgerade mit den allgemeinen moralischen Glaubenssätzen in Ubereinstimmung brachten". 5 Diese Allgemeinaussage wird gleich nachfolgend an einem speziellen Forschungsgegenstand verifiziert, und zwar an den Moralphilosophen der Griechen und Römer und der Art und Weise, wie sie ihre ,fabelhafte Götterlehre' besprachen. „Sie wußten den gröbsten Polytheismus doch zuletzt als bloße symbolische Vorstellung der Eigenschaften des einigen göttlichen Wesens auszudeuten und den mancherlei lasterhaften Handlungen, oder auch wilden, aber doch schönen Träumereien ihrer Dichter einen mystischen Sinn unterzulegen, der einen Volksglauben (welchen zu vertilgen nicht einmal ratsam gewesen wäre, weil daraus vielleicht ein dem Staat noch gefährlicherer Atheismus hätte entstehen können) einer allen Menschen verständlichen und allein ersprießlichen moralischen Lehre nahe brachte." 6 Wir haben in dieser Beschreibung Kants alle diejenigen Bestandteile der „sinnlichen Religion" vor uns, wie sie von Hegel im Systemprogramm dann aufgenommen worden sind. Nicht allein nämlich wird auf den demokratischen' Charakter dieses Glaubens hingewiesen, der für alle Menschen verbindlich war. Sondern der Polytheismus wird auch ausdrücklich auf dem Gebiet der „Einbildungskraft und der Kunst" angesiedelt, wie er sich in den „wilden aber doch schönen Träumereien" der Dichter realisierte. Darüber hinaus kennt diese griechische Götterlehre auch schon den Monotheismus „des einigen göttlichen Wesens", der auf die praktische Vernunft einer „moralischen Lehre" bezogen war. Schließlich aber wußten diese Moralphilosophen nicht nur, daß dieser moralisch veredelte Polytheismus einen Volksglauben kreierte, der allen Menschen verständlich war und sie mit ihrer moralischen Bestimmung vertraut machte, sondern sie siedelten diese projektierte Vereinigung schon im Polytheismus selbst an. Er war ihnen selbst schon ein Symbol der monotheistischen Vernunftreligion, die die
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A . a . O . S. 159.
4
A . a . O . S. 1 5 9 f .
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Eigenschaften des einigen göttlichen (moralischen) Wesens an der moralischen Lehre des tugendhaften Lebenswandels und der gebesserten moralischen Gesinnung' orientiert sein ließ. 7 Sie brachten also nach Kant den „Monotheismus der Vernunft und des Herzens" (des aus Gesinnung guten, tugendhaften Lebenswandels) und den „Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst" in ihrer Götterlehre schon ebenso zusammen, wie es dann Hegel - einmal mehr - in der „sinnlichen Religion " des Systemprogramms tat. Und nur, weil diese Vereinigung schon innerhalb dieser Religion vollzogen wurde, deswegen konnte sie die Zusammenführung auch unter allen Menschen, ob aufgeklärt oder nicht, zustandebringen. Sie war toto genere als eine Volksreligion konzipiert. Entsprechende Überlegungen zur Volksreligion finden wir aber auch schon in den „Volksreligion und Christentum" betitelten Fragmenten 1-5, speziell aber in dem ersten Fragment, das Hegel vor 1793 noch als Student in Tübingen verfaßt hatte. „Bei einer Volksreligion besonders ist es von der größten Wichtigkeit, daß Phantasie und Herz (Herv. v. Verf., F.-P. H.) nicht unbefriedigt bleiben, daß die erste mit großen, reinen Bildern erfüllt, und in dem letzteren die wohltätigem Gefühle geweckt werden - .. ." 8 Schon zu dieser frühen Zeit mithin können wir die Vermittlerrolle erkennen, die Hegel dieser speziellen Religion zusprach. Sie sollte sowohl die gute moralische Gesinnung fördern helfen und stand somit im Zeichen des praktischen Monotheismus der Vernunft und des Herzens, als auch sollte sie die Vorstellungskräfte der Phantasie erweitern und war damit dem „Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst" verpflichtet: „ - diese schönen Fäden der Natur dieser gemäß in ein edles Band zu flechten - muß vornehmlich Geschäft der Volksreligion sein - .. ." 9 - Eine noch deutlichere Sprache im Vergleich zu den Ausführungen des Systemprogramms, spricht die sich an das zuvor Gesagte unmittelbar anschließende Stelle, wenn dort ausdrücklich von der dem Polytheismus zugehörigen „Einbildungskraft" einerseits, von dem auf den Monotheismus bezogenen „Herz" andererseits gesprochen wird, und wenn diese beiden dann wieder der Volksreligion subsumiert werden. Es heißt: „Volksreligion unterscheidet sich von Privatreligion vornehmlich dadurch, daß der Zweck jener, indem sie mächtig auf Einbildungskraft und Herz (Herv. v. Verf., F.-P. H.) wirkt, der Seele
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Vgl. ebenso a . a . O . S. 189. » Nohl, a . a . O . S. 19. ' Ebda.
Kants sinnlich-vernünftige Religionsstiftung / Schillers S c h ö n h e i t s k o n z e p t
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überhaupt die Kraft und den Enthusiasmus - den Geist einhaucht, der zur großen, zur erhabenen Tugend unentbehrlich ist - . . ." 1 0 Genauso unmißverständlich beantwortet Hegel an etwas späterer Stelle die Frage danach, wie eine „Volksreligion beschaffen sein" müsse. Einerseits nämlich muß sie sich nach der „allgemeinen Vernunft" richten, d. h., die praktische Vernunftautonomie des Monotheismus muß in ihr präsent sein. Andererseits aber dürfen die Ingredienzien des Polytheismus, als da sind: „Phantasie, Herz und Sinnlichkeit... nicht leer ausgehen."11 Im übrigen fehlt in diesem Zusammenhang auch nicht der obligatorische Hinweis auf den „großen Haufen", der, uneingeweiht in die „Mysterien" der Volksreligion, schon durch „Wetterschlag, eine kalte Nacht dies Vertrauen auf die Vorsehung und geduldige Ergebung in den Willen Gottes" verliert, und durch diese belanglosen ,Unglücksfälle' schon „sehr kleinmütig" zu werden und vom Glauben abzufallen vermag.12 Wir können also resümierend festhalten, daß auch dieses Konzept einer „sinnlichen Religion", wie es von Hegel im Systemprogramm gefordert wird, sich an entsprechenden Ausführungen Kants orientiert. Außerdem aber haben wir gesehen, daß dieser Entwurf nicht etwa eine ,Eintagsfliege' war, sondern daß seine Wurzeln weit in die Tübinger Studienzeit Hegels zurückreichen. Daraus ist wiederum umgekehrt der Schluß zu ziehen, daß sich sein Kantianismus jahrelanger profunder Arbeit verdankt, die in diesem (System)-Programm, konzentriert und auf den Punkt gebracht, zu einer programmatischen Ubersicht aller Ideen gediehen ist. - Und wenn Hegel bei dieser zuletzt aufgestellten Forderung einer sinnlichen Religion, die Aufgeklärte und Unaufgeklärte unter sich vereinigt, in keiner Weise originell war, dann ist er es ebensowenig bei dem sich anschließenden Entwurf einer neu zu begründenden „Mythologie". Zwar beansprucht er für diese Idee Originalitätswert, wenn er voller Uberschwang ausruft: „Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die, so viel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist - wir müssen eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie muß eine Mythologie der Vernunft werden." 13 Aber es wird sich herausstellen, daß er hier von seinem Wissen hinters Licht geführt wurde, denn in eines Menschen Sinn war auch diese Idee - wenn auch nicht unter dem Namen
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Ebda.
11 A . a . O . S . 2 0 ; e b e n s o 2 3 f . , 2 8 f . ι2 A . a . O . S . 2 2 . » Systemprogramm, a . a . O . S.221.
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„Mythologie" - schon gekommen: in den des Kantschülers Schiller. Und zwar war sie speziell in dessen Ausführungen „Uber die ästhetische Erziehung des Menschen" eingegangen, welches Werk bekanntlich, nach dem Dafürhalten Hegels, eben - ein „Meisterstück" war. Außerdem war dieser Gedanke einer „neuen Mythologie" auch für Hegel selbst so neu nicht. Schon in dem besagten ersten Fragment von „Volksreligion und Christentum", also noch vor seiner Berner Hauslehrerzeit, war Hegel mit der Frage der Mythologie beschäftigt. Nachdem er in einem ersten Schritt nochmals auf den Doppelaspekt der „Herz und Phantasie" beschäftigenden Volksreligion zu sprechen gekommen ist, setzt er sie in einem zweiten Schritt mit der auf moralphilosophische Aufgaben bezogenen Vernunftreligion gleich. Um aber, wie er sagt, „abenteuerliche Ausschweifungen der Phantasie zu verhüten", sei es vonnöten, „schon mit der Religion selbst Mythen zu verbinden". 14 Er spricht den Mythen also ausdrücklich eine an der Vernunftreligion orientierte Korrektivfunktion zu, sie sollen die möglichen Auswüchse eines phantasievollen Polytheismus im Hinblick auf die Vernunft reglementieren bzw. zu dieser hinleiten. 15 Auch in dieser frühen Mythologiekonzeption stehen die Mythen mithin „im Dienste der Ideen", auch sie soll „eine Mythologie der Vernunft" sein. 16 Dieser Entwurf einer zu stiftenden Mythologie wird nun in dem enthusiastischen Epilog des Systemprogramms unter der Uberschrift einer allumfassenden Vereinigung zuendegedacht. Jegliche Trennung und das ihr korrespondierende Unglück soll in einem Zustand des Glücks, einer lebendigen freien Vereinigung, kurz: in eine „ewige Einheit" aufgehoben werden, in der sich das „Volk" und die „Philosophen", „Aufgeklärte und Unaufgeklärte . . . die Hand reichen". 17 Die Durchführung dieses Vermittlungsprogramms hat aber einmal mehr an den einschlägigen Gedanken Schillers über die Schönheit ihr Vorbild. Wenn Schiller gleich zu Beginn des 18.Briefes 18 davon spricht, daß „durch die Schönheit . . . der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet" wird, dann lautet die entspre-
» Nohl, a . a . O . S.24. 15 Vgl. ebenso N o h l , a. a. O . S. 80. 16 V o r diesem geistigen H o r i z o n t äußert sich Hegel noch in einem Entwurf des Jahres 1795 beifällig über die „Mythologie der G r i e c h e n " , an der „sich unsere Phantasie nicht" stoße. Sondern „wir folgen gern H o m e r n wenn seine G ö t t e r im H i m m e l herumfahren, Rat halten, sich bekriegen und ihren menschlichen Leidenschaften - die Andacht der betenden und opfernden ist uns heilig — " Vgl. N o h l , a . a . O . S . 3 6 3 (Anhang, 4 . E n t w u r f ) . 17 18
Systemprogramm, a . a . O . S . 2 2 1 . EdM, a . a . O . S.71.
Kants sinnlich-vernünftige Religionsstiftung / Schillers Schönheitskonzept
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chende Aufgabenstellung in der Formulierung des Systemprogramms: „die Mythologie muß philosophisch werden, und das Volk vernünftig, . . . " Umgekehrt aber „wird der geistige Mensch (durch die Schönheit, F.-P. H.) zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt wiedergegeben".19 In die Begrifflichkeit des Systemprogramms übersetzt heißt das: „die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen". Wenn also das Schillersche Konzept der Schönheit sich mit der Doppelaufgabe einer wechselweisen Vermittlung des Sinnlichen mit dem Vernünftigen konfrontiert sieht, dann greift Hegel diese Zielsetzung im Rahmen der im Systemprogramm projektierten „Mythologie der Vernunft" wieder auf. Sie soll zuerst die Ideen der Vernunft versinnlichen, um sie auf diesem Weg fürs „Volk" interessant zu machen. Dann aber soll sie auch das sinnliche bzw. ästhetische Phantasiegebilde der Mythologie seiner vernünftigen Bestimmung entgegenführen, damit „sich der Philosoph ihrer (nicht mehr zu, F.P. H.) schämen" brauche. Dieser Mythologieentwurf ist folglich nur das in eine andere Begrifflichkeit übersetzte Programm derjenigen „sinnlichen Religion", die, qua Volksreligion, sowohl den „Monotheismus der Vernunft und des Herzens", als auch den „Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst" unter sich vereinigte. Bezeichnenderweise entwickelt wiederum Schiller20 vor dem Hintergrund jener Doppelaufgabe der Schönheit den Begriff einer Gottheit, der sich nicht allein aus der versinnlichten Form, sondern auch aus der geformten Sinnlichkeit herauskristallisiert. Zwei „Fundamentalgesetze der sinnlich-vernünftigen Natur" stehen bei der Gestaltung dieses Begriffs der Gottheit Pate, und beide sind in der ,Neuschöpfung' der „Mythologie der Vernunft" des Systemprogramms mitgedacht. „Das erste dringt auf absolute Realität: er (der Mensch, F.-P. H.) soll alles zur Welt machen, was bloß Form ist, und alle seine Anlagen zur Erscheinung bringen; .. ," 21 Die entsprechende Aufgabe wird im Systemprogramm in die Worte gefaßt, daß einerseits die Notwendigkeit bestehe, die „Ideen ästhetisch, d. h. mythologisch (zu, F.-P. H.) machen", damit sie nämlich für das „Volk" ein „Interesse" haben. Andererseits aber muß „die Philosophie . . . mythologisch" werden, damit „die Philosophen sinnlich" werden. - „Das zweite (Fundamentalgesetz, F.-P. H.) dringt auf absolute Formalität: er (der Mensch, F.-
19
Ebda.
20 Vgl. a . a . O . S . 4 5 , Brief N r . 12. 21
Ebda.
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P. Η.) soll alles in sich vertilgen, was bloß Welt ist, und Übereinstimmung in alle seine Veränderungen bringen; mit andern Worten: er soll alles Innre veräußern und alles Außere formen." 22 Parallel zu dieser der ersten Aufgabe entgegengesetzten Forderung formuliert der Autor des Systemprogramms, daß „umgekehrt... die Mythologie vernünftig" werden müsse, damit „sich der Philosoph" ihrer nicht mehr zu „schämen" brauche, oder auch, mit Blick auf das aufzuklärende „Volk": „die Mythologie muß philosophisch werden, und das Volk vernünftig,..." - Wird aber diese doppelte Aufgabenstellung „in ihrer höchsten Erfüllung gedacht", dann folgt daraus nach Schiller der Begriff einer alles befassenden Gottheit, für die Hegel dann im Systemprogramm den Terminus der „sinnlichen Religion" kreieren sollte, in der sowohl der Vernunft als auch der sinnlich affizierten Einbildungskraft vollständig genüge getan ist. Dieser Gott bzw. diese Religion sind die Inkarnation einer vereinten Menschheit, in der es deswegen keine ,Aufgeklärten' und ,Unaufgeklärten' mehr gibt, weil sie sich in dieser höheren Einheit immer schon die ,Hand gereicht' haben. „Dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blick, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern." 23 Mit dem gleichen Pathos und ebenso großer Vehemenz wendet sich Kant in RGV 2 4 gegen das bloße Provisorium eines autoritätsgebundenen kirchlichen Statutenglaubens, der nur mittels von Außen auferlegter Zwangsgesetze „die Menschen zur Beförderung des Guten" antreibt. An seine Stelle habe vielmehr eine Religion zu treten, die auf der „moralischen Anlage in uns" beruhe, oder die als „Vernunftreligion zuletzt über alle herrsche,,damit Gott sei alles in allem'". Mit dieser in Aussicht genommenen Vernunftreligion eröffnet sich aber eine Perspektive auf diejenige Einheit der Menschheit, deren hervorstechendste Merkmale „Freiheit" und „Gleichheit" sind, und in der dementsprechend „der erniedrigende Unterschied zwischen Laien und Klerikern" aufgehört hat zu existieren. Kant sagt: „ . . . Gleichheit entspringt aus der wahren Freiheit, jedoch ohne Anarchie, weil ein jeder zwar dem (nicht statutarischen) Gesetz gehorcht, das er sich selbst vorschreibt, das er aber auch zugleich als den ihm durch die Vernunft geoffenbarten Willen des Weltherrschers ansehen muß, der alle unter einer gemeinschaftlichen Regierung unsichtbarerweise in einem Staate verbindet, .. ," 25
Ebda. Systemprogramm, a.a.O. S.221. 24 I.Kant, RGV, a.a.O. S.179f. " A.a.O. S. 180.
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Nicht allein also haben wir hier den Hinweis auf die „unsichtbare Kirche", von der Hegel in seinem Brief an Schelling zu Beginn des Jahres 1795 sagte, daß sie neben der Losung „Vernunft und Freiheit" ihr „Vereinigungspunkt" bleiben solle. 26 Sondern wir erkennen hier noch einmal die politischen Implikationen, die Kant, ebenso wie Hegel im Systemprogramm, mit der Idee der Vernunftreligion verband. Ist es erstens kein Zufall, daß Kant der unsichtbaren Kirche Regierungsaufgaben zusprach, dann ist es auch zweitens durchaus bezeichnend, daß sie der „Freiheit" und „Gleichheit" aller Menschen verpflichtet war. Kant nimmt hier ganz explizit Stellung zu den Revolutionsereignissen des Jahres 1789 in Frankreich. E r greift ohne Einschränkung deren Programmatik auf, um dann freilich mit dem Vorbehalt zu endigen, daß „der Uberschritt zu jener neuen Ordnung der Dinge" nicht von einer „äußeren Revolution", sondern nur von einer „allmählich fortgehenden Reform" zu erwarten sei. 27 Wenn wir nun diesen Vorbehalt für einen Augenblick beiseiteschieben, dann entdecken wir zwischen dem übrig gebliebenen Restprogramm, wie es von Kant propagiert wird, und demjenigen des Systemprogramms bemerkenswerte Parallelen. Auch Hegel formuliert seine Kritik an den „Weisen" und „Priestern" mit Blick auf eine Religion, die alle Menschen in eine „ewige Einheit" zusammenschließen soll. Zweitens aber wird diese von ihm projektierte Vereinigung aller Menschen vor dem Hintergrund der Revolutionsparole „Freiheit und Gleichheit aller Geister" in Angriff genommen. Drittens schließlich geht daraus eindeutig hervor, daß diese neu zu stiftende Religion, indem sie „das letzte größte Werk der Menschheit sein" soll, genau jene Regierungsaufgaben zu übernehmen hat, die auch Kant schon der moralphilosophisch begründeten unsichtbaren Kirche zugesprochen hatte. Eine einzige Verbindung aber ist nicht zu ziehen: Hegel distanziert sich nicht von der „äußeren Revolution", um sie durch eine innere - allmähliche - Reform der Denkungsart zu ersetzen. Für ihn steht der weltgeschichtliche Charakter dieser säkularen Religionsstiftung außer Frage, die sich nicht, mit der Perspektive auf einen idealen Endzustand, schrittweise, realisieren soll, sondern die ausdrücklich als ein einheitlicher, kompakter „Uberschritt", eben als das „letzte größte W e r k " konzipiert ist. 28 Und erst wenn dieses
26
Briefe, a . a . O . S. 18.
27
I. Kant, R G V , a. a. O . S. 180.
28
W i r erinnern hier auch an Hegels Brief an Schelling vom 16. April 1795, w o er ausdrücklich davon sprach, daß er sich „vom Kantischen System und dessen höchster Vollendung . . . eine Revolution in Deutschland" erwarte. Briefe, a . a . O . S . 2 3 .
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„letzte größte Werk der Menschheit" einer neuen Religion verwirklicht worden ist, erst dann „erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft wird mehr unterdrückt werden. Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister!-" 29 Eben jene Freiheit und Gleichheit, wie sie sich nach Schiller „in dem Reiche des ästhetischen Scheins" erfüllen-, und vor dem nicht zuletzt „die Fesseln der Leibeigenschaft fallen" sollten. 30 Und erweist sich Schiller hier auch als der ,bessere' Schüler Kants, wenn er den „ästhetischen Staat" nur als ein schönes Ideal des „ästhetischen Scheins" aufgestellt wissen wollte, so hindert diese - ästhetische - Einschränkung ihn doch nicht daran, einen Ausblick auf diesen Zustand zu geben, der demjenigen des Systemprogramms analog ist. Die „Erziehung zur Schönheit" nämlich setzt sich ihm zufolge die „Absicht, das Ganze unsrer sinnlichen und geistigen Kräfte in möglichster Harmonie auszubilden". 31 Die „Vollkommenheit" der Menschheit wird „in der übereinstimmenden Energie seiner sinnlichen und geistigen Kräfte" ausfindig gemacht 32 , und deswegen liegt „Freiheit... nur in der Zusammenführung seiner beiden Naturen". 3 3 Dieses Schillersche Vermächtnis der ästhetischen Erziehung des Menschen, und dasjenige der praktischen Vernunftreligion Kants hat Hegel im zweiten Teil des Systemprogramms in umfassender Weise gewürdigt. Noch bis in die entlegendsten religionsphilosophischen Ausläufer der Philosophie ist er seinem Lehrer Kant auf kongeniale Weise gefolgt, um andererseits auch die Gedankenwelt des anderen großen Kantschülers - Schiller - als einen wesentlichen Bestandteil in seine Asthetiküberlegungen zu integrieren. Als Hegel dieses Programm im Frühjahr bzw. Sommer 179534 niederschrieb, da tat er dies als ein in den gedanklichen Gehalt und die geistige Atmosphäre des Kritizismus umfassend eingeweihter Kantianer.
29
Systemprogramm, a . a . O . S.221. ° EdM, a . a . O . S. 128. 31 A . a . O . S. 84, Anm. 32 A . a . O . S.69. 33 A. a. O . S. 70. 34 Zur Datierung vgl. S. 374 ff. dieser Arbeit. 3
Quellen- und Literaturverzeichnis Vorbemerkung Quellen
sind alle diejenigen Monographien, Aufsätze, Rezensionen
usw., in denen, wie auch immer ausführlich, auf das Systemprogramm Bezug genommen wird. Sie wurden - entsprechend den drei Perioden (1917-1930), (1931-1965), (seit 1965) - in drei Gruppen nach Verfassern alphabetisch, nach Schriften chronologisch geordnet. Alle A u f s ä t z e sind um sie gegen die M o n o g r a p h i e n
abzuheben - durch Anführungszei-
chen kenntlich gemacht. Daß Bücher, Zeitschriftenaufsätze etc. (zumeist jedoch Briefbände oder Gesamtausgaben), die erst in den 70er und 80er Jahren publiziert wurden, dennoch in das Quellenverzeichnis der E r s t e n bzw. Z w e i t e n P e r i o d e Aufnahme gefunden haben, liegt ganz einfach daran, daß sie Informationen über die entsprechende Zeit enthalten. Ausführliche Seitenzahlangaben zum Systemprogramm, sofern sie nicht oder nur unvollständig der jeweiligen Veröffentlichung beigefügt wurden, sind den einschlägigen Anmerkungen zu entnehmen. Als Literatur wurden sämtliche in dieser Arbeit besprochenen Publikationen betrachtet, die k e i n e Informationen zum Systemprogramm enthalten. Das Literaturverzeichnis findet sich im Anschluß an das Quellenverzeichnis. Alle Ausgaben und Teilausgaben des Systemprogramms sind darüber hinaus separat in Christoph Jammes und Helmut Schneiders Dokumentation Mythologie der Vernunft . . . ( a . a . O . S. 16f.) aufgeführt. Hier auch (S. 17) eine Auswahl der inzwischen erschienenen Ubersetzungen sowie schließlich eine kritische Edition der Handschrift auf der Grundlage des seit 1979 in der Jagellonischen Bibliothek Krakau wieder zugänglich gewordenen Originals (S. 11 ff.).
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Erste Periode
(1917-1930)
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Zweite Periode
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Zweite Periode (1931-1965)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Dritte Periode (seit 1965)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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„Maschine").
Dritte Periode (seit 1965)
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Clemens, F. 78 f., 80, 86 C o h e n , H . 84, 235 Cometa, M. 284 f. D a m m k ö h l e r , G. 38 Descartes, R. 419 Diederichs, E. 47 Dietzsch, St. 323 Diez, F. C h r . 330 Dilthey, W . 20, 162, 169, 238, 243 f., 302, 407 Dinkel, B. 16, 2 9 8 - 3 0 4 Dölle-Oelmüller, R. 202 Dove, Κ. 238 Düsing, Κ. 14, 16, 1 9 6 - 2 0 3 , 213, 220, 268, 277, 302 f., 446 Eisler, R. Endel, N . Engels, F. Erdmann, Erdmann,
446 376 326 B. 196 J. E. 78 f.
Feuerbach, L. 326, 388 Fichte, J . G . 12, 16, 20, 22 f., 25, 42, 48 ff., 56f., 59, 61, 69, 73, 77f., lOOff., 106ff., 116 f., 120, 127, 132, 138, 151, 153, 155, 163 f., 167, 169, 178, 187f., 195, 197, 204, 208ff., 220, 222f., 231, 252, 254, 257ff., 261 ff., 267, 272, 301, 306, 323, 327ff., 330, 339, 341 f., 352, 375 f., 380 ff., 402, 459 Flatt, J . F . 24 Fontane, T h . 270 Förster, F. 5, 239f., 242, 244 ff., 276 Förster, W . 308 f., 323 Forster, G . 356 F o r t u g n o , F. 227 Frank, 286, Franz, Freier, Fuchs,
M. 8, 16, 168, 193, 248, 269f., 281 f., 308, 318, 322, 3 2 3 - 3 3 0 , 3 3 1 - 3 4 3 M . 15, 205, 214, 2 5 4 - 2 7 6 , 277 H . 270 A. 150
488
Personenregister
Fuhrmans, Η. 8, 38, 136, 143f., 1 5 2 - 1 5 6 , 169, 174, 191, 193, 269, 292 f., 295, 3 0 4 - 3 0 8 , 309, 311, 315, 3 1 7 - 3 2 2 , 323 Fujita, M. 216, 223 f. Gadamer, H.-G. 6, 12, 144, 156, 228, 309 Garve, Chr. 216 Geis, R. 90, 93, 1 1 7 - 1 2 2 , 174 Gethmann-Siefert, A. 216, 286 f. Gigon, O . 446 Glockner, H . 11 f., 21, 76, 1 0 3 - 1 0 5 , 159, 174, 191, 356, 382, 397, 407 Gockel, H . 269, 317f., 338, 341 f. Goethe, J . W . v . 23, 52, lOOff., 110, 150f„ 179, 216, 225, 236f., 270, 311, 322f., 412 Greive, H . 222 Grenzmann, L. 3, 288 Groddeck, W. 275 Große, W. 3, 288 Gründer, K. 298 Haas, O . 239 Habermas, J. 8 f., 127, 174, 194, 234, 248, 281 f., 288, 334 ff., 340 ff. Haering, T h . L . 101, 173, 302 Härtling, P. 225 Hamacher, W. 275 f. Harris, H . S . 227, 238 Hartmann, N . 77 f., 80, 86 Haym, R. 89 Hegel, G . W . F . pass. Hegel, H . 16, 2 0 4 - 2 0 7 , 213 Hegel, K. 245 Heidegger, M. 8, 114, 134, 171, 236, 335 Heintel, E. 177 Helvetius, C.-A. 53 Henrich, D. 5 f., 9 f., 13 f., 16, 62, 156, 160, 1 8 6 - 1 8 7 , 188f., 191, 193, 195f., 203, 215, 223, 226, 228, 2 3 8 - 2 4 4 , 245, 2 4 6 - 2 5 4 , 263, 272, 276f., 280, 284 ff., 300, 311, 314 f., 317, 320, 327, 334 Heraklit 52, 69, 100, 121, 257 Herbart, J. F. 330 Herder, J. G. 48, 51, 74, 100, 138, 216, 222, 224, 319, 328 ff., 333, 339, 341, 389 Hesler, E. F. 330 Heyne 168 Hildebrandt, K. 99, 1 0 0 - 1 0 3 , 145 f., 152, 169, 173 Hölderlin F. pass. Hoffmeister, J. 75, 87, 100, 1 0 9 - 1 1 3 , 137,
145, 147, 152, 157, 164, 173 f., 198, 244, 313, 356 f., 400, 411 Hollerbach, A. 32, 118, 123, 127, 129, 1 3 6 - 1 4 2 , 171, 174, 323 Holz, H. 223, 323 Homann, K. 298 Homer 216, 412, 470 Horkheimer, M. 234 Horn, G . F . K . 330 Horstmann, A. 298 Hotho, H. G. 286, 390 Hülsen, A. L. 330 Hüppauf, B. 270 Humboldt W. v. 62
Ionesco, E. 281 f.
Jacobi, F . H . 48 ff., 53, 327 Jäger, G. 32, 142, 173 Jakowenko, B. 12, 157f., 174f. Jamme, Chr. 2 f., 9, 13 f., 19, 62 f., 80 f., 93, 114, 156, 161, 203, 205, 220, 227, 238f., 246, 249f., 251, 266, 268, 276, 2 7 7 - 2 8 4 , 285, 298, 320, 475 Jaspers, K. 8, 41, 79, 91, 1 2 9 - 1 3 1 , 133 f., 143, 146, 149, 171, 174, 186, 291, 311, 315 Jeremias, J. 85, 9 3 - 1 0 0 , 173, 221, 244, 319 Kant, I. 12, 16, 22, 24 f., 47 ff., 50 ff., 57, 59ff., 69, 76f., 84, 99, lOOff., 106ff., 116, 118, 135, 138, 140, 150f., 163 ff., 167, 170, 176 ff., 185, 187, 191, 195 ff., 199, 201 ff., 205, 222 ff., 231, 233 ff., 251 ff., 257f., 261 f., 267, 271 ff., 279, 289, 292f., 297 ff., 301 ff., 327ff., 330, 339ff„ 3 4 7 - 3 5 0 , 351, 3 5 6 - 3 6 6 , 369-375, 3 7 8 - 3 8 2 , 3 8 3 - 3 9 1 , 400, 406, 409, 413, 417, 419 f., 4 2 5 - 4 3 0 , 4 3 2 - 4 4 4 , 445, 452-463, 465-470, 472-474 Kiefner, H . 206 Kierkegaard, S. 134, 236 Kirchner, F. 446 Klopstock, F . G . 100, 179, 216 Kluckhohn, P. 47, 86, 139, 254 Knittermeyer, H . 79, 86 Knutzen, M. 196 Köhnke, K. Chr. 14, 196, 202, 342, 349, 380 Kondylis, P. 252 f., 271
489
Personenregister Koopmann, Η. 269, 318 Kroner, R. 76 ff., 80, 86, 105 f., 191, 251 Kurz, G. 16, 230, 233, 269, 312, 318, 3 2 3 - 3 3 0 , 331 Lange, W . 270, 325, 332 Lasson, G. 83, 85 Lehmann, H.-Th. 270, 325, 333 Leibniz, G . W . 48ff., 53, 100 Lessing, G.E. 150 f., 179, 312, 328, 339, 341, 373 Lieber:, A. 4 2 - 4 4 , 79, 86 Liepmannssohn, L. 5, 19, 239 Löwith, K. 290 Lukacs, G. 1 1 5 - 1 1 7 , 121, 127, 129f., 133, 139, 143, 159, 162, 169, 174, 194, 260, 269, 302, 316, 389 Lypp, B. 234 f. Macchiavelli, N. 177 f. Mähl, H.-J. 269 f. Maier, H. 214f. Mandelkow, K . R . 168, 175 Mann, Th. 235, 236, 336, 415 Marcuse, H. 12, 234 Markiewicz, B. 227, 249 Marquard, O. 298 Marx, K. 8, 134, 170, 225 f., 237, 282, 308, 326, 334 f., 342, 352 Mathy, D. 270 Meist, K. R. 220, 222, 286 Mendelssohn, M. 327 Metzger, W . 32, 301 Michel, W . 12, 1 0 6 - 1 0 9 , l l l f . , 174, 183f., 326 f. Molitor, F . J . 222 Motekat, H. 150 Mozart, W . A . 6, 59, 247 f., 249 Müller, E. 101, 1 1 4 - 1 1 5 , 174 Musil, R. 270, 325, 333 Nauen, F . G . 227, 237 f. Neuffer, Ch. L. 57 Nicolin, F. 6, 14, 93 ff., 9 7 - 9 8 , 152, 156f., 162, 173, 244 - 2 4 6 , 276 f., 289, 312, 319 Niethammer, F. I. 33, 38 ff., 49 f., 54, 60, 62, 66, 73, 138, 275, 380, 382 Nietzsche, F. 101 f., 134, 270, 325, 342 Nohl, H. 20, 97, 216, 233, 243 f., 356, 362 ff., 367ff., 371, 373, 375, 378, 381, 3 8 2 - 3 8 5 , 3 8 7 - 3 9 3 , 395, 397, 401 f., 404, 4 0 6 - 4 1 0 , 413, 4 1 5 - 4 1 8 , 456, 459, 468, 470
Novalis, (F. v. Hardenberg) 25, 43, 150, 269, 316, 319, 328 Obereit, J . H . 29, 36, 40, 64 f., 81, 122, 142, 153, 168, 295, 320 f. Oelmüller, W . 202 Pannwitz, R. 14, 9 3 - 9 7 , 99, 173, 221, 244, 253, 312, 319 Pasternak, B. 225 Piaton 26, 34, 48ff., 51, 100ff., 114f., 120f., 135, 151, 203, 216, 220, 254, 264, 279f., 329, 402, 4 4 5 - 4 4 8 Pöggeler, O. 7, 9 f., 12 f., 14 ff., 19, 28, 42, 44, 79, 143 f., 154, 156, 1 5 7 - 1 7 1 , 172, 174, 1 7 5 - 1 8 1 , 184 ff., 188 ff., 191 ff., 194 ff., 200, 202f., 2 0 5 - 2 0 7 , 209, 212ff., 217ff., 2 1 9 - 2 2 7 , 228, 230, 232 ff., 235 ff., 241, 243, 252 f., 256, 260, 264, 266, 269, 274, 276, 278 ff., 281 f., 284 ff., 2 8 7 - 2 8 9 , 291 f., 299f., 302ff., 309ff., 313, 315, 320f., 323 f., 327, 330, 338, 342, 446 Rath, N. 202 Rebmann, A . G . F . 328 Rebstock, H . - O . 16, 158, 2 2 7 - 2 3 4 , 235 Reinhold, K. L. 49, 187, 223 Renz, K. Chr. 330 Rickert, H. 80 Ripalda, J. M. 216 Rist, J. G. 330 Ritter, J. 298 Rizzi, L. 284 Rohrmoser, G. 385 Rollwage, J. 289 Rollwage, U. 289
216,
224,
Rosenkranz, K. 127, 206, 217f., 221, 245, 276, 305 f., 315, 365, 383, 403 Rosenstock, E. 80, 85, 152 Rosenzweig, E. 80, 324 Rosenzweig, F. 1, 5 - 8 , 1 0 - 1 5 , 1 9 - 4 2 , 43 ff., 47, 49 f., 53 ff., 58, 60ff., 63 ff., 66 f., 71, 75ff., 7 9 - 8 4 , 85f., 88f., 90, 92ff., 98, 103 ff., 106 f., 109, 111, 117, 122, 124f., 127 ff., 133 f., 137 f., 140, 142ff„ 149 f., 152 f., 155 ff., 162, 168 ff., 171, 186, 192 ff., 196, 202, 213f., 219f., 236, 239, 240ff., 246, 2 4 8 , 2 5 4 , 2 5 7 f., 260 f., 264 f., 269,275, 290f., 295, 299ff., 304, 309f., 311, 316, 318 ff., 323 f., 331, 342
490
Personenregister
Rousseau, J . J . 339 f., 341, 350 Ruprecht, E. 149 Sandkühler, H . J . 8, 190, 194, 234, 286, 2 9 4 - 2 9 8 , 336f. Sartre, J.-P. 8, 334, 342 Sattler, D . E . 6f., 275, 283, 305, 3 1 3 - 3 1 7 , 343 Savigny, F. C . v. 206 Schelling, F . W . J . pass. Schiller, F. 16, 25, 48 f., 52, 55, 57, 62, 73 f., 88, 91, 96, 99, 100ff., 105 f., 111, 150 f., 166 f., 179,191 f., 195, 211 f., 216,222, 224, 236 f., 257, 279 f., 285, 319, 328 ff., 3 5 0 - 3 5 8 , 376, 379, 391 f., 4 1 9 - 4 3 6 , 445-452, 454-458, 460, 462-466, 4 7 0 - 4 7 2 , 474 Schilling, K. 8 7 - 8 9 , 119, 145, 152, 159, 173 Schlechta, K. 342 Schlegel, F. 43, 205, 270, 284 f., 298, 316, 319, 325, 329, 332 f., 334, 341 f. Schlözer, A . L . v . 328 Schmid, S. 330 Schmidlin, G. 236 f., 238 Schmidt, R. 347 Schmidt-Biggemann, W . 298 Schneider, H . 2 f., 9, 13, 19, 80 f., 93, 114, 161, 175, 220, 227, 238f., 246, 2 4 9 f „ 266, 268, 276, 2 7 7 - 2 8 4 , 285, 298, 320, 475 Schnurrer, C h r . F. 74 Schopenhauer, A. 342 Schröter, M. 46f., 86, 1 4 2 - 1 4 9 , 150, 152, 171, 174, 269, 311 Schubert, G . H . 129 Schüler, G . 238, 253, 310 Schultz, H . 206 Schulz, W . 8 f., 41, 79, 91, 1 3 2 - 1 3 6 , 142f., 146, 149, 171, 174, 186, 260, 311, 316 Schupp, F. 269 Schwab, C h r . T h . 221 Shaftesbury, A. A. C . 339, 341 Shakespeare, W . 216 Sievers, E. 94 ff. Sinclair, I . v . 162, 193, 203 ff., 207, 213, 220 f., 280, 330 Sömmering, S . T h . v. 206 Sokrates 383 Sophokles 216 Spinoza, B. 22, 35, 38 f., 49 f., 52 f., 60, 66, 81, 120, 137 f., 187, 199, 220, 254, 301, 327 f., 380
Staiger, E. 9 0 - 9 3 , 119, 173 Steinbuch, D . 3, 288 Steiner, G . 356 Steinsdorff, S. v. 269 Stephanus, H . 446 Storr, G. C h r . 24 Strack, F. 3, 11, 14 f., 160, 205 f., 2 0 7 - 2 1 4 , 217, 2 5 4 - 2 7 6 , 277, 311 Strauß, L. 5 f . , 10ff., 15, 19, 46f., 5 6 - 6 7 , 68 f., 7 0 - 7 2 , 73 ff., 81 f., 86, 90f., 93, 95, 105 ff., 111, 113, 119, 125, 133, 1 3 7 f „ 145 f., 150, 152 f., 157ff., 162, 166, 181, 186, 194, 201, 208 f., 212, 219, 246, 253 ff., 2 5 7 - 2 6 6 , 272, 290 f., 295, 299, 310 f., 321, 323 f., 342 Süskind, F. G. 24 Swedenborg, E. 12, 158 Taubes, J. 270, 325, 332 Thomasberger, A. 205, 284 f., 286 Tieck, L. 269 Tilliette, X. 16, 1 9 2 - 1 9 6 , 227, 253, 284, 304, 315, 323 T i m m , H . 3, 270, 312, 325, 333 Trede, J . H . 14, 196, 2 1 5 - 2 1 9 Tschizewskij, S. D . 157 Vones, U . 127, 235, 335 Vorländer, K. 347 ff., 356, 360 Wackenroder, W . H . 150,269 Weiss, P. 208, 225 Wieland, C h r . M . 216 Wieland, W . 194, 286, 2 9 0 - 2 9 4 , 323 f., 343 Wild, C h r . 215, 295 Winckelmann, J . J . 74 Wittenberg, H . 3, 288 Wolf, E. 137 Wolf, G. 225
297f.,
Zeltner, H . 41, 79, 91, 121, 1 2 3 - 1 2 9 , 130, 133, 139 f., 142 f., 146, 171, 174, 186, 194, 234, 260, 269, 292 f., 311, 316, 325 Zimmerli, W . C h . 269 Z i m m e r m a n n , L. 446 Zwilling, J. 62f., 156, 162, 204, 207, 220, 248, 251, 280, 285, 330
QUELLEN UND STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE
RAINER ENSKAT
Kants Theorie des geometrischen Gegenstandes Untersuchungen über die Voraussetzungen der Entdeckbarkeit geometrischer Gegenstände bei Kant Groß-Oktav. X, 320 Seiten. 1978. Ganzleinen DM 125,ISBN 3110076446 (Band 13)
W O L F G A N G DETEL
Scientia rerum natura occultarum Methodologische Studien zur Physik Pierre Gassendis Groß-Oktav. X, 264 Seiten. 1978. Ganzleinen DM 1 0 9 ISBN 3 11 007320 X (Band 14)
G E R E O N WOLTERS
Basis und Deduktion Studien zur Entstehung und Bedeutung der Theorie der axiomatischen Methode bei H.J. Lambert Groß-Oktav. XIV, 194 Seiten. 1980. Ganzleinen DM 78,ISBN 3 11 007932 1 (Band 15)
GERHARD SEEL
Die Aristotelische Modaltheorie Groß-Oktav. XX, 486 Seiten. 1982. Ganzleinen DM 172,ISBN 3 11 0081105 (Band 16)
LOTHAR K R E M E N D A H L
Humes verborgener Rationalismus Groß-Oktav. X, 222 Seiten. 1982. Ganzleinen DM 98,ISBN 3 11 008865 7 (Band 17)
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Walter de Gruyter
w DE
G
Berlin · New York
QUELLEN UND STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE RUDOLF-PETER HÄGLER
Piatons jParmenides' Versuch einer Interpretation Groß-Oktav. VIII, 220 Seiten. 1983. Ganzleinen D M 1 1 8 ISBN 3110095998 (Band 18)
HANSGEORG HOPPE
Synthesis bei Kant Das Problem der Verbindung von Vorstellungen und ihrer Gegenstandsbeziehung in der „Kritik der reinen Vernunft" Groß-Oktav. X, 252 Seiten. 1983. Ganzleinen D M 104,ISBN 3 11 008981 5 (Band 19)
W O L F G A N G KERSTING
Wohlgeordnete Freiheit Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie Groß-Oktav. XVI, 380 Seiten. 1983. Ganzleinen DM 1 4 8 ISBN 3 11 0095874 (Band 20)
ROLF SCHÖNBERGER
Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses Studien zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Seinsbegriffs im Mittelalter Groß-Oktav. XII, 423 Seiten. 1986. Ganzleinen DM 178,ISBN 311 010296 X (Band 21)
ANDREAS CESANA
Geschichte als Entwicklung? Zur Kritik des geschichtsphilosophischen Entwicklungsdenkens Groß-Oktav. XII, 405 Seiten. 1988. Ganzleinen DM 198,ISBN 3110117371 (Band 22) Preisänderungen vorbehalten
Walter de Gruyter
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Berlin · New York