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German Pages 889 Year 2015
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 268
Das Herkunftslandprinzip und mögliche Alternativen aus ökonomischer Sicht Auswirkungen auf und Bedeutung für den Systemwettbewerb
Von
Jörg Brettschneider
Duncker & Humblot · Berlin
JÖRG BRETTSCHNEIDER
Das Herkunftslandprinzip und mögliche Alternativen aus ökonomischer Sicht
Schriften zum Wirtschaftsrecht
Band 268
Das Herkunftslandprinzip und mögliche Alternativen aus ökonomischer Sicht Auswirkungen auf und Bedeutung für den Systemwettbewerb
Von
Jörg Brettschneider
Duncker & Humblot · Berlin
Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.
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© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-14463-1 (Print) ISBN 978-3-428-54463-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84463-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern
Vorwort Vorliegende Arbeit wurde von der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft – im Jahr 2013 als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 23. 05. 2013 statt.1 Der „Kampf ums Recht“2 ist auch gerade Aufgabe der Rechtswissenschaft. Ich bin davon überzeugt, dass die Heranziehung ökonomischer Analysen und Betrachtungsperspektiven ein wichtiges Element im Rahmen rechtspolitischer Überlegungen sind und Law and Economics einen wichtigen Beitrag leisten kann, das Recht gerecht zu gestalten. Dabei ist der ökonomische Ansatz ein Analyseinstrument neben anderen3. Die in vorliegender Arbeit vertretene kritische Haltung gegenüber den ökonomischen Modellen zu Systemwettbewerb soll deswegen keinesfalls eine allgemeine Kritik am rechtsökonomischen Ansatz zum Ausdruck bringen. Im Zusammenhang mit der Anfertigung der Arbeit bin ich einer Reihe von Personen zu Dank verpflichtet: Großen Dank schulde ich insbesondere Herrn Professor Dr. Michael Fehling. Er hat die Arbeit betreut und das Thema angeregt. Auf diese Weise hat er meinen Blick auf die junge4 Forschungsrichtung International Law and Economics gerichtet. Herr Professor Fehling stand für Gespräche immer zur Verfügung. Sehr hilfreich waren auch die Diskussionen im Rahmen von drei Doktorandenseminaren unter Leitung von Herrn Professor Fehling. Das Zweitgutachten (das wie das Erstgutachten in kürzester Zeit vorlag) erstellte dankbarerweise Herr Professor Dr. Hans-Bernd Schäfer. Ich danke Herrn Professor Schäfer für die Gesprächsbereitschaft über das Thema und für den interessanten Kurs zur ökonomischen Analyse des Rechts im Sommertrimester 2002 an der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft. Sehr hilfreich für das Entstehen der vorliegenden Arbeit war ein Gastaufenthalt am DFG-Graduiertenkolleg „Ökonomik der Internationalisierung des Rechts“ (Graduiertenkolleg 1597/2) an der Universität Hamburg im Jahr 2010. Dieser 1 Vgl. die Erweiterung meines Promotionsvortrags: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie. 2 Jhering, Der Kampf um’s Recht. 3 Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 126 f. Vgl. Fehling, Ökonomische Analyse im öffentlichen Recht als Methode zur Reformulierung und Operationalisierung von Gerechtigkeitsfragen, in: Begegnungen im Recht, S. 39 – 67. 4 Eger/Oeter/Voigt, Preface, in: Economic Analysis of International Law, S. III, III.
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Vorwort
Aufenthalt hat zu einer Vielzahl neuer Ideen geführt, die den Inhalt der Arbeit in wesentlicher Weise geprägt haben. Bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang (auch für die Gewährung des Stipendiums) bei Herrn Professor Dr. Thomas Eger, Herrn Professor Dr. Stefan Voigt, Herrn Professor Dr. Hans-Bernd Schäfer und bei Herrn Professor Dr. Fehling. Die Kollegiaten des Graduiertenkollegs haben mit ihrer Diskussionsfreude und Offenheit zu dem inspirierenden Arbeitsklima dort beigetragen. Der Druck der Arbeit wurde durch die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses seitens des Graduiertenkollegs „Ökonomik der Internationalisierung des Rechts“ und der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung in ganz wesentlicher Weise finanziert, wofür ich mich bei den Verantwortlichen herzlich bedanken möchte. Bedanken möchte ich mich bei Frau Kirsten Schröder für die Beantwortung von Fragen in Bezug auf Rechtschreibung und Grammatik. Herr Dr. Sönke Häseler, Frau Judith Korga und Frau Jing Zhang sahen die englischsprachige Zusammenfassung für mich durch. Dem Verlag Duncker & Humblot danke ich für die verlegerische Betreuung. Meinen Eltern ist dieses Buch gewidmet, denn ich weiß, dass ihre Unterstützung bei all meinen bisherigen Vorhaben und auch bei der Anfertigung des vorliegenden Werkes grundlegend war. Sofern ich in einem bestimmten Zusammenhang auf die Hilfe und Unterstützung von weiteren Personen zurückgegriffen habe, erfolgt eine Erwähnung dieser Personen in der jeweiligen Fußnote. Die erfahrene Hilfe entbindet mich jedoch nicht von der Verantwortung für das vorliegende Werk, weshalb etwaige Fehler und alle verbleibenden Ungenauigkeiten selbstverständlich allein zu meinen Lasten gehen. Ich habe mich bemüht, die Arbeit auf den Stand von September 2014 zu bringen, wobei jedoch aufgrund der Weite der angesprochenen Materien eine vollständige Berücksichtigung neu erschienener Literatur auf Grenzen stößt. Wenn ich im Folgenden ausschließlich die männliche Form verwende, geschieht dies ausschließlich zum Zwecke der sprachlichen Vereinfachung. Anmerkungen und Anregungen zu vorliegender Arbeit sind willkommen. Sie erreichen mich z. B. per E-Mail: [email protected]. Hamburg und Hattstedt, im Oktober 2014
Jörg Brettschneider
Inhaltsübersicht § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 A. Förderung einer internationalen Privatrechtsgesellschaft als Integrationsaufgabe
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B. Systemwettbewerb als Aspekt im Rahmen der Wahl von Integrationsinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 C. Überblick über die weitere Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Teil 1 Theoretische Grundlagen § 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 A. Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 B. Theoretische Ansätze zur Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 C. Rückwirkungen des jeweiligen einzelstaatlichen Ordnungsrahmens auf die Lebendigkeit einer Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 § 3 Ordnungsrahmen für eine internationale Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . 109 A. Kompatibilität einzelstaatlicher Ordnungen im Öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . 109 B. Kompatibilität einzelstaatlicher Ordnungen im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 C. Kompatibilität der Ordnungen unter welthandelsrechtlichen Grundsätzen . . . . . 118 D. Die Kompatibilität der einzelstaatlichen Ordnungen außerhalb des Welthandelsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 E. Die Kompatibilität der Ordnungen unter Geltung der EU-Grundfreiheiten . . . . . 126 F. Integrationsstrategie der Schweiz gegenüber den EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . 144 G. Marktintegration in der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) . . . . . . 147 H. Transatlantisches Freihandelsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
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Inhaltsübersicht I. Marktintegration innerhalb von Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs: Die Marktanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 A. Die Marktanalogie I als Grundlage der Theorie eines Systemwettbewerbs im technischen Sinn: Die Wirkungsweise von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . 161 B. Systemwettbewerb infolge von physischer Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität . . . . . 182 D. Die Folgen von Systemwettbewerb im technischen Sinn: Die Marktanalogie Teil II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 E. Modellierung von Systemwettbewerb aus neoklassischer und evolutorischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 F. Übertragung der normativen Theorie der Regulierung auf den Systemwettbewerb 245 G. Bewertungskriterien für Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 H. Begriffliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 § 5 Der California Effekt als Systemwettbewerb im untechnischen Sinn . . . . . . . . . 264 § 6 Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 A. Notwendigkeit der Betrachtung politischer Entscheidungsprozesse als Voraussetzung der Bewertung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 B. Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat im Zusammenhang mit Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Teil 2 Realitätsorientierte Betrachtung von Systemwettbewerb § 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs bei Geltung des Bestimmungslandprinzips (Systemwettbewerb im untechnischen Sinn) . . . . . . . 309 A. Zugangsregulierung zum US-amerikanischen Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 B. Port State Control (PSC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 C. Regulierung der Produktion von Shrimps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Inhaltsübersicht
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D. Fondsregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 E. Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 F. Systemwettbewerb vermittelt über die Territorialität von Rechten . . . . . . . . . . . . 321 G. Gesamtbewertung eines Systemwettbewerbs bei Geltung des Bestimmungslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 § 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip und Bewertung der systemwettbewerblichen Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 A. Schranken des primärrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung am Beispiel der Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 B. Europarechtliche Bewertung von Inländerdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 C. Transparenz in Bezug auf das anwendbare Regulierungssystem . . . . . . . . . . . . . 339 D. Verhältnis materiellrechtlicher Harmonisierung zu einem Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 E. Definition des Herkunftslandes im Rahmen der Warenverkehrsverkehrsfreiheit . 350 F. Umgehungsrechtsprechung als Grenze von Regulierungsarbitragen . . . . . . . . . . 353 G. Lauterkeit einer staatlichen Reaktion auf institutionelle Mobilität . . . . . . . . . . . . 355 § 9 Betrachtung von Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip in Referenzgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 A. Lebensmittelregulierung als Gegenstand von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . 359 B. Das deutsche Lauterkeitsrecht als Gegenstand von Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 C. Regulierung des Handwerks als Gegenstand von Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 D. Dienstleistungsmarkt für Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 E. Grenzüberschreitender Straßengüterverkehr und Kabotage . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 § 10 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in der Fernsehrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 A. Rechtlicher Rahmen für grenzüberschreitendes Fernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
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Inhaltsübersicht B. Fernsehrechtliche Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor. 436 C. Betrachtung gesetzgeberischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 D. Abschließende Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
§ 11 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in der E-Commerce-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 A. Hemmnisse einer digitalen internationalen Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . 448 B. Der Rechtsrahmen für grenzüberschreitenden E-Commerce auf Grundlage der E-Commerce-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 C. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor im E-Commerce . 455 D. Gesetzgeberische Maßnahmen und deren Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 § 12 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in den Versicherungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 A. Der rechtliche Rahmen für die Erbringung von Versicherungsdienstleistungen . 478 B. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . 483 C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 D. Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 § 13 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in den Bankenrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 A. Der rechtliche Rahmen für die Erbringung von Bankdienstleistungen . . . . . . . . . 501 B. Bankenaufsichtsrecht als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor . . . . . . . . . 506 C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 D. Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 § 14 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in den OGAW-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 A. Der rechtliche Rahmen zum Vertrieb von OGAW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 B. Mitgliedstaatliche Regulierung von OGAW als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
Inhaltsübersicht
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C. Darstellung gesetzgeberischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 D. Zusammenfassende Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 § 15 Internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien und deren Bedeutung für den Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 A. Überblick über internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien . . . . . . . . . 548 B. Die internationalprivatrechtliche Anknüpfung an die Ortsform als Herkunftslandprinzip und ihre systemwettbewerbliche Bedeutung . . . . . . . . . . . 552 C. Bedeutung staatlicher Regelungsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
Teil 3 Alternativen zum Herkunftslandprinzip und Gesamtbewertung eines Systemwettbewerbs im technischen Sinn § 16 Einführung von Rechtswahlfreiheit als Alternative zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 A. Kerbers Vorschlag einer Einführung freier Rechtswahl als Alternative zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 B. Rechtswahlfreiheit und deren systemwettbewerbliche Bedeutung in Referenzgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 C. Ansatzpunkte für die Schaffung von Rechtswahlfreiheit nach geltendem Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 D. Abschließende Bewertung von Kerbers Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 § 17 Privatisierung des Rechts als Alternative zu staatlichen Regulierungen . . . . . . 624 A. Privatisierung mitgliedstaatlicher Regulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 B. Private Aufgabenwahrnehmung als Alternative zur staatlichen in anderen Zusammenhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 C. Abschließende Bewertung Kerbers Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 § 18 Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 A. Vorteile materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 B. Nachteile materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651
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Inhaltsübersicht C. Abschließende Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . 672
§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 A. Zusammenfassende Bewertung von Systemwettbewerb bei Geltung des Bestimmungslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 B. Zusammenfassende Bewertung von Systemwettbewerb im technischen Sinn . . . 677 C. Zusammenfassende Beschreibung eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704 D. Kritik an der gegenwärtigen Betrachtung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . 711 E. Rechtspolitisches Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 § 20 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 A. Kurzzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 B. Ausführliche Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 C. Short Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 D. Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 877 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 879
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 A. Förderung einer internationalen Privatrechtsgesellschaft als Integrationsaufgabe
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B. Systemwettbewerb als Aspekt im Rahmen der Wahl von Integrationsinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Frage nach den Vor- und Nachteilen von Integrationsinstrumenten . . . . . . 43 II. Systemwettbewerb (einführende Betrachtung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Systemwettbewerb im untechnischen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 C. Überblick über die weitere Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Teil 1 Theoretische Grundlagen § 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 A. Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 I. Funktionen eines Ordnungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Funktionen einer Regulierung von Waren- und Dienstleistungen bzw. deren Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Normative Theorie der Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Einschränkung von Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 aa) Unterscheidung zwischen Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 bb) Erkenntnisse der Informationsökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 cc) Erkenntnisse der Verhaltensökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 dd) Folgen von Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Einschränkung von negativen externen Effekten . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Einbeziehung einer vergleichenden institutionellen Betrachtung . . . . 69 2. Besonderheitenlehre als Begründung von Regulierung . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Regulierungsnotwendigkeiten aus Sicht der deutschen Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Fehlende Beachtung der ökonomischen Theorie der Regulierung . . . 71 b) Ansätze zur Rechtfertigung von Regulierung aus Perspektive der deutschen Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
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Inhaltsverzeichnis B. Theoretische Ansätze zur Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Evolutorische Entstehung bzw. Entwicklung von Recht . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Beschreibung einer evolutorischen Rechtsentwicklung durch von Savigny und C. Menger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Beschreibung einer evolutorischen Rechtsentwicklung in von Hayeks Theorie der kulturellen Evolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Naturgesetzliche Erklärung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4. Theorie der Effizienz des Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 5. Lehre von den Legal Transplants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 6. Comparative Law and Economics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 7. Bedeutung von exogenen Anstößen für die Evolution von Gesetzesrecht 91 II. Positive Theorie der Regulierung als Ansatz zur Erklärung der Entwicklung von Regulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Interessengruppentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Einfluss von Interessengruppen aus rechtswissenschaftlicher Sicht . . . . 96 a) Positiv zu bewertende Funktionen von Interessengruppen . . . . . . . . . 96 b) Verfassungsrechtliches Leitbild des Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Bürokratietheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Krisentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5. Meinungsbildung der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. Wissensmangel politischer Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 C. Rückwirkungen des jeweiligen einzelstaatlichen Ordnungsrahmens auf die Lebendigkeit einer Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
§ 3 Ordnungsrahmen für eine internationale Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . 109 A. Kompatibilität einzelstaatlicher Ordnungen im Öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . 109 B. Kompatibilität einzelstaatlicher Ordnungen im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Kontinentaleuropäischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Politische Schule des Internationalen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 C. Kompatibilität der Ordnungen unter welthandelsrechtlichen Grundsätzen . . . . . 118 I. Inländerbehandlung als Grundsatz des Welthandelsrechts . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Anerkennung nationaler Produktregulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Auf Prozessregulierungen bezogenes Herkunftslandprinzip im Warenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 IV. Das Prinzip der Gegenseitigkeit als Durchsetzungsmechanismus . . . . . . . . 125 D. Die Kompatibilität der einzelstaatlichen Ordnungen außerhalb des Welthandelsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
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E. Die Kompatibilität der Ordnungen unter Geltung der EU-Grundfreiheiten . . . . . 126 I. Die Warenverkehrsfreiheit als Marktzugangsrecht der Anbieter . . . . . . . . . 126 1. Verständnis der Warenverkehrsfreiheit als Diskriminierungsverbot . . . . 126 2. Rechtssachen Dassonville und Cassis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Keck-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Die Dienstleistungsverkehrsfreiheit als Marktzugangsrecht der Anbieter . . 133 III. Die Waren- und Dienstleistungsverkehrsfreiheit als Marktzugangsrecht von Nachfragern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 IV. Kollisionsrechtliches und sachrechtliches Verständnis des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 V. Hinwendung zur „neuen Strategie“ Mitte der 1980er Jahre und weitere Integrationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 VI. Bedeutung der europäischen Marktintegration für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 F. Integrationsstrategie der Schweiz gegenüber den EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . 144 G. Marktintegration in der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) . . . . . . 147 H. Transatlantisches Freihandelsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Marktintegration innerhalb von Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I. Marktintegration innerhalb der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Marktintegration in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Marktintegration innerhalb Australiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 IV. Marktintegration innerhalb der Volksrepublik China . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 § 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs: Die Marktanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 A. Die Marktanalogie I als Grundlage der Theorie eines Systemwettbewerbs im technischen Sinn: Die Wirkungsweise von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . 161 B. Systemwettbewerb infolge von physischer Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 I. Tiebout-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Modell eines Standortwettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Regulierungsarbitragen mittels Standortwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Staatliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Anziehung von Investitionskapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Anreize politischer Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Politisches Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Marktzuwanderung und Marktabwanderung von Nachfragern nach Waren und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
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Inhaltsverzeichnis IV. Eingeschränkte Bedeutung der Produktanalogie im Fall physischer Mobilität und Bedeutung eines Clubmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität . . . . . 182 I. Senkung von Transaktionskosten und Entbündelung von „Leistungs-Steuerpaketen“ infolge nicht-physischer Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Modelle von Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Entwicklungsgeschichte der Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Modell eines funktionierenden Systemwettbewerbs infolge des europarechtlichen Herkunftslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Systemwettbewerb vermittelt über Nachfrageentscheidungen nach Waren und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Regulierungen als Wettbewerbsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Grundsätzlich fehlende Erörterung von Wissensproblemen auf Seiten der Nachfrager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 cc) Annahme eines schrankenlosen Herkunftslandprinzips . . . . . . . . 190 dd) Staatliche Responsivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Systemwettbewerb vermittelt über die Standortentscheidungen der Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Selektionsmodell von H.-W. Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4. Apoltes Modellierung von Systemwettbewerb infolge des europarechtlichen Herkunftslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5. Spieltheoretische Modellierung von Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Spieltheoretisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Verhältnis von Kooperation und Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . 200 6. Modell von Oberlack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 7. Kritik an der Modellbildung seitens von Gerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 8. Kritik Krugmans an der Übertragung des Begriffs „Wettbewerbsfähigkeit“ auf Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 D. Die Folgen von Systemwettbewerb im technischen Sinn: Die Marktanalogie Teil II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. Freiheitsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 II. Präferenzanpassungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Machtbegrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 IV. Deregulierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 V. Entdeckungs- und Innovationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Entdeckungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Innovationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
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VI. Harmonisierungsfunktion (Ex-post Harmonisierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Erwartung einer Ex-post Harmonisierung aus Sicht der neoklassischen Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Bestimmungsgründe für das Stattfinden und der Richtung einer Ex-post Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Thematisierung des Topos Ex-post Harmonisierung außerhalb der ökonomischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 VII. Ermittlung des optimalen Grades an Dezentralität bzw. Zentralität mittels eines trial-and-error-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 VIII. Kontrolle der Ausgestaltung der Kompetenzordnung mittels eines Systemwettbewerbs mit Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 IX. Gerechtigkeitsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 E. Modellierung von Systemwettbewerb aus neoklassischer und evolutorischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Neoklassische Modellierung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Evolutorische Modellierung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 III. Verschwimmende Grenzen zwischen neoklassischer und evolutorischer Modellierung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 IV. Folgerungen für die weitere Erörterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 F. Übertragung der normativen Theorie der Regulierung auf den Systemwettbewerb 245 I. Informationsasymmetrien I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 II. Informationsasymmetrien II: Notwendigkeit von Vertrauen im Fall einer längerfristigen Bindung an Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 III. Negative externe Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 G. Bewertungskriterien für Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 I. Annahmen der evolutorischen und neoklassischen Systemwettbewerbstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 II. Ansätze zur Bewertung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 H. Begriffliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 I. Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Yardstick Competition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Europarechtliches Herkunftslandprinzip und Prinzip der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 IV. Weitere Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 § 5 Der California Effekt als Systemwettbewerb im untechnischen Sinn . . . . . . . . . 264 § 6 Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 A. Notwendigkeit der Betrachtung politischer Entscheidungsprozesse als Voraussetzung der Bewertung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
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Inhaltsverzeichnis B. Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat im Zusammenhang mit Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I. Der Staat als Maschine (historisches Staatsbild) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 II. Wohlfahrtsökonomisches Staatsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 III. Staatsbild bei Zugrundelegung der ökonomischen Theorie der Politik . . . . 277 IV. Vermittelnder Ansatz: Mischung zwischen Benevolenz und Eigennutz . . . 279 V. Medianwählermodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 VI. Modellierung von politischem Wettbewerb aus neoklassischer und evolutorischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 VII. Betrachtung der Stärke von Parteien als Mittel der Vorhersage von Politikergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 VIII. Verbindung von institutioneller Mobilität und Politik bei Hirschman . . . . . 291 IX. Ansätze zur Erklärung von Protektionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 X. Pfadabhängigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 1. Pfadabhängigkeit in der technischem Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Pfadabhängigkeit in der Entwicklung von Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 XI. Konsistenzerfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 XII. Bewertung von Inländerdiskriminierung nach nationalem Verfassungsrecht als Bestimmungsfaktor für staatliche Responsivität auf institutionelle Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 XIII. Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Teil 2 Realitätsorientierte Betrachtung von Systemwettbewerb
§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs bei Geltung des Bestimmungslandprinzips (Systemwettbewerb im untechnischen Sinn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 A. Zugangsregulierung zum US-amerikanischen Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 I. Geltung des Bestimmungslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 II. Einfluss der US-amerikanischen Marktzugangsregulierung auf die europäische Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 III. Norwalk Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 B. Port State Control (PSC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 C. Regulierung der Produktion von Shrimps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 D. Fondsregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 E. Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 F. Systemwettbewerb vermittelt über die Territorialität von Rechten . . . . . . . . . . . . 321
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G. Gesamtbewertung eines Systemwettbewerbs bei Geltung des Bestimmungslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 I. Unmöglichkeit der Formulierung allgemeiner Aussagen . . . . . . . . . . . . . . 323 II. Yardstick Competition bei Geltung des Bestimmungslandprinzips . . . . . . . 327 III. Bewertung eines Systemwettbewerbs vermittelt über das Bestimmungslandprinzip vor dem Hintergrund des Integrationsziels . . . . . . . . . . . . . . . . 328 § 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip und Bewertung der systemwettbewerblichen Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 A. Schranken des primärrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung am Beispiel der Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 I. Einschätzung der Bedeutung der Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 II. Gesundheitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 III. Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 IV. Vernachlässigung der Schranken in der Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . 334 B. Europarechtliche Bewertung von Inländerdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 C. Transparenz in Bezug auf das anwendbare Regulierungssystem . . . . . . . . . . . . . 339 D. Verhältnis materiellrechtlicher Harmonisierung zu einem Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 I. Materiellrechtliche Harmonisierung als Einschränkung des Anwendungsbereichs des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung einerseits und als Voraussetzung für die Anwendung dieses Prinzips andererseits . . . . . . . . . 343 II. Materiellrechtliche Harmonisierung zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 III. Das Subsidiaritätsprinzip als Harmonisierungsschranke . . . . . . . . . . . . . . . 347 E. Definition des Herkunftslandes im Rahmen der Warenverkehrsverkehrsfreiheit . 350 F. Umgehungsrechtsprechung als Grenze von Regulierungsarbitragen . . . . . . . . . . 353 I. Umgehungsrechtsprechung im Rahmen der Dienstleistungsverkehrsfreiheit 353 II. Umgehungsrechtsprechung im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit . . . . . . 355 G. Lauterkeit einer staatlichen Reaktion auf institutionelle Mobilität . . . . . . . . . . . . 355 § 9 Betrachtung von Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip in Referenzgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 A. Lebensmittelregulierung als Gegenstand von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . 359 I. Mindestalkoholgehalt für Spirituosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
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Inhaltsverzeichnis II. Deutsches Reinheitsgebot für Bier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 1. Rechtsentwicklung infolge der EuGH-Entscheidung zum deutschen Reinheitsgebot für Bier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 a) EuGH-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 b) Festhalten am Reinheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 c) Weitere Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 d) Schwächung des Reinheitsgebotes über deutsches Verfassungsrecht . 367 2. Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 III. Reinheitsgebot für Fleischwaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 IV. Imitationsverbot von Milcherzeugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 B. Das deutsche Lauterkeitsrecht als Gegenstand von Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 I. Das Verbot der Werbung mit Eigenpreisvergleichen in § 6e UWG a. F. . . . 376 II. Versuch einer Aufhebung des RabattG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 III. Entwicklung des Verbraucherleitbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 IV. Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 1. Pfadsprengende Wirkung institutioneller Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 2. Deregulierungs- und Machtbegrenzungsfunktion im Hinblick auf die Abschaffung von § 6e UWG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 3. Deregulierungsfunktion im Hinblick auf die Veränderung des Verbraucherleitbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 C. Regulierung des Handwerks als Gegenstand von Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 I. Rechtssachen Corsten und Schnitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 II. Gesetzgeberische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 1. Initiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 1997 . . . . 392 2. Handwerksnovelle aus dem Jahr 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 3. Handwerksnovelle aus dem Jahr 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 III. Verfassungsrechtliche Überprüfung des Meisterzwangs . . . . . . . . . . . . . . . 396 1. Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 2. Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 3. Entscheidung des BVerwG aus dem Jahr 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 IV. Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 1. Deregulierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 2. Machtbegrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 V. Erkenntnisse für die Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 D. Dienstleistungsmarkt für Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 I. Patentgebührenüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 II. Lokalisationserfordernis für Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
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III. Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 E. Grenzüberschreitender Straßengüterverkehr und Kabotage . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 I. Entwicklung der Marktintegration auf dem Gebiet des Straßengüterverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 II. Maßnahmen des deutschen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 1. Straßenbenutzungsgebührengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 2. Tarifaufhebungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 3. Einführung einer zeitbezogenen Autobahnbenutzungsgebühr . . . . . . . . . 422 4. Gesetz zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 5. Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 6. Einführung einer streckenbezogenen Autobahnbenutzungsgebühr . . . . . 425 7. Zweites Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 III. Betrachtung der Wirkungsmechanismen von Systemwettbewerb vor dem Hintergrund der Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 IV. Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 1. Deregulierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 2. Machtbegrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 3. Innovationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 § 10 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in der Fernsehrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 A. Rechtlicher Rahmen für grenzüberschreitendes Fernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 B. Fernsehrechtliche Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor. 436 I. Regulierung des Fernsehens als Wettbewerbsparameter auf dem Markt um Zuschauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 II. Regulierung des Fernsehens als Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 C. Betrachtung gesetzgeberischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 I. Auf Standortwettbewerb bezogene Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 II. Maßnahmen zur Stärkung inländischer Sender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 1. Staatliche Maßnahmen in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 a) Durchsetzung niederländischer Regulierungsanforderungen gegenüber ausländischen Sendern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 b) Deregulierung der niederländischen Rundfunkordnung . . . . . . . . . . . 442 2. Staatliche Maßnahmen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 D. Abschließende Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
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§ 11 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in der E-Commerce-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 A. Hemmnisse einer digitalen internationalen Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . 448 B. Der Rechtsrahmen für grenzüberschreitenden E-Commerce auf Grundlage der ECommerce-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 C. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor im E-Commerce . 455 I. Regulierungsunterschiede als Wettbewerbsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 II. Regulierungsunterschiede als Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 D. Gesetzgeberische Maßnahmen und deren Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 I. Abschaffung der ZugabeVO und des RabattG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 II. Bewertung der Abschaffung der ZugabeVO und des RabattG . . . . . . . . . . 463 1. Machtbegrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 2. Deregulierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 III. Versuch der Etablierung eines Günstigkeitsprinzips im Rahmen der Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie und Bewertung dieser Maßnahme . . . 469 IV. UWG-Reform 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 V. Verschärfung des Verbotes von Verkäufen unter Einstandspreis im Lebensmittelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 VI. UWG-Novelle 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 § 12 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in den Versicherungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 A. Der rechtliche Rahmen für die Erbringung von Versicherungsdienstleistungen . 478 B. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . 483 I. Regulierungen als Wettbewerbsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 1. Möglichkeiten zur Kapitalanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 2. Spartentrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 3. Missstandsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 4. Transparenz von Regulierungsunterschieden: Abgleich mit den Modellannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 II. Regulierungen als Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 I. Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger und Zweites Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 II. Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 III. Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . 495
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IV. Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 D. Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 § 13 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in den Bankenrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 A. Der rechtliche Rahmen für die Erbringung von Bankdienstleistungen . . . . . . . . . 501 B. Bankenaufsichtsrecht als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor . . . . . . . . . 506 I. Regulierungsunterschiede als Wettbewerbsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 1. Wettbewerbsrelevanz der Eigenkapitalausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 2. Wettbewerbsrelevanz von Offenlegungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 3. Wettbewerbsrelevanz von Unterschieden in der Einlagensicherung . . . . 509 II. Regulierungsunterschiede als Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 I. Schaffung von § 30a AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 II. Vierte KWG-Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 III. Fünfte KWG-Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 IV. Klage vor dem EuGH gegen die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 V. Sechste KWG-Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 VI. Gesetz zur Neuordnung des Pfandbriefrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 VII. Siebte KWG-Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 D. Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 § 14 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in den OGAWRichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 A. Der rechtliche Rahmen zum Vertrieb von OGAW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 B. Mitgliedstaatliche Regulierung von OGAW als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 I. Regulierungsunterschiede als Wettbewerbsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 II. Regulierungsunterschiede als Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 C. Darstellung gesetzgeberischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 I. Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 II. „Kleine KAGG-Novelle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 III. Erstes Finanzmarktförderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 IV. Zweites Finanzmarktförderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536
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Inhaltsverzeichnis V. Drittes Finanzmarktförderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 VI. Viertes Finanzmarktförderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 VII. Investmentmodernisierungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 VIII. Investmentänderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 IX. Umsetzung der OGAW IV-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 X. Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 D. Zusammenfassende Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 I. Deregulierung und Ex-post Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 II. Geringe Bedeutung der Entdeckungs- und Innovationsfunktion . . . . . . . . . 547
§ 15 Internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien und deren Bedeutung für den Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 A. Überblick über internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien . . . . . . . . . 548 B. Die internationalprivatrechtliche Anknüpfung an die Ortsform als Herkunftslandprinzip und ihre systemwettbewerbliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 I. Wahl des Ortes gesellschaftsrechtlicher Beurkundungen . . . . . . . . . . . . . . . 552 II. Heiratsparadiese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 C. Bedeutung staatlicher Regelungsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 Teil 3 Alternativen zum Herkunftslandprinzip und Gesamtbewertung eines Systemwettbewerbs im technischen Sinn § 16 Einführung von Rechtswahlfreiheit als Alternative zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 A. Kerbers Vorschlag einer Einführung freier Rechtswahl als Alternative zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 B. Rechtswahlfreiheit und deren systemwettbewerbliche Bedeutung in Referenzgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 I. Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht und deren Rechtfertigung 567 II. Rechtswahlfreiheit im Versicherungsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 III. Systemwettbewerb vermittelt über Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 1. Bedeutung von Regulierungsarbitragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 2. Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität inländischen Vertragsrechts 573
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IV. Systemwettbewerb vermittelt über faktische Rechtswahlfreiheit auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 1. Ansatzweise Darstellung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 2. Bewertung des Delaware Effektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 a) Keine Deregulierungs- und Machtbegrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . 581 b) Entdeckungs- und Innovationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 c) Keine Dynamik materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . 585 V. Systemwettbewerb vermittelt über faktische Rechtswahlfreiheit auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 1. Faktische Rechtswahlfreiheit auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts . . 586 2. Systemwettbewerb vermittelt über die faktische Rechtswahlfreiheit zwischen Gesellschaftsrechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 a) Regulierungsunterschiede als Wettbewerbsparameter . . . . . . . . . . . . . 592 b) Staatliche Responsivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 aa) Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) . . . . . . . . . . . . . . 594 bb) Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung . . . . . 599 c) Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 aa) Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) . . . . . . . . . . . . . . 599 bb) Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung . . . . . 603 VI. Systemwettbewerb vermittelt über die Ausflaggung von Seeschiffen . . . . . 604 1. Faktische Rechtswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 2. Regulierung als Wettbewerbsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 3. Staatliche Responsivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 4. Bewertung der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 a) Keine Deregulierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 b) Keine Machtbegrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 C. Ansatzpunkte für die Schaffung von Rechtswahlfreiheit nach geltendem Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 I. Faktische Rechtswahl über die Wahl des Erstvermarktungsortes . . . . . . . . 610 II. Verwirklichung von Rechtswahlfreiheit mittels Auslegung des Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 D. Abschließende Bewertung von Kerbers Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 I. Notwendige Rahmenbedingungen für die Einführung von Rechtswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 II. Systemwettbewerbliche Bedeutung der Einführung von Rechtswahlfreiheit 620 § 17 Privatisierung des Rechts als Alternative zu staatlichen Regulierungen . . . . . . 624 A. Privatisierung mitgliedstaatlicher Regulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624
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Inhaltsverzeichnis B. Private Aufgabenwahrnehmung als Alternative zur staatlichen in anderen Zusammenhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 I. Privatisierung im technischen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 II. Anarcho-Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 III. M. Friedmans Konzept eines Wettbewerbs zwischen privaten und öffentlichen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 IV. Ordnung von Eigentumsrechten auf privater Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . 631 V. Wettbewerb zwischen privaten Währungsanbietern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 VI. Die Regeln der lex mercatoria und lex digitalis als privates „Recht“ . . . . . 633 VII. Technische Normung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 VIII. Private Gütesiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 C. Abschließende Bewertung Kerbers Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 I. Attraktivität des Vorschlags aus Perspektive von Ökonomen, Anbietern und politischen Akteuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 II. Funktionsfähigkeit einer marktlichen Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . 639 III. Weiterer Verlust staatlicher Steuerungsmöglichkeiten infolge einer Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640
§ 18 Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 A. Vorteile materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 I. Senkung von Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 II. Integrationspolitische Bedeutung von materiellrechtlicher Harmonisierung 645 1. Förderung von (politischer) Integration mittels materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 2. Akzeptanzprobleme materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . 646 3. Materiellrechtliche Harmonisierung als Mittel zur Verwirklichung staatlicher Steuerungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 III. Vermeidung bzw. Einschränkung von unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 IV. Beschränkte Reichweite von Fehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 V. Größenvorteile infolge materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . 650 B. Nachteile materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 I. Mangelnde Berücksichtigung unterschiedlicher Präferenzen . . . . . . . . . . . 651 II. Wissensproblem in Bezug auf die Ausgestaltung materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 1. Bedeutung des Wissensproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 2. Möglichkeiten zur Erweiterung der Wissensbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657
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III. Einfluss von Interessengruppen im Rahmen materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 1. Schaffung von Interessengruppenregulierungen im Rahmen von materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 2. Möglichkeiten der Begrenzung des Einflusses von Interessengruppenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 IV. Ausschluss einer Rechtsevolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 V. Kompromisscharakter harmonisierten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 C. Abschließende Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . 672 § 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 A. Zusammenfassende Bewertung von Systemwettbewerb bei Geltung des Bestimmungslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 B. Zusammenfassende Bewertung von Systemwettbewerb im technischen Sinn . . . 677 I. Freiheitsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 II. Präferenzanpassungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 III. Machtbegrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 1. Einschränkung von Interessengruppenregulierungen im Bereich von Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 2. Einschränkung von Interessengruppenregulierungen im Bereich von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 3. Notwendigkeit einer Einschränkung der Interessengruppentheorie . . . . 682 4. Beschränkte Kontrolle durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684 5. Ansatzpunkt zur Intensivierung der verfassungsrechtlichen Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Regulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 IV. Deregulierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 V. Entdeckungs- und Innovationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 1. Entdeckungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 2. Grundsätzliche Kritik an der Annahme einer Entdeckungsfunktion . . . . 692 3. Innovationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693 4. Imitationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 VI. Ex-post Harmonisierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 VII. Das europarechtliche Herkunftslandprinzips als Mittel zur Förderung von materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 1. Systemwettbewerb als Triebkraft materiellrechtlicher Harmonisierung . 696 2. Ermöglichung einer schrittweisen materiellrechtlichen Harmonisierung 697 VIII. Gerechtigkeitsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 IX. Vergleichende institutionelle Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 1. Das Herkunftslandprinzip als Integrationsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . 699
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Inhaltsverzeichnis 2. Eingeschränkte Bestätigung der Systemwettbewerbsfunktionen in den Referenzgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700 3. Verbesserungsfähigkeit materiellrechtlicher Harmonisierung . . . . . . . . . 701 4. Aus der Anwendung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips folgende Schwierigkeiten und ihre Bedeutung für die Harmonisierungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 C. Zusammenfassende Beschreibung eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704 I. Einflussnahme der Anbieter auf den politischen Prozess . . . . . . . . . . . . . . 704 II. Grundsätzlich keine Bedeutung von Standortverlagerungen . . . . . . . . . . . . 706 III. Rolle der Nachfrager im Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 1. Intransparenz von Regulierungsunterschieden aus Perspektive von Nachfragern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 2. Oft untergeordnete Bedeutung von Regulierungen auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708 IV. Staatliche Responsivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708 D. Kritik an der gegenwärtigen Betrachtung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . 711 I. Kritik am ökonomischen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 II. Kritik am rechtswissenschaftlichen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 III. Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens für interdisziplinäre Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 E. Rechtspolitisches Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719
§ 20 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 A. Kurzzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 B. Ausführliche Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 I. Regulatorische Hemmnisse grenzüberschreitender Aktivität und Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 II. Systemwettbewerb als Argument für und gegen den Einsatz „kollisionsrechtlicher“ Integrationsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724 III. Bedeutung von Mechanismen analog zum „California Effekt“ . . . . . . . . . . 727 IV. Bedeutung von Systemwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728 V. Kritik an der Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733 VI. Verbesserung des politischen Prozesses als Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 C. Short Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 D. Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 I. Barriers to Cross-Border Activities and Possible Solutions . . . . . . . . . . . . . 737
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II. Systems Competition as an Argument for and Against the Use of Conflict Rules as Integration Principles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 III. The Importance of Mechanisms Analogous to the California Effect . . . . . 742 IV. The Importance of Systems Competition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742 V. Criticism of the Modelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746 1. Failure to Adequately Capture Relevant Framework Conditions . . . . . . 746 2. Questionable Analytical Utility of the Market Analogy . . . . . . . . . . . . . 747 VI. Conclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 877 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 879
Abkürzungsverzeichnis ABl. Abs. AcP AEntG AEUV a. F. AG AGB AGG AktG AL AnlV Anm. AnwBl. AO AöR ARD Art. Aufl. AuslInvestmG Az. BaFin BAV BB Bd. BDA BDI Bek. BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BMWi BRAO BRD
Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis Arbeitnehmer-Entsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Aktiengesetz Ergänzungslieferung (im Zusammenhang mit dem Kommentar Hartstein/ Ring/Kreile/Stettner/Cole/Wagner) Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens von Versicherungsunternehmen Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Artikel Auflage Auslandinvestment-Gesetz Aktenzeichen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Bekanntmachung Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium für Wirtschaft Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrepublik Deutschland
Abkürzungsverzeichnis BR-Drs. BSE Bsp. BStBl. BStG BT-Drs. BuH BVerfG BVerfGE BVerwG BVI CDU CEPR CLT CR CSU DB DBV DDR DGB DJZ DM DNotZ DÖV DP DRiZ Drs. DStR DSU DVBl. DZWir ECJ eG EG EGBGB EGV Einf EL EMRK ErbStDV ErbStG Erg.-Lfg. EStG EU EuGH EuGRZ EUR
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Bundesrats-Drucksache Bovine spongiforme Enzephalopathie („Rinderwahn“) Beispiel Bundessteuerblatt Biersteuergesetz Bundestags-Drucksache Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Bundesverband Investment und Asset Management e.V. Christlich Demokratische Union Deutschlands Centre for Economic Policy Research Compagnie Luxemburgoise de Télédiffusion Computerrecht (Zeitschrift) Christlich-Soziale Union in Bayern Der Betrieb (Zeitschrift) Deutscher Bauernverband Deutsche Demokratische Republik Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Juristenzeitung Deutsche Mark Deutsche Notar-Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsche Partei Deutsche Richterzeitung Drucksache Deutsches Steuerrecht, Wochenschrift & umfassende Datenbank für Steuerberater Dispute Settlement Understanding Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht European Court of Justice eingetragene Genossenschaft Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführung Ergänzungslieferung Europäische Menschenrechtskonvention Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Ergänzungslieferung Einkommensteuergesetz Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Euro
34 EuR EUV EuZW e. V. EWG EWGV EWR EWS f. FASB FAZ FDP ff. FlaggenrechtsG FlV FOCJ FS GA GA GAAP GATS GATT GbR GDV GewArch GG GmbH GmbHR GNotKG GRUR GRUR Int. GS GüKG GVOBl. GWB HACCP HGB HiO h. M. hrsg. Hrsg. HwO IAS IASB i. d. F.
Abkürzungsverzeichnis Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) folgende (Seiten) Financial Accounting Standards Board Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei folgende (Seiten – mehrere Seiten) Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse (Fleisch-Verordnung) Functional Overlapping Competing Jurisdictions Festschrift Generalanwalt Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Generally accepted accounting principles General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. GewerbeArchiv Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gesetz über die Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare (Gerichts- und Notarkostengesetz – GNotKG) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil (Zeitschrift) Gedächtnisschrift Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hazard Analysis and Critical Control Points Handelsgesetzbuch Hervorhebung im Original herrschende Meinung herausgegeben Herausgeber Handwerksordnung International Accounting Standards International Accounting Standards Board in der Fassung vom
Abkürzungsverzeichnis IFRS insb. IntGesR IntImmGR IntUnlWettbR InvG IPR IPrax IRZ iVm JBB JNPÖ JR JuS JW JZ K&R KAGB KAGG KapAEG KfZ KoR KostO KraftStG KWG LG lit. LKW LMBG LRG NW Ltd. MargarineG Mass. MilchG MMR MoMiG MR mwN NAFTA NBER NiemeyersZ NJW NJW-RR No. NordÖR Nov.
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International Financial Reporting Standards insbesondere Internationales Gesellschaftsrecht Internationales Immaterialgüterrecht Internationales Lauterkeitsrecht Investmentgesetz Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Zeitschrift für Internationale Rechnungslegung in Verbindung mit Journal of Banking Law and Banking = Zeitschrift für Bankrecht Bankwirtschaft Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kapitalanlagegesetzbuch Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz Kraftfahrzeug Zeitschrift für internationale und kapitalmarktorientierte Rechnungslegung Kostenordnung Kraftfahrzeugsteuergesetz Kreditwirtschaftsgesetz Landgericht littera Lastkraftwagen Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz Landesrundfunkgesetz Nordrhein-Westfalen Limited Company Margarinegesetz Massachusetts Milchgesetz Multimedia und Recht (Zeitschrift) Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Mutual Recognition mit weiteren Nachweisen North American Free Trade Agreement National Bureau of Economic Research Niemeyer’s Zeitschrift für internationales Recht Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Number Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland November
36 Nr. NS NStZ NSW NVwZ NYSE NZA NZG ÖBA OECD OGAW ÖJZ OLG ORDO ÖstVfGH o.V. Pa PatG PHi PLC PSC PVS RA RabattG RabelsZ RBerG RDG RegE RGBl. RGZ RIW Rn. Rom I-VO Rom II-VO Rs. RStV RTL RWZ S. S.A.R.L. SCPA SEC SED SFB
Abkürzungsverzeichnis Nummer Nationalsozialismus Neue Zeitschrift für Strafrecht New South Wales Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht New York Stock Exchange Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Bank-Archiv Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen Organisation for Economic Co-operation and Development Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Österreichischer Verfassungsgerichtshof ohne Verfasser Pennsylvania Patentgesetz Haftpflicht international, Recht und Versicherung (Zeitschrift) Public Limited Company Port State Control Politische Vierteljahresschrift (Zeitschrift) Rechtsanwalt/Rechtsanwälte Rabattgesetz Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsberatungsgesetz Rechtsdienstleistungsgesetz Regierungsentwurf Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) Rechtssache (Az. der Entscheidungen des EuGH) Rundfunkstaatsvertrag Radio Télévision Luxembourg Österreichische Zeitschrift für Recht und Rechnungswesen Seite Société à responsabilité limitée Semiconductor Chip Protection Act Securities and Exchange Commission Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sonderforschungsbereich
Abkürzungsverzeichnis Slg. SPD SPS Agreement StaZ StV taz TBT Agreement TDG TDG-E THG TMG TranspR TRIPS Tz. u. u. a. UAbs. UCITS UFA US U.S. USA US-GAAP UWG v. v. VAG Verf. VersR vgl. VO Vol. Vorb. VorlBierG VR China VVDStRL VVG-InfoV VW WDR WiSt WM WPg WRP WRV WTO WuW ZaöRV z. B.
Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des EuGH Sozialdemokratische Partei Deutschlands Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures Das Standesamt (Zeitschrift) Strafverteidiger Die Tageszeitung Agreement on Technical Barriers to Trade Teledienstegesetz Teledienstegesetz-Entwurf Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse (Schweiz) Telemediengesetz Transportrecht (Zeitschrift) Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights Textzeichen und unter anderem Unterabsatz Undertakings for Collective Investment in Transferable Securities Universum Film United States United States United States of America United States Generally Accepted Accounting Principles Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb versus vom Versicherungsaufsichtsgesetz Verfasser Versicherungsrecht (Zeitschrift) vergleiche Verordnung Volume Vorbemerkung Vorläufiges Biergesetz Volksrepublik China Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen Versicherungswirtschaft (Zeitschrift) Westdeutscher Rundfunk Wirtschaftswissenschaftliches Studium (Zeitschrift) Wertpapier Mitteilungen Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Verfassung des Deutschen Reichs World Trade Organization Wirtschaft und Wettbewerb Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel
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38 ZBB ZDH ZEuP ZfRV ZfV ZG ZgesKW ZGR ZHR ZIP ZÖR ZP ZPO ZRP ZStW ZugabeVO ZUM ZUR ZVerglRW ZVersWiss
Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zentralverband des Deutschen Handwerks Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zusatzprotokoll Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zugabeverordnung Zeitschrift für Urheber-und Medienrecht Zeitschrift für Umweltrecht Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft
Ergänzend wird verwiesen auf das Werk Hildebert Kirchner/Cornelie Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 2003.
§ 1 Einleitung A. Förderung einer internationalen Privatrechtsgesellschaft als Integrationsaufgabe Gegenstand dieser Arbeit ist die Untersuchung rechtlicher Instrumente zur Erleichterung eines von Privatrechtssubjekten initiierten grenzüberschreitenden Verkehrs. Dabei geht es insbesondere um die Betrachtung von grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen innerhalb der EU und damit um den grenzüberschreitenden Vertrieb von Waren und die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten der EU bzw. den Staaten des EWR.1 Sobald Privatrechtssubjekte den Raum einer einzelstaatlichen Ordnung verlassen,2 sehen sie sich zwangsläufig zwei oder mehr einzelstaatlichen Rechtsordnungen gegenüber. Einzelstaatliche Ordnungen mögen im innerstaatlichen bzw. internen Kontext einer Jurisdiktion angemessen sein, in grenzüberschreitenden Sachverhalten ergeben sich aus den nebeneinander bestehenden einzelstaatlichen Ordnungsrahmen jedoch Handelshemmnisse, wenn jeder Staat auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips eigene Regulierungsanforderungen auch gegenüber Importen durchsetzt3. Zudem kann die Durchsetzung von Regulierungsanforderungen zu protektionistischen
1 Infolge Art. 11 des EWR-Abkommens finden die Regeln der Warenverkehrsfreiheit auch im Verhältnis zu den Staaten des EWR Anwendung (Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 28 EGV Rn. 32). Zudem beziehen sich sekundärrechtliche Herkunftslandprinzipien zum Teil auch auf den EWR (Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 56 EGV Rn. 108 f.). 2 Das Bestehen unterschiedlicher staatlicher Ordnungen ist in Abwesenheit einer Harmonisierung nationaler Rechte und in Abwesenheit eines Weltstaates zwangsläufig. Vgl. Müller, Der Weltstaat als Staatsbund des Erdkreises; Pfaul, Weltstaat und Weltverfassung; Marcic, Ernst Jüngers Rechtsentwurf zum Weltstaat, S. 20 ff.; Kaul, Auf dem Weg zum Weltstaat?, Global Governance 3: Am Beginn einer neuen Ära internationaler Kooperation, Internationale Politik Juli/August 2008, S. 146 – 153; Schweidler, Die Frage nach dem Weltstaat- Philosophische Perspektiven, in: Elftes Würzburger Symposium der Universität Würzburg, Welt ohne Krieg?, S. 419 – 435; Grohmann, Ist der Weltstaat rechtsprinzipiell notwendig?, in: Rechtsphilosophische Hefte, XIII, S. 13 – 36; Steiger, Brauchen wir eine Weltrepublik, Der Staat 42 (2003), S. 249 – 266; Benz, Der moderne Staat, S. 108; Meessen, Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 15. 3 Baldwin, Nontariff Distortions of International Trade; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 96 ff. Zum Grundsatz der Territorialität im Internationalen Öffentlichen Recht: Menzel, Internationales Öffentliches Recht, S. 787 ff.
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§ 1 Einleitung
Zwecken missbraucht werden.4 Im Extremfall kann der Handel infolge von regulatorischen Handelshemmnissen komplett zum Erliegen kommen: „In der Zeit, als die Freie Stadt Danzig in Zollunion mit Polen lebte, war ich Mitglied des Aufsichtsrates einer Danziger Aktienbrauerei. Damals fragten wir uns, warum unser Danziger Bier nicht auch nach Gdingen verkauft wurde; Gdingen ist ein Hafen, dort wird viel getrunken. Doch unsere Versuche, Lastwagen mit Bier dorthin zu schicken, scheiterten immer wieder. Zunächst wurde die Mengenangabe auf den Fässern angezweifelt und verlangt, das Bier vor den Augen der Zollbeamten ,auszulitern‘. Dann wurde zugestanden, die Fässer einfach nachzuwiegen, doch mußten wir eine Waage mitbringen, da am Grenzübergang keine Waage verfügbar war. Schließlich wurde sogar bezweifelt, daß der Inhalt der Fässer wirklich Bier sei, und womöglich erst eine Probe davon zum Warschauer Zentrallaboratorium geschickt usw. Der Erfolg war, daß während der Zeit, in der ich diese Dinge beobachten konnte, nicht ein einziges Faß unseres Bieres nach Gdingen gelangte“.5
Die internationale Privatrechtsgesellschaft6 erfährt deswegen spezifische rechtliche Schranken gegenüber einer wirtschaftlichen Betätigung innerhalb eines staatlichen Ordnungsrahmens7. Eine internationale Privatrechtsgesellschaft8 entfaltet sich nicht wie die Böhm’sche Privatrechtsgesellschaft9 innerhalb eines staatlichen Ordnungsrahmens, sondern im Raum mehrerer staatlicher Ordnungen. Mit dem Begriff Privatrechtsgesellschaft beschreibt F. Böhm10 eine Gesellschaft von gleichberechtigten Bürgern (Privatrechtssubjekten) als positiver Ausdruck der Abschaffung der Standesrechte und Standesunterschiede infolge der Französischen 4 Vgl. Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 34 AEUV Rn. 16 (September 2010 EL 42). 5 Schmölders, Steuerliche Wettbewerbsverzerrungen beim grenzüberschreitenden Warenverkehr im Gemeinsamen Markt, S. 15 (den Hinweis auf das Zitat hat der Verfasser entnommen aus: Senti, Erscheinungsformen und Ursachen des neuen Protektionismus im Außenhandel, ORDO 1986, S. 219, 222). 6 Müller-Graff spricht im europäischen Kontext von einer „Europäischen Privatrechtsgesellschaft“ (Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271 – 305). 7 Vgl. Kommission, Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, KOM (2002) 441 endgültig, 30. 07. 2002, S. 16. 8 Vgl. Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271 – 305). 9 Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO 17 (1966), S. 75, 75, 80 (erneut abgedruckt: Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, in: Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft, S. 105 – 168). Vgl. auch: Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271 – 305; Vanberg, Privatrechtsgesellschaft und ökonomische Theorie, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik, 07/5; Mayer/Scheinpflug, Privatrechtsgesellschaft und die Europäische Union; Zöllner, Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Richterstaat; Canaris, Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, in: FS Lerche, S. 873 – 891. 10 Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO 17 (1966), S. 75, 75, 80.
A. Förderung einer int. Privatrechtsgesellschaft als Integrationsaufgabe
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Revolution.11 Eine solche Gesellschaft findet ihre Grundlage in einem freiheitlichen Rahmen und gründet sich auf dem Gedanken der Nutzung der Kräfte privatautonomer Gestaltung zur Verwirklichung gesellschaftlicher Ordnung.12 Mit dem Begriff der Privatrechtsgesellschaft soll hier jedoch keineswegs die Bedeutung des Staates zur Koordinierung des menschlichen Zusammenlebens in Abrede gestellt werden.13 Aufgrund der spezifischen rechtlichen Schranken grenzüberschreitender privatautonomer Betätigung stellt sich die Frage des Einsatzes von rechtlichen Instrumenten zur Erleichterung der Wahrnehmung grenzüberschreitender Privatautonomie14 bzw. des Abbaus von Hemmnissen, die sich aus dem Nebeneinander-Bestehen unterschiedlicher (öffentlich-)rechtlicher Regelungen ergeben.15 Aus Sicht der grenzüberschreitend tätigen Privatrechtssubjekte geht es – abhängig vom Stand der Integration16 – um die Verbesserung bzw. um die Herstellung einer Kompatibilität 11 Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO 17 (1966), S. 75, 75: „[m]an nannte diejenige Gesellschaft mit Namen, die man abschaffen wollte, aber man äußerte sich nicht über die Gesellschaft, die an Stelle der alten Gesellschaft aufgerichtet werden sollte“; Vanberg, Privatrechtsgesellschaft und ökonomische Theorie, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik, 07/5, S. 10. 12 Das BVerfG geht von einer wirtschaftspolitischen Neutralität des GG aus (BVerfG, Urteil vom 20. 07. 1954, Az. 1 BvR 459/52 u. a., BVerfGE 4, 7, 17 f.). Die Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) zeigt jedoch, dass die Wirtschaftsordnung unter Geltung des GG auf den Kräften privatautonomer Gestaltung aufbaut (BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89 u. a., BVerfGE 87, 363, 388: „Die Freiheit der Berufsausübung führt notwendig zu Wettbewerb“; Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 22; Tettinger, Verfassungsrecht und Wirtschaftsordnung – Gedanken zur Freiheitsentfaltung am Wirtschaftsstandort Deutschland –, DVBl. 1999, S. 679 – 687). 13 Vgl. auch: Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 51. 14 Vgl. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 275 – 279; Ehlermann, Ökonomische Aspekte des Subsidiaritätsprinzips: Harmonisierung versus Wettbewerb der Systeme, Integration 18 (1995) (1), S. 11 – 21; Everling, Europäische Integration und Wettbewerb der Rechtsordnungen in Europa in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, in: Europäische Integration als Herausforderung des Rechts: Mehr Marktrecht – weniger Einzelgesetze, Kongreß Junge Juristen und Wirtschaft, S. 41 – 51; Everling, Zur Funktion der Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft – Vom Abbau der Verzerrungen zur Schaffung des Binnenmarktes –, in: FS Pescatore, S. 227 – 261; Grundmann, Binnenmarktkollisionsrecht – vom klassischen IPR zur Integrationsordnung, RabelsZ 64 (2000), S. 457 – 477; Dumke, Der Deutsche Zollverein als Modell ökonomischer Integration, in: Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, S. 71 – 101; Alter/Meunier-Aitsahalia, Judicial Politics in the European Community, European Integration and the Pathbreaking Cassis de Dijon Decision, Comparative Political Studies 26(4) (1994), S. 535 – 561. 15 Vgl. EuGH, Urteil vom 5. 5. 1982, Rs. 15/81, Gaston Schul, Slg. 1982, S. 1410, 1431 Rn. 33: „Der Begriff Gemeinsamer Markt […] stellt ab auf die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziele der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt […]“. 16 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 348 f.
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einzelstaatlicher Ordnungen17 und damit um eine Förderung grenzüberschreitender privatautonomer Betätigung.18 Derartige Bemühungen werden bezeichnet als Integration.19 Die zum Ziel der Förderung von Integration eingesetzten Regelungen werden im Folgenden Integrationsinstrumente20 genannt. In Bezug auf Integrationsinstrumente ist zwischen materiellrechtlicher Harmonisierung und „kollisionsrechtlichen“21 Integrationsinstrumenten wie dem europarechtliche Herkunftslandprinzip22 oder Rechtswahlfreiheit23 zu unterscheiden. Ausgedrückt wird mit dem
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Vgl. Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorbem. zu den Artikeln 28 bis 31 EG Rn. 3; Grundmann, Privatautonomie im Binnenmarkt, JZ 2000, S. 1133, 1134; Ohr, Clubs im Club – Europas Zukunft?, ORDO 58 (2007), S. 67, 68; Mestmäcker, Europäische Prüfsteine der Herrschaft und des Rechts, ORDO 58 (2007), S. 3, 8; von Hayek, Die Wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse, in: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 324, 340; Sykes, Regulatory Competition or Regulatory Harmonization? A silly question?, Journal of International Economic Law 1999, S. 49, 61: „Policed decentralization“; Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71, 72. 18 Vgl. Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271, 281 f., „Vielmehr setzten die Gründer bekanntlich auf die wirtschaftstheoretische Lehre vom komparativen Kostenvorteil des Freiverkehrs von Produktionsfaktoren und Produkten und dieser Ansatz gewann primärrechtlich seine Gestalt in den vier sog. Grundfreiheiten […] (S. 282)“; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorbem. zu den Artikeln 28 bis 31 EG Rn. 3; Rittner, Die wirtschaftliche Ordnung der EG und das Privatrecht, JZ 1990, S. 838, 839 ff. 19 Vgl. Lang/Stange, Integrationstheorie: Eine kritische Übersicht, Jahrbuch für Sozialwissenschaft 45 (1994), S. 141, 141 f.; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 94 – 96. In der Präambel zum AEUV ist die Rede von einer „Beseitigung der bestehenden Hindernisse“ (Erwägungsgrund 4). Einen Überblick über Integrationstheorien gibt: Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 EUV Rn. 18 ff. 20 S. K. Schmidt spricht von „Integrationsprinzipien“ (S. K. Schmidt, Notwendigerweise unvollkommen: Strukturprobleme des Europäischen Binnenmarktes, Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 3(2) (2005), S. 185, 187 ff.) und Oberlack von „Handelsregimen“ als „Verfahren zur Beseitigung von technischen Handelshemmnissen“ (Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 127). Rehberg spricht von„Regulierungsoptionen“ (Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29, 33 f.). 21 Vgl. Trachtman, Regulatory Competition and Regulatory Jurisdiction, Journal of International Economic Law 2000, S. 331, 334. 22 Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 4; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 34 – 36 AEUV, Rn. 149. Zum Begriff vgl. Teil 1 § 4 H. III. 23 Vgl. Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 33, S. 251 ff.; Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 2000, S. S217, S242 ff.; Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, Gesellschafts-, Arbeits- und Schuldvertragsrecht, S. 67, 79 f.; Muir Watt, Choice of Law in Integrated and internationally interconnected markets: a matter of political Economy, Columbia Journal of European Law 9 (2003), S. 383, 394.
B. Systemwettbewerb im Rahmen der Wahl von Integrationsinstrumenten
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Begriff „kollisionsrechtlich“24, dass es nicht um eine Integration über die Vereinheitlichung von Recht, sondern um eine Begrenzung von einzelstaatlichen Regulierungsbefugnissen bzw. um eine Koordination von staatlichen Ordnungen geht. Der Begriff „kollisionsrechtlich“ ist damit nicht zwingend mit Fremdrechtsanwendung25 verbunden und ist hier deshalb in einem untechnischen Sinn zu verstehen.26
B. Systemwettbewerb als Aspekt im Rahmen der Wahl von Integrationsinstrumenten I. Frage nach den Vor- und Nachteilen von Integrationsinstrumenten Die Frage nach den Vor- und Nachteilen einzelner Integrationsinstrumente wie dem europarechtlichen Herkunftslandprinzip oder materiellrechtlicher Harmonisierung und insbesondere deren Quantifizierung ist äußerst komplex, da eine Vielzahl von Aspekten zu berücksichtigen sind27 und häufig unklar ist, welches Gewicht den einzelnen Aspekten zukommt. Es wundert deswegen kaum, dass es bislang nicht gelungen ist, eine normative Theorie für die Auswahl und Kombination von Integrationsinstrumenten zu entwickeln.28 Abhängig vom Anspruch an eine solche Theorie kann bezweifelt werden, inwieweit die Entwicklung einer solchen Theorie in Bezug auf den Einsatz von Integrationsinstrumenten in Zukunft überhaupt gelingt bzw. gelingen kann.29 24 Vgl. Trachtman, Regulatory Competition and Regulatory Jurisdiction, Journal of International Economic Law 2000, S. 331, 334. 25 Vgl. zur Fremdrechtsanwendung im Internationalen Privatrecht: Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, S. 11 ff. 26 Vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 149; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht; W.-H. Roth, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, I. Grundregeln, Rn. 205 (EL 17). 27 Vgl. Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 105. 28 Fitchew, Political Choices, A. Report: Geoffrey Fitchew, in: European Business Law, S. 1 f.: „I would argue, it is in principle simply not possible to construct such a theory at all, at least if one defines harmonization as a set of principles derived from some economic model that would enable all reasonable men to agree that such a subject should be regulated at the federal or Community level while another should be regulated at State level“ (Fitchew war Vertreter der Kommission); Bernholz/Faber, Überlegungen zu einer normativen ökonomischen Theorie der Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 1986, S. 35, 35; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 225. 29 Fitchew, Political Choices, A. Report: Geoffrey Fitchew, in: European Business Law, S. 1 f.; Bernholz/Faber, Überlegungen zu einer normativen ökonomischen Theorie der Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 35, 35; Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 105.
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Notwendig ist eine vergleichende institutionelle Betrachtung30 von Integrationsinstrumenten.31 Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch eine Mischung von „kollisionsrechtlichen“ Integrationsinstrumenten mit verschiedenen Graden materiellrechtlicher Harmonisierung in Betracht kommt.32
II. Systemwettbewerb (einführende Betrachtung) Ein zu berücksichtigender Aspekt im Rahmen der Ausgestaltung von Integrationsinstrumenten ist der Topos Systemwettbewerb.33 30
Vgl. Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 328 – 331 Rn. 133 ff.; Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 3 Tz. 3; Voigt, Institutionenökonomik, S. 51. 31 Zu einigen Gesichtspunkten, die berücksichtigt werden müssten: Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 8 ff.; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29 – 51. Vgl. insbesondere: Teil 3, § 18, § 19, § 20. 32 Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 14 f.; Feld, Zur ökonomischen Theorie des Föderalismus: Eine prozeßorientierte Sicht, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 30, 32. 33 Aus der ökonomischen Literatur: Apolte, Regulierungswettbewerb in föderalen Strukturen: Königswettbewerb zwischen Staatsversagen und Marktversagen?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 55 – 75; Apolte, Institutioneller Wettbewerb: Ansätze, Theoriedefizite und Entwicklungsperspektiven, in: Theorie der Wirtschaftspolitik: Erfahrungen – Probleme – Perspektiven, S. 179 – 210; Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10; Casella/Frey, Federalism and Clubs. Towards an Economic Theory of Overlapping Political Jurisdictions, European Economic Review 36 (1992), S. 639 – 646; Curti, Kommentar zu Thomas Apolte: Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 9; Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozess, S. 53 – 76; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 39 (1994), S. 281 – 305; Eichenberger, Eine „fünfte Freiheit“ für Europa: Stärkung des politischen Wettbewerbs durch „FOCJ“, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 45 (1996)(1), S. 110 – 131; Eidenmüller/Engert/Hornuf, Europäischer Rechtswettbewerb bei der Wahl des Emissionsstandorts für Schuldtitel – Eine empirische Analyse, in: Ökonomische Analyse des Europarechts, S. 233 – 274; Fischel, (Hrsg.), The Tiebout Model at Fifty, Essays in Public Economics in Honor of Wallace Oates; Gerken, Der Wettbewerb der Staaten; Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405 – 430; Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3 – 33; Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7 – 20; Giersch, Diskussionsbeitrag zu: Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 35 – 44; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463 – 476; Haucap/ Kühling, Systemwettbewerb durch das Herkunftslandprinzip: Ein Beitrag zur Stärkung der
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Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit in der EU?, in: FS Kirchner, S. 799 – 815 = Haucap/ Kühling, Systemwettbewerb durch das Herkunftslandprinzip: Ein Beitrag zur Stärkung der Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit in der EU?, DICE Ordnungspolitische Perspektiven Nr. 50, September 2013 [Der Autor Kühlung ist Jurist]; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, Zur Funktionsfähigkeit eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen im europäischen Gesellschaftsrecht; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199 – 230; Kiwit/Voigt, Überlegungen zum institutionellen Wandel und Berücksichtigung des Verhältnisses interner und externer Institutionen, ORDO 46 (1995), S. 117 – 148; Kerber, Wettbewerbsföderalismus als Integrationskonzept für die Europäische Union, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4(1) (2003), S. 43 – 64; Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, Gesellschafts-, Arbeits- und Schuldvertragsrecht, S. 67 – 97; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1 – 29; Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 23 (2000), S. S217 – S249; Kerber, Kommentar zu Eva-Maria Kieninger – Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 13; Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167 – 194; Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447 – 465; Kerber/Vanberg, Competition Among Institutions Evolution Within Constrains, in: Competition among Institutions, S. 35 – 64; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54 – 67; Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71 – 102; Mussler/ Wohlgemuth, Institutionen im Wettbewerb, Ordnungstheoretische Anmerkungen zum Systemwettbewerb in Europa, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozess, S. 9 – 45; Oates/ Schwab, Economic Competition Among Jurisdictions,Efficiency Enhancing or Distortion Inducing?, Journal of Public Economics 35 (1988), S. 333 – 354; Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb; Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53 – 75; Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, 1999, S. 13 – 48; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113 – 134; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521 – 535; H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9 – 60; Streit/ Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75 – 107; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration – Freiburgs Botschaft für ein offenes Europa –, S. 85 – 100; H.-W. Sinn, How much Europe?, Subsidiarity, Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85 – 107. Aus der rechtswissenschaftlichen Literatur: Alpha, Competition of Legal Systems and Harmonization of European Private Law; Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung zwischen Staaten, Theoretische Annahmen und historische Beispiele; Ambrosius, Regulierungswettbewerb im Deutschen Reich (1871 – 1914): Welche Erfahrungen sind für die Europäische Union relevant?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2004 5(1), S. 39 – 57; Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231 – 236; Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105 – 112; Ehlermann, Ökonomische Aspekte des Subsidiaritätsprinzips: Harmonisierung versus Wettbewerb der Systeme, Inte-
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§ 1 Einleitung
Unter Systemwettbewerb im technischen Sinn (im Folgenden „Systemwettbewerb“) wird eine staatliche (meist gesetzgeberische) Reaktion auf institutionelle Mobilität von Privatrechtssubjekten verstanden.34 Der Begriff „institutionelle Mobilität“ bezeichnet Wahlmöglichkeiten von Privatrechtssubjekten in Bezug auf das auf einen bestimmten Lebenssachverhalt anwendbare Recht, wobei sich derartige Wahlmöglichkeiten auch gerade auf zwingendes Recht (Regulierungen35) beziehen können.36 Zu unterscheiden ist in diesem
gration 18 (1995) (1), S. 11 – 21; Eidenmüller, Die GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, ZGR 2007, S. 168 – 211; Giegerich, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 57 – 105; Grundmann, Wettbewerb der Regelgeber im europäischen Gesellschaftsrecht – jedes Marktsegment hat seine Struktur, ZGR 2001, S. 783 – 832; Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373 – 400, Meessen, Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, Die rechtliche Bewältigung zwischenstaatlicher Konkurrenzsituationen im Mehrebenensystem; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt; Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 14; Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55 – 59; Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99 – 113; Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, 401 – 409; Rühle, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975 – 993; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 7 – 56; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29 – 51; Reich, Competition between Legal Orders: A new Paradigm of EC Law?, Common Market Law Review 29 (1992), S. 861 – 896. Aus der politikwissenschaftlichen Literatur: Harcourt, Institution-Driven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU; Nicolaïdis, Mutual Recognition Among Nations: The European Community and Trade in Services; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition: Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66 – 96. 34 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 18; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 15. Zu der genaueren Definition von Systemwettbewerb: Teil 1 § 4 H. I. Zum Systemwettbewerb im untechnischen Sinn: Teil 2 § 7. 35 Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 2 Tz. 1; Apolte, Regulierungswettbewerb in föderalen Strukturen: Königswettbewerb zwischen Staatsversagen und Marktversagen?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 55, 57; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 4; Ruffert, Begriff, in: Regulierungsrecht, S. 332, 344 Rn. 21; von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 326; Fülbier, Regulierung, Ökonomische Betrachtung eines allgegenwärtigen Phänomens, WiSt 1999, S. 468, 468; Ruffert, Begriff, in: Regulierungsrecht, S. 300 – 361; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 4.
B. Systemwettbewerb im Rahmen der Wahl von Integrationsinstrumenten
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Zusammenhang zwischen physischer und nicht-physischer institutioneller Mobilität:37 Klassische Anwendungsfälle von Systemwettbewerb sind staatliche Reaktionen auf die grenzüberschreitende Wanderung von Privatrechtssubjekten38 und Investitionskapital39 als Formen der Wahrnehmung physischer Mobilität.40 Zudem ist auch die Wanderung von Verbrauchern denkbar.41 Aufgrund der Abhängigkeit des Staates von bestimmten Faktoren wie Fachkräften oder Investitionskapital – schon Aristoteles fragt nach den Voraussetzungen, die vorhanden sein müssen, um ein Staat zu formen, „der nach Wunsch zusammengesetzt werden soll“42 – bemüht sich der Staat um eine Anziehung von bestimmten Faktoren, indem er die Rahmenbedingungen für mobile Faktoren auf seinem Territorium43 verbessert.44 Es ist die Rede von Standortwettbewerb.45 Der Begriff „Regulierung“ wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur zum Teil ausschließlich im Zusammenhang mit wettbewerblichen Ausnahmebereichen verwendet (vgl. Danwitz, Was ist eigentlich Regulierung?, DÖV 2004, S. 977 – 985; Schorkopf, Regulierung nach Grundsätzen des Rechtsstaates, JZ 2008, S. 20 – 29). Zur Herkunft des Begriffs „Regulierung“: Cremer, Regulierung und Freiheit, in: Regulierungsrecht, S. 212, 215 Rn. 3. 36 Vanberg spricht allgemein von einer Freiheit der Ordnungswahl (Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 28: „Modell freier Ordnungswahl“). Ablehnend in Bezug auf ein derartiges Konzept: Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55, 59. 37 Kienininger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 11; Trachtman, Regulatory Competition and Regulatory Jurisdiction, Journal of International Economic Law 2000, S. 331, 336. Vgl. Teil 1 § 4 B., C. 38 Vgl. Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416 – 424; Straubhaar, Migration im 21. Jahrhundert, Von der Bedrohung zur Rettung sozialer Marktwirtschaft; Straubhaar, Migration als Herausforderung liberaler Regeln, in: Liberale Grundrisse einer zukunftsfähigen Gesellschaft, S. 267 – 283. 39 Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 13. 40 Vgl. Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs. 41 Vgl. Teil 1 § 4 B. III. 42 Aristoteles, Politik, Siebentes Buch, 1325 b. Nach Aristoteles ist nicht möglich, dass es ohne angemessene Ausstattung des Staates zur besten Staatsverfassung komme. Aristoteles meint „damit etwa die zahlenmäßige Menge der Bürger und den Umfang des Landes. Wie nämlich auch für die anderen Handwerksmeister, etwa den Weber oder Schiffbauer, mit Rücksicht auf die Bearbeitung ein brauchbarer Stoff zur Verfügung stehen muss – denn je besser dieser wohl aufbereitet ist, desto schöner wird mit Notwendigkeit auch das, was mit Kunst zustande gebracht wird –, so muss es auch für den Staatsmann und den Gesetzgeber einen eigenen Stoff geben, der brauchbar ist. Das erste für die staatliche Ausstattung ist die zahlenmäßige Menge der Menschen“ (Aristoteles, Politik, Siebentes Buch, 1325 b). 43 Vgl. Hailbronner/Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekt, in: Völkerrecht, Rn. 128 ff. 44 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 19 f.; Oates/Schwab, Economic Competition
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§ 1 Einleitung
„Kollisionsrechtliche“ Integrationsinstrumente wie Rechtswahlfreiheit oder das europarechtliche Herkunftslandprinzip ermöglichen hingegen eine nicht-physische institutionelle Mobilität.46 Rechtswahlfreiheit ermöglicht Institutionen direkt zu wählen,47 ohne dass es einer Standortverlagerung (physische Mobilität) bedarf. Staaten reagieren unter Umständen auf institutionelle Mobilität infolge von Rechtswahlfreiheit, wie sich besonders deutlich anhand des Systemwettbewerbs der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts infolge der in den USA herrschenden faktischen Rechtswahlfreiheit für corporations in Bezug auf anwendbare Gesellschaftsrecht zeigt.48 Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen können bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips zwischen Waren und Dienstleistungen, die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regulierungen unterliegen49, wählen und damit indirekt auch das zugrundeliegende Regulierungsregime bestimmen.50 Für AnbieAmong Jurisdictions,Efficiency Enhancing or Distortion Inducing?, Journal of Public Economics 35 (1988), S. 333 – 354. 45 Vgl. Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs; Schwaab/Stewen, Effekte des Standortwettbewerbs aus neoklassischer und evolutorischer Sicht, Eine zusammenfassende Kritik, WiSt 2000, S. 158 – 161; Schick, Standortwettbewerb und Besteuerung, Zur Notwendigkeit regulierender Spielregeln für den Fiskalwettbewerb, in: Standortwettbewerb und Standortmarketing, S. 93 – 118; Apolte/Caspers/Welfens (Hrsg.), Standortwettbewerb, wirtschaftspolitische Rationalität und internationale Ordnungspolitik. 46 Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16. 47 Kerber, Wettbewerbsföderalismus als Integrationskonzept für die Europäische Union, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4(1) (2003), S. 43, 59; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16, 36 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 12, 84 f.; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 19. 48 Eine ansatzweise Darstellung des Wettbewerbs der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrecht findet sich in Teil 3, § 16 B. IV. 49 Zum sach- und kollisionsrechtlichen Verständnis des Herkunftslandprinzips vgl. Teil 1 § 3 E. IV. 50 Vgl. Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 10, S. 15; Behrens, Economic Law Between Harmonization and Competition: The Law & Economics Approach, in: Economic Law as an Ecoonomic Good, S. 45, 53; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48. Jahrgang (1993), S. 459, 466; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 13; Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 90; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 12; Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 401 f. „Wählt ein Verbraucher zum Beispiel ein italienisches Produkt, so entscheidet er sich damit inzident auch für die italienische Regulierng der Herstellung und
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ter51, die einem mitgliedstaatlichen Regulierungssystem unterliegen, das für die Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen attraktiver ist, besitzen in dieser Situation Wettbewerbsvorteile. Die Kaufkraft der Nachfrager wandert deswegen eher zu diesen Anbietern.52 Aus den Kaufkraftwanderungen53 folgen unter Umständen staatliche Reaktionen, um die Attraktivität inländischer Regulierungen und damit den Absatzerfolg heimischer Anbieter im Inland und im Ausland zu verbessern.54 Die auf Grundlage eines Herkunftslandprinzips gegebene nicht-physische institutionelle Mobilität auf Seiten der Nachfrager kann Einfluss auf Standortentscheidungen von Anbietern haben. So ist denkbar, dass Hersteller ihre Produktion in Staaten zu verlegen,55 die ein für sie attraktives Regulierungsniveau vorsehen.56 Derartige Standortverlagerungen können wiederum zu staatlicher Responsivität und damit zu Systemwettbewerb führen57. Die Folgen von Systemwettbewerb sind hoch umstritten: Einerseits werden in Ausdruck der der Systemwettbewerbstheorie58 zugrundeliegenden Marktanalogie59 ähnlich positive Folgen von Systemwettbewerb erwartet damit für die eingeführten Produktstandards“ (S. 401); Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozess, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 225; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523. 51 Als Anbieter werden im Folgenden die Hersteller von Waren, Warenhändler und die Erbringer von Dienstleistungen bezeichnet. 52 Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463, 469; Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 23 f.; Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7, 11. 53 Vgl. Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 23 f. 54 Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 14; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523; Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 13 f.; Mankowski, Rechtskultur, Eine rechtsvergleichend-anekdotische Annäherung an einen schwierigen und vielgesichtigen Begriff, JZ 2009, S. 321, 330. 55 Vgl. Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 21; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523. 56 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 22; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-EbenenSystemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 13. 57 Vgl. Wohlgemuth, Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 49, 61. 58 Pitsoulis weist darauf hin, dass es bisher nicht gelungen ist, eine Theorie des Systemwettbewerbs zu entwickeln (Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Sys-
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§ 1 Einleitung
wie von einem Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten. Befürworter von über institutionelle Mobilität vermittelten Systemwettbewerb (Systemwettbewerb im technischen Sinn) vertreten die Ansicht, „daß Bürger durch einen solchen Wettbewerb im Grunde dieselben Vorteile erlangen können, die Konsumenten dem Wettbewerb zwischen Firmen im Markt verdanken. Ebenso wie in gewöhnlichen Märkten kann der Wettbewerb auch im politischen Bereich zur Lösung der drei erwähnten Probleme beitragen, dem Anreizproblem, dem Machtproblem und dem Wissensproblem“.60
Andererseits wird die Berechtigung dieser Marktanalogie bestritten.61 Es wird infolge institutioneller Mobilität die Gefahr eines Marktversagens62 und ein Verlustes temwettbewerb, S. 13). In der Tat ist der Ablauf und sind die Folgen von Systemwettbewerb derart unklar, dass nicht von einer entwickelten Theorie gesprochen werden kann (vgl. Nozick, Invariances: The Structure of the Objective World, S. 295: „[E]verything appears complex until a good theory of it has been developed“). Zur ökonomischen Theoriebildung: Tiefenbach, Der Beitrag der ökonomischen Theorie zur Frage des guten Lebens; Eells/Hausman, theory appraisal, in: The New Palgrave Dictionary of Economics, Bd. 8, S. 248 – 253. 59 Vgl. Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416, 422: „Just as the consumer may be visualized as walking to a private market place to buy his goods, the prices of which are set, we place him in the position of walking to a community where the prices (taxes) of community services are set. Both trips take the consumer to market. […] Spatial mobility provides the local public-goods counterparts to the private market’s shopping trip“; Epstein, Exit Rights under Federalism, Law and Contemporary Problems 55 (1992), S. 147, 165: „Exit rights are to federalism as the right to reject defective goods is to the law of sales“; Revesz, Rehabilitating interstate competition: Rethinking the „race-to-the-bottom“ Rationale for Federal Environmental Regulation, New York University Law Review 67 (1992), S. 1210, 1234: „If one believes that competition among sellers of widgets is socially desirable, why is competition among sellers of location rights socially undesirable?“; Siebert/Koop, Institutional Competition. A Concept for Europe?, Aussenwirtschaft 45. Jahrgang (1990), S. 439, 440; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 201; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 53 ff.; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, Anregungen für die Verfassung Europas, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 90; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 7 – 56. Kritisch: Michael, Wettbewerb von Rechtsordnungen, DVBl. 2009, S. 1062, 1069. L. Michael nähert sich dem Phänomen Systemwettbewerb, in dem er die Marktanalogie als Metapher betrachtet (Michael, Wettbewerb von Rechtsordnungen, DVBl. 2009, S. 1062, 1062 ff.). Unklar ist indes, wo der Unterschied gegenüber einer modellhaften Betrachtung liegt. 60 Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 91. Vgl. auch: Lutter, Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, in: Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, S. 24, 24: „Wettbewerb – wer sollte da den rundum geglückten Erfahrungen der Bundesrepublik mit diesem Instrument der Freiheit nicht ernsthaft zustimmen und dann auch noch gar Wettbewerb der Rechtssysteme, wer wollte nicht fasziniert sein von dem Gedanken, unser vielfach als verstopft, verkalkt, veraltet gedachtes Rechtssystem dem frischen Wind des Wettbewerbs auszusetzen“. 61 Aus ökonomischer Sicht: H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 7: „Nothing could be more misleading than the usual conclusion by analogy from private competition to
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staatlicher Steuerungsfähigkeit63 und gar eine deregulatorische Abwärtsspirale im Sinn eines „race to the bottom“ erwartet.64 Die breite Öffentlichkeit wurde mit möglichen Nachteilen von Systemwettbewerb und einem möglichen „race to the bottom“ vor allem im Rahmen der Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie65 konfrontiert: „[Das Herkunftslandprinzip] hätte durch den Vorrang der Bestimmungen und Standards des Herkunftslandes der Dienstleistungsanbieter zwangsläufig zu einem ruinösen Wettbewerb zwischen den Solidarsystemen der Mitgliedstaaten geführt und Arbeitnehmer mit ihren Familien in eine Abwärtsspirale gerissen. Ein ungezügelter Markt des ,Kasse-Machens‘ wäre entstanden. Soziale und arbeitsrechtliche Errungenschaften, Umwelt-, Verbraucherschutz- sowie Qualitätsstandards hätten sich zwangsläufig auf dem niedrigsten Niveau genähert“.66
systems competition“ (Besprechung des Werkes „The New Systems Competition“: Feld, Marktversagen durch die Hintertür, F.A.Z., 03. 11. 2003, S. 14). Aus rechtswissenschaftlicher Sicht: Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39, 40: „Den Gedanken des Wettbewerbs auf Staaten anzuwenden ist völlig verfehlt. Der Staat ist freiheitsverpflichtet, nicht freiheitsberechtigt, nimmt also nicht nicht am Wettbewerb teil“; Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 2005, S. 39, 40; Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55, 57; Wallrabenstein, Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: VVDStRL 73 (2013), S. 41, 57 ff. 62 Vgl. H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 10, 47; H.-W. Sinn, How much Europe?, Subsidiarity, Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85, 103 f. 63 Engel, Karl M. Meessen: Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, AöR 131 (2006), S. 322, 324. 64 Vgl. Brandeis in: Liggett Co v. Lee 288 US 517 (558 f.) (1933); BGH, Beschluss vom 30. 03. 2000, Az. VII ZR 370/98, DNotZ 2000 S. 782, 785; Cary, Federalism and Corporate Law: Reflections Upon Delaware, Yale Law Journal 83(4) (1974), S. 663 – 705, „The absurdity of this race for the bottom […]“ (S. 705); Hauschka, Die wettbewerbspolitische Funktion des Rechts in der Konkurrenz von Wirtschaftsordnungen, ZRP 1988, S. 136, 139; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29, 40. Vgl. auch: Adensamer, Das Herkunftslandprinzip als Herausforderung für das traditionelle IPR, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 55, 60. 65 Vgl. Mankowski, Wider ein Herkunftslandprinzip für Dienstleistungen im Binnenmarkt, IPrax 2004, S. 385 – 395; Karas, Das Herkunftslandprinzip in der Dienstleistungsrichtlinie, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 101 – 108; Hatje, Die Dienstleistungsrichtlinie – Auf der Suche nach dem liberalen Mehrwert, Auch eine Herausforderung für die Rechtsanwaltschaft?, NJW 2007, S. 2357 – 2363. Vgl. die überblicksartige Darstellung der Diskussion bei: Streinz/Leible, in: Europäische Dienstleistungsrichtlinie, Einleitung, Rn. 30 ff. 66 Gebhardt, Bietet der Kompromiss zur EU-Dienstleistungsrichtlinie eine akzeptable Lösung?, ifo Schnelldienst 6/2006, S. 3, 3. Ähnliche Bedenken werden heute gegen das geplante Transaltlantische Freihandelsabkommen erhoben, vgl. Teil 1 § 3 H.
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§ 1 Einleitung
Letztlich kann ein zu befürchtendes „race to the bottom“ „kollisionsrechtliche“ Integrationsinstrumente gänzlich diskreditieren, wie im Rahmen der Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie deutlich wurde.67 Nach Vertretern der „race to the bottom“-These geht es um Abwehr der Einflüsse institutioneller Mobilität auf das Recht. Systemwettbewerb bedeutet aus dieser Perspektive eine neue Herausforderung im „Kampf um’s Recht“68, während nach gegenteiliger Ansicht Systemwettbewerb gerade ein Mittel im „Kampf um’s Recht“ im Sinne der Befreiung des Rechtssystems von verkrusteten Strukturen und Interessengruppenregulierungen darstellt (wobei aus Systemwettbewerb weitere Vorteile folgen sollen).69 Sofern mit Systemwettbewerb positive Erwartungen verbunden werden, ist Systemwettbewerb ein Argument gegen eine weitreichende materiellrechtliche Harmonisierung70 und umgekehrt führen Befürchtungen eines „race to the bottom“ gerade zu Forderungen einer umfangreichen Harmonisierung des materiellen Rechts71 bzw. zur Beschränkung institutioneller Mobilität72. Die Bewertung von Systemwettbewerb kann dabei bestimmen, ob im Rahmen der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EUV)73 bestimmte Ziele auf EU-Ebene oder mitgliedstaatlicher Ebene zu verfolgen sind.74
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Vgl. Streinz/Leible, in: Europäische Dienstleistungsrichtlinie, Einleitung Rn. 31. von Jhering, Der Kampf um’s Recht, S. 1: „Das Leben des Rechts ist Kampf […]. Alles Recht in der Welt ist erstritten worden, jeder wichtige Rechtssatz hat erst denen, die sich ihm widersetzten, abgerungen werden müssen […]. Darum führt die Gerechtigkeit, die in einer einen Hand die Wagschale [sic!] hält, mit welcher sie das Recht abwägt, in der anderen das Schwert, mit dem sie es behauptet“. Vgl. dazu: Schild, Der rechtliche Kampf gegen das Unrecht, Reflexionen zu Rudolf von Jherings Vortrag „Der Kampf ums Recht“, in: Der Kampf ums Recht, Forschungsband aus Anlaß des 100. Todestages von Rudolf von Jhering, S. 31 – 56. 69 Vgl. Teil 1 § 4 D. 70 Vgl. Kerber, Wettbewerbsföderalismus als Integrationskonzept für die Europäische Union, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4(1) (2003), S. 43, 56 f.; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 221 f. 71 Vgl. Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 299 ff.; Everling, Zur Funktion der Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft – Vom Abbau der Verzerrungen zur Schaffung des Binnenmarktes – in: FS Pescatore, S. 227, 229; Nicolaïdis, Mutual Recognition Among Nations, S. 95 f. 72 Vgl. Gebhardt, Bietet der Kompromiss zur EU-Dienstleistungsrichtlinie eine akzeptable Lösung?, ifo Schnelldienst 6/2006, S. 3, 3. 73 Zum Subsidiaritätsprinzip vgl. Bickenbach, Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 EUV und seine Kontrolle, EuR 2013, S. 523 – 548. 74 Vgl. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 32; Taschner, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorbem. zu den Arikeln 94 bis 97 EG Rn. 1; Homann/Kirchner, Das Subsidiaritätsprinzip in der Katholischen Soziallehre und in der Ökonomik, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 45, 60. 68
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Antworten auf die Frage der Folgen von Systemwettbewerb sind auf theoretischer Ebene bislang nur sehr eingeschränkt zu geben.75 Es fehlt nicht nur eine überzeugende Theorie des Systemwettbewerbs,76 sondern es fehlt vor allem an hinreichender Klarheit über die realen Folgen von Systemwettbewerb77. Die fast ausschließlich theoretische Beschäftigung78 mit dem Thema Systemwettbewerb hat deswegen im Wesentlichen nur zu Vermutungen über die Folgen institutioneller Mobilität auf die einzelstaatlichen Rechtsordnungen geführt.79 Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion vor allem normativ geprägt80, ohne dass dies jedoch immer hinreichend deutlich wird. 75 Vgl. Seidel, Grundsatzfragen der Konvergenz in einer erweiterten EU: Rechtsgrundlagen für einen Wettbewerb der Systeme, in: Europa zwischen Wettbewerb und Harmonisierung, S. 11, 12. 76 Vgl. Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 13; Streit/Wohlgemuth, Einleitung: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 7, 8.; Radaelli, The Puzzle of Regulatory Competition, Journal of Public Policy 24(1) (2004), S. 1 – 23. 77 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 98; Radaelli, The Puzzle of Regulatory Competition, Journal of Public Policy 24(1) (2004), S. 1, 1 f.; Schulze/Ursprung, Globalisierung contra Nationalstaat? Ein Überblick über die empirische Evidenz, in: Nationaler Staat und internationale Wirtschaft, S. 41, 43; Streit/Wohlgemuth, Einleitung: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 7, 7. 78 Vgl. aber die empirischen Arbeiten von: Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung zwischen Staaten, Theoretische Annahmen und historische Beispiele; Ambrosius, Regulierungswettbewerb im Deutschen Reich (1871 – 1914): Welche Erfahrungen sind für die Europäische Union relevant?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2004 5 (1), S. 39 – 57; Harcourt, Institution-Driven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt; Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 14; Niemeier, GmbH und Limited im Markt der Unternehmensträger, ZIP 2006, S. 2237 – 2250; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen; Eidenmüller/Engert/Hornuf, Europäischer Rechtswettbewerb bei der Wahl des Emissionsstandorts für Schuldtitel – Eine empirische Analyse, in: Ökonomische Analyse des Europarechts, S. 233 – 274. Zu verweisen ist zudem auf Untersuchungen zum Delaware Effekt (vgl. etwa: Romano, The Genius of American Corporate Law. Vgl. Teil 3 § 16 B. IV.). 79 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 13; Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 76, 78; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 524; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463, 464; Kiwit/Voigt, Grenzen des institutionellen Wettbewerbs, in: Globalisierung, Systemwettbewerb und nationalstaatliche Politik, JNPÖ 17 (1998), S. 313, 334. 80 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199 – 230; Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozeß, S. 53 – 68; Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39 – 45;
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§ 1 Einleitung
Es ist deshalb wichtig, Klarheit darüber zu gewinnen, welche Folgen von Systemwettbewerb in der Realität zu erwarten sind. Eine solche Klarheit kam am ehesten im Rahmen einer Betrachtung staatlicher Responsivität auf institutionelle Mobilität in Referenzgebieten gewonnen werden, wobei jedoch kritisch zu prüfen ist, inwieweit die gefundenen Ergebnisse verallgemeinerungsfähig sind81.
III. Systemwettbewerb im untechnischen Sinn Systemwettbewerb ist abzugrenzen von Systemwettbewerb im untechnischen Sinn, der nicht über institutionelle Wahlmöglichkeiten vermittelt wird und eine Vielzahl von Phänomenen erfasst. Erörtert wird in diesem Zusammenhang vor allem der von David Vogel beschriebene „California Effekt“,82 einem Systemwettbewerb vermittelt über das Bestimmungslandprinzip.
C. Überblick über die weitere Darstellung Die Arbeit gliedert sich in drei Teile: Im Ersten Teil erfolgt eine ansatzweise Beschreibung des Zwecks einzelstaatlicher Rechtsnormen und der Bestimmungsgründe ihrer Entstehung und Entwicklung. Grundlegende Bedeutung besitzt in diesem Zusammenhang die Darstellung der ökonomisch geprägten normativen und positiven Theorie der Regulierung, um die wesentlichen Argumente der Befürworter und Gegner von Systemwettbewerb zu verstehen. Neben der Betrachtung von Regulierung aus ökonomischer Perspektive erfolgt auch eine Betrachtung von Regulierung aus rechtswissenschaftlicher Sicht, denn die Rechtfertigung von Regulierung erfolgt in der rechtspolitischen Praxis keineswegs ausschließlich unter Rückgriff auf die normative Theorie der Regulierung. Die Entstehung und Entwicklung einzelstaatlicher Ordnungsrahmen wird zum Teil evolutorisch erklärt. Die Betrachtung dieser Evolution von Recht ist insofern von Bedeutung, als dass die Generierung institutioneller Entdeckungen und institutioneller Innovation infolge einer evolutorischen Rechtsentwicklung das Hauptargument der Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie gegen materiellrechtliche Harmonisierung ist. Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55 – 59. 81 Insbesondere die evolutorische Systemwettbewerbstheorie weist allgemein auf die Bedeutung des rechtlichen Rahmens hin (vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, in: Globalisierung, Systemwettbewerb und nationalstaatliche Politik, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 203 ff.). 82 Vgl. Vogel, Trading Up.
C. Überblick über die weitere Darstellung
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Als weiterer Schwerpunkt stellt der Erste Teil die rechtliche Ausgestaltung von Integration in verschiedenen Integrationsräumen dar, wobei die Betrachtung sich schwerpunktmäßig auf die EU bezieht. Es folgt eine Erörterung der theoretischen Grundlagen eines Wettbewerbs der Staaten auf dem Gebiet des Rechts (Systemwettbewerb im technischen Sinn und Systemwettbewerb im untechnischen Sinn). Dabei geht es vor allem um eine Darstellung der verschiedenen Modelle eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip (Systemwettbewerb im technischen Sinn). Ziel des Zweiten Teils ist eine Betrachtung der Wirkungsmechanismen und der Folgen von Systemwettbewerb in der Realität, d. h. in ausgewählten Referenzgebieten. Der Zweite Teil beginnt mit einer Erörterung des California Effektes unter Heranziehung von Referenzgebieten. Schwerpunkt des Zweiten Teils bildet die Erörterung von Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip anhand verschiedener primärrechtlicher und sekundärrechtlicher Referenzgebiete. Der Dritte Teil widmet sich möglichen Alternativen zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip als Integrationsinstrumente. Dabei geht es zunächst um die Erörterung von Rechtswahlfreiheit als ein „kollisionsrechtliches“ Integrationsinstrument. Als weitere Alternative zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip wird die Ersetzung mitgliedstaatlicher Regulierungen durch private Qualitätszertifikate erörtert. Anschließend sind die Vor-und Nachteile materiellrechtlicher Harmonisierung Diskussionsgegenstand. Es folgen am Ende eine zusammenfassende Beschreibung von Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip und eine Schlussbetrachtung. Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung (auch auf Englisch).
Teil 1
Theoretische Grundlagen
§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft A. Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens I. Funktionen eines Ordnungsrahmens Eine Privatrechtsgesellschaft kommt ohne den Staat und die Bereitstellung eines staatlichen Ordnungsrahmens nicht aus: „Ohne Obrigkeit kann auch eine Privatrechtsgesellschaft nicht auskommen, selbst wenn sie sich nicht gegen äußere oder innere Gefahren zu behaupten hätte. Das bloße Funktionieren ihres eigenen Kreislaufs bedarf einer Wartung, die sie nicht aus sich selbst heraus bewerkstelligen kann. Die Funktion dieser Wartung aber, eine zwar durchaus nur dienende, aber ihrer Natur nach obrigkeitliche Funktion, wird vom Staat wahrgenommen“.1
Böhm spricht im Zusammenhang mit der Ordnungsfunktion des Staates von einer „pflegegärtnerischen“ Rolle des Staates2 und drückt damit die dienende Funktion des Ordnungsrahmens aus. Ein staatlicher Ordnungsrahmen des Wettbewerbs besteht aus rechtlichen Regeln, in Form von Gesetzen, Richterrecht oder Verordnungen. Derartige Regelungen werden mit Lachmann bezeichnet als äußere Institutionen – im Gegensatz zu internen Institutionen wie Sitten und Gebräuchen.3 Wenn im Folgenden von Institutionen die Rede ist, sind ausschließlich äußere Institutionen gemeint. Entscheidende Bedeutung für die Wirkung des Ordnungsrahmens auf die Entfaltung einer Privatrechtsgesellschaft kommt nicht nur dem geschriebenen Recht, sondern der Rechtsanwendung seitens der Gerichte und Behörden zu.4 1 Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO 17 (1966), S. 75, 87 f. Vgl. auch: Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 106 ff.; Zieschang, Das Staatsbild Franz Böhms, S. 38 ff. 2 Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO 17 (1966), S. 75, 87. Vgl. auch: von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, S. 71. 3 Lachmann unterscheidet zwischen inneren und äußeren Institutionen: Lachmann, Wirtschaftsordnung und wirtschaftliche Institutionen, ORDO 14 (1963), S. 63, 67 ff. Vgl. auch: Voigt, Institutionenökonomik, S. 39 – 41. Äußere und Innere Institutionen können zusammenfassend verstanden werden „als Einrichtungen […], die helfen, die Ungewißheit des menschlichen Lebens zu verringern, das Treffen von Entscheidungen zu erleichtern und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen zu fördern“ (Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, I 1., S. 8). Zum Begriff der Institution zusammenfassend: Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 79 ff. 4 Vgl. Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 311: „Was die Gesetze eines Landes bedeuteten, weiß man erst, wenn man die Anstalten kennt, denen es obliegt, sie ins Werk
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Aufgabe eines Ordnungsrahmens ist es, Privatrechtssubjekten Freiheiten – als Grundlage der Ausübung wirtschaftlicher Freiheiten – gegenüber dem Staat einzuräumen und wirkt deswegen freiheitserweiternd (vgl. Art. 2 Abs. 1; Art. 12 Abs. 1 GG).5 Zudem ist es Aufgabe eines Ordnungsrahmens, privatautonome Transaktionen zu erleichtern6, denn die „unsichtbare Hand“7 tendiert „langsam und teuer zu arbeiten, sofern ihr keine unterstützenden Institutionen zu Hilfe“ kommen.8 Das Privatrecht bietet deswegen eine Transaktionskosten-senkende9 institutionelle Infrastruktur für privatautonome Betätigung.10
zu setzen. Von deren Bildung, Ehrlichkeit, Geschicklichkeit, von ihrem Fleiß hängt alles ab. Deswegen wird auch derselbe Rechtssatz in verschiedenen Gesellschaften sehr verschiedenes bedeuten“. Zum Verhältnis zwischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung: Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 156 f. 5 Vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 423 f.; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 270 ff.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 54 f. 6 Zur gesamtgesellschaftlichen Wirkung von Verträgen: H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 427 – 429. 7 A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, S. 371: „Tatsächlich fördert er in der Regel nicht bewußt das Allgemeinwohl, noch weiß er, wie hoch der eigene Beitrag ist. […] Und er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat. Auch für das Land selbst ist es keineswegs immer das schlechteste, daß der einzelne ein solches Ziel nicht bewußt anstrebt, ja gerade dadurch, daß er das eigene Interesse verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft nachhaltiger, als wenn er wirklich beabsichtigt, es zu tun“. Vgl. auch: Sedlácˇek, Die Ökonomie von Gut und Böse, insb. S. 321 ff.; Kirstein/Schmidtchen, Eigennutz als Treibfeder des Wohlstands – die invisible hand im Hörsaal-Experiment sichtbar gemacht, ORDO 53 (2002), S. 227 – 240; Vanberg, Markt und Staat in einer globalisierten Welt: Die ordnungsökonomische Perspektive, ORDO 59 (2008), S. 3 – 29, 7; Priddat, Leidenschaftliche Interessen: Hirschmans Theorem im Blickpunkt alternativer Rekonstruktionen, in: Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik, S. 29, 29; Zieschang, Das Staatsbild Franz Böhms, S. 18 ff.; Cremer, Regulierung und Freiheit, in: Regulierungsrecht, S. 212, 237 ff. Rn. 55 ff.; Simmel, Schriften zur Soziologie, S. 175 f. 8 Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, I. 6, S. 22. 9 Unter Transaktionskosten werden die Kosten verstanden, die Privatrechtssubjekte im Zusammenhang mit einem Vertragsschluss (H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XXXiX) und allgemeiner im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme eines Marktes aufwenden müssen (Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 10 f.). 10 Vgl. Edward, Economic Law as an Economic Good: Reflections of a European Judge, in: Economic Law as an Economic Good, S. 91, 97: „Law and legal institutions provide the infrastructure of economic activity, in the sense that they form the background against which – or the context within which – economic activity is carried on“; Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 170: „facilitator for transactions“.
A. Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens
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Hauptgegenstand der folgenden Betrachtung sind (vor allem öffentlich-rechtliche) Regulierungen, die mit dem Ziel der Bekämpfung von Marktversagen geschaffen sind bzw. mit diesem Ziel rechtspolitisch begründet werden11. Dabei geht es insbesondere um die Regulierung von Waren und Dienstleistungen. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang zunächst die Unterscheidung zwischen Produkt- und Prozessregulierungen12 bzw. Marktzugangsregulierungen und solchen, deren Erfüllung keine Bedingung des Zugangs zu einem bestimmten Markt ist.13 Es handelt sich bei Prozessregulierungen z. B. um Arbeitsschutzregulierungen oder Emissionsschutzvorschriften bei der Produktion von Waren. Prozessregulierungen finden keine physische Ausprägung in einer unter bestimmten Prozessregulierungen produzierten Ware14 und haben damit keinen Einfluss auf ihre Qualität: „Der Arbeitsmarkt ist durchaus geschieden vom Warenmarkte, und unterhalb desselben. Er kann auch als der heimliche Markt bezeichnet werden, von dessen Präexistenz im offenen Warenmarkte keine Spur, keine Erinnerung vorhanden ist“.15
Produktregulierungen betreffen hingegen die Anforderungen an die Ware selbst16 und finden deswegen ihre Verkörperung in der jeweiligen Ware bzw. deren Verpackung.17 Auch gerade das Fehlen von Merkmalen (wie das Fehlen eines bestimmten 11
Zur normativen Theorie der Regulierung: Teil 1 § 2 A. II. 1). Scharpf, Introduction: The Problem-Solving Capacity of Multi-Level Governance, Journal of Public Policy 1997(4), S. 520, 527 ff.; Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 420 f.; Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition: Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66, 77 f.; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 15 f.; Picchio Forlati, The Impact of the State-of-Origin Principle on the Protection of Public Concerns in International Trade, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 49, 52; Seidel, Grundsatzfragen der Konvergenz in einer erweiterten EU: Rechtsgrundlagen für einen Wettbewerb der Systeme, in: Europa zwischen Wettbewerb und Harmonisierung, S. 11, 15 ff.; Seidel, Der Wettbewerb der Rechts- und politischen Systeme in der Europäischen Union, ZEI working paper B 10-1998, S. 5 ff.; Sykes, Product Standards for Internationally Integrated Goods Markets, S. 3; Murphy, Interjurisdictional Competition and Regulatory Advantage, Journal if International Economic Law 8(4) (2005), S. 891, 895; Murphy, Open Economies and Regulations, S. 18 – 20; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 86 ff. Kritisch zur Unterscheidung: Sykes, Product Standards for Internationally Integrated Goods Markets, S. 3. 13 Murphy, The Structure of Regulatory Competition, Corporations and Public Policies in a Global Economy, S. 11 ff.; Bernauer, Dale D. Murphy, The Structure of Regulatory Competition, Corporations and Public Policies in a Global Economy, 2004, PVS 46(3) (2005), S. 501, 501. 14 Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 87. 15 Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 66 (HiO). 16 Vgl. Sykes, Product Standards for Internationally Integrated Goods Markets, S. 2 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 109 f. 17 Vgl. Sykes, Product Standards for Internationally Integrated Goods Markets, S. 3; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 15 f. 12
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Lebensmittelzusatzstoffes) kann Ausdruck einer Produktregulierung sein. Produktregulierungen (und grundsätzlich nicht Prozessregulierungen) können Marktzugangsregulierungen darstellen.18 Bei Dienstleistungen ist die Abgrenzung zwischen Produkt- und Prozessregulierungen nur von eingeschränktem Wert. Hintergrund ist, dass der Prozess der Leistungserbringung im Fall der Erbringung von Dienstleistungen nur schwer bzw. gar nicht vom Dienstleistungsprodukt zu trennen ist und oft die Leistungserbringung der Dienstleistung mit deren „Produktion“ zusammenfällt.19 Besondere Bedeutung besitzt im Dienstleistungsbereich die Regulierung der Zulassung des Anbieters20 wie insbesondere mittels Qualifikationsanforderungen. Hier ergibt sich ein weites Spektrum möglicher Marktzugangsregulierungen. In Bezug auf Waren und Dienstleistungen kommen weitere staatliche Steuerungsinstrumente wie Haftungsregeln21, Informationspflichten22 oder die staatliche Förderung von Zeitschriften, die Waren und Dienstleistungen testen23, in Betracht.24
II. Funktionen einer Regulierung von Waren- und Dienstleistungen bzw. deren Anbieter 1. Normative Theorie der Regulierung Die normative Theorie fragt, wann Regulierung aus ökonomischer Sicht zur Bekämpfung von Marktversagen gerechtfertigt ist.25 Ganz in Vordergrund stehen die 18
Vgl. zur welthandelsrechtlichen Lage: Teil 1 § 3 C III. Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 86 f.; S. K. Schmidt, Notwendigerweise unvollkommen: Strukturprobleme des Europäischen Binnenmarktes, Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 3(2) (2005), S. 185, 193. 20 S. K. Schmidt, Notwendigerweise unvollkommen: Strukturprobleme des Europäischen Binnenmarktes, Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 3(2) (2005), S. 185, 194. 21 Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 45 – 48; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 77 ff. 22 Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 55 – 59; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 72. 23 Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 48 f. 24 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, Ökonomische Aspekte ihrer Beseitigung, S. 71 ff. Steuerungsaufgaben können vom Öffentlichen Recht oder/und vom Zivilrecht übernommen werden (vgl. Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen). 25 von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 326; Fülbier, Regulierung, Ökonomische Betrachtung eines allgegenwärtigen Phänomens, WiSt 1999, S. 468, 468 f. 19
A. Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens
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Bekämpfung von Informationsasymmetrien und (negativer) externer Effekte, sowie ein Marktversagen aufgrund des Charakters von Leistungen als meritorische Güter (Güter deren Nutzen typischerweise unterschätzt wird26) und öffentliche Güter (bei denen Personen von der Leistung – teilweise – nicht ausschließbar sind27).28 Ein „soziales Marktversagen“ in Form von Marktergebnissen, die aus sozialer bzw. gesamtgesellschaftlicher Sicht problematisch sind (wie z. B. die Zahlung von Niedrigstlöhnen oder ein sehr hohes Mietpreisniveau) kennt die normative Regulierung nicht.29 Im Folgenden geht es (als Ausschnitt aus der normativen Theorie der Regulierung) um die Bedeutung von Informationsasymmetrien und negativer externer Effekte als Grund für einen staatlichen Markteingriff bzw. als Grund für die Schaffung bestimmter Ordnungsregeln. a) Einschränkung von Informationsasymmetrien Grund für einen staatlichen Markteingriff kann die Einschränkung von Informationsasymmetrien im Verhältnis zwischen Anbietern von Waren und Dienstleistungen und Nachfragern sein30, sofern eine Selbstregulierung z. B. mittels Signalling31 (wie mittels des Aufbaus von Reputationskapital32, der Mitgliedschaft in
26 Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 295 Rn. 36. 27 Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 297 Rn. 43 ff. 28 Einen guten Überblick über die normative Theorie der Regulierung liefern: Fritsch/Wein/ Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 89 ff.; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 290 ff. Rn. 23 ff.; Basedow, Wirtschaftsregulierung zwischen Beschränkung und Förderung des Wettbewerbs, FS Immenga, S. 3 – 19; Möschel, Regulierung und Deregulierung, Versuch einer theoretischen Grundlegung, FS Immenga, S. 277 – 290. 29 Brettschneider, Zur rechtspolitischen Orientierungskraft der normativen Theorie der Regulierung, bislang unveröffentlichter Aufsatz. 30 Vgl. Basedow, Wirtschaftsregulierung zwischen Beschränkung und Förderung des Wettbewerbs, FS Immenga, S. 3, 11 f.; Hagen/Wey, Verbraucherpolitik zwischen Markt und Staat, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 78 (2009), S. 5, 5 ff. Zudem sind Informationsprobleme in Bezug auf den Ordnungsrahmen also in Bezug auf die anwendbaren rechtlichen Regelungen denkbar (vgl. Phlips, The economics of imperfect information, S. 8 – 10; Krakowski, Theoretische Grundlagen der Regulierung, in: Regulierung in der Bundesrepublik Deutschland, Die Ausnahmebereiche des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, S. 19, 65 ff.). 31 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 302 – 305; Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 30 ff. 32 Van den Bergh/Lehmann, Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, S. 588, 592; Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 302 f.; Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 32 ff.
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
einer berufsständischen Vereinigung33 oder der Tätigung hoher Werbeausgaben34) nicht funktioniert.35 aa) Unterscheidung zwischen Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgütern Nach dem Kriterium der Markttransparenz wird ausgehend von der jeweiligen Ware oder Dienstleistung unterschieden zwischen Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgütern.36 Bei Suchgütern ist ein Nachfrager in der Lage, die Qualität des Gutes vor dem Kauf zu erkennen.37 Im Fall von Erfahrungsgütern können die Nachfrager die Qualität hingegen erst im Rahmen des Gebrauchs des Gutes erfahren und auf diese Weise Wissen in Bezug auf zukünftige Nachfrageentscheidungen sammeln.38 Im Rahmen der Kategorie Erfahrungsgüter kann zusätzlich danach unterschieden werden, wie lange die Generierung von Erkenntnissen durch Erfahrung dauert. Bei Vertrauensgütern ist es den Nachfragern hingegen weder möglich vor dem Kauf einen Eindruck von der Qualität des Gutes zu erhalten, noch im Rahmen der Verwendung bzw. des Konsums des Gutes einen derartigen Eindruck zu gewinnen.39
33 Vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 544 f. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass Freiberufler, die freiwillig in einem Berufsverband organisiert sind, ein höheres Einkommen erzielen als nichtorganisierte Freiberufler (vgl. Rucha, Effekte einer freiwilligen Mitgliedschaft in Berufsverbänden auf das Einkommen – Eine Analyse der Einkommensdynamik bei Freiberuflern in Deutschland, in: Die Dynamik tiefgreifenden Wandels in Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmen, S. 65 – 76). 34 Nelson, The Economics of Honest Trade Practice, Journal of Industrial Economics 24(4) (1976), S. 281, 286; Van den Bergh/Lehmann, Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, S. 588, 592 f. 35 Zu den Selbstheilungskräften des Marktes: Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 27 ff. 36 Vgl. Nelson, Information and Consumer Behavior, Journal of Political Economy 78 (1970), S. 311 – 329; Hauser, Qualitätsinformationen und Marktstrukturen, KYKLOS 32 (1979), S. 739 – 763; Van den Bergh/Lehmann, Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, S. 588, 591; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 25 ff.; Tietzel, Probleme der asymmetrischen Informationsverteilung beim Güter- und Leistungstausch, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 52, 54 f., H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 542. 37 Nelson, Information and Consumer Behavior, Journal of Political Economy 78 (1970), S. 311, 312 f. 38 Nelson, Information and Consumer Behavior, Journal of Political Economy 78 (1970), S. 311, 313 ff.; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, Ökonomische Aspekte ihrer Beseitigung, S. 25; H.-B. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 542. 39 Hauser, Qualitätsinformationen und Marktstrukturen, KYKLOS 32 (1979), S. 739, 747 f.
A. Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens
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Die Zuordnung zu den Kategorien Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgüter ist zum Teil wandelbar, sie ist abhängig vom Prüfungsaufwand und den Umständen des Kaufs.40 bb) Erkenntnisse der Informationsökonomie Die Informationsökonomie fragt ausgehend von den Nachfragern, ob eine (zusätzliche) Informationsbeschaffung aus Sicht eines homo oeconomicus41 „lohnt“.42 Theoretisch findet eine Informationsbeschaffung deshalb solange statt, wie der Aufwand einer zusätzlichen Einheit an Information den daraus resultierenden Nutzen übersteigt.43 Deswegen können auch im Fall von Suchgütern Informationsasymmetrien und damit Regulierungsbedarf bestehen. cc) Erkenntnisse der Verhaltensökonomie Die Verhaltensökonomie fragt nach Grenzen der Nachfrager in der Informationsverarbeitung und Informationsbewertung.44 So sind nach Erkenntnissen der
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Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, Qualitätsinformationen und Marktstrukturen, S. 25 f. 41 Zum Bild des homo oeconomicus: Leschke, Homo Oeconomicus: Zum Modellbild der Ökonomik, in: Ökonomik als allgemeine Theorie menschlichen Verhaltens, S. 21 – 37; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 28 ff. Kritisch aus rechtswissenschaftlicher Sicht: Fezer, Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986, 817 ff, S. 822: „Die Ausrichtung der menschlichen Handelsordnung an optimaler Ressourcenallokation offenbart das Menschenbild eines schieren Nutzenmaximierers. REMM nennen die Theoretiker der ökonomischen Effizienz den Menschen ihrer vorgestellten Welt, der mich als Juristen schaudern macht. Den resourceful, evaluative, maximizing man in das Zentrum des Rechtsdenkens zu stellen, beschädigt die kardinale Aufgabe des Rechts, eine Ordnung ausgleichender Gerechtigkeit zu sein“; Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 44 ff.; Dürig, Die Menschenauffassung des Grundgesetzes, JR 1952, S. 259 – 263. Vgl. bereits: Spranger, Lebensformen, S. 148: „Der ökonomische Mensch im allgemeinsten Sinne ist also derjenige, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert voranstellt. Alles wird für ihn zum Mittel der Lebenserhaltung, des naturhaften Kampfes ums Dasein und der angenehmen Lebensgestaltung. Er verfährt sparsam mit dem Stoff, mit der Kraft, mit dem Raum, mit der Zeit, um ihnen ein Maximum nützlicher Wirkungen für sich abzugewinnen“. Spranger spricht vom „praktischen Menschen“ (S. 148). 42 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 194; Van den Bergh/ Lehmann, Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, S. 588, 589 f. 43 Van den Bergh/Lehmann, Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, S. 588, 590; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 194. 44 Vgl. Simon, A Behavioral Model of Rational Choice, Quarterly Journal of Economics 69 (1) (1955), S. 99 – 118; Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken. Vgl. die Übersicht des Forschungsstandes bei: Fleischer/Schmolke/Zimmer, Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 9, 14 ff.; Zimmer, Vom Informationsmodell
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Verhaltensökonomie die Fähigkeiten von Individuen, Wahrscheinlichkeiten und Risiken richtig einzuschätzen, begrenzt. Die Wahrscheinlichkeit der Realisierung eines (aufgrund einer Berichterstattung in den Medien) präsenten Risikos wird höher eingeschätzt als die Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken, die weniger präsent sind.45 Ein Schutz von Nachfragern vor gefährlichen Waren und Dienstleistungen über Information ist deswegen problematisch.46 dd) Folgen von Informationsasymmetrien Im Fall einer Intransparenz der Qualität von Waren und Dienstleistungen (vor allem im Fall von Erfahrungs- und Vertrauensgütern) sind Nachfrager nicht in der Lage, eine präferenzkonforme Wahlentscheidung zwischen den verschiedenen Angeboten zu treffen.47 Der Vertrag kann in diesem Fall seine ökonomische Funktion, die in einer Erhöhung des Nutzens beider Vertragsteile liegt48, nicht erfüllen, da sich die Nachfrager infolge von Informationsasymmetrien verkalkulieren und ihre mit dem Vertragsschluss verbundenen Ziele verfehlen49. Auch dann, wenn es den Nachfragern bei Marktintransparenz unter Aufwendung erheblicher Transaktionskosten gelingt, eine präferenzkonforme Wahl zu treffen, erschweren die aufzuwendenden Transaktionskosten (als „Betriebskosten“ eines Wirtschaftssystems“50) die für eine Marktwirtschaft grundlegenden Austauschprozesse zwischen Privatrechtssubjekten.51
zu Behavioral Finance: Brauchen wir „Ampeln“ oder Produktverbote für Finanzanlagen?, JZ 2014, S. 714, 715 – 717. 45 Fleischer/Schmolke/Zimmer, Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handelsund Wirtschaftsrecht, S. 9, 33. Vgl. auch: Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken, S. 85, 87. 46 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 47. Vgl. auch: H.-W. Sinn, How much Europe ?, Subsidiarity, Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85, 103 f. 47 Vgl. Grundmann, Privatautonomie im Binnenmarkt, JZ 2000, S. 1133, 1137; Behrens, Economic Law Between Harmonization and Competition: The Law & Economics Approach, in: Economic Law as an Economic Good, S. 45, 46 f. 48 Vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 423 ff. 49 Vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 423 f. 50 Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, II. S. 55 – unter Verweis auf Arrow; Arrow, The Organization of Economic Activity: Issues Pertinent to the Choice of Market versus Non-Market Allocation, in: The Analysis and Evaluation of Public Expenditures: The PBBSystem, A Compendium of Papers submitted to the Subcommitee on Economy in Government of the Joint Economic Committee, Congress of the United States, Band 1, S. 47, 48: „transaction costs are the costs of running the economic System“. 51 Vgl. Van den Bergh/Lehmann, Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, S. 588, 589 f.
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Ausgeprägte Informationsasymmetrien können auf die Struktur des Angebotes zurückwirken wie Akerlof52 und Arrow53 beschreiben. Akerlof beschreibt einen Markt für Gebrauchtwagen und nimmt an, dass die Anbieter die Qualität der von ihnen angebotenen Fahrzeuge erkennen können, jedoch aus Perspektive der Nachfrager vollständige Intransparenz im Hinblick auf die angebotenen Qualitäten besteht.54 Kraftfahrzeuge sind in diesem Modell Erfahrungsgüter, so dass eine Kenntnis der Qualität des jeweiligen Kraftfahrzeugs erst nach einer gewissen Zeit der Benutzung gewonnen werden kann.55 Die Nachfrager würden deshalb lediglich die Durchschnittsqualität der angebotenen Fahrzeuge kennen. Folge dieser Marktlage sei die Bildung eines einheitlichen Durchschnittspreises für alle Fahrzeuge – unabhängig von deren tatsächlicher Qualität im Einzelfall. Da Anbieter für Fahrzeuge besserer Qualität keinen höheren Preis als den Durchschnittspreis erlösen könnten, würden die Anbieter vor allem Fahrzeuge mit geringerer Qualität verkaufen. Die Nachfrager nähmen die Qualitätsverschlechterung auf dem Markt über ihre Erfahrungen mit erworbenen Kraftfahrzeugen wahr und seien deshalb nur noch zur Zahlung eines geringeren Preises bereit, der diese Qualitätsverschlechterung berücksichtige. Daraus folge wiederum ein Anreiz der Anbieter zum Angebot schlechterer Qualität. Folge sei eine qualitative Abwärtsspirale bzw. ein „race to the bottom“. Die Folgen von ausgeprägten Informationsasymmetrien auf Anbieterseite auf die Angebotsstruktur von Märkten, beschreibt Arrow am Beispiel eines Marktes für Lebens- und Krankenversicherungen.56 Da die Nachfrager nach derartigen Versicherungsdienstleistungen besser über ihren Gesundheitszustand informiert seien als die Anbieter, komme es insbesondere zu einer Nachfrage nach Versicherungsprodukten von Personen, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes mit einer Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen rechneten. Folge einer vermehrten Nachfrage nach derartigen Versicherungsleistungen seitens von Personen mit einem 52 Akerlof, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly Journal of Economics 84(3) (1970), S. 488 – 500; vgl. Winand/Sheldon, The Market for Used Cars: A New Test of the Lemons Model, Diskussionschriften, Universität Bern, 02 – 02, April 2002; Phlips, The economics of imperfect information, S. 70 ff.; H.-W. Sinn, Kommentar, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 80 – 90. 53 Arrow, Uncertainty and Medical Care, American Economic Review 53 (5) (1963), S. 941 – 973. Vgl. Tietzel, Probleme der asymetrischen Informationsverteilung beim Güter- und Leistungsaustausch, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 52, 53 f.; H.-W. Sinn, Kommentar, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 80, 84 f. 54 Akerlof, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly Journal of Economics 84(3) (1970), S. 488, 489. 55 Akerlof, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly Journal of Economics 84(3) (1970), S. 488, 489. 56 Arrow, Uncertainty and Medical Care, American Economic Review LIII(5) (1963), S. 941 – 973. Vgl. Tietzel, Probleme der asymetrischen Informationsverteilung beim Güter- und Leistungsaustausch, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 52, 53 f.; H.-W. Sinn, Kommentar, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 80, 84 f.
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
gesteigerten Gesundheitsrisiko sei eine Verschlechterung der Risikostruktur auf Seiten der Versicherer und steigende Versicherungsprämien. Der Markt für „gute Risiken“ sei damit zusammengebrochen.57 b) Einschränkung von negativen externen Effekten Eine weitere wichtige Ursache für ein Marktversagen sind negative externe Effekte (spillovers).58 Es handelt sich um negative Einflüsse auf Personen, die nicht miteinander in einer rechtlichen Beziehung (Vertragsbeziehung oder Haftungsbeziehung) stehen, so dass die Handlungen einzelner nicht mittels des Preissystems abgegolten werden.59 Ein Beispiel negativer externer Effekte sind Umweltverschmutzung durch einen Waren produzierenden Betrieb zu Lasten von Nachbarn und der Allgemeinheit.60 Die Kosten der Umweltverschmutzung sind in diesem Fall nicht in den Warenpreis einberechnet, da die Verschmutzungshandlung für das Unternehmen kostenlos ist. Es kommt deshalb zu einem Aktivitätsniveau, das – gemessen an einer gesamtgesellschaftlichen Kosten-Nutzenabwägung – zu hoch ist.61
57 Arrow, Uncertainty and Medical Care, American Economic Review LIII(5) (1963), S. 941, 961 f., 963 f., 967: „the failure of the market to insure against uncertainties […]“ 58 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 90 ff.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 424. 59 Vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 424; Möschel, Regulierung und Deregulierung, Versuch einer theoretischen Grundlegung, in: FS Immenga, S. 277, 281; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht Rn. 25, S. 281, 290; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 109 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 37 f. Guzmann und H.-B. Schäfer/Lantermann fassen unter den Begriff externe Effekte auch Auswirkungen im Verhältnis zwischen Vertragspartnern (Guzmann, Choice of Law: New Foundations, Georgetown Law Journal 90 (2002), S. 883, 894 f.; H.-B. Schäfer/Lantermann, Choice of Law from an Economic Perspective, in: An Economic analysis of Private International Law, S. 87, 94). 60 Vgl. Coase, The Problem of Social Cost, Journal of Law and Economics 3 (1960), S. 1, 1 f.; Siehr, Ökonomische Analyse des Internationalen Privatrechts, in: FS Firsching, S. 269, 275 f.; Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 92 – 98; Sturm/Vogt, Umweltökonomik, Eine anwendungsorientierte Einführung, S. 16 f.; Admati/Hellwig, Des Bankers neue Kleider, S. 136 f.; EuGH, Urteil vom 30. 11. 1976, Rs. 21/76, Handelskwerij G. J. Bier B.V./Mindes de Potasse D’Alsace S. A., Slg. 1976, 1735. Zu positiven externen Effekten: Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 305 f. Rn. 65; Levitt/Dubner, Superfreakonomics, S. 250 – 253. 61 Möschel, Regulierung und Deregulierung,Versuch einer theoretischen Grundlegung, FS Immenga, S. 277, 281. Notwendig wäre die Berücksichtigung solcher ökologischen und gesellschaftlichen Kosten im Rahmen der Berechnung des BIP (Delhey, Vom BIP zu Glück, Wohlbefinden als neues gesellschaftspolitisches Ziel?, in: Wohlstand, Wachstum, Gutes Leben, S. 147, 148).
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Externe Effekte sind abzugrenzen von pekuniären Effekten.62 Es handelt sich um Effekte, die der Wettbewerbsprozess zwangsläufig mit sich bringt, weshalb pekuniäre Effekte nicht regulierungsbedürftig sind, sondern zwangsläufiger Ausdruck von marktlichem Wettbewerb sind.63 H.-B. Schäfer/Ott nennen als Beispiel für pekuniäre Effekte den Fall eines Restaurantunternehmers, der sich entscheidet, seinen Fleischbedarf nicht länger von einem bestimmten Metzger, sondern fortan von einem Supermarkt zu beziehen.64 Folge sind Umsatzrückgänge beim Metzger als Form von pekuniären Effekten.65 c) Einbeziehung einer vergleichenden institutionellen Betrachtung Die normative Theorie der Regulierung bezieht heute eine vergleichende institutionelle Betrachtung im Sinne einer vergleichenden Betrachtung alternativer rechtlicher Gestaltungsinstrumente ein.66 Im Rahmen eines solchen Ansatzes wird die Situation einer fehlenden Regulierung mit der Situation eines Markteingriffs verglichen und es werden die Wirkungen unterschiedlicher Grade und Formen von Markteingriffen gegenüber gestellt. Bei Vernachlässigung einer vergleichenden Betrachtung besteht die Gefahr, von jeder auftretenden Schwierigkeit in einer Situation ohne Regulierung oder schwächerer Regulierung auf ein regulierungsbedürftiges Marktversagen zu schließen, mit der Folge eines sogenannten „nirvana approach“67, denn „[n]icht überall, wo der Markt zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, ist daher notwendigerweise staatliche Aktivität angebracht. Es bleibt der Nachweis zu erbringen, dass ein Handeln der öffentlichen Hand tatsächlich die besseren Resultate liefert“68.
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H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 424 – 426; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, III.3.2, S. 109. 63 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 424 – 426. Vgl. auch: Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, III.3.2, S. 109. 64 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 424. 65 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 424. 66 Vgl. Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 328 – 331 Rn. 133 ff, ; Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 3 Tz. 3; Voigt, Institutionenökonomik, S. 51. 67 Demsetz, Information and Efficiency: Another Viewpoint, Journal of Law and Economics 12 (1969), S. 1, 1. Vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 82. Unter Nirwana wird im Buddhismus das Heraustreten aus dem Geburtenkreislauf verstanden. Verbunden ist damit das Ende irdischen Leidens. Der Zustand kann bereits zu Lebzeiten erreicht werden (o. V., Stichwort „Nirwana“, in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 13, S. 486). 68 Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, Tz. 7, S. 12. Zu den Grenzen staatlicher Steuerung vgl. Kirchgässner, Homo oeconomicus, Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, S. 169 ff.
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Die Umsetzung einer vergleichenden institutionellen Betrachtung, stößt in der Realität jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten. Voraussetzung für eine vergleichende institutionelle Betrachtung ist eine komplexe Analyse und Bewertung der Folgen alternativer Gestaltungen.69 Prognosen sind dabei unumgänglich, womit die tatsächlichen Grenzen einer vergleichenden institutionellen Betrachtung angedeutet sind. Wenn diese Schwierigkeiten berücksichtigt werden, zeigt sich, dass die normative Theorie der Regulierung keineswegs klare rechtspolitische Handlungsempfehlungen gibt.70 Zudem stellt sich immer die Frage, inwieweit soziale Gesichtspunkte im Rahmen der Rechtsgestaltung Berücksichtigung finden müssen.71 2. Besonderheitenlehre als Begründung von Regulierung Die sogenannte Besonderheitenlehre begründet einen Regulierungsbedarf, indem Regulierung mit Besonderheiten des jeweiligen Wirtschaftsbereichs gerechtfertigt wird.72 Sie steht in Verbindung mit den weiten Rechtfertigungsmöglichkeiten von Regulierung aus Perspektive der Rechtswissenschaft.73 Anwendung fand die Besonderheitenlehre in der Vergangenheit auf den Verkehrsbereich74 und auf das Versicherungswesen75. Als Besonderheiten des Verkehrssektors gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen wurde angesehen, dass Verkehrsleistungen nicht auf Vorrat produziert werden können, dass beim Angebot von Verkehrsleistungen ein hoher Fixkostenanteil eine Rolle spielt und dass sich Angebots- und Nachfragestruktur grundsätzlich von anderen Märkten unterscheiden.76
69 Vgl. Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 328 ff. Rn. 133 ff.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 7 – 9 (Folgenabschätzung durch Richter). Zur Kosten-Nutzen-Analyse im Öffentlichen Recht: Fehling, Kosten-Nutzen-Analysen als Maßstab für Verwaltungsentscheidungen, Verwaltungs-Archiv 95(4) (2004), S. 443 – 470. 70 Brettschneider, Zur rechtspolitischen Orientierungskraft der normativen Theorie der Regulierung, bislang unveröffentlichter Aufsatz. 71 Brettschneider, Zur rechtspolitischen Orientierungskraft der normativen Theorie der Regulierung, bislang unveröffentlichter Aufsatz. 72 Vgl. Aufderheide, Wirtschaftsverfassung und Besonderheitenlehre, in: Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft, S. 191, 197. 73 Aufderheide, Wirtschaftsverfassung und Besonderheitenlehre, in: Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft, S. 191, 195. 74 Zur Besonderheitenlehre des Verkehrs: Fritz Voigt, Verkehr, Erster Band, Erste Hälfte, Die Theorie der Verkehrswirtschaft, S. 20 ff. 75 Vgl. Büchner, Wettbewerb als Aufgabe, VW 1974, S. 1389, 1390 ff.; Farny, Die Versicherungswirtschaft im Wettbewerbskonzept der Marktwirtschaft, ZVersWiss 1979, S. 31 – 74, 39 Fn. 27 mwN. 76 Fritz Voigt, Verkehr, Erster Band, Erste Hälfte, Die Theorie der Verkehrswirtschaft, S. 20 ff.
A. Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens
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Auch Versicherungsunternehmen wurde der Charakter als marktwirtschaftliche Akteure abgesprochen.77 Gerechtfertigt wurde dieser Standpunkt mit der Unsicherheit über künftige Schadensereignisse oder der mangelnden Fähigkeit von Verbrauchern, die Versicherungsdienstleistungen hinreichend zu beurteilen.78 3. Regulierungsnotwendigkeiten aus Sicht der deutschen Rechtswissenschaft a) Fehlende Beachtung der ökonomischen Theorie der Regulierung Die normative Theorie der Regulierung als auch die zu erörternde positive Theorie der Regulierung79 sind ausschließlich ökonomische Theorien.80 Die ökonomische Theorie der Regulierung finden in der allgemeinen staats- und verwaltungsrechtlichen Literatur in Deutschland81 – anders als in der US-amerikanischen Literatur82 – keine Beachtung.83 Die Darstellung des Allgemeinen Verwaltungsrechts beschränkt sich grundsätzlich auf die Darstellung der Rechtsquellen, 77 Vgl. Farny, Die Versicherungswirtschaft im Wettbewerbskonzept der Marktwirtschaft, ZVersWiss 1979, S. 31 – 74, 38 f.; Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 10 Tz. 9. 78 Büchner, Wettbewerb als Aufgabe, VW 1974, S. 1389, 1392. Vgl. Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 10 Tz. 9. 79 Vgl. Teil 1 § 2 B. II. 80 Vgl. Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281 – 331. 81 Vgl. Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht; Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht; Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre; Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht; Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Vgl. aber die Thematisierung der ökonomischen Theorie der Regulierung bei: Basedow, Wirtschaftsregulierung zwischen Beschränkung und Förderung des Wettbewerbs, FS Immenga, S. 3 – 19; Möschel, Regulierung und Deregulierung, Versuch einer theoretischen Grundlegung, FS Immenga, S. 277 – 290; Eifert, Regulierungsstrategien, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1 § 19 Rn. 15 ff. (Rechtfertigung der Regulierung). Zu dem Verständnis von Regulierung in den USA: Ruffert, Begriff, in: Regulierungsrecht, S. 339 – 341 Rn. 10 ff. 82 Vgl. Masing, Die US-amerikanische Tradition der Regulated Industries und die Herausbildung eines europäischen Regulierungsverwaltungsrechts, Constructed Markets on Networks vor verschiedenen Rechtstraditionen, AöR 128 (2003), S. 558, 561 ff. „Die amerikanische Diskussion kennt die Frage nach dem Verhältnis von freiem Markt und staatlicher Regulierung seit jeher und ist in einer Grundsätzlichkeit, die dem deutschen Juristen fremd ist. Aufgrund von langen historischen Auseinandersetzungen und immer wieder neu auflebenden Grundsatzdiskussionen beginnen praktisch alle amerikanischen Lehrbücher zum Verwaltungsrecht mit der Frage nach der theoretischen Rechtfertigung von Regulierung überhaupt“ (S. 561). 83 Im Bereich des Privatrechts scheint die Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse hingegen weiterer verbreitet zu sein zu sein: Kötz, Der Schutzzweck der AGBKontrolle – Eine rechtsökonomische Skizze, JuS 2003, S. 209, 212 ff.; Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vor § 305 Rn. 4 – 6.
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Rechtsnormen, gerichtlichen Rechtsschutz, Fehlerfolgen bei Verstößen gegen höherrangiges Recht usw. Dies ist insoweit bemerkenswert, als dass insbesondere das Verwaltungsrecht gerade die Anwendung von Regulierungen zum Gegenstand hat. b) Ansätze zur Rechtfertigung von Regulierung aus Perspektive der deutschen Rechtswissenschaft Aus verfassungsrechtlicher Perspektive kann eine Regulierung aufgrund von verfassungsrechtlichen Grundwerten geboten sein.84 Im Privatrecht ist eine Abwägung der Interessen von Parteien in der Lage, Anhaltspunkte zur Konkretisierung verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen zu geben.85 Im Rahmen der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften wegen einer „krassen finanziellen Überforderung“ des Bürgen, erfolgt eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Bürgschaftsgläubigers und dem Bürgen.86 Im Fall der Überprüfung von AGB werden die Interessen des Verwenders mit denen seines Kunden (vgl. §§ 305 ff. BGB) abgewogen.87 Im Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierungen88 steht ein Interessenausgleich im Verhältnis zwischen zwei Privatrechtssubjekten hingegen nicht im Vordergrund,89 denn öffentlich-rechtliche Regulierungen sollen vor allem der Verwirklichung von (meist konkretisierungsbedürftigen) Gemeinwohlbelangen dienen.90
84 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 2 Rn. 1 ff., S. 41 ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 218 ff. 85 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. 10. 1993, Az. 1 BvR 567, 1044/89, BVerfGE 89, 214, 232: „Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß die für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden“; BVerfG, Beschluss vom 7. 2. 1990, Az. 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242, 256; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 55b. 86 BVerfG, Beschluss vom 19. 10. 1993, Az. 1 BvR 567/89 u. a., BVerfGE 89, 214, 232; BGH, Urteil vom 14. 11. 2000, Az. XI ZR 248/99, NJW 2001, 815 – 818; Ellenberger, in: Palandt, BGB, § 138 Rn. 37 ff. 87 Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vor § 305 Rn. 4 – 6; Grüneberg, in: Palandt, BGB, Überl v 305 Rn. 8 f. 88 Zur Unterscheidung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 42 ff. Rn. 8 ff. In den USA spielt die Unterschiedung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht hingegen keine Rolle (Grimm, Das Öffentliche Recht vor der Frage nach seiner Identität, S. 4). 89 Hoffmann-Riem, Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen – Systematisierung und Entwicklungsperspektiven, in: Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 261, 269. Vgl. aber: Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, Das subjektive öffentliche Recht im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis. 90 Hoffmann-Riem, Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen – Systematisierung und Entwicklungsperspektiven, in: Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 261, 269.
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Verfassungsrecht ist dann in der Lage, einen Maßstab für eine öffentlich-rechtliche Regulierung zu liefern, wenn es Regulierungsaufträge (wie im Fall von Schutzpflichten vor gesundheitsgefährdenden Waren oder Dienstleistungen) enthält.91 Über den Bereich einer verfassungsrechtlich gebotenen Regulierung hinaus ist der Gesetzgeber frei, ein weites Feld politischer Ziele mittels Regulierung zu verfolgen. Der Gesetzgeber kann z. B. Ziele wie Mittelstandsschutz92, der Gewährung von Daseinsvorsorge93 oder Ziele des Verbraucherschutzes verfolgen. Sofern der Gesetzgeber das Ziel des Verbraucherschutzes bzw. den Abbau von Informationsasymmetrien verfolgt, ist wichtiger Maßstab das vom Gesetzgeber zugrundegelegte Verbraucherleitbild.94 Je stärker Defizite von Verbrauchern betont werden,95 desto größer erscheint der Bedarf an Regulierung und umgekehrt ergeben sich Regulierungsnotwendigkeiten in einem wesentlich geringerem Umfang, wenn der Verbraucher als grundsätzlich fähig angesehen wird, auf dem Markt angemessene Entscheidungen zu treffen. Im Fall eines mündigen Verbrauchers sind insbesondere Informationspflichten ein mögliches Regulierungsinstrument.96 91
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. 11. 1988, Az. 1 BvR 1301/84, BVerfGE 79, 174, 201 f.; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 193, Art. 2 Abs. 1 Rn. 165; Pünder, Zertifizierung und Akkreditierung – private Qualitätskontrolle unter staatlicher Gewährleistungsverantwortung, ZHR 170 (2006), S. 567, 593 f.; Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 405. 92 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. 1. 1968, Az. 1 BvR 709/66, BVerfGE 23, 50, 60: „Die Erwägung, wirtschaftlich stärkere Unternehmen in ihrer Tätigkeit zu begrenzen, um im Interesse des Mittelstandsschutzes die wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Betriebe zu erhalten, kann nicht beanstandet werden. Der Gesetzgeber kann durch Lenkungsmaßnahmen das freie Spiel der Kräfte korrigieren, um so die von ihm erstrebte Wirtschafts- und Sozialordnung zu erreichen […]“; BVerfG, Beschluss vom 25. 2. 1976, Az. 1 BvL 26/73 u. a., BVerfGE 41, 360, 372, 371 – 374; BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89 u. a., EuGRZ 1993, 85, 91; Zumschlinge, Das Verbot der Werbung mit Preisgegenüberstellungen (§ 6e UWG) in rechtsvergleichender und europarechtlicher Sicht, S. 6. Manssen lehnt eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Regulierungen aus Gründen des Mittelstandsschutzes ab (Manssen, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 129). 93 Vgl. Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger; Auszug in: Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung S. 22 ff.; Brehme, Privatisierung und Regulierung der öffentlichen Wasserversorgung, S. 134 ff.; Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, S. 222 ff.; Depeneuer, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 361 Rn. 429. 94 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003, S. 19; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 414 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 UWG vor Rn. 21: „Schutzhöhe (Verbraucherleitbild)“ [Überschrift]. Zum Anlegerleitbild als spezielle Form des Verbraucherleitbildes vgl. Buck-Heeb, Verhaltenspflichten beim Vertrieb – Zwischen Paternalismus und Schutzlosigkeit der Anleger –, ZHR 177 (2013), S. 310, 333 ff. 95 Vgl. BGH, Urteil vom 29. 4. 1982, Az. I ZR 111/80, GRUR 1982, 564, 566; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 Rn. 29 mwN; Krimphove, Europäisches Werberecht, S. 20. 96 Vgl. Buck-Heeb, Verhaltenspflichten beim Vertrieb – Zwischen Paternalismus und Schutzlosigkeit der Anleger –, ZHR 177 (2013), S. 310, 326 f. Kritisch: Kuhlmann, Verbrau-
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Eine inhaltliche Überprüfung von Regulierungsnotwendigkeiten am Maßstab der normativen Theorie der Regulierung findet auf Seiten der Rechtswissenschaft oft nicht statt.97 Eine verfassungsrechtliche Kontrolle des Gesetzgebers ist aufgrund der ihm zugestandenen Einschätzungsprärogative98, insbesondere in Bezug auf Regulierungen mit einem wirtschaftspolitischen Hintergrund99 (die im Folgenden ganz im Zentrum der Betrachtung stehen), deutlich begrenzt. Der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers ist nur dann überschritten, „wenn seine Erwägungen so offensichtlich fehlsam sind, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben können“.100 Aus rechtswissenschaftlicher Sicht bestehen deshalb kaum Kriterien dafür, wann Regulierung konkret gerechtfertigt ist101 Die Rechtfertigungsmöglichkeiten staatlicher Regulierung erscheinen aus dieser Perspektive denkbar weit: „Da sich der Staat prinzipiell aller Aufgaben annehmen kann und bei ihrer Wahrnehmung nur an die konkreten, insbesondere durch die Grundrechte und das Verhältnismäßigkeits-
cherpolitik, Grundzüge ihrer Theorie und Praxis, S. 85; Leistner, Der Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht des unlauteren Wettbewerbs, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 122, 162 f.; Wunderle, Verbraucherschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht, Theoretische Grundlagen, gegenwärtiger Stand sowie Perspektiven der Rechtsentwicklung, S. 326. 97 Anders: Kötz, Der Schutzzweck der AGB-Kontrolle – Eine rechtsökonomische Skizze, JuS 2003, S. 209 – 214; Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vor § 305 Rn. 4 – 6. 98 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. 10. 1977, Az. 1 BvR 15/75, BVerfG, Beschluss vom 25. 10. 1977, Az., 1 BvR 173/75, BVerfGE 46, 246, 257; BVerfG, Urteil vom 26. 05. 1981, Az. 1 BvL 56/78, BVerfGE 57, 139, 160; BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89 u. a., BVerfGE 87, 363, 383; Kämmerer, in: Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rn. 63; Leibholz, Verfassungsrechtliche Stellung und innere Ordnung der Parteien, Ausführung und Anwendung der Art. 21 und 38 Abs. 1 Satz 2, Verhandlungen des Achtunddreißigsten Deutschen Juristentags 1950, S. C 2, C 15 f.: „Als Verfassungsjuristen haben wir – so scheint es mir – eine doppelte Aufgabe. Einmal sind wir als Juristen an das Gesetz und die Verfassung gebunden. Wir sind daher nicht legitimiert, den Gesetzgeber zu spielen und das Grundgesetz irgendwie zu rektifizieren. […] Auf der anderen Seite muß aber der Verfassungsjurist zugleich auch Politiker sein, d. h. er muß etwas vom ,Politischen‘ verstehen“. 99 Kämmerer, in: Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rn. 63. 100 BVerfG, Beschluss vom 16. 03. 1971, Az. 1 BvR 52/66, BVerfGE 30, 292, 317. Vgl. Kämmerer, in: Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rn. 63 Fn. 527 mwN. 101 Vgl. die Kritik bei: Germelmann, Grenzen der einvernehmlichen Beendigung von Arbeitsverhältnissen, NZA 1997, S. 236, 237. Zur Notwendigkeit einer wirklichkeitswissenschaftlichen Betrachtung auch im Rahmen der Rechtswissenschaft: Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 124 – 126. Zur Notwendigkeit einer interdisziplinären Öffnung der Rechtswissenschaft: Jestaedt, Wissenschaft im Recht, Rechtsdogmatik im Wissenschaftsvergleich, JZ 2014, S. 1, 2 ff.
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prinzip differenziert ausfallenden verfassungsrechtlichen Grenzen gebunden ist, kann jeder politisch definierte Zweck eine Regulierung begründen“.102
Das lauterkeitsrechtliche Schutzniveau ist nach H. Köhler eine Wertungsfrage, die von den „jeweils herrschenden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Anschauungen ab[hängt]“.103 Bei Zugrundelegung rechtswissenschaftlicher Kriterien zur Rechtfertigung von Regulierung ergeben sich deshalb Gefahren einer Überregulierung, worauf auch aus rechtswissenschaftlicher Sicht hingewiesen wird.104 Tatsächlich befürworten Juristen tendenziell Regulierung in viel weiterem Umfang als Ökonomen.105 Aufgrund des hohen Anteils von Juristen unter deutschen 102 Eifert, Regulierungsstrategien, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1 § 19 Rn. 16. Vgl. auch: Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 335 f. Fehling möchte im Öffentlichen Recht ökonomische Kriterien dafür nutzen, um Gerechtigkeitsfragen herauszuarbeiten und Abwägungsvorgänge nachvollziehbarer werden zu lassen (Fehling, Ökonomische Analyse im öffentlichen Recht als Methode zur Reformulierung und Operationalisierung von Gerechtigkeitsfragen, in: Begegnungen im Recht, S. 39 – 67). 103 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 UWG Rn. 21. 104 Vgl. Hillgruber, Abschied von der Privatautonomie?, ZRP 1995, S. 6 – 9; Tettinger, Verfassungsrecht und Wirtschaftsordnung – Gedanken zur Freiheitsentfaltung am Wirtschaftsstandort Deutschland –, DVBl. 1999, S. 679, 684; Kötz, Der Schutzzweck der AGBKontrolle – Eine rechtsökonomische Skizze, JuS 2003, S. 209, 210 f.; Kasten, Die Neuregelung der Explorations- und Informationspflichten von Wertpapierdienstleistern im Wertpapierhandelsgesetz, Zugleich ökonomische Analyse von Anlegerverhalten und Informationsvermittlung, S. 119; Germelmann, Grenzen der einvernehmlichen Beendigung von Arbeitsverhältnissen, NZA 1997, S. 236, 237: „Die Vertragsfreiheit des einzelnen kann beeinträchtigt sein, wenn dieser nicht mehr selbst über Vertragsabschluss und Vertragsinhalt entscheiden kann. Die Rechtsordnung muß sicherstellen, daß auch der einzelne in der Gestaltung seiner vertraglichen Beziehungen ein Selbstbestimmungsrecht hat, daß die ihm gewährleistete Privatautonomie gegeben ist. Die Privatautonomie und damit auch die Vertragsfreiheit müssen nicht nur vom Staat beachtet, sondern von ihm auch geschützt werden“; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 55c mwN. 105 Wallerath, Der ökonomisierte Staat. Zum Wettstreit zwischen juridisch-politischem und ökonomischen Paradigma, JZ 2001, S. 209, 213. Vgl. aber: Herzog, Europa neu erfinden, S. 87. Die unterschiedlichen Ansichten von Ökonomen und Juristen in Bezug auf Regulierung haben Konsequenzen im Hinblick auf die Bewertung von Systemwettbewerb. Nach Auffassung der Ökonomen Wagener/Eger wird infolge von Systemwettbewerb die Überregulierung auf mitgliedstaatlichen Märkten abgebaut (Wagener/Eger, Europäische Integration, Wirtschaft und Recht, Geschichte und Politik, S. 265). Hingegen erscheint die Infragestellung nationaler Regulierungen aus rechtswissenschaftlicher Perspektive grundsätzlich unannehmbar (L. Michael, Wettbewerb von Rechtsordnungen, DVBl. 2009, S. 1062, 1071). Die unter Ökonomen verbreitete Zurückhaltung gegenüber staatliche Regulierung ist im Zuge der Finanzmarktkrise auf erhebliche Kritik gestoßen: „Diejenigen, die sich für die Regeln einsetzten, die zu der Katastrophe führten, waren durch ihren Glauben an freie Märkte so verblendet, dass sie die Probleme, die durch dieses blinde Vertrauen entstanden, nicht erkannten. Die Wirtschaftswissenschaft war – mehr als es die Volkswirte selbst wahrhaben wollten – von einer wissenschaftlichen Disziplin zum größten Cheerleader der freien Marktwirtschaft geworden. Wenn die Vereinigten Staaten ihre Wirtschaft erfolgreich reformieren wollen, müssen sie mögli-
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Spitzenpolitikern106 ist der Einfluss eines rechtswissenschaftlich geprägten Vorverständnisses von Regulierung in der Praxis hoch. Bei aller Kritik an der Geeignetheit des rechtswissenschaftlichen Ansatzes zur Kontrolle von Regulierung ist jedoch zu bedenken, dass auch die praktische Aussagekraft der normativen Theorie der Regulierung begrenzt ist, da sie von extremen Annahmen107 ausgeht und praktisch kaum in der Lage ist, politischen Akteuren, also Personen, die ein Mandat oder ein politisches Amt erworben haben bzw. sich um ein solches bemühen,108 konkrete wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen zu geben.109 Zudem werden von Seiten der ökonomischen Theorie Fragen der Verteilungsgerechtigkeit oft nicht berücksichtigt,110 obwohl dazu Anlass bestünde111. Auf der anderen Seite wäre es jedoch wünschenswert, wenn politische Akteure in der Zukunft kritisch fragen, inwieweit Regulierung von Waren und Dienstleistungen unter Zugrundelegung der normativen Theorie der Regulierung gerechtfertigt ist und die normative Theorie als einen Gesichtspunkt im Rahmen rechtspolitischer Überlegungen betrachten.
cherweise mit einer Reform der Wirtschaftswissenschaften beginnen“ (Stiglitz, Im freien Fall, Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft, S. 303). 106 Es sind ca. 30 Prozent der Spitzenpolitiker in Deutschland Juristen (Gruber, Der Weg nach ganz oben: Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker, S. 244). 107 Vgl. Tietzel, Probleme der asymmetrischen Informationsverteilung beim Güter- und Leistungstausch, in: Allokationseffiziemnz in der Rechtsordnung, S. 52, 52; Fritsch/Wein/ Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 27 – 29. 108 Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 104. M. Weber bezeichnet den Berufspolitiker als „eine[n] Mann, der mindestens ideell, in der Masse der Fälle aber materiell, den politischen Betrieb innerhalb einer Partei zum Gegenstand seiner Existenz macht“ (M. Weber, Parlament und Regierung S. 107). 109 Vgl. zur Kritik an der ökonomischen Modellbildung: Mayer, Die Ökonomen im Elfenbeinturm; Heuser, Einstützende Altbauten, Die Krise hat die Ökonomen kalt erwischt. Neue Modelle sind gefragt. Kein Problem, sagt die Wissenschaft, Zeit Online, 19. 04. 2012. (www. zeit.de/2012/17/Oekonomenstreit). 110 Fehling, Ökonomische Analyse im öffentlichen Recht als Methode zur Reformulierung und Operationalisierung von Gerechtigkeitsfragen, in: Begegnungen im Recht, S. 39, 42. 111 Vgl. Piketty, Capital in the Twenty-First Century; Stiglitz, The Price of Inequality; Adam, Die politische Ökonomie wachsender Ungleichverteilung der Einkommen, Wirtschaftsdienst 2014, S. 104 – 111; Orrell, in: Sedlácˇek/Orrell, Bescheidenheit, S. 27 f. Von liberaler Seite wird hingegen die Berechtigung von Umverteilungsmaßnahmen abgelehnt (vgl. Zimmer, Weniger Politik!, Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht, S. 104).
B. Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen
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B. Theoretische Ansätze zur Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen I. Evolutorische Entstehung bzw. Entwicklung von Recht Die Vorteile einer evolutorischen Rechtsentwicklung sind Hauptargumente der für die folgende Betrachtung grundlegenden evolutorischen Systemwettbewerbstheorie, weswegen im Folgenden eine nähere Betrachtung einer Evolution in der Rechtsentwicklung (außerhalb einer möglichen evolutorischen Rechtsentwicklung infolge von Systemwettbewerb) erfolgt. Es ist bemerkenswert, dass die evolutorische Systemwettbewerbstheorie ausschließlich die evolutorische Wettbewerbstheorie112 auf den Systemwettbewerb überträgt;113 eine Bezugnahme auf von Savigny oder C. Menger, die eine evolutorische Rechtsentwicklung lange vor Entwicklung der evolutorischen Wettbewerbstheorie und evolutorischen Systemwettbewerbstheorie thematisierten, erfolgt hingegen nicht. Im Rahmen der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie spielt der Erklärungsansatz von von Savigny und C. Menger jedoch indirekt eine Rolle, als dass er die evolutorische Wettbewerbstheorie beeinflusste.114 Zudem waren prominente Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie wie Streit und Vanberg115 Nachfolger auf von Hayeks Freiburger Lehrstuhl. Gerade aus rechtswissenschaftlicher Perspektive erscheint eine Betrachtung der evolutorischen Beschreibung der Rechtsentwicklung durch von Savigny naheliegend, um einen Zugang zum Evolutionsgedanken in der Rechtsentwicklung herzustellen, da der Erklärungsansatz von Savignys aus rechtswissenschaftlicher Sicht wesentlich näher liegt als die in hohem Maße erklärungsbedürftige Analogie zur evolutorischen Wettbewerbstheorie. 1. Beschreibung einer evolutorischen Rechtsentwicklung durch von Savigny und C. Menger Die Bedeutung des staatlichen Ordnungsrahmens für eine Privatrechtsgesellschaft wurde eingangs ansatzweise angesprochen.
112 Vgl. Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29 – 78. 113 Zum Ansatz der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie: Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 222 ff. 114 Geue thematisiert aufbauend auf den ökonomischen Theorieansätzen zur Evolution von Institutionen und unter anderem dem Ansatz von C. Menger (Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 171 ff.) die „Evolution von Währungsverfassungen“ (Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 258 ff.). 115 Vanberg, Markt und Staat in einer globalisierten Welt: Die ordnungsökonomische Perspektive, ORDO 59 (2008), S. 3, 3.
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Auch eine vorstaatliche Gesellschaft kam ohne einen Bestand an Regeln116 zur Koordinierung von sozialen Beziehungen nicht aus. Die Entstehung eines derartigen Ordnungsrahmens war aber nicht nur Ergebnis einer planmäßigen und willkürlichen Rechtsgestaltung von Menschenhand.117 Nach von Savigny ist Recht vielmehr „aus dem innersten Wesen der Nation selbst und ihrer Geschichte hervorgegangen“118 und von einer gemeinsamen Überzeugung des Volkes getragen119. von Savigny vergleicht zudem die Rechtsentwicklung mit der Entwicklung von Lebewesen.120 Diese Erkenntnis formuliert von Savigny vor allem aufgrund seiner Beobachtungen der Entwicklung des Römischen Rechts.121 Hintergrund ist, dass sich das Römische Recht über lange Jahre auf Grundlage fortdauernder Übung entwickelte.122 In dieser Art der Entstehung von Recht sah von Savigny den „Normalfall“ der Rechtsentwicklung.123 Beeinflusst von der historischen Rechtsschule beschreibt C. Menger124 die Entstehung des Rechts und anderer „Socialerscheinungen“125 als organischen bzw.
116 Regeln menschlichen Zusammenlebens in der Frühzeit sind zwar nicht mit dem heutigen Recht vergleichbar und entsprechen nicht dem heutigen Rechtsbegriffs, jedoch können sie im damaligen Zusammenhang schon als eine Form des Rechts betrachtet werden (C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der Politischen Ökonomie, S. 171 ff., Anhang VIII. S. 276: „Das Recht in seiner ursprünglichsten Form entsteht und lebt nur im Geiste der Bevölkerung, aber auch seine Verwirklichung ist ausschließlich Sache dieser letzteren […]“; Wesel, Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften, S. 68; Wesel, Geschichte des Rechts, Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht, S. 46 Rn. 34: „Recht verändert seinen Charakter im Lauf der Zeit“; Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz, S. 8;). Zum Gewohnheitsrecht: Benson, The Enterprise of Law, S. 11 ff. 117 von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Thibaut und Savigny, S. 95, 101 ff. 118 von Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1 (1815), S. 1 – 12 (abgedruckt in: Thibaut und Savigny, S. 261, 264). Vgl. auch: Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Thibaut und Savigny, S. 95, 102. Vgl. Rückert, Die Historische Rechtsschule nach 200 Jahren – Mythos, Legende, Botschaft, in: Rückert, Savigny-Studien, S. 77, 85 f. 119 von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Thibaut und Savigny, S. 95, 102. 120 von Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher, in: Thibaut und Savigny, Ihre programmatischen Schriften, S. 231, 232: „Auch der menschliche Leib ist nicht unveränderlich, sondern wächst und entwickelt sich unaufhörlich; und so betrachte ich das Recht jedes Volkes, wie ein Glied an dem Leibe desselben, nur nicht wie ein Kleid, das willkürlich gemacht worden ist, und eben so willkührlich abgelegt und gegen ein anderes vertauscht werden kann“. 121 Strauch, Recht, Gesetz und Staat bei Friedrich Carl von Savigny, S. 128 f. 122 Vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, Rn. 1 f., S. 22 f. 123 Strauch, Recht, Gesetz und Staat bei Friedrich Carl von Savigny, S. 129. 124 Yagi, Austrian and German Economic Thought, From subjectivism to social evolution, S. 79: „Menger applied Savigny’s position to economics“. Zu C. Menger: Hashmimoto, Carl Menger and the Later Austrian School of Economics: An Analysis of their Methodiological Relationship, in: Austrian economics in transition: from Carl Menger to Friedrich Hayek,
B. Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen
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evolutorischen Prozess.126 C. Menger formuliert, dass Recht nicht das Ergebnis der planenden Bemühungen eines einzelnen oder des Gesetzgebers sei;127 er erklärt die Entstehung des Rechts vielmehr als Ergebnis der Verfolgung individueller Interessen:128 „Die Bedeutung jener Regeln für die eigene Wohlfahrt ist in den Anfängen der Gesellschaft Jedem unmittelbar bewusst; jeder Einzelne erkennt durch die Beachtung derselben Seitens der Gesellschaftsmitglieder sich in seinen Interessen gefördert, durch ihre Verletzung in seinen Interessen bedroht“.129
Es bestand seitens der einzelnen Privatrechtssubjekte nach dem Erklärungsansatz von C. Menger eine Art Nachfrage nach Institutionen bzw. Recht und es herrschte ein individuelles Interesse an deren Durchsetzung. Nach C. Menger ist es letztlich eine „unsichtbare Hand“130, das Eigeninteresse der Bürger, das die Rechtsentwicklung treibt.131 Die Erklärung der Rechtsentwicklung durch C. Mengers kann in Anspielung auf Jhering, der im Rahmen seines bekannten Vortrags „Der Kampf um’s Recht“ die Bedeutung des Einsatzes des Einzelnen für die Verwirklichung des Rechts hervorhob, als ein andauernder „Kampf um’s Recht“132 verstanden werden.
S. 18 ff.; C. Menger ist zu unterscheiden von seinem Bruder Anton Menger, der Jurist war (zu letzterem: Kästner, Anton Menger (1941 – 1906), Leben und Werk). 125 C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 153. 126 Vgl. C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 139 ff., S. 271 ff. (Anhang VIII); Yagi, Austrian and German Economic Thought, From subjectivism to social evolution, S. 78 ff.; Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 176 ff. 127 C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 273 ff. (Anhang VIII); von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, Regeln und Ordnung, S. 24, 69. 128 Vgl. C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 180 f. 129 C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 275 (Anhang VIII). Die Rechtsgarantie steht nach M. Weber „in weitestem Umfang direkt in Dienst ökonomischer Interessen. Und soweit dies scheinbar oder wirklich nicht direkt der Fall ist, gehören ökonomische Interessen zu den allermächtigsten Beeinflussungsfaktoren der Rechtsbildung, da jede eine Rechtsordnung garantierende Gewalt irgendwie vom Einverständnishandeln der zugehörigen sozialen Gruppen in ihrer Existenz getragen wird und diese soziale Gruppenbildung in hohem Maße durch Konstellationen materieller Interessen mit bedingt ist“ (Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 196). 130 Vgl. Smith, Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, S. 371. 131 Vgl. auch: Benson, The Enterprise of Law, S. 15; Nozick, Anarchie, Staat, Utopia, S. 31 ff.; Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts. 132 von Jhering, Der Kampf um’s Recht, S. 1.
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Nachdem die Entstehung des Rechts zunächst das Ergebnis der Verfolgung individueller Interessen war, erfolgte später eine Verselbstständigung des Rechts.133 Das Recht diente nicht länger ausschließlich den individuellen Interessen, sondern auch Gemeinschaftsinteressen, die nicht zwangsläufig kongruent waren mit den konkreten Interessen aller in der Gemeinschaft vereinigten Privatrechtssubjekten. Das Recht entwickelte sich damit „allmählich zu einem Objectiven, zu einem über der Menschenweisheit und über dem Menscheninteresse stehenden Göttlichen“.134 Ab diesem Zeitpunkt stellt sich die Frage des Verhältnisses der Interessen der einzelnen Privatrechtssubjekte zum Staat bzw. zum staatlichen Ordnungsrahmen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Spannung zwischen Einzelinteressen und Kollektiventscheidungen.135 von Savigny und C. Menger beschreiben eine endogene Evolution des Rechts innerhalb eines Rechtssystems, ohne dass sie äußere Einflüsse bzw. exogene Anstöße auf diese Evolution thematisieren. Eine evolutorische Entwicklung von Recht wird erleichtert, wenn Recht ungeschrieben ist und nicht in Gesetze gefasst ist.136 Ungeschriebenes Recht bzw. Richterrecht137 ist flexibler veränderbar als Gesetzesrecht, denn Änderungen sind nicht an entsprechende Mehrheiten138 geknüpft. In der Tat zeigt die Rechtswirklichkeit, dass die suboptimale Ausgestaltung einer geschriebenen Regelung einen Gesetzgeber längst nicht immer zu einem legislativen Tätigwerden veranlasst (wobei jedoch auch ungeschriebene Regelungen eine große Festigkeit aufweisen können).139
133 Vgl. C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 278 f. (Anhang VIII). 134 C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 278 (Anhang VIII). 135 Vgl. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 7; Kirsch, Neue Politische Ökonomie, S. 55: „Man darf sich nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass auch der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat ein Herrschaftsinstrument ist, also Zwang ausübt. Wer davon nicht überzeugt ist, dem sei geraten, seine Steuern offen nicht zu bezahlen, dem Einberufungsbescheid zum Wehrdienst nicht zu folgen oder auch nur bei Rot über die Straße zu gehen“. 136 Vgl. H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 21: „Die Evolutionstheorie der Effizienzrechtsentwicklung setzt zunächst Rechtsnormen voraus, die nicht so verfestigt sind, daß der Versuch, sie in einem, Prozeß in Frage zu stellen und eine Änderung zu bewirken, als vollkommen aussichtslos erscheint. Es darf mit anderen Worten keine hundertprozentige Rechtssicherheit geben, die die evolutionäre Fortentwicklung es Richterrechts verhindern würde“. 137 Zur Theorie der Effizienz des Common Law vgl. Teil 1 § 2 B. I. 4. 138 Zum Mehrheitsprinzip: Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 42 Abs. 1 Rn. 25 ff.; Eschenburg, Der ökonomische Ansatz zu einer Theorie der Verfassung, S. 168 ff. 139 Zu Pfadabhängigkeiten vgl. Teil 1 § 6 B. X.
B. Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen
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2. Beschreibung einer evolutorischen Rechtsentwicklung in von Hayeks Theorie der kulturellen Evolution Die Perspektive einer endogenen Rechtsentwicklung erweitert von Hayek in seiner Theorie der kulturellen Evolution.140 Grundlegender exogener Wirkungsmechanismus ist die Gruppenselektion, denn von Hayek erklärt die Entwicklung von vorstaatlichem Recht über den Erfolg bzw. Misserfolg von Gruppen, die bestimmten Regeln folgen141. Entscheidend ist ein Wettbewerb von Gruppen, in dem sich die Gruppen mit den erfolgreichsten Regeln – Regeln bestimmen das Verhalten von Gruppen142 – tendenziell durchsetzen.143 Umgekehrt führen nach diesem Ansatz nachteilige Regeln zu einem Niedergang von Gruppen und damit auch zu einem Verschwinden der gruppenzugehörigen Regeln: „Der Grund, weshalb solche Regeln dazu tendieren, sich zu entwickeln, ist der, daß die Gruppen, die Regeln angenommen haben, die eine wirksamere Ordnung der Handlungen begünstigen, dazu tendieren, über andere Gruppen mit einer weniger wirksameren Ordnung zu dominieren. Die Regeln, die Verbreitung finden, sind diejenigen die Praxis oder die Gewohnheiten verschiedener Gruppen leitenden Regeln, die einige Gruppen stärker als andere machen“.144
Es handelt sich bei von Hayeks Theorie der kulturellen Evolution um eine frühe Beschreibung eines (existenziellen) Wettbewerbs von Ordnungen vermittelt über den Wettbewerb – von Hayek verwendet den Begriff Wettbewerb in diesem Zusam140
Vgl. Feldmann, Hayeks Theorie der kulturellen Evolution: Eine Kritik der Kritik, in: Kulturelle Prägungen wirtschaftlicher Institutionen und wirtschaftspolitischer Reformen, S. 51, 51 f. Zu von Hayeks Theorie der kulturellen Evolution: Vanberg, Evolution und spontane Ordnung, Anmerkungen zu F. A. von Hayeks Theorie der kulturellen Evolution, in: FS E. Boettcher 1984, S. 83 – 112; Feldmann, Hayeks Theorie der kulturellen Evolution: Eine Kritik der Kritik, in: Kulturelle Prägungen wirtschaftlicher Institutionen und wirtschaftspolitischer Reformen, S. 51 – 91; Okruch, Der Richter als Institution einer spontanen Ordnung, Einige kritische Bemerkungen zu einer Zentralfigur in Hayeks Theorie der kulturellen Evolution, ORDO 52 (2001), S. 131 – 153. 141 Vgl. Feldmann, Hayeks Theorie der kulturellen Evolution: Eine Kritik der Kritik, in: Kulturelle Prägungen wirtschaftlicher Institutionen und wirtschaftspolitischer Reformen, S. 51, 51 f. 142 Vgl. Benson, An Economic Theory of the Evolution of Governance and the Emergence of the State, Review of Austrian Economics 12 (1999), S. 131, 132; 143 von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, Regeln und Ordnung, S. 138. 144 von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, Regeln und Ordnung, S. 138. Vgl. auch: von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 46; von Hayek, Studies in Philosophy, Politics and Economics, S. 67 (HiO); „[T]he genetic (and in a great measure also the cultural) transmission of rules of conduct takes place from individual to individual, what what may be called the natural selection of rules will operate on the basis of the greater or lesser efficiency of the resulting order of the group“; Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 204; Feldmann, Hayeks Theorie der kulturellen Evolution: Eine Kritik der Kritik, in: Kulturelle Prägungen wirtschaftlicher Institutionen und wirtschaftspolitischer Reformen, S. 51, 58; Vanberg, Evolution und spontane Ordnung, Anmerkungen zu F. A. von Hayeks Theorie der kulturellen Evolution, in: FS Boettcher, S. 83, 90 ff.
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menhang ausdrücklich145 – von Gruppen und damit die Beschreibung einer Urform von Systemwettbewerb. Einige Regeln finden jedoch auch unabhängig von der Gruppenselektion dadurch Verbreitung, dass sie eine bessere Ordnung von sich zufällig begegnenden und nicht gruppenzugehörigen Menschen begründen.146 Eine Übertragbarkeit von Hayeks Theorie der kulturellen Evolution und insbesondere der Mechanismus der Gruppenselektion auf die staatliche Ebene und eines Wettbewerbs der Staaten fällt (trotz Versuche der Modellierung eines Systemwettbewerbs in Analogie zur biologischen Evolution147) wegen des Mechanismus der Gruppenselektion schwer,148 denn weder Staaten noch deren Bevölkerung verschwinden grundsätzlich aufgrund ungeeigneter Institutionen149. Eine Auswirkung von Institutionen auf den Bestand von Staaten und dem Bestand eines Volkes ist nur in Extremfällen vollkommen ungeeigneter Institutionen denkbar. Möglich ist jedoch eine Auswirkung auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung, was einschließt, dass Institutionen für Teile der Bevölkerung tödlich sein können.150 Es besteht eine gewisse Parallele zwischen dem „alten“ Systemwettbewerb151 zwischen zwischen den marktwirtschaftlich und planwirtschaftlich verfassten Staaten152 (der heute in einer anderen Form insbesondere im Verhältnis der marktwirtschaftlichen Industriestaaten 145 Vgl. von Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung, S. 24: „Nicht nur beruht alle Evolution auf Wettbewerb; fortgesetzter Wettbewerb ist nötig, um vorhandenes Erreichtes auch nur zu erhalten“; von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 46. 146 von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, Regeln und Ordnung, S. 138 f. 147 Vgl. Vanberg/Kerber, Institutional Competition Among Jurisdictions: An Evolutionary Approach, Constitutional Political Economy 5(2) (1994), S. 193 – 219; Kerber/Vanberg, Competition Among Institutions, Evolution Within Constrains, in: Competition among Institutions, S. 35 – 64; Vanberg, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 31 f.; Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens, S. 179. In Bezug auf den Wettbewerb zwischen Privaten: Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 43 ff. (mwN). 148 Zur Diskussion vgl. Feldmann, Hayeks Theorie der kulturellen Evolution: Eine Kritik der Kritik, in: Kulturelle Prägungen wirtschaftlicher Institutionen und wirtschaftspolitischer Reformen, S. 51 – 91. 149 Vgl. Krugman, Competitiveness: A Dangerous Obsession, Foreign Affairs 73 (1994), S. 28, 31. Anders war dies im Fall der DDR (Hirschman, Voice, and the Fate of the German Democratic Republic, in: A Prospensity to Self-Subversion, S. 9 – 44; Übersetzung: Hirschman, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen Republik, Leviathan, Zeitschrift für Sozialwissenschaft 20(3) (1992), S. 330 – 358). 150 Vgl. Feldmann, Hayeks Theorie der kulturellen Evolution: Eine Kritik der Kritik, in: Kulturelle Prägungen wirtschaftlicher Institutionen und wirtschaftspolitischer Reformen, S. 51, 72 ff.; Moyo, Dead Aid, S. 71 ff.; Acemoglou/Robinson, Warum Nationen scheitern. 151 H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 1; Windisch, Modellierung von Systemwettbewerb: Grundlagen, Konzepte, Thesen, JNPÖ 17 (1998), S. 121, 121. In Bezug auf den hier erörterten Systemwettbewerb spricht H.-W. Sinn vom „neuen Systemwettbewerb“ (H.-W. Sinn, The New Systems Competition, insb. S. 1 – 5). 152 Vgl. Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11 – 41.
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zu der Volksrepublik China fortbesteht,153 wobei Wettbewerbsparameter nicht nur die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung, sondern auch die staatliche Organisationsstruktur und insbesondere der demokratische Gehalt staatlicher Entscheidungsfindung ist154) im Gegensatz zum hier erörterten „neuen Systemwettbewerb“155. Letzterer bezieht sich auf einzelne Regulierungen und weniger auf Gesamtsysteme, weshalb es sich letztlich um eine Mikrobetrachtung von Systemwettbewerb handelt.156 Im Folgenden geht es ausschließlich um Systemwettbewerb vermittelt über Mobilität. Gegenstand der Betrachtung sind einzelne Regulierungen;157 eine Betrachtung des Wettbewerbs von Gesamtsystemen erfolgt grundsätzlich nicht158. 3. Naturgesetzliche Erklärung der Rechtsentwicklung Unter dem Eindruck der historischen Rechtsschule159 und der Evolutionstheorie Darwins160 gab es im 19. Jahrhundert Ansätze, die die Rechtsentwicklung naturgesetzlich erklärten,161 wobei Darwin keineswegs Erfinder des Evolutionsgedankens 153 Vgl. Moyo, How the West was Lost; Helmut Schmidt, Ein letzter Besuch, Begegnungen mit der Weltmacht China; Herzog, Europa neu erfinden, S. 70 f.; Issing, Der Weg in die Knechtschaft, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 11. 12. 2011, S. 38 – 39. 154 Vgl. Berggruen/Gardels, Klug regieren. Die wirtschaftliche Stärke Chinas kann zu dem Eindruck führen, dass Demokratie in Konflikt zu wirtschaftlichen Zielen stehen kann (Gore, Die Zukunft, S. 52; Herzog, Europa neu erfinden, S. 71 f.; Schäuble, Institutioneller Wandel und europäische Einigung, FAZ 12. 01. 2013, S. 14). 155 Vgl. H.-W. Sinn, The New Systems Competition. 156 Vgl. Giegerich, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 57, 71. 157 Vgl. Schwartz, Rechtsangleichung und Rechtswettbewerb im Binnenmarkt, EuR 2007, S. 194, 195; Meessen, Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 24; Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, Exemplifiziert am Zulässigkeitsregime interner Agrarbeihilfen, S. 28. 158 Nach Formulierung von Giegerich findet ein Mikrowettbewerb in Bezug auf einzelne Rechtsinstitute anstatt eines Makrowettbewerbs ganzer Systeme statt (Giegerich, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb? VVDStRL 69 (2010), S. 57, 71). 159 Vgl. den Hinweis bei: Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz, Bd. 1, S. 2; 160 Vgl. Kiesow, Das Naturgesetz des Rechts, S. 73 f., 87 f.; Wesche, Gegenseitigkeit und Recht, Eine Studie zur Entstehung von Normen, S. 57 f.: „Das 19. Jahrhundert sah eine Hochkonjunktur evolutionär inspirierter Theoriebildung“ (S. 57). Hinzuweisen ist darauf, dass die Evolutionstheorie Darwins keineswegs als Ursprung des evolutorischen Denkens anzusehen ist (von Hayek, Evolution und spontane Ordnung, in: Die Anmaßung von Wissen, Neue Freiburger Studien, S. 102 – 113, 104 f.; von Hayek, Dr. Bernhard Mandeville, in: Freiburger Studien, S. 126, 142). 161 Vgl. Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz, Bd. 1; Post, Das Naturgesetz des Rechts, Einleitung in eine Philosophie des Rechts auf Grundlage der modernen empirischen Wissenschaft; Post, Die Grundlagen des Rechts und die Grundzüge seiner Entwicklungsgeschichte. Zu diesem Ansatz der Erklärung der Rechtsentwicklung vgl. Kiesow, Das Naturgesetz
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war162. Bekannter Vertreter des naturgesetzlichen Erklärungsansatzes der Rechtsentwicklung war von Jhering. Er versuchte die Entwicklung des Rechts ähnlich wie die Entwicklung von Lebewesen zu erklären.163 Er blieb jedoch bei einer bildhaften Beschreibung einer evolutorischen Rechtsentwicklung stehen.164 Demgegenüber setzte sich der Bremer Richter A. H. Post165 für eine konsequente Anwendung naturgesetzlichen Denkens auf die Rechtswissenschaft ein. Post deutete die Entwicklung des Rechts naturgesetzlich analog der Entwicklung von Lebewesen: „Die Entwicklung, welche das Rechtsleben zeigt, trägt die Form der allgemeinen Weltentwicklung, sie ist Entwicklung eines Spezialgebiets aus dem universellen Typus. Wie aus dem universelleren Typus des Sauriers sich Vogel, Fisch und Amphibium entwickeln, so entwickelt sich aus dem universelleren Typus der Sitte Moral, Recht, Wirtschaft, Staat. Die untersten Stufen des Rechtslebens beim Menschen werden nicht verschieden gewesen sein von den unteren Stufen thierischen Rechtslebens“.166
Post zieht die Bedeutung einer planmäßigen Rechtsgestaltung seitens des Gesetzgebers in Zweifel und betont stattdessen die Bedeutung einer naturgesetzlichen Entwicklung des Rechts,167 wonach sich das Recht in der Geschichte zwangsläufig – gesteuert von einem allgemeinen Weltgesetz168 – in Richtung der Gegenwart ent-
des Rechts; Wesche, Gegenseitigkeit und Recht; Wieacker, Jhering und der ,Darwinismus‘, in: FS Larenz, S. 63 – 92. 162 von Hayek, The Fatal Conceit, The Errors of Socialism, in: Collected Works, Bd. 1, S. 24: „Not only is the idea of evolution older in the humanities and social sciences, I would even be prepared to argue that Darwin got the basic ideas of evolution from economics“; Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, S. 123, Fn. 38; Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 14 ff.; Hoppmann, Kulturelle Evolution und ökonomische Effizienz, in: FS Mestmäcker, S. 177, 178. 163 Vgl. von Jhering, Der Zweck im Recht, Erster Band, S. IX f. Zur Kritik an Jherings evolutorichem Ansatz: Wesche, Gegenseitigkeit und Recht, S. 57; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 564; Wieacker, Jhering und der ,Darwinismus‘, in: FS Larenz, S. 63 – 92, 64: „Jherings naive Begegnung mit der Naturwissenschaft seiner Zeit im allgemeinen und dem ,Darwinismus‘ im besonderen“, S. 66. Auch von Savigny spricht in Bezug auf die Rechtsentwicklung am Rande Darwin an: von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Thibaut und Savigny, S. 95, 102. 164 Wieacker, Jhering und der ,Darwinismus‘, in: FS Larenz, S. 63 – 92. 165 Vgl. Post, Das Naturgesetz des Rechts, Einleitung in eine Philosophie des Rechts auf Grundlage der modernen empirischen Wissenschaft; Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz, Bd. 1; Post, Die Grundlagen des Rechts und die Grundzüge seiner Entwicklungsgeschichte; Kiesow, Das Naturgesetz des Rechts, 35 ff., 95 ff. 166 Post, Das Naturgesetz des Rechts, Einleitung in eine Philosophie des Rechts auf Grundlage der modernen empirischen Wissenschaft, S. 50. Vgl. auch: Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz, Bd. 1, S. 6 f. 167 Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz, Bd. 1, S. 5 f. 168 Post, Das Naturgesetz des Rechts, Einleitung in eine Philosophie des Rechts auf Grundlage der modernen empirischen Wissenschaft, S. 31.
B. Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen
85
wickelt, weshalb nach Post gesetzgeberischem Handeln keine entscheidende Bedeutung zukam.169 Deutlich wird ein derartiges Verständnis auch anhand der bekannten Aussage von von Jherings nach der sich „[…] [m]it derselben Notwendigkeit, mit der sich nach der Darwinschen Theorie die eine Tierart aus der anderen entwickelt […] [sich] aus einem Rechtszweck der andere […] [erzeugt]“.170
Post betont die Bedeutung der Rezeption bzw. Imitation von Regeln für Rechtsentwicklung.171 Vor diesem Hintergrund ist mit der naturgesetzlichen Erklärung der Rechtsentwicklung durch Post (im Gegensatz zum evolutorischen Ansatz von von Savignys) kein Eintreten für eine gesetzgeberische Zurückhaltung verbunden. Vielmehr erscheint die Tätigkeit des Menschen auf die Rechtsentwicklung von vornherein von untergeordneter Bedeutung. Der naturgesetzliche Erklärungsansatz von Recht spielt in der heutigen Literatur zu einer evolutorischen Rechtsentwicklung zu Recht keine Rolle. Die Diskussion um eine naturgesetzliche Entwicklung des Rechts weist jedoch eine gewisse Nähe zur Erklärung der Verbreitung von bestimmten Institutionen aufgrund ihrer Effizienz auf172 und der Ansatz einer naturgesetzlichen Erklärung der Rechtsentwicklung kann als Aufforderung verstanden werden, die Rechtsanthropologie173 in die Betrachtung einer Evolution auf dem Gebiet des Rechts einzubeziehen. 4. Theorie der Effizienz des Common Law Die Theorie der Effizienz des US-amerikanischen174 Common Law175 beschäftigt sich mit einer evolutorischen Entwicklung von Richterrecht und geht davon aus, dass
169
S. 87. 170
Wesche, Gegenseitigkeit und Recht, S. 58 f.; Kiesow, Das Naturgesetz des Rechts,
von Jhering, Der Zweck im Recht, Erster Band, Vorrede, S. IX f. Vgl. Post, Das Naturgesetz des Rechts, Einleitung in eine Philosophie des Rechts auf Grundlage der modernen empirischen Wissenschaft, 1867, S. 56 f. „so ist es hauptsächlich das römische Recht, welches die Basis für die ganze occidentalische Rechtsgeschichte abgiebt, indem es durch fortwährende Reception von Volk zu Volk wanderte“. 172 Vgl. Mattei, Efficiency in Legal Transplants: An Essay in Comparative Law and Economics, International Review of Law and Economics 14 (1994), S. 3 – 19. 173 Vgl. Fikentscher, Culture, Law and Economics; Fikentscher, Wissenschaft und Recht im Kulturvergleich, in: Das Proprium der Rechtswissenschaft, in: Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 77 – 86; Kötz, Alte und neue Aufgaben der Rechtsvergleichung, JZ 2002, S. 257, 263 f. 174 Vgl. den Hinweis bei: Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 20. 171
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
die evolutorische Formung des Rechts mittels richterlicher Entscheidungen langfristig zu einer effizienten Rechtsordnung führt.176 Damit impliziert diese Theorie eine Überlegenheit von Richterrecht gegenüber Gesetzesrecht.177 Nachdem bereits von Hayek178 und Coase179 das Bild einer Optimierung der Rechtsordnung durch richterliche Tätigkeit gezeichnet hatten, erklärt insbesondere R. Posner diesen Zusammenhang mit dem Bestreben der Richter in Common LawJurisdiktionen180, im Rahmen der Rechtsanwendung effiziente Lösungen zu bevorzugen oder zu entwickeln.181 Zudem begründet Posner die überlegende Effizienz von 175 Vgl. Rubin, Why is the Common Law Efficient?, Journal of Legal Studies 6(1) (1977), S. 51 – 63; Rubin, Why ist the common law efficient?, in: The Origins of Law and Economics: Essays by the Founding Fathers, S. 383 – 395; Priest, The Common Law Process and the Selection of Efficient Rules, Journal of Legal Studies 6(1) (1977), S. 65 – 82; Posner, Economic Analysis of Law, § 2.2., S. 32, § 8.1, S. 315 ff. § 19.2, S. 713 ff., § 19.6, 725 ff. ff. (zu Posner: Cohen, Posnerian Jurisprudence and Economic Analysis of Law: The View from the Bench, University of Pennsylvania Law Review 133 (1985), S. 1117 – 1166); Goodman, An Economic Theory of the Evolution of Common Law, Journal of Legal Studies 7(2), S. 393 – 406; Roe, Chaos and Evolution in Law and Economics, Harvard Law Review 109 (1996), S. 641 – 668; Rose-Ackerman, Recht und Ökonomie: Paradigma, Politik oder Philosophie, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 269, 277 f.; Klick/Parisi, Functional Law and Economics, in: Theoretical Foundations of Law and Economics, S. 41, 41 – 43; H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 19 ff.; Ott, Allokationseffizienz, Rechtsdogmatik und Rechtsprechung – die immanente Rationalität des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 25 – 49. Einen Überblick über die verschiedenen Ansätze liefern: Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 19 ff.; Elliott, The Evolutionary Tradition in Jurisprudence, Columbia Law Review 85 (1985), S. 38, 64 ff.; Wesche, Gegenseitigkeit und Recht, S. 60 – 69. 176 Rubin, Why is the Common Law Efficient?, Journal of Legal Studies 6(1) (1977), S. 51 – 63. 177 Rubin, Why is the Common Law Efficient?, Journal of Legal Studies 6(1) (1977), S. 51 – 63, 61: „Statute law is often inefficient“. Rubin verweist auf das Problem von Interessengruppenregulierungen; Posner, Economic Analysis of Law, § 19.2, S. 713 ff. „judge-made rules tend to be efficiency-promoting while those made by legislatures, other than those rules that codify common law principles […] tend to be efficiency-reducing“ (S. 714); Kübler, Schlußwort: Vergleichende Überlegungen zur rechtspraktischem Bedeutung der ökonomischen Analyse, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 293, 293. 178 von Hayek, Recht Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, Regeln der Ordnung, S. 133 ff.; Okruch, Der Richter als Institution einer spontanen Ordnung, Einige kritische Bemerkungen zu einer Zentralfigur in Hayeks Theorie der kulturellen Evolution, ORDO 52 (2001), S. 131, 131, 136 – 139. 179 Coase, The Problem of Social Cost, Journal of Law and Economics 3 (1960), S. 1 – 44; H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 1. 180 Posner, Economic Analysis of Law, § 19.2, S. 716. 181 Posner, Economic Analysis of Law, § 19.2, S. 714: „The judge is pushed to view the parties as representatives of activities – owing land, growing tulips, walking on railroad tracks, driving cars. In this circumstances it is natural that he should ask which of the competing activities is more valueable in the economic sense“; Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 19, 56.
B. Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen
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Richterrecht mit dem geringeren Einfluss von Interessengruppen auf gerichtliche Entscheidungen.182 Rubin183 und Priest184 erklären die Effizienz des Common Law damit, dass nicht effiziente Regelungen (wie bestimmte Regelungen des Deliktsrechts) im Rechtsverkehr zu Problemen führten, weil sie ineffizient seien185 und deshalb Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten würden 186 bzw. derartige Regelungen „unter erhöhten Selektionsdruck geraten“.187 Werde eine Regelung durch die Rechtsprechung effizienter ausgestaltet, nehme die Zahl der Klagen ab.188 Entscheidend ist nach diesem Ansatz weniger das Verhalten der Richter, sondern vor allem der Kläger, die problematische Regelungen zum Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten werden lassen189 bis ein Gericht (zufällig) eine effiziente Regelung findet und als Maßstab etabliert190. Nach der Theorie der Effizienz des Common Law, wirken die Handlungen der Privatrechtssubjekte auf diese Weise in Richtung der Entwicklung einer Ordnung, ohne dass die Entwicklung einer Ordnung nach den Erklärungsansätzen von Rubin und Priest individuell beabsichtigt wird;191 vielmehr ist das Ergebnis der Effizienz Ausdruck einer auf die institutionelle Entwicklung bezogenen „unsichtbaren Hand“192. In Bezug auf den deutschen Rechtskreis stellt H.-B. Schäfer fest, „daß die höchstrichterliche Rechtsprechung überwiegend dem Effizienzkriterium folgt, ob-
182
Posner, Economic Analysis of Law, § 19.2, S. 714. Vgl. Rubin, Why is the Common Law Efficient?, Journal of Legal Studies 6(1) (1977), S. 51, 52 ff. (zu Rubins Ansatz vgl. Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 21 ff.). 184 Vgl. Priest, The Common Law Process and the Selection of Efficient Rules, Journal of Legal Studies 6 (1977), S. 65 ff. 185 H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 21. 186 Rubin, Why is the Common Law Efficient?, Journal of Legal Studies 6(1) (1977), S. 51 – 63; H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 21; Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 21 ff., 56 ff. 187 Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 20. 188 H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 21. 189 Rubin, Why is the Common Law Efficient?, Journal of Legal Studies 6(1) (1977), S. 51, 61; H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 21; Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 19 f. 190 Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 24, 31 f. (kritisch). 191 Vgl. Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 20 ff. 192 Vgl. Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts, S. 19 ff. Das Bild der unsichtbaren Hand stammt von Adam Smith (Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, S. 371). 183
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
wohl dies oft in der Begründung nicht sichtbar wird. Dies ist ein ebenso bemerkenswerter wie erklärungsbedürftiger Tatbestand“.193 5. Lehre von den Legal Transplants Die Vertreter der Lehre von den Legal Transplants194 untersuchen die Übernahme von Institutionen durch andere Rechtssysteme. Bedingung für legal borrowing195 ist eine gewisse „Offenheit der Systeme“196 im Sinne von Möglichkeiten eines Informationsflusses197. Zudem ist die Bereitschaft des Rechtsvergleichs und eine „Lernwilligkeit“ in Bezug auf fremdes Recht Voraussetzung, wobei diese Voraussetzungen in denjenigen Staaten, die von ihrem Rechtssystem grundsätzlich überzeugt sind, jedoch in der Praxis kaum besteht. Watson unterscheidet zwischen der Situation, dass ein Volk in ein anderes Territorium umzieht und der Situation einer freiwilligen Annahme bzw. Übernahme ganzer Rechtssysteme oder wesentlicher Teile durch ein Volk.198 Im ersten Fall handelt es sich um ein „Mitbringen“ des Rechtssystems auf Basis physischer Mobilität und im zweiten Fall reicht ein Fluss von Informationen aus (Yardstick Competition).199 Entscheidender Faktor für die Übernahme einer Regelung ist nach Watson insbesondere das Prestige dieser Regelung200 (und nicht deren Effizienz201), womit das 193 H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 20. 194 Watson, Legal Transplants; Rehm, Rechtstransplantate als Instrument der Rechtsreform und -transformation, RabelsZ 72 (2008), S. 1 – 42. Aus jüngerer Zeit: Grajzl/Dimitrova-Grajzl, The choice in the Lawmaking Process: Legal Transplants vs. Indigenous Law, Review of Law and Economics 5(1) (2009), S. 615 – 660. Der Begriff legal transplants stammt von KahnFreund und Watson, die den Begriff nahezu zeitgleich einführten (Rehm, Rechtstransplantate als Instrument der Rechtsreform und -transformation, RabelsZ 72 (2008), S. 1, 3). 195 Watson, Legal Transplants, S. 95; Mattei, Efficiency in Legal Transplants: An Essay in Comparative Law and Economics, International Review of Law and Economics 14 (1994), S. 3, 4 ff. 196 Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 77; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 522. 197 Der Topos „Offenheit der Systeme“ umfasst nach Streit in erster Linie Faktorwanderungen bzw. institutionelle Wahlmöglichkeiten (Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 522). 198 Watson, Legal Transplants, S. 29. 199 Vgl. Teil 1 § 4 H. II. 200 Vgl. Watson, Society and Legal Change, S. 98 ff. Möglicherweise spielt auch das Prestige eines Staates eine erhebliche Rolle (vgl. in Bezug auf die Übernahme europäischen Rechts in Japan: Schütze, Die Rezeption englischen Rechts in Singapur, RIW 2013, S. 257, 258). 201 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 40.
B. Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen
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Prestige einer Regelung aus systemwettbewerblicher Perspektive als entscheidender Wettbewerbsparameter betrachtet werden kann. Im Sonderfall beruht die Verbreitung von Legal Transplants auf Bemühungen von Staaten, ihr Recht zu exportieren.202 Zudem kann Recht den Staaten auch von außen aufgezwungen werden, wie dies in Kolonien der Fall war.203 Nach der Unabhängigkeit der Kolonien wurde dieses Recht aber oft freiwillig beibehalten.204 Im Zusammenhang mit der Lehre von den Legal Transplants wird auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die mit der Übernahme einer bestimmten Regelung von einem Rechtssystem in ein anderes Rechtssystem verbunden sein können (Konsistenzerfordernisse).205 6. Comparative Law and Economics Im Rahmen der Forschungsrichtung Comparative Law and Economics geht es um die Erklärung der Übernahme von Institutionen durch andere Jurisdiktionen206 und der unabhängigen Entwicklung paralleler Institutionen in verschiedenen Rechtsordnungen. Nach diesem Ansatz ist die Effizienz207 einer Regelung entscheidender Gesichtspunkt in der Erklärung für deren Verbreitung.208 Es findet ein Wettbewerb 202
S. 21. 203
Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt,
Schütze, Die Rezeption englischen Rechts in Singapur, RIW 2013, S. 257, 257. Schütze, Die Rezeption englischen Rechts in Singapur, RIW 2013, S. 257, 258. Möglicherweise ist dies mit Pfadabhängigkeiten zu erklären vgl. Teil 1 § 6 X. 205 Vgl. Rehm, Rechtstransplantate als Instrument der Rechtsreform und -transformation, RabelsZ 2008, S. 1 – 42; Knieper, Möglichkeiten und Grenzen der Verpflanzbarkeit von Recht, RabelsZ 72 (2008), S. 88 – 113; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29, 37. Vgl. Teil 1 § 6 B. XI. 206 Vgl. Watson, Legal Transplants, S. 21 f.; 207 Zum Begriff der Effizienz: H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 114 ff.; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 285 f. Rn. 8 – 10. 208 Vgl. Mattei, Efficiency in Legal Transplants: An Essay in Comparative Law and Economics, International Review of Law and Economics 14 (1994), S. 3, 8 – 10; Benavides, Competition among Laws, Revista Juridica Universidad Puerto Rico 77 (2008), S. 373, 374. Vgl. auch: von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Teil 1, S. 8 f.: „Die Frage von der Reception fremder Rechtseinrichtungen ist nicht eine Frage der Nationalität, sondern eine einfache Frage der Zweckmäßigkeit, des Bedürfnisses. Niemand wird von der Ferne holen, was er daheim ebensogut oder besser hat, aber nur ein Narr wird die Chinarinde aus dem Grunde zurückweisen,weil sie nicht auf seinem Krautacker gewachsen ist“; Zweigert, Die soziologische Dimension der Rechtsvergleichung, RabelsZ 38 (1974), S. 299, 306: „Ganz sicher aber bedürfen wir rechtssoziologischer Hilfe oder eigener rechtssoziologischer Forschung, wenn es darum geht zu entscheiden, ob die gefundene Lösung besser ist als unsere eigene, und wenn ja, ob sie sich bruchlos in unser eigenes System einfügen lässt“, S. 314: „Dabei werden wir Rechtsvergleicher wahrscheinlich viel Gewinn haben, wenn wir in unsere Vergleichung der juristischen Lösungen auch die Effizienz, die Wirksamkeit der Lösung, die Daten der Auswirkung mit in die Untersuchung einzubeziehen 204
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
rechtlicher Lösungsansätze auf einem „market of legal ideas“209 statt, der letztlich entschieden wird durch das Kriterium der Effizienz, indem effiziente Regeln Verbreitung finden.210 Bei diesem Wettbewerb handelt es sich um einen evolutionären Prozess der Rechtsentwicklung mit der Folge der Generierung von Wissen.211 Mit Übernahme einer rechtlichen Regelung in das jeweilige Rechtssystem ist dieser Prozess beendet und es bildet sich ein Gleichgewicht.212 Dieses Gleichgewicht währt, bis die übernommenen Regeln aufgrund veränderter Umweltbedingungen oder gewandelter Ansprüche an die Regelung geändert oder durch die Übernahme einer anderen Regelung ersetzt wird. Folge des Wettbewerbs der Institutionen auf dem „market of legal ideas“ kann eine Verbreitung einer bestimmten Rechtsregel und dadurch eine autonome Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsordnungen (Ex-post Harmonisierung) sein,213 als auch das Weiterbestehen unterschiedlicher Regelungen214. versuchen“, S. 314: „wie ich schon erwähnte muß unsere Suche nach besseren Lösungen in Zukunft auch die Wirkungen solcher Lösungen in den Bewertungsprozeß einbeziehen“; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 2 II S. 16. Anders: Watson, Society and Legal Change, S. 98: „But it seems, in fact, that the factors which determine which system is borrowed from often have nothing to do with the needs of the borrowing society“. 209 Mattei, Efficiency in Legal Transplants: An Essay in Comparative Law and Economics, International Review of Law and Economics 14 (1994), S. 3, 8. 210 Mattei, Efficiency in Legal Transplants: An Essay in Comparative Law and Economics, International Review of Law and Economics 14 (1994), S. 3, 8: „We may imagine that every legal system or every component of it produces different legal doctrines or techniques for the solution of a given problem. All these different inputs enter what we may call the market of legal culture. Within this market the suppliers meet the need of the consumers. This process of competition may determine the survival of the most efficient legal doctrine“; Benavides, Competition among Laws, Revista Juridica Universidad Puerto Rico 77 (2008), S. 373, 373 f.: „The economic criterion of efficiency applied to legal systems and norms, allows the use of competition as a category in the analysis of Law, in the same way that is used to study economic markets. When opting to transplant foreign legal norms, the operators of the system of laws inevitably submit those foreign legal norms and systems to comparisons. The efficiency of certain legal norms will be estimated according to comparison to other legal norms, and the most efficient will be preferred for transplant, or importation. The result: an inevitable competition among laws. Thus, there will be competition, not only to enact best legal norms, but also to borrow the best ones“ (HiO). Vgl. auch: Zitelmann, Die Möglichkeit eines Weltrechts, S. 24. 211 Benavides, Competion among Laws, Revista Juridica Universidad Puerto Rico 77 (2008), S. 373, 378; Mattei, Efficiency in Legal Transplants: An Essay in Comparative Law and Economics, International Review of Law and Economics 14 (1994), S. 3, 8. 212 Zur Bedeutung einer Gleichgewichtsbetrachtung in der ökonomischen Analyse des Rechts: Rose-Ackerman, Recht und Ökonomie: Paradigma, Politik oder Philosophie, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 269, 292. 213 Vgl. Giersch, Diskussionsbeitrag zu: Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 35, 41; 214 Vgl. Mattei, Efficiency in Legal Transplants: An Essay in Comparative Law and Economics, International Review of Law and Economics 14 (1994), S. 3, 11: „Different legal traditions may develop alternative solutions for the same legal problem that are neutral from the
B. Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen
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Unter nicht ausdrücklicher Bezugnahme auf den Topos Effizienz findet sich der Gedanke einer universalen Verbreitung von rechtlichen Regeln insbesondere aufgrund ihres überlegenen Gerechtigkeitsgehaltes in vielen anderen (auch gerade rechtswissenschaftlichen) Beiträgen.215 7. Bedeutung von exogenen Anstößen für die Evolution von Gesetzesrecht Die Ordnungsentstehung beruht in heutiger Zeit zu einem großen Teil auf planmäßig gesetztem Recht.216 Eine Veränderung des Rechts ist nur im Wege einer Gesetzesänderung durch den Gesetzgeber und – in eingeschränktem Umfang – mittels richterlicher Rechtsfortbildung217 möglich. Bei Betrachtung der Argumentation von Savignys und C. Mengers scheint eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen einer evolutorischen Rechtsentwicklung und Gesetzesrecht zu bestehen. Eine evolutorische Rechtsentwicklung von Gesetzesrecht kann jedoch über hinreichend starke exogene Anstöße auf Gesetzgeber erfolgen.218 Für Gesetzgeber können derartige Zwänge bestehen, wenn Gesetzgeber die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen im immer schärfer werdenden globalen Wettbewerb durch eine Angleichung von Wettbewerbsbedingungen zu erhalten suchen. Es geht dem Gesetzgeber dann darum, aus industriepolitischen Gründen stärkere regulatorische Belastungen heimischer Wirtschaftssubjekte abzubauen bzw. zu beseitigen.219 Derartige auf den Gesetzgeber wirkende ökonomische Zwänge stellen einen Anstoß standpoint of efficiency“, S. 16: „There are areas of the law where efficiency very clearly demands a certain solution. […] In these areas of law, we may find legal change and eventual convergence due to a tendency towards efficiency […]“. 215 Nach Del Vecchio führt die „innere Entwicklung der einzelnen Rechtsorganisationen zur Anerkennung einheitlicher Wahrheiten“, Del Vecchio, Einem Weltrecht entgegen, Universitas 1961, S. 725, 727. 216 Vgl. zur bewussten Planung als Erklärung der Entstehung von Ordnungen: Leipold, Zur Pfadabhängigkeit der institutionellen Entwicklung, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 93, 93 f. 217 Vgl. Leder, Die sichtbare und die unsichtbare Hand in der Evolution des Rechts; Okruch, Der Richter als Institution einer spontanen Ordnung, Einige kritische Bemerkungen zu einer Zentralfigur in Hayeks Theorie der kulturellen Evolution, ORDO 52 (2001), S. 131 – 153. 218 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, 1999, S. 13 – 48. 219 Vgl. Kleier, Freier Warenverkehr (Art. 30 EWG-Vertrag) und die Diskriminierung inländischer Erzeugnisse, RIW 1988, S. 623, 624: „Es bedarf keiner näheren Diskussion, daß der nationale Gesetzgeber aus wirtschaftspolitischen Gründen, insbesondere der Investitionsstandortsicherung, gut beraten ist, die von der umgekehrten Diskriminierung ausgehenden Wettbewerbsverfälschungen so schnell wie möglich durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen zu beseitigen“; Graser, Zum Stand der Diskussion zur Inländerdiskriminierung – Einige kritische Bemerkungen und ein Vorschlag zur prozessualen Behandlung –, DÖV 1998, S. 1004, 1005, 1012; Ensthaler, Die umgekehrte Diskriminierung im EWG-Vertrag, RIW 1990, S. 734, 737; Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 28. 6. 1994, verb. Rs. C.363/93, C-408/93, C-409/93, C-410/93, C-411/93, René Lancry, Slg. 1994, I-3957, I-3975. Ziff. 28.
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
für gesetzgeberische Aktivitäten dar. Der Anstoß relativiert die bewusste Planung des Gesetzgebers, denn er ist in seinen politischen Entscheidungen nicht mehr vollkommen frei. Im Extremfall wird der Gesetzgeber zu einem Spielball (ökonomischer) Kräfte und er reagiert lediglich auf Handlungszwänge. In einem solchen Szenario plant der einzelne Gesetzgeber zwar noch das einzelne Gesetz indem er einen Gesetzesentwurf formuliert, jedoch handelt er nicht mehr selbstbestimmt im Hinblick auf den Inhalt und die Zielrichtung eines Gesetzes. Inhalt und Ziel sind im Extremfall vielmehr durch ökonomische Vorgaben diktiert, was im Hinblick auf die demokratische Selbstbestimmung problematisch sein kann220. Wenn die äußeren auf dem Gesetzgeber lastenden Zwänge abgeschwächt modelliert werden, bleibt dem Gesetzgeber ein Handlungsspielraum, der jedoch zu einem bestimmten Grad eingeschränkt ist. Ob eine Reaktion auf exogene Anstöße erfolgt, hängt nicht nur von der Stärke des ökonomischen Anreizes ab, sondern auch von der Bedeutung anderer, gegenläufiger Ziele ab.221 Von Bedeutung ist insofern die gesetzgeberische Bewertung von Zielen, wobei eine Rolle spielen kann, welche Einstellung der jeweilige Gesetzgeber zu Märkten und zu deren Regulierung bzw. zu dem marktlichen Ordnungsrahmen hat.222 Soweit der exogene Zwang wirkt, ist Raum für eine Rechtsentwicklung, die nicht das ausschließliche Resultat bewusster gesetzgeberischer Planung ist. Eine Evolution infolge von exogenen Zwängen und bewusster gesetzgeberische Planung erscheinen damit einerseits als Gegensatz. Auf der anderen Seite stehen eine evolutorische Rechtsentwicklung und gesetzgeberische Planung in einem Komplementärverhältnis, denn der Gesetzgeber zieht aus systemwettbewerblichen Zwängen Schlüsse und setzt diese um. Es geht damit um eine gesetzgeberische Planung im Rahmen von Zwängen.
II. Positive Theorie der Regulierung als Ansatz zur Erklärung der Entwicklung von Regulierungen Die gegenüber der normativen Theorie jüngere223 positive Theorie der Regulierung224 beschreibt die tatsächlichen Hintergründe von Regulierung225. Im Rahmen 220 Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 29 f.; Gore, Die Zukunft, S. 69; Papier, in: FS Bryde, S. 261, 270 f. (In Bezug auf die Finanzmarktkrise); Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, B. VI. 2. i), S. 107 f.; vgl. auch: Teil 1 § 4 G. II. 221 Vgl. Oates/Schwab, Economic Competition Among Jurisdictions, Efficiency Enhancing or Distortion Inducing?, Journal of Public Economics 35 (1988), S. 333 – 354. 222 Vgl. Teil 1 § 16 B. VII. 223 von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 334.
B. Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen
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der ökonomisch geprägten positiven Theorie der Regulierung geht es vor allem darum, Regulierungsnotwendigkeiten zu entkräften, indem auf Fehler in der Regulierungsgestaltung hingewiesen wird, denn „[b]ei näherer Betrachtung zeigt sich, daß hier nur in begrenztem Maße staatliche Eingriffe tatsächlich gefordert sind, weil sich angebliches Marktversagen in Wirklichkeit oft als Staatsversagen herausstellt“.226
Im Folgenden wird die positive Theorie der Regulierung ansatzweise dargestellt, wobei neben der Darstellung der positiven Theorie der Regulierung auch die rechtswissenschaftliche Sicht auf die tatsächlichen Bestimmungsgründe der Regulierungsgestaltung nicht unerwähnt bleiben soll. 1. Interessengruppentheorie Nach der Interessengruppentheorie227, die insbesondere dem Modell der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie zugrunde liegt, sind alle Regulierungen, die eine bestimmte Gruppe begünstigen und auf einen Einfluss dieser Gruppe zurückzuführen sind, Ausdruck von Interessengruppenpolitik.228 Interessengruppen sind 224 Vgl. von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 334 ff.; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 308 ff. Rn. 71 ff. 225 von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 326. 226 Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 Tz. 6. Vgl. auch: Tietzel, Probleme der asymmetrischen Informationsverteilung beim Güter- und Leistungstausch, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 52, 63. 227 Vgl. Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2(1) (1971), S. 3 – 21; Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, S. 109 ff.; Gore, Die Zukunft, S. 150 ff. Vgl. schon: Röpke, Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart, S. 34, 173, 211, 239 f. (Anmerkung 15), 294. Eine zusammenfassende Darstellung der Interessengruppentheorie findet sich bei: Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 310 ff., Rn. 79 ff. Zu den Folgen von Interessengruppenpolitik vgl. Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen, Ökonomisches Wachstum, Stagflation und soziale Starrheit. 228 Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2(1) (1971), S. 3, 3; Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 13 Tz. 7. Zu „politischen Geschäften“ im Sinne eines politischen Einsatzes unter der Erwartung von Gegenleistungen vgl. auch: Schwan/Jens, Vermächtnis, Die Kohl-Protokolle, S. 19, 61 ff. „Ihm [Helmut Kohl] ist das wechselseitige Geschäft, das Prinzip von Leistung und Gegenleistung, längst zur Selbstverständlichkeit geworden. An das böse Wort Korruption mag er nicht denken. Am 10. März 2002 kommt er im Zuge der Bilanz seiner Erfolge auf die Papenburger MeyerWerft zu sprechen. Das Unternehmen hat, nach seiner Fürsprache bei der Regierung in Jakarta, hundertzwanzig Fährschiffe nach Indonesien geliefert. ,Ohne mich hätte die Werft die Aufträge nicht bekommen. Das war für die eine ganz große Sache.‘ Kohl fügt hinzu, als ob sich dies in einem Rechtsstaat nicht von selbst verstünde: ,Ich habe dafür nichts bekommen.‘ Aber mehr als
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dabei vor allem die Verbände der Anbieter von Waren und Dienstleistungen,229 die auf politische Akteure einwirken, um eine für sie günstige Regulierungsgestaltung zu erlangen230. Mit einer Begünstigung ist vor allem ein Schutz von Interessengruppen vor Konkurrenz gemeint: „Mit wachsender Zahl der Konkurrenten im Verhältnis zum Erwerbsspielraum wächst […] das Interesse der an der Konkurrenz Beteiligten, diese irgendwie einzuschränken. Die Form, in der dies zu geschehen pflegt, ist die: daß irgendein äußerlich feststellbares Merkmal eines Teils der (aktuell oder potentiell) Mitkonkurrierenden: Rasse, Sprache, Konfession, örtliche oder soziale Herkunft, Abstammung, Wohnsitz usw. von den anderen zum Anlaß genommen wird, ihren Ausschluß vom Miterwerb zu erstreben. […] Die gemeinsam handelnden Konkurrenten sind nun unbeschadet ihrer fortdauernden Konkurrenz untereinander doch nach außen eine ,Interessentengemeinschaft‘ geworden“.231
Die Seite der Anbieter von Waren- und Dienstleistungen ist besser organisiert als die Seite der Nachfrager,232 so dass die Anbieter von Waren und Dienstleistungen ihre Interessen effektiver vertreten können.233 Andererseits besitzen Wähler nur geringe Anreize, sich über Politik zu informieren,234 so dass eine Begünstigung von bestimmten Gruppen mittels der Inkraft-
einen warmen Händedruck erwartete er wohl doch. Jedenfalls bittet Hannelore Kohl die Werft um eine Spende für ihren Hilfsfonds, der Verletzten des zentralen Nervensystems zugutekommt. Die Meyer-Werft überweist in den für die christliche Seefahrt wirtschaftlich angespannten Zeiten immerhin 25.000 D-Mark. Helmut Kohl aber rechnet mit anderen Größenordnungen. ,Das ist absolut lächerlich. Ich bin nie wieder dorthin gekommen.‘ Ohne Bimbes läuft nichts!.“ (S. 64 – HiO). 229 Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozess, S. 11 – 13. 230 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 39 (1994), S. 281, 294. 231 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, § 2, S. 201. Vgl. auch: § 3 S. 203; Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2(1) (1971), S. 3, 5; Giersch, Diskussionsbeitrag zu: Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 35, 40. 232 Vgl. Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, S. 52 ff. 233 Becker weist darauf hin, dass erfolgreiche Interessengruppen oft klein sind (Becker, Politischer Wettbewerb zwischen Interessengruppen, in: Familie, Gesellschaft und Politik, S. 185, 192). 234 Becker, Competition and Democracy, Journal of Law and Economics 1 (1958), S. 105, 108: „it does not ,pay‘ to be well-informed and thoughtful on political issues, or even to vote“; Becker, Politischer Wettbewerb zwischen Interessengruppen, in: Familie, Gesellschaft und Politik, S. 185, 192; Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 f. Tz. 7; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 35; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 294.
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setzung oder der Aufrechterhaltung von Regulierung weitgehend intransparent ist235. Politische Akteure, die als eigennützig modelliert werden236, können diesen Wünschen in der Regel entsprechen, ohne ihre Wahlchancen der durch die Regulierungsgestaltung negativ betroffenen Nachfragern von Waren und Dienstleistungen zu verschlechtern237. Sofern die Möglichkeit besteht, dass sie infolge dieser Regulierungen Unterstützung verlieren, müssen sie diesen potentiellen Verlust an Wählerstimmen abwägen mit den Stimmengewinnen, die sie infolge von Interessengruppenpolitik erhalten.238 Langfristig kommt es nach der Interessengruppentheorie deshalb zum Aufbau einer Vielzahl von Interessengruppenregulierungen.239 Die Interessengruppentheorie ist in der heutigen240 ökonomischen Literatur vorherrschend241 und prägt nachhaltig die Einstellung von Ökonomen gegenüber 235
Oblerlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, Ökonomische Aspekte ihrer Beseitigung, S. 44 ff; Engel, Nebenwirkungen wirtschaftsrechtlicher Instrumente, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 173, 180; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 39 (1994), S. 281, 294. Die Begünstigung von bestimmten Gruppen mittels der Gewähr finanzieller Zuwendungen wäre hingegen offensichtlich (Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2(1) (1971), S. 3, 4). 236 Zusammenfassend: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 34 ff. Vgl. auch: Teil 1 § 6 B. III. 237 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 294. 238 Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113, 123. 239 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 295. 240 Vgl. Zur früheren Modellierung politischer Akteure als gemeinwohlorientiert vgl. M. Friedman, Economists and Economic Policy, Economic Inquiry 1986(1), S. 1 – 10 (für die Einbeziehung der Public Choice Theorie in die Betrachtung), „Most of my own work dealing with public policy has had the same character of proceeding as if I were addressing governmental officials selflessy decidated to the publc interest“ (S. 2); Wicksell, Finanztheoretische Untersuchungen, Nebst Darstellung und Kritik des Steuerwesens Schwedens, S. 102: „Sogar die modernsten Handbücher der Finanzwissenschaft machen häufig – wenigstens auf den Schreiber dieses – etwa den Eindruck einer Philosophie des aufgeklärten und wohlwollenden Alleinherrschertums, eines fortlaufenden Kommentars der berühmten Weisheitsregel: ,Alles für, nichts durch das Volk‘ – höchstens mit dem zaghaft ausgesprochenen Zusatze: ,vielleicht doch ein klein weniges durch das Volk‘“; Kirchgässner, Homo oeconomicus, Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, S. 102, 111, 113. 241 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 13 Tz. 7: „In dem so strukturierten politischen Entscheidungsprozeß dominieren vermutlich Partikularinteressen“; H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 20: „Das Parlamentsrecht ist oft Partikularinteressenrecht, das die Fähigkeit gut organi-
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dem staatlich gesetzten Recht242. Es entsteht im Rahmen der ökonomischen Theorie sogar der Eindruck, dass grundsätzlich jede Regulierung Ausdruck von Interessengruppenpolitik ist.243 Damit besteht zugleich eine kritische Einstellung hinsichtlich der Funktionsfähigkeit des Prozesses demokratischer Entscheidungsfindung.244 Ergebnisse demokratischer Entscheidungsfindung erscheinen allgemein als korrekturbedürftig. 2. Einfluss von Interessengruppen aus rechtswissenschaftlicher Sicht a) Positiv zu bewertende Funktionen von Interessengruppen Aus rechtswissenschaftlicher Sicht werden hingegen auch positiv zu bewertende Funktionen von Interessengruppen im Rahmen von Prozessen politischer Entscheidungsfindung betont.245 Interessengruppen können darauf hinwirken, dass besierter Interessengruppen wiederspiegelt, die Gesetzgebung zu ihrem Gunsten zu beeinflussen. Es ist insoweit ineffizientes Recht, als die so erreichten Vorteile für einzelne Gruppen in monetären Größen ausgedrückt oft nur einen kleinen Bruchteil dessen ausmachen, was die Allgemeinheit dafür an Kosten aufzuwenden hat“; Becker, Politischer Wettbewerb zwischen Interessengruppen, in: Familie, Gesellschaft und Politik, S. 185, 192: „Zu den fast ausnahmslos negativen Urteilen über Interessengruppen […]“; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 294 f. 242 Vgl. Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2(1) (1971), S. 3, 3; Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113 – 134. Zurückhaltend aber: Becker, in: Politischer Wettbewerb zwischen Interessengruppen, in: Familie, Gesellschaft und Politik, S. 185, 192. 243 Vgl. Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2(1) (1971), S. 3, 3: „A central thesis of this paper is that, as a rule, regulation is acquired by the industry and is designed and operated primarily for its benefit“; Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozeß, S. 53, 61; Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 14 Tz. 8: „Die vorangestellten Überlegungen legen den Schluss nahe, daß Eigengesetzlichkeiten des politischen Entscheidungsprozesses eine Ineffizienz staatlichen Wirtschaftens, die Unangemessenheit spezifischer Eingriffe und generell ein Übermaß an staatlicher Aktivität begünstigen“. 244 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 13 Tz. 7; Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Oberender/Streit (Hrsg.), Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozeß, S. 53, 61; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 295. 245 Vgl. Böckenförde, Die Politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie, Ein Beitrag zum Problem der „Regierbarkeit“, Der Staat 15 (1976), S. 457, insb. 460 – 462. Böckenförde weist auf die Notwendigkeit
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stimmte Themen, die im Zusammenhang mit dem Allgemeinwohl stehen, überhaupt auf die politische Agenda gesetzt werden und können Wissen an politische Akteure vermitteln246, so dass ihnen eine bedeutende Rolle im demokratischen Willensbildungsprozess zukommt. Der Rechtswissenschaftler von Arnim beschreibt die Funktion von Interessengruppen wie folgt: „Der einzelne Bürger ist in aller Regel nicht in der Lage, einen merklichen Einfluss auszuüben. Erst durch den Zusammenschluss zu einem Interessenverband wird die Plattform geschaffen, um dem besonderen Interesse der Mitglieder Gehör zu verschaffen (Artikulationsfunktion). Auch die Exekutive, die das Gesetz vorbereitet, das Parlament, das sie beschließt, und die Parteien, die in Parlament und Regierung wirken, fühlen sich auf die Mitarbeit von Interessenverbänden angewiesen: Sie versprechen sich von den Verbänden Informationen über die Wünsche der in ihnen organisierten Menschen und über deren voraussichtliche Reaktion auf beabsichtigte Maßnahmen (Rückkopplungsfunktion). Darüber hinaus besitzen Verbandsvertreter oft ein hohes Maß an Sachkunde in bezug auf die jeweiligen Spezialprobleme. Umgekehrt leiten die Verbandsvertreter wichtige Informationen über Gesetze, Gesetzesvorhaben oder sonstige staatliche Maßnahmen an die Mitglieder weiter. Die Verbände bilden auf diese Weise also Vermittler für den (in beide Richtlungen laufenden) Informationsfluss zwischen Mitgliedern und politischen Entscheidungsinstanzen (Informationsfunktion der Verbände). Weiter leisten sie, vor allem die Spitzenverbände, durch Vorsortieren und Bündeln der Interessen eine die Politiker bis zu einem gewissen Grad entlastende Vorarbeit (Abstimmungsfunktion). Schließlich wird den Interessenverbänden in ihrem Zusammenspiel eine wechselseitige Eindämmung und zugleich auch eine Begrenzung der Macht anderer Akteure, insbes. der politischen Parteien, und damit eine freiheitssichernde Funktion zugesprochen. Aus diesen Gründen wird heute allgemein davon ausgegangen, dass neben einem System von zwei (oder mehr) Parteien auch ein System von zahlreichen Interessengruppen eine legitime Funktion in der Demokratie hat (Verbindung von Mehr-Parteien- und Viel-Verbändesystem)“.247 „einer großen Standfestigkeit der staatlichen Entscheidungsorgane und der politischen Parteien“ hin (S. 462); von Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 105. Kritisch zum Einfluss von Interessengruppen: von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen; Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 119 ff.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 342 f.; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 26 S. 188 ff., insb. § 26 I S. 197 ff. 246 von Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 105; Böckenförde, Die Politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie, Ein Beitrag zum Problem der „Regierbarkeit“, Der Staat 15 (1976), S. 457, 462. Zur Einschränkung von Interessengruppenpolitik fordert Daumann eine eine starke und unabhängige Informationsinstanz zur Information von Abgeordneten (Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 336 f.). 247 von Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 105 (HiO). Vgl. auch: Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, Ein Beitrag zur teleologischen Auslegung des Staatsorganisationsrechts, S. 119 f.: „Weitere Gründe für die Richtigkeitsgewähr des parlamentarischen Regierungssystems sind von der Literatur einfach übersehen worden. Zunächst einmal stellt die Tatsache, daß fast alle Abgeordneten infolge ihrer beruflichen Vorkarriere sich mit bestimmten Interessengruppen identifizieren, keine Abschwächung, sondern im Gegenteil eine Verstärkung der obigen Richtigkeitsgewähr dar, wenn im Parlament auf diese Weise alle Interessen effektiv ungefähr gleich stark vertreten werden. Auf diese Weise wird nicht nur stärker als durch den Druck der öffentlichen Meinung gewährleistet, daß wirklich
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Der Staat ist vor dem Hintergrund des Einflusses von Interessengruppen nach Worten von K. Hesse zu einem „Stück Selbstorganisation der modernen Industriegesellschaft“ geworden, da der staatliche Ordnungsrahmen nicht mehr extern vorgegeben ist, sondern durch gesellschaftliche Kräfte bestimmt wird.248 b) Verfassungsrechtliches Leitbild des Abgeordneten Hintergrund der aus rechtswissenschaftlicher Sicht grundsätzlich anderen Bewertung des politischen Prozesses im Hinblick auf die Rolle von Interessengruppen als in der heutigen ökonomischen Literatur ist, dass die Interessengruppentheorie das verfassungsrechtliche Bild des Abgeordneten in Frage stellt249 und ein Politikversagen als Regelfall ansieht: „In dem der einzelne modellhaft als homo oeconomius und damit als bourgeois in seiner zugespitztesten Form verstanden wird und indem so sein Handeln – sowohl als Privat- wie vor allem auch als Amtsperson – umfassend als durch Anreize selbstbezogen determiniert gedeutet wird, sucht besonders die public choice theory zu zeigen, daß Regulierung immer nur zu Lasten der Schwächeren ausgehen kann. Regulierung ist danach per se ungerecht bzw. – wirtschaftlich gesehen – dysfunktional: Im do ut des wirtschaftlicher Vorteilsveralle durch die Entscheidung betroffenen Interessen mit hinreichendem Gewicht beachtet werden. Vielmehr ist mit der liberalen Vertragstheorie auch davon auszugehen, daß, wenn sich im Parlament zwei gleich starke Interessengruppen gegenüberstehen, der notwendige Kompromiss die Interessen beider Parteien sachlich-gerecht miteinander abwägt. Darüber hinaus wird man annehmen müssen, daß bei einer großen Zahl von Entscheidungen nur zwei oder drei Interessengruppierungen unmittelbar betroffen werden; die Mehrzahl der nicht in diesen Streit einbezogenen Abgeordneten wird die Interessen der Streitparteien wie ein neutraler Richter sachlich-gerecht miteinander abwägen“; Leßmann, Die Verbände in der Demokratie und ihre Regelungsprobleme, NJW 1978, S. 1545 – 151; Badura, Staatsrecht, Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, D Rn. 16; Böckenförde, Die Politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie, Ein Beitrag zum Problem der „Regierbarkeit“, Der Staat 15 (1976), S. 457 – 483. Vgl. auch: Bundesminister des Inneren, Grundlagen eines deutschen Wahlrechts, S. 119 f. „In den Parteien stoßen sie [die Interessengruppen] zum Teil mit den Interessen anderer Gesellschaftsgruppen zusammen. Daher wird schon im Schoße der Parteien, die im Hinblick auf den erstrebten Wahlerfolg nach den verschiedensten Seiten hin Rücksichten zu nehmen haben, ein gewisser Ausgleich vollzogen, soweit eine Partei nicht bloß die Gesichtspunkte einer eng begrenzten Wählerschicht vertritt“. Vgl. auch: Meessen, Beraterverträge und freies Mandat, in: FS Scheuner, S. 431, S. 436 f. Aus ökonomischer Sicht vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 159 f. Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, S. 109 ff. 248 Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, VVDStRL 17 (1959), S. 11, 18. 249 Vgl. Kübler, Schlußwort: Vergleichende Überlegungen zur rechtspraktischem Bedeutung der ökonomischen Analyse, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 293, 299 f.; Streit, Im Reformstau – oder das Elend des Verbändestaates, ORDO 59 (2008), S. 31, 35: „Wird die funktionelle und materielle Verflechtung von Mitgliedern der politischen Klasse Deutschlands mit Verbänden berücksichtigt, so dürfte die Stellung von Abgeordneten fragwürdig sein. Zu fragen ist nämlich, ob aufgrund dieses Sachverhalts tatsächlich Art. 38, Abs. 1 Grundgesetz auf sie anwendbar ist“.
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schaffung werden staatliche Akteure stets von den besser organisierten Mächtigen mehr erhalten als von denen, die der Regulierung bedürften. Alle kollektiven Legitiminierungsversuche über rechtliche Konstruktionen erscheinen in dieser Deutungsperspektive als idealistische Überhöhung und letztlich als ideologische Verbrämung. Das Ergebnis überrascht dann nicht: Mit Menschen, die allein als burgeois (und damit ökonomisch rational) handeln, ist kein Staat zu machen“.250
Eine Beschreibung des demokratischen Entscheidungsprozesses (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG)251 als grundsätzlich fehlerhaft – im Sinne eines grundsätzlichen Ausfalls der demokratischen Repräsentation und einer damit verbundenen Begünstigung bestimmter Interessengruppen – ist aus rechtswissenschaftlicher Perspektive kaum erträglich,252 da damit zugleich behauptet wird, dass der zugrundeliegende verfassungsrechtliche Ordnungsrahmen fehlerhaft ist. Die Väter des GG müssten sich den Vorwurf gefallen lassen, von falschen Voraussetzungen ausgegangen zu sein, denn Grundlage des Gedankens der parlamentarischen Demokratie ist gerade, dass politische Akteure sich bewusst für das Gemeinwohl einsetzten:253 250 Masing, Die US-amerikanische Tradition der Regulated Industries und die Herausbildung eines europäischen Regulierungsverwaltungsrechts, Constructed Markets on Networks vor verschiedenen Rechtstraditionen, AöR 128 (2003), S. 558, 563 (HiO). Vgl. auch: Fezer, Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986, 817, 822. 251 Zum Demokratieprinzip: Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 11 ff. 252 Fezer kritisiert das von dem ökonomischen Ansatz zugrundegelegte Menschenbild. Das Menschenbild des „schieren Nutzenmaximierers“ sei nicht der Mensch eines verfassungsgestalteten Privatrechts einer offenen Gesellschaft der Grundrechtsdemokratie (Fezer, Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986, 817, 822). Vgl. auch: Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 44 ff. 253 Vgl. Präamel GG Abs. 1: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“. Der Auftrag der politischen Akteure zum Wohl der Bürger zu handeln kommt auch insbesondere in einem Vorentwurf zum Ausdruck, in dem auf die Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft hingewiesen wurde: „Die nationalsozialistische Zwingherrschaft hat das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt; Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt. Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen Republik wurde zerstört“. Präambel WRV: „Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben“. Preamble Constitution of the United States of America: „We, the People of the United States, in Order to form a more perfect Union, establish Justice, insure domestic Tranquility, provide for the common defence, promote the general Welfare, and secure the Blessing of Liberty to ourselves and our Posterity, do ordain and establish this Constitution for the United States of America“. Madison: „Noch können Politiker nicht darauf bauen, wir vergäßen, dass das Gemeinwohl, das tatsächliche Wohl der großen Masse des Volkes nur so viel Wert ist, wie sie zur Erlangung dieses Ziels beiträgt“ (Madison, Federalist-Artikel Nr. 45, in: Hamilton/Madison/Jay, Die Federalist-Artikel, S. 278, 279); Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, Ein
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„Alle Staatslehren lassen sich auf die Kernfrage zurückführen, ob sie eine pessimistische oder optimistische Einstellung zum Menschen haben. Die demokratischen Staatstheorien haben jedenfalls die Vorstellung gemeinsam, daß der Mensch als solcher im letzten Gutwillig und vernünftig sei“.254
Mit der Beschreibung des Abgeordneten aus Perspektive der ökonomischen Theorie der Politik wird zugleich die Vermittlungsfunktion der Parteien zwischen Volk und Staat (vgl. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG)255 beeinträchtigt.256. Die hohe verfassungsrechtliche Wertschätzung des Abgeordneten kommt in seiner verfassungsrechtlichen Stellung und insbesondere seiner Repräsentationsfunktion und seiner Unabhängigkeit (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) zum Ausdruck.257 Dehler verglich im Rahmen der Beratungen zu Art. 38 GG die Unabhängigkeit des Abgeordneten mit der eines Richters258. Damit betont das GG vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG insbesondere Rechte und den Schutz des Abgeordneten und nicht in erster Linie die Kontrolle des Abgeordneten.259 Fest steht aber auch, dass eine Bindung von Abgeordneten gegenüber Interessengruppen gegen den Grundsatz des freien Mandats (Art. 38 Abs. 1 Satz 1
Beitrag zur teleologischen Auslegung des Staatsorganisationsrechts, S. 121: „Die Lehre übersieht dabei vor allem auch, daß das primäre Ziel der meisten Abgeordneten eben nicht der Erwerb einer lukrativen Position ist, daß sie sich vielmehr im Bewusstsein ihrer Rolle mit dem Allgemeininteresse durchaus identifizieren“. 254 Dürig, Gesammelte Schriften, 1952 – 1983, S. 376. Vgl. auch: Masing, Die US-amerikanische Tradition der Regulated Industrie und die Herausbildung eines europäischen Regulierungsverwaltungsrechts, Constructed Markets on Networks vor verschiedenen Rechtstraditionen, AöR 128 (2003), S. 558, 563. 255 Vgl. BVerfG, Urteil vom 9. 4. 1992, Az. 2 BvE 2/89, BVerfGE 85, 264, 284: „Den Parteien obliegt es, politische Ziele zu formulieren und diese den Bürgern zu vermitteln sowie daran mitzuwirken, daß die Gesellschaft wie auch den einzelnen Bürger betreffende Probleme erkannt, benannt und angemessenen Lösungen zugeführt werden. Die für den Prozeß der politischen Willensbildung im demokratischen Staat entscheidende Rückkopplung zwischen Staatsorganen und Volk ist Sache der Parteien.“; BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1994, Az. 2 BvB 2, 3/93, BVerfG 91, 276, 285; BVerfG, Urteil vom 12. 3. 2008, Az. 2 BvF 4/03, BVerfGE 121, 30, 55; Streinz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 21 Abs. 1 Rn. 15, Rn. 73 ff.; Klein, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 21 Rn. 166 (64. Lfg. Januar 2012); Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 22 ff.; Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 94 ff. 256 Vgl. zum „Marktversagen“ im politischen Wettbewerb: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 45 – 47. 257 Zum verfassungsrechtlichen Statuts des Abgeordneten: Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 45 ff.; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 38 Rn. 128 ff.; Trute, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 38 Rn. 73 ff.; Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 15 f. 258 Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge, Bd. 1, S. 355. 259 Vgl. zu den Rechten und Pflichten von Abgeordneten: Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 58 ff. Vgl. § 44a Abs. 4 Abgeordnetengesetz.
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GG) verstößt.260 Faktisch sind Bindungen gegenüber Interessengruppen damit jedoch nicht ausgeschlossen, wenn Abgeordnete Interessengruppen auf freiwilliger Basis entgegenkommen.261 Die Unterschiedlichkeit der Bewertung des Einflusses von Interessengruppen aus ökonomischer und rechtswissenschaftlicher Sicht262 spiegelt sich in der unterschiedlichen Bewertung von Systemwettbewerb aus ökonomischer und rechtswissenschaftlicher Sicht wider263. Während Systemwettbewerb im einem Großteil der ökonomischen Literatur als ein Heilmittel verstanden wird,264 erfährt Systemwettbewerb in der rechtswissenschaftlichen Literatur tendenziell eine kritische Bewertung.265 260 Badura, Staatsrecht, Systematische Erläuterung des Grundgesetzes, E, Rn. 18, S. 542; Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38 Rn. 53 (Februar 2008); Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38, Rn. 48; Schneider, in: AK-GG, Art. 38 Rn. 39 (2. AufbauL August 2002). Wohl anders: Meessen, Beraterverträge und freies Mandat, in: FS Scheuner, S. 431, 437, 447 ff. „Art. 38 Abs. 1 Satz 2 enthält kein absolutes Verbot entgeltlicher Beraterverträge, die auf die parlamentarische Vertretung partikulärer Interessen ausgerichtet sind“ (S. 447 f.). 261 Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rn. 47; Schneider, in: AK-GG, Art. 38 Rn. 39 (2. AufbauL August 2002). 262 Anders in den USA: Roe, Chaos and Evolution in Law and Economics, Harvard Law Review 109 (1996), S. 641, 667 f.: „We – corporate and business law scholars in general – sought to explain American business institutions. Many of us have an underlying policy preference for limiting government directives“. 263 Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 52: „Die Bewertung der prinzipiellen Tauglichkeit des Wettbewerbs der Rechtsordnungen, aufgefasst als mögliches Verfahren zur Sicherung von Freiheit und Demokratie und seiner Kanalisierbarkeit durch eine Metaordnung hängt ab vom Staatsbild und vom Bild des demokratischen Prozesses, das der Beobachter sich macht. Wer den gemeinwohlfördernden Staat ohnehin für einen Mythos hält wird die freiheits- und gleichheitsfördernden und solidaritätsermöglichenden Potentiale eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen eher hoch bewerten und den Wettbewerb als ein sinnvolles Korrektiv gegen übermäßige Abgaben und Regulierungen ansehen. Jedoch stellt der rein soziologische Befund, dass Staat und demokratischer Prozessnotwendig von bestimmten Gruppeninteressen ,gefangen‘ seien, in einer auch disziplinär bedingten Spannung zur rechtswissenschaftlichen Analyse, die Staat und Demokratie als normative und damit auch zu einem gewissen Grad kontrafaktische Konzepte postuliert. Das Argument der ,capture‘ hat also nur eine begrenzte Kraft im juristischen Diskurs“. 264 Vgl. Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113 – 134; Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB; Haucap/Kühling, Systemwettbewerb durch das Herkunftslandprinzip: Ein Beitrag zur Stärkung der Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit in der EU?, in: FS Kirchner, S. 799, 809 f. 265 Vgl. BGH, Beschluss vom 30. 3. 2000, Az. VII ZR 370/98, DNotZ 2000 S, 782, 785: „Es ist zu befürchten, dass sich im dergestalt eröffneten ,Wettbewerb der Rechtsordnungen‘ gerade die Rechtsordnung mit dem schwächsten Schutz dritter Interessen durchsetzen würde (,race to the bottom‘)“ [zur gesellschaftsrechtlichen Gründungstheorie]. Nach L. Michael kann das Konzept eines Wettbewerbs von Rechtsordnungen aus Sicht der Rechtswissenschaft als Provokation erscheinen (Michael, Wettbewerb von Rechtsordnungen, DVBl. 2009, S. 1062, 1071). Engel sieht in einem perfekt funktionierendem Systemwettbewerb ein Ende des Rechts (Engel,
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
3. Bürokratietheorie Die Bürokratietheorie266 leitet aus den Interessen von in der Verwaltung beschäftigten Personen an Einflussmehrung bzw. beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten Rückschlüsse auf die Art und Weise der Rechtsanwendung und der Entwicklung von Regulierungen ab.267 So wird unterstellt, dass leitende Verwaltungsbeamte darum bemüht sind, das Budget ihrer Behörde zu erhöhen268 und damit ein Interesse an der Ausweitung von Regulierungsausgaben besitzen, was zu einer Ausweitung der Bürokratie führt269. Es wird zudem angenommen, dass Behördenmitarbeiter aufgrund von Verdienst- und Karrierechancen in den regulierten Bereichen nach ihrem Ausscheiden aus der Verwaltungstätigkeit geneigt sind, den Interessen der Vertreter der regulierten Wirtschaftsbereichen zu entsprechen (revolving-door Phänomen).270 Die Bürokratietheorie lässt sich auch auf die Rechtsprechung übertragen. Dass die Rechtsprechung des EuGH durch eine weite Auslegung der Grundfreiheiten zu einem „Motor der Integration“271 geworden ist, wird unter Rückgriff auf die BüroKarl M. Meessen: Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, AöR 131 (2006), S. 322, 324); Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55 – 59; Kirchhof, Das Maß der Gerechtigkeit, Bringt unser Land wieder ins Gleichgewicht, S. 360. Eine positive Bewertung erfährt Systemwettbewerb aus rechtswissenschaftlicher Perspektive von: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung; Köndgen, Mindestharmonisierung im Bankrecht, in: 7. Bonner Europa-Symposium, „Mindestharmonisierung im Binnenmarkt“, S. 16 f. 266 Vgl. Niskanen, Bureaucracy and Representative Government; Derlin/Böhme/Heindl, Bürokratietheorie. Zur Anwendung auf Organe der EU: Ohr, Clubs im Club – Europas Zukunft?, ORDO 58 (2007), S. 67, 76; Vaubel, The public choice analysis of European integration: A survey, European Journal of Political Economy European Journal of Political Economy 10 (1994), S. 227, 237; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, Europa zwischen einem Wettbewerb der Gesetzgeber und vollständiger Harmonisierung, S. 71 ff. 267 Vgl. die Darstellung der Capture-Theorie bei: Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 310 f. Rn. 79 – 81. 268 Niskanen, Bureaucracy and Representative Government, S. 38 ff. (zu dieser These: Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 129). 269 Vgl. Herzog, Europa neu erfinden, S. 91 f.: „Nach uraltem europäischen Brauch wird die Nützlichkeit eines Beamten durchaus nach der Zahl der von ihm erlassenen Entscheidungen, in den höheren Rängen also nach der Zahl der von ihm selbst geschaffenen Vorschriften beurteilt. Die Beamten selbst scheinen sich nach dieser Regel einzustufen – für das, was er unterlassen hat, wird nur selten einer belobigt“. 270 Vgl. die Nachweise bei: Müller/Sturm, Ein neuer regulativer Staat in Deutschland? Die neuere Theory of the Regulatory State und ihre Anwendbarkeit in der deutschen Staatswissenschaft, Staatswissenschaften und Staatspraxis 9(4) (1998), S. 507, 514, Fn. 29. Dieses Phänomen kann auch in Bezug auf politische Akteure relevant sein: Edinger/Schwarz, Leben nach dem Mandat, Eine Studie zu ehemaligen Abgeordneten, SFB 580 Mitteilung, Heft 35, Juni 2009, S. 31 ff. 271 Mestmäcker, Der Kampf ums Recht in der offenen Gesellschaft, in: Recht in der offenen Gesellschaft, S. 11, 24. Vgl. auch: Vaubel, Die politisch-ökonomischen Ursachen der Zen-
B. Erklärung der Entwicklung von einzelstaatlichen Ordnungsrahmen
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kratietheorie auch mit den Interessen der EuGH-Richter an der Gewinnung von Einfluss und Prestige erklärt.272 4. Krisentheorie Nach der Krisentheorie verursachen Krisen politischen Handlungsdruck und führen zur Inkraftsetzung von Regulierungen oder Verschärfung bestehender Regulierungen.273 Krisen als exogener Anstoß zeitigen damit eine bedeutende Anstoßwirkung für die Gestaltung von Regulierungen und ermöglichen Maßnahmen der Rechtsetzung, die ohne die Krise nicht denkbar sein würden.274 Krisen können aber nicht nur zu einer Verschärfung bestehender Regulierungen, sondern auch zu einer Umgestaltung von Regulierungen führen, wenn sich ein bestimmter Regulierungsansatz nicht bewährt hat bzw. ein anderer Regulierungsansatz aus der Erfahrungsperspektive der Krise vorteilhaft erscheint. Wichtiges Anwendungsbeispiel für derartige regulatorische Interventionen ist die Regulierung des Bankwesens unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren275 bzw. die aus der „Herstattkrise“ im Jahr 1974276 und die aus der jüngsten Finanzkrise277 folgende Regulierung. tralisierungsdynamik, Wirtschaftsdienst 2007, S. 84, 85; Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71, 82 ff.; Witte, Der Vertrag von Maastricht über die Schaffung einer Europäischen Union, in: Probleme der deutschen und europäischen Integration: institutionenökonomische Perspektiven, S. 251, 262. 272 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 72 f. Der EuGH betrachtete die Errichtung eines EWR-Gerichtshofes als unzulässig. Dieser Gerichtshof hätte die Kompetenz des EuGH in Bezug auf den EWR eingeschränkt und hätte eine Konkurrenz für den EuGH bedeutet (Gutachten gemäss Artikel 228 EWG-Vertrag, Gutachterliche Stellungnahme des Gerichtshofes vom 14. 12. 1991, Slg. 1991, I-6079, I-6111, Rn. 71). Die Bürokratietheorie kann auch z. T. auf den Wissenschaftsbetrieb übertragen werden. 273 Vgl. D. Schneider, Ausweichhandlungen vor Regulierungen auf Finanzmärkten als Prüfstein wettbewerbspolitischer Konzepte, ORDO 37 (1986), S. 155, 174 – 176; Fülbier, Regulierung, Ökonomische Betrachtung eines allgegenwärtigen Phänomens, WiSt 1999, S. 468, 472; von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 337; Mayer, Die Ökonomen im Elfenbeinturm, S. 78. 274 Vgl. Roe, Chaos and Evolution in Law and Economics, Harvard Law Review 109 (1996), S. 641, 664 f. „Nothing important might happen except in crisis. Institutions and rules would be comparatively rigid until a shock hit the system: an economic depression or political crisis for us, an asteroid smashing into the earth for the biologists“ (S. 663). 275 Vgl. Fülbier, Regulierung, Ökonomische Betrachtung eines allgegenwärtigen Phänomens, WiSt 1999, S. 468, 472; Möschel, Das Wirtschaftsrecht der Banken, S. 204 ff.; Born, Die deutsche Bankenkrise 1931, Finanzen und Politik; Zimmer, Der EG-Richtlinienentwurf über Einlagensicherungssysteme: Chancen zur Verbesserung der deutschen Einlagensicherung?, ZBB 1992, S. 286, 290; Paersch, Maßnahmen des Staates hinsichtlich einer Beaufsichtigung und Reglementierung des Bankwesens, Bd. 1/2, S. 31, 34; Fischer, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch Bd. 2, § 125 Rn. 30 ff.; Fischer, in: Boos/Fischer/SchulteMattler, Kreditwesengesetz, Einf KWG Rn. 4 ff.
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Nach Überwindung einer Krise und der Schaffung bzw. Verschärfung von Regulierungen bleiben diese Rechtsstrukturen bestehen, so dass sich mit jeder Krise tendenziell ein höheres Niveau an Regulierung ergibt.278 Krisen können deshalb im Laufe der Zeit zu einer Überregulierung führen.279 Wenn Krisen hingegen das gesamte politische System bzw. Regulierungsystem infrage stellen, können sie jedoch auch zu einer Beseitigung überkommender Regulierungsstrukturen führen,280 C. C. von Weizsäcker spricht von „Reinigungsgewitter[n]“281. 5. Meinungsbildung der Bevölkerung Ein wichtiger Faktor der Gestaltung von Regulierung stellt – auch gerade aus Sicht der Public Choice Theorie – in demokratischen Prozessen (entsprechend des verfassungsrechtlichen Ranges von Art. 5 Abs. 1 GG282) die Meinungsbildung in der Bevölkerung dar.283 Entscheidend ist die Wahrnehmung eines bestimmten Problems in der Öffentlichkeit. Die Wahrnehmung von Regulierungsbedarf seitens der Öffentlichkeit kann dabei, gemessen an einem objektiven Maßstab, verzerrt sein. Deshalb können einzelne Akteure über eine Beeinflussung der Meinungsbildung auf die Gestaltung von Politik und damit auf die Rechtsgestaltung Einfluss nehmen.284
276 Vgl. Fischer, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, § 125 Rn. 38; o. V. Banken, Schlechter Geruch, Der Spiegel 42/1976, S. 90 – 92. 277 Hartmann-Wendels, Basel III – Auswirkungen auf Banken und Finanzsystem, zfbf Sonderheft 67/13, S. 72, 73. 278 von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 337 f. 279 Fülbier, Regulierung, Ökonomische Betrachtung eines allgegenwärtigen Phänomens, WiSt 1999, S. 468, 472. 280 Vgl. von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 338. 281 von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 338. 282 Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. 08. 1956, Az. 1 BvB 2/51, BVerfGE 5, 85, 134 f., 205; BVerfG, Urteil vom 19. 07. 1966, Az. 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56, 97 f. „Das durch Art. 5 GG gewährleistete Recht der freien Meinungsäußerung,Presse-, Rundfunk-, Fernseh- und Filmfreiheit sind für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend“ (S. 97); Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 17: „Für den demokratischen Verfassungsstaat des Grundgesetzes stellt die Kommunikations- und Medienverfassung ein Kernproblem von existenzieller Bedeutung dar“. 283 Vgl. Dylla, Eine ökonomische Analyse der Mediendemokratie, S. 199 ff., 215 – 219; o. V., Holzmann-Rettung, Schröders Sympathiewert ist gestiegen, Spiegel Online 01. 12. 1999, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/holzmann-rettung-schroeders-sympathiewert-ist-ge stiegen-a-54775.html; Fleischhauer/Leinemann/Palmer/Reiermann/Reuter/Schäfer, „Wir zeigen es denen“, Der Spiegel 48/1999, S. 30 – 32. 284 Vgl. Meier/Durrer, Ein kognitiv-evolutionäres Modell des wirtschaftspolitischen Prozesses, in: Studien zur Evolutorischen Ökonomik II, S. 229, 243.
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Akteure können Branchenvertreter, Journalisten bzw. die Medien285 oder politische Akteure sein. Die Meinungsbildung kann sich dabei zum einen auf die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen eine Regulierung beziehen und zum anderen auf die Auswahl des jeweiligen Regulierungsinstruments. So erscheint eine direkte Regulierung in Form der Statuierung von Verboten in Augen der Bevölkerung gerechter und effektiver als die Schaffung von Haftungsregeln.286 H.-B. Schäfer/Ott weisen darauf hin, dass die Funktion des Deliktsrechts vor allem in der Gewährung eines Ausgleichs an den Geschädigten verstanden wird und der Präventionsfunktion des Deliktsrechts lange Zeit eine nur untergeordnete Bedeutung zukam.287
III. Wissensmangel politischer Akteure Politische Akteure besitzen ein lediglich eingeschränktes Wissen in Bezug auf wirtschaftspolitische Maßnahmen und die Gestaltung und die Wirkung von Markteingriffen.288 Das Wissensproblem politischer Akteure betonte insbesondere von Hayek, weswegen er zu einer Zurückhaltung regulierender Eingriffe plädierte: „Jede solcher Beschränkung, jeder Zwang, der nicht der Durchsetzung allgemeiner Regeln gilt, ist auf die Erzielung eines bestimmten voraussehbaren Ergebnisses gerichtet, aber das, was dadurch verhindert wird, ist gewöhnlich nicht bekannt. Die unmittelbaren Wirkungen jedes Eingriffs in die Marktordnung sind daher in den meisten Fällen nahe und deutlich sichtbar, während die indirekten und entfernteren Wirkungen meist unbekannt sind und deshalb außer Betracht bleiben. Wir werden uns nie all der Kosten bewußt sein, die dadurch verursacht werden, daß wir besondere Ergebnisse durch einen solchen Eingriff erzielen“.289 285
Vgl. Koch, Kognitive Determinanten der Problementstehung und -behandlung im wirtschaftspolitischem Prozess, Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 118 (1998), S. 597, 608; Sen, The Idea of Justice, S. 336. 286 Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 92. Vgl. auch: H.-B. Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 149 – 153; Kötz/H.-B. Schäfer, Judex, calcula!, JZ 1992, S. 355 – 356. Zum unterschiedlichen Vorverständnis von Ökonomen und Juristen in Haftungsfragen: Posner, Economic Analysis of Law, S. 32. 287 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 151. 288 Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 336 f.; von Hayek, Die Anmaßung von Wissen in: Die Anmaßung von Wissen, Neue Freiburger Studien, S. 3 – 15; von Hayek, The Use of Knowledge in Society, 35(4) (Sept. 1945), S. 19 – 530, „The peculiar character of the problem of a rational economic order is determined precisely by the fact that the knowledge of the circumstances of which we must make use never exists in concentrated or integrated form, but solely as the dispersed bits of incomplete and frequently contra dictionary knowledge which all the separate individuals posses“ (S. 519). 289 von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, S. 85. Schon Adam Smith deutete das Wissensproblem an: „Der einzelne vermag ganz offensichtlich aus seiner Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse weit besser zu beurteilen, als irgendein Staatsmann oder Gesetzgeber für ihn tun kann, welcher Erwerbszweig im Lande für den Einsatz seines Kapitals geeignet ist und welcher einen Ertrag abwirft, der den höchsten Wertzuwachs verspricht“ (A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, S. 371).
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Nach seiner Überzeugung hat der Gesetzgeber mittels unangemessener Markteingriffe „[d]ie meisten der ,Notwendigkeiten‘ der Politik […] selbst geschaffen“.290 Heute betonen insbesondere Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie das Wissensproblem politischer Akteure. Aus dieser Perspektive erscheint Systemwettbewerb als Möglichkeit, den Wissensmangel der politischen Akteure im Hinblick auf die Gestaltung von Recht zumindest einzuschränken,291 indem Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren in Bezug auf die Gestaltung von Institutionen fungiert292. Auch von Savigny (als früher Befürworter einer evolutorischen Rechtsentwicklung) erkannte die Bedeutung des Wissensproblems und sah insbesondere in einer fortschreitenden Rechtswissenschaft ein Verfahren zur Generierung von Wissen.293 Die Grenzen von staatlicher Steuerung haben in der Rechtswissenschaft unter dem Topos „Krise des Ordnungsrechts“294 zu einer breiten Diskussion über die Rationalität des Staates und seiner Fähigkeit, mittels Recht bestimmte Ziele zu erreichen, geführt295. Nach Willke sind in das gegenwärtige positive höchstwahrscheinliche Recht zwei Möglichkeiten des Scheiterns eingebaut: zum einen ungenügende Information über den zu regelnden Sachverhalt; zum anderen nicht vorausgesehene Veränderungen der zu regelnden Problemlage, die die Normwirkung beeinträchtigten, leerliefen oder ins Gegenteil verkehren lassen.296 Mit der Steuerungsdiskussion besteht eine unmittelbare Parallele zur ökonomischen Diskussion 290
von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, S. 88. Es handelt sich dabei heute um einen grundlegenden ökonomischen Argumentationstopos. 291 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 31 ff. 292 Vgl. Teil 1 § 4 D. V. 1. Zur These, dass die Armut in bestimmten Staaten durch den Wissensmangel politischer Akteure bedingt sei vgl. Acemoglu/Robinson, Warum Nationen scheitern, S. 93 ff. 293 von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Thibaut und Savigny, S. 95, 192. Vgl. auch S. 234 f. (Erste Anlage) „Wir können uns doch nicht anmaßen, in einem Fache, das sich so ins Einzelne ausgebildet hat, wie das bürgerliche Recht, alles durch gute Einfälle vortrefflich entscheiden zu wollen, wir können des guten Rathes der Zeitgenossen und der Vorfahren doch nicht entbehren […]. Bei jenem Zustand der Quellen und der Literatur aber kann es gar leicht kommen, daß ins in gar vielen Stücken die einzig rechte, längst gefundene Ansicht (die gar nicht immer die herrschende und bekannteste ist) entgieng, nicht weil wir ihre Richtigkeit verkannten, sondern lediglich weil sie uns der Zufall nicht vor die Augen führte“ (S. 234 f., sic!). 294 Vgl. Voßkuhle, Neue Verwaltungswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts Bd. 1, § 1 Rn. 10. Kritisch: Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 9: „Es ist offen, ob die Krisendiagnose trifft“. 295 Vgl. Willke, Entzauberung des Staates, Überlegungen zu einer sozietalen Steuerungstheorie, S. 49 ff.; Voßkuhle, Neue Verwaltungswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts Bd. 1, § 1 Rn. 10; Voßkuhle, Das Konzept des rationalen Staates, in: Governance von und durch Wissen, S. 13, 16 ff. 296 Willke, Entzauberung des Staates, Überlegungen zu einer sozietalen Steuerungstheorie, S. 69.
C. Rückwirkungen des Ordnungsrahmens auf die Privatrechtsgesellschaft
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um die eingeschränkten Möglichkeiten (staatlicher) Planung.297 Ein Austausch zwischen der Steuerungsdiskussion in der Rechtswissenschaft und zwischen der ökonomischen Diskussion über die „Nichtzentralisierbarkeit des Wissens“, erfolgt jedoch bemerkenswerter Weise nicht.298
C. Rückwirkungen des jeweiligen einzelstaatlichen Ordnungsrahmens auf die Lebendigkeit einer Privatrechtsgesellschaft Das im Rahmen eines staatlichen Ordnungsrahmens zum Ausdruck kommende Verhältnis zwischen Freiheit und Bindung unterscheidet sich von Staat zu Staat und findet Ausdruck in den verschiedenen Verfassungs- und Wirtschaftsordnungen. Der jeweilige einzelstaatliche Ordnungsrahmen formt als Wirtschaftsverfassung299 bzw. (evolutorisch ausgedrückt) als „Selektionsumgebung“300 den spezifischen Charakter einer sich innerhalb des Ordnungsrahmens entwickelnden Privatrechtsgesellschaft. von Hayek vergleicht die Funktion Regierung mit der des Wartungspersonals einer Fabrik, „da ihr Zweck nicht ist, bestimmte Leistungen oder Produkte hervorzubringen, die von den Bürgern konsumiert werden sollen, sondern eher, dafür zu sorgen, daß der Mechanismus, der die Produktion dieser Güter und Dienstleistungen regelt, in arbeitsfähigem Zustand erhalten bleibt“.301
Damit kommt plastisch zum Ausdruck, dass Recht die Basis der Wertschöpfung bildet.
297
Vgl. Kerber, Grenzen der Wirtschaftspolitik, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 207, 209 ff. 298 Vgl. Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 69 Fn. 5. 299 Vgl. Vanberg, Privatrechtsgesellschaft und ökonomische Theorie, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik, 07/5, S. 12 ff. 300 Vgl. Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 31; Kerber/Vanberg, Competition among Institutions, Evolution within constraints, in:Competition among Institutions, S. 35, 52 f.; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 204 Fn. 6. 301 von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, S. 71; Friedman, The Role of Government in Education, in: Economics and the Public Interest, S. 123, 124; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 100.
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§ 2 Der Ordnungsrahmen einer Privatrechtsgesellschaft
Der jeweilige einzelstaatliche Ordnungsrahmen stellt aufgrund seines Einflusses auf den Ablauf wirtschaftlicher Prozesse302, einen Faktor im wirtschaftlichen Erfolg einer Volkswirtschaft und damit einen Wettbewerbsparameter im Wettbewerb der Staaten dar303.
302
Vgl. Choi, (Hrsg.), Institutional Economics and National Competitiveness; Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen; Vollmer (Hrsg.), Institutionelle Ursachen des Wohlstands der Nationen; Acemoglu/Robinson, Warum Nationen scheitern. 303 Vgl. Choi, (Hrsg.), Institutional Economics and National Competitiveness; Acemoglu/ Robinson, Warum Nationen scheitern; Moyo, Dead Aid; Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen.
§ 3 Ordnungsrahmen für eine internationale Privatrechtsgesellschaft A. Kompatibilität einzelstaatlicher Ordnungen im Öffentlichen Recht Die Regeln des Öffentlichen Rechts dienen der Durchsetzung bestimmter Regulierungsziele auf dem Territorium des jeweiligen Einzelstaates.1 In Abwesenheit spezieller Verpflichtungen völkervertraglicher oder supranationaler Art, nehmen Staaten in öffentlich-rechtlich geprägten Rechtsbereichen grundsätzlich wenig Rücksicht auf den internationalen Charakter des jeweiligen Rechtsverhältnisses und räumen ihren Regulierungsinteressen – schon vor dem Hintergrund einer ansonsten drohenden Inländerdiskriminierung2 – Vorrang ein. Das staatliche Interesse an der Durchsetzung eigener Regulierungsziele kommt auf Ebene des Kollisionsrechts im Prinzip der Territorialität des Öffentlichen Rechts3 (als „Zentralbegriff“ des Internationalen Öffentlichen Rechts4) zum Ausdruck. Staaten können bestimmen, dass auf ihrem Territorium in Verkehr gebrachte Waren und Dienstleistungen bestimmten Anforderungen entsprechen müssen. Es gilt ein Bestimmungsland-5 bzw. Tätigkeitslandprinzip6. Aus der Geltung des Bestimmungslandprinzips folgt im Falle des grenzüberschreitenden Warenvertriebs die Notwendigkeit der Anpassung dieser Waren an die jeweiligen Bestimmungen des Bestimmungslandes7 mit der Folge 1
Zum Territorialitätsgrundsatz im Öffentlichen Recht: Menzel, Internationales Öffentliches Recht, S. 787 ff. 2 Vgl. Seidel, Der EWG-rechtliche Begriff der „Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung“, NJW 1967, S. 2081, 2083. Da die Benachteiligung von Ausländern, wesentlich näher liegt als die Benachteiligung von Inländern (Kewenig, Niederlassungsfreiheit, Freiheit des Dienstleistungsverkehrs und Inländerdiskriminierung, JZ 1990, S. 20, 20) ist im Zusammenhang auch von „umgekehrter Diskrimierung“ („discrimination à rebours“) die Rede (Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 20; Frenz, Handbuch Europarecht, Rn. 776, S. 298). 3 Vgl. Menzel, Internationales Öffentliches Recht, S. 787 ff. 4 Menzel, Internationales Öffentliches Recht, S. 788. 5 Neugärtner, in: Hilf/Oeter, WTO-Recht, § 3 Rn. 15. 6 Michaelis, Hilf/Oeter/, WTO-Recht, § 20 Rn. 65 ff. 7 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 96 ff.; Fischer, Die Behandlung technischer Handelshemmnisse im Welthandelsrecht, S. 11 – 13; Ferrantino, Quantifying the Trade and Economic Effects of Non-Tariff Measures, OECD Trade Policy Working Paper No. 28, 2006; Berg, Markteintritt und Abwehr: Ursachen und Folgen der Begrenzung
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§ 3 Ordnungsrahmen für eine internationale Privatrechtsgesellschaft
regulatorischer Handelshemmnisse8. Neben Anpassungskosten treten die Kosten für die Prüfung der Übereinstimmung von Produkten mit den entsprechenden Regulierungen, also die Kosten für Konformitätsbewertungen.9 Im Fall von Dienstleistungen können die Hemmnisse hingegen noch größer sein, da sich die Marktzugangsregulierung bereits auf die Qualifikation des Anbieters beziehen kann.10 Auf der anderen Seite ist die Kompatibilität von einzelstaatlichen Ordnungen auch unter Geltung des Grundsatzes der Territorialität des Öffentlichen Rechts nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn Staaten im Rahmen ihrer Rechtsanwendung im Ausland verwirklichte Tatbestände berücksichtigen wie im Rahmen der Anerkennung von Prüfungen oder Führerscheinen.11 Das Nebeneinander unterschiedlicher einzelstaatlicher Ordnungen bedeutet aus Sicht von grenzüberschreitend denkenden Privatrechtssubjekten jedoch nicht ausschließlich eine Behinderung ihrer grenzüberschreitenden Betätigung, sondern schafft Möglichkeiten zur Abwanderung und führt damit zu einer Freiheitserweiterung12. Vanberg als Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie spricht im Zusammenhang mit Abwanderungsmöglichkeiten von einer freien Ordnungswahl.13 Der einzelstaatliche Ordnungsrahmen ist (nicht mehr wie von Böhm vorausgesetzt14) unumschränkt verbindlich, sondern wird mittels Wahlmöglichkeiten selbst zum Gegenstand privatautonomer Entscheidung. Auch im Recht besitzt die
japanischer Automobilexporte durch die Europäische Gemeinschaft, in: Die Weltwirtschaft vor neuen Herausforderungen, S. 139, 140 f. 8 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 96 ff.; Fischer, Die Behandlung technischer Handelshemmnisse im Welthandelsrecht, S. 1 ff. 9 Vgl. die Legaldefinition in Art. 3 lit h Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse (THG) vom 6. Oktober 1995 (Stand am 1. Juli 2010) AS 1996, 1725 (Schweiz); Zúñiga Schroder, Harmonization, Equivalence and Mutual Recognition of Standards in WTO Law, S. 9 f.; Fliess/Schonfeld, Trends in Conformity Assessment Practices and Barriers to Trade: Final Report on Survey Cabs and Exporters, OECD Trade Policy Working Paper No. 37, 2006; Nicolaïdis/Shaffer, Transnational Mutual Recognition Regimes: Governance without Global Government, Law & Contemporay Problems 68 (2005), S. 263, 273; Fischer, Die Behandlung technischer Handelshemmnisse im Welthandelsrecht, S. 38 – 40; Sykes, Product Standards for Internationally Integrated Goods Markets, S. 22 – 25. 10 Vgl. Teil 1 § 2 A. I. 11 Vgl. BVerfG, Urteil vom 4. 10. 1985, Az. 8 C 18/83, BVerfG, NJW 1986, S. 1511 (Anerkennung polnischer juristischer Prüfungen als Zweites Juristisches Staatsexamen in Deutschland); von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. 1 § 4 Rn. 71 S. 247 (Anerkennung von Prüfungen), § 4 Rn. 69 S. 246 (Anerkennung von Führerscheinen). 12 Vgl. Teil 1 § 4 D. I. 13 Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 28. Kritisch: Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55, 59. 14 Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO 17 (1966), S. 75, 71, 86 f.
B. Kompatibilität einzelstaatlicher Ordnungen im Privatrecht
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Abwanderungsfreiheit Bedeutung, denn es handelt sich bei der Möglichkeit einer physischen Abwanderung um ein Grund-15 und Menschenrecht16.
B. Kompatibilität einzelstaatlicher Ordnungen im Privatrecht I. Kontinentaleuropäischer Ansatz Während Bemühungen einer Integration im Bereich öffentlich-rechtlicher Normen erst in der jüngeren Vergangenheit unternommen werden,17 nimmt das Internationale Privatrecht schon sehr lange Zeit18 die Aufgabe der Herstellung einer Kompatibilität von Privatrechtsordnungen19 wahr. Das ökonomische Bedürfnis einer Erleichterung des grenzüberschreitenden Verkehrs kommt schon mit der mittelalterlichen Statutentheorie20 zum Ausdruck,21 die die Geltung des ab dem 12. Jahr15 BVerfG, Urteil vom 16. 01. 1957, Az. 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32, 41 f.; BVerfG, Urteil vom 14. 05. 1986, Az. 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 245; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 32; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 7. Art. 11 Rn. 3; von Mangoldt, Grundrechte und Grundsatzfragen des Bonner Grundgesetzes, AöR 75 (1949), S. 273, 288; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 42 f. Von einer ausdrücklichen Formulierung eines Grundrechts auf Abwanderungsfreiheit wurde jedoch im Rahmen der Beratungen im Parlamentarischen Rat bewusst verzichtet, um eine Abwanderung von Privatrechtssubjekten (angesichts der wirtschaftlichen Lage nach dem Zweiten Weltkrieg) nicht bewusst zu forcieren (Mangoldt, Grundrechte und Grundsatzfragen des Bonner Grundgesetzes, AöR 75 (1949), S. 273, 288). Kritisch: Scheuner, Die Auswanderungsfreiheit in der Verfassungsgeschichte und im Verfassungsrecht Deutschlands, in: FS Thoma, S. 199, 199 f. Der hessische Justizminister Zinn bemerkte im Rahmen der Verhandlungen laut Scheuner, dass wenn man bei uns Freiheiten und Lebensmöglichkeiten schaffe, kein Grund für eine Auswanderung bestehe (Scheuner, Die Auswanderungsfreiheit in der Verfassungsgeschichte und im Verfassungsrecht Deutschlands, in: FS Thoma, S. 199, 221). 16 Nach Art. 2 Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK steht es jeder Person frei, jedes Land, einschließlich des eigenen zu verlassen. Hingegen garantiert die Norm nicht das Recht in ein anderes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten (Hk-EMRK, 2003, Protokoll Nr. 4; Artikel 2 Rn. 3; Frowein, in: Europäische MenschenRechtsKonvention, Art. 2 des 4. ZP, S. 693 Rn. 5). Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 42 f. Die Anerkennung des Rechts auf Auswanderung erfolgte in der Zeit, als der jeweilige Herrscher die Religion ihrer Unterthanen bestimmte (Dreier, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 3). 17 Vgl. Irwin/Mavroidis/Sykes, The Genesis of the GATT. 18 Zur Geschichte des Internationalen Privatrechts: Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts; Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des Internationalen Privatrechts, S. 3 ff. 19 Zur Aufgabe des Internationalen Privatrechts: Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl IPR Rn. 1 – 3. 20 Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts, § 5, S. 25 ff. 21 Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht, § 2 II, S. 11 – 13.
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hundert entstandenen Territorialitätsprinzips22 ablöste23 und ausgehend von den jeweiligen Rechtsnormen deren räumlichen Anwendungsbereich bestimmte24. Thünken stellt im Hinblick auf die Statutentheorie fest, dass Statutentheorie und das Herkunftslandprinzip „eine ähnliche kollisionsrechtliche Entlastung zum Ziel [haben]“.25 Insbesondere unter dem bis in die Gegenwart fortwirkenden internationalprivatrechtlichen Ansatz in Tradition von Savignys26 stellt sich die Kompatibilität der Rechtsordnungen im Privatrecht wesentlich entspannter dar als im Öffentlichen Recht, da eine sehr weitgehende Bereitschaft zur Fremdrechtsanwendung27 besteht und den Privatrechtssubjekten in erheblichem Umfang Rechtswahlfreiheit (Parteiautonomie)28 zugestanden wird29. Es geht im Internationalen Privatrecht nicht wie zur Zeit der Schaffung des EGBGB30 – die Schaffung des EGBGB wurde aufgrund der Annahme staatlicher Interessen und der Bedeutung des Gegenseitigkeitsgedankens als außenpolitisch brisante Angelegenheit betrachtet31 – um die Abwägung staatlicher Rechtsanwen22
von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 2 Rn. 8, S. 46. von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 2 Rn. 9, S. 47; Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 32. 24 Kropholler Internationales Privatrecht, § 2 II, S. 11. 25 Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 34. Nach Thünken bestand in Oberitalien ab dem 13. Jahrhundert und der EU in Bezug auf das Interesse der Förderung des grenzüberschreitenden Handels eine vom Ansatz her eine ähnliche Interessenlage (Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 34 f.). 26 von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 8 (1849), S. 120; Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, in: FS Lewald, S. 259 – 288 (Zur Person Kegels: Krüger, Gerhard Kegel (1912 – 2006), RabelsZ 2007, S. 1 – 5). Vgl. auch Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. 1, 1895, S. 217: „Im Zweifel ist das Recht desjenigen Gebietes anzuwenden, in das der Schwerpunkt der räumlichen Beziehungen des zu beurtheilenden Rechtsverhältnisses fällt.“; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts, BT-Drs. 10/504, 20. 10. 1983, S. 22; Keller/ Siehr, Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts, S. 52 ff. 27 Vgl. Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, S. 11 ff. 28 Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 33, S. 251 ff. Kropholler, Internationales Privatrecht, § 52 II, S. 453 ff. 29 Vgl. Art. 3 Rom I-VO; Art. 14 Rom II-VO; BGH, Urteil vom 17. 12. 1959, Az. VII ZR 198/58, BGHZ 31, 367, 370 f.; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 40 II, S. 291 f. 30 Aufgrund der Annahme staatlicher Regelungsinteressen wurde bis in die 1950er Jahre hinein die Bedeutung der Gegenseitigkeit im Internationalen Privatrecht betont (vgl. Art. 12 a. F. = Art. 38 a. F. EGBGB). 31 Hartwieg/Korkisch, Die geheimen Materialen zur Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts; Mankowski, Binnenmarkt-IPR – Eine Problemskizze –, in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, S. 595 – 615, 604. Die dem Internationalen Privatrecht damals zugemessene außenpolitische Brisanz wird schon daran deutlich, dass die Gesetzgebungsmaterialen auf Drängen des Auswärtigen Amtes lange Zeit geheim gehalten wurden (Korkisch, Einführung, Rechtsnatur und Funktion des Internationalen Privatrechts in den Ge23
B. Kompatibilität einzelstaatlicher Ordnungen im Privatrecht
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dungsinteressen, sondern aufbauend auf von Savigny32 – um die Suche nach dem „räumlich besten Recht“33 bzw. des Rechts, das „am nächsten dran“34 ist. Dies ist als Auftrag zu verstehen, das Recht, das der Sozialwirklichkeit des Falles am besten entspricht, anzuwenden. Die Frage der Rechtsanwendung ist grundsätzlich unabhängig vom materiellrechtlichen Ergebnis der Rechtsanwendung zu treffen35, denn „[j]eder Staat hält sein Privatrecht für das gerechteste, weil er es sonst nicht erlassen und beibehalten hätte“36. Ziel dieses Ansatzes ist die Verwirklichung einer Gerechtigkeit zwischen Privatrechtssubjekten37 und die Vermeidung einer Bevorzugung des heimischen Privatrechts38 in der Rechtsanwendungsfrage. Ausdruck findet dieser Ansatz in einer Entscheidung des OLG Stuttgart: „Der Zweck der deutschen internationalprivatrechtlichen Regeln ist, ein vernünftiges, berechenbares Nebeneinander der verschiedenartigen Rechtsordnungen zu gewährleisten. Dabei kann nicht einfach vom Vorrang eines kulturell Höherstehenden ausgegangen werden. Die Maßstäbe dafür schwanken. […] Der BGH hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir gut daran tun, den Angehörigen der Völker, auf deren Mitarbeit wir mehr und mehr angewiesen sind, mit Verständnis auch für die von ihnen mitgebrachten Rechtsvorstellungen zu begegnen“.39
setzen des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Die geheimen Materialen zur Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts, S. 1). 32 von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts Bd. 8 (1849), S. 120. 33 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 2 I, S. 131: „Wenn die Rechte verschieden sind, wie im IPR von Staat zu Staat, so darf daher gerechterweise nicht – und kann objektiv auch gar nicht – das sachlich beste (sei es das eigene oder ein fremdes) angewendet werden. Anzuwenden ist vielmehr das räumlich beste […]“ (HiO); Kegel, Vaterhaus und Traumhaus. Herkömmliches internationales Privatrecht und Hauptthesen der amerikanischen Reformer, in: FS Beitzke, S. 551, 552, 558; Lüderitz, Anknüpfung im Parteiinteresse, in: FS Kegel, S. 31, 31; Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, in: FS Lewald, S. 259, 270: „Anwendung des örtlich besseres Rechts“. 34 Kropholler, Internationales Privatrecht, § 4 II, S. 25; 35 Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, in: FS Lewald, S. 259, 270: „Wenn ausländisches Recht angewendet wird, rangiert die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit (Anwendung des örtlich besseren Rechts) vor der materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit (Anwendung des eigenen, für sachlich besser gehaltenen Rechts)“ (HiO), S. 271: „Das IPR interessiert sich nicht für die materiellrechtliche Gerechtigkeit, ist für sie nicht verantwortlich oder, wie man auch sagen kann, es behandelt alle materiellen Rechte als gleichwertig“. 36 Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, in: FS Lewald, S. 259, 274, 270; OLG Stuttgart, NJW 1971, 994, 997. 37 Lüderitz, Anknüpfung im Parteiinteresse, in: FS Kegel, S. 31, 53: „Internationales Privatrecht ist als Sonderrecht […] nur zu legitimieren, wenn und soweit mit ihm besondere Bedürfnisse (Interessen) befriedigt werden. Diese Interessen sind in erster Linie privat, solche von Individuen“ (HiO). 38 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 31. 39 OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. 12. 1970, Az. I VA 2/70, NJW 1971, 994, 997.
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Mit diesem internationalprivatrechtlichen Ansatz wird die Gefahr der Bevorzugung heimischen Rechts und das Einwirken von Staatsinteressen in Privatrechtsbeziehungen – als spezielle internationalprivatrechtliche Form einer „föderalen Gefährdungslage“40 – erheblich eingeschränkt. Diesem Ansatz liegt der Gedanke der „Gleichwertigkeit“ der Privatrechtsordnungen zugrunde.41 Aus Perspektive eines Wettbewerbs der Staaten kann der internationalprivatrechtliche Ansatz in Tradition von von Savigny als Wettbewerbsordnung für einen Systemwettbewerb42 auf dem Gebiet des Privatrechts verstanden werden43, da dieser Ansatz vor allem eine Gleichberechtigung der Rechtsordnungen (bzw. besser die Gleichberechtigung der Privatrechtssubjekte) in den Mittelpunkt stellt und eine Bevorzugung heimischen Rechts vermeidet. Dieser Kunstgriff macht einen übergeordneten institutionellen Rahmen in weitem Umfang entbehrlich.44 Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr der Vernachlässigung der realen Interessen der Privatrechtssubjekte,45 indem ausschließlich die abstrakteren46 internationalprivatrechtlichen Interessen (im Gegensatz zu den materiellrechtlichen Interessen) der Privatrechtssubjekte beachtet werden. So nahm die aus dem Kegel’schen Ansatz folgende sachrechtliche Neutralität des Internationalen Privatrechts eine so starke
40 Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 27; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 6 (in Bezug auf Protektionismus). 41 Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, in: FS Lewald, S. 259, 271; Neuhaus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 5, S. 43: „Auf der ersten, eigentlich kollisionsrechtlichen Stufe soll jeweils zunächst das ,angemessene‘, das ,passende‘ Recht bestimmt werden, das ,am nächsten daran ist‘, den Fall zu regeln. Entscheidend ist dabei nicht, welches Gesetz im Einzelfall materiellrechtlich, also seinem Inhalt nach die beste – gerechte und zweckmäßige – sachliche Lösung anbietet. Das IPR muß vielmehr auf dieser ersten Stufe von der Gleichwertigkeit der in Betracht kommenden Regelungen ausgehen […]“ (HiO); Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. IPR Rn. 19. 42 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 203 ff. Ablehnend: Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29, 50 f. 43 Vgl. Michael, Wettbewerb von Rechtsordnungen, DVBl. 2009, S. 1062, 1069. 44 Anders: Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 179: „Aus der Perspektive des Ansatzes eines Mehr-Ebenen-Rechtssystems ist aber klar, dass kollisionsrechtliche Regeln nicht – wie traditionell im Internationalen Privatrecht – von den einzelnen Jurisdiktionen selbst festgelegt werden können, sondern zentraler Teil der umfassenden Metarechtsordnung für das gesamte Rechtssystem sein müssen, wenn sie ihren Zweck der Vermeidung von Konflikten angemessen erfüllen sollen“. 45 Vgl. Flessner, Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht. 46 Vgl. Mestmäcker, Staatliche Souveränität und offene Märkte, RabelsZ 52 (1988), S. 205, 215.
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Dimension an, dass die Grundrechtsbindung des Internationalen Privatrechts erst 1971 mit der sogenannten Spanier-Entscheidung des BVerfG47 anerkannt wurde48. Das durch von Savigny geprägte Internationale Privatrecht49 und das Internationale Öffentliche Recht erscheinen aufgrund der internationalprivatrechtlichen Offenheit gegenüber einer Fremdrechtsanwendung als Gegensatz.50 Dies erstaunt angesichts der verstärkt zu beobachtenden Verfolgung staatlicher Steuerung über das Privatrecht51 und einer damit verbundenen Annäherung des Privatrechts ans Öffentliche Recht.52 Der Gegensatz zwischen Internationalem Öffentlichen Recht und Internationalem Privatrecht findet unter heutigen Bedingungen damit nur eine teilweise Entsprechung im materiellen Recht. Die pauschale Annahme, dass der Staat am Inhalt des zu berufenen Rechts uninteressiert sei,53 kann nicht mehr überzeugen. Sofern staatliche Regulierungsziele verfolgt werden, kann die Allseitigkeit der Kollisionsnormen und Rechtswahlfreiheit allein durch die tatsächliche Gleichwertigkeit nationaler Privatrechtsordnungen bzw. einzelner Ausschnitte gerechtfertigt werden;54 aufgrund der bestehenden Unterschiede in privatrechtlichen Regulierun47
BVerfG, Beschluss, vom 04. 05. 1971, Az. 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. Vgl. Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, S. 1, 1 ff.. 49 Vgl. Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl IPR Rn. 23: „Das ,apolitische‘ IPR Savigny’scher Prägung“. 50 Zur Teilung des Rechts in Öffentliches Recht und Privatrecht: Hoffmann-Riem, Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen – Systematisierung und Entwicklungsperspektiven, in: Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 261, 264 f. 51 Zur Verwirklichung staatlicher Steuerungsziele über das Privatrecht: Kropholler, Das kollisionsrechtliche System des Schutzes der schwächeren Vertragspartei, RabelsZ 42 (1978), S. 634 – 661; Rühl, Rechtswahlfreiheit im europäischen Kollisionsrecht, in: FS Kropholler, S. 187 – 209; Zöllner, Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Richterstaat, S. 19 ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 2 Rn. 44 ff., S. 36 ff. Vgl, auch: von Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 139: „Aber so sehr ich davon überzeugt bin, dass es für den Verkehr keine andere bewegende Kraft gibt als den Egoismus, so fest bin ich es andererseits auch davon, dass der Staat den Beruf hat, den Ausschreitungen desselben, welche dem Gedeihen der Gesellschaft bedrohlich werden, entgegenzutreten. Es gibt in meinen Augen keinen verhängnissvolleren Irrthum, als ob der Vertrag als solcher, sofern sein Inhalt nur nicht gesetzwidrig oder unmoralisch sei, einen gerechtfertigten Anspruch auf den Schutz des Gesetzes habe“. 52 Vgl. Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 112: „Öffentliches Recht und Privatrecht als innere Gegensätze zu verstehen, ist kaum noch zu rechtfertigen“; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 138; Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht: Ihre Funktionen als wechselseitige Auffangordnungen – Einleitende Problemskizze –, in: Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 23. Zudem können im Rahmen der Rechtsvergleichung Abgrenzungsprobleme zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht bestehen (Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Ein. IPR Rn. 5). 53 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 138. 54 Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 54, 142, 275; Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 158. Vgl. auch: Deltef König, Vereinheitlichung des internationalen Schuldrechts in der EG, EuR 1975, S. 289, 297; K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 207. 48
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gen kann davon pauschal jedoch nicht ausgegangen werden.55 Es geht nach K. Vogel im Rahmen der Lehre von der Allseitigkeit des Internationalen Privatrechts auch gar nicht um „eine Bewertung des öffentlichen Interesses an der jeweiligen einzelnen Norm […], sondern sie bringt lediglich das dem heutigen Internationalen Privatrecht zugrundeliegende Vorverständnis zum Ausdruck, soweit es sich auf das Verhältnis zwischen Staat und Privatrechtsordnung bezieht“.56
Heute kommt die Bedeutung von staatlichen Regulierungszielen im Privatrecht vermehrt dadurch zum Ausdruck, dass die Parteiautomomie aus Gründen des Verbraucherschutzes eingeschränkt (vgl. Art. 6 Rom I-VO) wird.57 Staatliche Steuerungsziele schlagen damit auf die kollisionsrechtliche Ebene durch bzw. staatlichen Regelungsinteressen wird Vorrang vor der Parteiautonomie eingeräumt.58
II. Politische Schule des Internationalen Privatrechts Von US-amerikanischer Seite, aber zum Teil auch von deutscher Seite59, erfuhr der internationalprivatrechtliche Ansatz in Tradition von von Savigny ab den 1960er Jahren scharfe Kritik.60 Diese politische Schule des Internationalen Privatrechts61 55 Nach Giuliano/Lagarde ist die für die Anknüpfung der Form im Schuldvertragsübereinkommen „ein Kompromiss zwischen dem favor negotii, der hinsichtlich der Form der Rechtsgeschäfte einen gewissen Liberalismus begünstigt, und dem Gebot zur Einhaltung der Formvorschriften […]“ (Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von Herrn Mario Giuliano und Herrn Paul Lagarde, in: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, BT-Drs. 10/ 503, 20. 10. 1983, S. 33, 61 f.). Schurig stellt fest, dass die Anwendung fremden Rechts „eine gewisse Verleugnung des archaischen Richtigkeitsanspruchs jeder Rechtsordnung, eine aufgeklärte Bereitschaft zur Relativierung“ voraussetzt (Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 52). 56 K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 207 (HiO). Zum Prinzip der Einseitigkeit im Internationalen Öffentlichen Recht vgl. auch: Menzel, Internationales Öffentliches Recht, S. 793 – 796. 57 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 77; Kropholler, Das kollisionsrechtliche System des Schutzes der schwächeren Vertragspartei, RabelsZ 42 (1978), S. 634 – 661. 58 Vgl. Martiny, Münchener Kommentar zum BGB, Art. 6 Rom I-VO, Rn. 1. 59 Vgl. Zweigert, Zur Armut des IPR an sozialen Werten, RabelsZ 1973, S. 435 ff.; Flessner, Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht. Vgl. die Darstellung bei: Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. IPR Rn. 24 ff. 60 Vgl. Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. IPR Rn. 28. 61 Vgl. zusammenfassend: Rehbinder, Zur Politisierung des Internationalen Privatrechts, JZ 1973, S. 151 – 158; Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 38 ff.; Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB Einl. IPR Rn. 24 ff.; Sturm/Sturm, in: Staudinger Neubearbeitung 2012, Einl zum IPR Rn. 65 ff.
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betont staatliche Regelungsinteressen im Privatrecht und schränkt demgemäß die Fremdrechtsanwendung ein.62 Currie fragt im Rahmen der für die rechtspolitische Diskussion grundlegenden63 governmental interest analysis, ob das Inland ein Interesse an der Anwendung eigenen Rechts besitzt.64 Das Internationale Privatrecht nähert sich mit diesem Ansatz dem Charakter des Internationalen Öffentlichen Rechts an. Folge ist eine aus Sicht grenzüberschreitend tätiger Privatrechtssubjekte geringere Kompatibilität der Rechtsordnungen. Privatrecht besitzt bei Zugrundelegung der politischen Schule des Internationalen Privatrechts eine hohe systemwettbewerbliche Relevanz,65 sowohl in Bezug auf die materiellrechtliche als auch auf die kollisionsrechtliche Ebene. Mit dem Übergang zur politischen Schule des Internationalen Privatrechts erfolgte ein Wandel des Internationalen Privatrechts von einer Wettbewerbsordnung zu einem Wettbewerbsgegenstand, denn Staaten nutzen ihr Kollisionsrecht vor allem, um eine bevorzugte Anwendung ihres eigenen Rechts zu erreichen.66 Solimine erklärt die US-amerikanischen choice of law theories und die Ablehnung gegenüber traditionellen kollisionsrechtlichen Anknüpfungen unter anderen mit den systemwettbewerblichen Interessen der Bundesstaaten.67 Es handelt sich um einen Systemwettbewerb ausgetragen über das Kollisionsrecht, wobei Solimine ein „race to the bottom“ im Sinne einer Einschränkung der Fremdrechtsanwendung konstatiert.68 Es ergeben sich jedoch Grenzen eines solchen kollisionsrechtlichen „race to the bottoms“: Ein grundsätzlicher Ausschluss von Fremdrechtsanwendung kann in der Praxis nicht gelingen, sie wäre nicht nur völkerrechtswidrig69, sondern eine grundsätzliche Nichtanwendung fremden Rechts würde „vollkommenen Isolationismus in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht“ bedeuten70 und eine solche Politik stieße auch
62
Vgl. Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws. Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 39. 64 Vgl. Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (dazu: Flessner, Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht, S. 5 ff.; Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 43 ff.). 65 Vgl. Whincop/Keyes, Policy and Pragmatism in the Conflict of Laws. 66 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 24; Solimine, An Economic and Empirical Analysis of Choice of Law, Georgia Law Review 24 (1989), S. 49, 70. 67 Solimine, An Economic and Empirical Analysis of Choice of Law, Georgia Law Review 24 (1989), S. 49, 68 – 74. Vgl. auch: Guzman, Choice of Law: New Foundations, Georgetown Law Journal 90 (2002), S. 883, 887 f. 68 Solimine, An Economic and Empirical Analysis of Choice of Law, Georgia Law Review 24 (1989), S. 49, 70. 69 Raape/Sturm, Internationales Privatrecht, Bd. 1, S. 44; Ferid, Internationales Privatrecht, S. 65 Rn. 2 – 5. 70 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 52. 63
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deshalb an Grenzen, weil die Rechtswahl mit der Wahl eines Gerichtsstandes verbunden werden kann71.
C. Kompatibilität der Ordnungen unter welthandelsrechtlichen Grundsätzen I. Inländerbehandlung als Grundsatz des Welthandelsrechts Das Prinzip der Inländerbehandlung (national treatment) als eine Form des Bestimmungslandprinzips ist grundlegendes welthandelsrechtliches Prinzip im Bereich von Produktregulierungen (vgl. Art. III GATT) bzw. der Regulierung von Dienstleistungen (vgl. Art. XVII GATS).72 Danach sind Regulierungsanforderungen nur soweit durchsetzbar, soweit sie auf in- und ausländische Wirtschaftssubjekte in gleicher Weise anwendbar sind, auch faktische Ungleichbehandlungen sind erfasst.73 Es handelt sich um ein Verbot protektionistischer Regulierungen.74 Das Prinzip der Inländerbehandlung beruht auf einer Interessenabwägung zwischen staatlichen75 Regulierungsinteressen und den Interessen grenzüberschreitend tätiger Privatrechtssubjekte bzw. dem Interesse an einer Liberalisierung76 des grenzüberschreitenden Handels.77 Einerseits ist das Interesse von Staaten an der Durchsetzung legitimer Steuerungsziele wie den Schutz der Gesundheit seiner Bürger zu berücksichtigen. Den Staaten wird die Durchsetzung derartiger Regu-
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O’Hara/Ribstein, The Law Market, S. 6. Insofern müssten auch die Zuständigkeitsregelungen entsprechend gestaltet werden (vgl. § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). 72 Vgl. Tietje, in: Internationales Wirtschaftsrecht § 1 Rn. 89; Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, § 12 Rn. 509, S. 219 ff.; Fischer, Die Behandlung technischer Handelshemmnisse im Welthandelsrecht, S. 164 ff.; Scholz, Internationaler Gesundheitsschutz und Welthandel, S. 124 ff.; Kelch, Globalization and Animal Law, Comparative Law, International Law and International Trade, S. 244 ff; Duvigneau, Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO/GATT-Recht, S. 61 ff.; EuGH, Urteil vom 21. Juni 1974, Rs. 2/74, Reyners, Slg. 1974, S. 631, 652 Rn. 24/28. 73 Fischer, Die Behandlung technischer Handelshemmnisse im Welthandelsrecht, S. 164; Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, § 12 Rn. 517, S. 223. 74 Duvigneau, Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO/GATT-Recht, S. 61. 75 Eine grundsätzliche Bedeutung von Präferenzen der Nachfrager im Welthandelsrecht erkennt an: Kelch, Globalization and Animal Law, Comparative Law, International Law and International Trade, S. 253. 76 Während der Begriff Liberalisierung sich im Folgenden auf die Ermöglichung grenzüberschreitender Mobilität bezieht, meint der Begriff Deregulierung den Abbau staatlicher Regulierungsanforderungen. Deregulierung muss nicht im Zusammenhang mit einer Liberalisierung stehen. 77 Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 94.
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lierungen ermöglicht78, jedoch wird ihnen auferlegt, in Inlands- und in Importfällen die gleichen Regulierungsanforderungen zu stellen und den Vertrieb von importierten Waren nicht zu benachteiligen, denn im Fall einer Diskriminierung von Importen liegt ein Missbrauch staatlicher Regelungskompetenzen79 auf der Hand. Das Prinzip der Inländerbehandlung stellt damit einen handelsbezogenen Gleichheitssatz zugunsten der Privatrechtssubjekte einer internationalen Privatrechtsgesellschaft dar,80 der zusammen mit dem Zollabbau zu einer erheblichen Intensivierung der Handelsbeziehungen geführt hat81. Die Abgrenzung zwischen der Verfolgung legitimer Regulierungsziele und missbräuchlicher bzw. protektionistischer Regulierung ist jedoch auch bei unterschiedslos anwendbaren Regulierungsanforderungen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, so dass sich ein Einfallstor für mögliche protektionistische Politiken (Grauzonenmaßnahmen82) ergibt.83 Die Betrachtung der auf das Regulierungsniveau bezogenen Präferenzen der jeweiligen Bevölkerung kann einen Anhaltspunkt dafür liefern, ob Regulierungen legitimen Zielen dienen.84 Wenn die Präferenzen der Mehrheit der inländischen Bevölkerung für die Durchsetzung eines bestimmten Regulierungsniveaus sprechen,85 ist jedenfalls ausgeschlossen, dass es sich bei der Durchsetzung entsprechender Regulierungsanforderungen um eine Interessengruppenregulierung handelt. Das Prinzip der Inländerbehandlung bewirkt nicht die Befreiung von legitimen Regulierungsanforderungen, weshalb aus Sicht grenzüberschreitend tätiger Privatrechtssubjekte die angedeuteten Kompatibilitätsprobleme zwischen den einzelstaatlichen Ordnungen weiter bestehen.
78 Duvigneau, Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO/GATT-Recht, S. 62: „Das GATT erlaubt den Mitgliedstaaten mithin, eigene Politikziele völlig frei zu verfolgen, soweit diese nur nicht protektionistisch-diskriminierenden Charakters sind“. 79 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 44 ff. 80 Vgl. Steindorff, Der Gleichheitssatz im Wirtschaftsrecht des Gemeinsamen Marktes, S. 5. 81 Gore, Die Zukunft, S. 50. 82 Vgl. Beise/Oppermann/Sander, Grauzonen im Welthandel: Protektionismus unter dem alten GATT als Herausforderung an die neue WTO, S. 74 ff.; Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 406. 83 Beise/Oppermann/Sander, Grauzonen im Welthandel: Protektionismus unter dem alten GATT als Herausforderung an die neue WTO, S. 74: „Grauzonen – Archillesferse der alten GATT-Ordnung“. 84 M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 133 f. Vgl. auch: Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 24 Tz. 23. 85 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 35 – 37.
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§ 3 Ordnungsrahmen für eine internationale Privatrechtsgesellschaft
II. Anerkennung nationaler Produktregulierungen Die Kompatibilität einzelstaatlicher Ordnungen wird unter den Regeln des Agreement of the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures (SPS Agreement) und des Agreement on Technical Barriers to Trade (TBT Agreement)86 mittels Einsatzes von (schwachen) Beschränkungsverboten87 bzw. Herkunftslandprinzipien erhöht.88 Nach Art. 4.1 SPS Agreement sollen Mitgliedstaaten gesundheitspolizeiliche (sanitary) oder pflanzenschutzrechtliche (phytosanitary)89 Maßnahmen gegenseitig anerkennen.90 Entscheidend für eine Anerkennung ist die Gleichwertigkeit nationaler Regulierungsanforderungen:91 „Members shall accept the sanitary or phytosanitary measures of other Members as equivalent, even if these measures differ from their own or from those used in other Members trading in the same product, if the exporting Member objectively demonstrates to the importing Member that its measures achieve the importing Member’s appropriate level of sanitary or phytosanitary protection. For this purpose, reasonable access shall be given, upon request, to the importing Member for inspection, testing and other relevant procedures“ (Artikel 4.1 SPS Agreement).92
Das SPS Agreement fordert in Art. 3.1 die Mitglieder auf, ihre nationalen Regulierungen an internationale Standards anzupassen,93 um eine Anerkennung nationaler Regulierungen zu erleichtern. Nach Art. 2.7 TBT Agreement sollen Mitglieder ihre Regulierungen im Fall ihrer Gleichwertigkeit anerkennen:94 86 Zum SPS Agreement und zum TBT Agreement: Struck, Product Regulations and Standards in WTO Law, S. 197 ff. 87 Vgl. Duvigneau, Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO/GATTRecht, S. 239 ff. 88 Vgl. Zúñiga Schroder, Harmonization, Equivalence and Mutual Recognition of Standards in WTO Law, S. 97 ff.; Duvigneau, Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO/GATT-Recht, S. 239 ff. Zum Verhältnis zwischen SPS und TBT zum GATT: Fischer, Die Behandlung technischer Handelshemmnisse im Welthandelsrecht, S. 151 ff. 89 Vgl. Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, § 12 Rn. 540 ff., S. 236 ff. 90 Vgl. Zúñiga Schroder, Harmonization, Equivalence and Mutual Recognition of Standards in WTO Law, S. 99 ff. 91 Zúñiga Schroder, Harmonization, Equivalence and Mutual Recognition of Standards in WTO Law, S. 100 ff. 92 Vgl. Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, § 12 Rn. 564, S. 247 f.; Fischer, Die Behandlung technischer Handelshemmnisse im Welthandelsrecht, S. 269; Struck, Product Regulations and Standards in WTO Law, S. 154. 93 Naoto, An Economic Theory of the SPA Agreement, RIETI Discussion Paper Series 09E-033, S. 9. 94 Vgl. Art. 2.7 TBTAgreement: „Members shall give positive consideration to accepting as equivalent technical regulations of other Members, even if these regulations differ from their own, provided they are satisfied that these regulations adequately fulfill the objectives of their
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„Members shall give positive consideration to accepting as equivalent technical regulations of other Members, even if these regulations differ from their own, provided they are satisfied that these regulations adequately fulfil the objectives of their own regulations“.
Es handelt sich (bei dieser in der Praxis nur geringe Bedeutung genießenden Regelung95) lediglich um eine „Verpflichtung zur wohlwollenden Prüfung der Anerkennung der Gleichwertigkeit“, so dass keine rechtliche Pflicht zur Anerkennung besteht.96 Die Ansätze gegenseitiger Anerkennung nationaler Produktregulierungen im SPS und TBT Agreement führen zu der Frage, inwieweit zukünftig global eine Handelsintegration mittels eines auf Produktregulierungen und die Erbringung von Dienstleistungen bezogenen Herkunftslandprinzips erfolgen kann.97 Notwendig wäre für die Realisierung dieses Vorschlages eine umfangreiche Mindestharmonisierung auf unterschiedlichsten Gebieten,98 um eine Gleichwertigkeit nationaler Regulierungen zu schaffen. Eine derartige Mindestharmonisierung in unterschiedlichsten Rechtsbereichen ist in der Gegenwart aufgrund der Rechts- und Interessenunterschiede zwischen den Staaten jedoch nicht zu verwirklichen.99 Sofern einen globaler Systemwettbewerb vermittelt über die Verankerung eines weiten auf Waren- und Dienstleistungsregulierungen bezogenen Herkunftslandprinzips befürwortet wird,100 ginge die damit verbundene Einschränkung staatlicher Handlungsmöglichkeiten weit über den Abbau von Interessengruppenregulierungen
own regulations“; Zúñiga Schroder, Harmonization, Equivalence and Mutual Recognition of Standards in WTO Law, S. 124 ff.; Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, § 12 Rn. 571 ff., S. 250 ff. 95 Zúñiga Schroder, Harmonization, Equivalence and Mutual Recognition of Standards in WTO Law, S. 125. 96 Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, § 12 Rn. 576, S. 253. 97 Vgl. Trachtman, Embetting mutual recognition at the WTO, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 780 – 799; Weiler, Mutual Recognition, Functional Equivalence and Harmonization in the Evolution of the European Common Market and the WTO, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 25, 57 – 59. Kritisch: Kerber/Van den Bergh, Wechselseitige Anerkennung von Regulierungen: Ist die EU ein Vorbild für das globale Handelsregime?, in: Internationalisierung der Wirtschaftspolitik, S. 147, 162 – 165. 98 Vgl. Trachtman, Embetting mutual recognition at the WTO, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 780, 781, 783 f., 787, 793 f. 99 Vgl. Hilf/Oeter, in: WTO-Recht, § 33 Rn. 2 ff. 100 Vgl. Trachtman, Embetting mutual recognition at the WTO, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 780 – 799; Weiler, Mutual Recognition, Functional Equivalence and Harmonization in the Evolution of the European Common Market and the WTO, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 25, 57 – 59; Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozeß, S. 53, 66; Nicolaïdis/Shaffer, Transnational Mutual Recognition Regimes: Governance without global government, Law and Contemporary Problems 68 (2005), S. 263 – 317.
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hinaus101, womit die Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb102 in weitem Umfang als Rechtfertigungsmöglichkeit von Systemwettbewerb entfiele. Es fragt sich, welche Möglichkeiten für Staaten oder regionale Integrationsräume bleiben sollen, auf demokratischer Grundlage beschlossene nicht-marktkonforme Regulierungsziele durchzusetzen.103
III. Auf Prozessregulierungen bezogenes Herkunftslandprinzip im Warenverkehr Warenimporte können nach umstrittener Auffassung104 grundsätzlich nicht an die Erfüllung bestimmter Prozessregulierungen geknüpft werden.105 Es gilt deswegen in Bezug auf Prozessregulierungen ein Herkunftslandprinzip,106 wobei jedoch Schranken (vgl. Art. XX f. GATT) bestehen107. So sah der WTO-Appellate Body im 101 Vgl. zur Einschränkung staatlicher Steuerungsfähigkeit infolge von Globalisierung: Schulze/Ursprung, Globalisierung contra Nationalstaat? Ein Überblick über die empirische Evidenz, in: Nationaler Staat und internationale Wirtschaft, S. 41, 44 ff. 102 Vgl. Teil 1 § 4 D. III. 103 Vgl. Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39 – 45; Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55, 59; Everling, Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, Diskussionsbeitrag, in: Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, S. 27, 31; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 87 – 89, 570 f.; Schwaab/Stewen, Effekte des Standortwettbewerbs aus neoklassischer und evolutorischer Sicht, Eine zusammenfassende Kritik, WiSt 2000, S. 158, 160. 104 Vgl. Puth, in: WTO-Recht, § 25 Rn. 23 ff. 105 Vgl. Kirgis, Environment and Trade Measures after the Tuna/Dolphin Decision, Washington and Lee Law Review 49 (1992), S. 1221 – 1226; Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, § 12 Rn. 519; Nicolaïdis/Shaffer, Transnational Mutual Recognition Regimes: Governance without Global Government, Law & Contemporay Problems 68 (2005), S. 263, 271 f.; Howse/Trebilcock, The Fair Trade-Free Trade Debate: Trade Labor, and the Environment, International Review of Law and Economics 16 (1996), S. 61 – 79; Howse/Reagan, European Journal of International Law 11(2) (2000), S. 249 – 289 (kritisch); Duvigneau, Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO/GATT-Recht, S. 80 f., 84, 128, 232 ff. Vgl. auch: BGH, Urteil vom 9. 5. 1980, Az. I ZR 76/78, WRP 1980, S. 617 – 620 (kein Wettbewerbsverstoß wegen des Importes von Asbesterzeugnissen, die in Südkorea ohne Schutzmaßnahmen hergestellt wurden. Zustimmend: Katzenberger, Inländischer Wettbewerb, ordre public und ausländisches Arbeitsschutzrecht, IPRax 1981, S. 7 – 9. Kritisch: Knieper/ Fromm, Anmerkung zu BGH, NJW 1980, S. 2018 – 2020); BGH, Urteil vom 11. 05. 2000, Az. I ZR 28/98, BGHZ 144, 255, 269. (kein Wettbewerbsverstoß wegen Nichteinhaltung von Immissionsschutzvorschriften in einem Inlandsfall). In Bezug auf die Marktintegration in den USA: Hammer v. Dagenhart, 247 U.S. 251 (1918); Kidd v. Pearson, 128 U.S. 1, 20, (1888). 106 Vgl. Picchio Forlati, The Impact of the State-of-Origin Principle on the Protection of Public Concerns in International Trade, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 49, 52; Janning, Zähmung des Welthandels, Was tun gegen Öko- und Sozialdumping?, Internationale Politik 4/1997, S. 35 – 40. 107 Kelch, Globalization and Animal Law, Comparative Law, International Law and International Trade, S. 258 ff. Zu Einschränkungen dieses Grundsatzes im Fall von Menschen-
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Jahr 1998 ein US-amerikanisches Gesetz, das den Import von Shrimps in die USA verbietet, die unter der Gefährdung von Meeresschildkröten gefangen wurden, als zum Schutz erschöpfbarer Naturschätze im Sinne von Art. XX GATT108 gerechtfertigt an.109 Eine Durchbrechung des auf Prozessregulierungen bezogenen Herkunftslandprinzips kommt zudem im Fall von Menschenrechtsverletzungen in Betracht, obwohl Menschenrechtsverletzungen nicht ausdrücklich als mögliche Schranke genannt sind.110 Die grundsätzliche Geltung eines auf Prozessregulierungen bezogenen Herkunftslandprinzips ist Ausdruck einer Interessenabwägung.111 Prozessregulierungen betreffen im Bereich des Warenverkehrs grundsätzlich den internen Bereich des Staates, in dem die entsprechende Produktion erfolgt. Sofern die Durchsetzung bestimmter Prozessregulierungen im grenzüberschreitenden Verkehr mittels Geltung eines Bestimmungslandprinzips erfolgt, bedeutet dies letztlich die Durchsetzung bestimmter Regulierungsziele auf dem Territorium eines anderen Staates, ohne dass infolge des Regulierungsniveaus negative externe Effekte im Importstaat zu erwarten sind.112 Aus Sicht einer auf einen Wettbewerb der Staaten bezogenen normativen Theorie der Regulierung113 ergibt sich grundsätzlich kein Regulierungsbedarf. Eine solche Maßnahme kann (aufgrund der grundsätzlichen Selbstverantwortlichkeit jedes Staates) nur ausnahmsweise im Fall der Verletzung
rechtsverletzungen: Evans, Trading Human Rights, in: Global Trade and Global Social Issues, S. 31 – 52; Hörmann, in: WTO-Recht, § 27, S. 596 – 615. 108 Vgl. Kelch, Globalization and Animal Law, Comparative Law, International Law and International Trade, S. 256 ff.; Schefer, Social Regulation in the WTO, S. 115 ff. 109 Report of the Appellate Body, United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Recourse to Article 21.5 of the DSU by Malysia, AB-2001-4, WT/DS58/AB/ RW (Oct. 22., 2001). Vgl. Kelch, Globalization and Animal Law, Comparative Law, International Law and International Trade, S. 261 ff.; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 475 f. Diese Entscheidung hat auf Seiten der EU zu einer Ermutigung geführt, Importbeschränkungen aufgrund der Nichteinhaltung bestimmter Standards in Bezug auf Produktionsprozesse durchzusetzen (Kelch, Globalization and Animal Law, Comparative Law, International Law and International Trade, S. 254). 110 Hörmann, in: Hilf/Oeter, WTO-Recht, § 27 Rn. 28 ff. Die Voraussetzungen zum Eingreifen des ordre public liegen im Fall einer Grundrechtsverletzung durch Fremdrechtsanwendung wesentlich niedriger, da es in diesem Fall zu einer Grundrechtsverletzung im Inland durch den inländischen Staat kommt (zur Anwendung des ordre public wegen Grundrechtsverstößen: Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 6 Rn. 47 ff.), denn Voraussetzung für den Ausschluss von Importen ist zumindest eine „hinreichend starke öffentliche Empörung“ (Hörmann, in: WTO-Recht, § 27 Rn. 30). 111 Vgl. Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 94; Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 78. 112 Vgl. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 1, Innere Verwaltung, S. 70; Duvigneau, Handelsliberalisierung und Marktintegration unter dem WTO/GATT-Recht, S. 80. 113 Vgl. Teil 1 § 4 F.
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grundlegender Werte114 oder einer Gefährdung erschöpfbarer Naturschätze, dessen Erhaltung im globalen Interesse liegt, in Betracht kommen.115 Es kann in diesen Fällen von einer Unlauterkeit des Systemwettbewerbs gesprochen werden.116 Zudem ist zu berücksichtigen, dass das jeweilige Niveau an Regulierung in Zusammenhang steht mit den jeweiligen ökonomischen Lebensbedingungen der entsprechenden Staaten,117 weswegen bei unterschiedlichen Lebensbedingungen für jedes Land ein anderes Niveau an Regulierung optimal ist118. Auf der anderen Seite droht jedoch bei geltender Rechtslage eine Verfälschung des Wettbewerbs in Form einer Privilegierung von Anbietern, die niedrigen Regulierungsanforderungen unterliegen und ein rechtspolitischer Druck auf Regulierungen, die tatsächlich legitimen Steuerungszielen dienen. Zudem droht unterhalb der Schwelle von Menschenrechtsverletzungen (vgl. XX f. GATT)119 eine Ausbeutung von Menschen im Rahmen der Warenproduktion. Eine derartige Ausbeutung kann vor dem Hintergrund des Wunsches, Waren zu günstigen Preisen zu beziehen, auch gerade im Interesse der Privatrechtssubjekte in den Bestimmungsländern liegen. Da Arbeitskosten häufig wesentlicher Wettbewerbsparameter sind, kann das auf Prozessregulierungen bezogene Herkunftslandprinzip eine solche Ausbeutung geradezu fördern. Eine Ausbeutung von Arbeitskräften im Rahmen der Warenproduktion wird dabei von der normativen Theorie der Regulierung keineswegs als Regulierung erforderndes Marktversagen angesehen.
114 Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 47 f. 115 Im Zusammenhang mit der Asbest-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1980 (BGH, Urteil vom 9. 5. 1980, Az. I ZR 76/78, IPRax 1981, S. 20, 21 f.), die die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit des Importes von Asbestwaren, die im Ausland ohne Sicherheitsvorkehrungen gefertigt wurden, stellt Köhler fest, dass es nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts sei, Wettbewerbsnachteile, die durch unterschiedlich hohe Arbeitsschutz-oder Umweltschutzbedingungen entstehen, abzuwehren (Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 UWG Rn. 10.187). 116 Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 43 ff, 47 f. 117 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 135 ff.; Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 24 Tz. 23. 118 M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 136: H.-B. Schäfer/Lantermann, Choice of Law from an Economic Perspective, in: An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 106 – 108. Auch im Fall großer Armut ist besteht ein grundsätzliches Interesse der Bürger daran, dass grundlegende Sicherheitsanforderungen – zum Beispiel im Rahmen von Asbestverarbeitung (BGH, Urteil vom 9. 5. 1980, Az. I ZR 76/78, IPRax 1981, S. 20, 21 f.; Katzenberger, Inländischer Wettbewerb, ordre public und ausländisches Arbeitsschutzrecht, IPRax 1981, S. 7, 9; Oppenhoff, Anmerkung [zu BGH GRUR 1980, 858 – 861], GRUR 1980 S. 861 f.; Knieper/Fromm, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 09. 05. 1980, Az. I ZR 76/78, NJW 1980, S. 2018, S. 2020) – eingehalten werden. Vgl. auch: Herzog, Europa neu erfinden, S. 91. 119 Vgl. Hörmann, § 27 WTO und Menschenrechte, in: WTO-Recht, S. 611 ff. Rn. 28 ff.
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IV. Das Prinzip der Gegenseitigkeit als Durchsetzungsmechanismus Nach dem welthandelsrechtlichen Prinzip der Gegenseitigkeit120 sind Staaten im Falle einer unzulässigen protektionistischen Politik, berechtigt, Maßnahmen der Vergeltung zu ergreifen.121 Das Gegenseitigkeitsprinzip kann den Freiheitsbereich der Privatrechtssubjekte des Vergeltung übenden Staates erweitern, indem es andere Staaten veranlassen kann, Handelshemmnisse abzubauen.122 Vergeltung behindert jedoch die Privatrechtssubjekte aus den Staaten, gegen die die Vergeltungsmaßnahmen gerichtet sind in der Wahrnehmung ihrer grenzüberschreitenden Privatautonomie. Es erfolgt mittels des Prinzips der Gegenseitigkeit und der Vornahme von Vergeltungsmaßnahmen sozusagen eine Haftung der Privatrechtssubjekte für das Verhalten der Staaten, in dem sie niedergelassen sind.123 Ein Konflikt mit den Interessen der internationalen Privatrechtsgesellschaft ergibt sich gerade dann, wenn die Übung von Vergeltung nicht zum Abbau der Handels120
Vgl. Göttsche, in: WTO-Recht, § 5 Rn. 42 – 44. Vgl. zum Gegenseitigkeitsgedanken schon: Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 1, Innere Verwaltung, S. 81. 121 Zur Herstellung einer Ordnung mittels Vergeltung von Regelverstößen: Axelrod, The Evolution of Co-operation. Zur Anwendung auf die Anerkennung von Zivilurteile: Pfeiffer, Kooperative Reziprozität, § 328 I Nr. 5 ZPO neu besichtigt, RabelsZ 55 (1991), S. 734 – 760. 122 Im Bereich der Anerkennung zivilgerichtlicher Entscheidungen soll das Prinzip der Gegenseitigkeit (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) andere Staaten veranlassen, Entscheidungen anzuerkennen (Mittermaier, Von der Vollstreckung eines von einem ausländischen Gerichte gefällten Urtheils., AcP 14 (1831), S. 84, 108). Nach Formulierung des BGH bezweckt das Gegenseitigkeitserfordernis „aus politischen Gründen, ausländische Staaten zu einem geordneten Zivilrechtsverkehr mit der Bundesrepublik Deutschland anzuhalten und daneben möglicherweise auch, eine Mindestqualität ausländischer Entscheidungen zu garantieren […]. Diese staatlichen Interessen mögen Vorrang erhalten, wenn auf der anderen Seite allein die Ziele beteiligter Zivilparteien stehen“ (BGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Az. IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79, 91). Nach dem Erdbeben in San Francisco im Jahr 1906 wurden zahlreiche Klagen gegen deutsche Versicherungsunternehmen in Kalifornien erhoben (Schütze, Deutsch-amerikanische Urteilsanerkennung, S. 2; Pfeiffer, Kooperative Reziprozität, § 328 I Nr. 5 ZPO neu besichtigt, RabelsZ 55 (1991), S. 734, 745). Die deutschen Versicherungsunternehmen rechneten mit einer fehlenden Anerkennung der gerichtlichen Entscheidungen in Deutschland (Schütze, Deutschamerikanische Urteilsanerkennung, S. 2). Daraufhin änderte Kalifornien im Jahr 1907 sein Recht dahingehend, dass ausländische Entscheidungen weitgehend anerkannt werden (Laband, Ein Nachspiel zur Katastrophe von San Francisco, DJZ 1907, S. 871; Schütze, Deutsch-amerikanische Urteilsanerkennung, 1992, S. 2; RGZ 70, 434, 435). Dennoch verneinte das RG die Verbürgung der Gegenseitigkeit im Verhältnis zu Kalifornien (RG, Urteil vom 26. 03. 1909, Az. VII 550/08, RGZ 70, 434) und begründete dies mit einer unterschiedlichen Ausgestaltung der Rechtskraftwirkungen in Deutschland und Kalifornien (RGZ 70, 434, 439). 123 Vgl. Puttfarken, Zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile deutscher Kläger – verfassungswidrige Gegenseitigkeit, RIW 1976, S. 149 – 151. Diese „Haftung“ von Privatrechtssubjekten für staatliches Handeln besteht auch im Fall von Sanktionen aus politischen Gründen.
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hemmnisse führt, sondern eine Kaskade wechselseitiger Vergeltungsmaßnahmen die Folge ist und das Gegenseitigkeitsprinzip mit anderen Worten zu einer nichtkooperativen Falle führt.124
D. Die Kompatibilität der einzelstaatlichen Ordnungen außerhalb des Welthandelsrechts Sofern Staaten nicht Mitglieder der WTO sind, sind sie nicht zur Anwendung des Prinzips der Inländerbehandlung verpflichtet.125 Es handelt sich bei der Anwendung des Prinzips der Inländerbehandlung nicht um eine völkerrechtliche Pflicht.126 Zwar zeigt sich in der Vergangenheit, dass Staaten grundsätzlich bereit sind, den grenzüberschreitenden Handel in Teilbereichen zu liberalisieren, infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise ist jedoch eine Gegenbewegung zu beobachten.127 Außerhalb des Welthandelsrechts ist deshalb eine Kompatibilität der Ordnungen instabiler und insbesondere abhängig von den ökonomischen Rahmenbedingungen, da Krisen immer zu Bemühungen führen können, heimischen Anbietern wettbewerblichen Schutz zukommen zu lassen128. Derartige protektionistische Tendenzen sind Erscheinungsformen eines Systemwettbewerbs im untechnischen Sinn.
E. Die Kompatibilität der Ordnungen unter Geltung der EU-Grundfreiheiten I. Die Warenverkehrsfreiheit als Marktzugangsrecht der Anbieter 1. Verständnis der Warenverkehrsfreiheit als Diskriminierungsverbot Die EU ist heute wichtigster Referenzpunkt einer regionalen Integration.129 Während zunächst der Abbau von Zöllen zwischen den Mitgliedstaaten im Zentrum 124 Wesche, Gegenseitigkeit und Recht, S. 239. Vgl. in Bezug auf die Urteilsanerkennung: Schütze, Deutsch-amerikanische Urteilsanerkennung, S. 2 f. 125 Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerecht der internationalen Handelsbeziehungen, Bd. 1, S. 32, 45 f., 49. Zu völkerrechtlichen Pflichten im Rahmen von Handelsbeziehungen: Göttsche, in: WTO-Recht, § 5 Rn. 64 ff., S. 132 ff. 126 Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerecht der internationalen Handelsbeziehungen, Bd. 1, S. 32. 127 Langhammer, Unordnung in der Internationalen Handelsordnung. Befunde, Gründe, Auswirkungen und Therapien, Kiel Working Papers No. 1533, July 2009, S. 20, 22. 128 Langhammer, Unordnung in der Internationalen Handelsordnung. Befunde, Gründe, Auswirkungen und Therapien, Kiel Working Papers No. 1533, July 2009, S. 22. 129 Vgl. Pastor, Toward a North American Community, S. 190: „The North American Community has much to learn from the European Union – about both what it should adapt and what it should avoid“.
E. Kompatibilität der Ordnungen unter Geltung der EU-Grundfreiheiten
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der Aufmerksamkeit stand,130 rückte die Bedeutung regulatorischer Handelshemmnisse erst dann in das Bewusstsein, als die mit Zöllen verbundenen Probleme gelöst worden waren.131 Die Bedeutung technischer Handelshemmnisse kam für viele Beobachter überraschend, obwohl bereits im Jahr 1939 von Hayek grundsätzlich auf die Bedeutung technischer Handelshemmnisse als Ersatzinstrument für Zölle hingewiesen hatte: „Die Erfahrung [in den Vereinigten Staaten und der Schweiz, Anm. des Verf.] zeigt, daß es kaum genügt, Zölle und andere Schranken für den zwischenstaatlichen Handel zu verbieten […]. Die Umgehung solcher Gesetze durch einen Einzelstaat, der mit Hilfe administrativer Regelungen sich auf die Bahn der nationalen Planwirtschaft begeben hat, hat sich als so leicht erwiesen, daß alle Wirkungen des Zollschutzes erreicht werden können mit Mitteln wie sanitäre Vorschriften, Erfordernisse der Inspektion und die Anrechnung von Gebühren für diese oder andere administrative Kontrollen. Wenn man bedenkt, wie erfinderisch sich die Gesetzgeber in dieser Hinsicht erwiesen haben, scheint es klar zu sein, daß keine speziellen Verbote in der Bundesverfassung hinreichen würden, um solche Entwicklungen zu verhindern […]“.132
Entscheidend für die Reichweite der Warenverkehrsfreiheit war die Auslegung des umstrittenen133 Begriffs „Maßnahmen mit gleicher Wirkung“ (Art. 34 AEUV).134 Die Vertragsväter gingen noch wie selbstverständlich von einem Verständnis der 130 Vgl. Glaesner, in: Wohlfarth/Everling/Glaesner/Sprung, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag, Vorb. vor Art. 30 Tz. 1 ff.; Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 4 f., Tz. 5 f.; Seidel, Der EWG-rechtliche Begriff der „Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung“, NJW 1967, S. 2080, 2082; Everling, Zur Funktion der Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft – Vom Abbau der Verzerrungen zur Schaffung des Binnenmarktes –, in: FS Pescatore, S. 227, 231; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 47; Schmölders, Steuerliche Wettbewerbsverzerrungen beim grenzüberschreitenden Warenverkehr im Gemeinsamen Markt, S. 13. 131 Pipkorn, Das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen, in: Der Beitrag des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes, S. 9 – 26. 132 von Hayek, Die Wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse, in: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 324, 338. 133 Vgl. die Darstellungen der verschiedenen Ansätze bei: Ehlermann, Das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung in der Rechtsprechung des Gerichtshofes, in: FS H. P. Ipsen, S. 579, 582 ff.; Veelken, Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im EWG-Vertrag, EuR 1977, S. 311, 319 ff.; M. Graf, Der Begriff „Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen“ in dem EWG-Vertrag, S. 75 ff.; P. Ulmer, Zum Verbot mittelbarer Einfuhrbeschränkungen im EWG-Vertrag, RIW 1973, S. 349, 351. 134 Vgl. Ehlermann, Das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung in der Rechtsprechung des Gerichtshofes, in: FS Ipsen, S. 579 – 593; Seidel, Der EWG-rechtliche Begriff der „Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung“, NJW 1967, S. 2081 – 2086; P. Ulmer, Zum Verbot mittelbarer Einfuhrbeschränkungen im EWG-Vertrag, RIW 1973, S. 349 – 361; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 30 ff.
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Warenverkehrsfreiheit135 (und auch der Dienstleistungsfreiheit136) im Sinne von Inländerbehandlung aus und es stellte sich später die Frage, ob die Warenverkehrsfreiheit im Sinne eines Diskriminierungsverbotes137 oder im Sinne eines Beschränkungsverbotes138 zu verstehen ist. Entscheidend war, inwieweit eine Einschränkung der mitgliedstaatlichen Regelungsbefugnisse139 und eine Inländerdiskriminierung140 infolge einer weiten Auslegung vertretbar erschien. Der Staat würde nach M. Seidel „die einheimische Produktion diskriminieren und die nationalen
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Everling, Vertragsverhandlungen 1957 und Vertragspraxis 1987 – dargestellt an den Kapiteln Niederlassungsrecht und Dienstleistungen des EWG-Vertrages –, in: FS von der Groeben, S. 111, 113, 125. Eine Interpretation der Grundfreiheiten im Sinne von Beschränkungsverboten war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht absehbar (Everling, Vertragsverhandlungen 1957 und Vertragspraxis 1987 – dargestellt an den Kapiteln Niederlassungsrecht und Dienstleistungen des EWG-Vertrages –, in: FS von der Groeben, S. 111, 125; Schwarze, Funktion des Rechts in der Europäischen Gemeinschaft, in: Gesetzgebung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9, 13 f.; Möschel, Die deutsche Fusionskontrolle auf dem Prüfstand des europäischen Rechts: „Überflügelung“ oder Harmonisierung?, AG 1998, S. 561; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 527). 136 Everling, Vertragsverhandlungen 1957 und Vertragspraxis 1987 – dargestellt an den Kapiteln Niederlassungsrecht und Dienstleistungen des EWG-Vertrages –, in: FS von der Groeben, S. 111, 120 f. 137 Vgl. Seidel, Der EWG-rechtliche Begriff der „Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung“, NJW 1967, S. 2081 – 2086, 2082 f.; Glaesner, in: Wohlfarth/ Everling/Glaesner/Sprung, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Art. 30 Tz. 2; M. Graf, Der Begriff „Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen“ in dem EWG-Vertrag, S. 94; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 54 – 56; Everling, Das Niederlassungsrecht in der EG als Beschränkungsverbot, Tragweite und Grenzen, in: GS Knobbe-Keuk, S. 607, 613 f.; Bode, Die Diskriminierungsverbote im EWG-Vertrag, S. 66 f. 138 Vgl. Ehlermann, Das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung in der Rechtsprechung des Gerichtshofes, in: FS Ipsen, S. 579, 583 f. 139 Vgl. Ehlermann, Das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung in der Rechtsprechung des Gerichtshofes, in: FS Ipsen, S. 579 – 593, 579 – 581 „Je weiter der Wirkungsbereich der MglW gesteckt wird, desto stärker wird die staatliche Regelungsbefugnis von Vertrags wegen beschränkt“ (S. 581); W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 56: „Der Diskriminierungsstandard respektiert damit in Bereichen, in denen ein innerstaatlicher Vergleichstatbestand gegeben ist, die Grundentscheidungen und Kompromisse der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber“; M. Graf, Der Begriff „Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen“ in dem EWGVertrag, S. 94 f., 114 „Es darf aber nicht mit Hilfe der MglW. den Mitgliedstaaten die Wirtschaftspolitik genommen werden“. 140 Seidel, Der EWG-rechtliche Begriff der „Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung“, NJW 1967, S. 2081 – 2086, 2083; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 55 f.; Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 38. Nach Everling war es im Rahmen der Vertragsverhandlungen undenkbar, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten weitergehende Rechte zu gewähren als Inländern, Everling, Vertragsverhandlungen 1957 und Vertragspraxis 1987 – dargestellt an den Kapiteln Niederlassungsrecht und Dienstleistungen des EWG-Vertrages –, in: FS von der Groeben, S. 111, 113.
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Vorschriften entwerten, wenn er gehalten wäre, für diese Waren den nationalen Markt zu öffnen“.141 2. Rechtssachen Dassonville und Cassis Eine konkrete Definition des Begriffs „Maßnahmen gleicher Wirkung“ erfolgte zuerst 142 in der Entscheidung Dassonville143, womit der EuGH eine weite Auslegung im Sinne eines Beschränkungsverbotes zugrunde legte. Danach ist „[j]ede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, […] als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen“.144
Keine zwei Jahre nach dieser Entscheidung befasste sich der EuGH in der Rechtssache Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein145, die unter dem Stichwort Cassis de Dijon bekannt ist, mit dem damaligen deutschen Mindestweingeisterfordernis aus § 100 Abs. 2 Branntweinmonopolgesetz.146 Die Rewe-Zentral-AG mit Sitz in Köln beantragte im Jahr 1976 bei der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein die Genehmigung, unter anderem den Likör Cassis de Dijon von Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen und in den Verkehr zu bringen. Nach Ansicht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein war der Likör jedoch aufgrund der damaligen Regelung des § 100 Abs. 3 Branntweinmonopolgesetz nicht verkehrsfähig. Danach waren Trinkbranntweine nur dann verkehrsfähig, wenn sie einen Mindestweingeistgehalt von 32 Prozent aufwiesen.147 Der Likör „Cassis de Dijon“ enthält demgegenüber lediglich einen Alkoholanteil von 15 bis 20 Prozent.148 Im Wege eines Vorlageverfahrens wurde dem 141 Seidel, Der EWG-rechtliche Begriff der „Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung“, NJW 1967, S. 2081, 2083. 142 Veelken, Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im EWGVertrag, EuR 1977, S. 311, 322; Ehlermann, Das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung in der Rechtsprechung des Gerichtshofes, in: FS Ipsen, S. 579, 587; Wellinghausen, Anmerkung [zur Entscheidung Dassonville], EuR 1975, 322, 322. 143 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974, Rs. 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837 ff. 144 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974, Rs. 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, 852 Rn. 5. 145 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974, Rs. 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837 ff. 146 Vgl. Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 137 f. 147 Vgl. § 100 Abs. 3 Branntweinmonopolgesetz: „Im Inland dürfen Arrak, Rum und Obstbranntwein sowie Verschnitte davon und Steinhäger nur mit einem Weingeistgehalt von mindestens 38 Raumhunderteilen, sonstige Trinkbranntweine nur mit einem Weingeistgehalt von mindestens 32 Raumhundertteilen in den Verkehr gebracht werden. Die Reichsmonopolverwaltung kann Ausnahmen für besondere Gegenden und besondere Trinkbranntweinarten zulassen“. 148 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 651.
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EuGH die Frage vorgelegt, ob auch das Mindestweingeisterfordernis aus § 100 Abs. 3 Branntweinmonopolgesetz unter den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen im Sinne der Warenverkehrsfreiheit fällt.149 Nachdem der EuGH den Schwerpunkt auf die Prüfung der Schranken der Warenverkehrsfreiheit legt150 bewertet er das deutsche Mindestweingeisterfordernis als protektionistisch. Der EuGH zieht die Schlussfolgerung, dass es „keinen stichhaltigen Grund dafür [gibt], zu verhindern, daß in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und in den Verkehr gebrachte alkoholische Getränke in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden; dem Absatz dieser Erzeugnisse kann kein gesetzliches Verbot des Vertriebs von Getränken entgegengehalten werden, die einen geringeren Weingeistgehalt haben, als im nationalen Recht vorgeschrieben ist“.151
Der EuGH formulierte damit – vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten einer Politik der Vollharmonisierung152 – erstmals ausdrücklich und in positiver Weise, welche Wirkungen sich aus einer Interpretation der Warenverkehrsfreiheit im Sinne eines Beschränkungsverbotes ergeben.153 Aus der Cassis-Entscheidung wird – zum Teil in Kombination mit der Entscheidung Dassonville154 – das primärrechtliche Herkunftslandprinzip im Bereich des Warenverkehrs entnommen.155 Da der EuGH 149 Vgl. EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 652. 150 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 662 Rn. 8; Epiney, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl., Art. 28 EG-Vertrag Rn. 14 ff.; Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 31. 151 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 664 Rn. 14. 152 Esty/Geradin, [ohne Titel], Journal of International Economic Law 2000, S. 235, 252. Anders: Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71, 84: „Der Gerichtshof hat das Ursprungslandprinzip eher zugfällig und ,unbewußt‘ ,entdeckt‘“. 153 Vgl. EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 664 Rn. 14; Nicolaïdis, Comment, in: Product Standards, S. 139, 144; Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 31. 154 Vgl. Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 28 EG Rn. 190. 155 Vgl. Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon“), ABl. EG 1980 Nr. C 256/2 vom 3. 10. 1980; Dauses/Brigola, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, C. Warenverkehr, I. Grundregeln, Rn. 123 (EL 28 Juni 2011); Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 34 AEUV, Rn. 69 (EL 42 September 2010); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 Rn. 47; Epiney, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl., Art. 28 EG-Vertrag Rn. 16; Sack, Art. 30, 36 EG-Vertrag und das internationale Wettbewerbsrecht, WRP 1994, S. 281, 287; Streinz, Europarecht, § 12 III. 5. Rn. 937; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 23 Rn. 35; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 Rn. 75; Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 79; Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 46; Streinz/Leible, in: Europäische Dienstleistungsrichtlinie, Einlei-
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die entscheidende Feststellung im Rahmen der Prüfung der Schranken trifft, wird deutlich, dass das primärrechtliche Herkunftslandprinzip eine Mischform des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und des Bestimmungslandprinzip darstellt.156 Infolge der Einschränkung der mitgliedstaatlichen Regulierungsbefugnisse im grenzüberschreitenden Verkehr erweitert sich der Freiheitsbereich von grenzüberschreitend tätigen Anbietern – das heißt von ausländischen Exporteuren157 und inländischen Importeuren158 – im Vergleich zur welthandelsrechtlichen Situation erheblich. Die Kompatibilität von Ordnungen wird über die Gewährung von Marktzugangsrechten159 zwar erhöht, jedoch folgen aus der Zulassung von Waren, die anderen mitgliedstaatlichen mitgliedstaatlichen Regulierungsanforderungen entsprechen, erhebliche Verwerfungen innerhalb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in Form von unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen und insbesondere Inländerdiskriminierungen160 als spezielle Form unterschiedlicher Wettbewerbsbetung Rn. 7; Genschel, Why no mutual recognition of VAT? Regulation, taxation and the integration in the EU’s internal market for goods, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 743, 748. 156 Vgl. Steindorff, Gemeinsamer Markt als Binnenmarkt, ZHR 150 (1986), S. 687, 691: „Beginnend mit den Urteilen Dassonville und Cassis de Dijon hat sich zu Art. 30 eine Judikatur entwickelt, die […] eine Art Kompromiß zwischen den sich entgegenstehenden Prinzipien des Herkunfts- und des Bestimmungslandes realisiert“ (HiO); Möstl, Wirtschaftsüberwachung von Dienstleistungen im Binnenmarkt – Grundsätzliche Überlegungen aus Anlass der Pläne für eine Dienstleistungsrichtlinie, DÖV 2006, S. 281, 282 f. „Die Grundfreiheiten führen […] zu einem Ausgleich, einem Kompromiss zwischen grenzüberschreitender Freiheit und Erfordernissen der Wirtschaftsüberwachung, der notwendig zu Abstrichen auf beiden Seiten führt“; Nicolaïdis, Mutual Recognition Regimes: Towards a Comparative Analysis, Weatherhead Center for International Affairs Working Paper No. 98 – 8, S. 15; Winkelmüller, Verwaltungskooperation bei der Wirtschaftsaufsicht im EG-Binnenmarkt, S. 10; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Europäische Grundfreiheiten, Rn. 175, S. 73; Calliess, Die Dienstleistungsrichtlinie, Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht Nr. 160, S. 13; W.-H. Roth, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, I. Grundregeln, Rn. 205 (EL 17); S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 21; Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 80; S. K. Schmidt, Mutual Recognition as a new mode of governance, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 667, 676, 685; Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf Vertrags- und Wettbewerbsstatut, S. 205; Sack, Art. 30, 36 EG-Vertrag und das internationale Wettbewerbsrecht, WRP 1994, S. 281, 287 Fn. 74. 157 Vgl. Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 416. 158 Vgl. Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 416 ff. 159 Vgl. Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim,Das Recht der Europäischen Union, Art. 34 AEUV Rn. 79. 160 Vgl. Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271, 291 f.; Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 421 – 423.
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dingungen (bzw. Wettbewerbsverzerrungen) und daraus folgenden Einschränkungen staatlicher Gestaltungsoptionen.161 3. Keck-Rechtsprechung Eine grundlegende Einschränkung der Weite des Tatbestandes der Warenverkehrsfreiheit wie sie durch die Rechtssache Dassonville erhalten hatte,162 brachte das Urteil des EuGH in der Rechtssache Keck163. Es ging um die Frage, inwieweit ein französisches Verbot des Verkaufes von Waren zum Verlustpreis – das sich auch auf aus anderen Mitgliedstaaten importierte Waren bezieht – im Einklang mit der Warenverkehrsfreiheit steht.164 Der EuGH stellte fest, dass „entgegen der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet [ist], den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville […] unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“.165
Die Konkretisierung des Begriffs „bestimmte Verkaufsmodalitäten“ stieß jedoch zunächst auf Schwierigkeiten.166 Infolge der weiteren Rechtsprechung wurde aber deutlich, dass es im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit im Kern um ein Recht auf
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Kritisch: Streeck, Gekaufte Zeit, S. 149 – 151. Matthies, Artikel 30 EG-Vertrag nach Keck, in: FS Everling, S. 803, 806; Dörr, Die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 30 EWG-Vertrag – doch bloß ein Diskriminierungsverbot?, RabelsZ 54 (1990), S. 677, 681 f.; Steindorff, Unvollkommener Binnenmarkt, ZHR 158 (1994), S. 149, 154. 163 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Keck, Slg. 1993, I6097 ff. 164 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Keck, Slg. 1993, I6097, I-6099 f. Besprochen von: Steindorff, Unvollkommener Binnenmarkt, ZHR 158 (1994), S. 149 – 169; Jestaedt/Kästle, Kehrtwende oder Rückbesinnung in der Anwendung von Art. 30 EGV: Das Keck-Urteil, EWS 1994, S. 26 – 29; Matthies, Artikel 30 EG-Vertrag nach Keck, in: FS Everling, S. 803 – 817. 165 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Keck, Slg. 1993, I6097, I-6131 Rn. 16. 166 Steindorff, Unvollkommener Binnenmarkt, ZHR 158 (1994), S. 149, 152: „Die Stellungnahme wird durch die Dürre des Urteils erschwert. Man kann ihm nicht entnehmen, ob die einander gegenübergestellten Regelungen für die Gestalt der Produkte und für bestimmte Verkaufsmodalitäten alle denkbaren staatlichen Normen umfassen sollen oder ob der Gerichtshof einen gewissen Bereich staatlicher Regelungen nicht angesprochen und späterer Judikatur vorbehalten hat“; Matthies, Artikel 30 EG-Vertrag nach Keck, in: FS Everling, S. 803, 809; Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und der E-Commerce-Richtlinie, S. 13. 162
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gleichen Marktzugang für Waren aus anderen Mitgliedstaaten geht.167 Entscheidend ist, ob Regulierungen spezifische Belastungen einer europäischen Privatrechtsgesellschaft darstellen.168 Belastend im grenzüberschreitenden Verkehr wirken sich vor allem die Notwendigkeit der Anpassung von Waren an die Regulierungen des Bestimmungslandes aus, so dass Produktregulierungen wie ein Verbot auf der Verpackung eines Schokoriegels „+ 10 %“ aufzudrucken169 Anwendungsfälle produktbezogen im Sinne der Keck-Rechtsprechung sind. „Bestimmte Verkaufsmodalitäten“170 betreffen hingegen Regelungen, die für den grenzüberschreitenden Verkehr im Vergleich zu den Kostenbelastungen rein inländischer Anbieter des betreffenden Staates nicht zu spezifischen Kostenbelastungen führen, weil sie nicht die Gestalt einer Ware zum Gegenstand haben und deshalb nicht zu Anpassungskosten171 führen.172 Problematisch ist die Ausklammerung von „bestimmten Verkaufsmodalitäten“ jedoch im Hinblick auf grenzüberschreitende Werbung.173
II. Die Dienstleistungsverkehrsfreiheit als Marktzugangsrecht der Anbieter Der EuGH übertrug die im Bereich des Warenverkehrs entwickelten Grundsätze in weitem Umfang auf die Dienstleistungsfreiheit174 als „Komplementärgewährleistung zur Warenverkehrsfreiheit“175. Bereits in der Rechtssache van Binsbergen, der ersten176 Entscheidung des EuGH zur Dienstleistungsfreiheit, interpretierte der EuGH die Dienstleistungsfreiheit im Jahr 1974 im Sinne eines Beschränkungsverbotes.177 167 Vgl. EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Keck, Slg. 1993, I-6097, I-6131 Rn. 16 f.; EuGH, Urteil vom 2. 6. 1994, verb, Rs. C-401/92 und C-402/92, Tankstation ‘t Heukske, Slg. 1994, I-2199, I-2233 f. Rn. 12, 14; Steindorff, Unvollkommener Binnenmarkt, ZHR 158 (1994), S. 149 – 169, 162 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 34 – 36 Rn. 51 ff; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 34 AEUV Rn. 79 (EL 42 September 2010). 168 Vgl. EuGH, Urteil vom 15. 12. 1993, verb. Rs. C-277/91, C-318/91 und C-319/91, Ligur Carni, I-6661, Rn. 38. 169 EuGH, Urteil 6. 7. 1995, Rs. C-470/93, Mars, Slg. 1995, S. I-1936, I-1944. 170 Vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 170 ff. 171 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 99 ff. 172 Vgl. EuGH, Urteil vom 2. 6. 1994, verb, Rs. C-401/92 und C-402/92, Tankstation ‘t Heukske, Slg. 1994, I-2199, I-2233 Rn. 13; Matthies, Artikel 30 EG-Vertrag nach Keck, in: FS Everling, S. 803, 811 f. Vgl. Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 28 EG Rn. 255 mwN; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 181. 173 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 183 ff. 174 Tietje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze, Vorbem. Zu den Art. 49 bis 55 Rn. 17. 175 Kluth, in: Calliess/Ruffert EUV/AEUV, Art. 56, 57 Rn. 2. 176 Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 56, 57 Rn. 57.
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§ 3 Ordnungsrahmen für eine internationale Privatrechtsgesellschaft
In der Rechtssache van Wesemael stellte der EuGH fest, dass Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Dienstleistungsverkehrsfreiheit im Rahmen der Durchsetzung ihrer Regulierungsanforderungen zu prüfen haben, ob der jeweilige Dienstleister bereits gleichwertigen Regulierungsanforderungen in seinem Herkunftsland unterliegt.178 In der Entscheidung Webb statuierte der EuGH, dass bei vorübergehenden Tätigkeiten im Tätigkeitsland ein Absehen von den Vorschriften des Bestimmungslandes geboten sein kann, um den freien Dienstleistungsverkehr überhaupt zu ermöglichen.179
III. Die Waren- und Dienstleistungsverkehrsfreiheit als Marktzugangsrecht von Nachfragern Die Grundfreiheiten sind in erster Linie Marktzugangsfreiheiten der Anbieter.180 Die wirtschaftliche Integration soll nach dem Konzept der funktionalen Integration181, also einer Integration über die Kräfte eines gemeinsamen Marktes182, insbesondere über die Anbieter ausgehen183. Die Marktintegration hat gerade zur Vor177 Vgl. EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974, Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, S. 1299, 1309 Rn. 10/12. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-76/90, Säger/Dennemeyer, Slg. 1991, I-4221, I-4243 Rn. 12; Behrens, Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten des EWG-Vertrages, EuR 1992, S. 145, 150. 178 EuGH, Urteil vom 18. 1. 1979, verb. Rs. 110 und 111/78, van Wesemael, Slg, 1979, 35, 52 f. Rn. 29 f. 179 EuGH, Urteil vom 17. 12. 1981, Rs. 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, 3324 Rn. 16. 180 Reich, Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs als Grundfreiheit, ZHR 153 (1989), S. 571, 574 f. „Marktzugangsfreiheit“ (S. 574); Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 28 EG Rn. 7; Barnard/Deakin, Market Access and Regulatory Competition, Jean Monnet Working Paper 9/01, S. 2; Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 18. 181 Schwartz, 30 Jahre EG-Rechtsangleichung, in: FS von der Groeben, S. 333, 335 – 337; Monnet, Erinnerungen eines Europäers, S. 547; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorbem. zu den Artikeln 28 bis 31 EG Rn. 2 f., Art. 28 Rn. 7 f.; Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 22 ff., 27. 182 Vgl. Schwartz, 30 Jahre EG-Rechtsangleichung, in: FS von der Groeben, S. 333, 335 – 337; Monnet, Errinerungen eines Europäers, S. 547; Müller-Graff, in: von der Groeben/ Schwarze, EUV/EGV, Vorbem. zu den Artikeln 28 bis 31 EG Rn. 2 f., Art. 28 Rn. 7 f.; Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 22 ff., 27; von Simson, Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S. 55, 63. 183 Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 29 Tz. 2: „Der EWGV war in seiner ursprünglichen Konzeption ,produktivistisch‘ ausgerichtet. In seiner Institutionen- und Rechtsstruktur richtete er sich primär an die Produzenten ökonomischer Werte, denen er größere Produktions- und Distributionsräume zur Verfügung stellen will“. Vgl. auch: von Hayek, Die Wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse, in: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 324, 325 – 328. J. Prütting erkennt eine Bevorzugung von Großunternehmen: „Chanceneröffnung am Markt begünstigt primär jene Akteure, die die Möglichkeit der Chancenerkennung und -nutzung besitzen. Das sind typischerweise Groß-
E. Kompatibilität der Ordnungen unter Geltung der EU-Grundfreiheiten
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aussetzung, dass Anbieter von Waren und Dienstleistungen andere mitgliedstaatliche Märkte – als Teilelemente des Binnenmarktes184 – betreten.185 Anbieter besitzen grundsätzlich ein starkes Interesse daran, ihre Absatzmärkte vom inländischen Markt auf ausländische auszuweiten. Den Transaktionskosten, die mit dem Betreten eines Marktes verbunden sind, stehen erhebliche Chancen der Generierung von Gewinnen gegenüber. Anbieter sind deswegen die treibende Kraft in der Europäisierung von Marktbeziehungen. Die Waren und Dienstleistungsfreiheit beinhaltet jedoch auch ein Recht der Nachfrager, im gesamten Gemeinsamen Markt Waren und Dienstleistungen nachfragen zu können, ohne durch unverhältnismäßige staatliche Beschränkungen daran gehindert zu sein“.186 In der Rechtssache GB-INNO-BM stellte der EuGH fest, dass es insbesondere in Grenzgebieten für den in einem Mitgliedstaat ansässigen Verbraucher möglich sein müsse, sich frei in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates begeben zu können, um dort unter denselben Bedingungen wie die ortsansässige Bevölkerung einzukaufen. „Dieses Recht der Verbraucher“ wird nach Auffassung des EuGH beeinträchtigt, wenn ihnen der Zugang zu dem im Einkaufsland erhältlichen Werbematerial verwehrt wird.187
unternehmen“. (J. Prütting, Markt- und Chancengerechtigkeit – Plädoyer für ein autonom europäisches Gesellschaftsrecht, JZ 2014, S. 381, 382). Streeck erkennt eine Bevorzugung des Ziels der Binnenmarktverwirklichung gegenüber sozialen Fragen und meint, dass die Anbieter gegenüber der restlichen Bevölkerung bevorzugt würden (Streeck, Gekaufte Zeit, S. 148 ff.). 184 Vgl. Prosi, Europäische Integration durch Wettbewerb?, Eine politisch-ökonomische Analyse, in: Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, S. 119 – 135, 123: „Der ,europäische Binnenmarkt‘ wird kein einheitlicher großer Markt von Ragusa auf Sizilien bis Skagen in Jütland sein, in dem alle Unternehmen miteinander um die Kaufkraft aller Käufer konkurrieren, sondern es handelt sich hierbei um ein politisches Schlagwort für ein System vieler miteinander verbundebner lokaler und regionaler, sachlich unterschiedlicher Märkte ohne künstliche, politische Marktschranken“. 185 Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 18 f. 186 Reich, Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs als Grundfreiheit, ZHR 153 (1989), S. 571, 575. Vgl. auch: Reich, Förderung und Schutz diffuser Interessen durch die Europäischen Gemeinschaften, S. 77 Tz. 30; Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 95 Tz. 43; Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 191; Steindorff, Dienstleistungsfreiheit im EG-Recht, RIW 1983, S. 831, 833. 187 EuGH, Urteil vom 7. 3. 1990, Rs. C-362/88, GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667, I-686 Rn. 8. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 28. 4. 1998, Rs. C-120/95, Nicolas Decker, Slg. 1998, I1831, I-1874 Rn. 2 ff. (Erstattung der Kosten für eine in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Brille durch die Krankenkasse); EuGH, Urteil vom 31. 01. 1984, verb. Rs. 286/82 und 26/83, Graziana Luisi und Guiseppe Carbone, Slg. 1984, S. 377, 401 Rn. 10 (Anerkennung der aktiven Dienstleistungsfreiheit).
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Ein Nachfrager kann sich jedoch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass bestimmte Waren auf dem heimischen Markt aufgrund von rechtswidrigen Einfuhr- bzw. Ausfuhrhemmnissen nicht angeboten werden.188 Die Kräfte, die von Seiten der Nachfrager zur Verwirklichung der Marktintegration ausgehen, unterscheiden sich erheblich von den Kräften der Anbieter, denn die Anreize einer grenzüberschreitenden Nachfrage sind wesentlich geringer als ein grenzüberschreitendes Angebot von Waren und Dienstleistungen. Entscheidend sind die Transaktionskosten, die mit einer grenzüberschreitenden Nachfrage verbunden sein können. Transaktionskosten bestehen z. B. im Fall einer grenzüberschreitenden Nachfrage von verderblichen Lebensmitteln. Zudem können Kosten im Hinblick auf die Erkundung des Angebotes auf ausländischen Märkten entstehen.189 Aufwand und Nutzen eines grenzüberschreitenden Bezuges stehen gerade im Fall von geringwertigen Waren- und Dienstleistungen aus Perspektive der Nachfrager oftmals in keinem Verhältnis. Geringer können sich die Transaktionskosten auf Seiten der Nachfrager im Bereich des E-Commerce darstellen, da ein grenzüberschreitender Marktüberblick in diesem Bereich oft einfach zu verwirklichen ist und die im Wege des E-Commerce angebotenen Waren grundsätzlich versandt werden können.
IV. Kollisionsrechtliches und sachrechtliches Verständnis des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips Umstritten ist, ob das europarechtliche Herkunftslandprinzip eine Kollisionsnorm im technischen Sinn (siehe Internationales Privatrecht190) darstellt und deswegen kollisionsrechtlich zu verstehen ist oder aber sachrechtlich zu verstehen ist.191 Im
188 Vgl. EuGH, Urteil vom 10. 6. 1982, Rs. 246/81, Lord Bethell, Slg. 1982, 2277, 2291 Rn. 16 (Es ging um die Frage, ob der Kläger – der regelmäßig Linienflüge innerhalb der Gemeinschaft unternimmt und Präsident es „Vereins „Freedom of the Skies Campaign“ ist – von der Kommission eine die Durchsetzung eines wirksamen Wettbewerbs im Bereich im europäischen Luftverkehrsmarkt verlangen kann. Der EuGH führte aus, dass der Kläger als Benutzer der Fluglinien und Initiator einer Bewegung von Flugpassagieren zwar ohne Zweifel an einem solchen Vorgehen der Kommission und dessen eventuellem Ergebnis mittelbar ebenso interessiert ist wie es auch andere Benutzer sein könnten, was jedoch im Hinblick auf die Art. 173 Abs. 2 und Abs. 3 EWGV nicht zur Bejahung der Klagebefugnis ausreicht). 189 Vgl. Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 18 f. 190 Vgl. zum Begriff der Kollisionsnorm im Internationalen Privatrecht: Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 11 I, S. 97 f. 191 Zur Diskussion vgl. Mankowski, Binnenmarkt-IPR – Eine Problemskizze –, in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, S. 595, 602 ff.; Mankowski, Das Herkunftslandprinzip als Internationales Privatrecht der e-commerce-Richtlinie, ZVglRWiss 100 (2001) S. 137 – 181; Fezer/Koos, Das gemeinschaftsrechtliche Herkunftslandprinzip und die e-commerce-Richtlinie, IPRax 2000, S. 349 – 354.
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Falle eines (im technischen Sinn) kollisionsrechtlichen Verständnisses192 folgt aus der Warenverkehrs- und Dienstleistungsverkehrsfreiheit ein kollisionsrechtlicher Rechtsanwendungsbefehl zugunsten des Herkunftslandrechts.193 Die Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung könnten nach diesem Ansatz als Anwendungsfall eines ordre public betrachtet werden (vgl. Art. 6 EGBGB für das Internationale Privatrecht),194 wobei damit jedoch keine Aussage über die Reichweite der Schranken getroffen werden soll. Im Fall eines sachrechtlichen Verständnisses kommt es nicht zur Fremdrechtsanwendung, vielmehr finden bestimmte Regulierungen des Bestimmungs- bzw. Tätigkeitslandes keine Anwendung.195 Der Begriff Herkunftslandprinzip bzw. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung legt ein kollisionsrechtliches Verständnis zwar nahe, jedoch handelt es sich bei den Begriffen Herkunftslandprinzip bzw. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung lediglich um eine positive Beschreibung der tatsächlichen Folgen der Interpretation der 192 Vgl. das Vorbringen der Bundesregierung in: EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649, 656; Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 14 f.; Mankowski, Binnenmarkt-IPR – Eine Problemskizze –, in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, S. 595, 602 – 604; Bernhard, Cassis de Dijon und Kollisionsrecht – am Beispiel des unlauteren Wettbewerbs, EuZW 1992, S. 437, 439 f.; Mankowski, Das Herkunftslandprinzip als Internationales Privatrecht der e-commerceRichtlinie, ZVglRWiss 100 (2001), S. 137, 138 ff. „Ein primärrechtliches Herkunftslandprinzip unter Art. 28 EG wirkte sich zumindest im Ergebnis wie eine kollisionsrechtliche Anknüpfung innergemeinschaftlicher Verbringungssachverhalte an das Wettbewerbsrecht im Herkunftsstaat aus […]“ (S. 139); Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht Bd. 1, § 4 Rn. 78, S. 252 f.: „echter Verweisungscharakter“; Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008) S. 447, 452; Trachtman, Embetting mutual recognition at the WTO, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 780 – 799, 782: „Recognition, in simple terms, is a choice of law rule“. Kerber/Van den Bergh, Wechselseitige Anerkennung von Regulierungen: Ist die EU ein Vorbild für das globale Handelsregime?, in: Internationalisierung der Wirtschaftspolitik, S. 147, 154. 193 Vgl. Mankowski, Binnenmarkt-IPR – Eine Problemskizze –, in: FS 75 Jahre MaxPlanck-Institut für Privatrecht, S. 595, 602 – 604. 194 Nach dem ordre public soll eine Anwendung ausländischen Rechts ausschließen, wenn dies aus inländischer Sicht zu unerträglichen Ergebnissen führt (Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 6 EGBGB Rn. 2). 195 W.-H. Roth, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, I. Grundregeln Rn. 205 (EL 17); Fezer/Koos, Das gemeinschaftsrechtliche Herkunftslandprinzip und die e-commerce-Richtlinie, IPRax 2000, S. 349 – 354 „Die mit der Prüfung am Maßstab der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten verbundene Nichtanwendung nationaler lauterkeitsrechtlicher Sachnormen des Verbringungslandes stellt keine Folge einer kollisionsrechtlichen Prüfung dar. Es handelt sich vielmehr bei diesem Vorgang allein um die durch höherrangiges Recht erfolgende Anordnung der auf die gemeinschaftliche Verbringung beschränkten, gleichsam punktuellen Unwirksamkeit einer konkreten nationalen Normdes nach allgemeinen IPR-Grundsätzen zur Anwendung kommenden nationalen Wettbewerbsrecht“ (S. 350). Ein sachrechtliches Verständnis wird auch vertreten von: Fezer/Koos, in: Staudinger, IntWirtschR, S 270 Rn. 541. Zur E-CommerceRichtlinie vgl. Sack, Internetwerbung – ihre Rechtskontrolle im Herkunftsland des Werbenden, WRP 2013, S. 1545, 1546 ff.
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Grundfreiheiten als Beschränkungsverbote, wie die herrschende Meinung zu Recht annimmt196. In der Cassis-Entscheidung klingt ein sachrechtliches Verständnis an. Nach Auffassung des EuGH gibt es „keinen stichhaltigen Grund dafür, zu verhindern, daß in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und in den Verkehr gebrachte alkoholische Getränke in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden; dem Absatz dieser Erzeugnisse kann kein gesetzliches Verbot des Vertriebs von Getränken entgegengehalten werden, die einen geringeren Weingeistgehalt haben, als im nationalen Recht vorgeschrieben ist“.197
Es bleibt danach grundsätzlich bei der Anwendung des Rechtes des Bestimmungslandes, jedoch ist das Recht des Herkunftslandes im Rahmen der Anwendung inländischen Rechts zu berücksichtigen.198 Eine Fremdrechtsanwendung im technischen Sinne findet mit anderen Worten nicht statt, vielmehr erfolgt eine angepasste Anwendung inländischen Rechts im Hinblick auf die schon erfüllten rechtlichen Anforderungen des Herkunftslandes.199 Das Herkunftslandprinzip ist damit sachrechtlich zu verstehen. Sprachlich kommt das den Grundfreiheiten zugrundeliegende sachrechtliche Verständnis durch den Begriff „Beschränkungsverbot“ zum Ausdruck.
V. Hinwendung zur „neuen Strategie“ Mitte der 1980er Jahre und weitere Integrationspolitik Nachdem die Kommission im Jahr 1980 in unmittelbarem Anschluss an die Entscheidung Cassis de Dijon erklärt hatte, dass nach dem Urteil jedes in einem Mitgliedstaat hergestellte und in den Verkehr gebrachte Erzeugnis auch auf den Märkten der anderen Mitgliedstaaten zuzulassen ist,200 erhob die Kommission 1985 196 Vgl. W.-H. Roth, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, I. Grundregeln Rn. 205; Martin-Ehlers, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte der Urteile von Centros bis Inspire Art: Der „verständige Gläubiger“, in: Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 14. 197 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 664 Rn. 14. 198 W.-H. Roth, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, I. Grundregeln Rn. 205 (EL 17): „Im Herkunftsstaat rechtmäßig auf den Markt gebrachte Leistungen müssen – vorbehaltlich der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses – auch in den anderen Mitgliedstaaten vermarktbar sein. Dieses Ergebnis wird nicht – und dies wird bisweilen verkannt – durch eine strikte Verweisung auf die Maßgeblichkeit des Rechts des Herkunftsstaates erreicht, sondern im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit, in dem eine zwingende Berücksichtigung der Regelungen etc. des Herkunftsstaates vorgegeben wird“. In Bezug auf ein sachrechtliches Verständnis von Doppelbesteuerungsabkommen: Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 653, Rn. 20. 199 Vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 Rn. 151 f. 200 Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des EuGH vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon“), ABl.EG C 256/2 vom 3. 10. 1980, S. 2.
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in ihrem Weißbuch „Vollendung des Binnenmarktes“ das Herkunftslandprinzip zum zukünftigen Instrument der Marktintegration zwischen den Mitgliedstaaten201. Es handelte sich nicht um einen Ansatz, der aus dem Erkennen der Grenzen einer Planbarkeit von Recht im Sinne von Wissensproblemen in der Ausgestaltung von Recht202 entstanden war, vielmehr war ein neuer Integrationsansatz wegen der mit einer Politik der Vollharmonisierung verbundenen Schwierigkeiten alternativlos203. Dennoch wandten sich Staaten mit einem hohem Regulierungsniveau wie Deutschland und Frankreich vor dem Hintergrund erwarteter regulatorischer Anpassungszwänge (und damit zum Zwecke der Vermeidung eines Systemwettbewerbs) entschieden gegen den Einsatz des Herkunftslandprinzips als Integrationsinstrument.204 Die Kommission rechtfertigte diese „neue Strategie“205 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH206 mit dem Grundsatz, dass ein Erzeugnis, wenn es in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sei, grundsätzlich überall in der Gemeinschaft verkehrsfähig sei.207 Grundlage der neuen Strategie ist die Annahme der grundsätzlichen Gleichwertigkeit nationaler Regu201
Vgl. Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 19 ff. Tz. 65 ff. Sedemund, „Cassis de Dijon“ und das neue Harmonisierungskonzept der Kommission, in: Der Gemeinsame Markt, Bestand und Zukunft in wirtschaftsrechtlicher Perspektive, S. 37 – 54; Alter/Meunier-Aitsahalia, Judicial Politics in the European Community, European Integration and the Pathbreaking Cassis de Dijon Decision, Comparative Political Studies 26(4) (1994), S. 535 – 561, 540 ff.; Nicolaïdis, Mutual Recognition Among Nations, S. 305 ff.; Weiler, Mutual Recognition, Functional Equivalence and Harmonization in the Evolution of the European Common Market and the WTO, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 25, 50: „political mutual recognition“; Sun/Pelkmans, Regulatory Competition in the internal market, Journal of Common Market Studies 33(1) (1995), S. 67, 70: „regulatory mutual recognition“ im Gegensatz zu „judicial mutual recognition“; Nicolaïdis, Mutual Recognition Among Nations, S. 208. Kritisch im Rückblick im Hinblick auf die Berücksichtigung von sozialen Fragen: Streeck, Gekaufte Zeit, S. 149 ff. 202 Vgl. von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, S. 94 f.; von Simson, Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S. 55, 63. 203 Vgl. Taschner, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGVArt. 94 Rn. 16; Reichelt, Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht – Eine Einführung –, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 3, 9. 204 Alter/Meunier-Aitsahalia, Judicial Politics in the European Community, European Integration and the Pathbreaking Cassis de Dijon Decision, Comparative Political Studies 26(4) (1994), S. 535, 542, 550. Schon im Rahmen der Verhandlungen zu den Römischen Verträgen spielte die Befürchtung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen von Seiten Frankreichs eine Rolle (Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 299 ff.). 205 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 18 ff. Tz. 61 ff. 206 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 22 Tz. 77. 207 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, S. 17 Tz. 58.
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lierungen.208 Nach Ansicht der Kommission entsprechen sich die Ziele mitgliedstaatlicher Regulierungen in den meisten Fällen.209 Der Topos Gleichwertigkeit findet ständige Wiederholung im Weißbuch.210 Es handelt sich bei dem Topos Gleichwertigkeit als Grundlage gegenseitiger Anerkennung nicht nur um eine Feststellung der Kommission auf Basis einer Tatsachengrundlage,211 sondern vielmehr handelt es sich um eine rechtspolitische Argumentation, um die Durchsetzung der neuen Strategie zu erreichen212. Die Anforderungen, die an eine Gleichwertigkeit zu stellen sind, sind deshalb auch vor dem Hintergrund des Interesses an der Marktintegration zu sehen. Deutlich wird dieser Zusammenhang daran, dass die Kommission sich im Weißbuch in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung von Hochschuldiplomen auf den Ersten Bericht des
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Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 19 Tz. 65; Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 4. Zum Topos Gleichwertigkeit zur Begründung der Fremdrechtsanwendung im Internationalen Privatrecht: Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 142; Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, in: FS Lewald, S. 259, 271; Neuhaus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 5, S. 43: „[…] das IPR muß […] von einer Gleichwertigkeit der in Betracht kommenden Regelungen ausgehen […]“. Der Ansatz einer Gleichwertigkeitsprüfung kann auch im innerstaatlichen Bereich eingesetzt werden, um die Rechtfertigung von Regulierungen zu prüfen. Zur Übertragung dieses Ansatzes auf den Abbau von Hemmnissen zu (Weiter-)Bildungsangeboten: Brettschneider, Abbau von unnötigen Hemmnissen zu Weiterbildungsangeboten: Was wir aus der europäischen Integrationspolitik lernen können, in: Bildungsinnovationen, S. 50 – 56. 209 Kommission, Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 17 Rn. 58: „Die Ziele nationaler Rechtsvorschriften – wie der Schutz der menschlichen Gesundheit, des menschlichen Lebens und der Umwelt – decken sich in den meisten Fällen. Hieraus folgt, dass die Vorschriften und Kontrollen, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, zwar verschiedene Formen annehmen können, im Kern aber auf das gleiche hinauslaufen und daher normalerweise in allen Mitgliedstaaten anerkannt werden sollten […]“. 210 Sedemund, „Cassis de Dijon“ und das neue Harmonisierungskonzept der Kommission, in: Der Gemeinsame Markt, Bestand und Zukunft in wirtschaftsrechtlicher Perspektive, S. 37, 42. 211 Nach Sedemund findet die These der Kommission, dass die Feststellung gleicher nationaler Sicherheitsziele oder des gleichen Schutzniveaus in den Mitgliedstaaten eine Harmonisierung überflüssig machen könne „keine empirische Bestätigung“ (Sedemund, Cassis de Dijon“ und das neue Harmonisierungskonzept der Kommission, in: Der Gemeinsame Markt, Bestand und Zukunft in wirtschaftsrechtlicher Perspektive, S. 37, 43). Sedemund führt aus, dass es „ein Irrtum [wäre] zu glauben, die Gemeinschaft […] sich […] der Aufgabe der Harmonisierung durch den Hinweis auf das gleiche ,Schutzniveau‘ der Mitgliedstaaten (das unter allen 12 Mitgliedstaaten auch zwangsläufig kam wirklich gleich sein kann) entledigen [könne]“. 212 Vgl. Sedemund, „Cassis de Dijon“ und das neue Harmonisierungskonzept der Kommission, in: Der Gemeinsame Markt, Bestand und Zukunft in wirtschaftsrechtlicher Perspektive, S. 37, 42 f.
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Ardonino-Ausschusses213 stützte und darin eine gegenseitige Anerkennung von Hochschuldiplomen ohne die Bedingung flankierender materiellrechtlicher Harmonisierung vorgesehen wurde.214 Eine Mindestharmonisierung der mitgliedstaatlichen Ausbildungsanforderungen wäre jedoch unabdingbar gewesen, um tatsächlich eine Gleichwertigkeit nationaler Qualifikationsanforderungen zu erreichen. Eine materiellrechtliche Harmonisierung soll nach der neuen Strategie unterbleiben, soweit das primärrechtliche Prinzip der gegenseitigen Anerkennung reicht bzw. materiellrechtliche Harmonisierung sollte sich auf die Bereiche konzentrieren, in denen das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung aufgrund von Schranken nicht zur Anwendung gelangt.215 Die Kombination des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung mit einem gewissen Maß an Mindestharmonisierung hatte entscheidende Bedeutung für das Voranschreiten des europäischen Integrationsprojektes, indem sie die Akteure vom Zwang nach der Suche der optimalsten Lösung befreite und damit gerade den Schritt in Richtung materiellrechtliche Harmonisierung erleichterte. Es verschob sich in der Folgezeit das Verhältnis von gegenseitiger Anerkennung und Harmonisierung immer weiter in Richtung materiellrechtlicher Harmonisierung,216 denn die Gemeinschaft beschränkte die materiellrechtliche Harmonisierung 213 Vgl. Bruha, Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Deregulierung durch „Neue Strategie“, ZaöRV 1986, S. 1, 11 f. 214 Vgl. Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 24 f. Tz. 88 ff., S. 25 Tz. 93; Bruha, Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Deregulierung durch „Neue Strategie“, ZaöRV 46 (1986), S. 1, 11 f. Art. 53 Abs. 1 AEUV sieht eine Kompetenz der Union zum Erlass von Richtlinien mit dem Ziel der gegenseitigen Anerkennung von Qualifikationsanforderungen vor. Einen Überblick über die auf Grundlage von Art. 53 AEUV geschaffene Rechtsetzung liefert: Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 53 Rn. 6 ff. 215 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 19 Tz. 65; Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, S. 19 Tz. 65; Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 80. 216 Vgl. Vaubel, Die politisch-ökonomischen Ursachen der Zentralisierungsdynamik, Wirtschaftsdienst, S. 84 – 88; Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 23 – 26; von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, S. 95; Everling, Zur Funktion der Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft – Vom Abbau der Verzerrungen zur Schaffung des Binnenmarktes –, FS Pescatore, S. 227, 240; Müller-Graff, Die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarktes, EuR 1989, S. 107, 113; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 16 f.; Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 16; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 238. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rn. 41, S. 34 f. P. Ulmer vergleicht in einen 1992 erschienen Aufsatz den Umfang des Amtsblattes der EU mit Bundesgesetzblatt und stellt fest, dass der Umfang des zur Normenpublikation dienenden Amtsblattes der EU denjenigen des Bundesgesetzblattes um 40 Prozent übersteige (P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 2 vgl. auch
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keinesfalls auf Bereiche, die den Schranken der Grundfreiheiten unterlagen217. Eine schrittweise materiellrechtliche Harmonisierung unter der Geltung es Prinzips der gegenseitigen Anerkennung stellte sich rückblickend als realisierbarer heraus, als zunächst von der Kommission angenommen. Die Gemeinschaft schuf unter Heranziehung des der „neuen Strategie“ zugrundeliegenden Gedankens in der Folgezeit verschiedene sekundärrechtliche Herkunftslandprinzipien, um den Integrationsansatz über das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zu erweitern. Diese Herkunftslandprinzipien beziehen sich dabei nicht ausschließlich auf nationale Regulierungen, sondern auch gerade auf deren Anwendung, womit das Prinzip der Herkunftslandkontrolle angesprochen ist.218 Es kommt damit zu einer „horizontale[n] Durchdringung der Verwaltungsräume“.219
VI. Bedeutung der europäischen Marktintegration für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Drittstaaten Die Verabschiedung der Römischen Verträge220 und die Hinwendung zur „neuen Strategie“ ist auch vor dem Hintergrund eines Wettbewerbs der Staaten zu sehen: Eine Rolle spielte das Ziel der Friedenssicherung, denn die Gründerstaaten konnten sich einen neuen Krieg auf ihren Boden auf keinen Fall leisten.221 Die Marktintegration sollte die Grundlage für ein friedvolles Zusammenleben der Völker der Mitgliedstaaten bieten und damit auch den ökonomischen Bestand der Volkswirtschaften sichern. Es ging im Rahmen der „neuen Strategie“ nicht nur um die innere Marktintegration zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Generierung daraus resultierender Vorteile, sondern nicht zuletzt auch um den Wunsch, die WettbeFn. 4). Herzog weist darauf hin, dass der sog. aquis communautaire mittlerweile zwischen 60.000 und 70.000 Druckseiten betragen dürfte (Herzog, Europa neu erfinden, S. 88). 217 Vgl. Everling, Zur Funktion der Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft – Vom Abbau der Verzerrungen zur Schaffung des Binnenmarktes – in: FS Pescatore, S. 227, 240. 218 Vgl. Art. 18 Abs. 1 Zweite Richtlinie vom 15. 12. 1989 zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG, (89/646/EWG), ABl. EG Nr. L 386/1, 30. 12. 1989. 219 Möstl, Wirtschaftsüberwachung von Dienstleistungen im Binnenmarkt – Grundsätzliche Überlegungen aus Anlass der Pläne für eine Dienstleistungsrichtlinie, DÖV 2006, S. 281, 284. 220 Vgl. Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. 221 Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 20 f.: „Es ist kein Zufall, dass der geografische Raum, den die ersten sechs Staaten der Europäischen Gemeinschaft bedeckten, ziemlich identisch ist mit dem Raum des freien Europa, der physisch und politisch durch das orgiastische Abenteuer des Zweiten Weltkrieges an den Rand der Existenzvernichtung geführt worden war“; Loth, Der Weg nach Rom – Entstehung und Bedeutung der Römischen Verträge, Integration 30 (2007), S. 36, 36 f.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 8, S. 16.
E. Kompatibilität der Ordnungen unter Geltung der EU-Grundfreiheiten
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werbsfähigkeit der Union im Verhältnis zu Drittstaaten mittels einer tieferen inneren Integration und eines verstärkten internen Wettbewerbs der Privatrechtssubjekte zu steigern.222 Womöglich kommt auch Systemwettbewerb für die Verwirklichung dieses Ziels Bedeutung zu. Auch in der weiteren Entwicklung der Gemeinschaft war die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft die maßgebliche Triebkraft europäischer Integrationspolitik. Das Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten gegenüber Drittländern lag insbesondere jüngeren Integrationsmaßnahmen zugrunde.223 Mit der Lissabon-Strategie aus dem Jahr 2000 wurde beabsichtigt, die EU bis zum Jahr 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“.224 Der Binnenmarkt sollte damit nach Formulierung von Hatje zum „Trainingscamp für Global Player werden“.225 Dieses Trainingscamp lässt sich einerseits auf Unternehmen beziehen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit unter den Bedingungen eines verschärften europäischen (System-) wettbewerbs steigern können, als auch auf Staaten. Diese erhalten unter Umständen Anreize, inländischen Unternehmen möglichst gute Rahmenbedingungen zu bieten und eine Deregulierung einzuleiten. Die Kommission stellt vor diesem Hintergrund im Jahr 2007 fest, dass die politische Agenda der EU in den letzten Jahren „zunehmend als Reaktion auf die
222 Vgl. Cecchini, Europa ’92, Der Vorteil des Binnenmarktes, S. 102 ff.; Fitchew, Political Choices, A. Report: Geoffrey Fitchew, in: European Business Law, S. 4 f.; Nicolaïdis, Mutual Recognition Regimes: Towards a Comparative Analysis, Weatherhead Center for International Affairs Working Paper No. 98 – 8, S. 22; Scharrer, Die Einheitliche Europäische Akte: Der Binnenmarkt, Integration 1986, S. 108. Indes stand die deutsche Wirtschaft im Gegensatz zu den Interessen der niederländischen und auch Bundeswirtschaftsminister Adenauer dem Projekt der wirtschaftlichen Integration kritisch gegenüber (Loth, Der Weg nach Rom – Entstehung und Bedeutung der Römischen Verträge, Integration 30 (2007) S. 36, 42. Anders: Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 36). 223 Schäuble, Institutioneller Wandel und europäische Einigung, FAZ 12. 01. 2013, S. 14. 224 Europäischer Rat, 23. und 24. März 2000, Lissabon, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Tz. 5 (HiO). In Erwägungsgrund 2 der E-Commerce-Richtlinie wird hingewiesen, dass die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs in der Informationsgesellschaft Chancen bietet und Wirtschaftswachstum und Investitionen in Innovationen der europäischen Unternehmen anregen wird: „Die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs in der Informationsgesellschaft bietet erhebliche Beschäftigungsmöglichkeiten in der Gemeinschaft, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen, und wird das Wirtschaftswachstum sowie die Investitionen in Innovationen der europäischen Unternehmen anregen; diese Entwicklung kann auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken, vorausgesetzt, dass das Internet allen zugänglich ist“. Hinter den Bemühungen der Harmonisierung des Lauterkeitsrechts steht auch das Motiv der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen innerhalb der EU, Kommission, Kommerzielle Kommunikation im Binnenmarkt, Grünbuch der Kommission, KOM(96) 192 endg., S. 15, 18. 225 Hatje, Die EG und ihr Recht im Zeichen der Globalisierung, in: Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts, Teilband 1, S. 105, 105.
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Globalisierung zu verstehen [ist]“,226 und erneuerte das Ziel der Lissabon-Strategie der EU, wobei die Kommission das in der Lissabon-Strategie formulierte Ziel sprachlich insoweit zurücknahm, als dass sie vom Ziel einer „dynamischen, wettbewerbsfähigen wissensbasierten Gesellschaft“ sprach227.
F. Integrationsstrategie der Schweiz gegenüber den EU-Mitgliedstaaten Für die Schweiz228 stellt sich seit langem die Frage einer Handelsintegration im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EU.229 Seit der (von der schweizer Wirtschaft beklagten230) Ablehnung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)231 im Jahr 1992 verfolgt die Schweiz auf Grundlage des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse (THG)232, das am 01. Juli 1996 in Kraft trat, eine
226 Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Das europäische Interesse: Erfolg im Zeitalter der Globalisierung, Beitrag der Kommission für die Oktober-Tagung der Staats- und Regierungschefs, KOM(2007) 581, S. 2. 227 Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Das europäische Interesse: Erfolg im Zeitalter der Globalisierung, Beitrag der Kommission für die Oktober-Tagung der Staats- und Regierungschefs, KOM(2007) 581, S. 6. Zum Nachfolgeprogramm der Lissabon-Strategie „Europa 2020“: Kommission, Mitteilung der Kommission, Europa 2020, Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, KOM (2010), 2020 endg. 228 Die Schweiz hat unter Einfluss der Binnenmarktpolitik ein Herkunftslandprinzip im Verhältnis zwischen den schweizer Kantonen eingeführt (Cottier/Oesch, Switzerland, in: Internat Markets and Multi-Level Governance, S. 131, 134, 146 f.). 229 Vgl. Müller-Armack, Festansprache, in: Harmonisierung des Gesellschaftsrechts und des Steuerrechts der GmbH in Europa, Bericht über den VII. Internationalen GmbH-Kongreß in Köln vom 24. bis 26. April 1962, S. 4, 7. 230 Vgl. Blocher, Zehn Jahre nach dem Nein zum EWR-Vertrag, Eine Standortbestimmung mit Ausblick, Dezember 2002, S. 3; Hauser, Die Ablehnung des EWR-Vertrags als Chance nutzen!, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 7 – 36. Zu der damaligen Bedeutung technischer Handelshemmnisse vgl. Hanser/Kuster/Weber, Wirtschaftliche Auswirkungen des EWRNeins, Bedeutung der technischen Handelshemmnisse als Export- und Importschranken, in: Wirtschaftliche Auswirkungen des EWR-Neins, Bd. 2, S. 1 – 52. 231 Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – Schlußakte – Gemeinsame Erklärungen der Vertragsparteien – Erklärung der Regierungen der EG-Mitgliedstaaten und der EFTA-Staaten – Übereinkommen – Vereinbarte Niederschrift – Erklärungen einzelner oder mehrerer Vertragspartner des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. EG Nr. L 1/3 vom 3. 01. 1994. 232 Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse (THG) vom 6. Oktober 1995 (Stand am 1. Juli 2010), AS 1996, 1725; vgl. Botschaft zum einem Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse (THG) vom 15. Februar 1995), BBl. II S. 521.
F. Integrationsstrategie der Schweiz gegenüber den EU-Mitgliedstaaten
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Strategie der autonomen Angleichung233 schweizer Rechts an das der EU.234 Nach Art. 4 Abs. 1 THG werden technische Vorschriften derart ausgestaltet, dass sie nicht zu technischen Handelshemmnissen führen (Art. 4 Abs. 1 THG) und werden „zu diesem Zweck auf die technischen Vorschriften der wichtigsten Handelspartner der Schweiz abgestimmt“ (Art. 4 Abs. 2 THG). Eine Abweichung von diesem Grundsatz ist nur im Fall von abschließend genannten öffentlichen Interessen zulässig (Art. 4 Abs. 3 und 4 THG).235 Verbunden war mit der Verfolgung dieser Strategie die Erwartung, dass die EG unter dem Angebot der Gegenseitigkeit die an die EU-Vorgaben angeglichenen schweizer Regelungen anerkennen würde, mit der Folge der Geltung eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Verhältnis zwischen den EG-Mitgliedstaaten und der Schweiz.236 Mit Reform des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse führte die Schweiz zum 01. Juli 2010 für Waren aus dem EU und EWR-Raum einseitig ein Herkunftslandprinzip, das als „Cassis-de-Dijon-Prinzip“ bezeichnet wird237, ein.238 Danach dürfen in der Schweiz Produkte in den Verkehr gebracht werden, wenn sie den technischen Vorschriften der europarechtlich harmonisierten Vorschriften und im Falle fehlender oder unvollständiger Harmonisierung den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates der EU bzw. des EWR entsprechen (Art. 16a Abs. 1 lit a THG) und im EG- oder EWR-Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht sind 233 Vgl. Botschaft zur Teilrevision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse vom 25. Juni 2008, BBl. S. 7275, 7284. 234 Vgl. Hertig/Wey, Autonome Harmonisierung des schweizerischen Produktrechts mit dem Gemeinschaftsrechts, Die Volkswirtschaft 10/2008, S. 10 – 13, 11. Der Verfasser dankt Frau Irene Schuermann von der SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft) für erläuternde Hinweise. Die Strategie der autonomen Angleichung schweizer Rechts wurde bereits von Knöpfel und Hauser propagiert (vgl. Hauser, Die Ablehnung des EWR-Vertrags als Chance nutzen!, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 7 – 36, 8 – 10; Knöpfel, Nichttarifäre Handelsbarrieren und Integration: Die Schweiz und die europäische Gemeinschaft, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1989(3), S. 327 – 354, 342 ff., insb. S. 344). 235 Hertig/Wey, Autonome Harmonisierung des schweizerischen Produktrechts mit dem Gemeinschaftsrechts, Die Volkswirtschaft 10/2008, S. 10 – 13, 11. 236 Knöpfel, Nichttarifäre Handelsbarrieren und Integration: Die Schweiz und die europäische Gemeinschaft, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1989(3), S. 327, 344. 237 Botschaft zur Teilrevision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse vom 25. Juni 2008, BBl. (Bundesblatt) S. 7275, 7576 ff., insb. S. 7286 f.; Hertig/Wey, Autonome Harmonisierung des schweizerischen Produktrechts mit dem Gemeinschaftsrechts, Die Volkswirtschaft 10/2008, S. 10 – 13, 11 ff. 238 Vgl. Botschaft zur Teilrevision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse vom 25. Juni 2008, BBl. (Bundesblatt) S. 7275 – 7406; Stadelhofer, Grundzüge der Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse, Die Volkswirtschaft 2008(10), S. 4 – 8; Perritaz/Wallart, Volkswirtschaftliche Effekte der Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse, Die Volkswirtschaft 10 – 2008, S. 21 – 24; Hertig/Wey, Autonome Harmonisierung des schweizerischen Produktrechts mit dem Gemeinschaftsrechts, Die Volkswirtschaft 10/2008, S. 10, 11; Cottier/Oesch, Switzerland, in: Internat Markets and Multi-Level Governance, S. 131, 148 f.
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(Art. 16a Abs. 1 lit b THG).239 Da auch schweizerische Hersteller, die nur für den schweizer Markt produzieren, Produkte auf den Markt bringen dürfen, die der europarechtlichen Harmonisierung entsprechen bzw. im Einklang mit den Regelungen eines EU- bzw. EWR-Mitgliedstaates stehen (Art. 16b THG), wird eine Rechtswahlfreiheit in Bezug auf öffentlich-rechtliche Regulierungen geschaffen, was der schweizer Bundesrat ausdrücklich anerkennt: „Weiter wurde im Rahmen der parlamentarischen Beratungen Artikel 16b THG betreffend Maßnahmen zur Verhinderung der Inländerdiskriminierung dahingehend geändert, dass nicht-exportierende schweizerische Hersteller über eine freie Rechtswahl verfügen. Somit können sie für den schweizerischen Markt bestimmte Produkte nach den schweizerischen Vorschriften oder nach den Vorschriften der EU oder eines EU/EWR-Mitgliedstaates produzieren und in Verkehr bringen“.240
Nachdem der Gedanke der Gegenseitigkeit im Verhältnis zur EG zunächst als grundlegend betrachtet wurde,241 gestaltete der schweizer Gesetzgeber das Herkunftslandprinzip einseitig aus und verankerte lediglich eine Retorsions-Möglichkeit in Art. 16a Abs. 3 THG, wenn die EU oder das Bestimmungsland das Inverkehrbringen schweizer Produkte, die dessen Vorschriften entsprechen, behindert.242 Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Protektionismus243 sowohl innerhalb der EU als auch auf globaler Ebene, ist die Verankerung eines einseitigen Herkunftslandprinzips seitens der Schweiz und damit eine konsequente Öffnung des schweizerischen Marktes bemerkenswert.244 Entscheidend für diese Maßnahme dürfte sein, dass der Übergang zu einem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung
239
Vgl. Botschaft zur Teilrevision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse vom 25. Juni 2008, BBl. (Bundesblatt) S. 7275, 7276 f., 7319; Stadelhofer, Grundzüge der Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse, Die Volkswirtschaft 2008(10), S. 4 – 8; Perritaz/Wallart, Volkswirtschaftliche Effekte der Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse, Die Volkswirtschaft 10 – 2008, S. 21 – 24. 240 Vgl. Erläuterungen zur Verordnung des Bundesrates über das Inverkehrbringen von nach ausländischen technischen Vorschriften hergestellten Produkten und deren Überwachung auf dem Markt (Verordnung über das Inverkehrbringen von Produkten nach ausländischen Vorschriften, VIPaV), S. 5. 241 Vgl. Knöpfel, Nichttarifäre Handelsbarrieren und Integration: Die Schweiz und die europäische Gemeinschaft, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1989 (3), S. 327, 344 ff. 242 Zur Bedeutung von Exporten für die Schweizer Volkswirtschaft vgl. Brändle/Caprarese/ Gachet/Merki/Waeber, Exportindustrie Schweiz – Erfolgsfaktoren und Ausblick, Swiss Issues Branchen, S. 6 ff. 243 Vgl. zur Erklärung von Protektionismus Zohlnhöfer, Zur politischen Ökonomie des neuen Protektionismus, FS Meimberg, S. 143 – 163. 244 Vgl. zu erwarteten Anpassungsnotwendigkeiten infolge der frühen Integration: Hauser/ Bradke, EWR-Vertrag, EG-Beitritt, Alleingang, Wirtschaftliche Konsequenzen für die Schweiz, Gutachten zum Handeln des Bundesrates, S. 256.
G. Marktintegration in der Nordamerikanischen Freihandelszone
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zwar schweizer Unternehmen einem stärkeren Wettbewerb aussetzt245, aber die Exportmöglichkeiten schweizer Unternehmen verbessert und die Versorgung mit Waren in der Schweiz angesichts des dort herrschenden hohen Preisniveaus246 zu Gunsten der Nachfrager verbessert.
G. Marktintegration in der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) Tragendes Element der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) ist ein zollrechtlich freier Verkehr zwischen den USA, Kanada und Mexiko.247 In Bezug auf Regulierungen von Waren (Art. 301 NAFTA) und Dienstleistungen (Art. 1202 NAFTA) gilt weitgehend das Prinzip der Inländerbehandlung.248 Die Tiefe der Integration bleibt damit gegenüber der Integration in der EU wesentlich zurück. Die Verankerung eines Herkunftslandprinzips nach Vorbild der „neuen Strategie“ ist in näherer und mittlerer Zukunft nicht denkbar, zumal die NAFTA keine Institutionen vergleichbar mit dem EuGH oder der Kommission besitzt249, die ein Eigeninteresse an einer ständigen Vertiefung der Integration besitzen250. Zudem sind die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Kanada und den USA auf der einen Seite und Mexiko auf der anderen Seite erheblich, so dass zur Herstellung einer Gleichwertigkeit nationaler Regulierungen ein Maß an Mindestharmonisierung notwendig ist, das kaum zu realisieren wäre. Ein Ausbau der wirtschaftlichen Integration in 245 Vgl. Schweizer Bauernverband, Medienmitteilung vom 13. Januar 2011, Cassis de Dijon-Prinzip gefährdet Schweizer Qualitätsniveau. Vgl. auch: Knöpfel, Nichttarifäre Handelsbarrieren und Integration: Die Schweiz und die europäische Gemeinschaft, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1989(3), S. 327, 347 ff. 246 Eichenberger, Hochpreisinsel Schweiz, Ursachen, Folgen, wirkungsvolle Rezepte, in: Agrarwirtschaft und Agrarsoziologie, S. 41 – 54; Perritaz/Wallart, Volkswirtschaftliche Effekte der Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse, Volkswirtschaftliche Effekte der Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse, Die Volkswirtschaft 10 – 2008, S. 21, 22. Vgl. auch: Stadelhofer, Grundzüge der Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse, Die Volkswirtschaft 10/2008, S. 4, 4. 247 Preuße, Amerikanische Integration: NAFTA und FTTA als ,neuer Regionalismus‘, in: Regionale Integration und Osterweiterung der Europäischen Union, S. 285, 293; Pethke, Die Nordamerikanische Freihandelszone im Vergleich mit dem Europäischen Wirtschaftsraum, S. 100. 248 Vgl. Pethke, Die Nordamerikanische Freihandelszone im Vergleich mit dem Europäischen Wirtschaftsraum, S. 100; Sykes, Product Standards for Internationally Integrated Goods Markets, S. 108 f. 249 Warleigh-Lack, The EU in Comparative Perspective: Comparing the EU and NAFTA, in: Comparative Regional Integration, Europe and Beyond, S. 43, 48: „Institutionally, NAFTA is on the thin side when compared with the EU“; Pastor, Toward a North American Community, S. 99. 250 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, Europa zwischen einem Wettbewerb der Gesetzgeber und vollständiger Harmonisierung, S. 72 f.
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§ 3 Ordnungsrahmen für eine internationale Privatrechtsgesellschaft
Nordamerika erscheint deshalb nur im Wege eines längeren Prozesses denkbar.251 Wettbewerbsdruck seitens Drittstaaten und insbesondere Wettbewerbsvorteile dieser Staaten infolge vertiefter regionaler Integration kann diesen Prozess beschleunigen. Bereits heute spielt Yardstick Competition im Sinne eines Vergleichs der NAFTA mit dem Binnenmarkt der EU eine wichtige Rolle252 und kann zu Impulsen einer tieferen Marktintegration in Nordamerika führen.
H. Transatlantisches Freihandelsabkommen In jüngster Zeit ist die Schaffung von institutionellen Rahmenbedingungen für den Abbau von Hemmnissen im Rahmen des grenzüberschreitenden privatautonomen Verkehrs zwischen Privatrechtssubjekten aus den EU-Ländern und der USA Gegenstand politischer Diskussion.253 Dabei geht es auch um den Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen.254 Mögliche Integrationsinstrumente sind materiellrechtliche Harmonisierung einerseits und der Einsatzes des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung anderseits.255 Es ist bisher nicht bekannt, welche Bedeutung materiellrechtliche Harmonisierung und dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Rahmen der Ausgestaltung des Abkommens zukommen soll. In Bezug auf den Abbau der bestehenden regulatorischen Hemmnisse ist wichtiger Streitpunkt, welche Regulierungsanforderungen notwendig sind und welche verzichtbar sind.256 Es kann angenommen werden, dass die Kommission und die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie den Begriff 251 Vgl. Hubauer/Schott, The Realities of a North American Economic Alliance, in: Toward a North American Common Market, S. 89, 94 f. Kritisch: Bonser, Assessing the Prospects for North American Economic Integration, in: Toward a North American Common Market, S. 105, 120. 252 Pastor, Toward a North American Community, S. 190. 253 Kommission, Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) – aktueller Stand der Verhandlungen, 19. März 2014; Beck/Ohr, Das transatlantische Freihandelsabkommen – Relativierung von Chancen und Risiken, Wirtschaftsdienst 2014, S. 344 – 351. 254 Kommission, Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) – aktueller Stand der Verhandlungen, 19. März 2014, S. 2, 5 f.; Council of the European Union, 11103/13, 17. 6. 2013, S. 11; Beck/Ohr, Das transatlantische Freihandelsabkommen – Relativierung von Chancen und Risiken, Wirtschaftsdienst 2014, S. 344, 344. 255 Council of the European Union, 11103/13, 17. 6. 2013, S. 11 f.; Kommission, Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) – aktueller Stand der Verhandlungen, 19. März 2014, S. 2; Beck/Ohr, Das transatlantische Freihandelsabkommen – Relativierung von Chancen und Risiken, Wirtschaftsdienst 2014, S. 344, 346, 351. 256 Vgl. Kommission, Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) – aktueller Stand der Verhandlungen, 19. März 2014, S. 2: „Über Standards und Regulierungen spricht die EU mit den USA allerdings nur unter einer strikten Bedingung: dass wir unsere in Europa erreichten Schutzmechanismen nicht aufgeben oder verwässern“; Beck/Ohr, Das transatlantische Freihandelsabkommen – Relativierung von Chancen und Risiken, Wirtschaftsdienst 2014, S. 344, 351.
I. Marktintegration innerhalb von Staaten
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„Herkunftslandprinzip“ bzw. „country of origin-principle“ im Rahmen der Verhandlungen soweit wie möglich meiden257.
I. Marktintegration innerhalb von Staaten I. Marktintegration innerhalb der USA Grundlage der Marktintegration zwischen den US-amerikanischen Bundesstaaten258 ist die commerce clause der US-amerikanischen Bundesverfassung259, wonach es Sache des Kongresses ist, den Handel mit fremden Staaten und unter den Einzelstaaten und mit indianischen Stämmen zu ordnen (Art. 1, Section 8 Clause 3).260 Auf Grundlage der Commerce Clause ist die Regelungsbefugnis der Einzelstaaten jedoch nicht nur dann beschränkt, wenn eine entsprechende Regelung auf Bundesebene besteht261 – vielmehr setzt sie als Dormant Commerce Clause262, unabhängig vom Bestehen einer bundesstaatlichen Regelung, einzelstaatlichen Regelungen im Interesse der Handelsintegration Schranken.263 Mit dieser Rechtsprechung 257
Auf diesbezügliche Anfrage des Verfassers äußerste sich Ministerialrat Diekmann vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Schreiben vom 15. 12. 2014 an den Verfasser, dass die Verhandlungen im Fluss seien und noch keine konkreten Verhandlungsergebnisse vorlägen. Ein generelles Herkunftslandprinzip vergleichbar mit dem europarechtlichen werde dabei nicht diskutiert. Vielmehr werde für transatlantisch besonders relevante Wirtschaftsbereiche wie dem Markt für Kraftfahrzeuge ein Abbau von Handelshemmnissen mittels Bezugnahme auf international vereinbarte Standards und Normen, mittels partieller gegenseitiger Anerkennung von Regulierungen und mittels materiellrechtlicher Harmonisierung diskutiert. 258 Vgl. C. Weiler, The United States of America, in: Internal Markets and Multi-Level Governance, S. 160 – 195. Zur Geschichte der wirtschaftlichen Integration in den USA: Kincaid, Economic Union in Federal Systems, S. 37, 39 ff.; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 163 ff. Zum Föderalismus in den USA: Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 361 – 390. 259 Zum Begriff des commerce: Prentice/Egan, The Commerce Clause, S. 43 ff. 260 Art. 1, Section 8 Clause 3: „[The Congress shall have Power] [t]o regulate Commerce with foreign Nations, and among the several States, and with the Indian Tribes“. Vgl. Kommers/ Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration Through Law, Volume 1 Methods, Tools and Institutions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165, 165. Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 364. 261 Vgl. Wilson v. Black-Bird Marsh Co., 27. U.S. 245 (1829); Welton v. Missouri, 91 U.S. 275 (1875); W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 102 ff. Kritisch: Redish/Nugent, The Dormant Commerce Clause and the Constitutional Balance of Federalism, Duke Law Journal 1987(4) S. 569, 572. 262 Der Supreme Court schränkte mit dieser weiten Interpretation der Commerce Clause die Regelungsbefugnisse der Einzelstaaten in einem weiteren Umfang ein, als zum Zeitpunkt der Verfassung politisch durchsetzbar gewesen wäre (vgl. W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 108 f.). 263 Welton v. Missouri, 91 U.S. 275, 280 (1875); Kommers/Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration
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zur Dormant Commerce Clause schränkte der Supreme Court – in Parallele zur Entwicklung der Marktintegration durch den EuGH264 – die einzelstaatlichen Regelungsbefugnisse stärker ein als zum Zeitpunkt der Verfassung politisch durchsetzbar gewesen wäre.265 Es gilt im Warenverkehr zwischen den US-Bundesstaaten weitgehend das Bestimmungslandprinzip266 mit der Folge von Handelshemmnissen:267 Regelungen, die für Anbieter aus anderen Bundesstaaten stärkere Belastungen als für Anbieter aus dem betreffenden Bundesstaat statuieren, unterliegen einer strengen verfassungsrechtlichen Kontrolle.268 Unterschiedslos anwendbare Maßnahmen, die einem le-
Through Law, Volume 1 Methods, Tools and Institutions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165, 170 f.; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 108 f.; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 364. 264 Kommers/Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration Through Law, Volume 1 Methods, Tools and Institutions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165, 166; Mestmäcker, Der Kampf ums Recht in der offenen Gesellschaft, in: Recht in der offenen Gesellschaft, S. 11, 24; Möschel, Die deutsche Fusionskontrolle auf dem Prüfstand des europäischen Rechts: „Überflügelung“ oder Harmonisierung?, AG 1998, S. 561; von Simson, Die Marktwirtschaft als Verfassungsprinzip in dem europäischen Gemeinschaften, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S. 55, 64. 265 W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 108 f., „Es mag deshalb vor allem auf eine Frage richterlicher Strategie gewesen sein, wenn Marshall und seine Nachfolger nach dem Civil War die Einschränkungen staatlicher Kompetenz mehr als von abstrakten Prinzipien geboten, denn als Ergebnis eines diffizilen Wertungsprozesses unter ausdrücklicher Diskussion der relevanten Faktoren dargestellt haben“ (S. 108 f.). 266 Kommers/Waelbroeck stellen fest, dass der EuGH das Interesse an der Marktintegration wesentlich stärker betont als der Supreme Court (Kommers/Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration Through Law, Volume 1 Methods, Tools and Institutions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165, 219, 223); W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 307 ff.; Maduro, We the Court, The European Court of Justice and the European Economic Constitution, S. 143 – 145. Lutter unterstellt hingegen eine mit der Gemeinschaft vergleichbare Rechtslage in den USA (Lutter, Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, in: Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, S. 24, 24). 267 Vgl. C. Weiler, The United States of America, in: Internal Markets and Multi-Level Governance, S. 160, 167 – 170. 268 Vgl. Welten v. Missouri, 91 U.S. 275 (1876); Dean Milk Co. v. City of Madison, 340 U.S. 349 (1951); Kassel v. Consididated Freightways Corp, 450 U.S. 662 (1981); Hughes v. Oklahoma, 441 U.S. 322, 337 (1979) Goldsmith/Sykes, The Internet and the Dormant Commerce Clause, Yale Law Journal 110 (2001), S. 785, 788 f.; Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 59; Sykes, Product Standards for Internationally Integrated Goods Markets, S. 105.
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gitimen Regulierungszweck dienen, sind hingegen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes269 grundsätzlich als zulässig anzusehen.270 In der Entscheidung Florida Lime & Avocado Growers v. Paul271 ging es um die Befugnis Kaliforniens den Import von Avocados zu verbieten, wenn diese unter 8 Prozent Öl enthalten. Diese kalifornische Regelung war strenger als die bundesgesetzliche.272 Der Supreme Court bestätigte die Befugnis Kaliforniens, die Verkehrsfähigkeit von Avocados von dem Mindestölgehalt abhängig zu machen. Mit der Entscheidung Minnesota v. Clover Leaf Creamery Co.273 bestätigte der Supreme Court ein Gesetz von Minnesota, wonach der Verkauf von Milchprodukten in Plastik-Containern, die nicht wiederverwendbar und zurückzugeben waren, verboten wurde. Nach Bewertung des Supreme Courts waren die Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel relativ gering und das Gesetz diente im Hinblick auf die Einsparung von Ressourcen und der Vermeidung von Abfall grundlegenden Interessen des Staates.274 Im Bereich des Verkehrs275 erklärte der Supreme Court im Interesse der Handelsintegration regulative Einschränkungen in Bezug auf die Länge von Zügen276 oder LKWs277 oder bestimmte Anforderungen für die Kotflügel von LKWs278 für unzulässig,279 so dass hier Regulierungsbefugnisse von Staaten in einem weiten Umfang zurückgedrängt werden.280 269 Vgl. Pike v. Bruce Church, Inc 397 U.S. 137, 142 (1970); Kommers/Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration Through Law, Volume 1, Methods, Tools and Institutions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165, 177, 196. 270 Tribe, American Constitutional Law, § 6-13 S. 437; Goldsmith/Sykes, The Internet and the Dormant Commerce Clause, Yale Law Journal 110 (2001), S. 785 – 828, 788 f.; Sykes, Product Standards for Internationally Integrated Goods Markets, S. 105. 271 Florida Avocado Growers v. Paul, 373 U.S. 132 (1963) (den Hinweis auf die Entscheidung enthielt der Verfasser aus: W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 307). 272 W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 307. 273 Minnesota v. Clover Leaf Creamery Co., 449 U.S. 456 (1981) – den Hinweis auf die Entscheidung entnahm der Verfasser aus: Tribe, American Constitutional Law, § 6-5 S. 411. 274 Hintergrund des Gesetzes waren tatsächlich jedoch nach Tribe vor allem die Absatzinteressen der heimischen Sperrholzindustrie (Tribe, American Constitutional Law, § 6-5 S. 411). 275 Vgl. Prentice/Egan, The Commerce Clause of the Federal Constitution, S. 162 ff.; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 297 ff. 276 Southern Pacific Co. v. Arizona, 325 U.S. 761 (1945). 277 Kassel v. Consolidated Freightways Corp., 450 U.S. 662 (1945). 278 Bibb v. Navajo Freight Lines, Inc., 359 U.S. 520 (1959). 279 Vgl. Redish/Nugent, The Dormant Commerce Clause and the Constitutional Balance of Federalism, Duke Law Journal 1987(4), S. 569, 575.
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§ 3 Ordnungsrahmen für eine internationale Privatrechtsgesellschaft
In jüngster Zeit stellt sich die Frage nach den Kompetenzen der Einzelstaaten im Bereich des E-Commerce, wobei Burk die Struktur des Internets mit dem in der integrationsfreundlichen Rechtsprechung des Supreme Courts Bereich des Verkehrs vergleicht.281 So ist ist Einwohnern von Pennsylvania zwar nicht erlaubt, Alkohol in anderen Bundesstaaten zu kaufen und nach Pennsylvania einzuführen,282 jedoch ist es ihnen erlaubt, Alkohol unter bestimmten Bedingungen über das Internet von nicht in Pennsylvania ansässigen Anbietern zu kaufen.283 Bereits die Verfassungsgeber der amerikanischen Bundesverfassung erkannten die grundsätzliche Bedeutung einer Marktintegration für die wirtschaftliche Prosperität des Landes an.284 Die Schaffung der Verfassung und des dadurch bedingten höheren Grades an Integration (wie insbesondere infolge des Abbaus von Zollschranken285) ist nach Olson möglicherweise ursächlich für den nach der Verfassungsgebung zu beobachtenden wirtschaftlichen Aufstieg der USA gewesen.286 Da die US-amerikanische Bundesverfassung eine sehr alte Integrationsordnung ist, fragte sich in den Anfängen der europäischen Marktintegration, inwieweit die Gemeinschaft aus den Erfahrungen in den USA lernen kann;287 aufgrund des erzielten Fortschrittes der europäischen Marktintegration stellt sich heute hingegen umgekehrt die Frage, ob die USA von den Erfahrungen in der EU profitieren kann und ob die 280 Vgl. Kommers/Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration Through Law, Volume 1 Methods, Tools and Institutions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165, 176. 281 Burk, How State Regulation of the Internet violates the Commerce Clause, Cato Journal 17(2) (1997), S. 147, 154. 282 http://dailycaller.com/2014/08/28/pa-gop-wants-to-decriminalize-out-of-state-liquorsales/?retry=1. 283 Der Verfasser dankt Laura Manifold (Stewardstown/Pennsylvania) für diesen Hinweis. 284 Hamilton, Federalist-Artikel, Art. 11, in: Die Federalist-Artikel, S. 58, 63 f. „Der ungehinderte Verkehr zwischen den Einzelstaaten wird den Handel jedes einzelnen durch den Austausch der jeweiligen Produkte fördern und zwar nicht nur zur Versorgung seiner jeweiligen einheimischen Bedürfnisse, sondern auch zum Export auf fremde Märkte. Die Handelsströme werden überall stärker beansprucht und durch den freien Warenaustausch aller Landesteile an Dynamik und Kraft hinzugewinnen“ (S. 63); Nowak/Rotunda/Young, Constitutional Law, § 3.1, S. 111 f., § 4.3, S. 130. Zu den Materialien zur Commerce Clause vgl. Kurland/Lerner, The Founders’s Constitution, Bd. 2, S. 477 ff. 285 Vgl. Prentice/Egan, The Commerce Clause, S. 3. 286 Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen, S. 159 ff. 287 Vgl. Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 361; Kommers/Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration Through Law, Volume 1, Methods, Tools and Institutions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165 – 227; Spamann, Choice of Law in a Federal System and an Internal Market, Jean Monnet Working Paper 8/01, S. 1; Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 102; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 2; Lutter, Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, in: Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, S. 24, 24.
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Verankerung eines Herkunftslandprinzips nach EU-Vorbild eine Lösung ist, die Marktintegration zu verbessern.288 Die Marktintegration zwischen den US-Bundesstaaten wird jedoch in den USA nicht als eine wichtige politische Aufgabe wahrgenommen.289 Der Blick ist vielmehr vor allem auf Handelsschranken im Verhältnis zu Drittstaaten gerichtet.290 Es ist deswegen nicht davon auszugehen, dass die USA sich in näherer Zukunft am EU-Modell der Marktintegration orientieren wird.
II. Marktintegration in Deutschland Die Marktintegration begann auch in Deutschland mit einer Beseitigung von Zollgrenzen,291 die ein erhebliches Hindernis für den Handel über die Grenzen der deutschen Einzelstaaten bedeutete: „An jedem Stapelplatz musste die Ware von neuem versteuert werden; nur der Ortsansässige und der Privilegierte waren befreit. Der Territorialfürst erhob seinen Zoll von jeder Ware nur einmal in seinem Territorium; um seine Stellung zu behaupten, ist er zuweilen genötigt, die Straßensperre aufrecht zu erhalten […]“.292
Unter dem GG293 besitzt der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG). Da es sich um eine konkurrierende Zuständigkeit handelt, besitzt der Bund danach das Gesetzgebungsrecht, wenn dies im Interesse der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist (Art. 72 Abs. 2 GG).294 Erforderlich zur Wahrung der Wirtschaftseinheit soll eine bundesgesetzliche Regelung schon zur 288
Kitch schlägt vor, im Bereich des Produkthaftungsrecht innerhalb der USA ein Herkunftslandprinzip zu schaffen (Kitch, Regulation, The American Common Market and Public Choice, Harvard Journal of Law and Public Policy 6 (1982), S. 119, 125 f.). 289 C. Weiler, The United States of America, in: Internal Markets and Multi-Level Governance, S. 160, 161 f., 167, 169. C. Weiler stellt fest, dass der Blick auf die Handelsschranken zwischen den Bundesstaaten zuletzt in den 1930er und 1940er Jahren gerichtet war als es infolge der Depression zu umfangreichen protektionistischen Maßnahmen kam (S. 162). 290 C. Weiler, The United States of America, in: Internal Markets and Multi-Level Governance, S. 160, 161 f. 291 Fischer, Der Deutsche Zollverein, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Freihandelszone, Ein Vergleich ihrer Motive, Institutionen und Bedeutung, in: Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, S. 127, 127 ff.; Dumke, Der Deutsche Zollverein als Modell ökonomischer Integration, in: Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, S. 71 – 101; Ploeckl, The Zollverein and the Formation of a customs Union, University of Oxford, Discussion Papers in Economic and Social History, Number 84, August 2010. 292 Jastrow, Geschichte des Deutschen Einheitstraumes und seiner Erfüllung, S. 249 f. 293 Zu der Entstehungsgeschichte des GG vgl. Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge, Bd. 1 (1951). 294 Vgl. Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 72 Rn. 96 ff.
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Schaffung gleicher rechtlicher Bedingungen sein.295 Diese Ansicht erscheint aufgrund des föderalen Charakters der Bundesrepublik (Art. 20 Abs. 1 GG)296 und der daraus zwangsläufig folgenden Rechtsunterschiede jedoch kritikwürdig. Erforderlich könnte eine bundesgesetzliche Regelung allenfalls zur Vermeidung einer qualifizierten Wettbewerbsverfälschung sein, denn ansonsten würde jeder wettbewerbsrelevanter Rechtsunterschied die Kompetenz zur bundesgesetzlichen Regelung bzw. Harmonisierung eröffnen. Auch das BVerfG verneinte vor dem Hintergrund des föderalen Charakters der Bundesrepublik eine Ungleichbehandlung von Privatrechtssubjekten infolge unterschiedlicher Regelungen verschiedener Hoheitsträger.297 Wenn bundeseinheitliche Regelungen nicht vorhanden sind, besitzt zum Teil ein Prinzip der gegenseitigen Anerkennung Bedeutung.298 So werden vor dem Hintergrund der Landeszuständigkeiten für Bildung (vgl. Art. 70 ff. GG) Bildungsabschlüsse der Bundesländer vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit299 gegenseitig anerkannt.300 Im Bereich des Fernsehens war im Verhältnis der Bundesländer ein Herkunftslandprinzip verankert (vgl. § 35 Abs. 1 RfStV 1991).301 In sehr seltenen 295 Schmehl, Die erneuerte Erforderlichkeitsklausel in Art. 72 Abs. 2 GG, DÖV 1996, S. 724, 727: „Wirtschaftseinheit meint einheitliche wirtschaftliche Bedingungen im Bundesgebiet“; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 17. 296 Zum Bundesstaatsprinzip: Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20, Rn. 55 ff. 297 BVerfG, Beschluss vom 25. 02. 1960, Az. 1 BvR 239/52, BVerfGE 10, 354, 371; BVerfG, Beschluss vom 21. 12. 1966, Az. 1 BvR 33/64, BVerfGE 21, 54, 68; BVerfG, Beschluss vom 18. 07. 1979, Az. 2 BvR 488/76, BVerfGE 52, 42, 58; Fastenrath, Inländerdiskriminierung – Zum Gleichbehandlungsgebot beim Zusammenwirken mehrerer (Teil)rechtsordnungen im vertikal gegliederten und international integrierten Staat –, JZ 1987, S. 170, 173. 298 Kisker, Grundrechtsschutz gegen bundesstaatliche Vielfalt?, in: FS Bachof, S. 47, 49 ff. Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 enthielt in Art. 33 Abs. 2 ein Herkunftslandprinzip, wonach alle Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundesstaates befindlich sind, in jeden anderen Bundesstaat eingeführt werden und Abgaben nur insoweit unterworfen werden dürfen, als dass diese Abgaben auch für inländische Erzeugnisse der gleichen Art gelten (vgl. Art. 36 Reichsverfassung 1871). Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) übernimmt im Wesentlichen die Verfassungsbestimmungen der Reichsverfassung von 1871 über die Marktintegration. 299 Kisker, Grundrechtsschutz gegen bundesstaatliche Vielfalt?, in: FS Bachof S. 47, 51; Fastenrath, Inländerdiskriminierung – Zum Gleichbehandlungsgebot beim Zusammenwirken mehrerer (Teil)rechtsordnungen im vertikal gegliederten und international integrierten Staat –, JZ 1987, S. 170, 177. 300 Kisker, Grundrechtsschutz gegen bundesstaatliche Vielfalt?, in: FS Bachof, S. 47, 49 ff.; Fastenrath, Inländerdiskrimninierung – Zum Gleichbehandlungsgebot beim Zusammenwirken mehrerer (Teil)rechtsordnungen im vertikal gegliederten und international integrierten Staat –, JZ 1987, S. 170, 172 f., 176 f. 301 Engel, Die Geltung des Brutto-Prinzips für die Unterbrechung von Spiel- und Fernsehfilmen durch Werbung, ZUM 1994, S. 335, 342: „§ 35 I RfStV schreibt nämlich nicht nur für Programme aus anderen Mitgliedstaaten, sondern auch für solche aus anderen Bundesländern ein Herkunftslandprinzip fest. Die Zulassung im Herkunftsland genügt also. Das Empfangsland ist auf die Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerbern um einen knappen Übertragungsweg und auf die Entscheidung über allfällige regionale Fensterprogramme beschränkt“.
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Fällen können auch unter Geltung des GG Handelshemmnisse bestehen, so war umstritten, ob Bayern die Einfuhr von Bier aus anderen Bundesländern nach Bayern, das nicht den Regelungen des bayerischen Reinheitsgebotes entsprach, verhindern kann.302 Aufgrund der weitgehenden Angleichung des Rechts spielt ein Systemwettbewerb mittels produktbezogener Regulierungen bzw. Dienstleistungsregulierungen grundsätzlich keine Rolle. Anderes sah dies zwischenzeitlich im Bereich des zur Kompetenz der Länder gehörenden303 Glücksspiels aus.304 302 Vgl. BFH, Gutachten vom 23. 02. 1955, Az. V D 4/54 S, BFH 60, 220: „Obergäriges Bier, das in Berlin unter Verwendung von Zucker hergestellt worden ist, darf in das Land Bayern verbracht und dort dem Verbrauch zugeführt werden“ (Leitsatz); BGH, Urteil vom 15. 02. 1958, Az. B. 2 StR 80/57, BGHSt 11, 365: „Ein gegorenes Getränk, zu dessen Bereitung Zucker […] verwendet worden ist, darf in Bayern nicht unter der Bezeichnung ,Bier‘ in den Verkehr gebracht werden, auch wenn es außerhalb seines Gebietes hergestellt und dort als Bier anerkannt wird (Leitsatz); BGH, Urteil vom 7. 01. 1959, Az. B 2 StR 434/58, BGHSt 12, 353 (Kein Einfuhrverbot eines unter Verwendung von Zucker gegoren Getränks im innerdeutschen Verkehr nach Bayern, wenn es nicht als Bier bezeichnet ist und auch nicht der Eindruck erweckt wird, es handele sich um Bier); Schemmel, Das Reinheitsgebot für Herstellung und Vertrieb von Bier in Bayern, S. 33 – 80; Tongeren, Standards and International Trade Integration, A Historical Review of the German ,Reinheitsgebot‘, in: The Economics of Beer, S. 51, 54. 303 Vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG); Stettner, in: Dreier, GG, Art. 74 Rn. 57; Schneider, Das Recht der Spielhallen nach der Föderalismusreform, S. 59 ff.; Weidemann/Krappel, Das Recht der Automatenaufstellung nach der Föderalismusreform, Grenzen landesrechtlicher Rechtsetzungsbefugnisse im Normbereich bundesgesetzlicher Verordnungsermächtigungen, NVwZ 2013, S. 673 – 679. 304 Nachdem der EuGH den deutschen Glücksspielstaatsvertrag für unvereinbar mit dem Primärrecht erklärt hatte (vgl. EuGH, Urteil vom 8. 09. 2010, verb. Rs. C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07, Markus Stoß u. a., ABl. EU C 288/7 vom 23. 10. 2010), setzte Schleswig-Holstein auf Initiative der schwarz-gelben Landesregierung zum 01. 12. 2012 mit dem Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels (Glücksspielgesetz), GVOBl. SchleswigHolstein 2001, 280 (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels (Glücksspielgesetz), Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 17/1100, 3. 12. 2010) eine vergleichsweise liberale Regelung in Kraft (Schmid/ Lima De Miranda, Regulierung des Glücksspiels in Deutschland: Das Glücksspielgesetz Schleswig-Holstein und der Glüksspielstaatsvertrag aus ökonomischer Perspektive, Kiel policy brief, No. 44, S. 1, 44), die im Unterschied zum GlüStV Genehmigungen für Online-Glücksspiele zuließ (W. Hambach/Riege, in: Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Einf. Rn. 2 ff.; Riege, in: Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Vorbemerkung Glüh SchlH Rn. 1 ff.). Es besteht kein Herkunftslandprinzip zugunsten von in Schleswig-Holstein lizensierten Anbietern, wobei jedoch fraglich ist, ob andere Bundesländer tatsächlich ihre Regulierungsanforderungen durchsetzen können (W. Hambach/Riege, in: Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, §§ 1 – 3 GlüG SchlH Rn. 47 f.). Der schleswig-holsteinische Vorstoß wurde von der neuen Landesregierung (SPD, Die Grünen und SSW) Anfang 2013 zurückgenommen, indem Schleswig-Holstein dem Glückspielstaatsvertrag beitrat (Vgl. Gesetz zum Ersten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag – Erster GlüÄndStV) Vom 1. Februar 2013; W. Hambach/Riege, in: Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Einf. Rn. 1). In Bezug auf die zugelassenen Anbieter gilt das GlüG SchlH fort (Riege, in: Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Vorbemerkung Glüh SchlH Rn. 6). Vgl. auch: Ahlheim, Glücksspiel-
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III. Marktintegration innerhalb Australiens Die verfassungsrechtliche Basis der Marktintegration in Australien bilden Section 90 und 92 der australischen Bundesverfassung.305 Nach Section 90 wurde die Kompetenz zur Erhebung von Zöllen auf den Bund übertragen. Diese Regelung funktionierte in der Praxis problemlos.306 Schwierigkeiten bereitete hingegen die Konkretisierung von Section 92,307 die bestimmt: „trade, commerce, and intercourse among the States, whether by means of internal carriage or ocean navigation, shall be absolutely free“.
In der für die jüngere Entwicklung der inneraustralischen Marktintegration grundlegenden Entscheidung Cole v. Whitfield aus dem Jahr 1988308 interpretierte der High Court Section 92 im Sinne von Inländerbehandlung.309 Der High Court sah es für die Bestimmung der Reichweite von Section 92 als entscheidend an, dass internen (im Bundesstaat ansässigen Akteuren) und externen Anbietern (in einem anderen Bundesstaat ansässigen Akteuren) gleiche Rechte und Pflichten in Bezug auf die Erfüllung von Regulierungsanforderungen auferlegt werden. Damit wurde eine Inländerdiskriminierung, die zuvor aufgrund einer weiteren Interpretation von Section 92 auf Kritik gestoßen war310, ausgeschlossen.
Staatsvertrag, Der Markt ist in Bewegung geraten, Wirtschaftsdienst Wirtschaftsdienst 2011, S. 11 – 12; Böning, Ethisches Versagen am Gemeinwohl bei Lobby gesteuerter Glücksspielpolitik? – Wissenschaftskritische und persönliche Bemerkungen, in: FS Adams, S. 291 – 312; Bardt, Markt kontra Monopol, Liberalisierung von Glücks- und Gewinnspiel in Deutschland; Monopolkommission, Stärkung des Wettbewerbs bei Handel und Dienstleistungen, Hauptgutachten 2010/2011, S. 58 ff. Tz. 43 ff.; Pagenkopf, Der Glücksspielstaatsvertrag – Neue Ufer, alte Gewässer, NJW 2012, S. 2918 – 2924. 305 Zur Bundesverfassung Australiens: Saunders, The Constitution of Australia, A Contextual Analysis; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 410 ff.; Painter, Multi-level governance and the emergence of collaborative federal institutions in Australia, Policy & Politics 29(2) (2001), S. 137 – 150; Saunders, Australian Economic Union, in: Economic Union in Federal Systems, S. 1 – 26; Rowe, Aspects of Australien Federalism and the European Communities Compared, in: Integration through Law, Volume 1, Methods, Tools and Institutions, Book 1, A Political, Legal and Economic Overview, S. 415 – 511; Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 31 ff. 306 Saunders, Australian Economic Union, in: Economic Union in Federal Systems, S. 1, 5. 307 Vgl. Howard, Freedom of Interstate Trade, Melbourne University Law Review 6 (1968), S. 237 – 264. 308 Cole v. Whitfield (1988) 165 CLR 360 (2. Mai 1988). Zu der Rechtsprechung des High Court vor der Entscheidung Cole v. Whitfield: Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 136 ff. Die Rechtsprechung des High Court ist abrufbar unter www. austlii.edu.au/au/Cases(cth/high-ct. 309 Saunders, The Constitution of Australia, A Contextual Analysis, S. 245; Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 213. 310 Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 186.
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Es stellte sich vor dem Hintergrund dieser Rechtslage die Frage, wie die Integration des australischen Marktes verbessert werden konnte.311 Entscheidenden Einfluss hatte die Marktintegration in Europa auf Grundlage der „neuen Strategie“.312 Die Bemühungen um die Herstellung einer besseren Kompatibilität der einzelstaatlichen Ordnungen führten im Jahr 1992 zu einem Vertrag zwischen Bund und den Einzelstaaten über die Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung in Australien (sog. Mutual Recognition Scheme).313 Die australischen Bundesstaaten sind damit grundsätzlich verpflichtet, einzelstaatliche Regulierungen in Bezug auf Waren314 und Berufsqualifikationen315 der anderen australischen Jurisdiktionen als gleichwertig anzuerkennen.316 Nicht vom australischen Prinzip der gegenseitigen Anerkennung erfasst sind Verkaufsmodalitäten und unterschiedslos anwendbare Regelungen, wenn sie Zielen des Gesundheitsschutzes, der Sicherheit oder des Umweltschutzes dienen und verhältnismäßig sind.317 Die Bundesstaaten schufen entsprechende gesetzliche Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung einzelstaatlicher Regulierungen.318 Hintergrund der Schaffung eines inneraustralischen Herkunftslandprinzips und eine damit verbundene Verbesserung der Kompatibilität der Ordnungen im inneraustralischen Handel war ein verstärkter Wettbewerbsdruck infolge der Globalisierung.319 Eine bessere Koordinierung des inner-australischen Marktes wurde über die Generierung von Größenvorteilen320 und über einen verschärften Wettbewerb321 als Möglichkeit betrachtet, die Wettbewerbsfähigkeit von Australien nach außen zu 311 Vgl. Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 213 f. „Negative Integration durch Section 92 wird durch den neuen Ansatz beschnitten“ (S. 214). 312 Vgl. Wright, Mutual Recognition and the National Market for Goods, Australian Business Law Review 21(1) (19993), S. 270, 271. 313 Heads of Government Agreement Relating to Mutual Recognition 1992; Office of Regulation Review, Impact of Mutual Recognition on Regulations on Australia: A Preliminary Assessment, 1997; Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 116 – 119; Wright, Mutual Recognition and the National Market for Goods, Australian Business Law Review 21(1) (1993), S. 270, 276 ff. 314 Vgl. Office of Regulation Review, Impact of Mutual Recognition on Regulation in Australia, A Preliminary Assessment, Information Paper, January 1997, S. 33 ff. 315 Vgl. Office of Regulation Review, Impact of Mutual Recognition on Regulation in Australia, A Preliminary Assessment, Information Paper, January 1997, S. 13 ff. 316 Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 117 Fn. 170 mwN. 317 Vgl. Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 117 f. 318 Vgl. Office of Regulation Review, Impact of Mutual Recognition on Regulation in Australia, A Preliminary Assessment, Information Paper, January 1997, S. 8. 319 Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 111 f.; Saunders, in: Economic Union in Federal Systems, S. 1. 320 Vgl. auch: Cecchini, Europa ’92, Der Vorteil des Binnenmarktes, S. 106 f. 321 Vgl. auch: Cecchini, Europa ’92, Der Vorteil des Binnenmarkts, S. 104 ff.
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erhöhen.322 Die Einführung des Herkunftslandprinzips in Australien kann deswegen als Reaktion im Systemwettbewerb mit anderen Staaten verstanden werden. Die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung, sowohl im Bereich von Waren323 als auch im Bereich von Dienstleistungen324, bestätigt ein Forschungsbericht der Productivity Commission325 (der Forschungsund Beratungseinrichtung der australischen Regierung) aus dem Jahr 2003.326 Dabei erörtert die Productivity Commission am Rande327 auch einen möglichen Systemwettbewerb vermittelt über das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Die Productivity Commission erkennt starke Anreize zur Angleichung einzelstaatlicher Regulierungen unter Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung328 im Sinne einer Ex-post Harmonisierung. Die Productivity Commission weist gleichzeitig darauf hin, dass unter Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auch eine Verschärfung von Regulierungen denkbar sei.329 Es erfolgt jedoch keine nähere Spezifizierung der angedeuteten systemwettbewerblichen Zusammenhänge. Insgesamt spielt der Topos Systemwettbewerb in der australischen Debatte trotz der Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nur eine sehr untergeordnete Bedeutung.
IV. Marktintegration innerhalb der Volksrepublik China In jüngerer Zeit findet das Problem von Handelshemmnissen im inner-chinesischen Warenhandel Aufmerksamkeit.330 Die Volksrepublik China331 ist untergliedert 322
Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 111 f.; Saunders, Australian Economic Union, in: Economic Union in Federal Systems, S. 1. 323 Vgl. Productivity Commission, Evaluation of the Mutual Recognition Schemes, Research Paper, 8. October 2003, S. 67 ff. 324 Vgl. Productivity Commission, Evaluation of the Mutual Recognition Schemes, Research Paper, 8. October 2003, S. 75 ff. 325 www.pc.gov.au. 326 Vgl. Productivity Commission, Evaluation of the Mutual Recognition Schemes, Research Paper, 8. October 2003. 327 Vgl. Productivity Commission, Evaluation of the Mutual Recognition Schemes, Research Paper, 8. October 2003, S. 51 – 53. 328 Productivity Commission, Evaluation of the Mutual Recognition Schemes, Research Paper, 8. October 2003, S. 53. 329 Productivity Commission, Evaluation of the Mutual Recognition Schemes, Research Paper, 8. October 2003, S. 53. 330 Young, The Razor’s Edge: Distortions and Incremental Reform in the People’s Republic of China, Quarterly Journal of Economics 2000 (4), S. 1091 – 1135; Montinola/Qian/Weingast, Federalism, Chinese Style: The Political Basis for Economic Success, World Politics 48(1) 1995, S. 50, 60; Eger/Schüller, A comparison of Chinese and European-style federalism from a law and economics perspective, in: Economic Analysis of Law in China, S. 3, 12 ff. Für wertvolle Hinweise zu dieser Frage danke ich Ruyi Du (Universität Hamburg), Renzai Su (Hamburg) und Jing Zhang (Tshinghua University – Beijing/Duke University – Durham).
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in Jurisdiktionen auf Provinzebene, auf Bezirksebene, auf Kreis-, Gemeinde- und Dorfebene.332 Die chinesische Regierung begann ab dem Jahr 1958 die Binnenstruktur des Landes zunehmend dezentral zu gestalten.333 Ziel war die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums.334 Es ist vor diesem Hintergrund die Rede von einer „chinesischen Art des Föderalismus“.335 Aus dieser Dezentralisierung folgen vielfältige regulatorische Handelshemmnisse im innerchinesischen Handel,336 denn Provinzen sind in weitem Umfang befugt, Maßnahmen gegen Produkte aus anderen Provinzen zu ergreifen337. Problematisch ist vor allem eine diskriminierende Rechtsanwendung durch Akteure der Provinzen. Die Diskriminierung von Produkten aus anderen Provinzen tritt dann auf, wenn Anbieter aus der Provinz mit Anbietern aus anderen Provinzen in Wettbewerb stehen. Im Bereich von Arzneien hat der Verfasser erfahren, dass Arzneien aus einer anderen Provinz der Volksrepublik in Peking überhaupt nicht erhältlich sind, da viele Produzenten von Arzneien in Peking ansässig sind, zu deren Gunsten der Zutritt zu dem Pekinger Markt beschränkt ist. Auf der anderen Seite gibt es Produkte, die ohne weiteres in der ganzen Volksrepublik vermarket werden können, weil keine Anbieter dieser Produkte in anderen Provinzen ansässig sind und das protektionistische Interesse damit entfällt. Ein Beispiel ist die 331
Zur Geschichte Chinas: R. Herzog, Staaten der Frühzeit, S. 198 – 235. Vgl. Art. 30 der Verfassung der Volksrepublik China, angenommen von der 5. Tagung des V. Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China am 4. Dezember 1982 (deutsche Übersetzung erschienen im Verlag für fremdsprachige Literatur Beijing, 1. Aufl. 1983). 333 Eger/Schüller, A comparison of Chinese and European-style federalism from a law and economics perspective, Economic Analysis of Law in China, S. 3, 12 ff.; Darimont, Dezentralisierung im chinesischen Einheitsstaat?, in: Aktuelle Fragen zu politischer und rechtlicher Steuerung im Kontext der Globalisierung, S. 57 – 73. 334 Eger/Schüller, A comparison of Chinese and European-style federalism from a law and economics perspective, in: Economic Analysis of Law in China, S. 3, 13. 335 Montinola/Qian/Weingast, Federalism, Chinese Style: The Political Basis for Economic Success, World Politics 48(1) 1995, S. 50, 50; Weingast, The Economic Role of Political Institutions: Market-Preserving Federalism and Economic Development, Journal of Law, Economics, and Organization 11(1) (1995), S. 1, 22; Eger/Schüller, A comparison of Chinese and European-style federalism from a law and economics perspective, in: Economic Analysis of Law in China, S. 3, 3. 336 Montinola/Qian/Weingast, Federalism, Chinese Style: The Political Basis for Economic Success, World Politics 48(1) 1995, S. 50, 65 f.; Young, The Razor’s Edge: Distortions and Incremental Reform in the People’s Republic of China, Quarterly Journal of Economics 2000 (4), S. 1091 – 1135; Darimont, Dezentralisierung im chinesischen Einheitsstaat?, in: Aktuelle Fragen zu politischer und rechtlicher Steuerung im Kontext der Globalisierung, S. 57 – 73; Herrmann-Pillath/Libman/Xiaofan, State and market integration in China: A spatial econometrics approach to ,local protectionism‘, Frankfurt School-Working Paper Series No. 137; Chen/Goh/Sun/Lixin, Market Integration in China, World Bank Policy Research Paper 5630, April 2011; Eger/Schüller, A comparison of Chinese and European-style federalism from a law and economics perspective, in: Economic Analysis of Law in China, S. 3, 20 – 22; Sonin, Provincial protectionism, S. 4; Huffmann, The Supply Chain, Wal-Mart in China: Challenges Facing a Foreign Retailer’s Supply Chain, The China Business Review Sep/Oct 2003, S. 18, 19. 337 Vgl. Huffmann, The Supply Chain, Wal-Mart in China: Challenges Facing a Foreign Retailer’s Supply Chain, The China Business Review Sep/Oct 2003, S. 18, 19. 332
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§ 3 Ordnungsrahmen für eine internationale Privatrechtsgesellschaft
Vermarktung von in Changchun (Provinz Jinlin) hergestellten Kraftfahrzeugen der Marke Mercedes-Benz. Nachdem die chinesische Regierung schon 1990 die Beseitigung aller Handelshemmnisse zwischen den chinesischen Provinzen gefordert hatte, bemühte sich das chinesische Wirtschaftsministerium, die Verwirklichung eines einheitlichen und offenen Marktes zu unterstützen.338 Der Abbau von Handelshemmnissen ist jedoch größtenteils nicht gelungen.339 Damit nimmt China gerade Nachteile infolge Kompetenzen auf dezentraler Ebene in Kauf. Möglicherweise ist auch die Einführung eines Herkunftslandprinzips ein Instrument zur Förderung der inner-chinesischen Handelsintegration und damit Mittel zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit Chinas nach außen.340 Die Etablierung eines Herkunftslandprinzips ist jedoch in näherer Zukunft äußerst unwahrscheinlich. Das Problembewusstsein in Bezug auf Handelshemmnisse im innerchinesischen Markt dürfte nicht stark genug ausgeprägt zu sein. Hier besteht eine Parallele zu der Entwicklung in den USA.
338
Eger/Schüller, A comparison of Chinese and European-style federalism from a law and economics perspective, in: Economic Analysis of Law in China, S. 3, 20 f. 339 Vgl. Chen/Goh/Sun/Colin, Market Integration in China, World Bank Policy Research Paper 5630, April 2011, S. 10. 340 Zum Wettbewerb zwischen China und dem Westen: Moyo, How the West was Lost.
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs: Die Marktanalogie A. Die Marktanalogie I als Grundlage der Theorie eines Systemwettbewerbs im technischen Sinn: Die Wirkungsweise von Systemwettbewerb Die Entstehung des Rechts1 und von Staaten2 führt C. Menger (wie bereits angesprochen) auf ein individuelles Interesse der Individuen zurück.3 In Sprache der Theorie des Systemwettbewerbs kann von einer institutionellen Nachfrage der Individuen nach Schaffung von Recht und der Entwicklung von Staaten gesprochen werden. Neben der Gewährung von Sicherheit und einer dementsprechenden (Transaktions-)Kostenersparnis für den Einzelnen,4 konnte der Staat Leistungen der Daseinsvorsorge wie die Versorgung mit Wasser5 und die Bereitstellung einer Verkehrsinfrastruktur6 anbieten. Der Staat wurde in Analogie zur systemwettbewerblichen Terminologie zum Anbieter eines „Leistungs-Steuer-Paketes“ und die Individuen zu Nachfragern dieses Paketes.7 1 Vgl. C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 180 f., 275. 2 C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 179 f. Zur Familie vgl. Wesel, Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften, S. 78 – 81. 3 Zusammenfassend: Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 172 ff. 4 Vgl. Pankow, Sozialstaat und Standortwettbewerb, S. 56. 5 Wittfogel sieht die Staatsentstehung in Ägypten vor allem mit der sich damals stellenden Notwendigkeit eines zentralen Bewässerungssystems begründet (Wesel, Geschichte des Rechts, Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht, S. 57 Rn. 41) Vgl. auch: Herzog, Staaten der Frühzeit, S. 43: „So oder so stand in Mesopotamien also der Kampf um das Wasser mit an der Wiege des Staates“). 6 Herzog, Staaten der Frühzeit, S. 75 ff. „Eine Organisation hat der Mensch noch nie ins Leben gerufen, ohne daß sie einen handfesten Zweck gehabt hätte“ (S. 75); Barzel, ATheory of the State, S. 188 f. Zur Staatszweckslehre: Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 46 – 49: „,gemeinsame Wohlfahrt‘, Sicherheit und Glückseligkeit“ (S. 46 f.). 7 In der systemwettbewerblichen Literatur ist üblicherweise die Rede von „Steuer-Leistungspaketen“ (vgl. Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7, 10; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 16). Mit dem Begriff „Steuer-Leistungsbündel“ wird begrifflich vor allem die Bedeutung der Gegenleistung und nicht der Leistung betont (vgl. Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 233; Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 322; von Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 551 ff. Kritisch zum Gedanken einer Gegenleistung für Recht:
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Ein privates und marktliches Angebot dieser Leistungen hat sich vor dem Hintergrund der Probleme, die mit dem Angebot öffentlicher Güter verbunden sind8, nicht durchsetzen können.9 Die Entstehung des Staates beruht vor diesem Hintergrund gerade auf besonderen institutionellen Vorteilen eines staatlichen Leistungsangebotes gegenüber einem Leistungsangebot auf privater Ebene.10 Da das Recht sich jedoch (wie bereits angedeutet11) mit der Zeit „allmählich zu einem Objectiven“12 entwickelte, entfernte es sich auch von den Bedürfnissen einzelner Privatrechtssubjekte. Es entstand ein Konflikt zwischen individuellen und kollektiven Interessen, weshalb die Frage gestellt wird, wie staatliche Herrschaft zu rechtfertigen ist. Ein Ansatz zur Rechtfertigung der staatlichen Ordnung ist die Annahme des Abschlusses eines imaginären Gesellschaftsvertrages zum Zeitpunkt der Staatsgründung13 und ein damit verbundener Übergang vom Naturzustand (status naturalis)14 zu einem Zustand staatlicher Ordnung (status civilis)15. In Bezug auf die jüngere Zeit kann auf Basis dieses Ansatzes eine fortlaufende Erneuerung des Gesellschaftsvertrages durch den demokratischen Prozess mittels Mehrheitsentscheidungen angenommen werden16, worin ein evolutorischer Prozess gesehen werden
Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, S. 22 f.). 8 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 34 – 36; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 45; Van den Bergh/Lehmann, Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, S. 588, 590. 9 Vgl. Samuelson, The Pure Theory of Public Expenditures, Review of Economics and Statistics 36 (1954), S. 387, 388 f.; Samuelson, Diagrammatic Exposition of a Pure Theory of Public Expenditures, Review of Economics and Statistics 37 (1955), S. 350 – 356; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 34 – 36. Vgl. zu Ansätzen den Staat durch privatautonome Beziehungen zu ersetzen: Teil 3 § 17 B. II. 10 Vgl. Mathews, An economic theory of the state, S. 6 ff. „The state has survived in history because it has provided economic benefits that other institutions cannot“. (S. 9). 11 Vgl. Teil 1 § 2 B. I. 1. 12 Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 278 (Anhang VIII). 13 Vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit; Buchanan, Freedom in Constitutional Contract, Perspectives of a Political Economist. Im Überblick: Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 11 ff. 14 Vgl. Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 15 ff. 15 Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 13; Die Effizienz der Regeln eines Gesellschaftsvertrages kann Bestimmungsgrund sein, ob es zu einem Abschluss eines solchen Vertrages kommt, H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 9 ff. 16 Zu Problem, die mit Mehrheitsentscheidungen verbunden sind: Lampert/Bossert, Die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen Union, S. 55 ff.
A. Marktanalogie I als Grundlage eines Systemwettbewerbs im technischen Sinn 163
kann17. Ein Gesellschaftsvertrag bzw. deren fortlaufende Erneuerung auf Grundlage von Mehrheitsentscheidungen kann jedoch nicht sicherstellen, dass die staatliche Ordnung tatsächlich den Interessen jedes Bürgers entspricht.18 Eine Lösung dieses Problems wird in der Option Abwanderung19 gesehen20, die zu einem Ende der oft betonten Monopolstellung des Staates21 führt22 und die sich je nach Mobilität bzw. Art der Abwanderungsmöglichkeiten auf ganz verschiedene staatliche Freiheitseinschränkungen bzw. Regulierungen beziehen kann.23 Im Fall einer vollständigen Mobilität24 kann jedes Privatrechtssubjekt wählen, welchem Ordnungsrahmen es unterliegen möchte bzw. welche Regelungen auf einen bestimmten Lebenssachverhalt Anwendung finden sollen. Zwingendes einzelstaatliches Recht lässt sich auf diesem Weg mittels Wahlhandlungen weitgehend zurückdrängen.25 17 Vgl. Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 287 ff. 18 Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 79. 19 Vgl. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 13, 18 ff.; Maurer, Abwanderung und Widerspruch: Grenzüberschreitungen zwischen Soziologie und Ökonomie?, in: Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik, S. 67 – 85, 75 f., 79 ff.; Oates, The Many Faces of the Tiebout-Model, in: The Tiebout Model at Fifty, S. 21 – 45. 20 Vgl. Eschenburg, Der ökonomische Ansatz zu einer Theorie der Verfassung, S. 215 ff. 21 Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 29 f., 183, 198, 758, 760; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 13 ff. Der Monopolbegriff wurde erstmals (Heintzen, Das staatliche Gewaltmonopol als Strukturelement des Völkerrechts, Der Staat 25 (1986), S. 17, 17) von Max Weber auf den Staat bezogen. Die Verwendung des Monopolbegriffs auf das Staat-Bürger-Verhältnis ist nicht nur Ausdruck der dem Systemwettbewerbskonzept zugrundeliegenden Marktanalogie sondern ist in der staatsrechtlichen Literatur (vgl. Isensee, Die Friedenspflicht der Bürger und das Gewaltmonopol des Staates, in: FS K. Eichenberger S. 23 ff.; Heintzen, Das staatliche Gewaltmonopol als Strukturelement des Völkerrechts, Der Staat 25 (1986), S. 17 – 33; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, Politikwissenschaft, § 9 I, S. 45) und in der ökonomischen Literatur schon vor Etablierung der Systemwettbewerbstheorie im Rahmen der Theorie der Politik (vgl. Becker, Competition and Democracy, Journal of Law and Economics 1 (1958), S. 105 – 109) verbreitet. 22 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, Zur Funktionsfähigkeit eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen im europäischen Gesellschaftsrecht, S. 38; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 203. 23 Vgl. Daum, Meghan, Brittany Maynard’s date with death, http://www.latimes.com/opini on/op-ed/la-oe-daum-maynard-oregon-assisted-suicide-20141009-column.html. 24 Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 28. 25 Vgl. Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 33 III., S. 255 f.: „Das Kollisionsrecht selbst ist also der ,archimedische Punkt‘, von dem aus die Geltung des inländischen materiellen Rechts aus den Angeln gehoben werden kann“; von
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
War die Entstehung des Rechts und des Staates Ausdruck einer individuellen institutionellen Nachfrage der Bürger,26 ist im Fall hoher Mobilität das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern erneut von Freiwilligkeit geprägt.27 Bestand zur Zeit der Staatsentstehung die kollektive Möglichkeit, einen Staat zu gründen, besteht im Rahmen einer Umgebung hoher rechtlicher und tatsächlicher Mobilität die Möglichkeit, institutionelle Angebote individuell zu wählen, wenn ausreichende Wahlmöglichkeiten vorhanden sind28. Der zwingende Charakter von einzelstaatlichen Rechtsnormen ist damit nachhaltig in Frage gestellt.29 Das Recht wird zu einem „Produkt“.30 Gleichzeitig besteht für Staaten ein Interesse an der Attraktivität ihrer „institutionellen Arrangements“, um z. B. eine Abwanderung volkswirtschaftlich nützlicher Faktoren zu verhindern.31 Mit anderen Worten wählen Bürger das auf sie anwendbare Recht und Staaten reagieren auf diese Wahlhandlungen. Ein solches Verständnis impliziert eine privatrechtliche Modellierung des Staates auf Grundlage des Marktgedankens. Der Staat wird zu einem „territorialen Unternehmen“ oder Club: „Die Grundidee einer direkten Analogie zum Wettbewerb auf normalen Gütermärkten kann folgendermaßen genauer spezifiziert werden: – Jurisdiktionen = Unternehmen: Sie sind die jeweiligen (auch als Rechtssubjekte zu verstehenden) Organisationen, die als Anbieter von Leistungen im Wettbewerb miteinander stehen (mit ihren jeweils eigenen Organisations und Entscheidungsregeln).
Hoffmann, in: Soergel, Art. 27 Rn. 2; Junker, Die freie Rechtswahl und ihre Grenze – Zur veränderten Rolle der Parteiautonomie im Schuldvertragsrecht, IPRax 1993, S. 1, 2. 26 Vgl. Menger, Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften, und der politischen Ökonomie insbesondere, S. 179 f. 27 Vgl. Engel, Das Internet und der Nationalstaat, in: Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, S. 353, 385. 28 Vgl. Eschenburg, Der ökonomische Ansatz zu einer Theorie der Verfassung, S. 217. 29 Vgl. Engel, Das Internet und der Nationalstaat, in: Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, S. 353, 385; Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55 – 59. 30 Vgl. Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416, 422: „Just as the consumer may be visualized as walking to a private market place to buy his goods, the prices of which are set, we place him in the position of walking to a community where the prices (taxes) of community services are set“ ; Romano, Law as a Product: Some Pieces of the Incorporation Puzzle, Journal of Law, Economics, and Organization 1(2) (1985), S. 361 – 419; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 38. 31 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 18 ff.
A. Marktanalogie I als Grundlage eines Systemwettbewerbs im technischen Sinn 165 – Regierung = Management: Sie repräsentieren die Agenten, die für die jeweiligen Organisationen Entscheidungen treffen und dabei im Interesse ihrer Prinzipale (Bürger als Clubmitglieder bzw. Kapitaleigentümer) handeln sollen. – Kollektive Problemlösungen = Produkte: Hierbei geht es jeweils um die angebotenen Leistungen, für die Steuern und Preise zu bezahlen sind. Dem Wettbewerb zwischen Unternehmen auf Gütermärkten entspricht folglich der Wettbewerb zwischen Jurisdiktionen auf den Märkten für kollektive Problemlösungen (Standortwettbewerb)“.32
Im Rahmen einer wirklichkeitsbezogenen Betrachtung ist entscheidend, ob Mobilität tatsächlich gegeben ist bzw. ob Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen institutionellen Arrangements aus Perspektive der Privatrechtssubjekte wirklich bestehen.33 Zu beachten sind einerseits mögliche Transaktionskosten im Sinne von Kosten der Wahrnehmung von Mobilitätsoptionen;34 zum anderen relativiert eine Bündelung von Recht mit Recht und Recht mit anderen staatlichen Leistungen zu Paketen institutionelle Mobilität35. Deshalb ist eine Trennung zwischen physischer Mobilität und nicht-physischer Mobilität von erheblicher Bedeutung.
32 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 201. Vgl. auch: Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 90; Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 18; Mestmäcker, Europäische Prüfsteine der Herrschaft und des Rechts, ORDO 58 (2007), S. 3, 11; Trachtman, International Regulatory Competition, Externalization, and Jurisdiction, Harvard International Law Journal 34 (1993), S. 47, 51 f. 33 Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 77; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 522. 34 Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 26. 35 Vgl. Bratton/McCahery, The New Economics of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best World, Georgetown Law Journal 86 (1997), S. 201, 223 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 60 f.; Kerber, Kommentar zu Eva-Maria Kieninger – Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 13, S. 3; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 13; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16; Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 234; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 15; Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 28.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
B. Systemwettbewerb infolge von physischer Mobilität I. Tiebout-Modell Grundlegend für die Modellierung von Systemwettbewerb ist aus neoklassischer Sicht36 das Tiebout-Modell37, das unter Extrem-Annahmen wie vollständige Mobilität ein Wettbewerb von Jurisdiktionen um die Anziehung einer optimalen Zahl von Bürgern beschreibt. Es handelt sich damit um eine Form von Standortwettbewerb. Ergebnis der Wanderungsbewegungen ist ein Gleichgewichtszustand, in dem die Präferenzen der Bürger optimal befriedigt sind und die Gebietskörperschaften ihre optimale Größe erreicht haben. Es handelt sich bei dem Tiebout-Modell um eine erste modellhafte Beschreibung von Systemwettbewerb,38 obwohl das Modell nicht zum Ziel hatte den Funktionsmechanismus des Systemwettbewerbs darzustellen, sondern zu zeigen, dass ein wettbewerbliches Angebot öffentlicher Güter (die durch eine Nichtausschließbarkeit nicht-zahlungswilliger Nutzer und einer Nichtrivalität im Konsum gekennzeichnet sind39) entgegen der damaligen Auffassung40 unter den Rahmenbedingungen einer Mobilität zwischen Gebietskörperschaften möglich ist.41 Wäre es ausschließlich ein 36 Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 64, 71. Vgl. Oates/Schwab, Economic Competition Among Jurisdictions: Efficiency Enhancing or Distortion Inducing?, Journal of Public Economics 35 (1988), S. 333, 333. Jedoch spricht auch Kerber das Modell an (Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 201). 37 Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416 – 424; Fischel (Hrsg.), The Tiebout Model at Fifty, Essays in Public Economics in Honor of Wallace Oates. Vgl. die Thematisierung des Tiebout-Modells bei: Bratton/McCahery, The New Economics of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best World, Georgetown Law Journal 86 (1997), S. 201, 219 ff. 38 Pitsoulis sieht das Tiebout-Modell als Grundstein der neoklassischen Sicht von Systemwettbewerb an (Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 59 ff.). 39 Cremer, Regulierung und Freiheit, in: Regulierungsrecht, S. 212, 261 Rn. 115; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 45; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 34 – 36. Auch Recht stellt ein öffentliches Gut dar (Behrens, Economic Law Between Harmonization and Competition: The Law & Economics Approach, in: Economic Law as an Economic Good, S. 45, 49; Barnard/ Deakin, Market Access and Regulatory Competition, Jean Monnet Working Paper 9/01, S. 5; Kirchner, Zur Ökonomik des legislatorischen Wettbewerbs m europäischen Gesellschaftsrecht, in: FS Immenga, S. 607, 610). 40 Vgl. Samuelson, The Pure Theory of Public Expenditure, Review of Economics Statistic 36 (1954), S. 387 – 389; Musgrave, Provision for social Goods in the Market System, in: Problems of Public Finance in the field of research and technical development and new approaches in the Public Finance, S. 192, 194 ff. 41 Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 59 ff.; Apolte, Institutioneller Wettbewerb: Ansätze, Theoriedefizite und Entwicklungsperspektiven, in: Theorie der Wirtschaftspolitik: Erfahrungen – Probleme – Perspektiven, S. 179, 180; Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 11, Fn. 16; Kerber, Zum Problem einer Wettbe-
B. Systemwettbewerb infolge von physischer Mobilität
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systemwettbewerbliches Modell gewesen, kann vermutet werden, dass das Modell niemals die Bekanntheit erlangt hätte, da das Phänomen Systemwettbewerb zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits ein intensiv diskutierter Topos42 war und ein rein systemwettbewerbliches Modell deswegen wenig originell gewesen wäre. Nachdem das Tiebout-Modell fast ein Jahrzehnt nicht beachtet wurde,43 verhalf ihm Oates44 zu Popularität45 und das Tiebout-Modell wurde in der Folgezeit zur Grundlage der Modellierung von Systemwettbewerb aus neoklassischer Sicht.46
II. Modell eines Standortwettbewerbs In Parallele zum Tiebout-Modell als Modell physischer Mobilität lässt sich die internationale Mobilität von Kapital und ein Wettbewerb der Staaten um Direktinvestitionskapital modellieren. 1. Regulierungsarbitragen mittels Standortwahl Parameter dieses Wettbewerbs sind „Leistungs-Steuerpakete“, wobei insbesondere der Parameter Regulierung Gegenstand der Betrachtung ist. Regulierungsarbitragen erfolgen mittels der Wahl von Standorten.47 werbsordnung für den Systemwettbewerb, in: Globalisierung, Systemwettbewerb und nationalstaatliche Politik, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 201 42 Vgl. Zillmer, State Laws: Survival of the Unfit, University of Pennsylvania Law Review 62 (1913 – 14), S. 509 – 524; Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 3: „Tatsächlich ist der Gedanke sehr viel älter“. Anders: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 45: „Der Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften um mobile Faktoren in Analogie zum Wettbewerb auf Produktmärkten wurde zuerst von Charles M. Tiebout thematisiert“ (HiO). 43 Zu den Hintergründen: Fischel, Footloose at Fifty: An Introcuction to the Tiebout Anniversary Essays, in: The Tiebout Model at Fifty, S. 1, 4 – 7; Oates, The Many Faces of the Tiebout-Model, in: The Tiebout Modell at Fifty, S. 21, 24 f. 44 Vgl. Oates, The Effects of Property Taxes and Local Public Spending on Property Values: An Empirical Study of Tax Capitalization and the Tiebout Hypothesis, Journal of political Economy 77 (1969), S. 957 – 971; Oates/Schwab, Economic Competition Among Jurisdictions: Efficiency Enhancing or Distortion Inducing?, Journal of Public Economics 35 (1988), S. 333 – 354. 45 Fischel, Footloose at Fifty: An Introcuction to theTiebout Anniversary Essays, in: The Tibout Model at Fifty, S. 1, 5. 46 Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 71. 47 In den USA wollte im 19. Jahrhundert kein Bundesstaat mit Einschränkungen der Kinderarbeit (Zillmer, State Laws: Survival of the Unfit, University of Pennsylvania Law Review 62 (1913 – 14), S. 509, 518 f., 520; Whittaker, Child Labor in America, History, Policy and Legislative Issues) wegen der Relevanz dieser Regulierungen für den Standort von Industrien vorangehen, sondern jeder Staat wartete auf Vorstöße von den anderen Staaten (Moss, Kindling a Flame under Federalism: Progressive Reformers, Corporate Elites, and the Phosphorus Match
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Im Rahmen einer realitätsorientierten Betrachtung sind die Grenzen von Regulierungsarbitragen mittels Standortverlagerungen zu beachten. Physische Wanderungsbewegungen wie die Verlagerung einer Produktion sind mit Transaktionskosten verbunden.48 Investitionskapital ist aufgrund der Transaktionskosten lediglich beschränkt mobil. Die Bedeutung von mit Standortverlagerungen verbundenen Transaktionskosten wird jedoch zum Teil (auch von Wirtschaftswissenschaftlern!) unterschätzt: „Fühlt sich ein Unternehmen durch staatlich verursachte ungünstige Standortbedingungen benachteiligt, so kann es seinen Standort in eine Jurisdiktion mit besseren Standortbedingungen verlegen und auf diese Weise die „Verzerrung“ selbst beseitigen. Es ist also bei Mobilität der Unternehmen sehr zweifelhaft, ob durch einzelstaatliche Aktivitäten tatsächlich Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen eintreten“.49
In der Besprechung der Asbest-Entscheidung des BGH sieht Katzenberger in der Möglichkeit der Produktionsverlagerung „die eigentliche Rechtfertigung“ des Ergebnisses der Entscheidung: „Durch Gründung von Niederlassungen oder Gemeinschaftsunternehmen im Ausland oder durch Import sind auch die betroffenen deutschen Produzenten in der Lage, die durch das deutsche Arbeitsschutzrecht begründeten Wettbewerbsnachteile aufzufangen“.50 Campaign of 1909 – 1912, Business History Review 68 (1994), S. 244, 245 f.). Ähnlich war die Lage im Hinblick auf ein Verbot der Produktion von phosphorhaltiger Streichhölzer (Moss, Kindling a Flame under Federalism: Progressive Reformers, Corporate Elites, and the Phosphorus Match Campaign of 1909 – 1912, Business History Review 68 (1994), S. 244, 245 f.). Haucap/Kühling erörtern in Bezug auf regulatorische Standortfaktoren (wie Arbeitsrecht, öffentlich-rechtliche Genehmigungen oder Steuerrecht) einen Übergang auf ein Herkunftslandprinzip, lehnen ein solches Konzept aber im Ergebnis ab (Haucap/Kühling, Systemwettbewerb durch das Herkunftslandprinzip: Ein Beitrag zur Stärkung der Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit in der EU? – Eine ökonomische und rechtliche Analyse, DICE Ordnungspolitische Perspektiven Nr. 50, September 2013). 48 Vgl. Straubhaar, Migration im 21. Jahrhundert, S. 28 ff.; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13 – 48, 16; Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 109; Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55 – 59, 56; Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 408 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 58 – 60; J. Prütting, Markt- und Chancengerechtigkeit – Plädoyer für ein autonom europäisches Gesellschaftsrecht, JZ 2014, S. 381, 383; Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 382. 49 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 219. Vgl. auch S. 221; Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 2000 S. S217, S238 f.; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 18. Ähnlich: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 141 f. 50 Katzenberger, Inländischer Wettbewerb, ordre public und ausländisches Arbeitsschutzrecht, IPRax 1981, S. 7, 9.
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Der BGH verwies einen Spirituosenproduzenten in seiner Entscheidung „Cocktails For Two“51 im Zusammenhang mit einer Inländerdiskriminierung infolge des früheren deutschen Mindestweingeisterfordernisses für alkoholische Getränke in einer Hilfserwägung auf die Möglichkeit der Standortverlagerung: „Soweit es [das Berufungsgericht, Anm. d. Verf.] Vorteil allein darin gesehen sollte, dass die Beklagte – im Gegensatz zu deutschen Herstellern, denen der Vertrieb entsprechender Eigenerzeugnisse verwehrt ist – überhaupt Cocktail-Getränke mit einem die vorgeschriebenen Normen unterschreitenden Alkoholgehalt in Deutschland vertrieben darf, so könnte das nicht genügen; denn dieser Vorteil ist die Folge der differenzierenden gesetzlichen Regelung, nach der solche Getränke nunmehr auch in Deutschland vertrieben werden dürfen, sofern diese nur auf dem in der Ausnahmeregelung vorgesehenen Wege über einen EG-Mitgliedstaat eingeführt werden. Dieser Weg steht deutschen Herstellern bei einer Eigenherstellung im Ausland wie auch Importeuren ebenso wie anderen Importeuren offen“.52
Mit dem pauschalen Verweis auf Abwanderung zur Vermeidung von ungleichen Wettbewerbsbedingungen bzw. Wettbewerbsverzerrungen wird jedoch die grundsätzliche Bedeutung von Transaktionskosten im Fall von Standort- verlagerungen verkannt.53 Damit besteht nicht nur die Gefahr einer falschen Modellierung und Bewertung von Systemwettbewerb, sondern auch die Gefahr falscher gerichtlicher Entscheidungen. Abwanderung ist auch im Fall von rechtlich vorhandenen Abwanderungsoptionen nur realistisch, wenn die auch unter ökonomischen Gesichtspunkten zu realisieren ist. Der Rechtswissenschaftler Müller-Graff merkt zu der vorstehenden Entscheidung an, dass der BGH „durchaus sympathisch“ die Garantien der europäischen Privatrechtsgesellschaft zur Überwindung einer unnötigen staatlichen Norm aktiviere.54 Er tue dies jedoch auf höchst umständliche, weil kostenverursachende Weise,55 womit Müller-Graff die Bedeutung von Transaktionskosten anerkennt, aber zugleich deren entscheidende Bedeutung verdeckt. Die Ökonomen Streit/Kiwit führen (in dem wohl ausgewogensten und am weitesten entwickelten Beitrag der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie) aus, dass 51
BGH, Urteil vom 28. 02. 1985, Az. I ZR 7/83, RIW 1985, S. 588, 589 (Rn. 29 bei Juris). BGH, Urteil vom 28. 02. 1985, Az. I ZR 7/83, RIW 1985, S. 588, 589. 53 Vgl. Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271, 291; Kleier, Freier Warenverkehr (Art. EWG-Vertrag) und die Diskriminierung inländischer Erzeugnisse, RIW 1988, S. 623, 629 f.; Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 109. 54 Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, Signaturen und Herausforderungen zum Jahrtausendbeginn, S. 271, 291. Kritisch zu dem Urteil: Müller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, S. 38 f. 55 Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271, 291. 52
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
die Bedeutung von Abwanderung unter anderem aufgrund von Transaktionskosten „geringer sein kann, als in vielen Modellen des Systemwettbewerbs unterstellt“.56 In anderen Beiträgen fasst Streit das Problem von Transaktionskosten wesentlich kürzer, spricht allgemein von Mobilitätsbeschränkungen und betont vor allem Pfadabhängigkeiten und Konsistenzerfordernisse als Schranke von Systemwettbewerb.57 Eine nähere Untersuchung der Bedeutung von Transaktionskosten in unterschiedlichen Bereichen und eine damit verbundene differenzierte Betrachtung und die konkrete Erfassung der Bedeutung von Transaktionskosten unterbleibt in der Systemwettbewerbstheorie. Eine weitere Grenze für einen Systemwettbewerb bildet die Bündelung von Regulierungen in „Leistungs-Steuerpakete“.58 Es können nicht einzelne Teile dieses Paketes – eine einzelne Regulierung –, sondern lediglich Gesamtpakete „erworben“ werden.59 Die Bündelung behindert nicht nur Regulierungsarbitragen, sondern führt zu der Frage, wie politische Akteure im Fall von Regulierungsarbitragen aus diesen Signalen herauslesen können, welche Teile des „Leistungs-Steuerbündels“ ursächlich für Regulierungsarbitragen sind bzw. welche Teile unattraktiv für institutionelle Nachfrager sind.60 Gesetzgeber erhalten die Signale aus dem Standortwettbewerb grundsätzlich nicht in Bezug auf einzelne rechtliche Regelungen, sondern erhalten lediglich die Rückmeldung, dass das gesamte Bündel von tatsächlichen und rechtlichen Standortfaktoren61 (Standortfaktor im Sinne eines bestimmten Vorteils, der
56 Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16. 57 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 231 f.; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 529 – 531; Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 384. 58 Vgl. Bratton/McCahery, The New Economics of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best World, Georgetown Law Journal 86 (1997), S. 201, 223 f.; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 60 f. 59 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13 – 48, 16; Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 28. Zum Bündelungsproblem im Wettbewerb zwischen Privaten: Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, Ein Beitrag aus der Sicht der österreichischen Schule, S. 130; Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 57; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 60 ff., 84 ff. 60 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 62 f. 61 Der Begriff Standortfaktor stammt von Alfred Weber (Thießen, Standorttheorie für Internationale Finanzzentren, S. 52). Vgl. A. Weber, Ueber den Standort der Industrien, S. 16: „Wir verstehen unter einem Standortfaktor einen seiner Art nach scharf abgegrenzten Vorteil,
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mit einen Standort verbunden ist62) den Präferenzen der Unternehmer entspricht oder nicht.63 Das wettbewerbliche Entdeckungsverfahren im Sinne der Signalisierung der Präferenzen der Nachfrager nach Institutionen an politische Akteure funktioniert deswegen nur sehr beschränkt. Es besteht auf Seiten der Privatrechtssubjekte bzw. Faktorinhaber (auch vor dem Hintergrund der Bündelung) ein erhebliches Wissensproblem hinsichtlich des Angebotes an „Leistungs-Steuerpaketen“64 und deren zukünftige Entwicklung. Während die fehlende Thematisierung des Wissensproblems von Seiten der neoklassischen Sicht aufgrund der Zugrundelegung des Bildes von rationalen Privatrechtssubjekten konsequent erscheint,65 erstaunt die grundsätzliche Vernachlässigung des Wissensproblems der Faktorinhaber seitens der Vertreter einer evolutionären Sicht von Standortwettbewerb66, da aus dieser Sicht die Entdeckungsfunktion eine wesentliche mit Systemwettbewerb verbundene Erwartung ist: „Die übliche Analyse ökonomischen Wettbewerbs im Rahmen neoklassischer Allokationsund Preistheorien abstrahiert weitgehend von relevanten Institutionen und nimmt das Wissen der Marktteilnehmer als gegeben an. Damit kann der ökonomische Teilprozess des Systemwettbewerbs, d. h. die Ausnutzung institutionell bedingter Unterschiede von Gewinnerwartungen in verschiedenen Jurisdiktionen ebenso wenig erfasst werden wie die Bedeutung des Systemwettbewerbs für die Entdeckung und Nutzung von Wissen über die komparative Eignung institutioneller Problemlösungsversuche“.67
der für eine wirtschaftliche Tätigkeit dann eintritt, wenn sie sich an einem bestimmten Ort, oder auch generell an Plätzen bestimmter Art vollzieht“. 62 A. Weber, Ueber den Standort der Industrien, S. 16. 63 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 62 f.; Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 109. 64 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 60 f.; Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 383. 65 Zum Bild des homo oeconomicus: Leschke, Homo Oeconomicus: Zum Modellbild der Ökonomik, in: Ökonomik als allgemeine Theorie menschlichen Verhaltens, Grundlagen und Anwendungen, S. 21 – 37. 66 Vgl. aber den Hinweis auf das Wissensproblem bei: Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16, 36 „Im Falle von Direktinvestitionen z. B. fällt dem ökonomischen Akteur eine abgewogene Entscheidung über den Standort sehr schwer, weil er nicht nur komplizierte Steuergesetze, sondern auch zahlreiche andere Faktoren berücksichtigen muß, die in der betriebswirtschaftlichen Literatur zur Frage der Standortentscheidung eines Unternehmens ausführlich diskutiert werden“. 67 Streit/Wohlgemuth, Einleitung: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 7, 8 (HiO).
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Zudem thematisiert die evolutorische Systemwettbewerbstheorie Wissensmängel der Bürger im Rahmen des politischen Wettbewerbs.68 Ein Weg zur Einschränkung des Bündelungsproblems ist eine Aufspaltung von Unternehmensaktivitäten und die Ansiedlung in jeweils verschiedenen Staaten bzw. „Clubs“. Die Aktivitäten von Unternehmen werden an die vorhandenen „LeistungsSteuerbündel“ angepasst. C. Engel beschreibt diesen Zusammenhang dahingehend, dass derjenige, der geschickt sei, „den Staat wie eine Cafeteria behandeln [kann], in der er nur das verzehrt, was ihm schmeckt“.69 Möglichkeiten zur Aufspaltung von Produktionsabläufen innerhalb eines Unternehmens und outsourcing bestehen jedoch ausschließlich dann, wenn es um die Erstellung oder Erbringung von einzelnen abgrenzbaren (Vor-)Produkten oder Leistungen geht und solche Aufspaltungen nicht mit gewichtigen Transaktionskosten erkauft werden. 2. Staatliche Maßnahmen a) Anziehung von Investitionskapital Staaten versuchen (wie in der einleitenden Betrachtung angedeutet) mittels einer möglichst attraktiven Gestaltung der „Leistungs-Steuerpakete“ Investitionskapital anzuziehen (Standortwettbewerb). Vertreter der Kieler Schule70 betrachten hingegen Standortwettbewerb als Bestreben der immobilen Faktoren, mobile Faktoren anzuziehen bzw. einen Wegzug zu verhindern, um die Einkommenschancen der immobilen Faktoren möglichst günstig zu halten.71 Nicht die durch Regierungen vertretenden Staaten,72 sondern die Inhaber der immobilen Faktoren sind nach diesem Ansatz Wettbewerber.73 Dieser Ansatz verdeutlicht zwar, dass eine Anziehung von Faktoren im Interesse der mobilen 68 Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 35 f. 69 Engel, Das Internet und der Nationalstaat, in: Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, S. 353, 385. 70 Der Begriff „Kieler Schule“ stammt von Pitsoulis und meint die systemwettbewerbliche Forschung, die am Kieler Institut für Weltwirtschaft entstanden ist (Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 131 ff.). 71 Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7 – 20, 10; Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs, S. 9; Siebert/Koop, Institutional Competition. A Concept for Europe?, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 439 – 462, 442. Auf den Unterschied zur herkömmlichen Definition von Standortwettbewerb weist Apolte hin (Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, Dezentrale Wirtschaftspolitik zwischen Kooperation und institutionellem Wettbewerb, S. 3). 72 Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 7; Kiwit/Voigt, Grenzen des institutionellen Wettbewerbs, in: Globalisierung, Systemwettbewerb und nationalstaatliche Politik, JNPÖ 17 (1998), S. 313, 315. 73 Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 8.
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Faktoren liegen kann, jedoch erschwert er das Verständnis des genauen Wirkungsmechanismus von Systemwettbewerb.74 Auch Vertreter der Kieler Schule kommen nicht umhin anzuerkennen, dass es nicht die immobilen Faktoren sind, die mobile Faktoren anziehen, sondern dass die immobilen Faktoren auf staatliche Handlungen angewiesen sind.75 Die Interessen der Inhaber immobiler Faktoren können nicht automatisch gleichgesetzt werden mit den staatlichen Interessen an einer Anziehung mobiler Faktoren,76 da Staaten auch andere Ziele verfolgen können, die nicht zu einer Erhöhung der Standortattraktivität führen. b) Anreize politischer Akteure Während aus neoklassischer Sicht die politischen Akteure im Standortwettbewerb vor allem aus der Motivation, dem Wohl seiner Bürger bestmöglich zu dienen, heraus handeln und dabei über eine weite Wissensbasis verfügen, ist bei Zugrundelegung der Public Choice Theorie der Eigennutz politischer Akteure entscheidende Antriebskraft der Politik: „Zum Beispiel ist der Grund, warum es so etwas wie eine ökonomische Tätigkeit gibt, natürlich der, dass die Menschen sich nähren und kleiden usw. wollen. Die Mittel zur Befriedigung dieser Wünsche zu liefern, ist das soziale Ziel oder der soziale Sinn der Produktion. Trotzdem sind wir uns alle einig, dass diese These ein sehr wirklichkeitsfremder Ausgangspunkt für eine Theorie der wirtschaftlichen Tätigkeit in der kommerziellen Gesellschaft wäre und dass wir besser vorwärtskommen, wenn wir von Thesen über Profite ausgehen. In ähnlicher Weise ist der soziale Sinn oder die soziale Funktion der parlamentarischen Tätigkeit ohne Zweifel die, Gesetze und teilweise auch Verwaltungsmaßnahmen hervorzubringen. Aber um zu verstehen, wie die demokratische Politik diesem sozialen Ziele dient, müssen wir vom Konkurrenzkampf um Macht und Amt ausgehen und uns klar werden, dass die soziale Funktion, so wie die Dinge nun einmal liegen, nur nebenher erfüllt wird – im gleichen Sinne wie die Produktion eine Nebenerscheinung beim Erzielen von Profiten ist“.77
Es fragt sich, inwieweit die Annahme von benevolenten Akteuren und eigennützig handelnden Akteuren im Standortwettbewerb zu unterschiedlichen Ergebnissen einzelstaatlicher Standortpolitik führen. 74 Vgl. Apolte, Institutioneller Wettbewerb: Ansätze, Theoriedefizite und Entwicklungsperspektiven, in: Theorie der Wirtschaftspolitik: Erfahrungen – Probleme – Perspektiven, S. 179, 183. 75 Vgl. Siebert/Koop, Institutional Competition. A Concept for Europe?, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 439, 442. 76 Gerken weist auf die vielfach nicht übereinstimmende Interessenlage innerhalb eines Staates in Bezug auf Standortpolitik hin (vgl. Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 9). 77 Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 448. Vgl. auch: Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie; Downs, An Economic Theory of Political Action in a Democracy, Journal of Political Economy 65(2) (1957), S. 135 – 150; Weber, Politik als Beruf, S. 9. Eine kurze Darstellung der Public Choice Theorie liefert: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 68 ff.
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Im Falle einer Benevolenz der politischen Akteure ist davon auszugehen, dass eine Abwägung zwischen verschiedenem gesellschaftspolitischen Zielen wie einerseits einer hohen Standortattraktivität und andererseits einer hohen Umweltqualität erfolgt. Aufgrund seiner Allwissenheit trifft der Gesetzgeber (wovon der neoklassische Ansatz implizit ausgeht) eine optimale Abwägungsentscheidung78 im Sinne einer Optimierung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstandes unter Berücksichtigung von Verteilungsfragen. Dabei bestehen aufgrund der Bündelung von Institutionen in „Leistungs-Steuerbündel“ vielfältige Möglichkeiten, Institutionen, die sich negativ auf die Standortattraktivität auswirken, durch andere Standortfaktoren wie durch andere attraktive Institutionen oder andere staatliche Leistungen wie z. B. eine gute Verkehrsinfrastruktur79 oder attraktive Steuersätze auszugleichen. Bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzip ergibt sich aus Perspektive der Systemwettbewerbstheorie das Ziel einer möglichst attraktiven Ausgestaltung der Regulierungen für die Anbieter und Nachfrager von Waren und Dienstleistungen. Im Fall einer funktionierenden Rückkopplung bestimmen die Nachfrager von Waren und Dienstleistungen, welches Regulierungsniveau nicht nur für sie, sondern auch für die Anbieter optimal ist. Es herrscht eine strikte Bindung der Interessen der Anbieter an die Interessen der Nachfrager. Wenn jedoch eine Rückkopplung auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten nicht funktioniert, muss der Gesetzgeber zwischen dem Ziel der Standortattraktivität und einem Schutz von Nachfragern im In- und Ausland abwägen.80 Befürworter von Systemwettbewerb thematisieren solche Abwägungsnotwendigkeiten zwischen dem Ziel der Erhöhung institutioneller Wettbewerbsfähigkeit und nicht-marktkonformer Ziele grundsätzlich nicht. Vielmehr setzten sie voraus, dass Systemwettbewerb über seine Funktionen zu einer Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt führt. Einem eigennützig handelnden politischen Akteur geht es hingegen nicht um das Ziel eines Wohlfahrtsoptimums durch optimale Ausbalancierung der gegenläufigen Ziele (z. B. im Wege einer Kosten-Nutzen-Analyse), sondern ausschließlich das Ziel, in den Augen der Wähler besser zu stehen und Wahlen zu gewinnen.81 Ein Anreiz zur Anziehung von Faktoren besteht nur insofern, als eine solche Politik dem Interesse an 78 Vgl. Oates/Schwab, Economic Competition Among Jurisdictions: Efficiency Enhancing or Distortion Inducing?, Journal of Public Economics 35 (1988), S. 333 – 354. 79 Vgl. Taylor, Infrastructural competition among jurisdictions, Journal of Public Economics 49(2), S. 241 – 259. 80 Vgl. Oates/Schwab, Economic Competition Among Jurisdictions: Efficiency Enhancing or Distortion Inducing?, Journal of Public Economics 35 (1988), S. 333 – 354.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 107 f. 81 Helmut Kohl äußerte nach Hamm, mit seiner Politik nicht den Ludwig-Erhard-Preis gewinnen zu wollen, sondern wiedergewählt zu werden (Hamm, Entartung des politischen Wettbewerbs, ORDO 56 (2005), S. 19, 34).
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der Gewinnung von Wählerstimmen oder einer Steigerung des Ansehens entspricht und nicht primär aufgrund von Belangen des Gemeinwohls.82 Die Verwirklichung von Gemeinwohl kann bei Zugrundelegung eigennützig handelnder politischer Akteure deshalb nur dann erfolgen, wenn eigennütziges Handeln politischer Akteure über eine „unsichtbare Hand“ dem Gemeinwohl dient,83 wobei die Wirkungsmechanismen einer solchen „unsichtbaren Hand“ unklar sind. Es ist wahrscheinlich, dass Akteure bestimmte Belange des Gemeinwohls vernachlässigen, wenn die Verwirklichung gegenläufiger Ziele mehr Vorteile (mehr Wählerstimmen) für die politischen Akteure versprechen. Denkbar ist, dass politische Akteure sich bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips und einem Ausfall einer Rückkopplung ausschließlich den Interessen der Anbieter Rechnung tragen und auf eine Deregulierung hinwirken, obwohl dies zu einer Vernachlässigung der Interessen der Nachfrager führt. Zudem kann es unter systemwettbewerblichen Rahmenbedingungen zu einer Bevorzugung bestimmter Gruppen kommen, die eine Ungleichhheit von Wettbewerbsbedingungen und insbesondere eine Inländerdiskriminierung als erfolgreiches Argument für ihre Position nutzen, was zu einer Ungleichbehandlung von mobilen gegenüber immobilen Faktoren bzw. Privatrechtssubjekten führen kann. Es ergäbe sich damit auch unter den Rahmenbedingungen von Systemwettbewerb die Gefahr einer gesamtgesellschaftlich negativ zu bewertenden Interessengruppenpolitik.84 Auf der anderen Seite kann Interessengruppen im Vorfeld gesamtwirtschaftlicher Folgen von Regulierungen möglicherweise eine wichtige Funktion zukommen, Signale über institutionelle Mobilität seitens der Nachfrager bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips an die politischen Akteure zu übermitteln. Damit bestehen Handlungsanreize für politische Akteure nicht ausschließlich über die Wirkungen von Regulierungsarbitragen auf das Wohlstandsniveau, sondern schon im Vorfeld derartiger volkswirtschaftlicher Effekte: Indem Anbieter bzw. deren Interessenverbände Einfluss auf politische Akteure nehmen, können bereits mikroökonmische Folgen oder erwartete mikroökonomische Folgen einer Regulierung Eingang in den politischen Prozess finden.85 82
Wohlgemuth, Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 49, 61: „Abwanderung entzieht einer Volkswirtschaft zwar wertvolle Ressourcen; eine politische Reaktion hierauf ist aber erst dann zu erwarten, wenn die Regierungsparteien erwarten, Wählerstimmen als die direkt handlungsbestimmenden Ressourcen entzogen zu bekommen“. 83 Vgl. Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 41 ff. Zum Unterschied zwischen Eigennutz und Egoismus im Sinne von Rücksichtslosigkeit: Posner, Economic Analysis of Law, S. 4.: „Self-interest should not be confused with selfishness; the happiness (or for that matter the misery) of other people may be a part on one’s satisfactions“; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 99 f. 84 Vgl. Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 234 f. 85 Interessengruppen besitzen insofern eine Informationsfunktion (von Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 105).
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c) Politisches Gleichgewicht Wenn die Frage der Abwägung zwischen der Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes auf der einen Seite und der Verwirklichung bestimmter nicht-marktkonformer Ziele des Gemeinwohls auf der anderen Seite getroffen ist86 oder eigennützige politische Akteure ihre Politikgestaltung am Stimmverhalten der Bürger ausgerichtet haben und feststehende Mehrheitsverhältnisse bestehen, bildet sich ein politisches Gleichgewicht. Dieses Gleichgewicht findet Ausdruck in gesetzgeberischen Entscheidungen. Wenn politischer Wettbewerb aus neoklassischer Perspektive modelliert wird, ist das politische Gleichgewicht stabil. Aus evolutorischer Perspektive wird es (soweit eine Gleichgewichtsbildung überhaupt anerkannt wird) hingegen durch exogene Anstöße wie durch eine Meinungsäußerungen der Bevölkerung immer wieder in Frage gestellt. Folge ist eine andauernde Veränderung von Institutionen.87
III. Marktzuwanderung und Marktabwanderung von Nachfragern nach Waren und Dienstleistungen Die Fallgruppe der Marktabwanderung bzw. Marktzuwanderung erfasst die Entscheidung der Nachfrager, eine Ware oder eine Dienstleistung auf einem ausländischen Markt nachzufragen.88 Der EuGH stellte insofern fest, „daß es einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Verbraucher möglich sein muß, sich frei in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates begeben zu können, um dort unter denselben Bedingungen wie die ortsansässige Bevölkerung einzukaufen“.89 Anleger haben ihr Geld in der Vergangenheit z. B. bevorzugt in Luxemburg oder der Schweiz angelegt,90 um von dem früher herrschenden strikten Bankgeheimnis zu profitieren.91 Auf rechtspolitischen Druck hin92 wurde nunmehr das Bankgeheimnis 86 Vgl. Oates/Schwab, Economic Competition Among Jurisdictions: Efficiency Enhancing or Distortion Inducing?, Journal of Public Economics 35 (1988), S. 333 – 354. 87 Vgl. zu den Funktionen politischen Wettbewerbs: Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 134 S. 145 ff. Vgl. zur evolutorischen und neoklassischen Modellierung von Systemwettbewerb: Teil 1 § 4 E. 88 Rice entwirft auf US-amerikanische Verhältnisse bezogen ein kurzes Modell von Marktabwanderung in Bezug auf einzelstaatliche Produktsicherheitsrechte (Rice, Product Quality Laws and the Economics of Federalism, Boston University Law Review 65 (1985), S. 1, 56 f.). 89 Vgl. EuGH, Urteil vom 7. 3. 1990, Rs. C-362/88 GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667, I-686 Rn. 8. Vgl. Teil 1 § 3 E. III. 90 Vgl. Zucman, Steueroasen, S. 38 ff. 91 In Bezug auf das Bankgeheimnisses gilt im Rahmen der aktiven Dienstleistungsfreiheit ein Tätigkeitslandprinzip. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ausländische Zweigniederlassungen von der Regelung des § 33 Abs. 1 Satz 1 ErbStG in Verbindung mit § 1 ErbStDV erfasst werden (BFH, Urteil vom 31. 05. 2006, Az. II R 66/04, BFHE 215, 520, 522). Gärditz sieht in der Regelung des § 33 Abs. 1 Satz 1 EbStG einen Verstoß in der Niederlassungsfreiheit,
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in diesen Ländern gelockert, so gilt das schweizer Bankgeheimnis nicht mehr im Fall von Steuerhinterziehung.93 Damit wurden die Attraktivität einer Geldanlage in der Schweiz eingeschränkt. Im Bereich von Nahrungsergänzungsmitteln und Vitaminen ist zu beobachten, dass Nachfrager aus Deutschland diese Produkte per Post aus den Niederlanden beziehen, da vergleichbare Produkte in Deutschland zum Teil aufgrund gesetzlicher Vorgaben nicht erhältlich sind und eine Einfuhrkontrolle grundsätzlich ausgeschlossen ist94. Es hat sich in Grenznähe zu Deutschland ein Versandmarkt speziell für deutsche Kunden entwickelt. Ein weiteres Beispiel für eine Marktabwanderung bzw. Marktzuwanderung stellt die bewusste Wahl des Staates dar, in dem Privatrechtssubjekte ihre Kraftfahrzeuge auftanken. So tankt der LKW-Transitverkehr aufgrund im Ausland niedrigerer Treibstoffpreise verstärkt im Ausland.95 Auch Autofahrer aus grenznahen Gebieten fragen aufgrund von Preisunterschieden Treibstoff in Nachbarländern nach.96 Auch Unterschiede in Bezug auf Prozessregulierungen können zu einer Marktabwanderung bzw. Marktzuwanderung führen. Das deutsche Nachtbackverbot führte zu einem „rege[n] Grenzverkehr zu den grenznahen, nicht an Verbote gebundenen ausländischen Backwarenläden“.97
da die Pflicht aus § 33 Abs. 1 Satz 1 ErbStG unter Umständen nur durch eine Verletzung strafbewehrter Geheimnispflichten am Ort der Niederlassung zu erfüllen sind (Gärditz, Erbschaftssteuerrechtliche Anzeigepflicht und ausländisches Bankgeheimnis im Lichte des Völker-, Europa- und Verfassungsrechts, WM 2010, S. 437, 441). 92 Vgl. Löpfe, Banken ohne Geheimnisse, Was vom Swiss Banking übrig bleibt, S. 11 – 14; Nobel, Das schweizerische Finanzmarktrecht, in: FS Kirchner, S. 115, 119 – 121. 93 Zaki, Das Bankgeheimnis ist tot, Es lebe die Steuerflucht, S. 17, 22 ff.; Löpfe, Banken ohne Geheimnisse, Was vom Swiss Banking übrig bleibt, S. 14. Vgl. auch: Nobel, Das schweizerische Finanzmarktrecht, in: FS Kirchner, S. 115, 116 f. Zucman relativiert die Einschränkung des schweizer Bankgeheimnisses (Zucman, Steueroasen, S. 42 f.). 94 Die Mitgliedstaaten bewerten wissenschaftlichen Unsicherheiten unterschiedlich (Kommission, Bericht der Kommission an den Rat, Das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss, Kom(2002) 419, S. 8). 95 Vgl. Adolf, Mineralölsteuer – Stütze unseres Steuersystems oder Auslaufmodell?, Wirtschaftsdienst 2003, S. 460, 466 f.; Kleine Anfrage der Angeordneten Thomas Dörflinger und der Fraktion der CDU/CSU, Negative Folgen des Tanktourismus, BT-Drs. 14/2740, 15. 02. 2000; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Angeordneten Thomas Dörflinger et al und der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 14/2740 –, Negative Folgen des Tanktourismus, BT Ds. 14/2855, 03. 03. 2000. 96 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 15/4462, S. 3; Antwort der Bundesregierung. BT-Drs. 14/224, S. 2; BT-Drs. 14/8812, S. 1 (Kleine Anfrage CDU/CSU Fraktion); Kleine Anfrage der Angeordneten Birgit Homburger et al und der Fraktion der FDP, Tanktourismus deutscher Verbraucher, BT-Drs. 15/1292, 26. 06. 2003. 97 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien, BT Ds. 13/4245, S. 10.
178
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Eine Marktabwanderung fällt im Fall von Dienstleistungen unter die Fallgruppe der passiven Dienstleistungsfreiheit.98 Das Recht auf Marktabwanderung hat vor allem in diesem Zusammenhang Niederschlag in der EuGH-Rechtsprechung gefunden.99 Aufgrund der mit einer Marktabwanderung verbundenen Transaktionskosten birgt diese ein geringeres Potential, nationale Regulierungssysteme in Frage zu stellen, denn der Wettbewerbsdruck ist vielfach geringer. Marktabwanderung kann rechtlich beschränkt sein, insbesondere mittels Einfuhrkontrollen und Zöllen. Bemerkenswerter Weise wurde den Bayern im 18. Jahrhundert zur Stärkung des bayerischen Reinheitsgebotes für Bier untersagt, „über die Grenze zu gehen und dort zu zechen“.100
IV. Eingeschränkte Bedeutung der Produktanalogie im Fall physischer Mobilität und Bedeutung eines Clubmodells Die Beschreibung von Recht als Produkt101 bezieht sich im Fall physischer Mobilität auf ein ganzes Bündel von Standortfaktoren, die jeweils vor- und nachteilig sein können, so dass sich einzelne Standortfaktoren im positiven oder negativen Sinne verstärken oder neutralisieren können102. Recht muss im Rahmen derartiger „Leistungs-Steuerpakete“103 keine entscheidende Rolle spielen.104 Damit die Produktanalogie im Standortwettbewerb trägt, müsste eine bestimmte rechtliche Regelung, die als Produkt charakterisiert wird, im Rahmen eines „Leistungs-Steuerbündels“ eine herausragende Bedeutung besitzen. Recht im Fall von 98 Vgl. EuGH, Urteil vom 31. 01. 1984, Rs. 286/82, Luisi und Carbone, Slg. 1984, S. 377, 401, Rn. 10; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 37; Rolshoven, „Beschränkungen“ des freien Dienstleistungsverkehrs, S. 72. 99 EuGH, Urteil vom 31. 01. 1984, verb. Rs. 286/82 und 26/83, Luisi und Carbone, Slg. 1984, S. 377, 401 Rn. 10. 100 Schemmel, Das Reinheitsgebot für Herstellung und Vertrieb von Bier in Bayern, S. 10 f. 101 Romano, Law as a product: some pieces of the incorporation puzzle, Journal of Law, Economics, and Organization 1 (1985), S. 225 ff. 102 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 61. 103 Vgl. Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 9: „Standortpakete“. 104 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 61; Meessen, Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 10: „Das Wirtschaftsrecht ist nicht der einzige und nicht einmal der wichtigste Parameter im Wettbewerb der Systeme. Die Relation von Besteuerung und Infrastrukturangebot sowie die Belastung mit Lohn- und Lohnnebenkosten sind weit wichtiger. Bei der Entscheidung über die Lokalisierung von Aktivitäten steht die Wirtschaftsrechtsarbitrage daher gewiß nicht im Vordergrund“.
B. Systemwettbewerb infolge von physischer Mobilität
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physischer Mobilität als Produkt zu bezeichnen, erscheint vor diesem Hintergrund als problematisch.105 Treffender erscheint die Erfassung von physischer Mobilität und Standortwettbewerb mittels eines Clubmodells.106 Danach treffen Privatrechtssubjekte nicht die Wahl zwischen verschiedenen institutionellen Produkten107, sondern ihre „Nachfrageentscheidungen“ beziehen sich auf den Austritt bzw. Eintritt in einen Club, der ein Gesamtpaket von Leistungen anbietet und die Nutzung von bestimmten Clubgütern wie bestimmten Institutionen ermöglicht bzw. vorschreibt. Straubhaar betrachtet die Staatsangehörigkeit als ökonomisch wertvolle und käufliche108 Clubmitgliedschaft.109 Das Clubmodell kann damit als spezifische Erweiterung des Tiebout-Modells um den Gedanken des Geldwertes einer Mitgliedschaft in einer Jurisdiktion verstanden werden. Bei entsprechender Mobilität und Zahlungsfähigkeit der Bürger würde das Konzept eines Gesellschaftsvertrags (pactum societatis)110 theoretisch für jeden Bürger Realität. Die Bürger könnten in diesem Fall frei entscheiden, in welchem Staat sie jeweils ansässig sein möchten, und damit auch darüber entscheiden, durch welche staatliche Regulierungen sie jeweils belastet werden bzw. durch welche staatliche Regulierungen sie jeweils profitieren111.
105
Anders: Meessen, Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 7: Recht wird im Rahmen des Standortwettbewerbs zu einem „selbständigen Produkt, wenn es von Staaten oder supranationalen Organisationen, wie der Europäischen Union, Unternehmen als Paket wirtschaftsrechtlicher Rahmenbedingungen angeboten wird, um die Lokalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten, insbesondere die Standortwahl zu beeinflussen“. 106 Vgl. Buchanan, An Economic Theory of Clubs, Economica 1965, S. 1 – 14. Zusammenfassend zur Clubtheorie: Semm-Gregory, Europas als ein Club voller Clubs, S. 23 ff. 107 Romano, Law as a Product: Some Pieces of the Incorporation Puzzle, Journal of Law, Economics, and Organization 1(2) (1985), S. 361 – 283. 108 Vgl. Walter, Der Bürgerstatus im Lichte von Migration und europäischer Integration, in: Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 72 (2013), S. 7, 9: „Die Staatsangehörigkeit prägt heute die Lebenschancen eines Individuums in ganz ähnlicher Weise wie früher die Geburt in einem bestimmten Stand“. 109 Vgl. Straubhaar, Migration als Herausforderung liberaler Regeln, in: Liberale Grundrisse einer zukunftsfähigen Gesellschaft, S. 267 – 283; Straubhaar, Migration im 21. Jahrhundert, S. 77 ff. 110 Vgl. Benz, Der Moderne Staat, S. 59 ff.; Brandt/Herb (Hrsg.), Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts; Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 201 – 218; Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, S. 62 – 69; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 48 – 51; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 15 II S. 92; Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 33 – 45; Hoffmann, Die klassische Lehre vom Herrschaftsvertrag und der „Neo-Kontraktualismus“, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 257 – 277; Homann, Moderne Vertragstheorie, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 279 – 285. 111 Vgl. zu einem solchen Ansatz: § 17 B. II.
180
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Diese Modellierung findet in jüngster Zeit Bestätigung durch den „Verkauf“ von Aufenthaltsrechten“ an reiche Ausländer durch einige EU-Mitgliedstaaten wie Griechenland112, Lettland113, Portugal114, Spanien115 und Zypern116.117 An den „Verkauf“ von Aufenthaltserlaubnissen zeigt sich zugleich die Problematik des Clubmodells, sofern es auch normativ verstanden wird, denn entscheidend für die Möglichkeit des „Kaufes“ einer Aufenthaltserlaubnis ist allein die Verfügbarkeit von Geld seitens der Interessenten.118 Vor dem Hintergrund eines Country-of-Origin Effekts119 gehen Haucap/Wey davon aus, dass Produzenten hoch-qualitativer Produkte bereit sein können, sich an einem Standort anzusiedeln, der über Kostennachteile verfügt, wenn diese Standortwahl auf dem Markt ein qualitativ hochwertiges Produktangebot signalisieren kann.120 Standortwahl kann aus dieser Perspektive ein Instrument zur Signalisierung des Angebotes einer hohen Qualität darstellen.121 Es kommt dabei zur Ausnutzung von Reputationseffekten des jeweiligen Standortes bzw. der Herkunftslandbezeichnung. Haucap/Wrey bezeichnen die Beziehung zwischen Unternehmen und Staaten in diesem Zusammenhang als Franchise-Beziehung,122 weil der jeweilige Produzent mit einer Ansiedlung in dem betreffenden Staat die Berechtigung zur Führung der entsprechenden Herkunftslandangabe (die eine Art Marke darstellt123) erhält.124 112 Hecking, Reiche willkommen, Arme müssen draußen bleiben, http://www.spiegel.de/po litik/ausland/eu-reiche-duerfen-in-schengenraum-arme-bleiben-draussen-a-926126.html. 113 http://liveriga.com/de/2449-investoren-wird-in-lettland-eine. 114 Wieland, Chinesen lieben Portugals „goldenes Visum“, http://www.faz.net/aktuell/wirt schaft/wirtschaftspolitik/das-goldene-visum-wird-portugals-verkaufsschlager-13108347.html. 115 Naumann, Biete Schrottimmobilie mit Aufenthaltserlaubnis, http://www.dw.de/bieteschrottimmobilie-mit-aufenthaltserlaubnis/a-16401864. 116 O. V., Her mit den Chinesen!, http://www.taz.de/!140719/. 117 Vgl. Pechstein, Ist die Unionsbürgerschaft käuflich?, Frankfurter Newsletter zum Recht der Europäischen Union. 118 Vgl. Hecking, Reiche willkommen, Arme müssen draußen bleiben, http://www.spie gel.de/politik/ausland/eu-reiche-duerfen-in-schengenraum-arme-bleiben-draussen-a-92612 6.html; Rötzer, Wer bietet weniger für eine Aufenthaltserlaubnis in der EU?, http://www.heise. de/tp/artikel/39/39829/1.html. 119 Vgl. R. G. Hirschmann, „Made in Germany“ – Rolle und Bedeutung aus deutscher Sicht, in: „Made in Germany“. Deutsche Qualität auf dem Prüfstand, S. 7 – 16; Brändle/Caprarese/ Gachet/Merki/Waeber, Exportindustrie Schweiz – Erfolgsfaktoren und Ausblick, S. 13 ff. 120 Haucap/Wey, Standortwahl als Franchisingproblem, JNPÖ 18 (1999), S. 311, 315. 121 Zum Signalling vgl. Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 302 – 305. 122 Zu den Merkmalen von Franchisesystemen, Hempelmann, Optimales Franchising, S. 3; Skaupy, § 3. Arten des Franchising, in: Praxishandbuch Franchising, S. 9 – 14; Giesler/Nauschütt, Einleitung, in: Franchiserecht, S. 1, 15 ff.; Skaupy, Zu den Begriffen „Franchise“, „Franchisevereinbarungen“ und „Franchising“, NJW 1992, S. 1785 – 1790. 123 Nebel/Schulz/Wessels, Das Franchise-System, S. 66 ff.; Hempelmann, Optimales Franchising, S. 7.
B. Systemwettbewerb infolge von physischer Mobilität
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Problematisch ist jedoch, dass die Verwendung von Herkunftslandbezeichnungen wie die Herkunftslandbezeichnung „Made in Germany“ als „Marke“125 nicht hinreichend geschützt sind.126 Grenzen der Verwendung der Bezeichnung „Made in Germany“ ergeben sich allenfalls aus dem Lauterkeitsrecht.127 Der Ansatz von Haucap/Wey ist geeignet, zu der Modellierung eines möglichen Standortwettbewerbs bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips beizutragen. Der Ansatz von Haucap/Wey ist insofern weiter, als das Modell eines funktionsfähigen Systemwettbewerbs, weil sich dieses Modell nicht auf regulatorische Unterschiede beschränkt, sondern insgesamt auf den Ruf einer Herkunftslandbezeichnung abstellt, die gerade auch durch das unternehmerische Engagement der in dem betreffenden Staat ansässigen Anbieter geprägt ist und nicht unmittelbar regulierungsbedingt ist. Genannt sei in diesem Zusammenhang der Ruf von Maschinen „Made in Germany“ in der Welt. Das Franchise-Modell kann zudem die Notwendigkeit eines Vertrauens zwischen dem investierenden Unternehmen (also dem „Franchisenehmer“ und dem Staat als „Franchisegeber“) veranschaulichen.128 Der Franchievertrag wird dabei jedoch nicht rechtlich verbindlich geschlossen und insbesondere nicht mit einer bestimmten Laufzeit, jedoch hat das tatsächlich vorhandene Vertrauen auf Seiten des Investors ähnlich stark wie eine rechtlich durchsetzbare Verpflichtung zu sein129. 124 Vgl. auch: G. Berg, Die geografische Herkunftslandangabe – ein Konkurrent für die Marke?, GRUR Int. 1996, S. 425 – 432. 125 Hempelmann, Optimales Franchising, S. 7. 126 Vgl. Haucap/Wey, „Made in Germany“: Ein Markenname benötigt Markenschutz, Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 100 (2/2004), S. 39 – 42; Lieser, Von „Made in Germany“ zu „Made for Germany“: Was wird aus der Deutschland AG?, in: Turbulenzen in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Was bleibt von der deutschen wirtschaftlichen Identität?, S. 97, 97, 100 ff.; In den USA gelten strenge Vorgaben, wann die Voraussetzungen für eine Bezeichnung als „made in USA“ erfüllt sind (Lieser, Von „Made in Germany“ zu „Made for Germany“: Was wird aus der Deutschland AG?, in: Turbulenzen in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Was bleibt von der deutschen wirtschaftlichen Identität?, S. 97, 103). Zur Bedeutung des Schutzes der Marke in Franchise-Systemen: Nebel/ Schulz/Wessels, Das Franchise-System, S. 68 ff. 127 Vgl. BGH, Urteil vom 23. 03. 1973, Az. I ZR 33/72, GRUR 1973, 594 – 598 mit Anmerkung von Falck; OLG Hamm, Urteil vom 20. 11. 2012, Az. I-4 U 95/12 (abrufbar unter: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2012/I_4_U_95_12_Urteil_20121120.html); Bornkamm, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 5 UWG Rn. 4.84; Lindacher, in: Großkommentar UWG, § 3 Rn. 575; Lehmann, Die wettbewerbswidrige Ausnutzung und Beeinträchtigung des guten Rufs bekannter Marken, Namen und Herkunftsangaben, Die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland, GRUR Int. 1986, S. 6, 11 f. Es besteht ein Schutz geografischer Herkunftslandangaben nach §§ 126 ff. MarkenG (Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 5 UWG Rn. 4.203). 128 Vgl. Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 145 ff.; Himmelmann, Rechtssicherheit bei Direktinvestitionen in der VR China am Beispiel der Automobilindustrie. 129 Vgl. Pies, Normative Institutionenökonomik: Programm, Methode und Anwendungen auf den europäischen Integrationsprozeß, in: Probleme der deutschen und europäischen Integration: Institutionenökonomische Analysen, S. 1, 14.
182
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Eine clubtheoretische Modellierung bietet gegenüber dem Bild von Recht als Produkt folgende Vorteile: Erstens wird die Bündelung einzelner Institutionen in „Leistungs-Steuerpakete“ besser erfasst. Ein Clubmodell öffnet zweitens den Blick auf Prozesse kollektiver Entscheidung in Form von Vorstandsbeschlüssen oder den Beschlüssen einer Mitgliederversammlung als „Miniatur-Gesetzgeber“. Ein systemwettbewerbliches Clubmodell kann drittens verdeutlichen, dass Staaten bzw. dessen Regierungen130 im Interesse ihrer „Mitglieder“ bestrebt sind, bestimmte Faktoren anzuziehen, wobei es heute weniger um die Anziehung einer optimalen Mitgliederzahl131, sondern vor allem um die Anziehung von Kaufkraftkapital132 und Investitionskapital geht.
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität I. Senkung von Transaktionskosten und Entbündelung von „Leistungs-Steuerpaketen“ infolge nicht-physischer Mobilität Infolge der Einräumung von nicht-physischer Mobilität, z. B. in Form von kollisionsrechtlicher Rechtswahlfreiheit im internationalen Vertragsrecht, im Rahmen des Modells von functional overlapping competing jurisdictions133 oder im Fall von Wahlmöglichkeiten von Nachfragern zwischen unterschiedlich regulierten Waren und Dienstleistungen bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips er-
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Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 7. Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416, 419. Zu einem Wettbewerb der Staaten, der auf eine Abwehr von Asylbewerbern gerichtet ist: Barbou des Places, Taking Legal Rules into Consideration: EU Asylum Policy and Regulatory Competition, Journal of Public Policy 24(1), S. 75 – 98; Barbou des Places/Deffaines, Cooperation in the shadow of regulatory competition: the case of asylum legislation in Europe, International Review of Law and Economics 23(4) (2003), S. 345 – 364. In Bezug auf den Zugang von Personen aus anderen Mitgliedstaaten auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen: Raschka, Freizügigkeit von Unionsbürgern und Zugang zu sozialen Leistungen, EuR 2013, S. 116 – 126. 132 Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 23 f., 32 ff. 133 Frey/Eichenberger, Competition among Jurisdictions: The Idea of FOCJ, in: Competition among Institutions, S. 209 – 229; Eichenberger, Eine „fünfte Freiheit“ für Europa: Stärkung des politischen Wettbewerbs durch „FOCJ“, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 45 (1996), 110 – 131; Casella/Frey, Federalism and Clubs. Towards an Economic Theory of Overlapping Political Jurisdictions, European Economic Review 36 (1992), S. 639 – 646. 131
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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folgt eine entscheidende Senkung von Transaktionskosten134 gegenüber einer Situation physischer Mobilität, da die Verwirklichung institutionelle Mobilität nicht länger an physische Zu- und Abwanderung gebunden ist und deswegen Kosten zur Wahrnehmung von Mobilität reduziert werden. Im Fall nicht-physischer institutioneller Mobilität bestehen Transaktionskosten im Wesentlichen aus Informationskosten.135 Die Einräumung nicht-physischer Mobilität bewirkt eine (teilweise) Entbündelung von „Leistungs-Steuerpaketen“.136 Einzelne Bestandteile einer Rechtsordnung im Sinne von rechtlichen Systemprodukten137 als Bestandteile eines Gesamtsystems werden auf dem Markt für Recht138 verfügbar.139 Die Entbündelung bewirkt aus Sicht der Befürworter von Systemwettbewerb präferenzkonformere Wahlmöglichkeiten, indem Nachfrager nach „institutionellen Arrangements“ einzelne Systembestandteile unterschiedlicher Staaten kombinieren können140 und sich ihr „Regelungsregime bauen können“. Im Fall von Rechtswahlfreiheit ist eine direkte Wahl von Institutionen möglich. Gerade im Fall von (faktischer141) Rechtswahlfreiheit kann aufgrund der erfolgenden Entbündelung Recht als „Produkt“ charakterisiert werden.142 Für den Grad der 134 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 60 f. 135 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16. 136 Vgl. Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 174; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 13; Barnard/Deakin, Market Access and Regulatory Competition, Jean Monnet Working Paper 9/01, S. 10. 137 Meessen, Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 24. 138 O’Hara/Ribstein, The Law Market. 139 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16. 140 Ablehnend: Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39, 43. 141 Faktische Rechtswahlfreiheit bezeichnet eine Situation, in ein Recht indirekt über die Wahl eines bestimmten Anknüpfungspunktes gewählt wird. Ein frühes Beispiel einer faktischen Rechtswahlfreiheit stammt aus dem ptolemäischen Ägypten unter dem System personaler Rechte. Dort bestimmte eine Verordnung, dass sich das anwendbare Recht nach der Sprache bestimmt, in der die Vertragsurkunde abgefasst ist. Durch die Wahl der Sprache konnten die Parteien infolgedessen das Recht bestimmen, das die Rechtsbeziehung beherrschen sollte (Wicki, Zur Dogmengeschichte der Parteiautonomie im Internationalen Privatrecht, S. 1 ff.). Zum Teil wurde vertreten, dass Parteien im internationalen Vertragsrecht nicht über eine Rechtswahlfreiheit verfügen, sondern lediglich die Freiheit besitzen, den Vertrag „räumlich einordnen“, indem sie Anknüpfungen wie den Erfüllungsort bestimmen (Mincke, Die Parteiautonomie: Rechtswahl oder Ortswahl?, IPRax 1985, S. 313, 316 f.). Auch in diesem Fall könnte von einer faktischen Rechtswahlfreiheit gesprochen werden. 142 Vgl. Romano, Law as a Product: Some Pieces of the Incorporation Puzzle, Journal of Law, Economics, and Organization 1(2) (1985), S. 361 – 383; Epstein, Exit Rights under Fe-
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Entbündelung ist entscheidend, inwieweit Rechtswahlfreiheit die Aufspaltung der Ordnungsrahmen in einzelne Teile erlaubt also Rechtswahlmöglichkeiten einzelner Teile von Rechtsordnungen bzw. einzelne Teile bestimmter Regelungsbereiche zulässt.143 Mit der Wahl zwischen unterschiedlich regulierten Waren und Dienstleistungen bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips kann indirekt die Wahl eines Regulierungssystems verbunden sein.144 Regulierungen stellen in dieser Situation dann ein Produkt dar, wenn diese die entsprechenden Waren oder Dienstleistungen entscheidend prägen. Dies kann insbesondere im Fall von hochregulierten Dienstleistungen der Fall sein.145 Aufgrund der Stärkung von Möglichkeiten einer Regulierungsarbitrage infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität ergibt sich ein weiter Freiheitsraumes für Privatrechtssubjekte und die Chance eines intensiveren Systemwettbewerbs. Gleichzeitig besteht die Gefahr eines Verlustes staatlicher Steuerungsmöglichkeiten im Sinne der Durchsetzung von Regulierungen zur Verwirklichung des Gemeinwohls und eines „race to the bottom“. Ob eine Situation physischer oder nicht-physischer Mobilität vorliegt, ist keineswegs naturgesetzlich vorgegeben. Voraussetzung für das Bestehen nicht-physischer institutioneller Mobilität wie Rechtswahlfreiheit ist im Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierungen deren Verankerung in einem zwischenstaatlichen oder supranationalem Ordnungsrahmen. Die Voraussetzungen der Gewährung nicht-physischer institutioneller Mobilität im deralism, Law and Contemporary Problems 55 (1992), S. 147, 165: „Exit rights are to federalism as the right to reject defective goods is to the law of sales“; Reversz, Rehabilitating interstate competition: Rethinking the „race-to-the-bottom“ Rationale for Federal Environmental Regulation, New York University Law Review 67 (1992), S. 1210, 1234: „If one believes that competition among sellers of widgets is socially desirable, why is competition among sellers of location rights socially undesirable?“; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 15; Meessen, Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 7: „Wirtschaftsrecht kann als Wirtschaftsgut verstanden werden. So ist Wirtschaftsrecht stets Bestandteil der von Unternehmen angebotenen Waren- und Dienstleistungen“. Die Idee, Regulierung als Art Produkt zu betrachten, was Gegenstand von Angebot und Nachfrage ist wurde zuerst von Stigler (Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2 (1971), S. 3 – 21) beschrieben (Behrens, Economic Law Between Harmonization and Competition: The Law & Economics Approach, in: Economic Law as an Economic Good, S. 45, 49 Fn. 10). 143 Zum Internationalen Vertragsrecht: Martiny, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 3 Rom I-VO Rn. 70; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 52 II, S. 462 f.; Rauscher, Internationales Privatrecht, § 10 Rn. 1088 – 1090, S. 250; Windmöller, Die Vertragsspaltung des Internationalen Privatrecht des EGBGB und des EGVVG. 144 Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 13 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 13. 145 Vgl. Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, Die Privatversicherung und ihre rechtliche Gestaltung.
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierungen ist grundsätzlich anspruchsvoll, da die Einräumung nicht-physischer Mobilität freiwillig ist und institutionelle Mobilität staatliche Interessen berührt.146 Ein möglicher aus institutioneller Mobilität erwachsender rechtspolitischer Druck auf die Ausgestaltung nationalen Rechts beeinflusst schon die Schaffung der Ordnungsregeln.147 Im Internationalen Privatrecht wird Rechtswahlfreiheit (Parteiautonomie148)149 hingegen auch auf autonomer Grundlage gewährt150. Hintergrund ist die nach klassischem Verständnis des Internationalen Privatrechts geringe Bedeutung staatlicher Regelungsinteressen151.
146 S. K. Schmidt verzeichnet infolge des europarechtlichen Herkunftslandprinzips einen „horizonale[n] Souveränitätstransfer“ (S. K. Schmidt, Notwendigerweise unvollkommen: Strukturprobleme des Europäischen Binnenmarktes, Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 3(2) (2005), S. 185, 190). Deswegen ist das Herkunftslandprinzip ein sehr voraussetzungsvolles Integrationsprinzip (S. K. Schmidt, Notwendigerweise unvollkommen: Strukturprobleme des Europäischen Binnenmarktes, Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 3(2) (2005), S. 185, 191; Nicolaïdis, Trusting the Poles? Constructing Europe through mutual recognition, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 682, 685: „The conflictual nature of mutual recognition should come as no surprise […]. This is a janus-faced norm, usually handed as the ,easy option‘ and yet the hardest of all“; Pelkmans, Mutual Recognition in goods. On promises and disillusions, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 699, 699: „MR is a demanding form of ,governance‘“; Héritier, Mutual recognition: comparing policey areas, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 800, 804; Sykes, Regulatory Competition or Regulatory Harmonization? A silly question?, Journal of International Economic Law 2000, S. 257, 262, 263). 147 Vgl. Teil 1 § 3 B. II. 148 Privatautonomie bezeichnet die Freiheit, den Inhalt des Rechtsgeschäfts zu bestimmen. Es handelt sich um eine materiellrechtliche Freiheit; Parteiautonomie bedeutet hingegen, die Freiheit, die für das Rechtsverhältnis maßgebende Rechtsordnung zu wählen. Es handelt sich um kollisionsrechtliche Freiheit (Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts, § 28 I, S. 366; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, § 15 I, S. 213). 149 Zur Rechtswahlfreiheit im Internationalen Privatrecht: Rühl, Rechtswahlfreiheit im europäischen Kollisionsrecht, in: FS Kropholler, S. 187 – 209. 150 Die Rechtswahlfreiheit war auch vor Abschluss des EVÜ in den Vertragsstaaten anerkannt (Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von Herrn Mario Giuliano und Herrn Paul Lagarde, in: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, BT-Drs. 10/503, 20. 10. 1983, S. 47 f.). Zur Koordination von Privatrechtsordnungen mittels des Internationalen Privatrechts: Teil 1 § 3 B. 151 Vgl. K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 218; Sailer, Einige Grundfragen zum Einfluss zwingender Normen, insbesondere der Wirtschaftsgesetzgebung, auf die inhaltliche Gültigkeit international-privatrechtlicher Verträge, S. 13. Vgl. Teil 1 § 3 B. I.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
II. Modelle von Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip 1. Entwicklungsgeschichte der Modellbildung Von ökonomischer Seite wurde ein Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip bereits in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Binnenmarktprogramm der Kommission152 beschrieben,153 wobei zunächst eine neoklassische Betrachtung vorherrschte154. Bemerkenswert ist, dass erst die politische Diskussion über das Herkunftslandprinzip als Integrationsinstrument zu einer ökonomischen Diskussion über die systemwettbewerblichen Folgen des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung führte; allein die Entscheidung Cassis de Dijon und die damit in Zusammenhang stehende Mitteilung der Kommission hatte diese Anstoßwirkung nicht.
152 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985. 153 Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 59 ff. Vgl. Padoa-Schioppa, Efficiency, Stability, and Equity, A Strategy for the Evolution of the Economic System of the European Community, A Report, S. 8: „the Group strongly welcomes the introduction of the mutual recognition principle to lower costs of harmonization, and feels that this principle can be extended further by taking a more positive view of ,competition among rules‘“ 37, 61; Giersch, Liberalisation for Faster Economic Growth, S. 20 (kritisch zur Vereinheitlichung technischer Normen mittels der „neuen Konzeption“); Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7 – 20; Siebert/Koop, Institutional Competition. A Concept for Europe?, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 439 – 462; Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53 – 75; Dicke, Harmonisierung durch Wettbewerb oder Absprache?, S. 37 f.; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren, S. 54, 57; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 459 – 476. Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive: Everling, Probleme der Rechtsangleichung zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes, FS Steindorff 1990, S. 1155, 1171 f.; Institut für deutsches, europäisches und internationales Wirtschaftsrecht der Universität Bielefeld, (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme; Grabitz, Über die Verfassung des Binnenmarktes, in: FS Steindorff 1990, S. 1229, 1240 ff.; Götz, Auf dem Weg zur Rechtseinheit in Europa?, JZ 1988, S. 596, 598; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463 – 476; R. Schmidt, Wettbewerb der Leistungen oder Wettbewerb der Rechtsordnungen, VW 1976, 1114. 154 Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 64 ff. Vgl. Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7 – 20; Siebert/Koop, Institutional Competition. A Concept for Europe?, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 439 – 462; Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53 – 75; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463 – 476.
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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Ab Mitte der 1990er Jahre wurde die evolutorische Systemwettbewerbstheorie entwickelt,155 die vor allem verbunden ist mit Manfred E. Streit156 und dem Jenaer Max-Planck-Institut, an dem Streit Direktor war. Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip ist heute in der deutschsprachigen ökonomischen Literatur der am meisten diskutierte Systemwettbewerb,157 während aus Sicht der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur der Wettbewerb der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts und mögliche Parallelentwicklungen in Europa im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen158. 2. Modell eines funktionierenden Systemwettbewerbs infolge des europarechtlichen Herkunftslandprinzips Im Folgenden geht es um die Beschreibung eines funktionierenden Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip. Zugrundegelegt wird die Modellierung seitens der Befürworter eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip. Zu unterscheiden ist zwischen gesetzgeberischer Aktivität vermittelt über Nachfrageentscheidungen nach Waren und Dienstleistungen und vermittelt über Standortentscheidungen der Anbieter von Waren und Dienstleistungen.159 155 Zum evolutorischen Ansatz: Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 222 ff. 156 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13 – 48 (wohl der am weitesten entwickelte Beitrag von Streit); Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75 – 107; Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, Freiburgs Botschaft für ein offenes Europa, S. 11 – 22. 157 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11 – 22, 13 ff.; Siebert, Weltwirtschaft, S. 188: „Das schönste Beispiel für institutionellen Wettbewerb ist nach wie vor der Cassis de Dijon. […] Über die Anerkennung des Ursprungslandprinzips kommt automatisch ein institutioneller Wettbewerb zustande“. 158 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 106 ff.; Merkt, Das Europäische Gesellschaft und die Idee des „Wettbewerbs der Gesetzgeber“, RabelsZ 59 (1995), S. 545, 554 ff.; Pipkorn/Bardenhewer-Rating, von der Groeben/ Schwarze, EUV/EGV, Artikel 96 EG Rn. 13. 159 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 13; Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition – Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66, 75, 76 ff. (Nachfragewettbewerb), 82 ff. (Standortwettbewerb); Pelkmans, Mutual Recognition on Goods and Services: An Economic Perspective, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 85, 114; Behrens, Economic Law Between Harmonization and Competition: The Law & Economics Approach, in: Economic Law as an Economic Good, S. 45, 53; Meessen, Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 7; Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 32 ff.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
a) Systemwettbewerb vermittelt über Nachfrageentscheidungen nach Waren und Dienstleistungen aa) Regulierungen als Wettbewerbsparameter Grundlage eines Systemwettbewerbs vermittelt über Nachfrageentscheidungen sind die Wahlmöglichkeiten der Nachfrager in Bezug auf Waren und Dienstleistungen aus unterschiedlichen Mitgliedsstaaten, wobei diese unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regulierungen unterliegen.160 Es wird allgemein angenommen, dass mit der Nachfrageentscheidung zugleich ein Urteil über die mitgliedstaatlichen Regulierungen erfolgt.161 Mit anderen Worten entscheiden die Inländer mit ihrer Produktwahl (bei Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung) zugleich über die der Waren und Dienstleistungen zugrundeliegenden Regulierung: „Systemwettbewerb kann auch unmittelbar durch den grenzüberschreitenden Handel mit Gütern und Diensten (Produkten) ausgelöst werden. Das ist möglich, wenn Inländer zwischen Produkten wählen können, die unter Befolgung unterschiedlicher nationaler Regulierungen in den Verkehr gebracht wurden. Eine solche Wahl setzt voraus, daß das Importland ausländische Regulierung anerkennt. In diesem Fall entscheiden die Inländer mit ihrer Produktwahl de facto zugleich über die Regulierung, welche die Produkte in ihrer Beschaffenheit mitprägt“.162 „Wählt der Verbraucher zum Beispiel ein italienisches Produkt, so entscheidet er sich damit inzident auch für die italienische Regulierung der Herstellung und damit für die dort eingeführten Produktstandards“.163
160 Streit/Mussler, Wettbewerb de Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 77; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463, 466; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 57. 161 Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 13 f.; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 225; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523; Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 10, S. 15; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 459, 466; Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 401 f.; Behrens, Economic Law Between Harmonization and Competition: The Law & Economics Approach, in: Economic Law as an Economic Good, S. 45, 53. 162 Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozess, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 225; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523. 163 Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliefdstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 401 – Bei den Autoren handelt es sich um Juristen.
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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Es wird eine Bedeutung von Regulierungsunterschieden auf dem Markt für Waren und Dienstleistungen und die Kompetenz der Nachfrager zur Auswahl von Waren und Dienstleistungen unter dem Gesichtspunkt der maßgebenden Regulierung weitgehend unterstellt164 : „Es ist zu vermuten, daß die Konsumenten (mehr oder minder zutreffende) Einschätzungen über die Qualität der Produktregulierungen der verschiedenen Mitgliedstaaten vornehmen […] und diese in ihre Kaufentscheidung bzgl. der Produkte verschiedener Unternehmen aus unterschiedlichen Herkunftsländern einfließen lassen“.165
Anspruchsvolle mitgliedstaatliche Regulierungen stellen, soweit sie den Präferenzen der Nachfrager entsprechen, einen Wettbewerbsvorteil dar166. Als Beispiel einer solchen Rückkopplung zwischen Marktposition und einem anspruchsvolleren Regulierungsniveau dient oftmals das deutsche Reinheitsgebot für Bier.167 bb) Grundsätzlich fehlende Erörterung von Wissensproblemen auf Seiten der Nachfrager Vereinzelt werden mögliche Informationsprobleme der Nachfrager in Bezug auf die Erkennbarkeit von Regulierungsunterschieden angesprochen.168 Nach Streit sind endogene Grenzen von Systemwettbewerb unter anderem „in den realen Funktionsbedingungen (insbesondere Informations- und Mobilitätsbeschränkungen)“ zu suchen.169 Einfache Antworten auf die sich in der Diskussion um Systemwettbewerb im technischen Sinn stellenden Fragen sind nach Streit nur möglich, wenn unter anderem „das Wissensproblem der ökonomischen und politischen Wettbewerber unterschätzt“ wird,170 womit Wissensprobleme der im Wettbewerb stehenden Ak164
Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7, 11; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozess, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 225; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523. 165 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 90. 166 Vgl. Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463, 469. 167 Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 96, 98 f. 168 Vgl. Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren, – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 59; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 231; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 40 (Schaubild). 169 Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 231. 170 Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 231.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
teure und Staaten angedeutet werden. Eine weitere Erörterung der Wissensprobleme erfolgt jedoch auch seitens von Streit nicht; vielmehr erfahren mögliche Pfadabhängigkeiten und Konsistenzerfordernisse als endogene Grenzen von Systemwettbewerb eine ausführlichere Erörterung.171 Streit sieht in der Möglichkeit eines Versagens des Systemwettbewerbs „allenfalls eine entfernte Möglichkeit“,172 so dass Informationsasymmetrien nach Streit nicht das entscheidende Problem eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip darstellen. Der Bedarf einer Mindestharmonisierung wird vor diesem Hintergrund aus Sicht der Theorie eines funktionierenden Systemwettbewerbs sehr eng gefasst.173 cc) Annahme eines schrankenlosen Herkunftslandprinzips Mögliche Wissensprobleme der Nachfrager bei Zugrundelegung der Modellannahmen werden noch dadurch verschärft, dass die Modelle weitgehend ein schrankenloses Herkunftslandprinzip174 zugrundelegen: „Was im Ursprungsland in Bezug auf ein Gut oder eine Leistung rechtens ist, bleibt rechtens auch beim Grenzübertritt in das Bestimmungsland. Man verfährt so, als ob der Nachfrager sich in ein anderes Rechtssystem begibt, wie er es als Tourist ohnehin tut, um – sagen wir – ein Gebräu zu geniessen, das nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot entstanden ist. So bleibt es dem Bürger der Bundesrepublik nach dieser Regel unbenommen, einen Versicherungsvertrag mit einer Gesellschaft abzuschließen, die nicht der (strengen und daher auch teuren) deutschen Versicherungsaufsicht unterliegt. Der Staat mag inländischen Produzenten nach wie vor Beschränkungen auferlegen, aber er darf diese nicht zugleich zum Einfuhrhemmnis erklären“.175
Nach Gerken relativiert das „Ursprungslandprinzip“176 den Schutzzweck von Vorschriften zum Schutz dritter Personen 171 Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232 f. 172 Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 235. 173 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 221 f.; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren, – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 61. 174 Pelkmans spricht von „pure mutual recognition“ (Pelkmans, Mutual Recognition: rationale, logic and application in the EU internal goods market, in: Ökonomische Analyse des Europarechts, S. 341, 341). 175 Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7, 11. Vgl. auch: Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53, 56. 176 Gerken spricht von Ursprungslandprinzip. Gerken meint ausdrücklich das primärrechtliche Herkunftslandprinzip und spricht nicht etwa von einem fiktiven Herkunftslandprinzip (vgl. Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 406, 406).
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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„indem es Schutz nur vor Gefahren gewährt, die von inländischen Gütern ausgehen, nicht jedoch vor Gefahren, die von Importprodukten ausgehen. Im Hinblick auf den Schutzzweck ist dies in hohem Maße problematisch“.177
Nach Streit/Mussler folgen aus der Anwendung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips Risiken aufgrund ungenügender Regulierungsanforderungen, z. B. in Form von Schädigungen Dritter infolge des Gebrauchs eines bestimmten Produktes aus einem anderen Mitgliedstaat im Inland.178 Dennoch wird überwiegend von einem Selbstschutz der Nachfrager mittels einer sachverständigen Wahl eines geeigneten Regulierungsniveaus ausgegangen. Entgegen der überwiegenden Darstellung werden jedoch in einzelnen Beiträgen die Schranken des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips angesprochen.179 Kerber/Van den Bergh sprechen die für die Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung bestehende Voraussetzung einer Gleichwertigkeit mitgliedstaatlicher Regulierungsanforderungen an und sehen vor dem Hintergrund des Gleichwertigkeitserfordernisses kaum einen Raum für eine Unterschiedlichkeit von Regulierungen im Anwendungsbereich des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung.180 Eine Erwähnung der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung erfolgt auch bei Winkler.181 Die grundsätzlich fehlende Thematisierung der Schranken des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips überrascht, weil insbesondere Streit explizit exogene und endogene Grenzen eines Systemwettbewerbs vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip anspricht182 und deswegen eine Erörterung gerade der Schranken des europarechtlichen Herkunftslandprinzips als exogene Grenzen des Systemwettbewerbs – die der EuGH gerade in der Cassis-Entscheidung in besonderer Weise hervorgehoben hat – naheliegt.
177 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 406, 421. 178 Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 85. 179 Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 125 Fn. 21; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 459, 460; Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61 (3) (2008), S. 447, 452. 180 Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 455. 181 Vgl. Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 105 – 107. 182 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 228 ff.; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 526 ff.
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dd) Staatliche Responsivität Der wettbewerbliche Erfolg inländischer Unternehmen auf dem inländischen und den ausländischen Märkten zeitigt Rückwirkungen auf die Gestalt nationaler Regulierungen. Der Gesetzgeber passt aufgrund von Wanderungen von Kaufkraftkapital183 einzelstaatliche Regulierungen an, um deren Attraktivität für Nachfrager zu erhöhen.184 Dabei bestehen spezifische Wissensprobleme seitens der politischen Akteure hinsichtlich der Politikgestaltung.185 b) Systemwettbewerb vermittelt über die Standortentscheidungen der Anbieter Neben dem beschriebenen Systemwettbewerb vermittelt über Nachfrageentscheidungen tritt ein Systemwettbewerb vermittelt über die Standortentscheidungen von Unternehmen, wenn die Regulierungen, die unter das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung fallen, Auswirkungen auf den Markterfolg von Produkten besitzen186: „Bei Geltung des Ursprungslandprinzips lassen sich kostensteigernde Prozeß- und Produktregulierungen im nationalen Alleingang nicht durchsetzen. Hier kommt es zu einer Abwanderung des mobilen Kapitals in die weniger stark regulierten Länder und/oder zu einer verstärkten Nachfrage solcher Produkte, die in den weniger stark regulierten Ländern kostengünstiger hergestellt wurden“.187 „Das Herkunftslandprinzip droht einen Standortwettbewerb auszulösen und lädt die beweglichen Unternehmen zum place of business shopping nachgerade ein“.188
183 Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 23 f., 34 ff. 184 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 14; Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 13 f. 185 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 17. 186 Vgl. Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion, S. 53, 56; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 57; Kerber, Wettbewerbsföderalismus als Integrationskonzept für die Europäische Union, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4(1) (2003), S. 43, 44 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 114. 187 Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 22. Vgl. auch: Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 21. 188 Mankowski, Das Herkunftslandprinzip als Internationales Privatrecht der e-commerceRichtlinie, ZVglRWiss 100 (2001), S. 137, 159.
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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„Möglich ist aber auch eine Abwanderung von Inländern durch Produktionsverlagerungen in Regulierungsregime, die unter den vorherrschenden Bedingungen insgesamt günstiger beurteilt werden“.189
Standortverlagerungen bzw. die Drohung mit Standortverlagerungen können zu staatlichen Maßnahmen führen und insbesondere zu einer Verbesserung der Attraktivität der Waren- und Dienstleistungsregulierung für deren Anbieter.190 3. Selektionsmodell von H.-W. Sinn Ein Gegenmodell zu der Modellierung eines funktionierenden Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzips liefert der Münchener Ökonom H.-W. Sinn mit seinem neoklassischen Selektionsmodell.191 Nach dem von H.-W. Sinn zugrunde gelegten „Selektionsprinzip“ haben Regierungen Regulierungen ausschließlich zur Bekämpfung von Marktversagen geschaffen, womit Recht in idealer Weise auf die Bedürfnisse des Marktes abgestimmt ist.192 H.-W. Sinn geht damit vom Bild eines allwissenden und benevolenten Staates aus.193 Er beginnt seine Untersuchung zunächst mit Verweis auf die Entscheidung Cassis de Dijon und weiterer Parallelentscheidungen.194 Die Anwendung des „Ursprungslandprinzips“ bzw. „Cassis-de-Dijon-Prinzips“ führt nach H.-W. Sinn zu Problemen: Das Marktversagen, das mittels der einzel189 Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523; Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 13. 190 Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523; Mankowski, Rechtskultur, Eine rechtsvergleichend-anekdotische Annäherung an einen schwierigen und vielgesichtigen Begriff, JZ 2009, S. 321, 330: „Die Attraktivität für international tätige Finanzinvestoren, also für erwünschte Investionen aus dem Ausland, kann zu richtiggehenden beauty contests führen und dazu, dass sich Rechtsordnungen ,aufhübschen‘“. In Bezug auf den welthandelsrechtlichen Kontext: Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 44. 191 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9 – 60, insbesondere bezogen auf das Herkunftslandprinzip, S. 40 – 48; H.-W. Sinn, How much Europe?, Subsidiarity, Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85, 102 – 104; H.-W. Sinn, The Selection Principle and Market Failure in Systems Competition, Journal of Public Economics 66 (1997), S. 247 – 274, insbesondere bezogen auf das Herkunftslandprinzip, S. 264 – 270; H.-W. Sinn, The New Systems Competition, insbesondere bezogen auf das Herkunftslandprinzip, S. 135 – 149. Besprechung des Werkes „The New Systems Competition“: Feld, Marktversagen durch die Hintertür, FAZ, 03. 11. 2003, S. 14. 192 H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 6; H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 10. 193 Vgl. H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 11. 194 H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 135 f.; H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 40.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
staatlichen Regulierungen, die Gegenstand von Systemwettbewerb sind, bekämpft werden soll, trete nach H.-W. Sinn bei Geltung des Herkunftslandprinzips wieder auf, denn „[…] die Beurteilung der nationalen Standards wird dem Verbraucher ähnliche Probleme bereiten wie die Beurteilung der „Standards“ der einzelnen Produzenten“.195
Er spricht den Nachfragern jede Kompetenz einer vernünftigen Auswahl zwischen unterschiedlichen nationalen Regulierungen ab: „Die optimistische Annahme, daß die mündigen Verbraucher die nationalen Standards beurteilen können, widerspricht aber dem Selektionsprinzip. Wenn der Staat nur jene Güter und Produkteigenschaften reglementiert, die von einem Lemons-Problem betroffen sind, dann ist Vorsicht geboten, denn die Beurteilung der nationalen Standards wird den Verbrauchern ähnliche Probleme bereiten wie die Beurteilung der ,Standards‘ der einzelnen Produzenten. Im EG-Europa gibt es 15 Länder und deshalb pro Produkteigenschaft bis zu 15 Standards. Die Hoffnung, daß die Verwirrung der Verbraucher im internationalen Kontext sich nicht auf das internationale Wahlproblem überträgt, scheint bei den Eigenschaften, um die es geht, verwegen zu sein. Der Gehalt an Dioxan beim Haarwaschmittel, an Lysozym beim Käse, an Sorbinsäure bei Konserven und an Quillajaextrakt und Polyvinylpyrrolidon bei Getränken kann von einem normalen Verbraucher schwerlich auf seine Qualitätsimplikationen hin beurteilt werden. Der Verbraucher ist bei einem privaten Wettbewerb um solche Inhaltsstoffe überfordert und er ist gleichermaßen außerstande, sich unter den Standards einer großen Zahl von nationalen Regulierungsbehörden zurechtzufinden“.196
Ein Wettbewerb der Staaten leidet deswegen nach H.-W. Sinn „unter einem chronischen Marktversagen“197:
195 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 47. Vgl. auch Nagel, Kommentar zu Wolfgang Kerber/Klaus Heine – Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, Zur Gestaltung von MehrEbenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, Beispiel Europäische Union, in: Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 195, 197; Curti, Kommentar zu Thomas Apolte: Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics, 2007, Paper 9, S. 3. 196 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 47. Vgl. auch H.-W. Sinn, How much Europe?, Subsidiarity, Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85, 103 f. Auch Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie erkennen an, dass Systemwettbewerb nicht funktioniert, wenn politische Akteure Regulierungen schaffen, die notwendig sind, um Marktversagen zu bekämpfen. In diesem Fall gibt es nach Streit/Kiwit keine Argumente dafür, die politischen Akteure bzw. die Regulierungen einem Systemwettbewerb auszusetzen, denn „[i]n der besten aller Welten ist der Wohlstand […] durch Systemwettbewerb nicht mehr steigerungsfähig“ (Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettgewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 23). Die Vertreter betrachten derartige Regulierungen als Ausnahmefall (Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 13 Tz. 7). 197 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 10.
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„Wenn der Staat dort aktiv wird, wo der Markt versagt, dann kann man nicht hoffen, dass eine Wiedereinführung des Marktes durch die Hintertür des staatlichen Wettbewerbs Gutes verspricht. Es ist zu befürchten, daß auch der Wettbewerb auf der höheren, staatlichen Ebene versagt, weil dieselben Probleme, die den Staat ursprünglich auf den Plan riefen, erneut in Erscheinung treten“.198
H.-W. Sinn legt damit in seinem Modell implizit ein schrankenloses Herkunftslandprinzip zugrunde ,wie auch anhand folgender Aussagen deutlich wird: „Whenever a product has been legally produced in an EC country […], it can be exported without restrictions to any other country of the Community“.199 „Die Öffnung der Grenzen reduziert die Verantwortung der nationalen Regulierungsbehörden für die einheimische Bevölkerung. Einerseits gibt es keine Möglichkeit, die Importe zu regulieren, andererseits kommt die Schutzwirkung der Mindeststandards auch den Bewohnern anderer Länder zugute“.200 „A commodity that has been legally produced in one country which respects all the existing product regulations there can be freely exported to any other country in the community. The importing country cannot, in general, require its own product specifications to be met“.201
Da die regulierungsbedingte Qualität von Produkten für die Nachfrager nicht erkennbar sei, wähle eine „profitmaximinierende nationale Regulierungsbehörde“ eine Regulierung auf niedrigem Niveau: „Sie entscheidet sich genauso, wie es die privaten Unternehmen täten, denn sie agiert nur noch als Handlanger dieser Unternehmen“.202
Danach entsprechen die Staaten ausschließlich den Interessen heimischer Anbieter und vernachlässigen die Schutzinteressen der Nachfrager und Dritter. Es ergibt sich nach H.-W. Sinn parallel zum Market for Lemons203 ein ineffizient niedriges Regulierungsniveau.204 H.-W. Sinn geht im Rahmen seiner Modellannahmen jedoch davon aus, dass die Politik des Einzelstaates keine Rückwirkungen 198 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 10. 199 H.-W. Sinn, How much Europe?, Subsidiarity, Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85, 102 f., relativierend in: Journal of Public Economics 66 (1997), S. 247, 264. 200 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 46. 201 H.-W. Sinn, The selection principle and market failure in systems competition, Journal of Public Economics 66 (1997), S. 247, 264. 202 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 47. 203 Akerlof, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly Journal of Economics 84(3) (1970), S. 488 – 500. 204 Vgl. H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 46 f., S. 48: „Der Systemwettbewerb ist inhärent instabil und ineffizient“.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
auf die Politiken anderer Staaten zeitigt205, so dass nach H.-W. Sinn ein „race to the bottom“ im Sinne einer Abwärtsspirale im Rahmen des Modells ausbleibt.206 4. Apoltes Modellierung von Systemwettbewerb infolge des europarechtlichen Herkunftslandprinzips Der Ökonom Apolte untersucht die Funktionsfähigkeit eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip. Anknüpfend an das Selektionsprinzip von H.-W. Sinn behauptet Apolte, dass sich Probleme des Marktversagens auf der Ebene eines Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten und auf Ebene des Systemwettbewerbs aufgrund der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Informationen unterschieden.207 Nach Apolte ist die Anzahl der zu untersuchenden Qualitäten im Falle der Betrachtung von nationalen Regulierungen aufgrund der relativ kleinen Anzahl von Mitgliedstaaten kleiner als auf Ebene des Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten.208 Das Problem der Informationsasymmetrien unter den Rahmenbedingungen einer institutionellen Mobilität wird sich nach seiner Ansicht zwischen dem von H.-W. Sinn behaupteten vollständigen Informationsgefälle209 und einem Fall, in dem sich das Informationsgefälle zwischen Produzenten und Verbrauchern völlig auflöst, liegen.210 Der Systemwettbewerb wird nach Apolte deshalb nicht genau an der Stelle versagen, an dem ein Wettbewerb zwischen Privaten aufgrund von Informationsasymmetrien versagt.211 Sofern eine Intransparenz von Regulierungsunterschieden vorliegt, sei der Nachfrager zumindest durch die schwächste Regulierung geschützt.212 205 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 12. 206 Vgl. aber: H.-W. Sinn, The selection principle and market failure in systems competition, Journal of Public Economics 66 (1997), S. 247, 264: „Competition of laxity is an appropriate description of this phenomenon“ (HiO). 207 Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 119. 208 Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 121. 209 Vgl. H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 40 – 48. 210 Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 121. 211 Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 164. Vgl. auch: Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 2000, S. S217, S241 Fn. 66; Kerber/Van den Bergh, Unmasking Mutual Recognition: Current Inconsistencies and Future Chances, S. 14; Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61 (2008), S. 447, 458, Fn. 16. 212 Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10, S. 18 f. Vgl. in Bezug auf das Internationale Privatrecht: O’Hara/Ribstein, From Politics to Efficiency in Choice of Law, University of Chicago Law Review 67 (2000), 1151, 1187: „The parties avoid a mandatory rule only by opting into a different regulatory regime. Consequently, they can opt out of regulation only if another jurisdiction choose not to regulate“.
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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Apolte nennt jedoch keine konkreten Beispiele für seine These. In einem zweiten Schritt untersucht Apolte die staatlichen Anreize in der Regulierungspolitik. Voraussetzung einer wirtschaftspolitischen Instrumentalisierung der mitgliedstaatlichen Regulierung von Waren und Dienstleistungen ist nach Apolte die Fähigkeit und ein Anreiz des Staates, das einzelstaatliche Regulierungsniveau bewusst zum Zwecke industriepolitischer Maßnahmen und unter Umgehung der Öffentlichkeit zu senken.213 Im Fall einer nicht oder nur eingeschränkt funktionierenden Rückkopplung ist nach Apolte der Anteil der inländischen Nachfrage am gesamten Verbrauch der im Inland hergestellten Güter entscheidender Faktor für die weitere Rechtsgestaltung.214 Aus Sicht einer ausschließlich die inländische Wohlfahrt im Blick nehmenden Politik ließen sich über Deregulierung Wettbewerbsvorteile generieren, wobei im Fall eines nicht 100-prozentigen Konsumanteils im Inland die Kosten einer solchen Politik in Form von negativen externen Effekten auch im Ausland getragen würden.215 Umgekehrt gelte: Je höher der inländische Konsumanteil ausfalle, desto geringer sei der Anreiz seitens der Mitgliedstaaten zur Senkung des Regulierungsniveaus über das optimale Maß hinaus.216 Da in der Realität der inländische Konsumanteil „irgendwo zwischen null und hundert Prozent“ liege, werde es immer eine „begrenzte Neigung der Politik geben, den Qualitätsstandard unter das effiziente Niveau zu senken“.217 Apolte betrachtet den institutionellen Rahmen des europarechtlichen Herkunftslandprinzips nicht näher und erörtert deswegen nicht die Bedeutung von Schranken für eine Modellierung von Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip. 5. Spieltheoretische Modellierung von Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip a) Spieltheoretisches Modell Im Rahmen eines Zwei-Länder-Modells218 wird im Folgenden der grenzüberschreitende Vertrieb von Waren unter Geltung eines schrankenlosen auf Produkt213 Vgl. auch: Grundmann, Das Internationale Privatrecht der E-Commerce-Richtlinie – was ist kategorial anders im Kollisionsrecht des Binnenmarkts und warum?, RabelsZ 67 (2003), S. 246, 280. 214 Vgl. Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10. 215 Vgl. Gatsios/Seabright, Regulation in the European Community, Oxford Review of Economic Policy 5(2) (1989), S. 37, 43. 216 Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 10, S. 17. 217 Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 10, S. 17. 218 Vgl. Wörner, Europäische Bankenregulierung im Spannungsfeld zwischen Regulierungswettbewerb und Harmonisierungsbemühungen, S. 123 – 125 (in Bezug auf die Regulie-
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
regulierungen bezogenen Herkunftslandprinzips aus spieltheoretischer Sicht betrachtet. Dem Modell liegen folgende Annahmen zugrunde: Herkunftsland ist jeweils das Land, in dem die Ware produziert wird. Sämtliche im Inland produzierten Güter werden in den jeweils anderen Staat exportiert.219 Betrachtet wird die Situation einer Inkraftsetzung von notwendigen Produktregulierungen seitens beider Staaten und eines daraus folgenden Ausschlusses negativer externer Effekte,220 eine Situation fehlender notwendiger Regulierung seitens eines Staates und einer fehlenden Regulierung seitens beider Staaten mit der Folge des Auftretens negativer externer Effekte.221 Regulierungsbedingte negative externe Effekte infolge fehlender Regulierung führen im jeweiligen anderen Staat zu einem Wohlstandsverlust von 10 Wertschöpfungseinheiten.222 Es wird eine Wanderung von Investitionskapital infolge eines Regulierungsgefälles in die Modellbildung einbezogen.223 Angenommen wird, dass Hersteller mangels einer funktionierenden Rückkopplung in den Staat mit dem niedrigeren Regulierungsniveau ziehen. Die regulierungsbedingte Abwanderung von Anbietern führt im Zuwanderungsland zu einem Gewinn von 5 Wertschöpfungseinheiten und im Abwanderungsland zu einem Verlust von 5 Wertschöpfungseinheiten. Wenn beide Staaten Regulierungen gegenüber heimischen Anbietern durchsetzen (bzw. kooperieren), können beide die Vorteile des Abbaus von Handelshemmnissen nutzen, ohne negative externe Effekte der ausländischen Regulierung in Kauf nehmen zu müssen. Eine regulierungsbedingte Ab- und Zuwanderung von Unternehmen spielt in dieser Situation keine Rolle. Es stellt sich für beide Länder das optimale Wohlfahrtsoptimum von jeweils 100 Wertschöpfungseinheiten ein. Wenn hingegen ein Staat Regulierungen durchsetzt und der andere Staat dies unterlässt, folgen aus einem Unterlassen von Regulierung negative externe Effekte in rung von Banken); Majone, Market Integration and Regulation: Europe after 1992, Metroeconomica 43(1 – 2) (1992), S. 131, 150; Revesz, Rehabilitating interstate competition: Rethinking the „race-to-the-bottom“ Rationale for Federal Environmental Regulation, New York University Law Review 67 (1992), S. 1210, 1218. Zur Bedeutung eines Gefangenendilammas im Rahmen von Verhandlungen zur Handelsliberalisierung: Ziegler, The Political Economy of International Trade Negotiations, S. 95 ff. 219 Vgl. Wörner, Europäische Bankenregulierung im Spannungsfeld zwischen Regulierungswettbewerb und Harmonisierungsbemühungen, S. 124. 220 Vgl. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 31; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, S. 29, 41. 221 Wörner, Europäische Bankenregulierung im Spannungsfeld zwischen Regulierungswettbewerb und Harmonisierungsbemühungen, S. 124. 222 Wörner, Europäische Bankenregulierung im Spannungsfeld zwischen Regulierungswettbewerb und Harmonisierungsbemühungen, S. 124. Vgl. auch den Ansatz von Oberlack, Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 150 ff. 223 Vgl. Wörner, Europäische Bankenregulierung im Spannungsfeld zwischen Regulierungswettbewerb und Harmonisierungsbemühungen, S. 122 ff.
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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dem anderen Staat. Folge ist ein dort eintretender Wohlfahrtsverlust von 10 Wertschöpfungseinheiten.224 Zusätzlich ist der regulierende und von den negativen externen Effekten betroffene Staat aufgrund des Regulierungsgefälles einer Abwanderung heimischer Unternehmen in den anderen Staat ausgesetzt. Diese Abwanderung führt zu einer Wohlfahrtseinbuße in Höhe von 5 Einheiten. Der Wohlstand in dem von den negativen Effekten betroffenen Staat beläuft sich deswegen auf 75 Wertschöpfungseinheiten. Insgesamt ist diese Situation für den kooperativen Staat höchst nachteilig; einseitige Kooperation wird „bestraft“.225 Der negative externe Effekte generierende Staat, kann infolge der regulierungsbedingten Zuwanderung und aufgrund der Abwesenheit von negativen externen Effekten im Inland hingegen einen Wohlstandszuwachs um 5 Wertschöpfungseinheiten verzeichnen und ein Wohlstandsniveau von 105 Wertschöpfungseinheiten erreichen. Wenn sich beide Staaten nicht kooperativ verhalten und die inländische Warenproduktion nicht regulieren (mit der Folge des Auftretens negativer externer Effekte), ist der Gesamtwohlstand infolge der negativen externen Effekten in beiden Staaten im Vergleich zu einer kooperativen Situation um 10 Wertschöpfungseinheiten geringer als im Fall einer Kooperation. Standortverlagerungen spielen in dieser Situation keine Rolle, da beide Staaten auf eine Regulierung verzichten. Der Wohlstand in den Ländern liegt damit unter dem Wohlstandsniveau im Fall von Kooperation und ist deswegen suboptimal. Es besteht in dem beschriebenen Modellrahmen ein Anreiz der Staaten, auf Regulierung zu verzichten, wenn mit einer fehlenden Kooperation der anderen Seite gerechnet wird.226 Eine spieltheoretische Modellierung227 von Handelsbeziehungen verdeutlicht damit die Bedeutung eines ausgefeilten Rechtsrahmens.228 Sofern der Rechtsrahmen nicht in der Lage ist, Kooperation effektiv zu erzwingen, besteht ein Bedarf an Kooperation, der über die durchsetzbaren rechtlichen Verpflichtungen hinaus geht, eine Situation, die gerade im Fall von anspruchsvollen Integrationsprojekten eintreten kann. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Ent224
Vgl. auch: Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 150 ff. Vgl. Wörner, Europäische Bankenregulierung im Spannungsfeld zwischen Regulierungswettbewerb und Harmonisierungsbemühungen, S. 125. 226 Vgl. Abbott, The Trading Nation’s Dilemma: The Functions of the Law of International Trade, Harvard International Law Journal 26(2) (1985), S. 501, 504 ff. 227 Zur Spieltheorie: Varian, Grundzüge der Mikroökoonomik, S. 579 ff. 228 Vgl. Abbott, The Trading Nation’s Dilemma: The Functions of the Law of International Trade, Harvard International Law Journal 26(2) (1985), S. 501, 503 ff.; Saunders, The Constitution of Australia, A Contextual Analysis, S. 248: „collaboration between jurisdictions is a feature of all federations, although in some it is more clearly anticipated in constitutional design“; Wörner, Europäische Bankenregulierung im Spannungsfeld zwischen Regulierungswettbewerb und Harmonisierungsbemühungen, S. 125. 225
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
wicklung des Rechtsrahmens zum Zeitpunkt seiner Schaffung keineswegs immer absehbar ist, so dass ein darüber hinausgegendes Vertrauen erforderlich ist.229 Eine Selbstregulierung auf Basis des Gegenseitigkeitsprinzips230 kommt zwar in Betracht, ist jedoch im Einzelnen problematisch. Es besteht im Rahmen der Anwendung des Prinzips der Gegenseitigkeit die Gefahr einer nichtkooperativen Falle, also einer Abfolge von Vergeltungsmaßnahmen, ohne dass der Weg zur Kooperation wieder gefunden wird.231 Zudem kann im Einzelfall immer fraglich sein, ob und inwieweit gegen Verpflichtungen verstoßen wurde232 und welches Maß und welche Form an Vergeltung gerechtfertigt ist. Bei Erweiterung des Modells um weitere Staaten zeigt sich, dass eine Kooperation zwischen den beiden Staaten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Drittstaaten darstellen kann, soweit ein Wettbewerb um den größtmöglichen Wohlstand modelliert wird.233 Je größer die Vorteile einer diesbezüglichen Kooperation bzw. desto größer die Nachteile einer mangelnden Kooperation in diesem Verhältnis sind, desto größer sind die Anreize einer Kooperation. Große Vorteile von Kooperation in einem Wettbewerb mit Drittstaaten bzw. große Nachteile infolge einer mangelnden Kooperation können deshalb helfen, eine Kooperation zwischen Staaten zu begünstigen. b) Verhältnis von Kooperation und Systemwettbewerb Die Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung setzt eine Gleichwertigkeit nationaler Regulierungen234 und „gegenseitige[s] Vertrauen“235 voraus. Wenn Wettbewerb im Sinne eines „Gegeneinanders“ verstanden wird,236 stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von zwischenstaatlicher Kooperation und Sys229 Vgl. die Ausführungen Teil 1 § 4 C. II. 5. b) (es handelt sich dabei um den nächsten Abschnitt). 230 Vgl. Axelrod, The Evolution of Cooperation; Majone, Market Integration and Regulation: Europe after 1992, Metroeconomica 43(1 – 2) (1992), S. 131, 150; Varian, Grundzüge der Mikroökonomik, S. 586 ff. 231 Wesche, Gegenseitigkeit und Recht, S. 239. 232 Vgl. auch: Majone, Market Integration and Regulation: Europe after 1992, Metroeconomica 43(1 – 2) (1992), S. 131, 151; Teil 1 § 3 C. IV. 233 Vgl. Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen, S. 158 ff.; Loth, Der Weg nach Rom – Entstehung und Bedeutung der Römischen Verträge, Integration 30 (2007), S. 36, 43. 234 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 17 Tz. 17, 19, S. 19 Tz. 65. 235 Vgl. Erwägungsgründ 22 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000, ABl. EG Nr. L 178/1, 17. 7. 2000, vgl. auch Erwägungsgrund 52; S. K. Schmidt, Single Market Policies: From Mutual Recognition to Institution Building, in: Innovative Governance in the European Union, S. 121, 134. 236 Stigler, competition, in: The New Palgrave Dictionary of Economics, S. 51, 51: „Competition is a rivalry between individuals (or groups or nations), and it arises whenever two
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temwettbewerb.237 Nach der üblichen Definition von Wettbewerb, wonach Wettbewerb durch eine Rivalität von Konkurrenten gekennzeichnet ist238 und der „höhere Zielerreichungsgrad des einen i. d. R. einen geringeren Zielerreichungsgrad des [bzw. der] anderen bedingt […]“,239 scheinen sich Kooperation (für die ein gemeinsames Zusammenwirken charakteristisch ist240) und Wettbewerb auszuschließen. Die Gegenüberstellung eines wettbewerblichen und kooperativen Föderalismus241 (von Bedeutung in Bezug auf die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen242) scheint diesen Befund zu betätigen.243 Die Politikwissenschaftlerin Nicolaïdis sieht – vor dem Hintergrund notwendiger Kooperation bzw. Vertrauens zwischen den Staaten – eine Inkompatibilität zwischen dem Herkunftslandprinzip und dem Konzept des Systemwettbewerbs.244 S. K. Schmidt – ebenfalls Politikwissenschaftlerin – leitet aus der Bedeutung eines koor more parties strive for something that all cannot obtain“; Cox/Hübener, Wettbewerb. Eine Einführung in die Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, in: Handbuch des Wettbewerbs, Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, S. 1, 4. Vgl. auch: H. Arndt, Kapitalismus, Sozialismus, Konzentration und Konkurrenz, S. 15. Anders: Simmel, Schriften zur Soziologie, S. 175. 237 Vgl. Esty/Geradin, Journal of International Economic Law (2000), S. 235, 248 ff.; Majone, Mutual Recognition in Federal Type Systems, in: Economic Union in Federal Systems, S. 69, 80 – 82; S. K. Schmidt, Mutual Recognition as a new mode of governance, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 667, 677; Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition: Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66, 69; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 584 – 586; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 51. 238 Stigler, competition, in: The New Palgrave Dictionary of Economics, S. 51, 51. 239 Gabler Wirtschaftslexikon, „Wettbewerb“, S. 3399; Gabler Volkswirtschaftslexikon, „Wettbewerb“, S. 1270. 240 Bowles/Gintis, cooperation, in: The New Palgrave Dictionary of Economics, Bd. 2, S. 228, 228; „Cooperation is said to occur, when two or more individuals engage in joint actions that result in mutual benefits“. 241 Vgl. Calliess, Die Justitiabilität des Art. 72 Abs. 2 GG vor dem Hintergrund von kooperativem und kompetitivem Föderalismus, DÖV 1997, S. 889, 890 ff.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 55; Kisker, Kooperation im Bundesstaat; 372. Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 91a Rn. 19; Wallrabenstein, Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: Zukunftsgestaltung durch Öffentliches Recht, VVDStRL 73 (2013), S. 41, 58. 242 Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 72 Abs. 2 Rn. 98 ff. 243 Mehde weist darauf hin, dass föderale Systeme in der Regel Mischformen von kompetitiver und kooperativer Systeme sind (Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 586). 244 S. K. Schmidt, Mutual Recognition as a new mode of governance, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 667, 677: „[…] it is doubtful how far the market analogy is appropriate.The amount of trust and mutual reliance needed for mutual recognition to function means that there are no anonymous market participants but well-acquanted co-operators who put mutual recognition to work. It might therefore be linked to a cartel rather than a market. Initiating competition and the search for competitive advantages may well risk destroying cooperative benefits. Member states are likely to perceive competition as a misuse of trust which has been given to a joint approach to co-operation problems rather than as a legitimate attempt of some to acquire competitive advantages over others“.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
operativen Verhaltens der Mitgliedstaaten ab, dass ein Systemwettbewerb im Bereich des europäischen Binnenmarktes für Dienstleistungen eine „untergeordnete Rolle“ spielt.245 Andererseits haben jedoch Nalebuff/Brandenburger246 in Bezug auf einen Wettbewerb zwischen Privaten und Mehde247 im Zusammenhang mit einen Wettbewerb der Staaten gezeigt, dass Wettbewerb und Kooperation zwei komplementäre Mechanismen darstellen (können). In weiten Teilen der ökonomischen Literatur zum Thema Systemwettbewerb besteht hingegen der Eindruck, dass Kooperation mit der Beachtung des Rechtsrahmens gleichzusetzen ist und darüber hinausgehend keine weitere Bedeutung besitzt.248 Es kann unterschieden werden zwischen Kooperation im engeren Sinn und Kooperation im weiteren Sinn. Kooperation im engeren Sinn ist gleichbedeutend mit der Beachtung des europäischen Rechtsrahmens. Es ist in diesem Zusammenhang auch die Rede von einer Solidaritätspflicht der Mitgliedstaaten.249 Das Verhältnis zwischen Systemwettbewerb und Kooperation ist in diesem Fall unproblematisch, da für Staaten jenseits von aus dem Rechtsrahmen folgenden Verpflichtungen Raum für systemwettbewerbliches Handeln besteht. Der wettbewerbliche Handlungsspielraum ist insofern klar definiert. In Abwesenheit konkreter rechtlicher Vorgaben kann jedoch eine über die Einhaltung des Rechtsrahmens hinausgehende Kooperation notwendig sein (Koopera245
S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 30: „Zudem scheinen sich die Mitgliedstaaten nur unter Zusicherung eines solidarischen Verhaltens auf die gegenseitige Anerkennung einzulassen. Deshalb spielt der Regulierungswettbewerb für Dienstleistungen eine untergeordnete Rolle“. 246 Vgl. Nalebuff/Brandenburger, Coopetition – kooperativ konkurrieren; http://mayet.som. yale.edu/coopetition/; Stephan, Regulatory Cooperation and Competition: The Search for Virtue, S. 3: „Cooperation with respect to assignment of regulatory jurisdiction facilitates competition among State corporate laws and local tax regimes […]“. 247 Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 584 – 586. 248 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199 – 230. 249 Vgl. EuGH, Urteil vom 7. 2. 1979, Kommission/Vereinigtes Königreich, Rs. 128/78, Slg. 1979, S. 419, 429 Rn. 12: „Wie in dem genannten Urteil festgestellt, erlaubt es der Vertrag den Mitgliedstaaten, die Vorteile der Gemeinschaft zu nutzen, er erlegt ihnen aber auch die Verpflichtung auf, deren Rechtsvorschriften zu beachten. Sto¨ rt ein Staat aufgrund der Vorstellung, die er sich von seinem nationalen Interesse macht, einseitig das mit der Zugeho¨ rigkeit zur Gemeinschaft verbundene Gleichgewicht zwischen Vorteilen und Lasten, so stellt dies die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor dem Gemeinschaftsrecht in Frage und schafft Diskriminierungen fu¨ r deren Staatsangeho¨ rige. Ein solcher Verstoß gegen die Pflicht zur Solidarita¨ t, welche die Mitgliedstaaten durch ihren Beitritt zur Gemeinschaft u¨ bernommen haben […]“; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 222 AEUV Rn. 6 ff.
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tion im weiteren Sinn). Deutlich wird die Notwendigkeit einer derartigen Kooperation bei Anwendung des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips und sekundärrechtlicher250 Herkunftslandprinzipien, die allesamt sehr anspruchsvolle Integrationsinstrumente darstellen251 und sich auf der Gleichwertigkeit252 mitgliedstaatlicher Regulierungen, Rücksichtnahme und gegenseitigem Vertrauen253 gründen. Im Rahmen der Herkunftslandprinzipien geht es um eine Beachtung der Interessen anderer Mitgliedstaaten und eines aktiven kooperativen Zusammenwirkens. Je weniger konkret der Rechtsrahmen ist, desto höhere Bedeutung hat die Kooperation der Mitgliedstaaten. Es besteht im Fall der Notwendigkeit einer Kooperation im weiteren Sinn ein Spannungsverhältnis zwischen Kooperation der Staaten einerseits und kompetitiver staatlicher Beziehungen andererseits.254 Einerseits besteht die Gefahr von zu wenig Kooperation und einer damit verbundenen Einschränkung institutioneller Mobilität und einer mangenden Funktionsfähigkeit einer „kollisionsrechtlichen“ Integration. Andererseits droht die Gefahr einer „Kartellierung“255 im Sinne eines Zuviel an Kooperation.256 250
Erwägungsgrund 21 Zweite Bankrechtskordinierungsrichtlinie (Richtlinie 89/646/ EWG): „Für ein harmonisches Funktionieren des Binnenmarktes der Banken bedarf es über die gesetzlichen Normen hinaus einer engen und regelmäßigen Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten“. 251 Nicolaïdis, Trusting the Poles? Constructing Europe through mutual recognition, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 682, 685: „The conflictual nature of mutual recognition should come as no surprise […]. This is a janus-faced norm, usually handed as the ,easy option‘ and yet the hardest of all“; Pelkmans, Mutual Recognition in goods. On promises and disillusions, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 699, 699; Sykes, Regulatory Competition or Regulatory Harmonization? A silly question?, Journal of International Economic Law 2000, S. 257, 262, 263; S. K. Schmidt, Notwendigerweise unvollkommen: Strukturprobleme des Europäischen Binnenmarktes, Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 3(2) (2005), S. 185, 191. 252 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, S. 22 Tz. 77. 253 Vgl. Erwägungsgründe 22, 52 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000, ABl. EG Nr. L 178/1, 17. 7. 2000. 254 Vgl. Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 274: „co-operation can easily degenerate into collusion, conspiracy and connivance and that is not necessarily good!“. In Bezug auf das zwischen materiellrechtlicher Harmonisierung und Systemwettbewerb bestehende Spannungsverhältnis: Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 217 ff.; Kerber, Wettbewerbsföderalismus als Integrationskonzept für die Europäische Union, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4(1) (2003), S. 43, 57 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 333, 350 ff.; W.-H. Roth, Wettbewerb der Mitgliedstaaten oder Wettbewerb der Hersteller?, Plädoyer für eine Neubestimmung des Art. 234 EGV, ZHR 159 (1995), S. 78 – 95; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 588 f. 255 Vgl. Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 274; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 223; Kerber/Vanberg, Competition among Institutions, Evolution within constraints, in: Competion among Institutions, S. 35, 56; Streit,
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Aus einer Perspektive der Befürworter von Systemwettbewerb gilt es, einen Grad an Kooperation zu finden, der Systemwettbewerb nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus beschränkt.257 Wer dem Systemwettbewerb kritisch gegenüber steht, definiert das unbedingt notwendige Maß an Kooperation hingegen weiter, da aus dieser Perspektive die Vermeidung regulatorischer Anpassungszwänge wünschenswert erscheinen kann. Unabhängig von der Bewertung von Systemwettbewerb ist die Bedeutung von Kooperation um so höher, je stärker das Integrationsziel betont wird,258 denn Erschwerungen des grenzüberschreitenden Verkehrs und eine Unterschiedlichkeit der Wettbewerbsbedingungen sind im Fall eines rein kompetitiven Charakters von Integration und einer „kollisionsrechtlichen“ Ausgestaltung unumgänglich. Auf diesen Gesichtspunkt wird im Rahmen der Diskussion der Vor- und Nachteile von Harmonisierung zurückzukommen sein.259 Auch im Fall eines angestrebten oder eines verwirklichten hohen Grades an Integration kann jedoch erwogen werden, in Einzelbereichen vorsichtig kompetitive Elemente in die Ordnung einer Föderation zu integrieren,260 wenn ein Nutzen derartiger kompetitiver Elemente erwartet werden kann. Es handelt sich dann um einen Wettbewerb im Rahmen eines ansonsten kooperativ gesprägten Rahmens. Die Theorie des funktionierenden Systemwettbewerbs fordert jedoch ein hohes Maß an institutioneller Mobilität und eine weitgehende Zurückdrängung von materiellrechtlicher Harmonisierung.
Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 234; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113, 127 f.; Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 85, 119. Apolte regt die Schaffung einer Kartellbehörde zur Verhinderung einer Kartellierung von Jurisdiktionen mittels Zentralisierung und materiellrechtlicher Harmonisierung an (Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 6). 256 Vgl. S. K. Schmidt, Mutual Recognition as a new mode of governance, Journal of European Public Policey 14(5) (2007), S. 667, 677. 257 Vgl. Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 274. 258 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 348 f.; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 109, 588. 259 Zu den Vor- und Nachteilen materiellrechtlicher Harmonisierung vgl. Teil 3 § 18 A., B. 260 Vgl. Calliess, Die Justitiabilität des Art. 72 Abs. 2 GG vor dem Hintergrund von kooperativem und kompetitivem Föderalismus, DÖV 1997, S. 889, 890 ff.
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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6. Modell von Oberlack Im Rahmen eines neoklassischen Zwei-Staaten-Modells untersucht Oberlack261 die Folgen der Einführung bzw. Anwendung eines schrankenlosen Herkunftslandprinzips für die Wohlfahrt in einem Staat. Maßstab für die Messung der Wohlfahrt ist die Präferenzbefriedigung der Nachfrager. Er unterscheidet zwischen einem Land mit hohem und einem Land mit niedrigem Regulierungsniveau. Das Regulierungsniveau wird als entscheidender Parameter im Rahmen von Nachfrageentscheidungen angesehen. Er geht davon aus, dass die Erkennbarkeit von Regulierungsunterschieden davon abhängt, ob es sich um Such-, Erfahrungs- oder Vertrauensgüter handelt, womit er – entgegen Apoltes Modell262 – Produkt- und Regulierungsebene gleichsetzt. Im Fall von Suchgütern besteht Transparenz in Bezug auf die Regulierungsunterschiede und Nachfrager bevorzugen nach Oberlack inländische Produkte, wenn das inländische Regulierungsniveau optimal bzw. optimaler als das ausländische Regierungssystem ist. Umgekehrt weichen sie nach Oberlack auf ausländische Produkte aus, wenn das ihnen zugrundeliegende Regulierungssystem attraktiver ausgestaltet ist. Auch im Fall von Erfahrungsgütern kommt es nach Oberlack aufgrund von gesammelten Erfahrungen zu einer Bevorzugung inländischer Produkte, wenn das inländische Regulierungsniveau optimal bzw. optimaler ist. Im Fall einer optimaleren Gestaltung des ausländischen Regulierungssystems weichen Nachfrager vermehrt zu ausländischen Produkten aus. Im Unterschied zu Suchgütern besteht bei Erfahrungsgütern (bis hinreichende Erfahrungen gesammelt wurden) zeitweise eine Intransparenz im Hinblick auf die vorhandenen Regulierungsunterschiede. Es kann deswegen infolge einer nicht-präferenzkonformen Wahl von Produkten zu temporären negativen Wohlfahrtseffekten kommen. Bei Vertrauensgütern ist nach Oberlack hingegen eine Rückkopplung zwischen Regulierungsniveau und Nachfrageentscheidungen von vornherein ausgeschlossen. Die wohlfahrtsökonomischen Wirkungen des Herkunftslandprinzips hängen deshalb nach diesem Ansatz von der Optimalität der in- und ausländischen Regulierungen ab. Im Fall der Optimalität inländischer Regulierungen und der Suboptimalität ausländischer Regulierungen trete ein negativer Qualitätseffekt ein.263 Wenn die aus-
261 Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards S. 167 ff. Vgl. auch: Sturm, Product Standards, Trade Disputes and Protectionism, Centre for Economic Performance, Discussion paper 486, January 2001, S. 20 f.; Pelkmans, Mutual Recognition on Goods and Services: An Economic Perspective, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 85 – 128, 97 ff. 262 Vgl. Teil 1 § 4 C. II. 4. 263 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 168 f.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
ländischen Regulierungen hingegen besser den Bedürfnissen des Inlandes entsprächen, sei ein positiver Qualitätseffekt im Inland die Folge.264 Oberlack ergänzt die Betrachtung um die mittels Außenhandel generierten Vorteile (Handelseffekte)265, die einen negativen Qualitätseffekt infolge der Anwendung des Herkunftslandprinzips mehr als aufwiegen können266. 7. Kritik an der Modellbildung seitens von Gerken Das Stattfinden eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip wird bestritten von Gerken:267 „Auch die häufig geäußerte Auffassung, dass die Anwendung des Ursprunglandprinzips in Wirtschaftsgemeinschaften eine weitere Dimension im Wettbewerb der Staaten eröffne, indem es diesen Wettbewerb auf die Gütermärkte trage […] ist unzutreffend. Das Ursprungslandprinzip intensiviert den internationalen Wettbewerb der Unternehmen, zu Wettbewerbsprozessen zwischen Staaten führt es jedoch nicht […]“.268
Gerken begründet seine Auffassung mit dem Fehlen eines nach Hoppmann den Wettbewerb konstituierenden Austausch- und Parallelprozesses.269 Der Austauschprozess beschreibt die Beziehungen zwischen Anbietern auf der einen und der Nachfrager auf der anderen Seite.270 Der Parallelprozess spielt sich hingegen auf der Seite der Anbieter ab, die sich wechselseitig beobachten und daraus wettbewerbliche Maßnahmen einleiten.271 Im Rahmen eines Wettbewerbs der Staaten vermittelt über die Nachfrageentscheidungen bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips werden inländische Anbieter unter Umständen aufgrund unattraktiver regulatorischer Rahmenbedingungen im Inland gegenüber ausländischen Wettbewerbern benachteiligt.
264
Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 176 ff. Zur Außenhandelstheorie: Krugman/Wells, Economics, S. 408 ff. 266 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 176 ff. 267 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405 – 430. 268 Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 16 Fn. 25 (HiO). 269 Hoppmann, Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1967), S. 77, 86 ff. Vgl. die Darstellung des Hoppmann’schen Ansatzes bei: Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 32 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 65 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 52. 270 Hoppmann, Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1967), S. 77, 88 f. 271 Hoppmann, Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1967), S. 77, 89 f. 265
C. Systemwettbewerb infolge von nicht-physischer institutioneller Mobilität
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In diesem Fall fordern inländische Anbieter eine Befreiung von belastenden Regulierungen.272 Im Rahmen dieses Prozesses steht der inländische Staat nach Auffassung von Gerken lediglich in einem Austauschprozess mit den inländischen Unternehmern.273 Ein ausländischer Staat stehe lediglich in einem Austauschprozess mit den dort ansässigen Unternehmen.274 Es finde aufgrund der faktisch mangelnden Möglichkeit der Anbieter zur Auswahl zwischen staatlichen Angeboten kein Parallelprozess statt.275 Diese Situation entspricht nach Gerken auf einem ökonomischen Markt einer Situation, in der zwischen zwei Individuen B und X sowie zwischen zwei weiteren Individuen A und Y vertragliche Dauerschuldverhältnisse ohne Kündigungsrecht bestehen und die Gläubiger X und Y ihre jeweiligen Schuldner A respektive B aufforderten, eine bessere Leistung zu erbringen.276 Infolge regulatorischer Wettbewerbsnachteile bleibt Anbietern nach Gerken deshalb nur die Möglichkeit eines Widerspruchs.277 Berechtigt ist der Hinweis Gerkens auf die tatsächlichen Hindernisse von Standortverlagerungen. Es handelt sich bei der Kritik von Gerken jedoch um eine formale Kritik, was Gerken selbst anerkennt, aber als nicht entscheidend betrachtet.278 Dass ein Wettbewerb der Staaten vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandes nicht Einszu-Eins unter die Wettbewerbsdefinition von Hoppmann zu subsumieren ist, bedeutet nicht automatisch, dass eine Charakterisierung des Phänomens als Wettbe-
272
Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), 405, 410. 273 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), 405, 410. 274 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), 405, 410. 275 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), 405, 410. 276 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), 405, 411. Vgl. auch: Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 10. 277 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), 405, 411. 278 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), 405, 411: „Selbstverständlich sind begriffliche Differenzierungen niemals richtig oder falsch. Indessen sollten substanziell unterschiedliche Phänomene nicht mit demselben Begriff versehen werden. Die aus dem Ursprungslandprinzip resultierenden Prozesse trotz der skizzierten strukturellen Unterschiede pauschal als Wettbewerb der Staaten zu bezeichnen heiße, diese Unterschiede zu übergehen“.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
werb analytisch wertlos wäre.279 Wenn Wettbewerb hingegen als das Bemühen von Privatrechtssubjekten ihre Lage im Vergleich zu anderen zu verbessern280 oder als Mittel der Erzeugung von Nutzen281 verstanden wird, ist sehr zweifelhaft, ob die Kritik Gerkens trägt. Zudem ist nicht ausschließlich ein Standortwettbewerb zu betrachten, sondern auch ein Wettbewerb der Staaten um die Anziehung von Kaufkraftkapital.282 8. Kritik Krugmans an der Übertragung des Begriffs „Wettbewerbsfähigkeit“ auf Staaten Der US-amerikanische Ökonom Krugman kritisiert die Übertragung des Begriffs „Wettbewerbsfähigkeit“ auf Staaten,283 denn nach Krugman werden im Fall einer Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit Staaten falsche Vorstellungen hervorgerufen:284 „People who believe themselves to the sophisticated about the subject take it for granted that the economic problem facing any modern nation is essentially one of competing on world markets – that the United States and Japan are competitors in the same sense that Coca-Cola competes with Pepsi – and are unaware that anyone might seriously question that proposition […] The idea that a country’s economic fortunes are largely determined by its success on world markets is a hypothesis, not a necessary truth; and as a pratical, empirical matter, that hypothesis is flatly wrong. That is, it is simply not the case that the world’s leading nations are to any important degree in economic competition with each other“.285
Er stellt zur Begründung seiner Kritik unter anderem heraus, dass ein Staat auf Grundlage der Freihandelslehre286 nicht lediglich vom Export profitiere287. Diese
279 Zum analytischen Nutzen der Marktanalogie: Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 14 ff. 280 Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 12; Meessen, Prinzip Wettbewerb, JZ 2009, S. 697, 701. 281 Simmel, Schriften zur Soziologie, S. 175. 282 Vgl. Teil 2 § 4 C. II. 2. 283 Vgl. Schwab, World Economic Forum, The Global Competitiveness Report 2009 – 2010; Küter, Länderrankings zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit, Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Ergebnisse, Wirtschaftsdienst 2009, S. 691 – 699; Frendel/Frenkel, Wozu Studien zur Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften?, Wirtschaftsdienst 2005, S. 1 – 32; Sinisˇa Kusˇic´/Grupe, Über die Wettbewerbsfähigkeit – Definitionsansätze und Erklärungsansätze, Ekonomski Pregled 55(9 – 10) (2004), S. 804 – 813. 284 Krugman, Competitiveness: A Dangerous Obsession, Foreign Affairs 73 (1994), S. 28, 29 f. Vgl. auch Apolte, Chancen und Risiken nationaler Wirtschaftspolitik bei hoher Kapitalmobilität, in: Standortwettbewerb, wirtschaftspolitische Rationalität und internationale Ordnungspolitik, S. 21, 22 f. 285 Krugman, Competitiveness: A Dangerous Obsession, Foreign Affairs 73 (1994), S. 28, 29 f. 286 Vgl. die Darstellung bei: Krugman/Wells, Economics, S. 408 ff.
D. Marktanalogie Teil II
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Kritik ist für die Systemwettbewerbstheorie insofern von Bedeutung, als dass allzu leicht der Eindruck entstehen kann, dass es im Systemwettbewerb ausschließlich um das Bemühen der Maximierung der Exporte bzw. der institutionellen Förderung der exportierenden Anbieter geht288. Eine unternehmerische Gewinnmaximierung auf Ebene der Staaten im Sinne der merkantilistischen Maximierung des Außenhandelsüberschusses289 funktioniert jedoch nicht wie Krugman richtig herausstellt.290 Auch Krugman setzt jedoch wie Gerken eine Eins-zu-Eins- Vergleichbarkeit von Staaten und Unternehmen voraus291 und unterstellt, dass ein Wettbewerb vor allem den Charakter eines „Gegeneinander“292 trägt. Entscheidend kann jedoch allein sein, ob der Begriff Wettbewerbsfähigkeit im Zusammenhang von Staaten einen Erklärungswert besitzt, eine Frage die Gegenstand dieser Arbeit ist und zu erörtern sein wird.
D. Die Folgen von Systemwettbewerb im technischen Sinn: Die Marktanalogie Teil II Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten wird seit dem Smith’schen Bild der „unsichtbaren Hand“ die Funktion zugeschrieben, eigennützige Handlungen von Privatrechtssubjekten auf dem Markt in Gemeinwohl zu überführen, womit gerade eigennütziges Streben zu Gemeinwohl führt. Ein Privatrechtssubjekt wird nach Adam Smith „von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen, er in keiner Weise beabsichtigt hat. Auch für das Land selbst ist es keineswegs immer das schlechteste, daß der einzelne ein solches Ziel nicht bewusst anstrebt, ja, gerade dadurch, daß er das eigene Ziel verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft nachhaltiger, als wenn
287 Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 13 f.; Krugman, Competitiveness: A Dangerous Obsession, Foreign Affairs 73 (1994), S. 28, 34; Diesen Zusammenhang erkennt auch ausdrücklich Sala-i-Martin an (Sala-i-Martin, The Economics behind the World Economic Forum’s Global Competitiveness Index, in: Dimensions of Competitiveness, S. 1, 1). 288 Kritisch insofern: Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 13 ff. 289 Vgl. Tautscher, Volkswirtschaft und Weltwirtschaft im deutschen Merkantilismus, Vierteljahreszeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 30 (1937), S. 313 – 346. 290 Vgl. auch die Ausführungen von Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 347 ff. 291 Diese wird auch vom World Economic Forum nicht behauptet vgl. Sala-i-Martin, The Economics behind the World Economic Forum’s Global Competitiveness Index, in: Dimensions of Competitiveness, S. 1, 1, 5 ff. 292 Stigler, competition, in: The New Palgrave Dictionary of Economics, S. 51, 51: „Competition is a rivalry between individuals (or groups or nations), and it arises whenever two or more parties strive for something that all cannot obtain“; Cox/Hübener, Wettbewerb. Eine Einführung in die Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, in: Handbuch des Wettbewerbs, Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, S. 1, 4. Vgl. auch: H. Arndt, Kapitalismus, Sozialismus, Konzentration und Konkurrenz, S. 15. Anders: Simmel, Schriften zur Soziologie, S. 175.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
er wirklich beabsichtigt, es zu tun. Alle die jemals vorgaben, ihre Geschäfte dienten dem Wohl der Allgemeinheit, haben meines Wissens niemals etwas Gutes getan“.293
Angesprochen sind damit die Wettbewerbsfunktionen,294 d. h. eine funktionelle Einkommensverteilung, eine Anpassung des Angebotes an die Präferenzen der Nachfrager, eine Lenkung der Produktionsfaktoren in ihre produktivsten Einsatzmöglichkeiten, eine Anpassung des Angebotes an die Nachfragestruktur und technische Rahmenbedingungen und eine Generierung von Wissen und Innovation295 gemeint.296 Die systemwettbewerbliche Marktanalogie dient nicht nur zur Abbildung der Funktionsweise von Systemwettbewerb, sondern dient insbesondere der Beschreibung der positiv zu bewertenden Folgen von Systemwettbewerb.297 Die an dem Systemwettbewerb geknüpften positiven Erwartungen298 werden in begrifflicher Parallele zu den Wettbewerbsfunktionen als Systemwettbewerbsfunktionen bezeichnet.299 Die Folgen von Systemwettbewerb werden zwar im Ausgangspunkt analog der Folgen eines Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten verstanden,300 jedoch unterscheiden sich zum Teil Wettbewerbsfunktionen und Systemwettbewerb. Dies ist ein erster Hinweis auf die Begrenztheit der Marktanalogie. 293 Smith, Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, S. 371. 294 Vgl. knapp zusammenfassend: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, VI. 1., S. 68 – 70. 295 Für die Innovationsfunktion vgl. Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 38 ff. Zum Begriff der Innovation: Hauschildt, Facetten des Innovationsbegriffs, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, S. 29 – 39. 296 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 16 f.; Gabler Volkswirtschaftslexikon, „Wettbewerbsfunktionen“, S. 1271. 297 Vgl. Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75 – 107; Eickhof, Globalisierung, institutioneller Wettbewerb und nationale Wirtschaftspolitik, S. 369, 370. 298 Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, Bd. V-Z, Stichwort „Wettbewerbsfunktionen“, S. 3400. 299 Vgl. Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 1; Gabler Wirtschaftslexikon, Bd. V-Z, Stichwort, „Wettbewerbsfunktionen“, S. 3400; Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 69. Zur Übertragung der Wettbewerbsfunktionen auf den innerparteilichen Wettbewerb von politischen Akteuren: Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 68 ff. 300 Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 91; Lutter, Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, in: Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, S. 24, 24; Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 13; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 200 – 203.
D. Marktanalogie Teil II
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I. Freiheitsfunktion Systemwettbewerb wird von den Befürwortern von Systemwettbewerb eine Freiheitsfunktion301 zugeschrieben.302 Mit der Freiheitsfunktion sind Freiheitserweiterungen von Privatrechtssubjekten infolge von Wahlmöglichkeiten in Bezug auf Institutionen (es ist die Rede von institutioneller Mobilität) gemeint.303 Die Freiheit der Rechtswahl oder der Standortwahl sind ebenso wie die Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlich regulierten Waren und Dienstleistungen bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips304 Ausdruck dieser Freiheitsfunktion. Die Freiheitsfunktion beschrieb bereits Tiebout im Rahmen seines bekannten Aufsatzes: „The consumer-voter may be viewed as picking that community which best satisfies his preference pattern for public goods. This is a major difference between central and local provision of public goods. At the central level the preferences of the consumer-voter are given and the government tries to adjust to the pattern of these preferences, whereas at the local level various governments have their revenue and expenditure patterns more or less set. Given these revenue and expenditure patterns, the consumer-voter moves to that community whose local government best satisfies his set of preferences“.305
Die Freiheitsfunktion betrifft dabei nicht nur die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen staatlichen Leistungen, sondern erlaubt auch zwingendem Recht (Regulierungen) und damit bestimmten Verhaltensanforderungen zu entgehen. In der aus institutioneller Mobilität folgenden Freiheit der Privatrechtssubjekte wird eine Antwort auf die mit Mehrheitsentscheidungen306 verbundenen Probleme gesehen.307 Die Schwächen, die mit dem politischen Wettbewerb verbunden sind – wie die Bündelung politischer Inhalte in große Bündel308 und nur periodische 301 Zum Begriff Freiheit: Cremer, Regulierung und Freiheit, in: Regulierungsrecht, S. 212, 215 f. Rn. 4; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 283 – 285. 302 Vgl. Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416, 418. 303 Vgl. Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 459, 465 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 34 – 38; Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231 – 236. 304 Zur Frage des kollisions- oder sachrechtlichen Verständnisses des Herkunftslandprinzips: Teil 1 § 3 E. IV. 305 Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416, 418. 306 Vgl. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 21 ff. 307 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 – 15 Tz. 7 f.; Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 79 f. 308 Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 330.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Möglichkeiten der Bürger ihre politischen Präferenzen anlässlich von Wahlen zu artikulieren309 – können sich im Fall von Abwanderungsmöglichkeiten nach Vorstellung der Befürworter von Systemwettbewerb weniger einschneidend darstellen. Als Vorteil institutioneller Wahlmöglichkeiten gegenüber Freiheitsgewährungen durch die staatliche Verfassungen310 wird vor allem angesehen, dass Präferenzen im Unterschied zum demokratischen Prozess der Entscheidungsfindung individuell (unabhängig von der Mehrheit) verwirklicht werden können.311 Die Freiheitsfunktion ist einerseits als Ergänzung zu den verfassungsrechtlichen Freiheiten zu verstehen.312 Andererseits wird ihr eine eigenständige Funktion zugeschrieben, wenn die Regelungen des Verfassungsrechts als unzureichende Instrumente zur Verwirklichung und Gewährleistung von Freiheiten verstanden werden, was die Befürworter von Systemwettbewerb annehmen. Die Freiheitsfunktion wird hier jedoch nicht eine Folge von Systemwettbewerb, sondern ausschließlich als eine Vorbedingung von Systemwettbewerb verstanden,313 da die Freiheitsfunktion – in Abgrenzung zur Machtbegrenzungsfunktion – ausschließlich Möglichkeiten zu Regulierungsarbitragen (aber keine staatliche bzw. gesetzgeberische Responsivität) voraussetzt. Deswegen ist es letztlich irreführend, von einer Freiheitsfunktion von Systemwettbewerb zu sprechen. Sofern Systemwettbewerb zu der Gewährleistung von Freiheiten im Sinne des Abbaus von problematischen Regulierungen führt, ist dies von der systemwettbewerblichen Machtbegrenzungsfunktion erfasst.
II. Präferenzanpassungsfunktion Wettbewerb zwischen Privaten führt zu einer Anpassung des Angebotes an die Präferenzen der Nachfrager314. Die Nachfrager stimmen mittels ihrer Nachfrage309
Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 133. Zu weiteren Einschränkungen des politischen Wettbewerbs: Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 134, 148 ff. 310 Vgl. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 16 ff. 311 Vgl. Wohlgemuth, Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 49, 56 f. 312 Vgl. Eichenberger, Eine „fünfte Freiheit“ für Europa: Stärkung des politischen Wettbewerbs durch „FOCJ“, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 45 (1996)(1), S. 110 – 131; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVSStRL 69 (2010), S. 7, 26. 313 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 34. In Bezug auf den politischen Wettbewerb vgl. Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 134. 314 H. Arndt, Kapitalismus, Sozialismus, Konzentration und Konkurrenz, S. 69 f.; Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 17; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 34 f.
D. Marktanalogie Teil II
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Entscheidungen über das Güterangebot ab.315 Anbieter passen ihr Angebot entsprechend an. Die Vertreter der Systemwettbewerbstheorie übertragen die Präferenzanpassungsfunktion auf den Wettbewerb von Staaten: „Competition in the private marketplace forces sellers to become sensitive to preferences of consumers. Competition among governments forces public officials to become sensitive to preferences of citizens“.316
Die Wahl zwischen verschiedenen Regulierungssystemen seitens der Anbieter bzw. Nachfrager führt zu Signalen an die Gesetzgeber317 und über entsprechende gesetzgeberische Reaktionen unter Umständen zu einer Anpassung des staatlichen Leistungsangebotes bzw. einzelner Institutionen an die Präferenzen der Nachfrager nach Institutionen.318 Es ist deswegen von einer Präferenzanpassungsfunktion des Systemwettbewerbs die Rede.
III. Machtbegrenzungsfunktion Wettbewerb zwischen Privaten führt zu einer Begrenzung der Macht einzelner Anbieter.319 Wettbewerb zwischen Privaten balanciert im Idealfall das Kräfteverhältnis zwischen Anbietern auf dem Markt aus und begrenzt damit die Macht im Verhältnis der Anbieter untereinander und im Verhältnis zwischen Anbietern und Nachfragern,320 womit dem Wettbewerb auch eine politische Funktion zukommt.321 315 Es lässt sich von „Stimmzetteln der Verbraucher“ in Form von Geld(-scheinen) sprechen (Bartling/Luzius, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 103). 316 Dye, American Federalism, Competition Among Governments, S. 15. Vgl. auch: Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, Anregungen für die Verfassung Europas, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 92. Zuvor hatte schon die Theorie des Fiskalförderalismus Überlegungen angestellt, wie Politik möglichst nah an die Präferenzen der Bürger angenähert werden kann (vgl. Musgrave, Provision for social Goods in the Market System, in: Problems of Public Finance in the field of research and technical development and new approaches in the Public Finance, S. 192, 196 f.). 317 Vgl. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch; Pies, Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – Der Beitrag von Albert Hirschman, in: Albert Hirschmanns grenzüberschreitende Ökonomik, S. 1, 8. 318 Vgl. Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, KYKLOS 2000, S. 435, 450. Eine Präferenzanpassungsfunktion in Bezug auf das Angebot öffentlicher Leistungen ist bereits im Tiebout-Modell angedeutet: „This model yields a solution for the level of expenditures for local public goods which reflects the preferences of the population more adequately than they can be reflected at the national level“ (Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416, 416). 319 H. Arndt, Macht und Wettbewerb, in: Handbuch des Wettbewerbs, Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, S. 49, 53 f. 320 Vgl. Böhm, Demokratie und ökonomische Macht, in: Kartelle und Monopole im modernen Recht, S. 1, 22; Eucken-Erdsieck, Zum elementaren Verständnis der Ordnung in der wir
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Auf staatlicher Ebene ist Machtbegrenzung der Zentralgewalt bzw. einzelner dezentraler Einheiten ein Grundgedanke des Föderalismus.322 Es geht um die Aufteilung von Kompetenzen und diese Kompetenzaufteilung führt zu einer Begrenzung der Macht der einzelnen Einheiten mittels funktionaler Gewaltenteilung.323 Eine Machtbegrenzung von Staaten ergibt sich im geschlossenen Raum auch dadurch, dass sie mittels Freiheitseinschränkungen und Machtmissbrauch ihre wirtschaftlichen Voraussetzungen untergraben können: „Und vor allem kann der Staat die wirtschaftlichen Voraussetzungen seines eigenen Bestandes nicht zerstören. Der Staat ist nach jeder Richtung davon abhängig, daß in der Gesellschaft genügend wirtschaftliche Güter erzeugt werden, um ihn selbst zu speisen. Er kann an der Volkswirtschaft allerdings Raubbau treiben, und tut es heute in schrecklichem Maße, denn der Verfall, der nach Jahrzehnten und Jahrhunderten kommen wird, braucht die jeweiligen Machthaber nicht zu kümmern. Aber er kann die Volkswirtschaft nicht vernichten, da er doch von ihren Überschüssen leben muß“.324
Die Gefahr der Untergrabung der wirtschaftlichen Grundlagen des Staates mittels der Abwanderung von Privatrechtssubjekten bzw. Faktoren ist in einem offenen grenzüberschreitenden Raum gegenüber der Situation eines geschlossenen Staates
leben, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft, S. 451, 461; H. Arndt, Macht und Wettbewerb, in: Handbuch des Wettbewerbs, Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, S. 49, 53 f.; Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 16; Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 23 f.; Blanke/Thumfart, Generalbericht, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 1, 5. 321 Zohlnhöfer, Marktstruktur und funktionsfähiger Wettbewerb – Versuch einer Erweiterung des Konzepts von Kantzenbach, S. 3 f. 322 BVerfG, Urteil vom 15. 07. 2003, Az. 2 BvF 6/98, BVerfGE 108, 169, 181; Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 19; Epstein, Exit Rights under Federalism, Law and Contemporary Problems 55 (1992), S. 147, 149 f.; Esty/Geradin, Journal of International Economic Law 2000, S. 235, 246; Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3 (1+2) (1987), S. 263, 267 ff. „[…] responsible government plus federalism is extended democracy, simply because there is more competition“. In der VR China wird in jüngster Zeit argumentiert, dass der Ort von Gerichten Einfluss auf deren Unabhängigkeit habe. Zudem werden aus Gründen der Unabhängigkeit der Gerichte Gerichtsbezirkte befürwortet, die über die Grenzen einer Provinz hinausgegen (vgl. o. V., Some Representitives of National People’s Congress advice the establishment of Administrative Court [Originaltitel auf Chinesisch], http://news.xinhuanet.com/mrdx/2014 – 08/30/c_1336073 69.htm: „transdistrict administrative court is an important part of the construction of Democracy and Rule of Law in China“). Der Verfasser dankt Ruyi Du (Universität Hamburg) für die Quelle und die Übersetzung. 323 BVerfG, Urteil vom 15. 07. 2003, Az. 2 BvF 6/98, BVerfGE 108, 169, 181. 324 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 317 f. Das Argument der Machtbegrenzung des Staates aus volkswirtschaftlichen Zwängen heraus war im 17. und 18. Jahrhundert ein Argument für die die Hinwendung zu einem marktwirtschaftlichen Ansatz (vgl. Hirschman, Leidenschaften und Interessen, S. 79 ff.; Pies, Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – Der Beitrag von Albert Hirschman, in: Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik, S. 1, 17).
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höher,325 da ungünstige Bedingungen innerhalb eines Staates zu Abwanderungen von Faktoren führen und diese Abwanderungen erfolgen lange bevor diese Faktoren unter ungünstigen Bedingungen derart leiden, dass sie in ihrer Existenz gefährdet sind.326 Das volkswirtschaftlich destruktive Potential nationaler Politik wird deshalb gegenüber der Situation eines nach außen abgeschlossenen Staates vorverlagert.327 Die Anforderungen an staatliche Politik werden in einem offenen Raum gegenüber einer Politik unter den Rahmenbedingungen eines geschlossenen Raumes deutlich erhöht, da die Politik ständig mögliche Reaktionen von mobilen Privatrechtssubjekten bzw. Inhabern nützlicher Faktoren einkalkulieren muss.328 Staaten müssen deshalb abwägen zwischen der Verwirklichung für mobile Faktoren unattraktiver staatlicher Steuerungsziele und dem ökonomischen Preis einer solchen Politik im Hinblick auf mögliche Abwanderungen und einem Ausbleib von Zuwanderungen. Je stärker Staaten auf bestimmte Faktoren angewiesen sind, desto mehr befinden sich die Inhaber von diesen mobilen Faktoren in der Rolle von Prinzipalen, die über die Wanderungen bzw. Wanderungsmöglichkeiten von Faktoren Einfluss auf staatliche Politik nehmen. Folge ist, dass staatliche Handlungsmöglichkeiten abnehmen und den Bedürfnissen der Faktorinhaber Rechnung getragen werden muss. Die machtbegrenzende Wirkung einer hohen Mobilität von Privatrechtssubjekten und Produktionsfaktoren auf Staaten beschrieb bereits Adam Smith in Bezug auf die Besteuerung von Kapital, womit der viel diskutierte Steuerwettbewerb329 zwischen 325
Vgl. Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 298. 326 Vor dem Hintergrund der erfoolgenden Abwanderungen ist letztlich auch der Mauerbau in der DDR zu sehen (Hirschman, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen Republik, Leviathan, Zeitschrift für Sozialwissenschaft 20(3) (1992), S. 330, 338: „[…] vielmehr wurde der Exodus von Ostdeutschen in den Westen, als er unablässig weiterging und auch viele hochqualifizierte Mitglieder der Arbeiterschaft einschloß, mit einem dauernden ,Blutverlust‘ verglichen, der für den neuen Staat lebensgefährlich war und gestoppt werden mußte. Der Bau der Berliner Mauer 1961 sollte dieses Ziel erreichen.“). 327 Vgl. Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs, S. 30: „Die Exit-Option des Faktors Kapital definiert die Opportunitätskosten wirtschaftspolitischer Maßnahmen neu, und damit verändert der Standortwettbewerb das Kosten-Nutzen-Kalkül der Politik. Der Entscheidungsspielraum der Politik wird enger“; Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 2000, S. S217, S233: „In a decentralized system, errors in the sense of wrong economic policies tend to be automatically eliminated by the competitive jurisdictional processes themselves“; Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition: Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66, 76 f.; Giersch, Anmerkungen zum weltwirtschaftlichen Denkansatz, Weltwirtschaftliches Archiv 125, S. 1, 2; Montinola/Qian/Weingast, Federalism, Chinese Style: The Political Basis for Economic Success, World Politics 48(1) (1995), S. 50, 79. 328 Streit/Wohlgemuth, Einleitung: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 7, 9. 329 Die Frage des Einflusses von Steuersätzen auf die Wanderung von Kapital und deren Rückwirkung auf nationale oder lokale Steuersätze ist Gegenstand der wohl am ausführlichsten geführten Debatte im Zusammenhang mit der Mobilität von Faktoren: Taxation Committee of
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Staaten als eine oft diskutierte Erscheinungsform von Systemwettbewerb330 angesprochen ist: „Der Bodeneigentümer ist ganz von selbst Bürger des Landes, in dem sein Grund liegt, wohingegen der Kapitalbesitzer gleichsam als Weltbürger nicht unbedingt an ein einzelnes Land gebunden ist. Er würde in der Lage sein, das Land zu verlassen, das ihn lästigen Nachforschungen aussetzt, um zu einer drückenden Steuer herangezogen zu werden, und er würde sein Vermögen in irgendein anderes Land bringen, wo er entweder sein Geschäft ungestört betreiben oder sein Vermögen unbehelligt nutzen könnte. Mit dem Abzug seines Vermögens würde er allen Erwerbszweigen, die bislang damit in dem Land, das er verläßt gearbeitet haben, die Existenzgrundlage entziehen. Denn mit Hilfe von Kapital wird Boden bewirtschaftet und angebaut, und Arbeitskräfte werden damit beschäftigt. Eine Steuer, die Kapital aus einem Land zu vertreiben imstande ist, würde aber auch in der Folge die Einkommensquellen für den Landesherrn wie für alle Bewohner versiegen lassen. Denn nicht nur Kapitalgewinn, auch Grundrente und Arbeitslohn würden dadurch ganz zwangsläufig mehr oder weniger zurückgehen“.331
Nach M. Weber schuf der ständige friedliche und kriegerische Kampf konkurrierender Nationalstaaten „dem neuzeitlich-abendländischen Kapitalismus die größten Chancen. Der einzelne Staat mußte um das freizügige Kapital konkurrieren, das ihm die Bedingungen vorschrieb, unter denen es ihm zur Macht verhelfen wollte. Aus dem notgedrungenen Bündnis des Staates mit dem Kapital ging der nationale Bürgerstand hervor […]“.332
the National Civic Federation 1901: „The problem of just taxation is no longer a local problem. It cannot be solved without considering the mutual relations of contiguous States and localities“ (zitiert nach: Zillmer, State Laws: Survival of the Unfit, University of Pennsylvania Law Review 62 (1913 – 14), S. 509, 522); Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 7 Rn. 70 ff.; Schmehl, Nationales Steuerrecht im internationalen Steuerwettbewerb, in: Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 99 – 123; Zucman, Steueroasen. 330 Vgl. Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 89 ff. 331 Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 726 f. vgl. auch S. 343: „Das durch Handel und Gewerbe erworbene Kapital ist solange für ein Land als Vermögenswert ungewiß und unsicher, bis nicht wenigstens ein Teil davon in Grund und Boden angelegt ist. Ein Kaufmann ist nämlich, wie man sehr zutreffend erkannt hat, nicht zwangsläufig Bürger eines bestimmten Landes. […] Schon kleine Ärgernisse können ihn veranlassen, sein Kapital und das von ihm finanzierte Gewerbe in ein anderes Land zu verlagern“. (vgl. den Hinweis auf das Zitat in: Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 3); Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113, 120; Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 12). Smith verwendet im Zusammenhang mit dem Thema Freihandel auch den Topos eines Wettbewerbs von Staaten: „Die Vorteile, die ein Land von Natur aus gegenüber einem anderen in der Produktion einzelner Waren besitzt, sind mitunter so groß, dass es, wie alle Welt weiß, vergeblich wäre, ihm hierin Konkurrenz machen zu wollen“ (Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 373). 332 M. Weber, Wirtschaftsgeschichte, S. 288 f. (auch abgedruckt in: M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 815). Die Ausführungen sind im Wintersemester 1919/20 im Rahmen von
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von Hayek beschrieb die machtbegrenzende Politik von Mobilität in Föderationen und bezieht auch eine mögliche machtbegrenzende Wirkung von institutioneller Mobilität auch im Hinblick Produktregulierungen ein: „Der Wegfall von Zollmauern und die freie Beweglichkeit von Menschen und Kapital zwischen den Staaten des Bundes hat wichtige Folgen, die häufig übersehen werden. Sie beschränken den Spielraum der Wirtschaftspolitik der einzelnen Staaten in sehr beträchtlichem Maß. Wenn Güter, Menschen und Geld frei über die Grenzen hin beweglich sind, so wird es unmöglich, durch eine einzelstaatliche Maßnahme auf die Preise der verschiedenen Erzeugnisse einzuwirken. […] Es ist weiters klar, daß es nicht möglich sein würde, daß die Staaten innerhalb des Bundes eine selbständige Währungspolitik verfolgen. […] Aber auch im Hinblick auf weniger tiefgehende Eingriffe in das Wirtschaftsleben, als es die Regelung des Geldes und der Preise darstellt, wären die Möglichkeiten, die den einzelnen Staaten offenstünden, empfindlich eingeschränkt. Die Staaten könnten zwar natürlich Kontrolle über die Qualität der Güter und über die Produktionsmethoden ausüben, aber es darf nicht übersehen werden, daß, vorausgesetzt, daß kein Staat die in anderen Teilen des Bundes erzeugten Waren ausschließen kann, jede Last, die er einer bestimmten Industrie durch staatliche Regelung auferlegte, sie gegenüber gleichen Industrien in anderen Teilen des Bundes schwer in Nachteil setzten würde. Wie die Erfahrung in bestehenden Bundesstaaten gezeigt hat, ist es für einen Einzelstaat schwierig, selbst Gesetze wie das der Beschränkung der Kinderarbeit oder der Arbeitszeit allein durchzuführen“.333
Unter Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips können sich Interessengruppenregulierungen in Bezug auf Waren und Dienstleistungen nicht länger als für die Anbieter vorteilhaft, sondern als nachteilig darstellen. Die Vorteile von ehemals wettbewerbsschützenden Regulierungen verlieren an Bedeutung334 und wandeln sich möglicherweise zu einem Wettbewerbshindernis (indem sie zu einer Ungleichhheit der Wettbewerbsbedingungen im Wettbewerb mit Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten führen), weswegen es infolge der Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung zu einer Einschränkung derartiger Regulierungen kommt.335 Vorlesungen entstanden (M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Vorwort zur ersten Auflage, S. XXXII). 333 von Hayek, Die Wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse, in: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 324, 328 – 330 (vgl. den Nachweis bei: Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 3). 334 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 297. 335 Daumann, Zur Harmonisierung dernationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 296 f.; Kerber/ Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 456 f.; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 203; Weingast, The Economic Role of Political Institutions: Market-Preserving Federalism and Economic Development, Journal of Law, Economics, and Organization 11 (1995), S. 1, 6; Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs, S. 42; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in:
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Grundlage der Annahme einer Machtbegrenzungsfunktion336 ist ein Versagen demokratischer Repräsentation und insbesondere das Vorhandensein von Interessengruppenregulierungen. Entscheidend ist deshalb die Frage, inwieweit Regulierungen tatsächlich Ausdruck einer negativ zu bewertenden Interessengruppenpolitik sind.337 Je stärker ein negativer Einfluss von Interessengruppen betont wird, desto wertvoller erscheint Systemwettbewerb als Mittel zur Begrenzung staatlicher Macht.338 Es entsteht im Rahmen der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie der Eindruck, dass Abwanderung und Systemwettbewerb sogar eine höhere Bedeutung zukommt als dem demokratischen Prozess.339 Hintergrund ist, dass dieser als generell korrekturbedürftig angesehen wird. Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 19 ff.; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 227; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 524; Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozess, S. 53, 64; Vanberg, Economic constitution, the constitution of politics and interjurisdictional competition in: Economic Law as an economic good, S. 61, 63; Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 268; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 124. 336 Vgl. zum Einschluss und Ausschluss von Informationen in die Theoriebildung: Sen, Ökonomie für den Menschen, S. 73 – 75. 337 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 73. 338 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettgewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 26; Giegerich, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 57, 61: „Prämisse einer Negativbewertung des Regulierngswettbewerbs ist die Positivbewertung staatlicher Regulierung“; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 52; S. Sinn, The Taming of Leviathan: Competition Among Governments, Constitutional Political Economy 3(2) (1992), S. 177 – 196; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 39; Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 12; Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, Tz. 5, S. 10 f.; Eickhof, Globalisierung, institutioneller Wettbewerb und nationale Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsdienst 2003, S. 369, 370; Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 323; Esty/Geradin, Journal of International Economic Law 2000, S. 235, 244; Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition: Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66, 84; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 79; Stephan, Regulatory Cooperation and Competition: The Search for Virtue, S. 32; Sturm, Product Standards, Trade Disputes and Protectionism, Centre for Economic Performance, Discussion paper 486, January 2001, S. 21; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 97; Rothbard, Die Ethik der Freiheit, S. 167 ff. 339 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 – 15 Tz. 7 f. „Die vorangestellten Überlegungen legen den Schluß nahe, daß Eigengesetzlichkeiten des politischen Entscheidungsprozesses eine
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Befürworter von Systemwettbewerb erwarten infolge der Einschränkung von Interessengruppenpolitik positive gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtseffekte. Aus historischer Perspektive wird die historisch überlegende wirtschaftliche Entwicklung Europas mit der machtbegrenzenden Wirkung von Systemwettbewerb im technischen Sinn erklärt.340
IV. Deregulierungsfunktion In engem Zusammenhang mit der Machtbegrenzungsfunktion steht die Deregulierungsfunktion von Systemwettbewerb im Sinne der Abschaffung der Einschränkung von regulatorischen Anforderungen.341 Es geht dabei nach Streit um den Abbau von „Systemverkrustung“.342 Nach Formulierung von Siebert hat sich der Systemwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten infolge des Herkunftslandprinzips „als ein Büchsenöffner für nationale Regulierungen erwiesen“ und zu sinnvollen Anpassungen mitgliedstaatlicher Regulierungen geführt.343
Ineffizienz staatlichen Wirtschaftens, die Unangemessenheit spezifischer Eingriffe und generell ein Übermaß an staatlicher Aktivität begünstigen (S. 14 Tz. 8). 340 W. Schäfer, Systemwettbewerb versus Politik-Kartell, Eine Betrachtung aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft, in: Europa zwischen Wettbewerb und Harmonisierung, S. 39, 50: „Die europäische Kleinstaaterei […] hat ökonomisch viel bewirkt. Sie setzte die Herrscher unter Konkurrenzdruck und begrenzte deren Macht. Sie zwang die Kleinstaaten, sich zu öffnen, was ihnen Wohlstand einbrachte. Zentralismus und Abschottung, die zu Armut führen, konnten nicht gedeihen“. Leipold, Der Zusammenhang zwischen der Entstehung und dem Wettbewerb von Ordnungen, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 397, 409 ff. Volckart beschreibt, einen Wettbewerb politischer Autoritäten (in Abgrenzung zu Staaten) um mobile Produktionsfaktoren im Hochmittelalter, also in der Zeit zwischen dem 10. und dem 14. Jahrhundert (Volckart, Systemwettbewerb als historisches Phänomen: Das Beispiel Deutschlands vom 10. bis 18. Jahrhundert, in: Systemwettbewerb als Herausforderung für Politik und Theorie, S. 181 – 209). Vgl. auch: Jones, Das Wunder Europas; Weede, Vom europäischen Wunder zum schleichenden Sozialismus?, in: Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, S. 15 ff.; Weingast, The Economic Role of Political Institutions: Market-Preserving Federalism and Economic Development, Journal of Law, Economics, and Organization 11(1) (1995), S. 1, 6 ff. In Bezug auf die Folgen von Interessengruppenpolitik vgl. auch: Acemoglu/Robinson, Warum Nationen scheitern. 341 Vgl. Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 407 f. Zum Begriff Deregulierung: Möschel, Privatisierung, Deregulierung und Wettbewerbsordnung, JZ 1988, S. 885, 888. 342 Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 114 ff. Gary S. Becker und Guity Nashat Becker merken an, dass kein Zusammenhang zwischen dem Alter eines Wirtschaftssystems und dem Wachstum besteht, was jedoch durch den Begriff der institutionellen Sklerose impliziert werde (Becker/Becker, Die Ökonomik des Alltags, S. 32). 343 Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs, S. 42.
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Die Deregulierungsfunktion ist gegenüber der Machtbegrenzungsfunktion weiter, als dass nicht ausschließlich der Abbau von Interessengruppenregulierungen unter die Systemwettbewerbsfunktion fällt, sondern jede zu begrüßende Deregulierung.
V. Entdeckungs- und Innovationsfunktion 1. Entdeckungsfunktion Als Vertreter der evolutorischen Wettbewerbstheorie bezeichnet von Hayek den „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“344 und beschreibt damit den Wettbewerb als ein Instrument der Generierung von Wissen.345 Erst der Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten schafft nach diesem Ansatz Wissen über die Bedürfnisse der Nachfrager und schafft Wissen über die technischen Möglichkeiten, diese Nachfrage zu befriedigen:346 „Das Wissen, von dem ich hier spreche, besteht […] in hohem Maße in der Fähigkeit, besondere Umstände aufzufinden, eine Fähigkeit, die die einzelnen nur wirksam nutzen können, wenn ihnen der Markt sagt, welche Art von Gegenständen und Leistungen verlangt werden und wie dringlich“.347
Der wettbewerbliche Prozess kann als ein Prozess verstanden werden, „in denen fehlbare Hypothesen über Problemlösungen ausprobiert, Erfahrungen gewonnen und somit das Wissen über adäquate Problemlösungen verbessert werden kann“.348
Die wissensgenerierende Funktion von Wettbewerb ist nicht auf eine Wissensgenerierung auf Seiten der Anbieter beschränkt, vielmehr besitzt der Wettbewerb auch auf Seiten der Nachfrager eine Entdeckungsfunktion: „Die Funktion des Wettbewerbs ist hier zu zeigen, wer uns gut bedienen wird: welches Geschäft oder Reisebüro, welches Warenhaus oder Hotel, welcher Arzt oder Anwalt uns die
344 von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249 – 265; von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 37 f. 345 Nach Luhmann ist der Wettbewerb – als Ausdruck des Entdeckungsfunktion – mittels der Beobachtung der Mitbewerber ein Mittel, Risiken zu strukturieren, in dem Informationen über die Absatzmöglichkeiten von Produkten generiert werden (Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, 3. Kapitel, IX., S. 124; Blanke/Thumfart, Generalbericht, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 1, 2). 346 Vgl. von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249 – 265, 253 ff.; Wohlgemuth, Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 49, 50 – 52. 347 von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249, S. 254. 348 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 200 f.
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zufriedenstellendste Lösung für alle unsere speziellen persönlichen Probleme bietet, denen wir gegenüberstehen“.349
Im Wettbewerb wird das dezentral in den Köpfen der einzelnen Privatrechtssubjekte vorhandene Wissen350 von Anbietern gesammelt und geordnet – mit dem Ergebnis einer Anpassung des Güterangebotes an die Umweltbedingungen; Folge ist die Bildung einer gesellschaftlichen Ordnung351. Insbesondere Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie übertragen die Entdeckungsfunktion von Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten auf einen Wettbewerb der Staaten352 und modellieren eine evolutorische Entwicklung von Recht.353 Bereits zuvor hatte von Hayek im Rahmen seiner Theorie der kulturellen Evolution den Vorteil einer evolutorischen Entwicklung von Regeln in einer erheblich weiteren Nutzung von Wissen gesehen354 : „Eine unserer Hauptthesen ist, daß sehr komplexe Ordnungen, die mehr besondere Tatsachen umfassen, als irgendein Gehirn feststellen oder manipulieren kann, nur durch die Kräfte geschaffen werden können, die die Bildung spontaner Ordnungen herbeiführen“.355
Die evolutorische Systemwettbewerbstheorie betont den Wissensmangel politischer Akteure in Bezug auf die Gestaltung von Recht.356 349
von Hayek, Der Sinn des Wettbewerbs, in: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 122, 128 (HiO). Vgl. auch: Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 53. 350 von Hayek, The Use of Knowledge in Society, The American Economic Review XXXV (4) (1945), S. 519, 526: „The whole acts as one market, not because any of its members survey the whole field, but because their limited fields of vision suffiently overlap so that through many intermediaries the relevant information is communicated to all“. 351 von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249, 255. 352 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 18 f. Tz. 10 f.; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 31 ff.; Wohlgemuth, Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 49 – 70. 353 Kerber/Van den Bergh äußern sich jedoch aufgrund des mit dem europarechtlichen Herkunftslandprinzip verknüpften Erfordernisses der Gleichwertigkeit zurückhaltend hinsichtlich des Innovationspotentials eines Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip (Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 457). 354 von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, Regeln und Ordnung, S. 60 ff. 355 von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, Regeln und Ordnung, S. 60. 356 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 200 – 205; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs, Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 121; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 524;
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Institutionen sind nach diesem Ansatz lediglich „fehlbare ,Hypothesen‘ über die Ordnung menschlichen Zusammenwirkens“357 und die institutionelle Mobilität dient dazu, die institutionellen Präferenzen der Privatrechtssubjekte offenzulegen.358 Die Betrachtung von Regulierungsarbitragen als auch die Betrachtung institutioneller Angebote anderer Staaten ermöglicht Rückschlüsse auf die Problemlösungsqualität von Institutionen.359 Hinsichtlich einer Entdeckungsfunktion ergeben sich insoweit Grenzen, als für eine Entdeckung von Wissen Voraussetzung ist, dass politische Akteure Signale aus dem Systemwettbewerb richtig lesen können.360 Es besteht das angesprochene Problem, dass in der Regel ganze (Hypothesen-) Bündel getestet werden und nicht isoliert einzelne Hypothesen.361 Für einen einzelstaatlichen Gesetzgeber ist deshalb unter Umständen nur unter erheblichen Schwierigkeiten erkennbar, welche institutionellen Rahmenbedingungen gerade zu dem Erfolg eines bestimmten Staates im Systemwettbewerb beigetragen haben bzw. welche Faktoren die Standortattraktivität erhöht haben oder begehrte Faktoren angezogen haben.362 Rückschlüsse auf Wirkungszusammenhänge sind deshalb unter Umständen erst nach einer längeren Kette des Testens von Hypothesen möglich. Der politische Prozess ist nach dem Ansatz der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie hingegen kein geeignetes Instrument zur Offenlegung der Präferenzen der Bürger, da keine hinreichenden Anreize der Wähler zur Information anlässlich
Streit/Wohlgemuth, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 7, 8; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 38. 357 Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 525. Vgl. auch: Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 38. 358 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 38; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 200 f.; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 165 f. 359 Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 525; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 200 f. 360 Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 19 Tz. 12; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 37 f. 361 Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 130; Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 57. 362 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 84 ff.; Kerber/Vanberg, Competition among Institutions, Evolution within constraints, in: Competion among Institutions, S. 35, 46 f.
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von Wahlen gegeben sind363, ausschließlich Bündel von politischen Angeboten zur Wahl stehen364 und der politische Prozess Schwächen im Hinblick auf das Ziel der Repräsentation der Bürger aufweist365. Auch aus rechtswissenschaftlicher Sicht findet eine Entdeckungsfunktion von Systemwettbewerb Anerkennung, ohne dass jedoch grundsätzlich näher auf das Thema Systemwettbewerb einzugehen:366 „Zu den Kosten der Rechtsvereinheitlichung gehört vor allem die Einbuße des Nutzens, den Rechtsvielfalt hat. Denn nur dort, wo Rechtsvielfalt erlaubt ist, bleibt dem parlamentarischen Kräftespiel ,vor Ort‘ die Chance zu eigener rechtspolitischer Gestaltung. Nur dort können sich unterschiedliche Lösungen entwickeln, nur dort können sie miteinander in Wettbewerb treten, und nur dort bilden sich jener Erfahrungsschatz und jene Lösungsvielfalt, deren auch der Einheitsgesetzgeber bedarf, wenn eines Tages ein Bedürfnis für ein einheitliches Recht gegeben sein sollte“.367
Die Thematisierung eines wissensgenerierenden Potentials von Systemwettbewerb in der rechtswissenschaftlichen Literatur und in der ökonomischen Theorie des Systemwettbewerbs stehen weitgehend unverbunden nebeneinander,368 d. h. eine Bezugnahme der rechtswissenschaftlichen auf die ökonomische Literatur und umgekehrt eine Bezugnahme der ökonomischen Literatur auf die rechtswissenschaftliche erfolgt nicht.369 Dieser Befund ist charakteristisch auch in Bezug auf die weitere Beschreibung von Systemwettbewerb bzw. dessen Teilelementen.
363 Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 f. Tz. 7; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 35. 364 Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 37. Vgl. auch Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 74, 93. 365 Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 – 15 Tz. 7 f. 366 Vgl. aber: Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 379; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 25 ff. 367 Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 12. Vgl. auch: Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des Internationalen Privatrechts, § 20 III S. 239; Mertens, Nichtlegislatorische Rechtsvereinheitlichung durch transnationales Wirtschaftsrecht und Rechtsbegriff, RabelsZ 56 (1992), S. 219, 223; Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 234. 368 Kieninger weist im Jahr 2002 darauf hin, dass die ökonomische Forschung in Deutschland bislang keine Notiz vom Wettbewerb der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts genommen habe (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 4). 369 Vgl. aber: Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 379; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 25 ff.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
2. Innovationsfunktion Neben der Generierung von Wissen besitzt Wettbewerb ein Potential zur Generierung von Innovationen.370 Innovation bedeutet die Entwicklung vollkommen neuartiger Leistungsangebote und neuartiger Techniken zur Produktion von Waren oder des Angebotes von Dienstleistungen.371 Anbieter sind im Interesse der Generierung von Vorsprungsgewinnen und möglicherweise zum Zwecke ihres Überlebens am Markt gezwungen, neue „Hypothesen“ (im Sinne von Versuchen Waren und Dienstleistungen und deren Produktion zu verbessern) aufzustellen und damit in den Raum des bislang objektiv oder subjektiv Unbekannten vorzustoßen.372 Dabei können die Anbieter den Präferenzen der Nachfrager voraus sein,373 wobei sich eine Innovation nur dann als erfolgreich erweist, wenn die Nachfrager die Innovation zeitnah anerkennen und nachfragen. Gleichzeitig bestehen Notwendigkeiten, die sich bei anderen Anbietern als erfolgreich erwiesenen Hypothesen zu imitieren.374 Wettbewerb ist danach ein Prozess des ständigen Vorstoßens, Nachziehens und Überholens in Form von Innovation und Imitation.375 Insbesondere die Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie übertragen Innovationsfunktion auf die Situation eines Wettbewerbs der Staaten.376 370
Vgl. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 88 ff., 100 f. Im Rahmen der Beurteilung von Unternehmenszusammenschlüssen ist in den USA vor dem Hintergrund der Innovationsfunktion eine sog. Innovation Market Analysis gebräuchlich (Daumann/Oberender, Die Innovation Market Analysis – ein neuer Ansatz in der Wettbewerbspolitik, in: Theorie der Wirtschaftspolitik: Erfahrungen – Probleme – Perspektiven, S. 139 – 175). 371 Vgl. Schumpeter, Theore der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 88 ff.; Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissensschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 38 ff.; Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 14; Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, S. 11, 12. 372 Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 53. 373 Steve Jobs: «Einige Leute sagen: „Gib den Kunden, was sie wollen“. Aber das ist nicht mein Ansatz. Unsere Aufgabe ist es, herauszufinden, was sie wollen, ehe sie es selbst herausfinden. Ich glaube, dass Henry Ford einmal gesagt hat: „Hätte ich meine Kunden gefragt, was sie haben wollen, hätten sie mir geantwortet: ,Ein schnelles Pferd!‘“ Die Leute wissen gar nicht, was sie wollen, bis man es ihnen zeigt. Deshalb verlasse ich mich nicht auf Marktforschung. Unsere Aufgabe ist es, Dinge zu lesen, die noch gar nicht geschrieben sind.» (Isaacson, Steve Jobs, S. 661). 374 Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 53. 375 Kerber, Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 40 f.; Hoppmann, Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1967), S. 77, 90. Vgl. auch: RG, Urteil vom 27. 3. 1936, Az. II 229/35, JW 1936, 2073, 2074. 376 Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 39; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 201; Vanberg, Systemtransformation,
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Im Systemwettbewerb bestehen jedoch spezifische Hindernisse für einen innovativen Wettbewerb. Hindernisse sind vor allem die allgemeine Trägheit des politischen Prozesses377 und die Tatsache, dass Veränderungen des Systems häufig nicht mehrheitsfähig sind, weil große Teile der Bevölkerung risikoavers sind und Steuergelder nicht mit Venture-Kapital zu vergleichen sind.378 Auch unabhängig von dem Bestehen wirtschaftlicher Risiken wirken kollektive Prozesse der Entscheidungsbildung innovationshemmend: „Aber das Neue, das die Entwicklung vorantreibt, entspricht nicht dem Maß von gestern. Deshalb kann über wirklich innovative Entwicklungen auch nicht der Gruppenkonsens entscheiden oder eine Kommission. ,Spinner‘, die das Unvorstellbare Denken, haben dort keine Chance, weil auch konkrete Utiopien als Utopien belächelt werden. Der „Spinner‘ braucht privates Vermögen oder Förderer, um seine Ideen umzusetzen. Die Basisinnovation, das grundlegend Neue von heute, ist die unvorstellbare Idee von gestern“.379
Eine mögliche institutionelle Innovation vermittelt über einen Wettbewerb der Staaten wurde keineswegs zuerst von den Vertretern der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie beschrieben bzw. angedeutet. von Hayek selbst deutet die Vorteile von einem möglichen Experimentieren von Einzelstaaten einer Föderation an, ohne jedoch diesen Zusammenhang näher zu spezifizieren380. Einige Jahre zuvor beschrieb bereits Justice Brandeis in New State Ice Co. v. Liebmann diesen Zusammenhang: „To stay experimentation in things social and economic is a grave responsibility. Denial of the right to experiment may be fraught with serious consequences to the Nation. It is one of the happy incidents of the federal system that a single courageous State may, if its citizens
Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 38. Zudem sind – ähnlich wie in der Warenproduktion – Innovationen im Gesetzgebungsverfahren denkbar. So werden zum Beispiel im US-amerikanischen Bundesstaat Delaware Gesetze im Bereich des Gesellschaftsrechts maßgeblich von der daran interessierten Anwaltschaft entworfen (Charny, Competition among Jurisdictions in Formulating Corporate Law Rules: An American Perspective on the „Race to the Bottom“ in European Communities, Harvard International Law Journal 32 (1991), 423, 433; Teichmann, Wettbewerb im Gesellschaftsrecht als neues Element der Binnenmarktintegration, in: Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, S. 43, 45). 377 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 13 Tz. 7; J. Schmid, Reformen in Deutschland – ein Ding der Unmöglichkeit?, Wirtschaftsdienst 2003, S. 7 – 10; Behrens, Economic Law Between Harmonization and Competition: The Law & Economics Approach, in: Economic Law as an Economic Good, S. 45, 55: „the general impression is that governments are rather slow in picking up with developments resulting from interjurisdictional competition“. 378 Prosi, Europäische Integration durch Wettbewerb?, Eine politisch-ökonomische Analyse, in: Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, S. 119, 122 f. 379 Prosi, Europäische Integration durch Wettbewerb?, Eine politisch-ökonomische Analyse, in: Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, S. 119, 121. 380 von Hayek, Die wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse, in: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 324, 339.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
choose, serve as a laboratory; and try novel social and economic experiments without risk to the rest of the country“.381
Auch in der deutschen Rechtswissenschaft ist der Topos rechtlicher Innovation382 und insbesondere eines Experimentierens infolge dezentraler Strukturen und einer möglichen innovationsfördernden Wirkung – unabhängig von der Diskussion um Systemwettbewerb – länger verbreitet, als die evolutorische Systemwettbewerbstheorie besteht.383 In der deutschen Rechtswissenschaft ist neben den zitierten Ausführungen von Brandeis insbesondere der Beitrag „Juristische Entdeckungen“ von Dölle bekannt.384
VI. Harmonisierungsfunktion (Ex-post Harmonisierung) 1. Erwartung einer Ex-post Harmonisierung aus Sicht der neoklassischen Modellbildung Systemwettbewerb ist – insbesondere aus Sicht eines neoklassischen Wettbewerbsverständnisses – ein Mittel zur autonomen Angleichung einzelstaatlichen Rechts.385 Ähnlich wie die preistheoretischen Modelle eines Wettbewerbs zwischen 381 New State Ice Co. V. Liebmann, 285 U.S. 262, 311 (1932), Brandeis dissenting. Auch Conneticut light & Power Co, Inc. v. F. P.C., 324 U.S. 515, 530 (1945): Jackson: „[…] the „insulated chambers of the states“ are still laboratories where many lessons in regulation may be learned by trial and error on a small scale without involving a whole national industry in every experiment“. 382 Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 11, 15. 383 Vgl. Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, § 3, S. 20: „Schließlich ermöglicht die Existenz verschiedener Rechtsbezirke ein gewisses Experimentieren im begrenzten Raum, ehe ein neues Rechtsinstitut allgemeine Geltung erlangt“; Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 12; Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des Internationalen Privatrechts § 20 III, S. 239. 384 Dölle, Juristische Entdeckungen, in: Verhandlungen des zweiundvierzigsten Deutschen Juristentages 1957, S. B 1 – B 22. Dölle nennt als Beispiel einer „Entdeckung“ die Entwicklung der Rechtsfigur der culpa in contrahendo von Seiten von von Jherings (Dölle, Juristische Entdeckungen, in: Verhandlungen des zweiundvierzigsten Deutschen Juristentages 1957, S. B 1, B 7 – B 10). Eine wichtige rechtliche Innovationen stellt zudem die Erfindung der Sicherungsübereingung dar, da ein Besitzpfandrecht nicht eine Weiterverwendung des entsprechenden Wirtschaftsgutes wie eine Maschine zur Produktion von Waren durch den Schuldner erlaubt (vgl. Kieninger, Mobiliarsicherheiten im Europäischen Binnenmarkt, S. 23). Auch die Erfindung der GmbH & Co (vgl. RG, Beschluss vom 4. 7. 1922, Az. II B 2/22, RGZ 105, 101 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 56 I, S. 1621 ff., h) ist eine rechtliche Innovation. 385 Vgl. Giersch, Diskussionsbeitrag zu: Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 35, 41; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 459, 467; Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive
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Privatrechtssubjekten, führt Ex-post Harmonisierung zu einem Gleichgewichtszustand.386 Dieses Phänomen ist unter dem Topos Ex-post Harmonisierung387 im Gegensatz zu einer auf Gemeinschaftsebene geschaffenen Ex-ante Harmonisierung388 bekannt. Insbesondere Vertreter des Kieler Instituts für Weltwirtschaft389 haben Anfang der 1990er Jahre die Funktion einer Ex-post Harmonisierung beschrieben.390 Systemwettbewerb und daraus folgende Ex-post Harmonisierung wird nach teilweise vertretener Ansicht deshalb sogar zum Ersatzinstrument der Harmonisierung auf zwischenstaatlicher oder supranationaler Ebene:391 „If a competitive process is relied upon, harmonization will occur over time, and the solution will not have to be found right away“.392
Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53, 53; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren, S. 54, 56. Vgl. auch: Gutowski, Intereconomics 1987, 161; Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 110; Deakin, Legal Diversity and Regulatory Competition: Which Model for Europe?, European Law Journal 12(4), S. 440, 451; Hirschfeld, Die niederländische „bv“ nach dem Gesetz zur Vereinfachung und Flexibilisierung des bvRechts (flex-bv), RIW 2013, S. 134, 142. 386 Vgl. Rudolph, Regulierungsarbitrage und Neudimensionierung von Finanzunternehmen, in: Die Dimensionierung des Unternehmens, S. 361, 363. 387 Prosi lehnt den Begriff „ex-post Harmonisierung“ ab: „Fälschlicherweise wird das expost Harmonisierung genannt – ein ökonomischer Unsinnsausdruck, weil sich nachträglich – ex post – nichts harmonisieren lässt“ (Prosi, Europäische Integration durch Wettbewerb?, Eine politisch-ökonomische Analyse, in: Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, S. 119, 126). Eine Harmonisierung auf EU-Ebene kann nach einer Ex-post Harmonisierung auf mitgliedstaatlicher Ebene erfolgen. Die Verwendung des Begriffs „ex-ante Harmonisierung“ wäre in diesem Zusammenhang verwirrend. 388 Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 54. 389 Vgl. zu diesen Ansätzen im Überblick: Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 131 ff. 390 Vgl. Giersch, Diskussionsbeitrag zu: Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 35, 41; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 56. 391 Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53, 53; Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, KYKLOS 53 (2000), S. 435, 439; Luckenbach, Von der Volks- zur Weltwirtschaftspolitik – Entwicklungslinien und Institutionen der internationalen Wirtschaftspolitik –, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 41 (1996), S. 217, 222 f. Vgl. aber: Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 56; Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 110 („im Ausnahmefall“). 392 Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53, 53.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
„Thus, harmonization is not always necessary for European construction and in any case must limit itself to minimum, often optional, elements concerning only fundamental aspects. Moreover, mutual recognition, being an instrument for competition in regulation, in the end leads to regulation convergence within the European Union without any top-down harmonization process“.393
Andererseits spricht Giersch394 davon, dass Ex-post Harmonisierung „ein Aufholprozeß [ist], der wohl nie ein Ende findet, solange es noch Verbesserungs- und Innovationsmöglichkeiten gibt“.395 Ex-post Harmonisierung ist nach dieser Sichtweise auch evolutorisch geprägt. Aus Sicht der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie wird eine Ex-post Harmonisierung zwar nicht ausgeschlossen, jedoch eher als Ausnahmefall betrachtet: „Wettbewerb zwischen Regelsystemen, etwa zwischen unterschiedlichen nationalen Regulierungen im Binnenmarkt, muß keineswegs zu einer „Harmonisierung von unten“ führen. Insofern ist es falsch, Regulierungswettbewerb lediglich als besseres Mittel zur Erreichung von Harmonisierungszielen und damit als Alternative zur politischen „Ex-anteHarmonisierung“ zu sehen, wie dies manche Befürworter von Regulierungswettbewerb gerne tun“.396 „Systemwettbewerb ist aus dieser Sicht kein Instrument zur Erzielung vorgegebener Harmonisierungsziele. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich Systemwettbewerb ausschließlich als Anpassungswettbewerb unter „gegebenen Alternativen“ vollzieht. Ge-
393
Padoa Schioppa, Preface, in: The Principle of Mutual Recognition on the European Integration Process, S. i, x. 394 Zu Giersch: Paqué, Ein Leben für die offene Welt: Zum Tode von Herbert Giersch, Wirtschaftsdienst 90(9) (2010), S. 629 – 631. 395 Vgl. Giersch, Diskussionsbeitrag zu: Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 35, 41. 396 Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 79. Vgl. auch: Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 227 f.; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 525; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 42 f.; Budzinski, Wirtschaftspolitische Implikationen evolutorischer Ordnungsökonomik, Das Beispiel ordnungskonformer ökologischer Wirtschaftspolitik, S. 17; Wohlgemuth, Korreferat zu Michael Koop, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 63, 64; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 93; Streit, Institutionelle Konvergenz im europäischen Integrationsprozess, in: Ökonomische Konvergenz in Theorie und Praxis, S. 137, 140; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 525; Streit/Mussler, Wettbewerb de Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 79; Mussler/Wohlgemuth, Institutionen im Wettbewerb, Ordnungstheoretische Anmerkungen zum Systemwettbewerb in Europa, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozess, S. 9, 19.
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rade die Entwicklung institutioneller Neuerungen kann vorteilhafte Wettbewerbsstrategie sein“.397
Eine fehlende Ex-post Harmonisierung wird aus dieser Sicht grundsätzlich begrüsst: „Es ist gut, wenn Systemwettbewerb nicht in einem Gleichgewicht der Rechtseinheit zum Stillstand kommt. Es ist gut, wenn immer wieder alternative Problemlösungen vorgefunden oder entwickelt werden und somit wettbewerblich getestet werden können“.398
Sofern es zu einer Ex-post Harmonisierung kommt, ist sie aus Sicht der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie gegenüber einer Ex-ante Harmonisierung generell vorzugswürdig, da Ex-post Harmonisierung im Unterschied zu einer Ex-ante Harmonisierung Ausdruck einer evolutorischen Rechtsentwicklung ist.399 Das Phänomen Ex-post Harmonisierung lässt sich zudem als Entdeckung eines tatsächlichen Bedarfs an materiellrechtlicher Harmonisierung deuten.400 Ex-post Harmonisierung erleichtert möglicherweise Harmonisierungsmaßnahmen auf EU-Ebene,401 denn Einigungen sind leichter zu erzielen, wenn von einer gemeinsamen Basis an Regulierungen ausgegangen werden kann402. 2. Bestimmungsgründe für das Stattfinden und der Richtung einer Ex-post Harmonisierung Ob mit einer Ex-post Harmonisierung gerechnet werden kann, ist abhängig von den Präferenzen der mobilen Privatrechtssubjekte bzw. der institutionellen Nachfrager: „Was von den Marktteilnehmern als das Bessere erachtet wird, setzt sich durch in einem Prozess der erfahrungsgestützten Harmonisierung und Angleichung“.403 397
Mussler/Wohlgemuth, Institutionen im Wettbewerb, Ordnungstheoretische Anmerkungen zum Systemwettbewerb in Europa, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozess, S. 9, 19. 398 Wohlgemuth, Korreferat zu Michael Koop, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 63, 64. 399 Vgl. auch: Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 2, S. 20: „Schließlich ermöglicht das Bestehen verschiedener Rechtsbezirke ein gewisses Experimentieren in begrenztem Raum, ehe ein neues Rechtsinstitut allgemeine Geltung erlangt“. 400 Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion, S. 53, 57; Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, KYKLOS 53 (2000), S. 435, 439. 401 Vgl. Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 110. 402 Vgl. Teil 3 § 19 B. VII. 2. 403 Giersch, Diskussionsbeitrag zu: Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 35, 41.
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Danach führt Systemwettbewerb nur im Falle von homogenen Präferenzen der Bürger bzw. homogenen Präferenzen der institutionellen Nachfrager, die implizit vorausgesetzt werden, zu einer Angleichung des Rechts.404 Voraussetzung sind zudem Regulierungsarbitragen, was institutionelle Mobilität und hinreichende Regulierungsunterschiede und eine Transparenz der Regulierungsunterschiede voraussetzt. Im Rahmen eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip ist zwischen den Präferenzen der Anbieter und Nachfrager von Waren und Dienstleistungen zu unterscheiden. Wenn Nachfrager nicht in der Lage sind, Regulierungsunterschiede zu erkennen und sachgerecht zu bewerten, ist es möglich, dass im Rahmen einer Ex-post Harmonisierung die Präferenzen der Nachfrager von Waren und Dienstleistungen vernachlässigt werden. Dies erscheint auch dann möglich, wenn Regulierungen hinter andere Charakteristika des Angebotes zurücktreten. Auch wenn eine hinreichende Markttransparenz besteht und Regulierungen Wettbewerbsparameter auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten sind, ist zu berücksichtigen, das seine Rückkopplung wenig effektiv sein kann und dass eine Expost Harmonisierung deshalb das Ergebnis der Handlungen der mobiler Faktorinhaber ist.405 Von einer Ex-post Harmonisierung kann deshalb nicht automatisch auf die mehrheitlichen Präferenzen der Bürger eines bestimmten (Mitglied-)Staates in Bezug auf die Regulierungsgestaltung geschlossen werden.406 Immobile Faktorinhaber oder Dritte besitzen insofern kein „Stimmrecht“ in Bezug auf die Frage der Harmonisierung materiellen Rechts.407 Ex-post Harmonisierung kann auch Folge von Yardstick Competition408 und auch voneinander unabhängigen Entwicklungen sein409.
404 Ogus, Enforcing Consumer Protection Regulation in a European Context, in: FS Ott, S. 263, 266; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, Anregungen für die Verfassung Europas, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 93. 405 Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 29 ff. 406 Kieninger stellt fest, dass von einer Unterschiedlichkeit des Rechts in Jurisdiktionen nicht automatisch auf unterschiedliche Präferenzen der Bevölkerung geschlossen werden kann (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 36). 407 Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 29 ff. 408 Vgl. Mattei, Efficiency in Legal Transplants: An Essay in Comparative Law and Economics, International Review of Law and Economics 14 (1994), S. 3, 5 – 8., 16 ff. (Effizienz als Kriterium für die Verbreitung von Institutionen). 409 Vgl. Klein, Die Möglichkeit eines Weltprivatrechts, FS Zitelmann, S. 1, 6.
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3. Thematisierung des Topos Ex-post Harmonisierung außerhalb der ökonomischen Literatur Das Phänomen einer autonomen Angleichung des Rechts ist in der juristischen Literatur ein ständig präsenter Topos.410 Schon sehr früh wurde in der juristischen Literatur die Möglichkeit einer „spontanen Harmonisierung“ bzw. „gewachsene Rechtsvereinheitlichung“411 erörtert. Zum Beispiel beschäftigt sich Peter Klein im Jahr 1913 mit Rechtsvereinheitlichung infolge autonomen „spontanen Gleichwerdens“ der verschiedenen Rechte, aufgrund von Rezeption oder mittels völkerrechtlicher Vereinbarung.412 Nach Klein hätte die Vereinheitlichung der Privatrechte durch „spontanes Gleichwerden“413 410 Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 110: „Auch ein Wettbewerb der Rechtsordnungen kann auf Dauer zu einer gewissen Rechtsvereinheitlichung führen. Diese Rechtsvereinheitlichung ,von unten‘ kann die Rechtsvereinheitlichung ,von oben‘, also die Harmonisierung durch gemeinschaftsrechtliche Rechtsakte, vorbereiten, im Ausnahmefall ersetzten oder je nach ihrem Ausmaß begleiten“; Köndgen, Mindestharmonisierung im Bankrecht, in: 7. Bonner Europa-Symposium, Mindestharmonisierung im Binnenmarkt, S. 16: „In der Tat resultiert auch am Ende eines unbehinderten Wettbewerbs für Rechtsordnungen, nicht anders als beim Wettbewerb auf Gütermärkten, typischerweise eine gewisse Angleichung der konkurrierenden Rechte“; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 74: „In der Tat ist die Vorstellung von einem Wettbewerb der Rechtsordnungen durchaus darauf ausgelegt, neue Regulierungsstrategien hervorzubringen und die Kreativität der Akteure optimal zu fördern. Andererseits wäre es allerdings ein Missverständnis zu glauben, dass die Verfechter des Wettbewerbsgedankens eine Zunahme von Verschiedenheit prognostizieren würden. Eine der Annahmen ist vielmehr, dass die Staaten sich an den besonders Erfolgreichen orientieren, also von diesen lernen, während sie sich gleichzeitig einer subtilen Kontrolle ausgesetzt sehen, die darin besteht, dass sie den ,Marktwert‘ ihres Angebots fortlaufend testen müssen. In der Tat kann man auch aus einer vorsichtigen skeptischen Sicht durchaus plausibel vermuten, dass gewisse Nachahmungseffekte eintreten werden und womöglich sogar eine Art nicht verordneter Harmonisierung stattfinden kann“; MüllerGraff, Die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarktes, EuR 1989, S. 107, 120; Grabitz, Über die Verfassung des Binnenmarktes, in: FS Steindorff, S. 1229, 1243; MüllerGraff, Die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarktes, EuR 1989, S. 107, 120; Semmelmann, Die Wirtschaftsverfassung der EG zwischen Markt und Recht – Eine institutionelle und prozedurale Perspektive, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 227, 232; Mansel, Zum Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht nach Amsterdam und Nizza, in: Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, S. 1, 13 f.; Padoa Schioppa, Preface, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. viii, x; Zimmer, Der EG-Richtlinienentwurf über Einlagensicherungssysteme: Chancen zur Verbesserung der deutschen Einlagensicherung?, ZBB 1992, S. 286, 287. In Bezug auf Strafrecht: Hecker, Das Prinzip „Ne bis in idem“ im Schengener Rechtsraum, StV 2001, S. 306, 311. 411 Dölle, Gezielte und gewachsene Rechtsvereinheitlichung, ZfRV 4 (1963), S. 133, S. 134: „Ich meine die Beobachtung, dass es neben der gezielten, der organisierten Rechtsvereinheitlichung auch eine organische, eine gewachsene Vereinheitlichung von Rechtsordnungen gibt“, S. 136. Vgl. auch: Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 2 III. 3., S. 20: „Schließlich ermöglicht das Bestehen verschiedener Rechtsbezirke ein gewisses Experimentieren in begrenztem Raum, ehe ein neues Rechtsinstitut allgemeine Geltung erlangt“ (HiO). 412 Klein, Die Möglichkeit eines Weltprivatrechts, FS Zitelmann, S. 1, 6.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
„unzweifelhaft den großen Vorzug, die natürlichste – allein organische – zu sein. Denn sie stellte sich ja nur dort ein, wo für sie eine innere Notwendigkeit vorliegt. Aber die Zeiträume, welche solch ein spontanes Gleichwerden der Rechtsordnungen notwendigerweise beanspruchen würde, sind so gewaltig, dass diese Art der Rechtsvereinheitlichung schon allein aus diesem Grunde für die realen Zwecke, welche die Bestrebungen nach einem Weltprivatrecht verfolgen, nicht in Frage kommen kann“.414
Deutlich ist damit der Einfluss evolutorischen Rechtsdenkens in der deutschen Rechtswissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu erkennen, die über die historische Rechtsschule, über C. Menger und über von Hayek einen indirekten Einfluss auf die Entwicklung der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie zeigte.415 Der Topos Ex-post Harmonisierung reicht im Kontext der europäischen Marktintegration zurück auf die Schaffung der Gründungsverträge. Die Gründungsmitglieder der Gemeinschaft meinten, dass infolge der Errichtung des Gemeinsamen Marktes regionale Unterschiede abgebaut würden.416 Zur Beseitigung der Differenzen über die materiellrechtliche Harmonisierung in Bereich sozialer Regulierungen wurde im Rahmen der Verhandlungen zu den Römischen Verträgen im Jahr 1956 ein Formelkompromiss erarbeitet, in dem die Möglichkeit der Ex-post Harmonisierung angedeutet wird. Nach Ausführungen des Spaak-Berichts ist es schwer vorstellbar, „daß in einem gemeinsamen Markt wesentliche Unterschiede in den Arbeitsbedingungen bestehen bleiben. Die Tendenz zur Harmonisierung der sozialen Systeme und des Lohnniveaus sowie die auf eine Angleichung der Arbeitsbedingungen gerichteten Bestrebungen der Gewerkschaften werden durch die fortschreitende Errichtung des gemeinsamen Marktes begünstigt werden“.417
Es wurde vereinbart, eine Bestimmung in den Vertrag aufzunehmen, nach dem die Errichtung des Gemeinsamen Marktes „am Ende des ersten Abschnitts Verhältnisse herbeiführen [soll], unter denen die Arbeitszeit, bei deren Überschreitung Überstunden vergütet werden, und die durchschnittliche
413 Klein, Die Möglichkeit eines Weltprivatrechts, FS Zitelmann, S. 1, 6: „spontanes Gleichwerden“. 414 Klein, Die Möglichkeit eines Weltprivatrechts, FS Zitelmann, S. 1, 6. Die Rezeption fremden Rechts betrachtet Klein kritisch (Klein, Die Möglichkeit eines Weltprivatrechts, FS Zitelmann, S. 1, 7 f.) und schlussfolgert, dass allein eine materiellrechtliche Harmonisierung zu einem „Weltprivatrecht“ führen könne (Klein, Die Möglichkeit eines Weltprivatrechts, FS Zitelmann, S. 1, 8). 415 Teil 1 § 2 B. I. 416 Lammers, Europäische Regionalpolitik – Treibende Kraft für Aufholprozesse?, Wirtschaftsdienst 2007(2), S. 101. 417 Regierungsausschuss eingesetzt von der Konferenz von Messina, Bericht der Delegationsleiter an die Aussenminister, Bruxelles, dem 21. April 1956, MAE 120 d/56 (korr.), S. 69. Vgl. Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 328.
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Höhe dieser Überstundenzuschläge in der Industrie der gegenwärtigen Lage in Frankreich entsprechen warden“.418
Falls diese Annahme am Ende des ersten Abschnitts hingegen nicht verwirklicht sein sollte, sollte die Kommission berechtigt werden, den benachteiligten Industrien „Schutzklauseln“ zu gewähren,419 womit klar zum Ausdruck kommt, dass ein Systemwettbewerb in Bezug auf die in Rede stehenden Regulierungen unerwünscht war. Die Bundesregierung führte in der EuGH-Entscheidung zum „Ausfuhrverbot“ von Einlagensicherungssystemen eine mögliche Ex-post Harmonisierung als Argument für den deutschen Standpunkt der Zulässigkeit einer solchen „Ausfuhr“ an, wie sich aus den Urteilsgründen ergibt: „Das ,Ausfuhrverbot‘ beeinträchtige auch den Prozeß der Verringerung der Unterschiede zwischen nationalen Sicherungssystemen und verstoße damit gegen das Ziel der Richtlinie, in allen Mitgliedstaaten Einlagensicherungssysteme einzuführen und bereits bestehende Systeme zu harmonisieren. Diese Ziele müßten durch ein Mindestmaß an Harmonisierung und die gegenseitige Anerkennung der nationalen Systeme erreicht werden“.420
Das System der deutschen Einlagensicherung gewährte insofern einen höheren Schutz als die Systeme der anderen Mitgliedstaaten und stellte deswegen einen Wettbewerbsvorteil dar.421 Der EuGH bestätigte das „Ausfuhrverbot“ und erkannte ausdrücklich die Möglichkeit eines Systemwettbewerbs auf dem Gebiet der Einlagensicherung an.422
VII. Ermittlung des optimalen Grades an Dezentralität bzw. Zentralität mittels eines trial-and-error-Verfahrens In unmittelbarem Zusammenhang mit der Ex-post Harmonisierungsfunktion und mit der Entdeckungsfunktion von Systemwettbewerb steht die Ermittlung des op418
Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 329. Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 329 420 EuGH, Urteil vom 13. 5. 1997, Deutschland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union, Slg. 1997, I-2405, I-2456, Rn. 39. 421 In Deutschland stellen die Institutssicherungssysteme der Genossenschaftsbanken und der Sparkassen und Landesbanken einen wichtigen Grund dar, dass die privaten Banken ebenfalls eine sehr weitgehende Einlagensicherung im Rahmen freiwilliger Einlagensicherung betreiben (Fischer, in: Fischer/Klanten/, Bankrecht, Rn. 3.29; Bigus/Leyens, Einlagensicherung und Anlegerentschädigung, S. 13). Nach der Herstatt-Krise 1974 mussten die privaten Banken eine dem hohen Schutzniveau der Sparkassen und Kreditgenossenschaften eine ebenbürtige Einlagensicherung aufweisen, wenn sie ihre Marktposition nicht gefährden wollten (Zimmer, Der EG-Richtlinienentwurf über Einlagensicherungssysteme: Chancen zur Verbesserung der deutschen Einlagensicherung?, ZBB 1992, S. 286, 292; Bunte, in: BankrechtsHandbuch Bd. 1, § 25 Rn. 5; Dreher, Sicherungseinrichtungen im Kreditsektor zwischen Instituts-, Einlagen- und Herrschaftssicherung, ZIP 1992, S. 1597, 1598). 422 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 05. 1997, Rs. C-223/94, Bundesrepublik Deutschland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union, Slg. 1997, I-2405, I-2457 Rn. 42. 419
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timalen Grades an Dezentralität bzw. Zentralität423 infolge der Zulassung institutioneller Mobilität. Nach diesem Ansatz sollen im Rahmen eines Integrationsprojektes Kompetenzen zunächst auf der untersten Jurisdiktionsebene verankert werden und im Rahmen eines Systemwettbewerbs kann nach diesem Ansatz herausgefunden werden, ob materiellrechtliche Harmonisierung überhaupt in Betracht kommt: „If one is willing to take competition between legal systems seriously, the answer to the question whether harmonisation in needed must be left to the competitive process itself“.424
Systemwettbewerb wäre damit ein Instrument zur Bestimmung, ob und inwieweit Harmonisierung notwendig ist: „Auf diese Weise könnte somit das aus theoretischer Sicht optimale Mehr-Ebenen-System von Jurisdiktionen inklusive der jeweiligen Aufgabenzuweisungen auch durch einen schrittweisen Prozeß von unten entstehen, indem Schritt für Schritt immer weitere Kompetenzen nach oben delegiert werden“.425
Ein Bedarf an Harmonisierung zeigt sich entweder durch eine Ex-post Harmonisierung oder durch ein Marktversagen. Gegenüber einem top-down-Ansatzes wird als Vorteil des bottom-up-Ansatzes eine bessere Ausnutzung von vorhandenem Wissen in Bezug auf die Frage der Kompetenzverteilung gesehen.426 Im Bereich der Handelsintegration ist im Rahmen des bottom-up-Ansatzes zunächst grundsätzlich von einer materiellrechtlichen Harmonisierung abzusehen und eine Integration auf „kollisionsrechtlicher“ Grundlage wie dem europarechtlichen Herkunftslandprinzip oder auf Grundlage von Rechtswahlfreiheit zu fördern. Die Anwendung eines Herkunftslandprinzips oder die Einführung von Rechtswahlfreiheit kann nach diesem Ansatz als Test betrachtet werden, ob einzelstaatliche Re423
Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 208 – 211; Eichenberger, Eine „fünfte Freiheit“ für Europa: Stärkung des politischen Wettbewerbs durch „FOCJ“, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 45 (1996), 110, 111, 121 mwN; Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, KYKLOS 53 (2000), S. 435, 439; Frey/Eichenberger, Competition among Jurisdictions: The Idea of FOCJ, in: Competition among Institutions, S. 209, 215; Koenig, Europäische Integration und Systemwettbewerb zwischen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, EuZW 1998, S. 513. 424 Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, KYKLOS 53 (2000), S. 435, 439. 425 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 209. Vgl. auch: Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, KYKLOS 53 (2000), S. 435, 439. 426 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 210: „Auch über lokale oder oder regionale Präferenzen der Bevölkerung, die räumliche Reichweite spezifischer kollektiver Problemlösungen oder spezielle Skalenvorteile wird es eine Menge von dezentral verstreutem Wissen auf den Jurisdiktionsebenen geben, das nicht auf der obersten Ebene zentralisiert werden kann und folglich bei dem Top-down-Ansatz ungenutzt bleibt“.
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gulierungen harmonisiert werden sollen oder ob diese weiterhin auf Grundlage einer Koordinierung durch das Herkunftslandprinzip oder Rechtswahlfreiheit nebeneinander bestehen können.427 Hinsichtlich der Frage, welches „kollisionsrechtliche“ Regime – Herkunftslandprinzipien oder Rechtswahlfreiheit – zu rechtspolitisch bevorzugen ist, liefert der Ansatz jedoch keine Antwort. Rechtswahlfreiheit und Herkunftslandprinzipien müssten beide getestet werden, um beurteilen zu können, welches das vorteilhaftere Instrument für eine Handelsintegration darstellt. Es stellt sich deswegen in Bezug auf die Gestaltung einer geeigneten „Kollisionsregel“ ein Wissensproblem.428 Die Entscheidung für eine bestimmte „kollisionsrechtliche“ Lösung kann einen weichenstellenden Charakter besitzen und die weitere institutionelle Entwicklung maßgeblich prägen. Die durch die Entscheidung für ein bestimmtes „kollisionsrechtliches“ Integrationsinstrument angestoßene Rechtsentwicklung kann unumkehrbar sein. Eine Kontrolle in Bezug auf die Entscheidung für ein bestimmtes „kollisionsrechtliches“ Integrationsinstrument ist deshalb nur eingeschränkt gegeben. Eine vergleichende institutionelle Betrachtung ist im Rahmen eines derartigen Experiments mit anderen Worten nicht möglich. Sofern sich für eine Integration auf Basis eines Herkunftslandprinzips entschieden wird, wäre dem bottom-up-Ansatz folgend, zunächst ein weit reichendes Herkunftslandprinzip mit einer geringen Bedeutung von Schranken und einem geringen Niveau flankierender materiellrechtlicher Harmonisierung zugrundezulegen. Die Ausgestaltung des Herkunftslandprinzips im Hinblick auf das Mischungsverhältnis429 zwischen Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und Bestimmungslandprinzip und materiellrechtlicher Harmonisierung wäre vor dem Hintergrund der zu sammelnden Erfahrungen laufend anzupassen. Zeitigt ein Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip negative Wirkungen, wäre der Anwendungsbereich des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung möglicherweise mittels Schranken oder mittels einer (partiellen) materiellrechtlichen Harmonisierung einzuschränken. Theoretisch käme es zu einer immer weiteren Wahrnehmung von Kompetenzen auf zentraler Ebene, bis die optimale Gestaltung gefunden wäre. Danach könnte durch den Wettbewerb zugleich selbst das richtige Maß an materiellrechtlicher Harmonisierung ermittelt bzw. entdeckt werden430. 427 Vgl. Kerber/Van den Bergh, Wechselseitige Anerkennung von Regulierungen: Ist die EU ein Vorbild für das globale Handelsregime?, in: Internationalisierung der Wirtschaftspolitik, S. 147, 151, 160. 428 Zum Problem eines infiniten Regresses: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 82. 429 Vgl. Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 14 f. 430 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 209; Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, KYKLOS 53 (2000), S. 435, 439.
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Ein derartiges experimentelles Vorgehen führt zu der Frage, wie kostspielig die Entdeckung von Wissen mittels eines trial-ands-error-Verfahrens sein darf bzw. ob es Möglichkeiten gibt, diese Kosten mittels Planung bzw. einer wissenschaftlichen Modellierung der Folgen alternativer Gestaltungen zu senken,431 denn „[w]enn irgend jemand tatsächlich all das wüßte, was die ökonomische Theorie als ,Daten‘ bezeichnet, so wäre Wettbewerb gewiß eine höchst verschwenderische Methode zur Herbeiführung einer Anpassung an diese Tatsachen“.432
Hintergrund dieses Ansatzes ist, dass der Bedarf an einer materiellrechtlichen Harmonisierung als gering eingeschätzt wird, denn es wird ein grundsätzlicher rechtspolitischer Vorrang von Dezentralität und Systemwettbewerb angenommen. Nach dem bottom-up-Ansatz ist die optimale Kompetenzverteilung aufgrund der Vermutung der Überlegenheit dezentraler Strukturen433 immer schon dann erreicht, wenn Probleme infolge einer dezentralen Kompetenzordnung ausbleiben bzw. diese als geringer bewertet werden als die Probleme, die mit einer weitreichenden Harmonisierung verbunden sein können und Probleme infolge einer „kollisionsrechtlichen“ Integration und insbesondere ein systemwettbewerbliches Marktversagen erscheinen aus Perspektive der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie als Ausnahmefall.
VIII. Kontrolle der Ausgestaltung der Kompetenzordnung mittels eines Systemwettbewerbs mit Drittstaaten Als Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie sieht Kerber die Möglichkeit, dass die Kompetenzordnung der Kontrolle durch Systemwettbewerb unterliegt. Gedanke ist, dass eine optimalere Kompetenzordnung einer Föderation einen Wettbewerbsvorteil dieses Staates im Wettbewerb mit anderen Staaten begründet: „Jurisdiktionen, die aufgrund ungeeigneter Hypothesen fälschlicherweise eine Kompetenz nach oben verlagern, werden gegenüber anderen Jurisdiktionen, die die Aufgabe weiter selbst erfüllen, im Wettbewerb zurückbleiben, so daß sich hieraus eine wettbewerbliche Kontrolle von Entscheidungen über Kompetenzverlagerungen nach oben ergibt“.434
431 Vgl. Voßkuhle, Das Konzept des rationalen Staates, in: Governance von und durch Wissen, S. 13, 17. 432 von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249, 249 (in Bezug auf einen Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten). 433 Vgl. Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 78. 434 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 210 f.
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Tatsächlich war das Ziel der Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit in Europa im Zusammenhang mit dem Wechsel zur „neuen Strategie“435 oder in Australien im Zusammenhang mit der Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung als Instrument zur Verwirklichung der inner-australischen Marktintegration436 eine wichtige Motivation. Die US-amerikanische Marktintegration begründete nach Olson in der Vergangenheit einen wichtigen Wettbewerbsvorteil der USA.437 Die Handelshemmnisse im inner-chinesischen Handel438 dürften hingegen einen Wettbewerbsnachteil der VR China begründen. Integration im Innenbereich hat sich damit grundsätzlich als vorteilhaft im internationalen Wettbewerb erwiesen. Die pauschale These, dass Dezentralität langfristig zu einer besseren wirtschaftlichen Entwicklung führt (wie dies der Verweis auf den historisch-wirtschaftlichen „Sonderweg Europas“ nahelegt439) trägt deshalb nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob eine dezentrale Gestaltung mit einer Integration zu vereinbaren ist. Nur in diesem Fall kann sich ein interner Systemwettbewerb möglicherweise vorteilhaft für die Wettbewerbsfähigkeit nach außen erweisen. Entscheidend dürfte die Schaffung geeigneter „Kollisionsregeln“ und der Einsatz materiellrechtlicher Harmonisierung sein. Es erscheint jedoch fraglich, ob eine Kontrolle der Kompetenzordnung mittels Systemwettbewerb auf kürzere und mittlere Sicht gelingen kann, wenn die in die vergleichende Betrachtung einbezogenen Staaten grundsätzliche Fragen der Integration befriedigend gelöst haben. Das Wissensproblem auf Seiten des Staates erscheint immens. Es spielt ein ganzes Bündel an Faktoren eine Rolle, das bestimmt, inwieweit eine Volkswirtschaft sich erfolgreich entwickelt.440 Sofern geringe Unterschiede in der Kompetenzordnung betrachtet werden, ist es kaum wahrscheinlich, dass diese Unterschiedlichkeiten sozusagen aus dem Bündel heraustreten und ihnen eine eigenständige Bedeutung zukommt. Systemwettbewerb kann deshalb wahrscheinlich nur sehr grobe Anhaltspunkte für die Ausgestaltung einer einzelstaatlichen Kompetenzordnung liefern bzw. es sind erhebliche Zeitabstände notwendig, 435 Cecchini, Europa ’92, Der Vorteil des Binnenmarktes, S. 102 ff.; Fitchew, Political Choices, A. Report: in: European Business Law, 1991 S. 4 f.; Nicolaïdis, Mutual Recognition Regimes: Towards a Comparative Analysis, Weatherhead Center for International Affairs Working Paper No. 98-8, S. 22; Scharrer, Die Einheitliche Europäische Akte: Der Binnenmarkt, Integration 1986, S. 108. 436 Vgl. Heinemann, Dezentrale Entscheidungsstrukturen und freier Warenverkehr, S. 111 f.; Saunders, Australian Economic Union, in: Economic Union in Federal Systems, S. 1. 437 Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen, S. 159 ff. 438 Vgl. Teil 1 § 3 H. IV. 439 Vgl. W. Schäfer, Systemwettbewerb versus Politik-Kartell, Eine Betrachtung aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft, in: Europa zwischen Wettbewerb und Harmonisierung, S. 39, 50; Jones, Das Wunder Europas. 440 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 84 ff. Zur Bedeutung insbesondere von Vertragsfreiheit und Privateigentum vgl. Acemoglu/ Robinson, Warum Nationen scheitern.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
damit Unterschiede deutlich werden.441 Je unterschiedlicher die staatlichen Ordnungen sind (wie im Fall des Vorhandenseins grundsätzlich unterschiedlicher Wirtschaftssysteme442), desto eher erscheint umgekehrt eine Bewertung der nationalen Ordnung mittels eines Vergleichs der wirtschaftlichen Entwicklung möglich.
IX. Gerechtigkeitsfunktion Die Vertreter der Systemwettbewerbstheorie deuten eine mögliche Gerechtigkeitsfunktion von Systemwettbewerb an.443 Nach Streit wachsen „[m]it der Zulassung von Systemwettbewerb und den damit eröffneten Wahlmöglichkeiten […] die Chancen der Bürger im Kampf um das Recht“.444 Nach Vanberg setzt die Abwanderungsoption die Gemeinwesen „einem besonders wirksamen Attraktivitäts- und Gerechtigkeitstest aus, dem Test, ob die in ihren geltenden Ordnungen im Urteil der davon Betroffenen in der Lage sind, den Interessen aller Beteiligten angemessen Rechnung zu tragen“.445 Eine Definition des Begriffs Gerechtigkeit446 liefern die Vertreter der Systemwettbewerbstheorie indes nicht, meinen aber vor allem den Abbau von Interessengruppenregulierungen.
441
werb). 442
Vgl. H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 1 f. (zum „alten“ Systemwettbe-
Vgl. H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 1 f. Zum Verhältnis zwischen Effizienz und sozialer Gerechtigkeit vgl. H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 2 ff.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XXXIX ff.; Kübler, Schlußwort: Vergleichende Überlegungen zur rechtspraktischem Bedeutung der ökonomischen Analyse, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 293, 303 f.; Arndt, Kapitalismus, Sozialismus, Konzentration und Konkurrenz, S. 70. 444 Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 521. 445 Vanberg, Marktgerechtigkeit und Soziale Marktwirtschaft, in: Facetten der Gerechtigkeit, S. 94, 114 (HiO). Kritisch: Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 30 – 32. 446 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 14 ff. „Gerechtigkeit ist ein irrationales Ideal. So unentbehrlich es für das Wollen und Handeln des Menschen sein mag, dem Erkennen ist es nicht zugänglich“ (S. 15 f.); Walter, Ökonomische Globalisierung und gesellschaftlicher Fortschritt, in: Globale Gerechtigkeit, S. 93, 98: „Ökonomen haben mit der Gerechtigkeit ihre großen Schwierigkeiten. Wir wissen nicht, was das ist, und wir können das relativ schlecht definieren“; Kluth, Kriterien der Gerechtigkeit – Zur Entwicklung und disziplinären Verortung des wissenschaftlichen Diskurses über Gerechtigkeit, in: Facetten der Gerechtigkeit, S. 122, 123; Zippelius, Rechtsphilosophie, § 11, S. 57. 443
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Die Konkretisierung des Gerechtigkeitsbegriffs ist mit Schwierigkeiten verbunden.447 Als Leitlinie für die folgende Untersuchung kann gelten: Eine ineffiziente Ausgestaltung von Institutionen ist ungerecht448 und kann zu wirtschaftlichen Problemen zu Lasten der Bevölkerung eines Landes führen449. Umgekehrt bedeutet jedoch eine weitgehend effiziente institutionelle Gestaltung nicht automatisch Gerechtigkeit450. Hintergrund ist, dass im Rahmen des Gerechtigkeitsbegriffs Verteilungsgesichtspunkte berücksichtigt werden müssen.451 Effizienz stellt damit einen Gesichtspunkt im Rahmen des Gerechtigkeitsbegriffs dar.452 Im Rahmen der Gerechtigkeitsfunktion ist zu untersuchen, inwieweit Systemwettbewerb über die Hervorbringung effizienter oder innovativer Strukturen der Förderung gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt dient. Es sind auch Verteilungsaspekte zu berücksichtigen,453 wobei die Theorie eines funktionierenden Systemwettbewerbs den Einfluss von Systemwettbewerb auf Verteilungsfragen (abgesehen von den Verteilungswirkungen von rent-seeking) ignoriert und insbesondere nicht eine mögliche Verteilungsfunktion454 von Systemwettbewerb thematisiert. Verteilungsgesichtspunkte sind im systemwettbewerblichen Kontext vor allem im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Um-
447
Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 14 ff.; Walter, Ökonomische Globalisierung und gesellschaftlicher Fortschritt, in: Globale Gerechtigkeit, S. 93, 98; Zippelius, Rechtsphilosophie, § 11 S. 57. 448 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XXXIX f.; Sen, Ökonomie für den Menschen, S. 77. 449 Vgl. Acemoglu/Robinson, Warum Nationen scheitern. 450 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XL. 451 Vgl. Fehling, Ökonomische Analyse im öffentlichen Recht als Methode zur Reformulierung und Operationalisierung von Gerechtigkeitsfragen, in: Begegnungen im Recht, S. 39, 42. 452 Morlok, Vom Reiz und vom Nutzen, von den Schwierigkeiten und den Gefahren der Ökonomischen Theorie für das Öffentliche Recht, in: Öffentliches Recht als Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 1, 18; Fehling, Ökonomische Analyse im öffentlichen Recht als Methode zur Reformulierung und Operationalisierung von Gerechtigkeitsfragen, in: Begegnungen im Recht, S. 39, 42 ff. 453 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 42; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 31 f. Allgemein: H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XL f. „Effizienz ist mit einem Zustand der ungerechten Verteilung vereinbar. Daher tritt Verteilungsgerechtigkeit als weiteres Ziel neben Allokationseffizienz“ (S. XL); Fehling, Instrumente und Verfahren, in: Regulierungsrecht, S. 1105, 1107 Rn. 40. 454 Vgl. H. Arndt, Kapitalismus, Sozialismus, Konzentration und Konkurrenz, S. 70. Vgl. zu einer Verteilungsfunktion innerparteilichen Wettbewerbs: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 89 f.
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verteilung mit den Mitteln des Steuerrechts relevant.455 Verteilungsfragen stellen sich aber auch in Bezug auf die Frage, inwieweit ein hohes soziales Schutzniveau zugunsten von Arbeitnehmern im Inland durchgesetzt werden kann. Im Bereich von Waren und Dienstleistungsregulierungen ist im Fall einer fehlenden Rückkopplung eine einseitige Begünstigung der Anbieter von Waren und Dienstleistungen mittels der Schaffung gesamtgesellschaftlich suboptimal laxer Regulierungsanforderungen denkbar.456 Unberücksichtigt bleiben die Härten für einzelne Personen infolge systemwettbewerblicher Anpassungszwänge bzw. einer suboptimalen Deregulierung oder einer anderen systemwettbewerblichen Rechtsentwicklung.457 Im Rahmen einer zukünftigen Ausgestaltung von Integration und insbesondere der Frage, welche Bedeutung des Einsatzes „kollisionsrechtlicher“ Integrationsinstrumente zukommen soll, ist eine Beachtung des Gerechtigkeitsziels grundlegend.458 Dabei müssen auch die Vorteile einer Handelsintegration berücksichtigt werden, insbesondere dann, wenn eine Handelsintegration nur zu dem Preis eines problematischen Systemwettbewerbs zu verwirklichen ist.
455 Vgl. Hey, in: Tipke/Lang Steuerrecht, § 7 Rn. 70 ff. „Der sog. Wettbewerb der Steuersysteme ist mittlerweile zentraler Bestimmungsgrund der Ausgestaltung der nationalen Steuerrechtsordnungen“ (Rn. 71), S. 244 Rn. 71 Fn. 2 mwN; Schmehl, Nationales Steuerrecht im internationalen Steuerwettbewerb, in: Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 99, 105; Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39 – 45; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 29, 42; Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55, 58; Di Fabio, Steuern und Gerechtigkeit, JZ 2007, S. 749, 750 – 755; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 27 f., 31 f.; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 214; Piketty, Capital in the Twenty-First Century, S. 355 – 358. 456 Kirchhof hält den Staat nicht für berechtigt, einen Investor steuerlich zu begünstigen, wenn die Bürger diesen Steuervorteil in Form von Einkommenssteuer oder Umsatzsteuer zu finanzieren haben (Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55 – 59, 58). Vgl. Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 7 Rn. 70 ff.; Schmehl, Nationales Steuerrecht im internationalen Steuerwettbewerb, in: Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 99, 105. 457 Das Schumpeter’sche Bild einer „schöpferischen Zerstörung“ erscheint ist ein kaum zu überbietender Euphemismus und verdeutlicht, dass es in der Wirtschaftswissenschaft auf das Schicksal einzelner Personen nicht wirklich ankommt. 458 Zur Bedeutung des Ziels der Gerechtigkeit: BVerfG, Urteil vom 23. 04. 1991, Az. 1 BvR 1170/90 u. a., BVerfGE 84, 90, 121; BVerfG, Urteil vom 22. 11. 2000, Az. 1 BvR 2307/94 u. a., BVerfGE 102, 254, 299; von Jhering, Der Kampf um’s Recht; von Jhering, Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft?, S. 89; Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung im Spiegel richterlicher Erfahrung, S. 6 f.: „Das Streben nach ,vernünftigem Ergebnis‘“; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 115, 168; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 103.
E. Systemwettbewerb aus neoklassischer und evolutorischer Sicht
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E. Modellierung von Systemwettbewerb aus neoklassischer und evolutorischer Sicht Ein Systemwettbewerb kann aus Perspektive eines neoklassischen und evolutorischen Wettbewerbsverständnis459 beschrieben werden.460
I. Neoklassische Modellierung von Systemwettbewerb Eine neoklassische Modellierung konzentriert sich auf die Beschreibung der Funktionsbedingungen eines solchen Systemwettbewerbs, indem sie die normative Theorie der Regulierung auf den Systemwettbewerb überträgt.461 Die Folgen von Systemwettbewerb werden von einem streng neoklassischen Ansatz im Sinne einer Gleichgewichtsbildung modelliert. Eine Gleichgewichtsbildung kann wie folgt aussehen: Denkbar ist, dass ein Staat eine optimale Zahl an Bürgern oder Unternehmen angezogen hat462 und jede weitere diesbezügliche Bemühung zu einer Überbevölkerung oder einer übermäßigen Umweltverschmutzung (es wird hier vereinfachend davon ausgegangen, dass die Tätigkeit sämtlicher Unternehmen mit Umweltverschmutzungen verbunden ist) führen würde. Unternehmen haben in diesem Zustand ihre passenden Standorte gefunden und Staaten sind grundsätzlich nicht mehr bereit, durch Veränderung ihrer rechtlichen Rahmenbedingungen Unternehmen bzw. Investitionskapital anzuziehen. Ein Standortwettbewerb kommt in diesem Fall zum Stillstand. Erst im Fall einer Veränderung der Rahmenbedingungen wie der Verbreitung technischer Möglichkeiten zum Umweltschutz kann ein erneutes Interesse an der Anziehung zusätzlicher Unternehmen bestehen. Eine weitere Form von Gleichgewichtsbildung stellt eine Ex-post Harmonisierung dar. Neoklassische Modelle legen aufgrund ihrer entwicklungsgeschichtlichen Verwandtschaft zur der Wohlfahrtsökonomie463 häufig ein Bild von benevolenten po459
Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 59 ff., 222 ff. 460 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 45 ff.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 29 ff. 461 Vgl. Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463, 467 f.; Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 7 f. 462 Vgl. Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416 – 424. 463 Vgl. Musgrave, Finanztheorie, S. 5 f. Vgl. auch: Wicksell, Finanztheoretische Untersuchungen, Nebst Darstellung und Kritik des Steuerwesens Schwedens, S. 102.
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litischen Akteuren zugrunde,464 wobei die Modellierung der Motivation von politischen Akteuren keine Frage der Wettbewerbssicht ist465.
II. Evolutorische Modellierung von Systemwettbewerb Eine evolutorische Modellierung konzentriert sich auf die Funktion des Wettbewerbs zur Generierung von Wissen466 und Innovation467. Eine Gleichgewichtsbildung findet grundsätzlich nicht statt, sondern Wettbewerb wird als ein fortlaufender Prozess verstanden.468 Der Ordnungsrahmen bildet nach dem evolutorischen Ansatz eine „Selektionsumgebung“ für evolutionäre Wettbewerbsprozesse.469 Eine Untersuchung der Voraussetzungen des Funktionierens von Wettbewerb (wie im Rahmen des neoklassischen Ansatzes) erfolgt im Rahmen der evolutorischen Wettbewerbstheorie jedoch nicht. Stattdessen erfolgt im Rahmen einer evolutorischen Betrachtung ein genereller Verweis auf die Bedeutung von Ordnungsregeln zur Bekämpfung eines etwaigen Marktversagens. Die Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie sehen Probleme des Marktversagens nicht von grund-
464 Zur unterschiedlichen Modellierung von Regierungen vgl. Breton, Competitive governments, S. 9 ff. Mit der Annahme von benevolenten Akteuren besteht eine Parallele zur historischen Staatstheorie, die in der Herrschaft des Königs die Verwirklichung des Gemeinwohls erblickte (Scheuner, Die Parteien und die Auswahl der politischen Leitung im demokratischen Staat, DÖV 1958, S. 641, 641; Tautscher, Volkswirtschaft und Weltwirtschaft im Merkantilismus, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 30 (1937), S. 313, 316). 465 Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 15, 56 – 58. 466 Vgl. von Hayek, Die Anmaßung von Wissen, in: Die Anmaßung von Wissen, Neue Freiburger Studien, S. 3, 7: „Der Ursprung der Überlegenheit des Marktsystems und der Grund dafür, daß es, wenn es nicht durch staatliche Machtmittel unterdrückt wird, regelmäßig andere Arten der Ordnung verdrängt, besteht nämlich darin, daß bei der sich ergebenden Verwendung der Produktionsmittel mehr von dem unter unzähligen Personen nur verstreut existierenden Wissen über einzelne Tatsachen genutzt wird, als irgendeine einzelne Person besitzen kann“. 467 Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 88 ff., 100 f.; Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 38 – 43 (mwN). 468 Vgl. von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249, S. 255 f.: „Wir sind gewohnt, die Ordnung, die der Wettbewerb herbeiführt, als ein Gleichgewicht zu bezeichnen – ein nicht sehr glücklicher Ausdruck, denn ein wirkliches Gleichgewicht setzt voraus, daß die relevanten Tatsachen schon entdeckt sind und der Prozeß des Wettbewerbs daher zum Stillstand gekommen ist“. 469 Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 31; Kerber/Vanberg, Competition Among Institutions: Evolution Within Constraints, in: Competition among Institutions, S. 35, 52 f.; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 204 Fn. 6.
E. Systemwettbewerb aus neoklassischer und evolutorischer Sicht
243
sätzlicher Bedeutung für die Funktionsfähigkeit von Systemwettbewerb an,470 so dass die Schaffung eines Ordnungsrahmens kein ernsthaftes Problem darstellt. Der allgemeine Verweis auf die Bedeutung des Ordnungsrahmens kann jedoch problematisch sein, da dieser Ansatz „nur allzu leicht dazu (führen kann), daß man sich eines jeden Kriteriums für das Versagen von Systemwettbewerb beraubt“.471 Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie betonen, dass es im Rahmen einer „Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb“472 vor allem um die Verhinderung von „Kartellierungen“ im Sinne einer Verhinderung nicht notwendiger materiellrechtlichen Harmonisierung geht.473
III. Verschwimmende Grenzen zwischen neoklassischer und evolutorischer Modellierung von Systemwettbewerb Eine Unterscheidung zwischen neoklassischen und evolutorischen Modellen ist jedoch zunehmend fraglich geworden, da im Ursprung neoklassische Modelle das
470
Kritisch: Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, Dezentrale Wirtschaftspolitik zwischen Kooperation und institutionellem Wettbewerb, S. 100. 471 Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 100. Vgl. auch: Schwaab/Stewen, Effekte des Standortwettbewerbs aus neoklassischer und evolutorischer Sicht, Eine zusammenfassende Kritik, WiSt 2000, S. 158, 160. Zudem stellt sich in Bezug auf die Gestaltung der Ordnungsregeln ein Wissensproblem (vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 82 f.). 472 Vgl. zum Konzept einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb: Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199 – 230; Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 75 ff. 473 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 46 Tz. 57; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 234: „Aus Perspektive des Systemwettbewerbs entspricht Harmonisierung einer Wettbewerbsbeschränkung analog der Kartellvereinbarung“; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs, Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 127 f.; Streit/Wohlgemuth, Einleitung: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 7, 9; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 223; Kerber/Vanberg, Competition Among Institutions: Evolution Within Constrains, in: Competion among Institutions, S. 35, 56; Wohlgemuth, Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 49, 60; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, Anregungen für die Verfassung Europas, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 97; Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71, 71, 96 – 98. Vgl. schon: Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 274: „co-operation can easily degenerate into collusion, conspiracy and connivance and that is not necessarily good!“.
244
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Phänomen Systemwettbewerb zunehmend evolutorisch beschreiben.474 Darin kann das Ergebnis eines Wettbewerbs der Modelle475 gesehen werden. Nachdem Ende der 1980er Jahre bereits476 Breton477 evolutorische Elemente in seinen Ansatz integriert, wird die Anreicherung der im Ursprung neoklassischen Modelle mit evolutorischen Elementen vor allem deutlich anhand der Modellbildung seitens der Kieler Schule478. Apolte trennt (wie dargestellt479) zwischen den Voraussetzungen eines funktionierenden Wettbewerbs einerseits und den Folgen von Wettbewerb andererseits.480 Er untersucht mögliches Marktversagen wie infolge von Informationsasymmetrien oder negativer externer Effekte mit dem neoklassischen Instrumentarium. In einem zweiten Schritt betrachtet er die Folgen von Systemwettbewerb und legt sich dabei nicht auf eine neoklassische oder evolutorische Wettbewerbssicht fest.481
IV. Folgerungen für die weitere Erörterung Für die weitere Untersuchung erfolgt keine Festlegung auf ein neoklassisches oder evolutorisches Systemwettbewerbsmodell, denn es erscheint sowohl eine Gleichgewichtsbildung als auch ein evolutorischer Systemwettbewerb möglich482. Zudem kann eine bestimmte Rechtsentwicklung sowohl neoklassische als auch evolutorische Züge tragen, denn es kann zu zwischenzeitlichen Gleichgewichtsbildungen kommen, die nach einer gewissen Zeit durch bestimmte Anstöße wieder in Frage gestellt werden.483 Zweck der nachfolgenden Erörterungen ist unter anderem 474
Vgl. Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 132. 475 Vgl. Popper, Logik der Forschung, S. 330, 373; Tiefenbach, Der Beitrag der ökonomischen Theorie zur Frage des guten Lebens, S. 8. 476 Zu frühen Ansätzen zur Modellierung von Systemwettbewerb: Apolte, Institutioneller Wettbewerb: Ansätze, Theoriedefizite und Entwicklungsperspektiven, in: Theorie der Wirtschaftspolitik: Erfahrungen – Probleme – Perspektiven, S. 179, 182 f. 477 Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy, Special Issue 3 (1+2) (1987), S. 263, 271: „[..] one must acknowledge that in seeking to understand the economic factors that determine how resources are allocated, as well as the forces that have shaped the broad development of capitalism, the Austrian’s notion of competition is more useful than that of mainline neo-classical theory“; Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 93 f. 478 Vgl. Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 131 ff. 479 Vgl. Teil 1 § 4 C. II. 4. 480 Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 100 f. 481 Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 7 – 9. 482 Andere Auffassung: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 96 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 51. 483 Letzteres hat insbesondere Heuß in Bezug auf den Wettbewerb auf Waren- und Dienstleistungsmärkten dargestellt (Heuß, Wettbewerb, in: Handwörterbuch der Wirtschafts-
F. Übertragung normativer Theorie der Regulierung auf den Systemwettbewerb
245
herauszufinden, welche Wettbewerbssicht Systemwettbewerb am realistischsten abbildet.
F. Übertragung der normativen Theorie der Regulierung auf den Systemwettbewerb Da Systemwettbewerb (ähnlich wie ein Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten) nur unter bestimmten Voraussetzungen funktioniert, stellt sich die Frage nach einer Regulierung von Systemwettbewerbs.484 In diesem Zusammenhang kann die normative Theorie der Regulierung485 im Grundsatz übertragen werden auf eine Regulierung von Staaten als Anbieter von Institutionen.486
I. Informationsasymmetrien I Grundlegendes Problem sind Informationsasymmetrien auf Seiten der Nachfrager nach Institutionen bzw. institutionellen Nachfrager.487 Bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips besteht die Gefahr, dass Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen aufgrund eines Irrtums im Hinblick auf die Waren und Dienstleistungen prägenden Regulierungen eine nicht präferenzkonforme Wahl treffen.488 Folge ist im Extremfall ein „race to the bot-
wissenschaft (HdWW), Bd. 8, S. 679, 681. Vgl. die Darstellung bei: Cox/Hübener, Wettbewerb. Eine Einführung in die Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, in: Handbuch des Wettbewerbs, Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, S. 1, 9). 484 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 203 ff.; Esty/Geradin, Journal of International Economic Law (2000), S. 235, 255; Schwaab/Stewen, Effekte des Standortwettbewerbs aus neoklassischer und evolutorischer Sicht, Eine zusammenfassende Kritik, WiSt 2000, S. 158, 159. 485 Vgl. Teil 1 § 2 A. II. 1. 486 Zudem fragt sich, inwiefern die normative Theorie der Regulierung auf den politischen Wettbewerb übertragen werden kann (vgl. Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 32 ff.). 487 Apolte, Wettbewerb versus Har monisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics, Vol 2007, Paper 10, S. 12 ff.; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 46 – 49; Esty/Geradin, Journal of International Economic Law (2000), S. 235, 241 f.; Van den Bergh, The Subsidiarity Principle in European Community Law: Some Insights from Law and Economics, Maastricht Journal of European and Comparative Law 1 (1994), S. 337, 344. 488 Vgl. Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics, Vol 2007, Paper 10, S. 12 ff.; Curti, Kommentar zu Thomas Apolte: Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics, 2007, Paper 9, S. 3.
246
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
tom“489 – ähnlich wie im Fall des Market for Lemons. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Recht nicht ausschließlich für einen „Verkauf“ bestimmt ist, sondern auch gerade inländischen Wirtschaftssubjekten (und damit Wählern490) dient, so dass (im Unterschied zum Market for Lemons491) ein Anreiz politischer Akteure besteht, Informationsasymmetrien einzuschränken.492 Die Einteilung von Gütern nach dem Grad der Markttransparenz in Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgütern493 kann grundsätzlich übertragen werden auf Regulierungen.494 Eine Regulierung wie das deutsche Reinheitsgebot für Bier, die Kapitalanforderungen zur Gründung einer englischen Limited oder ein unterschiedlicher Sicherungsumfang in der Einlagensicherung sind weithin bekannte Regulierungsunterschiede, die auf einfache Weise vergleichbar sind. Diese Regulierungen können deshalb als „institutionelle Suchgüter“ betrachtet werden. Soweit Regulierungen von Waren und Dienstleistungen den Charakter von Suchgütern tragen, ist aus informationsökonomischer Sicht entscheidend, ob eine Einholung von Informationen aus Sicht der Privatrechtssubjekte ökonomisch sinnvoll erscheint. Dabei spielt zum einen der Wert der entsprechenden Ware oder Dienstleistung eine Rolle.495 Je höher die wirtschaftliche Bedeutung einer Ware oder Dienstleistung und je stärker Regulierungen das Angebot prägen, desto mehr Kosten für die Informationsbeschaffung wird ein rationaler Akteur aufwenden. Zum anderen ist auch die Frage, inwieweit eine Regulierung die entsprechende Ware oder Dienstleistung prägt oder wesentlichen Einfluss haben kann, entscheidend496. Auf der anderen Seite existieren wesentlich komplexere Regulierungen, die nur unter erheblichen Schwierigkeiten bewertet werden können. So stellt die Bewertung von Regulierungen zur Abwendung 489 Vgl. Cary, Federalism and Corporate Law: Reflections Upon Delaware, Yale Law Journal 83(4) (1974), S. 663 – 705 „The absurdity of this race for the bottom“ (S. 705); Zillmer, State Laws: Survival of the Unfit, University of Pennsylvania Law Review 62 (1913 – 14), S. 509, 514: „Competition between the States produces a survival of the unfit, a truly anomalous situation“. 490 Vgl. Tribe, American Constitutional Law, § 6-5, S. 409 f. 491 Akerlof, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly Journal of Economics 84(3) (1970), S. 488 – 500. 492 Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10, S. 16 f. 493 Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 25 ff. 494 Oberlack unterstellt hingegen implizit, dass die Regulierung jeweils den Charakter des jeweiligen Gutes als Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgut teilt (vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 150 ff.). 495 Stigler, The Economics of Information, Journal of Political Economy 69(3) (1961), S. 213, 213 ff.; Van den Bergh/Lehmann, Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, S. 588, 590; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 194. 496 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 60 f.
F. Übertragung normativer Theorie der Regulierung auf den Systemwettbewerb
247
von Gesundheitsgefahren den Betrachter vor erhebliche Schwierigkeiten497 und es bedürfte wissenschaftlicher Gutachten, um zu klären, ob ein bestimmtes Regulierungsniveau ein angemessenes Schutzniveau bietet. Derartige Regulierungen tragen den Charakter von Vertrauensgütern. Neben Regulierungen, die als Suchgüter und Vertrauensgüter charakterisiert werden können, bestehen theoretisch Regulierungen, dessen Bedeutung für die Qualität von Waren durch Erfahrung des jeweiligen Nutzers offenbar werden.498 Es ist jedoch fraglich, ob ein Lernen und die Sammlung von Erfahrungen in Bezug auf die Gestaltung von Regulierungen praktisch überhaupt denkbar ist. Zu bedenken ist, dass Regulierungen wesentlich abstrakter sind als Waren oder Dienstleistungen, so dass ein Lernen in Bezug auf unterschiedliche Regulierungen in wesentlich eingeschränkterem Maße möglich erscheint als ein Lernen in Bezug auf die Eigenschaften von Waren. Anders ist dies nur dann, wenn eine Regulierung bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips ein entscheidendes Produktmerkmal von Waren oder Dienstleistungen bestimmt, ohne dass die Regulierung den Charakter eines Suchgutes trägt. Eine solche Konstellation dürfte jedoch den Ausnahmefall darstellen. Die Kategorie Erfahrungsgut dürfte im systemwettbewerblichen Kontext deswegen eine geringe Bedeutung besitzen. Informationsintermediäre können durch Sammlung und Auswertung von Informationen über verschiedene Regulierungen die Markttransparenz erhöhen. Ein Beispiel für derartige Intermediäre sind Veranstalter von Standortrankings.499 Soweit Transparenzprobleme in Bezug auf Regulierungsunterschiede die Marktfunktionen nachteilig beeinflussen und eine Selbstregulierung nicht möglich ist, ist es Aufgabe eines systemwettbewerblichen Ordnungsrahmens, die Transparenz von Regulierungsunterschieden zu erhöhen.500 Möglicherweise können Nachfrager bei Betrachtung der Waren und Dienstleistungen zugrundeliegenden Regulierungen und insbesondere im Fall von Regulierungen mit Suchgut-Charakter eher Anhaltspunkte für die Qualität des Angebotes
497
Vgl. H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 47; H.-W. Sinn, The Selection Principle and Market Failure in Systems Competition, Journal of Public Economics 66 (1997), S. 247 – 274; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199 – 230. Zu Erkenntnissen der Verhaltensökonomie: Fleischer/Schmolke/Zimmer, Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 9 – 62. 498 Windisch geht davon aus, dass Institutionen vor allem den Charakter von Erfahrungsgütern tragen (Windisch, Modellierung von Systemwettbewerb: Grundlagen, Konzepte, Thesen, JNPÖ 17 (1998), S. 121, 141). 499 Vgl. Frendel/Frenkel, Wozu Studien zur Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften?, Wirtschaftsdienst 2005, S. 1 – 32. 500 M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 113, 118 f.
248
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
erhalten, als wenn sie sich direkt mit den Eigenschaften von Waren und Dienstleistungen befassen.501
II. Informationsasymmetrien II: Notwendigkeit von Vertrauen im Fall einer längerfristigen Bindung an Institutionen Im Fall einer Standortwahl502 als auch der Wahl des Gründungsrechts von Gesellschaften bei Geltung der Gründungstheorie503 kommt dem Vertrauen den Investors in Bezug auf die Aufrechterhaltung eines günstigen institutionellen Umfeldes Bedeutung zu, da eine längerfristige Bindung zu der entsprechenden Rechtsordnung entsteht504. Erhebliche Bemühungen eines Staates „institutionelle Arrangements“505 wettbewerbsfähig auszugestalten, können für institutionelle Nachfrager in dieser Situation ein glaubwürdiges Signal darstellen, dass der betreffende Staat auch in Zukunft die Attraktivität seines institutionellen Umfeldes erhalten wird.506 Auch die Abhängigkeit des Staates von der Erhaltung wettbewerbsfähiger „institutioneller Arrangements“ ist eine wichtige selbstbindende Kraft.507
III. Negative externe Effekte Die Generierung negativer externer Effekte kann zu einem systemwettbewerblichen Marktversagen führen.508 Grenzüberschreitende Umweltverschmutzungen 501
Vgl. Teil 1 § 4 C. II. 4. Vgl. Himmelmann, Rechtssicherheit bei Direktinvestitionen in der Volksrepublik China am Beispiel der Automobilindustrie, S. 165 ff. 503 Vgl. Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 145 ff. 504 Vgl. Teil 1 § 4 B. IV. Zum nachträglichen Wechsel des Gesellschaftsstatuts: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 147 ff. 505 Streit/Mussler, Wettbewerb de Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 77; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 522. 506 Zum Signalling im Wettbewerb zwischen Privaten: Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 302 – 305. 507 Vgl. Romano, The Genius of American Corporate Law, S. 10 f.; Weingast, The Economic Role of Political Institutions: Market-Preserving Federalism and Economic Development, Journal of Law, Economics and Organization, 11(1) (1995), S. 1 – 31. Vgl. Teil 1 § 4 B. IV. 508 Vgl. Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics, Vol 2007, Paper 10, S. 16; Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desireable Limits on State Competition in Corporate Law, Harvard Law Review 105(7) (1992), S. 1435, 1485 ff.; Trachtman, Regulatory Competition and Regulatory Jurisdiction, Journal of International Economic Law (2000), S. 331, 340 – 342; Koenig/Braun/ Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt 502
F. Übertragung normativer Theorie der Regulierung auf den Systemwettbewerb
249
sind wichtiges Beispiel negativer externer Effekte im zwischenstaatlichen Verhältnis.509 Ein Staat kann inländischen Unternehmen mit dem Fehlen oder dem Inkraftsetzungen von nur laxen Umweltschutzregulierungen eine kostengünstige Warenproduktion erlauben und heimischen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil auf Inlands- und Auslandsmärkten verschaffen.510 Dabei muss ein Teil der gesellschaftlichen Kosten der Warenproduktion in Form von negativen externen Effekten vom Ausland getragen werden. Besondere Bedeutung besitzen externe Effekte bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips, da im Fall der gegenseitigen Anerkennung nationaler Produktregulierungen sich diese Regulierungen auch im anerkennenden Staat auswirken.511 Sofern die anzuerkennenden Regulierungen suboptimal sind, entstehen negative externe Effekte.512 Es ist Aufgabe des EuGH und der Politik513 zu bestimmen, welches Maß an negativen externen Effekten die Mitgliedstaaten hinzunehmen haben.
für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 403 f.; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 205; Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53, 68; Esty/Geradin, Journal of International Economic Law (2000), S. 235, 240 f.; Van den Bergh, The Subsidiarity Principle in European Community Law: Some Insights from Law and Economics, Maastricht Journal of European and Comparative Law 1 (1994), S. 337, 343. 509 Vgl. Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 5 EG Rn. 30; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 69; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 18, 30 f.; Missfeldt/Requate, From National Emissions Taxes to International Emissions Trading, The Case of Scandinavia and the UK. 510 Zu einem Systemwettbewerb im Bereich von Umweltschutzregulierungen vgl. Revesz, Rehabilitating Interstate Competition: Rethinking the „Race to the bottom“ Rationale for Federal Envirnonmental Regulation, New York University Law Review 67 (1992), S. 1210 – 1247. Im innerstaatlichen Bereich begründet ein Verstoß gegen Immissionsschutzrecht eines Wettbewerbers nicht gegen das UWG: BGH, Urteil vom 11. 05. 2000, Az. I ZR 28/98, BGHZ 144, 255 – 270; Köhler, Wettbewerbsrecht im Wandel: Die neue Rechtsprechung zum Tatbestand des Rechtsbruchs, NJW 2002, 2761, 2761; Köhler, Zur wettbewerbsrechtlichen Sanktionierung öffentlich-rechtlicher Normen, in: FS Schmitt-Glaeser, S. 499, 502 f.; Köhler, Der Rechtsbruchstatbestand im neuen UWG, GRUR 2004, S. 381, 391 f. 511 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 150 ff.; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 31. 512 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 150 ff.; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 31; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, S. 29, 41. 513 Im Rahmen der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips wird berücksichtigt, ob „transnationale Aspekte“ auftreten, Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl. 1997 Nr. C 340, S. 105 (abgedruckt in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Protokolle (Protokoll Nr. 2), S. 2997 ff.).
250
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Im Systemwettbewerb handelt es sich hingegen nach der Theorie des funktionierenden Systemwettbewerbs um pekuniäre Effekte514, wenn institutionelle Mobilität z. B. zu Wohlstandseinbußen in Form von Beschäftigungsverlusten und Steuereinnahmeverlusten in Staaten515 führt. Unklar ist, inwieweit pekuniäre Effekte im Systemwettbewerb regulierungsbedürftig sein können. Ganz klar verneint werden kann diese Frage von den Vertretern der Theorie des funktionierenden Systemwettbewerbs, da es sich hier um ganz normale wettbewerbliche Effekte handelt.516 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang aber, dass eine grundsätzlich nutzenstiftende Kraft von Systemwettbewerb keinesfalls bewiesen ist.
G. Bewertungskriterien für Systemwettbewerb I. Annahmen der evolutorischen und neoklassischen Systemwettbewerbstheorie Aus Perspektive der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie sind die behaupteten Vorteile von Systemwettbewerb nicht nachprüfbar: „Es ist nämlich eine notwendige Folge des Grundes, aus dem allein wir uns des Wettbewerbs bedienen, daß die Gültigkeit der Theorie des Wettbewerbs für jene Fälle, in denen sie interessant ist, nie empirisch nachgeprüft werden kann. […] Wo wir aber die Tatsachen, die wir mit Hilfe des Wettbewerbs entdecken wollen, nicht schon vorher kennen, können wir auch nicht feststellen, wie wirksam er zur Entdeckung aller relevanten Umstände führt, die hätten entdeckt werden können. Was sich empirisch nachprüfen lässt, ist nicht mehr, als dass Gesellschaften, die sich zu solchem Zweck des Wettbewerbs bedienen, dieses Ergebnis in höherem Maße verwirklichen als andere“.517
Hoppmann räumt jedoch ein, dass die „Voraussage allgemeiner Strukturen“ möglich seien, nicht aber die Voraussage „individueller Ereignisse“.518 Die Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie helfen sich über dieses Wissensproblem hinweg, indem sie eine grundsätzliche Vorteilhaftigkeit von Systemwettbewerb im technischen Sinn gegenüber einer materiellrechtlichen Har-
514 Zu pekuniären Effekten im Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 424 ff. 515 Vgl. Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 33 – 35. 516 Vgl. z. B.: Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113 – 134. 517 von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249, 250 (HiO). 518 Hoppmann, Kulturelle Evolution und ökonomische Effizienz, in: FS Mestmäcker, S. 177, 183 f.
G. Bewertungskriterien für Systemwettbewerb
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monisierung vermuten. Hauser und Streit sprechen von „Grundvermutungen“ für Systemwettbewerb.519 So stellt Streit fest: „Aus einer nicht-konstruktivistischen, an von Hayek orientierten Sicht, können zwei Wirkungen des Systemwettbewerbs vermutet werden: (1) Systemwettbewerb ist ein Verfahren, das es den privaten Wettbewerbern ermöglicht, die Problemlösungsqualität vorhandener institutioneller Arrangements zu prüfen. Zugleich regt es politische Wettbewerber an, attraktivere institutionelle Neuerungen zu entwickeln. Systemwettbewerb wirkt als Entdeckungsverfahren. (2) Systemwettbewerb wird von der tatsächlichen, aber auch der potentiellen Substitution institutioneller Arrangements durch private Wettbewerber ausgelöst. Deshalb wirkt er kontrollierend auf die politischen Wettbewerber als Anbieter alter und neuer institutioneller Arrangements. Systemwettbewerb wirkt daher auch als disziplinierendes Kontrollverfahren“.520
Die Begründung dieser weitreichenden Vermutungen erfolgt in einem Beitrag Streits auf knapp eineinhalb Seiten.521 Dabei werden im Wesentlichen die oben genannten theoretischen Vermutungen nochmals detaillierter dargestellt, wobei Streit erneut von Vermutungen ausgeht522. Streit vertritt insgesamt einen „moderate[n] Optimismus“ hinsichtlich der Verwirklichung der Entdeckungs- und Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb.523 Auf der anderen Seite entsteht vielfach der Eindruck, dass es sich bei den Systemwettbewerbsfunktionen nicht um Vermutungen handelt, sondern dass die Be-
519 Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 524; Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463, 464. Kritisch: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 97: „Streit analysiert den Zustand einer Verletzung des Subsidiaritätsprinzips im Verhältnis Staat – Bürger, konzentriert sich also auf die nicht notwendigen Staatsaufgaben. Hier hält Streit Systemwettbewerb für gut, bleibt aber den formalen Beweis für die positiven Wirkungen schuldig“ (HiO). 520 Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 13. Vgl. auch: Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 76, 78; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 524; Haucap/Kühling, Systemwettbewerb durch das Herkunftslandprinzip: Ein Beitrag zur Stärkung der Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit in der EU?, in: FS Kirchner, S. 799, 809 f. 521 Vgl. Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 525 f. 522 Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 14: „Dabei ist davon auszugehen, daß […]“. 523 Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232.
252
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
rechtigung der Marktanalogie feststeht.524 Die evolutorische Systemwettbewerbstheorie wird insofern mit ebenso starkem Geltungsanspruch vertreten wie die evolutorische Wettbewerbstheorie.525 Im Rahmen der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie klingt zwar eine vergleichende institutionelle Betrachtung an, jedoch besteht von vornherein eine Grundvermutung für die Vorteilhaftigkeit „kollisionsrechtlicher“ Integrationsinstrumente gegenüber einer weitreichenden materiellrechtlichen Harmonisierung526. Auch im Rahmen des neoklassischen Ansatzes wird generell eine Vorteilhaftigkeit von Systemwettbewerb im Sinne einer Effizienzsteigerung527 staatlicher Tätigkeit528 unterstellt, sofern nicht ein systemwettbewerbliches Marktversagen gegeben ist bzw. angenommen wird.529 Wenn politische Akteure als eigennützig charakterisiert werden und sich daraus Probleme in Bezug auf die Rechtsetzung ergeben oder politische Entscheidungsgründen aus anderen Gründen fehlerhaft sind, ergibt sich darüber hinaus die Funktion der staatlichen Machtbegrenzung.530 Die Nachprüfbarkeit der Systemwettbewerbsfunktionen wird vom neoklassischen Ansatz bzw. deren Vertreter nicht infrage gestellt. 524
Vgl. Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 127: „Zusammenfassend sind bei einer Würdigung des Systemwettbewerbs folgende Eigenschaften hervorhebenswert: – Systemwettbewerb wird durch die tatsächliche, aber auch potentielle Substitution institutioneller Arrangements ausgelöst und wirkt deshalb kontrollierend auf deren politische Anbieter. – Systemwettbewerb ist zugleich ein Verfahren, das es ermöglicht, institutionelle Neuerungen zu entdecken und zu prüfen. – Systemwettbewerb rechtfertigt einen moderaten Optimismus hinsichtlich seiner verkrustungshemmenden Wirkung, da die Verzahnung von ökonomischem und politischem Wettbewerb durch Wahrnehmungs- und Anreizprobleme belastet ist.“; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 90 ff. „Wettbewerb zwischen Regierungen kann jedoch nicht nur Probleme analog dem Marktwettbewerb lösen, er unterliegt auch gleichen Anforderungen“ (S. 93). 525 Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 91. 526 Vgl. z. B. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 221. 527 Zum Begriff der Effizienz: Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 285 f. Rn. 8 ff.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XXXIII f., 13 ff. 528 Vgl. Schwaab/Stewen, Effekte des Standortwettbewerbs aus neoklassischer und evolutorischer Sicht, Eine zusammenfassende Kritik, WiSt 2000, S. 158, 158. 529 Vgl. Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53 – 75. Ein generelles systemwettbewerbliches Marktversagen nimmt H.-W. Sinn an: Teil 1 § 4 C. II. 3. 530 Vgl. Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 463, 467; H.-B. Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XLII (zum Wettbewerb auf Waren und Dienstleistungsmärkten).
G. Bewertungskriterien für Systemwettbewerb
253
II. Ansätze zur Bewertung von Systemwettbewerb Ein Verweis auf eine fehlende Nachprüfbarkeit der Vorteilhaftigkeit von Systemwettbewerb als auch die Annahme seiner (in Abwesenheit von Marktversagen) generellen Vorteilhaftigkeit kann nicht überzeugen. Systemwettbewerb ist in weiten Teilen noch nicht hinreichend erforscht531 und die Berechtigung der Modellierung der Folgen von Systemwettbewerb analog den Folgen von Wettbewerb ist unklar.532 Ein allgemeiner Verweis auf die Notwendigkeit und die Funktion von Ordnungsregeln533 liefert wenig Erkenntnisse über die Bewertung von Systemwettbewerb534 und führt auf der einen Seite zu einer generellen Befürwortung von „kollisionsrechtlichen“ Integrationsinstrumenten und daraus folgendem Systemwettbewerb und auf der anderen Seite zu einer grundsätzlichen Ablehnung materiellrechtlicher Harmonisierung.535 Um rechtspolitische Aussagen über die Folgen von Systemwettbewerb treffen zu können, ist eine empirische Betrachtung536 der Folgen von Systemwettbewerb in Referenzgebieten und deren Abgleich mit denen von der evolutorischen und neoklassischen Theorie angenommenen Wettbewerbsfunktionen unumgänglich. Ein besonderes Augenmerk ist im Rahmen einer solchen Betrachtung auf etwaige Dysfunktionalitäten von Systemwettbewerb zu legen.537
531
S. 13.
Vgl. Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb,
532 Streit spricht von Vermutungen (Streit, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 13; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 524). 533 Zu Recht kritisch: Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 100 f. 534 Apolte, Die Konstitution eines föderalen Systems, S. 100; Schwaab/Stewen, Effekte des Standortwettbewerbs aus neoklassischer und evolutorischer Sicht, Eine zusammenfassende Kritik, WiSt 2000, S. 158, 160. 535 Vgl. die Kritik von Apolte an dem pauschalen Verweis der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie auf die Notwendigkeit von Ordnungsregeln (Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 100 f.). 536 Kritisch: von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, S. 93 f.: „Die kurzsichtige Vorstellung von Wissenschaft, die sich auf das Studium besonderer Tatsachen konzentriert, weil allein diese empirisch feststellbar sind, und deren Fürsprecher sogar stolz darauf sind, daß sie sich nicht von einem Begriff der Gesamtordnung leiten lassen, der nur durch das erreicht werden kann, was sie ,abstrakte Spekulation‘ nennen, erhöht keineswegs unsere Fähigkeit, eine wünschenswerte Ordnung zu gestalten, sondern beraubt uns in Wirklichkeit aller wirksamen Anleitung zu einem erfolgreichen Handeln. Der falsche ,Realismus‘, der sich selbst betrügt, indem er glaubt, daß er ohne jede leitende Vorstellung von der Natur der Gesamtordnung auskommen kann, und sich auf eine Prüfung der verschiedenen ,Techniken‘ zur Erzielung bestimmter Resultate beschränkt, ist in Wirklichkeit höchst unrealistisch“. 537 Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 7.
254
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
Eine empirische Betrachtung stößt auf Grenzen, eine Betrachtung auf Basis von Vermutungswissen538 im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung539 erscheint jedoch wertvoller als eine vollkommende rechtspolitische Orientierungslosigkeit. Die Rechtsentwicklung ist dabei möglichst gutachterlich darzustellen,540 um eine Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten und den Einfluss politischer Vorverständnisse einzuschränken und einen unvermeidbaren Einfluss des Vorverständnisses des jeweiligen Betrachters erkennbar werden zu lassen. An einem solchen Ansatz fehlt es jedoch in der Ökonomik sehr oft.541 Der tschechische Ökonom Sedlácˇek meint sogar, dass in der Wirtschaftswissenschaft immer die Gefahr bestünde, dass der Glaube an eine Theorie mit der Beschreibung der Wirklichkeit verwechselt werde.542 Ergebnis einer solchen empirischen Betrachtung kann eine gemeinsame Diskussionsgrundlage über die Wirkungsweise und die Folgen von Systemwettbewerb sein.543 Eine Bewertung von Systemwettbewerb darf (wie angedeutet) nicht ausschließlich die Interessen der institutionellen Nachfrager (also die Interessen von Personen, die Institutionen direkt oder indirekt wählen) in den Blick nehmen,544 sondern muss darüber hinaus nach den gesamtgesellschaftlichen Folgen von Systemwettbewerb fragen.545 Eine Interessenbetrachtung unterbleibt jedoch in der Systemwettbewerbstheorie, da davon ausgegangen wird, dass ein Systemwettbewerb – ähnlich wie ein Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten auf Waren- und
538 Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 53. 539 Popper, Logik der Forschung, S. 198. 540 Vgl. Popper, Logik der Forschung, S. 226. 541 Vgl. Orrell, in: Bescheidenheit, Für eine neue Ökonomie, S. 104 ff.; Sedlácˇek, in: Bescheidenheit, Für eine neue Ökonomie, S. 107 f. 542 Sedlácˇek, in: Bescheidenheit, Für eine neue Ökonomie, S. 79 f. „Eben deshalb leben wir meiner Ansicht nach im Dunklen. Möglicherweise in einem noch größeren Dunkel als die Menschen in alter Zeit. Und zwar genau deswegen, weil wir unseren Glauben nicht zugeben“ (S. 80). 543 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 97. 544 Vgl. Schwaab/Stewen, Effekte des Standortwettbewerbs aus neoklassischer und evolutorischer Sicht, Eine zusammenfassende Kritik, WiSt 2000, S. 158, 545 Vgl. Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desireable Limits on State Competition in Corporate Law, Harvard Law Review 105(7) (1992), S. 1435, 1485; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVSStRL 69 (2009), S. 7, 29 – 32. Die Erfüllung des Kaldor-Hicks Kriterium (vgl. Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 285 f. Rn. 9 f., H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 19 ff.) ist damit nicht ausreichende Bedingung, um Systemwettbewerb positiv zu bewerten (vgl. Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 85, 108).
G. Bewertungskriterien für Systemwettbewerb
255
Dienstleistungsmärkten im Fall eines funktionierenden Marktes546 – allgemein gesellschaftlich positive Wirkungen entfaltet547. Zu betrachten ist im Rahmen der Bewertung von Systemwettbewerb der Wert demokratischer Entscheidungsprozesse,548 da Systemwettbewerb die „materielle“ Entscheidungsfreiheit von Gesetzgebern einschränkt549 und demokratischer Entscheidungsfindung, unabhängig von der Bewertung der Politikergebnisse (in Grenzen verfassungsrechtlicher Grundwerte), ein Wert zukommt, den es zu beachten gilt.550 Entscheidend für den Wert demokratischer Entscheidungsfindung im konkreten Fall ist (unabhängig von der inhaltlichen Bewertung des Politikergebnisses) die Frage, inwieweit der politische Prozess tatsächlich funktioniert bzw. Ausdruck 546 Zur Funktion eines Wettbewerbs zwischen Privaten der Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit: Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 130 f. 547 Vgl. Vanberg, Markt und Staat in einer globalisierten Welt: Die ordnungsökonomische Perspektive, ORDO 59 (2008), S. 3, 24. 548 Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 89; Stiglitz, The Price of Inequality, S. 142; Wallrabenstein erkennt einen Gegensatz zwischen demokratischer Entscheidungsfindung und Systemwettbewerb (Wallrabenstein, Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: VVDStRL 73 (2013), S. 41, 60 f.). Zu einem möglichen Konflikt in Föderationen zwischen dem Wettbewerbskonzept einerseits und der Parteienstaatlichkeit andererseits: Wallrabenstein, Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: Zukunftsgestaltung durch Öffentliches Recht, VVDStRL 73 (2013), S. 41, 62 f. Zur Demokratie als ein Verfahren der Entscheidungsfindung vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 82, Rn. 92, „Das Demokratieprinzip legt den organisatorischen und prozeduralen Verwirklichungsmodus verfassungsrechtlich oder politisch definierter Ziele fest, gibt aber nicht selbst ein inhaltliches Ziel vor“ (Rn. 92); Scheuner, Die Partien und die Auswahl der politischen Leitung im demokratischen Staat, DÖV 1958, S. 641, 643; Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38 Rn. 16 (Februar 2008); Gusy, Das Mehrheitsprinzip im demokratischen Staat, AöR 106 (1981), S. 329, 330; Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 428 (oben). 549 Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 28 – 30; Mathews, Power Shift, Foreign Affairs 76(1) (1997), S. 50 – 66, 57; Stiglitz, The Price of Inequality, S. 142: „In short, globalization, as it’s been managed, is narrowing the choices facing our democracies, making it more difficult for them to undertake the tax and expenditure policies that are necessary if we are to create societies with more equality and more opportunity. But tying the hands of our democracies is exactly what those at the top wanted: we can have a democracy with one person one vote, and still get outcomes that are more in accord with what we might expect in a system with one dollar one vote“. Vgl. auch: Streeck, Gekaufte Zeit, S. 158 f. 550 Vgl. Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 107 f. C. VI. 2) i). Vgl. auch: Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38 Rn. 16 (Februar 2008): „Die politische Willensbildung in der Demokratie beruht nicht auf dem rationalistischen Glauben an eine durch Diskussion zu findende vorgegebene politische Richtigkeit, sondern auf der Erwartung, daß die praktische Wahrheit in einem rationalen Prozeß der Auseinandersetzung der Interessen geschaffen werden kann“. Anders: Hürter/Vasˇek, Wie viel Demokratie brauchen wir?, Die Demokratie ist die am wenigsten schlechte Staatsform. Aber sie ist kein Wert an sich. Was bedeutet das für die Zukunft Europas?, Hohe Luft Philosophie-Zeitschrift 5/2013, S. 20, 26: „Wäre die Demokratie ein Wert an sich, dann wäre auch eine europäische Demokratie ohne Weiteres zu begrüßen. Aber Demokratie ist kein Wert an sich, sie ist ein Prinzip zur Verwirklichung von Werten“.;
256
§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
demokratischer Entscheidungsfindung ist. Auch eine ineffiziente Politik551 ist anzuerkennen, wenn sie Ausdruck eines funktionierenden demokratischen Prozesses ist.552 Der Gesetzgeber kann insofern abwägen zwischen dem Ziel einer hohen institutionellen Wettbewerbsfähigkeit und anderen nicht-marktkonformen Zielen.553 Es ist deswegen zu kritisieren, wenn Systemwettbewerb als Mittel betrachtet wird, die Ergebnisse demokratischer Entscheidungen korrigieren zu wollen.554.
H. Begriffliche Grundlagen Nachdem vorstehend Überblick über die theoretischen Grundlagen von Systemwettbewerbgegeben worden ist, werden im Interesse der begrifflichen Klarheit im Folgenden einige grundlegende Begriffe, die im bisherigen Verlauf der Untersuchung schon angesprochen und erklärt wurden, genauer definiert.
I. Systemwettbewerb Unter Systemwettbewerb wird eine Wirkung institutioneller Mobilität (Apolte spricht von „mobilitätsgetriebenem Systemwettbewerb“555) auf einzelstaatliches Recht verstanden.556 Es geht mit anderen Worten um die Frage, welche Rückwirkungen institutionelle Mobilität auf die Politik von Staaten und deren Recht hat, wobei Einflüsse auch auf Richterrecht und die Rechtsanwendung gegeben sein können. Obwohl der Begriff „Systemwettbewerb“ nahelegt, dass ganze Rechtssys-
551 Zum Begriff der Effizienz: Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 285 f. Rn. 8.10; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 13 ff. 552 Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 82, Rn. 92: „Das Demokratieprinzip legt den organisatorischen und prozeduralen Verwirklichungsmodus verfassungsrechtlich oder politisch definierter Ziele fest, gibt aber nicht selbst ein inhaltliches Ziel vor“ (Rn. 92). 553 Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 30. 554 Vgl. Stiglitz, The Price of Inequality, S. 142. So wird Systemwettbewerb von Streit als willkommenes Mittel betrachtet, um Wohlfahrtsstaatlichkeit abzubauen (Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113, 114 ff.). 555 Apolte, Regulierungswettbewerb in föderalen Strukturen: Königswettbewerb zwischen Staatsversagen und Marktversagen?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 55, 58 ff.; Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10, S. 11. 556 Vgl. H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 2 – 5.
H. Begriffliche Grundlagen
257
teme bzw. genauer557 Staaten mittels ihres gesamten Rechtssystems miteinander in Wettbewerb treten,558 wirkt die institutionelle Mobilität vor allem auf einzelne Institutionen als Teil des Gesamtsystems.559 Der Begriff „institutionelle Mobilität“ bezeichnet Wahlmöglichkeiten von Privatrechtssubjekten in Bezug auf „äußere Institutionen“, also auf Recht.560 Institutionelle Mobilität kann je nach Ordnungsrahmen an eine Ortsveränderung von Personen bzw. Faktoren geknüpft sein (physische Mobilität) oder kann unabhängig von einer Veränderung des Ortes ausgeübt werden (nicht-physische Mobilität).561 Klassische Fälle physischer Mobilität sind Standortverlagerungen. Rechtswahlfreiheit ermöglicht hingegen eine nicht-physische Mobilität, da Institutionen in diesem Fall ohne die Notwendigkeit einer Ortsveränderung wählbar sind. Regulierungsarbitragen finden statt, sofern Privatrechtssubjekte auf Grundlage institutioneller Mobilität Regulierungsunterschiede auszunutzen.562 Systemwettbewerb setzt eine staatliche Maßnahme bzw. eine staatliche Responsivität auf Regulierungsarbitragen (die im Systemwettbewerb tatsächlich meist in Form einer gesetzgeberischen Maßnahme erfolgt563) voraus,564 wobei auch 557 Kiwit/Voigt, Grenzen des institutionellen Wettbewerbs, in: Globalisierung, Systemwettbewerb und nationalstaatliche Politik, JNPÖ 17 (1998), S. 313, 314 f. 558 Vgl. Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 1. 559 Vgl. Giegerich unterscheidet zwischen dem Wettbewerb von Gesamtsystemen und nennt diesen Systemwettbewerb bzw. Makrowettbewerb und dem Wettbewerb einzelner Regeln, wobei er von Mikrowettbewerb spricht (Giegerich, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb? VVDStRL 69 (2010), S. 57, 70 – 72); Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 232. 560 Lachmann, Wirtschaftsordnung und wirtschaftliche Institutionen, ORDO 14 (1963), S. 63, 67 ff.; Voigt, Institutionenökonomik, S. 39 – 41. Vgl. Teil 1 § 2 A. I. 561 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 11. 562 Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 16 Tz. 9; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 522 f.; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 225; Schammo, Arbitrage and Abuse of Rights in the EC Legal System, European Law Journal 14(3) (2008), S. 351, 353; W. Schäfer, Systemwettbewerb versus Politik-Kartell, Eine Betrachtung aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft, in: Europa zwischen Wettbewerb und Harmonisierung, S. 39, 40.; Mussler/Wohlgemuth, Institutionen im Wettbewerb, Ordnungstheoretische Anmerkungen zum Systemwettbewerb in Europa, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozess, S. 9, 15; Wohlgemuth, Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 49, 60. 563 Vgl. Streit/Wohlgemuth, Einleitung: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 7, 7 f.; Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition: Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66, 74; Woolcock, Competition among Rules in the single European market, in: International Regulatory Competition and Coordination, S. 289, 297 f.; Gerken
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
eine Reaktion auf drohende Regulierungsarbitragen oder bloß subjektiv wahrgenommener bzw. erwarteter Regulierungsarbitragen erfolgen kann. Das Erfordernis staatlicher Responsivität ergibt sich aus der Marktanalogie, den wesentliches Element von Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten sind nicht nur Auswahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Waren oder Dienstleistungen, sondern gerade eine Responsivität der Anbieter auf die Wahlhandlungen der Nachfrager.565 Zur Verdeutlichung der Bedeutung einer staatlichen Responsivität wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur zum Teil das Bild eines „Wettbewerbskreislaufs“ verwendet.566 Dieses Bild ist mit einem evolutorischen Verständnis von Wettbewerb567 jedoch nicht zu vereinbaren, denn Schumpeter unterschied zwischen einer sich im wesentlichen „jahrein, jahraus [in] wesentlich gleicher Bahn“ bewegenden Wirtschaft und einer sich in Entwicklung befindenden Wirtschaft568. Er spricht im Hinblick auf einen statisch verlaufenden Wettbewerb von einem „Kreislauf […] des Wirtschaftslebens“, den die Wirtschaft aus sich selbst heraus erzeugt und nicht auf einen äußeren Anstoß zurückgeht,569 und spricht in Bezug auf einen dynamisch
spricht allgemein von einem „Wettbewerb der Staaten als Wettbewerb zwischen durch Politiker vertretenen Ländern“ (Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 7). 564 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 18; Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 14, S. 3 f.; Harcourt, InstitutionDriven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU; Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 977. Vgl. auch: Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416, 429. Kritisch: Kerber, Kommentar zu Eva-Maria Kieninger – Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 13, S. 2. Auf der anderen Seite wird Systemwettbewerb zum Teil mit negativer Integration gleichgesetzt (Arentz/Paulus, Das Potenzial von Systemwettbewerb und nationalen Alleingängen, in: GS Eekhoff, S. 145, 159; Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 376; S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, Eine Fallstudie im Gesellschaftsrecht, S. 14). 565 Vgl. Hoppmann, Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1967), S. 77, 86 ff. 566 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 9 ff.; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 17 Fn. 29; Schwartz, Rechtsangleichung und Rechtswettbewerb im Binnenmarkt, EuR 2007, S. 194, 196, 205. 567 Kieninger betrachtet dabei einen Systemwettbewerb ausdrücklich aus evolutorischer Perspektive, Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 25, 50 ff. 568 Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, S. 1 ff., 88 ff. 569 Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, S. 95 ff.
H. Begriffliche Grundlagen
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verlaufenden Wettbewerb von einer „Veränderung der Bahn, in welchem sich der Kreislauf erfüllt, im Gegensatz zur Kreislaufbewegung“570. Auch ein bewusstes Unterlassen einer staatlicher Maßnahme ist als eine Form systemwettbewerblicher Responsivität anzuerkennen, da auch ein Unterlassen einer Maßnahme ein wettbewerbliches Handlungsmittel darstellen kann.571 Voraussetzung ist jedoch, dass dieses Unterlassen Ergebnis bewusster Entscheidung ist bzw. eine Maßnahme im politischen Entscheidungsfindungsprozess trotz Wahrnehmung bzw. subjektiver Vorstellung institutioneller Mobilität nicht getroffen wird. Der Begriff Regulierungswettbewerb bezeichnet einen Spezialfall von Systemwettbewerb bzw. institutionellen Wettbewerb, indem der Begriff den Wettbewerbsparameter Regulierung kennzeichnet.572 Nicht vom Begriff Systemwettbewerb (im technischen Sinn) sind staatliche Reaktionen erfasst, die sich (wie die Errichtung von regulatorischen Handelshemmnissen573) auf einen Ausschluss institutioneller Mobilität richten, z. B. um regulatorische Anpassungszwänge abzuwenden. Derartige Maßnahmen werden unter den Begriff „Systemwettbewerb im untechnischen Sinn“ subsumiert. Gegenstand eines Systemwettbewerbs im untechnischen Sinn ist der „kollisionsrechtliche“ Ordnungsrahmen.
570 Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, S. 98. 571 Schumpeter stellt fest, dass Konkurrenz „nicht nur wirkt, wenn sie vorhanden ist, sondern auch wenn sie nur eine allgegenwärtige Drohung ist“ (Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 140). 572 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 225; Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 13; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 528; Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 126; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 22; Ambrosius, Regulierungswettbewerb im Deutschen Reich (1871 – 1914): Welche Erfahrungen sind für die Europäische Union relevant?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2004 5(1), S. 39, 40; Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 96 ff. Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10, S. 7; Wohlgemuth, Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 49, 59 Fn. 12; Bizer, Wirtschaftliche Liberalisierung in Europa – Konsequenzen für das Handwerk, in: Handwerk und Europa, S. 79, 86 f. 573 Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 96 ff.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
II. Yardstick Competition Der Begriff „Yardstick Competition“574 oder „Ideenwettbewerb“575 beschreibt eine Beeinflussung der Rechtsentwicklung mittels eines grenzüberschreitenden Informationsaustausches über Institutionen, der (vorwiegend) nicht über institutionelle Mobilität vermittelt ist.576 So können Institutionen aufgrund ihrer Vorteilhaftigkeit und insbesondere deren Effizienz von anderen Staaten übernommen werden,577 wobei nicht unbedingt eine Eins-zu-Eins Kopie von fremden Regelungen erfolgt578. Ein für Yardstick Competition notwendiger Informationsfluss579 kann deshalb auch dann stattfinden, wenn eine physische oder nicht-physische Mobilität aufgrund rechtlicher oder tatsächlicher580 Rahmenbedingungen (wie hohen Transaktionskosten) nicht gegeben ist.581 Rechtsvergleichung schafft die Voraussetzungen für Yardstick Competition582 : 574 Der Begriff stammt von Shleifer (Sheifer, A theory of yardstick competition, Rand Journal of Economics 16(3) (1985), S. 319 – 327). Grundlegend für die Übertragung von Yardstick Competition auf staatliche Ebene: Besley/Case, Incumbent Behavior: Vote-Seeking, Tax-Setting, and Yardstick Competition, The American Economic Review, S. 25 – 45. 575 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 18 – 21; Nagel, Kommentar zu Wolfgang Kerber/Klaus Heine – Zur Gestaltung von MehrEbenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, Beispiel Europäische Union, in: Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 195, 197. 576 Vgl. Apolte, Regulierungswettbewerb in föderalen Strukturen:Königswettbewerb zwischen Staatsversagen und Marktversagen?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 55, 68 – 73; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 12. Nach Kerber ist auch parallel einem über Mobilität vermittelten Wettbewerb Yardstick Competition denkbar (Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 452 f.). Zum Einfluss der europäischen Privatrechte auf die Privatrechtsordnung der VR China: Pißler, Ausstrahlung des europäischen Privatrechts ins chinesische Recht, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. 1, S. 147, 149 f. 577 Vgl. Teil 1 § 2 B. I. 5., 6. 578 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 462. 579 Fredriksson/Millimet, Is there a ,California effect‘ in US environmental policymaking, Regional Science and Urban Economics 32 (2002), S. 737 – 764, 740. 580 Vgl. Straubhaar, Migration im 21. Jahrhundert, S. 28 ff. 581 Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167 – 194, 173; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 40 f.; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 97 – 100. 582 Vgl. von Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher, in: Thibaut und Savigny, Ihre programmatischen Schriften, S. 231, 234; Zitelmann, Aufgaben und Bedeutung der Rechtsvergleichung, DJZ 1900, S. 329, 329; Kötz, Alte und neue Aufgaben der Rechtsvergleichung, JZ 2002, S. 257 – 264; Siems, Measuring the Immeasureable: How to Turn Law into Numbers, in: Does Law Matter?, S. 115, 117 ff.; Mansel, Rechtsvergleichung und europäische Rechtseinheit, JZ 1991, S. 529, 529 f. Rechtsvergleichung kann auch in Bezug auf öffentlich-
H. Begriffliche Grundlagen
261
„Sie kann dem Richter, der Gesetzeslücken zu schließen oder Auslegungsfragen zu entscheiden hat, Lösungsvorschläge unterbreiten, die dem auf den nationalen Bereich beschränkten Juristen auch bei stärkster Anspannung seiner Phantasie nicht eingefallen wären und die noch dazu den Vorteil haben, daß sie in einem bestimmten Lande praktisch erprobt und oft sogar in diesem Lande im reinigenden Feuer einer langjährigen Rechtsprechung und einer fundierten wissenschaftlichen Kritik gehärtet sind“.583
Yardstick Competition kann kontrollierend auf Gesetzgeber wirken584 und die Hervorbringung von Wissen und institutionellen Innovationen fördern585 und kann zur Imitation von in anderen Staaten bewährten Regelungen führen.586 Nach Meessen sollten Gerichte „sich bei Auslegung und Anwendung von Wirtschaftsrecht des Wettbewerbs der Systeme bewußt sein und stärker rechtsvergleichend auf eine Optimierung der eigenen Rechtsordnung hin arbeiten“,587 was eine ausdrückliche Aufforderung zu einem Eintreten in einen Yardstick Competition-Prozess beinhaltet. Rechtsvergleichende Überlegungen sind jedoch (zumindest in Deutschland) in der rechtlichen Praxis sehr selten.588 rechtliche Regulierungen betrieben werden (Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 5 f. Tz. 5); Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 11, 24; Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 1, S. 2, § 9, S. 82, 86. 583 Kötz, Der Bundesgerichtshof und die Rechtsvergleichung, in: 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. 2, S. 825, 842. 584 Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 12; Wrede, Yardstick competition to tame the leviathan, European Journal of Political Economy 17, S. 705 – 721; Holzweißig, Medien und Medienlenkung, in: Die SED-Herrschaft und ihr Zusammenbruch, S. 51 – 81, 63 – 66; Besly/Case, Incumbent Behavior: Vote-Seeking,Tax-Setting,and Yardstick Competition, American Economic Review 85 (1995), S. 25 – 45 (Steuersätze); Fredriksson/Millimet, Is there a ,California effect‘ in US environmental policymaking, Regional Science and Urban Economics 32 (2002), S. 737, 740 ff.; Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 173; Jung/Balzili/Mauerer/Pauly, Vorbildliche Nachbarn, Der Spiegel 1/2003, S. 34 – 41; Apolte, Regulierungswettbewerb in föderalen Strukturen: Königswettbewerb zwischen Staatsversagen und Marktversagen?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 55, 70 f. 585 Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 12. 586 Vgl. Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 11, 24. Infolge von Yardstick Competition fanden haftungsbeschränkte Gesellschaftsformen weltweite Verbreitung (Lutter, Die Entwicklung der GmbH in Europa und der Welt, in: FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, S. 49 – 83). 587 Meessen, Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 37, siehe auch S. 28. 588 Welcher Rechtsanwalt oder welches Gericht lässt schon rechtsvergleichende Überlegungen in seine Arbeit einfließen? So gut wie keiner. Vgl. aber: Kötz, Der Bundesgerichtshof und die Rechtsvergleichung, in: FS BGH, S. 825 – 843. Bemerkenswerter Weise ist eine rechtsvergleichende Betrachtung auch in der Kommentarliteratur selten, was symptomatisch für die geringe Bedeutung der Rechtsvergleichung in der Praxis ist.
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§ 4 Theoretische Annäherung an das Phänomen des Systemwettbewerbs
III. Europarechtliches Herkunftslandprinzip und Prinzip der gegenseitigen Anerkennung Mit dem Begriff „europarechtliches Herkunftslandprinzip“ werden zusammenfassend die primärrechtlichen Herkunftslandprinzipien589 und den aus Richtlinien folgenden sekundärrechtlichen Herkunftslandprinzipien bezeichnet590. Der Begriff „Prinzip der gegenseitigen Anerkennung“ beschreibt die Anerkennung mitgliedstaatlicher Regulierungen und insofern ist der Begriff enger als der Begriff „europarechtliches Herkunftslandprinzip“, den der Begriff „europarechtliches Herkunftslandprinzip“ umfasst auch die Schranken der Grundfreiheiten.591
IV. Weitere Begriffe Der Begriff „race to the bottom“592 wird im Sinn einer suboptimalen Deregulierung verwendet.593 Ein „race to the top, Begriff“ bezeichnet hier eine Rechtsentwicklung hin zu einer strengeren Regulierung, die positiv zu bewerten ist.594 Der Begriff „Rückkopplung“ meint eine Situation, in der sich infolge eines strengeren Regulierungsniveaus Wettbewerbsvorteile für die Anbieter ergeben, die 589 Vgl. Weiler, Mutual Recognition, Functional Equivalence and Harmonization in the Evolution of the European Common Market and the WTO, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 25, 43: „judicial mutual recognition“. 590 Vgl. Weiler, Mutual Recognition, Functional Equivalence and Harmonization in the Evolution of the European Common Market and the WTO, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 25, 50: „political mutual recognition“. 591 Anders: Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 401; Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 56, 57 Rn. 68; Calliess, Die Dienstleistungsrichtlinie, S. 13 592 Der Begriff geht zurück auf William Cary (Federalism and Corporate Law: Reflections Upon Delaware, Yale Law Journal 83(4) (1974), S. 663, 666: „Probably the best example of ,the race for the bottom‘ appears […]“. (Schön, Mindestharmonisierung im europäischen Gesellschaftsrecht, ZHR 160 (1996), S. 221, 234, Fn. 50). Vgl. schon: Justice Brandeis, in Louis K. Liggett Co. v. Lee, 288 U.S. 517, 559 (1933): „Companies were early formed to provide charters for corporations in states where the cost was lowest and the laws the least restrictive. The states joined in advertising their wares. The race was one not of diligence but of laxity“. Eine nähere Betrachtung des Begriffsverständnisses erfolgt bei Swire (The Race to Laxity and the Race to Undesirability: Explaining Failures in Competition Among Jurisdictions in Environmental Law, Yale Law & Policy Review 14 (1996), S. 67 – 110). 593 Vgl. zur Begriffsbildung: Swire, The Race to Laxity and the Race to Undesirability: Explaining Failures in Competition Among Jurisdictions in Environmental Law, Yale Law & Policy Review 14 (1996), S. 67 – 110. Kritisch zur Verwendung des Bildes vom „race“: Radaelli, The Puzzle of Regulatory Competition, Journal of Public Policy 24(1) (2004), S. 1, 19. 594 Vgl. zur Begriffsbildung: Swire, The Race to Laxity and the Race to Undesirability: Explaining Failures in Competition Among Jurisdictions in Environmental Law, Yale Law & Policy Review 14 (1996), S. 67 – 110.
H. Begriffliche Grundlagen
263
diesem Regulierungsniveau unterliegen.595 Voraussetzung ist in der Regel, dass sich die entsprechende Regulierung auf die Qualität von Waren bzw. Dienstleistungen auswirkt. Unter dem Begriff „Institutionen“ werden hier rechtliche Regelungen, sowohl in Gesetzen verankerte und richterrechtliche, verstanden. Der hier zugrundegelegte Begriff ist insofern enger als der der Neuen Institutionenökonomik596 als dass hier ausschließlich „äußere“ Institutionen597 betrachtet werden.
595
M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 108, 100 f.; Winter, State law shareholder protection and the theory of the corporation, Journal of Legal Studies 6 (1977), S. 251, 256; Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10, S. 14; Brown/Turner, The Admirable Company, Why corporate reputation matters so much and what it takes to be ranked among the Best, 2008, S. 127 ff.; Hilowitz, Social labelling to combat child labour: Some considerations, International Labour Review 136 (1997), S. 215 – 232. Vgl. auch: EuGH, Rs. C-384/93, Alpine Investments BV/Minister van Financiën, Slg. 1995 I-1141, I-1178 Rn. 41; GA in Rs. C-11/92 Rn. 45: „Unterschiede in der Strenge von Etikettierungsregeln, die vor dem Konsum des betreffenden Produktes warnen und damit zur Einschränkung dieses Konsums beitragen sollen, können die Chancengleichheit im Wettbewerb besonders stark beeinträchtigen. Insoweit besteht ein Unterschied zwischen Regeln dieser Art und solchen, die die Eigenschaft des Produkts selbst betreffen. Innerstaatliche Vorschriften, die über den in einer Harmonsierungsrichtlinie vorgesehenen Standard hinsichtlich der Eigenschaften des Erzeugnisses hinausgehen, können, je nach Fall, einen Wettbewerbsvorteil der in diesem Staat hergestellten Erzeugnisse auf den Märkten der Mitgliedstaaten – auch der anderen als des Herkunftsstaates – begründen, wenn mit diesen strengeren Vorschriften ein guter Ruf der betreffenden Erzeugnisse verknüpft wird. Dieser Vorteil kann unter Umständen den Wettbewerbsnachteil, der aus der Anwendung der strengeren Vorschriften auf dem Markt des Herstellungsmitgliedstaates steht, ausgleichen. Ein solcher Mechanismus ist im vorliegenden Fall aber nicht denkbar, da die Warnhinweise gerade dazu da sind, den „Ruf“ des Produktes zu beeinträchtigen“. 596 Vgl. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, I.1, S. 7. 597 Lachmann, Wirtschaftsordnung und wirtschaftliche Institutionen, ORDO 14 (1963), S. 63, 67 ff. Vgl. auch: Voigt, Institutionenökonomik, S. 39 – 41. Vgl. Teil 1 § 2 A. I.
§ 5 Der California Effekt als Systemwettbewerb im untechnischen Sinn Ein Wettbewerb der Staaten kann (wie Wettbewerb allgemein) in vielen verschiedenen Ausprägungen ausgetragen werden. Er kann z. B. stattfinden über den Einsatz von protektionistischen Handelsbehinderungen,1 über die Begründung weiter Zuständigkeiten für Klagen gegen ausländische Privatrechtssubjekte2, über die Verweigerung von Zuständigkeiten im Fall der Klage von Ausländern gegen Inländer3, über die Verweigerung der Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen4, über extraterritoriale Rechtsanwendung (wie im Rahmen des im Kartellrechts geltenden Auswirkungsprinzips5 oder des Weltrechtsprinzips6) bis hin zum Einsatz von Gewalt7. 1
Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 96 ff. Vgl. Sandrock, Ausländische Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstößen vor US-amerikanischen Gerichten, Entwarnung für Klagen nach dem Alien Tort Claims Act von 1789?, RIW 2013, S. 497 – 508. 3 Schütze, Forum non conveniens und Rechtschauvinismus, FS Jayme S. 849, 850: „Rechtschauvinismus“. 4 Vgl. RG vom 26. 03. 1909, Az. VII 550/08, RGZ 70, 434. Ein Gesetzgeber kann auch die Strategie verfolgen, eine Anerkennung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen durch Formulierung eines ausschließlichen inländischen Gerichtsstands auszuschließen vgl. § 32b ZPO; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 15/5091 –, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren, BT-Drs. 15/5695 vom 15. 06. 2005, S. 25; Morrmann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz von Kapitalanlegerklagen in den USA, S. 40, 211. 5 § 130 Abs. 2 GWB; Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO; EuGH, Rs. 48/69, Imperial Chemical Industries Ltd./Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1972, S. 619, 664 f. Rn. 125 f. Vgl. Generalanwalt Mayras, in: Rs. 48/69, Imperial Chemical Industries Ltd./ Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1972, S. 619, S. 687 f.; EuGH, verb. Rs. 89, 104, 114, 116, 117 und 125 bis 129/85, A. Ahlström Osakeyhtiö und andere/Kommission, S. 5193, 5243 Rn. 16; Schuhmacher, Effizienz und Wettbewerb, S. 280 ff.; Baier, Das Auswirkungsprinzip im Kartellrecht der USA; Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, § 2 I, S. 201 – 204; Ebke, Märkte machen Recht – auch im Gesellschafts- und Unternehmensrecht! in: FS Lutter, S. 17, 19; Hay/Krätzschmar, Neue Unsicherheiten um die extraterritoriale Anwendung US-amerikanischen Antitrust-Rechts, RIW 2003, S. 809 – 813; Zu einem Wettbewerb der Staaten auf dem Gebiet des Kartellrechts: Meessen, Competition of Competition Laws, Northwestern Journal of International Law & Business, 10 (1989), S. 17 – 30; Bätge, Wettbewerb der Wettbewerbsordnungen?; Möschel, Wettbewerb der Wettbewerbsordnungen, WuW 2005, S. 599 – 605; Möschel, Die Deutsche Fusionskontrolle auf dem Prüfstand des europäischen Rechts: „Überflügelung“ oder Harmonisierung?, AG 1998, S. 561 – 566; H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 178 ff.; Mestmäcker, Staatliche Souveränität und offene Märkte, RabelsZ 52 (1988), S. 205, 205, 219 ff. 2
§ 5 Der California Effekt als Systemwettbewerb im untechnischen Sinn
265
Soweit Recht Parameter im Wettbewerb der Staaten ist und nicht ein über institutionelle Mobilität vermittelter Systemwettbewerb8 vorliegt, ist die Rede von einem Systemwettbewerb im untechnischen Sinn.9 Der kalifornische Politikwissenschaftler David Vogel beschreibt einen Wettbewerb der Staaten angestoßen über die Errichtung von Marktzugangshemmnissen bei Geltung des Bestimmungslandprinzip.10 Diesen Wettbewerb bezeichnet er in begrifflicher Anlehnung an den Delaware Effekt11 als California Effekt12 und argumentiert, dass der California Effekt im Gegensatz zum Delaware Effekt zu einem „race to the top“ führe. Der US-amerikanische Bundesstaat Kalifornien schrieb auf Grundlage einer bundesgesetzlichen Erlaubnis erheblich strengere Vorschriften hinsichtlich der Emissionsgrenzen für Kraftfahrzeuge vor, als sie in den anderen US-amerikanischen Bundesstaaten üblich waren.13 Die Errichtung von Marktzugangshemmnissen ent6 Vgl. zu einem Justizkonflikt zwischen Deutschland und den Niederlanden im Zusammenhang mit der Verurteilung eines niederländischen Drogendealers in Deutschland für in den Niederlanden begangener Taten: BGH, Urteil vom 8. 4. 1987, BGHSt 34, 334; Rüter, Ein Grenzfall: Die Bekämpfung der internationalen Drogenkriminalität im Spannungsverhältnis zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland – Zugleich eine Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 8. 4. 1987 – 3 StR 11/87 –, JR 1988, 136 – 141. 7 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 203 f.; Kerber/Vanberg, Competition among Institutions, Evolution within constraints, in: Competition among Institutions, S. 35, 52: „They can compete with each other by making their instiutions more attractive to citizens and investors, by providing a more hospitable environment in terms of such things as regulatory provisions, their educational system, environmental and cultural attractiveness. But they can also compete by protectionist policies and export subsidies, the use of military force, by terrorist acts, by restricting their citizen’s mobility, by confiscating property, and an array of other measures“; Wagener, Hat der Systemwettbewerb die sozialistische Planwirtschaft zu Fall gebracht?, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 101, 107: „Wettbewerb äußert sich darin, daß er stattfindet, oder darin, daß er bewußt verhindert wird“. 8 Vgl. Apolte, Regulierungswettbewerb in föderalen Strukturen: Königswettbewerb zwischen Staatsversagen und Marktversagen?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 55, 58 ff. 9 Mehde fasst hingegen auch die Anpassung von Recht an die Marktzugangsregulierung bedeutender Märkte unter den Begriff Systemwettbewerb (Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 567). 10 Vgl. Vogel, Trading Up, S. 248 ff., 259 ff. Vgl. auch: Murphy, Interjurisdictional Competition and Regulatory Advantage, Journal if International Economic Law 8(4), S. 891, 895. 11 Vogel, Trading Up, S. 259. 12 Vgl. Vogel, Trading Up, S. 248 ff. 13 Vogel, Trading Up, S. 259. Nach Kahn durften im Zeitraum 1975 bis 1979 Kraftfahrzeuge in Kalifornien nur ein Drittel des in Chicago zulässigen Ausstoßes emittieren (Kahn, New evidence on trends in vehicle emissions, RAND Journal of Economics 27 (1996), S. 183 – 196). Den Hinweis auf die Fundstelle hat der Verfasser entnommen aus: Fredriksson/Millimet, Is there a ,California effect‘ in US environmental policymaking, Regional Science and Urban Economics 32 (2002), S. 737, 738.
266
§ 5 Der California Effekt als Systemwettbewerb im untechnischen Sinn
sprach den protektionistischen Interessen der kalifornischen Kraftfahrzeugindustrie.14 Der Einfluss von Interessengruppen spielte im Rahmen des Inkraftsetzens dieser Marktzugangshemmnisse eine Rolle 15. Auf der anderen Seite führte das Interesse der US-amerikanischen Kraftfahrzeughersteller an einheitlichen Regelungen zu der Forderung von Kraftfahrzeugherstellern, einzelstaatliche Regulierungen an die von Kalifornien anzupassen,16 zumal sich die US-amerikanische Automobilindustrie einer schmerzhaften Konkurrenz aus Europa und Japan ausgesetzt sah17. Im Jahr 1994 übernahmen vor diesem Hintergrund zwölf Bundesstaaten die kalifornischen Regulierungen,18 womit es zu einer speziellen Form einer Ex-post Harmonisierung kam. Entscheidend für die Übernahme des kalifornischen Regulierungsniveaus seitens mehrerer Bundesstaaten war die Bedeutung des kalifornischen Absatzmarktes.19 Vogel weist darauf hin, dass auch die deutschen Automobilhersteller bereit waren, die Verschärfung der Emissionsvorgaben für Kraftfahrzeuge vor dem Hintergrund des Wunsches nach ungehindertem Zugang zu dem US-amerikanischen Markt zu unterstützen.20 Vogel zeigt, dass die Geltung eines hohen Regulierungsniveaus auf einem ökonomisch relevanten Markt eine materiellrechtliche Harmonisierung der entsprechenden Regeln auf einem hohen Niveau fördert.21 So begünstigte die strenge ka14 Vogel, Trading Up, Consumer and environmental regulation in a global economy, S. 260 f. 15 Vgl. Murphy, Interjurisdictional Competition and Regulatory Advantage, Journal if International Economic Law 8(4), S. 891, 916. Zurückhaltend: Zohlnhöfer, Zur politischen Ökonomie des neuen Protektionismus, Ein Beitrag zur Theorie der Außenwirtschaft in der Demokratie, in: FS Meimberg, S. 143, 154. 16 Vogel, Trading Up, S. 250, 261 – 263. Vgl. auch: Holzinger, Regulierungswettbewerb im Umweltschutz, in: FS Klaus W. Zimmermann, S. 203, 216 f. 17 Vgl. Waldner, International Intraindustry Trade and Environmental Policy: US EPA Emissions Standards and the Sales of Imported German Cards to the US, S. 1 f. 18 Vogel, Trading Up, S. 259. 19 Vogel, Trading Up, S. 261. 20 Vogel, Trading Up, S. 261. Auf der anderen Seite sank jedoch der Preis hochwertiger deutscher Kraftfahrzeuge verglichen mit derartigen US-amerikanischen Fahrzeugen mit der Einführung von Emissionsregulierungen in den USA in der Zeit von 1974 bis 1983. Für die deutsche Automobilindustrie bedeuteten die US-amerikanischen Regulierungen einen geringeren Kostenanstieg als für die US-amerikanischen Kraftfahrzeughersteller (Waldner, International Intraindustry Trade and Environmental Policy: US EPA Emissions Standards and the Sales of Imported German Cards to the US, S. 65 f.). Vogel vermutet mit Hinblick auf die EU und Kanada, dass Getränkehersteller in Dänemark und in Ontario nicht bereit gewesen wären, die Schaffung eines obligatorischen Pfandflaschensystems mitzutragen, wenn dieses Systeme nicht gleichzeitig einen wettbewerblichen Schutz vor Anbietern aus anderen Staaten bedeutet hätte, da ausländische Hersteller die Pfandflaschenpflicht härter trifft als inländische Hersteller (Vogel, Trading Up, S. 260). 21 Vgl. Vogel, Trading Up, S. 6 – 8, S. 259 ff.
§ 5 Der California Effekt als Systemwettbewerb im untechnischen Sinn
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lifornische Regulierung eine Mindestharmonisierung in Bezug auf den Abgasausstoß auf hohem Niveau.22 Der beschriebene Wirkungsmechanismus wird zum Teil weiter verstanden indem auch Yardstick Competition als Wirkungsmechanismus unter den Topos California Effekt gefasst wird.23 Im Folgenden geht es jedoch ausschließlich um die Betrachtung der Rechtsentwicklung auf einzelstaatlicher, zwischenstaatlicher oder supranationaler Ebene über die Errichtung von Marktzugangshemmnissen. Bemerkenswert ist, dass der von Vogel beschriebene California Effekt von der systemwettbewerblichen und insbesondere ökonomischen Literatur grundsätzlich nicht beachtet wird. Lediglich die Juristen Mehde24 und M. Müller25 sprechen dieses Phänomen im Zusammenhang mit dem Thema Systemwettbewerb an.26 Der California Effekt zeichnet sich durch einen anderen Wirkungsmechanismus als Systemwettbewerb aus und insbesondere das Fehlen der Marktanalogie aus, so dass die Attraktivität dieses Ansatzes von ökonomischer Seite erheblich geringer sein dürfte. Eine Integration über das Bestimmungslandprinzip, sofern eine Integration auf dieser Basis überhaupt möglich ist, erscheint aus dem Blickwinkel der klassischen Freihandelslehre27 wenig attraktiv. Zudem ist der von D. Vogel beschriebene California Effekt unter deutschen Ökonomen weitgehend unbekannt.
22
Vogel, Trading Up, S. 259. Vgl. Fredriksson/Millimet, Is there a ,California effect‘ in US environmental policymaking, Regional Science and Urban Economics 32 (2002), S. 737, 739 ff. 24 Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 566 – 568. 25 M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 115 Fn. 49. 26 Dreher weist darauf hin, dass ein Wettbewerb der Staaten auch dazu führen kann, dass diese protektionistische Maßnahmen ergreifen (Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 109). Maduro weist darauf hin, dass ein Wettbewerb der Staaten bei Geltung des Grundsatzes der Inländerbehandlung nach einem anderen Muster verläuft und verweist auf den US-amerikanischen Markt (Maduro, We the Court, The European Court of Justice and the European Economic Constitution, S. 143 – 145). 27 Vgl. Krugman/Wells, Economics, S. 408 ff.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 131 f. 23
§ 6 Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat A. Notwendigkeit der Betrachtung politischer Entscheidungsprozesse als Voraussetzung der Bewertung von Systemwettbewerb In der Staatsrechtslehre wurde wiederholt die Bedeutung des Verständnisses des politischen Prozesses für ein Verständnis des Staates hervorgehoben. So hob G. Jellinek die Bedeutung der Kenntnis von Anreizen der politischen Akteure für das Verständnis des politischen Prozesses hervor: „Die Vorgänge im Bienenstock, im Ameisenhaufen nehmen wir wahr, ohne sie deshalb auch richtig deuten zu können. Noch heute ist die Wissenschaft lange nicht im klaren, auf welchen organischen oder psychologischen Kräften die diese Tiergesellschaften ins Dasein rufenden Instinkte beruhen, d. h. nur die äußeren sich hier anspielenden Vorgänge sind uns genau bekannt, nicht aber die von innen heraus, in jedem Glied der Gesellschaft wirkenden Mächte. […] Eine solche den Staat ausschließlich von außen betrachtende Weise aber […] gibt nur ein äußerst kümmerliches und wissenschaftlich gänzlich unbrauchbares Bild vom Staate. Alle gesellschaftlichen Vorgänge können nur erschlossen werden, wenn man die sie verursachenden und begleitenden psychischen Akte kennt“.1
G. Jellinek fordert neben einer „objektiven Betrachtung“ des äußerlich wahrnehmbaren zu einer „subjektiven Betrachtung“ der überwiegend psychischen „innermenschlichen“ Beziehungen in einem Staat auf.2 In ähnlicher Weise führt R. Herzog aus. Es sei zwar möglich, „über den Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften, die die Staatswillensbildung in jedem zivilisierten Staat kanalisieren, ein theoretisches Lehrgebäude zu errichten. Weniger als in anderen Teilbereichen der Staatswissenschaft kann man damit aber den Vorgang der Staatswillensbildung unmittelbar in den Griff bekommen. Denn mehr als in anderen Bereichen ist die rechtliche Ordnung im Bereich der Willensbildung nur die äußere Kulisse, vor der das eigentliche politische Kräftespiel abläuft. Wenn man weiß wer im konkreten Fall entschieden hat und in welchem Verfahren dies geschehen ist, so kann man damit oft noch nicht einmal ahnen, aus welchen Gründen so und nicht anders entschieden worden ist, aus welchen geistigen Wurzeln die Entscheidung erwachsen ist und vor allem welche anderen Personen auf sie Einfluss genommen haben“.3 1
Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 136 f. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 137. 3 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 338 (HiO). Zu den Einflussfaktoren auf staatliche Entscheidungen: R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 344 – 347. 2
A. Notwendigkeit der Betrachtung politischer Entscheidungsprozesse
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Eine solche Betrachtung des Innenlebens des Staates ist jedoch in der Rechtswissenschaft bislang nicht erfolgt, denn es geht im Rahmen der Rechtswissenschaft im Hinblick auf die Gesetzesentstehung (abgesehen vom Fall der historischen Auslegung) vor allem um die formale Seite des Zustandekommens von Gesetzen.4 Auch in der Systemwettbewerbstheorie fehlt weitgehend eine Auseinandersetzung mit dem politischen Prozess.5 In den neoklassischen Modellen wird davon ausgegangen, dass der Staat von einem Akteur regiert wird6 Auch das TieboutModell verzichtet auf eine Betrachtung des politischen Prozesses.7 Deswegen ist in missverständlicher Weise8 die Rede ist von „benevolenten Diktatoren“9 und der Staat erscheint als eine black-box10.11 Die Notwendigkeit der Öffnung der black-box Staat ist in der Diskussion um Systemwettbewerb umstritten. 4
Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 82, Rn. 92. Vgl. die Kritik bei: Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 323. 6 Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozeß, S. 53, 57. 7 Oates, The Many Faces of the Tiebout Model, in: The Tiebout Model at Fifty, S. 21, 29. 8 Der Begriff „benevolenter Diktator“ erscheint widersprüchlich, weil der Begriff Diktator eine negative Bewertung in Sinne von Tyrannei impliziert (vgl. Platon, Staat, Über das Gerechte, S. 337 ff. Rn. 562 ff.; Schmitt Glaeser, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon Bd. 1 A – F, Stichwort „Diktatur“, S. 1103, 1104; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 21 II, S. 137 f. vgl. aber einschränkend: Dürig, Gesammelte Schriften 1952 – 1983, S. 370). Treffender wäre das Bild eines wohlwollenden und allmächtigen Königs, der ausschließlich das das Ziel der Verwirklichung des Gemeinwohls verfolgt (Kirchgässner spricht von „Herrschern“: Kirchgässner, Homo oeconomicus, S. 102). Der negativ besetzte Begriff eines Diktators würde dadurch umgangen. Unklar ist, ob sich die Benevolenz auch in Bezug auf das Ausland oder ausschließlich auf das Inland bezieht, wenn zum Beispiel die Erzeugung negativer externer Effekte in Rede steht. Zu den ökonomischen Hintergründen des Bestehens von Diktaturen und Demokratien: Acemoglu/Robinson, Economic Origins of Dictatorship and Democracy. 9 Breton, Competitive governments, S. 11: „benevolent despot model“; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 19: „weisen Diktators“. In der Finanzwissenschaft war ein derartiger Ansatz verbreitet. So stellt Wicksell fest; „Sogar die modernsten Handbücher der Finanzwissenschaft machen häufig – wenigstens auf den Schreiber dieses – etwa den Eindruck einer Philosophie des aufgeklärten und wohlwollenden Alleinherrschertums, eines fortlaufenden Kommentars der berühmten Weisheitsregel: ,Alles für, nichts durch das Volk‘ – höchstens mit dem zaghaft ausgesprochenen Zusatze: ,vielleicht doch ein klein weniges durch das Volk‘“ (Wicksell, Finanztheoretische Untersuchungen, Nebst Darstellung und Kritik des Steuerwesens Schwedens, S. 102. Vgl. auch: Kirchgässner, Homo oeconomicus, Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, S. 111). 10 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 156. 11 Vgl. Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 4. In Bezug auf Unternehmen: Voigt, Institutionenökonomik, S. 98 ff. Zum Begriff „black-box“ vgl. http://de. wikipedia.org/wiki/Black_Box_(Systemtheorie). 5
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§ 6 Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
Nach einem streng neoklassischen Ansatz12 besteht von vornherein kein Bedürfnis eines Blickes in die black-box Staat, da der Staat von diesem Ansatz (wie erwähnt) als Einheit begriffen wird.13 Dementsprechend argumentiert H.-W. Sinn, dass ein Blick in das Innenleben der Staaten entbehrlich sei: „Die Annahme des rationalen Staates für die Analyse des Systemwettbewerbs ist vergleichbar mit der Annahme rationaler Firmen und Haushalte im Marktwettbewerb. Natürlich kann man bezweifeln, daß Firmen rational sind. Firmen sind Ansammlungen von Menschen, die ihre Aktionen mehr oder weniger effizient koordinieren, und sicherlich tut der Betriebswirt gut daran, den betriebsinternen Koordinationsprozess mittels eines Principal-Agent-Modells zu untersuchen […]. Der Volkswirt als Systemanalytiker tut aber gut daran, von solcherlei Problemen zu abstrahieren, wenn er die Natur der wirtschaftlichen Interaktionen auf Märkten verstehen möchte, und genauso tut er gut daran, die Bedenken der Public-Choice-Schule zurückzustellen, wenn er den Systemwettbewerb zwischen Staaten analysieren möchte. […] Für das Verständnis der Marktfehler im Systemwettbewerb ist er aber in erster Approximation genauso entbehrlich, wie es Psychologie, Genforschung und Betriebswirtschaftslehre für das Verständnis des Wettbewerbs auf privaten Märkten sind“.14
Als Vertreter eines im Kern neoklassischen Ansatzes15 thematisierte jedoch Breton bereits in den 1980er Jahren im Zusammenhang mit dem kanadischen Föderalismus die Bedeutung des Zusammenwirkens von Parlamentarismus und Demokratie16 und kritisierte, dass dem wohlfahrtsökonomischen Ansatz eine Theorie der Politik fehle17. Streit erkennt das Fehlen einer überzeugenden Theorie des politischen Wettbewerbs an. Er spricht im Zusammenhang mit der Modellierung des politischen Wettbewerbs im Rahmen der Systemwettbewerbsmodelle von Ansätzen, „die zumindest Teilaspekte zu erklären vermögen“.18 Es fragt sich, welche Bedeutung eine Betrachtung des politischen Entscheidungsprozesses im Rahmen einer systemwettbewerblichen Betrachtung besitzt. 12
Vgl. Musgrave, Finanztheorie, S. 6. Zur Wettbewerbstheorie: Zohnhöfer/Greiffenberg, Neuere Entwicklungen in der Wettbewerbstheorie: Die Berücksichtigung organisationsstruktureller Aspekte, in: Handbuch des Wettbewerbs, Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, S. 79 – 101. 13 Vgl. Radaelli, The Puzzle of Regulatory Competition, Journal of Public Policy 24(1) (2004), S. 1, 12. 14 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 11 f. 15 Vgl. Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 72 ff. 16 Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263 – 329. Auch Apolte hält eine Öffmung der black-box Staat für notwendig: Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 4. 17 Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 323. 18 Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 117.
A. Notwendigkeit der Betrachtung politischer Entscheidungsprozesse
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Während Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten bei Vorhandensein eines geeigneten Ordnungsrahmens im Fall von marktgängigen Leistungen grundätzlich zu vorteilhaften Ergebnissen führt,19 sind die Folgen von Systemwettbewerb auch im Fall des Vorhandenseins geeigneter Ordnungsregeln hoch umstritten und zum Teil wird infolge eines Systemwettbewerbs ein allgemeines „race to the bottom“ befürchtet20. Es ist in Bezug auf Systemwettbewerb deswegen bei gegenwärtigem Forschungsstand von vornherein ausgeschlossen, von einer „unsichtbaren Hand“21 zu sprechen, wonach Systemwettbewerb automatisch zu einer besseren Ordnung führt. Entscheidend für die Bewertung eines Wettbewerbs zwischen Staaten ist, auf welche Weise Gesetze entstehen und ob der politische Prozess als grundsätzlich funktionsfähig angesehen werden kann.22 Systemwettbewerb besitzt insbesondere dann Bedeutung, wenn der Prozess politischer Entscheidungsfindung nicht funktioniert, da Systemwettbewerb in Form der Machtbegrenzungsfunktion als ein Korrekturmechanismus zur Bekämpfung von politischen Marktversagen bzw. Versagen demokratischer Entscheidungsprozesse dient.23 Um beurteilen zu können, inwieweit Systemwettbewerb machtbegrenzend wirkt, ist eine Öffnung der blackbox Staat deswegen erforderlich. Zudem ist die Bedeutung demokratischer Entscheidung zu berücksichtigen: Im Unterschied zum Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten, in dem die Betrachtung innerbetrieblicher Entscheidungsprozesse mit H.-W. Sinn in der Tat unerheblich ist24, kommt (wie bereits angedeutet25) dem demokratischen Prozess der
19 Vgl. Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 16 f.; Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29 – 78. Nach Sen ist kritisch zu prüfen, inwieweit der Markt zu vorteilhaften Ergebnissen führt (Sen, Ökonomie für den Menschen, S. 154 – 156). 20 Cary, Federalism and Corporate Law: Reflections Upon Delaware, Yale Law Journal 83 (4) (1974), S. 663 – 705. 21 Smith, Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, S. 371. 22 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 f. Tz. 7, S. 23 Tz. 21. Vgl. auch: K. Roth, Genealogie des Staates, S. 145 (zu Aristoteles). 23 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 – 15 Tz. 7 f.; Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 268; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 124; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 228; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 293 ff. 24 Vgl. H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 11 f. 25 Vgl. Teil 1 § 4 G. II.
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§ 6 Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
Entscheidungsfindung ein eigenständiger Wert zu26, sofern der Prozess demokratischer Entscheidungsfindung grundsätzlich funktioniert und die Ergebnisse nicht ausschließlich auf einer Fehlfunktion des demokratischen Prozesses beruhen27. Wenn der demokratisch legitimierte Gesetzgeber sich für die Verfolgung eines bestimmten Regulierungsziels entscheidet und die Entscheidung fehlerfrei zustande kommt und damit Ausdruck des Volkswillens ist, spricht das Demokratieprinzip entscheidend dafür, diese gesetzgeberische Entscheidung zu respektieren. Auch wenn Interessengruppenpolitik eine Rolle in der Gesetzgebungsgeschichte spielt, ist der Wert demokratischer Entscheidungsfindung28 zu berücksichtigen, denn nicht jeder Fehler im demokratischen Prozess negiert den Wert demokratischer Entscheidungsfindung. Auch in diesem Zusammenhang ist vor einem nirvana approach29 zu warnen. Die Öffnung der black-box Staat spielt auch insofern eine Rolle, als dass möglicherweise Voraussagen über eine Rechtsentwicklung unter den Bedingungen institutioneller Mobilität und damit Voraussagen über die Ergebnisse eines Systemwettbewerbs getroffen werden können.30 Auch ist das Verhältnis zwischen Abwanderung und dem politischen Prozess im Systemwettbewerb nicht geklärt. Während aus rechtswissenschaftlicher Sicht vor allen eine Betrachtung des politischen Prozesses Aufmerksamkeit genießt, betrachtet die ökonomisch-geprägte Systemwettbewerbsdiskussion fast ausschließlich die Option Abwanderung.31
26
Vgl. Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 107 f. 27 Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 28 – 30; Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39, 40. 28 Vgl. Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 107 f. 29 Demsetz, Information and Efficiency: Another Viewpoint, Journal of Law and Economics 12 (1969), S. 1, 1. Vgl. auch: Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 b Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12, Tz. 7: „Nicht überall, wo der Markt zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, ist […] notwendigerweise staatliche Aktivität angebracht“. 30 So auch in Bezug auf die Anreize für staatliche Responsivität: Bratton/McCahery, The New Economics of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best World, Georgetown Law Journal 86 (1997), S. 201, 238. 31 Vgl. Teil 1 § 6 B. VIII.
B. Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
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B. Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat im Zusammenhang mit Systemwettbewerb I. Der Staat als Maschine (historisches Staatsbild) Der Staat wurde in der Geschichte wiederholt beschrieben als Maschine oder Körper.32 Bekannt ist insbesondere das durch Hobbes geprägte Verständnis des Staates als Leviathan33 : „Denn durch die Kunstfertigkeit wird jener große Leviathan, Gemeinwesen oder Staat genannt (lateinisch civitas), erschaffen, der nur ein künstlicher Mensch ist (wenn auch von größerer Statur und Kraft als der natürliche Mensch, für dessen Schutz und Verteidigung er beabsichtigt wurde) und in dem die Souveränität eine künstliche Seele ist, insofern sie dem ganzen Körper Leben und Bewegung verleiht; die Richter und anderen Beamten der Jurisdiktion und Exekutive künstliche Gelenke sind; Belohnung und Strafe […] die Nerven, die das gleiche im natürlichen Körper tun; Wohlstand und Reichtum all der einzelnen Glieder die Kraft; salus poluli (die Sicherheit des Volkes) seine Aufgabe; Ratgeber, die ihm alle Dinge, die wissen muss, eingeben, das Gedächnis; Billigkeit und Gesetze künstliche Vernunft und künstlicher Wille; Eintracht Gesundheit; Aufruhr Krankheit und Bürgerkrieg Tod sind“.34
Die Beschreibung des Staates als Maschine oder Körper versucht auf naive Weise das Innenleben des Staates mit Hilfe einer Analogie zum Menschen zu erklären,35 dieser Ansatz kann jedoch von vornherein demokratische Entscheidungsprozesse nicht erklären. Vielmehr baute er auf einem autoritären Staatsverständnis auf. Es war die aus militärischen Erfordernissen erwachsene und zentralisierte preußische Verwaltung, die zur Charakterisierung von Brandenburg-Preußen als „Staatsmaschine“ geführt hat.36
II. Wohlfahrtsökonomisches Staatsbild Die Wohlfahrtsökonomie37 und darauf aufbauend die neoklassischen Modelle von Systemwettbewerb legen das Bild eines rational und benevolent handelnden Staates bzw. einer rational und benevolent handelnden Regierung zugrunde.38 Allein der 32
Vgl. Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Hobbes, Leviathan. 34 Hobbes, Leviathan, Einleitung, S. 5 (HiO). 35 Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine, S. 9. 36 Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine, S. 63. Stollberg-Rilinger stellt in diesem Zusammenhang fest, dass diese Charakterisierung Preußens als Paradebeispiel des modernen Staates zu betrachten sei (Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine, S. 63). 37 Vgl. Kleinewefers, Einführung in die Wohlfahrtsökonomie. 38 Vgl. Wicksell, Finanztheoretische Untersuchungen, Nebst Darstellung und Kritik des Steuerwesens Schwedens, S. 102: „Sogar die modernsten Handbücher der Finanzwissenschaft machen häufig – wenigstens auf den Schreiber dieses – etwa den Eindruck einer Philosophie des 33
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§ 6 Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
Hinweis auf benevolente oder eigennützige Akteure, bedeutet jedoch keine inhaltliche Entscheidung für eine bestimmte Politik, „[d]enn mit einer spezifischen Erzeugungsregel, mit einer bestimmten Staats- und Gesellschaftsform ist noch in keiner Weise die […] Frage nach dem Inhalt der staatlichen Ordnung beantwortet“.39
Um die Zielrichtung einer benevolenten Politik genauer bestimmen zu können, bedarf es einer Betrachtung der Wertentscheidungen, an der sich ein benevolenter Herrscher ausrichtet: „Wie die Sache auszusehen hat, in deren Dienst der Politiker Macht erstrebt und verwendet, ist Glaubenssache. Er kann nationalen oder menschheitlichen, sozialen und ethischen oder kulturlichen, innerweltlichen oder religiösen Zielen dienen, er kann getragen sein von starkem Glauben an den ,Fortschritt‘ – gleichviel in welchem Sinn – oder aber diese Art von Glauben aber kühl ablehnen, kann im Dienst einer ,Idee‘ zu stehen beanspruchen oder unter prinzipieller Ablehnung dieses Anspruchs äußeren Zielen des Alltagslebens dienen wollen, – immer muß irgendein Glauben da sein“.40
Als Ziele staatlicher Politik kommt z. B. die Mehrung des Wohlstandes der Bürger mittels der Förderung privatautonomer Aktivität41 und der Abbau von Arbeitslosigkeit42 mittels wirtschaftlichem Wachstums in Betracht. Ob diese Ziele mit Systemwettbewerb vereinbar sind, kann nicht pauschal beantwortet warden. Andererseits kann das Ziel des Herrschers (auch) in der Mehrung des Glücks der Bürger liegen43, da Wohlstand nicht automatisch Glück bedeutet.44 So ist Glücksaufgeklärten und wohlwollenden Alleinherrschertums, eines fortlaufenden Kommentars der berühmten Weisheitsregel: ,Alles für, nichts durch das Volk‘ – höchstens mit dem zaghaft ausgesprochenen Zusatze: ,vielleicht doch ein klein weniges durch das Volk‘“. 39 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 98. 40 M. Weber, Politik als Beruf, S. 53. 41 Böckenförde, Die Politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie, Ein Beitrag zum Problem der „Regierbarkeit“, Der Staat 15 (1976), S. 457, 459 f. 42 Vgl. Heuser, Humanomics, Die Entdeckung des Menschen in der Wirtschaft, S. 90. 43 Das Ziel des Fürstenstaates wurde in der staatsphilosophischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts in der Herstellung der Glückseligkeit der Untertanen gesehen Stürmer, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte Bd. 2, Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, § 1 S. 1 ff. 44 Vgl. Stiglitz/Sen/Fitoussi, Mis-Measuring our Lives, Why GDP doesn’t add up, The Report by the Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress; Delhey, Vom BIP zu Glück, Wohlbefinden als neues gesellschaftspolitisches Ziel?, in: Wohlstand, Wachstum, Gutes Leben, S. 147, 164 – 166. Vgl. aber den Zusammenhang zwischen Glück und Lebensstandard bei: Delhey, Vom BIP zu Glück, Wohlbefinden als neues gesellschaftspolitisches Ziel?, in: Wohlstand, Wachstum, Gutes Leben, S. 147, 163 f. „Das Glücksrezept der Menschen ist auch in den wohlhabenden Gesellschaften trotz einer gewissen Postmaterialisierung immer noch sehr vom Haben geprägt […] Der Lebensstandard steht an erster Stelle, erst mit Abstand kommen das soziale Leben, Familie, Gesundheit und öffentliche Lebensbereiche“ (S. 163).
B. Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
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maximierung der Bevölkerung ausdrückliches Ziel der Regierung von Bhutan45 und der französische Präsident beauftragte im Jahr 2009 drei führende Wirtschaftswissenschaftler damit, das französische Bruttoinlandsprodukt um einen „Glücksfaktor“ zu erweitern.46 Eine Marktintegration kann unter dem Blickwinkel einer Wohlstandsmehrung oder einer Glücksmehrung unterschiedlich beurteilt werden. Vor dem Hintergrund des Zieles der Glücksmehrung mittels der Verfolgung sozialpolitischer Ziele kann es sinnvoll sein, systemwettbewerblichen Anpassungsdruck mittels der Durchsetzung von eigenen Regulierungsanforderungen auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips zu vermeiden oder aufzuschieben.47 Dabei können ökonomische Nachteile wie ein langsameres Wachstum bewusst in Kauf genommen werden. Gegner des Herkunftslandprinzips im Bolkestein-Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie48 können sich in dieser Position wiederfinden.49 Derartige Fragen werden jedoch im Rahmen der Theorie eines funktionierenden Systemwettbewerbs nicht diskutiert. Es liegt aus dieser Perspektive wohl fern, nicht effiziente Regulierungen mit Glück der Bevölkerung zu rechtfertigen, zudem steht die Einbeziehung von Glück in die ökonomische Betrachtung noch am Anfang. Bei Bestimmung der zu verfolgenden Politik ist denkbar, dass sich ein „benevolenter Diktator“ bzw. „benevolenter König“ von dem Willen des Volkes beeinflussen lässt. Benevolenz könnte insofern als Bereitschaft verstanden werden, Politik entsprechend dem in der Bevölkerung vorhandenen Meinungsbild zu gestalten, soweit der Herrscher nicht negative Auswirkungen einer solchen am Volkswillen orientierten Politik erkennt bzw. im Fall der Allwissenheit solche negative Auswirkungen nicht vorhanden sind oder nicht ins Gewicht fallen.50 Alternativ zum Bild eines benevolenten Diktators ist die Modellierung eines parlamentarischen Systems unter der Annahme benevolenter politischer Akteure 45 Pfaff, Das „Bruttonationalglück“ als Leitlinie der Politik in Bhutan – eine ordnungspolitische Analyse, ORDO 62 (2011), S. 365, 368 ff. 46 Vgl. Stiglitz/Sen/Fitoussi, Mis-Measuring our Lives, Why GDP doesn’t add up, The Report by the Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress. Vgl. auch: Diefenbacher/Zieschank, Über das Bruttoinlandsprodukt hinaus – Wie kann die Wohlfahrt einer Nation gemessen werden ?, Zeitschrift für Sozialökonomie 47 (2010), S. 41, 44; Wawge (Hrsg.), National Happiness,Thinking beyond GDP; Delhey, Vom BIP zu Glück, Wohlbefinden als neues gesellschaftspolitisches Ziel?, in: Wohlstand, Wachstum, Gutes Leben, S. 147 – 168. 47 Zur Entsendung von Arbeitnehmern: EuGH, Urteil vom 27. 03. 1990, Rs. C-113/89, Rush Portuguesa, S. I-1417 ff.; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 186 ff. 48 Zur Dienstleistungsrichtlinie und deren Entstehungsgeschichte: Schlachter/Ohler (Hrsg.), Europäische Dienstleistungsrichtlinie. 49 Vgl. Gebhardt, Bietet der Kompromiss zur EU-Dienstleistungsrichtlinie eine akzeptable Lösung?, ifo Schnelldienst 6/2006, S. 3, 3. 50 Vgl. Bauer, Die Öffentliche Meinung in der Weltgeschichte, S. 3.
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§ 6 Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
denkbar. Es kommt damit zu einem Wettbewerb der Überzeugungen und nicht in erster Linie (wie von der Public Choice Theorie angenommen) zu einem Wettbewerb um Amt und Macht. Eine schädliche Einflussnahme von Interessengruppen ist aufgrund der Uneigennützigkeit der politischen Akteure erheblich eingeschränkt. „Geschäfte“ mit Interessengruppen kommen nur insoweit in Betracht, als dass es politischen Akteuren ausschließlich im Interesse der Verwirklichung ihrer Überzeugungen um die Erringung von Mehrheiten geht und insofern Kompromisse schließen. Während aus Sicht der Public Choice Theorie nur Anreize gegeben sind, heimischen Wählern zu dienen,51 wenn nicht gerade die Vermeidung negativer externer Effekte im Ausland zu einer Rücksichtnahme des Auslandes auf inländische Belange führt52, ist bei Annahme von benevolenten Akteuren fraglich, ob sich die Gutmütigkeit benevolenter Akteure auch auf mögliche negative externe Effekte53 nationaler Regulierung in anderen Staaten und auf deren Bürger bezieht. Im Europarecht wird in diesem Zusammenhang die Frage erörtert, ob Mitgliedstaaten sich auf Schranken der Warenverkehrsfreiheit zum Schutz von fremden nationalen Interessen berufen können.54
51
Vgl. Tribe, American Constitutional Law, § 6 – 5, S. 404, 409 – 411: „Because regulation unduly burdening or discriminating against interstate commerce or out-of-state enterprise has been thought to result from the inherently limited constituency to which each state or local legislature is accountable, the Supreme Court has viewed with suspicion any state action which imposes special or distinct burdens on out-of-state interests unrepresented in the stat’s political process“ (S. 409 f.); Zohlnhöfer, Zur politischen Ökonomie des neuen Protektionismus, Ein Beitrag zur Theorie der Außenwirtschaft in der Demokratie, in: FS Meimberg, S. 143, 154 f.; Mankowski, Wider ein Herkunftslandprinzip für Dienstleistungen im Binnenmarkt, IPRax 2004, S. 385, 388. 52 Nach Neumeyer sprechen Gesichtspunkte der Gegenseitigkeit für eine Anwendung einer Regulierung auf Exportsachverhalte, denn „wenn örtliche Satzungen Vorgänge im eigenen Bezirk nicht verwehren, die nur auswärts Schaden bringen, über die die dortige Behörde aber keine unmittelbare Macht hat, so werden auch dort Vorkehrungen unterbleiben, von unserem Bezirk Schaden abzuwenden, dem vorzubeugen hier keine rechtliche Möglichkeit besteht“ (Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 1, Innere Verwaltung, S. 81). 53 Vgl. Fünfgelt/Schulze, Endogenous Environmental Policy when Pollution is Transboundary, University of Freiburg, Department of International Economic Policy, Discussion Paper Series Nr. 14, Februar 2011; Revesz, Rehabilitating interstate competition: Rethinking the „race-to-the-bottom“ Rationale for Federal Environmental Regulation, New York University Law Review 67 (1992), S. 1210. 1222 ff.; Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl. 1997, Nr. C 340, S. 105 ff.; Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, KYKLOS 2000, S. 435, 452 – 454. Zum Sonderfall eines Schutzes von Zugvögeln: Zillmer, State Laws: Survival of the Unfit, University of Pennsylvania Law Review 62 (1913 – 14), S. 509, 522 f.; Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, S. 192 f. 54 Vgl. Everling, Durchführung und Umsetzung des Europäischen Gemeinschaftsrechts im Bereich des Umweltschutzes unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH, NVwZ 1993, S. 209, 211; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 30 Rn. 37 f.; Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, S. 192 f.; Trachtman, Regulatory
B. Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
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III. Staatsbild bei Zugrundelegung der ökonomischen Theorie der Politik Einen ökonomischen Ansatz zur Beschreibung der Anreizmechanismen im politischen Prozess liefert die ökonomische Theorie der Politik (Public Choice Theorie)55, indem sie das Bild des homo oeconomicus56 auf die Politik überträgt57 und politische Akteure als „egoistische Demokraten“58 beschreibt: „Zum Beispiel ist der Grund, warum es so etwas wie eine ökonomische Tätigkeit gibt, natürlich der, dass die Menschen sich nähren und kleiden usw. wollen. Die Mittel zur Befriedigung dieser Wünsche zu liefern, ist das soziale Ziel oder der soziale Sinn der Produktion. Trotzdem sind wir uns alle einig, dass diese These ein sehr wirklichkeitsfremder Ausgangspunkt für eine Theorie der wirtschaftlichen Tätigkeit in der kommerziellen Gesellschaft wäre und dass wir besser vorwärtskommen, wenn wir von Thesen über Profite ausgehen. In ähnlicher Weise ist der soziale Sinn oder die soziale Funktion der parlamentarischen Tätigkeit ohne Zweifel die, Gesetze und teilweise auch Verwaltungsmaßnahmen hervorzubringen. Aber um zu verstehen, wie die demokratische Politik diesem sozialen Ziele dient, müssen wir vom Konkurrenzkampf um Macht und Amt ausgehen und uns klar werden, dass die soziale Funktion, so wie die Dinge nun einmal liegen, nur nebenher erfüllt wird – im gleichen Sinne wie die Produktion eine Nebenerscheinung beim Erzielen von Profiten ist“.59
Politische Akteure handeln demnach (analog zum unternehmerischem Ziel der Gewinnmaximierung) vor allem mit dem Ziel der Stimmenmaximinierung und des Competition and Regulatory Jurisdiction, Journal of International Economic Law (2000), S. 331, 340, 345. 55 Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 427 ff. (zu Schumpeters Ansatz: Hoffmann, Demokratie bei Joseph Alois Schumpeter und in der Neuen Politischen Ökonomie); Downs, Ökonomische Theorie der Politik; Harding, Politisches Modell zur Wirtschaftstheorie, Theorie der Bestimmungsfaktoren finanzwirtschaftlicher Staatstätigkeit, S. 52 ff. Vgl. auch: Spranger, Lebensformen, S. 148. Zusammenfassend: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 32 ff. 56 Vgl. Becker, Politischer Wettbewerb zwischen Interessengruppen, in: Familie, Gesellschaft und Politik, S. 184 f.; Leschke, Homo Oeconomicus: Zum Modellbild der Ökonomik, in: Ökonomik als allgemeine Theorie menschlichen Verhaltens, S. 21 – 37; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 28 ff. 57 Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland, Neue Institutionenökonomik, S. 352: „Die wesentliche Neuerung der Neuen Politischen Ökonomie besteht in der Verwendung des ökonomischen Instrumentariums zur Analyse des Verhaltens der Akteure im politischen Sektor. Sie gibt damit die ,schizophrene‘ Vorstellung auf, Menschen verhielten sich in ihrer Rolle als Politiker und Bürokraten anders, als in ihrer Rolle als Unternehmer oder Arbeitnehmer“; M. Friedman, Economists and Economic Policy, Economic Inquiry 1986(1), S. 1, 2: „We do not regard a businessman selflessy devoted to the public interest. We think of a businessman as in business to improve his own welfare, to serve his own interest […]. Why should we regard government officials differently? They too aim to serve their own interest […]“. 58 Bernholz/Breyer, Grundlagen der Politischen Ökonomie, Bd. 2, Ökonomische Theorie der Politik, S. 2. 59 Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 448.
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Ziels der Erlangung und des Erhaltes von Macht.60 Auch die Motivation gesellschaftliches Ansehen zu erreichen, kann Triebkraft politischer Akteure sein61 wie bereits Max Weber feststellte: „Wer Politik treibt, erstrebt Macht, – Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele – idealer oder egoistischer – oder die Macht ,um ihrer selbst willen‘: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu genießen“.62
Um die Verwirklichung inhaltlicher Ziele geht es politischen Akteuren nach diesem Ansatz nicht63. So stellt Downs fest: „Die Parteien treten mit politischen Konzepten hervor, um Wahlen zu gewinnen; sie gewinnen nicht die Wahlen, um mit politischen Konzepten hervortreten zu können“.64
Dieser Ansatz ist vielfach eine Grundannahme der Vertreter der Theorie eines funktionierenden Systemwettbewerbs, womit der Gedanke des homo oeconomicus nicht nur auf politische Akteure, sondern auch auf Staaten, die von politischen Akteuren vertreten werden65, übertragen wird. Mit der Bezugnahme auf die Public Choice Theorie ist eine Öffnung der blackbox Staat jedoch nur ansatzweise gelungen66, indem lediglich die Motivation poli60 Vgl. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 427 ff.; Schumpeter zitiert in diesem Zusammenhang ein Satz eines „der erfolgreichsten Politiker, der je gelebt hat“: „Was die Geschäftsleute nicht verstehen, ist, daß ich genauso mit Stimmen handle, wie sie mit Öl handeln“ (Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 453 f.); Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 27; Harding, Politisches Modell zur Wirtschaftstheorie, Theorie der Bestimmungsfaktoren finanzwirtschaftlicher Staatstätigkeit, S. 53 f., 57 – 59. Vgl. auch die empirische Untersuchung von Winter, The Power Motive, „Politics as a career might seem to be the way to get the most power“ (S. 103) (vgl. zu Winter: Simonton, Greatness, Who Makes History and Why, S. 129 ff.); Greene, Power. Vgl. die Definition des Begriffs „Power“ bei Winter, The Power Motive, S. 4 f. 61 Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 27. 62 Weber, Politik als Beruf, S. 9. Die Ehrerbietung, die mit hohen politischen Ämtern verbunden ist, gilt zwar dem Amt und nicht der Person des Amtsinhabers (Kriele, Einführung in die Staatslehre, § 3, S. 11), wobei in der Realität das damit verbundene Prestige auf den Amtsinhaber abfärbt. 63 Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 27 f. 64 Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 27 f. 65 Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 7. 66 Vgl. Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113, 117; Radaelli, The Puzzle of Regulatory Competition, Journal of Public Policy 24(1) (2004), S. 1, 12; Cohen, Posnerian Jurisprudence and Economic Analysis of Law: The View from the Bench, University of Pennsylvania Law Review 133 (1985), S. 1117, 1166: „The biggest theoretical disadvantage of economic analysis of law is its failure to postulate any workable theory of political power. Although the prospects of economics developing such a theory in the future are not great, economists could incorporate some of these considerations into their theories“; Schwartze, Prinzipale Doppelagenten – Zum Verhältnis von Bürgern und Politikern, in: Probleme der deutschen und der europäischen Integration, S. 282, 283.
B. Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
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tischer Akteure betrachtet wird. Aus einer solchen Betrachtung lassen sich nicht unmittelbar konkrete Politikergebnisse ableiten.
IV. Vermittelnder Ansatz: Mischung zwischen Benevolenz und Eigennutz Richtig ist, dass eine Modellierung des Handels politischer Akteure allein auf Basis des wohlfahrtsökonomischen Bildes politischer Akteure einseitig ist. Dies zeigt sich schon daran, dass politische Akteure oftmals aus taktischen Erwägungen heraus handeln und im Interesse des Erhaltes von Mandat bzw. politischem Amt bereit sind, den Inhalt ihrer Politik entsprechend anzupassen.67 Die Annahme von ausschließlich von Eigennutz gesteuerten politischen Akteuren wie dies im Rahmen der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie geschieht, erscheint jedoch als deutlich vereinfachend und unterkomplex68 Reines Eigennutzstreben kann zwar die Modellierung von Entscheidungssituationen insbesondere im Vorfeld einer Wahl modellieren, jedoch kann sie kaum ihr z. T. übermenschliches Engagement und die Überzeugungskraft, mit der herausragende politische Akteure ihre Ideen vertreten, erklären.69 Zudem betrachten viele politische Akteure ihre politische Tätigkeit als Berufung70 und sie beziehen ihre Kraft auch aus Ideen, die sie 67
Der Biograf des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten R. Koch beschreibt diesen als einen „politischen Ökonom[en]“ und einen „Machtmathematiker“: „Koch ist kein Moralpolitiker, sondern ein politischer Ökonom, ein Machtmathematiker. Sein Gehirn funktioniert wie eine Rechenmaschine: Er versieht alle für eine Entscheidung wichtigen Faktoren mit einer Wertigkeit, um zu berechnen, welche Lösung mit welcher Wahrscheinlichkeit größtmöglichen Ertrag bei geringstnötigem Einsatz verspricht, wo juristische, ökonomische, publizistische Fallen lauern, wie das Ergebnis Partei und Medien überzeugend zu vermitteln ist“ (Schumacher, Koch, Verehrt und verachtet, S. 10 f.). Zur Präferenzanpassung vgl. auch: Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 34 ff. 68 Vgl. Abbott, The Trading Nation’s Dilemma: The Functions of the Law of International Trade, Harvard International Law Journal, S. 501, 515: „The public choice view, however, is a caricature […]“; Rose-Ackerman, Recht und Ökonomie: Paradigma, Politik oder Philosophie, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 269, 292; Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 121. Kritisch zum Menschenbild eines homo oeconomicus: Sen, Ökonomie für den Menschen, S. 311 f. Allgemein zur Motivation erfolgreicher Personen vgl. Simonton, Greatness, Who Makes History and Why, S. 123 ff. 69 Vgl. Simonton, Greatness, Who Makes History and Why, S. 141: „Only by the convergence of multiple forces can sufficient energy be rallied behind the prodigious labors of those figures who dominate the history of their disciplines“. Zu Gandhi: Gardner, Kreative Intelligenz, S. 129 ff. 70 Zur Betrachtung politischer Tätigkeit als Berufung: Edinger/Schwarz, Leben nach dem Mandat, Eine Studie zu ehemaligen Abgeordneten, SFB 580 Mitteilung, Heft 35, Juni 2009, S. 69.
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§ 6 Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
in der Gesellschaft verwirklichen möchten.71 Es besteht die die Gefahr das handeln politischer Akteure zu negativ zu beschreiben und darauf aufbauend rechtspolitische Forderungen abzuleiten. Realitätsnäher als die Public Choice Theorie erscheint ein vermittelnder Ansatz, der politische Akteure als Mischung zwischen benevolent und eigennützig charakterisiert,72 um die Anreizstrukturen im politischen Prozess zu modellieren. Bei Zugrundelegung eines Mischmodells, wird einerseits das eigennützige Streben politischer Akteure und ihr Interesse nach Anerkennung und Macht anerkannt und andererseits wird die Verfolgung idealistischer Ziele und der Wille politischer Akteure zur Förderung des Allgemeinwohls berücksichtigt.73 Auch die Verfolgung derartige Ziele kann (unabhängig vom Ziel der Stimmenmaximierung) Antriebskraft und Motivation für politische Akteure sein.74 Die Modellierung der Anreize im Rahmen von politischen Entscheidungsprozessen wird bei Zugrundelegung eines Mischmodells deutlich komplexer. Es kann nicht weiterhin automatisch unterstellt werden, das Recht in weitem Umfang bzw. grundsätzlich Ausdruck von Interessengruppenpolitik75 ist. Ein solches Mischmodell widerstrebt jedoch dem Ziel, prägnante Modelle zu formulieren, aus denen allgemeingültige Aussagen abgeleitet werden können und eine Fall-zu-Fall-Betrachtung dürfte deswegen auf wenig Gegenliebe auf ökonomischer Seite führen.
71 Vgl. Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 27; Gardner, Kreative Intelligenz, S. 133: „Das wichtigste Vehikel der Beeinflussung ist dabei, eine Geschichte‘. Ein Beeinflusser erreicht Wirkung, indem er in seinem Leben die Geschichte verkörpert, die er erzählt“. Zu Helmut Kohls Anliegen, im Rahmen seiner politischen Tätigkeit den Kommunismus zu bekämpfen (wobei er diesen Begriff sehr weit gefasst verstand) vgl. Schwan/Jens, Vermächtnis, Die Kohl-Protokolle. 72 Selbst Downs erkennt an, dass politische Akteure „nicht immer Egoisten“ sind (Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 27). 73 Vgl. M. Weber, Politik als Beruf, S. 9: „Wer Politik treibt, erstrebt Macht, – Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele – idealer oder egoistischer – oder die Macht ,um ihrer selbst willen‘: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu genießen“. 74 Vgl. Posner, Economic Analysis of Law, S. 4.: „Self-interest should not be confused with selfishness; the happiness (or for that matter the misery) of other people may be a part on one’s satisfactions“; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts S. 99 f. (zum Unterschied zwischen Eigennützigkeit und Egoismus); Levitt/Dubner, Superfreakonomics, S. 182 f. 75 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 13 Tz. 7.
B. Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
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V. Medianwählermodell Tendenziell führt politischer Wettbewerb zu einer Anpassung von „Politikprodukten“ an die Präferenzen der Mehrheit.76 Nach dem von Downs entwickelten77 Medianwählermodel78 richten Parteien ihr Wahlprogramm unter bestimmten Voraussetzungen an der politischen Mitte (dem Medianwähler) aus, wenn dort die meisten Stimmen zu gewinnen sind.79 Es kommt in diesem Fall zu einer Annäherung der von Parteien verfolgten politischen Ziele an die Wünsche der Mehrheit, womit sich das Mehrheitsprinzip bereits auf das Angebot (und nicht erst aud die Nachfrage) „politischer Produkte“ auswirkt. Dabei können das Aufgreifen ineffizienter Strukturen, die Thematisierung von gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und das Aufzeigen von Alternativen auf dem „politischen Markt“ erfolgreiche Politikprodukte sein. Ergebnis eines Wettbewerbs der Parteien um Wählerstimmen ist im Fall einer hinreichenden Transparenz und Rationalität der Wähler80 in diesem Fall die Ablösung ineffizienter Strukturen durch für das Inland vorteilhaftere oder die Beseitigung von Ungerechtigkeiten.81 Die Gegenthese zu dieser Effizienzannahme und Ge76 Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 111 ff.; Downs, An Economic Theory of Political Action in a Democracy, Journal of Political Economy 65(2) (1957), S. 135, 141 ff.; Harding, Politisches Modell zur Wirtschaftstheorie, S. 66: „Der Politiker paßt sich der Bedürfnisstruktur der Wähler an. Er bietet gemäß dieser Bedürfnisstruktur Befriedigungsmöglichkeiten an. Durch die politische Konkurrenz wird er veranlaßt, sich möglichst stark an die Wünsche der Wählerschaft anzupassen, möglichst weit die Vorstellungen der Wähler zu adaptieren, da er nur dann auf Erfolg hoffen kann.“; Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 432 (kritisch). Aus rechtswissenschaftlicher Sicht: Tsatsos/Morlok, Parteienrecht, S. 172: „Das Bemühen der Parteien, möglichst für alle wählbar zu werden, und die damit einhergehende programmatische Unspezifität hat weiter die offenbare Konsequenz, daß die Parteien sich einander annähern und sich weitgehend ähnlich werden“. Zusammenfassend: Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 73 ff. 77 Rülke/Zimmermann, Das Medianwähler-Modell, WISU 2008(10), S. 1328, 1328; Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, S. 140. 78 Vgl. Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 111 ff.; Downs, An Economic Theory of Political Action in a Democracy, Journal of Political Economy 65(2) (1957), S. 135, 141 ff. Vgl. die Darstellung des Medianwählermodells in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, S. 140 ff.; Dehling/Schubert, Ökonomische Theorien der Politik, S. 58 ff.; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 308 – 310 Rn. 72 ff. Eine Modellierung der Präsidentschaftswahl in den USA von 2008 unter Zugrundelegung des Medianwählermodells findet sich in: Rülke/Zimmermann, Das MedianwählerModell, WISU 2008(10), S. 1328 – 1329. 79 Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 111 ff.; Erlei/Leschke/Sauerland, Neue Institutionenökonomik, S. 373; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 309 Rn. 76 f.; Rülke/Zimmermann, Das Medianwähler-Modell, WISU 2008(10), S. 1328, 1328. 80 Vgl. Koch, Kognitive Determinanten der Problementstehung und -behandlung im wirtschaftspolitischem Prozess, Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 118 (1998), S. 597, 606 f.; Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 105 f. 81 Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics, Vol 2007, Paper 10, S. 16; Leschke, Regulierungstheorie aus
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§ 6 Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
rechtigkeitsfunktion bildet jedoch die Interessengruppentheorie.82 Danach setzen sich gerade Sonderinteressen im politischen Prozess auf Kosten der Präferenzen der Mehrheit durch.83 Bei Zugrundelegung des Medianwählermodells können Politikergebnisse bei Kenntnis der Präferenzstrukturen vorhergesagt werden. Die Grenzen des politischen Wettbewerbs infolge von Informationsasymmetrien und einer Bündelung von „Politikprodukten“84 setzen einer derartigen Modellierung jedoch Grenzen.
VI. Modellierung von politischem Wettbewerb aus neoklassischer und evolutorischer Sicht Der über Wahlen ausgetragene Wettbewerb politischer Akteure um Mandate und politische Ämter (politischer Wettbewerb),85 lässt sich sowohl neoklassisch als auch evolutorisch modellieren86, wobei die ökonomische Theorie der Politik eine evolutorische Betrachtung weitgehend vernachlässigt87. Dabei muss sich der Betrachter jedoch bewusst sein, dass sich politischer Wettbewerb88 grundlegend von einem Wettbewerb auf Waren- und Dienstleistungsökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 309 Rn. 75. Kritisch zur Annahme einer Effizienzfunktion des politischen Wettbewerbs: Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, IX.3, S. 531. 82 Auf das Fehlen einer Thematisierung des Einflusses von organisierten Interessen im Rahmen des Medianwählermodells weist Leschke hin (Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 310 Rn. 78). 83 Vgl. Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, S. 249 f. Vgl. Teil 1 § 2 B. II. 1. 84 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 – 14 Tz. 7. 85 Vgl. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 427 ff. 86 Vgl. Daumann, Zur Harmonisierungs der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 39 (1994), S. 281, 293. Zu den Unterschieden von politischem und ökonomischen Wettbewerb vgl. Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 43 ff.; Eichenberger/Funk, The deregulation of the political process: towards an international market for good politics, in: The Economics of Ethics and the Ethics of Economics. Values, Markets and the State, S. 131 – 144. 87 Hoffmann, Demokratie bei Joseph Alois Schumpeter und in der Neuen Politischen Ökonomie, S. 85: „Schumpeters großes Thema des evolutionären Prozesses in der Wirtschaft und in allen sie beeinflussenden Institutionen wird nicht einmal angedacht“; Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 40: „Die Ökonomische Theorie der Politik steht in der Tradition der neoklassischen Theorie und sieht politische Entscheidungsfindung als Präferenzaufdeckungsverfahren“; Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 90 f. 88 Vgl. Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 134, 143 ff.
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märkten unterscheidet.89 Wahlen gewähren Parteien und politischen Akteuren ein zeitlich befristetes Monopol der Machtausübung90 und führen zu einer zeitlich befristeten Gleichgewichtsbildung im Wettbewerb um Amt und Macht. Zudem werden im Rahmen politischen Wettbewerbs im Unterschied zum wirtschaftlichen Wettbewerb Entscheidungen kollektiv für alle getroffen.91 Aus Perspektive einer neoklassischen Modellierung kommt insbesondere der Funktion des politischen Wettbewerbs Bedeutung zu, Politik an die Präferenzen der Mehrheit der wahlberechtigten Bürger anzupassen.92 Politische Auseinandersetzungen über bestimmte Sachthemen münden in einem Gleichgewichtszustand in der Form, dass sich bestimmte Positionen über entsprechende Mehrheiten93 durchsetzen, was Ausdruck der Präferenzanpassungsfunktion von politischem Wettbewerb94 ist. Wenn politischer Wettbewerb evolutorisch modelliert wird, kommt ihm die Funktion zu, die Wissensbasis der politischen Akteure (vor allem im Hinblick auf die Wählerpräferenzen) zu erhöhen und kann über das Werben der politischen Parteien für ihre Politik auch die Wissensbasis der Wähler erweitern,95 wobei in diesem Zusammenhang jedoch das Problem einer glaubhaften Selbstbindung an Wahlversprechen besteht96. Politischer Wettbewerb kann zudem über eine dadurch geförderte gesellschaftliche Diskussion über bestimmte Themen zu einer Art Sammlung von 89 Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 133 ff.; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 294; Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 70. 90 Kruse, Das Monopol für demokratische Legitimation und seine Überwindung, Zur konstitutionellen Reform der staatlichen Strukturen, in: Die Ordnung von Reformen und die Reform von Ordnungen, S. 201, 247 (= Kruse, Das Monopol für demokratische Legitimation und seine Überwindung, Diskussionspapier, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, Fächergruppe Volkswirtschaftslehre, No. 66, S. 31). 91 Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 71. 92 Vgl. Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 134, 146. Vgl. auch: Tiebout, Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 64 (1956), S. 416 – 424. In Bezug auf innerparteilichen Wettbewerb vgl. Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 73 ff. 93 Zum Mehrheitsprinzip: Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 73 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 21 ff. 94 Vgl. Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 134, 146. 95 Zum Wissensproblem der Wähler: Downs, An Economic Theory of Political Action in a Democracy, Journal of Political Economy 65(2) (1957), S. 135, 141 f.; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 35. 96 Zum Signalling im Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten: Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 302 – 305.
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dezentral verstreutem Wissen führen.97 Der Rechtswissenschaftler Hatje spricht vom demokratischen Wettbewerb als Entdeckungsverfahren im Sinne von Hayeks.98 Politischer Wettbewerb kann zudem als Prozess der Generierung von Innovation modelliert werden99, indem laufend neue Gestaltungsvorschläge („Politikprodukte“100) entwickelt und Gestaltungsvorschläge imitiert werden.101 Ein Beispiel für Innovationswettbewerb ist das Aufgreifen bisher vernachlässigter Themen, wie das Thema Umweltschutz durch Die Grünen in den 1970er und 1980er Jahren.102 Politische Innovationen können theoretisch zur Beschränkung von Interessengruppenpolitik führen, indem politische Akteure die Verteilungswirkungen von Regulierungen im politischen Prozess thematisieren und entsprechende Missstände im Rahmen eines Politikproduktes thematisieren.103 Es ist jedoch sehr fraglich, inwieweit es über die Innovations- und Entdeckungsfunktion gelingt, Interessengruppenregulierungen einzuschränken, da Wähler angesichts der Komplexität politischer Fragen (und insbesondere wirtschaftspolitischer Fragen) oft nicht wissen können, welcher Argumentation sie glauben können.
97 Vgl. Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 94 ff. (in Bezug auf innerparteilichen Wettbewerb). 98 Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 134, 146. Vgl. auch: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 92 ff. (in Bezug auf innerparteilichen Wettbewerb). Zurückhaltend in Bezug auf eine Entdeckungsfunktion politischen Wettbewerbs: Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 38. 99 Vgl. Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 134, 146; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 295 f.; Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 100 ff. (in Bezug auf den innerparteilichen Wettbewerb). 100 Vgl. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 449. 101 Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozeß, S. 53, 60; Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 100 – 103 (in Bezug auf innerparteilichen Wettbewerb). 102 Hamm, Merkmale politischen Wettbewerbs – Replik auf Ernst Helmstädter, ORDO 57 (2006), S. 131, 132. 103 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 295; Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozeß, S. 53, 61 f. Vgl. auch: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 85 ff.
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VII. Betrachtung der Stärke von Parteien als Mittel der Vorhersage von Politikergebnissen Nach Formulierung von Kelsen sind Parteien die „bedeutendsten Elemente der realen Demokratie“.104 Es gelte vor allem, den Parlamentarismus zu verstehen, „wenn das reale Wesen jener Gebilde begriffen werden soll, die heute als Demokratien angesehen werden“.105 Nach Feststellung des BVerfG ist „jede Demokratie zwangsläufig ein Parteienstaat, da eine Verfassung ,welche alle Inhaber oberster Gesetzgebungs- und Regierungsgewalt aus Wahlen des Volkes oder Wahlen oder sonstigen Bestimmungsbefugnissen volksgewählter Staatsorgane hervorgehen lässt, nicht zum Leben erweckt und nicht am Leben erhalten werden kann, wenn sich nicht frei aus der Gesellschaft irgendwelche Gruppen bilden, die ihre Häupter als Bewerber um die verschiedenen Wahlämter […] präsentieren […]“.106
Wesentlicher Mechanismus in der Demokratie sind Wahlen (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG).107 Im Rahmen von Wahlen geht es um die Entscheidung zwischen verschiedenen Kandidaten und der Entscheidung zwischen verschieden Parteien und deren Programme. Ein Parteiprogramm kann im Fall eines Wahlerfolgs einer Partei und einer daraus resultierenden Regierungsbeteiligung als ein Vertrag mit dem Volk gedeutet werden.108 Dieser Vertrag ist nicht direkt durchsetzbar, sondern indirekt über die drohende Sanktion bei kommenden Wahlen. Die Durchsetzbarkeit von Wahlversprechen über eine Sanktionierung von politischen Akteuren bei folgenden Wahlen kann jedoch nicht individuell (z. B. mittels einer Klage vor dem BVerfG), sondern nur über kollektive Entscheidung geschehen. Zur Vorhersage von Politik-Ergebnissen kommt der Betrachtung der verschiedenen Parteien in einem Staat und dessen Stärke eine zentrale Bedeutung zu.109 Parteien bündeln und institutionalisieren gesellschaftliche Interessen. Die Betrach104 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 19. Zu den Aufgaben der Parteien: BVerfG, Urteil vom 19. 7. 1966, Az. 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56, 101; BVerfG, Urteil vom 9. 5. 1979, Az. 2 BvF 1/78, BVerfGE 52, 63, 82 f. Die Rolle der Parteien war historisch umstritten: Streinz, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 21 Abs. 1 ff.; Triepel, Die Staatsverfassung und die politischen Parteien, S. 12 f. 105 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 25. 106 BVerfG, Urteil vom 5. 4. 1952, Az. 2 BvH 1/52, BVerfGE 1, 208, 224. Vgl. auch: vgl. BVerfGE 1, 208, 225: „die Partien sind in die Verfassung eingebaut“; Streinz, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 21 Abs. 1 Rn. 1 Fn. 1 mwN. 107 Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 157 ff. 108 Vgl. Programm der US-amerikanischen Demokratischen Partei von 1932: „In der Annahme, dass 1. ein Parteiprogramm einen Vertrag mit dem Volk darstellt, welcher von der Partei bei der Machtübernahme getreu eingehalten werden soll, und dass 2. das Volk berechtigt ist, den genauen Wortlaut dieses Vertrages, den es unterschreiben soll, zu kennen, erklären wir das Folgende hiermit als Programm der Demokratischen Partei“ (zitiert nach: Burnham, Die Machiavellisten, Verteidiger der Freiheit, S. 39). 109 Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 361 ff.
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tung von Parteien bedeutet deshalb, eine Betrachtung der in der Gesellschaft vorhandenen Interessen auf einer abstrakteren Ebene. Es sind in einer repräsentativen Demokratie nach Formulierung von Kelsen „mehrere parteimäßig organisierte Gruppeninteressen“, die „miteinander ringen“,110 so dass die Stärke von Parteien und deren inhaltliche Ausrichtung die Ergebnisse der Politik bestimmt111. Nach Feststellung der Politikwissenschaftlerin S. K. Schmidt ist das Gewicht von bestimmten parteipolitischen Richtungen in den einzelnen Mitgliedstaaten mitbestimmend dafür, ob in einer rechtlich unsicheren Situation – wie im Vorfeld der Schaffung des Entsendegesetzes112 – mitgliedstaatliche Handlungsspielräume genutzt werden113 und im Fall der Arbeitnehmerentsendung eine Entsenderegelung zum Schutz der Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft114 geschaffen wird. Deutlich werden die unterschiedlichen Einstellungen in den Parteien in Bezug auf die Bewertung institutioneller Mobilität. Während liberale Parteien eher für Freihandel stehen115 und auch einer Deregulierung infolge von Systemwettbewerb häufig positiv gegenüberstehen, sind aus Perspektive eines eher linken politischen Spektrums Eingriffe in den Freihandel zur Verwirklichung gesellschaftspolitischer Maßnahmen in einem viel weiterem Umfang erwünscht. Eine systemwettbewerbliche Deregulierung infolge institutioneller Mobilität erscheint aus dieser Perspektive in vielen Fällen als äußerst unwillkommen, da das Verhältnis zwischen Markt und staatlicher Steuerung dadurch gestört wird. Diese Zusammenhänge werden
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Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 63. Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 364 ff. 112 Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 364; Gerken/Löwisch/Rieble, Der Entwurf eines Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in ökonomischer und rechtlicher Sicht, BB 1995, 2370, 2373. 113 Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 364 f. 114 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG), BT-Drs. 13/2114, 25. 09. 1995, S. 6 f.; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG). 115 Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 364: „Das Fehlen liberaler Parteien, wie in Frankreich, erleichtert dagegen eine Interpretation, die weiterhin durch das Allgemeininteresse gedeckte Ausnahmen von den Marktfreiheiten sieht und durch die nationale Regulierung rechtfertigt“; Gerken/Löwisch/Rieble, Der Entwurf eines Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in ökonomischer und rechtlicher Sicht, BB 1995, 2370, 2373: „Das AEntG läßt sich nicht mit dem sozialpolitischen Anliegen rechtfertigen, deutsche Bauarbeitslosigkeit zu verhindern“. 111
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deutlich anhand der Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie.116 Der SPD-Politiker Eppler kritisiert den Wettbewerb grundsätzlich: „Es ist eine Ideologie, die den Wettbewerb aus einem von mehreren Instrumenten der Wirtschaftspolitik zum Maßstab, ja zum Ziel wirtschaftlichen Handelns macht. Danach ist Wettbewerb immer gut, nicht nur in der Wirtschaft. Nur die Wettbewerbsgesellschaft hat eine Chance. Das beginnt dann in der Grundschule. Und es endet bei den Bundesländern. Anders als im Grundgesetz vorgesehen sollen sie miteinander konkurrieren – der eine mit dem Moped, der andere mit dem Porsche. Wettbewerb wird aus einem Mittel zum Selbstzweck. Wie verhält sich dies zur sozialen Marktwirtschaft“.117
Hingegen bewertet der liberale Ökonom Vanberg den Wettbewerb als grundlegendes Instrument der Schaffung gesellschaftlicher Ordnung: „Wettbewerb ist der Zwilling der Freiheit […]. Dort, wo Menschen die Freiheit haben, unter mehreren Anbietern von Gütern und Leistungen ihres Bedarfs zu wählen, dort gibt es Wettbewerb unter den Anbietern. Dies gilt für Brot und andere Güter des alltäglichen Bedarfs ebenso wie für das Gut ,Recht‘ und sonstige Leistungen, die der Staat als Leistungserbringer besonderer Art zur Verfügung stellt. Wo Menschen einem Monopolanbieter von Brot gegenüberstehen oder in einem Staat leben, der ihnen, wie die ehemalige DDR, den Zugang zu Alternativen mit Waffengewalt verwehrt, dort ist ihnen die Freiheit der Wahl genommen. Die wesentliche Erkenntnis, die wir der Wirtschaftswissenschaft verdanken, ist die Einsicht in die positiven Funktionen, die der Wettbewerb im menschlichen Zusammenleben in dreifacher Hinsicht, nämlich als Anreizinstrument, als Entmachtungsinstrument und als Entdeckungsinstrument erfüllen kann“.118
Diese Ansicht ist letztlich herrschende Meinung in der Ökonomik.119 Der liberale Kommissar Bolkestein war sich (wie er dem Verfasser im Jahr 2011 gegenüber äußerte) durchaus bewusst, dass sein Entwurf einer Dienstleistungsrichtlinie zu einem Systemwettbewerb der Mitgliedstaaten führen wird und er steht einem mitgliedstaatlichen Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip der Richtlinie nicht negativ gegenüber.120
116
Vgl. Eppler, Der Gott des Wettbewerbs, taz, 12. 12. 2007; Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus. Zu protektionistischen Maßnahmen im Rahmen einer Demokratie: Zohlnhöfer, Zur politischen Ökonomie des neuen Protektionismus, Ein Beitrag zur Theorie der Außenwirtschaft in der Demokratie, in: FS Meimberg, S. 143, 152 ff. 117 Eppler, Der Gott des Wettbewerbs, taz, 12. 12. 2007. 118 Vanberg, Auch Staaten tut der Wettbewerb gut: Eine Replik auf Paul Kirchhof, ORDO 56 (2005), S. 47, 47 f. 119 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 10 – 12 Tz. 5. Kritisch: Stiglitz, Im freien Fall, Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft, S. 303: „Die Wirtschaftswissenschaft war – mehr als es die Volkswirte selbst wahrhaben wollten – von einer wissenschaftlichen Disziplin zum größten Cheerleader der freien Marktwirtschaft geworden“. 120 Zur Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie: Mankowski, Wider ein Herkunftslandprinzip für Dienstleistungen im Binnenmarkt, IPrax 2004, S. 385 – 395; Karas, Das Herkunftslandprinzip in der Dienstleistungsrichtlinie, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäi-
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Im Gegensatz dazu leistete die SPD-Politikerin und Berichterstatterin zur Dienstleistungsrichtlinie Evelyne Gebhard einen erbitterten Widerstand gegen die Richtlinie.121 Die Partei Die Linke bewertete eine Umsetzung des ersten Kommissionsentwurf der Dienstleistungsrichtlinie und des darin enthaltenen Herkunftslandprinzips sogar als einen Verfassungsverstoß: „Diese Grundkonzeption stellt sich verfassungsrechtlich als eine unzulässige und gefährliche Aufgabe staatlichen Hoheitsrechten dar. Staatliche Rechtssetzung würde – in Deutschland unter Verstoß gegen das Demokratieprinzip des Artikels 20 des Grundgesetzes – von der demokratischen Legitimation durch das Staatsvolk gelöst. Der Staat könnte den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von Verbraucherinnen und Verbrauchern und von einheimischen Dienstleistungserbringern nicht mehr im erforderlichen Maße gewährleisten. Die geplanten Regelungen führen zu einem politischen Legitimationsproblem, da einheimische Staatsbürger auf einheimischen Staatsterritorium einem Recht eines anderen Landes unterworfen werden, dessen Regierung sie nicht durch eine demokratische Wahl legitimiert haben“.122
Ähnlich war die Interessenlage der Parteien im Vorfeld der Schaffung des bereits angesprochenen Entsendegesetzes,123 das zum Übergang auf ein Tätigkeitslandprinzip in Bezug auf die Regulierung von Arbeitsverhältnissen führt124, was der EuGH den Mitgliedstaaten zuvor grundsätzlich gestattet hatte125. Als erster Mitgliedstaat126 erließ Frankreich im Jahr 1993 eine Entsenderegelung.127 Deutschland schen Gemeinschaftsrecht, S. 101 – 108; Hatje, Die Dienstleistungsrichtlinie – Auf der Suche nach dem liberalen Mehrwert, NJW 2007, S. 2357 – 2363. 121 Gebhardt, Bietet der Kompromiss zur EU-Dienstleistungsrichtlinie eine akzeptable Lösung?, ifo Schnelldienst 6/2006, S. 3 – 6. 122 Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer et al und der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 16/394, 18. 01. 2006, S. 3. 123 Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 364 ff. 124 Vgl. Eichhorst, Europäische Sozialpolitik zwischen nationaler Autonomie und Marktfreiheit, Die Entsendung von Arbeitnehmern in der EU; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 185 ff. 125 EuGH, Urteil vom 27. 03. 1990, Rs. C-112/89, Rush Portuguesa, Slg. 1990, I-1417, I-1445 Rn. 18. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 23. 11. 1999, verb. Rs. C-369/96 und C-376/96, Arblade, S. I-8453, I-8516 Rn. 41 f.; EuGH, Urteil vom 9. 08. 1994, Rs.C-43/93, Raymond Vander Elst, Slg. 1994, I-3803, I-3826 Rn. 23; EuGH, Urteil vom 3. 02. 1982, Rs. 62 und 63/81, Seco, Slg. 1982, S. 223, 236 f. Rn. 14; Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht, S. 299. 126 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 337. Zur Gesetzgebungsgeschichte: Eichhorst, Europäische Sozialpolitik zwischen nationaler Autonomie und Marktfreiheit, S. 193 ff. 127 Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 337 ff.; S. K. Schmidt, Das Projekt der Europäischen Marktschaffung. Die gegenseitige Anerkennung und der Binnenmarkt für Dienstleistungen, in: Markt und Staat, Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 34 (2004), S. 83, 94.
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schuf hingegen erst Anfang 1996 ein solches Gesetz128 und aufgrund der Umsetzung der Entsenderichtlinie129 erfolgte später eine Novellierung130. Die Schaffung eines Entsendegesetzes war in Deutschland (wie angedeutet) umstritten.131 Die Bauarbeitgeber forderten vor dem Hintergrund der intensiven Konkurrenz durch Subunternehmer aus dem Ausland die Schaffung einer Entsenderegelung132 und auch der DGB, die SPD, die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU und die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) befürworteten eine solche Regelung133. Hingegen wandten sich Verbände der exportorientierten Wirtschaft 134, der Wirtschaftsrat der CDU und die FDP gegen eine Regulierung der Entsendung135. Aus der Perspektive einer marktwirtschaftlichen und liberalen Politik erschien die Schaffung eines Entsendegesetzes ordnungspolitisch fragwürdig136 und Ausdruck
128 Eichhorst, Europäische Sozialpolitik zwischen nationaler Autonomie und Marktfreiheit, S. 223. Im Anschreiben der Übersendung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) von der Bundesregierung an den Bundesrat wies der Bundeskanzler auf die besondere Eilbedürftigkeit des Gesetzes hin, „weil angesichts der Wettbewerbssituation der betroffenen Bereiche der Bauwirtschaft und des dort drohenden Arbeitsplatzabbaus dringender Handlungsbedarf für eine gesetzliche Regelung besteht“ (Schreiben vom 1. 9. 1995, BR-Drs. 523/95, 1. 9. 1995). 129 Vgl. dazu: Davies, Posted Workers: Single Market or Protection of National Labour Law Systems?, Common Market Law Review 34 (1997), S. 571 – 602. 130 Zu dem damaligen Änderungsbedarf: Däubler, Die Entsende-Richtlinie und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, EuZW 1997, S. 613, 616 f. 131 Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 329; Gerken/Löwisch/Rieble, Der Entwurf eines Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in ökonomischer und rechtlicher Sicht, BB 1995, S. 2370, 2370; Däubler, Die Entsende-Richtlinie und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, EuZW 1997, S. 613, 613. 132 Eichhorst, Europäische Sozialpolitik zwischen nationaler Autonomie und Marktfreiheit, S. 222. 133 Eichhorst, Europäische Sozialpolitik zwischen nationaler Autonomie und Marktfreiheit, S. 225. 134 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 329. 135 Eichhorst, Europäische Sozialpolitik zwischen nationaler Autonomie und Marktfreiheit, S. 223. 136 Vgl. Gerken/Löwisch/Rieble, Der Entwurf eines Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in ökonomischer und rechtlicher Sicht, BB 1995, S. 2370, 2370 – 2372, 2373: „Das AEntG läßt sich nicht mit dem sozialpolitischen Anliegen rechtfertigen, deutsche Bauarbeitslosigkeit zu verhindern“; Eichhorst, Europäische Sozialpolitik zwischen nationaler Autonomie und Marktfreiheit, S. 224.
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von Protektionismus.137 Im AEntG wurde vor diesem Hintergrund zum Teil ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit gesehen.138 Bei Betrachtung der Gesetzgebungsgeschichte des AEntG zeigt, dass im Rahmen der Erklärung der Errichtung von Marktzugangshemmnissen die Interessen verschiedener Gruppen zu berücksichtigen sind und dass die Gruppen, die sich für die Errichtung von Marktzugangshemmnissen aussprechen, keineswegs am durchsetzungsstärksten sein müssen. Zu verweisen ist im Hinblick auf die mehrheitlichen Einstellungen innerhalb der Parteien auch auf die jüngste Diskussion um das transatlantisches Freihandelsabkommen.139 Die Stärke von politischen Richtungen beeinflusst mögliche Anpassungsprozesse als Antwort auf institutionelle Mobilität. Je liberaler die parteipolitische Hauptströmung ist, desto größer ist der Rechtfertigungsdruck für Markteingriffe,140 so dass im Fall eines rechtspolitischen Anpassungsdrucks infolge institutioneller Mobilität mit einer zügigen und umfangreichen Deregulierung zu rechnen ist. Unter Parteien mit einem eher linken Programm besitzen Regulierung aufgrund des wahrgenommenen staatlichen Steuerungsbedarfs einen höheren Rang141 und es ist damit eher zu rechnen, dass sie im Fall einer parlamentarischen Mehrheit an der strengeren heimischen Regulierung auch unter den Rahmenbedingungen institutioneller Mobilität festhalten. Liberalere Strömungen messen hingegen jeden staatlichen Markteingriff an einem strengen Maßstab.142 Vor dem Hintergrund der Entscheidung Yves Rocher143 versuchte die schwarz-gelbe Bundesregierung144 gegen den Widerstand der
137 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 329. 138 Vgl. Gerken/Löwisch/Rieble, Der Entwurf eines Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in ökonomischer und rechtlicher Sicht, BB 1995, 2370, 2372, 2373; Koenings, Lohngleichheit am Bau? – Zu einem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, DB 1995, S. 1710, 1711; Steck, Geplante Entsende-Richtlinie nach Maastricht ohne Rechtsgrundlage?, EuZW 1994, S. 140 – 142. Andere Auffassung: Hanau, Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, NJW 1996, S. 1369, 1371 f. Zur Diskussion: Eichhorst, Europäische Sozialpolitik zwischen nationaler Autonomie und Marktfreiheit, S. 227 f. 139 Vgl. Teil 1 § 3 H. 140 Vgl. S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 364. 141 Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 309 Rn. 73. 142 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 Tz. 7: „Es bleibt der Nachweis zu erbringen, daß ein Handeln der öffentlichen Hand tatsächlich die besseren Resultate liefert“. 143 EuGH, Urteil vom 18. 05. 1993, Rs. 126/91, Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361. 144 Bundesministerium für Wirtschaft, Schreiben vom 28. 7. 1993, EWS 1993, S. 329; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994.
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SPD145 die ZugabeVO und das RabattG abzuschaffen. Treibende Kraft war dabei vor allem die FDP.146 Andererseits zeigt sich jedoch, dass sich schematische Aussagen verbieten, denn es war (wie im Folgenden dargestellt wird147) gerade die rot-grüne Bundesregierung (die unter dem Widerstand der CDU/CSU) die Zugangsregulierung zur selbständigen Handwerksausübung deregulierte.148 Hintergrund der von den Grünen beabsichtigten Deregulierung waren insbesondere umweltpolitische Ziele, da das Handwerk als wichtiger „Bündnispartner“ wahrgenommen wurde.149 Eine Betrachtung der Parteien als Einflussgröße auf die Gestaltung von Politik kann verfeinert werden, indem Gruppen innerhalb von Parteien (wie z. B. die Betrachtung der Vertretung Arbeitnehmerschaft in der CDU/CSU) betrachtet werden und Parteiflügel mit deren inhaltlicher Ausrichtung und deren Stärke berücksichtigt werden. Bei der Betrachtung der Binnenstruktur von Parteien handelt es sich sozusagen um eine Mikro-Betrachtung des politischen Wettbewerbs. Auch eine Betrachtung des Einflusses von Gewerkschaften und anderer Gruppen auf Parteien kann von Bedeutung sein, um Politikergebnisse vorherzusagen. Die Betrachtung der Stärke von Parteien lässt sich im Vorfeld von Wahlen durch Umfragen bestimmen. Wenn Umfragen nicht zur Verfügung stehen, ist das dargestellte Medianwählermodell ein erster Ansatz zur Prognose von Politikergebnissen, wobei jedoch eine grundlegende Kenntnis der Präferenzstruktur der Bürger erforderlich ist.
VIII. Verbindung von institutioneller Mobilität und Politik bei Hirschman Der US-amerikanische Soziologe und Ökonom Hirschman150 setzt sich mit der Frage auseinander, wie ein Leistungsabfall innerhalb eines Unternehmens oder 145
O. V., Bundestag beschließt Aufhebung des Rabattgesetzes, FAZ, 17. 6. 1994, S. 11. O. V., Bundestag beschließt Aufhebung des Rabattgesetzes, FAZ, 17. 6. 1994, S. 11. 147 Teil 2 § 9 C. II. 148 Drittes Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung and anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2934; Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und zur Förderung von Kleinunternehmen vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2933; Schwannecke/Heck, Die Handwerksnovelle 2004 – Die wichtigsten Änderungen –, GewArch 2004, S. 129 – 142; Martin Müller, Die Novellierung der Handwerksordnung 2004, NVwZ 2004, S. 403 – 412; Dietz, Braucht der Kunde seinen Meister? Zur Deregulierung des Handwerks, Wirtschaftsdienst 2000, S. 172, 172: „Dabei kam der weitreichendste Vorschlag aus einer politischen ,Ecke‘, von der man dies nicht unbedingt erwartet hätte – der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen“. 149 Dietz, Braucht der Kunde seinen Meister? Zur Deregulierung des Handwerks, Wirtschaftsdienst 2000, S. 172, 173. 150 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch. Vgl. Pies/Leschke (Hrsg.), Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik; Fleck/Hanssen, When voice fails: Potential exit 146
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Organisation (unter die auch ein Staat gefasst werden kann151) mittels Abwanderung oder Widerspruch korrigiert werden kann. Gegenstand der Betrachtung ist damit vor allem die Übermittlung von Signalen an die jeweilige Organisation bzw. den Staat, womit auch Hirschman (ähnlich wie die evolutorische Systemwettbewerbstheorie) das Wissensproblem von Akteuren in das Zentrum der Aufmerksamkeit stellt.152 Hirschman bezieht mit der Option Widerspruch die Meinungsäußerung153 als gleichberechtigten Mechanismus zur Option physischer oder nicht-physischer Abwanderung154 ein.155 Übertragen auf einen Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip bedeutet Abwanderung den Kauf einer Ware oder Dienstleistung, die in einem anderen Mitgliedstaat hergestellt wurde oder eine Standortverlagerung seitens der Anbieter von Waren und Dienstleistungen. Aufgrund der mit einer Standortverlagerung verbundenen Kosten ist vor allem Widerspruch Handlungsoption der Anbieter,156 deren Bedeutung wesentlich höher sein dürfte, als die Modelle eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip nahelegen. Hingegen erscheint aus Perspektive der Nachfrager vor allem eine Abwanderung naheliegend und ein Widerspruch erscheint im Verhältnis der mittels Widerspruch zu generierenden Vorteile viel zu aufwendig.
as a constraint on government quality, International Review of Law and Economics 35 (2013), S. 26 – 41. Biografisch zu Hirschman: Pies, Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – Der Beitrag von Albert Hirschman, in: Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik, S. 1, 1 f. 151 Zur Abwanderung aus der DDR: Hirschman, Exit, Voice, and the Fate of the German Democratic Republic, in: A Prospensity to Self-Subversion, S. 9 – 44; Hirschman, Exit, Voice, and the Fate of the German Democratic Republic: An Essay in Conceptual History, in: World Politics 45/1993, S. 173 – 202; Pies, Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – Der Beitrag von Albert Hirschman, in: Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik, S. 1, 13 – 16. 152 Pies, Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – Der Beitrag von Albert Hirschman, in: Albert Hirschmanns grenzüberschreitende Ökonomik, S. 1, 8: „Das Problem ist nicht, ob die Agenten im Sinn der Prinzipale handeln wollen – Hirschman nimmt an, sie wollen! –, sondern ob sie im Sinn der Prinzipale handeln können, und dieses Können hängt ausschließlich davon ab, wie wirksam sie davon in Kenntnis gesetzt werden, dass ein zu korrigierender Leistungsabfall vorliegt […]“ (HiO). 153 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 13, 25 f. 154 Vgl. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 3 f. 155 Vgl. Pies, Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – Der Beitrag von Albert Hirschman, in: Albert Hirschmanns grenzüberschreitende Ökonomik, S. 1, 6 ff. 156 Vgl. die Darstellung der Kritik von Gerken: Teil 1 § 4 C. II. 7.
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Möglich erscheint die Ergänzung des Ansatzes um die Option Zuwanderung, denn ein evolutorischer Wettbewerb setzt nicht nur die Aussicht auf die Verhinderung von Abwanderungen, sondern die Aussicht auf Zuwanderungen voraus.157 Mit der Gleichstellung der Option Widerspruch besteht ein grundlegender Unterschied zur Systemwettbewerbstheorie, die vor allem den Mechanismus der Abwanderung betont,158 denn der politische Prozess ist im Rahmen der Systemwettbewerbsdiskussion nur insofern von Belang, als dass er den „Transmissionsmechanismus“159 von Abwanderung und gesetzgeberischer Responsivität bildet160. Hirschmans Ansatz bedeutet deswegen eine Aufforderung, auch den politischen Prozess in die Modelle zum Systemwettbewerb einzubeziehen.161
IX. Ansätze zur Erklärung von Protektionismus Protektionismus ist eine weit verbreitete Form eines Wettbewerbs der Staaten unter dem Einsatz von Regulierungen; es handelt sich dabei um einen Systemwettbewerb im untechnischen Sinn. Aus Sicht der klassischen Freihandelslehre162 erscheint protektionistische Politik zunächst erstaunlich, da es nach herrschender Meinung in der Ökonomik gerade grundsätzlich der Freihandel (und damit auch der Import von Erzeugnissen) ist, der zu einem höheren Wohlstandsniveau führt163. 157 Skeptisch hinsichtlich eines aktiven Charakters von Systemwettbewerb: Bratton/ McCathery, The New Economics of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best World, Georgetown Law Journal 86 (1997), S. 201, 242 f. 158 Vgl. Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 24 – 30; Eichenberger/Frey, Bessere Politik durch Föderalismus und direkte Demokratie, in: Marktwirtschaft als Aufgabe, Wirtschaft und Gesellschaft im Übergang vom Plan zum Markt, S. 773, 774; Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 13 f. Anders: Esty/Geradin, Journal of International Economic Law 2000, S. 235, 252 f.; Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 52: „Man kann das Konzept des Systemwettbewerbs grundsätzlich abgrenzen als Anwendung des Konzeptes von Widerspruch und Abwanderung auf konkurrierende institutionelle Systeme“ (HiO). 159 Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 17. 160 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 17; Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 17 Tz. 9. 161 Vgl. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 15; A. Maurer, Abwanderung und Widerspruch: Grenzüberschreitungen zwischen Soziologie und Ökonomie?, in: Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik, S. 67 – 85. 162 Vgl. Krugman/Wells, Economics, S. 408 ff. 163 Petersmann, Protektionismus als Ordnungsproblem und Rechtsproblem, RabelsZ 47 (1983), S. 478, 479 f.; Zohlnhöfer, Zur politischen Ökonomie des neuen Protektionismus, Ein Beitrag zur Theorie der Außenwirtschaft in der Demokratie, in: Wirtschaftspolitik in weltoffener Wirtschaft, FS Meimberg, S. 143, 145; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, Anregungen für die Verfassung Europas, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen
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Dabei ist Freihandel nach diesem Ansatz auch dann vorteilhaft, wenn der Abbau von Handelshemmnissen nicht wechselseitig erfolgt.164 Vanberg spricht in diesem Zusammenhang vom „Paradox des Protektionismus“.165 Entscheidend für protektionistische Politik sind vor allem die Folgen einer verschärften Konkurrenz, da ein scharfer Wettbewerb mit ausländischen Anbietern zu volkswirtschaftlichen Anpassungsnotwendigkeiten führen kann.166 Derartige Anpassungsnotwendigkeiten sind unbequem167 für die Anbieter168 als auch für Arbeitnehmer169. Für Arbeitnehmer kann vor allem der Verlust des angestammten Arbeitsplatzes erhebliche Konsequenzen haben. Es kann sich unter Umständen im Rahmen von „regionale[n] Interessengemeinschaften“170 ein breiter Konsens über das Erfordernis protektionistischer Maßnahmen erzielen lassen.171 Auf der anderen Seite kann Protektionismus Ausdruck der Interessengruppentheorie sein, wenn es Anbietern gelingt, durch protektionistische Handelshemmnisse auf Kosten der inländischen Nachfrager zusätzliche Erträge zu erzielen,172 ohne dass Integration, S. 85, 87 – 89; Tumlir, Protectionism, S. 3 ff.; Krajewski, Konstitutionelle Ökonomie des GATT/WTO-Rechts, in: Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, S. 1, 2 f. 164 Petersmann, Protektionismus als Ordnungsproblem und Rechtsproblem, RabelsZ 47 (1983), S. 478, 486. 165 Vanberg, A Constitutional Political Economy Perspective on International Trade, ORDO 43 (1992), S. 375, 378 (den Hinweis auf das Zitat hat der Verfasser entnommen aus: Krajewski, Konstitutionelle Ökonomie des GATT/WTO-Rechts, in: Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, S. 1, 2 f.). 166 Vgl. Zohlnhöfer, Zur politischen Ökonomie des neuen Protektionismus, Ein Beitrag zur Theorie der Außenwirtschaft in der Demokratie, in: FS Meimberg, S. 143, 148 ff. 167 Vgl. Zohlnhöfer, Zur politischen Ökonomie des neuen Protektionismus, Ein Beitrag zur Theorie der Außenwirtschaft in der Demokratie, in: Wirtschaftspolitik in weltoffener Wirtschaft, FS Meimberg, S. 143, 148 ff. 168 Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, § 2, S. 201; Vogel, Trading Up, S. 260; Freytag, The European Market for Protectionism: New Competitors and New Products, in: Competition among Institutions, S. 231 – 258, 232; Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 24 – 30. Zurückhaltend: Zohlnhöfer, Zur politischen Ökonomie des neuen Protektionismus, Ein Beitrag zur Theorie der Außenwirtschaft in der Demokratie, in: FS Meimberg, S. 143, 154. 169 Senti spricht in diesem Zusammenhang von wohlfahrtsstaatlichem Denken als Ursache für Protektionismus (Senti, Erscheinungsformen und Ursachen des neuen Protektionismus im Außenhandel, ORDO 1986 S. 219, 226 f.). 170 von Hayek, Die Wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse, in: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 324, 326. 171 Politische Akteure orientieren sich vor dem Hintergrund von Wahlen dabei ausschließlich an den Wünschen inländischer Privatrechtssubjekten (vgl. Tribe, American Constitutional Law, § 6 – 5, S. 409 f.). 172 Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 24 – 30.
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ein gesamtgesellschaftlicher Konsens über die Notwendigkeit von protektionistischen Maßnahmen besteht. Derartige Verteilungswirkungen dürfen nicht offensichtlich sein, um für politische Akteure attraktiv zu sein.173 Diese Voraussetzung ist im Fall der Errichtung protektionistischer Handelshemmnisse in der Regel gegeben174. Zudem sind die Nachfrager nicht im Ansatz so gut organisiert wie die Anbieter. Vor diesem Hintergrund besteht auf dem „politischen Markt“175 keine der Nachfrage nach protektionistischer Politik entsprechende „Nachfrage nach Handelsliberalisierung“.176
X. Pfadabhängigkeiten Der Begriff Pfadabhängigkeit beschreibt die Prägung von Entwicklungen durch vorangegangene Entwicklungen177 und stellt eine endogene Grenze von Systemwettbewerb dar.178
173 Vgl. Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2(1) (1971), S. 3, 4: „The most obvious contribution that a group may seek of government is a direct subsidy of money“. Die Verteilung von finanziellen Zuwendungen würde zudem Begehrlichkeiten anderer Wirtschaftszweige wecken (Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2(1) (1971), S. 3, 5; Engel, Nebenwirkungen wirtschaftsrechtlicher Instrumente, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 173, 180; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 39 (1994), S. 281, 294). 174 von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 336. 175 Krajewski, Konstitutionelle Ökonomie des GATT/WTO-Rechts, in: Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, S. 1, 3. 176 Krajewski, Konstitutionelle Ökonomie des GATT/WTO-Rechts, in: Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, S. 1, 5. 177 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 63 – 65. 178 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 233: „Die Flexibilitätserfordernisse des Systemwettbewerbs konfligieren mit dem Beharrungsvermögen von Institutionen“; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker S. 521, 539; Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 178; Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 105; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht § 6 Rn. 66, S. 281, 306.
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1. Pfadabhängigkeit in der technischem Entwicklung Ein Beispiel für Pfadabhängigkeit ist die Entwicklung des Verlaufes von Straßen.179 Der heutige Straßenverlauf ist durch den historischen Verlauf der Straße geprägt. Kurvenreiche Straßen, auch wenn sie zu einer deutlichen Verlängerung der Wegstrecke zwischen zwei Orten führen und diese Kurven nicht durch natürliche Gegebenheiten bedingt sind, sind geschichtlich zu erklären. Die Gründe, die damals für die Wahl des Straßenverlaufs eine Rolle spielten, sind in der Gegenwart zwar entfallen, jedoch hat sich der Straßenverlauf trotzdem nicht geändert: „Today’s road depends on what path was taken before. Decades ago, a fur trader cut a path through the woods, and the trader, bent on avoiding a wolves’ den and other dangerous sites, took a winding indirect route. Were the fur trader a better hunter of wolves, the trader might have chosen a straighter path. Later travelers dragged wagons along the same winding path the trader chose, deepening the grooves and clearing away some trees. Travelers continued to deepen and broaden the road even after the dangerous sites were gone. Industry came and settled in the road’s bends; housing developments went up that fit the road and industry. Local civic promoters widened the path and paved it into a road suitable for today’s trucks. It is time to resurface the road. Should today’s authorities straighten it out at the same time? They see no reason to raze the factories and housing developments that arose on the path’s bends and may not even bother to consider straightening it out“.180
Die Anordnung der Schreibmaschinentastatur ist ein oft genanntes Beispiel einer Pfadabhängigkeit.181 Nach David wurde die QWERTY-Anordnung der Tasten auf der Schreibmaschinentastatur ursprünglich unter anderem deshalb vorgenommen, um ein Verhaken des Schreibmechanismus zu verhindern, denn die Anordnung der Tastatur sollte dafür die Verlangsamung des Schreibtempos bewirken.182 Dennoch wurde die Anordnung der Tastatur auch unter veränderten technischen Rahmenbedingungen und insbesondere auch im Zeitalter der elektrischen Schreibmaschine und des Computers beibehalten, obwohl mittels einer anderen Anordnung ein schnelleres Schreiben möglich wäre. Pfadabhängigkeiten besitzen besondere Bedeutung zur Erklärung der technischen Entwicklung von Netzwerkgütern.183 Dies sind Güter, bei denen der Ertrag oder der Nutzen von der Höhe der Nutzerzahl abhängt.184 Entscheidend für die Marktent179 Vgl. Roe, Chaos and Evolution in Law and Economics, Harvard Law Review 109 (1995 – 1996), S. 641, 643 f. 180 Roe, Chaos and Evolution in Law and Economics, Harvard Law Review 109 (1995 – 1996), S. 641, 643. 181 Vgl. David, Clio and the Economics of QWERTY, American Economic Review 75 (1985), S. 332, 335. 182 David, Clio and the Economics of QWERTY, American Economic Review 75 (1985), S. 332, 335. 183 Leipold, Zur Pfadabhängigkeit der institutionellen Entwicklung, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 93, 95 f. 184 Leipold, Zur Pfadabhängigkeit der institutionellen Entwicklung, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 93, 95.
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wicklung ist deshalb weniger die Qualität des Angebotes als die Zahl der Nutzer.185 Die Attraktivität eines Computerprogramms, das mit anderen vergleichbaren Programmen nicht kompatibel ist, wird z. B. von seiner Verbreitung abhängen.186 Ein inferiores Programm kann aufgrund des Interesses der Nutzer an Kompatibilität im Fall einer hohen Verbreitung eine bedeutende Marktposition einnehmen. Pfababhängigkeiten können deshalb zu einem Festhalten an suboptimalen Lösungen führen, was als „lock-in“ bezeichnet wird.187 2. Pfadabhängigkeit in der Entwicklung von Recht Das Phänomen der Pfadabhängigkeiten ist grundsätzlich auf die Rechtsentwicklung übertragbar.188 Die Bedeutung von Pfadabhängigkeiten hebt insbesondere die evolutorische Systemwettbewerbstheorie hervor,189 was aufgrund der Betrachtung der Rechtsentwicklung durch die evolutorische Systemwettbewerbstheorie als ein Entwicklungsprozess folgerichtig erscheint190. 185
Leipold, Zur Pfadabhängigkeit der institutionellen Entwicklung, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 93, 95 f. 186 Vgl. Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 306 Rn. 66. 187 Leipold, Zur Pfadabhängigkeit der institutionellen Entwicklung, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 93, Kienininger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 63; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 306, Rn. 66. 188 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 14 Tz. 7; Leipold, Zur Pfadabhängigkeit der institutionellen Entwicklung, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 93 – 115; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232 f.; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 530; Kiwit/Voigt, Überlegungen zum institutionellen Wandel und Berücksichtigung des Verhältnisses interner und externer Institutionen, ORDO 46 (1995), S. 117, 127 – 132; Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-EbenenRechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 177 f.; Lang/Mayer, Der Delaware-Effekt: Integration und Systemwettbewerb, in: FS D. Bender, S. 181, 198.; Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 29 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 63, 92. 189 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232 f.; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 530. Monopolkommission, Systemwettbewerb, S. 14 Tz. 7; Kiwit/Voigt, Überlegungen zum institutionellen Wandel und Berücksichtigung des Verhältnisses interner und externer Institutionen, ORDO 46 (1995), S. 117, 127 – 132; Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 177 f. 190 Vgl. schon: von Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher, in: Thibaut und Savigny, Ihre programmatischen Schriften, S. 231, 236: „Ist es denn möglich, die Gegenwart
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Schon Adam Smith beobachtete, dass Gesetze häufig auch dann noch in Kraft bleiben, „wenn die Umstände, die sie zunächst veranlasst haben und unter denen sie allein vernünftig sind, längst nicht mehr bestehen“.191 Jhering stellte fest, dass sich das Recht nur dadurch verjüngen kann, „dass es mit seiner eigenen Vergangenheit aufräumt“.192 R. Herzog betrachtet die Geschichte einer Gesellschaft „eine wichtige Grenze staatlicher Entscheidungsbildung, insofern nämlich, als ihre Ergebnisse und ihre Produkte in die jeweilige Gegenwart herüberreichen“193. Als mögliche Gründe von Pfadabhängigkeiten in der Rechtsentwicklung lassen sich nennen: Eine Aufhebung oder Änderung des entsprechenden Gesetzes bedeutet zum einen die Aufwendung von Umstellungskosten,194 da sich der Verkehr auf die Regelungen eines organischen Zustandes anders zu begreifen, als in Verbindung mit seiner Vergangenheit, d. h. anders, als auf genetische Weise?“. 191 A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 316. 192 von Jhering, Der Kampf um’s Recht, S. 8 f. Vgl. auch: Post, Das Naturgesetz des Rechts, Einleitung in eine Philosophie des Rechts auf Grundlage der modernen empirischen Wissenschaft, S. 56: „Die Reception ist der crasseste Ausdruck des Gesetzes des Beharrungsvermögens […]. Die einmal entstandene Bildung besitzt eine solche Zähigkeit im Triebe ihrer Selbsterhaltung, daß sie selbst dann noch als Form weiterzuexistieren strebt, wenn ihre naturgesetzmäßigen Lebenswurzeln mit dem Untergang des Vokes, in dem sie entstanden sind, abgeschnitten sind“; Zitelmann, Aufgaben und Bedeutung der Rechtsvergleichung, DJZ 1900, S. 329, 330: „Das große Schwergewicht der Wirklichkeit, der Konservativismus der menschlichen Natur lassen eine Menge von Rechtssätzen von Geschlecht zu Geschlecht tralaticisch vererbt werden, ohne dass die innere Berechtigung ihrer Fortdauer geprüft würde. Man nimmt sie weiter hin, weil sie eben vorher da waren“. 193 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 346 f. 194 Vgl. Beschlußempfehlung des Finanzausschusses (7. Ausschuß), zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung – Drucksache 11/4161 Nr. 2.2 – Vorschlag für eine Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung) (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG – KOM(88) endg. – SYN 177 – „Rats-Dok.Nr. 4118/89, BT-Drs. 11/5735“, S. 4: Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Vorschlag einer Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie: „Eine Erweiterung des Aktionsbereichs für Mehrbranchenunternehmen ist abzulehnen, weil – Das Prinzip der Spartentrennung, über das bereits in der vom EG-Ministerrat im Jahre 1979 verabschiedeten Ersten Lebensversicherungsrichtlinie Einigkeit erzielt wurde, wieder in Frage gestellt würde […] – sich kostspielige Umorganisationen einer Reihe deutscher Unternehmen aufgrund der Einführung des Spartentrennungsprinzips im nachhinein als überflüssig erweisen würden“; Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 14 Tz. 7; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-EbenenSystemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 10; Windisch, Modellierung von Systemwettbewerb: Grundlagen, Konzepte, Thesen, JNPÖ 17 (1998), S. 121, 141 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 64; Woolcock, Competition among rules in the single European market, in: International Regulatory Competition and Coordination, S. 289, 300.
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eingestellt hat195. Zum anderen werden sich diejenigen beharrlich gegen die Rechtsänderung wehren, deren Interessen die Regelung nützt.196 Es kann zudem ein entscheidendes Interesse an der Beachtung einer bestimmten Regel bestehen und dessen materielle Gestalt kann zweitrangig sein.197 Bestimmte Institutionen werden auch dann aufrechterhalten, wenn sich eine Umstellung mittel- bzw. langfristig rechnen würde. Einmal in Kraft gesetzte Gesetze weisen vor diesem Hintergrund Beharrungskräfte auf, auch gerade dann, wenn das Gesetz in der Gegenwart unter keinen Umständen erneut erlassen worden wäre.198 Die konkrete Bedeutung des Topos Pfadabhängigkeit für die Rechtsentwicklung wird jedoch in der systemwettbewerblichen Literatur und insbesondere auch nicht in der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie nicht hinreichend deutlich.199 Es handelt es sich lediglich um einen allgemeinen Topos, deren Bedeutung keineswegs unterschätzt warden darf. Es stellt sich die Frage, welcher rechtspolitische Druck erforderlich ist, um Pfadabhängigkeiten tatsächlich zu durchbrechen. Unklar ist, wie Pfadabhängigkeiten im systemwettbewerblichen Kontext rechtspolitisch zu bewerten sind. Einerseits können sie eine möglicherweise stattfindende Evolution von Recht behindern.200 Andererseits kann Pfadabhängigkeiten auch eine zu begrüßende Bremsfunktion im Systemwettbewerb201 zukommen. Auch 195 Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 14 Tz. 7: „Unabhängig von der Zweckmäßigkeit einer Regelung kann sich ein Interesse an deren Fortbestand ergeben, wenn sie über lange Zeiträume genutzt wird […]“. Die Einführung einer Regulierung bedeutet für die betroffenen Verkehrskreise die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung. Eine Verhaltensänderung ist nur unter Schwierigkeiten zu verwirklichen wie die Einführung von Sicherheitsgurten in Kraftfahrzeugen zeigt vgl. Levitt/Dubner, Superfreakonomics, S. 214 ff. 196 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 14 Tz. 7. 197 Zum möglichen Charakter von Recht als Netzwerkgut; Leipold, Zur Pfadabhängigkeit der institutionellen Entwicklung, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 93, 104 ff., 111. 198 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 14 Tz. 7. 199 Vgl. Roe, Chaos and Evolution in Law and Economics, Harvard Law Review 109 (1996), S. 641, 667: „Right now, none of the three paradigms – chaos, evolution to the local hilltop, or path dependence – is developed enough to enable us to make explanatory predictions“. Eine ausführlichere Erörterung von Pfadabhängigkeiten für die Rechtsentwicklung erfolgt bei: Heine, Regulierungswerttbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 194 ff.; Leipold, Zur Pfadabhängigkeit der institutionellen Entwicklung, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 93, 97 ff. 200 Zum Wissensproblem der Nachfrager nach Institutionen: Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren, – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 59. 201 Zur Bedeutung eingeschränkter Mobilität und Information: Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von
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in diesem Zusammenhang dürften sich – je nach Art der in Rede stehenden Regulierungen – allgemeine Aussagen verbieten.
XI. Konsistenzerfordernisse Einzelne rechtliche Regeln sind im Zusammenhang mit ihrer Einbettung in das gesamte Rechtssystem zu sehen. Der innere Zusammenhang der Regeln kommt sprachlich zum Ausdruck anhand des Begriffes System202 als „Gefüge von Institutionen“203. Schon in C. Mengers Beschreibung von „Socialgebilden“ in Analogie zu Lebewesen kommt der innere Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen zum Ausdruck.204 Konsistenzerfordernisse setzten der Änderung von Regeln Grenzen.205 Hintergrund ist, dass eine Regelung nicht ohne Rücksicht auf das Bestehen anderer Regelungen geändert werden kann, da die Regelungen in Zusammenhang miteinander stehen,206 da ansonsten Widersprüche oder Regelungslücken die Folge sein Systemen, S. 223, 232; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 23 ff. 202 von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, S. 94 f. 203 Windisch, Modellierung von Systemwettbewerb: Grundlagen, Konzepte, Thesen, JNPÖ 17 (1998), S. 121, 141. Stammler versteht im Zusammenhang mit dem Begriff „System des Rechts“ den Begriffsteil „System“ als „erschöpfend gegliederte Einheit“. Kennzeichnend für den Begriff ist nach Stammler, dass [a]lle Einzelheiten, die dabei auftreten, […] als Glieder eines Ganzen zusammengefasst werden (Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, S. 365). Wiethölter betrachtet eine Ordnung von Rechtssätzen als System (Wiethölter, Begriffs- oder Interessenjurisprudenz – falsche Fronten im IPR und Wirtschaftsverfassungsrecht – Bemerkungen zur sachgerechten Kollisionsnorm, in: FS Kegel, S. 213, 249). Der Staat kann als „Gefüge von Institutionen“ verstanden werden (Benz, Der moderne Staat, S. 105). Nach Di Fabio ist die Betrachtung des Rechts ein Erkenntnisinstrument für die Beschaffenheit des Staates (Di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 12). 204 C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 139 f. 205 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 525; Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 178 f.; Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 14: „Institutionen oder Regeln [sind] Teile eines gewachsenen Systems mit seinen spezifischen Konsistenzerfordernissen und stabilisierenden Traditionen […]“; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232. 206 Vgl. Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 178 f.; Rehm, Rechtstransplantate als Instrument der Rechtsreform und -transformation, RabelsZ 2008, S. 1 – 42; O’Hara/Ribstein, From Politics to Efficiency in Choice of Law, University of Chicago Law Review 67 (2000), 1151, 1193: „[…] legislators may enact a given law only because of its expected interaction with a complementary law“.
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können207. Anforderungen an die Eigenschaften von Waren stehen z. B. in unmittelbarer Beziehung zum Haftungsregime. Liberale Produktregulierungen können flankiert werden von einer strengen Haftung, so dass sich insgesamt ein ausgewogenes Schutzniveau ergibt.208 Wenn ein anderer Staat nun die liberalen Produktregulierungen übernimmt, ohne gleichzeitig die Haftungsregeln anzupassen, verändert sich das Schutzniveau des imitierenden Staates gegenüber der Situation des VorbildStaates erheblich.209 Alle Regelungen sind deshalb im Gesamtzusammenhang zu sehen. Auf die Schwierigkeiten der Übernahme einer bestimmten Regelung von einem Rechtssystem in ein anderes Rechtssystem ist von der Lehre der Legal Transplants hervorgehoben worden.210 In der gegenwärtigen Diskussion um Systemwettbewerb erscheint der Hinweis auf Konsistenzerfordernisse vor allen als Schlagwort, ohne dass die konkrete Bedeutung von Konsistenzerfordernissen für die Rechtsentwicklung deutlich wird.211 Es geht im Rahmen eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip vor allem um die Anpassung mitgliedstaatlicher Regulierungen an die flankierende Mindestharmonisierung. Zudem findet das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nur unter der Voraussetzung einer Gleichwertigkeit mitgliedstaatlicher Regulierungssysteme Anwendung. Konsistenzprobleme dürften im Fall einer systemwettbewerblichen Anpassung von Regulierungen im europarechtlichen Kontext deshalb eine weit geringe Bedeutung besitzen.
207
Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 178. 208 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 77 ff. Zur ökonomischen Analyse von Haftungsregeln vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 145 ff.; Schnattinger, Die Rückwirkung des Europarechts auf das deutsche Gewerberecht, S. 121. 209 Zu verschiedenen Steuerungsinstrumenten: Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 61 ff.; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen. 210 Vgl. Rehm, Rechtstransplantate als Instrument der Rechtsreform und -transformation, RabelsZ 2008, S. 1 – 42. Zur Lehre von den Legal Transplants vgl. Teil 1 § 2 B. I. 5. 211 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232 f.; Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 406.
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XII. Bewertung von Inländerdiskriminierung nach nationalem Verfassungsrecht als Bestimmungsfaktor für staatliche Responsivität auf institutionelle Mobilität Grundlegende Bedeutung für staatliche Responsivität auf institutionelle Mobilität besitzt das Phänomen der Inländerdiskriminierung. Inländerdiskriminierung führt oftmals zu einem rechtspolitischen Handlungszwang politischer Akteure, weil infolge von Inländerdiskriminierung die rechtspolitische Legitimität der betreffenden inländischen Regulierungen in Frage gestellt ist. Bei einer strengen verfassungsrechtlichen Beurteilung des Phänomens Inländerdiskriminierung ergibt sich zudem ein verfassungsrechtlicher Handlungsdruck für den Gesetzgeber und im Extremfall die Konsequenz, dass sich der Gesetzgeber über den Hebel des nationalen Verfassungsrechts an den nationalen Regulierungen mit den niedrigsten Anforderungen bzw. am wenigsten belastenden Wirkungen für den Normadressaten bzw. am Niveau der Mindestharmonisierung orientieren muss.212 Die deutsche Rechtsprechung verneint (im Gegensatz zur österreichischen Rechtsprechung213) grundsätzlich einen Verfassungsverstoß infolge von Inländerdiskriminierung.214 Die deutsche juristische Literatur neigt hingegen zu einer strengeren Bewertung von Inländerdiskriminierung.215 212
Vgl. Balthasar, „Inländerdiskriminierung“ in der EU nach dem EG-Vertrag und aus österreichischer Sicht, ZÖR 1998, S. 143, 150 f.; Schilling, Gleichheitssatz und Inländerdiskriminierung, JZ 1994, S. 8, 17: „Deregulierungsprogramm“; Gundel, Die Inländerdiskriminierung zwischen Verfassungs- und Europarecht: Neue Ansätze in der deutschen Rechtsprechung, DVBl. 2007, S. 269, 272; Götz, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 10. 3. 1994, Rs. C-132/93, Steen II, JZ 1994, S. 1061, 1062. 213 Vgl. Balthasar, „Inländerdiskriminierung“ in der EU nach dem EG-Vertrag und aus österreichischer Sicht, ZÖR 1998, S. 143 – 216. 214 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. 01. 1970, Az. I B 65.69, DVBl. 1970, 627, 628 (Inländerdiskriminierung aufgrund VO Handwerk); OVG Berlin, Urteil vom 12. 05. 1971, Az. 1 B 56.70, DVBl. 1972, 280, 281 f. (Aufenthaltsrecht); BGH, Urteil vom 28. 02. 1985, Az. I ZR 7/ 83, RIW 1985, 588, 589 („Cocktails For Two“); VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07. 08. 1995, Az. 13 S 329/95, NJW 1996, 72, 73 f. (Aufenthaltsrechtsrecht); BGH, Vorlagebeschluss vom 25. 09. 1991, Az. IV ZR 87/90, DB 1991, 2483, 2485 (in dieser Entscheidung wurde ein möglicher Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG offengelassen – Arbeitsvermittlungsmonopol); BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89 u. a., EuGRZ 1993, 85 (Nachtbackverbot); BGH, Beschluss vom 18. 09. 1989, Az. AnwZ (B) 24/89, RIW 1989, 985 (Bevorzugung EWG-ausländischer Rechtsanwälte). Aber: BVerfG, Beschluss vom 05. 12. 2005, Az. 1 BvR 1730/02, GewArch 2006, S. 71 (Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Ausgestaltung des Meisterzwangs in §§ 1, 7 HwO a. F.). 215 Vgl. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 233: „Benachteiligungen von Deutschen gegenüber EG-Ausländern (sog. Inländerdiskriminierung) verstoßen in der Regel gegen den Gleichheitssatz i.V. mit dem betreffenden Freiheitsrecht […]“; Weis, Inländerdiskriminierung zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht, NJW 1983, S. 2721, 2726: „Sachgerechte Gründe für die Benachteiligung von Inländern gegenüber EG-Ausländern werden sich demnach nur schwer finden lassen […] Fehlen aber hinreichende
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Entscheidend für die zukünftige Rechtsentwicklung ist die Frage, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) auf Inländerdiskriminierung Anwendung findet, denn bei Beurteilung am Maßstab des Gleichheitssatzes kann eher ein Verfassungsverstoß angenommen werden, als im Fall einer Messung am Grundrecht der Berufsfreiheit.216 Dieser Zusammenhang wird deutlich anhand der Rechtsprechung des österreichischen VfGH, der Inländerdiskriminierung am allgemeinen Gleichheitssatz misst.217 Mit einer Anwendung des Gleichheitssatzes und einer daraus grundsätzlich folgenden Verfassungswidrigkeit von Inländerdiskriminierung wäre die dezentrale Kompetenzordnung der EU infrage gestellt. Eine Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatz ist deswegen zugunsten einer flexibleren Prüfung am Maßstab der Berufsfreiheit218 abzulehnen. Es kommt insofern eine Übertragung der Rechtsprechung des BVerfG in Betracht, wonach eine Ungleichbehandlung seitens verschiedener deutscher Hoheitsträger nicht am Maßstab des Gleichheitssatzes zu messen ist.219 In einer Entscheidung aus sachliche Gründe für eine Differenzierung, so kann ein benachteiligter Inländer aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes gem. Art. 3 Abs. 1 GG dieselbe Behandlung wie ein EG-Ausländer in gleicher Lage verlangen“; Fastenrath, Inländerdiskrimninierung, – Zum Gleichbehandlungsgebot beim Zusammenwirken mehrerer (Teil)rechtsordnungen im vertikal gegliederten und international integrierten Staat –, JZ 1987, S. 170, 177 f.; Fezer, Europäisierung des Wettbewerbsrechts – Gemeinschaftsrechtliche Grenzen im Recht des unlauteren Wettbewerbs, Kommentar zur jüngsten Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zum Warenverkehrsrecht (Rechtssachen „Yves Rocher“, „Keck und Mithouard“ und „Hünermund“), JZ 1994, S. 317, 325; Nicolaysen, Inländerdiskriminierung im Warenverkehr, EuR 1991, S. 95, 120; Kleier, Freier Warenverkehr (Art. 30 EWG-Vertrag) und die Diskriminierung inländischer Erzeugnisse, RIW 1988, 623, 629; Müller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, S. 38 f. (Kritik am Urteil Cocktail for Two); S. K. Schmidt, Notwendigerweise unvollkommen: Strukturprobleme des Europäischen Binnenmarktes, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 3 (2) 2005, S. 185, 199 f. (Unvereinbar mit Gleichheitsatz). 216 Vgl. Gundel, Die Inländerdiskriminierung zwischen Verfassungs- und Europarecht: Neue Ansätze in der deutschen Rechtsprechung, DVBl. 2007, S. 269, 273, 277. 217 ÖstVfGH, Urteil vom 09. 12. 1999, Az. G 42/99 u. G 135/99, Slg. 15683: „3. a) Unter diesen […] Prämissen vermochte der Verfassungsgerichtshof vorläufig keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennen, daß österreichischen Staatsbürgern mit einer einschlägigen fachlichen Tätigkeit im Ausland eine Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zu erteilen ist, nicht aber dann, wenn sie eine derartige Tätigkeit im Inland belegen können“ (http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_10008791_99G00042_00/JFT_10008791_ 99G00042_00.pdf (abgerufen am 21. 03. 2010) = EuZW 2001, 219 mit Anm. Huber-Wilhelm/ Plank; ÖstVfGH, Erkenntnis vom 17. 6. 1997, Az. B 592/96, EuGRZ 1997, S. 362, 363 f. (Aufenthaltsrecht). 218 Gundel, Die Inländerdiskriminierung zwischen Verfassungs- und Europarecht: Neue Ansätze in der deutschen Rechtsprechung, DVBl. 2007, S. 269, 277. Zur Prüfung der Berufsfreiheit: BVerfG, Urteil vom 11. 06. 1958, Az. 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377, 405 ff. 219 BVerfG, Beschluss vom 25. 02. 1960, Az. 1 BvR 239/52, BVerfGE 10, 354, 371; BVerfG, Beschluss vom 18. 07. 1979, Az. 2 BvR 488/76, BVerfGE 52, 42, 58; Klein, Gleichheitssatz und föderative Struktur der Bundesrepublik Deutschland, in: FS Scupin,S. 165, 172 ff.; Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheits-
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dem Jahr 1966 beschäftigte sich das BVerfG mit der unterschiedlichen Erhebung von Steuern seitens von Gemeinden und stellte fest, dass Art. 3 Abs. 1 GG nicht dadurch verletzt ist, dass eine Gemeinde höhere Steuern erhebt als andere Gemeinden.220 Das BVerfG begründet die Entscheidung ausdrücklich mit dem durch das vom GG vorgegebene Kompetenzgefüge.221
XIII. Zusammenfassende Bewertung Die vorangehende Betrachtung hat einige unzusammenhängende Aspekte genannt, die zu einer Öffnung der black-box Staat beitragen können222. Für die Bewertung von Systemwettbewerb ist entscheidend, ob Regulierungen als Ausdruck der Interessengruppentheorie angesehen werden können. Dabei sind jeweils im Einzelfall die Umstände eines Zustandekommens oder des Erhaltes einer Regulierung zu untersuchen und es ist zu prüfen, ob die jeweilige Regulierung Ausdruck demokratischer Repräsentation ist. Zur Prognose von Rechtsentwicklungen kann am ehesten die Betrachtung Mehrheitsverhältnisse im Parlament und der jeweiligen Parteiprogramme beitragen. Eine entscheidende Bedeutung für die Frage einer staatlichen Responsivität besitzt die Frage, ob eine Inländerdiskriminierung nach nationalem Verfassungsrecht zulässig ist.
gebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung ?, AöR 118 (1993), S. 591, 599 f.; Fastenrath, Inländerdiskrimninierung, – Zum Gleichbehandlungsgebot beim Zusammenwirken mehrerer (Teil)rechtsordnungen im vertikal gegliederten und international integrierten Staat –, JZ 1987, S. 170, 172 – 175. Gegen eine Übertragung: Weis, Inländerdiskriminierung zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht, NJW 1983, S. 2721, 2725. 220 BVerfG, Beschluss vom 21. 12. 1966, Az. 1 BvR 33/64, BVerfGE 21, 54, 68. 221 BVerfG, Beschluss vom 21. 12. 1966, Az. 1 BvR 33/64, BVerfGE 21, 54, 68: „Es wäre mit der den Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Selbstverwaltung nicht vereinbar, wenn eine Gemeinde sich bei der Wahrnehmung der ihr zustehenden Rechtsetzungsbefugnisse den Regelungen anderer Gemeinden anzupassen hätte. Der Gleichheitsanspruch besteht nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt. Die Gemeinde als Gesetzgeber ist daher nur verpflichtet, in ihrem Bereich den Gleichheitssatz zu wahren […]“. Vgl. Fastenrath, Inländerdiskrimninierung – Zum Gleichbehandlungsgebot beim Zusammenwirken mehrerer (Teil)rechtsordenunten im vertikal gegliederten und international integrierten Staat –, JZ 1987, S. 170, 173: „Jeder Hoheitsträger hat demnach nur innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs auf Gleichbehandlung zu achten. Mit der Forderung nach vollständiger Angleichung der Länderrechtsordnungen würde man die Bundesstaatlichkeit preisgeben, die wesensnotwendig einen Gestaltungsspielraum für die Länder voraussetzt“ (Zeichensetzungsfehler im Original korrigiert). 222 Vgl. Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113, 117: „Solange eine überzeugende Theorie des politischen Wettbewerbs nicht vorliegt, muß man sich mit Ansätzen bescheiden, die zumindest Teilaspekte zu erklären vermögen“.
B. Ansätze zur Öffnung der Black-Box Staat
305
Die tatsächliche Bedeutung von Pfadabhängigkeiten und Konsistenzerfordernissen für eine systemwettbewerbliche Rechtsentwicklung ist unklar. Konsistenzerfordernisse sind aufgrund des europäischen Rechtsrahmens vermutlich von untergeordneter Bedeutung.
Teil 2
Realitätsorientierte Betrachtung von Systemwettbewerb
§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs bei Geltung des Bestimmungslandprinzips (Systemwettbewerb im untechnischen Sinn) A. Zugangsregulierung zum US-amerikanischen Kapitalmarkt I. Geltung des Bestimmungslandprinzips Neben dem von D. Vogel beschriebenen California Effekt1 liefert die Rechtsentwicklung im Bilanzrecht ein Beispiel für einen Systemwettbewerb, der über Marktzugangsregulierungen vermittelt ist.2 Unternehmen, die in den USA die Börsenzulassung erhalten wollten3, mussten bis 2007 entweder nach US-GAAP bilanzieren oder aufwendige Überleitungsrechnungen („reconciliation“) vornehmen.4 Es galt damit ein Bestimmungslandprinzip.5 Eine Anpassung an die US-amerikanischen Regulierungsanforderungen war mit erheblichem Aufwand verbunden und hielt deutsche Unternehmen von einem Listing in den USA ab.6 1
Zum California Effekt: Teil 1 § 5. Mehde stellt diese Rechtsentwicklung in Zusammenhang mit dem Begriff Systemwettbewerb (Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 567 ff.). Arentz/Paulus sprechen von Systemwettbewerb (Arentz/Paulus, Das Potenzial von Systemwettbewerb und nationalen Alleingängen, in: GS Eekhoff, S. 145, 158). 3 Zu den Motiven vgl. Küting/Hayn, Börseneinführungsmodalitäten in den USA, WPg 1993, S. 401, 401 f. Gentz, Notierung an der NYSE – Wirkungen auf das eigene Unternehmen, in: Zugang zum US-Kapitalmarkt für deutsche Aktiengesellschaften, S. 367 – 381. 4 Hommelhoff, in: Großkommentar HGB, § 292a Rn. 2; Ebke, Märkte machen Recht – auch im Gesellschafts- und Unternehmensrecht!, in: FS Lutter, S. 17, 21: „Kontrahierungszwang“; Busse von Colbe, in: Münchener Kommentar zum HGB, § 292a Rn. 1; Ebke, Märkte machen Recht – auch im Gesellschafts- und Unternehmensrecht!, in: FS Lutter, S. 17, 21; Küting/Hayn, Der internationale Konzernabschluss als Eintrittskarte zum weltweiten Kapitalmarkt, BB 1995, S. 662 – 672; Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, RabelsZ 62 (1998), S. 381, 383. Ausführlich zur Zulassung: Küting/Hayn, Börseneinführungsmodalitäten in den USA, WPg 1993, S. 401, 405 ff. 5 Ebke spricht aufgrund der Notwendigkeit, die US-amerikanischen Regulierungsanforderungen zu erfüllen, von einem „Kontrahierungszwang“ (Ebke, Märkte machen Recht – auch im Gesellschafts- und Unternehmensrecht!, in: FS Lutter, S. 17, 21). 6 Vgl. Kommission, Mitteilung der Kommission, Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung, Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung, 2
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§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
Für US-Unternehmen war der Zugang zu den Kapitalmärkten in den EU-Mitgliedstaaten schon damals erheblich einfacher, da Jahresabschlüsse auf Basis von US-GAAP anerkannt wurden7, weshalb im Verhältnis der USA zu den EU-Mitgliedstaaten ein einseitiges Prinzip der Anerkennung galt.
II. Einfluss der US-amerikanischen Marktzugangsregulierung auf die europäische Rechtsentwicklung Die Marktzugangsregulierung zum US-amerikanischen Kapitalmarkt führte zu nachhaltigen Anpassungen des europäischen und des deutschen Bilanzrechts an internationale Rechnungslegungsstandards. Die Kommission bemühte sich bis Mitte der 1990er Jahre um eine Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Vorschriften zur Rechnungslegung.8 Die tatsächliche Harmonisierungswirkung war jedoch gering.9 Hintergrund der Bemühungen seitens der Kommission war die Hoffnung, eine gegenseitige Anerkennung der Konzernabschlüsse im Verhältnis zu den USA zu erreichen, was jedoch scheiterte.10 KOM (95) 508 endg, S. 2; Küting/Hayn, Börseneinführungsmodalitäten in den USA, WPg 1993, S. 401, 410; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz – KapAEG), BT-Drs. 13/7141 vom 6. 3. 1997, S. 1, 7: „Die Aufstellung zweier Konzernabschlüsse nach unterschiedlichen Bewertungsvorschriften ist für die betroffenen Unternehmen eine schwere Last und für die Investoren eher verwirrend“. 7 Kommission, Mitteilung der Kommission, Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung, Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung, KOM (95) 508 endg., S. 6; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz – KapAEG), BT-Drs. 143/7141, 06. 03. 1997, S. 9. 8 Zur Harmonisierungspolitik auf dem Gebiet der Rechnungslegung vgl. Kommission, Mitteilung der Kommission, Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung, Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung, KOM (95) 508 endg., S. 3 f.; Küting, Europäisches Bilanzrecht und Internationalisierung der Rechnungslegung, BB 1993, S. 30 – 38; Bolin/Schneider, in: Handbuch Handelsrechtliche Rechnungslegung, VII Rn. 5 ff. S. 1019 ff. 9 Bolin/Schneider, in: Handbuch Handelsrechtliche Rechnungslegung, VII Rn. 11 – 13. 10 Hommelhoff, in: Großkommentar HGB, § 292a HGB Rn. 3; Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, RabelsZ 62 (1998), S. 381, 383; Küting/Hayn, Börseneinführungsmodalitäten in den USA, WPg 1993, S. 401, 410. Küting/Hayn stellten fest, dass eine Anerkennung von europäischen Abschlüssen in den USA innenpolitisch nicht durchsetzbar gewesen wäre, da US-amerikanischen Emittenten aufgrund der einseitigen Beibehaltung der strengeren amerikanischen Vorschriften Wettbewerbsnachteile erwachsen würden (Küting/Hayn, Der internationale Konzernabschluss als Eintrittskarte zum weltweiten Kapitalmarkt, BB 1995, S. 662, 665); Kommission, Mitteilung der Kommission, Harmonisierung auf dem Gebiet der
A. Zugangsregulierung zum US-amerikanischen Kapitalmarkt
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Daraufhin entwickelte die Kommission11 eine neue Strategie zur Rechnungslegung, die insbesondere auf eine Angleichung europäischer Rechnungslegung an die International Accounting Standards (IAS) zielte.12 Ziel der Kommission war es, Grundsätze der Rechnungslegung zu schaffen, die international anerkannt werden13 und auf dieser Basis Zugang zu „allen Börsen der Welt“ zu bekommen.14 Die Kommission wollte insbesondere eine Anerkennung von Rechnungslegungsvorschriften seitens der USA erreichen.15 Den Mitgliedstaaten wird in Umsetzung der neuen Strategie zur Rechnungslegung die Möglichkeit eingeräumt, Großunternehmen die Rechnungslegung nach IAS zu erlauben.16 Trotz der Tatsache, dass eine wachsende Anzahl europäischer Gesellschaften ihre Abschlüsse nach US-GAAP aufstellte, um Zugang zum US-amerikanischen Kapitalmarkt zu erlangen, sprach sich die Kommission bewusst nicht dafür aus, auch eine Aufstellung nach US-GAAP
Rechnungslegung, Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung, KOM (95) 508 endg., S. 6. 11 Kommission, Mitteilung der Kommission, Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung, Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung, KOM (95) 508 endg. 12 Kommission, Mitteilung der Kommission, Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung, Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung, KOM (95) 508 endg, S. 2; Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, RabelsZ 62 (1998), S. 381, 384; Buhleier/Helmschott, Die neue Strategie der Europäischen Union zur Harmonisierung der Rechnungslegung und ihre möglichen Auswirkungen auf Deutschland, DStR 1996, S. 354 – 360; Hommelhoff, in: Großkommentar HGB, § 292a HGB Rn. 3; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz – KapAEG), BT-Drs. 13/7141 vom 6. 3. 1997, S. 8. 13 Kommission, Mitteilung der Kommission, Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung, Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung, KOM (95) 508 endg., S. 2. 14 Erwägungsgrund 5 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juni 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. EU Nr. L 243/1 vom 11. 09. 2002. 15 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. EG Nr. 243/1, 11. 9. 2002, Erwägungsgrund (2): „Überdies ist es von großer Bedeutung, dass an den Finanzmärkten teilnehmende Unternehmen Rechnungslegungsstandards anwenden, die international anerkannt sind und wirkliche Weltstandards darstellen“; Siebler, Internationalisierung der Rechnungslegung und deren Auswirkung auf Handels- und Steuerbilanz und nicht auf den geregelten Kapitalmarkt ausgerichteter Unternehmen, S. 32. 16 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. EG Nr. 243/1, 11. 9. 2002, Artikel 5, Erwägungsgrund (13); Kommission, Mitteilung der Kommission, Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung, Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung, KOM (95) 508 endg., S. 7.
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§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
zu erlauben.17 Eine Zulassung der Bilanzierung nach US-GAAP in der EU hätte nach Auffassung der Kommission „ein Riesengeschenk für die USA“ bedeutet.18 Mit Art. 4 der IFRS-VO19 wurde im Jahr 2002 für Unternehmen, die an einem geregelten Kapitalmarkt zugelassen sind, geregelt, dass die Rechnungslegung nach internationalen Rechnungslegungsstandards erfolgen muss.20 Mit dem deutschen Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (KapAEG) aus dem Jahr 199821 wurde in § 292a HGB a. F. (befristet bis zum 31. 12. 200422) für kapitalmarktorientierte Unternehmen die Möglichkeit geschaffen, einen Konzernabschluss nach international anerkannten Rechnungslegungsgrundsätzen aufzustellen23, um den Zugang deutscher Unternehmen zum US-Kapitalmarkt zu erleichtern.24 Dabei waren sowohl IAS als auch US-GAAP als international anerkannte
17 van Hulle, Die Zukunft der europäischen Rechnungslegung im Rahmen einer sich ändernden europäischen Rechnungslegung, WPg 1998, S. 138, 139; Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, RabelsZ 62 (1998), S. 381, 384 Fn. 13. 18 van Hulle, Die Reform des europäischen Bilanzrechts: Stand, Ziele und Perspektiven, ZGR 2000, 537, 544. 19 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABl. Nr. L vom 11. 9. 2002, S. 1 ff. 20 Grundmann, EU-Privatrecht in globaler Sicht – Vertrags- und Gesellschaftsrecht, in: FS Kirchner, S. 53, 72. 21 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz – KapAEG), BT-Drs. 13/7141 vom 6. 3. 1997. Kritisch: Busse von Colbe, Internationalisierung der deutschen Konzernrechnungslegung als Kür oder Pflicht? – zum Regierungsentwurf eines KapAEG –, in: FS B. Kropff, S. 417, 421 f.; Lutter, Im Mahlstrom der Interessen: Das Bilanzrecht, NJW 1996, S. 1945 – 1946. 22 Zu den Hintergründen der Befristung: Ernst, KonTraG und KapAEG sowie aktuelle Entwicklungen zur Rechnungslegung und Prüfung in der EU, WPg 1998, S. 1025, 1032; Busse von Colbe, in: Münchener Kommentar zum HGB, § 292 a Rn. 4. 23 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz – KapAEG), BT-Drs. 143/7141, 06. 03. 1997, S. 1; Hommelhoff, in: Großkommentar HGB, § 292a Rn. 6 ff.; Busse von Colbe, in: Münchener Kommentar zum HGB, § 292 a Rn. 1 ff. Zum Verhältnis der IAS-VO zu § 292a HGB vgl. Buchheim/Gröner, Anwendungsbereich der IASVerordnung an der Schnittstelle zu deutschem und zu EU-Bilanzrecht, BB 2003, S. 953, 953 f.; Hauser/Meurer, Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz im Lichte neuer Entwicklungen, WPg 1998, S. 269, 278 f. 24 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz – KapAEG), BT-Drs. 143/7141, 06. 03. 1997, S. 7; Grundmann, EU-Privatrecht in globaler Sicht – Vertrags- und Gesellschaftsrecht, in: FS Kirchner, S. 53, 72.
A. Zugangsregulierung zum US-amerikanischen Kapitalmarkt
313
Rechnungslegungsgrundsätze im Sinne des § 292a HGB a. F. zu verstehen.25 Das KapAEG wurde ausdrücklich mit einer Inländerdiskriminierung gegenüber in den USA gelisteten und in der EU ansässigen Unternehmen – deren Rechnungslegung nach US-GAAP in Europa anerkannt wird – begründet.26 Mit dem Bilanzrechtsreformgesetz aus dem Jahr 2004 ersetzte der deutsche Gesetzgeber die Regelung des § 292a HGB a. F. durch § 315a HGB.27 Die alternative Anwendung von US-GAAP ist darin nicht mehr vorgesehen.28 Mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz aus dem Jahr 2009 ergriff der Gesetzgeber weitere Deregulierungsmaßnahmen mit der Zielrichtung einer Anpassung an die International Financial Reporting Standards (IFRS) (vormals IAS).29 Ziel war,
25 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß), BT-Drs. 13/ 9909, 12. 02. 1998, S. 12; Hauser/Meurer, Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz im Lichte neuer Entwicklungen, WPg 1998, S. 269, 278; Hommelhoff, in: Großkommentar Bilanzrecht/ 2002 § 292a HGB Rn. 22; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 315a Rn. 2; Ernst, KonTraG und KapAEG sowie aktuelle Entwicklungen zur Rechnungslegung und Prüfung in der EU, WPg 1998, S. 1025, 1031; Schön, Mindestharmonisierung im europäischen Gesellschaftsrecht, ZHR 160 (1996), S. 221, 237; Busse von Colbe, in: Münchener Kommentar zum HGB, § 292 a Rn. 14; Albach, Globalisierung und Organisationsstruktur mittelständischer Unternehmer – Eine Analyse aus europäischer Sicht, in: FS Lutter, S. 3, 12; Ebke, Märkte machen Recht – auch im Gesellschafts- und Unternehmensrecht!, in: FS Lutter, S. 17, 22; Großfeld, Normschaffung und Normvermittlung im Internationalen Unternehmensrecht, in: FS Lutter, S. 47, 48. Im Gesetzgebungsverfahren war zunächst eine Beschränkung der Wahlmöglichkeit auf International Accounting Standards (IAS) erwogen worden, um die Stellung der IAS gegenüber der IOSCO (International Organization of Securities Commissions) zu stärken vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß), BT-Drs. 13/9909, 12. 02. 1998, S. 12. 26 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz – KapAEG), BT-Drs. 13/7141 vom 6. 3. 1997, S. 8 f.: „Die nach US-GAAP aufgestellten Abschlüsse ausländischer Unternehmen müssen nach EU-Recht für Börsenzwecke in Deutschland akzeptiert werden. […] Deutschen Unternehmen ist diese Möglichkeit demgegenüber bisher versperrt. Die Bundesregierung ist daher auch unter dem Gesichtspunkt des Standortes Deutschland der Auffassung, dass diese Form der Inländerdiskriminierung nicht fortgeführt werden sollte“; Busse von Colbe, Internationalisierung der deutschen Konzernrechnungslegung als Kür oder Pflicht? – zum Regierungsentwurf eines KapAEG –, in: FS B. Kropff, S. 417, 423. 27 Vgl. Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 315a Rn. 2. 28 Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 315a Rn. 2. 29 Vgl. Bohl, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, § 1 Rn. 39 f.; Haller/Wehrfritz, Analysis of Changig Institutional Environments, New Accounting Politics, and Corporate Governance Practices in Germany, in: Law, Corporate Governance, and Accounting, S. 154, 158: „considerable step in the convergence process“; Boecker/Froschhammer, Harmonisierung statt Standardisierung, Zunehmende Konvergenz der Regelungen des HGB mit den IFRS, IRZ 2010, S. 305 – 307; Hillmer, Internationale Rechnungslegung – Standortbestimmung und Zukunftsperspektiven, Bericht zur 10. Fachtagung Das Rechnungswesen im Konzern, KoR IFRS 2010, S. 104 – 109; Ballwieser, in: Münchener Kommentar zum HGB, Vor § 238 Rn. 3 ff.
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§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
„das bewährte HGB-Bilanzrecht zu einer dauerhaften und im Verhältnis zu den internationalen Rechnungslegungsstandards vollwertigen, aber kostengünstigeren und einfacheren Alternative weiterzuentwickeln, ohne die Eckpunkte des HGB-Bilanzrechts […] und das bisherige System der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung aufzugeben“.30
Obwohl der Gesetzgeber das Ziel einer „behutsamen Anpassung“ der HGBRegeln an die IFRS als Ziel formulierte, waren die durch das Gesetz bewirkten Änderungen erheblich31 bzw. bewirkten die „umfassendsten Änderungen des deutschen Bilanzrechts“ seit Schaffung des Bilanzrichtlinien-Gesetz im Jahr 198532.
III. Norwalk Agreement Nachdem die Rechtsentwicklung lange Zeit durch eine einseitige Anpassung des europäischen und deutschen Bilanzrechts an internationale Standards geprägt war, wandelten sich die Verhältnisse mit dem Norwalk Agreement. Diese Vereinbarung wurde zwischen dem Financial Accounting Standards Board (FASB) und dem International Accounting Standards Board (IASB)33, 34, also den beiden privaten Organisationen, die jeweils für die Entwicklung der US-GAAP und der IFRS verantwortlich sind, geschlossen. Mit der Vereinbarung verfolgen beide Standard-Setter das Ziel, eine Konvergenz und eine Kompatibilität von IFRS und US-GAAP zu erreichen.35 Nach dem Norwalk Agreement36 sind im Fall einer Bilanzierung nach IFRS Überleitungsvorschriften für einen Zugang zum US-amerikanischen Kapitalmarkt für Geschäftsjahre, die nach dem 15. 09. 2007 enden, nicht mehr zwin-
30 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG), BT-Drs. 16/10067, 30. 07. 2008, S. 1. 31 Boecker/Froschhammer, Harmonisierung statt Standardisierung, Zunehmende Konvergenz der Regelungen des HGB mit den IFRS, IRZ 2010, S. 305, 307. 32 Hillmer, Internationale Rechnungslegung – Standortbestimmung und Zukunftsperspektiven, Bericht zur 10. Fachtagung: Das Rechnungswesen im Konzern, KoR IFRS 2010, S. 104, 104. Ähnlich: Ballwieser, in: Münchener Kommentar zum HGB, Vor § 238 Rn. 1. 33 Vgl. Ballwieser, in: Münchener Kommentar zum HGB, Vor § 238 Rn. 13. 34 SEC, Acceptance from foreign private issuers of Financial Statements Prepared in Accordance with international Financial Reporting Standards without Reconciliation to U.S. GAAP, www.sec.gov/rules/final/2007/33-8879.pdf; Doupnik/Perera, International Accounting, S. 101 – 103. 35 Doupnik/Perera, International Accounting, S. 101; Hoyle/Schaefer/Doupnik, Advanced Accounting, S. 320 f. 36 SEC, Acceptance from foreign private issuers of Financial Statements Prepared in Accordance with international Financial Reporting Standards without Reconciliation to U.S. GAAP, www.sec.gov/rules/final/2007/33-8879.pdf; Doupnik/Perera, International Accounting, S. 101 – 103.
A. Zugangsregulierung zum US-amerikanischen Kapitalmarkt
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gend.37 Es kommt deswegen zu einer gegenseitigen Anerkennung von US-GAAP bzw. IFRS seitens der USA und der EU. Hintergrund der Anerkennung der IFRS seitens der USA waren zum einen die im europäischen Kontext mit den IFRS gesammelten Erfahrungen38 und die Befürchtung, die USA könnten als Kapitalmarktstandort an Bedeutung verlieren39, denn einige ausländische Unternehmen hatten aufgrund der mit dem Sarbanes-Oxley Act (2002)40 verbundenen zusätzlichen Kosten in Aussicht gestellt, auf eine Notierung in den USA zu verzichten41 und auch die Anforderungen an die Rechnungslegung waren ein Faktor, der eine Minderung der Attraktivität des US-amerikanischen Kapitalmarktes bewirkte42. Auf die Bedeutung der Motivation der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit ihres Finanzplatzes deuten die nach wie vor bestehenden Unterschiede zwischen einer Rechnungslegung nach US-GAAP einerseits und IFRS andererseits hin.43 Eine vollkommende Konvergenz hat die USA damit nicht zu der Bedingung der Anerkennung der IFRS erhoben, obwohl die IFRS von US-amerikanischer Seite in der Vergangenheit unter Schutzgesichtspunkten kritisiert wurden.44
37 SEC, Acceptance from foreign private issuers of Financial Statements Prepared in Accordance with international Financial Reporting Standards without Reconciliation to U.S. GAAP, www.sec.gov/rules/final/2007/33-8879.pdf; Gros/Unrein, Zum Stand der Konvergenz von IFRS und US-GAAP, Eine Analyse der aktuellen Ereignisse, KoR IFRS 2010, S. 461, 462; Haller/Wehrfritz, Analysis of Changig Institutional Environments, New Accounting Politics, and Corporate Governance Practices in Germany, in: Law, Corporate Governance, and Accounting, S. 154, 157; Doupnik/Perera, International Accounting, S. 103; Memorandum of Understanding, „The Norwalk Agreement“. Zur Angleichung von US-GAAP und IFRS; Gros/Unrein, Zum Stand der Konvergenz von IFRS und US-GAAP, Eine Analyse der aktuellen Ereignisse, KoR IFRS 2010, S. 461 – 469; Hoyle/Schaefer/Doupnik, Advanced Accounting, S. 521; Ballwieser, in: Münchener Kommentar zum HGB, Vor § 238 Rn. 2. 38 Doupnik/Perera, International Accounting, S. 103. 39 Gros/Unrein, Zum Stand der Konvergenz von IFRS und US-GAAP, Eine Analyse der aktuellen Ereignisse, KoR IFRS 2010, S. 461, 462. 40 Zur Bedeutung des Gesetzes für die Wettbewerbsfähigkeit des US-amerikanischen Kapitalmarktes vgl. The City of New York/United States Senate, Sustaining New York’s and the US’ Global Financial Services Leadership, S. 87. 41 Gros/Unrein, Zum Stand der Konvergenz von IFRS und US-GAAP, Eine Analyse der aktuellen Ereignisse, KoR IFRS 2010, S. 461, 462. 42 Vgl. auch: The City of New York/United States Senate, Sustaining New York’s and the US’ Global Financial Services Leadership (http://www.nyc.gov/html/om/pdf/ny_report_final. pdf), S. 43 ff. 43 Vgl. Lui, IFRS and US-GAAP comparability before release No. 33-8879, Some evidence from US-listed Chinese companies, International Journal of Accounting and Information Management 19(1) (2011), S. 24 – 33. 44 Vgl. Lui, IFRS and US-GAAP comparability before release No. 33-8879, Some evidence from US-listed Chinese companies, International Journal of Accounting and Information Management 19(1) (2011), S. 24, 24.
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§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
B. Port State Control (PSC) Die Port State Control (PSC) ist eine Art Marktzugangsregulierung in der internationalen Seeschifffahrt, die Auswirkungen auf die Rechtsentwicklung in Staaten hat, in denen Seeschiffe registriert sind.45 Es müssen bestimmte Anforderungen erfüllt sein, damit Schiffe Häfen anlaufen dürfen.46 Folge ist, dass Staaten, die Billig-Flaggen anbieten, in der Vergangenheit, ihre Regulierungsanforderungen in Bezug auf die Sicherheit verschärften.47 Die Zahl der Schiffsuntergänge ist vor dem Hintergrund verschärfter Sicherheitsanforderungen von 363 im Jahr 1973 auf 144 im Jahr 2003 gesunken.48 Zudem erlangte die Durchsetzung eines bestimmten Schutzniveaus mittels PSC Bedeutung in Bezug auf die Regulierung von Arbeitsverhältnissen.49 Nunmehr werden die Regelungen des Seerechtsübereinkommens mittels PSC durchgesetzt, da sich gezeigt hat, dass nicht alle Flaggenstaaten zur Durchsetzung von Regulierungsanforderungen bereit sind.50 Die Durchsetzung von Regulierungsanforderungen auf Grundlage einer PSC hat wie im Fall des California Effektes51 vor allem dann Erfolg, wenn sie von einem bedeutenden Markt bzw. von mehreren Märkten in einer konzertierten Aktion durchgesetzt wird. Einzelne Häfen können hingegen bestimmte Anforderungen auf Grundlage des Systems von PSC nicht durchsetzen, da Schiffe, die diesen Regulierungsanforderungen nicht entsprechen, andere Häfen anlaufen würden.52
45 Vgl. Maul-Sartori, Das neue Seearbeitsrecht – auch für Landratten von Interesse, NZA 2013, S. 821, 826 f. 46 Vgl. DeSombre, Flagging Standards, Globalization and Environmental, Safety, and Labor Regulations at Sea, S. 102 ff. 47 DeSombre, Flagging Standards, Globalization and Environmental, Safety, and Labor Regulations at Sea, S. 98 f., 103; Li/Zheng, Enforcement of law by the Port State Control (PSC), Maritime Policy & Management 35(1) (2008), S. 61 – 71. 48 Li/Zheng, Enforcement of law by the Port State Control (PSC), Maritime Policy & Management 35(1) (2008), S. 61, 65. 49 DeSombre, Flagging Standards, Globalization and Environmental, Safety, and Labor Regulations at Sea, S. 127 f. 50 Maul-Sartori, Das neue Seearbeitsrecht – auch für Landratten von Interesse, NZA 2013, S. 821, 826 f. „Der weltweite Wettbewerb wird in der Weise gerecht gestaltet, dass für alle Vertragsstaaten des SeeArbÜbk und über diesen Kreis hinaus dessen Mindeststandards wirksam werden“ (S. 827). 51 Vogel, Trading Up, S. 248 ff. 52 Vgl. zu einem Wettbewerb der Seehäfen: Stemmler, Standortwettbewerb der Mitgliedstaaten der EU als Gegenstand wettbewerbspolitischer Eingriffe der EU-Kommission (dargestellt am Beispiel der Seehäfen), S. 35 ff.
D. Fondsregulierung
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C. Regulierung der Produktion von Shrimps Nach Entdeckung von Antibiotika-Rückständen in Shrimps reagierte die EU im Jahr 2001 mit einer Einfuhrregulierung, wonach der Import von Shrimps nur dann gestattet wird, wenn die Shrimps gleichwohl bakterienfrei und frei von AntibiotikaRückständen sind.53 Kanada, Japan und die USA folgten kurz darauf mit der Durchsetzung derartiger Anforderungen an Importe.54 Diese Marktzugangsregulierung besass das Potential, den Produzenten von Shrimps den Zugang zu den entscheidenden Absatzmärkten zu verschließen. Es waren deswegen grundsätzliche Anreize gegeben, Shrimps zu produzieren, die den von den Bestimmungsländern verlangten gesundheitsrechtlichen Anforderungen entsprachen.55 Shrimps-Produzenten achteten deshalb fortan strikt auf die Einhaltung international gebräuchlicher Standards wie die HACCP.56 Insgesamt führte diese Entwicklung zu einem verbesserten Schutz der Verbraucher in den Bestimmungsländern.
D. Fondsregulierung Im Zusammenhang mit der Umsetzung der AIFMD-Richtlinie57 kam es in der Schweiz zu einer Anpassung des schweizer Rechts an die EU-Vorgaben, um einerseits den Marktzugang58 für schweizerische Vermögensverwalter zu erhalten und um andererseits nicht Anbieter anzuziehen, die sich den in der EU geltenden Regelungen entziehen wollen: „Da der gegenwa¨ rtige Regulierungsstand dem internationalen Standard nicht entspricht, besteht einerseits die Gefahr, dass Schweizer Finanzmarktdienstleister und deren Produkte ohne Gesetzesanpassung ab Umsetzung der AIFMD in die nationalen Rechtsordnungen der 53 van Tongeren/Disdier/Komorowska/Martette/von Lampe, Case Studies of Costs and Benefits of Non-Tariff Measures, Cheese, Shrimp and Flowers, OECD Food, Agriculture and Fisheries Working Papers No. 29, 41. 54 van Tongeren/Disdier/Komorowska/Martette/von Lampe, Case Studies of Costs and Benefits of Non-Tariff Measures, Cheese, Shrimp and Flowers, OECD Food, Agriculture and Fisheries Working Papers No. 29, 41. 55 Vgl. van Tongeren/Disdier/Komorowska/Martette/von Lampe, Case Studies of Costs and Benefits of Non-Tariff Measures, Cheese, Shrimp and Flowers, OECD Food, Agriculture and Fisheries Working Papers No. 29, S. 51; Pholpratin, Saowarat, Thai Frozen Shrimp Exporters’ Compliance with Food Safety Standards, S. 63 ff. 56 Harzard Analysis and Critical Control Points. 57 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010, ABl. Nr. L 174 S. 1, ber. ABl. 2012 Nr. L 115 S. 35 ff. 58 Vgl. zum Marktzugang von Anbietern aus Drittstaaten vgl. Zetzsche, Drittstaaten im Europäischen Bank- und Finanzdienstleistungsrecht, in: Finanzmarktregulierung zwischen Innovation und Kontinuität in Deutschland, Europa und Russland, S. 47 – 140.
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§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
EU-Mitgliedstaaten nur noch erschwerten Zugang zu den europa¨ ischen Finanzma¨ rkten haben und als Folge davon in EU-Staaten abwandern. Andererseits besteht die Gefahr der Zuwanderung in die Schweiz von ausla¨ ndischen Marktteilnehmern, welche sich keiner Regulierung unterstellen wollen oder die mangels Qualifikation nicht ko¨ nnen“.59
Auch die Cayman Islands60 und die British Virgin Islands61 unternahmen Schritte zur Kooperation mit den europäischen Aufsichtsbehörden, um den Marktzugang von Fonds in der EU zu sichern.62
E. Produkthaftung Vor Schaffung der Richtlinie über die Produkthaftpflicht im Jahr 198563 galten in Europa im Bereich der Produkthaftung Systeme der Verschuldenshaftung, ein durch Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten gemildertes Verschuldensprinzip und die Gefährdungshaftung.64
59 Botschaft über die Änderung des Kollektivanlagengesetzes (KAG) vom 2. März 2012, S. 3639, 3641. Vgl. Zetzsche, Fondsregulierung im Umbruch – ein rechtsvergleichender Rundblick zur Umsetzung der AIFM-Richtlinie, ZBB 2014, S. 22, 38. 60 http://www.cimoney.com.ky/WorkArea/DownloadAsset.aspx?id=2147483855: „The Cayman Islands Government passed an amendment on 15 March, 2013, which will allow the Cayman Islands Monetary Authority (CIMA) to enter into memoranda of understanding with its EU counterparts, using a model MoU developed by the European Securities Markets Authority (ESMA). The amendment was a response to the European Union’s Alternative Investment Fund Managers Directive (AIFMD), which will require certain conditions to be met before non-EU countries can market alternative investment funds – such as hedge funds – in the EU. Minister, the Hon. Rolston Anglin, who has responsibility for the Cayman Islands financial services sector, stated in the Legislative Assembly that the amendment was necessary to enable the continued marketing of Cayman Islands funds in the European market“. 61 Munro, BVI welcomes EU’s AIFM Directive, http://www.harneys.com/publications/le gal-updates/bvi-welcomes-eus-aifm-directive. 62 Zetzsche, Fondsregulierung im Umbruch – ein rechtsvergleichender Rundblick zur Umsetzung der AIFM-Richtlinie, ZBB 2014, S. 22, 38 f. 63 Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, 85/374/EWG, ABl. EG Nr. L 210/29, 7. 8. 1985. 64 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz – ProdHaftG), BT-Drs. 11/2447, 09. 06. 1988, S. 9; Lorenz, Der Entwurf einer Europäischen Konvention über die Produkthaftpflicht, RIW 1975, S. 246, 246; Taschner, Die künftige Produzentenhaftung in Deutschland, NJW 1986, S. 611, 612. Zu einer ökonomischen Analyse des Produkthaftungsrechts: Lüdeke, Produkthaftungsrecht und Konsumgütersicherheit; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 357 ff.
E. Produkthaftung
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Bis zum Jahr 199965 war im deutschen internationalen Produkthaftungsrecht die Tatortregel maßgeblich,66 wobei die Konkretisierung, was als Tatort anzusehen ist, strittig war,67 denn Tatort ist entweder Handlungs- oder Erfolgsort.68 Als Handlungsort kommt grundsätzlich der Sitz des Herstellers, der Ort der Herstellung, der Ort des Inverkehrbringens oder des Erwerbs des Produktes in Betracht.69 Es galt eine Ubiquitätslösung70 im Sinne eines Günstigkeitsvergleichs des Rechts des Handlungsund des Rechts des Erfolgsortes durch den Richter.71 Im Ergebnis kam es damit zu einer alternativen Anknüpfung im Sinne der Geltung eines Herkunftslandprinzips (Anknüpfung an den Handlungsort) oder eines Bestimmungslandprinzips (Anknüpfung an den Erfolgsort). Aus Perspektive der Anbieter konnte diese Rechtslage problematisch sein. Einerseits können strengere Haftungsregelungen im Bestimmungsland zu Handelshemmnissen führen72 und andererseits führen strengere Haftungsregeln im Her65 Gesetz zum internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen Vom 21. Mai 1999, BGBl. I 1999, S. 1026 ff. 66 BGH, Urteil vom 17. 3. 1981, Az. VI ZR 286/78, IPRax 1982, S. 13 f. 67 Kadner Graziano, Gemeineuropäisches Internationales Privatrecht, S. 260 f.; Kreuzer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 12 Rn. 200 ff., Rn. 201; von Bar, Internationales Privatrecht, Bd. 2, 1991, § 6 Rn. 653 S. 473, Rn. 666 S. 482; Fricke, Kollisionsrecht im Umbruch – Perspektiven für die Versicherungswirtschaft –, VW 2005, S. 726, 740; Freitag, Der Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das internationale Produkthaftungsrecht, S. 93 ff. Zur früheren französischen Rechtslage: Freitag, Der Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das internationale Produkthaftungsrecht, S. 151 ff. Eine harmonisierte Kollisionsnorm für Produkthaftungsfälle ist nunmehr mit Art. 5 Rom II-VO geschaffen worden (Fricke, Kollisionsrecht im Umbruch – Perspektiven für die Versicherungswirtschaft –, VW 2005, S. 726, 740). 68 W.-H. Roth, Der Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Internationale Privatrecht, RabelsZ 55 (1991), S. 623, 645; Fricke, Kollisionsrecht im Umbruch – Perspektiven für die Versicherungswirtschaft –, VW 2005, S. 726, 740; Junker, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl., Art. 40 EGBGB Rn. 152 ff. Zur internationalen Zuständigkeit unter der VO (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO) in Produkthaftungsfällen vgl. EuGH, Urteil vom 16. 1. 2014, Rs. C-45/13, EuZW 2014, S. 232, 233 Rn. 27 ff. (Geltung des Recht des Rechts des Herstellungslandes), 69 Vgl. Fricke, Kollisionsrecht im Umbruch – Perspektiven für die Versicherungswirtschaft –, VW 2005, S. 726, 740. 70 Vgl. Kadner Graziano, Gemeineuropäisches Internationales Privatrecht, S. 263 – 266. 71 RG, Urteil vom 20. 11. 1888, Az. II. 225/88, RGZ 23, 305; BGH, Urteil vom 17. 3. 1981, Az. VI ZR 286/78, NJW 1981, 1606 (obiter dictum); Kreuzer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 12 Rn. 202; von Bar, Internationales Privatrecht, Bd. 2, § 6 Rn. 667 72 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, BT-Drs. 7/5812, 12. 10. 1976; Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 37; Kadner Graziano, Gemeineuropäisches Internationales Privatrecht, S. 275; Junker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 5 Rom II-VO Rn. 3; W.-H. Roth, Der Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Internationale Privatrecht, RabelsZ 55 (1991), S. 623, 645 f.
320
§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
kunftsland zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen für die dort ansässigen Hersteller. Zudem ist für die Hersteller die Vorhersehbarkeit in Bezug auf das anwendbare Recht nicht gegeben.73 Nachdem bereits Ende der 1960er74 und Anfang der 1970er75 Jahre Versuche unternommen wurden, das Produkthaftungsrecht zu harmonisieren, gelang es im Jahr 1985 die Produkthaftungsrichtlinie76 mit dem Kernelement einer Gefährdungshaftung (Art. 1 Richtlinie 85/374/EWG) zu verabschieden. Aufgrund der mit dem Prinzip der Gefährdungshaftung möglicherweise verbundenen Kostensteigerungen für die Anbieter in Staaten, die bisher dem Prinzip der Verschuldendshaftung folgten, war die Richtlinie umstritten gewesen.77 Forderungen für eine Harmonisierung kamen vor allem von französischen Anbietern, zu Lasten derer aufgrund der französischen Gefährdungshaftung78 und des Ubiquitätsprinzips ein Herkunftslandprinzip mit der Folge unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen galt.79 Auch wenn es wie im Fall des California Effektes mit dem Übergang zu einem System der Gefährdungshaftung zu einer Verschärfung des Haftungsrechts kam, 73
Vgl. Junker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 5 Rom II-VO Rn. 3. Lorenz, Der Entwurf einer Europäischen Konvention über die Produkthaftpflicht, RIW 1975, S. 246, 247; Schmidt-Salzer, in: Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, Bd. 1, Einl. 49, S. 123. 75 Vgl. Taschner, Produkthaftung, Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG), Einführung Rn. 15 ff.; W. Lorenz, Der Entwurf einer Europäischen Konvention über die Produkthaftpflicht, RIW 1975, S. 246, 247; W. Lorenz, Europäische Rechtsangleichung auf dem Gebiet der Produzentenhaftung: Zur Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Juli 1985, ZHR 151 (1987), S. 1, 2 – 5; Oechsler, in: Staudinger Einl zum ProdhaftG Rn. 8. 76 Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, 85/374/EWG, ABl. EG Nr. L 210/29, 7. 8. 1985. 77 Schmidt-Salzer, in: Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, Bd. 1, Einl. Rn. 54; Kretschmer, Die EG-Produzentenhaftung und die deutsche Industrie, PHi 1986, S. 34 f.: „Für die deutsche Industrie mit ihren weltweiten Verbindungen ist der internationale Aspekt der Produzentenhaftung stets sehr wichtig gewesen. Für eine europäische Harmonisierung und eine größere Transparenz der Produzentenhaftung hätte man durchaus den Preis einer maßvollen Haftungsverschärfung entrichtet. Der Preis muß nun gezahlt werden. Ob er maßvoll sein wird, entscheidet weitgehend die Umsetzung der Richtlinie in den einzelnen Ländern. Die Richtlinie selbst muß in ihren Erwägungsgründen einräumen, dass sich mit ihr vorerst keine vollständige Harmonisierung erreichen ließ. Die Gegenleistung bleibt mithin in der Schwebe“. Anders: Brüning gen. Brinkmann, Die EG-Richtlinie – Neue Risiken für den Hersteller, PHi 1986, S. 78, 79 f. 78 Zur französischen Rechtslage: Feldmann, Europäische Produkthaftung und die Verteilung des Haftpflichtschadens, S. 62 f. 79 W. Lorenz, Europäische Rechtsangleichung auf dem Gebiet der Produzentenhaftung: Zur Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Juli 1985, ZHR 151 (1987), S. 1, 5 f. Vgl. auch: Hollmann, in: Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, Bd. 1, Einl. 48, S. 122; Oechsler, in: Staudinger, Einl zum ProdhaftG Rn. 11. 74
F. Systemwettbewerb vermittelt über die Territorialität von Rechten
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verlief die Entwicklung im Bereich des Produkthaftungsrechts grundsätzlich anders als im Fall des California Effektes. Im Gegensatz zum California Effekt waren die Vorteile für Produzenten aus Staaten mit liberaleren Haftungsregeln, die durch eine Angleichung des Haftungsrechts auf einem höheren Niveau zu erzielen waren bzw. die Nachteile, die sich aus unterschiedlichen Regulierungsniveaus ergaben, nicht groß genug, um zum Zwecke der Angleichung eine generelle Haftungsverschärfung in Kauf zu nehmen. Entscheidend dürfte gewesen sein, dass die handelshemmende Wirkung dadurch begrenzt war, dass die Möglichkeit bestand, die Versicherungsprämien80 und die Herstellerkalkulationen an dem durchschnittlichen Haftungsrisiko auszurichten.81 Zum Teil wurde eine handelshemmende Wirkung sogar in Abrede gestellt.82 Auf der anderen Seite brachte die Richtlinie keine vollständige materiellrechtliche Harmonisierung.83
F. Systemwettbewerb vermittelt über die Territorialität von Rechten Der von D. Vogel beschriebene California Effekt bezieht sich auf die Errichtung von Marktzugangshemmnissen bei Geltung des Bestimmungslandprinzips mittels Durchsetzung bestimmter Regulierungsanforderungen, jedoch können sich auch dann Schwierigkeiten im internationalen Wirtschaftsverkehr ergeben, wenn in einem anderen Staat begründete Immaterialgüterrechte nicht anerkannt werden bzw. Staaten die Begründung von Immaterialgüterrechten verweigern. In diesem Fall 80 Zur Bedeutung der Versicherung für das moderne Haftungsrecht: von Bar, Das „Trennungsprinzip“ und die Geschichte des Wandels der Haftpflichtversicherung, AcP 181 (1981), S. 289 – 327. 81 Vgl. H.-B. Schäfer/Lantermann, Choice of Law from an Economic Perspective, in: An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 109 f. 82 Schmidt-Salzer, in: Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, Bd. 1, Einl. 73, S. 136. Vgl. auch: von Hülsen, Ist die von der EG-Kommission vorgeschlagene Form der strikten Produzentenhaftung eine gute Lösung?, RIW 1977, S. 373, 377; Adensamer hält die Anwendung des Herkunftslandprinzips im Bereich des außervertraglichen Schadensersatz nicht für nötig, denn „[k]aum ein Anbieter macht sich im Vorhinein Gedanken über einen allfälligen außervertraglichen Schadensersatz: das insoweit nicht Herkunftslandrecht anzuwenden wäre hält ihn bestimmt nicht von seiner grenzüberschreitenden Aktivität ab“ (Adensamer, Das Herkunftslandprinzip als Herausforderung für das traditionelle IPR, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 55, 60). Ähnlich: Clemens/Hüttemann/Wolter, Nationale und europäische Produkthaftung – Eine Hürde für den Mittelstand?, S. 49: „Zum anderen dürfte dem Gesichtspunkt Produkthaftung überhaupt erst dann eine signifikante Bedeutung bei Export-Entscheidungen zukommen, wenn dieses Risiko auch absolut eine existenzielle Größenordnung erreicht hat“; W.-H. Roth, Der Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Internationale Privatrecht, RabelsZ 55 (1991), S. 623, 669. 83 Erwägungsgrund 17 Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, 85/ 374/EWG, ABl. EG Nr. L 210/29, 7. 8. 1985; Kretschmer, Die EG-Produzentenhaftung und die deutsche Industrie, PHi 1986, S. 34 f.
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§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
droht für einen Anbieter der Ausfall der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten von Produkten in Zielländern. Immaterialgüterrechte gelten (in Ausdruck ihrer Geschichte im Privilegienwesen84) grundsätzlich nur von Land zu Land.85 Angeknüpft wird an die Rechtsordnung des Staates, für den der Immaterialgüterschutz beansprucht wird (Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO).86 Es ist deswegen die Rede von der Schutzlandanknüpfung.87 Im Fall eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes ist Ergebnis ein kollisionsrechtliches Mosaik.88 Im Vergleich mit dem Bestimmungslandprinzip ergibt sich daraus die Konsequenz, dass sich Privatrechtssubjekte hier nicht wie im Fall eines auf Produktregulierungen bezogenen Bestimmungslandprinzips einer Kumulation von Regulierungsanforderungen ausgesetzt sehen, sondern, dass sich der Inhaber eines in einem Staat anerkannten Immaterialgüterrecht in grenzüberschreitenden Fällen der Situation einer fehlenden Regelung gegenübersieht. Auch diese Situation kann zu Problemen führen. Die USA verfolgen deswegen seit langem das Ziel, US-amerikanischen Waren im Ausland einen angemessenen Immaterialgüterrechtsschutz zu gewähren89. Im Jahr 1984 schufen die USA den Semiconductor Chip Protection Act (SCPA), der einen Immaterialgüterschutz für das Design von Mikrochips (mask work)90
84 Schack, Das auf (formlose) Immaterialgüterrechte anwendbare Recht nach Rom II, in: FS Kropholler, S. 651, 654. Zum Privilegienwesen vgl. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, S. 51 – 59; Khadjavi-Gontard, Der Grundsatz der Inländerbehandlung im internationalen Urheberrecht, S. 1 f. 85 Vgl. Kegel, in: Soergel, Einführungsgesetz, Anh Art. 12 Rn. 16; Schack, Hundert Jahre Berner Übereinkunft – Wege zur internationalen Urheberrechtsvereinheitlichung –, JZ 1986, S. 824, 825; Drexl, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntImmGR Rn. 6 ff. Zum historischen Hintergrund des Territorialitätsprinzips im Immaterialgüterrecht vgl. Basedow, Foundations of Private International Law in Intellectual Property, in: Intellectual Property in the Global Arena, S. 3, 7 f. Speziell zum Urheberrecht: Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 102 ff., 911 ff.; Hartmann, in: Möhring/Nicolini, UrhG, Vor §§ 120 ff. Rn. 2. In jüngerer Zeit wird zum Teil vertreten, dass im Fall von Urheberrechten, deren Entstehung keine Anmeldung oder dergleichen voraussetzt, an das Herkunftsland angeknüpft werden soll (vgl. Drexl, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntImmGR Rn. 9; US Court of Appeals, Second Circuit, Itar Tass v. Russian Kurier Inc., GRUR Int. 1999, S. 639, 642; Schack, Anmerkung zu Itar Tass v. Russian Kurier Inc., GRUR Int. 1999, S. 645 – 647). 86 Drexl, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntImmGR Rn. 6. 87 Drexl, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntImmGR vor Rn. 6. 88 Drexl, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntImmGR Rn. 9. 89 Haedicke, Urheberrecht und die Handelspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 80 ff.; von Lewinski, Urheberrecht als Gegenstand internationalen Wirtschaftsrechts, GRUR Int. 1996, S. 630, 636; Sek, Unfair Foreign Trade Proactices: Dection 301 of the Trade Act of 1974, CRS Report for Congress, 1987. 90 Vgl. Section 901 Abs. 2 SCPA.
G. Gesamtbewertung bei Geltung des Bestimmungslandprinzips
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gewährt.91 Hintergrund war, dass der Patentschutz sich für Maskenprodukte als nicht ausreichend herausgestellt hatte: Es waren einerseits oftmals die Voraussetzungen einer Patentfähigkeit nicht gegeben und andererseits wurde der Schutzumfang des Patentschutzes für Maskenprodukte als nicht interessengerecht angesehen.92 Der Schutz wird Ausländern nur unter der Bedingung der gegenseitigen Schutzgewährung seitens ihres Heimatlandes für US-amerikanische Anbieter gewährt.93 Die Schaffung des Semiconductor Chip Protection Act (SCPA) führte insbesondere zu einer Reaktion Japans94 und der EG95, um heimischen Anbietern einen Immaterialgüterschutz in den USA zu ermöglichen. Es zeigt sich, dass es den USA gelang, bestimmte Mindestregeln zum Schutz von Immaterialgüterrechten durchzusetzen, indem sie einen Schutz von Immaterialgüterrechten unter die Bedingung der Gegenseitigkeit stellte.
G. Gesamtbewertung eines Systemwettbewerbs bei Geltung des Bestimmungslandprinzips I. Unmöglichkeit der Formulierung allgemeiner Aussagen Die Betrachtung der Rechtsentwicklung infolge PSC infolge der Inkraftsetzung von Regulierungsanforderungen für Shrimps von Seiten der Importstaaten und die Annäherung der Fondsregulierung in der Schweiz und den Cayman Islands sowie den British Virgin Islands liefert Beispiele für eine positiv zu bewertende Rechtsentwicklung und bestätigen D. Vogels These eines regulatorischen „race to the top“ bei Geltung des Bestimmungslandprinzips. Entscheidende Triebkraft ist das Interesse der Anbieter an einem Zugang zu einem wichtigen Markt. Auch im Fall der Produkthaftung erfolgte eine strengere Regulierung auf europäischer Ebene. Entscheidend für die Rechtsentwicklung war jedoch nicht das Interesse der Anbieter, den Marktzugang in Mitgliedstaaten mit einem strengeren 91 Werum, Der Schutz von Halbleitererzeugnissen der Mikroelektronik im deutschen Rechtssystem, S. 9 ff.; Hein, Der U.S. Semiconductorchip Protection Act von 1984, GRUR Int. 1985, S. 81 – 82. 92 Werum, Der Schutz von Halbleitererzeugnissen der Mikroelektronik im deutschen Rechtssystem, S. 11. 93 Vgl. Werum, Der Schutz von Halbleitererzeugnissen der Mikroelektronik im deutschen Rechtssystem, S. 9 f. 94 T. Dreier, Die Entwicklung des Schutzes integrierter Halbleiterschaltkreise, GRUR Int. 1987, S. 645, 648. 95 Richtlinie des Rates vom 16. Dezember 1986 über den Rechtsschutz der Topographien von Halbleitererzeugnissen (87/54/EWG), ABl. EG Nr. L 24/36, 27. 1. 1987. Vgl. Kieger (Bundesministerium der Justiz) in Protokoll der 5. Sitzung des Rechtsausschusses vom 24. 6. 1986; Entschließung des EP vom 12. 9. 1986, EG Abl. Nr. C 255 vom 13. 10. 1986, S. 249; T. Dreier, Die Entwicklung des Schutzes integrierter Halbleiterschaltkreise, GRUR Int. 1987, S. 645, 651 f.); Werum, Der Schutz von Halbleitererzeugnissen der Mikroelektronik im deutschen Rechtssystem, S. 10 mwN.
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§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
Haftungsregime zu erleichtern; vielmehr war die Rechtsentwicklung beeinflusst von der ursprünglichen Planung, eine Gefährdungshaftung vorzusehen96 und dem Bemühen Frankreichs, über die Schaffung der Gefährdungshaftung eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zu erreichen97. Die Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des Bilanzrechts ist in zwei Phasen einzuteilen. In einer ersten Phase ist eine einseitige Anpassung europäischer und mitgliedstaatlicher Regelung an internationale Standards zu beobachten und in einer zweiten Phase findet auch eine Annäherung der US-GAAP an die IFRS statt.98 Die EU versuchte, ihre Bilanzvorschriften an US-amerikanische bzw. internationale Standards anzugleichen, um europäischen Unternehmen den Zutritt zum bedeutenden US-amerikanischen Kapitalmarkt zu erleichtern.99 Der Wirkungsmechanismus in der ersten Phase entspricht dem grundsätzlichen Ablauf des California Effektes. Das Bemühen um Zugang zum US-amerikanischen Kapitalmarkt für europäische Unternehmen begünstige dabei eine Harmonisierung der Rechnungslegung auf europäischer Ebene. Die Bewertung des Einflusses internationaler Rechnungslegungsstandards auf das deutsche Bilanzrecht fällt jedoch schwer. Das Schutzniveau der deutschen Rechnungslegung wurde abgeschwächt,100 was sich insbesondere an der Einschränkung des deutschen Vorsichtsprinzips zeigt101. Aus Sicht der deutschen Bilanzrechtswissenschaft und der deutschen Praxis wurde die Deregulierung vor diesem Hintergrund sehr kritisch betrachtet und ablehnend bewertet.102 Aus Perspektive der deutschen Bilanzrechtswissenschaft kann diese 96 Nach Schmidt-Salzer hat jedoch der „politische Mut“ gefehlt, das Projekt der EG-weiten Verschuldenshaftung „einzumotten“, Schmidt-Salzer, in: Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, Bd. 1, Einl. Rn. 52, S. 124. 97 W. Lorenz, Europäische Rechtsangleichung auf dem Gebiet der Produzentenhaftung: Zur Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Juli 1985, ZHR 151 (1987), S. 1, 5 f. Vgl. auch Schmidt-Salzer, in: Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, Bd. 1, Einl. Rn. 48, S. 122; Oechsler, in: Staudinger, Einl zum ProdhaftG Rn. 11. 98 Vgl. Hoyle/Schaefer/Doupnik, Advanced Accounting, S. 520. 99 Vgl. Ebke, Märkte machen Recht – auch im Gesellschafts- und Unternehmemnsrecht!, in: FS Lutter, S. 17, 21, 24; Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, Rn. 2 S. 1: „Die Märkte treiben die Rechtsentwicklung“; Großfeld, Internationalisierung des Unternehmensrechts, in: FS Fikentscher, S. 864, 872; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 567 ff. 100 Haller/Wehrfritz, Analysis of Changing Institutional Environments, New Accounting Policies, and Corporate Governsance Practices in Germany, in: Law, Corporate Governance, and Accounting, European Perspectives, S. 154, 159 – 161. 101 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz – KapAEG), BT-Drs. 13/7141 vom 6. 3. 1997, S. 8: „Aufgrund der dargestellten Entwicklung ist davon auszugehen, daß im Rahmen der Überarbeitung der IAS das Vorsichtsprinzip deutscher Ausprägung auch in Zukunft nur eingeschränkt durchgesetzt werden kann“. 102 Vgl. Lutter, Im Mahlstrom der Interessen: Das Bilanzrecht, NJW 1996, S. 1945, 1945: „Daher wurden nach dem Prinzip ,Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“ […] alle
G. Gesamtbewertung bei Geltung des Bestimmungslandprinzips
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Rechtsentwicklung deshalb im Sinne eines „race to undesirebility“103 verstanden werden. Aus US-amerikanischer Perspektive fiele die Bewertung der Rechtsentwicklung in Deutschland aufgrund eines vollkommen anderen Vorverständnisses in Bezug auf die Ausgestaltung von Rechnungslegung hingegen grundsätzlich positiv aus.104 Die Annäherung der europäischen und deutschen Rechnungslegung ist aus dieser Perspektive grundsätzlich zu begrüßen. Es zeigt sich, dass die Rechtsentwicklung im Bereich der Rechnungslegung nicht wie im Fall des von D. Vogel geschilderten California Effekts zu einem höheren Regulierungsniveau führt, sondern zu anderen Regelungen. Im Bereich von Immaterialgüterrechten kann der Einsatz des Gegenseitigkeitsprinzips zu einer begrüßenswerten Verankerung von Immaterialgüterrechten führen, was als „race to the top“ bewertet werden kann. Andererseits kann jedoch ein zu strenger Immaterialgüterschutz die volkswirtschaftliche Produktivkraft von weniger entwickelten Staaten einschränken, indem die Herstellung bestimmter Produkte an die Notwendigkeit von Lizenzzahlungen geknüpft wird.105 Zudem können sich schwerwiegende Gerechtigkeitsfragen stellen, wenn Personen in weniger entwickelten Staaten z. B. der Zugang zu Medikamenten erschwert oder verunmöglicht wird. Eine Abwägung zwischen der Schaffung wertvoller Anreize von Immaterialgüterrechten zur Generierung von Innovationen einerseits und Nachteilen infolge von Wettbewerbseinschränkungen andererseits106 kann der geschilderte Wettbewerb der Staaten auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts nicht leisten. Die Marktanalogie und der Gedanke einer „unsichtbaren Hand“107 sind auf einen Systemwettbewerb bei Geltung des Bestimmungslandprinzips von vornherein nicht geheiligten Grundsätze von gestern über Bord geworfen: […]“; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, Einl v § 238 Rn. 13: „Überkommene deutsche Rechnungslegungsprinzipien wie Vorsichts-, Maßgeblichkeits- und umgekehrtes Maßgeblichkeitsprinzip [letzteres aufgegeben durch BilMoG] […] haben im internationalen einen schweren Stand“. Zur Bewertung der Angleichung der US-GAAP an die IFRS in den USA: Black/Burton/Spencer, US Perspectives on Implementation of IFRS, in: Law, Corporate Governance and Accounting, S. 19, 25 ff. 103 Swire, The Race to Laxity and the Race to Undesirability: Explaining Failures in Competition Among Jurisdictions in Environmental Law, Yale Law & Policy Review 14 (1996), S. 67, 72 ff. 104 Vgl. Doupnik/Perera, International Accounting, S. 56. Zur Notierung der Daimler-Benz AG an der NYSE im Jahr 1993 vgl. o. V., Samt und harte Fakten, Daimler-Benz feiert den Einstieg an der Wall Street, Der Spiegel 41/1993, S. 138 – 140. 105 Vgl. Bender/Michaelis, in: Hilf/Oeter, WTO-Recht, § 22 Rn. 4; Katzenberger, TRIPS und das Urheberrecht, GRUR Int 1995, 447, 450 f.; Hilpert, TRIPS und das Interesse der Entwicklungsländer am Schutz von Immaterialgüterrechten, GRUR Int. 1998, S. 91, 92. 106 Vgl. Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 85, 101 ff. 107 A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 371.
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§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
übertragbar.108 Der „Markt“ filtert nicht wie im Rahmen der Modelle eines Systemwettbewerbs (im technischen Sinn) Regulierungen heraus, die den Präferenzen von „institutionellen Nachfragern“ entsprechen. Privatrechtssubjekte fungieren nicht als „institutionelle Nachfrager“, die zwischen verschiedenen institutionellen Angeboten wählen können und Recht kann deshalb auch nicht als ein Produkt beschrieben werden109. Entscheidend für die Rechtsentwicklung ist allein das Recht, das auf einem ökonomisch bedeutenden Markt gilt,110 unabhängig von der objektiven Qualität dieses Rechts und der Bewertung dieses Rechts von Seiten der Nachfrager und Anbieter nach Waren und Dienstleistungen und (allgemein gesprochen) der „institutionellen Nachfrager“111. Sind diese Regeln, die erfüllt sein müssen, um Zugang zu einem wichtigen Markt zu erhalten, gegenüber den Regeln, die in den Herkunftsländern von Produkten herrschen suboptimal, führt eine Übernahme der Regeln des bedeutenden Marktes durch diese Staaten zu einer Wohlfahrtseinbuße. Umgekehrt führt eine Übernahme von „besseren“ Regulierungen (wie im Fall der von D. Vogel beschriebenen Abgasregulierung in den USA) zu einer Wohlfahrtssteigerung. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Angemessenheit des jeweiligen Regulierungsniveaus von Staat zu Staat unterscheiden kann112 (in Ballungsräumen besteht z. B. ein ganz anderes Interesse an einer Abgasregulierung als in ländlich geprägten Gebieten) und dass gerade eine Kumulation von Regulierungsanforderungen verschiedener Staaten zu einer Überregulierung führen kann113.
108 Dieser Zusammenhang wird nicht deutlich bei: Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 568 ff. 109 Vgl. Teil 1 § 4 B. IV. 110 Vgl. Vogel, Trading Up, S. 261, 264; Ebke, Märkte machen Recht – auch im Gesellschafts- und Unternehmensrecht!, in: FS Lutter, S. 17, 21, 24; Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, S. 1; Rn. 2 Großfeld, Internationalisierung des Unternehmensrechts, in: FS Fikentscher, S. 864, 872; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 567 f. So wird erwartet, dass sich im Rahmen des transatlantischen Freihandelsabkommen geschaffene harmonisierte Regeln weltweit durchsetzen werden (Kommission, Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) – aktueller Stand der Verhandlungen, 19. März 2014, http://ec.europa.eu/ deutschland/pdf/europawahl/faktencheck_ttip.pdf, S. 3). Im Rahmen von Systemwettbewerb im technischen Sinn sind es hingegen gerade kleine Staaten wie Delaware und Luxemburg ein attraktives institutionelles Angebot zu entwickeln und die Rechtsentwicklung in anderen Staaten beeinflussen. Vgl. auch: Ko, Law and Technology of Data Privacy: A Case for International Harmonization, in: Economic Analysis of International Law, S. 69, 86 – 88. 111 Vgl. Großfeld, Wirtschaftsprüfer und Globalisierung, Zur Zukunft des Bilanzrechts, WPg 2001, S. 129, 131: „Der Sache nach geht es denn auch weniger um ,high quality‘ als eher darum, wer sich bei Börsen, Anlagefonds und Ratingagenturen durchsetzen kann […]. Märkte machen eben Recht“. 112 H.-B. Schäfer/Lantermann, Choice of Law from an Economic Perspective, in: An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 106 f. 113 Vgl. Ko, Law and Technology of Data Privacy: A Case for International Harmonization, in: Economic Analysis of International Law, S. 69, 86 f.
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Eine Bewertung einer Anpassung von Recht nach dem von D. Vogel beschriebenen Mechanismus kann deshalb nicht pauschal erfolgen, sondern ist nur im Einzelfall möglich.
II. Yardstick Competition bei Geltung des Bestimmungslandprinzips Bei Geltung des Grundsatzes der Inländerbehandlung, also bei Geltung des Bestimmungslandprinzips, kann Yardstick Competition möglicherweise eine Rolle in Bezug auf die Gestaltung einzelstaatlichen und harmonisierten Rechts spielen, da verschiedene institutionelle Problemlösungen – „als fehlbare ,Hypothesen‘ über die Ordnung menschlichen Zusammenlebens“114 – miteinander verglichen werden können.115 Das Nebeneinander-Bestehen unterschiedlicher Regulierungen auf Basis des Bestimmungslandprinzips kann deswegen als eine Art „Probezeit“ für Regulierungen im Vorfeld einer gegenseitigen Anerkennung oder im Vorfeld materiellrechtlicher Harmonisierung betrachtet werden.116 Bedeutung besaß Yardstick Competition im Rahmen der Anerkennung einer Rechnungslegung auf Basis der IFRS. Die SEC beobachtete die Rechnungslegung auf Grundlage der IFRS in Europa genau,117 bevor sie sich bereit erklärte, Jahresabschlüsse, die auf Basis der IFRS erstellt worden sind, anzuerkennen. Jedoch zeigt sich im Rahmen der Rechtsentwicklung im europäischen Kontext, dass nationale Regulierungen bei Geltung des Bestimmungslandprinzips sehr beständig sind, so dass Yardstick Competition in diesem Bereich grundsätzlich eine untergeordnete Rolle für die Rechtsentwicklung spielt. In einigen Bereichen mit stark unterschiedlichen Regulierungsstrukturen ist wahrscheinlich, dass Yardstick Competition kaum eine Aufweichung verfestigter Regulierungsstrukturen bewirken kann.118
114 Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 525. 115 Vgl. allgemein: Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 12; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 18 – 21. 116 Es wird zugunsten dezentraler Strukturen argumentiert, dass auf dezentraler Ebene eine Fehlerkorrektur leichter fällt als auf zentraler Ebene: Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 25 Tz. 25; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 39; Woolcock, Competition among rules in the single European market, in: International Regulatory Competition and Coordination, S. 289, 299. 117 Vgl. Doupnik/Perera, International Accounting, S. 103. 118 Zu Pfadabhängigkeiten in der rechtlichen Entwicklung vgl. Teil 1 § 6 B. X. 2.
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§ 7 Untersuchung eines Systemwettbewerbs
III. Bewertung eines Systemwettbewerbs vermittelt über das Bestimmungslandprinzip vor dem Hintergrund des Integrationsziels Wäre der von D. Vogel beschriebene Mechanismus geeignet, eine Marktintegration zu verwirklichen, bedürfte es der Integrationsbemühungen auf materiellrechtlicher und „kollisionsrechtlicher“ Basis nicht. Die geschichtliche Entwicklung der Integration der EU und Föderationen, wie die USA, Australien und Deutschland zeigt jedoch, dass Handelshemmnisse grundsätzlich nicht über den von D. Vogel geschilderten Mechanismus einer autonomen Angleichung einzelstaatlichen Rechts überwunden werden können, sondern dass eine Integration den Einsatz „kollisionsrechtlicher“ Integrationsinstrumente und materiellrechtliche Harmonisierung voraussetzt. In theoretischer Hinsicht bestehen auch im Fall einer hohen gesetzgeberischen Responsivität auf Marktzugangsschranken deutliche Grenzen einer Integration über den von D. Vogel geschilderten Wirkungsmechanismus. Denkbar ist die Geltung von unterschiedlichen Regulierungen auf mehreren großen Märkten, so dass nicht ein Importstaat die Rechtsentwicklung anderer exportorientierter Staaten bestimmen kann, sondern diese Staaten das Recht aller bedeutenden Absatzmärkte im Blick behalten müssen. Eine Marktintegration über einen California Effekt kommt deswegen überhaupt nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass viele Staaten mit einem kleinen Markt und ein Staat mit einem großen Markt vorhanden sind und dass die Staaten mit den kleinen Märkten ihre Regulierungen an die Anforderungen des großen Staates anpassen. Auch wenn diese Voraussetzung gegeben wäre, bestünde die Gefahr, dass der Staat mit dem bedeutenden Markt seine Marktzugangsregulierungen zu protektionistischen Zwecken einsetzt. Ein ständiges regulatorisches Hinterhereilen der exportorientierten Staaten wäre kaum realistisch und nicht zu begrüßen, da eine Überregulierung leicht die Folge wäre. Auch wenn es zu einer autonomen Angleichung des einzelstaatlichen Rechts kommt, ist dies mit erheblichen time lags verbunden.119 Sofern eine Beseitigung regulatorischer Hemmnisse beabsichtigt ist, führt an einer „kollisionsrechtlichen“ bzw. materiellrechtlichen Harmonisierung kein Weg vorbei. Im Rahmen einer Bewertung des Bestimmungslandprinzips als Integrationsinstrument sind die Kosten zu berücksichtigen, die für die internationale Privatrechtsgesellschaft infolge regulatorischer Handelshemmnisse entstehen.120 Je größer das Potential grenzüberschreitenden Handels ist und desto stärker sich die regula119
So begünstigte der protektionistische Schutz der US-amerikanischen und der europäischen Automobilindustrie vor japanischer Konkurrenz erheblicher Leistungsschwächen der US-amerikanischen und europäischen Automobilindustrie: Berg, Markteintritt und Abwehr: Ursachen und Folgen der Begrenzung japanischer Automobilexporte durch die Europäische Gemeinschaft, in: Die Weltwirtschaft vor neuen Herausforderungen, S. 139, 144 ff. 120 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 96 ff.
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torischen Handelshemmnisse auf den Handelsverkehr auswirken, desto dringlicher erscheint der Bedarf an dessen Beseitigung mittels materiellrechtlicher Harmonisierung oder einer transaktionskostensenkenden Koordination der Ordnungen mit den Mitteln des „Kollisionsrechts“. Auch im Rahmen von Maßnahmen zur (materiellrechtlichen) Harmonisierung besitzen Staaten, die über bedeutende Märkte verfügen und Marktzugangsregulierungen unterhalten, einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Harmonisierungsmaßnahmen, da sie für die Gewährung von Marktzugang einen „Preis“ verlangen können, der mittels der Berücksichtigung von Gestaltungswünschen „bezahlt“ werden kann.121 Sofern die Regulierungsunterschiede groß sind, infolge der Anwendung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips eine suboptimale Deregulierung droht und eine materiellrechtliche Harmonisierung mit großen Nachteilen verbunden ist oder nicht zu verwirklichen ist, kann dem Bestimmungslandprinzip die Aufgabe zukommen, legitime staatliche Regelungsinteressen im Inland durchzusetzen. Legitim ist eine solche Politik immer dann, wenn sie Ausdruck demokratischer Entscheidungsfindung ist. Ökonomisch rational kann eine solche Politik dann sein, wenn das im Inland durchgesetzte Regulierungsniveau auf inländische Verhältnisse bezogen optimaler ist als ausländische Regulierungsniveaus sind und eine Marktöffnung auf Grundlage eines Herkunftslandprinzips zu negativen externen Effekten im Inland führen würde.122 Notwendig ist in diesem Zusammenhang eine Bewertung der kurzund langfristig auftretenden Wohlstandseffekte und möglicherweise auch deren Verteilung. Dem Bestimmungslandprinzip kann auch eine integrationspolitische Bedeutung zukommen,123 da ein „race to the bottom“ oder zumindest dessen Befürchtung die Legitimität des Integrationsprojektes nachhaltig in Frage stellen kann. So schließt das Tätigkeitslandprinzip im Bereich der Entsendung von Arbeitnehmern einen Verdrängungswettbewerb124 zu Lasten inländischer Arbeitnehmer und zu Lasten der Durchsetzung des deutschen Regulierungsniveaus aus.125
121 Vgl. Dluhosch, The Political Economy of Negotiating Market Access, in: FS Klaus W. Zimmermann, S. 97, 112. 122 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 150 ff. 123 Kritisch: Daumann, Faktormobilität, Systemwettbewerb und die Evolution der Rechtsordnung, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozeß, S. 53, 66. 124 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 32. 125 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG), BT-Drs. 13/2114, 25. 09. 1995, S. 6 f.; Ribhehegge, Europäische Wirtschaftsund Sozialpolitik, S. 270 f.
§ 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip und Bewertung der systemwettbewerblichen Modellbildung A. Schranken des primärrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung am Beispiel der Warenverkehrsfreiheit I. Einschätzung der Bedeutung der Schranken Entscheidende Bedeutung für den Ablauf und die möglichen Folgen eines Systemwettbewerbs (im technischen Sinn) kommt der Reichweite des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung bzw. der Bedeutung der primärrechtlichen Schranken dieses Prinzips zu, denn „je größer der Bereich der gegenseitigen Anerkennung ist, desto weiter ist auch der Platz für die Konkurrenz unterschiedlicher Regeln“.1 Die Einschätzung der Bedeutung der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung fällt in der juristischen Literatur unterschiedlich aus. Einerseits wird ein grundsätzlicher Vorrang des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung angenommen,2 andererseits findet sich die gegenläufige Einschätzung, 1
Ehlermann, Ökonomische Aspekte des Subsidiaritätsprinzips: Harmonisierung versus Wettbewerb der Systeme, Integration 18 (1995) (1), S. 11, 13. Kieninger stellt allgemein fest, dass in der ökonomischen Literatur die Bedeutung der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nicht ausreichende Beachtung findet (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 96). 2 Vgl. Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon“), ABl.EG C 256/2 vom 3. 10. 1980; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 28 EG Rn. 191: „Bevorzugung des Herkunftslandprinzips vor dem Bestimmungslandprinzip“; Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S. 206: „Die positive Entscheidung des Herkunftslandes über die Zulässigkeit einer Ware oder Dienstleistung begründet somit ein ,prima-facie-Zugangsrecht“ auf den Märkten der anderen Mitgliedstaaten […]“; Dauses, Die Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz und zur Werbefreiheit im Binnenmarkt, EuZW 1995, S. 425, 425: „kopernikanische Wende vom Bestimmungsstaatszum Ursprungsstaatsprinzip“; Steindorff, Gemeinsamer Markt als Binnenmarkt, ZHR 150 (1986), S. 687, 689; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Europäische Grundfreiheiten, Rn. 175, S. 73; Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 15; W.-H. Roth, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, I. Grundregeln
A. Schranken des primärrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung
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wonach grundsätzlich das Bestimmungslandprinzip gilt3. Die unterschiedlichen Einschätzungen der Bedeutung der Schranken ist auch vor dem Hintergrund eines sach- oder kollisionsrechtlichen Charakters des Herkunftslandprinzips zu sehen. Während ein sachrechtliches Verständnis des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips einen grundsätzlichen Vorrang des Bestimmungslandrechts impliziert,4 legt ein kollisionsrechtliches Verständnis5 einen Vorrang des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nahe. 6 Zur Bestimmung der Bedeutung der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ist zwischen den einzelnen Schranken, auf die sich Mitgliedstaaten zur Beschränkung des freien Verkehrs von Waren berufen können7, zu unterscheiden.
Rn. 205 (EL 17); Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 56, 57 Rn. 70; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34, 36 AEUV Rn. 154; Grundmann, Wettbewerb der Regelgeber im europäischen Gesellschaftsrecht – jedes Marktsegment hat seine Struktur, ZGR 2001, S. 783, 805; Koenig/Braun Capito stellen fest, dass die Mitgliedstaaten mit der Berufung auf zwingende Gründe in der Vergangenheit nur in den seltensten Fällen Erfolg gehabt hätten (Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 404); Classen, Auf dem Weg zu einer einheitlichen Dogmatik der EG-Grundfreiheiten, EWS 1995, S. 97, 104; Grundmann, Wettbewerb der Regelgeber im europäischen Gesellschaftsrecht – jedes Marktsegment hat seine Struktur, ZGR 2001, S. 783, 802; Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 80: „kommt dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der Praxis eher die Wirkung einer ,widerleglichen Vermutung‘ für eine gemeinschaftsweite Verkehrsfähigkeit zu“; Siebert, Weltwirtschaft, S. 188. 3 Vgl. Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 56, 57 EUV/AEUV Rn. 70; Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 28 EGV Rn. 45; Sack, Das internationale Wettbewerbsrecht nach der E-Commerce-Richtlinie (E-Commerce-Richtlinie) und dem EGG-/TDG-Entwurf, WRP 2001, S. 1408, 1413; Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 32, 99: Das Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten führt „also nicht zur Anwendung von Herkunftslandrecht, sondern zur gelegentlichen Nichtanwendung von Bestimmungslandrecht“ (S. 99). 4 Vgl. Fezer/Koos, Das gemeinschaftsrechtliche Herkunftslandprinzip und die e-commerce-Richtlinie, IPRax 2000, S. 349, 350: „Die mit der Prüfung am Maßstab der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten verbundene Nichtanwendung nationaler lauterkeitsrechtlicher Sachnormen des Verbringungslandes stellt keine Folge einer kollisionsrechtlichen Prüfung dar. Es handelt sich vielmehr bei diesem Vorgang allein um die durch höherrangiges Recht erfolgende Anordnung der auf die gemeinschaftliche Verbringung beschränkten, gleichsam punktuellen Unwirksamkeit einer konkreten nationalen Normdes nach allgemeinen IPR-Grundsätzen zur Anwendung kommenden nationalen Wettbewerbsrecht“. 5 Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 14. 6 Zum sach- und kollisionsrechtlichen Verständnis des Herkunftslandprinzips vgl. Teil 1 § 3 E. IV. 7 Vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 74 ff.
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§ 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs
II. Gesundheitsschutz Im Hinblick auf den besonders wichtigen8 Schutzgrund des Gesundheitsschutzes bestehen in Abwesenheit einer materiellen Harmonisierung weite Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auszuschließen.9 Der EuGH räumt den Mitgliedstaaten bei mangelnder Harmonisierung und wissenschaftlicher Unklarheit unter Berücksichtigung der Belange des freien Warenverkehrs das Recht ein „das Niveau zu bestimmen, auf dem sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen“.10 Der EuGH beschäftigte sich in diesem Zusammenhang mit einem belgischen Verbot, Pflanzenschutzmittel ohne vorherige belgische Zulassung in den Verkehr zu bringen,11 mit einer niederländische Regelung, wonach die Bezeichnung pasteurisiert nur dann verwendet werden darf, wenn bestimmte Voraussetzungen – wie ein bestimmter Höchstgehalt an Mikroorganismen – erfüllt waren12 oder mit einem dänischen Verbot, Lebensmittel, die mit bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen angereichert sind, in den Verkehr zu bringen13. Es bestehen für Staaten nicht nur die rechtlichen Möglichkeiten, sich auf Schranken zu berufen, sondern Staaten werden diese Möglichkeit im Fall befürchteter Gesundheitsgefahren (oder auch aus protektionistischen Gründen) in der Regel 8 EuGH, Urteil vom 20. 05. 1976, Rs. 104/75, de Peijper, Slg. 1976, 613, 635 Rn. 14/18: „Unter den in Artikel 36 geschützten Gütern und Interessen nehmen die Gesundheit und das Leben von Menschen den ersten Rang ein […]“; EuGH, Urteil vom 28. 09. 2006, Rs. C-434/04, Strafverfahren gegen Ahokainen und Leppik, Slg. 2006, I-9185, I-9195 Rn. 33. 9 Vgl. EuGH, Urteil vom 20. 05. 1976, Rs. 104/75, de Peijper, Slg. 1976, 613, 635 Rn. 14/ 18; EuGH, Urteil vom 2. 2. 1989, Rs. 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, S. 229, 252 Rn. 6; EuGH, Urteil vom 17. 9. 1998, Rs. C-400/96, Harpegnies, 1998, Slg. I-5121, I-5137 Rn. 33. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 7. 11. 1989, Rs. 125/88, Nijman, Slg. 1989, S. 3533, 3548 Rn. 15: „ist mithin zu antworten, daß mangels einer vollständigen Harmonisierung des betreffenden Gebiets auf Gemeinschaftsebene die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag einem nationalen Gesetz nicht entgegenstehen, wonach es bei Strafe verboten ist, ein nach diesem Gesetz nicht zugelassenes Pflanzenschutzmittel zu verkaufen, vorrätig zu halten oder anzuwenden“. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 27. 6. 1996, Rs. C-293/94, Brandsma, Slg. 1996, I-3159, I-3176 Rn. 11; EuGH, Urteil vom 6. 6. 1984, Rs. 97/83, Strafverfahren gegen CMC Melkunie BV, Slg. 1997, 2367, 2386 Rn. 18; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 36 Rn. 22 (EL 42 September 2010). 10 EuGH, Urteil vom 6. 6. 1984, Rs. 97/83, Melkunie, Slg. 1997, 2367, 2386 Rn. 18. 11 EuGH, Urteil vom 17. 09. 1998, Rs. C-400/96, Harpegnies, 1998, Slg. I-5121, I-5137 Rn. 33. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 7. 11. 1989, Rs. 125/88, Strafverfahren gegen Nijman, Slg. 1989, S. 3533, 3548 Rn. 15: „ist mithin zu antworten, daß mangels einer vollständigen Harmonisierung des betreffenden Gebiets auf Gemeinschaftsebene die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag einem nationalen Gesetz nicht entgegenstehen, wonach es bei Strafe verboten ist, ein nach diesem Gesetz nicht zugelassenes Pflanzenschutzmittel zu verkaufen, vorrätig zu halten oder anzuwenden“; EuGH, Urteil vom 27. 06. 1996, Rs. C-293/94, Strafverfahren gegen Jacquelinie Brandsma, Slg. 1996, I-3159, I-3176 Rn. 11. 12 EuGH, Urteil vom 6. 6. 1984, Rs. 97/83, Melkunie Slg. 1997, 2367, 2386 Rn. 18. 13 EuGH, Urteil vom 23. 09. 2003, Rs. C-192/01, Kommission/Dänemark, Slg. 2003, S. I-9724, I-9737 Rn. 42.
A. Schranken des primärrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung
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nutzen. Dies wird deutlich anhand der zahlreichen vom EuGH entschiedenen Fälle. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die Errichtung von Marktzugangshemmnissen grundsätzlich den Interessen heimischer Anbieter entspricht, so dass erhebliche Anreize politischer Akteure bestehen.
III. Verbraucherschutz Hinsichtlich des praktisch wichtigen Schutzgrundes Verbraucherschutz bestehen im Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit hingegen strengere Anforderungen an die Durchsetzung mitgliedstaatlicher Regulierungsanforderungen. Im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Maßnahme stellt insbesondere eine Information über die Wareneigenschaften in der Regel ein milderes Mittel gegenüber Verkehrsverboten dar.14 Entscheidend für den Einsatz des Informationsmodells15 ist das zugrundeliegende Verbraucherleitbild, denn das Verbraucherleitbild definiert das von der Rechtsprechung des EuGH zugrundegelegte Schutzniveau.16 Dabei geht der EuGH vom Bild eines verständigen Verbrauchers aus,17 wobei das Verbraucherleitbild zielgruppenspezifisch ist18. Insgesamt eröffnet das europäische Verbraucherleitbild einen weiten Anwendungsbereich des Infor-
14 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649, 664 Rn. 13. 15 Vgl. Mülbert, Anlegerschutz und Finanzmarktregulierung – Grundlagen –, ZHR 177 (2013), S. 160, 184 ff.; Buck-Heeb, Verhaltenspflichten beim Vertrieb – Zwischen Paternalismus und Schutzlosigkeit der Anleger –, 177 (2013), S. 310, 326 f.; Zimmer, Vom Informationsmodell zu Behavioral Finance: Brauchen wir „Ampeln“ oder Produktverbote für Finanzanlagen?, JZ 2014, S. 714, 715. Zu der der Einschränkung des Informationsmodells im Bereich der Anlageberatung durch das Erfordernis der „anlegergerechten Beratung“ vgl. Zimmer, Vom Informationsmodell zu Behavioral Finance: Brauchen wir „Ampeln“ oder Produktverbote für Finanzanlagen?, JZ 2014, S. 714, 718. 16 Vgl. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, S. 242; Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S. 74; Buck-Heeb, Verhaltenspflichten beim Vertrieb – Zwischen Paternalismus und Schutzlosigkeit der Anleger –, ZHR 177 (2013), S. 310, 326 ff. 17 EuGH, Urteil vom 6. 7. 1995, Rs. C-470/93, Mars, Slg. 1995, I-1923, I-1944 Rn. 24; Bornkamm, Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, in: FS BGH, S. 343, 356 f., 359 – 361; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 UWG Rn. 22; Steinbeck, in: Fezer, UWG, § 4 – 1 Rn. 84 Fn. 197 mwN; Sack, Das Verbraucherleitbild und das Unternehmerleitbild im europäischen und deutschen Wettbewerbsrecht, WRP 1998, S. 264, 264 – 268; Tilmann, Der „verständige Verbraucher“ in: FS Piper, S. 481, 488 ff.; Ullmann, Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von Europa und Deutschland, GRUR 2003, S. 817, 818 f. 18 Vgl. EuGH, Urteil vom 25. 10. 2001, Rs. C-112/99, Toshiba Europe, Slg. 2001, I-7945, I-7991 Rn. 52 (an Fachhändler gerichtete Werbung); Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 Rn. 24. Sack, Das Verbraucherleitbild und das Unternehmerleitbild im europäischen und deutschen Wettbewerbsrecht, WRP 1998, S. 264, 267.
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mationsmodells und damit des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung,19 womit sich zugleich Wahlmöglichkeiten von Nachfragern zwischen Waren ergeben, die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regulierungen unterliegen20. Das Informationsmodell des EuGH ist vor diesem Hintergrund kompatibel mit den Annahmen der Modelle eines funktionierenden Systemwettbewerbs vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip. Das Verbraucherleitbild besitzt eine wesentliche integrationspolitische Bedeutung,21 da die Marktintegration im Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit wesentlich durch Anwendung des Informationsmodells geschieht22. Die Zugrundelegung des früheren deutschen Verbraucherleitbildes hätte hingegen eine „marktabschottend[e]“ Wirkung.23
IV. Vernachlässigung der Schranken in der Modellbildung Im Unterschied zu Regulierungen, die unter die Kategorie des Verbraucherschutzes fallen, wird ein Selbstschutz von Nachfragern vor gesundheitsschädlichen Lebensmitteln vom EuGH nicht als realistisch angesehen und den Mitgliedstaaten 19 Vgl. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, S. 246: „Durch eine sehr ausgeprägte Überprüfung im Verbraucher- und Lauterkeitsschutzrecht, die auf eigenen gemeinschaftsrechtlichen Kriterien des Gerichtshofs beruht, wird der Ermessens- und Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten erheblich eingeschränkt“; Sedemund, Statement on the concept of the free movement of goods and the reservation for national action under Art. 36 EEC Treaty, in: Discretionary Powers on the Member States in the Field of Economic Policies and the Limit under the ECC Treaty, S. 25, 34 f.: „[…] I would submit that in fact the national legislator in this field has lost almost all discretionary power and large parts of the national legislation cannot be applied to imported goods“ (S. 34); Becker stellt fest, dass umgekehrt proportional zu der Vielzahl von Fällen, in denen sich Mitgliedstaaten auf zwingende Gründe des Verbraucherschutzes berufen haben, sich der Erfolg der Rechtfertigungsversuche verhalten habe. Insbesondere im Lebensmittelrecht seien die Bestrebungen der Mitgliedstaaten, die Zusammensetzung der auf ihrem Hoheitsgebiet angebotenen Waren zu schützen, nie von Erfolg gekrönt (Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 30 Rn. 47). 20 Vgl. Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 28 EG Rn. 218: „In der Ersetzung von Vertriebsverboten durch Etikettierungslösungen lassen sich als verbraucherbegünstigende Elemente die Erweiterung des Angebots und die Förderung der Mündigkeit der Verbraucher erkennen“. 21 Ahrens, Verwirrtheiten juristischer Verkehrskreise zum Verbraucherleitbild einer „normativen“ Verkehrsauffassung, WRP 2000, S. 812, 816; Steindorff, Unlauterer Wettbewerb im System des EG-Rechts, WRP 1993, S. 139, 149: „Wir stehen damit vor einer Rechtsprechung, die sich anschickt, Gemeinschaftsmaßstäbe unlauteren Wettbewerbs aus Anforderungen des Binnenmarktes abzuleiten […]“. 22 Ahrens, Verwirrtheiten juristischer Verkehrskreise zum Verbraucherleitbild einer „normativen“ Verkehrsauffassung, WRP 2000, S. 812, 816; Steindorff, Unlauterer Wettbewerb im System des EG-Rechts, WRP 1993, S. 139, 149. 23 Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 313 Tz. 147.
A. Schranken des primärrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung
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werden bei wissenschaftlicher Unklarheit und einer fehlenden materiellrechtlichen Harmonisierung weite Einschätzungsspielräume zugestanden, die Mitgliedstaaten in der Vergangenheit gerne in Anspruch genommen haben. Vor diesem Hintergrund geht die Annahme von H.-W. Sinn, dass Verbraucher unter Geltung des „Cassis-deDijon-Prinzips“ die Wahl zwischen gesundheitsneutralen und gesundheitsgefährlichen Produkten haben,24 fehl.25 Das Selektionsmodell bildet die Rechtslage unzutreffend ab. Dennoch ist fraglich, inwieweit das Informationsmodell des EuGH tatsächlich in der Lage ist, einen hinreichenden Verbraucherschutz zu gewährleisten.26 Nur wenn das Verbraucherleitbild sich (in Teilbereichen) als unzutreffend erweisen sollte (weil Marktteilnehmer z. B. nicht rational handeln27 oder ein „Information overload“ gegeben ist28), kann ein systemwettbewerbliches Marktversagen (wie es von H.-W. Sinn modelliert wird) die Folge sein. Die Befugnis der mitgliedstaatlichen Gerichte auf Sachverständigengutachten29 und Verbraucherbefragungen zurückzugreifen und damit das Verbraucherleitbild an der Realität zu messen, verdeutlicht jedoch, dass der EuGH das von ihm zugrundegelegte Verbraucherleitbild gerade als eine Beschreibung der Realität versteht und dass dieses Verbraucherleitbild an der Realität messbar ist.30 Diese Nachprüfbarkeit des Verbraucherleitbildes schränkt die Gefahr eines möglichen Marktversagens erheblich ein.
24 H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 47. Vgl. auch H.-W. Sinn, How much Europe?, Subsidiarity, Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85, 103 f. 25 Vgl. die allgemeine Kritik Kieningers, dass die Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung übersehen werden: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 354 f. 26 Vgl. Klöhn, Der Beitrag der Verhaltensökonomik zum Kapitalmarktrecht, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 83, 88 ff.; J. F. Schmidt, Die Deregulierung der Versicherungsaufsicht und die Versicherungsvermittlung in Deutschland, S. 112 – 116; Kuhlmann, Verbraucherpolitik, S. 85; Leistner, Der Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht des unlauteren Wettbewerbs, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 122, 162 f. (Befürchtung eines information overload); Wunderle, Verbraucherschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht, S. 326 (Befürchtung eines information overload); Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts, S. 113. 27 Vgl. Zimmer, Vom Informationsmodell zu Behavioral Finance: Brauchen wir „Ampeln“ oder Produktverbote für Finanzanlagen?, JZ 2014, S. 714, 715 ff.; Mülbert, Anlegerschutz und Finanzmarktregulierung – Grundlagen –, ZHR 177 (2013), S. 160, 188. 28 Mülbert, Anlegerschutz und Finanzmarktregulierung – Grundlagen –, ZHR 177 (2013), S. 160, 187 f. 29 Vgl. Doepner, Verbraucherleitbilder zur Auslegung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots – Anmerkungen zum Diskussionsstand – in: FS Lieberknecht, S. 165, 169. 30 Ahrens, Verwirrtheiten juristischer Verkehrskreise zum Verbraucherleitbild einer „normativen“ Verkehrsauffassung, WRP 2000, S. 812, 814 f.
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Nicht nur H.-W. Sinn31, sondern auch die Modelle, die von einer grundsätzlichen Funktionsfähigkeit des Systemwettbewerbs ausgehen (wie insbesondere die evolutorischen Modelle), vernachlässigen die Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung,32 obwohl insbesondere die evolutorische Systemwettbewerbstheorie ausdrücklich den Versuch unternimmt, den exogenen Rahmen eines Systemwettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten der EU zu erfassen33. Die fehlende Erfassung der Schranken wirkt sich jedoch im Rahmen der Modellierung eines funktionierenden Systemwettbewerbs nicht auf den Ablauf und die Folgen von Systemwettbewerb aus. Die Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung lassen genügend Raum für einen Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip, was jedoch Kerber/Van den Bergh in Abrede stellen34.
B. Europarechtliche Bewertung von Inländerdiskriminierung Das europarechtliche Herkunftslandprinzip führt aus Sicht grenzüberschreitend tätiger Anbieter zwar zu einer höheren Kompatibilität der Ordnungen. In Form von Inländerdiskriminierung führt es jedoch zu Verwerfungen innerhalb einzelstaatlicher Ordnungen.35 Nach Ansicht des EuGH unterliegt Inländerdiskriminierung nicht einer Prüfung auf Grundlage des Primärrechts,36 da die Grundfreiheiten „nicht auf Betä31 H.-W. Sinn, How much Europe?, Subsidiarity, Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85, 102 f.; H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 46; H.-W. Sinn, The selection principle and market failure in systems competition, Journal of Public Economics 66 (1997), S. 247, 264. 32 Vgl. Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7, 11; Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53, 56. 33 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 228 – 231; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 526 – 528, Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 22. 34 Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 454 f.: „The overall effect of this regulatory mutual recognition is that the factual scope for national regulations (with different objectives or effects), which may fulfill divergent preferences, is severely restricted“. 35 Vgl. Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271, 291 f.; Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 421 – 423. Zur Beurteilung von Inländerdiskriminierung nach deutschem Verfassungsrecht: Teil 2 § 6 B. XII. 36 EuGH Urteil vom 16. 1. 2003, Rs. C-14/00, Kommission/Italien, I-513, I-556 Rn. 734 (Produktregulierung von Schokolade).
B. Europarechtliche Bewertung von Inländerdiskriminierung
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tigungen anwendbar [sind], deren Elemente sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen“37. Ein grenzüberschreitendes Element wird nach der EuGH-Rechtsprechung nicht dadurch begründet, dass eine Konkurrenzsituation mit ausländischen Anbietern auf dem heimischen Markt vorliegt38. Nach Feststellung des EuGH betrifft die Warenverkehrsfreiheit „die Beseitigung von Hemmnissen für die Einfuhr von Waren und soll nicht gewährleisten, daß Waren aus nationaler Produktion in jedem Fall genauso behandelt werden wie eingeführte oder reimportierte Waren“39. Zum Teil wird in der Literatur die Messung von inländerdiskriminierenden Regulierungen am Maßstab der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit befürwortet.40 Die Zulässigkeit von Inländerdiskriminierung ist jedoch untrennbar mit einer Integration über das europarechtliche Herkunftslandprinzip verbunden. Im Fall einer europarechtlichen Unzulässigkeit von Inländerdiskriminierung bestünde ein Zwang zu einer Angleichung mitgliedstaatlicher Rechte an die liberalste mitgliedstaatliche Regulierung, die vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung erfasst ist bzw. es bestünde ein Zwang der Mitgliedstaaten zu einer Angleichung an das Niveau der Mindestharmonisierung.41 Eine derartige Konsequenz wäre mit der Kompetenzordnung kaum vereinbar.42 37 EuGH, Urteil vom 28. 01. 1992, Rs. C-332/90, Slg. 1992, Volker Steen, S. I-341, I-357 Rn. 9 (in Bezug auf Freizügigkeit). Aus der Literatur vgl.: Gundel, Die Inländerdiskriminierung zwischen Verfassungs- und Europarecht: Neue Ansätze in der deutschen Rechtsprechung, DVBl. 2007, S. 269, 270 f.; Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung ?, AöR 118 (1993), S. 591, 594 – 598; Hammerl, Inländerdiskriminierung, S. 151 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 34 – 36 Rn. 39; Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 28 Rn. 22; Kleier, Freier Warenverkehr (Art. 30 EWG-Vertrag) und die Diskriminierung inländischer Erzeugnisse, RIW 1988, S. 623, 627 f.; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 Rn. 22; Für eine Prüfung am Maßstab des Europarechts: Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271, 291; Zellenberg, Gleichheitssatz und Inländerdiskriminierung, ÖJZ 2000, S. 441, 441 f.; Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 217 ff. Kritisch: Reich, Binnenmarkt als Rechtsbegriff, EuZW 1991, S. 203, 205; Reich, Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs als Grundfreiheit, ZHR 153 (1989), S. 571, 580. 38 Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung ?, AöR 118 (1993), S. 591, 598. 39 EuGH, Urteil vom 23. 10. 1986, Rs. 355/85, Driancourt/Cognet, Slg. 1986, S. 3231, 3242 Rn. 10 (französische Buchpreisbindung). 40 Vgl. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 527. 41 Nach Art. 260 AEUV ist ein Mitgliedstaat im Fall der Feststellung eines Vertragsverstoßes durch den EuGH verpflichtet, die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergeben (Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 260 Rn. 6). Eine aus einem Gesetz folgende Inländerdiskriminierung müsste der mitgliedstaatliche Gesetzgeber mittels Gesetzesänderung beseitigen. 42 Vgl. Balthasar, „Inländerdiskriminierung“ in der EU nach dem EG-Vertrag und aus österreichischer Sicht, ZÖR 1998, S. 143, 150 f., 153: „In letzter Konsequenz bestünde daher
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Da ein Zwang zur andauernden Anpassung an die liberalsten mitgliedstaatlichen Regulierungen oder an die europarechtlichen Mindest-Regulierungen (gerade im Fall einer dynamischen Rechtsentwicklung) auch kaum praktikabel ist, wäre die Gemeinschaft von vornherein dazu verpflichtet, die Integrationspolitik über das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung aufzugeben durch eine Rechtswahlfreiheit zugunsten der Anbieter43 oder durch eine Politik der Vollharmonisierung zu ersetzen.44 Eine Inländerdiskriminierung infolge des europarechtlichen Herkunftslandprinzips muss deswegen im Interesse der Marktintegration mittels des Herkunftslandprinzips in Kauf genommen werden.45 Inländerdiskriminierung ist mit anderen Worten ein zwangsläufiger Nachteil des Einsatz dieses Integrationsintruments. Eine Hinnahme einer Inländerdiskriminierung wird aus europarechtlicher Perspektive erleichtert, da im Fall von Inländerdiskriminierung Regulierungsexzesse wie im Fall protektionistischer Handelsbeschränkungen – als Ausdruck einer „föderalen Gefährdungslage“46 – nicht drohen47, wobei aber im Einzelfall Härten daraus erwachsen können. Der Gemeinschaftsgesetzgeber geht zudem davon aus, dass sich die Mitgliedstaaten die Störung der Konsistenz der einzelstaatlichen Ordnungsrahmen mittels gesetzgeberischen Anpassungen entschärfen bzw. beseitigen. Systemwettbewerb ist damit ein Teil der Logik der vom EuGH und der Kommission verfolgten Integrationsstrategie.48
jedenfalls ein die politischen Ziele der Europäischen Integration torpedierender – und damit wiederum Art. 5 Abs. 2 EGV widersprechender! – europarechtlicher oder einzelstaatlicher Zwang zur totalen Uniformität des Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, sei es geordnet im Wege der Harmonisierung alten Typs, sei es chaotisch im Wege der Auswirkungen eines Verbotes der ,Inländerdiskriminierung“ – ein geradezu sinnwidriges Interpretationsergebnis“ (HiO); Gundel, Die Inländerdiskriminierung zwischen Verfassungs- und Europarecht: Neue Ansätze in der deutschen Rechtsprechung, DVBl. 2007, S. 269, 271: „Diese Position erscheint als konsequente Beachtung der Zuständigkeitsgrenzen der Gemeinschaft […]“. 43 Vgl. Teil 3 § 16. 44 Vgl. Balthasar, „Inländerdiskriminierung“ in der EU nach dem EG-Vertrag und aus österreichischer Sicht, ZÖR 1998, S. 143, 153. 45 Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 52. 46 Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 27; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 6. 47 Vgl. Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 270 f. 48 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 28. 6. 1994, verb. Rs. C.363/93, C408/93, C-409/93, C-410/93, C-411/93, René Lancry, Slg. 1994, I-3957, I-3975. Ziff. 28; Ensthaler, Die umgekehrte Diskriminierung im EWG-Vertrag, RIW 1990, S. 734, 735, 737.
C. Transparenz in Bezug auf das anwendbare Regulierungssystem
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C. Transparenz in Bezug auf das anwendbare Regulierungssystem Entscheidend für die Bedeutung einzelstaatlicher Regulierungen als Wettbewerbsparameter im Wettbewerb der Anbieter um Nachfrager ist die Erkennbarkeit, welchem mitgliedstaatlichen Regulierungssystem eine Ware oder Dienstleistung unterliegt, sofern sich Nachfrager direkt an Waren und Dienstleistungen zugrundeliegenden Regulierungen orientieren. Eine solche Orientierung an Regulierungen liegt insbesondere dann nahe, wenn eine Ware oder Dienstleistung49 in sehr hohem Maße durch die zugrundeliegende Regulierung geprägt ist oder die Regulierung sehr bekannt ist wie das deutsche Reinheitsgebot für Bier. Nicht entscheidend ist die Transparenz im Hinblick auf das zugrundeliegende Regulierungsniveau allerdings dann, wenn die Nachfrager sich ausschließlich an Produktmerkmalen orientieren, die Ausdruck von Regulierung sind, ohne dass ihnen notwendigerweise bewusst ist, dass die Produkteigenschaften durch Regulierungen geprägt oder vorgegeben sind. Voraussetzung dürfte sein, dass das Produkt den Charakter eines Such- oder Erfahrungsgutes trägt. Im Falle von Vertrauensgütern ist die Situation gegeben, dass die Produktmerkmale nicht beobachtbar sind, jedoch Regulierungsunterschiede wahrnehmbar sein können. Apoltes Unterscheidung zwischen einer Transparenz auf Produkt- und Regulierungsniveau50 kann damit im Fall von Vertrauensgütern Bestätigung finden. Voraussetzung ist jedoch, dass ein Zugang jeweiligen Regulierungen besteht, der einen zumindest rudimentären Rechtsvergleich ermöglicht. Auch im Fall von Erfahrungsgütern und Produkteigenschaften, die Ausdruck von Regulierung sind, kann die Betrachtung des Regulierungsrahmens theoretisch Erkenntnisse liefern, die über eine Betrachtung des Waren- oder Dienstleistungsangebotes nicht wahrnehmbar sind. Die Regulierung muss also nicht den Charakter des Gutes als Erfahrungsgut teilen, sondern kann Suchgutcharakter aufweisen. Regulierungsunterschiede können für Nachfrager insbesondere dann erfassbar sein, wenn Regulierungssysteme einen Ruf besitzen, der das jeweilige Regulierungsniveau widerspiegelt. Dem anwendbaren Regulierungssystem kann in diesem Fall eine Signalfunktion hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Rahmenbedingungen zukommen.51 49
Vgl. Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, Die Privatversicherung und ihre rechtliche Gestaltung. 50 Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10, S. 13. 51 Vgl. Hauser, Harmonisierung oder Wettbewerb nationaler Regulierungssysteme in einem integrierten Wirtschaftsraum, Aussenwirtschaft, 48 (1993), S. 459, 469; Nicolaïdis, Mutual Recognition of Regulatory Regimes, Some Lessons and Prospects, in: OECD (Hrsg.), Regulatory Reform and international market openness, S. 179. Zum Signalling im Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten: Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 302 – 305. Vgl. Teil 1 § 4 B. IV.
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§ 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs
Andererseits schaffen mitgliedstaatliche Regulierungssysteme zum Teil lediglich einen Rahmen, den die Anbieter keineswegs ausschöpfen müssen. Mit dem Verweis auf ein mitgliedstaatliches Regulierungssystem ist deswegen nicht zwingend eine Aussage über bestimmte Eigenschaften der jeweiligen Leistung verbunden. Regulierungen signalisieren in diesem Fall vor allem eine bestimmte Mindestqualität der angebotenen Waren und Dienstleistungen. Problematisch ist, dass keine allgemeinen europarechtlichen Regeln zur Verwendung von Herkunftslandbezeichnungen52 und keine allgemeinen Pflichten zur Angabe des mitgliedstaatlichen Regulierungssystems, dem Waren und Dienstleistungen unterliegen, bestehen. Eine Kennzeichnung nach dem Informationsmodell des EuGH53 bezieht sich in der Regel auf bestimmte Eigenschaften bzw. die Zusammensetzung von Waren,54 im Rahmen der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften bezieht sich das Informationsmodell hingegen auch auf das anwendbare mitgliedstaatliche Regulierungssystem55, da Gesellschaftsrechtsformen reine „Rechtsprodukte“ sind.
52 R. G. Hirschmann, „Made in Germany“ – Rolle und Bedeutung aus deutscher Sicht, in: „Made in Germany“. Deutsche Qualität auf dem Prüfstand, S. 7, 14: „In einem Punkt ist der Begriff ,Made in Germany‘ ein Phänomen. Es hat nie ein Gesetz, eine Verordnung, eine Vereinbarung bestanden, unter welchen Bedingungen dieses Gütesiegel anzuwenden sei. Es hat sich auch bis heute, trotz unserer deutschen Grundeinstellung alles zu organisieren und rechtlich auszuformulieren, keine Zertifikats- oder Überwachungsorganisation herausgebildet, wie es sie in anderen Bereichen in vielfältiger Weise gibt“. Vgl. aber: Verordnung 208/92/EWG des Rates vom 14. 7. 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABl. L 1989, Nr. 208, S. 1 ff.; Krimphove, Europäisches Werberecht, S. 81 f. mwN. Vgl. Teil 1 § 4 B. IV. 53 Vgl. EuGH, Urteil vom 7. 3. 1990, Rs. C-362/88, GB-INNO-BM, I-667, I-689 Rn. 18: „Es erweist sich somit, daß das Gemeinschaftsrecht eines der grundlegenden Erfordernisse des Verbraucherschutzes in der Unterrichtung der Verbraucher sieht“; EuGH, Urteil vom 11. 10. 1990, Rs. C-210/89, Kommission/Italien, Slg. 1990, S. I-3697, 3708 Rn. 17: „da es zur Gewährung des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs genügte, wenn die italienischen Stellen eine angemessene Etikettierung vorschreiben […]“; Doepner, Verbraucherleitbilder zur Auslegung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots – Anmerkungen zum Diskussionsstand –, in: FS Lieberknecht, S. 165, 179. 54 EuGH, Urteil vom 12. 03. 1987, Rs. 178/84, Kommission/Deutschland, S. 1262, 1271, Rn. 35: „Durch die Angabe der bei der Bierbereitung verwendeten Grundstoffe ,würde der Verbraucher in die Lage versetzt, seine Wahl in Kenntnis aller Umstände zu treffen; auch die Transparenz der Handelsgeschäfte und der Angebote an die Verbraucher würde … sichergestellt‘“; EuGH, Urteil vom 12. 03. 1987, Rs. 178/84, Kommission/Deutschland, S. 1262, 1271, Rn. 35 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 9. 12. 1981, Rs. 193/80, Kommission/Italien, Slg. 1981, S. 3021, 3036 Rn. 27: „Auf diese Weise (Etikettierung) würde der Verbraucher in die Lage versetzt, seine Wahl in Kenntnis aller Umstände zu treffen; auch die Transparenz der Handelsgeschäfte und der Angebote an die Verbraucher würde durch die Angabe des bei der Herstellung des Essigs verwendeten Rohstoffs sichergestellt“. 55 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1495 Rn. 36: „Da die Gesellschaft als Gesellschaft englischen Rechts, nicht als Gesellschaft dänischen
C. Transparenz in Bezug auf das anwendbare Regulierungssystem
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Außerhalb des Informationsmodells ist die Befugnis von Mitgliedstaaten Herkunftslandangaben zu verlangen, äußerst beschränkt, sofern damit das Anliegen verbunden ist, den Absatz heimischer Erzeugnisse auf dem heimischen Markt zu begünstigen56 bzw. einen country-of-origin Effekts zu Gunsten inländischer Anbieter zu nutzen57: Der EuGH beurteilte in der Rechtssache Kommission/Irland ein irisches Verbot des Verkaufs und Importes von Souvenirs („Schmuckwaren“), wenn diese nicht eine Angabe des Ursprungslandes tragen58, als eine diskriminierende Maßnahme zulasten von „Schmuckwaren“ aus anderen Mitgliedstaaten.59 Ähnlich bewertete der EuGH ein britisches Verbot, Textil- und Bekleidungswaren, elektrische Haushaltsgeräte, Schuhe sowie Schneidware und Tafelbestecke zu verkaufen oder zum Verkauf anzubieten, wenn sie nicht mit einer Ursprungsbezeichnung versehen sind bzw. eine Ursprungsbezeichnung ihnen beigefügt sind.60 Auch die Pflicht zur Kennzeichnung bestimmter Inhaltsstoffe darf nicht zu einer negativen Einschätzung der Verbraucher zu Lasten von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten führen.61 Die Schaffung einer mitgliedstaatlichen Kennzeichnungspflicht für inländische Anbieter auch für deren Aktivität auf Auslandsmärkten ist zulässig, da es in diesem Fall nicht um einen protektionistischen Schutz inländischer Anbieter geht,62 dessen Bekämpfung Hauptanliegen der Waren- und Dienstleistungsfreiheit ist. Es kann darin mangels einer spezifischen Beschränkung der Ausfuhrströme nicht ein Verstoß gegen die Ausfuhrfreiheit erblickt werden.63
Rechts auftritt, ist den Gläubigern weiter bekannt, daß sie nicht dem dänischen Recht über die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterliegt […]“. 56 EuGH, Urteil vom 25. 4. 1985, Rs. 207/83, Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Slg. 1985, S. 1201, 1201 (Leitsatz), vgl. auch: S. 1211 Rn. 17 f.; EuGH, Urteil vom 17. Juni 1981, Rs. 113/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, S. 1625, 1641 Rn. 17. Vgl. auch: Larch/Lechthaler, Why „Buy American“ is a Bad Idea but Politicians still Like it, CESIFO Working Paper No. 3207, Category 6: Fiscal Policy, Macroeconomics and Growth, October 2010. 57 EuGH, Urteil vom 25. 4. 1985, Rs. 207/83, Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Slg. 1985, S. 1201, 1201 (Leitsatz) vgl. auch: S. 1211 Rn. 17 f. Zustimmend: Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 28 EG Rn. 114. 58 EuGH, Urteil vom 17. 6. 1981, Rs. 113/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, S. 1625, 1627. 59 EuGH, Urteil vom 17. 6. 1981, Rs. 113/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, S. 1625, 1641 Rn. 17. 60 EuGH, Urteil vom 25. 4. 1985, Rs. 207/83, Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Slg. 1985, S. 1201, 1201 (Leitsatz) vgl. auch: S. 1211 Rn. 17 f. 61 EuGH, Urteil vom 12. 03. 1987, Rs. 178/84, Kommission/Deutschland, S. 1262, 1271 Rn. 35. 62 EuGH, Urteil vom 17. 6. 1981, Rs. 113/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, S. 1625, 1641 Rn. 16. 63 Vgl. EuGH, Urteil vom 7. 2. 1984, Rs. 237/82, Jongeneel Kaas, Slg. 1984, 483, 505 Rn. 23 (Staatliche Qualitätspolitik in Bezug auf Käse).
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§ 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs
Auch ist es den Anbietern überlassen, ihrerseits auf Inlands- und Auslandsmärkten mit einer Herkunftslandangabe zu werben64, ohne dass eine staatliche Verpflichtung zur Angabe des Herkunftslandprinzips besteht. Anbieter können insofern das Herkunftsland als „Marke“65 nutzen.66 Vor dem Hintergrund der Transparenz des anwendbaren Regulierungssystems67 ist strittig, ob ein Anbieter, der in einem bestimmten Mitgliedstaat eine Niederlassung unterhält und von dort aus Dienstleistungen erbringt, zugleich im Wege der Dienstleistungsfreiheit Dienstleistungen anbieten darf. Im Versicherungsurteil aus dem Jahr 1988 nahm der EuGH an, dass ein Versicherungsunternehmen, das eine Niederlassung oder auch nur ein Büro in einem Mitgliedstaat betreibt, in diesem Mitgliedstaat nicht parallel dazu Versicherungen im Wege des grenzüberschreitenden Vertriebs vermarkten darf.68 Die Fortgeltung dieses Kumulverbotes ist umstritten.69 Entscheidend für die Zulässigkeit einer derartigen Aktivität dürfte jedoch eine hinreichende Transparenz im Hinblick auf das auf die einzelnen Dienstleistungen anwendbare Regulierungssystem sein, so dass bei hinreichender Erkennbarkeit auch eine gleichzeitige Erringung von Dienstleistungen über eine primäre Niederlassung und im Wege der Dienstleistungsfreiheit zulässig sein dürfte.70 Eine Erkennbarkeit des auf Waren und Dienstleistungen anwendbare Regulierungsniveau ist in Frage gestellt, wenn lediglich die Kennzeichnung „Made in EU“ verwendet wird.71 Aus Sicht der Befürworter der Schaffung einer „Wettbewerbsordnung für dem Systemwettbewerb“72 sind die fehlenden allgemeinen Regeln zur Verwendung von Herkunftslandbezeichnungen als auch die Schaffung einer mög64 EuGH, Urteil vom 17. 6. 1981, Rs. 113/80, Kommission/Irland, Slg. 1981, S. 1625, 1641 Rn. 16. 65 Vgl. Lieser, Von „Made in Germany“ zu „Made for Germany“: Was wird aus der Deutschland AG?, in: Turbulenzen in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Was bleibt von der deutschen wirtschaftlichen Identität?, S. 97, 100. 66 Vgl. Haucap/Wey, Standortwahl als Franchisingproblem, JNPÖ 18 (1999), S. 311 – 332; Teil 1 § 4 B. IV. 67 Vgl. W.-H. Roth, Grundlagen des gemeinsamen Versicherungsmarktes, RabelsZ 54 (1990), S. 63, 123. 68 EuGH, Urteil vom 4. 12. 1986, Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1986, S. 2793, 3801 Rn. 21. Hübner, Die Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft und ihre Grenzen, JZ 1987, S. 330, 332; Schwintowski, Europäisierung der Versicherungsmärkte im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, NJW 1987, S. 521, 523 f.; Anders: W.H. Roth, Grundlagen des gemeinsamen Versicherungsmarktes, RabelsZ 54 (1990), S. 63, 108. 69 Vgl. Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 56, 57 Rn. 17, 22. 70 Vgl. W.-H. Roth, Grundlagen des gemeinsamen Versicherungsmarktes, RabelsZ 54 (1990), S. 63, 123 f. 71 Vgl. R. G. Hirschmann, in: „Made in Germany“, S. 7, 13: „Wenn wir uns heute auf den Binnenmarkt ‘92 zubewegen, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass in vielen Fällen „Made in Germany“ hinter eine entsprechende EG-Kennzeichnung zurücktritt“. 72 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, in: Globalisierung, Systemwettbewerb und nationalstaatliche Politik, JNPÖ 17 (1998), S. 199 – 230.
D. Verhältnis materiellrechtlicher Harmonisierung zu einem Systemwettbewerb
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lichen einheitlichen Herkunftslandbezeichnung „Made in EU“ problematisch und die Rechtslage ist aus dieser Sicht korrekturbedürftig.73
D. Verhältnis materiellrechtlicher Harmonisierung zu einem Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip I. Materiellrechtliche Harmonisierung als Einschränkung des Anwendungsbereichs des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung einerseits und als Voraussetzung für die Anwendung dieses Prinzips andererseits Materiellrechtliche Harmonisierung schränkt die Spielräume für einen Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip ein, denn „Systemwettbewerb ist nur in dem Maße möglich, wie die Mitgliedstaaten noch über Regelungskompetenz verfügen. Mit der Ausweitung der durch die Union geregelten Rechtsgebiete nimmt der Einflußbereich potentiellen Systemwettbewerbs notwendig ab“.74
Eine Unterschiedlichkeit von Wettbewerbsbedingungen in den Mitgliedstaaten aufgrund unterschiedlicher Regulierungen ist Voraussetzung für eine Modellierung eines funktionierenden Systemwettbewerbs. Zwischen Systemwettbewerb und materiellrechtlicher Harmonisierung besteht demnach ein Spannungsverhältnis.75 73 Vgl. Lieser, Von „Made in Germany“ zu „Made for Germany“: Was wird aus der Deutschland AG?, in: Turbulenzen in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Was bleibt von der deutschen wirtschaftlichen Identität?, S. 97, 104 – 106. 74 Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 15. Vgl. auch: Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 527: „Systemwettbewerb ist nur in dem Maße möglich, wie die Mitgliedstaaten (noch) über Regelungskompetenz verfügen“; Streit/Kiwit, Einleitung: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 15: „Damit ein institutioneller Wettbewerb zwischen den nationalstaatlichen Systemen überhaupt ausgelöst werden kann, müssen zunächst einmal unterschiedliche Institutionen bestehen“; Ehlermann, Ökonomische Aspekte des Subsidiaritätsprinzips: Harmonisierung versus Wettbewerb der Systeme, Integration 18 (1995) (1), S. 11, 11; Pitsoulis, Entwicklungslinien ökonomischen Denkens über Systemwettbewerb, S. 53 f. In Bezug auf den Wettbewerb zwischen Privaten: Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 54: „Von entscheidender Bedeutung für das Ausmaß der durch die Kaufentscheidungen der Nachfrager zurückfließenden Informationen über ihre Präferenzen ist, daß die Nachfrager zwischen einer Anzahl unterschiedlicher Preis-Leistungs-Kombinationen wählen können“ (HiO). 75 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 217 ff.; Kerber, Wettbewerbsföderalismus als Integrationskonzept für die Europäische Union, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4(1) (2003), S. 43, 57 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 333, 350 ff.; W.-H. Roth, Wettbewerb der Mitgliedstaaten oder Wettbewerb der Hersteller?, Plädoyer für
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Kerber sieht vor diesem Hintergrund die Gefahr, dass mittels Harmonisierung zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen „die Wettbewerbsfreiheit der Jurisdiktionen und damit die wissenschaffende und machtbegrenzende Funktion des Wettbewerbs zwischen Jurisdiktionen (Standortwettbewerb) massiv eingeschränkt [wird], was gleichzeitig die freie Wahl der Individuen zwischen verschiedenen Ordnungen und damit die Erfüllung ihrer heterogenen Präferenzen stark beeinträchtigen würde“.76
Materiellrechtliche Harmonisierung führt jedoch andererseits nicht zwangsläufig zu einer Einschränkung eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip, sondern kann gerade die Voraussetzungen für die Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung schaffen, denn oftmals ist die Frage, ob das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung anwendbar ist, abhängig vom Stand der materiellrechtlichen Harmonisierung77. Erst die materiellrechtliche Harmonisierung schafft in diesen Fällen die Voraussetzungen für die Annahme einer Gleichwertigkeit mitgliedstaatlicher Regulierungen. Der EuGH stellte im Versicherungsurteil in Bezug auf die Regulierung der technischen Reserven, die keiner Harmonisierung unterlag, fest, dass das Bestimmungsland in Grenzen der Verhältnismäßigkeit berechtigt ist, „die Einhaltung seiner eigenen Vorschriften über die technischen Reserven im Zusammenhang mit den in seinem Hoheitsgebiet erbrachten Dienstleistungen zu verlangen und zu überwachen“.78 In der Rechtssache Harpegnies stellte der EuGH fest, dass im Fall des Fehlens von Maßnahmen zur Harmonisierung, die Mitgliedstaaten darüber zu entscheiden haben, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen und ob sie für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln eine vorherige Zulassung verlangen.79 eine Neubestimmung des Art. 234 EGV, ZHR 159 (1995), S. 78 – 95; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 588 f. 76 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 221. 77 Vgl. EuGH, Urteil vom 04. 12. 1986, Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1984, S. 3755, 3806 Rn. 39; Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 455. 78 EuGH, Urteil vom 4. 12. 1986, Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1984, S. 3755, 3806 Rn. 39. 79 EuGH, Urteil vom 17. 9. 1998, Rs. C-400/96, Harpegnies, Slg. I-5121, I-5137 Rn. 33. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 7. 11. 1989, Rs. 125/88, Strafverfahren gegen Nijman, Slg. 1989, S. 3533, 3548 Rn. 15: „[…] ist mithin zu antworten, daß mangels einer vollständigen Harmonisierung des betreffenden Gebiets auf Gemeinschaftsebene die Artikel 30 und 36 EWGVertrag einem nationalen Gesetz nicht entgegenstehen, wonach es bei Strafe verboten ist, ein nach diesem Gesetz nicht zugelassenes Pflanzenschutzmittel zu verkaufen, vorrätig zu halten oder anzuwenden“; EuGH, Urteil vom 27. 6. 1996, Rs. C-293/94, Brandsma, Slg. 1996, I-3159, I-3176 Rn. 11.
D. Verhältnis materiellrechtlicher Harmonisierung zu einem Systemwettbewerb
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Auf der anderen Seite können Systemwettbewerbsbefürworter den Bedarf einer das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung begleitenden Mindestharmonisierung wesentlich enger fassen und die Gleichwertigkeit mitgliedstaatlicher Regulierungen wesentlich eher annehmen. Soweit eine Mindestharmonisierung für einen bestimmten Regelungsbereich auf Grundlage der Binnenmarktkompetenz erfolgt ist, ist davon auszugehen, dass eine Durchsetzung strengerer Regulierung nur gegenüber heimischen Anbietern möglich ist.80
II. Materiellrechtliche Harmonisierung zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen Die Bewertung von Systemwettbewerb kann Einfluss auf die Anwendung der Harmonisierungskompetenz zur Einschränkung unterschiedlicher regulatorischer Wettbewerbsbedingungen (Art. 116 AEUV) haben.81 Nicht jeder Rechtsunterschied begründet eine Wettbewerbsverzerrung im Sinne des Art. 116 AEUV,82 denn in diesem Fall wären der Kompetenz des Unionsgesetzgebers aufgrund der notwendigerweise bestehenden Rechtsunterschiede „prak80 Vgl. EuGH, Urteil vom 17. 09. 1998, Rs. C-400/96, Harpegnies, Slg. I-5121, I-5137 Rn. 33; Lutter, Zum Umfang der Bindung durch Richtlinie, in: FS Everling, S. 765, 774; Grundmann, EG-Richtlinie und nationales Recht, Umsetzung und Bedeutung der umgesetzten Richtlinie im nationalen Recht, JZ 1996, S. 274, 277 – 281; Grundmann, Binnenmarktkollisionsrecht – vom klassischen IPR zur Integrationsordnung, RabelsZ 64 (2000), S. 457, 472 ff.; Steindorff, Anerkennung im EG-Recht, FS Lorenz, S. 561, 563; Timmermans, Die europäische Rechtsangleichung im Gesellschaftsrecht, RabelsZ 48 (1984), S. 1, 29; Wagner, Das Konzept der Mindestharmonisierung, S. 147. In diese Richtung: Grundmann, Herkunftslandprinzip und Europäisches Vertragsrecht – Einige Leitlinien –, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 15, 27 f. Anders: Dougan, Minimum Harmonization and the Internal Market, Common Market Law Review 37 (2000), S. 853, 879 ff. Zur der Diskussion: Dougan, Minimum Harmonization and the Internal Market, Common Market Law Review 37 (2000), S. 853 – 885; Grundmann, Herkunftslandprinzip und Europäisches Vertragsrecht – Einige Leitlinien –, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 15, 26 – 28. 81 Vgl. EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000, Rs. C-376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419, Rn. 106, 108; Schwarz, Zur Konzeption der Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, FS Hallstein, S. 474, 479 f.; Lutter, Die Rechtsangleichung im Gesellschaftsrecht, in: Europäische Handelsgesellschaft und Angleichung des nationalen Gesellschaftsrechts, S. 5, 12: „[N]iemand soll in dem als Binnenmarkt gedachten Gemeinsamen Markt aus rechtlichen Gründen Nachteile im Wettbewerb mit Personen anderer Partnerländer hinnehmen müssen“; Pipkorn/Bardenhewer-Rating/Taschner, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 95, Rn. 17 ff.; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 116 Rn. 3 ff.; Grabitz, Über die Verfassung des Binnenmarktes, in: FS Steindorff, S. 1229, 1233, 1240 ff. „Der unverfälschte Wettbewerb der Systeme“ (S. 1241); Hallstein, Angleichung des Privat- und Prozessrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, RabelsZ 28 (1964), S. 211, 215. 82 Vgl. Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 116 Rn. 5 f.
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tisch keine Grenzen gezogen“.83 Erforderlich ist das Vorliegen einer „spezifischen Wettbewerbsverzerrung“84 bzw. qualifizierten Wettbewerbsverfälschung85. Andere setzen voraus, dass Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen spürbar sind, um die Harmonisierungskompetenz zu begründen.86 Immer dann, wenn Regulierungsunterschiede geeignet sind, ökonomisch relevante Regulierungsarbitragen auszulösen, ist nach wohl h. M. in der rechtswissenschaftlichen Literatur eine qualifizierte Wettbewerbsverfälschung gegeben, da Systemwettbewerb generell als rechtspolitisch unerwünscht gilt: „Darüber hinaus, muss die Gemeinschaft verhindern, daß das zwischen den Mitgliedstaaten bestehende Rechtsgefälle durch Unternehmen ausgenutzt wird, die sich bei der Wahl des Orts von Produktion und Warenvertrieb, aber auch der Erbringung von Dienstleistungen von den jeweils am wenigsten belastenden Rechtsvorschriften vornehmlich sozialer und steuerrechtlicher Art leiten lassen. Standortwahl, Warenvertrieb und Erbringung von Dienstleistungen sollen sich allein an ökonomischen Gegegenheiten orientieren. Rechtsunterschiede gehören nicht hierzu“.87
83 EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000, Rs. C-376/98, Deutschland/Europäisches Parlament und Europäischen Rat, Slg. 2000, I-8419, I-8530 Rn. 107. Vgl. auch: Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 28/12, S. 551; Selmayr/Kamann/Ahlers, Die Binnenmarktkompetenz der Europäischen Gemeinschaft, S. 49, 54; Seidel, Ziele und Ausmaß der Rechtsangleichung in der EWG – Zur britischen Auffassung, EuR 1979, S. 171, 181 f. 84 Regierungsausschuss eingesetzt von der Konferenz von Messina, Bericht der Delegationsleiter an die Aussenminister, Bruxelles, dem 21. April 1956, MAE 120 d/56 (korr.), S. 66; Pipkorn/Bardenhewer-Rating, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 96 EG Rn. 9 mwN. 85 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 116 Rn. 5. 86 EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000, Rs. C-376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419, I-8529 Rn. 106. S. I-8529 Rn. 107; EuGH, Urteil vom 11. 06. 1991, Rs. C-300/89, Kommission/Rat, Slg. 1991, S. I-2895, I-2901, Rn. 23; Epiney, Neuere Rechtsprechung des EuGH in den Bereichen institutionelles Recht, allgemeines Verwaltungsrecht, Grundfreiheiten, Umwelt- und Gleichstellungsrecht, NVwZ 2001, 524, 525 zur Rechtssache Tabakwerberichtlinie: „Die Ausführungen des EuGH legen die Annahme nahe, dass es letztlich um eine Art ,Spürbarkeitserfordernis‘ geht“; Pipkorn/Bardenhewer-Rating/Taschner, in: von der Groeben/ Schwarze, EUV/EGV, Artikel 95 Rn. 17; Selmayr/Kamann/Ahlers, Die Binnenmarktkompetenz der Europäischen Gemeinschaft, S. 49, 54 ff. 87 Taschner, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorbem. zu den Arikeln 94 bis 97 EG Rn. 1. Vgl. auch: Bundesministerium der Finanzen, Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich, Ausgabe 2012, S. 40; Deutsche Bundesbank, Die Europäische Union: Grundlagen und Politikbereiche Ausserhalb der Wirtschafts- und Währungsunion, April 2005, S. 100 f.; Pipkorn/Bardenhewer-Rating/Taschner, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 95 Rn. 18 f.; Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition – Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66, 68: „Generally, the European Commission perceives regulatory differences to be undesirable as it will interfere with the common market or result in – what is seen as – unfair competition“.
D. Verhältnis materiellrechtlicher Harmonisierung zu einem Systemwettbewerb
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Pipkorn/Bardenhewer-Rating/Taschner sehen mit Art. 116 AEUV eine Möglichkeit begründet, „das Binnenmarktziel ohne „die Gefahr des ,Delaware-Effekts‘“ zu erreichen.88 Wenn hingegen ein Systemwettbewerb befürwortet wird, erscheinen die Anforderungen der Annahme von Wettbewerbsverzerrungen höher, da unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen aus dieser Perspektive über Systemwettbewerb gerade zu gesellschaftlichen Vorteilen führen. Eine Rechtfertigung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen kann bei hoher institutioneller Mobilität gerade in der Möglichkeit von Regulierungsarbitragen gesehen werden,89 Voraussetzung sind jedoch dafür geringe Transaktionskosten90. Die Transaktionskosten können wohl nur über die Schaffung eines transaktionskostensenkenden „kollisionsrechtlichen“ Rahmens und insbesondere über die Schaffung eines Systems von Rechtswahlfreiheit91 wesentlich gesenkt werden. Als Befürworter eines möglichst weitreichenden Systemwettbewerbs stellt Kerber die Frage nach einer „integrierten Wettbewerbsordnung für Unternehmen und Jurisdiktionen“.92 Kerber propagiert die Suche nach Regeln, „die gleichzeitig den Wettbewerb zwischen Jurisdiktionen und den Wettbewerb zwischen Unternehmen ermöglichen“93, wobei Kerber keine konkreten Kriterien nennt, wann eine materiellrechtliche Harmonisierung in Betracht kommt und wann nicht.
III. Das Subsidiaritätsprinzip als Harmonisierungsschranke Das Subsidiaritätsprinzip94 (Art. 5 Abs. 3 EUV), das nach (früher umstrittener Auffassung) auch Anwendung auf die Binnenmarktkompetenz findet (Art. 3 b) AEUV)95, ist eine wichtige Schranke für eine materiellrechtliche Harmonisierung. 88 Pipkorn/Bardenhewer-Rating, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 96 EG Rn. 13. 89 BGH, Urteil vom 28. 02. 1985, Az. I ZR 7/83, RIW 1985, S. 588, 589; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 219 vgl. auch: S. 221. 90 Vgl. Teil 1 § 4 B. II. 1. 91 Vgl. Teil 3 § 16. 92 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 217 ff. 93 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 221 f. 94 Zum Subsidiaritätsprinzip vgl. Bickenbach, Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 EUV und seine Kontrolle, EuR 2013, S. 523 – 548. Zur Herkunft des Subsidiaritätsprinzips aus der katholischen Soziallehre: Homann/Kirchner, Das Subsidiaritätsprinzip in der Katholischen Soziallehre und in der Ökonomik, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 45, 48 ff. 95 EuGH, Urteil vom 10. 12. 2002, Rs. C-491/01, The Queen/Secretary of State for Health, Slg. 2002, I-11453, I-11605 Rn. 179; Calliess, in: Calliess/Ruffert, AEUV/EUV, Art. 5 EUV Rn. 27.
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Danach wird die Gemeinschaft nur tätig, „sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf der Gemeinschaftsebene erreicht werden können“. Eine Konkretisierung des wertungsoffenen96 Subsidiaritätsprinzips findet sich im Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Danach sprechen (wie im Rahmen der Theorie des Fiskalföderalismus97) als „wichtige Leitlinie“98 (negative) externe Effekte für die Kompetenzverlagerung auf eine höhere Ebene.99 Die Generierung externer Effekte ist jedoch mit der Anwendung des Herkunftslandprinzips zwangsläufig verbunden100 und kann aufgrund der bewussten Entscheidung für das europarechtliche Herkunftslandprinzip nicht als Argument für eine materiellrechtliche Harmonisierung dienen. Entscheidend ist die Frage, welches Ausmaß negativer externer Effekte in Kauf genommen werden soll bzw. welches Maß an Gleichwertigkeit mitgliedstaatlicher Regulierungen im Rahmen der Marktintegration verlangt werden soll. Zudem kann die „Korrektur von Wettbewerbsverzerrungen“ Gesichtspunkt im Rahmen der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips darstellen.101 Jedoch fordert das Subsidiaritätsprinzip keine Uniformität, denn „[d]ie Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ist nach dem Subsidiaritätsprinzip kein Wert an sich, eher schon die Aufrechterhaltung ihrer Vielfalt“.102
96 Vgl. Constantinesco, „Subsidiarität“: Magisches Wort oder Handlungsprinzip der Europäischen Union?, EuZW 1991, S. 561, 563: „Die Einschätzung von Notwendigkeit und Wirksamkeit ist natürlich eine politische Aufgabe mit einem politischen Ermessensspielraum“; Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 62: „Der vorangegangene Überblick macht deutlich, daß es je nach Standpunkt und Interesse ganz verschiedene Ansätze zur Interpretation des Subsidiaritätsprinzips in der EG gab und noch gibt“. 97 Vgl. Oates, An Essay on Fiscal Federalism, Journal of Econonomic Literature XXXVII (1999), S. 1120, 1130 f. 98 Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 5 EG Rn. 30. 99 Nr. 5, erster Spiegelstrich Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl. 1997 Nr. C 340, S. 105. Vgl. Calliess, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 42. 100 Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 31; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, S. 29, 41. 101 Nr. 5, zweiter Spiegelstrich Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl. 1997 Nr. C 340, S. 105. Vgl. auch: Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 5 EG Rn. 30: „Die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen in den Mitgliedstaaten kann ein Anlaß zu einer Rechtsangleichung sein“. 102 Lambers, Subsidiarität in Europa – Allheilmittel oder juristische Leerformel, EuR 1993, S. 229, 236. Zustimmend: Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 111.
D. Verhältnis materiellrechtlicher Harmonisierung zu einem Systemwettbewerb
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Die Bewertung von Systemwettbewerb kann im Rahmen der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips103 eine erhebliche Rolle spielen.104 Ein befürchtetes „race to the bottom“ spräche für eine materiellrechtliche Harmonisierung,105 während eine positiv zu bewertende Rechtsentwicklung infolge von Systemwettbewerb oder ein Ausbleib von Systemwettbewerb trotz bestehender Rechtsunterschiede und institutioneller Mobilität106 Argumente gegen eine materiellrechtliche Harmonisierung wären. Die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips würde deswegen von Seiten der Befürworter von Systemwettbewerb wesentlich strenger erfolgen, d. h. Harmonisierung würde nur unter engeren Voraussetzungen befürwortet. Die Rechtsentwicklung hat gezeigt, dass das Subsidiaritätsprinzip nur eingeschränkt in der Lage war, der Harmonisierungsdynamik107 Grenzen zu setzen, insbesondere gelang es bisher kaum, die Inanspruchnahme der Binnenmarktkompetenz mittels des Subsidiaritätsprinzips zu begrenzen.108
103 Zur Herkunft des Subsidiaritätsprinzips aus der katholischen Soziallehre: Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 28 – 30; Homann/ Kirchner, Das Subsidiaritätsprinzip in der Katholischen Soziallehre und in der Ökonomik, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 45, 48 ff. 104 Homann/Kirchner sehen in einem Ausschluss von Systemwettbewerb mittels materiellrechtlicher Harmonisierung ein Verlust der Chancen, die sich durch Systemwettbewerb möglicherweise ergeben (Homann/Kirchner, Das Subsidiaritätsprinzip in der Katholischen Soziallehre und in der Ökonomik, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 45, 60); Oates, An Essay on Fiscal Federalism, Journal of Econonomic Literature XXXVII (1999), S. 1120, 1134 ff.; Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 81; zum Teil wird die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips als Aufgabe der Optimierung von Effizienz verstanden: Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 34; Lambers, Subsidiarität in Europa – Allheilmittel oder juristische Leerformel, EuR 1993, S. 229, 236. 105 Vgl. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 32. 106 Zur Dezentralität: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 20 f. Zu möglichen Vorteilen von Dezentralität außerhalb von Systemwettbewerb: Homann/Kirchner, Das Subsidiaritätsprinzip in der Katholischen Soziallehre und in der Ökonomik, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 45, 58 – 60. Vgl. zu unterschiedlichen politischen Präferenzen der Bürger der deutschen Bundesländer: Fricke, Deutschland dezentral – Potentiale, Probleme, politische Perspektiven, S. 22 ff. 107 Vaubel, Die politisch-ökonomischen Ursachen der Zentralisierungsdynamik, Wirtschaftsdienst 2007, S. 84 – 88. Zur Lage in den USA: Scupin, Deutscher Bundesstaat und Gleichheitssatz, in: FS Hugelmann, S. 579, 593. 108 Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 90; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 168.
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§ 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs
E. Definition des Herkunftslandes im Rahmen der Warenverkehrsverkehrsfreiheit Die Modelle eines Systemwettbewerbs infolge des europarechtlichen Herkunftslandprinzips setzen eine Standortrelevanz mitgliedstaatlicher Regulierungen aufgrund der Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips voraus.109 Damit gehen die Vertreter dieser Modelle von der Maßgeblichkeit der am Produktionsstandort bzw. des Ortes der Leistungserstellung geltenden Regulierungen aus. Dieses Land ist nach dieser Modellierung „Herkunftsland”. Ein solches Verständnis legt die Cassis-Entscheidung nahe, nach der es „keinen stichhaltigen Grund dafür [gibt], zu verhindern, daß in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und in den Verkehr gebrachte alkoholische Getränke in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden“.110 Der Herstellungsort und der Erstvermarktungsort lagen hier beide in Frankreich, weswegen unklar bleibt, welche Anknüpfung beim Auseinanderfallen von Herstellungsort und Erstvermarktungsort gilt.111 Auch die Stellungnahme der Kommission zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und das Weißbuch der Kommission bringen keine Klarheit dieser Frage, da die Kommission fast wörtlich den fraglichen Satz in der Cassis-Entscheidung zitiert112. Es ist jedoch anerkannt, dass als Herkunftsland der Ort der Erstvermarktung einer Ware oder Dienstleistung in Betracht kommt.113 Die Kumulation von Herstellung und Erstvermarktung im 109 Vgl. Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523; Streit, Systemwettbewerb und europäische Integration, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 11, 13: „Möglich ist aber auch eine Abwanderung von Inländern durch Produktionsverlagerungen in Regulierungsregime, die unter den vorherrschenden Bedingungen insgesamt günstiger beurteilt werden“; Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53, 56; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme? in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 57. 110 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 664 Rn. 14. 111 Vgl. aber: Steindorff, Probleme des Art. 30 EWG-Vertrag, ZHR 148 (1984), S. 338, 351: „Was immer die Richter mit dieser Formel gemeint haben mögen […]. Danach setzt Art. 30 voraus, daß Waren zunächst in einem EG-Staat hergestellt oder wenigstens in den Handel gekommen sein müssen“. 112 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, 1985, S. 17 Rn. 58: „Wenn ein Erzeugnis in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden ist, ist nicht einzusehen, warum es nicht überall in der Gemeinschaft verkauft werden sollte“. 113 Vgl. EuGH, Urteil vom 20. 4. 1983, Rs. 59/82, Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft/Weinvertriebs-GmbH, Slg. 1983, 1217, 1226 Rn. 8 ff.; EuGH, Urteil vom 22. 6. 1982, Rs. 220/81, Robertson, Slg. 1982, 2349, 2361 Rn. 12; EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985, Rs. 229/83, Leclerc, Slg. 1985, 1, 35 Rn. 26; Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 15; Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S. 205: „Dabei ist unter ,Herkunftsland‘ derjenige Mitgliedstaat zu verstehen, in dem sich das Produkt vor der
E. Definition des Herkunftslandes
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Cassis-Fall diente als Untermauerung für die Ansicht des EuGH, dass ein Einfuhrverbot nicht gerechtfertigt ist.114 Der Ort der Herstellung und der Ort der Erstvermarktung besitzen dabei jeweils eigenständige Bedeutung. So stellte der EuGH klar, dass Mitgliedstaaten im Fall einer Erstvermarktung im Inland nicht auf die Einhaltung strengerer Bestimmungen des Herstellungslandes bestehen können, wenn den inländischen Regelungen entsprochen ist.115 Auch bestätigte der EuGH die Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit auf re-importierte Waren.116 Hinsichtlich re-importierter Kraftfahrzeuge stellte der EuGH ausdrücklich fest, dass der Herstellungsort von Kraftfahrzeugen für die Frage der Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit nicht relevant ist: „Im Hinblick auf Artikel 30 stellt ein im Inland hergestelltes Fahrzeug, das ausgeführt und anschließend im Wege der Paralleleinfuhr wiedereingeführt wird, ebenso ein eingeführtes Erzeugnis dar wie ein in einem anderen Mitgliedstaat hergestelltes Fahrzeug, das anschließend direkt in das Inland eingeführt wird“.117
Die Anknüpfung an den Ort der Erstvermarktung ist insbesondere in Bezug auf Drittlandswaren relevant.118 Es ergeben sich aufgrund der eigenständigen Bedeutung des Ortes der Erstvermarktung Möglichkeiten der Regulierungsarbitrage über die Wahl des Ortes der Erstvermarktung.119 Einschränkungen bestehen, sofern der Markt des HerstelGrenzüberschreitung befand, sei es, daß es dort hergestellt wurde, oder sich dort in rechtmäßigem freien Verkehr befand“; Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 25; Sack, Art. 30, 36 EG-Vertrag und das internationale Wettbewerbsrecht, WRP 1994, S. 281, 287; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 28 EG Rn. 190; Leible, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 28 Rn. 23 (EL 15 Januar 2000): [Die Cassis de Dijon-Rechtsprechung] „gilt ungeachtet des Wortlauts der o. a. Formel außerdem für Erzeugnisse, die nicht in demselben Mitgliedstaat erstmals in Verkehr gebracht werden, in dem sie hergestellt worden sind […]“. 114 Leible, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 28 Rn. 23 (EL 15 Januar 2000). 115 EuGH, Urteil vom 20. 4. 1983, Rs. 59/82, Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft/Weinvertriebs-GmbH, Slg. 1983, 1217, 1226 Rn. 8 ff.; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 28 EG Rn. 70. 116 EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985, Rs. 229/83, Association des Centres distributeurs Édouard Leclerc, Slg. 1985, 1, 35 Rn. 26; EuGH, Urteil vom 27. 6. 1996, Rs. C-240/95, Rémy Schmit, Slg. 1996, I-3179, I-3200 Rn. 10. 117 EuGH, Urteil vom 27. 6. 1996, Rs. C-240/95, Rémy Schmit, Slg. 1996, I-3179, I-3200 Rn. 10. 118 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 3. 1979, Rs. 119/78 SA des Grandes Distilleries Peureux, Slg. 1979, S. 976, 986 Rn. 26; Steindorff, Probleme des Art. 30 EWG-Vertrag, ZHR 148 (1984), S. 338, 348 – 352. 119 Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 25: „Durch die Erstvermarktung von Waren in einem Mitgliedstaat mit vergleichsweise niedrigem Schutzniveau könnte ein Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat sich ein günstigeres Recht aussuchen, indem es die Waren über die Grenze schafft und in den Verkehr bringt. Des weiteren können Vertriebswege von Waren oft nicht nachgezeichnet werden“.
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§ 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs
lungslandes im Wege eines Re-Importes bedient werden soll, da mittels eines ReImportes nicht die Regulierungen im Land der Herstellung umgangen werden dürfen.120 Eine Standortverlagerung ist deshalb – außer im Fall eines Re-Importes – nicht notwendig, um Unterschiede in Bezug auf Produktregulierungen auszunutzen. Eine Standortrelevanz mitgliedstaatlicher Regulierungen ist deshalb aus rechtlicher Perspektive nur im Hinblick auf die Produktion gegeben, die in dem Staat verkauft werden soll, in dem das entsprechende Unternehmen seinen Sitz hat. Auch in Bezug auf Drittlandswaren ergeben sich Spielräume für Regulierungsarbitragen. Der Mitgliedstaat der Erstvermarktung kann insofern bewusst gewählt werden, um die Ware oder Dienstleistung anschließend weiter in einen oder in mehrere andere Mitgliedstaaten zu importieren.121 Auch wenn die Erstvermarktung bereits im Herstellungsland stattfindet, besteht ein Bestimmungsstaat, in dem liberalere Vorschriften gelten, grundsätzlich nicht auf die Einhaltung der im Herstellungsland geltenden Regulierungen und der Herkunftsstaat erlaubt es regelmäßig für Exporte vom heimischen Regulierungsniveau abzuweichen.122 Insofern trägt das Herkunftslandprinzip in tatsächlicher Hinsicht den Charakter eines Günstigkeitsprinzips.123 Die ökonomischen Modelle eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip übersehen im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit die grundsätzliche Bedeutung des Rechts des Erstvermarktungsortes und des Charakters des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips als Günstigkeitsprinzip, woraus eine Überschätzung der Standortrelevanz mitgliedstaatlicher Regulierungen folgt.
120
EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985, Rs. 229/83, Leclerc, Slg. 1985, 1, 35 Rn. 27 (französische Buchpreisbindung). Thünken weist auf die „Gefahr der Manipulation von anknüpfungsrelevanten Tatsachen“ hin (Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 25). 121 Vgl. Steindorff, Probleme des Art. 30 EWG-Vertrag, ZHR 148 (1984), S. 338, 349. 122 Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 15 f. 123 Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 15 ff.; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1991 – Harmonisierungsmodell oder Mehrspurigkeit des Kollisionsrechts, IPRax 1991, S. 361, 369; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG ab 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357, 371; Albath/Giesler, Das Herkunftslandprinzip in der Dienstleistungsrichtlinie – eine Kodifizierung der Rechtsprechung, EuZW 2006, S. 38, 41; Halfmeier, Vom Cassislikör zur E-Commerce-Richtlinie: Auf dem Weg zu einem europäischen Mediendeliktsrecht, ZEuP 2001, S. 837, 854. Ablehnend: Gebauer, Internationales Privatrecht und Warenverkehrsfreiheit in Europa, IPrax 1995, S. 152, 156.
F. Umgehungsrechtsprechung als Grenze von Regulierungsarbitragen
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F. Umgehungsrechtsprechung als Grenze von Regulierungsarbitragen I. Umgehungsrechtsprechung im Rahmen der Dienstleistungsverkehrsfreiheit Eine Grenze für Regulierungsarbitragen mittels Standortverlagerungen bildet hinsichtlich der Erbringung von Dienstleistungen die Umgehungsrechtsprechung des EuGH,124 sofern ein Anbieter seinen Standort verlegt, um weiterhin seinen ehemaligen Heimatmarkt zu bedienen. Bereits in der Entscheidung Van Binsbergen stellte der EuGH klar, dass Mitgliedstaaten „nicht das Recht zum Erlaß von Vorschriften abgesprochen werden [kann], die verhindern sollen, daß der Erbringer einer Leistung, dessen Tätigkeit ganz oder vorwiegend auf das Gebiet dieses Staates ausgerichtet ist, sich die durch Artikel 59 garantierte Freiheit zunutze macht, um sich den Berufsregelungen zu entziehen, die auf ihn Anwendung fänden, wenn er im Gebiet dieses Staates ansässig wäre […]“.125
Später erlangte diese Rechtsprechung vor allem im fernsehrechtlichen Kontext (insbesondere im Zusammenhang mit der Übertragung von Programmen auf den niederländischen Markt) Bedeutung.126 In der Rechtssache VT 4 stellte der EuGH klar, dass von der Bedienung eines bestimmten mitgliedstaatlichen Marktes und einer Anpassung des Programmes an die dortige Sprache nicht ohne weiteres auf eine Umgehung geschlossen werden kann.127 Der Vertrag verbietet es nach Bewertung des EuGH einem Unternehmen nicht, die Dienstleistungsfreiheit auszuüben, auch wenn es keine Dienste in dem Mitgliedstaat anbietet, in dem es ansässig ist.128 In der für die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften grundlegenden Rechtssache Centros verneint der EuGH im Rahmen der Niederlassungsfreiheit eine Umgehung im Fall der Gründung einer englischen Limited in Großbritannien zum Zwecke deren ausschließlichen wirtschaftlichen Nutzung in Dänemark, auch wenn dieser Weg bewusst zur Ausnutzung von Vorteilen des britischen Gesellschaftsrechts insbesondere des zu vernachlässigenden Mindestkapitalerfordernisses gewählt wurde.129 Der EuGH begründet dies damit, dass das Recht, 124
Einen Überblick über Umgehungsrechtsprechung des EuGH liefern: Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 45 AEUV Rn. 302 ff. (EL 42 September 2010); Sørensen, Abuse of Rights in Community Law: A Principle of Substance or merly Rhetoric?, Common Market Law Review 43 (2006), S. 423 – 459. 125 EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974, Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, S. 1299, 1309 Rn. 13. 126 EuGH, Urteil vom 3. 2. 1993, Rs, C-148/91, Veronica, S. I-487, I-519 Rn. 13; EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd, Slg. 1997, I-3143, I-3167 Rn. 17 ff. 127 EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd, Slg. 1997, I-3143, I-3168 Rn. 22. 128 EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd, Slg. 1997, I-3143, I-3168 Rn. 22. 129 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1493 Rn. 27.
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§ 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs
„eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, […] unmittelbar aus der vom EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit [folgt]“.130
Die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften ist jedoch nicht übertragbar auf die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen, da eine Rechtswahlfreiheit nicht notwendig ist, um das der Dienstleistungsverkehrsfreiheit zugrundeliegende Ziel der Eröffnung eines Marktzugangs131 zu erreichen. Allein das Vorliegen von Rechtsunterschieden kann nicht ausreichen, um eine Umgehung anzunehmen. Voraussetzung für die Annahme einer Umgehung ist, dass Fernsehveranstalter mit der Standortwahl bewusst mitgliedstaatliche Regulierungsunterschiede ausnutzen.132 Im Fall von standortbezogenen Regulierungsarbitragen wie sie von den Modellen eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip modelliert werden, sind die Voraussetzungen eines solchen bewussten Ausnutzens gegeben, so dass die Modellbildung die Bedeutung der Umgehungsrechtsprechung (soweit ein Systemwettbewerb im Bereich von Dienstleistungen überhaupt modelliert wird) nicht richtig erfasst. Es besteht insofern hinsichtlich der Modellbildung Korrekturbedarf. In der Realität stößt jedoch der Nachweis einer bewussten Ausnutzung von Regulierungsunterschieden und damit eine Umgehung auf Schwierigkeiten, so dass tatsächlich ein Spielraum für Umgehungen bestehen kann. Ein wichtiges Indiz für eine Umgehung kann die ausschließliche Ausrichtung des Angebotes von Dienstleistungen auf den Markt des ursprünglichen Standortes sein, wobei der EuGH eine Ausrichtung des in Großbritannien ansässigen Senders VT 4 auf das flämische Publikum als nicht ausreichend erachtete, um eine Umgehung anzunehmen.133 Gerade wenn ein Anbieter seine Tätigkeit nicht nur auf einen anderen mitgliedstaatlichen Markt ausrichtet, sondern auch seinen Heimatmarkt bedient, fällt der Nachweis einer Umgehung äußerst schwer,134 zumal Anbieter über die Freiheit der Wahl ihrer Niederlassung verfügen135.
130
EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1493 Rn. 27. Vgl. EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974, Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, S. 1299, 1309 Rn. 10/12; EuGH, Urteil vom 17. 12. 1981, Rs. 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, 3324 Rn. 16; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 34 AEUV Rn. 79 (September 2010 EL 42). 132 Vgl. Helwig, Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zur Schaffung eines europäischen Medienkonzentrationsrechts, S. 98. 133 EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd., Slg. 1997, I-3143, I-3168 Rn. 22. 134 Vgl. Grünbuch der Kommission, Pluralismus und Medienkonzentration im Binnenmarkt, KOM (1992) 480 endg., S. 71; Helwig, Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zur Schaffung eines europäischen Medienkonzentrationsrechts, S. 98. 135 Vgl. EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd., Slg. 1997, I-3143, I-3168 Rn. 22. 131
G. Lauterkeit einer staatlichen Reaktion auf institutionelle Mobilität
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II. Umgehungsrechtsprechung im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit Im Bereich des Warenverkehrs spielt die Umgehungsrechtsprechung nur im Fall von Re-Importen (also im Fall einer Wahl des Erstvermarktungsortes) eine Rolle.136 Inländische Anbieter sind zudem im Hinblick auf eine Produktion für Exportmärkte regelmäßig nicht an die inländischen Produktregulierungen gebunden137, woran sich der EuGH nicht stößt. Der Umgehungseinwand besitzt im Bereich des Warenverkehrs deswegen eine deutlich geringere Bedeutung.138 Hintergrund ist, dass Produktregulierungen aufgrund ihrer relativ geringen Bedeutung innerhalb des jeweiligen Standortbündels in der Regel keinen hinreichenden Anreiz geben, den Standort zu verlagern (was die Systemwettbewerbstheorie unterschlägt); der Regulierung im Bereich von Dienstleistungen kommt hingegen eine tendenziell höhere Bedeutung zu139. Zudem ist die Produktion von Waren im Gegensatz zu Dienstleistungen (wie das Senden von Fernsehprogrammen140) nur selten auf einen Mitgliedstaat ausgerichtet.141 Waren werden typischerweise in eine Vielzahl von Staaten vertrieben. Von einer Umgehung kann deswegen (außer im Fall von Re-Importen142) praktisch kaum ausgegangen werden.
G. Lauterkeit einer staatlichen Reaktion auf institutionelle Mobilität In Ausdruck der systemwettbewerblichen Marktanalogie wird die Frage aufgeworfen, ob staatliche Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt eines „normativen Dumpings“ Grenzen gesetzt sind.143 Für die Beurteilung, ob eine gesetzgeberische 136
EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985, Rs. 229/83, Leclerc, Slg. 1985, 1, 35 Rn. 27. Vgl. Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1, 15 ff. 138 Anders: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 159. 139 Kommission, Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Der Stand des Binnenmarkts für Dienstleistungen – Bericht im Rahmen der ersten Stufe der Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor, KOM(2002) 441 endgültig, 30. 07. 2002, S. 15 (untere Hälfte). 140 Vgl. EuGH, Urteil vom 3. 2. 1993, Rs, C-148/91, Veronica, S. I-487, I-519 Rn. 13; EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd., Slg. 1997, I-3143, I-3168 Rn. 22. 141 Anders kann dies in Bezug auf in einer bestimmten Landessprache abgefasste Texte oder in Bezug auf in einer Landessprache aufenommene Videos, Hörbücher und dergleichen sein. 142 EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985, Rs. 229/83, Leclerc, Slg. 1985, 1, 35 Rn. 27. 143 Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69, S. 7, 47 f.; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 607 – 611; Monopol137
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§ 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs
Handlung im Systemwettbewerb als lauter angesehen werden kann, wird zum Teil der Vorschlag unterbreitet, im EU-Kontext 144, aber auch im welthandelsrechtlichen Zusammenhang145, Deregulierungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt einer Beihilfegewährung (vgl. Art. 107 AEUV) zu prüfen,146 da aus einer Deregulierung ähnliche Vorteile für die betroffenen Unternehmen folgen können wie im Fall der Gewährung von Beihilfen.147 Eine Prüfung systemwettbewerblicher Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt einer Beihilfegewährung könnte insbesondere ein Argument derjenigen sein, die einem Systemwettbewerb der Mitgliedstaaten kritisch gegenüberstehen. Anerkannt ist, dass, dass „steuerliche Verschonungssubventionen“ staatliche Beihilfen darstellen können.148 In der Rechtssache Solman Neptun149 ging es um die Frage, ob das deutsche Gesetz zur Einführung eines zusätzlichen Registers für Seeschiffe unter der Bundesflagge im internationalen Verkehr150 eine unzulässige Beihilfe im Sinne des Art. 87 EGV darstellt. Das vorlegende Gericht nahm das Vorliegen einer Beihilfe an und begründete dies unter anderem damit, dass die Schiffe, die im Internationalen Seeschifffahrtsregister eingetragen seien, weiterhin die Bundesflagge führen dürften und damit weiterhin vom guten Ruf der Bundesflagge profitieren könnten.151 Der EuGH jedoch verneinte eine Beihilfegewährung kommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 24 Tz. 22 f. (sehr kritisch in Bezug auf diesen Topos). 144 Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 46 – 48. 145 Vgl. Trachtman, International Regulatory Competition, Externalization, and Jurisdiction, Harvard International Law Journal 34 (1993), S. 47, 81 – 98. 146 Zur Regulierung von Beihilfen als Element eines Ordnungsrahmens eines Wettbewerbs der Staaten: Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 254 – 256; Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs; Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4. 147 Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 46. 148 Vgl. EuGH, Urteil vom 17. 3. 1993, verb. Rs. C-72 und C-73/91, Sloman Neptun Schiffahrts AG, Slg. 1993, I-887 ff.; EuGH, Urteil vom 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P, Tz. 71 ff.; EuGH, Urteil vom 15. 03. 1994, Rs. C-387/92, Banco de Crédito Industrial SA, Slg. I-902 Rn. 13 f.; Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 115. Vgl. auch: Jaeger, Fehlstellungen im Verhältnis von Steuer- und Beihilferecht: Ein Plädoyer für mehr Ausgewogenheit, EuZW 2012, S. 92 – 99. 149 EuGH, Urteil vom 17. 3. 1993, verb. Rs. C-72 und C-73/91, Sloman Neptun Schiffahrts AG, Slg. 1993, I-887. 150 Gesetz zur Einführung eines zusätzlichen Registers für Seeschiffe unter der Bundesflagge im internationalen Verkehr (Internationales Seeschiffahrtsregister – ISR) vom 23. 3. 1989, BGBl. I 1989, 550. Vgl. Teil 3 § 16 B. VI. 151 EuGH, Urteil vom 17. 3. 1993, verb. Rs. C-72 und C-73/91, Sloman Neptun Schiffahrts AG, Slg. 1993, I-887, I-891: „Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Bremen kann auch die Entlastung der Reeder um den Differenzbetrag zwischen dem Beitrag auf die Heimatlandheuer und auf die durchschnittliche deutsche Heuer zu einer Verfälschung des Wettbewerbs führen, da
G. Lauterkeit einer staatlichen Reaktion auf institutionelle Mobilität
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unter Verweis, dass der regulierungsbedingte Vorteil nicht zu einer zusätzlichen Belastung des Staates oder staatlicher Einrichtungen führt. Der EuGH führt in diesem Zusammenhang aus: „Die fragliche Regelung zielt in ihrem Zweck und ihrer allgemeinen Systematik nicht auf die Schaffung eines Vorteils ab, der eine zusätzliche Belastung für den Staat oder für die genannten Einrichtungen darstellen würde. Vielmehr solle mit ihr zugunsten der Seeschifffahrts-Unternehmen lediglich der arbeitsrechtliche Rahmen verändert werden. Die sich daraus ergebenden Folgen sind, sowohl sie die vom vorlegenden Gericht erwähnte Differenz in der Berechnungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge als auch soweit sie die von der Kommission angeführte eventuelle Einbuße an Steuererträgen infolge der geringen Höhe der Vergütungen betreffen, einer solchen Regelung immanent und stellen kein Mittel dar, um den betroffenen Unternehmen einen bestimmten Vorteil zu gewähren“.152
Im Zusammenhang mit steuerrechtlichen Regelungen ist im Hinblick auf das Vorliegen einer Beihilfe nach der Rechtsprechung des EuGH auch entscheidend, ob bestimmte Unternehmen steuerrechtlich bevorzugt werden.153 Die Rechtswissenschaftlerin Peters schlägt zur Abgrenzung zwischen lauterem und unlauterem Handeln eine Differenzierung zwischen Regelungen zum Gesundheitsschutz und Unfallverhütung einerseits und Löhnen und Kündigungsschutz andererseits vor. Eine zu laxe Regulierung im ersteren Bereich soll nach Peters grundsätzlich als unlautere Regulierungspraktik im Wettbewerb der Rechtsordnungen um Produktionsstandorte qualifiziert werden154 – womit Peters wohl ausschließlich Prozessregulierungen in den Blick nimmt. Anliegen von Peters ist eine Unterscheidung zwischen Regulierungsanforderungen, die als derart grundlegend betrachtet werden können, als dass sie aus einem Wettbewerb herausgehalten werden sollen, womit implizit nicht nur die aus einer Ungleichheit von Wettbewerbsbedingungen folgenden Ungerechtigkeiten in den Blick genommen werden, sondern die Wirtschaftsteilnehmer weiter vom ,good will‘ der deutschen Flagge profitieren könnten, ohne jedoch die damit verbundenen Kosten tragen zu müssen“. 152 EuGH, Urteil vom 17. 3. 1993, verb. Rs. C-72 und C-73/91, Sloman Neptun Schiffahrts AG, Slg. 1993, I-887, I-934, Tz 21. Vgl. zur beihilferechtlichen Prüfung auch: EuGH, Urteil vom 15. 03. 1994, Rs. C-387/92, Banco de Crédito Industrial SA, Slg. I-902 Rn. 14; EuGH, Urteil vom 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P, Tz. 71 ff. Nach Englisch ist zu prüfen, ob die Maßnahme zu einer zielgerichteten Stärkung bestimmter Unternehmen im Wettbewerb führt (Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 120, S. 168). 153 EuGH, Urteil vom 15. 03. 1994, Rs. C-387/92, Banco de Crédito Industrial SA, Slg. I902 Rn. 13 ff. „Wie der Gerichtshof bereits im Rahmen des EGKS-Vertrags festgestellt hat […], ist der Begriff der Beihilfe daher weiter als der Begriff der Subvention, denn er umfasst nicht nur positive Leistungen wie Subventionen selbst, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen“ (Tz. 13); EuGH, Urteil vom 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P, Tz. 73 ff. 154 Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 47 f.
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§ 8 Untersuchung des rechtlichen Rahmens eines Systemwettbewerbs
die Befürchtung eines „race to the bottom“ in den von Peters genannten Bereichen im Raum steht. Eine Deregulierung im Bereich der Waren- und Dienstleistungsregulierung kann bei Zugrundelegung der Rechtssache Sloman Neptun Schiffahrts-GmbH als auch nach Peters grundsätzlich nicht als Beihilfe angesehen werden. Im Rahmen der Regulierungsgestaltung unter Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips ist jedoch zu berücksichtigen, dass mitgliedstaatliche Regulierungen bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips (negative) externe Effekte auf andere Mitgliedstaaten zeitigen.155 Die Generierung von externen Effekten unter Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips ist nicht per se unlauter, da sie bei einer Unterschiedlichkeit mitgliedstaatlicher Regulierungen bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzip zwangsläufig auftreten; unlauter ist jedoch eine Gesetzgebung, die negative Effekte einer Regulierung bewusst auf das Ausland überwälzt, um aus einem niedrigeren Regulierungsniveau ökonomische Vorteile zu erzielen. In diesem Fall besteht ein systemwettbewerbliches Marktversagen, das vom EuGH mittels der Anwendung der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auszuschließen ist. Mitgliedstaaten kann im Rahmen der bestehen Schranken aber nicht verwehrt werden, ihr Regulierungsniveau dergestalt zu senken, dass sie gerade noch in anderen Mitgliedstaaten anerkennungsfähig sind. Die Rechtsprechung des EuGH zu den Schranken des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips liefert einen hinreichenden Ordnungsrahmen. Der Kategorie einer Lauterkeit bzw. Unlauterkeit gesetzgeberischer Maßnahmen bedarf es im europäischen Kontext zwar nicht; der Hinweis auf den Topos einer systemwettbewerblichen Lauterkeit ist im europarechtlichen Kontext jedoch insofern erkenntniserweiternd, als dass im Rahmen der Schrankenbestimmung Berücksichtigung finden kann, ob die jeweilige mitgliedstaatliche Regulierung darauf abzielt, systematisch negative externe Effekte in anderen Mitgliedstaaten zu generieren, um dadurch ökonomische Vorteile im Inland zu gewinnen.
155
Vgl. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 31.
§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip in Referenzgebieten A. Lebensmittelregulierung als Gegenstand von Systemwettbewerb Prägend für die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit war das Lebensmittelrecht. Es liefert zugleich die bekanntesten Beispiele systemwettbewerblicher Responsivität auf die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit.1
I. Mindestalkoholgehalt für Spirituosen In der Cassis-Entscheidung2 aus dem Jahr 1979 untersagte der EuGH der Bundesrepublik das frühere deutsche Erfordernis eines Mindestalkoholgehaltes für Spirituosen (§ 100 Abs. 3 Branntweinmonopolgesetz a. F.3) in Bezug auf Importwaren aus anderen Mitgliedstaaten durchzusetzen. Nach dem Urteilsspruch dauerte es vier Jahre, bis der deutsche Gesetzgeber die Anerkennung ausländischer Produkte, die dem Mindestweingeisterfordernis nicht entsprechen, festschrieb.4 Eine Umsetzung erfolgte mit § 2 der Verordnung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein über den Mindestalkoholgehalt von Trinkbranntweinen i. d. F. vom 10. 3. 1983, wonach die in anderen Mitgliedstaaten in freiem Verkehr befindlichen Erzeugnisse von der Regulierung ausgenommen wurden.5 § 100 Abs. 3 Branntweinmonopolgesetz wurde dabei jedoch nicht geändert,6
1 Vgl. Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 107 ff.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 224 – 226. 2 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 ff. 3 Gesetz über das Branntweinmonopol vom 8. April 1922, RGBl. I S. 335, 405. Vgl. dazu: Hengst, Das Brennrecht in der deutschen Monoplsetzgebung, S. 9 ff. 4 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung für Politik und Theorie, S. 103, 108 (Winkler spricht insofern von einer planmäßigen Verzögerung seitens des deutschen Gesetzgebers). 5 Vgl. BGH, Urteil vom 28. 02. 1985, Az. I ZR 7/83, RIW 1985, S. 588.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
worin nach Winkler eine Verschleierung der Verkehrsfähigkeit nicht der Regulierung entsprechenden Erzeugnissen gesehen werden kann.7 Das Mindestweingeisterfordernis wurde damit zunächst für deutsche Hersteller von Spirituosen beibehalten, obwohl die Bundesregierung nach ihren Ausführungen vor dem EuGH im Fall einer Liberalisierung eine Abschaffung der Regulierung in Aussicht stellte8. Hintergrund für die Beibehaltung der Regulierung war die Befürchtung heimischer Spirituosenhersteller, dass vor allem heimische Wettbewerber von einer Anpassung der Branntweinverordnung profitieren würden,9 weshalb die etablierten deutschen Hersteller kein Interesse an einer schnellen Abschaffung der Regelung hatten10. Mit anderen Worten waren Nachteile infolge einer Inländerdiskriminierung weniger relevant als Nachteile infolge einer verschärfteren Konkurrenz seitens inländischer Anbieter. Im Jahr 1985 bestätigte der BGH die Rechtmäßigkeit einer Inländerdiskriminierung infolge der Regelung.11 Nach Ansicht des BGH bestanden die bisherigen sachlichen Gründe für die Regelung des § 100 Abs. 3 Branntweinmonopolgesetz a. F. fort, was der BGH jedoch nicht näher erläuterte.12 Insbesondere fehlt eine Erörterung der Frage, inwieweit die Zulassung von alkoholischen Getränken aus dem Verkehr anderer Mitgliedstaaten in Deutschland, die nicht dem Erfordernis eines Mindestweingeistgehaltes unterliegen, die deutsche Regelung entwertet.13 Im Jahr 1987 reduzierte der deutsche Gesetzgeber den gesetzlichen Mindestalkoholgehalt für bestimmte Trinkbranntweine,14 ohne jedoch eine Begründung für diesen Schritt zu geben. 6
Verordnung über die Änderung der Verordnung über den Mindestalkoholgehalt von Trinkbranntweinen vom 10. 3. 1983, Bundesanzeiger Nr. 58 vom 24. 03. 1983; Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung für Politik und Theorie, S. 103, 108; Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 137 f. 7 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung für Politik und Theorie, S. 103, 108. 8 EuGH, Urteil vom 20. 02. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649, 656. 9 Borrmann/Michaelis, Lebensmittel im europäischen Binnenmarkt, S. 154. 10 Borrmann/Michaelis, Lebensmittel im europäischen Binnenmarkt, S. 154. 11 BGH, Urteil vom 28. 02. 1985, Az. I ZR 7/83, RIW 1985, S. 588, 589. 12 Kritisch: Müller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, S. 38 f.; Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271, 291; Kleier, Freier Warenverkehr (Art. EWG-Vertrag) und die Diskriminierung inländischer Erzeugnisse, RIW 1988, S. 623, 629. 13 Zu diesem Gesichtspunkt: BVerwG, Urteil vom 24. 02. 2005, Az. 3 C 5.04, S. 6 (= BVerwGE 123, 82 ff.); Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung ?, AöR 118 (1993), S. 591, 612. 14 Verordnung (EWG) Nr. 1576/89 des Rates vom 29. Mai 1989 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen,
A. Lebensmittelregulierung als Gegenstand von Systemwettbewerb
361
Mit der EG-Spirituosenverordnung aus dem Jahr 1989 erfolgte eine materiellrechtliche Harmonisierung der Rechtslage auf europäischer Ebene.15 Im Gesetzentwurf16 zum deutschen Umsetzungsgesetz17 ist knapp die Rede von der Beseitigung einer für das Monopol- und Steuerrecht entbehrlichen Vorschrift.18 Eine Bezugnahme auf die aus der Regelung folgende Inländerdiskriminierung erfolgt nicht. Soweit die Deregulierung auf die Marktöffnung auf Grundlage der Warenverkehrsfreiheit zurückzuführen ist, kann von einer Machtbegrenzungsfunktion und Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden, da die Regelung gerade dem wettbewerblichen Schutz etablierter deutscher Hersteller vor anderen deutschen Herstellern diente19.
ABl. EG Nr. L 160/1, 12. 4. 1989; Verordnung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein zur Änderung der Verordnung über den Mindestalkoholgehalt von Trinkbranntweinen, BGBl. Nr. 80 vom 29. 4. 1987, S. 4773. 15 Verordnung (EWG) Nr. 1576/89 des Rates vom 29. Mai 1989 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen vom 29. 5. 1989, ABl. 1989 L 160, S. 1 ff.; Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 108; Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 138. 16 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Verbrauchssteuer- und anderen Gesetzen an das Gemeinschaftsrecht sowie zur Änderung anderer Gesetze (Verbrauchssteuer-Binnenmarktgesetz), BT-Drs. 12/3432, 14. 10. 1992, S. 22, 78. 17 Art. 3 Ziff. 17 Gesetz zur Anpassung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen an das Gemeinschaftsrecht sowie zur Änderung anderer Gesetze vom 21. Dezember 1992, BGBl. I, S. 2150. 18 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Verbrauchssteuer- und anderen Gesetzen an das Gemeinschaftsrecht sowie zur Änderung anderer Gesetze (Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz), BT-Drs. 12/3432 vom 14. 10. 1992, S. 78. 19 Lieven/Hoppe, Gesetz über das Branntweinmonopol vom 8. April 1922, Stand 1. Februar 1949, 1949, § 100 Anm. 3, S. 92 (Konkurrenzschutz gegenüber ausländischen Erzeugnissen). Die Regelung zum Mindestweingeist wurde ursprünglich geschaffen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Monopolerzeugnisse gegenüber den Produkten, die vom Destillateur-Gewerbe hergestellt worden waren, abzusichern (Lieven/Hoppe, Gesetz über das Branntweinmonopol vom 8. April 1922, Stand 1. Februar 1949, § 100 Anm. 3, S. 92).
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
II. Deutsches Reinheitsgebot für Bier 1. Rechtsentwicklung infolge der EuGH-Entscheidung zum deutschen Reinheitsgebot für Bier a) EuGH-Entscheidung Die Durchsetzung des deutschen Reinheitsgebots für Bier im grenzüberschreitenden Verkehr war im Jahr 1987 Gegenstand einer EuGH-Entscheidung.20 Die Herstellung von Bier war im Zeitpunkt der Entscheidung des EuGH in § 9 BStG a. F. reguliert. Nach § 9 Abs. 1 BStG a. F. durften für die Herstellung untergäriger21 Biere nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet werden.22 Gemäß § 9 Abs. 2 BStG a. F. mussten auch obergärige Biere aus diesen Stoffen hergestellt werden, jedoch war es erlaubt, anderes Malz, technisch reinen Rohr-, Rüben- oder Invertzucker sowie Stärkezucker und daraus hergestellte Farbmittel zu verwenden. Das in § 9 BStG a. F. verankerte Verbot galt zwar nur für Biere, die auf dem Territorium der Bundesrepublik gebraut werden. Es galt aber ein absolutes Verkehrsverbot, wenn ein importiertes Bier unerlaubte Zusatzstoffe enthielt (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 LMBG).23 Nicht im Einklang mit § 9 BStG a. F. Gebrautes konnte nicht unter der Bezeichnung „Bier“ in Deutschland vertrieben werden (§ 10 Abs. 1 BStG).24 Der EuGH erkannte sowohl in der Bezeichnungsregelung als auch in dem Verkehrsverbot für nicht dem Reinheitsgebot entsprechende Getränke in Deutschland einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit: Das Verkehrsverbot aus § 9 BStG Abs. 1 und 2 a. F. iVm § 10 BStG a. F. und § 11 Abs. 1 Nr. 2 LMBG konnte aufgrund seiner Ungeeignetheit zur Verfolgung von Zielen des Gesundheitsschutzes nicht 20 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1262 ff. Zum griechischen Reinheitsgebot für Bier: EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Kommission/Griechenland, Rs. 176/84, Slg. 1987, 1193. Die deutsche Besteuerung von Bier war bereits 1976 Gegenstand einer EuGH-Entscheidung (EuGH, Urteil vom 22. 6. 1976, Rs. 127/75, Bobie Getränkevertrieb GmbH, Slg. 1976, S. 1080 ff.). Der Verfasser dankt dem Verband Privater Brauereien für Auskünfte. 21 Untergäriges Bier wird bei Temperaturen zwischen 5 und 10 Grad Celsius gebraut und obergäriges Bier bei Temperaturen zwischen 15 und 20 Grad Celsius. Während bei dem Brauen von untergärigem Bier sich die Hefe am Boden absetzt, schwimmt diese bei dem Brauen von obergärigem Bier an der Oberfläche (Wiese, Der Strukturwandel im deutschen Biermarkt, S. 131). 22 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227, 1264 Rn. 5. 23 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1987, 1227, 1264 Rn. 7. Gesetz zur Neuordnung und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit Lebensmitteln,Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Gesetz zur Gesamtreform des Lebensmittelrechts) vom 15. August 1974, BGBl. I S. 1945, 1949. 24 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227, 1264 Rn. 6; Zapf/Siegert, Das Biersteuergesetz vom 14. März 1952, § 9 Anm. 4, S. 102 f., § 10 Anm. 1, S. 116.
A. Lebensmittelregulierung als Gegenstand von Systemwettbewerb
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gerechtfertigt werden.25 Eine Information des Verbrauchers über die Inhaltsstoffe stellt gegenüber der im deutschen Recht vorgesehenen Bezeichnungsregelung ein milderes Mittel dar, um eine Irreführung von Verbrauchern zu verhindern,26 womit der EuGH das Informationsmodell zur Marktliberalisierung in diesem Bereich nutzte. b) Festhalten am Reinheitsgebot Im Rahmen der Umsetzung des EuGH-Urteils versuchte die Bundesrepublik zunächst die Zulassung von in anderen Mitgliedstaaten als Bier in Verkehr befindlichen Erzeugnissen unter die Bedingung eines Genehmigungsverfahren nach § 37 LMBG a. F. zu stellen.27 Erst am 1. 1. 1993 erfolgte die Inkraftsetzung einer der Warenverkehrsfreiheit entsprechenden Regelung.28 Während die Bundesregierung im Verfahren vor dem EuGH noch mit einer Gefährdung des Bestandes des deutschen Reinheitsgebotes infolge einer Zulassung ausländischer – nicht dem Reinheitsgebot entsprechender – Getränke argumentierte,29 gab es nach dem EuGH-Urteil von Seiten der Politik und der Brauwirtschaft keine ernsthaften Überlegungen, das deutsche Reinheitsgebot abzuschaffen30. 25 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227, 1275, Rn. 24 ff., 38 ff., 49. Zur Argumentation der Bundesregierung mit dem Ziel des Gesundheitsschutzes: EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1987, 1227, 1235, 1240 f. Ursprünglich hatte das Reinheitsgebot tatsächlich auch die Gewährleistung von Gesundheitsschutz zum Ziel (Hackel-Stehr, Das Brauwesen in Bayern vom 14 bis 16. Jahrhundert, insbesondere die Entstehung und Entwicklung des Reinheitsgebotes (1516), S. 209, 211; Schemmel, Das Reinheitsgebot für Herstellung und Vertrieb von Bier in Bayern, S. 2). Zur Geschichte des Bieres: Poelmans/Swinnen, A Brief Economic History of Beer, in: The Economics of Beer, S. 3 – 28. 26 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227, 1271 f. Rn. 35 – 37. Zur Argumentation der Bundesregierung mit einer Notwendigkeit der Bezeichnungsregelung aus Gründen des Verbraucherschutzes: EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1987, 1227, 1243. 27 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 108 f.; Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 141 ff.; Deutscher BrauerBund e.V., Bericht 1988 – 90, S. 42 – 44. 28 Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 142 f. Die deutsche Brauwirtschaft sprach sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich dafür aus, ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren zu vermeiden und die Zulassung ausländischer Biere auf den deutschen Markt gemeinschaftskonform auszugestalten (Deutscher Brauer-Bund e.V., Bericht 1988 – 90, S. 43). 29 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227, 1241. 30 Vgl. Deutscher Brauertag, Appell des Deutschen Brauertags 1990, in: Deutscher BrauerBund e.V., Bericht 1988 – 90, S. 44 f.; Hohmann, Das Reinheitsgebot-Urteil und der Euro-
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
Hintergrund war eine Marktforschung über die Folgen des Reinheitsgebotes für die Marktposition der deutschen Brauereien im Inland,31 aus der sich ergab, dass die weit überwiegende Zahl von Nachfragern kein ausländisches Bier nachfragen würden, das nicht dem Reinheitsgebot entspricht32. Die deutsche Brauwirtschaft stellte sich vor diesem Hintergrund hinter das Reinheitsgebot, was Ausdruck findet in einem Appell des Deutschen Brauertags: „Die Delegierten geben ihrer dringenden Erwartung Ausdruck, daß das Reinheitsgebot für Bier auch in Zukunft als gesetzliche Regelung erhalten bleibt. Das deutsche Reinheitsgebot ist die älteste und zugleich modernste lebensmittelrechtliche Vorschrift der Welt. Sie dient dem Wohle und dem Schutz des Verbrauchers. Die Unverwechselbarkeit und hohe Qualität des deutschen Bieres ist auf die ausschließliche Verwendung der natürlichen Rohstoffe Hopfen, Malz, Hefe und Wasser zurückzuführen, wie sie durch das Reinheitsgebot festgelegt sind. Auf seiner Grundlage haben die deutschen Brauer eine qualitative Vielfalt an Biermarken geschaffen, wie sie sonst nirgendwo auf der Welt zu finden ist. Jede Abweichung vom Reinheitsgebot hätte eine Minderung des Verbraucherschutzes zur Folge. Sie würde vom Verbraucher weder verstanden noch akzeptiert, denn er erwartet, daß deutsches Bier ausschließlich nach diesen Grundsätzen gebraut ist. Die Delegierten bitten deshalb die Bundesregierung dringend darum, dafür zu sorgen, daß das Reinheitsgebot in Deutschland auch im Zuge der Harmonisierung des europäischen Lebensmittelrechts weiterhin unangetastet bleibt“.33
Es spielte eine Rolle, dass der Anteil importierten Biers am Gesamtbierverbrauch in der Bundesrepublik verschwindend gering war.34 Der Anteil lag im Jahr 1986 bei nur 1,24 Prozent.35 Auch heute spielen Einfuhren von Bieren, die nicht dem Reinheitsgebot entsprechen, nur eine sehr geringe Rolle.36 päische Binnenmarkt, JZ 1987, S. 959 Fn. 1; Kuhl, Erfolgreiches Bier-Marketing nach dem Urteil des EUGH zum Reinheitsgebot, S. 45. 31 Vgl. Kuhl, Erfolgreiches Bier-Marketing nach dem Urteil des EuGH zum Reinheitsgebot, S. 52 f. mwN. 32 Kuhl, Erfolgreiches Bier-Marketing nach dem Urteil des EuGH zum Reinheitsgebot, S. 53 (mit Verweis auf Gfö (Hrsg.), Blitz-Umfrage zum EuGH-Urteil, in: Bier-Aktuell Nr. 6 (1987), S. 3 (zitiert nach Kuhl)). 33 Deutscher Brauertag, Appell des Deutschen Brauertags 1990, in: Deutscher Brauer-Bund e.V., Bericht 1988 – 90, S. 44 f. 34 Freter/Kuhl, Die Marktsituation deutscher Brauereien nach der Aufhebung des Reinheitsgebotes für Importbiere, S. 38 – 40. 35 Wiese, Der Strukturwandel im deutschen Biermarkt, S. 349. Vgl. auch: Deutscher Brauer-Bund e.V., 21. Statistischer Bericht 1995, S. 91; Deutscher Brauer-Bund e.V., 24. Statistischer Bericht 2003, S. 73; Tongeren, Standards and International Trade Integration, A Historical Review of the German ,Reinheitsgebot‘, in: The Economics of Beer, S. 51, 58, 60. 36 Wiese, Der Strukturwandel im deutschen Biermarkt, S. 315; Liebl, Strukturanalyse der deutschen Brauwirtschaft aus technischer, technologischer und ökonomischer Sicht und daraus resultierende Unternehmensstrategien, S. 125.
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Die von Seiten der deutschen Brauereiwirtschaft mit dem Reinheitsgebot verknüpften Chancen fanden in der Folgezeit Bestätigung,37 wobei die deutsche Brauereiwirtschaft das deutsche Reinheitsgebot geschickt zum Instrument ihres Marketings einsetzte38. Auf der anderen Seite führt die Befolgung des Reinheitsgebotes zu einer Einschränkung der unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten39 und höheren Produktionskosten, da Rohstoffe wie Reis oder Mais günstiger sind40 und bei Nichtbestehen des Reinheitsgebotes Enzyme und Konservierungsstoffe eingesetzt werden können, wodurch sich Lagerzeiten reduzieren können und Anlagekapazitäten besser ausgenutzt werden können.41 c) Weitere Rechtsentwicklung Im Jahr 1993 verankerte der Gesetzgeber die Regulierung der Bierherstellung in § 9 VorlBierG.42 Die Bezeichnungsregelung wurde (auf Grundlage von § 19 Nr. 4 lit a Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz43) in § 1 Bierverordnung übertragen.44
37
Vgl. die Einschätzung des Inhabers der Brauerei Erdinger Brombach: Herr, „Ich trinke nicht jeden Tag Bier“. FAZ, 27. 8. 2007, S. 17. 38 Vgl. Wiese, Der Strukturwandel im deutschen Biermarkt, S. 278; Hohmann, Das Reinheitsgebot-Urteil und der europäische Binnenmarkt, JZ 1987, S. 959, 963. Vgl. die Empfehlung von: Kuhl, Erfolgreiches Bier-Marketing nach dem Urteil des EuGH zum Reinheitsgebot, S. 144. 39 Ausgeschlossen ist infolge des Reinheitsgebotes etwa das Angebot von Kirsch-, Himbeer- und anderen Fruchtbieren wie es sie in Belgien gibt (Ruoss, Die deutsche Getränkewirtschaft im nationalen und internationalen Umfeld, in: FS Lück, S. 37, 39). 40 Kuhl, Erfolgreiches Bier-Marketing nach dem Urteil des EuGH zum Reinheitsgebot, S. 141, 202 – 204. Der Verfasser dankt Herrn Demleitner (Bundesgeschäftsführer Private Brauereien Deutschland e.V.) für Auskünfte. Die Rohstoffe fallen bei einer deutschen Brauerei mit fast 19 Prozent der Gesamtkosten der Bierherstellung ins Gewicht (Liebl, Strukturanalyse der deutschen Brauwirtschaft aus technischer, technologischer und ökonomischer Sicht und daraus resultierende Unternehmensstrategien, S. 58). 41 Kuhl, Erfolgreiches Bier-Marketing nach dem Urteil des EuGH zum Reinheitsgebot, S. 148 f.; Liebl, Strukturanalyse der deutschen Brauwirtschaft aus technischer, technologischer und ökonomischer Sicht und daraus resultierende Unternehmensstrategien, S. 54 ff. 42 Vorläufiges Biergesetz, idF der Bekanntmachung vom 29. Juli 1993, BGBl. I S. 1399, zuletzt geändert durch Art. 7 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts vom 1. 9. 2005, BGBl. I 2005, S. 2618. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts, BT-Drs. 15/ 3657, 24. 8. 2004. 43 BVerwG, Urteil vom 24. 2. 2005, Az. 3 C 5.04, S. 10 (= BVerwGE 123, 82 ff.); Das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes ist außer Kraft getreten und ersetzt durch das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch idF der Bekanntmachung vom 22. August 2011, BGBl. I 2011, S. 1770.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
Die Regulierung der Bierherstellung wurde mit Schaffung des VorlBierG aufgeweicht.45 Es ergeben sich unter Geltung des Vorläufigen Biergesetzes weitere Möglichkeiten des Einsatzes von Zusatzstoffen.46 Nach § 9 Abs. 5 VorlBierG können unter bestimmten Voraussetzungen auch Hopfenpulver oder Hopfen in anderweitig zerkleinerter Form oder Hopfenauszüge verwendet werden. Als Klärmittel dürfen solche Stoffe verwendet werden, die mechanisch absorbierend und (bis auf gesundheitlich, geruchlich und geschmacklich unbedenkliche, technisch unvermeidbare Anteile) wieder ausgeschieden werden (§ 9 Abs. 6 VorlBierG). Stabilisierungsmittel und Fällungsmittel, die weltweit insbesondere im Rahmen automatisierter Brauprozesse zum Einsatz kommen, werden toleriert.47 Es ist wenig wahrscheinlich, dass es zu einer derartigen Relativierung des Reinheitsgebotes gekommen wäre, wenn das Reinheitsgebot immer noch eine Marktzugangsregulierung dargestellt hätte.48 Es ist jedoch unzutreffend, wenn Winkler in der Zulassung von Malz und anderen Getreidearten, technisch reinem Zucker und aus Zucker gewonnenem Farbstoff für obergäriges Bier eine Abschwächung des Reinheitsgebotes sieht.49 Derartige Stoffe waren vielmehr schon nach § 9 Abs. 2 BierStG zur Bierherstellung zugelassen.50 Koppe spricht bereits 1918 deshalb in Bezug auf obergäriges Bier von einem „bedingte[n] Reinheitsgebot“.51
44 Bierverordnung vom 2. Juli 1990, BGBl. I S. 1332, zuletzt geändert durch Art. 5 der Verordnung vom 8. 5. 2008, BGBl. I 2008, S. 797. Zur Entwicklung der Bezeichnungsregulierung vgl. BVerwG, Urteil vom 24. 2. 2005, Az. 3 C 5.04, S. 9 ff. (= BVerwGE 123, 82 ff.). 45 Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 143 f.: „Tatsächlich ist aber durch die Neufassung des vorläufigen Biergesetzes vom 29. 7. 1993 das Reinheitsgebot zumindest für deutsche Brauer obergärigen Bieres abgeschafft worden“; Jog, Reinheitsgebot: Mythos und Wahrheit, http://www.christian-jog.de/tag/vorlaufiges-biergesetz. 46 Jog, Reinheitsgebot: Mythos und Wahrheit, http://www.christian-jog.de/tag/vorlaufigesbiergesetz. Zur Rechtslage nach der Verordnung zur Durchführung des Vorläufigen Biergesetzes: Liebl, Strukturanalyse der deutschen Brauwirtschaft aus technischer, technologischer und ökonomischer Sicht und daraus resultierende Unternehmensstrategien, S. 15. 47 Liebl, Strukturanalyse der deutschen Brauwirtschaft aus technischer, technologischer und ökonomischer Sicht und daraus resultierende Unternehmensstrategien, S. 124. 48 Vgl. o. V., Leer und pappig, Der Spiegel 15/1971, S. 46 f. 49 Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 144. Vgl. Jog, Reinheitsgebot: Mythos und Wahrheit, www.christian-jog.de/tag/vorlaufiges-biergesetz. 50 Vgl. bereits: Koppe, Biersteuergesetz vom 26. Juli 1918 nebst Ausführungsbestimmungen und Nebengesetzen, § 13 Biersteuergesetz, S. 50, 53 – 55. 51 Koppe, Biersteuergesetz vom 26. Juli 1918 nebst Ausführungsbestimmungen und Nebengesetzen, § 13 Biersteuergesetz S. 53.
A. Lebensmittelregulierung als Gegenstand von Systemwettbewerb
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In der Öffentlichkeit wurde diese Aufweichung des Reinheitsgebotes jedoch nicht wahrgenommen.52 Neben weiteren Gesetzen wurde das vorläufige Biergesetz im Jahr 2005 mit dem Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts aufgehoben.53 Nach Vorstellung der Bundesregierung wird das Lebensmittelrecht durch die Bündelung von Regelungen verschiedener Gesetze im Rahmen eines Gesetzes transparenter.54 Das Reinheitsgebot ist in § 1 Bierverordnung55 in Form einer Bezeichnungsregelung verankert.56 § 1 Bierverordnung verweist dabei auf wesentliche Teile des außer Kraft getretenen § 9 des Vorläufigen Biergesetzes.57 Ein entschiedenes Eintreten der deutschen Brauereiwirtschaft für eine konsequente Erhaltung des deutschen Reinheitsgebotes ist nicht zu erwarten, wenn der Einsatz von Zusatzstoffen für den Verbraucher in intransparenter Weise und unter dem Dach des Reinheitsgebotes geschehen kann.58 Da sich heutzutage Nachteile durch den Ausschluss moderner Brautechnologien ergeben und es in Zukunft wahrscheinlich zur Entwicklung von weiteren Innovationen hinsichtlich der Herstellung von Bier kommen wird,59 ist wahrscheinlich, dass das Reinheitsgebot in Zukunft eine weitere Relativierung erfährt.60 d) Schwächung des Reinheitsgebotes über deutsches Verfassungsrecht Das Reinheitsgebot erfährt zudem über das Verfassungsrecht eine erhebliche Schwächung, da das Reinheitsgebot infolge der Zulassung ausländischen Bieres, das nicht dem Reinheitsgebot entspricht, nicht mehr mit Zielen des Gesundheitsschutzes 52 Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 144; Jog, Reinheitsgebot: Mythos und Wahrheit, http://www.christian-jog.de/tag/vorlaufiges-biergesetz. 53 Art. 7 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel-und Futtermittelrechts vom 1. September 2005, BGBl. I S. 2618, 2666). 54 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts, BT-Drs. 15/3657, 24. 8. 2004, S. 56. 55 Verordnung zur Durchführung des Vorläufigen Biergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. 7. 1993, BGBl. I 1993, S. 1422, zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 8. 12. 2000, BGBl. I 2000, S. 1686. 56 Bierverordnung vom 2. 7. 1990, BGBl. I 1990, S. 1332, zuletzt geändert durch Art. 5 der Verordnung vom 8. 5. 2008, BGBl. I S. 797. 57 BGBl. I 1993, S. 1400. 58 Zu den möglichen Vorteilen der deutschen Brauereiwirtschaft durch die Aufweichung des Reinheitsgebotes: Liebl, Strukturanalyse der deutschen Brauwirtschaft aus technischer, technologischer und ökonomischer Sicht und daraus resultierende Unternehmensstrategien, S. 54 – 56. 59 Liebl, Strukturanalyse der deutschen Brauwirtschaft aus technischer, technologischer und ökonomischer Sicht und daraus resultierende Unternehmensstrategien, S. 46. 60 Vgl. Liebl, Strukturanalyse der deutschen Brauwirtschaft aus technischer, technologischer und ökonomischer Sicht und daraus resultierende Unternehmensstrategien, S. 56.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
begründet werden kann,61 sondern sich das Ziel verschoben hat: Es geht nunmehr um die „Pflege einer kulturellen Tradition […] und der Gewährleistung eines bestimmten Produktniveaus“.62 Damit sind die Anforderungen an eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Reinheitsgebotes erheblich gestiegen. Das BVerwG bejahte eine Verfassungsmäßigkeit des Reinheitsgebotes vor dem Hintergrund der Möglichkeiten, Ausnahmen von den Anforderungen des Reinheitsgebotes zu erteilen.63 Die Einschätzungsprärogative des deutschen Gesetzgebers64 hinsichtlich der Regulierung von Bier hat sich deshalb im Vergleich zur Situation vor der EuGHEntscheidung wesentlich geschmälert, denn es besteht die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, großzügig Ausnahmen zulassen zu müssen. 2. Bewertung der Rechtsentwicklung Das deutsche Reinheitsgebot war bei Geltung des Bestimmungslandprinzips auch eine vor Konkurrenz schützende Regelung zu Gunsten der deutschen Brauereiwirtschaft.65 Es handelte sich jedoch nicht um eine typische Interessengruppenregulierung, die unter der Last einer Inländerdiskriminierung sofort in sich zusammenbricht, was anhand der grundsätzlichen Aufrechterhaltung des Reinheitsgebotes auch nach Zulassung von nicht dem Reinheitsgebot entsprechenden Bier zur Vermarktung in Deutschland deutlich wird. Entscheidend für die Aufrechterhaltung des Reinheitsgebotes war die funktionierende Rückkopplung zwischen dem Reinheitsgebot und dem Nachfrageverhalten auf dem inländischen Markt. Das deutsche Reinheitsgebot kann als ein Paradebeispiel einer funktionierenden Rückkopplung angesehen werden und in der Diskussion über Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip wird (um Befürchtungen eines „race to the bottoms“ zu zerstreuen) sehr oft auf das deutsche Reinheitsgebot für Bier verwiesen.66 Schon die historische Verbreitung des Reinheitsgebotes ist mit einer Rückkopplung der Regulierung auf dem Markt zu erklären. So war die Verankerung des Reinheitsgebotes auch für das Gebiet der norddeutschen Biersteuergemeinschaft vor 61 Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung ?, AöR 118 (1993), S. 591, 604 f. 62 BVerwG, Urteil vom 24. 02. 2005, Az. 3 C 5.04, S. 6 (= BVerwGE 123, 82 ff.). 63 BVerwG, Urteil vom 24. 02. 2005, Az. 3 C 5.04, S. 7 (= BVerwGE 123, 82 ff.). 64 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. 10. 1977, Az. 1 BvR 173/75, BVerfGE 46, 246, 257; BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89, BVerfGE 87, 363, 383. 65 Vgl. Liebl, Strukturanalyse der deutschen Brauwirtschaft aus technischer, technologischer und ökonomischer Sicht und daraus resultierende Unternehmensstrategien, S. 122, 125; o. V., Leer und pappig, Der Spiegel 15/1971, S. 46 f.; Jog, Reinheitsgebot: Mythos und Wahrheit, http://www.christian-jog.de/tag/vorlaufiges-biergesetz. 66 Vgl. Streit/Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 96.
A. Lebensmittelregulierung als Gegenstand von Systemwettbewerb
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dem Hintergrund des Erfolges bayerischen Biers auf den Märkten zu sehen.67 Es handelt sich bei der Übernahme des Reinheitsgebotes um eine systemwettbewerbliche Imitation einer sich als erfolgreich erwiesenen Produktregulierung. Nach Ambrosius wurde die „ex post-Konvergenz der Regulierungen […] durch wirtschaftlichen Wettbewerb erzwungen“.68 Nach der reichsweiten Verankerung des Reinheitsgebotes am Anfang des 20. Jahrhunderts,69 wurde im Verhältnis zum Ausland ein Herkunftslandprinzip beibehalten, so dass ausländisches Bier, das nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut worden war, weiterhin nach Deutschland eingeführt werden konnte70. Hintergrund war auch die Annahme, dass sich das Reinheitsgebot im Wettbewerb mit ausländischen Brauern vorteilhaft auswirkt. Die heute mit der Befolgung des Reinheitsgebotes verbunden Wettbewerbsvorteile sind jedoch keineswegs „naturgegeben“, sondern beruhen vor allem auf einer erfolgreichen Vermarktung des Reinheitsgebotes seitens der deutschen Brauereiwirtschaft.71 Nicht klar zu trennen ist zwischen der Bedeutung des Reinheitsgebotes als positiver Wettbewerbsparameter und einem country-of-origin Effekt zu Gunsten deutscher Biere. Ein Standortwettbewerb spielte hingegen keine Rolle. Ausländischen Brauereien ist es möglich, nach dem Reinheitsgebot zu brauen und deutsche Brauereien sind hinsichtlich ihrer Exportproduktion nicht an das Reinheitsgebot gebunden, was jedoch wenig praxisrelevant ist, da auch dieses Bier regelmäßig dem Reinheitsgebot entspricht72. Das Modell eines funktionierenden Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip und die Annahmen einer Standortrele-
67 Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung zwischen Staaten, S. 76 – 78. 68 Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung zwischen Staaten, S. 78. 69 Zapf-Siegert, Das Biersteuergesetz vom 14. März 1952, § 9 BierStG Anm. 1; Schemmel, Das Reinheitsgebot für Herstellung und Vertrieb von Bier in Bayern, S. 16 f.; Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung zwischen Staaten, S. 77; Kuhl, Erfolgreiches Bier-Marketing nach dem Urteil des EuGH zum Reinheitsgebot, S. 21 f. 70 Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung zwischen Staaten, S. 78 (Ambrosius spricht von einer „freiwillige[n] Inländerdiskriminierung“). Es bestand jedoch ein wettbewerblicher Schutz durch Zölle (Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung zwischen Staaten, S. 79). 71 Vgl. Kuhl, Erfolgreiches Bier-Marketing nach dem Urteil des EUGH zum Reinheitsgebot, S. 45. Das Reinheitsgebot fügte sich in die schon vor dem Urteil des EuGH verfolgte Strategie des Angebotes höherwertiger Biere ein (Wiese, Der Strukturwandel im deutschen Biermarkt, S. 275 ff.). 72 Gloßner, [Hauptgeschäftsführer Private Brauereien Bayern], Schreiben an den Verfasser vom 16. 7. 2009: „Der Anteil von exportiertem deutschen Bier, das nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut ist, ist absolut vernachlässigbar, spielt am Markt keine Rolle“.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
vanz lebensmittelrechtlicher Regulierungen in der rechtswissenschaftlichen Literatur erfasst die Realität deswegen unzutreffend.73 Die Rechtsentwicklung lässt sich nicht unter die genannten Systemwettbewerbsfunktionen fassen, da diese Funktionen eine Rechtsveränderung voraussetzen. Der Gesetzgeber hat jedoch eine sich erfolgreich erwiesene Regulierung bewusst nicht abgeändert, weswegen von einer Bestätigungsfunktion des Systemwettbewerbs (als Form der systemwettbewerblichen Entdeckungsfunktion) gesprochen werden kann.
III. Reinheitsgebot für Fleischwaren Nach § 4 Abs. 1 Fleisch-Verordnung i. d. F. vom 21. Januar 198274 war es verboten, Fleischerzeugnisse in den Verkehr zu bringen, bei deren Herstellung emulgierter Talg, emulgiertes Knochenfett, Blutplasma, Blutserum, aus Tierteilen gewonnene Trockenprodukte, Milch- und Milcherzeugnisse, Eier und Eiprodukte, eiweiß-, stärke- oder dextrinhaltiger Stoffe pflanzliche Herkunft sowie Eiweißhydrolysate verwendet worden sind.75 Begründet wird das „Reinheitsprinzip“76 mit der Erwartung von Verbrauchern, dass Fleischwaren möglichst frei von fleischfremden Bestandteilen sind.77 Es soll zudem verhindert werden, dass „das wertbestimmende und wertvolle Fleischeiweiß“ verdrängt wird.78 Dieser Regelungszweck steht in enger Verbindung mit den Inter73 Vgl. Oberender, Harmonisierung oder Wettbewerb der im Lebensmittelrecht in der EG? Grundsätzliche ordnungspolitische Bemerkungen, in: Deutsches und europäisches Lebensmittelrecht, S. 199, 204 f.; Borrmann/Michaelis, Lebensmittel im europäischen Binnenmarkt, S. 153; Seidel fragt, ob deutsche Unternehmen nicht infolge der Geltung des Reinheitsgebotes in Deutschland versucht seien, im Ausland zu investieren, o. V., Wirtschaftsstandort Deutschland im europäischen Wettbewerb, FAZ 15. 1. 1994, S. 12. 74 Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse (Fleisch-Verordnung – FlV) neugefasst durch Bekanntmachung vom 21. Januar 1982, BGBl. I S. 89; zuletzt geändert durch Artikel 6 Verordnung vom 08. 08. 23007, BGBl. I S. 1816. Vgl. zur FlV: Deutscher Fleischer-Verband (Hrsg.), Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 21. Januar 1982 (Fleisch-Verordnung) mit Kommentar des Deutschen Fleischer-Verbandes. 75 Vgl. die Erläuterungen bei: Deutscher Fleischer-Verband (Hrsg.), Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 21. Januar 1982 (Fleisch-Verordnung) mit Kommentar des Deutschen Fleischer-Verbandes, S. 68 – 70. 76 Deutscher Fleischer-Verband (Hrsg.), Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 21. Januar 1982 (Fleisch-Verordnung) mit Kommentar des Deutschen Fleischer-Verbandes, S. 34. 77 Deutscher Fleischer-Verband (Hrsg.), Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 21. Januar 1982 (Fleisch-Verordnung) mit Kommentar des Deutschen Fleischer-Verbandes, S. 33. 78 Deutscher Fleischer-Verband (Hrsg.), Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 21. Januar 1982 (Fleisch-Verordnung) mit Kommentar des Deutschen Fleischer-Verbandes, S. 68. Vgl. o. V., Lieber Fett, Soja und Ei in der Wurst, Die deutschen Fleischer schreien auf, Der Spiegel 53/1987, S. 59 – 60.
A. Lebensmittelregulierung als Gegenstand von Systemwettbewerb
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essen der deutschen Fleischwirtschaft, die ein Interesse an einem hohen Fleischabsatz hat und deswegen den Einsatz von Zusatzstoffen eingeschränkt sehen möchte.79 Auch die Einfuhr entsprechender Erzeugnisse war verboten (§ 47 Abs. 1 des LMBG).80 Die §§ 4 Abs. 2 und 5 Fleisch-Verordnung in Verbindung mit den entsprechenden Anlagen enthielten Ausnahmen von diesem Grundsatz.81 Der EuGH erkannte in der Anwendung dieser Regulierungen auf Importwaren aus anderen Mitgliedstaaten einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit.82 Eine Kennzeichnungsregelung stellt gegenüber einem Verkehrsverbot nach Feststellung des EuGH ein milderes Mittel dar.83 Infolge des EuGH-Urteils bemühte sich die Bundesregierung zunächst um eine materiellrechtliche Harmonisierung auf europäischer Ebene und zögerte die Umsetzung des Urteils hinaus,84 so dass die Umsetzung des Urteils fast sieben Jahre dauerte85. Daraufhin plante die Bundesregierung zunächst eine Aufhebung des Verbotes in § 4 Abs. 1 Fleisch-Verordnung.86 Das Gesetzgebungsverfahren wurde von dem Ministerium mit der Vermeidung von Inländerdiskriminierung begründet.87
79 Vgl. o. V., Lieber Fett, Soja und Ei in der Wurst, Die deutschen Fleischer schreien auf, Der Spiegel 53/1987, S. 59 – 60. 80 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, S. 229, 251 Rn. 2. Heute besteht mit § 47a Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz eine Sonderregel für Waren aus der EU bzw. des EWR. 81 Vgl. Deutscher Fleischer-Verband (Hrsg.), Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 21. Januar 1982 (Fleisch-Verordnung) mit Kommentar des Deutschen Fleischer-Verbandes, S. 33. 82 Vgl. EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 229, 254 Rn. 13 ff. Vgl. auch: o. V. Zehen und Haut, Nun darf auch Soja in der Wurst sein, das deutsche Reinheitsgebot ist dahin, Der Spiegel 6/1989, S. 98. 83 Vgl. EuGH, Urteil vom 02. 02. 1989, Rs. 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 229, 254 Rn. 13 ff. 84 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung für Politik und Theorie, S. 103, 110. 85 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung für Politik und Theorie, S. 103, 111. 86 Wiechmann, Die Umkehrdiskriminierung für Fleischwaren entfällt, Das Ende eines deutschen Reinheitsgebots – Die Fleisch-Verordnung soll geändert werden, LebensmittelZeitung 12 vom 25. März 1994, S. 28. 87 Wiechmann, Die Umkehrdiskriminierung für Fleischwaren entfällt, Das Ende eines deutschen Reinheitsgebots – Die Fleisch-Verordnung soll geändert werden, LebensmittelZeitung 12 vom 25. März 1994, S. 28.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
Das Gesetzgebungsvorhaben stieß jedoch auf Kritik des Deutschen Fleischerverbandes, des Bundesverbandes der Deutschen Fleischwaren-Industrie und des Deutschen Bauernverbandes.88 Statt einer Streichung des § 4 Abs. 1 Fleisch-Verordnung erweiterte der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund den Ausnahmekatalog in Anhang 3 der Fleischverordnung,89 wonach der Zusatz der Zusatz von Stärke und pflanzliches Eiweiß erlaubt wurde (Nr. 8 des Anhangs)90. Die erhebliche Abschwächung des Reinheitsgebotes widersprach zwar den Interessen der genannten Kreise, jedoch führte die Rechtsgestaltung zu einer Intransparenz der Möglichkeiten eines Marktzugangs und kann als protektionistische Maßnahme angesehen werden91. Die infolge des EuGH-Urteils erfolgte Deregulierung ist zu begrüßen, denn die Regulierung war (entgegen der Ausführungen der Bundesregierung vor dem EuGH92) nicht mit Gründen des Gesundheitsschutzes zu rechtfertigen – im Gegenteil kann sich ein Zusatz von pflanzlichen Stoffen gesundheitlich positiv auswirken, da dadurch z. B. der Kalorienverbrauch gesenkt werden kann93. Eine Täuschung des
88 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung für Politik und Theorie, S. 103, 111; o. V. Zehen und Haut, Nun darf auch Soja in der Wurst sein, das deutsche Reinheitsgebot ist dahin, Der Spiegel 6/1989, S. 98. Nach damaliger Berechnung der Bundesregierung würden die deutschen Bauern bei Ersatz nur eines Prozents des Fleischanteils durch Soja eine Absatzeinbuße von 150.000 Schweinen und 13.000 Rinder erleiden (o. V., Lieber Fett, Soja und Ei in der Wurst, Die deutschen Fleischer schreien auf, Der Spiegel 53/1987, S. 59, 59). Zum Deutschen Bauernverband: Ackermann, Der Deutsche Bauernverband im politischen Kräftespiel der Bundesrepublik. 89 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 111. 90 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 111. 91 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 111; Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 148. Der baden-württembergischen Landesverband des deutschen Fleischerhandwerks honorierte den Einsatz vom Bundesgesundheitsminister für diese Art der Umsetzung des Urteils mit seiner Ernennung zum „Botschafter der deutschen Wurst 1996“ (Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 111). 92 EuGH, Urteil vom 2. 2. 1989, Rs. 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, S. 229, 235. 93 Vgl. die parallelen Ausführungen zum Imitationsverbot von Milcherzeugnissen: Wessels, Die veränderte Wettbewerbssituation auf dem EG-Milchmarkt durch die Aufhebung der Produktions- und Absatzbeschränkungen für Milchimitate, S. 34 – 36. Anders sind die Ausführungen der Bundesregierung im Rahmen der Rs. 274/87 vor dem EuGH (EuGH, Urteil vom 2. 2. 1989, Rs. 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, S. 229, 235).
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Rechtsverkehrs kann durch entsprechende Bezeichnungsregelungen ausgeschlossen werden.94 Es kann vor diesem Hintergrund von einer Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden. Zudem entspricht das Reinheitsgebot den Interessen der deutschen Fleischerzeuger an einem wettbewerblichen Schutz vor Subsitutionsprodukten,95 das kaum gerechtfertigt werden kann. Deshalb ist die Rechtsentwicklung auch Ausdruck der Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb.
IV. Imitationsverbot von Milcherzeugnissen Nach § 36 Abs. 1 MilchG96 a. F. war es verboten, „Milch und Milcherzeugnisse zur Verwendung als Lebensmittel nachzumachen oder solche nachgemachten Lebensmittel anzubieten, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen“.97 Dieses Verbot galt jedoch nicht für Margarine und für Halbfettmargarine (vgl. § 36 Abs. 2 MilchG aF iVm 12 Abs. 2 Margarinegesetz a. F. ).98 Diese Regulierungen fanden über § 47 Abs. 1 des LMBG Anwendung auf eingeführte Produkte. Das Verbot galt nicht, sofern Milch nicht zur Verwendung als Lebensmittel nachgebildet wird, sondern zu anderen Zwecken wie der Herstellung von Tierfutter.99 Der EuGH untersagte im Jahr 1989 eine Anwendung des Imitationsverbotes auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten. Zur Gewährleistung der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes bewertete der EuGH eine entsprechende Informationspflicht als ein milderes Mittel gegenüber einem Verkehrsverbot.100 Der Gesetzgeber setzte das Urteil mittels der Schaffung von Ausnahmen vom Imitationsverbot in § 6 der Verordnung über Milcherzeugnisse, § 18 Butterverord-
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Vgl. EuGH, Urteil vom 2. 2. 1989, Rs. 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 229, 254 Rn. 13 ff. 95 Vgl. o. V., Lieber Fett, Soja und Ei in der Wurst, Die deutschen Fleischer schreien auf, Der Spiegel 53/1987, S. 59 – 60. 96 Milchgesetz vom 31. Juli 1930, RGBl. I 1930, S. 421 (auch abgedruckt in: Nathusius/ Nelson, Milchgesetz 1954/1932 S. 26 ff.). 97 Vgl. EuGH, Urteil vom 11. 5. 1989, Rs. 76/86, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, S. 1021, 1022; Nathusius/Nelson, Milchgesetz, § 36, S. 160 ff. Tz. 1 ff. Zur früheren Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten: Borrmann/Michaelis, Lebensmittel im europäischen Binnenmarkt, S. 225 f. 98 Nathusius/Nelson, Milchgesetz, § 36 Tz. 7, S. 163; EuGH, Urteil vom 11. 03. 1989, Rs. 76/86, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, S. 1021, 1037 Rn. 2. 99 Nathusius/Nelson, Milchgesetz, § 36 Tz. 1, S. 160. 100 EuGH, Urteil vom 11. 5. 1089, Rs. 76/86, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, S. 1021, 1041 Rn. 16 ff.
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nung und in § 5 Margarine- und Milchfettverordnung um.101 Mit Schaffung eines Ausnahmekataloges bezweckte der Gesetzgeber nach Winkler eine Verschleierung der Verkehrsfähigkeit von Fleischerzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten,102 da für ausländische Anbieter eine Information über die Möglichkeiten eines Marktzugangs in Deutschland damit wesentlich erschwert war.103 Winkler verweist in diesem Zusammenhang auf einen Fernsehbericht, wonach Bundesgesundheitsminister Seehofer als Belohnung für die Art der Umsetzung des EuGH-Urteils vom badenwürttembergischen Landesverband des deutschen Fleischerhandwerks zum „Botschafter der deutschen Wurst 1996“ ernannt wurde.104 Für die Erfüllung des Ausnahmetatbestandes war zudem eine Ausnahmegenehmigung nach § 37 LMBG erforderlich,105 was gegen die Warenverkehrsfreiheit verstieß106. Mit dem Gesetz über Milch, Milcherzeugnisse, Margarineerzeugnisse und ähnlicher Erzeugnisse (Milch- und MargarineG) vom 24. 7. 1990107 passte der Gesetzgeber die deutsche Rechtslage an die liberalere Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten an. Der in den Beratungen unternommene Versuch, strengere Regelungen für deutsche Produzenten aufrechtzuerhalten, scheiterte aufgrund der Interessen der deutschen Lebensmittelindustrie.108 Es ergab sich das Potential einer erheblichen Inländerdiskriminierung, da das Angebot von Imitationsprodukten eine erhebliche zukünftige Bedeutung versprach, Imitationsproduke erhebliche Vorteile aufwiesen109, die Rechtslage in anderen 101 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 110. 102 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 111; Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 148. 103 Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 149 f. 104 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 111; Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 150. 105 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 110. 106 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103, 110. 107 Gesetz über Milch, Milcherzeugnisse, Margarinerzeugnisse und ähnliche Erzeugnisse (Milch- und Margarinegesetz) vom 25. Juli 1990 BGBl. I, 1471; Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 144. 108 Eckert, Die Auswirkungen gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben auf das deutsche Lebensmittelrecht – verfassungs- und vertragsrechtliche Fragen –, in: Deutsches und europäisches Lebensmittelrecht, S. 57, 68. 109 Ausführlich zu den Eigenschaften unterschiedlicher Milchimitate: Wessels, Die veränderte Wettbewerbssituation auf dem EG-Milchmarkt durch die Aufhebung der Produktions-
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Mitgliedstaaten wesentlich liberaler war110 und dort eine Vielfalt von Imitationsprodukten (wie Butterimitate, Käseimitate, Milchimitate, Milchpulverimitate, Kaffeeweißer, Sahneimitate, Joghurtimitate) bereits verkauft wurden111. Die Einschränkung der Imitation von Milchprodukten drohte deswegen zu einem Wettbewerbsparameter zwischen der deutschen Lebensmittelindustrie und Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten mit der Folge regulatorischer Wettbewerbsvorteile ausländischer Anbieter zu werden. Grundlage für diese Prognosen bildete die Betrachtung der Marktentwicklung auf dem US-amerikanischen Markt, dem skandinavischen und dem britischen Markt, auf dem Imitationsprodukte schon länger verbreitet waren und einen nennenswerten Marktanteil gewonnen hatten.112 Ausdrückliches Ziel des Gesetzgebers war vor diesem Hintergrund die Vermeidung einer Inländerdiskriminierung: „Da mit dem Urteil ausländische Anbieter befugt sind, derartige Erzeugnisse auf dem deutschen Markt anzubieten, ist es zur Gewährung einer Gleichbehandlung deutscher Anbieter dieser Produkte, zur möglichst weitgehenden Absatzsicherung für Milch und zur Bewahrung der Verbraucher vor Irreführung und Täuschung erforderlich, das Milchgesetz und das Margarinegesetz zu ändern“.113
Andererseits wurde infolge einer Deregulierung ein deutlicher Rückgang des Milchverbrauchs in Deutschland erwartet.114 Es wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens darauf hingewiesen,
und Ansatzbeschränkungen für Milchimitate, S. 31 ff.; Borrmann/Michaelis, Lebensmittel im europäischen Binnenmarkt, S. 228 ff.; Wasserfuhr, Der Markt für Milchimitate: eine Analyse der potentiellen Nachfrage sowie der Möglichkeiten der Herstellung und Vermarktung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 36 ff. 110 Zur Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten: Wessels, Die veränderte Wettbewerbssituation auf dem EG-Milchmarkt durch die Aufhebung der Produktions- und Absatzbeschränkungen für Milchimitate, S. 14 ff.; Wasserfuhr, Der Markt für Milchimitate: eine Analyse der potentiellen Nachfrage sowie der Möglichkeiten der Herstellung und Vermarktung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 86 ff. 111 Borrmann/Michaelis, Lebensmittel im europäischen Binnenmarkt, S. 222 (Auf anderen mitgliedstaatlichen Märkten waren schon Butterimitate, Käseimitate, Milchimitate, Milchpulverimitate, Kaffeeweißer, Sahneimitate, Joghurtimitate verbreitet). 112 Wasserfuhr, Der Markt für Milchimitate: eine Analyse der potentiellen Nachfrage sowie der Möglichkeiten der Herstellung und Vermarktung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 249 ff. 113 Gesetzentwurf der Abgeordneten Susset, Michels, Eigen et al, Entwurf eines Gesetzes über Milch, Milcherzeugnisse, Margarineerzeugnisse und ähnliche Erzeugnisse (Milch-und Margarinegesetz), BT-Drs. 11/6643, S. 8. 114 Wasserfuhr, Der Markt für Milchimitate: eine Analyse der potentiellen Nachfrage sowie der Möglichkeiten der Herstellung und Vermarktung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 249 ff.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
„daß das Gesetz nur mit, aber niemals gegen die Landwirtschaft durchgeführt werden kann, daß aber eine einseitige Berücksichtigung rein landwirtschaftlicher Interessen der Landwirtschaft niemals zum Nutzen sein könnte“.115
Die Rechtsentwicklung ist Ausdruck einer Deregulierungsfunktion von Systemwettbewerb, da das Imitationsverbot nicht durch legitime Schutzziele des deutschen Gesetzgebers gerechtfertigt werden konnte. Zudem wirkte der Systemwettbewerb machtbegrenzend, da das Imitationsverbot (neben dem Ziel der Vermeidung von Verwechselungen zwischen Milcherzeugnissen und Imitaten) einen rechtspolitisch fragwürdigen wettbewerblichen Schutz der Milchwirtschaft vor Imitationserzeugnissen bezweckte.116 Zudem kann von einer Anpassung der institutionellen Rahmenbedingungen an die Präferenzen der Nachfrager und Anbieter nach Lebensmitteln gesprochen werden, da ein besonderer Bedarf an Imitationsprodukten bestand. Es kann in diesem Zusammenhang von einer Präferenzanpassungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden.
B. Das deutsche Lauterkeitsrecht als Gegenstand von Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip I. Das Verbot der Werbung mit Eigenpreisvergleichen in § 6e UWG a. F. Nach § 6e UWG a. F. galt in Deutschland ein grundsätzliches Verbot der Werbung mit Eigenpreisvergleichen. Nach § 6e Abs. 1 UWG a. F. konnte, wer im „geschäftlichen Verkehr mit dem letzten Verbraucher in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, die tatsächlich geforderten Preise für einzelne aus dem gesamten Angebot hervorgehobene Waren oder gewerblichen Leistungen gegenüberstellt oder Preissenkungen um einen bestimmten Betrag oder Vomhundertsatz ankündigt und dabei den Eindruck erweckt, daß er die höheren Preise früher gefordert hat, […] auf Unterlassung in Anspruch genommen werden“.
Dieser Grundsatz galt nach § 6e UWG a. F. nicht für „Preisauszeichnungen, die nicht blickfangmäßig herausgestellt werden“ (Nr. 1), 115
Nathusius/Nelson, Milchgesetz, S. 7. Vgl. Entscheidung vom 28. 2. 1977 – 1 BvR 260/75 (unveröffentlicht) (zitiert nach Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung?, AöR 1993, S. 591, 613); Nathusius/Nelson, Milchgesetz, S. 5; Streinz, Das Problem „umgekehrter Diskriminierungen“ im Bereich des Lebensmittelrechts, in: Deutsches und europäisches Lebensmittelrecht, S. 111, 133 f. mwN in Fn. 153. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 2. 2. 1989, Rs. 76/86, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, S. 1021, 1022. 116
B. Das deutsche Lauterkeitsrecht
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„wenn ohne blickfangmäßige Herausstellung auf einen höheren Preis Bezug genommen wird, der in einem früheren Katalog“ oder ähnlichem Verkaufsprospekt enthalten ist (Nr. 2) oder „wenn sich die Bekanntmachung oder Mitteilung […] ausschließlich an Personen richtet, die Waren oder gewerbliche Leistungen in ihrer selbständigen beruflichen oder gewerblichen oder in ihrer behördlichen oder dienstlichen Tätigkeit erwerben“ (Nr. 3).
Ein luxemburger Verbot der Werbung mit Eigenpreisvergleichen war Gegenstand der Rechtssache GB-INNO-BM.117 Der EuGH bewertete dieses Verbot im Fall einer grenzüberschreitenden Werbung als einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit.118 Kurz darauf forderte die Kommission die Bundesregierung auf, § 6e UWG a. F. abzuändern,119 was die Bundesregierung jedoch ablehnte120. Hingegen reformierte Luxemburg das Lauterkeitsrecht mit Wirkung von 1992121 und erlaubte damit grundsätzlich Preisgegenüberstellungen.122 Im Jahr 1993 (wenige Monate vor der Keck-Entscheidung) war § 6e UWG a. F. Gegenstand der Rechtssache Yves Rocher123. Es ging um einen Vertrieb überwiegend in Frankreich hergestellter Kosmetikerzeugnisse in der Bundesrepublik und einer in diesem Zusammenhang verbreiteten Werbung, in der unter der Überschrift „Sparen Sie bis zu 50 Prozent und mehr bei 99 Yves Rocher Favoriten“ neben dem durchgestrichenen alten Preis der neue niedrigere Preis in dicken roten Buchstaben angegeben war.124 Der EuGH sah mangels einer Irreführung keine Grundlage für Verbot 117
EuGH, Urteil vom 7. 3. 1990, Rs. C-362/88, GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667 – I-690. EuGH, Urteil vom 7. 3. 1990, Rs. C-362/88, GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667, I-689 Rn. 19. 119 Leisner, Wahrheitssuche statt Suggestionsvermutung, Ein neuer Anstoß des EuGH zur Wettbewerbsliberalisierung, EuZW 1993, S. 655, 655. 120 Leisner, Wahrheitssuche statt Suggestionsvermutung, Ein neuer Anstoß des EuGH zur Wettbewerbsliberalisierung, EuZW 1993, S. 655, 655 f. 121 Hennig-Bodewig, Das Wettbewerbsrecht in Luxemburg, GRUR Int. 1994, S. 809, 809 f. Einen Überblick über das luxemburger Wettbewerbsrecht gibt: Hennig-Bodewig, Das Wettbewerbsrecht in Luxemburg, GRUR Int. 1994, S. 809 – 818; Henning-Bodewig, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG, Ein E XIII. Rn. 426 ff.. 122 Henning-Bodewig, Das Wettbewerbsrecht in Luxemburg, GRUR Int. 1994, S. 809, 812. 123 EuGH, Urteil vom 18. 5. 1993, Rs. C-126/91, Yves Rocher GmbH, Slg. 1993, I-2361. Vgl. Bornkamm, Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, in: FS BGH, S. 343, 347 f.; EuGH, Urteil vom 18. 5. 1993, Rs. C-126/91, GRUR 1993, 747 (= Slg. 1993, I-2361 ff.) mit Anmerkung Bornkamm; Weyer, Nationale Werbebeschränkungen im System des freien Warenverkehrs – Zugleiche eine Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 15. 5. 1993 „Yves Rocher“, DZWir 1993, S. 359 – 367; Keßler, Wettbewerbsrechtliches Irreführungsverbot und Verbraucherinformation – erste Anmerkungen zur „Yves Rocher“-Entscheidung des EuGH, WRP 1993, S. 571 – 577; Leisner, Wahrheitssuche statt Suggestionsvermutung, Ein neuer Anstoß des EuGH zur Wettbewerbsliberalisierung, EuZW 1993, S. 655 – 659. 124 EuGH, Urteil vom 18. 5. 1993, Rs. C-126/91, Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361, I-2386 f. Rn. 5. 118
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
derartiger Werbung.125 Der EuGH hielt im Gegenteil derartige Gegenüberstellungen für sehr nützlich, um es dem Verbraucher zu ermöglichen, seine Wahl in voller Kenntnis der Sachlage zu treffen.126 Folge der Entscheidung Yves Rocher war die weitreichende Geltung des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts und eine daraus fogende Inländerdiskriminierung deutscher Anbieter.127 Kurz nach dem Urteil kündigte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der Geltung des § 6e UWG a. F. in Bezug auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten an.128 Die Bundesregierung arbeitete zügig an einer Aufhebung der Regelung,129 die gut ein Jahr nach der Entscheidung Yves Rocher und ca. acht Monate nach der Keck-Entscheidung verwirklicht werden konnte130. Die Bundesregierung begründete den Änderungsbedarf im UWG mit einem allgemeinem Deregulierungsbedarf und mit einer Inländerdiskriminierung zu Lasten deutscher Anbieter: „Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) wird geändert, um es von seinen nicht mehr gerechtfertigten Einschränkungen der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit zu befreien. […] Darüber hinaus ist es erforderlich, das oft allzu enge Geflecht von wettbewerblichen Verhaltensnormen (z. B. das Verbot der blickfangmäßigen Werbung mit Preisgegenüberstellungen oder das Verbot, Sonderangebote mit einer zeitlichen Befristung zu versehen), das zu einer häufig unübersichtlichen Lage führt und zur Rechtsunsicherheit beiträgt, zu überprüfen. Dies gilt vor allem auch im Hinblick auf die Lage in den anderen EG-Mitgliedstaaten. Zu beachten ist, daß der Europäische Gerichtshof aufgrund des UWG ausgesprochene Verbote zunehmend als Handelshemmnisse einstuft und kritisch darauf überprüft, ob sie für die Aufrechterhaltung eines lauteren Wettbewerbs oder für den Verbraucherschutz tatsächlich notwendig sind. Der Standort Deutschland würde belastet, wenn 125
EuGH, Urteil vom 18. 5. 1993, Rs. C-126/91, Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361, I-2390 Rn. 17. 126 EuGH, Urteil vom 18. 5. 1993, Rs. C-126/91, Yves Rocher GmbH, Slg. 1993, I-2361, I-2390 Rn. 17. 127 Hösch, Inländerdiskriminierungen im Wettbewerbsrecht am Beispiel der Irreführungsgefahr, EWS 1995, S. 8, 9, 11; Weyer, Nationale Werbebeschränkungen im System des freien Warenverkehrs – Zugleiche eine Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 15. 5. 1993 „Yves Rocher“, DZWir 1993, S. 359, 365; Sack, Art. 30, 36 EG-Vertrag und das internationale Wettbewerbsrecht, WRP 1994, S. 281, 292 f. 128 Leisner, Wahrheitssuche statt Suggestionsvermutung, Ein neuer Anstoß des EuGH zur Wettbewerbsliberalisierung, EuZW 1993, S. 655, 656. 129 Vgl. Loschelder, Die Novellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 1994, S. 535 – 540. 130 Vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 25. Juli 1994, BGBl. 1994 I, S. 1738; Schricker/Hennig-Bodewig, Elemente einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union, WRP 2001, 1367, 1371; Gröning, 100 Tage UWGÄndG, WRP 1994, S. 775, 775; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG-Änderungsgesetz – UWGÄndG), BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994. Besprochen durch: H.-G. Borck, UWG-Deregulierung als Reformansatz, WRP 1994, S. 349 – 355.
B. Das deutsche Lauterkeitsrecht
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solche Vorschriften für in Deutschland ansässige Unternehmen weiterhin anwendbar bleiben, im grenzüberschreitenden Handelsverkehr aber nicht mehr geltend gemacht werden können“.131
Eine Inländerdiskriminierung deutscher Anbieter hätte im Fall der Aufrechterhaltung des Verbotes der Werbung mit Eigenpreisvergleichen ökonomisch erhebliches Gewicht gehabt, da die Werbung mit dem eigenen Preis für Anbieter ein wichtiges Mittel im Leistungswettbewerb ist132. Zur Abschaffung des Verbotes der Werbung mit Eigenpreisvergleichen kam es trotz der Keck-Entscheidung, infolgedessen sich die in den Rechtssachen GB-INNOBM und Yves Rocher zum Ausdruck kommende Rechtsprechung überholt hatte133. Nach der Keck-Entscheidung bestanden erhebliche Unsicherheiten darüber, welche Folgen sich aus der Keck-Entscheidung konkret für die Rechtsanwendungspraxis ergeben134. Die Bundesregierung hätte diese Rechtsunsicherheit nutzen können, um § 6e UWG (zumindest vorübergehend) aufrechtzuerhalten. Dazu kam es jedoch nicht, weil seitens des deutschen Gesetzgebers allgemein ein starker Wunsch nach Deregulierung bestand, der sich infolge der Entscheidung Yves Rocher Bahn gebrochen hatte135. Die Regelung war ohnehin seit langem umstritten; es ging hier also nicht in erster Linie um die Beseitigung von Inländerdiskriminierung.136 131 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland, BT-Drs. 12/5620, 03. 09. 1993, S. 50 f. Vgl. auch: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994, S. 4. 132 Piper, in: Großkommentar UWG, § 6e Rn. 1. Im Falle einer Aufrechterhaltung von § 6e UWG a. F. und einer Messung der Regelung an der Warenverkehrsfreiheit wäre zudem sehr zweifelhaft gewesen, ob die Regelung verfassungsrechtlich Bestand gehabt hätte (Weyer, Nationale Werbebeschränkungen im System des freien Warenverkehrs – Zugleiche eine Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 15. 5. 1993 „Yves Rocher“, DZWir 1993, S. 359, 366). 133 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG-Änderungsgesetz – UWGÄndG), BT-Des. 12/7345, 21. 04. 1994, S. 8; Bornkamm, Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, in: FS BGH, S. 343, 348; Krimphove, Europäisches Werberecht, S. 230. 134 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994, S. 8; Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, S. 91, 107 ff.; H.-G. Borck, UWG-Deregulierung als Reformansatz, WRP 1994, S. 349, 349 f.; Schricker, Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 589 f. 135 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG-Änderungsgesetz – UWGÄndG), BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994, S. 4. 136 Keller, in: Harte-Bavendamm/Hennig-Bodewig, UWG, Einl A Rn. 8; Hakenberg/ Harles, Anmerkung (EuGH, GB-INNO-BM), GRUR Int. 1990, S. 957, 957; Zumschlinge, Das Verbot der Werbung mit Preisgegenüberstellungen (§ 6e UWG) in rechtsvergleichender und europarechtlicher Sicht, S. 11 f. Vgl. BGH, Urteil vom 26. 01. 1989, Az. I ZR 18/88, GRUR 1989, S. 446, 447: „Bei der Auslegung der Vorschrift durch den Senat in den Entscheidungen ,Schilderwald‘ (a. a. O.) und ,Durchgestrichener Preis‘ (a. a. O.), die dazu führt, daß nur in einem eng begrenzten Kreis von Fällen eine bestimmte Werbung mit der Gegenüberstellung eigener Preise untersagt ist, läßt sich dieses Verbot mit dem Grundgesetz vereinbaren“; Schricker,
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
Der Gesetzentwurf hält eine Aufrechterhaltung der Regelung nur für Inlandssachverhalte oder Drittlandssachverhalte nicht für zweckmäßig: „In dem genannten Urteil [Anmerkung des Verfassers: Yves Rocher] hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entscheiden, daß das Verbot der blickfangmäßigen Preisgegenüberstellung in der Katalogwerbung (§ 6e Abs. 2 Nr. 2 UWG) mit den Vorschriften des EG-Vertrags über den freien innergemeinschaftlichen Warenverkehr nicht zu vereinbaren ist, weil es weder zum Schutz der Verbraucher noch zum Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs erforderlich ist. […] Dies hat zur Folge, daß § 6e UWG auf Sachverhalte, die den freien Warenverkehr innerhalb der Europäischen Gemeinschaft betreffen, nicht angewendet werden kann. Ein Festhalten an dieser Regelung für rein inländische Sachverhalte oder Sachverhalte mit Drittlandsbezug erscheint wegen der daraus resultierenden Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt“.137
Nach Auffassung des Gesetzgebers wird die Gesetzesänderung einen „Beitrag zur Anpassung an die Rechtsentwicklung in den anderen EG-Mitgliedstaaten und im EWR […] [leisten], wodurch eine spätere Harmonisierung dieses Rechtsgebiets auf europäischer Ebene erleichtert wird“138, womit das Ziel einer Ex-post Harmonisierung im Lauterkeitsrecht angesprochen ist. Das Gesetz beschränkte sich nicht auf die Aufhebung des § 6e UWG, sondern verwirklichte insgesamt eine „erste deutliche Liberalisierung“ auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts.139 Weitere Maßnahmen zur Deregulierung war eine Einschränkung der Verfolgbarkeit von Wettbewerbsverstößen,140 denn Wettbewerbsverstöße wurden zum Teil nur aufgrund der durch ihre Verfolgung zu generierenden Einnahmen verfolgt141. Diese Gesetzesänderung erfolgte – aus Sicht der positiven Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 591; Bornkamm, Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, in: FS BGH, S. 343, 348 Fn. 16; Schricker, Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 587. 137 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG-Änderungsgesetz – UWGÄndG), BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994, S. 8. 138 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG-Änderungsgesetz – UWGÄndG), BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994, S. 5. 139 Keller, in: Harte-Bavendamm/Hennig-Bodewig, UWG, Einl A Rn. 8. Abgeschafft wurde zudem 6d UWG a. F. (Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, § 6c Rn. 14; Schricker, Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 587). 140 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG-Änderungsgesetz – UWGÄndG), BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994, S. 4, 5 f. Schricker, Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 593 f.; Kissler, Die UWG-Novelle 1994 in der Praxis, WRP 1994, S. 768, 769 f.; Keller, in: Harte-Bavendamm/Hennig-Bodewig, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Einl A Rn. 8. 141 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG-Änderungsgesetz – UW-
B. Das deutsche Lauterkeitsrecht
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Theorie der Regulierung und insbesondere der Interessengruppentheorie erstaunlich – trotz der Tatsache, dass die Rechtsanwaltschaft Nutznießerin der breiten Verfolgung von Wettbewerbsverstößen war142.
II. Versuch einer Aufhebung des RabattG Die schwarz-gelbe Bundesregierung bemühte sich um eine Aufhebung des umstrittenen143 RabattG.144 Die Bundesregierung sah im Fall der Beibehaltung des RabattG Standortnachteile für deutsche Anbieter von Waren und Dienstleistungen, insbesondere im grenznahen Bereich und im Versandhandel als wahrscheinlich an145 und sie beklagte eine Behinderung neuartiger Werbe-und Vertriebsmethoden infolge der Regulierung von Rabatten und Zugaben146. Die FDP war die treibende Kraft der Deregulierung.147 Nach Wirtschaftsminister Rexrodt (FDP) behindere das RabattG den Wettbewerb und bevormunde den Verbraucher wie sonst in keinem Land der Welt.148 Die SPD warnte hingegen vor der Einführung von Basar-Methoden im deutschen Einzelhandel.149 Der Bundestag beschloss das „Rabattderegulierungsgesetz“150 (das ein Verbot von Gesamtumsatzrabatten beibehielt151) mit knapper Mehrheit,152 jedoch scheiterte das GÄndG), BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994, S. 4, 5 f. Kissler, Die UWG-Novelle 1994 in der Praxis, WRP 1994, S. 768, 769. 142 Schricker, Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 588. 143 Vgl. Schricker, Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 587, 590. 144 Bundesministerium für Wirtschaft, Schreiben vom 28. 7. 1993, EWS 1993, S. 329; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., BT-Drs. 12/7345, 21. 04. 1994, S. 5; Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland, BT-Drs. 12/5620, 03. 09. 1993, S. 50. 145 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., Gesetz zur Aufhebung des Rabattgesetzes und der Verordnung zur Durchführung des Rabattgesetzes (Rabattgesetzaufgebungsgesetz – RabattGAufHG), BT-Drs. 12/6722, 1. 2. 1994, S. 4. 146 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland, BT-Drs. 12/5620, 03. 09. 1993, S. 50. 147 Vgl. o. V., Bundestag beschließt Aufhebung des Rabattgesetzes, FAZ, 17. 6. 1994, S. 11. 148 O. V., Bundestag beschließt Aufhebung des Rabattgesetzes, FAZ, 17. 6. 1994, S. 11. 149 O. V., Bundestag beschließt Aufhebung des Rabattgesetzes, FAZ, 17. 6. 1994, S. 11. 150 Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, Gesetz über die Deregulierung desRabattrechts (Rabattderegulierungsgesetz – RabattDeregG), BR-Drs. 602/94, 08. 07. 1994; Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 150 Fn. 75a. 151 Vgl. Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 150 Fn. 75a. 152 O. V., Bundestag beschließt Aufhebung des Rabattgesetzes, FAZ, 17. 6. 1994, S. 11.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
Gesetz wie erwartet153 an der fehlenden Zustimmung des Bundesrates154, der den Vermittlungsausschuss anrief155. Der Bundesrat sah in der ZugabeVO und dem RabattG ein wichtiges Teilelement des Gesamtsystems des deutschen Lauterkeitsrechts, so dass der Bundesrat eine isolierte Abschaffung der ZugabeVO und des RabattG für nicht möglich hielt.156 Im Einzelnen forderte der Bundesrat eine Aufrechterhaltung des Verbotes der Gewähr von Gesamtumsatzrabatten an private Endverbraucher.157 Hintergrund für das Scheitern einer Aufhebung waren die Forderungen des mittelständischen Einzelhandels,158 dessen Interessen an einem wettbewerblichen Schutz mittels des Lauterkeitsrechts durch die Keck-Entscheidung des EuGH gestärkt wurde159. Obwohl die Ablehnung der Deregulierung mit dem Ziel der Gewährleistung des Schutzes von Verbrauchern begründet wurde,160 befürworteten Verbraucherverbände bemerkenswerter Weise die Abschaffung161. Das Scheitern der Deregulierung kann deswegen als Interessengruppenpolitik bewertet werden.
III. Entwicklung des Verbraucherleitbildes Die deutsche Rechtsprechung legte zur Ausfüllung des Tatbestandes der Irreführung zunächst das Bild eines flüchtigen und unkritischen Verbrauchers zugrunde.162 153
O. V., Bundestag beschließt Aufhebung des Rabattgesetzes, FAZ, 17. 6. 1994, S. 11. Littmann, Die Rechtslage vor und nach der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, S. 18. Vgl. Emmerich, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, in: FS Gernhuber, S. 857, 857: „Der Wettbewerb hat in Deutschland, immer noch oder wieder, zahlreiche Feinde. Daß er den meisten betroffenen Unternehmen wenig willkommen ist, liegt auf der Hand […]“, S. 866 f. 155 Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, Gesetz über die Deregulierung des Rabattrechts (Rabattderegulierungsgesetz – RabattDeregG), BR-Drs. 602/94, 08. 07. 1994. 156 Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, Gesetz über die Deregulierung desRabattrechts (Rabattderegulierungsgesetz – RabattDeregG), BR-Drs. 602/94, 08. 07. 1994, S. 2 f. 157 Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, Gesetz über die Deregulierung desRabattrechts (Rabattderegulierungsgesetz – RabattDeregG), BR-Drs. 602/94, 08. 07. 1994, S. 3. 158 Vgl. Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 148 f.; o. V., Rabattgesetz: Bayern warnt vor Schutzlücken, FAZ, 19. 3. 1994, S. 13. 159 Vgl. Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 149 f. 160 O. V., Rabattgesetz: Bayern warnt vor Schutzlücken, FAZ, 19. 3. 1994, S. 13. 161 Schricker, Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 590 mwN in Fn. 46. Vgl. auch: Emmerich, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, in: FS Gernhuber, S. 857, 866. 162 Vgl. BGH, Urteil vom 23. 10. 1956, Az. I ZR 76/54, GRUR 1957, S. 128, 130; BGH, Urteil vom 23. 01. 1959, Az. I ZR 14/58, GRUR 1959, S. 365 – 367; Steinbeck, in: Fezer, UWG, § 4 – 1 Rn. 84; Bornkamm, Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und 154
B. Das deutsche Lauterkeitsrecht
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Der BGH sah z. B. die Produktbezeichnung „Alt-Englisch-Lavendel“ als irreführend an, da nach damaliger Ansicht des BGH ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher den streitigen Bezeichnungen die Bedeutung einer Herkunftslandangabe beimisst.163 Es darf nach Feststellung des BGH nicht von einem Betrachter ausgegangen werden, der die Ankündigung genau, vollständig und mit kritischer Überlegung würdige.164 Der BGH165 bewertete die Verwendung der Firma „Dr. S.-Arzneimittel Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ als irreführend, wenn Dr. S. nicht zu diesem Zeitpunkt Gesellschafter war oder vorher gewesen ist, auch wenn Dr. S. für die Gesellschaft tätig gewesen war und zahlreiche Präparate entwickelt hatte.166 Hinsichtlich der Tatsache, dass die Begriffsteile „Dr. S.“ und „Arzneimittel“ mit einem Bindestrich verbunden sind und damit auf die Entwicklung von Arzneimitteln durch Dr. S. hinweisen, verweist der BGH auf die Verkehrsauffassung. Es ist nach Ansicht des BGH von der Erfahrung auszugehen, dass das Durchschnittspublikum geschäftliche Angaben nur selten aufmerksam liest, sondern regelmäßig nur oberflächlich nach ihrem Gesamteindruck beurteilt, so dass eine Beachtung des Bindestrichs fern liegt. Nach der oft zitierten Aussage von Herrn K. Prantl in der gleichnamigen EuGHRechtssache, in der es um die Einfuhr italienischen Weins in Bocksbeutelflaschen in die Bundesrepublik ging, sei das deutsche Lauterkeitsrecht „eines der unflexibelsten der Welt“, und der deutschen Wettbewerbsrechtsprechung liege „das Leitbild eines absolut unmündigen, fast schon pathologisch dummen und fahrlässig unaufmerksamen Durchschnittsverbrauchers“ zugrunde.167 Das strenge Verbraucherleitbild konnte im Fall des Importes von Waren aus anderen Mitgliedstaaten jedoch nicht als Maßstab dienen. Dies wird anhand der
europäischem Recht, in: FS BGH, S. 343, 355; Hösch, Inländerdiskriminierung im Wettbewerbsrecht am Beispiel der Irreführungsgefahr, EWS 1995, S. 8, 10 f. mwN; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 UWG Rn. 29; Nordemann, Wie sich die Zeiten ändern – Der Wandel der Rechtsprechung zum Verbraucherleitbild in § 3 UWG, WRP 2000, S. 977, 977; Doepner, Verbraucherleitbilder zur Auslegung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots – Anmerkungen zum Diskussionsstand – in: FS Lieberknecht, S. 165, 168 ff.; Leible, Abschied vom „flüchtigen Verbraucher“? – Zugleich eine Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 2. 2. 1994 „Clinique“, DZWir 1994, S. 177, 178. 163 BGH, Urteil vom 23. 01. 1959, Az. I ZR 14/58, GRUR 1959, S. 365, 366. Vgl. Fezer, in: Fezer, UWG, § 2 Rn. 167. 164 BGH, Urteil vom 23. 1. 1959, Az. I ZR 14/58, BGH, GRUR 1959, S. 365 – 367. 165 BGH, Urteil vom 05. 04. 1990, Az. I ZR 19/88, GRUR 1990, S. 604 – 606. 166 BGH, Urteil vom 05. 04. 1990, Az. I ZR 19/88, GRUR 1990, S. 604 – 606. 167 EuGH, Urteil vom 13. 3. 1984, Rs. 16/83, Prantl, Slg. 1984, S. 1299, 1306. Vgl. auch: Emmerich, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, in: FS Gernhuber, S. 857, 870: „der an der Grenze der Debilität verharrende, unmündige, einer umfassenden Betreuung bedürftige, hilflose Verbraucher, der auch noch gegen die kleinste Gefahr einer Irreführung durch die Werbung geschützt werden muß“.
384
§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
Urteile in den Rechtssachen Clinique168, Mars169 und Gut Springenheide170 deutlich:171 In der Rechtssache Clinique172 stellte sich die Frage, ob eine französische und deutsche Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Unternehmens Esteé Lauder kosmetische Erzeugnisse in der Bundesrepublik unter der Bezeichnung Clinique vertreiben dürfen. Der klinische oder medizinische Unterton des Begriffs Clinique reicht nach Auffassung des EuGH nicht aus, um dieser Bezeichnung eine irreführende Wirkung zuzusprechen, die ein Vertriebsverbot rechtfertigen kann.173 In der bereits dargestellten Rechtssache Mars ging es um den Aufdruck „+10 %“ auf der Verpackung eines Schokoriegels. Der Hinweis auf den Mehrinhalt erfolgte mittels einer farblich gestalteten Fläche, die jedoch größer war als 10 Prozent der Gesamtfläche der Verpackung.174 Nach Ansicht des EuGH kann „[v]on verständigen Verbrauchern […] erwartet werden, daß sie wissen, daß zwischen der Größe von Werbeaufdrucken, die auf eine Erhöhung der Menge des Erzeugnisses hinweisen, und dem Ausmaß dieser Erhöhung nicht notwendig ein Zusammenhang besteht“.175
Die Rechtssache Gut Springenheide hatte die Zulässigkeit der Vermarktung von Eiern unter der Bezeichnung „6 Korn 10 frische Eier“ zum Gegenstand. Es ging um die Frage, inwieweit diese Bezeichnung geeignet ist, eine Irreführung der Verbraucher zu begründen.176 Unter Verweis auf die Entscheidungen GB-Inno-BM, Yves Rocher und Mars stellte der EuGH klar, dass Maßstab einer Irreführung „die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ ist.177
168
EuGH, Urteil vom 2. 2. 1994, Rs. C-315/92, Clinique, Slg. 1994, I-317, I-338 Rn. 23. EuGH, Urteil 6. 7. 1995, Rs. C-470/93, Mars, Slg. 1995, S. I-1936, I-1944, Rn. 24. 170 EuGH, Urteil vom 16. 7. 1998, Rs. C-210/96, Gut Springensheide, S. I-4657, I-4691 Rn. 31. 171 Vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 UWG Rn. 22. 172 EuGH, Urteil vom 2. 2. 1994, Rs. C-315/92, Clinique, Slg. 1994, I-317 – I-339 = EuGH, DZWir 1994, S. 189 – 190 = EuGH, WRP 1993, S. 546 – 55 mit Anmerkung Leible. Vgl. Leible, Abschied vom „flüchtigen Verbraucher“? – Zugleich eine Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 2. 2. 1994 „Clinique“, DZWir 1994, S. 177 – 181. 173 EuGH, Urteil vom 02. 02. 1994, Rs. C-315/92, Clinique, Slg. 1994, I-317, I-338 Rn. 23. 174 EuGH, Urteil vom 6. 7. 1995, Rs. C-470/93, Mars, Slg. 1995, S. I-1936, I-1939 Rn. 8. 175 EuGH, Urteil 6. 7. 1995, Rs. C-470/93, Mars, Slg. 1995, S. I-1936, I-1944, Rn. 24. 176 Vgl. EuGH, Urteil vom 16. 7. 1998, Rs. C-210/96, Gut Springensheide, S. I-4657, I-4685 ff. Rn. 9 ff. 177 EuGH, Urteil vom 16. 7. 1998, Rs. C-210/96, Gut Springensheide, S. I-4657, I-4691 Rn. 31. 169
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Nachdem zunächst Widerstände in der deutschen Rechtsprechung bestanden, das europäische Verbraucherleitbild zu übernehmen,178 führten die genannten Entscheidungen unausweichlich zur Frage der zukünftigen Ausgestaltung des Verbraucherleitbildes179. Folge einer Beibehaltung des deutschen Bildes eines flüchtigen Verbrauchers wäre eine Spaltung des Verbraucherleitbildes für interne deutsche Fälle und für grenzüberschreitende Fälle im Anwendungsbereich der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit gewesen.180 Bornkamm (Vorsitzender Richter am BGH) fragte deshalb vor diesem Hintergrund, „ob eine friedliche Koexistenz der beiden Verbraucher […] denkbar ist“.181 S. Ahrens erwägt 1999 eine Übertragung des europäischen Verbraucherleitbild in die deutsche Rechtsprechung.182 Eine Übernahme des europäischen Verbraucherleitbildes durch den BGH erfolgte in der Entscheidung „Orient-Teppichmuster“ aus dem Jahr 1999, in der der BGH erstmals das Bild „des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers“ zugrundelegte.183 Der BGH bestätigte seine Wende in der Rechtsprechung zum Verbraucherleitbild schon kurz darauf in weiteren Entscheidungen.184 So stufte der BGH noch im Jahr 1986 eine umgekehrte Versteigerung eines Gebrauchtwagens durch einen Autohändler als irreführend ein185 und bewertete im Jahr 2003 eine umgekehrte Versteigerung in einem ähnlich gelagerten Fall als wettbewerbsrechtlich zulässig186.
178 Beater, Die stillen Wandlungen des Wettbewerbsrechts, Zugleich ein Beitrag zur OrientTeppichmuster-Entscheidung des BGH, JZ 2000, S. 973, 975. Vgl. auch: Emmerich, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, in: FS Gernhuber, S. 857, 871. 179 Vgl. Tilmann, Der „verständige Verbraucher“ in: FS Piper, S. 481, 481 mwN; Nordemann, Wie sich die Zeiten ändern – Der Wandel der Rechtsprechung zum Verbraucherleitbild in § 3 UWG, WRP 2000, S. 977, 978; Ahrens, Verwirrtheiten juristischer Verkehrskreise zum Verbraucherleitbild einer „normativen“ Verkehrsauffassung, WRP 2000, S. 812, 815; Bornkamm, Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, in: FS BGH, S. 343, 358. 180 Vgl. Scherer, Divergenz und Kongruenz der Rechtsprechung des EuGH und des BGH zur Verbraucherwerbung, WRP 1999, S. 991, 993 f. 181 Bornkamm, Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, in: FS BGH, S. 343, 358. 182 Ahrens, Der Irreführungsbegriff im deutschen Wettbewerbsrecht – zu den Auswirkungen des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 16. Juli 1998 – „Gut Springensheide“ auf die deutsche Rechtsprechung zur irreführenden Werbung, WRP 1999, 389, 395 183 BGH, Urteil vom 20. 10. 1999, Az. I ZR 167/97, WRP 2000, S. 517, 520; Piper, in: Piper/ Ohly, UWG, § 3 Rn. 18; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 Rn. 29 ff. 184 vgl. BGH, Urteil vom 17. 05. 2001, Az. I ZR 216/99, GRUR 2001, 1061, 1063; BGH, Urteil vom 24. 10. 2002, Az. I ZR 50/00, GRUR 2003, S. 163, 164; BGH, Urteil vom 24. 10. 2002, Az. I ZR 100/00, GRUR 2003, S. 361, 361 f.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 1 UWG Rn. 29 mwN. 185 BGH, Urteil vom 20. 03. 1986, Az. I ZR 228/83, GRUR 1986, S. 622 f. 186 BGH, Urteil vom 13. 03. 2003, Az. I ZR 216/99, GRUR 2003, S. 626, 626 f.
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Der Wandel des Verbraucherleitbildes187 wurde nicht ausdrücklich mit einer Inländerdiskriminierung188 infolge unterschiedlicher Verbraucherleitbilder189 für interne und grenzüberschreitende Fälle begründet. Vielmehr stellte sich – vorgelagert vor dem Problem einer Inländerdiskriminierung – die Frage, ob die Geltung unterschiedlich strenger Maßstäbe für in- und ausländische Sachverhalte sinnvoll ist.190 Die Geeignetheit des Lauterkeitsrechts zur Verwirklichung von Schutzzielen wäre bei einer Spaltung des Verbraucherleitbildes fraglich gewesen191 und die Bindung inländischer Anbieter an ein strengeres deutsches Verbraucherleitbild wäre deshalb verfassungsrechtlich angreifbar gewesen192. Die Anpassung des deutschen Verbraucherleitbildes an das europäische kann als eine systemwettbewerbliche Reaktion verstanden werden, die zwar nicht industriepolitisch motiviert war, jedoch ihre Ursache in der Unvereinbarkeit des deutschen Verbraucherleitbildes mit der Warenverkehrsfreiheit hatte. Akteur in diesem Systemwettbewerb war nicht der deutsche Gesetzgeber, sondern die deutsche Rechtsprechung.193
187
Vgl. aus jüngster Zeit: BGH, Urteil vom 13. 12. 2012, Az. I ZR 217/10, MMR 2013, S. 254 f. Tz. 23 ff. „der normal informierte und angemessen aufmerksame Internetnutzer“ (S. 254 Tz. 23). 188 Vgl. Beater, Europäisches Recht gegen unlauteren Wettbewerb – Ansatzpunkte, Grundlagen, Entwicklung, Erforderlichkeit, ZEuP 2003, S. 11, 12 f. Eine Inländerdiskriminierung wurde bestritten von: Tilmann, Der „verständige Verbraucher“ in: FS Piper, S. 481, 492 f. 189 Hösch, Inländerdiskriminierung im Wettbewerbsrecht am Beispiel der Irreführungsgefahr, EWS 1995, S. 8, 11. 190 Vgl. Tilmann, Der „verständige Verbraucher“ in: FS Piper, S. 481, 486. 191 Vgl. Hösch, Inländerdiskriminierung im Wettbewerbsrecht am Beispiel der Irreführungsgefahr, EWS 1995, S. 8, 11. 192 Vgl. Hösch, Inländerdiskriminierung im Wettbewerbsrecht am Beispiel der Irreführungsgefahr, EWS 1995, S. 8, 11 f.; Ahrens, Der Irreführungsbegriff im deutschen Wettbewerbsrecht – zu den Auswirkungen des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 16. Juli 1998 –„Gut Springensheide“ auf die deutsche Rechtsprechung zur irreführenden Werbung, WRP 1999, 389, 395 – 397; Ullmann, Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von Europa und Deutschland, GRUR 2003, S. 817, 819: „Die verfassungsrechtliche Komponente von Werbeverboten gehört zum Bewußtsein eines jeden Wettbewerbsrichters“. 193 Zur richterrechtlichen Prägung des deutschen Lauterkeitsrechts: BVerfG, Beschluss vom 08. 02. 1972, Az. 1 BvR 170/71, BVerfGE 32, 311, 317; Beater, Die stillen Wandlungen des Wettbewerbsrechts, Zugleich ein Beitrag zur Orient-Teppichmuster-Entscheidung des BGH, JZ 2000, S. 973 ff.; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 3 Rn. 3. Kirchner stellte 1986 fest, dass die Schaffung oder Senkung von Transaktionskosten zu einem guten Teil in die Hände der Gerichte gelegt ist (Kirchner, Fehlentwicklungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs, Zur ökonomischen Analyse der §§ 6a Abs. 2 und 6b UWG, AG 1986, S. 205, 218).
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Der Gesetzgeber bestätigte das neue Verbraucherleitbild der deutschen Rechtsprechung im Rahmen der UWG-Novelle von 2004,194 nachdem der Gesetzgeber das vorherige Verbraucherleitbild schon im Jahr 2000 als „nicht mehr zeitgemäß“ bezeichnet hatte195. Anzumerken ist, dass der europäische Gesetzgeber im Rahmen von Harmonisierungsrechtsakten insbesondere auch das Ziel des Verbraucherschutzes verfolgt und damit zum Ausdruck bringt, dass er den Verbraucher in vielerlei Hinsicht für schutzwürdig hält.196
IV. Bewertung der Rechtsentwicklung 1. Pfadsprengende Wirkung institutioneller Mobilität Der europäische Einfluss führte zu einer deutlichen Deregulierung im deutschen Lauterkeitsrecht,197 wobei nicht nur dem Gesetzgeber, sondern auch den Gerichten eine entscheidende Rolle zukam. Bis zur europarechtlich erzwungenen Öffnung des Lauterkeitsrechts fand die Rechtsentwicklung im geschlossenen Raum statt, so dass nach Formulierung von Bornkamm im „Kleingarten des deutschen Lauterkeitsrecht[s] […] sonst in Europa nicht vorkommende Arten
194 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003, S. 19; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. Rn. 2.13, § 1 UWG Rn. 30. 195 Gesetzentwurf der Abgeordneten Rainer Funke et al, Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des deutschen Zugaberechts an die EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ZugaberechtsanpassungsG), BT-Drs. 14/4424, 25. 10. 2000, S. 4. 196 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 194/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, ABl. EG Nr. L 404/9, 30. 12. 2006; Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/ EG und 2008/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission, ABl. EU Nr. L 304/18, 22. 11. 2011; Berg, Der geleitete Verbraucher, Wie ernst nimmt das Lauterkeitsrecht den mündigen Verbraucher wirklich?, in: Freiheit und Fairness im Wettbewerb, S. 89, 90 f. Nach Zimmer zeigen die vorhandene Regulierung die Vorstellung eines Menschen, der „in vielen Situationen bei seinen Entscheidungen der Hilfe durch den Obrigkeitsstaat bedarf“ (Zimmer, Weniger Politik!, Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht, S. 73). 197 Vgl. Keller, in: Harte-Bavendamm/Hennig-Bodewig, UWG, Einl A Rn. 8 ff. Vgl. zu den Vorschlägen des Bundesjustizministeriums: Loschelder, Die Novellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 1994, S. 535, 536; Leisner, Wahrheitssuche statt Suggestionsvermutung, Ein neuer Anstoß des EuGH zur Wettbewerbsliberalisierung, EuZW 1993, S. 655 – 659.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
gezüchtet werden“ konnten198. Diese von Bornkamm angesprochenen „Arten“ wiesen – einmal etabliert – eine erhebliche Widerstandskraft auf. Schricker stellte insofern fest, dass das Richterrecht auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts sich, einmal verfestigt, durch außerordentliches Beharrungsvermögen auszeichnet.199 Es bedurfte erst des konkret auf § 6e UWG a. F. bezogenen Urteils Yves Rocher, um den entscheidenden Anstoß zur Aufhebung der Regelung zu geben. Es war deswegen keineswegs eine flexible Rechtsentwicklung auf Basis von Richterrecht zu beobachten wie dies die Theorie der Effizienz des Common Law200 nahelegt. Vielmehr beschritt die deutsche Rechtsprechung bestimmte Wege, die sich immer weiter verfestigten und ein Eigenleben entwickelten. Auch ein Vergleich mit einer liberalen Ausgestaltung des Lauterkeitsrechts in anderen Staaten (Yardstick Competition201) konnte nicht zu einer Deregulierung im deutschen Lauterkeitsrecht beitragen. 2. Deregulierungs- und Machtbegrenzungsfunktion im Hinblick auf die Abschaffung von § 6e UWG a. F. Das Verbot in § 6e UWG a. F., das auf Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion202 1986 eingefügt wurde, nachdem zuvor bereits drei Versuche der Schaffung einer derartigen Regelung gescheitert waren203, nennt vor allem das Ziel der Bekämpfung der weit verbreiteten Missbräuche „bei der Verwendung durchgestrichener Preise oder ähnlicher Angaben“204. Das Verbot in § 6e UWG a. F. beschränkte
198 Bornkamm, Anm. zu EuGH v. 18. 5. 1993, Rs. C-126/91, GRUR 1993, 748. Ähnlich: Beater, Die stillen Wandlungen des Wettbewerbsrechts, Zugleich ein Beitrag zur OrientTeppichmuster-Entscheidung des BGH, JZ 2000, S. 973, 974 f.: „Zum anderen sollte die idyllische Abgeschiedenheit und Ungestörtheit“ des deutschen Lauterkeitsrechts vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsentwicklung „ein jähes Ende finden“ (S. 974). Vgl. auch: Koos, Europäischer Lauterkeitsmaßstab und globale Integration, S. 52. 199 Schricker, Hundert Jahre Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – Licht und Schatten, GRUR Int. 1996, S. 473, 474. 200 Vgl. Teil 1 § 2 B. I. 4. 201 Vgl. Teil 1 § 4 H. II. 202 Vgl. Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wirtschafts- und verbraucherrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 10/4741, 29. 01. 1986, S. 12; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß), BTDrs. 10/5771, 25. 6. 1986, S. 21. 203 Vgl. Gesetzentwurf der Abgeordneten Hauser et al., Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BT-Drs. 8/1670, 22. 3. 1978; Gesetzentwurf der Abgeordneten Hauser, Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BT-Drs. 9/665, 15. 7. 1981; Zumschlinge, Das Verbot der Werbung mit Preisgegenüberstellungen (§ 6e UWG) in rechtsvergleichender und europarechtlicher Sicht, S. 7 – 9. 204 Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wirtschafts- und verbraucherrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 10/4741, 29. 01. 1986, S. 12.
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sich jedoch keineswegs nur auf Fälle von Irreführungen, sondern galt allgemein.205 Unterbunden wurde damit ein Marketinginstrument, das Verbrauchern ermöglichte, eine Kaufentscheidung auf einer breiteren Informationsgrundlage zu treffen.206 Die Aufhebung ist deswegen zu begrüßen und es kann von einer Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden. Triebkraft für die Schaffung der Regelung war der mittelständische Einzelhandel, deren Interessen die Regelung diente.207 Diese Zielsetzung findet in den Vorentwürfen von 1974, 1978 und 1981 Ausdruck: „Als nicht voll wirksam hat sich die Änderung des § 3 UWG erwiesen. […] Aufgrund der Erfahrungen in der Praxis muß das Gesetz deshalb einen zusätzlichen Schutz vor Irreführung über die Preiswürdigkeit von Unternehmensformen oder Einzelhandelsunternehmen gewähren. Vorstellungen in der Öffentlichkeit über mögliche Preisunterschiede widersprechen den betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten in der Praxis. Dies hat u. a. der Bericht des Bundeskartellamtes im März 1973 über eine Untersuchung im Berliner Einzelhandel ergeben. Die höchste Preisdifferenz zwischen den verschiedenen Unternehmensformen einschließlich der sogenannten Discount- oder Verbrauchermärkte lag bei 4,9 v.H. In der Öffentlichkeit wird dagegen durch entsprechende Werbung die Meinung hervorgerufen, daß man in der Regel 15 bis 20 v.H. und eventuell noch mehr Prozent sparen könne, wenn man nur den richtigen Vertriebsweg gewählt hat. Durch diese Diskrepanz in den Prozentsätzen zeigt sich zugleich die Gefährlichkeit und Täuschung der preisgegenüberstellenden Werbung über die Preiswürdigkeit von Unternehmen. Die sachlich unzutreffende Vorstellung weiter Kreise der Verbraucher über die Höhe der Preisvorteile in sog. modernen Vertriebsformen führen deshalb zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung vieler mittelständischer Unternehmen, die dem Verbraucher durchaus vergleichbare Vorteile bieten“.208
Sofern das Ziel des Mittelstandsschutzes wirtschaftspolitisch nicht gerechtfertigt ist,209 liegt die Annahme einer Interessengruppenregulierung nahe. Die Aufhebung
205
Vgl. EuGH, Urteil vom 18. 5. 1993, Rs. C-126/91, Yves Rocher GmbH, Slg. 1993, I-2361, I-2390 Rn. 17. 206 Vgl. EuGH, Urteil vom 18. 5. 1993, Rs. C-126/91, Yves Rocher GmbH, Slg. 1993, I-2361, I-2390 Rn. 17; Van den Bergh/Lehmann, Informationsökonomie und Verbraucherschutz im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR Int. 1992, S. 588, 598. 207 Zumschlinge, Das Verbot der Werbung mit Preisgegenüberstellungen (§ 6e UWG) in rechtsvergleichender und europarechtlicher Sicht, S. 13 – 15; Piper, in: Großkommentar, UWG, § 6e Rn. 4, 6 d; Bornkamm, Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, in: FS BGH, S. 343, 348 Fn. 16; Schricker, Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 587. 208 Gesetzentwurf der Abgeordneten Hauser et al und der Fraktion der CDU/CSU, Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BTDrs. 8/1670, 22.03.78, S. 7; Zumschlinge, Das Verbot der Werbung mit Preisgegenüberstellungen (§ 6e UWG) in rechtsvergleichender und europarechtlicher Sicht, S. 6. 209 Vgl. Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 128 f.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
des Verbotes von Eigenpreisvergleichen kann aus dieser Perspektive als Ausdruck der Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb verstanden werden. 3. Deregulierungsfunktion im Hinblick auf die Veränderung des Verbraucherleitbildes Der Übergang auf das europäische Verbraucherleitbild bewirkte eine Abschwächung des Schutzniveaus des deutschen Lauterkeitsrechts.210 Im Auge zu behalten ist eine Überforderung des Verbrauchers im Rahmen eines Informationsmodells, wonach Verbraucherschutz über die Bereitstellung von Informationen erfolgen soll.211 Probleme des Marktversagens infolge der Absenkung des Schutzniveaus sind jedoch nicht zu befürchten,212 zumal die Möglichkeit nationaler Gerichte besteht, Sachverständigengutachten einzuholen213, um einen Regulierungsbedarf zu begründen. Es kann von einer Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden.
C. Regulierung des Handwerks als Gegenstand von Systemwettbewerb vermittelt über das primärrechtliche Herkunftslandprinzip I. Rechtssachen Corsten und Schnitzer Die Rechtssache Corsten aus dem Jahr 2000 und die 2003 entschiedene Rechtssache Schnitzer verdeutlichte dem deutschen Handwerk als auch dem deutschen Gesetzgeber die primärrechtlich erzwungene Anwendung des Herkunftslandprinzips im Fall der grenzüberschreitenden Erbringung von Handwerksdienstleistungen. In der Rechtssache Corsten bewertete der EuGH eine Eintragungspflicht in die deutsche Handwerksrolle und die aus der Kammermitgliedschaft folgende Beitragspflicht im Fall der grenzüberschreitenden Erbringung von Handwerksleistun210 Kritisch insofern: Kuhlmann, Verbraucherpolitik, S. 85; Leistner, Der Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht des unlauteren Wettbewerbs, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 122, 162 f.; Wunderle, Verbraucherschutz im Europäischen Lauterkeitsrecht, S. 326; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts, S. 113. 211 Vgl. Berg, Der geleitete Verbraucher, Wie ernst nimmt das Lauterkeitsrecht den mündigen Verbraucher wirklich?, in: Freiheit und Fairness im Wettbewerb, S. 89, 91 f. 212 Vgl. die Einschätzung der Bundesregierung: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften, BT-Drs. 14/5441, 06. 03. 2001, S. 7. 213 Doepner, Verbraucherleitbilder zur Auslegung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots – Anmerkungen zum Diskussionsstand – in: FS Lieberknecht, S. 165, 169.
C. Regulierung des Handwerks
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gen im Anwendungsbereich der Dienstleistungsverkehrsfreiheit als Verstoß gegen das Primärrecht.214 Im Rahmen der Rechtssache Schnitzer stellte der EuGH fest, dass unter die Dienstleistungsfreiheit auch die wiederholte und regelmäßige Erbringung von Leistungen fällt, wenn der Dienstleister im Aufnahmemitgliedstaat über keine Infrastruktur verfügt, „die es ihm erlauben würde, in diesem Mitgliedstaat in stabiler und kontinuierlicher Weise einer Erwerbstätigkeit nachzugehen“.215 Es stellt sich infolge dieser Entscheidungen das Problem einer Inländerdiskriminierung, da selbständig tätige Handwerker mit Sitz in Deutschland mit dem großen Befähigungsnachweis erheblich strengere Qualifikationsanforderungen zu erfüllen haben als ihre Kollegen aus anderen Mitgliedstaaten.216 Der Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker sah vor diesem Hintergrund eine Standortrelevanz des Meisterzwangs als gegeben an: „Uns wird nach diesem Beschluss nichts anderes bleiben, als die europäische Dienstleistungsfreiheit zu nutzen, in England, Frankreich oder Spanien unsere Betriebe zu gründen und von dort aus unsere Leistungen in Deutschland anzubieten“.217
Dabei unterschlägt der Verband jedoch den vorübergehenden Charakter der Dienstleistungsverkehrsfreiheit,218 weshalb eine vollkommene Ausrichtung der Leistungserbringung auf Deutschland von einem Standort aus einem anderen Mitgliedstaat ausgeschlossen ist.
214 EuGH, Urteil vom 3. 10. 2000, Rs. C-58/98, Corsten, Slg. 2000, S. I-7946, I-7959 Rn. 45 f. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 11. 12. 2003, Rs. C-215/01, Schnitzer, Slg. 2003, I-14847, I-14883 – I-14885 Rn. 34 ff. 215 EuGH, Urteil vom 11. 12. 2003, Rs. C-215/01, Schnitzer, Slg. 2003, I-14847, I-14883, Rn. 32. 216 Die Monopolkommission konstatierte in ihrem Sondergutachten zur Reform der Handwerksordnung aus dem Jahr 2001, dass „[i]n fast keinem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union […] ähnlich hohe Marktzutrittschranken zur Ausübung handwerklicher Gewerbe [bestehen] wie in Deutschland“ (Monopolkommission, Reform der Handwerksordnung, S. 33 Tz. 36). Vgl. die Übersicht in: Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 215 ff.; Fredebeul-Krein/Schürfeld, Marktzutrittsregulierungen im Handwerk und bei technischen Dienstleistungen, S. 73 ff. 217 Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker (BUH), Pressemitteilung vom 20. 12. 2000. 218 Vgl. EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, I-4195 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 12. 12. 1996, Rs. C-3/95, Reisebüro Broede, Slg. 1996, I-6511, I6536 Rn. 22; EuGH, Urteil vom 17. 12. 1981, Rs. 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, 3324 Rn. 16; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 9.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
II. Gesetzgeberische Maßnahmen 1. Initiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 1997 Im Jahr 1997 (als eine schwarz-gelbe Koalition regierte) unternahm die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erfolglos einen Vorstoß zur Liberalisierung der Handwerksordnung.219 Nach diesem Vorstoß sollte der Zugang zu nichtgefahrgeneigten Handwerken für Handwerksgesellen gewährt werden, die drei Jahre lang ununterbrochen in ihrem Beruf tätig waren.220 Der Gesetzentwurf verwies darauf, dass die Zugangsvoraussetzungen zu einer selbständigen Tätigkeit als Handwerker „in der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Vergleich einmalig hoch“ sind.221 Der schwierige Zugang zum Handwerk behindere Existenzgründungen, womit erhebliche Arbeitsplatz- und Ausbildungspotentiale verschenkt würden.222 Dies sei heutzutage schon deshalb nicht mehr zu rechtfertigen, weil Handwerker aus anderen europäischen Staaten in der Bundesrepublik selbständig tätig sein könnten,223 womit das Problem der Inländerdiskriminierung angesprochen wurde. 2. Handwerksnovelle aus dem Jahr 1998 Mit der Novelle der HwO aus dem Jahr 1998224 reduzierte der Gesetzgeber die in der Anlage A als zulassungspflichtig aufgeführten Berufe von 127 auf 94.225 Es erfolgen Präzisierungen in Bezug auf die Erteilung von Ausnahmen vom Erfordernis des großen Befähigungsnachweises.226 Der Gesetzentwurf stellt jedoch klar, dass am großen Befähigungsnachweis festgehalten wird.227 219
Dietz, Braucht der Kunde seinen Meister? Zur Deregulierung des Handwerks, Wirtschaftsdienst, S. 172, 172 f. 220 Gesetzentwurf der Abgeordneten Margareta Wolf Frankfurt) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, BT-Drs. 13/ 8846 vom 28. 10. 1997, S. 1. 221 Gesetzentwurf der Abgeordneten Margareta Wolf Frankfurt) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, BT-Drs. 13/ 8846 vom 28. 10. 1997, S. 1. 222 Gesetzentwurf der Abgeordneten Margareta Wolf Frankfurt) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, BT-Drs. 13/ 8846 vom 28. 10. 1997, S. 1. 223 Gesetzentwurf der Abgeordneten Margareta Wolf Frankfurt) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, BT-Drs. 13/ 8846 vom 28. 10. 1997, S. 1, 4 „Die Pflicht zur Meisterprüfung ist überhaupt nicht mehr verständlich, wenn der EU-Binnenmarkt in Rechnung gestellt wird“ (S. 4). 224 Zweites Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 25. März 1988, BGBl. I 1988, S. 596. 225 Stüben, Das deutsche Handwerk, eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 206. 226 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, anderer handwerksrechtlicher Vorschriften und des Berufsbildungsgesetzes, BT-Drs. 12/5918, 20. 10. 1993, S. 15.
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Es ging dem Gesetzgeber um die Setzung von Impulsen für wirtschaftliches Wachstum.228 Die Palette des Leistungsangebotes von Handwerkern sollte erweitert werden.229 Ziel war insbesondere eine Ermöglichung der Erbringung von Leistungen aus einer Hand,230 was die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Handwerker gegenüber Wettbewerbern aus dem EU-Raum erhöhen kann.231 Das Ziel die Wettbewerbsposition deutscher Handwerker gegenüber EU-ausländischen zu verbessern, kommt im Rahmen der Gesetzesbegründung nicht zum Ausdruck, obwohl Ziel des Gesetzes ist, „die Handwerksordnung für die Anforderungen des Europäischen Binnenmarktes und des Europäischen Wirtschaftsraums zu öffnen“232. Hervorgehoben werden stattdessen die Chancen, die mit dem Binnenmarkt für deutsche Handwerker verbunden sind.233 3. Handwerksnovelle aus dem Jahr 2003 In Umsetzung der Rechtssache Corsten ergänzte der Gesetzgeber § 9 HwO a. F. um einen zweiten Absatz, wonach Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der EU oder des EWR, die keine Niederlassung im Inland unterhalten und ein Gewerbe nach Anlage A der HwO betreiben und nicht über eine Eintragung in die Handwerksrolle verfügen, in Deutschland Handwerksdienstleistungen erbringen können.234 Zudem 227 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, anderer handwerksrechtlicher Vorschriften und des Berufsbildungsgesetzes, BT-Drs. 12/5918, 20. 10. 1993, S. 15. 228 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, anderer handwerksrechtlicher Vorschriften und des Berufsbildungsgesetzes, BT-Drs. 12/5918, 20. 10. 1993, S. 15. 229 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, anderer handwerksrechtlicher Vorschriften und des Berufsbildungsgesetzes, BT-Drs. 12/5918, 20. 10. 1993, S. 15. 230 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, anderer handwerksrechtlicher Vorschriften und des Berufsbildungsgesetzes, BT-Drs. 12/5918, 20. 10. 1993, S. 1; Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 206 f. 231 Klemmer/Schrumpf, Der Große Befähigungsnachweis im deutschen Handwerk, Relikt einer überkommenen Ständegesellschaft oder modernes Instrument der Wirtschaftspolitik?, S. 85. 232 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, anderer handwerksrechtlicher Vorschriften und des Berufsbildungsgesetzes, BT-Drs. 12/5918, 20. 10. 1993, S. 15. 233 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, anderer handwerksrechtlicher Vorschriften und des Berufsbildungsgesetzes, BT-Drs. 12/5918, 20. 10. 1993, S. 15. 234 Drittes Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung and anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 24. Dezember 2003, BGBl. I 2003, S. 2934, 2937; Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 15/1206, 24. 6. 2003, S. 6 Ziffer 12; Honig, Handwerksordnung, 3. Aufl., § 9 Rn. 18 f.; Meyer, Überlegungen
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verminderte der Gesetzgeber auf Betreiben der rot-grünen Bundesregierung (Kabinett Schröder II) die Zahl der zulassungspflichtigen Handwerke235, indem er die Liste der zulassungspflichtigen Handwerke in Anlage A von 94 auf 41 Handwerke herabsetzte.236 Der Gesetzentwurf wollte den Meisterzwang damit „auf den unbedingt erforderlichen Bereich“ im Sinne „der Abwehr von Gefahren für Gesundheit oder Leben Dritter“ beschränken.237 Bemerkenswerter Weise hielt das Kabinett Schröder I noch im Jahr 1999 (vor der Rechtssache Corsten238) am Meisterzwang fest und führte aus, „daß der Große Befähigungsnachweis zur Sicherung von Leistungsfähigkeit und Leistungsstand im Handwerk unerläßlich bleibt“.239 Es werden für zulassungsfreie Gewerbe (Anlage B) die Voraussetzungen für einen fakultativen Meisterbrief geschaffen (§ 51a HwO), dem die Funktion eines Qualitätssiegels zukommen soll.240 Eine erhebliche Rolle dürfte in der Zukunft (ähnlich wie im Fall des deutschen Reinheitsgebotes für Bier) der Frage zukommen, ob die „Vermarktung“ des Meistertitels gelingt.
zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 3. Oktober 2000 – Rs. C-58/98 – (GewArch 2000, 476) auf das deutsche Handwerksrecht, GewArch 2001, S. 265, 273. 235 Drittes Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung and anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 24. Dezember 2003, BGBl. I 2003, S. 2934; Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und zur Förderung von Kleinunternehmen vom 24. Dezember 2003, BGBl. I 2003, S. 2933; Schnattinger, Die Rückwirkung des Europarechts auf das deutsche Gewerberecht, S. 111 – 121. 236 Vgl. Schwannecke/Heck, Die Handwerksnovelle 2004, – Die wichtigsten Änderungen –, GewArch 2004, S. 129, 129; Kormann/Hüprs, Zweifelsfragen der HwO-Novelle 2004, GewArch 2004, S. 353, 353 f. 237 Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 15/1206, 24. 6. 2003, S. 22; Detterbeck, Handwerksordnung, § 1 Rn. 12. Vgl. auch schon: Gesetzentwurf der Abgeordneten Margareta Wolf Frankfurt) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, BT-Drs. 13/8846 vom 28. 10. 1997, S. 1. 238 EuGH, Urteil vom 3. 10. 2000, Rs. C-58/98, Corsten, Slg. 2000, S. I-7946 (= EuGH, GewArch 2000, S. 76. Besprochen durch: Meyer, Überlegungen zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 3. Oktober 2000 – Rs. C-58/98 – (GewArch 2000, 476) auf das deutsche Handwerksrecht, GewArch 2001, S. 265 – 276; Diefenbach, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 03. 10. 2000 und die „Registrierung von Handwerkern“, GewArch 2001, S. 305 – 310. 239 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Zwölftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1996/97 – Drucksachen 13/11291 und 13/11292 –, hier: Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 14/1274, 25. 6. 1999, S. 9 Ziff. 40. 240 Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 15/1206, 24. 06. 2003, S. 23.
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Vor dem Hintergrund der EWG/EWR-Handwerk-Verordnung vom 9. 10. 2002241 wurde in § 7b HwO eine „Altgesellenregelung“ aufgenommen, wonach Gesellen nach mindestens sechsjähriger242 entsprechender beruflicher Tätigkeit in den allermeisten Handwerken einen Anspruch zur Erteilung einer Berechtigung zur selbständigen Ausübung eines zulassungspflichtigen Handwerks nach Anlage A erwerben.243 Weiterer Gegenstand der Reform war die Aufgabe des Inhaberprinzips (vgl. § 6 Abs. 1 HwO),244 wonach der Inhaber eines Handwerksbetriebes auch die erforderlichen Qualifikationen erfüllen musste.245 Ziel des Gesetzes war vor dem Hintergrund der rückläufigen Zahl von Unternehmen im Handwerk, der Abnahme der Beschäftigen im Handwerk und der Zahl der Auszubildenden, „die Strukturkrise im Handwerk zu überwinden“.246 Es soll nach Vorstellung der Koalitionspartner „ein deutlicher Impuls für Beschäftigung und Ausbildung im Handwerk geleistet werden“.247 Zudem wurde das Gesetz mit dem Abbau von Inländerdiskriminierung begründet.248 Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit des Deutschen Bundestages nennt die sich aus dem Meisterzwang ergebende Inländerdiskriminierung hingegen als erstes Argument für eine Reform der Hand241 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 15/1206, 24. 06. 2003, S. 21 – 23; Schwannecke/Heck, Die Handwerksnovelle 2004 – Die wichtigsten Änderungen –, GewArch 2004, S. 129, 132; Detterbeck, Handwerksordnung, § 7b Rn. 6; Kormann/Hüprs, Zweifelsfragen der HwO-Novelle 2004, GewArch 2004, S. 353, 357. 242 Die Länge der erforderlichen Berufserfahrung war im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens umstritten. Die Bundesregierung befürwortete zunächst das Erfordernis von 10 Jahren einschlägiger Berufserfahrung (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 15/1206, 24. 06. 2003, S. 21 – 23; Detterbeck, Handwerksordnung, § 7b Rn. 6; Kormann/Hüprs, Zweifelsfragen der HwO-Novelle 2004, GewArch 2004, S. 353, 357) und Bayern forderte die Aufstockung um weitere zwei Jahre (vgl. BR-Drs. 466/03; Schwannecke/Heck, Die Handwerksnovelle 2004 – Die wichtigsten Änderungen –, GewArch 2004, S. 129, 132). 243 Detterbeck, Handwerksordnung, § 7b Rn. 1; Kormann/Hüprs, Zweifelsfragen der HwONovelle 2004, GewArch 2004, S. 353, 357 f. 244 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 15/ 1206, 24. 6. 2003, S. 26 Zu Nummer 9; Schwannecke/Heck, Die Handwerksnovelle 2004 – Die wichtigsten Änderungen –, GewArch 2004, S. 129, 130 f. 245 Kritisch: Schwannecke/Heck, Die Handwerksnovelle 2004 – Die wichtigsten Änderungen –, GewArch 2004, S. 129, 130 f. 246 Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 15/1206, 24. 6. 2003, S. 20. 247 Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 15/1206, 24. 6. 2003, S. 20. 248 Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 15/1206, 24. 6. 2003, S. 20.
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werksordnung und verweist darauf, dass Deutschland neben Luxemburg das einzige Land mit vergleichbaren Zulassungsvoraussetzungen für das Handwerk ist.249 Die Deregulierung geschah gegen den Widerstand der CDU/CSU250, der FDP251 und aus der Wirtschaft wandte sich der Zentralverbandes des Deutschen Handwerks252 entschieden gegen die beabsichtigte Deregulierung: „Die vom BMWA angestellte Analyse und daraus gezogenen Schlussfolgerungen erscheinen nach einer ersten Prüfung als in weitem Maße tendenziös, falsch sowie rechtlich vielfach unzulässig und angreifbar […]“.253
Hintergrund war die Befürchtung einer vermehrten Konkurrenz von Seiten deutscher Anbieter. Die schwarz-gelbe Koalition hat die Handwerksnovelle von 2003 nicht zurückgenommen, worin zum Ausdruck kommt, dass einmal in Kraft gesetzte Rechtsakte eine hohe Beständigkeit aufweisen.
III. Verfassungsrechtliche Überprüfung des Meisterzwangs 1. Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1961 Die Verfassungsmäßigkeit des Meisterzwanges war bis zu einer Grundsatzentscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1961 strittig. In dieser Entscheidung rechtfertigte das BVerfG den Meisterzwang nicht mit der Gefährlichkeit einzelner Handwerke für die Allgemeinheit oder einzelne Bürger (wie das vorlegende Gericht meinte254), sondern sah in der Regulierung ein legitimes Mittel, um einen Leis-
249 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss), BT-Drs. 15/2083, 25. 11. 2003, S. 1. 250 Die CDU/CSU-Fraktion bezeichnete die Deregulierungspolitik als „Zeichen mangelnden Sachverstands und von Missachtung gegenüber den ökonomischen wie gesellschaftlichen Leistungen des Handwerks“, Antrag der Abgeordneten Ernst Hinsken et al. und der Fraktion der CDU/CSU, Handwerk mit Zukunft, BT-Drs. 15/1107, 04. 06. 2003, S. 2; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss), BTDrs. 15/2083, 25. 11. 2003, S. 42 f. 251 Die FDP betont die Ausbildungsleistung des Handwerks und die hohe betriebswirtschaftliche Qualifikation von Handwerksmeistern (Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle et al. und der Fraktion der FDP, BT-Drs. 15/1108, 04. 06. 2003, S. 1). 252 ZDH, Reform der Handwerksordnung: Die Stellungnahme des ZDH, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 96, Juni 2003, S. 33: „Die vom BMWA angestellte Analyse und daraus gezogenen Schlussfolgerungen erscheinen nach einer ersten Prüfung als in weitem Maße tendenziös, falsch sowie rechtlich vielfach unzulässig und angreifbar […]“. 253 ZDH, Reform der Handwerksordnung: Die Stellungnahme des ZDH, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 96, Juni 2003, S. 33. 254 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. 07. 1961, Az. 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97, 100.
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tungsstandard im Handwerk zu erhalten und um die Ausbildung eines qualifizierten Nachwuchses zu erreichen.255 Das Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1961 diente in der Folgezeit als Rechtfertigungsgrundlage der Politik, was sich in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Zwölften Hauptgutachten der Monopolkommission zeigt. Darin vertritt die Bundesregierung unter Berufung auf das Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1961 die Ansicht, dass der Große Befähigungsnachweis „zur Sicherung von Leistungsfähigkeit und Leistungsstandard im Handwerk unerlässlich bleibt“.256 2. Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2005 Im Jahr 2005 äußerte das BVerfG Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Meisterzwangs. Nach Ansicht des BVerfG ist die Zumutbarkeit des grundsätzlichen Erfordernisses des großen Befähigungsnachweises angesichts des Wettbewerbsdrucks seitens von Handwerkern aus anderen Mitgliedstaaten zweifelhaft geworden: „Die spürbare Konkurrenz aus dem EU-Ausland lässt bereits daran zweifeln, ob der große Befähigungsnachweis nach § 1 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit § 7 HwO a. F., weil er diese Anbieter nicht erreichte, zur Sicherung der Qualität der in Deutschland angebotenen Handwerksdienstleistungen noch geeignet sein konnte. Vor allem aber erscheint fraglich, ob angesichts des Konkurrenzdrucks durch Handwerker aus dem EU-Ausland deutschen Gesellen noch die Aufrechterhaltung einer gesetzlichen Regelung zuzumuten war, die ihnen für den Marktzugang in zeitlicher, fachlicher und finanzieller Hinsicht deutlich mehr abverlangte als ihren ausländischen Wettbewerbern auf dem deutschen Markt“.257
255 BVerfG, Urteil vom 17. 07. 1961, Az. 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97, 107 ff.; Eyermann/ Fröhler/Honig, Handwerksordnung, § 1 Rn. 2. Zustimmend: Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung?, AöR 118 (1993), S. 591, 610. 256 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Zwölftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1996/97 – Drucksachen 13/11291 und 13/11292 –, hier: Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 14/1274, 25. 6. 1999, S. 9, Ziff. 40. Vgl. Monopolkommission, Reform der Handwerksordnung, S. 13. 257 BVerfG, Beschluss vom 05. 12. 2005, Az. 1 BvR 1730/02, GewArch 2006, S. 71, 72 f. Vgl. auch: Bulla, Ist das Berufszulassungsregime der Handwerksordnung noch verfassungsgemäß?, GewArch 2012, S. 470, 475; Kleier, Freier Warenverkehr (Art. 30 EWG-Vertrag) und die Diskriminierung inländischer Erzeugnisse, RIW 1988, S. 623, 630; Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung ?, AöR 118 (1993), S. 591, 609 ff.; Götz, Anmerkung zu EuGH, Urteil v. 10. 3. 1994, Rs. C-132/93, Steen II, JZ 1994, S. 1061, 1062; Gerhardt, Zu neuen Entwicklungen der sogenannten Inländerdiskriminierung im Gewerberecht, GewArch 2000, S. 372, 376; Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung, Eine sozialphilosophische Untersuchung, S. 24; Argumentation der österreichischen Bundesregierung, in: ÖstVfGH, 9. 12. 1999, Az. G 42/99 z. G 135/99, Slg. 15683 (Internetausdruck). Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Nachtbackverbotes: BVerfG, Beschluss vom 25. 02. 1976, Az. 1 BvL 26/73 u. a. BVerfGE 41, 360, 375.
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Damit sieht das BVerfG – anders als der ÖstVGH258 – die Intensität des Wettbewerbs ausgehend von EU-ausländischen Anbietern als wichtigen Aspekt im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bewertung an.259 Ökonomischer Druck wird damit nicht nur zu einem Handlungsanreiz politischer Akteure, sondern zu einem Faktor in der verfassungsrechtlichen Überprüfung von Regulierungen.260 Aufgrund dieser Bedenken gegen die Regelung, leitet das BVerfG das Erfordernis ab, die Ausnahmeregelung des § 8 HwO a. F. „mit Blick auf Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdef. aus Art. 12 Abs. 1 GG großzügig anzuwenden“.261 Zudem stellt sich die Frage, ob – angesichts des vom BVerfG unterstellten Konkurrenzdruckes262 – der Meisterzwang überhaupt noch geeignet ist, um das Ziel der Qualitätssicherung zu erreichen.263 3. Entscheidung des BVerwG aus dem Jahr 2011 Auf die Klage einer Friseur-Gesellin, die insgesamt drei Jahre in ihrem Beruf beschäftigt war und den Friseurberuf selbstständig ohne Eintragung in die Handwerksrolle und ohne Kammermitgliedschaft ausüben wollte, bestätigte das BVerwG im Sommer des Jahres 2011 die Verfassungsmäßigkeit des Meisterzwanges. Nach Auffassung des Gerichts ist der Meisterzwang aufgrund des Ziels der Abwehr von mit Ausübung des Friseurhandwerks verbundenen Gefahren für Dritte mit der Be258
ÖstVfGH, Urteil vom 9. 12. 1999, Az. G 42/99 u. 135/99, EuZW 2001, S. 219, 223. Vgl. auch die Argumentation der österreichischen Bundesregierung in einer österreichischen Verfassungsrechtssache, in: ÖstVfGH, 9. 12. 1999, Slg. 15683 (Internetausdruck): „Diese Bestimmung genügt weiteres dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die durch sie bewirkten Differenzierungen haben keine derart gravierenden Benachteiligungen zur Folge, dass sie als unverhältnismäßig qualifiziert werden müßten. Die Konkurrenznachteile für Inländer und EWR-Bürger anderer Staatsangehörigkeit, die ihre berufliche Ausbildung in Österreich absolviert haben, sind vernachlässigbar gering und fallen in gleichheitsrechtlicher Hinsicht nicht ins Gewicht. […] Setzt man diese Größen zueinander in Beziehung, so wird offenkundig, dass es sich bei der Zahl der Begünstigten um eine quantite negliable handelt, bewegt sie sich doch, bezogen auf die Gesamtzahl der Gewerbeberechtigungen im Promillebereich“. 260 Schon Stammler stellte fest, dass wenn „in der sozialen Wirtschaft eines Menschenkreises bedeutsame Veränderungen vor sich gehen […] diese eine entsprechende Umänderung der steitherigen Rechtsordnung nötig [machen]: wesentlich geänderte wirtschaftliche Verhältnisse bedingen notwendig eine parallel gehende Reform des geltenden Rechtes“ (Stammler, Wirtschaft und Rechtach der materialistischen Geschichtsauffassung, Eine sozialphilosophische Untersuchung, S. 24). Der ÖstVfGH lehnt entgegen dem Ansatz des BVerfG eine Berücksichtigung der Wettbewerbsintensität seitens von Handwerkern aus anderen Mitgliedstaaten ab (ÖstVfGH, Urteil vom 9. 12. 1999, Az. G 42/99 u. 135/99, EuZW 2001, S. 219, 223). 261 BVerfG, Beschluss vom 05. 12. 2005, Az. 1 BvR 1730/02, GewArch 2006, S. 71, 73. 262 Vgl. dazu: Trettin, Einfluss der EU-Osterweiterung auf den Wettbewerb auf Handwerksmärkten, Wirtschaftsdienst 2010 Sonderheft, S. 35 – 42. 263 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 05. 12. 2005, Az. 1 BvR 1730/02, GewArch 2006, S. 71, 73. Vgl. schon: Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung ?, AöR 118 (1993), S. 591, 610. 259
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rufsfreiheit der Klägerin vereinbar.264 Die Sonderregelungen für die Niederlassung von Handwerkern aus dem EU/EWR-Ausland, die Zulassungsfreiheit der Friseurtätigkeit im Reisegewerbe und die erlaubte Selbstgefährdung bei der häuslichen, nicht gewerblichen Verwendung von Chemikalien zur Haarbehandlung, schließen nach Ansicht des Gerichts die Geeignetheit der Regulierung des Handwerks zum Zwecke des Schutzes Dritter nicht aus.265
IV. Bewertung der Rechtsentwicklung 1. Deregulierungsfunktion Wichtiges Argument zur Rechtfertigung der Regulierung des Handwerks sind die konkretisierungsbedürftigen266 Ziele der Erhaltung des Leistungsstandards und der Leistungsfähigkeit des Handwerks.267 Die Marktentwicklung in anderen Mitgliedstaaten und die deutsche Marktentwicklung nach der Deregulierung zeigt, dass ein allgemeines Marktversagen aufgrund von Informationsasymmetrien in Bezug auf Handwerksleistungen nicht eingetreten ist.268 Hintergrund ist, dass viele Handwerksleistungen den Charakter von Such- oder Erfahrungsgütern tragen269 und Reputationseffekte auf dem Markt für Handwerksleistungen eine besondere Rolle spielen270.
264 BVerwG, Urteil vom 31. 08. 2011, Az. 8 C 8/10, S. 30 ff. Rn. 30 ff. (= BVerwGE 140, 267 ff.). 265 BVerwG, Urteil vom 31. 08. 2011, Az. 8 C 8.10, S. 17 Rn. 33. 266 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 15/ 1206, 24. 6. 2003, S. 21: „Eine nähere Bestimmung der Begriffe ,Leistungsstand und Leistungsfähigkeit‘ haben weder der Gesetzgeber noch das Bundesverfassungsgericht getroffen“. 267 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. 07. 1961, Az. 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97, 110 f., 113; Bizer, Wirtschaftliche Liberalisierung in Europa – Konsequenzen für das Handwerk, in: Deutsches Handwerksinstitut, „Handwerk und Europa“, S. 79, 88. 268 Bode, Die Reform der Handwerksordnung: ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung, Kieler Diskussionsbeiträge 404 Juni 2003, S. 9 f. Anders die Befürchtung von: Klemmer/Schrumpf, Der große Befähigungsnachweis im deutschen Handwerk, S. 87 f. 269 Bode, Die Reform der Handwerksordnung: ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung, Kieler Diskussionsbeuträge 404 Juni 2003, S. 7 ff.; Monopolkommission, Marktöffnung umfassend verwirklichen, Hauptgutachten 1996/1997, S. 53 Tz. 73. 270 Bode, Die Reform der Handwerksordnung: ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung, Kieler Diskussionsbeiträge 404 Juni 2003, S. 8; Hüetlin, Handwerk, Gerangel in der Nasszelle, Der Spiegel 32/2005, S. 58, 59. Die Bedeutung von Reputationeffekten kann für ausländische Handwerker auf dem deutschen Markt einen Wettbewerbsnachteil darstellen (vgl. Trettin, Einfluss der EU-Osterweiterung auf den Wettbewerb auf Handwerksmärkten, Wirtschaftsdienst 2010 Sonderheft, S. 35, 37 f., 40).
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Zudem ist fraglich, inwieweit der Meisterzwang überhaupt eine gewisse Mindestqualität handwerklicher Leistungen garantieren kann.271 Es ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass auch im Rahmen des Meisterzwanges längst nicht jede Leistung vom Meister persönlich erbracht wird, sondern oft an Gesellen delegiert wird272 und dass die für die Erbringung von Handwerksleistungen notwendige Wissensbasis infolge des technischen Fortschritts einer fortlaufenden Wandlung unterworfen ist273. Mit der Marktöffnung infolge der Dienstleistungsfreiheit, einer teilweisen Liberalisierung der HwO und mit der Schaffung eines fakultativen Meisters (vgl. § 51a HwO) als mögliches Gütesiegel auf dem Markt für Handwerksleistungen274 muss sich der Meister als Gütesiegel dem Wettbewerb auf dem Markt für Handwerksleistungen bewähren, wobei es in vielen Bereichen vor allem auf eine Bewährung im Wettbewerb zwischen deutschen Anbietern (und nicht zwischen deutschen Anbietern einerseits und Anbietern aus anderen EU-und EWR-Mitgliedstaaten andererseits) ankommt, da die Intensität des Wettbewerbs mit Handwerkern aus anderen Mitgliedstaaten in vielen Bereichen gering275 ist. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks sieht gute Chancen einer Belohnung des Meistertitels auf dem Markt für Handwerksdienstleistungen: „Mehr denn je avanciert der Meisterbrief in Zukunft zum Unterscheidungsmerkmal: Besonders qualifizierte Marktteilnehmer im Handwerk heben sich dadurch von ihren Wettbewerbern ab – und das gerade in den Berufen, in denen der Meisterbrief nun nicht mehr Voraussetzung zur Selbständigkeit ist. In allen Gewerken ist der Meisterbrief das Gütesiegel im Handwerk. Mit ihm dokumentiert ein Handwerker, dass er gelernt hat, was er seinen Kunden anbietet. Mit dem Qualitäts- und Vertrauenssiegel Meisterbrief wollen wir verstärkt in die Öffentlichkeit gehen. Die Organisationen des Handwerks unterstützen die Betriebe dabei. So haben wir eine bundesweite Imagekampagne gestartet mit dem Titel ,Meister
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Vgl. Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77(1) (2008), S. 51, 63. 272 Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 224. In Zusammenhang mit dem Ziel der Gefahrenabwehr vgl. auch: Bulla, Ist das Berufszulassungsregime der Handwerksordnung noch verfassungsgemäß?, GewArch 2012, S. 470, 474 f. 273 Monopolkommission, Marktöffnung umfassend verwirklichen, Hauptgutachten 1996/ 1997, S. 53 Tz. 73; Dietz, Braucht der Kunde seinen Meister? Zur Deregulierung des Handwerks, Wirtschaftsdienst 2000, S. 172, 175. 274 Vgl. Unterrichtung durch die Bundesregierung, Zwölftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1996/97 – Drucksachen 13/11291 und 13/11292, hier: Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 14/1274 vom 25. 06. 1999, S. 10 Tz. 40. 275 Vgl. Diefenbach, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 03. 10. 2000 und die „Registrierung von Handwerkern“, GewArch 2001, S. 305, 310: „verhältnismäßig kleinen Gruppe von EG-Handwerkern“. Anders: Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77 (2008), S. 51, 61.
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wissen wie’s geht!‘. Die Betriebe erhalten Werbematerialien an die Hand, mit denen sie selbst bei ihren Kunden für ihre meisterlichen Leistungen werben können“.276
Gerechtfertigt ist eine Marktzugangsregulierung über den Meisterzwangs, sofern die Ausübung von Handwerken mit erheblichen Gefahren verbunden ist bzw. erhebliche Gefahren von den durch Handwerk geschaffenen Produkten ausgehen.277 Die vorgenommene Deregulierung bezieht sich jedoch keineswegs auf solche mit Gefahren verbundenen Bereiche. Im Gegenteil: Es ist zweifelhaft, ob von Anlage A erfasste Handwerke wie Chirugenmechaniker278, Wärme-, Kälte- und Schallschutzisolierer, Maler und Lackierer, Stuckateure, Feinwerkmechaniker oder Friseure tatsächlich als gefahrengeneigt angesehen werden können.279 Umgekehrt ist der Beruf des Behälter- und Apparatebauers nicht zulassungspflichtig, obwohl in diesem Bereich erhebliche Gefahren entstehen können.280 Ein zweites wichtiges Argument für eine Aufrechterhaltung des Meisterzwangs ist die Sicherung der Ausbildungsleistung des Handwerks.281 Zu bedenken ist jedoch, dass Lehrlinge keineswegs zwingend vom Meister persönlich bereut werden, sondern dass diese Aufgabe häufig in den Händen von Gesellen liegt.282 Eine hohe 276
Dieter Phillipp, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), für das Fachmagazin „Personal“ für Personalmanagement zum Thema „Lebenslanges Lernen“, 07. 01. 2004, http://www.zdh.de/presse/interviews/archiv-interviews/interview-fachmagazin-per sonal-fuer-personalmanagement.html (HiO). 277 Nach Auffassung der Monopolkommission ist der Meisterzwang kein geeignetes Mittel um Gefahren auszuschließen (Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Hauptgutachten 2004/2005, S. 89 Tz. 134). Kritisch auch: Bulla, Ist das Berufszulassungsregime der Handwerksordnung noch verfassungsgemäß?, GewArch 2012, S. 470, 473: „Der Große Befähigungsnachweis ist in seiner jetzigen Form jedenfalls ungeeignet, um das primäre Ziel der Gefahrenabwehr zu erreichen“. 278 Bulla, Ist das Berufszulassungsregime der Handwerksordnung noch verfassungsgemäß?, GewArch 2012, S. 470, 473. 279 Insofern kritisch: Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Hauptgutachten 2004/2005, S. 89 Tz. 134. Vgl. auch: Kramer, Die Meisterpflicht im Handwerk – Relikt oder Weg in die Zukunft, GewArch 2013, S. 105, 108. 280 Bulla, Ist das Berufszulassungsregime der Handwerksordnung noch verfassungsgemäß?, GewArch 2012, S. 470, 473. 281 Vgl. Angela Merkel, http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Rede/2014/09/201409-19-merkel-zdh.html; Klemmer/Schrumpf, Der Große Befähigungsnachweis im deutschen Handwerk, Relikt einer überkommenen Ständegesellschaft oder modernes Instrument der Wirtschaftspolitik?, S. 47 f.; Bode, Die Reform der Handwerksordnung: ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung, Kieler Diskussionsbeiträge 404 Juni 2003, S. 13; Kramer, Die Meisterpflicht im Handwerk – Relikt oder Weg in die Zukunft, GewArch 2013, S. 105, 107, 111. Kritisch: Bulla, Ist das Berufszulassungsregime der Handwerksordnung noch verfassungsgemäß?, GewArch 2012, S. 470, 473. Nach Auffassung der Monopolkommission kann das Argument einer bestimmten Qualifikation zur Ausbildung allenfalls die Notwendigkeit eines „Kleinen Befähigungsnachweis“ begründen (Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Hauptgutachten 2004/2005, S. 89 Tz. 135). 282 Dietz, Braucht der Kunde seinen Meister? Zur Deregulierung des Handwerks, Wirtschaftsdienst 2000 S. 172, 175.
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Ausbildungsleistung des Handwerks283 ist deshalb nicht zwingend mit dem Meisterzwang verknüpft.284 Soweit sich nicht die Ausbildung für den Ausbildungsbetrieb rechnet,285 ist denkbar, Ausbildungsleistung der Meisterbetriebe finanziell zu belohnen. Aufgrund der Deregulierung kann ein intensiverer Wettbewerb auf dem Markt für Handwerksleistungen erwartet werden, mit der Folge eines günstigeren286 und innovativeren Angebots von Handwerksleistungen. Die Rechtsentwicklung ist vor diesem Hintergrund Ausdruck der Deregulierungsfunktion von Systemwettbewerb. Aus wirtschaftspolitischer Perspektive ist nicht nur die strenge Regulierung, sondern schon das Fehlen einer nachvollziehbaren Begründung des Meisterzwangs seitens des Gesetzgebers und in eine Flucht von Leerformeln287 zu kritisieren. Es ist eine Begründungspflicht für regulatorische Markteingriffe zu fordern, insbesondere dann, wenn damit Eingriffe in die Berufsfreiheit verbunden sind. Eine solche Begründungspflicht288 kann eine Selbstkontrolle des Gesetzgebers und eine Kontrolle des Gesetzgebers seitens der Bürger fördern. Im Bereich des Handwerks ist es von staatlicher Seite allein die Monopolkommission, die sich in transparenter Weise mit den Gründen der Marktzugangsregulierung im Handwerk auseinandersetzt.289 Entscheidend für die zu beobachtende Deregulierung war der europarechtliche Anstoß.290 Diese Anstoßwirkung wurde verstärkt durch den erwarteten Wettbewerb 283 Bode, Die Reform der Handwerksordnung: ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung, Kieler Diskussionsbeiträge 404 Juni 2003, S. 13 f. 284 Vgl. Bode, Die Reform der Handwerksordnung: ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung, Kieler Diskussionsbeiträge 404 Juni 2003, S. 9. 285 Vgl. Bode, Die Reform der Handwerksordnung: ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung, Kieler Diskussionsbeiträge 404 Juni 2003, S. 14 f., 16; Monopolkommission, Marktöffnung umfassend verwirklichen, Hauptgutachten 1996/1997, S. 56 Tz. 75. 286 Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Hauptgutachten 2004/2005, S. 89 Tz. 137. Aussagen über die Wirkungen der Handwerksnovelle von 2004 auf das Preisniveau sind nach einer Studie von K. Müller nur schwer zu treffen. Im Bereich von Fliesenlegerarbeiten hält K. Müller einen Preisrückgang infolge der Handwerksnovelle für wahrscheinlich (K. Müller, Erste Auswirkungen der Novellierung der Handwerksordnung von 2004, S. 144, 157 f.). Kritisch: Klemmer/Schrumpf, Der Große Befähigungsnachweis im deutschen Handwerk, Relikt einer überkommenen Ständegesellschaft oder modernes Instrument der Wirtschaftspolitik?, S. 52 – 54. 287 Vgl. Unterrichtung durch die Bundesregierung, Zwölftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1996/97 – Drucksachen 13/11291 und 13/11292 –, hier: Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 14/1274, 25. 6. 1999, S. 9, Ziff. 40. 288 Zum verfassungsrechtlichen Zwang der Begründung von Staatshandeln: Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 306 mwN. 289 Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/2005, S. 87 ff. Tz. 128 ff.; Monopolkommission, Reform der Handwerksordnung. 290 Vgl. Monopolkommission, Reform der Handwerksordnung, S. 27.
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von Handwerkern aus Mittel- und Osteuropäischen Staaten.291 Die Bedeutung des europarechtlichen Anstoßes wird daran deutlich, dass die rot-grüne Bundesregierung noch Mitte des Jahres 1999 – gut drei Monate vor dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Corsten – ausdrücklich am Meisterzwang festhielt292 und dass der Meisterzwang in der juristischen Literatur vor der Rechtssache Corsten überwiegend als unangreifbar betrachtet wurde. Noch in der Kommentierung zur HwO von 1999 vertrat G. Honig die Ansicht, dass „[v]om Gemeinsamen Europa […] entgegen weitverbreiteter Befürchtungen, keine Gefahr für den deutschen Befähigungsnachweis zu erwarten [ist]“.293 Ziekow konstatierte 1992, dass „das Gesetz zur Ordnung des Handwerks vom 17. 9. 1953 […] in den 38 Jahren seiner Geltung schon eine der beständigsten handwerksrechtlichen Regelungen der letzten zwei Jahrhunderte geworden [ist]“.294 Der europarechtliche Einfluss hatte insofern eine pfadsprengende Wirkung. Ohne den europarechtlichen Einfluss wäre es kaum zu einer derartigen Deregulierung im deutschen Handwerksrecht gekommen. Der Einfluss von Yardstick Competition wäre wahrscheinlich äußerst gering gewesen. Es stellt sich die Frage nach zukünftiger Deregulierung,295 denn die Liberalisierung betrifft nur relativ wenige Betriebe296. Eine Inländerdiskriminierung zu 291 Vgl. Trettin, Einfluss der EU-Osterweiterung auf den Wettbewerb auf Handwerksmärkten, Wirtschaftsdienst 2010 Sonderheft, S. 35, 35; Zanzig, Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf das Handwerk. Positionen des ZDH zur Osterweiterung: in: Perspektiven der EU-Osterweiterung für das deutsche Handwerk S. 127, 133; Hüetlin, Handwerk, Gerangel in der Nasszelle, Der Spiegel 32/2005, S. 58 – 62; Die Erwartungen einer hohen Wettbewerbsintensität fanden in der Realität grundsätzlich keine Bestätigung, Diefenbach, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 03. 10. 2000 und die „Registrierung von Handwerkern, GewArch 2001, S. 305, 310: „verhältnismäßig kleinen Gruppe von EG-Handwerkern“. 292 Vgl. Unterrichtung durch die Bundesregierung, Zwölftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1996/97 – Drucksachen 13/11291 und 13/11292 –, hier: Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 14/1274, 25. 6. 1999, S. 9 Ziff. 40. 293 Honig, Handwerksordnung, 2. Aufl., § 1 Rn. 7. Ähnlich zum Urteil Corsten: Meyer, Überlegungen zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 3. Oktober 2000 – Rs. C-58/98 – (GewArch 2000, 476) auf das deutsche Handwerksrecht, GewArch 2001, S. 265, 276. 294 Ziekow, Zur Einführung: Handwerksrecht, JuS 1992, S. 728, 728. 295 Brenke kritisiert, dass sich die Deregulierung nicht auf weitere Bereiche bezieht (Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77(1) (2008), S. 51, 51). Hintergrund ist, dass die Deregulierung lediglich 11 Prozent aller Handwerksbetriebe betrifft (Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77(1) (2008), S. 51, 57 f.). Für eine weitere Deregulierung: Zimmer, Weniger Politik!, Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht, S. 117. 296 Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77 (2008), S. 51, 57 f. Anders: Beaucamp, Meister ade – Zur Novelle der Handwerksordnung, DVBl. 2004, S. 1458, 1463: „Die Reform lässt von der obligatorischen Meisterpflicht im Handwerk so gut wie nichts übrig“; Honig, Handwerksordnung, 3. Aufl., § 1 Rn. 1: „faktisch weitestgehend Gewerbefreiheit eingeführt“; Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Hauptgutachten 2004/ 2005, S. 88 Tz. 133 („Zwar wurden 53 von früher 94 zulassungspflichtigen Handwerken liberalisiert, doch waren davon nur etwa 10 Prozent der Handwerksbetriebe betroffen; für etwa
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Lasten von Personen, denen die Erbringung von Handwerksleistungen aufgrund des Meisterzwanges verwehrt ist, wird die Regulierung des Handwerks auch zukünftig unter rechtspolitischen Rechtfertigungsdruck setzen297 und kann zu einer weiteren Deregulierung der Zulassungsvoraussetzungen der selbstständigen Handwerksausübung führen298, was die Bundesregierung zur Zeit jedoch bestreitet.299 Im Fall einer nennenswerten Wettbewerbsintensität seitens von Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten steht in verfassungsrechtlicher Hinsicht die Geeignetheit der Regulierung „zur Sicherung von Leistungsfähigkeit und Leistungsstandard im Handwerk“300 in Frage,301 was sich als entscheidender Deregulierungshebel herausstellen könnte.
90 Prozent der Handwerksbetriebe gilt weiterhin der Meisterzwang“); Schnattinger, Die Rückwirkung des Europarechts auf das deutsche Gewerberecht, S. 116: „Die Quintessenz der Handwerksnovelle ist die Beschränkung des Meisterbriefs in seiner Funktion als Zulassungsschranke auf den unbedingt erforderlichen Bereich, nämlich der Abwehr von Gefahren für Gesundheit oder Leben Dritter“. 297 Vgl. Bulla, Ist das Berufszulassungsregime der Handwerksordnung noch verfassungsgemäß?, GewArch 2012, S. 470, 475 f. 298 Grundsätzlich gegen eine weitere Deregulierung: Kramer, Die Meisterpflicht im Handwerk – Relikt oder Weg in die Zukunft, GewArch 2013, S. 105, 111. 299 Bundeskanzlerin Merkel bekräftigte anlässlich der Vollversammlung des Zentralverband des Deutschen Handwerks am 19. 09. 2014, dass sie sich für den Erhalt des Meisterbriefes einsetzen werde: „Wir werden uns nicht nur in Deutschland für den Erhalt des Meisterbriefs einsetzen, sondern auch in Europa. Denn der Meisterbrief ist Ausdruck einer Kultur; und das gesamte lokale Ausbildungssystem ist nicht wegzudenken. Wenn wir alle Regulierungen aufheben und sagen würden ’Jetzt herrscht hier freier Wettbewerb und nichts wird mehr reguliert’, dann hätten wir keine Industrie- und Handelskammern, dann hätten wir keine Handwerkskammern, dann hätten wir keine Meisterbriefe, dann hätten wir gewissermaßen keine Gesellen. Das würde die gesamte Qualität unserer Berufsausbildung unglaublich schmälern. Das werden wir als Bundesregierung nicht zulassen; darauf können Sie vertrauen, meine Damen und Herren. Als Bundesregierung werden wir dies, wenn die neue Europäische Kommission ab 1. November im Amt sein wird, auch gleich wieder deutlich machen und mit den zuständigen Kommissaren darüber sprechen“ (http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/ Rede/2014/09/2014-09-19-merkel-zdh.html). 300 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Zwölftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1996/97 – Drucksachen 13/11291 und 13/11292 –, hier: Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 14/1274, 25. 6. 1999, S. 9 Ziff. 40. Vgl. Monopolkommission, Reform der Handwerksordnung, S. 13. 301 BVerfG, Beschluss vom 05. 12. 2005, Az. 1 BvR 1730/02, GewArch 2006, S. 71, 73; Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung?, AöR 118 (1993), S. 591, 610; Rieger, Europäischer Binnenmarkt noch nicht vollendet, GewArch 2012, S. 477. 481 f.
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2. Machtbegrenzungsfunktion Die Regulierung des Zugangs zur selbstständigen Ausübung von Handwerksberufen ist auch Ausdruck von Interessengruppenpolitik302 wie bereits M. Weber andeutete: „Die Noviziate und Karenzzeiten ebenso wie die ,Meisterstücke‘ und was sonst gefordert wird (namentlich: ausgiebige Regalierung der Genossen) stellen oft mehr ökonomische als eigentliche Qualifikationsansprüche an die Anwärter“.303
Nachdem schon die Organisation des Handwerks in Zünften304 eng mit dem Gesichtspunkt des Konkurrenzschutzes verknüpft war305 und im Jahr 1908 die Ausbildung Meisterbetrieben vorbehalten wurde306, schuf die Dritte Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 18 Januar 1935 eine strikte Marktzugangsregulierung im Handwerk307. Dabei ging es den Nationalsozialisten um die Gewinnung von Wählerstimmen auf Seiten des etablierten Handwerks308 und der wettbewerbliche Schutz des Handwerks fügte sich in die von den Nationalsozialisten verfolgte Wirtschaftspolitik zur Förderung des Mittelstandes ein309.
302 Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/2005, S. 89 f. Tz. 136 f. „Der vom Gesetzgeber konstruierte Zusammenhang zwischen dem Erfordernis des Meisterbriefs und der Ausbildungsleistung ist letztlich ein korporatistisch-politischer“ (S. 89 Tz. 136); Monopolkommission, Reform der Handwerksordnung, S. 33; Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 10; Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77(1) (2008), S. 51, 54; Zimmer, Weniger Politik!, Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht, S. 117 („protektionistische Wirkung“). Zum Interesse an wettbewerblichen Schutz im Bereich freier Berufe: Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, S. 135 ff. 303 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, § 3, S. 203. 304 Fischer, Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, S. 298, 303. Ausführlich zur Entwicklung des Marktzugangs im Bereich des Handwerks: Schulz, Handwerk, Zünfte und Gewerbe, Mittelalter und Renaissance, S. 39 ff.; Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 21 ff. 305 Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 24 f.; Fischer, Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, S. 303. 306 Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77(1) (2008), S. 51, 53. 307 Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77(1) (2008), S. 51, 54. Nach Stüben handelt es sich bei der HwO im Wesentlichen „um eine Kopie der nationalsozialistischen Handwerksverordnung“ (Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 10 f.). 308 Nach Arthur Schweitzer ergriffen die Nationalsozialisten „die Gelegenheit, die Führungsrolle im Mittelstand zu übernehmen und ließen sich vom Groll und Radikalismus wie von einer Woge an die Macht tragen“, Schweitzer, Die Nazifizierung des Mittelstandes, S. 19; Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 9 f. 309 Backe, Das Ende des Liberalismus in der Wirtschaft, S. 156 ff.; Schweitzer, Die Nazifizierung des Mittelstandes, S. 19 ff.
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Als in der US-amerikanischen Besatzungszone Gewerbefreiheit im Handwerk eingeführt wurde310, erhob sich eine Welle des Protestes auf Seiten der etablierten Handwerkerschaft311. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde mit dem Gesetz zur Ordnung des Handwerks vom 17. September 1953312 die Meisterprüfung gegen die Stimmen der Kommunistischen Partei erneut als grundsätzliche Voraussetzung zur selbständigen Handwerksausübung in der Bundeshandwerksordnung erhoben.313 Hintergrund war wiederum das Interesse des etablierten Handwerks an einem wettbewerblichen Schutz. Der damalige Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP und DP begründete die Einführung des Meisterzwanges mit dem Ziel der Vermeidung einer Verdrängung handwerklicher Kleinbetriebe durch wirtschaftlich stärkere Betriebe.314 Es kam dem Gesetzgeber hingegen nicht darauf an, den Einzelnen oder die Allgemeinheit vor Gefahren durch unsachgemäße Handwerksausübung zu schützen.315 Im Jahr 1965 wurde der Umfang, der dem Meisterzwang unterliegenden Tätigkeiten erweitert.316 In der Folgezeit wurde die Regulierung vor allem mit den Zielen der Erhaltung eines hohen Leistungsstandes des Handwerks und der Sicherung eines qualifizierten Nachwuchses im Handwerk begründet,317 wobei auch der Gesichtspunkt des Konkurrenzschutzes im Hintergrund der weit formulierten Zielsetzung stand318. 310 Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 64 ff.; Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77(1) (2008), S. 51, 54. 311 Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 69; Boyer, Handwerksordnung, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 96 (2009), S. 455, 458; Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 65. 312 Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) vom 17. September 1953, BGBl. I 1953, S. 1411. Vgl. Hartmann/Philipp, Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) vom 17. September 1953. 313 Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) vom 17. September 1953, BGBl. I 1953, S. 1411. Vgl. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (13. Ausschuß) über den von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Handwerksordnung – Nr. 1428 der Drucksachen –, zu BT-Drs. 1/4172 abgedruckt in: Hartmann/Philipp, Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) vom 17. September 1953, S. 75 ff.; Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 73 ff.; Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77(1) (2008), S. 51, 54. 314 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. 07. 1961, Az. 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97, 108. 315 BVerfG, Beschluss vom 17. 07. 1961, Az. 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97, 110. 316 Stüben, Das deutsche Handwerk, Eine Säule der Wirtschaft im Wandel, S. 184. 317 BVerfG, Beschluss vom 17. 07. 1961, Az. 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97, 107 ff.; Eyermann/Fröhler/Honig, Handwerksordnung, § 1 Rn. 2; Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung?, AöR 118 (1993), S. 591, 610.
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Die Vertreter des etablierten Handwerks wandten sich in der Folgezeit vor dem Hintergrund ihres Interesses an einem Konkurrenzschutz über eine Regulierung des Zugangs zur selbständigen Handwerksausübung stets gegen eine Liberalisierung der HwO.319 Bezeichnenderweise nahm der Zentralverband des Deutschen Handwerks im Vorfeld der Erstellung des Gutachtens der Monopolkommission zur Reform der Handwerksordnung die ihm gegebene Möglichkeit zur Stellungnahme nicht wahr,320 da die Monopolkommission den Meisterzwang – wenig überraschend – als Interessengruppenregulierung betrachtete und sich für eine Deregulierung aussprach: „Von interessierter Seite werden regelmäßig Argumente des Marktversagens angeführt, um den Fortbestand der rigiden Handwerksordnung zu legitimieren; insbesondere die Qualität der angebotenen Dienstleistungen (einschließlich solcher im Gefahrenhandwerk) sowie die Bestandssicherung der Meisterbetriebe mit überlegender Qualifikation gelten als wichtigste Begründung. Unterzieht man die Beweisführung im Zuge dieser Argumentation einer genaueren Überprüfung, so erweist sie sich sowohl in ökonomischer Betrachtung als auch im Hinblick auf ausländische Erfahrungen als wenig stichhaltig“.321
Soweit die Regulierung des Handwerks Ausdruck von Interessengruppenpolitik ist, kann von einer Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb gesprochen werden. Mit der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2005, in dem das Gericht Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Meisterzwangs äußerte,322 werden Ansätze einer
318 Vgl. Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 249; „Ziel der Regelung ist damit nach wie vor der Schutz der bestehenden Handwerksbetriebe vor Konkurrenz. Man kann dies auch als ,Mittelstandsschutz‘ oder als die Verfolgung wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischer Ziele bezeichnen […]“; Czybulka, § 2 Gewerbenenenrecht: Handwerksrecht und Gaststättenrecht, in: Öffentliches Wirtschaftsrecht Besonderer Teil 1, S. 111, 119: „die Regelungen des Handwerksrechts wirken sich jedenfalls faktisch zu einem wesentlichen Teil als Konkurrenzschutzregelungen für die tablierte Handwerkerschaft aus“; Brenke, Reform der Handwerksordnung – Erfolgreich, aber viel zu halbherzig, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 77 (2008), S. 51, 56 f.; Boyer, Handwerksordnung, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 96 (2009), S. 455; ZDH, Handwerk setzt auf Einigung zur Handwerksnovelle im Vermittlungsausschuss, Pressemitteilung vom 27. 11. 2003, http://www.zdh.de/presse/pressemeldungen/archiv-pressemeldungen/handwerk-setzt-aufeinigung-zur-handwerksnovelle-im-vermittlungsausschuss.html. 319 Vgl. ZDH, Handwerk setzt auf Einigung zur Handwerksnovelle im Vermittlungsausschuss, Pressemitteilung vom 27. 11. 2003, http://www.zdh.de/presse/pressemeldungen/archivpressemeldungen/handwerk-setzt-auf-einigung-zur-handwerksnovelle-im-vermittlungsaus schuss.html. 320 Monopolkommission, Reform der Handwerksordnung, S. 5 (Vorwort). 321 Monopolkommission, Reform der Handwerksordnung, S. 33. Vgl. auch: Monopolkommission, Reform der Handwerksordnung, S. 11 f.; Monopolkommission, Marktöffnung umfassend verwirklichen, Hauptgutachten 1996/1997, Tz. 59 ff. 322 BVerfG, Beschluss vom 5. 12. 2005, Az. 1 BvR 1730/02, Rn. 21 f. (= GewArch 2006, 71 ff.).
408
§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
Machtbegrenzung des Gesetzgebers infolge institutioneller Mobilität von Seiten der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung deutlich.
V. Erkenntnisse für die Modellbildung Eine funktionierende Rückkopplung zwischen Regulierungsniveau und Marktposition kann eine Inländerdiskriminierung im Bereich der Handwerksregulierung von vornherein nicht verhindern. Zum einem schließt der Meisterzwang als Marktzugangsregulierung Personen von der Erbringung von Handwerksleistungen aus, die nicht über einen Meisterbrief verfügen. Eine Rückkopplung ist damit ausschließlich im Verhältnis zwischen dem etablierten deutschen Handwerk und Anbietern, die in Deutschland Handwerksleistungen auf Basis der Dienstleistungsfreiheit erbringen, denkbar. Zum anderen nützt bereits etablierten Anbietern eine Beseitigung oder Einschränkung der Inländerdiskriminierung durch den Abbau von Qualifikationsanforderungen wenig, da sie diese Voraussetzungen bereits früher erfüllt hatten und die damit verbundenen Aufwendungen den Charakter von versunkene Kosten (sunk costs323) tragen. Mit anderen Worten sind die entstandenen Ausbildungskosten infolge einer Deregulierung nicht zurückholbar. Im Dienstleistungsbereich ist vor diesem Hintergrund seitens etablierter Dienstleister kein Interesse vorhanden, eine Inländerdiskriminierung infolge unterschiedlich strenger Marktzugangsvoraussetzungen zu beseitigen oder einzuschränken.324 Damit unterscheidet sich die Situation nachhaltig vom Bereich der Warenproduktion, was die Systemwettbewerbstheorie nicht thematisiert. Aus Sicht der Interessengruppentheorie erscheint die stattgefundene Deregulierung aufgrund des Widerstandes von Seiten des etablierten Handwerks erstaunlich, da kaum davon ausgegangen werden kann, dass das nicht-etablierte Handwerk mit dem Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker eine ähnlich starke Interessenvertretung wie das etablierte Handwerk besitzt. Es erscheint im Rahmen der Beschäftigung mit Systemwettbewerb deshalb zukünftig sinnvoll, auch mögliche Wettbewerbsbeziehungen zwischen verschiedenen Interessengruppen325 zu untersuchen, um staatliche Responsivität prognostizieren zu können und überhaupt die Bedeutung des Einflusses von Interessengruppen im Rahmen systemwettbewerblicher Rechtsentwicklung weiter zu klären.
323
Vgl. Cremer, Regulierung und Freiheit, in: Regulierungsrecht, S. 212, 255, Rn. 106. Zanzig, Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf das Handwerk. Positionen des ZDH zur Osterweiterung: in: Perspektiven der EU-Osterweiterung für das deutsche Handwerk S. 127, 133. 325 Zum Wettbewerb verschiedener Interessengruppen: Becker, Politischer Wettbewerb zwischen Interessengruppen, in: Familie, Gesellschaft und Politik, S. 184 – 196. 324
D. Dienstleistungsmarkt für Rechtsanwälte
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D. Dienstleistungsmarkt für Rechtsanwälte I. Patentgebührenüberwachung Die Integration des Dienstleistungsmarktes für Rechtsanwälte war frühzeitig Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion.326 In der Rechtssache Säger/Dennemeyer bewertete der EuGH es im Jahr 1991 als unzulässig, die Schutzfristkontrolle und Schutzfristverlängerung für Patente zwingend Rechtsanwälten vorzubehalten.327 Das BVerfG beurteilte ein paar Jahre später einen ähnlichen Sachverhalt, der außerhalb des Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit lag, am Maßstab des deutschen Verfassungsrechts („Masterpat“).328 Es ging um die Frage, ob Dienstleistungen, die im wesentlichen die Überwachung der Fälligkeit und der Einzahlung von Patentgebühren zum Gegenstand haben auch von Personen angeboten werden dürfen, die nicht Patent- oder Rechtsanwälte sind (vgl. Art. 1 § 1 Abs. 1 Rechtsberatungsgesetz).329 Nach Auffassung des BVerfG verstößt es gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit eine derartige Tätigkeit dem Rechtsberatungsmonopol zu unterwerfen330, da die Tätigkeit einfach ist331 und bei Fehlern kein vollständiger Rechtsverlust droht332. Das BVerfG spricht die grenzüberschreitende Erbringung derartiger Dienstleistungen in der EU (trotz der EuGH-Entscheidung Säger/Dennemeyer333) nur am Rande an.334 Die Begründung seitens des BVerfG weist jedoch
326 Vgl. EuGH, Urteil vom 21. 6. 1974, Rs. 2/74, Reyners, Slg. 1974, S. 632 ff.; Richtlinie des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (77/249/EWG), ABL. Nr. L 78/17, 26.3.77, ABl. L 376/17 vom 27. 12. 2006; Commichau, Fragen zum Europäischen Anwaltsrecht (zu EuGH, 25. 2. 1988 – Rs 427/85, unten S. 33, Nr. 1), IPRax 1989, S. 12, 13; Steindorff, Dienstleistungsfreiheit im EG-Recht, RIW 1983, S. 831, 838; Carl, Beratende Berufe im Europäischen Binnenmarkt, S. 213 ff.; Hagmann, Mobilität von Rechtsanwälten, in: Marktzugang in der EU und in der Schweiz S. 73 – 91. Vgl. die Nachweise bei: Carl, Beratende Berufe im Europäischen Binnenmarkt, S. 213. 327 EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-76/90, Säger/Dennemeyer, Slg. 1991, I-4221, I-4245 Rn. 18 f. 328 BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997, Az. 1 BvR 780/87, EuGRZ 1998, S. 330 ff. (= BVerfGE 97, 12 ff.). 329 BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997, Az. 1 BvR 780/87, EuGRZ 1998, S. 330, 330. 330 BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997, Az. 1 BvR 780/87, EuGRZ 1998, S. 330, 335. 331 BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997, Az. 1 BvR 780/87, EuGRZ 1998, S. 330, 335. 332 BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997, Az. 1 BvR 780/87, EuGRZ 1998, S. 330, 336; EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-76/90, Säger/Dennemeyer, Slg. 1991, I-4221, I-4245 Rn. 19. 333 EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-76/90, Säger/Dennemeyer, Slg. 1991, I-4221 ff. 334 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997, Az. 1 BvR 780/87, EuGRZ 1998, S. 330, 336.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
starke Parallelen zu den Erwägungen des EuGH auf.335 Es ist deswegen wahrscheinlich, dass die Entscheidung in der Rechtssache Säger/Dennemeyer die Entscheidung des BVerfG beeinflusst hat. Die erfolgte Deregulierung ist zu begrüßen, da eine Unterwerfung derartiger Tätigkeiten unter das Rechtsberatungsmonopol nicht mit Gründen des Marktversagens und Schutzgründen gerechtfertigt werden kann. Eine Erstreckung des Rechtsberatungsmonopols auf die Patentgebührenüberwachung war vor allem Ausdruck des Interesses der deutschen Rechtsanwaltschaft an einem wettbewerblichen Schutz. Die Bedeutung dieses Interesse wird anhand der weiteren Rechtsentwicklung deutlich. Im Rahmen des Verfahrens vor dem BVerfG336 betonte die Anwaltschaft den Schutz der Patentinhaber als wesentliches Regulierungsziel – wie auch schon die Bundesregierung in der Rechtssache Säger/Dennemeyer vor dem EuGH erklärt hatte337. Der Gesetzgeber hob jedoch die Nachholungsfrist (§ 17 Abs. 3 Satz 3 PatG a. F.) mit dem Gesetz zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums (KostRegBerG)338 mit Wirkung vom 1. 1. 2002 auf.339 Es regte sich im Gesetzgebungsverfahren trotz möglicher Gefahren für Patentinhaber, die noch ein entscheidendes Argument im Verfahren Masterpat waren, bezeichnenderweise kein Widerstand auf Seiten der Anwaltschaft hinsichtlich der Aufhebung der Nachholungsfrist. Das Urteil Masterpat leitete nach einer sehr weiten Auslegung des Rechtsbesorgungsbegriffs im Sinne von Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1 RBerG a. F. in der vorangegangen Rechtsprechung340 eine zunehmend restriktive Auslegung des Rechtsbesorgungsbegriffs ein.341 Diese Deregulierung ist nicht zuletzt vor dem
335 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997, Az. 1 BvR 780/87, EuGRZ 1998, S. 330, 336. Vgl. auch: Nelte, Das Berufsbild des Rechtsanwalts als Auslegungshilfe für den Rechtsbesorgungsbegriff des Art. 1 § 1 S. 1 RBerG und seine Positionierung im RDG-Ref.E, S. 55, 57 „Die Argumentationsweise des EuGH mutet wie ein Vorbild für diejenige des BVerfG in ,Masterpat‘ an“ (S. 57); H. Prütting, Rechtsberatung zwischen Deregulierung und Verbraucherschutz, Gutachten G für den 65. Deutschen Juristentag, in: 65. Deutscher Juristentag – Verhandlungen des 65. Deutschen Juristentages Bonn 2004, Bd. 1, Gutachten, 2004, G 1 – G 54, G 28: „Der auffallende Gleichklang der Entscheidungen des EuGH und des BVerfG […]“. 336 BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997, Az. 1 BvR 780/87, EuGRZ 1998, S. 330, 333 f. 337 Vorbringen der Bundesregierung, in: EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-76/90, Säger/ Dennemeyer, Slg. 1991, I-4221, I-4226. 338 Gesetz vom 13. 12. 2001, BGBl. I 2001, S. 3656 ff. (vgl. Rogge, in: Benkrad, Patentgesetz, Einleitung PatG Rn. 35). 339 Schäfers, in: Benkard, Patentgesetz, Vor §§ 17 – 19 PatG Rn. 24, § 20 PatG Rn. 11. 340 Vgl. Nelte, Das Berufsbild des Rechtsanwalts als Auslegungshilfe für den Rechtsbesorgungsbegriff des Art. 1 § 1 S. 1 RBerG und seine Positionierung im RDG-Ref.E, S. 28; Ahrens, Reform des Rechtsberatungsgesetzes – Warum brauchen wir Rechtsanwälte?, JZ 2004, S. 855, 856 – 858. 341 Vgl. Kleine-Cosack, Vom Rechtsberatungsmonopol zum freien Wettbewerb, NJW 2000, S. 1593 – 1601.
D. Dienstleistungsmarkt für Rechtsanwälte
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Hintergrund europäischer Rechtsentwicklung zu sehen.342 Es kann vor dem Hintergrund des wettbewerblichen Schutzes der Anwaltschaft von einer systemwettbewerblichen Machtbegrenzungsfunktion gesprochen werden.
II. Lokalisationserfordernis für Rechtsanwälte Gegenstand der Entscheidung Kommission/Deutschland343 war die Frage, inwieweit sich ein Rechtsanwalt aus einem anderen Mitgliedstaat im Fall einer gerichtlichen Vertretung in Deutschland einem in Deutschland zugelassenem Rechtsanwalt bedienen muss. Hintergrund bildete das Lokalisierungserfordernisses aus § 52 Abs. 2 BRAO.344 In seiner Entscheidung verneinte der EuGH die Anwendbarkeit des Lokalisierungserfordernisses auf zeitlich begrenzte Tätigkeiten von Rechtsanwälten, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.345 Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 2. 9. 1994346 ist für Verfahren vor Amts- und Landgerichten der Lokalisierungszwang – auf Grundlage einer Übergangsfrist – mit Wirkung ab dem 342
Vgl. Kleine-Cosack, Vom Rechtsberatungsmonopol zum freien Wettbewerb, NJW 2000, S. 1593, 1594 – 1596; Henssler, Das Berufsbild des europäischen Rechtsanwalts – Harmonisierung durch Deregulierung?, AnwBl. 2004, S. 458, 458: „Der Druck zu Veränderungen kommt von den nationalen Parlamenten, zu wesentlichen Teilen aber aus Europa – wie die jüngsten Gesetzesentwürfe der EU-Kommission und die aktuellen Gerichtsentscheidungen des EuGH zeigen“; H. Prütting, Rechtsberatung zwischen Deregulierung und Verbraucherschutz, Gutachten G für den 65. Deutschen Juristentag, in: 65. DJT 2004, G 1, G 15. Zum Verhältnis des Europarechts zum Rechtsberatungsgesetz: H. Prütting, Rechtsberatung zwischen Deregulierung und Verbraucherschutz, Gutachten G für den 65. Deutschen Juristentag, in: 65. DJZ 2004, G 1, G 26 – G 28; Mankowski, Der internationale Anwendungsbereich des Rechtsberatungsgesetzes, AnwBl. 2001, S. 73 – 80. Zum europäischen Rechtsrahmen für die Erbringung grenzüberschreitender Rechtsanwaltsdienstleistungen: Schmidt-Kessel, in: Schlachter/Ohler, Europäische Dienstleistungsrichtlinie, Art. 17 Rn. 62 ff. 343 EuGH, Urteil vom 25. 2. 1988, Rs. 427/85, Kommission/Deutschland, Slg. 1988, S. 1123 ff. Vgl. die Besprechung durch: Commichau, Fragen zum Europäischen Anwaltsrecht (zu EuGH, 25. 2. 1988 – Rs 427/85, unten S. 33, Nr. 1), IPRax 1989, S. 12 – 14. 344 Schaich, in: Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 52 Rn. 2 (zu § 52 Abs. 1 BRAO). 345 EuGH, Urteil vom 25. 2. 1988, Rs. 427/85, Kommission/Deutschland, Slg. 1988, S. 1123, 1165 Rn. 42. 346 BGBl. I 1994, S. 2278 – 2295. Als Antwort auf die Entscheidung des BVerfG vom 5. Dezember 1995, das die Beschränkung der Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern für verfassungswidrig erklärte, wurde das Gesetz 1999 erneut geändert, Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 17. Dezember 1999, BGBl. I S. 2448. (Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 14/1958, 02. 11. 1999; Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BTDrs. 14/1661, 28. 9. 1999).
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
1. 1. 2000 für die alten Bundesländer und ab dem 1. 1. 2005 für die neuen Bundesländer eingeschränkt worden.347 Die Bundesregierung begründete im Rahmen ihres Gesetzesentwurfs eine Einschränkung des Lokalisationserfordernisses mit gewandelten Verhältnissen348 und verweist auch auf einen Wettbewerb zwischen inländischen Rechtsanwälten und solchen aus dem EG und EWR-Raum. Sie verfolgt mit dem Gesetzesentwurf das Ziel, „der Rechtsanwaltschaft und Patentanwaltschaft ein zeitgemäßes Berufsrecht an die Hand zu geben, das es ihnen ermöglicht, im Wettbewerb mit ausländischen Rechtsanwälten, Patentanwälten und anderen beratenden Berufen ihre Aufgaben wirksam und zukunftsorientiert zu erfüllen“.349
Auch der Rechtsausschusses des Bundestages erwähnt die grenzüberschreitende Erbringung von Rechtsanwaltsdienstleistungen und deren Folgen für das deutsche Lokalisierungserfordernis: „Daß die geltende Regelung des § 78 ZPO nicht mehr zeitgemäß ist, beweist die Tatsache, daß nach dem Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz für alle Rechtsanwälte aus dem europäischen Wirtschaftsraum der Zugang zur Prozeßvertretung vor Land- und Familiengerichten eröffnet ist. Mag dies in der Vergangenheit keine große Rolle gespielt haben, ist doch darauf hinzuweisen, daß seit dem 1. Januar 1994 dies auch für die Rechtsanwaltschaft Österreichs gilt, eines deutschsprachigen Nachbarn“.350
Später wurde das Lokalisationserfordernis vor dem Hintergrund eines verfassungsgerichtlichen Urteils351 auch für Verfahren vor dem OLG aufgehoben,352 wobei das Problem der Inländerdiskriminierung im Rahmen der Gesetzesbegründung keine Erwähnung findet. Die Einschränkung des Lokalisierungserfordernisses ist zu begrüßen, da es im Hinblick auf die heute gegebenen Möglichkeiten der Telekommunikation und des
347 H. Prütting/Schaich, in: Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 52 Rn. 1; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 12/4993, 19. 05. 1993, S. 42 f. 348 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 12/4993, 19. 05. 1993, S. 22 f. 349 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 12/4993, 19. 05. 1993, S. 1. 350 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 12/4993 – Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 12/7656, 24. 05. 1994, S. 47. 351 Vgl. BVerfG, Urteil vom 13. 12. 2000, Az. 1 BvR 335/97, BVerfGE 103, 1 ff. 352 Mit dem OLG-Vertretungsänderungsgesetz sind die an einem OLG postulationsfähigen Rechtsanwälte bundesweit vor jedem OLG vertretungsbefugt. Vgl. Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten (OLG-Vertretungsänderungsgesetz – OLGVertrÄndG) vom 23. 7. 2002, BGBl. I 2002, S. 2850; H. Prütting/ Schaich, in: Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 52 Rn. 1.
D. Dienstleistungsmarkt für Rechtsanwälte
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Verkehrs353 nicht mehr zeitgemäß war. Zudem besaß das Lokalisierungserfordernis vor allem einen wettbewerbsbeschränkenden Charakter zum Vorteil für Rechtsanwälte, die an wichtigen Gerichtsorten ansässig waren,354 ohne dass diese Wettbewerbseinschränkung unter heutigen Rahmenbedingungen gerechtfertigt werden kann. Es kann von einer Deregulierungsfunktion und Machtbegrenzungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden.
III. Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) Das Rechtsdienstleistungsgesetz aus dem Jahr 2007355 führte zu einer Liberalisierung außergerichtlicher Rechtsberatung. Hintergrund für die Deregulierung war einerseits die Rechtsprechung des BVerfG, das die Vereinbarkeit des Beratungsmonopols mit der Berufsfreiheit zunehmend kritisch sah und zum anderen spielte ein allgemeiner Wunsch, das Rechtsberatungsmonopol zu überprüfen, eine Rolle.356 Die Bundesregierung verweist im Gesetzesentwurf unter anderem auf die BVerfGEntscheidung Masterpat,357 wonach nicht jede Tätigkeit im Zusammenhang mit Recht als Rechtsbesorgung im Sinne des Rechtsberatungsgesetzes bewertet werden darf.358 Zudem geht die Bundesregierung auf die Rechtsprechung des EuGH zur Dienstleistungsverkehrsfreiheit und unter anderem auf das Urteil in der Rechtssache Säger/Dennemeyer ein.359 Die Bundesregierung legt in diesem Zusammenhang
353 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 12/4993, 19. 05. 1993, S. 23. 354 BVerfG, Beschluss vom 05. 12. 1995, Az. 1 BvR 2011/94, NJW 1996, 1882, 1883; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 12/4993, 19. 05. 1993, S. 43: „Beobachtungen deuten darauf hin, daß das bestehende System lediglich einer geringen Zahl von Rechtsanwälten außerhalb der Großstädte zugute kommt. Auswärtige Prozeßmandate werden nämlich – wenn nicht persönliche Beziehungen bestehen – in aller Regel den großen Praxen am Ort des Landgerichts übertragen. Die nicht in den Landgerichtsorten ansässigen Rechtsanwälte, die ihre Kanzlei am Ort eines zum Landgerichtsbezirk gehörenden Amtsgerichts betreiben, erhalten diese lukrativen Mandate nur ausnahmsweise“; Kleine-Cosack, Lokalisationsprinzip vor dem Aus, NJW 1996, S. 1872, 1872. 355 Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz – RDG) vom 12. Dezember 2007, BGBl. I 2007, S. 2840. 356 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drs. 16/3655 vom 30. 11. 2006, S. 26. Vgl. zu den Forderungen der Monopolkommission: Unterrichtung durch die Bundesregierung, Sechzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/2005, BT-Drs. 16/2460, 25. 8. 2006, Tz. 1023 ff., S. 394 ff. 357 BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997, Az. 1 BvR 780/87, BVerfGE 97, 12. 358 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drs. 16/3655 vom 30. 11. 2006, S. 26. 359 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drs. 16/3655 vom 30. 11. 2006, S. 27 f.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
ausführlich die Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten dar360 (worin auch eine Form von Yardstick Competition gesehen werden kann). Die Aufweichung des Rechtsberatungsmonopols ist ausdrücklich zu begrüßen, da ein kompletter Ausschluss zu außergerichtlicher Rechtsberatung für Nicht-Rechtsanwälte mit Schutzanliegen nicht zu rechtfertigen ist.361 Entgegen den Forderungen der Monopolkommission362 wandte sich die Bundesregierung aber ausdrücklich gegen die Einführung eines Rechtsdienstleistungsberufs „unterhalb der Rechtsanwaltschaft“363. An dem Erfordernis einer Befähigung zum Richteramt (vgl. § 4 BRAO) als Marktzugangsregulierung zur Rechtsanwaltschaft364 wird auch zukünftig festgehalten werden, da die Rechtsanwaltschaft ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Marktzugangsregulierung besitzt365 und erheblichen Einfluss auf parlamentarische Entscheidungen hat.366 Auf der 360
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drs. 16/3655 vom 30. 11. 2006, S. 28 – 30. Vgl. auch: Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 12/4993 – Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 12/7656, 24. 05. 1994, S. 47. 361 Vgl. Albrecht, Rechtsdienstleistung und kein Ende – zur Verfassungswidrigkeit des RDG, GewArch 2013, S. 7, 7 f. Zum Charakter des Rechtsberatungsmonopols als eine wettbewerbseinschränkende Regulierung: Hösel, Die Marktordnung freier Berufe, S. 269. Zur Regulierung des Berufszugangs von Nur-Notaren vgl. Zimmer, Weniger Politik!, Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht, S. 15 f. Albrecht hält das RDG für verfassungswidrig, da die Marktzugangsregulierung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sei (Albrecht, Rechtsdienstleistung und kein Ende – zur Verfassungswidrigkeit des RDG, GewArch 2013, S. 7 – 11). Kluth hingegen hält das RDG nicht nur für verfassungsmäßig, sondern auch „in jeder Hinsicht […] sachlich angemessen“ (Kluth, Legitimation und Reichweite des modifizierten Rechtsdienstleistungsprivilegs der Rechtsanwälte nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz, GewArch 2013, S. 12, 16). 362 Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Hauptgutachten 2004/2005. 363 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drs. 16/3655 vom 30. 11. 2006, S. 31; Stellungnahme der Bundesregierung zum Sechzehnten Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/2005, S. 12 f. Tz. 41. Vgl. die aber Forderung von Kluth (Kluth, Legitimation und Reichweite des modifizierten Rechtsdienstleistungsprivilegs der Rechtsanwälte nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz, GewArch 2013, S. 12, 16). 364 Vgl. aber: Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz – RDG) vom 12. Dezember 2007, BGBl. I 2007, S. 2840, zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes vom 6. Dezember 2011, BGBl. I 2001, S. 2515. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BTDrs. 16/3655 vom 30. 11. 2006; Hardege, Freie Berufe in Deutschland, Bestandsaufnahme und Reformoptionen, S. 41 f., 43 f.; Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!, Hauptgutachten 2004/2005, S. 294 ff. Tz. 1018 ff. 365 Zu einer positiven Theorie der Regulierung freier Berufe: Hösel, Die Marktordnung freier Berufe, S. 223 ff. 366 Vgl. Schucht, Juristen-Schwemme und sechs Studenten, der 17. Deutsche Bundestag, 26. 10. 2009, www.n-tv.de/politik/dossier/Der-17-Deutsche-Bundestag-article563307.html.
E. Grenzüberschreitender Straßengüterverkehr und Kabotage
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anderen Seite droht keine ökonomisch ins Gewicht fallende Inländerdiskriminierung deutscher Rechtsanwälte,367 die im Übrigen die Qualifikationsvoraussetzungen ja bereits erbracht haben und deswegen infolge einer Deregulierung nur verlieren können.
E. Grenzüberschreitender Straßengüterverkehr und Kabotage I. Entwicklung der Marktintegration auf dem Gebiet des Straßengüterverkehrs Die Marktintegration auf dem Gebiet des Straßengüterverkehrs war aufgrund unterschiedlicher Regulierungsphilosophien der Mitgliedstaaten vor große Schwierigkeiten gestellt368, was angesichts der Bedeutung des Verkehrs als ein Hilfsmittel der Integration369 in besonderer Weise problematisch war370. In Deutschland trug die Verkehrspolitik einen dirigistischen Charakter, was mit Besonderheiten371 des Verkehrsbereichs begründet wurde und in anderen Mitgliedstaaten war die Verkehrspolitik marktwirtschaftlich ausgestaltet.372 Die Mitglied367 Vgl. die Tabelle in: Hommerich/Kilian/Dreske, Statistisches Jahrbuch der Anwaltschaft 2007/2008, S. 183. 368 Vgl. Epiney, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2, L. Verkehrsrecht., Rn. 21 (EL 33, September 2013); S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 153; Basedow, Der europäische Verkehrsmarkt als Rechtsproblem, TranspR 1989, S. 402, 403. Die Marktintegration auf dem Gebiet des Verkehrs wurde deswegen von Hallstein als „ironisches Kapitel“ bezeichnet (Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, S. 176). Die Schwierigkeiten der Marktintegration im Bereich des Verkehrs waren zum Zeitpunkt des Abschlusses der Römischen Verträge voraussehbar (vgl. Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, S. 180 ff. „Der große Wurf einer gemeinsamen Verkehrspolitik ist also noch nicht geglückt. Was erreicht ist, kann mit etwas gutem Willen als Bresche bezeichnet werden. Der Weg, der jetzt beschritten worden ist, ist länger und mühsam“ (S. 182); Wieland, Europäische Verkehrspolitik und der Wettbewerb im Eisenbahnwesen und im Straßengüterverkehr, Wirtschaftsdienst 2010, S. 43, 43; Basedow, Der europäische Verkehrsmarkt als Rechtsproblem, TranspR 1989, S. 402, 403). 369 Everling, in: Wohlfarth/Everling/Glaesner/Sprung, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag, Vorb. Vor Art. 74 Tz. 1; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 297. Schon Friedrich List hat den hat „den wohlfeilen, schnellen, sicheren und regelmäßigen Transport von Personen und Gütern“ als einen „der mächtigsten Hebel des Nationalwohlstandes und der Zivilisation in allen ihren Verzweigungen“ angesehen (Jürgensen, Verkehrspolitik, in: Evangelisches Staatslexikon, S. 2740, 2742). 370 Everling, in: Wohlfarth/Everling/Glaesner/Sprung, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag, Vorb. Vor Art. 74 Tz. 1. 371 Zur Besonderheitenlehre des Verkehrs: Teil 1 § 2 A. II. 2). 372 Vgl. Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (Hrsg.), Auswirkungen einer Deregulierung im Güterverkehr der EG ab 1992; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienst-
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
staaten, die eine dirigistische Verkehrspolitik verfolgten, knüpften aufgrund der bestehenden Regulierungsunterschiede Liberalisierungsmaßnahmen an die Bedingung einer umfangreichen materiellrechtlichen Harmonisierung.373 Diese Haltung führte zu einer Blockierung der Politik im Bereich des Straßengüterverkehrs.374 Entscheidende Bedeutung375 für den Fortgang der Integration auf dem Gebiet des Straßengüterverkehrs hatte das Untätigkeitsurteil des EuGH vom Mai 1985.376 Der EuGH stellte fest, dass der Rat verpflichtet war, die Dienstleistungsfreiheit vor Ablauf der Übergangszeit auf den Verkehrssektor zu erstrecken, soweit dies den internationalen Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten sowie die Kabotage (also der Abwicklung von inländischen Transporten seitens ausländischer Transportunternehmen) betraf.377 Die Verwirklichung der Integration muss nach Bewertung des EuGH mittels einer gemeinsamen Verkehrspolitik und damit über harmonisierte Regelungen verfolgt werden378 ; die Dienstleistungsfreiheit ist nach Bewertung des
leistungen, S. 152. Zur deutschen Regulierung: Wacker-Theodorakopoulos, Regulierung des Verkehrssektors, in: Regulierung in der Bundesrepublik Deutschland, Die Ausnahmebereiche des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, S. 287 – 345. 373 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 15/5292 –, BT-Drs. 15/5422, 03. 05. 2005. S. 6; Epiney, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2, L. Verkehrsrecht, Rn. 239; Busch, Die Verkehrspolitik der EG unter dem Einfluss der Binnenmarktvollendung, S. 6, 9; Wägenbaur, Die nationale Ordnung des Verkehrs und der EWGV, in: Angleichung des Rechts der Wirtschaft in Europa, S. 406, 423; Epiney, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, L. Verkehrsrecht, Rn. 239 (EL 33 September 2013). S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 154; Calliess, Die Güterkraftverkehrspolitik der EG, ZUR 1992, S. 219, 222; Eickhof, Deutsche Verkehrspolitik und Vollendung des Gemeinsamen Binnenmarktes – unter besonderer Berücksichtigung des Straßengüterverkehrs, S. 14 ff. 374 Epiney, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, L. Verkehrsrecht, Rn. 239 (EL 33 September 2013); Schmitt, Die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in der EGBinnenverkehrspolitik, Eine Bilanz der technischen, sozialen und steuerlichen Rechtsetzung, EuZW 1993, S. 305, 305 f. 375 Eickhof, Deutsche Verkehrspolitik und Vollendung des Gemeinsamen Binnenmarktes – unter besonderer Berücksichtigung des Straßengüterverkehrs, S. 10. 376 EuGH, Urteil vom 22. 5. 1985, Rs. 13/83, Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1985, 1513. Zum Untätigkeitsurteil kam es damit kurz vor Veröffentlichung des Weißbuchs der Kommission vom Juni 1985. Die Klage geht zurück auf eine Entschließung des Europäischen Parlaments (Entschließung über eine Untätigkeitsklage gegen den Rat der EG auf dem Gebiet der Verkehrspolitik, ABl. EG 1982 Nr. C 267/62 vom 11. 10. 1982; Brandt, Untätigkeit in der europäischen Verkehrspolitik, Anmerkungen zum Untätigkeitsurteil des Europäischen Gerichtshofes vom 22. Mai 1985, TranspR 1989, S. 89 – 94). 377 EuGH, Urteil vom 22. 5. 1985, Rs. 13/83, Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1985, 1513, 1600 Rn. 67. 378 EuGH, Urteil vom 22. 5. 1985, Rs. 13/83, Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1985, 1513, 1599 Rn. 62.
E. Grenzüberschreitender Straßengüterverkehr und Kabotage
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EuGH hingegen nicht unmittelbar anwendbar im Verkehrssektor379. Der EuGH berücksichtigte mit dieser Rechtsprechung die Regulierungsunterschiede in den Mitgliedstaaten und betrachtete zum damaligen Zeitpunkt einen Systemwettbewerb der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Verkehrsmarktordnungen nicht als ein geeignetes Mittel einer Integration. Es wurde jedoch die Möglichkeit gesehen, dass der EuGH im Fall einer fortdauernden Untätigkeit auf Grundlage der Dienstleistungsfreiheit Liberalisierungsmaßnahmen einleiten würde.380 Es bestand für die Mitgliedstaaten aus dieser Perspektive die Wahlmöglichkeit zwischen einer freiwilligen Liberalisierung mit entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten und der Gefahr einer von Seiten des EuGH verordneten Liberalisierung mit der möglichen Folge eines intensiven Systemwettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Verkehrsregulierung. Mitgliedstaaten mit einem hohen Regulierungsniveau konnten sich deshalb nicht länger auf ihre Position zurückziehen, eine Liberalisierung an eine gleichzeitige materiellrechtliche Harmonisierung zu knüpfen.381 Nachdem der Gemeinschaftsgesetzgeber bereits vor dem EuGH-Urteil ein sehr kleines Kontingent für den grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr geschaffen hatte,382 erhöhte die Gemeinschaft dieses Kontingent in den Jahren 1988 und 1989 deutlich um jeweils 40 Prozent.383 Die Regulierung der Preisbildung384 im grenz-
379 EuGH, Urteil vom 22. 5. 1985, Rs. 13/83, Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1985, 1513, 1599 Rn. 63. 380 Basedow, Einleitung: Verkehrsrecht und Verkehrspolitik als europäische Aufgabe, in: Europäische Verkehrspolitik. Nach dem Untätigkeitsurteil des Europäischen Gerichtshofes gegen den Rat vom 22. März 1985 – Rechtssache 13/83, S. 1, 24: „Wenn die Verkehrspolitik diesem Ziel bis dahin nicht näherkommt, wird es also spätestens 1997 durch Richterspruch erreicht werden“. Vgl. die Argumentation der Klägerseite in: EuGH, Urteil vom 7. 11. 1991, Rs. C-17/90, Pinaud Wieger GmbH, Slg. 1991, I-5253, I-5281 Rn. 3 f. 381 Vgl. Basedow, Einleitung: Verkehrsrecht und Verkehrspolitik als europäische Aufgabe, in: Europäische Verkehrspolitik. Nach dem Untätigkeitsurteil des Europäischen Gerichtshofes gegen den Rat vom 22. März 1985 – Rechtssache 13/83, S. 1, 24 f. „wer den durch Richterspruch geschaffenen Wettbewerb im Verkehr verhindern will, muß sich beizeiten kooperativ zeigen und an einer Marktordnung für den europäischen Verkehrsmarkt mitwirken“. 382 Verordnung (EWG) Nr. 3164/76 des Rates vom 16. Dezember 1976 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. EG Nr. L 357/1 vom 29. 12. 1976 (vgl. dazu: Basedow/Held, Die EG-Kabotageverordnung, Ein Schritt zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Straßengüterverkehr, EuZW 1990, S. 305, 305). 383 Basedow/Held, Die EG-Kabotageverordnung, Ein Schritt zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Straßengüterverkehr, EuZW 1990, S. 305, 305. 384 Verordnung (EWG) Nr. 2831/77 des Rates vom 12. 12. 1977 über die Bildung der Beförderungsentgelte im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 1977 L 334/22; Verordnung (EWG) Nr. 3568/83 des Rates vom 1. Dezember 1983 über die Bildung der Beförderungsentgelte im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. EG Nr. L 359/1, 22. 12. 1983.
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überschreitenden Straßengüterverkehr wurde zum 1. 1. 1990385 abgeschafft und durch ein System freier Preisbildung ersetzt.386 Ab dem 1. Januar 1993 wurde die Kontingentierung im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr aufgehoben und ein freier Marktzugang auf Grundlage „qualitativer Zulassungskriterien“387 gewährt (Gemeinschaftslizenz).388 Im Jahr 1990 bestätigte der EuGH im Hinblick auf Kabotage389 die im Untätigkeitsurteil getroffene Feststellung, dass die Vorschriften über die Dienstleistungsverkehrsfreiheit auch im Hinblick auf die Verzögerung in der Schaffung einer gemeinsamen Verkehrspolitik nicht unmittelbar anwendbar sind. Der EuGH hielt fest, dass „[i]n Anbetracht der Komplexität des Straßenkabotagesektors […] der Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs in diesem Bereich noch erhebliche Schwierigkeiten entgegen[stehen]. Die Verwirklichung dieses Ziels kann geordnet nur im Rahmen einer gemeinsamen Verkehrspolitik erfolgen, bei der die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme berücksichtigt und gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden“.390
Eine erste Liberalisierung der Kabotage erfolgte zum 1. Juli 1990 mittels eines gemeinschaftsrechtlichen Kontingents von 15.000 Kabotage-Genehmigungen mit einer zweimonatigen Geltungsdauer,391 wobei weitgehend (wie in Bezug auf die
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Verordnung (EWG) Nr. 4058/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Preisbildung im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. EG L 390/1 vom 30. 12. 1989; Busch, Die Verkehrspolitik der EG unter dem Einfluss der Binnenmarktvollendung, S. 9. 386 Art. 2 Verordnung (EWG) Nr. 4058/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Preisbildung im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. EG L 390/1 vom 30. 12. 1989; Wieland, Europäische Verkehrspolitik und der Wettbewerb im Eisenbahnwesen und im Straßengüterverkehr, Wirtschaftsdienst 2010, S. 43, 47. 387 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 158. Vgl. auch: Erwägungsgründe (5), (6) Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten, ABl. EG Nr. L 95/1 v. 9. 4. 1992. 388 Vgl. Art. 3 Verordnung (EWG) Nr. 4058/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Preisbildung im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. EG L 390/1 vom 30. 12. 1989. 389 Unter „Kabotage“ wird die Erbringung von Transportleistungen innerhalb eines Staates durch ein Transportunternehmen aus dem Ausland verstanden (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, „Kabotage“, S. 1649). 390 EuGH, Urteil vom 7. 11. 1991, Rs. C-17/90, Pinaud Wieger GmbH, Slg. 1991, I-5253, I5283 Rn. 11. 391 Art. 2 Abs. 1 UAbs. 3 Verordnung (EWG) Nr. 4059/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, ABl. 1989 L 390/ 3 vom 30. 12. 1989. Vgl. Basedow, Die EG-Kabotageverordnung, Ein Schritt zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Straßengüterverkehr, EuZW 1990, S. 305 – 308;
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Preisbildung) die Regelungen des Aufnahmestaates galten (Art. 5 Verordnung (EWG) Nr. 4059/89). Die entscheidende Liberalisierung der Kabotage erfolgte auf Grundlage der Verordnung Nr. 3118/93.392 Damit wird jeder Unternehmer des gewerblichen Güterkraftverkehrs, der Inhaber einer Gemeinschaftslizenz ist, unter den Bedingungen der Verordnung zur Kabotage zugelassen (Art. 1 Abs. 1 Verordnung Nr. 3118/93).393 Die Kabotage-Genehmigungen werden von den zuständigen Behörden oder Stellen des Mitgliedstaates der Niederlassung den antragenden Verkehrsunternehmen erteilt (Art. 3 Abs. 2). Der Aufnahmemitgliedstaat hat die vom Mitgliedstaat der Niederlassung erteilte Kabotage-Genehmigung anzuerkennen.394 Für den Zeitraum vom 01. Januar 1994 bis zum 30. Juni 1998 sah die Richtlinie aufgrund der verfolgten Strategie einer schrittweisen Liberalisierung395 ein gemeinschaftliches Kabotagekontingent vor (Art. 2). Der Wettbewerbsdruck im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr erhöhte sich infolge der Liberalisierung deutlich. Der Anteil deutscher Unternehmen im grenzüberschreitenden Verkehr mit den Niederlanden396 und Polen397 nahm kontinuierlich ab. Im Jahr 1999 wurden in Deutschland 75 Prozent des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs mit ausländischen LKWs abgewickelt.398 Die Kabotagedurchdringungsrate, also der Anteil des Kabotageverkehrs am gesamten innerstaatlichen Transportvolumen in Prozent, ist hingegen relativ gering und lag in Deutschland im Jahr 2008 bei 1,32 Prozent.399 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 159 f. 392 Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 des Rates vom 25. Oktober 1993 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, ABl. 1993 L 279/1 vom 12.11.93. Vgl. Epiney/Heuck, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, L. Verkehrsrecht, Rn. 302 (EL 33 September 2013); Schindler, Rechtsfragen zur Kabotage im Straßengüterverkehr, in: FS Piper, S. 979 – 997; Gronemeyer, Die neue EU-Kabotage-Verordnung und ihre Auswirkungen auf das deutsche Güterkraftverkehrsrecht, EuZW 1994, S. 523 – 528; Sellmann/Blume, Die Entwicklung des öffentlichen Verkehrsrechts, NVwZ 1999, S. 250, 255 f. 393 Vgl. Erwägungsgrund (4). 394 Vgl. EuGH, Urteil vom 30. 3. 2000, Rs. C-178/97, Barry Banks, Slg. 2000, I-2005, I-2054 ff. Rn. 38 ff.; Schindler, Rechtsfragen zur Kabotage im Straßengüterverkehr, in: FS Piper, S. 979, 985. 395 Art. 2 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3118/93. 396 Bundesamt für Güterverkehr, Marktbeobachtung Güterverkehr, Jahresbericht 1995, S. 35 ff. 397 Bundesamt für Güterverkehr, Marktbeobachtung Güterverkehr, Sonderbericht zum deutsch-polnischen Güterverkehr, S. 14. 398 Bundesamt für Güterverkehr, Marktbeobachtung Güterverkehr, Jahresbericht 1999, April 2000, S. 6. 399 Bundesamt für Güterverkehr, Marktbeobachtung Güterverkehr, Auswirkungen der Kabotagefreigabe für Unternehmnen aus den jungen Mitgliedstaaten zum 1. Mai 2009 auf den deutschen Verkehrsmarkt, S. 111.
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II. Maßnahmen des deutschen Gesetzgebers 1. Straßenbenutzungsgebührengesetz Aufgrund der Liberalisierung des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs wollte der deutsche Gesetzgeber im Jahr 1990 Straßenbenutzungsgebühren, die mit einer Senkung der Kraftfahrzeugsteuer für LKW verbunden waren, einführen.400 Hintergrund war der Wunsch, die Wettbewerbsbedingungen zwischen inländischen und ausländischen Straßengüterverkehrsunternehmen anzugleichen: „Mit dem Gesetzentwurf verfolgt die Bundesregierung zwei Ziele: – Durch die Senkung der Kraftfahrzeugsteuer für die schweren Fahrzeuge auf ein mittleres europäisches Niveau sollen die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Güterkraftverkehrsunternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland den Güterkraftverkehrsunternehmen aus anderen Ländern angeglichen werden. – Die Straßenbenutzungsgebühr soll dafür sorgen, dass der Beitrag der in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Lkw zur Deckung der Wegekosten insgesamt nicht verringert wird und der unzureichende Beitrag des gebietsfremden Lkw zur Deckung der Wegekosten erhöht wird“.401
Der EuGH bewertete dieses Vorhaben jedoch als ausländische Straßengüterverkehrsunternehmen diskriminierend und stellte einen Verstoß gegen das Primärrecht fest.402 Nachdem die Reduzierung der Kraftfahrzeugsteuer für LKW zunächst beibehalten wurde,403 hob der Gesetzgeber die Kraftfahrzeugsteuer mit Wirkung zum 1. 3. 1991 wieder auf das vorherige Niveau an404.
400 Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastkraftfahrzeugen – Straßenbenutzungsgebührengesetz vom 30. 04. 1990, BGBl. I S. 826; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen, BT-Drs. 11/6336; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 303 f. 401 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen, BT-Drs. 11/6336, 01.02.90, S. 10: „Mit der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes, der nach dem EWG-Vertrag bis zum 1. Januar 1993 vorgesehen ist, muß die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen einhergehen“. 402 EuGH, Urteil vom 19. 5. 1992, Rs. C-195/90, Kommission/Deutschland, Slg. I-3141, I-3182 Rn. 23. 403 Busch, Die Verkehrspolitik der EG unter dem Einfluss der Binnenmarktvollendung, S. 11. 404 Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuergesetz Kommentar, Einführung Rn. 35, 30.
E. Grenzüberschreitender Straßengüterverkehr und Kabotage
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2. Tarifaufhebungsgesetz Mit dem Tarifaufhebungsgesetz aus dem Jahr 1993405 hob der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01. Januar 1994 die Tarifbindung auf. Hintergrund war die Aufhebung der Kontingentierung im grenzüberschreitenden Verkehr zum 01. Januar 1993. Es bestand die Gefahr unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen und einer Inländerdiskriminierung zu Lasten deutscher Anbieter, wenn inländische Anbieter an feste Tarife gebunden sind und ausländische Anbieter ihre Preise selber bestimmen können.406 Die Bundesregierung führte jedoch den Topos Inländerdiskriminierung nicht ausdrücklich zur Begründung der Aufhebung des Tarifsystems an, sondern verweist allgemein auf die Bedeutung der Bedingungen für Beförderungsleistungen.407 Bemerkenswert ist, dass die deutsche Straßengüterverkehrswirtschaft sich gegen eine Abschaffung der Tarifbindung aussprach408 und eine Modifizierung des Tarifsystems vorschlug409. Die ablehnende Haltung des deutschen Straßengüterverkehrsgewerbes war vor dem Hintergrund des Interesses eines Schutzes vor inländischen Wettbewerbern zu sehen.410 405 Gesetz zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr (Tarifaufhebungsgesetz – TAufhG) vom 13. 08. 1993, BGBl. I 1993, S. 1489. 406 Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb; Busch, Die Verkehrspolitik der EG unter dem Einfluß der Binnenmarktvollendung, S. 15 f.; Basedow/Held, Die EGKabotageverordnung, Ein Schritt zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Straßengüterverkehr, EuZW 1990, S. 305, 308. Für die Kabotage galten zwar die Tarife des Aufnahmelandes (Art. 5 Verordnung (EWG) Nr. 4059/89), eine Überprüfung der Einhaltung dieser Tarife war jedoch aufgrund des Sitzes der ausländischen Transportunternehmen im Ausland nicht praktikabel (Busch, Die Verkehrspolitik der EG unter dem Einfluss der Binnenmarktvollendung, S. 15 f.; Deutscher Industrie- und Handelstag, EG-Binnenmarkt Güterkraftverkehr, Probleme und Zukunft der Verkehrsmarktordnung in der Bundesrepublik, S. 26 f.), so dass sich Wettbewerbsnachteile deutscher Anbieter infolge von Kontrolldefiziten ergeben konnten (Busch, Die Verkehrspolitik der EG unter dem Einfluß der Binnenmarktvollendung, S. 16; Basedow/Held, Die EG-Kabotageverordnung, Ein Schritt zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Straßengüterverkehr, EuZW 1990, S. 305, 308). 407 Gesetzentwurf der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg) et al. und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries et al. und der Fraktion der F.D.P., BTDrs. 12/3701, 11.11.92, S. 13; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (16. Ausschuß), a) zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg) et al und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries et al. und der Fraktion der F.D.P. – Drucksache 12/3701 – Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr (Tarifaufhebungsgesetz – TAufhG) b) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 12/4231 –, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr (Tarifaufhebungsgesetz – TAufhG), S. 2. 408 Deutscher Industrie- und Handelstag, EG-Binnenmarkt Güterkraftverkehr, Probleme und Zukunft der Verkehrsmarktordnung in der Bundesrepublik, S. 26. 409 Deutscher Industrie- und Handelstag, EG-Binnenmarkt Güterkraftverkehr, Probleme und Zukunft der Verkehrsmarktordnung in der Bundesrepublik, S. 26; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 299. 410 Zum Lebensmittelsrecht: Borrmann/Michaelis, Lebensmittel im europäischen Binnenmarkt, S. 157.
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Aufgrund eines laufenden Verfahrens vor dem EuGH,411 das die Vereinbarkeit der Tarifbindung mit Gemeinschaftsrecht zum Gegenstand hatte, hob der Gesetzgeber die Tarifbindung jedoch auf.412 Die Politikwissenschaftlerin S. K. Schmidt erklärt die Tarifaufhebung mit der geschickten Nutzung der damals bestehenden Unsicherheit über die bestehende Rechtslage seitens von Befürwortern einer Liberalisierung wie der FDP, um eine Tarifaufhebung zu erzielen.413 Wegen des Widerstandes auf Seiten der deutschen Straßengüterverkehrswirtschaft an einer Deregulierung hielt der Gesetzgeber zunächst an der Kontingentierung fest.414 3. Einführung einer zeitbezogenen Autobahnbenutzungsgebühr Deutschland führte mit Wirkung ab dem 1. 1. 1995 zusammen mit den BeneluxStaaten und Dänemark und später auch zusammen mit Schweden eine Autobahnbenutzungsgebühr für schwere Nutzfahrzeuge ein (Vignettenverbund).415 Grundlage war ein Übereinkommen vom 9. 2. 1994 auf Grundlage von Art. 8 der Richtlinie 93/ 89/EWG.416 Deutschland senkte zeitgleich mit der Einführung der Autobahnbenutzungsgebühr die Kraftfahrzeugsteuer.417
411 EuGH, Urteil vom 17. 11. 1993, Rs. C-185/91, Bundesanstalt für den Güterfernverkehr/ Gebrüder Reiff GmbH & Co. KG, Slg. 1993, S. I-5841 ff. 412 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 299. 413 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 299 f. 414 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 299. 415 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 9. Februar 1994 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen vom 30. August 1994, BGBl. 1994 II S. 1765. Vgl. Wieland, Europäische Verkehrspolitik und der Wettbewerb im Eisenbahnwesen und im Straßengüterverkehr, Wirtschaftsdienst 2010, S. 43 – 50, 48; Zens/ Haßlbeck, in: Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuergesetz Einführung Rn. 86; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 163. 416 Richtlinie 93/89/EWG des Rates vom 25. Oktober 1993 über die Besteuerung bestimmter Kraftfahrzeuge zur Güterbeförderung sowie der Erhebung von Maut- und Benutzungsgebühren für bestimmte Verkehrswege durch die Mitgliedstaaten, ABl. EG Nr. L 279/32 vom 12. 11. 1993. 417 Wieland, Europäische Verkehrspolitik und der Wettbewerb im Eisenbahnwesen und im Straßengüterverkehr, Wirtschaftsdienst 2010, S. 43, 48.
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4. Gesetz zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts Mit dem Gesetz zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts vom 22. 06. 1998418 deregulierte der deutsche Gesetzgeber die deutsche Straßengüterverkehrsordnung in grundsätzlicher Weise.419 Vor allem fiel die Kontingentierung – als „[w]esentlicher Bestandteil des Ordnungsrahmens“ im bisher geltenden Recht420 – weg. Das Gesetz stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wegfall der mengenmäßigen Beschränkung der Kabotage zum 1. Juli 1998 in der Gemeinschaft421 und einer aus der Beibehaltung der Kontingentierung folgenden Inländerdiskriminierung.422 Mit dem Gesetz erfolgte eine Umstellung von einer objektiven Zulassungsregulierung (Kontingentierung) zu einem Übergang auf subjektive Zulassungsbedingungen (persönliche Zuverlässigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit, fachliche Eignung).423
418 Güterkraftverkehrsgesetz vom 22. Juni 1998, BGBl. I 1998, S. 1485 (zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 31. Juli 2010, BGBl. I 2010, S. 1057). Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts, BTDrs. 13/9314, 01.12.97; Gronemeyer, Das neue Güterkraftverkehrsrecht, TranspR 2000, S. 56 – 60; Hein/Eichoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, Bd. 3, M 100 Rn. 43, S. 66 f.; Martell, Das neue Güterkraftverkehrsgesetz – „Grundgesetz“ des Straßengüterverkehrs, NJW 1999, S. 193 – 195. 419 Vgl. zur Bewertung der Folgen durch die Bundesregierung: Unterrichtung durch die Bundesregierung, Effizienz des neuen güterkraftverkehrsrechtlichen Ordnungsrahmens, BTDrs. 14/6906, 12. 09. 2001. 420 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 13/9314, 13/9437 –, Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts, BT-Drs. 13/10037, 04.03.98, S. 1. 421 Vgl. Art. 12 Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 des Rates vom 25. Oktober 1993 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen innerhalb eines Mitgliedstaates, in dem sie nicht ansässig sind, ABl. EG Nr. L 279/1 vom 12. 11. 1993. 422 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts, BT-Drs. 13/9314, 01.12.97, S. 1, 14; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (15. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 13/9314, 13/9437 – Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts, BT-Drs. 13/10037, 04. 03. 1998, S. 30 (Bericht der Angeordneten Wilhelm Josef Sebastian et al.); S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 301; Hein/Eichoff/ Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, M 100 f.n. 43 (Erg.-Lfg. 4/01), S. 66; Martell, Das neue Güterkraftverkehrsgesetz – „Grundgesetz“ des Straßengüterverkehrs, NJW 1999, S. 193, 193; Gronemeyer, Die neue EU-Kabotage-Verordnung und ihre Auswirkungen auf das deutsche Güterkraftverkehrsrecht, EuZW 1994, S. 523, 525 f.; Deutscher Industrie- und Handelstag, EG-Binnenmarkt Güterkraftverkehr, Probleme und Zukunft der Verkehrsmarktordnung in der Bundesrepublik, S. 15 ff. 423 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts, BT-Drs. 13/9314, 01.12.97, S. 1, 14; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 301 f.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
5. Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr Der deutsche Gesetzgeber ging mit dem Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr aus dem Jahr 2001424 gegen illegale Verhaltensweisen insbesondere seitens von Straßengüterverkehrsunternehmen aus anderen EWR- und EU-Staaten vor.425 Es wurde die Verpflichtung für Straßengüterverkehrsunternehmer geschaffen, nur Fahrer einzustellen, die die Arbeitsgenehmigung im Original mit einer amtlich beglaubigten Übersetzung mitführen.426 Die Pflicht wurde auf die Verlader ausgedehnt. Das Gesetz erhöhte den Bußgeldrahmen für Verstöße gegen diese Pflichten und es wurde die Kontrollzuständigkeit des Bundesamtes für Güterverkehr geschaffen. Hintergrund war, dass illegale Verhaltensweisen den Wettbewerbsdruck auf das deutsche Straßengüterverkehrsgewerbe verschärften,427 weil insbesondere illegal beschäftigte Arbeitnehmer aus Nicht-EU-Staaten auf Fahrzeugen aus dem EU bzw. EWR-Raum Transporte durchführten.428 So wurde in Schweden für Fahrer, die nur im Auslandsverkehr beschäftigt waren, keine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis vorgeschrieben.429 Darin ist ein bewusstes Generieren von negativen externen Effekten zu sehen, was aus Perspektive einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb unlauter430 und deshalb regulierungsbedürftig ist.
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Vgl. Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr (GüKBillBG) vom 2. 9. 2001, BGBl. I 2001, S. 2272; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr (GüKBillBG), BT-Drs. 14/5934, 26. 04. 2001; Hein/Eichhoff/ Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, M 100 Rn. 44, S. 67 f. 425 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr (GüKBillBG), BT-Drs. 14/5934, 26. 04. 2001, S. 6. 426 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr (GüKBillBG), BT-Drs. 14/5934, 26. 04. 2001; Bundesamt für Güterverkehr, Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr (GüKBillBG), Merkblatt für Fahrpersonal aus Drittstaaten, 2001. 427 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 324. 428 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr (GüKBillBG), BT-Drs. 14/5934, 26. 04. 2001, S. 6; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 324. 429 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 308. 430 Vgl. zur Lauterkeit von Systemwettbewerb: Teil 2 § 8 G.
E. Grenzüberschreitender Straßengüterverkehr und Kabotage
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6. Einführung einer streckenbezogenen Autobahnbenutzungsgebühr Deutschland führte ab dem 1. 1. 2005 eine streckenbezogene Autobahnbenutzungsgebühr für LKW ein.431 Im Rahmen der Mauteinführung war im Interesse der Angleichung der Wettbewerbsbedingungen geplant, eine Ermäßigung für diejenigen vorzusehen, die in Deutschland tanken und damit einen Beitrag zu den Wegekosten leisten (Mautanrechnungsverfahren).432 Es war zudem eine Absenkung der Kraftfahrzeugsteuer auf das zulässige Mindestniveau nach der Richtlinie 1999/62/EG433 und ein Innovationsprogramm zur Förderung der Neuanschaffung von LKW durch deutsche Straßengüterverkehrsunternehmen vorgesehen.434 Die Kommission verweigerte jedoch die Zustimmung zum Mautanrechnungsverfahren435, weshalb die Bundesregierung von dieser Gestaltung absah.436 Die Bundesregierung beschloss eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen, vor allem über die Absenkung der Kraftfahrzeugsteuer auf das europarechtlich zulässige Mindestniveau, voranzutreiben.437 Dieses Vorhaben wurde mit dem Gesetz zur Änderung kraftfahrzeugsteuerrechtlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften aus dem Jahr 2007 verwirklicht.438 Zur Finanzierung dieser Entlastungsmaßnahmen wurden (wie von Anfang an geplant439) die Mautsätze angehoben.440 431 Vgl. Zens/Haßlbeck, in: Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuergesetz, Einführung Rn. 90 a; Pautsch, Streckenbezogene Gebührenerhebung für LKW, Ein Systemvergleich, Internationales Verkehrswesen 52 (3/2000), S. 97 – 98. 432 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 16/2718, 25. 9. 2006, S. 1, 9. 433 Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. EG Nr. L 187/42 vom 20. 7. 1999. 434 Vgl. Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen, Mauteinführung in Deutschland am 31. August 2003 und Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen, BT-Drs. 15/1023, 22. 5. 2003. Vgl. Darstellung in: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 16/2718, 25. 9. 2006, S. 1. 435 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 16/2718, 25. 9. 2006, S. 1. 436 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 16/2718, 25. 9. 2006, S. 2. 437 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 16/2718, 25. 9. 2006, S. 2, 9. 438 Gesetz zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften (KraftStGuaÄndG) vom 17. 8. 2007, BGBl. I 2007, 1958. 439 Vgl. Bundesrat, Beschluss, Verordnung zur Festlegung der Höhe der Autobahnmaut für schwere Nutzfahrzeuge (Mauthöheverordnung – MautHV), BR-Drs. 142/03 (Beschluss), 23. 05. 2003, Anlage S. 2.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
Mittels dieser Gestaltung werden auch ausländische Straßengüterverkehrsunternehmen zur Finanzierung Entlastungsmaßnahmen zu Gunsten der deutschen Straßengüterverkehrswirtschaft herangezogen. 7. Zweites Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 6. 11. 2008441 bezweckt der Gesetzgeber die Bekämpfung der Gründung von „Scheinfirmen“ im Inland.442 Dazu wurde in § 3 Abs. 2 GüKG näher bestimmt, wann ein Unternehmen über einen Sitz in Deutschland verfügt.443 Die Verantwortlichkeit des Auftraggebers von Beförderungsleistungen wurde auf das Fehlen bzw. einer unzulässigen Verwendung unter anderem einer Gemeinschaftslizenz ausgedehnt (§ 7c Satz 1 Nr. 1 GüKG).444 Die Bundesregierung hielt Anpassungen des GüKG unter anderem aufgrund des Beitritts Bulgariens und Rumäniens zur EU für notwendig.445
III. Betrachtung der Wirkungsmechanismen von Systemwettbewerb vor dem Hintergrund der Modellbildung Es zeigt sich, dass im Straßengüterverkehr eine Rückkopplung zwischen Regulierungsniveau und Marktposition von vornherein ausgeschlossen ist, denn der Wettbewerb findet nahezu ausschließlich über die Höhe der Beförderungsentgelte statt.446 440 Zens/Haßlbeck, in: Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuergesetz, Einführung Rn. 90c (Lfg. 57, Oktober 2010). 441 Vgl. dazu: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 16/9236, 22. 05. 2008; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (156. Ausschuss), zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 16/9236 –, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 16/9600, 18. 06. 2008; Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, M 100 Rn. 54, S. 71 – 73. 442 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 16/9236, 22. 05. 2008, S. 7. 443 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 16/9236, 22. 05. 2008, S. 5. 444 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 16/9236, 22. 05. 2008, S. 5, 8. 445 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 16/9236, 22. 05. 2008, S. 7. 446 Vgl. Wieland, Europäische Verkehrspolitik und der Wettbewerb im Eisenbahnwesen und im Straßengüterverkehr, Wirtschaftsdienst 2010 Sonderheft, S. 43, 49; Jauerning/Leschek/
E. Grenzüberschreitender Straßengüterverkehr und Kabotage
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Im Unterschied zu den warenverkehrsrechtlichen Referenzgebieten waren nicht die inländischen Anbieter die treibende Kraft einer Deregulierung, da für sie der wettbewerbliche Schutz vor inländischer Konkurrenz wertvoller erschien als ungleiche Wettbewerbsbedingungen bzw. eine Inländerdiskriminierung. Zudem wirkte sich die Kontingentierung für die etablierten Anbieter von vornherein als nicht belastend aus. Unterschiedliche regulatorische Kostenbelastungen führten auf dem Gebiet des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs zu der Gründung von Niederlassungen deutscher Straßengüterverkehrsunternehmen in osteuropäischen Staaten wie Tschechien, Ungarn und Polen447 und später in Zypern und Slowenien.448 Es kann deshalb von einer Standortrelevanz von Regulierungen gesprochen werden, obwohl „Ausflaggungen“ von LKW heute keine Rolle mehr spielen.
IV. Bewertung der Rechtsentwicklung 1. Deregulierungsfunktion Der europäische Einfluss hatte umwälzende Wirkungen auf die deutsche Regulierung des Straßengüterverkehrs.449 Folge war ein Übergang von einem dirigistischen Regulierungsansatz zu einem marktwirtschaftlichen450 und insbesondere erfolgte die Abschaffung der Tarifbindung und Kontingentierung. Damit ist ein Wettbewerb zwischen Anbietern von Straßengüterverkehrsleistungen und auch im Verhältnis zur Bahn möglich geworden. Der Übergang zu einem wettbewerblichen System führte zu einer besseren Anpassung des Leistungsangebotes an die Präferenzen der Nachfrager nach Transportleistungen.451 Unter dem dirigistischen Regulierungsansatz war das Angebot unzureichend auf die Präferenzen der Nachfrager nach Transportleistungen abgestimmt. Dies zeigt sich daran, dass sich der erlaubnisfreie Werkverkehr von 1960 bis
Reisch/Stoll, Überlebensstrategien, Für mittelständische Transport- und Logistikdienstleister, S. 92. 447 Bundesamt für Güterverkehr, Marktbeobachtung Güterverkehr, Jahresbericht 1995, S. 33 f. 448 Vgl. Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V., Jahresbericht 2010/2011, S. 148. 449 Vgl. Wieland, Europäische Verkehrspolitik und der Wettbewerb im Eisenbahnwesen und im Straßengüterverkehr, Wirtschaftsdienst 2010, S. 43 – 50, 43: „Die Bedeutung des EUBinnenmarktprogramms für das deutsche Verkehrswesen war dramatisch“. 450 Wieland, Europäische Verkehrspolitik und der Wettbewerb im Eisenbahnwesen und im Straßengüterverkehr, Wirtschaftsdienst 2010, S. 43. 451 Vgl. Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, S. 18 Tz. 17.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
in die späten 1980er Jahre vervierfachte, während sich das Volumen des Fernverkehrs in dieser Zeit nur etwas mehr als verdoppelte.452 Das Preisniveau, das vormals als überhöht empfunden wurde, sank infolge der Tarifaufhebung erheblich und lag im Jahr 1994 um durchschnittlich 24 Prozent unter den Mindestentgelten des vor der Tarifaufhebung geltenden Tarifs.453 Die Nachteile, die mit dem dirigistischen Regulierungsansatz verbunden waren, können im Ergebnis nicht mit dem Ziel eines wettbewerblichen Schutzes der Bundesbahn454 gerechtfertigt werden. Der wettbewerbliche Schutz führte auf Seiten der Bahn zu Nachteilen in Form einer Unflexibilität des Angebotes und überhöhter Preise455 und die wirtschaftliche Lage der Bundesbahn verschlechterte sich laufend456. Der wettbewerbliche Schutz hat der Bahn somit geschadet. Es kann von einer Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden. Anhand der Aufhebung der Steuervergünstigung nach Scheitern des Vorhabens, ausländische Straßengüterverkehrsunternehmen an den Wegekosten zu beteiligen (Straßenbenutzungsgebührengesetz)457, zeigt sich, dass der Gesetzgeber zu industriepolitischen Maßnahmen nicht um jeden Preis bereit ist, so dass die Deregulierung aufgrund gegenläufiger Ziele begrenzt sein kann.
452 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 293. Aberle spricht in diesem Zusammenhang von einer „Ventilfunktion des Werkfernverkehrs“ (Aberle, Die ökonomischen Grundlagen der europäischen Verkehrspolitik, in: Europäische Verkehrspolitik, S. 29, 41). 453 Wieland, Europäische Verkehrspolitik und der Wettbewerb im Eisenbahnwesen und im Straßengüterverkehr, Wirtschaftsdienst 2010 Sonderheft, S. 43, 49. 454 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. 10. 1075, Az. 1 BvL 35/70 u. a., BVerfGE 40, 196, 218 ff.; Eickhof, Deutsche Verkehrspolitik und Vollendung des Gemeinsamen Binnenmarktes – unter besonderer Berücksichtigung des Straßengüterverkehrs, S. 2 f.; Deutscher Industrie- und Handelstag, EG-Binnenmarkt Güterkraftverkehr, Probleme und Zukunft der Verkehrsmarktordnung in der Bundesrepublik, S. 15. Kritisch zur Eignung des Wettbewerbsschutzes: Schumacher, in: Auswirkungen einer Deregulierung im Güterverkehr der EG ab 1992, S. 31, 46; Berkelova, Die Vollendung des europäischen Binnenverkehrsmarktes und der Reformbedarf der deutschen Verkehrspolitik dargestellt am Beispiel des Straßengüterverkehrs, S. 157 ff. 455 Berkelova, Die Vollendung des europäischen Binnenverkehrsmarktes und der Reformbedarf der deutschen Verkehrspolitik dargestellt am Beispiel des Straßengüterverkehrs, S. 101 ff.; Eickhof, Deutsche Verkehrspolitik und Vollendung des Gemeinsamen Binnenmarktes – unter besonderer Berücksichtigung des Straßengüterverkehrs, S. 8. 456 Berkelova, Die Vollendung des europäischen Binnenverkehrsmarktes und der Reformbedarf der deutschen Verkehrspolitik dargestellt am Beispiel des Straßengüterverkehrs, S. 100. 457 Teil 2 § 9 E. II. 1.
E. Grenzüberschreitender Straßengüterverkehr und Kabotage
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2. Machtbegrenzungsfunktion Die dirigistische Regulierung war für etablierte Straßengüterverkehrsunternehmen bequem, da sie sich damit nicht den Mühen eines Wettbewerbs stellen mussten.458 Die Straßengüterverkehrsunternehmen waren maßgeblich an der Ausgestaltung der Tarife beteiligt.459 Da sowohl die Straßengüterverkehrsunternehmen als auch die Mitarbeiter des Bundesamt für Güterverkehr ein Interesse an einer Liberalisierung hatten,460 kann von einer „Interessenharmonie“ im Sinne der CaptureTheorie461 gesprochen werden.462 Das Interesse der etablierten Anbieter an der strikten Regulierung wurde deutlich, als sich das deutsche Straßengüterverkehrsgewerbe nach einer ersten Liberalisierung vor allem des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs im Rahmen der Diskussion um das Tarifaufhebungsgesetz gegen eine Deregulierung wandte. Es kann aufgrund des großen Interesses der etablierten Straßengüterverkehrsunternehmen an einer strikten Marktzugangsregulierung in Bezug auf die Rechtsentwicklung von einer systemwettbewerblichen Machtbegrenzungsfunktion gesprochen werden. Aufgrund des großen Interesses der deutschen Straßenverkehrswirtschaft an der Aufrechterhaltung der strikten Regulierung wäre der grundlegende Wandel der deutschen Verkehrsrechtsordnung ohne den europarechtlichen Einfluss kaum
458 Vgl. Wieland, Europäische Verkehrspolitik und der Wettbewerb im Eisenbahnwesen und im Straßengüterverkehr, Wirtschaftsdienst 2010, S. 43, 43: „In der Praxis war das Kernstück der Verkehrspolitik der Nachkriegszeit der Schutz der Eisenbahn. […] Die konkurrierenden Verkehrsträger ließen sich dieses staatlich administrative Kartell gerne gefallen, ging es doch auch in ihren Bereichen mit Marktzutrittsbeschränkungen und Tarifabsprachen einher. […] Die Nachkriegspolitik im deutschen Verkehrswesen entsprach somit einem stabilen Interessengruppengleichgewicht im Sinn der positiven Theorie der Regulierung“; Berkelova, Die Vollendung des europäischen Binnenverkehrsmarktes und der Reformbedarf der deutschen Verkehrspolitik dargestellt am Beispiel des Straßengüterverkehrs, S. 170. 459 Berkelova, Die Vollendung des europäischen Binnenverkehrsmarktes und der Reformbedarf der deutschen Verkehrspolitik dargestellt am Beispiel des Straßengüterverkehrs, S. 170. 460 Berkelova, Die Vollendung des europäischen Binnenverkehrsmarktes und der Reformbedarf der deutschen Verkehrspolitik dargestellt am Beispiel des Straßengüterverkehrs, S. 170. 461 Vgl. Stigler, The Theory of Economic Regulation, Bell Journal of Economics and Management Science 2 (1971), S. 3 – 21. Vgl. die Darstellung bei: Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 310 f. Rn. 79 ff.; Jalilan/Kirkpatrick/Parker, Creating the conditions for international business expansion: the impact of the regulation on economic growth in developing countries – a cross-country analysis, in: Regulating Development: Evidence from Africa and Latin America, S. 11, 14. 462 Berkelova, Die Vollendung des europäischen Binnenverkehrsmarktes und der Reformbedarf der deutschen Verkehrspolitik dargestellt am Beispiel des Straßengüterverkehrs, S. 170.
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§ 9 Betrachtung von Systemwettbewerb in Referenzgebieten
denkbar gewesen.463 Insofern besaß der Systemwettbewerb eine pfadsprengende Wirkung. 3. Innovationsfunktion Die Rechtsentwicklung ist durch innovative Ansätze geprägt, regulierungsbedingte Wettbewerbsnachteile inländischer Anbieter einzuschränken. Dies zeigt z. B. der Versuch der Einführung eines Mautanrechnungsverfahrens und der Beteiligung ausländischer Straßengüterverkehrsunternehmen an den Wegekosten. Es handelt sich jedoch nicht um eine Maßnahme zu einer attraktiveren Gestaltung inländischer Institutionen (wie die Modelle eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip beschreiben), sondern – das wird hier ganz besonders deutlich – um eine Maßnahme zur Einschränkung der Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen zwischen in- und ausländischen Straßengüterverkehrsunternehmen. Es geht damit nicht um ein wettbewerbliches Vorstoßen464, sondern eher um ein wettbewerbliches Nachziehen.
463 Es kam jedoch bereits im Vorfeld der Integration der europäischen Verkehrsmärkte zu einer beschränkten Deregulierung: Berkelova, Die Vollendung des europäischen Binnenverkehrsmarktes und der Reformbedarf der deutschen Verkehrspolitik dargestellt am Beispiel des Straßengüterverkehrs, S. 61 ff.; Eickhof, Deutsche Verkehrspolitik und Vollendung des Gemeinsamen Binnenmarktes – unter besonderer Berücksichtigung des Straßengüterverkehrs, S. 5 ff. 464 Vgl. Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 40.
§ 10 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in der Fernsehrichtlinie A. Rechtlicher Rahmen für grenzüberschreitendes Fernsehen Fernsehveranstalter können sich auf die Dienstleistungsfreiheit berufen.1 Der EuGH erkannte vor dem Hintergrund der damaligen Unterschiedlichkeit mitgliedstaatlicher Regulierungen2 jedoch das Recht der Mitgliedstaaten an, eigene Regulierungen auch gegenüber Fernsehveranstaltern aus anderen Mitgliedstaaten durchzusetzen. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang die Rechtssache Debauvre, in der es um die Durchsetzung einer belgischen Werberegulierung ging.3 Eine Liberalisierung wurde damit unter die Bedingung einer materiellrechtlichen Harmonisierung gestellt.4 Es ergab sich vor diesem Hintergrund ein Bedarf an einer sekundärrechtlichen Regelung für die grenzüberschreitende Ausstrahlung von Fernsehsendungen, die im Jahr 1989 in Gestalt der Fernsehrichtlinie geschaffen 1 EuGH, Urteil vom 30. 04. 1974, Rs. 155/73, Giuseppe Sacchi, Slg. 1974, 409, 428 Rn. 6: „In Ermangelung ausdrücklicher entgegenstehender Vertragsbestimmungen sind Fernsehsendungen ihrer Natur nach als Dienstleistungen anzusehen“. Vgl. auch: EuGH, Urteil vom 18. 3. 1980, Rs. 52/79, Debauvre, Slg. 1980, S. 833, 855 Rn. 8; EuGH, Urteil vom 26. 04. 1988, Rs. 352/85, Bond van Adverteerders, Slg. 1988, S. 2085, 2130 f. Rn. 12 – 17. 2 Vgl. Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 93; Troberg, Mediawet und kein Ende: Dienstleistungsrichtlinie und Fernseh-Rechtsprechung des EuGH, ZEuP 1994, S. 100, 109. 3 EuGH, Urteil vom 18. 3. 1980, Rs. 52/79, Debauvre, Slg. 1980, S. 833, 856 Rn. 12 f. 4 Vgl. Holznagel, Rundfunkrecht in Europa, S. 180; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 94. Mit dieser Rechtsprechung wurde ein Systemwettbewerb der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Fernsehens ausgeschlossen. Seidel bemerkte im Jahr 1981 in diesem Zusammenhang, dass eine gegenseitige Anerkennung der Regulierung von Werbemitteilungen nach den Grundsätzen des Sendestaates zu einem Zwang der Lockerung der Werbegrundsätze am Maßstab des Mitgliedstaates mit den liberalsten Regelungen führen werde (Seidel, Rundfunk, insbesondere Werbefunk und innergemeinschaftliche Dienstleistungsfreiheit, in: GS Sasse, Das Europa der zweiten Generation, S. 351, 369.). Damit spricht Seidel die Befürchtung eines race to the bottom an. Berg als Justitiar des NDR begrüßt Mitte der 1980er Jahre ausdrücklich die Rechtsprechung des EuGH und stellt fest, dass das Recht des freien Dienstleistungsverkehrs „nicht dazu genutzt werden [kann], die einzelstaatlichen ordre public-Regelungsbefugnisse auszuhebeln“ (Berg, Rechtsprobleme des grenzüberschreitenden Fernsehens: Stellungnahme zum Grünbuch der EG-Kommission aus der Sicht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, in: Fernsehen ohne Grenzen, S. 197, 201).
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§ 10 Systemwettbewerb in der Fernsehrichtlinie
wurde.5 Die Fernsehrichtlinie wurde im Jahr 1997 einer Revision unterzogen6 und im Jahr 2007 wurde die Richtlinie um den Bereich audiovisueller Mediendienste erweitert.7 Die Richtlinie verfolgt einen „kollisionsrechtlichen“ Integrationsansatz mittels eines Sendestaatsprinzips8 als „Kernbestandteil“9 der Richtlinie und flankierender materiellrechtlicher Harmonisierung. In der Fernsehrichtlinie von 1989 ergibt sich das Sendestaatsprinzip aus Art. 2 Abs. 2 und Abs. 1 Fernsehrichtlinie 1989.10 Die Mitgliedstaaten gewähren nach Art. 2 Abs. 2 Fernsehrichtlinie 1989 (Art. 2a Abs. 1 Fernsehrichtlinie 1997/2007) den freien Empfang und behindern nicht die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die Regelungsbereiche betreffen, „die mit dieser
5 Richtlinie des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (89/552/ EWG), ABl. EG Nr. L 298/23, 17. 10. 1989. Im Verhältnis zu Nicht-Mitgliedstaaten wurde das Fernsehübereinkommen des Europarates vom 5. 5. 1989 (BGBl. II 1992, S. 1251) geschaffen (vgl. Schmittmann, Europäisches Werberecht aus deutscher Sicht, in: Handbuch des Rundfunkwerberechts, S. 39, 75 f.; Dörr, Europäische Medienordnung und -politik, Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 65, 73 – 75; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 106 ff.). 6 Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG Nr. L 202/60 vom 30. 7. 1997. Vgl. Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 148 ff.; Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 62. 7 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG Nr. L 332/27 vom 18. 12. 2007. 8 Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 70; Seelmann-Eggebert, Internationaler Rundfunkhandel, S. 215; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 112; Schmittmann, Europäisches Werberecht aus deutscher Sicht, in: Handbuch des Rundfunkwerberechts, S. 39, 46; Dethloff, Europäisches Kollisionsrecht des unlauteren Wettbewerbs, JZ 2000, S. 179, 180. 9 Erwägungsgrund 27 Satz 1 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG Nr. L 332/27 vom 18. 12. 2007. 10 Vgl. Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 71, 75; Petersen, Rundfunkfreiheit und EG-Vertrag, S. 100; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 112 ff.; Schmittmann, Europäisches Werberecht aus deutscher Sicht, in: Handbuch des Rundfunkwerberechts, S. 39, 59. Anders: Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S. 231 (der in Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 in Kombination mit Erwägungsgrund 14 das fernsehrechtliche Herkunftslandprinzip erkennt).
A. Rechtlicher Rahmen für grenzüberschreitendes Fernsehen
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Richtlinie koordiniert sind“.11 Außerhalb des nicht koordinierten Bereichs gilt das Primärrecht.12 Welche Regelungsbereiche in den koordinierten Bereich fallen, ist strittig.13 In der Rechtssache de Agostini war fraglich, ob Schweden ein nationales Verbot von Fernsehwerbung, die darauf gerichtet war, die Aufmerksamkeit von Kindern unter 12 Jahren zu erregen, auf einen Fernsehsender aus einem anderen Mitgliedstaat durchsetzen kann14. Nach Bewertung des EuGH ist dem Empfangsstaat nicht mehr erlaubt, eigene nationale Regelungen dem ausländischen Fernsehveranstalter entgegenzuhalten, da die Richtlinie eine umfassende Regelung speziell für den Schutz Minderjähriger im Hinblick auf Fernsehprogramme im Allgemeinen und Fernsehwerbung im Besonderen enthält.15 Andererseits räumte der EuGH Frankreich das Recht ein, ein französisches Verbot direkter oder indirekter Fernsehwerbung unter anderem für alkoholische Getränke (Loi Evin)16 auch im Rahmen grenzüberschreitenden Fernsehens durchzusetzen. Der EuGH begründete dies mit einem Fehlen gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierung.17 Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Regelung in den koordinierten Bereich fällt, wenn in der Fernsehrichtlinie eine abschließende Regelung der betreffenden Frage enthalten ist.18 Aufgrund der wenigen in der Richtlinie enthaltenen 11
Vgl. EuGH, Urteil vom 9. 7. 1997, Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, de Agostini, Slg. 1997, S. I-3843, I-3887 Rn. 27; Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 186 ff.; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 123 ff.; Petersen, Rundfunkfreiheit und EG-Vertrag, S. 101 f. 12 Vgl. Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 127. 13 Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 187; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 123 ff.; Petersen, Rundfunkfreiheit und EG-Vertrag, S. 128 ff. Auch die Richtlinie von 2007 enthält keine Definition des koordinierten Bereichs, was aufgrund des Interesses an Rechtsklarheit zu kritisieren ist, zumal der Rat in Erwägungsgrund (3) der Richtlinie 97/36/EG selbst feststellt, „daß bestimmte Begriffsbestimmungen oder Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie klarer gefasst werden müssen“. 14 EuGH, Urteil vom 9. 7. 1997, Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, de Agostini, Slg. 1997, S. I-3843, I-3847. 15 EuGH, Urteil vom 9. 7. 1997, Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, de Agostini, Slg. 1997, I-3843, I-3894 Rn. 57 – 60. 16 Vgl. Rigaud/Craplet, The ,Loi Evin‘: a French exception, www.ias.org.uk/btg/conf0604/ papers/rigaud_craplet.pdf. 17 EuGH, Urteil vom 13. 7. 2004, Rs. C-262/02, Kommission/Frankreich, Slg. 2004, S. I-6597, I-6606 Rn. 25. 18 EuGH, Urteil vom 13. 7. 2004, Rs. C-262/02, Kommission/Frankreich, Slg. 2004, S. I-6597, I-6606 Rn. 25: „Da im vorliegenden Fall keine gemeinschaftlichen Harmonisierungsmaßnahmen bestehen […]“; EuGH, Urteil vom 9. 7. 1997, Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, de Agostini, Slg. 1997, I-3843, I-3894 Rn. 57 – 61; Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 245 mit Verweis auf S. 229 ff. Vgl. auch: Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 125.
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materiellrechtlichen Regelungen19 ist der Anwendungsbereich des Beschränkungsverbotes aus Art. 2 Abs. 2 Fernsehrichtlinie damit deutlich eingeschränkt.20 Nach Art. 2 Abs. 1 Fernsehrichtlinie 1989 sorgt jeder Mitgliedstaat dafür, dass alle Fernsehveranstalter, die erstens seiner Rechtshoheit unterworfen sind oder die zweitens von Fernsehveranstaltern gesendet werden, die eine von diesem Mitgliedstaat zugeteilte Frequenz oder Übertragungskapazität eines Satelliten verwenden oder drittens eine in diesem Mitgliedstaat gelegene Erd-Satelliten-Sendestation benutzen, ohne der Rechtshoheit eines Mitgliedstaates unterworfen zu sein, den innerstaatlichen Regelungen dieses Sendestaates entsprechen. Entscheidend für die Annahme einer „Rechtshoheit“ ist die Begründung einer Niederlassung.21 Mit der Richtlinie von 1997 wurde der das Beschränkungsverbot beinhaltende Art. 2 Abs. 2 der Fernsehrichtlinie 1989 durch Art. 2a Abs. 1 Fernsehrichtlinie 1997 ersetzt, der wiederum durch die Richtlinie aus dem Jahr 2007 eine Änderung erfuhr. Nach Erwägungsgrund 15 Fernsehrichtlinie 1989 reicht die Verpflichtung des Sendestaats, die Einhaltung des durch die Richtlinie koordinierten Rechts sicherzustellen, aus, um den freien Verkehr von Fernsehsendungen zu gewährleisten, ohne dass eine zweite Kontrolle aus den gleichen Gründen in jedem Empfangsstaat stattfinden muss. Die Fernsehrichtlinie 1989 sieht unter den in Art. 2 Abs. 2 genannten engen Voraussetzungen, Einschränkungsmöglichkeiten des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung vor.22 Die Schranken und das entsprechende Verfahren, das Mitgliedstaaten im Falle einer Beschränkung des freien Empfangs oder der Weiterübertragung einzuhalten haben, sind nunmehr normiert in Art. 2a Abs. 2 und Abs. 5 Fernsehrichtlinie 1997 und Fernsehrichtlinie 2007. Insgesamt sind auf Grundlage der Fernsehrichtlinien die Regelungsbefugnisse der Mitgliedstaaten über fremde Sender erheblich eingeschränkt.23 19 Vgl. Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 130: „Letztlich erfährt überhaupt kein Rechtsgebiet durch die Richtlinie 89/552 eine abschließende Regelung […]“. 20 Kritisch insofern: Petersen, Rundfunkfreiheit und EG-Vertrag, S. 104. 21 EuGH, Urteil vom 10. 9. 1996, Rs. C-222/94, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1996, I-4025, I-4073 Rn. 43; EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd., Slg. 1997, I-3143, I-3167 Rn. 18; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 117: „Die Niederlassung kristallisiert sich deutlich als der entscheidende Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der Rechtshoheit heraus […]“. Die Fernsehrichtlinie 1997 verankert in Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 das Niederlassungsprinzip ausdrücklich (vgl. Erwägungsgrund 10 Fernsehrichtlinie 1997)“. 22 EuGH, Urteil vom 10. 09. 1996, Rs. C-11/95, Kommission/Belgien, Slg. 1995, S. I-4153, I-4165 Rn. 36; EuGH, Urteil vom 29. 5. 1997, Rs. C-14/96, Paul Denuit, Slg. 1997, S. I-2799, I-2813 Rn. 34. 23 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 180: „nicht nur wurde mit dieser
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Die Richtlinie verfolgt das Konzept einer Mindestharmonisierung, weswegen Mitgliedstaaten für Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, ausführlichere oder strengere Bestimmungen vorsehen können.24 Es gilt ein Umgehungsverbot mitgliedstaatlicher Regulierungen mittels Standortwahl.25 Bemerkenswerter Weise enthielt die Fernsehrichtlinie 1989 (im Unterschied zu den Fernsehrichtlinie 1997 und 200726) noch kein ausdrückliches Verbot der Umgehung mitgliedstaatlicher Regulierungen. Dies kann als Indiz dafür verstanden werden, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Umgehung nicht als vordringliches Problem betrachtete, was vor dem Hintergrund der beschränkten Reichweite des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung zu sehen ist. Die Geltung eines solchen Verbotes im Bereich des Fernsehens bestätigte der EuGH in der grundlegenden Rechtssache Veronica.27 Für die Annahme einer Umgehung gelten aber sehr strenge Maßstäbe.28 Nach Ausführungen des EuGH in der Rechtssache VT 4 kann „nicht allein aus dem Umstand, daß alle Sendungen und alle Werbemitteilungen ausschließlich für das flämische Publikum bestimmt sind, geschlossen werden, daß die VT 4 nicht als im Vereinigten Königreich ansässig angesehen werden kann“.29
Richtlinie auch für den Bereich des Fernsehens die Herkunftslandkontrolle realisiert; zudem haben die Mitgliedstaaten über ausländische Sender nach dem Tätigkeitslandprinzip eigentlich keine Rechte“. 24 Erwägungsgrund 25 Fernsehrichtlinie1989; Art. 19 Fernsehrichtlinie1989; Dörr, Europäische Medienordnung und -politik, Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 65, 74. 25 Vgl. EuGH, Urteil vom 3. 2. 1993, Rs. 148/91, Veronica, Slg. 1993, S. I-513, I-519, Rn. 12; EuGH, Urteil vom 5. 10. 1994, Rs. 23/93, TV10, Slg. 1994, S. I-4824, I-4833, Rn. 21. EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd., Slg. 1997, S. I-3159, I-3168 Rn. 22; Erwägungsgrund 14 Fernsehrichtlinie 1997; Erwägungsgründe 32 und 33 Fernsehrichtlinie 2007. 26 Die Fernsehrichtlinie 1997 verweist in Erwägungsgrund 14 auf die Umgehungsrechtsprechung des EuGH. In Erwägungsgrund 32 Fernsehrichtlinie 2007 sieht der Richtliniengeber eine Kodifizierung der Umgehungsrechtsprechung des EuGH „als Lösung an, die den Bedenken der Mitgliedstaaten gerecht wird, ohne die ordnungsgemäße Anwendung des Herkunftslandprinzips in Frage zu stellen“. Dabei verweist der Richtliniengeber auf die Rechtssachen Centros, Van Binsbergen und TV10. Der Verweis auf Centros überrascht, da die Entscheidung im Ergebnis den Umgehungseinwand ausschloss und vielmehr zu einer faktischen Rechtswahlfreiheit in Bezug auf Gesellschaftsrechtsformen führt. 27 EuGH, Urteil vom 3. 2. 1993, Rs, C-148/91, Veronica, S. I-487, I-519 Rn. 13. 28 Vgl. EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd., Slg. 1997, S. I-3159, I-3168 Rn. 22; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 139 ff. „Selbst beim vorsichtigsten Umgang mit der Entscheidung des Gerichtshofes schrumpft der Umgehungstatbestand zumindest für das Rundfunkrecht zu seiner seltenen Ausnahme zusammen, die eng auszulegen ist“ (S. 143 f.). Zudem hat die Bedeutung möglicher Umgehungen aufgrund der stattgefundenen Angleichung mitgliedstaatlicher Regulierungen an Bedeutung verloren. 29 EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, Rs. C-56/96, VT4 Ltd., Slg. 1997, S. I-3159, I-3168 Rn. 22.
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B. Fernsehrechtliche Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor I. Regulierung des Fernsehens als Wettbewerbsparameter auf dem Markt um Zuschauer Die Regulierung des Fernsehens ist ein möglicher Wettbewerbsparameter im Wettbewerb der Fernsehveranstalter um Zuschauer. Mittels grenzüberschreitendem Fernsehen konnten in der Frühphase der Marktintegration für eine breite Zuschauerzahl attraktive Unterhaltungsprogramme30 angeboten werden, dessen Angebot für inländische öffentlich-rechtliche Sender kaum denkbar gewesen wären. Ab dem Jahr 1984 verbreitete die CLT das Programm RTLplus zunächst auf dem Gebiet des Saarlandes und konnte bald erhebliche Marktanteile in der gesamten Bundesrepublik Deutschland gewinnen. Schon im Jahr 1986 hatte der Sender im Saarland und in Rheinland-Pfalz einen Marktanteil von ca. 30 Prozent31 und bereits im Jahr 1993 hatte der Sender RTL einen Marktanteil von 18,9 Prozent in Deutschland und war damit Marktführer32. In den Niederlanden etablierte sich der Sender RTL-Véronique (der später in RTL 4 umbenannt wurde) innerhalb weniger Jahre zum größten privaten Fernsehveranstalter.33 Aufgrund des Erfolges auf dem niederländischen Markt gründete die CLT mit dem Sender RTL 5 im Jahr 1995 einen zweiten auf den niederländischen Markt ausgerichteten Sender.34 Auch heute ist die Wettbewerbsintensität seitens der Sender der CLT-UFA in den Niederlanden hoch: Im Jahr 2000 besaßen in den Niederlanden die Sender mit einer ausländischen Lizenz35 einen Marktanteil von 40 Prozent.36 Der
30 Vgl. Bomas, Der duale Rundfunk. Seine Bedeutung für die Entwicklung des Rundfunkmarktes, Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln, Heft 206 September 2005, S. 51. 31 O. V., RTL-plus schlägt ARD, Der Spiegel 1/1986, S. 71. 32 Berger, Der deutsche Fernsehmarkt, S. 97; Schawinsky, Fernsehmarkt im Umbruch, Thema Wirtschaft, Institut der Deutschen Wirtschaft Köln Nr. 38, 1996, S. 7 (Grafik). 33 Voß, Pluraler Rundfunk in Europa – ein duales System für Europa?, S. 135. 34 van Reenen, Die niederländische Rundfunklandschaft im Jahr 2000, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 471, 474. 35 Zu den Fernsehsendern der Niederlande vgl. Merten, Das Mediensystem der Niederlande, XX. Fernsehsender auf einen Blick, www.uni-muenster.de/niederlandeNetz/nl-wissen/ Kultur/vertiefung/Mediensystem/Fernsehsender.html. 36 Harcourt, Institution-Driven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU, EUI Working Paper, RSCAS No. 2004/44, S. 8; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 180.
B. Fernsehrechtliche Regulierungen als Wettbewerbsparameter/Standortfaktor
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Marktanteil von RTL 4 belief sich im Jahr 2007 auf 12,9 Prozent, der Marktanteil von RTL 5 auf 5,3 Prozent und der Marktanteil von Veronica auf 3,7 Prozent.37
II. Regulierung des Fernsehens als Standortfaktor Die Unterschiedlichkeit der Regulierung von Fernsehveranstaltern war in der Vergangenheit standortrelevant. Nachdem bereits der Betrieb von Piraten-Radiosendern auf der Nordsee Ausdruck einer Standortarbitrage war,38 konnte im Bereich des Fernsehens die Compagnie Luxemburgoise de Télédiffusion (CLT)39 die liberale luxemburger Rundfunkordnung dazu nutzen, grenzüberschreitend Fernsehsendungen zu verbreiten und zu dem führenden privaten Fernsehanbieter in Europa werden.40 Eine intensive Mobilität von Sendern im Sinne einer Abwanderung aus Staaten mit hoch regulierten Rundfunkordnungen nach Luxemburg (wie die Systemwettbewerbsmodelle nahelegen) war jedoch nicht zu beobachten.41 37
Merten, Das Mediensystem der Niederlande, XX. Fernsehsender auf einen Blick, www. uni-muenster.de/niederlandeNetz/nl-wissen/Kultur/vertiefung/Mediensystem/Fernsehsender. html. 38 Oehler, Das deutsche Strafrecht und die Piratensender, S. 2 ff.; Haucke, Piratensender auf See, S. 1 ff.; P. Friedman/Taylor, Seasteading: Competitive Governments on the Ocean, KYKLOS 65 (2012) (2), S. 218, 226. 39 Voß, Pluraler Rundfunk in Europa – ein duales System für Europa?, S. 128. Zur Geschichte der CLT: Thorn, L’histoire de la CLT, in: Innovation – Integration, S. 127 – 134. 40 Vgl. Harcourt, Institution-Driven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU, S. 4. 41 Harcourt, Institution-Driven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU, S. 4. Anders: Engel/Seelmann-Eggebert, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E.V. Kommunikation und Medien, Rn. 2 (EL 7) [alte Kommentierung]: „Die nationale Rundfunkpolitik sieht sich mit der Gefahr einer Abwanderung ihrer heimischen Veranstalter ins Ausland konfrontiert, ohne von außen einfließende Programme wirksam regulieren zu können“; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 144 f.: „Wem es nicht genügt, an Kinderwerbung die Elle des Artikel 22 der Richtlinie anzulehnen und wer stattdessen die Bewerbung von Kindern ganz verbieten möchte, darf sich nicht wundern, wenn Sitzverlegungen der eigenen Sender die Folge sind“. Auch eine Verlagerung von Werbeaufträgen zu Sendern aus Mitgliedstaaten mit einem niedrigeren Regulierungsniveau ist unrealistisch, anders: Hauschka, Rechtliche Ausprägungen von Interaktion und Wettbewerb zwischen konkurrierenden Wirtschaftssystemen, ZVglRWiss 87 (1988), S. 46, 51: „Hieraus kann sich die Situation ergeben, dass eben das deutsche Unternehmen, das vergleichende Werbung im Inland nicht ausstrahlen darf, einen Werbespot von Holland aus senden lässt, nachdem das niederländische Recht ähnlich scharfe Restriktionen wie das deutsche nicht kennt. Die Rechtsordnung, deren Medien- und Wettbewerbsrecht den Ideen der Marketingspezialisten den weitesten Spielraum lässt, verschafft dem betreffenden Land bzw. den dort beheimateten Medien einen Wettbewerbsvorteil bei der Aufteilung der für Werbung in der Industrie insgesamt zur Verfügung stehenden Gelder gegenüber der ausländischen Konkurrenz […]“; W.-H. Roth, Grenzüberschreitender Rundfunk und Dienstleistungsfreiheit, ZHR 149 (1985), S. 679, 681.
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§ 10 Systemwettbewerb in der Fernsehrichtlinie
Nachdem sich die mitgliedstaatlichen Fernsehrechtsordnungen immer weiter angeglichen haben, verlagerte die CLT Sender zum Teil in das jeweilige Sendegebiet42. So sind die für den deutschen Markt bestimmten Sender der RTL Group in Deutschland niedergelassen und deswegen keine ausländischen Sender im Rechtssinne mehr.43 Die luxemburger Regulierung stellt keinen entscheidenden Standortfaktor mehr dar. Die Standortrelevanz von Regulierungsunterschieden ist seit der Zulassung von privaten Fernsehveranstaltern auch in anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich entfallen.44
C. Betrachtung gesetzgeberischer Maßnahmen I. Auf Standortwettbewerb bezogene Maßnahmen Luxemburg sah im luxemburger Mediengesetz von 199145 die Möglichkeit vor, neben der Lizenz für CLT weitere Lizenzen an Sender zu vergeben46. Das Mediengesetz, das der Umsetzung der Fernsehrichtlinie diente47, war bewusst liberal ausgestaltet und räumte Fernsehsendern, die ausschließlich die Märkte anderer (Mitglied-)Staaten bedienten, eine regulatorische Vorzugsstellung ein.48 Hirsch spricht von der Vergabe einer Art „Gefälligkeitsflaggen“ im Bereich des Rundfunks.49 Die Aufgabe des Rundfunkmonopols führte jedoch zu einem Konflikt der 42 RTL Group, Annual Report 2010, S. 94; RTL Group, Annual Report 2009, S. 58 f. (vgl. Fn. 1 „Programmes broadcast by CLT-UFA under a Luxembourg license“); Voß, Pluraler Rundfunk in Europa – ein duales System für Europa?, S. 130; Hirsch, Das Rundfunksystem Luxemburgs, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 450, 450. Zu einem frühen Vorstoß: o. V., Nur ein Traum, Niedersachens Ministerpräsident Albrecht hatte mit seinen ehrgeizigen Fernsehplänen nicht viel Glück. Jetzt will er einen populären Rundfunksender, Radio Luxemburg, nach Hannover holen, Der Spiegel 4/1989, S. 104, 107. 43 Vgl. RTL Group, Annual Report 2010, S. 94 f. 44 Anders: Engel/Seelmann-Eggebert, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E.V. Kommunikation und Medien Rn. 2 (EL 7); Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 144 f.: W.-H. Roth, Grenzüberschreitender Rundfunk und Dienstleistungsfreiheit, ZHR 149 (1985), S. 679, 681. 45 Vgl. Hirsch, Das Rundfunksystem Luxemburgs, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 450 – 456, 450 ff. 46 Hirsch, Das Rundfunksystem Luxemburgs, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 450, 451. 47 Vgl. Hirsch, Das Rundfunksystem Luxemburgs, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 450, 450 ff. 48 Harcourt, Institution-Driven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU, S. 4 f. 49 Hirsch, Das Rundfunksystem Luxemburgs, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 450, 452. Vgl. auch: S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 181.
C. Betrachtung gesetzgeberischer Maßnahmen
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luxemburger Regierung mit der CLT.50 Da die CLT für die Bedienung anderer mitgliedstaatlicher Märkte nicht mehr zwingend auf das luxemburger Rundfunkmonopol angewiesen war, konnte sie Zugeständnisse seitens der luxemburger Regierung erreichen.51 Neben Luxemburg räumte auch Großbritannien mit dem Broadcasting Act 1990 Fernsehveranstaltern, dessen Programme auf das Ausland ausgerichtet waren, eine Vorzugsbehandlung ein, indem es Regelungen der Fernsehrichtlinie nicht auf non domestic satellite services anwendete.52 Die niedersächsische Landesregierung unternahm Ende der 1980er Jahre Bemühungen, Hannover als Medienstandort zu etablieren.53 Sie stand in Verhandlungen mit der CLT über eine Ansiedlung ihrer für den deutschen Markt bestimmten Sender in Hannover.54 Es konnte sich in der Folgezeit jedoch Nordrhein-Westfalen als Senderstandort durchsetzen.55 Es gelang die Ansiedlung der RTL Group56 und der Sender VIVA, Nickelodeon, VIVA II, ZAP TV sowie Wetter- und Reise TV.57 Industriepolitische Maßnahme Nordrhein-Westfalens war die Vergabe von Frequenzen, insbesondere von Satellitenfrequenzen.58 Da es Nordrhein-Westfalen um eine Ansiedlung von Fernsehveranstaltern ging, war die Erteilung einer Frequenz nach § 5 Abs. 3 LRG 1995 an die Begründung einer Niederlassung geknüpft: „Zur Sicherung des Standortes Nordrhein-Westfalen und zur Verbesserung der Aufsicht sollen künftig die Veranstalter, die ihr Programm ausschließlich über Satellit ausstrahlen und/oder in Kabelanlagen weiterverbreiten wollen und ihre Zulassung in Nordrhein50
Hirsch, Das Rundfunksystem Luxemburgs, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 450, 452 f. 51 Hirsch, Das Rundfunksystem Luxemburgs, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 450, 452 f. 52 Harcourt, Institution-Driven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU, S. 5 f. Dieses Vorgehen war jedoch rechtswidrig: EuGH, Urteil vom 10. 09. 1996, Rs. C-222/94, Slg. 1996, I-4058 ff. Zur britischen Fernsehordnung: Humphreys, Das Rundfunksystem Großbritanniens, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/ 2001, S. 378 – 407. 53 O. V., Nur ein Traum, Niedersachens Ministerpräsident Albrecht hatte mit seinen ehrgeizigen Fernsehplänen nicht viel Glück. Jetzt will er einen populären Rundfunksender, Radio Luxemburg, nach Hannover holen, Der Spiegel, 4/1989, S. 104, 107. 54 O. V., Nur ein Traum, Niedersachens Ministerpräsident Albrecht hatte mit seinen ehrgeizigen Fernsehplänen nicht viel Glück. Jetzt will er einen populären Rundfunksender, Radio Luxemburg, nach Hannover holen, Der Spiegel, 4/1989, S. 104 – 107. 55 Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen, Zehn Jahre Film- und Fernsehproduktion in Deutschland, Eine Langzeitstudie des Formatt-Instituts über die Produktionsjahre 1999 bis 2008; Contoli/Schmied, Der Medienstandort Nordrhein-Westfalen, S. 1 ff. 56 Contoli/Schmied, Der Medienstandort Nordrhein-Westfalen, S. 20. 57 Engel, Medienordnungsrecht, S. 23 f. 58 Engel, Medienordnungsrecht, S. 23.
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§ 10 Systemwettbewerb in der Fernsehrichtlinie
Westfalen beantragen, verpflichtet werden, ihre betrieblichen und produktionstechnischen Einrichtungen im Geltungsbereich des LRG NW zu betreiben (§ 5 Abs. 1 Satz 2 und 2 LRG NW)“.59
Bereits im Jahr 1996 musste Nordrhein-Westfalen sein Rundfunkgesetz vor dem Hintergrund eines Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission ändern.60 Es spielten für den Standorterfolg Nordrhein-Westfalens nicht nur die Vergabe von Frequenzen eine Rolle. Ein Grund für die Wahl Nordrhein-Westfalens als Standort für RTL war unter anderem auch, dass in Köln bereits der WDR, die Deutsche Welle und das Deutschland Radio ansässig waren.61 Nordrhein-Westfalen betrieb in der Folgezeit eine aktive Standortpolitik zur Förderung seines Medienstandortes,62 förderte die journalistischen Aus- und Weiterbildung zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Medienstandortes63 und stellte Mittel der Wirtschaftsförderung bereit64. Auf Überlegungen der Sender Viva und Viva plus, ihre Standorte von NordrheinWestfalen nach Berlin zu verlegen, kündigte die Nordrhein-Westfälische Landesregierung eine Überprüfung der Lizenzen an und schloss auch eine Änderung des Landesmediengesetzes nicht aus.65 Vor dem Hintergrund einer drohenden Abwanderung verfolgte Frankreich das Ziel einer strengeren Regulierung der Pornografie ausstrahlenden französischen Satellitensender Anfang der 2002/2003 nicht weiter.66
59 Gesetzentwurf der Landesregierung, Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den „Westdeutschen Rundfunk Köln“ und es Rundfunkgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (7. Rundfunkänderungsgesetz), BT-Drs. 11/8065, 28. 11. 1984, S. 54 (den Hinweis auf die Fundstelle hat der Verfasser entnommen aus: Engel, Medienordnungsrecht, S. 23). 60 Engel, Medienordnungsrecht, S. 24. 61 Contoli/Schmied, Der Medienstandort Nordrhein-Westfalen, S. 27. 62 Contoli/Schmied, Der Medienstandort Nordrhein-Westfalen, S. 25 ff. 63 Gesetzentwurf der Landesregierung, Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den „Westdeutschen Rundfunk Köln“ und es Rundfunkgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (7. Rundfunkänderungsgesetz), BT-Drs. 11/8065, 28. 11. 1984, S. 54. 64 Contoli/Schmied, Der Medienstandort Nordrhein-Westfalen, S. 31. 65 O. V., NRW droht Viacom, Der Spiegel 46/2004, S. 229. 66 Harcourt, Institution-Driven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU, S. 12; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 184.
C. Betrachtung gesetzgeberischer Maßnahmen
441
II. Maßnahmen zur Stärkung inländischer Sender 1. Staatliche Maßnahmen in den Niederlanden a) Durchsetzung niederländischer Regulierungsanforderungen gegenüber ausländischen Sendern Die Niederlande versuchten zunächst erfolglos die Übertragung ausländischer Fernsehprogramme mittels der Kabelregeling67 und des Mediawet68 einzuschränken, was Ausdruck eines Systemwettbewerbs im untechnischen Sinn ist. Als im Ausland ansässige Fernsehanbieter in den 1980er Jahren begannen, Programme in holländischer Sprache oder mit holländischem Untertitel per Satellit oder Kabel in die Niederlande auszustrahlen, erließ die niederländische Regierung 1984 die Kabelregeling.69 Nach Art. 4 Abs. 1 der Kabelregeling war die Übertragung von Fernsehsendungen nur zulässig, wenn „das Programm keine speziell für die niederländische Öffentlichkeit bestimmten Werbemitteilungen enthält“ und „es vorbehaltlich einer Genehmigung durch den Minister nicht mit niederländischen Untertiteln arbeitet“.70 Es ging bei der Kabelregeling hauptsächlich darum, die Wirksamkeit der im Rundfunkgesetz von 1967 getroffenen Regelungen71 auch nach außen hin abzusichern72. Aufgrund der Unvereinbarkeit der Kabelregeling mit der Dienstleistungsverkehrsfreiheit73 änderten die Niederlande die Rechtslage und
67 Vgl. Korthalts Altes, Case Study of Changes in National Broadcasting Cardozo Arts & Entertainment Law Journal 11 (1993), S. 313, 320; Troberg, Mediawet und kein Ende: Dienstleistungsrichtlinie und Fernseh-Rechtsprechung des EuGH, ZEuP 1994, S. 100, 109. Die Begründungserwägung zur Kabelregeling ist abgedruckt in: EuGH, Urteil vom 26. 4. 1988, Rs. 352/85, Bond van Adverteerders, Slg. 1988, S. 2085, 2087. 68 Vgl. EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-353/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-4069, I-4101 Rn. 47; EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-288/89, Stichting Collective Antennevoorziening Gouda u. a., Slg. 1991, I-4007, I-4045 Rn. 29. 69 EuGH, Urteil vom 26. 4. 1988, Rs. 352/85, Bond van Adverteerders, Slg. 1988, S. 2085, 2086; Korthalts Altes, Cardozo Arts & Entertainment Law Journal 11 (1993), S. 313, 320; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 96. 70 EuGH, Urteil vom 26. 4. 1988, Rs. 352/85, Bond van Adverteerders, Slg. 1988, S. 2085, 2087. 71 Zum historischen Hintergrund der niederländischen Regulierung des Rundfunks: van Reenen, Die niederländische Rundfunklandschaft im Jahr 2000, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 471, 471 f. 72 Vgl. Begründungserwägung zur Kabelregeling (dargestellt in: EuGH, Rs. 352/85, Bond van Adverteerders, Slg. 1988, S. 2085, 2087); Korthalts Altes, Case Study of Changes in National Broadcasting Cardozo Arts & Entertainment Law Journal 11 (1993), S. 313, 320; Troberg, Mediawet und kein Ende: Dienstleistungsrichtlinie und Fernseh-Rechtsprechung des EuGH, ZEuP 1994, S. 100, 109. 73 EuGH, Urteil vom 26. 04. 1988, Rs. 352/84, Bond van Adverteerders, Slg. 1988, S. 2136, Rn. 39.
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§ 10 Systemwettbewerb in der Fernsehrichtlinie
schufen das Mediengesetz (Mediawet).74 Nach Art. 66 Mediawet ist die Übertragung ausländischer Programme nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. So legte Art. 66 Mediawet insbesondere fest, dass der entsprechende Sender nicht mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden darf und dass die Werbung einer vom Programmanbieter unabhängigen juristischen Person überlassen werden muss.75 Auch diese Regelung war mit der Dienstleistungsverkehrsfreiheit unvereinbar.76 b) Deregulierung der niederländischen Rundfunkordnung Aufgrund der fehlenden Möglichkeit der niederländischen Regierung, ausländische Fernsehanbieter wie RTL-Véronique vom niederländischen Markt auszuschließen,77 bestand ein erheblicher rechtspolitischer Druck, die niederländische Rundfunkordnung zu deregulieren. Ein bedeutender Schritt war die Zulassung privater Fernsehveranstalter im Jahr 1990.78 Die Regulierung in Bezug auf Programm und Werbung orientierte sich vor allem an der Fernsehrichtlinie.79 Auch die Werbemöglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Sender wurden erweitert.80 Der intensive Wettbewerbsdruck seitens luxemburger Sender führte damit zu einer erheblichen Deregulierung der niederländischen Fernsehordnung.81 2. Staatliche Maßnahmen in Deutschland Für die deutsche Rundfunkordnung hatte die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Fernsehens weit weniger grundsätzliche Folgen als in den Niederlan-
74 Korthalts Altes, Case Study of Changes in National Broadcasting, Cardozo Arts & Entertainment Law Journal 11 (1993), S. 313, 323 f.; Troberg, Mediawet und kein Ende: Dienstleistungsrichtlinie und Fernseh-Rechtsprechung des EuGH, ZEuP 1994, S. 100, 112, 114. 75 EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-353/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-4069, I-4073 f. 76 EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-353/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-4069, I-4101 Rn. 47.; EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-288/89, Stichting Collective Antennevoorziening Gouda u. a., Slg. 1991, I-4007, I-4045 Rn. 29. 77 van Reenen, Die niederländische Rundfunklandschaft im Jahr 2000, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 471, 471, 474. 78 van Reenen, Die niederländische Rundfunklandschaft im Jahr 2000, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 471, 475. 79 van Reenen, Die niederländische Rundfunklandschaft im Jahr 2000, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 471, 475. 80 van Reenen, Die niederländische Rundfunklandschaft im Jahr 2000, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 471, 475 f.; Voß, Pluraler Rundfunk in Europa – ein duales System für Europa?, S. 135. 81 van Reenen, Die niederländische Rundfunklandschaft im Jahr 2000, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 471, 475.
C. Betrachtung gesetzgeberischer Maßnahmen
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den, denn privater Rundfunk war bereits Mitte der 1980er Jahre in Deutschland möglich82. Deutlichste systemwettbewerbliche Folge der Liberalisierung des grenzüberschreitenden Fernsehens dürfte eine Erweiterung der Werbemöglichkeiten für deutsche Sender sein. Mit dem 4. Rundfunkänderungsstaatsvertrag83 aus dem Jahr 1997 erweiterten die Landesregierungen84 für deutsche Fernsehveranstalter die Möglichkeiten einer Unterbrechungswerbung, indem sie vom sogenannten Nettoprinzip85 zum Bruttoprinzip übergingen (§ 44 Abs. 4 Rundfunkänderungstaatsvertrag).86 Bei der Frage, ob das Brutto- oder Nettoprinzip gilt, geht es um die Frage, ob Werbeunterbrechungen häufiger und kürzer (brutto) oder seltener und länger (netto) erfolgen dürfen.87 Die absolute Dauer der Werbeunterbrechungen ist von der Frage der Anwendung des Brutto- oder Nettoprinzips nicht berührt; bei Geltung des Bruttoprinzips sind jedoch mehr Unterbrechungen möglich.88 Hintergrund war der rechtspolitische Druck der privaten Fernsehveranstalter. Diese beklagten eine Inländerdiskriminierung als Folge der Anwendung des Net-
82
Bomas, Der duale Rundfunk. Seine Bedeutung für die Entwicklung des Rundfunkmarktes, S. 18 ff. Zur Geschichte des privaten Rundfunks in Deutschland: Bomas, Der duale Rundfunk. Seine Bedeutung für die Entwicklung des Rundfunkmarktes, S. 7 ff.; Voß, Pluraler Rundfunk in Europa – ein duales System für Europa?, S. 56 ff.; Holznagel, Rundfunkrecht in Europa, S. 18. Beachtung fand in Deutschland die Zulassung privater Rundfunkveranstalter in den USA (Hoffmann-Riem, Kommerzielles Fernsehen). Bemerkenswerter Weise ist die Zulassung privaten Rundfunks in Deutschland auch vor dem Hintergrund eines Standortwettbewerbs der Bundesländer zu sehen (Holznagel, Rundfunkrecht in Europa, S. 18). 83 Vierter Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 16.07. bis 31. 08. 1999. Vgl. Mitteilung des (hamburger) Senats an die Bürgerschaft, Hamburgische Bürgerschaft, Drs. 16/2944, 31. 08. 1999; Weisser, Der neue Rundfunkstaatsvertrag, NJW 2000, S. 3526 – 3530; Kreile, Die Neuregelung der Werbung im 4. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, ZUM 2000, S. 194 – 203. 84 Rundfunk ist Landesaufgabe (BVerfG, Urteil vom 28. 02. 1961, Az. 2 BvG 1, 2/60, BVerfGE 12, 205, 207, 225 f.). 85 Die deutschen Verwaltungsgerichte legten grundsätzlich das Nettoprinzip zugrunde (Ladeuer, in: Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, § 44 Rn. 3). Die Frage nach der Geltung des Brutto- oder Nettoprinzips war jedoch umstritten (Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 196 ff.; Engel, Die Geltung des Brutto-Prinzips für die Unterbrechung von Spiel- und Fernsehfilmen durch Werbung, ZUM 1994, S. 335 – 342; Lercara/Scheuer, Im Prinzip „brutto“?, Zur Auslegung des Begriffs der „programmierten Sendezeit“ nach der Fernseh-Richtlinie, ZUM 1999, S. 719 – 729). 86 Ladeuer, in: Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, § 44 Rn. 3; Schmittmann, Europäisches Werberecht aus deutscher Sicht, in: Handbuch des Rundfunkwerberechts, S. 39, 64; Weisser, Der neue Rundfunkstaatsvertrag, NJW 2000, S. 3526, 3529 f.; Kreile, Die Neuregelung der Werbung im 4. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, ZUM 2000, S. 194, 202 f.; Prasch, Die Werbung im Fernsehen, S. 4; Weisser, Der neue Rundfunkstaatsvertrag, NJW 2000, S. 3526, 3529. 87 Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 197. 88 Vgl. Bodewig, Vorrang wirtschaftlicher Interessen im Medienrecht?, JZ 2000, S. 659, 660.
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§ 10 Systemwettbewerb in der Fernsehrichtlinie
toprinzips.89 Der EuGH hatte zuvor im Rahmen der Fernsehrichtlinie die Geltung des Bruttoprinzips bestätigt und Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt, für ihrer Rechtshoheit unterworfene Sender das strengere Nettoprinzip vorzusehen.90 In der Begründung zum Staatsvertrag heißt es knapp, dass infolge der Übernahme des Wortlautes der Fernsehrichtlinie „die Auslegung der europäischen Regelungswerke auch für das deutsche Recht bezüglich der Möglichkeiten zur Unterbrechung einer Sendung maßgeblich ist“.91 Von der Beseitigung einer Inländerdiskriminierung ist nicht die Rede. Der Hamburger Senat begründete hingegen den Wechsel zum Bruttoprinzip ausdrücklich mit dem Interesse an einer einheitlichen Regelung im Bundesgebiet und mit der Vermeidung von Inländerdiskriminierung: „Nach Auffassung einiger Länder ist bereits die entsprechende aktuelle Bestimmung im Rundfunkstaatsvertrag im Sinne des Brutto-Prinzips auszulegen […]. Im Interesse der ländereinheitlichen Anwendung der Bestimmungen zu Werbeunterbrechung bei Filmen, nicht zuletzt auch zur Gleichstellung deutscher Rundfunkveranstalter mit Veranstaltern in anderen europäischen Ländern soll nunmehr das Brutto-Prinzip übernommen werden“.92
Es ging den privaten Fernsehveranstaltern jedoch weniger um eine Benachteiligung im Wettbewerb mit ausländischen Sendern, der tatsächlich eine geringe Bedeutung besaß,93 sondern vor allem um die Stärkung ihrer Position im Wettbewerb mit den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sendern.94 Der Unterschied 89
Vgl. Charissé, [Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation], „Bruttoprinzip“ mit „Netto“-Option, K&R 2000, S. 85, 86 [zum Urteil des EuGH ARD/ProSieben]; Engel, Die Geltung des Brutto-Prinzips für die Unterbrechung von Spiel- und Fernsehfilmen durch Werbung, ZUM 1994, S. 335, 340; Bodewig, Vorrang wirtschaftlicher Interessen im Medienrecht?, JZ 2000, S. 659, 663. Einen Überblick über die Rechtslage in verschiedenen Mitgliedstaaten liefern: Lercara/Scheuer, Im Prinzip „brutto“?, Zur Auslegung des Begriffs der „programmierten Sendezeit“ nach der Fernseh-Richtlinie, ZUM 1999, S. 719, 722 – 724. 90 EuGH, Urteil vom 28. 10. 1999, Rs. C-6/98, ARD/Pro Sieben, Slg. 1999, I-7599 ff. Vgl. Hochhuth, Die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes, S. 233 ff. 91 Begründung zum Vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, zu § 44, abzurufen unter: www.artikel5.de/gesetze/rstv-bg.html. 92 Mitteilung des (Hamburger) Senats an die Bürgerschaft, Hamburgische Bürgerschaft, Drs. 16/2944, 31. 08. 1999, S. 2. 93 Bodewig spricht in diesem Zusammenhang von einer „fast unwiderstehliche[n] Sogwirkung“ der EuGH-Entscheidung auf die Mitgliedstaaten, die zur Vermeidung einer Inländerdiskriminierung ihre Standards an das Mindestniveau anpassen (Bodewig, Vorrang wirtschaftlicher Interessen im Medienrecht?, JZ 2000, S. 659, 664). 94 Dem EuGH-Urteil (EuGH, Urteil vom 28. 10. 1999, Rs. C-6/98, ARD/Pro Sieben, Slg. 1999, I-7622 ff.) lag ein Rechtsstreit zwischen der ARD und Pro Sieben zugrunde. Vgl. Pechstein, Brutto- bzw. Nettoprinzip bei der Unterbrecherwerbung, EuZW 1994, S. 583 – 588, vgl. insb. S. 283; Engel, Die Geltung des Brutto-Prinzips für die Unterbrechung von Spiel- und Fernsehfilmen durch Werbung, ZUM 1994, S. 335 – 342. Zum Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichem und privaten Sendern: Bomas, Der duale Rundfunk. Seine Bedeutung für die Entwicklung des Rundfunkmarktes, S. 47 ff. Die Mindereinnahmen für private Fernsehveranstalter infolge der Anwendung des Nettoprinzips wurde auf bis zu 250 Mio. EUR pro Jahr geschätzt (Dörr, Anmerkung zu EuGH, Rs. C 6/98, ARD/Pro Sieben, EuZW 2000, S. 84, 84 –
C. Betrachtung gesetzgeberischer Maßnahmen
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zwischen Brutto- und Nettoprinzip kann für einen auf Werbung angewiesenen Fernsehveranstalter nach Formulierung von Pechstein „in Millionen entgangener oder eingenommener Werbeeinnahmen an[gegeben werden]“.95 Die Einbuße für private Fernsehveranstalter infolge der Anwendung des Nettoprinzips wurde auf bis zu 250 Mio. EUR96 pro Jahr geschätzt. Die Verankerung des Nettoprinzips in den Werberichtlinien der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten97 war vor dem Hintergrund des Wunsches zu sehen, den finanziellen Spielraum der privaten Fernsehveranstalter für den Erwerb der Rechte an attraktiven Spielfilmen zu verkleinern und die Wettbewerbsposition der öffentlich-rechtlichen Sender zu stärken.98 Mit dem 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde zwar das grundsätzliche Verbot von Produktplatzierungen beibehalten, jedoch wurde Produktplatzierung unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen (§ 7 Abs. 7 RStV).99 Damit folgt der RStV dem mitgliedstaatlichen Wahlrecht in Art. 3 g der Richtlinie 2007/65/EG100. Es zeigt sich, dass eine Inländerdiskriminierung, unabhängig vom vorliegenden Wettbewerbsdruck und damit der ökonomischen Bedeutung der Inländerdiskriminierung, den Gesetzgeber unter erheblichen Rechtfertigungsdruck setzt. Inländerdiskriminierung ist ein entscheidendes Argument interessierter Kreise, ihre Wünsche nach Deregulierung durchzusetzen. Bodewig spricht in diesem Zusammenhang von einer „fast unwiderstehliche[n] Sogwirkung“ der EuGH-Entscheidung auf die Mitgliedstaaten, die zur Vermeidung einer Inländerdiskriminierung ihre Standards an das Mindestniveau anpassen.101 Schon aufgrund der vorhandenen Mindesthar-
mit Verweis auf Angaben der Interessenvertretung der privaten Rundfunkveranstalter in Deutschland). 95 Pechstein, Brutto- bzw. Nettoprinzip bei der Unterbrecherwerbung, EuZW 1994, S. 583, 583; Charissé, [Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation], „Bruttoprinzip“ mit „Netto“-Option, K&R 2000, S. 85, 85: „von hoher wirtschaftlicher Bedeutung“. 96 Dörr, Anmerkung zu EuGH, Rs. C 6/98, ARD/Pro Sieben, EuZW 2000, S. 84, 84 (mit Verweis auf Angaben der Interessenvertretung der privaten Rundfunkveranstalter in Deutschland). 97 Engel, Die Geltung des Brutto-Prinzips für die Unterbrechung von Spiel- und Fernsehfilmen durch Werbung, ZUM 1994, S. 335, 335. 98 Engel, Die Geltung des Brutto-Prinzips für die Unterbrechung von Spiel- und Fernsehfilmen durch Werbung, ZUM 1994, S. 335, 335. 99 Kreile, Werberecht, in: Handbuch Medienrecht, J Rn. 28; Ladeur, in: Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, § 7 RStV Rn. 53 a ff. 100 Richtlinie 2007/552/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EU Nr. L 332/27, 18. 12. 2007. Vgl. Erwägungsgründe 55, 60 ff. der Richtlinie 2007/5552/EWG; Hartstein/Ring/Kreile/Stettner/Cole/Wagner, Rundfunkstaatsvertrag, B 5 § 7 RStV Rn. 47 (51. AL Dezember 2011, 45. AL August 2010); Kreile, Werberecht, in: Handbuch Medienrecht, J Rn. 28. 101 Bodewig, Vorrang wirtschaftlicher Interessen im Medienrecht?, JZ 2000, S. 659, 664.
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monisierung kann jedoch nicht von einem „race to the bottom“ gesprochen werden.102
D. Abschließende Bewertung der Rechtsentwicklung Ausgeprägt waren die Wirkungen der Fernsehrichtlinie 1989 auf die ehemals hoch regulierte niederländische Rundfunkordnung, da die Niederlande im Jahr 1990 unter dem Eindruck der Liberalisierung private Fernsehveranstalter zuließen. Das Programmangebot ist infolge der Zulassung privater Fernsehveranstalter erheblich breiter geworden103 und es ist eine starke Ausrichtung am Geschmack der Mehrheit des Publikums zu beobachten104. Zwar ist diese Präferenzanpassung an den Publikumsgeschmack und eine dadurch bedingte Verflachung von Inhalten aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung des Fernsehens problematisch,105 jedoch ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen auch nach der Zulassung privater Fernsehveranstalter erhalten geblieben106, so dass weiterhin Angebote mit hohem Informationsgehalt bestehen. Damit kann das öffentlich-rechtliche Fernsehen weiterhin Informationsfunktionen des Fernsehens wahrnehmen, obgleich es zu einer erheblichen Verdrängung des Marktanteils des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gekommen ist. Die Zulassung privater Fernsehveranstalter in den Niederlanden hat deswegen nicht zu einer grundsätzlichen Vernachlässigung eines Informationsangebotes im Fernsehen geführt.107 Das europarechtliche Herkunftslandprinzip hat zwar zu einer nachhaltigen Umgestaltung der niederländischen Rundfunkordnung geführt, jedoch hätten sich die Niederlande auch ohne den europarechtlichen Einfluss wahrscheinlich mittelfristig nur schwer gegen eine Zulassung privater Fernsehveranstalter sperren können. Einige Mitgliedstaaten und Bundesländer unternahmen Maßnahmen, um ihren Medienstandort zu stärken und um Fernsehveranstalter anzusiedeln.
102 Anders: Bodewig, Vorrang wirtschaftlicher Interessen im Medienrecht?, JZ 2000, S. 659, 664. 103 van Reenen, Die niederländische Rundfunklandschaft im Jahr 2000, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 471, 471. 104 Vgl. Bomas, Der duale Rundfunk. Seine Bedeutung für die Entwicklung des Rundfunkmarktes, Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln Heft 206 September 2005, S. 47 ff.; Herrmanns, Fernsehen ohne Grenzen, Der deutsche TV.Markt zwischen Qualität und Quote, S. 66 ff. 105 Vgl. Crouch, Postdemokratie, S. 64 f.; Kops, Prinzipien der Gestaltung von Rundfunkordnungen. Ökonomische Grundlagen und rundfunkpolitische Konsequenzen, Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln Heft 100/1998, November 1998, S. 48 ff. 106 van Reenen, Die niederländische Rundfunklandschaft im Jahr 2000, in: Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, S. 471, 482 – 484. 107 Vgl. Voß, Pluraler Rundfunk in Europa – ein duales System für Europa?, S. 136 – 138.
D. Abschließende Bewertung der Rechtsentwicklung
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Es zeigt sich jedoch, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen im Rahmen des Standortwettbewerbs keine entscheidende Rolle mehr spielten, sobald private Fernsehveranstalter überhaupt zugelassen waren. Eine Deregulierung der mitgliedstaatlichen Rundfunkordnungen spielte als Mittel in einem fernsehrechtlichen Standortwettbewerb damit keine entscheidende Rolle.108 Von einer Machtbegrenzungsfunktion im Sinne einer Einschränkung von Interessengruppenregulierungen kann nicht gesprochen warden. Die ehemals strengere Regulierung war nicht Ausdruck von Interessengruppenpolitik, sondern ist aus sachlichen Gründen nachzuvollziehen und wurde vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber fehlerfrei getroffen wurde. Der Übergang vom Netto- zum Bruttoprinzip im Bereich der Unterbrechungswerbung zeigt, welche Bedeutung eine Inländerdiskriminierung besitzt, um mitgliedstaatliche Regulierungen in Frage zu stellen und es findet die These Bestätigung, dass Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip tendenziell zu einer Anpassung mitgliedstaatlicher Regulierungen auf das Niveau der zugrundeliegenden Mindestharmonisierung führt.109 Dabei war jedoch eine Inländerdiskriminierung ökonomisch nicht relevant, sondern im Vordergrund standen die Wettbewerbsbeziehungen zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstaltern. Der Topos Inländerdiskriminierung war damit nur ein rechtspolitisches Argument, das sich als für die Deregulierungsbefürworter auch in diesem Zusammenhang als wirkungsvoll erwies. Auch im Falle einer Vollharmonisierung im Bereich der Werberegulierung, wäre sehr zweifelhaft gewesen, ob sich Deutschland mit dem Nettoprinzip hätte durchsetzten können, so dass auch eine materiellrechtliche Harmonisierung dieser Frage wahrscheinlich zu einer Deregulierung geführt hätte. Aufgrund der Angleichung infolge des Übergangs zum Bruttoprinzip kann im Bereich der Unterbrechungswerbung von einer Ex-post Harmonisierung gesprochen werden.
108
Harcourt, Institution-Driven Competition: The Regulation of Cross-Border Broadcasting in the EU, S. 5: „Member States did not deregulate to attract investment from abroad“. 109 Vgl. Bodewig, Vorrang wirtschaftlicher Interessen im Medienrecht?, JZ 2000, S. 659, 663.
§ 11 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in der E-Commerce-Richtlinie A. Hemmnisse einer digitalen internationalen Privatrechtsgesellschaft Hemmnisse für die Entfaltung privatautonomer Betätigung, die sich infolge des Nebeneinanderbestehens einzelstaatlicher Rechtsordnungen ergeben können, werden besonders deutlich im Fall von privatautonomer Betätigung über das Internet.1 Hemmnisse einer digitalen internationalen Privatrechtsgesellschaft2 ergeben sich insbesondere dann, wenn sich Privatrechtssubjekte aufgrund des globalen Charakters des Internets3 an den Regulierungen mehrerer Staaten ausrichten müssen.4 Dieser Zusammenhang ist als Multi-State Problematik bekannt.5 Diese Multi-State Problematik stellt sich insbesondere im Lauterkeitsrecht,6 in dem die kollisionsrechtliche Anknüpfung an den Marktort (vgl. Art. 6 Abs. 1 und 2 1 Nach Lurger trifft über das Internet „[d]er moderne, auf dem Souveränitätsprinzip und dem Konzept der Gebietshoheit fußende Territorialstaat […] auf den weitgehend immateriellen und aterritorialen Raum des Internet“ (Lurger, Internationales Deliktsrecht und Internet – ein Ausgangspunkt für grundlegende Umwälzungen im Internationalen Privatrecht?, in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, S. 479, 479 f.). 2 Müller-Graff spricht von einer „Europäischen Privatrechtsgesellschaft“ (Müller-Graff, Die Europäische Privatrechtsgesellschaft in der Verfassung der Europäischen Union, in: Recht und Rechtswissenschaft, S. 271 – 305). 3 Vgl. Lurger, Internationales Deliktsrecht und Internet – ein Ausgangspunkt für grundlegende Umwälzungen im Internationalen Privatrecht?, in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, S. 479, 479; Kommission, Mitteilung an den Rat, das Europäische Parament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, KOM(97) 157 endg., S. 3, 14. 4 Vgl. Lurger, Internationales Deliktsrecht und Internet – ein Ausgangspunkt für grundlegende Umwälzungen im Internationalen Privatrecht?, in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, S. 479, 481; Ko, Law and Technology of Data Privacy: A Case for International Harmonization, in: Economic Analysis of International Law, S. 69, 86 f. 5 Vgl. Dethloff, Marketing im Internet und Internationales Wettbewerbsrecht, NJW 1998, S. 1596 – 1603; Spindler, Deliktsrechtliche Haftung im Internet – nationale und internationale Rechtsprobleme – ZUM 1996, S. 533, 560 f. „Es bestehen nur noch ,virtuelle‘, aber keine räumlichen Märkte mehr, die zur Anknüpfung dienen könnten“ (S. 561). 6 Vgl. Dethloff, Marketing im Internet und Internationales Wettbewerbsrecht, NJW 1998, S. 1596 – 1603; Spindler, Deliktsrechtliche Haftung im Internet – nationale und internationale
A. Hemmnisse einer digitalen internationalen Privatrechtsgesellschaft
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Rom II-VO) Anwendung findet.7 Danach ist das Lauterkeitsrecht des Staates anwendbar, auf dessen Markt die jeweilige Handlung einwirkt.8 Sack begründet die Anknüpfung an den Werbeort mit „unzumutbare[n] Wettbewerbsverzerrungen“, die entstünden, wenn strengeres Heimatrecht auf ausländischen Wettbewerbsmärkten zur Anwendung käme.9 Eine einzelne Wettbewerbshandlung kann damit zur Anwendung mehrerer nationaler Lauterkeitsrechte und zur Zuständigkeit von Gerichten in verschiedenen Staaten führen. Der Anbieter muss sich aufgrund der Anknüpfung an den Marktort auf die Geltung des strengsten nationalen Rechts einrichten oder auf eine einheitliche Vermarktung verzichten, wenn nicht eine Aufspaltung der Vermarktung nach verschiedenen Zielländern möglich ist.10 Auch im Datenschutzrecht können sich vergleichbare Probleme stellen.11 Ähnliche Probleme ergeben sich sogar auch im Bereich strafrechtlicher Regelungen.12 Der BGH verurteilte im Jahr 2000 einen Australier, der im Internet – über einen australischen Server – die Ermordung von Juden in der NS-Zeit bestritten hatte.13 Nach dem Strafgesetz des australischen Bundesstaates South Australia, in
Rechtsprobleme – ZUM 1996, S. 533, 560 f.; Glöckner, in: Harte-Bavendamm/Hennig-Bodewig, UWG, Einl C Rn. 153 ff. 7 Vgl. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO; Drexl, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntUnlWettbR, Rn. 132 ff.; Grundmann, Das Internationale Privatrecht der E-Commerce-Richtlinie – was ist kategorial anders im Kollisionsrecht des Binnenmarkts und warum?, RabelsZ 67 (2003), S. 246, 267 f.; Thünken, Die EG-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr und das internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs, IPRax 2001, 15, 16; Itzen, Europäisierung des Wettbewerbsrechts durch den elektronischen Handel, S. 56 ff. Diese Anknüpfung gilt auch für die Gerichtszuständigkeit: Lurger, Internationales Deliktsrecht und Internet – ein Ausgangspunkt für grundlegende Umwälzungen im Internationalen Privatrecht?, in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, S. 479, 480. 8 Drexl, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntUnlWettbR, Rn. 132 f. 9 Sack, Grenzüberschreitende Zugabe- und Rabattwerbung, IPRax 1991, S. 386, 389. 10 Vgl. Dethloff, Marketing im Internet und Internationales Wettbewerbsrecht, NJW 1998, S. 1596, 1601 f.; Lurger, Internationales Deliktsrecht und Internet – ein Ausgangspunkt für grundlegende Umwälzungen im Internationalen Privatrecht?, in: FS 75 Jahre Max-PlanckInstitut für Privatrecht, S. 479, 481. 11 Ko, Law and Technology of Data Privacy: A Case for International Harmonization, in: Economic Analysis of International Law, S. 69, 86 f. 12 Vgl. Scheffel, Yahoo!, Inc. v. La Ligue contra le Recisme et l’Antisemitism: Court Refuses to Enforce French order attempting to regulate Speech occurring simultaneously in the U.S. and in France, Computer & High Technology Law Journal 19 (2003), S. 549 – 558; Ware, The Use of Jurisdictional Arbitrage to Support the Strategic Interest of the Firm, University of Toledo Law Review 38 (2006 – 2007), S. 307, 312 ff.; BGH, Urteil vom 12. 12. 2000, Az. 1 StR 184/00, BGHSt, 46, 212 = BGH, NStZ 2001, S. 305 mit Anmerkung Hörnle, S. 309 – 311; Sieber, Strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Datenverkehr in internationalen Computernetzen (1), JZ 1996, S. 429 – 442. 13 BGH, Urteil vom 12. 12. 2000, Az. 1 StR 184/00, BGHSt, 46, 212 = BGH, NStZ 2001, S. 305 mit Anmerkung Hörnle, S. 309 – 311.
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§ 11 Systemwettbewerb in der E-Commerce-Richtlinie
dem der Verurteilte wohnte, ist die vorgenommene Handlung hingegen straflos,14 so dass sich der Australier nach seinem australischen Umweltrecht nicht auf eine Verurteilung hatte einstellen müssen. Nicht nur für Anbieter ergeben sich aufgrund des Nebeneinanderbestehens einzelstaatlicher Rechtsordnungen Hemmnisse, sondern auch für Verbraucher,15 wenn sich z. B. Fragen einer Rechtsdurchsetzung stellen.16 Beim Vertrieb von Waren über das Internet findet im Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit das Herkunftslandprinzip keine Anwendung, da Regelungen des Lauterkeitsrechts in die Kategorie von „Verkaufsmodalitäten“ im Sinne der Keck-Rechtsprechung17 fallen.18
B. Der Rechtsrahmen für grenzüberschreitenden E-Commerce auf Grundlage der E-Commerce-Richtlinie Unmittelbar vor der Jahrtausendwende rückte mit dem Bedeutungsgewinn des Internets die Frage einer Marktintegration im Bereich des Onlinehandels in den Blickpunkt19 und die Diskussion entfaltete eine große Dynamik. Sie führte Mitte 2000 zur Verabschiedung der E-Commerce-Richtlinie.20 Bemerkenswert ist die 14 Hörnle, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 12. 12. 2000, Az. 1 StR 184/00, NStZ 2001, S. 309, 309 f. 15 Vgl. Pichler, Internationale Gerichtszuständigkeit im Online-Bereich, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1998, S. 229, 230; Hoeren, Internet und Recht – Neue Paradigmen des Informationsrechts, NJW 1998, S. 2849, 2851. 16 Vgl. Hoeren, Das Telemediengesetz, NJW 2007, S. 801, 803 (in Bezug auf Spam). 17 Teil 1 § 3 E. I. 3. 18 Vgl. Spindler, Herkunftslandprinzip und Kollisionsrecht – Binnenmarktintegration ohne Harmonisierung?, RabelsZ 66 (2002), S. 633, 695; Spindler, E-Commerce in Europa, Die E-Commerce-Richtlinie in ihrer endgültigen Fassung, MMR-Beilage 7/2000, S. 4, 15; Lurger, Internationales Deliktsrecht und Internet – ein Ausgangspunkt für grundlegende Umwälzungen im Internationalen Privatrecht?, in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, S. 479, 483; Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, S. 312 ff.; Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 432. 19 Kommission, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Europäische Initiative für den elektronischen Geschäftsverkehr, KOM(97) 157 endg.; Hoeren kritisierte noch im Jahr 1997, dass die kollisionsrechtlichen Fragen, die sich aus der Entwicklung des Internets stellen, von Experten noch nicht aufgegriffen worden seien (Hoeren, Cybermanners und Wettbewerbsrecht – Einige Überlegungen zum Lauterkeitsrecht im Internet, WRP 1997, S. 993, 998). 20 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. L 178, S. 1 ff. vom 17. 7. 2000; Rat der Europäischen Union, Interin-
B. Der Rechtsrahmen für grenzüberschreitenden E-Commerce
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Schnelligkeit dieses Rechtssetzungsverfahrens mit einer geringen Dauer von nur eineinhalb Jahren.21 Gegenstand der Richtlinie sind Dienste der Informationsgesellschaft (vgl. Art. 1 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie). Zur näheren Bestimmung des Begriffs „Dienste der Informationsgesellschaft“ verweist Art. 2 lit. a) E-Commerce-Richtlinie22 auf die Richtlinie 98/34/EG23 (Transparenzrichtlinie) in der Fassung der Richtlinie 98/48/ EG24. Danach ist eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft jede Dienstleistung, die in der Regel gegen Entgelt im Fernabsatz elektronisch auf individuellen Abruf des Empfängers erbracht wird.25 Zentrales Integrationsinstrument ist ein Prinzip der gegenseitigen Anerkennung.26 Dieses Prinzip ergibt sich aus einer Kombination von Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie.27 Wie in der Fernsehrichtlinie ergibt sich das Prinzip der stitutionelles Dossier: 98/03025 (COD), Rechtsakte und andere Instrumente, Betr.: Gemeinsamer Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlaß der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“); EU, Elektronischer Geschäftsverkehr: Kommissar Bolkestein begrüßt Verabschiedung der Richtlinie, 04. 05. 2000, IP/00/442. 21 Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 157. Bolkestein bewertet diese Dynamik als für die weitere Rechtsetzung vorbildlich, EU, Elektronischer Geschäftsverkehr: Kommissar Bolkestein begrüßt Verabschiedung der Richtlinie, 04. 05. 2000, IP/00/442, S. 1. 22 Vgl. auch Erwägungsgrund 17 E-Commerce-Richtlinie. 23 Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 6. 1988 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. EG L 204/37 vom 21. 7. 1998 (nunmehr: Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft). 24 Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 zur Änderung der Richtlinie 98/34 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. EG Nr. L 217/18 vom 5. 8. 1998. 25 Vgl. Erwägungsgrund 17 Satz 2 E-Commerce-Richtlinie; Lurger/Vallant, Grenzüberschreitender Wettbewerb im Internet, Umsetzung des Herkunftslandprinzips der E-CommerceRichtlinie in Deutschland und Österreich, RIW 2002, S. 188, 189; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 158 f. 26 Vgl. Kommission, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Europäische Initiative für den elektronischen Geschäftsverkehr, KOM(97) 157 endg., S. 22 f.; Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und der E-Commerce-Richtlinie, S. 289 ff. 27 Vgl. Lurger/Vallant, Grenzüberschreitender Wettbewerb im Internet, Umsetzung des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie in Deutschland und Österreich, RIW 2002, S. 188, 189; Lurger, Internationales Deliktsrecht und Internet – ein Ausgangspunkt für grundlegende Umwälzungen im Internationalen Privatrecht?, in: FS 75 Jahre Max-PlanckInstitut für Privatrecht, S. 479, 484; Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 166 f.; Sack, Internetwerbung – ihre Rechtskontrolle außerhalb des Herkunftslandes des Werbenden, WRP 2013, S. 1407, 1407 ff. Im deutschen Recht ist die Regelung in § 3 TMG umgesetzt, nachdem die Umsetzung zunächst in § 4 TDG erfolgte (Sack,
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gegenseitigen Anerkennung damit aus einem Beschränkungsverbot und einer exklusiven Zuweisung von Regulierungsaufgaben:28 Nach Art. 3 Abs. 2 E-Commerce-Richtlinie können die Mitgliedstaaten „den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen“ (Beschränkungsverbot). Der koordinierte Bereich umfasst nach Art. 2 lit h) i) E-Commerce-Richtlinie vom Diensteanbieter zu erfüllende Anforderungen in Bezug auf die Aufnahme der Tätigkeit im Bereich der Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft oder Regelungen in Bezug auf die Ausübung derartiger Tätigkeiten; der koordinierte Bereich umfasst nach Art. 2 lit ii) hingegen keine Anforderungen in Bezug auf Waren als solche oder in Bezug auf die Lieferung von Waren und Anforderungen29. Der koordinierte Bereich ist damit im Gegensatz zur Fernsehrichtlinie nicht beschränkt auf Fragen, die eine materiellrechtliche Harmonisierung in der Richtlinie gefunden haben.30 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung findet vielmehr querschnittsartig auf alle Rechtsgebiete Anwendung, die von Diensten der Informationsgesellschaft berührt sind.31 Gemäß Art. 3 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie trägt jeder Mitgliedstaat „dafür Sorge, daß die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen“. Herkunftsland im Sinne der E-Commerce-Richtlinie ist demnach der Staat, in dem der Diensteanbieter niedergelassen ist. Nach Art. 3 Abs. 3 E-Commerce-Richtlinie finden Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 E-Commerce-Richtlinie keine Anwendung auf die im Anhang genannten Bereiche.32 Nach Art. 3 Abs. 4 lit a) E-Commerce-Richtlinie dürften die Mitgliedstaaten von dem Beschränkungsverbot des Art. 3 Abs. 2 E-Commerce-Richtlinie abweichen, wenn die Maßnahmen aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Ordnung (insInternetwerbung – ihre Rechtskontrolle außerhalb des Herkunftslandes des Werbenden, WRP 2013, S. 1407, 1407). 28 Vgl. Erwägungsgrund 22 E-Commerce-Richtlinie. 29 Vgl. Erwägungsgrund 21 Satz 2 E-Commerce-Richtlinie: „Der koordinierte Bereich umfaßt nur Anforderungen betreffend Online-Tätigkeiten […]“; Spindler, Herkunftslandprinzip und Kollisionsrecht – Binnenmarktintegration ohne Harmonisierung?, RabelsZ 66 (2002), S. 633, 645; Lurger/Vallant, Grenzüberschreitender Wettbewerb im Internet, Umsetzung des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie in Deutschland und Österreich, RIW 2002, S. 188, 189. 30 Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 169. 31 Spindler, Herkunftslandprinzip und Kollisionsrecht – Binnenmarktintegration ohne Harmonisierung?, RabelsZ 66 (2002), S. 633, 638 f. 32 Vgl. Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 338 ff.; Thünken, Die EG-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr und das internationale Privatrecht des unlauteren Wettbewerbs, IPRax 2001, S. 15, 17.
B. Der Rechtsrahmen für grenzüberschreitenden E-Commerce
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besondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten), des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, des Schutzes der öffentlichen Sicherheit (einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen), des Schutzes der Verbraucher erforderlich sind.33 Der Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs34 ist als Schutzgrund nicht genannt.35 Die Berufung auf die genannten Schutzgründe ist nach Art. 3 Abs. 4 lit b) und Art. 3 Abs. 5 E-Commerce-Richtlinie gekoppelt an die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens.36 Die E-Commerce-Richtlinie begleitende Mindestharmonisierung37 ist schwach ausgeprägt,38 da eine systematische Mindestharmonisierung in allem querschnittsartig erfassten Rechtsbereichen nicht zu verwirklichen war.39 Mit dieser Gestaltung ist bemerkenswerter Weise die für die europäische Integration grundlegende Verknüpfung zwischen dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und einer begleitenden Mindestharmonisierung außer Kraft gesetzt.40 Im Zuge nachfolgender materiellrechtlicher Harmonisierung auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts ist jedoch 33
Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 313. Vgl. EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649, 662 Rn. 8; EuGH, Urteil vom 9. 7. 1997, Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, de Agostini, Slg. 1997, I-3875, I-3891 Rn. 46. 35 Sack, Internetwerbung – ihre Rechtskontrolle außerhalb des Herkunftslandes des Werbenden, WRP 2013, S. 1407, 1411; Sack, Das internationale Wettbewerbsrecht nach der E-Commerce-Richtlinie (ECRL) und dem EGG-/TDG-Entwurf, WRP 2001, S. 1408, 1422. 36 Vgl. Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 312 ff.; Spindler, E-Commerce in Europa, Die E-Commerce-Richtlinie in ihrer endgültigen Fassung, MMR-Beilage 7/2000, S. 4, 15. 37 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. EG Nr. L 281/31 vom 23. 11. 1995; Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABl. EG Nr. L 77/20 vom 27. 3. 1996; Richtlinie 97/7 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144/19 vom 4. 6. 1997; Kommission, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Europäische Initiative für den elektronischen Geschäftsverkehr, KOM(97) 157 endg., S. 23. 38 Vgl. Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 170. 39 Vgl. Beater, Europäisches Recht gegen unlauteren Wettbewerb – Ansatzpunkte, Grundlagen, Entwicklung, Erforderlichkeit, ZEuP 2003, S. 11, 11. 40 Spindler spricht aufgrund des Fehlens einer flankierenden Mindestharmonisierung als auch der Erstreckung auf alle Rechtsgebiete von einer „klein[n] Revolution gegenüber dem bislang in Richtlinien verwandten Herkunftslandprinzip […]“ (Spindler, Herkunftslandprinzip und Kollisionsrecht – Binnenmarktintegration ohne Harmonisierung?, RabelsZ 66 (2002), S. 633, 640. Vgl. auch: Spindler, Die E-Commerce-Richtlinie und das internationale Wirtschaftsrecht, in: Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, S. 107, 109 f. („revolutionäre[r] ,Schock‘“)). 34
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§ 11 Systemwettbewerb in der E-Commerce-Richtlinie
dieses Ungleichgewicht zwischen der Weite des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und materiellrechtlicher Harmonisierung zum Teil aufgelöst worden, denn das Herkunftslandprinzip in der E-Commerce-Richtlinie hat sich als Triebkraft einer materiellrechtlichen Harmonisierung auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts erwiesen. Erwägungsgrund 57 E-Commerce-Richtlinie statuiert unter fast wörtlicher Übernahme der Rechtsprechung des EuGH zur Dienstleistungsfreiheit41 ein Umgehungsverbot mitgliedstaatlicher Regulierungen mittels Standortwahl:42 „Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ein Mitgliedstaat weiterhin berechtigt, Maßnahmen gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter zu ergreifen, dessen Tätigkeit ausschließlich oder überwiegend auf das Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates ausgerichtet ist, wenn die Niederlassung gewählt wurde, um die Rechtsvorschriften zu umgehen, die auf den Anbieter Anwendung fänden, wenn er im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates niedergelassen wäre“.
Das Umgehungsverbot dürfte geringe Bedeutung besitzen, denn es gelten sehr strenge Anforderungen für die Annahme einer Umgehung.43 Schon die Maßgeblichkeit des Niederlassungsortes als Herkunftsland dürfte Umgehungen praktisch ausschließen, denn nach der Definition in Art. 2 lit. c) E-Commerce-Richtlinie ist ein niedergelassener Diensteanbieter „ein Anbieter, der mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit eine Wirtschaftstätigkeit tatsächlich ausübt; Vorhandensein und Nutzung technischer Mittel und Technologien, die zum Anbieten des Dienstes erforderlich sind, begründen allein keine Niederlassung des Anbieters“44. Ein „formales Auswandern“45 ist hier nicht möglich. Zudem besteht für Anbieter mittels einer mehrsprachigen Gestaltung von Websites die Möglichkeit, den Nachweis einer Umgehung zu erschweren.46
41 Vgl. EuGH, Urteil vom 5. 10. 1994, Rs. C-23/93, TV10, I-4824, I-4835, Tenor 2); Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 197 f., 139 ff. 42 Vgl. Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie, S. 320 – 322. 43 Schlussanträge des Generalanwalts Carl Otto Lenz vom 30. 4. 1996 in der Rs. C-11/95, Slg. 1996, I-4117, I-4141 Tz. 75; Mankowski, Das Herkunftslandprinzip als Internationales Privatrecht der e-commerce-Richtlinie, ZVglRWiss 100 (2001), S. 137, 160. 44 Vgl. auch: Erwägungsgrund 19 E-Commerce-Richtlinie. 45 Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39, 43. 46 Mankowski, Das Herkunftslandprinzip als Internationales Privatrecht der e-commerceRichtlinie, ZVglRWiss 100 (2001), S. 137, 160.
C. Regulierungen als Wettbewerbsparameter im E-Commerce
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C. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor im E-Commerce I. Regulierungsunterschiede als Wettbewerbsparameter Zum Zeitpunkt der Schaffung der E-Commerce-Richtlinie bestand ein deutliches Regulierungsgefälle zwischen den mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechten.47 Während das deutsche Lauterkeitsrecht als eines der strengsten in Europa bezeichnet wurde,48 ist das englische Lauterkeitsrecht liberal49. Grund für diese Unterschiede in den nationalen Lauterkeitsrechten ist vor allem die über lange Zeit stattgefundene Entwicklung des Lauterkeitsrechts in abgeschlossenen einzelstaatlichen Räumen.50 In Deutschland galt ein grundsätzliches Verbot von Rabatten und Zugaben. Diese Regulierung hat Einfluss auf die Werbemethoden und Preisgestaltung. Die Zugabeund Rabattregulierung schränkt insbesondere die Möglichkeiten der Entwicklung von Kundenbindungsprogrammen ein.51 So bewertete der BGH ein Bonus Programm für Vielflieger als Verstoß gegen die ZugabeVO.52 Auch sogenanntes Powershopping (also ein kollektiver Kauf eines Produktes über das Internet mittels ausgehandelten Mengenrabatten) geriet in Konflikt mit der deutschen Zugabe- und Rabattregulierung.53 Einem Versandhändler wurde die Gewähr einer „lifetime guarantee“ im Sinne 47
Vgl. Koos, Europäische Lauterkeitsmaßstab und globale Integration, S. 52: „gravierende Unterschiede“. 48 Vgl. die Länderübersicht bei: Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. 4.1. ff. 49 Vgl. Davis, § 25 United Kingdom, in: International Handbook on Unfair Competition, S. 600, 603 Rn. 5: „Because the UK courts have been traditionally reluctant to intervene in the regulation of competition, they have been slow to recognize and protect new forms of value which might be harmed by unfair competition. […] Unfair competition, then, as a matter of principle and practice continues to be defined narrowly in the United Kingdom“. Vgl. auch: Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. UWG Rn. 4.9. 50 Vgl. Teil 2 § 9 B. IV. 1.; Bornkamm, Anm. zu EuGH v. 18. 5. 1993, Rs. C-126/91, GRUR 1993, 748; Beater, Die stillen Wandlungen des Wettbewerbsrechts, Zugleich ein Beitrag zur Orient-Teppichmuster-Entscheidung des BGH, JZ 2000, S. 973, 974 f. 51 Vgl. S. Müller, Bonusprogramme als Instrumente des Beziehungsmarketing, Eine theoretische und empirische Analyse; Ulmer stellte bereits im Jahr 1971 fest, dass aufgrund des grundsätzlichen Zugabe- und Rabattverbotes, „die Einführung neuer, betriebswirtschaftlich gebotener Verkaufsmethoden erschwert oder gar unmöglich“ gemacht werde, was ihn zu rechtspolitischen Bedenken veranlasste (Ulmer, Rabattgesetz und Wettbewerbsordnung, in: FS Hefermehl, S. 201, 212). 52 Vgl. BGH, Urteil vom 17. 09. 1998, Az. I ZR 117/96, WRP 1999, 424; Borck, Eine Lanze für die Zugabeverordnung, WRP 1996, S. 969, 972: „Die Rechtswidrigkeit dieses Systems liegt klar auf der Hand“; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, ZugabeVO § 1 Rn. 3a. 53 Vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 18. 11. 1999, Az. 3 U 230/99, WRP 2000, S. 412 f.; o. V., Rabattgesetz, Powershopping-Anbieter atmen auf, manager magazin, 17. 11. 2000, www.mana ger-magazin.de/finanzen/artikel/a-103138.html: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rainer Funke et al. und der Fraktion der F.D.P. – Drucksache 14/ 3365, 09. 06. 2000.
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§ 11 Systemwettbewerb in der E-Commerce-Richtlinie
eines in zeitlicher und sachlicher Hinsicht uneingeschränkten Umtausch- und Rückgaberechts in Deutschland untersagt.54 Soweit sich Regulierungen nicht erkennbar in Produkteigenschaften bzw. der Leistung oder dem Preis von Waren und Dienstleistungen niederschlagen, ist aus Perspektive eines Wettbewerbs der Staaten die Transparenz von Regulierungsunterschieden entscheidend.55 In der Richtlinie wurden in Art. 5 allgemeine Informationspflichten verankert. Unter anderem müssen die Verbraucher über „die geografische Anschrift informiert werden, unter der der Diensteanbieter niedergelassen ist“ (Art. 5 Abs. 1 lit b) E-Commerce-Richtlinie). Mittels Kenntnis der geografischen Anschrift des Anbieters ist es für Nutzer bzw. Nachfrager möglich, auf das für den Anbieter maßgebliche mitgliedstaatliche Regulierungssystem zu schließen. Im Bereich „reglementierter Berufe“ hat der Diensteanbieter gegebenfalls den Berufsverband, die Kammer oder eine ähnliche Einrichtung, die Berufsbezeichnung mitsamt dem Mitgliedstaat, der sie verliehen hat, anzugeben (Art. 5 Abs. 1 lit f) E-Commerce-Richtlinie). Der Diensteanbieter hat auf die im Mitgliedstaat der Niederlassung anwendbaren berufsrechtlichen Regelungen zu verweisen (Art. 5 Abs. 1 lit f) E-CommerceRichtlinie), womit sich die Information direkt auf die anwendbaren Regulierungen bezieht.
II. Regulierungsunterschiede als Standortfaktor Die Bedeutung von Regulierungsunterschieden im Standortwettbewerb findet auch im Zusammenhang mit der E-Commerce-Richtlinie regelmäßig Betonung.56 54
OLG Saarbrücken, Urteil vom 21. 10. 1998, Az. 1 U 949/97, WRP 1999, S. 224 ff. Teil 1 § 4 F. I. Zur Transparenz von Regulierungen vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 244 f. 56 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rainer Funke et al. und der Fraktion der F.D.P. – Drucksache 14/3365, 09. 06. 2000, S. 3: „Das Verbot der Gewährung von Rabatten außerhalb der engen Grenzen des Rabattgesetzes kann ein Anreiz für deutsche Anbieter darstellen, ihre Geschäfte vom Ausland aus zu betreiben“; Beschluss des Bundesrates, BR-Drs. 29/99 (Beschluß), 19. 03. 1999, S. 1; Bundesrat, Empfehlungen der Ausschüsse zu Punkt [leer] der 736. Sitzung des Bundesrates am 19. März 1999, BR-Drs. 29/1/ 99, 09.03.99, S. 5: „Um zu vermeiden, dass sich Anbieter innerhalb der Gemeinschaft solche Länder als Standort auswählen, die den größten Freiraum gewähren, ist im Interesse gleicher Wettbewerbschancen und zum Schutz der Kunden unbedingt ein hohes Verbraucherschutzniveau in allen Mitgliedstaaten anzustreben“; Hoeren, Vorschlag für eine EU-Richtlinie über E-Commerce. Eine erste kritische Analyse, MMR 1999, S. 192, 194; Mankowski, Das Herkunftslandprinzip als Internationales Privatrecht der e-commerce-Richtlinie, ZVglRWiss 100 (2001), S. 137, 158 f.; Köhler/Arndt/Fetzer, Recht des Internet, S. 99: „Diensteanbieter werden sich Standorte in Staaten aussuchen, die nur ein geringes Schutzniveau betreffend Verbraucherschutzvorschriften besitzen oder wettbewerbsrechtlich kaum Beschränkungen kennen“; Ebner, Der Aufbau eines E-Commerce-Standortes, S. 30; Karenfort/Weißgerber, Lauterkeit des Wirtschaftsverkehrs in Gefahr ?, Die Konsequenzen der E-Commerce-Richtlinie für RabattG und ZugabeVO, MMR-Beilage 7/2000, S. 38, 39; Mankowski, Internet und Interna55
C. Regulierungen als Wettbewerbsparameter im E-Commerce
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Hoeren erwartete im Jahr 1999, dass sich Provider nach dem Inkrafttreten der E-Commerce-Richtlinie „mit Sicherheit das EU-Land mit den geringsten Restriktionen als Geschäftssitz aussuchen und […] von dort aus ganz Europa mit ihren Leistungen bedienen [können]“.57 Nach Ebner könnte das Herkunftslandprinzip dazu führen, „dass Unternehmen ihre E-Commerce-Betriebe in jenem Land beheimaten, das die niedrigsten Rechtsanforderungen aufweist“.58 Besonderheit des E-Commerce ist, dass für Anbieter kein „Distanzwiderstand“59 existiert, weil eine geografische Marktnähe keine Voraussetzung für einen Markterfolg darstellt60. Es besteht deshalb ein größerer Spielraum für Standortentscheidungen als in anderen Bereichen.61 Dennoch dürften Regulierungsunterschiede auch im E-Commerce eine untergeordnete Rolle im Rahmen der Standortwahl spielen.62 Untersuchungen der Standortentscheidungen von Unternehmen der Internet-Branche weisen darauf hin, dass Internet-Unternehmen dazu neigen, sich in Zentren niederzulassen, mit dem Vorteil der Verfügbarkeit qualifizierter Dienstleister wie Webdesigner.63 Gesichtspunkte im Rahmen der Standortwahl ist zudem die jetzige und zukünftige ökonomische Bedeutung des jeweiligen Marktes.64 Die Regulierung spielt hingegen keine entscheidende Rolle für die Standortwahl.
tionales Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 1999, S. 909, 914; Ebner, Der Aufbau eines E-Commerce-Standortes aus rechtlicher Sicht, S. 30. 57 Hoeren, Vorschlag für eine EU-Richtlinie über E-Commerce. Eine erste kritische Analyse, MMR 1999, S. 192, 194. 58 Ebner, Der Aufbau eines E-Commerce-Standortes, S. 30. 59 Schellenberg, Standortbedingungen und Anbieterformen des business-to-consumer E-Commerce, in: E-Commerce: Perspektiven für Forschung und Praxis, S. 63, 67 vgl. auch S. 73: „besonders intensiven medieninternen Konkurrenz“. 60 Vgl. Schellenberg, Standortbedingungen und Anbieterformen des business-to-consumer E-Commerce, in: E-Commerce: Perspektiven für Forschung und Praxis, S. 63, 65. 61 Vgl. Schellenberg, Standortbedingungen und Anbieterformen des business-to-consumer E-Commerce, in: E-Commerce: Perspektiven für Forschung und Praxis, S. 63, 66. 62 Vgl. auch: Dohse/Laaser/Schrader/Soltwedel, Raumstruktur im Internetzeitalter: Tod der Distanz? Eine empirische Analyse, Kieler Diskussionsbeiträge 416/417 Januar 2005, S. 9. 63 Dohse/Laaser/Schrader/Soltwedel, Raumstruktur im Internetzeitalter: Tod der Distanz? Eine empirische Analyse, Kieler Diskussionsbeiträge 416/417 Januar 2005, S. 7 f. 64 Mangold, Vernetzung als Wettbewerbsvorteil, Unternehmen in der globalen Wirtschaft, in: Deutschland online, Standortwettbewerb im Informationszeitalter, Projekte und Strategien für den Sprung an die Spitze, S. 37, 41.
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§ 11 Systemwettbewerb in der E-Commerce-Richtlinie
D. Gesetzgeberische Maßnahmen und deren Bewertung I. Abschaffung der ZugabeVO und des RabattG Spätestens seit Einführung des Herkunftslandprinzips in der E-CommerceRichtlinie ist einer rein nationalen Betrachtung des Lauterkeitsrechts ein Ende bereitet.65 RabattG und die ZugabeVO wurden vor dem Hintergrund einer drohenden Inländerdiskriminierung einem erheblichen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt.66 Diese Entwicklung war im Rahmen der Schaffung der E-Commerce-Richtlinie voraussehbar, so dass die Bundesregierung sich zunächst dafür einsetzte, das in der E-Commerce-Richtlinie vorgesehene Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nicht auf das Lauterkeitsrecht zu erstrecken.67 Die Bundesregierung konnte sich mit dieser Forderung nicht durchsetzen, konnte aber erreichen, dass sich Rat und Kommission verpflichteten, binnen eines Jahres nach Annahme der Richtlinie entsprechende Vorschläge zur Harmonisierung des Lauterkeitsrechts dem Rat zu unterbreiten68. Diese Verständigung ermöglichte Deutschland die Zustimmung zu der Richtlinie.69 Die Einigung auf eine „kollisionsrechtliche“ Harmonisierung fiel vor diesem Hintergrund leichter als eine materiellrechtliche Harmonisierung, im Rahmen derer die Frage nach der Zukunft einer Zugabe- und Rabattregulierung auf europäischer Ebene endgültig hätte beantwortet werden müssen. Der Kommission war sich durchaus bewusst, dass eine Einigung auf „kollisionsrechtlicher“ Ebene einfacher zu verwirklichen war.70 Die Entwicklung verlief zu Lasten der ZugabeVO und des RabattG. Schon Anfang April 2000 kündigte das Bundeswirtschaftsministerium die Abschaffung von 65
Vgl. Keller, in: Harte-Bavendamm/Hennig-Bodewig, UWG, Einl A, Rn. 53 f. Bornkamm, Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, in FS BGH, S. 343, 353 „erheblicher Harmonisierungsdruck“; Spindler, E-Commerce in Europa, Die E-Commerce-Richtlinie in ihrer endgültigen Fassung, MMRBeilage 7/2000, S. 4, 15; Adensamer, Das Herkunftslandprinzip als Herausforderung für das traditionelle IPR, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 55, 60; Jahn, Die Elektrifizierung des Rechts, FAZ, 22. 05. 2000: „Gewaltig durcheinander wirbeln wird das deutsche Wirtschaftsrecht eine Anfang Mai vom EU-Parlament beschlossene Richtlinie zum E-Commerce. Weil danach im grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr in Zukunft das Recht des Herkunftslandes gilt […], sind in Deutschland angestaubte Vorschriften wie Rabattgesetz und Zugabeverordnung kaum noch zu halten“. 67 Tettenborn, E-Commerce-Richtlinie: Politische Einigung in Brüssel erzielt, K&R 2000, S. 59, 61. 68 Tettenborn, E-Commerce-Richtlinie: Politische Einigung in Brüssel erzielt, K&R 2000, S. 59, 62. 69 Tettenborn, E-Commerce-Richtlinie: Politische Einigung in Brüssel erzielt, K&R 2000, S. 59, 62. 70 Hoeren beklagt im Jahr 1999 im Zusammenhang mit der Diskussion um die E-Commerce-Richtlinie, dass die Kommission den Mut verloren habe, Gebiete wie das Lauterkeitsrecht oder das Verbraucherschutzrecht zu harmonisieren. (Hoeren, Vorschlag für eine EURichtlinie über E-Commerce. Eine erste kritische Analyse, MMR 1999, S. 192, 194). 66
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Rabattgesetz und Zugabeverordnung an, um die deutsche Wirtschaft vor Wettbewerbsnachteilen zu schützen71 und noch vor Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie schaffte der deutsche Gesetzgeber dann Rabattgesetz und Zugabeverordnung mit Wirkung zum 25. Juli 2001 ab72. Damit unterliegen Zugaben und Rabatte dem Maßstab des allgemeinen Lauterkeitsrechts.73 Neben einer allgemein anerkannten Notwendigkeit der „Modernisierung des deutschen Wettbewerbsrechts“74 ging es dem deutschen Gesetzgeber vor allem um die Vermeidung einer Inländerdiskriminierung deutscher Anbieter: „Die Dringlichkeit einer Reform ergibt sich insbesondere aus der europäischen Rechtsentwicklung im Bereich des elektronischen Handels. Die Aufhebung der beiden Gesetze verhindert und beseitigt bereits heute spürbare Wettbewerbsnachteile, die deutschen Unternehmen im Verhältnis zu ausländischen Wettbewerbern bei Fortbestand der restriktiven deutschen rabatt- und zugaberechtlichen Bestimmungen entstehen würden“.75 „Die Aufhebung der beiden Gesetze verhindert schwerwiegende Wettbewerbsnachteile, die deutschen Unternehmen im Verhältnis zu ausländischen Wettbewerbern bei Fortbestand der restriktiven deutschen rabatt- und zugaberechtlichen Bestimmungen drohen würden“.76
Es war ausdrücklicher Wunsch des Gesetzgebers, mit der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, Kundenbindungsprogramme und innovative Handelsformen wie Powershopping lauterkeitsrechtlich zu ermöglichen: „In der Praxis hat sich eine Reihe von Verkaufsformen entwickelt, die das Medium Internet intensiv nutzen, wie z. B. Internet Auktionen oder die Bündelung privater Nachfrage im Rahmen des sog. Power-Shopping (bzw. Co-Shopping). Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen ist es wichtig, dass sie – im Rahmen der all71
O. V., Das Rabattgesetz soll fallen, FAZ, 8. 4. 2000, S. 13. Gesetz zur Aufhebung der Zugabeverordnung und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften vom 23. 7. 2001, BGBl. I 2001, S. 1661; Gesetz zur Aufhebung des Rabattgesetzes und Zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften vom 23. 7. 2001, BGBl. I 2001, S. 1663; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften, BT-Drs. 14/5441, 06. 03. 2001; o. V., Von Mittwoch an dürfen die Kunden feilschen, FAZ, 24. 7. 2001, S. 15. 73 Vgl. Kerbusk/Klawitter/Schäfer, „Völlig antiquiert“, Nach der Rabattaktion des Textilfilialisten C&A ist die Diskussion über die Wettbewerbsregeln im Handel neu entbrannt. Doch die Chancen für eine neue Reform stehen schlecht., Der Spiegel 3/2002, S. 88 – 90. 74 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften, BT-Drs. 14/5441, 06. 03. 2001, S. 7. 75 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften, BT-Ds. 14/5441, 06. 03. 2001, S. 6. Vgl. auch: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rainer Funke et al. und der Fraktion der F.D.P. – Drucksache 14/3365, 09. 06. 2000, S. 2; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverordnung und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften, BT-Ds. 14/5594, 15. 03. 2001, S. 6 f. 76 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverordnung und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften, BT-Ds. 14/5594, 15. 03. 2001, S. 6. Vgl. auch Bundesrat, Pressemitteilung 157/2001, 13.07.01. 72
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§ 11 Systemwettbewerb in der E-Commerce-Richtlinie
gemeinen Gesetze – die Möglichkeiten des Internets zur Sicherung und Erweiterung ihrer Marktpotentiale ausschöpfen können. Das Rabattgesetz wirkt im Internet-Handel tendenziell innovationsfeindlich, weil es bestimmte im Ausland weit verbreitete Handlungsweisen per se untersagt. Durch die Aufhebung des Rabattgesetzes erhalten die Unternehmen zusätzliche Spielträume für die Entwicklung und Nutzung innovativer Formen der Anbahnung und Sicherung von Kundenbeziehungen“.77
Der Gesetzgeber rechtfertigt die Deregulierung zudem mit einer möglichen Standortrelevanz der Zugabeverordnung und des Rabattgesetzes: „Das Verbot der Gewährung von Rabatten außerhalb der engen Grenzen des Rabattgesetzes kann ein Anreiz für deutsche Anbieter darstellen, ihre Geschäfte vom Ausland aus zu betreiben“.78 „Um zu vermeiden, dass sich Anbieter innerhalb der Gemeinschaft solche Länder als Standort auswählen, die den größten Freiraum gewähren, ist im Interesse gleicher Wettbewerbschancen und zum Schutz der Kunden unbedingt ein hohes Verbraucherschutzniveau in allen Mitgliedstaaten anzustreben“.79
Da die Bedeutung des Handels über Internet zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes gering war und immer noch ist,80 rechtfertigte der Bundestag das Gesetz mit der dynamischen Entwicklung des Internet-Handels, weswegen laut Bundesregierung davon auszugehen sei, dass dieser Sektor rasch an Bedeutung gewinnen werde81. Die Inländerdiskriminierung werde deshalb für eine relativ schnell zunehmende Zahl deutscher Unternehmen zu einem Problem, dessen Lösung nicht auf 77
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften, BT-Drs. 14/5441, 06. 03. 2001, S. 7. Vgl. auch: Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl., § 4 UWG Rn. 1.103; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rainer Funke et al. und der Fraktion der F.D.P. – Drucksache 14/3365 –, Internet-Vertriebsform „Powershopping“ und deutsche Verbraucherschutzgesetze, BT-Drs. 14/3618, 09. 06. 2000. 78 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rainer Funke et al. und der Fraktion der F.D.P. – Drucksache 14/3365, 09. 06. 2000, S. 3. 79 Bundesrat, Empfehlungen der Ausschüsse, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt, BR-Drs. 29/1/99, 09. 03. 1999, S. 5. 80 73 Prozent des E-Commerce wurde 2008 in der EU27 (ohne Belgien und Finnland) im jeweiligen Inland realisiert, 19 Prozent in anderen 27 EU-Mitgliedstaaten und 8 Prozent außerhalb der EU (Eurostat Pressenmitteilung 12/2010, 19. Januar 2010). Nach einer Studie des Netzwerkes der Europäischen Verbraucherzentren aus dem Jahr 2003 ist es schwierig, „Internetanbieter zu finden, die ihre Waren grenzüberschreitend verkaufen“ (Europäisches Verbraucherzentrum, Europa – grenzenloses Einkaufsparadies?, E-Commerce-Studie des Netzwerks der Europäischen Verbraucherzentren, 2003, S. 7). Vgl. auch: Canoy/Smith, Services and the Single Market, Journal of Industry, Competition and Trade 2008(8), S. 319, 333 f. 81 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften, BT-Ds. 14/5441, S. 7. Nach Schätzungen des Bundeswirtschaftsministeriums wird wird sich der Umfang des OnlineHandels von 2,4 Mrd. DM in 1999 im Jahr 2000 auf über 7 Mrd. DM verdreifachen vgl. BMWi, Pressemitteilung v. 27. 6. 2000 (zitiert nach Meyer, Rabatt- und Zugabe-Regulierung auf dem Prüfstand, GRUR 2001, S. 98, 110 Fn. 156).
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einen unbestimmten Zeitpunkt in die Zukunft verschoben werden dürfe.82 Ein Wettbewerbsdruck seitens ausländischer Anbieter wurde damit antizipiert. Die E-Commerce-Richtlinie gab den entscheidenden Anstoß zur Abschaffung beider Regelungswerke,83 die schon vor der Diskussion um die E-CommerceRichtlinie rechtspolitisch umstritten waren84. Erleichtert wurde die Deregulierung durch die (nicht realistische85) Hoffnung, das hohe Schutzniveau im deutschen Lauterkeitsrecht mittels einer Harmonisierungsmaßnahme auf die europäische Ebene übertragen zu können86, denn der mittelständische Einzelhandel als politisch nicht zu unterschätzende Interessengruppe sprach sich gegen eine Deregulierung in diesem Bereich aus87. So wies der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels die 82 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften, BT-Ds. 14/5441, S. 7; BT-Ds. 14/ 5594, S. 6. 83 Hefermehl stellte fest, dass die Weitergeltung des RabattG auf dem „Beharrungsprinzip“ beruht (Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, RabattG Allgemeines Rn. 9. BVerfG, Beschluss vom 11. 04. 1967, Az. 1 BvL 25/64, GRUR 1967, S. 605, mit Anmerkung Hefermehl, S. 608. Vgl. auch: Ulmer, Rabattgesetz und Wettbewerbsordnung, in: FS Hefermehl, S. 201, 203 ff.). 84 Vgl. Koenigs, Wechselwirkungen zwischen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Recht des unlauteren Wettbewerbs, NJW 1961, S. 1041, 1044: „Die durch das RabGes. gewährleiste gleiche Behandlung aller Verbraucher, ein heute vielfach angeführtes Argument, muß vom Verbraucher im Ergebnis mit einem höheren Preisniveau erkauft werden, ist also keine ausreichende Begründung für die Aufrechterhaltung“; Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, z. B. S. 1 f., 17 f.; Köhler, Nebenleistungswettbewerb und Zugabeverbot, in: FS Hoppmann, S. 283, 286 ff., 296: „Das derzeit geltende grundsätzliche Verbot von Zugaben ist wettbewerbspolitisch nicht gerechtfertigt […]“. 85 Vgl. Karenfort/Weißgerber, Lauterkeit des Wirtschaftsverkehrs in Gefahr ?, Die Konsequenzen der E-Commerce-Richtlinie für RabattG und ZugabeVO, MMR-Beilage 7/2000, S. 38, 39. 86 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Schauerte et al – Drucksache 14/5751 –, BT-Drs. 14/6463, 27. 6. 2001, S. 3: „Über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU soll die Bundesregierung aufgefordert werden, sich gegenüber der Europäischen Kommission und den europäischen Partnerländern aktiv und mit hoher Priorität für eine Harmonisierung des europäischen Wettbewerbs- und Lauterkeitsrechtsauf hohem Schutzniveau einzusetzen“; Gloy, Großkommentar, Rabattgesetz Einl. 11 (Stand: 1. 7. 1999). Vgl. schon: Schricker, Deregulierung im Recht des unlauteren Wettbewerbs?, GRUR Int. 1994, S. 586, 586: „Ziel der Rechtsangleichung konnte nur sein, das hohe Schutzniveau des deutschen Rechts in der Gemeinschaft durchzusetzen. […] Die anderen Mitgliedstaaten, so meinte man, würden am Ende schon einsehen, daß sich die Gemeinschaft nach dem höchstentwickelten Wettbewerbsrecht richten müsse“. 87 Vgl. o. V., Rabattgesetz, Kämpfen für den Mittelstand, manager-magazin, 13. Dezember 2000; www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/a-107630.html; FAZ, 21. 11. 2000, S. 18, Handel gegen Streichung des Rabattgesetzes. Auch das Mittelstandsinstitut e.V. kritisierte die Aufhebung der Zugabeverordnung und des Rabattgesetzes vgl. FAZ 25. 8. 2001, Rabattfreiheit schafft neuen Konzentrationsschub. Vgl. schon: o. V., Handeln mit dem Handel, Werden westdeutsche Läden zu orientalischem Basars? Einzelhändler beklagen, Verbraucherverbände begrüßen die verstärkte Neigung der Käufer zum Feilschen, Der Spiegel 30/1974, S. 95 – 97.
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Forderung nach einer Streichung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung im Rahmen der gesetzgeberischen Diskussion zurück, da laut dessen Präsidenten, Rabatte und Zugaben nur großen Unternehmen und Filialbetrieben im Wettbewerb zugute kämen.88 Im politischen Prozess fand diese Interessenlage Ausdruck in der Position der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, die im Mai 2000 vor einem Schnellschuss warnte und eine materiellrechtliche Harmonisierung auf europäischer Ebene forderte, die auch die Regulierung von Rabatten und Zugaben zum Gegenstand hat.89 Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag90, der Bundesverband der Filialbetriebe und Selbstbedienungswarenhäuser91 und der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels92 befürworteten die Abschaffung der ZugabeVO und des RabattG. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände erwarteten infolge der Abschaffung der ZugabeVO und des RabattG einen verstärkten Wettbewerb,93 wovon innovative Handelsunternehmen und Verbraucher Vorteile hätten94. Bereits im Jahr 1984 beauftragte das Bundeskabinett den Bundesminister für Wirtschaft zu prüfen, „inwieweit die durch das Rabattgesetz gegebene Beschränkung der Gewerbefreiheit, die in einer Zeit des Übergangs zur staatlichen Wirtschaftslenkung eingeführt wurde, noch in unsere freie Wirtschaftsordnung passt“.95
Nach Staatssekretär Schacht erscheint es „fraglich, ob der Staat einem Unternehmer vorschreiben soll, wie viel Rabatt er einem Letztverbraucher gewähren darf. Es ist auch zweifelhaft, ob der Schutz der Gewerbetrei88 O. V., Rabattgesetz, Kämpfen für den Mittelstand, manager-magazin, 13. Dezember 2000; www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/a-107630.html; FAZ, 21. 11. 2000, S. 18, Handel gegen Streichung des Rabattgesetzes. Auch das Mittelstandsinstitut e.V. kritisierte die Aufhebung der Zugabeverordnung und des Rabattgesetzes vgl. FAZ, 25. 8. 2001, Rabattfreiheit schafft neuen Konzentrationsschub. 89 O. V., Die Regierung plant Anhörung zur Abschaffung des Rabattgesetzes, FAZ, 5. 5. 2000, S. 15. 90 O. V., Regierung will das Rabattgesetz abschaffen, FAZ, 30. 6. 2000, S. 13. 91 O. V., Auch ohne Rabattgesetz keine Anarchie, FAZ, 26. 6. 2001, S. 19. 92 O. V., Regierung will das Rabattgesetz abschaffen FAZ, 30. 6. 2000, S. 13. 93 Bereits Mitte der 1974er Jahre begrüßten Verbraucherschutzverbände die damals vermehrt zu beobachtende Neigung von Kunden zum Handeln, o. V., Handeln mit dem Handel, Werden westdeutsche Läden zu orientalischem Basars? Einzelhändler beklagen, Verbraucherverbände begrüßen die verstärkte Neigung der Käufer zum Feilschen, Der Spiegel 30/1974, S. 95 – 97. 94 O. V., Auch ohne Rabattgesetz keine Anarchie FAZ, 26. 6. 2001, S. 19. 95 Antwort des Staatssekretärs Dr. Schacht vom 27. April auf die Frage des Abgeordneten Müller (Wesseling) „Plant die Bundesregierung eine Änderung des Rabattgesetzes, und wenn ja, in welcher Form?“, BT-Drs. 10/1412, S. 8.
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benden und der Verbraucher vor unlauterem Rabattwettbewerb nur durch ein generelles Rabattverbot auf der letzten Handelsstufe zu erreichen ist […]“.96
Schacht verwies – in Ausdruck von Yardstick Competition – darauf, dass andere Mitgliedstaaten der EG, außer Deutschland und Luxemburg, mögliche Missstände erfolgreich mit den allgemeinen Regeln des Lauterkeitsrechts bekämpften.97 Der Verbraucherbeirat beim Bundesminister für Wirtschaft stimmte dem Reformvorschlag zu. Auf Wiederstand stieß das Reformvorhaben hingegen bei den Verbänden des mittelständischen Einzelhandels.98 Vor dem Hintergrund des heftigen Widerstandes des Einzelhandels99 nahm die Bundesregierung von dem Vorhaben einer Deregulierung Abstand.100 Auch eine erneute Initiative aus dem Jahr 1994101 scheiterte.
II. Bewertung der Abschaffung der ZugabeVO und des RabattG 1. Machtbegrenzungsfunktion Nachdem die Gewährung von Zugaben und insbesondere der Einsatz von Sparmarken102 Ende der 1920er Jahre zu einem bedeutsamem Marketinginstrument geworden waren,103 schränkte der Reichspräsident die Gewährung von Zugaben mit der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. März 1932 ein.104 Begründet wird die ZugabeVO mit der „Gefahr einer Übersteigerung“ des 96
Antwort des Staatssekretärs Dr. Schacht vom 27. April, BT-Drs. 10/1412, S. 8. Antwort des Staatssekretärs Dr. Schacht vom 27. April, BT-Drs. 10/1412, S. 8. 98 Littmann, Die Rechtslage vor und nach der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, S. 17. 99 Vgl. o. V., Rabattgesetz, Feilschen nicht erlaubt, Der Spiegel 51/1993, S. 77. 100 Vgl. o. V., Rabattgesetz, Schlechte Zeiten für Abmahner, Der Spiegel 35/1993, S. 93. 101 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Gesetz zur Aufhebung des Rabattgesetzes und der Verordnung zur Durchführung des Rabattgesetzes (Rabattgesetzaufgebungsgesetz – RabattGAufhG), BT-Drs. 12/6722, 01. 02. 1994. 102 Vgl. Erläuterungen zur Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. März 1932 (RGBl. I S. 121), Reichsanzeiger Nr. 61 vom 12. März 1932, abgedruckt bei: Hoth/Gloy, Zugabe und Rabatt, S. 429, 429; Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 7. 103 Erläuterungen zur Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. März 1932 (RGBl. I S. 121), Reichsanzeiger Nr. 61 vom 12. März 1932, abgedruckt bei: Hoth/Gloy, Zugabe und Rabatt, S. 429, 429; Gloy, Die Entwicklung des Wettbewerbsrechts und seiner Nebengebiete, in: FS GRUR Bd. 2 1991, S. 855, 872 Rn. 35; Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 7; Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, ZugabeVO Allgemeines Rn. 2, 4. 104 Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. März 1932, RGBl. I S. 121; Gloy, Die Entwicklung des Wettbewerbsrechts und seiner Nebengebiete, in: FS GRUR Bd. 2 1991, S. 855, 872 f. Rn. 35; Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 7 f. 97
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Zugabewesens, „die sich wirtschaftlich auf die Dauer höchst nachteilig auswirken muß“.105 Laut der amtlichen Begründung musste damit gerechnet werden, dass aufgrund der Bedeutung der Zugabegewährung für den Absatzerfolg immer mehr Unternehmen gezwungen worden wären, Zugaben zu gewähren, worunter die Zuverlässigkeit des Geschäftsverkehrs gelitten hätte.106 Ein allgemeines Ziel des Mittelstandsschutzes107 wird zwar nicht explizit angesprochen, jedoch stand der Reichsregierung die vorangegangenen rechtspolitischen Diskussionen, in der auch gerade der Gesichtspunkt des Mittelstandsschutzes108 eine Rolle spielte,109 direkt vor Augen. Es ist kann deswegen davon ausgegangen werden, dass das Ziel des Mittelstandsschutzes einen erheblichen Anteil am Erlass der ZugabeVO hatte.110 Nachdem aufgrund der Schaffung der ZugabeVO die Gewährung von Rabatten an Bedeutung gewann111, schränkte der Gesetzgeber mit dem am 1. 1. 1934 in Kraft getretenen112 Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz)113 die Rabattgewährung ein. Insbesondere der mittelständische Einzelhandel hatte aufgrund des Wunsches nach einem wettbewerblichen Schutz vor größeren Händlern wie Warenhäusern114 eine Einschränkung der Rabattgewährung gefordert.115 Begründet wird das Gesetz (in 105 Erläuterungen zur Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. März 1932, RGBl. I 1932, S. 121, Reichsanzeiger Nr. 61 vom 12. März 1932 (abgedruckt in: Hoth/Gloy, Zugabe und Rabatt, S. 429, 431; Auszüge abgedruckt in: Borck, Eine Lanze für die Zugabeverordnung, WRP 1996, S. 969, 970). Vgl. auch: Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, ZugabeVO Allgemeines Rn. 9 „Übersteigerung“. 106 Erläuterungen zur Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. März 1932, RGBl. I S. 121, Reichsanzeiger Nr. 61 vom 12. März 1932 (abgedruckt in: Hoth/ Gloy, Zugabe und Rabatt, S. 429, 431 f.). 107 Mittelstand im Sinne von krämerhaften Kleinsthandelsformen (Littmann, Die Rechtslage vor und nach der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, S. 22). 108 Vgl. Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 129; Tetzner, Recht und Unrecht der Zugabe, Erläuterungen zur Zugabeverordnung, S. 11 f. 109 Kritisch: Buhl, Die Wertreklame, Eine Betriebswirtschaftliche Studie, S. 45. Das RG sprach von einer allgemeinen Gefahr des wirtschaftlichen Lebens infolge einer Dynamik von Wertreklame und war der Ansicht, dass – evolutorisch ausgedrückt – die Selektionskriterien des wirtschaftlichen Wettbewerbs beeinträchtigt werden würden (RG, Urteil vom 27. 3. 1936, Az. II 229/35, JW 1936, 2073 ff., insb. S. 2074 f.); RG, Urteil vom 24. 06. 1939, Az. II 190/38, RGZ 160, 385; Tetzner, Recht und Unrecht der Zugabe, Erläuterungen zur Zugabeverordnung, S. 11). 110 Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 129. 111 Gloy, Die Entwicklung des Wettbewerbsrechts und seiner Nebengebiete, in: FS GRUR, S. 855, 874 Rn. 37; Emmerich, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, in: FS Gernhuber, 1993, S. 857, 875; Gloy, in: Großkommentar UWG, Einl. Rn. 1 Gesetz über Preisnachlässe. 112 Gloy, Die Entwicklung des Wettbewerbsrechts und seiner Nebengebiete, in: FS GRUR, S. 855, 874 Rn. 37. 113 Vgl. Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, RabattG Rn. 5; Gloy, in: Großkommentar, UWG, Rabattgesetz, Einl. 2. 114 Vgl. Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 5 f. 115 Gloy, Die Entwicklung des Wettbewerbsrechts und seiner Nebengebiete, in: FS GRUR, S. 855, 874 Rn. 37.
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Parallele zur Begründung der ZugabeVO) mit der Bekämpfung von „Ausartungen“ bzw. „starken Mißstände[n]“ auf dem Gebiet des Rabattwettbewerbs, die ein gesetzgeberisches Eingreifen notwendig erscheinen ließen.116 Die gesetzgeberische Regelung könne nicht zum Ziel haben, die Preisnachlässe völlig auszuschließen und zu beseitigen, vielmehr müsse das Bestreben dahin gehen, „die Nachlaßgewährung entsprechend dem in ihr steckenden gesunden Kern auf den erzieherischen Grundgedanken zurückzuführen: ,Kein Preisnachlaß ohne Gegenleistung‘“.117 Die Behauptung eines ruinösen Preiswettbewerbs als Argument für Rabattregulierung ist nicht stichhaltig. Johannson weist darauf hin, dass der durchschnittliche Rabattsatz im Jahr 1931 bei 3,7 Prozent der vom Rabatt erfasstem Umsätze betrug und der Gesetzgeber den durchschnittlichen Rabattsatz mit dem RabattG auf 3 Prozent senkte.118 Dies ist ein deutliches Indiz dafür, das das Gesetz vor dem Hintergrund anderer Ziele und insbesondere vor dem Hintergrund des Ziels eines Schutzes des mittelständischen Einzelhandel zu sehen ist.119 Aufgrund der tatsächlichen Wettbewerbslage120 konnte das Ziel des Mittelstandsschutzes wettbewerbspolitisch aber nicht gerechtfertigt werden.121 Mit der mittelstandsschützenden Zielrichtung fügte sich das RabattG in die nationalsozialistische Wirtschaftsgesetzgebung122 ein. Deutlicher tritt das mit der ZugabeVO und des RabattG verfolgte Ziel des Mittelstandsschutzes im Rahmen der Rechtsanwendung und rechtspolitischen Diskussion in der Bundesrepublik zu Tage, in der das Ziel des Mittelstandsschutzes offen ausgesprochen wurde.123 116 Begründung zum Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz) vom 25. November 1933, RGBl. I S. 1011, Reichsanzeiger Nr. 284 vom 5. Dezember 1933, abgedruckt in: Hoth/Gloy, Zugabe und Rabatt, S. 437, 438. Vgl. Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, RabattG Rn. 5. Kritisch: Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 10. 117 Begründung zum Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz) vom 25. November 1933, RGBl. I S. 1011, Reichsanzeiger Nr. 284 vom 5. Dezember 1933, abgedruckt in: Hoth/Gloy, Zugabe und Rabatt, S. 437, 438. 118 Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 10. 119 Vgl. Junckerstorff, Das Rabattgesetz vom 25. November 1933 und Nebengesetze, S. 3 f.; Gloy, in: Großkommentar, UWG, Rabattgesetz, Einl. 2; Koenigs, Wechselwirkungen zwischen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Recht des unlauteren Wettbewerbs, NJW 1961, S. 1041, 1044; Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 14; Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, RabattG Allgemeines Rn. 8; Junckerstorff, Das Rabattgesetz vom 25. November 1933 und Nebengesetze, S. 3 f. 120 Vgl. Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 10. 121 Vgl. Tettinger, Wettbewerb in den freien Berufen – berufsrechtliche Aspekte, NJW 1987, S. 294, 298 ff.; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 129 – 131. 122 Vgl. Arthur Schweitzer, Die Nazifizierung des Mittelstandes, S. 19 ff.; Antwort des Staatssekretärs Dr. Schacht vom 27. April auf die Frage des Abgeordneten Müller (Wesseling) „Plant die Bundesregierung eine Änderung des Rabattgesetzes, und wenn ja, in welcher Form?“, BT-Drs. 10/1412, S. 8. 123 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. 04. 1967, Az. 1 BvL 25/64, NJW 1967, S. 1459, 1460; Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, RabattG Rn. 8 (aber nicht aus-
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Das BVerfG betrachtete den Schutz des mittelständischen Einzelhandels vor der überlegenden Konkurrenz der Großbetriebe des Einzelhandels (wie seitens Warenhäusern) mittels des RabattG als ein grundsätzlich vertretbares und verfassungsrechtlich zulässiges wirtschaftspolitisches Ziel,124 worin deutlich wird, dass Interessengruppenregulierungen aufgrund der weiten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers125 grundsätzlich nicht über die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung angreifbar sind, sofern sie mit einem legitimen Ziel gerechtfertigt werden können. Anders ist dies dann, wenn der Gesetzgeber vergleichbare Lebenssachverhalte ungleich behandelt, ohne dass diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. So erklärte das BVerfG in der genannten Entscheidung § 6 RabattG a. F., wonach nur Warenhäuser Barzahlungsrabatte nicht gewähren durften, für verfassungswidrig, weil sich eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung zwischen Warenhäusern und vergleichbar großen Unternehmen wie Supermärkten, Diskonthäusern, Kaufhäusern und Versandhäusern ergab.126 Die Bedeutung des Ziels des Mittelstandsschutzes wurde insbesondere auch anhand der späteren Diskussion um die Zugabeverordnung und das Rabattgesetz deutlich, in der sich der mittelständische Einzelhandel entschieden gegen eine Abschaffung der Regulierung wandte.127 Schon im Jahr 1974 forderte der Verbraucherbeirat der Bundesregierung die Aufhebung des Rabattgesetzes, da er im RabattG eine Benachteiligung der Verbraucher sah.128 Initiativen zur Deregulierung aus den Jahren 1984129 und 1994130 scheiterten jedoch aufgrund des Einflusses des mittelständischen Einzelhandels. Die Interessenlage des mittelständischen Einzelhandels kann damit als wichtige Erklärung für den langen Bestand der ZugabeVO angesehen werden. schließliches Ziel). Anders: Gloy, in: Großkommentar, UWG, Rabattgesetz, Einl. 5. Vgl. auch: Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 129; Tetzner, Recht und Unrecht der Zugabe, Erläuterungen zur Zugabeverordnung, S. 11 f.; Hammann, Zehn Thesen zum Wegfall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, in: Zukunftsperspektiven der New Economy, S. 105, 106: „Bestandsschutzinteressen“. 124 BVerfG, Beschluss vom 11. 04. 1967, Az. 1 BvL 25/64, NJW 1967, S. 1459, 1460 (mit Verweis auf: BVerfGE 19, 101, 114 f.). 125 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. 04. 1967, Az. 1 BvL 25/64, NJW 1967, S. 1459, 1460. 126 BVerfG, Beschluss vom 11. 04. 1967, Az. 1 BvL 25/64, NJW 1967, S. 1459, 1461. 127 O. V., Rabattgesetz, Feilschen nicht erlaubt, Der Spiegel 51/1993, S. 77; Littmann, Die Rechtslage vor und nach der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, S. 17. 128 Empfehlungen des Verbraucherbeirats vom 04. 04. 1974 WRP 1974, S. 327. Gegen eine Aufhebung: Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, RabattG Allgemeines Rn. 9. 129 Antwort des Staatssekretärs Dr. Schacht vom 27. April auf die Frage des Abgeordneten Müller (Wesseling) „Plant die Bundesregierung eine Änderung des Rabattgesetzes, und wenn ja, in welcher Form?“, BT-Drs. 10/1412. 130 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Gesetz zur Aufhebung des Rabattgesetzes und der Verordnung zur Durchführung des Rabattgesetzes (Rabattgesetzaufgebungsgesetz – RabattGAufhG), BT-Drs. 12/6722, 01. 02. 1994.
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Die Aufrechterhaltung der ZugabeVO und des RabattG aus mittelstandspolitischen Gründen war wirtschaftspolitisch ungerechtfertigt, denn die Gewährung von Zugaben und Rabatten hatte nur einen unwesentlichen Einfluss auf Konzentrationsprozesse im Bereich des Handels.131 Aufgrund der fehlenden wirtschaftspolitischen Rechtfertigung der Regulierung kann die Abschaffung der ZugabeVO und des RabattG als Ausdruck der Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb bewertet werden.
2. Deregulierungsfunktion Sowohl die ZugabeVO und das RabattG können nicht mit dem Ziel des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden132. Anhaltspunkte für eine generelle Täuschung des Rechtsverkehrs im Fall der Gewährung von Zugaben und Rabatten133 bestehen nicht,134 wenngleich die Aufhebung zu einer Verschlechterung der Markttransparenz führen kann135. Der durchschnittliche Kunde dürfte sich bewusst sein, dass Zugaben und Rabatte jeweils Teil des Angebotes einer Leistung sind, deren Bestandteil neben der Hauptleistung Rabatte und Zugaben sind.136 Mögliche Irreführungen von Nachfragern137 sind mit den Instrumenten des allgemeinen Lauterkeitsrechts zu bekämpfen.138 131 Vgl. die Befürchtung von Staatssektretär Spitzner im Jahr 1994 (FAZ, 19. 3. 1994, S. 13, Rabattgesetz: Bayern warnt vor Schutzlücken). Zu den kartellrechtlichen Grenzen der Gewährung von Zugaben und Rabatten: EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. 322/81, Michelin/ Kommission, Slg. 1983, 3461; Fleischer/Schmolke/Zimmer, Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 9, 55; Elhauge, Loyality Discounts and naked Exclusion, Havard John M. Olin Center for Law, Economics, and Business, Discussion Paper No. 608, 023/2008. 132 Vgl. Empfehlungen des Verbraucherbeirats vom 04. 04. 1974, WRP 1974, S. 327. 133 Hefermehl. in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, ZugabeVO, Rn. 7: „Preisverschleierung“. 134 Vgl. auch: Karenfort/Weißgerber, Lauterkeit des Wirtschaftsverkehrs in Gefahr ?, Die Konsequenzen der E-Commerce-Richtlinie für RabattG und ZugabeVO, MMR-Beilage 7/ 2000, S. 38, 42. 135 Hammann, Zehn Thesen zum Wegfall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, in: Zukunftsperspektiven der New Economy, S. 105, 108. 136 Baumbach, Wettbewerbsgesetz und Warenzeichengesetz vom 5. Mai 1936, 3. Aufl. 1936, II. Anhang zu § 1 UWG. Nachlässe (Rabatte) Vorbemerkung S. 111: „Grundsätzlich fehlt es an einer Irreführung; das Verfahren ist derart eingebürgert, daß man es unmöglich sittenwidrig nennen kann. Im Grund wird ein billigerer Preis für einen größeren Kauf zugebilligt“; Braun, Die Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung in der Bundesrepublik Deutschland: eine Auswirkung des Internethandels, S. 12; Hammann, Zehn Thesen zum Wegfall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, in: Zukunftsperspektiven der New Economy, S. 105, 105 f. 137 Hammann, Zehn Thesen zum Wegfall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, in: Zukunftsperspektiven der New Economy, S. 105, 108 f.
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Umgekehrt kann bei Abwesenheit einer Irreführung das Zugabe- und Rabattverbot für den Verbraucher nachteilig sein, da dem Verbraucher unter die Regulierung fallende Vergünstigungen nicht gewährt werden durften.139 Die ZugabeVO und das RabattG verhinderte das Entstehen neuartiger Vertriebsmethoden,140 auch dann, wenn die Gefahr einer Täuschung des Rechtsverkehr nicht bestand. Wenn Verkäufer der Erwartung von Verbrauchern in Bezug auf die Gewährung von Zugaben und Rabatten dennoch nachkamen, stellte sich das Problem ungleicher Wettbewerbsbedingungen zwischen sich rechtstreu verhaltenden Anbietern und denjenigen, die auf rechtswidrige Weise Zugaben und Rabatte gewährten.141 Aufgrund der fehlenden Rechtfertigung des grundsätzlichen Zugabe- und Rabattverbotes kann in der Rechtsentwicklung eine Deregulierungsfunktion von Systemwettbewerb gesehen werden.142 Die Weitergeltung der Zugabeverordnung und des Rabattgesetzes in der Bundesrepublik (vgl. Art. 125 Abs. 1 GG) beruhte auf dem „Beharrungsprinzip“143 und die Rechtsprechung wandte die Regulierungen strikt an, indem sie das grundsätzliche Zugabe- und Rabattverbot weit auslegte144. So bewertete der BGH die Abgabe von Reisemarken, die auf eine Eisenbahnstrecke von einem Zehntel Kilometer oder den Fahrpreis für diese Stecke lauteten und die als Beigabe beim Kauf einer Mar138
Karenfort/Weißgerber, Lauterkeit des Wirtschaftsverkehrs in Gefahr?, Die Konsequenzen der E-Commerce-Richtlinie für RabattG und ZugabeVO, MMR-Beilage 7/2000, S. 38, 42; Itzen, Europäisierung des Wettbewerbsrechts durch den elektronischen Handel, S. 146; Braun, Die Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung in der Bundesrepublik Deutschland: eine Auswirkung des Internethandels, S. 14. 139 Vgl. die Fälle bei: Emmerich, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, in: FS Gernhuber, S. 857, 874 – 876; Hammann, Zehn Thesen zum Wegfall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, in: Zukunftsperspektiven der New Economy, S. 105, 107; o. V., Online-Shopping, Wir können nur billig!, Das Rabattgesetz schlägt durch. Handys sind im Internet bis zu 65 Prozent günstiger, manager-magazin, 08. 08. 2001, www.manager-magazin. de/unternehmen/it/a-149081.html. 140 Braun, Die Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung in der Bundesrepublik Deutschland: eine Auswirkung des Internethandels, S. 13. 141 Vgl. Empfehlungen des Verbraucherbeirats vom 04. 04. 1974, WRP 1974, S. 327; Hammann, Zehn Thesen zum Wegfall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, in: Zukunftsperspektiven der New Economy, S. 105, 107. 142 Vgl. Hammann, Zehn Thesen zum Wegfall des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung, in: Zukunftsperspektiven der New Economy, S. 105, 109. 143 Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, RabattG Allgemeines Rn. 9; Anmerkung Hefermehl zu BVerfG, GRUR 1967, S. 605, 608. Vgl. auch: Ulmer, Rabattgesetz und Wettbewerbsordnung, in: FS Hefermehl, S. 201, 203 ff. 144 Vgl. Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 142, 151 ff. Vgl. die Übersicht bei: Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, § 1 ZugabeVO Rn. 18. Anders: Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 2: „Die höchstrichtlerliche Rechtsprechung wendet das RabG seit einigen Jahren nur mehr zurückhaltend an […]“.
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garinepackung gewährt wurden145, ein 7-tägiges Rückgaberecht im Gebrauchtwagenkauf146 oder die kostenlose Hingabe einer Stofftragetasche beim Einkauf in einer Apotheke147 als unzulässige Zugabe. Aus Sicht der positiven Theorie der Regulierung148 kann diese strenge Anwendung des Zugabe- und Rabattverbotes als Ausdruck der Bürokratietheorie149 betrachtet werden, da die Rechtsprechung aufgrund der strengen Anwendung des Lauterkeitsrechts ihre Bedeutung in Bezug auf die Regulierung des Wirtschaftsverkehrs steigerte. Eine Aufhebung der Regelungen ohne den europarechtlichen Anstoß150 wäre jedenfalls auf kurze Sicht unwahrscheinlich gewesen, was sich anhand der vorangegangenen Bemühungen der Aufhebung der Zugabeverordnung und des Rabattgesetzes zeigt. Der über das Herkunftslandprinzip vermittelte systemwettbewerbliche Impuls hatte insofern eine pfadstrengende Wirkung.
III. Versuch der Etablierung eines Günstigkeitsprinzips im Rahmen der Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie und Bewertung dieser Maßnahme Der deutsche Gesetzgeber beabsichtigte, das in der E-Commerce-Richtlinie enthaltene Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Sinne eines Günstigkeitsprinzips auszugestalten:151 „(1) In der Bundesrepublik Deutschland niedergelassene Diensteanbieter und ihre Teledienste unterliegen den innerstaatlichen Normen auch dann, wenn die Teledienste in einem anderen Staat innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (ABl. EG Nr. L 178 S. 1) geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden, soweit sich nicht aus den Regeln des internationalen Privatrecht etwas anderes ergibt. Auf solche Teledienste ist das nach den Regeln des internationalen Privatrechts maßgebliche Recht eines anderen Staates jedoch nicht anwendbar, soweit dadurch der freie Dienst-
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BGH, Urteil vom 15. 12. 1953, Az. I ZR 167/53, BGHZ 11, 274 („Orbis“). OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 02. 11. 1995, Az. 6 U 77/94, BB 1995, 2604; Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 1 ZugabeVO Rn. 18. 147 BGH, Urteil vom 10. 03. 1994, Az. I ZR 166/92, GRUR 1994, S. 656 – 658. 148 Vgl. Teil 1 § 2 B. II. 149 Vgl. Teil 1 § 2 B. II. 3. 150 Braun, Die Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung in der Bundesrepublik Deutschland: eine Auswirkung des Internethandels, S. 14: „zwingender Anlaß“. 151 Spindler, Die E-Commerce-Richtlinie und das internationale Wirtschaftsrecht, in: Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, S. 107, 113 ff. Das primärrechtlicher Herkunftslandprinzip entspricht im Wesentlichen einem Günstigkeitsprinzip (Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1 – 55). 146
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leistungsverkehr über die Anforderungen des deutschen Rechts hinausgehend eingeschränkt werden würde“ (§ 4 Abs. 1 TDG-RegE).152
Danach sollte für deutsche Diensteanbieter das Recht des Empfangsstaates zur Anwendung kommen, sofern dies für den Anbieter günstiger ist als die Anwendung des deutschen Rechts:153 Unternehmen wird nach Vorstellung der Bundesregierung mittels des Günstigkeitsprinzips „die Möglichkeit eingeräumt, auf ausländischen Märkten mit den dort ansässigen Unternehmen nach den dort geltenden Regeln beispielsweise des Wettbewerbsrechts zu konkurrieren“.154 Andersherum findet nach diesem Ansatz deutsches Recht Anwendung, wenn das ausländische Recht strengere Vorgaben enthält.155 Eine Vermeidung von Inländerdiskriminierung gelingt nach diesem Ansatz zwar nicht,156 jedoch können deutsche Anbieter zumindest auf Auslandsmärkten von den strengeren deutschen Regulierungen befreit werden. Aufgrund von Kritik seitens der Kommission157, aber auch seitens der deutschen Wirtschaft158, sah der deutsche Gesetzgeber von diesem Vorhaben ab. Hintergrund 152 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer GeschäftsverkehrGesetz – EGG), BT-Drs. 14/6098, 17. 05. 2001, S. 5 (Hervorhebung durch den Verfasser). 153 Vgl. Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 633; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG), BT-Drs. 14/6098, 17. 05. 2001, S. 18: „Auf diese Weise wird das gleiche Ergebnis erzielt, wie vor einem Gericht eines anderen Staates im Geltungsbereich der Richtlinie 2000/31/EG, das bei der Anwendung des aus seiner Sicht berufenen Sachrechts auf in Deutschland niedergelassene Anbieter Artikel 3 Abs. 2 E-Commerce-Richtlinie und dessen Umsetzung in das dortige Recht zu beachten hat“, klarer: Anlage 3, Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 36. 154 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer GeschäftsverkehrGesetz – EGG), BT-Drs. 14/6098, 17. 05. 2001, Anlage 3, Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 36. 155 Sack spricht von einem neuen „privilegium germanicum“, das im Ansatz mit Art. 38 EGBGB a. F. vergleichbar sei (Sack, Das internationale Wettbewerbsrecht nach der E-Commerce-Richtlinie (E-Commerce-Richtlinie) und dem EGG-/TDG-Entwurf, WRP 2001, S. 1408, 1412). 156 Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 633. 157 Vgl. Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 631 f. 158 Vgl. Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 631; BDI, BDI: Wirtschaft braucht klare Regeln im elektronischen Geschäftsverkehr, BDI-Pressemitteilung Nr. 33/00 v. 14. 2. 2001 (zitiert nach: Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 631 Fn. 7); Seidler, Mulimedia-Wirtschaft läuft Sturm, Spiegel Online 21. 6. 2001 (zitiert nach Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 631 Fn. 8); Multimediaverband kritisiert geplantes E-Commerce-Gesetz, Handelsblatt vom 21. 6. 2001;
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für die auf den ersten Blick überraschende159 Kritik aus der deutschen Wirtschaft war, dass die Nutzung des Günstigkeitsprinzips für Unternehmen aufgrund der Notwendigkeit eines Rechtsvergleichs mit erheblichen Kosten verbunden gewesen wäre, so dass sich das Günstigkeitsprinzip für deutsche Unternehmen nicht rechnete.160 Entscheidend war zudem, dass das Günstigkeitsprinzip deutschen Anbietern nicht genützt hätte, wenn sie im Ausland am Gerichtstand des Erfolgsortes verklagt worden wären, da das ausländische Gericht die Handlung in Abwesenheit eines Günstigkeitsprinzips zugunsten ausländischer Anbieter nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem der Diensteanbieter niedergelassen ist, misst.161 Der Versuch ein Günstigkeitsprinzip zu schaffen, kann als Ausdruck der Innovationsfunktion von Systemwettbewerb gewertet werden, wobei sich die Innovation jedoch nicht auf das materielle Recht, sondern auf die „kollisionsrechtliche“ Gestaltung (also den Ordnungsrahmen eines Systemwettbewerbs im technischen Sinn) bezog.
IV. UWG-Reform 2004 Noch 1995 war die vom Bundesministerium der Justiz eingerichtete „Arbeitsgruppe Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ zu dem Ergebnis gelangt, dass eine umfassende Überarbeitung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb nicht erforderlich sei.162 Rund zehn Jahre später war die Situation aufgrund der Schaffung der E-Commerce-Richtlinie und Bemühungen einer materiellrechtlichen Harmonisierung auf europäischer Ebene eine ganz andere.163 Bereits in den Gesetzesbegründungen zur Aufhebung der ZugabeVO und des Rabattgesetzes wies die Bundesregierung darauf hin, dass die Auswirkungen des in der E-Commerce-Richtlinie verankerten Herkunftslandprinzips sich nicht auf zugabe- und rabattrechtliche Regelungen beschränken, „sondern […] den gesamten Bereich des Wettbewerbsrechts
(zitiert nach Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 631 Fn. 8); Itzen, Europäisierung des Wettbewerbsrechts durch den elektronischen Handel, S. 136. 159 Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 631: „Auf den ersten Blick steht man damit vor einem Paradoxon: Die Wirtschaft protestiert gegen eine wirtschaftsfreundliche Regelung“. 160 Vgl. Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 636: „Um sich einen Vorteil nicht entgehen zu lassen, müssten die Unternehmen also genau jene Kosten aufwenden, die zu investieren ihnen das Herkunftslandprinzip gerade abnehmen will“; Spindler, Internet, Kapitalmarkt und Kollisionsrecht – unter besonderer Berücksichtigung der E-Commerce-Richtlinie, ZHR 165 (2001), S. 324, 338 f. 161 Mankowski, Herkunftslandprinzip und Günstigkeitsvergleich in § 4 TDG-E, CR 2001, S. 630, 636. 162 Bericht der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts, WRP 1997, S. 167 ff. 163 Vgl. Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rn. 19 ff.
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und damit auch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb [erfassen]“.164 Die rotgrüne Bundesregierung setzte in unmittelbarem Anschluss an die Aufhebung der Zugabeverordnung und des Rabattgesetzes eine Arbeitsgruppe Unlauterer Wettbewerb ein165 und legte in der darauffolgenden Legislaturperiode einen Entwurf zu einer UWG Reform vor166. Dieser Entwurf mündete in der UWG Reform von 2004.167 Mit der Reform wurde die Regelung über den Insolvenzwarenverkauf in § 6 UWG a. F.168, über über die Hersteller- und Großhändlerwerbung in § 6a UWG a. F.169, über den Kaufscheinhandel in § 6 b UWG a. F.170 und über Sonderveranstaltungen in § 7 UWG171 abgeschafft.172 Das ehemals in § 1 UWG verankerte Merkmal des übertriebenen An164
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverordnung und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften, BT-Drs. 14/5594, 15. 03. 2001, S. 8; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften, BT-Drs. 14/5441, 6. 03. 2001, S. 9. Vgl. auch: Keller, in: Harte-Bavendamm/Hennig-Bodewig, UWG, Einl A Rn. 11 – 14. 165 Vgl. Köhler/Bornkamm/Hennig-Bodewig, Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317 – 1328; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003, S. 12; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, Einl Rn. 2.10. 166 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, Einl Rn. 2.10. 167 Vgl. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl UWG Rn. 2.19 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, Einl Rn. 2.10. 168 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003, S. 15. 169 Nach § 6a UWG a. F. konnte derjenige, der im geschäftlichen Verkehr mit dem letzen Verbraucher im Zusammenhang mit dem Verkauf von Waren auf seine Eigenschaft als Hersteller hinwies, auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, es sei denn es waren bestimmte Bedingungen erfüllt. Zweck der Regelung war, einer Irreführung in Bezug auf die Erwartung der Preisgünstigkeit der angebotenen Waren entgegenzuwirken, die beim Verbraucher durch den Hinweis der Möglichkeit eines Warenbezuges direkt vom Hersteller oder Großhändler hervorrufen kann. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003, S. 15; Piper, in: Großkommentar, UWG, § 6 a Rn. 1 f. 170 Gemäß § 6b a. F. konnte derjenige auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, der im geschäftlichen Verkehr an letze Verbraucher Berechtigungsscheine, Ausweise oder sonstige Bescheinigungen zum Bezug von Waren ausgab oder gegen Vorlage solcher Bescheinigungen Waren verkaufte, es sei denn, dass die Bescheinigungen nur zu einem einmaligen Einkauf berechtigten und für jeden Einkauf einzeln ausgegeben wurden. Begründet wurde diese Regelung mit einer im Einzelfall nur schwer nachweisbaren Täuschung der Verbraucher über die besondere Preisgünstigkeit des Angebotes. Vgl. Piper, in: Großkommentar, UWG, § 6 b Rn. 1; Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, § 6 b Rn. 1 ff. 171 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003, S. 14; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. UWG Rn. 2.12. 172 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. UWG Rn. 2.12.
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lockens173 wurde eingeschränkt,174 denn es wurde die Gefahr gesehen, dass Gerichte die frühere zugabe- und rabattrechtliche Regulierung in diesen Bestimmungen weiterleben ließen175. Die Gefahr der inhaltlichen Wiederbelebung der Zugabeverordnung und des Rabattgesetzes über das allgemeine Lauterkeitsrecht sahen Befürworter einer lauterkeitsrechtlichen Deregulierung wie insbesondere die Vertreter der FDP bestätigt, als eine Textilhandelsgruppe im Jahr 2002 eine Rabattaktion startete176 und diese Aktion vom Landgericht Düsseldorf verboten wurde.177 Die UWG-Reform sollte die neue Rechtslage infolge der Aufhebung der Zugabeverordnung und des Rabattgesetzes deshalb auch im Gesetz abbilden.178 Im Rahmen der Deregulierung spielte eine Rolle, dass der Gesetzgeber nunmehr das europäische Verbraucherleitbild als Maßstab der Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern zugrundelegte.179 Neben einer Deregulierung des Wettbewerbsrechts führte die Reform jedoch mit Schaffung eines Gewinnabschöpfungsanspruchs (§ 10 UWG) zu einer Verschärfung deutschen Lauterkeitsrechts.180 Die CDU/CSU181 und die FDP182 lehnten hingegen die Schaffung eines Gewinnabschöpfungsanspruchs ab und die CDU/CSU-Bun-
173
Vgl. Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, § 1 UWG Rn. 90 ff. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003, S. 30. 175 Hennig-Bodewig, Das neue UWG – von Brüsseler Gnaden?, in: FS Schricker, S. 705, 708. Vgl. Kerbusk/Klawitter/Schäfer, „Völlig antiquiert“, Nach der Rabattaktion des Textilfilialisten C&A ist die Diskussion über die Wettbewerbsregeln im Handel neu entbrannt. Doch die Chancen für eine neue Reform stehen schlecht., Der Spiegel 3/2002, S. 88 – 90. 176 Vgl. Kaapke/Ritzka-Roelofs, Zur ökonomischen Sinnhaftigkeit von Sonderveranstaltungen bzw. Verkaufsaktionen im Handel?, in: FS Hörschgen, S. 297 – 321. 177 Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Rainer Funke et al und der Fraktion der FDP, BTDrs. 14/8167; Kerbusk/Klawitter/Schäfer, „Völlig antiquiert“, Nach der Rabattaktion des Textilfilialisten C&A ist die Diskussion über die Wettbewerbsregeln im Handel neu entbrannt. Doch die Chancen für eine neue Reform stehen schlecht., Der Spiegel 3/2002, S. 88 – 90. 178 Hennig-Bodewig, Das neue UWG – von Brüsseler Gnaden?, in: FS Schricker, S. 705, 708. 179 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003, S. 19; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, Einl. UWG Rn. 2.13. 180 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 3. 7. 2010, BGBl. I S. 1414; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003. 181 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 15/1487 –, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/2795, 26. 03. 2004, S. 20. 182 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 15/1487 –, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/2795, 26. 03. 2004, S. 18. 174
474
§ 11 Systemwettbewerb in der E-Commerce-Richtlinie
destagsfraktion begründete dies mit einem Verlust der Attraktivität des Standortes Deutschland.183 Es zeigt sich, dass die E-Commerce-Richtlinie eine umfassendere Deregulierung im deutschen Lauterkeitsrecht anstieß und dass die Abschaffung der ZugabeVO und des RabattG nur ein erster Schritt war.184 Die Deregulierung ist jedoch nicht in erster Linie auf den Wunsch einer Beseitigung ungleicher Wettbewerbsbedingungen zwischen in- und ausländischen Anbietern zurückzuführen; vielmehr hat das in der E-Commerce-Richtlinie verankerte Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zur allgemeinen Hinterfragung nicht mehr zeitgemäßer Regulierungsstrukturen im deutschen Lauterkeitsrecht geführt. Soweit die Deregulierung positiv bewertet wird,185 kann von einer Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden. Die Schaffung des rechtspolitisch umstrittenen186 Gewinnabschöpfungsanspruchs (§ 10 UWG)187 zeigt, dass die Rechtsentwicklung jedoch nicht ausschließlich von Deregulierung bestimmt ist. Diese Maßnahme weist hier auf einen Handlungsspielraum des Gesetzgebers hin, strengere Regulierungen zu erlassen. Dieser Handlungsspielraum steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit der geringen Wettbewerbsintensität seitens von E-Commerce-Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten auf dem deutschen Markt.188 Im Fall eines intensiven Wettbewerbs seitens von E-Commerce-Anbietern wäre ein nationaler Alleingang189 kaum möglich gewesen. Zudem dürfte der Gewinnabschöpfungsanspruch nur eine geringere Rolle
183
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 15/1487 –, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/2795, 26. 03. 2004, S. 20. 184 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487, 22. 08. 2003, S. 12. 185 Vgl. die Kritik von Kirchner an § 6a UWG a. F. und § 6b UWG a. F.: Kirchner, Fehlentwicklungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs, Zur ökonomischen Analyse der §§ 6a Abs. 2 und 6b UWG, AG 1986, S. 205, 213 f. 186 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 UWG Rn. 2. 187 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), BT-Drs. 15/1487 vom 22. 08. 2008, S. 7, 23. Zur Entstehungsgeschichte des Gewinnabschöpfungsanspruchs: Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 UWG Rn. 1. 188 Vgl. Eurostat Pressenmitteilung 12/2010, 19. Januar 2010; Canoy/Smith, Services and the Single Market, Journal of Industry, Competition and Trade 2008(8), S. 319, 333 f.; Commission, Commission Staff Working Document, Report on cross-border e-commerce in the EU, SEC(2009) 283 final, S. 6; Europäisches Verbraucherzentrum, Europa – grenzenloses Einkaufsparadies?, E-Commerce-Studie des Netzwerks der Europäischen Verbraucherzentren, S. 7. 189 Helmut Köhler stellt fest, dass die Schaffung eines Gewinnabschöpfungsanspruchs für Verbände „ein Novum im Wettbewerbsrecht dar[stellt], für das es auch im Ausland kaum Vorbilder gibt“ (Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 UWG Rn. 1).
D. Gesetzgeberische Maßnahmen und deren Bewertung
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spielen, da er voraussetzungsvoll ist190 und keine Individualansprüche gewährt und eine Prozessführung deswegen bei einer Unklarkeit der Rechtslage unattraktiv ist191.
V. Verschärfung des Verbotes von Verkäufen unter Einstandspreis im Lebensmittelhandel Ein grundsätzliches Verbot des Verkaufes unter Einstandspreis wurde auf Initiative der CDU/CSU192 mit § 20 Abs. 4 Satz 1 GWB erstmals im Jahr 1999 geschaffen.193 Das Verbot wurde mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels aus dem Jahr 2007194 verschärft.195 Nunmehr wurde auch der nur gelegentliche Verkauf von Lebensmitteln unter Einstandspreis verboten.196. Der Gesetzgeber hat die Verschärfung der Rechtslage ausdrücklich auf den Bereich des Lebensmittelhandels beschränkt.197 Das Gesetz zielt auf einen Schutz der Verdrängung von kleinen und mittleren Lebensmittelhändlern vor Verdrängung von Seiten großer bzw. überlegender Handelsunternehmen.198 Diese Schutzrichtung ist Gegenstand von Kritik.199 Sofern diese 190 Beuchler, Das „Schreckgespenst“ § 10 UWG: mehr Gespenst als Schrecken, Überlegungen im Nachgang zum Urteil des LG Heilbronn, 23 O 136/05 KfH vom 23. Februar 2006, WRP 2006, S. 1288 – 1293. Zu den Voraussetzungen: Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 UWG Rn. 6 ff. 191 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl Rn. 2.15. 192 Block, Verkauf unter Einstandspreis, S. 127. 193 Zur Gesetzgebungsgeschichte: Block, Verkauf unter Einstandspreis, S. 124 ff. 194 Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels (PreisMissbrBekG) vom 18. 12. 2007, BGBl. I 2966; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels, BT-Drs. 16/5847, 27. 06. 2007. 195 Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels (PreisMissbrBekG) vom 18. Dezember 2007, BGBl. I S. 2966; Westermann, in: Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), § 20 Rn. 141. 196 Vgl. Lübbert, in: Handbuch des Kartellrechts, § 27 Rn. 21; K. Westermann, in: Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), § 20 Rn. 141. 197 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels, BTDrs. 16/5847, 27. 06. 2007, S. 9. 198 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels, BTDrs. 16/5847, 27. 06. 2007, S. 9; K. Westermann, in: Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), § 20 Rn. 142. 199 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 16/5847 – Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels, BT-Drs. 16/7156, 14. 11. 2007, S. 9; Monopolkommission,
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§ 11 Systemwettbewerb in der E-Commerce-Richtlinie
Zielrichtung wettbewerbspolitisch nicht zu rechtfertigen ist, kann von einer Interessengruppenregulierung gesprochen werden.200 Systemwettbewerb kann in diesem Bereich von vornherein keine machtbegrenzende Wirkung entfalten, da der grenzüberschreitende Vertrieb von Lebensmitteln über E-Commerce (jedenfalls bis jetzt201) eine zu vernachlässigende Größe darstellt. Grund dürften insbesondere die Versandkosten von Lebensmitteln darstellen, insbesondere dann, wenn Lebensmittel verderblich sind. Es ergäbe sich im Fall eines Versands die Notwendigkeit eines gekühlten Transportes.
VI. UWG-Novelle 2008 Nachdem der Gesetzgeber bereits in der UWG-Novelle 2004 deutsches Recht an europarechtliche Vorgaben anpasste,202 setzte der deutsche Gesetzgeber mit der UWG-Novelle aus dem Jahr 2008203 die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken204 in deutsches Recht um205. Die Richtlinie hat eine Vollharmonisierung des mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechts zum Ziel,206 wodurch sich ein erheblicher Einfluss des Europarechts auf das deutsche Lauterkeitsrecht ergab. Diese materiellrechtliche Harmonisierung wurde durch die Schaffung der E-Commerce-Richtlinie und der damit angestoßenen Anpassungszwänge erleichtert, indem der Systemwettbewerb ins Gewicht fallende Besonderheiten des deutschen Lauterkeitsrechts abschliff. Mit den jüngsten Harmonisierungsmaßnahmen ist das deutsche Lauterkeitsrecht insgesamt in sehr viel stärkerem Maße durch materiellrechtliche Harmonisierung gestaltet worden207 als über systemwettbewerbliche Weniger Staat, Mehr Wettbewerb – Gesundheitsmärkte und staatliche Beihilfen in der Wettbewerbsordnung – Siebzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 2006/2007, Tz. 56; Block, Verkauf unter Einstandspreis, S. 126 f. 200 Vgl. Block, Verkauf unter Einstandspreis, S. 137: „Es ergibt sich daher, dass es nicht wettbewerbspolitische Gründe sind, die ein Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis verlangen oder auch nur rechtfertigen können. Tatsächlich gründet sich das Verbot nicht auf wettbewerbspolitische, sondern auf interessenpolitische Faktoren“. 201 Vgl. Haftmann/Lackemair, Trends im B2C-Online-Handel, Ergebnisse einer Expertenbefragung, Technische Universität Dresden, Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Dresdner Beiträge zur Wirtschaftsinformatik Nr. 57/10, 2010, S. 45 – 47. 202 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. UWG Rn. 2.13. 203 Vgl. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. UWG Rn. 2.22 ff. 204 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. EU Nr. L 149/22 vom 11. 6. 2005. 205 Vgl. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl UWG Rn. 2.22 ff. 206 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl UWG Rn. 3.56. 207 Zum Sekundärrecht im Bereich des Lauterkeitsrechts: Köhler, in: Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, Einl UWG Rn. 3.37 ff.
D. Gesetzgeberische Maßnahmen und deren Bewertung
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Anpassungen. Diese Harmonisierungsmaßnahmen standen in Zusammenhang mit der Schaffung des Herkunftslandprinzips. Es kann deshalb von einem „race to harmonization“ gesprochen werden.
§ 12 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in den Versicherungsrichtlinien A. Der rechtliche Rahmen für die Erbringung von Versicherungsdienstleistungen Schon früh war eine materiellrechtliche und kollisionsrechtliche Harmonisierung im Bereich des Versicherungswesens Gegenstand von politischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzung.1 Probleme der „Buntscheckigkeit“2 bzw. Rechtszersplitterung3 zeigten sich im 19. Jahrhundert bis das Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 19014 das Versicherungsaufsichtsrecht im Deutschen Reich harmonisierte.5 Bruck schwebte im Jahr 1931 die Schaffung eines weltweit harmonisierten Versicherungsrechts vor und formulierte, dass „[b]ei der internationalen Einstellung der Privatversicherung […] das Bedürfnis nach ihrer überstaatlichen Regelung offensichtlich [ist]. An und für sich müßte sie leichter als auf anderen Rechtsgebieten zu erreichen sein. Einmal, weil das Recht der Interesseversicherung in allen Ländern im wesentlichen dieselben Entwicklungsreihen durchlaufen hat. […] Weiterhin wird die Rechtsausgleichung erleichtert, weil die technische Durcharbeitung der Versicherung naturgemäß nicht von dem nationalen Rechtssystem abhängig ist, dem der 1 Bruck, Welt-Versicherungsrecht, Assekuranz-Jahrbuch 50 (1931), S. 94 – 107; Manes, Die internationalen Verflechtungen des Versicherungswesens, in: Weltwirtschaftliches Archiv 2 (1913), S. 102, 109. 2 Hager, Die öffentlich-rechtliche Regelung des Privatversicherungswesens in Deutschland, S. 24. 3 Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen (Hrsg.), Motive zum Versicherungsaufsichtsgesetz; Moldenhauer, Die Aufsicht über die privaten Versicherungsunternehmungen aufgrund des Reichsgesetz vom 12. Mai 1901, Neudruck 1963, S. 8 – 13; Starke, Die Entwicklungslinien der materiellen Staatsaufsicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: 50 Jahre materielle Versicherungsaufsicht, S. 11, 13; Koch, Der Weg zur einheitlichen Staatsaufsicht über Versicherungsunternehmen in Deutschland, in: 100 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, S. 5, 12 – 16. 4 RGBl. 1901, S. 139. 5 Vgl. Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen (Hrsg.), Motive zum Versicherungsaufsichtsgesetz, Neudruck 1963, S. 21 (Seitenzählung unten); Tigges, Geschichte und Entwicklung der Versicherungsaufsicht, S. 77 ff.; Starke, Die Entwicklungslinien der materiellen Staatsaufsicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: 50 Jahre materielle Versicherungsaufsicht, S. 11, 14.
A. Rechtlicher Rahmen für Erbringung von Versicherungsdienstleistungen
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Versicherer oder dem der Versicherungsnehmer untersteht, sondern von der Art der von dem Versicherer zu tragenden Gefahr. Trotzdem sind bisher nur Recht bescheidende Ansätze zur Verwirklichung des Ideals eines Welt-Versicherungsrechts vorhanden“.6
Bruck wies auf die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens hin7 und initiierte selbst die Gründung einer Internationalen Vereinigung von Versicherungsjuristen8, um erste Schritte zur Verwirklichung des Harmonisierungsziels zu unternehmen. Die Schaffung eines „Welt-Versicherungsrechts“9 erscheint aus heutiger Sicht nicht zu verwirklichen. Ein europäisches Versicherungsaufsichtsrecht ist jedoch Wirklichkeit geworden. Dabei stieß auch die Harmonisierung auf dem Gebiet des Versicherungsaufsichtsrechts auf erhebliche Schwierigkeiten. Zunächst war geplant, Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit für die Schadens- und Lebensversicherung bis Ende 196710 und Beschränkungen der Dienstleistungsverkehrsfreiheit bis 1969 aufzuheben11. Die Voraussetzungen der Niederlassungsfreiheit wurden für die Rückversicherung im Jahr 196412 für die Schadensversicherung im Jahr 1973 und für die Lebensversicherung im Jahr 1979 geschaffen (Erste Versicherungsrichtlinien).13
6 Bruck, Welt-Versicherungsrecht, Assekuranz-Jahrbuch 50 (1931), S. 94, 95. Vgl. auch: Möller, Zum II. Weltkongreß der A.I.D.A. in Hamburg, ZfV 1966, S. 559, 560. 7 Bruck, Welt-Versicherungsrecht, Assekuranz-Jahrbuch 50 (1931), S. 94, 107. Vgl. auch: R. Schmidt, Einige Bemerkungen über Möglichkeiten und Grenzen der Angleichung des Versicherungsvertragsrechts im Bereich des Gemeinsamen Marktes und der OECD, in: FS Dölle, S. 485, 490 f. 8 Möller, Zum II. Weltkongreß der A.I.D.A. in Hamburg, ZfV 1966, S. 559, 560. 9 Bruck, Welt-Versicherungsrecht, Assekuranz-Jahrbuch 50 (1931), S. 94 – 107. 10 Allgemeines Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Dienstleistungsverkehrs vom 8. 12. 1961, ABl. 1962, S. 32 vom 15. 1. 1962; H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rn. 10 S. 6; J. F. Schmidt, Die Deregulierung der Versicherungsaufsicht und die Versicherungsvermittlung in Deutschland, S. 46 f.; W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 651; Tigges, Geschichte und Entwicklung der Versicherungsaufsicht, S. 132 f.; Donhauser, Das Versicherungsaufsichtsrecht und der europäische Binnenmarkt, in: 100 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, S. 123, 123. 11 H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, S. 6 Rn. 10; J. F. Schmidt, Die Deregulierung der Versicherungsaufsicht und die Versicherungsvermittlung in Deutschland, S. 46 f.; W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 651; Tigges, Geschichte und Entwicklung der Versicherungsaufsicht, S. 132 f.; Allgemeines Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Dienstleistungsverkehrs vom 8. 12. 1961, ABl. 1962, S. 32 vom 15. 1. 1962; Donhauser, Das Versicherungsaufsichtsrecht und der europäische Binnenmarkt, in: 100 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, S. 123, 123. 12 Richtlinie 64/225/EWG des Rates vom 25. 2. 1964 zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der Rückversicherung und Retrozession, ABl. Nr. 56 vom 04. 04. 1964, S. 878. 13 J. F. Schmidt, Die Deregulierung der Versicherungsaufsicht und die Versicherungsvermittlung in Deutschland, S. 47 ff.
480
§ 12 Systemwettbewerb in den Versicherungsrichtlinien
Im Jahr 1988 erfolgte mit der Verabschiedung der Zweiten Richtlinie Schaden14 und 1990 mit der Verabschiedung der Zweiten Richtlinie Leben15 ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit.16 Im Rahmen der Zweiten Richtlinien war die Bedeutung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung jedoch sehr begrenzt. Während in Bezug auf Großrisiken schon infolge der Ersten Richtlinie Schaden weitgehend ein Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gilt (vgl. Art. 10 ff. Richtlinie 73/239/EWG),17 war auch nach der zweiten Richtliniengeneration im Bereich von Schadens-18 und Lebensversicherungen19 weitgehend ein Bestimmungslandprinzip maßgeblich. Erst im Rahmen der Dritten Richtlinien aus dem Jahr 199220 wurde die grenzüberschreitende Erbringung von Versicherungsdienstleistungen nachhaltig liberalisiert.21 Grundlegend ist die Schaffung der Sitzlandaufsicht,22 wonach eine vom 14 Zweite Richtlinie des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG (88/357/EWG). 15 Zweite Richtlinie des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG (90/619/EWG). 16 Vgl. H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, S. 22 Rn. 43. 17 Vgl. H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, S. 24 f. Rn. 48; Kampf, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union E 26 Rn. 14 (EL 16 Juli 2000); Donhauser, Das Versicherungsaufsichtsrecht und der europäische Binnenmarkt, in: 100 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, Bd. 1, S. 123 – 151, 133; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates und der Europäischen Gemeinschaften (Zweites Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BTDrs. 11/6341, 01. 02. 1990, S. 1, 18; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 113. 18 H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, S. 25 Rn. 49; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates und der Europäischen Gemeinschaften (Zweites Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BTDrs. 11/6341, 01. 02. 1990, S. 1, 18. Anders: S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 113. 19 H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, S. 32 Rn. 70. 20 Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung), ABl. EG Nr. L 228/1 vom 11. 08. 1992; Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung). 21 Vgl. Erwägungsgrund 1 Richtlinie 92/49/EWG; Schnyder, Europäisches Banken- und Versicherungsrecht, S. 4 Rn. 10; H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, S. 27 Rn. 56; Beckmann, Auswirkungen des EG-Rechts auf das Versicherungsvertragsrecht, ZEuP 1999, S. 809,
A. Rechtlicher Rahmen für Erbringung von Versicherungsdienstleistungen
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Sitzland erteilte Zulassung (Art. 6 i. d. F. der Dritten Richtlinien) für die gesamte Gemeinschaft gilt (Art. 7 i. d. F. der Dritten Richtlinien)23 . Im Versicherungsvertragsrecht sind die rechtlichen Voraussetzungen einer Integration im Bereich des Massenversicherungsgeschäfts noch nicht verwirklicht.24 Es gilt kollisionsrechtlich vielmehr ein Bestimmungslandprinzip (Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 Rom I-VO).25 Ursache für die Schwierigkeiten der Integration war die Unterschiedlichkeit der mitgliedstaatlichen Versicherungsaufsichtsrechte,26 wobei die deutsche Regulierung sich in ihrer Strenge von der Regulierung in anderen Mitgliedstaaten unterschied27. 809 f.; Donhauser, Das Versicherungsaufsichtsrecht und der europäische Binnenmarkt, in: 100 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, S. 123, 137; Hübner, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit IV. Rn. 71, 85 (EL 13). 22 Vgl. J. F Schmidt, Die Deregulierung der Versicherungsaufsicht und die Versicherungsvermittlung in Deutschland, S. 70 f. 23 Vgl. Erwägungsgrund 6 Richtlinie 92/49/EWG. 24 Vgl. Basedow, Versicherungsvertragsrecht als Markthindernis?, EuZW 2014, S. 1 – 2. Auch im Deutschen Reich hinkte die Harmonisierung Privatversicherungsrechts hinter der Harmonisierung des Versicherungsaufsichtsrechts hinterher (Büchner, Die Entwicklung der deutschen Gesetzgebung über die Versicherungsaufsicht bis zum Bundesgesetz vom 31. Juli 1951, in: 50 Jahre materielle Versicherungsaufsicht, S. 1, 10 Fn. 8). 25 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 140; H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, S. 323 Rn. 915; Heidinger, Gemeinsamer Markt für Versicherungen und Auswirkungen auf das nationale Versicherungsvertragsrecht am Beispiel der Prämienanpassungsklausel, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1998, S. 271, 277. Die Geltung des Bestimmungslandprinzips für das Versicherungsvertragsrecht wird von M. Wolf bestritten (M. Wolf, Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt, WM 1990, S. 1941 – 1952). M. Wolf unternimmt wie die Kommission im Jahr 1971 (Kommission, Errichtung des Gemeinsamen Marktes für Schadensversicherungen, Arbeitsdokument für die Arbeitsgruppe Direktversicherungen, Oktober 1971, ZVersWiss. 1972, S. 101) den Versuch einer direkten Übertragung der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit auf Versicherungen bzw. „Versicherungsprodukt[e]“. Eine solche Lösung befürwortet M. Wolf insbesondere im Hinblick auf einen damit forcierten Systemwettbewerb zwischen unterschiedlichen nationalen Regelungen (M. Wolf, Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt, Auswirkungen der II. EG-Bankrechts-Richtlinie auf privatrechtliche Bankgeschäfte, WM 1990, 1941, 1941). Vgl. dazu: W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 699 ff., insb. S. 705. Schon Bruck forderte die Schaffung einer Anknüpfung an das Herkunftsland des Versicherungsunternehmens (Bruck, Welt-Versicherungsrecht, AssekuranzJahrbuch 50 (1931), S. 94, 107). 26 Vgl. H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, S. 7 f. Rn. 12; Finsinger, Versicherungsmärkte in sieben Ländern: Wettbewerb oder staatliche Lenkung?; Finsinger, European Market Integration and the European Insurance Industry, S. 8 f.; Donhauser, Das Versicherungsaufsichtsrecht und der europäische Binnenmarkt, in: 100 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, S. 123, 124: „Aufsichtsgefälle“; Bruck, Das Privatversicherungsrecht, S. 32 ff.; R. Schmidt, Europäisches Versicherungsaufsichtsrecht. Zu Unterschieden in der Organisation des Aufsichtswesens: Frach, Finanzaufsicht in Deutschland und Großbritannien. 27 Vgl. Farny, Die Versicherungswirtschaft im Wettbewerbskonzept der Marktwirtschaft, ZVersWiss 1979, S. 31, 39 f.
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§ 12 Systemwettbewerb in den Versicherungsrichtlinien
Von deutscher Seite wurden vor diesem Hintergrund Wettbewerbsverzerrungen und eine Inländerdiskriminierung befürchtet, wenn eine Integration auf „kollisionsrechtlicher“ Ebene verwirklicht wird.28 Die deutsche Versicherungswirtschaft besaß zudem ein geringes Interesse an einer Erweiterung ihres Betätigungsfeldes in anderen Mitgliedstaaten.29 Entscheidend30 für das Voranschreiten der Integration war das Versicherungsurteil des EuGH aus dem Jahr 198631. Der EuGH bestätigte die Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit auf Versicherungen, ohne dass die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit von einer materiellrechtlichen Harmonisierung abhängig ist.32 Im Rahmen der Prüfung der Schranken der Dienstleistungsverkehrsfreiheit untersuchte der EuGH die Frage, ob die ersten Richtlinien in der „gesamten Gemeinschaft hinreichend gleichwertige Bedingungen für die Ausübung der Versicherungstätigkeit sowie hinreichend wirksame Kontrollmöglichkeiten vorgesehen haben“.33 Aufgrund der Rechtsunterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Versicherungsaufsichtsrechten war der Stand der materiellrechtlichen Harmonisierung entscheidend. Während im Bereich der Solvabilität die mitgliedstaatlichen Solvabilitätsbescheinigungen anzuerkennen waren,34 sah der EuGH vor dem Hintergrund der Rechtsunterschiede und mangelnder materiellrechtlicher Harmonisierung in Bezug auf Fragen der technischen Reserven35 und der mitgliedstaatlichen Regelungen zu 28
Vgl. W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht S. 689; Sieg, Rechtsgutachten zu den Entwürfen einer zweiten Koordinierungsrichtlinie auf dem Gebiet der Direktversicherung, in: Dienstleistungsfreiheit und Versicherungsaufsicht im Gemeinsamen Markt, S. 39, 60 (zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit); Möller, Rechtsgutachten: Zur Problematik der Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Versicherungswirtschaft, in: Dienstleistungsfreiheit und Versicherungsaufsicht im Gemeinsamen Markt, S. 15, 21 f. (zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit); Basedow, Die Gesetzgebung zum Versicherungsvertrag zwischen europäischer Integration und Verbraucherpolitik, in: Versicherungsrecht in Europa, S. 13, 14. 29 Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, S. 29; Brittan, Der Europäische Binnenmarkt der Versicherungen: Was noch zu tun bleibt, VW 1990, S. 754, 754; H. Müller, Dienstleistungsfreiheit für Versicherungen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ZfV 1979, S. 267, 274. Anders: Biagosch [Vorsitzender des GDV-Ausschusses für Internationale Organisationen], Zum Thema aus deutscher Sicht, VW 1990, S. 761, 761. 30 J. F. Schmidt, Die Deregulierung der Versicherungsaufsicht und die Versicherungsvermittlung in Deutschland, S. 53. 31 EuGH, Urteil vom 4. 12. 1986, Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1984, S. 3755. 32 EuGH, Urteil vom 4. 12. 1986, Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1984, S. 3755, 3802 Rn. 25. 33 EuGH, Urteil vom 4. 12. 1986, Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1984, S. 3755, 3805 Rn. 36. 34 EuGH, Urteil vom 4. 12. 1986, Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1984, S. 3755, 3805 Rn. 37. 35 EuGH, Urteil vom 4. 12. 1986, Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, 3806 Rn. 39. J. F. Schmidt, Die Deregulierung der Versicherungsaufsicht und die Versicherungsvermittlung in Deutschland, S. 63.
B. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor
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Allgemeinen Versicherungsbedingungen36 ein Bestimmungslandprinzip vor. Da der erreichte Grad materiellrechtlicher Harmonisierung noch bescheiden war, ergaben sich jedoch erhebliche Möglichkeiten der Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit. Soweit das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung reicht, haben Mitgliedstaaten, die eine weitreichende materiellrechtliche Harmonisierung zur Bedingung einer Liberalisierung erhoben, infolge des Urteils keine Möglichkeit mehr, die Verwirklichung des Binnenmarktes zu verzögern.37
B. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor I. Regulierungen als Wettbewerbsparameter 1. Möglichkeiten zur Kapitalanlage Die Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Versicherungsaufsichtsrechten waren und sind grundsätzlich geeignet, die Wettbewerbsposition von Versicherungsunternehmen gegenüber den Nachfragern nach Versicherungsdienstleistungen zu beeinflussen. Wettbewerbsrelevant sind etwa Regelungen zur Kapitalanlage. Sie haben Einfluss auf die Erträge der Anlage und damit auf die Rendite, die einen wesentlichen Wettbewerbsparameter bei Lebensversicherungen darstellt38. Zudem besteht ein Einfluss auf Prämien und ein Einfluss auf die Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens.39 Die Dritten Richtlinien schaffen jeweils in Art. 21 einen Maximalkatalog,40 aus der die Mitgliedstaaten auswählen können, welche Vermögenswerte sie zur Bedeckung von Risiken zulassen wollen.41 Nach Art. 21 Abs. 1 A. c) der Dritten Richtlinien können die versicherungstechnischen Rückstellungen unter anderem durch 36 EuGH, Urteil vom 4. 12. 1986, Rs. 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, 3806 Rn. 40. 37 Vgl. R. Schmidt, Das DLF-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 4. 12. 1986, VersR 1987, S. 1, 1. 38 Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Wettbewerbsfaktoren von Lebensversicherungsunternehmen in Deutschland – Empirische Analyse 1985 bis 1992 –, S. 8; Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer. 39 Vgl. Hahn, Die Kapitalanlage von Versicherungsunternehmen nach dem VAG, S. 5 f.; Küppers, Insolvenzsicherungssysteme von Versicherungsunternehmen in Deutschland und Großbritannien im Vergleich am Beispiel der KfZ-Haftpflichtversicherung, S. 10; Wein, Wirkungen der Deregulierung im deutschen Versicherungsmarkt, S. 16 ff. Kritisch zur Sicherheit von Lebensversicherungen: Grandt, Der Crash der Lebensversicherungen, Die enttarnte Lüge von der angeblich sicheren Vorsorge, S. 63, 75 ff. 40 Vgl. Art. 21 Abs. 1 Richtlinie 92/49/EWG. 41 Vgl. Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, S. 748.
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Aktien bedeckt werden. Nach Art. 22 Abs. 1 lit b) der Dritten Richtlinien begrenzt der Herkunftsmitgliedstaat die Anlage von Aktien ein und desselben Unternehmens auf 5 Prozent der Bruttorückstellungen (vorbehaltlich einer Ausnahmemöglichkeit nach Art. 22 Abs. 6 Dritte Richtlinie Schaden). Im deutschen Recht ist die Regulierung der Kapitalanlage von Versicherungsunternehmen in § 54 VAG (der allgemeine Grundsätze der Kapitalanlage statuiert) in Verbindung mit der auf Grundlage von § 54 Abs. 3 VAG erlassenen Anlageverordnung verankert.42 Danach ist die Anlage von Aktien grundsätzlich zulässig (§ 2 Abs. 1 Nr. 12 Anlageverordnung), jedoch ist die Anlage in Aktien auf höchstens 35 Prozent des Sicherungsvermögens und des übrigen gebundenen Vermögens beschränkt (§ 3 Abs. 3 Anlageverordnung).43 In Großbritannien hingegen kann der Aktienanteil zur Bedeckung der versicherungstechnischen Risiken theoretisch 100 Prozent betragen,44 wobei jedoch eine Streuungsregel von 2,5 Prozent in Bezug auf die Anlage in Aktien von einem Unternehmen gilt45. Von diesen liberaleren Anlagebestimmungen machten britische Lebensversicherer Gebrauch. So lag der Aktienanteil bei dem britischen Lebensversicherer Standard Life von 1969 bis 1999 nach Feststellung von Ortmann nie unter 52 Prozent.46 Nach dieser Untersuchung von Ortmann aus dem Jahr 2002 wichen die Renditeunterschiede zwischen deutschen und britischen Lebensversicherern vor allem aufgrund der unterschiedlichen Aktienquote erheblich voneinander ab47: Ein bei Vertragsschluss 30jähriger Musterkunde eines britischen Versicherungsunternehmens Standard Life erzielte nach 30 Jahren Laufzeit (von 1969 bis 1999) und einer monatlichen Einzahlung von 100 DM bzw. 100 Pfund eine Rendite von jährlich 12,85 Prozent.48 Derselbe Musterkunde bei Allianz-Lebensversicherungs-AG erzielte hingegen eine Rendite von 5,95 Prozent (Abweichung von 6,9 Prozent).49 Nach Berücksichtigung der Inflationsraten in Deutschland und Großbritannien hätte der Musterkunde in Deutschland nach 30 Jahren eine reale Rendite von 2,57 Prozent, in Großbritannien dagegen eine Rendite von 5,12 Prozent erzielt.
42
Anlageverordnung vom 20. Dezember 2001, BGBl. I 2001, S. 3913, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 11. Februar 2011, BGBl. I 2011, S. 250; Beyer, Die Kapitalanlagevorschriften des VAG und des englischen Rechts aus europarechtlicher Sicht, S. 34 ff. 43 Beyer, Die Kapitalanlagevorschriften des VAG und des englischen Rechts aus europarechtlicher Sicht, S. 57 f. 44 Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer, S. 115. 45 Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer, S. 115. 46 Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer, S. 41. 47 Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer, S. 41. 48 Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer, S. 39. 49 Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer, S. 39.
B. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor
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Bei einer 15jährigen Laufzeit von 1984 bis 1999 hätte sich für den deutschen Musterkunden eine Rendite von 5,84 Prozent und den britischen Versicherten eine Rendite von 11,7 Prozent ergeben (Abweichung von 5,86 Prozent).50 Die reale Rendite hätte in Deutschland bei 3,81 Prozent und in Großbritannien bei 7,52 Prozent gelegen.51 Zu berücksichtigen sind jedoch mögliche Unterschiede in der Höhe der garantierten Leistung.52 Infolge der Finanzmarktkrise und des dadurch bedingten Kursverfalls auf den Aktienmärkten,53 haben Kunden britischer Lebensversicherungen jedoch erhebliche Einbußen in der Rendite hinnehmen müssen.54 Die Inanspruchnahme regulatorischer Freiheiten wandele sich in einen Wettbewerbsnachteil. Die Nachfrage nach Lebensversicherungen aus Großbritannien und Irland ist deshalb merklich zurückgegangen. Die Annahme einer allgemein funktionierenden Rückkopplung im Bereich der Kapitalanlagevorschriften55 erscheint in Zeiten, die nicht durch Krisenerfahrungen geprägt sind, aus verhaltensökonomischer Sicht jedoch sehr zweifelhaft.56 Einerseits sind versicherungsaufsichtsrechtliche Regulierungen hoch komplex57 und zudem stehen im versicherungsrechtlichen Kontext Fragen einer Risikobewertung im Raum, die die Kompetenz eines durchschnittlichen Nachfragers nach Versicherungsdienstleistungen überfordern.58
50
Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer, S. 39. Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer, S. 40. 52 Ortmann, Kapitalanlage deutscher und britischer Lebensversicherer, S. 43. 53 Hergert, Britische Lebensversicherungen stehen massiv unter Druck, Wirtschaftswoche 27. 10. 2008, www.wiwo.de/unternehmen/finanzkrise-britische-lebensversicxherungen-stehenmassiv-unter-druck/5141002.html (abgerufen am 05. 01. 2012). 54 Palan, Klagewelle, Anleger gegen gegen Clerical Medical vor, 22. 10. 2009, http://www. manager-magazin.de/finanzen/geldanlage/0,2828,656551,00.html. 55 Vgl. Finsinger, Versicherungsmärkte in sieben Ländern: Wettbewerb oder staatliche Lenkung?, S. 36; Hohlfeld, Was bleibt von der materiellen Versicherungsaufsicht nach Vollendung des Binnenmarktes?, S. 11. 56 Vgl. Rehberg, Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem; Baumann, Allgemeine Versicherungsbedingungen und Deregulierung im Rahmen der EG-Dienstleistungsfreiheit, in: Geburtstags-Schrift für Georg Büchner, S. 271, 274 f. 57 Vgl. Basedow, Die Gesetzgebung zum Versicherungsvertrag zwischen europäischer Integration und Verbraucherpolitik, in: Versicherungsrecht in Europa, S. 13, 20: „Ein Angebot einer Privathaftpflichtversicherung nach deutschem Recht und ein konkurrierendes Angebot nach englischem Recht sind selbst für den Experten der Rechtsvergleichung nicht ohne weiteres kommensurabel; wer die Vergleichbarkeit beider Angebote herstellen will, muss einen unverhältnismäßigen Aufwand tätigen“. 58 Vgl. Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken. Zu Fehlern in der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten zusammenfassend: Fleischer/Schmolke/Zimmer, Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 9, 32 ff. 51
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2. Spartentrennung Rechtsunterschiede bestehen hinsichtlich der Zulässigkeit des gemeinsamen Betriebs verschiedener Versicherungszweige. Versicherungsunternehmen mit Sitz in Deutschland dürfen nach § 8 Abs. 1a VAG die Lebensversicherung und die substitutive Krankenversicherung (vgl. § 12 VAG) nicht mit anderen Sparten zusammen betreiben.59 Dies gilt auch für Tätigkeiten im Ausland.60 Dieses Spartentrennungsgebot kann hingegen Versicherungsunternehmen aus anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten nicht entgegengehalten werden,61 so dass daraus eine Inländerdiskriminierung folgt62. Die Unterschiedlichkeit dieser Regulierung kann wettbewerbsrelevant sein:63 Spartentrennungsgebote führen zu einer Einengung der Möglichkeiten zur Produktgestaltung64 und die Anforderungen an eine Spartentrennung beeinflussen zudem Absatzmöglichkeiten für Versicherungsdienstleistungen65, denn im Falle der Spartentrennung ist es für den Kunden nicht möglich, die „Versicherungen aus einer Hand“66 zu beziehen.67 Versicherungsunternehmen werden zudem gezwungen, entsprechende Versicherungsangebote in andere Unternehmen auszulagern und für jedes Unternehmen eine eigene Verwaltung einzurichten, so dass Kostennachteile für das Angebot von Versicherungen unter Geltung des Spartentrennungsgrundsatzes gegenüber der Situation einer fehlenden Verpflichtung zur Spartentrennung entstehen.68 59 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, vom 04. 03. 1994, S. 54; Kaulbach, in: Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG, § 8 Rn. 64 f. 60 Fahr, in: Fahr/Kaulbach/Bähr, VAG, 4. Aufl., § 13b Rn. 11. 61 Präve, in: Prölss, VAG, § 8 Rn. 39, 43; Sahmer, Strukturen und Probleme der substitutiven Krankenversicherung, ZfV 1996, S. 483, 486; Präve, Das Dritte Durchführungsgesetz/ EWG zum VAG – Ausgewählte Fragen des neuen Aufsichts- und Vertragsrechts ZfV 1994, S. 227, 228; H. Müller, Die EWG-Rechtsschutzversicherungs-Richtlinie und ihre Auswirkungen, VW 1988, S. 1354, 1362. 62 Präve, in: Prölss, VAG, § 8 Rn. 43. 63 Vgl. H. Müller, Der Grundsatz der Spartentrennung im Gemeinsamen Markt nach Verabschiedung der Koordinierungsrichtlinien für die Lebensversicherung, ZVersWiss 1979, S. 147, 148 f.; Präve, in: Prölss, VAG, § 8 Rn. 53; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 241. 64 Hennig, Die Spartentrennung auf dem Prüfstand – neue EG-Entwicklungen in der Lebensversicherung, in: Geburtstags-Schrift für Georg Büchner, S. 49, 53; Farny, Die Versicherungswirtschaft im Wettbewerbskonzept der Marktwirtschaft, ZVersWiss 1979, S. 31, 62. 65 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 240 – 242. 66 Präve, in: Prölss, VAG, § 8 Rn. 53. 67 Vgl. Präve, in: Prölss, VAG, § 8 Rn. 53. 68 Vgl. H. Müller, Der Grundsatz der Spartentrennung im Gemeinsamen Markt nach Verabschiedung der Koordinierungsrichtlinien für die Lebensversicherung, ZVersWiss 1979,
B. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor
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Aufgrund der Komplexität der Regulierung ist hingegen nicht wahrscheinlich, dass Versicherungskunden die Schutzfunktion der Spartentrennung, die in der Verhinderung von Interessenkonflikten69 und der Verhinderung von Verlustübergriffen70 besteht, honorieren.71 Es droht hier sehr wahrscheinlich eine Unterschätzung der Vorteile der Spartentrennung, wenn den Kunden die Tatsache der Spartentrennung überhaupt bewusst ist. 3. Missstandsaufsicht Deutschland normiert im Unterschied zu anderen Mitgliedstaaten neben der Legalitätskontrolle auch eine Missstandsaufsicht (§ 81 Abs. 2 VAG).72 Diese Regelung ermöglicht ein Eingreifen der Aufsichtsbehörde, unabhängig vom Vorliegen einer Gesetzesverletzung.73 Die Missstandsaufsicht ist nicht anwendbar im Rahmen der Tätigkeitslandaufsicht über Versicherungsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten,74 so dass sich theoretisch eine stärkere regulatorische Belastung von Versicherungsunternehmen mit Sitz in Deutschland ergibt75. In der Praxis dürfte sich die ökonomische Bedeutung dieser strengeren Regulierung jedoch in Grenzen halten.76 S. 147, 149: „Betriebswirtschaftliche Untersuchungen darüber, ob die Spartentrennung zu einer nicht vertretbaren Kostensteigerung führt, liegen nicht vor“. 69 Präve, in: Prölss, VAG, § 8 Rn. 46 f., S. 174 f.; Gesetzesbegründung, BR-Drs. 23/94, S. 154 (zur substitutiven Krankenversicherung). 70 Präve, in: Prölss, VAG Kommentar, § 8 Rn. 46 f.; Gesetzesbegründung, BR-Drs. 23/94, S. 154 (zur substitutiven Krankenversicherung). 71 Vgl. aber: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 227, 234. 72 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, vom 04. 03. 1994, S. 82 f.; Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, S. 43; Bähr, Die Missstandsaufsicht nach § 81 VAG unter besonderer Berücksichtigung der Problematik der Inländerdiskriminierung, VersR 2001, S. 1185, 1189 ff. 73 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, vom 04. 03. 1994, S. 83; Bähr, Die Missstandsaufsicht nach § 81 VAG unter besonderer Berücksichtigung der Problematik der Inländerdiskriminierung, VersR 2001, S. 1185, 1189. 74 Bähr, Die Missstandsaufsicht nach § 81 VAG unter besonderer Berücksichtigung der Problematik der Inländerdiskriminierung, VersR 2001, S. 1185, 1189 ff.; Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, S. 42. 75 Bähr, Die Missstandsaufsicht nach § 81 VAG unter besonderer Berücksichtigung der Problematik der Inländerdiskriminierung, VersR 2001, S. 1185, 1192. Bähr bewertet die aus § 81 VAG folgende Inländerdiskriminierung als verfassungswidrig (Bähr, Die Missstandsaufsicht nach § 81 VAG unter besonderer Berücksichtigung der Problematik der Inländerdiskriminierung, VersR 2001, S. 1185, 1192 ff.) und fordert eine verfassungskonforme Auslegung (Bähr, Die Missstandsaufsicht nach § 81 VAG unter besonderer Berücksichtigung der Problematik der Inländerdiskriminierung, VersR 2001, S. 1185, 1196).
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§ 12 Systemwettbewerb in den Versicherungsrichtlinien
Die Transparenz dieses Regulierungsunterschiedes ist äußerst gering. Verbraucher sind sich der Rechtsunterschiede in der Ausgestaltung der Aufsicht nicht bewusst, so dass eine Rückkopplung im Hinblick auf die deutsche Missstandsaufsicht ausscheidet. Zudem ist der Einfluss der Misstandsaufsicht auf das Versicherungsprodukt nicht ohne weiteres zu erkennen. 4. Transparenz von Regulierungsunterschieden: Abgleich mit den Modellannahmen Aufgrund der begrenzten Fähigkeiten der Nachfrager einen rechtsvergleichenden Überblick zu gewinnen, diese Informationen sachgerecht zu bewerten und Risiken richtig einzuschätzen,77 erscheint deshalb die Annahme eines Marktversagens auf Ebene der Nachfragentscheidungen grundsätzlich gerechtfertigt.78 Ein Rating von Versicherungsdienstleistungen kann jedoch die Transparenz zu Gunsten der Nachfrager entscheidend erhöhen.79 Die grundsätzliche Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers findet Ausdruck in der Schutztheorie, die die Versicherungsaufsicht gerade mit dem besonderen Schutzbedürfnis des Versicherungsnehmers begründet,80 in der das Sitzlandprinzip flankierenden Mindestharmonisierung und in der Anknüpfung im internationalen Versicherungsvertragsrecht an das Bestimmungsland hinsichtlich des Massengeschäfts (vgl. Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO)81. Die Annahme von Apolte, dass die Transparenz auf Normebene generell höher ist als auf Produktebene,82 findet im Versicherungswesen keine Bestätigung, denn die Unkenntnis bezieht sich im Bereich des Versicherungswesens gerade auch auf das
76
Vgl. Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, S. 618 – 620. Vgl. Fleischer/Schmolke/Zimmer, Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handelsund Wirtschaftsrecht, S. 9 – 62. 78 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 244 f. 79 Vgl. Finsinger, Die Bewertung von Versicherungsunternehmen und ihren Produkten, VW 15/1998, S. 1042 – 1047. 80 R. Schmidt/Präve, in: Prölss, VAG, Vorbem. Rn. 56; Bähr, Das Generalklausel- und Aufsichtssystem des VAG im Strukturwandel, S. 69 ff. 81 Brittan, Der Europäische Binnenmarkt der Versicherungen: Was noch zu tun bleibt, VW 1990, S. 754, 759; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, 04. 03. 1994, S. 1, 45; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 140; H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, S. 323 Rn. 915; Heidinger, Gemeinsamer Markt für Versicherungen und Auswirkungen auf das nationale Versicherungsvertragsrecht am Beispiel der Prämienanpassungsklausel, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1998, S. 271, 277. 82 Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10, S. 13. 77
B. Regulierungen als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor
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Versicherungsprodukten zugrundeliegende Recht83. Das Recht erscheint für den Laien nicht weniger komplex als das jeweilige Versicherungsprodukt. Zudem beziehen sich Ratings84 nicht auf Regulierungssysteme, sondern auf Versicherungsunternehmen. Auch wenn der Regulierungsrahmen für den durchschnittlichen Versicherungskunden transparent wäre, kann die Aussagekraft von Regulierungen begrenzt sein. So ist bei Betrachtung der zulässigen Aktienquote nicht erkennbar, inwieweit Versicherungsunternehmen diese Quote ausschöpfen.
II. Regulierungen als Standortfaktor Vereinzelt sind Standortverlagerungen von Versicherungsunternehmen aus regulatorischen Gründen zu beobachten. Die Kanalinseln Jersey und Guernsey konnten mittels der Zulassung von captives (also der Gründung von Unternehmen, die Risiken von Nicht-Versicherungsunternehmen übernehmen85) das Versicherungswesen dort zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor werden lassen.86 Mit der Übertragung seines strengen Bankgeheimnisses auf die Versicherungsbranche87 erreichte Luxemburg die Ansiedlung einer erheblichen Zahl von Lebensversicherungsunternehmen,88 die überwiegend auf Märkte in anderen Mitgliedstaaten konzentriert sind89 und sich an ein vermögenderes Publikum wenden90.
83 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 234 ff. 84 Vgl. Finsinger, Die Bewertung von Versicherungsunternehmen und ihren Produkten, VW 15/1998, S. 1042 – 1047. 85 Gabler Wirtschaftslexikon, Bd. Bf-E, Stichwort: „Captive (Re)Insurance“, S. 576; Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 60. 86 Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 39 (Jersey), 60, 63 (Guernsey). 87 Warth, Luxemburg und das europäische Versicherungsgeschäft, Versicherungswissenschaft 1997, S. 189, 189. 88 Während es in Luxemburg im Jahr 1986 lediglich vier Lebensversicherungsunternehmen gab, stieg die Zahl der im Luxemburg ansässigen Unternehmen ca. in einer Dekade auf 53 Unternehmen an (Warth, Luxemburg und das europäische Versicherungsgeschäft, Versicherungswissenschaft, S. 189, 190). Ein Versicherungskunde aus anderen Mitgliedstaaten konnte in Luxemburg „sein Geldvermögen quasi ,offshore‘ verwalten“ (Warth, Luxemburg und das europäische Versicherungsgeschäft, Versicherungswissenschaft 1997, S. 189, 189). 89 Warth, Luxemburg und das europäische Versicherungsgeschäft, Versicherungswissenschaft 1997, S. 189, 190. 90 Warth, Luxemburg und das europäische Versicherungsgeschäft, Versicherungswissenschaft 1997, S. 189, 190.
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§ 12 Systemwettbewerb in den Versicherungsrichtlinien
Versicherungsunternehmen passten in der Folgezeit ihre Produkte an die unterschiedlichen Präferenzen der Zielländer an.91 Das Bild einer Standortrelevanz der mitgliedstaatlichen Versicherungsaufsichtsrechte ist im Massenversicherungsgeschäft jedoch schon deshalb zu relativieren, weil der grenzüberschreitende Vertrieb von Versicherungen grundsätzlich nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt.92 Versicherungsunternehmen expandieren nicht über das grenzüberschreitende Angebot von Versicherungsleistungen, sondern über den Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Versicherungsunternehmen.93
C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise Aufgrund der strikten Regulierung im deutschen Versicherungsaufsichtsrecht auf Grundlage der Besonderheitenlehre94, erzwang die Umsetzung der Versicherungsrichtlinien eine erhebliche Deregulierung im deutschen Versicherungsaufsichtsrecht.95 So mussten die Bedingungs- und Tarifgenehmigung abgeschafft werden96. Neben die durch die Richtlinienumsetzung erzwungene Deregulierung tritt eine Deregulierung aufgrund des Wunsches einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen. Im Folgenden ist grundsätzlich ausschließlich die nicht durch die Richtlinie in rechtlich verbindlicher Weise vorgegebene Deregulierung Gegenstand der Betrachtung, da nur diese „freiwillige“ Deregulierung Ausdruck von Systemwettbewerb sein kann.
91 Warth, Luxemburg und das europäische Versicherungsgeschäft, Versicherungswissenschaft 1997, S. 189, 190. 92 Farny, Die Marktanteile „ausländischer“ Versicherer auf dem deutschen Erstversicherungsmarkt 1993 – 2000, Universität zu Köln, Institut für Versicherungswissenschaft, Abteilung A: Versicherungswirtschaft, Mitteilung 1/2002. 93 H. Köhler, Perspektiven der Versicherungswirtschaft in den 90er Jahren, in: GeburtstagsSchrift für Georg Büchner 1991, S. 75, 79; Wein, Wirkungen der Deregulierung im deutschen Versicherungsmarkt, S. 75, 80; Wesselkock, [Stellvertretender Vorsitzender des Verbandes der Lebensversicherungs-Unternehmen], Die Versicherungswirtschaft vor veränderten Rahmenbedingungen, VW 1991, S. 1450, 1452. 94 Vgl. Teil 1 § 2 A. II. 2. 95 Loheac, Der Binnenmarkt für Versicherungen: Chancen, Grenzen, Perspektiven, VW 1994, S. 1116, 1119: „kulturelle Revolution“; Brittan, Der Europäische Binnenmarkt der Versicherungen: Was noch zu tun bleibt, VW 1990, S. 754, 755; Baumann, Allgemeine Versicherungsbedingungen und Deregulierung im Rahmen der EG-Dienstleistungsfreiheit, in: Geburtstags-Schrift für Georg Büchner, S. 271, 273 „Von geradezu radikaler DeregulierungsKonsequenz“; Wesselkock, Die Versicherungswirtschaft vor veränderten Rahmenbedingungen, VW 1991, S. 1450, 1450, 1452. 96 Art. 39 Abs. 2 Dritte Richtlinien; Eberhardt, Die Missbrauchsaufsicht des Bundesaufsichtsamtes für Versicherungswesen, S. 21 ff.
C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise
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I. Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger und Zweites Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien Der deutsche Gesetzgeber deregulierte im Jahr 198797 und im Jahr 199098 die deutschen Kapitalanlagevorschriften für Versicherungsunternehmen. Versicherungsunternehmen wurde mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger z. B. ermöglicht, sich auch an kleineren nicht börsennotierten Unternehmen zu beteiligen.99 Der Gesetzgeber begründet diese Deregulierung (vor dem Hintergrund der weitgehend noch nicht verwirklichten Dienstleistungsfreiheit) nicht mit dem Ziel der Angleichung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen, sondern sieht sie als allgemein gesamtwirtschaftlich sinnvoll an, um die Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen zu verbessern.100 Eine solide Eigenkapitalausstattung trägt nach Ausführungen der Bundesregierung dazu bei, den Strukturwandel zu bewältigen und die Arbeitslosigkeit zu überwinden.101 Mit dem Zweiten Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien102, das die Zweite Richtlinie Schaden in deutsches Recht umsetzte, erweiterte der deutsche Gesetzgeber unter anderem die Anlagemöglichkeiten für deutsche Versi97
Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger vom 16. 12. 1986, BGBl. I S. 2485. Vgl. Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger, BT-Drs. 10/4671, 16. 1. 1986; Beyer, Die Kapitalanlagevorschriften des VAG und des englischen Rechts aus europarechtlicher Sicht, S. 14 f. (Darstellung im Überblick). 98 Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Zweites Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), vom 28. 6. 1990, BGBl. 1990, S. 1249; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Zweites Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 11/6341, 01. 02. 1990. 99 Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger, BT-Drs. 10/4671, 16. 01. 1986, S. 8 f; Beyer, Die Kapitalanlagevorschriften des VAG und des englischen Rechts aus europarechtlicher Sicht, S. 14. 100 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 10/ 6154, 15. 10. 1986, S. 1. Vgl. auch: Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger, BT-Drs. 10/4671, 16. 01. 1986, S. 1, 6 f. 101 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Zweites Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 11/6341, 01. 02. 1990, S. 1; Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger, BT-Drs. 4671, 16. 01. 1986, S. 1. 102 Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Zweites Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), vom 28. 6. 1990, BGBl. 1990, S. 1249.
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cherungsunternehmen103 über das von der Richtlinie erzwungene Maß hinaus.104 Es wurde z. B. die zulässige Quote für Aktien, Investmentzertifikate und Unternehmensbeteiligungen nicht börsennotierter Unternehmen von 20 auf 30 Prozent des Sicherungsvermögens und von 25 auf 30 Prozent des übrigen gebunden Vermögens erhöht (§ 54a Abs. 4 Satz 1 VAG a. F.).105
II. Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG Mit dem Dritten Durchführungsgesetz/EWG zum VAG106 aus dem Jahr 1994 setzte der deutsche Gesetzgeber die Dritten Richtlinien in deutsches Recht um,107 womit die Frage relevant wurde, inwieweit der deutsche Gesetzgeber unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen in- und ausländischer Versicherungsunternehmen und insbesondere eine Inländerdiskriminierung rechtspolitisch hinnehmen kann. Im Hinblick auf die Kapitalanforderungen ist der Gesetzgeber zum Teil über die in den Richtlinien vorgesehene Mindestharmonisierung hinausgegangen: „In der vorgeschlagenen Gesetzesfassung werden nicht alle in den beiden 3. Richtlinien erwähnten Vermögenswerte zugelassen. Der Entwurf entspricht damit dem Grundsatz der 3. Richtlinien, wonach die Erwähnung in den Richtlinien nicht bedeutet, dass alle Vermögenswerte zugelassen werden müßten“.108
So bleiben z. B. die Möglichkeiten zur Anlage in Aktien im deutschen Recht auf höchstens 25 Prozent des Deckungsstockvermögens und des übrigen gebundenen 103 Vgl. die gesetzgeberischen Maßnahmen im Überblick: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates und der Europäischen Gemeinschaften (Zweites Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 11/6341, 01. 02. 1990, S. 1, 18 f. 104 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates und der Europäischen Gemeinschaften (Zweites Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 11/6341, 01. 02. 1990, S. 19. 105 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates und der Europäischen Gemeinschaften (Zweites Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 11/6341, 01. 02. 1990, S. 1, 5, 23. 106 Drittes Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) vom 21. Juli 1994, BGBl. I 1994, S. 1630, 3140. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, 04. 03. 1994; Beyer, Die Kapitalanlagevorschriften, S. 17 f. 107 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, vom 04. 03. 1994, S. 1. 108 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, S. 79. Vgl. Rabe, Liberalisierung und Deregulierung im Europäischen Binnenmarkt für Versicherungen, S. 126.
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Vermögens beschränkt.109 Es kam anfänglich zu Diskussionen aufgrund der deutschen Umsetzung110 im Hinblick auf eine daraus folgende Inländerdiskriminierung111: „Eine strengere Aufsicht über deutsche Unternehmen im Vergleich zu ausländischen Dienstleistungsanbietern würde von Beginn an zu einer unvertretbaren Benachteiligung im Wettbewerb führen. Deshalb wird es unumgänglich sein, einen über Jahrzehnte aufgelaufenen Bestand an deutschen Aufsichtsnormen, Amtsverlautbarungen und Aufsichtsgrundsätzen daraufhin zu durchforsten, ob und wie weit dieselben einer Chancengleichheit im künftigen Binnenmarkt entgegenstehen“112.
Die Frage einer Ungleichheit von Wettbewerbsbedingungen verlor mit der Zeit jedoch an Bedeutung.113 Hintergrund für die Beruhigung der Diskussion war die geringe Bedeutung eines Wettbewerbs seitens von ausländischen Versicherungsunternehmen auf dem deutschen Markt im Wege der Dienstleistungsverkehrsfreiheit und der langen Gewöhnung der Marktakteure an das vergleichsweise strenge deutsche Versicherungsaufsichtsrecht.114 Der deutsche Gesetzgeber hielt an der Spartentrennung zwischen Lebensversicherung und Schadensversicherung als auch für die Krankenversicherung für inländische Versicherungsunternehmen fest,115 obwohl bestehenden ausländischen Mehrbranchen-Versicherern in Deutschland der Marktzugang im Wege der 109
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, 04. 03. 1994, S. 19. 110 Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, Kritische Betrachtungen, S. 759; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 257. 111 Vgl. Beyer, Die Kapitalanlagevorschriften des VAG und des englischen Rechts aus europarechtlicher Sicht, S. 29 f., 33; G. Köhler, Harmonisierung der Kapitalanlagevorschriften in der EG, in: Geburtstags-Schrift für Georg Büchner, S. 67, 68 f.; Hennig, Die Spartentrennung auf dem Prüfstand – neue EG-Entwicklungen in der Lebensversicherung, in: GeburtstagsSchrift für Georg Büchner, S. 49, 53; Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, Kritische Betrachtungen, S. 44 – 49; Bähr, Das Generalklausel- und Aufsichtssystem des VAG im Strukturwandel, S. 230 ff. 112 Jannott [Vorstandsvorsitzender Victoria Versicherungen], Die deutsche Lebensversicherung an der Schwelle des Europäischen Binnenmarktes, VW 1993, S. 748, 752. 113 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 257. 114 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, 04. 03. 1994, S. 46; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 257. 115 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, 04. 03. 1994, S. 1, 46. Vgl. Hennig, Die Spartentrennung auf dem Prüfstand – neue EG-Entwicklungen in der Lebensversicherung, in: Geburtstags-Schrift für Georg Büchner, S. 49, 53.
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Dienstleistungsfreiheit eröffnet ist116. Damit nahm der Gesetzgeber strengere regulatorische Vorgaben für inländische Anbieter bewusst in Kauf.117 Die Bundesregierung will dem Verbraucher in Bezug auf die Spartentrennung im Bereich von Schadens- und Lebensversicherungen die Entscheidung überlassen, „welcher Art von Unternehmen er sich anvertrau[t]“.118 Die Versicherungswirtschaft hat das deutsche Festhalten am Spartentrennungsgebot ausdrücklich begrüßt119 bzw. nicht beklagt120. Die Bundesregierung hält in Umsetzung der Dritten Richtlinien ein Festhalten an der Missstandsaufsicht für erforderlich. Sie hält eine Abschaffung der Missstandsaufsicht „angesichts der erheblichen Auflockerung des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts“ nicht für vertretbar,121 aber geht davon aus, dass die Regelung auch ausländischen Versicherern gegenüber durchgesetzt werden kann122. Die Verankerung einer Missstandsaufsicht wurde jedoch von den deutschen Versicherern vor dem Hintergrund einer daraus resultierenden Inländerdiskriminierung123 abgelehnt.124 Die 116 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, 04. 03. 1994, S. 1, 46. 117 Präve, in: Prölss, VAG, § 8 Rn. 43 S. 174; W. Hennig meint 1991, dass die Frage einer Inländerdiskriminierung infolge eines Festhaltens an der Spartentrennung grundsätzliche Bedeutung für die weitere Rechtsentwicklung habe (Hennig, Die Spartentrennung auf dem Prüfstand – neue EG-Entwicklungen in der Lebensversicherung, in: Geburtstags-Schrift für Georg Büchner, S. 49, 53). 118 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, 04. 03. 1994, S. 1, 46. 119 Jannott [Vorstandsvorsitzender Victoria Versicherungen], Die deutsche Lebensversicherung an der Schwelle des Europäischen Binnenmarktes, VW 1993, S. 748, 751: „Schließlich ist die auf dem Weg nach Europa zwischenzeitlich von den deutschen Lebensversicherern bereits verloren geglaubte Spartentrennung am Ende nunmehr doch als Optionsrecht wieder in die Richtlinie aufgenommen worden. Wir vertrauen darauf, daß die Bundesregierung auch von diesem Optionsrecht Gebrauch machen wird. Erst dann ist sichergestellt, daß die Erfüllung unserer Versorgungsversprechen nicht durch Leistungen für Schadensereignisse und Risiken aus anderen Versicherungssparten ausgehöhlt werden kann“; Greisler, Die PKV auf dem Weg nach Europa, VW 1992, S. 782, 786. 120 Präve, Das Dritte Durchführungsgesetz/EWG zum VAG – Ausgewählte Fragen des neuen Aufsichts- und Vertragsrechts ZfV 1994, 227, 228. 121 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, vom 04. 03. 1994, S. 83. 122 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, vom 04. 03. 1994, S. 83: „Die Vorschrift ist über § 110a Abs. 4 Nr. 3 auch für Versicherer aus anderen Mitgliedstaaten der EG anwendbar“; J. F. Schmidt, Die Deregulierung der Versicherungsaufsicht und die Versicherungsvermittlung in Deutschland, S. 83. 123 Bähr, Die Missstandsaufsicht nach § 81 VAG unter besonderer Berücksichtigung der Problematik der Inländerdiskriminierung, VersR 2001, S. 1185, 1192.
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Bundesregierung kündigte in dem Gesetzentwurf als Kompromiss eine Rücknahme der Missstandsaufsicht an, wenn sich ergeben sollte, dass diese nicht gegenüber Versicherungsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten durchgesetzt werden könne.125
III. Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes Das Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes aus dem Jahr 2000126 bewirkte eine grundlegende Novellierung der Kapitalanlagevorschriften.127 In formaler Hinsicht kam es entsprechend den Forderungen der Versicherungswirtschaft128 zur Aufhebung von § 54a VAG a. F., der detaillierte Anlagevorschriften enthielt,129 und einer Regulierung der Kapitalanlage in der Anlageverordnung (AnlV)130. 124 Vgl. Büchner, [Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft], Umbrüche – Aufbrüche, VW 1992, S. 1464, 1470; Rieger, Sachversicherung: Erneut negatives Gesamtergebnis, VW 1993, S. 974, 976; Dreher, Inhalt und Grenzen einer künftigen Mißstandsaufsicht des VAG – Überlegungen zu einem neuen § 81 VAG –, VersR 1993, S. 1443, 1443. Zur Konkretisierung des Missstandsbegriff durch das BAV: Bähr, Das Generalklauselund Aufsichtssystem des VAG im Strukturwandel, S. 110 ff. 125 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG), BT-Drs. 12/6959, vom 04. 03. 1994, S. 83. 126 Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, insbesondere zur Durchführung der EGH-Richtlinie 98/78/EG vom 27. Oktober 1998 über die zusätzliche Beaufsichtigung der einer Versicherungsgruppe angehörenden Versicherungsunternehmen sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 21. 12. 2000, BGBl. I 2000, 1857; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, insbesondere zur Durchführung der EGH-Richtlinie 98/78/EG vom 27. Oktober 1998 über die zusätzliche Beaufsichtigung der einer Versicherungsgruppe angehörenden Versicherungsunternehmen sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BT-Drs. 14/4453, 01. 11. 2000; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung – Drucksache 14/4453 –, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, insbesondere zur Durchführung der EGHRichtlinie 98/78/EG vom 27. Oktober 1998 über die zusätzliche Beaufsichtigung der einer Versicherungsgruppe angehörenden Versicherungsunternehmen sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BT-Drs. 14/4921 vom 6. 12. 2000. Vgl. Präve, Die VAG-Novelle 2000/ 2001, VersR 2001, S. 133 – 142; Beyer, Die Kapitalanlagevorschriften des VAG und des englischen Rechts aus europarechtlicher Sicht, S. 18; Weber-Rey, Private Equity Beteiligungen als alternative Anlagemöglichkeiten für Versicherungsunternehmen, NZG 2003, S. 385 – 389. 127 Vgl. Beyer, Die Kapitalanlagevorschriften des VAG und des englischen Rechts aus europarechtlicher Sicht, S. 18. 128 Vgl. Michaels, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), Statement anlässlich des Pressekolloquiums des GDV, 02. 04. 2001. 129 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, insbesondere zur Durchführung der EGH-Richtlinie 98/78/EG vom 27. Oktober 1998 über die zusätzliche Beaufsichtigung der einer Versicherungsgruppe
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Inhaltlich weitete der Gesetzgeber die Anlagemöglichkeiten für Versicherungsunternehmen aus.131 So wurde die zulässige Aktienquote von 30 Prozent (§ 54a Abs. 4 Satz 1 VAG a. F.) auf 35 Prozent (§ 3 Abs. 3 Satz 1 AnlV) erhöht.132 Die Anlage in Dachfonds und gemischten Wertpapier-Grundstückssondervermögen wurde für zulässig erklärt. Die Liberalisierung war vor allem das Ergebnis von rechtspolitischem Druck seitens der deutschen Versicherungswirtschaft.133 Während der frühere Präsident des Amtes für Bundesversicherungsaufsicht H. Müller noch im Jahr 1999 die Ansicht vertrat, dass für eine Änderung der Anlagegrenzen in Aktien kein Bedürfnis bestehe134 und der Gesetzgeber zunächst plante, die Aktienquote von 30 Prozent in der Schadens- und Unfallversicherung aus Sicherheitsgründen beizubehalten135, gelang es der deutschen Versicherungswirtschaft, den Gesetzgeber zu einer Deregulierung zu veranlassen136. Dem Gesetzentwurf liegt ausdrücklich die Motivation der Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen im Versicherungsbinnenmarkt zugrunde: „Da die Versicherungsunternehmen in einem gemeinsamen Versicherungsmarkt in direktem Wettbewerb miteinander stehen, müssen die Standards für die Kapitalanforderungen gleichwertig sein.
angehörenden Versicherungsunternehmen sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BT-Drs. 14/4453, 01. 11. 2000, S. 33. 130 Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens von Versicherungsunternehmen (Anlageverordnung – AnlV) vom 20. 12. 2001 (BGBl. I 2001, S. 3913). 131 Vgl. dazu im Überblick: Krüger/Wehling, Die Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens (AnlV), Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Kapitalanlage von Versicherungen, VW 2002, S. 139 – 143. 132 Krüger/Wehling, Die Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens (AnlV), Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Kapitalanlage von Versicherungen, VW 2002, S. 139, 140. Zu den Mischungsregeln vgl. Weber-Rey, Private Equity Beteiligungen als alternative Anlagemöglichkeiten für Versicherungsunternehmen, NZG 2003, S. 385, 387. 133 Vgl. Krüger/Wehling, (Mitarbeiter des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.), Die Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens (AnlV), Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Kapitalanlage von Versicherungen, VW 2002, S. 139, 139; Präve, Die VAG-Novelle 2000/2001, VersR 2001, S. 133, 134. 134 H. Müller, Reformbedarf aus Sicht der Versicherungsaufsicht, in: Reformbedarf im Versicherungsrecht, S. 1, 9. 135 Krüger/Wehling, Die Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens (AnlV), Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Kapitalanlage von Versicherungen, VW 2002, S. 139, 140. 136 Krüger/Wehling, Die Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens (AnlV), Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Kapitalanlage von Versicherungen, VW 2002, S. 139, 140.
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Durch die Umsetzung der Richtlinie 98/78/EG wird die Anpassung des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts an ein harmonisiertes europäisches Versicherungsaufsichtsrecht fortgeführt und ein Beitrag zur Finanzstabilität geleistet“.137
Die Deregulierung war jedoch nicht nur im Bestreben der Angleichung der Wettbewerbsbedingungen von in- und ausländischen Versicherungsunternehmen begründet, sondern ist auch gerade vor dem Hintergrund der Vermeidung von Wettbewerbsverfälschungen mit anderen Finanzdienstleistern zu sehen.138
IV. Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze Mit dem Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze vom 15. 12. 2004139 schrieb der deutsche Gesetzgeber (vor dem Hintergrund der Krise auf den Kapitalmärkten in den vorangegangenen Jahren140) eine gesetzliche Sicherungseinrichtung für die Lebens- und Krankenversicherung nach dem Vorbild der Kreditwirtschaft vor (§§ 124 ff. VAG).141 Die Bundesregierung begründet die Schaffung einer Sicherungseinrichtung damit, dass die Insolvenz eines Lebensversicherers oder Krankenversicherers die Verbraucher härter träfe, als dies aufgrund der Einlagensicherung im Bankenbereich der Fall wäre.142 Die Regelung findet keine Anwendung auf Versicherungsunternehmen mit Sitz in anderen EU- und EWR-Mitgliedssstaaten der EWG, auch wenn sie in Deutschland Versicherungen im Wege der Dienstleistungsfreiheit vermarkten.143 137
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, insbesondere zur Durchführung der EG-Richtlinie 98/78/EG vom 27. Oktober 1998 über die zusätzliche Beaufsichtigung der einer Versicherungsgruppe angehörenden Versicherungsunternehmen sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BTDrs. 14/4453, 01. 11. 2000, S. 25. 138 Krüger/Wehling, Die Verordnung über die Anlage des gebundenen Vermögens (AnlV), Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Kapitalanlage von Versicherungen, VW 2002, S. 139, 139. 139 Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze vom 15. Dezember 2004, BGBl. I 2004, S. 3416; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 15/ 3418, 24. 06. 2004. 140 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 15/3418, 24. 06. 2004, S. 1. 141 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 15/3418, 24. 06. 2004, S. 17. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Pohlmann, in: Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG, § 14 Rn. 3 ff. 142 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 15/3418, 24. 06. 2004, S. 17. Vgl. auch: Pohlmann, in: Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG, § 124 Rn. 1. 143 BVerwG, Urteil vom 23. 03. 2011, Az. 8 C 47/09, NJW-RR 2011, S. 1250 – 1255; Pohlmann in: Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG, § 124 Rn. 8. Auf EU-Ebene ist es bislang
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D. Bewertung der Rechtsentwicklung Der europarechtliche Einfluss führte bis zur Finanzkrise144 zu einer nachhaltigen Deregulierung im deutschen Versicherungsaufsichtsrecht. Ein Vertreter der Versicherungswirtschaft sprach im Jahr 1994 insofern von einer „kulturelle[n] Revolution“.145 Die Deregulierung war vor allem durch die Richtlinienumsetzung erzwungen. Die durch die Richtlinienumsetzung erzwungene Deregulierung ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie zu einer besseren Verwirklichung der Wettbewerbsfunktionen auf Versicherungsmärkten führte.146 Neben der durch europarechtliche Vorgaben erzwungenen Umgestaltung des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts führte die Schaffung des Sitzlandprinzips zu einer schrittweisen Deregulierung der Kapitalanlagevorschriften. Die Bewertung der Deregulierung im Bereich der Kapitalanlagevorschriften fällt schwer, da die Deregulierung zugleich eine partielle Änderung der deutschen Regulierungsphilosophie bedeutet. Es ist erkennbar, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Deregulierung Schutzziele berücksichtigte, was anhand der schrittweisen Anpassung des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts an die Richtlinienvorgaben zum Ausdruck kommt. Diese schrittweise Vorgehen war für den Gesetzgeber ein Weg des Testens der Funktionsfähigkeit von Regulierungen und damit ein Mittel zur Generierung von Wissen. Der deutsche Gesetzgeber hielt aus Gründen des Schutzes der Versicherungsnehmer an der Spartentrennung (vgl. §§ 8 Abs. 1a, 12 VAG)147 und der strengeren deutschen Missstandsaufsicht (§ 81 VAG)148 fest. Zudem wirkte der Gesetzgeber auf die Schaffung einer Sicherungseinrichtung für die Lebens- und Krankenversicherung hin (§§ 124 ff. VAG). Von einer Deregulierung um jeden Preis bzw. von einem „race to the bottom“149 kann deswegen keine Rede sein.150 Die Deregulierung erfolgte zudem innerhalb des nicht gelungen, ein ein EU-weites Sicherungssystem zu schaffen (Pohlmann, in: Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG, § 124 Rn. 7). 144 Vgl. Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht, BGBl. I., S. 2305; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht, BT-Drs. 16/12783, 27. 04. 2009. 145 Loheac, Der Binnenmarkt für Versicherungen: Chancen, Grenzen, Perspektiven, VW 1994, S. 1116, 1119. 146 Schwintowski spricht 1987 von einer Erstarrung der deutschen Versicherungsmärkte (Schwintowski, Europäisierung der Versicherungsmärkte im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, NJW 1987, S. 521, 524). 147 Vgl. Teil 2 § 12 B. I. 2. 148 Vgl. Teil 2 § 12 B. I. 3. 149 Vgl. G. Köhler, Harmonisierung der Kapitalanlagevorschriften in der EG, in: Geburtstags-Schrift für Georg Büchner, S. 67, 69; H. Köhler, Perspektiven der Versicherungs-
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europäischen Rechtsrahmens, der flexibel an Marktentwicklungen angepasst werden kann. Die zu beobachtende gesetzgeberische Zurückhaltung ist nicht nur mit verfolgten Schutzzielen zu erklären, sondern auch vor dem Hintergrund der sehr geringen Wettbewerbsintensität seitens von Anbietern mit Sitz im Ausland151, die über das Sitzlandprinzip den deutschen Markt betreten können, zu sehen. Eine nennenswerte Konkurrenzsituation bestand lediglich in Bezug auf britische Lebensversicherungen, die mit hohen Renditen warben. Andererseits zeigt die Rechtsentwicklung, dass Inländerdiskriminierung eine entscheidende Triebkraft einer Anpassung des deutschen Versicherungsaufsichtsrechts an die Richtlinienvorgaben war.152 Auch im Bereich des Versicherungsaufsichtsrecht setzte die Inländerdiskriminierung den Gesetzgeber unter einen gewissen Handlungszwang. Die ökonomische Bedeutung einer Inländerdiskriminierung be-
wirtschaft in den 90er Jahren, in: Geburtstags-Schrift für Georg Büchner, S. 75, 76; Arthur Andersen, Insurance in a Changing Europe 1990 – 95, Special Report No. 2068, S. 27; Wesselkock, [Stellvertretender Vorsitzender des Verbandes der Lebensversicherungs- Unternehmen], Die Versicherungswirtschaft vor veränderten Rahmenbedingungen, VW 1991, S. 1450, 1453 f.; Büchner [Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft], Umbrüche – Aufbrüche, VW 1992, S. 1464, 1470; Loheac, Der Binnenmarkt für Versicherungen: Chancen, Grenzen, Perspektiven, VW 1994, S. 1116, 1119. 150 Vgl. Präve/R. Schmidt, in: Prölss, VAG, Vorbem. Rn. 62 ff. 151 Vgl. Farny, Die Marktanteile „ausländischer“ Versicherer auf dem deutschen Erstversicherungsmarkt 1993 – 2000, Universität zu Köln, Institut für Versicherungswissenschaft, Abteilung A: Versicherungswirtschaft, Mitteilung 1/2002; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 141 ff.; GDV, Globalisierung der Erstversicherungsmärkte: Stand und Entwicklungstendenzen am deutschen Markt, Volkswirtschaftliche Themen und Analysen Nr. 6, S. 7, 18 ff.; Beyer, Die Kapitalanlagevorschriften des VAG und des englischen Rechts aus europarechtlicher Sicht, S. 30. Andere Auffassung: Mogg, [Kommission], Der europäische Binnenmarkt für Versicherungen nach dem Erreichen der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), in: 100 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, S. 1021, 1025, aber: S. 1027 (Fragmentierung des europäischen Finanzdienstleistungssektors); Wein, Wirkungen der Deregulierung im deutschen Versicherungsmarkt, S. 213 f.; Beckmann/Eppendorfer/ Neimke, Financial Integration within the European Union: Towards a single market for insurance, IEW Institut für Europäische Wirtschaft, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, Diskussionsbeitrag Nr. 40, S. 5 ff.; Attiger, Internationale Wettbewerbsfähigkeit in der Versicherungsbranche: eine weltweite empirische Analyse, S. 75 f. Die Wettbewerbsintensität war im Bereich von Lebensversicherungen wesentlich höher (GDV, Globalisierung der Erstversicherungsmärkte: Stand und Entwicklungstendenzen am deutschen Markt, Volkswirtschaftliche Themen und Analysen Nr. 6, S. 19; Knappmann, Britische Lebensversicherungen, Die Schatzinsel, manager magazin 01. 06. 2006, www.manager-magazin. de/finanzen/geldanlage/0,2828,417721,00.html; Palan, Klagewelle, Anleger gegen gegen Clerical Medical vor, manager magazin, www.manager-magazin.de/finanzen/geldanlage/0,282 8,656551,00.html). 152 S. K. Schmidt, Notwendigerweise unvollkommen: Strukturprobleme des Europäischen Binnenmarktes, Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 3(2) (2005), S. 185, 205.
500
§ 12 Systemwettbewerb in den Versicherungsrichtlinien
stimmt dabei wahrscheinlich die Schnelligkeit gesetzgeberischer Reaktionen auf Inländerdiskriminierung. Wenn die deutsche Rechtsentwicklung im Versicherungsaufsichtsrecht infolge der Marktliberalisierung positiv bewertet wird, kann von einer Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden. Zugleich ist aufgrund zu beobachtenden Angleichung an die Richtlinienvorgaben eine Ex-post Harmonisierung gegeben. Aus wettbewerbstheoretischer Perspektive, kann von einer Gleichgewichtsbildung gesprochen werden. Diese Folge entspricht damit einer neoklassischen Modellierung von Systemwettbewerb. Deutlich wird die im Zeitverlauf stetig wachsende Bedeutung von materiellrechtlicher Harmonisierung. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung verliert deshalb zunehmend zugunsten einer voranschreitenden materiellrechtlichen Harmonisierung an Bedeutung. Anwendung findet das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung jedoch in Form der Sitzlandaufsicht für die Organisation der Aufsicht, auch wenn sich das anzuwendende Recht immer mehr gleicht. Wie im Kontext der Fernsehrichtlinie, besitzt eine Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb im Bereich der nicht durch die Richtlinienumsetzung erzwungenen Deregulierung keine Bedeutung.
§ 13 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in den Bankenrichtlinien A. Der rechtliche Rahmen für die Erbringung von Bankdienstleistungen Ähnlich wie im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts waren die Integrationsbemühungen im Bankenaufsichtsrecht von erheblichen Schwierigkeiten geprägt, nachdem die Harmonisierungsziele anfänglich hoch gesteckt waren.1 Das Vorhaben eines Europäischen Kreditwesengesetzes, für das die Kommission 1972 einen Entwurf vorlegte2, scheiterte aufgrund der vorhandenen Regulierungsunterschiede.3 So kannte Großbritannien kein Bankenaufsichtsrecht kontinentaleuropäischer Prägung.4 Die Erste Bankenrichtlinie aus dem Jahr 1977 (Richtlinie 77/780/EWG)5 baute auf dem Grundsatz der Inländerbehandlung auf: Nach Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 77/ 1 Troberg, Grundfragen der Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts in der EG und ihre Auswirkungen auf die deutschen Kreditinstitute, in: Chancen und Risiken der deutschen Banken im Gemeinsamen Markt, S. 11, 12 f. 2 Meyer-Horn, Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarktes, Zusammenfassung des Berichts einer von der EWG eingesetzten Sachverständigengruppe, Kredit und Kapital 1968, S. 98, 98; Kolassa, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, § 135 Rn. 14; Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 32 Rn. 4, S. 844; Troberg, Europäisches Bankaufsichtsrecht: System oder Wildwuchs?, WM 1991, S. 1745, 1745. 3 F. A. Schäfer, Materielle Aspekte der EG-Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen, AG 1993, S. 389, 389; Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 32 Rn. 4, S. 844; Hirte/Heinrich, Entwicklungen im Europäischen Bankrecht – Eine Bestandsaufnahme, ZBB 2001, S. 388, 390. 4 F. A. Schäfer, Materielle Aspekte der EG-Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen, AG 1993, S. 389, 389. 5 Erste Richtlinie des Rates vom 12. 12. 1977 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, (77/780/ EWG) ABl. EG Nr. L 322/30 vom 17. 12. 1977. Vgl. Kolassa, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, § 135 Rn. 15. Es gab bereits zuvor eine Richtlinie auf dem Bankensektor, die Diskriminierende Beschränkungen aufhob (Richtlinie 73/183/EWG vom 28. 6. 1973, ABl. Nr. L 194 S. 1 vom 16. 7. 1973). Diese Richtlinie ist jedoch vor dem Hintergrund des in den Art. 43 und 49 EGV enthaltenden Gleichbehandlungsgrundsatz gegenstandslos (Troberg, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 3, 2. Aufl., § 135 Rn. 21; Hübner, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, IV Rn. 6 (EL 13); Hirte/Heinrich, Entwicklungen
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§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
780/EWG können die Mitgliedstaaten die Errichtung von Zweigstellen6 von Kreditinstituten mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat von den Voraussetzungen abhängig machen, die sie für inländische Kreditinstitute vorsehen.7 Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 77/780/EWG stellt klar, dass die Zulassung von Zweigstellen nicht abgelehnt werden darf, weil das betreffende Kreditinstitut in einem anderen Mitgliedstaat in einer anderen Rechtsform errichtet ist. Die Richtlinie sieht eine Mindestharmonisierung hinsichtlich der Erteilung von Zulassungen und Richtlinie vor und statuiert in Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 77/780/EWG eine Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden.8 Der durch die Richtlinie verwirklichte Grad an materiellrechtlicher Harmonisierung war jedoch insgesamt gering.9 Aufgrund der Regulierungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten erkennt der Rat an, dass eine Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts lediglich stufenweise erfolgen kann10 und betrachtet die Richtlinie als Grundstein für einen zukünftigen Ausbau einer „kollisions-“ und materiellrechtlichen Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts auf europäischer Ebene11. Nach Erwägungsgrund 3 Richtlinie 77/780/EWG soll das „Endergebnis“ der Bemühungen zur Harmonisierung der nationalen Regulierungen die Schaffung einer Sitzlandaufsicht für grenzüberschreitend tätige Kreditinstitute sein, womit der Rat bereits Jahre vor dem Weißbuch der Kommission12 den Europäische Pass als aussichtsrechtliche Form des europarechtlichen Herkunftslandprinzips zur Integrationsstrategie erhebt. Dennoch erhielt die Integrationsordnung entscheidende Impulse vom Weißbuch,13 das auch den
im Europäischen Bankrecht – Eine Bestandsaufnahme, ZBB 2001, S. 388, 390; Hellenthal, Das Bankenaufsichtsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 41). 6 Bei einer Zweigstelle handelt es sich um einen unselbständigen Teil eines Kreditinstituts (Art. 1 Nr. 3 Richtlinie 89/646/EWG). 7 Vgl. Erwägungsgrund 1 Richtlinie 77/780/EWG. 8 Vgl. Hübner, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, IV Rn. 10. 9 Vgl. auch: Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf KWG Rn. 25. 10 Erwägungsgrund 3 Erste Bankrechtskoordinierungsrichtlinie. 11 Troberg/Kolassa, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, 3. Aufl., § 135 Rn. 15; Troberg, Europäisches Bankaufsichtsrecht: System oder Wildwuchs?, WM 1991, S. 1745, 1745. 12 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985. 13 Vgl. Erwägungsgrund 1 Zweite Bankrechtskoordinierungsrichtlinie; Hübner, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, IV Rn. 11 f.; Hellenthal, Das Bankenaufsichtsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 43 ff.; Hirte/Heinrich, Entwicklungen im Europäischen Bankrecht – Eine Bestandsaufnahme, ZBB 2001, S. 388, 391.
A. Rechtlicher Rahmen für die Erbringung von Bankdienstleistungen
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Vertrieb von Finanzprodukten ausdrücklich mit der Entscheidung Cassis de Dijon verknüpft.14 Vor diesem Hintergrund verwirklichte die Zweite Bankenrichtlinie von 1989 (Richtlinie 89/646/EWG)15 für im Anhang der Richtlinie konkretisierte Tätigkeiten das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (Art. 18 Richtlinie 89/646/EWG).16 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung findet sowohl in Bezug auf Tätigkeiten, die im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs17 als auch über eine unselbständige Zweigstelle18 erbracht werden, Anwendung (Art. 18 Richtlinie 89/ 646/EWG). Zulassungen werden gegenseitig anerkannt (Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 89/ 646/EWG).19 Für die Bankenaufsicht über Kreditinstitute sind grundsätzlich die Behörden des Herkunftsstaates zuständig (Art. 13 Abs. 1 Richtlinie 89/646/EWG). Um die Voraussetzungen für die Anwendung des Prinzips der gegenseitige Anerkennung zu schaffen,20 wird das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (Art. 18 Abs. 1 Richtlinie 89/646/EWG) durch eine umfangreiche materiellrechtliche Harmonisierung in Bezug auf die Zulassungsbedingungen (Art. 4 – Art. 7 Richtlinie 89/ 646/EWG) und in Bezug auf die Ausübung der Tätigkeit von Kreditinstituten (Art. 10 – Art. 17 Richtlinie 89/646/EWG) und weiterer materiellrechtlicher Harmonisierung21 flankiert. 14 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 27 Tz. 102. 15 Zweite Richtlinie vom 15. 12. 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG, (89/646/EWG), ABl. EG Nr. L 386/1, 30. 12. 1989. Vgl. dazu: Kolassa, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, § 135 Rn. 19 ff.; Bader, Inhalt und Bedeutung der 2. Bankrechtskoordinierungsrichtlinie – ein EG-Grundgesetz“ für die Banken?, EuZW 1990, S. 117 – 122; Hellenthal, Das Bankenaufsichtsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 51 ff. 16 Vgl. Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 27 Tz. 102; Troberg, Europäisches Bankaufsichtsrecht: System oder Wildwuchs?, WM 1991, S. 1745, 1746 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 260. 17 Vgl. Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 27 Tz. 102; Troberg, Europäisches Bankaufsichtsrecht: System oder Wildwuchs?, WM 1991, S. 1745, 1746 f. 18 Hirte/Heinrich, Entwicklungen im Europäischen Bankrecht – Eine Bestandsaufnahme, ZBB 2001, S. 388, 392; Horn, Bankrecht auf dem Weg nach Europa, ZBB 1989, S. 107, 111; Troberg, Grundfragen der Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts in der EG und ihre Auswirkungen auf die deutschen Kreditinstitute, in: Chancen und Risiken der deutschen Banken im Gemeinsamen Markt, S. 11, 13. 19 Troberg, Grundfragen der Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts in der EG und ihre Auswirkungen auf die deutschen Kreditinstitute, in: Chancen und Risiken der deutschen Banken im Gemeinsamen Markt, S. 11, 13 (Troberg spricht von „Zweigstellenfreiheit“). 20 Vgl. Erwägungsgrund 4 Richtlinie 89/646/EWG; Kolassa, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, § 135 Rn. 19. 21 Richtlinie des Rates vom 17. April 1989 über die Eigenmittel von Kreditinstituten, (89/ 299/EWG), ABl. EG Nr. L 124/16 vom 5. 5. 1989 (heute: Richtlinie Richtlinie 2006/49/EG des
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§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
Die Errichtung von Zweigstellen und die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen (Art. 18 Richtlinie 89/646/EWG) steht unter dem Vorbehalt des Verbotes einer Umgehung nationaler Regulierungen (Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 89/646/EWG).22 Vor diesem Hintergrund stellt Erwägungsgrund 8 Richtlinie 89/646/EWG klar, dass das Herkunftsland eines Mitgliedstaates der satzungsmäßige Sitz eines Kreditinstituts ist, wobei der Ort der Hauptverwaltung mit dem Ort des satzungsmäßigen Sitzes übereinstimmen muss. Die Schaffung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung mit der Zweiten Richtlinie führte zu dem Bedürfnis harmonisierter Regeln in Bezug auf die Einlagensicherung.23 Nachdem die Kommission die Mitgliedstaaten im Jahr 1986 aufgefordert hatte, geeignete Einlagensicherungssysteme zum Schutz der Bankkunden zu schaffen und einige Mitgliedstaaten dieser Aufforderung nicht nachkamen24, schuf die Gemeinschaft im Jahr 1994 die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (Richtlinie 94/19/EG)25. Danach müssen die Mitgliedstaaten für einen Schutz bis zu einem Betrag von 20.000 EUR sorgen, wobei ein Selbstbehalt von 10 Prozent vorgesehen werden kann (Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 94/19/EG).26 Diese Einlagensicherungssysteme schützen auch die Einleger von Zweigstellen des jeweiligen Kreditinstituts in anderen Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 94/19/EG), so Europäischen Parlaments und des Rates über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierformen und Kreditinstituten (Neufassung), ABl. EU Nr. L 177/201 vom 30. 06. 2006). Vgl. Hübner, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, IV Rn. 23 – 25 (EL 13); Hellenthal, Das Bankenaufsichtsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 85 ff. Richtlinie des Rates vom 18. Dezember 1989 über einen Solvabilitätskoeffizienten für Kreditinstitute (89/647/EWG), ABl. Nr. L 386/14 vom 30. 12. 1989. Vgl. Hübner, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, IV Rn. 27 – 29 (EL 13); Hellenthal, Das Bankenaufsichtsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 107 ff.; Richtlinie 92/121/EWG des Rates vom 21. Dezember 1992 über die Überwachung und Kontrolle der Großkredite von Kreditinstituten, ABl. EG Nr. L 29/1 vom 5. 2. 1993. 22 S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 149. 23 Vgl. Erwägungsgrund 5 Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Einlagensicherungssysteme (92/C 163/05), KOM(92) 188 endg. – SYN 415 (Von der Kommission vorgelegt am 14. April 1992), ABl. EG Nr. C 163/6 vom 30. 6. 1992. 24 Bundesbank, Die Einlagensicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Juli 1992, S. 36 (zitiert nach: Franke, Die Auswirkungen der EU-Einlagensicherungsrichtlinie für deutsche Kreditinstitute, ZgesKW 1994, S. 732, 732 Fn 3 (Endnote auf S. 736)). 25 Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme, ABl. EG L 135 vom 31. 5. 1994, S. 5 (abgedruckt in: EuZW 1994, S. 753 – 757). Dazu: Everling, Einlagensicherung der Banken im Europäischen Binnenmarkt, ZHR 162 (1998), S. 403 – 426; Hoeren, Einlagenschutz in Europa – Der Entwurf einer Richtlinie über Einlagensicherungssysteme, EuZW 1994, S. 750 – 753. Zur Umsetzung in deutsches Recht im Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (EAEG): Fischer, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, 3. Aufl., § 133 Rn. 38 ff. 26 Vgl. Fischer, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, 3. Aufl., § 133 Rn. 29; Hoeren, Einlagenschutz in Europa – Der Entwurf einer Richtlinie über Einlagensicherungssysteme, EuZW 1994, S. 750, 752.
A. Rechtlicher Rahmen für die Erbringung von Bankdienstleistungen
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dass im Ausgangspunkt ein Herkunftslandprinzip gilt.27 Zentrales Regelungsanliegen der Richtlinie ist jedoch, Unterschiede in den nationalen Einlagensicherungssystemen nicht zum Parameter im Wettbewerb zwischen den Kreditinstituten werden zu lassen: „Die Beibehaltung von Systemen, die den Einlegern eine über der harmonisierten Mindestdeckung liegende Sicherung anbieten, kann in ein und demselben Hoheitsgebiet zu unterschiedlich hohen Entschädigungen und zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen für inländische Institute einerseits und Zweigstellen von Instituten aus einem anderen Mitgliedstaat andererseits führen. Zur Abhilfe dieser unliebsamen Begleiterscheinungen ist es angebracht, den Anschluß von Zweigstelle an ein System des Aufnahmemitgliedstaats mit dem Zweck zu genehmigen, es diesen zu ermöglichen, ihren Einlegern die gleiche Sicherung anzubieten, wie sie durch das System des Niederlassungsstaats angeboten wird“.28
Nach Ansicht des Gemeinschaftsgesetzgebers besteht die Gefahr von „Störungen des Marktes“, wenn Zweigstellen von Kreditinstituten eine höhere Deckung anbieten können als die im Aufnahmeland zugelassenen Kreditinstitute und betont, dass „[d]ie Höhe und der Umfang der Deckung, die von Sicherungssystemen angeboten werden, […] nicht zu einem Instrument des Wettbewerbs werden [sollen]“.29 Vor diesem Hintergrund verankerte Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 Richtlinie 94/19/EWG ein bis zum 31. Dezember 1999 befristetes „Exportverbot“ mitgliedstaatlicher Einlagensicherungssysteme.30 Danach dürfen Höhe und Umfang der Einlagensicherung unter der Geltung des Sitzlandprinzips nicht die im Hoheitsgebiet des Aufnahmelandes gewährte Deckung überschreiten. Im Fall von Zweigstellen von Kreditinstituten, die eine niedrigere Deckung bieten als die dort bestehende, war der Aufnahmemitgliedstaat verpflichtet, die Zweigstelle auf freiwilligen Antrag hin zur ergänzenden Sicherung in das System einzubeziehen (Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 94/19/ EG).31 Dieses „Exportverbot“32 galt jedoch nicht in Bezug auf Einlagen, die einem Kreditinstitut im Wege der passiven Dienstleistungsfreiheit zuflossen.33
27
Kommission, Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung von Artikel 4 Abs. 1 („Nichtausfuhrklausel“) der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (94/19/EG), KOM(1999) 722 endg., S. 2; Bericht der Kommission über die Anwendung der „Aufstockungsvorschriften“ („topping-up“) in Artikel 4 Absätze 2 bis 5 der Richtlinie über Einlagensicherungsysteme (94/19/EG), KOM(2001), 595 endg.; Hoeren, Einlagenschutz in Europa – Der Entwurf einer Richtlinie über Einlagensicherungssysteme, EuZW 1994, S. 750, 751 f. 28 Erwägungsgrund 13 Richtlinie über Einlagensicherungssysteme. Vgl. Dreher, Sicherungseinrichtungen im Kreditsektor zwischen Instituts-, Einlagen- und Herrschaftssicherung, ZIP 1998, S. 1777, 1778. 29 Erwägungsgrund 14 Richtlinie über Einlagensicherungsysteme. 30 Vgl. dazu: Dreher, Sicherungseinrichtungen im Kreditsektor zwischen Instituts-, Einlagen- und Herrschaftssicherung, ZIP 1998, S. 1777, 1780 ff.; Fischer, in: Bankrechts-Handbuch, § 133 Rn. 45. 31 Vgl. Fischer, in: Bankrechts-Handbuch, § 133 Rn. 45.
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§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
Nach Ablauf der Befristung der Ausfuhrklausel wurde diese jedoch nicht verlängert, was die Kommission unter anderem mit einer Angleichung der mitgliedstaatlichen Einlagensicherungssysteme begründete.34 Nach Bewertung der Kommission waren die Niveau-Unterschiede zwischen mitgliedstaatlichen Einlagensicherungssystemen nicht groß genug, um Regulierungsarbitragen seitens Einlegern auszulösen.35 Die Finanzmarktkrise dürfte zukünftig erhebliche Wirkungen auf die Ausgestaltung des europäischen Rechtsrahmens zeitigen. Ein bedeutender Schritt war die Schaffung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus nach Art. 127 Abs. 6 AEUV.36 Folge ist die Zentralisation der Aufsicht.37
B. Bankenaufsichtsrecht als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor I. Regulierungsunterschiede als Wettbewerbsparameter 1. Wettbewerbsrelevanz der Eigenkapitalausstattung Unterschiede in der bankaufsichtsrechtlichen Regulierung sind grundsätzlich geeignet, die Wettbewerbsposition von Banken zu beeinflussen.
32 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung – Drucksache 12/7741 Nr. 2.1 –, Bericht des Abgeordneten Dr. Karl H. Fell, BT-Drs. 12/8365, 08. 08. 1994, S. 21. 33 Franke, Die Auswirkungen der EU-Einlagensicherungsrichtlinie für deutsche Kreditinstitute, ZgesKW 1994, S. 732, 734. 34 Kommission, Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung von Artikel 4 Abs. 1 („Nichtausfuhrklausel“) der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (94/19/EG), KOM(1999) 722 endg., S. 8. 35 Kommission, Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung von Artikel 4 Abs. 1 („Nichtausfuhrklausel“) der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (94/19/EG), KOM(1999) 722 endg., S. 9 Fn. 7. 36 Binder, Auf dem Weg zu einer europäischen Bankenunion? Erreichtes, Unerreichtes, offene Fragen, ZBB 2013, S. 297 – 312; Dinov, Europäische Bankenaufsicht im Wandel, EuR 2013, S. 593, 597. 37 Dinov, Europäische Bankenaufsicht im Wandel, EuR 2013, S. 593, 597, 607; Herdegen, Europäische Bankenunion: Wege zu einer einheitlichen Bankenaufsicht, WM 2012, S. 1889 – 1898; Kämmerer/Starski, Die Europäische Zentralbank in der Bankenunion oder: Vor Risiken und Nebenwirkungen wird gewarnt, ZG 28 (2013), S. 318 – 338; Lehmann/Manger-Nestler, Einheitlicher Europäischer Aufsichtsmechanismus: Bankenaufsicht durch die EZB, ZBB 2014, S. 2 – 21.
B. Bankenaufsichtsrecht als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor
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Die Eigenkapitalsituation beeinflusst die Sicherheit der Einlagen,38 so dass strengere Eigenkapitalanforderungen einen Wettbewerbsvorteil begründen können.39 Es handelt sich bei den Anforderungen an das Eigenkapital jedoch um eine hochkomplexe Regulierung, so dass genauere Kenntnisse von Privatkunden kaum erwartet werden können.40 Aus dem Vorhandensein von Einlagensicherungssystemen ergeben sich zusätzliche Grenzen einer Rückkopplung.41 Nur soweit ein Selbstbehalt vorgesehen ist bzw. die Einlagensicherung in der Höhe begrenzt ist, bestehen Anreize von Kunden, sich über die Eigenkapitalausstattung eines Kreditinstituts zu informieren.42 Ein hohes Eigenkapital ist mit Kosten verbunden, denn die Anteilseigner verlangen oftmals eine höhere Rendite ihres eingesetzten Kapitals als Fremdkapitalgeber.43 Es ist in diesem Zusammenhang die Rede von Eigenkapitalkosten.44 Die Eigenkapitalkosten haben Rückwirkungen auf die Preise von Bankdienstleistungen45 bzw. auf die Höhe der Einlagenverzinsung.46 Die Richtlinie über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten begründet die Schaffung von Mindestanforderungen in Bezug auf die Kapitalanforderungen vor diesem Hintergrund mit einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen der im Binnenmarkt im Wettbewerb stehenden Kreditinstitute.47 38 Vgl. B. Wolf, Die Eigenmittelkonzeption des § 10 KWG, Hochschule für Bankwirtschaft, HfB, Arbeitsbericht Nr. 20, S. 3; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, Europa zwischen einem Wettbewerb der Gesetzgeber und vollständiger Harmonisierung, S. 259. 39 Vgl. Reimnitz, Der Deutsche Eigenkapitalbegriff als Qualitätsbegriff. 40 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 261 – 263. 41 Zimmer, Der EG-Richtlinienentwurf über Einlagensicherungssysteme: Chancen zur Verbesserung der deutschen Einlagensicherung?, ZBB 1992, S. 286, 288; Butler/Macey, The Myth of Competition in the Dual Banking System, Cornell Law Review 73 (1988), 677, 713; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 257. 42 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 265. 43 Fischer, in: Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 129 Rn. 4; B. Wolf, Die Eigenmittelkonzeption des § 10 KWG, Hochschule für Bankwirtschaft, HfB, Arbeitsbericht Nr. 20, S. 8. 44 Faust, Bestimmung der Eigenkapitalkosten im Rahmen der wertorientierten Unternehmenssteuerung von Kreditinstituten; Reimnitz, Der deutsche Eigenkapitalbegriff als Qualitätsbegriff, S. 36. Zur Ermittlung der Eigenkapitalkosten vgl. Faust, Bestimmung der Eigenkapitalkosten im Rahmen der wertorientierten Unternehmenssteuerung von Kreditinstituten, S. 87 ff. 45 Faust, Bestimmung der Eigenkapitalkosten im Rahmen der wertorientierten Unternehmenssteuerung von Kreditinstituten, S. 269 ff. 46 Fischer, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, § 129 Rn. 4. 47 Vgl. Erwägungsgrund 12 Richtlinie 2006/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rares vom 14. Juni 2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen
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§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
Die Anforderungen an das vorhandene Eigenkapital von Kreditinstituten bestimmen das Volumen möglicher Kredite.48 Zudem kann ein Kreditinstitut mit einem geringeren Eigenkapital unter Umständen Kreditwünsche größerer Kunden aufgrund strengerer Eigenkapitalanforderungen nicht erfüllen.49 2. Wettbewerbsrelevanz von Offenlegungspflichten Potentieller Wettbewerbsparameter im Wettbewerb von Kreditinstituten um Kreditkunden sind Pflichten zur Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen Kunden. Eine Regelung zur Offenlegung enthielt § 18 KWG a. F.,50 wonach ein Kreditinstitut einen Kredit, der insgesamt 750.000 EUR oder 10 Prozent des haftenden Eigenkapitals des Instituts ausmacht, grundsätzlich „nur gewähren [durfte], wenn es sich vom Kreditnehmer die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere durch Vorlage der Jahresabschlüsse, offen legen lässt“ (§ 18 Abs. 1 Satz 1 KWG). Konkretisierung fand diese Regelung in Rundschreiben der BaFin.51 Nach der amtlichen Begründung zum KWG von 1961 soll mittels einer Offenlegungspflicht der wirtschaftlichen Verhältnisse die Stellung der Kreditinstitute gegenüber der Kundschaft gestärkt werden und verhindert werden, „daß die Kreditnehmer die Kreditinstitute unter Hinweis auf eine großzügigere Handhabung durch die Konkurrenz zum Verzicht auf die Prüfung veranlassen“.52 Die Frage der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse soll damit nicht zu einem Parameter im Wettbewerb der Kreditinstitute um Kunden werden.53
und Kreditinstituten (Neufassung), ABl. EG Nr. L 177/201 vom 30. 06. 2006: „Darüber hinaus treten Institute im Binnenmarkt in direkten Wettbewerb miteinander. Um das Finanzsystem der Gemeinschaft zu stärken und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, ist es zweckmäßig, gemeinsame Basisstandards für Eigenmittel festzulegen; Erwägungsgrund 35 Richtlinie 2006/ 48/EG. 48 Reimnitz, Der Deutsche Eigenkapitalbegriff als Qualitätsbegriff, S. 7. 49 Fischer, in: Bankrechts-Handbuch, § 129 Rn. 4. Da die Regulierung der Kapitalanforderungen Auswirkungen auf das Geschäftsvolumen hat, ist die Rede von einer „Bremsfunktion der Eigenmittel“ (Reimnitz, Der Deutsche Eigenkapitalbegriff als Qualitätsbegriff, S. 7). 50 Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz – KWG) idF. der Bekanntmachung vom 9. 09. 1988, BGBl. I S. 2776, zuletzt geändert mit Gesetz vom 22. 6. 2011, BGBl. I S. 1126. Zu § 18 KWG: Früh, Die Bonitätsprüfung nach § 18 Kreditwesengesetz (neu), WM 1995, S. 1701 – 1709; Alsheimer, Die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 18 Kreditwesengesetz, ZgesKW 1997, S. 462 – 466. 51 Vgl. Kunze, Überwachung operationeller Risiken bei Banken, S. 158. 52 Deutscher Bundestag, Entwurf eines Gesetzes über das Kreditwesen, BT-Drs. 3/1114, 25. 05. 1959, S. 1, 35 (abgedruckt in: Schork, Gesetz über das Kreditwesen, § 18, S. 298). 53 Vgl. Schork, Gesetz über das Kreditwesen, § 18 Rn. 1; Alsheimer, Die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 18 Kreditwesengesetz, ZgKW 1997 S. 462, 462; Früh, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, § 18 Rn. 5 (119. Aktualisierung – KWG, Oktober 2006) (es handelt sich bei der Kommentierung um einen leicht veränderten Text in: Früh, Die Regelung des § 18 KWG, WM 2002, S. 1813 – 1828).
B. Bankenaufsichtsrecht als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor
509
3. Wettbewerbsrelevanz von Unterschieden in der Einlagensicherung Die mögliche Wettbewerbsrelevanz von Unterschieden in der Einlagensicherung54 wurde deutlich anhand der Diskussion um die Einlagensicherungsrichtlinie. Auf der anderen Seite ist Einlagensicherung für Kreditinstitute ein Kostenfaktor.55
II. Regulierungsunterschiede als Standortfaktor Paradebeispiel einer Standortrelevanz von Regulierung im Bankwesen, ist die Ansiedlung von Banken an sogenannten Offshore-Finanzplätzen.56 In Europa ist wichtiges Beispiel für die Entwicklung von Offshore-Finanzplätzen das Entstehen der Euro-Märkte zunächst in Luxemburg57 und der City of London58. Bei den Euro-Märkten handelt es sich um Geld-, Kredit- und Kapitalmärkte, auf denen mit fremden Währungen, also Währungen, die in diesem Staat kein Zahlungsmittel sind, gehandelt wird.59 Der Euro-Markt kann deswegen auch als „Währungsaußenmarkt“ verstanden werden.60 In anderen (Mitglied-)Staaten waren derartige Geschäfte zum Teil aufgrund von Kapitalkontrollen untersagt61 bzw. 54 Für die Direktbank Cortal Consors, eine Niederlassung der BNP Paribas, gilt die gesetzliche französische Sicherungsgrenze von 70.000 Euro wie Sprecher Althoff betonte: „Wir sehen das als Vorteil, weil wir über dem deutschen Niveau liegen […]“ (Preißler, Auslandsbanken: Die Einlagensicherunbg hat Lücken, Hamburger Abendblatt, 4. 12. 2008). 55 Vgl. Verordnung über die Beiträge zur Entschädigungseinrichtung Deutscher Banken GmbH vom 10. Juli 1999, BGBl. I 1999, 1540 idF vom 17. 8. 2009, BGBl. I 2009, 2879; Fischer, in: Bankrecht, Rn. 3.26; BVerwG, Urteil vom 21. 04. 2004, Az. 6 C 20.03, WM 2004, 2108 ff. Zur verfassungsrechtlichen Problematik: Bigus/Leyens, Einlagensicherung und Anlegerentschädigung, S. 14 ff. 56 Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 31. Zum Begriff „Offshore-Finanzplatz“: Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 29 ff. Kritisch zu dem Begriff: Franz, Der Finanzplatz Luxemburg als Ergebnis wirtschaftlichen Bedarfs, politischen Willens und europäischer Integration, in: Europas Finanzzentren, S. 149, 162. 57 Vgl. Carstensen, Der Finanzplatz Luxemburg aus der Sicht der Auslandsbanken, in: FS Werner, S. 56 – 59; Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 84 ff.; Franz, Der Finanzplatz Luxemburg als Ergebnis wirtschaftlichen Bedarfs, politischen Willens und europäischer Integration, in: Europas Finanzzentren, S. 149 – 165. 58 Michie, Der Aufstieg der City of London als Finanzplatz: Vom Inlandsgeschäft zum Offshore-Zentrum?, in: Europas Finanzzentren, S. 23 – 51. 59 Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 30; Käsmeier, Euromärkte und nationale Finanzmärkte: Eine Analyse ihrer Interdependenz, S. 15 f.; Storck, Globalisierung und EWU, Der Euromarkt als Finanz-Drehscheibe der Welt, S. 7. 60 Käsmeier, Euromärkte und nationale Finanzmärkte: Eine Analyse ihrer Interdependenz, S. 15. 61 Die Abschaffung von von Devisenkontrollen führte auch zu einem deutlichen Aufleben der City of London als Finanzplatz (Michie, Der Aufstieg der City of London als Finanzplatz: Vom Inlandsgeschäft zum Offshore-Zentrum?, in: Europas Finanzzentren, S. 23, 39).
510
§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
Mindestreservepflichten stellten ein regulatorisches Hemmnis für derartige Geschäfte dar.62 Banken, die das Euro-Geschäft an ihren Heimatstandorten nicht betreiben konnten und sich an diesen Geschäften beteiligen wollten, begründeten deshalb Niederlassungen in Luxemburg63 und der City of London64. Luxemburg sah zudem günstige steuerrechtliche Rahmenbedingungen vor, so mussten ausländische Kunden von Kreditinstituten, die in Luxemburg ansässig sind, keine Steuern auf Kursgewinne und Zinserträgen zahlen.65 Das ehemals strikte luxemburger Bankgeheimnis stellte zudem einen wichtigen Standortfaktor im Privatkundengeschäft dar.66 Die genannten rechtlichen Regelungen besitzen im Rahmen der standortbezogenen „Leistungs-Steuerbündel“ eine größere Bedeutung als dem Regulierungsrahmen im Rahmen anderer Wirtschaftsbereiche zukommt. Auffällig ist, dass – wie im Wettbewerb der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts – gerade viele kleine Jurisdiktionen67 sich als Offshore-Standorte etabliert haben und dass für diese Standorte (wie im Fall von Delaware) erhebliche finanzielle Anreize bestehen, um im Standortwettbewerb erfolgreich zu sein68.
62
86. 63
Storck, Banker in Luxemburg Innenansichten eines „Betroffenen“, in: FS Werner, S. 83,
Carstensen, Der Finanzplatz Luxemburg aus der Sicht der Auslandsbanken, in: FS Werner, S. 56, 56. 64 Storck, Globalisierung und EWU, Der Euromarkt als Finanz-Drehscheibe der Welt, S. 55. 65 Landesbank Rheinland-Pfalz, Luxemburg – internationaler Finanzplatz im Zentrum Europas, S. 17. Heute beträgt der Quellensteuersatz in Luxemburg auf Zinsen gemäß Art. 11 der Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3. 6. 2003 für Nichtansässige 35 Prozent auf Dividenden ist 15 Prozent Quellensteuern zu zahlen (Bundesministerium der Finanzen, Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich, Ausgabe 2012, S. 40; Deutsche Bundesbank, Die Europäische Union: Grundlagen und Politikbereiche Ausserhalb der Wirtschafts- und Währungsunion, April 2005, S. 102). Die Bekämpfung von Steuerwettbewerb ist ausdrückliches Ziel der EU (Bundesministerium der Finanzen, Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich, Ausgabe 2012, S. 40; Deutsche Bundesbank, Die Europäische Union: Grundlagen und Politikbereiche Ausserhalb der Wirtschafts- und Währungsunion, April 2005, S. 100 f.). 66 Landesbank Rheinland-Pfalz, Luxemburg – internationaler Finanzplatz im Zentrum Europas, S. 17. 67 Vgl. Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 36 ff. 68 Vgl. Franz, Der Finanzplatz Luxemburg als Ergebnis wirtschaftlichen Bedarfs, politischen Willens und europäischer Integration, in: Europas Finanzzentren, S. 149, 155 f. Für Luxemburg bestand ein Bedürfnis nach der Erschließung von Einnahmefeldern, da die KohleIndustrie seit Mitte der 1970er Jahre in die Krise geriet und nicht länger Basis des Wohlstandes von Luxemburg sein konnte (Santer, Vom Agrar- und Industriestaat zum Finanz- und Medienmekka, Das „Luxemburger Modell“ als Paradigma für Innovation durch Integration, in: FS Werner, S. 19, 20 f.). Nach Santer, hat Luxemburg jedoch der Versuchung widerstanden „eine bankäre Billigflagge einzuführen“ (Santer, Vom Agrar- und Industriestaat zum Finanz- und Medienmekka, Das „Luxemburger Modell“ als Paradigma für Innovation durch Integration, in: FS Werner, S. 19, 23).
B. Bankenaufsichtsrecht als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor
511
Eine Standortrelevanz mitgliedstaatlicher bankaufsichtsrechtlicher Regulierungen, die dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung unterliegen, ist bzw. war jedoch nicht gegeben. Es kann nicht davon gesprochen werden, dass sich Kreditinstitute in einem anderen Mitgliedstaat, als in dem sie tätig sind, wegen Unterschiede in der nationalen Bankenaufsicht ansiedeln, um dann von dort aus auf Basis der Sitzlandaufsicht grenzüberschreitend Bankdienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten zu erbringen oder unselbständige Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten zu begründen. Dies liegt zum einen an der Bündelung von Regulierungen in „Leistungs-Steuerbündel“ und zum anderen an den „natürlichen“ Hemmnissen, die einer Erbringung von Retail-Bankdienstleistungen über Nutzung der Dienstleistungsfreiheit gegenüberstehen und zu einer geringen Bedeutung eines grenzüberschreitenden Angebotes von Bankdienstleistungen oder einem Angebot über Zweigstellen führen69. Die Hemmnisse liegen z. B. in unterschiedlichen Bedürfnissen der Nachfrager70, Erschwernissen der Absicherung von Krediten aufgrund von Rechtsunterschieden71, unterschiedlichen Regelungen zum Verbraucherschutz72, Erschwernissen in der Rechtsverfolgung73 und einer allgemeinen Unsicherheit der Verbraucher im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Bankdienstleistungen von Kreditinstituten aus Mitgliedstaaten74. Ein Markteintritt in andere Staaten erfolgt (ähnlich wie im Bereich des Versicherungswesens) deshalb über
69
Kommission, Commission Staff Working Document, European Financial Integration Report 2009, SEC(2009) 1702 final, S. 14; Stefan Schäfer, Deutsche Bank Research, EU retail banking: Measuring integration, 2009, S. 1; European Central Bank, Occassional Paper 14/ April 2004, S. 55 ff.; Troberg, Grundfragen der Harmonisierung des Bankenaufsichtsrechts in der EG und ihre Auswirkungen auf die deutschen Kreditinstitute, in: Chancen und Risiken der deutschen Banken im Gemeinsamen Markt, S. 11, 24; Herrhausen, Die Wettbewerbsposition der deutschen Universalbanken im europäischen Binnenmarkt, in: Chancen und Risiken der deutschen Banken im Gemeinsamen Markt, S. 79, 81. Der Anteil grenzüberschreitender Kreditgewährung von Banken an Nichtbanken beträgt lediglich 5 Prozent des gesamten Kreditvolumens zugunsten von Nichtbanken (Lane, EMU and Financial Integration, IIIS Discussion Paper No. 272, December 2008, S. 8). 70 Kommission, Commission Staff Working Document, European Financial Integration Report 2009, SEC(2009) 1702 final, S. 14. So sind die Finanzierungsgewohnheiten für Häuser zwischen Deutschland und Dänemark ganz andere. Der dänische Kunde bringt im Gegensatz zum deutschen Kunden typischerweise kein Eigenkapital mit und möchte eine Kreditsumme in Anspruch nehmen, die über den Kaufpreis des Hauses hinausgeht, während der deutsche Kunde häufig Eigenkapital mitbringt (Der Verfasser dankt Herrn Sönnichsen von der VR-Bank Niebüll eG für diese Information). 71 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 292 f. 72 Stefan Schäfer, Deutsche Bank Research, EU retail banking: Measuring integration, S. 14. 73 Vgl. Lane, EMU and Financial Integration, IIIS Discussion Paper No. 272, December 2008, S. 8. 74 Vgl. Stefan Schäfer, Deutsche Bank Research, EU retail banking: Measuring integration, S. 15.
512
§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
Beteiligungserwerb bestehender Kreditinstitute oder über die Gründung von Tochtergesellschaften.75
C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise I. Schaffung von § 30a AO Zur Vermeidung der Abwanderung von Kapital schuf der Gesetzgeber im Jahr 1990 den § 30a AO.76 Nach § 30a AO haben die Finanzbehörden bei der Ermittlung des Sachverhaltes „auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden besondere Rücksicht zu nehmen“ (§ 30a Abs. 1 AO). Die Regelung bestand im wesentlichen inhaltsgleich im Rahmen des Banken-Erlasses vom 31. 8. 1979,77 so dass sich die Rechtslage grundsätzlich nicht änderte.78 Hintergrund der Schaffung des § 30a Abs. 1 AO war die Einführung der „kleinen Ertragssteuer“ (Quellensteuer) auf Grundlage des Steuerreformgesetzes 1990.79 Die Steuerreform von 1990 führte eine Quellensteuer auf Zinsen in Höhe von 10 Prozent ein. Der Gesetzgeber bemühte sich, die Abwanderung von Kapital aus Deutschland zu beenden, indem die Anonymität der Bankkonten mittels der Einführung des § 30a AO in „plakativer Weise“80 betont wurde81: „Die weitgehende Regelung ist aus Gründen der Rechtssicherheit und der Voraussehbarkeit von Verwaltungshandeln sowie im Interesse eines vertrauensvollen Verhältnisses des Steuerbürgers zum Staat erforderlich. Sie stärkt damit auch das Vertrauensverhältnis zwi75 Vgl. zur Strategie der Internationalisierung der Deutschen Bank Ende der 1980er Jahre: Herrhausen, Die Wettbewerbsposition der deutschen Universalbanken im europäischen Binnenmarkt, in: Chancen und Risiken der deutschen Banken im Gemeinsamen Markt, S. 79, 92 – 94. 76 Vgl. Krabbe, Änderungen des Steuerverfahrensrechts durch das Steuerreformgesetz 1990 (Teil I), DB 1988, S. 1668, 1672 f. 77 Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 31. 08. 1979, IV A 7 – S 0230-11/79, BStBl. I 1979, 590 (abgeduckt in: DB 1979, 1870). 78 Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 31. 08. 1979, IV A 7 – S 0230-11/79, BStBl. 1979 I S. 590 f.; Erster Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 11/2536 S. 95; Bruchner, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, § 39 Rn. 232; Rüsken, in: Klein, AO, § 30a Rn. 1; Craciunescu, Das „Bankgeheimnis“ des § 30a AO, S. 3. 79 Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl. I S. 1093; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes eines Steuerreformgesetzes 1990, BTDrs. 11/2157, 19. 04. 1988; Bruchner, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, § 39 Rn. 232. 80 Krabbe, Änderungen des Steuerverfahrensrechts durch das Steuerreformgesetz 1990 (Teil I), DB 1988, S. 1668, 1672. 81 Erster Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 11/2536, 21. 06. 1088, S. 95; Krabbe, Änderungen des Steuerverfahrensrechts durch das Steuerreformgesetz 1990 (Teil I), DB 1988, S. 1668, 1672; Bruchner, in: Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, § 39 Rn. 232; Rüsken, in: Klein, AO, § 30a Rn. 1.
C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise
513
schen den Banken und ihren Kunden. Neben anderen Umständen ist dieses Vertrauensverhältnis eine wichtige Voraussetzung für das Verbleiben von Geldvermögen im Inland. Die Neuregelung ergänzt die Einführung der Kapitalertragssteuer auf Zinsen […]“.82
Die Opposition wollte hingegen statt der Regelung allgemeine Mitteilungspflichten der Banken einführen, wie sie auch in den USA und den Niederlanden eingeführt waren.83 Es handelte sich mit Schaffung des § 30a AO jedoch nicht um eine gesetzgeberische Maßnahme, die im Zusammenhang mit dem Bankenaufsichtsrecht und dem Sitzlandprinzip steht. Später wurde die „kleine Ertragssteuer“ aufgrund von Kapitalflucht wieder zurückgenommen.84
II. Vierte KWG-Novelle Während der Gesetzgeber im Rahmen der Dritten KWG-Novelle noch die Eigenkapitalanforderungen verschärft hatte,85 leitete die Vierte KWG-Novelle von 199386, die unter anderem der Umsetzung der Zweiten Bankenrichtlinie diente, eine Deregulierung der Eigenkapitalanforderungen ein87. Hintergrund waren Forderungen der deutschen Kreditwirtschaft nach einer diesbezüglichen Deregulierung.88 Als Eigenmittel (vgl. § 10 KWG) konnten damit auch nachrangige Verbindlichkeiten 82
S. 95.
Erster Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 11/2536, 21. 06. 1088,
83 Krabbe, Änderungen des Steuerverfahrensrechts durch das Steuerreformgesetz 1990 (Teil I), DB 1988, S. 1668, 1672. 84 Vgl. Gesetz zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 sowie zur Förderung des Mietwohnungsbaus und von Arbeitsplätzen in Privathaushalten vom 30. Juni 1989, BGBl. I 1989, S. 1267; Craciunescu, Das „Bankgeheimnis“ des § 30a AO, S. 3 f. 85 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen, BT-Drs. 10/1441, S. 19, 21 f.; B. Wolf, Die Eigenmittelkonzeption des § 10 KWG, Hochschule für Bankwirtschaft, HfB, Arbeitsbericht Nr. 20, S. 7 f. 86 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute vom 21. 12. 1992, BGBl. I 1992, S. 2211. Vgl. dazu: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BT-Drs. 12/3377, 08. 10. 1992; Lehnhoff, KWGNovelle verabschiedet – Grundgesetz der Banken weitgehend neu gefasst –, WM 1993, S. 277 – 282; Dürselen, Wesentliche Änderungen des Kreditwesengesetzes im Rahmen der Vierten KWG-Novelle, ZBB 1993, S. 266 – 275; Regnery, Bankenaufsicht, Bankeneigenkapital und Wettbewerb. 87 Ziel der bankaufsichtsrechtlichen Eigenmittel (§ 10 KWG) ist eine im Fall der Insolvenz eine bestimmte Haftungsmasse zu garantieren (Boos, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 10 KWG Rn. 12). 88 Köllhofer [Vorstandsmitglied der Bayerischen Vereinsbank], Sind die Eingenmittelvorschriften praktikabel?, ZgesKW 1994, 272, 272; Dürselen, Wesentliche Änderungen des Kreditwesengesetzes im Rahmen der Vierten KWG-Novelle, ZBB 1993, S. 266, 273; Horn, Bankrecht auf dem Weg nach Europa, ZBB 1989, S. 107, 120.
514
§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
und unter bestimmten Voraussetzungen nicht realisierte Reserven in Bezug auf Grundstücke und in Bezug auf notierte Wertpapiere Berücksichtigung finden.89 Der Gesetzgeber begründete diese Deregulierung mit möglichen Wettbewerbsnachteilen deutscher Kreditinstitute gegenüber ausländischen infolge einer strengeren deutschen Regulierung, dennoch war die Eigenkapitalregulierung infolge der Vierten KWG-Novelle in Deutschland strenger als in Großbritannien.90 Hintergrund war, dass Unsicherheit in Bezug auf die Wirkungen der Deregulierung bestanden, denn die Deregulierung sollte mit dem Ziel der Sicherheit kompatibel sein.91 Abgeschafft wurden mit der Vierten KWG Novelle die Regelungen zum Sparverkehr (§§ 21 ff. KWG a. F.),92 die ein standardisiertes Produkt „Spareinlage“ schufen93. Der Gesetzgeber begründete auch diesen Schritt mit der Notwendigkeit einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen.94 Nach Ausführungen der Bundesregierung könnten bei Beibehaltung der deutschen Regelung „ausländische Banken um Spargelder z. B. mit dem Hinweis werben, bei ihnen könnten mehr als 2.000 DM im Monat abgehoben, oder es könnte mit Scheck über die Sparbeträge verfügt werden“.95
89
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BT-Drs. 12/3377, 08. 10. 1992; Alsheimer, Das haftende Eigenkapital der Kreditinstitute, Kernfragen einer Harmonisierung der Bankenaufsicht in Europa, RIW 1993, S. 111, 114; Köndgen, Mindestharmonisierung im Bankrecht, in: 7. Bonner Europa-Symposium, Mindestharmonisierung im Binnenmarkt, S. 1, 37. 90 Regnery, Bankenaufsicht, Bankeneigenkapital und Wettbewerb, S. 255 ff. So waren in Großbritannien nicht-realisierte Reserven uneingeschränkt als Eigenkapital anerkannt (Regnery, Bankenaufsicht, Bankeneigenkapital und Wettbewerb, S. 264, 273 ff.). 91 Dürselen konstatiert in diesem Zusammenhang, dass die nächsten Jahre zeigen müssen, ob der gefundene Kompromiss für die Anerkennung von nicht realisierten Reserven, „sich als tragfähig erweist und welche Konsequenzen er für die deutschen Kreditinstitute in einem europäischen Bankenmarkt bei sich verschärfendem Wettbewerb haben wird“ (Dürselen, Wesentliche Änderungen des Kreditwesengesetzes im Rahmen der Vierten KWG-Novelle, ZBB 1993, S. 266, 273). 92 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BT-Drs. 12/3377, 08. 10. 1992, S. 23, 35 f. 93 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BT-Drs. 12/3377, 08. 10. 1992, S. 35. 94 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BT-Drs. 12/3377, 08. 10. 1992, S. 25, 36. 95 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BT-Drs. 12/3377, 08. 10. 1992, S. 36.
C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise
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III. Fünfte KWG-Novelle Mit der Fünften KWG-Novelle aus dem Jahr 199496 setzte der Gesetzgeber verschiedene Richtlinien97 um und unternahm darüber hinaus weitere Gesetzesänderungen98. Eine weitere Deregulierung erfolgte in Bezug auf die Konsolidierungspflicht, die eine Mehrfachausnutzung von Eigenkapital im Fall von Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen verhindern soll99 und die bisher in strengerer Weise als in der Konsolidierungsrichtlinie100 in § 10 Abs. 6 KWG a. F vorgesehen war.101 Im Rahmen der Eigenmittelberechnung wurde die Berücksichtigung aktivistischer Unterschiedsbeträge (also die Berücksichtigung des Unterschieds zwischen höherem Marktwert und dem in der Bilanz angesetztem Wert102) erweitert.103 Die Kreditwirtschaft hatte zuvor über eine regulatorische Benachteiligung gegenüber
96 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute vom 28. September 1994, BGBl. I 1994, S. 2735; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BT-Drs. 12/6957, 04. 03. 1994; Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, 7. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 12/6957 –, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BT-Drs. 12/7985 vom 16. 06. 1994; Göttgens/Karg, Grundzüge des Entwurfs einer Fünften KWG-Novelle, WPg 1994, S. 197 – 207. 97 Richtlinie 92/30/EWG des Rates vom 6. April 1992 über die Beaufsichtigung von Kreditinstituten auf konsolidierter Basis, ABl. EG Nr. L 110/52 vom 28. 04. 1992; Richtlinie 92/ 121/EWG des Rates vom 21. Dezember 1992 über die Überwachung und Kontrolle der Großkredite von Kreditinstituten, ABl. EG 1993 Nr. L 29/1 vom 5. 2. 1993. 98 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6957, 04. 03. 1994, S. 21. 99 Boos, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 10a KWG Rn. 1; Bürschgen, Das kleine Bank-Lexikon, Konsolidierungspflicht, S. 551. 100 Richtlinie 92/30/EWG des Rates vom 6. 4. 1992 über die Beaufsichtigung von Kreditinstituten auf konsolidierter Basis, ABl. EG Nr. L 110/52 vom 28. 4. 1992. 101 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6957, 04. 03. 1994, S. 24; Boos, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 10a KWG Rn. 2; Göttgens/Karg, Grundzüge des Entwurfs einer Fünften KWG-Novelle, WPg 1994, S. 197, 198. Vgl. die Erläuterungen zur Konsolidierung bei: Bürschgen, Das kleine Bank-Lexikon, Bankenaufsicht auf konsolidierter Basis, S. 82 f. 102 Senger, Kapitalkonsolidierung im Bankkonzern, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 33 11/2004, S. 8; Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort „stille Rücklagen“, S. 2883. 103 Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 12/6957 –, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BT-Drs. 12/7985 vom 16. 06. 1994, S. 42 f.; Boos, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 10a KWG Rn. 2. Zu der Berücksichtigung Aktivischer Unterschiedsbeträgen: Senger, Kapitalkonsolidierung im Bankkonzern, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 33 11/2004, S. 7 – 9.
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§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
Kreditinstituten aus anderen Mitgliedstaaten geklagt.104 Die Koalitionsfraktionen (CDU/CSU und FDP) sehen in der Neuregelung entgegen der SPD-Fraktion „einen ausgewogenen Kompromiß […], der sowohl den Forderungen der Kreditwirtschaft als auch der Position der Deutschen Bundesbank sowie des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen105 Rechnung trägt“.106 Die Grenze, ab der die Offenlegungspflicht aus § 18 KWG Anwendung findet, erhöhte der Gesetzgeber auf 250.000 DM (§ 18 KWG).107 Das Ziel der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten deutscher Kreditinstitute bzw. das Problem der Inländerdiskriminierung wird nicht explizit im Gesetzentwurf als Ziel der Deregulierung angesprochen108, obwohl in anderen Mitgliedstaaten eine derartige Regelung fehlte109.
IV. Klage vor dem EuGH gegen die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme Deutschland lehnte das in der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme verankerte Exportverbot (Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1) und die Möglichkeit der Aufstockung des Schutzumfangs (Art. 4 Abs. 2) ab. Deutschland klagte deshalb gegen die Richtlinie vor dem EuGH.110 Die Bundesregierung sah die Gefahr, dass die Kostenbelastungen inländischer Kreditinstitute infolge der strengeren deutschen Regulierung aufgrund der Regelungen nicht auf dem Markt belohnt werden würden.111 Der EuGH wies die Klage jedoch ab. Er 104 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 12/6957 –, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BTDrs. 12/7985 vom 16. 06. 1994, S. 43. 105 Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen ist zum 1. Mai 2002 in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsasufsicht (BaFin) aufgegangen vgl. Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22. April 2002 (vgl. Plück/Kühn/Schmutzler, Kapitalmarktrecht, S. 4). 106 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 12/6957 –, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute, BTDrs. 12/7985 vom 16. 06. 1994, S. 43. 107 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6957, 04. 03. 1994, S. 21, 30; Göttgens/Karg, Grundzüge des Entwurfs einer Fünften KWG-Novelle, WPg 1994, S. 197, 206. 108 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6957, 04. 03. 1994, S. 21, 30. 109 Schnyder, Europäisches Banken- und Versicherungsrecht, S. 86 Rn. 173; Fischer, in: Bankrechts-Handbuch, 1. Aufl., § 130 Rn. 43. 110 Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung – Drucksache 12/7741 Nr. 2.1 –, BT-Drs. 12/8365, 08. 08. 1994. 111 Vgl. o. V., Deutsche Kritik an der Einlagensicherungs-Richtlinie, EuZW 1994, S. 387; Dreher, Die neue deutsche Einlagensicherung im Bereich der privaten Banken und das Eu-
C. Gesetzgeberische Maßnahmen bis zur Finanzkrise
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verwies im Wesentlichen darauf, dass sich aus der 14. Begründungserwägung der Richtlinie ergebe, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber das Ziel verfolgt, „von vornherein jede Marktstörung zu verhindern, die dadurch entstehen könne, daß Zweigstellen von Kreditinstituten eine höhere Deckung anbieten als die im Aufnahmemitgliedstaat zugelassenen Kreditinstitute“.112 Damit wird die dem Gemeinschaftsgesetzgeber vom EuGH zugestandene Einschätzungsprärogative deutlich.
V. Sechste KWG-Novelle Mit der Sechsten KWG-Novelle von 1997 wurde die Konsolidierung, die das Ziel hat, eine Mehrfachausnutzung des Eigenkapitals zu verhindern, weiter an die Vorgaben der Mindestharmonisierung angepasst,113 indem die bisherige Konsolidierungsschwelle von 40 Prozent gestrichen und durch eine Konsolidierungsschwelle von 50 Prozent plus 1 ersetzt wurde114. Beteiligungen müssen danach erst ab dann in die Konsolidierung einbezogen werden, wenn eine Beteiligung mindestens in Größenordnung von 50 plus 1 Prozent der Anteile des besteht.115 Dies führt nach seiner Einschätzung zu „einer erheblichen Entlastung der konsolidierungspflichtigen Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen“.116 Im Fall einer Kreditvergabe an ausländische öffentliche Stellen werden deutsche Kreditinstitute ausländischen gleichgestellt, indem § 10 Abs. 1 a KWG a. F. eine Null-Gewichtung vorsieht.117 Hintergrund war, dass einige ausländische Bankaufsichtsbehörden bei einer Kreditvergabe an dort ansässige öffentliche Stellen eine Null-Gewichtung zuerkannten, jedoch nach deutschem Recht eine Kreditgewährung an diese Stellen zu berücksichtigen war.118 Die Bundesregierung begründet die Schaffung von § 10 Abs. 1a KWG a. F. mit einer Erhöhung der „Wettbewerbsfähigkeit von Instituten, die der Aufsicht des roparecht, ZIP 1998, S. 1777, 1777; Bunte, in: Bankrechts-Handbuch, § 25 Rn. 6; Zimmer, Der EG-Richtlinienentwurf über Einlagensicherungssysteme: Chancen zur Verbesserung der deutschen Einlagensicherung?, ZBB 1992, 286, 297; Generalanwalt Léger, EuGH, Rs. C-233/ 94, I-2405, I-2429 f. Tz. 101. 112 EuGH, Urteil vom 13. 05. 1997, Rs. C-233/94, Deutschland/Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union, Slg. 1997, I-2405, I-2457 Rn. 57. 113 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/7142, S. 58. 114 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/7142, S. 58, 80; Mielk, Die wesentlichen Neuregelungen der 6. KWG-Novelle – Teil II –, WM 1997, 2237, 2237 f.; Boos, in: Boos/ Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 10a KWG Rn. 3. 115 Vgl. Herrhausen, Wettbewerb und Regulierung in der Kreditwirtschaft, S. 19. 116 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/7142, S. 58 vgl. auch S. 80. 117 Mielk, Die wesentlichen Neuregelungen der 6. KWG-Novelle – Teil I –, WM 1997, S. 2200, 2209. 118 Mielk, Die wesentlichen Neuregelungen der 6. KWG-Novelle – Teil I –, WM 1997, S. 2200, 2209.
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§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
Bundesaufsichtsamtes unterliegen, bei der Vergabe von Krediten an öffentliche Stellen im Ausland“.119 Die Grenze der Offenlegungspflicht der wirtschaftlichen Verhältnisse aus § 18 KWG wurde entsprechend dem Wunsch der deutschen Kreditwirtschaft auf 500.000 EUR angehoben.120
VI. Gesetz zur Neuordnung des Pfandbriefrechts Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Pfandbriefrechts121 aus dem Jahr 2005 setzte der deutsche Gesetzgeber die Offenlegungsgrenze des § 18 KWG auf 750.000 EUR (begrenzt auf 10 Prozent des haftenden Eigenkapitals) herauf, was von der deutschen Kreditwirtschaft ausdrücklich begrüßt wurde122. Hintergrund waren Wettbewerbsnachteile deutscher Kreditinstitute im Wettbewerb mit ausländischen Kreditinstituten,123 insbesondere betrafen die Wettbewerbsnachteile bayerische Banken und Sparkassen gegenüber den österreichischen Kreditinstituten124. So heißt es im Gesetzentwurf: „Der bestehende Schwellenwert in § 18 KWG von 250 000 Euro, ab dem die inländischen Kreditinstitute die formalisierte Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers fordern müssen, führt im internationalen Vergleich zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen. Immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen vor allem in grenznahen Regionen wenden sich von inländischen Kreditinstituten ab und nutzen den breiteren Handlungsspielraum ausländischer Banken, die ihnen eine weniger aufwendige Kreditaufnahme ermöglichen. Durch diesen Wettbewerbsnachteil verlieren inländische Kreditinstitute Kunden und damit Geschäftsanteile. Zur Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen zwischen deutschen und ausländischen Kreditinstituten ist die Anhe119 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 13/ 7627, 13. 05. 1997, S. 161. Nach Mielk [Vertreter der deutschen Kreditwirtschaft] waren Kreditinstitute in diesem Geschäftsfeld nicht mehr wettbewerbsfähig (Mielk, Die wesentlichen Neuregelungen der 6. KWG-Novelle – Teil I –, WM 1997, S. 2200, 2209). 120 Vgl. Mielk, Die wesentlichen Neuregelungen der 6. KWG-Novelle – Teil II –, WM 1997, 2237, 2243. 121 Gesetz zur Neuordnung des Pfandbriefrechts vom 22. Mai 2005, BGBl. I 2005, S. 1373; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 15/4321, 15/4487 –, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Pfandbriefrechts, BT-Drs- 15/4878, 16. 02. 2005. 122 Zentraler Kreditausschuss, ZKA begrüßt Novellierung des § 18 KWG, Kreditvergabe weniger bürokratisch – aussagekräftige Kreditunterlagen weiter erforderlich, Pressemitteilung vom 22. 02. 2005; Zentraler Kreditausschuss, ZKA begrüßt Diskussion um Reform des § 18 KWG und bietet Unterstützung an, Pressemitteilung vom 14. 02. 2005. 123 Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Michael Meister et al und der Fraktion der CDU/ CSU, BT-Drs. 15/4841, 15. 02. 2005, S. 3; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 15/4878, 16. 02. 2005, S. 14. 124 Früh, in: Beck/Samm/Kokemoor, KWG, § 18 Rn. 5a (119. Aktualisierung – KWG, Oktober 2006).
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bung des Schwellenbetrags in § 18 KWG notwendig, ab dem die formalisierte Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers notwendig ist“.125
Während die Fraktionen der CDU/CSU und FDP im Gesetzgebungsverfahren zunächst die Offenlegungsgrenze auf 1 Mio. EUR bzw. 10 Prozent des haftenden Eigenkapitals des kreditgewährenden Kreditinstituts erhöhen wollten,126 lehnte der Finanzausschuss des Bundestages die vorgeschlagene Erhöhung auf 1 Mio. EUR ab und befürwortete vielmehr eine Anhebung auf 750.000 EUR bzw. 10 Prozent des haftenden Eigenkapitals127. Entscheidend für die konkrete Ausgestaltung der Offenlegungsgrenze war vor allem, dass die Offenlegungsgrenze in Österreich bei 750.000 EUR lag.128 Dem deutschen Gesetzgeber ging es damit ersichtlich nicht um eine Anziehung österreichischer Kreditnehmer, sondern ausschließlich um eine Verhinderung der Abwanderung deutscher Kreditnehmer zu Banken im Ausland. Die deutliche Erhöhung der Offenlegungsgrenze erscheint nach Ansicht des Finanzausschusses aufgrund der Entwicklung interner Informationsgewinnungs- und bewertungsverfahren bankaufsichtsrechtlich vertretbar.129 Deutlich wird, dass der Gesetzgeber eine Deregulierung nicht um jeden Preis durchführte, sondern abwägte, inwiefern eine Deregulierung vertretbar ist. Das Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) konkretisierte § 18 KWG mittels verschiedener Rundschreiben.130 Diese Rundschreiben hob das Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht jedoch mit Wirkung vom 9. Mai 2005 auf.131 Das Bundesamt begründete die Aufhebung der Rundschreiben mit einer stärkeren Eigenverantwortung der Kreditinstitute: „Dieser Aufsichtsansatz stellt die Eigenverantwortung der Kreditinstitute in den Vordergrund, indem er von den bisherigen detaillierten Regelungen abrückt, die in der Praxis oft nur schablonenhaft angewendet wurden. Die neue qualitativ ausgerichtete Aufsicht, die den Instituten größere Freiräume einräumt, setzt voraus, dass die Banken ihrer größeren Verantwortung gerecht werden“.132 125
Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Michael Meister et al und der Fraktion der CDU/ CSU, BT-Drs. 15/4841, 15. 02. 2005, S. 3. 126 Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Michael Meister et al und der Fraktion der CDU/ CSU, BT-Drs. 15/4841, 15. 02. 2005, S. 3. 127 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 15/ 4878, 16. 02. 2005, S. 18. 128 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 15/ 4878, 16. 02. 2005, S. 14. 129 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 15/ 4878, 16. 02. 2005, S. 18. 130 Vgl. Kunze, Überwachung operationeller Risiken bei Banken, S. 158 mwN. 131 BaFin, Schreiben an den Zentralen Kreditausschuss zu § 18 KWG, Geschäftszeichen BA 13 – GS 3350-1/2005 vom 9. 5. 2005. Vgl. Kunze, Überwachung operationeller Risiken bei Banken, S. 158. 132 BaFin, Schreiben an den Zentralen Kreditausschuss zu § 18 KWG, Geschäftszeichen BA 13 – GS 3350-1/2005 vom 9. 5. 2005.
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§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
Die Aufhebung der Rundschreiben und die damit bedingte Abkehr von „formalen Prüfkriterien“ wurde von Seiten der deutschen Kreditwirtschaft ausdrücklich begrüsst.133
VII. Siebte KWG-Novelle Mit der Siebten KWG-Novelle134 setzte der deutsche Gesetzgeber die neu gefasste Bankenrichtlinie135 in deutsches Recht um.136 Ausdrückliches Ziel war eine „Einszu-Eins Umsetzung“ der Richtlinienanforderungen in deutsches Recht,137 die mit der Novelle weitgehend erreicht wurde138. Zum Beispiel hob der Gesetzgeber mit Änderung des § 10 Abs. 2b KWG den Anrechungssatz für nicht realisierte stille Reserven in Wertpapiere von 35 auf 45 Prozent (§ 10 Abs. 2b Satz 1 Nr. 7 KWG)139 an und hob das strenge Prinzip der Durchschnittskursermittlung für Neubewertungsreserven in Wertpapieren auf, indem er zum Stichtagsprinzip überging (§ 10 Abs. 4c KWG).140
D. Bewertung der Rechtsentwicklung Die Entwicklung des deutschen Bankenaufsichtsrechts ist durch eine schrittweise und vorsichtige Deregulierung gekennzeichnet. Sie war einerseits von dem Wunsch 133
2005.
Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Pressemitteilung Nr. 35/2005 vom 21. 05.
134 Gesetz zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie (BKRUG) vom 17. 11. 2006, BGBl. I 2006, S. 2606. 135 Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Neufassung), ABl. EU Nr. L 177/1 vom 30. 06. 2006. 136 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie, BT-Drs. 16/ 1335, 26. 04. 2006; Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 16/1335 –, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie, BT-Drs. 16/2056, 29. 06. 2006; Kokemoor, in: Beck/Sam/Kokemoor, KWG, § 10 Rn. 11c (128. Aktualisierung, Dezember 2007); T. Roth, Auf dem Weg zu risikosensitiven Kapitalanforderungen. 137 Neus, in: Luz/Neus/Scharpf/Schneider/Weber, KWG, Einführung Rn. 156; Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 16/2056, 29. 06. 2006, S. 3. 138 Mielk, Die Umsetzung von Basel II in deutsches Recht – Ein Überblick über wesentliche Aspekte des KWG-Änderungsgesetzes, WM 2007, S. 621, 627. 139 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie, BT-Drs. 16/1335, 26. 04. 2006, S. 50. Vgl. Mielk, Die Neufassung des § 10 KWG durch die 7. KWG-Novelle, WM 2007, S. 52, 55. 140 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/1335, 26. 04. 2006, S. 15, 52; Mielk, Die Neufassung des § 10 KWG durch die 7. KWG-Novelle, WM 2007, S. 52, 56; Kokemoor, in: Beck/Sam/Kokemoor, KWG, § 10 Rn. 143 (128. Aktualisierung, Dezember 2007).
D. Bewertung der Rechtsentwicklung
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geprägt, eine stärkere regulatorische Belastung deutscher Kreditinstitute zu beseitigen, andererseits ist es grundlegendes Ziel des Gesetzgebers, die Schutzfunktion des Bankenaufsichtsrechts141 zu erhalten. Die Forderungen einer Beseitigung ungleicher Wettbewerbsbedingungen seitens der deutschen Kreditwirtschaft hatten erhebliche Bedeutung für die Rechtsentwicklung.142 Der deutsche Gesetzgeber hat sich (ähnlich wie im Versicherungsaufsichtsrecht) im Rahmen eines schrittweisen Vorgehens immer weiter an die Mindestharmonisierung bzw. an liberalere Regelungen anderer Mitgliedstaaten herangetastet. Hätte die Deregulierung im Bankenaufsichtsrecht zu Problemen geführt bzw. wären Probleme voraussehbar gewesen, wäre der deutsche Gesetzgeber jedoch nach aller Wahrscheinlichkeit nicht bereit gewesen, das Ziel einer Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Banken über die Regulierungsziele des KWG zu stellen. Vielmehr hätte wahrscheinlich die Bundesregierung auf europäischer Ebene erfolgreich für eine angemessene Gestaltung der Mindestharmonisierung geworben. Es ging dem deutschen Gesetzgeber nicht um die Erlangung regulatorischer Vorteile zugunsten deutscher Kreditinstitute im Verhältnis zu Kreditinstituten aus anderen Mitgliedstaaten, sondern ausschließlich um eine Abwendung regulatorischer Belastungen. Eine Innovationsfunktion von Systemwettbewerb spielt deswegen keine Rolle. Im Hinblick auf die Gestaltung der Offenlegungsgrenzen in § 18 KWG hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit gehabt, die heimische Regulierung liberaler zu gestalten als die österreichische. Er hat sich jedoch mit einer schrittweisen Angleichung an die österreichischen Offenlegungsgrenze begnügt. Die Bemühungen um eine Deregulierung sind auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität des Bankenaufsichtsrechts zu sehen, die mit erheblichen Kostenbelastungen für die Kreditwirtschaft verbunden ist143. Die Finanzkrise144 hat gezeigt, dass die Regulierung in Bezug auf das Eigenkapital unzureichend war145 und dass insbesondere eine Umgehung von Regulierungsanforderungen – und hier taucht das Wort „Regulierungsarbitrage” wieder auf – möglich war.146 Im Rückblick erscheint es zwar einerseits problematisch, von einer systemwettbewerblichen Deregulierungsfunktion, die eine positive Bewertung der 141
Zu den Zielen des Bankaufsichtsrechts: Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf KWG Rn. 61 ff. 142 Vgl. Reimnitz, Der Deutsche Eigenkapitalbegriff als Qualitätsbegriff, S. 9 f. 143 Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf. KWG Rn. 47. 144 Zu den Ursachen vgl. Admati/Hellwig, Des Bankers neue Kleider, S. 105 ff.; Florstedt, Finanzkrise als Krise der Normbehauptung, ZBB 2013, S. 81 – 93; Fischer, in: Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, KWG, Einf. KWG Rn. 91. 145 Hartmann-Wendels, Basel III – Auswirkungen auf Banken und Finanzsystem, zfbf Sonderheft 67/13, S. 72, 73; Admati/Hellwig, Des Bankers neue Kleider, S. 135 ff., 428 f. 146 Florstedt, Finanzkrise als Krise der Normbehauptung, ZBB 2013, S. 81 – 93; Fischer, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einf. KWG Rn. 91 f.
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§ 13 Systemwettbewerb in den Bankenrichtlinien
Rechtsentwicklung voraussetzt147, zu sprechen, jedenfalls liegt aber auf der anderen Seite auch keine bewusst suboptimale Deregulierung vor. Die eingetretenen Folgen können aber nicht schwerpunktmäßig innereuropäischen Systemwettbewerb angelastet werden. Ob die Regulierungsmängel im Vorfeld der Finanzkrise von politischen Akteuren hätte vorausgesehen werden können, ist fraglich und die aufgetretenen Probleme wären vermutlich auch im Fall einer Vollharmonisierung des Bankenaufsichtsrechts in der EU nicht vermieden worden. Die Bedeutung der Entdeckungsfunktion von Systemwettbewerb ist sehr gering.148 Die Rechtsentwicklung verlief berechenbar und die Deregulierung verlief nach einem ähnlichen Muster wie im Bereich des Versicherungsaufsichtsrechts. Aufgrund mangelnder innovativer Vorstöße zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen zeigt sich eine Tendenz zur Gleichgewichtsbildung, womit die Rechtsentwicklung eher einer neoklassischen Modellierung eines funktionierenden Systemwettbewerbs gleicht.
147
Vgl. Teil 1 § 4 D. IV. Anders die Erwartungen von: Arentz/Paulus, Das Potenzial von Systemwettbewerb und nationalen Alleingängen, in: GS Eekhoff, S. 145, 157. 148
§ 14 Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip in den OGAW-Richtlinien A. Der rechtliche Rahmen zum Vertrieb von OGAW Eine Regelung des Vertriebs von ausländischen Investmentanteilen bestand in Deutschland zunächst nicht.1 Es galt in Bezug auf den Vertrieb ausländischer Investmentfonds ursprünglich ein Herkunftslandprinzip.2 In Deutschland wurden nach Bewertung des Gesetzgebers nur Anteile solcher Investmentgesellschaften angeboten, „die in ihren Sitzländern einer strengen Investmentgesetzgebung und -kontrolle unterliegen“.3 Dies ist aus politökonomischer Perspektive bemerkenswert, als dass bundesdeutsche Banken die Tätigkeit von Vertriebsgesellschaften US-amerikanischer Fonds in der Bundesrepublik als „unwillkommene Konkurrenz“ wahrnahmen.4 Erst mit dem nunmehr außer Kraft getretenen Auslandsinvestmentgesetz, das am 1. 1. 1969 in Kraft trat5, erfolgte ein Übergang zum Bestimmungslandprinzip im Hinblick auf das Angebot ausländischer Investmentanteile auf dem deutschen Markt,6 indem bestimmte Pflichten von ausländischen Kapitalanlagegesellschaften (heute ist im Rahmen des KAGB die Rede von „Kapitalverwaltungsgesellschaften“) statuiert wurden (§ 2 ff. AuslInvestmG a. F.).7 Begründet wird dieser gesetzgeberi-
1 Berge und Herrndorff, Der Schutz des Investmentsparers, Darstellung unter Berücksichtigung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften vom 16. 4. 1957, S. 116 f. 2 Vgl. Berge und Herrndorff, Der Schutz des Investmentsparers, Darstellung unter Berücksichtigung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften vom 16. 4. 1957, S. 116 – 119. 3 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile, über die Besteuerung ihrer Erträge sowie zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften, BT-Drs. 5/3494, S. 14. 4 Bartels, Vermögensablage in US-amerikanischen Investmentfonds, in: FS Rittershausen, S. 303, 303. 5 Vgl. Zeller, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslInvestmG, Einl KAGG Rn. 10 – 12 mwN. 6 Steder, Die neue Investmentgesetzgebung, Sonderbeilage Nr. 2/1969, S. 1, 4: „Grundsätzlich ist der Vertrieb ausländischer Investmentanteile in Deutschland unzulässig. Die durch das AuslInvestmG geschaffene Rechtslage ist ähnlich der eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt“. Nach dem Gesetz soll es möglich bleiben, dass ein deutscher Investmentsparer uneingeschränkt aus eigenem Antrieb ausländische Investmentanteile erwirbt, die in Deutschland nicht angeboten werden dürfen (Bericht des Abgeordneten Schmidthuber zu BT-Drs. 5/4413, S. 3). 7 Steder, Die neue Investmentgesetzgebung, Sonderbeilage Nr. 2/1969, S. 1, 4 ff.
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§ 14 Systemwettbewerb in den OGAW-Richtlinien
sche Schritt mit dem Ziel des Schutzes deutscher Anleger8 und der Vermeidung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen zu Lasten deutscher Kapitalanlagegesellschaften bzw. Kapitalverwaltungsgesellschaften9. Heute gelten für den Vertrieb EU-/EWR-ausländischer Investmentfonds (Fonds aus Drittstaaten) in Deutschland10 die §§ 316 ff. KAGB (bzw. bis vor kurzem die §§ 135 ff. InvG a. F.).11 Die ausländische Investmentgesellschaft, die die Absicht hat, ausländische Investmentanteile aus Nicht-Mitgliedstaaten (sogenannte Non-UCITS) öffentlich zu vertreiben, muss diese Absicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) anzeigen (§ 316, 320 KAGB bzw. § 139 InvG a. F.12)13. Die EU/EWR-ausländische Investmentgesellschaft hat für einen öffentlichen Vertrieb in Deutschland bestimmte materielle Anforderungen einzuhalten (§ 295 KAGB bzw. §§ 136 ff. InvG a. F.14). Auf europäischer Ebene erfolgte eine erste Maßnahme zur Marktintegration auf dem Gebiet von Investmentfonds mit der OGAW I-Richtlinie (Richtlinie 85/611/ EWG).15 Gegenstand der Richtlinie sind Investmentfonds; die Richtlinie spricht von Organismen, „– deren ausschließlicher Zweck es ist, beim Publikum beschaffte Gelder für gemeinsame Rechnung nach dem Grundsatz der Risikostreuung in Wertpapieren anzulegen, und
8
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile, über die Besteuerung ihrer Erträge sowie zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften, BT-Drs. 5/3494, S. 14 f. 9 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile, über die Besteuerung ihrer Erträge sowie zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften, BT-Drs. 5/3494, S. 16; Baur, Investmentgesetze, 1. Aufl., S. 419; Baum, in: InvG, § 136 Rn. 116, 118. 10 Vgl. Köndgen/Schmies, Neuordnung des deutschen Investmentrechts, WM Sonderbeilage Nr. 1 2004, S. 19 f. 11 Vgl. Wollenhaupt/Beck, Das neue Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) – Überblick über die Neuregelung des deutschen Investmentrechts nach der Umsetzung der AIFM-RL –, DB 2013, S. 1950 – 1959; Kurz, Vertrieb von Finanzprodukten in Deutschland – Überblick über die Anforderungen an den Vertrieb von Finanzprodukten nach KWG, Vermögensanlagengesetz und KAGB-E –, DB 2013, S. 501, 504. 12 Früher: § 7 AuslInvestmG. 13 Vgl. Wollenhaupt/Beck, Das neue Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) – Überblick über die Neuregelung des deutschen Investmentrechts nach der Umsetzung der AIFM-RL –, DB 2013, S. 1950, 1957. 14 Früher: §§ 8 ff. KAGG. 15 Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), (85/611/EWG), ABl. EG Nr. L 375 vom 31. 12. 1985, S. 3. Vgl. Grundmann, Europäisches und deutsches Investmentrecht, ZBB 1991, S. 242 – 259; Baur, Investmentgesetze, 2. Aufl., 1. Teilband, Ein II Rn. 27 ff.; Carl/Förster, Das Recht der Investmentfonds, S. 51 ff. Zur Entstehung der Richtlinie: Lütgerath, Die Erweiterung des Anlagekataloges von Investmentgesellschaften, S. 59 ff.
A. Der rechtliche Rahmen zum Vertrieb von OGAW
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– deren Anteile auf Verlangen der Anteilinhaber unmittelbar oder mittelbar zu Lasten des Vermögens dieser Organismen zurückgenommen oder ausgezahlt werden“ (Art. 1 Abs. 2 OGAW I-Richtlinie).16
Ein OGAW bedarf der Zulassung durch die zuständigen Stellen17 in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist (Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 85/611/EWG). Die Zulassung gilt für sämtliche Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 85/611/EWG). Für die Aufsicht sind die Stellen des Staates zuständig, in dem der OGAWansässig ist (Art. 49 Abs. 3 Richtlinie 85/611/EWG).18 Ein OGAW ist in dem Mitgliedstaat ansässig, in dem sich der satzungsgemäße Sitz der Verwaltungsgesellschaft des Investmentfonds oder der Investmentgesellschaft befindet; die Hauptverwaltung muss sich dabei zwingend in dem Mitgliedstaat des satzungsmäßigen Sitzes des Investmentfonds befinden (Art. 3 Richtlinie 85/611/ EWG). Die Durchsetzung strengeren nationalen Rechts des Bestimmungslandes innerhalb des koordinierten Bereichs ist nicht zulässig.19 Die mittels der Richtlinie 85/611/EWG verwirklichte materiellrechtliche Harmonisierung bezieht sich auf Regelungen der Zulassung (Art. 4 ff.), Aufsicht (Art. 4, Art. 49 ff.), Struktur (Art. 5 ff.), Geschäftstätigkeit (Art. 19 ff.) und der Informationspflichten (Art. 27 ff.).20 In Bereichen, die nicht von der Richtlinie geregelt sind, hat ein grenzüberschreitend tätiger OGAW die in diesem Staat geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu beachten (Art. 44 Abs. 1 Richtlinie 85/611/EWG),21 womit die enge Verknüpfung zwischen einer Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und materiellrechtlicher Harmonisierung zum Ausdruck kommt22. Es gilt ein Diskriminierungsverbot (Art. 44 Abs. 3 Richtlinie 85/611/EWG). Wenn ein OGAW den Vertrieb seiner Anteile in einem anderen als dem Mitgliedstaat beabsichtigt, in dem er ansässig ist, muss der OGAW dies den zuständigen Stellen des Mitgliedstaates des Vertriebsortes anzeigen und bestimmte Unterlagen vorlegen (Art. 46 Richtlinie 85/611/EWG). Eine erhebliche Änderung erfuhr die OGAW I-Richtlinie im Jahr 2001 mit Schaffung der Produktrichtlinie (Richtlinie 2001/108/EG)23 und der Verwaltungs16 Vgl. auch Art. 1 Abs. 2 2. Spiegelstrich Satz 2; Art. 2 Abs. 1. Die Richtlinie verwendet ausdrücklich den Begriff Investmentfonds in der Überschrift zu Abschnitt III. 17 Vgl. Art. 4 Abs. 1, Art. 49 Abs. 1 Richtlinie 85/611/EWG. 18 Vgl. Art. 3. 19 Grundmann, Europäisches und deutsches Investmentrecht, ZBB 1991, S. 242, 244. 20 Erwägungsgrund 5 Richtlinie 85/611/EWG. 21 Vgl. Erwägungsgrund 5. 22 Vgl. Erwägungsgrund 2 Satz 2; Erwägungsgrund 3. 23 Richtlinie 2001/108/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Januar 2002 zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und
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§ 14 Systemwettbewerb in den OGAW-Richtlinien
richtlinie (Richtlinie 2001/107/EG)24, die zusammen als OGAW III-Richtlinien bezeichnet werden.25 Die Produktrichtlinie erweitert die Kategorie der OGAW um Dach-, Index-, Geldmarkt- und Derivatefonds.26 Mit der Verwaltungsrichtlinie wird erstmals der Europäische Pass für Verwaltungsgesellschaften eingeführt. Die Tätigkeit von Verwaltungsgesellschaften bezieht sich auf die Verwaltung des Portfolios, das heißt Anlageverwaltung, administrative Tätigkeiten und den Vertrieb.27 Für die im jeweiligen Herkunftsmitgliedstaat (Sitzstaat)28 zugelassene Verwaltungsgesellschaften29 ist es möglich, im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs und über die Gründung von Zweigniederlassungen oder in anderen Mitgliedstaaten ihre OGAW zu vertreiben (Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2001/107/EG)30 und OGAW errichten und verwalten, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind (vgl. Erwägungsgrund 6 Richtlinie 2001/ 107/EG).31 Ausdrückliches Ziel der Richtlinie ist es, Regulierungsarbitragen mittels der Wahl des Ortes der Ansässigkeit zu verhindern (vgl. Erwägungsgrund 8, Art. 4 Abs. 3a Richtlinie 2001/107/EG). Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) hinsichtlich der Anlagen der OGAW, ABl. EG Nr. L 41 vom 13. 2. 2002, S. 35. 24 Richtlinie 2001/107/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Januar 2002 zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) zwecks Festlegung von Bestimmungen für Verwaltungsgesellschaften und vereinfachte Prospekte, ABl. EG Nr. L 41 vom 13. 2. 2002, S. 20. 25 Vgl. Kammel, UCITS IV – ein weiterer Meilenstein im europäischen Investmentfondsrecht?, ÖBA 2009, S. 565, 565; Fragos, Das neue europäische und deutsche Investmentrecht, S. 1, 14 ff. Als „OGAW II“ wird die Änderung der OGAW I-Richtlinie vom 22. 03. 1988 bezeichnet (Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands, Kreditwirtschaftlich wichtige Vorhaben der EU, September 2011, S. 72). 26 Zeller, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslInvestmG, Einl KAGG Rn. 24. 27 Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13, S. 7. 28 Vgl. Art. 1 Nr. 5 Richtlinie 2001/107/EG. 29 Vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 12 Richtlinie 2001/107/EG. 30 Vgl. Erwägungsgrund (3), (6), (7) Richtlinie 2001/107/EG; Köndgen/Schmies, Neuordnung des deutschen Investmentrechts, WM Sonderbeilage Nr. 1 2004, S. 3 f.; Kommission, Grünbuch, Ausbau des Europäischen Rahmens für Investmentfonds, KOM(2005) 214 endgültig, S. 5 f.; Kammel, UCITS IV – ein weiterer Meilenstein im europäischen Investmentfondsrecht?, ÖBA 2009, S. 565, 566; Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13, S. 6; Zeller, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslInvestmG, Einl KAGG Rn. 25. 31 Kommission, Grünbuch, Ausbau des Europäischen Rahmens für Investmentfonds, KOM (2005) 214 endgültig, S. 5. Blankenheim, Die Umsetzung der OGAW-IV-Richtlinie in das Investmentgesetz, ZBB/JBB 2011, S. 344, 348. Anders: Zeller, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslInvestmG, Einl KAGG Rn. 25.
A. Der rechtliche Rahmen zum Vertrieb von OGAW
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Mit der OGAW IV-Richtlinie (Richtlinie 2009/65/EG)32 ist die Produkt- und Verwaltungsrichtlinie neu gefasst und erweitert worden. Die Richtlinie enthält wie die OGAW I- und OGAW III-Richtlinie das Prinzip der einmaligen Zulassung durch die Behörden des Herkunftsmitgliedstaates (Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2009/65/EG). Verwaltungsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, können die Tätigkeiten, für die die Zulassung besteht, auch mittels der Errichtung einer Zweigniederlassung oder im Wege des freien Dienstleistungsverkehrs ausüben (Art. 16 Abs. 1 Richtlinie 2009/65/EG).33 Die Aufnahmemitgliedstaaten34 gewährleisten gemäß Art. 91 Abs. 1 OGAW IV-Richtlinie den freien Vertrieb von Anteilen von OGAW aus anderen Mitgliedstaaten. Die OGAW IV-Richtlinie ermöglicht nunmehr die Verschmelzung von harmonisierten Fonds35 (um Kostenvorteile größerer Fonds besser nutzen zu können36) und die Nutzung von Master-Feeder- Strukturen (vgl. Art. 58 ff. OGAW IV-Richtlinie)37. Damit kann ein OGAW als Feeder-OGAW mindestens 85 Prozent seines Vermögens in Anteile eines anderen OGAW, dem Master-OGAW, investieren.38
32 Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlage in Wertpapieren (OGAW), ABl. EU Nr. L 302/32 vom 17. 11. 2009. 33 Vgl. Erwägungsgrund (11), (12) OGAW IV-Richtlinie; Kommission, Grünbuch, Ausbau des Europäischen Rahmens für Investmentfonds, KOM(2005) 214 endgültig, S. 5 f.; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/ EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Umsetzungsgesetz – OGAW-IVUmsG), BT-Drs. 17/4510, 24. 01. 2011, S. 53; Kammel, UCITS IV – ein weiterer Meilenstein im europäischen Investmentfondsrecht?, ÖBA 2009, S. 565, 567, 569. 34 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. d) OGAW IV-Richtlinie. 35 Vgl. Erwägungsgründe 27 ff. OGAW IV-Richtlinie; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Umsetzungsgesetz – OGAW-IV-UmsG), BT-Drs. 17/4510, 24. 01. 2011, S. 53; Kammel, UCITS IV – ein weiterer Meilenstein im europäischen Investmentfondsrecht?, ÖBA 2009, S. 565, 570; Reiter, in: Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.10. 36 Blankenheim, Die Umsetzung der OGAW-IV-Richtlinie in das Investmentgesetz, ZBB/ JBB 2011, S. 344, 345; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAWIV-Umsetzungsgesetz – OGAW-IV-UmsG), BT-Drs. 17/4510, 24. 01. 2011, S. 53. Es bestehen wegen einer geringeren Größe europäischer Fonds insbesondere Wettbewerbsnachteile gegenüber US-amerikanischen Fonds (Blankenheim, Die Umsetzung der OGAW-IV-Richtlinie in das Investmentgesetz, ZBB/JBB 2011, S. 344, 345). 37 Vgl. Erwägungsgründe (50) ff. OGAW IV-Richtlinie; BT-Drs. 17/4510, S. 54; Kammel, UCITS IV – ein weiterer Meilenstein im europäischen Investmentfondsrecht?, ÖBA 2009, S. 565, 567, 570 – 572. 38 Vgl. Kammel, UCITS IV – ein weiterer Meilenstein im europäischen Investmentfondsrecht?, ÖBA 2009, S. 565, 571.
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§ 14 Systemwettbewerb in den OGAW-Richtlinien
Mit der AIFM-Richtlinie vom 16. 05. 2013 (Richtlinie 2011/61/EU) wurden für alternative Investmentfonds, die nicht Gegenstand einer Regelung in den OGAWRichtlinien sind, Regulierungsanforderungen mit dem Ziel einer Maximalharmonisierung39 formuliert, die der deutsche Gesetzgeber im Rahmen des KAGB umsetzte.40 Voraussetzung des Vertriebs von Investmentfonds ist eine Vertriebsanzeige (§ 316 KAGB).41
B. Mitgliedstaatliche Regulierung von OGAW als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor I. Regulierungsunterschiede als Wettbewerbsparameter In der Vergangenheit waren Unterschiede in der Regulierung von OGAW Wettbewerbsparameter auf dem Markt für Investmentfondsanteile, denn der Regulierungsrahmen beeinflusst die Möglichkeiten einer Produktgestaltung. In Deutschland waren im Unterschied zu anderen Mitgliedstaaten wie Luxemburg weder Dachfonds, Geldmarktfonds noch Umbrellafonds zulässig. Als Dachfonds werden Investmentfonds bezeichnet, die ihr Vermögen in Anteilen anderer Investmentfonds anlegen.42 Geldmarktfonds sind Investmentfonds, die das ihnen übertragene Anlagekapital in laufende Bankguthaben, Termingelder und hochliquide Geldmarkttitel kurzer Laufzeit investieren.43 Durch Geldmarktfonds lassen sich Renditen erzielen, die erheblich über der Verzinsung von Sparguthaben liegen, da Privatanleger in der Regel die direkte Anlage am Geldmarkt wegen Mindestanlagebeträgen verschlossen ist.44 Umbrella-Fonds sind unterschiedliche Investmentfonds, die jedoch gemeinsam verwaltetet werden, wodurch ein kostengünstiger Wechsel von einem unter dem
39 Zetzsche, Fondsregulierung im Umbruch – ein rechtsvergleichender Rundblick zur Umsetzung der AIFM-Richtlinie, ZBB 2014, S. 22, 22. 40 Vgl. Wollenhaupt/Beck, Das neue Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), – Überblick über die Neuregelung des deutschen Investmentrechts nach der Umsetzung der AIFM-RL –, DB 2013, S. 1950 – 1959. 41 Wollenhaupt/Beck, Das neue Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) – Überblick über die Neuregelung des deutschen Investmentrechts nach der Umsetzung der AIFM-RL –, DB 2013, S. 1950, 1957, 1959. 42 Baur, Investmentgesetze, 2. Aufl., 1. Teilband, Einl I Rn. 44. 43 Gerke/Rapp, Strukturelle Neugestaltung des deutschen Investmentrechts, ZBB 1992, S. 85, 89. 44 Gerke/Rapp, Strukturelle Neugestaltung des deutschen Investmentrechts, ZBB 1992, S. 85, 89; Carl/Förster, Das Recht der Investmentfonds, S. 77.
B. Regulierung von OGAW als Wettbewerbsparameter und Standortfaktor
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Schirm gefassten Fonds zu einem anderen unter dem Schirm stehenden Investmentfond ermöglicht wird.45 Aufgrund des von der Gemeinschaft verfolgten Konzeptes einer Mindestharmonisierung ergaben sich Unterschiede in den Kapitalanforderungen für OGAW in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Nach Art. 5a Abs. 1 lit a) der Richtlinie 2001/107/EG musste eine Verwaltungsgesellschaft ein Anfangskapital von mindestens 125.000,00 EUR aufweisen. Das deutsche Recht ging über diese Forderung hinaus und verlangte zunächst ein Anfangskapital in Höhe von 2,5 Mio. EUR und dann ein Anfangskapital in Höhe von 730.000,00 EUR.46 Kapitalanforderungen sind jedoch für Anleger weitgehend intransparent und stellen zudem hinter Renditegesichtspunkten in der Regel einen nachgelagerten Aspekt im Rahmen einer Anlageentscheidung dar.
II. Regulierungsunterschiede als Standortfaktor Der Regulierungsrahmen stellte einen bedeutenden Standortfaktor für Investmentfonds dar.47 Die Gründung von Investmentfonds erfolgte in Luxemburg zunächst auf Grundlage des Gesetzes über Handelsgesellschaften und des Gesetzes über die Holdinggesellschaften von 1929,48 das attraktive Rahmenbedingungen bot.49
45
Baur, Investmentgesetze, 2. Aufl., 1. Teilband, Einl I Rn. 46. Vgl. Fragos, Das neue europäische und deutsche Investmentrecht, S. 96. Zur Unterschiedlichen Haftung der Depotbank in Frankreich und Luxemburg: Alich, Mehr Regulierung, Streit um Finanzstandort Luxemburg, Handelsblatt, 14. 01. 2009. 47 Vgl. Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 99 ff. Hessen-Thüringen Girozentrale (Hrsg.), Finanzplatz-Monitoring, Finanzplatz Frankfurt – Ein Standort bewegt sich, S. 41; Landesbank Rheinland-Pfalz, Luxemburg – internationaler Finanzplatz im Zentrum Europas, S. 11. Investmentfonds waren von Anfang an keine deutsche Erfindung. Als erste Anbieter von Investmentfonds gelten die „Société Générale des Pay-Bas“ – später „Société Générale de Belgique“ – (Liefmann, Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaften, S. 148 ff.) und die am 5. März 1849 gegründete schweizer Omnium, Société Civile Genevoise d’Emploi des Fonds (Liefmann, Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaften, S. 207; Baur, Investmentgesetze, 1. Aufl., S. 15). Die älteste deutsche Kapitalverwaltungsgesellschaft war die 1871 gegründete Aktiengesellschaft für rheinisch-westfälische Industrie (Liefmann, Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaften, S. 218). Zur historischen Entwicklung des Investmentsparens in Deutschland vgl. Bauer, Investmentgesetze, 1. Aufl., S. 75 ff. 48 Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 76. 49 Santer, Vom Agrar- und Industriestaat zum Finanz- und Medienmekka, Das „Luxemburger Modell“ als Paradigma für Innovation durch Integration, in: FS Werner, S. 19, 23. 46
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§ 14 Systemwettbewerb in den OGAW-Richtlinien
Eine speziell auf Investmentfonds gerichtete Regelung erfolgte im Jahr 1972.50 Für in Luxemburg ansässige Fonds ergaben sich auf Basis dieser Rechtslage weite Anlagemöglichkeiten für Investmentfonds.51 Luxemburg setzte die OGAW I-Richtlinie (Richtlinie 85/611/EWG) bereits im Jahr 1988 und damit als erstes um,52 wodurch Luxemburger Fonds auf Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ohne die Notwendigkeit von Zulassungsverfahren in allen Mitgliedstaaten vertrieben werden durften.53 Diese Umsetzung erfolgte sehr liberal und ermöglichte weite geschäftliche Gestaltungsmöglichkeiten der Fondsindustrie, wie z. B. die Auflage von Umbrella-Fonds.54 Nach Bewertung der Generaldirektion Wissenschaft sind die luxemburger Zulassung und Aufsicht von Investmentfonds der anderer Mitgliedstaaten überlegen, so dass „[d]er Delaware-Effekt […] Luxemburg zum Hauptsitz der meisten Fonds machen [konnte]“.55 Zu dem attraktiven aufsichtsrechtlichen Regulierungen kam ein attraktives luxemburger Steuerrecht und ein bis in die jüngste Vergangenheit ein striktes luxemburger Bankgeheimnis hinzu.56 Ausschüttungen von Investmentfonds an NichtGebietsansässige wurden nach luxemburger Recht nicht besteuert.57
50
Storck, Globalisierung und EWU, Der Euromarkt als Finanz-Drehscheibe der Welt, S. 60. Lütgerath, Die Erweiterung des Anlagekataloges von Investmentgesellschaften, S. 43. Zum Rechtsrahmen in Luxemburg: Baur, Investmentgesetze 2. Aufl. 1. Teilband, Einl. III Rn. 101 ff:; Elsner, Das Recht der Wertpapier-Investmentunternehmen in den Ländern der Europäischen Gemeinschaften S. 64 ff.; Lütgerath, Die Erweiterung des Anlagekatalogs von Investmentgesellschaften, S. 43 – 45; Georges, Das Recht der Luxemburger Investmentfonds, AG 1972, S. 76 – 83; Micklitz/Böhnlein, in: Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, Kapitel VIII, § 78, 17., S. 2597 ff., S. 2620; Baur, § 19 Ausländische Investmentanteile, in: Handbuch des Kapitalanlagerechts, Rn. 141 ff.; Baur, Investmentgesetze, 2. Aufl., 1. Teilband, Einl III Rn. 103; Köndgen, Mindestharmonisierung im Bankrecht, in: 7. Bonner Europa-Symposium, Mindestharmonisierung im Binnenmarkt, S. 1, 33 f. 52 Kandlbinder, Positive Entwicklung der Investmentfonds in Luxemburg, ÖBA 1990, S. 933, 933; Storck, Globalisierung und EWU, Der Euromarkt als Finanz-Drehscheibe der Welt, S. 60. 53 Carstensen, Der Finanzplatz Luxemburg aus der Sicht der Auslandsbanken, in: FS Werner, S. 56, 58. 54 Storck, Globalisierung und EWU, Der Euromarkt als Finanz-Drehscheibe der Welt, S. 61. 55 Europäisches Parlament, Generaldirektion Wissenschaft, Arbeitsdokument, Verbraucherschutzaspekte der UCIT/OGAW Änderungsrichtlinien vom 17. 7. 1998, 1999, S. 12. 56 Europäisches Parlament, Generaldirektion Wissenschaft, Arbeitsdokument, Verbraucherschutzaspekte der UCIT/OGAW Änderungsrichtlinien vom 17. 7. 1998, 1999, S. 12. Luxemburg wurde (wie die Schweiz) im Jahr 2009 von der G20 auf die Liste der Steueroasen gesetzt. Vgl. o. V., Streit um Steueroasen, Schweiz und Luxemburg wehren sich gegen G-20Entscheidung, Spiegel Online 3. 4. 2009, www.spiegel.de/wirtschaft/streit-um-steueroasenschweiz-und-luxemburg-wehren-sich-gegen-g-20-entscheidung-a-617213.html. Vgl. auch: Zucman, Steueroasen, S. 38 ff., 50 – 52, 96 ff. 57 Dondelinger, Der Finanzplatz Luxemburg, S. 14; Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 99 ff.; Landesbank Rheinland-Pfalz, Luxemburg – internationaler Finanzplatz im Zentrum Europas, S. 10, 107 ff. 51
C. Darstellung gesetzgeberischer Maßnahmen
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Luxemburg hatte großen Erfolg mit seinem Investmentfondsstandort. Während im Jahr 1980 in Luxemburg 76 Investmentfonds zugelassen waren, waren es Jahr 1986 26158, 1988 52559 und im Jahr 1998 151660 Investmentfonds. Um die Jahrtausendwende hatte die Hälfte der auf dem deutschen Markt aktiven Investmentfonds ihren Sitz in Luxemburg.61 Die Rechtsunterschiede im Bereich der Regulierung von OGAW sind jedoch weitestgehend beseitigt. Noch bestehende Regulierungsunterschiede sind nicht geeignet, einen entscheidenden Standortfaktor darzustellen.62 So wirbt heute die association of the luxembourg fund industry als die Vertretung der luxemburger Investmentfonds-Industrie mit allgemeinen Standortvorteilen von Luxemburg wie der in Luxemburg vorhandenen Infrastruktur.63 Der Investmentfondsstandort Luxemburg kann in der Gegenwart vor allem von seinen günstigeren Rahmenbedingungen in der Vergangenheit profitieren. Eine Zurückholung von OGAW aus Luxemburg in andere Mitgliedstaaten wie Deutschland dürfte kaum möglich sein.64 Mit anderen Worten besteht das wettbewerbliche Gleichgewicht fort, obwohl Regulierungsunterschiede in weitem Umfang eingeebnet wurden.
C. Darstellung gesetzgeberischer Maßnahmen I. Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) Aufgrund des Befürfnisses des Schutzes von Anlegern65 schuf der deutsche Gesetzgeber das im Jahr 1957 in Kraft getretene Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG).66 Deutschland bediente sich dabei der in den USA mit Invest58 Kandlbinder, Positive Entwicklung der Investmentfonds in Luxemburg, ÖBA 1990, S. 933, 934. 59 Kandlbinder, Positive Entwicklung der Investmentfonds in Luxemburg, ÖBA 1990, S. 933, 934. 60 Voß, Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Offshore-Finanzzentren, S. 78 Abb. 12. 61 Europäisches Parlament, Generaldirektion Wissenschaft, Arbeitsdokument, Verbraucherschutzaspekte der UCIT/OGAW Änderungsrichtlinien vom 17. 7. 1998, 1999, S. 12. 62 So auch: Alexander Kestler vom Bundesverband Investment und Asset Management e.V. auf Frage des Verfassers. 63 Association of the luxembourg fund industry, luxembourg: the domicile of choice for financial services, 2010 (im Internet abrufbar unter: http://www.alfi.lu/sites/alfi.lu/files/promoti on_brochure.pdf). 64 BVI, Stellungnahme an die Mitglieder des Finanzausschusses, S. 8; Alexander Kestler, Bundesverband Investment und Asset Management e.V. auf Anfrage des Verfassers. 65 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (22. Ausschuß), BT-Drs. 2/ 2973 (neu), S. 1; Bauer, Investmentgesetze, 1. Aufl., S. 82. 66 Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) vom 16. April 1957. BGBl. I 1957, S. 378; Berge und Herrendorff, Der Schutz des Investmentsparers, Darstellung unter Berücksichtigung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften vom 16. 4. 1957, S. 11 ff.; An-
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§ 14 Systemwettbewerb in den OGAW-Richtlinien
mentfonds gesammelten Erfahrungen, indem deutsche Experten und Abgeordnete die dortige Investmentlandschaft67 näher untersuchten.68 Es kann deswegen von Yardstick Competition in Bezug auf die Entwicklung des deutschen Rechtsrahmens für Kapitalanlagegesellschaften gesprochen werden.
II. „Kleine KAGG-Novelle“ Kurz vor der Umsetzung der OGAW-Richtlinie trat zum 1. Januar 1987 die „Kleine KAGG-Novelle“69 in Kraft,70 die den Wünschen der deutschen Investmentwirtschaft nach Deregulierung entsprach71. Zuvor hatte sich die Bundesregierung gegen eine grundlegendere Reform des KAAG lange Zeit gesperrt, da sie die mit der OGAW I-Richtlinie zu schaffenden Regelungen abwarten wollte.72 Der Wunsch nach einer Deregulierung von Seiten der deutschen Investmentwirtschaft war jedoch derart stark, dass der deutsche Gesetzgeber mit einer Änderung des KAAG nicht bis zur Umsetzung der OGAW-Richtlinie wartete.73 Der Gesetzentwurf begründet die Deregulierung mit einem Mangel der deutschen Wirtschaft an Eigenmitteln.74 Ziel trag der Fraktion der CDU/CSU, Entwurf eines Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften, BTDrs. 1/4199; Antrag der Abgeordneten Neuburger, Häussler, Scharnberg, Dr. Krone und Fraktion der CDU/CSU, Entwurf eines Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften, BT-Drs. 2/ 1585; Zeller, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslIvestmG, KAAG, Einl 6; Lütgerath, Die Erweiterung des Anlagekataloges von Investmentgesellschaften, S. 23 f. 67 Zu der Entwicklung von Investmentfonds in den USA: Liefmann, Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaften, S. 185 – 198. 68 Baur, Investmentgesetze, 1. Aufl., S. 14, 83. 69 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BTDrs. 10/6154, 15. 10. 1986, S. 10. 70 Vgl. Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093; Scherer, in: Brinkhaus/ Scherer, KAGG, AuslInvestmG, § 8a KAGG Rn. 2. 71 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BTDrs. 10/6154, 15. 10. 1986, S. 9 f.; Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093. 72 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BTDrs. 10/6154, 15. 10. 1986, S. 10. 73 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BTDrs. 10/6154, 15. 10. 1986, S. 10 f. 74 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 10/ 6154, 15. 10. 1986, S. 1. Vgl. auch: Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger, BT-Drs. 10/4671, 16. 01. 1986, S. 1: „Institutionellen Anlegern, wie Versicherungsunternehmen und Kapitalanlagegesellschaften, soll ermöglicht werden, in stärkerem Umfang Eigen- und Risikokapital der deutschen Wirtschaft zur Verfügung zu stellen und damit deren Eigenkapitalausstattung zu verbessern. Eine solide Eigenkapitalausstattung trägt dazu bei, den Strukturwandel zu bewältigen und die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Zugleich sollen überholte gesetzliche Reglementierungen für die Anlagepolitik, die aufgrund gewandelter Verhältnisse sich als nicht
C. Darstellung gesetzgeberischer Maßnahmen
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des Gesetzes ist es deshalb, „Hemmnisse abzubauen, die einem stärkeren Engagement der Versicherungsunternehmen und Kapitalanlagegesellschaften in Beteiligungskapital entgegenstehen“.75 Mit dem Gesetz wurde ermöglicht, 10 Prozent statt vormals 5 Prozent des Gesamtnennbetrages der in Umlauf befindlichen Aktien bzw. der gesamten Stimmrechte aus Aktien zu erwerben.76 Die Anlagegrenzen für Wertpapiere und Schuldverschreibungen bestimmter öffentlicher Aussteller aus OECD-Staaten wurden heraufgesetzt, indem diese bei der Berechnung der Anlagegrenzen nur noch mit der Hälfte ihres Wertes zu berücksichtigen waren77. Im Rahmen einer Anhörung des Finanzausschusses des Bundestages wurde nachdrücklich die Forderung erhoben, dass den Kapitalanlagegesellschaften das Recht eingeräumt werden müsse, am Optionshandel teilzunehmen. Das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen riet indes „zu einem behutsamen Vorgehen“ und einer genauen vorherigen Prüfung dieser Frage,78 weswegen es im Rahmen des Gesetzes zu keiner Deregulierung in dieser Frage kam. Insgesamt setzte der deutsche Gesetzgeber mit dem Gesetz bereits einen Großteil der in Art. 22 und 25 der OGAW I-Richtlinie gegebenen Anlagemöglichkeiten in deutsches Recht um.79
III. Erstes Finanzmarktförderungsgesetz Mit dem Investment-Richtlinien-Gesetz als Teil des Ersten Finanzmarktförderungsgesetzes vom 22. 2. 199080 setzte der deutsche Gesetzgeber die OGAW IRichtlinie in deutsches Recht um.81 Es ging es dem Gesetzgeber um die Stärkung des Finanzplatzes Deutschland und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Kapitalanlagegesellschaften: mehr notwendig oder angemessen erwiesen haben, den Bedürfnissen der Praxis angepaßt werden“; S. 6. 75 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 10/ 6154, 15. 10. 1986, S. 1. Vgl. auch: Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger, BT-Drs. 10/4671, 16. 01. 1986, S. 1, 1, 6. 76 Scherer, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslInvestmG, § 8a KAGG Rn. 2; Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 10/6154, 15. 10. 1986, S. 4, Art. 12. 77 Scherer, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslInvestmG, § 8a KAGG Rn. 2. 78 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 10/ 6154, 15. 10. 1986, S. 11. 79 Scherer, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslInvestmG, § 8a KAGG Rn. 2. 80 Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der Finanzmärkte vom 22. 2. 1990 (BGBl. I 1990, S. 266). 81 Vgl. Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093 – 1099; Carl/Förster, Das Recht der Investmentfonds, S. 74 – 76.
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„Die verbesserten und erweiterten Anlagemöglichkeiten werden eine Belebung des deutschen Kapitalmarktes und damit eine Stärkung des Finanzplatzes Deutschland bewirken. Durch die Einführung von zahlreichen verwaltungsmäßigen und aufsichtsrechtlichen Erleichterungen für Spezialfonds, ihre Zulassung für in- und ausländische Großableger und Erleichterungen für Publikumsfonds wird die Attraktivität dieses bewährten Instruments der Kapitalanlage und -verwaltung zusätzlich gestärkt“.82
Im Rahmen des Gesetzes erfolgten weitere Anpassungen des deutschen Rechts an die Richtlinienvorgaben. Zugelassen wurde erstmals die Anlage in Anteile anderer Wertpapier-Sondervermögen83 und OGAW wurden Optionsgeschäfte erlaubt84, was den Forderungen der Investmentwirtschaft entsprach.85 Im Detail kam es im Rahmen der Umsetzung zu strengeren Regelungen für deutsche Fondsanbieter, weshalb daraus folgende Wettbewerbsnachteile befürchtet wurden:86 Die in der Richtlinie vorgesehene Anlagegrenze in Höhe von 35 Prozent für den Erwerb von Wertpapieren öffentlicher (auch ausländischer) Emittenten (vgl. Art. 22 Abs. 3 Richtlinie 85/611/EWG) wurde nicht in das nationale Recht übernommen, vielmehr hielt der Gesetzgeber an der strengeren deutschen Grenze von 20 Prozent fest: „Der Gesetzesentwurf sieht im übrigen vor, die Anlagegrenze für öffentliche Emittenten unter Einbeziehung von Schuldscheindarlehen, bei 20 v.H. des Sondervermögens zu belassen. Durch die am 1. Januar in Kraft getretene „Kleine KAGG-Novelle“ war die Grenze für Anlagen in Wertpapieren desselben öffentlichen Emittenten auf 20 v.H. angehoben worden. Der Bundestag ist seinerzeit nicht dem Vorschlag des Bundesrates gefolgt, im Vorgriff auf die Ermächtigung in Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie die Anlagegrenze für öffentliche Emittenten auf 35 v.H. zu erhöhen […]. Bedenken gegen eine so hohe Anlage82
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Vorschriften über gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (Investment-RichtlinieGesetz), BT-Drs. 11/5411, 19. 10. 1989, S. 22. Vgl. auch: Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 11/6262, 18. 01. 1990, S. 1. 83 Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093, 1094. 84 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BTDrs. 11/6262, 18. 01. 1990, S. 23 f. 28, Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093, 1095 f. 85 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger – Drucksache 10/4671 –, BT-Drs. 10/6154 vom 15. 10. 1986, S. 11; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Vorschriften über gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (Investment-Richtlinie-Gesetz), BTDrs. 11/5411, 19. 10. 1989, S. 23. 86 Vgl. Gerke, Finanzplatzförderungsgesetz ohne Geldmarktfonds unvollkommen, WM 1990, S. 342. Vgl. auch: Carl/Förster, Das Recht der Investmentfonds, S. 75.
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grenze für öffentlichen Emittenten bestehen wegen der Länderrisiken bei verschiedenen Staaten und im Hinblick auf eine Bevorzugung der öffentlichen Hand gegenüber privaten Ausstellern“.87
Die in der OGAW I-Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit, die Anlagegrenzen für gedeckte Schuldverschreibungen auf bis zu 25 Prozent anzuheben, nutzte der Gesetzgeber nur in Höhe von 20 Prozent aus.88 Deutschland hat von der Zulassung von Dachfonds abgesehen. Grund für die Zurückhaltung des deutschen Gesetzgebers in Bezug auf die Zulassung von Dachfonds war eine nach seiner Ansicht bestehende Gefahr der Intransparenz und von Interessenkonflikten infolge der Verschachtelung mehrerer Fonds.89 Der deutsche Gesetzgeber hat auch nicht von der Möglichkeit der OGAWRichtlinie Gebrauch gemacht, reine Geldmarktfonds zuzulassen,90 sondern die Entscheidung über die Zulassung von Geldmarktfonds vertagt.91 Der Finanzausschuss des Bundestages hat eine Entschließung verabschiedet, nach der die Bundesregierung gebeten wurde, „im Rahmen einer Bestandsaufnahme der Stärken und Schwächen des Finanzplatzes Bundesrepublik Deutschland auch die Rolle von Geldmarktfonds als notwendigen Bestandteil der deutschen Finanzmärkte zu prüfen und ggfs. in der kommenden Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf so rechtzeitig einzubringen, daß Geldmarktfonds zum 1. Januar 1993, d. h. zum Beginn des geplanten Europäischen Binnenmarkts, zugelassen werden können“.92
87 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung S. 28. Vgl. auch: Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093, 1095. 88 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung, S. 28. 89 Baur, Investmentgesetze, 2. Aufl. 1. Teilband, Einl I Rn. 44. 90 Vgl. Zeller, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslInvestmentG, Einl KAGG Rn. 28; Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093, 1095. Kritisch: Gerke, Finanzplatzförderungsgesetz ohne Geldmarktfonds unvollkommen, WM 1990, S. 342; Gerke/Rapp, Strukturelle Neugestaltung des deutschen Investmentrechts, ZBB 1992, S. 85, 89 f., S. 97: „Überholte Prinzipien eines pauschalen Anlegerschutzes und unflexible Gestaltungsformen der kollektiven Kapitalanlage behindern innovative und international wettbewerbsfähige Entwicklungen bei deutschen Investmentfonds“. 91 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 11/ 6262, 18. 1. 1990, S. 29. Vgl. Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093, 1095. 92 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß), BT-Drs. 11/ 6262, S. 29. Vgl. Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093, 1095.
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Widerstand gegen eine Zulassung von Geldmarktfonds kam seitens der Bundesbank, die geldpolitische Nachteile befürchtete93 und auch die deutschen Bankenverbände standen einer Zulassung von reinen Geldmarktfonds kritisch gegenüber94. Die Ablehnung einer Zulassung von Geldmarktfonds seitens der deutschen Banken war vor dem Hintergrund ihres Interesses an einem wettbewerblichen Schutz zu sehen, denn den Banken war es möglich, infolge des Ausschlusses der Privatanleger vom Geldmarkt, höhere Zinsspannen zu erwirtschaften.95 Bereits im Jahr 1988 hatte das Land Niedersachsen im Bundesrat einen auf die Zulassung von Geldmarktfonds gerichteten Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht und den Entwurf mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland begründet: „Die Bundesrepublik Deutschland bringt gute Voraussetzungen mit, um sich im internationalen Wettbewerb der Finanzmärkte auch künftig zu behaupten. Sie hat eine stabile Währung, liberale Kapitalmärkte und offene Grenzen für Waren, Dienstleistungen und Kapital. Der deutsche Kapitalmarkt gehört nach wie vor zu den freizügisten der Welt. Dennoch fehlen nach wie vor die gesetzlichen Voraussetzungen, um den deutschen Investmentgesellschaften auch die Auflage von Geldmarktfonds zu ermöglichen“.96
Die Entscheidung über den Gesetzesentwurf wurde damals aufgrund einer angekündigten umfangreichen Novellierung des KAAG und vor dem Hintergrund einer kritischen Stellungnahme des Zentralen Kreditausschusses vertagt.97
IV. Zweites Finanzmarktförderungsgesetz Mit dem Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz98 bezweckte der Gesetzgeber unter anderem, Investmentgesellschaften neue Geschäftsmöglichkeiten zu eröffnen: 93 Carl/Förster, Das Recht der Investmentfonds, S. 79; Gerke/Rapp, Strukturelle Neugestaltung des deutschen Investmentrechts, ZBB 1992, S. 85, 89 Fn. 27. 94 Gerke/Rapp, Strukturelle Neugestaltung des deutschen Investmentrechts, ZBB 1992, S. 85, 89 Fn. 27. 95 Gerke, Finanzplatzförderungsgesetz ohne Geldmarktfonds unvollkommen, WM 1990, S. 342. 96 Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften, BR-Drs. 199/88 vom 02. 05. 1988, S. 5. Vgl. Baur, § 18 Investmentgeschäfte, in: Handbuch des Kapitalanlagerechts, Rn. 62; Carl/Förster, Das Recht der Investmentfonds, S. 78; Lütgerath, Die Erweiterung des Anlagekataloges von Investmentgesellschaften, S. 151 ff. 97 Carl/Förster, Das Recht der Investmentfonds, S. 78. 98 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften vom 26. 7. 1994 (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz), BGBl. I, S. 1749; Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drs. 793/93, 05. 11. 1993; Carl/Förster, Das Recht der Investmentfonds, 2. Aufl. 1994, S. 76 f.; Knauth, Bedeutung des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes für die Versicherungsunternehmen, in: Kapitalanlagepolitik im
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„Den Marktteilnehmern sollen nicht mehr begründete Fesseln abgenommen werden, damit sie die gewonnenen Freiräume durch eine verbraucherorientierte Produktpolitik zur Erhöhung der Attraktivität des Finanzplatzes nutzen können“.99
Er ermöglicht die Anlage von bis zu 100 Prozent des Sondervermögens in Schuldverschreibungen eines staatlichen Emittenten (vgl. § 8a Abs. 1a KAGG a. F.).100 Kapitalanlagegesellschaften erhalten die Möglichkeit, Gelder auf Terminmärkten anzulegen (vgl. 8a Abs. 4 f. KAGG a. F.).101
V. Drittes Finanzmarktförderungsgesetz Neue Betätigungsfelder für Kapitalanlagegesellschaften schuf der Gesetzgeber mit dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz aus dem Jahr 1998.102 Der Gesetzgeber ließ Pensions-Sondervermögen, Dachfonds, Gemischte Wertpapier- und Grundstücks-Sondervermögen103, Altersvorsorge-Sondervermögen und die Investmentaktiengesellschaft zu.104 Über eine Liberalisierung der Anlagevorschriften schuf der Gesetzgeber die Voraussetzungen, Aktienindizes abbilden zu können.105
Versicherungsbinnenmarkt – Auswirkungen des neuen Versicherungsaufsichtsrechts und des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes –, S. 113 – 130. 99 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz), BT-Drs. 12/6679, 27. 01. 1994, S. 34. 100 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften vom 26. 7. 1994 (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz), BGBl. I 1994, S. 1749 1772; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz), BT-Drs. 12/6679, 27. 01. 1994, S. 37, 77; Carl/ Förster, Das Recht der Investmentfonds, S. 80. 101 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz), BT-Drs. 12/6679, 27. 01. 1994, S. 37. 102 Gesetz zur Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland, BGBl. I S. 529; Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/8933, 06. 11. 1997. Vgl. dazu: Pötzsch, Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, WM 1998, S. 949, 958 ff. Scheuerle, Investmentfonds: Änderungen durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, DB 1998, S. 1099 – 1106. 103 Vgl. bereits die Forderung von: Glaser, Investmentgesellschaften mit Anlagefonds für Wertpapiere und Sachwerte, DB 1959, S. 1278 – 1282. 104 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/8933, 06. 11. 1997, S. 61 f.; Pötzsch, Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, WM 1998, S. 949, 958 – 961. 105 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/8933, 06. 11. 1997, S. 101; Pötzsch, Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, WM 1998, S. 949, 961 f.
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Die Zulassung neuer Fondstypen stärkt nach Auffassung der Bundesregierung „die Position der inländischen Investmentfondsbranche im internationalen Wettbewerb“.106 Bemerkenswert ist, dass sich der Bundesverband Deutscher Investmentgesellschsaften (BVI) im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens jedoch gegen die Zulassung der Investmentaktiengesellschaft im KAGG wandte.107 Nach Ansicht des BVI hätten die Erfahrungen in den USA gezeigt, dass derartige Anteile unmittelbar nach der Erstausgabe tendenziell zum Inventarwert des Fondsvermögens unter Berücksichtigung eines Wertabschlags gehandelt würden.108 Eine Einführung der Investmentaktiengesellschaft erschien deswegen aus Sicht der deutschen Investmentwirtschaft nicht attraktiv. Neben der Ermöglichung neuer Fondstypen erweitert das Gesetz die Geschäftsmöglichkeiten bereits bestehender Fondstypen.109 Das Gesetz weitete die Anlagemöglichkeiten in Derivate wesentlich aus.110 Die Geschäftsmöglichkeiten offener Immobilienfonds wurde erweitert, indem die Beteiligung an GrundstücksGesellschaften im Inland, in der EG und im EWR-Raum ermöglicht wurde.111 Der Gesetzentwurf hebt ausdrücklich die Aufgabe hervor, zwischen Anlegerschutz und den Erfordernissen einer modernen Portfolioverwaltung abzuwägen.112 Der Gesetzgeber begründet das Gesetz vor allem mit dem Ziel, über die vermehrte Anlage in Kapitalanlagegesellschaften Kapital stärker in die Wirtschaft zu lenken113 und auf diesem Weg die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern114.
VI. Viertes Finanzmarktförderungsgesetz Mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz aus dem Jahr 2002 erweiterte der Gesetzgeber die Betätigungsmöglichkeiten von Kapitalanlagegesellschaften erneut.115 Kapitalanlagegesellschaften erhalten die Möglichkeit, auch konzernfremde
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Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/8933, 06. 11. 1997, S. 61. Thoma/Steck, Die Investmentaktiengesellschaft (closed-end fund) – Investmentalternative oder gesetzgeberischer Fehlschlag?, AG 2001, S. 330, 331. 108 Thoma/Steck, Die Investmentaktiengesellschaft (closed-end fund) – Investmentalternative oder gesetzgeberischer Fehlschlag?, AG 2001, S. 330, 331. 109 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 8933, S. 62 – 64. 110 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/8933, 06. 11. 1997, S. 63; Pötzsch, Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, WM 1998, S. 949, 962. 111 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/8933, 06. 11. 1997, S. 64. 112 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/8933, 06. 11. 1997, S. 2, 63 f. 113 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/8933, 06. 11. 1997, S. 2, 54. 114 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/8933, 06. 11. 1997, S. 54. 115 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8017, 18. 01. 2002, S. 65. 107
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Fondsanteile zu vertreiben und Anlageberatung zu leisten.116 Der Gesetzgeber ermöglicht die Ausgabe von Anteilen mit unterschiedlichen Rechten117 und erweiterte die Anlagemöglichkeiten für Wertpapier- und Grundstücks-Sondervermögen118. Der Gesetzgeber betont das Ziel einer Stärkung des Finanzplatzes Deutschlands119 und die Förderung des „Investmentfondsstandortes Deutschland“: „Der vorliegende Gesetzesentwurf hat zum Ziel, den Finanzplatz Deutschland und seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa und in der Welt zu stärken. Das Gesetz ist dabei eingebettet in eine umfassende Strategie der Bundesregierung zur Stärkung des deutschen Finanzsystems. Die strikte Haushaltskonsolidierung und die stabilitätsorientierte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank verbessern die Rahmenbedingungen für den deutschen Finanzmarkt. Die Steuerreform 2000 erhöht die Attraktivität des Standorts Deutschland und treibt die Entflechtung der „Deutschland AG“ voran. Die Rentenreform beschleunigt den Ausbau der privaten Altersvorsorge“.120
Ziel des Gesetzes ist es, „beim Ausbau des Anlegerschutzes eine Überregulierung zu vermeiden, die die Wettbewerbsfähigkeit einschränkt, ohne den Anlegerschutz wirklich zu verbessern“.121 Ein gesetzgeberisches Bedürfnis zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland ergab sich insbesondere aus einer deutlichen Intensivierung des internationalen Wettbewerbs der Finanzplätze. Wichtige Gründe hierfür sind nach dem Gesetzesentwurf „die Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik, die zunehmende Integration des europäischen Finanzmarktes und die fortschreitende Globalisierung“.122
VII. Investmentmodernisierungsgesetz Mit dem in kürzester Zeit123 verabschiedeten Investmentmodernisierungsgesetz124 setzte der deutsche Gesetzgeber die OGAW III-Richtlinien in deutsches Recht um 116
Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8017, 18. 01. 2002, S. 65. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8017, 18. 01. 2002, S. 65 f. 118 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8017, 18. 01. 2002, S. 66. 119 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8017, 18. 01. 2002, S. 62. 120 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8017, 18. 01. 2002, S. 62. 121 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8017, 18. 01. 2002, S. 62. 122 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8017, 18. 01. 2002, S. 62. 123 Lang, Das Investmentgesetz – Kein großer Wurf, aber ein Schritt in die richtige Richtung –, WM 2004, S. 53, 53; Köndgen/Schmies, Die Neuordnung des deutschen Investmentrechts, WM Sonderbeilage Nr. 1 2004, S. 4 insb. Fn. 17. 124 Gesetz zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz – InvestmG) vom 15. 12. 2003, BGBl. I, 2676. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553, 19. 09. 2003; Kaune/ Oulds, Das neue Investmentgesetz, ZBB 2004, S. 114 – 126; Köndgen/Schmies, Die Neuord117
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und unternahm weitere Schritte zur Anpassung des deutschen Investmentrechts an europäische Vorgaben.125 Es ging der Bundesregierung wiederum um die Förderung des Finanzplatzes Deutschland mittels der Schaffung wettbewerbsfähigen institutionellen Rahmenbedingungen:126 „Der Investmentstandort Deutschland steht in intensivem Wettbewerb mit anderen europäischen Finanzplätzen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen von Staaten wie Luxemburg, Irland und Großbritannien werden von Anbietern von Investmentfonds vielfach für attraktiver gehalten als die nationalen. Investmentfonds werden daher zunehmend im Ausland aufgelegt. Diese Entwicklung dürfte sich aufgrund der weiteren Harmonisierung auf europäischer Ebene verstärken. Um der Abwanderung von Investmentfonds ins Ausland gegenzusteuern und die Leistungsfähigkeit und Attraktivität des Investmentstandorts Deutschland zu steigern, bedarf es einer Fortentwicklung und Modernisierung der aufsichtsund steuerrechtlichen Vorschriften unter Anpassung an die geänderten europäischen Vorgaben“.127
Die Bundesregierung bekannte sich im Rahmen der Richtlinienumsetzung im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit deutscher OGAW in Bezug auf die Anlagegrenzen ausdrücklich zum Ziel der Eins und Eins-Umsetzung der OGAW-Richtlinien in deutsches Recht: „Um die Wettbewerbsfähigkeit von Sondervermögen, die von Kapitalanlagegesellschaften nach den Vorschriften dieses Gesetzes aufgelegt und verwaltet werden, gegenüber anderen Investmentvermögen, die den Anforderungen der Richtlinie 85/611/EWG entsprechen, sicherzustellen, wird die restriktive Umsetzung der Richtlinie aufgegeben. Nationale Beschränkungen sind innerhalb des harmonisierten Binnenmarktes nicht mehr zeitgemäß, Anleger können Investmentvermögen mit erweiterten Anlagegrenzen ohnehin bereits über ausländische Anteile, die im Inland vertrieben werden, erwerben. Zudem ist ein Schutz bestimmter Emittentengruppen nicht mit den Interessen des Anlegers vereinbar“.128
nung des deutschen Investmentrechts, WM Sonderbeilage Nr. 1 2004, S. 4 ff.; Lang, Das Investmentgesetz – Kein großer Wurf, aber ein Schritt in die richtige Richtung –, WM 2004, S. 53 – 59; Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13; Sindelar, Das deutsche Investmentmodernisierungsgesetz, Bank-Archiv 2004, S. 719 – 728. 125 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553, 19. 09. 2003, S. 65. 126 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 15/1553, 19. 09. 2003, S. 65; Sindelar, Das deutsche Investmentmodernisierungsgesetz, Bank-Archiv 2004, S. 719, 720. 127 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 15/1553, 19. 09. 2003, S. 65. 128 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553, 19. 9. 2003, S. 96. Kritisch: Köndgen/Schmies, Neuordnung des deutschen Investmentrechts, WM Sonderbeilage Nr. 1 2004, S. 4 f. (regulatory capture).
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Der Gesetzgeber erweiterte deshalb erneut die Anlagemöglichkeiten für Sondervermögen.129 Erlaubt ist nun die Anlage in alle marktfähigen Wertpapiere, Geldmarktinstrumente, Bankguthaben und Anteile anderer Investmentfonds.130 Für Indexfonds ist die bisherige Grenze von 10 Prozent pro Emittent auf 20 Prozent angehoben worden.131 Das Gesetz führt zu einer Zulassung von Umbrella-Fonds in Deutschland (§ 34 Abs. 2 InvG).132 Mit dem Gesetz erfolgte eine Überarbeitung der im Rahmen des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes geschaffenen Regelungen zur Investmentaktiengesellschaft, die als nicht praxisgerecht empfundenen wurden.133 Zugelassen wurde deshalb eine Investmentgesellschaft mit veränderlichem Kapital,134 wie sie bereits in Luxemburg zum Zeitpunkt des Gesetzes als Société d’Investissement à Capital Variable (SICAV) verbreitet war135. Die Bundesregierung verwies in ihrer Gesetzesbegründung darauf, dass sich derartige Gesellschaften in anderen Mitgliedstaaten wie Luxemburg oder Irland etabliert hätten.136 Der deutsche Gesetzgeber senkte das erforderliche Mindestkapital für Verwaltungsgesellschaften von 2,5 Mio EUR auf 730.000 EUR. Verwaltungsgesellschaften, die auch im Depotgeschäft tätig sind, und Kapitalanlagegesellschaften von Immo129 Vgl. Köndgen/Schmies, Die Neuordnung des deutschen Investmentrechts, WM Sonderbeilage 2004, S. 10 f.; Kaune/Oulds, Das neue Investmentgesetz, ZBB 2004, S. 114, 116 – 118; Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13, S. 4 – 6; Sindelar, Das deutsche Investmentmodernisierungsgesetz, Bank-Archiv 2004, S. 719, 720 f. 130 Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13, S. 4 f. 131 Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13, S. 5. 132 Vgl. Lang, Das Investmentgesetz – Kein großer Wurf, aber ein Schritt in die richtige Richtung –, WM 2004, S. 53, 56; Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13, S. 13; Fragos, Das neue europäische und deutsche Investmentrecht, S. 130 – 133. 133 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553, 19. 09. 2003, S. 68; Thoma/Steck, Die Investmentaktiengesellschaft (closed-end fund), AG 2001, S. 330 – 337; Köndgen/Schmies, Neuordnung des deutschen Investmentrechts, WM Sonderbeilage Nr. 1 2004, S. 17: „tot geborenes Kind“; Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13, S. 16. 134 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553, 19. 09. 2003, S. 66. 135 Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13, S. 16. 136 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553, 19. 09. 2003, S. 68.
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§ 14 Systemwettbewerb in den OGAW-Richtlinien
bilien-Sondervermögen sollen ein Eigenkapital in Höhe von 2,5 Mio. EUR vorweisen.137 Für Kapitalgesellschaften, die in Immobilien investieren, galt zuvor eine Kapitalanforderung in Höhe von 5 Mio. EUR.138 Der Gesetzgeber ist jedoch erheblich von den Richtlinienvorgaben abgewichen, die für Verwaltungsgesellschaften ein Mindestkapital in Höhe von 125.000 EUR (plus eine Dynamisierung ab einem verwalteten Vermögen von 250 Mio. EUR) verlangt (vgl. Art. 5a Abs. 1 lit a) Richtlinie 2001/107/EG).139 Der Gesetzgeber beschleunigte das Genehmigungsverfahrens für Vertragsbedingungen.140 Das Gesetz ist unter enger Mitwirkung der deutschen Investmentindustrie zustandegekommen141.
VIII. Investmentänderungsgesetz Der deutsche Gesetzgeber verfolgte mit dem Investmentänderungsgesetz aus dem Jahr 2007142 erneut das Ziel einer „Stärkung des Investmentfondsstandortes Deutschland“143 und die Verbesserung der Wettbewerbssituation deutscher Invest137 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553, 19. 09. 2003, S. 67. 138 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553, 19. 09. 2003, S. 67. 139 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553, 19. 9. 2003, S. 67; Köndgen/Schmies, Die Neuordnung des deutschen Investmentrechts, WM Sonderbeilage 2004, S. 6 f.; Kaune/Oulds, Das neue Investmentgesetz, ZBB 2004, S. 114, 119; Lang, WM 2004, S. 53, 53; Fragos, Das neue europäische und deutsche Investmentrecht, S. 96; Vollbrecht, Investmentmodernisierungsgesetz, Herausforderungen bei der Umsetzung der OGAW-Richtlinien, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 13, S. 8. 140 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 15/1553,19. 9. 2003, S. 68. 141 Zimmer, Weniger Politik!, Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht, S. 26 f. 142 Gesetz zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften (Investmentänderungsgesetz – InvÄndG), BGBl. I 2007, S. 3089. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften (Investmentänderungsgesetz), BT-Drs. 16/5576, 11. 06. 2007; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 16/6874, 25. 10. 2007. 143 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften (Investmentänderungsgesetz), BTDrs. 16/5576, 11. 06. 2007, S. 48; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 16/6874, 25. 10. 2007, S. 1 f.
C. Darstellung gesetzgeberischer Maßnahmen
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mentgesellschaften144. Die Bundesregierung bekennt sich erneut ausdrücklich zu dem Ziel einer Eins-zu-Eins Umsetzung,145 was von Seiten der Finanzwirtschaft ausdrücklich begrüsst wird146. Die Anlagemöglichkeiten von Kapitalanlagegesellschaften wurden erneut erweitert. Der Gesetzgeber hebt dabei ausdrücklich das Ziel des Anlegerschutzes hervor.147 Das notwendige Anfangskapital für die Gründung von Verwaltungsgesellschaften senkte der Gesetzgeber von 730.000 EUR auf 300.000 EUR.148 Das Genehmigungserfahren für Fondsprodukte wurde mittels der Verankerung einer Genehmigungsfrist von vier Wochen beschleunigt.149 Trotz des Ziels der Eins-zu-Eins Anpassungen verstummten die Forderungen der deutschen Investmentwirtschaft nach weiterer Deregulierung nicht, da im Detail noch immer strengere Regulierungen zu verzeichnen waren.150
144 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 16/ 6874, 25. 10. 2007, S. 145; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften (Investmentänderungsgesetz), BT-Drs. 16/5576, 11. 06. 2007, S. 48. 145 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften (Investmentänderungsgesetz), BTDrs. 16/5576, 11. 06. 2007, S. 48. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 16/6874, 25. 10. 2007, S. 2; Bundesverband Investment und Asset Management e.V. (BVI), Investment 2007, Daten, Fakten, Entwicklungen, S. 24. 146 BVI, Stellungnahme an die Mitglieder des Finanzausschusses, S. 3; Zentraler Kreditausschuss, Stellungnahme des Zentralen Kreditausschusses zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und anderer Gesetze, 18. Mai 2007, S. 2. 147 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften (Investmentänderungsgesetz), BTDrs. 16/5576, 11. 06. 2007, S. 48. 148 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften (Investmentänderungsgesetz), BTDrs. 16/5576, 11. 06. 2007, S. 49. 149 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften (Investmentänderungsgesetz), BTDrs. 16/5576, 11. 06. 2007, S. 49; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BT-Drs. 16/6874, 25. 10. 2007, S. 2. 150 BVI, BVI-Jahrbuch 2008, S. 50. Vgl. auch: BVI, Stellungnahme an die Mitglieder des Finanzausschusses, 28. Juni 2007, S. 3; BVI, Investment 2007, Daten, Fakten, Entwicklungen, S. 24; Bundesverband Investment und Asset Management e.V., Stellungnahme des BVI zu Artikel 1, Investmentgesetz, 11. 02. 2011, BVI, S. 1 f.; BVI, BVI begrüßt Zustimmung des Europäischen Parlaments zu OGAW IV-Richtlinie, Pressemitteilung vom 14. 01. 2009, S. 2; Zentraler Kreditausschuss, Stellungnahme des Zentralen Kreditausschusses, Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Richtlinie), BT-Drucksache 17/4510, vom 16. 02. 2011, S. 2.
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§ 14 Systemwettbewerb in den OGAW-Richtlinien
IX. Umsetzung der OGAW IV-Richtlinie Im Rahmen der Umsetzung der OGAW IV-Richtlinie151 übernahm der Gesetzgeber im Jahr 2011 die Spielräume, die Kapitalanlagegesellschaften nach den Vorgaben der OGAW IV-Richtlinie gegeben sind.152 Es geht der Bundesregierung um die Anpassung des nationalen Rechtsrahmens an die europäischen Vorgaben und der Schaffung „attraktive[r] und wettbewerbsfähige[r] Rahmenbedingungen“ und gleichzeitig um die Garantie eines einheitlich hohen Niveaus an Anlegerschutz.153 Der Investmentstandort Deutschland soll daher „erneut durch die Modernisierung des Aufsichts- und Regulierungsrahmens gestärkt werden“.154
X. Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) Im KAGB155 sieht der deutsche Gesetzgeber z. T. strengere Regelungen vor, als von der AIFM-Richtlinie gefordert.156 Im Übrigen ergeben sich zum Teil Regulie151 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Umsetzungsgesetz – OGAW-IV-UmsG) vom 22. Juni 2011, BGBl. I S. 1126; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Umsetzungsgesetz – OGAW-IV-UmsG), BT-Drs. 17/4510, 24. 01. 2011. Vgl. Blankenheim, Die Umsetzung der OGAW-IV-Richtlinie in das Investmentgesetz, ZBB/JBB 2011, S. 344 – 360. 152 Vgl. zu den Forderungen der deutschen Investmentindustrie: Bundesverband Investment und Asset Management e.V., Stellungnahme des BVI zu Artikel 1, Investmentgesetz, 11. 02. 2011, S. 1 f.; BVI, BVI begrüßt Zustimmung des Europäischen Parlaments zu OGAW IVRichtlinie, Pressemitteilung vom 14. 01. 2009, S. 2; Zentraler Kreditausschuss, Stellungnahme des Zentralen Kreditausschusses, Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Richtlinie) – BTDrucksache 17/4510, vom 16. 02. 2011, S. 2. 153 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Umsetzungsgesetz – OGAW-IV-UmsG), BT-Drs. 17/4510, 24. 01. 2011, S. 53. 154 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Umsetzungsgesetz – OGAW-IV-UmsG), BT-Drs. 17/4510, 24. 01. 2011, S. 1. 155 Vgl. Wollenhaupt/Beck, Das neue Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) – Überblick über die Neuregelung des deutschen Investmentrechts nach der Umsetzung der AIFM-RL –, DB 2013, S. 1950 – 1959; Herring/Loff, Die Verwaltung alternativer Investmentvermögen nach dem KAGB-E, – Bestimmung der AUF-Kapitalverwaltungsgesellschaft, Master-AIF-KVGStrukturen, Typenzwang und deren Auswirkungen auf die Verwaltung –, DB 2012, S. 2029 – 2036; Elser/Stadler, Entschärfter Kabinettsentwurf zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes an das AIFM-Umsetzungsgesetz verabschiedet, DStR 2013, S. 225 – 227; Haisch/Helios, Investmentsteuerrechtsreform aufgrund AIFMD und KAGB, BB 2013, S. 23 – 33.
D. Zusammenfassende Bewertung der Rechtsentwicklung
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rungsunterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Umsetzungen der AIFMRichtlinie157, die auch vor dem Hintergrund des Ziels der Schaffung günstiger Wettbewerbsbedingungen zu erklären sind.158
D. Zusammenfassende Bewertung der Rechtsentwicklung I. Deregulierung und Ex-post Harmonisierung Die Schaffung der OGAW I-Richtlinie erwies sich als entscheidender Anstoß für eine Deregulierung.159 Der deutsche Gesetzgeber war lange Zeit von seiner im Vergleich zu den Richtlinienvorgaben strengeren Regulierung überzeugt, weswegen er lange an der strengeren Regulierung festhielt. Die Dynamik der Deregulierung war (trotz ihres schrittweisen Charakters) deutlich höher als im Bereich des Versicherungs- oder Bankenaufsichtsrechts. Grund für diese deutlich erhöhte Dynamik ist wahrscheinlich die hohe Wettbewerbsintensität seitens von OGAW aus anderen Mitgliedstaaten in Deutschland.160 Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber trotz dieser hohen Wettbewerbsintensität eine schrittweise Deregulierung unternahm, worin zum Ausdruck kommt, dass er grundlegende Regulierungsinteressen nicht über das Ziel einer wettbewerbsfähigen Ausgestaltung des institutionellen Rahmens stellte. Im Rahmen der Rechtsentwicklung spielte die Gewährleistung von Anlegerschutz von Anfang an eine wichtige
156
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Umsetzungsgesetz – AIFM-UmsG), BT-Drs. 17/12294, 06. 02. 2013, S. 1, 192; Volhard/Jang, Der Vertrieb alternativer Investmentfonds – Regelungsrahmen für den Vertrieb an professionelle und semiprofessionelle Anleger in Deutschland nach dem RegE zur Umsetzung der AIFM-RL –, DB 2013, S. 273, 273. 157 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010, ABl. EU Nr. L 174 S. 1 ff., berichtigt ABl. 2012 Nr. L 115 S. 35 ff. Vgl. auch das Konsultationsverfahren in Bezug auf Hemmnisse der Nutzung des Europäischen Passes für AIFM durch die European Securities and Markets Authority (ESMA): http://www.esma.europa.eu/consultation/Call-evid ence-AIFMD-passport-and-third-country-AIFMs (Der Verfasser dankt Frau Dr. Julia Backmann für diesen Hinweis). 158 Zetzsche, Dirk, Fondsregulierung im Umbruch – ein rechtsvergleichender Rundblick zur Umsetzung der AIFM-Richtlinie, ZBB 2014, S. 22 – 39. Vgl. auch: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Umsetzungsgesetz – AIFM-UmsG), BTDrs. 17/12294, 06. 02. 2013, S. 192 f. 159 Vgl. Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093, 1098 f. 160 Vgl. Baur, Investmentgesetze, 2. Aufl., 1. Teilband, Einl II Rn. 2.
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§ 14 Systemwettbewerb in den OGAW-Richtlinien
Rolle.161 So hing die Legitimität der Forderungen der Investmentbranche nach Deregulierung entscheidend davon ab, ob Deregulierungsforderungen mit den Zielen des Anlegerschutzes zu vereinbaren waren.162 Der Gesetzgeber betrachtete das Ziel des Anlegerschutzes jedoch nicht als absolute Größe, sondern wog den Anlegerschutz mit dem Ziel einer möglichst hohen der Wettbewerbsfähigkeit des FondsStandortes Deutschland ab. Das Anlegerleitbild hat sich vor diesem Hintergrund – in Parallele zur Entwicklung des Verbraucherleitbildes – vom Bild eines weitgehend unerfahrenen und schutzbedürftigen Anlegers163 zum Bild eines rationalen Akteurs gewandelt.164 Damit ist zwangsläufig eine Abschwächung des Schutzniveaus verbunden, ohne dass jedoch konkrete Anhaltspunkte für ein Marktversagen bestehen. Aus der Deregulierung ergeben sich für Anleger auch bedeutende Vorteile. Neue Fondsprodukte wie Geldmarktfonds wurden für breite Bevölkerungskreise „Schlüssel zur Öffnung des Zugangs zu komplizierten organisierten als auch nichtorganisierten Märkten“,165 denn ohne die Existenz von Geldmarktfonds wäre Anlegern (wie erwähnt) der Zugang zum Geldmarkt verschlossen, da hohe Mindestanlagebeträge bestehen.166 Die Zulassung von Termingeschäften ermöglichte zum Vorteil der Anleger ein effizienteres Risikomanagement.167 161
Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften (Investmentänderungsgesetz), BTDrs. 16/5576, 11. 6. 2007, S. 51; Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/ EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-IV-Umsetzungsgesetz – OGAW-IVUmsG), BT-Drs. 17/4510, 24. 1. 2011, S. 1; Gerke/Rapp, Strukturelle Neugestaltung des deutschen Investmentrechts, ZBB 1992, S. 85, 87; Zeller, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, AuslInvestmG, KAGG Einl Rn. 6 f.; Lütgerath, Die Erweiterung des Anlagekataloges von Investmentgesellschaften, S. 77 ff. 162 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss), BTDrs. 16/6874, 25. 10. 2007, S. 1 f. 163 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (22. Ausschuß), BT-Drs. 2/ 2973 (neu), S. 1: „Während der unmittelbare Erwerb einzelner Wertpapiere Sachkunde des Kapitalanlegers voraussetzt und trotzdem die Gefahr von Verlusten einschließt, wird das Risiko beim Investmentsparen durch die breite Streuung des Wertpapierbestandes und durch die fachmännische Auswahl der Anlagewerte vermindert. Diese Funktion der Kapitalanlagegesellschaften ist heute besonders wichtig, weil denjenigen Schichten, die auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse normalerweise schon für den Wertpapierbesitz in Betracht kommen, im allgemeinen noch die Kenntnisse auf dem Gebiet des Wertpapiermarktes fehlen“. 164 Vgl. Gerke/Rapp, Strukturelle Neugestaltung des deutschen Investmentrechts, ZBB 1992, S. 85, 88, 96: „Das deutsche Investmentrecht wird den Anforderungen liberalisierter Kapitalmärkte und mündiger Kapitalanleger nicht mehr gerecht“; Lütgerath, Die Erweiterung des Anlagekataloges von Investmentgesellschaften, S. 81 f. 165 Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093, 1099. 166 Gerke/Rapp, Strukturelle Neugestaltung des deutschen Investmentrechts, ZBB 1992, S. 85, 89; Baur, § 18 Investmentgeschäfte, in: Handbuch des Kapitalanlagerechts, Rn. 63. 167 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz), BT-Drs. 12/6679, 27. 01. 1994, S. 37.
D. Zusammenfassende Bewertung der Rechtsentwicklung
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Trotz der andauernden Deregulierung konnte Deutschland als Investmentfondsstandort nicht mithalten, vielmehr siedelten sich OGAW aufgrund liberaler rechtlicher Rahmenbedingungen in anderen Mitgliedstaaten wie insbesondere Luxemburg an. Der Wettbewerbsvorsprung von Mitgliedstaaten wie Luxemburg als Standort für die Investmentindustrie ist für Deutschland (wie oben ausgeführt) nicht mehr einholbar. Sofern die Deregulierung positiv bewertet wird, kann von einer Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden. Da die Deregulierung zu einer Angleichung der deutschen Regulierung an den europäischen Rechtsrahmen führte, sind zudem die Voraussetzungen einer Ex-post Harmonisierung erfüllt.
II. Geringe Bedeutung der Entdeckungsund Innovationsfunktion Trotz der hohen Wettbewerbsintensität seitens von OGAW aus anderen Mitgliedstaaten168 kann im Rahmen der dargestellten Rechtsentwicklung kaum von einer Entdeckungs- und Innovationsfunktion gesprochen werden. Die Rechtsentwicklung konnte vielmehr vorausgesehen werden. So prophezeite Laux anlässlich der Umsetzung der OGAW-Richtlinie in deutsches Recht, dass die 1980er Jahre als das Jahrzehnt in die deutsche Investmentgeschichte eingehen, „in denen die verkrusteten Strukturen des deutschen Investment-Rechts aufgebrochen wurden“.169 Die Rechtsentwicklung führt tendenziell zu einem Gleichgewichtszustand, was deutlich wird anhand der Anpassung des deutschen Regulierungssystems an die Vorgaben der Richtlinien. Ein evolutorischer Wettbewerb im Sinne eines Vorstoßens und Nachziehens170 ist nicht zu beobachten. Die These einer Entwicklung institutioneller Innovationen findet keine Bestätigung.
168
Baur, Investmentgesetze, 2. Aufl., 1. Teilband, Einl II Rn. 2. Laux, Zur Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung des europäischen Investmentrechts in das deutsche Investmentrecht, WM 1990, S. 1093, 1098 f. 170 Hoppmann, Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1967), S. 77, 90. Vgl. auch: RG, Urteil vom 27. 3. 1936, Az. II 229/35, JW 1936, 2073, 2074. 169
§ 15 Internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien und deren Bedeutung für den Systemwettbewerb A. Überblick über internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien Die Frage der Verwirklichung von Integration stellt sich nicht nur im Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierungen, sondern auch im Internationalen Privatrecht; auch dort finden Regelungen Anwendung, die als Herkunftslandprinzipien bezeichnet werden können.1 Beispiele derartiger internationalprivatrechtlicher Herkunftslandprinzipien2 sind die Anknüpfung an das Personalstatut3 oder die Anknüpfung an die Ortsform. Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit im Rahmen des Personalstatuts gilt in Deutschland für Rechtsverhältnisse, die eng mit der Person verbunden sind, z. B. für die Rechts- und Geschäftsfähigkeit (Art. 7 EGBGB), für den Namen (Art. 10 EGBGB), für die Voraussetzungen der Eheschließung (Art. 13 EGBGB), für die 1 Vgl. Adensamer, Herkunftslandprinzip als Herausforderung für das traditionelle IPR, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 55 – 61; Siehr, Das Herkunftslandprinzip im IPR, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 93 – 99. Zum historischen System persönlicher Rechte: Guterman, The Principle of the Personality of Law in the warly Middle Ages: A Chapter in the Evolution of Western Institutions and Ideas, University of Miami Law Review 21 (1966), S. 259 – 348; Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts, S. 11 ff. 2 Vgl. Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip. 3 Vgl. Siehr, Das Herkunftslandprinzip im IPR, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 93, 95; Mattera, The Principle of Mutual Recognition and Respect for National, Regional and Local Identities and Traditions, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration process S. 1, 5; Wahl, Zur Entwicklung des Personalstatuts im europäischen Raum, in: FS zum fünfzigjährigen Bestehen des Instituts für Ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg, S. 123 – 154; Sonnenberger, Münchener Kommentar zum BGB, Einl IPR Rn. 658. Vereinzelt wird vor dem Hintergrund der Geltung personaler Rechte im Römischen Reich die Ansicht vertreten, dass die professio iuris – als Erklärung nach welchem Recht die jeweilige Person lebt – sich einer Rechtswahlfreiheit angenähert hatte. Die Parteien konnten nach dieser Ansicht die Erklärung mit Blick auf das anwendbare Recht abgeben und dementsprechend faktisch eine Rechtswahl vornehmen (Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts, § 3 II S. 19 mwN (gegen eine solche Deutung, da Regulierungsarbitragen hin zu den bequemsten Rechten nicht feststellbar seien); Trips-Hebert, Internationales Privatrecht und Globalisierung, S. 121 f. (gegen eine solche Deutung).
A. Überblick über internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien
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allgemeinen Ehewirkungen (Art. 14 EGBGB) oder den Güterstand (Art. 15 EGBGB). Aufgrund der Intransparenz des jeweils anwendbaren Rechts wird mit Art. 12 EGBGB und Art. 16 EGBGB der gute Glaube des Rechtsverkehrs in Bezug auf Geltung des Umweltrechts geschützt.4 Die Anknüpfung des Personalstatuts steht – im Unterschied zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip – nicht in erster Linie in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Leben, sondern betrifft vor allem inner-familiäre bzw. persönliche Rechtsverhältnisse. Neuhaus spricht vom „Familienstatut“.5 Im Rahmen der Anknüpfung an das Personalstatuts geht es um die Frage, ob eher eine Anknüpfung an das Recht der Staatsangehörigkeit oder des Rechts des Wohnsitzes als interessengerecht empfunden wird.6 Damit stellt sich zugleich die Frage nach der tatsächlichen Integration von längere Zeit im Inland lebenden Ausländern im Inland und es fragt sich, inwieweit die Anknüpfung des Personalstatut ein integrationspolitisches Instrument sein kann.7 Im Rahmen der Anknüpfung der Form (Art. 11 Rom-I VO, Art. 11 EGBGB) gilt eine Gleichwertigkeit von Geschäftsrecht und Ortsrecht.8 Ein Umgehungseinwand scheidet in diesem Zusammenhang aus.9 Es handelt sich bei der Anknüpfung an die Ortsform deswegen um ein schrankenloses Herkunftslandprinzip. Der Zweck der Anknüpfung der Form an den Ort des Vertragsschlusses oder an das zugrundeliegende Vertragsverhältnis liegt (in Parallele zum europarechtlichen Herkunftsland4
Siehr, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 16 EGBGB Rn. 1. Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 1. Aufl., § 30, S. 157. 6 Kropholler, Internationales Privatrecht, § 38, S. 269 ff. (zum Staatsangehörigkeitsprinzip), § 39, S. 278 ff. (zum Domizilprinzip). 7 Kropholler, Internationales Privatrecht, § 37 II, S. 264, § 38 III 2., 3., S. 273 f. Zu Bedenken einer Vereinbarkeit der Anknüpfung des Personalstatuts an das Recht der Staatsangehörigkeit mit dem Europarecht: Drobnig, Verstösst das Staatsangehörigkeitsprinzip gegen das Diskriminierungsverbot des EWG-Vertrages?, RabelsZ 34 (1970), S. 636, 638 ff. Eine wichtiges Argument für die Anknüpfung an das Recht der Staatsangehörigkeit dürfte spielen, dass mittels dieser Anknüpfung Regulierungsarbitragen gegenüber einer Anknüpfung an das Domizil wesentlich erschwert werden (Laube, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit als Anknüpfungsbegriffe, S. 117; Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 35). von Hoffmann/Thorn weisen auf das „Kontinuitätsinteresse“ von Parteien hin (von Hoffmann/ Thorn, Internationales Privatrecht, § 5 Rn. 13). Nach Neumeyer ist das System personaler Rechte (vgl. Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts, S. 11 ff.) im Römischen Reich auch Ergebnis einer staatlichen Gemeinschaft mit starken Stämmen gewesen, „die zu assimilieren das herrschende Volk nicht die Macht oder nicht den Wunsch besass“ (Neumeyer, Die gemeinrechtliche Entwicklung des internationalen Privat- und Strafrechts, Erstes Stück, S. 81). 8 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts, BT-Drs. 10/504, 20. 10. 1983,S. 49; Spellenberg, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 11 EGBGB Rn. 114; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 17 V 3. a), S. 627; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 20 II 2., S. 142. 9 Zur Frage der „Formerschleichung“ vgl. Schönwerth, Die Form der Rechtsgeschäfte im Internationalen Privatrecht – Art. 11 EGBGB, S. 124 ff.; Spellenberg, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 11 EGBGB Rn. 116 ff. 5
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prinzip) in einer Verkehrserleichterung, denn mittels der Anknüpfung werden die möglichen Erwartungen von Parteien an eine Formgültigkeit des jeweiligen Geschäfts geschützt.10 Über die Anknüpfung an das Personalstatut oder der Form hinaus existieren weitere Ausprägungen des Herkunftslandgedankens im Internationalen Privatrecht oder im internationalen Verfahrensrecht. In der Anerkennung von im Ausland begründeten Mobiliarsicherheiten, die von deutscher Seite in großzügiger Weise erfolgt, ohne dass diese Großzügigkeit ihre Entsprechung im ausländischen Recht findet,11 kann eine Art Herkunftslandprinzip gesehen werden. Auch der Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen im Internationalen Zivilverfahrensrecht liegt der Herkunftslandgedanke zugrunde.12 Der Herkunftslandgedanke besitzt auch gerade in der justiziellen Zusammenarbeit in der EU Bedeutung. Die Kommission spricht von dem Ziel einer „Freizügigkeit gerichtlicher Entscheidungen“ in Europa.13 Ziel des auf zivilgerichtliche Entscheidungen bezogenen 10 Vgl. Spellenberg, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 11 EGBGB Rn. 1, Art. 11 Rom I-VO Rn. 3. 11 Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 3 – 46 EGBGB, IPRax 2000, S. 259, 262: „Die meisten Rechtsordnungen reagieren auf den Import besitzloser Sicherungsrechte an beweglichen Sachen selbst bei schlichtem Statutenwechsel sehr empfindlich, auch wenn der Rechtstyp dem Aufnahmestaat keineswegs fremd ist“; Stoll, Rechtskollisionen beim Gebietswechsel beweglicher Sachen, RabelsZ 38 (1974), S. 450, 464; Drobnig, Eigentumsvorbehalte bei Importlieferungen nach Deutschland, RabelsZ 32 (1968), S. 450, 451; Coing, Probleme der Anerkennung besitzloser Mobiliarpfandrechte im Raum der EWG, ZfRV 1967, S. 65, 67; Kaufhold, Internationales und europäisches Mobiliarsicherungsrecht, S. 31. Nach Kreuzer erscheint „die Anerkennung formlos begründeter fremder Mobiliarsicherheiten in Staaten, deren Verkehrskreise bestimmte Formen einhalten müssen, um analoge Sicherheiten zu erlangen, […] aus Sicht der nationalen Verkehrskreise an gleichheitswidrige Bevorzugung ausländischer Sicherungsnehmer. Deshalb besteht die ratio der Nichtanerkennung fremder Mobiliarsicherheiten darin, dem jeweiligen inländischen Kreditverkehr zu schützen und eine ungerechtfertigte Privilegierung ausländischer Waren- und Geldkreditgeber zu verhindern“ (Kreuzer, Die Inlandswirksamkeit fremder besitzloser vertraglicher Mobiliarsicherheiten: die italienische Autohypothek und das US-amerikanische mortgage an Luftfahrzeugen, IPrax 1993 S. 157, 162 (HiO)). 12 Zur Argumentation des BGH mit einer Inländerdiskriminierung im Zusammenhang mit einer Ablehnung der Anerkennung wegen Verstoßes gegen den ordre public: BGH, Urteil vom 04. 06. 1992, Az. IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312, 345: „Ausländische Gläubiger könnten aufgrund eines solchen Titels in vielfach weiterem Ausmaße auf inländisches Schuldnervermögen zugreifen als inländische Gläubiger, die unter Umständen wesentlich größere Beeinträchtigungen erlitten haben. Eine solche Besserstellung von Gläubigern allein aus den wenigen Staaten der Welt, die Strafschadensersatz verhängen, gegenüber allen anderen ist nicht durch Gründe gerechtfertigt, die nach der deutschen Rechtsordnung Schutz verdienen. Deshalb wäre schon allein die Vollstreckung eines Anspruchs auf pauschalen Strafschadensersatz – über den Ersatz vollen materiellen wie immateriellen Schadens hinaus – in Deutschland ein unerträgliches Ergebnis […]“. 13 Erwägungsgründe 6, 10 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Ent-
A. Überblick über internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien
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Herkunftslandprinzips ist dabei insbesondere die Förderung des Binnenmarktziels,14 worin eine Verknüpfung mit den Verkehrsfreiheiten zum Ausdruck kommt. Erhebliche Bedeutung kommt der Gleichwertigkeit ausländischer Entscheidungen zu.15 Eine Übertragung des Modells eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip auf das auf gerichtliche Entscheidungen bezogene Herkunftslandprinzip dürfte aus Perspektive von Juristen jedoch unerträglich sein, da forum shopping (als Paradebeispiel für Regulierungsarbitragen16) zu Recht als unerwünscht und ungerecht17 gilt. Es wäre sehr interessant wie die Befürworter von Systemwettbewerb forum shopping und einen möglichen Systemwettbewerb über das auf gerichtliche Entscheidungen bezogenen Herkunftslandprinzip beurteilen würden. Auch im Bereich strafgerichtlicher Entscheidungen baut die Kommission (wiederum in sprachlicher Analogie zu den Verkehrsfreiheiten) auf dem Herkunftslandgedanken auf.18 Ein etwaiger Systemwettbewerb vermittelt über die Anerkennung strafgerichtlicher Entscheidungen19 wäre jedoch aufgrund der Zwecke natioscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG Nr. L 12/1 vom 16. 1. 2001; Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 56 f. 14 Erwägungsgrund 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG Nr. L 12/1 vom 16. 1. 2001. 15 Vgl. Britz, Grundrechtsschutz in der justiziellen Zusammenarbeit – zur Titelfreizügigkeit in Familiensachen, JZ 2013, S. 105, 106 ff. 16 Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 231: „Das Phänomen des Systemwettbewerbs ist dem internationalrechtlich arbeitenden Juristen seit langem vertraut. Forum shopping, Gerichtsstands- oder Rechtswahlklauseln, Steueroasen, offshore Aktivitäten […]. 17 Vgl. Kropholler, Das Unbehagen am forum shopping, in: FS Firsching, S. 165 – 173; Juenger, Forum Shopping, RabelsZ 56 (1982), S. 708, 708: „Der ,böse Terminus‘“. 18 Kommission, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen, KOM(2000) 495 endg., S. 3 f.; Nestler, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 116 (2004), S. 332 – 352; Pohl, Vorbehalt und Anerkennung, S. 48; Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 116 (2004), S. 353 – 367, „Die ,Bier ist Bier und Schnaps ist Schnaps‘-Logik soll also künftig auch für die Strafverfolgung gelten“; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Rn. 59 ff.; Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. § 1 Rn. 27 „Gegenseitigkeitsgrundsatz“. Bereits Art. Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen (Schengen-Besitzstand – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, ABl. Nr. L 239/9 vom 22. 09. 2000) enthält ein auf strafgerichtliche Entscheidungen bezogenes Herkunftslandprinzip (Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 2004, S. 353, 362 ff.; Böse, Der Grundsatz „ne bis in idem“ in der Europäischen Union, GA 2003, S. 744, 750). 19 Denkbar sind Regulierungsarbitragen seitens von Tätern (Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit in der Strafverfolgung, S. 163; Michael, Wettbewerb von Rechtsordnungen, DVBl. 2009, S. 1062, 1063; Kniebühler, Transnationales ,ne bis in idem‘, S. 131 f.) und von
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naler Strafrechtsnormen (die grundsätzlich nicht als Interessengruppenregulierungen bewertet werden können) rechtspolitisch nicht zu rechtfertigen. Das Herkunftslandprinzip wird aufgrund seiner weiten Verwendung nach Formulierung von Masing immer mehr zu einem integrationspolitischen „Generalprinzip“.20
B. Die internationalprivatrechtliche Anknüpfung an die Ortsform als Herkunftslandprinzip und ihre systemwettbewerbliche Bedeutung I. Wahl des Ortes gesellschaftsrechtlicher Beurkundungen Aufgrund der Anknüpfung der Form an den Ort des Vertragsschlusses (Art. 11 Rom I-VO, Art. 11 Abs. 1 EGBGB) finden Regulierungsarbitragen mittels der Wahl von Orten, an denen gesellschaftsrechtliche Vorgänge beurkundet werden, statt. So lassen deutsche Unternehmen gesellschaftsrechtliche Akte wie Fusionen, Satzungsänderungen oder die Abtretung eines GmbH-Geschäftsanteils21 häufig in der Schweiz beurkunden, um Beurkundungskosten einzusparen (es ist die Rede von „Beurkundungstourismus“22).23 Strafverfolgungsbehörden (Lagodny, Viele Strafgewalten und nur ein transnationales ne-bis-inidem?, in: FS Trechsel, S. 253, 260 f.; Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit in der Strafverfolgung 2002, S. 163; Kniebühler, Transnationales ,ne bis in idem‘, S. 130: „Es leuchtet ein, dass die mit der Strafverfolgung betraute Stelle in dem Wissen, dass es wegen der Sperrwirkung nur einmal zu einem Verfahren kommen kann, versuchen wird, den Beschuldigten von derjenigen Rechtsordnung aburteilen zu lassen, von der die umfassenste Sanktionierung zu erwarten ist“; Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, Kriterien für die jeweils „beste“ Strafgewalt in Europa, NStZ 2002, S. 624, 624 f.; Nestler, Europäisches Strafprozessrecht, ZStW 2004 S. 332, 350 f.). 20 Masing, Wortlautprotokoll der mündliche Verhandlung vor dem BVerfG in Bezug auf das EuHbG, in: Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht S. 197. „Dieses Vertrauen der gegenseitigen Anerkennung in die anderen Gerichtsentscheidungen liegt der Union insgesamt zugrunde und wird kontinuierlich ausgebaut. Es ist ein Generalprinzip, das allen Politiken, fast allen jedenfalls, zu Grunde liegt“. Vgl. auch: Nicolaïdis, Trusting the Poles? Constructing Europe through mutual recognition, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 682, 684; S. K. Schmidt, Introduction: Mutual Recognition as a New Mode of Governance, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 667 – 681: „a new mode of governance“; Mansel, Zum Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht nach Amsterdam und Nizza, in: Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, S. 1, 11. 21 Vgl. Gätsch/Schulte, Notarielle Beurkundung bei im Ausland erfolgenden GmbH-Anteilsveräußerungen, ZIP 1999, S. 1954 – 1959; Maier-Reimer, Veräußerung von GmbH-Anteilen vor Schweizer Notaren, BB 1974, S. 1230 – 1234; Grossfeld/Berndt, Die Übertragung von deutschen GmbH-Anteilen im Ausland, RIW 1996, S. 625 – 632. 22 Bayer, Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen im Ausland nach der MoMiG-Reform, GmbH 2013, S. 897, 897. 23 Vgl. RG, Urteil vom 22. 03. 1939, Az. II 137/38, RGZ 160, 225, 229; OLG Frankfurt am Main, Beschuss vom 10. 04. 1981, Az. 20 W 460/80, DB 1981, S. 1456 f.; Schönwerth, Die
B. Die Anknüpfung an die Ortsform als Herkunftslandprinzip
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Deutsche Notare wenden sich vor dem Hintergrund ihrer finanziellen Interessen24 seit langem gegen diese Praxis und sehen darin eine rechtswidrige Umgehung: „Diese vom Gesetz vorgesehene Erleichterung darf jedoch nicht willkürlich und zum Zweck der Umgehung der vom deutschen Gesetzgeber grundsätzlich zwingend vorgesehen Form in Anspruch genommen werden. Art. 11 Abs. 1 HS. 2 EGBGB ist auch dann nicht anwendbar, wenn sich die Beteiligten – etwa aus Kostenersparnisgründen – gerade zur Beurkundung ins Ausland begeben, um die Geltung der lex causae zu verhindern. Ein solches Verfahren ist vom Zweck des Art. 11 Abs. 1 HS. 2 nicht gedeckt“.25
Im Hinblick auf die Bedeutung finanzieller Interessen stellt Spellenberg treffend fest, dass Einschränkungen der Ortsform „ganz überwiegend nur für gesellschaftsrechtliche Rechtsgeschäfte vertreten […] [werden], während bislang keine Bedenken laut geworden sind, wenn Verblobte zu einer für sie ebenfalls gewichtigen Heirat in mehr oder weniger exotische Länder reisen“.26 Der deutsche Gesetzgeber reagierte auf die Gebührenflucht27 mit einer Senkung der deutschen Beurkundungsgebühren,28 indem er im Jahr 1975 die Höchstgebühr für Form der Rechtsgeschäfte im Internationalen Privatrecht, S. 124, Fn. 585; Merkt, Vertragsform beim Kauf von Anteilen an einer ausländischen Gesellschaft, ZIP, 1994, S. 1417; Kropholler, Auslandsbeurkundungen im Gesellschaftsrecht, ZHR 140 (1976), S. 394 – 413; Böttcher/Blasche, Die Übertragung von Geschäftsanteilen deutscher GmbHs in der Schweiz vor dem Hintergrund der Revision des Schweizer Obligationenrechts, NZG 2006, S. 766 – 772; Ulrich/ Böhle, Die Auslandsbeurkundung im M&A-Geschäft, GmbHR 2007, S. 566, 566, 570; Saenger/Stauch, Auslandsbeurkundung bei der GmbH – Konsequenzen aus MoMiG und Reform des Schweizer Obligationenrechts, BB 2008, S. 65 – 69; Kropholler, Auslandsbeurkundungen im Gesellschaftsrecht, ZHR 140 (1976), S. 394, 394. Zur Bedeutung der Grundfreiheiten für das Notariat: Basedow, Zwischen Amt und Wettbewerb – Perspektiven des Notariats in Europa, RabelsZ 55 (1991), S. 409 – 435. 24 Spellenberg, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 11 EGBGB Rn. 117; Bayer, Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen im Ausland nach der MoMiG-Reform, GmbH 2013, S. 897, 897. 25 Karl Winkler [Notar], Beurkundungsgesetz, Einl. 80 (HiO). Vgl. Winkler, Beurkundungen im Ausland bei Geltung deutschen Rechts, NJW 1972, 981 – 988; Winkler, GmbHGesellschafterversammlungen im Ausland und Beurkundung durch ausländische Notare, NJW 1973, S. 222 – 225; Geimer, Auslandsbeurkundungen im Gesellschaftsrecht – Bemerkungen zum Urteil des BGH v. 16. 2. 1981 – II ZB 8/80, DNotZ 981, S. 406, 410 f.; Wolfsteiner, Auslandsbeurkundung der Abtretung von Geschäftsanteilen an einer deutschen GmbH, DNotZ 1978, S. 532 – 537; Schervier, Beurkundung GmbH-rechtlicher Vorgänge im Ausland, NJW 1992, 595 – 598; Kubis, in: Münchener Kommentar zum AktG, § 121 Rn. 55, S. 173; Bungert, Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften und Auslandsbezug, AG 1995, S. 26, 27; Kropholler, Auslandsbeurkundungen im Gesellschaftsrecht, ZHR 140 (1976), S. 394 – 413. Schon von Wächter sah in einer Auslandsbeurkundung eine Umgehung: von Wächter, Ueber die Collision der Privatrechtsgesetze verschiedener Staaten, AcP 25 (1842), S. 361, 413: „Unser Richter soll in solchen Fällen das fremde Recht dann nicht, sondern das einheimische Recht zur Anwendung bringen, wenn unser Bürger das Geschäft im Ausland gerade in der Absicht errichtete, um sich der Beurtheilung des einheimischen Gesetzes zu entziehen […].“ 26 Spellenberg, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 11 EGBGB Rn. 117. 27 Kropholler, Auslandsbeurkundungen im Gesellschaftsrecht, ZHR 140 (1976), S. 394, 394: „Zur Bekämpfung der bloßen Gebührenflucht hat der deutsche Gesetzgeber vor einem Jahr
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die Beurkundung der Beschlüsse von Gesellschaftsorganen auf 10.000 DM festsetzte (§ 47 Satz 2 KostO a. f.)29. Aus den Gesetzgebungsmaterialen geht jedoch das Ziel einer Bekämpfung der „Gebührenflucht“ nicht hervor.30 Das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz31 aus dem Jahr 2004, das insbesondere auf eine Vereinfachung des Kostenrechts abzielte32, führte in § 18 Abs. 1 Satz 2 KostenO einen Höchstwert von 60 Mio. EUR in Bezug auf den anzusetzenden Geschäftswert ein33. Aus der Gesetzesbegründung ergeben sich auch hier keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Maßnahme vor dem Hintergrund einer „Gebührenflucht“ ins Ausland zu sehen ist.34
den Weg gewählt, die Gebührensätze der Kostenordnung bei hohen Geschäftswerten zu senken und dadurch den Anreiz zur Verlegung von Geschäften ins Ausland zu mindern“. 28 Mitteilungen, DNotZ 1975, S. 450, 451, 452. 29 Gesetz zur Änderung Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften vom 20. 08. 1975, BGBl. 1975 2189; Mitteilungen, DNotZ 1975, S. 450, 451, 452 ff. 30 Vgl. Bericht und Antrag des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften – Drucksache 7/2016 –, BT-Drs. 7/3243, 19. 02. 1975; Bundesrat, Anrufung des Vermittungsausschusses durch den Bundesrat zum Gesetz zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften, BR-Drs. 165/75, 11. 04. 1975. 31 Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG) vom 5. 5. 2004, BGBl. I S. 718. Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/ CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG), BT-Drs. 15/1971 vom 11. 11. 2003; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG), BT-Drs. 15/2403, 28. 01. 2004; Schwarz, in: Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann, Kostenordnung, § 18 Rn. 3a. Kritisch: Haeder, [Rechtsanwalt, ehemals Syndikus bei der Notarkammer Frankfurt am Main], Änderungen der Kostenordnung durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, DNotZ 2004, S. 405, 406 ff. 32 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG), BT-Drs. 15/1971 vom 11. 11. 2003, S. 1, 140. 33 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG), BT-Drs. 15/1971 vom 11. 11. 2003, S. 235. 34 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG), BT-Drs. 15/1971 vom 11. 11. 2003; Haeder, Änderungen der Kostenordnung durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, DNotZ 2004, S. 405, 406 – 407; Hartmann sieht den Hintergrund der Regelung in „sozialen Gründen“ (Hartmann, Kostengesetze, § 18 Rn. 7).
B. Die Anknüpfung an die Ortsform als Herkunftslandprinzip
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Mit Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)35 hielt der Gesetzgeber – entgegen entsprechender Forderungen – an der Pflicht zur Beurkundung der Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen fest.36 Jedoch kann infolge des MoMiG (in Anlehnung an die Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten wie England, Frankreich und Spanien37) auf ein Musterprotokoll zurückgegriffen werden, sofern höchstens drei Gesellschafter mit je einem Anteil vorhanden sind (vgl. § 2 Abs. 1a GmbHG),38 was zu Kosteneinsparungen führt (vgl. § 41 d KostO a. F., §§ 107 Abs. 1 Satz 2, 105 Abs. 6 Nr. 1 GNotKG)39. Ursprünglich sollte nach Vorstellung der Bundesregierung bei Verwendung des Musterprotokolls eine bloße notarielle Beglaubigung (und keine Beurkundung) verlangt werden.40 Von diesem Vorhaben wurde jedoch auf Intervention des Bundesrates41, der Bezug nimmt auf einen Vorschlag der Notarkammer Sachsen42, zugunsten eines beurkundungspflichtigen Musterprotokolls Abstand genommen.43 Sofern keine Drittinteressen durch die Auslandsbeurkundung berührt werden und Parteien in der Lage sind, ihre Interessen zu wahren, kann von einer Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität gesprochen werden. 35 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008, BGBl. I S. 2026. 36 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drs. 16/6140, 25. 07. 2007, S. 5; G. H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 2 Rn. 2; Ries, MoMiG und die Folgen: Praktische Probleme bei der GmbH, Eine erste Bilanz: Erfahrungen mit der GmbH-Reform nach zwei Jahren, AnwBl 1/2011, S. 13, 13; Altmeppen, Zur Formbedürftigkeit der Veräußerung künftiger GmbH-Anteile, in: FS Westermann, S. 771, 771. 37 Schröder/Cannivé, Der Unternehmensgegenstand der GmbH vor und nach dem MoMiG, NZG 2008, S. 1, 3. 38 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drs. 16/6140, 25. 07. 2007, S. 5; G. H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 2 Rn. 2; Ries, MoMiG und die Folgen: Praktische Probleme bei der GmbH, Eine erste Bilanz: Erfahrungen mit der GmbH-Reform nach zwei Jahren, AnwBl 1/2011, S. 13, 13. 39 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH (MindestkapG), BR-Drs. 619/05, 12.08.05, S. 27. 40 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH (MindestkapG), BR-Drs. 619/05, 12.08.05, S. 27; G. H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 2 Rn. 2. 41 Bundesrat, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BR-Drs. 354/07, 06. 07. 2007, S. 1 – 3, 6 f.; Bundesrat, Empfehlungen der Ausschüsse, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BRDrs. 2354/1/07, 26.06.07, S. 1 – 3. 42 Bundesrat, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BR-Drs. 354/07, 06. 07. 2007, S. 6. 43 G. H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 2 Rn. 2.
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II. Heiratsparadiese Sogenannte „Heiratsparadiese“ ziehen heiratswillige Personen an, indem sie geringere Anforderungen an die Form von Eheschließungen stellen. Dadurch wird für heiratswillige Personen einerseits die Erfüllung der formaler Anforderungen erleichtert, z. T. wird eine Eheschließung andererseits aber auch erst ermöglicht. Das bekannteste „Heiratsparadies“ in Europa war in der Vergangenheit das schottische Dorf Gretna Green.44 Bis zum Marriage (Scotland) Act 1977, das die Notwendigkeit eines Ehefähigkeitszeugnisses festschrieb,45 konnten Minderjährige in Schottland heiraten, denn das schottische Recht qualifizierte46 die Frage der Einwilligung der Eltern in die Eheschließung als Formfrage.47 Diese Möglichkeit nutzen ab Mitte der 1950er Jahre, als der Visumzwang für Deutsche aufgehoben wurde, jährlich 130 bis 140 Minderjährige aus Deutschland.48 Nach deutschem Recht war die Ehe allerdings aufhebbar (§ 30 EheG a. F.), eine Aufhebung einer Ehe, die ohne elterliche Zustimmung zustandegekommen war, erfolgte jedoch tatsächlich nur sehr selten.49 Auch die dänische Stadt Tønder entwickelte sich vor der Spanier-Entscheidung des BVerfG50 zu einem beliebten Eheschließungsort von Ausländern. Aufgrund der Rechtsprechung des BGH51, die einem ledigen katholischen Spanier die Heirat mit einer geschiedenen deutschen Frau aufgrund der fehlenden Anerkennung der Scheidung in Spanien versagte52 und dänische Standesämter das Vorliegen von Ehehindernissen grundsätzlich nicht prüften53, heirateten Personen, denen eine Heirat in Deutschland aufgrund der BGH-Rechtsprechung verwehrt war, zum Teil in 44 Vgl. Heyken, Gretna Green, Eheschließung ausländischer Minderjähriger ohne elterliche Einwilligung in Schottland und die Beurteilung dieser Ehen nach schottischem internationalen Privatrecht; Knickenberg, Gretna Green, StAZ 1960, S. 45 – 47. 45 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 14 VII 2., S. 493. 46 Zur internationalprivatrechtlichen Qualifikation: Kropholler, Internationales Privatrecht, § 15, S. 113 ff. 47 Vgl. Heyken, Gretna Green, Eheschließung ausländischer Minderjähriger ohne elterliche Einwilligung in Schottland und die Beurteilung dieser Ehen nach schottischem internationalen Privatrecht, S. 8. 48 Heyken, Gretna Green, Eheschließung ausländischer Minderjähriger ohne elterliche Einwilligung in Schottland und die Beurteilung dieser Ehen nach schottischem internationalen Privatrecht, S. 2. 49 Heyken, Gretna Green, Eheschließung ausländischer Minderjähriger ohne elterliche Einwilligung in Schottland und die Beurteilung dieser Ehen nach schottischem internationalen Privatrecht, S. 5. 50 BVerfG, Beschluss vom 04. 05. 1971, Az. 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. 51 BGH, Beschluss vom 12. 02. 1964, Az. IV AR (VZ) 39/63, StAZ 1964, S. 129 – 132. 52 Vgl. Böhmer, Die Gültigkeit der „Tondern-Ehen“ in Deutschland, StAZ 1969, S. 85, 85 f.; Jochem, Anmerkung zum Urteil OLG Frankfurt, RabelsZ 32 (1968), S. 727, 728. 53 Leske/Löwenfeld, Rechtsverfolgung im internationalen Verkehr I, S. 307.
B. Die Anknüpfung an die Ortsform als Herkunftslandprinzip
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Dänemark. Für einem Drei-Jahreszeitraum Ende der 1960er Jahre lag die Zahl der Eheschließungen bei ca. 375 bis ca. 500.54 Mit der dänischen Heiratsurkunde kehrten die Paare nach Deutschland zurück und beantragten die Anlegung eines Familienbuches nach § 15a PStG a. F., womit sie in vielen Fällen Erfolg hatten.55 Aufgrund der Spanier-Entscheidung des BVerfG56 aus dem Jahr 1971, wonach die Anknüpfungen des Internationalen Privatrechts am Maßstab der Grundrechte zu messen sind und sich die vormalige Rechtsprechung des BGH57 überholte, verlor die Eheschließung in Tønder zur Umgehung von Ehehindernissen an Bedeutung. Jedoch heiraten auch heute noch eine beträchtliche Zahl deutscher Paare pro Jahr in der Tønder Kommune (1.659 deutsche Paare im Jahr 2013) 58. Insgesamt heirateten in Dänemark im Jahr 2013 7.517 ausländische Paare in 74 von den 98 dänischen Gemeinden.59 In Bezug auf auf die 24 restlichen Gemeinden liegen keine Daten vor.60 Heiratsparadiese haben grundsätzlich ein erhebliches ökonomisches Interesse an der Anziehung heiratswilliger Touristen.61
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Böhmer, Die Gültigkeit der „Tondern-Ehen“ in Deutschland, StAZ 1969, S. 85, 86 Fn. 8. Vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 26. 05. 1967, Az. 6 W 472/66, NJW 1967, 1426 f.; OLG Schleswig, Beschluss vom 16. 12. 1966, Az. 2 W 140/66, FamRZ 1967, S. 98 ff.; Böhmer, Die Gültigkeit der „Tondern-Ehen“ in Deutschland, StAZ 1969, S. 85, 90; Böhmer, Der neue „Scheidungsservice“ auf Guam, in: FS Ferid, S. 49, 49. 56 BVerfG, Beschluss vom 04. 05. 1971, Az. 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. 57 Vgl. BGH, Beschluss vom 12. 02. 1964, Az. IV AR (VZ) 39/63, StAZ 1964, 129 – 132. 58 Kuhdahl, Giftelystne udlændinge strømmer til Danmark, http://kl.dk/Momentum/momen tum2014-14-2-id162359/ (Dank an Frau Kristina Møller Andresen für die Übersetzung). Vgl. auch: Zinke, Und nocheinmal „Tondernehe“, StAZ 1975, S. 104 f. Vgl. ferner z. B. das Angebot in Bezug auf Heiraten in Dänemark unter: http://www.heiratsagentur-karina.de. Zur dänischen Rechtslage vgl. Ring/Olsen-Ring, Dänemark, in: Eherecht in Europa, S. 377 ff.; http://www.re gion.de/fileadmin/Downloads/Pontifex/Themenblatt_Heirat._08.09.2014.pdf. Die Voraussetzungen der Eheschließung bestimmen sich dabei grundsätzlich nach dem materiellen dänischem Recht (Ring/Olsen-Ring, Dänemark, in: Eherecht in Europa, S. 377, 381 Rn. 10). Daraus folgt, dass die Voraussetzungen des jeweiligen Heimatlandes der Heiratswilligen (Staat, in dem sich jeweils das Domizil befindet bzw. Staat[en], dessen Staatsangehörigkeit die Heiratswilligen besitzen) nicht erfüllt sein müssen (Ring/Olsen-Ring, Dänemark, in: Eherecht in Europa, S. 377, 381 Rn. 11). Jedoch darf die dänische Prüfungsbehörde (diese Aufgabe nimmt der Vorsitzende des Gemeinderates, ein Magistratsmitglied oder der Vorsitzender eines Ausschusses der Gemeindeverwaltung wahr) keine Genehmigung erteilen, wenn ihr bekannt ist, dass die Eheschließung nach dem Heimatrecht der Verlobten verboten wäre (Ring/Olsen-Ring, Dänemark, in: Eherecht in Europa, S. 377, 381 Rn. 11). Der Verfasser dankt Frau Dr. Line Olsen-Ring für Erläuterungen. 59 Kuhdahl, Giftelystne udlændinge strømmer til Danmark, http://kl.dk/Momentum/momen tum2014-14-2-id162359/ (Dank an Frau Kristina Møller Andresen für die Übersetzung). 60 Kuhdahl, Giftelystne udlændinge strømmer til Danmark, http://kl.dk/Momentum/momen tum2014-14-2-id162359/ (Dank an Frau Kristina Møller Andresen für die Übersetzung). 61 Brown, Competitive federalism and the legislative Incentive to recognize same-sex marriage, Southern California Law Review 68 (1995), S. 745 – 839; Herzog/Wiesenhütter, 55
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§ 15 Internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien
Bemühungen des englischen Parlaments in den Jahren 1847, 1848, 1849 und 1855 das schottische Recht, das die Schließung formloser Ehen zuließ, zu ändern,62 scheiterten. Ein Grund waren wohl auch wirtschaftliche Interessen der schottischen Grenzdörfer wie Gretna Green an einer Generierung von Einnahmen.63 Obwohl die Zahl der Eheschließungen insgesamt überschaubar war, ergab sich für die die Tønder Kommune eine Einnahmequelle.64. Dass die Einnahmen aufgrund des Heiratstourismus überhaupt ins Gewicht fielen, liegt vor allem vor allem an dem kleinstädtischen Charakter von Tønder. Heute geben 42 Prozent von 74 befragten dänischen Gemeinden an, dass Ehe-Tourismus eine mäßig-große wirtschaftliche Bedeutung habe.65 Es übernachten 50 Prozent der Brautpaare im Zusammenhang mit ihrer Hochzeit in der Tønder Kommune dort.66 Die US-amerikanische Rechtswissenschaftlerin Brown untersucht etwaige wirtschaftliche Vor- und Nachteile für US-Bundesstaaten, die gleichgeschlechtliche Eheschließungen zuerst zulassen und kommt zu dem Ergebnis, dass die Zulassung gleichgeschlechtlicher Eheschließungen durch einen „first-mover state“ wirtschaftlich interessant ist. Nach Brown führt jede Heirat zu einen Mittelzufluss im „first-mover state“ von 6.000 US-$.67 Sie betrachtet einen Systemwettbewerbs zwischen den US-amerikanischen Bundesstaaten in Bezug auf die Zulassung gleichgeschlechtlicher Eheschließungen analog zum Delaware Effekt als grundsätzlich möglich: „Just as competitive federalism leads states to compete for charter revenues and other types of interest-group rents, it could also lead states to compete or the tourism revenue from solemnizing same-sex marriages. As Conneticut is to insurance, Delaware is to corporate law, and Nevada is to gambling, marriage, and divorce, so Hawaii (or some similarly situated state) could become to same-sex marriage. States have competed for the sorts of individual
Hinflug, Hochzeit, Rückflug, fertig!, 27. 09. 2014, http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/paa re-in-israel-hinflug-hochzeit-rueckflug-fertig-13164409.html. 62 Friedberg, Das Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwicklung, S. 454. 63 Friedberg, Das Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwicklung, S. 425: „Später zog sich der Strom der heimliche Eheschließung Suchenden nach Schottland und die Gränzdörfer Springsfield, Coldstream-bridge, Lambertontoll, Berwick und Gretna Green kamen immer mehr in Aufnahme. War doch die Frequenz des letzteren so gross, dass der Vertreter der Stadt erklären konnte, sein Wahlflecken und die ganze Nachbarschaft zöge ihren Hauptunterhalt von den zahlreichen Paaren, welche Gretna Green zueilten“. Vgl. auch Friedberg, Das Recht der Eheschließung, S. 425, Fn. 4. 64 Böhmer, Der neue „Scheidungsservice“ auf Guam, in: FS Ferid, S. 49, 49. Ein einziger Schmied soll in Gretna Green 30.0000 Paare verheiratet haben (Friedberg, Das Recht der Eheschließung, S. 425 Rn. 4). 65 Kuhdahl, Giftelystne udlændinge strømmer til Danmark, http://kl.dk/Momentum/momentum2014-14-2-id162359/ (Dank an Frau Kristina Møller Andresen für die Übersetzung). 66 Auskunft der Tønder Kommune gegenüber dem Verfasser. 67 Brown, Competitive federalism and the legislative Incentive to recognize same-sex marriage, Southern California Law Review 68 (1995), S. 745, 772.
B. Die Anknüpfung an die Ortsform als Herkunftslandprinzip
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and collective benefits sketched here, and same-sex marriage could provide another opportunity for such competition“.68
Dem deutschen Gesetzgeber war die Abwanderung von heiratswilligen Personen nach Dänemark im Vorfeld der Spanier-Entscheidung des BVerfG69 wahrscheinlich nicht unwillkommen. Die Möglichkeit der Eheschließung in Dänemark entschärfte den rechtspolitischen Druck70, da die Abwanderung den betroffenen Personen die Freiheit gewährte, deutsche Regulierungen sozusagen abzuwählen.71 Die Abwanderungsmöglichkeit von Heiratswilligen nach Tønder im Vorfeld der Spanier-Entscheidung, in der das BVerfG Anwendbarkeit von Grundrechten auf internationalprivatrechtliche Regelungen feststellte72, war Ausdruck der Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität und diente der Verwirklichung der Grundrechte heiratswilliger Personen, die von der restriktiven BGH-Rechtsprechung betroffen waren. Hingegen war die Heirat von Minderjährigen in Schottland vielfach problematisch.73 Ähnlich problematisch war die unüberlegte Heirat vor allem von Engländern in den schottischen Grenzdörfern74 bis zu dem Lord Brougham-Act, der 68
Brown, Competitive federalism and the legislative Incentive to recognize same-sex marriage, Southern California Law Review 68 (1995), S. 745, 748. 69 BVerfG, Beschluss vom 04. 05. 1971, Az. 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. 70 Zu damaligen Bestrebungen, die Rechtslage zu ändern: Jayme, Der Entwurf einer Novelle zum EGBGB und das Haager Eheschließungsabkommen, StAZ 1965, S. 145 – 148; Böhmer, Die Eheschließung geschiedenber Deutscher mit ledigen Ausländern in Deutschland – Zum Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Februar 1964 –, StAZ 1965, 201, 206; Antrag der Abgeordneten Frau Wessel, Spies, Dr. Rieger (Köln) und Genossen, BT-Drs.. 4/3088. 71 Stöcker, Art. 30 EGBGB im Spannungsfeld zwischen Religion und Vernunft, StAZ 1968, S. 33, 33: „Ein weiteres Paradoxon liegt darin, daß der Zustrom von Gastarbeitern aus Mittelmeerländern unser Problem zwar denkbar aktuell erscheinen läßt, daß das geplante Gesetz seiner Verabschiedung aber dennoch keineswegs dringlich bedarf. Denn wenn wir den Zeitungsberichten glauben dürfen, so hat sich ein praktischer Ausweg dahin eingebürgert, daß die betroffenen Brautpaare, denen auf Grund der erwähnten Rechtsprechung die Eheschließung vor deutschen Standesbeamten versagt ist, diese vor den Standesbehörden im dänischen Tondern vollziehen.“ Eine ähnliche Situation ergab sich in Bezug auf die bundesstaatlichen Scheidungsrechte in den USA: Knittel, Die zwischenstaatliche Anerkennung von Ehescheidungen innerhalb der Vereinigten Staaten, RabelsZ 29 (1965), S. 751, 763: „Die Parlamente der Einzelstaaten sind jedenfalls zu einem guten Teil der mancherorts überfälligen Reform des Scheidungsrechts enthoben. Durch die weitgehende Anerkennung der Eheauflösung außerhalb des Scheidungsstaates kann in den ärgsten Fällen nun allemal durch eine auswärtige Scheidung Abhilfe geschaffen werden, mag auch der Wohnsitzstaat noch so strenge Scheidungsgesetze und Richter haben“. 72 BVerfG, Beschluss vom 04. 05. 1971, Az. 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. Vgl. Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. IPR Rn. 322 ff.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 20 I, S. 792 f. 73 Vgl. Heyken, Gretna Green, Eheschließung ausländischer Minderjähriger ohne elterliche Einwilligung in Schottland und die Beurteilung dieser Ehen nach schottischem internationalen Privatrecht, S. 2 ff. 74 Friedberg, Das Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwicklung, S. 425: „War in Carlisle Jahrmarkt, so zogen Schaaren von Hunderten über die Gränze, um sich oft im trunkenen Uebermuthe angeknüpfte Verbindung zur untrennbaren ehelichen zu machen“.
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§ 15 Internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien
die Eheschließung von einer 21-tägigen Anwesenheit in Schottland abhängig machte.75 Von einer anerkennungswerten Freiheitsausübung kann in diesen Zusammenhängen kaum gesprochen werden.
C. Bedeutung staatlicher Regelungsinteressen Hinsichtlich der Anknüpfung der Form (vgl. Art. 11 Rom I-VO, Art. 11 EGBGB) sind staatliche Regelungsinteressen wenig präsent, obwohl der Gesetzgeber mit Formvorschriften wichtige Regelungsziele76 (wie den Zweck der Warnung77) verfolgt. Von einer Gleichwertigkeit nationaler Formvorschriften, die eine Abweichung von inländischen Regelungen rechtfertigen kann,78 ist nicht auszugehen79. Auch von einem Kompromiss zwischen den Interessen des grenzüberschreitenden Verkehrs an einer Formgültigkeit von Verträgen80 und staatlichen Regelungsinteressen81 kann nicht wirklich gesprochen werden, da nationale Formvorschriften infolge der Anknüpfung komplett zur Seite gedrängt werden82. Dies zeigt sich z. B. daran, dass auch nach Stammestradition geschlossene Ehen formgültig sein können83 oder daran, dass das von manchen Rechtsordnungen statuierte Erfordernis eines Gesundheitszeug75
Friedberg, Das Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwicklung, S. 428; Walker, Principles of Scottish Private Law, S. 239. 76 Zu Formzwecken: Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 27 Rn. 4 ff. 77 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 27 Rn. 7. 78 Vgl. Stauch, Die Geltung ausländischer notarieller Urkunden in der Bundesrepublik Deutschland, S. 15; Spellenberg, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 11 EGBGB Rn. 5 f.: „Die Gesetzgeber sagen damit, dass hinsichtlich der Form und ihrer Zwecke das Geschäftsrecht und das Ortsrecht gleich eng mit dem Sachverhalt verbunden seien, und dass entsprechend dem unserem IPR zu Grunde liegenden Prinzip der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung beide Gleichermaßen berufen sind, zu entscheiden, welche Formzwecke durchgesetzt werden sollen“ (Rn. 5). 79 Vgl. Spellenberg, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 11 EGBGB Rn. 2: „Diese Begünstigung internationaler Rechtsgeschäfte gegenüber rein nationalen drückt eine gewisse Relativierung der materiellrechtlich, nicht aber international, an sich zwingenden Formvorschriften gegenüber anderen Gültigkeitsvoraussetzungen aus, die angesichts der von Formvorschriften häufig verfolgten Schutzzwecke rechtspolitisch nicht immer unbedenklich ist“. Vgl. auch die Sonderregelung für Verbraucherverträge in Art. 6 Rom I-VO. Anders: Stauch, Die Geltung ausländischer notarieller Urkunden in der Bundesrepublik Deutschland, S. 15. 80 Spellenberg, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 11 Rom I-VO Rn. 3. 81 Bericht über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendeRecht von Herrn Mario Giuliano und Herrn Paul Lagarde, in: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, BT-Drs. 10/503, 20. 10. 1983, S. 33, 61 f. 82 Vgl. Spellenberg, in: Münchener Kommentar, Art. 11 EGBGB Rn. 2. 83 Vgl. OLG München, Urteil vom 22. 12. 1992, Az. 4 UF 218/92, StAZ 1993, S. 151 f.; Sturm, Eheschließungsformen im Ausland, ihre Gültigkeit und Nachweisbarkeit im Inland, StAZ 1995, S. 343, 348 f.
C. Bedeutung staatlicher Regelungsinteressen
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nisses als Voraussetzung der Eheschließung als Formfrage angesehen wird,84 obwohl mit dem Erfordernis eines Gesundheitszeugnisses staatliche Regelungsanliegen verfolgt werden. Der Staat räumt mit der alternativen Anknüpfung den Interessen der Privatrechtsgesellschaft an einer Kompatibilität der Ordnungen eine höhere Bedeutung als der Durchsetzung eigener Regulierungsziele ein.85 Grundlage eines solchen Ansatzes ist die Lehre von der sachrechtlichen Neutralität des Internationalen Privatrechts und der damit verbundenen Suche nach dem räumlich besten Recht86. Je stärker ein vorstaatliches Privatrechtsmodell87 bzw. die sachrechtliche Neutralität des Internationalen Privatrechts88 betont wird,89 desto leichter fällt einerseits eine Integration auf „kollisionsrechtlicher“ Grundlage, andererseits droht jedoch eine Vernachlässigung staatlicher Steuerungsziele. Wenn jedoch staatliche Interessen auch im Privatrecht eine Rolle spielen90, ist eine „kollisionsrechtliche“91 84
von Bar, Internationales Privatrecht, Bd. 2, § 2 Rn. 163, S. 109. Vgl. Spellenberg, in: Münchener Kommentar, Art. 11 EGBGB Rn. 1 f. 86 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 2 I, S. 131: „Wenn die Rechte verschieden sind, wie im IPR von Staat zu Staat, so darf daher gerechterweise nicht – und kann objektiv auch gar nicht – das sachlich beste (sei es das eigene oder ein fremdes) angewendet werden. Anzuwenden ist vielmehr das räumlich beste, genauer: das Recht des Staatsgebietes, dem z. B. ein Handelnder oder Betroffener zuzurechnen ist (weil er der dort lebenden Rechtsgemeinscaft eng verbunden ist) oder in dem sich eine Handlung oder ein Ereignis abgespielt hat“ (HiO); Kegel, Vaterhaus und Traumhaus. Herkömmliches internationales Privatrecht und Hauptthesen der amerikanischen Reformer, in: FS Beitzke, S. 551, 552: „Der folgenschwerste Unterschied zwischen dem herkömmlichen IPR (Vaterhaus) und den amerikanischen Lehren (Traumhaus) liegt in der Beurteilung des Verhältnisses von materiellem Recht und Kollisionsrecht. Herkömmlicherweise geht es hier um ganz verschiedene Dinge: das materielle Recht erstrebt die sachlich beste Lösung, das IPR erstrebt die räumlich beste Lösung“ (HiO), S. 558; Lüderitz, Anknüpfung im Parteiinteresse, in: FS Kegel, S. 31, 31: „Das Internationale Privatrecht hat seine Unschuld verloren. Sie bestand darin, es als ausgemacht anzusehen, daß auf einen Sachverhalt grundsätzlich unabhängig von materiellrechtlichen Wertungen das räumlich ,beste‘ Recht angewandt werden müsse“. 87 Vgl. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 218; Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 18, 151 – 158; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, § 4 Rn. 57, S. 236: „Privatrecht kann man idealtypisch als Normsetzung für eine vom Staat emanzipierte Zivilgesellschaft sehen“; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 16 f., 275. Kritisch: Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, S. 35 ff.; Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. IPR Rn. 23. 88 von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 8 (1849), S. 120; Kegel/ Schurig, Internationales Privatrecht, § 2 I, S. 131: Wenn die Rechte verschieden sind, wie im IPR von Staat zu Staat, so darf daher gerechterweise nicht – und kann objektiv auch gar nicht – das sachlich beste (sei es das eigene oder ein fremdes) angewendet werden. Anzuwenden ist vielmehr das räumlich beste, […]“ (HiO); Kegel, Vaterhaus und Traumhaus. Herkömmliches internationales Privatrecht und Hauptthesen der amerikanischen Reformer, in: FS Beitzke, S. 551, 552, 558; Lüderitz, Anknüpfung im Parteiinteresse, in: FS Kegel, S. 31, 31; von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 8 (1849), S. 120. Vgl. Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, IPR Einl. Rn. 23. 89 Zum Internationalen Privatrecht vgl. Teil 1 § 3 B. 90 Vgl. Rehbinder, Zur Politisierung des Internationalen Privatrechts, JZ 1973, S. 151 – 158. 91 Der Begriff „kollisionsrechtlich“ wird hier im untechnischen Sinne verstanden. 85
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§ 15 Internationalprivatrechtliche Herkunftslandprinzipien
Integration – ähnlich wie im Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierungen – voraussetzungsvoll92 und es droht die Überbetonung der Durchsetzung staatlicher Regelungsinteressen. Im Fall von staatlichen Regelungsinteressen und der Aufgabe der selbstverordneten sachrechtlichen Neutralität in grenzüberschreitenden Sachverhalten besteht die Neigung, entweder einen Systemwettbewerb über Beschränkungen der institutionellen Mobilität einzuschränken oder eine Fremdrechtsanwendung nur im Fall einer tatsächlichen Gleichwertigkeit nationaler Regulierungen zuzulassen.93
92
Vgl. Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. IPR Rn. 24 ff. Vgl. Detlef König, Vereinheitlichung des internationalen Schuldrechts in der EG, EuR 1975, S. 289, 297; Vischer, Kollisionsrechtliche Parteiautonomie und dirigistische Wirtschaftsgesetzgebung, in: FS Max Gerwig, S. 167, 169. 93
Teil 3
Alternativen zum Herkunftslandprinzip und Gesamtbewertung eines Systemwettbewerbs im technischen Sinn
§ 16 Einführung von Rechtswahlfreiheit als Alternative zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip A. Kerbers Vorschlag einer Einführung freier Rechtswahl als Alternative zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip Insbesondere der Ökonom Kerber schlägt als Alternative zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip den Übergang zu einem System freier Rechtswahl vor.1 Regulierungen haben nach Kerber unter Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ihren zwingenden Charakter verloren und dienen nicht mehr staatlicher Steuerungszielen wie dem Ziel des Verbraucherschutzes.2 Mit Schaffung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung haben sich nach Kerber Produktregulierungen in „Produktionsregulierungen“ gewandelt, die nicht mehr die Verkehrsfä1 Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 2000, S. S217, S242 ff.; Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, Gesellschafts-, Arbeits- und Schuldvertragsrecht, S. 67, 79 f. Kerber, Wettbewerbsföderalismus als Integrationskonzept für die Europäische Union, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2003 4(1), S. 43, 58 f. Kerber, Unmasking Mutual Recognition, Current Inconsistencies and Future Chances, S. 17 f.; Kerber/Van den Bergh, Wechselseitige Anerkennung von Regulierungen: Ist die EU ein Vorbild für das globale Handelsregime?, in: Internationalisierung der Wirtschaftspolitik, S. 147, 154, 159. Vgl. Haucap/Kühling, Systemwettbewerb durch das Herkunftslandprinzip: Ein Beitrag zur Stärkung der Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit in der EU?, in: FS Kirchner, S. 799, 811; Wegner, Systemwettbewerb als politisches Kommunikations- und Wahlhandlungsproblem, JNPÖ 17, S. 281, 286, Fn. 16; Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61 (2008), S. 447. 458 f.; Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, 401 – 409; Grundmann, Herkunftslandprinzip und Europäisches Vertragsrecht – Einige Leitlinien –, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 15, 33; Heine/Röpke, Die Rolle von Qualitätssignalen – eine ökonomische und juristische Analyse am Beispiel der deutschen Kapitalschutzvorschriften, RabelsZ 70 (2006), S. 138, 158 f.; Muir Watt, Choice of Law in Integrated and internationally Interconnected Markets: A Matter of Political Economy, Columbia Journal of European Law 9 (2003), S. 383, 394 (unter Bezugnahme auf Kerber); P. Schmidt, Die Europäisierung des Versicherungsrechts, S. 264 ff. 2 Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 454.
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§ 16 Einführung von Rechtswahlfreiheit
higkeit von Produkten, sondern ausschließlich die Regulierung der Produktion durch inländische Hersteller zum Gegenstand haben.3 Deshalb ist mit Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nach Kerber der ursprüngliche Grund ihrer Schaffung weggefallen.4 Für die aus der Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung folgende Inländerdiskriminierung besteht nach Kerber keine Rechtfertigung.5 Mit der Gewähr von Rechtswahlfreiheit wird „Kollisionsrecht“ zum Mittel einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen und insbesondere ein Mittel zur Beseitigung von Inländerdiskriminierung.6 Kerber erkennt etwaige Probleme eines Marktversagens und insbesondere das Wissensproblem auf Seiten der Nachfrager an,7 was von Seiten eines Vertreters der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie ein bemerkenswerter Standpunkt ist. Die Schaffung eines Systems von Rechtswahlfreiheit soll deshalb mit einer Mindestharmonisierung verbunden werden8. Zudem soll nach Koenig/Braun/Capito eine Rechtswahlfreiheit den grundfreiheitlichen Schranken unterworfen werden.9 Nach Kerber hat ein Übergang auf ein System von Rechtswahlfreiheit nicht eine vollständige Transparenz von Regulierungsanforderungen zur Voraussetzung, da eine marktliche Selbstregulierung über Reputationseffekte eine entscheidende Rolle 3 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 92. 4 Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 23 (2000), S. S217, S241; Kerber, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 93 ff. Kerber, Unmasking Mutual Recognition, S. 15; Kerber, Wettbewerbsföderalismus als Integrationskonzept für die Europäische Union, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4(1) (2003), S. 43, 58 f. 5 Vgl. Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 90 f.; Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 2000, S. S217, S242. 6 Vgl. Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 458; Muir Watt, Choice of Law in Integrated and interconnected markets: a matter of political Economy, Columbia Journal of European Law 9 (2003), S. 383, 394: „The conflict of laws, expanding it scope beyond the traditional field of private law, thereby has an important corrective or levelling function to play here, in order to ensure that state competition for public goods remains undistorted. Thus, built into a framework of mandatory requirements which ensure against market failure, choice of law appears as an important deregulatory tool in the integrated market“. 7 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 91. 8 Kerber/Van den Bergh, Unmasking Mutual Recognition: Current Inconsistencies and Future Chances (draft 19. April 2007), S. 17; Kerber/Van den Bergh, Wechselseitige Anerkennung von Regulierungen: Ist die EU ein Vorbild für das globale Handelsregime?, in: Internationalisierung der Wirtschaftspolitik, S. 147, 159; Koenig/Braun,/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 404, 406. 9 Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, 401, 404.
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spielen würde.10 Vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung von Mindestharmonisierung zur Bekämpfung von Marktversagen aus Perspektive Kerbers relativiert. Mit einem Übergang zu einem System von Rechtswahlfreiheit erwartet Kerber eine Intensivierung des Systemwettbewerbs.11 Kerber spricht von „ein[em] freie[n] Wettbewerb zwischen den von den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten angebotenen Regulierungen“.12 Er erwartet eine bessere Anpassung von Regulierungen an die Präferenzen der Privatrechtssubjekte13 und die Generierung institutioneller Innovationen. Mit der Propagierung eines Systems freier Rechtswahl setzt sich Kerber für den Erhalt einer Vielfalt rechtlicher Lösungen ein und wendet sich gegen die zu beobachtende Dynamik an materiellrechtlicher Harmonisierung.14
B. Rechtswahlfreiheit und deren systemwettbewerbliche Bedeutung in Referenzgebieten I. Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht und deren Rechtfertigung Klassisches Feld15 von Rechtswahlfreiheit (Parteiautonomie16) ist das internationale Vertragsrecht.17 Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO18 unterliegt der Vertrag „dem von den Parteien gewähltem Recht“19. 10 Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 458. 11 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 68; Kerber/ Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 452. 12 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 93. 13 Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 459. 14 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 67 f. 15 Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht, § 52 II, S. 459 „[Die Parteiautonomie] hat im Vertragsrecht ihr ureigenstes Anwendungsfeld“; Junker, Die freie Rechtswahl und ihre Grenze – Zur veränderten Rolle der Parteiautonomie im Schuldvertragsrecht, IPRax 1993, S. 1, 1. 16 Vgl. Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts § 28 I, S. 366; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, § 15 I, S. 213; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 40 I, S. 293. 17 Vgl. Art. 3 Rom I-VO; Art. 3 Abs. 1 EVÜ; Art. 27 Abs. 1 EGBGB. Die Rechtswahlfreiheit war auch vor Abschluss des EVÜ in den Vertragsstaaten anerkannt (Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, BT-Drs. 10/503 vom 20. 10. 1983, S. 47 f.; von Bar, Internationales Privatrecht, Bd. 2, § 4 Rn. 412, S. 304) und Parteiautonomie
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Bemerkenswert ist, dass es im Rahmen der Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht möglich ist, auch zwingende Bestimmungen auszuschließen,20 weswegen Neuhaus das Internationale Privatrecht als den „archimedische[n] Punkt, von dem aus die Geltung des inländischen materiellen Rechts aus den Angeln gehoben werden kann“, bezeichnet21. Es wundert deswegen nicht, dass die Zulassung von Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht noch bis in die 1950er Jahre sehr umstritten war.22 gilt im internationalen Vertragsrecht heute grundsätzlich weltweit (Mincke, Die Parteiautonomie: Rechtswahl oder Ortswahl?, IPRax 1985, S. 313, 313); Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 977 f. 18 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 Nr. L 177/6. Das EVÜ ist zum 17. 12. 2009 in die Rom I-Verordnung umgewandelt worden, wobei es teilweise zu Änderungen gekommen ist vgl. Martiny, in: Münchener Kommentar zum BGB, Vor Art. 1 Rom I-VO Rn. 1, 12 ff.; Rühl, Rechtswahlfreiheit im europäischen Kollisionsrecht, in: FS Kropholler, S. 187 – 209. 19 Zur Ausübung der Rechtswahlfreiheit: Rühl, Rechtswahlfreiheit im europäischen Kollisionsrecht, FS Kropholler, S. 187, 197 ff. 20 Junker, Die freie Rechtswahl und ihre Grenze – Zur veränderten Rolle der Parteiautonomie im Schuldvertragsrecht, IPRax 1993, S. 1, 3, 9 f.: „Es erscheint schockierend, daß die Parteien die Macht haben sollen, das Arbeitsrecht, das Wohnungsmietrecht oder den Konsumentenschutz durch Rechtswahl insgesamt auszuschalten […]“ (S. 9 f.); Görtz, Der Parteiwille im internationalen Obligationenrecht, NiemeyersZ 41 (1929), S. 1, 33: „Kann der Parteiwille das Recht wählen, so wird der Charakter der zwingenden Normen aufgehoben, ihre soziale Aufgabe wird auf interne Rechtsverhältnisse beschränkt. Die zwingenden Normen haben in der internationalen Sphäre nur eine Bedeutung, die etwa den Dispositivgesetzen gleichkommt. Sie können durch den erklärten Willen der Parteien beiseite geschoben werden. Um bei dieser Einstellung zu billigen Resultaten zu kommen, räumt man dem ordre public als letzten Schützer der Ordnung eine Stellung ein, die den zwingenden Normen bei internen Vertragsverhältnissen zukommt“. 21 Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 33 III, S. 255 f. Vgl. auch: Rauscher, Internationales Privatrecht, § 10 B Rn. 1084, S. 249; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 40 I, S. 293; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 18 I S. 654; R. H. Weber, Parteiautonomie im internationalen Sachenrecht?, RabelsZ 44 (1980), S. 510, 512; Whincop/Keyes, Policy and Pragmatism in the Conflict of Laws, S. 43; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, § 15 I 1, S. 213; Stephan, Regulatory Cooperation and Competition: The Search for Virtue, S. 6; von Hoffmann, in: Soergel Art. 27 Rn. 2: „Die praktische Spitze der Maßgeblichkeit des Parteiwillens im internationalen Schuldvertragsrecht liegt also darin, dass die Parteien sich zwingenden Vorschriften derjenigen Rechtsordnung entziehen können, die bei objektiver Bestimmung des maßgebenden Rechts anwendbar wären […]“; Junker, Die freie Rechtswahl und ihre Grenze – Zur veränderten Rolle der Parteiautonomie im Schuldvertragsrecht, IPRax 1993, S. 1, 2: „Diese Möglichkeit der Parteiautonomie „bildet den archimedischen Punkt, an welchem die Kritiker der Parteiautonomie den Hebel ansetzen“, S. 2: „Die Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht bedeutet keine Fortschreibung der Privatautonomie des materiellen Rechts, sondern allenfalls eine Persönlichkeitsentfaltung mit anderen Mitteln“ (HiO). 22 Vgl. M. Wolff, Das Internationale Privatrecht Deutschlands, S. 115 ff.; Görtz, Der Parteiwille im internationalen Obligationenrecht, NiemeyersZ 41 (1929), S. 1, 33; Sailer, Einige
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Heute wird die Zulassung von Parteiautonomie im Vertragsrecht zum einen mit der Erwägung, dass „die Masse der Regeln des Schuldrechts dispositiv“23 ist, gerechtfertigt.24 Unter heutigen Rahmenbedingungen trifft diese Aussage jedoch in ihrer Allgemeinheit nicht zu. Dies zeigt sich im Vertragsrecht im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel des Verbraucherschutzes. Auch Versuche, Parteiautonomie im internationalen Schuldvertragsrecht mit einer Gleichwertigkeit nationaler Rechtsordnungen zu begründen,25 sind nicht überzeugend, da bei näherer Betrachtung erhebliche Rechtsunterschiede zwischen den Rechtsordnungen dieser Welt bestehen. In der internationalprivatrechtlichen Literatur wird betont, dass Parteien mittels Rechtswahl in der Lage sind, die ihren Präferenzen am besten entsprechende Rechtsordnung zu wählen.26 Damit wird jedoch unterstellt, dass Privatrechtssubjekte im Rahmen einer Rechtswahl ihre Interessen ohne weiteres ausdrücken und wahren können. Dies ist im Fall von Verbrauchern jedoch oftmals zweifelhaft.
Grundfragen zum Einfluss zwingender Normen, insbesondere der Wirtschaftsgesetzgebung, auf die inhaltliche Gültigkeit international-privatrechtlicher Verträge, S. 150 ff. 23 von Hoffmann, in: Soergel, Art. 27 Rn. 2. 24 Vgl. Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 33 II, S. 253 ff., insb. S. 257; Kreuzer, Das internationale Privatrecht des Warenkaufs in der deutschen Rechtsprechung, S. 48. 25 Nach Vischer wäre eine Rechtswahlfreiheit „kaum denkbar, wenn nicht die beruhigende Überzeugung vorhanden wäre, daß die vertragsrechtlichen Normen der Kulturstaaten – bei aller Verschiedenheit im einzelnen – in ihrer ethischen Grundhaltung equivalent sind, in den grundsätzlichen Fragen doch weitgehend übereinstimmen, was sich zum Teil schon aus den gemeinsamen Wurzeln im römischen Recht erklärt. […] Die Schuldrechtsordnungen sind deshalb gewissermaßen auswechselbar und aus diesem Grund auch innerhalb bestimmter Schranken der Wahlfreiheit der Parteien anheimgestellt“ (Vischer, Kollisionsrechtliche Parteiautonomie und dirigistische Wirtschaftsgesetzgebung, in: FS Max Gerwig, S. 167, 169); Detlef König, Vereinheitlichung des internationalen Schuldrechts in der EG, EuR 1975, S. 289, 297. Vgl. auch O’Hara/Ribstein, From Politics to Efficiency in Choice of Law, University of Chicago Law Review 67 (2000), 1151, 1187: „The parties avoid a mandatory rule only by opting into a different regulatory regime. Consequently, they can opt out of regulation only if another jurisdiction choose not to regulate“. Vgl. auch: Teil 2 § 15 B. I. 26 von Bar, Internationales Privatrecht, Bd. 2, Rn. 414; Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 33 III. 2., S. 257: „[…] praktische Erwägung, daß die Parteien zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung oft am besten befähigt sind […]“; H.-B. Schäfer/Lantermann, Choice of Law from an Economic Perspective, in: An Economic Analysis of Private International Law, S. 87, 94; Ribstein, Choosing Law by Contract, Journal of Corporation Law 18(2) 1993, S. 245, 248 f.; Parisi/Ribstein, choice of law, in: The new Palgrave Dictionary of the Economics and the Law, S. 236, 238. Eine Rechtswahl muss nicht aus materiell rechtlichen Gründen erfolgen. Die Vorteile einer Rechtswahl können auch in einem effizienten Gerichtssystem bestehen, wenn mit der Rechtswahl eine entsprechende Gerichtsstandsklausel verbunden ist (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 286).
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Die Betrachtung der Zulassung von Parteiautonomie als „Verlegenheitslösung“27 erscheint vor diesem Hintergrund ehrlich. Eine Rechtswahl muss sich nicht auf den gesamten Vertrag erstrecken, sondern kann sich auch nur auf einen Teil des Vertrages beziehen,28 soweit eine Abspaltbarkeit des betreffenden Vertragsgegenstandes vom übrigen Vertrag gegeben ist29. Folge ist eine Entbündelung der Vertragsrechtsordnung mit der Folge erhöhter Möglichkeiten von Regulierungsarbitragen. Zum Schutz bestimmter Personengruppen kann die Rechtswahl beschränkt sein (vgl. Art. 5 – 8 Rom I-VO), womit eine Einschränkung von Rechtswahlfreiheit gerade dann erfolgt, wenn der Staat bestimmte Regulierungsziele und insbesondere das Ziel des Schutzes der schwächeren Vertragspartei verfolgt. Insofern geht der Vorschlag Kerbers über die Rechtslage im internationalen Vertragsrecht hinaus, da ein System von Rechtswahlfreiheit im Sinne Kerbers gerade staatliche Regulierungen im Sinne zwingenden Rechts, denen legitime Schutzziele zugrundeliegen, erfassen soll. In Fällen, in denen der Sachverhalt keine ausreichende Beziehung zum Ausland aufweist, werden Parteien an den zwingenden Bestimmungen des Inlands festgehalten.30 Kerber möchte hingegen eine Rechtswahlfreiheit auch in Bezug auf rein interne Fälle verwirklichen, so dass der Vorschlag Kerbers auch diesbezüglich weiter geht als die Rechtslage im internationalen Vertragsrecht.
27 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 18 Abs. 1 S. 653. Vgl. auch: von Bar, Internationales Privatrecht, § 4 Rn. 413, S. 305: „Zur ,inneren‘ Rechtfertigung der Parteiautonomie hat im übrigen immer schon gerechnet, daß die objektiven Anknüpfungen nie restlos zu befriedigen vermochten. Bis heute zeugen sie von einer gewissen Unschärfe und Hilflosigkeit, weil es auch im Kollisionsrecht so schwierig ist, der unendlichen Vielgestaltigkeit vertragsrechtlicher Wirklichkeit gerecht zu werden“; Detlef König, Vereinheitlichung des internationalen Schuldrechts in der EG, EuR 1975, S. 289, 297; von Hoffmann, Über den Schutz des Schwächeren bei internationalen Schuldverträgen, RabelsZ 38 (1974), S. 396, 397; M. Wolff, Das Internationale Privatrecht Deutschlands, S. 116 f. Kritisch zur Annahme einer Verlegenheitslösung: Kropholler, Internationales Privatrecht, § 40 III S. 294 („mehr als eine bloße ,Verlegenheitslösung‘“); Leible, Parteiautonomie im IPR – Allgemeines Anknüpfungsprinzip oder Verlegenheitslösung?, in: FS Jayme, S. 485 – 503. 28 Vgl. Martiny, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 3 Rom I-VO Rn. 70; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 52 II, S. 462.; Rauscher, Internationales Privatrecht, § 10 Rn. 1088 – 1090, S. 250. 29 Martiny, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 3 Rom I-VO Rn. 70; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 52 II, S. 462. 30 Vgl. Art. 3 Abs. IV Rom I-VO; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, BT-Drs. 10/503 vom 20. 10. 1983, S. 36, 50; Rühl, Rechtswahlfreiheit im europäischen Kollisionsrecht, FS Kropholler, S. 187, 203; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 284 f.
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II. Rechtswahlfreiheit im Versicherungsvertragsrecht Bei Zugrundelegung der umstrittenen Lehre von der Versicherung als Rechtsprodukt31 ist das internationale Versicherungsvertragsrecht ein Beispiel für eine Rechtswahlfreiheit in Bezug auf Produktregulierungen.32 Aus dieser Sicht sind „[d]ie Versicherungsbedingungen und das Gesetz […] nicht nur Appendix einer Ware, sondern die Ware selbst“.33 Rechtswahlfreiheit gilt in Bezug auf Großrisiken und in sehr eingeschränktem Umfang auch im Fall von Versicherungsverträgen über Massenrisiken. Versicherungsverträge über Großrisiken unterliegen bei Vertragsschluss ab dem 17. 12. 2009 dem von den Parteien nach Art. 3 Rom I-VO gewählten Recht (Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO).34 Für Versicherungsverträge, die keine Großrisiken darstellen und die im Gebiet der Mitgliedstaaten belegen sind, gewährt Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO (vor dem Hintergrund des Verbraucherschutzes35) eine beschränkte Rechtswahlfreiheit.36 Danach dürfen die Parteien nur die in Art. 7 Abs. 3 lit a) bis e) Rom I-VO vorgesehenen Rechte wählen, z. B. im Fall von Lebensversicherungen das Recht des Mitgliedstaates, dessen Staatsangehörigkeit der Versicherungsnehmer besitzt (Art. 7 Abs. 3 lit c) Rom I-VO).
31 Vgl. Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, S. 145 ff.; W.-H. Roth, Das Allgemeininteresse im europäischen Internationalen Versicherungsvertragsrecht, VersR 1993, S. 129, 135; W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 705 f.; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, S. 126. 32 Vgl. W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 705 f. 33 Sieg, Rechtsgutachten zu den Entwürfen einer 2. Koordinierungsrichtlinie auf dem Gebiete der Direktversicherung, in: Dienstleistungsfreiheit und Versicherungsaufsicht im Gemeinsamen Markt, S. 39, 72 ff.; W.-H. Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 705 f. 34 Vgl. Martiny, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 7 Rom I-VO Rn. 20; Heiss, Versicherungsverträge in „Rom I“: Neuerliches Versagen des europäischen Gesetzgebers, in: FS Kropholler, S. 459, 464; 35 Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, EGVVG, Art. 9 Rn. 2, S. 1164. 36 Vgl. Martiny, in: Münchener Kommentar zum BGB, Art. 7 Rom I-VO Rn. 23 ff.; Heiss, Versicherungsverträge in „Rom I“: Neuerliches Versagen des europäischen Gesetzgebers, in: FS Kropholler, S. 459, 465 ff.; P. Schmidt diskutiert eine freie Rechtswahl im Versicherungsvertragsrecht für das Massenversicherungsgeschäft (P. Schmidt, Die Europäisierung des Versicherungsrechts unter besonderer Berücksichtigung der Grundfreiheiten, S. 264 ff. – zur alten Rechtslage).
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III. Systemwettbewerb vermittelt über Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht 1. Bedeutung von Regulierungsarbitragen Aufgrund von Rechtsunterschieden in den nationalen Vertragsrechtsordnungen ist eine wohl überlegte Rechtswahl von erheblicher Bedeutung.37 In der Realität zeigt sich jedoch, dass Unterschiede im materiellen Vertragsrecht bei einer Rechtswahl oft keine Rolle spielen38. Juenger stellt fest, dass „[e]rstaunlich viele gerichtliche Entscheidungen […] immer noch eine an Unverantwortlichkeit grenzende Nonchalance oder auch grobe Kunstfehler beim Kontrahieren im internationalen Verkehr [offenbaren]“.39 Allgemein wird betont, dass Parteien das vertrautere eigene Recht bevorzugen40, wobei die stärkere Partei sehr häufig ihr Recht durchsetzt41. Aus Handbüchern zur internationalen Vertragsgestaltung entnimmt Kieninger, dass dort 37
Krätzschmer, Der deutsch-amerikanische Rechtsverkehr – mehr als ein „Justizkonflikt“, in: FS Hay, S. 241, 252. Zum Beispiel gewährt das deutsche Recht im Unterschied zu dem englischen oder französischen auch dem Vertragshändler einen Handelsvertreterausgleich (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 297). 38 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 287 ff. Vgl. aber: Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 980 ff. 39 Juenger, Parteiautonomie und objektive Anknüpfung im EG-Übereinkommen zum Internationalen Vertragsrecht, Eine Kritik aus ameriksanischer Sicht, RabelsZ46 (1982), S. 57, S. 69. Vgl. auch: Herbel, Der internationale Unternehmensjurist – ein vaterloser Geselle?, in: Schuldrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Symposium aus Anlaß des 65. Geburtstages von Peter Schlechtriem, S. 1, 9; Pfaff, Der Know how-Vertrag im bürgerlichen Recht, BB 1974, S. 565, 565 Fn. 11; von Bar, Internationales Privatrecht, § 4 Rn. 483. 40 Vgl. Kegel/Schurig Internationales Privatrecht, § 2 II, S. 135 „Jeder Mensch hat ein Interesse daran, nach einer Rechtsordnung beurteilt zu werden, der er eng verbunden ist“; Kötz, Alte und neue Aufgaben der Rechtsvergleichung, JZ 2002, S. 257, 260 f.; Merkt, Internationaler Unternehmenskauf, Rn. 56 f., S. 17 f.; Mankowski, Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung im Lichte der Spieltheorie, in: FS H.-B. Schäfer, S. 369, 370: „Die typische Präferenz jeder Partei geht zur Wahl eines Rechts, mit dem sie selber vertraut ist“; Parisi/Ribstein, choice of law, in: The new Palgrave Dictionary of Economics and the Law, S. 236, 237: „Choice of law may be motivated by the greater familiarity of the parties with the chosen law vis-à-vis the otherwise applicable forum law. Also, contractual choice of law may reduce bargaining costs by supplying default contract terms, avoiding the need for parties to customize their contracts. Finally, parties may exercise a choice of foreign law in order to opt out of some undesirable provisions of the otherwise applicable legal system“ (HiO); Herbel, Der internationale Unternehmensjurist – ein vaterloser Geselle?, in: Schuldrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Symposium aus Anlaß des 65. Geburtstages von Peter Schlechtriem, S. 1, 9; Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 978. 41 Herbel, Der internationale Unternehmensjurist – ein vaterloser Geselle?, in: Schuldrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Symposium aus Anlaß des 65. Geburtstages von Peter Schlechtriem, S. 1, 9 (den Hinweis auf Herbel erhielt der Verfasser aus Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 287).
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generell eine Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts vorgeschlagen werde.42 Hintergrund ist auch gerade ein erhebliches Informationsproblem der Parteien,43 zumal eine Vertragsrechtsordnung sowohl vorteilhafte als auch nachteilige Regelungen beinhalten kann. Arbitragen im Hinblick auf bestimmte vertragsrechtliche Regelungen dürften deshalb relativ selten sein.44 Wichtiger als einzelne Regelungen ist wahrscheinlich die Gewöhnung an die jeweilige Rechtsordnung45 bzw. der gewonne Gesamteindruck von der Rechtsordnung.46 Wichtiger als die inhaltliche Ausgestaltung der nationalen Vertragsrechtsordnungen dürfte zudem die Sprache der Rechtsordnung sein.47 Auch Fragen der Neutralität des jeweiligen Gerichts können bedeutsamer Faktor sein.48 Deshalb ist eine Rechtswahl häufig mit der Wahl eines „neutralen“ Forums verknüpft. 2. Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität inländischen Vertragsrechts Die Vertretung der britischen Rechtsanwaltschaft wirbt mit einer Broschüre für die Wahl britischen Rechts und der Wahl Großbritanniens als Forum.49 Diese Initiative wurde von der britischen Regierung unterstützt, weswegen diese Initiative dem britischen Staat zugerechnet werden kann und deshalb Ausdruck von Systemwettbewerb ist. 42
Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 288 ff. 43 Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 978. 44 Rühl weist jedoch darauf hin, dass Privatrechtsssubjekte auf Unterschiede in den Vertragsrechten im Rahmen von Rechtswahlentscheidungen reagieren (Rühl, Regulatory Competition in Contract Law: Empirical Evidence and Normative Implications, European Review of Contract Law 9(1) 2013, S. 61, 72). 45 Rühl, Regulatory Competition in Contract Law: Empirical Evidence and Normative Implications, European Review of Contract Law 9(1) 2013, S. 61, 71 f. 46 Vgl. Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 982. 47 Zur Bedeutung der Sprache im IPR: Sandrock, Die deutsche Sprache und das internationale Recht: Fakten und Konsequenzen, in: FS Großfeld, S. 971 – 995; Jayme, Sprache und Recht, in: FS P. Kirchhof, § 31, S. 341 – 350. 48 Nach Herbel ist die Neutralität des Gerichts selbst in Ländern wie Deutschland und den USA nicht immer gegeben (Herbel, Der internationale Unternehmensjurist – ein vaterloser Geselle?, in: Schuldrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Symposium aus Anlaß des 65. Geburtstages von Peter Schlechtriem, S. 1, 10). Vgl. auch: F. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, S. 250 f.; Park, International Forum Selection, S. 14. 49 The Law Society of England and Wales, England and Wales: The jurisdiction of choice. Vgl. Kötz, Deutsches Recht und Common Law im Wettbewerb, AnwBl 2010, S. 1, 2; Rühl, Regulatory Competition in Contract Law: Empirical Evidence and Normative Implications, European Review of Contract Law 9(1) 2013, S. 61, 74 f.; Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 983.
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Die deutschen Rechtsanwälte, Notare und Richter folgten im Jahr 2008 dem britischen Vorbild, gründeten ein „Bündnis für das deutsche Recht“50 und geben eine auf Deutsch, Chinesisch, Englisch, Russisch und Vietnamesisch verfasste Broschüre mit dem Titel „Law – Made in Germany“51 heraus.52 Im Vorwort hebt die damals amtierende Bundesjustizministerin Zypris die Qualität deutschen Rechts hervor.53 Nach Worten von Zypries geht es im Rahmen der Initiative „[…] auch darum, attraktive Mandate und Streitfälle für deutsche Kanzleien und die deutsche Justiz zu importieren“.54 Im Jahr 2011 legten die deutschen Standesorganisationen nach Vorbild der Broschüre „Law – Made in Germany“ in Zusammenarbeit mit den französischen Standesorganisationen die Broschüre „Kontinentales Recht“ vor.55 Auch diese Initiative ist als Antwort auf den britischen Vorstoß zu sehen. Da auch die Sprache wichtiger Parameter für eine Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung ist,56 führte auf Seiten der Länder Nordrhein-Westfalen und Hamburg zu Bemühungen, Englisch in Handelssachen als Verhandlungssprache vor Gericht zuzulassen, was zu einem entsprechenden Gesetzesentwurf des Bundesrates führte57. Der Bundesrat beschloss am 14. 03. 2014 einen redaktionell überarbeiteten 50 Vgl. www.lawmadeingermany.de; Kötz, Deutsches Recht und Common Law im Wettbewerb, AnwBl 2010, S. 1, 2; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69, S. 7, 9 f.; L. Michael, Wettbewerb von Rechtsordnungen, DVBl. 2009, S. 1062, 1067; www.rechtsstandort-hamburg.de. 51 Law – Made in Germany (www.lawmadeingermany.de). 52 Vgl. Kötz, Deutsches Recht und Common Law im Wettbewerb, AnwBl 2010, S. 1 – 7; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 9 f.; Fink, Im Namen der Globalisierung, Zeit Online, 23. 5. 2010, http://www.zeit. de/2010/21/Justiz-Prozesse-Englisch; Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 983 f. 53 Zypris, Law – made in Germany, in: Law – Made in Germany, S. 3. 54 Fink, Im Namen der Globalisierung, Zeit Online, 23. 5. 2010, http://www.zeit.de/2010/21/ Justiz-Prozesse-Englisch. 55 Vgl. www.kontinentalesrecht.de (07. 12. 2011). Vgl. Rühl, Regulatory Competition in Contract Law: Empirical Evidence and Normative Implications, European Review of Contract Law 9(1) 2013, S. 61, 74 f.; Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 984. 56 Fink, Im Namen der Globalisierung, Die Zeit, 20. 05. 2010, Nr. 21 Zeit Online, 23. 5. 2010, www.zeit.de2010/21/Justiz-Prozesse-Englisch; Jayme, Sprache und Recht, in: FS P. Kirchhof, § 31, S. 341, 348 f. 57 Vgl. Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG), BR-Drs. 42/10 (Beschluss), 7. 5. 2010, S. 8; BR-Drs. 42/10 (Gesetzesantrag), 27. 01. 2010; Gesetzesantrag der Länder NordrheinWestphalen, Hamburg Niedersachsen, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG), BR-Drs. 93/14, 06. 03. 2014; Fink, Im Namen der Globalisierung, Die Zeit, 20. 05. 2010 Nr. 21 Zeit Online, 23. 5. 2010, www.zeit.de2010/21/Jus tiz-Prozesse-Englisch; Jayme, Sprache und Recht, in: FS P. Kirchhof, § 31, S. 341, 348 f. Jayme bezweifelt das die Zulassung von Englisch als Verhandlungssprache zu einer vermehrten Wahl
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Gesetzesentwurf beim Deutschen Bundestag einzubringen.58 Das Gesetz wurde ausdrücklich mit den durch die deutsche Sprache begründeten Wettbewerbsnachteilen deutschen Rechts begründet.59 Im November 2011 wurde vom Rechtsausschuss des Bundestages eine öffentliche Sachverständigenanhörung durchgeführt.60 Die Bundesregierung bemüht sich zudem darum, deutsches Gesetzesrecht in Fremdsprachen zugänglich zu machen.61 Das Bundesjustizministerium der Justiz stellt deshalb im Internet62 Gesetze in englischer Übersetzung zur Verfügung. Die Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität deutschen Vertragsrechts und des deutschen Gerichtsstandes sind insbesondere vor dem Hintergrund der ökonomischen Interessen der deutschen Rechtsanwaltschaft zu sehen.63 Finanziell lohnt sich für den Staat (abgesehen von den indirekten Vorteilen einer florierenden Rechtsberatungsindustrie) angesichts der Kosten der Justiz eine Wahl des deutschen Forums hingegen erst im Fall von größeren Streitwerten und dementsprechend höheren
deutschen Rechts führt und vermutet, dass eher das Recht eines Common Law-Staates gewählt würde (Jayme, Sprache und Recht, in: FS P. Kirchhof, § 31, S. 341, 349). 58 Gesetzesantrag der Länder Nordrhein-Westphalen, Hamburg Niedersachsen, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG), BRDrs. 93/14, 06. 03. 2014, S. 1. Der Verfasser dankt der Behörde für Justiz und Gleichstellung (Hamburg) für Auskünfte. 59 Gesetzesantrag der Länder Nordrhein-Westphalen, Hamburg Niedersachsen, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG), BRDrs. 93/14, 06. 03. 2014, S. 1: „Das deutsche Recht und die deutsche Justiz genießen international hohe Anerkennung. Der Gerichtsstandort Deutschland leidet jedoch darunter, dass in §184 GVG immer noch nur Deutsch als Gerichtssprache bestimmt ist. Ausla¨ ndische Vertragspartner und Prozessparteien schrecken davor zuru¨ ck, in einer fremden, fu¨ r sie nur im Wege ¨ bersetzung indirekt versta¨ ndlichen Sprache vor einem deutschen Gericht zu verhandeln. der U Das hat Auswirkungen nicht nur auf die Wahl des Gerichtsstandes, sondern auch auf die Frage der Rechtswahl. Das deutsche Recht wird trotz seiner Vorzu¨ ge kaum gewa¨ hlt, wenn als Gerichtsstand ein Gericht in einem anderen Staat vereinbart ist, vor dem in englischer Sprache als ,lingua franca‘ des internationalen Wirtschaftsverkehrs verhandelt werden kann. Die Begrenzung der Gerichtssprache auf Deutsch tra¨ gt damit dazu bei, dass bedeutende wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten entweder im Ausland oder vor Schiedsgerichten ausgetragen werden – zum Nachteil des Gerichtsstandortes Deutschland und deutscher Unternehmen.“; Gesetzentwurf des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG), BT-Drs. 17/2163 vom 16. 06. 2010, S. 1 vgl. auch S. 7. 60 Der Verfasser bedankt sich bei Frau Linke vom Justizministerium des Landes NordrheinWestfalen für Auskünfte. 61 Leutheuser-Schnarrenberger, Made in Germany – Rechtsstandort Deutschland, Rede vom 12. 07. 2010. 62 www.gesetze-im-internet.de. 63 Vgl. Rühl, Regulatory Competition in Contract Law: Empirical Evidence and Normative Implications, European Review of Contract Law 9(1) 2013, S. 61, 73 f.
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Gerichtskosten.64 Keine messbare Rolle spielt hingegen der allgemeine Wunsch einer Verbreitung deutschen Rechts.65 Auf dem Gebiet des Vertragsrechts sind einzelne Regelungen bislang nicht Gegenstand staatlicher Maßnahmen zur Förderung der Attraktivität deutschen Rechts.66 Dies ist wegen der geringen Bedeutung einzelner vertragsrechtlicher Regelungen im Rahmen von Rechtswahlentscheidungen nicht erstaunlich. Ein Systemwettbewerb auf dem Gebiet des internationalen Vertragsrechts dürfte vor diesem Hintergrund auch in Zukunft nur sehr geringe Auswirkungen auf die Gestalt der nationalen Vertragsrechtsordnungen haben.67
IV. Systemwettbewerb vermittelt über faktische Rechtswahlfreiheit auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts in den USA 1. Ansatzweise Darstellung der Rechtsentwicklung Der Wettbewerb der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts ist aus Blickwinkel eines Juristen das prominenteste Referenzgebiet eines Systemwettbewerbs.68 Eine Diskussion über diesen Systemwettbewerb 64 Vgl. Bier, § 11 Die volkswirtschaftlichen Kosten der Justiz, in: Der Effizienz auf der Spur, Die Funktionsfähigkeit der Justiz im Lichte der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 124 – 136. Für Fälle, dass der Vertrag einen Wert von 250 000 US-$ zum Gegenstand hat, wurde das Erfordernis des sachlichen Zusammenhangs des Vertrages mit dem Bundesstaat New York im Jahr 1984 gestrichen (Ebenroth/Tzeschlok, Rechtswahlklauseln in internationalen Finanzierungsverträgen nach New Yorker Recht, IPRax 1988, S. 197, 199). 65 Zum Ziel des Rechtsexportes: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 21. Auch die deutsche Rechtswissenschaft bemüht sich augenscheinlich nicht, den Zugang zur deutschen Rechtswissenschaft für ausländische Juristen zu erleichtern (vgl. Jestaedt, Wissenschaft im Recht, JZ 2014, S. 1, 1 f.). 66 Vgl. aber: Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 985: „Tatsächlich haben zahlreiche Staaten ihre Vertragsrechte in den letzten Jahren zum Teil grundlegenden Reformen unterzogen. Dazu gehört insbesondere Deutschland. Hier hat die Schuldrechtsreform das Vertragsrecht auf vollkommen neue Grundlagen gestellt. Der Hauptgrund für die Reform lag dabei zwar nicht in dem Wunsch, im internationalen Wettbewerb der Rechtsordnungen zu bestehen. In der Sache ging es aber zumindest auch darum, das deutsche Schuldrecht ,fit für Europa‘ zu machen und an internationale Standards […] heranzuführen“. 67 Zu der Bewertung einer systemwettbewerblichen Formung von vertragsrechtlichen Regelungen vgl. Rühl, Wettbewerb der Rechtsordnungen im Vertragsrecht: Wunsch oder Wirklichkeit?, in: FS Kirchner, S. 975, 988 (Erwartung positiver Folgen verbunden mit der rechtspolitischen Forderung einer Stärkung von Systemwettbewerb auf dem Gebiet des Vertragsrechts) vgl. aber auch die Berücksichtigung eines möglichen „race to the bottom“: S. 990 ff. 68 Vgl. Lang/Mayer, Der Delaware-Effekt: Integration und Systemwettbewerb, in: FS Bender, S. 181, 181: „spektakuläres Beispiel“; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 73
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erfolgte bereits frühzeitig und dieser Wettbewerb kann als der älteste ausführlich beschriebene Systemwettbewerb betrachtet werden.69 Eine nähere Beschreibung dieses Systemwettbewerbs lieferte etwa Justice Brandeis im Jahr 193370 in der Entscheidung Louis K. Liggett Co. v. Lee, in der er auch den Begriff „race of laxity“ prägte71. Bereits die Schaffung einzelstaatlicher Gesellschaftsrechte, die eine Gesellschaftsgründung ermöglichten, ohne dass das Parlament (wie vorher unter dem „System der Special Incorporation“) eine Konzession erteilen musste72, war Ausdruck zumindest von Yardstick Competition. Nachdem North Carolina (1795), Massachusetts (1799) als erste Bundesstaaten ein Gesellschaftsrecht geschaffen hatten, folgten andere US-Bundesstaaten wie New York (1811) Conneticut (1837), New Jersey (1846) Michigan (1846), Pennsylvania (1849), Illinois (1849), diesem Vorbild und erließen entsprechende Gesetze.73 Hintergrund war ein wirtschaftlicher Bedarf an einer schnelleren und unkomplizierten Gründung von corporations.74 Zunächst waren die einzelstaatlichen Gesellschaftsrechte durch restriktive Regulierungen gekennzeichnet.75 Mit der Entscheidung Paul v. Virginia aus dem Jahr 186976, die die Geltung der Gründungstheorie im Verhältnis der US-amerikanischen Einzelstaaten mit der Folge einer faktischen Rechtswahlfreiheit mittels der Wahl des Gründungsortes festschreibt77, sind die Voraussetzungen eines Systemwettbewerbs der Einzelstaaten („Musterbeispiel“); Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 2. Vgl. schon: Louis K.Liggett Co. v. Lee, 288 U.S. 517, 557 ff.; Steffens, New Jersey: A Traitor State, McClure’s 25 (1905), S. 649 – 664; Dill, National Incorporation Laws for Trusts, Yale Law Journal 11 (1901/02), S. 273 – 295; Zillmer, State Laws: Survival of the Unfit, University of Pennsylvania Law Review 62 (1913 – 14), S. 509 – 524. 69 Vgl. Steffens, New Jersey: A Traitor State, McClure’s 25 (1905), S. 649 – 664; Dill, National Incorporation Laws for Trusts, Yale Law Journal 11 (1901/02), S. 273 – 295; Zillmer, State Laws: Survival of the Unfit, University of Pennsylvania Law Review 62 (1913 – 14), S. 509 – 524. 70 Louis K. Liggett Co. v. Lee, 288 U.S. 517, 557 ff. Zustimmend: Yablon, The Historical Race, Competition for Corporate Charters and the Rise and Decline of New Jersey: 1880 – 1910, Journal of Corporation Law 2007, S. 323, 372. 71 Liggett Co v. Lee 288 US 517 (558 f.) (1933): „Companies were early formed to provide charters for corporations in states where the cost was lowest and the laws least restrictive. The states joined in advertising their wares. The race was one not of diligence, but of laxity“. 72 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 64 f. Rn. 13 f. 73 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 65 Rn. 15; Carpenter Larcrom, The Delaware Corporation, S. 2. 74 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 65 f. Rn. 14 f. 75 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 66 f. Rn. 16 f. 76 Paul v. Virgina 75 US 168 (1869). 77 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 67 Rn. 18. Zur Gründungstheorie vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 106 ff.
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geschaffen worden.78 Der zu beobachtende Systemwettbewerb verlief äußerst dynamisch: Den Startschuss für diesen Wettbewerb unternahm New Jersey, das im Jahr 1896 ein liberales Gesellschaftsrecht schuf,79 um Einnahmen aus seiner franchise tax und incorporation fees zu gewinnen80. Hintergrund war, dass der Staat nach dem USamerikanischen Bürgerkrieg aufgrund von Bürgerkriegsanleihen hoch verschuldet war.81 Da die Bundesstaaten und der Bund Ende des 19. Jahrhunderts eine restriktive Anti-Trust-Gesetze geschaffen hatten,82 bot sich für New Jersey an, diesbezüglich liberalere Bestimmungen vorzusehen.83 Das Konzept der Regierung von New Jersey ging auf und New Jersey konnte eine Vielzahl an Gründern anziehen. New Jersey gelang es aufgrund des daraus resultierenden Einnahmezuwachses schon im Jahr 1902, seine anleihebasierten Staatsschulden zu tilgen84 und im Jahr 1905 wies der Staatshaushalt von New Jersey bereits einen Überschuss von fast 3 Mio. US-Dollar auf85. Angesichts dieses Erfolges leiteten auch andere US-amerikanische Bundesstaaten Schritte ein, ihr Gesellschaftsrecht wettbewerbsfähiger auszugestalten. Delaware imitierte mit seinem im Jahr 1899 geschaffenen Gesellschaftsrecht das Gesellschaftsrecht von New Jersey weitgehend.86 Nachdem New Jersey in den Jahren 1910 bis 1913 seine Anti-Trust Gesetzgebung erheblich verschärfte (Seven Sisters
78 Vgl. Merkt, Das Europäische Gesellschaft und die Idee des „Wettbewerbs der Gesetzgeber“, RabelsZ 59 (1995), S. 545, 549. 79 Cary, Federalism and Corporate Law: Reflections Upon Delaware, The Yale Law Journal 83(4) (1974), S. 662, 663; Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desireable Limits on State Competition in Corporate Law, Harvard Law Review 105(7) (1992), S. 1435, 1443. 80 Grandy, New Jersey Corporate Chartermongering, 1875 – 1929, Journal of Economic History 49(3) (1989), S. 677, 678 ff.; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 87. 81 Grandy, New Jersey Corporate Chartermongering, 1875 – 1929, Journal of Economic History 49(3) (1989), S. 677, 678. 82 Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, RabelsZ 42 (1978), S. 227, 235. 83 Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, RabelsZ 42 (1978), S. 227, 235; Grandy, New Jersey Corporate Chartermongering, 1875 – 1929, Journal of Economic History 49(3) (1989), S. 677, 681. 84 Grandy, New Jersey Corporate Chartermongering, 1875 – 1929, Journal of Economic History 49(3) (1989), S. 677, 683; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 87. 85 Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, RabelsZ 42 (1978), S. 227, 235 f. 86 Carpenter Larcom, The Delaware Corporation, S. 25; Grandy, New Jersey Corporate Chartermongering, 1875 – 1929, Journal of Economic History 49(3) (1989), S. 677, 685; Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, RabelsZ 42 (1978), S. 227.
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Acts),87 verlor New Jerseys Gesellschaftsrecht erheblich an Wettbewerbsfähigkeit88 und es setzte „eine Massenflucht nach Delaware ein“.89 Delaware konnte dadurch seine Einnahmen aus der franchise tax erheblich steigern.90 Im Jahr 1929 generierte Delaware über 40 Prozent der Steuereinnahmen über incorporation fees und franchise tax.91 Aufgrund dieser Entwicklung lockerte New Jersey schon im Jahr 1917 die wenige Jahre zuvor in Kraft gesetzte Anti-Trust-Gesetzgebung,92 jedoch konnte diese gesetzgeberische Maßnahme die Führungsrolle von Delaware nicht wieder infrage stellen. Im Jahr 1963 wurde bekannt, dass die Bundesstaaten New Jersey und Maryland einen gesetzgeberischen Vorstoß planten, um Delawares führende Wettbewerbsposition anzugreifen.93 Darauf reagierte Delaware mit einer Überarbeitung des Gesellschaftsrechts, die im Jahr 1967 in Kraft trat und die zu einem weiteren Anstieg der Inkorporationen in Delaware führte.94 Im Jahr 1986 schuf Delaware weitreichende Möglichkeiten zum Haftungsausschluss für die Mitglieder der Geschäftsführung.95 Darauf reagierten andere Staaten mit der Imitation dieser Regelung.96
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Carpenter Larcom, The Delaware Corporation, S. 155; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 87 f. 88 Grandy, New Jersey Corporate Chartermongering, 1875 – 1929, Journal of Economic History 49(3) (1989), S. 677, 697, 689; Cary, Federalism and Corporate Law: Reflections Upon Delaware, The Yale Law Journal 83(4) (1974), S. 662, 664 ff. 89 Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, RabelsZ 42 (1978), S. 227, 236. 90 National Industrial Conference Board, Inc, The Fiscal Problem in Delaware, S. 82. 91 Carpenter Larcom, The Delaware Corporation, S. 168. 92 Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, RabelsZ 42 (1978), S. 227, 236. 93 Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, RabelsZ 42 (1978), S. 227, 237; Merkt, Das Europäische Gesellschaft und die Idee des „Wettbewerbs der Gesetzgeber“, RabelsZ 59 (1995), S. 545, 552; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 88. 94 Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, RabelsZ 42 (1978), S. 227, 237; Merkt, Das Europäische Gesellschaft und die Idee des „Wettbewerbs der Gesetzgeber“, RabelsZ 59 (1995), S. 545, 552. Zu der Reform: Folk, The New Delaware Corporation Law; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 88. 95 Merkt, Das Europäische Gesellschaft und die Idee des „Wettbewerbs der Gesetzgeber“, RabelsZ 59 (1995), S. 545, 552; Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 72 Rn. 27. 96 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 72 Rn. 27.
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Delaware kann seine führende Rolle als „mother of corporations“ bis heute behaupten97 und kann nach wie vor einen erheblichen Teil seines Staatshaushaltes mit Einnahmen aus der Gründung von Gesellschaften bestreiten98. Es ist bemerkenswert, dass New Jersey seine Führungsrolle nur deswegen verlor, weil es seine restriktive Anti-Trust-Gesetzgebung in Kraft setzte und sich damit selbst „vom Thron stieß“. Ohne die „wettbewerbliche Selbstschädigung“ von New Jersey hätte Delaware kaum die Führungsrolle im Wettbewerb um die Gründung von Gesellschaften übernehmen können. Die erheblichen finanziellen Anreize (insbesondere auf Seiten der kleinen Bundesstaaten wie Delaware und New Jersey) sind in entscheidender Weise für die zu bobachtende Dynamik der Rechtsentwicklung verantwortlich.99 2. Bewertung des Delaware Effektes Die Bewertung des Delaware Effektes ist hoch umstritten.100 Während die überwiegende US-amerikanische Literatur in der Rechtsentwicklung den Ausdruck eines „race to the top“ sieht,101 bewerten andere den Systemwettbewerb als Inbegriff eines „race to the bottom“102. Im Rahmen der US-amerikanischen Diskussion ist zu berücksichtigen, dass die Interessen der Fremdkapitalgeber und der Arbeitnehmer von den Vertretern der These eines „race to the top“ weitgehend ausgeklammert werden.103 Als gemeinsame 97 Vgl. Bebchuk/Cohen, Firm’s Decisions where to incorporate, NBER Working Paper 9107, 2002, S. 27 ff., A-2; Lang/Mayer, Der Delaware-Effekt: Integration und Systemwettbewerb, in: FS Bender, S. 181, 181; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 86. 98 Die Einnahmen aus der franchise tax betragen nach Heine zwischen 1981 und 1985 15 bis 20 Prozent des Staatshaushaltes (Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 91, 93). 99 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 177 ff.; Macey/Miller, Toward an Interest-Group Theory of Delaware Corporate Law, Texas Law Review 65(3) (1987), S. 469 – 523; Merkt, Die Europäische Gesellschaft und die Idee des „Wettbewerbs der Gesetzgeber“, RabelsZ 59 (1995), S. 545, 553. 100 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 204 – 208; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 99 ff., 192 ff.; Deakin, Legal Diversity and Regulatory Competition: Which Model for Europe?, European Law Journal 12(4) (2006), S. 440 – 454, 446. 101 Vgl. Winter, State law shareholder protection and the theory of the corporation, Journal of Legal Studies 6 (1977), S. 251 – 292; Fischel, The „race to the bottom“ revisited: reflections on recent developments in Delaware’s corporation law, Northwestern University Law Review 1982, S. 913, 915 ff. 102 Vgl. Cary, Federalism and Corporate Law: Reflections Upon Delaware, Yale Law Journal 83 (1974), S. 663, 705; Steinberg, Corporate Internal Affairs, S. 169: „perverse competition“; Brandeis, in: Louis K. Ligett Co. v. Lee, 288 U.S. 517, 559 (1933). 103 M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 101, 216; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 99.
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Ausgangsbasis der Diskussion steht fest, dass die Rechtsentwicklung von einer erheblichen Deregulierung geprägt ist.104 Bemerkenswert ist, dass die ökonomische Diskussion diesen Systemwettbewerb lange Zeit nicht beachtet hat105 und erst ab der Centros-Entscheidung106 einen Blick auf die Diskussion jenseits des Atlantiks warf107. Eine Ausnahme bildet Heine, der von einer tendenziellen Verbesserung des Gesellschaftsrechts spricht108 und auf die höheren Unternehmenswerte von in Delaware inkorporierten Gesellschaften verweist109. Die geringe Beachtung des Wettbewerbs der US-amerikanischen Einzelstaaten in der deutschen ökonomischen Literatur110 erstaunt, da sich dieser Systemwettbewerb aufgrund des vorhandenen empirischen Datenmaterials111 dazu anbietet, die hochrangigen Erwartungen insbesondere der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie zu untermauern. a) Keine Deregulierungs- und Machtbegrenzungsfunktion Da der Wert der in Delaware inkorporierten Gesellschaften tendenziell höher ist,112 wird zum Teil angenommen, dass das Gesellschaftsrecht von Delaware besonders günstige Rahmenbedingungen für unternehmerische Aktivität bietet und eine Rückkopplung über die Kapitalmärkte erfolgt.113 Eine Rückkopplung setzt je-
104 Vgl. Winter, State law shareholder protection and the theory of the corporation, Journal of Legal Studies 6 (1977), S. 251, 254 f. 105 M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung undWettbewerbsverzerrung, S. 98: „Die Forschung arbeitet hier scheinbar zum Teil parallel nebeneinander, ohne sich auszutauschen“; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 4. 106 EuGH, Rs. C-212/97, Centros Ltd, Slg. 1999, I-1459 – I-1498. 107 Vgl. Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht. 108 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht. S. 96. 109 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 94 – 96. 110 M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 98. Kerber erwähnt den Wettbewerb der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts (Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 2000 S. S217, S227). Eine ausführliche Erörterung dieses Systemwettbewerbs unternimmt: Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, Zur Funktionsfähigkeit eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen im europäischen Gesellschaftsrecht. 111 Vgl. Romano, Law as a Product: Some Pieces of the Incorporation Puzzle, Journal of Law, Economics, and Organization, 1(2) (1985), S. 225 – 283; Romano, The Genius of American Corporate Law. 112 Daines, Does Delaware Law Improve Firm Value?, Journal of Financial Economics 62 (3) (2001), S. 525 – 558. 113 Winter, State law shareholder protection and the theory of the corporation, Journal of Legal Studies 6 (1977), S. 251, 256; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 96. (Weitere Nachweise bei: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 202, Fn. 557). Vgl. zu dieser These: Kieninger, Wettbewerb der
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doch eine hinreichende Transparenz von Regulierungsunterschieden auf den Kapitalmärkten voraus114 und hat zur Voraussetzung, dass das Gesellschaftsrecht auf Kapitalmärkten tatsächlich ein relevanter Parameter im Wettbewerb um Anleger darstellt. Die Wettbewerbsrelevanz des Gesellschaftsrechts auf den Kapitalmärkten ist jedoch keineswegs bewiesen. Vielmehr liegt nahe, dass die Bedeutung des Gesellschaftsrecht im Rahmen von Anlageentscheidungen deutlich hinter andere Gesichtspunkte wie die unternehmerische Leistung des jeweiligen Unternehmens zurücktritt. Für viele Anleger dürfte sich die Frage, welches Gesellschaftsrecht maßgeblich ist, nicht stellen, wenn ein Grundvertrauen in die Redlichkeit der Geschäftsführung eines Unternehmens besteht. Damit ein Anleger sich von vornherein am anwendbaren Gesellschaftsrecht orientiert, müsste sein Blick primär auf mögliche rechtliche Probleme gerichtet sein als auf die im Vordergrund stehenden Chancen und Risiken, die mit dem Unternehmensgegenstand verbunden sind115. Im Gegensatz zu Anlegern besitzt die Geschäftsführung ein erhebliches Interesse in Bezug auf die Frage des anwendbaren Gesellschaftsrechts, da das Gesellschaftsrecht die Grenzen ihrer Befugnisse normiert. Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit des einzelstaatlichen Gesellschaftsrechts ist deshalb vor allem dessen Attraktivität für die Geschäftsführung,116 da diese maßgeblichen Einfluss auf die Wahl des Inkorporationsortes oder auf einen Wechsel des Inkorporationsortes117 verfügt. Die Einzelstaaten haben deswegen einen Anreiz, ihr Recht insbesondere auf diese Zielgruppe abzustimmen. Verstärkt wird die Ausrichtung des Gesellschaftsrechts an den Interessen der Geschäftsführung durch das starke Interesse der im jeweiligen Einzelstaat beheimateten Rechtsanwaltschaft an einer attraktiven Ausgestaltung des einzelstaatlichen Gesellschaftsrechts und deren Beteiligung an der Rechtsentwicklung.118 Eine ausgewogene Berücksichtigung auch der Interessen der Anleger kann im Fall starker staatlicher Bemühungen, das einzelstaatliche Gesellschaftsrecht wettbewerbsfähig auszugestalten, nicht erwartet werden. Die Folgen der gesellschaftsrechtlichen Deregulierung treffen zudem vor allem Privatrechtssubjekte in anderen Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 100 f., 203 f.; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 94 – 96. 114 Winter, State law shareholder protection and the theory of the corporation, Journal of Legal Studies 6 (1977), S. 251, 256 ff. Zur Bedeutung von Informationspflichten in den USamerikanischen Gesellschaftsrechten vgl. Steinberg, Corporate Internal Affairs, S. 73 ff. 115 Vgl. in diesem Zusammenhang die bekannte negative Charakterisierung von Juristen durch Kirchmann, wonach sich Juristen vornehmlich an Problemen orientierten (Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, S. 20). 116 Zu deren Interessen: Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 179 ff. 117 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 113 ff. 118 Vgl. Macey/Miller, Toward an Interest-Group Theory of Delaware Corporate Law, Texas Law Review 65(3) (1987), S. 469, 552; Cary, Federalism and Corporate Law: Reflections Upon Delaware, The Yale Law Journal 83(4) (1974), S. 662, 690 – 705.
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Einzelstaaten,119 so dass auf Seiten der Gesetzgeber grundsätzlich zu geringe Anreize bestehen, Interessen von Anlegern oder Gläubigern zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund kommt es zu der Begünstigung der Geschäftsführung zu Lasten von Anteilsinhabern und Gläubigern,120 so dass von einer Interessengruppenpolitik unter den Bedingungen von Systemwettbewerb gesprochen werden kann121. Aufgrund der großen Bedeutung von Delaware als Inkorporationsort und der Angleichung der einzelstaatlichen Gesellschaftsrechte122 sind Anleger auf den Kapitalmärkten nur eingeschränkt in der Lage, für sie unattraktive Gesellschaftsrechte zu sanktionieren,123 was die Folgen einer regulatorische Begünstigung der Geschäftsführung verschärft. Von einer Deregulierungs- und Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb kann deshalb nicht gesprochen werden. Positiv zu bewerten ist jedoch, dass die systemwettbewerbliche Entwicklung in Delaware zu einem erheblichen Maß an Rechtssicherheit124 und zu einer Spezialisierung der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung in Delaware125 führt. b) Entdeckungs- und Innovationsfunktion Die Rechtsentwicklung ist von einem wettbewerblichen Vor- und Nachziehen insbesondere der Bundesstaaten Delaware und New Jersey gekennzeichnet, so dass
119
Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 192; Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10, S. 16 f. 120 Bebchuk/Cohen, Firm’s Decisions where to incorporate, NBER Working Paper 9107, S. 15 ff.; Barzuza, Price Considerations in the Market for Corporate Law, Harvard John M. Olin Center for Law, Economics, and Business Discussion Paper No. 486 08/2004, S. 6; Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 235. 121 Vgl. Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 234 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 90 202. Zum Einfluss von Interessengruppen auf die Rechtsentwicklung im Gesellschaftsrecht vgl. Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 168 ff.; Macey/Miller, Toward an Interest-Group Theory of Delaware Corporate Law, Texas Law Review 65(3) (1987), S. 420, 498 ff.; Coffee, Future of Corporate Federalism: State Competition and the New Trend Howard De Facto Federal Minimum Standards, Cardozo Law Review 8 (1986 – 1987), S. 759, 762 f. (zum Einfluss von Interessengruppen auf gesellschaftsrechtliche Harmonisierung in den USA: Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desireable Limits on State Competition in Corporate Law, Harvard Law Review 105(7) (1992), S. 1435, 1502 ff.). Vgl. auch: S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 183 – 186. 122 Deakin spricht von einem „race to convergence“ (Deakin, Legal Diversity and Regulatory Competition: Which Model for Europe?, European Law Journal 12(4), S. 440, 451). 123 Vgl. Bebchuk/Cohen, Firm’s Decisions where to incorporate, NBER Working Paper 9107, S. 29. 124 Vgl. Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 145 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 209. 125 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 156 ff.
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§ 16 Einführung von Rechtswahlfreiheit
ausgehend von der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie eine erhebliche Bedeutung der Entdeckungs- und Innovationsfunktion erwartet werden kann. Tatsächlich sind vereinzelt institutionelle Innovationen zu beobachten. Die Gerichte von Delaware entwickelten ein umfangreiches case law im Hinblick auf Möglichkeiten zur Verteidigung vor feindlichen Übernahmen126 und der Systemwettbewerb hat die Entwicklung einer spezialisierten Rechtsprechung127 und Rechtsanwaltschaft128 gefördert, die Erkenntnisse einer Vielzahl von Fällen verarbeiteten129. Dabei kommt es durchaus zu einer Generierung von Wissen. Insgesamt erscheint jedoch die Bedeutung des Systemwettbewerbs zur Generierung von institutionellen Entdeckungen ohne Bedeutung, da die getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen auch im Rahmen eines systemwettbewerblichen Modells weitgehend vorhergesagt werden können,130 denn die Zielrichtung aller gesetzgeberischen Maßnahmen ist klar auf Deregulierung gerichtet. Trotz der zu beobachtenden Dynamik des Systemwettbewerbs war und ist Delawares Führungsrolle stabil. Delaware hätte New Jerseys Attraktivität für Gesellschaften wahrscheinlich nicht einholen können, wenn New Jersey nicht die restriktiven Anti-Trust Gesetze erlassen hätte. Die Möglichkeiten von Bundesstaaten andere Bundesstaaten mit institutioneller Innovation zu übertrumpfen, besteht nur dann, wenn diese Maßnahmen nicht sofort durch den führenden Bundesstaat imitiert werden und damit den Wettbewerbsvorteil wieder zunichte machen. Die Möglichkeit der Imitation ist in Abwesenheit eines Immaterialgüterschutzes für einzelstaatliches Gesellschaftsrecht131 grundsätzlich gegeben132 (wobei die Idee als solches nach deutschem Urheberrecht auch gar nicht schutzfähig ist133). Staaten, die sich eine Vorrangrolle sichern wollen, dürfen sich deswegen nicht auf die Schaffung einfach zu imitierender rechtlicher Regelungen beschränken, sondern müssen sich darum bemühen, eine hochkomplexe institutionelle Infrastruktur zu schaffen, die nicht einfach 126
S. 17. 127
Bebchuk/Cohen, Firm’s Decisions where to incorporate, NBER Working Paper 9107,
Macey/Miller, Toward an Interest-Group Theory of Delaware Corporate Law, Texas Law Review 65(3) (1987), S. 420, 522. 128 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 162 – 164. 129 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 157 f. 130 Anders: Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 152 ff. 131 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 114 f.; Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 85, 99 ff. 132 Vgl. Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 114 f. 133 Loewenheim, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, § 2 Rn. 113. Vgl. auch: Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, § 2 Rn. 19, 39; BGH, Urteil vom 19. 10. 1994, Az. I ZR 156/92, GRUR 1995, 47, 48; OLG München, Beschluss vom 31. 07. 1990, Az. 6 W 1757/ 90, GRUR 1992, S. 327, 328: „Die Idee allein, in Anlehnung an Adventskalender einen entsprechenden Osterkalender zu gestalten, ist nicht schutzfähig“ (wettbewerbsrechtliche Beurteilung).
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von anderen Staaten kopiert werden kann. Hierbei können möglicherweise Konsistenzerfordernisse134 bewusst eingesetzt warden, um eine Kopie zu erschweren. Im Wettbewerb der US-amerikanischen Einzelstaaten spielt vor diesem Hintergrund die Entwicklung einer auf gesellschaftsrechtliche Fragen hoch spezialisierten Rechtsprechung und Rechtsanwaltschaft eine wichtige Rolle.135 Diese Spezialisierung kann nicht einfach kopiert werden, sondern ist nur im Wege einer längfrstigeren Entwicklung zu erreichen. c) Keine Dynamik materiellrechtlicher Harmonisierung Angesichts der zu beobachten Dynamik materiellrechtlicher Harmonisierung in der EU erstaunt,136 dass der Systemwettbewerb zwischen den US-amerikanischen Bundesstaaten inzwischen nicht einer erheblichen bzw. vollständigen materiellrechtlichen Harmonisierung des Gesellschaftsrechts auf Bundesebene gewichen ist und sich damit nicht systemwettbewerbskritische Strömungen manifestiert haben.137 Die fehlende Harmonisierungsdynamik ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Nutznießer des Wettbewerbs vor allen Delaware ist und andere Bundesstaaten keine realistische Möglichkeit besitzen, Delawares systemwettbewerbliche Marktstellung einzuholen bzw. in erheblicher Weise anzugreifen. Ein wichtiger Grund für die ausbleibende Dynamik an materiellrechtlicher Harmonisierung stellt die überwiegend positive Bewertung der Rechtsentwicklung in den USA dar.138 Maßnahmen materiellrechtlicher Harmonisierung waren in der Vergangenheit deshalb immer vor dem Hintergrund von Missständen bzw. Krisen zu sehen.139
134
Vgl. Teil 1 § 6 B. XI. Macey/Miller bezeichnen die entwickelte Rechtsprechung als „capital asset“ (Macey/ Miller, Toward an Interest-Group Theory of Delaware Corporate Law, Texas Law Review 65(3) (1987), S. 420, 473). 136 Forderungen vermehrter materiellrechtlicher Harmonisierung erheben: Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desireable Limits on State Competition in Corporate Law, Harvard Law Review 105(7) (1992), S. 1435 – 1510; Cary, Federalism and Corporate Law: Reflections Upon Delaware, The Yale Law Journal 83(4) (1974), S. 662, 696 ff. 137 Vgl. zu einer Erklärung: Roe, Delaware’s Politics, Harvard Jon M. Olin Center for Law, Economics, and Business, Discussion Paper No. 511, 04/2005. Zur bundesgesetzlichen Harmonisierung: Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 73 – 76 Rn. 29 f. F. Sandrock hält die Schaffung eines bundeseinheitlichen Gesellschaftsrechts für politisch nicht durchsetzbar (Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, RabelsZ 42 (1978), S. 227, 245). 138 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 223. 139 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 73 ff., Rn. 29 ff. Zum Sarbanes-Oxley Act als Reaktion auf den Enron-Skandal: Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 79 ff. Rn. 39 ff. 135
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V. Systemwettbewerb vermittelt über faktische Rechtswahlfreiheit auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts in der EU 1. Faktische Rechtswahlfreiheit auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts Bis zur Centros-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 1999 war ein Systemwettbewerb der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts aufgrund der in einigen Mitgliedstaaten140 geltenden Sitztheorie141 undenkbar.142 Bei Geltung der Sitztheorie war eine Verlegung des Verwaltungssitzes einer Gesellschaft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da eine Sitzverlegung zu einem Wechsel des Gesellschaftsstatuts143 führte.144 Infolgedessen wurde z. B. eine englische Ltd., die 140
Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 148 ff. Zu einem Systemwettbewerb in Bezug auf die Wahl des Ortes für feie Emission von Unternehmensanleihen: Eidenmüller/Engert/Hornuf, Europäischer Rechtswettbewerb bei der Wahl des Emissionsstandorts für Schuldtitel – Eine empirische Analyse, in: Ökonomische Analyse des Europarechts, S. 233 – 274. 141 Vgl. BGH, Urteil vom 30. 1. 1970, Az. V ZR 139/68, BGHZ 53, 181, 183; Ebenroth/ Auer, Die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit europäischem Recht, Zivil- und steuerliche Aspekte im deutschen Recht, GmbHR 1994, S. 16 Fn. 8 und 9 mwN; Ebenroth/Eyles, Die innereuropäische Verlegung des Gesellschaftssitzes als Ausfluß der Niederlassungsfreiheit?, DB 1989, 363, 365 f. Zwischen Deutschland und den USA gilt auf Grundlage des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (vgl. Gesetz zu dem Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 29. Oktober 1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, Gesetz vom 7. Mai 1956, BGBl. II 1956, 487) nach umstrittener Ansicht (vgl. Bungert, Deutsch-amerikanisches internationales Gesellschaftsrecht, ZVglRWiss 93 (1994), S. 117, 132 ff.) die Gründungstheorie (BGH, Urteil vom 5. 7. 2004, Az. II ZR 389/02, RIW 2004, S. 787 f.; Ebenroth/Bippus, Die staatsvertragliche Anerkennung ausländischer Gesellschaften in Abkehr von der Sitztheorie, DB 1988, S. 842, 843; Merkt, Internationaler Unternehmenskauf, Rn. 262, S. 82 Fn. 261 mwN; Neumann, Das genuine link-Kriterium, S. 32; Kindler, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntGesR, Rn. 337 mwN in Fn. 329). Zur Errichtung einer Delaware corporation vgl. Kindler, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntGesR, Rn. 328; Mellert/Verfürth, Wettbewerb der Gesellschaftsformen, S. 163 ff. 142 Vgl. EuGH, Urteil vom 27. 09. 1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, S. 5483, 5511 Rn. 19; Ebenroth/Auer, Die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit europäischem Recht, Zivil- und steuerliche Aspekte im deutschen Recht, GmbHR 1994, S. 16, 19 f.; Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 4a Rn. 29; Ebke, Das Internationale Gesellschaftsrecht und der Bundesgerichtshof, in: FS 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft S. 799, 816 f.; Ebenroth, in: Münchener Kommentar zum BGB, 1. Aufl., Nach Art. 10 Rn. 170. Merkt, Das Europäische Gesellschaftsrecht und die Idee des „Wettbewerbs der Gesetzgeber“, RabelsZ 59 (1995), S. 545, 567; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung undWettbewerbsverzerrung, S. 210 ff. Anders: Carney, The Political Economy of Competition for Corporate Charters, Journal of Legal Studies XXVI (January 1997), S. 303, 327 (HiO): „I do not mean to suggest that there is no competition or charters in Europe; merely that it appears to be less than is found in the United States“. 143 Zum Statutenwechsel im Internationalen Privatrecht: Kropholler, Internationales Privatrecht, § 27, S. 187 ff.
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ihren Sitz nach Deutschland verlegte, nicht als GmbH, sondern als GbR behandelt.145 Damit fiel die für die Ltd. charakteristische Haftungsbeschränkung fort. Angesichts der Entscheidung Daily Mail146 war es aus damaliger Perspektive unwahrscheinlich, dass die Sitztheorie in Zukunft erfolgreich angegriffen werden könnte.147 Es ging in dieser Entscheidung um eine steuerrechtlich motivierte148 Sitzverlegung der Daily Mail and General Trust PLC von Großbritannien in die Niederlande. Das britische Finanzministerium, das einer solchen Sitzverlegung nach britischem Recht zustimmen musste149, verweigerte seine Zustimmung150. Fraglich war im Rahmen des Verfahrens vor dem EuGH, ob in dieser Zustimmungsverweigerung eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften (Art. 49 AEUV) gesehen werden kann. Der EuGH verneinte eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit und stellte fest, dass Gesellschaften jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, nach der sie gegründet sind, keinen Bestand haben.151 Der Gerichtshof verwies auf die Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und leitet daraus ab, dass die sich aus den Unterschieden in den Gesellschaftsrechten der Mitgliedstaaten ergebenden Probleme, nicht über die Niederlassungsfreiheit, sondern im Wege der materiellrechtlichen Harmonisierung zu lösen sind.152 Die Centros-Entscheidung brachte die „kopernikanische Wende“153 und öffnete für Gründer den Weg zu einer faktischen Rechtswahlfreiheit auf dem Gebiet des 144 Vgl. Ebenroth/Auer, Die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit europäischem Recht, Zivilund steuerliche Aspekte im deutschen Recht GmbHR 1994, S. 16, 17; Ebenroth, in: Münchener Kommentar zum BGB, 1. Aufl., Nach Art. 10 Rn. 173. Vgl. auch: Süss, Sitzverlegung juristischer Personen vom Inland ins Ausland und umgekehrt, in: FS Lewald, S. 603 – 613; Kötz, Anmerkung zu OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 3. 6. 1964, GmbH-Rundschau 1965, S. 69 f.; Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, S. 28 ff. 145 Hueck/Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 1 Begriff und Bedeutung des Gesellschaftsrechts, Rn. 20, S. 11; Seelinger, Gesellschaftskollisionsrecht und Transatlantischer Binnenmarkt, S. 35; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Gesellschaftsrecht, S. 149. 146 EuGH, Urteil vom 27. 09. 1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, S. 5505 – 5514. 147 Vgl. BayOLG, Beschluss vom 26. 08. 1998, Az. 3Z BR 78/98, DB 1998, 2318, 2319: „Die Sitztheorie ist nicht durch Art. 52 und 58 EGV verdrängt oder ausgeschaltet. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Vorlage an den EuGH nicht veranlaßt, da diese Frage durch den EuGH in seinem Urteil vom 27. 9. 1988 bereits entschieden wurde […]“; Merkt, Das Europäische Gesellschaft und die Idee des „Wettbewerbs der Gesetzgeber“, RabelsZ 59 (1995), S. 545, 567; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 126. 148 EuGH, Urteil vom 27. 09. 1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, S. 5483, 5507 f. Rn. 7. 149 EuGH, Urteil vom 27. 09. 1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, S. 5483, 5507 Rn. 5. 150 EuGH, Urteil vom 27. 09. 1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, S. 5483, 5507 Rn. 8. 151 EuGH, Urteil vom 27. 09. 1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, S. 5483, 5511 Rn. 19. 152 EuGH, Urteil vom 27. 09. 1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, S. 5483, 5512 Rn. 23. 153 Vgl. Neuhaus, Savigny und die Rechtsfindung aus der Natur der Sache, RabelsZ 15 (1949/50), S. 364 ff., 366. Zu von Savignys Lehre vom Sitz des Rechtsverhältnisses: von Sa-
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Gesellschaftsrechts,154 womit sich der EuGH erneut als „Motor der Integration“155 erwies. Es ging um die Frage, ob eine dänische Behörde verpflichtet ist, die Centros Ltd. (eine nach englischem Recht gegründete Gesellschaft) ins dänische Handelsregister einzutragen.156 Die Gründer der Gesellschaft bestritten nicht, die Gesellschaft in Großbritannien ausschließlich zu dem Zweck gegründet zu haben, nicht den dänischen Regeln zum Mindestkapital zu unterliegen.157 Nach Bewertung des EuGH ist es Ziel der Niederlassungsfreiheit, „es den nach dem Recht eines Mitgliedstaates errichteten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, zu erlauben, mittels einer Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten tätig zu werden“.158
Eine Nichteintragung kann nach Auffassung des EuGH nicht gerechtfertigt werden,159 da die Gesellschaft als Gesellschaft englischen Rechts im Geschäftsverkehr auftritt und den Gläubigern deswegen bekannt ist, dass sie nicht den Anforderungen des dänischen Gesellschaftsrechts unterliegt.160 Eine Umgehung scheidet nach Auffassung des EuGH aus, denn „es [kann] für sich allein keine mißbräuchliche Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit darstellen, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften
vigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 8, S. 120. Vgl. auch: Dauses, Die Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz und zur Werbefreiheit im Binnenmarkt, EuZW 1995, S. 425, 425; W.-H. Roth, „Das Wandern ist des Müllers Lust …“: Zur Auswanderungsfreiheit für Gesellschaften in Europa, in: FS Heldrich, S. 973, 973: „einer ganzen Folge von Erdstößen“, „radikale[n] Wandel“; Ebke, Märkte machen Recht – auch im Gesellschaftsund Unternehmemnsrecht!, in: FS Lutter, S. 17, 25: „Wir stehen vor dramatischen Veränderungen unseres Gesellschafts- und Unternehmensrechts. […] Äußerlich geben sich viele Juristen noch gelassen […]“. 154 Vgl. G. Roth, Gesellschaftsrecht: Briefkastengründungen und Golden Shares, in: Der EuGH und die Souveränität der Mitgliedstaaten, S. 427, 452; Kindler, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntGesR Rn. 130. Kerber bezeichnet die Rechtslage deswegen als Binnenmarkt für gesellschaftsrechtliche Lösungen in der EU (Kerber, Kommentar zu Eva-Maria Kieninger – Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 13, S. 3). 155 Mestmäcker, Recht in der offenen Gesellschaft, S. 24. 156 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1487 Rn. 2. 157 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1491 Rn. 18. 158 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1493 Rn. 26. 159 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1494 ff. Rn. 32 ff. 160 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1495 Rn. 36.
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ihm die größte Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet“.161
Nach dem Centros-Urteil herrschte angesichts der Feststellungen in der Entscheidung Daily Mail162 große Unklarheit darüber, welche verallgemeinerungsfähigen Schlussfolgerungen aus der Entscheidung gezogen werden können.163 Etwa dreieinhalb Jahre nach der Centros-Entscheidung stellte der EuGH in der Entscheidung Ueberseering fest, dass einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft aufgrund der Niederlassungsfreiheit nicht die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit abgesprochen werden kann.164 Mit dem Urteil in der Rechtssache Inspire Art bewertete der EuGH ein niederländisches Gesetz, wonach im Ausland gegründete Gesellschaften die Bezeichnung „formal ausländische Gesellschaft“ tragen müssen, als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit.165 Hinsichtlich einer gesellschaftlichen Gestaltung zum Zweck von Steuereinsparungen vertrat der EuGH jedoch (ähnlich wie in der Entscheidung Daily Mail) eine sehr restriktive Auffassung. Der Cadbury-Schweppes Konzern gründete Tochtergesellschaften in einer irischen Steuerschutzzone.166 Die britische Finanzbehörde verlangte daraufhin auf Grundlage der Rechtsvorschriften über beherrschte ausländische Gesellschaften einen 7-stelligen Betrag an Körperschaftsteuer.167 Nach Bewertung des EuGH kann eine nationale Maßnahme, die die Niederlassungsfreiheit beschränkt, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein,
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EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1493 Rn. 27. Ablehnend: Steindorff, Centros und das Recht auf die günstigste Rechtsordnung, JZ 1999, S. 1140, 1142 f. 162 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87, Daily Mail, Slg. 1988, S. 5483, 5512 Rn. 23. 163 Vgl. Ebke, Märkte machen Recht – auch im Gesellschafts- und Unternehmensrecht! in: FS Lutter, S. 17, 25 ff., „Im Bereich der gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften […] fehlt es bislang an einer reichhaltigen systembildenden Rechtsprechung des EuGH, die ordnende und rationalisierende Wirkungen entfalten und notwendige Präzisierungen und Differenzierungen erleichtern könnte. Dieser Befund erschwert Voraussagen über zukünftige Rechtsentwicklungen“ (S. 26); G. Roth, Gründungstheorie: Ist der Damm gebrochen?, Eine Besprechung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 9. März 1999, ZIP 1999, S. 438 – Centros, S. 861 – 867. 164 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00, Ueberseering, Slg. 2002, I-9919, I-9974 Rn. 93. 165 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. C-167/01, InspireArt, Slg. 2003, I-10195, I-10224 Rn. 98. 166 Vgl. EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006, Rs. C-196/04, Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, I-8037 f. Rn. 13 ff. 167 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006, Rs. C-196/04, Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, I-8039 Rn. 20.
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„wenn sie sich speziell auf rein künstliche Gestaltungen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates zu entgehen“.168
Hinsichtlich des Wegzugs von Gesellschaften vertrat der EuGH in der Entscheidung Cartesio169 eine restriktive Auffassung und stellte fest, dass ein Mitgliedstaat die Anknüpfung bestimmen kann, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um nach dem entsprechenden nationalen Recht als gegründet angesehen zu werden170 und die für den Erhalt dieser Eigenschaft notwendig ist171. Im Falle einer Verallgemeinerungsfähigkeit wäre damit im Falle eines Wegzugs von Gesellschaften ein deutlich strengerer Maßstab anzulegen als in Zuzugsfällen. Diese Differenzierung ist möglicherweise Ausdruck der einem Wettbewerb der Mitgliedstaaten zugrundeliegenden Interessenlage, denn „Wettbewerbern muss naturgemäß nicht vorgeschrieben werden, sich mit Blick auf die für sie essentiellen Güter, um die ein Konkurrenzkampf besteht, sachgerecht zu verhalten“.172 Aus systemwettbewerblicher Perspektive liegt gerade ein staatliches Interesse nahe, die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Gesellschaftsformen zu stärken,173 so dass Staaten aus dieser Perspektive schon aus eigener Motivation Wegzugsbeschränkungen abbauen. Fest steht, dass jedenfalls in Zuzugsfällen über die Wahl des Gründungsortes eine faktische Rechtswahlfreiheit zwischen den mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechten herrscht,174 da es Gründern möglich ist, über den Gründungsort das anwendbare 168
EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006, Rs. C-196/04, Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, I-8047 f. Rn. 51. 169 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Cartesio, Rs. C-210/06, Slg. 2008, I-09641. Vgl. Bollacher, Keine Verletzung der Niederlassungsfreiheit durch nationale Beschränkung des Wegzugs von Gesellschaften, Besprechung zu EuGH, RIW 2009, 70, RIW 2009. S. 150 – 154; Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, S. 108 ff. 170 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Cartesio, Rs. C-210/06, NJW 2009, S. 569, 571 Tz 110. 171 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Cartesio, Rs. C-210/06, NJW 2009, S. 569, 571 Tz 110. 172 Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 270 f. 173 Bollacher sieht vor diesem Hintergrund in dem Urteil eine Förderung des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechtsformen in Europa, da es den Mitgliedstaaten erlaube, zwischen Gründungs- und Sitztheorie zu wählen und auf Basis der Gründungstheorie ein attraktives Gesellschaftsrecht anzubieten (Bollacher, Keine Verletzung der Niederlassungsfreiheit durch nationale Beschränkung des Wegzugs von Gesellschaften, Besprechung zu EuGH, RIW 2009, 70, RIW 2009. S. 150, 153). 174 Vgl. G. Roth, Gesellschaftsrecht: Briefkastengründungen und Golden Shares, in: Der EuGH und die Souveränität der Mitgliedstaaten 2008, S. 427, 452. Kerber sieht deswegen einen Binnenmarkt für gesellschaftsrechtliche Lösungen in der EU als gegeben an (Kerber, Kommentar zu Eva-Maria Kieninger – Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 13, S. 3). Haucap/ Kühling erörtern, inwieweit es Unternehmen im Rahmen von Standortverlagerungen in weitem Umfang möglich ist bzw. möglich sein soll, das heimische Recht „mitzunehmen“, um die Voraussetzungen eines verstärkten Systemwettbewerbs zu schaffen. Im Ergebnis verwerfen sie diesen Gedanken (Haucap/Kühling, Systemwettbewerb durch das Herkunftslandprinzip: Ein Beitrag zur Stärkung der Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit in der EU? – Eine ökono-
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Gesellschaftsrecht zu wählen175. Die Schranken der Niederlassungsfreiheit (vgl. Art. 52 Abs. 1 AEUV)176 bedeuten vor dem Hintergrund des vom EuGH zugrundegelegten Informationsmodells177 in den Zuzugsfällen grundsätzlich kein Hemmnis für die faktische Rechtswahlfreiheit. Die Umgehungsrechtsprechung setzt der Wahl der Gesellschaftsrechtsform keine Grenzen.178 Einschränkungen gesellschaftsrechtlicher Gestaltungen ergeben sich im Fall von Regulierungsarbitragen mit einem steuerrechtlichen Hintergrund.179 2. Systemwettbewerb vermittelt über die faktische Rechtswahlfreiheit zwischen Gesellschaftsrechtsformen Generalanwalt La Pergola erklärte in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Centros einen Systemwettbewerb der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts zur Integrationsstrategie bis eine materiellrechtliche Harmonisierung auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts verwirklicht ist.180 Infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften stellt sich deshalb die Frage, inwieweit die faktische Rechtswahlfreiheit tatsächlich einen mische und rechtliche Analyse, DICE Ordnungspolitische Perspektiven Nr. 50, September 2013). 175 Vgl. Steindorff, Centros und das Recht auf die günstigste Rechtsordnung, JZ 1999, S. 1140, 1142 f. 176 Vgl. Cohnen, Kein GmbH-rechtliches „race to the bottom“ auf dem Jakobsweg: Bemerkungen zur Sociedad Limitada Nueva Empresa, ZVglRWiss 104 (2005), S. 479, 480. 177 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1495 Rn. 36; EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Überseering BV, Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9943. 178 Vgl. EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1493 Rn. 27. 179 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006, Rs. C-196/04, Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, I-8047 f. Rn. 51; Bollacher, Keine Verletzung der Niederlassungsfreiheit durch nationale Beschränkung des Wegzugs von Gesellschaften, Besprechung zu EuGH, RIW 2009, 70, RIW 2009, S. 150, 151; Kindler, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntGesR Rn. 130: „Auch das Urteil ,Cartesio‘ vom 16. 12. 2008 […] dämpft die Hoffnungen auf einen Ausbau der Niederlassungsfreiheit zu einer voraussetzungslosen Rechtswahlfreiheit“. 180 Generalanwalt La Pergola, EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, I-1479, Tz. 20 (auch Kieninger gibt das Zitat von La Pergola wieder: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 105). Vgl. auch: BGH, Beschluss vom 30. 3. 2000, Az. VII ZR 370/98, DNotZ 2000, S. 782, 785; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Otto Fricke, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, – Drucksache 16/134 –, BTDrs. 16/283 v. 16. 12. 2005, S. 1: „Die neuere Rechtsprechung des EuGH zum Gesellschaftsrecht stellt für das deutsche Gesellschaftsrecht und insbesondere für das mehr als einhundert Jahre alte deutsche GmbH-Recht eine historische Herausforderung dar. Die GmbH konkurriert nicht mehr nur mit anderen nationalen Rechtsformen, sondern zunehmend auch mit ausländischen Gesellschaftsrechtsformen. Dieser Wettbewerb der Rechtsformen wird durch das ,Inspire Art‘-Urteil des EuGH vom 30. September 2003 (Rs. C-167/01) noch verstärkt“; Charny, Competition among Jurisdictions in Formulating Corporate Law Rules: An American Perspective on the „Race to the Bottom“ in European Communities, Harvard International Law Journal 32 (1991), S. 423, 425.
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Systemwettbewerb der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts ausgelöst hat und welche Folgen eingetreten sind. a) Regulierungsunterschiede als Wettbewerbsparameter Regulierungsunterschiede in den mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechten sind geeignet, die Attraktivität von Gesellschaftsrechten für Gründer zu beeinflussen. Praktisch relevant dürften in erster Linie die Anforderungen an das Mindestkapital einer haftungsbeschränkten Gesellschaftsrechtsform sein.181 Während für die Gründung einer deutschen GmbH nach § 5 Abs. 1 GmbHG a. F. bis 2008 ein Mindestkapital von 25.000 EUR erforderlich war, kann eine englische Ltd. hingegen ohne Mindestkapital182 errichtet werden.183 Mittels der Wahl einer Gesellschaftsrechtsform aus einem anderen Mitgliedstaat kann zudem die Anwendung der deutschen Regeln zur Unternehmensmitbestimmung, die auf größere Unternehmen Anwendung findet (vgl. § 1 MitbestG), ausgeschlossen werden.184 So entgeht die Fluggesellschaft Air Berlin der Mitbestimmung dadurch, dass sie die Rechtsform einer PLC & Co. KG angenommen hat.185 Insgesamt spielt die „Flucht aus der Mitbestimmung“186 jedoch nur eine geringe Rolle.187
181
Becht/Mayer/Wagner, Where do firms incorporate, CEPR Discussion Paper No. 5875, S. 20; Melchert, Die Auswirkungen des MoMiG auf die Attraktivität der deutschen GmbH, S. 51. 182 Das niedrigste mögliche Stammkapital beträgt bei einem ausgegeben Anteil einen Penny (Ebert/Levedag, England in: Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, England, Rn. 174). 183 Ebert/Levedag, England in: Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, England, Rn. 177. 184 Vgl. Hans Böckler Stiftung, Unternehmensmitbestimmung, Ltd. & Co. KG fehlt die Mitbestimmung, Böckler Impuls 5/2010, 17. März, www.boeckler.de/pdf/impuls_2010_05_67.pdf.; G. Roth, Qualität und Preis am Markt für Gesellschaftsformen, ZGR 2005, S. 348, 364; Mellert/Verfürth, Wettbewerb der Gesellschaftsformen, S. S. 243; G. Roth, Qualität und Preis am Markt für Gesellschaftsformen, ZGR 2005, S. 348, 348, 360 ff.; Raiser, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen, in: Verhandlungen des 66. DJT 2006, Bd. 1 Gutachten, B 8 – B 116, zu Mitbestimmung im europäischen Ausland vgl. S. B41 ff.; Hirte, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 1 Rn. 50 ff.; Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission mit Stellungnahmen der Vertreter der Unternehmen und der Vertreter der Arbeitnehmer, Dezember 2006, S. 34; Koberski, in: Mitbestimmungsrecht, §1 Rn. 17; S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 187. Anders: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 138, 141, 220. 185 Hans Böckler Stiftung, Unternehmensmitbestimmung, Ltd. & Co. KG fehlt die Mitbestimmung, www.boeckler.de/pdf/impuls_2010_05_6-7.pdf.; S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 191, Fn. 143. Vgl. zur Verwendung rechtsordnungsübergreifender Typenmischungen: Klöhn/Schaper, Grenzüberschreitende Kombination von Gesellschaftsformen und Niederlassungsfreiheit, ZIP 2013, S. 49 – 56. 186 S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 191. 187 S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 191 f.
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Für Gründer ist es aufgrund verschiedener auf Gesellschaftsrechtsformen spezialisierter Dienstleister einfach, einen Überblick über Regulierungsunterschiede und allgemein einen Überblick über die Vor- und Nachteile von verschiedenen Gesellschaftsrechtsformen zu erhalten.188 Die Kosten der Gründung einer ausländischen Gesellschaft sind gering.189 Zudem bieten die auf Gesellschaftsrechtsformen spezialisierten Dienstleister Paketlösungen zur Verwaltung von Gesellschaften an, womit erhebliche Vereinfachungen im Zeitraum nach der Gründung verbunden sind und im Zeitpunkt der Gründungsentscheidung eine hohe Transparenz hinsichtlich der anfallenden Verwaltungskosten besteht. Andererseits kann die Wahl der Gesellschaftsrechtsform negativer Parameter im Wettbewerb auf Waren- und Dienstleistungsmärkten sein. Englische private limited companies haben im Rechtsverkehr einen schlechteren Ruf als eine GmbH,190 da nicht hinreichend deutlich ist, dass es sich um eine langfristig, überlegte und über angemessene finanzielle Mittel verfügende Gründung handelt191. Infolge der faktischen Rechtswahlfreiheit spielten Regulierungsarbitragen von Gründern in der Vergangenheit eine erhebliche Rolle.192 Während in Großbritannien im Jahr 1997 (vor der Centros-Entscheidung) 258 private limited companies zum Zwecke des wirtschaftlichen Einsatzes in Deutschland gegründet wurden, waren dies im Jahr 2002 950, im Jahr 2004 9.618 und im Jahr 2005 über 12.000 Unternehmen.193 Nach Eidenmüller wurden im ersten 3/4 des Jahres 2006 ein Anteil von 15 Prozent aller in Deutschland tätigen geschlossenen Kapitalgesellschaften in Form einer englischen private limited company gegründet.194 Hinsichtlich der Unternehmen, die einer Mitbestimmung unterliegen, ist die Bedeutung von gesellschaftsrechtlichen Regulierungsarbitragen jedoch gering195.
188
Mellert/Verfürth, Wettbewerb der Gesellschaftsformen, S. 245. Vgl. die Aufstellung in: Ebert/Levedag, England, in: Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, England Rn. 122, S. 609. 190 Seifert, Kann die Unternehmergesellschaft den Gründungsboom englischer Limiteds in Deutschland stoppen?, S. 76. 191 Vgl. Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, Amtliche Ausgabe 1891, S. 50. Die Wahl einer Gesellschaftsrechtsform kann insofern Instrument eines Signalling sein. Zum Signalling vgl. Fritsch/ Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 202 – 305. Auch die Unbekanntheit einer Gesellschaftsrechtsform kann einen negativen Wettbewerbsparameter darstellen (J. Prütting, Markt- und Chancengerechtigkeit – Plädoyer für ein autonom europäisches Gesellschaftsrecht, JZ 2014, S. 381, 384). 192 Becht/Mayer/Wagner, Where do Firms Incorporate, CEPR Discussion Paper No. 5875, S. 3. 193 Becht/Mayer/Wagner, Where do Firms Incorporate, CEPR Discussion Paper No. 5875, S. 15. 194 Eidenmüller, Die GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, ZGR 2007, S. 168, 170 f. 195 Sick, Mitbestimmungsrelevante Unternehmen mit ausländischen/kombiniert ausländischen Rechtsformen, Hans Böckler Stiftung, Januar 2010. 189
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b) Staatliche Responsivität aa) Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) Mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. 10. 2008196 – neuneinhalb Jahre nach der CentrosEntscheidung197 – zielt der Gesetzgeber auf eine allgemeine Anpassung des GmbHRechts und möchte die Wettbewerbsfähigkeit deutschen Gesellschaftsrechts im Wettbewerb zu ausländischen Gesellschaftsrechtsformen stärken.198 Es ging dem Gesetzgeber dabei um die Einschränkung der wirtschaftlichen Nutzung britischer Limiteds in Deutschland. Es war hingegen nicht Ziel des Gesetzgebers, ausländische Unternehmen für die Wahl deutschen Gesellschaftsrechts zu gewinnen199. Bemerkenswert ist, dass dem Gesetzgeber eine Klarheit über die genaue Bedeutung von Regulierungsarbitragen fehlte.200 Allein, dass eine ins Gewicht fallende Abwanderung von deutschen Gründern erfolgte, reichte aus, um einen Handlungsdruck zu erzeugen, der zu einer gesetzgeberischen Reaktion führte. Der Gesetzgeber ermöglicht mit Schaffung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) auch in Deutschland die Gründung einer haftungsbeschränkten Gesellschaft mit einen Mindestkapital von einem Euro (§ 5a GmbHG).201 Der Schutz 196 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. 10. 2008, BGBl. I 2008, 2026. Vgl. Melchert, Die Auswirkungen des MoMiG auf die Attraktivität der deutschen GmbH, S. 52 ff. 197 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Centros, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1484. Vgl. Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 14, S. 14. 198 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MioMiG), BT-Drs. 16/6140, 25. 07. 2007, S. 25. Nach Paura war vor allem das Ziel der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der GmbH Ziel des Gesetzgebers (Paura, in: GmbHG Großkommentar, Ergänzungsband MoMiG, § 5a Rn. 3). Bemerkenswert ist, dass auch die Schaffung der GmbH als Rechtsform im Jahr 1892 vor dem Hintergrund von Yardstick Competition zu sehen ist (vgl. Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, Amtliche Ausgabe 1891, S. 123). 199 Kieninger. Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics 14 2007, S. 14. 200 Vgl. Anfrage FDP-Fraktion, BT-Drs. 16/134, 1. 12. 2005 und Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Otto Fricke, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 16/134 –, BT-Drs. 16/283 v. 16. 12. 2005, S. 2: „Die Feststellung der genauen Zahl von Limiteds, die in Großbritannien von Deutschen für eine Tätigkeit in Deutschland gegründet worden sind, stößt auf erhebliche Schwierigkeiten“; Niemeier, GmbH und Limited im Markt der Unternehmensträger, ZIP 2006, S. 2237, 2238 f. 201 Kieninger rechnete 2002 noch nicht mit einer „allgemeinen Deregulierung“ der Kapitalanforderungen (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 216). Kritisch: Pentz, Die verdeckte Sacheinlage im GmbH-Recht nach dem MoMiG, in: FS K. Schmidt, S. 1265, 1267; Ries, MoMiG und die Folgen: Praktische Probleme bei der GmbH, AnwBl. 1/2011, S. 13, 14.
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des Rechtsverkehrs soll dabei über ein Informationsmodell erreicht werden.202 Die Gesellschaft ist insofern verpflichtet, im Rechtsverkehr als Unternehmensgesellschaft (haftungsbeschränkt) bzw. UG (haftungsbeschränkt) aufzutreten (vgl. § 5a Abs. 1 GmbHG203).204 Es zeigt sich, dass die Nutzung der englischen Ltd. nach Inkrafttreten des MoMiG erheblich abgenommen hat205 und auf der anderen Seite viele Gesellschaften in der Rechtsform einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) gegründet wurden206. Im Gesetzesentwurf zum MoMiG wurde (entsprechend eines Vorstoßes aus der vorangegangen Wahlperiode207) vorgeschlagen, das Mindestkapital für die Gründung einer GmbH allgemein auf 10.000 EUR abzusenken.208 Dieser Vorschlag scheiterte, da die Sorge geäußert wurde, dass das Ansehen der GmbH als Rechtsform
202 Zu den USA: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 212 f. 203 Vgl. auch: § 19 Abs. 2 HGB. 204 Paura, in: GmbHG Großkommentar, Ergänzungsband MoMiG, § 5a Rn. 4. Kritisch: Ries, MoMiG und die Folgen: Praktische Probleme bei der GmbH, Eine erste Bilanz: Erfahrungen mit der GmbH-Reform nach zwei Jahren, AnwBl. 1/2011, S. 13, 14. Der Bundesrat regte im Gesetzgebungsverfahren an zu prüfen, ob der Rechtsformzusatz „Gesellschaft mit beschränkter Haftung (ohne Mindeststammkapital)“ oder „GmbH (o.M.)“ gewählt werden soll: Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BR-Drs. 354/07 (Beschluß), 06. 07. 2007, S. 4. 205 Kornblum, Bundesweite Rechtstatsachen zum Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Stand 1. 1. 2012), GmbH 2012, S. 728, 734 f.; S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 177 f., 181. 206 S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 179, 181. 207 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH (MindestkapG), BR-Drs. 619/05, 12.08.05, S. 3: „In einem ersten Schritt geht es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf darum, die Vorschriften über die Aufbringung des Mindeststammkapitals an die tatsächlichen Anforderungen der Praxis anzupassen. Dies geschieht auch mit Blick auf die EuGH-Rechtsprechung und den zunehmenden Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsformen in Europa. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung soll auch im europäischen Vergleich erhalten und gestärkt werden“. Der Vorstoß wurde vom Bundesrat abgelehnt: Bundesrat, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH (MindestkapG), BR-Drs. 619/05 (Beschluss), 23.09.05; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drs. 16/6140, 25. 07. 2007, S. 25. 208 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drs. 16/6140, 25. 07. 2007, S. 5; Karsten, Gläubigerschutz im Gesellschaftsrecht, Neue Justiz 9/06, S. 385, 386 f.; Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/6140, 25. 7. 2007, S. 25; G. H. Roth, in: Roth/ Altmeppen, GmbHG, § 5a Rn. 3; Niemeier, Die „mini-GmbH“ (UG) trotz Marktwende bei der Limite?, ZIP 2007, S. 1794, 1794.
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im Geschäftsverkehr leiden könne, wenn viele nicht überlebensfähige GmbH gegründet würden.209 Das MoMiG ermöglicht mit Neufassung von § 4a GmbHG den „Export“ der deutschen GmbH ins Ausland,210 was mit dem Ziel der Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen begründet wird211. Das GmbHG hält mit § 2 GmbHG an dem Erfordernis der notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages fest, jedoch kann infolge des MoMiG auf ein Musterprotokoll zurückgegriffen werden, sofern höchstens drei Gesellschafter mit je einem Anteil vorhanden sind (vgl. § 2 Abs. 1a GmbHG),212 was zu einer insgesamt kostengünstigeren Gründung führt213. Über die dargestellten gesetzgeberischen Maßnahmen, die Ausdruck von Systemwettbewerb sind, führte das MoMiG zu einer weiteren Deregulierung. Zu nennen sind eine Entschärfung des Rechts zu verdeckten Sacheinlagen214, die Aufgabe der Regelungen zum Eigenkapitalersatzrecht215 und Erleichterungen von Cash Pooling216.
209 Gesetzesbegründung der Bundesregierung, BT-Drs. 16/6140, 25. 7. 2007, S. 31; Seibert, Der Regierungsentwurf des MoMiG und die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft, GmbHR 2007, S. 673, 677. 210 Vgl. Ries, MoMiG und die Folgen: Praktische Probleme bei der GmbH, Eine erste Bilanz: Erfahrungen mit der GmbH-Reform nach zwei Jahren, AnwBl. 1/2011, S. 13, 19; Eidenmüller, Die GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, ZGR 2007, S. 168, 204 f. 211 Gesetzesbegründung der Bundesregierung, BT-Drs. 16/6140, 25. 7. 2007, S. 29. 212 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drs. 16/6140, 25. 07. 2007, S. 5; G. H. Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 2 Rn. 2; Ries, MoMiG und die Folgen: Praktische Probleme bei der GmbH, Eine erste Bilanz: Erfahrungen mit der GmbH-Reform nach zwei Jahren, AnwBl 1/2011, S. 13, 13. 213 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH (MindestkapG), BR-Drs. 619/05, 12.08.05, S. 27. 214 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH (MindestkapG), BR-Drs. 619/05, 12.08.05, S. 40; Verse, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 19 GmbHG Rn. 31; Pentz, Die verdeckte Sacheinlage im GmbH-Recht nach dem MoMiG, in: FS K. Schmidt, S. 1265, 1268 ff.; Ries, MoMiG und die Folgen: Praktische Probleme bei der GmbH, Eine erste Bilanz: Erfahrungen mit der GmbHReform nach zwei Jahren, AnwBl. 1/2011, S. 13, 14 f.; Heinze, Verdeckte Sacheinlagen und verdeckte Finanzierungen nach dem MoMiG, GmbHR 2008, S. 1065 – 1074; Ulmer, Die „Anrechnung“ (MoMiG) des Wertes verdeckter Sacheinlagen auf die Bareinlageforderung der GmbH – ein neues Erfüllungssurrogat?, ZIP 2009, S. 293 – 302. 215 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH (MindestkapG), BR-Drs. 619/05, 12.08.05, S. 42; Altmeppen, Die zentralen Änderungen des GmbH-Rechts nach dem Referentenentwurf des MoMiG (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen), in: Das neue GmbH-Recht, S. 49, 56. 216 Vgl. Siedler, Cash Pooling im GmbH-Konzern.
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Vor dem Hintergrund des „Wettbewerb[s] der Unternehmensrechtsformen in der EU“217 setzte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) im Jahr 2004 eine gemeinsame Kommission Mitbestimmung ein218. Die Kommission möchte die Mitbestimmung dabei vor allem auf Basis einer Verhandlungslösung verwirklichen219 und eine gesetzliche Regelung wird nur im Fall eines Scheitern dieses Weges befürwortet220. Damit wird auch im Bereich der Mitbestimmung versucht, die Angemessenheit von Regulierungen vor dem Hintergrund der bestehenden institutionellen Mobilität in Frage zu stellen. Im Jahr 2005 reagierte die Bundesregierung auf diese Initiative, indem sie unter Leitung von Kurt Biedenkopf eine Kommission zu dieser Frage einsetzte (Biedenkopf-Kommission).221 Diese Kommission legte Ende 2006 ihren Bericht vor.222 Sie vertrat im Hinblick auf Forderungen einer Deregulierung im Bereich der Mitbestimmung eine sehr vorsichtige Position und betrachtet die Erhaltung der deutschen Regeln zur Mitbestimmung als grundsätzlich weiterhin erforderlich.223 Die Biedenkopf-Kommission sieht von einer Empfehlung, die Regelungen der deutschen Mitbestimmung gegenüber ausländischen Gesellschaften durchzusetzen ab, da die Zahl von größeren Unternehmen in ausländischen Rechtsformen klein ist.224 Auch nach Auffassung der Bundesregierung225 hat sich die betriebliche Mitbestimmung und die Mitbestimmung auf Unternehmensebene bewährt.226
217
Bericht der Kommission Mitbestimmung, Mitbestimmung modernisieren, S. II. Vgl. Bericht der Kommission Mitbestimmung, Mitbestimmung modernisieren. 219 Vgl. auch: von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 333. 220 Stellungnahme der Vertreter der Unternehmen, in: Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission mit Stellungnahmen der Vertreter der Unternehmen und der Vertreter der Arbeitnehmer, Dezember 2006, S. 63. 221 Biedenkopf leitete bereits Ende der 1960er Jahren eine Kommission zur Mitbestimmung: Mitbestimmung im Unternehmen, die 1970 ihren Bericht vorlegte: vgl. Bericht der Sachverständigenkommission zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen mit der Mitbestimmung, BT-Drs. 6/334. 222 Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission mit Stellungnahmen der Vertreter der Unternehmen und der Vertreter der Arbeitnehmer, Dezember 2006. 223 Vgl. Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission mit Stellungnahmen der Vertreter der Unternehmen und der Vertreter der Arbeitnehmer, Dezember 2006, S. 14 ff. 224 Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission mit Stellungnahmen der Vertreter der Unternehmen und der Vertreter der Arbeitnehmer, Dezember 2006, S. 35 f. 225 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ottmar Schreiner et al. und der Fraktion der SPD – Drucksache 17/5144 –, BT-Drs. 17/5414, 07. 04. 2011, S. 2. 218
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Eine Förderung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Gesellschaften mittels einer Deregulierung deutscher Mitbestimmungsregeln dürfte kein erfolgreiches Politikprodukt auf dem Markt für Wählerstimmen darstellen,227 weil ein Abbau der Mitbestimmung gegen die Interessen der zahlenmäßig großen Gruppe der Arbeitnehmer gerichtet ist und ein Abbau der Regeln zur Mitbestimmung auf breite öffentliche Aufmerksamkeit stoßen würde. Auch in anderen Mitgliedstaaten kam es zu Reformen des GmbH-Rechts.228 Die gesetzgeberischen Maßnahmen in Großbritannien, Frankreich und Spanien waren jedoch nach Untersuchung von Kieninger nicht vor dem Hintergrund eines Wettbewerbs der Gesellschaftsrechtsformen zu sehen, sondern bedingt durch einen allgemeinen Reformbedarf.229 Der niederländische Gesetzgeber, der das ursprünglich bestehende Mindestkapitalerfordernis von 18.000 EUR Mitte 2012 abschaffte,230 nahm jedoch ausdrücklich Bezug auf einen Wettbewerb der Gesetzgeber auf dem
226 Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, ABl. Nr. L 122/28 vom 16. 5. 2009. 227 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 220. 228 Zur britischen Reform: Ferran, The Company Law Reform in the United Kingdom: A Progress Report, RabelsZ 69 (2005), S. 629 – 657; Gstraunthaler, Die Neuerungen des UK Company Law Reform Bill für die Abschlussprüfung, RWZ, Österreichische Zeitschrift für Recht und Rechnungswesen 17 (2007), S. 188 – 190; Lembeck, UK Company Law Reform – Ein Überblick, NZG 2003, S. 956 – 965; www.legislation.gov.uk/ukga/2006/46/notes/data.pdf (27. 11. 2011). Zur französischen Reform: Becker, Baldiges neues Gründungsverfahren in Frankreich: Die französische „Blitz-S.A.R.L.“, GmbHR 2003, S. 706 – 708; Becker, Verabschiedung des Gesetzes über die französische Blitz-S.A.R-.L., GmbHR 2003, S. 1120 – 1121. Zur italienischen Reform: Bader, Die neue società responsibilità limitata in Italien, GmbHR 2005, S. 1474 – 1477; Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 14, S. 17 f. Zur spanischen Reform: Emdid Irujo, Eine spanische „Erfindung“ im Gesellschaftsrecht: Die „Sociedad limitada nuva empresa“ – die neue unternehmerische GmbH, RIW 2004, S. 760 – 767; Cohnen, Kein GmbH-rechtliches „race to the bottom“ auf dem Jakobsweg: Bemerkungen zur Sociedad Limitada Nueva Empresa, ZVglRWiss 104 (2005), 479 – 518; Vietz, Verabschiedung des Gesetzes über die neue Blitz-GmbH in Spanien, GmbHR 2003, 523 – 524; Vietz, Die neue „Blitz-GmbH“ in Spanien, GmbHR 2003, S. 26 – 28. 229 Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 14, S. 14 ff.; Gstraunthaler, Die Neuerungen des UK Company Law Reform Bill für die Abschlussprüfung, RWZ, Österreichische Zeitschrift für Recht und Rechnungswesen 17 (2007), S. 188, 188. Anders: Braun/ Eidenmüller/Engert/Hornuf, Unternehmensgründungen unter dem Einfluss des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, ZHR 177 (2013), 131, 133, 134 vgl. aber: S. 137: „[…] nicht ausschließlich als Reaktion auf den Wettbewerb der Gesellschaftsrechte […]“. 230 Hirschfeld, Die niederländische „bv“ nach dem Gesetz zur Vereinfachung und Flexibilisierung des bv-Rechts (flex-bv), RIW 2013, S. 134, 138; Rademakers/de Vries, Niederlande, in: Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, Niederlande Rn. 16, 78.
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Gebiet des Gesellschaftsrechts231. Bemerkenswert ist diese Rechtsentwicklung, da der niederländische Gesetzgeber das Erfordernis eines Mindestkapitals noch bis zum Urteil Inspire Art232 vehement verteidigte.233 bb) Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung Jüngst schuf der deutsche Gesetzgeber die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung.234 Es handelt sich hierbei um eine Reaktion der vermehrten Nutzung der Limited Liability Partnership (LLP) in Deutschland, insbesondere seitens größerer Rechtsanwaltskanzleien.235 c) Bewertung der Rechtsentwicklung aa) Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) Während die Bundesregierung fast 31 Jahre vor dem MoMiG eine Heraufsetzung des Mindestkapitals der GmbH von 20 000 DM auf 50.000 DM mit Gründen des Gläubigerschutzes begründet hatte,236 sieht sie im Rahmen des MoMiG kein grundsätzliches Problem in einer faktischen Abschaffung des Mindestkapitalerfordernisses. Gläubigerschutz soll nunmehr über ein Informationsmodell erreicht
231 Becht/Mayer/Wagner, Where do Firms Incorporate?, CEPR Discussion Paper No. 5875, S. 23. Auch Hirschfeld sieht Systemwettbewerb als eine Ursache der Anpassung (Hirschfeld, Die niederländische „bv“ nach dem Gesetz zur Vereinfachung und Flexibilisierung des bvRechts (flex-bv), RIW 2013, S. 134, 141 f.). 232 EuGH, Urteil vom 30. 09. 2003, Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10195 ff. 233 Hirschfeld, Die niederländische „bv“ nach dem Gesetz zur Vereinfachung und Flexibilisierung des bv-Rechts (flex-bv), RIW 2013, S. 134, 137 f. 234 Gesetz zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (PartGGuaÄndG), BGBl. I 2013, S. 2386 ff. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Partnerschatsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, BT-Drs. 17/10487, 15. 08. 2012; Salger, Beschränkte Berufshaftung – Zum Gesetzesentwurf zur Einführung einer „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ –, DB 2012, S. 1794 – 1797. 235 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Partnerschatsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, BT-Drs. 17/10487, 15. 08. 2012, S. 1; Uwer/Roeding, Wege in die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung, AnwBl. 2013, S. 309 – 313; Salger, Beschränkte Berufshaftung – Zum Gesetzesentwurf zur Einführung einer „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ –, DB 2012, S. 1794, 1794. 236 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 8/1347, 15. 12. 1977, S. 29.
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werden (vgl. § 5a Abs. 1 GmbHG).237 Es wird deutlich, dass auch im GmbH-Recht mit der Deregulierung gleichzeitig ein Wechsel in der gesellschaftsrechtlichen Regulierungsphilosophie verbunden ist. Die Zukunft muss erweisen, ob der vorgenommene Ausgleich zwischen der vorgenommen Deregulierung und dem Ziel des Gläubigerschutzes trägt.238 Ein volkswirtschaftlicher Nutzen kann von der praktischen Abschaffung des Mindestkapitalerfordernisses ausgehen, wenn damit zusätzliche Anreize für Unternehmensgründungen geschaffen werden239 und zugleich die Interessen des Rechtsverkehrs gewahrt bleiben.240 Wenn eine haftungsbeschränkte Unternehmensrechtsform praktisch ohne Mindestkapital gesamtgesellschaftlich vorteilhaft ist, ist es zu befürworten, wenn Gründer nicht gezwungen sind, eine ausländische Rechtsform zu wählen, zumal dies (auch aufgrund von möglichen Kompatibilitätsproblemen der Rechtsordnungen) zusätzliche Kosten verursachen kann241 und zu Nachteilen für die deutsche Rechtsberatungsindustrie führen kann242. Der Rechtsverkehr ist auch keineswegs schutzlos, denn es besteht die Möglichkeit, sich über Wirtschaftsauskunftsdienste über die Bonität einer Gesellschaft zu informieren. Sofern die Rechtsentwicklung im deutschen Gesellschaftsrecht als positiv bewertet wird,243 237 Heine/Röpke, Die Rolle von Qualitätssignalen – eine ökonomische und juristische Analyse am Beispiel der deutschen Kapitalschutzvorschriften, RabelsZ 70 (2006), S. 138, 143 ff.; Merkt, Das Informationsmodell im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, Zfbf Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Sonderheft 55/06, S. 24 – 60. Im Interesse der Information des Rechtsverkehrs ist die gesetzliche Vorgabe in Bezug auf die Bezeichnung der Gesellschaft (§ 5a Abs. 1 GmbHG) exakt einzuhalten (G. H. Roth, in: Roth/ Altmeppen, GmbHG, § 5a Rn. 10). 238 Vgl. Heine/Röpke, Die Rolle von Qualitätssignalen – eine und juristische Analyse am Beispiel der deutschen Kapitalschutzvorschriften, RabelsZ 70 (2006), S. 138 – 160. 239 Braun/Eidenmüller/Engert/Hornuf stellen eine deutliche Steigerung der Gründungen von geschlossenen Kapitalgesellschaften infolge des Abbaus von Mindesteapitalerfordernissen in Spanien, Frankreich, Ungarn, Deutschland und Polen fest, wobei es zu einer Steigerung der Zahl der Unternehmensgründungen insgesamt kam (Braun/Eidenmüller/Engert/Hornuf, Unternehmensgründungen unter dem Einfluss des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, ZHR 177 (2013), 131, 144 ff.). 240 Nach Paura steht das Erfordernis des Mindeststammkapitals außer Verhältnis zu seinem Nutzen zum Schutz der Gläubiger (Paura, in: GmbHG Großkommentar, § 5a Rn. 19). 241 So müssen im Fall einer englischen Ltd. Jahresabschlüsse nach englischem Bilanzrecht erstellt werden und beim Companies House eingereicht werden (S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 45 f.). 242 Vgl. S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 182 f. 243 Vgl. Paura, in: GmbHG Großkommentar, § 5a Rn. 27. Die Tauglichkeit des Mindestkapitalerfordernisses zum Zwecke des Gläubigerschutzes ist umstritten vgl. Karsten, Gläubigerschutz im Gesellschaftsrecht, Neue Justiz 9/06, S. 385, 386; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 211 f., 214 mwN (zu der Diskussion in den USA); Meyer/Ludwig, Französische GmbH-Reform 2003/2004: Hintergründe und „EinEuro-GmbH“, GmbHR 2005, S. 346, 350; Heine/Röpke, Die Rolle von Qualitätssignalen – eine ökonomische und juristische Analyse am Beispiel der deutschen Kapitalschutzvorschriften, RabelsZ 70 (2006), S. 138, 143 ff.; Paura, GmbHG Großkommentar, § 5a Rn. 15 ff.
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kann von der Verwirklichung einer Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden.244 An der Beliebtheit der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) zeigt sich, dass das MoMiG zu einer Anpassung des GmbH-Rechts an die Präferenzen der Gründer führte.245 Nach einer Studie von Braun/Richter erhielten im Zeitraum von November 2008 bis Mai 2010 im Handelsregisterbezirk Lüneburg von insgesamt 1.111 neu gegründeten Unternehmen 38,16 Prozent die Form einer GmbH, 22, 14 Prozent die Form einer Unternehmergesellschaft und lediglich 1,80 Prozent die Rechtsform einer Limited.246 Es kann von einer Präferenzanpassungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden. Damit ist jedoch keine Aussage über die Präferenzen der Gläubiger und Dritter getroffen.247 Unklar ist, inwieweit die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) als Rechtsform für Unternehmen mit tatsächlichem Geschäftsschwerpunkt im Ausland genutzt wird (vgl. § 4a GmbHG).248 Die Entwicklung der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsordnungen unterscheidet sich erheblich von der Rechtsentwicklung in den USA.249 Ein aktives wettbewerbliches Vorstoßen250 von Gesetzgebern ist nicht zu beobachten. Soweit wie in Deutschland systemwettbewerbliche Maßnahmen zu beobachten sind, erfolgt eine Anpassung an das Recht der britischen private limited company. Großbritannien unternahm (auch im Rahmen seines Companies Act 2006251) keine Schritte zur weiteren Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit seines Gesellschaftsrechts.252 Es ist 244 Zurückhaltend: Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 14 S. 14. 245 Vgl. auch S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 177 f.; 223. 246 Braun/Richter, Gründungsaktivitäten im Handelsregisterbezirk Lüneburg: Eine empirische Studie zur Unternehmergesellschaft, Lüneburger Beiträge zur Gründungsforschung, Diskussionspapier Nr. 8, S. 7 (ohne die Berücksichtigung von Verwaltungsgesellschaften). Vgl. auch: Bayer/Hoffmann, Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) des MoMiG zum 1. 1. 2009 – eine erste Bilanz, GmbHR 2009, S. 124, 124 f. 247 Das Gesellschaftsrecht dürfte als Wettbewerbsparameter auf Waren- und Dienstleistungsmärkten grundsätzlich keine Rolle spielen (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 271 f.). 248 S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 234 f. 249 Vgl. die Erwartung von; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 222 f. 250 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 18 Tz. 10; Hoppmann, Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1967), S. 77, 90. 251 Vgl. zum Inhalt des Company Act 2006: Ebert/Levedag, in: Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, England, Rn. 62 ff. 252 Company Act 2006, Explanatory Notes Rn. 3., S. 1 (Background), abrufbar unter: www. legislation.gov.uk/ukga/2006/46/notes/data.pdf.; Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 14, S. 18 f. Anders: Lembeck, UK Company Law Reform – Ein Überblick, NZG 2003, S. 956, 960.
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ausschließlich institutionelle Imitation, aber keine nennenswerte institutionelle Innovation zu beobachten.253 Die Rechtsentwicklung führt zu einer Gleichgewichtsbildung, denn es scheint wenig wahrscheinlich, dass sich die Deregulierung fortsetzen wird.254 Eine Ursache für diese geringe systemwettbewerbliche Dynamik im Sinne eines aktiven Vorstoßens und Nachziehens ist wahrscheinlich das Fehlen direkter finanzieller Anreize für die Mitgliedstaaten wie in Form einer franchise tax255 und auch die Abwesenheit der Überzeugung einer allgemein nutzenstifenden Kraft von Systemwettbewerb in der Politik. Die finanziellen Vorteile für die heimische Rechtsanwaltschaft infolge vermehrter Gesellschaftsgründungen, fallen nur dann ins Gewicht, wenn ein Mitgliedstaat einen sehr großen Erfolg in der Anziehung von Gründern hat.256 Eine Schaffung einer Art franchise tax257, deren Schaffung unter gegenwärtigen Rahmenbedingungen unzulässig wäre258, könnte die Anreize der Mitgliedstaaten zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ihres Gesellschaftsrechts deutlich erhöhen.259 Die Rechtsentwicklung zeigt jedoch auch, dass nicht ausschließlich direkte finanzielle Anreize zu staatlichen Maßnahmen führen, sondern dass es dem Gesetzgeber allgemein um die Erhaltung der Attraktivität seines Rechts gehen kann.260 Eine 253
S. Schäfer spricht hingegen von einer „echten institutionellen Innovation“ (S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 223). 254 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 222; S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 223: „Es ist eine bisher nicht zu beantwortende Frage, ob mit der Modernisierung des deutschen Gesellschaftsrechts nicht nur eine einmalige Anpassung stattgefunden hat“. 255 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 89, 185 ff.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 215. 256 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 190. 257 Vgl. Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 459; Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 243 – 246; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 2, § 1 IV 1 b aa), S. 48: „Corporations sind für Delaware, was Spielkasinos für Nevada bedeuten, nämlich eine gesicherte Einnahmequelle“ (HiO). 258 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 186. 259 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 243 ff.; Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 459. 260 Vgl. auch: S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 186. Anders: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 31, 222; Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 14, S. 16; Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 385 f.
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nennenswerte Abwahl nationalen Gesellschaftsrechts ist in der Lage, nationale Regulierungsstrukturen rechtspolitisch in Frage zu stellen und besitzt in Bezug auf die Rechtsentwicklung im deutschen GmbH-Recht eine ähnliche Wirkung wie eine Inländerdiskriminierung auf Waren- und Dienstleistungsmärkten. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang auch die Interessen der deutschen „Rechtsberatungsindustrie“.261 Aufgrund der Angleichung der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechte kann von einer Ex-post Harmonisierung gesprochen werden. Eine Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb spielt mangels Interessengruppenregulierungen im deutschen GmbH-Recht keine Rolle. bb) Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung Die Schaffung der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung erscheint vorteilhaft. Mandanten sind aufgrund der vergleichsweise hohen Deckungssumme von 2,5 Mio. EUR ausreichend geschützt, da vertragliche Haftungsbeschränkungen der Höhe nach im Fall der Möglichkeit der Entstehung eines hohen Schadens (z. B. auf 1 Mio. EUR) in der Praxis üblich sind262. Im Übrigen besteht die Möglichkeit, auf Wunsch des Mandanten im konkreten Fall Zusatzversicherungen abzuschließen. Auf der anderen Seite ist das Interesse der Anwaltschaft zur Begrenzung ihrer Haftung gut nachzuvollziehen, da anwaltliche Tätigkeit immer unter dem Damoklesschwert der Haftung steht und in Sozietäten in Form einer GbR oder (mit Einschränkungen) einer PartG263 die Partner für die Fehler der anderen haften264. Es kann in Bezug auf die Schaffung der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung deswegen von einer Präferenzanpassungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden.265 Von einer systemwettbewerblichen Interessengruppenpolitik kann keine Rede sein. Die Präferenz an einer solchen Rechtsform wurde dem Gesetzgeber mittels der vermehrten Nutzung der Limited 261
S. Schäfer, Systemwettbewerb in der Europäischen Union, S. 182 f. Zu den Schwierigkeiten vgl. Salger, Beschränkte Berufshaftung – Zum Gesetzesentwurf zur Einführung einer „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ –, DB 2012, S. 1794, 1794. 263 Salger, Beschränkte Berufshaftung – Zum Gesetzesentwurf zur Einführung einer „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ –, DB 2012, S. 1794, 1974. 264 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Partnerschatsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, BT-Drs. 17/10487, 15. 08. 2012, S. 1: „Die aufgrund unterschiedlicher Spezialisierung miteinander arbeitenden Partnerinnen und Partner können die Arbeitsbeiträge der anderen weder inhaltlich noch dem Umfang nach vollständig überblicken und verantworten“; Salger, Beschränkte Berufshaftung – Zum Gesetzesentwurf zur Einführung einer „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ –, DB 2012, S. 1794, 1974. 265 Vgl. Salger, Beschränkte Berufshaftung – Zum Gesetzesentwurf zur Einführung einer „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ –, DB 2012, S. 1794 – 1797. 262
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Liability Partnership signalisiert, was als systemwettbewerbliche Entdeckung bezeichnet werden kann. Es handelt sich hier zudem um eine (teilweise266) gesellschaftsrechtliche Imitation im Hinblick auf die Limited Liability Partnership (LLP).
VI. Systemwettbewerb vermittelt über die Ausflaggung von Seeschiffen 1. Faktische Rechtswahlfreiheit In der internationalen Seeschifffahrt besteht über die Wahl einer Flagge eine faktische Rechtswahlfreiheit hinsichtlich der Erfüllung bestimmter Regulierungsanforderungen267. Die Wahl einer „Billig-Flagge“ (wie z. B. die von Panama oder Liberia) setzt lediglich die Gründung einer Gesellschaft in dem entsprechenden Staat, die das Schiff betreibt, voraus.268 Nach § 7 Abs. 1 FlaggRG ist es zudem unter Vorbehalt einer Genehmigung möglich, dass einem Schiff für die Dauer von längstens zwei Jahren eine ausländische Flagge führt.269 Das Schiff bleibt im deutschen Schiffsregister eingetragen, darf die deutsche Flagge für die Zeit der Führung der anderen Flagge jedoch nicht führen.270 Eine reale Beziehung zwischen der Geschäftstätigkeit einer Reederei und dem Führen einer Flagge muss damit nicht bestehen.271 Reeder müssen deswegen nicht wie im Fall der Verlagerungen von Produktionsanlagen für die Herstellung von Waren zwischen verschiedenen „Leistungs-Steuerbündeln“ wählen, sondern können 266
Salger geht die Imitation nicht weit genug und sieht gegenüber der LLP Defizite der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung: Salger, Beschränkte Berufshaftung – Zum Gesetzesentwurf zur Einführung einer „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ –, DB 2012, S. 1794, 1795 f. 267 Vgl. Murphy, The Structure of Regulatory Competition, S. 45 f. (Besprechung: Bernauer, Dale D. Murphy, The Structure of Regulatory Competition, Corporations and Public Policies in a Global Economy, 2004, PVS 46(3) (2005), S. 501 – 503); Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 34. 268 Bunde, Ursachen und Konsequenzen der Ausflaggung der deutschen Handelsflotte – warum das „Zweitregister“ hohe gesellschaftliche Kosten verursacht, aber keinen Betrag zum Erhalt der bundesdeutschen Seeschiffahrt leisten kann –, Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg 1991 Nr. 25, S. 13; Ready, Ship Registration, S. 17; Nöll, Hat Deutschland noch ein geeignetes Flaggenrecht?, TranspR 2012, S. 91, 94. 269 Berger/Zink, Das neue Flaggenrechtsgesetz, NordÖR 2013, S. 192, 195; Nöll, Hat Deutschland noch ein geeignetes Flaggenrecht?, TranspR 2012, S. 91, 94. 270 Berger/Zink, Das neue Flaggenrechtsgesetz, NordÖR 2013, S. 192, 195. 271 Umstritten ist indes die Notwendigkeit eines „genuine link“ vgl. Bunde, Ursachen und Konsequenzen der Ausflaggung der deutschen Handelsflotte – warum das „Zweitregister“ hohe gesellschaftliche Kosten verursacht, aber keinen Betrag zum Erhalt der bundesdeutschen Seeschiffahrt leisten kann –, Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg 1991 Nr. 25, S. 13.
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über die Erfüllung formaler Anknüpfungsvoraussetzungen, wie das Vorhandensein einer Gesellschaft im flaggenführenden Staat272 das auf sie anwendbare Regulierungssystem und damit steuerrechtliche Regeln273, Bemannungsregelungen274, tarifvertragliche Regelungen275 und Sicherheitsregulierungen wählen. 2. Regulierung als Wettbewerbsparameter Das jeweils anwendbare Regulierungssystem ist in hohem Maße kostenrelevant, weshalb Regulierungsarbitragen über die Wahl der Flagge eine erhebliche Rolle spielen.276 Den Beginn der modernen Ausflaggung von Seeschiffen277 markiert die Ausflaggung der Belen Quezada im Jahr 1919. Das Schiff wechselte von der kanadischen Flagge zur panamesischen und konnte auf diese Weise das amerikanische Alkoholhandelsverbot278 umgehen.279 Das US-amerikanische Alkoholverbot führte zu 272 Im europarechtlichen Kontext kann ein Staat die Berechtigung zur eigenen Flaggenführung an die Bedingung knüpfen, dass der Einsatz des Schiffes von dem betreffenden Staat aus organisiert wird (EuGH, Urteil vom 25. 07. 1991, Rs. C-221/89, Factortame Ltd., I-3956, I-3968 f. Rn. 34 f.; Berger/Zink, Das neue Flaggenrechtsgesetz, NordÖR 2013, S. 192, 193 f.). 273 Vgl. Bunde, Ursachen und Konsequenzen der Ausflaggung der deutschen Handelsflotte – warum das „Zweitregister“ hohe gesellschaftliche Kosten verursacht, aber keinen Betrag zum Erhalt der bundesdeutschen Seeschiffahrt leisten kann –, Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg 1991 Nr. 25, S. 51 ff. 274 Vgl. Bunde, Ursachen und Konsequenzen der Ausflaggung der deutschen Handelsflotte – warum das „Zweitrgister“ hohe gesellschaftliche Kosten verursacht, aber keinen Betrag zum Erhalt der bundesdeutschen Seeschiffahrt leisten kann –, Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg 1991 Nr. 25, S. 44 ff.; Marlow, Ships, Flags and Taxes, in: Handbook of Martime Economics and Business, S. 512, 524. 275 Vgl. EuGH, Urteil vom 11. 12. 2007, International Transport Workers’ Federation and Finnish Seamen’s Union/Viking Linie, Rs. C-438/05, Slg. 23007, I-10806 ff. Die finnische Reederei Viking Line flaggte ihr zwischen Helsinki (Finnland) und Tallin (Estland) verkehrendes Schiff Rosella nach Estland aus, um Kosten insbesondere durch den Einsatz estnischer Besatzung zu estnischen Bedingungen zu sparen (vgl. die rechtsvergleichende Betrachtung nationaler Arbeitsrechtsordnungen in: Blainpain (Hrsg.), The Laval and Viking Cases, Freedom of Services and Establishment v. Industrial Conflict in the European Economic Area and Russia, Bulletin of Comparative Labour Relations 69). 276 Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 7/2008, S. 588 f.; Bunde, Ursachen und Konsequenzen der Ausflaggung der deutschen Handelsflotte – warum das „Zweitregister“ hohe gesellschaftliche Kosten verursacht, aber keinen Betrag zum Erhalt der bundesdeutschen Seeschiffahrt leisten kann –, Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg 1991 Nr. 25, S. 18 ff.; o. V., Ohne Ausguck, Deutsche Reeder suchen zunehmend ihr Heil in Billigflaggen, Der Spiegel 5/1988, S. 62 – 64. 277 Zur historischen Bedeutung von Ausflaggungen: Schelzel, Zur Geschichte der Umflaggungen, S. 1 f.; Bunde, Ursachen und Konsequenzen der Ausflaggung der deutschen Handelsflotte – warum das „Zweitregister“ hohe gesellschaftliche Kosten verursacht, aber keinen Betrag zum Erhalt der bundesdeutschen Seeschiffahrt leisten kann –, Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg 1991 Nr. 25, S. 4 f. 278 Vgl. Küppersbusch, Das Alkoholverbot in Amerika.
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einer erheblichen Bedeutung der panamesischen Flagge und Panama reagierte 1925 mit liberalen Schifffahrtsregulierungen, um die Wettbewerbsposition der panamesischen Flagge weiter auszubauen.280 3. Staatliche Responsivität Der deutsche Gesetzgeber schuf im Jahr 1989 zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seeschifffahrt281 ein Internationales Schifffahrtsregister (ISR) (§ 21 Abs. 4 FlaggenrechtsG),282 nachdem Frankreich und andere Staaten ein solches Register geschaffen hatten283. Die Regelung ermöglicht die Beschäftigung von Seeleuten nach den Bedingungen ihres Heimatlandes284. Mit dem Seeschiffahrtsanpassungsgesetz aus dem Jahr 1998285 passte der deutsche Gesetzgeber, in Umsetzung286 des von der Bundesregierung im Jahr 1997 beschlossenen Konzeptes „Förderung der Seeschiffahrt in Deutschland“287, zum einen die Sicherheitsregulierungen an das internationale Regulierungsniveau an:288 279
Ready, Ship Registration, S. 20. Ready, Ship Registration, S. 20. 281 Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Seeschiffahrtsregisters für deutsche Handelsschiffe im internationalen Verkehr (Internationales Seeschiffahrtsregister), BT-Drs. 11/2161, 20. 04. 1988, S. 1, 4. 282 Vgl. Art. 1 Nr. 2 Gesetze zur Einführung eines zusätzlichen Registers für Seeschiffe unter der Bundesflagge im internationalen Verkehr (Internationales Seeschiffahrtsregister – ISR) vom 23. März 1989, BGBl. 1989 I, S. 550. Vgl. Bunde, Ursachen und Konsequenzen der Ausflaggung, S. 71 ff. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes wurde durch das BVerfG geprüft und bejaht (BVerfG, Urteil vom 10. 1. 1995, Az. 1 BvF 1/90 u. a., RIW 1995, S. 676 ff.). 283 Ready, Ship Registration, S. 27 f. 284 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Seeschiffahrtsregisters für deutsche Handelsschiffe im internationalen Verkehr (Internationales Seeschiffahrtsregister), BT-Drs. 11/2161, 20. 04. 1988, S. 1; Bunde, Ursachen und Konsequenzen der Ausflaggung, S. 72. 285 Gesetz zur Anpassung der technischen und steuerlichen Bedingungen in der Seeschiffahrt an den internationalen Standard (Seeschiffahrtsanpassungsgesetz – SchAnpG) vom 9. September 1998, BGBl. I 1998, S. 2860. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Schiffssicherheitsanforderungen in der Seefahrt an den internationalen Standard (Schiffssicherheitsanpassungsgesetz), BT-Drs. 13/9722, 29. 01. 1998. 286 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Schiffssicherheitsanforderungen in der Seefahrt an den internationalen Standard (Schiffssicherheitsanpassungsgesetz). BT-Drs. 13/9722, 29. 01. 1998, S. 13. 287 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung zur Förderung der Seeschiffahrt in Deutschland – Konzept zur Behandlung der Unternehmen der deutschen Seeschiffahrt und der Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge –, BT-Drs. 13/8298, 18. 7. 1997. 288 Art. 1 Gesetz zur Anpassung der technischen und steuerlichen Bedingungen in der Seeschiffahrt an den internationalen Standard (Seeschiffahrtsanpassungsgesetz – SchAnpG) vom 9. September 1998, BGBl. I 1998, S. 2860 ff.; Gesetzentwurf der Bundesregierung, 280
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„Die zunehmend harmonisierte Anwendung der internationalen Vorschriften für Bau, Ausrüstung und Betrieb der Seeschiffe in Europa erfordert es, das deutsche Regelwerk ohne Sicherheitsverlust an den internationalen Standard anzugleichen und, wo immer möglich, auf deutsche Zusatzvorschriften zu verzichten“.289
Vorausgegangen waren Bemühungen der Bundesregierung zur Harmonisierung grundlegender Anforderungen auf globaler Ebene.290 Zum anderen schuf der Gesetzgeber eine Steuererleichterung, indem die Möglichkeit geschaffen wurde, Steuern auf Grundlage der Tonnage zu zahlen (§ 5a EStG).291 Auch dabei handelte es sich um eine Antwort auf die Einführung einer Tonnagebesteuerung durch andere Staaten.292 Im Rahmen der sogenannten Lübeck-Absprache aus dem Jahr 2003 wurde zwischen der Bundesregierung und der deutschen Seeschifffahrt vereinbart, dass die Tonnagesteuer erhalten bleibt, die gewährte Lohnsteuerermäßigung von 40 auf 80 Prozent angehoben wird, die zu Heimatheuern beschäftigten ausländischen Seeleute von der Sozialversicherungspflicht weitgehend freigestellt werden und dass
Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Schiffssicherheitsanforderungen in der Seefahrt an den internationalen Standard (Schiffssicherheitsanpassungsgesetz), BT-Drs. 13/9722, 29. 01. 1998, S. 1 f., 13; Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung zur Förderung der Seeschiffahrt in Deutschland – Konzept zur Behandlung der Unternehmen der deutschen Seeschiffahrt und der Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge –, BT-Drs. 13/ 8298, 18. 7. 1997, S. 3. 289 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung zur Förderung der Seeschiffahrt in Deutschland – Konzept zur Behandlung der Unternehmen der deutschen Seeschiffahrt und der Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge –, BT-Drs. 13/8298, 18. 7. 1997, S. 3. 290 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Schiffssicherheitsanforderungen in der Seefahrt an den internationalen Standard (Schiffssicherheitsanpassungsgesetz), BT-Drs. 13/9722, 29. 01. 1998, S. 1: „Zum Schutz der wichtigen Gemeinschaftsgüter gehört in Deutschland […] die Erhaltung einer leistungsfähigen Handelsflotte unter deutscher Flagge. Diese ist einem intensiven internationalen Wettbewerb ausgesetzt und kann nur in Anpassung an die internationalen Rahmenbedingungen fortbestehen. Die Bundesregierung hat daher in den vergangenen Jahren erfolgreich darauf hingewirkt, daß die von ihr verfolgten Aktivitäten zur Stärkung der Sicherheit des Schiffsverkehrs einschließlich des Umweltschutzes auf See und des Arbeitsschutzes auf Seeschiffen universal geltende internationale Anforderungen zum Ergebnis hatten. Insbesondere die verbindliche weltweite Einführung des Internationalen Codes für Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs im Jahr 1998 fördert eine umfassende neue Sicherheitsqualität“. 291 Vgl. Martinen, Die Tonnagesteuer Eine ökonomische Analyse. Zum Versuch der Schaffung eines Steuerreformgesetzes im Jahr 1999, S. 95 ff.; Seeger, in: Schmidt, EstG, § 5a Rn. 1. 292 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung zur Förderung der Seeschiffahrt in Deutschland – Konzept zur Behandlung der Unternehmen der deutschen Seeschiffahrt und der Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge –, BT-Drs. 13/8298, 18. 7. 1997, S. 1.
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die Ausbildungsförderung beibehalten wird.293 Die deutschen Reeder verpflichteten sich im Gegenzug, bis Ende 2005 100 Schiffe zusätzlich unter deutscher Flagge fahren zu lassen und die Gewerkschaft ver.di verpflichtete sich, einer Flexibilisierung der Schiffsbesetzungsverordnung zuzustimmen.294 Im Zusammenhang mit der im Jahr 2013 in Kraft getretenen Änderung des § 7 FlaggRG stellt der Gesetzgeber die Ausflaggung unter den Vorbehalt, dass der Antragssteller nachweist, dass er die aus der Ausflaggung folgenden Nachteile für den Schifffahrtsstandort Deutschland ausgleicht (§ 7 Abs. 1 Satz 2 FlaggRG).295 Dieser Nachweis ist erbracht, wenn der Antragsteller an Bord des ausgeflaggten Schiffes mindestens einen Ausbildungsplatz vorhält (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FlaggRG).296 Ist dies nicht möglich, kommt die Zahlung eines Ablösebetrags in Betracht (§ 7 Abs. 3 Satz 1 FlaggRG). Eine Ausflaggung unter Beibehaltung rechtlicher Beziehungen zum Inland stört nach dem Gesetzentwurf den dem deutschen Recht zugrundeliegenden Interessenausgleich,297 womit die Initiatoren ihr Unbehagen am „jurisdiction shopping“ ausdrücken. 4. Bewertung der Rechtsentwicklung a) Keine Deregulierungsfunktion Die Rechtsentwicklung ist von einer erheblichen Deregulierung geprägt,298 wobei diese Deregulierung nicht – wie von der Systemwettbewerbstheorie nahegelegt – zu dem Abbau verkrusteter Strukturen299 führt, sondern zur Einschränkung von grundsätzlichen Regulierungen in Form von Sicherheitsanforderungen und Regeln zum sozialen Schutz von Beschäftigten. Deshalb ist dieser Systemwettbewerb
293 PwC Deutsche Revision, Kurzbericht zur Untersuchung, Die wirtschaftlichen und strukturellen Wirkungen der Lübeck-Absprachen im Rahmen des Maritimen Bündnisses unter Berücksichtigung mittelfristiger Politik-Optionen, S. 6. 294 PwC Deutsche Revision, Kurzbericht zur Untersuchung, Die wirtschaftlichen und strukturellen Wirkungen der Lübeck-Absprachen im Rahmen des Maritimen Bündnisses unter Berücksichtigung mittelfristiger Politik-Optionen, S. 7. 295 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffsregisterordnung, BT-Drs. 17/10772, 25. 09. 2012. 296 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffsregisterordnung, BT-Drs. 17/10772, 25. 09. 2012, S. 1, 4 f., 7, 9 f.; Berger/Zink, Das neue Flaggenrechtsgesetz, NordÖR 2013, S. 192, 196. 297 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffsregisterordnung, BT-Drs. 17/10772, S. 7. 298 Vgl. auch: Murphy, The Structure of Regulatory Competition, S. 46 ff. 299 Vgl. Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113 – 134.
B. Rechtswahlfreiheit in Referenzgebieten
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Ausdruck eines schmerzlichen Steuerungsverlustes des Staates. Von einer Deregulierungsfunktion des Systemwettbewerbs kann deshalb nicht gesprochen werden. Die politischen Zugeständnisse an die Adresse der Reedereien haben den Trend zur Ausflaggung keineswegs aufgehalten, sondern diesen Trend lediglich bremsen können300. Es ist deshalb möglich, dass es erneut zu einer Deregulierung kommen wird. Bemerkenswert ist jedoch die Verschärfung der rechtlichen Voraussetzungen für eine zeitlich befristete Ausflaggung unter Verbleib im deutschen Schiffsregister. Maßnahmen materiellrechtlicher Harmonisierung (wie das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation 2006301) sind vor dem Hintergrund der problematischen Deregulierung ausdrücklich zu begrüßen. Ein klarer Trend zu einer materiellrechtlichen Harmonisierung der Regulierung der internationalen Seeschifffahrt besteht indes nicht,302 weshalb die Deregulierungswirkung des Systemwettbewerbs nicht ansatzweise von einer materiellrechtlichen Harmonisierung aufgefangen werden kann303. Es ware von Interesse zu erfahren, wie die Vertreter der Systemwettbewerbstheorie zu dieser Rechtsentwicklung stehen. b) Keine Machtbegrenzungsfunktion Da die Regulierung in der internationalen Seeschifffahrt in Bezug auf Sicherheit oder den sozialen Schutz von Arbeitnehmern nicht Ausdruck von Interessengruppenpolitik ist, sondern Ergebnis legitimer politischer Entscheidungen, kann nicht von einer Machtbegrenzungsfunktion des Systemwettbewerbs gesprochen werden. Die Rechtsentwicklung im Bereich der internationalen Seeschifffahrt zeigt zudem 300 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Bericht zur maritimen Koordinierung, Siebte Nationale Maritime Konferenz 27. und 28. Mai 2011 Wilhelmshaven, 2011, S. 14; Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 7/2008, S. 588 f.; Martinen, Die Tonnagesteuer, S. 107 f. 301 Vgl. www.ilo.org/ilolex/german/docs/MLC.pdf; Schäffer, Das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (2006), TranspR 2008, S. 290 – 296. Umsetzung in Unionsrecht fand das Übereinkommen durch die Richtlinie 2009/13/EG des Rates vom 16. Februar 2009 zur Durchführung der Vereinbarung zwischen dem Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (ECSA) und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) über das Seearbeitsübereinkommen 2006 und zur Änderung der Richtlinie 1999/63/EG [1], ABl. Nr. L 124 S. 30. Zu weiteren Reformen auf EU-Ebene: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2008/94/EG, 2009/ 38/EG, 2009/14/EG, 98/59/EG und 2001/23/EG in Bezug auf Seeleute, COM(2013) 798 final; Forst, Der Richtlinienvorschlag der Kommission zur Reform des Seearbeitsrechts, EuZW 2014, S. 97 – 101. Im deutsches Recht wurde das Übereinkommen durch das Gesetz zur Umsetzung des Seeübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation, BGBl. I 2013, 868 umgesetzt (Maul-Sartori, Das neue Seearbeitsrecht – auch für Landratten von Interesse, NZA 2013, S. 821 – 827). 302 DeSombre, Flagging Standards, Globalization and Environmental, Safety, and Labor Regulations at Sea, S. 41 ff. 303 DeSombre, Flagging Standards, Globalization and Environmental, Safety, and Labor Regulations at Sea, S. 16: „race to the regulatory middle“.
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§ 16 Einführung von Rechtswahlfreiheit
eine Ungleichbehandlung zwischen mobilen und weniger mobilen Faktoren304, da der deutschen Seeschifffahrt (vor dem Hintergrund ihrer faktischen Rechtswahlfreiheit) wesentlich günstigere regulatorische Rahmenbedingungen eingeräumt werden als den standortgebundenen Herstellern von Waren und den Erbringern von Dienstleistungen. Verstärkt wird Eindruck einer Ungerechtigkeit durch die Tatsache, dass sich die Reedereien im Gegenzug zu der Steuervergünstigung verpflichtet hatten, mindestens 600 Schiffe unter deutscher Flagge fahren zu lassen, sich jedoch an diese Zusage nicht gehalten haben305. Bemerkenswerter Weise verschweigt die Bundesregierung im Bericht zur maritimen Koordinierung aus dem Jahr 2011 diesen Zusammenhang, sondern hebt ausschließlich die positiven ökonomischen Folgen der Tonnagesteuer hervor306. Sofern die Politik es unterlässt, auf die Einhaltung der getroffenen Ansprachen hinzuwirken, verschärft sich das Problem der Ungleichbehandlung von mobile und immobilien Faktoren und entsteht der Eindruck einer Interessengruppenpolitik auch gerade im Rahmen von Systemwettbewerb.307 Während sich im Rahmen des europarechtlichen Herkunftslandprinzips die Frage stellt, inwiefern Inländerdiskriminierung mit Gerechtigkeitsmaßstäben vereinbar ist, kann eine Rechtswahlfreiheit neue Gerechtigkeitsprobleme aufwerfen, wenn nicht alle Privatrechtssubjekte in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Rechtswahlfreiheit verwirklichen können.
C. Ansatzpunkte für die Schaffung von Rechtswahlfreiheit nach geltendem Primärrecht I. Faktische Rechtswahl über die Wahl des Erstvermarktungsortes Unter den geltenden primärrechtlichen Rahmenbedingungen besteht eine faktische Rechtswahlfreiheit für die auf Waren anwendbare Regulierung über die Wahl des Erstvermarktungsortes.308 Wenn ein Produkt nach dem Recht des Erstver304
Vgl. Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 30 – 32. 305 Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms et al und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Ausflaggung nach § 7 des Flaggenrechtsgesetzes, BT-Drs. 17/7574, 31. 10. 2011, S. 1; Biesold, Maritimes Bündnis droht zu kentern, 7. Maritime Konferenz – Bereich Schifffahrt, ver.di Schifffahrt, Der ver.di-Report 02/2011, S. 10 – 13. 306 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Bericht zur maritimen Koordinierung, Siebte Nationale Maritime Konferenz 27. und 28. Mai 2011 Wilhelmshaven, 2011, S. 16. 307 Auch die Ungleichheit der Arbeitsbedingungen in der Seeschiffahrt und in den Mitgliedstaaten an Land beschäftigten Arbeitnehmern wirft grundsätzliche Gerechtigkeitsfragen auf (vgl. Forst, Der Richtlinienvorschlag der Kommission zur Reform des Seearbeotsrechts, EuZW 2014, S. 97, 97). 308 Vgl. EuGH, Urteil vom 27. 6. 1996, Rs. C-240/95, Rémy Schmit, Slg. 1996, I-3179, I-3200 Rn. 10; EuGH, Urteil vom 22. Juni 1982, Rs. 220/81, Robertson, Slg. 1982, 2349, 2361
C. Schaffung von Rechtswahlfreiheit nach geltendem Primärrecht
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marktungsortes in Verkehr gebracht ist, ist es grundsätzlich auch in anderen Mitgliedstaaten verkehrsfähig. Die Möglichkeiten zu Reimporten sind jedoch aufgrund der Umgehungsrechtsprechung des EuGH eingeschränkt.309 Die faktische Rechtswahlfreiheit über die Wahl des Erstvermarktungsortes gilt damit nicht für den mitgliedstaatlichen Markt im Produktionsstaat, weswegen sich über die Wahl des Erstvermarktungsortes zwar das Problem unterschiedlicher regulatorischer Wettbewerbsbedingungen auf Exportmärkten einschränken lässt, nicht aber das Problem einer Inländerdiskriminierung310. Im Bereich von Dienstleistungen werden Anbieter jedoch grundsätzlich an das Regulierungssystem ihres Niederlassungsstaates gebunden, da der Schwerpunkt einer dienstleistenden Tätigkeit typischerweise das Inland ist.311
II. Verwirklichung von Rechtswahlfreiheit mittels Auslegung des Primärrechts Aus der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit ergibt sich (wie dargestellt312) eine faktische Rechtswahlfreiheit in Bezug auf das anwendbare Gesellschaftsrecht.313 Der EuGH begründet dies mit dem Zweck der Niederlassungsfreiheit.314 Eine Übertragung der sich ergebenden faktischen Rechtswahlfreiheit auf die Regulierung von Waren und Dienstleistungen mittels einer erweiternden Auslegung des Begriffs scheidet aus. Eine Rechtswahlfreiheit im Bereich der Regulierung von Waren und Dienstleistungen ginge über den Zweck der Waren- und Dienstleistungsverkehrsfreiheit hinaus, denn dieser Zweck besteht in der Gewährung von Marktzugang315 und diesem Zweck ist im Rahmen der Anwendung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips entsprochen. Rn. 12; EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985, Rs. 229/83, Leclerc, Slg. 1985, 1, 35 Rn. 26; Sack, Art. 30, 36 EG-Vertrag und das internationale Wettbewerbsrecht, WRP 1994, S. 281, 288. Vgl. Teil 2 § 8 E. 309 EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985, Rs. 229/83, Leclerc, Slg. 1985, 1, 35 Rn. 27. 310 Vgl. Teil 2 § 8 E. 311 Zur Umgehungsrechtsprechung des EuGH: Teil 2 § 8 F. I. 312 Vgl. Teil 3 § 16 B. V. 1. 313 Vgl. Steindorff, Centros und das Recht auf die günstigste Rechtsordnung, JZ 1999, S. 1140, 1142. 314 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1484, I-1493 Rn. 26. Kritisch: Steindorff, Centros und das Recht auf die günstigste Rechtsordnung, JZ 1999, S. 1140, 1142; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 357. 315 Vgl. EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Keck, Slg. 1993, I-6097, I-6131 Rn. 17; EuGH, Urteil vom 2. 6. 1994, verb, Rs. C-401/92 und C-402/92, Tankstation ’t Heukske vof und J. B. E. Boermans, Slg. 1994, I-2199, I-2233 f. Rn. 12, 14; W.-H. Roth, Die Niederlassungsfreiheit zwischen Beschränkungs- und Diskriminierungsverbot, in: GS Knobbe-Keuk, S. 729, 737 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Europäische
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§ 16 Einführung von Rechtswahlfreiheit
Zudem widerspräche eine solche Interpretation der vom EuGH grundsätzlich anerkannten Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten.316 Nach Feststellung des EuGH in der Cassis-Entscheidung ist es in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierung Sache der Mitgliedstaaten, „alle die Herstellung und Vermarktung von Weingeist und alkoholischen Getränken betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen“,317 wobei dieser Grundsatz durch das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit erheblich eingeschränkt wird318. Eine Interpretation des Begriffs „Maßnahmen mit gleicher Wirkung“ im Sinne von Rechtswahlfreiheit würde die der Rechtsprechung des EuGH zugrundeliegende Abwägung zwischen mitgliedstaatlichen Regulierungsinteressen und dem Interesse an der Verwirklichung des Binnenmarktes319 grundsätzlich verschieben. Eine Rechtswahlfreiheit ist auch nicht über eine weite Auslegung des Verbotes von Ausfuhrbeschränkungen bzw. einer strengen Kontrolle von Beschränkungen zu Lasten inländischer Dienstleistungserbringer im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit oder über ein Verbot von Inländerdiskriminierung zu verwirklichen. Das Verbot von Ausfuhrbeschränkungen (Art. 35 AEUV) wird vom EuGH zu Recht restriktiv gefasst320, so dass allgemein anwendbare Produktregulierungen (wie Grundfreiheiten, Rn. 178, S. 74.; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 28 EG Rn. 2. Kritisch: Steindorff, Unvollkommener Binnenmarkt, ZHR 158 (1994), S. 149, 160: „[…] denn alle die im Interesse von Rechtssicherheit verwertbaren Kriterien für Verstöße gegen Art. 30 EGV, angefangen von der Marktaufteilung bis hin zur Marktschwelle und zum Marktzugang, sind im Grunde Leerformeln, die weder Sicherheit verheißen, noch einen überzeugenden Rechtsgrund für sich geltend machen können“; Reich, Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs als Grundfreiheit, ZHR 153 (1989), S. 571, 574 f. 316 Vgl. EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 662 Rn. 8; Möstl, Wirtschaftsüberwachung von Dienstleistungen im Binnenmarkt – Grundsätzliche Überlegungen aus Anlass der Pläne für eine Dienstleistungsrichtlinie, DÖV 2006, S. 281, 282 f., 284 f.; Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 402. 317 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 662 Rn. 8. 318 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649, 664 Rn. 14. 319 Steindorff, Gemeinsamer Markt als Binnenmarkt, ZHR 150 (1986), S. 687, 689; Kommers/Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration Through Law, Volume 1 Methods, Tools and Institions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165, 172, 218. 320 Das Verbot von Ausfuhrbeschränkungen erfasst nur Maßnahmen, die „spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaats und seinen Außenhandel schaffen, so daß die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt“ (EuGH, Urteil vom 8. 11. 1979, Rs. 15/79, Groenveld, Slg. 1979, 3409, 3415 Rn. 7). Kritisch: W.-H. Roth, Wettbewerb der Mitgliedstaaten oder Wettbewerb der Hersteller?, Plädoyer für eine Neubestimmung des Art. 234 EGV, ZHR 159 (1995), S. 78 – 95.
C. Schaffung von Rechtswahlfreiheit nach geltendem Primärrecht
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eine Einschränkung inländischer Käseproduktion auf bestimmte Sorten321) einer Prüfung am Maßstab des Art. 35 AEUV entzogen sind. Die Regulierung von inländischen Dienstleistungserbringern, die in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen erbringen (wollen), ist am Maßstab der Dienstleistungsfreiheit zu messen.322 Eine Rolle für die Gewährung geringerer Freiheiten in Ausfuhrkonstellationen spielt, dass eine protektionistische Motivation grundsätzlich nur im Fall von Einfuhrbehinderungen besteht und Staaten aus Eigeninteresse grundsätzlich darum bemüht sind, Hindernisse zu Lasten von heimischen Anbietern aus dem Weg zu räumen.323 Auch im Bereich von Dienstleistungen ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass im Fall von Regulierungsanforderungen an heimische Anbieter die Voraussetzungen für die Annahme einer Verletzung der Dienstleistungsfreiheit höher sind als im Fall einer Beschränkung der Erbringung von Dienstleistungen durch ausländische Anbieter im Inland. Die Mitgliedstaaten wären im Fall einer weiten Auslegung des Verbotes von Ausfuhrbeschränkungen bzw. einer strengen Überprüfung von an inländische Dienstleistungserbringer gerichteten Regulierungsanforderungen oder eines gemeinschaftsrechtlichen Verbotes von Inländerdiskriminierungen primärrechtlich dazu verpflichtet, in Exportsachverhalten entweder inländischen Anbietern eine Rechtswahlfreiheit einzuräumen324 oder ihr materielles Recht an die Vorgaben der entsprechenden Mindestharmonisierung bzw. an die Regulierungen anderer Mitgliedstaaten anzugleichen325. Es wäre jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass Mitgliedstaaten auf eine erweiterte Auslegung des Verbotes von Ausfuhrbeschränkungen mittels der Gewährung von Rechtswahl reagieren, da die Einführung von Rechtswahlfreiheit und eine signifikante Abwahl inländischer Regulierungen durch ausländische Anbieter ihre Regulierungssysteme stark relativieren würde. Chancen einer Aufrechterhaltung nationaler Regulierungen und einer Einführung freier Rechtswahl bestünden nur dann, wenn sich die Mehrheit der inländischen Anbieter zum inländischen Regulierungssystem bekennt und das Festhalten am inländischen Regulierungssystem mit Wettbewerbsvorteilen auf den Märkten für Waren und Dienstleistungen verbunden ist bzw. der Staat im Interesse heimischer Anbieter eine nationale auf Regulierungen
321
EuGH, Urteil vom 7. 2. 1984, Rs. 237/82, Jongeneel Kaas, Slg. 1984, 483, 504 f. Rn. 22. EuGH, Urteil vom 10. 5. 1995, Rs. C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141. 323 Vgl. auch: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 155; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 270 f. 324 Vgl. W.-H. Roth, Wettbewerb der Mitgliedstaaten oder Wettbewerb der Hersteller?, Plädoyer für eine Neubestimmung des Art. 234 EGV, ZHR 159 (1995), S. 78, 94. Das Bestehen von Rechtswahlfreiheit schließt eine Beschränkung aufgrund nationaler Regulierungen aus: EuGH, Rs. C-339/89, Alsthom Atlantique, Slg. 1991, I-107, I-124 Rn. 15. 325 Vgl. EuGH, Urteil vom 24. 1. 1991, Rs. C-339/89, Alsthom Atlantique, Slg. 1991, I-107, I-124 Rn. 15. 322
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bezogene „Qualitätspolitik“326 verfolgt. Diese Bedingungen dürften in der Realität jedoch nur ausnahmsweise, wie z. B. im Fall des deutschen Reinheitsgebotes für Bier,327 gegeben sein. Eine weite Auslegung würde deswegen höchst wahrscheinlich zu einer erheblichen Angleichung der mitgliedstaatlichen Regulierungssysteme führen. Auch alle Prozessregulierungen in Bezug auf die Warenproduktion wären konsequenterweise der Prüfung am Maßstab des Verbotes von Ausfuhrbeschränkungen unterworfen, soweit diese für inländische Anbieter belastend wirken.328 Damit wäre die gegenwärtige Kompetenzordnung der EU nachhaltig in Frage gestellt. Aus dem Ziel der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen folgt nicht die Einführung von Rechtswahlfreiheit. Zwar verlangt ein System unverfälschten Wettbewerbs die Chancengleichheit der einzelnen Wirtschaftssubjekte,329 jedoch begründet (wie angesprochen330) nicht jeder Rechtsunterschied auch eine Verzerrung des Wettbewerbs (Art. 116 AEUV)331. Unterschiedliche nationale rechtliche Rahmenbedingungen für die Wirtschaftstätigkeit werden vielmehr von der Binnenmarktkompetenz vorausgesetzt.332
326 Vgl. zur Verfolgung einer nationalen Qualitätspolitik: EuGH, Urteil vom 7. 2. 1984, Rs. 237/82, Jongeneel Kaas BV, Slg. 1984, 483, 505 Rn. 23; BVerfG, Beschluss vom 14. 02. 1967, Az. 1 BvL 17/63, BVerfGE 21, 150, 158. 327 Zum deutschen Reinheitsgebot für Bier: Teil 2 § 9 A. II. 328 Müller-Graff, von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 29 Rn. 15. 329 EuGH, Urteil vom 13. 12. 1991, Rs. C-18/88, GB-Inno-BM SA, Slg. 1991, I-5941 I-5981 Rn. 25. 330 Vgl. Teil 2 § 8 D. II. 331 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 116 AEUV Rn. 1 (EL 43 März 2011): „Der Anwendungsbereich des Art. 116 AEUV […] knüpft an gravierende Wettbewerbsstörungen im Binnenmarkt an“; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 116 Rn. 5; Pipkorn/Bardenhewer-Rating, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Artikel 96 EG Rn. 12, Rn. 13; Zweigert, Grundsatzfragen der europäischen Rechtsangleichung, ihrer Schöpfung und Sicherung, in: FS Dölle, S. 401, 410; Schwartz, Zur Konzeption der Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in: FS Hallstein, S. 474, 493. Anders: Aubin, Zum Aufbau des Tatbestands in Artikel 101 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in: FS Riese, S. 239, 251; Verloren van Themaat, Die Rechtsangleichung als Integrationsinstrument, in: FS Ophüls, S. 243, 249: Ein gemeinsamer Markt mit unverfälschtem Wettbewerb fordert, „dass nicht unterschiedliche nationale Vorschriften zu ungleichen Produktionskosten oder zu ungleichen Chancen in Mengen-, Qualitätsund Preiswettbewerb oder zu sonstigen ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen“. M. Müller schlägt vor, das Vorliegen einer Wettbewerbsverzerrung danach zu beurteilen, ob der Rechtsunterschied den Präferenzen der Bürger entspricht bzw. auf er auf ihnen beruht oder ob der Unterschied auf einem Fehler im politischen Prozess beruht. In letztem Fall sei eine Wettbewerbsverzerrung anzunehmen (M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, Europa zwischen einem Wettbewerb der Gesetzgeber und vollständiger Harmonisierung, S. 141). 332 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1 Europäische Grundfreiheiten, Rn. 169, S. 70 f.
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Der EuGH war in der Vergangenheit zwar entscheidender „Motor der Integration“.333 Der EuGH wird auch zukünftig über den Fortgang der Marktintegration wachen, weshalb zum Teil die Gefahr gesehen wird, dass der EuGH Mitgliedstaaten ein größeres Maß an Integration aufnötigt, als diese bereit sind zu tragen334. Einer Interpretation der Grundfreiheiten im Sinne von Rechtswahlfreiheit bedarf es jedoch nicht, um das Integrationsziel zu erreichen. Während ein erheblicher Anreiz der Mitgliedstaaten an der Errichtung protektionistischer Marktzugangshemmnisse besteht, sind Mitgliedstaaten grundsätzlich bestrebt, ihre inländische Regulierung an das Niveau der Mindestharmonisierung bzw. an das Regulierungsniveau anderer Mitgliedstaaten anzupassen und unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen zu Lasten heimischer Wirtschaftssubjekte zu beseitigen. Auch in diesem Zusammenhang trifft die Aussage von Mehde zu, dass Staaten als Wettbewerbern nicht vorgeschrieben muss, ihre eigenen Interessen im Wettbewerb zu wahren.335 Eine Änderung des Primärrechts mit dem Ziel der Einführung von Rechtswahlfreiheit durch die Mitgliedstaaten erscheint ausgeschlossen, da Rechtswahlfreiheit die Mitgliedstaaten im Fall von Rechtsverschiedenheiten unter einen erheblichen Druck zur Anpassung heimischer Regulierungen setzen würde und deshalb in Staaten mit einem noch strengeren Regulierungsniveau oder nicht vom Markt honorierten Regulierungen auf großen Widerstand stieße.336 Zu erinnern ist aber daran, dass es der EuGH war und nicht die Vertragsväter, der die Grundfreiheiten im Sinne von Beschränkungsverboten interpretierte.337 Die Auslegung der Grundfreiheiten im Sinne von Beschränkungsverboten seitens des EuGH war für die Vertragsväter nicht
333 Mestmäcker, Der Kampf ums Recht in der offenen Gesellschaft, in: Recht in der offenen Gesellschaft, S. 24. Vgl. auch: Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71, 82 ff.; Sichert, Grenzen der Revision des Primärrechts in der Europäischen Union, S. 38. 334 Vgl. Höpner, Usurpation statt Delegation, wie der EuGH die Binnenmarktintegration radikalisiert und warum er politischer Kontrolle bedarf, MPIfG Discussion Paper 08/12; Steindorff, Die Nichtigkeitsklage (Le recours pour excès de pouvoir) im Recht der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, S. 117; Bindschedler, Rechtsfragen der europäischen Einigung, S. 231 Fn. 51. 335 Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 270 f. 336 Koenig/Braun/Capito erörtern verfassungsrechtliche Grenzen der Einführung einer freien Rechtswahl: Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliefdstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 407 f. 337 Everling, Vertragsverhandlungen 1957 und Vertragspraxis 1987 – dargestellt an den Kapiteln Niederlassungsrecht und Dienstleistungen des EWG-Vertrages –, in: FS von der Groeben, S. 111, 120, 125; Schwarze, Funktion des Rechts in der Europäischen Gemeinschaft, in: Gesetzgebung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9 – 30, 13 f. Vgl. EuGH, Urteil vom 8. 2. 1968, Rs. 28/66, Niederlande/Kommission, Slg. 1968, S. 1, 19: „Der in Artikel Absatz 2 des Vertrages gebrauchte Begriff der Voraussetzungen, die von sich aus die rationellste Verteilung der Erzeugung sichern, darf nicht als eine unveränderliche Größe verstanden werden“.
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voraussehbar.338 Eine Schaffung von Beschränkungsverboten durch die Vertragsparteien war aufgrund der damit verbundenen Relativierung eigener Regulierungen damals unvorstellbar und nicht zu verwirklichen gewesen.339
D. Abschließende Bewertung von Kerbers Vorschlag I. Notwendige Rahmenbedingungen für die Einführung von Rechtswahlfreiheit Die Einführung von Rechtswahlfreiheit steht im Widerspruch zu dem festgefügten Grundsatz der Territorialität des Rechts340 und dem darin zum Ausdruck
338
Vgl. von Simson, Die Marktwirtschaft als Verfassungsprinzip in dem europäischen Gemeinschaften, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S. 55, 64; Mestmäcker, Der Kampf ums Recht in der offenen Gesellschaft, in: Recht in der offenen Gesellschaft, S. 11, 24; Schwarze, Funktion des Rechts in der Europäischen Gemeinschaft, in: Gesetzgebung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9, 13 f.; Eger, Comment on Christian Kirchner, in: Economic Analysis of International Law, S. 273, 277. Im Rahmen der Kritik an dem Vorhaben eines Transatlantischen Freihandelsabkommens schwingt auch die Befürchtung mit, dass die beabsichtigte Einrichtung von Schiedsgerichten zu Entwicklungen führt, die von nationaler und europäiscner Seite nicht mehr kontrollierbar sind. Die Rechtsprechung des EuGH dürfte in Bezug auf diese Befürchtungen ein wichtiger Referenzpunkt sein. 339 Everling, Vertragsverhandlungen 1957 und Vertragspraxis 1987 – dargestellt an den Kapiteln Niederlassungsrecht und Dienstleistungen des EWG-Vertrages –, in: FS von der Groeben, S. 111, 113; Seidel, Der EWG-rechtliche Begriff der „Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung“, NJW 1967, S. 2081, 2083 f.; W.-H. Roth, Freier Warenverkehr und staatliche Regelungsgewalt in einem Gemeinsamen Markt, S. 54 – 57. Glaesner nennt als potentielle Maßnahmen gleicher Wirkung staatliche Handelsmonopole, die die Einfuhr beeinflussen, Beschränkungen des Zahlungsverkehrs, Vorschriften über Einfuhrpreise, wenn die vorgeschriebenen Preise den Absatz der importierten Ware unmöglich machen oder unangemessen strenge Anforderungen an Formalitäten beim Import (Glaesner, in: Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag, Art. 30 Tz. 2); Ehlermann, Das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung in der Rechtsprechung des Gerichtshofes, in: FS Ipsen, S. 579, 582 f.; Mestmäcker, Der Kampf ums Recht in der offenen Gesellschaft, in: Recht in der offenen Gesellschaft, S. 11, 24. Vor einer ausweitenden Interpretation der Grundfreiheiten seitens des EuGH wurde jedoch frühzeitig gewarnt (vgl. Steindorff, Die Nichtigkeitsklage (Le recours pour excès de pouvoir) im Recht der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, S. 117; Bindschedler, Rechtsfragen der europäischen Einigung, S. 231 Fn. 51). 340 Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29, 48 f.; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 13 ff.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 2 IV, S. 148; Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht: Ihre Funktionen als wechselseitige Auffangordnungen – Einleitende Problemskizze –, in: Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7, 8, 16 ff.; Sailer, Einige Grundfragen zum Einfluss zwingender Normen, insbesondere der Wirtschaftsgesetzgebung, auf die inhaltliche Gültigkeit international-privatrechtlicher Verträge, S. 11 ff.; Engel, Das Internet und der Nationalstaat, in:
D. Abschließende Bewertung von Kerbers Vorschlag
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kommenden Bestreben von Staaten, eigene Regulierungsziele auf ihrem Territorium zu verwirklichen. Die Bedingungen im Internationalen Privatrecht, das den Charakter der Allseitigkeit341 trägt, sind ganz andere als im Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierungen, die in ihrem Kern untrennbar mit staatlichen Regelungsinteressen verknüpft sind342 und aufgrund von Steuerungsanliegen des Staates ihre Legitimation erst erhalten343. Die Einführung von Rechtswahlfreiheit steht zudem in Konflikt zu dem allgemeinen Bestreben des Unionsgesetzgebers, Regulierungsarbitragen mittels Standortwahl zu verhindern,344 denn Rechtswahlfreiheit führt zu einer Institutionalisierung von Möglichkeiten eines „Rosinen picken“345. Aus Perspektive eines deutschen Juristen, der zwischen den Kategorien des Öffentlichen Rechts und Privatrechts trennt,346 erscheint der Vorschlag Kerbers vor diesem Hintergrund sehr weitreichend, phantasievoll und unrealistisch347. Völkerecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, S. 353, 386. 341 Vgl. Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 11 f. 342 Ruffert spricht vom „politische[n] Charakter“ öffentlich-rechtlicher Normen (Ruffert, Normative Steuerung des Verwaltungshandelns, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, Rn. 5). 343 Zum verfassungsrechtlichen Erfordernis der Geeignetheit von Regulierungen zur Verfolgung eines legitimen Ziels: BVerfG, Beschluss vom 07. 04. 1964, Az. 1 BvL 12/63, BVerfGE 17, 306, 315 – 317; BVerfG, Beschluss vom 05. 12. 2005, Az. 1 BvR 1730/02, GewArch 2006, S. 71, 72 f.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 150. 344 Vgl. EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974, Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, S. 1299, 1309 Rn. 10/12; EuGH, Säger/Dennemeyer, Slg. 1991, I-4221, I-4243 Rn. 12; Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39, 43. 345 Vgl. Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39, 43: „Die Rechtswirklichkeit erlaubt jedoch oft ein formales Auswandern bei tatsächlichem Verbleiben im Inland, gestattet damit die Wahl eines anderen Rechts ohne Standortwechsel. Der Unternehmer verlegt seinen Firmensitz ins Ausland, definiert sich damit legal als Steuerausländer, erzielt seinen Gewinn aber weiterhin im Inland, nutzt also Recht, Infrastruktur und Kaufkraft im Inland, ohne steuerlich zur Finanzierung dieser seiner Erwerbsgrundlage beizutragen“; Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55, 59; Engel, Das Internet und der Nationalstaat, in: Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, S. 353, 385: „Wer dabei geschickt ist, kann den Staat wie eine Cafeteria behandeln, in der er nur das verzehrt, was ihm schmeckt“; Steindorff, Centros und das Recht auf die günstigste Rechtsordnung, JZ 1999, S. 1140, 1143; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 43. 346 Im Ausland existiert diese Trennung zum Teil nicht (Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. IPR Rn. 5; Grimm, Das Öffentliche Recht vor der Frage nach seiner Identität, S. 4). 347 Anders: Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999 S. 401 – 409.
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§ 16 Einführung von Rechtswahlfreiheit
Der Hamburger Rechtswissenschaftler Zweigert prophezeite jedoch schon im Jahr 1964, dass sich auch im internationalen Verwaltungsrecht „der allgemein zu beobachtende Zug zu einem allseitigen Kollisionsrecht aller Disziplinen […] immer klarer durchsetzen wird“,348 womit auch die Möglichkeit einer Rechtswahlfreiheit im Bereich auf öffentlich-rechtlicher Regulierungen denkbar erscheint. In der Tat existiert eine Rechtswahlfreiheit in Bezug auf öffentlich-rechtliche Regulierungen (wie bereits dargestellt349) in der Schweiz. Schweizer Warenhersteller dürfen in der Schweiz Waren auf den Markt bringen, die entweder der europarechtlichen Harmonisierung entsprechen, im Einklang mit den Regelungen eines EU- bzw. EWR-Mitgliedstaates stehen oder alternativ dem schweizer Recht entsprechen (Art. 16b THG).350 Damit ergibt sich eine Rechtswahlfreiheit zwischen der europarechtlichen Harmonisierung, dem Recht eines EU- bzw- EWR-Mitgliedstaates und dem schweizer Recht.351 Die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC erwägt US-amerikanischen Emittenten die Wahl zwischen einer Bilanzierung nach US-GAAP und IFRS zu gestatten, nachdem bislang allein ausländischen Emittenten eine Notierung auf Grundlage einer Bilanzierung nach IFRS erlaubt worden war.352 Eine Erlaubnis nach IFRS zu bilanzieren kommt frühestens 2015 in Betracht.353 Erhebliche Bedeutung für die Verwirklichung dieses Vorschlags hat eine zunehmende Konvergenz bzw. eine Gleichwertigkeit von US-GAAP und IFRS.354 Im europäischen Kontext ist mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und der faktischen Rechtswahlfreiheit in Bezug auf Gesellschaftsrechtsformen das (öffentlich-rechtliche) Prinzip der Territorialität grundsätzlich in Frage gestellt, da das Gesellschaftsrecht durchaus ein Regulierungsinstrument ist.355 Auch das europa348 Zweigert, Internationales Privatrecht und öffentliches Recht, in: Fünfzig Jahre Institut für internationale Angelegenheiten an der Universität Kiel 1965, S. 124, 140. 349 Vgl. Teil 1 § 3 F. 350 Vgl. Erläuterungen zur Verordnung des Bundesrates über das Inverkehrbringen von nach ausländischen technischen Vorschriften hergestellten Produkten und deren Überwachung auf dem Markt (Verordnung über das Inverkehrbringen von Produkten nach ausländischen Vorschriften, VIPaV), S. 5. 351 Vgl. Erläuterungen zur Verordnung des Bundesrates über das Inverkehrbringen von nach ausländischen technischen Vorschriften hergestellten Produkten und deren Überwachung auf dem Markt (Verordnung über das Inverkehrbringen von Produkten nach ausländischen Vorschriften, VIPaV), S. 5. 352 Walter, Speech by SEC Commissioner: Roadmap for the Potential Use of Financial Statements Prepared in Accordance with International Financial Reporting Standards from U.S. Issuers, 27. 08. 2008; Gros/Unrein, Zum Stand der Konvergenz von IFRS und US-GAAP, Eine Analyse der aktuellen Ereignisse, KoR IFRS 2010, S. 461, 462; Hoyle/Schaefer/Doupnik, Advanced Accounting, S. 521. Vgl. Teil 2 § 7 A. II., III. 353 Der Verfasser dankt der SEC für Auskünfte (Juni 2012). 354 Hoyle/Schaefer/Doupnik, Advanced Accounting, S. 521 ff. 355 Vgl. schon: Zweigert, Internationales Privatrecht und öffentliches Recht, in: Fünfzig Jahre Institut für internationale Angelegenheiten an der Universität Kiel 1965, S. 124, 140.
D. Abschließende Bewertung von Kerbers Vorschlag
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rechtliche Herkunftslandprinzip im Bereich der Regulierung von Waren und Dienstleistungen führt zu Einschränkungen der Befugnisse von Mitgliedstaaten, eigene Regulierungsanforderungen durchzusetzen. Hintergrund dieser Einschränkungen von Befugnissen der Durchsetzung nationaler Regulierungsvorstellungen ist einerseits ein rechtspolitisches Bedürfnis, denn das Integrationsziel soll gerade mittels einer „kollisionsrechtlichen“ Harmonisierung in Form des europarechtlichen Herkunftslandprinzips verwirklicht werden. Zum anderen kommt der Gleichwertigkeit nationaler Regulierungen eine entscheidende Bedeutung zu, denn die Gleichwertigkeit nationaler Regulierungen bietet die Grundlage für eine Relativierung des Grundsatzes der Territorialität im Internationalen Öffentlichen Recht.356 Die Gleichwertigkeit führt dazu, dass staatliche Regulierungsziele nicht nur auf Grundlage von eigenen Regulierungen, sondern auch auf Grundlage von fremden Regulierungen verwirklicht werden können.357 Deshalb bildet die Gleichwertigkeit mitgliedstaatlicher Regulierungen die Basis für eine „kollisionsrechtliche“ Integration. Gleichwertigkeit bedeutet jedoch nicht eine Gleichheit nationaler Regulierungen, sondern die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gleichwertigkeit ist immer vor dem Hintergrund des Integrationsziels zu sehen, so dass auch Abstriche in Bezug auf die Durchsetzung von Regulierungsanforderungen hinzunehmen sind.358 Für die Herstellung der Gleichwertigkeit spielt eine Mindestharmonisierung eine entscheidende Rolle, sofern legitime Schutzanliegen nicht schon aufgrund der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regulierungen entsprochen ist. Wenn im europäischen Kontext eine Rechtswahlfreiheit in Bezug auf Waren- und Dienstleistungsregulierungen geschaffen werden soll, kommt der Gleichwertigkeit wahrscheinlich eine noch höhere Bedeutung zu als bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips. Die Einführung einer Rechtswahlfreiheit würde den dem europarechtlichen Herkunftslandprinzip zugrundeliegenden Kompromiss zwischen dem Interesse der Staaten an der Durchsetzung von Regulierungszielen und einer Liberalisierung des grenzüberschreitenden Handels359 deutlich zu Lasten 356
§ 3 A.
Vgl. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 78. Vgl. Teil 1
357 Vgl. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 78; Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 21. Zur Fremdrechtsanwendung im IPR: Vischer, Kollisionsrechtliche Parteiautonomie und dirigistische Wirtschaftsgesetzgebung, in: FS Max Gerwig, S. 167, 169; Beitzke, Betrachtungen zur Methodik im Internationalprivatrecht, in: FS Smend, S. 1, 22. 358 Vgl. Sedemund, Cassis de Dijon“ und das neue Harmonisierungskonzept der Kommission, in: Der Gemeinsame Markt, Bestand und Zukunft in wirtschaftsrechtlicher Perspektive, S. 37, 42 f.; Teil 1 § 3 E. V. 359 Steindorff, Gemeinsamer Markt als Binnenmarkt, ZHR 150 (1986), S. 687, 689; Kommers/Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration Through Law, Volume 1 Methods, Tools and Institions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165, 172, 218. Dieser Kompromiss wird
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der Regulierungsinteressen der Mitgliedstaaten verschieben.360 Im Fall von Rechtswahlfreiheit würden Mitgliedstaaten Befugnisse zur Regulierung des Geschehens auf ihrem Territorium weitgehend genommen,361 so dass der Steuerungsverlust für die Mitgliedstaaten höher ist als bei Anwendung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips. Die Voraussetzungen eines System freier Rechtswahl sind deshalb noch anspruchsvoller als eine Anwendung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips. Entscheidend dürfte daher sein, dass eine qualifizierte Gleichwertigkeit von Regulierungsanforderungen gegeben ist.362 Eine solche Gleichwertigkeit setzt ein erhebliches Maß an Mindestharmonisierung voraus.363
II. Systemwettbewerbliche Bedeutung der Einführung von Rechtswahlfreiheit Kerber erwartet mit der Einführung von Rechtswahlfreiheit eine Intensivierung des Systemwettbewerbs.364 Während ein Systemwettbewerb vermittelt über die Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht und über die faktische Rechtswahlfreiheit in Bezug auf Gesellschaftsrechtsformen in der EU eine relativ geringe Dynamik entfaltet, ist der Wettbewerb der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts und der über Ausflaggungen vermittelte Systemwettbewerb durch eine
durch die Schranken und die Umgehungsrechtsprechung (Sørensen, Abuse of Rights in Community Law: A Principle of Substance or merely Rhetoric?, Common Market Law Review 43 (2006), S. 423, 424; Teil 1 § 3 E. V.) näher ausgestaltet. Vgl. in Bezug auf Formvorschriften im Internationalen Privatrecht: Bericht über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von Herrn Mario Giuliano und Herrn Paul Lagarde, in: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, BT-Drs. 10/503, 20. 10. 1983, S. 33, 61 f. 360 Vgl. Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 108; Steindorff, Centros und das Recht auf die günstigste Rechtsordnung, JZ 1999, S. 1140, 1142 (zur Centros-Entscheidung). Koenig/Braun/Capito sehen mit Einführung von Rechtswahlfreiheit das traditionelle Staatsverständnis in Frage gestellt (Koenig/Braun/ Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 408). 361 Vgl. Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliefdstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 407 f. 362 Zur Bedeutung von Gleichwertigkeit zwischen US-GAAP und IFRS zur Realisierung von Rechtswahlfreiheit vgl. Hoyle/Schaefer/Doupnik, Advanced Accounting, S. 521 ff. 363 Anders: Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 460 ff. 364 Vgl. Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 68.
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hohe staatliche Responsivität gekennzeichnet, die zu einer suboptimalen Deregulierung führte. Sowohl im Rahmen des Delaware Effektes als auch im Fall von Ausflaggungen sind die betreffenden Regulierungen in hohem Maße kostenrelevant und die Staaten hatten erhebliche ökonomische Interessen an einer wettbewerbsfähigen Ausgestaltung des Regulierungsrahmens. Im Fall von Rechtswahlfreiheit im Bereich der Regulierung von Waren und Dienstleistungen werden die Freiheiten der Anbieter wesentlich erweitert, indem sie das auf sie anwendbare Regulierungssystem direkt365 wählen können. Es ist wahrscheinlich, dass Regulierungsarbitragen auch im Fall relativ geringer Rechtsunterschiede eine Rolle spielen, sofern Regulierungen kostenrelevant sind oder Auswirkungen auf die Marktposition von Anbietern haben.366 Staaten besitzen jedoch keine direkten finanzielle Anreize367, ihr Regulierungssystem möglichst attraktiv zu gestalten, zumal sie eine Standortverlagerung von Unternehmen nicht befürchten müssen.368 Es bestünde lediglich ein ökonomisches Interesse der heimischen Rechtsanwaltschaft an der Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Regulierungssystems,369 da Beratungsleistungen zu heimischen Regulierungen nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die heimischen Regulierungen hinreichend attraktiv für die Anbieter sind. Ein ökonomisches Interesse von heimischen Anbietern an einer Anpassung des inländischen Regierungssystems an das anderer Mitgliedstaaten besteht allein aufgrund der Rechtswahlfreiheit grundsätzlich nicht.370 Das durch die jüngere Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften angestoßene MoMiG371 zeigt jedoch, dass nicht allein ökonomische Interessen des Staates zu einer systemwettbewerblichen Re-
365
S. 14.
Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt,
366 Nach Koenig/Braun/Capito wählt zum Beispiel ein in Deutschland ansässiger Nudelherstellers, die belgische Produktregulierung wählt (Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 402). 367 Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 459; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 89. 368 Vgl. Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 387. 369 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 89. 370 Vgl. Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 386. 371 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008, BGBl. I 2008, S. 2026.
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§ 16 Einführung von Rechtswahlfreiheit
sponsivität führen können, sondern dass ein Staat ein allgemeines Interesse daran haben kann, die Abwahl eignen Rechts zu begrenzen.372 Es ist fraglich, ob die Einführung von Rechtswahlfreiheit zu einer besseren Erfüllung von Systemwettbewerbsfunktionen führt als auf Grundlage des europarechtlichen Herkunftslandprinzips: Mit der Einführung von Rechtswahlfreiheit und einem daraus folgenden Systemwettbewerb muss keine zusätzliche Machtbegrenzung politischer Akteure verbunden sein. Interessengruppenregulierungen werden bereits bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips angegriffen, indem sich ehemals dem Konkurrenzschutz dienende Regulierungen bei Öffnung der Märkte als im Wettbewerb nachteilig darstellen.373 Im Bereich der Regulierung von Waren bietet der Übergang auf ein System von Rechtswahlfreiheit im Hinblick auf die Machtbegrenzungsfunktion grundsätzlich keinen Mehrwert, wenn eine Konkurrenz seitens ausländischer Anbieter besteht. Von der Inländerdiskriminierung betroffene heimische Warenanbieter werden alles unternehmen, um eine Beseitigung der Inländerdiskriminierung zu erreichen. Wettbewerbsbeschränkende Interessengruppenregulierungen werden deswegen in aller Regel abgeschafft. Wenn der Gesetzgeber sich dennoch für die Aufrechterhaltung eines strengeren Regulierungsniveaus entscheidet, ist dies höchstwahrscheinlich das Ergebnis einer Abwägung der Verwirklichung von Regulierungszielen auf der einen Seite und industriepolitischen Überlegungen auf der anderen Seite. Aus Perspektive der Interessengruppentheorie kann gerade das Bestehen einer Inländerdiskriminierung hinsichtlich von Regulierungsanforderungen an Waren als Indiz für das Funktionieren des politischen Prozesses und damit als Ausdruck des Demokratieprinzips angesehen werden. Forderungen, eine Ungleichheit von Wettbewerbsbedingungen und eine Inländerdiskriminierung mittels einer Einführung von Rechtswahlfreiheit zu vermeiden, erscheinen deswegen im Bereich von Waren aus politökonomischer Sicht zweifelhaft. Im Dienstleistungsbereich kann die Situation jedoch eine andere sein. Im Bereich von Qualifikationsanforderungen kann eine Inländerdiskriminierung Ausdruck von Interessengruppenpolitik sein, wenn eine Marktzugangsregulierung zu Gunsten der etablierten Anbieter und zu Lasten von marktzugangswilligen Personen, die die Qualifikationsanforderungen nicht erfüllen, aufrechterhalten wird, eine solche Regulierung sachlich nicht gerechtfertigt ist und der politische Prozess fehlerhaft ist.374 372 Rehberg stellt fest, dass ein Staat im Fall von Rechtswahlfreiheit deregulieren muss, um überhaupt noch inländische Unternehmen regulieren zu können (Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29, 43). 373 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 296 f. 374 Vgl. Teil 2 § 9 C. V.
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Im Fall von Rechtswahlfreiheit könnten unter Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips vom Marktzugang ausgeschlossene inländische Anbieter ein fremdes Regulierungssystem wählen und darüber Marktzugang erhalten. Ähnlich wie im Fall des beschriebenen Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzips oder des beschriebenen Systemwettbewerbs vermittelt über die faktische Rechtswahlfreiheit zwischen mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsformen ist nicht mit der Verwirklichung einer nennenswerten Entdeckungs- und Innovationsfunktion zu rechnen. Sehr wahrscheinlich ist mit einer Angleichung mitgliedstaatlicher Regulierungen an die zugrundeliegende Mindestharmonisierung zu rechnen. Ergebnis wäre damit eine Gleichgewichtsbildung. Abhängig vom Niveau der gewählten Mindestharmonisierung führt ein System von Rechtswahlfreiheit wahrscheinlich zu einer Erhöhung der Harmonisierungsdynamik in der EU,375 da Staaten unter einem System von Rechtswahlfreiheit weitgehend ihre Steuerungsmöglichkeiten verloren haben, ein Systemwettbewerb mittels materiellrechtlicher Harmonisierung ausgeschlossen werden kann und staatliche Handlungsspielräume über eine materiellrechtliche Harmonisierung zurückgewonnen werden können. Die Einstellung zu einer materiellrechtlichen Harmonisierung ist dabei im Rahmen der EU wesentlich freundlicher als im Rahmen des Wettbewerbs der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts. Die Einführung von Rechtswahlfreiheit anstelle des europarechtlichen Herkunftslandprinzips wird deswegen vor allem zu einem „race to harmonization“ führen und damit wahrscheinlich nicht die Erwartungen von Kerber erfüllen.
375
Koenig/Braun/Capito sehen hingegen die Gefahr, dass es bei der Gestaltung der Mindestharmonisierung zu der Verankerung eines suboptimal niedrigen Regulierungsniveau komme (Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 406). Zur Harmonisierungsdynamik in der EU: Vaubel, Die politisch-ökonomischen Ursachen der Zentralisierungsdynamik, Wirtschaftsdienst 2007, S. 84 – 88; Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71, 82 ff.
§ 17 Privatisierung des Rechts als Alternative zu staatlichen Regulierungen A. Privatisierung mitgliedstaatlicher Regulierungen Die systemwettbewerbliche Marktanalogie wirft die Frage auf, weswegen die Aufgabe von Recht nicht zukünftig von im Wettbewerb stehenden Privatrechtssubjekten übernommen werden kann, „[d]enn wenn das Recht eine Ware ist, dann müsste es, wie jedes andere Produkt auch, von Privaten hergestellt und angeboten werden dürfen, und es bestünde kein Grund, die Rechtsproduktion beim Staat zu monopolisieren“1.
Es bestünde nicht nur eine fehlende Rechtfertigung einer Regulierung – Engel sieht in einem perfekt funktionierendem Systemwettbewerb ein Ende des Rechts2 –, sondern die Erwartung, dass ein Wettbewerb zwischen Privaten, Wettbewerbsfunktionen besser erfüllen kann als ein Wettbewerb zwischen Staaten3. Zudem wäre eine „Privatisierung“ von einzelstaatlichem Recht ein mögliches Integrationsinstrument,4 denn dort, wo kein nationales Recht existiert, bedarf es 1 Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 17. Vgl. auch: Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäschen Privatrechts, S. 67, 94; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, Die rechtliche Bewältigung zwischenstaatlicher Konkurrenzsituationen im Mehrebenensystem, S. 40 (in Bezug auf Friedmans Modell eines Wettbewerbs der Schulen). 2 Engel, Karl M. Meessen: Wirtschaftsrecht im Wettbewerb der Systeme, AöR 131 (2006), S. 322, 324. L. Michael fragt „Wettbewerb oder Rechtsordnung?“ (Michael, Wettbewerb von Rechtsordnungen, DVBl. 2009, S. 1062, 1063). Nach Kirchhof braucht Recht Maßstäbe und den Staat, der diese Maßstäbe in allgemeinen Regeln verdeutlicht, fortbildet und im Einzelfall zur Wirkung bringt (Kirchhof, Das Maß der Gerechtigkeit, S. 106). 3 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 55; Blankart, Private und öffentliche Unternehmen im Wettbewerb – Ein Effizienzvergleich, in: Der Staat als Wettbewerber und Auftraggeber privater Unternehmen, S. 15 – 30; Zeitel, Privatisierung als wirtschafts- und gesellschaftspolitische Aufgabe, in: Der Staat als Wettbewerber und Auftraggeber privater Unternehmen, 69, 77; Bocherding/Pommerehne/Schneider, Comparing the Efficiency of Private and Public Production: The Evidence from Five Countries, Zeitschrift für Nationaökonomie, Journal of Economics 1982, Supplementum 2, S. 127 – 156. 4 Vgl. Seidel, Korreferat, in: Angleichung des Rechts der Wirtschaft in Europa S. 733, 734 (ablehnend); Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 127 f., 136; Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 110 f.;
A. Privatisierung mitgliedstaatlicher Regulierungen
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keiner „kollisions-“ oder materiellrechtlichen Harmonisierung. Kirchner bemängelt insofern, dass das Primärrecht das Rechtsangleichungspotential von Regeln, die auf privater Grundlage entstanden sind, nicht beachte.5 Aufbauend dem Vorschlag der Einführung von Rechtswahlfreiheit, diskutiert insbesondere Kerber eine mögliche Privatisierung mitgliedstaatlicher Regulierungen als Alternative zum europarechtlichen Herkunftslandprinzip:6 „Durch die freie Wahl von Produzenten und Nachfragern besteht ein Wettbewerb zwischen diesen Zertifikaten […]. Wenn ein solcher Wettbewerb – wie hierbei unterstellt – funktionsfähig sein kann, so stellt sich als nächstes die Frage, weshalb in einem solchen Wettbewerb nur staatliche Anbieter von Qualitätszertifikaten, nämlich die einzelnen Mitgliedstaaten, auftreten dürfen. Konsequenterweise müßten dann auch private Anbieter zugelassen werden, die eigene Zertifikate (mit eigenen Produktregulierungen) entwickeln und Produzenten und Konsumenten anbieten können“.7
Regulierungsaufgaben werden nach Kerber fortan durch den Markt selbst übernommen, indem „Qualitätszertifikate“ von privaten Anbietern entwickelt und wettbewerblich angeboten werden. Der Systemwettbewerb würde durch einen Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten ersetzt.8 Grundlegend sind Reputationseffekte: Qualitätszertifikate, die den Präferenzen der Nachfrager am besten entsprechen, stellen auf dem Markt einen Wettbewerbsvorteil für Anbieter dar, die diese verwenden.9 Für Anbieter von Qualitätszertifikaten bestehen deshalb Anreize, Qualitätszertifikate zu schaffen, die auf dem Waren- und Dienstleistungsmärkten höchste Wertschätzung erfahren. Folge ist unter Umständen eine Anpassung der Qualitätszertifikate an die Interessen der Nachfrager. Dabei müssen die Anbieter von Qualitätszertifikaten nicht nur die bestehenden Präferenzen der Nachfrager nachvollziehen, sondern können Qualitätszertifikate auch im Hinblick auf zukünftige
Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 49 f. 5 Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 110 f. 6 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäschen Privatrechts, S. 67, 94. Vgl. auch: Apolte, Regulierungswettbewerb in föderalen Strukturen: Königswettbewerb zwischen Staatsversagen und Marktversagen?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 55, 68. 7 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäschen Privatrechts, S. 67, 94. 8 Vgl. Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 114 ff.; Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 19. 9 Pünder, Zertifizierung und Akkreditierung – private Qualitätskontrolle unter staatlicher Gewährleistungsverantwortung, ZHR 170 (2006), S. 567, 591.
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§ 17 Privatisierung des Rechts als Alternative zu staatlichen Regulierungen
Präferenzen der Nachfrager entwickeln10 und für Anbieter hochqualitativer Waren und Dienstleistungen können womöglich Systeme geschaffen werden, die es ihnen ermöglicht, Qualität besser zu signalisieren. Möglicherweise kommt es zu einer evolutorischen Entwicklung der Qualitätszertifikate. Soweit ein System der Selbstregulierung nicht funktioniert, wäre eine geeignete Mindestharmonisierung zu schaffen.11 Im Rahmen der Mindestharmonisierung müssten etwaige Schutzpflichten der Mitgliedstaaten Ausdruck finden12 und dem Unionsgesetzgeber käme insofern eine Verantwortung zu, ein bestimmtes Mindestschutzniveau zu gewährleisten (Gewährleistungsverantwortung)13. Es sind im Rahmen von Mindestharmonisierung auch die Rechte der Anbieter von Waren und Dienstleistungen zu berücksichtigen. Werden die Anbieter von Waren und Dienstleistungen gezwungen, sich einem Zertifizierungssystem anzuschließen, muss im Hinblick auf Eingriffe in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) eine Regelung im Rahmen der Mindestharmonisierung getroffen werden.14 Heine diskutiert eine Ersetzung staatlichen Gesellschaftsrechts durch Vertragsfreiheit und eines damit verbundenen Übergangs einer Rechtsgestaltung durch Anwälte.15 Ein entscheidendes Hemmnis für ein privates Angebot gesellschaftsrechtlicher Regeln ist, dass die von Anwälten entwickelten Regeln von anderen Anwälten oder von Gründern grundsätzlich imitiert werden können.16 Zwar kann nach deutschem Urheberrecht die konkrete Ausgestaltung vertraglicher Regelungen dem Urheberrechtsschutz unterfallen,17 jedoch ist die dahinter stehende Idee, die 10 Vgl. Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäschen Privatrechts, S. 67, 94; Isaacson, Steve Jobs, S. 661. 11 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäschen Privatrechts, S. 67, 94. 12 Vgl. Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 14. 13 Vgl. Pünder, Zertifizierung und Akkreditierung – private Qualitätskontrolle unter staatlicher Gewährleistungsverantwortung, ZHR 170 (2006), S. 567, 592 – 596. 14 Vgl. Pünder, Zertifizierung und Akkreditierung – private Qualitätskontrolle unter staatlicher Gewährleistungsverantwortung, ZHR 170 (2006), S. 567, 595; Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 235, 258 ff. 15 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 114 f. 16 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 114 f. Vgl. auch: Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 85, 117. Eine Geheimhaltung der rechtlichen Regelungen (Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 85, 118) zur Vermeidung ihrer Imitation ist im Bereich von public corporations (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 112) nicht möglich. 17 Vgl. LG Hamburg, Urteil vom 04. 06. 1986, Az. 74 O 283/85, GRUR 1987, 167, 167 f. Zur Begründung des Gerichts in Bezug auf die Annahme des Vorliegen eines Werkes im Sinne
B. Private Aufgabenwahrnehmung
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letztlich das Wesentliche ist, nicht urheberrechtlich geschützt18. Gesellschaftsrechtliche Ideen stellen insofern zumindest auf den gewählten Regelungsansatz bzw. die zugrundeliegende Idee öffentliche Güter dar.19 Vor diesem Hintergrund schlägt Heine einen weiteren Urheberrechtsschutz für vertragliche Gestaltungen vor.20 Fraglich ist, in welchem Umfang Heine vertragliche Gestaltungen geschützt haben möchte und ob er insbesondere auch Ideen einem Schutz unterwerfen möchte. Im Interesse einer wettbewerblichen Weiterentwicklung wäre ein angemessener Ausgleich zwischen Schutzinteresse des Urhebers und dem Interesse an einer Wettbewerbsfreiheit in Bezug auf die Gestaltung vertraglicher Regelungen zu finden. Zudem wäre fraglich, ob die Nachfrager nach gesellschaftsrechtlichen Regeln sich überhaupt hinreichend über die Unterschiede zwischen den Angeboten informieren.21
B. Private Aufgabenwahrnehmung als Alternative zur staatlichen in anderen Zusammenhängen I. Privatisierung im technischen Sinne Privatisierung als Alternative zu staatlicher Aufgabenwahrnehmung ist insbesondere im Zuge der Privatisierung22 der Bahn und der Post23 in den Blickpunkt gerückt. Wichtiges Argument einer Privatisierung ist eine Steigerung der Qualität des Angebotes und eine effizientere Leistungserbringung.24 des UrhG: „Nach Ansicht des Gerichts ist der Entwurf eines für viele Anleger bestimmten Gesellschaftsvertrag eine schwierige juristische Rechtsanwaltstätigkeit. Die Formulierungen müssen präzise sein und Eventualitäten berücksichtigen […] Mit einer bloßen Prüfungstätigkeit anhand von Kommentaren und Rechtsprechung ist es in einem solchen Fall nicht getan“ (S. 168); Loewenheim, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, § 2 Rn. 113. Auch Allgemeine Geschäftsbedingungen (Loewenheim, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, § 2 Rn. 91) und anwaltlichen Schriftsätze können schutzfähig sein (Loewenheim, in: Schricker/ Loewenheim, Urheberrecht, § 2 Rn. 87, 92). 18 Loewenheim, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, § 2 Rn. 113. Vgl. auch: Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, § 2 Rn. 19, 39; BGH, Urteil vom 19. 10. 1994, Az. I ZR 156/92, GRUR 1995, 47, 48; OLG München, Beschluss vom 31. 07. 1990, Az. 6 W 1757/ 90, GRUR 1992, S. 327, 328: „Die Idee allein, in Anlehnung an Adventskalender einen entsprechenden Osterkalender zu gestalten, ist nicht schutzfähig“ (wettbewerbsrechtliche Beurteilung). 19 Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, S. 35. 20 Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 115. Bei Heine kommt jedoch nicht zum Ausdruck, dass eine grundsätzliche Schutzfähigkeit von vertraglichen Gestaltungen gegeben ist. 21 Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, S. 35. 22 Zum Begriff vgl. Kämmerer, Privatisierung, S. 7 ff. 23 Vgl. aus rechtswissenschaftlicher Sicht: Kämmerer, Privatisierung. 24 Vgl. Blankart, Private und öffentliche Unternehmen im Wettbewerb – Ein Effizienzvergleich, in: Der Staat als Wettbewerber und Auftraggeber privater Unternehmen, S. 15 – 30;
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Ein möglicher Effizienzvorteil der Aufgabenwahrnehmung durch Privatrechtssubjekte kann einen Wettbewerbsvorteil im Systemwettbewerb darstellen und Privatisierung kann damit zu einem staatlichen Handlungsmittel werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.25
II. Anarcho-Kapitalismus Libertäre26 wie D. Friedman treten für eine weitgehende Zurückdrängung des Staates und einer Ersetzung von ehemals staatlichen Aufgaben durch Vertragsbeziehungen zwischen Privatrechtssubjekten ein.27 Nach diesem Konzept muss derjenige, der (ursprünglich staatliche) Leistungen erhalten will, gegen Entgelt entsprechende Verträge mit Privatrechtssubjekten abschließen. Leistungen werden ausschließlich auf privatautonomer Grundlage erbracht.28 Die Zurückhaltung gegenüber staatlicher Aufgabenwahrnehmung betrifft dabei auch das Recht und insbesondere den Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierung. Staatliche Ver- und Gebote werden aufgehoben.29 Der staatliche Ordnungsrahmen besitzt keine Bedeutung mehr. Es kann von einer reinen Privatrechtsgesellschaft, das heißt einer Privatrechtsgesellschaft30 ohne staatlichen Ordnungsrahmen, gesprochen werden. Da diese Ideen auf staatlichem Hoheitsgebiet nicht zu verwirklichen sind,31 befürwortet P. Friedman, Enkel von M. Friedman, die Errichtung von Lebensräumen
Zeitel, Privatisierung als wirtschafts- und gesellschaftspolitische Aufgabe, in: Der Staat als Wettbewerber und Auftraggeber privater Unternehmen, 69, 77; Bocherding/Pommerehne/ Schneider, Comparing the Efficiency of Private and Public Production: The Evidence from Five Countries, Zeitschrift für Nationaökonomie, Journal of Economics, 1982, Supplementum 2, S. 127 – 156. 25 Nach Ansicht von Breton ist infolge von Systemwettbewerb eine verstärkte Umschichtung der Aufgabenwahrnehmung vom Staat zu Privaten zu erwarten (Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism, European Journal of Political Economy 3(1+2) (1987), S. 263, 324). 26 Zum Begriff vgl. Kilpper, Freiheit ohne Staat ?, Eine Kritik des libertären Ordnungsentwurfes einer reinen Privateigentumsgesellschaft, S. 4 f. 27 D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism. Vgl. die Darstellung des libertären Konzeptes in: Kilpper, Freiheit ohne Staat?, Eine Kritik des libertären Ordnungsentwurfes einer reinen Privateigentumsgesellschaft, S. 55 ff. 28 Kritisch: Habermann, Bemerkungen zu den Grenzen der ,Privatisierung‘ öffentlicher Leistungen und Räume, in: FS Eickhof, S. 301 – 305, 304. Zu einer grundsätzlichen Kritik am Staat: Rothbard, Die Ethik der Freiheit. 29 D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism, S. xvii. 30 Vgl. Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO 17 (1966), S. 75 – 151. 31 P. Friedman/Taylor, Seasteading: Competitive Governments on the Ocean, KYKLOS 65 (2012) (2), S. 218, 224.
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auf den Weltmeeren32 und hält auf lange Sicht auch ein Ausweichen auf den Weltraum für möglich33. Aus Perspektive der Befürworter von Systemwettbewerb kann das Konzept verschiedener Seasteads als entscheidende Weiterentwicklung eines Wettbewerbs der Staaten betrachtet werden.34 Ein Wettbewerb von Seasteads dürfte wesentlich intensiver ausfallen als ein Wettbewerb der Staaten.35 Zudem treten Seasteads auch im Verhältnis zu Staaten in Wettbewerb einander, wobei Seasteads sich in besonderer Weise bemühen werden, die Rahmenbedingungen möglichst entsprechend der Präferenzen möglicher Zielgruppen anzupassen.36 Der Staat dürfte hier ins Hintertreffen geraten. Gleichzeitig können zahlungskräftige Privatrechtssubjekte durch die Ansiedlung auf Seasteads erhebliche Vorteile generieren. Entscheidend für die Bewertung dieses Konzeptes ist erstens (ähnlich wie im Rahmen der Bewertung von Systemwettbewerb) die Bewertung staatlicher Aufgabenwahrnehmung und zweitens das Funktionieren einer Wahrnehmung ehemals staatlicher Aufgaben über den Markt. Auch hier besteht das Problem der Ungleichheit zwischen mobile und immobilen Privatrechtssubjekten, da sich nur zahlungskräftige Privatrechtssubjekte einen Umzug auf Seasteads leisten können. Der anarcho-kapitalistische Ansatz steht im Widerspruch zur evolutorischen Erklärung der Entstehung von Staaten insbesondere seitens C. Mengers37. Wenn die Entstehung von Staaten mit einer privaten Nachfrage nach einer (vor-)staatlichen Organisationsform erklärt wird,38 stellt sich die Frage, warum es überhaupt zur Entwicklung von Staaten gekommen ist und warum nicht Privatrechtssubjekte von Anfang an die Erbringung von Leistungen übernommen haben, die der Staat bereitstellt.39 Wäre eine gesellschaftliche Organisation auf ausschließlicher Grundlage vertragsrechtlicher Beziehungen vorteilhafter gewesen, hätte sich aus evolutorischer
32 Vgl. P. Friedman/Taylor, Seasteading: Competitive Governments on the Ocean, KYKLOS 65 (2012) (2), S. 218 – 235. Zu historischen Parallelen: P. Friedman/Taylor, Seasteading: Competitive Governments on the Ocean, KYKLOS 65 (2012) (2), S. 218, 226 f. 33 P. Friedman/Taylor, Seasteading: Competitive Governments on the Ocean, KYKLOS 65 (2012) (2), S. 218, 224. 34 Vgl. P. Friedman/Taylor, Seasteading: Competitive Governments on the Ocean, KYKLOS 65 (2012) (2), S. 218 – 235. 35 Vgl. P. Friedman/Taylor, Seasteading: Competitive Governments on the Ocean, KYKLOS 65 (2012) (2), S. 218, 224 f. 36 Zu privatautonom gestalteten Räumen innerhalb von Staaten: Habermann, Bemerkungen zu den Grenzen der ,Privatisierung‘ öffentlicher Leistungen und Räume, in: FS Eickhof, 2008, S. 301 – 305; Lichtenberger, Die Privatisierung des öffentlichen Raumes in den USA, in: FS Fritz Kastner, S. 29 – 39. 37 Vgl. C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 180 f., 275 (Anhang VIII). 38 Vgl. C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere, S. 179 f. 39 Vgl. auch: Nozick, Anarchie, Staat, Utopia, S. 31 ff.; Kilpper, Freiheit ohne Staat?, Eine Kritik des libertären Ordnungsentwurfes einer reinen Privateigentumsgesellschaft, S. 3.
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Perspektive wahrscheinlich eine solche Organisation gegenüber dem Ordnungsmodell Staat durchgesetzt.
III. M. Friedmans Konzept eines Wettbewerbs zwischen privaten und öffentlichen Schulen Neben einem vollkommenden Rückzug des Staates ist ein wettbewerbliches Angebot von Leistungen seitens von Privaten einerseits und dem Staat andererseits denkbar. M. Friedman und D. Friedman stellten ein Konzept des Wettbewerbs zwischen öffentlichen und privaten Schulen vor.40 Danach können Eltern ihre Bewertung der unterschiedlichen Schulen direkt über die Schulwahl für ihre Kinder ausdrücken.41 Dabei ist nach D. Friedman ein Gutscheinsystem denkbar, wonach Eltern Bildungsgutscheine besitzen, die sie sowohl an öffentlichen als auch an privaten Schulen einlösen können,42 womit der Staat den Erwerb von Schulleistungen durch Eltern subventioniert43. M. Friedman vermutetet, dass private Schulen besser in der Lage sein werden, den Präferenzen der Eltern zu entsprechen als öffentliche Schulen.44 Zudem tritt M. Friedman für einen Wettbewerb zwischen staatlichen und
40 M. Friedman, The Role of Government in Education, in: Economics and the Public Interest, S. 123, 129 ff.; M. Friedman, Kapitalismus und Freiheit, S. 124 f. Zu einem Wettbewerb von (Hoch-) Schulen: Buckley/Schneider, School choice, parental information, and Tiebout sorting: Evidence from Washington, DC, in: The Tiebout-Modell at Fifty, S. 101 – 122; D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism, S. 55 ff. Vgl. auch: Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 39 – 40; Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, Reaktion auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten, S. 13 f.; Mause, Ist Bildung eine Ware? Ein Erklärungsversuch, ORDO 59 (2008), S. 363 – 380; Geis, Universitäten im Wettbewerb, Gemeinwohl durch Wettbewerb?, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 364 – 400; Bumke, Universitäten im Wettbewerb, Gemeinwohl durch Wettbewerb?, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 407 – 461; Monopolkommission, Wettbewerb als Leitbild für die Hochschulpolitik; Watrin, Wettbewerb und Wettbewerbshindernisse im deutschen Hochschulsystem, in: FS Boettcher, S. 245 – 260; Wallrabenstein, Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: VVDStRL 73 (2013), S. 41, 56 f., 68 – 71. 41 M. Friedman, The Role of Government in Education, in: Economics and the Public Interest, S. 123, 129: „Parents could express their views about schools directly, by withdrawing their children from one school and sending them to another, to a much greater extent than is now possible“. In Bezug auf die räumliche Mobilität von Schülern ergeben sich Grenzen: „Der Umzug einer Familie in ein anderes Bundesland wird nur in besonderen Einzelfällen wegen eines besseren Schulangebotes erfolgen“ (Wallrabenstein, Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: VVDStRL 73 (2013), S. 41, 59). 42 D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism, S. 55 ff. 43 D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism, S. 57. 44 M. Friedman, The Role of Government in Education, in: Economics and the Public Interest, S. 123, 129.
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privaten Universitäten45 ein, wobei nach M. Friedman dieser Wettbewerb nicht durch die staatliche Finanzierung verzerrt werden darf.46
IV. Ordnung von Eigentumsrechten auf privater Grundlage Nach dem Coase-Theorem47 erfolgt eine effiziente Ordnung von Eigentumsrechten auf privatautonomer Grundlage, sofern die Transaktionskosten in Bezug auf die Verteilung von Handlungsrechten gleich Null sind.48 Die ursprüngliche Verteilung der Eigentumsrechte durch einen Staat ist deshalb unerheblich. Unter den extremen Annahmen des Coase-Modells wäre der Staat nicht grundsätzlich verpflichtet, die optimale Ausgestaltung von Eigentumsrechten zu regeln, sondern könnte darauf vertrauen, dass Privatrechtssubjekte auf Basis der vom Staat vorgegeben Regelungen die effizientesten Gestaltungen finden. Den Gedanken des Coase-Theorems überträgt D. Friedman auf das Problem der Bereitstellung öffentlicher Güter. Er schlägt vor, dass der Anbieter eines öffentlichen Gutes entweder Verträge mit all den Personen abschließen kann, die sich in Reichweite des öffentlichen Gutes befinden und die das öffentliche Gut nutzen oder das Land, auf das sich die Reichweite des öffentlichen Gutes erstreckt, erwerben.49 Nach D. Friedmann würde jemand, der einen Staudamm errichtet, um eine effektive Landwirtschaft in Flussnähe zu ermöglichen, zunächst all die landwirtschaftlichen Flächen erwerben, dessen Nutzung von der Errichtung des Dammes profitieren.50
V. Wettbewerb zwischen privaten Währungsanbietern In Schottland existierte von 1716 bis 1845 kein Notenbankmonopol,51 so dass es zu einem Wettbewerb privater Währungsanbieter kam.52 Der Wettbewerb sorgte für eine Stabilität der Währungen und sorgte für niedrige Inflationsraten.53 45
Vgl. zu einem Wettbewerb von Universitäten auch: Geis, Universitäten im Wettbewerb, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 364 – 406; Bumke, Universitäten im Wettbewerb, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 407 – 461; Wallrabenstein, Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: VVDStRL 73 (2014), S. 41, 59 f. 46 M. Friedman, Kapitalismus und Freiheit, 2004, S. 123 f. Vgl. auch: D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism, S. 55. Zur notwendigen Voraussetzung von Studiengebühren im Rahmen eines solchen Wettbewerbs vgl. Wallrabenstein, Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: VVDStRL 73 (2014), S. 41, 61 f. 47 Coase, The Problem of Social Cost, Journal of Law and Economics 3 (1960), S. 1 – 44. 48 Zum Coase-Theorem vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 72 ff. 49 D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism, S. 136 f. 50 D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism, S. 137. 51 Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 265 f.
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§ 17 Privatisierung des Rechts als Alternative zu staatlichen Regulierungen
Ein Teil der ökonomischen Literatur befürwortet auch heute ein Angebot von Geld von im Wettbewerb zueinander stehenden privaten Währungsanbietern.54 Der Marktmechanismus wird insofern gegenüber einer politischen Steuerung bzw. der Steuerung durch eine Notenbank als überlegen bewertet.55 Tatsächlich bestehen auch private Parallelwährungen, z. B. in Form des „Chiemgauer“ in der Region Chiemgau oder der „Sardex“ auf Sizilien.56 Der Gedanke privater Währungen erhält aufgrund des Phänomens virtuellen Geldes wie Bitcoins57 neue und grundsätzliche Aktualität, wobei es sich letztlich gerade auch um einen Wettbewerb zwischen staatlichen Währungen und Bitcoins handelt. Virtuelles Geld ist von staatlichem Recht und staatlichen Aufsichtsbehörden abhängig. Dabei ist die zukünftige Regulierung von virtuellem Geld durch Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden, die bis hin zu Verboten wie in Frankreich58 reichen können, in erheblichem Umfang noch fraglich.59 Staaten können dabei mittels Regulierung in diesen Wettbewerb eingreifen, wobei aus Perspektive der Bürokratietheorie auch erhebliche Anreize für eine Regulierung bestehen. Vor diesem Hintergrund besteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit in Bezug auf virtuelles Geld.60
52
Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 265 – 274. Geue, Evolutionäre Institutionenökonomik, S. 267 – 269. 54 Vgl. D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism, S. 224; Hoppmann, Kulturelle Evolution und ökonomische Effizienz, in: FS Mestmäcker, S. 177, 188. 55 D. Friedman, The Machinery of Freedom, Guide to a Radical Capitalism, S. 224. 56 Lochmaier, Bitcoins: Zwischen Spekulationsblase und Hype, diebank, Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis 2014 (3), S. 64, 67; Koller/Seidel, Geld war gestern, S. 145 ff.; Gutmann (Hrsg.), The Bitcoin Bible, Gold Edition, All you need to know about bitcoins; Nestler, Deutschland erkennt Bitcoins als privates Geld an, 16. 08. 2013, abrufbar unter: http://www.faz. net/aktuell/finanzen/devisen-rohstoffe/digitale-waehrung-deutschland-erkennt-bitcoins-als-pri vates-geld-an-12535059.html.; http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Regionalgelder. 57 Vgl. Koller/Seidel, Geld war gestern, S. 145 ff.; Lochmaier, Bitcoins: Zwischen Spekulationsblase und Hype, diebank, Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis 2014 (3), S. 64 ff.; Gutmann (Hrsg.), The Bitcoin Bible. Das Bundesministerium für Finanzen stuft Bitcoins als Rechnungseinheiten im Sinne von § 1 Abs. 11 Nr. 7 KWG und spricht in diesen Zusammenhang vom „private[m] Geld“ (Antwortschreiben des Bundesministerium der Finanzen auf die schriftliche Anfrage von Herrn Frank Schäffler (Az. IV D 3 – S 7160-b/0 :001; Dokument: 2013/0752711; http://www.frank-schaeffler.de/wp-content/uploads/2013/08/2013_08_07-Ant wort-Koschyk-Bitcoins-Umsatzsteuer.pdf). Vgl. Nestler, Deutschland erkennt Bitcoins als privates Geld an, 16. 08. 2013, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/finanzen/devisen-rohstoffe/ digitale-waehrung-deutschland-erkennt-bitcoins-als-privates-geld-an-12535059.html; Gutmann (Hrsg.), The Bitcoin Bible, S. 292 – 294. 58 Lochmaier, Bitcoins: Zwischen Spekulationsblase und Hype, diebank, Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis 2014 (3), S. 64, 64. 59 Vgl. Lochmaier, Bitcoins: Zwischen Spekulationsblase und Hype, diebank, Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis 2014 (3), S. 64, 64 f. 60 Vgl. Lochmaier, Bitcoins: Zwischen Spekulationsblase und Hype, diebank, Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis 2014 (3), S. 64, 66: „Auch in rechtlicher Hinsicht ist das sensible Terrain selbst von Experten kaum mehr zu überblicken“. 53
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VI. Die Regeln der lex mercatoria und lex digitalis als privates „Recht“ Aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist die sogenannte lex mercatoria als „selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft“61 bekanntestes Beispiel privater Regeln.62 Es handelt sich bei dem Phänomen der lex mercatoria um Geschäftsbedingungen bzw. Handelsklauseln63, Verkehrssitten und Handelsbräuche, die in den einzelnen Branchen des internationalen Wirtschaftsverkehrs massenhaft beachtet werden und die von öffentlich-rechtlichen oder privaten vorformuliert bzw. aufgezeichnet worden sind.64 Der Rechtscharakter der lex mercatoria ist höchst strittig.65 Nach richtiger Auffassung finden diese Regelungen ihre Grundlage in dem jeweiligen Vertragsverhältnis,66 weswegen im Fall der Zuständigkeit staatlicher Gerichte diese Regeln nur in Grenzen des zwingenden einzelstaatlichen Rechts, das auf den Sachverhalt Anwendung findet, Anwendung beanspruchen können67. Zwingendes nationales Recht kann jedoch ausgeschlossen werden, wenn eine Zuständigkeit von Schiedsgerichten
61 Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht; Großmann-Doerth, Der Jurist und das autonome Recht des Welthandels, JW 1929, S. 3447 – 3451. 62 Vgl. Mertens, Nichtlegislatorische Rechtsvereinheitlichung durch transnationales Wirtschaftsrecht und Rechtsbegriff, RabelsZ 1992, S. 219 – 242; Mertens, Lex Meratoria: A Self-applying System Beyond National Law?, in: Global Law without a State, S. 31 – 43; G. Teubner, Globale Bukowina: Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus, Rechtshistorisches Journal 15 (1996), S. 255, 264; Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht; Großmann-Doerth, Der Jurist und das autonome Recht des Welthandels, JW 1929, S. 3447 – 3451. 63 Vgl. Carr, International Trade Law, 5 ff.; K. Schmidt, Handelsrecht, § 30 I 2., 3., S. 978 ff.; Piltz, INCOTERMS 2000 – ein Praxisüberblick, RIW 2000, S. 485 – 489. Zu privaten Regeln im Bereich der Seeschifffahrt: A. Maurer, Lex Maritima, S. 42 – 51. 64 von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, § 2 Rn. 72 S. 76 f.; Konradi, Lex mercatoria als globales Recht der Wirtschaft? Die Koordination der internationalen Transaktionen am Beispiel der Holzindustrie, TranState Working Papers No. 56, 2007, S. 24 ff. Auch eingebürgerte Allgemeinen Geschäftsbedingungen können faktisch Rechtscharakter besitzen (vgl. Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 206 (2006), S. 477, 479 – 481). 65 G. Teubner, Globale Bukowina: Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus, Rechtshistorisches Journal 15 (1996), S. 255, 264: „Auf dem Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechts wird zur Zeit ein regelrechter Glaubenskrieg geführt. Internationale Wirtschaftsjuristen fechten einen Dreißigjährigen Krieg um die Frage der Unabhängigkeit der lex mercatoria aus, ohne daß Münster und Osnabrück in Sicht wären“. 66 Vgl. Schmidtchen, Territorialität des Rechts, Internationales Privatrecht und privatautonome Regelung internationaler Sachverhalte, RabelsZ 59 (1995), S. 56, 101; Mertens, Lex Meratoria: A Self-applying System Beyond National Law?, in: Global Law without a State, S. 31 – 43. 67 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 279 – 281.
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(als eine Privatisierung richterlicher Tätigkeit68) vereinbart wird.69 Da die als lex mercatoria bezeichneten Regeln jedoch Aufgaben der Verhaltenssteuerung wahrnehmen, können diese Regelungen als Recht in einem weiteren Sinne bezeichnet werden.70 Die Entwicklung dieser Normen findet von Seiten bestimmter Organisationen wie der Internationalen Handelskammer71 und im Rahmen des Schiedsgerichtswesens72 statt. Die internationale Handelsgesellschaft formt damit ihre Regeln sozusagen selbst. In Anspielung auf Eugen Ehrlichs Leben in Czernowitz73 und seiner Lehre, nach der das Recht aus der Gesellschaft heraus entsteht, bezeichnet G. Teubner die lex mercatoria als „Global Bukowina“.74 Es handelt sich bei der Entstehung und Entwicklung der lex mercatoria nicht nur um ein Beispiel evolutorischer Rechtsentwicklung,75 sondern um ein Beispiel einer „materiellrechtlichen Harmonisierung“ von Regeln auf evolutorischem Weg76. Diese Harmonisierung stößt auch auf Seiten der Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie auf Zustimmung77 und dürfte auch auch Zustimmung der Ver68
Staatliche Gerichte und Schiedsgerichte können in einem Wettbewerbsverhältnis stehen. Wettbewerbsparameter können Spezialisierung (Benson, The Enterprise of Law, S. 237 – 239) Verfahrensdauer, Kosten- und Neutralität der Justiz (Schütze, Privatisierung richterlicher Tätigkeit: Ersetzung staatlicher Gerichte durch private Schiedsgerichte?, ZVglRWiss 99 (2000), S. 241, 244 ff.) sein. Vgl. Schmidtchen, Lex Mercatoria und die Evolution des Rechts, in: Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 1, 20 ff. 69 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 280; Dasser, Internationale Schiedsgerichte und lex mercatoria, S. 13 – 135. 70 Vgl. Schmidtchen, Lex Mercatoria und die Evolution des Rechts, in: Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 1, 2, 14 ff. Vgl. zur Definition von Recht: Teil 1 § 1 A. I. 71 Vgl. K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl., § 30 I, S. 838 ff. 72 Schmidtchen, Lex Mercatoria und die Evolution des Rechts, in: Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 1, 18 f., 22 ff. 73 Vgl. Rehbinder, Neues über Leben und Werk von Eugen Ehrlich, in: FS Schelsky, S. 403 – 418. 74 Vgl. G. Teubner, Global Bukowina: Legal Pluralism in the World Society, in: Global Law without a State, S. 3 – 28; G. Teubner, Global Bukowina: Legal Pluralism in the World Society, SSRN-Paper. 75 Vgl. Schmidtchen, Lex Mercatoria und die Evolution des Rechts, in: Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 1, 17 ff.; Dasser, Internationale Schiedsgerichte und lex mercatoria, S. 32 ff. 76 Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), 19, 26; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 531. 77 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 241; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration – Freiburgs Botschaft für ein offenes Europa –, S. 85, 93. Vgl. auch: Mertens, Nichtlegislatorische Rechtsvereinheitli-
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treter der Theorie der Effizienz des Common Law78 finden. Als Stärke einer Harmonisierung auf evolutorischem Wege wird insbesondere eine andauernde Anpassung der Regeln der lex mercatoria an die Präferenzen des Rechtsverkehrs angesehen.79 Ähnlich wie die lex mercatoria entwickelten sich in jüngerer Vergangenheit Regelungen mit Bezug zum Internet wie Regelungen der Netiquette. Die Regeln der lex digitalis beziehen sich im Unterschied zu den Regelungen der lex mercatoria auch gerade auf zwingende Bestimmungen und insbesondere auch auf öffentlich-rechtliche Normen.80 Die Entstehung von Verhaltenskodizes liegt angesichts der Problematik einer Regulierung im Bereich des Internets im Interesse von Staaten und im Interesse der EU.81 Auch die lex digitalis existiert nicht unabhängig von der staatlichen Rechtsordnung, weswegen sie nicht als eine eigene Rechtsordnung betrachtet werden kann.82
VII. Technische Normung Im Bereich der technischen Normung83 hat sich eine Verweisungstechnik auf nichtstaatliche Regelungen etabliert, die Regelungsbereiche betrifft, die vormals Gegenstand öffentlich-rechtlicher Regulierung waren,84 so dass die technische chung durch transnationales Wirtschaftsrecht und Rechtsbegriff, RabelsZ 56 (1992), S. 219, 220. 78 Vgl. Teil 1 § 2 B. I. 4. 79 Vgl. Schmidtchen, Lex Mercatoria und die Evolution des Rechts, in: Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 1, 20 ff.; Mertens, Nichtlegislatorische Rechtsvereinheitlichung durch transnationales Wirtschaftsrecht und Rechtsbegriff, RabelsZ 56 (1992), S. 219, 220; Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 1986, S. 19, 26; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 123; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 240; K. Schmidt, Handelsrecht, § 30 I 3, S. 840. 80 Vgl. auch Itzen, Europäisierung des Wettbewerbsrechts durch den elektronischen Handel, S. 49 – 51. 81 Vgl. Art. 16, Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. L 178, S. 1 ff. vom 17. 7. 2000; Blasi, Das Herkunftslandprinzip der Fernseh- und der E-Commerce-Richtlinie, S. 387 f. 82 Vgl. Itzen, Europäisierung des Wettbewerbsrechts durch den elektronischen Handel, S. 42 ff. 83 Zum Begriff „technische Normung“: Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, S. 105 ff. Zur technischen Normung: Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa; Köndgen, Privatisierung des Rechts, Private Governance zwischen Deregulierung und Rekonstitutionalisierung, AcP 206 (2006), S. 477, 483 – 487. 84 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 20 Tz. 68; Anselmann, Die Rolle der europäischen Normung bei der Schaffung des europäischen Binnenmarktes, RIW 1986 S. 936 – 941; Köndgen, Privati-
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Normung als Paradebeispiel der Nutzung nicht-staatlicher Normen bezeichnet werden kann85. Vor dem Hintergrund des Scheiterns der Politik der Vollharmonisierung86 entwickelte die Gemeinschaft die „neue Konzeption“. Danach soll sich der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Angleichung der Rechtsvorschriften im Bereich der technischen Normung auf grundlegende Anforderungen der Sicherheit beschränken87 und die nähere Ausarbeitung der entsprechenden technischen Normen wird privaten Normungsorganisationen (deren Tätigkeit sich an den Grundsätzen der Warenverkehrsfreiheit messen lassen muss88) überlassen.89 Vorbildfunktion für dieses Integrationsinstrument hatte neben dem Cassis-Urteil die Niederspannungsrichtlinie aus dem Jahr 197390, die auf europäischer Ebene erstmals auf die Technik des Normverweises zurückgriff.91 Bemerkenswert ist, dass die Schwierigkeiten der politischen Entscheidungsfindung im Rahmen der „neuen Konzeption“ durch eine Verlagerung der Vereinheitlichung technischer Normen auf private Ebene in weitem Umfang umgangen werden.92 Die Verweisung muss bestimmten rechtlichen Anforderungen entsprechen: Zulässig ist die statische Verweisung, hingegen verstößt die pauschale dynamische
sierung des Rechts, Private Governance zwischen Deregulierung und Rekonstitutionalisierung, AcP 206 (2006), S. 477, 483 f. 85 Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, in: VVDStRL 56 (1997), S. 235, 245: „Musterbeispiel selbstregulativen Gesetzesvollzuges“. 86 Vgl. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, S. 716 ff. 87 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 20 Tz. 68; Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, S. 746 f.; Joerges/Falke/Micklitz/Brüggemeier, Die Sicherheit von Konsumgütern und die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, S. 362. 88 Vgl. EuGH, Urteil vom 12. 07. 2012, Rs. C-171/11, Fra.bo SpA gegen DVGW, Rn. 32; Schmahl/Jung, Horizontale Drittwirkung der Warenverkehrsfreiheit?, Überlegungen im Anschluss an EuGH, Urt. v. 12. 7. 2012 – C-171/11, EuZW 2012, 797 – DVGW, NVwZ 2013, S. 607 – 612 (kritisch). 89 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Juni 1985, S. 20 Tz. 68; Anselmann, Die Rolle der europäischen Normung bei der Schaffung des europäischen Binnenmarktes, RIW 1986, S. 936 – 941. 90 Richtlinie des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (73/23/EWG), ABl. Nr. L 77/29 vom 26. 3. 1973; Woolcock, Competition among Rules in the single European market, S. 289, 293 f. Vgl. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, S. 744; Joerges/Falke/Micklitz/Brüggemeier, Die Sicherheit von Konsumgütern und die Entwicklung der europäischen Gemeinschaft, S. 326 ff. 91 Zur Niederspannungsrichtlinie vgl. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, S. 744 ff. 92 Czaya spricht von einem „diskrete[n] Charme“ der Normung (Czaya, Das Europäische Normungssystem aus der Perspektive der Neuen Institutionenökonomik, S. 242).
B. Private Aufgabenwahrnehmung
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Verweisung, die in ihrem Inhalt nicht vorhersehbar ist, gegen das Demokratieprinzip.93
VIII. Private Gütesiegel Die verschwimmenden Grenzen des Raumes im Internet94 und die Schwierigkeiten im E-Commerce, Seriösität und Zuverlässigkeit zu signalisieren95 haben im E-Commerce sehr schnell zu der Etablierung privater Gütesiegel geführt.96 So bietet die Trusted Shops GmbH im E-Commerce tätigen Unternehmen ein Gütesigel an, das den Kunden eine Rückerstattung des Kaufpreises einer im Wege des E-Commerce erworbenen Ware garantiert, wenn z. B. eine Lieferung nicht erfolgt oder der Kunde die Ware ordnungsgemäß zurückgesandt hat und keine Erstattung erhalten hat.97 Bestimmte Vorgaben für das Angebot von Waren im E-Commerce (wie Anforderungen hinsichtlich der Transparenz des Anbieters oder Anforderungen hinsichtlich der Bestellbestätigungs-E-Mail) müssen von den Anbietern eingehalten werden.98 Die Kosten einer Zertifizierung für die Anbieter sind abhängig vom Warenumsatz.99 93 BVerfG, Beschluss vom 1. 3. 1978, Az. 1 BvR 786, 786, 793/70 u. a., BVerfGE 47, 285, 311 ff.; BVerfG, Beschluss vom 14. 6. 1983, Az. 2 BvR 488/80, BVerfGE 64, 208, 214 ff.; BVerfG, Beschluss vom 23. 04. 1986, Az. 2 BvR 487/80, BVerfGE 73, 261, 272; Ruffert, Normative Steuerung des Verwaltungshandelns, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 17 Rn. 89; Bruha, Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Deregulierung durch „Neue Strategie“, ZaöRV 1986, S. 1, 24; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 65. In Bezug auf den Rückgriff auf Standardsetzung durch den Baseler Ausschuss und Rating-Agenturen im Rahmen von Finanzmarktregulierung vgl. Calliess, Finanzkrisen als Herausforderung der internationalen, europäischen und nationalen Rechtsetzung, in: Grundsatzfragen der Rechtsetzung und Rechtsfindung, VVDStRL 71 (2012), S. 113, 132 ff. 94 Vgl. Lurger, Internationales Deliktsrecht und Internet – ein Ausgangspunkt für grundlegende Umwälzungen im Internationalen Privatrecht?, in: FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, S. 479, 479 f.; Jung, Die Netiquette – Grundlage eines globalen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb in internationalen Datennetzen?, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler, S. 153, 179. 95 Pichler, Internationale Gerichtszuständigkeit im Online-Bereich, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1998, S. 229, 230; Hoeren, Internet und Recht – Neue Paradigmen des Informationsrechts, NJW 1998, S. 2849, 2851. 96 Vgl. Loebbecke, Fostering Trust in E-Commerce via Seals and Insurance Solutions, in: Trust in the Network Economy, S. 333 – 350. 97 Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 103 f.; Loebbecke, Fostering Trust in E-Commerce via Seals and Insurance Solutions, in: Trust in the Network Economy, S. 333 – 350. 98 Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 103 f.; Loebbecke, Fostering Trust in E-Commerce via Seals and Insurance Solutions, in: Trust in the Network Economy, S. 333 – 350. Zu weiteren privaten Mechanismen zur Herstellung von Vertrauen: Eggs, Vertrauen im Electronic Commerce, S. 191 ff. 99 Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 105.
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C. Abschließende Bewertung Kerbers Vorschlag I. Attraktivität des Vorschlags aus Perspektive von Ökonomen, Anbietern und politischen Akteuren Mit dem Vorschlag Kerbers Regulierungen zu privatisieren, ist der hinter vielen Ansätzen zum Systemwettbewerb stehende Wunsch einer nachhaltigen Deregulierung zum Zweck der Stärkung der Kräfte des Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten100 offen ausgesprochen, denn die allermeisten Waren- und Dienstleistungsregulierungen sind aus Perspektive vieler Ökonomen überflüssig101. Aus dieser Perspektive ist eine Selbstregulierung grundsätzlich vorzugswürdig und führt zu einem höheren gesellschaftlichen Wohlstand.102 Eine Privatisierung von Waren- und Dienstleistungsregulierungen kann auch im Interesse der Anbieter liegen. Anbieter können möglicherweise Regelungen unter Ausschluss einer kontrollierenden Öffentlichkeit schaffen und den Wettbewerb auf Waren- und Dienstleistungsmärkten beschränken. Kaum ein politischer Akteur könnte es sich (vor dem Hintergrund der Bedeutung von Interessengruppen für den Wahlerfolg) dann möglicherweise leisten, den Prozess der Regelbildung durch die Anbieter zu stören. Anders wird dies wohl nur dann sein, wenn die Gestaltung der Regelungen ein breites Echo in der Öffentlichkeit auslösen kann und damit deren Thematisierung zu einem erfolgsversprechenden „Politikprodukt“ wird. Eine effektive Kontrolle der Anbieter in der Ausgestaltung der Zertifikate ist nur über einen funktionierenden Wettbewerb der Zertifikateanbieter denkbar. Dafür müssten Kartellbildungen der Anbieter von Zertifikaten unterbunden werden. Eine Ex-post Harmonisierung wäre im Hinblick auf das Ziel einer effektiven wettbewerblichen Kontrolle störend und müsste vermieden werden. Zugleich bestünde im Fall einer Ex-post Harmonisierung immer der Verdacht einer Kartellbildung; eine evolutorische Konvergenz würde leicht diskreditiert. Eine Rechtsvereinheitlichung
100
Vgl. Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113 – 134. Zur Bedeutung der Freiheit als Grundlage für eine wirtschaftliche Betätigung: Cremer, Regulierung und Freiheit, in: Regulierungsrecht, S. 212, 226 – 229 Rn. 32 ff. 101 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 12 – 15 Tz. 6 – 8; Apolte, Regulierungswettbewerb in föderalen Strukturen: Königswettbewerb zwischen Staatsversagen und Marktversagen?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 55, 68; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113 – 134. Vgl. auch: Wagener/Eger, Europäische Integration, S. 265. 102 Vgl. Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 456; von Weizsäcker, Staatliche Regulierung – positive und normative Theorie, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 1982, S. 325, 330 f.
C. Abschließende Bewertung Kerbers Vorschlag
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könnte deshalb durch ein System privater Zertifizierung wesentlich erschwert werden. Aus Sicht politischer Akteure kann eine Privatisierung von Waren- und Dienstleistungsregulierungen als ein Weg erscheinen, um politische Einigungsschwierigkeiten zu umgehen. Zugleich kann möglicherweise die Aufmerksamkeit einer kritischen Öffentlichkeit in Bezug auf die Regelbildung und insbesondere der Vorwurf von Interessengruppenpolitik vermieden werden. Im Hinblick auf das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) kann ein Übergang auf ein System privater Zertifizierung deshalb problematisch sein.103
II. Funktionsfähigkeit einer marktlichen Selbstregulierung Es stellt sich die Frage, inwieweit Selbstregulierung funktioniert.104 Von einem in einem bestimmten Bereich funktionsfähigen Systemwettbewerb kann (entgegen Kerbers Argumentation105) nicht geschlossen werden, dass eine Abschaffung mitgliedstaatlicher Regulierungen und ein Übergang auf ein System privater Qualitätszertifikate funktioniert. Das Stattfinden von Regulierungsarbitragen von Seiten der Nachfrager bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips bedeutet nicht automatisch, dass es zu einer „Übersetzung“ mitgliedstaatlicher Regulierungen in private Zertifikate kommt. Es müsste eine gewisse Marktrelevanz einer Regulierung (wie sie im Fall des Reinheitsgebotes für Bier auf Grundlage der Vermarktungsbemühungen der deutschen Brauereiwirtschaft gegeben ist106) vorliegen, damit das Angebot eines privaten Qualitätszertifikates überhaupt ökonomisch lohnend ist. Regulierungen mit einer nur untergeordneten Bedeutung auf dem Warenund Dienstleistungsmarkt dürften kaum in ein Qualitätszertifikat umgewandelt werden, da sie nicht das Potential besitzen, zu einem ins Gewicht fallenden Wettbewerbsparameter auf Waren- und Dienstleistungsmärkten zu werden. Die meisten Waren- und Dienstleistungsregulierungen dürften in diese Kategorie fallen, da sie in ihrer Bedeutung hinter die unternehmerisch geprägten Eigenschaften einer Ware oder Dienstleistung zurücktreten, auch wenn vereinzelt Regulierungsarbitragen zu beobachten sind. Wahrscheinlich führt Kerbers Vorschlag deswegen zu einer Abschaffung von Regulierungen, ohne dass an ihre Stelle private Qualitätszertifikate 103
Vgl. zu den Bedenken der Einführung einer auf Regulierungen bezogenen Rechtswahlfreiheit: Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 407 f. 104 Vgl. Bratton/McCahery, The New Economics of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best World, Georgetown Law Journal 86 (1997), S. 201, 217 – 219. Optimistisch: Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 14. 105 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäschen Privatrechts, S. 67, 94. 106 Zum deutschen Reinheitsgebot für Bier: § 9 A. II.
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treten. Die Umwandlung von Regulierungen in Zertifikate erscheint damit als ein Ausnahmefall. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass im Fall einer Abschaffung staatlicher Regulierungen private Inspektionsdienste (wie die Trusted Shops GmbH107) einen weiteren Aufschwung erleben werden, da sie ein Instrument sind, das allgemeine Vertrauen der Verbraucher zu stärken. Das Angebot dieser Dienste wird sich jedoch grundsätzlich nicht auf die Imitierung bestimmter Regulierungsanforderungen beziehen, sondern einen eigenen Ansatz verfolgen, der generell auf die Signalisierung der Vertrauenswürdigkeit eines Angebotes abzielt.108
III. Weiterer Verlust staatlicher Steuerungsmöglichkeiten infolge einer Realisierung Für eine Einschränkung von Interessengruppenpolitik bzw. einer Machtbegrenzung der Regierungen ist eine Privatisierung von Regulierungen nicht erforderlich, da wettbewerbsbeschränkende Interessengruppenregulierungen auch schon unter Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips oder bei Geltung von Rechtswahlfreiheit in Frage gestellt werden. Im Gegenteil droht in Abwesenheit einer effektiven wettbewerblichen Kontrolle gerade die Gefahr, dass private Zertifikate einseitig die Interessen der Anbieter berücksichtigen. Eine Privatisierung von Regulierungen führt zu einer weiteren Zurückdrängung staatlicher Steuerungsmöglichkeiten als sie unter dem europarechtlichen Herkunftslandprinzip gegeben sind. Aufgrund der Transaktionskosten, die mit einer Standortverlagerung verbunden sind und der Bündelung von Regulierungen in „Leistungs-Steuerpakete“, ist der Steuerungsverlust der Mitgliedstaaten unter Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips beschränkt.109 Im Fall von Rechtswahlfreiheit besitzt der Staat immerhin noch Steuerungsmöglichkeiten in Bezug auf das Waren- und Dienstleistungsangebot, wenn Anbieter, die dem inländischen Regulierungssystem unterliegen, im Inland einen hohen Marktanteil besitzen.110 Bei einem Übergang auf ein System privater Zertifikate bleiben dem Mitgliedstaat jedoch grundsätzlich keine Handlungsmöglichkeiten mehr. 107
Rothfuchs, Staatlicher und privater Verbraucherschutz im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 102 – 105. 108 Ein Immaterialgüterschutzes auf Qualitätszertifikate (vgl. Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 114 f.) erscheint nicht notwendig, da sich das für den Erfolg eines Qualitätszertifikates erforderliche Vertrauen nicht einfach imitieren lässt. 109 Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 40. 110 Vgl. Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 10, S. 17.
C. Abschließende Bewertung Kerbers Vorschlag
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Sofern Mitgliedstaaten nicht mittels EuGH-Rechtsprechung gezwungen sind, zu einem System privater Qualitätszertifikate überzugehen, dürften die Einigungsschwierigkeiten im Hinblick auf die Ausgestaltung der flankierenden materiellrechtlichen Harmonisierung erheblich sein. Eine Fortentwicklung des Herkunftslandprinzips in Richtung einer „Privatisierung“ von Regulierungen111 könnte deswegen den Unionsgesetzgeber erneut vor die Probleme stellen, die Mitte der 1980er Jahre zu der Etablierung des Herkunftslandprinzips als Integrationsinstrument geführt haben. Wenn eine umfängliche materiellrechtliche Harmonisierung nicht zur Bedingung einer Privatisierung erhoben würden, wäre im Nachhinein eine erhebliche Dynamik materiellrechtlicher Harmonisierung wahrscheinlich, da Mitgliedstaaten den Verlust von Regulierungsbefugnissen nur mittels Regulierung auf EU-Ebene zu kompensieren könnten. Anfängliche Schwierigkeiten im Rahmen eines Systems privater Zertifikate (wie ein erhebliches Marktversagen – auch wenn dieses Marktversagen auch nur vorübergehend eintreten würde) können diese Dynamik wesentlich beschleunigen.112
111 Vgl. Seidel, Korreferat, in: Angleichung des Rechts der Wirtschaft in Europa, S. 733, 734 f. (ablehnend); Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 127 f., 136. 112 Zur Krisentheorie: Teil 1 § 2 B. II. 4.
§ 18 Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung A. Vorteile materiellrechtlicher Harmonisierung I. Senkung von Transaktionskosten Materiellrechtliche Harmonisierung von Regelungsbereichen ist (vor dem Hintergrund der unter Geltung des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips bestehenden Handelshemmnisse1) ein Instrument der Senkung von Transaktionskosten für grenzüberschreitend tätige Privatrechtssubjekte und dient damit einer Stärkung des Wettbewerbs.2 Diesen Zusammenhang betonte schon A. F. Thibaut im Rahmen des 1 Vgl. Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103 – 121; Nienhaus, Mobilitätshemmnisse und Defizite bei Waren und Dienstleistungen, in: Der unvollendete Binnenmarkt, S. 109 – 125. Anders: Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 407: „Für den Abbau implizit protektionistischer Handelshemmnisse spielt es keine Rolle, ob harmonisiert oder das Ursprungslandprinzip angewendet wird; beide Vorgehensweisen führen zu demselben Ergebnis“. 2 Vgl. von Hayek, Die Wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse, in: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 324, 324; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 2 V, S. 24: „Der Nutzen vereinheitlichten Rechts liegt in der Erleichterung des internationalen Rechtsverkehrs. Solche Einheitsgesetzte machen nämlich in ihrem Bereich die Anwendung des Internationalen Privatrechts mit all seinen Problemen ebenso überflüssig wie die nicht minder gefährliche Anwendung ausländischen materiellen Rechts“; Zitelmann, Aufgaben und Bedeutung der Rechtsvergleichung, DJZ 1900, S. 329, 331; Herbel, Der internationale Unternehmensjurist – ein vaterloser Geselle?, in: Schuldrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Symposium aus Anlaß des 65. Geburtstages von Peter Schlechtriem, S. 1, 6, 25; Magnus, Diskussionsbeitrag zu Herbel, Der internationale Unternehmensjurist – ein vaterloser Geselle?, in: Schuldrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Symposium aus Anlaß des 65. Geburtstages von Peter Schlechtriem, S. 1, 25; Lehmhöfer, Die Beschränkung der Rechtsvereinheitlichung auf internationale Sachverhalte, RabelsZ 25 (1960), S. 401, 406; Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 24; Drobnig, Ein Vertragsrecht für Europa, in: FS Steindorff, S. 1141, 1145 – 1147; Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 177; Nagel, Kommentar zu Wolfgang Kerber/Klaus Heine – Zur Gestaltung von Mehr-EbenenRechtssystemen aus ökonomischer Sicht, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, Beispiel Europäische Union, in: Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 195, 199 f.; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 528; Bratton/McCahery, The New Economics of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best
A. Vorteile materiellrechtlicher Harmonisierung
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Kodifikationsstreits mit von Savigny.3 Voraussetzung ist jedoch, dass das harmonisierte Recht einheitlich angewandt wird.4 Mittels materiellrechtlicher Harmonisierung lassen sich insbesondere die aus der Anwendung des primärrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung folgenden Hemmnisse für grenzüberschreitend tätige Anbieter (infolge von Schranken und Rechtsunsicherheiten) einschränken bzw. beseitigen.5 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Forderungen nach umfangreicher materiellrechtlicher Harmonisierung gerade seitens von Warenanbietern auch dann erhoben werden, wenn diese aufgrund der Rechtsunterschiede im Binnenmarkt in dem betreffenden Bereich einen regulatorischen Wettbewerbsvorteil gegenüber Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten besitzen, obwohl die Theorie des Systemwettbewerbs nahelegt, dass sich Anbieter in diesem Fall für die Erhaltung der Regulierungen einsetzen werden. Gerken kritisiert die von Anbieterseite vielfach vorgetragene Forderung nach einer materiellrechtlichen Harmonisierung aus Gründen der Senkung von Transaktionskosten.6 Er bemängelt, dass die Unternehmen im Rahmen der Abwägung für und gegen eine Harmonisierung regelmäßig die unmittelbaren Kosteneffekte infolge World, Georgetown Law Journal 86 (1997), S. 201, 273; Sackofsky, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 237, 240; Dinov, Europäische Bankenaufsicht im Wandel, EuR 2013, S. 593, 593. In Bezug auf den US-amerikanischen Markt: Kommers/Waelbroeck, Legal Integration and the Free Movement of Goods: The American und European Experience, in: Integration Through Law, Volume 1 Methods, Tools and Institions, Book 3, Forces and Potential for a European Identity, S. 165, 196; Kitch, Regulation, The American Common Market and Public Choice, Harvard Journal of Law and Public Policy 6 (1982), S. 119, 124. Kerber/Van den Bergh halten das Ziel der Marktintegration gegenüber Vorteilen von Dezentralität überbetont (Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 455). 3 Thibaut, Ueber die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, in: Thibaut und Savigny, S. 62, 91. Vgl. Schulze, Ein Jahrhundert BGB – deutsche Rechtseinheit und europäisches Privatrecht, DRiZ 1997, S. 369, 369; P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 5 ff. 4 Dinov, Europäische Bankenaufsicht im Wandel, EuR 2013, S. 593, 593. 5 Pelkmans, Mutual Recognition in goods. On promises and disillusions, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 699, 703 708; Pelkmans, Mutual Recognition on Goods and Services: An Economic Perspective, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 85, 103 ff., „the problems business still encounters on a daily basis are simply too seroius to be ignored or belitteld“ (S. 118); Busch, Der EU-Binnenmarkt, S. 13 – 16. Anders: Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 407. Hinzuweisen ist aber darauf, dass auch materiellrechtliche Harmonisierung infolge einer mangelhaften Richtlinienumsetzung zu erheblichen Schwierigkeiten für grenzüberschreitende Anbieter, aber auch für inländisch tätige Abieter, führen kann. Hingewiesen sei auf die mangelhafte Muster-Widerrufsbelehrung in der BGH-InfoV (BGH, Urteil vom 1. 12. 2010, Az. VIII ZR 82/10, Rn. 14 ff.). 6 Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 24.
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§ 18 Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung
unterschiedlichen Rechts berücksichtigen, aber nicht die positiven Wirkungen von Systemwettbewerb einkalkulierten.7 Es stellt sich damit die Frage des Verhältnisses zwischen Systemwettbewerb und Wettbewerb.8 Da Systemwettbewerb viele an ihn gerichtete Erwartungen in den betrachteten Referenzgebieten kaum erfüllt9 und die positiven Folgen eines intensiven Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten grundsätzlich anerkannt sind, erscheint erscheint es vorteilhaft, dem Ziel der Verbesserung des Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten Vorrang vor dem Ziel einer Förderung und Erhaltung von Systemwettbewerbs einzuräumen. Auch Bernholz/Faber empfehlen in ihren „Überlegungen zu einer normativen ökonomischen Theorie der Rechtsvereinheitlichung“ in weitem Umfang einen freien Markt zu gewährleisten.10 Das Ziel einer Senkung der Transaktionskosten des grenzüberschreitenden Verkehrs und Systemwettbewerb schließen sich jedoch nicht zwingend aus. Ein Weg um einen Systemwettbewerb zu erhalten und zugleich eine erhebliche Senkung von Transaktionskosten zu erreichen, ist die Schaffung sekundärrechtlicher Herkunftslandprinzipien mit eng definierten Schranken.11 Als Vorbild kann die E-CommerceRichtlinie12 dienen. Es muss jedoch Klarheit darüber bestehen, dass die Folge der Schaffung eines weiten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung immer auch eine weitreichende materiellrechtliche Harmonisierung ist. Keine Alternative ist es, auf eine Ex-post Harmonisierung zu warten, da nationales Recht auch im Fall einer Ex-post Harmonisierung im Detail unterschiedlich ausgestaltet sein kann und deshalb Handelshemmnisse auftreten können. Zudem ist im Fall einer Ex-post Harmonisierung der Zeitaspekt im Sinne der zeitlichen Dauer einer Ex-post Harmonisierung zu berücksichtigen.13 Ungelöst bleibt im Fall einer Ex-post Harmonisierung das Problem einer je nach Mitgliedstaat unterschiedlich erfolgenden Rechtsanwendung. 7
Gerken, Vertikale Kompetenzverteilung in Wirtschaftsgemeinschaften – Bestimmungsgründe und Probleme, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 3, 24. 8 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 333 f. 9 Vgl. Teil 3 § 19 B. 10 Bernholz/Faber, Überlegungen zu einer normativen ökonomischen Theorie der Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 35, 51 f. 11 Vgl. Pelkmans, Mutual Recognition in goods. On promises and disillusions, Journal of European Public Policy 14(5) (2007), S. 699, 713 12 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. L 178, S. 1 ff., vom 17. 7. 2000. 13 Vgl. Homann/Kirchner, Das Subsidiaritätsprinzip in der Katholischen Soziallehre und in der Ökonomik, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 45, 60, 63; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 358.
A. Vorteile materiellrechtlicher Harmonisierung
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Transaktionskosten infolge einer „kollisionsrechtlichen“ Integrationsstrategie fallen jedoch nicht nur bei Anbietern an, sondern auch die Nachfrager werden bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips mit Transaktionskosten in Form von Informationskosten belastet14 Dies setzt jedoch voraus, dass Regulierungsunterschiede tatsächlich ein relevanter Faktor im Rahmen von Nachfrageentscheidungen darstellen, so dass sich tatsächlich ein Informationsbedarf ergibt. Mögliche Folge ist ein Übermaßes an Informationen, so dass einzelne Informationen den Adressaten nicht mehr erreichen können.15 Aufgabe einer Mindestharmonisierung ist es, die Transaktionskosten der Nachfrager bei Geltung eines „kollisionsrechtlichen“ Integrationsinstruments (wie dem Herkunftslandprinzip) zu senken, indem vor allem Regulierungsfragen, die für den Nachfrager von grundsätzlicher Bedeutung sein können, vereinheitlicht werden und Vergleichsmöglichkeiten zwischen mitgliedstaatlichen Regulierungen erhöht werden16.
II. Integrationspolitische Bedeutung von materiellrechtlicher Harmonisierung 1. Förderung von (politischer) Integration mittels materiellrechtlicher Harmonisierung Nach Thibaut sollte die Schaffung einer Privatrechtskodifikation auch einen Beitrag zur politischen Einigung Deutschlands leisten.17 Materiellrechtliche Har14 Mankowski sieht in einer Integration mittels eines Herkunftslandprinzips eine „einseitige Überbetonung der Interessen der Anbieter“ zu Lasten der Interessen der Nachfrager (Mankowski, Wider ein Herkunftslandprinzip für Dienstleistungen im Binnenmarkt, IPRax 2004, S. 385, 386); Curti, Kommentar zu Thomas Apolte: Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics, 2007, Paper 9, S. 4; Hellwig, Angleichung des Gesellschaftsrechts in Europa – Notwendigkeit, Schwerpunkte und Wege aus der Sicht des Kapitalmarkts, EWS 2001, S. 580, 581; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EU/EGV, Artikel 28 EG, Rn. 191 (allgemeiner Hinweis auf die Notwendigkeit einer Durchbrechung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung durch „zwingende […] Erfordernisse oder Schutzinteressen“); Reichelt, Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht – Eine Einführung –, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 3, 8. Anders: Apolte, Regulierungswettbewerb in föderalen Strukturen: Königswettbewerb zwischen Staatsversagen und Marktversagen?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 55, 67. 15 Mülbert, Anlegerschutz und Finanzmarktregulierung – Grundlagen –, ZHR 177 (2013), S. 160, 187 f.; Buck-Heeb, Verhaltenspflichten beim Vertrieb – Zwischen Paternalismus und Schutzlosigkeit der Anleger –, ZHR 177 (2013), S. 310, 326, 329. 16 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, Europa zwischen einem Wettbewerb der Gesetzgeber und vollständiger Harmonisierung, S. 237, 239 f., 244 f. 17 Thibaut, Ueber die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, in: Thibaut und Savigny, S. 61, 77 f; P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 5. Zur integrationspolitischen Bedeutung der Schaffung des BGB:
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monisierung kann nach vielfach geäußerter Ansicht auch im europäischen Kontext eine integrationspolitische Bedeutung zukommen, denn „[j]ede gelungene Rechtsangleichung stärkt das Netz der Regelungen, das allmählich zwischen den Mitgliedstaaten und ihren Bürgern […] geknüpft wird, und festigt den Zusammenhalt der immer noch in vielfacher Hinsicht schwachen und gefährdeten Gemeinschaft“18.
Die integrationspolitische Bedeutung von Harmonisierung steht in engem Zusammenhang mit dem Konzept der funktionalen Integration, d. h. einer „Integration durch Wettbewerb“19. Danach soll eine politische Integration über die Marktintegration begünstigt werden.20 Mit anderen Worten wächst die politische Integration auf Grundlage einer europäischen Privatrechtsgesellschaft, womit die Entstehung der politischen Integration als evolutorischer Vorgang betrachtet werden kann.21 Die tatsächliche integrationspolitische Bedeutung von Harmonisierung ist jedoch äußerst schwer abzuschätzen. 2. Akzeptanzprobleme materiellrechtlicher Harmonisierung Öffentlich wahrgenommen werden jedoch oft auch gerade negative Beispiele von materiellrechtlicher Harmonisierung, die als Ausdruck einer „Regelungswut“22 beThibaut, Ueber die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, in: Thibaut und Savigny, S. 62 – 94; Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einl. BGB Rn. 32. 18 Everling, Zur Funktion der Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft – Vom Abbau der Verzerrungen zur Schaffung des Binnenmarktes –, in: FS Pescatore, S. 227, 243 f. 19 Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71, 78. 20 von Simson, Die Marktwirtschaft als Verfassungsprinzip in den Europäischen Gemeinschaften, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S. 55, 63; Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 22 ff., 27: „psychologische Kettenreaktion“. 21 Der Einfluss einer (internationalen) Privatrechtsgesellschaft auf den politischen Prozess kann in Anlehnung an die Freiburger Schule (vgl. Zieschang, Das Staatsbild Franz Böhms, S. 205 ff. ) als eine besondere Form einer Interdependenz von Ordnungen (vgl. Zieschang, Das Staatsbild Franz Böhms, S. 205 ff.) bezeichnet werden (vgl. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S. 7, 63, 16 ff.). 22 Vgl. Herzog, Europa neu erfinden, S. 12, 14, 87 ff. „Die Normenmengen, die von Brüssel aus auf die Unionsbürger niedergehen, sind neben der Währungsfrage und den fehlenden außenpolitischen Kompetenzen ein entscheidender Grund für den Vertrauensverlust, den die EU und ihre Politik in letzter Zeit zu spüren bekommen“ (S. 100), S. 136 ff.; Mattera, The Principle of Mutual Recognition and Respect for National, Regional and Local Identities and Traditions, in: The Prinbciple of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 1, 1 f.; Kafsack, Wie mit dem Staubsauger, http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/euenergiepolitik-wut-ueber-regelungswut-12955017.html; Kafsack, EU verbietet energiehungrige Staubsauger, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/zu-hoher-stromverbrauch-eu-verbietet-ener giehungrige-staubsauger-12632478.html; Seifert, „DIN EN 12586“ – die Schnullerkettenverordnung, 15. 08. 2008, www.abendblatt.de/politik/deutschland/article933564//DIN-EN-12586die-Schnullerkettenverordnung.html (abgerufen Juli 2012).
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wertet werden. Eine materiellrechtliche Harmonisierung kann deshalb zu einem Akzeptanzproblem gegenüber der Integration führen.23 Eine solche Perspektive übersieht jedoch auch gerade die Vorteile europäischer Rechtsetzung und insbesondere die Berücksichtigung von Gerechtigkeitsgehalten (wie insbesondere Diskriminierungsverboten, deren Verwirklichung immer noch eine fortlaufende Aufgabe ist24), die ohne Einfluss des Europarechts kaum Eingang in mitgliedstaatliche Rechtsordnungen gefunden hätten.25 Zudem sind die Akzeptanzprobleme in Bezug auf Rechtsetzungsakte immer vor dem Hintergrund des Verfahrens der Rechtsetzung und insbesondere des vielfach beklagten Demokratiedefizits auf EU-Ebene26 zu sehen.27 3. Materiellrechtliche Harmonisierung als Mittel zur Verwirklichung staatlicher Steuerungsziele Materiellrechtliche Harmonisierung kann Mittel der Verwirklichung von nichtmarktkonformen Steuerungszielen sein.28 Schon im Rahmen der Vertragsverhandlungen zu den Römischen Verträgen forderte insbesondere Frankreich eine mate23
Vgl. Wohlgemuth, Korreferat zu Michael Koop, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 63, 64 f. 24 Vgl. Hartig, Altersdiskrimnierung im öffentlichen Dienst. 25 Vgl. Bubrowski/Budras, So toll ist die EU, http://www.faz.net/aktuell/politik/europawahl/ bruessel-im-alltag-der-deutschen-so-toll-ist-die-eu-12954929.html. In Bezug auf Versicherungen: Armbrüster, Bewegung im Recht der Lebensversicherung, NJW 2014, S. 497, 502. 26 Vgl. z. B. Herzog, Europa neu erfinden, S. 14, 27 ff. „Die EU bietet dem erstaunten Betrachter ein Bild, das viel mehr einer konstitutionellen Wahlmonarchie ähnelt als dem einer parlamentarischen Demokratie. Sie ist […] bestenfalls eine Teildemokratie. Jede Zuständigkeit, die sie besitzt oder die ihr weiterhin zuwächst, bedeutet eine Verschiebung von demokratischen zu teildemokratischen Verhältnissen – solange man Demokratie für richtig hält, eine beträchtliche Verschlechterung der Verhältnisse“; Franzius, Demokratisierung der Europäischen Union, EuR 2013, S. 655, 657 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 309; Streeck, Gekaufte Zeit, S. 148 ff. Streeck unterstellt in Bezug auf das Demokratiedefizit auf EU-Ebene gar einen Vorsatz: „Da es in Europa noch nicht möglich ist, im Namen der wirtschaftlichen Vernunft die Reste der nationalstaatlichen Demokratie, insbesondere die Abwählbarkeit der nationalen Regierungen, über Nacht abzuschaffen, besteht das Mittel der Wahl darin, sie in ein nichtdemokratisches supranationales Regime – in eine internationalen Superstaat ohne Demokratie – einzubinden und vom diesem regulieren zu lassen“ (Streeck, Gekaufte Zeit, S. 161). Das Demokratiedefizit betrifft nicht nur die Rechtsetzung, sondern auch die Auswahl von EuGH- und EGMR-Richtern (Bogdandy/Krenn, Zur demokratischen Legitimation von Europas Richtern, JZ 2014, S. 529 – 537). In Zusammenhang mit aufgrund der Finanzkrise ergriffenen Maßnahmen: Streeck, Gekaufte Zeit, S. 155 f.; Kadelbach, Lehren aus der Finanzkrise – Ein Vorschlag zur Reform der Politischen Institutionen der Europäischen Union, EuR 2013, S. 489 – 503; Duff, Zurück zur Kernfrage: eine föderale Ordnung für Europa, Integration 2014, S. 65 – 71; Mayer, Ökonomen im Elfenbeinturm, S. 71. 27 Herzog, Europa neu erfinden, S. 32. 28 Vgl. Woolcock, Competition among rules in the single European market, in: International Regulatory Competition and Coordination, S. 289, 299 f.
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riellrechtliche Harmonisierung von Regelungen zum sozialen Schutz von Arbeitnehmern,29 da in Frankreich strengere Regulierungen herrschten als in anderen Mitgliedstaaten30. Von einer solchen Harmonisierung, die praktisch kaum zu verwirklichen gewesen wäre, wurde jedoch aufgrund der Erwartung einer Ex-post Harmonisierung auf hohem Niveau abgesehen.31 In Bereichern mit einem sozialen Bezug kann eine materiellrechtliche Harmonisierung die Akzeptanz der Integration in erheblicher Weise fördern, in dem sie einen rechtspolitischen Druck auf nationale Regulierungen mit sozialem Bezug bzw. sogenanntes „Sozialdumping“32 einschränkt bzw. ausschließt.33 Eine Durchsetzung bestimmter Regulierungsanforderungen auf Grundlage materiellrechtlicher Harmonisierung mit einer daraus folgenden Einschränkung des Marktes ist in diesem Bereich eher in der Lage, Vertrauen34 bzw. sogar eine emotionale Verbundenheit der Bürger mit der europäischen Integration zu erzeugen als eine ausschließliche Integration über den Wettbewerb der Privatrechtssubjekte mittels einer „kollisionsrechtlichen“ Integration (wie einer Integration über verschiedene Formen von Herkunftslandprinzipien). Nach Ansicht des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht Di Fabio ist der Wettbewerb „[i]n seiner Formalität der Sozialbeziehungen und seines unnachsichtigen Renditekalküls […] immer ein Kältestrom der Gesellschaft, während Politik ihre eigentliche Legitimation von Gemeinschaftsempfinden erzielt“.35 Dieser Gedanke besitzt auch Gültigkeit im Rahmen von Integrationsprojekten und gerade dann, wenn eine tiefere Integration verwirklicht ist oder angestebt wird.
29
Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 299 ff., 457 ff. Vgl. Teil 1 § 4 D. VI. 3. Die Kosten aufgrund von Sozialstandards in Frankreich lagen 11,2 Prozent höher als in Deutschland, z. B. betrug die wöchentliche Arbeitszeit in Frankreich 40 Stunden, in Deutschland 45 Stunden (Nicolaïdis, Mutual Recognition Among Nations, S. 95, Fn. 6 mwN). 31 Regierungsausschuss eingesetzt von der Konferenz von Messina, Bericht der Delegationsleiter an die Aussenminister, Bruxelles, dem 21. April 1956, MAE 120 d/56 (korr.), S. 69 (abrufbar unter: http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/eudoc/gruendung/docs/132014.pdf). 32 Vgl. Thalacker, Ein Sozialmodell für Europa?, S. 552 ff.; Steinmeyer, Sozialdumping in Europa – Perspektiven einer arbeits- und sozialrechtlichen Rechtsprechung –, DVBl. 1995, S. 962 – 968; Hanau, Lohnunterbietung („Soziadumping“) durch Europarecht, in: FS Everling, S. 415 – 431; Janning, Zähmung des Welthandels, Was tun gegen Öko- und Sozialdumping?, Internationale Politik 4/1997, S. 35 – 40. 33 Zur Entwicklung der europäischen Sozialpolitik: Thalacker, Ein Sozialmodell für Europa?, Die EU-Sozialpolitik und das Europäische Sozialmodell im Kontext der EU-Erweiterung, S. 211 ff. 34 Zum mangelnden Vertrauen der Bürger in Bezug auf die EU vgl. Herzog, Europa neu erfinden, S. 12 ff., 34. 35 Di Fabio, Wettbewerbsprinzip und Verfassung, Der freie Wettbewerb und die Verantwortung des Staates, in: Freier Wettbewerb – Verantwortung des Staates, S. 1, 3. 30
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III. Vermeidung bzw. Einschränkung von unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen Materiellrechtliche Harmonisierung ist ein Instrument zur Angleichung von regulatorischen Wettbewerbsbedingungen und insbesondere zur Einschränkung von Inländerdiskriminierung und dient damit der Förderung des Wettbewerbs von Privatrechtssubjekten im Sinne der Schaffung eines Systems unverfälschter Wettbewerbsbedingungen.36 Im Rahmen einer Integration über das europarechtliche Herkunftslandprinzip erscheint materiellrechtliche Harmonisierung für regulatorisch stärker belastete Wirtschaftssubjekte als eine Gerechtigkeitsfrage37 und eine Beseitigung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen erscheint damit als wichtiges Ziel der Marktintegration.38 Aus Sicht der Befürworter von Systemwettbewerbs ist hingegen eine Beseitigung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen kein anerkennenswertes Ziel.39 Eine Angleichung von Wettbewerbsbedingungen ist nach dieser Sichtweise grundsätzlich ausschließlich über eine systemwettbewerbliche Deregulierung bzw. Ex-post Harmonisierung zu erreichen.
IV. Beschränkte Reichweite von Fehlern Als Vorteil einer dezentralen Struktur gilt allgemein, dass sich mögliche Fehler in der Gestaltung von Recht (wie sie z. B. durch dem Einfluss von Interessengruppen entstehen können) ausschließlich räumlich begrenzt auswirken und dass eine leichtere Korrektur möglich ist als im Fall von harmonisiertem Recht.40
36
Vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juni 1991, Rs. C-300/89, Kommission/Rat, I-2895, I-2899, Rn. 14 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 333, 335 ff.; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 592; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 51 f. 37 Vgl. Hallstein, Der Unvollendete Bundesstaat, S. 95. Früher wurden Forderungen nach Harmonisierung allgemein mit der Verwirklichung von Gerechtigkeit begründet (Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 19, 19 f.). 38 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 348; Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 108. 39 Vgl. Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 15 ff. 40 Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 25 Tz. 25; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 39; Woolcock, Competition among rules in the single European market, in: International Regulatory Competition and Coordination, S. 289, 299. Vgl. auch: Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 379.
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Bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips oder im Fall von Rechtswahlfreiheit zeitigen jedoch mitgliedstaatliche Regulierungen (negative oder positive) Effekte auch in anderen Mitgliedstaaten.41 Fehler in der Gestaltung von Regulierungen wirken sich bei Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung deshalb keineswegs ausschließlich räumlich begrenzt aus und es bestehen staatliche Anreize, negative externe Effekte ihrer Regulierung zu externalisieren.42 Die Bedeutung dieser externen Effekte im Inland ist abhängig von Marktanteilen der Anbieter aus den anderen Mitgliedstaaten im Inland.43 Es können zudem systemwettbewerbliche Anpassungen mitgliedstaatlicher Regulierung die Folge sein; externe Effekte von Regulierungen können mit anderen Worten Regulierungen anderer Staaten prägen. Eine beschränkte Reichweite von Fehlern infolge mangelnder Harmonisierung ist im Fall einer „kollisionsrechtlichen“ Integration über das europarechtliche Herkunftslandprinzip deswegen in vielen Fällen kein entscheidendes Argument. Eng verwandt mit dem Argument der beschränkten Reichweite von Fehlern infolge einer Nicht-Harmonisierung ist die Annahme, dass Fehler im Rahmen nichtharmonisiertes Recht aufgrund von Vergleichsmöglichkeiten unterschiedlicher rechtlicher Regelungen leichter zu beheben seien.44 Dies setzt jedoch einerseits zur Fehleranalyse einen Rechtsvergleich voraus und auf der anderen Seite erscheint ein Erkenntniswert ausschließlich im Fall einer hohen Komplexität der jeweiligen Rechtsmaterie gegeben sein.
V. Größenvorteile infolge materiellrechtlicher Harmonisierung Eine umfangreiche materiellrechtliche Harmonisierung kann mit gesetzgeberischem Größenvorteilen verbunden sein, da ein Gesetzgeber damit die rechtsgestaltenden Aufgaben auch anderer Gesetzgeber übernimmt.45 Kerber weist jedoch 41 Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 31; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, Ökonomische Aspekte ihrer Beseitigung, S. 150 ff., 176 ff.; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29, 41. 42 Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics 2007, Paper 10, S. 15 – 17. 43 Vgl. Apolte, Thomas, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10. 44 Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 379. 45 Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sucht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 176; Esty/Geradin, Journal of International Economic Law (2000), S. 235, 243 f.; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, S. 29, 37; Van den Bergh, The Subsidiarity Principle in European Community Law: Some Insights from Law and Economics, Maastricht Journal of European and Comparative Law 1 (1994), S. 337, 343.
B. Nachteile materiellrechtlicher Harmonisierung
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darauf hin, dass erhebliche „Konsensfindungskosten“ auftreten können.46 Durch Mehrheitsentscheidungen können diese Schwierigkeiten begrenzt werden, jedoch ist zu berücksichtigen, dass materiellrechtliche Harmonisierung einer Umsetzung in mitgliedstaatliches Recht bedarf (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV). Größenvorteile werden darüber hinaus möglicherweise auch im Rahmen der Rechtsanwendung generiert, da Rechtsanwender im Fall umfangreicher materiellrechtlicher Harmonisierung eher in der Lage sind, rechtliche Bewertungen auch im Anwendungsbereich fremder Rechtsordnungen vorzunehmen.47 Dies setzt jedoch immer einen entsprechenden Zugang zu der entsprechenden Literatur der jeweiligen Rechtsordnung voraus, da im Fall von Mindestharmonisierung die konkrete mitgliedstaatliche Umsetzung der Harmonisierung geprüft werden müsste. Diesbezüglich bestehen in vielen Fällen schon unüberwindliche Sprachbarrieren.
B. Nachteile materiellrechtlicher Harmonisierung I. Mangelnde Berücksichtigung unterschiedlicher Präferenzen Materiellrechtliche Harmonisierung steht im Ruf, unterschiedliche Präferenzen der Bürger unberücksichtigt zu lassen.48 Der Kieler Ökonom Prosi entwirft insofern das Bild einer Kieler Konditorei, die vor dem Hintergrund einer umfangreichen materiellrechtlichen Harmonisierung, eine Sondergenehmigung in Brüssel für ein innovatives Tortenrezept einholen muss.49 Mit der Berücksichtigung unterschiedlicher Präferenzen besteht eine Anknüpfung an die Theorie des Fiskalföderalismus, wonach die Möglichkeit der Berücksichtigung unterschiedlicher Präferenzen ent46 Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 10. 47 Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 176; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, S. 29, 37. 48 Vgl. M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 136 – 138; Woolcock, Competition among rules in the single European market, in: International Regulatory Competition and Coordination, S. 289, 298 f.; Arentz/Paulus, Das Potenzial von Systemwettbewerb und nationalen Alleingängen, in: GS Eekhoff, S. 145, 158: „Internationale Maßnahmen in Richtung Trennbankensystem, Bankenabgabe, Gehaltsregulierung, Gewinnbesteuerung des Finanzsektors und Bankenaufsicht können zwar in gewissem Maße grenzüberschreitendes Systemrisiko adressieren, ignorieren aber gleichzeitig die erheblichen Unterschiede in den nationalen Regulierungsvorstellungen. Die Präferenzverfehlungskosten einer einheitlichen Regulierung und Aufsicht wären also sehr hoch“. Vgl. auch: Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl., § 2 III., S. 18. Für die gesamte VR China ist eine Zeitzone maßgeblich. Dies führt dazu, dass die amtliche Zeit in manchen Regionen künstlich ist mit der Folge, dass die sich Menschen dort nicht unbedingt nach der amtlichen Zeit leben. Ich danke Renzai Su für diesen Hinweis. 49 Prosi, Europäische Integration durch Wettbewerb?, Eine politisch-ökonomische Analyse, in: Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, S. 119, 126.
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scheidender Gesichtspunkt in der Ausgestaltung der föderalen Kompetenzordnung ist.50 Das europarechtliche Herkunftslandprinzip wird als Mittel betrachtet, den unterschiedlichen Präferenzen der Bürger Rechnung zu tragen.51 Voraussetzung ist dabei eine hinreichende Transparenz von Regulierungsunterschieden für die Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen.52 Insbesondere geht es um die Berücksichtigung kultureller Unterschiede im Bereich der Lebensmittelregulierung. So rief das Verbot der bistecca fiorentina, einer Art T-Bone Steak, infolge der BSE-Krise in der Toskana erhebliche Proteste hervor.53 Nach Streinz ist das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung „die einzige Möglichkeit, der kulinarischen Vielfalt in Europa zumindest eine Chance zu geben“.54 Im Internationalen Privatrecht wird bei persönlichen Rechtsverhältnissen ein grundsätzliches Interesse an der Anwendung des Rechts, dem eine Person eng verbunden ist, angenommen.55 Jayme nennt als Beispiel kulturell geprägten Rechts das Verbot des Erbvertrags und des gemeinschaftlichen Testaments in Italien56. 50 Vgl. Oates, An Essay on Fiscal Federalism, Journal of Economic Literature, XXXVII (September 1999), S. 1120 – 1149. Vgl. auch: Hauser, Die Ablehnung des EWR-Vertrags als Chance nutzen!, Aussenwirtschaft 48 (1993), S. 459, 565 f.; Spamann, Choice of Law in a Federal System and an Internal Market, S. 10. 51 Mattera, The Principle of Mutual Recognition and Respect for National, Regional and Local Identities and Traditions, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 1, 21. 52 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 150 ff. 53 Vgl. Peter, Aufstand der Feinschmecker, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17. 04. 2005, S. 62. 54 Streinz, Das deutsche und europäische Lebensmittelrecht als Ausdruck kultureller Identität?, in: Essen und kulturelle Identität, S. 103, 112. Allgemein wird dem Herkunftslandprinzip die Eigenschaft zugeschrieben, Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen (Pelkmans, Mutual Recognition: rationale, logic and application in the EU internal goods market, in: Ökonomische Analyse des Europarechts, S. 341, 341: „[…] respecting ,diversity‘ amongst the participating countries […]“). 55 Vgl. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 2 II, S. 135; Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, in: FS Lewald, S. 259, 274. Das deutsche und europäische IPR knüpfen das Personalstatut an die Staatsangehörigkeit an (Art. 5 EGBGB). Eine solche Anknüpfung muss aber nicht interessengerecht sein, denn es kann ein Interesse an der Anwendung des Umgebungsrechts bestehen (Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht, in: FS Lewald, S. 259, 274; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 2 II, S. 135). Nach Neuhaus bedeutet die Staatsangehörigkeit aber „ein Indiz für die eigentlich gemeinte Zugehörigkeit zu einer Zivilrechtsordnung“ (Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, § 27 II., S. 209; so auch sinngemäß: Kropholler, Internationales Privatrecht, § 37 I, S. 258); Spamann, Choice of Law in a Federal System and an Internal Market, Jean Monnet Working Paper 08/01, S. 41. Vgl. das Bsp. bei: Jayme, Die kulturelle Dimension des Rechts – ihre Bedeutung für das Internationale Privatrecht und die Rechtsvergleichung, RabelsZ 67 (2003), S. 211, 225 f. IV 1. c). 56 Jayme, Die kulturelle Dimension des Rechts – ihre Bedeutung für das Internationale Privatrecht und die Rechtsvergleichung, RabelsZ 67 (2003), S. 211, 215.
B. Nachteile materiellrechtlicher Harmonisierung
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Jayme spricht insofern von der Aufgabe des Internationalen Privatrechts, „die Kulturen zu koordinieren“.57 Im Wirtschaftsrecht dürften jedoch unterschiedliche Präferenzen der Privatrechtssubjekte eine nur untergeordnete Rolle spielen,58 wenn von dem allgemeinen Interesse der Wirtschaftssubjekte abgesehen wird, Regulierungen, an die sie sich gewöhnt haben, aufrechtzuerhalten. Von einer Unterschiedlichkeit des Rechts oder der Rechtskultur59 kann nicht auf eine Unterschiedlichkeit der Präferenzen der Bürger geschlossen werden.60 Eine ausschließliche Betrachtung des Lebensmittelrechts birgt deswegen die Gefahr einer Überbetonung der Bedeutung einer Unterschiedlichkeit von Präferenzen. Soweit tatsächlich eine Unterschiedlichkeit von Präferenzen (bzw. Lebensbedingungen) gegeben ist, können diese Präferenzen im Rahmen der Ausgestaltung der materiellrechtlichen Harmonisierung Berücksichtigung finden, indem Mitgliedstaaten Gestaltungs- bzw. Wahlmöglichkeiten eingeräumt werden.61 In Bezug auf gesundheitliche Risiken wie sie im Fall des Verbotes der bistecca fiorentina gegeben sind, erscheint es vertretbar, das Ziel der Sicherheit über Präferenzunterschiede zu stellen, denn eine Vernachlässigung von Präferenzunterschieden erscheint aufgrund des hochrangigen Schutzziels und eines möglichen Marktversagens infolge der Unterschätzung der Bedeutung gesundheitlicher Risiken62 gerechtfertigt. Es dürfte in diesem Zusammenhang von Verbraucherseite eine Unterschätzung von Risiken vorliegen, was eine Form von Marktversagen darstellt.
57 Jayme, Die kulturelle Dimension des Rechts – ihre Bedeutung für das Internationale Privatrecht und die Rechtsvergleichung, RabelsZ 67 (2003), S. 211, 226. 58 Bereits Zitelmann stellte (bezogen auf das Privatrecht) fest, „dass die Masse des Rechts, dessen Ungleichheit sich durch die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse rechtfertigt, viel geringer ist, als sie zunächst erscheint“ (Zitelmann, Aufgaben und Bedeutung der Rechtsvergleichung, DJZ 1900, S. 329, 331). Vgl. auch: Zitelmann, Die Möglichkeit eines Weltrechts, S. 19). M. Müller geht hingegen generell von Präferenzunterschieden von Staat zu Staat aus (M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 136). 59 Vgl. Beckmann, Rechtskultur und Internationales Gesellschaftsrecht, in: Zauber des Rechts, S. 15 – 26. 60 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 35 ff. Im Rahmen der Ausführungen der Monopolkommission entsteht der Eindruck eines solchen Schlusses: „Zu bedenken ist, auch, daß nationale institutionelle Regelungen die heimischen Präferenzen reflektieren. Mit der Harmonisierung der Vorschriften würden den betroffenen Ländern zugleich einheitliche Präferenzen oktroyiert; dies ist unvermeidbar mit dem Freiheitsgedanken“ (Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24b Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 22 Tz. 18). 61 Vgl. die Mahnung bei: Herzog, Europa neu erfinden, S. 91, 96; Herzog, Zurück zu den Grundfragen der europäischen Integration!, in: FS Papier, S. 75, 82. Zur Bedeutung der Homogenität der Mitgliedstaaten vgl. Herzog, Europa neu erfinden, S. 106 – 108; Herzog, Zurück zu den Grundfragen der europäischen Integration!, in: FS Papier, S. 75, 82. 62 Zur Verhaltensökonomie: Fleischer/Schmolke/Zimmer, Verhaltensökonomik als Forschungsinstrument für das Wirtschaftsrecht, in: Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 9 – 62.
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§ 18 Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung
Das Argument einer mangelnden Berücksichtigung unterschiedlicher Präferenzen infolge materiellrechtlicher Harmonisierung steht in Zusammenhang mit einem allgemeinen Misstrauen der Rechtsetzung auf europäischer Ebene63, der vielfach beklagten „Regelungswut“, der ausufernden Bürokratie64 und des Demokratiedefizits auf EU-Ebene65. Gelingt es, Harmonisierung auf notwendige Bereiche zu beschränken und die Demokratie und insbesondere die gesellschaftliche Diskussion über Rechtsetzung auf europäischer Ebene zu stärken, ist auch die Legitimität des auf europäischer Ebene entstandenen Rechts wesentlich erhöht.66 Die intensive Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie67 und der Einfluss des Volkswillen auf deren Gestaltung kann vor diesem Hintergrund begrüsst werden.
II. Wissensproblem in Bezug auf die Ausgestaltung materiellrechtlicher Harmonisierung 1. Bedeutung des Wissensproblems Sowohl von Savigny68 als auch die Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie69 sehen im Wissensproblem des Gesetzgebers ein entscheidendes 63 64
S. 14.
Vgl. Herzog, Europa neu erfinden, S. 14. Vgl. Schäuble, Institutioneller Wandel und europäische Einigung, FAZ 12. 01. 2013,
65 Vgl. z. B. Herzog, Europa neu erfinden, S. 14, 27 ff.; Franzius, Demokratisierung der Europäischen Union, EuR 2013, S. 655, 657 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 309; Streeck, Gekaufte Zeit, S. 148 ff. In Zusammenhang mit aufgrund der Finanzkrise ergriffenen Maßnahmen: Kadelbach, Lehren aus der Finanzkrise – Ein Vorschlag zur Reform der Politischen Institutionen der Europäischen Union, EuR 2013, S. 489 – 503; Duff, Zurück zur Kernfrage: eine föderale Ordnung für Europa, Integration 2014, S. 65 – 71. Das Demokratiedefizit betrifft nicht nur die Rechtsetzung, sondern auch die Auswahl von EuGH- und EGMR-Richtern (Bogdandy/Krenn, Zur demokratischen Legitimation von Europas Richtern, JZ 2014, S. 529 – 537). 66 Vgl. Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 135, 165. 67 Vgl. Mankowski, Wider ein Herkunftslandprinzip für Dienstleistungen im Binnenmarkt, IPrax 2004, S. 385 – 395; Karas, Das Herkunftslandprinzip in der Dienstleistungsrichtlinie, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 101 – 108; Hatje, Die Dienstleistungsrichtlinie – Auf der Suche nach dem liberalen Mehrwert, NJW 2007, S. 2357 – 2363. 68 Vgl. von Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher, in: Thibaut und Savigny, Ihre programmatischen Schriften, S. 231, 234 f.; ; Koschaker, Europa und das Römische Recht, S. 258; Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, S. 179; Koschaker, Europa und das Römische Recht, S. 263; Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, S. 17; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 392. von Savigny konnte sich mit seinen Argumenten letztlich nicht durchsetzten. Im neu geschaffenen Staat Griechenland wurde eine Kodifizierung unter dem Einfluss von Savignys aber nicht verwirklicht (Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, S. 18 ff.).
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Hindernis im Hinblick auf die Gestaltung einer weitreichenden materiellrechtlichen Harmonisierung. Mögliche fehlerhafte Hypothesen70 in Bezug auf die Gestaltung von Ordnungsregeln wären im Fall einer materiellrechtlichen Harmonisierung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene festgeschrieben, ohne dass fehlerhafte Hypothesen mittels Systemwettbewerb korrigiert werden könnten. Es droht aus dieser Perspektive die Schaffung eines Rechtsrahmens, der nicht den Bedürfnissen des Wirtschaftsverkehrs entspricht und der zu erheblichen gesellschaftlichen Ineffizienzen führt.71 Die Bedeutung von Systemwettbewerb zur Generierung von Wissen erscheint in den betrachteten Referenzgebieten jedoch gering,72 da Regulierungsarbitragen und staatliche Responsivität (als auch die Entwicklung der Rechtsetzung auf EUEbene73) voraussehbar sind.74 Nach von Hayek kann Wettbewerb zwischen Privat69
Vgl. Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71 – 102; Mussler/Wohlgemuth, Institutionen im Wettbewerb, Ordnungstheoretische Anmerkungen zum Systemwettbewerb in Europa, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozess, S. 9 – 45; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 200 – 203; Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 23 (2000), S. S217 – S249; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13 – 48; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113 – 134; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521 – 535; H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9 – 60; Streit/ Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75 – 107; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration – Freiburgs Botschaft für ein offenes Europa –, S. 85 – 100. 70 Vgl. Wohlgemuth, Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 49, 58. 71 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, Tz. 10 S. 18. 72 Vgl. Teil 3 § 19 B. V. 1. 73 Vgl. Witte, Der Vertrag von Maastricht über die Schaffung einer Europäischen Union, in: Probleme der deutschen und europäischen Integration: institutionenökonomische Perspektiven, S. 251, 260. 74 Ein Beispiel für ein gesetzgeberisches Wissensproblem und deren Lösung außerhalb von Systemwettbewerb liefert die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die Verkehrshypothek (§ 1113 ff. BGB) ein zukunftsträchtiger Kompromiss sei (Stürner, Das Grundpfandrecht zwischen Akzessorietät und Abstraktheit und die europäische Zukunft, FS Serick, S. 377, 379). In der Folgezeit zeigte sich infolge eines Wettbewerbs der Grundpfandrechte, dass die Grundschuld (§§ 1191 ff. BGB) den Interessen des Verkehrs in höherem Maße entspricht (Stürner, Das Grundpfandrecht zwischen Akzessorietät und Abstraktheit und die europäische Zukunft, FS Serick, S. 377, 379). Stürner stellt insofern fest, dass wenn der deutsche Gesetzgeber seine Entscheidung zugunsten der Verkehrshypothek verabsolutiert hätte, die bedarfsorientierte Weiterentwicklung der Grundpfandrechte erschwert oder gar blockiert gewesen wäre (Stürner, Das Grundpfandrecht zwischen Akzessorietät und Abstraktheit und die europäische Zukunft, FS Serick, S. 377, 379).
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rechtssubjekten angesichts der damit verbundenen Kosten75 nur damit gerechtfertigt werden, „daß wir die wesentlichen Umstände nicht kennen, die das Handeln der im Wettbewerb stehenden bestimmen“.76 Angesichts der in den Referenzgebieten bescheidenen Bedeutung der Entdeckungsfunktion deutet angesichts der Nachteile, die mit der Anwendung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips verbunden sind, einiges darauf hin, dass Systemwettbewerb „eine höchst verschwenderische Methode“ zur Generierung von Wissen ist.77 Dies gilt zukünftig vor allem dann, wenn Systemwettbewerb als normatives Konzept Einfluss auf die Rechtsgestaltung auf EU-Ebene gewinnt und daraus eine Ausweitung „kollisionsrechtlicher“ Harmonisierung in Form der Schaffung nahezu schrankenloser Herkunftslandprinzipien folgt, ohne dass Gewicht auf eine flankierende Mindestharmonisierung gelegt wird. Eine „Entdeckung“ eines Bedarfs an materiellrechtlicher Harmonisierung (gemäß des bottom-up-Ansatzes78) wäre sehr kostspielig. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Fall einer solchen experimentellen Rechtsetzung eine Einigkeit über die rechtspolitische Bewertung der Folgen bestünde, so dass Probleme infolge der Anwendung des Herkunftslandprinzips nicht ausgeräumt würden. Es besteht deswegen die Gefahr einer Festschreibung eines suboptimal niedrigen Regulierungsniveaus. Im Fall von komplexen Regelungsmaterien ist ein Wissensproblem des Gesetzgebers unvermeidbar.79 In diesem Fall ist vor allem eine flexible Rechtsgestaltung (z. B. mittels der zeitlichen Geltungsbefristung von Normen80) wünschenswert, um das Recht laufend zu verbessern und gewandelten Verhältnissen Rechnung zu tragen.81 Es geht also darum, die Veränderungsfähigkeit von Recht zu erhalten. Intelligente Rechtsetzung ist damit auch ein Verfahren des trial and error; die Bedeutung speziell von Regulierungsarbitragen und Systemwettbewerb zu Generierung von Wissen erscheint hingegen auch komplexen Regelungsmaterien nicht entscheidend. 75 Vgl. von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249, 257. 76 von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249, 249 (HiO). 77 von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249, 249 (bezogen auf einen Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten). 78 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 208 – 211; Eichenberger, Eine „fünfte Freiheit“ für Europa: Stärkung des politischen Wettbewerbs durch „FOCJ“, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 45 (1996), 110, 111, 121 mwN; Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, KYKLOS 53 (2000), S. 435, 439; Frey/Eichenberger, Competition among Jurisdictions: The Idea of FOCJ, in: Competition among Institutions, S. 209, 215. 79 Nienhaus, Mobilitätshemmnisse und Defizite bei Waren und Dienstleistungen, in: Der unvollendete Binnenmarkt, S. 109, 119. 80 Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozess – Einflußnahme und Möglichkeiten der Begrenzung, ORDO 50 (1999), S. 171, 197 ff.; Teil 3 § 18 B. IV. 81 Vgl. Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 113.
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2. Möglichkeiten zur Erweiterung der Wissensbasis Vor dem Hintergrund der von der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie betonten Entdeckungsfunktion von Systemwettbewerb stellt sich die Frage, wie im Rahmen des Harmonisierungsverfahrens die Generierung von Wissen gefördert werden kann.82 In Betracht kommt ein Wissensaustausch nach Art der offenen Methode der Koordinierung im Rahmen von Harmonisierungsmaßnahmen.83 Zudem ist eine Förderung von Fachkompetenz in der Politik möglicher Ansatzpunkt von Reformüberlegungen.84 Denkbar wäre eine Vergabe des Ausschussvorsitzes nach Qualifikation und weniger nach Kriterien wie der Länge der Parlamentszugehörigkeit. Notwendig zur Verbreiterung der Wissensbasis des Unionsgesetzgebers erscheint vor allem eine Abschätzung der Folgen des entsprechenden Harmonisierungsrechtsaktes.85 Es kommt die Schaffung einer unabhängigen (interdisziplinär besetzten) Expertenkommission in Betracht, die jedes Gesetzgebungsvorhaben gutachterlich evaluiert.86 Damit käme der Wissenschaft eine entscheidende Rolle zur Generierung von Wissen zu. Insbesondere von Savigny wies im Rahmen des Kodifikationsstreites auf die Bedeutung der Rechtswissenschaft zur Vorbereitung einer Harmonisierung des Privatrechts in Deutschland hin.87 Diese Sichtweise von Savi82 Vgl. Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 579; Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 99, 103 ff. Auch Heine (als Schüler Kerbers) erkennt an, dass außer Systemwettbewerb möglicherweise andere Möglichkeiten existieren, um Wissen zu generieren (Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 153 Fn. 82). 83 Kerber/Eckardt, Policy learning in Europe: the open method of co-ordination and laboratory federalism, Journal of European Public Policy 14(2) (2007), S. 227 – 247. Die offene Methode der Koordinierung betrifft Bereiche, die gerade in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegen (Steinmeyer, Grundlagen und Hintergründe der Offenen Methode der Koordinierung, in: Die Offene Methode der Koordinierung in der Europäischen Union, S. 9, 13) und zielt auf eine Verbesserung der mitgliedstaatlichen Gesetzgebung in diesen Bereichen (Steinmeyer, Grundlagen und Hintergründe der Offenen Methode der Koordinierung, in: Die Offene Methode der Koordinierung in der Europäischen Union, S. 9, 15). 84 Vgl. Kruse, Das Monopol für demokratische Legitimation und seine Überwindung, Zur konstitutionellen Reform der staatlichen Strukturen, in: Die Ordnung von Reformen und die Reform von Ordnungen, S. 201, 208 f. (= Kruse, Das Monopol für demokratische Legitimation und seine Überwindung, S. 6). 85 Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 328 – 330 Rn. 133 – 135. 86 Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 334 f. (zu Sunset-Legislation); Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 330 Rn. 135 (zur Folgenabschätzung). 87 von Savigny weist insbesondere auf die Bedeutung der Rechtsgeschichte hin: von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Thibaut und
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gnys wird heute in der Diskussion um die Schaffung eines einheitlichen Europäischen Zivilgesetzbuches88 aufgegriffen.89 Voraussetzung einer erfolgreichen Wissensgenerierung ist, dass die Wissenschaft in der Lage ist, hinreichend präzise die Realität zu erfassen. Dies gelingt in Bezug auf Systemwettbewerb im Rahmen der ökonomischen Modellbildung bislang nicht90 und auch die Rechtswissenschaft steht dem Phänomen Systemwettbewerb hilflos gegenüber. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der Wissenschaften – zu dessen Verwirklichung sowohl von rechtswissenschaftlicher91 als auch von ökonomischer Seite Savigny, S. 95, 146 f., 152; von Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher, in: Thibaut und Savigny, S. 231, 236. Vgl. auch: Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, S. 179; Koschaker, Europa und das Römische Recht, S. 263; Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, S. 17; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 392; Strauch, Recht, Gesetz und Staat bei Friedrich Carl von Savigny, S. 50 ff.; P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 7 f. 88 Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, S. 40, 46. 89 Vgl. Zimmermann, Das römisch-kanonische ius commune als Grundlage europäischer Rechtseinheit, JZ 1992, S. 8 – 20; Zimmermann, Privatrechtsvereinheitlichung in Europa: Das Common European Sales Law und seine Textstufen, Bucerius Law Journal 2014(2), S. 71 – 72; Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 13 – 17; P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 7 f. Zu einem Rechtsvergleich im Bereich des Vertragsrechts: Kötz, Europäisches Vertragsrecht. 90 Zur Kritik an ökonomischer Modellbildung: Tiefenbach, Der Beitrag der ökonomischen Theorie zur Frage des guten Lebens; Heuser, Einstützende Altbauten, Die Krise hat die Ökonomen kalt erwischt. Neue Modelle sind gefragt. Kein Problem, sagt die Wissenschaft, Zeit Online, 19. 04. 2012. (www.zeit.de/2012/17/Oekonomenstreit). 91 Lübbe-Wolff fragt im Zusammenhang mit einem Verschwinden der Grenzen zwischen Rechts- und Sozialwissenschaft, ob „nicht das Proprium der Rechtswissenschaft – und damit das Proprium der Jurisprudenz überhaupt – in Auflösung begriffen [ist], die Jurisprudenz so gut wie expropriiert [ist]?“ (Lübbe-Wolff, Expropriation der Jurisprudenz?, in: Das Proprium der Rechtswissenschaft S. 282, 289). Lübbe-Wolff verneint indes diese Frage (S. 289 f.). Jayme stellt im Zusammenhang mit der Globalisierung fest, dass „die Juristen im Hinblick auf die Wirtschaftswissenschaften um ihre Eigenständigkeit“ fürchten (Jayme, Die kulturelle Dimension des Rechts, RabelsZ 67 (2003), S. 211, 212). Es ist jedoch eine zunehmende Öffnung rechtswissenschaftlicher Forschung gegenüber ökonomischen Ansätzen zu beobachten (Morlok, Vom Reiz und vom Nutzen, von den Schwierigkeiten und den Gefahren der Ökonomischen Theorie für das Öffentliche Recht, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 1, 1; Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 85, 98). In den USA hat die Verbindung von juristischem und ökonomischen Denken hingegen lange Tradition. Die meisten US-amerikanischen Artikel über Systemwettbewerb werden gerade von Jura-Professoren verfasst. Bemerkenswert ist, dass R. Posner nach Feststellung von Shapiro aus dem Jahr 2000 der meist-zitierte Rechtswissenschaftler ist (Shapiro, The Most-Cited Legal Scholars, Journal of Legal Studies 29(1) (2000), S. 409, 424) und R. Posner im Jahr 2004 basierend auf einer Umfrage vom US-Magazin Legal Affairs als einer der 20 wichtigsten juristischen Denker bezeichnet wurde (Who are the Top 20 Legal Thinkers in America?, Legal Affairs, www.legalaf fairs.org/poll/.
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Vorbehalte bestehen – ist vor diesem Hintergrund äußerst hilfreich.92 Die Betrachtung allein aus der Perspektive einer Disziplin birgt die Gefahr einer Verzerrung, was anhand der unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven und unterschiedlichen Bewertung von Systemwettbewerb in der rechtswissenschaftlichen und ökonomischen Literatur93 deutlich wird. Insofern geht es darum, mittels interdisziplinärer Zusammenarbeit „die Folgekosten der Aufspaltung in Einzeldisziplinen gering zu halten“.94 Ehrlichs Forderung, dass der Jurist der Zukunft die Soziologie und Volkswirtschaftslehre […] als seine eigene Wissenschaft beherrschen m[uß]“, besitzt deshalb große Aktualität.95 Aufgrund der verschiedenen Ansatzpunkte und Vorverständnisse der Wissenschaften erscheint es sinnvoll, ein gemeinsames Forschungsprogramm zu entwerfen, 92 Vgl. Morlok, Vom Reiz und vom Nutzen, von den Schwierigkeiten und den Gefahren der Ökonomischen Theorie für das Öffentliche Recht, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 1, 2; Rüthers, Rechtstheorie, § 7 Rn. 302, S. 200; H.-B. Schäfer, Allokationseffizienz als Grundprinzip des Zivilrechts, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 1, 23; Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 11, 24. Anders: Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 112: „Weitreichende und ehrgeizige rechtspolitische Vorschläge zur Harmonisierung der Rechtsordnungen in Europa, wie sie derzeit immer häufiger vorgetragen werden, verlangen aus wissenschaftlicher Sicht zumindest Klarheit über die materiellen und methodischen Grundlagen des Wettbewerbs oder die Vereinheitlichung der Rechtsordnungen. Es ist Aufgabe der Rechtswissenschaft, diese Klarheit in den Grundlagen zu schaffen“. 93 Grundmann, Wettbewerb der Regelgeber im europäischen Gesellschaftsrecht – jedes Marktsegment hat seine Struktur, ZGR 2001, S. 783, 790: „die Verfechter eines Wettbewerbs der Regelgeber in Europa [sind] tendenziell eher Ökonomen […]“; Wallerath, Der ökonomisierte Staat. Zum Wettstreit zwischen juridisch-politischem und ökonomischen Paradigma, JZ 2001, S. 209, 213: „Hierzu gehört einerseits, dass Juristen eher dazu neigen mögen, die Steuerungskraft von Normen zu überschätzen; das mag sie auch in stärkerem Maße anfällig für Lösungsmodelle machen, die vor allem auf den Staat und dessen regulatives Instrumentarium setzen. Andererseits ist es nicht von der Hand zu weisen, dass manche Vertreter der Ökonomik Gefahr laufen, der koordinativen Lösungskompetenz des Marktes einen wenig belastbaren Vertrauensvorschuss einzuräumen“; Everling, Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, in: Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, S. 27, 31. 94 Morlok, Vom Reiz und vom Nutzen, von den Schwierigkeiten und den Gefahren der Ökonomischen Theorie für das Öffentliche Recht, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 1, 2. 95 Ehrlich, Gutachten des Universitäts=Professors Dr. Eugen Ehrlich in Czernowitz über die Frage: Was kann geschehen, um bei der Ausbildung (vor oder nach Abschluss des Universitätsstudiums) das Verständnis des Juristen für psychologische, wirtschaftliche und soziologische Fragen in erhöhtem Maße zu fördern?, in: Verhandlungen des einunddreißigsten Deutschen Juristentages 1912, Bd. 2, S. 200, 207. Vgl. auch: Schmidt-Aßmann, Zur Situation der rechtswissenschaftlichen Forschung, JZ 1995, S. 2, 7 – 9. Zu Humboldts Ideal der Wissenschaft: Riedel, Forschung und Bildung, Wilhelm von Humboldts ursprünglicher Begriff der Wissenschaft, in: FS Schelsky, S. 419, 429 ff. Kelsen vertritt mit einer „reinen Rechtslehre“, die „die Rechtswissenschaft von allen ihr fremden Elementen befreien“ will ein gegenläufiges Konzept (Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 1).
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in denen bestimmte Fragen aus verschiedenen Perspektiven gutachterlich und unter Offenlegung der angenommenen Voraussetzungen beantwortet werden. Darauf aufbauend wären die einzelnen Positionen im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung zu untersuchen. Die wissenschaftlichen Grenzen fallen in der Rechtswissenschaft immer noch weitgehend mit den politischen zusammen;96 unabdingbar ist jedoch eine grenzüberschreitende Rechtswissenschaft,97 denn um Harmonisierung sinnvoll zu gestalten, ist eine Kenntnis der nationalen Rechte erforderlich, die Gegenstand der Harmonisierung sind. Die Bedeutung der Rechtswissenschaft für die Herausarbeitung gemeinsamer Grundlagen des Rechts wurde von Savigny98 im Rahmen des Kodifikationsstreits betont. Heute wird auf die einheitsstiftende Kraft einer grenzüberschreitenden Wissenschaft vor allem im Zusammenhang mit der Schaffung eines Europäisches Zivilgesetzbuches hingewiesen: „Soll es nun mit dem neuen europäischen Recht nicht bei unorganisch in die nationalen Systeme eingestreuten Regelungsfragmenten bleiben, so bedarf es in allererster Linie der Herausarbeitung der systematischen, begrifflichen, dogmatischen und ideengeschichtlichen Grundlagen unseres europäischen Rechts, die unter dem Geröll von zweihundert Jahren jeweils nationaler Rechtsfortbildung verborgen sind. Diese gemeinsame Tradition ist eine einheitstiftende Kraft von großer Bedeutung […]“.99 96
von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Teil 1, S. 14 f. Vgl. auch: Coing, Europäisierung der Rechtswissenschaft, NJW 1990, S. 937, 937 (HiO): „Die Rechtswissenschaft in den Staaten der europäischen Gemeinschaft ist im Augenblick eine nationale, keine europäische oder allgemeine Wissenschaft. Sie ist an den Gesetzen und der Rechtsprechung der einzelnen Staaten orientiert und wird in ihrer Arbeitsmethode von den Traditionen der nationalen Kulturen bestimmt“; Schmidt-Aßmann, Zur Situation der rechtswissenschaftlichen Forschung, JZ 1995, S. 2, 9. Hinzukommt eine Trennung zwischen den Disziplinen Zivilrecht, Öffentliches Recht und Strafrecht (Voßkuhle, § 1 Neue Verwaltungswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Rn. 38). 97 Vgl. Coing, Europäisierung der Rechtswissenschaft, NJW 1990, S. 937, 939, 940 ff. Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 13 ff.; P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. S. 1, 7; Kötz, Alte und Neue Aufgaben der Rechtsvergleichung, JZ 2002, S. 257 – 264. Zur historisch vorhandenen europäischen Rechtswissenschaft vgl. Zimmermann, Das römisch-kanonische ius commune als Grundlage europäischer Rechtseinheit, JZ 1992, S. 8, 10 f.; Schmidt-Aßmann, Zur Situation der rechtswissenschaftlichen Forschung, JZ 1995, S. 2, 9 f. 98 von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Thibaut und Savigny, S. 95, 192: „Ich sehe das rechte Mittel in einer organisch fortschreitenden Rechtswissenschaft, die der ganzen Nation gemein sein kann“; von Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher, in: Thibaut und Savigny, S. 231, 234. 99 Zimmermann, „heard melodies are sweet, but those unheard are sweeter …“, AcP 193 (1993), S. 121, 171 f.; Zimmermann, Das römisch-kanonische ius commune als Grundlage europäischer Rechtseinheit, JZ 1992, S. 8 – 20. Vgl. auch: Kötz, Gemeineuropäisches Zivilrecht, in: FS Zweigert, S. 481, 491 ff. „In der Tat muß die Schaffung eines gemeinsamen Vorverständnisses und gemeinsamer Denktraditionen das allgemeine Ziel sein, das es letztlich anzustreben gilt“ (S. 491); Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele,
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Auch im Bereich Öffentlichen Rechts ist eine Rechtsvergleichung sinnvoll, um materiellrechtliche Harmonisierung vorzubereiten, jedoch fristet eine vergleichende Betrachtung öffentlich-rechtlicher Regulierungen immer noch ein Schattendasein100. Im Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierung sind gemeinsame Grundlagen des Rechts oft nicht vorhanden, da die Regulierung von Waren und Dienstleistungen erst relativ spät aufkam101 und sich Regulierungen eigenständig entwickelten.102 Angesichts der Rechtsunterschiede fällt es Juristen oftmals schwer, fest-gefügte Besonderheiten der eigenen Rechtsordnung in Frage zu stellen,103 so dass eine Diskussion um eine bestmögliche Ausgestaltung von Regulierungen vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt ist. Hinzukommt, dass die mitgliedstaatliche Herkunft von Juristen die generelle Einstellung in Bezug auf das angemessene Verhältnis zwischen Markt und Staat bestimmen kann. Es ist zu erwarten, dass britische Juristen eine wesentlich liberalere Haltung gegenüber einer Regulierung von Banken, Versicherungen oder OGAW einnehmen als deutsche oder französische Juristen. Die Schwierigkeiten einer grenzüberschreitenden rechtswissenschaftlichen Zusammenarbeit dürften deswegen im Bereich des Öffentlichen Rechts wesentlich höher sein als im Privatrecht. RabelsZ 50 (1986), S. 1, 13 ff.; P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 7; Kötz, Alte und neue Aufgaben der Rechtsvergleichung, JZ 2002, S. 257, 259 f.; Mansel, Rechtsvergleichung und europäische Rechtseinheit, JZ 1991, S. 529, 532 – 534; Goerdeler, Überlegungen zum künftigen Gesellschaftsrecht in der EG, in: FS Steindorff, S. 1211, 1226 f. Kritisch: Möllers, Die Rolle des Rechts im Rahmen der europäischen Integration, S. 9 Fn. 37 mwN. Auch im im Seeversicherungswesen bestand ursprünglich eine grenzüberschreitende Wissenschaft und eine gewisse Rechtseinheit (Möller, Zum II. Weltkongreß der A.I.D.A. in Hamburg, ZfV 1966, S. 559, 559). 100 Vgl. aber zur Rechtsvergleichung im Öffentlichen Recht: Karpen, Ausländisches öffentliches Recht und Rechtsvergleichung im Ausgang des 20. Jahrhunderts; Visier, Constitutional Review in Europe, A Comparative Analysis; Groß, Zum Stand der Verwaltungsrechtsvergleichung in Europa: Grundlagen, in: Die Verwaltung 45 (2012), S. 251 – 263; Jackson/ Tushnet, Comparative Constitutional Law; Ehlers/Glaser/Prokati (Hrsg.), Constitutionalism and Good Governance; Bogdandy/Cassese/Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaneum, Bd. 1 – Bd. 5; Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 1075 Fn. 1335 mwN. Häberle stellt fest, dass die Rechtsvergleichung im Öffentlichen Recht derzeit einen „großen Aufschwung“ erlebe (Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 1075). Auch die ökonomische Analyse des Rechts ist im Bereich des Öffentlichen Rechts längst nicht annähernd so weit verbreitet wie im Zivilrecht. Vgl. aber: Fehling, Kosten-NutzenAnalysen als Maßstab für Verwaltungsentscheidungen, Verwaltungs-Archiv 95(4) (2004), S. 443 – 470; Fehling, Ökonomische Analyse im öffentlichen Recht als Methode zur Reformulierung und Operationalisierung von Gerechtigkeitsfragen, in: Begegnungen im Recht, S. 39 – 67. 101 Zum Lebensmittelrecht vgl. Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung zwischen Staaten. S. 64 ff. Zum Technikrecht vgl. Vec, Kurze Geschichte des Technikrechts, in: Handbuch des Technikrechts, S. 3 – 92. 102 Anders in Bezug auf „gemeineuropäisches Verfassungsrecht (Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 1083 ff.). Zur „europäischen Rechtskultur“ vgl. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 1073 ff. 103 Vgl. P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 7.
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Allgemeine Schwierigkeiten einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Juristen104 stellen aufgrund der Sprachenvielfalt in der EU Hürden der Verständigung dar.105 Die deutsche Rechtswissenschaft schreibt vor allem auf deutsch,106 weswegen ein Zugang zur deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur an betreffende Sprachkenntnisse geknüpft ist.107 Die Bemühungen um eine möglichst optimale Harmonisierung müssen deshalb schon bei der Ausbildung von Juristen ansetzen.108 Sofern auf wissenschaftlicher Ebene eine grundsätzliche Klarheit über eine optimale Rechtsgestaltung gewonnen ist, kann der Gesetzgeber diese Erkenntnisse im Rahmen der Gestaltung einer entsprechenden Harmonisierungsmaßnahme nutzen bzw. die auf wissenschaftlicher Basis gewonnenen Erkenntnisse oder Empfehlungen umsetzen.109
III. Einfluss von Interessengruppen im Rahmen materiellrechtlicher Harmonisierung 1. Schaffung von Interessengruppenregulierungen im Rahmen von materiellrechtlicher Harmonisierung Wichtiges Argument für Systemwettbewerb ist die Einschränkung von wettbewerbsbeschränkender Interessengruppenpolitik mittels institutioneller Mobilität110 104 Vgl. Großfeld, Die Augen der Studenten: Jurastudium zwischen Lokalisierung und Globalisierung, in: FS Jayme, Bd. 2, S. 1103, 1107. 105 Vgl. Coing, Europäisierung der Rechtswissenschaft, NJW 1990, S. 937, 940. 106 Vgl. Engel/Schön, Vorwort, in: Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. IX, IX (HiO). Jestaedt, Wissenschaft im Recht, JZ 2014, S. 1, 1, 2: „Rechtswissenschaftler, deutsche zumal, sind es gewöhnt, sich in national und sprachlich fragmentierten Diskursen zu bewegen. Lehrund Forschungs-, Diskurs- und Publikationssprache hierzulande ist grundsätzlich Deutsch. Unsere Lehrbücher und Kommentare, unsere Zeitschriften, Handbücher und Monographien sind weit überwiegend in unserer Muttersprache abgefasst, unsere Verlage sitzen in Berlin und München, Heidelberg und Tübingen. Dadurch freilich sind wir von globalisierten, sich regelmäßig des Englischen bedienenden Diskursen in weitem Maße abgeschnitten“. 107 Jestaedt, Wissenschaft im Recht, JZ 2014, S. 1, 2: „Was wir in unserem eigenen Idiom vorzutragen haben, scheitert bei der deplorablen Verbreitung des Deutschen häufig bereits an der sprachlichen Verstehensbarriere“. 108 Vgl. Kötz, Alte und neue Aufgaben der Rechtsvergleichung, JZ 2002, S. 257, 257 f.; Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 15 f.; P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 8 f.; Flessner, Juristische Methode und europäisches Privatrecht, JZ 2002, S. 14, 21 – 23; Großfeld, Die Augen der Studenten: Jurastudium zwischen Lokalisierung und Globalisierung, in: FS Jayme, S. 1103, 1107 f. 109 Vgl. Mansel, Rechtsvergleichung und europäische Rechtseinheit, JZ 1991, S. 529, 533 f. 110 Apolte, Institutioneller Wettbewerb: Ansätze, Theoriedefizite und Entwicklungsperspektiven, in: Theorie der Wirtschaftspolitik: Erfahrungen – Probleme – Perspektiven, S. 179, 287; Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 202 (Apolte bezeichnet
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und im Fall einer weitreichenden materiellrechtlichen Harmonisierung wird die Gefahr einer Ausbreitung von Interessengruppenregulierungen auf EU-Ebene gesehen111, ohne dass der Systemwettbewerb als Kontrollmechanismus zur Verfügung steht112. Aufgrund der Intransparenz des politischen Prozesses der Entscheidung auf EUEbene und der hohen Bedeutung einer Beteiligung von Verbänden im Rahmen von Rechtsetzungsvorhaben, sind auf europäischer Ebene Voraussetzungen für die Schaffung von Interessengruppenregulierungen gegeben.113 Interessengruppen (die immer noch vor allem national organisiert sind114) können möglicherweise auf europäischer Ebene ihre Kräfte bündeln und Einfluss auf den Rechtsetzungsprozess ausüben115, wenn zwischen Verbänden der Anbieter aus verschiedenen Mitgliedstaaten eine Einigkeit hinsichtlich rechtspolitischer Ziele besteht116. Es ist jedoch „Brüssel als die Hauptstadt des Rent-Seeking); Van den Bergh, The Subsidiarity Principle in European Community Law: Some Insights from Law and Economics, Maastricht Journal of European and Comparative Law 1 (1994), S. 337, 346 – 348. 111 Vgl. Witte, Der Vertrag von Maastricht über die Schaffung einer Europäischen Union, in: Probleme der deutschen und europäischen Integration: institutionenökonomische Perspektiven, S. 251, 260 – 262; Van den Bergh, The Subsidiarity Principle in European Community Law: Some Insights from Law and Economics, Maastricht Journal of European and Comparative Law 1 (1994), S. 337, 347 f. Zum Einfluss von Verbänden auf die Rechtsetzung und die Verwaltung auf EU-Ebene: J. Teubner, Interessenverbände und Internationalisierung, Dachverbände, Automobilindustrie und Einzelhandel in der Europäischen Union; Würtenberger, Die Verbändeproblematik aus europarechtlicher und integrationstheoretischer Sicht, in: Verbände und europäische Integration, S. 29 – 43. 112 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 234; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 10; Kerber/Heine, Zur Gestaltung von Mehr-Ebenen-Rechtssystemen aus ökonomischer Sicht, in: Vereinheitlichung des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 167, 184; Mussler, Systemwettbewerb als Integrationsstrategie der Europäischen Union, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 71, 75; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 301. 113 Witte, Der Vertrag von Maastricht über die Schaffung einer Europäischen Union, in: Probleme der deutschen und europäischen Integration: institutionenökonomische Perspektiven, S. 251, 260 – 262. 114 J. Teubner, Interessenverbände und Internationalisierung, Dachverbände, Automobilindustrie und Einzelhandel in der Europäischen Union, S. 210 ff. Vgl. die Länderberichte in: Reutter (Hrsg.), Verbände und Interessengruppen in den Ländern der Europäischen Union. 115 Vaubel, Institutional Design for a Larger EU, The constitutional reform of the European Union, European Economic Review 41 (1997), S. 443, 446; Witte, Der Vertrag von Maastricht über die Schaffung einer Europäischen Union, in: Probleme der deutschen und europäischen Integration: institutionenökonomische Perspektiven, S. 251, 262; J. Teubner, Interessenverbände und Internationalisierung, Dachverbände, Automobilindustrie und Einzelhandel in der Europäischen Union, S. 216. 116 Vaubel, Institutional Design for a Larger EU, The constitutional reform of the European Union, European Economic Review 41 (1997), S. 443 – 450, 446. Zu dem Wettbewerb von Interessengruppen: Becker, Politischer Wettbewerb zwischen Interessengruppen, in: Familie,
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auch denkbar, dass sich die Interessen der Anbieter aus verschiedenen Mitgliedstaaten unterscheiden und dass sich der Einfluss von Interessengruppen auf den Rechtsetzungsprozess deshalb über eine Konkurrenz von Interessengruppen (zum Teil) neutralisiert bzw. abgeschwächt wird.117 Vor dem Hintergrund der bestehenden Rechtsunterschiede ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich die Interessen von Anbietern aus verschiedenen Mitgliedstaaten in Bezug auf die Ausgestaltung von Regulierungen unterscheiden.118 Einer Bündelung der Interessen der Anbieter auf europäischer Ebene sind deshalb Grenzen gesetzt. Es war z. B. ausgeschlossen, dass sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks mit Forderungen einer weitgehenden Verankerung des Meisterzwangs auf europäischer Ebene durchsetzt bzw. durchgesetzt hätte. Eine materiellrechtliche Vollharmonisierung des Handwerksrechts auf EU-Ebene hätte zwangsläufig zu einer Deregulierung der Zulassungsvoraussetzungen der Handwerksausübung geführt. Wahrscheinlich wäre diese Deregulierung ausgeprägter ausgefallen als die eingetretene systemwettbewerbliche Deregulierung. Auch wäre es für den deutschen Einzelhandel nicht möglich gewesen, sich Ende der 1990er Jahre mit Erfolg für eine Übernahme der deutschen Zugabe- und Rabattregulierung auf europäischer Ebene einzusetzen. Die Position des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und des deutschen mittelständischen Einzelhandels war auf europäischer Ebene im Vergleich zum nationalen Kontext wesentlich geschwächt. Bislang ist eine Interessengruppenpolitik über materiellrechtliche Harmonisierung in den betrachteten Referenzgebieten nicht erkennbar, im Gegenteil hat die materiellrechtliche Harmonisierung auf europäischer Ebene gerade zu dem Abbau wettbewerbsbeschränkender Regulierungen in den Mitgliedstaaten geführt119. Mit einer fortschreitenden Angleichung der mitgliedstaatlichen Regulierungen infolge von Ex-ante und Ex-post Harmonisierung und der Angleichung der mitgliedstaatlichen Regulierungsphilosophien kann in der Zukunft jedoch die Möglichkeit bestehen, dass die Interessenvertretungen der Waren- und Dienstleistungsanbieter aus verschiedenen Mitgliedstaaten gemeinsame Interessen entwickeln (bzw. zu einer Gesellschaft und Politik, 1996, S. 184 – 196. Vgl. Mohr/Weßels/Beyers/Kerremans, Zugang und Legitimität in der EU, S. 17. 117 Vgl. Bernholz/Breyer, Grundlagen der Politischen Ökonomie, Bd. 2, Ökonomische Theorie der Politik, 172 ff.; Daumann, Interessenverbände im politischen Prozess – Einflußnahme und Möglichkeiten der Begrenzung, ORDO 50 (1999), S. 171, 192. Zur Konkurrenz von Interessengruppen: Becker, A Theory of Competition among Pressure Groups for Political Influence, The Quarterly Journal of Economics XCVIII(3) August 1993, S. 371 – 291. Anders: Vaubel, Institutional Design for a Larger EU, The constitutional reform of the European Union, European Economic Review 41 (1997), S. 443, 446. 118 Eising stellt fest, dass „[d]ie Akteurskonstellationen im Mehrebensystem […] i. d. R. fluider und heterogener [sind] als jene innerhalb der Mitgliedstaaten“ (Eising, Interessenvermittlung in der Europäischen Union, in: Verbände und Interessengruppen in den Ländern der Europäischen Union, S. 837, 837). 119 Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 5 f.
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„regionale[n] Interessengemeinschaft[…]“120 werden) und gemeinsam auf EUEbene sie begünstigende Regulierung durchsetzen. 2. Möglichkeiten der Begrenzung des Einflusses von Interessengruppenpolitik Es bestehen Möglichkeiten, den Einfluss von Interessengruppen im Rechtsetzungsprozess zu begrenzen: Neben umfangreichen Begründungspflichten des Gesetzgebers121 zum Zeitpunkt der Schaffung einer Regelung und zu späteren Zeitpunkten können regelmäßige Berichte einer unabhängigen Kommission, die die Gesetzgebung unter dem Blickwinkel des Einflusses von Interessengruppen untersucht,122 Instrumente zur Einschränkung von Interessengruppenpolitik sein. Die Berichte dieser Kommission besitzen dann optimale Wirkung, wenn sie geeignet sind, breite öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Transparenz in Bezug auf die Verteilungswirkungen einer bestimmten Politik kann auf diesem Wege erheblich erhöht werden.123 Der Ökonom Daumann schlägt eine Prüfung von Gesetzesentwürfen von einer unabhängigen Kommission vor.124 Sofern diese Kommission die Gesetze nicht als ideal bewerte, müssten derartige Gesetze in ihrer Gültigkeit zeitlich begrenzt werden (Sunset-Legislation).125 Politische Akteure sowie Interessengruppen können verpflichtet werden, ihre Verbindungen zu Wirtschaftsakteuren offenzulegen.126 Eine Offenlegungspflicht 120
von Hayek, Die Wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse, in: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 324, 326. 121 Zum verfassungsrechtlichen Zwang der Begründung von Staatshandeln: Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar, Art. 20 Abs. 3 Rn. 306 mwN. 122 Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 335 f.; Leschke, Demokratie in Europa, in: Probleme der deutschen und der europäischen Integration: institutionenökonomische Analysen, S. 289, 317 f. 123 Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozess – Einflußnahme und Möglichkeiten der Begrenzung, ORDO 50 (1999), S. 171, 197 ff. 124 Zu den Funktion der Monopolkommission: Schönwitz, Wettbewerb als Aufgabe, Bemerkungen zur Ordnungspolitischen Konzeption der Monopolkommission, Wirtschaftsdienst 64 (1984), S. 462, 462 f. 125 Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 335 f.; Daumann, Interessenverbände im politischen Prozess – Einflußnahme und Möglichkeiten der Begrenzung, ORDO 50 (1999), S. 171, 195 ff. 126 Esty, Good Governance at the Supranational Scale: Globalizing Administrative Law, Yale Law Journal 115 (2006), S. 1490, 1526: „It would not be hard to establish a principle that mandates reporting on who has contacted decisionmakers and that requires disclosure in a public docket of any information they imparted“. Die Folgen von Offenlegungspflichten auf die Zusammensetzung von Parlamenten untersuchen van Aaken/Voigt und kommen zu dem Ergebnis, dass Offenlegungspflichten – vor dem Hintergrund einer möglichen Nicht-Kandidatur von fähigen Persönlichkeiten – keine negativen Folgen auf die Parlamentszusammensetzung
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besteht in Bezug auf weitere neben dem Mandat generierte Einkünfte (vgl. § 44b AbgG). Nach Feststellung des BVerfG sind „Interessenverflechtungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten der Abgeordneten […] offensichtlich von erheblichem Interesse. Diesbezügliche Kenntnis ist nicht nur für die Wahlentscheidung wichtig. Sie sichert auch die Fähigkeit des Deutschen Bundestages und seiner Mitglieder, unabhängig von verdeckter Beeinflussung durch zahlende Interessenten, das Volk als Ganzes zu vertreten, und das Vertrauen der Bürger in diese Fähigkeit, letztlich in die parlamentarische Demokratie“.127
Darüber hinausgehend gehört ein Kontakt politischer Akteure zu verschiedensten Personen und Verbänden jedoch zu ihrer wesentlichen Aufgabe,128 so dass ein bloßer Kontakt zu Interessengruppen deswegen kaum ein angemessenen Merkmal sein kann, um eine Offenlegungspflicht auszulösen. Vielmehr bedürfte es besonderer, qualifizierender Merkmale zur Begründung einer Offenlegungspflicht. Eine Realisierung einer derartigen Offenlegungspflicht erscheint aufgrund der Schwierigkeit der Bestimmung dieser Merkmale und aufgrund eines erheblichen Kontrollproblems jedoch nur sehr schwer umsetzbar. Je besser es gelingt, eine schädliche Interessengruppenpolitik auf EU-Ebene auszuschließen, desto geringer erscheint ein Bedürfnis eines inner-europäischen Systemwettbewerbs zur Machtbegrenzung der politischen Akteure,129 womit ein wesentliches Argument für Systemwettbewerb geschwächt wäre.
IV. Ausschluss einer Rechtsevolution Recht bedarf einer periodischen Anpassung an veränderte Umweltbedingungen130 und harmonisiertes Recht gilt als unflexibel131. Es wird eine „Verändehat (van Aaken/Voigt, Do individual disclosure rules for parlamentarians improve government effectiveness?, Economic Governance 12(4) (2011), S. 301 – 324). 127 BVerfG, Urteil vom 04. 07. 2007, Az. 2 BvE 1/06, u. a., NVwZ 2007, S. 916, 926. 128 Vgl. Esty, Good Governance at the Supranational Scale: Globalizing Administrative Law, The Yale Law Journal 115 (2006), S. 1490, 1527 f.; Trute, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 38 Rn. 74. 129 Vgl. Reich, Competition between Legal Orders: A new Paradigm of EC Law?, Common Market Law Review 29 (1992), S. 861, 868. 130 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 290. 131 Vgl. S. K. Schmidt, Notwendigerweise unvollkommen: Strukturprobleme des Europäischen Binnenmarktes, Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 3(2) (2005), S. 185, 208; Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 19, 26 f. „Einheitsrecht trägt die Gefahr der Erstarrung in sich“ (S. 26); Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 68; Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 10 f.; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in:
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rungssperre“132 bzw. eine „Konservierung“ des Rechts133 infolge von Harmonisierung befürchtet134. Ein Mittel, um eine flexible Rechtsentwicklung zu fördern, ist eine periodische Analyse der von einem Rechtsakt ausgehenden Folgen und deren Bewertung.135 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Schaffung eines hinreichenden rechtspolitischen Druckes, damit die Erkenntnisse aus der Folgenanalyse tatsächlich Berücksichtigung finden.136 Zudem kann (wie bereits angesprochen) die Geltungsdauer von Rechtsakten von vornherein befristet werden.137 Die Befürchtung einer „Veränderungssperre“ ist auf die EU bezogen jedoch unbegründet und stellt sich damit vollkommen anders dar als im Fall einer Harmonisierung über Staatsverträge,138 denn in der EU zeigt sich, dass Richtlinien
Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 57; Sykes, Regulatory Competition or Regulatory Harmonization? A silly question?, Journal of International Economic Law 1999, S. 49, 69. Zur „Unbeweglickeit des staatlichen Rechts“ bereits: Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 338 – 340. 132 Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 10 f.; Koop, Europäische Integration: Rechtsangleichung oder Wettbewerb der Rechtssysteme?, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 54, 57. 133 Vgl. Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 19, 31. 134 Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 10 – 12; Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 19, 26. 135 Zur Folgenanalyse: Mandelkern Group on Better Regulation, Final Report, 13. November 2001, S. 19 ff.; Renda, Impact Assessment in the EU; Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, S. 11, 21 f.; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 328 – 330 Rn. 133 – 135; Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 96 f.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 4 ff.,13 ff. Zur Folgenanalyse im Verwaltungverfahren: Fehling, Kosten-Nutzen-Analysen als Maßstab für Verwaltungsentscheidungen, Verwaltungs-Archiv 95(4) (2004), S. 443 – 470. 136 Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 97. 137 Vgl. Daumann, Interessenverbände im politischen Prozeß, S. 335 f.; Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 19, 28 ff. 138 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 28 – 30, „Daß das europäische Sekundärrecht weniger leicht weiterzuentwickeln wäre als das nationale kann also allein aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht behauptet werden. Es gibt im Gegenteil sogar Beispiele dafür, daß Verkrustungen des nationalen Rechts erst nach Anstößen durch die EU aufgebrochen werden konnten.“ (S. 29).
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grundsätzlich nur eine kurze Lebensdauer aufweisen.139 Eine ständige Fortentwicklung des Rechtsrahmens erscheint gewährleistet.140 Sie findet ihre Grundlage in der Praxis von Mehrheitsentscheidungen (vgl. Art. 238 AEUV) und in dem ständigen Bemühen der Kommission und des Europäischen Parlaments zur Stärkung der europäischen Ebene.141 Auch das deutsche Privatrecht hat sich nach Schaffung des BGB in erheblicher Weise verändert.142 Von einer „Veränderungssperre“ infolge der Kodifikation kann auch hier keine Rede sein. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe als möglicher Spielraum für eine evolutorischen Rechtsentwicklung143 – ähnlich wie im Rahmen der Theorie der Effizienz des Common Law – vor allem von Seiten des EuGH144 scheidet im Bereich öffentlich-rechtlicher Regulierungen grundsätzlich aus,145 da Mitgliedstaaten rechtliche Spielräume wahrscheinlich zur Errichtung von Handelshemmnissen nutzen und eine Korrektur derartiger Entwicklungen erst unter Inkaufnahme eines Zeitverlustes gewährleistet werden könnte. Zudem wäre zu erwarten, dass der EuGH unbestimmte Rechtsbegriffe dazu nutzen wird, systematisch seine eigenen Kompetenzen auszuweiten.146 Die Erwartungen, die mit der Theorie der Effizienz des Common Law147 verbunden sind, lassen sich deswegen nicht auf die Situation einer Marktintegration übertragen.
139 Vgl. Honsell, Die Erosion des Privatrechts durch das Europarecht, ZIP 2008, S. 621, 623: „Das Verfallsdatum der Richtlinien liegt oft bei 10 Jahren und weniger. Danach wird alles neu gemacht“. 140 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 29. 141 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 28 f. 142 Vgl. Horn, Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, S. 40, 42 – 44. 143 Vgl. Fon/Parisi, On the Optimal Specifity of Legal Rules, George Mason Law & Economics Research Paper No. 04-32; Teil 1 § 2 B. I.; H.-B. Schäfer, Rules versus Standards in Rich and Poor Countries: Precise Legal Norms as Subsitutes for Human Capital in Low-Income Countries, Supreme Court Economic Review 14 (2006), S. 113 – 134. 144 Zur Evolution von Richterrecht: von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd 1: Regeln und Ordnung, S. 133 ff. 145 Wohl anders: Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 19, 32. 146 Zur Bürokratietheorie vgl. Teil 1 § 2 B. II. 3. 147 Teil 1 § 2 B. I. 4.
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V. Kompromisscharakter harmonisierten Rechts Harmonisiertes Recht ist zwangsläufig das Produkt eines Kompromisses148 und kann zu einer suboptimalen Gestaltung des Harmonisierungsrechtsaktes149 führen, „weil die Juristen in falschem Heimatstolz jeweils die ihnen vertraute heimische Lösung für die beste hielten. […] Nicht die in den beteiligten Rechtsordnungen beste Lösung setzte sich durch, sondern entweder ein Mischmasch aus vielen oder die Lösung der wirtschaftlich überlegenen Nation“.150
Die Mitgliedstaaten sind bestrebt, ihre Interessen bzw. die „ihrer“ Waren- und Dienstleistungsanbieter zu wahren und zu fördern.151 Hintergrund ist insbesondere das Ziel, regulatorische Umstellungskosten152 für heimische Anbieter möglichst gering zu halten. Im Zusammenhang derartiger industriepolitischer Interessen kann auch die Praxis des Stimmentausches eine Rolle spielen.153 Um zweckwidrige Kompromisse einzuschränken, sollte über ein justiziables Verbot des Stimmentausches nachgedacht werden. Häufig sind Staaten bzw. deren Repräsentanten154 jedoch auch davon überzeugt, dass ihre eigenen Regulierungen am angemessensten sind,155 und setzten sich deshalb für ihre Übertragung dieser Regulierungen auf europäische Ebene ein156. 148 Vgl. Kropholler, Internationales Einheitsrecht § 2 III, S. 20; Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 19, 25; Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 407. 149 Vgl. Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 84 f., 593; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 371; Honsell, Die Erosion des Privatrechts durch das Europarecht, ZIP 2008, S. 621, 622 ff.; Calliess, Nach der Schuldrechtsreform: Perspektive des deutschen, europäischen und internationalen Verbrauchervertragsrechts, AcP 203 (2003), S. 575, 586: „Europäischer und Internationaler Verbraucherschutz: Recht ohne System“; Schlechtriem, „Wandlungen des Schuldrechts in Europa“ – wozu und wohin, ZEuP 2002, S. 213, 213 f.; Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 19, 25. 150 Zweigert, Die Rechtsvergleichung im Dienste der europäischen Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 16 (1951), S. 387, 388. 151 Zweigert, Die Rechtsvergleichung im Dienste der europäischen Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 16 (1951), S. 387, 388. 152 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 50. 153 Behrens, Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 50 (1986), S. 19, 25. 154 Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 7. 155 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 21. 156 In der politikwissenschaftlichen Literatur ist in Abgrenzung zum Phänomen Systemwettbewerb die Rede von „regulativem Wettbewerb“: Héritier/Mingers/Krill/Becka, Die Veränderung von Staatlichkeit in Europa. Ein regulativer Wettbewerb: Deutschland, Großbritannien und Frankreich in der Europäischen Union; S. K. Schmidt, Rechtsunsicherheit statt Regulierungswettbewerb: Die nationalen Folgen des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen. Anders: Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung
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Rechtsetzung auf europäischer Ebene führt zu einer erheblichen Einwirkung auf lange bestehende Regelwerke wie anhand des BGB besonders deutlich wird.157 Diese Einwirkungen werden aus Sicht deutscher Rechtswissenschaftler häufig als nicht dogmatisch überzeugend kritisiert, wobei die beteiligten Juristen das Recht aus dem Blickwinkel ihrer eigenen Rechtsordnung betrachten. Grundproblem ist in diesem Zusammenhang, dass die für Harmonisierungsmaßnahmen verantwortlichen Juristen oft nur in ihrem eigenen Recht verwurzelt sind und sich deshalb zwangsläufig mit einem vom eigenen juristischen Kulturkreis geprägten Vorverständnis rechtlichen Fragen nähern.158 Der Kompromisscharakter harmonisierten Rechts kann zudem zu Akzeptanzproblemen159 der rechtlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten führen. Intensiv diskutiert wurden insbesondere die Gleichbehandlungsrichtlinien, die in Deutschland in das AGG mündete.160 Adomeit kritisierte, dass „[d]ie Stoßrichtung […] eindeutig gegen die zivilrechtliche Vertragsfreiheit“ zielt.161 Säcker fühlte sich beim Lesen des Referentenentwurfs zum AGG „dem Beginn eines neuen puritanischen Tugendregimes nahe“.162 Zur Überwindung von Akzeptanzproblemen ist entscheidend, dass Rechtssetzungsakte mittels des Rechtsetzungsverfahren und insbesondere auf Grundlage demokratischer Elemente (vgl. Art. 10 EUV)163 an Legitimität gewinnen, wobei zwischen Staaten; Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition – Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66, 69; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, Europa zwischen einem Wettbewerb der Gesetzgeber und vollständiger Harmonisierung, S. 23. 157 Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsrecht, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 3 – 24 „Die Reform des Schuldrechts wäre der bisher größte gesetzgeberische Einschnitt in der Geschichte des BGB“ (S. 4); Zimmermann, Schuldrechtsmodernisierung?, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 1 – 24. 158 Vgl. Schlechtriem, „Wandlungen des Schuldrechts in Europa“ – wozu und wohin, ZEuP 2008, S. 213, 214; Mansel, Rechtsvergleichung und europäische Rechtseinheit, JZ 1991, S. 529, 530 ff. 159 Vgl. Teil 3 § 18 A. II. 2. 160 Vgl. Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, S. 3: „Wohl kaum ein anderes Gesetzgebungsvorhaben hat den Streit um das rechte Verhältnis von Freiheit und Gleichheit in jüngerer Zeit so zu entzünden vermocht wie die Schaffung eines privatrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes“. Zur intensiven Diskussion über das AGG: Däubler, in: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Einleitung Rn. 8 mwN. 161 Adomeit, Diskriminierung – Inflation eines Begriffs, NJW 2002, S. 1622, 1622. Vgl. auch: Zimmer, Weniger Politik!, Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht, S. 72 f. 162 Säcker, „Vernunft statt Freiheit!“ – Die Tugendrepublik der neuen Jakobiner, ZRP 2002, S. 286, 287. 163 Vgl. Calliess, Das Demokratieprinzip im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, FS Ress, S. 399 – 421; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 16 Rn. 1 ff., S. 286 ff. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 10 EUV Rn. 1 ff. (EL 41 Juni 2010).
B. Nachteile materiellrechtlicher Harmonisierung
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demokratische Entscheidungsfindung mehr ist als ein grundlegendes konstitutionelles Verfahren164, sondern ein Mittel ist, nicht nur eine rechtliche Legitimität, sondern auch eine emotional gefühlte Akzeptanz auf Seiten der Bürger gegenüber Rechtsetzungsakten (an der es sehr oft fehlt165) zu erzeugen. Eine derartige Akzeptanz kann es (wie im nationalen Kontext) erträglich machen, wenn bestimmte Rechtsvorstellungen auf Grundlage von Mehrheitsentscheidungen (vgl. Art. 238 AEUV) nicht durchsetzbar sind.166 Aus ökonomischer Sicht wird beklagt, dass eine wirkliche Deregulierung im Rahmen der Kompromissbildung nicht zu erwarten ist, was jedoch im Rahmen der gegenwärtigen Rechtsetzungspraxis der EU keine Bestätigung findet.167 Eine Harmonisierung infolge eines rechtspolitischen Druckes seitens des EuGH oder auf Grundlage von Mehrheitsentscheidungen kann vielmehr eine wertvolle Anstoßwirkung für eine Neugestaltung überkommener Regulierungen zukommen. Deutlich wird die deregulierende Wirkung der materiellrechtlichen Harmonisierung an der Rechtsentwicklung in Deutschland. Eine Deregulierung im Zuge materiellrechtlicher Harmonisierung erfolgte z. B. im Rahmen des deutschen Lauterkeitsrechts. Die Bewertung einer materiellrechtlichen Harmonisierung auf EU-Ebene hängt entscheidend von der Bewertung des harmonisierten bzw. zu harmonisierenden mitgliedstaatlichen Rechts ab. Notwendig ist insofern eine vergleichende institutionelle Betrachtung im Hinblick auf das Recht, das vor und nach der Verwirklichung einer Harmonisierung gilt. Es stellt sich immer die Frage, ob die Harmonisierung zu eine Rechtsverbesserung oder Rechtsverschlechterung führt. Schwierigkeiten in der Entscheidungsfindung können zu zeitlichen Verzögerungen führen,168 wie die Geschichte der europäischen Marktintegration anschaulich zeigt169. Entscheidungen nach Mehrheit (vgl. Art. 238 AEUV) entschärfen dieses Problem jedoch erheblich.
164 Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 92; Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 107 f. 165 Vgl. Schäuble, Institutioneller Wandel und europäische Einigung, FAZ vom 12. 01. 2013, S. 14; Herzog, Europa neu erfinden, S. 12 ff., 27 ff. 166 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 9 EUV Rn. 7. Zu den Grenzen von Mehrheitsentscheidungen in der EU aufgrund von Akzeptanzproblemen im Rahmen von Plebisziten vgl. Herzog, Europa neu erfinden, S. 33 f.; Hürter/Vasˇek, Wie viel Demokratie brauchen wir?, in: Hohe Luft 5/2013, S. 20, 24 f. 167 Vgl. Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 593. 168 Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 593. 169 Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Rat, S. 19 Tz. 68.
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§ 18 Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung
C. Abschließende Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung Wäre die Frage nach der Vorteilhaftigkeit materiellrechtlicher Harmonisierung am Anfang des letzten Jahrhunderts oder in der Frühphase der Gemeinschaft gestellt worden, hätte sich jeder Zweifel an einer grundsätzlichen Vorteilhaftigkeit materiellrechtlicher Harmonisierung verboten.170 Heute fällt die Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung wesentlich kritischer aus und die Kritik an weitgehender materiellrechtlicher Harmonisierung ist vor allem aus ökonomischer Sicht en vogue. In der rechtspolitischen Diskussion werden jedoch immer nur einzelne Aspekte als Vor- oder Nachteile von materiellrechtlicher Harmonisierung genannt.171 Die vorangehende Betrachtung hat ergeben, dass die Erwartungen an einen Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip nur zu einem geringen Teil Bestätigung finden.172 Die Nachteile einer materiellrechtlichen Harmonisierung erscheinen hingegen begrenzt und mittels einer intelligenten institutionellen Gestaltung beherrschbar (obgleich hier nur einzelne Nachteile materiellrechtlicher Harmonisierung genannt wurden). Systemwettbewerb stellt damit insgesamt kein entscheidendes Argument gegen eine weitreichende materiellrechtliche Harmonisierung dar, wenn Harmonisierung intelligent gestaltet wird. Wichtiger als den Blick auf einen mitgliedstaatlichen Systemwettbewerb zu lenken, ist es zukünftig an einer Verbesserung des politischen Prozesses173 auf EU-
170 Vgl. Kötz, Rechtsvereinheitlichung – Nutzen, Kosten, Methoden, Ziele, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 1: „In der kontinentaleuropäischen Tradition gilt die Rechtsvereinheitlichung seit langem als etwas Gutes und Erstrebenswertes. Rechtsvielfalt hingegen als Ausdruck der Unvollkommenheit der Welt“; Zitelmann, Aufgaben und Bedeutung der Rechtsvergleichung, DJZ 1900, S. 329, 331: „[S]oweit eine Vereinheitlichung des Rechts ohne Schaden für seine soziale Funktion innerhalb der einzelnen Staaten möglich ist, ist sie jedenfalls auch wünschenswert. Ob und wieweit sie Schaden innerhalb der einzelnen Staaten bringen würde, das ist die Frage, welche offen bleibt […]“; Zitelmann, Die Möglichkeit eines Weltrechts, S. 5; Del Vecchio, Einem Weltrecht entgegen, Universitas 1961, S. 725 – 74; Lehmhöfer, Die Beschränkung der Rechtsvereinheitlichung auf internationale Sachverhalte, RabelsZ 25 (1960), S. 401, 410 mwN; Caemmerer, Rechtsvereinheitlichung und internationales Privatrecht, in FS Hallstein, S. 63, 67. 171 Vgl. Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 23: „Fülle von Beurteilungskriterien“. 172 Vgl. die zusammenfassende Bewertung von Systemwettbewerb in den betrachteten Referenzgebieten: Teil 3 § 19 B. 173 Vgl. zu Überlegungen einer Verbesserung des politischen Prozesses: Kruse, Das Monopol für demokratische Legitimation und seine Überwindung, Zur konstitutionellen Reform der staatlichen Strukturen, in: Die Ordnung von Reformen und die Reform von Ordnungen, S. 201 – 276 (= Kruse, Das Monopol für demokratische Legitimation und seine Überwindung, Diskussionspapier, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, Fächergruppe Volkswirtschaftslehre, No. 66); Berggruen/Gardels, Klug regieren; Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie.
C. Abschließende Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung
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Ebene zu arbeiten, was bemerkenswerterweise auch Streit/Kiwit anerkennen174. Insofern ist Hirschmans Aufforderung, nicht nur die Option Abwanderung, sondern auch andere soziale Mechanismen wie den politischen Prozess zu betrachten,175 im Rahmen der Diskussion um Systemwettbewerb und Harmonisierung aktuell. Dabei ist der politische Prozess nicht nur in Systemwettbewerbsmodelle zu integrieren,176 sondern der Schwerpunkt dieser Forschung hat sich auf eine angemessene institutionelle Ausgestaltung des politischen Prozesses177 zu konzentrieren178 und zu untersuchen, unter welchen Bedingungen demokratische Entscheidungsfindung am besten funktioniert.179 Dies führt zu einer Umkehrung des Ansatzes von einem ökonomischen hin zu einem politischen. Je besser es gelingt, den politischen Prozess zu stärken, desto geringer erscheint ein Bedürfnis einer Machtbegrenzung über die Option Abwanderung. Klarheit muss jedoch darüber bestehen, dass materiellrechtliche Harmonisierung kein Ziel an sich ist und nach Formulierung von Hallstein „nicht als l’art pour l’art betrieben“ werden darf.180 Es muss verhindert werden, dass unter dem Deckmantel von Harmonisierung auf europäischer Ebene eine Vielzahl entbehrlicher Regelungen 174
Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 44. 175 Vgl. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, Reaktion auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten, S. 15; A. Maurer, Abwanderung und Widerspruch: Grenzüberschreitungen zwischen Soziologie und Ökonomie?, in: Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik, S. 67 – 85; von Hayek, Wohin zielt die Demokratie?, in: Die Anmaßung von Wissen, Neue Freiburger Studien, S. 204 – 215; Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 135, 139 ff. 176 Epple/Zelenitz fordern die Betrachtung des politischen Prozesses in eine die Theorie des Systemwettbewerbs zu integrieren (Epple/Zelenitz, The Implications of Competition among Jurisdictions: Does Tiebout Need Politics?, Journal of Political Economy 89(6) (1981), 1197 – 1217). Eichenberger/Frey möchten die Demokratie mittels einer Stärkung des Wettbewerbs von Gebietskörperschaften und der Stärkung direktdemokratischer Elemente stärken (Eichenberger/Frey, Bessere Politik durch Föderalismus und direkte Demokratie, in: Marktwirtschaft als Aufgabe, Wirtschaft und Gesellschaft im Übergang vom Plan zum Markt, S. 773, 777 ff.). 177 Vgl. Kruse, Das Monopol für demokratische Legitimation und seine Überwindung, Zur konstitutionellen Reform der staatlichen Strukturen, in: Die Ordnung von Reformen und die Reform von Ordnungen, S. 201 – 276 (= Kruse, Das Monopol für demokratische Legitimation und seine Überwindung, Diskussionspapier, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, Fächergruppe Volkswirtschaftslehre, No. 66). 178 So auch: Kiwit/Voigt, Grenzen des institutionellen Wettbewerbs, in: Globalisierung, Systemwettbewerb und nationalstaatliche Politik, JNPÖ 17 (1998), S. 313, 334 f. 179 Vgl. Hatje, Demokratie als Wettbewerbsordnung, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 134, 159 – 162. 180 Hallstein, Angleichung des Privat- und Prozessrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, RabelsZ 28 (1964), S. 211, 214. Vgl. auch: Schwarz, Zur Konzeption der Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, FS Hallstein, S. 474, 478 ff.
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§ 18 Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung
geschaffen wird. Materiellrechtliche Harmonisierung ist im Einzelfall rechtfertigungsbedürftig und darf nicht über das notwendige Maß hinausgehen.181
181 Everling, Probleme der Rechtsangleichung zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes, in: FS Steindorff, S. 1155, 1172.
§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb A. Zusammenfassende Bewertung von Systemwettbewerb bei Geltung des Bestimmungslandprinzips Die Anwendung des Bestimmungslandprinzips kann zur Anpassung von Regulierungen an das Recht bedeutender Märkte führen. D. Vogel zeigt dies anhand der Anpassung von einzelstaatlichen und Emissionsregulierungen an die kalifornische Regulierung. Auch die bundesgesetzliche Regulierung wurde an die kalifornischen Vorgaben angepasst. Bestätigung findet die These, dass bestimmte Regulierungsanforderungen über die Anwendung des Bestimmungslandprinzips auch in anderen Staaten durchgesetzt werden können, in der Durchsetzung bestimmter Regulierungsanforderungen mittels Port State Control, der Durchsetzung von Regulierungsanforderungen an Shrimps oder in der Durchsetzung von Regulierungen in Bezug auf Fonds.1 Entscheidend für das Stattfinden einer derartigen Anpassung ist die ökonomische Bedeutung des Marktes, der seine Regulierungsanforderungen mittels des Bestimmungslandprinzips durchsetzt. Ausländische Anbieter haben im Fall der Durchsetzung bestimmter Regulierungsanforderungen auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips nur die Wahl, entweder die Regulierungsanforderungen zu erfüllen oder dem Markt fernzubleiben. Wenn der Markt für Anbieter attraktiv ist, bestehen Spielräume für Staaten oder für Interationsräume zur Durchsetzung eigener Regulierungsanforderungen, ohne dass das Angebot von Importprodukten ins Gewicht fallend beschränkt wird. Die Rechtsentwicklung muss jedoch nicht zwingend zu einer Erhöhung des Regulierungsniveaus im Sinne eines „race to the top“ führen. Die Rechtsentwicklung im Bilanzrecht, die zu wesentlichen Änderungen im deutschen Bilanzrecht führte2, zeigt, dass sich über einen über das Bestimmungslandprinzip vermittelten Systemwettbewerbs auch andere Regulierungen durchsetzen können. Diese Regulierungen müssen nicht unbedingt angemessen sein.
1
Vgl. Teil 2 § 7. Ballwieser weist darauf hin, dass der Gesetzgeber Inhalte und Gewichte einzelner Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung modifiziert hat (Ballwieser, in: Münchener Kommentar zum HGB, Vor § 238 Rn. 9). Vgl. auch: Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, Einl v § 238 Rn. 13: „Überkommene deutsche Rechnungslegungsprinzipien wie Vorsichts-, Maßgeblichkeits- und umgekehrtes Maßgeblichkeitsprinzip […] haben im internationalen Wettbewerb einen schweren Stand“. 2
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
Eng verwandt mit einem Systemwettbewerb vermittelt über das Bestimmungslandprinzip ist die Durchsetzung der Anerkennung von territorial wirkenden Rechten in anderen Staaten durch einen Staat mit einem bedeutenden Markt, der mittels des Gegenseitigkeitsprinzips andere Staaten z. B. zur Gewährung von Immaterialgüterschutz veranlasst. Eine derartige Durchsetzung von Immaterialgüterrechten ist im Fall von Maskenprodukten seitens der USA zu beobachten. Sofern der Immaterialgüterrechtsschutz, der auf Grundlage des Prinzips der Gegenseitigkeit durchgesetzt wird, zu begrüßen ist, ist die Rechtsentwicklung in diesem Bereich Ausdruck eines „race to the top“. Die Betrachtung des California Effektes im Rahmen einer Auseinandersetzung mit dem Thema Integration darf nicht zu der Annahme verleiten, mittels Anpassungsreaktionen eine weitgehende Angleichung des Rechts erreichen zu können mit der Folge einer Handelsliberalisierung: Die Durchsetzung von Regulierungsanforderungen auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips kann zu protektionistischen Zwecken missbraucht werden, so dass auch im Fall einer Anpassung des Rechts der Herkunftsländer an das Recht eines wichtigen Marktes immer neue Handelshemmnisse entstehen können. Es ist denkbar, dass zwei oder mehrere ökonomisch bedeutende Märkte mit divergierenden Regulierungsanforderungen bestehen, so dass schon theoretisch eine Handelsliberalisierung mittels Anpassungen der Regulierungssysteme an die Märkte der Bestimmungsländer ausgeschlossen ist. Im Fall einer grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen wird eine Anpassung nationaler Regulierungen an die Vorgaben eines bedeutenden Bestimmungslandes nicht funktionieren. Im Bereich von Dienstleistungen erscheint es grundsätzlich ausgeschlossen, dass ein Staat seine Qualifikationsanforderungen (z. B. für Rechtsanwälte) an die Anforderungen des oder der Bestimmungsländer anpasst. Im Rahmen von Integrationsräumen kommt der Einsatz des Bestimmungslandprinzips deshalb nur in eng begrenzten Bereichen zur Beseitigung regulatorischer Handelshemmnisse im Sinne einer Art Ex-post Harmonisierung in Betracht. Dem Einsatz des Bestimmungslandprinzips kommt dann Bedeutung zu, wenn im Fall einer „kollisionsrechtlichen“ Integration über ein Herkunftslandprinzip oder über Rechtswahlfreiheit eine suboptimale Deregulierung droht. Im Hinblick auf die Bestimmung, welche Rechtsentwicklung suboptimal ist, sind nicht nur ökonomische Kriterien entscheidend, zumal fraglich sein kann, welche ökonomischen Kriterien angemessen sind. Die Einschätzung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ist auch in diesem Zusammenhang zu respektieren, sofern der politische Prozess funktionsfähig ist.3 3 Vgl. zum Wert demokratischer Entscheidungsfindung an sich: Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 107 f.
B. Zusammenfassende Bewertung im technischen Sinn
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Zudem spielt das Bestimmungslandprinzip als Integrationsinstrument dann eine Rolle, wenn eine materiellrechtliche Harmonisierung aufgrund der Komplexität der zu regelnden Materie oder aufgrund von Einigungsschwierigkeiten nicht zu verwirklichen ist. Die Durchsetzung von Regulierungsanforderungen auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips kann in diesem Fall eine Übergangslösung auf dem Weg zu einer materiellrechtlichen Harmonisierung sein, bis die Voraussetzungen einer tieferen Integration auf Grundlage eines „kollisionsrechtlichen“ Integrationsinstruments bzw. auf Grundlage einer materiellrechtlichen Harmonisierung gegeben sind.
B. Zusammenfassende Bewertung von Systemwettbewerb im technischen Sinn I. Freiheitsfunktion Regulierungsarbitragen besitzen in den betrachteten Referenzgebieten vor allem im Fall einer Wahl von Gesellschaftsrechtsformen4 und im Fall der Ausflaggung von Seeschiffen5 Bedeutung. Die Bedeutung von Regulierungsarbitragen von Nachfragern bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips ist – bis auf einige Ausnahmefälle (wie im Fall der bis zur Finanzkrise zu beobachtenden Nachfrage nach britischen Lebensversicherungen oder der Bedeutung luxemburger OGAW auf dem deutschen Markt) – insgesamt unklar. Wahrscheinlich ist, dass die ökonomische Modellbildung die tatsächliche Wettbewerbsrelevanz von Regulierungen überschätzt und dass Regulierungen vielmehr hinter die unternehmerisch geprägten Eigenschaften von Waren und Dienstleistungen zurücktreten. Um von einer Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität sprechen zu können,6 ist Voraussetzung, dass Regulierungsarbitragen als positiv zu bewerten sind. Während aufgrund der von ökonomischer Seite stark betonten Mängel des politischen Prozesses eine Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität grundsätzlich angenommen werden kann,7 ist aus rechtswissenschaftlicher Perspektive eine vermittelnde Betrachtung unumgänglich8, da aus rechtswissenschaftlicher Sicht gerade die ge4
Vgl. Teil 3 § 16 B. IV., V. Vgl. Teil 3 § 16 B. VI. 6 Es handelt sich bei der Freiheitsfunktion eigentlich nicht um eine Systemwettbewerbsfunktion vgl. Teil 1 § 4 D. I. 7 Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 13 Tz. 7: „In dem so strukturierten politischen Entscheidungsprozess dominieren vermutlich Partikularinteressen“. 8 Vgl. Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 11, 19; Dehler, in: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundge5
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
samtgesellschaftliche Steuerungsfunktion von Recht9 im Blickpunkt steht. Freiheit ist kein absoluter Wert10, denn Recht schafft auch immer einen gesamtgesellschaftlichen Interessenausgleich.11 Dies wird deutlich anhand der Begrenzung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)12 und der Rechtsprechung des BVerfG13 : „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten […] Das heißt aber: der einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt wird“.14
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage des Verhältnisses zwischen den Interessen einzelner Privatrechtssubjekte und dem Gemeinwesen bzw. die Frage
setzes, Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge, Bd. 1, S. 355; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 38 Rn. 136; Dürig, Gesammelte Schriften, S. 376. 9 Wallerath, Der ökonomisierte Staat. Zum Wettstreit zwischen juridisch-politischem und ökonomischen Paradigma, JZ 2001, S. 209, 213. 10 Vgl. BVerfG, Urteil vom 20. 7. 1954, Az. 1 BvR 459, 484, 548, 555, 623, 651, 748, 783, 801/52 u. a., BVerfGE 4, 7, 15 f.: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“; BVerfG, Urteil vom 1. 3. 1979, Az. 1 BvR 532, 533/77 u. a., BVerfGE 50, 290, 353 f.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 2, Rn. 11; Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39, 43; Kirchhof, Der Staat tut dem Wettbewerb gut: Eine gedankliche Begegnung mit Viktor Vanberg, ORDO 56 (2005), S. 55, 59: „Wettbewerb ist ein faszinierender Ausdruck von Freiheitsrechten. Rechte sind aber jeweils definiert, also begrenzt. Bei aller Faszination der Freiheit muß jedes Recht in den Grenzen seiner Freiheit bleiben“; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 284 – 296; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29, 50 f.; Wallerath, Der ökonomisierte Staat. Zum Wettstreit zwischen juridisch-politischem und ökonomischen Paradigma, JZ 2001, S. 209, 213. 11 Vgl. Kirchhof, Das Wettbewerbsrecht als Teil einer folgerichtigen und widerspruchsfreien Gesamtrechtsordnung, in: Gemeinwohl und Wettbewerb, S. 1, 4; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, S. 29, 51 f. Es handelt sich bei der allgemeinen Handlungsfreiheit um eine „sozialgebundene […] Freiheit“ (Starck, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 3). Vgl. auch vorherige Note. 12 Zu den Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit: Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 89 ff. 13 Es besteht im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG zum Beispiel kein „Recht auf Umweltverschmutzung“ (Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 120). 14 BVerfG, Urteil vom 20. 07. 1954, Az. 1 BvR 459/52, BVerfGE 4, 7, 15 f. Vgl. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 47.
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nach der Rechtfertigung einer Bindung einzelner durch die Mehrheit15 Eine solche Bindung stößt aus Perspektive der Vertreter der Theorie des funktionierenden Systemwettbewerbs grundsätzlich auf Skepsis. Eine Bindung einzelner Personen kann im Interesse der Verfolgung bestimmter Steuerungsziele hinzunehmen sein, wenn eine fehlende staatliche Regulierung gesamtgesellschaftlich bzw. gobal gesehen zu suboptimalen Ergebnissen führt, deswegen ein Regulierungsbedarf besteht und der Gesetzgeber sich auf demokratischem Wege für eine Regulierung entscheidet. Sofern Regulierungen notwendig sind, einem gesamtgesellschaftlichen Interessenausgleich dienen16 und eine institutionelle Mobilität diesen Ausgleich stören würde, kann deshalb nicht ohne weiteres von einer Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität gesprochen werden.17 Deutlich wird dieser Zusammenhang im Rahmen der Rechtswahlfreiheit zwischen den Gesellschaften der US-amerikanischen Einzelstaaten, da diese Rechtswahlfreiheit zu einer Vernachlässigung der Interessen von Gläubigern und Dritten führt.18 Soweit Nachfrager von Waren und Dienstleistungen im Rahmen des europarechtlichen Herkunftslandprinzips jedoch in der Lage sind, eine informierte Wahl zu treffen und kein Marktversagen in Form von negativen externen Effekten gegeben sind, führt Regulierungsarbitrage über eine bessere Präferenzbefriedigung zu einer höheren gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt. Aufgrund der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der Mindestharmonisierung sind negative Folgewirkungen wie die Generierung negativer externer Effekte nur eingeschränkt möglich. Im Hinblick auf die Wahlmöglichkeiten zwischen Waren und Dienstleistungen, die durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Regulierungen geprägt sind, ist es deshalb gerechtfertigt, von einer Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität zu 15
Vgl. Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 79 f.; Leschke, Demokratie in Europa, in: Probleme der deutschen und der europäischen Integration: institutionenökonomische Analysen, S. 289, 290 – 292; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 Rn. 80; Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 301; Dworkin, Freedom’s Law, S. 344; Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, S. 153 ff. 16 Vgl. Dworkin, Freedom’s Law, S. 344. 17 Vgl. Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, S. 29, 50 f. Schurig sieht hingegen in der Umgehung einen „beständigen Strom juristischer Kreativität“ (Schurig, Die Gesetzesumgehung im Privatrecht, Eine Studie mit kollisionsrechtlichen und rechtsvergleichenden Aspekten, in: FS Ferid, S. 275, 275 f.). 18 Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 234 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 90, 202. Vgl. Teil 3 § 16 B. IV. Auch ein forum shopping wird aus rechtswissenschaftlicher Sicht als unerwünscht angesehen, da es zu einer Bevorzugung des Klägers zu Lasten des Beklagten führt (Kropholler, Das kollisionsrechtliche System des Schutzes der schwächeren Vertragspartei, RabelsZ 42 (1978), S. 634 – 661; Kropholler, Das Unbehagen am forum shopping, in: FS Firsching, S. 165 – 173).
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sprechen. Standortverlagerungen zur Ausnutzung von Unterschieden in der Regulierung von Waren und Dienstleistungen im Rahmen der Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung sind aufgrund von Transaktionskosten und der Bündelung der Standortfaktoren in „Leistungs-Steuerbündel“19 sowie der weit verbreiteten Mindestharmonisierung allenfalls in hochregulierten Bereichen attraktiv. In der Tat sind Regulierungsarbitragen mittels Standortverlagerungen selten. Soweit derartige Regulierungsarbitragen stattfinden, widerspricht dies dem Willen des Unionsgesetzgebers, der gerade Umgehungen vermeiden will.20 Regulierungsarbitragen mittels Standortverlagerungen können deswegen bei Zugrundelegung der europarechtlichen Wertungen nicht als Ausdruck einer Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität betrachtet werden. Regulierungsbedingte Standortverlagerungen zu begrüßen und ggfs. mittels Schaffung eines entsprechenden institutionellen Rahmens zu fördern, bedeutet zudem eine Entscheidung gegen staatliche Regulierungsgestaltung.
II. Präferenzanpassungsfunktion Die Rechtsentwicklung im Bereich der Regulierung von Waren und Dienstleistungen ist gekennzeichnet von einer Anpassung der Regulierungen an die Präferenzen der Anbieter von Waren und Dienstleistungen. In ähnlicher Weise führte die Rechtsentwicklung im deutschen Gesellschaftsrecht zu einer Anpassung an die Präferenzen der Gründer, die mit der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) ein attraktives Rechtsformangebot erhalten. Rechtsanwaltssozietäten können mittels der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung nunmehr ihre Haftung aufgrund von beruflichen Fehlern auf gesellschaftsrechtlicher Ebene begrenzen.21 Die Aussagekraft der Präferenzanpassungsfunktion ist jedoch (ähnlich wie die Aussagekraft der Freiheitsfunktion) begrenzt, da Regulierungen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zukommt und deswegen nicht allein die Interessen der institutionellen Nachfrager betrachtet werden dürfen.22
19
Vgl. Teil 1 § 4 B. II. Vgl. Erwägungsgrund 57 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. L 178, S. 1 ff. vom 17. 7. 2000. 21 Vgl. Uwer/Roeding, Wege in die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung, AnwBl. 2013, S. 309 – 313. 22 Vgl. Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 234 f.; Everling, Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, in: Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, S. 27, 31; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: VVDStRL 69 (2010), S. 7, 35 f.; Schwaab/Stewen, Effekte des Standortwettbewerbs aus neoklassischer und evolutorischer Sicht, Eine zusammenfassende Kritik, WiSt 2000, S. 158, 160 f. 20
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Obwohl das Stattfinden einer Rückkopplung vielfach zweifelhaft ist, werden im Bereich von Waren und Dienstleistungen vor dem Hintergrund der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung flankierenden Mindestharmonisierung die Interessen der Nachfrager grundsätzlich nicht vernachlässigt. Im Gegenteil führte die Deregulierung zum Teil zu der Ermöglichung einer Produktgestaltung, die den Präferenzen der Nachfrager besser entspricht, so im Fall der Aufhebung des Imitationsverbotes von Milcherzeugnissen.23 Auch im deutschen Gesellschaftsrecht kann nicht von einer systematischen Vernachlässigung von Schutzinteressen der Gläubiger und von Dritten gesprochen werden. In Bezug auf die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung kann wegen der vergleichsweise hohen Deckungsssumme und der im Übrigen ohnehin bestehenden Praxis der Vereinbarung von höhenmäßigen Haftungsbeschränkungen nicht von einer Vernachlässigung der Interessen von Mandanten gesprochen werden.
III. Machtbegrenzungsfunktion Mit Ausnahme der Rechtsentwicklung im Fernsehbereich, Finanzmarktbereich und im Gesellschaftsrecht zieht sich die Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb24 als roter Faden durch die vorangehenden Erörterungen, da eine Vielzahl wettbewerbsbeschränkender und problematischer Regulierungen abgeschafft bzw. eingeschränkt wurden. 1. Einschränkung von Interessengruppenregulierungen im Bereich von Waren Zu einem Abbau wettbewerbsschützender Produktregulierungen kommt es insbesondere dann, wenn sich diese Regulierungen aufgrund der Zulassung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten auf Grundlage des europarechtlichen Herkunftslandprinzips in ein Wettbewerbshemmnis für heimische Anbieter im Verhältnis zu ausländischen Anbietern verwandeln. Abgeschafft wurden insbesondere das Reinheitsgebot für Fleischwaren (§ 4 Abs. 1 FlV a. F.), das Imitationsverbot für Milcherzeugnisse (§ 36 Abs. 1 MilchG a. F.), das Verbot der Werbung mit Eigenpreisvergleichen (§ 6e UWG a. F.), die ZugabeVO und das RabattG. Eine sich durch die Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ergebende Inländerdiskriminierung war entscheidendes Argument für eine Deregulierung auf Seiten der deutschen Anbieter und Deregulierungsbefürworter.
23
Vgl. Teil 2 § 9 A. IV. Vgl. Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 26. 24
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2. Einschränkung von Interessengruppenregulierungen im Bereich von Dienstleistungen Grundsätzlich anders als im Bereich von Waren ist die Situation im Bereich von Dienstleistungen. Im Dienstleistungsbereich findet eine Regulierung vor allem über die Statuierung von Qualifikationsanforderungen statt. Etablierte Anbieter haben kein Interesse an einer Deregulierung, da diese Anbieter die Anforderungen bereits erfüllt haben und keine Vorteile infolge einer Deregulierung besitzen und sie im Gegenteil einen schärferen innerstaatlichen Wettbewerb befürchten müssen. So wehrt sich z. B. der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) gegen eine Aufweichung des Meisterzwangs.25 Personen, die Dienstleistungen anbieten möchten und die Qualikationsanforderungen bisher nicht erfüllt haben, können die bestehende Inländerdiskriminierung als wichtiges Argument für eine Deregulierung der Qualifikationsanforderungen nutzen. Die Deregulierung im Bereich des Handwerks zeigt, dass eine Deregulierung auch gegen die Interessen der etablierten Handwerkerschaft erfolgen kann. 3. Notwendigkeit einer Einschränkung der Interessengruppentheorie Eine Bevorzugung bestimmter Gruppen bedeutet nicht automatisch eine Fehlfunktion des politischen Prozesses. Die regulatorische Bevorzugung bestimmter Gruppen kann ein sinnvolles (wirtschafts-)politisches Gestaltungsmittel darstellen. Eine Politik, die zur Bevorzugung bestimmter Interessengruppen führt, kann von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen sein und Ausdruck eines funktionierenden demokratischen Prozesses sein. So könnte die Verschärfung des Verbotes des Verkaufs von Lebensmitteln unter Einstandspreis26 als wirtschaftspolitisch gerechtfertigt angesehen werden, wenn tatsächlich über Verkäufe unter Einstandspreis eine nachteilige Verdrängung von Betrieben des Lebensmitteleinzelhandels durch Discounter droht und die Regulierungsentscheidung Ausdruck eines funktionsfähigen demokratischen Entscheidungsbildungsprozesses ist. Um von einer Interessengruppenregulierung zu sprechen, müssen Regulierungen deshalb Ausdruck von rent-seeking27 bzw. einer Fehlerhaftigkeit des politischen Prozesses sein.28 So-
25 Vgl. ZDH, Reform der Handwerksordnung: Die Stellungnahme des ZDH, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 96 Juni 2003, S. 33. 26 Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmitteleinzelhandels (PreisMissbrBekG) vom 18. 12. 2007, BGBl. I 2966. Vgl. Block, Verkauf unter Einstandspreis, § 20 Abs. 4 S. 2 GWB vor dem wirtschaftstheoretischen und rechtlichen Hintergrund der Preisunterbietung. 27 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 44 ff.
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fern Regulierungen nicht vollkommener Ausdruck von Interessengruppenpolitik sind, ist theoretisch der Grad der Fehlerhaftigkeit des politischen Prozesses zu berücksichtigen.29 Es ist vor einem „nirvana approach“30 zu warnen, der bestünde, wenn von jedem Fehler des politischen Prozesses automatisch auf einen Korrekturbedarf mittels Systemwettbewerb geschlossen wird.31 Aufgrund der Bedeutung des jeweiligen Vorverständnisses im Rahmen der Bewertung der Funktionsfähigkeit des politischen Prozesses ist dabei eine gutachterliche Vorgehensweise notwendig32, der für eine Transparenz der Bewertungsgrundlagen sorgt. Systemwettbewerb kann auf der anderen Seite nicht nur zur Einschränkung von Interessengruppenpolitik führen, sondern kann eine einseitige Bevorzugung von Gruppen zu Lasten anderer begünstigen.33 Eine Bevorzugung des Mangagements wird deutlich anhand des Systemwettbewerbs der US-amerikanischen Einzelstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts.34 Im Kontext der europarechtlichen Referenzgebiete spielt eine Bevorzugung institutioneller Nachfrager wie Anbietern von Waren und Dienstleistungen oder Dritten gegenüber Waren- und Dienstleistungsnachfragern keine Rolle. Die Deregulierung im deutschen Gesellschaftsrecht führt zwar zu einer gewissen Verschlechterung des Schutzniveaus, was jedoch aufgrund der Möglichkeiten zum Selbstschutz seitens von Gläubigern auf Grundlage des 28
Vgl. Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11, 24 ff.; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 288 Rn. 17; Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 44 ff. 29 Vgl. Homann, Demokratie und Gerechtigkeitstheorie, in: FS Boettcher, S. 133, 133 f. 30 Demsetz, Information and Efficiency: Another Viewpoint, Journal of Law and Economics 12 (1969), S. 1, 1. 31 Vgl. Homann, Demokratie und Gerechtigkeitstheorie, in: FS Boettcher, S. 133, 133 f. 32 Vgl. Popper, Logik der Forschung, S. 226: „ich [habe] mich bemüht, zu betonen, daß ich unter dem Grad der Bewährung einer Theorie nichts anderes verstehe, als einen zusammenfassenden Kurzbericht über die Art, wie eine Theorie ihre Prüfungen bestanden hat und wie streng diese Prüfungen waren“ (HiO). 33 Vgl. H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 47: „[Die staatliche Regierung] entscheidet sich genauso, wie es die privaten Unternehmen täten, denn sie agiert nur noch als Handlanger dieser Unternehmen“; Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 234 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 32; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: VVDStRL 69 (2010), S. 7, 28 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 85 f. Mehde stellt fest, dass die Anbieter von Waren und Dienstleistungen im Systemwettbewerb zu einem „politischen Faktor“ geworden seien (Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 539). Daraus folgt eine Verschiebung des Einflusses von Inhabern mobiler Faktoren und immobilen Privatrechtssubjekten, die über keine vergleichbaren Faktoren verfügen. Streeck spricht im Zusammenhang mit der europäischen Marktintegration von einer „Hegemonie der Marktgerechtigkeit über die soziale Gerechtigkeit“ (Streeck, Gekaufte Zeit, S. 148 vgl. auch S. 148 ff.). 34 Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 234 f.
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Informationsmodells und der gesamtgesellschaftlichen Vorteile infolge der Marktintegration vertretbar erscheint. 4. Beschränkte Kontrolle durch die Rechtsprechung Es zeigt sich mit Blick auf Interessengruppenregulierungen, dass dem Systemwettbewerb eine wesentlich intensivere Kontrollfunktion zukommt, als der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, so dass im Rahmen einer systemwettbewerblichen Betrachtung Tocquevilles Feststellung, dass die Rechtsprechung „die mächtigste Schranke gegen die Verirrungen der Demokratie“ ist35, keine Gültigkeit besitzt. Das BVerfG hat vor dem Hintergrund der dem Gesetzgeber zugestandenen Einschätzungsprärogative36 (insbesondere im Hinblick auf wirtschaftspolitische Maßnahmen37) wiederholt wettbewerbseinschränkende Regulierungen bestätigt.38 Wettbewerbseinschränkende Regulierungen werden vom BVerfG nicht angegriffen, obwohl das Gericht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) einen besonderen Rang einräumt39 und von einer aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden „grundsätzlichen Freiheitsvermutung“ ausgeht40. Nach der Entscheidung des BVerfG zum früheren Nachtbackverbot41 aus dem Jahr 1968 kann „[d]ie Erwägung, wirtschaftlich stärkere Unternehmen in ihrer Tätigkeit zu begrenzen, um im Interesse des Mittelstandsschutzes die wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Betriebe zu erhalten, […] nicht beanstandet werden. Der Gesetzgeber kann durch Lenkungsmaß-
35
Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, Erster Teil, S. 394 vgl. auch: S. 403. BVerfG, Beschluss vom 25. 10. 1977, Az. 1 BvR 173/75, BVerfGE 46, 246, 257; BVerfG, Urteil vom 26. 05. 1981, Az. 1 BvL 56/78 u. a., BVerfGE 57, 139, 160; BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89, BVerfGE 87, 363, 383; Kämmerer, in: Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rn. 63; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 183, Rn. 190. 37 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 190: „Der Spielraum ist bei wirtschaftsbezogenen Regelungen regelmäßig groß“. 38 Vgl. Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 128. 39 BVerfG, Beschluss vom 04. 04. 1984, Az. 1 BvR 1287/83, BVerfGE 66, 337, 359; BVerfG, Beschluss vom 8. 3. 1983, Az. 1 BvR 1078/80, BVerfGE 63, 266, 286; Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 22. Zur Drei-Stufen-Theorie des BVerfG: Manssen, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 125 ff. 40 BVerfG, Beschluss vom 08. 03. 1983, Az. 1 BvR 1078/80, BVerfGE 63, 266, 286. 41 Zum Nachtbackverbot: Bernheim, Das Nachtbackverbot als Problem der Volkswirtschaftspolitik; Eversberg, Die Entwicklung des Bäckerarbeitszeitrechts; Honig, Das Nachtbackverbot – Ein Rückblick –, WRP 11/96, S. 1077 – 1079; EuGH, Urteil vom 14. 7. 1981, Rs. 155/80, Oebel, Slg. 1981, S. 1993 ff.; BVerfG, Beschluss vom 23. 01. 1968, Az., 1 BvR 709/ 66, BVerfGE 23, 50 ff.; BVerfG, Beschluss vom 25. 02. 1976, Az. 1 BvL 26/73 u. a., BVerfGE 41, 360 ff.; BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89 u. a., EuGRZ 1993, 85 ff. 36
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nahmen das freie Spiel der Kräfte korrigieren, um so die von ihm erstrebte Wirtschafts- und Sozialordnung zu erreichen […]“.42
Im Jahr 1992 bestätigte das BVerfG eine Rechtfertigung des Nachtbackverbotes unter Rückgriff auf das Ziel des Mittelstandsschutzes und stellte fest, dass das Bedürfnis eines wettbewerblichen Schutzes des Handwerks nicht infolge neuer für das Handwerk verfügbarer Produktionstechniken entfallen sei.43 Das BVerfG rechtfertigte 1961 den Meisterzwang im Handwerk mit dem gesetzgeberischen Ziel der Erhaltung und Pflege eines hohen Leistungsstandes des Handwerks und der Sicherung eines qualifizierten Nachwuchses,44 wobei das Ziel eines wettbewerblichen Schutzes des etablierten Handwerks45 vom BVerfG nicht ausdrücklich angesprochen wurde, aber im Hintergrund der Regulierung steht. Im Fall der Verfolgung eines Mittelstandsschutzes ist eine Rechtfertigung zu fordern,46 denn ein wettbewerblicher Schutz bestimmter Gruppen ist ein Mittel, aber kein legitimes Ziel an sich47. Ob eine solche Rechtfertigung tatsächlich gegeben ist, ist wie im im Fall des Nachtbackverbots48 äußerst zweifelhaft, im Fall der Regulierung des Handwerks zu verneinen. 42 BVerfG, Beschluss vom 23. 01. 1968, Az. 1 BvR 709/66, BVerfGE 23, 50, 60. Vgl. auch: BVerfG, Beschluss vom 25. 02. 1976, Az. 1 BvL 26/73 u. a., BVerfGE 41, 360, 372, 371 – 374; BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89, EuGRZ 1993, S. 85, 91. Ablehnend zur Rechtfertigung von Regulierung mit dem Ziel des Mittelstandsschutzes: Manssen, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 129: „ist der Aspekt des Wettbewerbs- oder Konkurrenzschutzes jedoch kein legitimes öffentliches Interesse zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Berufsfreiheit“. Gegen die Berechtigung des Ziels des wettbewerblichen Schutzes wandte sich die deutsche Backwarenindustrie (Vorbringen des Verbandes der Deutschen Brot- und Backwarenindustrie, in: BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89 u. a., EuGRZ 1993, S. 85, 88; BVerfGE 87, 341, 343 f.). 43 BVerfG, Beschluss 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89, BVerfGE 87, 363, 380. 44 BVerfG, Beschluss vom 17. 07. 1961, Az. 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97, 107 ff. Vgl. Eyermann/Fröhler/Honig, HwO, § 1 Rn. 2. Zustimmend: Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung?, AöR 118 (1993), S. 591, 610. 45 Manssen, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 249. 46 Tettinger, Wettbewerb in den freien Berufen – berufsrechtliche Aspekte, NJW 1987, S. 294, 298 ff.; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 129 – 131. Auch Brandeis erkannte grundsätzlich das Regulierungsziel des Mittelstandsschutzes an (Posner, Brandeis and Holmes, Business and Economics, Then and Now, Review of Law and Economics 1(1) (2005), S. 1, 4 f.). 47 Tettinger, Wettbewerb in den freien Berufen – berufsrechtliche Aspekte, NJW 1987, S. 294, 298; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Rn. 129. 48 Der Markt für frische Backerzeugnisse ist aufgrund der Notwendigkeit der Frische der Ware ein regionaler (Bernheim, Das Nachtbackverbot als Problem der Volkswirtschaftspolitik, S. 44). Die Nachfrager kaufen Bachwaren deswegen typischerweise in unmittelbarer Nähe zu ihrem Wohnort. Dieser regionale bzw. lokale Charakter eröffnet kleineren Bäckereibetrieben Möglichkeiten der Existenz, auch neben den Angeboten der Backwaren-Industrie (vgl. Bernheim, Das Nachtbackverbot als Problem der Volkswirtschaftspolitik, S. 20).
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Die Rechtsprechung des BGH hat zum Teil eine striktere Regulierung auch dann forciert, wenn die wirtschaftspolitische Rechtfertigung der Regulierung fraglich war. So wendete die Rechtsprechung die ZugabeVO und das RabattG strikt an,49 obwohl in der Literatur zum Teil frühzeitig eine vorsichtige Auslegung gefordert wurde50. Zudem haben Wirtschaftsakteure mittels der Vereinbarung von Verhaltensregelungen Einfluss auf die Rechtsprechung gewinnen können, indem diese Verhaltensrichtlinien von der Rechtsprechung zum verbindlichen Maßstab erklärt wurden.51 Vor diesem Hintergrund sind von der Rechtsprechung keine entscheidenden Maßnahmen zur Zurückdrängung wettbewerbsbeschränkender Regulierungen zu erwarten. Eine ökonomisch relevante Inländerdiskriminierung kann jedoch den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab erhöhen und damit ein Mittel sein, Interessengruppenregulierungen einzuschränken wie das BVerfG im Jahr 2005 in Zusammenhang mit dem Meisterzwang feststellte.52 Den Gesichtspunkt eines Konkurrenzdrucks seitens schwächer regulierter Anbieter aus dem Ausland griff das BVerfG auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Nachtbackverbotes auf.53 Das Gericht stellte jedoch fest, dass eine Regelung, „deren verfassungsgemäße Zielsetzung Gesundheits- und Mittelstandsschutz in der gesamten Bundesrepublik ist, nicht dadurch verfassungswidrig [wird], daß es in Grenzgebieten möglicherweise zu Schwierigkeiten kommen kann, weil benachbarte Länder andere sozial- oder wirtschaftspolitische Zielsetzungen verfolgen“.54 Der Wettbewerbsdruck müsste demzufolge ein gewisses Gewicht besitzen.
49
Vgl. Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 142, 151 ff. Vgl. die Übersicht bei: Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, § 1 ZugabeVO Rn. 18. Anders: Johannson, Rabattgesetz und Einzelhandel, S. 2: „Die höchstrichtlerliche Rechtsprechung wendet das RabG seit einigen Jahren nur mehr zurückhaltend an […]“. 50 Vgl. Tetzner, Recht und Unrecht der Zugabe, Erläuterungen zur Zugabeverordnung, S. 11 f. „Das Ziel einer sinnvollen Zugabegesetzgebung kann also nicht sein, die Zugaben mit Stumpf und Stil auszurotten. Es sollte sich vielmehr nur darum handeln, Mißbräuchen […] entgegenzutreten […]“ (S. 12). Der BGH hat hingegen Art. 6d UWG a. F. und § 6e UWG a. F. eng ausgelegt, da sich die Tatbestände nicht auf Irreführungen beschränkten (Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 6c UWG Rn. 14). 51 Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, S. 212 ff. 52 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 05. 12. 2005, Az. 1 BvR 1730/02, GewArch 2006, S. 71, 72 f. (Handwerksrecht). Vgl. auch: BVerfG, Beschluss vom 25. 2. 1976, Az. 1 BvL 26/73 u. a., BVerfGE 41, 360 (Nachtbackverbot). 53 BVerfG, Beschluss vom 25. 02. 1976, Az. 1 BvL 26/73 u. a., BVerfGE 41, 360, 375. 54 BVerfG, Beschluss vom 25. 02. 1976, Az. 1 BvL 26/73 u. a., BVerfGE 41, 360, 375.
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5. Ansatzpunkt zur Intensivierung der verfassungsrechtlichen Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Regulierungen Wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Regulierungen Ausdruck von Interessengruppenpolitik im Sinne der positiven Theorie der Regulierung sind, ist denkbar, einen strengeren verfassungsrechtlichen Maßstab anzulegen und insbesondere die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers55 zurückzunehmen. Die Legitimität der politischen Entscheidungshoheit des Gesetzgebers56 und damit die Berechtigung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative ist im Fall von Interessengruppenpolitik in Frage gestellt, was eine stärkere Kontrolle rechtfertigen kann. Die Frage, ob eine Regulierung Ausdruck von Interessengruppenpolitik ist, müsste deshalb im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung berücksichtigt werden. Die Feststellung des Bestehens negativ zu bewertender Interessengruppenpolitik dürfte jedoch mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein, da zwischen dem positiv und negativ zu bewertendem Einfluss von Interessengruppen unterschieden werden müsste und eine Begünstigung von Interessengruppen nicht alleinige Zielrichtung eines Gesetzes sein muss. Es besteht insofern die Gefahr, vom BVerfG eine Kontrolle der wirtschaftspolitischen Vernünftigkeit eines Gesetze zu verlangen, womit die dem Gesetzgeber zustehende Entscheidungsbefugnis in Frage gestellt würde und das BVerfG nach kaum objektiv nachprüfbaren Kriterien entscheiden müsste. Eine Zurücknahme der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist deshalb nur im Fall denkbar, wenn der Einfluss von Interessengruppen evident ist, die Regulierung zu einseitiger Begünstigung dieser Gruppe führt und die Mehrheit der Bürger mit einer solchen Regelung nicht einverstanden sind bzw. im Fall deren Kenntnis nicht einverstanden sein würden. Es bedürfte gewichtiger Gründe, um wettbewerbseinschränkende Regulierungen zu rechtfertigen, wobei ein allgemeines Ziel des Mittelstandsschutzes als Rechtfertigungsgrund ausscheidet.57
IV. Deregulierungsfunktion Außer im Fall des deutschen Reinheitsgebotes für Bier, das auch nach Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung aufrechterhalten wurde58, ist in jedem der betrachteten Referenzgebiete eine Deregulierung zu beobachten. Dieser Befund 55 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. 10. 1977, Az. 1 BvR 173/75, BVerfGE 46, 246, 257; BVerfG, Urteil vom 26. 05. 1981, Az. 1 BvL 56/78, BVerfGE 57, 139, 160; BVerfG, Beschluss vom 17. 11. 1992, Az. 1 BvR 168/89 u. a., BVerfGE 87, 363, 383; Kämmerer, in: Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rn. 63. 56 Vgl. Kämmerer, in: Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rn. 63. 57 Vgl. Tettinger, Wettbewerb in den freien Berufen – berufsrechtliche Aspekte, NJW 1987, S. 294, 298 ff.; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 129 – 131. 58 Vgl. Teil 2 § 9 II.
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bestätigt die These, dass Systemwettbewerb tendenziell zu einer Deregulierung führt. Im Rahmen der Deregulierung wurden über Jahrzehnte verfestigte Regulierungsstrukturen aufgelöst. In (ehemals) hoch regulierten Bereichen wie im Straßengüterverkehr, im Versicherungsaufsichtsrecht, im Bankenaufsichtsrecht und im Recht der OGAW ist eine schrittweise Deregulierung zu beobachten. Ohne diese institutionelle Mobilität wäre in den betrachteten Referenzgebieten grundsätzlich nicht mit einer Deregulierung zu rechnen gewesen. Es kann deswegen von einer pfadsprengenden Wirkung des Systemwettbewerbs gesprochen werden.59 Im Rahmen der Rechtsentwicklung in den europarechtlichen Referenzgebieten ist – entgegen der evolutorischen Modellbildung – eine Gleichgewichtsbildung zu beobachten. Das Regulierungsniveau pendelt sich im europäischen Kontext auf ein bestimmtes Niveau ein. Diese Gleichgewichtsbildung beschränkt die Deregulierungswirkung und ist im Interesse der Verhinderung eines suboptimal niedrigen Regulierungsniveaus zu begrüßen.60 Insofern besitzt die Unvollkommenheit des Systemwettbewerbs61 (im Sinne des Bestehens von Transaktionskosten, einer Bündelung von Recht in „Leistungs-Steuerpakete“, begrenzter staatlicher Handlungsparameter und begrenzter staatlicher Anreize) eine wichtige Funktion wie Streit mit Recht feststellt62. Marktunvollkommenheiten können im Systemwettbewerb
59 Hefermehl stellte 1999 fest, dass die Weitergeltung des RabattG auf dem Beharrungsprinzip beruhe (Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, RabattG Allgemeines Rn. 9). Vgl. auch: Hirschfeld, Die niederländische „bv“ nach dem Gesetz zur Vereinfachung und Flexibilisierung des bv-Rechts (flex-bv), RIW 2013, S. 134, 142. 60 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 531; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16. 61 Vgl. Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 109; Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, RabattG Allgemeines Rn. 9; Ulmer, Rabattgesetz und Wettbewerbsordnung, in: FS Hefermehl, S. 201, 203 ff. Zur Unvollkommenheit eines Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten: Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 39 ff. Zum Modell der vollständigen Konkurrenz: Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 27 – 29. 62 Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 232; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 28 f. Nach der Theorie des funktionsfähigen Wettbewerbs (die sich auf den Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten bezieht) sind Marktunvollkommenheiten nicht zwangsläufig negativ zu bewerten, sondern können die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs erhöhen (Clark, Toward a Concept of Workable Competition, The American Economic Review 15 (2) 1940, S. 241 – 256; Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs; vgl. die Darstellung des Ansatzes bei: Cox/Hübener, 1. Wettbewerb, Eine Einführung in die Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, in: Handbuch des Wettbewerbs, S. 1, 14).
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damit als eine Art Bremse systemwettbewerblicher Prozesse verstanden werden und können eine zu begrüßende Gegenkraft zur Deregulierungstendenz darstellen.63 Sofern eine Integration auf „kollisionsrechtlicher“ Basis verwirklicht wird, ist es rechtspolitische Aufgabe, eine Balance zwischen Vollkommenheit und Unvollkommenheit des Systemwettbewerbs zu schaffen.64 Forderungen nach Erhöhung der institutionellen Mobilität, z. B. mittels der Schaffung von Rechtswahlfreiheit oder die Schaffung direkter finanzieller Anreize für Staaten, sind deswegen im Hinblick auf ihre Folgen für eine systemwettbewerbliche Rechtsentwicklung zu überprüfen. Die These einer weitgehenden Behauptung mitgliedstaatlicher Regulierungen aufgrund einer funktionierenden Rückkopplung65 findet für die allermeisten Regulierungen keine Bestätigung. Die Rechtsentwicklung im Fall des deutschen Reinheitsgebotes ist keineswegs repräsentativ.66 In Bereichen, in denen die Aufrechterhaltung eines bestimmten Regulierungsniveaus rechtspolitisch erwünscht ist, kommt deswegen einer materiellrechtlichen Harmonisierung oder dem Ausschluss des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung67 erhebliche Bedeutung zu. Die Deregulierung hat auf Waren- und Dienstleistungsmärkten zu einer Zunahme des Wettbewerbs geführt mit der Folge einer besseren Erfüllung der Wettbewerbsfunktionen.68 Die Annahme einer Deregulierungsfunktion erscheint insgesamt von begrenztem analytischen Nutzen, da sie letztlich eine Gesamtbewertung von Systemwettbewerb verlangt und weniger in der Lage ist, ein konkret zu erfassendes Teilelement zu verdeutlichen. 63 Vgl. Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 231 f.; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 531; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 25 ff.; Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 109; Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 16. 64 Kantzenbach spricht (bezogen auf einen Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten) vom Ziel der Erreichung einer optimalen Wettbewerbsintensität (Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 12 ff.). 65 Zur Rückkopplung im Systemwettbewerb: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 107 f. 66 Anders: Streit/Mussler, Wettbewerb de Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 96, 99. 67 Vgl. EuGH, Urteil vom 27. 3. 1990, Rs. C-113/89, Rush Portuguesa, Slg. 1990, I-1417, I1445 Rn. 18. Vgl. auch: EuGH, verb. Rs. C-369/96 und C-376/96, Arblade, S. I-8453, I-8516 Rn. 41 f.; EuGH, Urteil vom 9. 8. 1994, Rs. C-43/93, Raymond Vander Elst/Office des migrations internationales (OMI), Slg. 1994, I-3803, I-3826 Rn. 23. Vgl. schon: Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht, S. 299. 68 Vgl. auch: Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 96.
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V. Entdeckungs- und Innovationsfunktion 1. Entdeckungsfunktion Die Erwartungen an die wissensgenerierende Funktion von Systemwettbewerb werden von der evolutorischen Theorie des Systemwettbewerbs hoch gesteckt. Es entsteht der Eindruck, dass dem Gesetzgeber ohne systemwettbewerbliche Marktsignale jegliche Wissensbasis in Bezug auf gesetzgeberische Maßnahmen fehlt.69 Die Bedeutung von Systemwettbewerb zur Generierung von Wissen erscheint in den betrachteten Referenzgebieten indes gering.70 Welche Präferenzen institutionelle Nachfrager haben, lässt sich weitgehend auch ohne die Betrachtung von Regulierungsarbitragen vorhersagen, weshalb es einer Entdeckung infolge der Betrachtung institutioneller Wanderungsbewegungen nicht bedarf71. Im Rahmen der Modellbildung erfolgt eine Vernachlässigung des Wissensproblems auf Seiten der Nachfrager von Waren und Dienstleistungen. Die geringe Beachtung, die der Erkennbarkeit von Regulierungsunterschieden auf Seiten der Nachfrager in der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie zukommt, erstaunt, da die Entdeckungsfunktion von Systemwettbewerb zentraler Argumentationstopos der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie ist72. In den betrachteten Referenzgebieten hätte die durch institutionelle Mobilität angestoßene Rechtsentwicklung weitgehend vorausgesagt werden können. Es konnte z. B. kaum überraschen, dass das RabattG und die ZugabeVO aufgrund des Herkunftslandprinzips in der E-Commerce-Richtlinie keinen Bestand haben würden. Im Rahmen einer systemwettbewerblichen Rechtsentwicklung ist mit einer grundsätzlichen Annäherung mitgliedstaatlicher Regulierungen an das Regulierungsniveau der Mindestharmonisierung zu rechnen. Grundlage für eine Modellierung des Systemwettbewerbs ist dabei die Kenntnis für den Systemwettbewerb typischer 69
Vgl. Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 525. 70 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 33: „In der ökonomischen Literatur wird das Schlagwort vom ,Wettbewerb als Entdeckungsverfahren‘ zu absolut gesetzt. Es entsteht der Eindruck, als seien institutioneller Wettbewerb und paralleles Experimentieren mit unterschiedlichen Problemlösungsversuchen durch die Gesetzgeber die einzigen Wege, rechtliche Regelungen weiterzuentwickeln“; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, Wechselbeziehungen zweier Ordnungen, S. 29, 50; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 85 f. Anders: Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 281, 288. 71 Kritisch zu Regulierungsarbitragen: Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39, 43; Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, S. 29, 50. 72 Vgl. Streit/Wohlgemuth, Einleitung: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 7, 8.
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Geschehensabläufe.73 Eine Voraussage einer systemwettbewerblichen Rechtsentwicklung erscheint dabei wesentlich leichter, als die Voraussage der Entwicklung eines Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten, da Systemwettbewerb (wie dargestellt) tendenziell zu einer Deregulierung führt und nur sehr eingeschränkt evolutorische Züge aufweist bzw. in ein Gleichgewicht mündet. Der heutige Rechtszustand hätte aufgrund der bestehenden Erkenntnismöglichkeiten (abgesehen von Einigungsschwierigkeiten, die ein unüberwindliches Hindernis dargestellt hätten) auch im Rahmen einer Ex-ante Harmonisierung (einer materiellrechtlichen Harmonisierung) realisiert werden können. Die evolutorische Systemwettbewerbstheorie erscheint als eine zu starke Antwort74 auf die unrealistische Annahme allwissender und rational handelnder Akteure durch die neoklassische Theorie. Zudem handelt es sich um eine zu starke Reaktion auf die im Rahmen der sozialistischen Planwirtschaften gesammelten negativen Erfahrungen,75 vor denen von Hayek eindringlich warnte76 und dessen Warnung seinen Schülern nachhaltig vor Augen steht. Richtig ist, dass nicht von einem vollständigen Wissen der politischen Akteure ausgegangen werden kann, jedoch liegt in der Zulassung von institutioneller Mobilität nicht die Lösung für diesen Wissensmangel. Systemwettbewerb ist vor diesem Hintergrund in Anlehnung an von Hayek leicht „eine höchst verschwenderische Methode“77 zur Generierung von Wissen. Eine Generierung von Wissen in Bezug auf die Gestaltung von Harmonisierung kann (unabhängig von institutioneller Mobilität und Systemwettbewerb) mittels einer Betrachtung von rechtlichen Lösungen und deren Folgen in verschiedenen Staaten erfolgen.78 Systemwettbewerb erscheint deswegen im Hinblick auf die Generierung von Wissen Yardstick Competition nicht grundsätzlich überlegen.
73 Vgl. Hoppmann, Kulturelle Evolution und ökonomische Effizienz, in: FS Mestmäcker, S. 177, 183. 74 Vgl. Fichte, Der geschlossene Handelsstaat, S. 9. 75 Vgl. Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113, 113; Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11 – 41. 76 Vgl. Leipold, Zur Pfadabhängigkeit der institutionellen Entwicklung, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 93, 101. 77 von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien, S. 249, 249 f. 78 Vgl. Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 548; Koenig, Europäische Integration und Systemwettbewerb zwischen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, EuZW 1998, S. 513.
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Die Erkenntnisse, die sich aus den Erfahrungen mit dem Scheitern der sozialistischen Planwirtschaften79 ergeben, lassen sich zwar nicht auf den europäischen Kontext übertragen – gleichwohl ist die abstrakte Gefahr zu berücksichtigen, dass sich in Zukunft die von materiellrechtlicher Harmonisierung geprägte Rechtsentwicklung immer stärker von den Erfordernissen der Realität entfernen könnte. Auch wenn Systemwettbewerb keine bedeutende Rolle zur Generierung von Wissen spielt, würde auf andere Weise erlangtes Wissen in Abwesenheit institutioneller Mobilität mangels eines rechtspolitischen Druckes oft nicht im Rahmen der Rechtsgestaltung berücksichtigt. Institutionelle Mobilität kann deswegen über Zwänge zu einer tatsächlichen Berücksichtigung von Wissen in der Rechtsgestaltung führen, die ohne Systemwettbewerb nicht möglich wäre. Institutionelle Mobilität besitzt damit weniger eine Entdeckungsfunktion als eine Durchsetzungsfunktion im Hinblick auf die Gestaltung von Regulierungen entsprechend der Bedürfnisse von mobilen Faktorinhabern bzw. mobilen Privatrechtssubjekten. 2. Grundsätzliche Kritik an der Annahme einer Entdeckungsfunktion Unabhängig von der fehlenden empirischen Bestätigung einer ins Gewicht fallenden Entdeckungsfunktion in den betrachteten Referenzgebieten, ist die pauschale Annahme einer Entdeckungsfunktion zu kritisieren, da institutionelle Mobilität ausschließlich die Interessen der institutionellen Nachfrager übermittelt. Eine mögliche Generierung von Wissen über die Betrachtung institutioneller Mobilität kann deswegen aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive einseitig ausfallen.80 Einer möglichen Einseitigkeit der Entdeckungen zugunsten der Anbieter von Waren und Dienstleistungen ist jedoch im europarechtlichen Kontext (vor einer Verallgemeinerung in anderen Zusammenhängen sei gewarnt) eine Grenze gesetzt. Auch wenn eine Transparenz von Regulierungsunterschieden nicht gegeben ist, sind die Nachfrager aufgrund der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung oder der Mindestharmonisierung in ihren Interessen weitgehend geschützt. Regulierungsarbitragen und gesetzgeberische Maßnahmen finden ihre Grenzen an den Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der flankierenden Mindestharmonisierung.
79
Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Institutionelle Probleme der Systemtransformation, S. 11 – 41. 80 Vgl. auch: Rehberg, Spezifika des Systemwettbewerbs, in: Recht und Markt, S. 29, 50 f.
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3. Innovationsfunktion Die Betrachtung der Referenzgebiete hat gezeigt, dass institutionelle Innovationen im Systemwettbewerb eine nur sehr geringe Rolle spielen.81 Innovation ist auf „kollisionsrechtlicher“ Ebene zu beobachten. Eine solche Innovation zeigt sich im Fall des Versuchs der Etablierung eines Günstigkeitsprinzips im Rahmen der Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie.82 Innovative Verstöße seitens des deutschen Gesetzgebers waren zudem im Hinblick auf eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zugunsten der deutschen Straßenverkehrswirtschaft zu beobachten.83 Eine Sonderform einer Innovation, die sich zwar nicht auf das Recht selbst bezieht, aber in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Recht steht, stellen die dargestellten Werbemaßnahmen zugunsten des britischen, deutschen und französischen Rechts dar.84 Es geht dem deutschen Gesetzgeber grundsätzlich nicht um die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen mittels Regulierung, sondern ausschließlich um die Verhinderung einer Benachteiligung heimischer Anbieter. Der deutsche Gesetzgeber handelt damit grundsätzlich nicht aktiv85 im Sinne eines wettbewerblichen Vorstoßens86. Anders ist die Situation im Wettbewerb der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, wo institutionelle Innovationen eine Rolle spielen, jedoch sind die dort zu beobachtenden gesellschaftsrechtlichen Innovatio81 Vgl. auch die Zurückhaltung gegenüber einem Innovationspotential von Systemwettbewerb in: Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, S. 85, 118 f.; Bratton/McCahery, The New Economics of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best World, Georgetown Law Journal 86 (1997), S. 201, 237 f. Vgl. auch: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 33. 82 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG), BT-Drs. 14/6098, 17. 05. 2001, S. 5; Spindler, Die E-Commerce-Richtlinie und das internationale Wirtschaftsrecht, in: Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, S. 107, 113 ff. 83 Vgl. Teil 2 § 9 E. II. 84 Vgl. Teil 3 § 16 B. III. 2. 85 Vgl. auch: Bratton/McCathery, The New Economics of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best World, Georgetown Law Journal 86 (1997), S. 201, 242 f. 86 Zum Bild des wettbewerblichen Vorstoßens: Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 18 Tz. 10; Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 40; Hoppmann, Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1967), S. 77, 90; Cox/Hu¨ bener, Wettbewerb. Eine Einfu¨ hrung in die Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, in: Handbuch des Wettbewerbs, Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, S. 1, 6 f.
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nen keineswegs alle zu begrüßen. Eine negativ zu bewertende Rechtsentwicklung (wie sie durch die systematische Vernachlässigung der Interessen von Anteilsinhabern und Gläubigern gekennzeichnet ist) ist aus dem Begriff der Innovationsfunktion auszuschließen, wenn unter dem Begriff „Innovationen“ ausschließlich positive zu bewertende Entwicklungen gefasst werden.87 Insgesamt spielt institutionelle Innovation eine nur sehr geringe Rolle. Es zeigt sich, dass der von der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie vorgenommene Verweis auf die Marktanalogie88 zur Begründung einer Innovationsfunktion nicht überzeugen kann. Die Betrachtung legt nahe, dass das Innovationspotential eines Wettbewerbs der Staaten wahrscheinlich nicht mit den auf Waren- und Dienstleistungsmärkten zu beobachtenden Innovationen zu vergleichen ist. Systemwettbewerb kann aber immerhin über die zu beobachtende Deregulierung zu einem erhöhten Potential an Innovationen im Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten führen.89 4. Imitationsfunktion Die Rechtsentwicklung ist gekennzeichnet von einer umfangreichen Imitation von Regulierungen, denn es kommt zu einer regulatorischen Anpassung an die Regulierungen anderer Mitgliedstaaten bzw. an die Mindestharmonisierung. Dem deutschen Gesetzgeber geht es vor allem darum, ökonomische Einbußen inländischer Anbieter von Waren und Dienstleistungen infolge einer nachteiligen Gestaltung von Regulierungen abzuwehren, womit die Deregulierung vor allem einen industriepolitischen Hintergrund hat. Im Unterschied zu dem Comparative
87
Hoffmann-Riem weist zu Recht darauf hin, dass es bei Innovation nicht um Innovation an „sich gehen [kann], sondern nur um eine Innovation, die mit entsprechender Verantwortung gepaart ist“ (Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 11, 17). Kirchner spricht von Innovation als gesellschaftlich akzeptierte Neuerung (Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 85, 88, 120). Vgl. auch: Schulze-Fielitz, Instrumente der Innovationssteuerung durch Öffentliches Recht – insbesondere im Umweltrecht –, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 291, 293 f. 88 Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 9 f. 89 Vgl. Reich, Competition between Legal Orders: A new Paradigm of EC Law?, Common Market Law Review 29 (1992), S. 861, 868. Zu der Bedeutung des Rechtsrahmens für die Generierung von Innovationen im Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten: Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, S. 85, 85 ff.; Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 11, 12 ff.
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Law and Economics-Ansatz90 ist der Grund für eine Anpassung hingegen nicht notwendigerweise die überlegende Effizienz des übernommenen Rechts. Eine Imitation geschieht grundsätzlich reibungslos. Größere Probleme einer Imitation (wie insbesondere aufgrund von Konsistenzerfordernissen91) ergeben sich nicht. In Bereichen hoher Regulierungskomplexität (wie im Bereich der Regulierung von OGAW oder des Versicherungsaufsichtsrechts) erfolgt eine schrittweise Imitation. Indem Wettbewerb auf ein „Nachziehen“ und der Übernahme von rechtlichen Gestaltungen begrenzt ist (und nicht die Entwicklung von Innovationen erfolgt), kommt es zur Bildung von Gleichgewichten.
VI. Ex-post Harmonisierungsfunktion Entgegen den Erwartungen der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie,92 ist in den öffentlich-rechtlichen Referenzgebieten in erheblichem Umfang eine Angleichung des Rechts zu beobachten.93 Eine Ex-post Harmonisierung erscheint jedoch nicht (wie zum Teil angenommen) als eine Alternative zu einer Ex-ante Harmonisierung,94 da eine Ex-post Harmonisierung etwaige Rechtsunsicherheiten des grenzüberschreitenden Verkehrs bestehen lässt, da für den Verkehr nicht erkennbar sein muss, welche Regelungen angeglichen 90
Mattei, Efficiency in Legal Transplants: An Essay in Comparative Law and Economics, International Review of Law and Economics 14 (1994), S. 3, 8 – 10; Benavides, Competition among Laws, Competion among Laws, Revista Juridica Universidad Puerto Rico 77 (2008), S. 373, 374. 91 Vgl. Teil 1 § 6 B. XI. 92 Vgl. Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 525; Streit/Mussler, Wettbewerb de Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 75, 79; Wohlgemuth, Korreferat zu Michael Koop, in: Europa reformieren – Ökonomen und Juristen zur zukünftigen Verfaßtheit Europas –, S. 63, 64; Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 93; Streit, Institutionelle Konvergenz im europäischen Integrationsprozess, in: Ökonomische Konvergenz in Theorie und Praxis, S. 137, 140; Mussler/Wohlgemuth, Institutionen im Wettbewerb, Ordnungstheoretische Anmerkungen zum Systemwettbewerb in Europa, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozess, S. 9, 19; Kerber/Eckardt, Policy learning in Europe: the open method of co-ordination and laboratory federalism, Journal of European Public Policy 14(2) (2007), S. 227, 239. 93 Auch A. Peters stellt die Annahme einer Ex-post Harmonisierung in Frage und betrachtet eine Ex-post Harmonisierung als nicht empirisch nachgewiesen (Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 50). 94 Padoa Schioppa, Preface, in: The Principle of Mutual Recognition on the European Integration Process, S. i, x.
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sind. Auch im Fall einer Ex-post Harmonisierung kann es deswegen sinnvoll sein, sekundärrechtliche Herkunftslandprinzipien zu schaffen oder die Ex-post Harmonisierung in eine materiellrechtliche Harmonisierung auf Unionsebene zu verwandeln. Eine Ex-post Harmonisierung bietet auch keine Möglichkeit, um herauszufinden, welcher Grad an Harmonisierung notwendig und zu befürworten ist.95 Das Interesse von Wirtschaftssubjekten an einer Senkung von Transaktionskosten muss keinesfalls zu entsprechenden Schritten der einzelstaatlichen Gesetzgeber führen, ihr Recht auf autonomer Grundlage anzugleichen. Die Bedeutung der Ex-post Harmonisierungsfunktion zur Analyse des Systemwettbewerbs ist zweifelhaft, da keine Kriterien dafür bestehen, ab welchem Grad einer autonomen Angleichung des Rechts von einer Ex-post Harmonisierung gesprochen werden kann, denn jede Deregulierung führt grundsätzlich auch zu einer Ex-post Harmonisierung im Sinne einer Abschleifung von Rechtsunterschieden. Zudem stellt sich wie im Rahmen der Deregulierungsfunktion die Frage nach der Bewertung der Rechtsentwicklung. Nicht jede Deregulierung bzw. Ex-post Harmonisierung muss vorteilhaft sein. Eine eigenständige Bedeutung der Ex-post Harmonisierungsfunktion besteht neben der Deregulierungsfunktion deshalb nicht.
VII. Das europarechtliche Herkunftslandprinzips als Mittel zur Förderung von materiellrechtlicher Harmonisierung 1. Systemwettbewerb als Triebkraft materiellrechtlicher Harmonisierung Das Herkunftslandprinzip erscheint nicht nur als Vermittler eines Systemwettbewerbs, sondern auch als eine Triebkraft einer weitreichenden materiellrechtlichen Harmonisierung auf EU-Ebene.96 Systemwettbewerb relativiert Interessengegensätze der Mitgliedstaaten, denn eine Einigung fällt unter dem Druck von Systemwettbewerb erheblich leichter, als wenn Mitgliedstaaten meinen, die Durchsetzung eigener Regulierungsanforderungen zur Bedingung einer Liberalisierung des
95
Anders: Siebert, The Harmonization Issue in Europe: Prior Agreement or a Competitive Process?, in: The Completion of the Internal Market, S. 53, 53. 96 Vgl. auch: Kerber/Van den Bergh, Wechselseitige Anerkennung von Regulierungen: Ist die EU ein Vorbild für das globale Handelsregime?, in: Internationalisierung der Wirtschaftspolitik, S. 147, 151 ff.; Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 448: „Mutual recognition primarily initiates a dynamic process of reallocating regulatory powers between different regulatory levels“, 460 ff.; Dreher, Wettbewerb oder Vereinheitlichung der Rechtsordnungen in Europa?, JZ 1999, S. 105, 111.
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grenzüberschreitenden Verkehrs erheben zu können.97 Staaten stehen bei Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung vor der Wahl, entweder einer materiellrechtlichen Harmonisierung zuzustimmen oder ihre Regulierungen den Kräften institutioneller Mobilität auszusetzen. Auch im Rahmen der Anwendung des Primärrechts ist Systemwettbewerb ein entscheidendes Argument für materiellrechtliche Harmonisierung des betreffenden Rechtsbereiches.98 Da Systemwettbewerb aus rechtswissenschaftlicher Sicht als grundsätzlich unerwünscht angesehen wird,99 stellt ein zu beobachtender oder drohender Systemwettbewerb im Rahmen der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips einen Rechtfertigungsgrund für eine materiellrechtliche Harmonisierung dar.100 2. Ermöglichung einer schrittweisen materiellrechtlichen Harmonisierung Der „kollisionsrechtliche“ Ansatz erlaubt, die materiellrechtliche Harmonisierung schrittweise zu entwickeln,101 da eine materiellrechtliche Harmonisierung nicht (wie im Rahmen einer Politik der Vollharmonisierung) Bedingung der Marktintegration ist. Im Rahmen der das europarechtliche Herkunftsland flankierenden Harmonisierung wird dem Gesetzgeber ermöglicht, einzelne Teilbereiche zu harmonisieren und zu prüfen, inwieweit sich die Regelungen in der Realität bewähren. Der Gesetzgeber kann sich auf diese Weise an bestimmte rechtliche Lösungen herantasten. Dabei befreit eine schrittweise materiellrechtliche Harmonisierung den Gesetzgeber von der Suche nach der besten Lösung.102 So stellt Ehlermann fest, dass „[d]ie Suche nach der besten rechtstechnischen und rechtspolitischen Lösung“ sich mit dem Wechsel der Integrationsstrategie „wesentlich abgeschwächt“ habe.103 Die Befreiung von der
97
Zur Bedeutung des Untätigkeitsurteils des EuGH für die Entwicklung europäischen Rechts im Bereich des Straßengüterverkehrs: Teil 2 § 9 E. I. 98 Vgl. Taschner, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorbem. zu den Artikeln 94 bis 97 EG Rn. 1. 99 Vgl. Adensamer, Herkunftslandprinzip als Herausforderung für das traditionelle IPR, in: Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht; Hohmann-Dennhardt, Wo bleiben die Bürger und ihre Rechte?, Globale Rechtswelten und der demokratische Staat, in: FS G. Teubner, S. 753 – 763; Kindler, in: Münchener Kommentar zum BGB, IntGesR Rn. 9. 100 Vgl. Taschner, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorbem. zu den Artikeln 94 bis 97 EG Rn. 1. Sørensen möchte zur Einschränkung von Regulierungsarbitragen eher das Umgehungsverbot stärken (Sørensen, Abuse of Rights in Community Law: A Principle of Substance or merly Rhetoric?, Common Market Law Review 43 (2006), S. 423, 459). 101 Vgl. P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 6. 102 Kritisch zu einer schrittweisen Harmonisierung des Privatrechts: P. Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht, JZ 1992, S. 1, 6. 103 Vgl. Ehlermann, Ökonomische Aspekte des Subsidiaritätsprinzips: Harmonisierung versus Wettbewerb der Systeme, Integration 18 (1995) (1), S. 11, 18.
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Suche nach der besten Lösung erlaubt ein gewisses Experimentieren und damit eher eine evolutorische Rechtsentwicklung auf Grundlage von Versuch und Irrtum. Eine Ex-post Harmonisierung kann (wie erwähnt) eine Harmonisierung auf EUEbene104 vereinfachen,105 da sie eine gemeinsame Ausgangsbasis für Harmonisierungsmaßnahmen bietet. Einigungsschwierigkeiten, die auch im Rahmen von Mehrheitsentscheidungen (vgl. Art. 238 AEUV) die Akzeptanz des geschaffenen Rechts schwächen können, werden bei Vorhandensein einer gemeinsamen Ausgangsbasis weitgehend vermieden.
VIII. Gerechtigkeitsfunktion Der in den Referenzgebieten zu beobachtende Systemwettbewerb dient der Verwirklichung des Ziels der Gerechtigkeit, als dass er zum Abbau von Interessengruppenregulierungen führt. Renten von ehemals wettbewerblich geschützten Anbietern106 werden im Interesse der Nachfrager einschränkt, was der Förderung einer Verteilungsgerechtigkeit dient107. Zudem ist infolge der Abschaffung von wettbewerbseinschränkenden Regulierungen eine gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtserhöhung aufgrund eines verstärkten Wettbewerbs108 möglich109 und eine derartige Wohlfahrtssteigerung kann – im Fall einer angemessenen Verteilung – dem Ziel der Förderung von Gerechtigkeit dienen110. Zudem kann die Beseitigung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen infolge von Deregulierung und Ex-post Harmonisierung als Ausdruck einer Gerechtigkeitsfunktion von Systemwettbewerb verstanden werden, wenn durch die Deregulierung nicht schützenswerte Belange der Nachfrager oder Dritter vernachlässigt werden. Von einer Vernachlässigung derartiger Interessen kann im europäischen 104 Von einer Ex-ante Harmonisierung zu sprechen, dürfte Verwirrung stiften, da die Gegenüberstellung von Ex-ante Harmonisierung und Ex-post Harmonisierung ein zeitliches Verhältnis beider Arten von Harmonisierung impliziert. 105 Vgl. Pelkmans, Mutual Recognition on Goods and Services: An Economic Perspective, in: The Principle of Mutual Recognition in the European Integration Process, S. 85, 115: „At the end of a process of regulatory competition, the market-driven convergence could be codified in essential requirements in EC approximation“. 106 Vgl. Oberlack, Handelshemmnisse durch Produktstandards, S. 44 ff. 107 Zur Verteilungsgerechtigkeit: H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XXXIX ff. 108 Vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 423 f. (zur ökonomischen Bedeutung der Privatautonomie). 109 Vgl. Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb; Becker/Becker, Die Ökonomik des Alltags, S. 31 f. 110 Zum Verhältnis zwischen Allokationseffizienz und Gerechtigkeit vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XXXIX ff. Weitere Nachweise in: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 131 Fn. 124.
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Kontext aufgrund der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der dieses Prinzip flankierenden Mindestharmonisierung keine Rede sein. Zu warnen ist vor der Annahme einer allgemeinen Gerechtigkeitsfunktion von Systemwettbewerb, denn entscheidend ist zum einen der Wettbewerbsgegenstand (der dem Wettbewerb ausgesetzte Rechtsbereich) und zum anderen der Ordnungsrahmen des Wettbewerbs. Es wurde bereits das auch hier relevante Problem der ungleichen Behandlung von mobilen und immobilen Privatrechtssubjekten bzw. Faktoren angesprochen. Auch mit dem Blick auf den Steuerwettbewerb (als Spezialfall von Systemwettbewerb) wird deutlich, dass Steuerwettbewerb die Spielräume für staatliche Umverteilung einschränkt111 und zu einer Rechtsgestaltung führt, die immobilie Privatrechtssubjekte stärker belastet als mobile Faktoren, sprich Kapital112.
IX. Vergleichende institutionelle Betrachtung 1. Das Herkunftslandprinzip als Integrationsinstrument Dem europarechtlichen Herkunftslandprinzip kommt entscheidende Bedeutung für die Verwirklichung der europäischen Marktintegration zu. Es schuf in vielen Wirtschaftsbereichen überhaupt die Voraussetzungen einer Liberalisierung des grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs, die auf Grundlage einer Politik materiellrechtlicher Vollharmonisierung nicht erreichbar gewesen wäre.113 Auch heute schafft das Herkunftslandprinzip in unterschiedlichsten Bereichen die Voraussetzungen für eine Marktintegration. Im Schatten des europarechtlichen Herkunftslandprinzips haben sich die Bedingungen für eine materiellrechtliche Harmonisierung gewandelt und es sind wesentliche Hemmnisse für eine materiellrechtliche Harmonisierung entfallen. Es zeigt sich eine Harmonisierungsdynamik,114 die unter dem Eindruck des Scheiterns der anfänglich verfolgten Politik der Vollharmonisierung, bemerkenswert ist. Vor diesem Hintergrund hat sich in vielen Rechtsbereichen eine Wahlmöglichkeit hin111
Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 7 Rn. 75 f.; Streeck, Gekaufte Zeit, S. 166 f. Die Einschränkung von Umverteilung dürfte aus Perspektive der Vertreter der Systemwettbewerbstheorie eher zu begrüßen als zu bedauern sein: Vgl. Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 b Abs. 5 Satz 4 GWB, S. 13 Tz. 7; Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 114 ff. Allgemein: Gore, Die Zukunft, S. 69. 112 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 7 Rn. 76; Piketty, Capital in the Twenty-First Century, S. 355 – 358. Vgl. schon: Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 726 f. 113 Zur „neuen Strategie“: Teil 1 § 3 E. V. 114 Vgl. Vaubel, Die politisch-ökonomischen Ursachen der Zentralisierungsdynamik, Wirtschaftsdienst 2007, S. 84 – 88; Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 454 f.
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sichtlich der Verwirklichung einer weitreichenden materiellrechtlichen Harmonisierung und einer „kollisionsrechtlichen“ Integration auf Basis des Herkunftslandprinzips ergeben. Das Herkunftslandprinzip ist in dieser Situation keine Bedingung mehr für die Verwirklichung einer Marktintegration. Bemerkenswert ist, dass sich die Kommission jüngst in Teilbereichen (wie im Fall der VerbraucherrechteRichtlinie115) ausdrücklich eine Vollharmonisierung zu Ziel gesetzt hat.116 Hintergrund ist das Bestreben der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus.117 2. Eingeschränkte Bestätigung der Systemwettbewerbsfunktionen in den Referenzgebieten Es zeigt sich, dass die Thesen der Theorie eines funktionierenden Systemwettbewerbs in der Realität nur eingeschränkt Bestätigung finden. Am deutlichsten ist die deregulierende Funktion von Systemwettbewerb ausgeprägt. Es erscheint auch nicht möglich, mittels einer Anpassung des institutionellen Rahmens die geweckten Erwartungen an einen Systemwettbewerb einzulösen. Die Schaffung direkter finanzieller Anreize118 für Staaten, ihre Regulierungen wettbewerbsfähig auszugestalten, führt nicht zur einer entscheidenden Entdeckung von Wissen und einer Generierung von institutionellen Innovationen; vielmehr blieben die grundsätzlichen Probleme in Bezug auf die Entstehung institutioneller Innovationen und der Entdeckung von Wissen bestehen. Es wären zudem negative Begleiterscheinungen wie die Verwirklichung eines suboptimalen Regulierungsniveaus möglich. Der Mindestharmonisierung käme eine gesteigerte Bedeutung zu, um negative Auswirkungen zu verhindern. Ob ein Immaterialgüterrechtsschutz für institutionelle Innovationen119 tatsächlich zur Generierung derartiger Innovationen führt, ist zweifelhaft und könnte zudem eine
115 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L Nr. 304 S. 64 ff. 116 Grundmann, Die EU-Verbraucherrechte-Richtlinie, Optimierung, Alternative oder Sackgasse?, JZ 2013, S. 53, 55, 59 f., 62 ff. 117 Grundmann, Die EU-Verbraucherrechte-Richtlinie, Optimierung, Alternative oder Sackgasse?, JZ 2013, S. 53, 60 mwN in Fn. 49, 62. 118 Vgl. Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 459; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 89, 185 ff. 119 Vgl. Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, S. 114 f.; Kirchner, Rechtliche „Innovationssteuerung“ und Ökonomische Theorie des Rechts, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 85, 99 ff.
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Ex-post Harmonisierung und darauf aufbauend eine zukünftige Harmonisierung auf EU-Ebene behindern. Dies wäre im Hinblick auf das Integrationsziel120 zu bedauern. 3. Verbesserungsfähigkeit materiellrechtlicher Harmonisierung Die Bewertung materiellrechtlicher Harmonisierung hängt demgegenüber weitgehend von der Ausgestaltung von Harmonisierungsrechtsakten und der Ausgestaltung des Harmonisierungsverfahrens ab.121 Zudem ist es notwendig, die Folgen von Harmonisierungsrechtsakten periodisch zu untersuchen und daraus Schlüsse für die zukünftige institutionelle Gestaltung zu ziehen.122 4. Aus der Anwendung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips folgende Schwierigkeiten und ihre Bedeutung für die Harmonisierungsfrage Unter Geltung des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips stellt sich das Problem einer ins Gewicht fallenden Rechtsunsicherheit für grenzüberschreitend tätige Anbieter.123 Diese ist theoretisch (zum Teil) mittels eines Übergangs auf geeignete sekundärrechtliche Herkunftslandprinzipien überwindbar, die die Rechtspositionen grenzüberschreitend tätiger Anbieter im Vergleich zur primärrechtlichen Situation stärken, d. h. Schranken zurückdrängen und die Rechtsposition der Anbieter klar definieren. Möglich ist die Schaffung eines solchen Herkunftslandprinzips grundsätzlich124 nur dann, wenn das Herkunftslandprinzip von einer Mindestharmonisierung flankiert wird oder wie im Fall der E-Commerce-Richtlinie eine umfangliche materiellrechtliche Harmonisierung folgt. Damit nimmt jedoch zugleich der Raum eines möglichen Systemwettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten ab.
120 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 351 – 356. 121 So auch: Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 457. 122 Zur Berücksichtigung der realen Folgen einer gesetzgeberischen Maßnahme: Voßkuhle, § 1 Neue Verwaltungswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, Rn. 32 – 36. 123 Winkler, Die gegenseitige Anerkennung – Achillesferse des Regulierungswettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 103 – 121; Winkler, Grenzen des Regulierungswettbewerbs – Die Verwirklichung der gegenseitigen Anerkennung von Produktregulierungen in der Europäischen Gemeinschaft. 124 Die Mindestharmonisierung des Herkunftslandprinzips in der E-Commerce-Richtlinie ist hingegen schwach (Rosenboom, Das Herkunftslandprinzip im europäischen Dienstleistungsrecht, S. 170; Nett, Wettbewerb im E-Commerce, S. 62), weil die E-Commerce-Richtlinie querschnittsartig auf alle Rechtsgebiete Anwendung findet, die von Diensten der Informationsgesellschaft berührt sind (Spindler, Herkunftslandprinzip und Kollisionsrecht – Binnenmarktintegration ohne Harmonisierung?, RabelsZ 66 (2002), S. 633, 638 f.).
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
Auch im Fall eines perfekt funktionierenden Herkunftslandprinzips besteht das Problem der Unterschiedlichkeit von Wettbewerbsbedingungen und insbesondere von Inländerdiskriminierung. Sofern im Rahmen materiellrechtlicher Harmonisierung konsequent auf die Qualität der Rechtsetzung geachtet wird, legt eine Betrachtung der Referenzgebiete nahe, den unmittelbaren Interessen des Rechtsverkehrs Vorrang gegenüber den (überwiegend wenig konkreten) Vorteilen von Systemwettbewerb einzuräumen.125 Dies entspricht der Zielrichtung des Primärrechts, wonach ein Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten, aber nicht Systemwettbewerb Ziel ist.126 Die Frage, wie mit dem zwischen Systemwettbewerb und dem Wettbewerb bestehenden Spannungsverhältnis127 umgegangen wird, ist damit im Grundsatz zu Gunsten einer Stärkung des Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten beantwortet.128 Damit ist die Wahl von Integrationsinstrumenten nicht am Ziel eines Systemwettbewerbs, sondern im Hinblick auf das Ziel der Schaffung eines möglichst optimalen Rahmens für einen Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten auszurichten. Instrumente dafür sind eine materiellrechtliche Harmonisierung oder der Einsatz sekundärrechtlicher 125
Anders: Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 292. 126 Vgl. Everling, Europäische Integration und Wettbewerb der Rechtsordnungen in Europa in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, in: Europäische Integration als Herausforderung des Rechts: Mehr Marktrecht – weniger Einzelgesetze, S. 41, 44 f.; W.-H. Roth, Wettbewerb der Mitgliedstaaten oder Wettbewerb der Hersteller?, ZHR 159 (1995), S. 78, 90; BarnardDeakin, Market Access and Regulatory Competition, Jean Monnet Working Paper 9/01, S. 3: „The stated aim of the EC rules on free movement is not regulatory competition, but market integration“; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 37 f.: „Weder die staatliche Souveränität, noch bundesstaatliche Bestandsgarantien der Länder, noch das Subsidiaritätsprinzip, noch die europäischen Grundfreiheiten samt Ursprungslandprinzip, noch die Privatautonomie können als Wettbewerbsgebote aufgefasst werden. Diese Prinzipien sind lediglich Bedingungen der Möglichkeit des Rechtswettbewerbs, aber nicht sein normativer Grund“; Mestmäcker, Diskussionsbeitrag, in: Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, S. 20, 20. 127 Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 217 ff.; Kerber, Wettbewerbsföderalismus als Integrationskonzept für die Europäische Union, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4(1) (2003), S. 43, 57 f.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 333, 350 ff.; W.-H. Roth, Wettbewerb der Mitgliedstaaten oder Wettbewerb der Hersteller?, Plädoyer für eine Neubestimmung des Art. 234 EGV, ZHR 159 (1995), S. 78 – 95; Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 588 f. 128 In diese Richtung: Behrens, Kommentar, JNPÖ 17 (1998), S. 231, 236. Anders: Kerber/ Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 455: „The crucial problem then is that the advantages of market integration tend to be overstated, while the advantages of decentralisation, regulatory autonomy, and regulatory competition are largely ignored“; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 221 f.; Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 2000, S. S217, S221.
B. Zusammenfassende Bewertung im technischen Sinn
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Herkunftslandprinzipien mit weit formulierten Marktzugangsrechten für Anbieter, die jedoch (wie mehrfach betont) eine umfangreichere begleitende Harmonisierung voraussetzen. Das Verlangen von Kerber, sowohl den Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten als auch von Staaten zu stärken,129 ist deshalb nicht zu verwirklichen130 und steht im Widerspruch zu dem Integrationsziel und insbesondere zum Ziel der Angleichung der Wettbewerbsbedingungen131. Im Interesse eine Überregulierung zu vermeiden, ist ein Rechtfertigungszwang für Maßnahmen materiellrechtlicher Harmonisierung im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EUV)132 grundlegend.133 Dabei muss der Unionsgesetzgeber eine vergleichende Bewertung von Integrationsinstrumenten vornehmen.134 Eine Effizienzbetrachtung (wie sie im Rahmen der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips geschehen kann135) erscheint ein lohnenswerter Ausgangspunkt zur Verbesserung der Gestaltung des EU-Mehrebenensystems. Es ist jedoch zweifelhaft, ob der EuGH136 aufgrund seines Eigeninteresses an einer Stärkung der europäischen Ebene137 die geeignete Instanz ist, eine wirksame Kontrolle der Einhaltung des 129
Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 217 ff., 221 f.; Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 18. 130 Vgl. auch: Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, S. 589. 131 Zu verschiedenen Stufen der Integration: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 351 – 356. 132 Vgl. Bast/von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 5 EUV Rn. 54 ff. (EL 41 Juli 2010). 133 Vgl. Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 96 ff. 134 Zur Folgenabschätzung: Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Regulierungsrecht, S. 281, 328 – 330 Rn. 133 – 135; Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 96 f.; Voßkuhle, Das Konzept des rationalen Staates, in: Governance von und durch Wissen, S. 13, 17. 135 Vgl. Bast/von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 5 EUV Rn. 57 (EL 41 Juli 2010); Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 34, 41 f. Calliess fordert einen „wertende(n) Vergleich zwischen zusätzlichem Integrationsgewinn und mitgliedstaatlichem Kompenzverlust“ (Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 42). Damit sind jedoch lediglich Teilelemente einer notwendigen Abwägung angesprochen. 136 Die Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips ist nunmehr anerkannt: Art. 8 Protokoll über die Rolle der Nationalen Parlamente in der Europäischen Union; Calliess, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 66; Bast/von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 5 EUV Rn. 58 (EL 41 Juli 2010); Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 94. 137 Vgl. Höpner, Usurpation statt Delegation, Wie der EuGH die Binnenmarktintegration radikalisiert und warum er politischer Kontrolle bedarf, MPIG Discussion Paper 08/12; Steindorff, Die Nichtigkeitsklage (Le recours pour excès de pouvoir) im Recht der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, S. 117; Bindschedler, Rechtsfragen der europäischen
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
Subsidiaritätsprinzips wahrzunehmen.138 Fraglich ist zudem, inwieweit aufgrund der Einschätzungsprärogative des Unionsgesetzgebers139 eine Kontrolle der Einhaltung auf gerichtlichem Wege überhaupt möglich ist.140 Zu begrüßen wäre die zusätzliche Kontrolle einer Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch eine Expertenkommission,141 wobei das Ergebnis einer solchen Untersuchung hinreichend transparent sein muss, um die politischen Akteure unter einen Handlungszwang zu setzen, der die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität garantiert.142 Zudem kann eine Transparenz in der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips dazu beitragen, die Akzeptanz der Bürger gegenüber EU-Recht stärken.143
C. Zusammenfassende Beschreibung eines Systemwettbewerbs vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip I. Einflussnahme der Anbieter auf den politischen Prozess Gesetzgeberische Maßnahmen im Zusammenhang mit institutioneller Mobilität werden vor allem vermittelt über die Anbieter von Waren und Dienstleistungen, die die Marktsituation beobachten und sich (insbesondere) bei Wettbewerbsnachteilen
Einigung, S. 231 Fn. 51; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, Europa zwischen einem Wettbewerb der Gesetzgeber und vollständiger Harmonisierung, S. 72 f. 138 Vgl. Kerber, Regulierung in föderalen Mehr-Ebenen-Systemen, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 1, 21; Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 91 f. 139 Constantinesco, „Subsidiarität“: Magisches Wort oder Handlungsprinzip der Europäischen Union?, EuZW 1991, S. 561, 563; Bast/von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 5 EUV Rn. 58 (EL 41 Juli 2010). 140 Vgl. Bast/von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 5 EUV Rn. 58 (EL 41 Juli 2010): „Zu Recht praktiziert der Gerichtshof deshalb eine zurückhaltende Kontrolle, die ein weites Ermessen der rechtsetzenden Organe bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips anerkennt“. 141 Apolte regt die Schaffung einer Kartellbehörde zur Verhinderung einer Kartellierung von Jurisdiktionen mittels Zentralisierung und materiellrechtlicher Harmonisierung an (Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 6). 142 Leschke/Möstl schlagen eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzip durch institutionelle Vorkehrungen im Gesetzgebungsverfahren vor (Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 92). 143 Vgl. Herzog, Europa neu erfinden, S. 16.
C. Zusammenfassende Beschreibung
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infolge nachteiliger Regulierungsanforderungen an politische Akteure wenden und um Abhilfe bitten.144 Im Bereich der Regulierung von Waren wird eine Einengung von Freiheiten der Produktgestaltung oder in der Vermarktung von Anbietern generell als nachteilig empfunden.145 Regulierungen, die unter Geltung des Bestimmungslandprinzips wettbewerbseinschränkend wirkten, stellen nunmehr für inländische Anbieter einen Wettbewerbsnachteil dar.146 Die Intensität des Wettbewerbs seitens von ausländischen Anbietern, die im Anwendungsbereich der Waren- und Dienstleistungsverkehrsfreiheit tätig werden und der Grad der Rechtsunterschiede bestimmen die tatsächliche ökonomische Belastung infolge von ungleichen Wettbewerbsbedingungen und insbesondere die tatsächliche ökonomische Belastung infolge von Inländerdiskriminierung.147 Die Stärke des Widerspruchs seitens der Anbieter gegen eine stärkere regulatorische Belastung steht jedoch nicht zwangsläufig in Korrelation zu der tatsächlichen ökonomischen Belastung der Anbieter. Auch dann, wenn aus Regulierungsunterschieden mangels einer relevanten Konkurrenz seitens ausländischer Anbieter keine Wettbewerbsnachteile drohen, nutzen Anbieter den Topos Inländerdiskriminierung, um die Legitimität missliebiger Regulierungen rechtspolitisch anzugreifen.148 Die Interessen verschiedener Anbieter müssen jedoch nicht gleichgerichtet sein, sondern verschiedene Anbietergruppen können unterschiedliche Interessen in Bezug auf die Ausgestaltung von Regulierungen besitzen. So lag eine Aufhebung der ZugabeVO und des RabattG im Interesse des E-Commerce, widersprach aber den Interessen des Einzelhandels. Etablierte Dienstleistungsanbieter, die ihre Zulassung aufgrund bestimmter Qualifikationsanforderungen erworben haben, besitzen kein Interesse an einer De144 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 407 f.; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 85 f. Zur Option Widerspruch: Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 25 ff. 145 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 297. 146 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 296 f. 147 BVerfG, Beschluss vom 05. 12. 2005, Az. 1 BvR 1730/02, GewArch 2006, S. 71, 72 f. Vgl. auch: Kleier, Freier Warenverkehr (Art. EWG-Vertrag) und die Diskriminierung inländischer Erzeugnisse, RIW 1988, S. 623, 630; Doris König, Das Problem der Inländerdiskriminierung – Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung ?, AöR 118 (1993), S. 591, 609 ff.; Götz, Anmerkung zu EuGH, Urteil v. 10. 3. 1994, Rs. C-132/93, Steen II, JZ 1994, S. 1061, 1062; Gerhardt, Zu neuen Entwicklungen der sogenannten Inländerdiskriminierung im Gewerberecht, GewArch 2000, S. 372, 376; Argumentation der österreichischen Bundesregierung, in: ÖstVfGH, 9. 12. 1999, Slg. 15683. 148 Vgl. EuGH, Urteil vom 28. 10. 1999, Rs. C-6/98, ARD/Pro Sieben, Slg. 1999, I-7599 ff.
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
regulierung dieser Anforderungen, weil ihnen diese Deregulierung im Verhältnis zu ausländischen Anbietern kostenmäßig keine Entlastung bringt und eine Deregulierung diese Anbieter einem schärferen Wettbewerb mit inländischen Wettbewerbern aussetzt. Soweit hingegen eine faktische Rechtswahlfreiheit besteht, sind die Interessen der Anbieter von Waren und Dienstleistungen nicht entscheidend für die Rechtsentwicklung.149
II. Grundsätzlich keine Bedeutung von Standortverlagerungen Standortverlagerungen von Warenanbietern und Dienstleistungsanbietern spielen grundsätzlich keine Rolle.150 Der Aufwand einer Standortverlagerung steht für Warenanbieter oft in keinem Verhältnis zu den Vorteilen einer Regulierungsarbitrage. Zudem sind Warenanbieter in Bezug auf Auslandsmärkte unter Geltung des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips nicht an das inländische Regulierungsniveau gebunden, vielmehr können sie Waren nach dem Recht des Erstvermarktungsortes in den Verkehr bringen.151 Eine Standortverlagerung aus regulatorischen Gründen kommt deswegen überhaupt nur im Hinblick auf den ursprünglichen Inlandsmarkt in Betracht. Im Dienstleistungsbereich können Regulierungsunterschiede (wie im Hinblick auf Qualifikationsanforderungen) zwar eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung besitzen, jedoch sind Regulierungsarbitragen mittels Standortverlagerungen aufgrund der Umgehungsrechtsprechung deutliche Grenzen gesetzt.152 Aufgrund der grundsätzlich fehlenden Möglichkeiten einer Standortverlagerung kommt dem politischen Widerspruch153 entscheidende Bedeutung zu.154
149 Die Anbieter von Waren und Dienstleistungen drängen zum Beispiel nicht auf eine bessere Ausgestaltung nationalen Vertragsrechts oder drängten nicht auf die Schaffung der „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“. 150 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), S. 405, 408, 411; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 59, 353; Radaelli, The Puzzle of Regulatory Competition, Journal of Public Policy 24(1) (2004), S. 1, 3. 151 Teil 2 § 8 E.; Teil 3 § 16 C. I. 152 Vgl. Teil 2 § 8 F. I. 153 Vgl. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, S. 25 ff. 154 Gerken, Ursprungslandprinzip, Wettbewerb der Staaten und Freiheit, ORDO 50 (1999), 405, 411.
C. Zusammenfassende Beschreibung
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III. Rolle der Nachfrager im Systemwettbewerb 1. Intransparenz von Regulierungsunterschieden aus Perspektive von Nachfragern Es kann entgegen dem dargestellten Modell eines funktionierenden Systemwettbewerbs, das das Bild von rational-allwissenden Nachfragern zugrundelegt155, in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass Unterschiede in der Regulierung von Waren und Dienstleistungen für Nachfrager transparent sind. Vermutlich ist das Wissensproblem der Nachfrager größer als das von der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie betonte Wissensproblem des Gesetzgebers. Zudem stellt sich, wenn entsprechende Informationen über Regulierungsunterschiede vorhanden sein sollten, die Frage, inwieweit Nachfrager diese Unterschiede bewerten können, womit auf die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie verwiesen wird.156 Trotz der weitgehenden Intransparenz von Regulierungsunterschieden drohen für Nachfrager bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips aufgrund der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der Mindestharmonisierung (dessen Ansatz nicht die „Formulierung des kleinsten gemeinsamen Nenners der Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene“ verfolgt157, sondern auf ein hohes Schutzniveau abzielt158) keine substanziellen Schutzlücken.159 Im Hinblick auf das 155 Vgl. Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 90; Giersch, Europa 1992 – Ordnungspolitische Chancen und Risiken, Aussenwirtschaft 45 (1990), S. 7, 11; Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozess, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 225; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: FS Mestmäcker, S. 521, 523; Koenig/Braun/Capito, Europäischer Systemwettbewerb durch Wahl der Rechtsregeln in einem Binnenmarkt für mitgliedstaatliche Regulierungen?, EWS 1999, S. 401, 401. Anders: Streit, Systemwettbewerb und Harmonisierung im europäischen Integrationsprozeß, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 231; H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 47; H.-W. Sinn, How much Europe?, Subsidiarity, Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85, 103 f. 156 Vgl. Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken; Zimmer, Vom Informationsmodell zu Behavioral Finance: Brauchen wir „Ampeln“ oder Produktverbote für Finanzanlagen?, JZ 2014, S. 714, 715 ff., 718 ff. Die Vertreter der Systemwettbewerbstheorie könnten zwecks Abbau der Intransparenz von Regulierungsunterschieden und den Schwierigkeiten ihrer Bewertung auf den Gedanken kommen, Regulierungsunterschiede mittels einer „Ampel“ zu kennzeichnen (vgl. Zimmer, Vom Informationsmodell zu Behavioral Finance: Brauchen wir „Ampeln“ oder Produktverbote für Finanzanlagen?, JZ 2014, S. 714, 720 f.), sofern Regulierungsunterschiede auf diese Weise überhaupt darstellbar sind. 157 Schroeder/Kostenzer, Wissenschaftsbasierte Regulierung im EU-Produktrecht, EuR 2013, S. 389, 391. 158 Art. 141 Abs. 3 AEUV; Schroeder/Kostenzer, Wissenschaftsbasierte Regulierung im EU-Produktrecht, EuR 2013, S. 389, 389. 159 Anders: H.-W. Sinn, Das Selektionsprinzip und der Systemwettbewerb, in: Fiskalföderalismus in Europa, S. 9, 47. Vgl. auch: H.-W. Sinn, How much Europe?, Subsidiarity,
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
Ziel des Verbraucherschutzes ist es aufgrund der Annahme des Leitbildes eines mündigen Verbrauchers durch den EuGH zwar zu einer Abschwächung des Schutzniveaus gekommen,160 jedoch sind nationale Gerichte befugt, Sachverständigengutachten anfertigen zu lassen und damit die tatsächliche Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern in der Realität zu bestimmen.161 2. Oft untergeordnete Bedeutung von Regulierungen auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten Regulierungen besitzen im Vergleich zu den unternehmerisch geprägten Eigenschaften von Waren und Dienstleistungen grundsätzlich eine untergeordnete Bedeutung im Rahmen von Nachfrageentscheidungen, wenn Regulierungen sich nicht auf den Preis des Angebotes auswirken. Im Ausnahmefall kann der Wettbewerb jedoch durch regulierungsbedingte Eigenschaften von Waren und Dienstleistungen entschieden werden. Bedeutsam waren Regulierungsunterschiede z. B. im Hinblick auf den erfolgreichen grenzüberschreitenden Vertrieb britischer Lebensversicherungen und im Fall des deutschen Reinheitsgebotes für Bier. Sofern strengere Regulierungen (wie im Fall des Reinheitsgebotes für Bier) Wettbewerbsvorteile begründen, können sich auch ausländische Anbieter zumindest für deren Exportproduktion grundsätzlich an diesen Anforderungen orientieren.162
IV. Staatliche Responsivität Die politischen Akteure – als Vertreter der Staaten163 – sind grundsätzlich bereit, den Forderungen der inländischen Anbieter nach Deregulierung nachzukommen, wenn infolge des inländischen Regulierungsniveaus Wettbewerbsnachteile und eine Inländerdiskriminierung drohen.164 Politische Akteure müssen im Rahmen ihrer Centralization and Fiscal Competition, Scottish Journal of Political Economy 41(1) (1994), S. 85, 103 f. Zur Risikovorsorge des Unionsgesetzgebers in Bezug auf Harmonisierungsmaßnahmen: Schroeder/Kostenzer, Wissenschaftsbasierte Regulierung im EU-Produktrecht, EuR 2013, S. 389 – 408. 160 Vgl. Teil 2 § 8 A. III. 161 Vgl. Teil 2 § 8 A. III. 162 Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, RabelsZ 59 (1995), S. 1 – 55. 163 Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, S. 7; Wurzbacher, Welthandelsrecht als Wettbewerbsordnung des Systemwettbewerbs, S. 27. 164 Daumann, Zur Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in einem Gemeinsamen Markt, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 39 (1994), S. 281, 297. Ein Wissensproblem der politischen Akteure im Hinblick auf die regulatorischen Präferenzen der Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen besteht aufgrund der Bedeutung der Interessengruppen im Systemwettbewerb grundsätzlich nicht. Anders: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 88.
C. Zusammenfassende Beschreibung
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Entscheidung über die Anpassung des Reglierungsniveaus unter Umständen gegenläufige Interessen zwischen verschiedenen inländischen Anbietergruppen berücksichtigen. Der Gesetzgeber entscheidet sich (aus politökonomischer Sicht bemerkenswert) nicht zwingend zugunsten der zahlenmäßig stärksten Gruppe. Der deutsche Gesetzgeber hob etwa die ZugabeVO und des RabattG gegen die Interessen des Einzelhandels auf.165 Politische Akteure gehen laut der Begründung von Gesetzesentwürfen und Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren vorschnell von der Möglichkeit regulatorischer Standortverlagerungen aus; zumindest rechtfertigen sie Deregulierungsmaßnahmen mit möglichen Standortverlagerungen und daraus resultierender negativer volkswirtschaftlicher Effekte (wie verminderten Steuereinnahmen und Arbeitsplatzverlusten).166 Dies kann eine bewusst eingesetzte Strategie politischer Akteure sein, eine Deregulierung voranzutreiben und sich präventiv gegen den Vorwurf einer ungerechtfertigten regulatorischen Begünstigung von Anbietern zu verteidigen. Eine einseitige regulatorische Begünstigung der Anbieter von Waren und Dienstleistungen in Form einer Vernachlässigung von Schutzzielen findet nicht statt.167 Vielmehr bezieht der deutsche Gesetzgeber die Gemeinwohlverträglichkeit einer Deregulierung mit in seine Überlegungen ein und ist grundsätzlich bereit, nichtmarktkonforme Ziele zu berücksichtigen. In Abwägung der Interessen der Anbieter an einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen einerseits und Gemeinwohlbelangen andererseits ist der deutsche Gesetzgeber aber bereit, das Verbraucherschutzniveau abzuschwächen. Einfluss auf diese gesetzgeberische Abwägung hat die Wettbewerbsintensität seitens von ausländischen Anbietern, die unter Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung geringeren Regulierungsanforderungen unterliegen. Je stärker die Wettbewerbsnachteile zu Lasten heimischer Anbieter sind, desto eher wird der Gesetzgeber zu einer Deregulierung bereit sein. Zudem kann das ursprünglich verfolgte Schutzkonzept Einfluss auf die Abwägung besitzen, denn der Gesetzgeber kann sich schwer tun, von heute auf morgen Abschied von festgefügten Regulierungsvorstellungen zu nehmen. Sofern sich eine Marktöffnung auf hochregulierte Bereiche bezieht, ist vor diesem Hintergrund mit einer schrittweisen Deregulierung bzw. Angleichung zu rechnen. Ungeachtet der Berücksichtigung von Gemeinwohlinteressen seitens der Gesetzgeber, kommt den Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der flankierenden Mindestharmonisierung erhebliche Bedeutung zu. Auch im Fall von benevolenten Gesetzgebern, die Gemeinwohlbelange ins Zentrum ihres Han165
Vgl. Teil 2 § 11 D. I. Zu den Folgen von Standortverlagerungen für einzelne Orte vgl. Kotler/Haider/Rein, Standortmarketing, S. 16 f. Im Extremfall können Staaten bzw. Gebietskörperschaften in Folge von Abwanderungen ihre wirtschaftliche Grundlage verlieren. Dies zeigt sich am Beispiel der Stadt Detroit (o. V., Detroits Rekordpleite am Ende eines langen Niedergangs, FAZ vom 20. 07. 2013, S. 14. 167 Anders ist dies im Systemwettbewerb der US-amerikanischen Einzelstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts. 166
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
delns stellen und an einem höheren inländischen Regulierungsniveau festhalten, kann ein Verdrängungswettbewerb168 zu Lasten deutscher Anbieter drohen, indem inländische Regulierungen über gravierende Wettbewerbsnachteile inländischer Anbieter weitgehend zur Seite gedrängt werden. Ein solcher Verdrängungswettbewerb hätte bei Festhalten am Herkunftslandprinzip in Bezug auf die Entsendung von Arbeitnehmern auf dem Bauarbeitsmarkt zu Lasten deutscher Arbeitnehmer gedroht. Wenn wettbewerbsbeschränkende Regulierungen Ausdruck von rent-seeking sind, und diese Regulierungen unter den Rahmenbedingungen institutioneller Mobilität fallen bzw. eingeschränkt werden, kann von einer machtbegrenzenden Wirkung von Systemwettbewerb gesprochen werden. Folge der Rechtsentwicklung ist in Abwesenheit eines wettbewerblichen Vorstoßens und Nachziehens169 eine Gleichgewichtsbildung. Es kann (bei aller fehlenden sprachlichen Präzision dieses Begriffs) von einer Ex-post Harmonisierung gesprochen werden. Die Entwicklung von institutionellen Innovationen spielt grundsätzlich keine Rolle. Systemwettbewerb kommt grundsätzlich keine Bedeutung zur Entdeckung von Wissen zu, da die Rechtsentwicklung infolge von institutioneller Mobilität weitgehend vorhersehbar ist. Auch die Präferenzen der institutionellen Nachfrager sind erkennbar. Ein (drohender) Systemwettbewerb begünstigt eine materiellrechtliche Harmonisierung auf EU-Ebene,170 da ein systemwettbewerblicher Anpassungsdruck Interessengegensätze der Mitgliedstaaten abschwächt und über eine Ex-post Harmonisierung eine Grundlage für eine Harmonisierung auf EU-Ebene schafft. Soweit Systemwettbewerb zu einer suboptimalen Deregulierung führt, ist eine materiellrechtliche Harmonisierung wahrscheinlich.171 Ein „race to the bottom“ ist aufgrund der bestehenden Mindestharmonisierung und der fortlaufenden Harmonisierungsaktivitäten der EU nicht zu erwarten; wahrscheinlicher ist ein „race to harmonization“.172 168
S. 32. 169
Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt,
Zur evolutorischen Wettbewerbstheorie: Kerber, Wettbewerb als Hypothesentest: Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29 – 78. 170 Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 454 f.; Taschner, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorbem. zu den Artikeln 94 bis 97 EG Rn. 1. 171 Vgl. Vaubel, Die politisch-ökonomischen Ursachen der Zentralisierungsdynamik, Wirtschaftsdienst 2007, S. 84 – 88. 172 Vgl. in Bezug auf die Rechtsentwicklung in nationalen GmbH-Rechten verschiedener EU-Mitgliedstaaten: Hirschfeld, Die niederländische „bv“ nach dem Gesetz zur Vereinfachung und Flexibilisierung des bv-Rechts (flex-bv), RIW 2013, S. 134, 142.
D. Kritik an der gegenwärtigen Betrachtung von Systemwettbewerb
711
Auch wenn anstatt des europarechtlichen Herkunftslandprinzips ein System von Rechtswahlfreiheit geschaffen wird (und damit inländische Anbieter nicht länger auf eine Angleichung von regulatorischen Wettbewerbsbedingungen drängen), ist es wahrscheinlich, dass es seitens des deutschen Gesetzgebers zu gesetzgeberischen Maßnahmen kommen wird, um die Attraktivität des heimischen Regulierungssystems zu steigern. Die Schaffung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) und der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung verdeutlicht diesen Zusammenhang. Soweit der Gesetzgeber in Rechtsbereichen Steuerungsziele verfolgt, wird eine Abwahl eigenen Rechts generell als unerwünscht empfunden, was zu einer gesetzgeberischen Anpassung mitgliedstaatlicher Regulierungen führen kann.
D. Kritik an der gegenwärtigen Betrachtung von Systemwettbewerb I. Kritik am ökonomischen Ansatz Eine Übertragung der Funktionen des Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten auf einen Wettbewerb der Staaten, die Annahme, dass mitgliedstaatliche Regulierungen grundsätzlich als Ausdruck von Interessengruppenpolitik charakterisiert werden können, dass materiellrechtliche Harmonisierung grundsätzlich als negativ zu bewertende „Kartellierung“ anzusehen ist und dass eine allgemeine Deregulierung wünschenswert ist,173 sind kühne Thesen der Theorie eines funktionierenden Systemwettbewerbs174. Die ökonomische Theorie hat sich damit sehr weit vorgewagt und auf einer unzureichenden Begründungsbasis175 umfangreiche rechtspolitische Folgerungen im Sinne einer Stärkung institutioneller Mobilität und einer Zurückdrängung von materiellrechtlicher Harmonisierung erhoben.176 Symptomatisch für die Schwächen der ökonomischen Theorie ist die Annahme einer Standortrelevanz unterschiedlicher Produktregulierungen, obwohl schon aus theoretischen Überlegungen (Kosten von Standortverlagerungen und Bündelung von 173 Vgl. Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44(2) (1995), S. 113 – 134. 174 Vgl. H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 7; M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 97: „[Streit] bleibt aber den formalen Beweis für die positiven Wirkungen schuldig“. 175 Vgl. auch die allgemeine Kritik an der wirtschaftswissenschaftlichen Modellbildung bei: Sedlácˇek/Orrell, Bescheidenheit vgl. etwa: Sedlácˇek, in: Sedlácˇek/Orrell, Bescheidenheit, S. 107 f. „Und dann ziehen sie in einem einzigen Satz – und manchmal ist es nicht einmal ein ganzer Satz – eine grundsätzliche Schlussfolgerung. Und anschließend machen sie einfach weiter, ohne Beweise, ohne Argumentation“. (S. 108). 176 Vgl. Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199 – 230.
712
§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
Standortfaktoren in große Pakete)177 erkennbar ist, dass regulierungsbedingten Standortverlagerungen in vielen Bereichen erhebliche Grenzen gesetzt sind.178 Grundsätzlich zu kritisieren ist die oft fehlende Thematisierung von Wissensproblemen auf Seiten der Nachfrager im Hinblick auf Regulierungsunterschiede,179 obwohl sich derartige Wissensprobleme unter Zugrundelegung der Informationsökonomie und Verhaltensökonomie geradezu aufdrängen. Zu kritisieren ist auch, dass Apolte für seine These, dass sich das Wissensproblem auf Ebene eines Wettbewerbs der Staaten vom Wissensproblem auf der Ebene eines Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten unterscheidet, keine Beispiele nennt.180 Auch der europarechtliche Rahmen wird von der ökonomischen Theorie kaum beachtet. Es wird von den Modellen eines funktionsfähigen Systemwettbewerbs nicht erfasst, dass Waren nach dem Recht des Erstvermarktungsortes (und nicht ausschließlich nach dem Recht des Produktionsortes) verkehrsfähig sind und H.-W. Sinn übersieht in seinem Selektionsmodell die Schranken des europarechtlichen Herkunftslandprinzips. Die Bedeutung der Umgehungsrechtsprechung in Bezug auf die Erbringung von Dienstleistungen wird von der Modellbildung unterschlagen. Schon auf theoretischer Ebene lassen sich die Wettbewerbsfunktionen181 nur eingeschränkt auf Systemwettbewerb übertragen,182 und die Betrachtung hat gezeigt, dass die Systemwettbewerbsfunktionen lediglich zum Teil eine Bestätigung finden183. Insbesondere findet die These eines evolutorischen Systemwettbewerbs im europäischen Kontext grundsätzlich keine Bestätigung. Soweit infolge des Wett177
Vgl. Apolte, Chancen und Risiken nationaler Wirtschaftspolitik bei hoher Kapitalmobilität, in: Standortwettbewerb, wirtschaftspolitische Rationalität und internationale Ordnungspolitik, S. 24 – 26; Feldstein/Baccetta, National Saving and international Investment, NBER Working Paper Series Working Paper No. 3164; Gordon/Bovenberg, Why is Capital So Immobile Internationally? Possible Explanations and Implications for Capital Income Taxation, The American Economic Review 86(5) (1996), S. 1057 – 1075. 178 Vgl. aber: Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 25, 36; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 213. 179 Vgl. aber: Streit/Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, S. 13, 35 – 37. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht: Leible, Kollisionsrecht und vertikaler Regulierungswettbewerb, RabelsZ 76 (2012), S. 373, 383. 180 Vgl. Apolte, Wettbewerb versus Harmonisierung im Verbraucherschutz, German Working Papers in Law and Economics Vol. 2007, Paper 10, S. 14 ff. 181 Vgl. H. Arndt, Kapitalismus, Sozialismus, Konzentration und Konkurrenz, S. 69 ff. Zusammenfassend: Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, B. VI. 1.), S. 68 f. 182 Vgl. Teil 1 § 4 D. 183 Apolte weist deshalb zu Recht darauf hin, dass den Unterschieden zwischen einem Systemwettbewerb und dem Wettbewerb zwischen Privatrechtssubjekten zu wenig Beachtung geschenkt wird (Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 6).
D. Kritik an der gegenwärtigen Betrachtung von Systemwettbewerb
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bewerbs der US-amerikanischen Bundesstaaten ein wettbewerbliches Vor- und Nachziehen184 zu beobachten ist, führt dies nicht zu begrüßenswerten Fortschritten in der Rechtsentwicklung im Sinne einer Machtbegrenzung und einer positiv zu bewertenden Rechtsevolution, sondern zu einem „race to the bottom“ im Sinne einer übermäßigen Deregulierung zu Lasten der Gläubiger, weswegen hier von einer systemwettbewerblichen Interessengruppenpolitik gesprochen werden kann. Die Systemwettbewerbsmodelle erfassen deshalb die Realität nur unvollkommen, eingeschränkt und zum Teil fehlerhaft. Der Hamburger Rechtswissenschaftler Behrens kritisiert deshalb im Zusammenhang mit dem Thema Systemwettbewerb zu Recht, dass Ökonomen zu Übervereinfachungen neigen, woraus sich die Gefahr ergibt, „daß man über Konstrukte diskutiert und nicht reale Phänomene analysiert“.185 Insgesamt erscheint die Berechtigung der Marktanalogie bei Betrachtung der in den Referenzgebieten zu beobachtenden Systemwettbewerbsfunktionen zweifelhaft.186 Es droht bei Zugrundelegung der Marktanalogie eine Überhöhung der nutzenstiftenden Kraft von Systemwettbewerb.187 In diesem Zusammenhang steht das Problem einer Immunisierung gegen mögliche Probleme infolge von Systemwettbewerb durch den allgemeinen Verweis auf den Ordnungsrahmen.188 Ein solcher allgemeiner Verweis ist Ausdruck der Marktanalogie und unterstellt die grund184 Vgl. Hoppmann, Wettbewerb als Norm der Wettbewerbspolitik, ORDO 18 (1967), S. 77, 89 f.; Kerber, Eine evolutorische Konzeption wissenschaffenden Wettbewerbs, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 29, 40 f. Vgl. RG, Urteil vom 27. 3. 1936, Az. II 229/35, JW 1936, S. 2073, 2074. 185 Behrens, Kommentar, JNPÖ (1998), S. 231, 231. Zur Kritik an ökonomischer Modellbildung: Heuser, Einstützende Altbauten, Zeit Online, 19. 04. 2012 (im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise); Heuser, Humanomics, Die Entdeckung des Menschen in der Wirtschaft, S. 223 – 225; Tiefenbach, Der Beitrag der ökonomischen Theorie zur Frage des guten Lebens. Auf Seiten von Juristen besteht hingegen die Gefahr, dass diese sich an Details klammern. Vgl. auch die vernichtende Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts bei: Fezer, Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986, 817, 823 f. „Eine wesentliche Ursache, die zur Eigenständigkeit rechtlicher Kategorien zur Wirklichkeitsgestaltung durch Recht zwingt, ist der Modellcharakter der ökonomischen Modellbildung. Die Utopie des Coase-Theorems darf nur das Recht nicht Anlaß zur Korrektur der Wirklichkeit werden, vielmehr bedarf das Recht lebensnaher Theorien zur Wahrnehmung seiner praktischen Aufgaben“ (S. 823); Fezer, Nochmals: Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts, JZ 1988, S. 223, 224. 186 H.-W. Sinn hält die Marktanalogie für irreführend (H.-W. Sinn, The New Systems Competition, S. 7). Peters spricht von einem „gewissen analytischen Nutzen“ (Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 25). 187 Die Rechtswissenschaft wurde für ihre frühere Fixierung auf Begriffe unter Vernachlässigung der Lebenssachverhalte kritisiert (vgl. Joost, Eine vergangene Zukunft der Rechtswissenschaft, JZ 1995, S. 11 – 15). 188 Vgl. Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 100 f. Zum „Problem der methodologischen Abschottung“: Tiefenbach, Der Beitrag der ökonomischen Theorie zur Frage des guten Lebens, S. 10 f.
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
sätzliche Vorteilhaftigkeit von Systemwettbewerb und ist deswegen sehr problematisch. Die Aussagen der Systemwettbewerbsfunktionen erscheinen zudem wenig prägnant. So ist nicht klar, welches Maß an Deregulierung die Deregulierungsfunktion und welches Maß an Rechtsangleichung die Ex-post Harmonisierungsfunktion voraussetzen. Im Rahmen der Präferenzanpassungsfunktion und Deregulierungsfunktion ist eine Gesamtbewertung der Rechtsentwicklung vorzunehmen, so dass die Annahme einer Deregulierungsfunktion und Präferenzanpassungsfunktion jeweils ein Teilaspekt einer positiven Bewertung von Systemwettbewerb sind. Die Präferenzanpassungsfunktion und Deregulierungsfunktion tragen aber nicht dazu bei, Anhaltspunkte zur Bewertung von Systemwettbewerb zu gewinnen. Zweck der Marktanalogie ist es jedoch gerade, die positiv zu bewertenden Folgen von Systemwettbewerb zu begründen. Auf theoretischer Ebene ist es zukünftig sinnvoll, nicht von einer Marktanalogie (mit der bestimmte Erwartungen verbunden sind189) zu sprechen, sondern konkret die Erwartungen von Systemwettbewerb zu formulieren, um darauf aufbauend die rechtspolitische Diskussion zu führen. Dafür spricht auch, dass die Funktionen des Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten nur sehr beschränkt auf den Systemwettbewerb übertragbar sind190. Ein derartiger Ansatz würde dazu zwingen, die Erwartungen an Systemwettbewerb konkret darzulegen anstatt die Vorteilhaftigkeit von Systemwettbewerb mit der Marktanalogie zu begründen. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, die Diskussion über Systemwettbewerb vor allem auf empirischer Basis zu führen, um die dargestellten Modelle und insbesondere das Modell eines funktionsfähigen Systemwettbewerbs einer Bewährungsprobe191 auszusetzen. Ein solcher Ansatz kann auch aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft attraktiv sein. Nach von Hayek wird der Wirtschaftswissenschaft „etwas von der Würde und dem Ansehen der exakten Naturwissenschaften zugestanden“192 und ein verstärkt empirisches Vorgehen kann diesen Anspruch untermauern. Ein solcher Ansatz besitzt darüber hinausgehend allgemein für eine
189 Vgl. Cohen, Posnerian Jurisprudence and Economic Analysis of Law: The View from the Bench, University of Pennsylvania Law Review 133 (1985), S. 1117, 1164; Lutter, Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, in: Europäischer Binnenmarkt im Wettbewerb der Rechtssysteme, S. 24; Tjiong, Breaking the Spell of Regulatory Competition – Reframing the Problem of Regulatory Exit, RabelsZ 66 (2002), S. 66, 78: „The concept of regulatory market leads economists to associate regulatory competition with well-defined ideals of allocative efficiency […]“. 190 Teil 1 § 4 D. 191 Vgl. Popper, Logik der Forschung, S. 198 ff. (X. Kapitel). 192 von Hayek, Die Anmaßung von Wissen, in: Die Anmaßung von Wissen, Neue Freiburger Studien, S. 3, 3. Vgl. auch: Sombart, Die drei Nationalökonomien, Geschichte und System der Lehre von der Wirtschaft, S. 122.
D. Kritik an der gegenwärtigen Betrachtung von Systemwettbewerb
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Förderung der Rückkopplung zwischen Wirtschaftswissenschaft und Realität Bedeutung.193 Ein solcher Ansatz würde dazu beitragen, die Diskussion auf gemeinsame Grundlagen zurückzuführen und die Bedeutung unterschiedlicher Vorverständnisse zurückzudrängen. Auf diesem Ansatz aufbauend sind die Modelle eines Systemwettbewerbs zu prüfen und unter Beachtung tatsächlichen europarechtlichen Rahmenbedingungen umzuformulieren.194 Damit ist ein erster Schritt getan, aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm195 herauszutreten und Systemwettbewerb differenzierter zu betrachten. Die auf dieser Grundlage formulierten Modelle werden wahrscheinlich eine vermittelnde Position in Bezug auf die Folgen eines Systemwettbewerbs einnehmen.196 Die Theorie eines funktionierenden Systemwettbewerbs ist letztlich Ausdruck des Optimismus der Mehrheit von Ökonomen in Bezug auf die Funktionsfähigkeit von Märkten197 und der Ansicht, dass der Marktmechanismus als universelles Steuerungsmittel in Betracht kommt.198 Dieser Optimismus hat vor allem infolge der Finanzmarktkrise stark gelitten199 und es bleibt abzuwarten inwieweit dieser Vertrauensverlust Rückwirkungen auf die Diskussion um Systemwettbewerb zeitigt. Die Finanzmarktkrise sollte zudem Anlass sein, Modelle der Wirtschaftswissenschaften kritisch zu hinterfragen.200
193 Sombart betrachtet die Nationalökonomie als „Soziologie, das heißt [als] eine Wissenschaft vom menschlichen Zusammenleben“ (Sombart, Die drei Nationalökonomien, Geschichte und System der Lehre von der Wirtschaft, S. 177). 194 Allgemein zum ökonomischen Ansatz: Heuser, Humanomics, Die Entdeckung des Menschen in der Wirtschaft, S. 223 – 225. 195 Vgl. den Titel: Mayer, Die Ökonomen im Elfenbeinturm, Eine „österreichische“ Antwort auf die Finanz- und Eurokrise. 196 Vgl. Heuser, Humanomics, Die Entdeckung des Menschen in der Wirtschaft, S. 223: „Vielleicht wird ja die öffentliche Debatte bald befreit vom platten Geschrei für und wider den freien Markt. Es wäre eine Erlösung“. 197 Vgl. Stiglitz, Im freien Fall, Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft, S. 303: „Die Wirtschaftswissenschaft war – mehr als es die Volkswirte selbst wahrhaben wollten – von einer wissenschaftlichen Disziplin zum größten Cheerleader der freien Marktwirtschaft geworden“. Zum Gedanken einer „unsichtbaren Hand“ in Bezug auf den politischen Wettbewerb vgl. die Darstellung bei: Brettschneider, Nutzen der Ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 41 ff. 198 Vgl. Kirchhof, Freiheitlicher Wettbewerb und staatliche Autonomie – Solidarität, ORDO 56 (2005), S. 39, 42. 199 Vgl. Zimmer, Weniger Politik!, Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht, S. 79 ff. 200 Vgl. Stiglitz, Im freien Fall, Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft, S. 303; Sedlácˇek/Orrell, Bescheidenheit; Mayer, Die Ökonomen im Elfenbeinturm, S. 11 ff.
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Nicht zuletzt sollten die Vertreter der Wirtschaftswissenschaft berücksichtigen, welche Effekte wirtschaftspolitische Entscheidungen konkret auf das Leben der Menschen haben. So sollte insbesondere eine Forderung des Abbaus von „Systemverkrustung“201 und immer mit der Überlegung flankiert werden, welche sozialen Härten sich daraus ergeben und wie diese Härten abgefedert werden können. Momentan besteht bei Zugrundelegung der normativen Theorie der Regulierung jedoch kein Anlass, die soziale Seite überhaupt in die Betrachtung einzubeziehen.202 Die soziale Seite ist vielmehr ein sachfremdes Kriterium.
II. Kritik am rechtswissenschaftlichen Ansatz Die Kritik trifft jedoch nicht ausschließlich nur die ökonomische Modellierung von Systemwettbewerb, sondern auch die deutsche Rechtswissenschaft, in deren Rahmen (anders als in den USA203) die Frage nach den realen Folgen des Rechts zu wenig gestellt wird204 und vor allem eine Betrachtung aus normativer Perspektive
201
Vgl. Streit, Dimensionen des Wettbewerbs – Systemwandel aus ordnungsökonomischer Sicht –, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 44 (1995), S. 113, 114 ff. 202 Brettschneider, Zur rechtspolitischen Orientierungskraft der normativen Theorie der Regulierung, bislang unveröffentlichter Aufsatz. 203 Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus; Fikentscher, Wissenschaft und Recht im Kulturvergleich, in: Das Proprium der Rechtswissenschaft, in: Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 77, 81 f.; Grechenig/Gelter, Divergente Evolution des Rechtsdenkens – Von amerikanischer Rechtsökonomie und deutscher Dogmatik, RabelsZ 72 (2008), S. 513, 522 ff. Vgl. zu dem Nichtvorhandensein einer einheitlichen Rechtswissenschaft: Jestaedt, Wissenschaft im Recht, JZ 2014, S. 1, 2: „Bisweilen mag es scheinen, dass Rechtswissenschaftler aus unterschiedlichen Rechtskulturen auch substanziell unterschiedliche Disziplinen betrieben, ein Austausch zwischen ihnen daher in der Sache nach nichts anderes ist als ein fremd- oder auch interdisziplinärer Kontakt – mit all’ seinen Problemen und Hindernissen“. Jestaedt regt vor diesem Hintergrund eine „Rechtswissenschaftsvergleichung“ an, die nach Jestaedt gerade „im rechtswissenschaftlich zusammenwachsenden Europa […] zum Beruf unserer Zeit [werden dürfte]“ (Jestaedt, Wissenschaft im Recht, JZ 2014, S. 1, 12). 204 Vgl. Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie, S. 121 ff.; van Aaken, Normative Grundlagen der ökonomischen Theorie im öffentlichen Recht, in: Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, S. 89: „Die Rechtswissenschaft, inklusive der Gesetzgebung, ist von einer methodischen Betrachtung der Wirkungen bzw. Realfolgen des Rechts noch weit entfernt […]“; Engel/Schön, Vorwort, in: Das Proprium der Rechtswissenschaft 2007, S. IX, IX (HiO): „Juristen schreiben nicht auf Englisch. Juristen veröffentlichen keine discussion papers. Juristen stellen ihre Texte nicht im Internet zur Verfügung. Juristische Aufsätze sind nicht peer reviewed. Juristen achten nicht auf den impact factor. Juristen finanzieren ihre Forschung nicht aus Drittmitteln. Juristen haben keine Sonderforschungsbereiche Juristen schreiben keine Modelle. Juristen verwenden keine Mathematik. Juristen falsifizieren keine Hypothesen. Juristen nutzen keine Statistiken. Juristen führen keine Interviews. Juristen machen keine Experimente“ (HiO).
D. Kritik an der gegenwärtigen Betrachtung von Systemwettbewerb
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erfolgt205. Voßkuhle stellt insofern fest, „dass Juristen selbst bei einfach gelagerten Sachverhalten erkenntnistheoretisch wie forschungspraktisch kaum in der Lage sind, Impact oder Outcome ihrer Entscheidung zu prognostizieren und ihre Entscheidung an deren antizipierten Folgen zu orientieren“.206 Dies kann im Zusammenhang der Bewertung institutioneller Mobilität (wie sie infolge des europarechtlichen Herkunftslandprinzips gegeben ist) dazu führen, dass die tatsächliche Relevanz von Regulierungsunterschieden für Nachfrageentscheidungen und einen Standortwettbewerb der Mitgliedstaaten überschätzt wird.207 Eine Betrachtung der realen Folgen von Recht ist aufwendig, sie sollte aber nicht ausschließlich anderen Disziplinen überlassen werden208, vielmehr ist eine disziplinäre Öffnung der Rechtswissenschaft zu anderen Disziplinen wünschenswert209. Es wäre begrüßenswert, wenn die Bedeutung der ökonomischen und soziologische Grundlagen des Rechts anerkannt würden210 und und wenn im Jurastudium diese Fächer vermehrt gelehrt und geprüft werden.211 Mit der Einbeziehung der Wirklichkeitsdimension des Rechts könnten Juristen in Zukunft zusätzliche Maßstäbe für rechtspolitische Entscheidungen gewinnen.212 Hilfreich wäre es zudem, wenn rechtswissenschaftliche Diskussionen 205
Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 195 ff.; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 52; Jestaedt, Wissenschaft im Recht, JZ 2014, S. 1, 2 f. 206 Voßkuhle, Andreas, § 1 Neue Verwaltungswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, Rn. 33. Vgl. die abwertende Bewertung der (US-amerikanischen) Rechtswissenschaft durch Coase: „Much, and perhaps most, legal scholarship has been stamp collecting“ (Coase, Law and Economics at Chicago, Journal of Law and Economics 36(1) (1993), S. 239, 254). 207 Vgl. etwa: Mankowski, Das Herkunftslandprinzip als Internationales Privatrecht der e-commerce-Richtlinie, ZVglRWiss 100 (2001), S. 137, 159. 208 Nach Worten des US-amerikanischen Ökonomen James M. Buchanan, der Mitbegründer des Public Choice-Ansatzes ist, ist das Recht „far too important to be left to the lawyers“ (Buchanan, Good Economics – Bad Law, Virginia Law Review 60(3) (1974), S. 483, 484). 209 Vgl. Jestaedt, Wissenschaft im Recht, JZ 2014, S. 1, 2 f. 210 Jestaedt spricht von „dem disziplinären Hegemonial- oder gar Alleinvertretungsanspruch der Dogmatik“ und der Gefahr, den Grundlagenfächern „den Status bloßer Ergänzungs-, Ancilliär- oder gar Folklorewissenschaften zuzuweisen“ (Jestaedt, Wissenschaft im Recht, JZ 2014, S. 1, 4). 211 Vgl. Flessner, Juristische Methode und europäisches Privatrecht, JZ 2002, S. 14, 21 f.; Drobnig, Rechtsvergleichung und Rechtssoziologie, RabelsZ 18 (1953), S. 295 – 309; Großfeld, Die Augen der Studenten: Jurastudium zwischen Lokalisierung und Globalisierung, in: FS Jayme, Bd. 2, S. 1103, 1104 f. Hoffmann-Riem sieht Gegenstand der Rechtswissenschaft „de[n] Inhalt, die Anwendung und die Wirkung von Recht“ (Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Grundlagen, Forschungsansätze, Gegenstandsbereiche, S. 11, 14). Eine Diskussion über die Ausgestaltung der Juristenausbildung erfolgt in: Hof/von Olenhusen (Hrsg.), Rechtsgestaltung – Rechtskritik – Konkurrenz von Rechtsordnungen …, Neue Akzente für die Juristenausbildung. 212 Vgl. Zweigert, Die Soziologische Dimension der Rechtsvergleichung, RabelsZ 38 (1974), S. 299, 306 ff.; van Aaken, Vom Nutzen der ökonomischen Theorie für das öffentliche
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
auch im internationalen Rahmen stattfinden würden, was jedoch die Verwendung der englischen Sprache voraussetzt.213
III. Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens für interdisziplinäre Zusammenarbeit Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit bedarf eines Ordnungsrahmens.214 Vor dem Hintergrund unterschiedlicher (Vor-)Verständnisse von Juristen und Ökonomen215 sind Bemühungen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Erklärungsansätze darzustellen, wünschenswert. Dadurch wird eine Diskussion über die Modellannahmen ermöglicht, eine Diskussion auf Grundlage einer gemeinsamen Ausgangsbasis gefördert und verhindert, dass sich unverbunden nebeneinanderstehende Paralleldiskussionen entwickeln. Ein wichtiges Element derartiger Bemühungen ist die Veranstaltung gemeinsamer Tagungen von Ökonomen und Juristen zu bestimmten Fragestellungen und der Einsatz von Kor(r)eferaten, die die Diskussion Recht: Methode und Anwendungsmöglichkeiten, in: Recht und Ökonomik, 44. Assistententagung Öffentliches Recht, Recht und Ökonomik, S. 1, 2; Jestaedt, Wissenschaft im Recht, Rechtsdogmatik im Wissenschaftsvergleich, JZ 2014, S. 1, 2 ff.; Fehling, Ökonomische Analyse im öffentlichen Recht als Methode zur Reformulierung und Operationalisierung von Gerechtigkeitsfragen, in: Begegnungen im Recht, S. 39, 66: „Das öffentliche Recht darf sich nicht hinter der Mauer einer behaupteten Autonomie des Rechtssystems als einer der SeinsRealität enthobenen Sollensordnung verschanzen“; Larenz, Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 20. April 1966, S. 12. 213 Vgl. Jestaedt, Wissenschaft im Recht, Rechtsdogmatik im Wissenschaftsvergleich, JZ 2014, S. 1, 1 f. „Bindung an die Scholle“ (S. 2); Hatje/Mankowski, „Nationale Unionsrechte“ – Sprachgrenzen, Traditionsgrenzen, Systemgrenzen, Denkgrenzen, EuR 2014, S. 155 – 169. 214 Voßkuhle spricht im Zusammenhang einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Verwaltungsrechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften von der Notwendigkeit „geeigneter ,Verkehrsregeln‘“ (Voßkuhle, § 1 Neue Verwaltungswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, Rn. 39 (S. 35). 215 Vgl. Cohen, Posnerian Jurisprudence and Economic Analysis of Law: The View from the Bench, University of Pennsylvania Law Review 133 (1985), S. 1117, 1164; Fezer, Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986, S. 817 – 824; Posner, Economic Analysis of Law, S. 25; Morlok, Vom Reiz und vom Nutzen, von den Schwierigkeiten und den Gefahren der Ökonomischen Theorie für das Öffentliche Recht, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 1, 17. Auch das (Vor-)Verständnis von Juristen aus unterschiedlichen Rechtsordnungen bzw. Rechtskulturen unterscheidet sich häufig: „In besonderer Weise wird das Problem grenzüberschreitender Verständlichkeit und Anschlussfähigkeit der hochgezüchteten deutschen Rechtsdogmatik nachgesagt, die von nicht wenigen als ein gravierendes Hindernis für die Internationalisierung und für die internationale Sichtbar- und Wirksamkeit der deutschen Rechtswissenschaft apostrophiert wird. Bisweilen mag es scheinen, dass Rechtswissenschaftler aus unterschiedlichen Rechtskulturen auch substanziell unterschiedliche Disziplinen betrieben, ein Austausch zwischen ihnen daher der Sache nach nichts anderes ist als ein fremd- oder auch interdisziplinärer Kontakt – mit all’ seinen Problemen und Hindernissen“ (Jestaedt, Wissenschaft im Recht, JZ 2014, S. 1, 2).
E. Rechtspolitisches Fazit
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immer wieder auf gemeinsame Grundlagen216 zurückführen können.217 Eine Stärkung von Law and Economics als anerkannte (Sub-)Disziplin218 kann helfen, die Bedeutung der gegensätzlichen Vorverständnisse von Rechtswissenschaft und Ökonomie in der rechtspolitischen Diskussion einzuschränken, womit jedoch keinesfalls gemeint ist, dass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ausschließlich von Spezialisten gepflegt werden soll. Im der Debatte um die rechtspolitische Bewertung von Systemwettbewerb zeigt sich, dass ein solcher interdisziplinärer Dialog (jedenfalls in Deutschland) immer noch in den Anfängen steckt.
E. Rechtspolitisches Fazit Eine Verwirklichung der von der Theorie des funktionierenden Systemwettbewerbs vorausgesetzten Systemwettbewerbsfunktionen findet in den betrachteten Referenzgebieten eine nur sehr eingeschränkte Bestätigung. Das rechtspolitische Argument der Vorteilhaftigkeit von Systemwettbewerb im Rahmen von Integrationsmaßnahmen ist damit in erheblicher Weise geschwächt. Andererseits bleibt in den betrachteten Gebieten (anders als im Wettbewerb der US-amerikanischen Bundestaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts) ein „race to the bottom“ aus. Der in den betrachteten Referenzgebieten zu beobachtende Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip führt insbesondere nicht zu einer Vernachlässigung der Interessen von Nachfragern, Gläubigern oder Dritten. Regulierungsarbitragen sind unter den bestehenden europarechtlichen Rahmenbedingungen und den tatsächlichem Hemmnissen in Bezug auf Regulierungsarbitragen im Hinblick auf die Verwirklichung von Gemeinwohlzielen unproblematisch. Insbesondere sind Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen – trotz der Transparenzprobleme hinsichtlich Regulierungsunterschieden – hinreichend geschützt. Der beschriebene Systemwettbewerb ist deshalb funktionsfähig.219 Vor einer Verallgemeinerung der Feststellung, dass aus Systemwettbewerb keine suboptimale Deregulierung bzw. „race to the bottom“ folgt, ist jedoch zu warnen, da die Folgen von Systemwettbewerb in hohem Maße von den jeweiligen (rechtlichen) Rahmenbedingungen abhängen. Die Einbeziehung empirischer Erkenntnisse hat in 216 Zum Einschluss und Ausschluss von Informationen in die Theoriebildung: Sen, Ökonomie für den Menschen, S. 73 – 75. 217 Zu den Voraussetzungen einer gedeihlichen interdisziplinären Zusammenarbeit im Verwaltungsrecht: Voßkuhle, § 1 Neue Verwaltungswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, Rn. 39 (S. 35 f.). 218 Vgl. Coase, Law and Economics at Chicago, Journal of Law and Economics 36(1) (1993), S. 239, 254. 219 Vgl. Apolte, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, S. 7.
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§ 19 Abschließende Bewertung von Systemwettbewerb
der Literatur zu Recht zum Teil zu der Erkenntnis geführt, dass sich generelle Aussagen über Systemwettbewerb verbieten, sondern die Folgen von Systemwettbewerb von den Umständen des Einzelfalls (wie der Art der dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung unterliegenden Regulierungen, politischen Einstellungen, Wettbewerbsintensität auf den jeweiligen Waren- und Dienstleistungsmärkten und anderer Faktoren) abhängen.220 Vorteile, die mit einer Integration auf „kollisionsrechtlicher“ Grundlage und Systemwettbewerb verbunden sind, können zum Teil auch im Rahmen materiellrechtlicher Harmonisierung verwirklicht werden, indem das Rechtsetzungsverfahren verbessert wird. Dennoch ist mit dieser Bilanz keinesfalls ein rechtspolitischer Freibrief für eine weitgehende Politik materiellrechtlicher Harmonisierung verbunden. Gegenüber der rechtspolitischen Argumentation der Befürworter von Systemwettbewerb würde damit in das gegenteilige Extrem verfallen. Es droht insofern mit Fichte die Gefahr, dass ein „falscher Satz […] durch einen ebenso falschen Gegensatz verdrängt“ wird und erst spät die in der Mitte liegende Wahrheit gefunden wird221. Harmonisierung muss deshalb rechtfertigungsbedürftig bleiben und sich jeweils an den von Harmonisierung zu erwartenden und erzielbaren Ergebnissen messen lassen.222 Es ist im Rahmen rechtspolitischer Entscheidung eine ständige vergleichende institutionelle Betrachtung zwischen verschiedenen Formen notwendig, deren Grundlage Folgenanalysen alternativer Gestaltungen bilden.223 Das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV)224 ist eine Verpflichtung zu einer derartigen Betrachtung.225
220 Vgl. Esty/Geradin, Journal of International Economic Law (2000), S. 235, 255; Kerber/ Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 457; Peters, Wettbewerb der Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7, 32 – 35; Reich, Competition between Legal Orders: A new Paradigm of EC Law?, Common Market Law Review 29 (1992), S. 861, 896. 221 Fichte, Der geschlossene Handelsstaat, S. 9. Vgl. auch: Platon, Staat, Über das Gerechte, S. 340 Rn. 563. 222 Vgl. Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 96 ff. 223 Vgl. Teil 3 § 19 B. IX. 224 Vgl. Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 20 ff.; Voßkuhle, Das Konzept des rationalen Staates, in: Governance von und durch Wissen, S. 13, 17. 225 Zum Verständnis des Subsidiaritätsprinzips als Effizienztest: Lambers, Subsidiarität in Europa – Allheilmittel oder juristische Leerformel, EuR 1993, S. 229, 236; Leschke/Möstl, Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit: Wirksame Kompetenzschranken der Europäischen Union?, in: Zentralität und Dezentralität von Regulierung in Europa, S. 77, 85; Homann/Kirchner, Das Subsidiaritätsprinzip in der Katholischen Soziallehre und in der Ökonomik, in: Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung, S. 45, 55 ff. (kritisch). Kieninger weist zu Recht darauf hin, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht eine Erhaltung und Förderung von Systemwettbewerb fordert, da das Subsidiaritätsprinzip nicht den
E. Rechtspolitisches Fazit
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Es darf jedoch keine Illusion darüber bestehen, dass Systemwettbewerb (auch im Fall einer effektiven Subsidiaritätskontrolle) auf längere Sicht keine Bedeutung mehr zukommen wird, denn eine Zunahme von materiellrechtlicher Harmonisierung auf Ebene der EU und Ex-post Harmonisierung ist zwangsläufige Folge des Integrationsprozesses.226 Meessen spricht deshalb zu Recht von einem „irreversiblen Erosionsprozess“ des Wettbewerbs der Rechtsordnungen.227 Ein solcher Erosionsprozess ist nur dann zu bedauern, wenn eine materiellrechtliche Harmonisierung im Hinblick auf das Integrationsziel nicht notwendig ist228 und die Nachteile einer materiellrechtlichen Harmonisierung dessen Vorteile überwiegen. Die erforderliche Kosten-Nutzen-Analyse kann dabei mittels einer Verbesserung von Rechtssetzungsprozessen beeinflusst werden. Dies ist wichtige Aufgabe der Politik und Wissenschaft.229
Inhalt des Binnenmarktziels definiert (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 358 – 360). 226 Vgl. Kerber/Van den Bergh, Mutual Recognition Revisted: Misunderstandings, Inconsistencies, and a Suggested Reinterpretation, KYKLOS 61(3) (2008), S. 447, 463. Kieninger unterscheidet zwischen drei verschiedenen Stufen der Integration, wobei die dritte Stufe einem vollkommen Binnenmarkt entspricht. Dieser Zustand zeichnet sich nach Kieninger neben einer Beseitigung von regulatorischen Handelshemmnissen durch eine vollständige Beseitigung unterschiedlicher regulatorischer Wettbewerbsbedingungen und damit einer sehr weitgehenden materiellrechtlichen Harmonisierung aus (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 348). Andere Auffassung: M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 138: „mit einem föderalen System nicht zu vereinbaren“. M. Müller weist darauf hin, dass im Binnenmarkt der USA keine vollkommende Rechtseinheit erreicht wurde (M. Müller, Systemwettbewerb, Harmonisierung und Wettbewerbsverzerrung, S. 167). 227 Meessen, Prinzip Wettbewerb, JZ 2009, S. 697, 705. 228 Vgl. zum Problem der „Regelungswut“: Herzog, Europa neu erfinden, S. 12, 14, 87 ff. 229 Vgl. die erweiterte Fassung des Promotionsvortrags des Verfassers: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie.
§ 20 Zusammenfassung1 A. Kurzzusammenfassung Ein wesentliches Argument fu¨ r und wider den Einsatz von Herkunftslandprinzipien als Instrumente des Abbaus regulatorischer Handelshemmnisse ist ein möglicher Systemwettbewerb zwischen den beteiligten Staaten. Einerseits werden infolge von Systemwettbewerb ähnlich positive Folgen wie von einem Wettbewerb auf Waren- und Dienstleistungsmärkten erwartet; auf der anderen Seite wird eine empfindliche Einbuße staatlicher Steuerungsfähigkeit bis hin zu einem schädlichen Deregulierungswettlauf befu¨ rchtet. Die vorliegende Untersuchung versucht die tatsächlich zu beobachtenden Folgen von Systemwettbewerb in Referenzgebieten darzustellen und mit den Erwartungen bzw. Befu¨ rchtungen an Systemwettbewerb abzugleichen. Es zeigt sich, dass die hochrangigen Erwartungen an Systemwettbewerb keinesfalls eingelöst werden können und dass auf der anderen Seite in der EU kein „race to the bottom“ zu beobachten ist. Weiteres Ergebnis ist eine grundsätzliche Kritik an der systemwettbewerblichen Modellbildung.
B. Ausführliche Zusammenfassung I. Regulatorische Hemmnisse grenzüberschreitender Aktivität und Lösungsmöglichkeiten Sobald Privatrechtssubjekte grenzüberschreitende Aktivitäten entfalten, sehen sie sich zwangsläufig zwei oder mehreren Rechtsordnungen gegenüber. Staatliche Rechtsordnungen mögen im innerstaatlichen Raum angemessen sein, in grenzüberschreitenden Sachverhalten ergeben sich aus dem Nebeneinander staatlicher Ordnungen jedoch spezifische Hemmnisse, die die grenzüberschreitende Aktivität behindern. Auf diese Probleme hat das Privatrecht schon sehr früh Antworten gefunden und zur Erleichterung des Verkehrs ein Kollisionsrecht entwickelt. Anders ist die Situation im Bereich der (öffentlich-rechtlichen) Regulierung von Waren- und Dienstleistungen. Hier setzen Staaten grundsätzlich ihre Regulierungen auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips gegenüber Importen durch. Die Folge 1
Die Zusammenfassung wurde nachträglich hinzugefügt.
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sind regulatorische Handelshemmnisse. Im Extremfall kann der Handel infolge von regulatorischen Handelshemmnissen komplett zum Erliegen kommen. In Integrationsräumen stellt sich die Frage, auf welche Weise diese rechtlichen Schranken abgebaut werden können. Naheliegend erscheint zunächst eine umfängliche Vereinheitlichung staatlicher Regulierungen. Eine solche materiellrechtliche Harmonisierung ist, sofern sie nicht auf einen engen und überschaubaren Bereich begrenzt wird, jedoch mit erheblichem Aufwand verbunden, weswegen die Verwirklichung einer Marktintegration mittels materiellrechtlicher Harmonisierung scheitern kann. Die Geschichte des europäischen Binnenmarktes verdeutlicht eindrucksvoll die Grenzen einer Integration mittels einer Politik der Vollharmonisierung. Die EG-Kommission entwickelte vor diesem Hintergrund Mitte der 1980er Jahre unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit die „neue Strategie“ auf Grundlage des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips. Danach soll eine Ware, die ein einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht worden ist, grundsätzlich überall in der Gemeinschaft verkehrsfähig sein. Entsprechendes gilt für Dienstleistungen. Dieser Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher Regulierungen gilt jedoch nicht unbeschränkt. Mitgliedstaaten können im Rahmen von Schranken aus bestimmten Gründen (wie z. B. aus Gründen des Gesundheitsschutzes) eigene Regulierungsanforderungen auch gegenüber Importwaren durchsetzen. Um aus derartigen Schranken resultierende Handelshemmnisse zu minimieren, ist eine das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung begleitende Mindestharmonisierung Bestandteil der Integrationsstrategie. Dieser Ansatz wurde mittels der Schaffung sekundärrechtlicher Herkunftslandprinzipien weiter ausgebaut. Dabei sind die Rechtsmaterien, die erfasst werden, unterschiedlich weit und die Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ungleich weit gezogen, weswegen streng genommen von Herkunftslandprinzipien die Rede sein müsste. Zudem ist die flankierende (Mindest-) Harmonisierung unterschiedlich weit verwirklicht. Es hat sich gezeigt, dass die das Herkunftslandprinzip begleitende Harmonisierung sich laufend ausweitet, was aufgrund der anfänglichen Schwierigkeiten in der Harmonisierungspolitik bemerkenswert erscheint. Herkunftslandprinzipien finden nicht nur in der EU Anwendung, sondern auch im Rahmen von völkerrechtlichen Verträgen, im inneraustralischen Handel und im Internationalen Privatrecht Anwendung. Neben Herkunftslandprinzipien kommt als weiteres „kollisionsrechtliches“ Integrationsinstrument die Einführung von Rechtswahlfreiheit in Betracht.
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§ 20 Zusammenfassung
Eine faktische Rechtswahlfreiheit besteht in den USA für corporations auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts und auch in der EU besteht eine weitgehende faktische Rechtswahlfreiheit im Gesellschaftsrecht. Diskutiert wird von ökonomischer Seite auch eine Deregulierung und die Ersetzung von staatlichen Regulierungen durch private Qualitätssiegel. Denkbar ist auf der anderen Seite, dass die Durchsetzung von Regulierungsforderungen gegenüber Importen auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips als notwendig angesehen wird.
II. Systemwettbewerb als Argument für und gegen den Einsatz „kollisionsrechtlicher“ Integrationsinstrumente Es stellt sich die Frage nach der Wahl und Kombination von Integrationsinstrumenten. Die Frage nach den Vor- und Nachteilen einzelner Integrationsinstrumente ist äußerst komplex, da eine Vielzahl von Aspekten zu berücksichtigen sind und häufig unklar ist, welches Gewicht den einzelnen Aspekten zukommt. Ein zu berücksichtigender Aspekt im Rahmen der Ausgestaltung von Integrationsinstrumenten ist Systemwettbewerb. Unter Systemwettbewerb werden (meist gesetzgeberische) Reaktionen von Staaten verstanden, um die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Waren- und Dienstleistungsanbieter zu stärken, um die Attraktivität des heimischen Standortes zu fördern, aber auch um vor dem Hintergrund von Rechtswahlmöglichkeiten das eigene Recht attraktiv zu halten. Systemwettbewerb wurde früh am Beispiel des Wettbewerbs der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts beschrieben. Weitgehend unabhängig von der Diskussion um den Delaware Effekt beschäftigt sich die ökonomische Theorie in Deutschland seit den 1990er Jahren mit einem Systemwettbewerb vermittelt über das Herkunftslandprinzip im Europarecht. Nach diesem Ansatz treffen Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen ihre Nachfrageentscheidung auch gerade vor dem Hintergrund der den Waren und Dienstleistungen zugrundeliegenden Regulierungen. Angenommen wird, dass Regulierungen ein relevanter Wettbewerbsparameter sind und Nachfrager in der Lage sind, eine informierte Wahl zu treffen. – Letzteres wird allerdings von H.-W. Sinn bestritten, da Regulierungen ja gerade aufgrund von Marktversagen geschaffen worden seien und dieses Marktversagen wieder auflebe, wenn Nachfrager zwischen verschiedenen nationalen Regulierungen wählen könnten. H.-W. Sinn geht davon aus, dass Nachfrager unter Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips die Wahl zwischen gesundheitsneutralen und gesundheitsgefährdenden Waren hätten. –
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Anbieter, die einem mitgliedstaatlichen Regulierungssystem unterliegen, das für die Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen attraktiver erscheint, besitzen nach diesem Ansatz Wettbewerbsvorteile. Aus den Kaufkraftwanderungen folgen unter Umständen staatliche Reaktionen, um die Attraktivität inländischer Regulierungen und damit den Absatzerfolg heimischer Anbieter im Inland und im Ausland zu verbessern. Es wird angenommen, dass Regulierungsunterschiede Einfluss auf Standortentscheidungen von Anbietern haben. Regulatorische Wettbewerbsnachteile heimischer Anbieter und Standortverlagerungen bzw. deren Erwartung können zu staatlichen Reaktionen und einer Veränderung von Regulierungen führen. Es findet ausdrücklich eine Modellierung von Staaten analog zu Unternehmen auf Gütermärkten statt: „Die Grundidee einer direkten Analogie zum Wettbewerb auf normalen Gütermärkten kann folgendermaßen genauer spezifiziert werden: – Jurisdiktionen = Unternehmen: Sie sind die jeweiligen (auch als Rechtssubjekte zu verstehenden) Organisationen, die als Anbieter von Leistungen im Wettbewerb miteinander stehen (mit ihren jeweils eigenen Organisations und Entscheidungsregeln). – Regierung = Management: Sie repräsentieren die Agenten, die für die jeweiligen Organisationen Entscheidungen treffen und dabei im Interesse ihrer Prinzipale (Bürger als Clubmitglieder bzw. Kapitaleigentümer) handeln sollen. – Kollektive Problemlösungen = Produkte: Hierbei geht es jeweils um die angebotenen Leistungen, für die Steuern und Preise zu bezahlen sind. Dem Wettbewerb zwischen Unternehmen auf Gütermärkten entspricht folglich der Wettbewerb zwischen Jurisdiktionen auf den Märkten für kollektive Problemlösungen (Standortwettbewerb)“.2
Diese Marktanalogie bezieht sich nicht nur auf den Ablauf, sondern auch auf die Folgen von Systemwettbewerb. Erwartet wird, „daß Bürger durch einen solchen Wettbewerb im Grunde dieselben Vorteile erlangen können, die Konsumenten dem Wettbewerb zwischen Formen im Markt verdanken. Ebenso wie in gewöhnlichen Märkten kann der Wettbewerb auch im politischen Bereich zur Lösung der drei erwähnten Probleme beitragen, dem Anreizproblem, dem Machtproblem und dem Wissensproblem“.3
Systemwettbewerb wird damit die Funktion zugeschrieben, zu einer Anpassung von Recht an die Präferenzen der Bürger zu führen (Präferenzanpassungsfunktion), staatliche Machtmissbräuche zu verhindern und insbesondere Interessengruppen2
Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), S. 199, 201. 3 Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, S. 85, 91.
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politik zu bekämpfen (Machtbegrenzungsfunktion), Wissen in Bezug auf die Gestaltung von Recht zu entdecken (Entdeckungsfunktion) und rechtliche Innovationen zu fördern (Innovationsfunktion). Die erwartete Entdeckungs- und Innovationsfunktion ist ein Hauptargument einer wichtigen Strömung von Befürwortern von Systemwettbewerb, die Systemwettbewerb analog zur evolutorischen Wettbewerbstheorie evolutorisch modellieren. Dabei wird auf die evolutorische Wettbewerbstheorie Bezug genommen, ohne jedoch den bereits in der historischen Rechtsschule verbreiteten Evolutionsgedanken (von Savigny führte die Vorteile einer Rechtsevolution als Argument gegen eine Vereinheitlichung des Privatrechts in Deutschland an) und die Beschreibung einer evolutorischen Rechtsentwicklung durch C. Menger aufzugreifen. Zudem soll Systemwettbewerb in Erweiterung der Analogie zur Wettbewerbstheorie zu einer wohltuenden Deregulierung (Deregulierungsfunktion) und nach teilweise vertretener Ansicht zu einer Rechtsangleichung (Ex-post Harmonisierungsfunktion) führen. Letzteres wird jedoch von Vertretern der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie mit Nachdruck bestritten. Die Wahlmöglichkeiten von Privatrechtssubjekten zwischen verschiedenen Institutionen (der Nachfrager im Rahmen der Wahl unterschiedlich regulierter Güter und der Anbieter im Rahmen der Standortwahl) wird als Freiheitsfunktion bezeichnet. Diese Theorie ist die herrschende Meinung in der ökonomischen Literatur und spiegelt die Einstellung vieler Ökonomen zur Leistungsfähigkeit der Marktsteuerung und ihre Einstellung gegenüber staatlich gesetztem Recht wieder. So empfiehlt die Monopolkommission Systemwettbewerb ausdrücklich als Instrument einer Verbesserung des Rechts. Demgegenüber wird materiellrechtliche Harmonisierung verächtlich als „Kartellierung“ bezeichnet. Staatliche Regulierungen werden von der ökonomischen Theorie in einem weiten Umfang als Ausdruck von Interessengruppenpolitik wahrgenommen. Andererseits wird die Berechtigung der Marktanalogie bestritten und es wird ein Verlust staatlicher Steuerungsmöglichkeiten und eine deregulatorische Abwärtsspirale im Sinne eines „race to the bottom“ erwartet. Intensiv diskutiert wurde diese Frage vor allem im Zusammenhang mit dem Delaware Effekt. Die breite Öffentlichkeit in Deutschland wurde mit einem möglichen „race to the bottom“ infolge von Systemwettbewerb vor allem im Rahmen der intensiven Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie konfrontiert. Sofern Systemwettbewerb kritisch betrachtet wird, kann mit der Durchsetzung von Regulierungsanforderungen auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips die Erwartung verbunden sein, bestimmte Regulierungsanforderungen mittels des Bestimmungslandprinzips nicht nur im innerstaatlichen Bereich durchzusetzen, sondern andere Staaten zur Übernahme der Regulierungsanforderungen zu veranlassen. Verbunden ist damit auch die Erwartung, ein höheres Regulierungsniveau im Rah-
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men von Harmonisierungsmaßnahmen verwirklichen zu können. So beschreibt Vogel eine Anpassung der Abgasregulierungen verschiedener US-Bundesstaaten an das Recht von Kalifornien vor dem Hintergrund der Durchsetzung der besonders strengen kalifornischen Abgasregulierungen gegenüber Importfahrzeugen aus anderen US-Bundesstaaten. Er bezeichnet dieses Phänomen als „California Effekt“. Antworten auf die Frage der Folgen von Systemwettbewerb sind bislang nur sehr eingeschränkt zu geben. Es fehlt an hinreichender Klarheit über die realen Folgen von Systemwettbewerb. Die fast ausschließlich theoretische Beschäftigung mit dem Thema Systemwettbewerb hat im Wesentlichen nur zu Vermutungen über die Wirkungsweise und die Funktion von Systemwettbewerb geführt. Ein Ziel der Arbeit ist es deshalb, die Rechtsentwicklung in den gewählten Referenzgebieten möglichst gutachterlich darzustellen, um eine Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten und um die angenommen Wettbewerbsfunktionen mit den zu beobachtenden Folgen von Systemwettbewerb abzugleichen.
III. Bedeutung von Mechanismen analog zum „California Effekt“ Integrationspolitisch auf eine Art „California Effekt“ zu setzen, macht nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Sinn. Zu berücksichtigen sind die Nachteile infolge des Fortbestehens regulatorischer Handelshemmnisse. Es ist denkbar, dass zwei oder mehrere ökonomisch bedeutende Märkte mit divergierenden Regulierungsanforderungen bestehen, so dass schon theoretisch ein Abbau von Handelshemmnissen mittels Anpassungen der Regulierungssysteme an die Märkte der Bestimmungsländer ausgeschlossen ist. Im Fall einer grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen wird eine Anpassung nationaler Regulierungen an die Vorgaben eines bedeutenden Bestimmungslandes nicht funktionieren. Im Bereich von Dienstleistungen erscheint es grundsätzlich ausgeschlossen, dass ein Staat seine Qualifikationsanforderungen (z. B. für Rechtsanwälte) an die Anforderungen des oder der Bestimmungsländer anpasst. Zudem ist zu beachten, dass die Rechtsentwicklung bei Geltung des Bestimmungslandprinzips nicht zwingend zu einem „race to the top“ im Sinne einer Erhöhung des Regulierungsniveaus führen muss. Die Rechtsentwicklung im deutschen Bilanzrecht vor dem Hintergrund des Wunsches einer Anerkennung deutscher bzw. europäischer Jahresabschlüsse in den USA zeigt, dass sich auch andere Regulierungen durchsetzen können. Diese Regulierungen müssen nicht unbedingt angemessen sein.
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Dem Einsatz des Bestimmungslandprinzips kommt dann Bedeutung zu, wenn im Fall einer „kollisionsrechtlichen“ Integration über ein Herkunftslandprinzip oder über Rechtswahlfreiheit eine suboptimale Deregulierung droht. In diesem Fall kann die Durchsetzung von Regulierungsanforderungen auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips eine Übergangslösung sein, bis die Voraussetzungen einer tieferen Integration auf Grundlage eines „kollisionsrechtlichen“ Integrationsinstruments bzw. auf Grundlage einer materiellrechtlichen Harmonisierung gegeben sind. Dabei kann der Einsatz des Bestimmungslandprinzips immer auch gerade in eng begrenzten Bereichen in Betracht kommen, was die zwischenzeitliche Inkaufnahme von Handelshemmnissen annehmbarer machen kann.
IV. Bedeutung von Systemwettbewerb Die Betrachtung der Referenzgebiete zeigt, dass sich die Erwartungen an die Folgen von Systemwettbewerb nur bedingt einlösen lassen. Die Rechtsentwicklung im Bereich der Regulierung von Waren und Dienstleistungen ist gekennzeichnet von einer Anpassung der Regulierungen an die Präferenzen der Anbieter. In ähnlicher Weise führte die Rechtsentwicklung im deutschen Gesellschaftsrecht zu einer Anpassung an die Präferenzen der Gründer, die mit der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) ein attraktives Rechtsformangebot erhalten. Obwohl die Berücksichtigung von Vorteilen infolge eines höheren Regulierungsniveaus auf Seiten der Nachfrager (es ist die Rede von Rückkopplung) vielfach zweifelhaft ist, werden vor dem Hintergrund der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der flankierenden Mindestharmonisierung die Interessen der Nachfrager grundsätzlich nicht vernachlässigt. Im Gegenteil führte die Deregulierung zum Teil zu der Ermöglichung einer Produktgestaltung, die den Präferenzen der Nachfrager besser entspricht, so im Fall der Aufhebung des Imitationsverbotes von Milcherzeugnissen. Auch im Gesellschaftsrecht kann in Europa – im Gegensatz zum Delaware Effekt – nicht von einer systematischen Vernachlässigung von Schutzinteressen der Gläubiger und Dritten gesprochen werden. Mit Ausnahme der Rechtsentwicklung im Fernsehbereich, Finanzmarktbereich und im Gesellschaftsrecht zieht sich die Machtbegrenzungsfunktion von Systemwettbewerb als roter Faden durch die betrachteten Referenzgebiete, da eine Vielzahl problematischer Regulierungen abgeschafft bzw. eingeschränkt wurden. Zu einem Abbau wettbewerbsschützender Produktregulierungen kommt es insbesondere dann, wenn sich diese Regulierungen aufgrund der Zulassung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten auf Grundlage des europarechtlichen Herkunftslandprinzips in ein Wettbewerbshemmnis für heimische Anbieter im Verhältnis zu ausländischen Anbietern verwandeln. Abgeschafft wurden insbesondere das Reinheitsgebot für Fleischwaren, das Imitationsverbot für Milcherzeugnisse, das Verbot
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der Werbung mit Eigenpreisvergleichen, die ZugabeVO und das RabattG. Inländerdiskriminierungen waren entscheidendes Argument für eine Deregulierung auf Seiten der deutschen Anbieter und Deregulierungsbefürwortern. Grundsätzlich anders als im Bereich von Waren ist die Situation im Bereich von Dienstleistungen. Im Dienstleistungsbereich findet eine Regulierung vor allem über die Statuierung von Qualifikationsanforderungen statt. Etablierte Anbieter haben kein Interesse an einer Deregulierung, da diese Anbieter die Anforderungen bereits erfüllt haben und keine Vorteile infolge einer Deregulierung besitzen, sie im Gegenteil einen schärferen innerstaatlichen Wettbewerb befürchten müssen. Personen, die Dienstleistungen anbieten möchten und die Qualikationsanforderungen bisher nicht erfüllt haben, können die bestehende Inländerdiskriminierung aber als wichtiges Argument für eine Deregulierung der Qualifikationsanforderungen nutzen. Die zu begrüßende Deregulierung im Bereich des Handwerks zeigt, dass eine Deregulierung auch gegen die Interessen der etablierten Anbieter erfolgen kann. Es zeigt sich mit Blick auf Interessengruppenregulierungen, dass dem Systemwettbewerb eine wesentlich intensivere Kontrollfunktion zukommt, als der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Das BVerfG hat vor dem Hintergrund der dem Gesetzgeber zugestandenen Einschätzungsprärogative wiederholt wettbewerbseinschränkende Regulierungen bestätigt. Eine relevante Inländerdiskriminierung kann jedoch den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab erhöhen. Sehr problematisch ist, dass die Befürworter von Systemwettbewerb das Vorliegen von Interessengruppenregulierungen oftmals vorschnell annehmen. Eine Bevorzugung bestimmter Gruppen bedeutet nicht automatisch eine Fehlfunktion des politischen Prozesses. Die regulatorische Bevorzugung bestimmter Gruppen kann ein sinnvolles wirtschaftspolitisches Gestaltungsmittel darstellen. Eine Bevorzugung bestimmter Interessengruppen kann von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen sein und Ausdruck eines funktionierenden demokratischen Prozesses sein. So könnte die Verschärfung des Verbotes des Verkaufs von Lebensmitteln unter Einstandspreis als wirtschaftspolitisch gerechtfertigt angesehen werden, wenn Verkäufe unter Einstandspreis tatsächlich zu einer nachteiligen Verdrängung von Betrieben des Lebensmitteleinzelhandels durch Discounter führen und die Regulierungsentscheidung Ausdruck eines funktionsfähigen demokratischen Entscheidungsbildungsprozesses ist. Sofern Regulierungen nicht vollkommener Ausdruck von Interessengruppenpolitik sind, ist theoretisch der Grad der Fehlerhaftigkeit des politischen Prozesses zu berücksichtigen. Es ist vor einem „nirvana approach“ zu warnen, der Anwendung fände, wenn von jedem Fehler des politischen Prozesses automatisch auf einen Korrekturbedarf mittels Systemwettbewerb geschlossen wird.
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Von Seiten von Vertretern der Systemwettbewerbstheorie wird vielfach der Eindruck vermittelt, dass dem Gesetzgeber ohne systemwettbewerbliche Marktsignale jegliche Wissensbasis in Bezug auf gesetzgeberische Maßnahmen fehle. Die Bedeutung von Systemwettbewerb zur Generierung von Wissen erscheint in den betrachteten Referenzgebieten indes gering. Welche Präferenzen institutionelle Nachfrager haben, lässt sich weitgehend auch ohne die Betrachtung von Regulierungsarbitragen vorhersagen, weshalb es einer Entdeckung auf Grundlage einer Betrachtung institutioneller Wanderungsbewegungen nicht bedarf. In den betrachteten Referenzgebieten hätte die durch institutionelle Mobilität angestoßene Rechtsentwicklung weitgehend vorausgesagt werden können. Es konnte z. B. kaum überraschen, dass das RabattG und die ZugabeVO aufgrund des Herkunftslandprinzips in der E-Commerce-Richtlinie keinen Bestand haben würden. Eine Voraussage einer systemwettbewerblichen Rechtsentwicklung erscheint dabei wesentlich leichter, als die Voraussage der Entwicklung eines Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten, da Systemwettbewerb tendenziell zu einer Deregulierung führt und nur sehr eingeschränkt evolutorische Züge aufweist, sondern in ein Gleichgewicht mündet. Die evolutorische Systemwettbewerbstheorie erscheint als eine zu starke Antwort auf die unrealistische Annahme allwissender und rational handelnder Akteure durch die neoklassische Theorie. Die Betrachtung zeigt, dass auch institutionelle Innovationen infolge von Systemwettbewerb entgegen den Erwartungen der Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie eine nur sehr geringe Bedeutung besitzen. Innovation ist auf „kollisionsrechtlicher“ Ebene zu beobachten. Eine solche Innovation zeigt sich im Fall des Versuchs der Etablierung eines Günstigkeitsprinzips im Rahmen der Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie mit dem Ziel, eine Inländerdiskriminierung deutscher Anbieter aufgrund des strengeren deutschen Lauterkeitsrechts zu verhindern. Innovative Verstöße seitens des deutschen Gesetzgebers waren zudem im Hinblick auf eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zugunsten der deutschen Straßenverkehrswirtschaft zu beobachten. Eine Sonderform von Innovation, die sich zwar nicht auf das Recht selbst bezieht, aber in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Recht steht, stellen Werbemaßnahmen zugunsten des britischen, deutschen und französischen Privatrechts dar. Im Wettbewerb der US-amerikanischen Bundesstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts spielen institutionelle Innovationen eine Rolle, jedoch sind die dort zu beobachtenden gesellschaftsrechtlichen Innovationen keineswegs alle zu begrüßen. Außer in den genannten Fällen ist in den betrachteten Referenzgebieten ein aktives wettbewerbliches Vorstoßen des deutschen Gesetzgebers nicht zu beobachten.
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Es geht dem deutschen Gesetzgeber grundsätzlich nicht um die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen mittels Regulierung, sondern ausschließlich um die Verhinderung einer Benachteiligung heimischer Anbieter. Die Betrachtung legt nahe, dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen das Innovationspotential eines Wettbewerbs der Staaten nicht mit den auf Waren- und Dienstleistungsmärkten zu beobachtenden Innovationen zu vergleichen ist. Die Rechtsentwicklung ist aber gekennzeichnet von einer umfangreichen Imitation von Regulierungen. Es kommt zu einer regulatorischen Anpassung an die Regulierungen anderer Mitgliedstaaten bzw. an die Mindestharmonisierung. Dem deutschen Gesetzgeber geht es vor allem darum, ökonomische Einbußen inländischer Anbieter von Waren und Dienstleistungen infolge einer nachteiligen Gestaltung von Regulierungen abzuwehren, womit die Deregulierung vor allem einen industriepolitischen Hintergrund hat. Im Unterschied zu dem ComparativeLaw-and-Economics-Ansatz ist der Grund für eine Anpassung hingegen nicht notwendigerweise die überlegende Effizienz des übernommenen Rechts. Eine Imitation geschieht grundsätzlich reibungslos. Größere Probleme einer Imitation (wie insbesondere durch Konsistenzerfordernisse) ergeben sich nicht. In Bereichen hoher Regulierungskomplexität (wie im Bereich der Regulierung von OGAW oder des Versicherungsaufsichtsrechts) erfolgt eine schrittweise Imitation. Da der Wettbewerb auf ein „Nachziehen“ und der Übernahme von rechtlichen Gestaltungen begrenzt ist, kommt es zur Bildung von Gleichgewichten. Außer im Fall des deutschen Reinheitsgebotes für Bier, das auch nach Einführung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung aufrechterhalten wurde, ist in jedem der betrachteten Referenzgebiete eine Deregulierung zu beobachten. In (ehemals) hoch regulierten Bereichen wie im Straßengüterverkehr, dem Versicherungsaufsichtsrecht, dem Bankenaufsichtsrecht und dem Recht der OGAW ist eine schrittweise Deregulierung zu beobachten. Ohne diese institutionelle Mobilität wäre in den betrachteten Referenzgebieten grundsätzlich nicht mit einer Deregulierung zu rechnen gewesen. Das Regulierungsniveau pendelt sich im europäischen Kontext auf ein bestimmtes Niveau ein. Diese Gleichgewichtsbildung beschränkt die Deregulierungswirkung und ist im Interesse der Verhinderung eines fortlaufenden regulatorischen Unterbietungswettbewerbs zu begrüßen. Forderungen nach Erhöhung der institutionellen Mobilität, z. B. mittels der Schaffung von Rechtswahlfreiheit oder die Förderung staatlicher Responsivität mittels der Schaffung direkter finanzieller Anreize für Staaten, sind deswegen im Hinblick auf ihre Folgen für die Rechtsentwicklung zu überprüfen.
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Die verbreitete These einer weitgehenden Behauptung berechtigter mitgliedstaatlicher Regulierungen aufgrund einer funktionierenden Rückkopplung findet grundsätzlich keine Bestätigung. Die Rechtsentwicklung im Fall des deutschen Reinheitsgebotes für Bier ist keineswegs repräsentativ. In Bereichen, in denen die Aufrechterhaltung eines bestimmten Regulierungsniveaus rechtspolitisch erwünscht ist, kommt deswegen einer materiellrechtlichen Harmonisierung oder dem Ausschluss des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung erhebliche Bedeutung zu. Eine Deregulierung muss keineswegs positiv zu bewerten sein wie der Delaware Effekt zeigt. Problematisch ist auch die Deregulierung des deutschen Gesetzgebers auf dem Gebiet der internationalen Seeschifffahrt. Der deutschen Seeschifffahrt wurden vor dem Hintergrund ihrer faktischen Rechtswahlfreiheit wesentlich günstigere regulatorische Rahmenbedingungen eingeräumt als den standortgebundenen Herstellern von Waren und den Erbringern von Dienstleistungen. Die Rechtsentwicklung zeigt, dass Systemwettbewerb eine Ungleichbehandlung zwischen mobilen und weniger mobilen Faktoren begünstigt. Entgegen den Erwartungen der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie, ist in den öffentlich-rechtlichen Referenzgebieten in erheblichem Umfang eine Angleichung des Rechts zu beobachten. Eine Ex-post Harmonisierung erscheint jedoch nicht als eine Alternative zu einer materiellrechtlichen Harmonisierung, da eine Ex-post Harmonisierung etwaige Rechtsunsicherheiten des grenzüberschreitenden Verkehrs bestehen lässt, da für den Verkehr nicht erkennbar sein muss, welche Regelungen tatsächlich angeglichen sind. Zudem können sich Unterschiede im Wege der Rechtsanwendung auf mitgliedstaatlicher Ebene ergeben. Auch im Fall einer Ex-post Harmonisierung kann es deswegen sinnvoll sein, sekundärrechtliche Herkunftslandprinzipien zu schaffen bzw. eine Rechtsvereinheitlichung auf höherer Ebene durchzuführen. Das Warten auf eine Ex-post Harmonisierung ist auch keine Möglichkeit, um herauszufinden, welcher Grad an Harmonisierung notwendig und zu befürworten ist, denn das Interesse von Wirtschaftssubjekten an einer Senkung von Transaktionskosten muss keinesfalls zu entsprechenden Schritten der einzelstaatlichen Gesetzgeber führen, ihr Recht auf autonomer Grundlage anzugleichen. Vielmehr besteht immer eine Tendenz zu protektionistischen Maßnahmen. In Bezug auf die Freiheitsfunktion ist zu bemerken, dass Regulierungsarbitragen im Fall der Ansiedlung von Investmentfonds in Luxemburg, im Fall der Wahl von Gesellschaftsrechtsformen und im Fall der Ausflaggung von Seeschiffen Bedeutung besitzen. Die Bedeutung von Regulierungsarbitragen von Nachfragern bei Geltung des europarechtlichen Herkunftslandprinzips ist – bis auf einige Ausnahmefälle (wie im Fall der bis zur Finanzkrise zu beobachtenden Nachfrage nach britischen Lebensversicherungen oder der Bedeutung luxemburger OGAW auf dem deutschen
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Markt) – insgesamt unklar. Sehr wahrscheinlich ist, dass die ökonomische Modellbildung in vielen Bereichen die tatsächliche Wettbewerbsrelevanz von Regulierungen überschätzt und dass Regulierungen hinter die unternehmerisch geprägten Eigenschaften von Waren und Dienstleistungen zurücktreten.
V. Kritik an der Modellbildung 1. Die Rahmenbedingungen für Systemwettbewerb vermittelt über das europarechtliche Herkunftslandprinzip werden von der ökonomischen Theorie nur unvollkommen erfasst: Die Systemwettbewerbstheorie und auch Kritiker von Systemwettbewerb gehen von einer grundsätzlichen Standortrelevanz unterschiedlicher Produktregulierungen aus, obwohl schon aus theoretischen Überlegungen erkennbar ist, dass regulierungsbedingten Standortverlagerungen in vielen Bereichen enge Grenzen gesetzt sind. Standortverlagerungen zur Ausnutzung von Unterschieden in der Regulierung von Waren und Dienstleistungen im Rahmen der Geltung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung sind aufgrund von Transaktionskosten und der Bündelung der Standortfaktoren in „Leistungs-Steuerbündel“ sowie der weit verbreiteten Mindestharmonisierung allenfalls in hochregulierten Bereichen attraktiv. In der Tat sind Regulierungsarbitragen mittels Standortverlagerungen selten. Grundsätzlich zu kritisieren ist die oft fehlende Thematisierung von Wissensproblemen auf Seiten der Nachfrager im Hinblick auf Regulierungsunterschiede, obwohl sich derartige Wissensprobleme unter Zugrundelegung der Informationsökonomie und Verhaltensökonomie geradezu aufdrängen. Vernachlässigt wird, dass Regulierungsunterschiede im Rahmen von Nachfrageentscheidungen eine untergeordnete Bedeutung besitzen können, so dass eine Honorierung anspruchsvollerer Regulierungen durch die Nachfrager ausfallen kann. Auch der europarechtliche Rahmen wird von der ökonomischen Theorie kaum beachtet. Es wird von den Modellen eines funktionsfähigen Systemwettbewerbs nicht erfasst, dass Waren bei Geltung des primärrechtlichen Herkunftslandprinzips nach dem Recht des Erstvermarktungsortes und nicht ausschließlich nach dem Recht des Produktionsortes verkehrsfähig sind. Eine Standortrelevanz ist deswegen nur in einem geringeren Umfang gegeben als vorausgesetzt. H.-W. Sinn übersieht in seinem Selektionsmodell die Schranken des europarechtlichen Herkunftslandprinzips. Die Bedeutung der Umgehungsrechtsprechung in Bezug auf die Erbringung von Dienstleistungen wird von der Modellbildung unterschlagen. Diese Vernachlässigung der rechtlichen Rahmenbedingungen ist nicht durch die modellhafte Vereinfachung gerechtfertigt.
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§ 20 Zusammenfassung
2. Der analytische Nutzen der Marktanalogie ist fragwürdig: Die Annahme einer Präferenzanpassungsfunktion ist problematisch, da Regulierungen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben dienen und deswegen nicht allein die Interessen der Institutionen wählenden Privatrechtssubjekte (institutionelle Nachfrager) betrachtet werden dürfen. Die generelle Annahme einer Machtbegrenzungsfunktion ist problematisch, da die zugrundeliegende Voraussetzung, dass Recht Ausdruck von Interessengruppenpolitik ist, keineswegs allgemeingültig ist. Möglich ist deswegen eine suboptimale Deregulierung unter der Flagge der Machtbegrenzungsfunktion. Systemwettbewerb kann zudem eine einseitige Bevorzugung von Gruppen zu Lasten anderer begünstigen, ein Gesichtspunkt der von den Vertretern der Theorie eines funktionsfähigen Systemwettbewerbs nicht beachtet wird. Eine Bevorzugung des Managements wird deutlich anhand des Systemwettbewerbs der US-amerikanischen Einzelstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts. Im Kontext der europarechtlichen Referenzgebiete spielt eine Bevorzugung institutioneller Nachfrager wie Anbietern von Waren und Dienstleistungen oder Dritten gegenüber Waren- und Dienstleistungsnachfragern aber keine entscheidende Rolle. Unabhängig von der fehlenden empirischen Bestätigung einer systemwettbewerblichen Entdeckungsfunktion ist auch theoretisch die Annahme einer Entdeckungsfunktion zu kritisieren, da institutionelle Mobilität ausschließlich die Interessen der institutionellen Nachfrager übermittelt. Eine mögliche Generierung von Wissen über die Betrachtung institutioneller Mobilität kann deswegen aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive einseitig ausfallen. Der Delaware Effekt verdeutlicht diesen Zusammenhang. Die Annahme einer Deregulierungsfunktion erscheint insgesamt von begrenztem analytischen Nutzen, da sie letztlich eine Gesamtbewertung von Systemwettbewerb verlangt und weniger in der Lage ist, ein konkret zu erfassendes Teilelement zu verdeutlichen. Problematisch ist, dass Systemwettbewerbsbefürworter den Eindruck erzeugen, dass ein allgemeiner Deregulierungsbedarf besteht. Die Bedeutung der Ex-post Harmonisierungsfunktion zur Analyse des Systemwettbewerbs ist zweifelhaft, da keine Kriterien dafür bestehen, ab welchem Grad von einer autonomen Angleichung des Rechts im Sinne einer Ex-post Harmonisierung gesprochen werden kann, denn bereits jede Deregulierung führt grundsätzlich auch zu einer Abschleifung von Rechtsunterschieden. Entsprechendes gilt für institutionelle Imitationen. Zudem stellt sich die Frage nach der Bewertung der Rechtsentwicklung, denn nicht jede Ex-post Harmonisierung muss vorteilhaft sein. Auch die Freiheitsfunktion besitzt kaum analytischen Wert. Um von einer Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität sprechen zu können, ist Voraussetzung, dass Regulierungsarbitragen als positiv zu bewerten sind. Die ökonomische Theorie nimmt aufgrund der stark betonten Mängel des politischen Prozesses eine Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität grundsätzlich an. Jedoch ist eine vermittelnde
B. Ausführliche Zusammenfassung
735
Betrachtung unumgänglich, denn Freiheit ist kein absoluter Wert. Recht schafft auch immer einen gesamtgesellschaftlichen Interessenausgleich. Sofern Regulierungen notwendig sind, einem gesamtgesellschaftlichen Interessenausgleich dienen und eine institutionelle Mobilität diesen Ausgleich stören würde, kann deshalb nicht ohne weiteres von einer Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität gesprochen werden. Deutlich wird dieser Zusammenhang im Rahmen der Rechtswahlfreiheit zwischen den Gesellschaften der US-amerikanischen Einzelstaaten, da diese Rechtswahlfreiheit zu einer Vernachlässigung der Interessen von Gläubigern und Dritten führt. Soweit Nachfrager von Waren und Dienstleistungen im Rahmen des europarechtlichen Herkunftslandprinzips jedoch in der Lage sind, eine informierte Wahl zu treffen und kein Marktversagen in Form von negativen externen Effekten gegeben sind, führen Regulierungsarbitragen über eine bessere Präferenzbefriedigung der Nachfrager zu einer höheren gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt. Aufgrund der Schranken des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der Mindestharmonisierung sind negative Folgewirkungen wie die Generierung negativer externer Effekte nur eingeschränkt möglich. Im Hinblick auf die Wahlmöglichkeiten zwischen Waren und Dienstleistungen, die durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Regulierungen geprägt sind, ist es deshalb gerechtfertigt, von einer Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität zu sprechen. Soweit Regulierungsarbitragen mittels Standortverlagerungen stattfinden, widerspricht dies dem Willen des Unionsgesetzgebers, der gerade Umgehungen vermeiden will. Regulierungsarbitragen mittels Standortverlagerungen können deswegen bei Zugrundelegung der europarechtlichen Wertungen nicht als Ausdruck einer Freiheitsfunktion institutioneller Mobilität betrachtet werden. Die Systemwettbewerbstheorie negiert vor dem Hintergrund der Zugrundelegung der Interessengruppentheorie den Wert demokratischer Entscheidungsfindung, denn staatlich gesetztes Recht wird grundsätzlich als korrekturbedürftig angesehen, wobei Systemwettbewerb als nützliches Korrekturinstrument angesehen wird. Das schlechte Verhältnis der Vertreter der Systemwettbewerbstheorie zum staatlich gesetzten Recht kommt auch in der Forderung zum Ausdruck, das Herkunftslandprinzip durch Rechtswahlfreiheit zu ersetzen und nicht zuletzt in der Forderung Regulierungen zu privatisieren. Problematisch ist, dass die Präferenzanpassungsfunktion, Deregulierungsfunktion und die Freiheitsfunktion eine Gesamtbewertung der Rechtsentwicklung voraussetzen. Anhaltspunkte für die Bewertung von Systemwettbewerb lassen sich aus diesen Funktionen nicht gewinnen. Zweck der Marktanalogie ist es jedoch gerade, die positiv zu bewertenden Folgen von Systemwettbewerb zu begründen. Es zeigt sich, dass die Bewertung von Systemwettbewerb sehr einzelfallabhängig ist. Pauschale Aussagen verbieten sich. Die gegenwärtige Modellbildung übersieht dies.
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§ 20 Zusammenfassung
Problematisch ist in diesem Zusammenhang der allgemeine Verweis der Vertreter der evolutorischen Systemwettbewerbstheorie auf die Bedeutung des Ordnungsrahmens für einen Systemwettbewerb (sprich insbesondere das Vorhandensein einer Mindestharmonisierung). Dieser Verweis führt zu einer argumentativen Immunisierung gegen mögliches systemwettbewerbliches Marktversagen, weckt aber gleichzeitig die Vorstellung einer grundsätzlichen Funktionsfähigkeit von Systemwettbewerb. Die Argumentation ist deswegen Ausdruck der Marktanalogie und unterstellt die grundsätzliche Vorteilhaftigkeit von Systemwettbewerb. Es droht bei unreflektierter Zugrundelegung der Marktanalogie deshalb eine Überhöhung der nutzenstiftenden Kraft von Systemwettbewerb. Auf theoretischer Ebene ist es deshalb zukünftig sinnvoll, nicht von einer Marktanalogie, mit der zwangsläufig bestimmte Erwartungen verbunden sind, zu sprechen, sondern konkret die Erwartungen von Systemwettbewerb zu formulieren, um darauf aufbauend die rechtspolitische Diskussion zu führen. Dafür spricht auch, dass die Funktionen des Wettbewerbs zwischen Privatrechtssubjekten schon im Rahmen theoretischer Betrachtung nur eingeschränkt auf Systemwettbewerb übertragbar sind. Zudem ist es notwendig, die Diskussion zukünftig vor allem auf empirischer Grundlage zu führen. Die nähere Betrachtung der Systemwettbewerbstheorie wirft grundsätzliche Zweifel in Bezug auf die Leistungsfähigkeit ökonomischer Modellbildung auf.
VI. Verbesserung des politischen Prozesses als Aufgabe Die Argumente der Befürworter von Systemwettbewerb sind in erheblicher Weise geschwächt. Die zu beobachtende Harmonisierungsdynamik muss deshalb keineswegs negativ zu beurteilen sein. Entscheidend ist die Qualität der Rechtsetzung, die verbessert werden kann. Ein Ergebnis der Arbeit ist vor diesem Hintergrund die Forderung, an einer Verbesserung des politischen Prozesses zu arbeiten und auf diese Weise einzelstaatliches Recht als auch Harmonisierungen zu verbessern.4
4 Vgl. die erweiterte Fassung des Promotionsvortrags des Verfassers: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie.
D. Summary
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C. Short Summary5 The Country of Origin Principle and Possible Alternatives from an Economic Perspective – Impact and Significance for Systems Competition –
Jörg Brettschneider deals with the process and the consequences of competition between states in the field of law (systems competition). In particular, he considers systems competition in the European Union in consequence of the so-called country of origin principle. Based on the observation of reference areas, Brettschneider comes to the conclusion that the high expectations of economic theory with respect to the benefits of such competition, which are modeled analogously to the effects of competition on goods and services markets, are unwarranted. In his view, especially the expectation of a discovery effect and an innovation effect is generally not confirmed. On the other hand, he shows (in particular contrary to the argument by economist Hans-Werner Sinn) that the country of origin principle does not automatically lead to a “race to the bottom” under the current European legal framework. Instead of setting a legal policy on systems competition, he primarily recommends improving the legislation at the national and supranational level.
D. Summary6 The Country of Origin Principle and Possible Alternatives from an Economic Perspective – Impact and Significance for Systems Competition –
I. Barriers to Cross-Border Activities and Possible Solutions Once private entities engage in cross-border activity, they face two or more legal orders. State-made legal rules may be appropriate in the domestic context; in crossborder cases the coexistence of legal orders may result in specific legal barriers that hinder cross-border activity. Private law has found answers to this challenge very early and developed conflict of law rules to reduce the barriers of cross-border activity. The situation is different with respect to the public regulation of goods and services. In this field, states generally enforce their own regulations on the basis of the host country principle. The
5
Many thanks to Dr. Sönke Häseler (Hamburg), Judith Korga (Husum) and Jing Zhang (Tshinghua University – Beijing/Duke University – Durham) for proofreading and correcting the English version of the abstract. It was an invalueable help. All remaining mistakes are mine. 6 See previous footnote.
738
§ 20 Zusammenfassung
consequences are regulatory trade barriers. In extreme cases, trade practically ceases as a result of regulatory barriers to trade. In areas of (intended) regional integration, the question arises as to which methods can be used to reduce the specific legal barriers to cross-border activity. An obvious solution seems to be the harmonization of substantive law in the sense of a unification. Full harmonization may be intended. However, such harmonization is very difficult to achieve in practice unless it is limited to a narrow field. Therefore, harmonization of substantive law can fail. The history of the EU’s market integration impressively illustrates the problems that can be connected with integration through harmonization of substantial law. Against this background the European Commission developed the “new strategy”, which is based on the country of origin principle with recourse to ECJ case law on the free movement of goods in the mid-1980s. Under the “new strategy”, a commodity which is legally produced and sold in a member state is marketable throughout the community. The same applies to services. However, the principle of mutual recognition of member state regulations is not absolute. Member states can enforce their own regulatory requirements on imports for specific reasons (such as reasons of health). These limitations are called Schranken in the German legal literature. To minimize the impediments to trade that arise from such limitations, mutual recognition is accompanied by a minimum level of harmonization in the context of the integration strategy. This approach was expanded through the creation of secondary legislation to establish secondary country of origin principles. The legal matters that are included differ in their extent and the limitations of mutual recognition (Schranken) vary. Therefore, strictly speaking, European law contains different country of origin principles. Furthermore, the substantial (minimum) harmonization that flanks the country of origin principle differs from field to field. It has been shown that the accompanying minimum harmonization has constantly expanded during the beginning of market integration, which is remarkable considering the initial problems associated with the harmonization policy. Country of origin principles are used not only in the context of EU law but also in the context of international agreements, in Australian domestic trade and in international private law. Choice of law rules represent a possible alternative to the country of origin principle as a conflict rule to promote integration. The possibility to choose a (member) state’s corporate law is de facto reality in the USA and the EU. Such a regulatory choice of law has even been proposed by some advocates of systems competition in the context of European goods and services regulations. Some economists are even discussing the replacement of member state regulations by private quality certificates. They expect that the institutional market works through self-regulation and thus obviates the need state-made regulations.
D. Summary
739
On the other side it is conceivable that the enforcement of national regulations on the basis of the host country principle is considered necessary in some cases.
II. Systems Competition as an Argument for and Against the Use of Conflict Rules as Integration Principles A central question on the road to integration concerns the choice and combination of integration principles. There is an extremely complex array of advantages and disadvantages of integration principles as multiple aspects have to be considered and the importance of the individual aspects is often unclear. Systems competition constitutes one such aspect to be considered in selecting and designing integration principles. The term “systems competition” refers to a situation in which states promote the competitiveness of domestic goods and services mostly through legislative acts. Beyond the aspect of the competitiveness of goods and services, systems competition also means to promote the attractiveness of national regulations and the national legal order against the background of choice of law rules. In this case the competitiveness of the national court system and of domestic law firms can play a role. Systems competition has been described early using the example of the competition between the US-states in the field of corporate law (the so-called “Delaware Effect”). Largely ignoring the discussion about the Delaware Effect, economic modeling in Germany has been concerned with systems competition based on the country of origin principle since the 1990s. According to this approach, consumers choose goods and services in light of the applicable regulations. Regulations are thus considered a parameter of competition. By assumption, consumers are informed about regulatory differences and are able to make an informed choice. – However, the latter is denied by H.-W. Sinn for the reason that regulations are designed to prevent market failure. From his perspective, market failure occurs again when consumers are allowed to choose between different national regulations. In his model, Sinn assumes that consumers choose between products that are neutral to health and hazardous products on the basis of the country of origin principle embedded in European law. – According to the model of systems competition based on the country of origin principle, suppliers who are bound by national regulations that are more attractive to consumers have a competitive advantage. Consequently, purchasing power tends to move in the direction of suppliers who enjoy an attractive regulatory environment. It is assumed that regulatory differences have an influence on the suppliers’ choice of location.
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§ 20 Zusammenfassung
Regulatory competitive disadvantages of domestic suppliers and location shifting – or the expectation thereof – may result in member states modifiying their regulations to foster the competitiveness of domestic suppliers. The relationship of states is modeled analogously to competition among companies on product markets: “The basic idea of a direct analogy to competition on normal good markets can be specified as follows: – Jurisdictions = Companies: They are the respective organizations (to be understood as legal entities) that are in competition with each other as providers of services in (each with their own organizational and decision rules). – Government = Management: They represent the agents who make decisions for the respective organization and who should act in the interest of their principals (citizens as club members and owners of capital, respectively). – Collective solutions = Products: This relates to the benefits offered for which taxes and prices have to be paid. Competition between companies thus corresponds to competition between jurisdictions on the markets for collective solutions (locational competition).”7
This market analogy refers not only to the procedure but also to the consequences of systems competition. It is expected “that citizen can gain the same advantages from such competition as consumers gain from the competition of companies in the market. Just as in ordinary markets, competition can also contribute to the solution of the […] incentive problem, the control of power problem and the knowledge problem.”8
Thus, systems competition is attributed the function to adapt law to the preferences of the citizens (preference adjustment function), to prevent governmental abuse of power and especially to combat rent-seeking (power limiting function), to discover knowledge concerning the design of legal rules (discovery function) and to promote legal innovation (innovation function). The anticipated discovery and innovation functions constitute important arguments for some proponents of systems competition, who describe systems competition analogously to evolutionary competition theory. This approach puts the discovery and innovation functions at the center of the description of systems competition, yet reference is made neither to evolutionary thought in the 19th century school of jurisprudence (von Savigny argued against the harmonization of private law in Germany for the reason that an enduring evolution would be advantageous), nor to C. Menger’s description of an evolutionary development of law. In addition to the aforementioned functions, systems competition should lead to favorable deregulation (deregulation function) and, according to one view, it should lead to ex-post harmonization in the sense of the autonomous unification or align7
Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, JNPÖ 17 (1998), p. 199, 201 (author’s translation from German). 8 Vanberg, Wettbewerb in Markt und Politik, in: Ordnungspolitische Aspekte der europäischen Integration, p. 85, 91 (author’s translation from German).
D. Summary
741
ment of laws (ex-post harmonization function). The latter is, however, denied by the proponents of the evolutionary approach to systems competition, who emphasize that the formation of an equilibrium contradicts the expectation of the discovery of knowledge and the generation of innovation. The choice between different national laws and regulations is referred to as the freedom function of systems competition. The consumers’ choice of regulations when deciding for goods and services under the application of the country of origin principle and the suppliers’ choice of regulations in the form of locational decisions are considered an expression of this freedom function. This theory is the prevailing view in the economic literature on systems competition. It reflects many economists’ attidudes regarding the efficiency of markets and towards state-made law. Thus, the German Monopolkommission strongly recommends systems competition as an instrument of improving national regulations. In contrast, substantive harmonization is disparaged as “cartelizing”. Economic theory generally regards national regulations as an expression of rent-seeking (interest group politics), which has an influence on the expectations towards systems competition. On the other hand, the validity of the market analogy is disputed and a loss of state control and a suboptimal deregulation in the sense of a “race to the bottom” is feared. The question whether a “race to the bottom” will occur was intensively discussed in the context of the Delaware Effect, but the economic discussion in Germany for a long time failed to take notice. It was instead the intense discussion about the directive on services which confronted the German general public with a potential “race to the bottom” as a result of systems competition based on the country of origin principle. If systems competition is considered critically, the enforcement of national regulations on the basis of the host country principle can be seen as desirable. There may be the expectation that other countries can be motivated to adapt their regulations to those of the enforcing state. In this regard, there is the anticipation that a higher level of regulation can be achieved in the context of the harmonization of substantive laws. Vogel describes the adjustment of car emission regulations in different US states to mirror the stricter emission regulations of California. In reference to the Delaware Effect, he terms this phenomenon the “California Effect”. The consequences of systems competition can only be anticipated to a limited extent. The almost exclusively theoretical study of systems competition has yielded only presumptions regarding its consequences. Therefore, one goal of this work is to outline the development of national substantive law in the reference areas to the extent that it represents an expression of systems competition. The aim is to ensure traceability of the results and to match the presumed functions of systems competition with its observed consequences.
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§ 20 Zusammenfassung
III. The Importance of Mechanisms Analogous to the California Effect To hope for a California Effect for the purpose of integration only makes sense in exceptional circumstances. The disadvantages of persisting trade barriers meanwhile have to be considered. It is conceivable that two or more economically relevant markets with different regulatory requirements exist, so that a reduction of trade barriers by a California Effect in the sense of an adaption of state regulations to the regulations of an important market is not even theoretically possible. In the case of the cross-border provision of services, an adaption of national regulations to the regulation of an important market will not work. In the field of services, it appears impossible for a state to adjust its own qualification requirements (e. g. for attorneys) to the requirements of the host country. In addition, it should be noted that the legal development as a result of a regulatory adjustment based on the host country principle does not necessarily lead to a „race to the top“ in the sense of increasing the level of regulation. The development of the German accounting law, which was motivated by the desire to achieve the recognition of German or European annual accounts in the US, shows that also other regulations can be enforced as a result of the host country principle. These regulations may not necessarily be appropriate. The application of the host country principle can be an important instrument, if integration by means of a country of origin principle or choice of law rule leads to suboptimal deregulation. In such a case it may be advisable to temporarily enforce regulatory requirements on the basis of the host country principle until the conditions for integration on the basis of conflict rules or substantive harmonization are met. In particular, the use of the host country principle may be beneficial in fields of comparatively minor economic importance as this can limit any potential interim trade barriers to an acceptable level from an economic point of view.
IV. The Importance of Systems Competition The analysis of the reference areas shows that the expectations regarding the consequences of systems competition can only be redeemed to a limited extent. The legal development concerning the regulation of goods and services is characterized by an adjustment of regulations to the preferences of suppliers. Similarly, the legal development in German corporate law has resulted in an adaption of the law to the preferences of founders. Founders are given a limited company with negligible minimum capital requirements in the form of the Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), which is the German legislator’s response to German founders choosing the English Ltd. Although there is doubt regarding the extent to which consumers actually value stricter regulation, the consumer interest is not neglected in the light of the limits of the principle of mutual recognition (Schranken) and the flanking minimum harmonization. On the contrary, deregulation in part led to a
D. Summary
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product design that better meets the preferences of consumers, e. g. in the case of lifting the German ban on the imitation of milk products. Even in the field of German company law, no systematic neglect of the interests of creditors and third parties is observable – in contrast to the Delaware Effect. With the exception of the legal developments in the television sector, the financial sector and corporate law, the power limiting function of systems competition permeates the reference areas considered, since a large number of problematic regulations that served the interest of specific groups were abolished or constrained. In particular, those anti-competitive regulations were abolished or curtailed that obstructed domestic suppliers who compete with suppliers from other member states whose goods and services are subject to approval by those states based on the country of origin principle. Against this background, the German purity requirements for meat products, the ban on the imitation of milk products, the ban on comparative advertising with respect to the company’s own prices, the ZugabeVO (German Ordinance on Bonuses) concerning bonuses and the RabattG (German Rebates Act) concerning discounts were abolished. In these fields, reverse discrimination was the decisive argument brought forward by German suppliers and advocates of deregulation. In the field of services, where qualification requirements are at the centre of regulation, the situation is fundamentally different. Incumbents have no interest in deregulation in this field as they have already met the qualification requirements; on the contrary, they fear stronger competition on the domestic market, even from domestic suppliers, if qualification requirements are relaxed. Aspiring domestic service providers who fail to meet the qualification requirements can use the existing reverse discrimination as an important argument for the deregulation of qualification requirements. The German deregulation of the crafts, which has to be evaluated positively, shows that deregulation is possible even against the interests of the incumbents in a situation of reverse discrimination. Looking at regulations that arise from interest group pressure, we see that that systems competition exerts a much more intensive function of control than the jurisprudence of the BVerfG (German Federal Constitutional Court). The BVerfG has repeatedly confirmed anti-competitive regulations. Background is the granted assessment prerogative to the legislature. However, relevant reverse discrimination at the expense of domestic suppliers can raise the constitutional standard of review. It is very problematic that the proponents of systems competition are often quick to assume that regulation is merely the product of interest group pressure. Privileges for certain groups are not equivalent to a malfunctioning of the political process. A regulatory preference for certain interest groups may be supported by a broad social consensus, it may be an expression of a well-functioning democratic process and may constitute a useful instrument of economic governance. Thus, the tightening of the prohibition of the sale of food below purchase price could be considered justified, if sales below cost actually result in a displacement of food retail stores by discounters and if the regulatory decision is an expression of a well-functioning democratic
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§ 20 Zusammenfassung
decision-making process. To the extent that regulations are not an outright expression of interest group politics, theoretically the degree of defectiveness of the political process must be considered to evaluate regulations. A warning is in place about a “nirvana approach” that would be applied, if a need for correction of the political process through systems competition is deduced from any fault of the political process. Proponents of the theory of systems competition convey the impression that, without signals from systems competition and its assumed knowledge discovery function, the legislator lacks all knowledge of legislative measures. However, the importance of systems competition for the generation of knowledge seems to be small in the reference areas considered. The preferences of institutional consumers (who choose regulations through choice of law rules, by means of consumption decisions in the light of the applicable regulations and by means of locational decisions) can be predicted largely without the consideration of regulatory arbitrage, so that a discovery of knowledge based on the observation of institutional arbitrage is not required. The legal development that resulted from institutional mobility could have been largely predicted in the considered reference areas. For example, the demise of the RabattG and the ZugabeVO was hardly surprising after the creation of the country of origin principle in the E-Commerce Directive. The prediction of the legal development as a result of systems competition appears much easier than the prediction of the results of competition between private parties, given that systems competition tends to lead to deregulation, possesses only minimal evolutionary traits and results in an equilibrium. The theory of evolutionary systems competition appears to be an exaggerated response to neoclassical theory’s unrealistic assumption of omniscient and rationally acting actors. The analysis shows that, contrary to the expectations of the representatives of evolutionary systems competition theory, institutional innovation as a result of systems competition is only of very modest importance. Innovation can be observed on the conflict of law level, i. e. in forming conflict rules. An example of such innovation was Germany’s attempt to create a principle of favorability (Günstigkeitsprinzip) on the occasion of transposing the E-Commerce Directive into German law. The principle of favorability aimed at preventing reverse discrimination that might arise from German’s stringent competition law at the time. Innovative approaches by the German legislator were also observed in legislative steps to level the playing field in favor of the German transport industry against the background of attempts on a supranational level to set out the legal conditions necessary to realize integration in this field. A special form of innovation, though not related to the law itself, are activities to promote the choice of English, German and French private law and the respective jurisdiction. Innovation plays a role in the competition among US states regarding corporate law – though not all innovation in this field is to be evaluated positively.
D. Summary
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Except for the cases mentioned above, no further attempts to gain competitive advantages are observed in the reference areas considered. The aim of the German legislator is not the creation of a competitive advantage by means of regulation, but solely the prevention of reverse discrimination at the expense of domestic suppliers. The observation of the legal development suggests that under the given conditions, the innovation potential of competition between states cannot be compared with innovation that results from competition in the field of goods and services. However, the legal development is characterized by extensive imitation of regulations. We have seen the adaption of German regulations by other member states and their use for supranational minimum harmonization. The German legislators aim to protect domestic suppliers from competitive disadvantages relative to suppliers who are bound by laxer national regulations. Therefore, the observable deregulation is an expression of industrial policy. In contrast to the comparative law and economics approach, regulatory adjustment is thus not necessarily motivated by the superior efficiency of the adopted law. Imitation takes place without friction. Larger problems of imitation (in particular in the form of consistency requirements) do not arise. In fields of high regulatory complexity (as in the case of the regulation of UCITS or in insurance supervision law), progressive imitation can be observed. As competition is limited to the imitation of (missing) legal rules, it results in the formation of equilibria. Except in the case of the German purity law for beer, which was maintained even after the creation of the principle of mutual recognition, deregulation can be observed in each of the considered reference areas. In (formerly) highly regulated areas such as road transport, insurance supervision law, banking supervision law and the law of UCITS, a gradual deregulation can be observed. Without the institutional mobility brought about by the country of origin principle, deregulation would almost certainly not have taken place in the reference areas. The level of regulation stabilizes at a certain level in the European context. The formation of equilibria sets a limit to deregulation and is to be evaluated positively as it prevents suboptimal deregulation or even a “race to the bottom”. Therefore demands to increase institutional mobility, for example through the creation of choice of law rules in the field of regulation, and demands for the promotion of government responsiveness through the creation of direct financial incentives for states are to be reviewed in terms of their consequences for the development of law. The widespread thesis of the general preservation of justified regulations due to a functioning feedback-mechanism is not confirmed by our examination of the reference areas. The legal development in the case of the German purity law for beer is by no means representative. Therefore substantive harmonization or the exclusion of mutual recognition are of considerable importance in legal fields where maintaining a certain level of regulation is politically desirable.
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§ 20 Zusammenfassung
As evidenced by the Delaware Effect, deregulation need not be beneficial. Questions also arise about German deregulation in the field of international shipping. Granting ship owners the choice of flag, the German legislator gave much more favorable regulatory conditions to the German shipping industry than to suppliers of goods and services based in Germany. The legal development shows that systems competition results in an unequal treatment of mobile and less mobile factors. Contrary to the predictions of evolutionary systems competition theory, considerable adjustment of public law regulations can be observed in the reference areas. However, ex-post harmonization is not an alternative to substantive harmonization as barriers to cross-border trade may continue to exist under the former. If regulations are adjusted, the economic subjects may be unclear as to the exact regulatory differences. Furthermore there is uncertainty as to whether the fulfillment of the requirements of foreign regulations is recognized by the host country. Even in case of ex-post harmonization it may be useful to create secondary country of origin principles and to achieve substantial harmonization. To wait for ex-post harmonization is no way to discover the necessary level of regulation, as the economic agents’ interest in a reduction of transaction costs will not necessarily suffice to induce autonomous national legislative steps regarding the regulation of an important market. Rather, there is always the tendency towards protectionist measures. With regard to the freedom function of systems competition, it has to be noted that regulatory arbitrage was instrumental in the case of the settlements of investment funds in Luxembourg, in the case of the choice between the corporate law of different (member) states and in the case of choosing ships’ flags. The significance of regulatory arbitrage by consumers as a result of the country of origin principle is unclear, apart from a few exceptional cases (such as in the observable demand for UK life insurance until the onset of the financial crisis or the significance of UCITS from Luxembourg on the German market). It is very likely that the economic models tend to exaggerate the actual relevance of regulatory differences and that regulatory differences are less important than the entrepreneurial characteristics of goods and services.
V. Criticism of the Modelling 1. Failure to Adequately Capture Relevant Framework Conditions The theory of systems competition, as well as its critics, would predict a relevance of regulations under the country of origin principle of EU law, although theoretical considerations suggest that regulation-induced relocation is only significant in some narrow fields. Under the application of the principle of mutual recognition, relocating to exploit regulatory differences is only attractive in highly regulated fields due to
D. Summary
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transaction costs, the pooling of location factors and widespread minimum harmonization. In fact, regulatory arbitrage through relocation is rare. It is problematic that the models of well-functioning systems competition do not consider consumers’ frequent lack of knowledge concerning regulatory differences, even though such knowledge problems are easily modelled in information economics and behavioral economics. The models ignore that regulatory differences play only a secondary role, if at all, in consumption decisions, so that it is very likely that consumers do not appreciate goods or services which conform to stricter regulations. Moreover, economic theory hardly pays notice to the European legal framework. Models of functioning systems competition do not take account of the fact that under the country of origin principle of primary law, for goods to be marketable, it is sufficient that they comply with the law of the member state in which they are first marketed. Therefore, regulatory differences will be less relevant for location decisions than is often expected. In his selection model, Sinn ignores the limitations of mutual recognition (Schranken) in European law. The importance of the case law concerning the circumvention of member state regulations in the field of services is likewise disregarded by the economic modelling. This neglect of the legal framework cannot be justified by exemplary simplification. 2. Questionable Analytical Utility of the Market Analogy The assumption of a preference adjustment function of systems competition is problematic because regulations should serve society as a whole; they are made not only for institutional demanders (the economic subjects which can choose institutions through institutional mobility). The general assumption of a power limiting function of systems competition is problematic as the underlying premise that law is generally an expression of interest group policy is by no means universally true. Therefore, it is possible even in the case of suboptimal deregulation to describe the legal development as an expression of the power limiting function. Systems competition can produce a bias in favour of certain groups at the expense of others, an aspect which is ignored by the advocates of the model of well-functioning systems competition. The Delaware Effect illustrates a preference for management whereas in the context of the European reference areas, a preference of institutional demanders like the suppliers of goods and services played no decisive role. Irrespective of the lack of empirical confirmation for the discovery function of systems competition, the assumption of such a function has to be criticized even theoretically as institutional mobility exclusively transmits the interests of institutional demanders. Therefore, the generation of knowledge on this basis can be one-
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§ 20 Zusammenfassung
sided from a societal perspective. As mentioned above, the Delaware Effect illustrates this problem. The assumption of a deregulation function has only limited analytical utility because it requires an overall assessment of systems competition and is unable to identify a specific aspect of systems competition. The problem is that advocates of systems competition create the impression that a general deregulation is needed. The importance of the ex-post harmonization function for the analysis of systems competition is doubtful since there are no criteria as to what level of legal adjustment qualifies as ex-post harmonization, as any deregulation in reaction to laxer regulatory requirements can in principle lead to an abrasion of legal differences. The same applies to institutional imitations as they also lead to a reduction of regulatory differences. Further, it must be noted that not all ex-post harmonization is necessarily beneficial. The freedom function hardly possesses any analytical value. The existence of a freedom function of institutional mobility presupposes that regulatory arbitrage is assessed positively. Due to the much-emphasized shortcomings of the political process, economic theory generally assumes such a function. However, a mediating view on the political process is inevitable because freedom is not an absolute value. The law always creates a societal balance of interests. If regulations are necessary to achieve such a balance and institutional mobility would disrupt this balance, there can be no freedom function of institutional mobility. This relationship becomes clear in the context of the choice of corporate law between the US states as this choice leads to a neglect of the interests of creditors and third parties. However, insofar as consumers are in a position to make an informed choice on the basis of the country of origin principle and there is no market failure in the form of negative externalities, regulatory arbitrage generally leads to a better satisfaction of preferences and to higher social welfare. Due to the limitations of mutual recognition (Schranken) and the minimum harmonization of substantive law, negative consequences such as the generation of negative externalities are only possible to a limited extent. Therefore, we may justifiably speak of a freedom function of institutional mobility with regard to the choice between goods and services which are regulated differently in the European context. As far as regulatory arbitrage takes place by means of relocation, there is a conflict with the European legislator’s intention of preventing the evasion of national regulations through relocation. Therefore, such regulatory arbitrage cannot be regarded as an expression of the freedom function of institutional mobility on the basis of the assessment of European law. The theory of systems competition negates the value of democratic decision-making as its proponents generally regard state-made law as defective and consider systems competition a useful corrective instrument. The negative attitude towards state-made law is reflected in the demand for replacing the country of origin principle by choice of law rules and in the call to privatize regulations and to substitute state-made regulations.
D. Summary
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It is problematic that the preference adjustment function, the deregulation function and the freedom function require an overall assessment of the legal development. Therefore, these functions yield no indications for the assessment of systems competition even though the very purpose of the market analogy is to substantiate its benefits. It turns out that the evaluation of systems competition is highly case specific; a general assessment is not appropriate. Current modeling efforts overlook this fact. The general reference to the importance of the regulatory framework for systems competition (i. e. the existence of substantive minimum harmonization in particular) by the proponents of systems competition theory is problematic in this context. It leads to an argumentative immunization against possible market failure in systems competition, it suggests that systems competition functions in general and that market failure is a problem that can be easily addressed by variations in the institutional framework. Therefore, the argument in principle favours systems competition. Thus the benefits of systems competition are overestimated and negative effects are undervalued. Therefore, rather than making the market analogy, which is inevitably connected with certain expectations regarding the economic functions of competition, future discussions are better served by formulating clear expectations regarding systems competition. This is confirmed by the fact that the functions of competition between private parties are not immediately transferable to systems competition. The analogy can be the source of misunderstandings. In addition, the discussion about systems competition strongly requires an empirical basis. A closer look at the theory of systems competition raises fundamental doubts regarding the capacity of economic modelling.
VI. Conclusion This study sheds serious doubts on the arguments of the proponents of systems competition. Therefore, the observed dynamic in substantial harmonization must not be evaluated negatively. The quality of legislation is decisive and the scope for its improvement must be taken into account. Against this background, one result of this work is a call to work on improving the political process and to improve national laws as well as substantive harmonization in this way.9
9 Cf. my doctoral lecture: Brettschneider, Nutzen der ökonomischen Theorie der Politik für eine Konkretisierung des Gebotes innerparteilicher Demokratie. (translation of the title: The Use of the Economic Theory of Democracy for Concretizing the Command of Inner-Party Democracy).
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Literaturverzeichnis
die Nennung der ersten Seite sowie die Seite bzw. Seiten, auf die sich die Fundstelle bezieht (z. B. Jayme, Die kulturelle Dimension des Rechts – ihre Bedeutung für das Internationale Privatrecht und die Rechtsvergleichung, RabelsZ 67 (2003), S. 211, 213). Sofern parallel die Heranziehung älterer Auflagen von Werken notwendig ist, erfolgt der Nachweis in der jeweiligen Fußnote mit Angabe der Auflage.
Personenregister Adomeit, Klaus 670 Ahrens, Sönke 385 Akerlof, George A. 67 Ambrosius, Gerold 369 Apolte, Thomas 196 f., 205, 244, 256, 339, 488, 712 Aristoteles 47 Arrow, Kenneth J. 67
Eidenmüller, Horst 593 Engel, Christoph 172, 624
Bardenhewer-Rating, Angela 347 Behrens, Peter 713 Bergh, Roger Van den 191, 336 Bernholz, Peter 644 Biedenkopf, Kurt 597 Bodewig, Theo 445 Böhm, Franz 40, 59 Bolkestein, Frederik 275, 287 Bornkamm, Joachim 385, 387 Brandeis, Louis Dembitz 225 f., 577 Brandenburger, Adam M. 202 Braun, Jens-Daniel 566 Braun, Susanne 601 Breton, Albert 244, 270 Brown, Jennifer Gerarda 558 Bruck, Ernst Robert 478 f. Burk, Dan L. 152
Gebhard, Evelyne 288 Gerken, Lüder 190, 206 – 209, 643 Giersch, Herbert 228
Capito, Ralf 566 Coase, R. H. 86, 631 Currie, Brainerd 117 Darwin, Charles 83 David, Paul 296 Dehler, Thomas 100 Di Fabio, Udo 648 Dölle, Hans 226 Downs, Anthony 278, 281 Ebner, Klaus 457 Ehlermann, Claus-Dieter 697 Ehrlich, Eugen 634, 659
Faber, Malte 644 Fichte, Johann Gottlieb 720 Friedman, David 628, 630 f. Friedman, Milton 628, 630 f. Friedman, Patri 628
Hallstein, Walter 673 Hatje, Armin 143, 284 Haucap, Justus 180 f. Hauser, Heinz 251 Hayek, Friedrich A. von 77, 81 f., 86, 105, 107, 127, 217, 220 f., 225, 232, 284, 655, 691, 714 Heine, Klaus 626 f. Herzog, Roman 268, 298 Hesse, Konrad 98 Hirsch, Mario 438 Hirschman, Albert Otto 291 – 293, 673 Hobbes, Thomas 273 Hoeren, Thomas 457 Honig, Gerhart 403 Hoppmann, Erich 206 f., 250 Jayme, Erik 652 f. Jellinek, Georg 268 Jhering, Rudolf von 79, 84 f., 298 Johannson, Jürgen 465 Juenger, Friedrich K. 572 Katzenberger, Paul 168 Kegel, Gerhard 114 Kelsen, Hans 285 f. Kerber, Wolfgang 191, 236, 336, 344, 347, 565 – 567, 570, 617, 620, 623, 625, 638 f., 650, 703
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Personenregister
Kieninger, Eva-Maria 572, 598 Kirchner, Christian 625 Kiwit, Daniel 169, 673 Klein, Peter 231 f. Koenig, Christian 566 Kohl, Helmut 93, 174, 280 Köhler, Helmut 75 Koppe, Fritz 366 Krugman, Paul 208 f. La Pergola, Antonio Mario 591 Lachmann, Ludwig M. 59 Laux, Manfred 547 Masing, Johannes 552 Meessen, Karl M. 261, 721 Mehde, Veit 202, 267 Menger, Carl 77 – 80, 91, 161, 232, 300, 629 Müller, Helmut 496 Müller, Markus 267 Müller-Graff, Peter-Christian 169 Mussler, Werner 191 Nalebuff, Barry J. 202 Neuhaus, Paul Heinrich 549, 568 Nicolaïdis, Kalypso 201 Oates, Wallace 167 Oberlack, Hans Günther 205 Olson, Mancur 152, 237 Ortmann, Mark 484 Ott, Claus 69, 105 Pechstein, Matthias 445 Peters, Anne 357 f. Pipkorn, Jörn 347 Posner, Richard 86 Post, Albert Hermann 84 f. Prantl, Karl 383 Priest, George L. 87 Prosi, Gerhard 651 Rexrodt, Günter 381 Richter, Jörg 601 Rubin, Paul H. 87
Sack, Rolf 449 Säcker, Jürgen 670 Savigny, Friedrich Carl von 77 f., 80, 85, 91, 106, 112 – 116, 643, 654, 657 f. Schacht (Staatssekretär) 462 Schäfer, Hans-Bernd 69, 87, 105 Schmidt, Susanne K. 201, 286, 422 Schricker, Gerhard 388 Schumpeter, Joseph 258 Sedlácˇek, Tomásˇ 254 Seehofer, Horst 374 Seidel, Martin 128 Siebert, Horst 219 Sinn, Hans-Werner 193 – 196, 270 f., 335 f., 712 Smith, Adam 209, 215, 298 Solimine, Michael, E. 117 Spellenberg, Ulrich 553 Straubhaar, Thomas 179 Streinz, Rudolf 652 Streit, Manfred E. 77, 169 f., 187, 189 – 191, 251, 256, 270, 673, 688 Taschner, Hans Claudius 347 Teubner 634 Thibaut, Anton Friedrich 642 Thünken, Alexander 112 Tiebout, Charles M. 166 f., 179, 211, 269 Tocquevilles, Alexis de 684 Vanberg, Viktor 77, 238, 287, 294 Vogel, David 54, 265 – 267, 309, 321, 323, 325 – 328, 675 Vogel, Klaus 116 Voßkuhle, Andreas 717 Watson, Alan 88 Weber, Max 216, 278, 405 Wey, Christian 180 f. Willke, Helmut 106 Winkler, Tobias David 191, 366, 374 Ziekow, Jan 403 Zweigert, Konrad 618 Zypris, Brigitte 574
Stichwortverzeichnis Abgeordnete 97 f., 100 f., 532, 666 Abwanderung 110 f., 163 f., 169 f., 176, 178, 183, 192 f., 198 f., 212, 214 f., 218, 238, 272, 292 f., 437, 440, 519, 540, 559, 673 Agostini 433 Air Berlin 592 Akzeptanz, Harmonisierung 647, 670 f., 698, 704 allwissende politische Akteure 691 Anarcho-Kapitalismus 628 Anlegerleitbild 73, 546 Anreize 92, 94, 98, 136, 143, 158, 173, 197, 200, 222, 272, 276, 280, 317, 333, 507, 510, 580, 583, 602, 621, 625, 632, 650, 688, 700, 731 Arbeitnehmer Entsendegesetz 288, 290 Aufspaltung von Unternehmensaktivitäten 172 Ausflaggung 604, 608, 621, 677 Ausfuhrbeschränkungen 612 – 614 Austauschprozess, wettbewerblicher 206 f. Australien 156 Bankenaufsichtsrecht 501 Bankenrichtlinien 501 Bankgeheimnis 176 f., 489, 510, 530 Bayern 155, 518 BDA 597 BDI 597 Begünstigung mobiler Faktoren 610 Beihilfegewährung 356 Benevolenz politischer Akteure 174, 193, 273 – 275, 280 – Auswirkungen auf den Standortwettbewerb 174 Berlin 440 Beschränkungsverbot 120, 128 – 130, 133, 138, 434, 452, 615 Besonderheitenlehre 70, 490
Bestätigungsfunktion, systemwettbewerbliche 370 Bestimmungslandprinzip 39, 54, 109, 123, 131, 150, 265, 309, 319, 322 f., 325, 327, 329, 331, 344, 368, 480, 483, 488, 523, 675 – 677, 705 Beurkundungstourismus 552 Bhutan 275 Biedenkopf-Kommission 597 Bild des Abgeordneten 100 Bitcoins 632 black-box 269 – 272, 278, 304 bottom-up-Ansatz 234 – 236, 656 britische Lebensversicherungen 708 British Virgin Islands 318, 323 Bruttoprinzip, fernsehrechtliches 443 – 445, 447 Bündelung – politischer Inhalte 211, 223, 282 – von Regulierungen 165, 170, 172, 222, 367, 511, 573, 640, 688 – von Standortfaktoren 170, 172, 174, 178, 183, 222, 237, 355, 604, 680, 712, 733 – von Wettbewerbsparametern 582 Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse 144 f., 618 Bündnis 90/Die Grünen 392, 394, 403, 472 Bürokratietheorie 102 f., 147, 469, 632 – EuGH 703 Cadbury-Schweppes 589 California Effekt 54 f., 265, 309, 316, 320 f., 324 – 326, 328, 675 f., 727 Cartesio 590 Cassis de Dijon 129, 138, 186, 191, 193, 350 f., 359, 503, 612, 636 Cayman Islands 318, 323 CDU/CSU 289, 291, 381, 388, 392, 396, 406, 462, 473, 475, 516, 519
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Stichwortverzeichnis
Centros 353, 581, 586 – 589, 591, 593 f. China 83, 158, 214, 237 – Marktintegration 237 City of London 509 f. Clinique 384 CLT-UFA 436 – 439 Clubmodell 164, 179, 182 Coase-Theorem 631 Commerce Clause 149 Common Law 85 f. Comparative Law and Economics 89, 695 Conneticut 577 Corsten 390, 393 f., 403 country-of-origin Effekt 180, 341, 369 Czernowitz 634 Daily Mail 587, 589 Dänemark 556 f., 588 Daseinsvorsorge 73, 161 Dassonville 129 f., 132 Debauvre 431 Delaware 326, 510, 558, 579 f., 583, 585 Delaware Effekt 48, 347, 558, 576, 621, 683, 693 Demokratiedefizit 647, 654, 670 Demokratieprinzip 92, 99, 122, 218, 255 f., 637, 639, 671, 682 demokratische Entscheidung 222, 273 – Versagen 218 – Wert 255 f., 271 Deregulierung 596 – Begriff 219 Deregulierungsfunktion – Begrenzheit des analytischen Nutzens 689 – Systemwettbewerbliche 220 – systemwettbewerbliche 219, 361, 373, 376, 382, 387, 389 f., 402 f., 413, 427 f., 467 f., 474, 498, 500, 520 f., 545, 547, 581, 583 f., 600 f., 608 f., 649, 682, 687 – 689, 696, 698, 709, 714 – Abgrenzung zur Machtbegrenzungsfunktion 220 DGB 289 Die Grünen 284, 291 Die Linke 288 Dienstleistungsfreiheit 133 – passive 178
Dienstleistungsrichtlinie 51 f., 275, 287, 654 Dormant Commerce Clause 149 f. DP 406 Durchsetzungsfunktion, systemwettbewerbliche 692 E-Commerce 448 E-Commerce-Richtlinie 450 f. Effizienz 85 – 91, 252, 695, 703 Eigennützigkeit politischer Akteure 173 f., 274, 277, 278 f. Eigenpreisvergleiche 376 f., 379, 390, 729 Eigenständigkeit rechtswissenschaftlicher und ökonomischer Diskussion 223, 226 Einigungsschwierigkeiten 636, 639, 641, 651, 677, 691, 698 Einlagensicherung 233, 246, 504 – 507, 509, 516 Eins-zu-Eins Umsetzung 520, 543 Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers 74, 368, 466, 684, 687, 729 Einschätzungsprärogative des Unionsgesetzgebers 517, 704 Einschätzungsspielräume von Mitgliedstaaten 335 England 555 Entbündelung 570 – von Standortfaktoren 182 – 184 Entdeckungsfunktion – politischen Wettbewerbs 283 f. – systemwettbewerbliche 106, 171, 220 – 223, 233, 242, 251, 522, 547, 584, 623, 655 – 657, 690, 692, 700, 710, 713, 734 – in Bezug auf die Notwendigkeit von Harmonisierung 234 – rechtswissenschaftliche Perspektive 223 – Yardstick Competition 261 Entsendegesetz 286, 288 f. Erfahrungsgüter 64 – 66, 205, 247, 339, 399 – institutionelle 246 f. Erstvermarktungsort 350 – 352, 610 f., 712 Euro-Märkte 509 Europäisches Zivilgesetzbuch 658, 660 Evolution des Staates 629 Evolutionstheorie 83
Stichwortverzeichnis evolutorische Beschreibung politischen Wettbewerbs 282 f. evolutorische Integration 646 evolutorische Modellierung politischen Wettbewerbs 176 evolutorische Rechtsentwicklung 77 – 79, 85 f., 91, 106, 162, 221, 228 f., 232, 242, 244, 634, 668 evolutorische Systemwettbewerbstheorie 54, 77, 93, 106, 110, 169, 171 f., 194, 218, 221 f., 224 f., 228 f., 232, 236, 241 – 244, 250, 252 f., 279, 297, 299, 547, 566, 581, 584, 634, 654, 657, 688, 690 f., 694 f., 726, 730, 732, 736 evolutorische Wettbewerbstheorie 77, 242, 258 Export von Recht 89 Ex-post Harmonisierung, California Effekt 266 Ex-post Harmonisierungsfunktion – Bedeutung von Markttransparenz 230 – systemwettbewerbliche 90, 227 – 230, 232 – 234, 241, 369, 380, 447, 500, 545, 547, 603, 638, 644, 648 f., 664, 676, 695 f., 698, 701, 710, 714, 721, 726, 732, 734 – Argumentation der Bundesregierung 233 – (Australien) 158 – Römische Verträge 232 externe Effekte – negative 63, 197 – 199, 244, 248 f., 329, 348, 358, 424, 650, 679 – negative (Begriff) 68 extraterritoriale Rechtsanwendung 264 FDP 289, 291, 381, 392, 396, 406, 473, 516, 519 Fernsehen 431 Fernsehrichtlinien 431 – 434 Finanzkrise 103, 485, 498, 506, 521 f., 677, 715 Fiskalföderalismus 348, 651 Föderalismus 149, 153, 156, 214, 217, 255, 328 forum shopping 551, 679 Franchise-Modell 180 f. franchise tax 578, 602
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Frankreich 288, 320, 324, 433, 440, 606, 648 Freihandelslehre 208 Freiheitsfunktion – systemwettbewerbliche 110, 211 f., 555, 559, 677, 679 f. – Abgrenzung zur Machtbegrenzungsfunktion 212 – (Begriff) 212 – Verhältnis zu verfassungsrechtlichen Freiheiten 212 Fremdrechtsanwendung 112, 115, 117, 123, 137 f., 140, 562, 619 functional overlapping competing jurisdictions 182 GATS 118 GATT 118, 122 – 124 GB-INNO-BM 135, 377, 379, 384 Gegenseitigkeit – Erwartung der 145 – Prinzip der 112, 125 f., 146, 200, 276, 323, 325, 676 Gerechtigkeit 76, 91, 174, 238 – 240, 610, 649, 698 Gerechtigkeitsfunktion, systemwettbewerbliche 238, 610, 698 f. gerichtliche Entscheidungen, Herkunftslandprinzip 550 Gesundheitsschutz 332, 334, 357, 362 f., 367, 372, 453, 686, 723 Gleichgewichtsbildung 90, 227, 229, 241 f., 244, 500, 522, 547, 602, 623, 688, 691, 695, 710, 731 – politischer Wettbewerb 176, 283 – Tiebout-Modell 166 Gleichheitssatz 303 f. Gleichwertigkeit 549, 551, 562, 619 – ausländischer Gerichtsentscheidungen 551 – von Formerfordernissen 549, 560 – von Lebensverhältnissen 153, 201 – von Privatrecht 114 f., 140, 569 – von Regulierungen 120 f., 134, 139 f., 147, 157, 191, 200, 203, 301, 344 f., 348, 482, 560, 569, 618 – 620 – als rechtspolitischer Argumentationstopos 140
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Stichwortverzeichnis
– Verhältnis zum Systemwettbewerb 191 – von Vertragsrechten 569 Glück 274 f. Glücksspielregulierung 155 governmental interest analysis 117 Grauzonenmaßnahmen 119 Gretna Green 556, 558 Griechenland 180 Großbritannien 354, 435, 439, 484, 501, 514, 573, 588, 598, 601 Guernsey 489 Günstigkeitsprinzip 352, 469 – 471, 693, 730, 744 Gut Springenheide 384
Hamburg 574 Handelshemmnisse 62, 64 f., 95, 105, 109 f., 118 – 120, 144 – 148, 155, 160, 198 f., 205 f., 237, 246, 249, 264, 301, 328 f., 378, 624, 641 f., 650, 652, 682 f., 722 f., 727 – China 159 Handwerksregulierung 291, 390, 392 f., 396 – 398, 400 f., 405, 407, 685 f. Harmonisierung – Akzeptanz 647 f. – Ausfall einer Rechtsevolution 666 – Größenvorteile von 651 – kollisionsrechtliche 619, 656 – Kompromisscharakter 669 f. – materiellrechtliche 42 – 44, 52, 54 f., 141, 145 f., 148, 154, 204, 227, 229, 232 – 235, 237, 243, 251 – 253, 266, 324, 328 f., 343 f., 347, 349, 361, 364, 371, 380, 416, 431, 433, 447, 452 – 454, 458, 461, 471, 476 – 479, 482 f., 500 – 504, 525, 567, 585, 587, 591, 607, 609, 612, 623, 634, 638, 642 – 644, 646 – 651, 654 – 657, 664, 666 f., 669, 671 – 674, 677, 689, 691 f., 696 f., 699, 701 f., 710, 720, 723 – Vernachlässigung von Präferenzen 651 Harmonisierungsdynamik 142, 349, 477, 500, 567, 585, 623, 641, 696, 699, 710 Harpegnies 344 Heiratsparadiese 556 Herkunftslandkontrolle 142, 435
Herkunftslandprinzip 44, 51, 101, 131, 136 f., 144, 147, 153 – 155, 160, 168, 185 f., 190, 192 f., 196, 201, 221, 251, 262, 276, 287, 319, 330 f., 333 f., 336, 343 – 345, 350 – 352, 368, 376, 390, 431 – 435, 437 f., 441, 443, 448, 450 – 454, 456 – 458, 469 – 471, 478, 501, 505, 523, 548 – 552, 563, 565, 590, 635, 640, 645, 649 f., 652, 654, 697, 699, 701, 717, 723 f., 728, 733, 735 – als Mischform 131 – BRD 154 – kollisionsrechtliches Verständnis 137, 331 – OGAW 525 – sachrechtliches Verständnis 136, 138, 331 – Schweiz 145 f. Herstellungsort 350 historische Rechtsschule 78, 232 IFRS 313 – 315, 324, 327, 618 Illinois 577 Imitation – systemwettbewerbliche 519, 521, 578 f., 584, 602, 694 f. – wettbewerbliche 224 Imitationsfunktion, systemwettbewerbliche 694 Imitationsverbot von Milcherzeugnissen 373, 681 Immaterialgüterrechte 321 – 323, 325 Immaterialgüterrechtsschutz für Recht 700 Informationsasymmetrien 63, 65, 67, 190, 196, 244 – 247 – Folgen von 66 Informationsintermediäre 247 Informationskosten 183, 645 Informationsmodell 333 – 335, 340 f., 373, 390, 591, 595, 599, 684 Informationsökonomie 65, 712, 733 Inländerbehandlung 118 f., 126, 128, 147, 501 – Australien 156 Inländerdiskriminierung 109, 128, 131, 169, 302 – 304, 313, 336 – 338, 360 f., 371, 374 f., 378 f., 386, 391, 395, 403, 408, 412, 415, 421, 423, 427, 444 f., 447, 458 – 460,
Stichwortverzeichnis 470, 482, 486, 492 – 494, 499 f., 516, 521, 566, 603, 610 – 613, 622, 649, 681 f., 686, 702, 705, 708 – als Argument für Inländerbehandlung 156 inländischer Konsumanteil 640 Innovation, Begriff 224 Innovationsfunktion – politischen Wettbewerbs 284 – systemwettbewerbliche 224 f., 242, 430, 471, 521 f., 547, 584, 602, 623, 693 f., 700, 710, 713 – Yardstick Competition 261 Inspire Art 589, 599 institutionelle Mobilität 730 f., 734 f. – Begriff 211, 257 Institutionen, Begriff 59, 263 Integration – Begriff 42 – funktionale 134 Integrationsinstrumente, Begriff 42 integrationspolitische Bedeutung von Harmonisierung 646 interdisziplinäre Zusammenarbeit 658 f. Interessengruppen 87, 93 – 98, 100, 282 – nützliche Funktionen 97 Interessengruppenpolitik 218 f., 284, 294, 382, 405, 407, 466, 476, 639, 665, 682, 687, 711 Interessengruppenregulierung 407 Interessengruppenregulierungen 52, 217, 220, 284, 389, 476, 622, 640, 663 Interessengruppentheorie 93, 95 f., 99, 408, 429 Internationales Privatrecht 111 f., 185, 652 Internationales Schifffahrtsregister 356, 606 Internet 448 Investitionskapital 47, 182 Investmentfonds 523 Irland 541 Japan 266 Jersey 489 Kabotage 418 f. Kabotage, Begriff Kalifornien 265
416
883
Kanada 147 Kapitalaufnahmerleichterungsgesetz 312 Kartellierung 203 Kaufkraftkapital 182, 192, 208 Kaufkraftwanderung 49 Keck 132 f., 377 – 379, 382, 450 Kieler Schule 172 f., 227, 244 Kodifikationsstreit 657, 660 kollektive Entscheidungen 80, 162, 182, 211 f., 225, 281, 283, 285, 651, 668, 671 – 673, 679 – innovationshemmend 225 kollisionsrechtliche Integrationsinstrumente, Begriff 42 kollisionsrechtliches Verständnis des Herkunftslandprinzips 331 Kommission/Deutschland 411 Kommission/Irland 341 Konkurrenzschutz 94, 368, 406, 410, 413, 421, 427 – 429 Konsistenzerfordernisse 170, 300 f., 305, 695 Konsumanteil im Inland 197 Kooperation 199 – 202 – Bedeutung eines Rechtsrahmens 199 – fehlende 199 – Verhältnis zu Wettbewerb 200 – 203 – zwischen Staaten 201 – 204 kooperativer Föderalismus 201 Krisentheorie 103, 585 Kritik an der ökonomischen Theoriebildung 711 Kumulverbot 342 Lauterkeit, systemwettbewerbliche 356, 358 „Law – Made in Germany“ 574 legal borrowing 88 Legal Transplants 88, 301 Lettland 180 Leviathan 273 lex mercatoria 633 – 635 Linke, Die 288 Lissabon-Strategie 143 f. Lokalisationserfordernis für RA 411 f. Luxemburg 176, 326, 377, 396, 437 – 439, 463, 489 f., 509 f., 528 – 531, 540 f., 547, 732
884
Stichwortverzeichnis
Machtbegrenzung, verfassungsrechtliche 408 Machtbegrenzungsfunktion – systemwettbewerbliche 122, 212 – 214, 217 – 220, 251 f., 271, 361, 373, 376, 388, 390, 407, 411, 413, 429, 447, 463, 467, 476, 500, 583, 603, 609, 622, 640, 663, 673, 681, 710, 713, 729 – Abgrenzung zur Deregulierungsfunktion 220 – Yardstick Competition 261 Made in Germany 181 Market for Lemons 67, 195, 246 Markt für Gebrauchtwagen 67 Marktabwanderung 176 – 178 Marktanalogie 49 f., 77, 161, 210, 252 f., 325, 694, 713 f. Marktversagen 50, 63, 193 f., 234, 242, 244, 248, 252 f., 358, 390, 399, 488, 546, 653, 679 – chronisches 194 Marktzugang 429, 493, 611, 615, 622 f., 703 Marktzugangsregulierung 61, 323, 328 Marktzuwanderung 176 Mars 384 Maryland 579 Massachusetts 577 Masterpat 409 f., 413 Maximalharmonisierung 528 Medianwählermodell 281 f., 291 Mehrheitsentscheidungen 162, 211, 281, 651, 668, 671, 679 Meisterzwang 391, 407 f., 682, 685 f. Mexiko 147 Michigan 577 Milcherzeugnisse, Imitationsverbot 681 Mindestharmonisierung 121, 141, 147, 190, 301 f., 337, 345, 435, 446 f., 453, 488, 492, 502, 517, 521, 529, 566 f., 613, 615, 619 f., 623, 626, 645, 651, 656, 680 f., 690, 692, 694, 699 f., 703, 707, 709 f., 736 Mindestweingeisterfordernis 130 Mindestweingeistgehalt 129 Mischmodell – politische Akteure 280 – systemwettbewerbliches 244 Missstandsaufsicht 487 f., 494, 498
Mitbestimmung 592 f., 597 f. Mittelstand 382, 389, 461 Mittelstandsschutz 73, 389, 405, 464 – 467, 475, 685 f. Mobiliarsicherheiten 550 Mobilität – institutionelle (Begriff) 46 – nicht-physische 47 – 49, 165, 182 – 185, 260, 292 – physische 47, 165, 178 f., 183 f., 260, 292 Modell von Oberlack 205 Multi-State Problematik 448 Mutual Recognition Scheme 157
Nachtbackverbot 177, 684 – 686 NAFTA 147 f. naturgesetzliche Rechtsentwicklung 83 – 85 neoklassische Beschreibung politischen Wettbewerbs 176, 282 f. neoklassische Systemwettbewerbstheorie 166 f., 171, 173, 186, 226, 241, 243 f., 252, 269 f., 273, 500, 522, 691 neoklassischer Ansatz 174 Nettoprinzip, fernsehrechtliches 443 – 445, 447 neue Konzeption 636 neue Strategie 139, 141 f., 147, 237, 641, 723 – Einfluss in Australien 157 New Jersey 577 – 580 New York 577 nicht-physische Mobilität 257 – Begriff 257 Niederlande 177, 419, 436, 441, 443, 446, 513, 598 f. Niederspannungsrichtlinie 636 Nordamerikanischen Freihandelszone 147 Nordrhein-Westfalen 439 f., 574 normative Theorie der Regulierung 54, 62 f., 69 f., 76, 92, 124, 241, 245 – Fehlende Beachtung in der Rechtswissenschaft 71 – im systemwettbewerblichen Kontext 123 North Carolina 577 Norwalk Agreement 314 NSDAP 405
Stichwortverzeichnis Offenlegungspflichten politischer Akteure 665 Öffentliches Recht 184 f. Öffentlichkeit 104 OGAW 523 ökonomische Theorie der Politik 100, 104, 173, 277, 282 Ordnungsrahmen 39, 54, 59, 63, 77, 80, 98, 99, 107 – 110, 163, 184, 242 f., 247, 253, 259, 271, 338, 358, 471, 628, 699, 713 ordre public 137 Ortsform 548, 553 Österreich 302 f., 518 f., 521 Parallelprozess, wettbewerblicher 206 f. Parteien 285 f. Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung 599, 603, 680 f., 711 Patentgebührenüberwachung 409 f. pekuniäre Effekte – Begriff 69 – im Systemwettbewerb 250 Pennsylvania 577 Personalstatut 548 – 550 Pfadabhängigkeiten 170, 295 – 299, 388, 403, 430, 468, 688 – Durchbrechung von 469 physische Mobilität, Begriff 257 Piraten-Radiosender 437 Planwirtschaften 82, 691 Polen 419, 427 politische Akteure, Begriff 76 politische Schule des Internationalen Privatrechts 116 politischer Entscheidungsprozess 222 f. politischer Wettbewerb, Begriff 282 Port State Control 316, 675 Portugal 180 positive Theorie der Regulierung 71, 92 f., 95, 102 f., 381 Präferenzanpassungsfunktion – politischen Wettbewerbs 283 – systemwettbewerbliche 213, 376, 427, 601, 625, 680, 714, 734 f. Präferenzen, Unterschiedlichkeit von 652 Prestige einer Regelung 89 Privatautonomie 41, 110, 628 private Gütesiegel 637
885
private Währungen 632 Privatisierung 624 – im technischen Sinne 627 Privatrecht 60, 72, 111 f., 115, 117, 548, 552, 556, 561, 722 Produkthaftungsrecht 318 – 320, 323 Produktregulierungen 61, 118, 155, 355 – Begriff 61 f. Protektionismus 40, 119, 126, 146, 264, 293, 338, 615, 676 Prozessregulierungen 61, 122 f., 177, 614 – Begriff 61 Public Choice Theorie 104, 173, 276 – 278, 280, 282 Qualifikationsanforderungen
682
Rabatte 455 RabattG 291, 381, 456, 458, 461 – 468, 474, 681, 686, 688, 690, 705, 709, 729 f., 743 f. race to harmonization 477, 623, 710 race to the bottom 51 f., 67, 101, 117, 184, 196, 246, 271, 329, 349, 358, 368, 431, 446, 498, 576, 580, 591, 598, 609, 710, 713, 719, 722, 726, 737, 741, 745 – Begriff 262 race to the top 265, 325, 580, 675 f. Recht – als Produkt 178 f., 182 – 184 – Geschichte 161 Rechtsanwälte 409 Rechtsanwendung 651 Rechtsdurchsetzung 421, 450 Rechtsprechung als systemwettbewerblicher Akteur 386 Rechtssicherheit 80, 512, 583 Rechtsunsicherheit 379, 632, 643, 695, 701, 732 Rechtsvergleichung 88, 115, 260, 658, 661 Rechtswahlfreiheit 42, 48, 55, 112, 146, 182 – 185, 234 f., 347, 565 – 567, 570 f., 591, 604, 610 – 613, 615, 617 f., 622 f., 640, 650, 706, 711 – Präferenzen 569 Regelungswut 654 Regulierung – aus rechtswissenschaftlicher Sicht 96, 98 – Begriff 46, 211
886
Stichwortverzeichnis
Regulierungsarbitragen, Begriff 257 Regulierungsphilosophie – Änderung der 498, 600 – Angleichung der 664 – Unterschiedlichkeit von 415 Regulierungswettbewerb, Begriff 259 Reinheitsgebot – für Bier 155, 178, 189, 246, 339, 362 – 369, 394, 614, 639, 687, 689, 708 – für Fleischwaren 370, 681 Reputationseffekte 63, 180, 399, 566, 625 Responsivität, staatliche 212 revolving-door Phänomen 102 Rheinland-Pfalz 436 Richterrecht 80, 85, 87, 91, 256, 263, 388 Risikoaversität der Bürger 225 Römische Verträge 232 RTL 436, 438 – 440, 442 Rückkopplung 174 f., 189, 197 f., 205, 240, 368, 408, 426, 485 f., 488, 507, 581, 681, 689, 715 – Begriff 262 Rumänien 426 Saarland 436 sachrechtliches Verständnis des Herkunftslandprinzips 138 Sachsen 555 Säger/Dennemeyer 409 f., 413 Schnitzer 390 f. Schottland 556, 559 f., 631 Schranken 122, 137, 191, 197, 205, 330 f., 334, 336, 358, 434, 452, 482, 549, 570, 589, 643 f., 656, 679, 681, 692, 699, 707, 709, 712, 723, 728, 735 Schutz der öffentlichen Sicherheit 453 Schweden 424, 433 Schweiz 144 – 146, 176 f., 317, 323, 552, 618 Seasteads 629 Selbstregulierung 63, 200, 247, 566, 626, 638 f. Selektionsmodell 193, 271, 335 f., 712 Selektionsprinzip 193 Semiconductor Chip Protection Act 322 f. Shrimps 317, 675 Signalling 63, 180 Sitzlandaufsicht 480 f., 500, 502
Sitzlandprinzip 505 Sitztheorie 586 f. Sloman Neptun 358 Slowenien 427 Solidaritätspflicht der Mitgliedstaaten 202 Solman Neptun 356 Sonderweg Europas 219 soziale Regulierungen 232 soziales Marktversagen 63 Spaak-Bericht 232 Spanien 180, 556, 598 Spanier-Entscheidung 115, 557, 559 Spartentrennung 486 f., 494, 498 SPD 287, 289, 291, 381, 394, 403, 472, 516 Spieltheorie 198 SPS Agreement 120 f. Staat – Geschichte 161 – privatrechtliche Modellierung 164 staatliche Responsivität, Begriff 257 staatlicher Gestaltungsspielraum 91 f., 122 Standortfaktor 352, 381, 427, 437, 456 f., 460, 489, 510 f., 529, 711 – Meisterzwang 391 Standortrankings 247 Standortrelevanz von Regulierungen 350, 427, 509, 529, 531, 706 Standortverlagerungen 48 f., 168 f., 193, 199, 292, 352, 489, 640, 680, 706, 709 Standortwahl 168, 248, 617 Standortwettbewerb 166 – 168, 170, 173, 192 f., 248, 369, 438 – 440, 446 f., 456 – Begriff 47, 172 Statutentheorie 111 f. Steuerrecht 240, 361, 530, 587, 591 Steuerungsdiskussion 107 Steuerwettbewerb 215, 510, 699 Stimmentausch 669 Strafrecht 449, 552 Straßengüterverkehr 415 Subsidiaritätsprinzip 52, 347 – 349, 697, 703 f., 720 – Effizienzbetrachtung 703 Suchgüter 64 f., 205, 339, 399 – institutionelle 246 f. sunk costs 408 Sunset-Legislation 665 Systemverkrustung 219
Stichwortverzeichnis Systemwettbewerb – alter 82 – Begriff 46, 50, 256 – Geschichte 82 – im untechnischen Sinn 126, 441 – im untechnischen Sinn, Begriff 259 – neuer 83 Systemwettbewerbsfunktionen, Begriff 210 Systemwettbewerbstheorie, Fehlen einer 53 Tätigkeitslandprinzip 109, 176, 288, 329, 435 TBT Agreement 120 f. technische Normung 635 Territorialität, Prinzip der 109 f., 112, 616, 618 f. Theorie der Effizienz des Common Law 85, 388, 635, 668 Theorie der kulturellen Evolution 81 f. Tiebout-Modell 166 f., 179, 211, 269 Tønder 556 – 559 Tonnagebesteuerung 607 Transaktionskosten 60, 66, 135 f., 161, 165, 168 – 170, 172, 178, 182 f., 260, 347, 386, 631, 640, 642 – 645, 680, 688, 696 Transatlantisches Freihandelsabkommen 148, 616 Tschechien 427 Ueberseering 589 Umgehung 353 – 355, 435, 454, 521, 553, 611, 617 – Centros 588 Umgehungsrechtsprechung des EuGH 353 – 355, 435, 588, 591, 611, 712 Umgehungsverbot 353, 435, 454, 504, 549, 553, 588, 611, 680, 706 – Re-Import 352, 355 Umverteilung, gesellschaftliche 76, 240, 699 Umweltverschmutzung 68 Ungarn 427 Ungleichbehandlung von mobilen und immobilen Faktoren 175, 230, 610, 692, 699, 732 unsichtbare Hand 209
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Untätigkeitsurteil des EuGH 416, 418 Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) 594, 711 US-GAAP 309 – 315, 324, 618 USA 48, 147, 149 f., 152 f., 310 f., 328, 406, 513, 601, 618 Van Binsbergen 133, 353 van Wesemael 134 Verbraucherleitbild 73, 333 – 335, 382 – 387, 390, 473, 546, 708 – Veränderung 386 Verbraucherschutz 73, 333 – 335, 373, 387, 453, 467, 565, 569, 571, 708 Verdrängungswettbewerb 329, 710 Verfälschung des Wettbewerbs 124 Vergeltung 125, 200 vergleichende institutionelle Betrachtung 44, 69 f., 252, 720 Verhaltensökonomie 707 Verkaufsmodalitäten 157 Vermittlungsfunktion der Parteien 100 Veronica 435 Verschonungssubvention 356 Versicherungsdienstleistungen 478 Versicherungsrichtlinien 479 Versicherungsurteil des EuGH 344, 482 Versicherungsvertragsrecht 571 Verteilung, gesellschaftliche 239 Verteilungsgerechtigkeit 76, 174, 239, 698 Vertrauen – gegenseitiges 200 f., 203 – zwischen Privatrechtssubjekten und Staat 181 Vertrauensgüter 64 – 66, 205, 339 – institutionelle 246 f. virtuelles Geld 632 Vollharmonisierung 139, 338, 447, 476, 522, 636, 664, 697, 699 f., 723 vorstaatliches Privatrechtsmodell 561 VT 4 353 f., 435 Webb 134 Weizsäcker, Carl Christian von” \f n 104 Welthandelsrecht 118 siehe auch GATT, GATS Werbung mit Eigenpreisvergleichen 376, 681
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Stichwortverzeichnis
Wettbewerb – als Entdeckungsverfahren 220 – Austausch- und Parallelprozess 206 – mit Drittstaaten 200 – von Bildungseinrichtungen 630 – von Währungsanbietern 631 Wettbewerbsbedingungen – Angleichung von 425, 430, 444 f., 460, 474, 490 f., 496 f., 506 f., 514, 521, 545, 566, 649, 693, 703 – Gleichhheit von 154 – Ungleichheit von 154, 169, 343, 345, 421, 468, 483, 493, 506, 518, 614, 649 Wettbewerbsdruck, systemwettbewerblicher, seitens von Drittstaaten 157 Wettbewerbsfähigkeit von Australien 157 Wettbewerbsfunktionen „normaler“ Märkte 210 Wettbewerbsintensität 364, 400, 419, 460 f., 474, 476, 493, 499, 545, 547, 594, 705, 709 Wettbewerbsordnung 114, 117, 243, 253, 347 Wettbewerbsrelevanz von Regulierungen 436, 455, 483, 506, 508 f., 528, 592, 605, 677 Wettbewerbsverfälschung 154, 346 Wettbewerbsverzerrungen 169, 344 f., 348, 614
Wettbewerbsvorsprung 584 Wissen, Generierung von 220 Wissenschaft, Wissensgenerierung durch 657 Wissensmängel der Bürger im politischen Wettbewerb 172 Wissensmangel politischer Akteure 105, 173, 221 Wissensproblem – der systemwettbewerblichen Nachfrager 171 – politischer Akteure 105 f., 170, 192, 222, 237, 654, 690 f., 707 – bottom-up-Ansatz 235 – von Nachfragern 171, 189 f., 488, 566, 707, 712, 733 Wissensübermittlung an politische Akteure 175 Wohlfahrtsökonomie 241, 270, 273, 279 Yardstick Competition 88, 148, 230, 260 f., 267, 327, 388, 403, 414, 463, 532, 577, 691 – Begriff 260 Yves Rocher 290, 378 f., 384, 388 Zölle 126 f., 152 f., 156 ZugabeVO 291, 382, 455 f., 458, 461 – 469, 471, 681, 686, 690, 705, 709, 729 f., 743 Zypern 180, 427