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German Pages 408 Year 2019
Angelika Richter Das Gesetz der Szene
Studien zur visuellen Kultur | Band 26
Editorial Orte und Weisen des Zu-Sehen-Gebens, Inszenierungen von (Un-)Sichtbarem und die Machteffekte sowohl bewusster wie unbewusster visueller Strukturen – auch im historischen Kontext – bilden das Forschungsfeld der »visuellen Kultur«. Es geht damit auch um die Erzeugung, Re- und Umformulierung von Bedeutungen in den Repräsentationen von Geschlecht, von sozialen und ethnischen Differenzen. Studien zu visuellen Kulturen nehmen Fragestellungen von Cultural, Gender, Queer und Postcolonial Studies auf, und sie führen Diskurse fort, die etwa von avancierten theoretischen Positionen der (feministischen) Kunstwissenschaft, der Wahrnehmungs- und Medientheorie angeregt wurden. Aus deren Perspektive ist »das Bild« nur ein Element im Gefüge visueller Kulturen, das sich über Verhältnisse räumlicher und visueller Ordnungen, in den besonderen Verknüpfungen von Wort und Bild und in den je spezifischen ästhetischen und materialen Eigenschaften ihrer Medien herstellt. Dieses Gefüge wird als ein Feld gesehen, in das Ordnungen von Gemeinschaften mit ihren jeweiligen Ein- und Ausschlüssen eingeschrieben sind, und innerhalb dessen sich kulturelle Deutungsmacht als Ausdifferenzierung zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Globalisierung, Nationalisierung und Regionalisierung bestimmen lässt. Die Reihe Studien zur visuellen Kultur bietet wissenschaftlichen Untersuchungen Raum, die sich kritisch und transdisziplinär mit historischen und aktuellen Phänomenen visueller Kulturen auseinandersetzen. Gegenstandsfelder sind High und Low, die Künste und die Populärkultur, traditionelle und neue Medien in ihren Wechselwirkungen – ebenso wie Analysen von Strategien der Sichtbarmachung und Studien zur Visualität. Publiziert werden herausragende wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten, Monografien und auch Sammelbände. Die Reihe richtet sich an Kunst-, Medien-, Kulturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen sowie an Interessierte in angrenzenden Wissenschaftsdizplinen und Institutionen der Kunst- und Kulturvermittlung. Die Reihe wird herausgegeben von Sigrid Schade und Silke Wenk. Angelika Richter (Dr. phil.) arbeitet als Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin und Autorin. Ihre Schwerpunkte sind kulturwissenschaftliche Geschlechterforschung, Kunst und Kultur Osteuropas (insbesondere der DDR) sowie die Geschichte der Performance- und Medienkunst. Sie war Mitglied des internationalen Forschungsnetzwerkes der DFG »Aktionskunst jenseits des Eisernen Vorhangs« und ko-kuratierte die Ausstellung »Left Performance Histories«.
Angelika Richter
Das Gesetz der Szene Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR
Für H.H. Der vorliegende Band ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation »Perspektiven künstlerischer Genderkritik. Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR«, die im Dezember 2017 vom Promotionsausschuss der Kulturwissenschaftlichen Fächer in der Fakultät III der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angenommen wurde. Diese Publikation wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Deutsche Stiftung Frauen- und Geschlechterforschung Deutscher Akademikerinnenbund Gerda-Weiler-Stiftung für feministische Frauenforschung e.V. D-53894 Mechernich, www.gerda-weiler-stiftung.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Cornelia Schleime, Bondage. Selbstinszenierung in Hüpstedt, 1982. Courtesy Cornelia Schleime, Fotografie: Bernd Hiepe Korrektorat & Lektorat: Astrid Hackel Satz: Hedwig Ruf, www.ruf-gestalten.de Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4572-9 PDF-ISBN 978-3-8394-4572-3 https://doi.org/10.14361/9783839445723 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt EINLEITUNG | 9 1. Untersuchungsgegenstand | 1 1 2. Forschungsstand und eigene Vorarbeiten | 14 3. Fragestellungen, Thesen und wissenschaftliche Relevanz | 17 4. Theoretische Rahmungen | 18 Geschlecht als Analysekategorie | 19 Dekonstruktion des Kunstkanons | 20 Zum Feminismusbegriff | 21 Performativität und Performance | 23 Performance Art analysieren | 24 5. Auf bau der Studie | 26
1. SOZIALISMUS UND GESCHLECHT | 31 1.1 Soziale Situation von Künstlerinnen | 32 1.1.1 Frauenrechte und politische Partizipation | 34 1.1.2 Berufsbild Künstlerin | 40 1.1.3 Sphäre der Reproduktion | 44 1.1.4 Positionsbestimmungen nach 1989 | 48 1.2 Künstlerinnen-Ausstellungen | 55 1.2.1 Feministische Kunstausstellungen in Ost- und Westeuropa | 55 1.2.2 Künstlerinnen-Ausstellungen in der DDR | 58 1.2.3 Präsenz im westlichen Ausland | 66 1.2.4 Die Kunstausstellung der DDR | 71 1.2.5 Ausstellungen nach 1989 | 74 1.3 Feministische Interventionen im Kunstdiskurs | 76 1.3.1 Veröffentlichungen | 76 1.3.2 Kunsthistorikerinnen-Tagungen West | 83 1.3.3 Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung Ost | 88 1.3.4 Akademischer Feminismus nach 1989 | 93
1.4 Zweite Öffentlichkeit und ihre Geschlechterverhältnisse | 98 1.4.1 Besonderheiten der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit der DDR | 101 1.4.1.1 Spannungsverhältnisse | 102 1.4.1.2 Historische Muster | 104 1.4.1.3 Netzwerkstrukturen | 105 1.4.1.4 Politische Wirksamkeit | 106 1.4.2 Mythos Boheme | 108 1.4.2.1 „Privates Patriarchat“ | 110 1.4.2.2 Galerien | 114 1.4.2.3 Gruppierungen | 119 1.4.3 Eigeninitiativen von Künstlerinnen | 125 1.4.3.1 Lietzen: Ein Ort für Künstlerinnen | 126 1.4.3.2 Die Erfurter Künstlerinnengruppe | 130 1.4.3.3 Kritik | 137 2. KUNST UND GESCHLECHT | 145 2.1 Repräsentation von Weiblichkeit und Männlichkeit | 147 2.1.1 Geschlechterbilder des sozialistischen Realismus | 149 2.1.2 Kritische Frauendarstellungen der 1960er und 1970er Jahre in Fotografie und Film | 152 2.1.3 Alternative Modellfiguren und Körperinszenierungen in den 1980er Jahren | 156 2.1.3.1 Leitbilder | 156 2.1.3.2 Körperbilder | 159 2.1.3.3 Queere Bilder | 162 2.2 Die Bedeutung von Performance und Body Art in der DDR | 169 2.2.1 Permanente Kunstkonferenz – Kontextualisierung lokaler Bedingungen | 171 2.2.2 Performance Art und zweite Öffentlichkeit | 176 2.2.3 Theoriebildung | 184 2.2.4 Performance und Bild | 189
3. GESCHLECHT ANDERS ZEIGEN | 193
3.1
Die Konstruktion des kulturell ‚Anderen‘. Karla Woisnitza inszeniert Woman is the Nigger of the World | 196 3.1.1 Biografische Kontexte | 196 3.1.2 Gemeinschaftsaktionen | 199 3.1.3 Symbolisches Auf brechen von Körpern und Formen | 203
3.1.4 Geschlechterdifferenz und kulturelle Differenz | 208 3.1.4.1 Fremdsein in der DDR | 212 3.1.4.2 ‚Andere‘ Kulturen darstellen | 217 3.1.4.3 Die Maske | 219 3.2 Abweichungen von heteronormativen Körperbildern. Queere ‚Männlichkeit‘ bei Gabriele Stötzer | 223 3.2.1 Biografische Kontexte | 223 3.2.2 Körpererfahrungen | 226 3.2.3 Frauen miteinander | 229 3.2.4 Punker*innen | 243 3.2.5 Strategien der Maskerade | 249 3.2.6 Die Pose | 255 3.2.7 ‚Macken‘ | 261 3.3 (Re-)Aktionen zur Emanzipation von Frauen. Heike Stephan zeigt Revolution & Erotics in New York | 263 3.3.1 Biografische Kontexte | 263 3.3.2 Lustvolle Körper: SINGER-Grafiken | 268 3.3.3 Vom Textil zum Körper | 270 3.3.4 „Aktionistische Raumkunst“ | 276 3.3.5 Ostdeutsche Rebellin in Amerika: Schwierigkeiten der Re-Präsenz | 280 3.4 Die politische Dimension des Privaten. Retrospektive Antworten auf Eingriffe des Geheimdienstes in Cornelia Schleimes Stasi-Serie | 288 3.4.1 Biografische Kontexte | 288 3.4.2 Körper-Blicke | 293 3.4.3 Einschnürungen | 300 3.4.4 Unter weißen Tüchern | 306 3.4.4.1 Verschleierungspraktiken | 308 3.4.4.2 Widerständige Momente | 313 3.4.5 Stasi-Serie – oder wie ‚Weiblichkeit‘ konstruiert wird | 316 3.4.5.1 Künstler*innen und ihre Geheimdienstakten | 317 3.4.5.2 Vestimentäre Praktiken | 321 3.4.5.3 Repräsentation (nicht-)normativer Weiblichkeit | 325 3.4.5.4 Die Ängste des Geheimdienstes | 335 3.5 Techniken des Selbst. Das System Aobbme von Yana Milev | 338 3.5.1 Biografische Kontexte | 338 3.5.2 Herrschaftskritik | 341 3.5.3 „Befähigende Verletzung“ | 345 3.5.4 Black Box | 354 3.5.5 Hausfrau trifft Michelangelo | 357
RESÜMEE | 369
1. Sozialismus und Geschlecht | 369 2. Kunst und Geschlecht | 373 3. Geschlecht anders zeigen | 374 4. Gegenwärtige Geschichte(n) | 377
LITERATURVERZEICHNIS | 379 ABBILDUNGSVERZEICHNIS | 401 DANK | 407
EINLEITUNG Im Jahr 1989 nimmt die Künstlerin Heike Stephan am Festival of Revolution in New York teil, das aus Anlass des 200-jährigen Jubiläums der Französischen Revolution stattfand.1 Der Ankündigungsflyer verspricht, Stephans Performance Revolution & Erotics erforsche „the limitations of sexual roles under socialism“.2 Doch die Reaktion des Publikums zeigte, dass es die Aufführung weder als ein (sozialismuskritisches) Statement zur Geschlechterdifferenz noch zum emanzipatorischen Selbstverständnis von Frauen in der DDR wahrnahm. Der Auftritt wurde indessen als Kritik an der Unterdrückung von Frauen in der ‚westlichen‘ Welt gelesen. Stephan hatte sexuelle Lust und autoerotisches Begehren mithilfe von Kleiderbügeln inszeniert, die in den USA auf Abtreibungen verweisen, bei denen sie als Operationsinstrumente Verwendung fanden. Durch die Enttabuisierung der illegalen Praxis von Schwangerschaftsabbrüchen geriet Revolution & Erotics zu einem feministischen und sozialkritischen Kommentar über die restringierte Selbstbestimmung US-amerikanischer Frauen, während ein Anliegen der Künstlerin darin bestanden hatte, das Selbstbewusstsein emanzipierter Frauen in der DDR sichtbar zu machen.3 Beispielhaft zeigen die beiden Lesarten der Performance, dass künstlerische Interventionen und ihre Re-Lektüren historisch und kulturell bedingt sind und unterschiedliche, mitunter widersprüchliche Interpretationsrahmen aktivieren. Es ist gerade diese offene, von Uneindeutigkeiten, Paradoxien und Kontingenzen begleitete Gerichtetheit ästhetischer Strategien und künstlerischer Wissensproduktion, die ich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung als produktives Potenzial begreife. Eine gegen normative Hierarchisierungen und Fixierungen gerichtete Prozessualität erscheint mir nicht nur als besonders relevant für die Wirkungsmacht historischer und gegenwärtiger Positionen bildender Kunst, sondern auch für Wissenskonzepte und die Kanonbildung.
1 Festival of Revolution, Castillo Cultural Center New York, Oktober 1989. 2 Flyer zur Performance Revolution & Erotics, 1989, Archiv Heike Stephan. 3 Heike Stephan im Gespräch mit der Autorin, 29.01.2015.
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Heike Stephans Aktion konnte im Gegensatz zu allen anderen hier zu besprechenden Performances vor einem internationalen Publikum stattfinden. Dennoch ist sie wie die anderen Künstlerinnen aus der DDR weder Teil des etablierten kunsthistorischen Kanons, noch findet sie Beachtung im internationalen Kunstdiskurs. In Stephans konkretem Fall steht die Rezeption vor der sowohl der frühen Kunstbetrachtung als auch den Theaterwissenschaften bekannten, dennoch erschwerenden Problematik nicht verfügbarer Abbildungen. Die Analyse eines eher erinnerten als tatsächlich dokumentierten Untersuchungsgegenstandes führt direkt in die Komplexität lang anhaltender Debatten der Performance Studies, die als theoretische Folie anschließender Fragestellungen dienen. Als paradigmatische Kunstform gegen die Kultur der Reproduzierbarkeit und Kommerzialisierung betrachtet Peggy Phelan Performance als Live-Ereignis, das ausschließlich in der Gegenwart existiert und sich durch Flüchtigkeit und Vergänglichkeit auszeichnet (1993:146). Phelan spricht der Ontologie der Präsenz Priorität vor dem Dokument zu und erklärt letzteres als inkompatibel mit dem Ereignis. Im Unterschied dazu unterstreicht Amelia Jones die Verschränkung von Live-Erfahrung und Medialität (1997:12), während Philip Auslander die äußerst radikale Ansicht vertritt, das Performance-Dokument sei nicht (mehr) Zeugnis, sondern das Ereignis selbst (2012:57). Damit dekonstruiert Auslander nicht nur die Beziehung zwischen Ereignis und Evidenz. Auch die Ko-Präsenz von Akteur*innen und Publikum wird nicht als Voraussetzung für das Verständnis von Performance Art betrachtet. Mit der Charakterisierung des Dokuments als Performance selbst sei dieses ausschließlich auf ein gegenwärtiges Publikum gerichtet (ebd.). Während die These der Nicht-Reproduzierbarkeit letztlich dem Verschwinden von Performance aus dem Bereich der Historiografie zuarbeitet, verfolgt die vorliegende Arbeit eine gegenteilige Tendenz: Spuren von künstlerischen Selbstinszenierungen differenziert zu betrachten und sichtbar zu machen, marginalisierte Aspekte ostdeutscher Kunstgeschichte somit aus der Gegenwart heraus zu beleuchten und neu beziehungsweise anders zu schreiben. Meine Studie leistet demnach keine Analyse von Performances. Vielmehr umfasst mein Untersuchungsgegenstand vielfältige, zumeist filmische und fotografische Dokumentationen, das heißt vornehmlich Bilder. Unter dem Titel Das Gesetz der Szene. Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR möchte die vorliegende Studie daher Forschungsdesiderate aufarbeiten, die nicht nur den soeben skizzierten grundlegenden Schwierigkeiten der Historiografie von Performance Art geschuldet sind. Auch lange Zeit unhinterfragte Hegemonien und Wertzuweisungen wie die von Bojana Pejić als ‚genderlos‘ bezeichnete Geschichtsschreibung osteuropäischer Kunst (2009:18) sowie westlich geprägte Masternarrative der Kunstgeschichte, Live Art und Performance Studies haben maßgeblich dazu beigetragen, nicht nur eine Vielzahl weiblicher, sondern auch feministischer Positionen aus Osteuropa auszublenden.
Einleitung
1. Untersuchungsgegenstand Die Arbeit widmet sich Künstlerinnen in der zweiten, d.h. subkulturellen Öffentlichkeit der DDR, ihren handlungs- und körperbasierten Kunstpraktiken und ihren Versuchen, geschlechtsspezifische4 Fixierungen zu durchkreuzen. Das Hauptaugenmerk liegt auf Performance und Body Art von Künstlerinnen, die wie Cornelia Schleime, Heike Stephan, Gabriele Stötzer (ehem. Kachold) und Karla Woisnitza Anfang der 1950er Jahre oder wie Yana Milev (ehem. Jana Milev) in den 1960er Jahren geboren wurden. Die Frage, inwieweit trotz Verbot und Kontrolle Performances in den 1970er und 1980er Jahren in der DDR entstehen konnten, ist Gegenstand dieser Arbeit. In der bildenden Kunst der DDR markieren die 1970er, insbesondere aber die 1980er Jahre – zeitgleich zur Herausbildung der Frauen-, Bürgerrechts- und Friedensbewegung in der zweiten Öffentlichkeit der DDR – den Auf bruch in neue künstlerische Formate. Die Verschränkung verschiedener künstlerischer Gattungen und unterschiedlicher Disziplinen wie der bildenden Kunst mit dem zeitgenössischen Tanz und Theater, dem experimentellen Super-8-Film, dem Free Jazz und der Neuen Musik entsprang dem Wunsch nach genreübergreifendem und freiem Experimentieren, das auf mediale Grenzüberschreitung abzielte. Die in dieser Arbeit besprochenen Künstlerinnen machten sich auf den Weg, eine eigene künstlerische Position, einen subjektiven Blick und eine avancierte Formensprache jenseits institutionell definierter Kunstgenres, rigider Kunstnormierungen und der Doktrin des figurativen sozialistischen Realismus zu entwickeln. Während sie die Suche nach dem künstlerischen Ausdruck individueller Selbstbestimmung einte, sind hinsichtlich ihrer verwendeten Strategien und Medien deutliche Unterschiede zu erkennen. Dennoch lässt sich bei allen eine intermediale Arbeitsweise und insbesondere die Hinwendung zum künstlerischen Prozess und Ereignis selbst nachweisen. Diese beanspruchte, den herkömmlichen Werk- und Bildbegriff sowie die Ideale klassisch-bildlicher Verfahren des sozialistischen Realismus hinter sich zu lassen. Gemein ist den Künstlerinnen weiterhin, dass sie in der zweiten Öffentlichkeit der nonkonformen Kunst- und Kulturszenen der DDR produzierten und rezipiert wurden. Mit zweiter Öffentlichkeit, ein Begriff, der bereits Ende der 1970er Jahre im ostmitteleuropäischen Raum verwendet und durch die Rezeption nach 1989 aufgegriffen wurde (Knoll 1999; Cseh-Varga 2016), sind neben den systemoppositionellen Bewegungen und Gruppierungen die nonkonformen künstlerischen Szenen der DDR gemeint, die sich bedingt durch
4 Auch wenn der englisch-amerikanische Begriff ‚Gender‘ durch die Differenzierung zwischen sex als biologischem und gender als sozialem Geschlecht deutlich präziser ist, verwendet meine Untersuchung die Bezeichnungen ‚Gender‘ und ‚Geschlecht‘ synonym im Sinne einer soziokulturellen Kategorie.
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staatliche Repressionen und kulturpolitische Restriktionen in einer anderen, einer zweiten Öffentlichkeit entwickelten.5 Wegen einer dezidierten Verweigerungsgestik der Künstler*innen6 und des strikten apolitischen Charakters ihrer Produktion kann von einer Teilung der zweiten Öffentlichkeit in mehrere Sphären gesprochen werden. Zwischen der dissidenten Frauen-, Menschenrechts- und Friedensbewegung, zumeist unter dem Dach der evangelischen Kirche, und den künstlerischen Kreisen gab es wenige Berührungspunkte. Aufgrund ihres „Misstrauen[s] gegenüber politischen und ideologischen Institutionen, Ordnungen und Sprachen“ (Eckart 1993:54) lehnten Letztere die ideologische Instrumentalisierung von Kunst zum Zwecke der Erziehung und Propaganda ab. Mit der Diversität ihrer Konzepte, Methoden und Stile richteten sich ihre künstlerischen Äußerungen gegen die Doktrin des „antimodernen, kritikfernen und apologetischen ‚Sozialistischen Realismus‘“ (Kaiser 2009:12). Abgesehen von Strategien der Verweigerung, die trotz oder gerade wegen ihres Rückzugscharakters auch ein subversives Potenzial aufweisen können, wirkte die künstlerische zweite Öffentlichkeit allein durch ihre Existenz destabilisierend auf das politische System (Kaiser & Petzold 1997:19). Dazu gehörte, dass ihre Protagonist*innen aus den staatlichen Institutionen ausstiegen und eine eigene Infrastruktur sowie weitgehend selbstbestimmte Lebens- und Freiräumen schufen. Mit der Einführung der analytischen Kategorie der zweiten Öffentlichkeit möchte sich die vorliegende Studie vom Begriff der ‚Boheme‘ und der damit verbundenen Reproduktion stereotyper Geschlechtervorstellungen kritisch absetzen, der den künstlerischen Szenen als Selbstbezeichnung diente und durch die gegenwärtige Rezeption eine verstärkte Reaktivierung findet. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Zitation von Gabriele Stötzers Text „das gesetz der szene“ im Titel meiner Analyse.7 Stötzer distanziert sich in knappen, unmissverständlichen Worten von Konkurrenz, Verrat und Verachtung als den obersten Prinzipen der Untergrundszenen, die sich verstärkt auch in den Beziehungen der Geschlechter niederschlagen. Mit ihrem Wunsch
5 Die vorliegende Studie positioniert sich gegen durchaus gängige Setzungen einer vermeintlich geschlossenen nonkonformen ‚Szene‘, indem sie auch sprachlich stets auf die Pluralität und Diversität der (Kunst-)Strukturen verweist. 6 Der im Schriftbild repräsentierte Gender_Gap, hier markiert durch das gleichbedeutende Gender-Sternchen, soll auch auf queere Identitätsentwürfe verweisen, die weder durch die weibliche noch männliche Personenbezeichnung erfasst werden (vgl. dazu auch Hermann 2003). Da meine Untersuchung die Geschlechterposition von vornehmlich Künstlerinnen sowie die Tradierung und Entgrenzung gängiger Weiblichkeitsvorstellungen in der Kunst reflektiert, verwende ich – auch im Sinne einer größeren Varianz – alternierend die Bezeichnungen mit und ohne Gender-Sternchen. 7 „das gesetz der szene“ entstand 1988 und wurde zuerst im März 1989 in der Zeitschrift Kontext 5 veröffentlicht. Ein erneuter Abdruck erfolgte in der editionKontext von 1990. Die von Gerhard Wolf lektorierte und veränderte Fassung erschien in Stötzers Band grenzen los fremd gehen (Stötzer 1992a).
Einleitung
nach einer „frauenszene“ fordert die Autorin und Künstlerin nicht nur den Zusammenhalt von Akteurinnen, sondern auch eine deutliche Präsenz von Frauen in den männlich dominierten Kreisen. Vornehmlich repräsentative Ausstellungsprojekte und Kataloge zu Kunst in der DDR zeugen von einem vermehrten Interesse an den vielfältigen künstlerischen Entwicklungen in der DDR und ihrer Einordnung (Blume & März 2003; Rehberg u.a. 2012). Dazu zählen Kunstvergleiche zwischen Ost- und Westdeutschland ebenso wie die Auseinandersetzung mit den Lebensformen und dem künstlerischen Schaffen innerhalb der zweiten Öffentlichkeit (Blume u.a. 2002; Barron & Eckmann 2009). Kunst- und sozialhistorische Kanonisierungsbestrebungen thematisieren Abgrenzungsformen der gegenkulturellen Öffentlichkeit von ideologischen Bildprogrammen der Staatskultur und von normierten Lebensentwürfen im Staatssozialismus der DDR (Muschter & Thomas 1992; Kaiser & Petzold 1997; Kaiser 2016). Ausstellungen und Publikationen liefern Analysen zu den verschiedenen Traditionslinien, die zurück zu historischen Avantgarden führen (Bilang 1994; Rehberg & Kaiser 2003) sowie zu den Besonderheiten der formalästhetischen und inhaltlichen Artikulationen einer widerständigen Kultur in den einzelnen Gattungen wie Musik (Galenza & Havemeister 2005), Literatur (Eckart 1993; Mann 1996; Warnke & Quaas 2009), Film (Fritzsche & Löser 1996; Löser 2011) und bildender Kunst (Blume & Tannert 2016; Tannert 2016). Wieder andere Untersuchungen und Ausstellungen widmen sich detailliert den Aktionsfeldern regionaler Szenen wie denen Dresdens und Erfurts (Eckhardt & Kaiser 2009; Büchner u.a. 2014). Nach einer lang anhaltenden Phase des Ausbleibens und des Ausschlusses feministischer und gendertheoretischer Interventionen zeichnet sich in den letzten Jahren eine zunehmende Auseinandersetzung mit Geschlechterthematiken in den Kunst- und Kulturwissenschaften sowie in internationalen Ausstellungszusammenhängen und ausstellungsbegleitenden Publikationen ab. Stellvertretend für eine Vielzahl von Publikationen osteuropäischer Forscher*innen, die sich Geschlechterfragen in der bildenden Kunst aus einer interdisziplinären und transnationalen Perspektive widmen, soll hier das Forschungs- und Ausstellungsprojekt Gender Check. Femininity and Masculinity in the Art of Eastern Europe am Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien genannt werden. Zahlreiche Wissenschaftler*innen aus Osteuropa arbeiteten an dem von Bojana Pejić konzipierten und kuratierten Vorhaben mit und trugen gleichermaßen zu beiden ausstellungsbegleitenden Publikationen bei (Pejić 2009; Pejić 2010). Den Masternarrativen der Performance Studies und dem durch westlich geprägte Diskurse etablierten Kanon der Live-ArtForschung begegnen kuratorische und akademische Forschungsprojekte zur historischen und transnationalen Schlüsselrolle performativer Künste in der ost- und südosteuropäischen Neoavantgarde (Badovinac 1998; Bryzgel 2017;
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Cseh-Varga & Czirak 2018).8 Um die Verschränkung von Geschichte, Repräsentation und Archivierung von Performance Art und historischen wie gegenwärtigen feministischen und geschlechterkritischen Ansätzen hat sich insbesondere das langjährige Forschungs- und Ausstellungsprojekt re.act.feminism verdient gemacht, das neben der Präsentation künstlerischer Positionen aus dem Nahen Osten und Lateinamerika aufgrund seines ausgeprägten Interesses an ost- und südosteuropäischen Künstlerinnen hervorzuheben ist (Knaup & Stammer 2014). Die vorliegende Untersuchung sieht sich im Kontext dieser Forschungsfelder. Sie möchte einen Beitrag zu den aktuellen Auseinandersetzungen leisten und sie einem wissenschaftlich-akademischen Diskurs zuführen, indem sie ihren Fokus auf Künstlerinnen in der DDR richtet, die mit ihren genreübergreifenden Artikulationen in Performance und Body Art nicht nur eine Gegenposition zur Doktrin des sozialistischen Realismus einnahmen, sondern auch traditionelle Rollenvorstellungen in Frage stellten, indem sie mit der Repräsentation von Geschlechternormativen und ihrer Verflüssigungen in ihrer Kunst experimentierten. Dabei nähert sich die Arbeit ihrem Gegenstand aus der Perspektive feministischer Kunstwissenschaft und der Geschlechterforschung.
2. Forschungsstand und eigene Vorarbeiten Die Kanonisierung der Kunst der DDR nach den gesellschaftspolitischen Umbrüchen von 1989/90 war begleitet von der Marginalisierung und dem ‚Verschwinden‘ einer Künstlerinnengeneration aus der gesamtdeutschen Öffentlichkeit, die zu Zeiten der DDR studiert hatte und professionell arbeitete. Einige wenige Wissenschaftlerinnen untersuchten die Gründe für deren Verdrängung aus den künstlerischen Institutionen und aus der kunsthistorischen Kanonbildung. Die Analysen setzten bei den strukturellen Bedingungen der Kunstproduktion der DDR und ihren Macht- und Herrschaftsverhältnissen an (Sauer 1992; Ebert 2003). Zwei Ausstellungen mit feministischem Anliegen, die mit mehrjährigem Vorlauf noch zu Zeiten des ‚Kalten Krieges‘ geplant wurden, konnten mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze einen ersten Überblick über weibliche Positionsbestimmungen in der DDR und über das Verhältnis von Kunst und Geschlecht geben (Lode & Tischler 1990; Horn & Stammer 1991). Diese Bemühungen waren jedoch an den Rändern öffentlicher
8 Vgl. auch die beiden im deutschsprachigen Raum geförderten Initiativen Aktionskunst jenseits des Eisernen Vorhangs, ein DFG-Nachwuchswissenschaftler*innenprojekt (FU und UdK Berlin), und Performance Art in Eastern Europe (1950–1990): History and Theory, ein Forschungsprojekt am Slavischen Seminar der Universität Zürich, die ich hier in Vertretung anderer Forschungsprojekte anführe.
Einleitung
Wahrnehmung und Anerkennung angesiedelt. Zahlreiche repräsentative kunsthistorische Forschungs- und Ausstellungsprojekte sowie begleitende Publikationen wurden seit den 1990er Jahren im Kontext des ‚deutsch-deutschen Bilderstreites‘9 realisiert, um die Kunst der DDR vor dem Vergessen zu bewahren, sie zu rehabilitieren und vergleichende Betrachtungen der Kunstentwicklung in Ost und West vorzunehmen. Zu welchen Thematiken oder ästhetischen Fragestellungen Versuche dieser Art unternommen wurden, fällt das bis in die aktuelle wissenschaftliche Forschung hineinreichende asymmetrische Verhältnis von besprochenen beziehungsweise ausgestellten Künstlerinnen und Künstlern auf. In großen Retrospektiven und umfassenden Publikationen zu Kunst in der DDR sind Künstlerinnen kaum vertreten (Gillen 1997; Barron & Eckmann 2009; Rehberg u.a. 2012; Blume & Tannert 2016). Die Kunst der ersten und zweiten Öffentlichkeit wird bis heute als männliche kanonisiert – mit wenigen Protagonistinnen als Ausnahmeerscheinungen. Das in unmittelbarem Zusammenhang mit der mangelnden Rezeption von Künstlerinnen zu sehende Fehlen einer grundlegenden Auseinandersetzung mit Geschlechterthemen und feministischen Fragestellungen innerhalb dieser Forschungsund Ausstellungsprojekte hat zu einer Schieflage geführt, die wiederum zum Ausgangspunkt für eine neue Generation feministisch inspirierter Kunstwissenschaftlerinnen werden konnte: Aus einer historischen Distanz von über zwanzig Jahren wurden nun (verstärkt) Ausstellungen und Publikationen realisiert, die Gegenlesarten zu dieser Rezeptionsgeschichte vorstellen (Richter u.a. 2009; Altmann & Lorenz 2011). Mit der Sichtbarmachung der Künstlerinnen und ihrer künstlerischen Praxis ging gleichermaßen die Kritik an der Konstruktion des kunsthistorischen Kanons einher. Infolge eines feministischen Blickwechsels widmeten sich die Kuratorinnen und Kunstwissenschaftlerinnen den Zusammenhängen künstlerischer Produktion, dem Verhältnis von Kunst und Leben sowie Weiblichkeitsentwürfen in der Kunst. 9 Ausgehend von der Mutmaßung, Kunst könne sich in einer Diktatur nicht frei und selbstbestimmt entwickeln, womit in der Konsequenz erfolgreiche Kunst als staatlich manipuliert betrachtet wurde, entfaltete sich nach dem ‚Mauerfall‘ und anhand von Ausstellungen eine scharf und einseitig geführte Kontroverse um den Stellenwert der Kunst aus der DDR. Der bis in die 2000er Jahre hineinreichende Kunststreit vernachlässigte, dass das geteilte Deutschland von jeher vom Bilderstreit beherrscht wurde, da beide Seiten bildende Kunst im ‚Kalten Krieg‘ als Mittel der Konfrontation einsetzten. Somit unterlag auch die vermeintlich ‚freie‘, abstrakte Kunst Westdeutschlands verschiedenen Einflüssen aus der Politik, dem Kunstbetrieb und dem Kunstmarkt (vgl. dazu auch Beaucamp 2009). Das am Haus der Kulturen der Welt Berlin im Jahr 2017/18 realisierte Recherche- und Ausstellungsprojekt Parapolitik: Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg zeigte auf eindrückliche Weise, wie stark Kunst und Kultur in ein symbolisches Wettrüsten verwickelt waren. Der 1950 in West-Berlin gegründete Kongress für Kulturelle Freiheit, der über Jahre ein weltumspannendes Bündnis von Intellektuellen und Kulturschaffenden initiierte, wurde verdeckt vom amerikanischen Geheimdienst CIA finanziert, um hegemoniale und antikommunistische Interessen der USA global durchzusetzen (Parapolitik: Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg, HKW, Berlin, 03.11.2017–08.01.2018).
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Meine Studie möchte die Anfang der 1990er Jahre und Ende der 2000er Jahre entstandenen Forschungsansätze zusammenführen und die gesellschafts- und geschlechtsspezifischen Voraussetzungen der künstlerischen Praxis von Frauen in der Zeit der DDR analysieren sowie die Leistung der Künstlerinnen innerhalb ihrer intermedialen und körperbasierten Arbeit hervorheben. Untersuchungen zu den Traditionen sogenannter ‚autonomer‘ Kunst, zum Begriff der künstlerischen Subkultur als ‚Boheme‘, erfolgten bisher in Hinblick auf ihre politischen, sozialen wie künstlerisch-subversiven Wirkungsfelder (Muschter & Thomas 1992; Kaiser & Petzold 1997; Kaiser 2016). Eine Betrachtung der tradierten Konzepte vom Künstler als kreativem und produktivem Schöpfersubjekt und als „Zentralfigur der Kunstgeschichte“ (Schade & Wenk 2005), der strukturellen Bedingungen der sich in der zweiten Öffentlichkeit konstituierenden Geschlechterordnung und ihrer Widersprüche, der Zusammenhänge von Inklusions- und Ausschlussmechanismen steht indes noch aus. Ähnliche Forschungslücken weisen Untersuchungen zu Performance Art in der DDR auf. Das Kapitel ‚männlicher‘ Performance und Body Art ist wissenschaftlich und kuratorisch – auch in der internationalen Forschung – in einem breiteren Spektrum aufgearbeitet und ausgestellt worden, wobei vornehmlich die Aktionen der Auto-Perforations-Artisten und von Clara Mosch rezipiert und damit in den Vordergrund gestellt werden (Blume 1996; Badovinac 1998; Rehberg 2004; Arns 2006; Piotrowski 2009). Zu Künstlerinnen, die sich prozessualer und aktionistischer Formen innerhalb ihrer künstlerischen Praxis bedienten, liegen kaum Untersuchungen vor (Richter 2009; 2018a; 2018b). Zur Herstellung und Repräsentation tradierter Weiblichkeitsvorstellungen und Geschlechtermuster in der künstlerischen Praxis sowie ihrer Subvertierung existieren, nach aktuellem Forschungsstand, bisher nur wenige kunsthistorische Ansätze (Sachs 1995; Stecker 1997; Bestgen 2013). Seit Längerem zielen meine kunstwissenschaftlichen und kuratorischen Vorhaben darauf ab, einzelne Aspekte der sich aus dem aktuellen Stand der Literatur und der institutionellen Ausstellungs- und Publikationspraxis identifizierten Desiderate zu erforschen (Richter u.a. 2009; Richter 2016).10 Mit einer akademisch-wissenschaftlichen Analyse zu künstlerischen Strategien von Protagonistinnen aus der zweiten Öffentlichkeit soll dies nun systematisch und umfassend aus geschlechterkritischer und feministischer Perspektive geschehen. 10 Dazu gehören u.a. die Rechercheleitung für die Kunst der DDR in der Ausstellung Gender Check am MUMOK Wien, das Kuratieren der Ausstellung und jetzt. Künstlerinnen aus der DDR (in Zusammenarbeit mit Beatrice E. Stammer & Bettina Knaup, Künstlerhaus Bethanien 2009) sowie die internationale Vortragstätigkeit zu ostdeutscher Kunst, Künstlerinnen und Performance Art im osteuropäischen Kontext (Networking the Bloc: East European Experimental Art and International Relations, Courtauld Institute London 2010; Performance Art in the Second Public Sphere, FU Berlin 2014, Reassessing East German Art. 25 Years after the Fall of the Berlin Wall, Iowa State University 2014).
Einleitung
3. Fragestellungen, Thesen und wissenschaftliche Relevanz Aus den Forschungslücken leiten sich im Wesentlichen zwei zentrale Fragestellungen ab. Nachvollzogen werden soll, wie vorherrschende Geschlechterideologien in der ersten und zweiten Öffentlichkeit das Selbstverständnis von Künstlerinnen bestimmten und wie die Frauen damit umgingen. Diese Untersuchungen sind insofern notwendig, als dass sie der Kontextualisierung der zweiten zentralen Forschungsfrage dienen: Welche ästhetischen Strategien und (Re-)Präsentationsformen von Geschlecht haben diese Künstlerinnen insbesondere innerhalb ihrer körperbasierten Kunst gewählt? Geleitet wird dieses Interesse nicht von der Annahme, dass es sich bei der Darstellung von Geschlecht um die Abbildung einer Lebensrealität handelt. Vielmehr soll untersucht werden, wie die Konstruktionen von Weiblichkeits- und auch Männlichkeitsvorstellungen Wirklichkeit produziert haben und welche Funktionen ihnen im Repräsentationssystem zukamen (vgl. Zimmermann 2006). Die Auswertung der Sachverhalte und Materialien entlang dieser Forschungsfragen verfolgt das Ziel, die Besonderheiten der Lebens- und Produktionsbedingungen von Künstlerinnen und ihrer künstlerischen Praxis in der ersten und zweiten Öffentlichkeit der DDR zu benennen. Das heißt, es geht um den größeren Zusammenhang von Kunst und Politik: Inwiefern hat der Staatssozialismus gemäß seinen Maximen zur Gleichstellung von Frauen und Männern beigetragen, worin lagen die Widersprüche in der Frauenpolitik und die Festschreibung geschlechtsspezifischer Unterschiede begründet? Die Hypothese der Arbeit lautet, dass es künstlerische Artikulationen gab, die – bewusst oder unbewusst – Geschlechterthematiken angesprochen haben und feministisch ausgerichtet waren beziehungsweise aus einer feministischen und geschlechterkritischen Perspektive gelesen werden können. Gleichwohl Künstlerinnen kaum mit östlich und westlich geprägten feministischen Diskursen vertraut waren oder ihnen mitunter bis heute ablehnend gegenüberstehen, das heißt keine eindeutige feministische Haltung für sich beanspruchten, haben einige von ihnen ein Geschlechterbewusstsein entwickelt und in ihren Performances Geschlecht, Sexualität und Weiblichkeitsentwürfe repräsentationskritisch verhandelt. Eine Auswahl dieser Performances und Körperinszenierungen, die zugleich kennzeichnend für die thematische Vielschichtigkeit und eine formalästhetische Breite ist, soll hier vorgestellt werden. Zu untersuchen ist, welche Bedeutung Performance Art in und für die Ausprägung der zweiten Öffentlichkeit in der DDR hatte und inwiefern insbesondere prozessuale und körperbasierte Kunstformen für eine feministische Praxis und ihre kritische Verhandlung geschlechterbedingter Machtverhältnisse prädestiniert sind. Wissenschaftlich relevant ist dieses Vorhaben, weil es die Kunstgeschichtsschreibung um einen fundierten Blick auf die gesellschaftlich-historische und geschlechterbedingte Situation nonkonformer und feministisch arbeitender
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Frauen sowie auf ihre künstlerische Praxis in der DDR erweitert. Dies geht mit dem Anliegen einher, herkömmliche Perspektiven auf das ostdeutsche Kunstschaffen zu modifizieren. Mit der Identifizierung der lokalen Spezifik kultureller Erfahrung und des künstlerischen Schaffens von Akteurinnen der ostdeutschen zweiten Öffentlichkeit wird die Grundlage für eine Verbindung mit anderen lokalen und globalen feministischen Fragestellungen geschaffen. Obwohl diese Arbeit ‚Geschlecht‘ als Analysekategorie einsetzt, fühlt sich die Verfasserin einem transnationalen und relationalen Feminismus (u.a. Shohat 1998; Mohanty 2003) verpflichtet, der die Komplexität sozialer Realitäten von Frauen berücksichtigt und entgegen dem Postulat der Homogenität ihre vielseitigen Differenzen wahrnimmt, wie sie beispielsweise zwischen Frauen aus Ost- und Westdeutschland deutlich hervortraten. Die Arbeit soll demnach eine Voraussetzung für die künftige Forschung entlang der Schnittstellen von Geschlecht, Sexualität, Ethnizität und Klasse bilden, die in ihrer Verwobenheit und ihrem Zusammenwirken zentrale Kategorien der Unterdrückung und Marginalisierung sind. Im unmittelbaren Zusammenhang meiner Forschung ergibt sich im Hinblick auf das Konzept der Intersektionalität11 die Fragestellung, welche sich überschneidenden Diskriminierungserfahrungen Künstlerinnen aufgrund ihres Geschlechts als weibliche Kunstschaffende und aufgrund ihres Status als aktive Mitglieder der marginalisierten zweiten Öffentlichkeit in der DDR machten. Um einem ‚vacuum thinking‘ vorzubeugen, das die Entwicklungen in der sozialistischen DDR räumlich und zeitlich isoliert sowie ‚Geschlecht‘ ahistorisch betrachtet, zeigt die Arbeit neben historischen Kontextualisierungen parallele Entwicklungen auf, die insbesondere im impliziten Vergleich zwischen dem Staatssozialismus der DDR und dem kapitalistischen System der BRD erfasst werden sollen.
4. Theoretische Rahmungen Um die Herstellung und Wirksamkeit von Geschlechterdifferenz in der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit und der bildenden Kunst der DDR sowie Strategien des Durchkreuzens zu erfassen, bezieht sich meine Studie auf Konzepte feministischer Kunstwissenschaft und kunsthistorischer Geschlechterforschung.
11 Die in den Forschungsfeldern der Politik- und Sozialwissenschaften ebenso wie in den Gender und Queer Studies angewandte Intersektionalitätstheorie geht von Ungleichheitserfahrungen aus, die nicht allein auf die Kategorie Geschlecht zu reduzieren sind. Intersektionalität bedeutet, dass entlang der eng miteinander verflochtenen Kategorien Klasse, Ethnizität und Geschlecht, erweitert um Sexualität und Körper, auf eine Person gerichtete verschiedenartige Diskriminierungsformen hergestellt und stabilisiert werden (Frübis & Futscher 2014).
Einleitung
Im Folgenden schließen sich Betrachtungen zum Begriff ‚Geschlecht‘ und seiner Verwendung als Analysekategorie sowie zum Umgang mit dem männlich dominierten Kanon bildender Kunst an. Als Grundlage für die Kontextualisierung der gesellschaftlichen Situation der Frauen in der DDR und für die Betrachtung ihrer Kunst in den Fallanalysen soll die westlich geprägte Definition von Feminismus hinterfragt werden. Für eine unmissverständliche terminologische und inhaltliche Verwendung möchte ich die Unterschiede zwischen Performativität und Performance skizzieren. Wie meine Annäherung an Performance Art durch fotografische und filmische Dokumente gelingen soll, wird abschließend erörtert.
Geschlecht als Analysekategorie Im Sinne der Anfang der 1990er Jahre einsetzenden Infragestellung einer substantiellen Identität von ‚Geschlecht‘, insbesondere durch die radikale Auffassung Judith Butlers (1991), lässt sich diese Studie von einer entnaturalisierenden Perspektive auf Geschlecht leiten. ‚Geschlecht‘ (gender) verstehe ich als soziale Kategorie, die historisch konstituiert und durch kulturelle Diskurse produziert ist sowie einem steten Wandel unterliegt.12 Das heißt, Geschlecht wie auch Sexualität und Körper werden als Kategorien innerhalb bestimmter historischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Verhältnisse immer wieder neu verhandelt und transformiert, während im Gegensatz dazu die Auffassung von der Bipolarität der Geschlechter eine ausgeprägte Konstante bildet. Meine Untersuchung basiert auf Fragestellungen, die durch die Kategorie ‚Geschlecht‘ erschlossen werden können und von Joan W. Scott, die ‚Gender‘ Mitte der 1980er Jahre in die Frauen- und Geschlechterforschung einführte, erstmals formuliert wurden. Diese zielen darauf, unter welchen Bedingungen geschlechtsspezifische Rollen und Funktionen definiert werden und wie Fragen der Macht und der Teilhabe in Definitionen von Männlichkeit und Weiblichkeit hineinspielen (Scott 1986). ‚Geschlecht‘ (gender) wird im Zusammenhang meiner Arbeit nicht nur als ein konstitutives Element von gesellschaftlichen Beziehungen betrachtet, sondern auch als eine grundlegende Art, Machtbeziehungen zu bezeichnen. Die Analysekategorie scheint seit den 1990er Jahren in vielen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bereichen durch ihre wechselweise Verwendung als Synonym für das biologische Geschlecht (sex) oder für ‚Frauen‘ sowie für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern ihr subversives Potenzial jedoch verloren zu haben. Joan W. Scott kritisiert in ihrem Vortrag zur „Zukunft von Gender“, dass er aus diesen Gründen zum ‚Routinebegriff‘ geworden sei und zur Verdinglichung der Mann/Frau-Opposition als grundsätzlicher
12 Vgl. Anm. 4.
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Differenz führe (Scott 2001). Wenn sich die vorliegende Untersuchung nun ausschließlich Künstlerinnen widmet, geschieht dies mit dem Wissen um die notgedrungene Widersprüchlichkeit der Etablierung einer Differenz, gegen die sie grundlegend anschreibt. Wie die traditionelle Kunstgeschichte mit ihren vermeintlich universalgültigen und objektiven Ansprüchen ist auch die kunstwissenschaftliche, an disziplinäre Grenzen und Tabus rührende sowie stets der kritischen Selbstevaluation verpflichtete Geschlechterforschung als eine ideologische Praxis zu betrachten, die nicht davon frei ist, Wertungen zu produzieren und ihrerseits Ein- und Ausschlüsse zu bewirken (vgl. Butler 1991; Imesch & John 2008). Frauen- und Geschlechterforschung analysiert kunsthistorische Werturteile als historisch, geschlechtlich, sozial oder politisch bedingte Konstruktionen, legt mit diskursanalytischem Vorgehen verborgene Verflechtungen von Subjekt, Macht und Diskurs offen und richtet ihre Kritik auch auf die Position der Wissenschaftler*innen selbst. Inwieweit aber ‚Geschlecht‘ als verdrängende Kategorie eingesetzt wird oder mit anderen Kategorien wie ‚race‘ und ‚Klasse‘ ein kritisches Instrumentarium interdisziplinärer Reflexion bildet, muss in kontinuierlicher Selbstevaluation der Geschlechterforschung ermittelt werden. Als geschlechterkritische Studie verspricht die Untersuchung, gerade die binäre Geschlechteropposition im künstlerischen Feld der DDR kritisch zu hinterfragen und sie „in ihrer sozialen, kulturellen und politischen Realität als Mechanismus der Hierarchisierungen ernst zu nehmen“ (Hof 2005:13). Insofern wird keine essentialistisch bedingte Andersheit der ‚Frau‘ im Gegensatz zum ‚Mann‘ behauptet und bei der Betrachtung künstlerischer Prozesse und Werke nicht von einer spezifisch ‚weiblichen‘ Ästhetik ausgegangen. Der Fokus auf die geschlechterpolitische Dimension von Kunst ermöglicht analytische Einblicke, „wie Geschlechterkonstruktionen in Kunst und Künstler eingeschrieben sind und tradiert werden“ (Schade & Wenk 2005:146). Zugleich erlaubt er Aussagen darüber, wie Kunst zur Konstruktion von Bedeutung, zur Herstellung von Geschlecht und zur Verfestigung von Geschlechterhierarchien beiträgt.
Dekonstruktion des Kunstkanons Meine Analyse der auf Geschlechterdifferenz basierenden hierarchischen Machtstrukturen schließt die Kritik an der kunsthistorischen Kanonbildung ein. Die Studie von Rozsika Parker und Griselda Pollock Old Mistresses (1981) und der 1991 erstmals erschienene Aufsatz Sins of Omission von Nanette Salomon (2006) haben gezeigt, dass der Versuch einer additiven Kunstgeschichtsschreibung – die Aufnahme von Künstlerinnen in die kanonische Auswahl – die strukturellen Gründe für die Marginalisierung von weiblichen Kunstschaffenden nicht freizulegen und zu unterbinden in der Lage ist. Herausgestellt haben die Autorinnen, dass der kunsthistorische Kanon eine genuin
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männliche Schöpferkraft und eine als ‚natürlich‘ begründete Geschlechterdifferenz behauptet, deren Dynamiken der In- und Exklusion gleichermaßen als ‚naturgemäß‘ durchgesetzt werden. Der auf den weißen und heterosexuellen Mann zentrierte kunsthistorische Diskurs ist demnach ideologisch motiviert und geschlechtlich codiert. Um die auf geschlechtsspezifischen Wertungen basierenden Funktionsmechanismen aufzudecken, die zur Sicherung von Machtpositionen dienen, müssen die Mythen der Kunstgeschichte, insbesondere der wirkmächtige Mythos des kunsthistorischen Kanons, einer „radikalen Ideologiekritik“ (Wenk 1997) unterzogen werden. Insofern versteht sich meine Analyse nicht als Versuch, Künstlerinnen in den herkömmlichen kunsthistorischen Kanon einzuschreiben. „Feministische Modifizierungen der Kanonfrage“ sollen nach Barbara Paul aus genderpolitischen Gründen jedoch dazu dienen, die fortwährende Revision und eine „inhärente Selbstreflexivität und -kritik als wissenschaftliches Grundprinzip“ entsprechend den weiter oben beschriebenen Perspektivierungen der Gender Studies einzulösen (2009:14ff). Plädiert wird für eine verstärkte selbstreflexive Prozessualität von Argumentationen, um Wissen und Wissensordnungen programmatisch in Bewegung zu halten und damit Codierungsgewohnheiten und verschleierte Dominanzen auf brechen zu können. So verortet sich meine Untersuchung innerhalb der genannten kritischen und dekonstruktiven Ansätze mit dem Anliegen, die strukturellen Gründe für die Geschlechternormierung in der Kunstgeschichte – hier am Beispiel der DDR – offen zu legen und mögliche Ausschlüsse zu reflektieren.
Zum Feminismusbegriff Die noch bis weit in die 2000er Jahr hineinreichende ‚genderlose‘ Kunstgeschichtsschreibung Osteuropas hat die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen für die Existenz- und Produktionsbedingungen von Künstlerinnen in der DDR sowie die Hervorbringung der Kategorie Geschlecht in der bildenden Kunst vernachlässigt. Inzwischen erarbeitete feministische Ansätze und Geschlechtertheorien osteuropäischer Provenienz hätten, so konstatiert Martina Pachmanová in ihren Anmerkungen zur Unsichtbarkeit eines neuen Feminismus- und Genderdiskurses in der zeitgenössischen Kunsttheorie Osteuropas, international und innerhalb des globalen Feminismus eine kaum sichtbare Präsenz (2009). Mit Beata Hock lässt sich mit fragen, hegemoniale, westlich geprägte feministische Narrative möglicherweise lokale historische Zusammenhänge und Leseweisen unterdrückt (2013:169f)? Liegt der Grund für diese Ausgrenzung vielleicht darin, dass zahlreiche osteuropäische Künstlerinnen – so auch die meisten der hier besprochenen Akteurinnen aus der DDR – die Bezeichnung ‚feministisch‘ bis heute entschieden zurückweisen, wenngleich ihre Arbeiten eine feministische Lesart nahelegen? Hock schlägt vor, die Bedingungen einer
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solchen Abwehr des westlich geprägten Feminismus durch östliche Akteurinnen mit Hilfe kritischer Analysen eingehender zu betrachten. Dabei bezieht sie sich auf Ofelia Schuttes Idee der „cultural alterity“ (Hock 2013:31), die die als selbstverständlich vorausgesetzten Grundlagen des westlichen Feminismus mit dem feministischen Schreiben von Frauen außerhalb des anglophonen Westens konfrontiert. Schuttes Ansatz geht von „culturally differentiated feminist positions“ (Schutte 2000:58) auf Basis unterschiedlicher kultureller und empirischer Hintergründe aus, die ein gegenseitiges Verständnis der spezifisch lokalen Ziele und Umsetzungen erschweren. Die Philosophin warnt westliche Feministinnen in dem Zusammenhang davor, Frauen zu ‚Anderen‘ zu machen, deren Weg zur Emanzipation von ihnen nicht erkannt beziehungsweise nicht verstanden wird (ebd.). Die Zuschreibung der Kategorie der ‚Anderen‘ wird in den 1990er Jahren gleichermaßen von Wissenschaftlerinnen Ostdeutschlands und Osteuropas diskutiert (Dölling 1993b; András 1999). Besonders deutlich lässt sich die unterschiedliche Entwicklung feministischer Anliegen an der Geschichte des getrennten Deutschlands aufzeigen. Während in der DDR staatliche Programme zur Emanzipation der Frauen etabliert wurden, entfaltete sich in der BRD die Zweite Frauenbewegung. Diese Prozesse führten zu verschiedenen Vorschlägen und Lösungsansätzen – und nach der Wiedervereinigung schließlich zu mitunter massiven Missverständnissen zwischen den feministisch inspirierten Akteurinnen auf beiden Seiten. Dementsprechend muss die von zahlreichen ost- und südosteuropäischen Geschlechtertheoretikerinnen geteilte Annahme eines einheitlichen westlichen Feminismus hinterfragt werden. Das fehlende Bewusstsein für Unstimmigkeiten und Brüche in der westlichen Bewegung selbst führt, wie Hock darlegt, zur dichotomen Gegenüberstellung zwischen dem „Westen“, der im „Besitz des Feminismus“ ist, und einem (östlichen) Rest, dem der Status des „Nicht-Habens“ zugeschrieben wird (Hock 2013:32). Auch für die Verfasserin dieser Arbeit gilt es, (selbst-)kolonialisierende Mechanismen der Wissensproduktion sowohl zu hinterfragen als auch zu vermeiden. Demzufolge fokussiert die vorliegende Studie nicht auf einen von vornherein postulierten ‚Mangel‘ beziehungsweise die ‚Abwesenheit‘ eines emanzipatorischen Bewusstseins von Akteurinnen in der DDR. Im Mittelpunkt des Interesses liegen vielmehr die spezifischen Ausprägungen und Widersprüche dieser Haltungen, die tatsächlich vorhandenen Aktivitäten und die geschlechterkritische Lesart ihrer künstlerischen Arbeiten. Verschiedenen Formen des politischen und kulturellen Feminismus des ‚Westens‘ verstehe ich nicht als normatives Modell. Zugleich distanzieren sich meine Untersuchungen von Kennzeichnungen feministischer Bestrebungen in Osteuropa als „pro-“, „proto-“ oder „latent feminism“ (Rusinová 2003; Pejić 2009), die eine ‚natürliche‘ und unhinterfragte Existenz westlicher Narrative stillschweigend voraussetzen und ihr östlich geprägte – und zudem als lückenhaft und unvollkommen bewertete – Diskurse unter-
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ordnen. Sofern Definition und Zielsetzung dessen, was ‚Feminismus‘ überhaupt ist und bewirken soll, je nach Kontext variieren, lässt sich mit Hock argumentieren, dass die Artikulation feministischer Anliegen nicht notwendigerweise an eine bewusste feministische Identifikation gebunden ist (Hock 2013:34; vgl. auch Watson 2000). Ebenso ist die Herausbildung eines künstlerischen Feminismus abhängig von spezifischen lokalen oder nationalen Zusammenhängen sowie historischen Wirklichkeiten und stellt per se keine historische Notwendigkeit dar: „[T]he emergence of a coherent art world feminism is not a historical necessity or inevitable development to be expected to happen everywhere [...]“ (Hock 2018:208). Widerstand gegen geschlechtsspezifische Formen der Unterdrückung sind auf Grundlage dieser Aussage keinem adäquaten „feministischen Bewusstsein“ vorenthalten (Hock 2013:34). Ein weitreichenderes Verständnis feministischer Bestrebungen, im Sinne von Kumari Jayawardena als ein Bewusstsein für durch Geschlechterhierarchien erzeugte Ungerechtigkeit und das Engagement dies zu verändern, erlaubt, Feminismus als einen Rahmen zu entwerfen, der sich mit jedem historisch bedingten, spezifischen Verständnis von Geschlechterdifferenz aktualisiert (vgl. ebd.). Ausgehend von diesen begrifflichen Bestimmungen des Feminismus fasst meine Arbeit die hier analysierte Body und Performance Art von Künstlerinnen aus der DDR weder als epigonal noch verspätet auf. Feministische Bestrebungen im westlichen Europa entstanden zeitlich versetzt zu denen in den USA und Kanada und auch zwischen einzelnen westeuropäischen Ländern wie Frankreich, Großbritannien und dem deutschsprachigen Raum lassen sich Ungleichzeitigkeiten und verschiedene Schwerpunkte ausmachen (vgl. auch Schade 1998:39). Stattdessen müssen körperbasierte Kunstgattungen aus der DDR in einen spezifischen Entstehungskontext eingebettet und mit den Entwicklungen einer feministischen Avantgarde im Osten wie auch Westen Europas betrachtet werden.
Performativität und Performance Die besonders im Zentrum der Gender und Performance Studies sowie der Theaterwissenschaften stehenden Konzeptionen von ‚Performance‘ und ‚Performativität‘ unterliegen verschiedenen, mitunter gegenläufigen Lesarten (Schumacher 2002). ‚Performativität‘ soll weniger im Sinne von Erika Fischer-Lichtes Idee der ‚performativen Kultur‘ als ein Begriff für das ‚Ereignishafte‘ und damit für inszenierende Aufführungen von theatralen, rituellen und anderen Handlungen in Anwesenheit anderer verstanden werden (1998; 2004). Vielmehr verweist das Konzept der ‚Performativität‘ auf Handlungen, die unabhängig von der körperlichen Anwesenheit eines Publikums Wirklichkeit konstituieren. Mit ihrer an John L. Austins Sprechakttheorie und Jacques Derridas dekonstruktivistischer Kritik orientierte Auffassung der Performativität und dem veränderten Fokus von soziale Wirklichkeit herstellenden
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sprachlichen Äußerungen auf körperliche Handlungen unterstreicht Judith Butler in Das Unbehagen der Geschlechter, dass die soziale Geschlechtsidentität keine feste ist, sondern „durch die stilisierte Wiederholung der Akte in der Zeit“ konstituiert wird (1991:206). Nach Butler wird so körperliche und soziale Wirklichkeit stets durch die Wiederholung und Zitathaftigkeit performativer Akte konstituiert. Die Bezeichnung ‚Performance‘ bezieht die vorliegende Studie auf kulturelle Praktiken der vornehmlich aus der bildenden Kunst und weniger aus dem Theater kommenden Performance Art, die auf den Akt zeitlicher Aufführungen und Handlungen sowie auf Körperinszenierungen von Akteur*innen, das heißt insbesondere auf Prozessualität und Körperbezogenheit abzielt. Ermittelt werden sollen Bedeutungen, Funktionen und Repräsentationen von Geschlecht und Geschlechterdifferenz beim spielerischen Annehmen und beim Umgang mit Geschlechterrollen, bei Inszenierungsformen von Weiblichkeits- und Männlichkeitsbildern (vgl. auch Schrödl 2005). Von besonderem Interesse dabei ist, wie tradierte und normative Geschlechtermodelle unterlaufen, überschritten und durchkreuzt werden.
Performance Art analysieren Die hier vorgestellte Untersuchung von Body und Performances Art entspricht einer wissenschaftlichen Praxis, die nicht auf dem Erleben der Live-Aufführungen, sondern auf ihrer Vermittlung durch fotografische und filmische Dokumentation beruht. Für eine Begegnung mit den meisten der hier beschriebenen Aktionen war ich selbst zu jung, obwohl es erste Berührungspunkte mit Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit der späten DDR in Dresden gab. An dieser Stelle soll noch einmal unterstrichen werden, dass hier keine Performances an sich analysiert werden, sondern ihre Dokumente. Dahinter steht die Überzeugung, nie das zu analysieren, was man vorgibt zu untersuchen, denn die Betrachtung von Phänomenen wird zumeist durch andere Medien vermittelt. Für Sybille Krämer bedeutet dies, dass alles, was wir über die Welt erkennen und wissen können, „mit Hilfe von Medien gesagt, erkannt und gewusst“ wird (1998:73). So befassen sich die Literaturwissenschaften mit Aufschreibesystemen und technischen Medien als Produktionsbedingungen von Literatur und Kommunikationstheoretiker*innen widmen sich der Materialität der Kommunikation. Michael Baxandall stellt für die Kunstgeschichte heraus, dass Bilder nicht jenseits von sprachlichen Kommentaren existieren: „Wir erklären nicht Bilder: wir erklären Äußerungen über Bilder – oder vielmehr, wir erklären Bilder nur insoweit, als wir sie durch irgendeine sprachliche Beschreibung oder Bestimmung hindurch betrachtet haben“ (1990:25). Für eine Kritik an der Ontologisierung des Live-Charakters von Performances, wie sie Peggy Phelan vorantreibt, erscheint die Auffassung maßgeblich, dass selbst sinnliche Wahrnehmung „als eine medial jeweils zu differenzierende Form der Erzeugung und Hervorbringung von Gegenständlichkeit“
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zu verstehen sei (Kolesch 2005:189). Entgegen Phelans Position der NichtArchivierbarkeit von Performance Art – „[p]erformance’s being [...] becomes itself through disappearance“ (1993:146) – versucht Rebecca Schneider den Gegensatz zwischen Präsenzerfahrung und Reproduzierbarkeit zu überwinden. Sie nähert sich an Performance als „both the act of remaining and a means of reappearance“ (2001:103, Hervorh. im Original) und arbeitet gerade in Verbindung zu Reenactmens heraus, dass der Körper als Träger kollektiver Erinnerung und als Medium historischer Vermittlung selbst zu einem Archiv werde. Schneider formuliert zwangsläufig die Idee des historischen Dokuments und des Archivs um, das in der westlich geprägten Kultur als ‚Herberge‘ von Erinnerung und des Gedächtnisses gilt und auf strikt materiellen und quantifizierbaren Überresten basiert. Ihre Definition vom Archiv betont den Aspekt der Aufführung als „social performance of retroaction“ (ebd.:105, Hervorh. im Original). Amelia Jones, eine der ersten Wissenschaftler*innen, die sich mit der Bedeutung von Dokumentationen für Performance Art befasst haben, wiederum zeigt die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Performances und ihren Dokumenten auf. Fotografie und Film dienen als Zugang zur Performance, die Vorstellung vom Dokument als wahrheitsgemäßer Beleg oder Zeugnis für die Präsenz des Körpers und für das Ereignis selbst aber sei zu hinterfragen (Jones 1997:15f). Sind Performances durch ihre prozessuale Qualität schon an sich offen gestaltet, so unterliegt ihre bildhafte Rekonstruktion ebenso unkontrollierbaren Faktoren. Dennoch können, Jones zufolge, Zuschauer*innen von Live-Veranstaltungen gegenüber Wissenschaftler*innen, die ihre Analysen ausschließlich auf der Basis dokumentarischer Materialien vornehmen, kein Privileg beanspruchen. Über ein gesichertes Wissen verfügen beide Seiten nicht. Obwohl Zuschauer*innen bestimmte Zusammenhänge vor Ort und während des künstlerischen Geschehens erfassen können, werden entscheidende Narrative und Prozesse erst durch das dokumentarische Material und erst im Rückblick verständlich (ebd.:12). Wie Heike Roms in ihrem Aufsatz „Ereignis und Evidenz. Zur Geschichtsschreibung der Performancekunst“ herauskristallisiert, hinterfragt Jones kritisch die verbreitete Annahme, dass der Live-Aufführung ontologische Priorität vor dem Dokument zukommt (o.J.:o.S.). Erst das fotografische Dokument zusammen mit dem Ereignis der Performance stelle ihrer Meinung nach Evidenz her (ebd.). Was das Material der Studie betrifft, so muss darüber hinaus der subjektive und selektive Blick der Filmer*innen und Fotograf*innen mit einkalkuliert werden sowie der mitunter lückenhafte Bestand von Dokumentationen. Dies sind keine unbekannten Herausforderungen – weder für die Theaterhistoriografie, die sich bis ins 19. Jahrhundert allein auf Entwurfsskizzen, Stiche oder Berichterstattungen für die Beschreibung von Aufführungen stützen konnte, noch für die Kunstbetrachtung, die lange Zeit auf nicht verfügbaren Objekten gründete, ehe im 16. Jahrhundert mit Vasari ein Diskurs einsetzte, der
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von der Präsenz der Objekte, „zumindest in reproduzierter Gestalt“ ausging (vgl. Baxandall 1990:34). Auch Analysen von Performance und Body Art, insbesondere in Diktaturen, in denen diese Kunstformen in der zweiten Öffentlichkeit beziehungsweise nur an deren kaum sichtbaren Rändern ausgeübt werden konnten, müssen mit unvollständigen oder fehlenden Dokumentationen auskommen. Für die Analyse von Performances stellt sich also nicht nur im extremen Fall des Mangels oder Fehlens von Bilddokumenten, sondern ganz grundlegend die Frage, was als Zeugnis für das Ereignis der Performance dient und wie Wissen von Performance generiert wird, sobald das eigentliche Ereignis vorüber ist. Insofern kann eine Erweiterung des Forschungsinteresses auf den Entstehungskontext und die Entwurfsstrategien der Künstlerinnen erhellend sein. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Relevanz von Oral History und Reenactments für die Dokumentation und Verhandlung von Performancegeschichte innerhalb der Performance Studies werden Interviews mit den Künstlerinnen genutzt, um ihre Auftritte aus dem Blickwinkel der Gegenwart zu erinnern, zu (re-)konstruieren und aufzuzeichnen (vgl. auch Roms 2016). Obwohl es sich beim Betrachtungszeitraum von den 1970er bis 1980er Jahren um ein zeitlich abgeschlossenes Kapitel osteuropäischer Kunstgeschichte und mit der DDR um ein geopolitisch verschwundenes Land handelt, läuft das retrospektive Aufzeigen gesellschaftlicher, künstlerischer und geschlechtsspezifischer Zusammenhänge keineswegs auf die Erzeugung eines fixen Narrativs hinaus. Entsprechend der charakteristischen Prozesshaftigkeit ihres Untersuchungsgegenstandes wünscht die Analyse vielmehr, den Text produktiv und offen zu halten. Unter anderem soll dies durch Besprechungen von Arbeiten gelingen, die in den 1990er und 2000er Jahren und damit in anderen gesellschaftlichen und künstlerischen Kontexten entstanden sind, nicht zuletzt, weil der Großteil der Künstlerinnen bis heute aktiv ist und einige von ihnen weiterhin Performances realisieren.
5. Aufbau der Studie Entlang der soziologischen Forschungsfelder Frauenrechte und politische Partizipation, produktive Arbeit und reproduktive Sphäre sollen zu Beginn von SOZIALISMUS UND GESCHLECHT die positiven und negativen Effekte ostdeutscher Frauenpolitik und Gleichstellungsstrategien auf Künstlerinnen umrissen werden (1.1 Soziale Situation von Künstlerinnen). Ziel ist es, zu verdeutlichen, wie politische Botschaften das Selbstverständnis von Frauen und das Berufsbild von Künstlerinnen geprägt haben. Das zweite Unterkapitel geht den staatlichen Bemühungen um die Anerkennung von Künstlerinnen in ausschließlich ihnen vorbehaltenen Ausstellungen nach. Dabei werden
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auch jene Veranstaltungen betrachtet, die in der BRD und Frankreich realisiert wurden (1.2 Künstlerinnen-Ausstellungen). Zielten Ausstellungen aus Anlass des Internationalen Frauentages oder zum Internationalen Jahr der Frau 1975 zumeist auf die ideologische Instrumentalisierung von Künstlerinnen im Speziellen und der Kunst im Generellen ab, muss danach gefragt werden, inwiefern sie zu einer größeren Sichtbarkeit von Künstlerinnen in der Öffentlichkeit, zu ihrer erneuten Marginalisierung oder zur Überlagerung beider Phänomene beigetragen haben. Auf bauend auf diesen Ausführungen, widmet sich das dritte Unterkapitel feministischer Theoriebildung im akademischen Diskurs (1.3 Feministische Interventionen im Kunstdiskurs). Beleuchtet werden die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Frauenforschung in der Kunstgeschichte und die Schwierigkeiten ihrer Etablierung in der DDR. Das den ersten Teil der Arbeit abschließende Kapitel prüft die strukturellen Bedingungen der zweiten Öffentlichkeit und ihre besonderen Charakteristika (1.4 Zweite Öffentlichkeit und ihre Geschlechterverhältnisse). Der konkreten Analyse vorangestellt, sollen die Konzeptionen von (zweiter) Öffentlichkeit diskutiert werden, die auf die spezifischen Bedingungen osteuropäischer Staaten respektive der DDR angewandt werden können (Schäkel 2003; Cseh-Varga 2016). In Anlehnung an Paul Kaisers umfassende sozialhistorische Analyse der Gegenkultur im Staatssozialismus (2016) sollen das Spannungsverhältnis von erster und zweiter Öffentlichkeit, die Bezüge zu historischen Mustern und die Netzwerkstruktur der künstlerischen Szenen hervorgehoben und zugleich ermittelt werden, inwiefern die künstlerische zweite Öffentlichkeit ihr politisches Potenzial wirksam aktivieren konnte. Im Hinblick auf die Untersuchung der Geschlechterpositionen in der zweiten Öffentlichkeit wird der von der Gegenkultur selbst antizipierte und von Kaiser angewandte Begriff der „Boheme“ (Kaiser & Petzold 1997; Kaiser 2016) sowie seine Implikationen für das Künstlerbild und Selbstverständnis von Künstler*innen kritisch hinterfragt. Durch die differenzierte Darstellung der gesellschafts- und kulturpolitischen Gegebenheiten für Künstlerinnen in der DDR und in der zweiten Öffentlichkeit gilt es ein Forschungsdesiderat zu beheben. An die Analyse der Geschlechterverhältnisse in der ersten und zweiten Öffentlichkeit anknüpfend, betrachtet KUNST UND GESCHLECHT die Kategorie ‚Geschlecht‘ und ihre visuelle (Re-)Präsentation in der bildenden Kunst. Ausgehend von der Doktrin des sozialistischen Realismus der frühen Jahre über Individualisierungstendenzen ab den 1970er Jahren bis hin zum Aufbrechen stereotyper Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen wird anhand einzelner Beispiele aus Malerei, Fotografie, Film und Theater der Beitrag der Kunst zur Reproduktion beziehungsweise Durchkreuzung konstruierter Geschlechterdifferenz besprochen (2.1 Repräsentation von Weiblichkeit und Männlichkeit). Zugrunde gelegt wird ein erweitertes Repräsentationskonzept, das nicht die Mimesis visueller Repräsentation postuliert, sondern die
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produktiven wirklichkeits- und bedeutungskonstituierenden Prozesse des Visuellen berücksichtigt (Zimmermann 2006; Wenk 2006). Inwieweit die Hinwendung zum künstlerischen Prozess, zu intermedialen sowie körperund zeitbasierten Kunstformen aus der Infragestellung des Bildes (Rehberg 2004) resultierte oder welche anderen Entstehungsgründe anzuführen sind, erläutert das folgende Kapitel. Insbesondere gilt es, die Rolle dieser Kunstform für die Ausprägung der zweiten Öffentlichkeit in der DDR zu beleuchten. Betrachtungen zum Performancefestival Permanente Kunstkonferenz (1989) werden verdeutlichen, auf welche erschwerten Bedingungen die künstlerische Praxis der Performance Art in der DDR stieß. Darüber hinaus ist zu untersuchen, ob und welche vertiefenden Debatten und Reflexionen über diese Kunstform in Samisdat-Publikationen möglich waren. Auf Grundlage aktueller Forschungsergebnisse wird in Vorbereitung des theoretischen Rahmens für die folgenden Fallanalysen das ambivalente Verhältnis von Performance und dokumentarischem Bild für die Interpretationsmöglichkeit von Performance Art angesprochen (Janecke 2004; Kuni 2004; Auslander 2012). GESCHLECHT ANDERS ZEIGEN bespricht Performance und Body Art von Karla Woisnitza, Gabriele Stötzer, Heike Stephan, Cornelia Schleime und Yana Milev. Eine Einführung in die werkbiografischen Spuren soll die Genese der künstlerischen Praxis nachvollziehbar machen. Die Untersuchung einzelner Aktionen soll schließlich zur ausführlichen Abhandlung ausgewählter Arbeiten führen. Dabei werden neben den für die Studie besonders relevanten Performances auch andere Werke und Inszenierungen betrachtet. Die unterschiedliche Dichte dieser Beschreibungen erklärt sich aus der Annahme, dass einige Aktionen bekannter sind, andere bisher kaum erwähnt beziehungsweise bisher keiner eingehenden wissenschaftlichen Analyse unterzogen wurden. Die Auswahl der Künstlerinnen und ihrer Performances sowie die Reihenfolge der Fallanalysen resultieren weder aus einem chronologischen noch topografisch orientierten Verfahren. Wie sich zeigen wird, gab es zwischen den Künstlerinnen zahlreiche biografische Parallelen, wozu das Studium an der Hochschule für Bildende Kunst Dresden oder an der Pädagogischen Hochschule in Erfurt zählt sowie temporäre oder über mehrere Jahre fortdauernde künstlerische Kooperationen, etwa zwischen Karla Woisnitza und Cornelia Schleime, Gabriele Stötzer und Cornelia Schleime oder Heike Stephan und Gabriele Stötzer (vgl. auch Richter 2018b). Diese Überschneidungen sollen immer wieder thematisiert werden, ausschlaggebend für die Reihenfolge der Protagonistinnen waren sie indes nicht. Darüber hinaus strebt die Arbeit keinen vollständigen Überblick über Performerinnen in der DDR an, genauso wenig wie sie versucht, eine Künstlerinnengeneration lückenlos vorzustellen. Insofern werden Künstlerinnen wie Christine Schlegel, Fine Kwiatkowski, Verena Kyselka und Else Gabriel nur am Rand erfasst. Für diese Entscheidung ausschlaggebend waren inhaltliche Kriterien: Die Performances stellen dezidierte
Einleitung
Interventionen dar, die ein thematisch differenziertes Spektrum repräsentieren, wie in der Kunst der DDR Geschlecht kritisch und vielseitig verhandelt wurde. Bei der Analyse von Karla Woisnitzas Performance Woman is the Nigger of the World (1986) geht es darum, wie kulturelle Differenz dargestellt und zugleich auf das Bild der weißen Frau fokussiert wird (3.1 Die Konstruktion des kulturell ‚Anderen‘. Karla Woisnitza inszeniert Woman is the Nigger of the World). Gabriele Stötzers fotografische ‚Trans‘-Serien mit einem CrossDresser (1985) werden als Inszenierungsformen von Geschlecht diskutiert, die sich eindeutigen Identitätsvorstellungen aus der Perspektive von Queerness und Transgender entziehen (3.2 Abweichungen von heteronormativen Körperbildern. Queere ‚Männlichkeit‘ bei Gabriele Stötzer). Die einzige bis zu den politischen Umbrüchen 1989 im (westlichen) Ausland realisierte Performance einer Künstlerin aus der DDR blieb der eingangs erwähnte Auftritt Heike Stephans im Herbst 1989 in New York, der ungeachtet nicht vorhandener filmischer und fotografischer Dokumentation analysiert werden soll (3.3 (Re-)Aktionen zur Emanzipation von Frauen. Heike Stephan zeigt Revolution & Erotics in New York). Von Interesse ist dabei, welche Kritik die Künstlerin an hierarchischen Geschlechterverhältnissen äußert und welche Entwürfe weiblicher Emanzipation sie inszeniert. An die Untersuchung von Cornelia Schleimes frühen Körperinszenierungen und ihrem Super-8-Film Unter weißen Tüchern (1983) schließt eine ausführliche Analyse ihrer fotografischen Serie Bis auf weitere gute Zusammenarbeit (1993) an (3.4 Die politische Dimension des Privaten. Retrospektive Antworten auf Eingriffe des Geheimdienstes in Cornelia Schleimes Stasi-Serie). Detailliert nachvollzogen werden soll, ob und wie es der Künstlerin gelingt, darin die Funktionsmechanismen des Geheimdienstes der DDR offenzulegen und welche Strategien sie in ihrer Inszenierung einsetzt, um normative Weiblichkeitsmuster aufzurufen und zu unterlaufen. Das Kapitel zu Yana Milev bespricht die selbstgefährdenden Verfahren ihrer Performances und die konzeptionellen Veränderungen, die Ende der 1980er Jahre den Zusammenschluss ihrer Körperarbeit mit forschender Selbstreflexion und Theorie markieren (3.5 Techniken des Selbst. Das System Aobbme von Yana Milev). Die Analyse ihrer im Jahr 2005 entstandenen Intervention vor einer David-Skulptur Michelangelos wird Fragestellungen zu möglichen Strategien der Demontage von ‚Meisterwerken‘ und ‚großen‘ Künstlern des kunsthistorischen Kanons und somit zur dekonstruktiven Funktion einer Performance nachgehen. Vor den fünf Fallstudien sollen die entsprechenden Rahmenbedingungen rekonstruiert werden, zunächst die Rolle der Frauen und Künstlerinnen in der DDR und die damit verbundenen sozialen Zuschreibungen.
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1. SOZIALISMUS UND GESCHLECHT Die Analyse der Geschlechterverhältnisse im Staatssozialismus und in der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit der DDR sowie der Performance Art als einer Kunstform, die sich vorerst nur in der Sphäre der zweiten Öffentlichkeit entwickeln konnte, ist nur unter Einbeziehung der Kategorien ‚Macht‘ und ‚Subjekt‘ möglich. Grundlage der vorliegenden Untersuchung ist ein der poststrukturalistischen Theorie Michel Foucaults entlehnter Machtbegriff. In seiner (Selbst-)Kritik an der Repressionstheorie, die Macht – im Sinne von Karl Marx – vornehmlich als Herrschaft und Unterdrückung eines dualistischen Positiven definiert, beschreibt Foucault Macht als ein produktives Prinzip, das Subjekte nicht (nur) unterdrückt, sondern diese, einschließlich Konzepten von Wissen und sozialer Wirklichkeit, überhaupt erst hervorbringt (1992). Damit bestreitet er nicht die Existenz und Wirksamkeit der Staatsmacht, fokussiert aber auf Machtmechanismen, die alle gesellschaftlichen Ebenen durchziehen. Meine Studie positioniert sich in der Nähe kritischer Ansätze der Kunstgeschichtsschreibung postsozialistischer Staaten, die in Anlehnung an Foucault eine „re-configuration of the notion of power“ praktizieren (Edit András zit. nach Pejić 2009:21). Dieser Perspektivwechsel bedeutet nicht, staatliche Repressalien in totalitären respektive diktatorischen Ordnungen auszublenden oder zu verharmlosen. Er ermöglicht jedoch eine Distanzierung von der Idee ungeteilter Machtherrschaft, wonach Machthabende souverän und hierarchisch von oben nach unten regieren. Damit einhergehend kann die Annahme einer eindeutig definierten Opposition von Staatsapparat und politischen, dissidenten und subkulturellen Künstler*innen zurückgewiesen werden. So gesehen, eröffnet sich eine Diskussionsgrundlage für die komplexen und produktiven Funktionen, Mechanismen und Wirkungen sozialer und gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die beispielsweise auch das Familienleben, Geschlecht und Sexualität umfassen. Die Argumentation folgt keiner dichotomen Setzung der „repräsentativen Verkörperung von Herrschaft“ auf der einen, und der „existenzielle[n] Verkörperung des Lebens- und Freiheitswillens“ auf der anderen Seite, wie es die bisherige Rezeption von Aktionen und Performance Art der DDR vorsieht (vgl. z.B. Rehberg 2004:155).
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Auch wenn die prozessualen, körperbezogenen Künste repressive gesellschaftliche Bedingungen thematisierten und die Konfrontation mit staatlicher Autorität suchten, lassen sich Subjekt, Individualität und Körper nicht als außerhalb von Machtverhältnissen liegende, ‚wahre‘, ‚eigentliche‘ und ‚authentische‘ Kategorien voraussetzen. Vielmehr geht meine Untersuchung von der historischen Bedingtheit des Subjekts aus, das immer wieder durch neue Machtzusammenhänge hervorgebracht wird und somit keineswegs außerhalb der sozialen Ordnung steht.
1.1 Soziale Situation von Künstlerinnen Spätestens die gesellschaftspolitischen Umbrüche 1989 und die darauffolgenden Transformationsprozesse haben verdeutlicht, wie gegensätzlich sich die Sozialisationsmodelle der Frauen in Ost- und Westeuropa und ihr Verständnis von Emanzipation und Feminismus bedingt durch die geopolitische Trennung des ‚Kalten Krieges‘ entwickelt hatten. Exemplarisch zeigt sich dies an den Konflikten der Frauen aus Ost- und Westdeutschland. Frauen in den USA, in Westeuropa und der BRD organisierten sich während der Zweiten Frauenbewegung in den 1960er und 1970er Jahren in unabhängigen Gruppen und führten feministische Diskurse über Gleichberechtigung und Selbstbestimmung in die Öffentlichkeit ein. Feministische ‚grass-root‘-Bewegungen entfalteten sich und die einsetzende Theoriebildung half, Geschlechterverhältnisse besser zu verstehen. Im Rahmen akademischer Institutionen gelang die Etablierung feministischer Forschung nur langsam. So wurde diese in der Kunstgeschichte von Anfang der 1970er bis Ende der 1980er Jahre fast ausschließlich außerhalb der Institution oder an ihren Rändern organisiert (Frübis 2006:258). Zwischen den einzelnen ost- und südosteuropäischen Ländern habe es maßgebliche nationale Unterschiede hinsichtlich ihrer politischen Realität, kultureller Identitäten, religiöser Praktiken und ihrer potenziellen Offenheit gegenüber Westeuropa gegeben, aber entscheidende Ähnlichkeiten in ihrer Frauenpolitik, wie Nanette Funk und Magda Müller in ihren Studien zu Gender, Politics and Post-Communism: Reflections from Eastern Europe and the Former Soviet Union herausarbeiten (1993a). Gleichstellungsbemühungen im Sozialismus wurden durch den Staat (autoritär) gesetzt, wobei staatliche Maßnahmen zahlreiche öffentliche und institutionelle Bereiche betrafen: die der Arbeit und Ausbildung, der Politik, der Rechtsprechung und der Kultur. Im Staatssozialismus wurde die Lösung der ‚Frauenfrage‘ – in der Tradition der Arbeiterbewegung – im engen Zusammenhang mit den veränderten Produktions- und Machtverhältnissen, das heißt mit der Abschaffung kapitalistischer Ausbeutung, der Aufhebung des Privateigentums und der Etablierung sozialer Gleichheit gesehen. Insbesondere die Integration der Frauen in die Erwerbsarbeit sollte nicht nur die Aufhebung ihrer
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Unterdrückung bewirken, sondern wurde gar als die grundlegende Voraussetzung für ihre Emanzipation begriffen. Die Kehrseite war, dass sich die Bemühungen um die Gleichstellung der Frauen nicht auf eine grundlegende Kritik an der vermeintlich ‚natürlichen‘ Geschlechterdifferenz und an tradierten Geschlechterhierarchien in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen richteten, sondern auf die Klassenfrage reduziert blieben. Das hatte zur Konsequenz, dass mit der Integration in sozialistische Arbeitsprozesse maßgebliche FrauenPolitiker*innen in der DDR wie Inge Lange, Kandidatin des Politbüros der SED und Sekretärin des Zentralkomitees für Frauenfragen (1973–1989), eine grundlegend neue Stellung der Frauen in der Gesellschaft bereits erreicht sahen (1975:954). Auch für den Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, schien sich bereits Anfang der 1970er Jahre eine der größten Errungenschaften des Sozialismus, „die Gleichberechtigung der Frau [...] sowohl gesetzlich als auch im Leben weitgehend verwirklicht“ (1971:62) zu haben. Im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern wird, wie Myra Marx Ferree herausstellt, damit aber auch deutlich, dass die Regierung der DDR nicht davon ausging, dass sich die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen einfach aufheben würde (1993:91). Da Frauenpolitik in der DDR einen besonderen Stellenwert hatte, ergriff die Regierung für die Gleichstellung von Frauen direkte Maßnahmen. Einen mit der Zweiten Frauenbewegung Westeuropas vergleichbaren feministischen Auf bruch von der Basis aus hat es im Staatssozialismus nicht gegeben. Entgegen herkömmlicher Annahmen aber hat sich eine Frauenbewegung in der zweiten Öffentlichkeit der DDR ab den 1980er Jahren herausgebildet, worauf gesondert eingegangen werden soll. Zahlreiche auf Geschlechterfragen konzentrierte sozialwissenschaftliche Untersuchungen haben sich den sozialen und politischen Implikationen der Frauen- und Familienpolitik in den ost- und südosteuropäischen Ländern zu Zeiten des ‚Kalten Krieges‘ und konkret den strukturellen Gegebenheiten in der DDR gewidmet (Faber & Meyer 1992; Helwig & Nickel 1993; Funk & Müller 1993a; Diedrich & Stecker 1997). Diese zumeist kurze Zeit nach der deutschen Vereinigung veröffentlichten Publikationen analysieren die damals neu entstandenen geschlechtsspezifischen Konflikte und sozialen Konsequenzen, mit denen Frauen aus der DDR aufgrund des politischen Systemwechsels und extremer Arbeitslosigkeit konfrontiert waren. Als vergleichende Bestandsaufnahmen richten sie sich einerseits auf die strukturellen Bedingungen und Folgen von Gleichstellung und Benachteiligung von Frauen in der DDR und in der BDR und andererseits auf die systembedingten Unterschiede. Zu den gesetzten Themenbereichen gehören Frauenrechte, politische Partizipation, Ausbildung, die Teilhabe von Frauen an der Arbeitswelt sowie ihre Rolle in der privaten Sphäre, wobei der sogenannten ‚Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft‘ verstärkte Aufmerksamkeit zukommt (vgl. Ferree 1993).
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Auf bauend auf den Analysen gesellschaftlicher Strukturbedingungen und der soziokulturellen Geschlechterordnung sowie der Zuweisungen sozialer Positionen und Tätigkeitsbereiche sollen in diesem Kapitel die Besonderheiten und Zielsetzungen ostdeutscher Frauenpolitik in der DDR umrissen werden. Auf diese Weise lässt sich nachvollziehen, wie politische Botschaften das Rollenverständnis von Frauen und Männern sowie das Geschlechterverhältnis beeinflusst haben und welche Wirkmacht das konkrete politische, soziale und kulturelle Umfeld auf Identität und Selbstverständnis von Frauen in der DDR hatte. In ihrer Untersuchung Die Domestizierung der feministischen Kulturtheorie als Mittel zur Aussöhnung mit der sozialistischen Vergangenheit unterstreicht Beata Hock die Notwendigkeit, den staatlichen Emanzipationsprogrammen im Staatssozialismus mit ernsthafter analytischer Aufmerksamkeit zu begegnen, um das Schaffen von Künstlerinnen nicht nur mit einem „bereits bestehenden interpretatorischen Rahmen zu fassen“, sondern die kulturelle Praxis von Frauen „aus einem spezifischen sozialen Setting heraus zu theoretisieren“ (2017b:o.S., Hervorh. im Original). Die Konturierung der Geschlechterpositionen innerhalb der künstlerischen ersten und zweiten Öffentlichkeit soll hier ebenso wie die der künstlerischen Praxis der Frauen in der DDR aus der Betrachtung der sozialhistorischen Lebenswirklichkeit heraus erfolgen. Im Folgenden gilt es zuerst auf grundlegende Frauenrechte in der DDR und auf die Möglichkeiten kulturpolitischer Mitwirkung von Frauen einzugehen. Wie politische Maßnahmen und das Leitbild der berufstätigen Frau die Praxis von Künstlerinnen geprägt haben, soll Schwerpunkt des zweiten Unterkapitels sein. Versuche seitens der Politik der DDR, die Frauen in der Vereinbarung ihrer reproduktiven Rolle mit anderen Lebensaspekten zu unterstützen und daraus resultierende Konflikte für berufstätige Mütter sind nachfolgende Themen. Schließen wird das erste Kapitel mit einer Betrachtung maßgeblicher Veränderungen für Frauen respektive Künstlerinnen in der kapitalistischen Marktwirtschaft des vereinten Deutschlands nach 1990.
1.1.1 Frauenrechte und politische Partizipation Als Grundsatz und Staatsauftrag wurde die formalrechtliche Gleichstellung der Frauen bereits in der Verfassung der DDR von 1949 garantiert.13 Mit der Einsicht in die Notwendigkeit der besonderen Förderung von Frauen für das Erreichen der Gleichberechtigung wurde diese als gesellschaftliche und staatliche Aufgabe in der 1968 reformierten Verfassung erneut formuliert, wobei
13 „Mann und Frau sind gleichberechtigt.“ Art. 7, Abs. 1, Verfassung der DDR 1949. http://www. documentarchiv.de [letzter Zugriff: 17.03.2015].
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die berufliche Qualifizierung im Vordergrund stand.14 Die letzte Verfassungsänderung von 1974 fixierte juristisch die gleiche Rechtsstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen und persönlichen Lebens. Ebenfalls verankert wurden das Recht auf Arbeit, auf einen Arbeitsplatz und das Recht auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeitsleistung.15 Vor dem Hintergrund dieser entscheidenden Errungenschaften stellt sich die Frage, wie die konkreten Chancen von Frauen auf Teilhabe an politischen Gestaltungsprozessen in der DDR aussahen. Politische Mitbestimmung und Mitwirkung waren in der DDR, wie die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Anne Hampele darlegt, nur im Rahmen des Demokratischen Zentralismus möglich. Die hierarchische Ordnung der Entscheidungsfindung und -durchsetzung sollte politische Opposition und die Entstehung von politischem Pluralismus unterbinden (Hampele 1993:282). Frauen waren durch ihre Berufstätigkeit aktive ‚Mitgestalterinnen‘ der sozialistischen Gesellschaft und Teilhabende an staatlichen Prozessen. Ihre Teilnahme am öffentlichen Leben konzentrierte sich dabei, so Hampele, weitestgehend auf Organisationen und Gremien, die stärker repräsentativen Charakter und politisch eher weniger Einfluss hatten (ebd.:289). Je höher die Leitungsebene, desto seltener waren Frauen vertreten, entsprechend geringer wurden die Möglichkeiten ihrer Einflussnahme. An der Spitze der politischen Hierarchie, also in zentralen Führungsgremien des Partei- und Staatsapparates, blieben Frauen deutlich unterrepräsentiert. Keine Frau war Vollmitglied des Politbüros der SED, des maßgeblichen politischen Entscheidungsorgans. Lediglich zwei Frauen waren sogenannte ‚Kandidaten‘ und damit ohne Stimmrecht, darunter Inge Lange, deren Einfluss auf das Ressort Frauenfragen beschränkt war. Hervorzuheben ist, dass es bereits seit 1955 die Abteilung und seit 1961 die Arbeitsgruppe Frauen des ZK gegeben hat, die verantwortlich für die Frauenpolitik der Partei zeichneten, es aber nicht vermochten, den Anteil von Frauen in der Politik zu erhöhen. So konnten Frauen in Politik und Öffentlichkeit weder entscheidenden Einfluss geltend machen, noch diese richtungsweisend bestimmen. Daran änderten auch die Aktivitäten des Demokratischen Frauenbunds Deutschland (DFD) nichts, der selbst eine Fraktion im Parlament hatte. Die einzige offiziell anerkannte Frauenorganisation der DDR war politisches Instrument des Staates und der SED, das dazu diente, die Frauenbewegung zu zentralisieren und den eigenen Zielen unterzuordnen. Die Vereinheitlichungsstrategien schlossen die Möglichkeit verschiedenartiger Ansätze und die Kritik an realen Geschlechterverhältnissen aus. Hauptadressatinnen des DFD waren berufstätige Mütter, die mit den 14 „Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist gesellschaftliche und staatliche Aufgabe.“ Ebd., Verfassung der DDR 1968, Art. 20, Abs. 2. 15 Ebd., Verfassung der DDR 1974, Art. 24, Abs. 1.
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politischen Zielsetzungen der Frauenpolitik konform gehen sollten (Bouillot 2008). An dieser Politik hielt der DFD auch während des Entstehens der Friedens- und Alternativbewegung in den 1980er Jahren und bis zum Ende der DDR fest. Die staatlich administrierte Emanzipation im Sozialismus führte dazu, dass Frauenrechte nicht von Frauen selbst erkämpft, sondern von Männern im Staatsapparat und in der Partei definiert und unter bestimmten ideologischen Zielsetzungen implementiert wurden. Gleichberechtigung durfte der Politikwissenschaftlerin Sabine Berghahn zufolge kein Selbstzweck sein. Sie diente der Verwirklichung eines letztlich geschlossenen Gesellschaftsmodells (1992:64). Gleichwohl lässt sich anhand von Studien zur Frauenbewegung in der DDR (Zimmermann 1992; Kenawi 1996) und anhand einzelner biografischer Verläufe in den 1980er Jahren eine allgemeine Mobilisierung von Frauen nachvollziehen, die sich gegen strukturelle Ursachen von Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen von Frauen richtete. Der Politisierungsschub gründete in gesellschaftlichen Konflikten, die sich in den 1970er Jahren herausgebildet hatten, jedoch lange Zeit tabuisiert wurden, wie die wachsende Militarisierung der Gesellschaft, die unter anderem in die Verabschiedung des Wehrdienstgesetzes für Frauen Anfang 1982 mündete, und die Geschlechtersegregation in Arbeitswelt und Familie. Durch umfassende staatliche Kontrolle von Verbänden und Organisationen sowie durch Verfolgungs- und Zersetzungsmaßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), dem Geheimdienst der DDR, waren politische Handlungsräume extrem eingeschränkt. Kritik an staatlichen Strukturen und politisch alternative Partizipationsformen konnten sich aus diesem Grund nur in nichtstaatlichen Initiativen und Gruppierungen innerhalb der zweiten Öffentlichkeit äußern. Wie aus Zimmermanns Aufsatz hervorgeht, entwickelten sich mehrere Strömungen, darunter Frauen für den Frieden als Teil der internationalen Friedens- und Frauenbewegung in West- und Osteuropa, die kirchliche Frauenbewegung und feministische Arbeitskreise wie der Arbeitskreis Feministische Theologie sowie Lesbengruppen, die Ende der 1980er Jahre aus der Homosexuellen- und Frauenbewegung hervortraten (1992:158ff). Im Rahmen der kirchlichen Öffentlichkeit wurde ‚Feminismus‘ erstmals während einer Tagung 1982 in der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg unter dem Titel Feminismus – Reizwort oder Programm richtungsweisend diskutiert (Kenawi 1996:28). Frauen waren auch in anderen, gemischtgeschlechtlichen Bürgerbewegungs- und Oppositionsgruppen aktiv. Obwohl Frauengruppen aufgrund der skizzierten politischen und geschlechtsspezifischen Bedingungen nur über begrenzte Aktions- und Mobilisierungsmöglichkeiten verfügten, trifft der Argumentation Hampeles folgend die Definition der „Bewegung“ zu, da es einen engen und langjährigen Austausch zwischen den einzelnen Initiativen gab und sie
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Debatten – weit über den Kreis ihrer unmittelbaren Mitglieder hinaus – anregten (1993:302). Diese Aktivitäten waren fast ausschließlich unter dem Dach der evangelischen Kirche in der Sphäre der zweiten Öffentlichkeit möglich und wurden durch staatliche Kriminalisierung und Verfolgung der Frauen zusätzlich erschwert. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Betrachten kulturpolitischer Machthierarchien und Mitgestaltungsprozesse in künstlerischen Organisationen und Gremien des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands (VBKD), später Verband Bildender Künstler der DDR (VBK),16 in denen Künstlerinnen unterrepräsentiert waren. Unter den insgesamt sieben Ministern des 1954 gegründeten Ministeriums für Kultur befand sich bis zu seiner Auflösung Ende 1990 keine einzige Frau. Von den zehn Präsident*innen des VBK amtierte eine Frau, die Malerin Lea Grundig, von 1964 bis 1970, ebenso gehörte zu den Geschäftsführenden und Ersten Sekretär*innen nur eine Malerin. Keine der Funktionen der Vorsitzenden der Bezirksorganisationen wurde von einer Frau ausgeübt. Unter den insgesamt 135 Mitgliedern des Zentralvorstandes waren 20 Künstlerinnen, Designerinnen, Kunstwissenschaftlerinnen und kulturpolitische Mitarbeiterinnen vertreten (Brinkmann & Mann 1995:165). Auch in der Hierarchie der staatlichen Auszeichnungen sind Frauen allenfalls als Trägerinnen weniger bedeutender Preise zu finden (Müller 1990a:128ff). Eine prinzipielle Mitbestimmung durch die Mitglieder, so auch die Interessensartikulation von Frauen in den einzelnen Sektionsleitungen, war, wie Christiane Müller (heute Peters) in ihrer langjährigen, noch in der DDR entstandenen Studie zu Künstlerinnen in der DDR darlegt, durchaus möglich (Müller 1990:108). Allerdings lag auch bei diesen Leitungspositionen der Frauenanteil mit unter 20 Prozent weit unter dem Mitgliederverhältnis von zwei Dritteln Männern und einem Drittel Frauen.17 In Entscheidungsgremien des VBK, in Auswahlkommissionen zu Ausstellungen und in Jurys waren Frauen entsprechend ihrer Mitgliederstärke ebenso wenig vertreten. Neben den prinzipiell fehlenden Zugangsmöglichkeiten für Frauen zu höheren Leitungsebenen sieht Müller die Abwesenheit von Künstlerinnen innerhalb kulturpolitischer 16 Der VBK war die Berufsorganisation bildender Künstler*innen und Kunstwissenschaftler*innen der DDR. Nur wer Mitglied wurde, konnte offiziell als Künstler*in arbeiten. Die Fixierung auf den sozialistischen Realismus und die Unterwerfung unter den Staats- und Parteiapparat machten eine wirkliche Vertretung aller in der DDR tätigen Künstler*innen unmöglich. Selbst gegen Widerstand aus dem VBK heraus waren staatliche Behinderung, Kontrolle, die Schließung von Ausstellungen, Ausgrenzung, Ausbürgerung und ähnliche Willkür stets vorhanden. Der Verband war regional in Bezirksorganisationen und fachlich in Sektionen (Malerei/Grafik, Plastik, Gebrauchsgrafik, Formgestaltung und Kunsthandwerk, Karikatur und Pressezeichnung, Restauration, Bühnenbild sowie Kunstwissenschaft) gegliedert (Feist 1990; Olbrich u.a. 1994:589). 17 Ausgehend von der auf dem letzten regulären VBK-Kongress 1988 veröffentlichten Mitgliederstatistik waren 2143 Frauen bei einer Gesamtzahl von 6055 Mitgliedern im Verband organisiert, d.h. ihr Anteil lag bei 35,4% (Brinkmann & Mann 1995:162).
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Gestaltungsprozesse in der geschlechtsspezifischen Zuweisung von Handlungsräumen für Frauen begründet. Ihre Doppel- respektive Dreifachbelastung, die ihre künstlerische Arbeit sowie die Haushaltsführung und das Familienmanagement verursachten, ließ es selten zu, zusätzlich kulturpolitische Funktionen zu übernehmen, um eigene Interessen zu vertreten (ebd.:105). Dennoch engagierten sich einzelne Künstlerinnen innerhalb und außerhalb des VBK, das heißt in der ersten und zweiten Öffentlichkeit, gegen staatliche Repression und Diskriminierung sowie für strukturelle Veränderungen von Organisationen und die politische Mitwirkung von Frauen. Im Folgenden soll das Engagement von vier Künstlerinnen – Bärbel Bohley, Tina Bara, Annemirl Bauer und Angela Hampel – vorgestellt werden. Prominentestes Beispiel frauenrechtlich engagierter Künstlerinnen ist die Malerin Bärbel Bohley, Mitbegründerin der Frauen für den Frieden (FfF) in Ostberlin. Ab 1979 war die Künstlerin Mitglied der Sektionsleitung Malerei/ Grafik und im Bezirksvorstand des VBK Berlin. In ihrer Funktion reichte sie mit anderen Frauen eine Eingabe an Erich Honecker gegen das im März 1982 verabschiedete Gesetz zum Wehrdienst für Frauen und Wehrkundeunterricht an Schulen ein. Diese Eingabe wurde im VBK als verfassungswidrig und Bohleys Verhalten als statutenwidrig betrachtet, woraufhin ihr Ausschluss erfolgte (Dohrmann 2000:314). Gegen Bohley, die sich nicht nur für Frauen-, sondern zunehmend für grundlegende Menschenrechte engagierte, wurden zwei Operative Vorgänge (OV),18 darunter der OV Wespen gegen FfF, angestrengt. Wie die Frauenrechtlerinnen Katrin Eigenfeld und Ulrike Poppe von Frauen für den Frieden wurde sie zeitweise verhaftet und schließlich aus der DDR ausgewiesen. Aufgrund internationaler Unterstützung konnte Bohley nach sechs Monaten britischen Exils wieder in ihre Heimat zurückkehren. 1989 wurde sie zu einer der Initiator*innen der Bürgerrechtsbewegung Neues Forum und war als dessen Mitglied in den Folgejahren politisch aktiv. Bis zu ihrem frühen Tod 2010 setzte sich die mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Nationalpreis der Bundesrepublik ausgezeichnete Bohley für die Aufarbeitung des Unrechts in der DDR und für die Gewährleistung maßgeblicher Menschenrechte in Europa nach 1989 ein. Ihre Tätigkeit als Künstlerin hatte Bohley bereits nach ihrer Untersuchungshaft im Jahr 1983 zugunsten ihrer politischen Arbeit weitestgehend aufgegeben. Tina Bara, Anfang der 1980er Jahre Geschichtsstudentin der HumboldtUniversität zu Berlin, ab 1986 Studierende der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) Leipzig, assoziierte sich 1982 mit den FfF,
18 Ein OV war eine Maßnahme der Staatssicherheit der DDR für die geheimdienstliche Ermittlung gegen oppositionelle Kräfte und galt als höchste Stufe der ‚Feindbearbeitung‘. Ihr ging die Operative Personenkontrolle (OPK) voraus, die der Überprüfung von Personen diente.
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die in grenzüberschreitendem Austausch mit der gleichnamigen Bewegung in Westberlin und der Frauenbewegung in Großbritannien stand. Bara, die durch die Friedensfrauen mit feministischen Ideen in Berührung kam, nahm an zahlreichen Treffen teil, bei denen auch ihre ersten Fotografien entstanden.19 Ebenso beteiligte sich die junge Studierende an öffentlichen Protesten, zu denen eine Aktion am Frauenaktionstag, dem 17. Oktober 1983, parallel zu den Aktivitäten der Aktionswoche der bundesdeutschen Friedensbewegung gehörte. Dabei gaben schwarz gekleidete Frauen im Hauptpostamt am Berliner Alexanderplatz ihre Verweigerungsabsicht im Falle einer Einberufung zur Nationalen Volksarmee per Einschreiben an ihre zuständigen Wehrkreiskommandos ab (Kukutz 1995). Die Gründung und Aktivitäten der Frauen für den Frieden in Ostberlin müssen im Zusammenhang der sich international formierenden Friedensbewegung und europaweiter Proteste gegen Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft als Folge des Nato-Doppelbeschlusses (1979), der Strategie des ‚Totrüstens‘ der Sowjetunion und des ‚Ostblocks‘ durch Ronald Reagan sowie der Aufrüstungsbestrebungen des Warschauer Paktes gesehen werden. Die in Berlin und Niederwerbig arbeitende Malerin Annemirl Bauer stellte einen Antrag auf Ablehnung des Wehrdienstgesetzes für Frauen, solidarisierte sich öffentlich im VBK mit Bärbel Bohley und setzte sich für deren Wiederkandidatur ein, um den Frauenanteil in den Gremien zu garantieren. Gegen Bohleys Verhaftung plante Bauer 1983 eine Protestaktion und forderte in einem Schreiben an den Präsidenten des VBK, Willi Sitte, sich für Bohley einzusetzen. Nachdem Bauer vor dem Hintergrund einer der größten Emigrationswellen nach Westberlin und Westdeutschland 1984 eine Eingabe zur „Ausreise mit Wiederkehr“ an Sitte geschickt hatte, in der sie das Reiserecht als grundlegendes Menschenrecht einforderte, wird sie nach einem Disziplinarverfahren aus dem VBK ausgeschlossen. Die Staatssicherheit eröffnet im gleichen Jahr den OV Zelle gegen die Künstlerin, nachdem sie 1981 die OPK Maler eingestellt hatte. Bauer wird in den Folgejahren von der Staatssicherheit überwacht und durch Zersetzungsmaßnahmen wie fingierte Steuerrückzahlungsforderungen und Zwangsräumungen drangsaliert. Im Gegensatz zu Bohley hatte Bauer jedoch weder einen vergleichbaren Bekanntheitsgrad noch die Unterstützung von Freund*innen in Westdeutschland sowie von politischen und künstlerischen Gruppierungen in der DDR. Obwohl die Künstlerin 1986 wieder in den VBK aufgenommen wird, ist die Einzelkämpferin den Repressalien der Staatssicherheit umso stärker ausgesetzt (Dohrmann 2000). In ihrer Rede vor dem X. Kongress des VBK im November 1988 hebt die Dresdner Malerin Angela Hampel spezifische Problemfelder für Künstlerinnen
19 Tina Bara im Gespräch mit der Autorin, 05.05.2009.
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innerhalb der Strukturen des Verbandes hervor. Für die Neuformulierung des Statuts fordert sie eine horizontale und vertikale Geschlechterparität in sämtlichen Leitungen und machtausübenden Gremien. Ihr Ruf nach Unterstützung und Förderung von Künstlerinnen umfasst die Präsenz von Frauen in Jurys, die Gleichstellung von Künstlerinnen bei der Vergabe von Aufträgen und Reisen, ihre Repräsentation im Ausland, Modifizierungen der Sammlungs- und Ankaufspolitik der Museen und Galerien ebenso wie Freiräume für die mediale Repräsentation der Lebenswirklichkeit von Frauen, die Mehrfachbelastung, steigenden Alkoholismus oder Gewalt in der Ehe thematisieren soll, wie auch die Schaffung alternativer Orte der Kommunikation und des Zusammentreffens von Frauen (Hampel 1988). Gleichzeitig beklagt die Künstlerin, wie wenig die Geschlechterproblematik im Bewusstsein der Öffentlichkeit, aber auch bei Künstlerinnen selbst verankert sei und ruft dazu auf, die Angst vor Diskriminierung und Isolation zu überwinden. Hampels Forderungen nach einem grundlegenden strukturellen Wandel, der über die formale Gleichberechtigung innerhalb einer von Männern geprägten Ordnung hinausreicht, ist beispiellos, gilt doch zu bedenken, dass sie vor den Repräsentanten und Mitgliedern des VBK, also in der ersten Öffentlichkeit, artikuliert wurden. Ohnedies war der X. Kongress von einer ungewöhnlich offenen Diskussion geprägt, die einen „Neuansatz im Denken“ und ein „anderes geistiges Klima“ forderte und fast in eine Rebellion umzuschlagen drohte (Feist 1990b).20
1.1.2 Berufsbild Künstlerin Die Integration möglichst vieler Frauen in das Erwerbsleben war, wie bereits ausgeführt, ein zentrales Anliegen der Regierung. Damit verfolgte die Politik eine ökonomische Lösung für den eklatanten Mangel an Arbeitskräften in der DDR und signalisierte zugleich ihre ideologische Verpflichtung, Frauen in den Produktionsprozess einzugliedern. Die Berufstätigkeit von Frauen galt dabei als Maßstab für eine erfolgreiche Gleichberechtigungspolitik. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche konkreten Faktoren die berufliche Realität von Frauen in der DDR bestimmten. 1989 gingen über 91,2 Prozent der Frauen im erwerbstätigen Alter einem Beruf nach oder befanden sich in der Ausbildung. Etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen in der DDR waren Frauen (Berghahn 1992:72). Die Förderung der Frauen, wie sie in der Verfassung von 1968 festgehalten war, konzentrierte sich vorrangig auf ihre berufliche Qualifizierung. Frauenspezifische Regelungen zum Schutz
20 Dominiert wurde der Kongress von der Debatte um das Verbot von fünf sowjetischen Filmen und der sowjetischen Zeitschrift Sputnik, die durch ihre insbesondere im Zusammenhang mit der Glasnost- und Perestroika-Politik der UdSSR intensivierte kritische Berichterstattung ein begehrtes Informationsmedium in der DDR war.
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und zur Förderung, die im Arbeitsgesetzbuch verankert waren und die insbesondere der Aus- und Weiterbildung dienten, ermöglichten ein hohes Bildungsniveau. 1988 hatten 87 Prozent der Frauen eine abgeschlossene Berufsausbildung, der Frauenanteil am Hochschulstudium betrug fast 50 Prozent (Drauschke 1992:44). In der BRD dagegen durften Ehefrauen erst ab einer umfassenden Reform des Ehe- und Familienrechts im Jahr 1977 ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes eine Berufstätigkeit aufnehmen. Durch ihre Erwerbsarbeit verfügten Frauen in der DDR über eine weitgehende ökonomische Unabhängigkeit. Damit war es ihnen möglich, eine eigenständige Existenz aufzubauen und ihre persönlichen Lebensentwürfe durchzusetzen (Nickel 2006:128). Aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit waren Frauen darüber hinaus gesellschaftliche Aktivistinnen, die das öffentliche Leben mitbestimmten. Zugleich waren sie gestaltende Akteurinnen innerhalb größerer Gemeinschaften, im Kreise ihrer Kolleg*innen wie innerhalb gesellschaftlicher Organisationen. Es verwundert nicht, dass „die Position der SED und Äußerungen von Frauen der DDR zur Gleichberechtigung mindestens teilweise übereinzustimmen scheinen“, da, wie die Politikwissenschaftlerin Erdmute Horn ausführt, „die Idealisierung der erwerbstätigen Mutter durch die Partei mit dem Bedürfnis der Frauen nach materieller und sozialer Unabhängigkeit, mit ihrem Wunsch nach Partizipation am öffentlichen Leben korrespondierte“ (1992:108). Dass dieses Anliegen nicht ausschließlich auf Frauen aus der DDR zutraf, zeigen steigende Erwerbsquoten vor allem von verheirateten Frauen und von Frauen mit Kindern in den letzten Jahrzehnten in den westlichen Industrienationen. In der DDR jedoch gehörte „für die große Mehrheit der Frauen die Erwerbstätigkeit tatsächlich zum Alltag“ (ebd.). Diese bedeutenden Ergebnisse der Frauenpolitik gingen einher mit der weiteren Tradierung normativer Geschlechterverhältnisse, die sich in der geschlechtsspezifischen Segregation in frauen- und männerdominierten Bereiche innerhalb der Produktionsarbeit manifestierten. So waren Frauen hauptsächlich im Handel, im Gesundheits- und Bildungswesen, in Dienstleistungsbereichen und in der Leicht- und Textilindustrie tätig (Klenner 1992:23) – und damit am stärksten in den Berufszweigen vertreten, in denen das Einkommen im Durchschnitt am niedrigsten lag. Spiegelbildlich zu ihrer geringen Teilhabe am politischen Kapital waren Frauen in Leitungspositionen im beruflichen Feld unterrepräsentiert, fast ausnahmslos waren sie auf den unteren und mittleren Ebenen der Hierarchie anzutreffen. Im Folgenden soll umrissen werden, welche beruflichen Bedingungen das Künstlerinnen-Dasein konkret bestimmten. Die strukturellen Voraussetzungen für die Professionalisierung von Künstlerinnen, wie die Zugangsbedingungen zum Hochschulstudium und der sich an das Studium anschließenden Mitgliedschaft im VBK, waren in der DDR prinzipiell gegeben. Das in der Verfassung festgelegte Recht auf Arbeit war auch für Künstlerinnen eine durchgesetzte Lebens-
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praxis. In ihren Überlegungen zum Künstlerinnenleben in der DDR betont Christiane Müller, dass das Berufsbild der bildenden Künstlerinnen dem eines „über ein eigenes Einkommen verfügenden und von der Gesellschaft akzeptierten, ökonomisch selbständig agierenden Menschen“ entsprach (1992:209). Künstlerinnen wie die Malerin Sabine Herrmann haben ihre Tätigkeit „richtig als Beruf gesehen, so wie andere Frauen auch einen haben und arbeiten gehen“ (zit. nach Förster 1992:84). Herrmann sei jeden Tag in ihr Atelier gegangen und habe dort gearbeitet und überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass es etwas Besonderes sei, dass sie als Frau diesen Beruf ausübe (ebd.). Bildende Künstlerinnen stellten Ende der 1980er Jahre rund 26 Prozent der im VBK organisierten und erfassten Maler*innen, Grafiker*innen und Bildhauer*innen.21 Mit dem Paragraf 249 des Strafgesetzbuches – Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten – wurde eine freiberufliche Tätigkeit kriminalisiert, „arbeitsscheue“ Personen konnten zur Arbeit für den Staat gezwungen werden oder bei Strafbarmachung eine Freiheitsstrafe erhalten. Nur die VBK-Mitgliedschaft und der dadurch gesicherte Besitz einer Steuernummer berechtigte zur künstlerisch freischaffenden Tätigkeit. Aus diesem Grund galt die Mitgliedschaft im VBK als wichtigste Voraussetzung für die Legitimation und Anerkennung der Arbeit von Künstler*innen.22 Mit der Ausbildung an einer Kunsthochschule und einer sich anschließenden dreijährigen Kandidatur, die seit 1978 mit einem monatlichen Stipendium von 400 Mark versehen war, konnte die Vollmitgliedschaft erreicht werden. Der Verband selbst diente der Kontrolle der Mitglieder,23 organisierte Ausstellungen und regelte Kunstverkäufe. Mit seiner zentralistischen Struktur sollte die Bildung von unabhängigen Gruppen außerhalb und innerhalb des VBK unterbunden werden. Gleichzeitig waren Künstler*innen über den Verband sozial versichert, erhielten regelmäßig und mitunter lukrative, mehrjährige Aufträge und hatten 21 1988 waren 1485 Maler und Grafiker als Mitglieder des VBK erfasst. Davon waren 386 Frauen. Unter 390 im Verband organisierten Bildhauer*innen befanden sich 106 Frauen. (Müller 1992:207). Nicht berücksichtigt werden bei Müller die bildenden Künstler*innen, die keinen Zugang zur Sektion Malerei/Grafik des VBK hatten, sondern als ‚Kunsthandwerker‘ geführt wurden. Nicht erfasst sind außerdem diejenigen, die über keine Verbandsmitgliedschaft verfügten, sei es durch Nichtaufnahme oder Ausschluss. Unberücksichtigt sind gleichermaßen die in den 1980er Jahren nach Westdeutschland und Westberlin emigrierten Künstler*innen. Von allein 296.958 im Jahr 1989 Ausgereisten waren 130.800 Frauen, also 44 %. In der 1990 ausgerichteten Ausstellung Ausgebürgert, die alle aus der DDR emigrierten Künstler*innen zu erfassen versuchte, waren von 758 Kunstschaffenden lediglich 196 Künstlerinnen, also rund 26 % (Schmidt 1990). 22 Nur mit einer sogenannten „Verkaufs- und Preisgenehmigung“, die beantragt werden musste, durften nicht im Verband organisierte Künstler*innen zur Existenzsicherung selbst gefertigte Waren wie beispielsweise gestrickte Pullover oder selbstentworfene Kleider zum Verkauf anbiete. 23 Als kulturpolitisches Organ behielt sich der Verband jederzeit die Nichtaufnahme oder den Ausschluss einzelner Mitglieder bei mangelnder politischer Konformität wie im Fall von Annemirl Bauer oder Bärbel Bohley vor.
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damit ein relativ gesichertes Einkommen. Das hatte den Vorteil, dass Künstlerinnen im Gegensatz zu ihren westdeutschen Kolleginnen neben ihrer professionellen künstlerischen Arbeit, der Hausarbeit und Kinderbetreuung nicht zusätzlich verdienen mussten. Dennoch lag das Einkommen von Künstlerinnen auf einem niedrigen Niveau und – wie in zahlreichen anderen professionellen Bereichen – unter dem ihrer männlichen Kollegen (Müller 1990a:87).24 Zahlreiche in der zweiten Öffentlichkeit aktive Künstler*innen waren zugleich im VBK organisiert, erhielten Ausstellungsmöglichkeiten in der ersten Öffentlichkeit und staatliche Förderung durch Auftragsarbeiten. Ähnlich wie in kulturpolitischen Führungspositionen waren Frauen als leitendes Lehrpersonal an Kunsthochschulen strukturell unterrepräsentiert. Der künstlerischen Karriere als Frau waren damit Grenzen gesetzt. Der Blick auf die Lehrenden der Hochschule für Bildende Künste Dresden im Jahr 1987 verdeutlicht das unausgewogene Verhältnis der Geschlechter. Neben 24 männlichen Lehrkräften im Bereich Malerei, Grafik und Plastik gab es nur drei Frauen, darunter eine Professorin.25 An der Leipziger Hochschule lässt sich zwar ein höherer Anteil an Frauen nachweisen – die meisten von ihnen traten ihre Stelle jedoch lediglich in der Nachfolge ihrer Ehemänner an oder wurden durch die Lehramtstätigkeit ihrer Partner entsprechend begünstigt.26 Im Gegenschluss lässt sich aufzeigen, dass Künstler, die zugleich leitende Positionen an staatlichen Kunsthochschulen wie der HGB Leipzig oder der Kunsthochschule Weißensee bekleideten, künstlerische Genres bedienten, die von Künstlerinnen nicht aufgegriffen wurden beziehungsweise werden konnten. Dazu gehört das in der Tradition der Huldigung an staatstragende Kräfte im 19. Jahrhundert stehende Historien- und Ereignisbild, das oftmals in Form des Triptychons von Staatskünstlern wie Willi Sitte, Walter Womacka und Bernhard Heisig ausgeführt wurde. Künstlerinnen dagegen bevorzugten bei Gruppenporträts das Prinzip der Aneinanderreihung, so etwa Nuria Quevedo in 30 Jahre Exil von 1971, das in der Tradition der proletarisch-revolutionären Malerei seinen Ausdruck fand (Müller 1992:209). Dieser Vergleich bezieht sich nicht auf die Kämpfe zwischen den Kategorien einer ‚hohen‘, dem männlichen ‚Schöpfertum‘ vorbehaltenen Kunst und einer ‚angewandten Kunst‘, die der als reproduktiv angesehenen ‚weiblichen‘ Kreativität zugeschriebenen
24 Da es keine statistischen Erhebungen zum Einkommensniveau von Künstler*innen gab, ermittelte Müller die Rückführung von Sozialversicherungssummen durch den Kulturfonds der DDR. 25 Nachdem Lea Grundig ihre Professur beendet hatte, waren das Prof. Jutta Damme, die Oberassistentin Eva-Maria Forker-Schreiter und die Dozentin Ursula Rzodeczko (Sander 1987). 26 Über den Zeitraum von 1950 bis 1990 waren das Angelika Kuhrt seit 1986 (Prof. Rolf Kuhrt seit 1968), Christel Blume-Benzler seit 1979 (Harry Blume seit 1961), Prof. Ursula Mattheuer-Neustädt von 1960 bis 1964 (Prof. Wolfgang Mattheuer 1953 bis 1974), Prof. Irmgard Horlbeck-Kappler von 1953 bis 1985 (Prof. Günter Horlbeck seit 1952 an der HfBK Dresden), Christine Rink als Leiterin der Galerie der Hochschule seit 1979 (Prof. Arno Rink seit 1972) (Brandler 1991:12).
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wird (vgl. auch Schade & Wenk 2005:159f). Deutlich wird daran vielmehr, dass es auch innerhalb der Malerei eine hierarchische Ordnung gab, in denen geschlechtsspezifische Zuweisungen Genre und Thema, Format und Material bestimmten. Neben einer strukturellen Marginalisierung erfuhren Künstlerinnen geschlechtsspezifische Abwertungen durch ihre Kollegen, die sich gegen ihre bildkünstlerische Produktion richteten. In dem im Organ des VBK, der Verbandszeitschrift Bildenden Kunst, 1989 veröffentlichten Gespräch von ost- und westdeutschen Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen äußert sich Angela Hampel dazu folgendermaßen: Wenn Frauen schlechte Kunst machen, dann sagt man, das sei „Weiberkunst“. So wie auch Männer, die schlechte Kunst machen, dieses Etikett kriegen, sie machen Frauenkunst. In dem Moment wird das Geschlecht an die Arbeit gekoppelt. Da wo Frauen gute Kunst machen, werden sie zum Neutrum, dann übersieht man den Umstand, dass sie das als Frau gemacht haben. Dann ist Kunst Kunst. (VBK 1989a:59) Aus diesem Zitat geht hervor, dass als qualitativ minderwertig charakterisierte Kunst im Sinne der Geschlechterdifferenz unmittelbar mit ‚weiblichem‘ Schaffen assoziiert wird. Die in ähnlichen Kontexten häufig auftauchende Bezeichnung ‚Malweiber‘, ein Begriff, der auf Künstlerinnen Anfang des 20. Jahrhunderts angewandt wurde, die in Ermangelung akademischer Ausbildungsmöglichkeiten in der Natur malten, ist ganz in diesem Sinne pejorativ gemeint. Wie auch Christiane Müller unterstreicht, galt die durch Männer geäußerte Abwertung der künstlerischen Arbeit als eine Möglichkeit, gerade in Großstädten der Konkurrenz durch Frauen entgegenzuwirken. Formen der Anerkennung wiederum richteten sich nicht auf die künstlerische Leistung, sondern meinten zumeist das äußere Erscheinungsbild von Künstlerinnen (1990:41), womit tradierte Zuschreibungen an das ‚schöne Geschlecht‘ und damit die Diskreditierung der Künstlerinnen als sexualisiertes Objekt und die Entwertung ihrer Arbeit einhergingen. Zugleich aber unterstreicht Hampel im Gespräch auch den fehlenden Zusammenhalt von Künstlerinnen. Im Versuch, sich nicht als Angriffsfläche zu exponieren, würde sich ein Großteil der Frauen immer wieder auf die Seite der Männer schlagen, „weil sie dabei viel besser wegkommen“ (VBK 1989a:59).
1.1.3 Sphäre der Reproduktion Abgesehen vom Gleichstellungsanliegen der DDR, der Integration der Frauen in das Erwerbsleben, hatte im Familienrecht die Abschaffung der Vormachtstellung des Mannes eine zentrale Bedeutung. Das Familienrecht legte die
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faktische Gleichstellung der Partner in Ehe und Familie fest. Regelungen, die dem entgegenstanden, wurden – anders als in der BRD – unmittelbar durch die Verfassung von 1949 und durch später implementierte Gesetze außer Kraft gesetzt (Berghahn 1992:90). Das entsprach einer gerade im Vergleich mit den Frauenrechten in der BRD ausgesprochen progressiven Ablösung von tradierten Geschlechtermustern und gültigen Normen in Ehe und Familie. Die sich im 19. Jahrhundert etablierende Konstruktion einer öffentlichen, dem männlichen, politisch aktiven Bürger zugeordneten und einer den Frauen zugeschriebenen privaten Sphäre fand jedoch ihre Fortschreibung in der DDR (Sauer 1992). Obwohl die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen am wirtschaftlichen Gestaltungsprozess der Gesellschaft politisch angestrebt wurde, zeigten sich Öffentlichkeit und Beruf weiterhin als „zentrale Räume männlichen Wirkens“ (Dölling 1993a:25). Die Aufspaltung von bezahlter Produktions- und unbezahlter Reproduktionsarbeit führte zu einer chronischen Überlastung der Frauen im Berufsleben und in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter. In der häuslichen Sphäre wurden traditionelle Rollenmuster fortgeführt, in der fast ausschließlich Frauen die Kinderbetreuung, die Hausarbeit und die Pflege bedürftiger Menschen übernahmen. Obwohl die Kindererziehung und die Haushaltsführung gesetzlich beiden Ehepartner*innen zugeordnet waren, wurde der zu leistende Anteil der beiden im Familiengesetzbuch der DDR nicht paritätisch festgelegt. Die Beziehung von Frau und Mann sollte indessen so geschaffen sein, „dass die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren“ konnte (Helwig 1993b:11). Das hatte zur Folge, dass Frauen oft mehr leisteten als Männer, jedoch weniger Einkommen erzielten. Mit Rücksicht auf ihre häuslichen Pflichten gingen sie große Zugeständnisse ein: Teilzeitarbeit zur Betreuung von Kindern und älteren Menschen, eine Tätigkeit unter Ausbildungsniveau, eine Arbeit in der Nähe der Wohnung und der Verzicht auf eine eigene Karriere zugunsten des Mannes (Helwig 1993:9). Frauen hatten mit ihrem geringeren Einkommen demzufolge „weniger Verfügungsmacht über gesellschaftlichen Reichtum“ (Klenner 1992:29). Die gesellschaftliche Bedeutung des Privaten wurde zudem von vielen Frauen nicht erkannt. Demnach stellten sich Gefühle der Überlastung und des Scheiterns bei der ‚Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft‘ für die meisten nicht als gesellschaftliches, sondern als privates Unvermögen und persönliches Problem dar (Dahlke 1997:51). Die Überforderung der Frauen, gleichzeitig ihren beruflichen, häuslichen und gesellschaftlichen Aufgaben gerecht zu werden, zwang sie in den 1970er Jahren zu grundlegenden Zugeständnissen. Folgen waren eine zunehmende Teilzeitbeschäftigung von Frauen, eine rückläufige Geburtenrate und eine hohe Zahl von Ehescheidungen. Aus diesen Gründen fand eine sozialpolitische Neuorientierung statt, die Mutterschaft nicht unterdrücken, sondern ausdrücklich fördern sollte. Die ab 1976 eingeführten Rechte für Mütter
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galten als Maßnahmen zur Entlastung bei ihren beruflichen und häuslichen Pflichten, womit die vermeintliche ‚Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft‘ gewährleistet werden sollte. Zu den neuen Bestimmungen gehörten die Einführung der 40-Stunden-Woche für alle Mütter mit mindestens zwei Kindern unter 16 Jahren (während sich die reguläre Vollzeittätigkeit in der DDR auf 43,5 Stunden belief), die Verlängerung des Schwangerschafts- und Wochenurlaubs, ein bezahltes Babyjahr vom zweiten, ab 1986 dann vom ersten Kind an (Helwig 1993:16f). Erste Schritte zur Überwindung der Geschlechterhierarchie in der Familie erfolgten durch eine seit 1986 geltende Regelung, die vorsah, dass sowohl das Babyjahr als auch die Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder „in begründeten Fällen, insbesondere aus Gründen der beruflichen Tätigkeit oder Qualifizierung der Mütter“ vom Vater oder einer der Großmütter in Anspruch genommen werden konnten (ebd.). Die Vereinbarung staatlicher Geburtenförderung einerseits und die Durchsetzung von Erwerbsarbeit und Mutterrolle andererseits spiegelten sich insbesondere in der Kinderbetreuung wider. In einem ausgebauten Netz von Krippen und Kindergärten, Horten und Kinderferienlagern wurden Anteile der häuslichen Arbeit maßgeblich vergesellschaftet. Die Bereitstellung staatlicher Gelder zum Auf bau dieser Infrastruktur muss als positiver Effekt der Frauen- und Familienpolitik bewertet werden. Während Frauen zur Geburt von Kindern durch besonderen Kündigungsschutz sowie durch Schwangerschafts- und Wochenurlaub vor und nach der Entbindung angehalten wurden, erlässt die DDR 1972 gleichzeitig das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft und gibt damit jeder Frau das grundsätzliche Selbstbestimmungsrecht, eine Schwangerschaft legal innerhalb der ersten zwölf Wochen abzubrechen. In der Bundesrepublik sind Schwangere bei Abbruch unter bestimmten Voraussetzungen lediglich von der Straf barkeit ausgenommen (Berghahn 1992:95). Der Grad der Selbstbestimmung über ihren Körper, der Frauen zugebilligt wurde, unterschied sich auch zwischen den einzelnen sozialistischen Ländern erheblich: Während Frauen in Bulgarien, Rumänien und in der UdSSR nahezu keinen Zugang zur Antibabypille hatten, ist diese in Ungarn und der DDR die wichtigste Form der Verhütung (Funk & Müller 1993b:11). Widersprüche der in den 1970er Jahren erlassenen Maßnahmen lagen unter anderem darin, dass die Definition der produktiven Arbeit und ihre Zentrierung auf das Ideal des vollbeschäftigten männlichen Arbeiters nicht in Frage gestellt wurden. Frauen als Mütter galten so zunehmend als unzuverlässige Arbeiterinnen, die privilegiert waren und zugleich ihrem Job nicht genügten (Ferree 1993:95f). Damit stieg, wie Ferree darlegt, die Diskriminierung der Frauen in der Arbeitswelt, unter anderem durch weniger Wahlmöglichkeiten für und innerhalb ihrer Arbeit (ebd.). Wie aus den Untersuchungen Christiane Müllers hervorgeht, waren die sozialpolitischen Maßnahmen zur Gewährleistung der Erwerbsarbeit und zur
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Regelung des Nachwuchses für freiberuflich arbeitende Künstlerinnen im Vergleich zu anderen berufstätigen Frauen stark eingeschränkt, da sie sich an Frauen in festen Arbeitsverhältnissen und fast ausschließlich an Mütter richteten. Darin verdeutlicht sich eine der grundlegenden Problematiken der Frauenund Familienpolitik, dass der Staat Mutterschaft zwar anerkannte, in der Konsequenz aber Frauen hauptsächlich als Mütter betrachtete. Restriktionen für Künstlerinnen bezogen sich zum einen auf den Nettoverdienst, der durch spezielle Berechnungen für Freiberufler sehr gering ausfiel. Zum anderen war das Arbeitsverbot im Babyjahr nicht unbedingt mit den Eigendynamiken künstlerischer Produktionsprozesse vereinbar, die oftmals nicht ohne Weiteres unterbrochen werden konnten. Ebenso wenig ließen sich die damit verbundenen finanziellen Ausfälle bedenkenlos kompensieren (Müller 1990a:97f). Künstlerinnen waren damit quasi den nicht berufstätigen Frauen gleichgestellt, die kein Recht auf sozialpolitische Maßnahmen hatten (Müller 1992:207). Das Verhältnis von Profession und Mutterschaft war, wie bei vielen anderen berufstätigen Frauen, ambivalent besetzt. Mit der von Frauen verinnerlichten tradierten Rollenzuschreibung, allein für die Kinder und den Haushalt verantwortlich zu sein, hatte die Mutterschaft durch zeitliche Einschränkung und Diskontinuität im künstlerischen Prozess, durch die Ausrichtung und Organisation des beruflichen und des Familienlebens unmittelbare Konsequenzen für das künstlerische Schaffen der Frauen, insbesondere wenn die Künstlerinnen ihr Atelier mit dem Wohnort zusammenlegten. Mit dem Zusammenschluss von privater und professioneller Sphäre wollten Künstlerinnen ihrer Doppelbelastung als Berufstätige und Betreuerin ihrer Kinder sowie Managerin des Haushalts und des Familienlebens gerecht werden. Das wiederum hatte Konsequenzen für die Quantität ihrer künstlerischen Produktion und für die Wahl der Kunstgenres, die Formate und das Material, mit denen sie arbeiteten, wie sich die Malerin und Grafikerin Karla Woisnitza in einem Interview von 1992 rückblickend äußert: Mit einem Kind sei es teilweise schon schwierig gewesen, da es eine andere Rhythmik hervorgebracht und serielles Arbeiten in Grafik und Zeichnung begünstigt, jedoch das stundenlange Arbeiten an Ölbildern unmöglich gemacht hätte (Förster 1992:9). Künstlerinnen hätten im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt, so Christiane Müller, eher auf Kinder verzichtet (1990a:56). Etliche der hier erwähnten Frauen – darunter Annemirl Bauer, Karla Woisnitza, Christine Schlegel, Heike Stephan, Cornelia Schleime und Verena Kyselka – hatten jede (nur) ein Kind, das sie allein erzogen. Diese Entscheidung entsprach, so Müller, dem Bedürfnis, sich von bestimmten gesellschaftlichen Konventionen und tradierten Rollenmustern zu lösen sowie alternative Lebensformen zu wählen (ebd.:32f). Das galt auch für die Ansprüche an eine Partnerschaft. Nahmen Ehe und Familie in der DDR einen hohen Stellenwert ein, entschieden sich Künstlerinnen oft für eine Partnerschaft, ohne verheiratet zu sein.
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1.1.4 Positionsbestimmungen nach 1989 Der Widerspruch zwischen angeblich verwirklichter Gleichberechtigung und den realen Geschlechterverhältnissen in der DDR wird sowohl von ostdeutschen Wissenschaftler*innen, die sich gegen Vereinseitigungen durch westlich geprägte Interpretationsmuster aussprechen (Bütow & Stecker 1994), als auch von westdeutschen Forscher*innen in ihren kurz nach dem Systemwechsel entstandenen Studien als zentrales Problem beschrieben. Die formale Gleichberechtigung garantierte die Teilhabe von Frauen an den gesellschaftlichen Lebenschancen, an der Arbeits-, Macht- und Ressourcenverteilung nicht in dem Maße wie von Männern (Berghahn 1992:66). Kritisiert wurde die Gleichberechtigungspolitik der DDR, da sie in ihrem Kern um die ‚Vereinbarkeit von Mutterschaft und Berufstätigkeit‘ bemüht und damit auf staatliche Sozialpolitik reduziert gewesen sei (Horn 1992:104). Birgit Sauer spricht in ihrem Aufsatz über den „Ausschluss der Frauen aus der realsozialistischen Kultur“ aufgrund eines ausbleibenden Paradigmenwechsels in der Geschlechterpolitik der DDR von der „strukturellen Frauenfeindlichkeit“ des Staates (1992:109). Ihren „Historischen Exkurs zur Frauenpolitik der SED“ zusammenfassend, konstatiert Karin Hildebrandt, dass die „Frauenfrage in der DDR nicht gelöst war“ (1994:29). Der detaillierte Blick auf die Frauenpolitik in der DDR aber hat gezeigt, dass zugunsten der Frauen maßgebliche gesetzliche und strukturelle Änderungen eingeführt wurden, die Arbeits- und Bildungsrechte betrafen wie auch die Gleichstellung in der Ehe und Familie sowie den Bereich der Reproduktion einschlossen. Kritik an der ungelösten ‚Frauenfrage‘ im Staatssozialismus scheint, wie Beata Hock konstatiert, oft gekoppelt an die große und unrealistische Erwartung, dass sich über Jahrhunderte tradierte Geschlechtermuster innerhalb weniger Jahrzehnte verändern lassen (Hock 2017b:57). Über Einsichten, die in der konfliktreichen feministischen Forschung über zwei Jahrzehnte gewonnen werden konnten, hätten Politiker*innen, die erste soziale Maßnahmen für die Erwerbstätigkeit von Frauen diskutierten, nicht verfügen können (ebd.). Nicht zu vernachlässigen sei darüber hinaus der Blick auf die Politik sozialdemokratischer, liberaler und konservativer Regierungen, die „immer und lange damit gekämpft haben, angemessene Wege zu finden, auf denen sich Fragen der Frauenarbeit sowie der familiären und staatlichen Wirtschaft lösen lassen (ebd.). Die Ausführungen zur politischen und gesellschaftlichen Partizipation von Künstlerinnen verdeutlichen, dass eine außerordentlich große Anzahl von Frauen in der DDR berufstätig und ein beträchtlicher Anteil von Künstlerinnen im VBK organisiert war. Das impliziert, dass sehr viele Künstlerinnen nach Beendigung ihrer Ausbildung im Gegensatz zu zahlreichen Frauen aus der BRD tatsächlich ihren Beruf ausgeübt haben und über ein unabhängiges Einkommen verfügten.
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Die exemplarischen Betrachtungen der VBK-Strukturen und des Lehrpersonals von Kunsthochschulen haben gezeigt, dass es Frauen trotz Qualifizierung nicht beziehungsweise kaum gelang, in höhere Führungspositionen aufzurücken. Dieses Phänomen der Ungleichheit war jedoch kein spezifisch ostdeutsches oder nur im Staatssozialismus zu beobachtendes, sondern Ende des 20. Jahrhunderts gleichermaßen in den westlichen Industrieländern anzutreffen. Die seit den 1980er Jahren unter dem Begriff der ‚Gläsernen Decke‘ diskutierte Problematik eingeschränkter Aufstiegschancen für Frauen ist bis heute auch im demokratischen Rechtsstaat der BRD nicht gelöst, obgleich mit Quotenregelungen versucht wird, Benachteiligungen und Diskriminierungen von Frauen einzudämmen. Gleichermaßen besteht bis heute in Deutschland ein Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen von 21 Prozent.27 Das Ziel der Bundesregierung, den auch unter dem Begriff des ‚Gender Pay Gap‘ bekannten Verdienstabstand bis zum Jahr 2010 auf 15 Prozent zu senken, wurde deutlich verfehlt. Dabei fallen die Unterschiede in Westdeutschland und Berlin deutlich höher aus als in Ostdeutschland, wo sie durchschnittlich bei acht Prozent liegen (ebd.). Dass auch im gegenwärtigen Kultur- und Medienbetrieb vielfach keine Rede von gleichen Chancen für Frauen und Männer hinsichtlich Verdienst und Status sein kann, belegt die umfassende, vom Deutschen Kulturrat seit 1994 zum dritten Mal in Auftrag gegebene Studie Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge (Schulz u.a. 2016). Obwohl Frauen in der DDR unzufrieden über die Doppelbelastung durch Beruf und Familie oder durch ungleiche Chancen am Arbeitsplatz waren, gab es eine tendenzielle Übereinstimmung zwischen ihrer Haltung und den Programmen der Frauenpolitik. Gleichberechtigung war für Frauen in der DDR gleichbedeutend mit der Chance auf Erwerbsarbeit. Sie konnten in ihrer Biografie auf eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit zurückblicken, die ihnen materielle Sicherheit garantierte, auch wenn sie bedingt durch ihre schlechtere Einkommenssituation nicht immer eine ökonomische Unabhängigkeit von ihren (Ehe-)Partnern zur Folge hatte. Zurückzuführen ist die Berufstätigkeit der Frauen in der DDR jedoch nicht allein auf eine materielle Notwendigkeit, sondern auch auf eine bewusste Entscheidung für Selbstverwirklichung und aktive Teilhabe. Im ideellen Sinne erfuhren Frauen durch ihre ausgeübte Arbeit, trotz geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz, eine Steigerung ihres Selbstwertgefühls. Die Überführung planwirtschaftlicher Strukturen und des damit verbundenen 27 Vgl. dazu die Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2015: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/QualitaetArbeit/Dimension1/1_5_GenderPayGap.html [letzter Zugriff: 23.01.2017].
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Systems der Vollzeitbeschäftigung in die kapitalistische Marktwirtschaft nach 1990 sorgte im großen Maßstab für Arbeitslosigkeit. Das bedeutete jedoch nicht zwangsläufig eine verstärkte Identifikation mit der Hausfrauen- und Mutterrolle. Statistisch belegt ist, dass es nach 1990 einen starken Geburtenrückgang im Osten Deutschlands gab (Dölling u.a. 2000). Nicht nur aus ökonomischen Gründen war für ostdeutsche Frauen die Rückkehr in die private Sphäre gerade keine Option. Auch ‚kulturell‘ wurde dieses Muster mehrheitlich abgelehnt, ostdeutsche Frauen hielten an der Vollzeiterwerbstätigkeit und an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie fest. Ein widersprüchliches Bewusstsein für die eigene Lage, das sich aus der ambivalenten Position der Frauen als Profiteurinnen staatlicher Maßnahmen und Adressatinnen von Diskriminierung entwickelte, und das späte Einsetzen einer Frauenbewegung sind der Wirksamkeit der herrschenden Ideologie und der Stellung der Frauenfrage als Klassenfrage im Marxismus zuzuschreiben, die viele Frauen verinnerlicht hatten. Die in der DDR weit verbreitete Indifferenz gegenüber Geschlechterhierarchien resultierte aus der Wirkung des Gleichheitsprinzips und des Arbeitsparadigmas, so Irene Dölling in ihrem Gutachten zur vorliegenden Studie. Auch durch das Fehlen von politischen Kanälen und einer diskursiven Öffentlichkeit in der DDR erkannten die meisten Frauen im Staat nicht den Urheber existierender Geschlechterdifferenz. Benachteiligungen wurden von Frauen höchstens als Konsequenzen eines repressiven Staatssystems wahrgenommen und nicht als grundsätzliche Folge patriarchaler Strukturen und Dynamiken (Miethe 1997:40). Wie Beata Hock in ihrer Analyse zur geschlechtsspezifischen Position kultureller Produzentinnen im sozialistischen Ungarn und in der Transformationsphase festhält, vermochten es Frauen nicht, die Ungleichheiten in ihrer Lebenswirklichkeit tatsächlich zu erkennen: Women only learned about the equality they were entitled to but they did not learn to also recognize their inequality and difference as female social subjects. Thus socialism made women „equal“ without making them conscious of the structural inequalities affecting their lives. (Hock 2013:20) Im Zuge der Krise von Staat und Regierung und der radikalen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen ab Sommer 1989 konnten Frauen aus der DDR mit der Gründung des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) am 3. Dezember 1989 in Berlin eine politische Interessenvertretung konstituieren, an der auch zahlreiche weibliche Kulturschaffende beteiligt waren. Der Frauenverband erhielt Sitz und Stimme am Runden Tisch der Bürgerbewegung. Nach dem strukturellen Ausschluss von Frauen in der DDR folgte eine kurze Periode, in der „eine unmittelbare Gestaltung von Politik und Gesellschaftsordnung“ (Hampele 1993:309) möglich schien. Die Forderung der Frauen nach
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Beteiligung am politischen Umbau fand seine Verdichtung in dem Leitsatz: „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“. Die Handlungsbedingungen für politische Akteurinnen wandelten sich jedoch schon Anfang des Jahres 1990 maßgeblich. So gab es zwar neben dem DFB den UFV als Organ der Neuen Frauenbewegung und eine Ausdifferenzierung der Angebote. Frauen als „politisches Personal und Thema in der Politik“ kamen, wie Anne Hampele in ihrem Aufsatz über die politische Partizipation von Frauen in der DDR zusammenfasst, im Vereinigungsprozess allerdings kaum vor (1993:310). Die Politik der Vereinigung wurde durch Entscheidungen auf Regierungsebene dominiert, staatliche Akteur*innen wurden kaum einbezogen. Den so genannten ‚harten‘ Themen wie Staatsrecht und Ökonomie waren gesellschaftsgestaltende Fragen und die für die Situation und Chancen von Frauen besonders bedeutsame Reform von Sozial- und Arbeitsrecht untergeordnet. Einzige Ausnahme bildete die Abtreibungsdebatte um Paragraf 218, in der neben der Feindlichkeit gegenüber weiblicher Sexualität auch Mechanismen der Kontrolle und Regulierung der Körper von Frauen zum Ausdruck kamen. Die erbitterte Debatte, die wie Nanette Funk beschreibt, den Vereinigungsprozess zwischen Ost- und Westdeutschland fast blockiert hätte, führte letztlich zur Liberalisierung der Selbstbestimmung der Frauen in den alten Bundesländern (Funk 1993a). Marginalisierungserfahrungen im Vereinigungsprozess verschärften sich, je mehr sich die ökonomische und psychosoziale Situation der ostdeutschen Frauen durch die steigende Arbeitslosigkeit verschlechterte, die Frauen ohnehin am stärksten traf. Im Übergang vom sozialistischen zum demokratischen Gesellschaftssystem nahmen die Chancen auf politische Partizipation von Frauen schnell wieder ab. Ostdeutsche Frauen, die sich gestaltend und politisch in der Transformationsphase engagiert hatten, sahen sich im demokratischen Staat der Bundesrepublik (erneut) mit traditionellen Strukturen des Ausschlusses konfrontiert. Ähnlich den transitorischen Prozessen anderer Staaten Ost- und Südosteuropas zeichnete sich ab, dass die Entwicklungen antifeministische Tendenzen nicht beseitigten, sondern mitunter begünstigten. So kommt Beata Hock zu dem Ergebnis, dass die Ausgrenzung von Frauen aus der Politik keine Hürde für die Demokratisierung war, sondern eine ihrer wesentlichen Komponenten (Hock 2013:65). Im Betrachtungszusammenhang von Geschlechterverhältnissen im Sozialismus soll abschließend eine gesellschaftstheoretische und transnationale Perspektive aktiviert werden, die aus einer historischen Neubeschreibung der Moderne hervorgeht. Entsprechend Peter Wagners Unterscheidung dreier Entwicklungsphasen dieser Epoche bildete sich die „restringiert liberale Moderne“ im 19. Jahrhundert heraus, die „organisierte Moderne“ im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre des 20. Jahrhunderts und ihr folgend die bis heute andauernde „erweitert liberale Moderne“ beziehungsweise
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sogenannte Postmoderne (Peter Wagner zit. nach Dölling 2003:82). Die die entwickelte Industriegesellschaft, den National- und Wohlfahrtsstaat hervorbringende organisierte Moderne ist, wie Irene Dölling aufzeigt, generell von der „Unterordnung der individuellen Autonomie unter kollektive Arrangements“ gekennzeichnet (2003:84) und demzufolge von „Prozessen der Kollektivierung und Homogenisierung“ (ebd.:83). Das trifft gleichermaßen für die sozialistische wie kapitalistische Gesellschaftsordnung zu, wobei der Sozialismus geradezu als der „Inbegriff der organisierten Moderne“ (Peter Wagner zit. nach Dölling 2003:82) beziehungsweise als ihre radikale Variante angesehen werden muss. Unter diesen Voraussetzungen kann auch, unterstreicht Dölling in ihrem Aufsatz zum Geschlechtervertrag und zu Geschlechterarrangements in Ostdeutschland, das Geschlechterverhältnis im Sozialismus als ein modernes bestimmt und verständlich gemacht werden. Es weist sowohl Gemeinsamkeiten mit den kapitalistischen Gegebenheiten auf als auch spezifische Merkmale (ebd.:93), wozu die abgeschwächte Hierarchie zwischen Produktion und Reproduktion sowie verschobene Machtbalancen zugunsten der Frauen zählen. Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse und neoliberalen Dynamiken nach 1989 führten dazu, wie Dölling weiter erläutert, dass „‚Geschlecht‘ als sozialer Differenzierungsfaktor an Bedeutung zugenommen und Ungleichheiten entlang der Geschlechterdifferenz, aber auch zwischen ostdeutschen Frauen sich vertieft haben“ (2003:80). Signifikante Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Frauen wurden durch das Festhalten letzterer an der Vollzeiterwerbstätigkeit deutlich. Ihr Beharren auf der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den veränderten gesellschaftlichen Zusammenhängen nach 1989 hätten auch die geschlechtsspezifischen Segregationen des Arbeitsmarktes reproduzieren können (ebd.). Um einer möglichen Verklärung der Emanzipation unter realsozialistischen Bedingungen vorzubeugen sowie einem Denkmuster, das sich als anschlussfähig und instrumentalisierbar für aktuelle neoliberale Diskurse und Politiken erwiesen hat, muss an dieser Stelle auf die herrschaftssichernde Funktion des Arbeitsparadigmas als dem zentralen Vergesellschaftungs- und Integrationsmodus moderner Gesellschaften und seine begrenzende Wirkung für Emanzipationskonzepte verwiesen werden. Eine kapitalismuskritische, feministische Sozialwissenschaft hinterfragt die normativen Vorstellungen und Prinzipien der Arbeitsgesellschaft, die alle Bereiche des gesellschaftlichen und individuellen Lebens durchwirkt und Arbeit als Wert an sich definiert (vgl. Dölling 2012). Seine Aufgabe sieht der ‚arbeitskritische‘ Ansatz darin, nach Vergesellschaftungsmodi jenseits des Arbeitsparadigmas zu fragen und seinen Fokus darauf zu richten, „wo und wie die Logik, die Herrschaft kapitalistischer Ökonomie nicht ausgedehnt, sondern eingeschränkt werden kann“ (ebd.:286). Er zielt darauf, „Möglichkeiten für ein transformatorisches Überschreiten des Arbeitsparadigmas“ (ebd.:288) sichtbar zu machen, das heißt sogenannte
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‚Nicht-Arbeit‘ zu priorisieren, also Tätigkeiten der Für- und Selbstsorge, die weniger stark der ökonomischen Logik von Anerkennung entsprechend von Leistung, dem Konsumismus und der Wachstumsorientierung unterworfen sind. Welche Auswirkungen die umfassende Transformation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf ostdeutsche Künstlerinnen hatte, soll im Folgenden skizziert werden. Hildtrud Ebert stellte das ‚Verschwinden‘ einer Generation von in der DDR beruflich etablierten Künstlerinnen aus der gesamtdeutschen Öffentlichkeit ab den 1990er Jahren fest und versuchte, die Gründe dafür zu analysieren.28 Sie arbeitete heraus, dass Künstlerinnen aus der DDR statistisch nicht mehr fassbar waren, ihre Namen weder unter den Mitgliedern der Akademien, unter Professor*innen an Kunsthochschulen, noch unter Preisträgerinnen und in Veröffentlichungen auftauchten und wies darauf hin, dass „nicht eine Einzige von ihnen scheinbar Substanzielles zur Geschichte der ‚Deutschlandbilder‘ beigetragen“ hat (Ebert 2003:106). In ihrem Erklärungsversuch unterstreicht die Kunsthistorikerin, dass Frauen, wie in meinen Ausführungen zu politisch engagierten Künstlerinnen dargelegt, ihre geschlechtsspezifischen Erfahrungen innerhalb der repressiven Strukturen des Staatssozialismus nicht kommunizieren konnten, ohne sich in existenzielle Gefahr zu begeben, während das hegemoniale männliche Selbstbild in der DDR – einschließlich der Kunstszenen der ersten und zweiten Öffentlichkeit [A.R.] – politisch nie suspekt war (ebd.:108). Zugleich beherrschten ostdeutsche Künstlerinnen nicht die Strategien zur Selbstvermarktung für eine offensiv angelegte Karriere, da beruflicher Aufstieg bis 1989 nicht selbstverständlich zu ihrer Lebensplanung gehörte. Dank der Teilnahme an repräsentativen Ausstellungen, die wiederum eine erhöhte Sichtbarkeit ihrer Arbeiten bewirkte, fiel es Männern leichter, ihre Netzwerke und Privilegien ausbauen. Die Geschichtsschreibung ostdeutscher Kunst machte glauben, dass ihre Repräsentant*innen überwiegend männlich waren (ebd.:112). Künstlerinnen aus der DDR aber stießen auch auf breite Ablehnung ihrer Arbeit durch westdeutsche Kolleginnen. Ihre oftmals durch ein traditionsverhaftetes Künstlerideal und durch die Verpflichtung auf das klassische Erbe definierte Kunst entsprach nicht den inhaltlichen und ästhetischen Prämissen einer westlich geprägten feministischen Kritik und wurde als „ästhetischer Konservatismus“ abgewertet (ebd.:109f). Mit der Eingliederung der DDR in das Gesellschaftssystem der BRD wurde ein feministischer Diskurs westlicher Prägung an die ostdeutschen Frauen 28 Ein vergleichender Ansatz, der die Situation von Künstlerinnen während und nach der Transformationsphase auch in anderen südosteuropäischen Ländern in den Blick nimmt, wie auch die Einführung eines nicht sozialistisch-postsozialistisches Erklärungsmusters böten sich hier an, können im Rahmen der Arbeit jedoch nicht geleistet werden. Angenommen werden kann, dass das ‚Verschwinden‘ einer Künstlerinnengeneration nicht in jedem Land bzw. nicht in dem beschriebenen Maße eintrat wie in Ostdeutschland.
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herangetragen, der ungeeignete Standards für die Annäherung an ihre Werte sowie ihre Situation und Bedürfnisse definierte. So gab es beispielsweise das Vorurteil, dass Frauen aus der DDR viel stärker an Familie und Kindern orientiert waren und sich den familiären Belangen unterordneten. Diese Betrachtungsweise ließ zum einen die auf die ‚Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft‘ gerichtete Politik und gelebte Praxis der Frauen außer Acht, zum anderen den Umstand, dass die Dichotomie zwischen öffentlicher und privater Sphäre in der DDR im Grunde eine zwischen Staat und Familie war. Die Familie war für viele Frauen und Männer der einzige vermeintliche Freiraum ohne staatliche Kontrolle (Funk 1993b:321). Grundlegende Diskrepanzen eines östlich respektive westlich geprägten feministischen Bewusstseins, die insbesondere im vereinigten Deutschland sichtbar wurden, basierten auf kulturellen Differenzen, grundlegenden Unterschieden in den Sozialisationsmodellen und damit auch auf „verschiedenen mentalen Verhaltensmustern“ (Ebert 2003:107). Dazu gehörte die Ablehnung des westlich geprägten Feminismus durch ostdeutsche Frauen als eine, wie Nanette Funk und Magda Müller diese Tendenzen umschreiben, Form des ideologischen „Glaubens“ und der Bevormundung: Precisely because philosophy and ideology played such central roles in state socialism and were used to deny social realities, there exists a deep suspicion of any organized body of belief, including feminism. It is widely believed that imposing another foreign theory, such as feminism, would not differ much from the previous imposition of socioeconomic „ism“. (Funk & Müller 1993b:6) Auch die feministische Rhetorik positiv konnotierter Konzepte der ‚Emanzipation‘, ‚Solidarität‘ oder ‚Gleichstellung der Frau‘ wurden von Frauen aus Osteuropa und der DDR als Begrifflichkeiten verstanden, die sich das autoritäre System des Staatssozialismus zu eigen gemacht hatte. Sie stießen auf entsprechende Ablehnung, wie der Begriff des ‚Feminismus‘ selbst (ebd.:4). Gleichwohl es auf der einen Seite eine ausgeprägte Verweigerungshaltung ostsozialisierter Frauen gab und auf der anderen Seite westdeutsche Frauen ihren östlichen ‚Schwestern‘ die Position der ‚Anderen‘ zuwiesen, soll in den folgenden Kapiteln zur Rezeption von Künstlerinnen in der DDR, zu feministischen Interventionen im Kunstdiskurs und zur kritischen Selbstpositionierung von Künstlerinnen in der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit deutlich werden, dass es bereits vor dem Mauerfall einen lebendigen Austausch zwischen Künstlerinnen und Kunstwissenschaftlerinnen aus Ost- und Westdeutschland sowie diverse Kulturproduzentinnen in der DDR gab, die durch Geschlechterhierarchien erzeugte Ungerechtigkeiten nicht nur wahrnahmen, sondern auch innerhalb ihrer sozialen und künstlerischen Praxis zu überwinden versuchten.
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1.2 Künstlerinnen-Ausstellungen Wie deutlich wurde, konnten zahlreiche Künstlerinnen ihren Beruf ausüben und waren darin grundsätzlich anerkannt. Durch soziale und institutionelle Geschlechterhierarchien sowie Marginalisierungstendenzen waren sie im Unterschied dazu von kulturpolitischen Entscheidungen weitgehend ausgeschlossen und in Führungspositionen unterrepräsentiert. Am konkreten Beispiel der Künstlerinnen-Ausstellungen nimmt dieses Kapitel die Anstrengungen der Kulturpolitik in den Blick, eine größere Präsenz von Künstlerinnen in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Seit den 1960er Jahren gab es Bemühungen, Ausstellungen zu verwirklichen, die sich ausschließlich Künstlerinnen und ihren Werken widmeten. Gleichwohl diese Projekte vorrangig als politisches Instrument dienten, die vermeintliche Gleichstellung der Frauen im Staatssozialismus zu demonstrieren, stellt sich die Frage, inwiefern die Ausstellungen zur Aufrechterhaltung und Manifestierung der Geschlechterdifferenz im kulturellen Feld beitrugen. Haben sie einen marginalisierten und isolierten Raum für Künstlerinnen geschaffen, wie Mara Traumane in ihrer Untersuchung über lettische Künstlerinnen-Ausstellungen vorschlägt (2012), oder ließen sie Ansätze erkennen, Künstlerinnen und ihre Praxis einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, Geschlechterhierarchien zu hinterfragen und einen feministischen Diskurs zu etablieren? Insbesondere 1975, im von der UNO proklamierten Jahr der Frau, waren Frauenausstellungen kein singuläres Phänomen sozialistischer Staaten Osteuropas. Im östlichen und westlichen Europa fanden im Zuge dessen zahlreiche feministische und Frauen-Projekte statt. Zugleich kann das Jahr 1975, wie Monika Kaiser in ihrer Analyse internationaler Künstlerinnen-Ausstellungen hervorhebt, als Ausgangspunkt für eine generelle Neubesetzung künstlerischer Räume mit feministisch geprägten Ausstellungen betrachtet werden (2013).29 Der vorangestellte Exkurs über eine Auswahl von in Ost- und Westeuropa ausgetragenen feministischen Kunstausstellungen in den 1970er Jahren soll der Kontextualisierung von Künstlerinnen-Ausstellungen in der DDR dienen.
1.2.1 Feministische Kunstausstellungen in Ost- und Westeuropa Im Gegensatz zu offiziellen Ausstellungen hatten es von Künstlerinnen selbst organisierte feministische Projekte sowohl in Ost- als auch Westeuropa
29 Bedauerlicherweise richtet sich der Fokus von Kaisers Untersuchungen allein auf in den USA beziehungsweise Westeuropa realisierte Projekte. Aufschlussreich wäre die Besprechung und Einordnung relevanter Beispiele zeitgleich stattfindender Ausstellungen in Osteuropa gewesen, wie sie in Ansätzen in der 2012 von Katrin Kivimaa herausgegebenen Publikation zu feministischen Ausstellungen in Osteuropa vor und nach 1989 erfolgt (Kivimaa 2012).
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schwer, in etablierte Kunsträume vorzudringen. Während 1975 das österreichische Ministerium für Wissenschaft und Forschung die nationale Übersicht Österreichische Künstlerinnen der Gegenwart präsentierte, konzipierte VALIE EXPORT die interdisziplinäre Ausstellung MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität mit einer Auswahl feministischer Einzelpositionen in Wien, die als Protest gegen das konventionelle und von öffentlicher Hand geförderte Projekt gedacht war. Obwohl EXPORT zum Kreis der Wiener Avantgarde gehörte, stieß das auf Internationalität ausgerichtete Konzept auf großen Widerstand der männlich dominierten Kunstszene der Stadt und konnte erst nach zähem Ringen und nach einer Änderung der räumlichen Planung gezeigt werden (Kaiser 2013:92). Neben EXPORTS Ausstellung würdigt Kaiser die in Kopenhagens Kunsthalle Charlottenborg ausgetragene Frauenausstellung XX, die ihren Akzent auf künstlerische Arbeit im Kollektiv und Kommunikationsprozesse setzte, als bedeutendes feministisches Kunstprojekt: Vor dem Hintergrund frauenpolitischen Engagements hätten beide Ausstellungen etablierte und weniger bekannte Positionen gleichberechtigt nebeneinander gezeigt (ebd.:111). An die von der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen in Dortmund 1975 organisierte Ausstellung Frauen stellen aus im Internationalen Jahr der Frau. Malerei. Plastik. Grafik schlossen sich zwei Ausstellungsprojekte an: Frauen machen Kunst (1976) in den Galerieräumen von Philomene Magers in Bonn und das Ausstellungsprojekt Künstlerinnen international 1877–1977, das von der Arbeitsgruppe Frauen in der Kunst der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) Berlin nach dreijähriger Vorbereitungszeit 1977 realisiert werden konnte. Dabei stießen die Kuratorinnen auf zahlreiche Widerstände, unter anderem wurde letztgenanntes Projekt bei seiner ersten Vorstellung 1973 von den Mitgliedern der NGBK abgelehnt, die mehrjährige Arbeit der Kuratorinnen blieb unbezahlt. Auch nach seiner Akzeptanz wurde das Projekt noch von Kontroversen und Protesten begleitet (NGBK 1977). Die Künstlerinnen-Ausstellung mit rund 190 Positionen aus einhundert Jahren unternahm den Versuch, mit der Präsentation historischer Vorbilder Standortpositionierungen von Gegenwartskünstlerinnen innerhalb eines repräsentativen Rahmens vorzunehmen.30 Die wegweisende Ausstellung Women Artists: 1550–1950 (1976–77) von Linda Nochlin und Ann Sutherland Harris ist auf Grundlage ihrer feministischen 30 Auch wenn der Dialog zwischen den Generationen gesucht wurde, fand der Austausch zwischen Ost und West nur im Ansatz statt. In der Ausstellung waren drei Positionen aus osteuropäischen Staaten vertreten: Marina Abramović, die zu der Zeit bereits in Amsterdam lebt, Magdalena Abakanowicz aus Polen und Ludmila Seefried-Matejková aus der Tschechoslowakei. Eine Kooperation mit Künstlerinnen aus dem anderen Teil Deutschlands schien nicht möglich gewesen zu sein. Allein die 1893 in Berlin geborene und in der DDR lebende Alice Lex-Nerlinger war mit Arbeiten vertreten. Diese stammten jedoch alle aus den 1930er Jahren, darunter ihr wohl berühmtestes Bild Paragraph 218 von 1931.
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Forschung als Sozialgeschichte weiblichen Kunstschaffens konzipiert. Mit ihrer Analyse der Ausschlussmechanismen von Frauen aus der Kunstgeschichte, die erstmals 1971 unter dem Titel Why Have There Been No Great Women Artists? erschien, gilt Nochlin als Wegbereiterin der feministischen Kunstwissenschaft (Nochlin 1988). Ausstellung und Publikation zielten, wie Carola Muysers herausarbeitet, auf den Nachweis, dass Frauen trotz ihrer Ausgrenzung aus Kunstproduktion und Geschichtsschreibung seit dem Spätmittelalter als Künstlerinnen gearbeitet hatten. Dabei leisteten beide Wissenschaftlerinnen eine strukturelle Analyse der Kunstverhältnisse und verwiesen neben der Bedeutung der Geschlechterzugehörigkeit auf gesellschaftliche und institutionelle Instanzen, die grundlegende Bedingungen für die berufliche Laufbahn von Künstlerinnen und ihre Ausgrenzung bildeten (Muysers 2006:184f). Als die wichtigste osteuropäische Institution für den internationalen Austausch feministischer Theoretikerinnen und Künstlerinnen Ost- und Westeuropas dürfte das Student Cultural Centre (SKC) in Belgrad gelten. Im Rahmen der vierten Ausgabe der April Meetings – The Festival of Extended Media 1975 organisierte das Zentrum unter dem Titel „Women in Art“ eine Diskussion mit feministischer Programmatik, an der unter anderem die deutschen Künstlerinnen Ulrike Rosenbach und Katharina Sieverding, die Theoretikerin Gislind Nabakowski und die polnische Künstlerin Natalia LL (Natalia Lach-Lachowicz) teilnahmen. Drei Jahre später initiierten die feministische Anthropologin Žarana Papić und die Leiterin des SKC, Dunja Blažević, am selben Ort die Konferenz Comrade Woman – The Women’s Question: A New Approach?, die als das erste autonome Treffen feministischer Theoretikerinnen und Künstlerinnen in den sozialistischen Ländern im Rahmen einer repräsentativen Veranstaltung gilt (Vesić o.J.; Bonfiglioli 2008). Feministinnen von beiden Seiten des ‚Eisernen Vorhangs‘ trafen in einer Diskussionsreihe aufeinander, die sich der widersprüchlichen Geschichte von Marxismus und Feminismus sowie konkreten Positionsbestimmungen von Frauen in der sozialistischen und kapitalistischen Gesellschaft aus sozialpolitischer Perspektive widmete. Begleitet wurden die Panels von einer thematischen Ausstellung und einer Filmreihe. Die Debatten kritisierten unter anderem die offensichtlichen Differenzen zwischen staatlich propagierten Emanzipationsbemühungen und der Alltagsrealität von Frauen in der patriarchalen Gesellschaft Jugoslawiens (Vesic o.J.). Zur gleichen Zeit gelingt es der polnischen Künstlerin Natalia LL, die Ausstellung Women’s Art (1978) in der Wrocławer PSP Jatki Galeria zu realisieren, die durch die Präsentation von (Mail-Art-)Arbeiten feministischer Künstlerinnen aus dem westlichen Ausland – Noemi Maidan aus der Schweiz, Suzy Lake aus Kanada und Carolee Schneemann aus den USA – in Polen als einzigartig bewertet wird (Kowalczyk 2012). Weitere feministisch inspirierte Ausstelllungen entstehen im selben Jahr unter dem Titel Three Women und zwei Jahre später als Women‘s Art unter Beteiligung von Ewa Partum, Maria Pinińska-Bereś,
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Izabella Gustowska und anderen in Poznań. Im Gegensatz zur polnischen Kunstwissenschaftlerin Izabela Kowalczyk, die geltend macht, es handle sich um ungewöhnliche Projekte zu dieser Zeit, „since feminism as a movement and critical attitude was absent in Poland“ (2012:101), dürften gerade diese Ausstellungen als Zeugnis feministischer und genderkritischer Anliegen der Künstlerinnen gelesen werden, die sich nicht nur temporär in diesen Projekten äußerten, sondern in ihrem gesamten Werk niederschlagen.
1.2.2 Künstlerinnen-Ausstellungen in der DDR Anlässlich des 50. Jubiläums des Internationalen Frauentags initiierte der DFD 1960 gemeinsam mit dem Verband Bildender Künstler Deutschlands (später VBK der DDR) die Ausstellung Frauenschaffen und Frauengestalten in der bildenden Kunst – 50 Jahre Internationaler Frauentag im Pavillon der Kunst Unter den Linden. Das kuratorische Konzept unterlag den Vorgaben des Ende der 1950er Jahre eingeschlagenen ‚Bitterfelder Wegs‘, der die programmatische Ausrichtung auf eine eigenständige sozialistische Nationalkultur zur Überwindung der Entfremdung zwischen den Künstler*innen und dem Volk vorsah. Die zweihundert Werke der mehrere Generationen umfassenden Künstler*innen greifen entweder weltpolitische Themen auf oder suchen in ihren Darstellungen die Nähe zur Arbeiterklasse und stammen zum Großteil aus den letzten zwei bis drei Jahren vor der Präsentation (Feist 1996). Selbst wenn die Ausstellung mit einer klaren politischen Botschaft verbunden war – sie sollte den vielfältigen Anteil der Frauen an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens wiedergeben, ein lebendiges Zeugnis für die Tätigkeit von Künstlerinnen ablegen sowie die beanspruchte Überlegenheit der sozialistischen über die kapitalistische Gesellschaftsordnung hinsichtlich der vollen Gleichberechtigung der Frauen demonstrieren (Grundig 1960:3f)31 – bleibt anzuerkennen, dass es sich hier um ein Ereignis handelt, das bereits 1960 und damit fünfzehn Jahre vor den Veranstaltungen zum Jahr der Frau zahlreichen Künstlerinnen innerhalb einer großen Ausstellung eine Plattform bot und damit in den Fokus der öffentlichen
31 Das kämpferisch formulierte Vorwort der Ausstellungsbroschüre schrieb Lea Grundig. Die 1949 aus dem palästinensischen Exil nach Dresden zurückgekehrte Malerin, die noch im selben Jahr als erste Frau eine Professur an der Dresdner Kunstakademie erhielt, passte nach anfänglichen Konflikten und Anfeindungen während der ‚Formalismusdebatte‘ ihren künstlerischen Stil und ihre Sujets an die Doktrin des sozialistischen Realismus an und wurde zur sogenannten ‚Vorzeigekünstlerin‘ in der DDR. In dieser Funktion amtierte sie nicht nur von 1964 bis 1970 als Präsidentin des Verbandes Bildender Künstler, sondern war ab 1964 auch Mitglied des Zentralkomitees der SED.
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Aufmerksamkeit rückte.32 Ungewöhnlich zudem war der Umstand, dass die für die Auswahl der Werke verantwortliche dreizehnköpfige Jury sich mit einem Verhältnis von neun zu vier überwiegend aus Frauen zusammensetzte. Drei Jahre später fand die Ausstellung Deutsche Künstlerinnen des Zwanzigsten Jahrhunderts am Staatlichen Lindenau-Museum Altenburg statt.33 Die von Museumsdirektor Hanns-Conon von der Gabelentz und Dieter Gleisberg organisierte Sonderausstellung sollte die schöpferische Tätigkeit von Künstlerinnen des vergangenen halben Jahrhunderts repräsentieren.34 Die Kuratoren verzichteten auf das repräsentative Medium der Malerei und zeigten ausschließlich grafische und kleinplastische Werke. Obwohl mehrfach die Topoi der Witwe und Mutter aufgerufen wurde, konzentrierte sich die Ausstellung nicht nur auf die künstlerische Repräsentation von Frauen, sondern rief auch proletarische Themen ebenso wie Tier- und Landschaftsdarstellungen auf. Im Vorwort der Ausstellungsbroschüre spricht von der Gabelentz in essentialistischer Weise von der „weiblichen Natur“, der eine abstrakt-mathematische Formensprache zwar verwehrt bleibe, der reproduzierende sowie kunsthandwerkliche Tätigkeiten dafür umso mehr entsprächen, was den Verzicht auf malerische Positionen erklären könnte. Der Ausschluss von Frauen aus der künstlerischen Praxis und Geschichtsschreibung sei ihrem biologisch bedingten Versagen geschuldet. Wirklich Bedeutendes hätten Künstlerinnen nach Ansicht des Autors erst im 20. Jahrhundert schaffen können (Gabelentz 1963:5f). Damit reproduziert von Gabelentz die abwertende Haltung gegenüber der Kunst von Frauen, die in der Tradition des Kunstkritikers Karl Scheffler zu sehen ist, der Frauen in seiner Anfang des 19. Jahrhunderts verfassten Studie Die Frau und die Kunst die Fähigkeit zum schöpferischen Schaffen abspricht (1908:29). In einem zweiten Text geht der Kunsthistoriker Dieter Gleisberg, ab 1969 Leiter des LindenauMuseum, ausführlich auf die sozialpolitische Geschichte der Frauenemanzipation ein, beginnend bei Olympe de Gouges in der Zeit der Französischen Revolution bis hin zu einzelnen Künstlerinnen, allen voran Käthe Kollwitz als
32 Abbildungen des broschierten Katalogs zeigen auch Werke von einigen Künstlern, darunter Walter Arnold und Fritz Cremer, die wie die Künstlerinnen der älteren Generation, zu denen Martha Schrag oder Käthe Kollwitz gehörten, jedoch nicht in die Werkliste aufgenommen wurden. Diese war ausschließlich den im VBK organisierten Künstlerinnen vorbehalten. 33 Es ist davon auszugehen, dass es für diese Ausstellung keinen besonderen (politischen) Anlass gegeben hat. Weder enthielten die Akten entsprechende Hinweise, noch könne sich der Kurator Dieter Gleisberg im Rückblick an einen solchen erinnern (Sabine Hofmann, Lindenau-Museum Altenburg, in einer E-Mail an die Autorin, 16.11.2016). 34 Die Ausstellungsbroschüre enthält keine Werkliste. Damit ist nicht zu erfassen, wie viele Arbeiten und welche Künstlerinnen insgesamt an der Ausstellung teilnahmen. Das Abbildungsverzeichnis zeigt Arbeiten folgender Künstlerinnen: Käthe Kollwitz, Sella Hasse, Renée Sintenis, Maria Caspar-Filser, Ruth Meier, Lea Grundig, Gabriele Meyer-Dennewitz, Paula Modersohn-Becker, Martha Schrag, Charlotte Berend-Corinth, Etha Richter, Alice Lex-Nerlinger, Eva Schulze-Knabe, Helena Scigala und Ruthild Hahne.
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„Schutzherrin über dem Schaffen der übrigen deutschen Künstlerinnen unseres Jahrhunderts“ (1963:14). Der Text endet mit einem kritischen Statement, in dem der Autor mit einem Zitat der Künstlerin Sella Hasse unterstreicht, dass Frauen aufgrund ihrer besonderen Pflichten unter schwierigeren Verhältnissen als ihre männlichen Kollegen ihr Werk vollbringen müssten. Gemeint sind die für Frauen durch Haushalt und Familie bedingten Einschränkungen, die eine kontinuierliche künstlerische Arbeit unmöglich machten. Damit benennt der Autor die problematische Situation von Künstlerinnen, erkennt in ihr jedoch nicht die damit verbundene Zuschreibung der Frauen zur privaten Sphäre als Ausdruck hierarchischer Machtverhältnisses der Geschlechter. Die zweite Ausstellung nach Wiedereröffnung des Leonhardi-Museums Dresden35 zeigte 1964 mit Malerei, Grafiken, Buchillustrationen und Applikationen eine Künstlerinnen-Ausstellung von Annemarie Balden-Wolff, Ursula Höing, Helga Peter, Ann Siebert, Aini Teufel. Werke der jüngeren Generation wie der von Siebert wurden darin älteren Positionen wie der bereits 1911 geborenen Balden-Wolff gegenübergestellt. Neben Grafiken für Kinder (Höing & Teufel), Reiseerinnerungen und Studien von Arbeiterinnen (Siebert & Teufel) zeigte Balden-Wolff farbintensive Gemälde, Wandteppiche und Applikationen. Die Künstlerinnen-Ausstellung mit dem Titel Aus dem Schaffen unserer Frauen sollte als künstlerischer Auftakt auf den Ersten Frauenkongress der DDR verweisen, der im Juni 1964 mit 1200 Frauen auch aus dem sozialistischen Ausland in Berlin unter besonderer Rücksicht auf die Rolle der Frauen beim Aufbau des Sozialismus stattfand. Ungeachtet der gesellschaftspolitischen Ausrichtung der Ausstellung bot die Schau Künstlerinnen aus der älteren Generation nach langer Zeit erstmals die Möglichkeit, ihr Werk wieder öffentlich auszustellen. Für Balden-Wolff war die Präsentation im Leonhardi-Museum die erste seit 1948 – weder war sie auf den bis dahin ausgerichteten Bezirkskunstausstellungen, den Deutschen Kunstausstellungen in Dresden noch in vorangegangenen Künstlerinnen-Ausstellungen vertreten. Dieses Schicksal teilte sie mit vielen Künstlerinnen ihrer Generation, darunter Elisabeth Ahnert, Elisabeth Voigt, Edith Dettmann und Elena Liessner-Blomberg (Weißbach 2009:55). Im Internationalen Jahr der Frau 1975 kommt es in der DDR gleich zu zwei von staatlichen Auftraggebern initiierten Ausstellungen, wobei die erste eine Künstlerinnen-Ausstellung ist, die zweite bildkünstlerisch der gesellschaftlichen Stellung der Frauen im Staatssozialismus in Werken von Künstlerinnen und Künstlern nachspüren soll.
35 Obwohl das Leonhardi-Museum eine Einrichtung des damaligen VBKD Bezirk Dresden war, wurden die Ausstellungen bis Ende der 1960er Jahre von einem ‚Aktiv bildender Künstler‘ konzipiert und durchgeführt, dem auch die Auswahl der Künstler*innen und Themen oblag. Zunächst profilierte es sich mit Gruppenausstellungen als bedeutender Ort für zeitgenössische Künstler*innen. Zur Geschichte des Leonhardi-Museums vgl. Weißbach 2009.
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Claude Keisch und Roland März beabsichtigten mit ihrer Ausstellung Deutsche bildende Künstlerinnen von der Goethezeit bis zur Gegenwart an einem namhaften Ort, der National-Galerie auf der Museumsinsel in Berlin, unter Beweis zu stellen, dass dank der vermeintlich erreichten ‚Gleichberechtigung‘ von Künstlerinnen im Grunde auf eine solch segregierende Ausstellung verzichtet werden kann. Bemerkenswert ist Keischs Einführungstext in der Ausstellungsbroschüre in mehrfacher Hinsicht. Der Kurator verweist auf die Problematik einer ausschließlich Künstlerinnen vorbehaltenen Ausstellung, die im Grunde zur „Untermauerung jener patriarchalischen Variante der Apartheid“ betrage, die „in diesem Land, in diesem Jahr immer nachdrücklicher in die Vergangenheit zurückgedrängt wird“ (Keisch 1975:o.S.). Mit der Ausstellung sei das genaue Gegenteil intendiert: Sie möchte eine „informative Bestandsaufnahme“ bieten, „aber sie will auch sich selbst widerlegen“ (ebd.). Nach einem historisierenden Rückblick auf die Marginalisierung von Künstlerinnen in der bürgerlichen Gesellschaft, wobei sogenannte Ausnahmeerscheinungen wie die Malerin Angelika Kaufmann erwähnt werden, distanziert sich Keisch deutlich vom Ansatz des Kunsthistorikers Karl Scheffler. Er lenkt von der Einsicht in die Notwendigkeit hin zu einer positiven Bewertung ‚weiblichen‘ Schaffens und fragt, ob sich nicht eine „allgemeine Richtung feststellen lässt, in der weibliches Künstlertum besonders produktiv und eigenwertig werden kann“ (Keisch 1975:o.S.).36 Aus der Korrespondenz der Kuratoren mit Renate Berger, die damals über Malerinnen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert und die Notwendigkeit eines sozialgeschichtlichen Ansatzes in der Kunstgeschichte promovierte, geht hervor, dass die Ausstellungsmacher versuchten, ihr Vorhaben theoretisch zu fundieren, indem sie sich nach maßgeblicher Fachliteratur zu Künstlerinnen erkundigten.37
36 Diese Überlegungen korrespondieren mit dem damals auch im westlichen Europa einsetzenden feministischen Differenzdenken, dessen prominente Vertreterinnen Luce Irigaray und Hélène Cixous sind. Der Differenzfeminismus postuliert die essentialistisch bedingten Unterschiede zwischen den Geschlechtern und kämpft um die Anerkennung des ‚anderen‘ Geschlechts sowie die Aufhebung von Geschlechterhierarchien. Irigarays und Cixous’ Schriften wurden Mitte der 1970er Jahre auf Französisch publiziert. Ob die Ausstellungskuratoren damit vertraut waren, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, die Wahrscheinlichkeit aber besteht, da Claude Keisch Französisch spricht. 37 In ihrem Antwortschreiben empfiehlt Berger u.a. Literatur von Lu Märten, die in ihrem 1914 erschienenen Band Die Künstlerin auf die Bedeutung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern eingeht, oder Virginia Woolfs A room of one’s own, da sich dieser Ansatz auch auf bildende Künstlerinnen übertragen lasse. Interesse am Thema der Ausstellung bekundete wiederum eine junge westdeutsche Wissenschaftlerin: Sigrid Schade, in der Zeit Studierende der Kunstgeschichte in Tübingen, bat einige Monate nach der Ausstellung in einem Brief an die Organisatoren um detailliertere Informationen zu Quellenangaben und weiteren schriftlichen Unterlagen. Quellenmaterial zur Ausstellung im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Archiv-Nr. SMB-ZA, VA 4686.
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Die Übersicht bedeutender Künstlerinnen der letzten 200 Jahre zeigte Gemälde des späten 18. und 19. Jahrhunderts, unter anderem von Angelika Kaufmann, Angelica Facius, Anna Dorothea Therbusch und Caroline Bardua, gefolgt von einer Auswahl von Künstlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere von Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker, die nicht nur in der DDR, sondern auch in der BRD sehr populär und vielen Künstlerinnen bedeutende Vorbilder waren. Arbeiten von Ende des 19. Jahrhunderts geborenen, zurzeit der Ausstellung mitunter noch lebenden Künstlerinnen wie Hannah Höch, Else Lasker-Schüler oder Renée Sintenis wurden zusammen mit Werken der nachexpressionistischen Periode und der frühen sozialistischen Kunst, darunter Edith Dettmann, Kate Diehn-Bitt und Sella Hasse, präsentiert. Die Hälfte der Ausstellung widmete sich in der DDR entstandener Kunst. Vor allem Werke der jüngeren Generation – etwa von Johanna Görke, Dagmar Ranft-Schinke, Erika Stürmer-Alex, Sabine Grzimek und Margret Middell – waren darunter zu sehen. Ein repräsentativer Katalog mit theoretischen Ausführungen und Besprechungen der insgesamt rund 150 Werke fehlt. Die schmale ausstellungsbegleitende Broschüre mit der verdichteten Einführung des Kurators und schwarz-weißen Reproduktionen einzelner Werke steht im Kontrast zum prominenten Ort, zur Vielzahl der ausgestellten Werke und zum generationsübergreifenden Blick auf das Schaffen von Künstlerinnen. Die Bildende Kunst, misst der Ausstellung keine Bedeutung bei, eine Rezension bleibt aus. Eine ausführliche Besprechung hingegen erfuhr die im gleichen Jahr stattfindende Ausstellung Die Frau und die Gesellschaft im Ausstellungszentrum am Alexanderplatz, zuvor zu sehen am Staatlichen Museum Schwerin und im Haus der UNESCO in Paris (Jürß 1975). Als Beitrag zum Internationalen Jahr der Frau sollten die zweihundert Werke aus den Bereichen der Malerei, Grafik, Plastik, Plakatkunst und Buchillustration einen Einblick in die Gegenwartskunst der DDR geben und zugleich „die Frau als gleichberechtigte Partnerin und Mitgestalterin des Sozialismus“ bildkünstlerisch interpretieren (Frankenstein 1975:3). Die künstlerischen Arbeiten, unter anderem von Susanne KandtHorn, Doris Kahane, Petra Flemming und Ursula Mattheuer-Neustädt, dienten der affirmativen Illustration einzelner thematischer Bereiche zur ‚Frau‘ in der Gesellschaft – als Mutter, in der Familie, als Liebende und am Arbeitsplatz. Diese Ausstellung, an der auch zahlreiche Künstler beteiligt waren, sollte wie Frauenschaffen und Frauengestalten fünfzehn Jahre zuvor verdeutlichen, dass die Leistung weiblicher Künstlerpersönlichkeiten für die gleichberechtigte Stellung aller Frauen in der DDR sprach (Jürß 1975:540). Der Vergleich der im Einzelnen beschriebenen Ausstellungsvorhaben zeigt, dass die vom Ministerium für Kultur der DDR, von politischen Institutionen wie dem DFB in Zusammenarbeit mit dem VBK organisierten Ausstellungen eine klare politische Ausrichtung hatten und eine kritische
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Auseinandersetzung mit künstlerischen wie gesellschaftspolitischen Themen zur Situation der Frauen zugleich versuchten zu unterbinden. Die zumeist männlichen Organisator*innen wählten nach dem Kriterium positivistischer Wirklichkeitsdarstellung aus, vermieden weitgehend Konfliktbilder und konnten sich trotz klarer Zielsetzung zu keinem völligen Verzicht auf Positionen männlicher Kunstschaffender durchringen. Frauenschaffen und Frauengestalten (1960), besonders aber Die Frau und die Gesellschaft (1975) fanden allerdings an repräsentativen Ausstellungsorten, der Galerie des VBKD und im Ausstellungszentrum am Fernsehturm statt: Letzterer trug als Austragungsort der Berliner Bezirkskunstausstellungen zur Sichtbarmachung der künstlerischen Positionen deutlich bei. Die im musealen Rahmen konzipierten Ausstellungen Deutsche Künstlerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts am Lindenau-Museum (1963) und Deutsche Bildende Künstlerinnen von der Goethezeit bis zur Gegenwart in der National-Galerie (1975) folgten, aus meiner Sicht, hingegen keiner vordergründig thematischen Illustration, sondern einem kunsthistorisch fundierten Vergleich historischer und zeitgenössischer Positionen von ausschließlich Künstlerinnen. Insbesondere die Ausstellung Deutsche Bildende Künstlerinnen führte ein Novum in die kuratorische Praxis ein, indem sie den Dialog zwischen mehreren Generationen am prominentesten Museum der DDR etablierte – ein Ansatz, den die Kuratorinnen von Künstlerinnen international 1877–1977 zwei Jahre später in der Orangerie des Westberliner Schlosses Charlottenburg ebenfalls anwandten. Monika Kaiser spricht in ihrer Untersuchung zu feministischen Ausstellungen dieses Novum Künstlerinnen international zu und erwähnt Deutsche Bildende Künstlerinnen allein in einer Fußnote als „konventionelle Künstlerinnenausstellung an repräsentativem Ort“, die lediglich mit der Absicht initiiert worden sei, „im internationalen Jahr der Frau die Überlegenheit des sozialistischen Systems in der Geschlechterfrage demonstrieren zu können“ (Kaiser 2013:139). Mag das Konzeptionspapier für die Ausstellung aufgrund seiner politisch gefärbten Argumentation diese Vermutung auch nahelegen, so handelt es sich dabei doch um eine pauschale und nicht zutreffende Abwertung. Allein die fachlich kompetente Auswahl der Künstlerinnen und ihrer Werke sowie das in der Broschüre formulierte Anliegen der Ausstellung belegen einen differenzierten Ansatz der Ausstellungsmacher, der nichts mit einer politisch instrumentalisierten und plakativen Veranstaltung gemein hat. Im Vergleich mit historischen, mitunter wiederentdeckten Vorbildern ermöglichte die Ostberliner Ausstellung jüngeren Künstlerinnen eine eigene Standortbestimmung. Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass sich der Dialog zwar über mehrere kunsthistorische Epochen erstreckte, jedoch an der innerdeutschen Grenze – genauso wie bei Künstlerinnen international – endete. Während etablierte Künstlerinnen der älteren Generation wie Hannah Höch und Renée Sintenis gezeigt wurden, mussten aktuelle Positionen aus
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Westdeutschland und Westberlin wie von Rune Mields, Ulrike Rosenbach oder Anna Oppermann in Deutsche Bildende Künstlerinnen unberücksichtigt bleiben, auch fehlten Gegenwartskünstlerinnen aus der DDR in der Westberliner Ausstellung. Die Kuratoren von Deutsche Bildende Künstlerinnen erwirkten dagegen eine Genehmigung des Kultusministeriums für den Leihverkehr von Gemälden Paula Modersohn-Beckers aus der Kunsthalle Bremen – in der DDR gab es nur ein einziges Gemälde der Künstlerin –, Gabriele Münters aus der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München und Hannah Höchs aus der Galerie Nierendorf in Westberlin. Wie schwierig und langwierig dieser Prozess war, belegen eindrücklich die Akten der Ausstellung. Dass Gegenwartskünstlerinnen aus Westberlin und Westdeutschland in der DDR ausstellten, war zu diesem Zeitpunkt undenkbar; umgekehrt konnten auch ausgewählte zeitgenössische Künstlerinnen aus der DDR erst ab Ende der 1970er im Rahmen repräsentativer Präsentationen zu Kunst in der DDR in der BRD ausstellen. Für zahlreiche lebende Künstlerinnen der älteren Generation bot die Ausstellung in der National-Galerie seit vielen Jahren die erste Gelegenheit, ihre Werke zu präsentieren, zudem im Rahmen einer breiten Öffentlichkeit. Insbesondere der ausstellungsbegleitende Text muss als ernsthafter Versuch eines Kunsthistorikers gewertet werden, sich mit seiner Annäherung an die Idee einer ‚weiblichen‘ Ästhetik innerhalb aktueller Diskurse der Frauenkunstgeschichte und feministischer Theorie zu lokalisieren. Unter dem Titel art femina stellte die Karl-Marx-Städter Galerie Oben Anfang 1977 in einer Gruppenausstellung Elisabeth Ahnert, Irene Bösch, Gerit Hartmann, Erika Klier, Hanna Klose-Greger, Dagmar Ranft-Schinke, Elisabeth Schettler und Martha Schrag vor.38 Obwohl zur konzeptionellen Ausrichtung aufgrund fehlender Texte und Dokumentationen nichts gesagt werden kann,39 fällt auf, dass die Ausstellungsgeschichte der Galerie seit ihrer Gründung 1973 hauptsächlich Personalausstellungen von Künstlern aufwies, während Künstlerinnen hauptsächlich in gemischten Gruppenausstellungen präsentierten. So erscheint art femina mit ihrem Fokus auf weibliche Kunstschaffende als ausgleichender Versuch gegen die Unterrepräsentanz von Künstlerinnen. Zehn Jahre später gelingt es einer Galeristin und vier Künstlerinnen, in den Räumen der Dresdner Galerie Mitte in einer Gruppenausstellung gemeinsam
38 Die Galerie Oben ging aus einer 1954 etablierten Verkaufsgenossenschaft bildender Künstler des Bezirkes Karl-Marx-Stadt hervor und leistete Entscheidendes für die Erweiterung des Kunstspektrums in der DDR (vgl. Lindner 1998). 39 Dagmar Ranft-Schinke im Telefonat mit der Autorin, 29.01.2016; E-Mail von Bernd Weise an die Autorin, 11.03.2016.
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ihre Positionen zu präsentieren.40 Von der Westberliner Kunstwissenschaftlerin Beatrice Stammer wird diese Ausstellung rückblickend als „Ausdruck eines Interesses für feministische Fragestellungen“ (1993:111) gelesen. Unter dem Titel Innen/Außen präsentieren Eva Anderson, Angela Hampel, Ulrike Rösner und Gudrun Trendafilov eine Installation aus beweglichen und statischen Objekten wie einem Boot, einer Spindel und einem Baum, Wandmalereien kahlköpfiger, den Raum erobernder, überlebensgroßer Frauenfiguren und schriftliche Aufzeichnungen. Die Doppeldeutigkeit des Titels spielt auf die künstlerische Synthese von Imagination und Materialisierung an, kann aber gleichzeitig auch als Verweis auf die ambivalente Position weiblicher Kunstschaffender, die als aktiv am Kunstgeschehen der DDR Mitwirkende immer wieder Ausgrenzungs- und Marginalisierungserfahrungen machen, gelesen werden. Die Ausstellung, die von männlichen Kollegen zwiespältig rezipiert (Weber 1999:8) und primär dafür kritisiert wird, keine Künstler zu zeigen (Eisman 2014:196), führt zur Politisierung von Dresdner Protagonistinnen und stellt den Auftakt für regelmäßige Treffen von etwa 25 Künstlerinnen in ihren Ateliers dar, zu denen auch Journalistinnen und Kunsthistorikerinnen mit Vorträgen eingeladen werden. Infolge dieses frauenbewegten Austauschs kommt es im Dezember 1989 in den Räumen der Galerie Mitte zur Gründung der Dresdner Sezession 89. Die Gruppe von Malerinnen, Grafikerinnen, Bildhauerinnen und Kunsthistorikerinnen sieht sich in der künstlerischen Tradition der historischen Sezessionsbewegung, die sich als Abspaltung vom herrschenden Kunstsystem verstand, kritisiert jedoch den Ausschluss von Künstlerinnen Anfang des 20. Jahrhunderts aus dieser Bewegung und die fehlende Gleichberechtigung und Anerkennung von Frauen in der patriarchalen Gesellschaft der Gegenwart (Hellmich 1990). Mit der Einweihung der Räume der Galerie Comenius 1990 etabliert die Gruppe einen eigenen Raum für Ausstellungen, Aktionen, Projekte und den nachhaltigen Austausch mit anderen Frauen. Angela Hampel selbst realisiert neben ihrer Malerei und Grafik seit 1986 großformatige Installationen und Environments, in denen sie Performances platziert, darunter zu den Eröffnungen der Ausstellung A-ORT-A 1987 in der
40 Als eine von über 400 Stadtbezirksgalerien in der DDR zeigt die Galerie Mitte im Zentrum Dresdens ab 1979 vergleichende Gruppen- und thematische Ausstellungen überregionaler und junger Künstler*innen. Das in den ersten fünf Jahren der Galerie von der aus Berlin kommenden Kunsthistorikerin Gabriele Muschter entwickelte Programm, das die Strukturen von Personalausstellungen auflöst, wird ab 1984 von der Kunsthistorikerin Karin Weber fortgesetzt. Weber setzt den Fokus ihrer Ausstellungstätigkeit auf die Medien Fotografie und Installation, die lange Zeit keine anerkannten Kunstformen in der künstlerischen ersten Öffentlichkeit waren. Nach StrukturFigur-Raum (1986) mit Installationen von Andreas Dress, Thea Richter und Claus Weidensdorfer wurde 1987 Innen/Außen realisiert, der weitere Ausstellungen mit großformatigen Rauminstallationen folgten. Zur Geschichte der Galerie Mitte vgl. Weißbach 2009:210ff.
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Dresdner Galerie Nord (gemeinsam mit Steffen Fischer, Matthias Jackisch und Maja Nagel) und mit Fluß-Ufer-Zone zur Ausstellung Blaues Wunder im Ausstellungszentrum am Dresdner Fučíkplatz (1988, gemeinsam mit Steffen Fischer). Ihre Installation Offene Zweierbeziehung (1989) im Rahmen der 12. Kunstausstellung des Bezirkes Dresden ist von der gleichnamigen Komödie Dario Fos und Franca Rames inspiriert und zielt auf stereotype Geschlechtermuster in der bürgerlichen Ehe und auf männlich normierte Beziehungspraktiken. Hampel zeigt insgesamt neun, in von der Decke hängenden Netzen eingeschlossene weibliche und männliche Figuren, die von phallisch anmutenden Granatenhülsen bedroht werden [Abb. 1, 2]. Die Tänzerin Hanne Wandtke, die auch für die Choreografien der Auto-Perforations-Artisten verantwortlich zeichnete, performt zwischen den voneinander isolierten Körpern. In einem Text äußert sich Hampel zur Dominanz männlich geprägter Diskurse, zur Unfreiheit von Frauen und zu den Konstruktionen der Geschlechterdifferenz in der Gesellschaft (Hampel 1993:125), die sie nicht nur in ihrer Malerei und Grafik, sondern auch in der visuellen Repräsentation ihrer Installationen und Performances zum Thema macht.
1.2.3 Präsenz im westlichen Ausland Ab den 1980er Jahren finden ausschließlich Künstlerinnen aus der DDR gewidmete Ausstellungen auch in Westdeutschland statt. Motiviert und realisierbar sind diese Vorhaben durch die zunehmende Bedeutung des westdeutschen Kunstmarktes für die DDR wie auch durch das 1986 geschlossene Kulturabkommen zwischen der DDR und BRD, das zu einer Lockerung des kulturellen Austauschs beider Staaten und zu einer engeren Zusammenarbeit auf diesem Gebiet führte. Bereits Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre gab es eine Reihe viel beachteter Ausstellungen von Künstlern aus der DDR, die wie die von 1982 bis 1984 durch sieben Museen und Kunstvereine tourende Ausstellung Zeitvergleich – Malerei und Grafik aus der DDR jedoch zumeist ohne Künstlerinnen oder mit nur einer weiblichen Position auskamen.41 1984 eröffnet die Ausstellung 14 Künstlerinnen aus dem Bezirk Dresden am Städtischen Museum Göttingen. Gemeinsam mit dem Staatlichen Kunsthandel arbeitet das Museum seit 1979 an Präsentationen, um das Kunstschaffen der DDR für ein westdeutsches Publikum zu erschließen. Sowohl die inhaltlich ausgerichtete, auf politische Stereotype verzichtende und auf die künstlerische Tradition Dresdens sowie die Entwicklungen der einzelnen Künstlerinnen fokussierte Einführung in der Ausstellungsbroschüre (Claußnitzer 1984) als auch die Auswahl der Künstlerinnen machen deutlich, dass die Strukturen
41 Zur westdeutschen Rezeption von Künstlerinnen aus der DDR vgl. Schröter 2009.
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A bb . 1 Angela Hampel/Steffen Fischer, Offene Zweierbeziehung, 1989, Installationsentwurf, Atelier Angela Hampel, Dresden
A bb . 2 Angela Hampel/Steffen Fischer, Offene Zweierbeziehung, 1989, Installation, Ausstellungszentrum am Fučíkplatz, Dresden
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des Staatlichen Kunsthandels mehr Spielraum als die politischen Vorgaben des Zentrums für Kunstausstellungen der DDR zulassen.42 Neben den bereits in Gruppenausstellungen in der BRD vertretenen malerischen und grafischen Positionen von Gerda Lepke, Angela Hampel und Herta Günther befinden sich Arbeiten im Ausland bisher wenig bekannter Künstlerinnen wie Anna Elisabeth Angermann, Thea Richter oder Christine Wahl. Die 1985 und 1986 in Zusammenarbeit mit der Kulturgemeinschaft des DGB Stuttgart e.V., dem Kulturamt der Stadt Stuttgart und der Galerie in der Böttcherstraße Bremen entstandene Ausstellung DDR Künstlerinnen. Malerei, Graphik, Plastik ist die größte in der BRD und wird von einem repräsentativen Katalog begleitet. Für die Auswahl der dreiunddreißig Künstlerinnen, die eine Übersicht über die Werke von Gegenwartskünstlerinnen aus der DDR bieten soll, zeichneten der VBK der DDR und das Zentrum für Kunstausstellungen der DDR, namentlich der Kunsthistoriker Peter Pachnicke verantwortlich. Der Kurator geht im Vorwort des Katalogs auf den vermeintlichen Seltenheitswert von Künstlerinnen-Ausstellungen in der DDR ein und begründet dies mit der Anerkennung der Künstlerinnen in der Kunst und Gesellschaft, die keine „gesonderte Frauenbewegung“ erforderlich mache. Er unterstreicht, dass „eine spezielle Geschichte der von Frauen geschaffenen Kunst in der DDR nicht vonnöten [ist], weil sie die Kunstgeschichte des Landes von Beginn an mitgeprägt haben“ (Pachnicke 1985:o.S.) Der Autor verwirft in Abgrenzung zu Claude Keisch, den er in seinem Aufsatz mehrfach zitiert, die „Klischeevorstellung einer spezifischen Frauenkunst“ und eines „typisch Weiblichen“, um zügig überzuleiten zur „Ausdrucksvielfalt“, „Parteinahme“ und „Volksverbundenheit“ der von den Künstlerinnen aus ihrer „realistischen Haltung“ und ihrem „subjektiven Standpunkt“ geschaffenen sozialistisch-realistischen Kunst (ebd.). Dabei gehören insbesondere die Begriffe ‚Parteinahme‘ – gleichbedeutend mit ‚Parteilichkeit‘ – und ‚Volksverbundenheit‘ laut Paul Kaiser im staatssozialistischen Kunstsystem zu „Ideologietheoremen“, die stets uminterpretierbar waren (2016:64). Betont wird diese Ausrichtung dadurch, dass Künstlerinnen, die wie Heidrun Hegewald und Gudrun Brüne eine moralisch-pädagogische Programmatik verfolgen, mit mehreren großformatigen Arbeiten vertreten sind, während Künstlerinnen, die sich wie Gerda Lepke, Christa Böhme, Ingrid Goltzsche und Brigitte Handschick mit Aktmalerei, Landschaften oder Stillleben den rein abbildhaften Programmen des sozialistischen Realismus entziehen, nur mit wenigen und kleinformatigen Werken auftauchen. Mit Sibylle Bergemann und Helga Paris wurden zwei fotografische Positionen 42 Das dem Ministerium für Kultur der DDR unterstehende Zentrum für Kunstausstellungen der DDR organisierte Ausstellungen ausländischer Partner in der DDR und Ausstellungen der DDR im Ausland.
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präsentiert, mit Ellen Fuhr und Angela Hampel die jüngere Generation der Mitte der 1950er Jahre geborenen Künstlerinnen. Diese Öffnung hin zum künstlerischen Medium Fotografie, das jedoch keine Erwähnung im Ausstellungstitel findet, zu einer generationsübergreifenden Auswahl und zu verschiedenen künstlerischen Positionen zeigt den Versuch an, Gegenwartskunst von Künstlerinnen in ihrer gesamten Breite in der BRD zu repräsentieren. Auf eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Format und die Begründung für eine Künstlerinnen-Ausstellung aber wird zugunsten des verkürzten Hinweises verzichtet, dass Künstlerinnen keine Randerscheinung in der Kunstlandschaft der DDR seien, wofür die Ausstellung den entsprechenden Beweis liefere (Pachnicke 1985:o.S.). Die von Christa Kühne organisierte Ausstellung Femmes – artistes de la R.D.A am Centre Culturel de la République Démocratique Allemande, dem Kulturzentrum der DDR in Paris, setzt als Überblicksschau über das Schaffen von 18 Künstlerinnen verschiedener Generationen gleichermaßen den Fokus auf gegenständliche, figürliche und realistische Darstellungen: „Elle présente différents reflets de la réalité. Elles ont pourtant toutes un point commun: leur engagement dans la réalité pour transformer le monde.“ (Centre Culturel 1986). Anhand des politischen Auftrags der Künstlerinnen und der Ausstellung wird offenkundig, wie sehr der VBK und das Zentrum für Kunstausstellungen der DDR, hier in der Funktion des Veranstalters, auch noch 1986 am normativen Realismuskonzept festhalten und die Künstlerinnen nicht nur als Interpretinnen, sondern auch als Mitgestalterinnen gesellschaftlicher Veränderungsprozesse in die Pflicht nehmen. Die in der Ausstellungsbroschüre angeführten Künstlerinnen – darunter die Malerinnen und Grafikerinnen Christa Böhme, Ellen Fuhr, Angela Hampel, Elke Hopfe, Thea Kowar, Sibylle Leifer und Gudrun Petersdorff, die Bildhauerinnen Regina Fleck, Sabina Grzimek, Franziska Lobeck, Christine Staeps und die Fotografinnen Ute Mahler, Helga Paris, Evelyn Richter – und ihre Werke wie (Selbst-)Porträts, Paardarstellungen, Genrebilder, Landschaften und Stillleben beweisen jedoch eine thematische und stilistische Vielfalt, die eher einer offenen Konzeption von ‚Kunst im Sozialismus‘ als der enggeführten Programmatik des ‚sozialistischen Realismus‘ entspricht. Mit Bezügen zur griechischen Mythologie bei Lobecks Kassandra (1977/82) und Hampels Medea (1985) – 1983 erschien gleichzeitig in der DDR und der BRD Christa Wolfs Erzählung Kassandra – werden Bilder rebellischer Frauen aktiviert, während Doris Zieglers Brigade Rosa Luxemburg (1975) und Helga Paris’ fotografische Serie Bekleidungswerk Treff-Modelle Berlin (1984) stereotype Entwürfe der ‚sozialistischen Persönlichkeit‘ und der ‚Heldin der Arbeit‘ subtil durchkreuzen. Obwohl der Realismus die einzig zugelassene Stilrichtung in den Künstlerinnen-Ausstellungen war, stehen sie, auch bedingt durch ihre generationsübergreifende Ausrichtung, für die Lösung von normierten Bildprogrammen.
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Anhand der teilnehmenden Künstlerinnen wird deutlich, dass die veranstaltenden Institutionen zudem um die Repräsentation eines breiten Spektrums an künstlerischen Positionen im Ausland bemüht waren. Ausstellungen wie Zeitvergleich fanden an zentralen musealen Institutionen wie dem Hamburger Kunstverein, der Kunsthalle Düsseldorf, der Kunsthalle Nürnberg oder der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München statt, die 13, ausschließlich männlichen Künstler erhielten ausführliche Porträts im die Ausstellung mittragenden Kunstmagazin art (vgl. Hecht 1982). Bei den Präsentationen von Künstlerinnen handelte es sich um für die zeitgenössische Kunstproduktion weniger bedeutende Orte, Besprechungen in etablierten Kunstzeitschriften blieben aus. So sind die Künstlerinnen-Ausstellungen in ihrer ambivalenten Konzeption zu beurteilen: Mit der Realisation dieser Projekte in der BRD und in Frankreich konnten zahlreiche Positionen weiblicher Kunstschaffender im Ausland überhaupt präsentiert und sichtbar gemacht werden. Zugleich wurde eine Werte- und Bedeutungshierarchie etabliert, die der Marginalisierung von Künstlerinnen aus der DDR im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen im Ausland Vorschub leistete. Initiativen von einzelnen Künstlerinnen, die den offiziellen Weg über die Strukturen des VBK für Ausstellungsprojekte in der BRD gingen, wurden unterbunden. Karla Woisnitza beispielsweise stand wegen einer geplanten Ausstellung ostdeutscher Künstlerinnen seit 1986 in Schriftverkehr mit Marianne Pitzen, der Leiterin des Frauenmuseums in Bonn. Im selben Jahr wurde sie zu einer Personalausstellung eingeladen, der VBK aber verweigerte ihr die Zusage (Woisnitza 1990b:54). Ohne Genehmigung nahm Woisnitza an der Skripturale ’88 im Frauenmuseum teil. Trotz einer Abbildung im Katalog blieb ihre Teilnahme ohne kulturpolitische Konsequenzen (Schröter 2009). 1990 schließlich gelang die Realisation der von den Kunsthistorikerinnen Carmen Lode und Ute Tischler kuratierten Ausstellung Ostara. Künstlerinnen aus dem anderen Berlin (Lode & Tischler 1990) mit Arbeiten von 21 Künstlerinnen und parallel dazu Woisnitzas Einzelausstellung unter dem Titel Tecuna Projekt (Woisnitza 1990a). Von Westberliner Seite aus glückte es der NGBK 1989 in Zusammenarbeit mit dem VBK, die Ausstellung Zwischenspiele. Junge Künstler und Künstlerinnen aus der DDR zu organisieren, die ihr Hauptaugenmerk auf bis dahin in der BRD gänzlich unbekannte ostdeutsche Künstlerinnen, darunter Sabine Herrmann, Else Gabriel, Gundula Schulze und Maria Sewcz, richtete (VBK 1989b). Obwohl die Auswahl dem VBK oblag und dieser sich vorbehielt, nur Werke von Mitgliedern zu zeigen – unter den insgesamt 43 Teilnehmenden waren elf Künstlerinnen – gelang es der Kuratorin Beatrice Stammer zwar nicht wie beabsichtigt, Werke von Gabriele Stötzer auszustellen, aber immerhin, Abbildungen ihrer Arbeiten im Katalog zu präsentieren. Stammers Katalogtext ist neben Claude Keischs historischer ausgerichtetem Aufsatz der
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erste begleitende Text einer Ausstellung mit Künstler*innen aus der DDR, der ausführlich und explizit aktuelle feministische und geschlechterkritische Fragestellungen zum Schaffen von Künstlerinnen und zu ihrer (Selbst-)Positionierung aufwirft. Das Projekt der Arbeitsgruppe Außerhalb von Mittendrin des NGBK, das weibliche Kulturschaffende der DDR aus den Bereichen bildende Kunst, Literatur, Musik, Film und Theater mit einer Ausstellung in Westberlin vorstellen wollte, konnte erst nach einer fünfjährigen Vorlaufzeit im Jahr 1991 unter gleichem Titel umgesetzt werden. Das Konzept, das ursprünglich ausschließlich ostdeutsche Frauen vorsah, wurde an die veränderte politische Situation angepasst und um Positionen aus der BRD und Österreich erweitert. Die Kuratorinnen Gabriele Horn und Beatrice Stammer präsentierten im Bereich bildende Kunst Arbeiten von Else Gabriel, Angela Hampel, Sabine Herrmann, Ramona Köppel-Welsh, Cornelia Schleime, Gundula Schulze und Erika Stürmer-Alex (1991).
1.2.4 Die Kunstausstellung der DDR Als aussagekräftigstes Beispiel für den Ein- beziehungsweise Ausschluss von Künstlerinnen aus der ersten Öffentlichkeit soll ein Blick auf die bedeutendste Ausstellung für Gegenwartskunst, die Kunstausstellung der DDR, dienen.43 Mit der Teilnahme an der Leistungsschau, die von höchster Stelle, dem Ministerium für Kultur und dem VBK veranstaltet wurde, war eine der wichtigsten Anerkennungen für bildende Künstler*innen verbunden. Mit mehreren hundert Künstler*innen gab die Ausstellung einen umfassenden Überblick über Gegenwartskunst und vereinte Werke aller Gattungen der bildenden Kunst. Dazu gehörten Malerei, Grafik, Plastik, architekturbezogene Kunst, Gebrauchsgrafik, Formgestaltung, Kunsthandwerk und Bühnenbild. 1982 wurde Fotografie ebenso als eigene Gattung aufgenommen wie Karikatur und Pressezeichnung. Performance Art und Aktionskunst blieben bis zur einschließlich letzten Ausgabe der Kunstausstellung als nicht anerkannte Kunstäußerungen unberücksichtigt. Während in den 1950er und 1960er Jahren vorzugsweise bildkünstlerische Repräsentationen der Arbeiterklasse und internationaler Klassenkämpfe vertreten waren, nahmen ab den 1970er Jahren Darstellungen der privaten Sphäre, von Familienbeziehungen, Partnerschaft sowie alltäglichen Problemen und individualisierte Porträts zu.
43 Bereits 1946 wurde die Erste Allgemeine Deutsche Kunstausstellung veranstaltet, der 1949 die Zweite Deutsche Kunstausstellung folgte. Ab 1953 fand sie im Vier- bis Fünfjahresrhythmus statt, der Austragungsort blieb Dresden. Ab der siebenten Ausgabe 1972 bis zur letzten im Jahr 1987/88 wurde die Ausstellung unter dem Titel Kunstausstellung der DDR ausgetragen. Voraussetzung für die von einer Juryentscheidung abhängige Teilnahme war die Mitgliedschaft im VBK sowie die Präsentation von Arbeiten bei den zeitlich vorgelagerten Bezirkskunstausstellungen.
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Die Analyse des Zahlenverhältnisses von Teilnehmenden der Kunstausstellung zeigt, dass Künstlerinnen im Bereich Malerei und Grafik mit rund 17 Prozent (1973/74) bis 23,9 Prozent (1987/99) vertreten waren.44 Im Vergleich zu den Anfangsjahren – bei der Fünften Kunstausstellung 1963/63 waren es rund 12 Prozent – ist damit eine stetig steigende Teilnahme von Malerinnen und Grafikerinnen zu verzeichnen. In der Plastik, die ab 1982/83 als separate Gattung geführt wurde, sind es 22,6 Prozent teilnehmende Bildhauerinnen (1982/83) und mit einem leichten Rückgang 22,3 Prozent im Jahr 1987/88. Mit 28,6 Prozent in der IX. Kunstausstellung 1982/83 und 27,5 Prozent 1987/88 war der Anteil der ausstellenden Fotografinnen besonders hoch. Obwohl auch die Generation der an der Leipziger HGB ausgebildeten und insbesondere in den 1980er Jahren aktiven Fotograf*innen männlich dominiert war, wurde durch die Teilnehmerzahl von Fotografinnen bei der Kunstausstellung der Anteil ausstellender Künstlerinnen angehoben. Am meisten waren Frauen im Kunsthandwerk und Design (besonders Keramik, Schmuckgestaltung, Mode) und im Bereich Bühnenbild vertreten. Eklatant gering war der Anteil der Pressezeichnerinnen und Karikaturistinnen und der architekturbezogen arbeitenden Künstlerinnen. Unter den insgesamt 83 Juroren saßen zur IX. Kunstausstellung acht Frauen (9,6 Prozent), vier Jahre später waren es von insgesamt 107 Jurymitgliedern zehn Frauen (9,3 Prozent). Die Jurybesetzung unterbot damit sogar die geringe Beteiligung der Künstlerinnen und Gestalterinnen an den Zentralen Sektionsleitungen, dem Zentralvorstand und Präsidium des VBK (Brinkmann & Mann 1995:165). Bei Künstlerinnen, deren Werke mit den Bildprogrammen und ideologischen Vorgaben der Kulturpolitik übereinstimmten und die zudem Partnerinnen vom Staat anerkannter Künstler waren, darunter Gitta Kettner, Ursula Mattheuer-Neustädt, Alexandra Müller-Jontschewa und Heidrun Hegewald, lässt sich eine regelmäßige Teilnahme über mehrere Ausgaben der Kunstausstellungen feststellen. Experimentell und abstrakt arbeitende Künstlerinnen wie Dagmar Ranft-Schinke fanden nur ausnahmsweise Zugang in die Ausstellung. War Erika Alex (später Stürmer-Alex) 1967 zur VI. Kunstausstellung mit nur vier kleinformatigen Kaltnadelradierungen zu Elektra vertreten, so konnte sie in der VIII. Kunstausstellung (1977/78) neben einer Tuschezeichnung zwei größere Acrylarbeiten präsentieren. In der letzten Kunstausstellung zeigte die Generation von Künstlerinnen Präsenz, die Ende der 1950er Jahre, mitunter Anfang der 1960er Jahre geboren wurde. Außerdem wurden zahlreiche nonkonforme oder nicht figürliche
44 Da offizielle Erhebungen zu den Teilnehmer*innen der Kunstausstellung nur für die letzten beiden Ausgaben vorliegen (Brinkmann & Mann 1995:165), beruhen alle weiteren Angaben auf den Ermittlungen der Autorin, die sich an den in den Ausstellungskatalogen gelisteten Namen orientieren.
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Positionen in die Ausstellung aufgenommen, was den generellen Umarmungstendenzen der Kulturpolitik im Hinblick auf subkulturelle und avantgardistische Aktivitäten Ende der 1980er Jahre entspricht. Zu den weiblichen Ausstellenden gehörten die Grafikerin Johanna Bartl, die Malerinnen Ellen Fuhr, Angela Hampel und Maja Nagel und die Fotografinnen Tina Bara, Gundula Schulze (später Schulze Eldowy), Ute Mahler und Karin Wieckhorst. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass in den Kunstausstellungen ebenjene Künstlerinnen fehlten, die nicht im Verband organisiert waren, aus politisch motivierten und anderen Gründen nicht in diesem Rahmen ausstellen durften oder bereits Anfang beziehungsweise Mitte der 1980er Jahre emigriert waren. Dazu zählten unter anderem Karla Woisnitza, Cornelia Schleime, Christine Schlegel, Annemirl Bauer, Gabriele Stötzer und Heike Stephan. Die Anzahl an der Kunstausstellung der DDR teilnehmender Malerinnen, Grafikerinnen und Bildhauerinnen war zwar nicht deckungsgleich, entsprach aber tendenziell ihrer Mitgliederzahl im VBK.45 Der Blick auf das andere Deutschland zeigt, dass der Anteil von Teilnehmerinnen der Kunstausstellung, wie April Eisman darlegt, bei Weitem höher lag als in der BRD, wo Künstlerinnen bei der documenta in den 1950er Jahren mit nur vier Prozent und in den Jahren 1982 und 1987 mit nur jeweils 13 Prozent vertreten waren (Eisman 2014:176). Obwohl die documenta eine internationale Ausstellung ist, die Kunstausstellung der DDR dagegen das nationale Kunstschaffen repräsentierte, gaben beide als repräsentative, alle vier bis fünf Jahre und häufig im gleichen Jahr stattfindende Veranstaltungen einen Überblick über zeitgenössische Kunstentwicklungen und belegten, welcher Stellenwert der Kunst von Frauen im jeweiligen Kunstsystem der beiden deutschen Staaten eingeräumt wurde. Meine Untersuchungen konnten nachweisen, dass es eine bemerkenswerte Vielzahl von Künstlerinnen-Ausstellungen seit den 1960er Jahren im Inland und seit den 1980er Jahren auch im Ausland sowohl in Museen und Ausstellungszentren als auch in Bezirksgalerien gegeben hat. Diese müssen, wie auch die Zahlen von Teilnehmerinnen an der Kunstausstellung der DDR, als positive Effekte der institutionellen Anerkennung von Künstlerinnen gewürdigt werden, besonders im Vergleich zur Situation von Künstlerinnen im anderen Deutschland. Auch wenn die meisten der Künstlerinnen-Ausstellungen die mutmaßlich erreichte Gleichberechtigung von Frauen in der DDR bestätigen und veranschaulichen sollten, waren diese Vorhaben ein grundlegendes Bekenntnis zu Künstlerinnen und trugen dazu bei, ihre Praxis einer breiteren
45 Legt man die errechneten Mitgliederzahlen des VBK von Müller mit 1485 Maler*innen und Grafiker*innen, davon 386 Frauen, und 390 im Verband organisierten Bildhauer*innen mit 106 Frauen zugrunde (Müller 1992:207), so beträgt der Frauenanteil etwa 26 Prozent, bei den Bildhauer*innen rund 27 Prozent.
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und internationalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Insbesondere Deutsche bildende Künstlerinnen von der Goethezeit bis zur Gegenwart an der National-Galerie (1975) und die über zehn Jahre später ausgetragene Ausstellung Innen/Außen in der Galerie Mitte Dresden müssen als Beispiele feministischer Kunstausstellungen im gesamteuropäischen Kontext eingeordnet werden, die für eine Neubesetzung des Kunstraumes stehen, wie sie zeitgleich in Ost und West vorgenommen wurden. Im Gegensatz dazu stießen Einzelinitiativen von Frauen auf Widerstand, die über behördliche Wege der ersten Öffentlichkeit versuchten, Künstlerinnen gewidmete Ausstellungen zu realisieren. Welche genderkritischen Vorstöße es von Frauen innerhalb der zweiten Öffentlichkeit gegeben hat, wird Thema des Kapitels zur zweiten Öffentlichkeit und ihren Geschlechterverhältnissen sein.
1.2.5 Ausstellungen nach 1989 Für die Ausstellungsbeteiligung und öffentliche Anerkennung ostdeutscher Künstlerinnen kann ein eklatanter Rückgang nach 1989 nachgewiesen werden. Gründe sind darin zu sehen, dass die im vorangegangenen Kapitel vorgestellten Frauenkunstausstellungen staatlich gelenkt waren, keine zentralen Räume besetzten und demzufolge keine weitreichende, die gesellschaftlichen Transformationsprozesse überdauernde Wirksamkeit hatten. Strukturen, die zur Benachteiligung von Künstlerinnen führten, wurden auch im Ausstellungsbereich nicht hinterfragt und verändert. Bestehende Netzwerke, institutionelle Positionen und Privilegien männlicher Protagonisten aus Ost und West haben nicht nur dazu geführt, die Marginalisierung von Künstlerinnen auch nach 1990 aufrechtzuerhalten, sondern mit der Vereinigung Deutschlands zu verschärfen.46 Zwar versuchen kurz nach 1989 einzelne Ausstellungen wie die bereits erwähnte Ostara im Frauenmuseum Bonn (1990), Außerhalb von Mittendrin in der NGBK (1991) oder die von der Kuratorin Karla Bilang und dem Künstlerinnenverein ENDMORÄNE organisierte Ausstellung Expressionistinnen 1980 bis 1990 (Bilang 1994) eine Bestandsaufnahme über das Schaffen ostdeutscher Künstlerinnen zu ermöglichen. In repräsentativen Überblicksausstellungen zu Kunst in der DDR aber, in denen zahlreiche Kunstschaffende der zweiten Öffentlichkeit gezeigt werden und der konzeptionelle Fokus auf nonkonformen Inhalten und Formen liegt, fehlen Künstlerinnen fast vollständig. So sind unter den 135 Ausstellenden, die in der ersten großen, von Eugen Blume und Roland März kuratierten Überblicksausstellung Kunst in der DDR in der Nationalgalerie Berlin (2003) gezeigt werden, nur zwölf Künstlerinnen 46 Vgl. die Ausführungen zu Hildtrud Eberts Analyse über die Marginalisierung von Künstlerinnen in Kap. 1.1.4 Positionsbestimmungen nach 1989.
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vertreten, davon fünf Fotografinnen. Das sind nur neun Prozent aller Teilnehmenden. Diese Ausstellung hat zum Ziel, nach den Jahren des ‚Bilderstreits‘ mit 400 Werken die differenzierte und reiche Vielfalt künstlerischer Äußerungen in der DDR sichtbar zu machen (Blume & März 2003). Die in Los Angeles, Nürnberg und Berlin präsentierte Ausstellung Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945–89, kuratiert von Stephanie Barron und Eckhart Gillen, leistet eine komplexe Analyse der Kunst Ost- und Westdeutschlands während des ‚Kalten Krieges‘, wobei weniger der Malerei als den Gattungen Skulptur, Fotografie, Video, Performance und Installation eine Schlüsselrolle zukommt. Von insgesamt 122 Teilnehmenden sind Werke von 21 Künstlerinnen zu sehen (17 Prozent), darunter neun aus der DDR (elf Prozent), davon wiederum sind sieben Fotografinnen (Barron & Eckmann 2009). Die Tendenz der fast ausschließlich von männlichen Kunsthistorikern kuratierten umfassenden Retrospektiven an großen Museen setzt sich auch in jüngster Vergangenheit wie der am Neuen Museum Weimar 2012 eröffneten Ausstellung Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen fort, in der sich die Kuratoren Karl-Siegbert Rehberg, Wolfgang Holler und Paul Kaiser dem Wandel von Themen, Stilformen und künstlerischen Ausdrucksmitteln in 40 Jahren DDR sowie dem Spannungsverhältnis zwischen Künstler*innen und Staat widmen (Rehberg, Holler & Kaiser 2012). Neun Künstlerinnen von insgesamt 96 Ausstellenden sind dazu eingeladen (zehn Prozent). Die von Christoph Tannert und Eugen Blume 2016 am Berliner Martin-Gropius-Bau ausgerichtete Schau zu Gegenstimmen. Kunst in der DDR 1976–1989 (Blume & Tannert 2016), ein Forum für Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit der DDR, verzeichnet mit 17 Künstlerinnen von insgesamt 80 Teilnehmenden eine leicht steigende Tendenz (rund 14 Prozent). Dem institutionellen Ausschluss von Künstlerinnen begegneten Ausstellungen und begleitende Publikationen mit Hauptaugenmerk auf weiblichen Akteurinnen des Kunstsystems der DDR. Die Kuratorinnen und Kunsthistorikerinnen haben in diesem Zusammenhang keine additive Historiografie an-gestrebt, sondern kunsthistorische Kanonbildung als Produzentin von Geschlechterdifferenz thematisiert sowie das Verhältnis von Visualität und Geschlecht als Repräsentationskritik mitgedacht – darunter die Ausstellung und jetzt. Künstlerinnen der DDR am Künstlerhaus Bethanien (Richter u.a. 2009) und Entdeckt! Rebellische Künstlerinnen in der DDR an der Kunsthalle Mannheim (Altmann & Lorenz 2011). Nichtsdestotrotz findet die Darstellung der Kunst in der DDR als eine Geschichte von fast ausschließlich männlichen Repräsentanten, re-produziert von männlichen Protagonisten, seit den 1990er Jahren bis heute ihre ungeminderte Fortsetzung. Diese umfangreiche Primärforschung zu Künstlerinnen-Ausstellungen soll als Folie für die Fragestellung dienen, welche eigenen Orte, welche Formen von Ausstellungs- und gemeinsamen Aktivitäten Künstlerinnen in der
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zweiten Öffentlichkeit wählen und realisieren konnten. Der Vergleich soll im Ergebnis festhalten, in welcher der beiden Öffentlichkeitssphären Künstlerinnen größere Sichtbarkeit durch Ausstellungsprojekte erlangten beziehungsweise mit welchen Diskriminierungserfahrungen sie konfrontiert waren.
1.3 Feministische Interventionen im Kunstdiskurs Ausführlich wurde die Position von Künstlerinnen in der ersten Öffentlichkeit analysiert. Welche Rolle aber nahmen Kunsthistorikerinnen bei der Herausbildung einer feministischen Theorie im Wissenschaftsbetrieb ein und welche Wechselwirkungen gab es zwischen akademischen Vertreterinnen und praktizierenden Künstlerinnen? Der folgende Teil widmet sich der Entstehung feministischer und geschlechterkritischer Interventionen in der akademischen Kunstgeschichte und den Kulturwissenschaften. Beleuchtet werden die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Frauenforschung und die Schwierigkeiten, mit denen ihre Etablierung in der DDR konfrontiert war. Dabei wird die Bedeutung einzelner Wissenschaftlerinnen, der Universitäten, insbesondere des Kunstgeschichtlichen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin, und dem VBK für die Schwerpunktsetzung der Frauenforschung befragt. Die Analyse der seit Anfang der 1980er Jahre etablierten Kunsthistorikerinnen-Tagungen im deutschsprachigen Westeuropa und der Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung 1989 in der DDR soll verdeutlichen, wie befruchtend und zugleich konfliktreich der wissenschaftliche Austausch zwischen den Kolleginnen aus Ost und West war. Welchen marginalen Status feministische Anliegen in der Wissenschaftshierarchie universitärer Systeme in beiden Staaten hatten, fasst das letzte Kapitel zusammen. Es verfolgt das Anliegen, im Gegensatz zu pauschalen Abwertungen (Stecker 1994) oder zur völligen Ausblendung des ostdeutschen Beitrags für geschlechtsspezifische Fragestellungen in der deutschsprachigen Kunstgeschichte (Frübis 2006) einen differenzierten Einblick in den Entstehungskontext und die Wirksamkeit feministischer Forschung zu bieten.
1.3.1 Veröffentlichungen Genauso wie Frauenpolitik ein wichtiger Aspekt von Gesellschaftspolitik in der DDR war, förderte der Staat die Auseinandersetzung mit bestimmten Themenfeldern der Frauenforschung. 1964 wurde der interdisziplinäre Beirat Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft an der Akademie der Wissenschaften gegründet, der 1978 in das Institut für Soziologie und Sozialpolitik an der Akademie integriert wurde und ab 1981 Wissenschaftlicher Rat hieß; die langjährige Vorsitzende war Herta Kuhrig. Die Rechenschaftslegung über
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die Forschung erfolgte seit den 1970er Jahren beim ZK der SED, in persona bei Inge Lange (Böck u.a. 1990:97). Publikationen kamen auch von der Forschungsgemeinschaft Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau, seit 1966 an der Pädagogischen Hochschule Clara Zetkin Leipzig angesiedelt. Diese Forschungsthemen wie „Frauen in Leitungspositionen“, „Lebensbedingungen alleinerziehender Mütter“ und „geschlechtstypische Unterschiede in der Sozialisation“ waren, führt die Kulturtheoretikerin Irene Dölling in ihrer Analyse der Frauenforschung in der DDR an, durchaus von Bedeutung (1993b:398). Gemessen an bestimmten Kriterien, etwa, ob sie theoretische Erklärungsansätze von Geschlechterverhältnissen lieferten, die strukturelle Benachteiligung des weiblichen Geschlechts voraussetzten und darauf abzielten, Frauen zu befähigen, ihre eigenen Interessen aktiv umzusetzen, können die meisten Publikationen jedoch, so Dölling, „nicht als Ergebnisse von Frauenforschung bewertet werden“ (ebd.). Die akzeptierte Ideologie von der realisierten Gleichberechtigung und der gelösten ‚Frauenfrage‘ hätte entscheidende Konsequenzen für die theoretischen Konzepte und die forschungsleitenden Interessen gehabt, die diesen Projekten zugrunde lagen (ebd.). Dölling unterstreicht, dass Geschlechterverhältnisse nicht als Herrschafts- und Machtverhältnisse interpretiert wurden, die Hierarchie von Mann und Frau ausgeblendet oder auf Klassenfragen reduziert war. So konnte die Benachteiligung von Frauen in ihren ursächlichen Zusammenhängen mit den sozioökonomischen, politischen und kulturellen Verhältnissen des Staatssozialismus nicht erkannt werden, womit die Situation der Frauen zwar als „‚verbesserungs-‘, nicht aber als grundlegend kritik- und veränderungsbedürftig“ erschien (1993b:399). Die Wissenschaft betrachtete Frauen nicht als Subjekte, sondern größtenteils funktional als Arbeitskräfte, Gebärerinnen und als stabilisierenden Faktor für Ehe und Familie (ebd.). Auch die Forschung zur Geschichte der Frauen und der Frauenbewegung, hebt Dölling hervor, war eng an die Hierarchie des Haupt- und Nebenwiderspruches gekoppelt, wobei das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital als Hauptwiderspruch im Kapitalismus, die Unterdrückung der Frauen als Nebenwiderspruch gewertet wird. Feminismus als eine Ausdrucksform bürgerlicher Ideologie wurde abgewehrt, die angebliche Objektivität tradierter ‚männlicher‘ Wissenschaften blieb unhinterfragt. Die skizzierten Rahmenbedingungen belegen deutlich, wie stark die wissenschaftliche (Frauen-)Forschung reglementiert und einseitig ausgerichtet war. So haben die in den 1980er Jahren vereinzelt arbeitenden Wissenschaftlerinnen, darunter die Literaturwissenschaftlerin Ilse Nagelschmidt in Leipzig und die Germanistin Hannelore Scholz an der Humboldt-Universität hart um die Öffnung von Diskursen gekämpft, um feministische Themen einzuführen und die strukturellen Ursachen der Benachteiligung von Frauen zu analysieren. Sie versuchten damit, sich von den Direktiven der offiziellen Frauenpolitik und Forschung abzusetzen. Hervorzuheben ist an dieser Stelle
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die Bedeutung der Kulturtheoretikerin Irene Dölling, ab 1985 Professorin am Institut der Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin,47 und der Soziologin Hildegard Maria Nickel für die Frauenforschung in der DDR und ihre Fortführung nach 1989. Dölling setzte sich aus eigener Initiative bereits Ende der 1970er Jahre mit geschlechterspezifischen Fragestellungen auseinander, die sie in ihrem Artikel „Zur kulturtheoretischen Analyse von Geschlechterbeziehungen“ 1979 erstmals formulierte und 1980 in den progressiven Weimarer Beiträgen veröffentlichte. Dölling, die zuvor zur kulturtheoretischen Konzeption der Persönlichkeit arbeitete, griff die Diskurse, die durch die sexuelle Emanzipation der 1968 Jahre ausgelöst wurden, aktiv auf. Die Notwendigkeit einer Analyse der Geschlechterverhältnisse ergab sich für sie aus diesen Zusammenhängen.48 Angeregt wurde ihre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Machtverhältnissen gleichermaßen durch feministische Literatur, insbesondere durch die Protokolle der Autorin Maxie Wander. Die österreichische, in Ostberlin lebende Wander veröffentlichte 1977, mit einem Vorwort von Christa Wolf, ihren Sammelband Guten Morgen, du Schöne. Protokolle nach Tonband, das Gespräche mit Frauen unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft als Prosatexte enthielt. Dölling schreibt in ihrer Analyse, dass bedingt durch die Nähe zum Dokumentarischen der widerspruchsvolle Prozess der Emanzipation als Lebensbericht betroffener Frauen hier in einer solchen Unmittelbarkeit und Eindringlichkeit aufgezeigt werde, dass ein Ausweichen der Leser*innen vor der eigenen Betroffenheit kaum möglich sei und eine Verharmlosung der Probleme zur Marotte einiger unzufriedener Frauen sich durch die Lektüre von selbst verbiete (1980:60). Diese Aussage verdeutlicht den Stellenwert feministischer Literatur für Wissenschaftler*innen und die Frauenforschung Ende der 1970er Jahre, da sie sich mit dem Wirken und den Widersprüchen verschiedener Frauen- und Männerbilder, mit Emanzipationsbestrebungen von Frauen „als diffiziles und konfliktreiches Ineinanderwirken von sozialen und psychischen Prozessen“ (ebd.) befassen. Die Darstellung weiblicher Lebenszusammenhänge im Band Maxi Wanders und die unterschiedlichen Ansätze der interviewten Frauen, mit denen sie ihre Lebenssituation zu bewältigen suchten, die von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein über Unbehagen bis zum schmerzlichen Bemühen um Selbsterfahrung reichten, hätten, wie Birgit Dahlke berichtet, eine große Breitenwirkung gehabt und führten zu einem alle sozialen Schichten betreffenden Bewusstseinsschub unter Frauen (1997:66). So faszinierten Publikationen von Autorinnen wie Helga Königsdorf, Irmtraud Morgner, Helga Schubert, Maxie
47 Die Wissenschaftsdisziplin Kultur- und Kunstwissenschaften entstand Ende der 1950er Jahre in der DDR, ab 1963 wurden Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität, ab 1964 alternierend an der Karl-Marx-Universität Leipzig unterrichtet (Böck u.a. 1990:92). 48 Irene Dölling im Gespräch mit der Autorin, 10.09.2015.
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Wander und Christa Wolf auch bildende Künstlerinnen und inspirierten ihre Arbeit und die Wahl ihrer Sujets, wie die Fallanalyse zu Karla Woisnitza zeigen wird. Ausgehend von den Frauenschicksalen, ihrer Suche nach eigenen Werten, neuen Lebensweisen und einer eigenen Identität bei Wander nimmt Dölling in ihrem Beitrag eine Kritik an der Naturalisierung der Geschlechterrollen vor und unterstreicht, dass Geschlechterbeziehungen als soziale Verhältnisse zu betrachten seien. Im kulturhistorischen Rückblick legt sie die Ursachen für die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts dar und betont für die Gegenwart, dass die Erwerbstätigkeit der Frauen nicht gleichzusetzen sei mit ihrer Emanzipation. Jene sei „eine wesentliche Voraussetzung für diese, aber nicht diese selbst“ (Dölling 1980:72). Um die von Dölling formulierten Aufgabenstellungen einer kulturtheoretischen und -geschichtlichen Analyse angehen zu können, sei es unerlässlich, den Formen- und Funktionswandel von Männer- und Frauenbildern als Ausdruck konkreter Notwendigkeiten der Herrschaftssicherung zu bewerten (Dölling 1980:75). Nach Erscheinen ihres Artikels gründete Dölling mit Wissenschaftlerinnen aus der Literaturwissenschaft, Gerontologie und Medizin 1980 einen Arbeitskreis, der einmal monatlich eigene und fremde Veröffentlichungen zu kulturtheoretischen und kulturhistorischen Aspekten von Geschlechterverhältnissen diskutierte.49 Mit dieser Initiative etablierte die Wissenschaftlerin einen interdisziplinären Handlungsrahmen, um so ähnlich gelagerte Forschungsinteressen zusammenführen und stärken zu können. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt untersuchte sie anhand der wöchentlich erscheinenden Zeitschriften Neue Berliner Illustrierte (NBI) und Für Dich (FD), der einzigen Frauenzeitschrift der DDR, wie sich die veränderte Realität von Frauen durch die proklamierte Gleichberechtigung in Fotografien zeigte, welche Aspekte der Geschlechterverhältnisse abgebildet wurden und wie sich normsetzende Vorstellungen von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘ visuell vermittelten. Ein erster Aufsatz über Frauen- und Männerbilder erschien bereits 1988 in den Weimarer Beiträgen (Dölling 1988). Darüber hinaus bilden die unter dem Titel Der Mensch und sein Weib. Frauen – und Männerbilder. Geschichtliche Ursprünge und Perspektiven veröffentlichten Ergebnisse (Dölling 1991) bis heute eine fundierte und valide Grundlage für aktuelle Forschungsvorhaben zu Geschlechterverhältnissen in der DDR und ihrer visuellen Repräsentation, wozu auch die vorliegende Studie zählt. Die Veröffentlichungstätigkeit und Praxis eines grenzüberschreitenden Austauschs in der akademischen Kunstgeschichte müssen in drei, sich mitunter überschneidende Sphären unterschieden werden: Aufsätze zur Frauenkunstgeschichte wurden sowohl in der ersten Öffentlichkeit der DDR publiziert
49 Irene Dölling im Gespräch mit der Autorin, 10.09.2015.
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als auch – infolge der Kunsthistorikerinnen-Tagungen – in der BRD. Zudem gab es neben den öffentlichen Treffen von Wissenschaftlerinnen aus Ost- und Westdeutschland informelle Begegnungen in der zweiten Öffentlichkeit der DDR. Abgesehen von den außerakademischen kulturpolitischen Initiativen zu Künstlerinnen-Ausstellungen und den sie begleitenden Publikationen lässt sich nur eine geringe Anzahl kunstwissenschaftlicher Veröffentlichungen in der DDR ermitteln, die sich mit Geschlechterfragen in der Kunst auseinandersetzen konnte. 1984 publiziert Edith Krull, die bereits 1939 in ihrer Dissertationsschrift das Wirken von Frauen im frühen deutschen Zeitschriftenwesen analysiert hatte, den Band Kunst von Frauen, in dem sie sich aus kulturhistorischer und sozioökonomischer Perspektive den Ausbildungs- und Ausstellungsmöglichkeiten, der gesellschaftlichen Stellung, den Schaffensbedingungen und Lebensläufen sowie den Themen und Motiven von Künstlerinnen widmet (Krull 1984). Die Untersuchung setzt im 16. Jahrhundert an und endet Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Zulassung von Frauen an Kunsthochschulen und ihrer formalen Gleichberechtigung für die Aufnahme des Künstlerberufs. Aktuelle Tendenzen feministischer Kunst und zeitgenössische Positionen von Künstlerinnen nahm Krull in ihre Betrachtung nicht auf. Ähnlich wie die Analyse von Malerinnen des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts der westdeutschen Kunstwissenschaftlerin Renate Berger (1982) weist ihre Forschung einen historischen Ansatz auf. Damit steht Krull in der Tradition der Künstlerinnenforschung, die, wie im Kapitel zu feministischen Künstlerinnen-Ausstellungen dargelegt, beginnend mit den amerikanischen Wissenschaftlerinnen Linda Nochlin und Ann Sutherland Harris in den 1970er Jahren die Tätigkeit von Künstlerinnen historisch zurückverfolgte. Mit den durch Griselda Pollock und Rozsika Parker Anfang der 1980er Jahre eingeleiteten dekonstruktivistischen Vorstößen begann die Forschung, ‚weiblich‘ zunehmend als soziale Kategorie zu analysieren (Pollock & Parker 1981). Strukturelle Zusammenhänge des Geschlechterverhältnisses als Macht- und Herrschaftskonstellation in der Kunstpraxis und institutionellen Kunst, die Bewertung der Kunstgeschichtsschreibung als ideologische Praxis mit eigenen Normen und Werten wurden daraufhin verstärkt untersucht. Obwohl auch in der deutschsprachigen Kunstgeschichte Westdeutschlands in den 1980er Jahren ein solcher Paradigmenwechsel einsetzte,50 standen sich in der internationalen Forschung das eher sozialgeschichtlich geprägte „Modell eines
50 Die Veränderung in den Fragestellungen lässt sich an der thematischen Setzung der westdeutschen Kunsthistorikerinnen-Tagungen nachvollziehen. Der Band der ersten Tagung in Marburg 1982 widmete sich noch der FrauenKunstGeschichte, bereits die dritte Tagung 1986 in Wien aber analysierte unter dem Titel Frauen Bilder Männer Mythen neben Weiblichkeitsentwürfen auch die Mythenbildung des ‚männlichen‘ Autors (vgl. Bischoff & Dinger 1984; Barta & Breu 1987).
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historisch und gesellschaftlich definierten Künstlerinnensubjekts und das Modell der sozial und ideologisch konstruierten Kategorie Künstlerin“ (Muysers 2006:190) noch lange gegenüber. Letzteres nahm dabei vor allem auf Grundlagen, der Psychoanalyse, politischer und feministischer Theorien Bezug. Insofern ist Krulls Geschichte der Künstlerinnen Ausdruck einer zu der Zeit verbreiteten feministischen Theoriebildung. Die zwischen 1987 und 1994 veröffentlichte, neubearbeitete Auflage des Lexikons der Kunst benennt feministische Fragestellungen als Bestandteil kunstwissenschaftlicher Untersuchungen. Obwohl die sieben Bände Stichworte wie ‚Geschlecht‘, ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘, ‚Voyeurismus‘, ‚Identität‘ und ‚Subjekt‘ nicht im Einzelnen anführen, definiert das Nachschlagewerk die Begriffe ‚Feminismus‘‚ ‚Frau‘, ‚Künstler/in‘, ‚Künstler und Modell‘ und ‚Genie‘. Die dem ‚Feminismus‘ gewidmeten Ausführungen unterstreichen, dass sich sowohl im Zusammenhang mit der Frauenbewegung in den sogenannten „entwickelten kapitalistischen Ländern“ als auch „mit dem realen Emanzipationsprozess im Sozialismus“ grundsätzlich neue Fragestellungen in der Kunstgeschichte ergeben, gleichzeitig hätten Künstlerinnen begonnen, offensiv ihre Ansprüche zu artikulierten (Olbrich & Dolgner 1989:481). Daraus entstünden als Arbeitsfelder eine Sozialgeschichte der Künstlerinnen und eine Diskussion um die umstrittene ‚weibliche‘ Ästhetik. Weiterer Forschungsgegenstand seien die Geschlechterpositionen in der Kunst. Die zentrale Rolle des Künstlers im kunsthistorischen Kanon wird an dieser Stelle nur indirekt erwähnt, findet aber Eingang in die Eintragung ‚Genie‘. Der Artikel über ‚Feminismus‘ erkennt die Einschreibung von Geschlechterkonstruktionen in die Kunst und die Funktion der bildenden Kunst als Bedeutungsproduzent, indem es heißt, dass Bildwerke funktional zu befragen sind, „inwieweit und wie sie soziale Rollen von Frauen befestigen, zuweisen, verändern, kritisieren sollten“ (ebd.). Abschließend reflektiert der Artikel die Notwendigkeit einer interdisziplinären Forschung für die Entwicklung einer feministischen Kunstgeschichte. Im letzten Jahr der DDR erscheint eine Ausgabe des Kunstmagazins Bildende Kunst unter dem Titel „Die Frau in der Kunst“, die Beiträge zur Künstlerinnenforschung vorstellt (VBK 1989a). Die monatlich erscheinende Zeitschrift, die selbst maßgeblich zum Ausschluss von Künstlerinnen aus der Rezeption und Kunstgeschichtsschreibung beigetragen hat, indem sie seit ihrer Gründung 1947 nur wenige Künstlerinnen ausführlich besprach, widmet in dieser Ausgabe historischen wie aktuellen Positionen mehrere Artikel, die von Artemisia Gentileschi und Angelika Kaufmann über Toyen und Hannah Höch bis zu Künstlerinnen der Gegenwart wie Diane Airbus reichen. Auch die ostdeutsche Malerin und Bildhauerin Erika Stürmer-Alex sowie die Fotografin Ute Mahler finden darin ihre längst überfällige Anerkennung. Das Heft dokumentiert zudem ein ausführliches Gespräch von Künstlerinnen
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und Kunstwissenschaftlerinnen aus der DDR und BRD.51 Ausgehend von der Ausstellung und dem Katalog Androgyn – Sehnsucht nach Vollkommenheit im Kunstverein Hannover (1986) verständigten sich die Frauen unter dem Titel „Androgynität – ein Ausweg aus dem Kampf der Geschlechter?“ über Machtstrukturen in der Gesellschaft und Kunst, die fehlende Präsenz von Künstlerinnen in der Öffentlichkeit und in leitenden Positionen, über konkrete Initiativen zur Gleichstellung der Geschlechter wie die Quotenregelungen oder zu Frauenbeauftragen an Westberliner Universitäten. Die Gesprächsteilnehmerinnen diskutierten die Ausgrenzung von Künstlerinnen aus der Kunstgeschichte und Kunstgeschichtsschreibung mit Rekurs auf Renate Bergers sozialgeschichtliche Untersuchungen sowie die aktuelle Ausstellungspraxis in Ostdeutschland, in der sich die Künstlerinnen als unterrepräsentiert wahrnahmen. Der mittlere Teil des Heftes enthält zwei Besprechungen zu den Ergebnissen aktueller kunsthistorischer Frauenforschung. In ihrem zentralen Text analysiert die Kunsthistorikerin Helga Möbius die feministischen Diskurse und Veränderungsprozesse in den westdeutschen Kunstwissenschaften, worauf ich im Anschluss gesondert eingehen werde. Christiane Müller stellt in ihrem Text „Zur sozialen Situation von Künstlerinnen“ (1989b) einen Auszug der Forschungsergebnisse ihrer im Jahr darauf an der Humboldt-Universität zu Berlin eingereichten Dissertation vor und thematisiert darin konkret die geschlechtsspezifischen Einschränkungen der künstlerischen Tätigkeit der Frauen durch Hausarbeit und Familie. Müllers Bildende Künstlerinnen der DDR: Soziales Umfeld und Werke. Versuch einer Situationsanalyse zu Beginn der 80er Jahre – die bis heute einzige wissenschaftlich umfassende Analyse zur sozialen Situation von Künstlerinnen in der DDR – ist eine interdisziplinäre Untersuchung auf den Gebieten der Soziologie, Kulturtheorie, Kunstwissenschaft und Ästhetik und basiert auf dreißig von 1983 bis 1986 geführten Interviews mit Künstlerinnen unterschiedlichen Alters.52 Die Wissenschaftlerin analysiert die sozialen und kulturellen Hintergründe künstlerischen Schaffens, die konkrete Lebens- und Arbeitssituation der Künstlerinnen. Dazu gehören Erhebungen zu Kindern, Familie und Haushalt, zu Partnerschaft, Wohn- und Arbeitsort und zur finanziellen Situation. Des Weiteren beleuchtet Müller die Bedingungen der Berufswahl und Ausbildung, die Verbandsmitgliedschaft und Funktionen im VBK, die Möglichkeit von Auslandsreisen und Ausstellungsbeteiligungen. Der zweite Hauptteil analysiert einzelne Werke und verbindet die geleistete Untersuchung mit der Frage nach 51 Das waren die Leipziger Kunstwissenschaftlerin Ina Gille und die Westberliner Kunsthistorikerin Gabriele Werner, die ostdeutschen Künstlerinnen Angela Hampel, Ulrike Markert, Karla Woisnitza und Doris Ziegler sowie die Malerin Sarah Haffner aus Westberlin. 52 Die Auswahl der Interviews erfolgte auf der Basis von Altersstruktur und Gattungszugehörigkeit in den einzelnen Bezirksverbänden. Experimentelle Formensprache oder die Zugehörigkeit der Künstlerinnen zur ersten bzw. zweiten Öffentlichkeit spielten dabei keine Rolle.
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einer geschlechtsspezifisch ‚weiblichen‘ Wirklichkeitsaneignung. Zum bildkünstlerischen Schaffen der Frauen wertet Müller darüber hinaus Aussagen über weibliche Vorbilder aus, das Verhältnis zu literarischen Figuren und Autorinnen, die Anerkennung der künstlerischen Arbeit in der Öffentlichkeit. Müllers Forschung schließt die Leerstelle von Krulls Publikation, indem sie die spezifische Situation sowie die ästhetischen Wahrnehmungs- und Gestaltungsweisen von Gegenwartskünstlerinnen berücksichtigt. Die Dissertationsschrift ist – zwangsweise – der marxistischen Theorie vom „entwickelten Individuum der kommunistischen Gesellschaft“ (Müller 1990a:11) ebenso verpflichtet wie dem marxschen Arbeitsbegriff und der Idee von bildender Kunst als Wirklichkeitsaneignung. Obwohl die Autorin die Relevanz geschlechtsspezifischer Determinanten für die kulturellen und sozialen Erfahrungen von Künstlerinnen detailliert herausarbeitet, betrachtet sie die Selbstbestimmung von Frauen als Teil des menschlichen Emanzipationsprozesses und ordnet damit die Unterdrückung von Frauen als Nebenwiderspruch ein (ebd.:5). Auch wenn eine Analyse der Geschlechterverhältnisse nicht in der marxistischen Theorie aufgehen kann, so ist es Müllers Verdienst, bestehende Hierarchien der Geschlechter umfassend zu thematisieren. Erklärtes Ziel ihrer Forschung ist es, mit den gewonnenen Erkenntnissen nicht nur eine bessere Einsicht in die Situation von Künstlerinnen zu ermöglichen, sondern gleichermaßen handlungsfördernd zu wirken und zur Diskussion von neuen Gesellschaftsstrategien beizutragen (ebd.:o.S.). Müllers Recherchen sind ein Beispiel akademischer Aktivitäten im Feld feministischer Forschung in der DDR, die nahezu unveröffentlicht blieben. So erschienen drei Interviews mit den Künstlerinnen Doris Ziegler, Annemirl Bauer und Angela Hampel erst 1989 und zwar in der Untergrundliteratur der zweiten Öffentlichkeit (Müller 1989a). Ihre zweibändige Studie konnte jedoch aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht publiziert werden.53
1.3.2 Kunsthistorikerinnen-Tagungen West In ihrem Beitrag zum Heft Die Frau in der Kunst analysiert Helga Möbius die Ergebnisse der Kunsthistorikerinnen-Tagungen von 1982 bis 1986, wobei der Titel ihres Textes „Frauen Kunst Geschichte – Korrektur des herrschenden Blicks“ den des ersten Tagungsbandes von Marburg aufgreift (1989b). Vor einer Auseinandersetzung mit diesem Aufsatz bieten sich an dieser Stelle ein Exkurs über die Beteiligung ostdeutscher Kunstwissenschaftlerinnen an den Tagungen und ein Blick auf die Frauen- und Geschlechterforschung in der BRD an. 53 Christiane Müller (Peters) im Gespräch mit der Autorin, 24.09.2015. Auszüge veröffentlichte Müller neben ihrem Beitrag in der Bildenden Kunst 1989 in zwei weiteren Publikationen (Müller 1990b & Müller 1992).
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Die Veröffentlichungen der seit 1982 stattfindenden Kunsthistorikerinnen-Tagung – der umfassendsten Dokumentation der Entwicklung feministischer Positionen in Kunst- und Kulturwissenschaft im deutschsprachigen Raum Westeuropas (Frübis 2006:256) – enthalten auch Beiträge ostdeutscher Kunsthistorikerinnen (vgl. u.a. Barta u.a. 1987; Lindner u.a. 1989). Unabhängig von ihrer konkreten Themensetzung haben die in regelmäßigen Abständen veranstalteten Tagungen im Wesentlichen zwei Gemeinsamkeiten. Es handelt sich ausschließlich um Frauentagungen, zu denen Männer als Zuhörer, jedoch nicht als Vortragende zugelassen waren. Mit der dritten Kunsthistorikerinnen-Tagung 1986 in Wien haben die Beiträge der Wissenschaftlerinnen zur methodenübergreifenden Prämisse, den Begriff ‚Geschlecht‘ als historisch-soziale Kategorie einzubeziehen und entsprechend zu reflektieren (Barta u.a. 1987:8). Die vierte Tagung 1988 öffnet sich schließlich für Methoden der Diskurstheorie, der Psychoanalyse und dem aus dem Poststrukturalismus entwickelten Verfahren der Dekonstruktion (Lindner u.a. 1989). Zu den eingeladenen ostdeutschen Wissenschaftlerinnen, die in ihrer Funktion als sogenannte ‚Reisekader‘ an den Tagungen teilnehmen dürfen – ein Privileg, das den meisten Wissenschaftler*innen in der DDR verwehrt blieb – gehören die mit internationalem Renommee für Mittelalterforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrende Helga Möbius, Helga Sciurie von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Hannelore Gärtner, die seit 1969 als Professorin für Kunstgeschichte an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald lehrte, sowie Ulrike Krenzlin, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Ästhetik und Kunstwissenschaften an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Ihre Untersuchungen konzentrieren sich auf Analysen von Weiblichkeitsdarstellungen in unterschiedlichen historischen Epochen. Zugleich scheint die Wahl ihres kunsthistorischen Gegenstandes bestimmt von der doktrinären Schwerpunktsetzung einschlägiger Epochen in Forschung und Lehre an den einzelnen Universitäten, eine Spezifik ostdeutscher akademischer Kunstwissenschaften.54 Die Publikationsbeiträge bleiben wie die etlicher westdeutscher Wissenschaftlerinnen bei der Analyse bestimmter Frauen-Motive nah an ihren historischen und zeitgenössischen Sujets. Strukturelle Fragestellungen zu Geschlechterverhältnissen als Herrschaftsverhältnisse werden, wenn überhaupt, nur angedeutet; die Idee, ‚Geschlecht‘ nicht nur als künstlerisches Thema, sondern auch als Analysekategorie zu begreifen, bleibt weitgehend ausgeblendet. Zu erwähnen ist allerdings, dass Möbius als Mittelalterexpertin 1988 ein aktuelles Vortragsthema wählt und die Reproduktion
54 Während am Kunstgeschichtlichen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin zur Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts geforscht wurde, widmete sich der entsprechende Lehrstuhl in Greifswald der Epoche der Romantik, die Universität Leipzig der Renaissance und die in Jena betriebene Forschung dem Mittelalter.
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stereotyper Weiblichkeitsvorstellungen von Aktfiguren im städtischen Raum der DDR darin einer grundlegenden Kritik unterzieht. Möbius stellt sie alternativen Entwürfen der Gegenwartskünstlerinnen Margret Midell, Emerita Pansowová und Sabina Grzimek gegenüber (1989a). Auch Helga Sciurie fordert in „Die Frau in der Kunst der DDR – ein Forschungsgegenstand“ eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Weiblichkeitsentwürfen (1987). In ihrem den Kunsthistorikerinnen-Tagungen gewidmeten Aufsatz in der Bildenden Kunst postuliert Möbius, dass die „Zeit der bilanzierenden Rückblicke auf einen vielschichtig entfalteten feministischen Diskurs gekommen“ sei (Möbius 1989b:52). Der Rekurs der Wissenschaftlerin auf die mannigfaltige feministische Forschung mag angesichts des raren in der DDR veröffentlichten Materials überraschen. Er zeigt aber vor allem die Widersprüche an, vor deren Folie sich die akademische Frauenforschung in der DDR entwickelte. Obwohl einzelne Wissenschaftlerinnen unter Schwierigkeiten versuchten, zu Geschlechterfragen zu forschen, konnten die Ergebnisse in der DDR kaum veröffentlicht und demzufolge kein öffentlicher Diskurs etabliert werden. Die Entwicklung feministischer Theorie in der BRD aber stieß im Rahmen der institutionellen Kunstgeschichte auf gleichermaßen große Widerstände und wurde bis Ende der 1980er Jahre fast ausschließlich außerhalb der Institution oder an ihren Rändern organisiert (Frübis 2006:258). Initiierten Studentinnen der Philipps-Universität Marburg mit der Kunsthistorikerinnen-Tagung 1982 das erste große Forum für Wissenschaftlerinnen, um ihre Situation im männlich dominierten Hochschulbetrieb zu thematisieren und die männlich normierte Wissenschaftlichkeit zu hinterfragen, so ist auch vier Jahre später die Integration feministischer Ansätze in der westdeutschen Kunstgeschichte noch nicht selbstverständlich. Das Vorwort des Bandes zur Wiener Kunsthistorikerinnen-Tagung von 1986 verweist explizit darauf, dass feministische Forschung an Universitäten weder anerkannt, noch tatsächlich vertreten sei (Barta u.a. 1987:7). Sofern feministische Kunstwissenschaftlerinnen bis Ende der 1980er Jahre kaum über feste Stellen in der Forschung und Ausbildung verfügten, waren fehlende feministische Diskurse in westdeutschen Universitäten die unmittelbare Konsequenz. Umso aktiver und wirksamer war jedoch die außerakademische Frauenbewegung der BRD und speziell Westberlins, in deren Netzwerken sich auch Wissenschaftlerinnen organisierten. An den institutionellen Rändern, insbesondere mit Ausstellungen wie Künstlerinnen international 1977 und Das verborgene Museum 1987 in Berlin schufen Wissenschaftlerinnen, Kuratorinnen und Künstlerinnen ihre eigenen Ausstellungs- und Publikationsmöglichkeiten, die sie in den öffentlichen Diskurs einspeisten. Die ostdeutschen Kolleginnen hingegen waren fest im institutionellen Universitätsbetrieb integriert; sie hatten sichere Positionen an Universitäten, wenn auch die wenigsten als
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Professorinnen. Einige von ihnen hatten das schon erwähnte Privileg, als ‚Reisekader‘ in direkten Austausch mit westdeutschen Wissenschaftler*innen zu treten. Strukturelle Kritik an herrschenden Geschlechterverhältnissen wurde indes von staatlicher Seite unterbunden. Die Verknüpfung von marxistischer Theorie und Kunstwissenschaft war zudem so stark, dass Wissenschaftler*innen in ihren Texten nicht offen auf Erklärungsmuster feministischer Theoriebildung zurückgriffen beziehungsweise zurückgreifen konnten. Andererseits unterlagen zahlreiche Akademiker*innen, die sich von der ideologischen Doktrin und von methodischen Verkrustungen abgrenzen wollten, auch einem (verinnerlichten) Rechtfertigungs- und Legitimationszwang. Nicht zuletzt waren sie vom Staat als Geldgeber für ihre Forschung und Karriere abhängig.55 Öffentliche Diskurs- und Publikationsmöglichkeiten zu Geschlechterfragen erstritten sich aus diesen Gründen nur einzelne Wissenschaftlerinnen, die damit versuchten, entgegen bestehender Restriktionen erweiterte Handlungsfelder zu eröffnen und für sich zu nutzen, wie anhand Irene Döllings kulturtheoretischen Analyse von Geschlechterbeziehungen in der DDR deutlich gemacht werden konnte. In ihrer dichten, verschiedene feministische Ansätze vorstellenden Analyse in der Bildenden Kunst bemüht sich auch Möbius, ein geschlechtstheoretisches Wissen zu vermitteln, über das damals die wenigsten ostdeutschen Rezipient*innen verfügten. Nachdem die Autorin auf die Diskussion feministischer Grundannahmen eingegangen ist, kommt sie im Einzelnen auf die thematischen Schwerpunkte, auf die Entwicklungstendenzen und Unterschiede der Kunsthistorikerinnen-Tagungen von 1982 bis 1988 zu sprechen und hebt individuelle Beiträge und Kontroversen hervor, woran erneut deutlich wird, dass es eine einheitliche feministische Theoriebildung auch im Westen Deutschland nie gegeben hat. Auffallend ist dennoch, dass sich Möbius ausschließlich auf westdeutsche Wissenschaftlerinnen, auf im westdeutschen Wissenschaftsbetrieb geführte Debatten und dort erschienene Publikationen fokussiert. Die ostdeutsche feministische Forschung, auch ihre eigenen Texte, finden indes keine Erwähnung. In ihrer Analyse der auf den Kunsthistorikerinnen-Tagungen vertretenen Theorien entwickelt Möbius auch keinen erkennbaren eigenen theoretischen Ansatz. Dass die Kunsthistorikerin ihren Text mit der Einschränkung einführt, sie möchte nicht über „Feminismus“ oder die „Frauenbewegung“ berichten, sondern sich auf das beschränken, was sie einigermaßen übersieht, also auf „Frauenkunstgeschichte“ (1989b:52), zeigt, wie problematisch der Begriff des ‚Feminismus‘ besetzt und wie wenig ein Bekenntnis zu feministischen Perspektiven öffentlich möglich beziehungsweise gewollt war. Möbius’ Text kommt somit vorrangig eine Übersetzungsfunktion
55 Hildtrud Ebert im Gespräch mit der Autorin, 23.10.2014.
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zu, indem die Wissenschaftlerin die verschiedenen Positionen eines westlich geprägten Feminismus erklärt und sie für ein ostdeutsches Publikum rezipierbar macht. Obgleich Möbius in ihrem Artikel in der Bildenden Kunst von der Formulierung einer eigenen geschlechterkritischen Programmatik absieht, darf ihre Bedeutung für feministische Denkansätze im Wissenschaftsbetrieb der DDR nicht unterschätzt werden. Sie und der Kunstwissenschaftler Harald Olbrich, beide Lehrende an der Humboldt-Universität zu Berlin, pflegten nicht nur interdisziplinäre Debatten und den Austausch zwischen den Sektionen, etwa mit der am Institut für Ästhetik und Kulturtheorie/Kulturwissenschaft lehrenden Irene Dölling.56 Sie knüpften auch zahlreiche Kontakte zu westdeutschen Linksintellektuellen aus dem Umkreis des Ulmer Vereins – Verband für Kunst- und Kulturwissenschaft, der als Abspaltung des konservativen Vereins deutscher Kunsthistoriker (VDK) mit einem kritischen, sozialgeschichtlichen Anspruch arbeitete und in dessen Rahmen 1982 die erste Kunsthistorikerinnen-Tagung in Marburg stattfand. Für einen weitreichenden Wissenstransfer luden sie Gäste zu Vorlesungen ein, darunter die feministischen Kunstwissenschaftlerinnen Daniela Hammer-Tugendhat, Kathrin Hoffmann-Curtius und Gabriele Werner.57 Wenngleich der Zugang zu feministischer und geschlechterkritischer Forschung in westeuropäischer Fachliteratur erschwert war, war er durch private Kanäle, aber auch innerhalb universitärer Strukturen doch nicht unmöglich. So konnten in Westdeutschland verlegte Fachpublikationen als Rezensionsexemplare über die Universität bestellt werden.58 Im Literaturverzeichnis ihrer Dissertation listet Christiane Müller zahlreiche relevante Namen westeuropäischer Feminist*innen auf, darunter Sigrid Weigel, Gislind Nabakowski, Helke Sander, Peter Gorsen, Alice Schwarzer, Silvia Bovenschen, Renate Berger, aber auch Simone de Beauvoir, Roland Barthes, Rudolf Arnheim, Erwin Panofsky, Ernst Bloch, Norbert Elias und Ernst H. Gombrich. Auch die bibliografische Angabe zum Feminismus-Eintrag im Lexikon der Kunst nennt eine Bandbreite aktueller Publikationen westdeutscher und amerikanischer Feministinnen von Linda Nochlin über Rozsika Parker und Griselda Pollock bis zu Ellen Spickernagel und führt darüber hinaus die Publikationen der Kunsthistorikerinnen-Tagungen und Kataloge feministischer Ausstellungen an. Durch informellen Austausch und Informationen über das westdeutsche Fernsehen verfügten auch die Wissenschaftlerinnen, die nicht nach Westeuropa reisen durften, über Kenntnisse westlich geprägter feministi-
56 Irene Dölling im Gespräch mit der Autorin, 10.09.2015. 57 Die Informationen stammen aus unterschiedlichen Interviews mit Kunstwissenschaftlerinnen. Hildtrud Ebert im Gespräch mit der Autorin, 23.10.2014 & Irmtraud Thierse im Gespräch mit der Autorin, 20.11.2014. 58 Irene Dölling im Gespräch mit der Autorin, 10.09.2015.
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scher Theoriebildung. Das bestätigt in einem Interview die Kunsthistorikerin Hildtrud Ebert, die von 1976 bis 1990 am Kunstgeschichtlichen Institut der Humboldt-Universität lehrte. Aber auch in diesem Fall spielen das persönliche Interesse einer individuellen Wissenschaftlerin und ihr Bedürfnis, „mit dieser ganzen methodischen Erstarrung“ zu brechen und sich darüber neue Denkund Handlungsräume zu erarbeiten, eine zentrale Rolle.59 Ihre offizielle Vernetzung mit westdeutschen Kunstwissenschaftlerinnen nutzte Möbius nicht nur als ‚Übersetzerin‘ feministischer Diskurse, sondern auch als aktive Vermittlerin. In den 1980er Jahren initiierte sie informelle Treffen von Kunsthistorikerinnen aus Ost- und Westberlin, die in ihrer Wohnung, der von Ada Raev, wissenschaftliche Assistentin am Kunstgeschichtlichen Institut der Humboldt-Universität, und der von Hildtrud Ebert stattfanden. Für ostdeutsche, zumeist jüngere Kolleginnen, die nicht zum auserwählten Kreis der ‚Reisekader‘ gehörten, bot sich so die Möglichkeit, Fragestellungen und methodische Ansätze in direkter Begegnung mit Westberliner Wissenschaftlerinnen zu diskutieren.60 Die Gespräche waren motiviert durch gegenseitige Neugier und geprägt von lebhaften Diskussionen, in denen sich die Unterschiede der jeweils anderen theoretischen Zusammenhänge und Arbeitsbedingungen herauskristallisierten, gleichwohl die gegenseitige Anerkennung der gegensätzlichen Erfahrungen die Basis der Treffen bildete (Schade 1993:124).61
1.3.3 Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung Ost Entlang dem fachlichen Austausch der Kunsthistorikerinnen-Tagungen in Marburg, Zürich, Wien und Westberlin bereiteten die informellen Treffen wie auch die Initiative ostdeutscher Wissenschaftlerinnen innerhalb einer Vorbereitungsgruppe die Grundlage für die 1989 vom VBK organisierte Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung in der DDR.62 Die erste und zugleich letzte ostdeutsche Ausgabe, die in Lehnin unweit von Berlin stattfand, ermöglichte
59 Hildtrud Ebert im Gespräch mit der Autorin, 23.10.2014. 60 Von diesen Treffen existieren bedauerlicherweise keine Aufzeichnungen. Auch die Angaben zu den teilnehmenden Wissenschaftlerinnen variieren. Zu den von der Humboldt-Universität kommenden Wissenschaftlerinnen gehörten Helga Möbius, Hildtrud Ebert, Irmtraud Thierse, Ada Raev und Angela Lammert, die von 1982 bis 1988 Studierende der Humboldt-Universität war. Aus Westberlin kamen u.a. Sigrid Schade, Silke Wenk und Gabriele Werner. 61 Auch in Leipzig finden seit dem Jahr 1987 im monatlichen Turnus informelle Treffen von Kunstwissenschaftlerinnen in den Räumen des Künstlerverbandes statt, in denen „über Probleme referiert wurde, die sich durch einschlägige westliche Literatur ergaben“ (Jorek 1997:64). Im Unterschied zu den von Möbius initiierten Berliner Treffen blieben hier jedoch die ostdeutschen Wissenschaftlerinnen unter sich. 62 Zur Gruppe gehörten unter anderem Cornelia Briel, Hildtrud Ebert, Annette Dorgerloh, Hannelore Gärtner, Ina Gille, Angela Lammert, Helga Möbius, Ada Raev, Helga Sciurie, Irmtraud Thierse und Gudrun Urbiak.
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eine Bestandsaufnahme vorhandener und durch die Tagung angeregter feministischer Forschung aus der DDR sowie die Beteiligung von Kolleginnen aus dem deutschsprachigen Ausland, während Teilnehmerinnen aus der Sowjetunion und Tschechoslowakei aus nicht benannten Gründen nicht anreisen konnten. Zum ersten Mal in der akademischen Kunstgeschichte der DDR konnte ein größerer Kreis von Wissenschaftlerinnen unter dem Titel Geschichte – Geschlecht – Wirklichkeit ein öffentliches Forum zur Thematisierung geschlechtsspezifischer Fragestellungen nutzen. Die im Vorwort des Tagungsbandes erfolgte Wertung der Konferenz als ein Schritt, „feministische Ansätze in der kunstgeschichtlichen Forschung der DDR in den europäischen Kontext zu integrieren“ (Raev 1990:9), erweist sich durch die ausbleibende Verbreitung der Publikation durch einen Verlag und das Fernbleiben eingeladener Wissenschaftlerinnen aus osteuropäischen Staaten jedoch als zu hoch angesetzt. Dennoch eröffnete die Tagung vor allem den Kunsthistorikerinnen, die bis zu diesem Zeitpunkt von internationalen Konferenzen ausgeschlossen waren und zu feministischen Fragestellungen nicht publizieren konnten, die Gelegenheit des öffentlichen Auftritts. Damit konnte das bisher durch die ‚Reisekader‘ in westdeutschen Publikationen nur einseitig vermittelte Bild feministischer Ansätze in der DDR um zusätzliche Positionen erweitert werden. Insofern knüpfen die Vorträge der Kunstwissenschaftlerinnen nicht nur „an die westlichen theoretischen Auseinandersetzungen zum Thema Geschlechterfragen in der bildenden Kunst an“ (Müller 1992:212), wie Christiane Müller für Wissenschaftlerinnen aus der DDR generell vermutet, sondern stellen auch einen eigenen Beitrag zu feministischen Untersuchungsmethoden dar, der aus ihrer mehrere Jahre andauernden Beschäftigung resultierte.63 Der Tagungsband enthält zudem die Protokolle der sich an die jeweiligen Vorträge anschließenden Diskussionen (VBK 1990). Sie geben nicht nur die Beiträge der Referentinnen, sondern auch ausgewählte Wortmeldungen der etwas sechzig Teilnehmer*innen wieder, zu denen Künstlerinnen, Journalistinnen und Studierende gehörten; dank dieser Entscheidung vermittelt der Band einen Eindruck der Pluralität und Diversität damaliger geschlechterkritischer Standpunkte. Wie bereits auf der ein Jahr zuvor veranstalteten Kunsthistorikerinnen-Tagung in Westberlin zeigt sich in den Vorträgen und Debatten eine Ausdifferenzierung feministischer und geschlechterkritischer Positionen von dekonstruktivistischen Ansätzen bis zu gesellschaftshistorischen Schwerpunktsetzungen. Zugleich stellen die Aufzeichnungen wertvolle zeitgeschichtliche Dokumente dar, bilden sie doch die Brisanz und Zäsur der parallel zur Veranstaltung vom 29. November bis 1. Dezember 1989 stattfindenden, sich förmlich überschlagenden politischen Ereignisse ab. Themen 63 Von insgesamt 18 veröffentlichten Vorträgen wurden 13 von Wissenschaftlerinnen aus der DDR gehalten (vgl. auch Lammert & Dorgerloh 1990).
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der Diskussion um die politische Situation und konkrete Maßnahmen waren die Gründung des Zentrums Interdisziplinäre Frauenforschung (ZiF) an der Humboldt-Universität, die Zielsetzungen des zwei Tage nach der Konferenz, am 3. Dezember 1989 in Ostberlin gegründeten Unabhängigen Frauenverbandes, die Notwendigkeit eines Ministeriums für Frauenpolitik, die Bedeutung von Basisprozessen wie die Arbeit von Künstlerinnengruppen oder die Neubewertung und bessere Bezahlung der Arbeit von Frauen. Auch den von prominenten Kulturschaffenden der DDR initiierten Aufruf „Für unser Land“, der am ersten Tag des Treffens in der Zeitung Neues Deutschland, dem Zentralorgan der SED, erschien und für das Fortbestehen und die Eigenständigkeit der DDR als Staat plädierte, unterzeichneten zahlreiche Teilnehmerinnen der Tagung, darunter auch die Westberliner Kolleginnen. Darüber hinaus lassen sich anhand des Tagungsbandes zwei maßgebliche inhaltliche Kontroversen und gegensätzliche Interessenlagen ablesen. So wurde eine Auseinandersetzung um die programmatische Ausrichtung der Konferenz geführt. Dabei sprachen sich insbesondere die jüngeren Teilnehmerinnen aus der DDR für den Austausch zu methodisch-fachlichen Fragestellungen auf der Basis konkreter Forschungsergebnisse aus, die anderen befürworteten eine politische Grundsatzdiskussion als unvermeidbare Reaktion auf den Mauerfall, insbesondere in Hinblick auf die Chancen und Notwendigkeiten für Frauen, die sich gerade aus dem Machtvakuum einer gesellschaftlichen Umbruchsituation ergeben würden. Während das Vorwort die heterogene Zusammensetzung, also die Konstellation von Wissenschaftlerinnen aus Ost und West in beiden ‚Lagern‘, noch in einem affirmativen Gestus hervorhob (Raev 1990a:9), wird die Kontroverse spätestens im Rückblick als eine Spaltung zwischen den Kunstwissenschaftlerinnen aus Ost und West und als politisierender Übergriff westdeutscher Frauen interpretiert.64 Diskrepanzen zwischen den Wissenschaftlerinnen spitzten sich bei der Diskussion um Methodenfragen in der Frauenforschung zu, ausgelöst durch den von Helga Möbius verwendeten Begriff der ‚Parteilichkeit‘.65 Geprägt durch die Erfahrungen mit der Doktrin marxistischer Geschichtstheorie, die eine sogenannte fortschrittliche „Hauptlinien-Kunstgeschichte“ und damit einhergehend die Ausgrenzung bestimmter sogenannter „konservativer Kunstphänomene“ einforderte, wollte sich Möbius einer „interessengesteuerten und selektiven Kunstgeschichte [...] unter anderen Vorzeichen, nämlich feministischen“ nicht erneut ausliefern (1990a:255). Sie schränkt ein, dass ein selektives Vorgehen
64 Hildtrud Ebert im Gespräch mit der Autorin, 23.10.2014. Vgl. auch Ada Raevs Rückblick auf die Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung, in dem sie von Zuspitzung der Situation, Eklat und Konflikt spricht (Raev 1990b). 65 Vgl. auch meine Anmerkung zur ‚Parteilichkeit‘ als unumstößliche und zugleich immer wieder beliebig ausgelegte Forderung an die bildende Kunst in Kap. 1.2.3 Präsenz im westlichen Ausland.
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für den feministischen Blick selbstredend notwendig sei, um Defizite abzubauen. Allerdings sehe sie die Gefahr, „selektive und parteiliche Verfahren in einem sexistischen Grundlagendiskurs festzuschreiben“ (ebd.). Dabei unterstellt die Historikerin feministischen Theorien nicht pauschal ‚Parteilichkeit‘, sondern wendet sich in ihrer Argumentation gegen eine postulierte Form gemeinsamer ‚Betroffenheit‘ als Kategorie. Möbius spricht sich somit gegen eine einseitige ‚Frauenkunstwissenschaft‘ und umso mehr für eine auf sozialgeschichtlichen und interdisziplinären Ansätzen basierende Geschlechterforschung aus, die den „Blickwechsel zwischen den Geschlechtern produktiv und perspektivisch“ ermögliche (ebd.:260). Ihre Prämisse für die Weiterentwicklung historiografischer Theorien der Frauenforschung und den seriösen Einsatz der historischen Kategorie ‚Geschlecht‘ besteht darin, sie als relational zu begreifen: Die Definition von ‚Weiblichkeit‘ erfordere immer das Mitdenken das ‚männlichen‘ Geschlechts und umgekehrt. Möbius’ Argumentation gegen die vermeintliche ‚Gemeinsamkeit‘ und ‚universelle Solidarität‘ von Frauen erscheint als Vorgriff auf die Differenzdebatten in den 1990er Jahren, die mit der Ablehnung einer vor allem in den 1970er Jahren behaupteten ‚universellen Schwesterlichkeit‘ verbunden waren und im Gegensatz dazu die Unterschiede von Frauen durch andere soziale Kategorien wie ihre Klasse, Ethnie oder sexuelle Orientierung unterstrichen.66 Mag Möbius auch der Doktrin von der Hierarchie des Haupt- und Nebenwiderspruchs verpflichtet bleiben, so unterscheidet sich ihr Anliegen doch nicht wesentlich von der Geschlechterforschung westlicher Provenienz, deren Diskurs vom Blick auf das relationale Verhältnis der Geschlechter bestimmt ist. Sie folgt dabei auch nicht dem Anspruch einer marxistischen Ethik, welche die Objektivität der Wissenschaft voraussetzt, gegen die sich die feministische Theorie mit der Betonung eines subjektiven Forschungsinteresses wendet. Für die Wissenschaftlerin ist das Problem der grundsätzlichen Subjektivität von Geschichtsschreibung ein selbstverständlicher Fakt (1990:255). Der durch Sigrid Schade gegen Möbius erhobene Vorwurf einer „verfrühten Harmonisierung“ (1990:275) trifft insofern nicht zu. Selbst wenn die Diskussion um die männliche Prägung und ‚Parteilichkeit‘ einer angeblich objektiven und geschlechtsneutralen Forschung und um die Ausschlussmechanismen der patriarchalen Kunstgeschichte, die auf dem Schöpfer- und Künstlermythos basieren, im Kontext feministischer Kunstgeschichtsforschung zu diesem Zeitpunkt in der DDR gerade erst aufgegriffen wurde, so fordert Möbius doch – auch ganz im Sinne westlich geprägter Forschung – eine Konzentration auf das Verhältnis der Geschlechter.
66 Mit der durch Judith Butlers Forschung eingeleiteten ‚Verflüssigung‘ des Geschlechts durch die Bezugnahme auf andere soziale Kategorien wurde schließlich auch das System der Heteronormativität radikal in Frage stellt (Butler 1991).
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Möbius’ kritischer und polarisierender Vorstoß ist für die ostdeutsche feministische Programmatik insofern bedeutsam, als dass die Wissenschaftlerin unter Berücksichtigung der marxistischen Theoriebildung und ihrer spezifisch ostdeutschen Erfahrung und Forschung eine geschlechterkritische Zielsetzung entwickelt. Auch wenn sich ihre Begriffe und Methoden unterscheiden, so erscheint ihr Anliegen letztlich deckungsgleich mit dem der anwesenden westdeutschen Wissenschaftlerinnen. Umso überraschender wirkt ihr Resümee in der abschließenden Diskussion am letzten Konferenztag, in der sie die Differenzen in den Ausgangspunkten, Verfahrensweisen und Interessen zwischen den ost- und westdeutschen Frauen unterstreicht (Möbius 1990b:342).67 In der damaligen politischen Situation, in der die Auflösung der DDR durch den Ruf nach der Wiedervereinigung Deutschlands bereits antizipiert wurde, ist es nachvollziehbar, dass Wissenschaftlerinnen der DDR versuchten, ihr Selbstverständnis, ihre Identität sowie ihre eigenen Forschungsschwerpunkte zu behaupten. Verkannt wurde dabei, dass gerade die westdeutschen Tagungsteilnehmerinnen aus politischer Überzeugung sowohl für die Aufrechterhaltung der Zweistaatlichkeit waren und somit nicht die westdeutsche Vereinigungspolitik repräsentierten, als auch von ihrer methodischen Position und ihren Argumentationsfiguren her mit dem marxistischen Theoriespektrum vertraut waren, gab es doch ähnliche Diskussionen in der westdeutschen Frauenbewegung. Silke Wenk, Sigrid Schade und Gabriele Werner machten in ihren sich anschließenden Redebeiträgen deutlich, dass mit einer pauschalen Differenzierung zwischen Frauen aus der DDR und der BRD die Differenzen quer durch die feministische Forschung nivelliert würden. Obwohl sich die Frauen aus der BRD und speziell Westberlin als Kritikerinnen politisch und wissenschaftlich hegemonialer Diskurse des Westens verstanden, konnten sie von ihren Kolleginnen aus der DDR trotz des in den Vorjahren etablierten professionellen und persönlichen Austausches zu diesem Zeitpunkt nur als ‚Mit-Gewinnerinnen‘ der Geschichte gesehen werden. Paradoxerweise waren die westdeutschen Wissenschaftlerinnen von einer Solidarisierung der ostdeutschen Kolleginnen mit ihnen auf der Tagung ausgegangen, hatten sie doch mit ungleich härteren Bedingungen im bundesdeutschen Wissenschaftsbetrieb zu kämpfen. Durch Marginalisierung, Anfeindung und Diffamierungen sowie durch befristete Stellen war ihre Situation im Vergleich zu der ihrer ostdeutschen Kolleginnen bis dahin prekär.68
67 In einem rückblickenden Gespräch zwischen Kathrin Hoffmann-Curtius, Sigrid Schade, Silke Wenk und Gabriele Werner und der Autorin am 07.11.2015, in dem die Diskussionen der Lehniner Tagung erinnert und beleuchtet wurde, betonten die damals beteiligten Wissenschaftlerinnen ausdrücklich, wie sehr die Behauptung der Differenzen für Irritation unter ihnen gesorgt hätte. 68 Ebd.
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Den Transfer, klar herauszukristallisieren, dass weder östlich noch westlich geprägte Feminismen als Norm zu betrachten, noch mit dem Modell der Dichotomie zwischen Ost und West zu arbeiten ist und dass die gesellschaftliche Umbruchphase trotz eines fehlenden Konsenses den Zusammenhalt und keine Abgrenzung erforderlich machte, leistete die mitunter emotional verlaufende Diskussion der Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung nicht. Stattdessen überlagerten sich hier aktuelle politische Debatten und methodische Kontroversen.
1.3.4 Akademischer Feminismus nach 1989 Die Auflösung der außeruniversitären Institute der Akademie der Wissenschaften und die strukturelle Anpassung ostdeutscher an westdeutsche Universitäten führten zu starken inhaltlichen Neuausrichtungen und personellen Umstrukturierungen, die als Teil des massiven Elitentransfers von West nach Ost auch die Kunst- und Kulturwissenschaftlichen Institute und die dort arbeitenden Lehrkräfte unmittelbar betrafen. Dass es bereits seit Anfang der 1980er Jahre durch das unerschrockene Engagement einzelner Wissenschaftlerinnen feministische und Geschlechterforschung am Institut für Kulturtheorie der Humboldt-Universität gegeben hat, wurde bei der Umstrukturierung des Instituts, das ursprünglich abgewickelt werden sollte, mit der Einrichtung der Professur für Kulturtheorie mit Schwerpunkt Geschlecht anerkannt. Besetzt wurde diese Professur jedoch nicht mit der Pionierin kulturtheoretischer Geschlechterforschung in der DDR, Irene Dölling, sondern mit der aus Westdeutschland kommenden Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun. An der Humboldt-Universität zu Berlin wurden partiell extern besetzte Struktur- und Berufungskommissionen mit einer Stimmmehrheit westdeutscher Expert*innen eingesetzt, die Forschungs- und Lehrinhalte evaluierten und neu definierten. Das gesamte Personal wurde einer persönlichen und fachlichen Überprüfung unterzogen. Diese strukturellen Aspekte wie auch finanzielle Restriktionen hatten einen gravierenden Personalabbau und Neubesetzungen zur Folge.69 Der Verlust von festen Arbeitsplätzen im Mittelbau, der vor allem Frauen betraf, fand jedoch eine Entsprechung in der Chancenlosigkeit der Bewerbungen von Frauen aus Westdeutschland auf neu ausgeschriebene Stellen im Osten Deutschlands (Schade 1993:124). Die jeweiligen Existenznöte und der politische Druck der „Zwangsvereinigung“ (ebd.) haben den Austausch von Wissenschaftlerinnen zwischen Ost und West nicht nur erschwert, sondern gaben ihm auch eine neue Wendung, obwohl nun ein ungehinderter Austausch möglich war. In ihrem 1993 verfassten Aufsatz zu den Problemen und Chancen ostdeutscher Frauenforschung 69 Vgl. https://www.hu-berlin.de/de/ueberblick/geschichte/abriss/hubdt_html#neubeginn [letzter Zugriff: 08.09.2015].
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im vereinten Deutschland unterstreicht Irene Dölling weniger die Gemeinsamkeiten als die gravierenden Unterschiede im Auftreten und in der Reaktion aufeinander: Nach einer kurzen Phase euphorischer Schwesterlichkeit traten schon bald Differenzen und massive Kommunikationsstörungen auf. Seit geraumer Zeit ist das Verhältnis zwischen den Ost- und Westschwestern durch Abgrenzung, Sprachlosigkeit und wechselseitige Vorurteile gekennzeichnet. [...] Ost-Feministinnen empfinden nicht selten ihre westlichen Schwestern als überheblich, besserwisserisch, nicht unähnlich dem „Kolonialherrengebaren“, das das allgemeine Verhalten der „Wessis“ gegenüber den „Ossis“ kennzeichnet. Sie klagen über den Verlust ihrer Identität, über die Ent- und Abwertung ihrer Erfahrungen, aus denen sich ihr feministisches beziehungsweise emanzipatorisches Konzept speist, und reagieren darauf nicht selten mit einer Verklärung der realsozialistischen Frauenemanzipation in der untergegangenen DDR. (Dölling 1993b:404) Auch wenn im vereinigten Deutschland diese Erfahrungen besonders deutlich zutage traten, handelt es sich um kein spezifisch ostdeutsche Wahrnehmung, zu ‚Anderen‘ gemacht zu werden. Die ungarische Kunsttheoretikerin Edit András fasst für Frauen aus ganz Osteuropa zusammen: The advice that easterners had better take a few crash courses in current feminism and „catch up“ to be potential partners in conversation once again ignored the differences in context. Eastern Europe was gradually slipping into the category of the „Other“ and the familiar machinery began its work: authoritarian patronising combined with stereotyping as a substitute for getting to know the other. (András 1999:8) Dölling aber sah in der Erfahrung der Abwertung und Ausgrenzung, was sie im deutsch-deutschen Verhältnis als „doppelte Kränkung“ (1993b:405) betrachte, gleichzeitig die Möglichkeit der Genese eines neuen Selbstverständnisses. Dieses sollte auf einer fundierten Analyse und einer begrifflich-theoretischen Verarbeitung der Geschichte der realsozialistischen DDR sowie der ostdeutschen Frauenbewegung und Frauenforschung beruhen, die sowohl aus einer Kritik an der Gesellschaft entstanden als auch durch diese geprägt waren. So ist der Stellenwert, den lebenslange und qualifizierte Berufsarbeit von Frauen, die angestrebte Vereinbarkeit von Mutterschaft und Berufsarbeit, die staatlich subventionierte und garantierte Versorgung mit Kinderbetreuungen in den Programmen und Konzepten der Frauenforschung einnehmen, ein Ausdruck davon (ebd.). Gemeinsam mit weiteren ostdeutschen Akademikerinnen, darunter Hildegard Maria Nickel, gründete Dölling das Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung an der Humboldt-Universität, das durch das
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Engagement einzelner Wissenschaftlerinnen und durch die bereits länger betriebene Frauenforschung an der Universität konzeptuell vorbereitet wurde. Das bereits im Frühjahr 1989 an der Universität beantragte ZiF hatte die Etablierung der Frauen- und Geschlechterforschung sowie den Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen zum Ziel. 2003 sollte daraus das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien hervorgehen. Das ZiF veranstaltete Anfang der 1990er Jahre zwei OSTFEM-Tagungen, um einen eigenen Artikulationsraum für ostdeutsche Wissenschaftlerinnen zu etablieren. Jedoch, urteilt Dölling rückblickend, sei die Bereitschaft der Frauen gering gewesen, sich in ein kritisches Verhältnis zur sozialistischen Gesellschaft sowie zu den inneren Widersprüchen der Geschlechterverhältnisse in der DDR und ihrer politischen Vereinnahmung zu setzen.70 Erschwerend kam hinzu, dass viele Frauen in dieser Zeit ihre Arbeit verloren und sich mit den Dimensionen des sozialen Abstiegs konfrontiert sahen. Somit verfügten sie über geringe Kapazitäten, sich mit der eigenen Vergangenheit und neuesten Wissenschaftskonzeptionen auseinanderzusetzen. Die Formulierung eines neuen Selbstverständnisses ostdeutscher Wissenschaftlerinnen gelang, laut Dölling, nicht; die ostdeutsche Frauenforschung endete, aus ihrer Sicht, Mitte der 1990er Jahre.71 Mitgedacht werden muss in dem Zusammenhang auch die Generationendifferenz, die zwar für eine Ausdifferenzierung der Theoriebildung in den 1990er Jahren, aber im selben Maß auch für Konflikte sorgte. Eine neue Generation von Wissenschaftlerinnen, die mit der Frauenforschung ‚aufgewachsen‘ war, sah ‚weibliche‘ Identität nicht als gesetzt, sondern artikulierte für Erkenntnismöglichkeiten aus einer anderen Perspektive die Differenzen zwischen Frauen, egal ob aus Ost oder West. Eine weitere Schwierigkeit, auf die feministische Wissenschaftlerinnen sowohl aus der DDR als auch der BRD stießen, betraf die institutionellen Widerstände gegen feministische Theoriebildung. Nachdem die Kunsthistorikerinnen-Tagungen in den 1980er Jahren keine Unterstützung etablierter Institutionen erfahren hatten, änderte sich auch im vereinten Deutschland wenig daran (Frübis 2006). Anfang der 1990er Jahre wurden zwar zwei Professuren für Frauen- und Geschlechterforschung beziehungsweise Kunst- und Kulturwissenschaftliche Gender Studies eingerichtet.72 Dass diese jedoch
70 Irene Dölling im Gespräch mit der Autorin, 10.09.2015. 71 Ebd. Döllings Statement einschränkend, muss in diesem Zusammenhang die Tagung und Publikation von Ulrike Diedrich und Heidi Stecker erwähnt werden, die sich der Identitätsfindung und Frauenforschung sieben Jahre nach den politischen Umbrüchen widmete (vgl. Diedrich & Stecker 1997). 72 Viktoria Schmidt-Linsenhoff übernahm 1992 bis zu ihrer Emeritierung 2008 eine Professur für Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Frauenforschung an der Universität Trier, Silke Wenk hatte die Professur zu Kunstwissenschaftlichen Gender Studies von 1993 bis 2016 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg inne.
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nicht an Zentren des Wissenschaftsbetriebs – beispielsweise an einer der Berliner Universitäten – gegründet wurden, sondern in der Region, spricht für die Marginalisierung der Geschlechterproblematik durch die institutionelle Kunstgeschichte. Dafür widmete sich die Kunstkritik wie sie in den Kritischen Berichten oder in den Texten zur Kunst betrieben wurde, der kunsthistorischen Geschlechterforschung und dem Thema der Geschlechterdifferenz. Ein feministisches Programm verfolgte auch die Halbjahreszeitschrift Frauen Kunst Wissenschaft (später FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur). Fast ausschließlich Frauen trieben diese wissenschaftlichen Auseinandersetzungen voran. Feministische Theorie in der Kunstgeschichte blieb oftmals auf einen ‚der Frau‘ gewidmeten Ansatz und auf die Funktion der Ergänzung im kunstwissenschaftlichen Methodenspektrum reduziert; die Verantwortung feministischen Denkens und der Geschlechterforschung wurden tendenziell dem Fach der Gender Studies übereignet (Frübis 2006:266). Anfang der 1990er Jahre gab es noch zahlreiche Initiativen, die Kontakte zwischen Ost und West auszubauen und gemeinsam zu kooperieren. Der Lehniner Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung folgte ein Arbeitstreffen feministischer Kunstwissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Lehrender und Studierender aus West- und Ostberlin, das im Februar 1990 an der Hochschule der Künste stattfand. Die vierzig Teilnehmerinnen diskutierten mögliche Kooperationen und die Ausbaufähigkeit bereits bestehender Strukturen in Westberlin als Basis für einen weiteren Austausch. Neben der politisch-strategischen Planung kam es auch zu thematischen Debatten (vgl. Lindner 1990). Ferner bot die bis 2001 aufrechterhaltene Tradition der Kunsthistorikerinnen-Tagung, mit der versucht wurde – wie in keiner anderen Disziplin – andere Strukturen zu schaffen, Möglichkeiten der gegenseitigen Begegnung. Ostdeutsche Wissenschaftlerinnen waren in den 1990er Jahren jedoch kaum mehr vertreten. Als weiteres Beispiel für die gegenseitigen Verständigungsbemühungen sei das Heft 15 der Zeitschrift Frauen Kunst Wissenschaft erwähnt, das 1993 unter dem Titel „DDR-BRD“ Beiträge von Kunsthistorikerinnen aus Ost und West zusammenführte und Statements zum gegenseitigen Verhältnis ermöglichte. Besonders hervorzuheben ist Sigrid Schades Beitrag zum „west-östlichen Identifizierungswahn“, in der sie die Folgen der asymmetrischen „Zwangsvereinigung“ beider deutscher Staaten auf den wissenschaftlichen Kontakt feministischer Kolleginnen aus Ost und West analysiert (1993:123). Ihr Artikel endet mit dem Plädoyer, die Polarisierung fiktiver Projektionen von ‚wir‘ und ‚ihr‘ zugunsten eines produktiven Austauschs zu beenden, wobei die Differenzen der Lebens- und Arbeitsbedingungen und feministischer Theoriebildung unbedingt zur Sprache kommen müssten (ebd.:126). Insgesamt ist festzuhalten, dass es feministische Interventionen in den Kunstwissenschaften der ersten Öffentlichkeit der DDR gab. Dabei wurde die
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Entwicklung feministischer Forschung im Land selbst durch institutionelle Grenzen stark behindert. Nach 1989 konnte sich die feministische Forschung als ostdeutsche Frauenforschung nicht gegen westlich geprägte Formen des Feminismus durchsetzen, unter anderem bedingt durch die strukturellen Umbesetzungen an den Universitäten. Da Publikationen feministischer Forschung in der DDR kaum veröffentlicht wurden und Künstlerinnen zu den Veröffentlichungen ostdeutscher Wissenschaftlerinnen im Westen Deutschlands in der Regel kaum Zugang hatten, waren die Berührungspunkte und Wechselwirkungen zwischen der Frauenkunstwissenschaft sowie Geschlechterforschung und künstlerischer Praxis gering. Eine Ausnahme bildete die Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung 1989, bei der Künstlerinnen zwar keine Vortragenden, aber als Gäste anwesend waren und sich an den Diskussionen beteiligten. Auch wenn der VBK der DDR im Jahr 1959 die Sektion Kunstwissenschaft gründete, sodass sowohl bildende Künstler*innen als auch Kunstwissenschaftler*innen in ein und dem gleichen Verband organisiert waren, an Universitäten tätige Historiker*innen durch den VBK initiierte Atelierrundgänge und Ausstellungen besuchten, in der Bildenden Kunst besprachen und über Künstler*innen in der DDR an der Humboldt-Universität lehrten, beruhten produktive Kontakte zwischen Historikerinnen und Künstlerinnen, insbesondere zu Akteurinnen der zweiten Öffentlichkeit, zumeist auf privaten Initiativen.73 Bereits die Analyse der Künstlerinnen-Ausstellung hat deutlich gemacht, dass es insbesondere Mitarbeiter*innen in Museen, in Galerien des Staatlichen Kunsthandels und in Bezirksgalerien waren, die als im VBK organisierte Kunsthistoriker*innen und qua ihrer beruflichen Tätigkeit als Kurator*innen in direktem Austausch mit den künstlerischen Szenen standen. Dabei waren die Initiator*innen von Künstlerinnen-Ausstellungen in Museen zumeist Männer, da Frauen oftmals keinen Zugang zu den entsprechenden Positionen hatten. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit aktuellen intermedialen, aktionistischen und geschlechterkritischen Tendenzen in der bildenden Kunst wurde von Kunstwissenschaftlerinnen nur in Ausnahmen geführt (vgl. Möbius 1989a; VBK 1989a). Kunsthistorikerinnen, die sich aktiv für Künstlerinnen in der Grauzone zwischen erster und zweiter Öffentlichkeit einsetzten, kamen insbesondere aus der mittleren Leitungsebene. Dazu zählen unter anderem Karin Weber in der Dresdner Galerie Mitte mit der bereits erwähnten Ausstellung Innen/Außen (1987), Gabriele Muschter, deren Anthologie DDR Frauen fotografieren in Westberlin erscheinen konnte (1989), Christiane Müller, die nach dem Tod von Annemirl Bauer im September 1989 eine Personalausstellung mit Werken der Künstlerin eröffnete und kurz darauf ihre eigene Galerie in Berlin Mitte mit feministischer Konzeption gründete
73 Ada Raev im Gespräch mit der Autorin, 07.09.2015.
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oder Hannelore Hintersdorf, die als Leiterin der Galerie Unter den Linden Anfang 1990 die Ausstellung Gesichter, Gesichte, Ansichten mit Berliner Künstlerinnen zeigte und später in ihrer privaten Galerie den Schwerpunkt auf Künstler*innen aus der DDR setzte. Ob und wie es Künstlerinnen konkret gelang, Freiräume der zweiten Öffentlichkeit zu nutzen, um gemeinschaftliche Projekte und eine feministische Praxis voranzutreiben, steht im Zentrum der Ausführungen zu den Geschlechterverhältnissen der zweiten Öffentlichkeit und insbesondere im Fokus der Besprechung ausgewählter Performance Art aus ihren Reihen.
1.4 Zweite Öffentlichkeit und ihre Geschlechterverhältnisse In seiner Studie über den Strukturwandel von Öffentlichkeit entwarf Jürgen Habermas die Vorstellung vom „Idealtypus bürgerlicher Öffentlichkeit“ als eine Sphäre, die sich im 19. Jahrhundert unabhängig von staatlichen Interessen durch diskursive Kommunikation und Meinungsbildung etablierte (1990). Aus der Dialektik von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit formulierten Oskar Negt und Alexander Kluge in den 1970er Jahren den Begriff der „Gegenöffentlichkeit“ (1974). Im Unterschied zur vielfach kritisierten Öffentlichkeitskonzeption von Habermas, die das mittellose Proletariat, Frauen und Minderheiten ausschließt und dem gebildeten männlichen Bürger vorbehalten bleibt,74 würden in der proletarischen Öffentlichkeit innerhalb einer liberal-kapitalistischen Gesellschaftsordnung die Erfahrungen und Interessen der Arbeiterklasse zusammengeführt. Beide Öffentlichkeitsentwürfe sind, so fasst die Literaturwissenschaftlerin Ilona Schäkel zusammen, aufgrund ihrer spezifisch historischen Bedingtheit und ihres normativen Charakters jedoch nicht geeignet, den Wandel der Öffentlichkeit in der DDR zu untersuchen. Auch unter den Bedingungen der ‚Diktatur des Proletariats‘ wurde in der DDR das Modell einer pluralen proletarischen Öffentlichkeit, in der alle gesellschaftlichen Interessen und Äußerungen zusammengeführt werden, nie realisiert (Schäkel 2003:41). Öffentlichkeit galt als einer der wichtigsten Wirkungsbereiche politischen Agierens, in der mittels Agitation und Propaganda die öffentliche Meinung beeinflusst und eine breite Bewegung für den sozialistischen Auf bau mobilisiert werden sollte. Geleitet von der Annahme der Wissenschaftlichkeit, Objektivität und Wahrheit behauptete der politische Diskurs die prinzipielle Übereinstimmung individueller und
74 Zu den maßgeblichen Kritiker*innen von Habermas gehört die Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser, die in ihrem Essay „Transnationalizing the Public Sphere“ ein Gegenmodell von Öffentlichkeit im Kapitalismus entwirft, das die Vielzahl von inkohärenten und peripheren Öffentlichkeiten berücksichtigt (Fraser 2005).
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gesellschaftlicher Interessen. Der Anspruch der SED, die Massen auf dem Weg zur klassenlosen Ordnung zu führen und zu erziehen, hatte den Widerspruch zwischen theoretischem Anliegen und alltäglicher Kommunikationspraxis sowie letztlich die Reversion des Öffentlichkeitsbegriffs zur Folge (ebd.:43). Staatliche Reglementierung und geheimdienstliche Kontrolle, die Instrumentalisierung der Massenmedien, der Bildung, von Literatur und visueller Kultur, die Forderung nach bedingungsloser ‚Parteilichkeit‘ und die gezielte Selektion von Informationen führten zur massiven Unterbindung des Meinungspluralismus und zur Politisierung der Öffentlichkeit. Der Illusion einer weitestgehend homogenisierten Öffentlichkeit aber widersprachen, wie Schäkel weiter darlegt, die Entstehung alternativer Öffentlichkeiten, die Wirkung westlicher Medien und die Trennung von öffentlichen und privaten Kommunikationsräumen, die schließlich zur Fragmentierung in sogenannte „Teil-Öffentlichkeiten“ führten. Die Definition diskontinuierlicher, zugleich eng miteinander vernetzter „Teil-Öffentlichkeiten“ und ihre Anwendung auf die verschiedenen öffentlichen Räume der DDR ermöglicht, im Unterschied zu Habermas eine Verneinung des „Theorem[s] der Abwesenheit von Herrschaft als Voraussetzung für Öffentlichkeit“ (ebd.:45). Zugleich können damit Momente der Liberalisierung innerhalb eines totalitär strukturierten Raumes wie in der DDR beschreibbar gemacht werden. Die vorliegende Untersuchung operiert mit dem Begriff der ‚zweiten Öffentlichkeit‘, der parallel zur gesellschaftlichen Entfaltung dieser Sphäre in Osteuropa dort auch erstmalig diskutiert wurde. Der Diskurs entwickelte sich Ende der 1970er Jahre im gesamten Raum Ostmitteleuropas, vornehmlich im intellektuellen Milieu der Tschechoslowakei, Polens und Ungarns.75 Trotz der Verschiedenheit der Ansätze, kristallisiert Katalin Cseh-Varga in ihrer ausführlichen Untersuchung zur Theoriebildung und den Handlungsräumen der ungarischen Avantgarde heraus, kann von zweiter Öffentlichkeit 75 Die Genese des Begriffs der ‚zweiten Öffentlichkeit‘ in Ungarn führt die Theaterwissenschaftlerin Katalin Cseh-Varga auf Texte der tschechischen Theoretiker Vacláv Benda und Ivan M. Jirous zurück. Als bedeutenden Theoretiker einer ausdifferenzierten Abhandlung zur zweiten Öffentlichkeit in Ungarn bezeichnet sie den Soziologen Elemér Hankiss. Zu den Intellektuellen, die sich mit dem Phänomen der zweiten Öffentlichkeit auseinandersetzten, gehören außerdem Ludvík Vaculík, Václav Havel und Milan Kundera aus der Tschechoslowakei sowie Adam Michnik und Jacek Kuroń aus Polen (Cseh-Varga 2016). Untersuchungen in der DDR zur zweiten Öffentlichkeit sind nicht bekannt. Der am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften tätige Anglist Robert Weimann unternimmt 1979 den Versuch, erstmals für die theoretische Forschung in der DDR die soziologische Kategorie ‚Öffentlichkeit‘ zu definieren. Dabei unterscheidet er zwischen dem von Werbestrategien beherrschten Öffentlichkeitsmodell der kapitalistischen Gesellschaft und der Öffentlichkeit als Instrument normativer Sinnstiftung im Sozialismus. Während mit der Kategorie der „Verbindlichkeit“ die sozialistische Lebensweise gemeint sei, fordert Weimann mit dem korrelativen Begriff der „Kontroverse“ – als fundamentalem Bestandteil von Kommunikation – eine Ausdifferenzierung, die innerhalb des Rahmens der sozialistischen Lebensweise einen „variablen ‚Lebensstil‘ von Gruppen und Individuen“ beinhalte (Weimann 1979:235).
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als „einer pluralistischen Form von Kommunikation, Informationsaustausch sowie Wissens- und Artefaktproduktion“ gesprochen werden, „die historisch beziehungsweise geopolitisch verschiedene Unterkategorien und Schichtungen aufweist“ (2016:77). ‚Zweite Öffentlichkeit‘ gilt nach Cseh-Varga als Sammelbegriff für unterschiedliche, sogar widersprüchliche und konflikthafte Variablen, die sich in der sozialen, politischen und ästhetisch-kulturellen Sphäre ansiedelten. Dabei bildete sich die zweite Öffentlichkeit durch kreative Handlungsstrategien von Individuen und Gruppen heraus, die sich zugleich ihrer Institutionalisierung entzogen. Ein weiteres Merkmal ist ihre Netzwerkstruktur, in der sich „materielle beziehungsweise immaterielle Inseln diverser Subkulturen und offizielle Machtordnungen sowie -rhetoriken miteinander verweben“ (ebd.:78). Dem Verständnis von Schäkels TeilÖffentlichkeiten ähnlich, wird mit dieser Begriffsbestimmung deutlich auf das Abhängigkeitsverhältnis zu Machtkonstellationen, auf die Verflechtung und Gleichzeitigkeit von erster und zweiter Öffentlichkeit sowie auf ihre Multiplizität im sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben verwiesen. Im Unterschied zur zweiten Öffentlichkeit meint die Bezeichnung der ‚ersten Öffentlichkeit‘ grundsätzlich die staatlich institutionalisierte, „repräsentierende und autoritäre (Schein-)Öffentlichkeit des Sozialismus in Osteuropa“ (Schäkel 2003:43). Die komplexe Relation von erster und zweiter Öffentlichkeit wird damit zur Grundannahme für die Konstituierung von Öffentlichkeit im Staatssozialismus der osteuropäischen Staaten.76 Insofern kann von ‚Öffentlichkeit‘ im Sozialismus insgesamt gesprochen werden, auch wenn die Wirkmacht eines ‚räsonierenden Publikums‘ (Habermas 1990:96) – Privatpersonen, die durch ihr kommunikatives Handeln die öffentliche Meinung konstituieren und auf politischer Teilhaben bestehen – in der ersten und zweiten Öffentlichkeit mitunter stark eingeschränkt beziehungsweise fragmentiert war.
76 Der Germanist und Literaturwissenschaftler David Bathrick wiederum spricht von drei wesentlichen, sich verbindenden öffentlichen Sphären in der DDR: der offiziellen Öffentlichkeit, den westdeutschen Broadcast- und Printmedien und den gegenkulturellen Enklaven (Bathrick 1995; vgl. auch Silberman 1997). Bleibt man bei der Dreiteilung der Öffentlichkeitsbereiche für die DDR, dann eher in Anlehnung an die Situation im Nachbarland Polen. Die erste Öffentlichkeit konstituierte sich dort im Rahmen staatlicher Institutionen, die zweite war die Sphäre der politischen Regimegegner und die dritte gehörte den gegenkulturellen und künstlerischen Szenen (vgl. Piotr Piotrowskis unveröffentlichten Vortrag „How to approach the Second Public Sphere in Eastern Europe before 1989“ auf der Konferenz Performing Arts in the Second Public Sphere am 09.05.2014). Die zweite und dritte öffentliche Sphäre wird in der vorliegenden Studie unter dem Begriff der ‚zweiten Öffentlichkeit‘ subsumiert. Als zumeist getrennt agierende Sphären bildeten sie sich als politische und künstlerische Opposition zur ersten Öffentlichkeit heraus.
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Zur Beschreibung der künstlerischen Neoavantgarde in der ungarischen Kultur,77 die sich bedingt durch staatliche Repression und kulturpolitische Restriktionen in einer anderen, parallelen Öffentlichkeit entwickelte, führte der Wiener Galerist und Mäzen zeitgenössischer Kunst Ungarns Hans Knoll den Begriff der zweiten Öffentlichkeit in die Rezeption künstlerischer Produktion ein (1999). Inzwischen ordnet die kunst- und theaterwissenschaftliche Forschung den Aktionsraum nonkonformer künstlerischer Szenen – insbesondere die prozessuale Kunst – auch mit Blick auf andere ost- und südosteuropäische Staaten diesem Begriff zu (Cseh-Varga & Czirak 2018).78
1.4.1 Besonderheiten der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit der DDR Die künstlerische zweite Öffentlichkeit zeichnete sich sowohl durch nonkonforme ästhetische Artikulationen als auch die öffentliche Haltung ihrer Akteur*innen aus. Die Wirksamkeit insbesondere zweier Künstler*innengenerationen führte in der DDR zur differenzierten Ausprägung in den 1970er und 1980er Jahren. Die in das gesellschaftliche System der DDR „Hineingeborenen“,79 die die staatssozialistische Realität als Selbstverständlichkeit erlebten und an ihren eigenen Vorstellungen maßen, distanzierten sich im Gegensatz zur älteren Generation, die mitunter die Staatsgründung aktiv begleitet und unterstützt hatte, dezidiert von den politischen Zielen und Bildprogrammen des Staates. Die „Nicht-Mehr-Eingestiegenen“ (Kaiser 2016:162) aus den Jahrgängen nach 1960 vergrößerten deutlich die Abstandshaltung zum Staat durch Strategien der Ignoranz und Ironie. Bevor meine Untersuchung detailliert die Geschlechterverhältnisse beleuchtet, werde ich auf die Charakteristika der zweiten Öffentlichkeit eingehen. Das Kapitel zu den Spannungsverhältnissen zwischen erster und zweiter
77 Vom umstrittenen Begriff der ‚Neoavantgarde‘, der von Kunsthistoriker*innen für die Beschreibung ost- und mitteleuropäischer Kunstbewegungen in der zweiten Öffentlichkeit verwendet (u.a. Piotr Piotrowski 2009) bzw. konzeptionell erweitert wird (Miško Šuvaković 2009), möchte ich für meine Arbeit keinen Gebrauch machen, sondern im Unterschied dazu von künstlerischer Gegenkultur (Kaiser 2016) bzw. künstlerischen Szenen der zweiten Öffentlichkeit sprechen. Eine präzise diskursive Herleitung des Neoavantgarde-Verständnisses für den Kontext der DDR, der die Referenzen und ihr (kritisches) Verhältnis zur Avantgarde, zum Modernismus und zur Abstraktion, zum sozialistischen Alltag und zur politischen Sphäre offenlegt, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Verwiesen sei hier jedoch auf Christoph Tannerts Aufsatz zur Avantgarde in der DDR (1988). 78 Vgl. auch die Konferenz Performing Arts in the Second Public Sphere, Literaturwerkstatt Berlin, 09.–11.05.2014. http://www.2ndpublic.org [letzter Zugriff: 06.03.2017]. 79 „Hineingeboren“ wird in der Rezeption oft als Stichwort zur Kennzeichnung der Generation von Künstler*innen und Autor*innen verwandt, die in den 1950er Jahren geboren wurde. Der Begriff geht auf den Lyriker Uwe Kolbe zurück, der unter diesem Titel 1980 seinen ersten Lyrikband veröffentlichte und damit auf das Hineingeborensein in eine konkrete politische und gesellschaftliche Situation und in ein bestimmtes Generationsgefühl anspielte (1980).
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Öffentlichkeit verdeutlicht, unter welch schwierigen ökonomischen Voraussetzungen die künstlerische Praxis möglich war und wie gefährdet das Leben in der zweiten Öffentlichkeit – bedingt durch politische Repressionen – sein konnte. Das hatte zur unmittelbaren Folge, dass Künstlerinnen der elementaren Existenzsicherung Vorrang geben mussten vor der Hinterfragung von Geschlechterhierarchien. Der Exkurs zu den Rückgriffen auf historische Muster dient als Grundlage für ein besseres Verständnis, warum die künstlerischen Szenen für Leben und Arbeit das historische Modell der Bohème reproduzierten. Dass es zahlreiche weitverzweigte und sich durchaus überlappende Netzwerke und Gruppierungen der unterschiedlichen (literarischen und künstlerischen) Szenen wie auch ausgeprägte Individualisierungsbestrebungen von Akteur*innen gab, wird als ein weiteres Merkmal der zweiten Öffentlichkeit beleuchtet. Es folgen Überlegungen zur dezidiert anti- beziehungsweise apolitischen Haltung der Künstler*innen. Vor diesem Hintergrund soll in einzelnen Punkten die Frage erörtert werden, welche zusätzlich erschwerenden Auswirkungen patriarchale Strukturen der zweiten Öffentlichkeit auf Gruppenbildung, Galerien und andere ‚eigene‘ Orte, auf Ausstellungen und feministische Diskurse von Künstlerinnen in den literarischen und künstlerischen Szenen hatten.
1.4.1.1 Spannungsverhältnisse Der Mythos von der Autonomie und Unabhängigkeit künstlerischer und literarischer Szenen, insbesondere des Prenzlauer Berges in Ostberlin, erfuhr seine kritische Hinterfragung, als nach 1989 bekannt wurde, dass maßgebliche Leitfiguren und Akteur*innen über Jahre eng mit der Staatssicherheit kooperiert hatten.80 In der Forschungsliteratur wurde daraufhin untersucht, inwiefern die wahlweise als ‚Subkultur‘, ‚Gegenkultur‘ oder als ‚Untergrund‘ bezeichneten nonkonformen künstlerischen Szenen in der DDR tatsächlich so ‚unabhängig‘, eigenständig und subversiv waren, wie sie sich selbst sahen und bis zu diesem Zeitpunkt rezipiert wurden. Der Wertung der ostdeutschen Subkultur als „autonom“ (Mann 1996) sowie vollständig abgegrenzt zur Hauptkultur und ihrer Lokalisierung „im Niemandsland zwischen den Systemen“ (Muschter & Thomas 1992:9) widersprach die Allgegenwart staatlicher,
80 Prototyp ist Sascha Anderson, der nach 1989 als Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung (IMB) der Staatssicherheit entlarvt wurde. Als einer der zentralen Protagonisten der Szenen des Prenzlauer Berges, enger Freund zahlreicher Künstler*innen und Autor*innen, als Herausgeber des Samisdat-Magazins Schaden und Initiator von Lesungen, Ausstellungen und Konzerten wusste Anderson seine Geheimdienstfunktion zu nutzen, um bestimmte Entwicklungen in der zweiten Öffentlichkeit voran zu treiben, Kontakte nach Westberlin und Westdeutschland zu etablieren sowie durch seinen Einfluss Beziehungen zu manipulieren, Mitstreiter*innen durch Berichte zu diffamieren und ernsthaft zu gefährden sowie zahlreiche künstlerische Bemühungen anderer zu unterbinden (vgl. Böthig & Michael 1993).
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geheimdienstlicher Überwachung und der Zensur in allen Bereichen künstlerischer Artikulation. Wie Antonia Grunenberg in ihrem Aufsatz über inoffizielle Zeitschriften in der ‚zweiten Kultur‘ unterstreicht, waren deren künstlerische Erzeugnisse zudem „objektiv Teil einer kulturellen Ordnung, gegen die sich die Produzenten subjektiv kritisch wendeten“ (1993:77). Sowohl das Entstehen der künstlerischen Werke, darunter die auch in anderen osteuropäischen Ländern verbreitete Veröffentlichung von Samisdat-Zeitschriften und die künstlerische Praxis der Mail-Art, als auch ihre ästhetischen Erscheinungsformen waren den spezifischen gesellschaftspolitischen und kulturellen Bedingungen im Staatssozialismus geschuldet. Dazu zählten der Mangel an Materialien, die Notwendigkeit zur Improvisation und dem Provisorischen, die technischen Standards von Druckerpressen oder die Verfügbarkeit spezieller Geräte wie der einzigen in der DDR beziehbaren Super-8-Filmkamera ‚Quarz‘ russischer Provenienz. Diese erlaubte eine durchgängige Aufnahmezeit von maximal 30 Sekunden und machte damit lange Plansequenzen unmöglich, was eine spezifische Filmsprache der ostdeutschen Super-8-Filmproduktion zur Konsequenz hatte (Löser 1996). Insofern traten die komplexen Zusammenhänge innerhalb der zweiten Öffentlichkeit mit ihren Abgrenzungsformen von den ideologischen Bildprogrammen staatlicher Kultur sowie von normierten Lebensentwürfen im Staatssozialismus der DDR und ihr Verhältnis zur ersten Öffentlichkeit in den Fokus sozial- und kulturhistorischer Betrachtungen (Kaiser & Petzold 1997; Kaiser 2016). In seiner Publikation zu Kunst und Gegenkultur in der DDR beschreibt Paul Kaiser das vielschichtige Beziehungsgefüge zwischen erster und zweiter Öffentlichkeit als „Gegensatzspannung zwischen Gegenkultur und Offizialkultur“ (2016:20). In deren Geschichte wechselten Perioden rigoroser Feindsetzung mit Phasen offener Infiltration und Kooperation, bevor in den 1980er Jahren die Berührungsängste gegenüber dem offiziellen Diskurs in der künstlerischen Gegenkultur abnahmen. Auch die individuelle Positionierung der Akteur*innen im Beziehungsgeflecht von erster und zweiter Öffentlichkeit weist unterschiedliche Grade der Einbindung und Verdrängung auf. Künstler*innen wie Christine Schlegel, Cornelia Schleime, Else Gabriel, Yana Milev und Karla Woisnitza hatten an staatlichen Kunsthochschulen studiert, einige waren Mitglieder des VBK. Sie konnten jedoch, wie Cornelia Schleime, mit einem Ausstellungsverbot belegt oder aus dem Verband ausgeschlossen werden, was unter anderem Bärbel Bohley und Annemirl Bauer widerfuhr, wie bereits in meinen Überlegungen zum politischem Engagement von Künstlerinnen dargelegt. Die meisten von ihnen wurden von der Staatssicherheit beobachtet und verfolgt. Selten waren Künstler*innen der zweiten Öffentlichkeit an zentralen staatlichen Ausstellungen beteiligt. Strategien bedingter Anpassung und fließender Übergänge dienten der Legalisierung und Anerkennung der künstlerischen Praxis, nicht zuletzt auch, um den Risiken einer prekären Existenz außerhalb staatlicher Strukturen,
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verbunden mit Stigmatisierung und Kriminalisierung, zu entgehen. Zugleich spielten ökonomische Notwendigkeiten eine Rolle. Bedingt durch das soziale Milieu, aus dem die Kunstschaffenden stammten und durch die finanziellen Möglichkeiten, über die sie verfügten, waren die meisten auf die Privilegien durch den VBK, insbesondere auf die Vergabe von Aufträgen und die Zuweisung von Atelierräumen angewiesen. So bestätigt Karla Woisnitza, dass sie sich die „reine Subkultur“ nicht leisten konnte, zugleich aber zu viel am offiziellen Betrieb zu kritisieren hatte, um sich dem widerstandslos anzupassen. Da ihr „das Offizielle“ fremder blieb als die Subkultur und ihre Protagonist*innen, hieß das für die Künstlerin „doppelte Arbeit, keine verschworene Gemeinschaft, sondern eher Durchlässigkeit, Flüchtigkeit, offen sein [...]“.81 Aufgrund des Scheiterns vielfältiger Versuche der öffentlichen Etablierung ihrer nonkonformen Kunstpraxis, auf die mit Repressionen und Verbot reagiert wurde, sah eine Vielzahl von Künstler*innen keine andere Alternative, als der DDR ostentativ den Rücken zuzukehren (vgl. dazu Schmidt 1990). Die dramatischen Emigrationswellen insbesondere Anfang der 1980er Jahre beeinträchtigten wesentlich die Wirksamkeit der künstlerischen Szenen und verhinderten die „Herausbildung einer kontinuierlich arbeitenden, intellektuellen Opposition“ (Löser 2011:50). Nach den trügerischen Anzeichen einer vermeintlichen Liberalisierungsphase in der ersten Hälfte der 1970er Jahre nahmen mit der Ausbürgerung des Sängers und Liedermachers Wolfgang Biermann 1976 Repression, Verbot und Kriminalisierung von Kulturschaffenden zu. Insbesondere für die Generation der ‚Hineingeborenen‘ war die Ausweisung Biermanns zwar eine einschneidende Erfahrung, sie bestätigte jedoch zugleich die Lebensbedingungen, die seit ihrer Geburt vorherrschten. Die Enttäuschung über Agonie und Erstarrung und das Aufwachsen in einer frustrierten Gesellschaft bildeten gleichermaßen die Voraussetzung für schöpferisches Arbeiten (Grunenberg 1993:82). Ab Mitte der 1980er Jahre verwischten durch staatliche Duldung und eine Vielzahl von Integrationsangeboten zunehmend die Grenzen zwischen erster und zweiter Öffentlichkeit.
1.4.1.2 Historische Muster Mit dem Bau der Mauer 1961 wurde die Kunstentwicklung in der DDR rigoros vom internationalen Kunstgeschehen abgekoppelt. Die künstlerischen Szenen der zweiten Öffentlichkeit pflegten mit wenigen Ausnahmen wie in der Mail Art oder der konkreten Kunst kaum kontinuierliche und weitreichende Kontakte mit den Gegenkulturen aus Osteuropa. Aufgrund der gemeinsamen Kulturgeschichte und Sprache, der geopolitischen Nähe und verwandtschaftlicher Beziehungen konzentrierte sich der kulturelle Austausch vor allem auf
81 E-Mail von Karla Woisnitza an die Autorin, 05.01.2015.
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Westberlin und Westdeutschland. Obwohl es erwiesenermaßen einen systemübergreifenden Kulturtransfer durch die Hippie-Kultur, Beat- und Rockmusik oder durch den Jazz von West nach Ost gegeben hat, wies die zweite Öffentlichkeit ausgeprägte selbstreferentielle Züge auf und versuchte aus dieser Einschränkung heraus, im historischen Rückgriff auf die Protagonist*innen der klassischen Moderne an deren künstlerische Vorbilder anzuknüpfen (vgl. Kaiser 2016). Auch einzelne Künstlerpersönlichkeiten des Untergrunds wie Hermann Glöckner, Willy Wolff, Jürgen Böttcher (Strawalde) oder Ralf Winkler (A. R. Penck) inspirierten maßgeblich die jüngere Generation und standen in engem Kontakt mit ihr. Die Isolation von zeitgenössischen Kunsttendenzen im internationalen Geschehen, der Bezug auf historische Avantgarden und die Orientierung an Vorbildern aus dem unmittelbaren künstlerischen Umkreis können als mentalitäts- und stilprägende Charakteristika der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit betrachtet werden. Was die Akteur*innen einte, war kein einheitliches künstlerisches Programm, sondern verschiedenste Strategien der Verweigerung, die neue Formen eines alternativen Lebensstils und künstlerischen Selbstverständnisses hervorbrachten. Künstlerische Selbstbehauptung äußerte sich in der Diversität von Konzepten, Methoden und Stilen. Die nonkonformen Artikulationen aber verstanden sich vor allem als Gegenentwurf zum „repressiven Historismus“ einerseits und zum „antimodernen, kritikfernen und apologetischen Sozialistischen Realismus“ andererseits (Kaiser 2009:12). Während die Entwicklung eines sogenannten „empirienahen Realismus“ (Kaiser 2016:174) in der zweiten Öffentlichkeit als Gegenmodell zum abbildhaften, idealisierenden sozialistischen Realismus diente, verstand sich das historische Stil- und Aneignungsverhalten als Ausdruck weitgehend selbstbestimmter Lebensentwürfe und als individualisierter Gegenentwurf zu den Mustern der ‚sozialistischen Persönlichkeit‘. Die Realismuskonzeption und die Fixierung auf historische Bezüge stellt Paul Kaiser als elementare Gemeinsamkeiten der ersten und zweiten Öffentlichkeit heraus, die er als die konstitutiven Elemente ihrer Verspannung bewertet (ebd.:23).
1.4.1.3 Netzwerkstrukturen Für ihre Analyse des Intermedia I-Festivals 1985 in Coswig, das als die wichtigste Veranstaltung der künstlerischen Subkultur in der DDR rezipiert wird, wählt Barbara Büscher die Begriffe „Ereignis“ und „Netzwerk“ als theoretische Rahmung (2010:2). Netzwerk beschreibt nach Büschers Worten die „Verbindung einer Vielzahl und Vielheit von kleinen Gruppen, die informell im Austausch stehen“ (ebd.:4). In einem solchen Netzwerk, das keine sichtbaren Institutionen ausbildet, werden temporäre Veranstaltungen, Treffen, Ausstellungen „zu Knoten, die nicht nur den Austausch intensivieren, sondern die künstlerischen Aktivitäten erst sichtbar werden lassen“ (ebd.), mit der
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Einschränkung, dass dies oftmals nur für einen sehr begrenzten Kreis von Akteur*innen zutraf. Das intermediale Festival von Coswig kann demnach als ein solcher ‚Knoten‘ beschrieben werden. Besonders in den Zentren von Berlin, Dresden, Leipzig und Halle, aber auch in Städten, die wie Chemnitz (ehemals Karl-Marx-Stadt), Jena und Erfurt keine Kunstakademien, aber eine hohe Dichte von Kulturproduzent*innen aufwiesen, konnte sich die künstlerische zweite Öffentlichkeit in der DDR entfalten. Sie konstituierte sich in den 1970er Jahren aus vereinzelten Gruppenaktivitäten und Ausstellungsorten. Neben ersten Selbsthilfe- und Produzentengalerien wurden die in den 1970er Jahren gegründeten genossenschaftlichen Galerien und die Galerien des staatlichen Kunsthandels sowie Klubhäuser zu wichtigen Präsentationsorten für Künstler*innen, die experimentelle Ausdrucksformen bevorzugten. Im darauffolgenden Jahrzehnt entstanden zahlreiche Aktionsräume wie private Galerien, an denen sich bildende Künstler*innen eng mit Akteur*innen aus der Literatur, dem Theater und Film, der Musik und dem Tanz sowie mit Kunstwissenschaftler*innen und Galerist*innen vernetzten, mit ihnen zusammen produzierten, präsentierten und feierten. Dabei entstanden hybride Veranstaltungsformate aus Ausstellungen, Jazz- und Punkkonzerten, Lesungen, Modeschauen, Filmvorführungen, Performances und Künstlerfesten. Die Künstler*innen kamen, wie Frank Eckart am Beispiel der Leipziger Galerie Eigen+Art darlegt, aus unterschiedlichen sozialen Milieus, hatten zusammen studiert und pflegten enge freundschaftliche Beziehungen (1993:10). Intensiver Austausch bestand auch zwischen unterschiedlichen Künstlergenerationen. Die Gruppierungen waren klein, die Szenen übersichtlich und lose miteinander verbunden. Man reiste zu Aufführungen und Ausstellungen in andere Städte und innerhalb der einzelnen Zirkel waren „die Grenzen zwischen Akteur, Rezipient und Kritiker“ fließend (ebd.:11f). Hauptorte der künstlerischen Produktion und gemeinsamer Treffen waren private Räume wie Wohnungen und Ateliers sowie Außenräume auf dem Land und in der Stadt, die als Austragungsorte für Happenings, Aktionen, Pleinairs, Konzerte und Feste dienten. Die Etablierung eigener Infrastrukturen außerhalb staatlicher Strukturen führte dazu, dass Lebensrealität und Kunstkonzept miteinander verschmolzen. Das Neben- und Miteinander von Freundeskreisen und Szenen, ihr informeller Austausch und ihr Zusammentreffen in den selbst geschaffenen Räumen der zweiten Öffentlichkeit, an denen ihre künstlerischen Aktivitäten sichtbar werden konnten, belegen den Netzwerkcharakter der künstlerischen Szenen (Kaiser & Petzold 1997:19).
1.4.1.4 Politische Wirksamkeit Die Ablehnung politischer Vereinnahmung und der Instrumentalisierung von Kunst zum Zwecke der Erziehung und Propaganda artikulierte sich in politischer Distanzierung und fehlender systemoppositioneller Arbeit, die bis zur
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strikten apolitischen Haltung reichte. Diese Position nahmen insbesondere die Jahrgänge nach 1960 ein. So vollzog sich nicht nur eine Trennung zwischen politischen Aktivist*innen der Bürgerbewegung und den künstlerischen Szenen. Die Spaltung zwischen politisch aktiven und nach Autonomie strebenden Künstler*innen wurde zudem aktiv von der Staatssicherheit betrieben. Eine der Hauptaufgaben Sascha Andersons innerhalb der literarischen Szenen des Prenzlauer Berges bestand darin, die sich bereits abzeichnende Trennung zwischen politischen Autoren wie Lutz Rathenow, Rüdiger Rosenthal und Uwe Kolbe, die noch von Wolf Biermann und Bettina Wegner inspiriert waren, und der Gruppierung um Stefan Döring, Egmont Hesse und Bert Papenfuß-Gorek, die ihre Kritik auf die Sprache selbst richtete, weiter voranzutreiben. Erstere sollten, wie Eckhart Gillen in seiner Analyse zum Verhältnis des Geheimdienstes und bildenden Künstler*innen in der DDR beschreibt, systematisch ausgegrenzt und intern diffamiert werden (Gillen 2017:o.S.). Obwohl der „weltanschauliche Abwanderungsprozess“ (Häuser 1996:211) kaum in politisches Protestpotential umschlug und die Bezeichnung politischer Dissidenz kaum auf die künstlerische Praxis zu übertragen ist, besaßen die Szenen der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit dennoch ein subversives, „systemsprengendes Potenzial“ (ebd.:220). Neben dem besonderen Stellenwert der Künste im Staatssozialismus, der auch die bildende Kunst gleichermaßen nobilitierte und fremdbestimmte sowie den Künstler*innen erhebliche Privilegien und Sonderräume zuwies, stellte das Subsystem Kunst unter diktatorischen Bedingungen, wie Paul Kaiser darlegt, „ein bevorzugtes Reservoir für die gegenkulturelle Identitätspolitik dar, da die im Kunstraum mögliche ‚Symbolrevolte‘ eine Ersatzfunktion des ansonsten repressiv unterdrückten politischen Protestes übernimmt und damit auch ohne explizite politische Intentionalität [...] Formen politischer Wirkkraft entfaltet“ (Kaiser 2016:23). Paul Kaiser und Claudia Petzold halten fest, dass insofern die andere, außerstaatliche Öffentlichkeit durch ihre Existenz, die sich in weitgehend selbstbestimmten Lebens- und Freiräumen, im Ausstieg aus den staatlichen Institutionen und in der Schaffung einer eigenen Infrastruktur artikulierte, zur innenpolitischen Destabilisierung der DDR beitrug (1997:19). Strategien des Desinteresses und Zweifels, des Schweigens und Humors, oftmals durch einen intendiert apolitischen Charakter der künstlerischen Produktionen, waren, wie Klara Kemp-Welsh im Hinblick auf die Verortung der osteuropäischen Gegenkultur innerhalb der repressiven Strukturen des Staatssozialismus hervorhebt, ‚politisch‘, „because they did not ‚play politics‘“ (2014:5). Neben dem programmatischen Individualismus und der Einbindung in Gemeinschaftsstrukturen identifiziert Kaiser als dritte Eigennorm der Gegenkultur der DDR eine Resistenz gegenüber Machtinstanzen (Kaiser 2016:161f). Sie äußerte sich in dem unausgesprochenen Gesetz, keine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit einzugehen, des Weiteren im Verzicht auf eine Kaderkarriere und damit
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auf Teilhabe an der Macht. In der Praxis aber zeigte diese Machtresistenz, wie mit Verweis auf die Gründe bedingter Anpassung soeben dargelegt, vielerlei Facetten zwischen der Annäherung an staatliche Machtinstanzen und innerer Emigration.
1.4.2 Mythos Boheme Der von Paul Kaiser aufgezeigte „Parallel-Historismus“ von „Offizialkultur“ und Gegenkultur beziehungsweise erster und zweiter Öffentlichkeit manifestierte sich in der Übernahme von „vor- bzw. antimodernen Professions- und Individualisierungskonzepten“ (Kaiser 2016:23). Während die erste Öffentlichkeit Bezüge zum „Hof künstler“ und machtbewussten „Malerfürsten“ herstellte, importierte die zweite Öffentlichkeit ein anderes historisches Künstlermodell: das der „Sozialfigur der Boheme“ (ebd.:23f). In Anlehnung an den von Helmut Kreuzer verwandten Begriff versteht Kaiser unter Boheme „eine künstlerische Gegenkultur, welche sich weitgehend dem ‚Prinzip Einverständnis‘, der Einordnung in die Kollektivität der Lebensführung sowie den im Rahmen einer ‚Normalbiografie‘ geforderten Anpassungsleistungen entzog“ (ebd.:27f). Damit ist weniger eine ästhetische, vielmehr die sozialgeschichtliche Kategorisierung einer Lebensführung gemeint, die gegen normative Regeln an den Rändern der Gesellschaft verstößt und durch exzentrisches, individualisiertes und selbststilisierendes Verhalten auffällt. Kaiser legt weiterhin dar, wie sich die Gegenkultur in der DDR im historischen Rückgriff auf die französische Bohème des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bezog, wobei Paris als Leitbild diente. Die Berufung auf die Bohème und die damit verbundene Übernahme eines historischen Künstlermodells gilt, seiner Einschätzung nach, stilgeschichtlich wie konzeptuell als herausragendes Merkmal der künstlerischen Gegenkultur der DDR (ebd.:33). Bekanntestes Beispiel für die Reproduktion und Erneuerung sowohl des Mythos der Bohème als auch der Figur des Bohemiens ist die 1982 am Dresdner Leonhardi-Museum ausgerichtete Ausstellung Frühstück im Freien, die sich auf das 1863 entstandene Gemälde des französischen Malers Édouard Manet bezog.82 Zur Vernissage stellten zwei Künstler und zwei Ballett-Tänzerinnen auf der in der Mitte des Saales aufgebauten, reich gedeckten Tafel die Frühstücksszene von Manets Gemälde als tableau vivant nach. Aufschlussreich in dem Zusammenhang ist, 82 Manets Gemälde war vom offiziellen Pariser Salon der französischen Akademie wegen ‚Unschicklichkeit‘ abgelehnt und daraufhin im Salon des Refusés ausgestellt worden. Angelika Weißbach stellt eine Analogie zur Dresdner Ausstellung her, zu der Künstler*innen eingeladen waren, deren Arbeiten wiederholt nicht für große Ausstellungen wie die zeitlich parallel laufende IX. Kunstausstellung der DDR zugelassen worden waren. Frühstück im Freien zeigte Werke von 30 Künstler*innen, die ihren Ansatz größtenteils im thematischen Zusammenhang suchten (Weißbach 2009a:239ff).
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dass die erste umfassende Ausstellung und Veranstaltung von Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit Anfang 1990 unter dem Titel L’Allemagne hors les murs. Champ libre aux jeunes artistes de R.D.A. (Das andere Deutschland außerhalb der Mauern. Freiräume für junge DDR-Künstler) ausgerechnet in Paris ausgetragen wird.83 Die (Selbst-)Kennzeichnung der intellektuellen und künstlerischen nonkonformen Szenen als Boheme besteht nicht nur im historischen Rückbezug auf eine sich im 19. Jahrhundert herausbildende Subkultur und in einem oft auch romantisch interpretierten Künstlerleitbild. Sie impliziert, so meine These, zugleich die ungebrochene Tradierung eines männlich definierten Künstlerideals und hierarchischer Geschlechterverhältnisse. Wie Elizabeth Wilson in ihrer Untersuchung zur Bohème des beginnenden 20. Jahrhunderts hervorhebt, konnten sich Frauen in den bohemistischen Kreisen eine Existenz auf bauen und Beziehungsmodelle kreieren, die außerhalb der moralischen Standards einer bürgerlichen Ehe lagen: A bohemian woman could be a Grisette or Mistress; Muse; Model; Wife; Mother; Salon Hostess; Independent Woman; Worker; ‚Free Spirit‘; Lesbian; or Artist. Some of these roles were already available in bourgeois society, some were distinct. In practice they blurred and overlapped, and in any case perhaps what attracted many women to Bohemia was a potential freedom from all such roles, or even freedom from the restriction of gender itself. (Wilson 2002:86) Diese Rollen entsprachen zugleich Zuschreibungen der männlich dominierten Bohème, die wie die Grisette und die Prostituierte stark mythologisierte Figuren waren und romantisiert sowie degradiert wurden. In den misogynen Zirkeln der Bohème galten Frauen generell den Männern unterlegen (ebd.:97). Wann immer sie versuchten, sich künstlerisch zu artikulieren und damit erfolgreich waren, begegneten ihnen die Attacken ihrer männlichen Kollegen. Ihre Arbeit erfuhr unter geschlechtsspezifischen Aspekten grundlegende Abwertungen; sie wurde als weniger bedeutend betrachtet als die von Männern. Während man Frauen die Rolle der kreativen Produzentin oftmals verweigerte, wurden sie (erneut) auf ihre Funktion innerhalb traditioneller bourgeoiser Familienstrukturen festgelegt oder als erotische Wesen in essentialistischer Manier festgeschrieben (ebd.:98).
83 Die Ausstellung mit über 200 nonkonformen Künstler*innen, Performer*innen, Autor*innen, Musiker*innen und Filmemacher*innen der zweiten Öffentlichkeit wurde nur zwei Monate nach dem ‚Mauerfall‘ von Christoph Tannert in Zusammenarbeit mit Maurice Najman und Corinne Welger sowie unter der Schirmherrschaft des französischen Kulturministers Jack [sic!] Lang in der ehemaligen Halle des Pariser Viehmarktes, der Grande Halle de la Villette, in Paris veranstaltet (19.–21.01.1990).
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Anhand der erfolgten Analyse der Geschlechterverhältnisse der ersten Öffentlichkeit konnte deutlich werden, dass Künstlerinnen in der DDR prinzipiell als Mitwirkende im Kunstgeschehen akzeptiert waren, was sich in Ausstellungsbeteiligungen und in ihrer Verbandsmitgliedschaft äußerte. Dagegen waren sie im Vergleich zu ihren männlichen Mitstreitern in der Öffentlichkeit weniger prominent sichtbar beziehungsweise unterrepräsentiert und, was die Besetzung von Führungspositionen und ihren Einfluss auf kulturpolitisch relevante Entscheidungen betrifft, marginalisiert. Trotz der politisch angestrebten Integration weitestgehend aller Frauen in das Erwerbsleben und einer erheblichen Anzahl praktizierender Künstlerinnen wurde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung innerhalb von Produktionsprozessen und die Trennung von bezahlter aktiver und unbezahlter reproduktiver Arbeit durch staatliche Strukturen fortgeschrieben. Vor dieser Folie muss gefragt werden, wie sich die Geschlechterordnung in der ostdeutschen ‚Boheme‘ konstituierte, die versuchte, sich in großem Maß Anpassungsleistungen zu verweigern, sich in individualisierten Spielräumen zu entäußern und sich als Gegenentwurf zu den Normmustern der ‚sozialistischen Persönlichkeit‘ verstand.
1.4.2.1 „Privates Patriarchat“ Die Lebensform vieler Bürger*innen der DDR war, wie weiter oben angeführt, durch eine Polarisierung zwischen der öffentlichen Sphäre als gesellschaftspolitische Außenwelt und der privaten, politikfernen Gegenwelt gekennzeichnet. Iris Häuser stellt in ihrer Analyse der Lebensstile und politischen Soziokultur in der DDR der 1980er Jahre dar, wie die Privatsphäre, gekoppelt an eine ausgeprägte Familienorientierung, als einziger weitgehend selbstbestimmter Handlungs- und Kommunikationsraum wahrgenommen wurde, sodass die Mehrzahl der Menschen ihre ideellen, zeitlichen und materiellen Ressourcen auf die Ausgestaltung des privaten Raumes konzentrierte (1996:83f). Feministische Forscherinnen, wie Bojana Pejić in ihrem Aufsatz „Proletarians of all countries, who washes your socks?“ zu Gleichheit, Dominanz und Differenz in der osteuropäischen Kultur, identifizieren die Dichotomie von ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ in der Gesellschaft des Staatssozialismus als Teilung zwischen „public patriarchy“ – dem „öffentlichen Patriarchat“ (Staat) – und dem „private patriarchy“ – der Familie als „privates Patriarchat“ (2009:24). Pejić verweist dabei auf den Widerspruch zwischen der häuslichen Sphäre als Ort politischen Engagements und der kulturellen Opposition, die zugleich der Manifestation tradierter Machtverhältnisse der Geschlechter dient. Im Rekurs auf Susan Gals und Gail Kligmans im Jahr 2000 erschienene Publikation The Politics of Gender after Socialism führt die Kunstwissenschaftlerin weiter aus, dass der private Raum – weitestgehend außerhalb der Reichweite des Staates – in der oppositionellen Kultur eine Privilegierung erfuhr, in dem Männer eine andere ‚Öffentlichkeit‘ etablierten:
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For example, dissident writers (in Hungary, Czechoslovakia, and Poland) constructed a ‚public‘ inside the household as an implicitly male realm in which men could exercise political authority and imagination. This may be viewed as a discursive move to reclaim for men a patriarchal authority over the household that the state had in many ways usurped. (Gal & Kligman zit. nach Pejić 2009:24) Beanspruchte patriarchale Autorität, die der Staat den Akteuren aberkannte und die aus diesem Grund in eine neu definierte (häusliche) Öffentlichkeit verlagert wurde, war nur durch die Teilung des Haushalts möglich: „[...] the household (private) was split into political [artistic, A.R.] activities (public) and basic maintenance“ (ebd.). Diese, den Frauen zugeschriebene Arbeit war zwar unabdingbar, wurde aber durch die ‚doppelte Privatisierung‘ zugleich unsichtbar gemacht. Am Beispiel der Keramikwerkstatt von Wilfriede Maaß soll deutlich werden, dass Künstlerinnen in der privaten Sphäre parallel zu einem männlich geprägten Aktionsraum durchaus eine weiblich dominierte zweite Öffentlichkeit etablieren konnten, sie zugleich aber unbeachtete Frauenarbeit inklusive elementarer Existenzsicherung leisteten. Hervorgegangen aus den seit 1978 stattfindenden illegalen Lesungen und Konzerten in der Wohnung der Keramikerin Wilfriede Maaß und des Übersetzers und Liedermachers Ekkehard Maaß galt die Keramikwerkstatt als der bedeutendste Treffpunkt der alternativen Autoren- und Malerszene Ostberlins (Wolf 2014:7). Mit der Trennung des Paares Anfang der 1980er Jahre fanden in der Küche von Ekkehard Maaß und parallel dazu in der Keramikwerkstatt von Wilfriede Maaß regelmäßig Zusammenkünfte und Veranstaltungen statt, geschützt durch die Anwesenheit von Repräsentant*innen des öffentlichen Lebens wie Christa und Gerhard Wolf. Dieser Ort stand für die enge Vernetzung, den lebhaften Dialog und galt als „psycho-sozialer Gestaltungsraum“ (Christoph Tannert zit. nach Quaas 2014:139) der vielen Kreativen und unterschiedlichen Szenen, die dort zusammenkamen. Bei wichtigen Lesungen zur jüngeren DDR-Literatur war die ältere Schriftstellergeneration von Elke Erb über Rainer Kirsch, Heiner Müller bis zu Franz Fühmann anwesend. Auch Autoren aus dem Ausland lasen, darunter der US-amerikanische Dichter Allen Ginsberg. In der Keramikwerkstatt und Wohnung von Maaß wurden zahlreiche Künstlerbücher produziert und Redaktionssitzungen der Samisdat-Zeitschrift Schaden abgehalten, die maßgeblich von dem Dichter Sascha Anderson, Maaß’ damaligem Lebenspartner, initiiert wurden. Die aus staatlichen Kunstinstitutionen ausgegrenzten und befreundeten Dresdner Maler*innen Christine Schlegel, Cornelia Schleime, Ralf Kerbach, Helge Leiberg und Reinhard Sandner, von denen die meisten in Ostberlin auf die Bewilligung ihres Ausreiseantrags warteten, stellten in der Werkstatt künstlerische Keramiken her, um sich durch deren Verkauf eine Lebensbasis zu schaffen. Unter diesem Aspekt war die Werkstatt für viele
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eine „Überlebenshilfeeinrichtung“.84 Später kamen Petra Schramm, Angela Hampel, Hans Scheuerecker, Sabine Herrmann und Klaus Killisch dazu.85 Karla Woisnitza fertigte und bemalte über viele Jahre Keramiken und beobachtete dabei kritisch die Reproduktion stereotyper Geschlechtermuster. Sie konstatiert, dass Maaß als „Mutterfigur“ stark ausgenutzt wurde und zugleich unterrepräsentiert gewesen sei (zit. nach Förster 1992:10). Maaß hätte Material und Räume gegeben, alle hätten bei ihr gegessen, sie hätte immer Zeit haben müssen, und nebenbei seien auch noch die Kinder zu versorgen gewesen (ebd.). Auch Christoph Tannert, der als Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher zahlreiche Treffen vor Ort organisierte, betont im Rückblick die „typische Dreifachbelastung aus Beruf, Kindern und Haushalt“ (2014:48). In den ersten Jahren sei Maaß faktisch Alleinerziehende gewesen, die zudem den Haushalt und die Werkstatt finanzierte (ebd.). Darüber hinaus hätte sie zuweilen horrende Telefonkosten tragen müssen, die durchaus 600 Ost-Mark betragen konnten, „wenn mal wieder sämtliche Künstlerfreunde den ihnen Nahestehenden im Westen hinterhertelefonierten“ (ebd.). Maaß, schon durch ihre eigene Keramikproduktion und als Werkstattleiterin beruflich voll ausgelastet, war in tradierter Rollenverteilung ‚nebenbei‘ noch für die Betreuung der Kinder und alle anfallenden Aufgaben im Haushalt zuständig. In ihrer Analyse der Geschlechterverhältnisse in den Kunstszenen der DDR führt Hildtrud Ebert an, dass beim Rückzug ins Private weniger die künstlerischen als die sozialen Kompetenzen der Künstlerinnen gefragt waren, „mit denen sie den ästhetischen Zirkeln das Flair familiärer Biotope gaben“ (2003:108). Für Maaß dürfte beides zutreffen: Sowohl ihr künstlerisches beziehungsweise handwerkliches Können als auch ihre sozialen Kapazitäten waren begehrt. Unterstrichen wird die von Ebert beschriebene Inanspruchnahme des gemeinnützigen Engagements dadurch, dass Maaß nicht nur ihre durch den Brennofen immer warme Werkstatt und von ihr produzierte Gefäße zur weiteren Bemalung zur Verfügung stellte, sondern auch mit Essen, Übernachtungsmöglichkeiten und Nutzung ihres Telefons stets für das Wohlbefinden befreundeter Künstler*innen sorgte, die oftmals in unbeheizbaren und abbruchreifen Wohnungen hausten.
84 E-Mail von Holger Kulick an die Autorin, 05.02.2017. 85 Nicht in Bezug auf die existenzielle Bedeutung der Werkstatt für Künstler*innen, sondern im Hinblick auf die kreative, gattungsüberschreitende Produktivität des Ortes sei an dieser Stelle an die Keramikwerkstatt von Suzanne und Georges Ramié im französischen Vallauris erinnert, in der Picasso in der Zeit von 1946 bis zu seinem Tod 1973 rund 4.000 Keramiken herstellte und bemalte. Durch Picasso kamen weitere Künstler*innen wie Henri Matisse, Marc Chagall, Alberto Giacometti, Le Corbusier, Jean Arp und Germaine Richier in die Werkstatt, um Ton zu formen und zu bemalen (vgl. Clewing 2017).
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Dieses zentrale Künstlerbiotop der zweiten Öffentlichkeit verantwortete Maaß politisch, ästhetisch und sozial mit allen Konsequenzen.86 Christoph Tannert stellte fest, dass es Maaß darüber hinaus gelang, viele „starke Frauenfiguren“ aus den „männlich dominierten Genres“ der Dichtung und Kunst zu versammeln, was Auswirkungen auf die Gruppendynamik hatte und zu „zeitweiligen weiblichen Foren“ beitrug (2014:51). Zu diesen Foren dürfte der Ende der 1980er Jahre von Maaß initiierte Kreis von Frauen zu zählen sein, die zumeist Partnerinnen von Künstlern und in unterschiedlichen Berufsfeldern tätig waren, selbst aber auch schrieben. Sie kamen zu Gesprächen und Lesungen ihrer Texte und der anderer Autorinnen bei der Keramikerin zusammen.87 Maaß’ Bedeutung in kreativer Hinsicht und im Hinblick auf die Etablierung einer Öffentlichkeit in ihren Privaträumen für eine große Anzahl von männlichen und weiblichen Akteur*innen kann demnach nicht hoch genug geschätzt werden.88 Zugleich wird ihr eine „sympathisch zurückhaltende, aber überzeugende Art“ bestätigt im Gegensatz zu „Alphatieren wie [Ekkehard] Maaß oder Anderson“. 89 Trotzdem oder gerade aus diesem Grund sei die Werkstatt vorrangig immer mit ihr und ihrem Spirit und nicht mit Sascha Anderson verbunden gewesen (ebd.). Maaß selbst nimmt sich und ihre Leistungen in einem Interview mit Ingeborg Quaas und Sabine Herrmann zugunsten männlicher Protagonisten wie Sascha Anderson oder Christoph Tannert zurück, denen sie die Initiative zahlreicher kreativer Prozesse in ihrer Werkstatt zuschreibt (Maaß 2014:139). Auch wenn die Maler*innen um Schleime und Schlegel erst dank Andersons Kontakten in ihre Werkstatt kamen und Anderson unabhängig davon Treffen mit Autor*innen in der Werkstatt organisierte, so war es doch Wilfriede Maaß, die diese Begegnungen unter äußerst schwierigen Voraussetzungen in ihren Räumen überhaupt erst ermöglichte. Dass Maaß Anfang der 1990er Jahre gemeinsam mit Petra Schramm, Sabine Herrmann und Klaus Killisch eine Produzentengalerie gründete, in der bis 1998 Künstler*innen und Autor*innen aus den Freundeskreisen vor ‚Mauerfall‘ ein Forum für die Präsentation ihrer Werke erhielten, bezeugt einmal mehr das auf Eigeninitiative gründende Engagement der Keramikerin.
86 So nahm die Staatssicherheit jedes zweite Jahr Steuerprüfungen bei ihr vor und zwang Maaß regelmäßig zur Zahlung großer Strafsummen (Maaß 2014:139). 87 Petra Schramm und Sabine Herrmann im Telefonat mit der Autorin, 13.03.2018. 88 In dem Zusammenhang muss unterstrichen werden, dass Wilfriede Maaß Kunsthandwerkerin und keine bildende Künstlerin, insbesondere Malerin oder Autorin, war. Letztere mussten mit einem stärkeren Konkurrenzkampf mit männlichen Kollegen und mit Abwertungen ihrer Leistungen durch diese rechnen, wie es beispielsweise Sascha Anderson mehrfach gegenüber Gabriele Stötzer als Autorin versuchte. Vgl. die Ausführungen zur pejorativen Verwendung des Feminismusbegriffs in Kap. 1.4.3.1 Lietzen: Ein Ort für Künstlerinnen und Kap. 1.4.3.3 Kritik. 89 E-Mail von Holger Kulick an die Autorin, 05.02.2017.
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Die Zumutung der Mehrfachbelastung für Frauen, bestehend aus Beruf, Kinderbetreuung, Haushaltsführung und der Versorgung von Kolleg*innen, wie am Beispiel von Wilfriede Maaß skizziert, eröffnet eine ernüchternde Perspektive auf die künstlerischen Szenen der zweiten Öffentlichkeit. Künstlerinnen arbeiteten in ihrem Beruf und waren von ihm voll beansprucht. Gleichzeitig hielten die bohemistischen Künstlerkreise in der privaten Sphäre traditionelle Geschlechterbeziehungen aufrecht, die bis heute, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Hildtrud Ebert, keiner kritischen Revision unterzogen wurden. Staatliche Programme zur ‚Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft‘ richteten sich, wie im Kapitel zur sozialen Situation von Künstlerinnen deutlich wurde, vorrangig auf Frauen in Festanstellung. Künstlerinnen waren von sozialpolitischen Maßnahmen entweder ausgeschlossen oder diese waren mit ihrer Lebens- und Arbeitsrealität wie dem Arbeitsverbot im Babyjahr kaum kompatibel. Während die formalrechtliche Verantwortlichkeit für Kinder und Haushalt bei den Frauen lag und damit die Teilung in produktive und reproduktive Arbeit zementiert wurde, verhärtete sich die Lage von Künstlerinnen in der privaten Sphäre der zweiten Öffentlichkeit. Auch wenn mitunter die Etablierung eines weiblich geprägten Aktionsraums in künstlerischer Hinsicht gelang, erfuhr die Zuschreibung der Mutterrolle an Frauen ihre ungebrochene Fortsetzung, während Männer ihrer Verpflichtung als Väter eher entgingen. Damit wurden nicht nur tradierte Geschlechtermuster reproduziert, sondern auch ohnehin schon unbeachtete Produktionsformen noch einmal mehr an die Ränder der Wahrnehmbarkeit gedrängt.
1.4.2.2 Galerien Eine weitere Möglichkeit, einen öffentlichen Raum der künstlerischen Produktion, des Dialogs und der Vernetzung innerhalb der privaten Sphäre zu schaffen, war die Gründung von Galerien. Mit der über den VBK gesetzlich geregelten Zuweisung eines Ateliers nach Abschluss der Kunsthochschule verfügten die Künstler*innen über geschützte Innenräume, an denen sie nicht nur relativ ungestört ihrer freiberuflichen Tätigkeit nachgehen, sondern auch in verschiedenen Kreisen zusammenfinden konnten. Daraus entwickelte sich die Infrastruktur der zweiten Öffentlichkeit mit erweiterten Handlungsräumen, die das Entstehen von Künstlergruppen und privaten Ateliergalerien maßgeblich begünstigten. Galerien wurden, wie bereits erwähnt, hauptsächlich in Ateliers, Wohnungen oder ehemaligen Läden eingerichtet, worauf die Namen einzelner Ausstellungsräume verweisen: Ateliergalerie Scheib, Erfurter Ateliergemeinschaft, Galerie im Korridor, Galerie im Flur oder Wohnmaschine. Der Blick auf die insgesamt 42 Privatgalerien, die seit den 1950er Jahren bis Ende der 1980er Jahre in der DDR aktiv waren, und die Yvonne Fiedlers umfangreiche Untersuchung erfasst, zeigt eine deutliche Dominanz der männlich
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geführten Galerien mit einem Anteil von fast drei Vierteln (Fiedler 2013).90 Für den gesamten Zeitraum sind insgesamt sieben von Frauen betriebene Galerien zu ermitteln: Galerie Ursula Baring, Dresden (1959–1963), Galerie Stiefmütterchen beziehungsweise Kellergalerie von Inge Thiess-Böttner, Dresden (1976–1985), Galerie im Flur, Erfurt (1980–1981), Ateliergalerie Viola Blum von Uta Hünniger, Berlin (1982–1985); Galerie Petra Schramm, Berlin (1982–1986); Galerie im Korridor von Juliane Adler, Erfurt (1985–1986) sowie die Galerie fotogen von Claudia Reichardt, Dresden (1986–1990). Die Laufzeit dieser von Einzelbetreiberinnen geführten Galerien ist mit ein bis fünf Jahren verhältnismäßig kurz; eine Ausnahme stellt die von Thiess-Böttner über zehn Jahre geführte Kellergalerie dar. Gründe für die Schließungen waren unter anderem Behördendruck und die durch die Staatssicherheit erzwungene Aufgabe der Ausstellungstätigkeit. Auffallend ist, dass bis Ende der 1970er Jahre Künstlerinnen in den Programmen von Galerien kaum vertreten waren,91 auch nicht in den von Frauen betriebenen Galerien. Die sich für verfemte Kunstschaffende wie den informellen Maler Willy Wolff Ende der 1950er und Anfang 1960er Jahre in ihrer Dresdner Galerie einsetzende Ursula Baring präsentierte mit Applikationen und Collagen von Annemarie Balden-Wolff nur eine weibliche Position,92 war aber als Nachlassverwalterin der Malerin Paula Lauenstein aktiv und unterstützte in den 1990er Jahren die jüngere Künstlergeneration, darunter die Dresdner Malerin Gudrun Trendafilov. Mit der Zunahme von Privatgalerien in den 1980er Jahren stieg auch die Anzahl der Galeristinnen – fünf der sieben Betreiberinnen gründeten erst in den 1980er Jahren ihre eigenen Räume. Der Einstieg von Gabriele Stötzer in die Kunstszene Erfurts erfolgte 1980 mit der Übernahme der wichtigsten Wohnungsgalerie Thüringens, der Galerie im Flur von Dagmar und Klaus-Peter Peinzger.
90 Meine zahlenmäßigen Erhebungen beruhen auf den Angaben aus der Übersicht in Fiedlers Publikation, die alle Galerien und, soweit rekonstruierbar, alle Ausstellungen, Veranstaltungen sowie die Namen der ausstellenden Künstler*innen anführt (Fiedler 2013). Werden die von einzelnen Galeristinnen und von Paaren oder gemischtgeschlechtlichen Gemeinschaften betriebenen Galerien zusammengerechnet, ergeben sich rund 29 Prozent. 91 Das Konzept der damals bedeutendsten Galerie, der EP Galerie Schweinebraden in Berlin, sah in der Zeit von 1974 bis 1980 hauptsächlich Kunst von ‚großen alten Männern‘ wie Albert Wiegand und Gil Schlesinger vor. Aufgrund ihrer Ausrichtung auf internationale Gegenwartskunst und als Forum für neue Kunstformen zeigte die Galerie Werke u.a. von Roman Opalka, Charles Simonds, Stephen Willats sowie jüngere polnische, tschechoslowakische und ungarische Aktions- und Performancekünstler. Selten hingegen stellten Künstlerinnen aus. Unter den wenigen Teilnehmende waren die polnischen Performancekünstlerinnen Anna Kwiek und Zofia Kulik, die ungarische Konzeptkünstlerin Dora Maurer, die Vertreterin der kanadischen Mail Art Anna Banana und die deutsche Fotografin Hilla Becher. Das Galerieverzeichnis listet jedoch keine ostdeutsche Künstlerin (vgl. Fiedler 2013). 92 Das Galerieprogramm lässt sich nicht mehr vollständig rekonstruieren, da Ursula Baring nach Einschüchterungsmaßnahmen durch die Staatssicherheit alle Galeriedokumente vernichtet hat (vgl. Lehmann 2009).
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Zum überregionalen Programm gehörte jedoch keine Künstlerin, was Stötzers Anfängen in den künstlerischen Szenen geschuldet sein mag, gehörte sie kurze Zeit darauf doch zu den wenigen Künstlerinnen in der zweiten Öffentlichkeit, die konsequent und über viele Jahre die Zusammenarbeit mit Kolleginnen betrieb und zwei Künstlerinnengruppen als maßgebliche Initiatorin gründete. In ihrer Ateliergalerie Viola Blum in Berlin stellte Uta Hünniger Künstlerbücher und Zeichnungen aus und veranstaltete Punkkonzerte. 1984 fand unter dem Titel Zersammlung ein Lesemarathon über mehrere Tage mit fünf bis sieben Autor*innen pro Abend statt. Obwohl das Galerieprogramm die vielfältigen kreativen Felder der zweiten Öffentlichkeit repräsentierte, waren unter den Mitwirkenden nur wenige Künstlerinnen und Autorinnen. Hünniger nutzte die von ihr geschaffene Plattform auch zur Präsentation ihrer eigenen Arbeiten. Zu den Eingeladenen der Aktionen, Happenings und Ausstellungen in Claudia Reichardts Galerie fotogen in der Villa Marie in Dresden gehörten die Fotografin und Performerin Heike Stephan, die Malerinnen Gudrun Trendafilov und Eva Anderson sowie die Tänzerin Hanne Wandtke. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den von Frauen betriebenen Galerien, ähnlich wie in den von Männern initiierten Ausstellungsorten, weibliche Positionen unterrepräsentiert blieben, wobei die Anzahl der Künstlerinnen oftmals weit unter der Hälfte der Ausstellenden lag. Bei Recherchen wurde ich ausgerechnet durch ein Dokument der Staatssicherheit auf eine Ausstellung aufmerksam, die als die einzige Künstlerinnen-Ausstellung der zweiten Öffentlichkeit und damit als große Ausnahme gelten darf. Als Quelle der Tonbandabschrift diente IMB ‚Fritz Müller‘, eines der drei Pseudonyme des Dichters und Geheimdienstmitarbeiters Sascha Anderson. Darin heißt es, dass etwa drei Wochen lang zwanzig Künstlerinnen, darunter Uta Hünniger, Karla Woisnitza, Helga Paris, Gundula Schulze, Irene Fischer, Irene Böhme, Cornelia Schleime, Gabriele Kachold und Ursula Strozynski Bilder, Fotografien und Grafiken präsentiert hätten. Laut Aufzeichnung wurden zusätzlich zwei Leseabende mit Autorinnen, darunter mit Gabriele Kachold (Stötzer), Katja Lange-Müller und Cornelia Schleime veranstaltet, wobei letzte zusätzlich zwei ihrer Experimentalfilme zeigte.93 Diese Abende müssen auf großes Interesse gestoßen sein, denn Anderson schätzt bis zu siebzig Besucher*innen. Weitere Recherchen ergaben, dass es sich um eine 1983 von der Galeristin Petra Schramm gemeinsam mit dem Künstler Reinhard Zabka initiierte Ausstellung handelt, die sie in der großen Wohnung
93 Der Bericht enthält eine unvollständige Liste von nur neun, mitunter falsch geschriebenen Namen der teilnehmenden Künstlerinnen und eine ausführlichere Beschreibung der beiden Leseabende, BStU – Hauptabteilung XX/9, OV Toxin, Bl. 5, Quelle: IMB Fritz Müller, Tonbandabschrift „Information zu einer Ausstellung und zu zwei Veranstaltungen in der Wohnung einer Frau Besson, Bötzowstr. 26“, Berlin, 12.12.1983 (Aktenkopie, Archiv Gabriele Stötzer).
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ihrer Bekannten, der Autorin Imma Lüning-Besson, veranstaltete. Petra Schramm, die sich – nach eigenen Angaben – zu der Zeit auch mit der westdeutschen feministischen Bewegung beschäftigte, beabsichtigte mit dieser Initiative, „Künstlerinnen unbedingt zu Wort kommen zu lassen, da es so viele gute gegeben hat“.94 Rückblickend erinnert sich die Galeristin: Wir wollten einfach nur sehen, was da ist, und auch die Frauen stärken gegenüber diesen dominanten männlichen Künstlern. Wir hatten dann ganz verschiedene Leute, darunter Conny Schleime, die ja eher Untergrund war, Helga Paris, die eine andere Gruppe repräsentierte, Karla Woisnitza. Es gab Lesungen von Frauen, zum Beispiel von Gabriele Kachold und Katja Lange-Müller. Das war die erste nichtöffentliche Veranstaltung, wo nur Frauen auftraten; Männer waren nur als Publikum anwesend. (Schramm 2012:323) Schramm unternimmt mit offensichtlich großer Publikumsresonanz den Versuch, mit ihrer Ausstellung das Schaffen von Gegenwartskünstlerinnen innerhalb der zweiten Öffentlichkeit in einem ausschließlich ihnen gewidmeten Format sichtbar zu machen. Dabei führt sie nicht nur verschiedene Generationen zusammen, sondern auch Vertreterinnen divergierender Szenen. Projekte, die auf diesen neu aufgezeigten Handlungsoptionen und einem verstärkten Perspektivwechsel auf Künstlerinnen innerhalb der Ausstellungspraxis der zweiten Öffentlichkeit hätten auf bauen können, blieben in der Folge jedoch aus. Während sich eine ausschließlich aus Frauen bestehende Galeriegemeinschaft nicht nachweisen lässt, gab es insgesamt fünf gemischtgeschlechtliche Galerieteams.95 Zu den über 100 erfassten Ausstellungen und Veranstaltungen im Zeitraum des Bestehens der Ladengalerie von Heidrun und Christof Tannert96 in Berlin waren rund 25 Projekte Künstlerinnen, Musikerinnen und Schauspielerinnen gewidmet, darunter Erika Stürmer-Alex, Johanna Görke, Antje Fretwurst-Colberg, Annemirl Bauer, Uta Hünniger und Karla Woisnitza. Fiedler schreibt in ihrem Überblick die Ateliergalerie Scheib zwar ausschließlich dem Bildhauer Hans Scheib und in Fortführung Volker Henze zu. Es gab jedoch noch ein zweites Atelier von Ursula Scheib, das die Bühnenbildnerin nur temporär nutzte und das vor allem Raum für gemeinsam mit ihrem Mann 94 Petra Schramm im Telefonat mit der Autorin, 13.03.2018. 95 Dazu zählen die vier Ehepaare: Dagmar und Klaus-Peter Peinzger von der Erfurter Galerie im Flur (1978–1980), Heidrun und Christof Tannert von der Ladengalerie Tannert in Berlin (1979– 1989), Ingrid und Dietrich Bahß von der gleichnamigen Galerie Bahß in Magdeburg (1981–1983) und Cornelia und Udo Dietrich von der Galerie Schwamm in Weimar (1988–1990). Das Team des Atelierbundes Erfurt bestand aus Rainer Luck, Eberhard Häfner und Sieglinde Kaiser (1974–1978) (vgl. Fiedler 2013). 96 Ein Namensvetter des Kunstwissenschaftlers Christoph Tannert.
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organisierte Ausstellungen, Lesungen, Feste und Auktionen der Dresdner und Berliner Künstlerkreise bot. Bis zu ihrer Emigration 1985 zeigten die Scheibs in Einzelausstellungen auch Werke der Malerinnen Agnes Grambow, Annette Schröter, Karla Woisnitza und Elisabeth Aström aus Schweden sowie Keramiken von Wilfriede Maaß. Obwohl sich mit der wachsenden Zahl von Galerien in den 1980er Jahren insgesamt mehr Möglichkeiten für Künstlerinnen ergaben, ihre Werke in der zweiten Öffentlichkeit sichtbar zu machen, so übrigens auch in ausschließlich von Männern betriebenen Galerien wie der Leipziger Galerie Eigen+Art ab 1983, waren sie – ähnlich dem Verhältnis von Galeristinnen und Galeristen – an den Ausstellungsorten der zweiten Öffentlichkeit letztlich unterrepräsentiert. Bei näherer Betrachtung der Ausstellungsformate lässt sich zudem feststellen, dass Künstlerinnen öfter in Gruppenausstellungen und selten in exponierten Einzelausstellungen mit ihren Werken vertreten waren. An dem Ungleichgewicht änderten auch die von Frauen betriebenen Galerien in den 1980er Jahren nichts. Eine Zuspitzung des beschriebenen disproportionalen Verhältnisses von weiblichen Kulturschaffenden in Entscheidungspositionen zeigt sich in der Literaturszene. Als eine der wenigen Autor*innen äußerte sich Cornelia Sachse explizit zum Geschlechterverhältnis der literarischen zweiten Öffentlichkeit und bilanziert: Nehmen wir Mikado oder die ariadnefabrik, den ehemaligen schaden oder die heutige Verwendung, Liane oder Entwerter-oder – ihre Redaktionen sind nicht nur männlich dominiert, sie sind es ausschließlich. (1990:15) Auch wenn Frauen tatsächlich in Redaktionen vertreten beziehungsweise Gründerinnen von Zeitschriften waren wie Angelika Klüssendorf und Wiebke Müller vom Leipziger Anschlag oder Heike Drews (Willingham) im Berliner Schaden, so handelte es sich dabei um sehr wenige und um noch weniger Autorinnen als (Mit-)Herausgeberinnen. Bei der Realisation von im Eigenverlag produzierten Heften und Mappen setzte sich die auch in anderen kulturellen Feldern vorherrschende Geschlechterasymmetrie durch, die insbesondere die Leitungsebene betraft. Die Programme der Zeitschriften sahen kaum Autorinnen vor, ebenso wenig die von ostdeutschen Autor*innen zusammengestellten, aber ausschließlich in der BRD erschienenen Publikationen wie die Anthologie junger Schriftsteller*innen der DDR Berührung ist nur eine Randerscheinung. Neue Literatur aus der DDR von 1985, die Beiträge von 25 Autoren und nur von den vier Autorinnen Christa Moog, Katja Lange-Müller, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer enthält (Anderson & Erb 1985). Bildkünstlerische Beiträge von Angela Hampel, Christine Schlegel, Cornelia Schleime, Sabine Hermann, Uta Hünniger, Karla Woisnitza, Wilfriede Maaß, Mita Schamal, Gudrun Trendafilov und
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Fotografien von Heike Stephan, Karin Wieckhorst und Helga Paris waren in originalgrafischen Zeitschriften durchaus üblich. Schriftstellerinnen, die dagegen eine zentrale Stellung in der literarischen Szene und in den SamisdatSchriften beanspruchten, stießen, wie die Literaturwissenschaftlerin Birgit Dahlke in ihrer Analyse über inoffiziell publizierte Autorinnen in der DDR unterstreicht, auf massiven Widerstand (1997:42). So äußert Barbara Felsmann ihren Ärger auch über Lesungen, in denen „Frauen so in die Ecke gedrückt wurden“, da viele der Männer mit Frauen, „die etwas im Kopf und ihre eigene Sicht auf die Dinge hatten, offenbar wenig anfangen konnten“ (2012:452). Gleichermaßen betont die Filmemacherin und Autorin ihre Verdrossenheit darüber, dass sich viele der Frauen widerstandslos in diese Rolle fügten (ebd.:453).
1.4.2.3 Gruppierungen Die zentrale Steuerung und Kontrolle von Gesellschaft und Kultur untersagte die Bildung selbstständiger Gruppen innerhalb und außerhalb des VBK. Staatliche und kulturpolitische Restriktionen jedoch förderten den informellen Zusammenschluss von Künstler*innen und einzelnen Szenen der zweiten Öffentlichkeit. Zudem waren Individualisierungsbestrebungen als Versuch selbstbestimmter Lebensentwürfe in Abgrenzung zum Normativ der ‚sozialistischen Persönlichkeit‘ und zu Kollektivzwängen in der Diktatur der DDR nur durch die Rückbindung in Gemeinschaftsstrukturen möglich. Ohne die Integration in Cliquen, Zirkel und Szenen, die als notwendiger Resonanzraum galten, hätten die Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit nicht ihrem Anspruch gerecht werden und Wirkkraft entfalten können (Kaiser 2016:151). Auch wenn einzelne Gruppierungen und Großveranstaltungen einen großen gemeinsamen Konsens zu vermitteln schienen, organisierte sich, wie Claus Löser herausstellt, die Kommunikation untereinander eher unter den Maßstäben eines Notbundes, denn aus hehrer Solidarität (1996:8). Viele der Allianzen basierten auf den Folgen der Mangelgesellschaft und entsprachen einer Zwecksymbiose. Die, wie Kaiser zugespitzt formuliert, „zweckgebundene Bindungslosigkeit“ (Kaiser 2016:157) und das Nomadendasein der Akteur*innen äußerten sich in Form loser Gemeinschaften und Freundeskreise. Zu Gründungen fester Künstlergruppen, die über mehrere Jahre als Verbund unter einem Namen agierten, wie die vergleichsweise zahlreichen Bands der Punkszenen, kam es verhältnismäßig selten. Eine daraus unmittelbar folgende Konsequenz ist das Fehlen von Manifesten und Gruppenprogrammen. Statt eines systematischen Überblicks über Künstlergruppen und ihre durch Ausstellungen und Publikationen mitunter gut dokumentierte Rolle für die Herausbildung aktionistischer Kunstformen soll an dieser Stelle nur eine Auswahl genannt werden, um die ihnen inhärenten Geschlechterkonstellationen zu beleuchten.
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Nach Auflösung der vielzähligen bestehenden Künstlergruppen Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre gelang einigen Dresdner Malern mit der Gründung der Lücke (1971–1976) das Modell der freien Künstlergruppe zu reinstallieren. Zu den Künstlern zählten Harald Gallasch, Wolfgang Opitz, Steffen Kuhnert (Terk) und A. R. Penck, die das „gemeinschaftliche, ja männerbündlerische Malen“ (Tannert 1996:36) praktizierten und sich in dieser Form selbst genügten. Der überregionale Bekanntheitsgrad der KarlMarx-Städter (Chemnitzer) Künstlergruppe und Produzentengalerie Clara Mosch stieg stetig in der Zeit ihres Bestehens von 1977 bis 1982 durch Ausstellungen, Pleinairs und Feste. Die Gründungsmitglieder Michael Morgner, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke, Gregor-Torsten Schade (Kozik) und der der älteren Künstlergeneration angehörende Grafiker Carlfriedrich Claus standen in engem Austausch mit anderen künstlerischen Szenen des Landes. Insbesondere ihre Aktionen in und mit der Natur, die unter dem Begriff des ‚Pleinair‘ stattfanden und namentlich an die Tradition der impressionistischen Freiluftmalerei Frankreichs anknüpften, fanden nach 1989 eine breite Rezeption (vgl. Richter 2018c). Die Malerin Dagmar Ranft-Schinke nahm an den von ihren männlichen Mitstreitern veranstalteten Pleinairs nicht oder nur mit Abstand teil. Am Rand der Gruppe arbeitete sie vor allem an den abstrakten Kompositionen ihrer Malerei. Auch in der von Mitte der 1980er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre aktiven Gruppe von Studierenden des Bühnenbilds an der Hochschule für Bildende Kunst Dresden, die unter dem Namen Auto-Perforations-Artisten mit ihren exzessiven Performances, mit Provokationen und Tabuverletzungen, mit Strategien des Schocks und Ekels und unter Einsatz ihres Körpers als künstlerisches Material sowie mit ihrer Band Die Strafe und ihren Super-8-Filmen überregional für Furore sorgten, sah das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Akteurinnen und Akteuren ähnlich aus. Neben den Künstlern Michael Brendel, Rainer Görß und Via Lewandowsky agierte als ‚einzelne Dame‘, dafür aber ebenso präsent wie ihre männlichen Mitstreiter, die Künstlerin Else Gabriel. In den gemeinsamen Performances hätte es, wie Hildtrud Ebert in ihrem Aufsatz über Gabriels Bedeutung innerhalb der Gruppenauftritte beschreibt, kein Entrinnen aus geschlechtsspezifischen Mustern gegeben (2006:83). Die Männer reproduzierten Mythen heroischer Selbstopferung, indem sie ihren eigenen Körper malträtierten, „Else Gabriels Körper [hingegen, A.R.] wurde malträtiert“ (ebd., Hervorh. im Original). Gleichermaßen mangelte es dabei nicht an „assoziierter ‚Weiblichkeit‘“, wenn sich Gabriel als Urmutter in Herz Horn Haut Schrein inszenierte oder sie in Beuys Beine Machen ein Brot gebar (ebd.). Ob es sich bei Gabriels Inszenierungen tatsächlich um die bloße Nachahmung tradierter Zuschreibungen handelt, oder inwieweit mit Verfahren der Zuspitzung, Ironie und Groteske Rollenklischees erfolgreich unterlaufen wurden, gilt es an anderer Stelle zu analysieren.
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Wie in der Galerienlandschaft lassen sich auch bei Künstlergruppen einige wenige Gegenentwürfe zu den manifesten Geschlechterhierarchien in der Zusammenarbeit zwischen Frauen und Männern aufzeigen. Dazu gehört die 1982 in Leipzig gegründete und nur kurzzeitig vom Staat tolerierte, für ihre interaktive Kunstproduktion bekannte Gruppe 37,2. Ihre intermedialen, gestische Malerei, Musik und Performances kombinierenden Happenings und sogenannten Kreativitätstrainings unter anderem mit Führungspersönlichkeiten von Volkseigenen Betrieben (VEB) erprobten gruppendynamische und kommunikative Prozessformen sowie den spielerische Austausch mit dem Publikum. „Kunst als unmittelbare Produktivkraft“ (Hans-Joachim Schulze zit. nach Grundmann 2002:51) sollte gleichermaßen Akteur*innen und Rezipient*innen zu sozialer Kompetenz und zur Neuorganisation künstlerischer Prozesse befähigen sowie dazu motivieren, gesellschaftliche Bedingungen aktiv zu gestalten. Abgesehen von einer in den künstlerischen Kreisen der zweiten Öffentlichkeit ausgesprochen selten artikulierten, auf marxistischer Theorie basierenden linken Kritik an der Abkehr des Staates von seinen sozialistischen Grundsätzen und ihrer Überführung in aktionistische Kunstformen setzte die Gruppe eine ungewohnte interdisziplinäre Arbeitsweise in die Praxis um. Ihre Mitglieder kamen sowohl aus der Kunst als auch aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Bereichen: der Künstler und Initiator Hans-Joachim Schulze, die Fotograf*innen Gunda Schulze und Peter Oehlmann, die Maler Albrecht Gehse und Hartwig Ebersbach – dessen ehemaliger Schüler Schulze an der Leipziger Kunsthochschule war – die Psychologin Annelie Harnisch und die Kybernetikerin Brunhild Matthias.97 Obwohl Hans-Joachim Schulz als der führende Kopf der Gruppe galt und bezeichnenderweise nur eine der Akteurinnen tatsächlich aus dem Kunstfeld stammte, zeigte sich das zahlenmäßige Geschlechterverhältnis wesentlich ausbalancierter als in anderen Gruppen. Lose Gruppierungen innerhalb eines Künstlerkreises weisen Frauen eine den meisten Künstlergruppen vergleichbar marginale Bedeutung zu. Der Leipziger Freundeskreis um Lutz Dammbeck, Günter Firit, Hans Hendrik Grimmling, Frieder Heinze, Günther Huniat und Olaf Wegewitz schloss sich in verschiedenen Formationen für Gemeinschaftsaktionen und Gruppenausstellungen zusammen. Gemeinsam realisierten sie den Plastikgarten Stötteritz, planten die Tangente I (1976), die auf kulturpolitischen Widerstand stieß und abgesagt werden musste, und den 1. Leipziger Herbstsalon (1984). Letzterer orientierte sich an Herwarth Waldens Erstem Deutschen Herbstsalon (1913) und war
97 Die Mitarbeit einer Kybernetikerin in der Gruppe 37,2 bezeugt das zu der Zeit verstärkte Interesse von Künstler*innen an der Theorie dynamischer Systeme und ihrer Steuerung. Zum 1979 von Schulze gegründeten und den Aktivitäten der Gruppe 37,2 vorangegangenen Arbeitskreis gehörte zudem der Philosoph Wolfgang Peters.
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vor allem eine in Eigenregie organisierte und damit unzensierte Ausstellung, die erfolgreich die kontrollierte Vergabe von Ausstellungsräumen durch den VBK aushebelte. Karin Plessing und Karin Wieckhorst dokumentierten mit ihrer Kamera das Geschehen ihrer Kollegen und Partner aus dem Hintergrund heraus. Unter der Bezeichnung ‚Mediencollagen‘ entwickelte Lutz Dammbeck geschichts- und machtkritische Inszenierungen als komplexe intermediale Gefüge aus Film, Video, Tanz, Malerei und Musik, in denen die experimentelle Tänzerin und Pantomimin Fine Kwiatkowski auftrat. Die 1983 in Berlin gegründete Produzententgalerie rg in der Sredzkistraße 64, deren Kürzel für ‚Raumgemeinschaft‘ oder ‚rot-grün‘ stand, setzte sich ausschließlich aus männlichen Akteuren zusammen: den Künstlern Horst Bartnig, Erhard und Mario Monden, Robert Rehfeldt, Wolfram A. Scheffler sowie den Kunsthistorikern Eugen Blume und Klaus Werner. Künstlerinnen in Künstlergruppen und engen Freundeskreisen traten nur singulär auf und agierten oftmals an ihren Rändern. Sowohl bei Clara Mosch als auch der Gruppe 37,2 war die einzige Künstlerin und Mitbegründerin jeweils die Partnerin eines der darin aktiven Künstler.98 Sowohl Dagmar Ranft-Schinke als auch Gunda Schulze werden in der Rezeption der beiden Künstlergruppen nach 1989 zwar immer wieder als Gründungsmitglieder erwähnt, ihre künstlerische Bedeutung für und innerhalb des jeweiligen Gruppenzusammenhangs jedoch kaum besprochen (vgl. Blume 1996; Grundmann, Michael & Seufert 2002). Resümierend ist festzuhalten, dass Künstlerinnen die Lebenshaltung und typischen Charakteristika der als ‚Boheme‘ bezeichneten künstlerischen Szenen der zweiten Öffentlichkeit wie die Ablehnung normierter Wertvorstellungen, die Stilisierung ihres öffentlichen Auftretens oder das Mitwirken in verschiedenen Kreisen und Veranstaltungen mit ihren männlichen Kollegen teilten. Die Entscheidungsträger, zentralen Figuren und Initiatoren blieben zumeist Männer, obwohl Männer und Frauen gleichermaßen künstlerisch aktiv waren und auf den „intellektuellen Barrikaden“ standen (Tannert 2009a:26). Das Geschlechterverhältnis in den künstlerischen Szenen der zweiten Öffentlichkeit zeigt sich als von Hierarchie und Ungleichheit gekennzeichnet. So wurden nicht nur patriarchale Strukturen im familiären Raum fortgeschrieben und zugespitzt. Während die Teilnehmerinnenanzahl in der Kunstausstellung der DDR annähernd der Mitgliederzahl im VBK entsprach und zahlreiche 98 An dieser Stelle würde sich eine Untersuchung zu Künstlerpaaren, den Effekten ihrer Partnerschaft und dem gegenseitigen Einfluss auf ihre künstlerische Praxis, auf ihre Sichtbarkeit in den künstlerischen Szenen sowie in der nach 1989 einsetzenden Rezeption anbieten, die jedoch im Rahmen dieser Studie nicht zu leisten ist. Zu den Paarkonstellationen könnten beispielsweise Dagmar Ranft-Schinke und Thomas Ranft, Gunda Schulze und Hans-Joachim Schulze, Ursula Scheib und Hans Scheib, Wilfriede Maaß und Ekkehart Maaß sowie Sascha Anderson, Karin Plessing und Lutz Dammbeck, Karla Woisnitza und Volker Henze sowie Cornelia Schleime und Ralf Kerbach zählen.
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institutionelle Künstlerinnen-Ausstellungen im In- und Ausland nachgewiesen werden konnten, stellten Frauen als private Galeristinnen, als ausstellende Künstlerinnen sowie als Akteurinnen loser Gruppierungen in der zweiten Öffentlichkeit eine Minderheit dar, wobei dieser Marginalisierung mit nur einer einzigen Künstlerinnen-Ausstellung begegnet wurde. Das Programm der ersten großen Überblicksausstellung der Gegenkultur in der DDR L’Allemagne hors les murs zeigt ein vergleichbares Zahlenverhältnis von ausstellenden Künstlerinnen und Künstlern wie die Kunstausstellung der DDR. So sind neben Performerinnen, Musikerinnen, Filmemacherinnen und Modedesignerinnen sechs Malerinnen von insgesamt 26 Maler*innen (23 Prozent) und sechs Fotografinnen von 18 Fotograf*innen (33 Prozent) eingeladen (vgl. Najman & Welger 1989).99 Spätestens in diesem Rahmen aber hätte sich die Möglichkeit geboten, die Bedeutung von Künstlerinnen auch durch eine zahlenmäßig stärkere Präsenz hervorzuheben. Wie die Literaturwissenschaftlerin Birgit Dahlke in ihrer Studie zu den geschlechtsspezifischen Strukturen der Literaturszenen schlussfolgert, glichen sich die Differenzen zwischen Akteurinnen und Akteuren in spontanen Treffen und Aktionen aus. Sobald es jedoch um die Präsenz und Sichtbarkeit innerhalb der Institutionen und in Distributionsmedien der zweiten Öffentlichkeit ging, regelten Männer den Zugang und drängten Frauen an den Rand (1997:42). Im von männlichen Akteuren dominierten Galerie- und Ausstellungsgeschehen konnten nur einige weibliche Initiatorinnen ihre Position behaupten. So gering die Zahl der Betreiberinnen von Galerien und so kurz ihre Laufzeit auf den ersten Blick auch erscheinen mag, kann ihre Leistung unter den politisch brisanten Bedingungen der zweiten Öffentlichkeit und angesichts der asymmetrischen Geschlechterverhältnisse nicht hoch genug geschätzt werden. Uta Hünniger, Betreiberin der Ateliergalerie Viola Blum, betont, dass ihre Positionierung als Künstlerin und Galeristin in den „männlich dominierten und vernetzten Künstlergruppen“ und ohne Lobby nur mit Vehemenz möglich gewesen sei (zit. nach Fiedler 2013:61). Unter diesen Voraussetzungen müssen die künstlerischen Szenen der zweiten Öffentlichkeit nicht nur als patriarchal, sondern darüber hinaus, wie Beata Hock in ihrer Untersuchung zu Gendered Artistic Positions and Social Voices in den visuellen Künsten Ungarns herauskristallisiert, bis zu einem gewissen Grad als rückschrittlich betrachtet werden, „insofar as it [the vanguard artistic circle, A.R.] withheld the new possibilities that simultaneous social developments did offer women“ (Hock 2013:230). Während Künstlerinnen und Künstler der zweiten Öffentlichkeit staatlichen und kulturpolitischen Repressionen gleichermaßen mit kreativen Versuchen der Selbstbestimmung begegneten, verfestigten sich
99 Vgl. dazu auch Kap. 1.2.4 Die Kunstausstellung der DDR.
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Erscheinungsformen hierarchischer Geschlechterbinarität sowie Diskriminierungsmechanismen, die tradierte ideologische Werte wie die Arbeitsteilung der Geschlechter reproduzierten. Was Birgit Dahlke für die Autorinnen betreffenden Marginalisierungserfahrungen hervorhebt, trifft gleichermaßen auf viele Künstlerinnen zu: Frauen selbst waren durch ihre bereitwillige Unterordnung und durch die fehlende Artikulation ihrer Forderungen daran beteiligt, die geschlechterbedingte Segregation in der zweiten Öffentlichkeit zu reproduzieren (Dahlke 1997:50). Die durch das Gleichheitsprinzip und Arbeitsparadigma erzeugte Gleichgültigkeit gegenüber Geschlechterhierarchien hat – wie bereits erwähnt – zu einem fehlenden Bewusstsein für patriarchalische Strukturen in der Gesellschaft, jedoch auch in den Kreisen der zweiten Öffentlichkeit geführt und darüber hinaus für ein Verkennen der Relevanz von Gender für die Kunstproduktion selbst. Dagmar Ranft-Schinke schreibt 1992 unter dem Titel „Der Die Das Kunst“ einen sarkastischen Künstlerbrief als Reaktion auf die Existenz des Künstlerinnenmuseums Bonn und fasst zusammen, dass es „der Kunst selbst [...] wohl egal sei, wessen Geschlechts ihr Schöpfer war“.100 In einem Gespräch bestätigte die Malerin, es hätte nie einen Unterschied für sie zwischen Künstlerinnen und Künstlern gegeben, wobei sie für eine Vielzahl ihrer Kolleginnen sprechen würde.101 Sie fühle sich nicht zu kurz gekommen und sei zufrieden mit dem erreichten Stand, also der aktuellen öffentlichen Anerkennung ihres Werkes in Ausstellungen und Publikationen. Zugleich räumt sie ein, dass sie als Frau mehr hätte kämpfen, als Mutter zweier Kinder andere Schwerpunkte hätte setzen müssen und es zudem sehr dominante Männer gegeben hätte. Dazu zählte ihr Lehrer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig Werner Tübke, der Frauen und ihre künstlerische Arbeit massiv diskreditierte, indem er während ihres Studiums in den 1960er Jahren konstatierte, sie gehörten an den Kochtopf und ins Bett. Dennoch hätte sich Dagmar Ranft-Schinke nie in den Vordergrund gestellt und es hätte, ihrer Meinung nach, auch nichts genützt, wenn sie sich als Frau aufgelehnt hätte. Sie sei überzeugt, Qualität setze sich durch, die Kunstgeschichte entscheide.102 Mit der Annahme, ihre Arbeit sei Teil einer universellen und deshalb geschlechtsneutralen Kunst, steht Ranft-Schinke nicht allein. So führt Martina Pachmanová am Beispiel tschechischer Künstlerinnen aus, dass diese sich zwar mit kritischen Körperpolitiken beschäftigten und die Rolle von Frauen und Männern in der Gesellschaft reflektierten, in Interviews Anfang der 1990er Jahre jedoch die Beziehung zwischen Gender und Kunst bestritten (2009:241).
100 Dagmar Ranft-Schinke, „Der Die Das Kunst“, unveröffentlichter Künstlerbrief, Nr. 10, 15.12.1992. 101 Dagmar Ranft-Schinke im Telefonat mit der Autorin, 29.01.2016. 102 Ebd.
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Die als selbstverständlich angenommene Gleichberechtigung bewirkte, wie mit Blick auf die Galerienlandschaft deutlich wurde, eine mangelnde Solidarisierung und Organisation von Künstlerinnen in der zweiten Öffentlichkeit. Infolgedessen bildeten die Infrastrukturen, Netzwerke, Initiativen und Werke der männlichen Akteure die Schwerpunkte auch für die nach 1989 erfolgende Rezeption ostdeutscher Kunst der zweiten Öffentlichkeit.103 Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, dass sich Paul Kaiser in seiner Untersuchung für den Maler und Musiker A. R. Penck und die Dresdner Künstlergruppe Lücke als Fallbeispiel für die Sozialfigur des Boheme-Künstlers entscheidet (Kaiser 2016:202ff), anstelle einer Künstlerin der zweiten Öffentlichkeit wie beispielsweise Dagmar Ranft-Schinke. Im Umkehrschluss wurde und wird bis heute die Geschichtsschreibung zur Kunst in der DDR durch ebenjene männlichen Protagonisten maßgeblich (mit)bestimmt.104
1.4.3 Eigeninitiativen von Künstlerinnen Dieses Unterkapitel geht der Frage nach, ob es neben beziehungsweise entgegen regressiver Geschlechterdynamiken und ungeachtet des weitreichenden Verkennens der Geschlechterdifferenz in der zweiten Öffentlichkeit spezifische Orte und Gruppierungen gab, die den Zusammenhalt und die Kooperation von Künstlerinnen förderten und welche das waren. Hierfür wird der Lietzener Hof in den Fokus der Betrachtungen gerückt, der zwar kein ausschließlicher Ort für Frauen war, aber durch die künstlerisch-soziale Praxis seiner Eigentümerin Erika Stürmer-Alex ein bedeutungsvoller Produktionsraum für Künstlerinnen wurde und bis heute ist. Bedingt durch ihr eigenes intermediales und prozessuales Arbeiten bot Stürmer-Alex mit ihrem ländlichen Anwesen darüber hinaus Künstler*innen und Gruppierungen die Möglichkeit, Performances und Aktionen vor Ort zu entwickeln, zu proben und aufzuführen. Dargelegt wurde, dass das Verbot von Gruppengründungen wie auch die beschriebenen Individualisierungsbestrebungen dazu beitrugen, dass sich Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit hauptsächlich in losen Gruppierungen und in nur wenigen festen und über längere Zeiträume bestehenden Gruppen organisierten. Meine Untersuchung richtet sich auf die politische und künstlerische Bedeutung der Erfurter Künstlerinnengruppe, welche die 103 Vgl. den in der Einführung dargelegten Forschungsstand: Gillen 1997; Barron & Eckmann 2009; Rehberg u.a. 2012; Blume & Tannert 2016. 104 Gründeten Kunsthistorikerinnen wie Christiane Müller nach 1989 ihre eigenen Galerien, so waren diese aufgrund fehlender finanzieller Mittel und Netzwerke auf dem Kunstmarkt nur sehr kurzlebig. Dahingegen konnten sich männliche Galeristen bis heute durchsetzen. So ist die Galerie EIGEN+ART mit Standort in Leipzig und Berlin eine der erfolgreichsten Galerien für zeitgenössische Kunst auf dem internationalen Kunstmarkt. Auch Friedrich Loock, Initiator der Wohnmaschine (heute LOOCK), betreibt seit 1988 bis heute mit Erfolg seine Galerie in Berlin.
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einzige Künstlerinnengruppe in der zweiten Öffentlichkeit der DDR bleiben sollte, zumal recht isoliert an der regionalen Peripherie. Zuletzt sollen geschlechterkritische Beiträge von Autorinnen und Künstlerinnen in den alternativen Publikationsmedien der zweiten Öffentlichkeit betrachtet werden. Offenkundig wird, dass nur vereinzelte Veröffentlichungen zu geschlechtsspezifischen Thematiken in der Kunst und zur Geschlechterhierarchie in der sogenannten Boheme vorliegen. Als wichtigste Künstlerinnen, die Debatten in Samisdat-Heften versucht haben anzuregen, dürfen Angela Hampel und insbesondere Gabriele Stötzer mit ihren literarischen als auch analytischen Texten gelten. Welche Gründe für die wenigen Beiträge geltend gemacht werden können, wird Gegenstand der folgenden Ausführungen sein.
1.4.3.1 Lietzen: Ein Ort für Künstlerinnen Dass sich in der Werkstatt von Wilfriede Maaß auffallend viele Künstlerinnen und Autorinnen versammelten, lässt darauf schließen, dass es der Keramikerin gelang, einen Raum zu etablieren, in dem Frauen die Möglichkeiten hatten, neben beziehungsweise mit ihren Kollegen – und in einem anderen Medium als der Malerei – gemeinsam zu produzieren und vor einem größeren Publikum ihre Texte zu präsentieren. Wie dargelegt, stellten dort die Malerinnen Christine Schlegel, Cornelia Schleime, Karla Woisnitza, Angela Hampel, Sabine Herrmann, Petra Schramm, Uta Hünniger und auch die Schlagzeugerin der Punkband Namenlos Mita Schamal, eine Nichte von Maaß, ihre eigenen Keramiken her. Die Lyrikerin Elke Erb und die Autorin Katja Lange-Müller lasen, Gabriele Stötzer kam zu Besuch wie auch die Kunsthistorikerin Gabriele Muschter und die Fotografin Helga Paris. Ein ähnlich wichtiger Ort – auf dem Land und damit an den Rändern der Kunstszenen gelegen – ist der bis heute bestehende Hof der Malerin und Bildhauerin Erika Stürmer-Alex.105 1982 erwirbt die Künstlerin ein verfallenes Haus und Grundstück in dem Dorf Lietzen unweit von Frankfurt an der Oder und baut es gemeinsam mit zahlreichen Helfer*innen in den folgenden Jahren zum Mittelpunkt regionaler und überregionaler Szenen, vor allem für Künstler*innen aus Berlin und Brandenburg, aus. Aus politischen Gründen wird Stürmer-Alex nach Beendigung ihres Kunststudiums bei der Wohnplatzvergabe in Berlin nicht berücksichtigt. Sie zieht zunächst in das schon zum Bezirk Frankfurt/Oder gehörende Woltersdorf bei Berlin. Nach einer weiteren Station 105 Stürmer-Alex studiert von 1958 bis 1963 Malerei und Grafik an der Kunsthochschule Weißensee beim experimentell und an formalen Aspekten orientierten Herbert Behrens-Hangele, beginnt Anfang der 1970er Jahre mit plastischen Arbeiten wie Materialmontagen und Styropor-Farbplastiken, widmet sich Ende der 1970er Jahre verstärkt Collagen, Künstlerbüchern und der Druckgrafik, um sich wenig später mit der Herstellung großformatiger Polyesterplastiken zu befassen. Ihre Arbeit weist eine Vielzahl experimenteller Ansätze auf und ist Ausdruck für den Versuch, Bewegung, Musik und literarische Texte in visuelle Kunst zu übersetzen.
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in Ortwig im Oderbruch nahe der deutsch-polnischen Grenze lässt sich die Künstlerin auf dem zwischen weiten Feldern und Wiesen gelegenen Bauernhof in Lietzen nieder, um dort, wie die Staatssicherheit zu Recht mutmaßt, „ein Zentrum von illegalen Ausstellungen zu schaffen sowie Künstlern ihrer Kunstrichtung Unterkunft und Arbeitsmöglichkeit zu verschaffen“ (Müller-Stosch 2008:o.S.). Als Lehrerin beim Mal- und Grafikzirkel des Kulturhauses Rüdersdorf veranstaltet sie für ihre, in der Mehrzahl weiblichen Studierenden in den folgenden Jahren sogenannte ‚Malwochen‘ auf ihrem Hof, um gestalterische Grundlagen zu vermitteln. Um die Arbeitswochen realisieren zu können, lässt sich die Künstlerin für die Wahl zur Sektionsvorsitzenden für Malerei/Grafik des VBK Frankfurt/Oder aufstellen. Dass eine im Rahmen des VBK organisierte Veranstaltung auf einem Privatgrundstück durchgeführt werden soll, wertet die Staatssicherheit in dem gegen Stürmer-Alex laufenden OV Atelier als Versuch, „Künstler ohne Einfluss von Partei, Staat und gesellschaftlichen Organisationen zusammenzuführen“ (Müller-Stosch 2008:o.S.).106 Stürmer-Alex’ Hof bildet einen Knotenpunkt für Netzwerke von Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen verschiedener Generationen, die sich dort über Jahre regelmäßig treffen und zusammen arbeiten.107 Der Künstlerin gelingt es, wenn auch unter Beobachtung der Staatssicherheit, gemeinsam mit ihren Schüler*innen während der Malwochen, mit ihren Kolleg*innen im Rahmen der staatlich bewilligten Arbeitswochen und während vier Pleinairs des VBK zahlreiche Land-Art-Aktionen, Performances, spontanes Theater, Tanzimprovisationen, szenische Lesungen, Vorträge, Konzerte, und Künstlerfeste zu veranstalten. Die enge Verknüpfung von künstlerischer Arbeit und Leben, das kreative, experimentelle und gemeinschaftliche Arbeiten ermöglichen die Herausbildung einer prozessorientierten Kunstpraxis vor Ort. Stürmer-Alex selbst verfolgt neben beziehungsweise in Verknüpfung mit ihrer malerischen und bildhauerischen Arbeit eine körperbasierte Kunstpraxis. Während ihres Studiums in Berlin fertigte sie Zeichnungsserien zu Theaterstücken an, darunter zur Inszenierung von Penthesilea an der Berliner Volksbühne oder zu Mutter Courage am Berliner Ensemble, an dem sie noch Originalinszenierungen seines Gründers Bertolt Brecht sehen konnte. Ihre Begeisterung fürs Theater, für Spiel 106 Streng genommen war Lietzen nicht ausschließlich der zweiten Öffentlichkeit vorbehalten, sondern kann als Paradebeispiel für die Durchdringung von erster und zweiter Öffentlichkeit an einem Ort gelten. Stürmer-Alex war als Sektionsleiterin des VBK aktiv, die vom Verband organisierte Veranstaltungen auf ihrem Hof realisierte. Zugleich handelt es sich um einen privaten Ort, an dem Künstler*innen und Gruppen mit Ausstellungs- und Aufführungsverbot und ohne Zugang zur ersten Öffentlichkeit aktiv waren. 107 Neben Stürmer-Alex ist ihre Partnerin, die Schriftstellerin Christine Müller-Stosch, Protagonistin des Hofes. Künstlerinnen, die regelmäßig vor Ort produzieren, sind u.a. Elke und Ute Postler, Johanna Görke, Christine Hänsel (Prinz), Maria Sibylla Ponizil, Rosemarie Schulze und die sowohl im Kreis um Stürmer-Alex wie in dem um Wilfriede Maaß aktive Karla Woisnitza. Aber auch Künstler wie Claus Hänsel oder Wolfgang Smy besuchen regelmäßig oder über längere Zeit den Hof.
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und Verkleidung äußerte sich in ersten eigenen Inszenierungen wie Hamlet (1973), die sie in ihrem Atelier in Zusammenarbeit mit ihren Kolleginnen wie der Malerin Johanna Görke realisierte. Die Gestaltung der Kostüme, Masken und des Bühnenbildes steht für die Malerinnen dabei im Vordergrund (Bilang 1994). An ihre in den 1970er Jahren begonnene Gesichtsbemalungen, Stücke und Kostümierungen knüpft die Künstlerin später häufig an. In Feldbegehung von 1985 zeigt sie sich mit Maske und in einem weißen Kostüm, auf dem schwarze, abstrakte Linien appliziert sind. Darin schreitet Stürmer-Alex um temporär aufgestellte, weiße, geometrische Formen im freien Feld. Ihre Aktion reflektiert skulpturale und räumliche Fragen zur menschlichen Figur im Verhältnis zum Medium der Skulptur und des Raumes. Die Transformation des ländlichen Raumes in ein temporäres Kunstwerk zeigt Anklänge an die Kunstströmung der Land Art. Zudem bietet der Hof einen Raum für Proben und Aufführungen von Künstler*innen und Musik- oder Theatergruppen, wie die Erfurter Künstlerinnengruppe 1989 für ihre Performance Figuraler Einzelgang zeitgemäßer Erscheinungen [Abb. 3–4], für die dem Prinzip der Improvisation in experimenteller Musik und Performance folgende Gruppe FINE108 sowie für eine der wenigen freien Theatergruppen der DDR, das Theater Zinnober.109 Stürmer-Alex’ künstlerisch-soziale Praxis kann vor dem Hintergrund von Joseph Beuys’ ‚Erweitertem Kunstbegriff‘ verstanden werden. Weniger explizit politisch ausgerichtet, liegt ihr gesellschaftsveränderndes Potential in der Anregung und Bestärkung anderer Menschen, insbesondere Frauen, sich kreativ und künstlerisch auszudrücken. Die Künstlerin entwickelt die Voraussetzung für soziale Strukturen der Gemeinschaftlichkeit und kooperativer Schaffensprozesse. Mit ihrem Kunstverständnis bringt Stürmer-Alex einen offenen und zugleich schützenden Ort für gleichaltrige und jüngere Kolleginnen sowie für die produktive Koexistenz von Künstlerinnen – auch mit Künstlern – hervor. Nach eigenen Aussagen weist Erika Stürmer-Alex der Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen, sowohl gesellschaftliche als auch künstlerische Zusammenhänge betreffend, keine Priorität zu. Obwohl sie nicht ihr „Lebensgefühl als Frau“, sondern das „Lebensgefühl als Mensch“ (Müller 1990a:360) zum Hauptthema ihrer Kunst erklärt und als „ersten Gegner“ die Staatsdoktrin bezeichnet,110 ist ihr Hof als lebendiger Ort des Austausches von Künstlerinnen Zeugnis für Solidarität und künstlerische Kooperation von Frauen, die 108 FINE das sind der Saxophonist Dietmar Diesner, der Gitarrist und Herausgeber der Samisdat-Zeitschrift und, Lothar Fiedler, der Bassist Christoph Winkel und die Tänzerin, Pantomimin und Performerin Fine Kwiatkowski. 109 Das 1979 gegründete Theater stellte einen größeren Verbund von Schau- und Puppenspieler*innen dar, die ohne Genehmigung in ihrem Berliner Ladenlokal, ebenso in Kirchen und Gemeindezentren oder auf Festen spielte. 1986 wurde das Aufführungsverbot aufgehoben. 110 Erika Stürmer-Alex im Telefonat mit der Autorin, 12.01.2009.
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A bb . 3–4 Erfurter Künstlerinnengruppe, Figuraler Einzelgang zeitgemäßer Erscheinungen (mit Harriet Wollert, Verena Kyselka, Ina Heyner, Gabriele Göbel, Tely Büchner, Gabriele Stötzer, Monika Andres), Juni 1989, Hof von Erika Stürmer-Alex, Lietzen
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Stürmer-Alex auch nach 1989 fortführt. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen gründet sie 1991 die Künstlerinnengruppe ENDMORÄNE. Künstlerinnen aus Brandenburg und Berlin, deren Ziel die Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit von Künstlerinnen ist. Zentraler Ort bleibt der Lietzener Hof, auf dem einmal im Jahr eine Sommerwerkstatt mit Gastkünstlerinnen aus Ost- und Westeuropa stattfindet. Nach der deutschen Wiedervereinigung und der damit verbundenen gesamtgesellschaftlichen Umstrukturierung, die, wie aus meinen Untersuchungen zur Positionsbestimmungen von Künstlerinnen nach 1989 hervorging, in die Arbeitslosigkeit und in den Verlust des Selbstwertgefühls vieler Frauen aus der DDR führte, entscheiden Stürmer-Alex und ihre Künstlerkolleginnen, sich für Frauen aus Brandenburg zu engagieren. Von 1992 bis 1994 bieten sie Seminare unter dem Titel Kreativ leben lernen an. Sie bauen einen großen Raum auf ihrem Hof aus, in dem Frauengruppen, darunter Musikerinnen und bildende Künstlerinnen mit eigenem Programm die Ruhe des Ortes zum Arbeiten und zur Begegnung nutzen können. Mit der Keramikwerkstatt und dem Hof in Lietzen gelingt es der Kunsthandwerkerin Wilfriede Maaß und der Künstlerin Erika Stürmer-Alex in den 1980er Jahren, Produktionsstätten für Künstlerinnen der zweiten Öffentlichkeit anzubieten. Sie sind zugleich Orte der Vernetzung, des Austausches, der Sichtbarmachung und, insbesondere der Hof von Stürmer-Alex, des temporären Rückzugs für Frauen aus den männerdominierten städtischen Szenen wie dem nahegelegenen Berlin. Bis 1998 gelingt es Maaß’, gemeinsam mit Kolleg*innen in ihrer Produzentengalerie am Prinzip der künstlerischen Kooperation festzuhalten, genauso wie der Hof von Stürmer-Alex noch heute Künstlerinnen – und Künstlern – offensteht. Neben den erwähnten sieben privaten Galerien von Künstlerinnen und den von einem gemischtgeschlechtlichen Team geleiteten Ausstellungsräumen gehören diese beiden Orte zu den wenigen Produktions- und schließlich auch Präsentationsstätten, die in der zweiten Öffentlichkeit von Frauen geleitet und etabliert wurden.
1.4.3.2 Die Erfurter Künstlerinnengruppe111 Die einzigen beiden Frauengruppen in der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit der DDR entstehen im Erfurter Umkreis der Künstlerin und Autorin Gabriele Stötzer. 1983 gründet Stötzer gemeinsam mit Verena Kyselka und der Musikerin Ina Heyner eine Frauen-Punkband, die bis 1989 auch für Super-8-Filme, Performances und Modenschauen den akustischen Background liefern soll. In der
111 Die Künstlerinnengruppe gab sich im Laufe ihres zehnjährigen Bestehens so verschiedene Namen wie Erfurter Frauengruppe, Avant Femme oder Exterra XX, wobei sie öfter auch unter dem Titel ihrer Aufführungen auftrat. Einer ihrer frühen Namen war Erfurter Künstlerinnengruppe, den die vorliegende Studie durchgehend verwendet.
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männerdominierten Punkbandszene112 ist der vielsagende Gruppenname geradezu programmatisch: Erweiterter OrGasmus (EOG). Ihre akustische Entäußerung zielt durchaus auch auf Stöhnen und Schreie ab und besteht im Versuch, anarchische Energien freizusetzen. Mit der Gründung und Arbeit der Band verbinden die Frauen den Wunsch, aus der Isolation in der Gesellschaft herauszutreten, sich zu solidarisieren und gemeinsam gegen sexuelle Geschlechternormierungen zu revoltieren. In ihrem Text mit dem Titel „die hosen haben röcke an (gruppe eog)“ schreibt Stötzer über ihre akustischen Vorstöße gegen Geschlechterdifferenz und tradierte Zuschreibungen: frauen, die ihr stöhnen, ihre höchsten töne suchen, sich gestatten, was männern ihnen innerlich und gesellschaftlich äußerlich verweigerten. das ging gegen ekelgrenzen, gegen schamgrenzen, haßgefühle, eifersucht, verachtung, alles kam heraus und gehörte plötzlich zum leben, auch zu den frauen, die sich als einzelfrau in einem notdürftig aufrechterhaltenen sozialgefüge flickschusternd verweigernd kastrieren mussten. (Stötzer 1990a:6) In den Kellern der Erfurter Innenstadt proben, wie Stötzer weiter schreibt, die Frauen die Konzentration auf ihre Körperlichkeit, die Kreation von Kraftfeldern, die sie und ihre Zuhörer*innen elektrisieren sollen. Mit der Freisetzung von Energie während ihrer Selbstinszenierungen soll der „weg zur selbstbefreiung durch musik“ (Stötzer 1990a) geebnet werden. Ab 1984 liegt Stötzers Hauptaugenmerk auf der Gründung und dem Zusammenhalt einer Gruppe von Frauen – Künstlerinnen und Autodidaktinnen113 – die bis 1994, also auch über die politische Umbruchsituation von 1989 hinaus, aktiv ist.114 Stötzer gilt als die maßgebliche Initiatorin und zentrale Figur der Gruppe. Die ersten zwei Jahre dienen der Schaffung einer Schutzzone für nonkonforme Lebensläufe und für das intellektuelle Überleben von Frauen in den patriarchalen und repressiven Gesellschaftsstrukturen. 112 In den annähernd achtzig ostdeutschen Punkbands gab es nur vereinzelt Frauen. Jana Schlosser, Sängerin, und Mita Schamal, Schlagzeugerin, waren Mitglieder der Punkband Namenlos. Nach Verhaftungen und Zersetzungsmaßnahmen der Staatssicherheit emigrierte Mita Schamal 1985 aus der DDR. Karen Matting und Andrea Hüber-Rhone gründeten das Avantgarde-Duo 3tot, Eva Tröger spielte als Bassgitarristin bei ichfunktion, Susanne Binas bei expander des fortschritts und Tatjana Besson war Sängerin und Bassistin von Die Firma und Bassistin der Band Freygang (Boehlke & Gericke 2005). 113 Zur Erfurter Künstlerinnengruppe gehörten Monika Andres, Tely Büchner, Elke Carl, Monique Förster, Gabriele Göbel, Ina Heyner, Verena Kyselka, Bettina Neumann, Ingrid Plöttner, Gabriele Stötzer und Harriet Wollert. Später kamen Ines Lesch, Karina Popp, Birgit Quehl, Jutta Rauchfuß und Marlies Schmidt hinzu. Weiterhin traten Angelika Andres, Claudia Bogenhard, Anke Hendrich, Michaela Hopf, Angelika Hummel, Elisabeth Kaufhold, Sylvia Richter, Anita Ritter, Susanne Schmidt und Susanne Trockenbrodt auf. 114 Ausführliche Analysen zur Erfurter Künstlerinnengruppe liegen von Beret L. Norman (2008) und Susanne Altmann (2014) vor.
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Einige der Frauen gehen keiner geregelten Tätigkeit nach, eine Frau erlebt die Zwangsadoption ihrer beiden Kinder.115 Die Gruppe trifft sich wöchentlich in wechselnden Formationen in Wohnungen, Kellern und Gärten, um gemeinsam zu lesen, Musik zu machen, ihre Visionen eines selbstbestimmten Lebens als Frauen zu diskutieren und ihnen eine visuelle Entsprechung zu geben. Die therapeutischen Anfänge der Gruppe erlauben, die Probleme ihrer sozialen Realität als Frauen, Mütter und Ehepartnerinnen zu thematisieren. Wie politisch ihr Anliegen gleichzeitig ist, zeigt sich unter anderem darin, dass einige ihrer Mitglieder gemeinsam mit anderen Erfurter Frauen im September 1989 einen offenen Brief an Erich Honecker zu neuen Handlungsräumen für Frauen erarbeiten und im Oktober die Bürgerinneninitiative Frauen für Veränderung gründen. Diese Gruppe beteiligt sich aktiv an Demonstrationen, ist bei der Konstituierung des Unabhängigen Frauenverbandes am 3. Dezember in Berlin beteiligt und gehört am 4. Dezember 1989 zu den Mitinitiatorinnen der ersten Besetzung einer Bezirksverwaltung des Geheimdienstes in der DDR, der Erfurter Staatssicherheit (Kenawi 1996:139). Soziales und politisches Handeln der Künstlerinnengruppe wird dabei von individuellen und kollektiven künstlerischen Artikulationen flankiert. Ab 1986 entstehen Gemeinschaftsproduktionen, darunter jährlich ein Experimentalfilm wie Frauenträume (1986) [Abb. 5–7] oder Die Geister berühren (1987). In ihren Filmen und später folgenden Performances und von ihnen als Modeobjektschauen bezeichneten Auftritten loten die Frauen der Erfurter Künstlerinnengruppe ihre eigenen Grenzen aus. Sie entwickeln radikale Gegenentwürfe zu den vorherrschenden Repräsentationsmustern von Weiblichkeit und betonen die symbiotische Interaktion weiblicher Körper. Spontane Körperaktionen der Gruppe ersetzen in den Folgejahren zunehmend Rollenspiele und Performances sowie Modenschauen auf Bühnen, die Fragen der Repräsentation und kollektiver Performances reflektierten. In den selbst entworfenen und genähten Kleidern, Kostümen und Objekten nehmen die Frauen während ihrer Filme und Auftritte unterschiedliche weibliche Identitäten an und üben die subversive Kraft von Humor, die sich unter anderem in ihrem Film Komik-Komisch (1988) kristallisiert, in dem sie absurde Bewegungsabläufe auf den Dächern und Straßen Erfurts aufführen. Erst 1988 kann die Gruppe den privaten Raum verlassen und im Rahmen des Erfurter Kirchenkongresses, der unter dem Motto Frauen interpretieren die Bibel anders ausgetragen wurde, vor einem Publikum auftreten. [Abb. 8–9, 10]. Ihren ersten Auftritt in der ersten Öffentlichkeit haben die Künstlerinnen 1989 mit Figuraler Einzelgang zeitgemäßer Erscheinungen aus Anlass der Ausstellung mit Malerei, Grafik und 115 In ihrem 2013 entstandenen Radiofeature „Fremde Mutter, fremdes Kind“ thematisiert Stötzer die Praxis der Zwangsadoption von Kindern kriminalisierter Mütter in der DDR am Beispiel der Geschichte von Harriet Wollert, Mitglied der Erfurter Künstlerinnengruppe.
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Objekten ihrer Mitglieder Verena Kyselka und Monika Andres in der Leipziger Galerie Nord. Kurz nach dem Mauerfall nahm die Gruppe mit ihren Performances, einer Auswahl ihrer Filme und einer Lesung von Gabriele Stötzer an der Ausstellung L’Allemagne hors les murs in Paris teil. Mit Veränderung der zentralistischen Strukturen des VBK und seiner Auflösung Ende 1990 wird es möglich, Künstler*innengruppen und Vereine offiziell zu gründen. In Dresden entsteht die Dresdner Sezession 89 um Angela Hampel, in Brandenburg die ENDMORÄNE um Erika Stürmer-Alex. Der Erfurter Künstlerinnengruppe gelingt es, bis 1994 deutschlandweit mit großem Erfolg aufzutreten, unter anderem mit ihrer Performance Test the West (1991), in der sie die sexistischen Strukturen westdeutscher Werbekampagnen kritisiert (vgl. dazu auch Norman 2000). Aus ihren selbst geschaffenen Strukturen heraus etablieren sie mit dem Kunsthaus Erfurt einen eigenen Produktions- und Ausstellungsort, der bis heute internationale Gegenwartskunst nach Erfurt bringt. 1992 realisieren dort Verena Kyselka und Gabriele Stötzer ein internationales Performancefestival für Künstlerinnen, bei dem unter anderen Fine Kwiatkowski auftritt und unter ihrem neuen Namen Exterra XX die Künstlerinnengruppe selbst (Kyselka & Stötzer 1992). Die Produktions- und Rückzugsstätten von Stürmer-Alex und Wilfriede Maaß, der enge Verbund der Gruppe Erweiterter OrGasmus und der Erfurter Künstlerinnengruppe bildeten die Grundlage solidarischer Gemeinschaften, innerhalb derer Frauen ihre künstlerische Entwicklung vorantreiben konnten. Während es in den Literaturszenen keinen erfolgreichen Versuch von Autorinnen gab, ein eigenes Frauenheft zu gründen, bleibt die Erfurter Künstlerinnengruppe neben der EOG die einzige organisierte Gruppe von Künstlerinnen in der zweiten Öffentlichkeit der DDR. Angesichts der steigenden Zahlen von Frauengruppen in der politischen und kirchlichen Opposition in den 1980er Jahren mag dieser Umstand überraschen.116 Künstlerinnen haben vornehmlich in Mikrostrukturen von Zweier- und Dreierfreundschaften gearbeitet und temporäre Kooperationen innerhalb bestimmter Produktionszusammenhänge, beispielsweise während der Austragung von Pleinairs, gebildet. Deutlich zeigen dies Formen der Zusammenarbeit zwischen Gabriele Stötzer und Heike Stephan, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer oder Christine Schlegel und Fine Kwiatkowski, auf die die folgenden Ausführungen zur Bedeutung von Body und Performance Art und die Analysen zu ihrem künstlerischen Schaffen im dritten Kapitel hinweisen werden (vgl. dazu auch Richter 2018b). Zudem schlossen sich Künstlerinnen in losen Netzwerken zusammen, die fast immer gemischtgeschlechtlich, meistens jedoch von Männern dominiert waren.
116 Vgl. Kap. 1.1.1 Frauenrechte und politische Partizipation.
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A bb . 5–7 Erfurter Künstlerinnengruppe, Frauenträume, 1986, Stills, Super-8-Film auf DVD transferiert, Ton, Farbe, 25 min
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A bb . 8–9 Erfurter Künstlerinnengruppe, Mode für Frauen von Frauen (mit Gabriele Stötzer,
Ingrid Plöttner, Monika Andres, Monique Förster, Verena Kyselka, Ina Heyner, Gabriele Göbel, Tely Büchner, Elisabeth Kaufhold, Anita Ritter, Angelika Andres, Susanne Truckenbrodt, Susanne Müller, Ines Lesch), 1988, Modeobjektshow, Augustinerkloster Erfurt
A bb . 10 Erfurter Künstlerinnengruppe, Mode für Frauen von Frauen, 1988, Poster (Entwurf Monika Andres)
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Neben dem widersprüchlichen Bewusstsein für Geschlechterhierarchien mag ein weiterer Grund für den mangelnden Zusammenschluss von Frauen innerhalb der künstlerischen Szenen in der Sorge gelegen haben, als Feministin zu gelten. Wurden Künstlerinnen mit dem negativ konnotierten Label versehen, so kam das einer gezielten Ausgrenzung gleich und konnte in der Konsequenz karriereschädigend sein.117 Insofern waren Künstlerinnen nicht nur mit einer zweifachen, sondern letztlich dreifachen Diskriminierungserfahrung konfrontiert: als Frauen, als Künstlerinnen der zweiten Öffentlichkeit und als vermeintliche Feministinnen. Hinzu kommt, dass eine Vielzahl der Künstlerinnen selbst eine ablehnende Haltung zum Begriff des ‚Feminismus‘ verinnerlicht hatte und wie ihre männlichen Kollegen im selbstbewussten Auftreten von Frauen, in offenkundigen Gleichberechtigungs- und Solidarisierungsbestrebungen eine radikale und nicht erstrebenswerte Geste weiblicher Selbstermächtigung sah. So lehnte die Künstlerin und Galeristin Uta Hünniger von Leipziger und Dresdner Künstlerinnen an sie herangetragene Vorschläge zur Gründung einer Künstlerinnengruppe ab. Die Erfurter Künstlerinnengruppe wies sie in den 1980er Jahren als „Kampflesben“ zurück.118 Auch die in den 1980er häufig und mitunter heute noch verwendete pejorative Bezeichnung ‚Emanze‘ als Charakterisierung selbstbewusst und emanzipiert auftretender Frauen zeugt von der ungebrochenen Tradierung von Geschlechterstereotypen in Denk- und Verhaltensweisen und von der Diskriminierung von Frauen. In einem Interview beschreibt die Malerin Angela Hampel am Beispiel von Diskussionen im VBK den gezielten Einsatz von Abwertungen dieser Art als „probates Mittel, Frauen mundtot zu machen“ (zit. nach Müller 1989a:70). Während Staat und staatliche Institutionen den westlich geprägten Feminismus als bürgerliche Artikulation abwerteten,119 reproduzierten die sich als progressiv verstehenden künstlerischen Kreise der zweiten Öffentlichkeit gleichermaßen diese ablehnende Haltung gegenüber sich selbstermächtigenden Frauen. Diese widersprüchlichen Voraussetzungen erschwerten das Hinterfragen der realen Geschlechterverhältnisse, verstellten den Blick der Künstlerinnen auf die Notwendigkeit der Selbstorganisation, Gruppenarbeit und Solidarität sowie für 117 Angela Hampel im Gespräch mit der Autorin, 24.09.2009. Auffallend ist auch, dass Sascha Anderson in seiner Funktion als IMB die Autorin und Künstlerin Gabriele Stötzer immer wieder pejorativ als „Feministin“, ihre Texte als „literarischen Feminismus“ bezeichnet und ihre engagierte Selbstermächtigung als Frau zugleich an ein vermeintlich geschlechtliches ‚Anderssein‘ und scheinbare mentale Unberechenbarkeit koppelt. So beschreibt er sie als Person mit „starken sexuellen Problemen“, die sich als „Feministin fühlt“, sich jedoch im Unklaren darüber sei, „ob eine Liebe zu Männern wichtig ist oder zu Frauen, ob sie lesbisch oder auch heterosexuell ist“. Stötzer mache auf ihn den Eindruck einer „geistigen Amokläuferin“. Vgl. BStU – Hauptabteilung XX/9, OV „Toxin“, Bl. 68, Quelle: „Fritz Müller“, Tonbandabschrift „Information zu einer Lesung von Gabriele Kachold am 11.2.1983 bei Anderson“, Berlin, 16.02.1983 (Aktenkopie, Archiv Gabriele Stötzer). 118 Uta Hünniger im Telefonat mit der Autorin, 28.10.2015. 119 Vgl. Kap. 1.3.1 Veröffentlichungen.
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die Formulierung eigener Forderungen. Selbst wenn Künstlerinnen und Autorinnen Ungleichheit erkannten und Strukturveränderungen anstrebten, fehlte ihnen oftmals „der Mut, die Marathonstrecke anzutreten bzw. die Ausdauer, sie erfolgreich zu absolvieren“ (Sachse 1990:15).
1.4.3.3 Kritik Aufgrund dieser Ausgangslage ist zu vermuten, dass wenn überhaupt nur wenige Künstlerinnen wagten, sich über ihre bildkünstlerischen Beiträge in Samisdat-Zeitschriften hinaus zu Geschlechterfragen in der zweiten Öffentlichkeit explizit zu positionieren.120 Wer waren diese Künstlerinnen und welche Kritik verbanden sie mit ihren Äußerungen? Eine Debatte über Autorinnen wurde durch eine Äußerung des Dichters Bert Papenfuß-Gorek gegenüber der Autorin Heike (Drews) Willingham ausgelöst, der behauptete, Frauen könnten nun einmal keine Gedichte schreiben. Die Autorin, die als Mitherausgeberin der Zeitschrift Schaden weniger mit dem Problem mangelnder Wertschätzung konfrontiert war, verschickt daraufhin unter dem Pseudonym Hanna Mewes einen Text an Autor*innen, in dem sie sich zur These Papenfuß-Goreks äußert. Im Schaden 16/1987 reagieren darauf unter anderem die Autor*innen Sarah Kirsch, Ulrich Ziegler, Egmont Hesse und Barbara Köhler sowie die Malerin Cornelia Schleime, letztere mit einer ironischen Replik. Eine ernsthafte Auseinandersetzung scheitert, wie Barbara Köhler bilanziert, letztlich daran, dass sich Heike (Drews) Willingham in ihrem Text selbst nicht als Sprecherin bekennt und unter Pseudonym veröffentlicht (Köhler 1987:o.S.). Damit verliere ihr Versuch an Glaubhaftigkeit. Ihr Text verbleibe zudem zu sehr bei Allgemeinplätzen und im Abstrakten. Die Reaktionen anderer Autor*innen können bis auf den kritischen Beitrag von Köhler selbst nur als ein halbherziger Versuch gelesen werden, die Arbeit von Autorinnen öffentlich anzuerkennen und zu verteidigen. Annett Gröschners Erzählung „Maria im Schnee“ über die Vergewaltigung einer Frau im verschneiten Moskau wurde wegen ihrer Brisanz in der ersten Öffentlichkeit nicht publiziert.121 Im Gegensatz dazu entscheidet sich der in Berlin lebende griechische Übersetzer, Autor und Herausgeber
120 Der besonders aus dem Nachbarland Polen kommende Einfluss von Untergrundpublikationen führte in der DDR zum Entstehen wichtiger nonkonformer Informationsblätter wie Grenzfall, Umweltblätter, Aufrisse, Arche Nova, Feuermelder oder Kontext, die sich vor allem zwischen 1987 und 1989 der Verbreitung von in der DDR unterdrückten Meldungen oder Nachrichten aus den Friedens-, Öko- und Menschenrechtsgruppen widmeten (Tannert 2009a:31). Alternativ und mitunter bereits Anfang der 1980er Jahre entstanden dazu Literatur- und Kunstzeitschriften wie UND, USW, Schaden, Ariadnefabrik oder Anschlag, die verbotenen und marginalisierten Künstler*innen und Autor*innen eine Plattform boten und damit öffentliche Präsenz und Sichtbarkeit gewährten. 121 Geplant war ihre Publikation 1987/88 in Temperamente. Blätter für junge Literatur, Verlag Neues Leben Berlin (Dahlke 1997:38).
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der Samisdat-Zeitschrift Bizarre Städte, Asteris Kutulas, 1989 für ihren Abdruck (Gröschner 1989). Die Rezeption des Textes führt zu einer kontroversen Debatte, in der die künstlerische Leistung Gröschners, ihr Versuch, Gewalt an einer Frau und ihre Entwürdigung erzählbar zu machen, nicht gesehen wird und stattdessen, wie Birgit Dahlke unterstreicht, auf eine doppelte Tabuisierung trifft. Der an sich schon als problematisch empfundene Gegenstand der Vergewaltigung verbindet sich mit dem Deutungskampf um die Rolle der sowjetischen Befreier. Der Vorgang der Geschichte selbst in Verbindung mit der speziellen Gewaltstruktur aber wird nicht analysiert (Dahlke 1997:38ff). Abgesehen von Cornelia Sachses auffallend zurückhaltend formuliertem Kommentar über die geringe Zahl von publizierenden nonkonforme Autorinnen, von Redakteurinnen und Herausgeberinnen von Samisdat-Zeitschriften in „Vage Zagenvragen“ (Sachse 1990) stellen sich die beiden Diskussionen als die einzigen dar, in denen Vorbehalte gegenüber Autorinnen, ihrem Schreiben und den Inhalten ihrer Texte in den Medien der zweiten Öffentlichkeit thematisiert und bestenfalls angefochten wurden. 1986 veröffentlicht das Leipziger Samisdat-Heft Anschlag ein Interview der Kunstwissenschaftlerin Gunhild Brandler mit der Malerin Angela Hampel, einen Aufsatz des Kunstwissenschaftlers Bernd Rosner über deren Bilder und einen Text Peter Böthigs zu Hampels Lithografie-Zyklus Phentesilea, den er unter dem Pseudonym P.V. Poltrie veröffentlicht. Ausgehend von den mythologischen Frauenfiguren Medea, Penthesilea und Kassandra, die Hampel in ihren Bildern als Handelnde, Erkennende, Wissende und Gewalttätige und somit als Gegenentwürfe zu tradierten erotischen Vorstellungen von Frauen und ihren Körpern inszeniert, behandeln die beiden Texte und das Gespräch Fragen zur Darstellung von Geschlechterverhältnissen in der Malerei, zu einer ‚weiblichen Ästhetik‘ im Schreiben und der Kunst sowie zu Rollenzuweisungen und Formen der Benachteiligung von Frauen in bestehenden gesellschaftlichen Strukturen, Hierarchien und Wertigkeiten. Peter Böthig unterzieht die Naturalisierung von ‚Weiblichkeit‘ einer expliziten Kritik und bezeichnet sie als soziale Konstruktion, in der spezifische Zuschreibungen der Sicherung von patriarchalen Machtpositionen dienen: aber auch liebesfähigkeit, sensibilität, mütterlichkeit, zartheit sind keineswegs genuine attribute des weiblichen, sondern nebenher auch zuweisungen patriarchalischer abkunft, mithin auch ideologeme [...]. (Poltrie 1986:o.S.) Hampels Lithografien lösen somit eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Kunstschaffen von Frauen und geschlechtsspezifischen Thematiken in einer der originalgrafischen Zeitschriften der zweiten Öffentlichkeit aus. Als künstlerisch-kunstwissenschaftliche Debatte, an der sich mehrere, darunter auch männliche Akteure beteiligen, bleibt sie eine rühmliche Ausnahme.
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Das Heft Kontext, das Beiträge aus Politik, Gesellschaft und Kultur versammelt und im Eigenverlag herausgegeben wird, widmet im September 1989 seine letzte, in der DDR erschienene Ausgabe unter dem Titel ‚gleich & berechtigt‘ der Problematisierung der Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft der DDR aus unterschiedlichen kritischen Perspektiven. Es enthält unter anderem Beiträge zur „Situation der Frauen als Arbeitskräfte in der DDR“, versammelt „Aspekte zur psychosozialen Situation von Homosexuellen“ und zur „Destruktion als Phänomen der Männergesellschaft“ (Metelka & Roolf 1989). Angela Hampel, die trotz ihrer kompromisslosen bildkünstlerischen Visualisierungen des Geschlechterkampfs in der ersten Öffentlichkeit Erfolg hat und oft als sogenannte ‚Quotenfrau‘ zu repräsentativen Ausstellungen eingeladen wird, hat zugleich Zugang zu den Akteur*innen, Orten und Medien der zweiten Öffentlichkeit und nutzt diese Position, um Geschlechterthemen in die Diskurse der bildenden Kunst und der verschiedenen Szenen einzubringen. Hampel hatte bereits in ihrer Rede beim X. Kongress des VBK im November 1988 die Umstrukturierung des Verbandes zugunsten der Gleichberechtigung von Künstlerinnen gefordert und das fehlende Bewusstsein für die hierarchischen Geschlechterverhältnisse in Kunst und Gesellschaft kritisiert.122 Nachdem Hampel sich mit ihrer Rede zu Geschlechterfragen unmissverständlich in der ersten Öffentlichkeit positioniert hatte, findet ihr Appell knapp ein Jahr später – in ungewohnt gegenläufiger Bewegung – durch seinen Abdruck im Kontext-Magazin seine schriftliche Distribution in der zweiten Öffentlichkeit (Hampel 1989). Wie schon erwähnt, kann Christiane Müller 1989 einen Teil ihrer Forschungsergebnisse zur sozialen Situation von Künstlerinnen in der DDR publizieren. In einem Sonderheft von Bizarre Städte erscheinen drei Interviews mit Malerinnen aus unterschiedlichen Generationen: Doris Ziegler, Annemirl Bauer und Angela Hampel. Unter den Titeln „Das Private ist politisch“, „Feminismus, Frankreich, Fanderole“ und „Wer ist denn daran interessiert, außer uns?“ werden hier neben der Diskussion stilistischer Aspekte patriarchale Zuschreibungen von ‚Weiblichkeit‘ in der Sprache, der bildenden Kunst und im Film thematisiert sowie feministische Inhalte in den Arbeiten der Künstlerinnen selbst und das über ihr künstlerisches Schaffen hinausgehende Anliegen, aktiv für das eigene Geschlecht einzutreten (Müller 1989a).123 Doris Ziegler beschreibt im Gespräch auch die sexistischen Reaktionen männlicher Rezipienten der X. Kunstausstellung der DDR auf ihr Porträt Selbst mit Sohn (1987), das sich der Inszenierung des weiblichen Körpers als schön und vollkommen durch veristische Stilmittel verweigert.124 122 Zu Hampels Forderungen vgl. Kap. 1.1.1 Frauenrechte und politische Partizipation. 123 Vgl. Kap. 1.3.1 Veröffentlichungen. 124 Ausführungen zu Zieglers Gemälde und seiner Rezeption vgl. Kap. 2.1.3.2 Körperbilder.
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Im Arbeitsheft für unabhängige Filmemacher, dem von Thomas Werner von 1987 bis 1989 im Ostberliner Selbstverlag herausgegebenen Koma-Kino, verfasst Gabriele Stötzer zwei in ihrer analytischen Klarheit rigorose Texte. Unter dem Titel „warum bilder?“ befragt sie neue Strategien bildlicher und sprachlicher Darstellung im Experimentalfilm und reflektiert unverhohlen die Schwierigkeiten und Konflikte innerhalb der eigenen Gruppenarbeit (Stötzer 1987). Im Gegensatz zu den bisher diskutierten Beiträgen von Autor*innen, Künstler*innen und Kunstwissenschaftler*innen zu Geschlechterfragen, die vorrangig die künstlerische Arbeit von Frauen reflektieren, ist Stötzers zweiter Text „über die frauengestaltung in super 8“ eine unmittelbare Reaktion auf das künstlerische – in dem Fall filmische – Schaffen ihrer männlichen Kollegen, die sie auf dem zweiten, 1988 von Claudia Reichardt (Wanda) organisierten Super-8-Festival filma secunda an der HfBK Dresden sieht (Stötzer 1988). Darin tritt sie gegen die Normierungsmacht stereotyper Frauen- und Männerbilder gleichermaßen an, die sich in den filmischen Arbeiten niederschlägt, und den als männlich konnotierten voyeuristischen Blick, der Frauen zu Objekten sexuellen Begehrens degradiert. Sie schreibt in ihrem für ihre damaligen Texte typisch stakkatoartigen, mitunter gehetzt wirkenden Rhythmus: die frau wird geschaut die frau ist da für den mann in ihrer passivform als hausfrau als wischfrau als wartefrau als erotisches anlockmittel als selten oder besser noch nie berührbares beschützbares fiktiv (Stötzer 1988:o.S.) In ihren domestizierten Auftritten stellen die inszenierten Frauencharaktere keinerlei Identifikationspotenzial für die Künstlerin bereit, denn sie bieten nichts anderes als „warten wischen kochen aus dem fenster sehen sex zum vorzeigen“ (ebd.:o.S.). Auch die in den Filmen dargestellten Paarbeziehungen gelten Stötzer als Beweis für das gestörte Verhältnis zwischen Frauen und Männern in der Lebensrealität und als befremdende Konstruktion in der bildkünstlerischen Repräsentation. Die einzig logische Konsequenz liegt für sie im Erkennen ihres Potenzials als Künstlerin, um mit ihren eigenen Bildern tradierte Rollenzuweisungen zu unterlaufen: einen abend als nur filme von männern kamen hatte ich den eindruck das [sic]125 die linie fast geschlossen ist und das für uns frauen kein dazwischenkommen ist und dann dachte ich das dazwischenkommen beginnt mit dem dazwischentreten was ich dann selbst mit meinen filmen getan habe. (Ebd.:o.S.) 125 Neben der konsequenten Kleinschreibung wurden auch offensichtliche orthografische und grammatikalische Fehler in den Zitaten von der Autorin übernommen und bewusst nicht korrigiert.
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Einer der kompromisslosesten, in Samisdat-Zeitschriften veröffentlichten Texte stammt ebenso aus Stötzers Feder. In „das gesetz der szene“ äußert die Autorin eine fundamentale Kritik an den internen Strukturen, dem Sozialverhalten und den Kommunikationsformen der Szenen der zweiten Öffentlichkeit.126 Sie unterstreicht, dass die künstlerischen und literarischen Szenen für sie keine wirkliche Alternative darstellten. Bereits in ihrem Text „zum untergrund“ von 1988 schreibt sie: ich wollte nicht eure ordnung ich wollte mich ich bin gegen das: jede gegen jede jeder gegen jeden (Stötzer 1992a:143) Eine Zuspitzung erfährt die Darstellung der Machtverhältnisse in den folgenden aus „das gesetz der szene“ stammenden Passagen: das gesetz der szene heißt verrat [...] das gesetzt der szene ist rache das gesetz der szene ist haß das gesetz der szene ist wut das gesetz der szene ist geifer (ebd.:135) Darin unterläuft die Autorin die Mythisierungen und Idealisierung der literarischen und künstlerischen Kreise als einer großen Gemeinschaft und verweist auf die Bruchlinien sowie elementaren Gesetzmäßigkeiten von Intrigen, Ausschluss und Verrat. Sie verweilt aber nicht beim Erhellen der „spannungsgeladenen Zwecksymbiose“ und Ambivalenzen zwischen „egozentrischer Vielfalt und bohemistischer Gruppenauffassung“ (Kaiser 2016:157). Stötzer, die der realen Konfrontation mit den männlichen Protagonisten nicht aus dem Weg geht und selbst eine zentrale Stellung beansprucht, seziert zugleich die geschlechtsspezifischen Verhältnisse „der Szene“. Stellen wie „die frauen werden herumgereicht die männer werden herumgereicht“ (Stötzer 1992a:135) verweisen unmissverständlich auf die hohe Promiskuitätsrate in den von einem ihrer Protagonisten gern als „ewige Jagdgründe“ bezeichneten Szenen.127 Zugleich thematisiert Stötzer den Konkurrenzkampf von Frauen um das andere Geschlecht, in dem die „jetztsiegerin“ von „nächstsiegerinnen“ (ebd.:133) abgelöst wird. Der kritischen Wertung folgt ihr Aufruf, der Macht der Männer mit der sozialen Kraft der Frauen entgegenzuwirken: „zur männerszene gehört eine
126 Die hier angeführten Zitate sind Stötzers Band grenzen los fremd gehen entnommen (Stötzer 1992a). 127 „Es waren die ewigen Jagdgründe.“ Zitat des Dichters, Performers und Filmemachers Thomas Roesler (zit. nach Kaiser & Petzold 1997:39).
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frauenszene!!!“ (ebd.:135). Dieses explizite Plädoyer für eine Frauenszene verweist auf Stötzers selbst gelebte künstlerische, politische und soziale Praxis, die in der durchaus nicht nur reibungslosen Zusammenarbeit mit Frauen innerhalb und außerhalb der Erfurter Künstlerinnengruppe bestand. Mit der unverhohlenen Geschlechterkritik und subjektiven Sprache ihrer autobiografisch anmutenden Texte und Kunst, ihrem kritischen, rückhaltlosen Auftreten sowie als Initiatorin der Erfurter Künstlerinnengruppe und der EOG stellt Gabriele Stötzer für die phallozentrisch dominierten Szenen der zweiten Öffentlichkeit eine einzigartige Provokation dar. Öffentliche Debatten und Kritik an den negativen Effekten staatlicher Frauenpolitik und Emanzipationsprogramme wie die Geschlechtersegregation waren in der DDR weitgehend tabuisiert. Diskurse um die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Publikationen der Frauenbewegung und feministischer Gruppen waren nur im kirchlichen Umfeld möglich. Dargelegt wurde, dass feministische Veröffentlichungen des akademischen Kunstdiskurses größtenteils in der BRD erschienen und die erste Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung der DDR nicht vor 1989 veranstaltet werden konnte.128 Ein ähnliches Bild zeichnet sich für das Erscheinen geschlechterkritischer Beiträge von Frauen in den alternativen Medien der zweiten Öffentlichkeit ab. Nur wenige, darunter die Kunsthistorikerinnen Gunhild Brandler und Christiane Müller sowie die Künstlerinnen Angela Hampel, Doris Ziegler, Annemirl Bauer und Gabriele Stötzer, waren so unerschrocken, sich zu Geschlechterfragen zu äußern und damit angreif bar zu machen.129 Die Veröffentlichung ihrer Beiträge in den Samisdat-Zeitschriften gelang zudem erst von 1986 bis 1989, das heißt zu einer Zeit, in der sich mit dem Ende der DDR auch das der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit abzuzeichnen begann. Auffallend ist, dass die Magazine, in denen ihre Texte erschienen, größtenteils mit politischer Intention herausgegeben wurden wie die thematisch und inhaltlich offenen Bizarren Städte oder der von Angelika Klüssendorf und Wiebke Müller, danach von Wiebke Müller und Karim Saab von 1984 bis 1989 in Leipzig herausgebrachte Anschlag. Auch Kontext, das Texte sowohl von Christiane Müller als auch Gabriele Stötzer veröffentlichte, hatte sich zum Ziel gesetzt, nicht nur dem allgegenwärtigen Informationsdefizit entgegenzuwirken, sondern auch analytische Betrachtungen und Diskussionen zu führen, sowie „die komponenten politik, ökonomie und ökologie, gesellschaftswissenschaften u.a. neben kulturelle und vor allem literarische texte zu stellen, sie in einem kontext zu betrachten“ (Metelka & Roolf 1990:o.S.)
128 Vgl. Kap. 1.3 Feministische Interventionen im Kunstdiskurs. 129 Auch andere Künstlerinnen und Kunstwissenschaftlerinnen wie Else Gabriel, Gabriele Muschter, Claudia Reichardt (Wanda) und Cornelia Schleime äußerten sich in Samisdat-Magazinen – wenngleich zu anderen Themen.
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Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass der Konsens der Szenen auf einem gemeinsamen Feindbild beruhte – der ideologischen Bildprogramme und staatlichen Bevormundung – und in der Schaffung einer weitgehend selbstbestimmten Lebens- und Arbeitsumwelt mit der „Aura von Heim, angstfreiem Raum der Gemeinschaft, der Geborgenheit“ lag (Eckart 1993:62). Das Hinterfragen dieser Binnenstrukturen gefährdete sowohl das eigene Selbstverständnis als auch die individuellen Lebensentwürfe. Das „Potential an Kritikfähigkeit“ (ebd.:63), so auch eine glaubhafte Auseinandersetzung mit den geschlechtsspezifischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen innerhalb der Szenen, blieb weitestgehend ungenutzt. In der „unausdifferenzierten und zwangshomogenisierten Innenwelt der Boheme“ (Kaiser 1997:56), die keinem wahren Team- oder Kollektivgedanken verpflichtet war, dafür zahlreiche Männerbündnisse hervorbrachte, hatten Frauen, Andersdenkende, nicht heteronormativ Orientierte wie Homosexuelle kaum eine Chance, sich zu positionieren. Sie wurden weitestgehend ignoriert und ausgegrenzt.130 Dass die fraternalistischen Bündnisse und heteronormativen Setzungen keine singuläre beziehungsweise DDR-spezifische Erscheinung waren, sondern auch die subkulturellen Kreise anderer südosteuropäischer Staaten prägten, beschreibt die ungarische Kunsthistorikerin Edit András: [...] political opposition and the counterculture mirrored the way official power worked; they were equally militant, arrogant and intolerant. Their soldiers stood in close formation on this side of the trench and soldiers were obliged to surrender gender, racial and ethnic identity. Deviation and difference were tolerated neither by the opposition, nor by the state ideology […]. (András 1999:4f) So war der Anpassungsdruck ausgerechnet in den Szenen außergewöhnlich hoch, deren Anliegen eine unkonventionelle, nonkonformistische Lebenseinstellung war. Auch nach 1989 analysiert Stötzer zum einen ihre eigene Arbeit mit Frauen und ihre Rolle innerhalb der Künstlerinnengruppe (Stötzer 1996). Zum anderen verfolgt sie weiterhin vehement die Enttabuisierung von geschlechterhierarchisch bedingter Diskriminierung und Marginalisierung von Frauen zu Zeiten der DDR. In ihrem 1993 erschienenen Text zur Frauenszene schreibt sie zur Situation der Frauen: So war es für einzelne Frauen oft mehr ein Amoklauf als ein fürsorgliches Ankommen bei Kollegen. Frauen wurden sexualisiert, umgenietet, dienten als Matratze oder als Medium für Männer. Meldeten sie individuelle Ansprüche an oder ein 130 Ausgrenzung konnte auch die jüngere Generation von Künstler*innen und Dichter*innen betreffen. In dieser Hinsicht spricht Henryk Gericke beispielsweise vom „Generationschauvinismus“ Sascha Andersons (zit. nach Tannert 2014:47).
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Recht auf eine poetische ‚Ichgestalt‘, waren sie Exhibitionistinnen oder Feministinnen. Weibliches Temperament war pervers oder psychopathisch, literarische oder bildnerische Beschäftigung mit der weiblichen Figur galt als bisexuell oder lesbisch. (Stötzer 1993:133) In Anbetracht existenzieller Bedrohung durch Berufs- und Ausstellungsverbote, durch Kriminalisierung und Verfolgung durch die Staatssicherheit stellte sich für viele Künstlerinnen die Geschlechterdifferenz als ein Nebenwiderspruch dar. Die Ambivalenz des emanzipatorischen Bewusstseins der Frauen zeigt sich auch in einer Äußerung von Christine Schlegel, die in eine ähnliche Richtung weist wie das weiter oben angeführte Zitat von Erika Stürmer-Alex: „Wir hatten unser Feindbild. Das waren nicht die Männer, sondern das System.“131 Dabei verkannten viele Künstlerinnen, dass die staatlichen Strukturen die eines patriarchalen Systems und männlichen Paternalismus waren, die von den künstlerischen Szenen der zweiten Öffentlichkeit im „Gewand der Bohème“ (Lindner 2016:7, Hervorh. im Original) nicht nur reproduziert, sondern mitunter verstärkt wurden. Die Ungleichstellung und Benachteiligung von Frauen wurde bewusst einkalkuliert und vollzogen. Die traditionelle Ordnung der Geschlechter in der zweiten Öffentlichkeit aber stellten nicht nur Männer her. Als handelnde und selbstbestimmte Subjekte dürfen Künstlerinnen nicht nur als Opfer der Strukturen betrachtet werden, sondern müssen sich zugleich als Mitträgerinnen der hierarchischen Geschlechterverhältnisse befragen lassen. Aufgabe der beiden folgenden Kapitel wird es sein, ihre künstlerische Praxis auf feministische Interventionen hin zu analysieren, wobei davon auszugehen ist, dass sich darin größere Spielräume für geschlechterkritische Eingriffe boten, als in den Zeitschriften und der konkreten Lebensrealität der sogenannten Boheme.
131 Christine Schlegel im Gespräch mit der Autorin, 16.12.2008.
2. KUNST UND GESCHLECHT Neben der Analyse der Geschlechterordnung künstlerischer Szenen der zweiten Öffentlichkeit und der geschlechterpolitischen Dimension künstlerischer Produktionsbedingungen richtet sich meine Untersuchung auf das Feld visueller Repräsentation. Dabei bezieht sich meine repräsentationskritische Lektüre auf einen diskursiven Referenzrahmen, der visueller Repräsentation einen aktiven Anteil an der Herausbildung und Strukturierung von Wirklichkeit und Wissen zuschreibt. Die frühe feministische Kunstwissenschaft stieß, wie Anja Zimmermann beschreibt, durch die „Identifizierung und Inkriminierung misogyner und idealisierender Darstellungen von Weiblichkeit“ (2006:23) – geleitet von der Annahme eines Spiegelverhältnisses von Realität und Bild – schnell an ihre methodischen Grenzen. Es ergab sich die Notwendigkeit eines „erweiterten Repräsentationsbegriffs“ (Griselda Pollock zit. nach Zimmermann 2006:23), der das Verhältnis von Realität und Repräsentation neu definierte und die „performativen und produktiven Anteile des Visuellen“ berücksichtigte (ebd.). Repräsentation, lässt sich mit der Kunsthistorikerin Silke Wenk weiter ausführen, heißt unter diesen Voraussetzungen, die „visuelle Vergegenwärtigung von etwas, was nicht abbildend reproduzierbar ist, was aber auch nicht jenseits sozialer Prozesse der Aushandlung, der Durchsetzung und Herstellung – durch Praktiken des Zeigens und Deutens, performative Akte und durch Sprache – existiert“ (2006:100). Ein Repräsentationskonzept, das die Identifizierung von Bild und außerbildlicher Wirklichkeit voraussetzt, blendet genau diese Prozesse der Herstellung aus, die Zeichen mit bestimmten Bedeutungen verknüpfen und sie dann als ‚selbstverständlich‘ erscheinen lassen. Die Semiotik, die das wissenschaftliche Interesse von den Bildproduzent*innen auf das Bild selbst und die an der Produktion von Bedeutung maßgeblich beteiligten Rezipient*innen verlagert, begreift das Bild als Zeichensystem und Kommunikationsmedium, das nur in der Erzählung, das heißt im Zusammenhang seiner Versprachlichung existiert (Barthes 1990). Bedeutungen ergeben sich erst aus der Interaktion von Sprache und Bild, von Signifikant und Signifikat und „erst das strukturelle Zusammendenken von Wort und Bild erlaubt, zu untersuchen, wie ‚Zeichensysteme Bedeutung generieren‘“ (Christadler 2008:59). Das Wissen um die willkürliche Beziehung
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von Signifikant und Signifikat macht kulturell geprägte ‚Natürlichkeiten‘ nicht nur in ihrem Konstruktionscharakter sichtbar, sondern erkennt zudem die historische und soziale Veränderbarkeit der Zeichen, die immer wieder andere Bedeutungen herstellen können. Die Lesbarkeit der Zeichen ist also abhängig von den historischen und sozialen Prozessen ihrer Herstellung. Während sich der semiotische Ansatz, entsprechend dem Kulturtheoretiker Stuart Hall, mit dem Wie der Repräsentation befasst, „how language produces meaning“, setzt sich der diskursive Ansatz mit ihrer Politik auseinander, „with the effects and consequences of representation“ (1997:6, Hervorh. im Original). Die folgende repräsentationskritische Analyse widmet sich nach einer kurzen Ausführung zur Bedeutung des sozialistischen Realismus in der DDR einigen seiner Bildkonzeptionen.132 Sie soll anhand einzelner Beispiele aufzeigen, auf welche Weise die Lebensrealität von vornehmlich Frauen in der Kunst abgebildet beziehungsweise konstruiert wurde und infolgedessen, wie „Geschlechterkonstruktionen in die Definitionen von Kunst [...] eingeschrieben sind und tradiert werden“ (Schade & Wenk 2005:146). Meine Untersuchung fragt danach, wie die Bildwelten des sozialistischen Realismus die Kategorien ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘ hergestellt haben und wo sich ein neuer Umgang abzeichnete. Sie sollen demnach nicht (nur) als Spiegelbild der gesellschaftlichen Situation von Frauen und Männern betrachtet werden, sondern dahingehend, inwiefern sie selbst maßgeblich das Verhältnis von Macht und Geschlecht visuell zu bestimmen halfen. Da die DDR nicht nur eine der höchsten Beschäftigungsquoten aller Industriestaaten, sondern dabei weltweit auch den höchsten Frauenanteil hatte (Muschter & Thomas 2015:159), das heißt, die Wirklichkeit von Frauen – wie auch in meinen Ausführungen zur sozialen Situation von Künstlerinnen dargelegt – vornehmlich durch Arbeit bestimmt war, stellt sich die Frage, wie diese Tatsache in die Bildprogramme des Staates eingegangen ist. Des Weiteren wird zu untersuchen sein, welche weiblichen Leitbilder und Körperdarstellungen Maler*innen der ersten Öffentlichkeit wie Angela Hampel oder Doris Ziegler ab Ende der 1970er Jahren in die Kunst eingeführt haben, die den Topos der arbeitenden Frau weitestgehend ablösten. Die darauffolgende Betrachtung befasst sich mit Ansätzen in Fotografie, Film und Performance, die mit Geschlechterrollen sowie Zuschreibungen insbesondere von ‚Männlichkeit‘ spielen. Der Fokus auf die Repräsentation uneindeutiger Geschlechtlichkeit soll als Beispiel für die thematische und stilistische Vielfalt
132 Entsprechend meiner repräsentationskritischen Lektüre befasst sich dieses Kapitel ausschließlich mit gegenständlicher Kunst. Es soll an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen werden, dass es zahlreiche abstrakte Positionen in der Kunst der DDR gab, vorrangig in der Sphäre der zweiten Öffentlichkeit. Künstlerinnen und Künstler wie Annemarie Balden-Wolff, Ruth Wolf-Rehfeldt, Hermann Glöckner, Horst Bartnig, Wilhelm Müller und Carlfriedrich Claus wählten in ihrer Kunst eine abstrakte Bildsprache (vgl. Kaiser & Rehberg 2003).
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im Hinblick auf kritische Geschlechterdarstellungen stehen, die sich in der zweiten Öffentlichkeit insbesondere der 1980er Jahre entfaltete und lange Zeit auch nur dort präsentiert werden konnte. Zu dieser Vielgestaltigkeit maßgeblich beigetragen hat Performance Art, die in ihrer spezifischen Entwicklungsgeschichte und besonderen Rolle in der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit ausführlich im zweiten Unterkapitel diskutiert werden soll.
2.1 Repräsentation von Weiblichkeit und Männlichkeit Die Konzeption des sozialistischen Realismus geht von der Idee der Mimesis aus, die sich in einer wirklichkeitsnahen Darstellung des Arbeits- und Familienalltags manifestieren sollte. In der doppelten Logik von Abbildung und Utopie hatten die Vertreter des sozialistischen Realismus die Vorstellung, dass ihre bildkünstlerischen Repräsentationen die idealisierte Wirklichkeit gleichermaßen erschaffen und hervorbringen. Für eine historische und geografische Kontextualisierung soll hier darauf verwiesen sein, dass realistische Kunst, die soziale und politische Fragen reflektiert, keine zeitlich und räumlich isolierte Kunstströmung des Staatssozialismus war. Sie entwickelte sich aus einer künstlerischen Tradition, die in ganz Europa Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte. So gehörten zu den Sujets von Gustave Courbet und Jean-François Millet – den Vertretern des Französischen Realismus – Arbeiter, Bauern und Besitzlose. Gesellschaftskritische Verhandlungen der Arbeitsrealität setzten auch die Künstler*innen der Neuen Sachlichkeit in der Zeit der Weimarer Republik in ihren Bildern um. Sozialkritische und politische Botschaften enthielten die künstlerischen Repräsentationen der russischen Avantgarde in den 1920er und 1930er Jahren genauso wie die Wandmalereien des mexikanischen Muralismo133 (vgl. Hock 2017a). Die seit Mitte der 1930er in der Sowjetunion vorherrschende Kunst des sozialistischen Realismus musste Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre von den unter sowjetischer Hegemonie stehenden osteuropäischen Ländern als offizielle Doktrin übernommen werden.134 Ab den 1960er Jahren führten verschiedene Perioden der Lockerung und tendenziellen Auflösung der Doktrin zu sehr unterschiedlichen Artikulationsformen des sozialistischen Realismus in den einzelnen Staaten.
133 Der spanische Künstler Josep Renau, im mexikanischen Exil mit dem Muralismo von Diego Rivera und David Alfaro Siqueiros vertraut gemacht, siedelte 1958 in die DDR über und erhielt ab Ende der 1960er Jahre große öffentliche Wandbildaufträge (vgl. Sukrow 2012). 134 Für den Zusammenhang von Kunst und Kulturpolitik in der DDR im Schatten des Stalinismus vgl. Gillen 2005.
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Viele realistisch arbeitenden Künstler*innen der Vorkriegszeit wie beispielsweise die an proletarisch-revolutionären Themen orientierten Alice Lex-Nerlinger und Sella Hasse oder die Künstlerinnen Charlotte E. Pauly, Kate Diehn-Bitt und Tina Bauer-Pezellen wirkten und lebten noch Jahrzehnte in der DDR. In der DDR der Anfangsjahre galt sozialistischer Realismus als eine Bezeichnung für das „Primat der Politik in der Kunst, für eine inhaltliche, propagandistische und pädagogische Ausrichtung und damit politische Instrumentalisierung der Künste für die Darstellung des Auf baus des Sozialismus“ (Gillen 2005:21). Formalästhetische Aspekte wurden dabei fast bis zum Verschwinden ‚verinhaltlicht‘. Das Bild des ‚neuen Menschen‘ zeigte vorzugsweise den männlichen Aktivisten als Helden des industriellen und landwirtschaftlichen Auf baus mit den typisch positiven Charakterzügen des einfachen Protagonisten (Thomas 1985:59). ‚Parteilichkeit‘ und ‚Volksverbundenheit‘ als die wichtigsten Kriterien der Kunst sollten mit der Darstellung eines ikonenhaften und leitbildartigen Typus des Arbeiters in die Praxis umgesetzt werden. Die gewollt typisierenden Tendenzen der 1950er Jahre mündeten in eine leicht spürbare Öffnung gegenüber konkreten gesellschaftlichen Widersprüchen in den 1960er Jahren. Im Zusammenhang mit dem Erstarken realistischer Kunst in der BRD der 1960er und 1970er Jahre – erinnert sei an den sogenannten Kapitalistischen Realismus in Düsseldorf und den Kritischen Realismus in Westberlin – entfaltete sich ein großes Interesse an der sozialistischen Version im Nachbarland. Die vier staatlichen Repräsentanten dieser Kunstform, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Willi Sitte, wurden folglich 1977 zur documenta nach Kassel eingeladen, wo Kunst aus der DDR erstmalig internationale Beachtung fand. Mit Beginn der Ära von Erich Honecker Anfang der 1970er Jahre konnten größere Interpretationsspielräume des sozialistischen Realismus genutzt werden.135 Künstler*innen konzentrierten sich zunehmend auf subjektive Aspekte und individualisierte Darstellungen, worauf noch gesondert eingegangen wird. Welche Bedeutung die Konzeption des sozialistischen Realismus als kulturpolitischer Leitbegriff in der DDR bis in die 1980er Jahre hinein hatte, obwohl in der Zeit schon längst von einer Kunst im Sozialismus die Rede hätte sein müssen (vgl. Goeschen 2001), lässt sich unter anderem daran ablesen, dass sich der Zentralvorstand des VBK zum Beispiel noch 1984 auf einer seiner Tagungen ausdrücklich zum (sozialistischen) Realismus bekannte (vgl. Feist 1990b:153).
135 Erinnert sei an das Postulat der ‚Weite‘ und ‚Vielfalt‘, das sich mit dem Schlusswort Honeckers auf der 4. Tagung des ZK der SED im Dezember 1971 verbindet: „Wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben. Das betrifft sowohl die Fragen der inhaltlichen Gestaltung als auch des Stils.“ (Zit. nach Damus 1991:246).
Kunst und Geschlecht
2.1.1 Geschlechterbilder des sozialistischen Realismus In der neu bearbeiteten Fassung des Lexikons der Kunst von 1989 ist unter dem Stichwort ‚Frau‘ nachzulesen, dass als Ausdruck der Emanzipation der Frau in der sozialistischen Kunst das „Bild der dem Manne gleichberechtigten berufstätigen Frau, selbstbewusst und für sich selbst verantwortlich“ anzutreffen sei, darüber hinaus im Motiv der Sportlerin und in weiteren Motiven von „Lebensund Glücksanspruch“ (Olbrich u.a. 1989:584). Analysen haben gezeigt, dass die Protagonist*innen des Arbeiter- und Bauernstaates innerhalb der Bildwelten von Malerei und Bildhauerei der ersten Öffentlichkeit bis zum Ende des ostdeutschen Staatssozialismus vornehmlich männlichen Geschlechts waren. Die ‚Frau im Sozialismus‘ war, wie die Kunstwissenschaftlerin Angeli Sachs konstatiert, kaum vertreten – von marginalisierten Randerscheinungen in Gruppen- und Kollektivbildern und von zahlreichen Aktdarstellungen abgesehen (1995:70). Trotz der veränderten gesellschaftlichen Stellung der Frauen in der DDR nahm im Gegensatz dazu der weibliche Akt nicht nur in der Malerei einen bevorzugten Platz ein, sondern auch im städtischen Raum.136 Frauendarstellungen entwickelten sich vom Motiv der Leidenden und Trauernden, dem Topos der Witwe als Mahn- und Klagefigur auch in der christlichen Symbolik der Pietà Ende der 1940er Jahre zu typisierten Entwürfen der Trümmerfrau und Aufbauhelferin. Unkonventionell erscheinen Zuschreibungen ‚männlicher‘ Attribute bei den Arbeiterinnenbildern, insbesondere der 1950er und 1960er Jahre. Frauen werden wie in Walter Arnolds Skulptur Traktoristin (1953) oder in Rudolf Berganders Bild Maurerlehrling [sic] (1956) nicht mit typisch ‚weiblichen‘ Stereotypen wie ‚Schönheit‘ oder ‚Schwäche‘ bedacht, sondern als leistungsfähige Frauen inszeniert, deren Arbeit gesellschaftlich notwendig ist. Die Darstellung traditionell ‚männlicher‘ Eigenschaften und Fertigkeiten von Frauen sowie ihre Anerkennung in typisch ‚männlichen‘ Berufsfeldern dienten zum einen als bildkünstlerischer Ausdruck für die tatsächliche Arbeitsrealität von Frauen und zum anderen als idealisierte Bestätigung der formalen Gleichstellung der Frauen in der DDR. Auch wenn, wie das Kapitel zur sozialen Situation von Künstlerinnen gezeigt hat, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der sozialistischen Produktion besonders ab den 1970er Jahren zunahm, können diese frühen Inszenierungen arbeitender Frauen als Indizien eines 136 Helga Möbius hat in ihrer Analyse zu Frauenfiguren im städtischen Raum der DDR eindrücklich dargelegt, wie der Frauenakt als „sozialistische Unterhaltungskunst“ (Möbius 1989a:275), als Zeichen für Vitalität und Schönheit und als „Identifikationsfigur für eine glückliche, harmonische, sinnerfüllt strukturierte Gemeinschaft“ (ebd.:280) eingesetzt wurde und darüber hinaus gezeigt, wie Bildhauerinnen, darunter Margret Midell, Sabine Grzimek (heute Sabina Grzimek) und Emerita Pansowová, die historischen und aktuellen Zuschreibungen ‚natürlicher‘ Weiblichkeit in ihren Arbeiten unterliefen.
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emanzipatorischen Potenzials der Frauenpolitik und bildkünstlerischer Repräsentation von Weiblichkeit in der DDR betrachtet werden. Mit der Korrektur des kulturpolitischen Kurses auf der II. Bitterfelder Konferenz (1964) und der VI. Dresdner Kunstausstellung (1967) sollte von nun an durch eine erweiterte Bild- und Formsprache nicht mehr der Auf bau, sondern die ‚Ankunft im sozialistischen Alltag‘ und ihr sozialistischer Held als Protagonist der ‚wissenschaftlich-technischen Revolution‘, als Neuerer und qualifizierter Planer bildkünstlerisch gefeiert werden. Durch das Sujet des ‚Helden‘, der erneut männlichen Geschlechts ist, wird nicht nur das ungebrochene Ideal des männlichen, produktiven Industriearbeiters in der Gesellschaft der DDR hergestellt und bestätigt,137 sondern auch visuell vervielfältigt. Nur wenige Darstellungen entwerfen Bilder arbeitender Frauen, die wie in Johanna Starkes Jungarbeiterin Hannelore H. (ca. 1962) und Barbara Müllers Bauarbeiterlehrling Irene (1971) zumeist als junge Auszubildende und Lernende inszeniert werden (Eisman 2014). Eines der späten und bekannten Beispiele ist Walter Womackas Porträt Erika Steinführer (1981), auf dem die Drahtwicklerin des Glühlampenwerks VEB NARVA Berlin zu sehen ist, eine in der DDR als ‚Heldin der Arbeit‘ ausgezeichnete und bekannte Arbeiterin. Frauen werden in den 1960er Jahren auch in ‚typischen‘ Frauenberufen wie dem der Lehrerin gezeigt oder in der Rolle der liebenden und souverän allen Belastungen trotzenden Mutter (Fritz Skade, Mutti kommt heim, 1964). Damit werden stereotype Muster von der dienenden, helfenden und fürsorgenden Frau, die in dieser Ausrichtung ihre ‚Bestimmung‘ findet, affirmativ reproduziert. Die Lebenswirklichkeit der Frauen, die, gestützt durch staatliche Emanzipationsprogramme ab den 1970er Jahren, täglich um die ‚Vereinbarkeit von Mutterschaft und Berufstätigkeit‘ ringen, findet bis weit in die 1980er Jahren Eingang in die bildende Kunst (Walter Dötsch, Ein Tag im Leben der Martha Gellert, 1971/72; Christoph Wetzel, Eine alltägliche Geschichte, 1988, vgl. Matthes 2012). Dabei tragen diese Entwürfe im Gegensatz zu wenigen kritischen Bildern wie dem Gemälde Zweite Schicht (1986) von Kurt Dornis zum Mythos der den beruflichen, gesellschaftlichen und familiären Anforderungen gleichermaßen gewachsenen Aktivistin bei und untermauern das gesellschaftliche Leitbild der ‚berufstätigen Mutter‘, ohne dabei den eigentlichen Konflikten der Frauen durch ihre Mehrfachbelastung ausreichend Aufmerksamkeit zu schenken. Die Inszenierung von Gruppen- und Brigadebildern war, wie Irene Dölling in ihrer erwähnten Studie zu Frauen- und Männerbildern auf Fotografien in DDR-Zeitschriften zusammenfasst, ein weiteres Mittel der Tradierung von
137 Kap. 1.1.3 Sphäre der Reproduktion hat darauf verwiesen, dass die Konstruktion des männlichen Arbeiterideals dazu diente, berufstätige Mütter am Arbeitsplatz zu diskreditieren und zu diskriminieren, weil diese bedingt durch Kinderbetreuung und Hausarbeit mitunter verkürzt arbeiten mussten oder ganz ausfielen.
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Geschlechterstereotypen, die zur Manifestation patriarchaler Hegemonien beigetragen hätten.138 Dabei dominieren männliche Akteure mit beherrschenden Gesten das Bildzentrum, das an seinen Rändern von Frauen flankiert wird. Diese Inszenierungsformen lassen sich gleichermaßen bei gemalten Gruppenbildern und zahlreichen Wandarbeiten im öffentlichen Raum erkennen. In Willi Sittes monumentalem Simultangemälde des proletarischen Helden von Leuna 21 (1965/66) erscheint ‚die Frau‘ als hochschwangere „Gebärerin einer neuen Generation von Revolutionären“ (Damus 1991:220) am äußersten Bildrand. Drei Jahre später in Leuna 1969 (1967/69) übernimmt sie die Rolle der vitalen, strahlenden Mutter zweier Kinder, stilisiert zur weiblichen Idealkonstruktion und Allegorie139 für Leben, Glück und Zukunft – und erneut als Randerscheinung. Grundsätzlich wurden Männer kompetenter und überlegener als ihre weiblichen Partnerinnen in Szene gesetzt. Im seltenen Fall, dass Frauen als erfolgreiche Akteurinnen in hochrangigen Positionen oder in technischen und wissenschaftlichen Berufen als fachlich kompetent gezeigt werden – entsprechend der Vielzahl staatlicher Weiterbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen für Frauen –, wird das Moment der verkörperten ‚Weiblichkeit‘ besonders hervorgehoben. Die Darstellung von Frauen bei der Arbeit als ‚sinnlich‘, indem sie beispielsweise in einem knappen, figurbetonten Kleid zu sehen gegeben werden, hat die unmittelbare Abwertung ihrer Leistung zur Folge genauso wie ihre Festschreibung als Objekt des männlichen Blickregimes (Peter Rohn, Junge Frau am Fluoreszenzmikroskop, 1971, vgl. Hessmann 2014:44f). Durch eine mit Honeckers Machtantritt scheinbar auch in der Kulturpolitik einsetzende Tauwetterperiode, die mit der Ausbürgerung des Sängers und Liedermachers Wolf Biermann 1976 abrupt enden sollte, wird das Repräsentationsbild durch sogenannte Identifikationsbilder abgelöst, die konkrete Menschen, persönliche Beziehungen und Probleme sowie emotionale Stimmungen aufzeigen. In den Vordergrund treten Darstellungen des Privaten und Individuellen. Das ‚dialogische Bild‘ konnte, erläutert Martin Damus, programmatisch genutzt werden, um die Rezipient*innen unmittelbar anzusprechen und einzubeziehen. Die Bildprogramme der Regierung vermittelten somit den Eindruck, nicht mehr auf ein ideales Ziel gerichtet zu sein und eine utopische Dimension zur Schau zu stellen, sondern sich auf den real existierenden Sozialismus selbst zu beziehen, in dem Fragen scheinbar offenblieben und Widersprüche nicht überwunden werden mussten (Damus 1991:295).
138 Döllings Ergebnisse zur Magazinfotografie lassen sich sehr gut auch auf die Inszenierungen von Gruppenbildern in der bildenden Kunst übertragen (vgl. Dölling 1990). 139 Weiterführend zur weiblichen Allegorie als entpersonifiziertes Bildnis und idealisierter weiblicher Körper, der Nation, Kunst, Wahrheit, Reproduktion und familiäre Ordnung darstellt, vgl. Schade & Wagner 1994 sowie Wenk 1996.
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Insofern dienten diese Kunstwerke nicht mehr vorrangig einer regulierenden Wirkung auf die Formierung der Gesellschaft, sondern versuchten, ihre Adressat*innen zu einer ausdifferenzierteren Auseinandersetzung mit der Realität zu motivieren.
2.1.2 Kritische Frauendarstellungen der 1960er und 1970er Jahre in Fotografie und Film Als emblematisch für den Umschwung positivistischer Entwürfe des „Technokratenporträts“ (Sachs 1995:80) hin zu Identifikations- und Problembildern werden in der aktuellen Rezeption Frauendarstellungen der 1970er Jahre betrachtet, die vornehmlich von Künstlern geschaffen wurden, allen voran Wolfgang Mattheuers Die Ausgezeichnete (1973/74), Horst Sakulowskis Porträt nach Dienst (1976) und Ulrich Hachullas Erster Rentnertag von 1976/77 (vgl. Sachs 1995:80). Diese Bilder stellen, wenn mitunter auch nur über ihren Titel, das Verhältnis von Frauen zu ihrer Berufstätigkeit her, zeigen diese aber nicht mehr im Arbeitsprozess selbst. Gleichermaßen wird die Bewältigung der beruflichen Anforderungen nicht mehr als Ideal propagiert, sondern durch die Darstellung der Konsequenzen eines harten Arbeitslebens als schwierig hinterfragt. Diese Problembilder stehen für die einsetzende Thematisierung gesellschaftlicher und sozialer Konflikte und werden als „Schlüsselbild[er] einer sich radikal verändernden Repräsentation von Weiblichkeit in der DDR“ betrachtet (Altmann 2009:242). Ein Rückblick zeigt, dass Künstlerinnen zur gleichen Zeit beziehungsweise schon früher antiheroische Frauendarstellungen als Gegenentwürfe realisierten. In der Malerei sind es beispielsweise Nuria Quevedos Porträt einer Arbeiterin des Glühlampenwerkes Berlin (1974) und die 1977/78 auf der VIII. Kunstausstellung der DDR präsentierten Porträts von Mitgliedern einer Frauenbrigade unter dem Titel Brigade Rosa Luxemburg (1974/75) der veristischen Malerin Doris Ziegler, die in Leipzig bei Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer studiert hatte. Beide Werke kommen mit einer stark zurückgenommenen Bildsprache aus. Es sind nüchterne Bilder von ernsten, in sich ruhenden Arbeiterinnen, ohne verfälschenden Aktionismus und affirmativen Gestus. Die Künstlerinnen malten sachlich-registrierende Porträts von Frauen, auf deren Gesichtern und Händen und in deren Haltung die Spuren eines langen und harten Arbeitslebens zu sehen gegeben werden. Beispielhaft für die frühen Anfänge alternativer Darstellungen arbeitender Frauen in der Fotografie – einem bis in die 1970er Jahre in der Kunst der ersten Öffentlichkeit kaum anerkannten Medium – sind die bereits in den 1960er Jahren entstandenen Serien von Arbeiterinnen An der Linotype, ND-Druckerei Berlin (um 1960) und An der Stanze (1969) der Leipziger Fotografin Evelyn Richter, einer der bedeutendsten Vertreterinnen der humanistisch geprägten,
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sozialdokumentarischen Fotografie der DDR. Auf den Bildern erscheinen Frauen als verschwindend kleine Elemente einer monströsen Produktionsmaschinerie. Ähnlich wie Arno Fischer, Roger Melis und Ursula Arnold entwickelte Richter eine deutlich subjektive Bild- und Formensprache, die weit über die dokumentarische Qualität der Fotografie hinausreichen sollte. Richter wurde aufgrund ihrer Weigerung, sich dem am sozialistischen Realismus ausgerichteten Hochschulcurriculum anzupassen und aufgrund ihrer formalen Experimente von ihrem Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig exmatrikuliert.140 Ab 1956 arbeitet sie freiberuflich und wandte dabei vor allem die Methode der fotografischen Langzeitbeobachtung an. Die Fotografin beginnt im ‚Selbstauftrag‘ die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen in der DDR, insbesondere von Industriearbeiterinnen, zu erforschen. Ihr weder voyeuristisch noch unmittelbar am tagespolitischen Geschehen orientiertes Verfahren der teilnehmenden Beobachtung ermöglicht die sinnbildliche Interpretation menschlicher Befindlichkeiten. Ihr 1960 geplantes Buch über Frauen in der DDR, das im Verlag Edition Leipzig erscheinen sollte, kann durch den Bau der Mauer nicht realisiert werden (Richter 1992). Zur künstlerischen Frauendarstellung, die ohne Pathos auskommt, gehört Richters Vor Wolfgang Mattheuers ‚Die Ausgezeichnete‘, Albertinum, Dresden (1975). Die Fotografin zeigt eine Ausstellungsbesucherin vor dem Gemälde, die wie das jüngere Spiegelbild von Mattheuers überarbeiteten, gealterten und isolierten Ausgezeichneten wirkt. Helga Paris, die bereits 1974 den Antihelden des sozialistischen Alltags, den Müllfahrern, eine Serie widmet (Müllfahrer, 1974) und den jugendlichen Punks aus Berlin in klassischer Porträtfotografie ein Denkmal setzt (Berliner Jugendliche, 1981/82), realisiert mit ihrer Serie Frauen im Bekleidungswerk Treffmodelle (1984) individuelle Porträts von Frauen in ihrer Arbeitsumgebung, die Auskunft geben über Formen der traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Die 1938 geborene Fotografin, die sowohl zu den künstlerischen Zirkeln der zweiten Öffentlichkeit gehört als auch Zugang zu Repräsentant*innen des öffentlichen Lebens wie zum Regisseur Benno Besson oder zur Autorin Christa Wolf hat, kann ihre Publikation Gesichter. Frauen in der DDR nur in Westberlin veröffentlichen (Paris 1986). Den Frauen, denen das Buch gewidmet ist, bleibt der Zugang dazu verwehrt. In den 1980er Jahren erscheinen eindrückliche künstlerisch-fotografische Dokumente von der kräftezehrenden Arbeit von Frauen (und Männern) in der sozialistischen Produktion, den maroden Maschinen und der katastrophalen Dysfunktionalität
140 Hintergrund ist die die Kulturproduktion Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre dominierende Formalismuskampagne, die, staatlich initiiert, als Angriff auf formal-ästhetische Fragestellungen und die moderne Kunst sowie als Verteidigung der mimetischen Funktion der Kunst galt (vgl. Gillen 2005:34ff).
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der industriellen Produktion der DDR, darunter die Arbeitsporträts (1986/88) Gundula Schulzes (später Schulze Eldowy). Die zweihundert Fotografien umfassende Serie Frauen im Kosmetik-Kombinat (1988) aus dem Werkzyklus Frauen Schönheit Schicht von Barbara Köppe gibt zu sehen, wie hart und dreckig die Arbeit in der Schönheitsindustrie der DDR war. Im Bereich des Kino-Dokumentarfilms, für den die DEFA ebenso das Monopol besaß wie für den Spielfilm, ist es der Maler und Filmemacher Jürgen Böttcher Strawalde, der ungeschönte Zeugnisse der beschwerlichen Arbeit von Frauen produziert. Strawalde gilt als der bedeutendste DEFA-Dokumentarfilm-Regisseur, dessen Filmografie durch den „ständigen Wechsel von toleranteren und restriktiveren Phasen der Kulturpolitik“ geprägt war (Löser 2016:o.S.). So sah sich Strawalde mehrfach gezwungen, Filme zu drehen, die er unter anderen politischen Umständen nie gedreht hätte, einzelne seiner Filme wurden verboten, darunter auch Jahrgang 45 (1966), der sein einziger Spielfilm bleiben sollte. In seinem bereits 1963 entstandenem STARS stehen Frauen aus dem Glühlampenwerk Berlin im Mittelpunkt, an die enorme Arbeitsanforderungen gestellt werden, sein Film Wäscherinnen von 1972 zeichnet in individuellen Porträts die desolaten Arbeitsbedingungen und die schlechte Entlohnung von weiblichen Lehrlingen des Betriebes Rewatex auf und Martha (1978) erzählt die Geschichte einer der letzten Berliner Trümmerfrauen, die auch noch bis in ihr Rentenalter hinein auf dem Bau arbeitet.141 Im Spielfilm der 1970er Jahre werden Frauen zunehmend zu zentralen Figuren, deren Lebensrealität nicht nur Zeugnis eines neues Selbstbewusstsein ablegt, sondern auch soziale und gesellschaftliche Konflikte offensichtlicher hervortreten lässt als in vielen anderen Spielfilmen. Zu diesen Produktionen gehören Der Dritte,142 ein kritischer Aufbruchsfilm zur selbstbestimmten Rolle der Frau in Beruf und Familie. Margit Fließer, die über dreißigjährige Protagonistin des Films, arbeitet als Mathematikerin und lebt mit ihren beiden Töchtern allein. Nachdem sie von ihrem ersten Partner verlassen wurde und sich dagegen entschieden hatte, ihrem zweiten Mann nach Westberlin zu folgen, beschreibt der Film ihre schwierige Suche nach dem ‚richtigen Dritten‘. Auf dem Weg dorthin begibt sich Margit in eine intime Situation mit ihrer besten, gleichermaßen partnerlosen Freundin Lucie, in der sich beide zärtlich umarmen und küssen. Diese Szene darf in Anbetracht der gesellschaftlichen Tabuisierung gleichgeschlechtlicher Liebe als revolutionär gelten. Die Politikerin Inge Lange bezeichnete die Szene als „Beleidigung für Frauen“. Sie sollte aus dem
141 Ab Anfang der 1960er Jahre arbeitete Strawalde als Regisseur im DEFA-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme. Bis Ende der 1970er Jahre drehte er zahlreiche Filme als Auftragsarbeiten, die auch die harten Produktionsbedingungen aufzeigen, unter denen Männer arbeiteten, darunter im Eisenhüttenkombinat (Ofenbauer, 1962) oder bei der Eisenbahn (Rangierer, 1984). 142 Der Dritte, 1971, Regie: Egon Günther, Hauptdarstellerin: Jutta Hoffmann.
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Film geschnitten werden, blieb aber erhalten.143 Auch im Westen Deutschlands wird der Spielfilm mit großem Interesse und als Durchbruch für die filmische Darstellung unabhängig lebender Frauen wahrgenommen.144 Die Legende von Paul und Paula,145 einer der erfolgreichsten DEFA-Filme überhaupt, erzählt die Liebesgeschichte zwischen einer ungelernten, alleinerziehenden Mutter zweier Kinder und einem Ministeriumsmitarbeiter mit Karrierechancen und Familie, die mit dem Tod der weiblichen Figur endet. Dieser Film stellt den demonstrativen Rückzug ins Private und das kompromisslose Ausleben individueller Bedürfnisse der Protagonistin in den Vordergrund. Irene Dölling hat in ihrer Filmanalyse eindrucksvoll herausgearbeitet, wie sich in Die Legende von Paul und Paula tradierte Geschlechterrollen und die Geschlechterdifferenz verflüssigen, die am Ende des Films jedoch wieder eingegrenzt und fixiert werden (1997). Mit Solo Sunny 146 entsteht ein weiterer Film über eine selbstbewusste junge Frau, einer früheren Arbeiterin, die als Sängerin einer Band durchs Land tourt und sich trotz zahlreicher Rückschläge weder in ihrem beruflichen, noch privaten Leben mit Kompromissen zufriedengibt. Das Sozialporträt Das Fahrrad147 verweist in der Darstellung sozialer Probleme einer geschiedenen, alleinstehenden Mutter und ungelernten Arbeiterin auf Entfremdung und Stagnation. Ausgerechnet der Spielfilm, für den eine der wenigen DEFA-Regisseurinnen verantwortlich zeichnet, der unkonventionelle Weiblichkeitsentwürfe vorstellt und für die Randfiguren der Gesellschaft Partei ergreift, die allen Widrigkeiten zum Trotz ein Stück individuelles Glück und innere Freiheit erhoffen, wird aufgrund seiner sozialkritischen Fragestellungen empört von der Kritik zurückgewiesen.148 Einige Jahre später interviewt Helke Misselwitz für ihren künstlerischen, am selbstreflexiven Stil des französischen Cinéma verité orientierten Dokumentarfilm Winter adé (1988) auf ihrer Bahnreise quer durch die DDR Frauen verschiedenen Alters und sozialer Herkunft. Noch nie zuvor waren in einem Dokumentarfilm Menschen so unverstellt und offen vor die Kamera getreten wie die Arbeiterinnen, Punkerinnen und Akademikerinnen, die in Misselwitz’ empathischen Interviews von ihren Sehnsüchten, Enttäuschungen und den Widersprüchen ihres Frauseins erzählen. Der Film ist eine kritische, teils äußerst bedrückende Bestandsaufnahme der sozialen Situation 143 Vgl. Gespräch mit dem Drehbuchautor Günther Rücker, in: PROGRESS Filmverleih & DEFAStiftung (Hg.). Jutta Hoffmann Edition, DVD, Berlin 2016. 144 Silke Wenk im Gespräch mit der Autorin, 29.07.2015. 145 Die Legende von Paul und Paula, 1973, Regie: Heiner Carow, Hauptdarstellerin: Angelica Domröse. 146 Solo Sunny, 1979, Regie: Konrad Wolf, Hauptdarstellerin: Renate Krößner. 147 Das Fahrrad, 1982, Regie: Evelyn Schmidt, Hauptdarstellerin: Heidemarie Schneider. 148 Der Film darf trotz Einladung zu internationalen Festivals nicht gezeigt werden, aus Sorge, er könne dem Ansehen der DDR schaden. Ohne große Werbemaßnahmen läuft Das Fahrrad versteckt in einigen kleinen Kinos. Vgl. http://www.defa-stiftung.de/schmidt-evelyn [letzter Zugriff: 18.07.2016].
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von Frauen in der DDR, in der sich gravierende Missstände, Armut und Verzweiflung thematisiert finden. Winter adé produziert aber auch Gegenbilder von Selbstbestimmung sowie beruflicher wie privater Erfüllung von Frauen. Seinen literarischen Vorläufer findet Winter adé im 1977 veröffentlichten Sammelband Guten Morgen, du Schöne. Protokolle nach Tonband von Maxi Wander, in dem die Autorin Gespräche von Frauen über ihre konfliktreiche Lebenssituation und damit über die Reaktivierung konventioneller Frauen- und Männerbilder als Prosatexte aufzeichnete.149 Weitere Beispiele aus der Literatur sind Sarah Kirschs Pantherfrau (1974), die von der Lebensgeschichte einer Arbeiterin erzählt und der nach dem Tod der Autorin Brigitte Reimann 1974 veröffentliche und unvollendet gebliebene Roman Franziska Linkerhand. Dieser kritisiert nicht allein die Missstände sozialistischer Stadtplanung in einer selten offenen Art, sondern vor allem das Scheitern einer jungen Architektin an ideologischen Dogmen, gesellschaftlichen Strukturen und tradierten Geschlechterbeziehungen im Sozialismus.
2.1.3 Alternative Modellfiguren und Körperinszenierungen in den 1980er Jahren Thematische und stilistische Vielfalt und eine immer mehr in die erste Öffentlichkeit drängende dynamische, nonkonforme sowie experimentelle Kunstproduktion zeichnen die Kunst der 1980er Jahre aus. Künstler*innen unterlaufen subtil und offensiv überkommene Frauen- und Männerbilder, indem sie ihre individuellen Interpretationen von Subjektivität und Individualität bildkünstlerisch umsetzen. Sie orientieren sich unter anderem an mythologischen Figuren und an der Punkbewegung sowie der subjektiven und emotionsgeladenen Malerei des Neoexpressionismus, erheben sich und ihren nackten Körper in Gemälden, in Performance Art und fotografischen Inszenierungen zum künstlerischen Sujet. Der idealisierte, asexuelle und politisierte Körper des ‚neuen Menschen‘ findet sich abgelöst von Darstellungen, die Scham, Verletzlichkeit, Erschöpfung, Aggressivität, Alter und Tod enttabuisieren. Geschlecht, Körper und Sexualität werden zu zentralen bildkünstlerischen Themen. Das kritische Aufzeigen der Situation von Frauen in Arbeitsprozessen weicht der Visualisierung neuer Lebensformen, Leitbilder und Werte, dem Aufzeigen alternativer Körperbilder und dem Durchkreuzen heteronormativer Vorstellungen.
2.1.3.1 Leitbilder Die in den 1970er Jahren einsetzende und in den 1980er Jahren stark verbreitete Romantik-, insbesondere aber Antikenrezeption in der bildenden
149 Zur Bedeutung von Wanders Band vgl. Kap. 1.3.1 Veröffentlichungen.
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Kunst, Literatur und im Theater der DDR, so unter anderem bei der Malerin Angela Hampel, der Autorin Christa Wolf, den Dramaturgen und Regisseuren Stefan Schütz, Heiner Müller und Wolfgang Engel, ist keineswegs als Verdrängungsstrategie oder Fluchtbewegung aus der Gegenwart zu bewerten. Vielmehr verweisen die kulturgeschichtlich inspirierten Werke in Anlehnung an Bertolt Brechts Methode der Verfremdung durch Historisierung auf die historisch bedingte Relativität der erstarrten Gegenwart und die Veränderbarkeit politischer Situationen. Mit dem Aufzeigen des Scheiterns von Vernunft und Humanität wird der politisch propagierten Theorie vom zivilisatorischen Fortschritt der Geschichte widersprochen, das Publikum zu einer „antithetischen Haltung gegenüber der Vergangenheit und der Gegenwart“ herausgefordert (Simhandl 2001:283). Mythologische Stoffe wurden als Erinnerung an frühe Gesellschaften verstanden, Heiner Müller erkannte in den Mythen den „kollektiven Ausdruck von Erfahrungen“, die noch immer die gleichen seien, weil sich an der Verfassung des Menschen in den letzten Jahrhunderten „nicht allzuviel verändert hat“ (zit. nach ebd.:284). Vor dem Hintergrund der Tabuisierung brisanter Äußerungen zu aktuellen und gesellschaftsrelevanten Themen wurden antike Mythen auch zu bevorzugten Sujets von Autorinnen und Autoren, weil sie ihre Kritik an politischen Machtverhältnissen, an gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Missständen darin artikulieren konnten, ohne direkt auf die Gegenwart zu rekurrieren. Aber auch an bundesdeutschen Bühnen gab es eine verstärkte Hinwendung zu historischen Stoffen, zu Klassikern und auf die Gegenwart bezogene Inszenierungen antiker Tragödien wie die Medea-, Iphigenie- oder Penthesilea-Interpretationen des Regisseurs Hans Neuenfels. Auseinandersetzungen mit dem aktuellem politischen Geschehen, die aus der 1968er-Bewegung resultierten, waren erschöpft. Der Anteil zeitgenössischer Stücke am Repertoire betrug in der BRD der 1980er Jahre kaum ein Viertel (ebd.:331). Für feministisch inspirierte Autorinnen und Künstlerinnen im Osten wie im Westen Deutschlands boten unangepasste weibliche Figuren aus der antiken und christlichen Mythologie wie die kämpferische Penthesilea oder die sich gegen Erfahrungen von Frauenfeindlichkeit wehrende Medea aus Korinth Vorlagen für unorthodoxe Entwürfe radikaler Frauenbilder und für das bessere Verständnis patriarchaler Machtverhältnisse. Dabei erfolgt die Antikenrezeption über die fließenden Grenzen der ersten und zweiten Öffentlichkeit hinweg. 1983 erscheint sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands Christa Wolfs Buch Kassandra, in dem die nichterhörte Seherin aus Troja „als Modellfigur weiblicher Auflehnung unter patriarchalischer Beschränkung für die damalige Gegenwart untersucht wird“ (Altmann 2009:245). Zahlreiche Künstlerinnen, darunter Angela Hampel, Christine Schlegel und Karla Woisnitza, haben sich in der Wahl ihrer Sujets an diesem Buch orientiert und gestalteten in ihren Bildern antike Außenseiterinnen als Identifikationsfigur
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für selbstbestimmte Frauen. Das Bild des aktiven männlichen Schöpfers aus der Mythologie, wie es Wolfgang Mattheuer noch in der Figur des Sisyphos symbolisierte (u.a. in Sisyphos behaut den Stein, 1974) wird in Gemälden und Grafikzyklen oder in den Bildentwürfen von Sirenen von Annette PeukerKrisper (Sirenen II, 1984) von der Figur der Kassandra abgelöst (Stecker 1997). Auch wenn in den Bildwelten Angela Hampels eine ausgeprägte Rezeption antiker und christlicher Mythologie nachweisbar ist, beschränkt sich ihr Werk doch bei Weitem nicht darauf. Ihre in neoexpressiver Formensprache gemalte Frauenfiguren, darunter zahlreiche Selbstporträts, erscheinen kahlköpfig oder mit punkartig aufgestellten Haaren. Nicht nur die als androgyn zu charakterisierende Erscheinung der Figuren, sondern gleichermaßen ihre körperliche Vitalität und Aggressivität, die sich in der zum Sprung ansetzenden Haltung oder im Sprung selbst, im drohenden, frontal auf die Betrachter*innen gerichteten Blick oder in Gegenständen wie einer geöffneten Schere oder einem schweren Hammer kristallisieren, stellen neue Bilder von Weiblichkeit her und verunsichern zugleich eine klare geschlechtliche Zuordnung. Ähnlich wie Hampel entschieden sich die Malerinnen Gudrun Trendafilov und Sabine Herrmann in ihrer Kunst für die Darstellung weiblicher Leitbilder aus der Gegenwart, die sie in Wut, Rebellion, Trauer und Melancholie zu sehen geben. 1989 malt Herrmann Die Don Quixote, ein Gemälde, das auf das sprachgewaltige Buch der amerikanischen Post-Punk-Autorin Kathy Acker Don Quixote: Which Was a Dream (1988) zurückgeht, in dem sich eine feministische Punkerin gegen sexistische Strukturen zur Wehr setzt (Herrmann 2016). Die Künstlerin zeigt ihre weibliche Figur als einsame und nächtliche Kämpferin. Eine zentrale Bedeutung für das bildkünstlerische Durchkreuzen tradierter Geschlechterrollen kann auch der Malerin Annemirl Bauer zugesprochen werden. Unter dem Motto „Frauen, wenn wir heute nichts tun, leben wir morgen wie vorgestern“150 übt sie in ihrer Kunst fundamentale Kritik an patriarchalen Machtstrukturen. Ihre bissig-ironischen Bilder erfassen die Abgründe männlicher Selbstherrlichkeit, gehen an gegen Geschlechterhierarchien zwischen Mann und Frau in Sexualität und Familie, in Wissenschaft und Politik. Gleichzeitig entwirft Bauer Frauenfiguren, welche der Bildwerdung ihrer Vision von einer im Wesentlichen matriarchalisch geprägten Gemeinschaft ein konkretes Gesicht verleihen. Diese Weiblichkeitsvorstellungen reichen von einer Zeichnung der Ordensschwester und Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa über das Aquarell Die Regierung der DDR (o.J.), auf dem drei Frauen gemeinsam gestikulierend und analysierend an einem Tisch sitzen, bis hin zum Gemälde Solidarität – Emma gewidmet (1979/80). Auf Letzterem erwidert eine dicht gedrängte Gruppe von Frauen und Kindern entschlossen den
150 Aus den unveröffentlichten Tagebüchern Annemirl Bauers, Archiv Amrei Bauer.
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Blick der Rezipient*innen. In Selbstbildnissen thematisiert Bauer ihre Identität als Künstlerin und Mutter. Als Referenz dienen ihr Frauendarstellungen aus der Antike, der christlichen Mythologie und der Kunstgeschichte wie das Gemälde Herzogin Katharina von Mecklenburg (1514) von Lucas Cranach dem Älteren, wobei ihre Bildentwürfe Möglichkeiten der Verwandlung und des Rollenspiels eröffnen und die Fixierung auf eine konkrete Identität durchkreuzen. Annemirl Bauers Bilder repräsentieren eine grundlegende Tendenz in der bildenden Kunst der DDR, in der das klassische Selbstporträt von einer Vielzahl autobiografischer Erzählformen abgelöst wurde, die neue Modelle von Selbsterkenntnis und Ich-Konstruktion für sich beanspruchten.
2.1.3.2 Körperbilder Darstellungen ungeschönter Körper in der Malerei trafen auch Ende der 1980er Jahre noch auf vehemente Ablehnung. In den 1980er Jahren fertigte Doris Ziegler eine Reihe unkonventioneller Selbstporträts vom Typus des Mutter-Kind-Bildes. Sie selbst gibt sich als Akt in der Badewanne mit der neben ihr sitzenden Mutter (Mutter und Tochter, 1982/83) zu sehen. In Selbst mit Sohn, entstanden 1987, inszeniert Ziegler sich und ihren Sohn als sitzende Aktfiguren, wobei sie sich selbst als Mutter und Malerin zu erkennen gibt. Im Spannungsverhältnis von körperlicher Nähe und Distanz sind beide als autarke wie ungeschönte Personen dargestellt. Ziegler zeigt sich mit kurzen, zurückgekämmten Haaren, verschlossenem Gesicht und abgewandten Blick. Ihre Haltung ist leicht zusammengesunken, ihre Schlüsselbeine treten stark hervor, während ihre Brüste hängend dargestellt werden und sich die Rundung ihres Bauches abzeichnet. Die sachlich-nüchterne Repräsentation des Doppelaktes, insbesondere aber des nackten weiblichen Körpers, rief harsche und diskriminierende Reaktionen auf der X. Kunstausstellung der DDR und in der anschließenden Rezeption hervor.151 Trotz der vermeintlichen Gleichstellung der Frauen und der mutmaßlichen Enttabuisierung von Nacktheit in der Öffentlichkeit – die in der DDR durch die sogenannte ‚Freie Körperkultur‘ (FKK) gelebte Praxis war – stieß die Repräsentation des weiblichen Aktes in seiner Abweichung von stereotypen Zuschreibungen wie ‚schön‘ und ‚sinnlich‘ auf massiven Widerstand. Josie McLellan zeigt in ihrem Aufsatz „Visual Dangers and Delights: Nude Photography in East Germany“ differenziert die Geschichte des weiblichen und männlichen Aktes in den Printmedien der DDR auf. Sie beschreibt darin, wie sich die Produktion einer asexuellen Ästhetik des ‚natürlichen‘ und 151 Die Künstlerin erreichten Schreiben wie dieses: „Sehr geehrte Frau Ziegler, als ich gestern Ihr Selbstbildnis in der Zeitung sah, war ich erschrocken über so viel Schönheit ihres Leibes. Haben Sie sich nicht vor Ihrem Sohn geschämt? Dass derartiges in einer Kunstausstellung zu sehen ist, empfindet man als eine Zumutung. Außer Ihren schlaffen Brüsten müsste man noch Ihre Blinddarmnarbe sehen können, denn zwischen den Beinen haben Sie sowieso nicht viel zu bieten.“ (Zit. nach Müller 1989a:46).
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‚sauberen‘ weiblichen Körpers der 1950er Jahre ab den 1960er Jahren in sexuell provokativere Modi des Zeigens wandelte, die in essentialistischer Manier oft in unveränderlicher, von Industrialisierung und Umweltverschmutzung unberührter Natur inszeniert wurden (McLellan 2009). Bis in die 1980er Jahre waren die Fotografen fast ausschließlich männlich, ihre Modelle fast ausnahmslos weiblich. Die Konstruktion der Geschlechterdifferenz lässt sich besonders anhand der Inszenierung männlicher Akte aufzeigen, die in den 1970er Jahren begannen sichtbar zu werden. Männer wurden, schreibt McLellan, generell in Situationen fotografiert, in denen ihre Nacktheit plausibel war, etwa beim Schwimmen oder unter der Dusche nach der Arbeit, und wurden zumeist in Gruppen zu sehen gegeben. Dabei vermittelten die Fotografen den Eindruck, die Szene eher beobachtet und weniger selbst kreiert zu haben. Gleichwohl kam auch diese Inszenierung des männlichen Aktes geschlechtsspezifischen Zuschreibung gleich: Nonetheless, they were no less gendered than their female equivalents, since they projected an idealized masculinity based on work, strength and a desexualized male solidarity. The ideal nude was beautiful, and male and female beauty were conceptualized in very different ways. Men were active, purposeful and strong. Women were passive, pliant and vulnerable […]. (Ebd.:157) Die Generation der in den 1980er Jahren aktiv werdenden Fotograf*innen, die in der Mehrheit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst unter anderem bei Evelyn Richter und Arno Fischer studiert hatten, wandte sich gegen die apolitische und essentialistische Darstellung des jungen, männlichen, aber zumeist des weiblichen Körpers, der als passives Objekt des Fotografen beziehungsweise der voyeuristischen Betrachtung diente und naturalisierende Auffassungen von Geschlechterrollen zementierte. 1983 drehte die Regisseurin Helke Misselwitz ein Filmporträt über die junge Fotografin Gundula Schulze.152 Darin spricht Schulze über ihr künstlerisches Verständnis von Aktfotografie. Die Fotografin, die kurz zuvor ihre Diplomarbeit zur Frau in der Aktfotografie der DDR an der Leipziger Hochschule abgeschlossen hatte, kritisiert darin die Konstruktion des öffentlichen, medial in Magazinen und Zeitungen verbreiteten Bildes vom weiblichen Körper. Die Illusion perfekter ‚Weiblichkeit‘, die durch die Fotografen und die Frauen selbst in ihrer Rolle als Modell produziert wurde, war weit entfernt vom eigentlichen Alltag, der Realität und der Stellung der Frauen in der ostdeutschen Gesellschaft. Bis heute versteht Schulze unter Aktfotografie weniger ein eigenes Genre als eine Kategorie der Porträtaufnahme. Aktporträts (1983–1986) und viele andere ihrer Serien zeigen alte, junge, arme, benachteiligte, tätowierte 152 Aktfotografie, z.B. Gundula Schulze, 1983, Regie: Helke Misselwitz.
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oder übergewichtige Menschen. Die Porträtierten öffneten sich dem Blick der Fotografin und gaben ihre physischen Vorzüge und Unzulänglichkeiten bereitwillig der Kamera zu sehen. Die Betonung ihrer Individualität gelang Schulze dadurch, dass sie die Männer, Frauen und Kinder nicht in neutralen und zeitlosen Räumen inszenierte, sondern in ihren Wohnungen und in Situationen zu sehen gab, die Auskunft über ihren Alltag, vor allem aber auch über ihre soziale Herkunft geben. An Orten ihrer Wahl, stehend, auf dem Bett, dem Sofa oder einem Stuhl sitzend, allein oder als Paar, mit ihren Lieblingsaccessoires wie einer Zigarettenspitze, einer Halskette oder ohne jedes Requisit suggerieren die Bildfiguren keine perfekte Inszenierung und keine makellosen Körper, sondern stellen Eigenheit und Persönlichkeit würdevoll dar. Schulzes Fotografien machten ebenso gesellschaftliche Outsider sichtbar, die im Staatssozialismus der DDR lebten, deren Existenz aber von den Medien der ersten Öffentlichkeit bewusst ausgeblendet wurde. Ihre fotografische Langzeitdokumentation Tamerlan (1979–1987) ist nicht nur eine so einfühlsame wie ausdrucksstarke Studie über eine alternde Frau, sondern zeigt in bis dahin nicht dagewesener Direktheit auch den kranken und am Ende amputierten und sterbenden weiblichen Körper. Auch Renate Zeun erzählte Ende der 1980er Jahre in den unverstellten Bildern ihrer Serie Betroffen (1983/84) von ihrer Krebserkrankung und Brustamputation. Obwohl Schulze die Einflüsse von Diane Arbus und Helmut Newton auf ihre künstlerische Praxis hervorhebt (vgl. McLellan 2009:168), können insbesondere ihre Tamerlan-Fotografien und Renate Zeuns Serie in der Bildtradition des versehrten weiblichen Körpers gesehen werden, der in den Skulpturen der polnischen Bildhauerin Alina Szapocznikow sichtbar wird sowie in den fotografischen Selbstinszenierungen der an Krebs erkrankten Künstlerinnen Hannah Wilke, Jo Spence und Katarzyna Kozyra. Während Thomas Florschütz den fragmentierten männlichen Körper in die Fotografie der DDR einführt, ist es Tina Bara, die sich dem vornehmlich weiblichen Körper mit sezierendem Blick nähert. Ihre Nahaufnahmen zeigen vor allem Frauen in ihrem unmittelbaren Lebens- und Arbeitsumfeld. Sofern Bara ähnlich wie Schulze den fotografierten Akt als ganzheitliches Bildnis einer Person begreift, so etwa in o.T. (1984–1987), entstehen zahlreiche Serien intimer Fotografien. Diesen Körperbildern folgen Serien stark angeschnittener Nahaufnahmen von Gesichtern und Körperdetails. Fragmentierung und Neuordnung, auch in der späteren Hängung der Fotografien, münden in Vorstellungsbilder von einem unvollständigen, versehrten oder hybriden Körper. Mithilfe der Kamera als Vergrößerungsglas nähert sich Bara dem menschlichen Leib und seiner Oberfläche, die Vergangenes und Gegenwärtiges spiegelt. In Körper-Konstellationen (1990–1991) und fragile (1993–1995) zeichnet sie auf diese Weise Lebens- und Empfindungsspuren in starker Vergrößerung nach, die als Narben, Falten und Wunden sichtbar werden. Damit schließt sie die Tiefenstruktur der menschlichen Haut mit der grobkörnigen Konstitution der
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fotografischen Bildoberfläche kurz, wodurch Medium und Inhalt formal fast deckungsgleich werden. Die Aufnahmen der hier angeführten Fotograf*innen durchkreuzen die Vorstellung, Darstellung und Herstellung des weiblichen Aktes als sinnlich und gefällig, der das erotische Begehren des voyeuristischen Blicks provoziert. Sie assoziieren den nackten weiblichen Körper mit Schmerz, Alter, Armut, Verfall und geben seine Trägerinnen dennoch als selbstbewusste und würdevolle Frauen zu erkennen.
2.1.3.3 Queere Bilder In der heteronormativen Gesellschaft der DDR konnten nur wenige Künstler und noch viel weniger Künstlerinnen, Autorinnen oder Musikerinnen ihr geschlechtliches ‚Anderssein‘ offen leben. Toleranz gegenüber lesbischen und schwulen Lebensentwürfen war in der DDR keineswegs selbstverständlich. Obwohl seit 1968 entkriminalisiert, konnte Homosexualität bis in die 1980er Jahre nur an den Rändern der Gesellschaft gelebt werden. In den Printmedien der ersten Öffentlichkeit fehlte, wie Josie McLellan darlegt, die Inszenierung des männlichen Körpers in der Funktion des passiven Objekts sexueller Fantasien wie es beim weiblichen Akt der Fall war (2009:158). Darstellungen des objekthaften nackten Mannes hätten nicht nur zur Umkehrung konventioneller Geschlechterrollen in der Aktfotografie geführt, sondern auch homoerotisches Begehren provoziert, das als gegenläufig zur heterosexuell propagierten Sexualität in der DDR und demnach als vermeidbar galt (ebd.). Erst im letzten Jahr der DDR erscheint der Film Coming Out,153 der sexuelles Anderssein in der ersten Öffentlichkeit sichtbar macht und dadurch enttabuisiert. Ein Jahr zuvor malt Doris Zieglers das Tafelbild Ich bin Du (1988) aus der Reihe ihrer in den 1980er Jahren entstandenen Selbstbildnisse. Mit ihrem Doppelporträt verweist die Malerin nicht nur auf ihre ‚weiblichen‘ Merkmale, sondern beansprucht in der bildkünstlerischen Repräsentation auch ‚männliche‘ Anteile als konstituierendes Moment ihrer geschlechtlichen Identität. Ziegler greift in ihrem Bildtitel die Publikation der französischen Philosophin Élisabeth Badinter Ich bin Du. Die neue Beziehung zwischen Mann und Frau auf (vgl. Bestgen 2012). Ein Jahr später ist sie Teilnehmerin der öffentlichen Diskussion von Künstlerinnen und Kunstwissenschaftlerinnen aus Ost- und Westdeutschland über Androgynität im VBK-Magazin Bildende Kunst (VBK 1989).154 Ihr Gemälde repräsentiert nicht den Entwurf eines sogenannten dritten oder androgynen Geschlechts, in dem die Geschlechteropposition aufgehoben ist. Nicht vereint in einer ganzheitlichen Person, sondern als Zwillingspaar inszeniert, zeigen sich darin vielmehr zwei getrennte Identitäten, 153 Coming Out, 1989, Regie: Heiner Carow, Hauptdarsteller: Matthias Freihof. 154 Vgl. Kap. 1.3.1 Veröffentlichungen.
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das Selbst und der ‚Andere‘. Das Selbstporträt visualisiert so zum einen die Dekonstruktion fixierter Identitäten, zum anderen die friedliche Koexistenz des ‚Weiblichen‘ und ‚Männlichen‘ als Ausdruck einer Harmonisierung, die zu früh erscheint, da das Gemälde bildkünstlerisch die zu seiner Entstehungszeit virulente patriarchale Hegemonie in den Geschlechterverhältnissen der DDR überspringt, deren wirkliches Ausmaß erst nach dem Ende der DDR sichtbar werden sollte (Richter 2016:212). Die Ausführungen zu den Geschlechterverhältnissen der zweiten Öffentlichkeit haben gezeigt, dass auch die männlich und heterosexuell dominierten Kunstszenen der Subkultur die gesellschaftlichen Muster reproduzierten, sodass Akteur*innen mit alternativen Geschlechtsidentitäten mitunter einen schweren Stand hatten (vgl. auch Löser 2011:299). Gleichwohl tauchen – hier insbesondere im Medium der Fotografie und des Films – Bilder androgyner, effeminierter oder queerer Männlichkeit auf, so bei schwulen Protagonisten der zweiten Öffentlichkeit, dem Autor und Filmemacher Gino Hahnemann sowie den Fotografen Robert Paris und Sven Marquardt. In Gino Hahnemanns Super-8-Film Ein Zeichen sind wir, deutungslos, und haben die Sprache in der Fremde verloren (1984) hat ein Schwarzer Akteur155 einen Auftritt in Frauenkleidung. Die Fotografien Marquardts und Paris’, aber auch die Auftritte Via Lewandowskys, Mitglied der Auto-Perforations-Artisten, in Make-up, Spitzenhandschuhen, Perlenkette und mit langem Haar in Spitze des Fleischbergs (1986) [Abb. 11, 12] oder in weißem Tutu (Panem et Circenses, 1988; Trichinen auf Kreuzfahrt, 1989) oder anderer als ‚weiblich‘ konnotierter Kleidung, verstehen sich als schlaglichtartige Momentaufnahmen alternativer Identitätskonzepte und der Rollentausch in filmischen und performativen Inszenierungen als parodistische Verkleidung und Travestie, die bewusst mit Momenten geschlechtlicher Unentschiedenheit spielen. Das gilt gleichermaßen für die im Rahmen von Gundula Schulzes Aktporträt-Serie entstandene Aufnahme eines nackten Cross-Dressers (o.T., 1986).156 ‚Er‘ gibt sich vor einem zerwühlten Bett mit stark geschminkten Lippen und nachgezogenen Augenbrauen sowie mit Perücke und High Heels zu sehen. Indem er seinen Penis zwischen die Beine klemmt, bringt er ihn für die fotografische Inszenierung zum Verschwinden. In lasziver Pose und mit der symbolisch vollzogenen Kastration verunmöglicht er eine eindeutige Einordnung seiner Geschlechtsidentität.
155 ‚Schwarz‘ als Selbstbezeichnung bezieht sich auf Menschen, die durch Rassismuserfahrungen zu ‚Anderen‘ in einer weißen Mehrheitsgesellschaft gemacht werden. Der Begriff meint nicht biologische Merkmale wie die Hautfarbe, sondern eine durch Rassismus und Ethnisierung erzeugte soziale Identität. Dabei wird ‚Schwarz‘ nicht als adjektivistische Beschreibung, sondern als Selbstbezeichnung immer groß geschrieben. Vgl. auch die Diskussion um den Begriff ‚People of Colour‘ (Ha u.a. 2007). 156 Zum Begriff des Cross-Dressers und Cross-Dressings vgl. Kap. 3.2.4 Strategien der Maskerade.
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A bb . 11 Auto-Perforations-Artistik, Spitze des Fleischbergs (Via Lewandowsky), 1986, Hochschule für Bildende Künste Dresden im Rahmen des Hochschulfaschings, Dresden
A bb . 12 Auto-Perforations-Artistik, Spitze des Fleischbergs (mit Micha Brendel, Peter Dittmer, Else Gabriel, Rainer Görß, Via Lewandowsky, Hanne Wandtke), 1986, Hochschule für Bildende Künste Dresden im Rahmen des Hochschulfasching, Dresden
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Die Fotografin Eva Mahn zeigt Rocco und Raik (1989) mit getuschten Wimpern und Augenbrauen, mit Lippenstift und geöffnetem Zweireiher sowie Netzhandschuhen. Während die feminine Codierung der Kleidung leicht zurückgenommen und nur an den Handschuhen und dem weißen Fell oder der Flanelljacke des im Hintergrund Porträtierten abzulesen ist, tritt das Make-up des Paares umso deutlicher in den Vordergrund. Es ist eine statische, zugleich erotisch aufgeladene Szene, in der beide posieren, sich berühren, während die Hand des im Vordergrund Abgebildeten mit verführerischer Geste auf seiner Hemdbluse ruht. Als eines der markantesten Beispiele für Strategien der Abweichung von tradierten Konstruktionen der Zweigeschlechtlichkeit sind die fotografischen Inszenierungen eines Cross-Dressers aus Gabriele Stötzers Mackenbuch (1985) zu betrachten, das sich den Ambivalenzen der Körper- und Kleidungssprache widmet und im dritten Kapitel der Studie ausführlich besprochen wird. Die genannten künstlerischen Entwürfe sind in der Reihe zahlreicher Beispiele aus der bildenden Kunst Ost- und Westeuropas wie Amerikas zu verorten, die aufzeigen, inwiefern durch Strategien der Travestie und des Cross-Dressing die Geschlechterbinarität dekonstruiert werden kann. Zu den Künstler*innen zählen unter anderem El Kazovszkij, Zbigniew Libera, Sven Stilinović, Cindy Sherman, Hannah Wilke, Adrian Piper, Marcel Duchamp, Robert Mapplethorpe, Andy Warhol, Urs Lüthi und Jürgen Klauke. Kleidung als kreatives Medium für das Aushebeln eindeutiger (geschlechtlicher) Identitätszuschreibungen wurde verstärkt auch in Modenschauen eingesetzt, die für eine alternative Aufführungspraxis in der zweiten Öffentlichkeit stehen. Das trifft insbesondere für die revolutionäre Ästhetik der Street Fashion Performances Tamás Királys in Budapest zu, der in den 1980er Jahren gemeinsam mit weltweit führenden Designer*innen an internationalen Fashion Shows in Amsterdam und New York teilnahm, 1988 unter dem vielsagenden Motto Open Doors im Westberliner Hamburger Bahnhof. Mit experimentellen Formen, Farben und Materialien verliehen die Erfurter Künstlerinnengruppe oder die Berliner Akteur*innen von chic, charmant und dauerhaft (ccd)157 nicht nur ihrem individuellen und hedonistisches Lebensstils deutlich Ausdruck, sondern intervenierten mit ihren schillernden Entwürfen auch in tradierte Geschlechterkonstruktionen. Lustvolle Verwandlungsprozesse und Travestie betrafen gleichermaßen Männlichkeits- und Weiblichkeitsentwürfe [Abb. 13–17]. Die sogenannten Modeobjektshows der Erfurter Künstlerinnengruppe158 und das aus den Aktivitäten von ccd hervorgegangene Modetheater 157 Die im Berliner Prenzlauer Berg ansässige Modegruppe, deren Name unter dem Akronym ccd ironisch auf die Leitlinien der Modeproduktion in der DDR anspielt und die Gebrauchsmaterialien für ihre farbenfrohe Kleidung verarbeitete, sowie das 1986 entstandene Modetheater Allerleirauh, dessen Markenzeichen Kostüme aus Leder waren, setzten auf unkonventionelle, individuelle Kleidung, die in der DDR ausgemachte Mangelware war. 158 Vgl. Kap. 1.4.3.2 Die Erfurter Künstlerinnengruppe.
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A bb . 13–17 chic, charmant & dauerhaft (ccd), Verschiedene Aktionen und Modeperformances, 1984–1986, Berlin
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Allerleirauh waren auch als mediale Grenzüberschreitungen inszeniert. Die schrillen und bunten Aufführungen sorgten dafür, die Hierarchien zwischen Kunst, Mode, Theater, Musik und Film und damit die Auf- und Abwertung von Gattungen, die Unterschiede zwischen bildenden und angewandten Künsten, zwischen High und Low aufzusprengen (vgl. Richter 2018a). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der ersten Öffentlichkeit der 1950er bis 1970er Jahre entsprechend der gesellschaftlichen Geschlechterhierarchie Männer als Hauptrepräsentanten des Staates und produktiver Arbeit die Bilder dominierten, arbeitende Frauen als Bildfiguren hingegen selten waren. Typisierte Frauendarstellungen der Anfangsjahre wurden in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre von allegorischen Darstellungen oder von zumeist positivistischen Projektionen arbeitender Frauen respektive Mütter abgelöst. Damit kamen die Bilder der staatlichen Tabuisierung von Konflikten entgegen, die sich für Frauen durch die neu eingeführten sozialpolitischen Maßnahmen ergaben und ursprünglich ihrer Entlastung dienen sollten, letztlich aber zur Mehrfachbelastung führten. In der Fotografie und im Film aber ließen sich bereits in den 1960er Jahren kritische Bildentwürfe nachweisen, in denen die prekäre Rolle der Frauen im Arbeitsprozess differenziert thematisiert wurde. Mit dem Auftreten des Identifikationsbildes in der Malerei in den 1970er Jahren fand eine Hinwendung zu privaten Thematiken statt, in denen die Bedeutung der Frauen im gesellschaftlichen Gestaltungsprozess neu verhandelt wurde. Die Analyse hat verdeutlicht, dass insbesondere Künstler*innen der zweiten Öffentlichkeit in den 1980er Jahren zu alternativen Körper- und Geschlechterbildern beitrugen. Diese waren jedoch größtenteils unerwünscht oder wurden lange Zeit marginalisiert, weil sie nicht als Abbild, sondern als wirklichkeitskonstituierende Akteur*innen der visuellen Kultur und demnach als reale Gefahr für eine stark auf hetero- und geschlechternormativen Vorstellungen gründenden Gesellschaftsordnung wahrgenommen werden konnten. Dass Gundula Schulzes Aktporträts und Renate Zeuns Fotografien aus ihrer Serie Betroffen – Bilder einer Krebserkrankung auf der X. Kunstausstellung der DDR (1987/88) unter anderem neben Sven Marquardts und Christiane Eislers Aufnahmen von Punks präsentiert werden, spricht für die Integrationsbereitschaft staatlicher Kunstinstitutionen gegenüber bildkünstlerischen Produktionen der zweiten Öffentlichkeit, die auf diese Weise in der späten DDR als gesellschaftsfähig (an-)erkannt werden. Die Kunstformen, die auch noch 1987/88 von der repräsentativsten Ausstellung der DDR ausgeschlossen wurden und erst im letzten Jahr der DDR in einem größeren Rahmen veranstaltet werden konnten, sind Aktionskunst und Performance Art. Mit ihren Ausprägungen und ihrer Bedeutung für die zweite Öffentlichkeit wird sich das anschließende Kapitel ausführlich befassen.
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2.2 Die Bedeutung von Performance und Body Art in der DDR Mit Aktionskunst und Happenings in den 1950er Jahren und der sich neben diesen Kunstformen in den 1960er Jahren herausbildenden Performance Art entwickelten sich prozessuale, ereignishafte Ausdrucksformen, die das Künstler*innensubjekt und dessen Körper als Material und Medium ebenso zentral positionierten wie den Vollzug und die Wahrnehmung von Handlungen sowie das Außerkraftsetzen von Artefakten.159 Das Wort ‚Performance‘ als Bezeichnung für eine künstlerische Aktion aber kam erst in den frühen 1970er Jahren aus den USA nach Europa.160 Dabei handelte es sich nicht um eine neue Kunstrichtung oder einen neuen Stil, sondern in erster Linie um die Kennzeichnung einer Form bzw. ‚Technik‘. Diese hat sich seitdem weiterentwickelt und so vielfältig gestaltet, dass sie nicht mehr nur auf eine bestimmte Art oder Periode angewandt wird. Performance ist, wie Elisabeth Jappe unterstreicht, zu einem übergreifenden Begriff für alle Formen von Kunst mit Schwerpunkt auf der Handlung geworden (Jappe 1993:9). In der DDR bildeten sich in den 1970er und 1980er Jahren neue künstlerische Formate heraus, die neben der Auflösung der Gattungsgrenzen die Präsenz der Künstler*innen und die Verkörperung von Handlungen in den Vordergrund rückten. In Abgrenzung zur offiziellen Doktrin des sozialistischen Realismus richteten sich diese Kunstformen gegen institutionell definierte Kunstgenres und rigide Normierungen. In einem Land, das vornehmlich Ölmalerei und Skulptur tolerierte, wurde Performance Art, wie Karl-Siegbert Rehberg eindrücklich darlegt, als Politikum verstanden, auch wenn sie wie in den meisten Fällen nicht politisch motiviert war (2004). Unabhängig von den spezifischen Entwicklungen ostdeutscher Kulturpolitik und ihren Konsequenzen für die künstlerische Praxis in der DDR – die Dominanz und tradierte Fortsetzung repräsentativer Künste wie der Historienmalerei und Porträtkunst – ist die Hinwendung zum künstlerischen Prozess, zum physischen Geschehen und der Verkörperung selbst im großen Zusammenhang mit der in den 1960er Jahren einsetzenden transnationalen Entwicklung intermedialer Künste und der Performance Art zu betrachten. So wendeten Akteur*innen 159 Bereits 1952 fand während der Sommerschule des Black Mountain Colleges ein sogenanntes untitled event statt, das auf die Initiative von John Cage zurückging und an dem außer Cage der Pianist David Tudor, der Komponist Jay Watts, der Maler Robert Rauschenberg, der Tänzer Merce Cunningham und die Dichter*innen Charles Olsen und Mary Caroline Richards beteiligt waren. Die Akteur*innen setzten ihren Körper nicht für die Repräsentation einer Figur, sondern für den Vollzug von Handlungen ein. Während der Aufführung fanden Grenzüberschreitungen zwischen verschiedensten Künsten wie der Musik, Malerei, Film, Tanz und Dichtung statt (Fischer-Lichte 1998). 160 Auch in die deutschsprachige Theaterwissenschaft hat der Begriff der ‚Performance‘ erst in den 1970er Jahren Eingang gefunden (Umathum 2005:231). 1979 schreibt Roselee Goldberg mit Performance Art. From Futurism to the Present die erste Geschichte der Performance Art (Goldberg 1979).
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den Begriff ‚Intermedia‘ auf zahlreiche Spielarten der Kunstproduktion in der zweiten Öffentlichkeit der DDR selbst an. Die aus der Happening- und Fluxus-Bewegung der USA der frühen 1960er Jahre stammende Bezeichnung meint die Kreuzung, Hybridisierung und Verschmelzung verschiedener, auch audiovisueller Medien sowie die Einbeziehung unkonventionellen Materials, vorrangig aber das Überschreiten traditioneller Gattungsgrenzen und eine damit veränderte künstlerische Qualität der Arbeit (Büscher 1998).161 Das in Coswig bei Dresden von den Kunsthistorikern Michael Kapinos und Christoph Tannert initiierte Festival – auf das bereits in Hinblick auf seine Bedeutung für die Netzwerkstruktur der zweiten Öffentlichkeit hingewiesen wurde – mit dem geradezu programmatisch erscheinenden Titel Intermedia I: Klangbild – Farbklang (1985) war zwar nicht das erste, dafür aber bedeutendste seiner Art, nicht zuletzt, weil es intermedial arbeitende Akteur*innen und Vertreter*innen der Performance Art aus verschiedenen regionalen Szenen der zweiten Öffentlichkeit der DDR zusammenführte (Büscher 2010:1). In den Präsentationen der interdisziplinär arbeitenden Künstler*innen, Tänzer*innen und Musiker*innen ging es um die Betonung flüchtiger, zeitbasierter, ereignishafter Kunst in Form von nicht wiederholbaren Auf- und Vorführungen. Ein Jahr zuvor hatte Christoph Tannert intermediale Tendenzen in der Kunst der DDR, insbesondere die Verschmelzung von bildender Kunst und Musik, in seinem Text „intermedia. Versuche kollektiver Kunstproduktion“ analysiert (Tannert 1984). Ergänzend zum Intermediabegriff bezeichneten Künstler*innen und Kunstwissenschaftler*innen künstlerische Handlungen vorrangig als „Aktion“ und „Aktionskunst“ (vgl. Werner 1990; Blume & Tannert 1989), wobei diese Selbstbezeichnung auch von der späteren Rezeption aufgegriffen wurde (vgl. Rehberg 2004). Um der Verortung künstlerischer Aufführungsformate und Prozesse der Verkörperung im internationalen Kunstgeschehen und in aktuellen Diskursen gerecht zu werden, verwendet die vorliegende Analyse den Begriff Performance Art in erster Linie für Aktionen und Happenings und den der Body Art für fotografische Performance bzw. (Selbst-)Inszenierungen.162 Die begriffliche Einordnung lehnt sich dabei an Amelia Jones’ Konzept der Performance Art an, worin sie die Bezüge zur dadaistischen Bewegung der Vorkriegszeit herausstellt und ihren prozessuale Produktionen der visuellen Kunst umfassenden Charakter. Mit Body Art bezeichnet Jones das Erscheinen des bis dahin verborgenen Körpers als sexualisierten und ‚vergeschlechtlichten‘ in der Kunst 161 In der Intermedialitätsforschung wird Intermedialität als Oberbegriff für die Besprechung heterogener Phänomene eingesetzt. Irina O. Rajewsky unterscheidet drei grundlegende Ausprägungen der Intermedialität: 1. Medienkombination als Verbindung zweier unterschiedlicher Medien, 2. Medienwechsel als Übergang eines Produkts in ein anderes Medium, und 3. Intermediale Bezüge als Bezugnahme eines auf ein anderes mediales Produkt (Rajewsky 2002). 162 Vgl. die Darlegungen zu Performativität und Performance in der Einleitung.
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der 1960er und 1970er Jahre Westeuropas und Nordamerikas. Jones legt dar, dass die Arbeiten der Body Art nicht den Beschränkungen der Performance Art unterliegen, da ihre Realisation nicht notwendigerweise ein Publikum und einen bühnenartigen Rahmen voraussetze: [...] take place through an enactment oft the artist’s body, whether it be in a „performance“ setting or in the relative privacy of the studio, that is then documented such that it can be experienced subsequently through photography, film, video, and/or text. (Jones 1998:13, Hervorh. im Original) Durch den Ausschluss von Zuschauer*innen ist das Moment der Ausführung dominant vor dem Moment der Aufführung gesetzt (Fischer-Lichte 2005:232). In der DDR fanden fotografische oder filmische Selbstinszenierungen in den privaten Räumen der klandestinen zweiten Öffentlichkeit statt. Zunehmend sichtbarer wurde der Künstler*innenkörper schließlich in den Performances der späten 1980er Jahre.
2.2.1 Permanente Kunstkonferenz – Kontextualisierung lokaler Bedingungen Im Staatssozialismus der DDR konnte sich Performance Art nur in der Sphäre der zweiten Öffentlichkeit entfalten.163 So formuliert es auch einer der maßgeblichen Wegbereiter dieser Kunstform in der DDR, der Kunsthistoriker Eugen Blume: Performance-Art in ihren Varianten zwischen Aktionen und Happenings wurde in Westdeutschland zu Beginn der 60er Jahre durch Fluxus reaktiviert und war von ihrem politischen Impetus her als künstlerische Antwort auf die Studentenbewegung bzw. sogar als ihr Wegbereiter zu verstehen. In einem politischen System wie der DDR hieß die ernsthafte Einführung der Performance-Art eine zweite Kultur zu begründen, die zwangsläufig im Widerstreit zur ersten, offiziellen stehen musste und damit gegenüber dem gesamten System [...]. (Blume 1996:735) Versuche bildender Künstler*innen, mit einer körperbasierten und prozessualen Praxis in die erste Öffentlichkeit zu treten, wurden bis in die späten 1980er Jahre von der Kulturpolitik der DDR zwar in Einzelfällen zugelassen, 163 Eine Institutionalisierung progressiver Aufführungspraktiken hat es durchaus im Bereich von Theater und Musik gegeben, für die das Tanztheater Tom Schillings an der Komischen Oper Berlin, der Neue Künstlerische Tanz an der Dresdner Schule von Gret Palucca oder die Dresdner Veranstaltungsreihe Neue Musik im Gespräch stehen. Eine fundierte Analyse institutioneller Veränderungen im Tanztheater und im Neuen künstlerischen Tanz in der DDR sowie der Traditionslinien, die auf die Zeit der Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgehen, liefert Barbara Lubich (2014).
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im großen Maßstab jedoch immer wieder erfolgreich verhindert oder bestraft. Performance und Body Art, erläutert der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg, waren in der DDR „nicht so sehr künstlerische Ausdrucksformen der Freiheit, vielmehr der Befreiung, also des Bruchs mit Konventionen“ (2004:153). Dieser Bruch bezieht sich, wie weiter oben ausgeführt, auf traditionelle Gattungsgrenzen und Bildhierarchien, auf den konventionellen Werkbegriff und auf die neue Rolle des Rezipient*innen als Zuschauer*innen. Die zentrale Position des Künstler*innensubjekts, die prozesshafte Darstellungspraxis und die Ambiguität der künstlerischen Aussage besaßen zudem ein subversives Potential, das in der erstarrten Kunst- und Kulturpolitik der DDR eine Provokation darstellte. Performance Art wurde im Gegensatz zu allen anderen künstlerischen Medien – selbst die Fotografie erhielt mit der IX. Kunstausstellung der DDR 1982/83 eine eigene Sektion – erst 1989 im Rahmen einer repräsentativen Veranstaltung in der ersten Öffentlichkeit zugelassen.164 Aus Anlass der Bezirkskunstausstellung Berlin kuratierten die Kunsthistoriker Eugen Blume und Christoph Tannert mit Performances, Lesungen und Gesprächen die dreißigtägige Veranstaltung Permanente Kunstkonferenz in Berlin (30.05.–30.06.1989). Dabei traten die Auto-Perforations-Artisten in verschiedenen Formationen auf, unter anderem mit den Schriftsteller Durs Grünbein, als Band Die Strafe oder Else Gabriel mit dem Musiker Ulf Wrede [Abb. 18]. Die Tänzerin Hanne Wandtke performte mit Waldemar Wirsing und Erhard Monden realisierte mit seiner Tochter Kathleen Monden ihre Aktion erweiterter Kunstbegriff. Robert Rehfeldt eröffnete sein Mail-Art-Büro und Kurt Buchwald, Wolfgang Krause und Arno Wolff platzierten ihre Aktion Fotografieren verboten im öffentlichen Raum, die ihrerseits gleich am ersten Tag der Kunstkonferenz von der Polizei verboten wurde. Die Performances und Aktionen der Permanenten Kunstkonferenz durften jedoch nicht in den zentralen Ausstellungshallen des Fernsehturms präsentiert werden, in dem die Bezirkskunstausstellung ihren Austragungsort hatte. Sie wurden separiert und gemeinsam mit den Disziplinen ‚Objektkunst‘ und ‚Installation‘ in die Räume der kommunalen Galerie Weißer Elefant verlegt, die drei Jahre zuvor als Forum für junge Künste eröffnet hatte. Beiträge von Aktions- und Performancekünstler*innen aus Westberlin durften auf Beschluss des Berliner Magistrats nicht in das offizielle Programm der Galerie aufgenommen werden. Einmal mehr ins Abseits öffentlicher Aufmerksamkeit gedrängt, fanden parallel acht Aufführungen, darunter von Johannes Stüttgen, Boris Nieslony, Georg Dietzler, Kain Karawahn, Marc Schepers und
164 In diesem Zusammenhang sollte jedoch nicht ausgeklammert werden, dass sich durchaus Parallelen zur Rezeption von Performance und Body Art in Nordamerika und im Westen Europas wie der BRD aufzeigen lassen, waren prozessuale Verkörperungsstrategien als Kunstformen doch auch hier anfänglich marginalisiert und umstritten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die radikalen, provakanten und polarisierenden Auftritte der Wiener Aktionisten.
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A bb . 18 Else Gabriel & Ulf Wrede, Alias, oder die Kunst der Fuge, 1989, Galerie Weißer Elefant im Rahmen der Permanenten Kunstkonferenz, Berlin
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der Künstlergruppe und Band Die Tödliche Doris im privaten Atelier Erhard Mondens im Prenzlauer Berg statt. Was auf den ersten Blick als kulturpolitische Anerkennung der Aktionskunst und Performance Art sowie ihre erfolgreiche Institutionalisierung erscheint, kommt, wie der Kunsthistoriker Michael Freitag in der veranstaltungsbegleitenden Publikation zusammenfasst, einem „abgerungenen Liberalitätserweis von Kulturpolitikern“ gleich (1990:9), der auf langjährigen Etablierungsversuchen von Künstler*innen und Kunstwissenschaftler*innen sowie auf zahlreichen Kompromissen basierte. Das ausgeprägte Misstrauen, das experimentellen Aufführungen mit ihrem mitunter schwer dechiffrierbaren und missverständlichen Charakter entgegengebracht wurden, manifestieren sich in dem Umstand, dass die Staatssicherheit die einzelnen Aufführungen observierte (Lubich 2014:329). Beide Veranstalter traten gemeinsam mit Erhard Monden und Via Lewandowsky von den Auto-Perforations-Artisten in einer Gesprächsperformance mit dem bezeichnenden Titel Kommunikationsstörung auf. Tannert und Blume lasen gleichzeitig Texte, die von Monden und Lewandowsky sowie einer musikalischen Toncollage gestört wurden. Die symbolische Dimension dieser Performance verweist auf die Verweigerung einer (klar artikulierten und eindeutigen) Botschaft und zugleich auf die Ausprägungen einer als polyphon und heterogen zu charakterisierenden Kunstform. Der im August 1990 entstandene Katalog zur Permanenten Kunstkonferenz sollte die erste und zugleich letzte eigenständige Publikation in der ersten Öffentlichkeit der DDR bleiben, die sich mit wissenschaftlichen Aufsätzen, künstlerischen Statements sowie einer umfassenden fotografischen Dokumentation aktuellen Tendenzen der Performance Art im eigenen Land widmete (Edition Galerie Weißer Elefant 1990). Ab Mitte der 1980er Jahre gab es seitens der Kulturpolitik gelegentlich die Bereitschaft, aufführende Kunstpraktiken zuzulassen, wie beispielsweise die Gründung der Berliner Galerie Weißer Elefant 1987 als staatlich finanzierter Ausstellungsort für junge und experimentelle Kunst zeigt, in der Heike Stephan im Gründungsjahr ihre Gemeinschaftsausstellung mit Karla Woisnitza mit der Performance Niobe am Sipylos eröffnen konnte. Unerschrockene Leiter*innen von Kulturinstitutionen der ersten Öffentlichkeit, darunter das Kreiskulturhaus Berlin-Treptow und das Haus der Jungen Talente in Berlin, setzten sich für experimentelle Kunstformen, vor allem Tanz- und Musikperformances, an ihren Häusern ein. Dennoch verdeutlichen die genannten Rahmenbedingungen der Permanenten Kunstkonferenz, dass Performance Art als gleichberechtigte künstlerische Ausdrucksform selbst in der Endphase der DDR von Seiten der Kulturpolitik nicht akzeptiert wurde. Michael Freitag spitzt diese Feststellung zu, indem er von der Performance Art als sogenanntem „Störfaktor“ (1990:8) und „Stief kind aktueller Kunstausübung“ (ebd.:9) spricht, deren Existenz auch 1989 noch als verhandelbar
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angesehen wurde. Der Kunsthistoriker plädiert für den längst überfälligen, um die Analyse künstlerischer Qualitäten dieser Kunstform bemühten Diskurs: Seit mehr als drei Jahrzehnten begleitet die Performance-Art ununterbrochen die internationalen Kunstprozesse. Und seit über zehn Jahren gibt es das in nennenswerter Vielfalt bei uns. Deshalb kann der zugelassene Nachholakt in Berlin 1989 auch kaum mit Stolz erfüllen. Deshalb ist statt einer abstrakt-ideologischen oder einer kunstseparatistischen Betrachtung über Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten der Aktionskunst zu einer qualitativen, also konkreten Bewertung dieser Entwicklungen überzugehen. (Ebd.:8) Anstrengungen dieser Art hatte es bereits Anfang der 1980er Jahre seitens einiger Kunstwissenschaftler*innen gegeben, die jedoch über einen langen Zeitraum weitestgehend folgenlos blieben. In der Bildenden Kunst, der monatlich vom VBK herausgegebenen Zeitschrift, entfaltete sich, ausgelöst durch Gabriela Ivans kritische Besprechung der Ausstellung Zeit-Raum-Bild-Realisationen (1981) von Erhard Monden in der Berliner Galerie Arkade, über mehrere Ausgaben des Magazins eine Diskussion zur ‚Aktionskunst‘ (Ivan 1981; Blume 1982a; Raum 1982; Peters 1982; Weidner 1982; Blume 1982b; Pachnicke 1982). Monden hatte zur Ausstellungseröffnung seine sogenannte Stand-Lauf-Performance durchgeführt, in der er unterbrochen von meditativen Pausen fünfmal eine längere Wegstrecke zwischen seinem Atelier in der Dimitroffstraße (heute Danziger Straße) und dem Atelier von Stefan Kayser in der Sredzkistraße – das später auf die Produzentengalerie rg übergehen sollte – ablief. Die für Betrachter*innen nicht als einheitlich Ganzes wahrnehmbare Performance, strukturiert durch Phasen der Aktion und Meditation, akzentuierte Prozessualität, indem die Wege, die Verbindungslinien zwischen den Orten eine stärkere Hervorhebung erfuhren als die Endpunkte selbst. In der Ausstellung zeigte Monden Videoaufnahmen einer Turnerin sowie serielle Selbstporträts, über die er zuvor mit in Farbe getauchten Gummistiefeln gelaufen war. Im ausstellungsbegleitenden Heft äußert sich der Künstler mit konzeptuellen Statements zu seiner Arbeit (Monden 1981). Eugen Blume reagierte als Erster mit einem Plädoyer für die prozessbasierte Kunstform auf die Ausstellungsbesprechung. Blume selbst hatte Anfang der 1980er Jahre seine Dissertation über Joseph Beuys und den ‚Erweiterten Kunstbegriff‘ abgeschlossen und 1983 gemeinsam mit Monden und anderen Künstlern und Kunsthistorikern die Produzentengalerie rg im Berliner Prenzlauer Berg gegründet.165 Die überwiegend von Kulturfunktionären wie Hermann Raum geführte Diskussion in der Bildenden Kunst erweist sich weder als programmatisch noch
165 Vgl. Kap. 1.4.2.3 Gruppierungen.
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ernsthaft auf konzeptionelles Verständnis zielend. Während Blume für Kunst als dynamischen Prozess und die Erweiterung des Kunstbegriffs eintritt, der neue Produktionsweisen, Distributionsformen und Rezeptionsweisen erforderlich mache (Blume 1982a:203), offenbaren sich in Raums Terminologie, in Begriffen wie „Scharlatanerie“, „sozialer Folgenlosigkeit“ und „esoterischer Begrenztheit“ (1982:204) ein eklatantes Unverständnis und eine prinzipielle Zurückweisung aktionistischer und prozessualer Kunstformen. Auf dem IX. Kongress des Verbandes Bildender Künstler (1983) kam es zu einer kontroversen Auseinandersetzung zwischen den Verbandsmitgliedern, die Aktionskunst ablehnten und jenen, die sie befürworteten oder tolerierten. Eine Einigung wurde nicht erzielt. Auslöser der Diskussion war das Leussow Recycling von 1977. Während eines Pleinairs hatten die Künstler der Clara Mosch Holzplastiken auf einer Lichtung geschaffen, anschließend verbrannt und die Asche mit der fotografischen Dokumentation der Aktion in einem Koffer als Artefakt zusammengeführt. Peter Pachnicke, Kulturwissenschaftler und ehemaliger Generaldirektor des Staatlichen Kunsthandels der DDR, schlug vor, Aktionskunst in einer gleichnamigen Sektion in den Verband zu integrieren, was ihre Akzeptanz als Kunstform – und damit auch ihre Entschärfung – bedeutet hätte; der Vorschlag wurde abgelehnt (VBK 1984:117). Die durchgesetzte Haltung entsprach dem Diktum des Präsidenten des VBK, Willi Sitte, von 1980: „Solange ich gewählter Präsident bin, wird es das nicht geben.“ Mit diesen „avantgardistischen Eskapaden“ würde die Reise dahin gehen „wo wir am Ende nichts mehr zu sagen haben“ (zit. nach Rehberg 2004:146). Im April und erneut im Oktober 1988 richteten die Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker Barbara Barsch, Ina Gille, Wolfgang Kil, Gabriele Muschter, Henry Schumann, Christoph Tannert und Klaus Werner eine Petition an das VBK-Präsidium, in der sie Gesprächsbereitschaft und Mut zu Veränderungen erwarteten. In ihrer Rede auf dem X. Kongress des VBK der DDR (22.–24.11.1988) nahm Barbara Barsch auf ebenjenes Positionspapier der Sektionsleitung Kunstwissenschaft des Berliner Verbandes Bezug und forderte unter anderem die „Einrichtung einer Experimentalwerkstatt für junge Kunst, die auch Forschungs-, Studien- und Dokumentationszwecken dienen soll“ (Feist 1990b:191). Die Erlaubnis für die Ausrichtung der Permanenten Kunstkonferenz – einschließlich der erwähnten Einschränkungen – kann als Resultat dieser Forderungen und der vorangegangenen Bestrebungen der Kunstwissenschaftler*innen gewertet werden.
2.2.2 Performance Art und zweite Öffentlichkeit Für die Analyse ist von Interesse, welche Schlüsselrolle Performance Art und Intermedialität für das Entstehen der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit in ost- und südosteuropäischen Ländern zu Zeiten des Staatssozialismus
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zugeschrieben wird. Ästhetische Informationsproduktion und ihr Austausch haben, nach Katalin Cseh-Vargas Untersuchung zur ungarischen Neoavantgarde,166 vorrangig in den Praktiken von Aktion und Intermedialität stattgefunden, die ihrerseits Raum für ein weitgehend unabhängiges Agieren schufen (2016:93). Mit Verweis auf Kristine Stiles führt die Theaterwissenschaftlerin weiter aus, dass die Bedeutung prozessualer Kunst im Staatssozialismus neben der Durchsetzung von Überlebensmodi und dem Auf bau von Resistenzen in der Etablierung alternativer Kommunikation lag. Auf Grundlage aktuell verhandelter Öffentlichkeitsbegriffe, insbesondere der von Janelle Reinelt in ihrem Essay „Rethinking the Public Sphere for a Global Age“ (2011) formulierten Idee von Öffentlichkeit, kommt Cseh-Varga zu dem Ergebnis, dass „kreative Kulturpraktiken wie Performance imstande sind, neue Sphären von Öffentlichkeit zu schaffen“ (Cseh-Varga 2016:116). Eine enge Verwandtschaft zwischen Öffentlichkeit und Performance sieht sie zudem aufgrund ihrer Funktion als grenzüberschreitende Informations- und Kommunikationsplattformen. Durch eine eigene Handlungslogik und ihre physische wie suggestive Kraft erzeuge Performance einen Raum, der autonomes Schaffen sowie Agieren sichert, was wiederum ein grundlegendes Charakteristikum der zweiten Öffentlichkeit sei (ebd.:119). Weiterhin konstitutiv für die Herausbildung der zweiten Öffentlichkeit in der DDR waren der privilegierte Status der Künstler*innen als Freiberufler*innen sowie die Zuweisung von Ateliers als autonom nutzbare Arbeitsräume (vgl. Kaiser 2016). Bei der Herstellung von Sphären der zweiten Öffentlichkeit half auch die Samisdat-Produktion, unter anderem durch die Veröffentlichung von Beträgen zu Aktion und Performance Art.167 Entgegen beziehungsweise gerade aufgrund der Widerstände seitens der Kulturpolitik entfaltete sich Performance Art im Umfeld diverser intermedialer Ausdrucksformen, die bereits ab den frühen 1970er Jahren Tanz, Theater, Musik, Film und bildende Kunst miteinander verknüpften und in der zweiten Öffentlichkeit nicht nur artikuliert wurden, sondern diese erst entstehen ließen. Die wachsende Bedeutung künstlerischer Handlungen äußerte sich gleichermaßen in zahlreichen Aktionen in der Natur, im Außenraum, in Cafés und Künstlerkneipen sowie in der Festkultur der künstlerischen Szenen, die sich in vielgestaltigen und mehrtägigen Künstlerfesten zu erkennen gab. Die im Februar 1989 von den Kunstwissenschaftlern Eugen Blume und Christoph Tannert herausgegebene Dokumentation zur Aktionskunst in Berlin/DDR listet rund 95 Performances allein für Berlin auf, die unter so mannigfaltigen Bezeichnungen wie „Sprach- und Gesprächsperformance“, „Malaktionen/Rockmusik“, „Schweißaktion“, „Material-Performance“ und 166 Vgl. Kap. 1.4.1 Besonderheiten der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit der DDR. 167 Zur Rolle der Samisdat-Zeitschriften siehe Kap. 1.4.3.3 Kritik.
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„Eat-Art“ vornehmlich an Orten der zweiten Öffentlichkeit realisiert wurden, beziehungsweise das Vordringen von Künstler*innen in Institutionen der ersten Öffentlichkeit sichtbar machten.168 Als erste Aktion angeführt ist Ich bleibe in der DDR des Mail-Art-Künstlers Robert Rehfeldt von 1953.169 Mit großem zeitlichen Abstand erwähnt die Broschüre 1968 eine Aktion des 1972 nach Westberlin emigrierten Regisseurs und Bühnenbildners Achim Freyer und dokumentiert durchgängig ab 1976 Performances, die in den ersten Jahren zumeist in der EP Galerie Jürgen Schweinebraden veranstaltet wurden. Aktionen von Künstlerinnen, mit Ausnahme einer Performance der kanadischen Künstlerin Anna Banana in der EP Galerie Schweinebraden 1978, finden sich darin ab 1985 datiert. Zu den genannten Performerinnen gehören sowohl Else Gabriel, Heike Stephan, Nadja van Geluwe, Ursula Wahl, Kathleen Monden, Catrin Große, Tatjana Gallert, Ursula Wolf, als auch die Schlagzeugerin der Punkband Namenlos Mita Schamal und die Bühnen- und Kostümbildnerin Sabine von Oettingen mit einer Multimediashow. Die EP Galerie von Jürgen Schweinebraden stellte von 1974 bis 1980 in Berlin eine Plattform internationaler Kunst von Mail Art und Konzeptkunst über Installation und Performance Art bis hin zur Videokunst dar.170 Christoph Tannert unterstreicht die Bedeutung der Galerie als wesentlichem Impulsgeber: Hätte es zwischen 1974 und 1980 nicht die private Ost-Berliner EP Galerie von Jürgen Schweinebraden in der Dunckerstr. 17 gegeben, wo auch Westkunst aus den Bereichen Mail Art, Konzeptkunst, Installation, Performance und Video gezeigt wurde, wäre die Abschottung der DDR tatsächlich flächendeckend gewesen [...]. (Tannert 2009a:30) Als erste Performance eines internationalen Künstlers in der zweiten Öffentlichkeit der DDR kann die des tschechischen Künstlers Petr Štembera 1977 in der Galerie gelten. 1980 wurde dort von A.R. Penck, Jürgen Böttcher, Thomas Ranft, Erhard Monden und dem Westberliner Künstler Wolf Kahlen mit Achtung Aufnahme die erste Videoperformance in der DDR realisiert, die
168 Die Verfasser betonen im Nachwort, dass die Zusammenstellung als erster – und bis heute letzter – Versuch zu verstehen sei, aktionistische Kunstformen in Berlin zu belegen, wobei sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Einschränkend muss ergänzt werden, dass es sich um eine reine Auflistung mit Angaben zu den Namen der Künstler*innen, zum Titel, Ort und Tag der Aufführung handelt. Beschreibungen der Aktionen liegen nicht vor. Body Art, die nur im Privatraum des Ateliers oder der Wohnung unter Ausschluss eines Publikums realisiert wurde, wie auch Tanz- und Musik-Performances finden sich in der Publikation nicht dokumentiert (Blume & Tannert 1989). 169 Dabei handelt es sich um keine konkrete Aktion, sondern um Rehfeldts bis zum Ende der DDR bestehenden Entschluss, das Land nicht zu verlassen. Eugen Blume im Gespräch mit der Autorin, 14.10.2016. 170 Zur Galeriekonzeption vgl. Kap. 1.4.2.2 Galerien.
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auch wegen ihres intermedialen, kollaborativen, Künstler aus Ost und West zusammenführenden Charakters hervorzuheben ist (Kovach 2009:347).171 Aber auch außerhalb Berlins gab es zahlreiche Akteur*innen und Orte, deren Namen eng mit der Etablierung der Performance Art bzw. mit theatralischen Aufführungen verbunden sind. So stellte Helge Leiberg sein Dresdner Atelier für regelmäßige Proben und Aufführungen des SUM-Theaters (1982–1984) zur Verfügung. Als eine der wenigen freien Theatergruppen der DDR improvisierte SUM mit Sprachexperimenten und absurden Bewegungselementen in Anlehnung an den polnischen Regisseur Jerzy Grotowski sowie an das Theater Antonin Artauds und Samuel Becketts. Zum von Volker Palma (heute Miriam Palma) initiierten Theater gehörten unter anderem die Schauspielerin Angela Leiberg, die Maler*innen Udo Lenkisch und Christine Schlegel, die Dichter Michael Rom und Matthias Zeidler sowie die Musiker Lothar Fiedler und Hans-Jürgen Noack.172 Inspiriert durch die Arbeit innerhalb der SUM-Gruppe und ihrem Anspruch folgend, sich vom realitätsgetreuen Malen abzuwenden, entwickelte die an der Dresdner Kunsthochschule ausgebildete Christine Schlegel bildkünstlerische Aktionsmalerei. Schlegel, die nie aufgehört hat zu zeichnen, zu collagieren und zu malen, war, wie Christoph Tannert unterstreicht, wesentlich daran beteiligt, die „Transformation der Kunst in der DDR vom auratisch Werkhaften zum Performativen voranzutreiben“ (2001:8). Schlegel, die nicht selbst in persona performte, begann simultan zum Geschehen des SUM-Theaters auf große Blätter zu zeichnen und in freiem Fluss Bewegungsabläufe darzustellen. In dieser Zeit wendete sie sich wie viele ihrer Kolleg*innen dem Super-8-Film zu, zuerst um Bewegung und Performances aufzuzeichnen, kurze Zeit später, um dieses Medium in der Nachbearbeitung zu übermalen, zu zerkratzen und zu verfremden. Diese Filme projizierte sie zuerst auf die agierenden Körper der SUM-Mitspieler*innen, später auf die Tänzerin Fine Kwiatkowski, mit der sie zahlreiche Performances bis in die Gegenwart hinein realisiert. Mit mimischer Virtuosität und vehementen, spannungsreichen Bewegungsabläufen erprobte Kwiatkowski sowohl in ihren Performances mit Jazzmusikern als Gruppe FINE173 als auch in ihren Auftritten, die in Zusammenarbeit mit Lutz Dammbeck, Helge Leiberg und Christine Schlegel entstanden, die Grenzüberschreitung künstlerischer Gattungen. Mit
171 Ein Jahr zuvor beabsichtigte bereits Marcel Odenbach, für seine Performance Ich glaube ich bin mir selbst verlorengegangen bei Schweinebraden mit Video zu arbeiten. Fehlte dafür die Videotechnik, so dass er auf eine Diaprojektion zurück greifen musste, konnte der Galerist für Achtung Aufnahme einen Videoapparat von einem Psychologen der Nationalen Volksarmee organisieren (vgl. Schlehahn 2010:4). 172 Vgl. Christine Schlegel & Harald Schluttig, Ich bin. SUM Theater Dresden. 1982–1984, 2013, https://www.youtube.com/watch?v=mmN8lMmzLwA [letzter Zugriff: 26.07.2016]. 173 Die im Bereich musikalischer und tänzerischer Improvisation agierende Gruppe bestand neben Kwiatkowski aus den Musikern Lothar Fiedler, Dietmar Diesner und Christoph Winkel.
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kahl geschorenem Kopf, nacktem Oberkörper und abgebundenen Brüsten oder im weißen, eng anliegenden Catsuit performte sie in ihrer Person, stilisiert zu einer androgynen Kunstfigur, die Überblendung der Geschlechter.174 Indem Kwiatkowski sowohl mit herkömmlichen tänzerischen Elementen als auch mit Vorstellungen einer kohärenten Technik, Affektdarstellung, Narration und Chronologie brach, blieb sie mit ihrem Ansatz außerhalb des institutionellen Tanzes in der DDR. In der aktuellen Rezeption wird sie hingegen als Wegbereiterin des Tanzes in die Postmoderne gewürdigt (Giersdorf 2014:168). In ihren Gemeinschaftsperformances brach Schlegel mit der tradierten Beziehung zwischen weiblichem Modell und männlichem Maler, wie sie beispielsweise der Cottbuser Hans Scheuerecker bei seiner Bemalung weiblicher Körper reproduzierte. In den gemeinsam entwickelten Choreografien verkörpern und dekonstruieren Kwiatkowskis Bewegungsabläufe die Filmbilder von Schlegel; sie ist Bildelement, Bildträgerin und zugleich aktive Performerin. Ihren Köper verwandelt sie in bewegte Malerei, der wiederum von den projizierten Filmbildern fragmentiert, verdeckt oder besonders hervorgehoben wird. Zugleich verlebendigt sie die an sich schon bewegten Bilder. Zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit changierend, betonten Schlegels Filme und Kwiatkowskis Auftritte in ihrer engen Verknüpfung die Darstellung der menschlichen Figur als androgyne Erscheinung, die sich der eindeutigen Einordnung von Geschlecht und Identität und – durch die Wechselhaftigkeit ihres Erscheinens selbst – der bildlichen Fixierung verweigert [Abb. 19–20]. Den vorläufigen Höhepunkt ihrer Zusammenarbeit, die durch Schlegels Emigration 1986 unterbrochen, in den 1990er Jahren aber von beiden wieder aufgenommen wurde, markierte ihre Performance beim Festival Intermedia I im Jahr 1985. Schlegel zeigte auf Super-8-Film verschiedene Dokumentaraufnahmen von Performances und Theateraufführungen in Kombination mit einem Strukturfilm, der durch Nachbehandlung belichteter und unbelichteter Schichten mittels Übermalung und Zerkratzen entstanden war. Kwiatkoswki agierte zwischen Projektor und Projektionsfläche. Zugleich bot sich Schlegel durch einen tschechischen 8mm-Projektor der Freiraum, mittels einer Stopptaste drei bis sechs Bilder in Folge zu zeigen, was eine direkte Anpassung an Tempo und Rhythmus von Kwiatkowskis Aktionen ermöglichte (Schlegel 2001; Tannert 2009b). Neben der Bedeutung einzelner Akteur*innen wie Christine Schlegel spielten mehrtätige Performancefestivals eine zentrale Rolle für die Herausbildung und Sichtbarwerdung der zweiten Öffentlichkeit. Noch vor der Permanenten
174 Fine Kwiatkowski war keine Einzelfigur. Auch Tänzer*innen und Choreograf*innen wie Arila Siegert und Hanne Wandtke (beide erhielten ihre Ausbildung an der Dresdner Palucca Hochschule) oder Manfred Schnelle, Schüler von Marianne Vogelsang, siedelten ihre Arbeit an der Schnittstelle von Tanz, Musik, Theater und bildender Kunst an. Kwiatkowskis konsequentes Erscheinungsbild aber wurde neben ihrem künstlerischen Tanzstil zu ihrem Erkennungszeichen – und ist es bis heute.
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A bb . 19–20 Christine Schlegel, Strukturen (mit Fine Kwiatkowski), 1984, u. a. Haus der Jungen Talente, Berlin; Bauhaus Dessau, Dessau
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Kunstkonferenz dienten sie als grundlegende Bestandsaufnahme intermedialer Kunstströmungen von Performance Art im eigenen Land und hatten ihre Funktion zudem in der Zusammenführung der verschiedenen Akteur*innen. Intermedia I: Klangbild – Farbklang 175 (1.–2.06.1985) würdigt die Fachliteratur nicht nur als das erste intermediale Festival, das auch in der Westberliner Presse besprochen wurde (Lubich 2014:13), sondern es gilt auch, wie bereits erwähnt, als eines der bedeutendsten Ereignisse der zweiten Öffentlichkeit. Maler*innen wie Angela Hampel, Petra Kasten, Gudrun Trendafilov und Christine Schlegel zeigten Bilder mit expressivem Gestus auf Faltrollos – ein ungewöhnlicher, aber in den 1980er Jahren gern benutzter, weil für Transport und Hängung ausgesprochen praktischer Bildträger –, Free-Jazzer und Punkbands machten Musik, Filmemacher*innen zeigten ihre experimentellen Super-8-Filme, darunter Gabriele Stötzer und Christine Schlegel. Fine Kwiatkowski inszenierte eine Solo-Tanzperformance, tanzte außerdem zu Schlegels Strukturenfilm (1985) und trat in der Mediencollage Herakles von Lutz Dammbeck auf. Auch Schriftsteller*innen und andere Akteur*innen aus Berlin (Ost), Dresden, Leipzig, Magdeburg, Cottbus und Schwerin begegneten sich hier. Obwohl auch Kader des Dresdner Künstlerverbandes zu den Veranstaltungen kamen, billigte die Kulturpolitik das Aktionskunstfestival nicht (Tannert 2009b). Sanktionen äußerten sich etwa in der dem Festival unmittelbar folgenden Entlassung des Klubhausleiters Wolfgang Zimmermann. Vorläuferprojekt von Intermedia I und damit das erste intermediale Festival der DDR war Jazz in 1983 am selben Ort, das der Gruppe FINE und anderen Musiker*innen wie auch dem japanischen Tänzer Tadashi Endo und dem Künstler und Musiker Helge Leiberg eine Auftrittsplattform bot. Letzterer projizierte bei der Gelegenheit seinen Super-8-Film Here Comes the Sun auf Fine Kwiatkowski. Dabei trat die Tänzerin im schwarzen Anzug auf, während die bewegte Projektion sie gelegentlich streifte. Im Unterschied dazu erschien Kwiatkowski für die Inszenierungen von Schlegel in weißem Trikot, auf das die Projektion direkt gerichtet war. Die Hochschule für Bildende Künste Dresden, gleichwohl eine Kunstinstitution der ersten Öffentlichkeit, bot seit Ende der 1970er Jahre einen geschützten Rahmen für diverse Aktionsfelder von Künstler*innen. Dies geht vor allem auf den Rektor Gerhard Kettner und seinen Nachfolger Ingo Sandner zurück, die versuchten, die künstlerische Souveränität der Akademie gegenüber kulturpolitischen Einflüssen zu bewahren. Dort hatte sich die Tradition legendärer Faschingsfeste für provokante bildkünstlerische Artikulationen und aktionistische Auftritte von den Studierenden etabliert, wie auch die Frühlingssalons in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, die für das künstlerische und intellektuelle Klima der Hochschule sowie für 175 Die römische Ziffer I im Titel verweist auf eine serielle Konzeption. Ein zweites Intermedia aber hat es nicht gegeben.
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die Außenwahrnehmung große Bedeutung hatten. Die Galeristin Claudia Reichardt (Wanda), die in ihrer privaten Galerie fotogen konzeptionelle und immer wieder unter Verbot fallende Ausstellungen, darunter eine Geruchsausstellung realisierte, leitete an der HfBK ab 1985 den Studentenklub Wendel mit Ausstellungen, Lesungen, philosophischen Zirkeln und initiierte in diesem Rahmen auch Super-8-Film-Festivals. Gemeinsam mit dem damaligen Studenten Holger Stark organisierte sie 1988 unter dem Titel Nachtmär eine zehnstündige Performancenacht mit acht Künstler*innen (28.–29.10.1988). Es traten unter anderen Yana Milev mit In Aspik auf, die Auto-Perforations-Artisten mit panem et circensis und der Leipziger Künstler Klaus Rudolf mit seinem an Joseph Beuys orientierten Büro für direkte Demokratie (Reichardt 2009). Mit ihren intermedialen und ereignishaften Aktionen gelang es den Künstler*innen, weit über das statische (malerische) Bild hinauszugehen. Dabei hatte die Attraktivität prozessualen Arbeitens und der Überkreuzung von Gattungsgrenzen sehr unterschiedliche Ursachen und Beweggründe. Galt für Schlegel die Hinwendung zu bearbeiteten, mitunter abstrakten Filmbildern in Interaktion mit tänzerischer Bewegung als Befreiungsschlag von der Doktrin eines vermeintlich abbildenden Realismus, so führte für Lutz Dammbeck die endgültige Ablehnung seines Herakles-Filmprojekts 1984 durch das Ministerium für Kultur der DDR zum Rückgriff auf seine frühen Überlegungen für einen Film als „Spiel im Raum“.176 Seinen ursprünglich geplanten Film konzipierte er daraufhin als ‚Mediencollage‘, bei der sich Film, Video, Tanz, Musik, Malerei und Aktion im Raum miteinander verbanden. Dabei spielte Dammbecks Faszination für die Montage disparater Materialien und Motive eine entscheidende Rolle, mit der sich Fragen nach Geschichte und Historiografie, nach der (Re-)Präsentation von Realität und Fiktion anhand der Figur des Herakles verhandeln ließen. Während die Permanente Kunstkonferenz die einzige Veranstaltung größeren Umfangs für die Präsentation zeitgenössischer Performance Art in der ersten Öffentlichkeit der DDR war, handelte es sich bei L‘Allemagne hors les murs (19. bis 21. Januar 1990) um die erste öffentliche Ausstellung der unabhängigen, nonkonformen und aus den unterschiedlichsten Disziplinen kommenden Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit, das nur zwei Monate nach dem ‚Mauerfall‘ in Paris veranstaltet werden konnte. Im Rahmen der gesellschaftlichen Transformationsprozesse, die im selben Jahr in die ‚deutsche Vereinigung‘ münden sollten, war dieses Ereignis zugleich auch die letzte große Leistungsschau der künstlerischen Szenen der zweiten Öffentlichkeit, Ihre rebellischen Spielarten aber wurden vorzugsweise und für längere Zeit im Westen Deutschlands rezipiert. Anfang der 1990er sind verstärkt performative 176 Vgl. Lutz Dammbeck, Der Film HERAKLES (1979–1984), http://www.herakleskonzept.de/ material/index.php/vorlauf-6.html [letzter Zugriff: 13.02.2017].
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Auftritte ostdeutscher Künstler*innen wie von der Erfurter Künstlerinnengruppe oder den Auto-Perforations-Artisten nachweisbar. Auch wenn sich die Art der Präsentation später mitunter maßgeblich veränderte – bevorzugt werden fotografische Inszenierungen – gibt es einzelne Protagonist*innen wie Verena Kyselka, Gabriele Stötzer, Else Gabriel und Yana Milev, die kontinuierlich beziehungsweise erneut wirkungsvolle Performances bis in die Gegenwart hinein realisieren, wie die Fallanalyse zu Yana Milev exemplarisch aufzeigen wird.
2.2.3 Theoriebildung Meine Studie hat dargelegt, welche Wertungen künstlerische Aktionen und Aufführungen durch die Kulturpolitik erfuhren und auf welche Weise Kunstwissenschaftler*innen des VBK versuchten, im Verbandsmagazin und auf Kongressen eine Diskussion in den Sphären der ersten Öffentlichkeit darüber anzustrengen. Da sich Body und Performance Art lange Zeit nur in der zweiten Öffentlichkeit etablieren konnten, stellt sich die Frage, ob es weiterführende Debatten in den im Eigenverlag herausgegebenen Zeitschriften der zweiten Öffentlichkeit gab. Wie äußerten sich Kunstwissenschaftler*innen und Künstler*innen im geschützten Raum der Samisdat-Hefte und welche Diskussionen wurden um Performance Art und Intermedialität geführt? Die stichprobenartige Untersuchung der Magazine ist demnach nicht von der Frage nach der Theorie als Bestandteil künstlerischer Praxis, also einer Performance Art als Theorie geleitet,177 sondern von der Suche nach der theoretischen Auseinandersetzung mit diesem Kunstbegriff und Interpretationsversuchen durch Künstler*innen und Theoretiker*innen in Publikationen der zweiten Öffentlichkeit. Die Produktion von Texten stellt für einzelne Künstlerinnen einen zentralen Bestandteil ihres künstlerischen Schaffens dar. Dieses umfasst (gesprochene) Texte als Element ihrer Performances, autonome literarische Werke und analytische Verschriftlichungen als Interpretationswerkzeuge ihrer Kunst. Else Gabriel hat immer wieder mit Sprache in ihren Performances und Fotoserien gearbeitet und darin eigene Texte integriert (One Way, 1986; Lacheisen, 1989), andere hat sie als literarische, verdichtete und an Assoziationsketten reiche Aufzeichnungen in Samisdat-Zeitschriften veröffentlicht (Gabriel 1990), Yana Milev arbeitete mit Textbildern und Gabriele Stötzer verfasst bis heute 177 Im Rahmen des Forschungsprojekts Performance Art in Eastern Europe (1950–1990): History & Theory der Universität Zürich, das unter Leitung von Sylvia Sasse die Aufnahme ost- und südosteuropäischen Performance Kunst während des Kalten Krieges in aktuelle akademische Diskurse zum Ziel hat, fand im Mai 2014 der Workshop Performance Art (as) Theory statt, der die vielseitigen Entwicklungen von Performance-Art-Theorien und performativen Praktiken, die sich konzeptuell theoretischen Aspekten widmeten, thematisierte.
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Prosa und Lyrik, die sie in der jüngeren Vergangenheit auch in Lecture Performances vorträgt (Stasi-Dada, 2016). In Publikationen der zweiten Öffentlichkeit hat sie sich zu ihrer eigenen Arbeit und der ihrer Kolleg*innen kritisch und mit feministischer Stoßrichtung geäußert.178 Bis ins Jahr 1990 lässt sich jedoch keine Publikation finden, die das genderkritische Potenzial von Performance und Body Art konkret thematisiert. Eine Ausnahme bildet ein knapper Text zur Bedeutung der Gruppe Erweiterter OrGasmus für die Künstlerinnen Verena Kyselka, Ina Heyner und Stötzer als musikalisches und körperliches Aktionsfeld, der 1990 unter dem Titel „die hosen haben röcke an (gruppe eog)“ in der Rock-Zeitschrift NMI veröffentlicht wurde (Stötzer 1990a).179 Ab Mitte der 1980er Jahre lässt sich eine Zunahme von Besprechungen künstlerischer Aktionen individueller Akteur*innen und Gruppen beispielsweise in der Dresdner Zeitschrift U.S.W.180 feststellen. Darin erscheinen vornehmlich deskriptive Texte, die dazu dienen, einzelne beziehungsweise eigene Auftritte und Arbeiten vorzustellen, darunter ein Beitrag von Hans-Joachim Schulze für die Leipziger Gruppe 37,2; Ausführungen von Via Lewandowsky und Else Gabriel zu ihren Performances als Auto-Perforations-Artisten und begleitende Ausführungen zu Kurt Buchwalds seriellen Aktionen und Fotografien. Versuche, die verschiedenen künstlerischen Ausformulierungen prozessbasierter Kunstformen in einer theoretischen Analyse zu erfassen, sind hingegen ausgesprochen selten. Welche Gründe können dafür geltend gemacht werden? Neben den restriktiven Maßnahmen und Ausgrenzungen seitens der Kulturpolitik, die sich gegen die Entwicklung experimenteller Künste und einen öffentlichen Diskurs richteten, sei in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Anfang der 1980er Jahren einsetzende massenweise Abwanderung von Kulturschaffenden aus der DDR in die BRD und nach Westberlin hingewiesen und den damit einhergehenden unwiederbringlichen Verlust einer künstlerischen und intellektuellen Elite – Stichwort ‚brain drain‘ – der kontinuierliche und nachhaltige Debatten zu künstlerischen Phänomenen verhinderte. Christoph Tannert bescheinigt in seinem unter dem Pseudonym Anita Kenner veröffentlichten Aufsatz zur „Avantgarde“ in der DDR zudem einer Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern eine „theorie- und begriffsfeindliche“ Einstellung, die angesichts der anhaltenden „Konfrontation mit Formeln und 178 Eine ausführliche Analyse von Stötzers feministischen Texten findet sich in Kap. 1.4.3.3 Kritik. 179 Ebd. 180 Diese Zeitschrift wurde 1982 von dem Musiker Lothar Fiedler unter dem Namen UND gegründet. Nach dem Verbot der Zeitschrift und der Ausweisung ihres Gründers führte sie Micha Brendel unter verändertem Titel weiter. Brendel, Mitglied der Auto-Perforations-Artisten und somit einer der maßgeblichen Akteure der ostdeutschen Performanceszene, richtete als Herausgeber den Fokus seines Interesses u.a. auf prozessuale und körperbasierte Künste.
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Spruchbändern“, also der massiven Semantisierung des gesellschaftlichen Lebens und der Kunst, verständlich sei (Tannert 1988:11). Tannert selbst hatte, wie bereits erwähnt, in „intermedia. Versuche kollektiver Kunstproduktion“ eine Beschreibung und Analyse intermedialer Tendenzen in der Kunst der DDR mit dem Fokus auf Kooperationen bildender Künstler und Musiker vorgelegt (Tannert 1984).181 Der Kunsthistoriker kritisiert darin die fehlende Anknüpfung an historische Vorbilder und den Mangel an Diskussionen über neue Kunstformen – ohne allerdings selbst konkret auf die Genese des Begriffs ‚Intermedia‘ aus der Happening- und Fluxus-Bewegung der USA der frühen 1960er Jahre einzugehen. Vier Jahre später entwirft der Autor in der seit 1988 herausgegebenen Samisdat-Zeitschrift Kontext, die in ungewohnter Breite politische, gesellschaftliche und kulturelle Themen anspricht, angesichts der anhaltend abwertenden und reaktionären Haltung gegenüber der Gegenwartskunst durch die Kulturpolitik Argumente für eine seriöse und zeitgemäße Auseinandersetzung mit aktuellen kulturellen Strömungen und dem Begriff der ‚Avantgarde‘ (Tannert 1988). Einen längeren Absatz widmet er der Independent-, insbesondere der Punkmusik innerhalb der zweiten Öffentlichkeit sowie ihren gegenkulturellen Visualisierungen. Vielfältige Formen der Erneuerung beschreibt der Kunsthistoriker des Weiteren sowohl in der Literatur als auch der bildenden Kunst. Welche Bedeutung prozessuale Künste in seiner Betrachtung einnehmen, zeigt sich darin, dass Tannert seinen Artikel mit einem Resümee des von ihm organisierten Festivals Intermedia I (1985) beginnt, bei dem es zu zahlreichen Aufführungen kam, und ihn mit einer Beschreibung zweier Performances – Lutz Dammbecks Mediencollage Herakles (1987) und das multimediale Törnen – Ein Mecklenburg-Environment (1987) von Holger Stark – beendet. Im November 1989, als der ‚Mauerfall‘ das Ende des Staatssozialismus auf ostdeutschem Terrain einläutet, erscheint in dem originalgrafischen Samisdat-Heft Liane eine fundierte Analyse zur Aktionskunst. Erneut ist Christoph Tannert der Verfasser und eröffnet seinen Aufsatz mit der provokanten Frage: „Aktionistische Kunstformen, so wird mancher fragen, gibt’s die überhaupt in der DDR?“ (1989:1). Rückblickend zeichnet der Autor die Traditionslinie einer in der zweiten Öffentlichkeit der 1970er Jahre entstehenden neuen konzeptuellen Kunst nach, die ein komplexes Netz von Handlungen höher schätzt, als ein klar kalkuliertes künstlerisches Endprodukt und die zudem aus den Institutionen der ersten Öffentlichkeit – sei es aus dem Lehrplan der Kunsthochschulen oder von der X. Kunstausstellung der DDR (1987/88) – konsequent ausgeschlossen wurde. Wenngleich Tannert die Genese internationaler respektive
181 Der Artikel erschien 1984 in Musik und Gesellschaft, der Monatsschrift des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR.
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westeuropäischer und amerikanischer Performance Art aus dem Dadaismus, dem Action Painting, dem Happening und der Fluxus-Bewegung skizziert, so betont er, dass der Versuch ihrer Systematisierung in der DDR einem mühsamen Puzzlespiel gleiche. Fachbücher zu diesen Kunstströmungen lägen im Land nicht vor. Insofern hebt der Autor die „eigenen Charakterisierungen“ von Künstler*innen in der DDR hervor (Tannert 1989:5). Diese erweisen sich bei der fortgesetzten Textlektüre jedoch eher als ein Einsatz eigener Begrifflichkeiten182 als den konkreten Entstehungsbedingungen geschuldete und spezifische Artikulationen der künstlerischen Praxis selbst. Ohne konkrete Referenzen oder Künstler*innen und Theoretiker*innen aus Ost- und Westeuropa für seine Beschreibung zu nennen, weisen die von Tannert angeführten Spezifika letztlich die Merkmale einer global praktizierten Performance Art auf. Dazu gehören die „totale Einheit von Kunstwerk und Schöpfer“ (ebd.:7), also der Einsatz des künstlerischen Subjekts und seines/ihres Körpers als Material und Medium, der Fokus auf den Prozess selbst, das Fehlen eines künstlerischen Produktes, die Voraussetzung eines Publikums mit eigener Interpretationsleistung und die Dokumentation der Performance mit Hilfe fotografischer und filmischer Medien (ebd.:5ff). Im Rekurs auf einen im westdeutschen Kunstforum International erschienenen Aufsatz unterscheidet der Autor im Folgenden zwischen „Performance“ als Begriff für „Video Art“ und „Inszenierte Fotografie“ und „Performance Art“ als einer eigenständigen Kunstgattung, die auch mit dem Theater keine Gemeinsamkeiten teile (ebd.:6). Diese Kategorisierung bleibt im Text jedoch weitestgehend unerklärt. Nach der ausführlichen Besprechung einer Aufführung der ursprünglich als Diplomarbeit präsentierten Performance Herz Horn Haut Schrein (1987) der Auto-Perforations-Artisten bescheinigt Tannert der Gruppe ein ausgeprägtes Interesse an intermedialen Bezügen. Seine Analyse endet mit dem Statement, die Künstlergruppe habe „innerhalb des Modells des erweiterten Kunstbegriffs“ keine spezielle Theorie, ihr systematisches Denken münde umgehend in den konkreten künstlerischen Ausdruck (ebd.:8). Diese Praxis scheint nicht nur bezeichnend für die Auto-Perforations-Artisten zu sein, sondern paradigmatisch für die Mehrzahl der ostdeutschen Performancekünstler*innen. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der 1986 erschienene Aufsatz „gedanken zu einer theorie multimedialer prozesse“ des 1962 in Halle geborenen, heute international anerkannten Konzeptkünstlers Olaf Nicolai. Ausgehend von seiner Kritik an der Hermetik multimedialer Aktionen in der DDR und
182 So ist die Selbstbezeichnung der Auto-Perforations-Artisten als ‚Artisten‘ und nicht als Performancekünstler*innen ihrem unsicheren Kenntnisstand zu internationaler Performance Art geschuldet. Einem unmittelbaren Vergleich mit der in Ost- und Westeuropa praktizierten Kunstform wollten sich die vier Künstler*innen nicht aussetzen. Else Gabriel im Gespräch mit der Autorin, 06.04.2009.
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ihrer „unproduktiven Mythisierung“, die den Rezipienten und die Rezipientin ausschließen würde, plädiert der Autor für die Schaffung kommunikativer, vermittelnder Strukturen, die auf die aktive und kreative Einbeziehung des Publikums und letztlich die Genese „intersubjektiver Gemeinschaften“ ziele (Nicolai 1986:4). „Multimedia“ begreift Nicolai als kommunikatives Modell, das Gemeinschaften gestaltet, in denen wiederum Raum für individuelle Selbstverwirklichung und Selbsterfahrung entsteht. Nicolais Analyse entspricht damit genau dem weiter oben beschriebenen Modell von Performance Art als Plattform alternativer Kommunikation und Wissensproduktion, das mit den grundlegenden Merkmalen von zweiter Öffentlichkeit übereinstimmt. Bedeutsam ist Nicolais Text auch insofern, als er nicht nur grundlegende Gedanken zur Theoriebildung multimedialen Arbeitens entwickelt, sondern diese versucht, durch eine – auch grafisch angefertigte – Systematisierung der Strukturen und Funktionen des Multimedialen zu stützen. Hervorzuheben sind an dieser Stelle auch die auf großformatige Papierbögen und Kreidetafeln aufgeführten Gesprächsaufzeichnungen der Gruppe 37,2,183 die den aus der Kunst und Wissenschaft kommenden Akteur*innen als Protokolle ihrer analytischen und theoretischen Arbeit dienten. Die Aufzeichnungen lassen Rückschlüsse auf ihr spielerisches Denken, Handeln und Kommunizieren zu und auf die grundlegende Intention der Performance-Gruppe, (erstarrte) Systeme jeglicher Art in Bewegung zu bringen und zu verflüssigen. Die theoretischen Überlegungen sollten in die erst weit nach 1989 erschienene Publikation fragmente zum wasser einfließen, in der sich ein Kapitel den Analysen „Komplexe[r] Spiele“ widmet (Schulze 2005). Erhard Monden, der in seiner künstlerischen Praxis Anfang der 1980er Jahr die Ablösung des Performance-Begriffs durch die Idee des ‚Erweiterten Kunstbegriffs‘ vorantrieb,184 gründete 1984 in Berlin eine Schule für erweiterte bildnerische Arbeit, eine in dieser Form einmalige Bildungsstätte in der DDR. Entlang Joseph Beuys’ Theorien der sozialen Plastik widmete sich Monden gemeinsam mit ausgebildeten Künstler*innen und Laien der Arbeit in Gruppen – erinnert sei in dem Zusammenhang an die künstlerische und soziale Praxis Erika Stürmer-Alex’ – die bis 1995 demokratische Entscheidungsprozesse und intensive Begriffsarbeit im Rahmen eines performativ ausgerichteten Mal- und Zeichenunterrichts ausübte. Abgesehen von diesen Bestrebungen der Wissens- und Erkenntnisbildung treten die Performer*innen, so lässt sich schlussfolgern, vornehmlich als Praktiker*innen und kaum als Theoretiker*innen auf, die ihre eigene Arbeit (schriftlich) reflektierten.
183 Vgl. Kap. 1.4.2.3 Gruppierungen. 184 Erhard Monden im Telefonat mit der Autorin, 30.04.2015.
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2.2.4 Performance und Bild185 Zu den Vorbehalten gegen stilistische Normvorstellungen, dem Misstrauen gegenüber ideologischer Vereinnahmung und Funktionalisierung von bildender Kunst kam, wie Karl-Siegbert Rehberg in seinem Aufsatz über ostdeutsche „Verkörperungs-Konkurrenzen“ darlegt, eine Infragestellung des Bildes überhaupt (2004:117). Aufgrund meiner Untersuchungen kann ich mit dieser Einschätzung nicht übereinstimmen. Die meisten der Künstler*innen, die sich der Performance Art zuwandten, arbeiteten weiterhin in den bildkünstlerischen Medien der Malerei, Fotografie und des Films und integrierten darüber hinaus Bilder mitunter als wesentliche Elemente in ihre Aufführungen. Außerdem nutzten sie die bildnerischen Medien der Fotografie und, nach Möglichkeit, des Films, um ihre Performances zu dokumentieren. Insofern dürfte auch die Begründung des Kunsthistorikers Christian Janecke für die unzureichende fotografische und filmische Dokumentation künstlerischer Aktionen in der DDR im Gegensatz zum Westen Deutschlands nur in ihrem ersten Teil zutreffen. Diese hätte damit zu tun, dass technisches Equipment kaum verfügbar war, insbesondere aber mit „einer deutlicher als im Westen greifenden Abwendung der Performer von bildlichen Medien und im Gegenzug einem Faible für das körperlich-aktionistische Moment“ (Janecke 2004:40). Vorausgesetzt, die Feststellung ist tatsächlich zutreffend, dass Performance Art in der zweiten Öffentlichkeit der DDR weniger dokumentiert wurde als in der BRD, dann nicht aufgrund einer Abkehr von Bildern, sondern weil neben Super-8-Kameras filmische Aufzeichnungsmöglichkeiten, konkret Videoausrüstung, abgesehen von vereinzelten Ausnahmen, für den privaten Gebrauch in der DDR nicht zur Verfügung standen. So kann Karla Woisnitza ihre gleichnamige künstlerische Adaption von Ilse Aichingers Spiegelgeschichte (1982/83) unter Mitwirkung des seit der Unterzeichnung der Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns faktisch unter Berufsverbot stehenden DEFA-Regisseurs Heiner Sylvester, des Kameramanns Wolfgang Lindig, der Bühnenbildnerin Ursula Scheib und dem Maler Volker Henze filmisch nur dokumentieren, weil sie über verzweigte Kanäle die Videokamera der Regimekritikerin und Bürgerrechtlerin Katja Havemann erhält.186 Während die Auto-Perforations-Artisten ihren ersten gemeinsamen Auftritt Herz Horn Haut Schrein (1987) noch im Super-8-Filmmedium dokumentieren, gelingt es ihnen ab 1989, mit der von Christoph Tannert geliehenen Videokamera eine größere Anzahl ihrer Performances auf
185 Der Titel ist Christian Janeckes Publikation Performance und Bild, Performance als Bild entlehnt, in der er die Spielarten von Performance Art zu vielgestaltigen Bildbezügen wie ihr Verhältnis zur dokumentierenden Fotografie und die Gründe für ihre gegenwärtige Intensivierung analysiert (Janecke 2004). 186 Karla Woisnitza im Gespräch mit der Autorin, 14.01.2016.
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Video aufzuzeichnen, was maßgeblich zur umfassenden und erfolgreichen Rezeption ihrer Arbeit nach 1989, besonders auch im Westen Deutschlands, beigetragen hat. Aufgrund ihrer, durch den privaten Charakter von Körperinszenierungen erforderlichen fotografischen, filmischen oder sprachlichen Vermittlung sieht Amelia Jones künstlerische Körperstrategien als eine komplexe Erweiterung des Porträts im Allgemeinen (1998:13). Damit spricht die Wissenschaftlerin ein wesentliches Moment an: Nur durch mediale Repräsentation und Reproduktion wird Body Art – und auch Performance – einem breiten Publikum zugänglich. „Liveness“ gewinnt, wie Janecke herausstellt, erst dank der Allgegenwart medialer Reproduktion Gestalt und wird überhaupt erst valorisierbar (2004:35). Wie in meinen Überlegungen zur wissenschaftlichen Analyse von Performance Art in der Einleitung dargelegt, bedeuten diese Voraussetzungen, dass prozessuale Kunstformen zumeist nicht unmittelbar, sondern hauptsächlich im Format ihrer visuellen Repräsentation zugänglich sind; folglich sind die Medien Fotografie und Film für die Rezeption und wissenschaftliche Analyse von zentraler Wichtigkeit.187 So waren und sind bestimmte Performances von vornherein auf spätere Bilder und Bildserien als sogenannte ‚Fotoperformances‘ oder als „performed photography“ (Auslander 2012:49) und auf ihre Wirkung hin konzipiert. Zumeist im intimen Raum des Ateliers und unter Ausschluss eines Publikums exklusiv für die Kamera aufgeführt, gelten sie nicht als Dokument, sondern als die Arbeit selbst. Fotografie ohne künstlerischen Anspruch hatte dokumentarische Funktion und diente der Bekräftigung der künstlerischen Handlung. Janecke führt aus, dass die Bilder, gerade wenn nur wenige vorliegen, mangelhafte oder verfälschende Auskunft über Performances geben, diese aber auch einer postwendenden Mythisierung beziehungsweise Dramatisierung des Geschehenen Vorschub leisten und selbst zu kostbaren Relikten werden können (Janecke 2004:79). Gerade im Hinblick auf die Mythisierung der Figur des männlichen (Performance-)Künstlers und des Bildes vom Künstler spielt die authentifizierende Wirkung und indexikalische Beteuerung von Fotografie und Film eine nennenswerte Rolle. Viele der fotografischen, mit ikonografischer Wirksamkeit aufgeladenen Selbstinszenierungen von Yves Klein, Rudolf Schwarzkogler, Chris Burden, Bruce Nauman oder Joseph Beuys dürfen – gerade wenn es sich um Einzelbilder wie Der Sprung ins Leere (1960) von Yves Klein oder La rivoluzione siamo Noi (1971) von Joseph Beuys handelt – , unterstreicht Verena Kuni in ihrem Aufsatz über das fotografische „Standbild“ und den inszenierten „Starschnitt“, nicht als glaubwürdige Dokumente gelesen werden, wenn sie auf angemessene Weise im Rahmen der Kunstgeschichte diskutiert
187 Vgl. meine Ausführungen zu Performativität und Performance in der Einleitung.
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werden sollen (Kuni 2004:229). So kritisiert beispielsweise Kristine Stiles die affirmativen Interpretationen von Rudolf Schwarzkoglers ritueller Verstümmelung seines Penis in einer dokumentierten Aktion von 1966. Auf den Fotografien ist nämlich nicht der Künstler selbst, sondern ein Freund zu sehen, der für Schwarzkoglers völlig fingierte Kastration posierte (Stiles 1990). Diese Bilder, so lässt sich mit Verena Kuni weiter ausführen, oszillieren zwischen „‚Trugbild‘ und ‚Abbild‘, zwischen Kunst und Dokument“ (2004:233), sodass in der Rezeption das Bild des Künstlers (Standbild) und das Bild des Künstlers (Starschnitt) zusammenfallen (ebd.:240). Philip Auslander spitzt – wie bereits in der Einleitung zur Studie angeführt – diese Beobachtung in seiner Analyse über Performancedokumentation zu. Er unterstreicht, dass Dokumente nicht nur Bilder hervorbringen, die eine Performance beschreiben und behaupten, sie habe stattgefunden, sondern dass sie ein Ereignis als Performance und den „performer as ‚artist‘“ erst produzierten (Auslander 2012:53). Performance Art konstituiere sich als solche durch die „performativity of its documentation“ (ebd.:55). Dokumentation wird daher selbst zum Ereignis, die wesentliche Beziehung dafür ist nicht die zur vergangenen Performance, sondern vielmehr die zum gegenwärtigen Publikum in der Gegenwart. Die Autorität des Dokuments sei, entsprechend Auslander, phänomenologisch und nicht ontologisch begründet (ebd.:57). Unter diesen Voraussetzungen muss von Fall zu Fall entschieden werden, welche Lesarten ein „Standbild“ gestattet, im besten Fall auf Basis eines Wissens sowohl um die Intentionen und Ziele, die der Herstellung eines Bildes zugrunde liegen, als auch um die Umstände, unter denen es entstanden ist. Ob es eine oder gar mehrere mögliche Erzählungen gibt, wer wem was zu welchem Zweck und mit welchen Folgen erzählt, sind die entscheidenden Fragen, die Verena Kuni entsprechend an fotografische Bilder gestellt werden müssten, die „Standbilder“ von Performances sind – oder zu sein scheinen (Kuni 2004:234). Dieses Kapitel hat herausgestellt, dass Performance Art durch die zentrale Position des Künstler*innensubjekts und ihren flüchtigen Ereignischarakter eine besonders schwere Stellung im Kunstgeschehen der DDR hatte, weil damit eine grundlegende Abkehr von herkömmlichen Gattungsgrenzen und dem traditionellen Werkbegriff einherging. Mit ihren offenen Abläufen und Handlungen sowie ihren mitunter schwer zu entschlüsselnden und – bewusst einkalkulierten – missverständlichen Botschaften stellte diese Kunstform nicht nur neue Herausforderungen an die Rezipient*innen dar, sondern generierte auch autonome Räume für unabhängiges Agieren und Kommunizieren für und innerhalb der zweiten Öffentlichkeit. Dass die künstlerischen Akteur*innen dabei weniger begleitende Diskussionen über Performance Art anstrebten, sondern vielmehr ihre unmittelbare Umsetzung in der Praxis, machte das Kapitel zur Theoriebildung deutlich. Eine in der ersten Öffentlichkeit geführte Debatte zur Anerkennung der Performance Art blieb vorerst
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ergebnislos, sodass Aktionen und Auftritte von Künstler*innen bis in die letzten Jahre der DDR auf anhaltende Zurückweisung und Ausgrenzung aus der ersten Öffentlichkeit stießen. Warum die vorliegende Studie Performance Art neben ihrer Bedeutung für die Entfaltung der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit für besonders geeignet hält, Geschlecht und Identität anders darzustellen und zu denken, führen die folgenden Analysen aus.
3. GESCHLECHT ANDERS ZEIGEN In der Beschäftigung von Künstler*innen und Wissenschaftler*innen mit tradierten Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfen bildet die Frage nach der (Re-)Präsentation von Körpern einen Schwerpunkt. So wie der Körper beziehungsweise das Körpersein immer schon kulturell codiert und historisch spezifiziert ist, unterliegt auch seine Wahrnehmung den veränderlichen Körperkonzepten der Zeit. Umso mehr trifft dies auf die Körpersprache zu, da ein sprechender Körper eben ein bereits besprochener Körper ist, wie die Kunsthistorikerin Sigrid Schade in ihrem Aufsatz über filmische und fotografische Selbstinszenierungen von Künstlerinnen hervorhebt (1998:38). In der interdisziplinären Erforschung einer Geschichte und der ‚natürlichen Sprache‘ des Körpers richtet sich die zentrale Frage nach der Vorgängigkeit des Zeichens beziehungsweise der symbolischen Ordnung vor der Affektsprache, das heißt die Nicht-Ursprünglichkeit des Körpers als Ausdrucksträger von Affekten. In den Körperbildern der bildenden Kunst materialisiert und ‚verkörpert‘ der Körper die Symbolsysteme, in denen er sich bewegt; „es gibt für ihn kein Außerhalb des Symbolischen, aber er markiert gleichzeitig dessen Grenze“ (ebd.:45). So gesehen ist die Bedeutung der Gesten, der Mimik, der Bewegung bereits fixiert, die Sprache des Köpers ist der auf Wörtern basierenden verwandt und wie jene keineswegs naturgegeben. Zudem wurde der weibliche Körper in metaphorischen und allegorischen Funktionen als Repräsentation von Gemeinschaftsidealen wie dem ‚Wahren‘, ‚Guten‘ und ‚Schönen‘ verwendet. Dass die Leinwand als Metapher selbst weiblich konnotiert war und männlichen Malern dazu diente, ihre Zeichen darauf zu setzen, veranschaulicht Silvia Eiblmayr in ihren Untersuchungen zur „Frau als Bild“ (1993). Insofern kommt dem Einsatz des ‚eigenen‘ Körpers in den Selbstinszenierungen von Künstlerinnen seit Ende der 1960er Jahre, um sich den Zuschreibungen des traditionellen Bildes zu entziehen und die Geschlechtlichkeit des Körpers sowie die an sie geknüpften Diskriminierungen zu thematisieren, eine große Bedeutung zu. Insbesondere in den Anfängen der Body Art zeigten Künstler*innen ihren Körper als leidenden, ausscheidenden, lustvollen oder sexuell aufgeladenen und setzten ihn erheblichen Verletzungen, Schmerzen und Gefahren aus. Strategien körperbezogener Arbeiten zielten darauf, die politische
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Dimension des Persönlichen aufzuzeigen, den Körper als Ort des Protestes und der Handlungsmacht einzusetzen, geschlechterspezifische Fixierungen zu unterlaufen und die traditionelle Repräsentation des ‚Weiblichen‘ zu dekonstruieren. Künstlerinnen versuchten über körperbasierte Inszenierungen, die Gewaltförmigkeit des Bild-Status von Frauen zu reflektieren, Selbstverletzung als Repräsentation kultureller Einschreibungen vorzunehmen, die Grenzen des Körpers und Körperöffnungen mit Konzepten des Ekels zu konfrontieren und das patriarchale Blickregime zu destabilisieren, das die Frau als begehrtes Objekt des männlichen Blicks voraussetzt, das heißt, der Fetischisierung des Frauenkörpers entgegenzuwirken und sich selbst als handelnde Subjekte zu inszenieren. Entgegen einem Verständnis von Kunst als Repräsentation setzt Body Art die reale Erfahrung von Körper, Raum und Zeit. Der Anspruch auf ‚Authentizität‘ und nicht vermittelte Präsenz in den Selbstdarstellungen wurde, begleitet vom Vorwurf des Essentialismus,188 seit Ende der 1970er Jahre von Selbstinszenierungen abgelöst, die sich durch Rollenspiele, Identitätstransfers und ein wiederkehrendes In-Szene-Setzen vornehmlich mit der Funktion von visueller Repräsentation auseinandersetzten (Jones 2005). Obwohl die Performance Art der 1960er und 1970er Jahre in Westeuropa und Nordamerika eng gekoppelt war an feministische Auf brüche in der Gesellschaft und obwohl sich Kunst und insbesondere Künstlerinnen dieser von Männern noch weitestgehend unbesetzten Kunstform ebenso bedienten wie des neuen Mediums Video, würde ich dennoch nicht so weit gehen zu behaupten, dass Performance „formal und inhaltlich geradezu das paradigmatische Medium feministisch inspirierter, genderkritischer Kunstproduktion“ war (Knaup & Stammer 2014:193). Performance Art zeigt durchaus die Verschränkung Privatheit und Öffentlichkeit auf und setzt den Fokus auf den handelnden und wissenden Körper. Aber auch Malerei oder Fotografie können repressive Identitätszuschreibungen aufdecken und unterlaufen. Darüber hinaus setzt meine Untersuchung nicht voraus, dass köperbasierte Praktiken von Künstler*innen per se feministisch oder geschlechterkritisch sein müssen. Meine Entscheidung für eine Analyse der Performance Art liegt in der Beschaffenheit des Mediums selbst begründet. Nach Amelia Jones bieten künstlerische Körperinszenierungen, und in Erweiterung auch Performance Art,
188 So legt die Theaterwissenschaftlerin Jill Dolan anhand der Arbeiten von Leslie Labowitz und Hannah Wilke dar, dass der autobiografische Charakter, vor allem aber der Einsatz des nackten weiblichen Körpers in frühen feministischen Performances als tatsächlicher und metaphorischer Ort für die Suche nach Gemeinsamkeiten und der Einheit von Frauen, für die symbolische Rück-Aneignung der eigenen, weiblichen Subjektivität und dem Aufzeigen der Differenz zu Männern dienen sollte. Der bis zur ‚essentiellen Weiblichkeit‘ entkleidete Körper aber sei nicht reduzierbar auf ein Zeichen, das frei von Bedeutung ist und außerhalb des Repräsentationssystems liegt. Demnach sei der weibliche Akt nicht von sexuellem Begehren und der Verdinglichung von Frauen innerhalb der kulturellen und visuellen Hierarchien zu trennen (Dolan 1987).
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nicht nur das Potential, Subjektivität anders zu denken. In ihnen wird Subjektivität selbst als performativ angezeigt: And it opens out subjectivity as performative, contingent, and always particularized rather than universal, implicating the interpreter (with all of her investedness, biases, and desires) within the meanings and cultural values ascribed to the work of art […]. (Jones 1998:14, Hervorh. im Original) Body und Performance Art als nicht klassische Abbildungsverfahren machen durch ihre Ereignishaftigkeit den performativen Anteil von Subjektivität, die Herstellungs- und Konstruktionsverfahren von Geschlecht, die Gestaltbarkeit des geschlechtlichen Körpers selbst sichtbar. Körperbasierte Künste, die in ihrem Verlauf selbst zahlreichen zufälligen Faktoren unterliegen, sind fernerhin nicht ergebnisorientiert, sondern verstehen sich als offene, nicht abschließbare Prozesse, die sich weit vom auratisch Werkhaften entfernen. Auch wenn sich Performance Art zumeist nur durch andere Medien vermittelt, vornehmlich durch Fotografie und Film, potenziert die oftmals selektive und nur fragmentiert vorliegende mediale Reproduktion prozessualer Inszenierungen zum einen den offenen Charakter der Kunstform, der die subjektive Lektüreleistung der Rezipient*innen erfordert. Zum anderen wird durch die zumeist serielle fotografische und filmische Repräsentation der Verlaufscharakter der künstlerischen Handlung unterstrichen. Körper, Geschlecht und Identität werden in der Body und Performance Art und den Dokumenten ihrer visuellen Repräsentation nicht als fixierte, sondern als prozessuale Größen angezeigt. Damit soll unterstrichen werden, dass auch Fotoperformances und Performancedokumente trotz der bildlichen Fixierung fluide Identitäten herstellen und damit Identitätszuschreibungen in der Schwebe halten.
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3.1 Die Konstruktion des kulturell ‚Anderen‘. Karla Woisnitza inszeniert Woman is the Nigger of the World 3.1.1 Biografische Kontexte Ende der 1960er Jahre besucht die 1952 in Rüdersdorf bei Berlin geborene Karla Woisnitza die Malkurse von Erika Stürmer-Alex im dortigen Kulturhaus.189 Durch ihre sogenannte ‚Kunst-Mutter‘ kommt die damals Siebzehnjährige noch während ihrer Schulzeit erstmals mit bildender Kunst und mit einem freien und experimentellen Kunstbegriff in Berührung.190 Innerhalb ihres Zirkels unterrichtet Stürmer-Alex ein gestalterisches Grundprogramm zu Komposition, Farb- und Materialkunde in Theorie und Praxis. Mit anschaulichen Übungen führt sie ihre Schülerin an die klassische Moderne heran, Woisnitza malt und zeichnet nach Musik und erlernt verschiedene künstlerische Techniken von der Kohlezeichnung über Druckgrafik, Aquarell bis zur Ölmalerei. Stürmer-Alex’ offener Einsatz und die unkonventionelle Zusammenführung von Gattungen, Genres und Materialien inspirierten ihre eigene Arbeitsweise. Nach Schulabschluss absolviert die junge Frau ein einjähriges Volontariat beim Fernsehen der DDR in Berlin-Adlershof und wechselt dann für eine Bühnenbildassistenz an das Kindertheater in Halle (Saale). 1973 nimmt sie ihr Bühnenbildstudium an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste auf. Formal endet das Lehrerin-Schülerin-Verhältnis zwischen ihr und Stürmer-Alex mit Beginn ihres eigenen künstlerischen Werdegangs. Ihre Künstlerinnenfreundschaft aber erfährt durch zahlreiche Aufenthalte in Woltersdorf und später auf Stürmer-Alex’ Hof in Lietzen ihre Fortsetzung und Vertiefung. In Dresden studiert Woisnitza bei einem anderen künstlerischen Freigeist. Günther Hornig darf als informeller und konstruktivistischer Maler zwar an der Kunsthochschule als einer der wenigen nichtfigurativ arbeitenden Künstler*innen unterrichten, jedoch nicht im Bereich Malerei und Grafik, sondern nur im Grundlagenstudium. Performativ agierende Künstler*innen wie der an der sozialen und politischen Dimension der beuysschen Konzeption des ‚Erweiterten Kunstbegriffs‘ orientierte und diese in individuelle Aktionen im Innen- und Außenraum umsetzende Erhard Monden oder die sich mit ihrer 189 Die Untersuchungen zu Woisnitzas Performances wie alle folgenden Fallanalysen stützen sich maßgeblich auf Recherchen in den Privatarchiven, auf Gespräche und Korrespondenzen sowie auf die Zusammenarbeit mit den Protagonistinnen für Ausstellungen und Veröffentlichungen, die im Jahr 2007 begannen und bis in die Gegenwart reichen. Aus Gründen der Lesbarkeit habe ich mich entschieden, nicht jeden Fakt akribisch zu belegen, sondern lediglich pointierte Aussagen eigens mit konkretem Hinweis auf die entsprechenden Quellen zu versehen. 190 E-Mail von Karla Woisnitza an die Autorin, 31.07.2014.
Geschlecht anders zeigen
Diplomarbeit Herz Horn Haut Schrein 1987 formierende Gruppe der AutoPerforations-Artisten zählt Hornig zu seinen Studierenden. Zu den Bühnenbildstudent*innen gehört auch die zwei Jahre über ihr studierende, später unter dem Künstlernamen Anna Cumin bekannte Ursula Scheib, mit der Woisnitza eine enge Freundschaft verbindet.191 Nach ihrem Abschluss in Bühnen- und Kostümbild mit einer Grafik-Edition zu Kleists Penthesilea versucht sie, die Fachrichtung zu wechseln192, um ein Jahr später das Studium der Malerei/Grafik zu beenden. Da ihre Arbeit von der Führung der Hochschule wegen der hier geltenden (Disziplin-)Kategorien nicht eingeordnet werden kann, lässt sich Woisnitza 1978 exmatrikulieren. Ohne offiziellen Diplomabschluss in bildender Kunst,193 aber mit freien künstlerischen Arbeiten bewirbt sich die Sechsundzwanzigjährige im regionalen VBK Frankfurt/Oder und wird als förderungswürdiges junges Talent für die obligatorische dreijährige Kandidatur in der Sektion Malerei/Grafik aufgenommen. Diese ist mit einem monatlichen Stipendium in Höhe von 400 Mark versehen. Die Aufnahme in den VBK ebnet ihr den Weg als freiberufliche Künstlerin in der DDR. In den Folgejahren erhält sie mehrfach Aufträge und Ausstellungen in der ersten Öffentlichkeit, bewegt sich parallel dazu in den künstlerischen Szenen und Produktions- sowie Ausstellungskontexten der zweiten Öffentlichkeit. 1980 zieht Woisnitza nach Berlin. Ihre ehemaligen Studienkolleg*innen, darunter Marie-Luise Bauerschmidt, Hans und Ursula Scheib, sind bereits in der Stadt, viele von ihnen werden in den Folgejahren nach Berlin (West) und Westdeutschland emigrieren. Wie schon während ihres Studiums steht sie in engem Austausch mit Kolleg*innen und ist besonders innerhalb zweier Künstlerkreise im Prenzlauer Berg aktiv. Im gleichen Jahr kann sie im Rahmen einer Reihe von Einzelausstellungen, die mit der Anfertigung einer originalgrafischen Mappe mit acht Selbstporträts der Beteiligten endet, ihre Arbeiten in der Berliner Ateliergalerie von Hans Scheib und Anatol Erdmann präsentieren. Später stellt sie in Ursula Scheibs Atelier in einer großzügigen Fabriketage aus, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Galeriegemeinschaft rg befindet. Da Ursula Scheib aufgrund der Betreuung ihrer beiden Kinder zu Hause arbeitet und ihr Atelier selbst nicht nutzt, organisiert sie dort Verkaufsausstellungen und Künstlerfeste.194 Zum Freundeskreis der Scheibs gehören die Malerinnen Uta Hünniger und Cornelia Schleime, die Bildhauer*innen Sabine Grzimek, 191 Durch den Kontakt zu Scheib nimmt Woisnitza unter anderem 1976 am legendären Künstlerfest an der Keppmühle bei Dresden teil. Woisnitzas erste Personalausstellung in der ersten Öffentlichkeit realisiert sie 1982 gemeinsam mit Ursula Scheib im Dresdner Leonhardi-Museum. 192 Bühnenbildner*innen mussten mit Abschluss ihres Studiums einen Vertrag unterschreiben, der sie zur Arbeit an einem nicht frei wählbaren Theater verpflichtete. 193 1991 erhält Woisnitza schließlich das Externdiplom der HfBK Dresden im Fachbereich Malerei/Grafik. 194 Vgl. Kap. 1.4.2.2 Galerien.
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Anatol Erdmann und Stefan Reichmann sowie die Maler Reinhard Stangl, Volker Henze, Harald Toppel, die Fotografin Helga Paris und die Schriftsteller*innen Uwe Kolbe und Katja Lange-Müller. Nach den großen Emigrationsbewegungen von Künstler*innen in den 1980er Jahren ändert sich auch der Freundeskreis in der Keramikwerkstatt von Wilfriede Maaß. Woisnitza gehört mit Sabine Herrmann, Klaus Killisch und der gelegentlich aus Dresden anreisenden Angela Hampel zur nachfolgenden Künstler*innengeneration, die sich in der Werkstatt trifft und Keramiken bemalt. Sie arbeitet von 1984 bis 1998 immer wieder dort und stellt ab 1990 regelmäßig in der Produzentengalerie Wilfriede Maaß aus. Eine wesentliche Inspirationsquelle für Woisnitzas Fragestellungen zur Rolle von Frauen in patriarchalen Gesellschaftsordnungen im Allgemeinen und für ihre Frauendarstellungen im Besonderen bieten literarische Texte von westeuropäischen, amerikanischen und ostdeutschen Autorinnen. Insbesondere ist es auch die bereits im Kapitel zu den weiblichen, aus der Antike oder christlichen Mythologie stammenden Leitbildern erwähnte Diskussion um die ‚Frauenfrage‘, die zu dieser Zeit in der Literatur der DDR stattfindet. Erzählungen von Schriftstellerinnen über außergewöhnliche Frauen und ihre Schicksale wie die im Inselbuchverlag erschienene Novelle Die Ballade vom traurigen Café der amerikanischen Autorin Carson McCullers oder Ilse Aichingers Spiegelgeschichte setzt die Künstlerin als szenische Aufführungen um. Auch in ihr grafisches Schaffen finden literarische Stoffe Eingang. So fertigt die Künstlerin 1983 Zeichnungen und Druckgrafiken zu Christa Wolfs Erzählung Kein Ort nirgends (1979) an. Die Erzählung, die erst in Westdeutschland, später in der DDR erscheint, hat die fiktive Begegnung der Dichterin Karoline von Günderrode mit Heinrich von Kleist sowie ihren Selbstmord zum Thema. Seit den 1980er Jahren entstehen außerdem Arbeiten zu Texten von Patti Smith, Marina Zwetajewa, Ingeborg Bachmann, Helga Schütz und Else Lasker-Schüler, Elke Erb und Kerstin Hensel, während Johannes Jansen und Brigitte Struzyk umgekehrt zu Woisnitzas Arbeiten Texte verfassen. Auffällig ist, dass ihr zeichnerisches und malerisches Werk fast ausschließlich weibliche Figuren aufweist. Insbesondere mythische Frauen wie Medea und Kassandra nehmen wie bei vielen anderen Malerinnen in der DDR als mögliche Identifikationsentwürfe einen zentralen Platz in ihrer Kunst ein (Woisnitza 1990a:o.S.).195 1986 realisiert die Künstlerin 24 Zeichnungen zur Figur der Medea, die sie parallel zu Alexander Langs Medea-Inszenierung am Deutschen Theater in Berlin ausstellt. Auch ihr Tecuna-Projekt ist der archaischen, aus den Legenden der Mayas und dem Roman Maismänner des guatemaltekischen Schriftstellers Miguel Ángel Asturias entlehnten Frauenfigur
195 Zur Antikenrezeption in Malerei, Literatur und Theater vgl. Kap. 2.1.3.1 Leitbilder.
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Maria Tecun gewidmet. Zwischen 1986 und 1990 entwickelt Woisnitza dazu eine Serie aus Gemälden, Kaltnadelradierungen und Zeichnungen, die sie 1990 im Frauenmuseum Bonn präsentiert.
3.1.2 Gemeinschaftsaktionen Woisnitzas künstlerische Praxis weist über die Beschäftigung mit symbolischen Frauenfiguren innerhalb ihrer Kunst hinaus. Die Künstlerin ist maßgebliche Initiatorin von Kooperationen und gemeinschaftlichen Aktionen ihrer Kolleginnen. Dazu zählt die als ‚Bild-Ton-Collage‘ bezeichnete szenische Lesung Die Ballade vom traurigen Café (1976). An der Lesung beteiligen sich neben ihr die ebenfalls an der HfBK Malerei und Bildhauerei studierenden Marie-Luise Bauerschmidt, Sabine Gumnitz, Christine Schlegel, Cornelia Schleime, Angela Schumann und Christine Sörgel. Aufführungsort der Dreiecks- und Liebesbeziehung ist der Dresdner Gasthof Staffelstein, dessen Wirtin mit Treffen und Künstlerfesten der zweiten Öffentlichkeit in den 1970er Jahren immer wieder die Schließung ihres Restaurants riskiert. Für die Darstellung der Novelle entwerfen die Künstlerinnen lebensgroße Puppen, die als Alter Ego der Lesenden hinter diesen platziert sind. Die Lesenden selbst verkörpern die verschiedenen Charaktere der Erzählung. Kurz nach der Geburt ihrer Tochter versammelt Woisnitza im Herbst 1978 erneut Marie-Luise Bauerschmidt, Christine Schlegel, Cornelia Schleime und Angela Schumann sowie Sabine Gumnitz und Monika Hanske im Atelier ihres damaligen Partners Volker Henze. Gemeinsam führen sie eine Aktion durch, der Woisnitza später den Titel Face Painting Action (1978/79) gibt [Abb. 21–22]. In der Kunstgeschichte der DDR kann sie als die erste gemeinschaftliche und selbst organisierte Körperaktion von einer ausschließlich aus Künstlerinnen bestehenden Gruppe betrachtet werden, die fotografisch dokumentiert und auch noch vor 1989 in einer Ausstellung präsentiert wurde. Inspiriert ist sie durch Theaterstücke aus dem Bühnenbildstudium, durch die zahlreichen Dresdner Künstlerfeste, vor allem aber durch die legendären Faschingsfeste an der Dresdner Kunsthochschule, die ausreichend Ideen für Verkleidung und Rollenspiele liefern. Im Rahmen der Aktion setzen die Beteiligten ihre Gesichter als ‚Leinwand‘ und somit als unkonventionelles künstlerisches Material ein, das sie zeichenhaft bemalen. Die Gesichtsbemalung, bestehend aus zumeist abstrakten geometrischen Formen oder stilisierten Augen, drücken verschiedene emotionale Zustände wie Angst, Wut, Melancholie oder Trauer aus. Sie verweist darüber hinaus auf afrikanische Masken und auf als kulturell ‚anders‘ konnotierte Frauenbilder, die in der künstlerischen Tradition Deutschlands durch den Expressionismus wie durch die Maler der Dresdner Brücke (1905–1913) stark verankert sind. Die Künstlerinnen produzieren aber keine tradierten Bilder einer vermeintlich ‚authentischen‘ Weiblichkeit, sondern geben den Prozess der
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A bb . 21–22 Karla Woisnitza, Face Painting Action (mit Marie-Luise Bauerschmidt, Sabine Gumnitz, Monika Hanske, Christine Schlegel, Cornelia Schleime, Angela Schumann, Karla Woisnitza), 1978/79
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Identitätskonstruktion deutlich zu sehen. Sie fotografieren sich dabei gegenseitig vor, während und nach der Malaktion, wodurch die malerische Transformation ihrer Gesichter und der prozessuale Charakter der Aktion betont werden. Es entstehen Porträts der einzelnen Akteurinnen und Szenenfotos. Einzelaufnahmen führt Woisnitza 1979 auf zwei Fotoabzügen zusammen, auf denen die Porträtierten mit und ohne Bemalung, mitunter auch mehr als einmal dokumentiert und gemeinsam angeordnet sind, sodass das kollektive Moment der Aktion deutlich zum Tragen kommt. Die zweiteilige Fotocollage präsentiert sie drei Jahre später in der Ausstellung Gemeinschaftsbilder im Leonhardi-Museum.196 Schleime, die bereits vor ihrem Studium eine Lehre als Maskenbildnerin abgeschlossen hat, und Schlegel greifen die Impulse der Face Painting Action in eigenen, später realisierten Körperbemalungen erneut auf. Im Rahmen von Woisnitzas vermittelten Besuchen ihrer Kolleginnen bei Stürmer-Alex entsteht 1979 ein fotografisch dokumentiertes Pleinair-Environment auf einem verwilderten jüdischen Friedhof unweit von Ortwig. Christine Hänsel, Monika Hanske, Christine Schlegel und sie selbst nehmen mit großformatigen Papierbögen Abreibungen der Grabsteine und hebräischen Inschriften vor und fixieren die Blätter anschließend auf zwischen Bäumen gespannten Schnüren. Aufgrund der Legitimation der DDR aus dem Antifaschismus heraus, der die staatliche Tabuisierung der Mitverantwortung des Osten Deutschlands am Nationalsozialismus und Holocaust sowie die massive Vernachlässigung des jüdischen Erbes zur Konsequenz hatte, stellt diese gemeinschaftliche Aktion der Sichtbarmachung – auch ohne die Anwesenheit eines Publikums – eine dezidierte Kritik an der Geschichtsvergessenheit des Staates dar. Obwohl Woisnitzas Initiativen und die daraus hervorgehenden Gemeinschaftsaktionen mit ihren damaligen Kommilitoninnen Ende der 1970er Jahre in Dresden den fruchtbaren Boden für eine feste und kontinuierliche Gruppenarbeit hätten bilden können,197 ergaben sich für viele der Künstlerinnen nach Beendigung ihres Studiums und bedingt durch ihre Übersiedlung nach Berlin neue lokale und personelle Anknüpfungspunkte. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Charakteristika der zweiten Öffentlichkeit bezeichnen diese Aktionen die Dynamiken zwischen individuellen künstlerischen Bestrebungen der Akteurinnen und ihrer temporären Suche nach Austausch, Inspiration und Rückhalt in Kreisen (weiblicher) Gleichgesinnter.
196 Neben Bildern der Gruppe Lücke, einem Multiple von Clara Mosch, unter dem Titel Mehl-Art: Künstler backen Kunst von Künstlern aus Dresden, Karl-Marx-Stadt sowie Leipzig gemeinschaftlich hergestelltem Kunstgebäck und anderen Arbeiten ist Face Painting Action die einzige Gemeinschaftsproduktion von Künstlerinnen in dieser Ausstellung (vgl. Weißbach 2009b). 197 Vgl. Kap. 1.4.3.2 Die Erfurter Künstlerinnengruppe.
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3.1.3 Symbolisches Aufbrechen von Körpern und Formen Neben malerischen, zeichnerischen und druckgrafischen Arbeiten sowie prozessbasierten Aktionen gehören selbst entworfene und zumeist aus Textilien, Gips oder Pappmaché gefertigte lebensgroße weibliche Puppen und räumliche Installationen zu Woisnitzas Werk. Dienen die Puppen der szenischen Lesung Die Ballade vom traurigen Café oder die 1982 entstandene dreiarmige, an Fäden zu führende Blaue Fee, die einer Hauptfigur aus der Erzählung Pinocchio nachempfunden ist, als Visualisierung und Verkörperung fiktiver Figuren aus Märchen und Erzählungen und unterstreichen die Bedeutung literarischer Vorlagen für künstlerische Arbeiten, so setzt sie wiederum andere als ihr zweites ‚Ich‘ ein. Bereits in den Anfangsjahren ihres Studiums baut sie die sogenannte Gelbe Puppe, ihr Alter Ego. Die mit dünnen, stark verlängerten Gliedmaßen, mit vergrößertem Kopf und Leib ausgestattete sowie mit einem Kristall- und einem zugenähten Auge versehene Puppe findet ihren Platz im Atelier der Künstlerin und Eingang in ihre Berliner Einzelausstellung bei Erdmann und Scheib, wird aber auch zu ihrer Begleiterin auf gemeinschaftlichen Künstlerwanderungen durch den sächsischen Wald. Für die sogenannte Türen-Ausstellung im Dresdner Leonhardi-Museum realisiert die Künstlerin 1979 ihre zentrale Installation The last Waltz. Inspiriert von einer Fotografie, die ein tanzendes Mädchenpaar zeigt, fertigt Woisnitza unter Beratung von Marie-Luise Bauerschmidt und unter Mitwirkung von Monika Hanske dieses Paar aus Gips. Ihre Lebensgröße, Frisuren, bemalten Papierkleider und echten Kinderschuhe vermitteln einen naturalistischen Eindruck und können als ein weiterer Beleg für die bevorzugte Darstellung von Protagonistinnen auch in der Interaktion miteinander, in ihrer Kunst gelesen werden. Die Mädchenfiguren stellt die Künstlerin in einem von vier auf der Seite liegenden Türen gebildeten Quadrat unter Girlanden und Lichtern auf. Die den Figuren bis zu ihren Köpfen reichenden, sie nahtlos umschließenden Türen lassen an einen Schutzraum, zugleich an Zustände der Eingrenzung und Beengung denken. Die gegensätzliche Interpretationsräume zulassende Symbolik der Tür, die für alle Installationen der Ausstellung bezeichnend ist, verleiht diesen eine politische Brisanz, auf die der über die geschlossenen Grenzen wachende Staat unmittelbar reagiert.198 Der Einsatz von Figuren erfährt in den 1980er eine grundlegende Radikalisierung. In ihrem Environment I (1983) in der Galerie der Buchhandlung von Heidrun und Christof Tannert in Berlin-Karlshorst sprengt die Künstlerin die
198 Woisnitza fordert an der Außenseite der Türen zum ‚Kritzeln‘ auf, was durchaus als Verweis auf das Bemalen der Berliner Mauer von Westberliner Seite aus gelten dürfte. Zu den kulturpolitischen Konsequenzen für die teilnehmenden Künstler*innen vgl. meine Ausführungen zu Cornelia Schleime in Kap. 3.4.1 Biografische Kontexte.
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Einheit ihrer Figuren und platziert auf einem auf Erde und Sand ausgebreiteten weißen Seidentuch voneinander getrennte, im Raum verstreute Stoffobjekte, zu denen ein großer dunkler und ein kleiner heller Kopf gehören, ein weiblicher roter Torso mit Beinstümpfen, eine mit dem Torso durch eine gehäkelte rote Schnur verbundene Rose aus roten Seidenbändern, zwei schwarze Eierstöcke und eine Bananenschale. Ein weiteres rot-orangenes kegelförmiges Objekt auf dem Boden und ein Verkehrsschild mit weißem Kreis und rotem Rand an der Wand ergänzen die Installation [Abb. 23–24]. Das Motiv des anatomisch zerlegten und torsohaften Körpers greift die Künstlerin erneut in einer Installation innerhalb der Ausstellung Bilder und Figuren (1984) in der Galerie Oben in Karl-Marx-Stadt auf. Obwohl sie die vormals ‚zerstückelten‘ Körperteile wieder enger zusammenführt und ihre vermeintliche Einheit suggeriert, bleiben die einzelnen Teile voneinander isoliert. Auf das Federgestell eines Bettes gebunden, ist ihre aus ihrem Environment I stammende rote Figur mit dem Kopf nach unten gedreht an der Wand installiert [Abb. 25–26]. Galten Woisnitzas ganzheitliche Figuren Ende der 1970er Jahre der poetisch-visuellen Narration und Projektion, so erfährt das Bild des stilisierten weiblichen Körpers in ihren Darstellungen der darauffolgenden Jahre seine zunehmende Auflösung und Verzerrung. Das Motiv der Fragmentierung zieht sich auch durch ihre seit Anfang der 1980er Jahre entstehenden Serien von Kaltnadelradierungen und Tuschezeichnungen wie Sieben Radierungen mit der kalten Nadel von 1986 oder das Tecuna-Projekt von 1987 bis 1989. In surrealistischem Stil und mit feiner Linienführung zeichnet die Künstlerin vom Kopf getrennte weibliche Körper, weibliche ‚Kopf-Füßler‘, im Kopf platzierte Leiber, deformierte und gespaltene Figuren, deren Körperteile sich verselbstständigen. Die Darstellung des aufgelösten und fragmentarischen Körpers kann in der künstlerischen Tradition des 20. Jahrhunderts gelesen werden.199 Surrealist*innen haben erotisch aufgeladene Körperbilder produziert, Hans Bellmer etwa mit seinen Fotografien von der Puppe, die sich gerade durch ihre Verschiebung und Verdichtung einer geschlechtlichen Rollenzuweisung entziehen. In Sigrid Schades feministischer Analyse werden die gewaltsame Metamorphose und Zerstückelung des Körperbildes nicht wie in der Argumentation anderer feministischer Wissenschaftlerinnen gleichgesetzt mit Verletzung und Destruktion des realen weiblichen Körpers.200 Schade interpretiert die intentionale Produktion fragmentarischer Körper in der bildenden Kunst vielmehr als „Aufkündigung eines Herrschaftsanspruchs“ und damit als Angriff auf das phantasmatisch männliche, mit sich selbst identische Subjekt,
199 Zu unvollständigen, torsohaften Körperentwürfen in der Fotografie der zweiten Öffentlichkeit der DDR vgl. die Betrachtungen zu Tina Bara und Thomas Florschütz in Kap. 2.1.3.2 Körperbilder. 200 Schade wendet sich in ihrer Argumentation u.a. gegen Renate Bergers Aufsatz „Pars pro toto – Zum Verhältnis von künstlerischer Freiheit und sexueller Integrität“ (Schade 1987).
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A bb . 23–24 Karla Woisnitza, Environment I, 1983, Erde, Stoffbahnen, Objekte aus Textilien, Installationsansicht, Galerie der Buchhandlung Heidrun und Christof Tannert, Berlin
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A bb . 25–26 Karla Woisnitza, o.T., 1984, Objekte aus Textilien, Holz, Metall, Installationsansicht, Galerie Oben im Rahmen der Gruppenausstellung Bilder und Figuren, Karl-Marx-Stadt
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das nach der Garantie eines „ganzen“ Spiegelbildes zur Sicherung seiner autonomen Entität und vermeintlichen Intaktheit verlangt (Schade 1987:241). Die Fragmentierung von Körperbildern unterläuft den Naturalismus in der Kunst, der mit der Konstruktion idealer Körper auch in der figürlichen Malerei der DDR noch in den 1980er Jahren verbreitet war. Zurückgewiesen wird damit die durch Illusionismus erzeugte „Funktionalisierung der Wahrnehmung in projektives und identifikatorisches Sehen“ (ebd.:247). Der bildkünstlerischen Zerlegung und Zerstückelung von Körpern spricht Schade eine weitere subversive Funktion zu. Im Rückblick auf die Anfänge der illusionistischen Herstellung angeblich natürlicher, homogener Körper im kontinuierlichen Raum der Zentralperspektive in der Zeit der Renaissance unterstreicht sie, dass der Vereinheitlichung von Körpern ihre Zerlegung immer vorausgegangen sei. Als beispielhafte Verfahren führt Schade die anatomischen Studien der Renaissancekünstler an toten Körpern an, die Proportionsstudien Albrecht Dürers und seine Rasterung des weiblichen Körpers im Holzschnitt Der Zeichner des liegenden Weibes (1538) sowie die aus der Antike stammende Methode des Zusammensetzens der schönsten Teile verschiedener Modelle. Der von Schade hier in Anlehnung an Jacques Derrida gebrauchte Begriff der Dekonstruktion zielt auf die Offenlegung der Konstruiertheit des ‚ganzen‘ Körpers in der bildenden Kunst. Im Unterschied zur Destruktion, die die „gewalttätige Zerstörung eines ‚Ganzen‘“ meine, bedeute Dekonstruktion ihr Rückgängigmachen, indem sie die „Bedingungen seiner Herstellung thematisiert und die Verdrängungen offenlegt, die sich in ihnen verbergen“ (ebd.:243). Sowenig der ‚ganze‘ Körper einem Spiegelverhältnis von Wirklichkeit und bildlicher Repräsentation entspricht, reproduzieren die fragmentierten und synthetisierten Körper in der bildenden Kunst Realität; stattdessen handelt es sich um eine visuelle Inszenierung, die konstruiert ist und Wirklichkeiten produziert. Sowohl in ihren zeichnerischen und druckgrafischen Serien als auch mit ihren Puppen setzt Woisnitza bei der geschlossenen Gestalt und Form an, die sie später sprengt. Ihre Frauenfiguren erscheinen gespalten, verzerrt und unproportional. Als unvollkommene Erscheinungen oder hybride weibliche Körper befinden sie sich im Auf bruch und in beständiger Wandlung. Gleichbedeutend mit der stilistischen Offenheit ihres gesamten künstlerischen Oeuvres entziehen sich ihre Puppen und gezeichnete Figuren einer bildlichen Fixierung und erteilen Identifikationsversuchen eine Absage. Zugleich thematisiert die Künstlerin die Vereinzelung und Isolierung ihres weiblichen Personals, das sich so auch in ihren parallel zu den Puppenarbeiten und Radierungen entstehenden Performances zu sehen gibt.
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3.1.4 Geschlechterdifferenz und kulturelle Differenz Die seit ihrem Studium an der Idee des Gesamtkunstwerks von räumlichem Arbeiten, Malerei, Plastik und Bewegung des Weimarer Bauhauses Anfang des 20. Jahrhunderts orientierte Künstlerin baut in den 1980er Jahren das Prinzip der ‚Bild-Ton-Collage‘ für ihre Aufführungen aus.201 Den Collagenbegriff bezieht Woisnitza auf ihren unkonventionellen und grenzüberschreitenden Einsatz verschiedener Medien und der künstlerischen Gattungen Theater, Musik, Malerei, Kostüm- und Bühnenbild sowie Literatur und gilt damit als ein weiteres Beispiel für intermediales und prozess-basiertes Arbeiten in der zweiten Öffentlichkeit. Dies trifft insbesondere für ihre Adaption der Spiegelgeschichte (1949) von Ilse Aichinger zu, die sie zweimal in privaten Räumen in Berlin und ein weiteres Mal auf Stürmer-Alex’ Hof aufführt (1982/1983). Aichinger, deren Erzählungen in der DDR veröffentlicht wurden, schreibt vom Leben einer jungen Frau und ihren durch eine Abtreibung verursachten frühen Tod, wobei sie konsequent in umgekehrter Reihenfolge erzählt. Die sich rückläufig abspielende Geschichte beschreibt verschiedene Lebensstationen und eröffnet einen Spannungsbogen von der Beerdigung, dem Aufenthalt im Krankenhaus und der Abtreibung über die Liebesbeziehung und schließlich die Kindheit der Protagonistin bis zur Stunde ihrer Geburt. In der vierzigminütigen Videoaufzeichnung ihrer Aufführung unterstreicht sie durch zahlreiche Spiegelmetaphern die inszenierte Verfasstheit ihrer Figur und den Konstruktionscharakter der Geschichte, indem sie ihr Spiel hinter einen großformatigen Bilderahmen verlagert, durch den sie am Anfang hinein- und am Ende ihrer Performance heraussteigt oder mehrfach eine Fotokamera einsetzt, mit der sie sowohl Aufnahmen von sich selbst als auch von einem imaginären Publikum macht.202 Inwieweit die Künstlerin in ihrer Performance Woman is the Nigger of the World tradierte Weiblichkeitsvorstellungen und die Konstruktion des ‚Anderen‘ offenlegt und kritisiert, wird die folgende Analyse beschäftigen. 1969 prägte Yoko Ono die umstrittene Behauptung „Woman is the Nigger of the World“. Drei Jahre später wurde daraus der gleichnamige Titel der bekannten Single von ihr und John Lennon. Das von Lennon als „erste[r] Song der Frauenbewegung“203 bezeichnete Lied benennt die Ausgrenzung und Diskriminierung von Frauen und ruft zur Rebellion auf. Der Titel setzt, zusätzlich verstärkt durch die Songzeile „Woman is the Slaves of the Slaves“, die Position
201 Karla Woisnitza im Gespräch mit der Autorin, 13.01.2015. 202 Karla Woisnitza, Spiegelgeschichte, 1983, Archiv der Künstlerin. 203 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Woman_Is_the_Nigger_of_the_World [letzter Zugriff: 07.03.2016].
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von Frauen als Ausgeschlossene mit der von unterdrückten Schwarzen in kolonialistischen Verhältnissen gleich. Die Verwendung des Begriffes ‚Nigger‘ im Titel mit seiner nicht nur pejorativen Konnotation, sondern entschieden rassistischen Aufladung wurde nach Veröffentlichung des Liedes kritisiert, einige Radiosender boykottierten dessen Ausstrahlung.204 Für ihre 1986 aufgeführte Performance – im Rahmen der Ausstellung Der Tisch. Plastik zum Begreifen in der Petrikapelle in Brandenburg – zitiert Woisnitza besagten Songtitel. Von dem Mail-Art Künstler Lutz Wohlrab aufgenommene Fotografien zeigen die Künstlerin bei der Zubereitung einer Speise an einem Tisch [Abb. 27–30]. Während der Performance verbirgt sie ihr Gesicht hinter einer Maske. Sie trägt ein buntes, langärmeliges Kleid, weiße Handschuhe und einen Ring mit einem schweren Stein an ihrer linken Hand. Die Künstlerin hält einen Küchen-Handrührer und einen Becher, in dem sie eine weiße Masse zubereitet. Vor ihr auf dem Tisch befinden sich eine mit einer Alufolie abgedeckte Form, ein leerer, weißer Teller, ein Glas mit Kirschen, ein kleines Fläschchen mit Zucker und zwei Tütchen mit Pudding- und Vanillesoßenpulver. Auf einer der Fotografien blickt die Künstlerin verborgen hinter der Maske direkt in die Kamera, auf der anderen konzentriert auf Handmixer und Becher. Eine weitere Fotografie gibt die Akteurin von der rechten Seite zu sehen. Sie hält eine dunkle Form in beiden Händen, die sie von der schwarzen, auf dem Teller liegenden Masse abhebt. Sie trägt unter ihrem Kleid eine Jeans, ihr Haar wird von einer Klammer zusammengehalten. Der Gummizug, der die Maske über ihrem Gesicht fixiert, ist sichtbar. Ihre Haltung ist leicht gebeugt. Der Tisch steht auf einem Steinboden, im Hintergrund ist ein Pilaster sichtbar, der auf einer Seite einen in die Wand eingelassenen Gedenkoder Grabstein umrahmt. Der Stein selbst ist nur unvollständig zu sehen; lesbar sind Fragmente eines Textes in altdeutscher Schrift, der den Namen einer Frau und eines Mannes, die Daten ihrer Geburt und die Tätigkeit zweier Männer benennt. Die letzte Fotografie zeigt, wie die Protagonistin um eine schwarze Puddingmasse und die sie weiß umgebende Flüssigkeit strahlenförmig dunkle und helle Löffel arrangiert. Während die anderen Fotografien sie allein als Akteurin zu sehen geben, ist sie auf dieser von Kindern und Erwachsenen umringt, die begehrlich auf den Pudding schauen. Die Fotografien zeigen nur andeutungsweise, welche Form die Puddingschale sowie die daraus entstandene schwarze Puddingmasse aufweist. Erst Abbildungen im Ausstellungskatalog Zwischenspiele von 1989, für die Woisnitza
204 Ebd.
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A bb . 27–30 Karla Woisnitza, Woman is the Nigger of the World, 1986, Petrikapelle im Rahmen der Gruppenausstellung Der Tisch. Plastik zum Begreifen, Brandenburg
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ein Environment inszenierte, geben Aufschluss darüber [Abb. 31–34].205 Die Hohlform und die Puddingmasse stellen ein Gesicht mit stark vereinfachten und maskenhaften Zügen dar: einen mit kräftigen Lippen versehenen Mund, eine breite Nase und große Augen, die geöffnet und zugleich geschlossen wirken. Form und Pudding verweisen mit ihrem stilisierten Erscheinungsbild auf afrikanische und südpazifische Holzplastiken aus präkolonialer Zeit, die durch den deutschen Expressionismus rezipiert wurden. So war auch die Kunst der Brücke sowohl an der Formensprache wie Lebensweise von vermeintlich ‚Primitiven‘ interessiert, wobei insbesondere Geschlecht und Sexualität verhandelt wurden. Die sogenannten ‚Primitiven‘ wurden, wie Kea Wienand in ihrer Studie zu Künstlerische[n] Verhandlungen kultureller Differenz in der Bundesrepublik Deutschland herausarbeitet, vor allem in den Kolonialgebieten Afrikas und Ozeaniens verortet (2015:38.). Sie galten als natürlich, ursprünglich, unzivilisiert und emotional und wurden als positiver Gegenentwurf zur eigenen Kultur vorrangig von Künstlern affirmiert, andererseits als minderwertig und rückständig abgewertet. Beide Diskurse hielten an den Vorstellungen einer rassisierten, hierarchisierten Differenz fest (ebd.). Dabei kam ‚Primitivismus‘ in den künstlerischen Darstellungen einem imaginierten Konzept gleich, das weniger formale Nachahmung war als die „diskursive Hervorbringung des Konstrukts des ‚Primitiven‘“ (ebd.:46). Viele Künstler*innen in der DDR knüpften vor allem in stilistischer Hinsicht an die durch den Nationalsozialismus gewaltsam unterbrochene und als sogenannte ‚Negerkunst‘ und ‚entartet‘ verachtete Tradition des Expressionismus an. Woisnitzas auf einem Teller ausgestellter Pudding gleicht einer skulptural ausgeformten Plastik, geprägt von Frontalität und Statuarik. Damit bringt die Künstlerin das stilisierte Bild vom ‚Anderen‘, zusätzlich betont durch die dunkle Puddingfarbe, in ihre Performance ein.
3.1.4.1 Fremdsein in der DDR Vor einer Analyse der Herstellung respektive Kritik an Bildern kulturell ‚Anderer‘ in der Performance, soll ein Exkurs über die Zuschreibungen ‚anderer‘ Kulturen in der DDR helfen, die Brisanz und das kritische Potenzial von Woisnitzas Aufführung zu verstehen, die unter anderem auch aus einer persönlichen Begegnung und damit aus eigenem Erleben heraus motiviert wurde.206
205 Bereits in ihrer Personalausstellung in der Galerie Sophienstraße in Berlin-Lichtenberg präsentierte Woisnitza 1984 die Originalform aus Keramik. Drei Jahre nach ihrer Performance in der Petrikapelle arbeitete sie erneut mit den Materialien. In der Westberliner Ausstellung Zwischenspiele. Junge Künstlerinnen und Künstler aus der DDR (1989) zeigte die Künstlerin das Environment Konkav, dessen Untergrund aus einer Holzplatte und darauf ausgelegter Schafswolle, Erde und Holzkohle bestand. Darauf hatte Woisnitza zwei miteinander verschweißte Sensenblätter, die grünglasierte Puddingform aus Keramik, die Kopfskulpturen aus Bronze, Beton und Gummi sowie den leeren Teller mit Löffeln angeordnet (vgl. VBK/NGBK 1989:104). 206 Karla Woisnitza im Gespräch mit der Autorin, 13.01.2015.
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A bb . 31–34 Karla Woisnitza, Woman is the Nigger of the World, 1986 / Konkav, 1989, Keramikform, Pudding, Teller, Plastiklöffel, Bronze
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Wie Patrice G. Poutrus in seinem Aufsatz über das Fremdsein in der „geschlossenen Gesellschaft“ der DDR hervorhebt, kamen Migrant*innen grundsätzlich nur auf Einladung von staatlichen Institutionen in die DDR (2014). Zur ihrer Mehrheit gehörten neben der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte sogenannte Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam, Mosambik, Angola, Kuba, Algerien, Ungarn und Polen. Im letzten Jahr der DDR waren Poutrus zufolge circa 95.000 Arbeitsmigrant*innen registriert, die auf Grundlage bilateraler Regierungsabkommen vorrangig zur Kompensation des Arbeitskräftemangels in das Land gekommen waren (ebd.:25). Insbesondere Vietnames*innen, die vorzugsweise in der Textilindustrie eingesetzt wurden, und Mosambikaner*innen, bedingt durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch ihrer Staaten nach Beendigung der Kolonialkriege, bestimmten das Bild der Arbeitsmigrant*innen in der DDR der 1980er Jahre. Die Konflikte ihrer Lebensrealität unterstreichend, führt Poutrus aus, dass sie, wenngleich ihren deutschen Kolleg*innen formal gleichgestellt, häufig für körperlich schwere oder gesundheitsschädigende Arbeiten eingesetzt, in isolierten Heimen und nach Geschlechtern getrennt untergebracht sowie von staatlichen Institutionen, darunter der Staatssicherheit, dauerhaft kontrolliert wurden (ebd.:26). Darüber hinaus unterlag ihr Alltag strengen Reglementierungen: Der Aufenthalt war auf wenige Jahre begrenzt, eine langfristige Einwanderung war nicht vorgesehen, private Kontakte zu Bürger*innen in der DDR ließen sich nur unter Schwierigkeiten aufbauen und waren staatlicher Willkür ausgesetzt. Bestand der Wunsch auf eine Eheschließung, so musste die administrative Erlaubnis beider Staaten eingeholt werden. Mitunter wurde Lösegeld gefordert, wollten qualifizierte Vertragsarbeiter*innen nach ihrer Heirat weiter in der DDR leben. Vermutlich sollten damit durch Emigration entstehende Verluste ausgebildeter Fachkräfte in den entsprechenden Ländern eingedämmt werden. Drastische Maßnahmen wurden auch bei schwangeren Migrantinnen – mit Ausnahme polnischer Frauen – eingesetzt. Sie wurden zur Abtreibung gezwungen, anderenfalls drohte ihnen die Zwangsrückkehr in ihr Heimatland (ebd.:28). Wandten sich Vertragsarbeiter*innen gegen diskriminierende und rassistische Maßnahmen, hatte das die Androhung der erzwungenen Rückführung in ihr Land zur Konsequenz. Poutrus schlussfolgert daraus, dass Einwanderungsbewegungen in der DDR nicht nur auf rassistische Vorbehalte der Bevölkerung gestoßen seien, sondern dass auch staatliche Rahmenbedingungen halfen, sie zu bestätigen. Nicht die gesellschaftliche Integration von Migrant*innen war das Ziel, sondern die grundlegende Anpassung an Arbeits- und Lebensstrukturen in einer homogenisierten, „ethnisch-national definierten deutschen Gemeinschaft“ (ebd.:28). Zu den Widersprüchen der Migrationspolitik der DDR gehörte, dass auf der einen Seite ein repressiver Anpassungszwang für kulturell ‚Andere‘ im Inneren des Staates bis zu dessen Ende aufrechterhalten wurde, auf der anderen Seite nach außen angelegte ‚antiimperialistische‘ Solidaritätsbekundungen
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zur Sowjetunion, Chile oder Vietnam und der ‚sozialistische Internationalismus‘ zu den Leitlinien der DDR-Außenpolitik gehörten. Aufschlussreich für die Betrachtung von Woisnitzas Arbeit von 1986 ist die Analyse der Solidaritätsbewegung für Angela Davis von Sophie Lorenz (2013), da sie die Ambivalenzen des Staates in seinen Solidarisierungsbestrebungen mit Schwarzen Menschen unterstreicht. Das Parteiergreifen für Repräsentant*innen der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung wurde für eigene politische Interessen genutzt, derweil Gastarbeiter*innen die Unterstützung gegen Rassismus im eigenen Land weitestgehend versagt wurde. Die vom Staat initiierten landesweiten Protestaktionen gegen die rassistisch motivierte Festnahme der Schwarzen Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis 1970 in den USA ermöglichten den Ausbau und die Intensivierung des transnationalen Bündnisses mit der Schwarzen Protestbewegung.207 Auch in den USA und in zahlreichen anderen Ländern, darunter in der BRD kam es zu massiven und anhaltenden Protesten.208 Davis als selbstbewusste und kämpferische Schwarze, als emanzipierte Frau, Philosophin und zu Unrecht Verfolgte wurde in der DDR zu einer festen Komponente der politisch-ideologischen Ikonografie des SED-Regimes und zu einer Integrationsfigur, die für außen- und innenpolitische Ziele instrumentalisiert werden konnte (ebd.:41). Antirassistische Bekundungen hatten insofern große Bedeutung, als dass sie die internationalen Anerkennungsbemühungen des nach Souveränität strebenden Staates DDR in einer Zeit unterstützten, in der Menschenrechtsfragen international debattiert wurden.209 Dabei waren öffentlich inszenierte Solidaritätskundgebungen mit der Bürgerrechtsbewegung Schwarzer Menschen, die in den 1970er Jahren ihren Höhepunkt fanden, an Persönlichkeiten gebunden, die einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung verpflichtet waren. Die Kampagnen dienten insbesondere der „Diskreditierung der westlich-kapitalistischen Demokratie“ (ebd.:43), galt Rassismus doch als unmittelbare Folge der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Während es kritische Auseinandersetzungen mit politisch motivierter Apartheid unter anderem in den USA gegeben hat, blieben die Migrationspolitik und die hierarchischen Machtverhältnisse im eigenen Land unhinterfragt, die Rassismus und Diskriminierung strukturell reproduzierten. Neben den Vertragsarbeiter*innen gab es eine vergleichsweise kleine Gruppe von politischen Immigrant*innen und ausländischen Studierenden, unter denen, ähnlich wie bei den Arbeitsmigrant*innen, auffallend wenige Frauen 207 Bereits in den 1950er und 1960er Jahren hatte es Kontakte und Einladungen Schwarzer Bürgerrechtler wie mit W.E.B. Du Bois oder Paul Robeson in die DDR gegeben. Neben dem bereits bestehenden Friedensrat wurde 1960 das Afro-Asiatische Solidaritätskomitee der DDR gegründet. 208 In der BRD waren die Proteste durch den Aufruf von Herbert Marcuse (Davis’ ehemaligem Doktorvater) ausgelöst worden. 209 1971 wurde das Jahr zur Bekämpfung von Rassismus durch die UNO ausgerufen, 1973 wurden die DDR und die BRD als gleichberechtigte souveräne Staaten in die UNO aufgenommen.
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waren. An der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst lässt sich – anhand eines von den Kunsthistorikerinnen Julia Blume und Heidi Stecker initiierten Forschungsprojektes – ein breites Spektrum an Herkunftsländern von Studierenden für den Zeitraum von 1955 bis 1990 nachweisen, darunter Ungarn, Bulgarien, Vietnam, Mongolei, China, die Estnische Sozialistische Republik, Uganda, Kongo beziehungsweise Zaire (später Demokratische Republik Kongo), die Tschechoslowakische Republik, Polen, Chile, Libanon sowie die westlichen Länder Griechenland und Belgien (Blume & Stecker 2014). Die wenigsten Absolvent*innen aber konnten ihren künstlerischen Werdegang in der DDR fortsetzen und damit eigene Bilder ihres Heimatlandes und ihrer Kultur im öffentlichen Bewusstsein der DDR verankern: Ein langjähriger Verbleib in der DDR war nach Abschluss ihres Studiums ebenso wenig erwünscht wie bei den sogenannten ‚Vertragsarbeiter*innen‘. Zu den in der DDR langfristig lebenden und arbeitenden ausländischen Künstler*innen – viele darunter waren vor ihrer Emigration bereits als anerkannte Kulturschaffende in ihren Heimatländern tätig – gehörten die aus Ungarn stammenden Sandor Doro und Akos Novaky, Goran Djurovic aus Serbien, der aus dem mexikanischen Exil kommende Spanier Josep Renau sowie die seit 1952 in Berlin lebende spanische Malerin Nuria Quevedo. Außereuropäische Künstlerinnen und Künstler waren unter anderen der mongolesische Fotograf Enkhbat Roozon, der aus dem Libanon stammende Fotograf Mahmoud Dabdoub, Seiichixz Furuya aus Japan, die chilenischen Künstler Guillermo Deisler, Hernando León und César Olhagaray sowie Nancy Torres aus Kuba. Aufgrund der beschriebenen Voraussetzungen lässt sich festhalten, dass die vergleichsweise wenigen Migrant*innen und insbesondere Schwarzen Menschen in der DDR als marginalisierte Gruppen an die Ränder der Sichtbarkeit und des öffentlichen Bewusstseins gedrängt und zu Stimmlosen in der Gesellschaft gemacht wurden. Die Solidaritätsaktionen für Angela Davis, die über einen längeren Zeitraum verschiedenste gesellschaftliche Akteur*innen umfassten, sowie ihre Besuche in der DDR sorgten für einen großen Bekanntheits- und Wirkungsgrad der staatlich inszenierten „Heldin des anderen Amerikas“ (Lorenz 2013). Machtkritische Hinterfragungen des Konzepts einer nationalen Identität,210 der Konstruktion des ‚Eigenen‘ und des
210 Da sich die DDR als antifaschistischer und antiimperialistischer Staat definierte – Antifaschismus galt als Staatsdoktrin, die voraussetzte, dass alle Bürger*innen des Staates, ungeachtet ihrer tatsächlichen Haltung, Opfer der nationalsozialistischen Diktatur waren – und sich mit ihren Souveränitätsbemühungen offensiv von der BRD und ihrer Politik abgrenzte, konnte in dem Land das Selbstbild einer ‚neuen‘ deutschen Nation und eines ‚neuen‘ deutschen Staates entstehen, der den massiv belasteten Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands und ihrer antisemitischen und rassistischen Ideologie dem westlichen Teil Deutschlands überantwortete.
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‚Anderen‘ sowie der Ausschluss und Ausgrenzung produzierenden Strukturen im Land selbst blieben indessen bis zum Ende des Staatssozialismus in der DDR tabuisiert.
3.1.4.2 ‚Andere‘ Kulturen darstellen Obwohl Bilder von Angela Davis und der Schwarzen Protestbewegung in den ostdeutschen Medien kursierten, es verschiedene Formen ‚antiimperialistischer Solidarität‘ wie der Entwicklungshilfe in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas oder Ausbildungsprogramme für ausländische Studierende in der DDR gab und es zu Begegnungen von Künstler*innen mit Migrant*innen im Land kam (vgl. Kenzler 2012), sind nur wenige Ansätze in der visuellen Kultur zu erkennen, die das Verhältnis der Ostdeutschen zu ‚anderen‘ Kulturen oder die konkrete Lebenssituation von Migrant*innen thematisieren. Im Zusammenhang solidarischer Bildungs- und Ausbildungshilfe entwarf die Malerin und Grafikerin Ilse Engelberger 1962 ihr Gemälde Ausländerstudium in Leipzig (1962), auf dem eine Gruppe Schwarzer junger Erwachsener um einen mit Büchern gefüllten Tisch versammelt ist, wobei sich ihre Blicke auf eine weiße Frau – vermutlich ihre Lehrerin – richten. Die aus der Perspektive einer weißen Künstlerin entstandene Arbeit reproduziert mit dem Bild der (unwissende) Schwarze Menschen unterrichtenden weißen Lehrerin hegemoniale Machtbeziehungen entlang rassistischer Muster. Eines der wenigen kritischen Zeugnisse für die Darstellung von Diskriminierungserfahrungen ist der Spielfilm Blonder Tango des Regisseurs Lothar Warnecke (1986), der die Geschichte eines chilenischen Immigranten in der DDR erzählt und sein erschwertes Alltagsleben offenlegt. Das isolierte Leben vietnamesischer Arbeiter*innen in Dresden dokumentieren die vor allem 1988 und 1989 entstandenen Serien Lys Geburtstag, Wohnheim und Herrenmode des Leipziger Fotografen Matthias Rietschel. Die Schwarze, in den 1980er Jahren im Prenzlauer Berg arbeitende Autorin Raja Lubinetzki schreibt, befragt zu ihren Erfahrungen: Natürlich habe ich dort auch einige Erlebnisse gehabt, die rassistisch motiviert waren, aber zu schmerzhaft heute noch immer in der Erinnerung. Es gibt einige Gedichte in meinem Buch Der Tag – ein Funke, welches Gerhard Wolf 2001 in seinem Janus Press Verlag herausgegeben hat, die diese Auseinandersetzung, die in der Isolation stattfand, thematisieren. Ansonsten habe ich mich mit anderen Themen auseinandergesetzt in meinen Gedichten, weil ich mich auch nicht reduzieren lassen wollte allein auf mein Farbigsein. 211
211 E-Mail von Raja Lubinetzki an die Autorin, 08.04.2016.
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Sind bildkünstlerische Versuche, kulturell ‚Andere‘ in ihrer Lebensrealität in der DDR darzustellen selten, so sind Vorstöße, rassistische Strukturen und diskriminierende Machtverhältnisse innerhalb des Staatssozialismus der DDR aufzuzeigen und sie einer kritischen Betrachtung zu unterziehen, noch weniger nachweisbar. Vielmehr stand die Thematisierung eines bestimmten Landes oder einer Kultur im Vordergrund. Zahlreiche Künstler*innen haben sich vor allem in den 1960er und 1970er Jahren auf politische Ereignisse von weltweiter Bedeutung wie die kubanische Revolution oder den chilenischen Militärputsch bezogen. Neben der staatlichen Forderung und Förderung, sich beispielsweise mit den lateinamerikanischen Ländern Kuba, Chile und Nicaragua bildkünstlerisch zu solidarisieren, wurden Künstler*innen, wie Marcus Kenzler in seinen Untersuchungen zu Einflüsse[n] Lateinamerikas auf die Bildende Kunst der DDR darlegt, durch das Schicksal der Menschen in diktatorischen Regimen auch „glaubhaft politisiert und emotionalisiert“ (2012:180). Die in den 1930er Jahren geborenen Dresdner Malerfreunde Jürgen Böttcher (Strawalde), Peter Herrmann und Peter Graf sympathisierten Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre in ihrer Malerei mit Unabhängigkeitsbewegungen in Afrika oder wählten Schwarze Menschen als ihre künstlerischen Sujets. Zu nennen ist Jürgen Böttchers Gemälde Mutter mit Kind (1956), das in stilisiert christlicher Symbolik eine dunkelhäutige Madonna mit ihrem Kind zeigt. In seinem Bild Georg Lewis (1958) porträtiert Peter Graf den aus New Orleans stammenden Schwarzen Klarinettisten, der in den 1950er und 1960er Jahren den Westen Deutschlands bereiste und von europäischen Jazzmusikern rezipiert wurde. Peter Herrmann wiederum stellt in seinem Gemälde Damals in Afrika, Lumumba von 1961 die Ermordung Patrice Lumumbas dar, der einer der führenden Vertreter der Entkolonialisierungsbewegung in Belgisch-Kongo und für kurze Zeit erster Premierminister des unabhängigen Kongo (heute Demokratische Republik Kongo) war. Dieses Bild kann als Geste der persönlich motivierten Solidarisierung mit der Protestbewegung der Schwarzen Menschen gelesen werden, gerade weil der UN-Sicherheitsrat es unterließ, auf Lumumbas Ermordung zu reagieren. Nuria Quevedos zehn Jahre später entstandenes Gemälde 30 Jahre Exil (1971) ist ein in dunklen Farben gehaltenes Gruppenbild spanischer Exilant*innen. In nicht wenigen Werken manifestierten sich die dargestellten Welten auch als idealisierte Projektionsfläche für „ideologische Phantasien, persönliche Überzeugungen und gesellschaftspolitische Prozesse“ (ebd.:201).
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3.1.4.3 Die Maske212 In Hinblick auf die skizzierten Voraussetzungen stellt sich die Frage, wie sich Karla Woisnitza mit ihrer Arbeit zu hierarchisierter kultureller Differenz positioniert und wie sie ihre Kritik an der Geschlechterdifferenz mit der an der Repräsentation des ‚Anderen‘ verbindet. Entsprechend Homi K. Bhabhas postkolonialistischer Perspektive entsteht kulturelle Differenz durch Austausch- und Interaktionsprozesse verschiedener kultureller Ordnungen, die sich gegenseitig in Frage stellen und vermischen – im Gegensatz zur Idee von Kultur als einer reinen und homogenen Einheit. Mit Bhabhas Konzept der kulturellen Differenz wird zum einen die Relation der kulturellen Ordnungen zueinander markiert, zum anderen deren offener, prozesshafter und veränderbarer Charakter beschrieben, der sich durch fortwährende wechselseitige Verhandlungen immer wieder neu und als dynamische Beziehung konstituiert (Bhabha 2000). Das Konzept kultureller Differenz von postkolonialen Theorien nach Bhabha macht, wie Kea Wienand in ihrer weiter oben erwähnten Studie zusammenfasst, „Kulturen und ihre Unterschiede in nicht essentialisierter Form denkbar“ (2015:27). Insofern stellt sich im Feld bildender Kunst auch nicht die Frage, „inwiefern Repräsentationen von kultureller Differenz ‚falsch‘ wären, sondern wie genau sie kulturelle Differenz dar- und damit auch herstellen“, das heißt in der Konsequenz, „die Veränderbarkeit von hegemonialen Konstruktionen ernst zu nehmen“ (ebd.). In ihrem Auftritt in Woman is the Nigger of the World stellt Woisnitza eine Situation aus der realen Alltagswelt nach. Mit der Zubereitung einer Speise begibt sie sich in die traditionelle Rolle der Hausfrau, die auch von den künstlerischen Kreisen der zweiten Öffentlichkeit ungebrochen fortgeschrieben wird.213 Die üblicherweise unsichtbare ‚weibliche‘ Praxis des Kochens in der privaten Sphäre überführt sie in die Öffentlichkeit und macht daraus ein Ereignis mit ihr als Akteurin und Zuschauer*innen.214 In ihrer Inszenierung subvertiert die Künstlerin das stereotype Erscheinungsbild der arbeitenden Hausfrau, indem sie in festlichem Kleid, mit feinen Handschuhen und sperrigem Fingerring in Erscheinung tritt. Mit dem Schweizer Künstler Daniel Spoerri wurde Ende der 1960er Jahre die sogenannte Kochkunst oder Eat Art in die bildende Kunst eingeführt, die das öffentliche Zubereiten und den Verzehr von Speisen zum Kunstwerk erklärte. Spoerri selbst trat dabei als Koch in seinem eigenen Restaurant auf. 212 Während ‚Maske‘ im wissenschaftlichen Diskurs die Verkleidung des Gesichts meint, bezeichnet der Begriff der ‚Maskerade‘ Strategien der Inszenierung von Geschlechtsidentität. Beiden gemeinsam ist die Beziehung zwischen dem Verhüllen der eigenen und dem Zeigen einer anderen (Geschlechts-)Identität. Ausführungen zur Maskerade vgl. Kap. 3.2.5 Strategien der Maskerade. 213 Vgl. Kap. 1.4.2.1 „Privates Patriarchat“. 214 Auch im drei Jahre später erscheinenden Ausstellungskatalog Zwischenspiele gibt Woisnitza ihre Großmutter bei der Zubereitung von Speisen in der Küche zu sehen (NGBK 1989:105).
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Demgegenüber stehen zahlreiche feministische Auseinandersetzungen mit der Entwertung der Frauen und ihrer unbezahlten Arbeit innerhalb der Festschreibungen als Hausfrau, wie die Hausfrauen-Zeichnungen und das einen Herd darstellende Schürzen-Objekt der Wiener Künstlerin Birgit Jürgenssen aus den 1970er Jahren, die in den 1990er Jahren entstandenen minimalistischen Herdplatten-Skulpturen der deutschen Künstlerin Rosemarie Trockel oder die feministische Performance Semiotics of the Kitchen (1975), in der Martha Rosler Wut und Aggression der Hausfrau sowie die Verwandlung des ‚weiblichen‘ Subjekts in ein Zeichen innerhalb des Systems ‚Küche‘ parodistisch Ausdruck verleiht. Auch die in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) im Westen Berlins realisierte Ausstellung Unbeachtete Produktionsformen (1982) machte in zahlreichen Werken die Produktivität von Frauen in der privaten und öffentlichen Sphäre in patriarchalen Gesellschaften zum Thema. Jürgenssen oder Rosler inszenieren ihre Frauen vornehmlich als ‚hübsche‘ Erscheinungen. Auch bei Woisnitza dienen das langärmelige Kleid mit dem freundlichen Blumenmuster, die Handschuhe und der Fingerring als Markierung der tradierten Rolle der Frau als dem ‚schönen‘ Geschlecht. Ironisch durchkreuzt wird diese Zuschreibung jedoch mithilfe einer Tiermaske. Durch ihre Inszenierung des Tierwerdens entsteht ein hybrider Gegenentwurf zum Bild der domestizierten Frau in den ihr zugeschriebenen häuslichen Wirkungsfeldern.215 Der Gesichtslarve – einer aus Bulgarien stammenden Satire-Maske – vor ihrem Gesicht kommt die Funktion zu, nicht etwa authentische ‚Weiblichkeit‘ zu verbergen, sondern gerade ihr Fehlen zu unterstreichen. Die Künstlerin verweist damit auf die kulturelle Konstruktion von ‚Weiblichkeit‘, konkret auf die Identität als Hausfrau, Köchin und Nährende. Wie aber setzt sich die dargestellte weibliche Figur mit dem kulturell ‚Anderen‘ ins Verhältnis? Auf den ersten Blick und unter besonderer Berücksichtigung des Titels bietet sich folgende Lesart an: Indem die Künstlerin in ihrer Performance ihr Gesicht verhüllt, dafür stellvertretend eines aus schwarzer Puddingsubstanz herstellt und zeigt, behauptet sie mit der Überblendung des ‚weiblichen‘ mit dem ‚Schwarzen‘ Körper eine Nähe zum kulturell ‚Anderen‘ und imaginiert sich selbst als ‚Andere‘. Durch die analoge Setzung der Frau und des Schwarzen ‚Gesichts‘ in ihrer Aufführung, unterstrichen durch den Song, werden indirekt Diskriminierungserfahrungen suggeriert und auf die eigene Position übertragen, die allerdings die Differenz ihrer Situiertheit ignoriert. Obwohl sich in den USA die politische Befreiungsbewegung der Schwarzen beziehungsweise People of Color und die der Frauenbewegung gegenseitig beeinflussten, behauptet der Songtitel die einheitliche Kategorie 215 Auch Jürgenssen hat nicht nur Schönheit inszeniert, sondern durch den Einsatz von (Tier-) Masken in ihren Polaroids auch subvertiert. Diese sind jedoch nicht vorrangig an die Darstellung der Hausfrau gekoppelt.
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der ‚Frau‘ aus einer eurozentristischen, das heißt weißen und westlichen Perspektive. Der Annahme, Frauen sind die Neger aller Völker, unterliegt, wie Cornelia Eichhorn in ihren Überlegungen zu Feminismus, Sexismus und Rassismus hervorhebt, ein impliziter Rassismus des weißen, bürgerlichen Feminismus, der die Unterschiede zwischen Frauen vergessen, Schwarze Frauen zudem unsichtbar macht und zugleich von den Vorstellungen eines homogenen Patriarchats geprägt ist (Eichhorn 1992). Der Slogan unterstreicht zwar die Diskriminierung von (weißen) Frauen durch Geschlechterdifferenz, die ideologische Konstruktion der Kategorie „Rasse“ als „imaginäre Formation“ jedoch wird nivelliert (ebd.:101). Woisnitzas künstlerische Leistung liegt darin, die Gewissheit von Unterdrückungsmechanismen und eigenen Ausgrenzungserfahrungen als Frau in einfachen performativen Bildern zu problematisieren. In einem künstlerischen Umfeld, das an Verhandlungen kultureller Differenz wenig Interesse zeigt, bringt die Künstlerin darüber hinaus das kulturell ‚Andere‘ symbolisch ins Spiel. Die vorrangig auf dem provokativen Potenzial des Titels und seiner Suggestionskraft basierende Deutungsmacht ihrer Arbeit legt nahe, dass sie mit ihrer ‚positiven‘ Darstellung kultureller Differenz diskriminierende Machtzusammenhänge weiter fortschreibt.216 Inwiefern aber, stellt sich hier die Frage, gelingt es ihr, diese Machtstrukturen innerhalb ihrer Performance visuell sichtbar zu machen und zu verhandeln. Bei näherer Betrachtung der Fotografien zeigt sich, dass Woisnitza nicht irgendeine Tiermaske trägt. Sie zeigt ein Schweinsgesicht, das kein liebenswertes, verniedlichtes Schweinchen zu sehen gibt, sondern, gesteigert noch durch die Verformung der Nase, einen tendenziell bedrohlichen Eindruck vermittelt. Die österreichische Malerin Maria Lassnig hat sich in ihren schonungslosen Selbstporträts immer wieder in der Nähe zum Tierischen und mehrfach zum Schweinischen inszeniert, sei es nackt mit einem auf einer Stange aufgespießten Schweinskopf (Selbstportrait mit Schwein, 1975) oder mit Schweinsnase und Rüssel (3 Arten zu sein, 2004). Die dargestellten Tiere werden in ihren Bildern zu Repräsentanten des Unbewussten. Im Sinne der Gewaltherrschaft der Schweine in George Orwells systemkritischer Fabel Farm der Tiere (1945), die beginnen, auf zwei Beinen zu gehen, Kleidung zu tragen und menschliche Verhaltensweisen anzunehmen,
216 In ihrem Artikel über Black Power zwischen Staatssicherheit und Underground im Ungarn der 1970er Jahre arbeitet Kata Krasznahorkai heraus, dass die Schwarze Bürgerrechtsbewegung in den staatssozialistischen Ländern von den zwei gegensätzlichen Seiten der Gesellschaft instrumentalisiert und vereinnahmt wurde: sowohl von Staatsoberhäuptern wie von Erich Honecker als auch von radikalen Künstler*innen der zweiten Öffentlichkeit wie von der ungarischen Happening-Szene. Letztere sahen sich nicht nur am Rand der Illegalität als „Neger [sic!] der Gesellschaft“ (2018:o.S.). Während sich Honecker in der DDR medienwirksam mit Angela Davis zeigte, trat Tamás Szentjóby 1971 in seiner Performance Freiheit für Angela Davis im Eötvös Klub in Budapest als die Schwarze Freiheits-Ikone auf, mit der er sich ungebrochen identifizierte (ebd.).
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bekennt sich die Künstlerin mit Hilfe ihrer Maske zum ‚System der Schweine‘, in dem alle Tiere gleich, manche aber gleicher sind, wie das einzige Gebot der in der Fabel installierten Diktatur heißt. Mit der selbst gefertigten Keramikform und dem Antlitz aus Schokoladenpudding reaktiviert Woisnitza zudem das Repertoire ‚primitivistischer‘ Bilder der Moderne und die Aneignung von archaischen Objekten und Plastiken aus Afrika als Projektionsflächen einer vermeintlich ‚natürlichen‘ Existenz und eines intuitiven Schaffens. Indem sie die Zubereitung des Puddings performativ hervorhebt, verweist die Künstlerin auf den Herstellungsprozess des Bildes vom ‚Anderen‘ und macht sich zugleich – mittels der Symbolik der Handschuhe – nicht schmutzig daran. Die eine Schweinsmaske tragende Frau verkörpert Woisnitza als Akteurin, die selbst die Schablone des ‚Anderen‘ herstellt. Eine weitere Steigerung erfährt die Konstruktion des ‚Anderen‘, indem sie das dunkle Pudding-Antlitz auf einem Teller präsentiert, mit Vanillesoße und Kirschen sowie den strahlenförmig arrangierten Löffeln verziert und damit seine visuelle und olfaktorische Attraktivität steigert. Sie schafft ein Begehren, das in den kollektiven und genussvollen Verzehr des Gesichts aus Puddingmasse mündet. Die Künstlerin stellt demzufolge nicht nur das Pudding-Antlitz her, sondern verführt darüber hinaus das weiße Publikum zur gemeinsamen Mahlzeit, die einer morbiden Einverleibung beziehungsweise einem Akt des Kannibalismus gleichkommt. Woisnitza unterstreicht in ihrer Performance den Konstruktionscharakter der Bilder und Objekte vom ‚Anderen‘ und fordert zur symbolischen Inbesitznahme durch das Publikum, zur Internalisierung des ‚Fremden‘ respektive ‚Anderen‘ auf. In Woman is the Nigger of the World macht Woisnitza unbeachtete ‚weibliche‘ Produktionsweisen sichtbar. Zugleich gibt sie die Produktion des kulturell ‚Anderen‘ zu sehen. Während sie durch den Herstellungsprozess des Pudding-Antlitzes eine Beziehung zum ‚Anderen‘ etabliert, hebt sie den Betroffenheitscharakter ihrer weiblichen Figur als Leidtragende, den meine erste Lesart nahelegt, jedoch auf. Sie inszeniert die Frau in ihrer Performance nicht mehr als Opfer von Diskriminierungserfahrungen, sondern repräsentiert sie als Akteurin innerhalb einer weißseinsnormativen Ordnung und rassistischer Machtverhältnisse. Dabei trifft die Künstlerin mit ihrer Performance weniger eine Aussage über kulturell ‚Andere‘, als dass sie vornehmlich über sich selbst spricht. Als weiße Frau setzt sie sich als solche ins Verhältnis zu kulturell ‚Anderen‘. Indem Karla Woisnitza sich selbst als schweinsgleiche ‚Andere‘ zu sehen gibt, gerät ihre Performance sowohl zur Kritik an der weißen Frau als auch am Bild weißer ‚Weiblichkeit‘. Wie eine Künstlerin ‚Anderssein‘ in Hinblick auf Körper und Sexualität verhandelt und Bilder fluider Geschlechtsidentitäten produziert, wird das nächste Kapitel zu Gabriele Stötzer beschäftigen.
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3.2 Abweichungen von heteronormativen Körperbildern. Queere ‚Männlichkeit‘ bei Gabriele Stötzer 3.2.1 Biografische Kontexte Gabriele Stötzer, 1953 in Emleben in der Nähe von Gotha geboren, zieht als Sechzehnjährige für eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin nach Erfurt, holt ihr Abitur an der Abendschule nach und studiert ab 1973 Deutsch und Kunsterziehung an der Pädagogischen Hochschule in Erfurt. In ihrer Studienzeit beginnt sie, die marxistisch-leninistische Ideologie und die gesellschaftliche Realität im Sozialismus kritisch zu hinterfragen, nicht aus einem Impuls des politischen Widerstandes heraus, sondern um eines besseren Verständnisses und der Neubewertung willen.217 Als sie sich 1976 mit einem von der Hochschule exmatrikulierten Kommilitonen solidarisiert, wird sie wegen revisionistischer Auffassungen mit der schärfsten Disziplinarmaßnahme belegt und von der Hochschule relegiert. Nachdem Stötzer wenige Monate später ihre Unterschrift unter das von Berliner Intellektuellen und Kulturschaffenden initiierte Protestschreiben gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermanns setzt und sich anschließend weigert, ihren Namen von der Liste zu streichen, wird sie der ‚Staatsverleumdung‘ angeklagt und zu einem Jahr Haft verurteilt. Eine der verschärfenden Strafmaßnahmen des Frauengefängnisses Hoheneck, in dem die junge Frau über die Hälfte ihrer Strafzeit verbringen soll, besteht in der Zusammenlegung politischer Gefangener, die unter anderem Ausreiseanträge gestellt hatten oder wegen ‚Republikflucht‘ verurteilt waren, mit Gewaltverbrecherinnen und Mörderinnen. Die drastische Lebenswirklichkeit im Strafvollzug führt zu ihrer Entscheidung, sowohl Schriftstellerin als auch Künstlerin zu werden (Stötzer 2014:183). In der Begegnung mit Frauen, die sich durch Gewalt und Mord schuldig gemacht hatten, werden für Stötzer die kriminellen und in der Öffentlichkeit tabuisierten Seiten der DDR-Gesellschaft deutlich spürbar; die weiblichen Gefangenen weichen von den propagierten Weiblichkeitsentwürfen engagierter und konformer Bürgerinnen des Staates massiv ab: sie hatten meine sprache und mein geschlecht, aber darüber hinweg andere schicksale und eigenschaften, die ich vorher frauen nicht zuordnen konnte. es gab für mich kein akzeptables frauenbild, schönheitsideal oder idol in der deutschen dr. trieb-, lust- oder schattentaten wurden nie öffentlich publiziert, waren immer die taten außerhalb unserer grenzen [...]. (Stötzer 1996:75)
217 Gabriele Stötzer im Gespräch mit der Autorin, 21.04.2015.
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Stötzer lebt mit dreißig bis vierzig Frauen in einem Verwahrraum, muss mit ihnen gemeinsam auf die Toilette gehen, schlafen, essen, im Dreischichtsystem arbeiten und hat mit ihnen im winzigen Freihof Ausgang (Stötzer 2014:181). In dieser Zwangsgemeinschaft erlebt sie die Wirkkraft von körperlicher Anziehung, Abstoßung und Aggression von Frauen. Die extreme Nähe zueinander, ihre erzwungene Nacktheit sowie die (Selbst-)Beobachtung und Kontrolle ihres Körpers – bei der Suche nach Kassibern werden alle Körperöffnungen der Frauen untersucht, gleichzeitig beschreibt Stötzer die Fixierung auf den eigenen Körper als unablässige Betätigung der Gefangenen (Stötzer 2002:75) – hatte Folgen für ihre Wahrnehmung von Frauen und ihrer (eigenen) Körperlichkeit. Einen massiven Eingriff in ihre körperliche Integrität erfährt sie durch die ärztliche Fehldiagnose einer Bauchhöhlenschwangerschaft, aufgrund derer sie im Gefängniskrankenhaus am Unterleib operiert wird. Diese Erfahrung macht sie auch zum Thema in einem ihrer späteren Texte (Stötzer 1990b:13). In den 1980er Jahren realisiert Stötzer mit ihrer Foto- und Filmkamera eine Reihe von Selbstinszenierungen und initiiert fotografische Aktionen mit Frauen, in denen sie den weiblichen Körper als leidenden und lustvollen zu sehen gibt (vgl. auch Stötzer 1996). Bereits in den frühen Gemeinschaftsprojekten kristallisiert sich ihre Fokussierung auf die künstlerisch enge Zusammenarbeit mit Frauen heraus, der später die Gründung der Erfurter Künstlerinnengruppe folgen sollte. Nach ihrer Haftentlassung 1978 und einer dreijährigen ‚Reintegrationsmaßnahme‘ in einer Schuhfabrik beginnt Gabriele Stötzer mit dem Kauf eines Webstuhls ihr Leben als Künstlerin der zweiten Öffentlichkeit, zu deren maßgeblicher und weit vernetzter Protagonistin sie in den 1980er Jahren wird. Vor ihrer Galerietätigkeit von 1980 bis 1981 in der Galerie im Flur schließt sie sich in einem besetzten Haus in der Erfurter Pergamentergasse einer Gruppe von Künstler*innen an, darunter Ulrich Gater und Albrecht Hillemann, die in Anlehnung an die Bauhaus-Tradition in ihren Werkstätten Holzschnitte und Siebdrucke produzieren. Dort färbt und spinnt sie Wolle, webt Wandteppiche und stellt mit künstlerischem Anspruch handgestrickte Pullover her, die sie, da eine Mangelware in der DDR, gewinnbringend verkauft. In der dem häuslichen Bereich wie der angewandten Kunst zugeordneten Praxis des Nähens und Webens verschränkt Stötzer eine der ältesten Traditionen weiblichen Handwerks mit mythologischem Wissen. Sie entwirft mit Feuerfrau, Tänzerin und Schlangenfrau (Wandbehänge, 1987), der Göttin der Nacht – Göttin des Tages (Teppich, 1987) archetypische Frauenfiguren und entwickelt mit Handtasse, Kopf kanne und Fußteller (Keramik, 1983) organische Formen für den täglichen Gebrauch. Die von der Künstlerin genähte lebensgroße Puppe, die sie in ihrer ersten Einzelausstellung in der ersten Öffentlichkeit Anfang 1989 in der Leipziger Galerie Nord neben ihren Fotografien und Filmen präsentiert, zeigt eine Denkerin, die Selbst- und Wunschbild vereint. Die dem Alter Ego
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der Künstlerin beigefügten Attribute wie die Hörner eines Widders und eine Schlange verweisen auf individuelle und kulturgeschichtliche Mythologien, auf Wesensmerkmale wie Weisheit und Durchsetzungsvermögen, die weibliche Stereotype durchkreuzen. Stötzer, die seit Studienzeiten zeichnet, beteiligt sich in der Pergamentergasse an Aktmalereitreffen, die später bei Heike Stephan stattfinden. Die „sinnlich schockierenden“ Super-8-Filme von Gino Hahnemann (Stötzer 1996:77) – die ersten Super-8-Filme, die sie sieht – inspirieren sie, die Kamera selbst in die Hand zu nehmen. Gemeinsam mit Marianne Klement, Cornelia Schleime und Heike Stephan realisiert Stötzer 1981 und 1982 Inszenierungen, die den Ausgangspunkt ihrer intensiven künstlerischen Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper bilden. Zur gleichen Zeit entstehen konzeptionelle Fotoserien, die ihre ästhetischen Anliegen wie die inhaltlichen Terrains abstecken, in denen sie sich zukünftig bewegen wird. Sie stellen den Beginn ihrer Arbeit mit fotografischen Serien dar, die sich die werdende Künstlerin für ihre Körperinszenierungen zu eigen macht. Die Dokumentation Kanaldeckel (1981) in Erfurts Straßen kann als Synonym für ihren Zugang zum künstlerischen ‚Untergrund‘ gelesen werden. In den Aufnahmen verschiedener Arrangements von auf der Leine trocknender Wäsche in Hausfrauenarbeit (1980) kündigt sich ihre Kritik an der gesellschaftlichen Position der Frauen an (vgl. auch Bestgen 2013). Obwohl die Künstlerin enge Kontakte zu Akteur*innen der künstlerischen und literarischen Szenen des Prenzlauer Berges und Dresdens pflegt und sie dort oft zu Besuch ist – Stötzer gehört unter anderem zu den privilegierten Gästen der privaten Lesung des amerikanischen Beat-Poeten Allen Ginsberg in Wilfriede Maaß’ Keramikwerkstatt 1983 – bleibt sie ihrer thüringischen Heimat verbunden, wo sie ihre Arbeit bis Anfang der 1990er Jahre fortsetzt. Dort entstehen vor der Gründung der Erfurter Künstlerinnengruppe und der Erweiterten Orgasmus Gruppe im Jahr 1984 zahlreiche im Fotolabor selbst entwickelte Fotoserien, in denen Frauen in Körperaktionen neue Weiblichkeitsentwürfe erproben. Während ihre fotografischen Serien und Künstlerbücher, die den zumeist nackten weiblichen Körper als künstlerisches Material und Medium zeigen, auf die Zeit bis 1985 fallen, nehmen mit Aufnahme der Arbeit in der Erfurter Künstlerinnengruppe ab 1986 Performances, Modenschauen und filmisches Schaffen deutlich zu. Stötzer realisiert bis 1990 insgesamt fünfzehn Schmalfilme. Zwischen 1990 und 1993 erreichen die Aktivitäten der Gruppe mit bis zu fünfzig Modenschauen und Performances ihren Höhepunkt. Ihre Praxis und Vision kollektiver Arbeit von Frauen findet schließlich ihr formales Fundament in der Gründung des Kunst, Kultur und Kommunikationszentrums e.V. kurz nach dem ‚Mauerfall‘, die 1990 mit dem Kauf eines Hauses in der Erfurter Innenstadt besiegelt wird. Nach aufwendiger und eigenhändiger Restaurierung des gesamten Hauses können die Frauen der Erfurter Künstlerinnengruppe vier Jahre später das Kunsthaus Erfurt mit Galerie,
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Atelierräumen und Café eröffnen, das bis heute ein wichtiger Ausstellungsort zeitgenössischer Kunst in Erfurt ist und noch heute von einer der Mitbegründerinnen der Gruppe, Monique Förster, geleitet wird.218 Als Autorin erlangt Stötzer noch 1989 durch ihre Publikation zügel los als Teil der Serie Außer der Reihe des Berliner Auf bau Verlags, für die sie neben ihren männlichen Autorenkollegen Jan Faktor, Bert Papenfuß-Gorek und Rainer Schedlinski vom Verleger Gerhard Wolf ausgewählt wird, öffentliche Anerkennung (Stötzer 1990). Seit ihrem Ausscheiden aus der Künstlerinnengruppe und ihrem Umzug nach Utrecht 1994 arbeitet sie hauptsächlich als Autorin. Ihr künstlerisches Werk findet Anfang der 1990er Jahre Beachtung (Stammer 1989; Horn & Stammer 1991) und erfährt ab 2009 eine späte Wiederentdeckung und Würdigung in mehreren, auch internationalen Ausstellungen (Richter u.a. 2009; Pejić 2009; Altmann 2011; Bestgen 2013; Knaup & Stammer 2014). Für ihr politisches Engagement als Schriftstellerin und Autorin gegen staatliche Unterdrückung und Gewalt erhält Stötzer 2013 vom Bundespräsidenten Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz. 2014 ist sie Ko-Kuratorin der Ausstellung Zwischen Ausstieg und Aktion, die die künstlerischen Aktivitäten der Erfurter zweiten Öffentlichkeit retrospektiv zusammenführt (Büchner u.a. 2014). Wie auch in den Ausführungen zur Erfurter Künstlerinnengruppe und zu den von künstlerischen Protagonistinnen geübten öffentlichen Widerspruch und Protesten deutlich werden konnte, waren Geschlechterhierarchien und geschlechtsgebundene Benachteiligung für Stötzer biografisch relevant. Kriminalisierung und Stigmatisierung durch den Staat auf der einen, Ausgrenzung und Anfeindung durch die männlich dominierten Szenen der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit auf der anderen Seite sowie mangelnde Solidarisierungsbekundungen von Frauen veranlassten sie sowohl als Autorin als auch in ihren Bildern und Performances, eine scharfe feministische Kritik zu artikulieren.
3.2.2 Körpererfahrungen Die fotografischen Dokumente ihrer 1981 begonnenen Body Art sind seriell angelegt und betonen den prozessualen und handlungsbasierten Charakter ihrer Arbeiten. Sie können als Vorläufer ihrer Filmarbeiten gelten und sind formal in drei Gruppen zu unterteilen:219 Selbstinszenierungen wie Spiegelreflexion (1984) und Selbst mit Kamera (1985), Aufnahmen ihrer Körperaktionen durch eine andere Person wie Abwicklung (1982) und Die Auslöschung des Blickes (1982), fotografiert von Heike Stephan, und die den Großteil ihres Oeuvres ausmachenden Inszenierungen von Frauen und Männern, die Stötzer entweder 218 Vgl. Kap. 1.4.3.2 Die Erfurter Künstlerinnengruppe. 219 Auf Stötzers filmische Arbeiten geht die vorliegende Untersuchung nur am Rande ein. Ausführlich besprochen werden sie bei Fritzsche & Löser 1996 sowie Löser 2011.
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einzeln oder in Zweier- und Dreiergruppen anfänglich in ihrem Atelier, später auch im Außenraum mit der Kamera festhält. Diese fotografischen Serien führt sie zumeist in Künstlerbüchern zusammen, in denen sie eigene Texte mit Zeichnungen, (übermalten) Fotografien und Collagen kombiniert; darunter befinden sich die Bücher Gesprochene Lieder (1982) und Das Seebuch (1983). Einige wenige ihrer Fotografien belässt Stötzer als einzelne Serien wie Schrei Carmen von 1982, aber (1983) sowie Schwingungskurve und Mumie von 1984. Im Folgenden wird sich meine Analyse auf Frauen miteinander (1982/83) konzentrieren. Die Frauen, die Stötzer um sich herum versammelte, vereinte ihre prekäre, mitunter kriminalisierte Situation als Aussteigerinnen aus staatlichen Strukturen. Mit dem für die Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit charakteristischen engen Austausch und der Zusammenarbeit verbindet sich der Wunsch nach alternativen Lebenskonzeptionen und einer bildkünstlerischen Annäherung, die sich hier auf nicht ausgelotete Potenziale weiblicher Subjektivität, Körperlichkeit und Sexualität als Gegenbilder zu aktuellen Erscheinungsformen der Entfremdung und Domestizierung von Frauen in Malerei und Skulptur der ersten Öffentlichkeit richtet. In der Lust an der eigenen Nacktheit und den Erkundungen des Körpers sieht die Künstlerin ein befreiendes und zugleich identitätsstiftendes Moment: ich fing einen tausch an mit den frauen, denen ich keine staatlich legalisierten papiere als fotografin oder künstlerin vorweisen konnte. ich wollte ihre leiber und konnte nichts bezahlen, mit dem leibnehmen konnte ich ihnen aber auch ihren leib zurückgeben, als erfahrung, als gefühl, als spüren, als grenzüberschreitung ihrer eigenen, nicht gestillten frage nach dem eigenen geschlecht. [...] es bedeutete mut, sich mir zu stellen, aber provozierte auch nach dem filmen eine besondere art von wärme oder glück, dem anderen in sich auf der spur gewesen zu sein [...]. (Sötzer 1996:76) Dieses sich einstellende Glücksgefühl, von dem Stötzer auch in anderen ihrer Texte wiederholt spricht, identifiziert sie als den eigentlichen Beweggrund ihrer künstlerischen und kollaborativen Arbeit (Stötzer 1992b:8). Auf diese Weise schreibt sie ihrer künstlerischen Praxis des Fotografierens, Filmens, ihren Aufführungen und Texten sowie der Zusammenarbeit mit Frauen eine existenzielle Funktion zu – sie wird zu einer „Form der Lebensäußerung“ (Dahlke 1997:152). In den ersten, durch ihre Gefängniserfahrung geprägten Jahre ist Kunst für sie eine Überlebensstrategie, wobei die Grenzen zwischen Alltag und Kunst fließend sind. Ihr subjektiver, möglichst unkontrollierter, vermeintlich ‚authentischer‘ Ansatz äußert sich in der Direktheit ihrer bildkünstlerischen Ausformulierungen und ihren unbearbeiteten literarischen Texten mit zumeist autobiografischem Charakter. In der Spontaneität ihrer
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Selbsterkundung und ihres Selbstausdrucks werden theoretische und konzeptionelle Ansätze bewusst vermieden (vgl. Stötzer 2014). Obwohl der sprachliche Stil ihrer retrospektiven Texte über die künstlerische Zusammenarbeit mit Frauen in ihrer Direktheit und Verknappung in der Nähe ihrer literarischen Werke anzusiedeln ist, muss an dieser Stelle einschränkend gesagt werden, dass in Aussagen wie „ich wollte ihre leiber“, „ich zog sie aus“ (Stötzer 1996:76) oder in der Bezeichnung der Mitwirkenden als „Modelle“ (Stötzer 2014:183) die Künstlerin nicht nur eine auktoriale Perspektive einnimmt, sondern Hierarchien auch bewusst markiert. In ihrem Sprechen über ‚die Frauen‘ erscheinen diese – zumeist namenlos, ohne Identität und ohne selbst zu Wort zu kommen – als Objekte ihrer eigenen künstlerischen Interessen. Damit macht die Künstlerin einen „Repräsentationsanspruch“ (Dahlke 1997:148) für ‚die Frauen‘ geltend, mit denen sie künstlerisch kooperierte. Zugleich tritt Stötzer anderen Frauen mit der gleichen Intensität, vorbehaltlosen Offenheit und Rückhaltlosigkeit gegenüber, die sie für sich selbst beansprucht und die ihren Selbstinszenierungen und eigenen Texten zugrunde liegen. Zudem ist sie nicht nur richtungsweisende Ideengeberin hinter der Kamera, sondern auch die einzige Autorin unter den Akteurinnen, die sich bereits in den 1980er Jahren schreibend und kritisch mit ihrer eigenen Kunstproduktion und der anderer sowie mit Geschlechterkonflikten auseinandersetzt und seit den 1990er Jahren zur maßgeblichen Historiografin der gemeinschaftlichen Kunstprojekte im losen Frauenverbund und der Erfurter Künstlerinnengruppe werden konnte. Dass die Zusammenarbeit von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist, belegen die zahlreichen fotografischen Serien und Filme, in denen sich die Mitwirkenden offen der Kamera stellen. Einige die Entstehung von Aktionen dokumentierende Fotografien zeigen, wie sie, aber auch Stötzer selbst, die eigentlich hinter der Kamera steht, nackt agieren.220 In ihren Texten fällt auf, wie oft die Suche „nach dem Anderen“, „dieser anderen Realität“ (Stötzer 1996:76), „einer in ihr verborgen liegenden wesenheit“ (Stötzer 1992b:8), dem „Wesen der Frau“, „dieser Wesensfrau“ (Stötzer 2014:183) von der Künstlerin beschworen wird. Damit kennzeichnet Stötzer ihre damalige künstlerische Suchbewegung hin zu einer ‚weiblichen‘ Identität und in der Konsequenz ‚weiblichen‘ Sprache und Ästhetik. Diese Ideen scheinen von der Hypothese vom ‚Naturzustand‘ und der ontologischen Integrität des (weiblichen) Subjekts geleitet, die ein vordiskursives, natürliches Geschlecht meint. Ihre Vision einer verdinglichten Geschlechtsidentität geht einher mit der
220 Übermalte Fotografien o.T., o.J., Archiv Gabriele Stötzer.
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Annahme, dass der Begriff ‚Frau(en)‘ eine gemeinsame und universale Identität bezeichnet.221 Genauso wenig wie die Konstruktion der Kategorie ‚Frau(en)‘ als kohärentes Subjekt jedoch zutrifft, weisen Herrschaftsstrukturen des Patriarchats eine kategoriale Universalität auf. Vielmehr muss nach den spezifischen Formen der Geschlechterunterdrückung und den konkreten kulturellen Zusammenhängen gefragt werden. Indem Stötzer mit ihren Inszenierungen und Bildern versucht, eine vordiskursive Weiblichkeit herzustellen, verfolgt sie konsequent eine Kritik an aktuellen Verhältnissen.
3.2.3 Frauen miteinander Zu welcher Kritik an tradierten Weiblichkeitsbildern und zu welchen „ungewohnten formen des körperlichen sehens und umgehens“ (Stötzer 1996:76) ihr subjektiver Ansatz unter diesen Voraussetzungen führt, soll im Folgenden herausgearbeitet werden. Die stärker ins Detail gehende Untersuchung dient als Hintergrundfolie für die sich daran anschließende Analyse der Inszenierung eines Cross-Dressers. In dem zwischen 1982 und 1983 gemeinsam mit Birgit Bronner (Gitti) und Nora Seifert (Nora) entstandenen und aus dreizehn Serien bestehenden Fotobuch Frauen miteinander setzt Stötzer den nackten weiblichen Körper in Szene, um ihn in seiner Ambivalenz zwischen symbolischer Verfasstheit als Bild und ‚Leinwand‘ und als sichtbaren Akteur zu zeigen. Wenige Jahre danach folgt eine fotografische Genderperformance, in der der männliche Körper durch die Inszenierung von Kleidung und Posen als ein feminisierter und damit uneindeutiger zu sehen gegeben wird. Die Auseinandersetzung mit dem nackten weiblichen und männlichen Körper werden schließlich abgelöst von zahlreichen Rollenspielen in Super-8-Filmen und Modenschauen, die die Erfurter Künstlerinnengruppe in selbst entworfenen Textilien erprobt.222 Die zumeist zwölfteiligen Serien zeigen beide Frauen entweder einzeln oder in Interaktion miteinander in Nahaufnahme, in halbnaher Einstellung und in der Halbtotalen, während sie mit Alltagsgenständen und Objekten wie einer Scheibe, einem Ei, einer Federboa, mit Mullbinden und einer Zigarette agieren. Die mitunter auf die Alltagsobjekte verweisenden Titel der individuellen Serien lauten: Das Ei, Das Kleid, Das Loch, Körperlinien I, Verschmelzung,
221 Wie Judith Butler Anfang der 1990er Jahre in ihrer Kritik am Feminismus herausgearbeitet hat, wird Geschlechtsidentität, bedingt durch ihre politischen und kulturellen Vernetzungen, ständig neu hervorgebracht und aufrechterhalten sowie durch rassische, ethnische, sexuelle, regionale und klassenspezifische Zugehörigkeiten konstituiert (Butler 1991:18). Vgl. auch meine Darlegungen zu Geschlecht als Analysekategorie in der Einleitung. 222 Vgl. Kap.1.4.3.2 Die Erfurter Künstlerinnengruppe.
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Berg von hinten, Berg von vorn, Bloß, Der Schwanz, Rauch, Fingerspiele, Synthese und Die Scheibe.223 In Das Kleid ist eine junge Frau mit langen, offenen Haaren und einem bodenlangen weißen Kleid in Frontalansicht zu sehen [Abb. 35]. Die zweite Fotografie gibt einen keilförmigen Schnitt im Kleid zu sehen, der eine ihrer Brüste freilegt, darauf folgt ein Schnitt auf der Höhe ihres Beines und ihrer Schulter. Ihr in Rückenansicht vorerst unversehrtes Kleid zeigt später Schnitte an Rückenpartie, Hintern und Beinen auf. Am Ende der Serie erscheint die Dargestellte fast vollständig entkleidet. Auch wenn sich aufgrund der sukzessiven Entblößung durch die massive Beschneidung des Kleides Assoziationen zu Yoko Onos Cut Piece von 1964 auftun, so sind beide Arbeiten doch nicht vergleichbar. Ono, die auf einer Bühne sitzend das Publikum einlädt, ihr Kleid zu zerschneiden, forderte die angeblich neutrale Beziehung zwischen Betrachter*innen und dem zum Kunstobjekt stilisierten weiblichen Körper heraus, indem sie den potentiellen aggressiven Akt der Enthüllung unmittelbar aufzeigte. Stötzers Aktion hingegen fand unter Ausschluss des Publikums statt, die Intervention des Schnitts und die Bedrohung durch die Schere selbst sind in den Bildern nicht dokumentiert, nur das jeweilige Ergebnis. Indem sie den Körper sukzessive entkleidet und diesen Prozess offenlegt, führt Stötzer den weiblichen Akt in ihre Serie ein. Zugleich provoziert sie damit die Lust am Schauen und aktiviert die Macht des erotischen Blicks. Die hier angelegte Enthüllung des weiblichen Körpers wiederholt sich in einer zweiten Serie im hinteren Teil ihres Buches, die auch in umgekehrter Reihenfolge gelesen werden kann. In Bloß bedeckt ein weißes Tuch einen Körper, der über die Abfolge von sechs Fotografien schrittweise entblößt wird. In ihrem Künstlerbuch Gedankensplitter (1984) zeigt Stötzer diese Serie in gegenläufiger Sequenz: Auf Nacktheit folgt die vollständige Verhüllung, die den voyeuristischen Blick ins Leere laufen lässt. Der überwiegende Teil der Serien inszeniert den weiblichen als passiven Körper, mit und an dem ‚etwas‘ passiert, ohne dass die eigentliche Aktion zu sehen gegeben wird. Mit den in Farbe getränkten Fingern ihrer linken Hand fährt in Fingerspiele eine nackte Akteurin an einer zwischen ihr und der Kamera positionierten Glasscheibe entlang und hinterlässt Farblinien als Zeichen ihrer körperlichen Präsenz [Abb. 36]. In den abschließenden Fotos werden diese Spuren verdoppelt und zugleich von einer anderen Gestalt verstärkt, deren Arm in den Bildraum ragt. Obwohl der weibliche Akt zuerst als aktiv und malend angezeigt wird, gerinnen seine Bewegungen innerhalb der letzten Fotografien zu einem statischen Verharren. Durch die direkte 223 Die Künstlerin präsentiert die einzelnen Serien von Frauen miteinander sowohl als Fotobuch als auch als Wandpräsentation in keiner festgelegten Ordnung. Das Kleid kann dessen ungeachtet als Prolog des Künstlerbuches gelesen werden.
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A bb . 35 Gabriele Stötzer, Das Kleid, aus: Frauen miteinander, 1982/83
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A bb . 36 Gabriele Stötzer, Fingerspiele, aus: Frauen miteinander, 1982/83
A bb . 37 Gabriele Stötzer, Das Ei, aus: Frauen miteinander, 1982/83
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Positionierung der weiblichen Gestalt hinter der transparenten Scheibe, auf der Zeichen anderer Frauen aufgetragen werden, verschmelzen die Frau als Objekt und der Bildraum miteinander. Unterstrichen werden der Objektstatus und der Akt des Zur-Schau-Stellens in vielen Serien durch die starken Anschnitte der Fotografien, die den weiblichen Körper nur fragmentiert, als Torso und somit als plastisches, bildkünstlerisches Material wiedergeben. Zugleich aber kann die Interaktion von sichtbarer und unsichtbarer Protagonistin als eine tastende Annäherung gelesen werden, die sich in Verschmelzung und Synthese intensiviert und in Berg von vorn und Berg von hinten zum spielerischen Miteinander entwickelt. In Ei wie auch in anderen ihrer fotografischen Serien (Heilerde, 1983) und Filme (Trisal, 1986) lässt sich Stötzers Suche nach archaischen Frauenbildern und matriarchalen Symbolen nachweisen [Abb. 37]. Wie Beret L. Norman in ihrer Analyse des literarischen und bildkünstlerischen Werks Gabriele Stötzers entlang des Bricolagebegriffs Claude Lévi-Strauss’ und Jacques Derridas darlegt, setzt sie in ihren Körperaktionen vorrangig Materialien ein, die schnell zur Hand sind. Die Künstlerin bezeichnet dies als das „Nahkörperliche“ (zit. nach Norman 2004:95), was ihrem künstlerischen Ansatz der direkten visuellen Annäherung an den eigenen Körper entspricht. Der Einsatz organischer Materialien wie Haare oder Eier – letztere stehen als Symbol für Fruchtbarkeit, dessen Zerstörung wiederum den Akt der Abtreibung versinnbildlicht – verweisen auf die reproduktiven Fähigkeiten des weiblichen Körpers und schreiben die essentialistische Referenz zwischen ‚Weiblichkeit‘ und ‚Natur‘ fest. Betont werden muss an dieser Stelle, dass der Akt des Kurzschließens von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Natur‘ durch die Mobilisierung einer Reihe von symbolisch aufgeladenen Objekten und Materialien geschieht und somit die vermeintlich essentialistische Referenzialität über die symbolische Ordnung, das heißt diskursiv hergestellt und durch die Serialität gebrochen wird. In Körperlinien I läuft einer Frau zuerst eine Farbspur aus dem Ohr, danach aus dem rechten Augenwinkel, der Nase, dem Mund [Abb. 38]. Die nächste Fotoreihe zeigt ihren Körper im Anschnitt als Torso, aus dessen Oberschenkel, Vagina, Bauchnabel und Brustwarze dunkle Farbspuren hervortreten. Der Prozess des Fließens und Rinnens der Farbverläufe ist in der dritten Fotoreihe angezeigt, auf denen die Linien auf dem Frauenkörper zusammenlaufen und sich größtenteils an seiner Vulva bündeln. Während sich die einzelnen Farblinien wie ein feines Netz über Gesicht, Brüste, Arme, Bauch und Beine ziehen, zeigt Verschmelzung einen stärkeren Farbauftrag [Abb. 39]. In der als unmittelbare Fortsetzung von Körperlinien I zu lesenden Serie steht neben dem mit Farbspuren versehenen Körper ein zweiter, auf den zuerst große, runde Markierungen aufgebracht werden. Von ihnen gehen kräftige Linien über zum anderen Körper und verbinden sie miteinander. In den die Serie abschließenden Fotografien entstehen aus den klar voneinander unterscheidbaren Linien
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A bb . 38 Gabriele Stötzer, Körperlinien I, aus: Frauen miteinander, 1982/83
A bb . 39 Gabriele Stötzer, Verschmelzung, aus: Frauen miteinander, 1982/83
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grobe Farbflächen, die den Bereich von Bauch, Brust und Vulva beider Frauen fast vollständig überdecken. In dieser Verschmelzung finden sich verbindende und symbiotische Momente symbolisiert, ähnlich wie in den Anordnungen weiblicher Körper in Berg von vorn und Berg von hinten visualisiert. Zugleich betonen die runden Farbmarkierungen die Körperöffnungen, während die Farbverläufe die Körpersäfte des weiblichen Körpers markieren. Mit der visuellen Hervorhebung realer und fiktiver Ein- und Ausgänge thematisiert Stötzer die Grenzen des weiblichen Körpers als Schnittstelle zwischen Innen- und Außenwelt. Seine Verletzungen finden sich im Auslaufen von Farbe symbolisiert, die wie in Fingerspiele als fließendes Blut und Menstruationsflüssigkeit gelesen werden kann. Auch in ihren Serien Das Loch und Der Schwanz fokussiert Stötzer auf die Sinnesorgane und Öffnungen des weiblichen Körpers, die Augen, Nase, Mund, Ohren, Brustwarzen, Bauchnabel, Vagina und Anus umfassen, in dem die Akteurinnen mit Daumen und Zeigefinger ein Loch beziehungsweise eine Öffnung anzeigen oder mithilfe von Federn die Öffnungen markieren. Damit übt die Künstlerin Kritik an idealistischen Körperbildern und gibt den weiblichen Körper als unsauberen, ausscheidenden und verletzten zu sehen, was für den Kunstkontext in der DDR ungewöhnlich und provokativ ist. In diesem Zusammenhang sei auf den Begriff des ‚Abjekten‘ verwiesen, den die bulgarisch-französische Psychoanalytikerin, Schriftstellerin und Philosophin Julia Kristeva in ihrem Buch Powers of Horror. An essay on Abjection entwickelte und der Ekel und Angst auslösende Substanzen und Tiere meint (1982). Das Abjekte, das weder den Status eines Objektes einnimmt, noch zum ‚Ich‘ gehört, konfrontiert dieses mit seinen eigenen Grenzen und Ängsten. Repräsentiert wird das Abjekte durch den mütterlichen, vorsprachlichen Körper, mit dem das ‚Ich‘ vormals ungeschieden eine Einheit bildete. Die Abjektion, die Verdrängung des mütterlichen Körpers und der mit dem Mütterlichen assoziierten Substanzen erfüllt die Funktion, die Unterscheidung zwischen dem Selbst und dem Anderen erst zu ermöglichen. Die Bedrohung des Subjekts durch das Abjekte und der Vorgang der Abspaltung, der zur Sicherung symbolischer Ordnungssysteme dient, befinden sich in einem unaufhörlichen, nicht abschließbaren Prozess. Strategien des Eindringens in den Körper oder das Ausstülpen und Ausspeien des Inneren wurden insbesondere in den 1990er Jahren unter dem Begriff der ‚Abject Art‘ wieder aufgegriffen, die auf den Konzepten des Ekels und der Verunsicherung des Bildes vom Körper und Subjekt basierten (vgl. Zimmermann 2001). Die visuelle Repräsentation abjekter Materialien in der bildenden Kunst führt wie bei Stötzer die Auseinandersetzung mit Verdrängtem, Verworfenem und Bedrohlichem herbei. Da die Künstlerin für ihre Darstellung jedoch nicht auf Verfahren der Übertreibung oder Groteske zurückgreift und die Konstruiertheit dieser scheinbar natürlichen Verbindung nicht deutlich aufzeigt, bleiben ‚Weiblichkeit‘ und Abjektion in Frauen miteinander repräsentativ miteinander verknüpft.
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Bilder des deformierten und verfremdeten weiblichen Körpers stellt Stötzer in der Serie Die Scheibe her, in der sie zwei Akteurinnen zu sehen gibt, die sich in alternierender fotografischer Abfolge gegen eine Glasscheibe pressen [Abb. 40]. Gleiches geschieht in Synthese, in der die Verschmelzung zweier weiblicher Körper zu einer hybriden Einheit angezeigt wird [Abb. 41]. In der vollständigen Umhüllung erscheinen beide Frauen wie eine große, abgedeckte Wunde. In der Umwicklung erstarren ihre Körper in statuenhafter Bewegungslosigkeit, verweigern sich im gleichen Moment aber dem Gesehen-Werden. Das symbolische In-Brand-Setzen des Selbst und des eigenen Bildes in der Serie Rauch [Abb. 42] thematisiert die Gewaltförmigkeit des Bildstatus von Frauen, zudem entsteht genau dort eine Leerstelle, auf die der begehrende Blick zwar trifft, jedoch nicht mehr voyeuristisch verweilen kann. Mit dem Versuch der Erkundung des (eigenen) Körpers, der körperlichen (Selbst-)Inszenierung und seiner visuellen Repräsentation versucht Stötzer, den Subjektstatus der Frauen in ihre Bilder einzuführen und zu behaupten. Das gelingt ihr dort, wo Frauen nicht zu unbeweglichen Bildern einfrieren, sondern im Prozess der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper dargestellt oder in Interaktion miteinander gezeigt werden. Das assoziative Aufrufen von Wunden, Verletzung, Tränen und Blut, von Bildern körperlicher Einengung und Entstellung als Gegenentwürfe zur Konstruktion des fetischisierten Körpers der Frau setzt Stötzer auch in anderen Serien fort. In Mumie (1984) ist eine Frau vollständig mit Mullbinden verschnürt. Die einzige Öffnung der Umwicklung ist ein Sehschlitz, mit dem das verhüllte und damit nicht sichtbare weibliche Subjekt den Blick an den Betrachter zurückgibt. Kulturelle Einschreibungen in den Körper werden als schmerzhafte Zäsuren in Schrei Carmen (1982) dargestellt, in der fremde Hände den Mund einer Frau gewaltsam öffnen. Die in einzelnen Titeln angelegte Idee der Verschmelzung und Synthese visualisiert wiederum den Versuch der spielerischen Kontaktaufnahme und des Miteinanders weiblicher Subjekte, wie dies auch der Fall ist in Berg von vorn und Berg von hinten [Abb. 43]. Akzentuiert hedonistische und sinnliche Erkundungen von Sexualität und Erotik in intimen Posen und Begegnungen zeigen darüber hinaus auch Fotoserien aus Stötzers Künstlerbuch Gesprochene Lieder (1982) wie auch ihr Super-8-Film Trisal (1986), die den weiblichen Körper als Ort des Vergnügens inszenieren. Ähnlichkeiten weisen die Körperdarstellungen mit den (Foto-)Performances der kroatischen Künstlerin Vlasta Delimar wie Fuck me oder Visual Orgasm (beide 1981) und The Right to Orgasm over 60 (seit 2016) oder die Serie Pornografie (Ich umarme mich) (1978) der ungarischen Künstlerin Orshi Drozdik auf. Beide geben sich mit autorerotischen Gesten zu sehen und fordern die Enttabuisierung sexuellen Lusterlebens von (älteren) Frauen ein.
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A bb . 40 Gabriele Stötzer, Die Scheibe, aus: Frauen miteinander, 1982/83
A bb . 41 Gabriele Stötze, Synthese, aus: Frauen miteinander, 1982/83
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A bb . 42 Gabriele Stötzer, Rauch, aus: Frauen miteinander, 1982/83
A bb . 43 Gabriele Stötzer, Berg von vorn, aus: Frauen miteinander, 1982/83
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Die Dekonstruktion traditioneller Repräsentationen des Weiblichen ist an erster Stelle in Stötzers Selbstinszenierungen wirksam. In den über siebzig Nahaufnahmen der bezeichnenderweise als Die Auslöschung des Blickes (1982) übertitelten Serie zeigt sich Stötzer mit bemaltem Gesicht [Abb. 44–46]. Anfangs klar strukturierte Linien einer stark stilisierten Vulva auf der Stirn der Akteurin brechen im weiteren Verlauf der Serie in große, auslaufende Flächen auf Wangen, Nase, Mund und Stirn auf. Zunehmend wandelt sich auch Stötzers Mimik hin zu einem entfesselten Spiel, in dem sie enthemmt ihren Mund öffnet, die Zunge herausstreckt, bedrohlich oder kokett in die Kamera blickt oder aber starr vor sich hin schaut und ihr Gesicht in entstellender Weise verzieht. Diese Strategien der Zuspitzung von der Reduzierung der ‚Frau‘ auf ihr Genital und ihrer anschließenden Karikierung durchkreuzen festschreibende Naturalisierungseffekte und die Konstruktion des weiblichen Körpers als ‚Leinwand‘, als Spiegelung und begehrtes Objekt des männlichen Blicks (vgl. auch Richter 2014) in weit radikaler Weise als es Woisnitzas Face Painting Action vier Jahre zuvor vermag. Die zwölfteilige Serie Abwicklung (1983) zeigt die Künstlerin mit bemaltem Körper, mit dem sie Abdrücke von Brust, Bauch und Oberschenkeln auf großformatigen Blättern hinterlässt, die an der Wand fixiert sind [Abb. 47]. Am Ende der Serie liegt sie unterhalb der seriellen Abdrücke auf dem Boden, im letzten Foto ist sie verschwunden, während die Körperabdrücke an der Wand noch immer ihre Anwesenheit suggerieren. Im Unterschied zu Yves Kleins anthropometrischen Aktionen der 1960er Jahre, in denen er weibliche Modelle als ‚lebende Pinsel‘ benutzte, inszeniert sich Stötzer selbst als aktives weibliches Subjekt und Malerin, die mit ihrem eigenen Körper an ihrem Selbstbildnis arbeitet. In der strukturellen Verknüpfung mit dem Objekt ‚Bild‘ aber wird deutlich, dass sie es nicht vermag, in einem symbolischen Befreiungsakt ein überkommenes patriarchalisches Bild der Frau zu überwinden. Vielmehr zeugt diese Selbstinszenierung von der, um mit Silvia Eiblmayr zu sprechen, „Ambiguität der weiblichen Position gegenüber dem eigenen Abbild bzw. gegenüber dem Bild der Frau“ (1993:149). In ihrem Super-8-Film ... hab ich euch nicht blendend amüsiert? von 1989 aber verdichtet Stötzer das Verfahren der Ironisierung und Persiflage, das in Die Auslöschung des Blickes angelegt ist: Ihre vornehmlich die Gewalt des panoptischen Systems der Staatssicherheit thematisierende Arbeit kann generell auf das patriarchale Blickregime bezogen werden. Dass sie observiert wurde, war Stötzer bestens bekannt, dass sich in den später zugänglichen Akten des gegen sie angestrengten Operativen Vorgangs Toxin Fotografien auch ihrer künstlerischen Aktionen wie beispielsweise die ihrer Abwicklung befanden, konnte sie zu dem Zeitpunkt jedoch noch nicht wissen [Abb. 48]. Durch die Nummerierung der Fotografie und einem an ihrem Rand angelegten Maßband wird Stötzer zum Objekt des begehrenden sowie des vermessenden und sezierenden Blickes des Geheimdienstes degradiert.
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A bb . 44–46 Gabriele Stötzer, Die Auslöschung des Blickes, 1982
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A bb . 47 Gabriele Stötzer, Abwicklung, 1983
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A bb . 48 Gabriele Stötzer, Abwicklung, Schwarz-Weiß-Kopie eines Dokuments aus den Unterlagen der Staatssicherheit der DDR, BStU, MfS, BV Erfurt
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Sich bereitwillig auf einem Stuhl dem Blick der Kamera ausliefernd, verschmiert die Künstlerin in ihrem Film langsam weiße und rote Farbe auf ihrem Gesicht und nackten Körper. Durch den Einsatz der Farbe durchläuft der weibliche Körper eine metaphorische Verwandlung vom angedeuteten Skelett zur geisterhaften und schließlich clownesken Erscheinung. Im mitunter lasziven Farbauftrag, insbesondere auf ihren Mund, um ihre Brüste und Vulva, unterstreicht Stötzer das bewusste Spiel mit dem Betrachter respektive Beobachter [Abb. 49–52]. Indem die Künstlerin den Verwandlungsprozess zu sehen gibt, zugleich unablässig die Frage „... hab ich euch nicht blendend amüsiert?“ in verschiedenen, von verführerisch-koketten bis zu drohenden Tonlagen wiederholt, inszeniert sie sich entschieden als Objekt der Beobachtung, um diesen Status am Ende des Films mit eindeutiger Geste umzukehren. Stötzer, nun ohne Bemalung und bekleidet im Innenraum zu sehen, richtet die Kamera auf sich, um sie dann demonstrativ auszuschalten. Mit ihrer Körperinszenierung macht Stötzer deutlich, wie sehr sie um die Kontrolle über den fetischisierten weiblichen und zugleich als feindlich eingestuften Körper weiß. Ihre künstlerische Aktion setzt sie ein, um die festschreibenden Machtstrukturen, hier in Gestalt der Videokamera, symbolisch außer Kraft zu setzen. Wie sehr sich Stötzer neben ihren mit Frauen realisierten Gemeinschaftsaktionen mit anderen, marginalisierten Gruppen der zweiten Öffentlichkeit solidarisiert, die der fortgesetzten Beobachtung und Verfolgung durch Staatsapparat und Staatssicherheit ausgesetzt sind, wird Thema der folgenden Untersuchungen sein.
3.2.4 Punker*innen Fasziniert von der anarchischen Energie, dem rebellischen Auftreten und der nonkonformen Kreativität jugendlicher Punks begibt sich Stötzer – auf der Suche nach neuen Gruppenerfahrungen und der Erweiterung ihrer Kunstpraxis – in ihre Kreise im Erfurter ‚Untergrund‘. Während die Mitte der 1970er Jahre entstandene Punkbewegung in London der Perspektivlosigkeit und dem sozialen Elend der Jugendlichen in nihilistischer Haltung und dem Ruf ‚No Future‘ Ausdruck verlieh, verweigerten sich die Ende der 1970er Jahre in der DDR erstmals auftretenden Punks einer vom Staat durchgeplanten und kontrollierten Zukunft, einem ‚Too much Future‘. Die ostdeutschen Akteur*innen orientierten sich vorerst am Punk englischer Provenienz. In der sozialen Brisanz der Briten sahen sie ein Spiegelverhältnis zu den gesellschaftlichen Konfliktstoffen in der DDR. Westberliner und westdeutsche Punkbands dienten als Vorbilder für die Gründung ostdeutscher Gruppen. Im Gegensatz zur westdeutschen Bewegung aber, die später gesellschaftliche Akzeptanz und Kommerzialisierung erfahren sollte, waren Punks in der DDR als sogenannte ‚asoziale‘ beziehungsweise ‚feindlich-negative Elemente‘ anhaltender Kriminalisierung, Strafmaßnahmen und Verfolgung durch den Staat ausgesetzt. Ihr
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A bb . 49–52 Gabriele Stötzer, ...hab ich euch nicht blendend amüsiert?, 1989, Stills, Super-8-Film transferiert auf DVD, Ton, Farbe, 12 min
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provokantes Auftreten und Desinteresse richtete sich nicht nur gegen traditionelle Werte. Als Aussteiger*innen aus der sozialistischen Produktion und als Wehrdienstverweigerer unterminierten sie im Sinne der politischen Wirksamkeit von Gruppierungen der zweiten Öffentlichkeit staatliche Politik und Ideologie (Boehlke & Gehrike 2005). Die dreißigjährige Stötzer wird zu ihrer Vermittlerin, protegiert die Jugendlichen und ermöglicht ihnen den Zugang zu künstlerischen Kreisen der zweiten Öffentlichkeit. Gemeinsam mit Christian Duschek ‚Spinne‘, Jens Tuckiendorf ‚Tuckie‘ und Matthias Schneider KULT malt sie in den Kellern eines halb verfallenen Hauses in der Erfurter Kürschnergasse Bilder und organisiert im Mai 1984 gemeinsam mit ihnen die Ausstellung NO ART, zu deren Eröffnung auch Künstler*innen, darunter Cornelia Schleime, und Mita Schamal aus Berlin eintreffen. 1986 sorgt die Staatssicherheit dafür, dass das Haus, in dem sich die Erfurter Punks regelmäßig treffen, von der Polizei gesperrt und geräumt wird. Da zahlreiche Punks in der DDR, insbesondere in den Großstädten, in den 1980er Jahren sowohl mit der Friedens- und Menschenrechtsbewegung unter dem schützenden Dach der evangelischen Kirche als auch mit den Künstlerszenen der zweiten Öffentlichkeit in Berührung kommen, werden sie zu einem beliebten fotografischen und malerischen Sujet. Die wohl bekannteste Serie ist die der Fotografin Helga Paris mit dem Titel Berliner Jugendliche von 1981/82, in der sie in malerisch anmutenden und zugleich streng kompositorischen Einzelbildnissen junge Punkerinnen und Punks – Freund*innen ihrer beiden Kinder – fotografiert. Dargestellt finden sie sich auch in den Fotografien Christiane Eislers sowie in der Malerei Angela Hampels, Clemens Gröszers oder Hans-Peter Szyszkas.224 Auch Stötzer ist fasziniert von der schillernden Ambivalenz ihrer selbst gestalteten Erscheinung aus Härte und Schönheit und hält die Selbstinszenierungen der Punker*innen mit ihrer Kamera fest. Auf einer gemeinsamen Fahrt mit ‚Fozzy‘, Schlagzeuger der Erfurter Punkband Schleimkeim, und ‚Pallas‘ entstehen Aufnahmen in der nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald und am Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar. Im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald inszeniert sich ‚Fozzy‘ am Eingangstor mit der Aufschrift Jedem das Seine in einer Pose, die mit Strangulation und Tod assoziiert werden kann. ‚Pallas‘ ist mehrfach in angedeuteter Kreuzigungshaltung am Tor und auf dem Gelände der Gedenkstätte zu sehen sowie auf dem Rücken liegend unter einem Stacheldrahtzaun, Indem beide Punks Haltung und Mimik der Dichter-Figuren vor dem Weimarer Denkmal imitieren und eine entspannte Zigarettenpause auf dessen Stufen einlegen, parodieren sie die Inszenierung der Nationaldichter [Abb. 53]. 224 Vgl. Kap. 2.1.2 Kritische Frauendarstellungen der 1960er und 1970er Jahre in Fotografie und Film sowie Kap. 2.1.3.3 Queere Bilder.
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A bb . 53 Gabriele Stötzer, Erbe II (Punks in Weimar), aus: Mackenbuch, 1985
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Zahlreiche theoretische Analysen sind der Frage nach der ‚Pose‘ nachgegangen, so auch die Untersuchungen des britischen Medientheoretikers und Soziologen Dick Hebdige, der vor allem mit seiner Studie Subculture: The Meaning of Style von 1979 der Schwarzen und weißen Jugendbewegung und der daraus hervorgehenden Punkbewegung in der britischen Gesellschaft der 1970er Jahre nachging (1979). Seine Deutung der Pose als Bedrohung bezieht sich auf die Selbstdarstellung von Punker*innen, die mit ihrem Auftreten den überwachenden und kontrollierenden Blick staatlicher Institutionen auf die Gesellschaft bewusst in die Lust am Beobachtet-Werden umkehren (Hebdige 1982/1983:86). Was als ein strategischer Schachzug gegen die zunehmende staatliche Durchdringung der privaten Sphäre gelesen werden kann, geht in Stötzers Fotoserie in die Konfrontation mit dem Staat an öffentlichen Orten über. Mit ihrem provozierenden Auftreten unterlaufen die Punks die Erwartungen eines vorschriftsmäßigen Verhaltens an historisch aufgeladenen Orten des Gedenkens. Ihre Aktionen verstehen sich als Zuspitzung, insbesondere da der Antifaschismus in der DDR als vorrangige Staatsdoktrin sakrosankt war. Die DDR legitimierte sich als Staat über den Antifaschismus, den sie als Staatsideologie zugleich für ihre Politik instrumentalisierte, wofür unter anderem der Bau der Berliner Mauer als sogenannter ‚antifaschistischer Schutzwall‘ steht.225 In ihrer fotografischen Serie führt Stötzer mithilfe ihrer beiden Protagonisten die Stadt Weimar als das Zentrum der deutschen Klassik und Auf klärung und das in unmittelbarer Nähe liegende Buchenwald als Synonym für nationalsozialistische Verbrechen visuell zusammen. Einen ähnlichen Ansatz vermittelt die Künstlerin in ihrem Super-8-Film Spitze (1986). Mit athletischem Schwung und akrobatischem Risiko erklimmt ein Punk phallisch anmutende Denkmäler wie den Erthal-Obelisken auf dem Domplatz und andere Gebäude der Stadt Erfurt, darunter die Zitadelle Petersberg. Indem er die Monumente auf unkonventionelle Weise besteigt und sich in skurrilen Posen wie mit gespreizten Beinen oder im Handstand darauf präsentiert, ermächtigt sich der junge Mann symbolisch der steinernen Manifestationen politischer, militärischer und kirchlicher Macht und profanisiert sie. Der Missbrauch der Gebäude für körperliche Ertüchtigungen ist als Geste der rebellischen Respektverweigerung gegenüber der symbolischen Bedeutung dieser Orte und als kritische politische Aussage gegenüber staatlicher Macht zu lesen. Die steinernen Symbole kennzeichnen eine historische wie auch aktuelle Hierarchie zwischen männlich Herrschenden und ihren ‚treuen Untertanen‘, die weiblich, aber eben auch männlichen Geschlechts sind, gegen das der Punk symbolisch auf begehrt. Wie in ihren fotografischen Punk-Serien 225 Eine tatsächliche Entnazifizierung und differenzierte Aufarbeitung des Faschismus fand indes nie statt, was die Marginalisierung und Tabuisierung jüdischer Opfer des Nationalsozialismus zeigt und die Radikalisierung von Rechten nach 1989. Vgl. auch Kap. 3.1.2 Gemeinschaftsaktionen.
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lässt Stötzer auch hier die sichtbaren öffentlichen Orte und die vermeintlich ‚unsichtbaren‘ Aktionen des ‚Untergrunds‘, von dem aus der Protagonist seine gezielten Vorstöße vornimmt, aufeinandertreffen. Stötzer eröffnet im Zusammenführen der am Weimarer Goethe-SchillerDenkmal und den in Buchenwald entstandenen Fotografien einen deutschnationalen Kontext, in dem zwei kontrastierende Beispiele des nationalen Vermächtnisses aufgerufen werden. Indem beide Punks ihre persönliche Art eines körperbezogenen Gedenkens inszenieren, wird deutlich, wie sehr die Idee der ‚(Kultur-)Nation‘ und der Bezug auf nationale Ikonen konstruiert sind und wie sehr ‚Gedenken‘ im Sinne der ‚Nation‘ instrumentalisiert und widersprüchlich ist. In der staatlichen Kontrolle, Marginalisierung und Verfolgung der Punks, die der deutsche Staat nicht als vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft anerkannte, schlagen sich diskriminierende Momente nieder, die wie ein entschieden abgeschwächter, aber dennoch existenter Wiederhall aus nationalsozialistischen Zeiten wirken. Die fotografische Punker*innen-Serie nimmt Stötzer in ihr Mackenbuch auf, eine Sammlung von über dreißig zu unterschiedlichen Zeiten entstandener fotografischer Schwarz-Weiß-Serien.226 Zumeist sechzehn Einzelfotografien im Raster von vier mal vier Bildern hat die Künstlerin auf der Vorderseite großformatiger Pappen angebracht. Teilweise sind die Serien auf den Blättern so angeordnet, dass bis zu drei Folgen auf einem einzelnen Blatt ineinander übergehen. Dieser Assoziationen und Querverweise zulassende Ansatz verweist einmal mehr auf ihre künstlerische Konzeption eines offenen, unabgeschlossenen künstlerischen Schaffens und eines rhizomatisch wuchernden Oeuvres, das Überschneidungen, Perspektivverschiebungen und Änderungen von Sichtweisen zulässt. Die Hauptporträtierten des Buches sind Punkerinnen und Punks bei Inszenierungen im öffentlichen Raum und im Atelier. Außerdem umfasst das Buch Selbstinszenierungen der Künstlerin, fotografische Serien von Körperinszenierungen anderer Frauen, Interventionen im städtischen Raum Erfurts und Detailaufnahmen von Erfurter Gebäuden. Eine weitere Serie zeigt Aufnahmen von Gräsern, Bäumen, Blättern, einem Bach und einem Tierschädel. In kleinen, an theatralische Kammerstücke erinnernden Inszenierungen zweier Männer in Männerträume und Wechselpaare werden homoerotisches Begehren und Lust angedeutet und Gewaltszenen unter Männern sowie zwischen Männern und Frauen inszeniert. Die symbolische Darstellung des
226 Mackenbuch, 1985, Fotografien in Erfurt mit Monika Andres, Ingo Faupel, Matthias Schneider, Claudia Räther, Rambo (Ralf Gerlach), Winfried, Sylvia Neitzel, Kati Link, Andrea, Pallas, Fozzy, Andreas Stötzer, Michaela Stötzer, Cornelia Schleime, Heike Stephan, Gabriele Stötzer. Idee und Fotografien, Übermalung und Texte von Gabriele Stötzer, Fotografien von Rambo (Ralf Gerlach), Cornelia Schleime, Andreas Stötzer, Rückseite: Monotypie von Rambo (Ralf Gerlach).
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Selbstmordes eines der Punks, das Vanitas-Motiv des Tierschädels, die ruinenhaft anmutenden Gebäude Erfurts oder die anonymisierende Gesichtsbemalung einer jungen Frau können als Symbole des Vergehens gelesen werden. Betont wird diese Bedeutungsebene durch die Betitelung eines Blattes der Selbstinszenierung von Stötzer mit Beginnen im Rinnen der Zeit und durch ein 1984 von ihr verfasstes Gedicht, das die Künstlerin prominent auf der Umschlaginnenseite des Mackenbuches notiert hat und in dem es um die Vergänglichkeit der Stadt geht. Den Vanitas-Motiven stehen bildkünstlerische Inszenierungen einer brennenden Kerze, das Spiel mit jungen Katzen oder die nonkonforme Erscheinung und das rebellierende Auftreten der Punks entgegen. Zur bildkünstlerischen Bejahung der Gegenwart und zum Aufzeigen geballter Lebensenergie trägt auch das neugierige und erotische Zusammenspiel der Künstlerinnen Heike Stephan und Cornelia Schleime in ihren Körperinszenierungen während eines verbotenen Pleinairs in Hüpstedt 1983 bei, das unabhängige Sexualität und Körperlichkeit demonstriert. Wie die provozierenden Posen der Punker*innen verstehen sich hier die körperliche Freude und die spielerische Lust zweier nackter beziehungsweise in Dessous gekleideter Frauen, insbesondere aber ihr ungehemmtes Lachen als subversive Botschaft intimer Verbundenheit gegen die allgegenwärtige Überwachung, Reglementierung und Verfolgung durch den Staat.
3.2.5 Strategien der Maskerade In den Serien des Mackenbuches sind das Moment der Inszenierung und Verkleidung sowie Identitäts- und Rollenspiele deutlich angelegt. Neben den visuellen Verweisen auf die diversen Szenen und Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit, hier besonders der Punkszene Erfurts, ist von Interesse, wie alternative Repräsentationen von Geschlecht die Vorstellung binärer Geschlechtsidentitäten auf brechen. Bereits in ihrem ersten Super-8-Film Kai und Karsten (1983) zeigt die Filmemacherin und Fotografin ungewohnte Männlichkeitsentwürfe. Der Film gibt zwei junge Männer im Innenraum zu sehen, die im Gespräch auf und ab gehen, eine Zigarette rauchen, verunsichert lachen, anfänglich unbeholfen tanzen, sich später entkleiden und, vorerst noch befangen, dann mit freiem, lustvollem Gestus die Wand und sich gegenseitig bemalen sowie eng umtanzen. Stötzer eröffnet diesen beiden Männern, die keine Künstler sind und damit nicht über künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten verfügen, einen intimen und zugleich freien Raum für aktionistische Begegnung und körperliche Erkundung, die sinnliche Erfahrungen ebenso wie Verunsicherung und Scham einschließen. Wie sehr die Künstlerin ihren sympathisierenden Blick auf die Selbsterfahrung der beiden Akteure bricht, verdeutlicht die später hinzugefügte Audiospur. Auf diese legen die Bandmitglieder des Erweiterten OrGasmus Stötzer, Kyselka und Heyner Punkmusik sowie Sprechgesang.
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Parallel zum souveräner werdenden Tanz der beiden Männer überlagern sich ihre Stimmen, die mal animierend, mal spöttisch die Verszeile „Die Stadt ist so heiß, wer das nicht weiß, macht sich selbst heiß“ repetieren und schließlich schreien. Unterstrichen durch den treibenden Rhythmus der Stimmen und die textliche Persiflage erfahren die sich nackt zeigenden und zwanglos agierenden Männer eine Verwandlung in Objekte des begehrenden und ironisierenden Blickes von Frauen. Im Mackenbuch befinden sich des Weiteren fünf Serien, in denen eine Person männlichen Geburtsgeschlechts entweder nackt oder in als feminin codierter Kleidung zu sehen ist.227 Mit der Betitelung ihrer Arbeiten Trans in Schwarz, Trans in Weiß, Trans mit Küchenutensilien, Trans Mutterkind und Trans als Mann kennzeichnet Stötzer die porträtierte Person als ‚Trans(e)‘. Offenbar bezieht sie sich dabei auf den vom Sexualforscher und Begründer der Homosexuellen-Bewegung Magnus Hirschfeld Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführten Begriff des ‚Transvestit‘ bzw. des ‚Transvestitismus‘.228 Synonym wird der englische Begriff des ‚Cross-Dressings‘ verwendet, der betont, dass sich das Interesse der Personen nicht auf körperliche Geschlechtsmerkmale richtet und kein Wunsch nach dauerhaftem Geschlechtswechsel oder chirurgischen Eingriffen besteht. ‚Cross-Dressing‘ ist vielmehr an Merkmalen des sozialen Geschlechts, an Kleidung und Namen, interessiert und gilt als Ausdruck eines bewusst gewählten Lebensstils (Garber 1993).229 Heute bilden Trans*Konzepte ein großes Spektrum, das sich in unterschiedlichen Identitätsbegriffen und Selbstbezeichnungen niederschlägt.230 Aus diesen Gründen bevorzugt die vorliegende Analyse den Begriff des ‚Cross-Dressers‘, der wie im Falle des Mackenbuches eine Person männlichen Geburtsgeschlecht meint, die in Körperperformances ‚Weiblichkeit‘ darstellt.231 Cross-Dressing verdeutlicht, dass und wie Kleidung und Verhaltensweisen beziehungsweise Posen Geschlecht und Geschlechtsunterschiede konstruieren. 227 Insgesamt machte Stötzer vom Porträtierten ca. 200 Aufnahmen, die sie in unterschiedlichen Abfolgen auf mehrere Blätter montierte. Nur wenige sind im Mackenbuch enthalten. 228 Von den Personen, die gegengeschlechtliche Kleidung tragen, um eine zeitweilige Zugehörigkeit zum ‚anderen‘ Geschlecht zu erleben, wird diese Kategorisierung jedoch abgelehnt, da sie der medizinisch-psychologischen Diagnostik entstammt, mit der die Idee einer zwanghaften Desorientierung verbunden ist und als psychische Störung pathologisiert wird. 229 Die Erweiterung des ‚Dress‘-Begriffs meint über die Kleidung hinausweisende Inszenierungen der Haare sowie Körpermodifikationen, Accessoires und Gegenstände als Teil des Dress (Eicher & Roach-Higgins 1992). 230 Trans* ist im deutschsprachigen Raum ein junger, aber inzwischen verbreiteter Oberbegriff für eine Vielfalt von Identitäten und Lebensweisen. Der Stern* dient hier erneut als Platzhalter für diverse Konzepte. 231 Mit der Bezeichnung der in den Serien porträtierten Person als dem Cross-Dresser besteht die Gefahr einer erneuten Festschreibung des Körpers als eindeutiges Zeichen. Meine Untersuchung verfolgt jedoch gerade das Gegenteil, gerade aufzuzeigen, wie die Zuweisungen und Konstruktion von Geschlecht über den Körper anhand visueller Inszenierungen aufgedeckt bzw. verunsichert werden.
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Mit der Kritik an binären Geschlechtsunterschieden denaturalisieren und destabilisieren Cross-Dresser die Zeichen des anatomischen und soziokulturellen Geschlechts. Für Marjorie Garber besteht die gesellschaftliche Praxis und Rolle des Cross-Dressers nicht nur in der „Verwischung“ der Geschlechter, sondern darin, den Ort der „Kategorienkrise“ anzuzeigen (1993:12). Die sogenannte Krise der Kategorie bedeutet ein Misslingen von definitorischer Distinktion, eine Grenzlinie, die durchlässig wird und Grenzübertritte von einer Kategorie zu einer anderen erlaubt (ebd.:31). Damit bildet das Cross-Dressing einen ‚Raum des Möglichen‘, in dem stabile Identitäten, der Begriff des ‚Originären‘ und die ‚Natürlichkeit‘ von Geschlechterrollen mittels des Diskurses von Kleidern gestört und dekonstruiert werden. Eingebettet ist die Diskussion um die kulturellen Praktiken des CrossDressings und der Travestie in den wissenschaftlichen Diskurs um die ‚Maskerade‘. Dieser wurde maßgeblich durch die psychoanalytische Theoriebildung beeinflusst, wobei Joan Rivieres erstmals 1929 veröffentlichter Aufsatz „Weiblichkeit als Maskerade“ als zentraler Referenztext gilt, der Maskerade als Instrument beschreibt, eine von der Frau angeeignete Männlichkeit zu verbergen (Riviere 1994). Für Jacques Lacan bedeutet Maskerade keine Verkleidung, in dem Sinn, dass darunter die ‚wahre‘ Frau verborgen wäre. Gerade in der Maskerade, im Schein und im Nicht-Identischen konstituiere sich weibliche Subjektivität (Lacan zit. nach Eiblmayr 2013:38). Judith Butler hat das Konzept der Maskerade insbesondere im Hinblick auf die darin festgeschriebene defizitäre Dimension von Weiblichkeit kritisch revidiert. Mit Butler, die Geschlecht und damit ‚Weiblichkeit‘ nicht als natürliche Tatsache betrachtet, sondern als kulturelle Performanz, also als diskursiv hergestellt (1991), verweist der Begriff der Maskerade auf die kulturelle Konstruiertheit von Geschlechterrollen und Identitäten. ‚Maskerade‘ bezieht sich auf verschiedene Strategien der Inszenierung von Geschlechtsidentitäten, bei der die „Verstellung der eigenen (Geschlechts-)Identität mit der Vorstellung einer anderen einhergeht“ (Bremerich 2014:o.S., Hervorh. im Original). Die Konstitution von Geschlecht erfolgt gleichermaßen im Bereich der Repräsentation und ist ein Effekt von Darstellung und Inszenierung. Wie und wodurch aber, ergibt sich an dieser Stelle die Frage, kann sich der störende und verstörende Akt des Hinterfragens der Geschlechterbinarität und damit der Kategorien ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ überhaupt vollziehen. In ihrer Analyse der kulturellen Praktik der Travestie, das heißt des Kleidertausches und der sexuellen Stilisierung, bezieht sich Judith Butler in Das Unbehagen der Geschlechter auf die Anthropologin Esther Newton. Travestie behaupte, die „‚äußere‘ Erscheinung“ sei „weiblich“, das „‚innere‘ Wesen“ sei „männlich“ und symbolisiere zugleich die „gegenteilige Umkehrung“ (zit. nach Butler 1991:201).
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Stötzer macht im Auftritt ihres Cross-Dressers die sich widersprechenden Behauptungen, die gleichermaßen Anspruch auf Wahrheit erheben, sichtbar. Der Cross-Dresser vergewissert sich zum einen seines anatomischen Geschlechts, indem er immer wieder seinen Penis und seine flache Brust zeigt. Zum anderen stellt er mithilfe des gezielten Einsatzes von Geschlechterzeichen wie der Kleidung eine Geschlechtsidentität dar, die ‚weiblich‘ konnotiert ist und umgekehrt. Wie Butler unterstreicht, parodiert die Travestie in ihrer übertriebenen Nachahmung die Vorstellungen von einer ursprünglichen oder primären geschlechtlich bestimmten Identität. Darüber hinaus offenbart sie die Imitationsstruktur der Geschlechtsidentität als solche. Auch die grundlegende Kontingenz in der Beziehung zwischen anatomisch-biologischem Geschlecht (sex) und Geschlechtsidentität (gender) trete mit Deutlichkeit hervor (ebd.:202). Die Travestie erkennt ihre Unterschiedenheit und macht die Mechanismen ihrer imaginären Einheit sichtbar. Stötzers Cross-Dresser verkörpert dieses schillernde ‚Dazwischen‘ und die Unentschiedenheit, die durch die Künstlerin unter anderem auch im Titel einer ihrer Serien explizit gemacht werden. In Trans als Mann kennzeichnet sich der Cross-Dresser durch eine minimalistische Auswahl von Kleidungsstücken aus High Heels, Nylonstrümpfen und einem Slip sowie durch Make-up als ‚Frau‘ [Abb. 54]. Gleichzeitig bleibt er mit nacktem Oberkörper als ‚Mann‘ identifizierbar. Indem sich in dieser Serie ein ‚Mann‘ als ‚Frau‘ inszeniert und fernerhin sich als Mann explizit als ein Mann in Drag darstellt, der wiederum unterschiedlich kodierte Köperhaltungen einnimmt, erfährt die Heteronormativität des Blickes eine grundlegende Irritation. Diese Repräsentation reproduziert durch die Selbstinszenierung in Drag beziehungsweise die „Aufmachung im ‚falschen‘ Geschlechtscode“232 nicht die Binarität von ‚männlich‘ und ‚weiblich‘, sondern spielt mit deren Zeichen. Weitere Einordnungsversuche werden durch die Destabilisierung des Binarismus von Homo- und Heterosexualität verunmöglicht, wenn in Trans Mutterkind als zweite Figur eine junge Frau ins Spiel gebracht wird [Abb. 55]. Der Cross-Dresser übernimmt darin die Rolle der Mutter, die junge Frau die des Kindes; gemeinsam stellen sie eine Geburtsszene nach. Auch wenn die Künstlerin insbesondere die Dominanz der Mutterfigur und die „seelische Vergewaltigung“ zu zeigen beabsichtigt,233 erhalten die Bilder eine zunehmend erotische Aufladung. Gegen Ende der Serie ist die junge Frau mit zur Decke hin gespreizten Beinen auf einem Tisch liegend zu sehen, während sich der auf dem 232 Garber bezeichnet „drag“ als „Aufmachung im „‚falschen‘ Geschlechtscode“. Damit vermeidet sie die einseitige Interpretation von „drag“ als Frauenkleidung und öffnet den Begriff auch für „drag kings“, für Personen weiblichen Geburtsgeschlechts, die ihm Rahmen von Performances „Männlichkeiten“ als Ausdruck eigener Identitäten oder zum Aufzeigen der Konstruiertheit von Geschlecht darstellen (Garber 1993:217). 233 E-Mail von Gabriele Stötzer an die Autorin, 01.12.2015.
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A bb . 54 Gabriele Stötzer, Trans als Mann, aus: Mackenbuch, 1985
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A bb . 55 Gabriele Stötzer, Trans Mutterkind, aus: Mackenbuch, 1985
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Tisch hockende Cross-Dresser über sie beugt. Die Haltung der beiden weckt Assoziationen an einen Geschlechtsakt. In der nächsten Fotografie zeigt sich der Cross-Dresser bis auf BH, Strapse und Slip unbekleidet, mit gespreizten Beinen sitzt er auf dem Tisch, während die junge Frau vor ihm auf dem Boden liegt und mit ihren Füßen seine Oberschenkel berührt. Indem der CrossDresser in dieser Aufmachung mit der jungen Frau agiert, wird die Vorstellung von der erotischen Interaktion zweier Frauen eröffnet, wobei die Bilder gleichzeitig die Vorstellung vom heterosexuellen Begehren eines in femininer Garderobe erscheinenden Mannes hervorrufen. Vor dem Hintergrund, dass für viele Cross-Dresser eine wahlweise schwule oder lesbische Identität zwar eine grundlegende Rolle spielt, darauf aber nicht beschränkt ist, verflüssigen die fotografischen Inszenierungen die Grenzen zwischen den vermeintlich klar voneinander abgegrenzten Kategorien der Homo- und Heterosexualität.
3.2.6 Die Pose Auf den Fotografien in Stötzers Serien nimmt der Cross-Dresser mehrheitlich eine erotische und sexuell aufgeladene Pose ein. Meine Erläuterungen zu den Fotoinszenierungen der Punks haben bereits auf Dick Hebdiges Betrachtung der ‚Pose‘ Bezug genommen. Für die Trans-Serien bietet sich eine Annäherung an den Untersuchungsgegenstand der Pose aus einer psychoanalytischen Perspektive an, um ihre Bedeutung für die visuelle Produktion von Geschlecht zu analysieren. In der Pose wird besonders deutlich, wie sich das Subjekt über ein kulturell erzeugtes Bildrepertoire konstituiert. Craig Owens beschreibt in seinem Aufsatz „Posing“ die fotografische Dimension der Pose. Darin legt er dar, dass noch bevor überhaupt auf den Auslöser des Apparates gedrückt wird, die Person, die fotografiert wird, erstarrt. Die Pose in ihrer Bewegungslosigkeit imitiert nicht nur schon ein bestehendes Bild aus dem historischen Bildrepertoire, sondern antizipiert die Fotografie selbst: What do I do when I pose for a photograph? [...] I freeze, as if anticipating the still I am about to become; mimicking its opacity, its still-ness; inscribing, across the surface of my body, photography’s „mortification“ of the flesh [...]. (Owens 1992:210) Der Körper friert in der Pose ein und greift seiner Fixierung und Immobilisierung in der Fotografie voraus. Zugleich wird das Subjekt durch die Pose in das Bild eingeschrieben, es wird zum Bild. Zur Erläuterung der subjektkonstituierenden Effekte der Pose stützt sich Owen auf Jacques Lacans Begriff der ‚Mimikry‘. In seinen Ausführungen zu den Grundbegriffen der Psychoanalyse bezieht Lacan das Phänomen der Mimikry auf ein Beispiel aus der Natur. Der
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Vergleich mit der Caprella234, übertragen auf das menschliche Subjekt, macht deutlich, dass dieses versucht, sich durch Mimikry im Bereich des Sichtbaren zu positionieren, um als solches überhaupt erst lesbar zu werden. Welchen Handlungsraum aber das Subjekt beim Sich-in-Pose-Setzen, bei der Verwandlung seines Körpers in ein dreidimensionales Bild hat, soll mit Hilfe von Kaja Silverman untersucht werden, die in ihrer Theorie des Blickregimes und anhand ihrer Analyse der Untitled Film Stills von Cindy Sherman die Bedeutung von Bildern für die Konstituierung des Subjekts und die Auswirkung des Blickregimes auf unsere Wahrnehmung herausarbeitet. Sich auf Owens Definition der Pose, Lacans Mimikrybegriff und Roland Barthes Theorie der Fotografie – hier insbesondere auf die Immobilisierung des Subjekts vor der Kamera und die Erfahrung, als Bild zu erscheinen oder zum Vorschein gebracht zu werden (Barthes 1989) – beziehend, geht sie der Frage nach, mittels welcher Strategien sich das Subjekt als ‚Fotografie‘ anbietet. Silverman legt dar, dass das Subjekt im Gegensatz zur Caprella nicht auf ein vorhandenes Bild angewiesen sei, sondern die Pose, die sich aus dem kulturellen Bildrepertoire (screen) speist, allein dieses Bild erzeugen könne (1997:47). Die Kraft der Repräsentation sei in ihr so gewaltig, dass sie nach außen abstrahlen würde und den den Körper umgebenden Raum in eine imaginäre Fotografie verwandle (ebd.). Dabei ist sie auf eine Darstellung festgelegt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich ist. Das heißt, das Subjekt kann nur eine Gestalt annehmen, die innerhalb der Grenzen eines vorhandenen Bildrepertoires ihre Entsprechung findet, um so überhaupt wahrnehmbar und lesbar zu sein (ebd.:49). Diese Auffassung auf Stötzers fluide Körperbilder übertragen, würde bedeuten, dass sie nicht ohne die Wiederholung tradierter Posen im Sinne der Geschlechterbinarität auskommen, ja dass die Subversion von dominanten Körperhaltungen erst durch ihre Wiederholung möglich wird. Silverman bezeichnet eine weitere Grenze: Mimikry könne durch bestimmte körperliche Attribute sowie durch fotografische Elemente, darunter Kostüme oder Licht, unterlaufen werden. Dabei setze Mimikry nicht unbedingt eine auf begehrende oder bewusste Intentionalität voraus. Viel allgemeiner müsse die Pose als fotografische Prägung des Körpers verstanden werden, derer sich das Subjekt nicht unbedingt bewusst ist, denn sie kann das „Resultat eines Bildes sein, das so oft auf den Körper projiziert worden ist, dass das Subjekt beginnt, sich sowohl psychisch wie auch körperlich mit ihm zu identifizieren [...]“ (ebd.:50).
234 Das Krustentier Caprella ahmt während des Nistens unter den Briozoaren eine fleckenförmige Einbuchtung der quasipflanzlichen Lebewesen nach. Lacan nimmt an, dass es sich dabei um keine Schutzfunktion vor Feinden handelt, sondern um den Versuch, Teil eines Bildes, eines tableaus, zu werden (Lacan 1978:105).
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Der Cross-Dresser posiert als einzelne Männer- beziehungsweise Frauenfigur auf den Schwarz-Weiß-Fotografien. Der Hintergrund und die Umgebung sind weiß und neutral gehalten. Nur ein auf einigen Fotografien zentral platzierter Tisch, auf anderen ein Stuhl und Küchenutensilien als feminin codierte Erweiterung seines ‚Dress‘ dienen der Betonung seiner Posen. Sie können als Aufforderung des Cross-Dressers verstanden werden, in einer bestimmten Weise fotografiert zu werden. Stötzer führt den Porträtierten in ihre Serien ein, indem sie ihn in unterschiedlichen Stadien des Sich-Be- und -Entkleidens zu sehen gibt. In Trans als Mann und den ersten Fotografien von Trans in Weiß wird der Prozess des Ankleidens und damit der Vollzug der Verwandlung betont: Der Cross-Dresser sitzt nackt am Boden, zieht sich Schuhe mit Absätzen an und legt in einer weiteren Sequenz auf einem Stuhl sitzend Strapse und High Heels an. In der weißen Serie probiert er einen Büstenhalter und ein Unterkleid an. In allen fünf Serien dominiert das Einnehmen verschiedener Posen [Abb. 56].235 Einige exemplarische Fotografien veranschaulichen diese Lesart: In der dritten Reihe der Serie Trans in Schwarz nimmt der Cross-Dresser eine schamhafte Pose ein [Abb. 57]. Er kreuzt beide Arme vor seiner nackten Brust. Diese Pose, die dazu dient, die Brüste vor zudringlichen Blicken zu schützen, sie gleichzeitig aber auch zu betonen, wird aufgrund (populär-)kultureller Prägungen aus dem Film oder der Werbung viel weniger Männern als Frauen zugeschrieben. Trans als Mann zeigt den Cross-Dresser in Slip und schwarzen High Heels mit adrett übereinander geschlagenen Beinen auf einem Stuhl sitzend – eine Körperhaltung, die ebenfalls vorrangig Frauen zugeschrieben wird. Die Serie Trans in Weiß präsentiert den Cross-Dresser in Fotografien mit starken Anschnitten, wobei die Kamera voyeuristisch auf seinen Hintern fokussiert. Zur Hervorhebung der verführerischen Pose stützt der Cross-Dresser die rechte Hand auf seine Hüfte, knickt sein linkes Bein ein, streckt sein rechtes und stellt den Hintern stark nach außen beziehungsweise zur Seite aus. Diese Pose entspricht dem Bild eines Pin-up-Girls, das den begehrenden Blick animiert. Einige Fotos später beugt sich der Cross-Dresser stark zur linken Seite, als ob er eine Falte oder einen Fleck am unteren Rand seines Kleides inspiziert. Im nächsten Foto hat er das Kleid nach oben gezogen, sein Penis ist zu sehen, er beugt sich erneut zur Seite, um seine Beine zu betrachten. Dabei scheint er so mit sich beschäftigt zu sein, dass er die Anwesenheit der Kamera nicht wahrnimmt, die vorgibt, ihn in einem unbeobachteten Moment zu fotografieren. Im darauffolgenden Bild hält er noch immer das Kleid nach oben, sein Penis
235 In diesem Zusammenhang trifft der Begriff der ‚Anprobe’ für das Anprobieren von Kleidungsstücken, aber auch als Theatervokabel zu. Die Anprobe von stark codierten Kleidungsstücken (und Rollen) geht hier buchstäblich mit der ‚Anprobe‘ – dem Ausprobieren oder Anprobieren – bestimmter Posen einher. Für diesen Hinweis danke ich Astrid Hackel.
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A bb . 56 Gabriele Stötzer, Trans in Weiß, aus: Mackenbuch, 1985
A bb . 57 Gabriele Stötzer, Trans in Schwarz, aus: Mackenbuch, 1985
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ist zu sehen, Gesicht und Blick sind leicht zur rechten Seite gewandt. Seine Hand liegt betont auf der Höhe des Dekolletés, seine Oberschenkel berühren sich leicht. Hier scheint die Pose vermeintlich ‚weibliche‘ Anmut, Sittlichkeit und Keuschheit zu vermitteln. Durch seinen unverhüllten Penis erfährt diese jedoch eine eindeutig sexuelle Aufladung und die Durchkreuzung des Weiblichkeitsentwurfs. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Was aber verdeutlichen diese Posen? Der Cross-Dresser bedient sich offensichtlich vornehmlich ‚weiblich‘ konnotierter Posen, die sich auf ein visuelles Repertoire beziehen, dessen Spektrum vom unschuldigen Mädchen über die reife, ihre körperlichen Reize bewusst ausspielende ‚Frau‘ bis zu sinnlichen Pin-up-Darstellungen und pornografisch aufgeladenen Haltungen reicht. Zwangsläufig setzt er damit die zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbaren „Darstellungsparameter“ (Silverman 1997:58) aus dem kulturellen Bildrepertoire ein. Anhand seiner Inszenierungen lässt sich eine Überlagerung verschiedener fotografischer und filmischer Darstellungen aus dem Bildrepertoire ablesen, die auf ‚Weiblichkeit‘, ‚Schönheit‘, ‚sexuelle Attraktivität‘, auf prostituierende oder schamhafte Inszenierungen referieren und zwischen Zeigen und Verhüllen des Körpers changieren. Auffallend ist, dass die eingenommenen Posen durchaus stereotypen Bildern und kulturellen Idealen entsprechen wollen. Die normativen Werte, die der Cross-Dresser in seinen Posen affirmiert, werden jedoch immer wieder (unbewusst) von seinem Körper selbst oder seiner Kleidung konterkariert und gebrochen. So scheint er in Trans als Mann nackt auf einem Stuhl sitzend fast zur Seite zu fallen, sein Oberkörper und rechter Arm nähern sich dabei bedrohlich dem Boden. Was als laszive oder elegant liegende Pose in Trans mit Küchenutensilien angelegt ist, ähnelt eher einem ungenierten Lümmeln [Abb. 58].Versuche, den Ober- und Unterleib in Richtung Kamera zu strecken, während der Cross-Dresser sich mit seinen Armen am viel zu niedrigen Tisch abstützt, erscheinen in der gleichen Serie weniger verspielt als bemüht und angestrengt. Das Erscheinungsbild seines entblößten, direkt vor der Kamera positionierten Hinterns in Trans in Weiß entspricht schwerlich dem Ideal weiblicher Körperformen, unter dem angeschnittenen Verschluss des Büstenhalters bilden sich zudem unvorteilhafte Hautfalten. Einige der Kameraperspektiven erweisen sich darüber hinaus als enorm nachteilig, wenn sich beispielsweise der Cross-Dresser im weißen Kleid nach vorn beugt und der Rahmen des Bildes schwer auf seinem Hinterkopf lastet, ihn fast zu erdrücken scheint. Die Fotografien machen so eine Diskrepanz zwischen dem Entwurf und dem Ergebnis der eingenommenen Pose auf. Mit diesen Mängeln und Schwächen weichen sie vom normativen Ideal ab und verweisen in der Bildwerdung des Subjekts zugleich auf den Konstruktionscharakter der Kategorien ‚weiblich‘ und ‚männlich‘. In den Annäherungsversuchen des Cross-Dressers an ein Schönheitsideal der ‚Frau‘ und sein parallel dazu nicht intendiertes
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A bb . 58 Gabriele Stötzer, Trans mit Küchenutensilien, aus: Mackenbuch, 1985
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Abweichen und Scheitern wird zugleich offenbar, wie sehr wir als Betrachter*innen – und speziell unser Sehen – vom Bildrepertoire bestimmt sind. Mit dem Begriff „Bildschirm“ (screen) beziehungsweise dem „kulturellen Bildrepertoire“ bezeichnet Silverman das gesamte Spektrum der zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbaren Darstellungsparameter. Das, was sich uns fast unvermeidlich aufdrängt, nennt sie das „Vor-gesehene“ (ebd.). Dieses „Vor-gesehene“ haben wir mitunter derart internalisiert, dass wir bestimmten Wahrnehmungen automatisch normative Bedeutungen unterlegen, wie Schwarzer Haut, weiblichen Körperformen oder den Lumpen obdachloser Menschen. Unser Auge ist dennoch, wie Silverman unterstreicht, in der Lage, auch schöpferisch zu sehen und „abweichende“ Sichtweisen anzunehmen (ebd.:59). In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass sich Stötzer den fotografischen Blick, der in der Regel ‚männlich‘ konnotiert ist, aneignet, ihn umarbeitet und damit die hierarchische Ordnung vom ‚männlichen‘ Sehsubjekt und ‚weiblichem‘ Sehobjekt doppelt stört. Stötzers Fotoserien zeigen, welches Potenzial in den Darstellungskriterien der (unwillkürlich) eingenommenen und abweichenden Posen liegt und zugleich in der Hinterfragung unseres Wahrnehmungsaktes. Die Künstlerin fängt mit ihrer Kamera verschiedene Momente der Verwandlung, des Anbzw. Ausziehens, des Sich-in-Pose-Setzens und Sich-Zeigens ein. Sowohl in der Gesamtheit der Serien, in der Abfolge mehrerer Aufnahmen, aber auch innerhalb einer einzelnen Fotografie ist das Spannungsverhältnis zwischen dem Einnehmen normativer Posen und ihrem Divergieren wie auch zwischen der visuellen Repräsentation von Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfen und ihrer Verflüssigung angelegt. Die Cross-Dresser-Serien nehmen eine singuläre Stellung für die von Künstlerinnen produzierten Männerbilder ein. Meine Ausführungen zur Visualisierung alternativer Geschlechtsidentitäten weiter oben haben Performances und Modenschauen mit Entwürfen queerer Männlichkeit und Aufnahmen von Fotografinnen wie Gundula Schulze und Eva Mahn erwähnt. Stötzer führt mit Trans als Mann und allen anderen dazugehörigen Folgen zwar nicht die dritte Kategorie des Cross-Dressers in die Kunst der DDR ein. Durch facettenreiche Reihung, Wiederholung und Variation innerhalb ihrer Serien aber verweist sie konsequent auf den Konstruktionscharakter der Kategorie Geschlecht und verunmöglicht die Versuche geschlechtlicher Zuordnung und Fixierung.
3.2.7 ‚Macken‘ Stötzer vereint in ihrem Mackenbuch Bilder von Menschen, die in der ersten Öffentlichkeit der DDR ausgegrenzt und stigmatisiert wurden. Dazu gehören Künstler*innen und ihre ungewohnten bildkünstlerischen Darstellungen des leidenden und lustvollen weiblichen und männlichen Körpers, die rebellisch
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auftretenden Punker*innen sowie Cross-Dresser, die durch die Inszenierung ‚anderer‘ Geschlechtsidentitäten von den heteronormativen Zwängen der Gesellschaft abweichen. Die im Buch Porträtierten unterscheiden sich nicht nur deutlich vom Bild der ‚sozialistischen Persönlichkeit‘, sondern sind zudem behaftet mit ‚Mängeln‘ und ‚Defekten‘. Mit ihrem Verhalten und Dress-code ver-rücken sie vermeintlich fixierte Kategorien der ‚Normalität‘ und des ‚Geschlechts‘. War in Frauen miteinander die Suche nach einer grundlegenden Neuorientierung und Neupositionierung ‚weiblicher‘ Sexualität und Subjektivität vorrangig, so gibt Stötzer in ihrem Mackenbuch den Transfer von Identitäten, die Mehrdeutigkeit, Ambiguität und Instabilität von Geschlechterrollen zu sehen. Stötzers Serien schaffen gleichermaßen einen Möglichkeitsraum, in dem das Verstörende und Destabilisierende seine visuelle Artikulation findet. Nicht nur ihr Buch sympathisiert mit den Ausgeschlossenen der Gesellschaft – Stötzer selbst verkörpert diesen Status als marginalisierte, kriminalisierte Frau und Künstlerin der zweiten Öffentlichkeit. Aus diesem Grund gibt sich die Künstlerin im Künstlerbuch auch immer wieder in Selbstinszenierungen zu sehen. Gerade der private Raum, in dem die Körperinszenierungen, insbesondere die des Cross-Dressers realisiert werden konnten, sowie der symbolische Möglichkeitsraum ihrer Fotografien werden durch die Interventionen der Staatssicherheit gestört. Die Entstehung ihrer ersten Super-8-Filme ist bereits erheblich davon betroffen. Einer der beiden Akteure von Kai und Karsten ist, wie sich später herausstellen sollte, ein Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit, der unter anderem auch dafür sorgte, die Freundschaft zwischen Heike Stephan und Gabriele Stötzer zu ‚zersetzen‘. Auch der Protagonist ihres Filmes Spitze ist vom Geheimdienst als IM ‚Breaky‘ auf Stötzer angesetzt. Mit Hitlergruß am Dom und anderen verbotenen Aktionen sollte er eine Verhaftung Stötzers provozieren. Da die Künstlerin diese Handlungen sofort unterbindet und nicht in ihren Film integriert, kann sie nicht belangt werden.236 Wie Stötzer – die nicht nur symbolisch mit ihrer Kunst, sondern auch in ihrer Lebensrealität gegen jede Form staatlicher und patriarchaler Zurichtung revoltiert – nach 1989 aus ihren Akten erfahren sollte, wurde ihr auch der Cross-Dresser zum Fotografieren von der Staatssicherheit zugespielt. Für ihre Trans-Serien sollte er Stötzer zu pornografischen Bildern animieren. Als Stötzer die Fotografien in einer Ausstellung der zweiten Öffentlichkeit präsentiert, erhält sie tatsächlich eine Anklage wegen Pornografie. Da Pornografie in der DDR per Definition jedoch die Darstellung des direkten Geschlechtsverkehrs beziehungsweise eines erigierten Gliedes bedeutet, konnte sich Stötzer erfolgreich wehren; die Anklage wurde zurückgezogen.237 236 Gabriele Stötzer im Gespräch mit der Autorin, 21.04.2015. 237 Ebd.
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Die ‚Zersetzungsmaßnahmen‘ der Staatssicherheit richteten sich somit nicht nur auf die Person, sondern in besonderem Maße auch auf die Künstlerin Gabriele Stötzer und ihre Kunst. Damit verbunden war der Versuch, nicht nur in ihre künstlerische Praxis zu intervenieren, sondern auch Voraussetzungen für ihre strafrechtliche Verfolgung zu schaffen (Sasse 2016). Zur Ironie der Entstehungsgeschichte des Mackenbuches und ihrer frühen Filme gehört, dass es letztlich der Geheimdienst der DDR selbst ist, der Stötzer die besten ‚Modelle‘ für ihre radikalen Männerbilder liefert.238 Mit ihren auf Fotografie und Film aufgezeichneten Inszenierungen gelingt es Stötzer, die in der Gesellschaft und visuellen Repräsentation der DDR virulenten tradierten Männlichkeitsentwürfe und die Geschlechterbinarität nicht nur zu durchkreuzen, sondern auch zu verflüssigen. Welche kompromisslosen Gegenbilder tradierter Weiblichkeit Stötzers enge Künstlerkollegin Heike Stephan insbesondere vor der Folie historischer Bezüge herzustellen versucht, wird das nächste Kapitel beleuchten.
3.3 (Re-)Aktionen zur Emanzipation von Frauen. Heike Stephan zeigt Revolution & Erotics in New York 3.3.1 Biografische Kontexte 1953 im thüringischen Blankenhain geboren und in der Nähe von Erfurt aufgewachsen, geht Heike Stephan nach Schulabschluss in die sozialistische Produktion. Für kurze Zeit ist sie Laborantin in der Tierzucht einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG). Nach der Geburt ihres Sohnes 1973 ist sie durch die Abwesenheit ihres Mannes, der in Freiberg studiert, weitestgehend alleinerziehende Mutter und auf ein eigenes Einkommen angewiesen. Durch die sozialpolitische Zielsetzung des Staates, Frauen in die Erwerbsarbeit zu integrieren, unter anderem durch den Ausbau einer breit gefächerten Infrastruktur zur Betreuung von Kindern in Krippen und Kindergärten, ist es Heike Stephan möglich, im Einklang mit dem Frauenleitbild der ‚berufstätigen Mutter‘ arbeiten zu gehen. Als ungelernte Näherin am Fließband im VEB Reh-Kinderbekleidung, der qualitativ hochwertige Textilien nach Westdeutschland exportiert, die Kinder im eigenen Land dafür mit weniger widerstandsfähigen Stoffen bestückt, ist Stephan nicht nur mit der Realität der industriellen Textilproduktion in der DDR, sondern auch mit den
238 In ihrem 2005 entstandenen Film Toxin, der den Titel eines Operativen Vorgangs trägt, thematisiert die Künstlerin durch den Zusammenschnitt von abgefilmten Aktenauszügen und von Szenen aus ihren Filmen Kai und Karsten, Spitze und ... hab ich euch nicht blendend amüsiert? die ‚aktive Mitarbeit‘ des Geheimdienstes an ihrem künstlerischen Schaffen.
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Folgen ostdeutscher Frauenpolitik zwischen Gleichberechtigung und Diskriminierung konfrontiert. Die Textilbranche, in der vorrangig Frauen arbeiteten, gehörte zu den Industriezweigen mit dem niedrigsten Einkommensniveau.239 Hier lernt sie auch die hierarchischen Strukturen und Härten im Berufsalltag der Arbeiterinnen kennen. Der jungen, nicht ausgebildeten Näherin gelingt es jedoch schnell, als Springerin qualifizierte Arbeit an allen Stationen des Fließbands zu leisten. Ihre erworbenen Fertigkeiten als Näherin werden zu einer der maßgeblichen Voraussetzung für ihre künstlerische Arbeit, in der Textilien sowie genähte Collagen und Grafiken eine zentrale Bedeutung einnehmen. Die Erfahrung, als junge Mutter durch eigene Arbeit ökonomisch unabhängig zu sein, prägt Stephans Selbstverständnis als Frau nachhaltig – und ihr Verständnis von weiblicher Emanzipation in der DDR. Von 1975 bis 1979 studiert sie Kunst und Germanistik an der Pädagogischen Hochschule Erfurt. Der Lehrplan sieht unter anderem Malerei, Farbübungen, Radierungen und Schriftlehre vor. Als Mutter eines Kleinkindes kann Stephan über ihre Studienzeit relativ autonom verfügen und sich dem strikt politisch ausgerichteten Lehrplan zum Teil entziehen.240 Nach ihrem Studium und einem zweimonatigen Einsatz an einer Schule versucht sie, den Sektor der sozialistischen Volksbildung zu verlassen, um sich selbstständig zu machen. Dieses Vorhaben gelingt nur über Umwege. Sie gibt – so absurd das klingen mag – vor, suizidgefährdet zu sein und wird in eine stationäre Klinik eingeliefert. Diese darf sie jedoch allabendlich verlassen, um für ihren Sohn da zu sein. Nach einigen Monaten wird sie als ‚geheilt‘ entlassen, soll erneut als Lehrerin eingesetzt werden und weigert sich ein zweites Mal. Unter der Voraussetzung, keinen Anspruch auf spätere Rentenzahlung zu erheben, wird sie schließlich aus dem Schuldienst entlassen und kann ein unabhängiges Künstlerinnendasein beginnen.241 Von 1980 an lebt die damals Siebenundzwanzigjährige vom Verkauf selbst genähter und bemalter Seidenkleider mit avantgardistischem Erscheinungsbild. Um sich als Freiberuflerin nicht straf bar zu machen, holt Stephan eine sogenannte ‚Verkaufs- und Preisgenehmigung‘ ein, die es ihr ermöglicht, ihre Kollektionen zu verkaufen. Sie empfiehlt ihre Kundinnen weiter an Gabriele Stötzer, die in dieser Zeit vom Stricken von Wollpullovern lebt. Stötzer wiederum nimmt Serien experimenteller Modefotografie auf, auf denen junge Frauen in den Kleidern Stephans zu sehen sind. Im selben Jahr, in dem die
239 Vgl. Kap. 1.1.2 Berufsbild Künstlerin. 240 Auf die Anfangszeit ihres Studiums fällt die aus politischen Gründen vollzogene Exmatrikulation ihrer späteren Künstlerkollegin Gabriele Stötzer, die an der Hochschule von 1973 bis 1976 studierte. 241 Heike Stephan im Gespräch mit der Autorin, 31.03.2015.
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Berliner Modegruppe chic charmant und dauerhaft in der Wohnung der Fotografin Helga Paris ihren ersten Auftritt hat, initiieren die beiden Frauen ein Künstlerfest bei dem Schmuckgestalter Rolf Lindner und der Architektin Stephanie Lindner, die seit 1978 Erfurter Künstler*innen zum alljährlichen Fest der Collage einluden und ihre Wohnung schon zuvor mit Ausstellungen, Gesprächsrunden und Veranstaltungen als Zentrum der zweiten Öffentlichkeit Erfurts etabliert haben. Auf diesem Künstlerfest präsentiert Stephan 1983 ihre erste Modenschau mit den von ihr entworfenen Seidenkleidern, während Stötzers handgewebte und mit Naturfarben kolorierte Wandteppiche den Bühnenhintergrund bilden [Abb. 59–61]. Dieser Abend steht beispielhaft für die Verbundenheit der verschiedenen Szenen der zweiten Öffentlichkeit, in der auch die Verflechtung angewandter und freier Kunstformen praktiziert wird. Aus Ostberlin reisen Cornelia Schleime, Gino Hahnemann, Helge Leiberg und Sascha Anderson an, die ihre Super-8-Filme präsentieren und experimentelle Musik machen. Das Nähen ist für Stephan – wie auch für zahlreiche andere Kulturschaffende – eine existenzielle Einkommensquelle. Zugleich stehen die Modekreationen für den programmatischen Individualismus und die Inszenierung alternativer Lebensstile der Protagonist*innen der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit. Die Aktivitäten Stephans und ihre enge Kooperation mit Gabriele Stötzer bleiben der Staatssicherheit nicht verborgen. Wie aus Aktenaufzeichnungen hervorgeht, versucht im Oktober 1982 der Geheimdienst, Stephan als IM zur „weiteren zielgerichteten Bearbeitung des OV ‚Toxin‘“ gegen ihre Kollegin zu gewinnen.242 Laut Protokoll aber signalisiert Stephan eine eindeutig – und in Anbetracht einer solchen Gesprächssituation und Forderung des Geheimdienstes unerschrockene – „politisch-negative Grundhaltung“ zum Staat, wobei sich „ihre Denk- und Verhaltensweisen in Übereinstimmung mit deren der im OV ‚Toxin‘ bearbeiteten Person befinden“, was unter anderem daran festgemacht wird, dass sie die „politisch-negativen Aktivitäten“ ihrer Kollegin unterstützt und ihre Wohnung für Treffen „unter dem Deckmantel sogenannter ‚Zeichenabende‘ zur Verfügung stellt“.243 Aus diesem Grund wird Stephan
242 BStU – Außenstelle Erfurt XX, IX 476/81, OV Toxin, Bl.68, Mitarbeiter: Noack, „Beschluss über die Archivierung des IM-Vorlaufes“, Erfurt, 21.10.1982 (Aktenkopie, Archiv Gabriele Stötzer). 243 Ebd. Einen Monat nach dem sogenannten ‚Kontaktgespräch‘ des Geheimdienstes mit Stephan wird in den Akten ihrer OPK Applikation festgehalten, dass „entsprechende Maßnahmen der Verunsicherung und der Zersetzung bei der St. [Stephan, A.R.] und ihres Verbindungskreises einzuleiten“ seien. Damit ist u.a. der Mal- und Zeichenzirkel gemeint, der wöchentlich bei der Künstlerin zusammenkommt und als „politisch-oppositioneller [...] Personenkreis“ eingestuft wurde. Vgl. BStU – Außenstelle Erfurt XX/7, IX 1280/82, Bl. 2, Mitarbeiter: Stieler, „Übersichtsbogen zur operativen Personenkontrolle ‚Applikation‘“, Erfurt, 22.11.82.
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A bb . 59–61 Heike Stephan, Modenschau (gemeinsam mit Gabriele Stötzer (Webdecken) und Matthias von Hinzenstern), 1983, Künstlerfest bei Rolf und Stephanie Lindner, Erfurt
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innerhalb der sogenannten ‚KK-Erfassung‘ auch in Zukunft unter Operativer Personenkontrolle gehalten.244 Obwohl Autodidaktin und unter Beobachtung der Staatssicherheit, gelingt es ihr 1982 gleich beim ersten Versuch, als Kandidatin des Verbands Bildender Künstler aufgenommen zu werden, was einer absoluten Ausnahme entspricht. Stephan betrachtet ihre VBK-Mitgliedschaft auch als Zeichen ihrer Akzeptanz als Frau und Künstlerin und somit als Ausdruck von „Gleichberechtigung“ (zit. nach Förster 1992:68). Dementgegen wird sie weder der Sektion Malerei/Grafik noch der Fotografie, sondern aufgrund ihrer Arbeit mit Textilien als ihrem primären künstlerischen Material dem Kunsthandwerk zugeordnet. Unter diese Rubrik fielen auch Künstler*innen, die in keiner der entsprechenden Sektionen der ‚hohen‘ Kunst an einer Kunsthochschule studiert hatten und deren künstlerische Praxis eine klare Kategorisierung von vornherein ausschloss.245 Aufgrund ihrer künstlerischen Arbeit in verschiedenen Kunstgattungen und ihres unkonventionellen Einsatzes von Materialien wird Stephans Status als Kandidatin des VBK um weitere eineinhalb Jahre verlängert, bis sie 1987 die vollwertige Mitgliedschaft erhält. Dieser Status, der gewöhnlich nach einer dreijährigen Kandidaturperiode und einer erfolgten Prüfung erfolgt, ist, wie weiter oben erwähnt, für Künstler*innen in der DDR die grundlegende Voraussetzung für einen professionellen Werdegang. Er bedeutet nicht nur ein regelmäßiges Einkommen durch Auftragsarbeiten und die Teilnahme an Ausstellungen. An erster Stelle dient er der Legalisierung ihrer künstlerischen Arbeit, da eine selbstständige Tätigkeit als Künstler*in in der DDR nicht erlaubt ist.246 Als Kandidatin des VBK erhält Stephan bereits Anfang der 1980er Jahre die Möglichkeit, vor allem ihre Nähgrafiken im Rahmen von Ausstellungen angewandter Kunst und der Textilgestaltung wie bei Textil ’85 in den Kunstsammlungen zu Weimar (1985) zu präsentieren. Aber auch ihre fotografischen Arbeiten kann sie in Ausstellungen der ersten Öffentlichkeit, darunter Künstler fotografieren – fotografierte Künstler in der Dresdner Stadtbezirksgalerie Galerie Mitte (1984), zeigen. Ihre Körperaktionen hingegen realisiert Stephan – bis auf die Ausnahme Seide Körper Wind (1983) in der Erfurter Umgebung, – bis 1987 ausschließlich ohne Publikum in der privaten Sphäre ihres Ateliers.
244 KK steht als Abkürzung für Kerblochkartei, die alle grundlegenden Informationen über die überwachte Person enthielt, gegen die eine Operative Personenkontrolle oder ein Operativer Vorgang der Staatssicherheit lief. Erfasst waren die Angaben im Klartext, sensible Daten wurden per Kerblochung codiert. Vgl. http://www.runde-ecke-leipzig.de/sammlung/Zusatz.php?w=w00002 [letzter Zugriff: 16.05.2016]. Zu den Begriffen OPK und OV vgl. Kap. 1.1.1 Frauenrechte und politische Partizipation. 245 Zur hierarchischen Struktur und strikten Trennung von freien und angewandten Künsten vgl. Kap. 1.1.2 Berufsbild Künstlerin. 246 Vgl. dazu auch Kap. 1.4.1.1 Spannungsverhältnisse.
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Stephan ist weder zu den Künstlerinnen zu zählen, die (ausgeprägte) Kenntnis von östlich und westlich geprägten feministischen Diskursen oder von der Zweiten Frauenbewegung hatten, beziehungsweise diese konkret für ihre künstlerischen Arbeit einsetzten, noch versteht sie sich selbst als Feministin.247 Und obwohl sie sich als akzeptiertes Mitglied der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit und durch ihre Mitgliedschaft im VBK auch der ersten Öffentlichkeit betrachtete, trieben sie Fragen weiblicher Emanzipation und Gleichberechtigung um, die sie nicht als gegeben voraussetzte. Inspiration für ihre rebellischen Frauenfiguren und alternativen Körperbilder innerhalb ihrer bildkünstlerischen Werken und ihrer Performances erfuhr sie insbesondere durch die enge Zusammenarbeit mit Frauen aus ihrem unmittelbaren Umfeld und Kolleginnen wie Gabriele Stötzer und Cornelia Schleime sowie durch die Auseinandersetzung mit literarischen Stoffen.
3.3.2 Lustvolle Köper: SINGER-Grafiken Stephans Erfurter Atelier dient als Ort gemeinschaftlicher Abende für Aktmalerei, die einem offenen Malzirkel ähneln. Sowohl Künstlerinnen als auch Künstler ihres Erfurter Freundeskreises stehen sich gegenseitig Modell. In dieser Zeit ersetzt sie den Bleistift durch die Nadel, um figürlich-abstrakte Nähgrafiken zu fertigen. Unter dem Titel SINGER-Grafiken (1983–1986), die Stephan nach dem Hersteller ihrer Nähmaschine benennt, entwickelt die Künstlerin Aktzeichnungen [Abb. 62]. Diese reihen sich in die bildkünstlerischen Repräsentationen von Geschlecht bei Doris Ziegler, Mita Schamal, Angela Hampel oder Gabriele Stötzer ein, in denen die Konstruktion der Geschlechterbinarität sowie der heteronormative Blick gestört werden.248 Stephans Zeichnungen zeigen jeweils ein oder zwei expressionistisch verzerrte und in ihren Gliedmaßen stark verlängerte, ansonsten eher gestauchte Frauenkörper mit schweren Brüsten und weit geöffnetem Schoss. Auf einem der Blätter ist ein weiblicher Akt zu erkennen, der unter einem anderen hockend mit weit geöffnetem Mund fast die Schamlippen der zweiten weiblichen Figur berührt. Die klare, mitunter auch stark verdichtete Fadenführung auf dem Blatt betont und verschleiert zugleich den erotischen Akt der beiden gleichgeschlechtlichen Figuren. In den Einzelakten ihrer Grafiken thematisiert Stephan sexuelles Begehren und autoerotische Lust.249 Ihre abstrakten Nähgrafiken sind vorrangig Collagen aus Folien, Fotonegativen, Seitenstreifen von Fotos und Druckfolien von Zeitungen. Darauf zeichnet
247 Heike Stephan im Gespräch mit der Autorin, 31.03.2015. 248 Vgl. Kap. 2.1.3.1 Leitbilder und Kap. 2.1.3.3 Queere Bilder. 249 Die meisten der Arbeiten existieren nicht mehr im Original, sondern nur noch als fotografische Reproduktion von mitunter schlechter Qualität, darunter die beschriebene Grafik.
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A bb . 62 Heike Stephan, SINGER-Grafik, 1983
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die Künstlerin mit Faden oder sie perforiert die Folien mit der Nadel. Diese Arbeiten sind ein frühes Zeugnis von der Beschäftigung mit Stofflichkeit und Struktur von Materialien, insbesondere mit den künstlerisch nutzbaren Möglichkeiten von Kunststofffolien und Textilien. Mit dem veränderten Einsatz von Textilien, der von der avancierten Kleidung hin zum experimentellen künstlerischen Material reicht, wertet Stephan gleichermaßen das Nähen als unbeachtete weibliche Produktionsform von einer gestaltenden und angewandten zur künstlerischen Praxis auf. Ihrem Collageverfahren liegt ebenso das zerstörende Moment zu Grunde, das sich durch ihre Werkbiografie als kreativer Impuls bis in die Gegenwart zieht. Hier ist es jedoch nicht Klebstoff, sondern der Textilfaden, der die einzelnen, verschiedenen Zusammenhängen entnommenen Teile und Schichten der Collagen verbindet und in Form eines neuen komplexen Ganzen zusammenhält. Folie als transparentes Element, das Sichtbarkeit, Spiegelung und gleichzeitig Unschärfe zulässt, setzt die Künstlerin neben Seidenstoffen als bevorzugtes Material für ihre Körperinszenierungen und für die Präsentation ihrer fotografischen Arbeiten ein. In ihrer Gemeinschaftsausstellung mit Karla Woisnitza 1987 in der Berliner Galerie Weißer Elefant zeigt Stephan zwei großformatige Wandarbeiten, anhand derer sie das Prinzip ihrer Nähcollagen weiter in den Raum hinein verlagert. Woll-, Mull- und Garnreste eines im Steppdeckenprinzip gefertigten Wandbehangs hatte Stephan mit einer milchigen Kunststofffolie umschlossen. Die zweite Wandarbeit besteht aus einem gesteppten, weißen Baumwollstoff, auf den die Künstlerin eine Klarsichtfolie appliziert hatte, in der sich Fotografien ihrer Körperaktionen befinden. Ihre SINGER-Grafiken nähte Stephan in eine großformatige Folie ein, die sie im Raum installierte.250 So konnten die Zeichnungen von beiden Seiten betrachtet werden, während die Spuren des Entstehungsprozesses weiterhin sichtbar blieben. Neben der Wahl ihrer künstlerischen Sujets erklärt diese Tatsache, warum Stephans Grafiken im Zusammenhang ihrer Aktionen erwähnenswert sind. Auf ihnen sind die prozessualen Verläufe ihrer künstlerischen Schritte und Entscheidungen eingeschrieben und für die Rezipient*innen als solche nachvollziehbar.
3.3.3 Vom Textil zum Körper Stand lange Zeit die Bekleidung des Körpers und die Bearbeitung textiler Stoffe im Vordergrund von Stephans künstlerischer Praxis, tritt schließlich der weibliche Körper als Material und Medium innerhalb ihrer fotografischen (Selbst-)Inszenierungen in Aktion. Folien, Seidenstoffe und Farbe kommen dabei weiterhin zum Einsatz. 250 Da weder die Arbeiten erhalten sind, noch eine ausreichende fotografische Dokumentation der Ausstellung existiert, stützt sich die Beschreibung auf die Rezension Barbara Rüths (1987).
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Analog zu Stötzers fotografischer Inszenierung Frauen miteinander (1982/83) und zu ihrer Selbstdarstellung in Abwicklung (1983) inszeniert sie sich selbst in der Ambivalenz der traditionellen ‚weiblichen‘ Position als Objekt des Blickes und als Akteurin, die den ihr zugeschriebenen Status zurückweist und dagegen rebelliert. Im ersten Teil ihrer Inszenierung Der Leib wird Grab und Durchgang aller lebender Körper werden die getötet sind (1983) wird ein zwischen Kamera und Künstlerin fixiertes Glas mit starken Farbverläufen immer dichter bemalt, bis ihr Körper im Bild verschwindet. In einer der fotografischen Aufnahmen scheinen sich Künstlerin und Bildoberfläche sinnbildlich zu umarmen [Abb. 63–65]. Ähnlich inszeniert sich Stephan in einer dreiteiligen Serie (o.T., o.J.), in der sie vor und hinter einer im Bildraum aufgespannten Folie agiert [Abb. 66–68]. Ihr Körper ist hier nicht nur künstlerisches Material, sondern geht ganz im Kunstwerk, im Bild selbst auf. Im ein Jahr später entstandenen zweiten Teil von Der Leib agiert Stephan vor Papierbahnen, die sie mit ihrem Körper und ihren Händen bemalt, indem sie sich wiederholt sowohl von vorn als auch von hinten dagegen presst. Unter gesteigertem, entfesseltem Körpereinsatz agiert die Künstlerin schließlich auf dem Atelierboden, der seinerseits mit großformatigen Zeichenblättern ausgelegt ist. Mit offensichtlich erotischem Vergnügen wälzt sich Stephan auf dem Boden, badet ihren Körper in Farbe, öffnet ihre Beine und ihre Scham dem voyeuristischen Blick des Betrachters, und präsentiert lustvoll ihr Hinterteil. Damit gibt sie zwar ihren eigenen nackten Körper und ihre sexuelle Aktivität zu sehen, aktiviert aber im Sinne von Sylvia Eiblmayrs Analyse zur „Frau als Bild“ die Metapher des Körper-Bildes und Bild-Körpers, das heißt, ihr Körper bleibt letztlich in seiner „repräsentativen Verfaßtheit“ gefangen (Eiblmayr 1993:143). Denn ohne einen tatsächlichen Bruch mit den patriarchalen Zuschreibungen als Objekt des Begehrens und ihrem Bildstatus sind, wie Rozsika Parker und Griselda Pollock unterstreichen, diese Bilder easily retrieved and co-opted by a male culture because they do not rupture radically meanings and connotations of women in art as body, as sexual, as nature, as an object for male possession [...]. (Pollock & Parker 1981:130) Stephans Körperaktionen und ihre fotografische Repräsentation verweisen somit auf das Changieren zwischen zwei Polen: der Mythologisierung des weiblichen Körpers, ihrer Fixierung im Bild der Frau und der positiv konnotierten Vorstellung der Frau als selbstbestimmtes, aktives Subjekt, das jedoch ihrerseits identifikatorische Effekte mit sich bringt. In ihren Körperinszenierungen mit Seidenstoffen und Folien thematisiert die Künstlerin die An- und Abwesenheit des weiblichen Körpers. Sie ist fasziniert von der Materialität von Seide, die in trockenem Zustand leicht, durchlässig und organisch wirkt, wohingegen die Textilfaser erstickende Effekte
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A bb . 63–65 Heike Stephan, Der Leib wird Grab und Durchgang aller lebender Körper werden die getötet sind, 1983
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A bb . 66–68 Heike Stephan, o.T., o.J.
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entfaltet, sobald sie nass ist. Eine Serie (o.T., o.J.) zeigt Stephan von Kopf bis Fuß von einem nassen Seidentuch fest umschlossen. Jegliche Bewegungsmöglichkeit scheint ihr in dieser engen Hülle genommen. Die Umwicklung und Umhüllung des Körpers, insbesondere des Kopfes, ist ein wiederkehrendes Motiv feministischer Performances und fotografischer Inszenierungen. Erinnert sei an Françoise Janicots Performance Ecoconnage (1972), in der ihr Kopf vollständig in eine dicke Schnur gewickelt ist, an Angelika Festas Untitled Dance (1987), worin die Künstlerin Bilder von Mumifizierung und zugleich eines schützenden Kokons aufruft, an Fina Miralles’ fotografische Serie Emmascarats (1976), in der die Künstlerin mit einer Plastiktüte auf dem Kopf versucht ein- und auszuatmen, oder in der sie ihre Augen, Nase und Mund fest mit einem Lederriemen umschließt. Auch Heike Stephan, Gabriele Stötzer und Cornelia Schleime produzieren in ihren Körperinszenierungen diese Metaphern für das Eingeschlossensein und die Sprachlosigkeit in der repressiven Enge des ostdeutschen Staates und in den tradierten Zuschreibungen als Frau und Künstlerin. In ihrer 1983 entstandenen Serie stellt Stephan Bilder eines weiblichen Subjekts her, das ganz von einer semitransparenten Folie (o.T.) umhüllt wird [Abb. 69–71]. Dienten die Folien ursprünglich als in den Raum verspannte Bildträger, umschließen sie hier dreidimensionalen Objekten gleich die Künstlerin. Zu sehen ist, wie die Akteurin unter vollem Einsatz ihres Körpers versucht, sich Bewegungsraum zu verschaffen und diese dünne Wand zu durchtrennen oder abzustreifen. Diese Ausbruchsversuche und Attacken gegen ihre Fixierung – auch als Bild – gelingen ihr nur bedingt. Indem die Folie im Prozess der Aktion ihren Körper wiederholt unscharf und fragmentiert erscheinen lässt – deutlich zu sehen sind nur die Körperteile, die sich wie ihre Hand, ihr Fuß oder der Kopf direkt gegen die Folie pressen – wird das Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Fixierung als Bildobjekt und seiner Aufhebung stets neu verhandelt. In der Aktion Strahlende Schönheit ergießt sich in die Landschaft (1984) bedeckt Stephan ihr Gesicht, ihre Haare und ihren Körper mit einer Schicht nasser Erde, die langsam trocknend den Alterungsprozess und Verletzungen der Haut symbolisiert. Ihre Fotoserie, insbesondere Aufnahmen der Schulter- und Rückenpartie und ihres Gesichtes, überführt sie in eine Reihe großformatiger Siebdrucke mit starken Schwarz-Weiß-Kontrasten, in denen die grobe und rissige Oberflächenstruktur ihrer ‚zweiten‘ Haut in überhöhter Form erscheint. Bei der Bemalung einer jungen Freundin mit Acrylfarbe versucht die Künstlerin unter dem Titel Leben stört immer (1984) die Faltenbildung der Haut zu visualisieren, was durch das Trocknen der Farbe auf der Haut einen schmerzhaften Prozess darstellt. Diese Aktionen stehen für die Herstellung von Körperbildern, die den Übergang zu tabuisierten Zonen des Alters, der Krankheit oder des Todes erproben. Stephans rein fotografische Arbeit spiegelt diese Grenzgänge gleichermaßen wieder: In der Serie Hedwig (1984) porträtiert
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A bb . 69–71 Heike Stephan, o.T., 1983
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Stephan ihre Großmutter und zeigt das faltige und furchige Gesicht, die knöchernen Hände und schmalen Beine der alten Frau. Noch vor der Serie Tamerlan (1985) der Fotografin Gundula Schulze ist es Stephans Serie, die eine alte Frau zum Sujet in der Fotografie erhebt. Zeitgleich entsteht Stötzers Serie Gespräche (1984) mit einer älteren Frau, die sie im Krankenhaus porträtiert. Stephan denunziert nicht das Alter, sondern zeigt unverstellt seine Spuren und gleichzeitig die individuelle Schönheit des weiblichen Körpers in der Spätphase des Lebens.
3.3.4 „Aktionistische Raumkunst“251 Mit ihrem Umzug nach Berlin und der Begegnung ihres zukünftigen Partners, des Dramatikers Jochen Berg, mit dem die Künstlerin dreizehn Jahre zusammenlebt, verändert sich Stephans Freundeskreis, zu dem zukünftig vor allem Autorinnen und Autoren gehören. Es entstehen zahlreiche fotografische Porträts von Autor*innen, darunter Elke Erb, Raja Lubinetzki und Bernd Igel, der später unter dem Namen Jayne-Ann Igel die Identität einer Frau annimmt. Gemeinsam mit Egmont Hesse, der seine Lyrik unter dem weiblichen Pseudonym Uta Johanna veröffentlicht, realisiert Stephan 1985 das Künstlerbuch Tentakel. Darin eröffnen Hesses verknappte und elegische Zeilen über die Vergänglichkeit des Lebens und die Unabwendbarkeit des Zeitlichen zusammen mit Stephans sinnlichen SINGER-Grafiken einen kontrastreichen Resonanzraum. Nachdem Stephan ihre Körperinszenierungen nur in der privaten Sphäre ihres Ateliers ausführen konnte, gelingt es ihr ab Mitte der 1980er Jahre auch an Aufführungsorten der zweiten und ersten Öffentlichkeit mit Aktionen aufzutreten. Im Rahmen einer sogenannten ‚Friedenswerkstatt‘ verwirklicht sie 1986 gemeinsam mit Gino Hahnemann im Altarraum der Erlöserkirche in Berlin-Rummelsburg eine Performance. Auf Super-8-Film aufgenommen, bildet sie den Ausgangspunkt von Hahnemanns im gleichen Jahr entstandenen Film September September.252 Auf den Filmaufnahmen sieht man, wie die beiden Darstellenden auf eine vor dem Kruzifix aufgespannte Folie Farbe auftragen und spritzen sowie assoziative Gedankenfragmente in großformatigen Buchstaben darauf schreiben. „Heimat ist dort wo der Spiegel steht“ kann durchaus als Hinweis auf die Ausreisewellen und den Verbleib in der DDR gelesen werden, „Auf Kaninchen schießen wir nie“ als Referenz zum häufig
251 Dieses Zitat ist einer Rezension zu Stephans Performance Niobe am Sipylos (1987) entlehnt (vgl. Rüth 1987:472). 252 Diese ist die einzige von Stephans Performances, die filmisch dokumentiert wurde und so auf Grundlage der Filmsequenzen in Bruchstücken nachvollzogen werden kann.
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in der bildenden Kunst verwendeten Motiv des Hasen oder Kaninchens,253 die von den beiden Künstler*innen auch in wirklicher Gestalt in ihre Performance eingebracht werden. Mit einem Lappen löscht Stephan schließlich die Sätze auf der Folie wieder aus. Am Ende zerreißt und zerschneidet sie die Folie; dann gehen beide Akteur*innen mit der Folie sowie weiteren Utensilien unterm Arm von der ‚Bühne‘ ab. Bei dieser recht kryptisch gehaltenen Performance kann angenommen werden, dass wie in Hahnemanns gesamtem Film, über die Position als Künstler*innen im geschlossenen System der DDR reflektiert und, wie der Filmwissenschaftler Claus Löser hervorhebt, das Bildermachen schließlich selbst in Frage gestellt wird (2011:307). Aufgrund dessen, dass in der Performance Sprache beziehungsweise Text prominent platziert und wieder ausgelöscht wird, scheint es darüber hinaus auch um das Scheitern sprachlicher Verständigung und fehlgeschlagene Vermittlungsversuche zwischen künstlerischen Bildproduzent*innen und ihren Rezipient*innen zu gehen, womit hier an erster Stelle der Staat gemeint sein dürfte, durch dessen Zensur Aktionen wie die von Stephan und Hahnemann nur in Räumen der zweiten Öffentlichkeit zur Aufführung kommen. Zugleich steht die Performance, die zentrales Ausgangsmaterial eines Films ist, wie viele andere bereits erwähnte und noch zu nennende Beispiele für die intermediale und prozess-orientierte Praxis der Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit. Bereits 1983 hatten Hahnemann und Stephan für einen Film zusammengearbeitet, in dem die Handlung um Stephans Nähmaschine kreist. Sie gibt dem Film seinen Titel, der damit zur Hommage an Stephans Schneiderwerkzeug wird. Im Alltag dient die Maschine, deren Nähapparatur in einer größeren Platte komplett versenkt werden kann, als zentrales Möbelstück in ihrer Wohnung, an dem Mahlzeiten eingenommen und Gäste empfangen werden. Wie Fotografien aus den Privatarchiven der Künstlerinnen zeigen, fertigen auch ihre Kolleginnen Gabriele Stötzer und Cornelia Schleime daran eigene künstlerische Kreationen. Daneben wirkt Stephan auch in Hahnemanns Film Heilige Mutter Gottes (1986) mit, für den sie außerdem die Szenenfotos macht. Mit seiner Zuwendung zur Literatur und zum Schreiben endet die filmische und performancebezogene Zusammenarbeit der beiden. 1987 wird Stephan von Claudia Reichardt, die unter dem Namen Wanda als Galeristin der privaten Galerie fotogen und als Leiterin des Studentenclubs Wendel der Hochschule für Bildende Künste Dresden eine der wichtigsten Netzwerkerinnen der Dresdner zweiten Öffentlichkeit ist,254 zu einer Einzelausstellung eingeladen. In der Galerie, die sich in der Villa Marie unmittelbar
253 Mythologisch stehen Hasen als Symbol für Fruchtbarkeit und verkörpern zudem Wiedergeburt und Auferstehung, ähnlich dem toten Hasen in Joseph Beuys Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt (1965). 254 Zu Galeristinnen in der zweiten Öffentlichkeit vgl. Kap. 1.4.2.2 Galerien.
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am Elbufer befindet, präsentiert Stephan Grafiken und Fotografien sowie das Ergebnis einer ihrer seltenen Experimente mit Super-8-Film, in dem – in erneutem Rückgriff auf das Motiv – die Häutung eines toten Hasen zu sehen ist. Zur Eröffnung ihrer Ausstellung realisiert die Künstlerin ihre zweite nicht genehmigte Aktion im Außenraum mit dem Titel Seide geht, die dieses Mal und trotz der Anwesenheit von Polizisten nicht verboten wird. Von der Elbbrücke Blaues Wunder lässt Stephan ein großes Seidentuch auf die Uferzonen der Elbe hinab, das sich wie die reinigenden Wellen eines ‚weißen‘ Flusses über die angespülten Schlammflächen des stark verschmutzten Wassers legt. Eine brennende Figur aus Pappmaché wird auf den Fluss hinuntergelassen und von ihm davongetragen. Mit dieser Aktion greift die Aktionskünstlerin der ein Jahr später stattfindenden Dresdner Ausstellung mit dem Titel Blaues Wunder in der ersten Öffentlichkeit voraus, in der in großformatigen Installationen metaphorische Bilder vom Fluss, der Erde und der Brücke entstehen und sich eine ökologische Thematik ihre ästhetische Umsetzung findet. Im gleichen Jahr präsentiert Stephan gemeinsam mit Karla Woisnitza in der neu eröffneten Galerie Weißer Elefant in Berlin eine umfassende Ausstellung, in der neben den Serien ihrer SINGER-Grafiken auch Stephans fotografischen Körperinszenierungen zu sehen sind. Wie viele andere Künstler*innen nimmt Stephan die Eröffnung ihrer Ausstellung zum Anlass, um eine Performance aufzuführen. Während sich die Künstlerin mit Frauenfiguren aus der christlichen Mythologie wie Veronika und Magdalena bereits in ihren Körperaktionen befasst hat (Aktion mit Seide, o.J.), bezieht sich ihre Galerieperformance auf die rebellische und zugleich tragische Niobe aus der griechischen Antike [Abb. 72–73]. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Peter Brasch, einer weiteren, spontan hinzugezogenen Darstellerin und begleitet vom Jazzmusiker und Komponisten Ulrich Gumpert am Flügel entwickelt sie eine künstlerische Interpretation des gleichnamigen Theaterstückes von Jochen Berg, das in der DDR nicht gespielt werden darf. Bergs Tetralogie besteht aus den drei Tragödien Niobe, Klytaimestra, Im Trauerland und dem Satyrspiel Niobe am Sipylos,255 das 1985 in Westdeutschland erschien. Obwohl Berg von 1974 bis 1991 Hausautor des Deutschen Theaters ist, werden seine Stücke ausschließlich in Westdeutschland aufgeführt. Wie viele Autor*innen, deren Arbeiten in der DDR abgelehnt wurden, wandte auch er sich Stoffen der Antike zu. Für die theatralisch anmutende Darstellung setzt die Performerin erneut ihr großformatiges Seidentuch sowie dreißig Eisblöcke ein. Als weiche und offene Stofflandschaft steht die Seide im Kontrast zu der harten
255 Nachdem sich der Sage nach Niobe über die Titanin Lethe erhoben hat, werden ihre sieben Söhne und sieben Töchter ermordet. Der Schmerz über den Verlust ihrer Kinder lässt sie erstarren, der Wind trägt Niobe auf den Berg Sipylos. Selbst in ihrer Versteinerung hört Niobe nicht auf zu weinen und aus dem Stein rinnen zwei Bäche.
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A bb . 72–73 Heike Stephan, Niobe am Sipylos, 1987, Galerie Weißer Elefant im Rahmen der Ausstellungseröffnung Stephan – Woisnitza, Berlin
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Materialität der Eisblöcke, die Erstarrung und Tod symbolisieren. Im Gegensatz zu ihrer Body Art ist Stephans körperliche Aktion durch das Einnehmen statischer Posen sowie die Konzentration auf ihre Stimme, mit der sie Ausschnitte des dramaturgischen Textes liest, stark zurückgenommen. Wie in ihrer Performance Revolution & Erotics von 1989, die im Anschluss besprochen werden soll, bewegt sich ihr Auftritt auch hier innerhalb eines bühnenartigen Arrangements, das aus ihren eigenen künstlerischen Arbeiten gebildet wird. Indem sie und ihre Mitwirkenden eine Figur und Rolle verkörpern, die sich am dramaturgischen Text orientiert, sie aber zugleich improvisieren und das Publikum mit einbeziehen, bewegt sich Niobe am Sipylos zwischen Sprechtheater und der Kunstform des Happenings, das Handlungen, Musik und diverse Materialien integriert. Eine Rezension zu Stephans und Woisnitzas Ausstellung trägt bezeichnenderweise den Titel Grenzüberschreitungen. Stephans als „aktionistische Raumkunst“ bezeichnete Performance wird ein „schwer verständlicher Handlungsablauf“, zugleich aber eine überzeugende Wirkung durch den „symbolischen Eigenwert der verwandten Materialien“ bescheinigt (Rüth 1987:472). Im Zusammenhang ihrer Ausstellungsbesprechung fordert die Kunsthistorikerin Barbara Rüth in ihrem Artikel eine Öffnung des Kunstsystems für experimentelle, grenzüberschreitende Aktions- und Performancekunst, die in der DDR zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits eingesetzt hat, was sich unter anderem daran ablesen lässt, dass die Performance von Stephan an einem Ort der ersten Öffentlichkeit möglich ist. Neben den verschiedenen formalästhetischen Wegen, die Stephan mit ihrer Performance Art beschreitet, wird sichtbar, wie stark ihre künstlerische Praxis an die (Re-)Präsentation von Weiblichkeit und an Versuche gekoppelt ist, die sexuelle und gesellschaftliche Gleichberechtigung von Frauen zu thematisieren und sich darüber neue Handlungsräume zu eröffnen. Stephans eigene Erfahrungen und ihre Lebenswirklichkeit als alleinerziehende Mutter und selbstständige Künstlerin scheinen dafür die Hintergrundfolie zu bilden. Frühe zeichnerisch-grafische Bilder weiblicher selbstbestimmter Körper überführt sie in eigene körperliche Erfahrungen der Body Art mit repräsentationskritischer Stoßrichtung, gefolgt von Aufführungen, in denen die Künstlerin Frauenfiguren aus der Mythologie – und wie im letzten Teilkapitel deutlich werden wird – aus der konkreten Vergangenheit und Gegenwart verkörpert. Emanzipationsbestrebungen von Frauen thematisiert sie in ihren Aktionen sowohl als historische Erfahrungen als auch aktuelle Anliegen.
3.3.5 Ostdeutsche Rebellin in Amerika: Schwierigkeiten der Re-Präsenz Im Oktober 1989 findet in Moskau die Ausstellung Haltungen – Kunsthandwerk junger Künstler der DDR und der UdSSR statt, in der Stephan mit Arbeiten vertreten ist. Im selben Monat soll eine Delegation ostdeutscher Kultur-
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schaffender an dem vom Castillo Cultural Center (heute Castillo Theatre)256 in New York veranstalteten einmonatigen Festival of Revolution teilnehmen. Couragiert bittet die Künstlerin den (Co-)Organisator beider Veranstaltungen, das Ministerium für Kultur der DDR, um eine Reisegenehmigung. Sie erhält die Erlaubnis, nicht wie erwartet für Russland, sondern für die USA.257 Zur kleinen Reisegruppe nach Amerika gehören neben der Künstlerin selbst der Dramatiker Jochen Berg, der das gemeinsam mit dem Free-JazzMusiker Ulrich Gumpert konzipierte Stück Die Engel – Vier Kurzopern am Castillo Cultural Center aufführt, und der Maler Gerd Sonntag.258 Unter dem Titel Revolution & Erotics tritt Stephan zusammen mit der Afroamerikanerin Keshia Korman, der aus Heidelberg stammenden Performerin Lorissa Stierlin und bei ihrem zweiten Auftritt anstelle der letztgenannten mit der kanadischen Choreografin und Tänzerin Ariane Cordeau im Castillo Cultural Center auf. Ihre Selbstinszenierungen der frühen 1980er Jahren realisierte Stephan in den kaum sichtbaren Nischen der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit ohne Publikum. Für deren fotografische Dokumentation betätigte sie entweder den Selbstauslöser oder delegierte diese Aufgabe an befreundete Künstler*innen. Zahlreiche fotografische Dokumente ihrer Body Art sind bis heute erhalten. Ihren in der ersten Öffentlichkeit erfolgten Auftritt in der Galerie Weißer Elefant dokumentieren dagegen nur einige wenige Fotografien, die den Ablauf der Performance unvollständig wiedergeben. Paradoxerweise liegen von ihrer Performance Revolution & Erotics, die in der Öffentlichkeit einer westlichen Demokratie aufgeführt werden konnte, keine Fotografien oder Filmmitschnitte vor.259 In der Einleitung dieser Studie wurde mit Rekurs auf Amelia Jones’ Aufsatz „‚Presence‘ in absentia. Experiencing Performance as Documentation“ dargelegt, dass Zuschauer*innen von Live-Veranstaltungen über kein zuverlässigeres Wissen über die Intention von Performer*innen verfügen dürften 256 Das Castillo Cultural Center wurde 1984 von einem Kollektiv linker Aktivist*innen und Künstler*innen gegründet und führt bis heute unter anderem die Stücke Heiner Müllers auf. Wichtigstes Stück des Festivals ist die US-amerikanische Premiere von Müllers Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution von 1979. 257 Heike Stephan im Gespräch mit der Autorin, 29.01.2015. 258 Sonntag ist der erste in der DDR lebende Künstler, für den eine Einzelausstellung an einer bedeutenden amerikanischen Kunstinstitution, dem Brooklyn Museum, ausgerichtet wird. Der ursprüngliche Plan, Sonntags Arbeiten am Castillo Cultural Center zu präsentiert, scheitert, nachdem sich herausstellt, dass die Räumlichkeiten ungeeignet sind. Durch Zufall ergibt sich kurz darauf eine Ausstellungsmöglichkeit am Brooklyn Museum. Gerd Sonntag im Telefonat mit der Autorin 31.03.2015. 259 Während Stephan die Aufführung der Kurzoper von Jochen Berg in Farbfotografien festhält, konnte sie selbst – eine ausgezeichnete Porträtfotografin und Dokumentaristin zahlreicher Ereignisse und Zusammenkünfte der Szenen der zweiten Öffentlichkeit – als Mitwirkende ihrer eigenen Performance nicht fotografieren. Auch durch den Veranstalter wurden keine Aufnahmen gemacht. E-Mail des Castillo Theatre New York an die Autorin, 11.01.2016.
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als diejenigen, die ihre wissenschaftlichen Performanceanalysen ausschließlich auf Basis dokumentarischer Materialien wie Film oder Fotografie vornehmen. Jones hält in ihrem Aufsatz explizit an der Eigenschaft der dokumentarischen Fotografie als Zugang zur Realität vergangener Performances fest, indem sie sagt: The body art event needs the photograph to confirm it having happened; the photograph needs the body art event as an ontological ‚anchor‘ of its indexicality. (1997:16) Überlegungen zur Beziehung von Aktion und ihrer Dokumentation unterstrichen weiter oben die mangelhaften und verfälschenden Kriterien, die durch die mediale Dokumentation zur Mythisierung eines Ereignisses und seiner Akteur*innen führen können oder gar ihrer Konstruktion dienen.260 Bei Revolution & Erotics liegt mit dem Fehlen fotografischer oder filmischer Dokumente ein gänzlich anderer Sachverhalt vor, der die Frage provoziert, ob und auf welcher (Material-)Basis eine analytische Annäherung an diese Performance überhaupt möglich ist und wie Wissen von der Performance generiert werden kann. Vor diesem Hintergrund stellt sich darüber hinaus die Frage, ob sich herauskristallisieren lässt, wie es der Künstlerin gelingt, mit ihrer Performance Kritik an hierarchischen Geschlechterverhältnissen zu üben sowie Unabhängigkeit und Souveränität von Frauen zu inszenieren. Bereits im März 1989, kurz nach der Bestätigung ihrer Reise durch das Ministerium für Kultur, entwirft Stephan in ihrem Tagebuch Ideen für den Titel und die visuelle Umsetzung ihrer die Performance begleitenden fotografischen Arbeiten (Stephan 1989). Der spätere Titel der Performance bezieht sich zu dem Zeitpunkt auf fünf Fotografien, die sie gerade konzipiert. Die Künstlerin vermerkt in ihren Aufzeichnungen, großformatige Arbeiten mit dem wiederkehrenden Motiv des weiblichen Genitals im Siebdruckverfahren realisieren zu wollen. Außerdem finden sich in ihren Tagebucheintragungen mehrere Verweise auf die Französische Revolution wie das mit der Festnahme von Maximilien de Robespierre eintretende Ende der sogenannten ‚Schreckensherrschaft‘. Parallel zu ihren Aufzeichnungen entsteht ein der Künstlerin von Jochen Berg gewidmeter Text für ihre Performance, datiert auf den 21. März 1989. Der zweiseitige Text, der sich im Privatarchiv der Künstlerin befindet, reflektiert kritisch die mit einem politischen Neuanfang verbundenen Illusionen. Der „scheinbare Neubeginn“ täusche die Menschen über das „Nochnicht“ und über ihren „Untergang“ hinweg (Berg 1989). Der Autor bezieht sich mit dieser Passage auf die gewaltsamen Entwicklungen der
260 Vgl. Kap. 2.2.4 Performance und Bild.
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Französischen Revolution, in der mit der Propagierung der Ideale Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit um grundlegende Menschenrechte gerungen wurde, die jedoch in massive Repressionen umschlug und die brutale Verfolgung und Ermordung tausender Menschen zur Folge hatte. Zu den in den Anfängen der Französischen Revolution wichtigen Unterstützer*innen, die später als Oppositionelle und Verräter*innen durch die Guillotine hingerichtet wurden, gehören Georges Jacques Danton, Jean-Sylvain Bailly, Papillon d’Auteroche und Madame Roland, deren letzte Worte Berg in seinem Text zitiert. Der Dramatiker bezieht sich zudem auf den französischen Historiker und Experten der Französischen Revolution, Jean-Paul Bertaud. Ferner widmet Berg drei Zeilen der Bedeutung von Bildern in revolutionären Umbruchphasen: „BILDER. DIE KUNST ÜBERGÄNGE ZU GEBRAUCHEN“ (Berg 1989). Auf den Textseiten sind zugleich handschriftliche Hinweise des Autors über die Art und Weise des Vortragens vermerkt. Zu den noch existierenden Unterlagen aus Stephans Archiv gehören zwei Ankündigungsflyer der Performance vom Castillo Cultural Center [Abb. 74–75]. Während die eine Ankündigung den Titel, die Aufführenden, das Datum und den Veranstaltungsort benennt, umfasst der zweite, vierseitige Flyer eine ausführliche Liste der Mitwirkenden, darunter der Produzent*innen, Bühnenbildner*innen, des Produktionsteams sowie der Übersetzer*innen für Bergs Text ins Englische und Französische. Insgesamt sind vierzehn Personen aufgeführt, was den Rückschluss zulässt, dass es sich um eine größere Produktion vom Umfang einer Theateraufführung gehandelt haben muss. Die auf beiden Flyern als Hintergrund dienende Abbildung ist eine Fotografie aus Stephans Aktion Seide geht (1987), die keine Schlussfolgerungen auf die visuelle Umsetzung der Performance in New York zulässt. Als weitere Quellen können, so Stephan, ihre fotografischen Arbeiten betrachtet werden, die als Elemente des ‚Bühnenbildes‘ beziehungsweise als visuelle Verstärker ihrer Aufführung dienten.261 Dazu gehören eine großformatige Fotografie einer bemalten weiblichen Brust aus der Serie Leben stört immer (1984) sowie die eingangs erwähnten vergrößerten Foto-Siebdrucke von Vulven, die nicht mehr im Original vorhanden sind, von denen aber eine als Reproduktion vorliegt (Lode & Tischler 1990:63). Die Sichtbarkeit des weiblichen Geschlechts ist auf dem Siebdruck stark zurückgenommen. Überlagert wird die Vulva durch den Auftrag roter Farbe, durch weitere Bildelemente wie Fotografien aus Stephans Körperinszenierungen sowie durch die letzten, Bergs Text entlehnten Worte von Madame Roland. Ergänzt werden die auf der Bühne des Castillo Cultural Center platzierten Bilder vom fotografischen Porträt einer alten Frau aus Stephans Serie Hedwig (1984) sowie
261 Heike Stephan im Gespräch mit der Autorin, 31.03.2015.
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A bb . 74–75 Heike Stephan, Revolution & Erotics, 1989, Ankündigungsflyer, Castillo Cultural Center, New York
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das einer jungen Frau, deren Hände, Arme und untere Gesichtshälfte surrealistisch verzerrt sind. Die durch ihre Fotografien aufgerufenen Körpermetaphern für die Darstellung der Geschichte von Frauen erinnert an Judy Chicagos Dinner Party. Chicagos 1979 zum ersten Mal präsentierte Installation zeigt drei in Dreiecksform aufgestellte Tische. Die auf ihnen befindlichen Porzellanteller mit floraler Vulva-Motivik sollten Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Wissenschaftlerinnen und somit eine Gemeinschaft ‚großer‘ Frauen repräsentieren, die von der (Kunst-)Geschichtsschreibung ignoriert wurden. Kritisiert wurde Chicagos Bemühen dafür, dem etablierten Geschichtsmodell, das auf der Kanonisierung einzelner Künstlerheroen basiert, im additiven Verfahren auch Heldinnen hinzufügen zu wollen. Die Dinner Party arbeitete außerdem mit Identifikationsangeboten, die wie Anja Zimmermann darlegt, der Selbstvergewisserung weiblicher Subjektivität in und über ‚positive‘ Bilder dienen sollten. Die Berufung auf weibliche Körperlichkeit wurde im Zuge der Repräsentationskritik indessen als „reine Verdopplung traditioneller Weiblichkeitsvorstellungen“ hinterfragt (Zimmermann 2006:22). Stephans Inszenierung reproduziert das visuelle Abrufen weiblicher Körperlichkeit. Anders als Chicago kennzeichnet sie damit jedoch keine konkreten Personen oder historischen Persönlichkeiten, sondern symbolisiert generationsübergreifende, zeitliche Prozesse, in denen die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Frauen angelegt ist. Eine drei Meter hohe aus Einzelfotografien bestehende performative Serie mit dem Titel Steinigung (1983) greift die christliche Symbolik der Kreuzigungsszene auf. Mit seinen an der Wand fixierten Händen versucht darauf ein nackter Akteur, in Farbe getränkten Lappen auszuweichen, die auf ihn geworfene Steine versinnbildlichen. Die von ihr inszenierte Kreuzigungs- und Steinigungsszene, zwei bereits seit der Antike praktizierte Hinrichtungsarten, kann als Metapher für die Vollstreckung der Todesstrafe in der Zeit der Französischen Revolution gelesen werden. Zusätzlich präsentierte die Performerin zwölf Farbdias und einen Super-8-Film mit Bildern, die Kriegsgeschehen und Zerstörung zeigen, und spielte Musik vom Band ab. Diese Arbeiten gelten als verschollen. Neben dem Arrangement ihrer mehrteiligen fotografischen Serien ergänzten ein großer Tisch und zwölf leere Stühle das Bühnenbild. Beschreibungen der Künstlerin nach, gestaltete sich das Bühnengeschehen dergestalt, dass Stephan selbst in statischer Pose Bergs Text rezitiert, während sich die beiden Performerinnen Korman und Stierlin langsam entkleiden und ihre Kleidung auf Bügel hängen. Schließlich umtanzen sich beide mit erotisch aufgeladenen Bewegungen und bemalen ihre Scham und ihre Beine mit roter Farbe. Danach geben sie vor, mit Kleiderbügeln zu onanieren.262
262 Heike Stephan im Gespräch mit der Autorin, 31.03.2015.
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Ihren Ausführungen nach, versuchte Stephan in ihrer Performance mehrere Ebenen zu etablieren.263 Der rezitierte Text, die Dias- und Filmbilder verweisen auf historische Umbrüche, die in Krieg, Gewalt, Zerstörung und Tod münden und zugleich eine fundamentale Umstrukturierung politischer und gesellschaftlicher Systeme nach sich ziehen. Mit der Präsentation ihrer fotografischen Arbeiten, die das Bild einer jungen und einer alten Frau inszenieren, hebt Stephan insbesondere die Geschichte von Frauen und die Folge von Generationen hervor. Erinnert wird damit an die über zweihundert Jahre zurückliegenden Anfänge weiblicher Emanzipation. Feministinnen wie Olympe de Gouges traten während der Französischen Revolution vehement für die Rechte von Frauen gegen die männlich dominierte Gesellschaft und Politik ein, von der die weibliche Hälfte der Bevölkerung ausgeschlossen wurde. Unter anderem wegen ihres Engagements als Verfechterin von Frauenrechten und dem Verfassen politischer Manifeste wurde de Gouges während der Französischen Revolution zum Tode verurteilt. Die bildkünstlerische Repräsentation der bemalten und damit verfremdeten weiblichen Brust und der Vulven sowie die erotisch konnotierten Szenen der beiden nackten Performerinnen unterstreichen weibliche Sexualität und die Präsenz des weiblichen Körpers. Durch den Einsatz der roten Farbe werden Assoziationen vom blutenden Körper, von Menstruationsblut, gewaltsamer (Selbst-)Verletzung und Aggressivität, aber auch Bilder sexuellen Genießens, von Erotik und Leidenschaft freigesetzt. Sowohl die fotografische Inszenierung des fragmentierten weiblichen Körpers als auch der Auftritt der Performerinnen beschreiben so einen Spannungsbogen von der Darstellung kultureller Einschreibungen in den weiblichen Körper bis hin zu Bildern, in denen der eigene Körper zum autoerotischen Objekt des Begehrens wird. Genau diese Ambivalenz lässt sich auch in den Texten und Selbstaussagen der Künstlerin zur Performance rekonstruieren. Der Ankündigungstext für ihre Aufführung macht geltend – wie in der Einleitung der Publikation bereits dargelegt –, die Performance erkunde die Einschränkungen (weiblicher) Sexualität im Sozialismus. Stephan hingegen beabsichtigte, souveräne Frauen auf der Bühne sichtbar zu machen, sie wollte „außerhalb des Landes mit Körperkunst unser andersartiges weibliches Selbstverständnis, unseren anderen Status der Selbstständigkeit und des Akzeptiertwerdens zeigen“ (zit. nach Förster 1992:70). Das Zitat der Künstlerin auf dem zweiten Flyer zur Performance besagt ferner, „Revolution and Erotics [...] examines the political by exploring the emotional“,264 womit Stephan den paradigmatischen Charakter der privaten Situation von Frauen für ihren Stellenwert in Politik und Gesellschaft und damit die Wechselbeziehung beider Sphären unterstreicht. 263 Ebd. 264 Flyer zur Performance Revolution & Erotics, 1989, Archiv Heike Stephan.
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Eingegangen wurde bereits auf die Rezeption des Publikums, das in Revolution & Erotics vielmehr eine konkrete Aussage zur offiziellen Abtreibungsdebatte in den USA vermutete. Verabschiedete die DDR bereits 1972 gesetzlich die Legalisierung von Abtreibungen, galt der Schwangerschaftsabbruch in den USA als gesetzeswidrig. Dass die Kleiderbügel, mit denen die Performerinnen agierten, zweckentfremdet für illegale Abtreibungen eingesetzt wurden, konnte die Künstlerin, die das erste Mal in ihrem Leben in Amerika war, jedoch nicht wissen. Aufgrund der unterschiedlichen Sozialisation in einer östlich und westlich geprägten Kultur und einer damit anderen Rezeptionsleistung des amerikanischen Publikums steht die Performance für die Kritik einer ostdeutschen Künstlerin an der Frauenpolitik der USA und wurde zu einem hochpolitischen Statement zur Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper. Stephan erzählt, dass aus diesem Grund die Performance abgesetzt werden sollte, letztlich kommt sie nur zweimal, am 13. und 27. Oktober, zur Aufführung.265 Eine über die Intentionalität der Künstlerin und die Wirkung der Performance auf die damaligen Besucher*innen vor Ort hinausreichende aktuelle Lesart des „present audience“ (Auslander 2012:57), also eines gegenwärtigen Publikums, unterstreicht das gesellschaftskritische Potenzial der Performance. Da Revolution & Erotics auf die Geschichte der Französischen Revolution verweist und sich zeitgleich zur Aufführung die sogenannte ‚friedliche Revolution‘ in der DDR vollzieht, lässt sich ihr auch eine politische Botschaft zu den aktuellen Ereignissen entnehmen. Gerade im Machtvakuum einer gesellschaftlichen Umbruchsituation besteht für Frauen die Notwendigkeit und Chance des politischen Aktivismus und zur Einforderung ihrer Rechte, auch was die Einbindung vermeintlich privater Verhältnisse in politische Debatten und Entscheidungsprozesse betrifft. Wie umstritten die Einforderung von Frauenrechten gerade in politischen Transformationsprozessen ist, wurde besonders deutlich an der Abtreibungsdebatte nach der deutschen Wiedervereinigung. Erst 1995 wurde der Paragraf § 218 neu geregelt, dessen Widersprüchlichkeit bis heute ungeklärt ist. War ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate in der DDR legal, so ist dieser im vereinten Deutschland mit der Neuregelung rechtswidrig. Er bleibt dabei lediglich ohne Straffolge. Aufgrund der erfolgreichen Recherche diverser Quellen im Archiv der Künstlerin wie den schriftlichen Aufzeichnungen von Stephan und Berg, den beiden Ankündigungen der Performance, den Siebdrucken und den künstlerischen Fotografien, die wie Leben stört immer und Steinigung ihrerseits Dokumente von Körperaktionen sind, und gestützt auf verbalisierte Erinnerungen in Form
265 Heike Stephan im Gespräch mit der Autorin, 31.03.2015.
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von Selbstaussagen der Künstlerin, ist eine Annäherung an die geschlechterkritische Thematik der Performance möglich. Ob und wie es Stephan gelingt, Entwürfe aktiver und autonomer weiblicher Subjekte aufzuzeigen und damit auch eine implizite Kritik an Geschlechterhierarchien vorzunehmen, die die Emanzipation von Frauen zu unterbinden versucht, kann nur mit Hilfe der Statements im Flyer und Stephans eigener Beschreibungen beantwortet, aber nicht wirklich verifiziert werden. Insbesondere die von Stephan überlieferte Publikumsreaktion aber lässt Rückschlüsse auf die Bedeutung ihrer Performance für die feministische Kritik an der tradierten Geschlechterordnung zu – und das in einem internationalen Maßstab. Die forschende Suchbewegung, die zu verschiedenen materiellen Dokumenten der Performance führte, hat zugleich verdeutlicht, dass erst Handlungen ihre Bedeutung und Evidenz herstellen: die Zusammenstellung und Aufbewahrung im Archiv durch Stephan sowie die Identifizierung und Auswahl der Dokumente im Rahmen eines wissenschaftlichen Vorhabens. Erst diese Verfahren schreiben wie das Kuratieren und Archivieren von Performance den Dokumenten ihren Charakter als Zeugnis zu (vgl. Roms o.J.). Neben den fehlenden fotografischen und filmischen Dokumenten muss davon ausgegangen werden, dass Stephan Aspekte ihrer Performance anders erinnert oder gar vergessen hat. Insofern stellt die Rekonstruktion dieser Performance und von Performance und Body Art im Allgemeinen eine Bewegung zwischen sichtbaren, imaginierten und erinnerten Zusammenhängen und ihren jeweiligen Lücken dar (ebd.). Wie groß die Anteile von Imagination und Fiktion bei anhaltender Beobachtung und Aufzeichnung durch den Geheimdienst sind und wie Erinnerung in der Gegenwart performt und re-konstruiert wird, deckt Cornelia Schleimes fotografische Inszenierung Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85 von 1993 auf, die ein zentraler Gegenstand der nächsten Untersuchungen sein wird.
3.4 Die politische Dimension des Privaten. Retrospektive Antworten auf Eingriffe des Geheimdienstes in Cornelia Schleimes Stasi-Serie 3.4.1 Biografische Kontexte Cornelia Schleime, 1953 in Ostberlin geboren, studiert bei Jutta Damme an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden von 1975 bis 1979 Malerei und Grafik. Als umtriebige Studierende findet Schleime nicht nur Anregungen in der künstlerischen Tradition und aktuellen Lehre der Hochschule. Entscheidende Impulse erhält sie nach eigenen Aussagen durch Publikationen der Ma-
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ler Cy Twombly und Arnulf Rainer, die sie in der Sächsischen Landesbibliothek einsehen kann (Schleime zit. in Dahlke 1997:306). Auch die künstlerischen Szenen Dresdens um den Maler und Filmemacher Jürgen Böttcher Strawalde266 und den vielfach vernetzten Ralf Winkler alias A. R. Penck, der für die Generation von Künstler*innen, die in den 1970er Jahren an der Dresdner Kunsthochschule studierten, richtungsweisend war, sollten Schleime inspirieren. Gleichzeitig pflegt die junge Künstlerin engen Kontakt zu ihren gleichaltrigen Kolleg*innen, darunter Karla Woisnitza und Christine Schlegel, Helge Leiberg und Michael Freudenberg. Gemeinsam mit ihren Kommilitonen, den Malern Ralf Kerbach und Reinhard Sandner fährt Schleime in der Tradition der expressionistischen Malergruppe Die Brücke zur Aktmalerei an die Moritzburger Seen unweit Dresdens. Eine aus dem losen Verbund der Studierenden hervorgehende und von dem Dichter Michael Rom organisierte Ausstellung mit ihr, Michael Hengst, Kerbach und Sandner im Heimatmuseum Radebeul bei Dresden Ende der 1970er Jahre wird verboten. Schleimes Bilder werden mit der Begründung von den Wänden entfernt, ihre Frauenfiguren seien depressiv und würden demnach nicht die Situation der Frauen in der DDR widerspiegeln (ebd.). Ihre Teilnahme an der die Generation zwanzigjähriger Kunstschaffender in den Blick rückenden, schon erwähnten Türen-Ausstellung 1979 im Dresdner Leonhardi-Museum hat für Schleime weitreichende Konsequenzen.267 Die Ausstellung setzte bekanntlich die Tür als zentrales Motiv eindrücklich in Szene, wobei die Installationen, wie Schleimes Raum des Dichters als antithetische Metapher von Eingrenzung und Beengung, Weite und Offenheit zu lesen waren. Thomas Wetzel wird noch während einer zur Ausstellung gehörenden Kunstaktion verhaftet und verhört (Weißbach 2009a:172), ihre Kommilitonen Sandner und Kerbach werden aufgrund ihrer Ausstellungsteilnahme von der Kunsthochschule exmatrikuliert (Weißbach 2015:11). Schleime selbst darf ihr begonnenes Diplom beenden, tritt jedoch nach erneuten Repressionserfahrungen wie der 1982 erfolgten Absage ihrer Ausstellung mit Fotografien zu Körperaktionen in der Galerie Mitte in Ostberlin 1983 aus dem VBK aus und stellt gemeinsam mit Kerbach aufgrund des massiven Eingreifens der Kulturpolitik einen ‚Ausreiseantrag‘ (vgl. Löser 2011:184). Dass die Künstlerin
266 Zur Bedeutung Strawaldes vgl. Kap. 2.1.2 Kritische Frauendarstellungen der 1960er und 1970er Jahre in Fotografie und Film. 267 An der Ausstellung mit dem offiziellen Titel Dezennien I (1979) im Dresdner LeonhardiMuseum, einem öffentlichen Ausstellungsort, der dem VBK unterstand, dessen Programm die in einer Arbeitsgemeinschaft organisierten Künstler*innen jedoch verhältnismäßig frei gestalten konnten, nahmen insgesamt acht zwanzigjährige Künstler*innen teil: Das waren Cornelia Schleime und Karla Woisnitza sowie Michael Freudenberg, Volker Henze, Ralf Kerbach, Helge Leiberg, Reinhard Sandner und Thomas Wetzel. Die 1979 organisierte Dezennien II wird durch die Weigerung der teilnehmenden Künstler*innen, A.R. Penck auszuschließen, verboten. Dezennien III von der Generation der Vierzigjährigen darf im selben Jahr stattfinden (Heise & Weißbach 2006).
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ab Anfang der 1980er Jahre ihre Bilder nicht mehr in der ersten Öffentlichkeit präsentieren darf, kommt einem nie ausgesprochenen, aber systematischen Ausstellungsverbot gleich. Ihre Arbeiten wie ihre Keramiken signiert Schleime von nun an mit dem Akronym C.M.P, das für ihre drei Vornamen steht. Trotz fehlender Ausstellungsmöglichkeiten bleibt die Malerei ihr primäres Medium. Tradierter Figürlichkeit wirkt die Künstlerin in ihren Bildern mit abstrakt anmutenden, filigranen und flächigen, oft surrealistisch in die Länge gezogenen und überdehnten Frauengestalten entgegen, die sie mit Tusche auf die farbigen Oberflächen ihrer Bilder skizziert. Dabei erinnern ihre stark vereinfachten Figuren mitunter an ägyptische Bildzeichen und weisen in ihrer Reduziertheit Bezüge zur sogenannten ‚Standart‘268 von A.R. Penck auf, wobei sie dessen männlichen Strichmännchen vorrangig mit voluminöseren und sinnlichen Weiblichkeitsdarstellungen antwortet. Die verdichtete Konzentration von Farben an einigen Stellen ihrer Bilder, die Farbverläufe und Tropfspuren können in der Tradition des abstrakten Expressionismus gelesen werden. Schleime, die aufgrund der staatlich unterbundenen Ausstellungstätigkeit gezwungen ist, sich alternativen künstlerischen Artikulationsmöglichkeiten zuzuwenden, ist wie viele ihrer gleichaltrigen Kolleg*innen zugleich auf der fortwährenden Suche nach neuen kreativen Spielräumen und Wirkungsfeldern. Bereits 1979, also noch während des Studiums und vor Einsetzen staatlicher Repressionen, gründet sie gemeinsam mit ihrem damaligen Lebenspartner Kerbach sowie dem Bassisten Matthias Zeidler eine Band, die sowohl von den musikalischen Improvisationen Pencks und seiner künstlerischen Mitstreiter als auch von der sich zur damaligen Zeit formierenden Punkszene inspiriert ist.269 Ohne offizielle Spielerlaubnis und wegen wiederholter Verbote wechselt die Band mehrfach ihren Namen, zuletzt tritt sie als Zwitschermaschine – eine Hommage an Paul Klee – in Ateliers und Galerien, später auch mit anderen ostdeutschen Punkbands auf. Die rebellische Haltung der Musiker*innen findet in den zwischen Neuer Musik, dadaistischem Klangexperiment und Performance angesiedelten Auftritten ein wirkungsvolles Ventil. 1980 verlässt die studierte Künstlerin die sächsische Provinz und geht zurück in das pulsierende Ostberlin, wo sie keine Unbekannte ist und 268 Standart ist ein als künstlerisches Konzept von A. R. Penck angewandter Begriff, der sich aus den englischen ‚standard‘ und ‚art‘ zusammensetzt. Bei der in den 1960er Jahren von Penck eingeführten Standart ging es „um die Schaffung eines eigenständigen, von jedermann verstehbaren und für die kollektive (Mit-)Gestaltung der sozialen Praxis komplex einsetzbaren Zeichenvokabulars“ (Kaiser 2016:202). 269 Zur wechselnden Besetzung der Band gehören Cornelia Schleime, Michael Rom und Sascha Anderson (Gesang); nach der Emigration von Kerbach 1982 Lothar Fiedler (Gitarre); Matthias Zeidler (Bass); Wolfgang Grossmann (Schlagzeug); Volker Palma an der Violine und Tuba und Helge Leiberg an der Trompete. Die Band besteht auch nach dem Wechsel ihrer Mitglieder nach Ostberlin, 1983 löst sie sich auf.
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schnell Zugang zu den Kunst- und Literaturzirkeln der Stadt findet. Ihre künstlerischen Experimente in verschiedenen Medien und Gattungen setzt sie in Berlin fort. Gemeinsam mit anderen Maler*innen, deren Bilder verboten sind, und Autor*innen, deren Texte ungelesen bleiben, veröffentlicht Schleime, die seit ihrer Jugend auch schreibt, in Samisdat-Zeitschriften. Anschlag, Ariadnefabrik, Schaden, UND oder USW drucken nicht nur ihre Grafiken und Zeichnungen, sondern auch ihre Texte. Wie Kerbach, Sandner, Leiberg, Schlegel und Woisnitza bemalt Schleime in der Berliner Werkstatt von Wilfriede Maaß Keramiken. Ihre in dieser Zeit entstandenen vier umfangreichen Bildtagebücher sind Zeugnisse einer komplexen, konzeptionellen und zugleich intuitiven Arbeitsweise, mit der Schleime bestimmte Themen stets umkreist. Ihre Bücher sind farbintensive Collagen aus Texten, Bildern, Fotografien sowie spielerisch-ironischen Zeichnungen und Übermalungen. Nach der von Karla Woisnitza initiierten Face Painting Action von (1978/79) während des Studiums in Dresden, an der auch Schleime beteiligt ist, realisiert die Künstlerin während eines verbotenen Pleinairs im thüringischen Hüpstedt 1981 erste Körperaktionen und fotografische Selbstinszenierungen, die sie im Folgejahr fortführt. Inspiriert durch die sinnlichen, körperbetonten Filme Gino Hahnemanns entdeckt sie außerdem den Super-8-Film. Von 1982 bis zu ihrer Ausreise 1984 entstehen sechs Filme, die Malerei und kinematografische Bilder in einer poetischen Synthese zusammenführen. Ihre fotografischen und filmischen Inszenierungen sind Ausdruck der medialen und formalästhetischen Wandlungsfähigkeit ihres Werks. Schleime inszeniert zumeist sich selbst, aber auch andere Frauen in ihren Filmen und fotografischen Serien, die sie in größeren Abständen bis heute realisiert. Damit kommt diesen Medien im Kontext der vorliegenden Studie zu repräsentationskritischen (Foto-)Performances eine besondere Bedeutung zu, die anhand exemplarischer Analysen diskutiert werden soll. Während Kerbach schon 1982 eine Ausreisegenehmigung erhält, darf Schleime erst zwei Jahre später folgen. In dieser Zeit gelingt es dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), ihre Beziehung erfolgreich zu ‚zersetzen‘. Ihre Briefe werden abgefangen, das Gerücht wird verbreitet, sie würde Beziehungen zu anderen Männern unterhalten, für die offiziell angesetzte Heirat mit Kerbach wird ihm die Einreise in die DDR verwehrt (Dahlke 1997:307). Auf der anderen Seite bleiben Schleimes selbst ergriffene drastische Maßnahmen, die ihre eigene Ausreise erzwingen sollen, folgenlos.270 Erst ihre Drohung, in der
270 So veranlasst ihre provokante Inszenierung zum internationalen Kampftag der Arbeiterklasse am 1. Mai 1983, bei der sie – getarnt als Performance – mit Gasmaske durch die Berliner Innenstadt läuft, die Volkspolizei nur zu einer knappen Anweisung. Schleime solle die Maske abnehmen, da jeder Bürger [sic!] der DDR identifizierbar bleiben müsse. Cornelia Schleime im Gespräch mit der Autorin, 03.03.2016.
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Öffentlichkeit in den Hungerstreik zu treten, alarmiert den Geheimdienst und ihre sofortige Ausreise wird angeordnet. Nach vier quälenden Jahren Wartezeit und fünf gestellten Ausreiseanträgen, wobei erst der letzte erfolgreich ist, muss die Künstlerin gemeinsam mit ihrem sechsjährigen Sohn im September 1984 die DDR innerhalb von vierundzwanzig Stunden verlassen – eine letzte Maßnahme des Staates, Ausreisewillige zu schikanieren. Nur das Nötigste und zehn eingerollte Bilder kann sie mitnehmen. Bis auf eine durch einen Mitarbeiter der Ständigen Vertretung rechtzeitig nach Westberlin gebrachte Kiste, die ihre fotografischen Inszenierungen, ihre Super-8-Filme und Maltagebücher enthält, verschwindet in der Folgezeit fast ihr gesamtes Oeuvre unter bis heute ungeklärten Umständen aus ihrer Wohnung. Schleime, in Westberlin gleichsam mittellos, lebt in der ersten Zeit von Arbeitslosenhilfe und der Unterstützung ihrer Mutter, die als Rentnerin problemlos einreisen darf und Schleime und deren Sohn mit Essen, frischer Wäsche und preiswerten Malutensilien versorgt (Schleime zit. nach Fritzsche 1996:72). Nach dem Verlust ihres Werkes beginnt sie sofort wieder zu malen. Ihre künstlerischen Suchbewegungen, die ein ausgesprochen vielseitiges Oeuvre aus gemalten Bildern, Zeichnungen und grafischen Werken, Rauminstallationen, Super-8-Filmen, fotografischen Selbstinszenierungen, Gedichten und Songtexten sowie Keramiken hervorgebracht hat, konzentriert Schleime nunmehr auf die Malerei, deren maßgebliches Personal bis in die Gegenwart hinein Frauenfiguren bleiben sollten. Mit dem Erhalt eines mit einem einjährigen Aufenthalt in New York verbundenen PS1 Stipendiums 1989 ändert sich der Stil ihrer Bilder, die nun weniger verschlüsselt das stark Metaphorische verlieren und in der Folge einfacher und klarer werden. Mit Bekanntwerden der Geheimdiensttätigkeit des Dichter und engsten Freundes von Schleime, Sascha Anderson, Anfang der 1990er Jahre und dem Studium ihrer umfangreichen Akte beginnt sie, sich mit den Berichten des MfS künstlerisch auseinanderzusetzen. 1993 entsteht unter dem Titel Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85 eine Serie von vierzehn Fotografien, in denen sich die Künstlerin in verschiedenen Rollen und Posen fotografisch inszeniert. Neben Schleimes Körperinszenierungen von 1981 und 1982 und ihrem Super-8-Film Unter weißen Tüchern (1983) wird im Folgenden vor allem diese Serie untersucht. Als Malerin, Sängerin und Autorin war Schleime in verschiedenen Szenen der zweiten Öffentlichkeit aktiv. Weniger aus unmittelbarer Betroffenheit, eher aus einem konkreten Miterleben heraus schreibt Schleime in einem ihrer Künstlerbücher im für sie typisch ironisch-pointierten Stil über die Reproduktion von Geschlechterstereotypen und geschlechterspezifische Benachteiligungen von Frauen in den Malerzirkeln der Dresdner Szenen:
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Die Malermänner in Dresden hatten Heldenstatus, die Ehefrauen waren die Dienerinnen für die ‚gute Sache‘, saßen Modell, kochten die Suppe und wenn der Mann fremdging, dachten sie, das gehört dazu, drückten eine Auge zu, bis er sie für eine Jüngere verließ, dann drückten sie beide Augen zu und heulten. Die Künstlermänner waren immer farbverschmiert, hatten dreckige Fingernägel, aber ihre Frauen mussten sich zurechtputzen und Pelz tragen. (Schleime 2010:43) Abgesehen von den Erfahrungen staatlicher Repression und existenziellen Suchbewegungen sind es auch jene Erfahrungen, die in Schleimes fotografische und filmische Körperinszenierungen einfließen, welche oftmals an Rückzugsorten und im Austausch mit anderen Künstlerinnen entstanden. Anhand der Thematisierung von Blickstrukturen greift Schleime voyeuristisches Begehren und staatliche Beobachtung auf, um sie miteinander zu verknüpfen. Dadurch finden sich ihre Performances zu einer Staatskritik mittels Genderkritik und umgekehrt verdichtet.
3.4.2 Körper-Blicke Als das 1981 geplante Pleinair von Erfurter Künstler*innen im thüringischen Hüpstedt, zu dem Gabriele Stötzer ihre Kollegin Cornelia Schleime eingeladen hatte, von der Staatssicherheit unterbunden wird, beschließen beide, sich aus Protest dieser Order zu widersetzen und an ihrer ursprünglichen Absicht festzuhalten, gemeinsam vor Ort zu arbeiten. Schleime führt eine Aktion im Hof und am Scheunentor des Anwesens durch, die Stötzer mit ihrem Fotoapparat festhält. Darin bemalt sie sich mit einer Vielzahl stilisierter Augen, nachdem sie auf der Scheunenwand gleichfalls Motive des sehenden Auges, eine angedeutete Sonne, einen Frauenkopf im Profil, Kreuze, Pfeile und weitere Symbole aufgetragen hat. In der Folge bemalt Schleime zuerst ihre rechte Körperhälfte schwarz, später bedeckt sie ihren nackten Körper fast vollständig mit Farbe. So geschwärzt, wickelt sich die Akteurin anschließend in stehender, hockender und kniender Position in ein langes, dünnes Drahtseil ein. Ausgewählte Fotografien dieser Aktion präsentiert Schleime unter dem Titel Körper-Wand-Fotoübermalung, Hüpstedt 1981 als Serie im Format eines Leporellos [Abb. 76–79]. Einige der von Stötzer gemachten Fotografien haben als Schwarz-Weiß-Aufnahmen rein dokumentarischen Charakter, andere hat Schleime in einem späteren Akt der Übermalung zu farbigen Originalen umgestaltet. Das Motiv des Auges, wie es Schleime auf ihren Körper appliziert, findet sich mehrfach in ihrer künstlerischen Arbeit wieder. In der Face Painting Action von 1978/79 verdoppelt sie ihre Augen um ein weiteres gemaltes Paar. Augen kommen in ihrer Installation Der Raum des Dichters wie auch in ihren Gedichten vor. In ihrer Körperaktion ist das Auge in vereinfachter Form
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A bb . 76–79 Cornelia Schleime, aus der Serie: Körper-Wand-Fotoübermalung in Hüpstedt, 1981
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dargestellt, bestehend aus der Kontur des Augenrandes, der Pupille und dem weißen Inneren. Als wichtigstes Organ der Künstlerin steht das Auge in ihrer räumlichen Installation der Türenausstellung von 1979 für ihr Verlangen, „mehr sehen zu können“ (Weißbach 2015). Das geöffnete Auge symbolisiert die Sehnsucht nach dem grenzenlosen Blick in die Ferne und auf Unerreichbares für die in der Enge der DDR lebende Künstlerin. In diesem Zusammenhang bietet sich der Vergleich mit dem Zensierten Selbstporträt (1978) der rumänischen Konzeptkünstlerin Geta Brătescu an, das während der Ceausescu-Diktatur im Jahr 1978 entstand. Als Sinnbild für Zensur decken aufgeklebte Streifen Mund und Augen der Fotografierten ab, die durch fotografische Duplizierung jedoch erneut sichtbar werden. Brătescus Blick auf und hinter den Zensurbalken erscheint verdoppelt und gleichermaßen versperrt. Mit Sicht auf die Kunstgeschichte lässt sich feststellen, dass das Motiv vervielfältigter und vergrößerter Augen häufig von Künstlerinnen gewählt wird. Die Collagen und Fotomontagen von Hannah Höch, darunter Da-Dandy (1919), geben sich durch ihre vielfältigen menschlichen An-Blicke und Bilder der Schaulust als Ausdruck von Geschlechterspielen im Dadaismus zu erkennen (Hoffmann-Curtius 1994). Welche Wirkung die gemalten und stilisierten Augen bei Schleime erzielen, soll nun untersucht werden. Der nackte erotische Künstlerinnenkörper, der sich in Schleimes Körper-Wand-Fotoübermalung dem voyeuristischen Blick präsentiert, wird zum Träger verschiedener Augendarstellungen, die variierende Perspektiven und Blicke repräsentieren. Der Strahlenkranz um Schleimes Vulva verstärkt die Metapher des Sehens durch die mit der Sonnendarstellung verbundenen Symbolik des Lichtes. Die gemalten Augen potenzieren symbolisch ihr Schauen, sie erwidern vielfach und simultan den Blick des als männlich konnotierten Betrachters und verunsichern somit die fixierte Beziehung zwischen männlicher Betrachterposition und angeschauter Frau. Schon die Surrealisten hätte, wie Silvia Eiblmayr herauskristallisiert, das Auge der Frau als Symbol der Verführung und gleichzeitigen Kastrationsbedrohung von Anbeginn fasziniert (1989:342). Besonders deutlich wird dies in der aggressiven Szene in Luis Buñuels und Salvador Dalís Film Ein andalusischer Hund (1928), in der ein Rasiermesser direkt in das Auge einer Frau schneidet. Blickbeziehungen und ihre Strukturierung gelten als eines der zentralen Themen feministischer Kunstwissenschaft. Die Filmtheoretikerin Laura Mulvey arbeitet in ihrem berühmten, 1975 erstmals erschienenen Essay „Visuelle Lust und narratives Kino“ auf Grundlage psychoanalytischer Erkenntnisse heraus, wie das Unbewusste der patriarchalischen Gesellschaft die Filmform strukturiert, das heißt, sie beschreibt die geschlechtsspezifischen Effekte des Kinos (Mulvey 1994). Das Paradox des Phallozentrismus in all seinen Manifestationen liegt Mulvey entsprechend darin, dass er „auf das Bild der kastrierten Frau angewiesen sei, um seiner Welt Ordnung und Sinn zu verleihen“
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(ebd.:48).271 Zugleich symbolisiere ‚die Frau‘ aufgrund ihres anatomischen Penismangels die Kastrationsdrohung für das männliche Subjekt. ‚Die Frau‘ existiere demnach nur im Verhältnis zur Kastration, sie steht in der patriarchalischen Kultur „als Signifikant für das männlich Andere“ (Mulvey 1994:49). Die erotische Lust am Schauen sei dadurch geteilt in einen aktiven respektive männlichen und einen passiven respektive weiblichen Part. In der Frauen zugeschriebenen exhibitionistischen Rolle, führt Mulvey weiter aus, werden sie gleichzeitig zur Schau gestellt und angesehen, sie konnotieren ein „Angesehen-werden-Wollen“ (ebd.:55). Im Kino gäbe es nunmehr zwei Möglichkeiten, der durch die Frau als Abbild geweckten Kastrationsangst zu begegnen: der Voyeurismus, der die Kastrationsangst kompensiere und der Fetischismus, der die Kastration verleugne (ebd.:58). Für ein weibliches Publikum im konventionellen Kino hätte das zur Konsequenz, dass sein Blick auf die Protagonistin nur über die männlich bestimmte Schauweise des männlichen Protagonisten erfolgen könne. Erst wenn der die Illusion herstellende Blick der Kamera befreit, ihre Materialität von Zeit und Raum hervorgebracht und der Blick des Zuschauers zu einem dialektischen gemacht sei, könne der voyeuristische und fetischisierende Blick zerstört werden (ebd.:64f). Mulveys zweiter Aufsatz geht unter dem Titel „Den Blick demaskieren“ verstärkt der Frage nach den Widersprüchen des geschlechtsspezifischen Blicks für ein weibliches Publikum nach (Mulvey 2000). Die Position der Zuschauerin oszilliere notwendigerweise „zwischen einer Ausrichtung am männlichen Blick und einer bewußten Distanzierung von ihm“ (ebd.:133). In einem Interview spricht Schleime kritisch von ihrem eigenen voyeuristischen, Frauen verdinglichenden Blick auf ihre Modelle, die sie – damals in der DDR – mit den „Augen der Begierde des männlichen Malers“ gemalt hätte (zit. nach Dahlke 1997:316). Als Gründe gibt sie dafür an, dass „in der Kunstgeschichte ja nur der männliche Blickwinkel eine Tradition“ hätte (ebd.), es also an anderen sichtbaren und rezipierbaren Positionen fehle. Sie hätte die Rolle ihres damaligen Freundes übernommen und mit seinen Augen gesehen. Wie sehr sie diesen Blick in ihren Aktionen, fotografischen Selbstinszenierungen und Filmen nicht nur thematisiert, sondern „demaskiert“ und damit eine Kritik am männlichen Blickregime vornimmt, zeigt sich auch in dieser Arbeit, die den weiblichen Körper nicht nur als einen sichtbaren inszeniert. Als zugleich „sehender“ Körper gibt er den Betrachterblick zurück. Durch die sukzessive Übermalung bringt Schleime zugleich ihre eigene Nacktheit graduell zum Verschwinden. In der erst halbseitigen und schließlich auf den ganzen Körper ausgeweiteten Bemalung verschmilzt er mit dem
271 In ihrem Aufsatz zur „Inszenierung des weiblichen Körpers in der Kunst des 20. Jahrhunderts“ unterstreicht Silvia Eiblmayr, dass mit der negativen Definition der Frau als mangelhaft eine männlich normierte Hierarchie etabliert werde. In ihr wird die Frau durch das bestimmt, was ihr sichtbar fehlt (Eiblmayr 1989:339).
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verschatteten Scheunenhintergrund und entzieht sich so seiner vollständigen Sichtbarkeit. Insbesondere im Stadium ihrer ganzheitlichen Körperbemalung erinnert sie an die Figuren, die in schwarzer Tusche gemalt, ihre Bilder bevölkern. Zugleich changiert ihre Aktion zwischen dem Innehalten und Einnehmen von Posen, die auf einen imaginären Betrachter bezogen sind. Indem die Künstlerin ihren Körper in Bewegung zeigt und symbolisch mit ihm auf den männlichen Betrachter zurückblickt, begehrt sie gegen den Objekt- und Bild-Status auf. Die Ambivalenz der weiblichen Doppelposition unterstreicht eine nicht zum Leporello, sondern zu ihrem Maltagebuch von 1983 gehörende Fotografie aus dieser Serie [Abb. 80]. In ihr wendet die in Draht eingeschnürte Akteurin dem Betrachter ihren partiell mit Augen bemalten Rücken zu, während ihre schwarze Vorderansicht durch einen Spiegel reflektiert wird. Auf dieser Aufnahme ist sie narzisstische Betrachterin ihres eigenen Spiegelbildes – ohne dass dabei ihre Augen selbst sichtbar werden –, während das männlich konnotierte Begehren auf ihren repräsentierten Körper trifft, der den voyeuristischen Blick zugleich symbolisch zu erwidern scheint. Durch die später aufgebrachte Übermalung bringt Schleime den Hintergrund im Bild zum Verschwinden und kanalisiert den Blick auf Körper und Spiegelbild. Das uneindeutige Subjekt-Objekt-Verhältnis erschwert es dem männlichen Betrachter, sich selbst kohärent zu lokalisieren und seinen Blick zu fixieren.272 Verdichtet wird die metaphorische Gleichsetzung des weiblichen Körpers mit dem Bild beziehungsweise dessen materieller Substanz, wie sie Sylvia Eiblmayr in Bezug auf die Interdependenz von visueller Repräsentation und sexueller Differenz analysiert hat (1993), durch die spätere Überarbeitung der Fotoserie. Für Künstler*innen der zweiten Öffentlichkeit stellt die Übermalung ein weiterführendes Verfahren für alternative Materialien und Bildträger dar.273 Bevorzugtes Medium waren handliche, leicht erhältliche Kunstpostkarten, mit der auf die Kunstgeschichte und ihre Stile spielerisch reagiert werden konnte. Die Virtuosität ihres kommentierenden Malens treibt Schleime auf die Spitze, als sie 999 Postkarten mit dem Motiv eines Zebras individuell übermalt und somit aus jeder Postkarte ein originäres Werk macht (Zebra, 1982/83). Auch in ihren Bildtagebüchern, ihrer Keramik und dem Abfilmen von bearbeiteten Postkarten in ihren Super-8-Filmen ist das Moment der malerischen Abwandlung festgehalten. In der Verknüpfung von Performances und Übermalungsprozessen übernimmt der Ostberliner Künstler Erhard Monden eine Vorreiterrolle. In seiner Serie Prozeß-Fotodokumentation, 1981 in seiner Personalausstellung in der Berliner Galerie Arkade präsentiert, modifiziert Monden
272 Zum „oppositionellen Blick“ in Schleimes malerischen Werk vgl. Wesle 2012. 273 Jürgen Böttcher Strawalde war der Erste in der DDR, der dieses Medium für den Dialog mit kunsthistorischen Werken nutzte. Im filmischen Triptychon Potters Stier; Venus nach Giorgione und Frau am Klavichord, entstanden 1981, inszenierte er seine Kunst im Postkartenformat.
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A bb . 80 Cornelia Schleime, aus der Serie: Körper-Wand-Fotoübermalung in Hüpstedt, 1981
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seine fotografischen Selbstporträts bis zur Unkenntlichkeit, indem er mit in Farbe getränkten Stiefeln über seine Porträts läuft. Mit den übermalten fotografischen Dokumentationen ihrer Körperaktionen erzielt Schleime stark verfremdende Effekte. Die indexikalische Qualität der Fotografien wird durch Linien und Farben überlagert und tritt mit ihr in ein offenes Spannungsverhältnis. In ihrer Performance greift die Protagonistin malerisch und aktionistisch auf ihren Körper zu. Auf der bildlichen Ebene führt sie die Transformation ihres Körpers, aber auch des dokumentarischen Materials fort. Gleich einem erneuten aktionistischen Eingriff verwandelt, verdichtet, fragmentiert und bringt die Künstlerin ihren Körper und den Anderer zum Verschwinden oder hebt bestimmte Partien besonders hervor. Waren es vormals der direkte Farbauftrag auf der Haut und die beengenden Kräfte des Drahtes, die sich in Schleimes Körper einschrieben, so ist es jetzt der malerische Gestus, mit dem der repräsentierten weiblichen Figur sinnbildlich auf den Leib gerückt wird. In der Überlagerung des Performancedokuments vom aktiven weiblichen Körper mit der malerischen Erneuerung der Fotografien, in denen sich die Künstlerin als passives Körperbild repräsentiert, entwirft sich Schleime in der Unentschiedenheit zwischen weiblicher Subjektposition und surrealistischer Bildfigur. Diese Ambivalenz trifft auch für die Blickstrukturen zu. Indem Schleime mit dunkler Farbe große Partien ihres Körpers oder seine unmittelbare Umgebung abdunkelt beziehungsweise übermalt, kann der männliche Blick auf die noch sichtbaren und hell hervortretenden Flächen ihres nackten Körpers fokussieren. Obwohl die Künstlerin in den Übermalungen selbst nicht zurückblickt, konterkariert sie voyeuristisches Begehren durch die auf ihre Haut aufgetragenen Augen-Blicke. Zahlreiche Farbpunkte, die sich auf einer bearbeiteten Fotografie über den gesamten sie umgebenden Raum legen, wirken wie die Vervielfältigung der auf den Körper aufgemalten Pupillen, sodass der Eindruck entsteht, das gesamte Bild würde den Blick erwidern [Abb. 81–82].
3.4.3 Einschnürungen Auslöser ihrer Körperaktionen seien, wie Schleime berichtet, Aggression und Frustration gewesen, die sie durch die wiederholte Erfahrung staatlicher Restriktion wie durch das Verbot des Pleinairs 1981 dazu veranlasst hätten, sich mit nacktem Körper zu inszenieren (Dahlke 1997:307). Auch in ihrer eigenen Publikation In der Liebe und in der Kunst weiß ich genau, was ich nicht will von 2010, einer Sammlung aus frühen Fotos, Gedichten, Texten, Zeichnungen, Übermalungen, Filmstills sowie Arbeiten aus den 1990er Jahren und Auszügen aus Reisetagebüchern, finden sich Hinweise auf die ursprüngliche Motivation für ihre Body Art:
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A bb . 81–82 Cornelia Schleime, aus der Serie: Körper-Wand-Fotoübermalung in Hüpstedt, 1981
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Ich habe Ausstellungsverbot, also nehme ich jetzt meinen Körper, fange damit etwas an. Der ist jetzt meine Tür nach Außen. (Schleime 2010:16) Ich war so verzweifelt, dass ich mich nackt in Draht eingewickelt habe oder mich mit Farbe beschmierte. Ich habe in einer Punkband gesungen, obwohl ich eine miserable Stimme habe, und vielleicht mit diesen ganzen Aktionen viel Zeit vertan, aber es war notwendig herauszufinden, wie beschissen das Land ist, in dem ich lebte. Es war kein Draußen mehr erkennbar für mich. (Schleime 2010:20) Bei eingehender Beschäftigung mit ihrem Werk wird jedoch deutlich, dass die Ausführungen ihrer Inszenierungen nicht (ausschließlich) affektgeschuldet sind. Die Materialität des Drahtes und des geflochtenen Seils als Metaphern der Abhängigkeit und Unfreiheit sind bis heute in ihrem Werk präsent. Bereits auf ihren frühen Bildern und Radierungen, auch aus ihrer Diplomarbeit,274 zeigt Schleime Frauenfiguren oder deren Köpfe in Käfigen. In ihrer 2002 entstandenen Selbstinszenierung als Büßerin, in der sie sich in ein Baby-Gitterbett zwängt, ruft sie dieses Bild mehr als zwanzig Jahre später von Neuem auf. Auch wenn Schleimes Selbstaussage das Gegenteil nahelegt, wird spätestens daran deutlich, dass sich die Interpretation ihres Werks aus den 1970er und 1980er Jahren nicht auf eine reine Systemkritik am Staatssozialismus der DDR beschränken darf. Draht findet bereits in der Installation Raum des Dichters (1979) sowie im Environment Herr Ming (1981) als künstlerisches Ausdrucksmittel seinen Einsatz, um sinnbildlich die Verengung und Durchkreuzung von Räumen zu markieren. Auch in ihren Körperaktionen setzt sie Textilien, Draht und Seile ein, diesmal für die Einschnürung und Umhüllung ihres Körpers. Das Motiv des geflochtenen Seils taucht erneut in zwei Fotoinszenierungen von 1993 auf, wobei es hier in Form zweier überdimensional verlängerter Zöpfe erscheint. Eine der Fotografien, in der die Künstlerin an ihren Zöpfen einen Kinderwagen hinter sich herzieht, gehört zu Schleimes sogenannter Stasi-Serie und soll im letzten Kapitel ausführlicher besprochen werden. Auch in ihren mal mit Zöpfe, mal mit Rituale betitelten Serien von Tuschezeichnungen (1995/96) sowie in zahlreichen Gemälden (Lange Freude, 1996; Die Nacht hat Flügel, 1996) steht der geflochtene Zopf symbolisch für Normierung und Disziplinierung, wobei ihm auch neue Qualitäten wie animalische Eigendynamik und Bedrohung sowie Erotik und Verführung zugeschrieben werden können. Bisweilen entwirft die Malerin in ihren Bildern geflochtene, wie Fühler weit abstehende oder sich wie Tentakeln um den Kopf, das Gesicht,
274 Zwei Blätter ihrer Diplomarbeit, darunter Frau im Käfig, wie auch andere Werke aus ihrem verschollenen Frühwerk tauchen im Juni 2016 völlig unerwartet wieder auf. Von Schleimes 90 Ölbildern und zahlreichen Keramiken fehlt bis heute allerdings jede Spur. Cornelia Schleime im Gespräch mit der Autorin, 21.06.2016.
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den Hals und Körper weiblicher Subjekte windende Zöpfe, die auch die Gestalt von Schlangen annehmen können (Leise spricht die Zunge, 2012/13) oder im Gegensatz dazu wie arretierende Seile wirken (Ohne Titel, 2015). Strategien der Übertreibung und Zuspitzung durch das Mittel der Verlängerung bestimmen das gesamte malerische und zeichnerische Oeuvre Schleimes, das Zöpfe auch in aufragende Geweihe übergehen lässt (Zoophologie, 2007) und weibliche Wesen mit stark aufgestellten Fuchs- oder Hasenohren zeigt (Camouflage, 2009). 1982 setzt die Künstlerin in Hüpstedt ihre Körperaktionen aus dem vorangegangen Jahr fort, die sich nun stärker auf Strategien der Umwicklung und Umhüllung konzentrieren, wobei Schleime erneut als Akteurin auftritt. Eine Serie gibt sie im Innenraum zu sehen, wie sie in verschiedenen Stadien ihren Körper und ihren Kopf in ein langes weißes Stofftuch wickelt (Selbstinszenierung in Hüpstedt) [Abb. 83]. Ihre Körper-Wand-Fotoübermalung von 1981 und diese Aktion weisen dynamische Momente auf, sofern Schleime mit dem sie umgebenden Draht steht, hockt oder kniet beziehungsweise den Prozess des Umwickelns selbst zu sehen gibt. In ihren folgenden Inszenierungen aber verdichtet sich die Darstellung symbolischer Immobilität des weiblichen Körpers. Unterstrichen wird dies durch die Wahl des Bildausschnittes, der die Künstlerin nicht mehr vollständig zeigt, sondern auf ihr Gesicht fokussiert ist. In der von Gabriele Stötzer fotografierten mehrteiligen Serie Mund auf, Augen zu (1982) ist ihr Gesicht in ein straff geschnürtes Band gewickelt, das es bis zur Unkenntlichkeit entstellt [Abb. 84–85]. Kompakte, nachträglich an den Bildseiten aufgebrachte Farbbalken verkleinern den Bildausschnitt, ferner bedrängen drei Linien Kopf und Körper. Kräftige Farbschraffuren nehmen die Verläufe der Schnürung auf, umkreisen Kopf und Schulter und unterstreichen die gebeugte Haltung des Kopfes. Fest geknüpfte Seile umfassen in Bondage-Selbstinszenierung in Hüpstedt (1982) ihren Oberkörper und Gesicht. Die Abstände der Verschnürung lassen zwar die Augen der Künstlerin und Partien ihres Gesichtes frei – dafür unterstreichen die Dicke der Seile sowie ihre komplizierte Verknüpfung den Eindruck gewaltsamer Arretierung und Strangulierung. Die über den Kopf gezogene Plastiktüte in Selbstinszenierung in Hüpstedt (1982) zielt weniger auf den metaphorischen Zustand gewaltsamer Fixierung und Bewegungslosigkeit als auf symbolische Bilder der Klaustrophobie und des Erstickens. Zahlreiche feministische Künstlerinnen nutzten insbesondere in den 1970er Jahren Verfahren der Einwicklung des weiblichen Körpers in ihren Performances und fotografischen Inszenierungen.275 Eindrückliche Parallelen ergeben sich hier zu den fotografischen Selbstporträts Annegret Soltaus. Bereits Anfang der 1970er Jahre hatte die Künstlerin in Zeichnungen und Radierungen verschnürte und umhüllte Frauenfiguren gezeigt. In der
275 Vgl. Kap. 3.3.3 Vom Textil zum Körper.
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A bb . 83 Cornelia Schleime, aus der Serie: Selbstinszenierung in Hüpstedt, 1982
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A bb . 84–85 Cornelia Schleime, aus der Serie: Mund auf, Augen zu, 1982
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fotografischen Serie Selbst (1975–76) umschnürt Soltau ihr Gesicht und appliziert nachträglich mit einem grauen Seidenfaden eine Verspannung aus Fäden. Soltaus auf Gesicht und Dekolleté reduziertes Fadengeflecht hat einen zeichnerisch-filigranen, mitunter ästhetisierenden Effekt, trägt aber wie die nachträglich aufgebrachten, sich auf das gesamte Bild erstreckenden malerischen Verläufe in Schleimes Mund auf, Augen zu zur visuellen Verdichtung der Verschnürungen bei. Soltaus Fotoübernähungen folgten unter dem Titel Verbindungen (1975–76) öffentliche Aktionen, in denen die Künstlerin mit schwarzem Faden auf Gesichter und Körper lebender Modelle ‚zeichnete‘ und sie miteinander verband. Während Soltau in ihren Serien den Moment des Lösens, der Ent-Bindung und des Sich-Befreiens andeutete, beispielsweise indem sie sich selbst mit Schere zu sehen gab, womit das Zerschneiden des Fadengeflechts antizipiert wird, verharren Schleimes Figuren im Zustand körperlicher Fixierung und Handlungsunfähigkeit. Repräsentationskritisch ist ihre in Fotografien festgehaltene Aktion dahingehend zu lesen, dass sich Schleime völlig ungeschützt exponiert. Dabei gibt die Künstlerin ihre Selbstbeschränkung und die ihres eingebundenen, in Ohnmacht getriebenen Körpers auf aggressive Weise zu sehen, womit erotisches Begehren aktiviert, gängige Darstellungsmuster aber zugleich unterlaufen werden.276
3.4.4 Unter weißen Tüchern Bilder des in Seile, Bänder und Draht eingeschnürten Körpers überführt die Aktionskünstlerin ein Jahr später aus der fotografisch dokumentierten Selbstinszenierung in das filmische Medium, in dem sie ihn verhüllt zeigt. Unter weißen Tüchern (1983) ist ein Experimentalfilm aus der Reihe ihrer Super-8-Produktionen, der sich im Spannungsfeld von Performance, Rollenspiel, Kostümierung, Pantomime und musikalischer Improvisation entfaltet und erneut eindrückliches Zeugnis des intermedialen Arbeitens von Künstlerinnen der zweiten Öffentlichkeit ist. In zumeist verlangsamten Bildern gibt der Film eine Protagonistin und drei männliche Figuren zu sehen, die sich zumeist in einem schmalen Raum auf halten und wenige Male am Ufer eines Flusses stehen. Deutliche Schnitte der Bild- und Tonspur sorgen für einen stark fragmentierten Verlauf der filmischen Narration, in der eine junge Frau als geschmückte Braut in weißem Kleid, Schleier und Blumenkranz, später als trauernde Witwe mit dunkel umrandeten Augen eingeführt wird. Männliche Figuren erscheinen nebeneinander gefesselt an der Zimmerwand fixiert, bis sie befreit den Raum verlassen. Auch die Protagonistin verharrt, ihrerseits an der Tür verankert, in erzwungener Regungslosigkeit und wird nur durch das 276 Zur Repräsentation des nackten weiblichen Körpers vgl. die Einführung in Kap. 3. Geschlecht anders zeigen.
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Öffnen und Schließen der Tür minimal bewegt. In den letzten Filmszenen löst eine Hand die arretierenden Seile, die Frau läuft ins Freie und steht mit ihren Begleitern am Flussufer. Der Zustand der Bewegungslosigkeit in den Bildern der gefesselten und festgehaltenen Figuren wird durch weitere formale und inhaltliche Aspekte zugespitzt. Durch wechselnde Zeitebenen – Braut- und Witwendarstellung alternieren – erzeugt die Künstlerin eine achronologische Abfolge des Geschehens und suggeriert einen geschlossenen zeitlichen Kreislauf. Stillstand wird durch fehlende Handlung und die stark eingeschränkten Aktionen der Figuren repräsentiert. In der antagonistischen Darstellung der Filmräume eröffnet sich ein weiteres Gestaltungsmittel. Einschränkung und Begrenzung repräsentiert der durch seine Enge charakterisierte Innenraum, in dem sich die Protagonist*innen primär aufhalten. In seiner klaustrophobischen Atmosphäre gerinnen die unbeweglichen Körper zur Architektur selbst, sie werden zu Bestandteilen von Wand und Tür, wobei das Motiv der Tür ähnlich wie in der Installation Raum des Dichters zentral in Szene gesetzt wird. Der Blick aus dem Fenster, der Einfall von Licht und Helligkeit in den verschatteten Raum, die Szenen im Freien verbunden mit der Bewegung des Wassers, dem Vorbeifahren eines Schiffes und dem in die Ferne gerichteten Blick – gespiegelt durch übermalte Postkarten mit Segelschiffen und schwarzen Tuschefiguren über dem Meer: All das steht auf visionäre Weise im Kontrast zu den Bildern von Stagnation und Handlungsunfähigkeit. Mit dem Wissen, dass Haus und Privatsphäre in der DDR Orte der Spionage und Observation waren, stellen sich Assoziationen des Eingeschlossenseins in der Rezeption des Filmes besonders deutlich ein. Der Außenraum wird zum Gegenraum. Aber auch dieses reale Draußen, das ebenso wenig den eigentlichen Sehnsuchtsort meint, wirkt durch sein graues Erscheinungsbild und die eintönige Kleidung der Figuren mitunter bedrückend und melancholisch. Unter weißen Tüchern kann als visuelle Metapher für die restriktive Situation im Staatssozialismus in der DDR gelesen werden, in der progressiv auftretende Menschen mit kreativem Potenzial sinnbildlich die Hände gebunden werden. Gleichermaßen kann er als filmisches Selbstporträt gedeutet werden. Die Entstehung des Filmes liegt in jener Zeit, in der Schleimes Lebenspartner nach Westberlin ausreisen durfte, sie selbst jedoch in der DDR verbleiben muss, in der sie als Braut auf ihren Bräutigam wartet, dem für ihre Hochzeit indessen die Einreise verwehrt wird. Es ist ein Zustand existenzieller Verzweiflung und erzwungenen Wartens. Da sich die Fragestellungen dieser Studie auf den wirklichkeitsproduzierenden Anteil des Visuellen richten, soll der Film jedoch nicht auf seine vermeintliche Abbildfunktion für die konkrete Lebenswirklichkeit der Künstlerin hin untersucht werden. Vielmehr interessiert an dieser Stelle die Frage, welche Bilder von Weiblichkeit dieser Film herstellt. Insbesondere sind es die Bilder der Braut und Witwe, die dahingehend befragt
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werden sollen, inwieweit sie patriarchale Entwürfe von Weiblichkeit reproduzieren oder diese zurückzuweisen [Abb. 86–88].
3.4.4.1 Verschleierungspraktiken Der Vorspann des Films zeigt ein Tuch, auf dem sich die Konturen eines Gesichts plastisch abzeichnen. Mit Hilfe eines Pinsels wird dieser Stoff sukzessive beschrieben, bis der vollständige Filmtitel und der Name der Filmemacherin erscheinen. Dieses Bild ruft nicht nur die Vorstellung von einer Braut unter beziehungsweise hinter weißen Tüchern auf. Da Stoff und das dahinter verbannte Gesicht bildfüllend zu sehen sind, verweist es zugleich auf den Bildcharakter der Frau, ihre Fixierung in beziehungsweise als Leinwand und auf das metaphorische Aufgehen des Körpers in deren materieller Substanz. Erinnert sei in dem Zusammenhang an die Inszenierungen von Helena Almeida, die sich wie in Bewohnte Leinwand (1976) und Ouve-me aus ihrer Trilogie Sente-me, Ouve-me, Vê-me (1978/79) „als eine in das Bild Eingeschlossene, als dessen Bewohnerin, die versucht, dieses Bild zu verlassen“ (Eiblmayr 1993:150) inszeniert.277 In der nächsten Filmszene wird eine Spieluhr eingeblendet, in deren gläsernem Gehäuse sich eine Tänzerin hektisch um sich selbst dreht, unterbrochen von kurzem Innehalten. Sie trägt einen weit ausgestellten weißen Rock, der ihre vordere Körperhälfte bedeckt, ihren Hintern allerdings entblößt. Ihre Brüste sind mit goldener Farbe übermalt. Zwei Weiblichkeitsbilder scheinen in dieser einen Figur repräsentiert: das der Braut im jungfräulich weißen Kleid und das der entblößten Frau als fetischisiertes Objekt des ‚männlichen‘ Blicks. In den folgenden Szenen wird das Bild einer klassisch als Braut gekleideten Frau inszeniert, wobei der Akt des Einkleidens selbst sichtbar gemacht wird. Sie trägt einen mit weißen und roten Blüten durchsetzten Blumenkranz, einen weißen Schleier, der ihr Haar verhüllt, und ein langes weißes Gewand.278 Dieses Brautbild erfährt im Folgenden seine Umwandlung. Frierend, die Arme vor der Brust verschränkt, steht die Braut ohne Schleier, aber noch in Weiß gekleidet. Ihre Augen sind rot unterlaufen, auf der Stirn trägt sie ein mit weißer Farbe aufgetragenes Kreuz. Später werden Kleid und Schleier zu Schnüren und Stoff bahnen, die sie, an der Tür hängend, in den Zustand ohnmächtigen Ausgeliefertseins zwingen und erneut die Vorstellung vom Bildstatus des weiblichen Körpers aufrufen. Neben dem Bild der eingesperrten Ehefrau, wie sie 277 Vgl. auch die Ausführungen zu den Interaktionen, insbesondere Umhüllungen und Einwicklungen, von Künstlerinnen mit Textilien und Folien in Kap. 3.3.3 Vom Textil zum Körper. 278 Das weiße Brautkleid mit Schleier und Krone, Reif oder Kranz setzte sich in Europa im 19. Jahrhundert durch, um die intakte Unschuld der Frau anzuzeigen. Schleime lässt sowohl ihre Protagonistin als auch ihre männlichen Figuren in einigen Filmszenen Handschuhe tragen, die lange Zeit als Symbol des Vertragsabschlusses der Ehe galten. Die Übertragung des absoluten Verfügungsrechts über die Braut vom Brautvater auf den Bräutigam wurde durch den Austausch von Machtzeichen, neben Stab und Schwert auch Handschuhe, symbolisiert (Völger & von Welck 1985).
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A bb . 86–88 Cornelia Schleime, Unter weißen Tüchern, 1983, Stills, Super-8-Film transferiert auf DVD, Ton, Farbe, 9 min
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beispielsweise aus Béla Balázs’ Oper Herzog Blaubarts Burg (1911) bekannt ist, aktiviert der Film das Motiv der einsamen und isolierten Witwe, das wiederholt zwischen die Brautdarstellung geschnitten ist. Ihren weißen Schleier achtlos hinter sich herziehend, hat die Protagonistin ihre weiße gegen schwarze Kleidung getauscht und läuft, Kreisbewegungen vollziehend, durch den engen Raum, während weder sie noch die drei an der Wand hängenden männlichen Protagonisten gegenseitig von sich Notiz nehmen. Anschließend setzt sie sich zwischen auf dem Boden ausgebreitete Äpfel und kämmt einer weißen Ratte in ihrem Schoß das Fell.279 In ihrer Analyse über die geschlechtliche und wissenshistorische Tradition des Schleiers und seiner vielseitigen, widersprüchlichen Bedeutungen im Christentum und Islam heben die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun und die Psychoanalytikerin Bettina Mathes hervor, dass Bräute lange Zeit den Gesichtsschleier als Zeichen ihrer Schamhaftigkeit trugen (2007:57). Mit dem Lüften des Schleiers durch den Bräutigam sei die symbolische Entblößung ihrer Scham gemeint, das damit verbundene ‚Erkennen‘ stehe für den Vollzug des Geschlechtsakts. Lange Zeit war Frauen auch nach ihrer Heirat die Verhüllung des Kopfes vorgeschrieben. Damit wurde ihre Zugehörigkeit zum Mann, ihre Ehrbarkeit und die Abgrenzung von Prostituierten öffentlich angezeigt. Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit war es dann insbesondere das Haar, das verheiratete Frauen unter einer Kopf bedeckung verbergen mussten, wofür die umgangssprachliche Redewendung ‚unter die Haube bringen‘ steht. Die Rituale der Verschleierung gelten als Bändigung des weiblichen Haares, das symbolisch für sexuelle Magie und Fruchtbarkeit steht, als verführerisch und gefährlich galt (ebd.:63). Zum Bedeutungsreichtum des Schleiers im Christentum und Islam gehört das Paradox, dass Verschleierung nicht unweigerlich mit Unterdrückungspraktiken gleichzusetzen ist, welche die westliche Welt bis heute in der Verschleierung islamischer Frauen sieht. Ebenso wenig steht die Praxis des Enthüllens und Entblößens zwingend für die Befreiung des weiblichen Körpers. Die Verschleierung islamischer Frauen im öffentlichen Raum ist, von Braun und Mathes zufolge, nicht mit der Überwindung oder Unterdrückung ihrer Sexualität gleichzusetzen. Vielmehr steht sie für einen spezifischen Umgang damit. Im Islam wird die bis auf die Augen verschleierte Frau unsichtbar und widersetzt sich damit der kolonialisierenden, ‚männlichen‘ Macht des Blickes. Dabei wird sie selbst zur Betrachterin, die nicht gesehen werden kann (ebd.:25). Das Burka-Verbot in Frankreich impliziert, so führt Silke Wenk in ihrem Aufsatz über Sichtbarkeitsregimes der ‚westlichen‘ gegenwärtigen Kultur 279 In der griechischen Antike galten Äpfel als Sinnbild für Leben und Fruchtbarkeit. Die durch die christliche Mythologie überlieferte Symbolik des Apfels für Verführung und den menschlichen Sündenfall ruft der Film in mehreren Szenen auf.
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und die darüber regulierten Geschlechternormen aus, dass „man auch beim Sehen gesehen werden soll, ohne jede Verschleierung und gleichsam ‚mit dem gesamten Körper‘“ (Wenk 2012:49). Aufklärung und Entschleierung seien kulturgeschichtlich eng verbundene Metaphern. Das Gebot der Sichtbarkeit der ‚westlichen‘ Kultur erklärt die Kunstwissenschaftlerin unter anderem damit, dass in Philosophie, Literatur und den bildenden Künsten der Schleier immer auch als etwas verhandelt wurde, „das Erkenntnis verstelle und deswegen gelüftet werden müsse“ (ebd.:52). Entschleierte, „bloße Weiblichkeit“ in der ‚westlichen‘ Kultur zeige sich in enger Verknüpfung mit Freiheit, Innovation und Fortschritt (ebd.:59, Hervorh. im Original). Dass auch prominente Feministinnen wie Alice Schwarzer und VALIE EXPORT eine grundsätzliche Kritik an der Burka äußern, sieht Wenk darin begründet, dass im Sichtbarkeitszwang zwar auch widerständige Praktiken und weibliche Selbstermächtigung freigelegt werden können, ihre auf die Burka gerichtete Abwehr aber zugleich den symbolischen Gewinn meint, der westlichen Frauen über die Ausgrenzung der ‚anderen‘ Frauen zuteilwird. Nicht vollendete emanzipatorische Prozesse könnten darüber kompensiert werden (ebd.:50f). Die domestizierenden und disziplinierenden Bekleidungspraktiken aus (vor-)christlicher Zeit werden in Schleimes filmischer Brautdarstellung aktiviert. Auch in der Kreuzes-Symbolik, aufgerufen durch das aufgemalte weiße Kreuz auf der Stirn der Protagonistin, wird Weiblichkeit die zusätzliche Bedeutung von Ohnmacht und Sterblichkeit zugewiesen, die sich in den Bildern des eingeschnürten, fast vollständig verhüllten und des an der Tür fixierten weiblichen Körpers zugespitzt findet. Als Braut bleibt die weibliche Figur in einer ausweglosen Situation gefangen. Sie ist diejenige, die auf ihren Bräutigam wartet, frierend auf der Stelle verharrt, von ihrem Mann verlassen und zur Witwe gemacht wird. Als an der Tür Gefesselte ist sie den Bewegungen der männlichen Protagonisten beim Verlassen des Raumes ausgeliefert, kann die Schwelle ins Freie selbst nicht betreten. Hochzeitskleid, Schleier und Stoffbahnen engen die weibliche Figur ein. Die weißen Tücher zwingen die Frau zum Stillstand und lassen sie dahinter fast vollständig verschwinden. Auch in Schleimes Malerei finden sich immer wieder Brautentwürfe, in denen Schleier und weißes Kleid zur Fessel, zum Verband und steifen Gewand werden, die der Verhüllung und Fixierung des weiblichen Körpers dienen (Postkartenübermalungen, 1980er Jahre; Liz II, 1997) [Abb. 89–90]. Diese Bilder können als Metapher für die Zähmung weiblicher Persönlichkeit und Sexualität in den hierarchischen Geschlechtermustern der Institution Ehe gelesen werden. Einerseits reproduziert die Künstlerin gängige Bilder der passiven und handlungsunfähigen Frau, andererseits stellt sie diese durch die verdichtete Darstellung als Gefangene zur Debatte.
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A bb . 89–90 Cornelia Schleime, Postkartenübermalungen, 1980er Jahre
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3.4.4.2 Widerständige Momente Zwischen welchen Extremen die kulturhistorische Bedeutung der Witwe und ihre Diskurse schwanken, zeigt sich zum einen anhand der umstrittenen und vereinzelt noch bis heute praktizierten Tradition der Witwenverbrennung in bestimmten ländlichen Regionen Indiens, durch die Frauen gezwungen sind, sich mit dem Leichnam ihres Mannes zu verbrennen280 und zum anderen an gefeierten Witwendarstellungen des zeitigen modernen Europas, die fürstliche Witwen aus Italien oder Frankreich als reiche Erbinnen und Mäzeninnen konstruierten und in der visuellen Repräsentation feierten (Levy 2003). In ihrem Film durchkreuzt Schleime das Bild der trauernden und zurückgezogenen Witwe als schattenhafte Existenz ihrer selbst mit der Inszenierung einer Ratte. Die Ratte als gewöhnliche Begleiterin der damals auch in Kunstkreisen aktiven Punks war nicht nur ein demonstratives Symbol für ihren nonkonformen Kleidungsstil und ihr rebellisches Auftreten, sondern zeigte auch ihre selbst gewählte Verortung an – als aus dem Untergrund kommend. Assoziiert ist das aus der Kanalisation kommende Tier mit Abfall, Dreck, Müll, mit Fäkalien und Krankheit, von den meisten Menschen im westlichen Kulturkreis wird es aus dem Bewusstsein verdrängt und mit Gift bekämpft. Die Punks holten die Ratte sinnbildlich aus der Kloake, nobilitieren und trugen sie ostentativ an die sichtbare Öffentlichkeit. Schleimes Witwe kämmt liebevoll und sorgfältig einem Tier das Fell, dem vorrangig negative Bedeutung zugeschrieben und das zur Subvertierung gesellschaftlicher Normen von Punks als Haustier gehalten wird. Auch wenn die Ratte in Unter weißen Tüchern mit ihrem weißen, gepflegten Fell vergleichsweise gezähmt erscheint, hat die widerständige Repräsentation der Ratte und den durch sie verkörperten Ekel in der visuellen Überkreuzung mit dem tradierten Weiblichkeitsentwurf der schicksalsergebenen und trauernden Witwe destabilisierende Effekte. In der Etablierung einer innigen, körperlichen Nähe zur Ratte verbindet sich das Bild der Witwe mit dem des Ausgegrenzten und Tabuisierten. Die symbiotische Repräsentation des vermeintlich gebändigten Tieres und kulturell normierter Weiblichkeit kann jederzeit außer Kontrolle geraten. Auch in ihrem nachfolgenden Film Nierenbett (1983) gibt Schleime abstoßende Substanzen zu sehen, indem sie einen nackten Schwarzen Protagonisten zeigt, der auf ein ‚Bett‘ aus verwesendem Fleisch und Innereien geschnallt ist. Schleime hoffte mit der Verwendung drastischer Mittel die Aversionen staatlicher Behörden hervorzurufen, um damit ihre eigene Ausreise beschleu280 Gayatri Chakravorty Spivak zeigt in ihrem Aufsatz „Can the Subaltern Speak?“ am Beispiel der indischen Witwenverbrennung auf, wie wenig sich Menschen in machtlosen Situationen artikulieren können und wie dies geschlechtsspezifisch normiert ist. Zwischen der frauenfeindlichen lokalen Tradition, die die sich selbst opfernden Witwen zu Heldinnen mit Subjektstatus stilisiert und dem Rassismus der Brit*innen, der diese Tradition für seine Diskurse missbraucht, hätten die Witwen keinerlei Möglichkeit, sich selbst zu artikulieren (Spivak 1988).
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nigen zu können.281 Darüber hinaus können ihre Filme in der Tradition der Abject Art gelesen werden, in der sich, wie die Kunstwissenschaftlerin Anja Zimmermann darstellt, Provokation als subversive Strategie unter Verwendung abjekter Materialien in der bildenden Kunst bis zum Surrealismus zurück verfolgen lässt (Zimmermann 2001).282 Wenige Jahre später entwickeln sich die Performances der Dresdner Auto-Perforations-Artisten verstärkt aus der Verwendung ekelerregender Materialien und Tiere. Dazu gehören auch die Auftritte von Else Gabriels Ratte mit dem vielsagenden Namen ELKE, der in anderer Buchstabenfolge gelesen, das Wort „Ekel“ ergibt (vgl. Birkholz 2006). Die Repräsentation widerständigen Potenzials im Film lässt sich auch im Lösen der Stricke und der Fesselung ausmachen, das einen Befreiungsakt der Figuren anzeigt. Der Lauf der Protagonistin ans Ufer setzt ein dynamisches Moment frei. Symbolisch entledigt sich die weibliche Protagonistin mit fremder Hilfe ihrer traditionellen Rolle als Braut und Witwe und ist am Ende des Films in dickem Wintermantel und Hosen neben zwei Männern am Ufer zu sehen. Die Schlussszene zeigt, wie sich Frau und Mann – das ehemalige Brautpaar – gegenüberstehen. Visionäre Bilder weiblicher Ermächtigung werden hier hergestellt, wenn sich durch das Verlassen räumlicher Enge Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmtheit der Protagonistin versinnbildlichen. Die weibliche Figur entledigt sich der normierenden Praxis des Einkleidens als Braut und Witwe; sie erscheint androgyn in männlicher Kleidung und begegnet dem Blick des Mannes auf gleicher Ebene. Der hier angelegte Gegenentwurf weist hegemoniale Muster der patriarchalen Gesellschaft, wie sie durch die Ehe sanktioniert werden, zurück. Diese andere Inszenierung von Weiblichkeit allerdings erfährt umgehend ihre Einschränkung durch kurz zuvor eingeblendete Bilder toter Fische, die an Zweigen hängen und im Wind hin- und herschwingen. Die Darstellung verweist erneut auf den Zustand ohnmächtigen Gefangenseins und zeigt ihn als präsent und unausweichlich an. Unter weißen Tüchern kann als Metapher für das Gefangensein in Bildern patriarchaler Repräsentationssysteme gelesen werden. Unterstrichen wird der Vergleich durch die unaufhörliche Drehbewegung der Spieluhrfigur zu Beginn des Films, durch das passive Verharren der Darstellerin und ihr wiederholtes, unruhiges Auf- und Abgehen im Raum, das ihrerseits durch die schnellen Pendelbewegungen einer leuchtenden Lampe im Hintergrund hervorgehoben wird. Auch das zu Beginn meiner Ausführungen angesprochene Vera-ikonMotiv im Filmvorspann – das Tuch, auf dem sich die Gesichtskonturen der
281 „Ich hatte ja immer gehofft, dass die Stasi drinsitzt und sich sagt, die Schleime macht hier so’n Mist, die müssen wir in den Westen rauslassen. Deshalb auch so provokante Sachen wie das Ding mit dem Fleisch. Ich dachte, ich müsste irgendwas Ekliges machen, damit die mich rauslassen.“ (Zit. nach Fritzsche & Löser 1996:68). 282 Zum Begriff des Abjekten vgl. Kap. 3.2.3 Frauen miteinander.
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Protagonistin abzeichnen – sowie die Verschnürung der weiblichen Figur an der wiederholt auf- und zuschlagenden Tür setzen in dieser Arbeit immer wieder den weiblichen Körper mit dem Bild gleich. Auf formaler Ebene akzentuiert Schleime das Gebundensein an tradierte Repräsentationsmuster von Weiblichkeit durch Schnitt und Gegenschnitt. Dieser erzeugt gleichermaßen eine Hin- und Her-Bewegung zwischen gängigen Weiblichkeitsbildern, die der Frau eine ohnmächtige und passive Rolle zuweisen. Vorübergehend scheinen Weiblichkeitsbilder auf, die ein widerständiges Vermögen – wie durch den Einsatz der Ratte als Symbol für Ekel und Rebellion und durch eine aktive weibliche Subjektposition am Ende des Films – anzeigen. Letztlich aber macht der Film deutlich, dass es kein Entkommen vor dem normierenden Blick gibt und die zeitweise Zurückweisung bindender patriarchaler Normierungen immer wieder in gängige Inszenierungen des weiblichen Körpers münden (müssen).283 Unter weißen Tüchern gehört zu einer Vielzahl künstlerischer Aktionen von Protagonistinnen aus Polen, Ungarn, Kroatien Serbien, die in den 1980er Jahren heterosexuelle Partnerschaften und die Institution der Ehe thematisieren und problematisieren (vgl. NGBK 2018). Mit ihrer Serie feministischer Auftritte Anfang der 1980er Jahre in Polen, später in Westberlin, sowie einem begleitenden Manifest entwickelte Ewa Partum eine explizite Kritik an patriarchaler Dominanz und Domestizierung der Frauen. In Frauen, die Ehe ist gegen euch! (1980) trat sie in einem Brautkleid auf, um es anschließend zu zerschneiden und darauf nackt mit dem Publikum über die Symbolik des Hochzeitkleides und eheliche Restriktionen zu sprechen. Den Widerspruch zwischen tradiertem Objekt- und Subjektstatus einer selbstbestimmten Frau griff die Ungarin Judit Kele innerhalb ihrer radikalen Inszenierung I Am a Work of Art (1979–1980) auf, in der sie sich mit Hilfe einer inserierten Heiratsanzeige in der Tageszeitung Libération als vermeintliches Artefakt und als heiratswillige Frau auf der Biennale in Paris versteigerte. Ähnlich Schleime wählte Kele die Heirat als Mittel, um staatlicher Kontrolle und Reglementierung in ihrem Heimatland zu entfliehen und sich neue Existenz- und Entfaltungsräume in einer liberalen Gesellschaft aufzubauen. Im Unterschied zu Schleime jedoch glückte Keles Hochzeit. Ihre fast 40-jährige Performance-Serie beendete die Künstlerin endgültig im Jahr 2018, in dem sie mit sich selbst den Bund der Ehe schloss.
283 Über Weiblichkeitsbilder hinaus befragt der Film ebenso tradierte Männlichkeitsentwürfe, wenn die drei männlichen Figuren maskenhaft geschminkt an der Wand gefesselt oder in marionettengleichen Bewegungen mit überdimensionierten weißen Krawattenschleifen um den Hals gezeigt werden. Dabei wirken sie im Gegensatz zur weiblichen Protagonistin stark stilisiert und entindividualisiert. Nur der Bräutigam, der am Anfang und zum Ende des Films sowie in den Uferszenen erscheint, bleibt als individuelle Person erkennbar. Im Film sind es die Männer, die trotz ihrer zeitweisen Einschnürung die aktiveren Figuren bleiben und denen es gelingt, aus der Geschlossenheit des Raumes zuerst auszubrechen.
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3.4.5 Stasi-Serie – oder wie ‚Weiblichkeit‘ konstruiert wird Anfänglich beschrieben habe ich das vielgestaltige Werk, das Cornelia Schleime zu Beginn der 1980er Jahre in der DDR schuf. Um ihre künstlerische Existenz in der ersten Öffentlichkeit wird sie jedoch durch ein Ausstellungsverbot gebracht. Nach ihrer Emigration nach Westberlin verliert sie, vermutlich durch das Eingreifen der Staatssicherheit, fast ihr gesamtes Oeuvre. Mit der Einsicht in ihre seit Anfang der 1990er-Jahre zugänglichen Geheimdienstakten muss die Künstlerin feststellen, wie weitreichend Beschattung und Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) waren und wie sehr Verfolgung und die Interventionen Inoffizieller Mitarbeiter, insbesondere in der Person Sascha Andersons, ihr Privatleben und ihren künstlerischen Werdegang geprägt haben. Dieser erneuten Verlusterfahrung der eigenen Biografie stellt Schleime mit fotografischen Selbstinszenierungen nicht den Versuch der Wiederaneignung und Interpretationshoheit über ihre Vergangenheit entgegen, sondern ein parodistisches Kommentieren, dass die Reflexion über ihren Subjektstatus, über die Methoden des Geheimdienstes und ihr eigenes künstlerisches Verfahren einschließt. In ihren Körperaktionen und ihrem Experimentalfilm Unter weißen Tüchern thematisiert die Künstlerin den Zustand der Starre, des Gefangenseins und der Agonie, die mit Bildern der Einschnürung und körperlichen Fixierung auch geschlechtsspezifische Zuweisungen adressieren. Neun Jahre später – nach einer längeren Schaffensphase in Westberlin und im inzwischen vereinten Deutschland – realisiert sie die fotoinszenierten Rollenspiele Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85 mit Strategien der parodistischen Überhöhung. In der Serie von fünfzehn Fotografien präsentiert sich die Künstlerin in Verkleidung, Perücken und verschiedenen Posen, die originale Aktenaufzeichnungen des Geheimdienstes zu ihrer Person unmittelbar kommentieren und konterkarieren.284 Damit nimmt sie die Praxis ihrer Körper- und Selbstinszenierungen ohne Publikum Anfang der 1980er Jahre wieder auf. Schleime entscheidet sich gegen die Verwendung fotografischen Materials, das der Staatssicherheit mehrere Jahre in die Hände gespielt wurde und beschließt, sich als Protagonistin ihrer eigenen Fotografien neu zu erfinden. Je eine fotografische Aufnahme montiert sie mittig auf ein Protokoll, einer Tonband- oder Gesprächsaufzeichnung aus ihrer Akte, die sie als großformatige Siebdrucke präsentiert.
284 Für die vielseitigen und virtuosen Verwandlungskünste profitiert die Künstlerin von ihrer professionellen Ausbildung als Friseuse sowie von ihrem begonnenen Studium der Maskenbildnerei an der HfBK Dresden vor Aufnahme ihres Malereistudiums in den 1970er Jahren.
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Ihre Serie zielt auf das retrospektive Aufzeigen und symbolische Durchkreuzen staatlicher Repression, die im System, dem Vorgehen und der Sprache des Geheimdienstes ihre stärkste Verdichtung fand. Die Konstruktion und Verfolgung des Feindes durch das Ministerium für Staatssicherheit richteten sich gleichermaßen auf politische Dissident*innen wie nonkonforme Kulturschaffende. Zur geheimdienstlichen Praxis gehörten die auf der Konstruktion der Geschlechterdifferenz basierenden Zuschreibungen von geschlechtsspezifischen Eigenschaften und Befähigungen der Observierten. Das Überschreiten sozialer und normativer Grenzen wie die Verflüssigung der Heteronormativität wurden durch die Staatssicherheit, die trotz der 1968 erfolgten Streichung des Paragrafen 175 zur Verfolgung Homosexueller sogenannte ‚rosa Listen‘ über mehrere tausend Männer und Frauen führte, schikaniert und kriminalisiert. Meine Untersuchung widmet sich dem Aspekt der Konstruktion von Weiblichkeitsentwürfen des Geheimdienstes, die sich in den von der Künstlerin selektiv zitierten Aktenauszügen artikulieren. Es gilt, Schleimes repräsentationskritischen Versuch innerhalb ihrer Fotografien und in Kombination mit den angeführten Texten zu veranschaulichen, der die Produktion normierter Geschlechterkonventionen des MfS zu sehen gibt und darüber hinaus durch Gegenentwürfe destabilisiert. Dem Dialog von Bild und Text kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Ihre Inszenierungen richtet die Künstlerin nach Spitzelberichten in ihren Akten aus und reproduziert die Beobachtungsprotokolle als wesentlichen Bestandteil ihrer Performancedokumente. Vor der Lektüre anhand ausgewählter Blätter von Schleimes Serie soll ein Blick auf Reenactments und andere künstlerische Methoden, mit deren Hilfe sich Künstler*innen aus der DDR mit ihren Geheimdienstakten auseinandergesetzt haben, helfen, Bis auf weitere gute Zusammenarbeit im lokalen Kontext zu verorten und das besonders genderkritische Potenzial dieser Inszenierung hervorzuheben.
3.4.5.1 Künstler*innen und ihre Geheimdienstakten Die Praxis umfassender Observierung durch Geheimdienste in der Zeit des Kalten Krieges ist kein Alleinstellungsmerkmal der ost- und südosteuropäischen Länder. Dies zeige sich, wie Sylvia Sasse in ihrem Aufsatz zum Umgang von Künstler*innen mit ihren Geheimdienstakten festhält, unter anderem in der Schweiz, in der sich 1989 herausstellte, dass der Staatsschutz fast eine Million seiner Einwohner*innen beobachtet hatte (2016:o.S.). Auch wenn die ironisch kommentierenden Anmerkungen des Autors Max Frisch unter dem Titel „Ignoranz als Staatsschutz?“ zu den Aktenaufzeichnungen über seine Treffen mit osteuropäischen Intellektuellen im Jahr 2015 erschienen seien, fiele auf, dass es vor allem Kulturschaffende aus Osteuropa sind, die sich mit ihren von Geheimdiensten angelegten Akten künstlerisch
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auseinandersetzen (ebd.).285 Hannelore Offner und Klaus Schroeder haben eindrücklich die Methoden der Observation, Kontrolle und „Feind-Zersetzung“ des MfS in den kulturellen Kreisen der DDR und anhand einzelner „Fälle“ verdeutlicht (Offner & Schroeder 2000). Wie aber haben Künstler*innen auf die Verfolgung, mit der sie in ihrem Alltag gewaltsam konfrontiert waren und die mit Offenlegung der Geheimdienstakten öffentlich nachweisbar wurde, im Nachhinein reagiert? In ihrer sechsteiligen Collage Pigs like Pigments (1993) rekonstruiert die aus Erfurt stammende Verena Kyselka, Mitglied der Erfurter Künstlerinnengruppe und der Gruppe Erweiterter OrGasmus, historische und persönliche Fakten als kontrastierende Ergänzung zu den schriftlichen Aufzeichnungen eines Geheimdienstfunktionärs und den mündlichen Berichten eines Informanten über sie, ihre Familie, ihren Freundes- und Bekanntenkreis – angelegt als OPK Pigment. Die Gegenüberstellung dieser drei Narrative – begleitet von Fotografien, die sie, ihre Tochter und ihre Freund*innen zeigen und der Staatssicherheit in die Hände gespielt wurden – heben hervor, wie durch willkürliche Fehlinterpretationen aus privaten und alltäglichen Handlungen verdächtige und staatsfeindliche Aktivitäten konstruiert, konspirativ bearbeitet und archiviert wurden. In ihrer Videoarbeit The persecution of the persecutor (1993) stellt die Künstlerin Ermittlungen über die drei maßgeblich an ihrer Überwachung beteiligten Mitarbeiter an. Dabei interessiert Kyselka weniger die filmische Dokumentation ihres Alltags, als vielmehr der Akt der Observation, ihre eigene Wahrnehmung und Interpretationsleistung (Kyselka & Skelton 2007). Eingeschweißte Überwachung (1993) nennt die Dresdner Künstlerin Christine Schlegel ihre Collagen und Fotomontagen aus dem Anfang der 1990er-Jahre zugänglich gewordenen Material, das die Staatssicherheit über sie zusammentrug. Dieses kombinierte sie mit eigenen Arbeiten, Fotografien und persönlichen Fundstücken. Die 1986 nach Amsterdam emigrierte Künstlerin hatte sich zu Schulden kommen lassen, nicht an der Jugendweihe teilzunehmen, was das Verbot des Abiturs nach sich zog, legendäre, durchaus in der Tradition der Schule stehende Feste an der Dresdner Kunsthochschule zu initiieren, provokante Fotomontagen zu realisieren, experimentelle Super-8-Filme zu drehen und ansonsten durch Kreativität, künstlerisches Selbstbewusstsein und Kontakte ins „westliche Ausland“ aufzufallen (Schlegel 2001). Das schockierende Ausmaß der Überwachung und des Verrats bis in die intimsten Bereiche der 285 Dass verschiedene künstlerische Annäherungen auch die eigene Tätigkeit beim Geheimdienst thematisieren, soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden, obwohl Aufarbeitungen dieser Art wie durch den bulgarischen Künstler Nedko Solakov in seiner Installation Top Secret – einem Karteikasten mit 178 Karteien zu seiner Tätigkeit – oder durch den autobiografischen Roman Stadt der Engel der Schriftstellerin Christa Wolf zu ihrer Tätigkeit als IM Margarete von 1959 bis 1962 helfen, stark vereinfachten Schemata von ‚Opfer‘ und ‚Täter‘ differenziert, aber auch der Verharmlosung von staatlichen Diktaturen dezidiert zu begegnen.
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privaten Sphäre wurden für zahlreiche Betroffene erst mit der Akteneinsicht offenkundig. Schlegel wurde – wie viele andere ihrer Künstlerfreund*innen – von Bekannten, Nachbarn, Studienkolleg*innen, selbst von ihrem eigenen Freund bespitzelt. Als eingeschweißte und in Stahlrahmen konservierte Zeitdokumente spiegeln Schlegels Blätter den satirisch und dadaistisch überspitzten Umgang mit den banalen, absurden und zugleich gefährlichen Aufzeichnungen über ihre Person wider. Die vielschichtige, aus mehreren Werkkomplexen bestehende Gemeinschaftsarbeit Tina Baras und Alba D’Urbanos Covergirl: Wespen-Akte (2007– 2009) widmet sich dem grundsätzlichen Bedeutungswandel fotografischer Bilder innerhalb verschiedener Gesellschafts- und Repräsentationssysteme. Die sich Anfang der 1980er Jahre in Ostberlin etablierende Gruppe Frauen für den Frieden, zu der die Fotografin Bara gehörte, wurde vom MfS unter dem Decknamen Wespen verfolgt.286 Die Frauen wurden unter anderem bei einem privaten Treffen an einem See nackt fotografiert. Diese Aktfotografien tauchen drei Jahrzehnte später als Teil einer künstlerischen Serie der Spanierin Dora Garcia unkommentiert und ohne weitere Kontextualisierung auf. Ihr Katalog zeigt die nackte Bara als Covergirl. Baras und D’Urbanos Arbeit beschreibt daraufhin kritisch die Transformation der fotografischen Bilder von der persönlichen Erinnerung über dessen Missbrauch als beschlagnahmtes Dokumentationsmedium des Kontroll- und Unterdrückungsapparates der Staatssicherheit bis hin zum Kunstwerk und käuflichen Kunstobjekt. Gabriele Stötzer hat in ihrer Videoperformance Zelle 5 (1990) die Erfahrungen ihrer Inhaftierung in der Erfurter Untersuchungshaftanstalt des MfS visualisiert. Die deutschlandweit erste Besetzung einer Stasi-Zentrale, die durch bürgerrechtsbewegte Frauen am 4. Dezember 1989 in Erfurt stattfand, haben Stötzer und ihre damaligen Mitstreiterinnen zwanzig Jahre später in einem Reenactment wiedererlebbar und nachvollziehbar gemacht (2009). Am Geburtsort des Dada, dem Züricher Cabaret Voltaire, führte Stötzer 2016 gemeinsam mit einer Opernsängerin eine performative Lesung ihrer Akten auf. Der die Sprache der Offiziere dekonstruierende und „zersetzende“ Vortrag verdeutlicht, wie oft in den Unterlagen die Formel vom „Feind“ beschworen und dieser dadurch erst erschaffen wurde (vgl. Sasse 2016:o.S.). Die zur künstlerischen Erforschung totalitärer und realsozialistischer Praktiken arbeitende Literaturwissenschaftlerin Sylvia Sasse hebt hervor, welche Rolle osteuropäische Geheimdienste nicht nur als observierende Apparate, sondern insbesondere auch bei der aktiven Herbeiführung von Delikten sowie bei der Inszenierung von später strafrechtlich verfolgten Taten und „Feinden“ einnahm:
286 Zum politischen Engagement von Bärbel Bohley und Tina Bara bei Frauen für den Frieden vgl. Kap. 1.1.1 Frauenrechte und politische Partizipation.
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Wer die Parteidiktaturen in Osteuropa als bloße Kontroll- oder Beobachtungsgesellschaften bezeichnet, verkennt eine wesentliche politische Funktion des Inlandsgeheimdienstes: seinen Inszenierungsauftrag. Es ist deshalb ganz richtig, [...] die osteuropäischen Parteidiktaturen als Inszenierungsdiktaturen zu bezeichnen. [...] Hier bedeutet Inszenierungsdiktatur [...]: die permanente Inszenierung von Ereignissen bei der Schaffung von ‚inneren Feinden‘. Man hat es quasi mit einem riesigen Bereich des angewandten Theaters zu tun, dessen Erforschung – aus theaterwissenschaftlicher Sicht – noch brach liegt [...]. (Ebd.) Meine Analyse zu Gabriele Stötzers Arbeiten machte deutlich, dass insbesondere an ihrer Person das inszenatorische Vorgehen der Zersetzungsmethoden des MfS, die sich sowohl gegen die Privatperson als auch die Künstlerin richteten, praktiziert wurde. Die Zielsetzung des Geheimdienstes lag in der Unterbindung und dem Verbot künstlerischer Aktivitäten wie ihrer Galerie im Flur, in der Diffamierung ihrer Arbeit als „uninteressant“ und „feministisch“,287 vorrangig aber in der Aktivierung von Personen, die in ihren Bekanntenkreis eingeschleust wurden, um die Künstlerin zu Taten zu animieren, die später strafrechtlich verfolgt werden konnten.288 Bei der Lektüre der Akten aus Bis auf weitere gute Zusammenarbeit fällt auf, dass Cornelia Schleime mit ihrer Auswahl auf Themenfelder des Geheimdienstes fokussiert, die durchaus ihre Emigrationsversuche und ihre politische Einstellung, vielmehr aber ihre Wohnsituation und ihr Erscheinungsbild als Frau betreffen. Sie hat Aufzeichnungen des MfS zusammengetragen, die vor allem das Eindringen von Informant*innen in ihre Privatsphäre betreffen. Dass sich Schleime für Aktenberichte über ihr intimes Leben entscheidet und nicht für Berichterstattungen über sie als Künstlerin und ihre nonkonforme, künstlerische Praxis, die schließlich zentraler Anlass für Ausstellungsverbot und Verfolgung war, scheint strategisch motiviert. Damit lässt sich eindrücklich aufdecken, dass die zweite Öffentlichkeit und die private Sphäre aufgrund der umfassenden Durchsetzung durch die Staatssicherheit nur einen vermeintlichen Schutzraum darstellten. Gleichzeitig verweist Schleime unmittelbar auf die essentielle Funktion eines jeglichen Geheimdienstes, der für das Sammeln und Auswerten von Informationen keinerlei ethische Grenzen kennt und ein doppeltes Spiel spielt. Augenfällig ist in diesem Zusammenhang, wie die Berichte harmlos wirkende Einzelheiten über die Beobachtete 287 Wie bereits erläutert, waren der Feminismusbegriff, feministische Ideen und Handlungen, die darauf zielten, geschlechterbedingte Ungleichheit zu überwinden, als extreme Geste weiblicher Selbstermächtigung und zugleich als Import westlichen Gedankengutes bei weiten Teilen der Bevölkerung, so auch in der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit, sowie in der Staatsführung und im Geheimdienst der DDR verfemt. Vgl. Kap. 1.4.3.2 Die Erfurter Künstlerinnengruppe. 288 Zur ‚Mitarbeit‘ des Geheimdienstes an Stötzers künstlerischen Arbeiten und ihre retrospektive Replik darauf vgl. Kap. 3.2.7 ‚Macken‘.
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zentral positionieren und intensiv analysieren. In ihrer Bedeutungslosigkeit und Widersprüchlichkeit wirken diese Details besonders absurd und willkürlich. Aber das Zusammentragen von scheinbar noch so irrelevanten Einzelheiten hatte System. So wird auch der Tatbestand zu Protokoll gegeben, dass sich Schleime nach Angaben eines Zuträgers mutmaßlich „unauffällig bewegt“ – ein Anlass, weitere Informationen über sie zu sammeln und zu archivieren. Hannelore Offner unterstreicht, dass das Akkumulieren von banal erscheinenden Informationen bei späteren amtlichen Entscheidungen über die beobachteten Personen von Bedeutung sein konnte (2001:75).
3.4.5.2 Vestimentäre Praktiken Meine Analyse beginnt mit einem Blatt, das wie das letzte der Serie anmutet, obwohl sich Schleime auf keine Reihenfolge ihrer Siebdrucke festlegt und diese in immer neu arrangierten Abfolgen präsentiert. Neben Angaben zum Ort, dem Namen des Verfassers der Akte, einer Unterschrift sowie dem der Jahresangabe 1985 trägt das Blatt den Titel „Abverfügung zur Archivierung“ [Abb. 91]. Des Weiteren ist zu lesen: „E-Sperre wurde eingeleitet. Die KK-Erfassung bleibt bestehen. Mit Ersatzverfilmung und Kassation einverstanden!“. Aus der Geheimdienstsprache übersetzt, bedeutet dieser Vermerk, dass die Originalunterlagen, ein Jahr nach Schleimes Emigration, vernichtet werden können, das Material aber auf Mikrofilm aufgezeichnet und die Akte somit archiviert und bestehen bleibt. Schleime zeigt sich auf der zugeordneten Fotografie mit blondem Kurzhaarschnitt, schwarzem Langarmshirt, Hosen, Schuhen und einem über die Knie reichenden, blauen Kittel auf einem großen ovalen Tisch stehend, ihre Hände verschwinden in den Kitteltaschen. An beiden Seiten des Tisches bilden Sessel und Tische akkurate Reihen, an der Wand im Hintergrund sind Akten- und Büroschränke zu sehen. Hinter der Akteurin befindet sich eine Tür, links und rechts von ihr an der Wand leuchten Neonröhren, obwohl Tageslicht durch die großen, gerasterten Fenster am oberen Bildrand hineinfällt. Die Künstlerin, die diese Inszenierung in einem Hangar des ehemaligen Flughafens Berlin-Johannisthal vornahm, wo zeitweilig ausrangiertes Mobiliar aus den Büroräumen des Staatsrates der DDR deponiert wurde, blickt von oben frontal in die Kamera und ist im Bild zentral platziert. Mit der Kleidung, insbesondere dem Kittel, wird das gängige Bild der berufstätigen Frau in der DDR evoziert, die in Schleimes Fotografie als Arbeiterin erscheint. Die idealisierte Visualisierung der emanzipierten Frau, die in der Produktion ‚ihren Mann steht‘, entsprach in der bildenden Kunst der Doktrin des sozialistischen Realismus, die wie im zweiten Kapitel der Arbeit dargelegt erst Ende der 1970er Jahre ihre langsame Ablösung durch Identifikations- und Problembilder fand. Schleime inszeniert sich hier gerade nicht zwischen schweren Maschinen im kräftezehrenden Produktionsprozess. Vielmehr exponiert sie sich, zentral auf dem weitläufigen Tisch stehend, wie ein Untersuchungsobjekt, das
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A bb . 91 Cornelia Schleime, Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85, 1993
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sich bereitwillig von allen Seiten betrachten lässt. Zugleich wirkt ihre Inszenierung wie eine wenig glamouröse, dafür umso nüchternere Präsentation auf einem Laufsteg, bei der sie sich dem Blick des Betrachters aussetzt, ihn aber zugleich aus höherer Position erwidert und fixiert. Mit diesem Bild spielt die Künstlerin besonders deutlich auf den ihre gesamte Serie konstituierenden Prozess der Inszenierung und Selbst-Exposition an. Indem Schleime hier die Rolle einer schlichten Arbeiterin einnimmt, die sie in ihrem Leben niemals war – obwohl sie den Friseurberuf erlernt hatte – hebt sie zugleich das bestimmende Moment der Verkleidung hervor. Keine ihrer Fotografien unternimmt den Versuch, ihre damalige Lebenssituation stimmig abzubilden, ein treffendes Porträt ihrer Person nachzuzeichnen oder ihrer vermeintlich ‚wahren‘ Identität bildkünstlerisch nachzuspüren, um sie den Personenbeschreibungen der Akten gleichermaßen als Korrektiv entgegenzusetzen. Ebenso wenig verknüpft Schleime die Geheimdienstberichte mit persönlichen Gedächtnisdokumenten. Mit ihren Inszenierungstechniken legt sie die ureigenen Methoden des Geheimdienstes offen. Die Verkörperung verschiedener Rollen verweist auf die unter dem Vorzeichen objektiver Beobachtung stehenden, jedoch zweifellos subjektiven und sich durchaus widersprechenden Projektionen der Informant*innen. In deren feindlich konnotierten Bildern von Schleime – „asozial“, „fläzig“, „arrogant“, „trägt auch ‚Westkleidung‘“ – schwingt zugleich immer ihr Gegenteil mit: Entwürfe normativer Geschlechtlichkeit. Auch wenn sich Schleime auf den einzelnen Blättern so zu sehen gibt, wie es die Staatssicherheit möchte, konstruiert sie in der Gesamtheit ihrer Serie eine nicht zu (er-)fassende Diversität ihrer Persönlichkeit und ein sich immer wieder im Prozess der Veränderung befindliches Selbstbild, das zu sagen scheint: „Ich bin viele, ich bin immer eine andere, vor allem immer eine andere, als ihr meint.“ Verkleidung setzt die Künstlerin als Mittel des Sichtbarmachens und Zeigens sowie gleichermaßen des Verbergens und Verhüllens, und damit bewusster Irreführung, ein. Je mehr Material die zahlreichen Informant*innen über sie zusammen trugen, je präziser die Protokolle versuchten, ihre Persönlichkeit einzukreisen, ihre Person zu erfassen, ihre Identität zu kategorisieren, Informationen zu archivieren sowie ihre Aktivitäten zu analysieren, desto mehr scheinen sich die Aufzeichnungen von der Person Schleimes zu entfernen und ihr zu wiedersprechen. Die Protokolle erfassen nicht die Frau, die ihr Observierungsobjekt war und die auch in ihrem Alltag spielerisch und lustvoll an Praktiken des Verkleidens festhielt, Spaß am Spiel und der Verwandlung, einem „Wechsel ihrer Gesichter“ hatte (Schleime 2010:75) und damit Identität als prozessual und sich immer wieder neu konstituierend begriff. Schleimes bildkünstlerische Untersuchungen beziehen sich nicht auf Aufzeichnungen, die das Herbeiführen von Straftaten durch gezielte Aktionen das MfS preisgeben. Vielmehr verdeutlicht sie anhand der Originalakten und ihrer eigenen
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pseudodokumentarischen Fotografien, wie sehr die verschiedenen Persönlichkeitsbeschreibungen, die sich zwar immer auf Cornelia Schleime beziehen, jedoch auf verschiedenste Personen zutreffen könnten, ein Konstrukt geheimdienstlicher Berichterstattung sind. Unterstrichen und gleichzeitig erschwert wird diese Lesart durch den Einsatz der Fotografie als künstlerisches Medium. Fotografie und Film setzte der Geheimdienst gezielt als indexikalische Medien zur Dokumentation vermeintlich objektiver Wirklichkeiten, zur Erfassung von Personen und ihrer Kategorisierung ein. Schleime, deren primäres Medium die Malerei ist, verzichtet in diesem Fall bewusst auf eine malerische Bearbeitung des Themas und bedient sich Strategien der Fotoperformance beziehungsweise der „performed photography“, das heißt der nach Philip Auslander als „theatrical category“ bezeichneten Performancedokumentation, „in which performances were staged solely to be photographed or filmed and had no meaningful prior existence as autonomous events presented to audiences (2012:49). Somit ist auch der Ort des Dokuments der einzige, an dem die Performance selbst erscheint (ebd.), das heißt, sie wird im Medium des Bildes sichtbar gemacht. Die inszenierten Realitäten Schleimes, ergänzt durch die vermeintlich objektive Berichterstattung der Originalakten, erheben mit Mitteln der Ironie nun ihrerseits den Anspruch, ‚wahr‘ zu sein. Mit dem Verweis auf Hal Forsters Begriff des ‚anarchival‘ erläutert die US-amerikanische Kunstwissenschaftlerin Sara Blaylock die selektiven, subjektiven und eigenwilligen Strategien der Neuordnung und Interpretation von Archiven durch Künstler*innen wie Tacita Dean, Sam Durant und Thomas Hirschhorn (2016). Die Methode des partiellen, inszenierten und nur durch den künstlerischen Eingriff regulierten Zugangs zum Archiv sieht Blaylock gleichermaßen bei Schleime angewandt. Das selektive und fiktionale Potenzial ihres Vorgehens, das zugleich das Verfahren des Geheimdienstapparates zitiert, verschleiert die Künstlerin durch zusätzliche formale Kriterien. Neben dem Einsatz des fotografischen Mediums sind es die fehlenden Übersetzungen der in deutscher Sprache verfassten Protokolle, vor allem aber die sichtbaren Spuren der Benutzung wie das gealterte Papier, Kopierränder und die Stempel der Behörde des Bundesbeauftragen (BStU), die bis heute für die Sicherstellung, Aufarbeitung und Archivierung der Geheimdienstakten verantwortlich sind. Erinnert sei an dieser Stelle auch an ähnliche Strategien und Formate, mit deren Hilfe sich andere zeitgenössische Künstler*innen wie die Französin Sophie Calle mit Beschattungs- und Observierungsthematiken auseinandersetzen. Für ihre Arbeit The Shadow von 1981 bat Calle ihre Mutter, einen Detektiv zu engagieren, der sie beschatten, einen schriftlichen Bericht und Fotografien als Beweismaterial anfertigen sollte (Calle 2000). Dieser Detektiv wird seinerseits zum Objekt der Observation, hatte doch die Künstlerin eine zweite Person beauftragt, den im Geheimen operierenden Ermittler bei seiner
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Tätigkeit zu fotografieren. Die verdichtete Komposition von nüchterner, scheinbar objektiver Berichterstattung und fotografischer Intervention, in der die weibliche Person durch den Blick des Anderen als Objekt der Beobachtung konstruiert wird, lässt vergleichende Parallelen zu Schleimes Arbeit zu. Blaylock verweist in ihrer Analyse der Stasi-Serie auf Praktiken weiterer Künstler*innen wie Hito Steyerl, Trevor Palgen, Walid Raad und Jenny Holzer, zu deren Schwerpunkt (staatliche) Kontrolle und Überwachung und ihre Enthüllung gehören und in deren Kontext Schleimes Arbeit zu situieren sei (Blaylock 2016:44). Hervorzuheben sei an dieser Stelle abschließend die Performance Triangle (1979) von Sanja Iveković. Während des Staatsbesuchs von Tito in Zagreb, dessen Kolonne an ihrem Haus vorbeifuhr, hielt sich Iveković trotz Verbots auf ihrem Balkon auf. Dort las sie ein Buch, trank Whisky und gab vor, zu masturbieren. Kurze Zeit darauf wurde sie vom Geheimdienst aufgefordert, den Balkon zu verlassen. Die Arbeit besteht neben der gegen die politische Ordnung gerichteten provokativen Handlung selbst aus vier Fotografien – sie zeigen Iveković auf dem Balkon, eine Person des Geheimdienstes auf dem Dach des gegenüberliegenden Gebäudes, wartende Menschen und die Kolonne Titos – und einen das Geschehen beschreibenden Text der Künstlerin. Triangle thematisiert den Balkon als besondere Zone zwischen privater und öffentlicher Sphäre und zeigt die stark sexualisierte und intime Handlung einer selbstbewusst agierenden Frau, während sich in ihrer unmittelbaren Nähe ein Staatsakt vollzieht. Die Performance und Installation verweist ähnlich wie bei Schleimes Bis auf weitere gute Zusammenarbeit auf das Abhängigkeitsverhältnis von Text und (vermeintlich) dokumentarischer Fotografie und die damit verbundenen Interpretationsspielräume und Leerstellen. So müssen die Rezipient*innen der Künstlerin Glauben schenken, was den Ablauf der Ereignisse und den Vorfall selbst betrifft, denn sie gibt diesen nur äußerst fragmentarisch zu sehen. Insbesondere aber werden in dieser sogenannten Dreiecksbeziehung – und darin besteht eine hervorstechende Parallele zu Schleime – Machtverhältnisse durch Blickverknüpfungen verdeutlicht. Iveković gibt den Blick des Geheimdienstes zu sehen, während dieser die Subjektposition der Künstlerin ins Visier nimmt, die ihrerseits auf den Prozess staatlichen Repräsentierens unter sich auf der Straße blickt. Zugleich meint der Titel auch die Perspektive der Rezipient*innen. Das dreifache Geschehen auf den Fotografien wird für die Betrachter*innen im Zusammenspiel zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit nur durch den gerichteten Blick der Künstlerin selbst erlebbar.
3.4.5.3 Repräsentation (nicht-)normativer Weiblichkeit Vor dem Hintergrund der analysierten Inszenierungsverfahren ergibt sich die Frage, wovon konkret die Aufzeichnungen des Geheimdienstes im Einzelnen sprechen und wie Schleime die darin formulierten Festschreibungen illustriert und dekonstruiert.
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Eine Auswahl von drei Akten berichtet über ihre Emigrationsversuche. Darin äußert sich ‚David Mentzer‘, ein weiterer Deckname von Sascha Anderson, zu Schleimes Ausreisebemühungen, die, so seine Prognose, alle im legalen Rahmen bleiben werden. Im Fahrerhaus eines vormals in der DDR produzierten, nunmehr ausrangierten und nicht mehr fahrtüchtigen Lastwagens verschwindet die weibliche Figur fast hinter dem großen Lenkrad, das sie entschlossen umgreift. Eine zwei Monate später, Anfang 1983 entstandene Aufzeichnung berichtet von Schleimes Depression nach der Ablehnung ihres Ausreiseantrags durch die Abteilung Inneres. Das Blatt trägt diesmal den Namen von IMB ‚Fritz Müller‘, wohinter sich erneut Anderson verbirgt. Hier inszeniert Schleime eine im Bett liegende Frau mit starr zur Decke gerichtetem Blick. Visuell überhöht wird ihr Zustand durch die hoch aufgetürmte, voluminöse Bettdecke, die nur ihren Kopf freigibt. Bereits an diesen beiden Beispielen wird deutlich, dass Schleime die Beschreibungen des Geheimdienstes als Instruktionen für ihre inszenierten Fotografien begreift. Die in den Akten repräsentierten Weiblichkeitsbilder werden somit zur ‚Vor-Schrift‘ für ihre Kunst. Die dritte Niederschrift dokumentiert ihren Behördenbesuch „zwecks Eheschließungsantrag/Wohnsitzänderung mit einem Westberliner Bürger“, womit Schleimes und Kerbachs Heiratsanliegen gemeint ist. Die Einschätzung ihrer Persönlichkeit lautet: „Frau Sch. ist eine sehr auffällige Erscheinung, von ihrem Aussehen und von ihrem Wesen.“ Auf der Fotografie inszeniert sie sich als mondäne Figur im weißen Pelzmantel und in Handschuhen, in einem langen schwarzen Abendkleid und großformatiger Sonnenbrille, während einer ihrer roten High Heels achtlos auf dem Rasen eines verwilderten Parks liegt. Eine männliche Person – mit der Darstellung zweier Figuren bildet die Fotografie auf diesem Blatt eine Ausnahme – in Anzug und weißem Hemd sitzt auf einem Hocker und massiert der Dargestellten ihre Füße und Waden. Auf einem weiteren Blatt ist Schleimes politische Haltung aktenkundig gemacht, in der ihre „völlige Ablehnung der sozialistischen Gesellschaft“ vermerkt ist. Auf der dazu entstandenen Inszenierung erhebt eine Putzfrau mit Schürze, Kopftuch und lächelndem Gesicht ein Wasserglas. An der Wand im Hintergrund hängt eine Fotografie Erich Honeckers, die zu einer Uhr umfunktioniert wurde. Die Zeiger rotieren um den geschlossenen Mund des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, dessen Zeit offenkundig abgelaufen ist [Abb. 92]. Es folgen weitere Aufzeichnungen zu ihrem Besitzstand – „Die Ermittelte besitzt kein Kraftfahrzeug und auch kein Grundstück“ –, zu ihrem Einkommen – „Die Sch. soll in ihrem Beruf auch ganz gut verdienen. [...] Die Ermittelte ist gut gekleidet, sie trägt auch West-Kleidung“ [Abb. 93] – und zu ihrem Lebenswandel „Tagsüber hält sie sich nicht im Wohnhaus auf, ist abends aber regelmäßig zu Hause“. Ein weiteres Blatt gibt ihre vermeintliche Selbstisolierung durch fehlende Kontakte zu Nachbarn zu Protokoll. Auch ihre Wohnsituation ist mehrfach Gegenstand ausführlicher Angaben. Es wird die „mäßige“ oder
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„notdürftige“ Einrichtung ihrer Wohnung mit alten Möbelstücken moniert. Zugleich schlussfolgert man, dass Schleimes „äußere Erscheinung in Abstimmung mit der Ausstattung ihrer Wohnung gebracht wurde“ zum Zweck, „ebenfalls sehr modern aus[zu]sehen“. Hier ist Schleime in erstarrter Pose und aufrechter Haltung zu sehen, wie sie mit schamvoll geschlossenen Beinen, vor zugezogenen Gardinen und in einem hoch geschlossenen Kleid mit Spitzenkragen zwischen einem Hund, einer Katze und antiquiertem Mobiliar sitzt, ihre Haare bedeckt durch ein Tuch und eine Haube [Abb. 94]. Zweimal verwendet die Künstlerin dasselbe Protokoll, das sie mit jeweils gegensätzlichen Inszenierungen visuell kontrastiert. Die Ermittlungen kommen zu folgendem Resultat über Schleime: Im Wohnungsgrundstück wurde sie von den Mietern als asoziale Person eingeschätzt. Ihre Besucher nutzen die Fenster als Eingang. Die Wohnung ist verd[r]eckt und es befindet sich außer einem Tisch, 2 Stühle und einer Pritsche nur Lumpen und Unrat in der Wohnung. Die Wände der Wohnung sind mit nackten Frauenfiguren bemalt. Die gesamte Wohnungstür ist zum Hausflur zu mit Mitteilungen ihrer Bekannten mittels Ölkreide beschmiert. Mit den Hausbewohnern hatte sie keinen Kontakt. Sie kam nur Nachbarn gegenüber aus der Reserve wenn sie wegen ihrer Lärmbelästigung durch Spielen ihrer mitgebrachten Freunde auf Musikinstrumenten – Gitarren, Bassgeigen usw. – zur Nachtzeit zur Ordnung gerufen wurde. Dabei trat sie fläzig und arrogant auf. Auf der einen Fotografie reproduziert die Künstlerin das tradierte Bild der biederen Hausfrau mit Staubwedel, Kopftuch und gelbem Schürzenkleid vor einer hölzernen Schrankwand und einem Beistelltisch mit Blumen und Grünpflanzen. Auf dem anderen Blatt räkelt sie sich als junge Frau mit langem offenen Haar auf dem Bett und liest die Zeitschrift Bravo [Abb. 95]. Bei dem nur im Anschnitt zu sehenden Raum, dessen Wände mit Postern der US-amerikanischen Glam-Metal-Band Cinderella aus den 1980er Jahren beklebt sind, scheint es sich um ein Jugendzimmer zu handeln. Die Vorstellung der domestizierten, der zugewiesenen Rolle als Hausfrau anstandslos folgenden Protagonistin und das latent widerständige Bild einer Jugendlichen, deren rebellisches Potenzial jederzeit aufzubrechen droht, werden hier gegenübergestellt. Mit den beiden kontrastierenden Bildern für ein und dasselbe Dokument legt Schleime den Akt der Inszenierung und des spielerischen Umgangs mit normierten Weiblichkeitsbildern und ihrer Durchkreuzung noch einmal mehr offen. Beim Versuch, die fotografischen Selbstinszenierungen Schleimes von ihrer Motivik her zu lesen und zu ordnen, ergeben sich bestimmte Weiblichkeitsvorstellungen, die wiederholt aufgerufen werden. Darin entwirft sie mehrfach affirmative Bilder der berufstätigen Frau, die weniger durch ihre Tätigkeit als durch ihre Kleidung und entsprechende Attribute als solche identifiziert
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werden kann, wozu die Arbeiterin im blauen Kittel, die LKW-Fahrerin, die Putz- beziehungsweise Hausfrau mit Kopftuch und Staubwedel gehören. Zwei Fotografien geben das Bild der passiven, in sitzender Haltung verharrenden Hausfrau beziehungsweise ans Haus gebundenen Gattin wieder. Während sie einmal in antiquierter Umgebung erstarrt, gibt uns das andere Bild eine junge Frau mit akkurat geschnittenem Pony und geflochtenem Zopf zu sehen, die in knöchelhohen Pantoffeln am äußeren Rand des Sofas im kleinbürgerlichen Ambiente eines Wohnzimmers wartet, den Kopf auf den Arm gestützt. Schleime zeigt uns darüber hinaus eine Frau als Leidende und Kranke. Auf fünf Siebdrucken inszeniert sie sich dagegen in erotischen Posen als wahlweise lasziv, sich auf dem Bett räkelnde, rauchende und telefonierende Schönheit in einem enganliegenden Kleid, Beine und Schultern entblößt, als barbusiges Pin-up mit runder Sonnenbrille und Ohrringen im roten Mohnfeld oder entspannt und leger auf einer Liege unter einem Terrassendach am palmenbestückten Meeresstrand. Schleime inszeniert die in der Gesellschaft integrierte und darin reibungslos funktionierende werktätige Frau, wie es dem weiblichen Leitbild in der DDR entsprach. Disziplinierte und domestizierte Weiblichkeit konfrontiert sie mit dem stereotypen Geschlechtermuster der verführerischen, latent gefährlichen Frau. Ihre barbusige Inszenierung zwischen rotem Mohn thematisiert offensiv die strukturelle Gewalt des panoptischen und penetrierenden Blickregimes des Geheimdienstes. In der Akte ist vermerkt: „Auffällig ist, dass die Sch. sofort nach Betreten der Wohnung die Pappfaltrollos herablässt, sodass keinerlei Einblick in die Wohnung möglich ist“ [Abb. 96]. Das, was im Verborgenen bleiben will, scheint, erläutert Silke Wenk im Hinblick auf Entschleierungsund Verschleierungspraktiken in ihrer weiter oben angeführten Analyse zur „(Un)Sichtbarkeit in Politik, Recht, Kunst und Kultur seit dem 19. Jahrhundert“, einem Generalverdacht ausgesetzt zu sein, etwas zu verbergen zu haben. Etwas geheim zu halten, sei dagegen letztlich nur für Angehörige der oberen Instanzen staatlicher Macht legitim (Wenk 2012:56). Dem Begehren nach ‚nackten‘ Tatsachen, das Schleime durch das Schließen des Sichtschutzes zurückwies – womit sie sich erst recht verdächtig machte –, kommt sie in ihrem retrospektiven Sich-Zu-Sehen-Geben und Enthüllen bereitwillig nach, umso mehr, als „der entkleidete weibliche Körper [...] in einer weit zurückreichenden ikonographischen Tradition für ‚Wahrheit‘“ (ebd.:57) steht.289 Insbesondere Schleimes sinnliche Weiblichkeitsentwürfe erinnern an die Inszenierungen einzelner Frauenfiguren in Cindy Shermans Untitled Film Stills (1977–80), die fiktive Filmszenen zu sehen geben. Meine Analyse zu Gabriele Stötzers Cross-Dresser-Serie ist bereits ausführlich auf Kaja Silvermans Theorie 289 Vgl. Silke Wenks Analyse zur Verknüpfung des Bildes der entschleierten, bloßen Weiblichkeit mit der Idee von Freiheit und Fortschritt in der ‚westlichen Kultur‘ in Kap. 3.4.4.1 Verschleierungspraktiken.
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des Blickregimes eingegangen, die sie auf Grundlage von Jaques Lacans Mimikrybegriff und Craig Owens Begriff der Pose entwickelt sowie auf Shermans ‚Standbilder‘ anwendet (Silverman 1997). Shermans wie auch Schleimes Figuren nehmen Posen stereotyper Natur ein und verkörpern normative Ideale, die aus dem Fundus kulturell verfügbarer Bilder, dem kulturellen Bildrepertoire, stammen. Da sich die einzelnen Fotografien bei beiden nicht nur auf die Pose beschränken, sondern andere Bildelemente visuell aufrufen, wird der Konstruktionscharakter des fotografischen Bildes und der Frauenfiguren deutlich. Schleimes Verkörperung weiblich-erotischer Schönheit signalisiert, dass sie diesen vorgefertigten Mustern entsprechend wahrgenommen werden möchte. Bei Sherman sind es bestimmte Einzelheiten am Körper, an der Kleidung oder in der Umgebung, die zu einer Störung und dem Konterkarieren der Pose und des Bildes und somit zu Möglichkeiten einer abweichenden Sichtweise führen. Auch beim Betrachten von Schleimes Aufnahmen scheint ein solches Missverhältnis zwischen Entwurf und Ergebnis auf – beispielsweise bei der Inszenierung im Mohnfeld, in dem Schleime zwar mit entblößtem Busen, aber mit verschränkten Armen dasteht und zugleich ihre große, hell leuchtende Armbanduhr den Blick auf sich lenkt. Insbesondere aber ist es die unmittelbare Verknüpfung der Bildfiguren mit den Texten des Geheimdienstes, die das angstbesetzte Begehren und zugleich die Projektion des Begehrens offenlegt, dem Schleime mit ihrer ‚Weiblichkeit‘ Folge leistet. Indem sich die Texte wie hilflos anmutende Anleitungen für verfügbare, normative Darstellungsparameter lesen, die Schleime verbildlicht, wird sowohl der Akt der Darstellung als auch der Wahrnehmung hinterfragt. Neben der Verdichtung und Zuspitzung patriarchaler Weiblichkeitsentwürfe irritiert Schleime auch gängige Codes von Zweigeschlechtlichkeit. Im Ermittlungsbericht, der die Selbstisolierung und Kontaktlosigkeit der Künstlerin diagnostiziert, präsentiert sie sich als androgyne, geisterhafte Erscheinung im weißen Anzug auf einem verschneiten Dach, umgeben von leeren Stühlen, einem Tisch und einer gelben Stehlampe. Die in den Akten behauptete Selbstisolierung bestätigt Schleime durch das Aufzeigen vermeintlicher Einsamkeit. Die Fußspuren im Schnee aber und das Paar herrenloser Schuhe unter dem Tisch unterlaufen die Vorstellung der Vereinzelung dieser Figur. Auch die ungezwungen vor einer weißen Limousine posierende Frau – ein weiteres beliebtes Pin-up-Motiv aufrufend – verweist mit ihrer eher maskulin anmutenden Kleidung – kurzen Hosen, schwarzen Stiefeln und Kapitänsmütze – auf das Durchkreuzen fixierter Geschlechtermuster. Kleidung, Posen und die Umgebung der Frauenfiguren faszinieren und täuschen durch ihre Vielfältigkeit, genau wie die virtuose Inszenierung der Haare. Mehrfach gibt die Serie eine Kurzhaarfrisur zu sehen, zum Teil verschwinden die Haare der Dargestellten unter einem Kopftuch, einer Haube oder einem Käppi. Die Frauen tragen lange, offene Haare und wiederholt
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geflochtene Zöpfe. Eine der Fotografien zeigt eine junge Mutter beim Spaziergang [Abb. 97]. Während sie am Grundstück eines von märkischen Kiefern umgebenen Einfamilienhauses vorbeiläuft – in dem auch noch am Tag ihrer Inszenierung einer der Führungsoffiziere von Sascha Anderson lebte –, zieht sie mit überdimensioniert langen, geflochtenen Zöpfen einen Kinderwagen hinter sich her. Erneut wird hier – wie bereits an anderen Stellen ihres Oeuvres – die Zähmung des weiblichen Haares angezeigt. Cornelia Schleime schreibt zur Entstehungsgeschichte dieser Fotografie: Meinen Zopfmädchen Zeichnungen ging die Einsicht in meine Stasiakten voraus. Als ich sie las, hatte ich das Gefühl, man hätte mir die Vergangenheit gestohlen. Meine erste Selbstinszenierung, die das Geschriebene über mich ad absurdum führen sollte, war das Motiv ‚Mädchen mit überlangen Zöpfen‘, an denen sie einen Kinderwagen hinter sich her zieht. Später kamen dann die vielen Zopfzeichnungen dazu. Erinnerung an die Kindheit mit Züchtigung und Beichtgang. Die Verrenkungen und Gebärden, die man mir abverlangte und die ich als Kind als Nötigung empfand. Ich sollte in Form gebracht werden, sowohl von der Kirche, aber viel mehr und aggressiver und für mich unverständlich, vom Staat. (Zit. nach Lütgens 2016:43) Das Motiv der ins Absurde verlängerten Zöpfe taucht, wie bereits weiter oben ausgeführt, wiederholt auf. Unter dem Titel An der Leine (1995) oder Die Strafe (1996) bevölkern einzelne Mädchenfiguren ihre Tuschezeichnungen, die vor einen Wagen oder vor animalische Wesen gespannt sind, während ihre Zöpfe als Zügel dienen. Schleimes fotografische Inszenierungen mit Kinderwagen, die bis heute in regelmäßigen Abständen von zehn Jahren entstehen, können gleichermaßen als Metapher für das unaufhaltsame Voranschreiten der Künstlerin gelesen werden, die sich auch durch die Last und Deformationen der zwar auf Distanz gehaltenen, nichtsdestotrotz unlösbar mit ihr verbundenen Vergangenheit nicht aufhalten lässt. Zugleich wird in der fotografischen Inszenierung die bindende Normierung der tradierten Mutterrolle augenscheinlich. Diese spannt die Mutter nicht nur sinnbildlich, sondern buchstäblich vor den Kinderwagen. Indem ihre Haare, die auch an eine unzertrennbare Nabelschnur erinnern, die Verbindung zwischen der weiblichen Figur und dem Kinderwagen bilden, wird die unkündbare Sorge und Versorgung des Kindes der Mutter als schmerzhafter Prozess angezeigt. Der fehlende Blickkontakt zwischen Mutter und dem vermeintlich im Wagen liegenden Kind wie auch die enorme Zopflänge erzeugen zugleich den Eindruck einer distanzierten Beziehung. Diese ambivalente und durchaus alarmierende Erscheinung ‚der Mutter‘ kombiniert die Künstlerin ausgerechnet mit dem Bericht, in dem es von ihr heißt, sie bewege sich äußerst unauffällig. Schleime verdeutlicht damit, dass selbst die konforme Erfüllung patriarchaler Weiblichkeitsmuster, die sie hier deutlich überzeichnet, in den
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Augen der Geheimdienstinformanten zwar keine besonderen Auffälligkeiten aufwies, aber dennoch zu Protokoll gebracht wurde. Auch ein unauffälliges Verhalten konnte als asozial und antisozialistisch konnotierte Haltung und somit als weiterer Baustein für die Konstruktion des Feindbildes dienen.
3.4.5.4 Die Ängste des Geheimdienstes Gewalt und Täuschung setzte der Geheimdienst bewusst ein, um, wie Hannelore Offner schreibt, „Freundeskreise zu zerschlagen, Ehen zu zerstören, Menschen zu verunsichern, zu lähmen, zu verdächtigen, zu isolieren, sie in ihrem Ansehen in Misskredit zu bringen“ (2001:77). Mit der Möglichkeit der Akteneinsicht aber kristallisierte sich vor allem ein Aspekt für die Betroffenen heraus, den Schleimes Inszenierungen offenlegen. Die Akten geben die Ängste, Verunsicherungen und Projektionen des Geheimdienstes selbst zu erkennen und zeigen, Silvia Sasse zufolge, wie sehr die „Bewertungen und Handlungen der IM‘s selbst realitätsprägend“ (2016) waren. Dass die vermeintlich harmlosen, mitunter geradezu naiv wirkenden Aufzeichnungen in Schleimes Akten den ‚Feind‘ erzeugen, zeigt sich auch deutlich am Sprachgebrauch. Obwohl die von Schleime ausgewählten Akten ohne den expliziten Begriff des ‚Feindes‘ auskommen, ist die Künstlerin in den äußerst spekulativ und subjektiv gefärbten Berichten fortlaufend pejorativen, diffamierenden und diskriminierenden Charakterisierungen ausgesetzt. Die Furcht des Geheimdienstes vor ‚feindlich-negativen‘ Personen und ihren ‚staatszersetzenden‘ Handlungen, die Angst auch vor widerständigen, sich ermächtigenden Frauen, die hegemonialen Mustern und gängigen Geschlechtervorstellungen sowohl in ihrer Lebenswirklichkeit als auch in ihrer Kunst versuchten zu entkommen, stellt Schleime in Bis auf weitere gute Zusammenarbeit sichtbar aus. Ihre Rolleninszenierungen verweisen vorzugsweise auf die diskursive Konstruktion und Produktion von Weiblichkeits- und Feindesbildern durch die Staatssicherheit selbst. In ihrer Arbeit verdeutlicht sie zugleich, dass ‚Geschlecht‘ und in diesem Fall ‚Weiblichkeit‘ als Kategorien auch in der bildenden Kunst stets Prozessen der Konstruktion und Hervorbringung unterliegen und wie sehr ‚Identität‘ in der autobiografischen Erinnerungsleistung durch immer wieder neue Herstellungsverfahren (re-)produziert wird. Auch wenn meine Studie in ihrer Argumentation dem poststrukturalistischen Machtbegriff Michel Foucaults folgt, der Macht nicht nur als repressives, sondern auch produktives und alle Wirklichkeitsbereiche umfassendes Prinzip definierte, so ist die Gewaltherrschaft der Geheimdienstapparate doch nicht zu leugnen. Im nonkonformen Auftreten von Künstler*innen sah das MfS der DDR eine Gefährdung, worauf hin seine Mitarbeiter*innen in die Praxis und das Privatleben von Kunstschaffenden ein staatsgefährdendes Potenzial projizierten, das völlig überschätzt wurde. Unter dem Gebot der Auf klärung und Sicherheit erfuhren intimste Details eine erzwungene und
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überhöhte Politisierung. Künstler*innen und künstlerische Inhalte, die keine Berührungspunkte mit der Politik hatten, erhielten eine ungeahnt politische Dimension. Für Bis auf weitere gute Zusammenarbeit wählt Schleime insbesondere originale Aufzeichnungen zu ihrem Privatleben, das durch das MfS in die Sichtbarkeit gezerrt und dort seziert wurde. Diesem Zwang zur Sichtbarkeit und der damit eng verknüpften Kontrolle begegnet die Künstlerin nachträglich mit Konzeptionen des Sichtbarmachens und Zu-Sehen-Gebens, mit dem sie die Ordnung der Sichtbarkeit wiederherzustellen vorgibt. Ihre fotografischen Enthüllungen und Aufdeckungen folgen widerständigen Strategien weiblicher Selbstermächtigung, indem sie nur scheinbar dem Schau- und Sichtbarkeitszwang folgen. Keine ihrer vielfältigen Darstellungen gibt verlässlich Aufschluss über die Identität der Person Cornelia Schleime. Die über zehn Jahre nach ihrer Emigration entstandene Serie Bis auf weitere gute Zusammenarbeit ist ein sehr persönliches, zugleich aber auch politisches Statement. Schleimes Fotoperformance beleuchtet im Zusammenspiel mit den Aktenberichten die Methoden und das strukturelle Funktionieren des Geheimdienstes sowie seines weit verzweigten Netzwerkes. Der „Inszenierungsdiktatur“ (Sylvia Sasse) begegnet die Künstlerin retrospektiv mit einem eigenen Inszenierungsauftrag, um die tragische wie groteske Dimension des „angewandten Theaters“ durch den Geheimdienst offenzulegen und mit Mitteln der Parodie aufzubrechen. Die Künstlerin gibt das inszenatorische Intervenieren des MfS in ihre unmittelbare künstlerische Praxis Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre nicht zu sehen, verweist im Titel und Prolog der Serie jedoch sarkastisch auf die Bedeutung des Geheimdienstes für die Realisierung dieser Arbeit. Die zu Protokoll gebrachten Beobachtungen, so lässt die Künstlerin verlautbaren, bilden die maßgebliche Voraussetzung für das Entstehen ihrer Serie: Diese Arbeit konnte nur mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und dessen zahlreichen Helfern realisiert werden, die in mühevoller Kleinarbeit zu den Texten beitrugen. Denen gilt mein Dank. (Schleime 2010:76) Mit der in ihrer Serie vorgetäuschten Koproduktion zwischen dem Überwachungsapparat und ihr selbst vermeidet die Künstlerin, Teil des Opferdiskurses zu werden. Indem Schleime bestätigt und affirmiert, was der Geheimdienst sehen möchte und ihr eigenes Vorhaben so aussehen lässt, als hätte sie ihm gar zugearbeitet, inszeniert sie sich als Subjekt der Staatssicherheit. Von sich selbst Vexierbilder produzierend, die einen im Verborgenen liegenden, ironischen Betrug aufweisen, durchkreuzt sie diesen Status zugleich strategisch. In gegenläufiger Bewegung sind die Unterlagen des MfS nun Bestandteil ihrer künstlerischen Intervention. Triumphierend notiert Schleime in einer Tagebuchaufzeichnung, dass sie aufgrund des außerordentlichen Erfolgs der
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Stasi-Serie auf dem Kunstmarkt – sie verkaufte die Arbeit an eine Bank, zwei Museen und zwei Kupferstichkabinette – den Informant*innen, die nach 1989 untertauchen und sich eine andere Arbeit suchen mussten, nun „den Stinkefinger“ zeigen könne (2010:75). Aus der Betroffenheit und menschlichen Enttäuschung, die sich durch die Lektüre ihrer Akten einstellten, und einem, wie es die Künstlerin selbst nennt, „bösen Lachen über so viel Armseligkeit“ (zit. nach Dahlke 1997:305) findet Schleime zu ihrer eigenen Form des künstlerischen Humors zurück. Ihr sich über normative Restriktionen und Fixierungen hinwegsetzendes, unerschrockenes Lachen, das Schleime bereits in frühen, gemeinsam mit Heike Stephan und Gabriele Stötzer realisierten lustvollen und körperbasierten Selbstinszenierungen als subversive Botschaft gegen existenzielle Gefahr, Repression und Überwachung erprobte, verwandelt sie in Bis auf weitere gute Zusammenarbeit in eine so scharfsinnige wie verwirrende Strategie des Zeigens und Verhüllens, gepaart mit Parodie, Souveränität und Heiterkeit. Darüber hinaus scheint Schleime mit ihrer Serie zugleich einen indirekten Kommentar zu Techniken der Inszenierung und ihrer der Mythisierung Vorschub leistenden Dokumentation in der Performance Art zu liefern, die bereits in den Ausführungen zum Verhältnis von Performance und Bild angesprochen wurden. Mit dem Sichtbarmachen von Herstellungsprozessen und der intendierten Ambivalenz zwischen ‚Abbild‘ und ‚Trugbild‘ unterstreicht die Künstlerin, dass es immer mehrere Narrative und Lesarten einer Arbeit gibt. Das virtuose, unerschrockene Experimentieren und Kombinieren von Materialien und Medien – beginnend bei der Malerei, über Performance und Body Art, bis zu Fotografie, Musik und Super-8-Film – sowie Strategien der Zuspitzung und der Ironie sicherten das künstlerische Überleben von Cornelia Schleime in der DDR. Einen gänzlich anderen Zugang zeigte im Unterschied dazu Yana Milev, die nach anfänglichen autoaggressiven Performances mit Entwürfen eines selbstreferenziellen Systems sowie der Hinwendung zum wissenschaftlichen Forschen eine kreative Selbstbehauptung praktizierte, die zugleich genderkritische Fragen aufrief und im Folgenden untersucht werden soll.
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3.5 Techniken des Selbst. 290 Das System Aobbme von Yana Milev 3.5.1 Biografische Kontexte Die 1964 in Leipzig geborene Yana Milev (früher Jana Milev) lässt sich nach einem Studienjahr an der Pädagogischen Hochschule Erfurt aufgrund des dort herrschenden „roten Klimas“291 exmatrikulieren und arbeitet darauffolgend als Ankleiderin, in der Requisite und schließlich als Bühnenbildassistentin an den Städtischen Theatern Leipzig. Ab 1983 studiert sie parallel dazu und vorerst im Abendstudium Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Begeistert erlebt die junge Studierende 1986 die anarchische Performance Spitze des Fleischbergs der Auto-Perforations-Artisten beim Fasching der Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK), in der Else Gabriel ein ungerupftes totes Huhn föhnte, Via Lewandowsky versuchte, mit einem Rinderschlund zu telefonieren und Micha Brendel mit grüner Tunke einen fäkalischen Beitrag lieferte (vgl. Ebert 2006:81). Milev wechselt in die Abteilung Bühnenbild nach Dresden, in der die Auto-PerforationsArtisten noch studieren, wie bereits zuvor Karla Woisnitza und Erhard Monden. In der Zeit ihres Grundlagenstudiums bei Günther Hornig beginnt Milev, sich vom Malen abzuwenden und konzeptionell zu arbeiten. Dabei geht sie Fragestellungen zu Begriffen wie ‚Raum‘, ‚Kommunikation‘ und ‚System‘ nach und begibt sich auf die Suche nach einem „mentalen und ästhetischen Aufenthaltsort“ innerhalb ihrer Kunst (Milev zit. nach Sandner 1997:o.S.). Ihr Bühnenbildstudium beendet sie 1993; zwei weitere Jahre ist sie Meisterschülerin von Hornig, der nach 1989 an der HfBK Professor wurde. Milev nennt ihren Lehrer später einen Asketen, Philosophen und Komparatisten mit ästhetischen Mitteln, dessen Grundgedanken geleitet seien von der Idee der Reduzierung und der Analogie, sowie vom Verhältnis von Aktion-Reaktion.292 Bereits in Hornigs Grundlagenstudium entwickelt die Studierende kritische Fragen zur visuellen Repräsentation und zur „Enttheatralisierung des Raumes“ (Milev zit. nach Fuchs 2014:185). Gleichermaßen prägend für ihre konzeptuellen und ästhetischen Fragestellungen ist die ‚formale Analyse‘ des chilenische Malers und Animationsfilmers Hernando León, die auf der Auseinandersetzung mit den Grundformen des Kreises, Dreiecks und Quadrats beruht (ebd.). Als Pionier multimedialen Arbeitens gehen von León, der
290 Der Titel ist Michel Foucaults posthum erschienenen, partiellen Aufzeichnungen seines Seminars „Technologien des Selbst“ entliehen. Weiter unten wird detaillierter auf die Parallelen der von Foucault dargelegten Selbstverfahren und Milevs künstlerischer Praxis eingegangen. 291 E-Mail von Yana Milev an die Autorin, 13.04.2017. 292 Yana Milev im Gespräch mit der Autorin, 11.02.2010.
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als Dozent an der HfBK unterrichtet, entscheidende Impulse auch für die filmische Arbeit der Bühnenbildstudierenden aus. Unter dem Werktitel Horror Vacui entwickelt Milev von 1987 bis 1989 Konzepte und Entwürfe für vier Performances. In Aspik führt die Künstlerin während der Performancenacht Nachtmär im Oktober 1988 an der Kunsthochschule Dresden auf, Einneonopern kommt beim Frühjahrssalon am gleichen Ort zur Aufführung und Second up ist Teil von Rainer Görß’ Diplomarbeit.293 Eine Messe inszeniert Milev unter Teilnahme von Künstler*innen, Musiker*innen, der Tänzerin Hanne Wandtke und Schülerinnen der Palucca-Schule nur wenige Tage nach dem ‚Mauerfall‘ zur 12. Kunstausstellung des Bezirkes Dresden im Ausstellungszentrum am Fučíkplatz. Vor und parallel zu ihren öffentlichen Auftritten entwickelt die Künstlerin in ihrem Atelier und an anderen Orten wie in den leerstehenden Räumen eines Fleischerladens die 1988 entstandenen Performances Gigant und Adjutant: Liebesspiel in Abschaum mit Stromstößen und Schulter an Schulter, sowie Neonwahn und Geleekotz, die sie ausschließlich als Foto- und Filmarbeiten ausführt. Die Filmaufnahmen der Performances bilden einen wichtigen Ausgangspunkt für ihre zur gleichen Zeit entstehenden Super-8-Filme. Wie fast alle Bühnenbildstudierenden besorgt sich auch Milev eine Super-8-Kamera und setzt Film und Fotografie als zentrale Medien in ihrer Kunst ein. Der im selben Jahr produzierte Film raster + psyche zeigt mit präzisem Blick politische und gesellschaftliche Praktiken der Uniformierung, Entfremdung und Anonymisierung. Milev, die seit ihrer Kindheit Klavier spielt, lässt sich bei ihren Arbeiten vor allem durch Neue Musik von Arnold Schönberg bis Luigi Nono sowie durch Industrial Sound inspirieren. Sie entwickelt die Arbeitsthese „Film = Visuelle Musik“.294 In doublage fantastique (1988, in Zusammenarbeit mit Via Lewandowsky) kommt erstmalig der Experimentalfilm als visuelle Musik zum Einsatz. Geklebte und wieder abgefilmte Material-Collagen auf Blankfilm erzeugen abstrakte filmische Strukturbilder, die sich mit konkreten, narrativen Aufnahmen in schnellen Wechseln ablösen. 1989 entsteht unter dem Titel Irreversible in partieller Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin Beate Rudnick ihr dritter Super-8-Film, eine 45 Minuten lange, sechsfache Simultanprojektion von Filmmaterial auf mehreren Spulen. Dreimal wird die Arbeit mit Live-Musik aufgeführt, unter anderem bei jener großen Pariser Überblicksschau nonkonformer Künstler*innen L’Allemagne sur le Mur (1990). In diesen Film fließen erneut Performancedokumentationen ein, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit und eigens für die Kamera inszeniert worden sind.
293 Im Rahmen dieser Arbeit hatte Görß einige seiner Kolleg*innen zu einer mehrtägigen Werkstatt in seiner begehbaren und drei Monate installierten Raumarbeit eingeladen, verbunden mit der Aufforderung, sein Abschlussprojekt mit eigenen Aktionen zu kommentieren. 294 E-Mail von Yana Milev an die Autorin, 13.04.2017.
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Zeitgleich zu ihren ritualisierten, exzessiven Performances, in denen sie ihren Körper extremen Strapazen aussetzt, entwickelt die Künstlerin auf Grundlage theoretischer Ansätze ihr sogenanntes ‚Selbstsystem‘: 1986 begründet sie das Black Box Projekt, das ab 1987 unter dem Namen Association of Black Box Multiple Environment (Aobbme) das Gesamtwerk der Künstlerin und ihre Person in Zukunft zusammenfassen soll.295 Als kybernetisches beziehungsweise autopoietisches Selbst(organisations)system (vgl. Fuchs 2014:187) vollzieht Milev respektive Aobbme seither einen kontinuierlichen Rollen- und Medienwechsel, in dem genrespezifische Grenzen konstant überschritten werden. Anfang der 1990er Jahre verlegt sie ihren Wohnort von Dresden nach Berlin, wo sie ab 1994 unter dem Titel Aobbme IAR, Institut für Angewandte Raumforschung und Mikrotopische Kulturproduktion ihre Arbeit fortsetzt. Die Etablierung von Aobbme unterstreicht sie mit ihrer Namensänderung von Jana zu Yana Milev und mit der Tätowierung des Zeichens von A.O.B.B.M.E. auf ihrem Rücken. In der Zeit gesellschaftlicher und politischer Umbrüche Anfang der 1990er Jahre entsteht der umfangreiche Werkkomplex Exodus aus räumlichen Installationen, filmischen Arbeiten und Fotografien, der sich über mehrere Jahre mit Fragen zu Vertreibung, Emigration und Exil befasst. Als erste ostdeutsche Künstlerin nimmt Milev 1997 an einer der weltweit bedeutendsten Ausstellungen, der documenta in Kassel, mit einer interaktiven Rauminstallation teil. Ein DAAD-Stipendium ermöglicht ihr im Anschluss an die documenta einen zweijährigen Aufenthalt in Kyōto, wo sie ab 1998 traditionelle japanische Kampfkünste (Kyudô, Aikidô) studiert und praktiziert. Nach ihrer Rückkehr wendet sich die Künstlerin verstärkt der wissenschaftlichen Forschung zu. Ab 2003 studiert sie Kulturphilosophie und Anthropologie der Kunst an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und an der Akademie der Bildenden Künste Wien und promoviert 2008 bei Peter Sloterdeijk zu Diskursen des Ausnahmezustands und zur Souveränität (Milev 2009). In den Folgejahren entwickelt Milev ein Grundlagenwerk der transdisziplinären Designforschung, habilitiert sich 2014 an der Universität St. Gallen zum Thema Designsoziologie (Milev 2014) und erhält die Venia Legendi für Kultursoziologie. Yana Milev bezeichnet sich inzwischen als Kulturphilosophin, Soziologin, Ethnografin und Kuratorin.296 Ihre Arbeiten werden sowohl im kunstspezifischen als auch wissenschaftlichen und interdisziplinären Kontext präsentiert und rezipiert. Wenngleich sie sich selbst als Kulturproduzentin und nicht als 295 Sowohl das Black Box-Projekt als auch Aobbme gründete Milev ursprünglich als Ein-Frauen-‚Unternehmen‘, das aber die enge Zusammenarbeit mit Kolleg*innen anstrebte. Heute dient Aobbme zur Realisierung von Theorie, Forschung, Kuratierung und Publizistik in „assoziierter und interdisziplinärer Team- und Partnerbesetzung“. Vgl. http://www.aobbme.com/partner/ [letzter Zugriff: 28.07.2016]. 296 http://www.aobbme.com/yana-milev.php [letzter Zugriff: 28.07.2016].
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Künstlerin beschreibt, so bilden Performances neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und Forschung, dem Kuratieren und Publizieren sowie dem Unterrichten doch bis heute einen wichtigen Bestandteil ihrer kulturellen Praxis. In ihren Serien fotografischer Selbstinszenierungen, zu denen The Storytellers Return (2005) und Me Myself and I – release your true Image (2006) gehören, findet sie nach dem Ausstieg aus der Galerie EIGEN+ART zurück zur szenografisch-narrativen Inszenierung. Selbstinszenierungen überführt sie auch in Lifetime-Performances auf den Social Media Plattformen wie beispielsweise die der fiktiven Figur Kiki Lorenz auf Facebook. Hier findet The story of her wedding and honeymoon, the disappearing of her husband and his death (2012–2013) in Interaktion mit der Facebook-Community statt. 2013 erscheint Kiki Lorenz auch als Online-Label (Label for Apparel, Lifestyle and Political Education). Ihre Lecture Performances, wissenschaftliche Vorträge und Workshops mit Studierenden gleichen komplexen, performancebasierten Wissensszenarien und visuellen Essays. Strukturiert und organisiert sind ihre Präsentationen durch künstlerisch gestaltete Folien, die ein beziehungsreiches und vielschichtiges Verweissystem bilden und in denen verschiedene Medien – von Fernsehbildern über Social Media bis zu Text- und Bildgrafiken – in verdichteter Form abgerufen werden. Begleitende, in den physischen Raum oder den virtuellen Ort des Netzes hineinreichende Installationen verweisen auf Milevs an der visuellen Vermittlung ausgerichteten Hintergrund als Künstlerin und Szenografin, deren Praxis auf räumliches Denken und auf die Idee von Kunst als kreative Handlung fokussiert ist.
3.5.2 Herrschaftskritik In den Performances ihrer als Horror Vacui, als Angst vor der Leere, übertitelten Werkgruppe stellt Milev einen spezifischen Zustand der Prekarität dar und zugleich her. In den letzten drei Jahren des Bestehens der DDR, die geprägt ist von der Stagnation und Agonie des Staates, findet sie eine ausdrucksvolle Metapher für ihre Lebensrealität: „Hering in Aspik“ (2016b:313). Sie experimentiert mit großen Mengen von Gelee in ihrer Wohnung und lässt ein Becken in der Größe eines Kubikmeters anfertigen, in das sie vollständig hineinpasst. Dieses Geleebecken kommt in ihrer ersten Performance, die bezeichnenderweise den Titel In Aspik trägt, zum Einsatz und gehört auch zu den zentralen Objekten ihrer folgenden Aufführungen. Entsprechend Ralf Bartholomäus’ Beschreibung der Performance gelangte das Publikum nur durch einen schmalen Gang aus „verkeimten Plastikfolien und über zertretene Fischkadaver“, die Milev mit der Absicht, „Raumekel zu erzeugen“ (1988:o.S.) installiert hatte. Neben der Künstlerin agierten Beate Rudnick und Jochen Patzer „mit Schutzkleidung und Tauchinventar ausgerüstet an Schreibmaschinen“ (ebd.). Milevs Versuch, ihren Körper über viele Stunden in Gelee einzulegen,
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scheiterte als nicht kalkulierter Effekt daran, dass der Prozess des Gelierens nicht wie gewünscht einsetzte.297 So tauchte sie mitsamt Kopf, versehen mit Taucherbrille und Schnorchel, über einen längeren Zeitraum in das mit Wasser gefüllte Becken unter, gefolgt von ihrer anschließenden „Wiederbelebung“ (ebd.) [Abb. 98–99]. Ihre Performance zielte, wie sie selbst beschreibt, auf die Sichtbarmachung des Zustands eines äußeren Vakuums, einem „Erstarrtsein in Gallert“, und der „Angst vor dem Erstickungstod“ (2016b:313), wofür das Geleebecken sinnbildlich steht. Damit übt sie Kritik am System der DDR, das von der jungen Studierenden als ein verfestigter beziehungsweise „gelierter“ Aggregatzustand erlebt wird, der zum Stillstand zwingt (ebd.). So können auch die wiederholt eingeblendeten Szenen von an Haken hängenden, kopflosen Masthühnern in ihrem Film raster + psyche und die Darstellung von gerupften, geschlachteten Hühnern durch Schülerinnen der Palucca-Schule in ihrer Performance Eine Messe für Gleichschaltungseffekte und Entindividualisierung im Staatssozialismus verstanden werden. Solche vereindeutigenden Lesarten werden dem künstlerischen Anliegen ihrer Performances und Filme jedoch nicht gerecht, blieben sie doch auf eine an der DDR exemplifizierte Systemkritik beschränkt. Vielmehr können sie als über den spezifisch geopolitischen Rahmen hinausweisende Metaphern für Gewalt, Leid und Tod betrachtet werden. Insbesondere Milevs Aufführungen Einneonopern und Eine Messe, die in ihren ritualisierten Abfolgen zahlreiche Analogien aufweisen und auf gleiche Instrumentarien – Eierkillmaschine,298 Neonstab, Geleebecken – zurückgreifen, stellen den Visualisierungsversuch einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit Herrschafts- und Unterwerfungsstrukturen dar. Den Verlauf der im Frühjahr 1989 an der HfBK Dresden aufgeführten Performance Einneonopern beschreibt der Kulturphilosoph Klaus Nicolai folgendermaßen: Die in schwarzglänzende Folie gehüllte Herrscherin Milev zertrennt maschinell rohe Eier, lässt ihren Inhalt in eine mit Desinfektionsmittel gefüllte Schüssel rinnen und steigt – bewaffnet mit einem Neonphallus – empor zum pyramidisch gekrönten Ort der Macht. Ganz oben im mit Gelatine gefüllten Glasbassin, befriedigt sich der Machtwahn im entfesselten Rausch. Dies alles nicht nur als ein symbolisches Bad in der Masse, sondern als ein leibhaftiger Akt bis zum Äußersten – bis an den Rand des Ersaufens, des totalen Außer-sich-Seins, bis der Rausch die Züge des Todes
297 E-Mail von Yana Milev an die Autorin, 19.04.2017. 298 D ie Eierkillmaschine bestand aus einem fahrbaren Metallgerüst mit einer aluminiumbeschichteten Platte, in die ein Schwingschleifer eingelassen war. Wenn die Maschine in Aktion war, konnte Milev an der rotierenden Scheibe die Eier öffnen. Der durch ein Loch in der Platte geschüttete Inhalt wurde von einem darunter befindlichen Glasgefäß aufgefangen, welches mit Wofasept, einem Desinfektionsmittel, gefüllt war. Milev selbst stand während der Aktion auf einer Konsole, auf die sie mit Hilfe einer kleinen Leiter gelangte. E-Mail von Yana Milev an die Autorin, 19.04.2017.
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A bb . 98–99 Yana Milev, In Aspik (mit Beate Rudnick & Jochen Patzer), 1988, Hochschule für Bildende Künste Dresden im Rahmen der Performancenacht Nachtmär, Dresden
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A bb . 100–103 Yana Milev, Eine Messe (mit Norbert Diaz de Arce, Jochen Patzer, Matthias Schneider-Kult, Torsten Schilling, Tänzerinnen der PaluccaSchule, Hanne Wandtke, Philipp Beckert), 1989, Ausstellungszentrum am Fučíkplatz im Rahmen der 12. Kunstausstellung des Bezirkes Dresden, Dresden
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annimmt. Danach der Abstieg in den spiegelbildlichen Frohndienst. Ekstatisches Steineschleppen nach oben, dramatische Stürze in Stöckelschuhen, Verletzungen, Blut und am Ende der endgültige Fall auf das Steinelager am Fuße der Macht – Schweigen... (Nicolai 1995:9). Berichtet wird von der performativ-theatralischen Inszenierung des Aufstiegs und Falls einer Figur, die nicht nur nach Autorität und Wirkungsmöglichkeit zu streben scheint, sondern auch nach Herrschaft. Nach deren maßloser Inanspruchnahme stürzt sie und wird bestraft. Auch in ihrer Performance Eine Messe zeigt die Künstlerin entlang der Struktur ritueller und religiöser Handlungen die Wandlung vom Täter zum Opfer. Sie folgt der Dramaturgie der Krönungsmesse von Franz Liszt, die sich von dem als „Kyrie“ eingeführten Prolog entwickelt, in dem die Künstlerin mit ihrer Eierkillmaschine rohe Eier zersägt und desinfiziert, über den als „Gloria“ beschriebenen Feldzug, dem unter „Laudate Dominum“ erfolgten Aufstieg sowie dem in „Credo“ einsetzenden Machtrausch bis zum im „Offertorium“ einsetzenden Fall der Figur, die anschließend auf einem Rost geteert und gefedert und im Kyrie-Epilog endgültig zum Schweigen gebracht wird [Abb. 100–103].299 Dass ihre künstlerischen Interventionen zur Sichtbarmachung destruktiver Funktionsweisen von Herrschaft und Unterwerfung – trotz ihrer Gewichtung auf Erfahrungen aus ihrer unmittelbaren Lebensrealität – über den ideologischen Rahmen der DDR hinausweisen, belegt zum einen die Aussage der Künstlerin, dass ihre Performances zwar mit anderer Ausrichtung, aber in jedem politisch repressiven System entstanden wären,300 zum anderen der Umstand, dass sie sich in ihrer wissenschaftlichen Forschung bis heute gesellschaftskritisch positioniert.301
3.5.3 „Befähigende Verletzung“302 Getragen werden die narrativ-symbolischen Inszenierungen durch Milevs exzessiven und entfesselten Körpereinsatz. In überhöhten inszenatorischen Anordnungen und autoaggressiven Handlungen verkörpert die Performerin eine fatale Selbstgefährdung. Sie äußert sich unter anderem im obsessiven
299 Die Performance fand unter Mitwirkung von Norbert Diaz de Arce, Jochen Patzer, Matthias Schneider-Kult, Torsten Schilling, Tänzerinnen der Palucca-Schule, Hanne Wandtke und Philipp Beckert statt. 300 Yana Milev im Gespräch mit der Autorin, 28.07.2016. 301 Ihre bis in die Gegenwart reichende und damit gleichermaßen auf kapitalistische Verhältnisse verweisende Systemkritik wird anhand ihres aktuellen Buches Europa im freien Fall deutlich, in dem Milev die Konsequenzen einer ,Totalübernahme‘ des ehemaligen Ostblocks in den NATO- und EU-Haushalt thematisiert, die Tabuisierung einer osteuropäischen Kulturdifferenz und die Renaissance einer Politterminologie aus den Zeiten der Blockmächte (2016a). 302 Gayatri Chakravorty Spivak zit. nach Butler 1997:174.
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Schleppen von schweren Steinen in Eine Messe [Abb. 104–105], im vollzogenen freien Fall des Körpers auf harte Oberflächen in Einneonopern, im Agieren der Künstlerin mit einem am Stromkreis angeschlossenen und eingeschalteten Staubsauger im Wasser während ihrer Aktion Gigant und Adjutant. Die auf sich selbst gerichteten Attacken übt die Künstlerin mit einer Schonungslosigkeit und Radikalität aus, die den ritualisierten Angriffen von Micha Brendel und Via Lewandowsky gleichkommen. Lewandowskys Performance Trichinen auf Kreuzfahrt zur Permanenten Kunstkonferenz (1989) endet mit einer Gehirnerschütterung des Künstlers, Milev verlässt nach ihren Stürzen mehrfach blutend die Bühne oder kalkuliert den Stromschlag ein. Welche Motivation und welches künstlerische Selbstverständnis, so drängt sich die Frage auf, liegen diesen Handlungen zugrunde, wenn die Künstlerin öffentlich ihren Körper mit Stromstößen und Stürzen sowie dem Entzug von Sauerstoff malträtiert und peinigt. Und inwiefern verbinden sich diese autoaggressiven Handlungen mit einer geschlechterkritischen Absicht? Milevs Aktionen sind in der künstlerischen Tradition autoaggressiver Performances der 1960er und 1970er Jahre in Ost- und Westeuropa zu sehen. In ihrer Analyse „Body and the East“ unterstreicht Zdenka Badovinac, dass sich gegen den eigenen Körper gerichtete Aktionen von Künstler*innen aus Osteuropa wie von Petr Štembera oder Tibor Hajas303 und denen aus Westeuropa wie von Gina Pane, Chris Burden oder Günter Brus nicht wesentlich unterschieden. Die Differenzen zwischen den Praktiken lägen vielmehr „in something that is actually invisible and non-signified“ (Badovinac 1988:16). Das heißt, dass beispielsweise auf den Fotodokumentationen von Tomislav Gotovac’ oder Ion Grigorescus Aktionen keine direkte politische Botschaft sichtbar wird, dafür aber ähnliche Handlungen in unterschiedlichen geopolitischen Räumen unterschiedlich gelesen werden. Die Erscheinung des nackten männlichen Körpers in der Öffentlichkeit wie in den Performances von Gotovac in Zagreb Anfang der 1970er Jahre hätten in Anbetracht der Bedrohung von Überwachung und Zensur eine politische Dimension. Die öffentliche Exponierung des Privaten in demokratischen Systemen hätte zwar auch Grenzen unterlegen, die jedoch eher moralischer Natur gewesen seien (ebd.). Bei Milev scheint das kritische Potenzial in der Inszenierung eines unberechenbar agierenden weiblichen Subjekts zu liegen, das sich als gefährdet, verletzt, wütend und außer sich seiend zu sehen gibt und damit die symbolische Verweigerung eines störungsfreien gesellschaftlichen Funktionierens markiert. Deutlich werden insbesondere Parallelen zu den frühen Performances
303 Weitere Beispiele von Performances, in denen osteuropäische Künstler*innen die physischen Grenzen ihres Körpers ausloten, führt Amy Bryzgel in ihrer Analyse Performance Art in Eastern Europe since 1960 an, dort vor allem in ihrem Kapitel „The limits of the body“ (vgl. Bryzgel 2017:143ff).
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A bb . 104–105 Yana Milev, Eine Messe (mit Norbert Diaz de Arce, Jochen Patzer, Matthias Schneider-Kult, Torsten Schilling, Tänzerinnen der Palucca-Schule, Hanne Wandtke, Philipp Beckert), 1989, Ausstellungszentrum am Fučíkplatz im Rahmen der 12. Kunstausstellung des Bezirkes Dresden, Dresden
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von Abramović, in denen sie ihren Körper physischer Selbstaggression und Selbst-Verletzung aussetzt wie beispielsweise in Rhythm 10 (1973), in der sie mit Messern unterschiedlicher Größe und Schärfe zwischen die gespreizten Finger ihrer Hand sticht und sie immer wieder trifft, in Rhythm 2 (1974), in der sie ihren Körper der Wirkung von Medikamenten gegen Katatonie und Schizophrenie aussetzt oder wie in Rhythm 4 (1974), in der Abramović ihr Gesicht über ein Luftgebläse hält und aufgrund des extremen Luftdrucks das Bewusstsein verliert. Das Anliegen der Künstlerin dabei war niemals zu schockieren. Über ihre Performances sagt sie indessen: „Mein Interesse bestand darin, die physischen und mentalen Grenzen des menschlichen Körpers und Geistes zu erreichen (zit. nach Pejić 1993:14). Milevs Performances provozieren die Auseinandersetzung mit institutionellen Disziplinierungseffekten und dem Fehlen individueller Handlungsspielräume innerhalb gesellschaftlicher Zusammenhänge. Ihre Fragen nach Individualität, Identität und Unabhängigkeit des Subjekts stellen sich vor dem Hintergrund politischer und ideologischer Normierungsprozesse wie den Maßnahmen der Domestizierung und Entmündigung im staatlichen Bildungssystem der DDR. Auch die gewaltsame Einschreibung des Staates erlebt Milev am eigenen Leib.304 So versteht die Künstlerin das Zersägen und Zerstören von Hunderten von Eiern in ihren Performances auch als „Metapher für die Geschichte, für eine massenhafte Zerstörung von Autonomie“ (zit. nach Sandner 1997:o.S.). Aktionen, mit denen sie die Züchtigung des Individuums und seines Körpers zu sehen geben will, sind – ihrer Aussage folgend – gekoppelt an den gleichzeitigen Versuch, sozialen Einschreibungen widerständig zu begegnen: Ich hab mir ja immer die Frage gestellt, wie kann man Techniken für sich selbst entwickeln, um diese ganzen Muster und Implantierungen nicht mehr zuzulassen. Also eine Resistenz zu entwickeln gegenüber dem, was mit einem schon stattgefunden hat [...]. (Ebd.)
304 Nachdem sie 1984 für einen Freund an der rumänisch-jugoslawischen Grenze Fluchthilfe geleistet hat, wird Milev später in Leipzig auf der Straße brutal zusammengeschlagen. Mit Jochbeinbrüchen und Schädelhirntrauma sowie einer zerschmetterten Hand wird sie einige Wochen stationär behandelt. Die Staatsanwaltschaft beendet das Verfahren nach nur kurzer Zeit, angeblich in Ermangelung von Indizien. Da lag sie noch auf der Intensivstation. Infolge von notwendigen Operationen an der rechten Hand, war diese für ein halbes Jahr gelähmt. Auch aus diesem Grund gibt die Künstlerin das Malen auf. Sie vermutet, dass der Anschlag vom Geheimdienst der DDR verübt wurde, Unterlagen lassen sich dazu in ihren Akten nicht finden. Yana Milev im Gespräch mit der Autorin, 11.02.2010.
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Milevs selbstzerstörerische Handlungen innerhalb ihrer Aufführungen sind verknüpft mit einer als idealistisch zu bezeichnenden und zum Scheitern verurteilten Suche nach einem vermeintlich freien, autonomen Status, die aber konsequenterweise in die Selbstauslöschung ihrer Person münden würden. Die als kathartisch erlebte Autoaggression verleitet die Künstlerin im Rückblick auf ihre Performances zu der Aussage: „Es ist ein beruhigender Gedanke, der Gedanke an mein plötzliches Ende in der Öffentlichkeit. Das Gesehenwerden dabei von vielen Augen gibt mir eine Einbettung in ein kollektives Gedächtnis“.305 Die angestrebte Befreiung von den das Subjekt konstituierenden Verhältnissen kann sich für sie nur im Exitus vollziehen. Ein vermeintlich öffentlicher Tod aber war nie das erklärte Ziel ihrer Aktionen, vielmehr liegen ihnen Versuche des Sichtbarmachens zu Grunde.306 Wieso dieses Sichtbarwerden nur in ultima ratio vorstellbar war, ist erklärbar mit der Not und ihrer Unsichtbarkeit. Die künstlerischen Handlungen, die Milev gegen sich selbst richtet und die dem existenziellen Risiko und dem Faktor des Zufalls größtmöglichen Raum zuweisen, sind in Ermangelung alternativer Handlungsstrategien zu sehen, die sich parallel zur Entstehungszeit der Performances jedoch bereits abzeichnen. Eine geschlechterkritische Intention lässt sich an der bereits weiter oben eingeführten Figur der Herrscherin erkennen. In ihrer Performance Einneonopern verkörpert Milev diese Figur selbst [Abb. 106–109]. Sie erhebt sich, badet im buchstäblichen Sinne im Machtrausch und wird schließlich mit harten Körperstrafen belegt. Vor dem Hintergrund der marginalisierten Situation von Künstlerinnen in der kulturellen zweiten Öffentlichkeit und der gesellschaftlichen Situation, in der Frauen in der DDR – und eben nicht nur dort – politisch kaum sichtbar und folglich als Entscheidungsträgerinnen visuell auch kaum repräsentiert waren, betritt Milev mit der Inszenierung einer nach Macht strebenden weiblichen Figur neues künstlerisches Terrain. Folgt man der narrativen Ebene der Performance, wird deutlich, dass sich die weibliche Figur, um im Machtgefüge aufsteigen zu können, den Normierungen einer männlichen Ordnung unterwirft. Diese verlangt eine androgyne Erscheinung mit straff zurückgekämmten Haaren, das Tragen von männlichen Insignien der Macht wie dem phallischen Neonstab, der den Weg in die ‚oberen Sphären‘ der Herrschaft kalt beleuchtet. Die rituelle Initiation wird durch De-Sensibilisierung, das Zerstören von Eiern vollzogen, die auch ein tradiertes Sinnbild weiblicher Fruchtbarkeit sind. In ihrem Streben nach höherer Macht und Willensfreiheit – vielleicht auch Rebellion – wird die Figur, dem biblischen Höllensturz gleich, bestraft und dazu verdammt, als Gefallene zu verstummen. Milevs 1995 veröffentlichte theoretische Abschlussarbeit ihres Meisterschülerstudiums fasst 305 E-Mail von Yana Milev an die Autorin, 25.09.2016. 306 Ebd.
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A bb . 106–109 Yana Milev, Einneonopern (mit Jochen Patzer, Bo Kondren, Klaus Maus, Freygang, Beate Rudnick), 1989, Hochschule für Bildende Künste im Rahmen des Frühjahrssalons, Dresden
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verschiedene Aufzeichnungen der Künstlerin zusammen, so auch einen Text von 1993, in dem sie sich zur Konstruktion der Geschlechterkategorien und ihrer Differenz äußert: Göttinnensturz und Denkmalpflege. Es wird der männliche Gott erfunden. Es wird die Entstehung der Frau erfunden (aus der Rippe des Mannes). Es wird eine demnach männliche Ordnung erfunden. Es wird die Frau mit ihrem autonomen Bedürfnis nach Selbstorganisation und Selbsterneuerung verleugnet, mundtot gemacht und als solche umgestaltet (kolonialisiert, domestiziert/erzogen). Es werden Schulen und Methoden erfunden, an denen Frauen denken lernen und Frauenkultur umgeschult wird und die letztendlich „Frau“ definieren: Was sie ist, woher sie kommt, warum sie ist, wie sie sein soll, wie sie nicht sein soll [...]. (Milev 1995:146) Eines ihrer 1988 entstandenen Textbilder, in denen sie die räumliche Struktur und den Verlauf ihrer Performances mit Zeichnungen, Textauszügen und Fotografien nachträglich verdichtet, zeigt eine Abbildung des Leipziger Völkerschlachtdenkmals, das in Erinnerung an die gegen Napoleon geführte Schlacht von 1813 gebaut wurde [Abb. 110]. Milev referiert auf das Denkmal als Metapher für die monumentale Inszenierung männlichen Heroismus’. Es wird von martialischen Kriegerfiguren gekrönt und an seinem Fuß thront der Erzengel Michael als Sieger über ‚das Böse‘. Zugleich dienten die Architektur und der stufenartige, pyramidale Aufbau des Denkmals als Vorlage für die Visualisierung einer hierarchisch strukturierten Macht, die sich in den nach oben verjüngenden Treppen in der Inszenierung Einneonopern wiederfindet, später abstrahiert in der Fahrt auf der Hebebühne nach oben zum Geleebecken, in ihrer Inszenierung Eine Messe. Die „Denkmalpflege“ in ihrem Text steht für die Restaurierung und Reproduktion von Herrschaftsansprüchen, der „Göttinnensturz“ ist die erzwungene Unterordnung in einem männlich dominierten System, das die Binarität der Geschlechter konstruiert und aufrechterhält. Einneonopern wie auch Eine Messe zeigen den Selbstbestimmungsversuch einer weiblichen Protagonistin, die ihre angeeignete Männlichkeit nicht hinter der Maskerade der Weiblichkeit zu verbergen sucht, mit dieser Form der Verweigerung in einer männlichen Ordnung als Frau aber scheitern muss.307 Innerhalb ihrer Performance Second up inszeniert sich die Performerin in blauem Arbeitsanzug, mit einem Ballettschuh am rechten, einem Rollschuh am linken Fuß. In tragikomischen Verrenkungen demonstriert sie dabei nicht nur „den Spagat zwischen Kindheit und Kunstdressur“ (Nicolai 1995:15), sondern auch den zwischen Autonomiebestrebungen und der Zuweisung tradierter Geschlechtermuster.
307 Zum Maskeradebegriff vgl. Kap. 3.2.5 Strategien der Maskerade.
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A bb . 110 Yana Milev, Einneonopern, 1989, Textbild, Foto- und Textcollage
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Insbesondere ihre Selbstverletzungen und -gefährdung repräsentieren den Versuch, der durch historische und spezifische Machtverhältnisse hervorgebrachten Konstituierung und Fixierung von Subjekt und Geschlecht zu entgehen. Der in ihren Performances dargestellte Widerstand gegen Entfremdungserfahrungen zeigt, wie sehr die Künstlerin selbst das Resultat gesellschaftlicher Machtbeziehungen ist, gegen die sie anzugehen trachtet. Gleichzeitig aber wird deutlich, dass die verletzenden Effekte sozialer Konstituierung auch produktive Resultate zeitigen. Um meine Auslegung zu Milevs Performances in aktuellen Diskursen zu verankern, sei an dieser Stelle aus Judith Butlers Körper von Gewicht zitiert. In ihrem Kapitel „Fragen der Aneignung und Subversion“ schreibt Butler über das vom Gesetz angesprochene, konstituierte und juridisch sowie sozial formierte Subjekt (1997:173). Die Entfremdung, die durch die disziplinierenden Absichten des Gesetzes erzeugt werde, habe allerdings nicht nur verletzende, sondern auch befähigende Effekte. Gayatri Chakravorty Spivak anführend, spricht Butler von einer „befähigenden Verletzung“ (1997:174f). Dieser Begriff meint, dass die Machtbeziehungen das Subjekt, das in sie einbezogen und verwickelt ist, im Grunde genommen dazu befähigen, sich diesen entgegenzustellen. Auf Milev übertragen könnte dies bedeuten, dass die Künstlerin mit Strategien der Übertreibung und Zuspitzung – also mit Formen des Ungehorsams – versucht, das Gesetz beziehungsweise Machtbeziehungen symbolisch aufzusprengen. Auch unter ästhetischen Aspekten kann ihre Performances als ein gewaltsames Öffnen tradierter akademischer Vorgaben einer klassisch bühnenbildnerischen Praxis verstanden werden. Ihre nonkonforme Konfrontation mit den ästhetischen Vorgaben, Lehrprogrammen und der Institution der Kunstakademie selbst verweist auf eine künstlerische Praxis der Entgrenzung. Dazu gehören Strategien der intermedialen Überschreitung von Genres, der Erweiterung des Kunstbegriffs durch Performances und die Inszenierung politischer Themen; sie führt die Künstlerin bewusst nicht im Modus der Affirmation, sondern in Form kritischer Statements auf. Milevs künstlerische Entgrenzungen fordern konventionelle Rezeptionsweisen heraus und beanspruchen somit auch vom Publikum eine besondere Leistung. In ihrer Auflehnung gegen normierte Werte, die sich auch in ihren Performances Bahn bricht, beschreibt sich die Künstlerin selbst als „Defekt“, wobei das Konzept der Störung das Potenzial des Auf bruchs, Umbruchs und der Subversivität in sich trage (zit. nach Fuchs 2014:180). In diesem Zusammenhang sei an Stötzers Mackenbuch und seine mit Makeln und Absonderlichkeiten behafteten Protagonist*innen erinnert, die aus der gesellschaftlichen Zuschreibung sowie einer solchen Selbstbezeichnung und Selbstinszenierung heraus versuchen, gesellschaftliche und kulturelle Normative aufzusprengen.
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3.5.4 Black Box Im Jahr ihres Umzugs und Studienanfangs an der HfBK Dresden gründet Milev 1987 das Black Box Multiple Studio Dresden Nord und beginnt mit dem RaumSeminar ihre angewandte Raumforschung.308 Unter dem Titel Die Anatomie des Black Box entstehen in Zusammenarbeit mit Tänzer*innen und Musiker*innen serielle Malerei und Fotografie, die Performance Art und Aktionen sowie analytische Ansätze zusammenführen. Inspiriert vom ungegenständlichen Suprematismus Kasimir Malewitschs, den Erkenntnissen des Radikalen Konstruktivismus – der Realität als Konstruktion und Wahrnehmung als vollständig subjektiv begreift – und Oskar Schlemmers experimentellem Triadischen Ballett – das in dynamischen Tänzen die Beziehung zwischen Raum und Figur, Formen und Gesten auslotet – sucht Milev nach Bewegungsformen und Methoden eigendynamischer Inszenierung. Als prozesshaften Ausdruck vermisst sie den Raum und Environments, überlagert Körperabdrücke auf Papier, setzt ihren Körper in durch Fotoapparat oder Farbe visualisierte Bewegungsabläufe. Die Inszenierungen richten sich dabei auf die Aufhebung gegenständlicher Fixierung und, so die Künstlerin, auf die „Dekonstruktion der Black Box“ und „der Realität des konditionierten Körpers“ (Milev 1995:119). Performance-Elemente, die das Wechselspiel zwischen Körper und architektonischem Raum visuell hervorheben, greift sie in ihrem in den 2000er Jahren entstandenen Werkblock Body Dwellings erneut auf, insbesondere in der während ihres Kyudô-Trainings produzierten Serie ResonanzArchitektur (2000) und den fotografischen Performancedokumenten mit dem gleichnamigen Titel Body Dwellings (2003) im urbanen Raum. Darin verlängern Akteur*innen mit Hilfe von Stangen ihre Körper und bilden temporäre Räume und Bezugssysteme. In derselben Zeit, in der die Künstlerin destruktive Praktiken in ihren Performances auslotet, beginnt sie sich individuellen Handlungsspielräumen durch forschende Selbstreflexion und Systematisierung der eigenen Praxis zuerst in Gestalt des Black Box Multiple Studios, danach als Aobbme zuzuwenden. Die aus der Kybernetik kommende Bezeichnung der Black Box beschreibt eine Modellmethode, mit der die Gesetzmäßigkeiten von Bewegungen in
308 Da das bestehende Raum-Seminar für Studierende des Bühnenbildes der HfBK weitestgehend Theaternarrative bediente und kein Untersuchungsfeld zu Relationalität und Kontextualisierung von Räumen und Körpern bot, initiierte Yana Milev gemeinsam mit Kommiliton*innen, darunter Beate Rudnick und Juan León, ein eigenes RaumSeminar (1988–1992), das als Ort der Grundlagenforschung diente. Inspiriert wurden ihre Konzepte von der Raumphilosophie Günther Hornigs, aber auch von Lutz Dammbeck, Hartwig Ebersbach, Hans-Joachim Schulze und seiner Gruppe 37,2 (vgl. Kap. 1.4.2.3 Gruppierungen), mit denen Milev in ihrer Leipziger Studienzeit in Kontakt kam. Yana Milev im Gespräch mit der Autorin, 28.07.2016.
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Selbstorganisationssystemen erfasst werden.309 Mit der Identitäts- und Arbeitsgrundlage der Black Box meint Milev in vielfältiger und konkreter Weise ihren Körper und Leib, ihre Existenz und Erfahrungswelten, die an die sichtbare Existenz ihres Körpers gekoppelt sind, kurz: sich selbst (vgl. Fuchs 2014:196). Dabei differenziert sie in sprachlicher und ideologischer Hinsicht zwischen Körper und Leib. Den Körper betrachtet sie als Zielscheibe gesellschaftlicher Normierung, den Leib dagegen als Topos, als Ort der Einkehr, als dem einzigen Ort, an dem das ‚Ich‘ zu Hause sein darf (ebd.). Black Box versteht sie zugleich als „dynamisches und selbstreferenzielles System“ (Milev zit. nach Fuchs 2014:187).310 Auch wenn die Künstlerin das Anfangsstadium von Black Box als „innere Emigration“ (ebd.:186) bezeichnet, wird doch ein wesentlicher Unterschied zu ihren Performances deutlich. Nach meiner Lesart zeigt die Künstlerin insbesondere mit Strategien der Selbstgefährdung in ihren Aktionen die Effekte von Machtverhältnissen auf das Subjekt und seinen Körper auf und rebelliert dagegen. Mit einem selbstkritischen Anders-Denken als Black Box entwickelt sie im Gegensatz dazu ein Verfahren und eine Ordnung, die sie als selbstgewählten Aktions- und Überlebensraum innerhalb gesellschaftlicher Prozesse und in Relation zu Macht- und Herrschaftsverhältnissen begreift und zugleich versucht, in seiner Differenz auf diese zurückzuwirken. Ihr forschender Ansatz, der „das Ausmaß des eigenen Produziertseins [...] im historischen Exkurs qua Analyse“ (Milev 1995:59) erfasst und damit Wissen um die Hervorbringung des Subjekts durch kulturelle Diskurse und seine historische Konstituierung generiert, erscheint als ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Entfaltung ihrer Selbsttechnologien, aber auch als methodischer Ansatz dessen, was sie Anfang der 1990er Jahre als künstlerische Forschung realisiert. Auch wenn Milev selbst die Konzeption ihrer Black Box nicht mit Michel Foucaults Begriff der Selbsttechnologien verkoppelt, bietet sich jene Verschränkung in diesem Zusammenhang an. In seinem gesamten Werk hat sich Foucault mit Macht- und Herrschaftstechniken befasst, die das Selbst zum Objekt machen. Um 1981 begann er dagegen, sich zunehmend dafür zu interessieren, wie das „Selbst sich selbst als Subjekt konstituiert“ (vgl. Luther u.a. 1993:8, Hervorh. im Original). In seinen die Entstehung des modernen Selbst-Konzeptes analysierenden Aufzeichnungen „Technologien des Selbst“ spricht Foucault von Verfahren, die es dem Einzelnen ermöglichen, „aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper
309 Erneut verwiesen sei an dieser Stelle auf die Rezeption der kybernetischen Theorie durch zahlreiche Künstler*innen aus der DDR. 310 Die Erfahrung einer multiplen Identität und einer zugleich erlebten Ortlosigkeit liegt bereits in Milevs ethnischer Herkunft begründet. Mit einer deutschen Mutter und einem bulgarischen Vater wächst sie im kulturellen Klima zweier Sprachen, Traditionen und Kulturen auf.
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oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sich so zu verändern, daß er einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt“ (1993a:26). Diese auch als „Sorge um sich selbst“ bezeichneten Praktiken (ebd.:28) – verstanden als Selbstführung, Autonomie und Selbstkontrolle – sieht Foucault eng verknüpft mit politischem Handeln und zugleich in Wechselbeziehung zu Technologien des Regierens und der Herrschaft. In seinem Aufsatz „Die politische Technologie der Individuen“ geht Foucault der Frage nach, „wie wir [...] dahin gelangt sind, uns selbst als Gesellschaft wahrzunehmen, als Teil eines sozialen Gebildes, einer Nation oder eines Staates“ (1993b). Interessanterweise entwickelt Milev gerade in den letzten Jahren der DDR – in denen sich die erste Öffentlichkeit immer mehr zur zweiten Öffentlichkeit hin öffnete und vice versa, und in denen ihre Performances an der HfBK Dresden311 und an anderen Orten der ersten Öffentlichkeit stattfinden können – mit der existenziell und konzeptionell verstandenen Black Box ein System, das mit seinen Strategien ähnliche Charakteristika wie die zweite Öffentlichkeit aufweist. Neben grenzüberschreitender ästhetischer Informations- und Kommunikationsproduktion handelt es sich dabei um Formen des Widerstandes, des Eigensinns sowie des Überlebens.312 Ihre selbstgefährdenden Auftritte beendet die Performerin nach 1989, ihre Selbstpraktiken aber setzt sie fort. Diese Veränderungen in ihrer künstlerischen Praxis sind begleitet von einer neuen inhaltlichen Schwerpunktsetzung: Nicht mehr das Disziplinarsubjekt als Produkt institutioneller Herrschaftsordnungen in der (symbolischen) Verkörperung ist Gegenstand ihrer Arbeit, sondern das eigenverantwortliche Subjekt mit vermeintlich mehr Handlungsoptionen innerhalb des demokratischen Systems, das zugleich Produkt von Ökonomisierung und Warenästhetik ist. Der Wandel ihrer künstlerischen Produktion kann damit auch vor dem Hintergrund der eingangs erwähnten Entwicklungsphasen der Moderne von Peter Wagner betrachtet werden, konkret des Übergangs von der „organisierten Moderne“ zur „erweitert liberalen Moderne“. In letzter verschieben sich kollektive Arrangements und Identitäten sowie die „Reduzierung von Ungewissheiten“ (Dölling 2003:83) zugunsten einer größeren Autonomie beziehungsweise Freiheit des Individuums. Das einst „‚beherrschte‘ Subjekt“ wird „entlang der institutionellen Neuausrichtung von alten Kontrollen freigesetzt und einer imperativischen ‚Sorge um sich selbst‘ ausgesetzt“ (Hirseland & Schneider 2008:5645). Milevs Black Box kann als sowohl auf die von Foucault beschriebenen autonomen Techniken des Selbst fokussiert
311 Zur besonderen Rolle der HfBK Dresden als Institution der ersten Öffentlichkeit vgl. Kap. 2.2.2 Performance Art und zweite Öffentlichkeit. 312 Ebd.
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verstanden werden als auch auf eine durch die gesellschaftlichen Bedingungen der Gegenwart forcierte ‚Sorge um sich selbst‘. Ihre Black Box beschreibt die Künstlerin als „Vermittler“ beziehungsweise „Medium“, das „nicht bis ins Letzte analysierbar und erklärbar“ ist (Milev zit. nach Fuchs 2014:187). Damit gehen Strategien der Verweigerung einher, die eine vollständige Einsicht und Erkennbarkeit unmöglich machen. Die politisch gemeinte Unterbindung von Verwertbarkeit und Vermessung richtet sich somit unmittelbar auch gegen eine klare Rezipier- und Konsumierbarkeit, wie sie für den Performancebereich von Peggy Phelan eingefordert wird. Mit ihrem Black Box-Konzept möchte Milev sich systematisch von einer „Kunst der Illustration, der Theatralisierung und Fetischproduktion“ distanzieren (ebd.:186). Auch wenn dieses Anliegen beispielsweise in ihren komplexen und zugleich offenen, sich fortschreibenden Raum- und Medieninstallationen zum Tragen kommt, so erscheint aufgrund der ausgeprägten (theatralisierten) Selbstthematisierung und Selbstdarstellung der Künstlerin dieser Anspruch nicht vollends eingelöst. Mit der Konstituierung des AOBBME IAR, Instituts für Angewandte Raumforschung und Mikrotopische Kulturproduktion im Jahr 1994 erklärt Milev, eine Basis für die von ihr als „individuelle Kulturproduktion“ bezeichnete Praxis gefunden zu haben (ebd.:188). Indem die Künstlerin sich im gleichen Jahr das Logo von Aobbme auf ihren Rücken tätowieren lässt und mit diesem Branding ihren Leib als individuelles Territorium markiert, führt sie in radikalisierter Form und auf unlösbare Weise ihre Körperarbeit mit ihrer theoretischen, text- und sprachbasierten Forschung zusammen. So sehr sich ihre künstlerische Forschung an Philosophie, Psychologie und Kybernetik ausrichtet, gründet ihre künstlerische Praxis unverändert auf dem Einsatz ihres Körpers. Heute forscht Milev zu Kulturtechniken des urbanen, sozialen und politischen Überlebens und zu Ausnahmezuständen und Protestkulturen. Diese Felder hat sie bereits mit ihren ‚Kulturtechniken des Überlebens‘, das heißt den Inszenierungen ihres Körpers in ihren Performances Ende der 1980er Jahren in der DDR sowie in der Fortsetzung mit ihrer Praxis traditioneller Kampfkünste in Japan antizipiert.313
3.5.5 Hausfrau trifft Michelangelo Milev, die von einer allgemeinen, mitunter mehrdeutig wirkenden Macht- und Herrschaftskritik ihrer Aufführungen und späteren räumlichen Installationen
313 In der Zusammenführung entwirft Milev ab 2009 das Projekt der anthropologischen Designforschung. Ihr 2013 erschienener Band D.A. – A Transdisciplinary Handbook of Design Anthropology versteht sie selbst als Extension ihrer künstlerischen Forschung und ihres Kunstbegriffs. Es ist bereits heute ein Grundlagenwerk der transdisziplinären und komparativen Designforschung.
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kommt, positioniert sich in ihren fotografischen Inszenierungen der 2000er Jahre konkreter. Dass sie erst dann zu einer expliziten feministischen Kritik an Bildproduktionen des Weiblichen findet, liegt auch in dem bereits beschriebenen Effekt begründet, dass Künstlerinnen wie Milev zur Zeit des Staatssozialismus Geschlechterhierarchien mitunter nicht als unmittelbare Folgen patriarchaler, sondern politisch-repressiver Strukturen werteten beziehungsweise ihr genderkritisches Bewusstsein nicht unmittelbar an eine feministische Identität gekoppelt war. Darüber hinaus sieht Milev „in der kapitalistischen Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche, somit auch der Geschlechter, eine neue spätbürgerliche Regression, die es so in der DDR nicht gegeben hat“.314 Gemeinsam mit dem Fotografen Philipp Beckert realisiert sie die beiden fotografischen, aus mehreren Serien bestehenden Werkkomplexe The Storytellers Return (2005) und Me Myself and I – Release your true Image (2006). Erster besteht aus den drei Serien fotografischer Inszenierungen David, Romantica und Cella. Die beiden letztgenannten Fotofolgen stellen aktuelle Interpretationen historischer Zitate der Romantik dar, insbesondere die bildkünstlerische Inszenierung von Liebe und Einsamkeit. Cella erscheint zudem als interne Werkreferenz zu ihrer Performance Body Dwellings von 2003. In den Fotografien von Me Myself and I ruft sie ein Repertoire weiblicher Figuren aus der Kulturgeschichte auf, als die sie sich inszeniert. Die Künstlerin erscheint als Filmfigur der aus dem komplexen Computerprogramm Matrix entflohenen Hackerin Trinity des Kinofilms The Matrix. In Milevs Bildern stößt diese auf eine weitere Filmprotagonistin, The Bride aus Kill Bill (Trinity meets the Bride). Milev gibt sich als die Schauspielerin Demi Moore zu sehen, die der Sängerin Courtney Love auf dem Laufsteg begegnet (Demi meets Courtney) und sie ist die Malerin Frida Kahlo, die in einem Gespräch mit einer Schönheitschirurgin anzutreffen ist (Frida meets Dr. Tina Alexander). Die Künstlerin gibt den Konstruktionscharakter von Weiblichkeit und weiblichen Idolen durch mediale Vermittlung und Geschichtsschreibung zu sehen, die wiederum auf die Selbstkonstituierung von Rezipientinnen wirkt. Bereits der widersprüchliche Titel Me Myself and I – Release your true Image verweist auf die Aufspaltung der Identität in multiple Erscheinungsformen des ‚Ich‘, das zugleich ein vermeintlich wahres Bild von sich selbst beansprucht. Die Frage, wer oder was das ‚Ich‘ wirklich ist und nach welchen Vorlagen es agiert, muss zwangsläufig unbeantwortet bleiben, denn Identität und Weiblichkeitsvorstellungen werden in ihren Inszenierungen nicht als fixiert und eindeutig repräsentiert, sondern als wandel- und verhandelbar. Kiki Lorenz sehe ich als eine konsequente Fortsetzung dieser Auseinandersetzung mit Weiblichkeitsentwürfen. Milev inszeniert in Kiki Lorenz. The story of her wedding and honeymoon, the disappearing of
314 E-Mail von Yana Milev an die Autorin, 19.04.2017.
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her husband and his death (2012–2013) für den fiktiven Charakter eine private Geschichte um ihren Ehemann, die sie im Netz aufführt. Anschließend transformiert sie diese Figur 2013 in das Online-Label Kiki Lorenz. Label for Apparel, Lifestyle and Political Education, wobei der Name sowohl für das abstrakte Label steht als auch für das Model, das die Kleider und den Lifestyle präsentiert. Hier schafft die Künstlerin sowohl Bezüge zu kommerziellen Labels wie American Apparel oder Tally Weijl und deren sexistischen Körperinszenierungen, die sie zugleich überhöht. Mit ihrer Performance und den daraus hervorgegangenen fotografischen Serien ruft sie den Illusionismus auf, der durch Werbung und Medien entfacht wird und die Fantasie von Millionen von Mädchen und Frauen beherrscht. Kosmetik-, Fashion- und Lifestyleindustrie aktivieren eine kollektive Obsession vom Schön-, Berühmt- und Reichsein, mit der zugleich ein Prekärsein produziert wird, das sich in Stress, Angst, Konflikten und Minderwertigkeitskomplexen äußert (Milev 2014:528). Strategien der Instrumentalisierung und Konditionierung des Körpers sowie der Anpassung an standardisierte Identitäten werden insbesondere in der fotografischen Serie MADVERTISE. The Madness of Self Design (2012) spielerisch und ironisch von Milev durchkreuzt. Das gelingt durch schräge fotografische Perspektiven, die den weiblichen Körper unvorteilhaft wiedergeben, durch das ungewöhnliche Mienenspiel des Models, eine unattraktive Umgebung, etwa ein mit braunen Fliesen ausgestattetes Bad, oder durch überspannte Slogans wie „I have a perfect body, I have a perfect soul“. Auch die Anonymisierung des Gesichtes mithilfe einer nachträglich aufgedruckten Sturmhaube, die an die Auftritte der aus Russland kommenden feministischen und regierungskritischen Punkrock-Band Pussy Riot mit eben jenen Masken erinnert, tragen zum subversiven Statement der Fotografien bei. Von den Serien zeigt sich die David-Inszenierung aufschlussreich, weil Milevs Repräsentationskritik darin komplex und differenziert erscheint. Auf den Fotografien ist die Künstlerin in einem Museumsraum in unmittelbarer Nähe zu Michelangelos Skulptur David zu sehen, einer der vielzähligen Reproduktionen, die in Museen weltweit anzutreffen sind [Abb. 111–113].315 Von David sind nur seine Beine in Vorder- und Seitenansicht sichtbar, auf einer Fotografie fehlt die Skulptur ganz. Milev steht neben der Skulptur oder sitzt auf ihrem Sockel. Sie trägt weiblich konnotierte Kleidung: ein bauch- und schulterfreies Top, einen schwarzen Rock, durchsichtige, gemusterte Nylonstrumpfhosen
315 Aufgenommen wurden die Fotografien durch die Künstlerin und Kulturproduzentin Gabriela Francik, mit der sich Milev 2004 unter dem Namen vesuv TM für gemeinsame Performances, Filme, Videos und urbane Interventionen zusammenschloss. Die im Museum der bildenden Künste Leipzig entstandene Serie umfasst insgesamt zwanzig Fotografien, drei davon wurden von der Künstlerin autorisiert und werden im Rahmen dieser Studie besprochen.
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A bb . 111–113 Yana Milev, David, aus der Serie The Storytellers Return, 2005, Museum der bildenden Künste, Leipzig
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und Riemchensandalen, Lippenstift, Sonnenbrille und Halsketten. Zur ‚damenhaft‘ erscheinenden Garderobe gehört außerdem eine Fellmütze auf ihrem Kopf, die zur sommerlichen Bekleidung jedoch nicht ganz zu passen scheint. Ein weiteres irritierendes Kleidungsstück ist die um Brust und Bauch der Künstlerin gebundene Küchenschürze, die eine fotografische Reproduktion der David-Skulptur, allerdings als Torso von den Brustwarzen bis zum Geschlecht, zeigt. Darüber hinaus hält sie eine Einkaufstüte aus Plastik des Lebensmittel-Discounters Penny Markt mit dem Slogan „Mehr fürs Geld“ einmal auf ihrem Schoß, ein zweites Mal steht sie neben ihr auf einer Besucherbank. Um zu zeigen, wie Milevs Inszenierung homo- und heterosexuelles Begehren in einer Figur bündelt, soll an dieser Stelle mit Nanette Salomon auf die verschiedenen Inszenierungsformen des männlichen und weiblichen Aktes in der Antike und Renaissance verwiesen sein. Die Kunst Michelangelos und die griechische Plastik, die als seine wichtigste Inspirationsquelle gilt, hatten, wie Salomon in ihrem für die kunst- und kulturwissenschaftlichen Geschlechterstudien als Grundlagenschrift geltenden Text über die Konstruktion des kunsthistorischen Kanons und seine Unterlassungen hervorhebt, den nackten Jüngling zum Vorbild, den Künstler „gleichermaßen als Ideal von Kunst und von ‚Natur‘ ansahen“ (2006:47). Dieses Ideal basierte auf einer Vorstellung von Schönheit, die sie als spezifisch männlich definierten (ebd.). Mit der Rezeption des idealisierten männlichen Aktes sei homoerotisches Begehren bei den Griechen und auch in der Renaissance fest verknüpft gewesen. Die Skulptur des jungen männlichen Aktes, der die meist rezipierte künstlerische Gestalt in Michelangelos Werk ist und von Giorgio Vasari als Höhepunkt in der westlichen Kultur herausgestellt wurde, repräsentiert einen unbefangenen Umgang mit männlicher Nacktheit, die ihren Penis weder besonders herausstellt noch bedeckt. Der männliche Jugendliche wird, so unterstreicht Salomon, als kohärentes Wesen sexualisiert, ohne dass seine Geschlechtsteile fetischisiert werden (ebd.:48). Der weibliche Akt, der im plastischen Werk Michelangelos völlig fehlt, wurde gleichermaßen durch den Kontext sexuellen Begehrens bestimmt. Zumeist als Aphrodite beziehungsweise Venus, ist er durch das schamhafte Bedecken des weiblichen Genitals mit der Hand gekennzeichnet. Der in Darstellungen der Venus pudica manifestierte Gestus der Bescheidenheit wurde als ein ‚natürlicher‘ internalisiert. Das Bedecken der Pubis, das den Versuch anzeigt, die eigene Sichtbarkeit zu kaschieren, erzeugt ein voyeuristisches, heterosexuelles Begehren im Betrachter. Die Herstellung des „heroischen männlichen Aktes“ und des „sexualisierten, verwundbaren weiblichen Aktes“ schufen somit, wie Salomon weiter darlegt, zwei unterschiedliche Formen männlichen Begehrens: ein homo- und ein heterosexuelles (ebd.:49). Die unterschiedliche erotische Behandlung von Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen zeige, so resümiert Salomon, den verschiedenartigen Umgang
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an, „wie Männer und Frauen als Objekte sexuellen Verlangens angesehen wurden und werden“ (ebd.). Die Inszenierung des männlichen Heroen erfolgt bei Michelangelos David weder über martialische Kleidung und Waffen noch über die weitverbreitete Darstellung des triumphalen Siegers mit dem abgeschlagenen Kopf des Goliat zu seinen Füßen wie Donatello ihn in seiner Skulptur fünfzig Jahre zuvor zu sehen gab. Michelangelo zeigt David vor dem Kampf und in vollständiger Nacktheit, die Steinschleuder lässig über die Schulter gelegt. Die Betonung des Heroischen erfolgt hier über die Repräsentation von Überlegenheit, Konzentration und Willenskraft, die sein Gesicht und sein athletischer Körper ausstrahlen sowie über die einschüchternde Größe der Skulptur selbst. Der ursprünglich geplante Standort hoch oben auf dem Domchor in Florenz verlangte zudem die Bearbeitung des Marmors für eine extreme Untersicht, die den unproportioniert groß wirkenden Kopf sowie die gestauchte Brustpartie der Figur erforderlich machte. All das aber gibt uns Milev gar nicht zu sehen. Die Skulptur in ihrer Gesamtheit erscheint auf den Fotografien kein einziges Mal. Nur aufgrund des Titels und des Bekanntheitsgrades der Plastik können Beine und Füße als David zugehörig identifiziert werden wie auch die Reproduktion des Torsos auf der von Milev getragenen Schürze. Der Frage danach, wie sich die Künstlerin in ihrer Begegnung mit der Skulptur inszeniert und in welches Verhältnis sie sich zu ihr setzt, soll im Folgenden untersucht werden. Auf der ersten Fotografie ist die Frau auf dem Sockel sitzend zu sehen. Die Haltung der Besucherin erscheint ambivalent: Ihr Blick richtet sich kritisch oder ehrfürchtig hinauf zur Skulptur und wird zugleich durch die Sonnenbrille verdunkelt. Das Betrachten stellt sich als Akt der Übertretung, des Zu-Nahe-Kommens dar: Indem sich die Dargestellte auf dem Sockel der Skulptur niederlässt, ignoriert sie den Verhaltenskodex von Museumsbesucher*innen. Dabei hält sie ihre Knie betont sittsam geschlossen, die Füße wiederum weit auseinander gestellt, die Reproduktion des Penis auf der Schürze bedeckt sie schamvoll mit der gefüllten Einkaufstüte. Im zweiten Bild tritt die eigentliche Skulptur in den Hintergrund, im Vordergrund inszeniert sich Milev und gibt sich torsohaft zu sehen, die Kontrapost-Stellung der Skulptur reproduzierend. Auf der dritten Fotografie verzichtet sie – bis auf die visuelle Referenz auf ihrer Schürze – auf das Kunstwerk selbst und setzt sich selbst zentral in Szene. Dabei gibt sie sich in einer zwar frontal zum Betrachter gerichteten Pose, dafür aber mit niedergeschlagenem Blick zu sehen. Milev selbst zeigt sich nicht nackt, hebt jedoch – die Lippen geschminkt, mit unbedeckten Schultern und ihre Figur und Beine betonender Kleidung – den Objektcharakter von Frauen und das heterosexuelle Begehren hervor, das durch die Repräsentation dieser Weiblichkeitsdarstellung aktiviert wird. Zugleich überträgt sie die idealisierte, männliche Nacktheit Davids und damit den Blick homoerotischen Verlangens auf ihren Körper. Die
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Aneignung und das Applizieren dieses männlichen Aktes auf ihren Körper entsprechen nicht nur einer parodistischen Kritik an der sexuellen Vergegenständlichung der Frau, sondern durchkreuzen zugleich die Darstellung binärer Geschlechtsidentität und heteronormativer Muster. Das Angezogensein wird hier gleichermaßen zur provokativen Form von ‚Nacktheit‘ und der Inszenierung eines geschlechtlichen Andersseins. Um welchen David es sich letztlich handelt – um die Skulptur, seine Reproduktion auf der von einer Frau getragenen Schürze, um die Verschmelzung männlicher und weiblicher Anteile in der inszenierten Figur Milevs oder um alle drei Lesarten – lässt auch der Titel der fotografischen Serie letztlich offen. Der Florentiner Schriftsteller und Künstler Giorgio Vasari begründete, wie Salomon in ihrer bereits erwähnten Studie darlegt, mit seiner Publikation Le Vite De’ più eccellenti Architetti, Pittori et Scultori Italiani aus dem 16. Jahrhundert nicht nur die kunsthistorische Kanonbildung, sondern auch den „Mythos des ‚Künstlers‘ als Konstrukt“ (Salomon 2006:38). Anhand der Biografien von Architekten, Bildhauern und Malern, darunter die beiden Hochrenaissancekünstler Raffael und Michelangelo, stelle Vasari den Künstler als Genie her, dessen Schöpferkraft sich vermeintlich allein aus seiner Biografie und damit unabhängig von sozialen und politischen Bedingungen erschließt. Der Künstler in Vasaris Schriften ist ein weißer Mann aus dem gehobenen Bürgertum, womit die Dominanz des männlichen Geschlechts, einer bestimmten Klasse und ethnischen Zugehörigkeit für den kunsthistorischen Kanon produziert und in den folgenden Jahrhunderten perpetuiert wurde. Das Konstrukt des männlichen Künstlers wird auch durch die Betrachtung der unsichtbar gemachten Reproduktionsarbeit deutlich, die früher schon Thema feministischer Interpretationen war. So richtete sich Lu Märten in ihrem 1909 erschienenen autobiografischen Roman Torso gegen den Antifeminismus in der Kunstgeschichte, „wonach die Frau als Modell und bestenfalls Anregerin männlicher Kunstproduktion begriffen wurde und wird“ (zit. nach Geisel 1989:188), und untersucht wenig später die gesellschaftliche Situation von Künstlerinnen und die sowohl durch die kapitalistische Produktionsweise als auch durch patriarchale Geschlechterverhältnisse entstandenen Hindernisse für ihre Entwicklung. Mit der Aussage der Ich-Erzählerin ihres Romans „Denken Sie sich Goethe als Heimarbeiter“ (ebd.) verweist Märten auf den Zusammenhang von unsichtbarer Hausarbeit und künstlerischer Produktion. Dass „künstlerische Arbeit an Voraussetzungen der alltäglichen Reproduktion gebunden ist“, unterstreicht auch Kathrin Hoffmann-Curtius in ihrer Analyse von Hannah Höchs Collagen Schnitt mit dem Küchenmesser (1919/29) oder Meine Haussprüche (1922), in denen die Künstlerin die Grenzziehungen beider Tätigkeitsbereiche auflöst (Hoffmann-Curtius 1989). Als Grundlage für Hoffmann-Curtius’ Analyse dient ein von Hannah Höch überlieferter Essay von 1920, der die gängige Vorstellung vom Künstler travestiert, indem unter
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anderem Michelangelo beim Abwasch imaginiert wird (ebd.:60). Vor dieser Folie ist zu fragen, was Yana Milev dem Mythos des Künstler-Schöpfers entgegensetzt und wie sie dabei vorgeht. Meine Analyse zur zweiten Öffentlichkeit hat gezeigt, dass trotz der umfassenden Berufstätigkeit von Frauen in der DDR die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufrechterhalten wurde, die sich unter anderem in der Herausbildung eines „privaten Patriarchats“ innerhalb der häuslichen Sphäre der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit fortschrieb.316 Die tradierte Unterscheidung in schöpferisch-produktive Arbeit einerseits und reproduktive Arbeit andererseits drängte unbeachtete Produktionsformen von Frauen in Haushalt und Familie noch einmal mehr an den Rand der Sichtbarkeit. Die gesellschaftlichen Umbrüche 1989 brachten in der Folge radikale Veränderungen für Frauen aus der DDR mit sich, die in vielen Fällen in Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig unverändert hohem Wunsch nach Vollzeiterwerbstätigkeit mündeten.317 Mit ihrer im Jahr 2005 entstandenen David-Serie thematisiert Milev die Effekte patriarchaler Ideologie, die Zuschreibungen der Frauen zu Tätigkeiten im häuslichen Bereich und ihre Geringschätzung sowohl in der (Kunst-)Geschichte als auch der aktuellen Gesellschaft weiter fortschreiben. Ihr elegantes Erscheinungsbild kombiniert sie auf widersprüchliche Weise mit dem zentral inszenierten Kleidungsstück, der Schürze. Mit der Schürze, die als Alltagskleidung für Frauen und für ihre Arbeitsverrichtung in Küche und Haushalt gilt – erinnert sei hier an die im Zusammenhang der Analyse von Karla Woisnitzas Performance erwähnten feministische Interventionen gegen die Festschreibungen von Frauen als Hausfrauen wie in Birgit Jürgenssens Küchenschürze von 1975 – inszeniert sich die Künstlerin nicht in ihrem Heim. In dieser Kleidung sucht sie vielmehr das Museum auf, um vor einer Kopie der berühmten David-Skulptur des weltbekannten Künstlers Michelangelo demonstrativ zu posieren. Damit setzt sie, ähnlich wie Höch in ihren Collagen, „häusliche [...] Belange ins Bild, die von der Öffentlichkeit, den Kunstgalerien und Museen als ‚weibliche‘ ausgegrenzt wurden und werden“ (Hoffmann-Curtius 1989:50). Milev überträgt zwar keine Frauen zugesprochene häusliche Produktionsformen wie Stricken oder Nähen in den Museumsraum, die Schürze aber dient als direkter Verweis auf weiblich konnotierte Tätigkeiten im Haushalt. Die gut sichtbar platzierte Einkaufstüte stellt eine weitere Referenz an weibliche Hausarbeit dar, auch wenn das Einkaufen selbst zumeist im öffentlichen Raum stattfindet. Einem der ‚größten‘ Meisterwerk des kunsthistorischen Kanons tritt Milev also in funktionaler Schürze gegenüber und holt es – indem sie seine bildliche Reproduktion im Gegensatz zur Skulptur selbst prominent im Bild platziert – im sprichwörtlichen Sinne 316 Vgl. Kap. 1.4.2.1 „Privates Patriarchat“. 317 Vgl. Kap. 1.1.4 Positionsbestimmungen nach 1989.
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vom Sockel. Die despektierliche Rezeption der Besucherin, die das unhinterfragte Diktum des Respekts im Museum unterläuft und als solches sichtbar macht, erfährt seine Verstärkung durch die zentrale Inszenierung der roten Plastiktüte eines Discounters. Dieser besitzt nicht nur ein Billig-Image, sondern dessen typische Kundengruppen waren lange Zeit Personen mit geringem sozialen Status, die das Museum als Besucher*innen kaum erreichte. Milevs weiblich konnotierte Kleidung unter der Schürze steht für ein öffentliches Auftreten, während die Schürze weibliche Hausarbeit repräsentiert. Die Rolle der öffentlichen Akteurin auf der einen Seite und die der Hausfrau auf der anderen sind anhand der Kleidung als widersprüchliche Momente inszeniert, wobei mit der demonstrativ getragenen Schürze der häusliche Bereich sichtbare Präsenz erfährt. Mit ihrem störenden Agieren als Hausfrau am Fuße der David-Skulptur, dem Zur-Schau-Stellen ‚häuslicher‘ Appropriation und Entwertung der Renaissanceskulptur auf ihrer Schürze sowie der sich aus der visuellen Übertragung von Davids Genitalien auf ihren Körper ergebenden uneindeutigen Geschlechterzuordnung versucht Milev eine Entheroisierung des David. Eine parodistische Kritik an der tradierten Zuschreibung des männlichen Künstlers als Schöpfer übt die Performerin, wenn sie sich in ihrer Serie als hybride Erscheinung zeigt: Sie ist die Protagonistin ihrer eigenen künstlerischen Arbeit und gibt sich zugleich als Urheberin und Akteurin derselben zu sehen, wobei sie sich zentral im musealen Rahmen positioniert. Dabei trägt die Schürzen-Reproduktion Davids nicht mehr seinen eigenen, sondern den Kopf der Künstlerin. Das Museum fungiert hier nicht länger als Bühne der David-Skulptur, sondern als Ort, an dem sich die – vom Museum traditionell ausgeschlossene – Besucherin und Künstlerin mit allen angesprochenen Konnotationen von Armut, weiblicher Hausarbeit und sexualisierter Weiblichkeit als eigentlich zu bewunderndes ‚Exponat‘ prominent in Szene setzt und ‚ausstellt‘. In gegenläufiger Richtung exemplifiziert Milev an der Protagonistin ihrer Performance und über deren Schürze die Entwertung jener mit dem männlichen Genius assoziierten Kunst, die zum Souvenir aus dem Museumsshop degradiert wird. Milevs feministische Gesellschaftskritik, die sich in ihren Aktionen der späten 1980er Jahre als Herrschaftskritik artikulierte, zielt in ihrer DavidInszenierung auf die Ursachen der Geschlechterhierarchie durch die Trennung produktiver und reproduktiver Arbeit und den damit einhergehenden Konsequenzen unentgeltlicher Arbeit von Frauen respektive Künstlerinnen in der privaten Sphäre. In ihrer Performance Woman is the Nigger of the World verlagert Karla Woisnitza die Figur der (weißen) Hausfrau und ihre Tätigkeit des Kochens aus dem privaten in den öffentlichen Raum und übt zugleich Kritik an der Reproduktion rassisierter Zuschreibungen. Der Cross-Dresser in Gabriele Stötzers Trans-Serie setzt sich mit Küchenutensilien erotisch in Szene, die durch seine Genderperformance zwischen nüchterner Zweckmäßigkeit
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und skulpturaler Objekthaftigkeit oszillieren und damit die geschlechtliche Uneindeutigkeit verstärken. Die Fotoperformance David schließt den Bogen der hier betrachteten genderkritischen Interventionen, die die geschlechterhierarische Arbeitsteilung – sowohl zu Zeiten des Staatssozialismus als auch in ihrem sich bis in die 2000er Jahre hinein verhärtendem Gegensatz zwischen der Sozialfigur des Ernährers und der der Hausfrau in der kapitalistischen Gesellschaft des vereinten Deutschland – aufrufen und symbolisch unterlaufen. Mit und in ihren Performances und fotografischen Inszenierungen unterstreicht Yana Milev auf der einen Seite Geschlechterdifferenz erzeugende Machtdiskurse und Praktiken, die das weibliche Subjekt zum Objekt machen. Auf der anderen Seite entwirft die Künstlerin Techniken des Selbst, mit denen Frauen auf sich selbst und damit auf die Gesellschaft einwirken können, um geschlechtsspezifische Formen der Ungleichheit und Unterdrückung zu überwinden.
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RESÜMEE
Die zentrale These der hier vorliegenden Studie war, dass vornehmlich in den 1980er Jahren in der DDR entstandene Performances ausgewählter Künstlerinnen Geschlecht, Sexualität und Weiblichkeitsdarstellungen repräsentationskritisch verhandelt haben. Als Grundlage diente ein offener Feminismusbegriff, der sich als Gegenentwurf zu einem hierarchischen West-Ost-Modell versteht und sich somit gegen eine Unterordnung osteuropäischer, konkret ostdeutscher, feministischer Diskurse und künstlerischer Praktiken unter westliche beziehungsweise normative Narrative positioniert. Das spezifische Verständnis von Geschlechterdifferenz von Künstlerinnen aus der DDR sollte aufgezeigt und damit unterstrichen werden, dass es keine universale Gestalt des Patriarchats und somit eine Pluralität von Interventionsformen verschiedener ‚Feminismen‘ gibt. Dazu diente – als eine wesentliche Zielsetzung der Untersuchung – die Kontextualisierung der gesellschaftspolitischen und geschlechtsspezifischen Voraussetzungen für Künstlerinnen und ihre Praxis in der ersten und zweiten Öffentlichkeit der DDR.
1. Sozialismus und Geschlecht Mit einer differenzierten Analyse sollte, insbesondere für eine nicht im Staatssozialismus Osteuropas sozialisierte Leserschaft, die Lebenswirklichkeit von Frauen aus der DDR nachvollziehbar werden. Aufgrund der Wirkungen des konkreten politischen, sozialen und kulturellen Umfelds auf ihr Selbstverständnis konnte verdeutlicht werden, dass (feministische) Identität im ‚Osten‘ und ‚Westen‘ wesentlichen Unterschieden unterlag – und immer noch unterliegt. Besonderes Augenmerk lag auf den staatlichen Emanzipationsprogrammen, die zu maßgeblichen rechtlichen und strukturellen Änderungen für Frauen führten. Dazu gehörte, dass die DDR weltweit den höchsten Frauenanteil in der Berufstätigkeit aller Industrieländern aufwies, dass grundlegende Qualifizierungs- und Fortbildungsangebote für Frauen und bedeutende Maßnahmen zur Unterstützung von Müttern implementiert wurden.
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Während des Schreibens der vorliegenden Studie zeigte sich, wie stark ich durch meine eigenen geschlechtsspezifischen Erfahrungen als Kind und Jugendliche in der DDR geprägt wurde. In meinem Elternhaus war die volle Berufstätigkeit meiner Mutter Normalität, genauso wie ihre Vorstellung, gänzlich gleichberechtigt zu sein. Feministische Fragestellungen nach der Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen und nach der Bedeutung des Geschlechts in der Politik und Kultur der DDR erschienen aufgrund meiner Sozialisation in der DDR und dem Wissen um die lebenslange Erwerbstätigkeit meiner Mutter sowie bedingt durch ihr autarkes Auftreten lange Zeit als abwegig. Die vorliegende Studie hat gleichermaßen aufgezeigt, dass die geschlechtsspezifische Segregation von produktiver Arbeit auf der einen Seite und reproduktiver Arbeit in der privaten Sphäre auf der anderen Seite in der DDR tradiert wurde und Frauen dadurch einer außerordentlichen Mehrfachbelastung ausgesetzt waren. Ohne die staatlichen Emanzipationsmaßnahmen der DDR verklären zu wollen, sollten die tatsächlichen Leistungen der Frauenpolitik hervorgehoben werden, um so einer „allgemeinere[n] Bewegung gegen die kommunistische Geschichte, die unter dem Signum des fehlerhaften und undemokratischen politischen Systems der jeweiligen Länder steht“ (Hock 2017b:57f.) entgegenzuwirken. Denn die staatssozialistischen Programme der Frauenemanzipation und damit die Bemühungen des Staates, die materiellen Voraussetzungen für die Gleichheit der Geschlechter zu schaffen, werden, wie Beata Hock unterstreicht, von einschlägigen Wissenschaftler*innen als alternativer Weg gewürdigt, „gesellschaftliche Modernisierung und Geschlechtergleichstellung zu schaffen“, und „als einzigartiges historisches Experiment mit einem alten feministischen Traum“ anerkannt (ebd.). Diese Perspektive einzunehmen beziehungsweise mit der Analyse zu stützen und differenzierte Forschungsergebnisse vorzulegen, war nicht immer leicht: Zum einen sollte neben der Betonung der positiven Effekte der Frauenpolitik auch die Zwiespältigkeit der Situation von Frauen und Künstlerinnen sowie die Hierarchien patriarchaler Gesellschaftsstrukturen in der DDR nachgezeichnet werden. Zum anderen ist meine persönliche Sichtweise auf den Staatssozialismus der DDR nicht frei von ideologischen (Vor-)Urteilen und Voreingenommenheiten. Politischem Unrecht und staatlicher Repression durch die ‚Diktatur des Proletariats‘ der DDR stehe ich ausgesprochen kritisch gegenüber, wobei ich versucht habe, diese Wertungen differenziert einzubringen. Vermieden werden sollten rekonstruktivistische Tendenzen von der Dichotomie des östlichen Kommunismus als ‚unfrei‘ und westlicher Demokratrie als ‚frei‘, die beispielsweise politische, gegen Klasse und Ethnizität gerichtete Unterdrückung demokratischer Systeme ignoriert, welche unter anderem auch für hierarchische Machtstrukturen unter Frauen selbst verantwortlich ist (Watson 2000:189). Formen der Ungleichheit zwischen
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den Geschlechtern gelten im demokratischen System kapitalistischer Staaten wie der BRD bis heute als ungelöst – erwähnt habe ich als Beispiele die sogenannte ‚Gläserne Decke‘ und große Verdienstdifferenzen. Für Frauen in der DDR war die Erwerbstätigkeit gleichbedeutend mit Gleichstellung, die neben ökonomischer Unabhängigkeit auch die aktive Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen ermöglichte, das heißt materielles und ideelles Kapital generierte. Vor diesem Hintergrund traf auch für Künstlerinnen zu, dass die Ausübung ihres Berufes eine durchgesetzte und damit selbstverständliche Lebenspraxis war. So haben Frauen nicht nur eine Ausbildung an Kunsthochschulen erhalten, sondern konnten im Anschluss an ihr Studium professionell arbeiten und über ein eigenes Einkommen verfügen. Ging die obligatorische Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler der DDR auch mit diversen kulturpolitischen Repressionen einher, so haben die Verbandsstrukturen doch zur Berufstätigkeit von Künstlerinnen und Künstlern maßgeblich beigetragen. Meine Recherchen haben ergeben, dass schon sehr früh und bis in die 1980er Jahre vielzählige Künstlerinnen-Ausstellungen initiiert wurden, die der Anerkennung von Frauen und ihrer größeren Sichtbarkeit im In- und Ausland dienten. Gleiches gilt für die Teilnehmerinnenzahlen an der bedeutendsten Schau, der Kunstausstellung der DDR. Dass die ausschließlich Künstlerinnen gewidmeten Ausstellungen zum großen Teil politisch motiviert waren, um von der Gleichstellung der Künstlerinnen in der DDR zu zeugen, bewerte ich auch als ein Zeichen für kulturpolitische Bemühungen, die Emanzipation von Frauen nicht als historisch gegebenes Phänomen zu betrachten, sondern aktiv zu unterstützen. Im Gegensatz dazu verzeichneten repräsentative, nach 1989 veranstaltete Ausstellungen zu Kunst aus der DDR einen deutlichen Rückgang an teilnehmenden Künstlerinnen. Nachweisen konnte ich zudem, dass es in der Kunstgeschichte, den Kulturwissenschaften und der Soziologie feministische Forschung in der DDR gegeben hat, die auf Initiative einzelner Wissenschaftlerinnen beruhte und sich gegen institutionelle Widerstände richtete. Als bedeutende Ergebnisse feministischer Forschung konnten die 1980 von Irene Dölling in der DDR veröffentlichte Studie „Zur kulturtheoretischen Analyse von Geschlechterbeziehungen“, Christiane Müllers Untersuchung Bildende Künstlerinnen der DDR (1990) sowie Publikationen und Initiativen von Helga Möbius angeführt werden. Viele Vorträge und Veröffentlichungen aber konnten nur im westlichen deutschsprachigen Raum, so im Rahmen der Kunsthistorikerinnen-Tagungen, oder erst in der späten DDR realisiert werden. Der Band der ersten und zugleich letzten Kunstwissenschaftlerinnen-Tagung Ost Ende 1989 gilt als ein eindrückliches Zeugnis für die Vielfalt der Positionen in der Frauenforschung und feministischen Kunstgeschichte. Er gibt Einblick in die unterschiedlichen Interessenlagen, Begriffe und theoretischen Grundannahmen, die Differenzen quer durch die feministische Forschung, aber auch Unterschiede zwischen ‚Ost‘ und ‚West‘ aufzeigen.
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Das von Wissenschaftlerinnen aus der DDR 1989 gegründete Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (heute Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien) an der Humboldt-Universität zu Berlin ist bis in die Gegenwart aktiv; eine ostdeutsch geprägte Frauenforschung, die sowohl die emanzipatorischen Effekte der Frauenpolitik herausarbeitet als auch Kritik an den inneren Widersprüchen der Geschlechterverhältnisse in der DDR und ihrer politischen Vereinnahmung übt, konnte sich indes nicht durchsetzen. An diese Anliegen der frühen 1990er Jahre versuchte die vorliegende Studie gleichermaßen anzuknüpfen, um sie auf Untersuchungen der Geschlechterordnung in der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit und auf die geschlechterkritische Praxis von Künstlerinnen zu fokussieren. Notwendig erschien, die Charakteristika der zweiten Öffentlichkeit der DDR detailliert herauszuarbeiten. Vor diesem Hintergrund konnten die Reproduktion des Mythos der ‚Boheme‘ und die damit einhergehende Aufrechterhaltung der Geschlechterdifferenz und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung innerhalb der subkulturellen Kreise und Zirkel als ‚privates Patriarchat‘ herauskristallisiert werden. Erkennbar wurde, dass Künstlerinnen als Akteurinnen und Entscheidungsträgerinnen innerhalb von Gruppierungen und Galerien deutlich unterrepräsentiert waren. Überdies hatten die existenzielle Gefährdung durch staatliche Repression und die Zwänge der heteronormativen, homogenisierten, weitestgehend kritikunfähigen Kreise der zweiten Öffentlichkeit einen hohen Anpassungsdruck innerhalb der Szenen zur Konsequenz. Zu den Widersprüchen gehörte, dass Künstlerinnen der zweiten Öffentlichkeit professionell und selbstbestimmt arbeiten konnten, zur gleichen Zeit jedoch geschlechtsspezifischen Ausgrenzungen unterlagen, die sie oft nicht als Auswirkungen patriarchaler Hegemonie, sondern staatlicher Repression identifizierten. Infolgedessen war das Bewusstsein von ihrer Gleichstellung als Frauen und Künstlerinnen ausgeprägt – Geschlechterdifferenzen und Benachteiligungen zu erkennen, erwies sich indes als schwierig. Die sich daraus ergebende ambivalente Haltung, bisweilen Ignoranz, gegenüber Geschlechterhierarchien hat dazu beigetragen, dass Künstlerinnen mitunter selbst zur Aufrechterhaltung geschlechtsspezifischer Machtstrukturen beitrugen und die Notwendigkeit der Selbstorganisation und Solidarisierung sowie der Formulierung eigener Forderungen nur von einigen Protagonistinnen erkannt wurde. Angeführt werden konnten der Hof von Erika Stürmer-Alex und die Werkstatt von Wilfriede Maaß als maßgebliche Produktionsorte von Künstlerinnen sowie die Erfurter Künstlerinnengruppe als einzige feste Vereinigung von ausschließlich weiblichen Akteurinnen. Offene Kritik an Diskriminierung und Marginalisierung wagten die wenigsten, wie anhand der Samisdat-Veröffentlichungen einiger Kunsthistorikerinnen und Künstlerinnen – insbesondere von Gabriele Stötzer – dargelegt wurde. Vor diesen Hintergrundfaktoren ist die zwiespältige, mitunter bis heute ablehnende Haltung
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von Künstlerinnen gegenüber einem westlich geprägten Feminismusbegriff nachvollziehbar, der ihre spezifischen Lebens- und Arbeitsbedingungen außer Acht lässt.
2. Kunst und Geschlecht Auch wenn in der ersten Öffentlichkeit der DDR Debatten zur Geschlechterdifferenz und Kritik an negativen Effekten staatlicher Frauenpolitik tabuisiert wurden, westlich geprägte Feminismen als bürgerliche Denkweise verpönt sowie die Frauenbewegung und feministische Gruppen ausschließlich im Rahmen der kirchlichen zweiten Öffentlichkeit aktiv waren, haben Literatur, Film, Theater und bildende Kunst der späten 1970er, vor allem aber der 1980er Jahre eine Vielzahl nonkonformer Geschlechterbilder hervorgebracht und stereotypen Festschreibungen widersprochen. Vor dem Hintergrund eines erweiterten Repräsentationsbegriffs, der über die Identifizierung von Weiblichkeitsdarstellungen hinaus die Herstellungsprozesse von Wirklichkeit und Wissen durch visuelle Repräsentation berücksichtigt, wurde die Produktion der Kategorien ‚Weiblichkeit‘ und ‚Männlichkeit‘ sowie die Konstruktion von der ‚Natur‘ der Geschlechterdifferenz in der bildenden Kunst der DDR anhand einzelner Beispiele skizziert. Ein Exkurs zu den Geschlechterbildern des sozialistischen Realismus hat gezeigt, dass der ‚Held‘ des Sozialismus männlichen Geschlechts ist, Frauen als künstlerisches Sujet im Gegensatz zu ihrer sichtbaren Präsenz im Arbeitsleben und ihrer aktiven Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen dagegen selten gezeigt wurden beziehungsweise, wenn, dann zumeist als Lernende, zu Unterweisende und in Gruppenbildern als marginalisierte Randfiguren. Aufmerksam gemacht habe ich auf die Darstellungen durch Kleidung und Berufszuordnung ‚männlich‘ wirkender Arbeiterinnen insbesondere der 1950er Jahre. Inwieweit die Repräsentation entsexualisierter und entfeminisierter Weiblichkeit auf die Tradition realistischer und proletarisch-revolutionärer Kunst der Vorkriegszeit zurückzuführen ist und wer ihre Protagonist*innen waren, die auch noch in der DDR lebten und arbeiteten, und inwiefern die ‚männlich‘ konnotierten Bildentwürfe von arbeitenden Frauen dazu beigetragen haben, Geschlechterbinarität in der Kunst zu nivellieren oder zu durchkreuzen, sind Forschungsfragen, die sich anschließen ließen. Tendenziell positivistische (Frauen-)Darstellungen wurden in der Malerei der 1970er Jahre von Problembildern abgelöst, die vornehmlich die Belastungen der Berufstätigkeit für Frauen zeigten, private Themen und individuelle Konflikte in den Vordergrund rückten. Nachweislich haben Fotografie und Dokumentarfilm bereits in den 1960er Jahren, so bei Evelyn Richter und Jürgen Böttcher Strawalde, die harten Arbeitsbedingungen von Frauen – und Männern – kritisch aufgezeichnet. Die DEFA-Spielfilmproduktion, die wie der Dokumentarfilm abwechselnd offenen und restriktiven Perioden der Kulturpolitik unterlag, setzte in den 1970er Jahren verstärkt Frauen in Szene,
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die wie in Der Dritte oder Die Legende von Paul und Paula als selbstbestimmt lebende Protagonistinnen auftraten und anhand deren Lebensrealität soziale und gesellschaftliche Konflikte offensichtlich verhandelt wurden. Dabei durchkreuzten die Filme tradierte Geschlechterrollen, die sie mitunter am Ende wieder fixierten. Verdeutlicht wurde, dass Literatur, Theater und Malerei der 1980er Jahre durch eine breite Antikenrezeption weibliche Modell- und Identifikationsfiguren aufgerufen haben, die wie Penthesilea, Medea oder Kassandra als rebellische und emanzipierte Frauen versucht haben, sich gegen Unterdrückung und Diskriminierung patriarchaler Hegemonien zur Wehr zu setzen. Aber auch zahlreiche andere Weiblichkeitsentwürfe bei Malerinnen wie Annemirl Bauer, Angela Hampel und Sabine Herrmann entstanden in der Zeit, die gegen stereotype Zuschreibungen und die bildkünstlerische Produktion der Geschlechterdifferenz angingen. Im Unterschied zum weiblichen Akt als idealisierte und allegorische Darstellung rufen Bilder der Fotograf*innen Gundula Schulze und Tina Bara den weiblichen Körper als individuellen, von Krankheit, Lebensspuren und Alter gezeichneten auf, der der sexualisierten Form des tradierten weiblichen Aktes als öffentliches Zur-Schau-Stellen heterosexuellen Begehrens zuwiderläuft. Doris Ziegler und Angela Hampel haben in ihrer Malerei geschlechtliche Unentschiedenheit thematisiert. Vor allem aber diente Akteur*innen der zweiten Öffentlichkeit die Fotografie und Modenschauen dazu, sexuelles Anderssein in (eigenen) Bildern und Auftritten effeminierter und queerer Männlichkeit zu zeigen und damit fixierte Identitäten vor dem Hintergrund heteronormativer Geschlechterverhältnisse der DDR und der künstlerischen Kreise der zweiten Öffentlichkeit zu verflüssigen.
3. Geschlecht anders zeigen Obwohl bildkünstlerische Medien der Malerei, Grafik, Skulptur, Fotografie und des Super-8-Films das Kunstschaffen in der DDR auch der 1980er Jahre dominierten, hat sich die Studie Körperaktionen und Performances gewidmet. Zu Beginn der Analyse standen Fragen zur Relevanz der Performance Art für die Herausbildung der zweiten Öffentlichkeit und einer feministischen Praxis. Ausgangspunkt war die Schlüsselrolle, die prozessorientierte Kunst und Intermedialität für das Entstehen der künstlerischen zweiten Öffentlichkeit im Staatssozialismus zugeschrieben wird. Es konnte gezeigt werden, dass für den DDR-spezifischen Kontext mehrere Faktoren bei der Herausbildung der zweiten Öffentlichkeit bedeutend waren, darunter der privilegierte Status der Künstler*innen als Freiberufler*innen, die Zuweisung von Ateliers als autonom nutzbare Arbeitsräume (vgl. Kaiser 2016) wie die Herausgabe von Samisdat-Magazinen im Eigenverlag. Ästhetische Informationsproduktion aber wurde auch maßgeblich durch prozessbasierte Kunstformen, durch Künstlerfeste, gemeinschaftliche Aktionen in der Natur und Performance-Festivals vorangetrieben. Performance Art konnte somit als signifikantes Medium des
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alternativen Informationsaustausches und grenzüberschreitender Kommunikation benannt werden – die ihrerseits wesentliche Charakteristika der zweiten Öffentlichkeit sind – und somit die Bedeutung dieser Kunstform im und für den subkulturellen Zusammenhang der DDR unterstrichen werden. Als besonders geeignet für eine geschlechterkritische und feministische Kunstpraxis und ihre Rezeption ließen sich Body und Performance Art in Anlehnung an Amelia Jones’ Argumentation bestimmen. In ihrer Ereignishaftigkeit und als nicht klassische Abbildungsverfahren machen sie den performativen Anteil von Subjektivität, die Herstellungs- und Konstruktionsverfahren von Geschlecht und die Gestaltbarkeit des geschlechtlichen Körpers selbst sichtbar (Jones 1998). Wenngleich meine Analyse nur auf der medial vermittelten Lektüre von Performances geleistet werden konnten, da ich zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zu jung war beziehungsweise die Inszenierungen ohne ein Publikum stattfanden, wurde erkennbar, dass die vorliegenden Dokumentationen den prozessualen Charakter der Kunstformen hervorheben. Einzelne fotografische Standbilder hingegen bilden die Voraussetzung für die Fixierung von Identitätszuschreibungen. Wie mit Verena Kuni deutlich wurde, unterstützen sie die Mythisierung der Figur des männlichen (Performance-)Künstlers. Damit konnte noch einmal unterstrichen werden, dass filmische und fotografische Bilder einen herstellenden Anteil haben (vgl. Kuni 2004). Berücksichtigung fanden daraufhin Überlegungen, die betonen, dass Fotografien keine verlässlichen Zeugnisse einer Aktion darstellen, sondern durch die authentifizierende Wirkung ihrer indexikalischen Beschaffenheit im Extremfall das Ereignis als Performance überhaupt erst hervorbringen können. Auf Grundlage serieller Fotografien aber können Körper, Geschlecht und Identität als fluide Größen visuell repräsentiert werden, wie dies besonders anschaulich anhand der Arbeiten von Karla Woisnitza, Gabriele Stötzer und Cornelia Schleime werden konnte, in denen die Sichtbarmachung der Konstruktionsprozesse selbst Sujet und Verfahrensweise war. Die Fallanalysen widmeten sich einzelnen Performances und fotografischen (Selbst-)Inszenierungen unter der Fragestellung, wie visuelle Repräsentation und ihre Effekte in den einzelnen Arbeiten reflektiert werden und wie sie ihrerseits zur Herstellung von Bedeutung im Hinblick auf die Kategorie ‚Geschlecht‘ sowie auf das Durchkreuzen fixierter Blickkonstruktionen beigetragen haben. Herausgearbeitet werden konnte, dass die künstlerischen Strategien der Aktionen verschiedene Ansätze aufzeigen, die ‚Geschlecht‘ sowohl als Thema als auch methodische Herangehensweise einsetzen. Die besonders durch den Titel suggerierte Gleichsetzung von Frauen und Schwarzen beziehungsweise People of Color in Karla Woisnitzas Performance Woman is the Nigger of the World (1986) legte das kritische Aufzeigen von Unterdrückungsmechanismen und Marginalisierungserfahrungen nahe. Die Analyse der Arbeit veranschaulichte, dass die Künstlerin vor allem den Konstruktionscharakter
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der Bilder vom ‚Anderen‘ offenlegt und sich selbst als Frau innerhalb einer weißseinsnormativen Ordnung inszenierte. Eine fundierte Auseinandersetzung mit der visuellen Repräsentation kulturell ‚Anderer‘ beziehungsweise von Schwarzen Menschen in der bildenden Kunst der DDR stellt meinen Recherchen entsprechend ein Forschungsdesiderat dar. Welche Funktion die Darstellung kulturell und ethnisch ‚Anderer‘ durch weiße Künstler*innen in der DDR hatte und wofür diese Visualisierungen kultureller Differenz standen oder welche rassistischen Machtstrukturen damit reproduziert und wie sie unterlaufen wurden, könnten weitere Fragestellungen sein. Innerhalb ihrer dreizehnteiligen Serie Frauen miteinander (1982/83), die wie viele von Gabriele Stötzers Arbeiten als Ausdruck der Solidarisierung und der Bündnispraktiken von Frauen gelesen werden kann, nahm die Künstlerin unkonventionelle und lustvolle Erkundungen des weiblichen Körpers vor. Mit Verfahren der Überhöhung und Groteske gelang es Stötzer vor allem in ihren Selbstinszenierungen festschreibende Naturalisierungseffekte symbolisch zu unterlaufen. Ausführlich besprochen wurden die Entgrenzungsversuche fixierter Geschlechterbinarität innerhalb ihrer fotografischen Inszenierung eines Cross-Dressers, die Teil ihres Mackenbuchs (1985) ist. Ein sich daran anschließendes Forschungsvorhaben könnte sich mit weiteren Strategien der Abweichungen von tradierten Konstruktionen der Zweigeschlechtlichkeit in queeren Bildproduktionen in der Kunst der DDR unter der Fragestellung widmen, welche androgynen Weiblichkeitsbilder entworfen wurden, wie andere Künstlerinnen ‚Männlichkeit‘ dargestellt haben, welche Zuschreibungen damit verbunden waren und ob sie ein schöpferisches Sehen provozierten, das von der bestimmenden Bedeutung des „Vor-gesehenen“ (Silverman 1997) divergiert. Nach der Analyse der repräsentations- und geschlechterkritischen Body Art von Heike Stephan richtete sich die Aufmerksamkeit auf ihre vom Theater beeinflussten Performances, in denen sie Frauenfiguren mit emanzipatorischen Bestrebungen inszeniert. Insbesondere ihre Aufführung Revolution & Erotics im Herbst 1989 in New York kann vor dem Hintergrund kurz bevorstehender politischer Umbrüche in Osteuropa und dem ‚Mauerfall‘ als ein Aufruf zur Handlungsfähigkeit und Selbstermächtigung von Frauen gelten. Bis in die Gegenwart hinein thematisiert Cornelia Schleime in ihrem künstlerischen Schaffen Metaphern des Sehens und das Motiv des Auges. Ihre Selbstinszenierung Körper-Wand-Fotoübermalung, Hüpstedt 1981 und die Verunsicherung der fixierten Blickbeziehung zwischen männlich konnotiertem Betrachter und angeschautem weiblichen Subjekt war Gegenstand meiner Analyse. Gleichermaßen bestimmen Strategien der Einschnürung, des Umhüllens sowie der Einsatz beziehungsweise die bildkünstlerische Darstellung von Draht, Schnüren und geflochtenen Zöpfen ihrer frühen Körperaktionen, Super-8-Filmproduktionen und Bilder Schleimes Schaffen bis heute. Die Besprechung ihres Films Unter weißen Tüchern (1983) machte deutlich, wie darin tradierte Repräsentationsmuster von
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Weiblichkeit aufgerufen und mitunter zurückgewiesen werden. In ihrer Anfang der 1990er Jahre entstandenen fotografischen Serie Bis auf weitere Zusammenarbeit konterkariert Schleime Auszüge aus den Akten des Geheimdienstes der DDR zu ihrer Person, die Einblick über die umfassende Kontrolle und Verfolgung durch die Staatssicherheit geben. Mit der Verkörperung verschiedener Rollen, mit Strategien der Verkleidung sowie mit engen Bild-Text-Bezügen zielten Schleimes Inszenierungen auf die diskursive Konstruktion und Produktion von Weiblichkeits- und Feindesbildern durch die Staatssicherheit selbst, die sie zu durchkreuzen suchte. Ihre Fotografien verdeutlichen, dass ‚Geschlecht‘ als Kategorie in der bildenden Kunst und visuellen Kultur stets Prozessen der Konstruktion und Hervorbringung unterliegt. Das gleiche trifft auf die Re-Produktion von ‚Identität‘ durch wiederholte Herstellungsverfahren autobiografischer Erinnerungsleistung und durch die Zuschreibung anderer zu. Die abschließende Fallanalyse hat Yana Milevs Performances näher betrachtet, die in der Spätphase der DDR entstanden sind, also in einer Zeit, in der sich die ohnehin fließenden Grenzen zwischen erster und zweiter Öffentlichkeit auflösten. Ihre Aktionen erwiesen sich als eine über den ideologischen Rahmen der DDR hinausweisende Systemkritik, die Herrschafts- und Unterwerfungsstrukturen symbolisch aufriefen und hinterfragten. In autoaggressiven Auftritten verkörperte sie Entfremdungserfahrungen und stellte ideologische Normierungsprozesse anhand einer weiblichen Figur dar, deren Machtbestrebungen innerhalb einer männlichen Ordnung zum Scheitern verurteilt waren. Die Konstituierung der Black Box (1987) und später von Aobbme (seit 1994) als System der Selbstorganisation vereinte ihre körper- und performancebasierte Arbeit mit theoretischer Forschung. Heute arbeitet Milev als habilitierte Kulturtheoretikerin zu Kulturtechniken des Überlebens. Die Untersuchung ihrer im Jahr 2005 entstandenen fotografischen Serie David legte dar, dass sich Milev mit Verfahren der Karikatur und Ironisierung gegen die Heroisierung des männlichen Aktes wendete. Mit ihrem Auftritt als einer sich peinlich und störend in Szene setzenden Hausfrau am Fuße von Michelangelos David-Skulptur im musealen Raum machte die Künstlerin herkömmliche Zuschreibungen patriarchaler Kultur öffentlich sichtbar. Ihre Performance stellt Fragen nach den Konsequenzen weiblicher Hausarbeit für die künstlerische Praxis von Frauen sowie nach dem Mythos des männlichen Schöpfers als Konstruktion.
4. Gegenwärtige Geschichte(n) Die Akteurinnen und ihre künstlerischen Performances habe ich nicht in der Absicht ausgewählt, kohärente Entwicklungsverläufe nachzuzeichnen. Meine Intention lag vielmehr darin, in Anlehnung an Walter Benjamins Vorstellung von Geschichte anhand einzelner markanter Beispiele aus dem historischen Kontext heraus geschlechterkritische Interventionen in der Kunst der DDR aufzeigen. Im Gegensatz zum additiven Verfahren des Historismus ließe
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sich das Ziel der Studie eher mit Benjamin beschreiben: Geschichte nicht als einen, „eine homogene und leere Zeit durchlaufenden Fortgang“ (Benjamin 2010:23) zu betrachten. Mit dem Blick von heute und dem Blick einer bestimmten, in Zeiten des Kalten Krieges im ‚Osten‘ sozialisierten und nach den gesellschaftlichen Umbrüchen 1989 im ‚Westen‘ professionalisierten Wissenschaftler*innengeneration, war es das Ziel, die mit „Jetztzeit“ erfüllte Vergangenheit aus dem „Kontinuum der Geschichte herauszusprengen“ (ebd.:24). Insofern stellte sich vorrangig die Frage nach der gegenwärtigen Relevanz einzelner Aktionen von Künstlerinnen aus der DDR. Mit dieser Vorstellung von Geschichte war es möglich, nicht nur einzelne feministische Interventionen der 1970er und 1980er Jahre in der Kunst der DDR freizulegen, die einen deutlichen Gegenwartsbezug aufweisen. Sie erlaubt darüber hinaus, Geschichte als Gegenstand einer Konstruktion zu verstehen und damit festschreibende Narrative wie die von der Naturalisierung des Geschlechts, die Konstruktion der Geschlechterdifferenz, kunsthistorische Kanonisierung oder die Teilung zwischen der Anwesenheit des Feminismus im ‚Westen‘ und seiner Abwesenheit im ‚Osten‘ zu verflüssigen. Als diskursiver Brückenschlag in die Gegenwart sollte die Besprechung aktueller Performances dienen, die unterstreichen, dass Karla Woisnitza, Gabriele Stötzer, Heike Stephan, Cornelia Schleime und Yana Milev bis heute als Künstlerinnen genderkritisch arbeiten. Meine Analyse versteht sich als offener und subjektiver Annäherungsprozess, der sowohl Ein- und Ausschlüsse als auch Widersprüche produziert. Insofern ist Das Gesetz der Szene. Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR als eine mögliche Grundlage zu betrachten, feministische Performance Art aus der DDR und ihre aktuelle Bedeutung als ein bisher vernachlässigtes Kapitel kunsthistorischer Diskurse zu diskutieren. Darüber hinaus soll sie als Ausgangspunkt weiterführender vergleichender transkultureller Forschung und historischer Kontextualisierung dienen, die unter anderem Fragen nach Klasse, ‚Race‘ und Sexualität in Verbindung mit der sozialen Kategorie des Geschlechts und damit verknüpfter Machtstrukturen für kulturelle und künstlerische Praktiken in der DDR und im gegenwärtigen Osteuropa verhandeln.
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Abbildungsverzeichnis
A bb. 1: Angela Hampel/Steffen Fischer, Offene Zweierbeziehung, 1989, Installationsentwurf, Atelier Angela Hampel, Fotografie: Uwe Donat, Courtesy Angela Hampel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 2: Angela Hampel/Steffen Fischer, Offene Zweierbeziehung, 1989, Installation, Ausstellungszentrum am Fučíkplatz, Dresden, Fotografie: unbekannt, Courtesy Angela Hampel, © VG BildKunst, Bonn 2019. A bb. 3–4: Erfurter Künstlerinnengruppe, Figuraler Einzelgang zeitgemäßer Erscheinungen (mit Harriet Wollert, Verena Kyselka, Ina Heyner, Gabriele Göbel, Tely Büchner, Gabriele Stötzer, Monika Andres), Juni 1989, Kunsthof Lietzen, Fotografie: Claudia Bogenhardt, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 5–7: Erfurter Künstlerinnengruppe, Frauenträume, 1986, Stills, Super-8-Film auf DVD transferiert, Ton, Farbe, 25 min, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 8–9: Erfurter Künstlerinnengruppe, Mode für Frauen von Frauen (mit Gabriele Stötzer,
Ingrid Plöttner, Monika Andres, Monique Förster, Verena Kyselka, Ina Heyner, Gabriele Göbel, Tely Büchner, Elisabeth Kaufhold, Anita Ritter, Angelika Andres, Susanne Truckenbrodt, Susanne Müller, Ines Lesch), 1988, Modeobjektshow, Augustinerkloster Erfurt, Fotografie: Verena Kyselka, Courtesy Verena Kyselka, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 10: Erfurter Künstlerinnengruppe, Mode für Frauen von Frauen, 1988, Poster (Entwurf Monika Andres), Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 11: Auto-Perforations-Artistik, Spitze des Fleischbergs (Via Lewandowsky), 1986, Hochschule für Bildende Künste Dresden im Rahmen des Hochschulfaschings, Dresden, Fotografie: Andreas Rost, Courtesy APA Archiv – Micha Brendel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 12: Auto-Perforations-Artistik, Spitze des Fleischbergs (mit Micha Brendel, Peter Dittmer, Else Gabriel, Rainer Görß, Via Lewandowsky, Hanne Wandtke), 1986, Hochschule für Bildende Künste Dresden im Rahmen des Hochschulfaschings, Dresden, Fotografie: Andreas Rost, Courtesy APA Archiv – Micha Brendel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 13–17: chic, charmant & dauerhaft (ccd), Verschiedene Aktionen und Modeperformances, 1984–1986, Fotografie: Jürgen Hohmuth, Courtesy J. Hohmuth@zeitort. A bb . 18: Else Gabriel & Ulf Wrede, Alias, oder die Kunst der Fuge, 1989, Galerie Weißer Elefant im Rahmen der Permanenten Kunstkonferenz, Berlin, Fotografie: Jochen Wermann, Courtesy Else Gabriel/APA Archiv – Micha Brendel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 19–20: Christine Schlegel, Strukturen (mit Fine Kwiatkowski), 1984, u.a. Haus der Jungen Talente, Berlin; Bauhaus Dessau, Dessau.
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Das Geset z der Szene A bb. 21–22: Karla Woisnitza, Face Painting Action (mit Marie-Luise Bauerschmidt, Sabine Gumnitz, Monika Hanske, Christine Schlegel, Cornelia Schleime, Angela Schumann, Karla Woisnitza), 1978/79, Fotocollage, je 40 x 30 cm, Courtesy Karla Woisnitza, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 23–24: Karla Woisnitza, Environment I, 1983, Erde, Stoffbahnen, Objekte aus Textilien, Installationsansicht, Galerie der Buchhandlung Heidrun und Christof Tannert, Berlin, Fotografie: Karla Woisnitza, Courtesy Karla Woisnitza, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 25–26: Karla Woisnitza, o.T., 1984, Objekte aus Textilien, Holz, Metall, Installationsansicht, Galerie Oben im Rahmen der Gruppenausstellung Bilder und Figuren, Karl-Marx-Stadt, Fotografie: Ernst Goldberg, Courtesy Karla Woisnitza, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 27–30: Karla Woisnitza, Woman is the Nigger of the World, 1986, Petrikapelle Brandenburg im Rahmen der Gruppenausstellung Der Tisch. Plastik zum Begreifen, Brandenburg, Fotografie: Lutz Wohlrab, Courtesy Lutz Wohlrab & Karla Woisnitza, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 31–34: Karla Woisnitza, Woman is the Nigger of the World, 1986/Konkav, 1989, Keramikform, Pudding, Teller, Plastiklöffel, Bronze, Fotografie: Bernd Kuhnert & Karla Woisnitza, Courtesy Karla Woisnitza, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 35: Gabriele Stötzer, Das Kleid, aus: Frauen miteinander, 1982/83, 12 Schwarz-WeißFotografien auf Karton, jeweils 14,5 x 10,5 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 36: Gabriele Stötzer, Fingerspiele, aus: Frauen miteinander, 1982/83, 12 Schwarz-WeißFotografien auf Karton, jeweils 14,5 x 10,5 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 37: Gabriele Stötzer, Das Ei, aus: Frauen miteinander, 1982/83, 12 Schwarz-Weiß-Fotografien auf Karton, jeweils 14,5 x 10,5 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 38: Gabriele Stötzer, Körperlinien I, aus: Frauen miteinander, 1982/83, 12 Schwarz-WeißFotografien auf Karton, jeweils 14,5 x 10,5 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 39: Gabriele Stötzer, Verschmelzung, aus: Frauen miteinander, 1982/83, 12 Schwarz-WeißFotografien auf Karton, jeweils 14,5 x 10,5 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 40: Gabriele Stötzer, Die Scheibe, aus: Frauen miteinander, 1982/83, 16 Schwarz-Weiß-Fotografien auf Karton, jeweils 15 x 7 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 41: Gabriele Stötzer, Synthese, aus: Frauen miteinander, 1982/83, 12 Schwarz-Weiß-Fotografien auf Karton, jeweils 14,5 x 10,5 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 42: Gabriele Stötzer, Rauch, aus: Frauen miteinander, 1982/83, 12 Schwarz-Weiß-Fotografien auf Karton, jeweils 14,5 x 10,5 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 43: Gabriele Stötzer, Berg von vorn, aus: Frauen miteinander, 1982/83, 8 Schwarz-WeißFotografien auf Karton, jeweils 14,5 x 10,5 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019.
Abbildungsverzeichnis A bb . 44–46: Gabriele Stötzer, Die Auslöschung des Blickes, 1982, Serie von 72 Schwarz-WeißFotografien der Körperinszenierung, jeweils 14,5 x 10,5 cm, Fotografie: Heike Stephan, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 47: Gabriele Stötzer, Abwicklung, 1983, Serie von 12 Schwarz-Weiß-Fotografien der Körperinszenierung, auf Karton, 8 Fotografien: 18 x 13 cm, 4 Fotografien 18 x 24 cm, gesamt: 73 x 48 cm, Fotografie: Heike Stephan, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 48: Gabriele Stötzer, Abwicklung, Schwarz-Weiß-Kopie eines Dokuments aus den Unterlagen der Staatssicherheit der DDR, BStU, MfS, BV Erfurt, AOP 1753-86, Bd. 4, S. 18, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 49–52: Gabriele Stötzer, ... hab ich euch nicht blendend amüsiert?, 1989, Stills, Super-8Film transferiert auf DVD, Ton, Farbe, 12 min, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 53: Gabriele Stötzer, Erbe II (Punks in Weimar), aus: Mackenbuch, 1985, Serie von 16 Schwarz-Weiß-Fotografien der Aktion, auf Karton, gesamt: 45,5 x 60 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 54: Gabriele Stötzer, Trans als Mann, aus: Mackenbuch, 1985, Serie von 16 Schwarz-WeißFotografien, auf Karton, gesamt: 45,5 x 60 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 55: Gabriele Stötzer, Trans Mutterkind, aus: Mackenbuch, 1985, Serie von 16 Schwarz-WeißFotografien, auf Karton, gesamt: 45,5 x 60 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 56: Gabriele Stötzer, Trans in Weiß, aus: Mackenbuch, 1985, Serie von 16 Schwarz-WeißFotografien, auf Karton, gesamt: 45,5 x 60 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 57: Gabriele Stötzer, Trans in Schwarz, aus: Mackenbuch, 1985, Serie von 16 Schwarz-WeißFotografien, auf Karton, gesamt: 45,5 x 60 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 58: Gabriele Stötzer, Trans mit Küchenutensilien, aus: Mackenbuch, 1985, Serie von 16 Schwarz-Weiß-Fotografien, auf Karton, gesamt: 45,5 x 60 cm, Courtesy Gabriele Stötzer, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 59–61: Heike Stephan, Modenschau (gemeinsam mit Gabriele Stötzer (Webdecken) und Matthias von Hinzenstern), 1983, Künstlerfest bei Rolf und Stephanie Lindner, Erfurt, Fotografie: Bernd Hiepe, Courtesy Bernd Hiepe. A bb . 62: Heike Stephan, SINGER-Grafik, 1983, Innenseite aus dem Künstlerbuch Tentakel, Lyrik von Uta Johanna und Grafiken von Heike Stephan, 41 x 34 cm, Repro: Eric Tschernow, Courtesy Heike Stephan, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 63–65: Heike Stephan, Der Leib wird Grab und Durchgang aller lebender Körper werden die getötet sind, 1983, Serie von 30 Schwarz-Weiß-Fotografien der Körperinszenierung, jeweils 10,5 x 14,5 cm, Courtesy Heike Stephan, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 66–68: Heike Stephan, o.T., o.J., Serie von 3 Schwarz-Weiß-Fotografien der Körperinszenierung, jeweils 29 x 19,5 cm, Privatarchiv Heike Stephan, Courtesy Heike Stephan, © VG BildKunst, Bonn 2019.
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Das Geset z der Szene A bb . 69–71: Heike Stephan, o.T., 1983, Serie von 18 Schwarz-Weiß-Fotografien der Körperinszenierung, jeweils 10,5 x 14,5 cm, Courtesy Heike Stephan, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 72–73: Heike Stephan, Niobe am Sipylos, 1987, Galerie Weißer Elefant im Rahmen der Ausstellungseröffnung Stephan – Woisnitza, Berlin, Fotografie: Martin Claus/oder unbekannt, Courtesy Heike Stephan, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019. A bb . 74–75: Heike Stephan, Revolution & Erotics, 1989, Ankündigungsflyer, Castillo Cultural Center, New York, Courtesy Heike Stephan. A bb . 76–79: Cornelia Schleime, aus der Serie: Körper-Wand-Fotoübermalung in Hüpstedt, 1981, Schwarz-Weiß-Fotografien der Körperinszenierung, übermalt, jeweils 30 x 24 cm, Fotografie: Gabriele Stötzer, Courtesy Cornelia Schleime. A bb . 80: Cornelia Schleime, aus der Serie: Körper-Wand-Fotoübermalung in Hüpstedt, 1981, Schwarz-Weiß-Fotografie der Körperinszenierung, übermalt, 30 x 24 cm, Fotografie: Gabriele Stötzer, aus: Cornelia Schleime, Bildtagebuch, 1983, Sammlung Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. A bb . 81–82: Cornelia Schleime, aus der Serie: Körper-Wand-Fotoübermalung in Hüpstedt, 1981 Schwarz-Weiß-Fotografien der Körperinszenierung, übermalt, 30 x 24 cm, Foto: Gabriele Stötzer, Courtesy Cornelia Schleime. A bb . 8 3: Cornelia Schleime, aus der Serie: Selbstinszenierung in Hüpstedt, 1982, Schwarz-Weiß
Fotografien der Körperinszenierung, übermalt, 30 x 24 cm, Fotografie: Bernd Hiepe, Courtesy Cornelia Schleime. A bb . 84–85: Cornelia Schleime, aus der Serie: Mund auf, Augen zu, 1982, Schwarz-Weiß-Fotografien der Körperinszenierung, übermalt, jeweils 22 x 30 cm, Fotografie: Gabriele Stötzer, Courtesy Cornelia Schleime. A bb . 86–88: Cornelia Schleime, Unter weißen Tüchern, 1983, Stills, Super-8-Film transferiert auf DVD, Ton, Farbe, 9 min, Courtesy Cornelia Schleime. A bb. 89–90: Cornelia Schleime, Postkartenübermalungen, 1980er Jahre, Courtesy Cornelia Schleime. A bb . 91–97: Cornelia Schleime, Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85, 1993, Serie von 15 Farb-Fotografien auf Siebdruck, jeweils 100 x 70 cm, Courtesy Cornelia Schleime. A bb . 98–99: Yana Milev, In Aspik (mit Beate Rudnick & Jochen Patzer), 1988, Hochschule für Bildende Künste Dresden im Rahmen der Performancenacht Nachtmär, Fotografie: unbekannt, Courtesy Yana Milev und Aobbme-Archiv Berlin. Abb. 100–105: Yana Milev, Eine Messe (mit Norbert Diaz de Arce, Jochen Patzer, Matthias SchneiderKult, Torsten Schilling, Tänzerinnen der Palucca-Schule, Hanne Wandtke, Philipp Beckert), 1989, Ausstellungszentrum am Fučíkplatz im Rahmen der 12. Kunstausstellung des Bezirkes Dresden, Dresden, Fotografie: Felix R. Krull, Courtesy Yana Milev und Aobbme-Archiv Berlin. A bb . 106–109: Yana Milev, Einneonopern (mit Jochen Patzer, Bo Kondren, Klaus Maus, Freygang, Beate Rudnick), 1989, Hochschule für Bildende Künste im Rahmen des Frühjahrssalons, Dresden, Fotografie: unbekannt, Courtesy Yana Milev und Aobbme-Archiv Berlin. A bb . 110: Yana Milev, Einneonopern, 1989, Textbild, Foto- und Textcollage, Courtesy Yana Milev und Aobbme-Archiv Berlin. A bb. 111–113: Yana Milev, David, aus der Serie The Storytellers Return, 2005, Museum der bildenden Künste, Leipzig, Fotografie: Gabriela Francik, Courtesy Yana Milev und Aobbme-Archiv Berlin.
Dank
Ganz besonders danke ich den Betreuerinnen meiner Studie Silke Wenk, Irene Dölling und Beatrice von Bismarck. Ihre Anregungen und ihr Vertrauen haben mein Vorhaben maßgeblich unterstützt und entscheidend zur Realisation meiner Doktorarbeit beigetragen. Danken möchte ich auch den Mitinitiator*innen und Mitstreiter*innen des Doktoranden-Kolloquiums der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, das ein wichtiges Forum des wissenschaftlichen Austausches und fruchtbarer Diskussionen war. Gleiches gilt für das Kolloquium an der Humboldt-Universität zu Berlin, das ich auf Einladung von Susanne von Falkenhausen besuchen konnte. Auch den Mitgliedern des Methodenkolloquiums kunst- und kulturwissenschaftlicher Geschlechterforschung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Bremen sowie seinen Initiatorinnen, Silke Wenk, Barbara Paul und Irene Nierhaus, gilt mein Dank. Für die analytische Ernsthaftigkeit, die offene und konstruktive Kritik sowie alle weiterführenden Denkimpulse und Lektüreempfehlungen möchte ich herzlich danken. Des Weiteren gilt mein Dank der Projektgruppe Kulturelle Ikonen Ostmitteleuropas von Christine Gölz, an der ich durch meine Gastwissenschaft am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) Leipzig teilnehmen konnte. Darüber hinaus möchte ich meinen Kolleg*innen vom DFG-Netzwerk Aktionskunst jenseits des Eisernen Vorhangs danken, die vor allem in der Abschlussphase meine Dissertation diskutiert, kommentiert und lektoriert haben. Mit Katalin Cseh-Varga, Adam Czirak, Astrid Hackel, Beata Hock und Andrej Mircev verbindet mich eine enge und freundschaftliche Zusammenarbeit. Bojana Pejić soll an dieser Stelle besonders hervorgehoben werden: Ihre Einladung zum Recherche- und Ausstellungsprojekt Gender Check. Masculinity and Femininity in the Art of Eastern Europe am Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien hat mich dazu veranlasst, meine Forschung seit 2007 auf Osteuropa, insbesondere auf die Kunst in der DDR, zu fokussieren. Ihre langjährige professionelle und fördernde Begleitung war für mich besonders wertvoll. Für ihre Bereitschaft zum Interview möchte ich den Kunstwissenschaftlerinnen Hildtrud Ebert, Kathrin Hoffmann-Curtius, Gabriele Muschter,
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Christiane Peter (ehem. Müller) Ada Raev, Sigrid Schade, Irmtraud Thierse und Gabriele Werner herzlich danken. Des Weiteren möchte ich mich bei allen Wissenschaftler*innen bedanken, die mir durch Hinweise, Gespräche und Vortragseinladungen geholfen haben, mein Vorhaben zu präzisieren, die mir ihre eigenen Texte zur Lektüre bereitgestellt oder mich mit anderen Kolleg*innen vernetzt haben: Schirin AmirMoazami, Sarah Blaylock, Eugen Blume, Amy Bryzgel, April Eisman, Sandra Frimmel, Klaus Groh, Sigrid Hofer, Claus Löser, Barbara Lubich, Barbara Lutz, Ulrike Kloeppel, Bettina Knaup, Constanze Krüger, Holger Kulick, Renata Kutinka, Annette Maechtel, Antonia Majaca, Torsten Metelka, Beret L. Norman, Carla Orthen, Alexander Pehlemann, Lena Prents, Claudia Reichardt (Wanda), Elske Rosenfeld, Sylvia Sasse, Kathleen Schroeter, Beatrice E. Stammer, Heidi Stecker, Anna Stemmler, Christoph Tannert, Mara Traumane, Bernd Weise und Angelika Weißbach. Bei meinen Recherchen unterstützt haben mich außerdem Silvia Diekmann vom Archiv Bildende Kunst/Akademie der Künste; Isgard Löffler und Kerstin Weller vom Bundesarchiv Berlin, Karina Garsztecka von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, Andreas Schalhorn vom Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Sabine Hofmann vom Lindenau-Museum Altenburg, Sabine Schemmrich vom Schloss Burgk, die Robert-Havemann-Gesellschaft und die Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen. Gedankt sei ebenso Marcel Schwierin und Edit Molnár vom Edith-Russ-Haus Oldenburg für ihre Gastfreundschaft. Mein ganz besonderer Dank aber richtet sich an die Künstler*innen. Ihr langjähriges Vertrauen und ihre Offenheit, ihre Bereitschaft zum Gespräch, das Bereitstellen von Informationen und Bildmaterial sowie ihre künstlerischen Arbeiten selbst haben meine Dissertation überhaupt erst möglich gemacht. Das sind vor allem Yana Milev, Cornelia Schleime, Heike Stephan, Gabriele Stötzer und Karla Woisnitza. Darüber hinaus danke ich herzlich Tina Bara, Amrei Bauer, Tely Büchner, Else Gabriel, Angela Hampel, Peter Herrmann, Sabine Herrmann, Bernd Hiepe, Uta Hünniger, Verena Kyselka, Raja Lubinetzki, Erhard Monden, Dagmar Ranft-Schinke, Christine Schlegel, Petra Schramm, Annette Schroeter, Gundula Schulze Eldowy, Gerd Sonntag und Erika Stürmer-Alex. Schließlich gilt mein tiefster Dank meinem Mann Hans Hemmert sowie meinen Kindern Johnny, Jimmy und Julie für ihre innige Verbundenheit und liebevolle Unterstützung.
Kunst- und Bildwissenschaft Julia Allerstorfer, Monika Leisch-Kiesl (Hg.)
»Global Art History« Transkulturelle Verortungen von Kunst und Kunstwissenschaft 2017, 304 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4061-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4061-2
Horst Bredekamp, Wolfgang Schäffner (Hg.)
Haare hören – Strukturen wissen – Räume agieren Berichte aus dem Interdisziplinären Labor Bild Wissen Gestaltung 2015, 216 S., kart., zahlr. farb. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3272-9 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation ISBN 978-3-8394-3272-3
Heike Engelke
Geschichte wiederholen Strategien des Reenactment in der Gegenwartskunst – Omer Fast, Andrea Geyer und Rod Dickinson 2017, 262 S., kart. 32,99 € (DE), 978-3-8376-3922-3 E-Book: 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3922-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kunst- und Bildwissenschaft Burcu Dogramaci, Katja Schneider (Hg.)
»Clear the Air«. Künstlermanifeste seit den 1960er Jahren Interdisziplinäre Positionen 2017, 396 S., kart., zahlr. z.T. farb Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3640-6 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3640-0
Astrit Schmidt-Burkhardt
Die Kunst der Diagrammatik Perspektiven eines neuen bildwissenschaftlichen Paradigmas 2017, 372 S., kart., zahlr. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3631-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3631-8
Gerald Schröder, Christina Threuter (Hg.)
Wilde Dinge in Kunst und Design Aspekte der Alterität seit 1800 2017, 312 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 36,99 € (DE), 978-3-8376-3585-0 E-Book: 36,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3585-4
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de