Heavy Metal in der DDR: Szene, Akteure, Praktiken 9783839444306

Wolf-Georg Zaddach explores the practices and developments of an originally Western music for teens during the last deca

227 2 4MB

German Pages 372 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur
II. Heavy und Extreme Metal in der DDR
III. Praktiken der Heavy und Extreme Metal-Szene in der DDR
IV. Fazit
Anhang
Verzeichnis der Abkürzungen
Verzeichnis der Interviews
Bibliographie
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Heavy Metal in der DDR: Szene, Akteure, Praktiken
 9783839444306

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Wolf-Georg Zaddach Heavy Metal in der DDR

texte zur populären musik  | Band 10

Die Reihe wird herausgegeben von Dietrich Helms.

Wolf-Georg Zaddach, geb. 1985, lehrt Musikwissenschaft und Kultur-/Musikmanagement an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar sowie dem British and Irish Modern Music Institute Berlin (BIMM). Zu seinen Forschungs- und Veröffentlichungsschwerpunkten zählen Heavy Metal, Jazz, Digital Musicology und Musikwirtschaft.

Wolf-Georg Zaddach

Heavy Metal in der DDR Szene, Akteure, Praktiken

Dissertation im Fach Musikwissenschaft, Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar/Friedrich-Schiller-Universität Jena Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Die Berliner Extreme Metal-Band Darkland während eines Live-Konzerts im Jugendclub »Langhansstraße« in Berlin-Weißensee, Sommer 1989 (Quelle: Jörg Ebert/Darkland) Satz: Justine Buri, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4430-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4430-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Einleitung | 9 1. Fragestellung und Motivation | 10 2. Forschungsstand | 11 3. Grundbegriffe I: Jugendkultur als posttraditionale Vergemeinschaftung | 13 4. Grundbegriffe II: Soziale und ästhetische Praxis | 15 5. Methodisches Vorgehen und Quellen | 18 6. »Flight of Icarus«? Was dieses Buch kann und will | 21

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur | 23 1. »Sag mir, wo du stehst und welchen Weg du gehst« – Jugend in der SED-Diktatur | 23 1.1 Bürokratisierung und Erziehung der DDR-Jugend: Die FDJ und das Zentralinstitut für Jugendforschung | 29 1.2 Jugendkultur im Kontext des kulturellen Kalten Krieges | 32 1.3 Diskriminierung und Kriminalisierung der Jugend | 38 2. Rockmusik und Jugendliche in den 1980er Jahren | 42 2.1 Institutionalisierte Politisierung: Rockmusik in der DDR | 42 2.1.1 Konzertwesen und Spielerlaubnis | 43 2.1.2 Tonträgerindustrie | 45 2.1.3 Die Institutionalisierung und die Folgen | 46 2.2 Die diskursive Praxis des Ignorierens, Ausgrenzens, Umdefinierens und Integrierens | 49 2.2.1 Die diskursive Praxis des Integrierens in den 1980er Jahren  | 51 2.3 Musik hören als Jugendlicher in der DDR | 58 3. Generationenkonflikt und Eigen-Sinn in den 1980er Jahren | 63 4. Schild und Schwert der Partei im Kampf gegen die Jugend: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) | 66 4.1 Heavy Metal im Fadenkreuz des MfS | 72

II. Heavy und Extreme Metal in der DDR | 85 1. Entstehung und Verbreitung des Heavy und Extreme Metal in der DDR | 85 1.1 Von Jugendklubs und Provinzdasein: räumliche Dimensionen | 90 1.1.1 Exkurs: Szene als sozio-geographisches Konzept | 91 1.2 »Bye, bye Lübben City?« Ein differenzierter Blick auf die Szene in der DDR | 95 1.2.1 Berlin – Zentrum der Szene? | 96 1.3 Exkurs: Jugend und Heavy Metal in der BRD der 1980er Jahre | 100 2. Die Szene in der DDR: Akteure und Themen | 103 2.1 Genderverhältnisse | 104 2.2 Bildung, Beruf und vermeintliche Zusammenhänge mit der Musik | 108 3. »Heavy Metal hat einen berechtigten Platz in der sozialistischen Musikkultur«: Der Diskurs um Heavy und Extreme Metal in der DDR | 111

III. Praktiken der Heavy und Extreme Metal-Szene in der DDR | 129 1. Wissen in den sozialen und ästhetischen Praktiken der Metal-Szene | 129 1.1 Expertise und Fachwissen | 132 1.2 Erinnerung | 134 1.3 »Speak English Or Die«: Zu den Bedingungen und Auswirkungen des kulturellen Transfers in deutsch-deutscher Perspektive | 136 1.3.1 Asymmetrien und Blockaden des Transfers: Sprachbarrieren | 137 1.3.2 Englische Bandnamen und Songtexte | 138 1.3.3 Probleme im Osten wie im Westen: ›Thrash Metal‹ vs. ›Trash Metal‹ | 140 2. Sich Vergemeinschaften | 148 2.1 Musik und Gemeinschaft: Selbstverständnis, Selbstverortung und die Praxis der Vergemeinschaftung | 149 2.2 Szene-Diskurs: Über das Aushandeln der Grenzen von Heavy und Extreme Metal in der DDR | 156 2.3 Self-made Men and Women: Fan-Dasein mit selbst hergestellten Kleidungsstücken und Accessoires | 162 2.4 Lokale Vergemeinschaftungen: Fanclubs | 167 2.5 Schwermetall auf dem Papier: Briefe schreiben | 172 2.6 Nicht nur hören, auch lesen: Special-Interest-Magazine und Fanzines in der DDR und BRD | 175 3. Musik hören und erfahren | 178 3.1 »Ja, so Platten […], das waren heilige Artefakte«: Hören im privaten Raum | 178

3.2 Rundfunk | 180 3.3 Hören und Erfahren im öffentlichen Raum | 188 3.3.1 Jugendklubs, Kulturhäuser und Diskotheken: Öffentliche Räume des Hörens | 189 3.3.2 Konzerte | 192 3.4 Faszination, Begeisterung, Leidenschaft: Überlegungen zur ästhetischen Praxis des Metal in der DDR | 199 4. Musik teilen, tauschen und feilbieten | 202 4.1 Schwarzmarkt und Tauschnetzwerke | 203 4.2 Individuelle und exklusive Tauschnetzwerke | 205 4.3 Sozialistische Eigenheiten des Teilens und Tauschens? | 208 5. Band-Praktiken | 210 5.1 Bandgründung und Besetzungswechsel | 210 5.2 Zulassungspraxis und Arbeitsbedingungen | 212 5.2.1 Zulassung und Spielerlaubnis | 213 5.2.2 Förderung | 219 5.2.3 Leben von und mit Musik | 221 5.3 Instrumente und Technik | 231 5.4 Tonaufnahmen und Tonstudios | 240 5.4.1 Tonmeisterliches Experiment: Heavy Metal im Schwimmbecken | 249 5.5 Proberäume | 252 5.6 Heavy-Repertoire: Coversongs, Kompositionen und Songtexte | 253 5.6.1 Coversongs | 254 5.6.2 Instrumental-handwerkliche Fähigkeiten und das Erlernen von Stücken | 261 5.6.3 »Ich bin geil auf Heavy Metal« – Die Texte zu den Songs | 264 5.7 »Made in GDR«: Aneignungen und Anverwandlungen der musikalischen Sprache des Heavy und Extreme Metal | 277 5.7.1 Anverwandlung I: Gitarrenriff und pulsbasiertes Ensemblespiel | 280 5.7.2 Anverwandlung II: Double-Kick-Bassdrum und Blast-Beats | 293 5.7.3 Anverwandlung III: Einsatz der Stimme | 299 5.7.4 Anverwandlung IV: Moshquitos »Mosh in Moscow« | 302 5.7.5 Anverwandlung V: Die Aufführung von Friedrich Schillers »Die Räuber« mit Heavy Metal im Bergtheater Thale, 1987 | 305

IV. Fazit | 309 Anhang | 315 Tabellen und Übersichten | 315

Verzeichnis der Abkürzungen | 323 Verzeichnis der Interviews | 325 Bibliographie | 327

Einleitung »[…] es war die Zeit der historischen Dissonanzen zwischen Ost und West: […] eine neue Menschheit war unter den Sowjets in der einen Welthälfte herangewachsen, streng abgegrenzt vom bürgerlichen Westen des verarmten, zwieträchtig gespaltenen Europa, vom West-Westen des über und über vergoldeten Amerika, eine Kluft von noch nie erlebter Tiefe war aufgerissen zwischen den beiden Hälften der Menschheit, mitten durch die einstige Zivilisation der Demokratie ging jetzt ihr roter Grenzstrich, hinter dem die proletarische Kultur ihr Zukunftsreich baute; diese Dissonanz zwischen Ost und West klang grell durch alles Leben der Erde, ja, es war die Zeit eben dieser grellen Dissonanz […].« (Janowitz 1999: 6)

Mit diesen eindrücklichen Worten lässt Hans Janowitz den Erzähler seines Romans Jazz die Ambivalenzen und Folgen der Konfrontation zwischen einem politisch und kulturell von den USA beeinflussten Westen und einem sowjetischen Osten beschreiben. Die zwei Lager sind durch einen »roten Grenzstrich« voneinander getrennt, einem Grenzstrich, der quer durch Europa geht. Janowitz nutzt dabei eine auf sinnliche Wahrnehmung beruhende Metapher, indem die Teilung als »grelle Dissonanz« erklingt oder auf blitzt. Nur zu gern möchte man diese Zeilen als einen Kommentar zum Kalten Krieg lesen, der den historischen Rahmen für das Thema dieses Buches darstellt. Eingeleitet wird obiges Zitat allerdings folgendermaßen: »Ein europäischer Chronist im Jahre 1999, der die Zeit um 1925 schildern wollte, hätte zu beginnen: […]« (Janowitz 1999: 6). Der Roman spielt im und entspringt dem Berlin der 1920er Jahre, Musik steht im Mittelpunkt. Indem Janowitz beides in Verbindung setzt, den politischen Kontext und Musik als eine bestimmte kulturelle Praxis, hat er bereits einer der großen Konfliktlinien des kulturellen Kalten Krieges, wie er insbesondere die deutsch-deutsche Geschichte zwischen 1950 und 1990 prägen sollte, vorgegriffen. Zeitsprung in das Berlin der 1980er Jahre: Die Stadt ist tatsächlich von einem »roten Grenzstrich« durchzogen, die Berliner Mauer trennt den sozialistischen Teil im Osten von der West-Berliner Enklave des sich als freiheitlich verstehenden Westens. Die Mauer in Berlin und die Grenzanlagen entlang der Grenze zur BRD bedeuteten Abgrenzung und Abschottung des DDR-Sozialis-

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mus gegenüber dem Westen, und für mehrere hundert Menschen, die dorthin fliehen wollten, auch den Tod. Trotz Abschottung waren für die SED auch im eigenen Land »grelle Dissonanzen« mehr als präsent. Heavy Metal war eine dieser Dissonanzen aus dem Westen, die sich in den 1980er Jahren rasant ausbreitete. Heavy Metal war dabei, so für einige Zeit die Auffassung von Partei und MfS, nicht einfach nur Musik, sondern eine »Waffe des Feindes«, um die Jugend zu untergraben, ideologisch für sich zu gewinnen. Als 1987 allerdings ein Kulturfunktionär erläuterte, Heavy Metal sei selbstverständlicher Teil der sozialistischen Musikkultur, ging dem offensichtlich ein Perspektivenwechsel voraus. Die Jugendkultur Metal war in der zweiten der Hälfte der 1980er Jahre in der DDR offenbar derart verbreitet, dass eine fortwährende Marginalisierung und Ausgrenzung schlichtweg nicht mehr möglich war. Wenn in den 2010er Jahren Heavy und Extreme Metal als mittlerweile »salonfähiges Kulturgut« (Scheller 2012: 2) nach wie vor eine nicht unwesentliche Rolle für den deutschen Musikmarkt spielen (MIZ 2015; Steer 2013), hat dies auch mit der anhaltenden Leidenschaft unter ehemaligen DDR-Bürgern zu tun, die als Jugendliche im Sozialismus ihre ganz eigene Beziehung zu der Musik aufgebaut haben. Genau diese Jugendlichen und ihre Musik sollen hier im Mittelpunkt stehen.

1. F r agestellung und M otivation Fast drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall gibt es zahlreiche Beschreibungen für die DDR. Begriffe wie »durchherrschte Gesellschaft«, »Fürsorgediktatur«, »Konsensdiktatur« oder »participatory dictatorship«1 verdeutlichen die Rahmenbedingungen einer unter besonderen Regeln funktionierenden Gesellschaft. Der Historiker Thomas Lindenberger betont, dass die DDR als Staatsordnung zwar eine Diktatur war, allerdings nicht alle Entwicklungen und Erfahrungen in ihr dadurch automatisch »diktatorisch« geprägt gewesen seien (Lindenberger 2000: 5). Vielmehr gab es durchaus auch Nischen und Freiräume abseits des Allmachtsanspruches der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Heavy Metal, so lässt sich zunächst vermuten, entwickelte und verbreitete sich gerade in solchen Freiräumen. Heavy Metal als eine Musikform, die sich seit Ende der 1960er Jahre vor allem im anglo-amerikanischen Raum entwickelte und verbreite (Weinstein 2000; Walser 1993), erfuhr in den 1980er Jahren eine intensive und rasche Ausdifferenzierung in weitere Sub-Genres wie Thrash oder Death Metal, die mit Keith Kahn-Harris (2007) als Extreme Metal beschrieben werden können. 1 | Einen informativen Überblick über die zahlreichen Konzepte bieten Grieder (2012: 1-18) und Weber (2012: 138-147).

Einleitung

Markant ist dabei, dass diese Prozesse keinesfalls auf eine Handvoll Länder reduziert werden können. Die Gleichzeitigkeit von regionalen Aneignungsprozessen, die wiederum auf die Entwicklungen zurückwirken konnten, verweist auf einen intensiven und dynamischen Transferprozess. Angesichts tödlicher Mauer und Eisernem Vorhang muss zunächst grundlegend danach gefragt werden, wie sich die Musik überhaupt in der DDR verbreiten konnte und sich so etwas wie eine eigenständige Jugendkultur mit Treffpunkten, überregionaler Vernetzung und musikalischer Betätigung entwickeln konnte. Die Besonderheit des Heavy Metal in der DDR kann nur bedingt mit den Erkenntnissen über andere Musikszenen wie etwa Blues oder Punk beantwortet werden. Insofern überrascht es, dass diese Fragen bisher nur im kleineren Rahmen gestellt wurden. An Anregungen und Inspirationen konnte es eigentlich nicht mangeln. Denn auch mein vorwissenschaftliches Bild der DDR – als Jahrgang 1985 sind meine eigenen Erinnerungen an die Diktatur verhältnismäßig gering – beruhte auf individuellen Erfahrungen und Erzählungen im Familien- und Bekanntenkreis: Erzählungen von verhinderten beruflichen Karrieren, weil man die Zusammenarbeit mit dem MfS verweigerte, Erzählungen von Schikanen aufgrund des Bekenntnisses zum christlichen Glauben, Erzählungen vom alltäglichen Mangel, aber auch Erzählungen von Zusammenhalt und einer Aufopferungsbereitschaft füreinander. Von besonderer Bedeutung sind die Erinnerungen meines ältesten Bruders, der, Jahrgang 1972, seine Jugend im Sozialismus verbrachte und als Metal-Fan und Amateurmusiker Teil der Szene war. Seine Erzählungen waren es, die mein Interesse weckten, eine wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung dieses speziellen Phänomens der DDR-Geschichte zu leisten.

2. F orschungsstand Die wissenschaftliche Forschung zur DDR-Geschichte ist umfangreich und vielfältig (Grieder 2012: 1-18; Brunner/Niemann 2011: 15). Neben Forschungen zur Gesellschaft und deren Entwicklungen (Fulbrook 2011; Kowalczuk 2009; Schultz/Wagener 2007; Wolle 1999) sowie zur Jugendpolitik und Jugendkulturen im Allgemeinen (Wurschi 2007; Saunders 2007; Remath/Schneider 2001; Friedrich 1991; Henning/Friedrich 1991; Melzer 1991) sind bisher insbesondere ausgewählte jugendkulturelle Vergemeinschaftungen um musikalische Genres in den Fokus gerückt.2 Der Historiker Peter Skyba betont, dass »›eigensinnigem‹ und aus offizieller Sicht abweichendem Verhalten besonde2 | Diese sind in erster Linie: Blues (Rauhut 2012, 2016; Rauhut/Kochan 2004), Jazz (Schmidt-Joos 2016; Blobel 2011; Pickhan/Ritter 2010; Bratfisch 2005), Rock (Rauhut 2002; Wicke 1996), Hip-Hop (Schmieding 2011, 2014), Gothic (Stock/Mühlberg 1990;

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res Augenmerk geschenkt werden« sollte, will man insbesondere das letzte Jahrzehnt der DDR verstehen: »Gerade mit der Parallelisierung des von der FDJ erzeugten Konformitätsdrucks und dem Wandel von Mentalitäten und Wertvorstellungen sollten sich auch die besonders bei Jugendlichen wachsenden Desintegrationstendenzen in den letzten Jahren der DDR zumindest partiell ausleuchten lassen. Nicht zuletzt könnte dies einen weiteren Baustein zur Erklärung der Art des Untergangs des SED-Regimes beisteuern.« (Skyba 2003: 285)

Die Historiker Detlev Brunner und Mario Niemann stellen noch 2011 fest, dass nach wie vor Forschungsdesiderate u.a. in »kulturgeschichtlichen Fragestellungen zum Beispiel nach Identitäten und Identitätskonstruktionen der DDR-Gesellschaft« bestehen (Brunner/Niemann 2011: 15). Trotz der umfangreichen Forschungen etwa zu Punk stellt die Jugendkultur Heavy Metal eines dieser Desiderata dar. Bisher sind nur wenige Aufsätze und Masterarbeiten zu diesem Thema entstanden (Zaddach 2016; Okunew 2015; Fricke 2011; Breitenborn 2010; Reibetanz 2009; Stock/Mühlberg 1990). Gegenüber den anderen Jugendkulturen in der DDR scheint hier ein erstaunlicher Nachholbedarf zu bestehen, was umso mehr überrascht, sobald man feststellt, dass Heavy Metal rein quantitativ eine der größten spezielleren Jugendkulturen in der DDR der 1980er Jahre war. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier ähnliche Aversionen und Kategorisierungen in der Forschung dominierten, die schon bewirkten, dass das Birminghamer Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Jugendstudien während der 1970er und 1980er Jahre Heavy Metal ausklammerte (Brown 2003).3 Über offensichtlich oppositionelle Musikszenen wie etwa Punk zu reden, war bisher womöglich schlichtweg verlockender. Vor diesem Hintergrund erscheint es beinahe ironisch, dass die wohl ersten deutschsprachigen Studien zum Heavy Metal (und Gothic) von Wissenschaftlern der einstigen DDR veröffentlicht bzw. verfasst wurden, basierend auf langjährigen Erhebungen in den 1980er Jahren (Stock/Mühlberger 1990; Stock 1989). Die Beschäftigung mit Heavy und Extreme Metal in der DDR muss selbstverständlich die konkreten Rahmenbedingungen des Staatssozialismus berücksichtigen. Eine der wesentlichen Bedingungen ist dabei der Kalte Krieg. Die Ausweitung dieses Konfliktes auf die Kultur, insbesondere auch Musik, Elferen 2011) und Punk (Lipp 2016; Hayton 2013a, 2013b; Brauer 2011; Boehlke/Gericke 2007; Furian/Becker 2000; Galenza/Havemeister 1999). 3 | Hingegen etabliert sich seit nunmehr knapp 10 Jahren eine internationale und interdisziplinäre Forschergemeinschaft mit dem Fokus auf Heavy und Extreme Metal (vgl. ISMMS 2017; Brown 2011).

Einleitung

stellte in der Blockkonfrontation der USA und UdSSR seit Beginn der 1950er Jahre eine Besonderheit dar (Stöver 2008: 59-63; Eschen 2004; Caute 2003). Im kulturellen Kalten Krieg wurde einerseits avantgardistische bzw. moderne Kunst seitens der Westmächte gefördert, während sich der sozialistische Diskurs andererseits in gewisser Weise bis zum Zerfall der Staatssozialismen um die bereits 1932 verkündete Doktrin des Sozialistischen Realismus drehte (Mehner 1998; Plumpe 1992; Kohl 1977). In dieser fortdauernden Blockkonfrontation gerieten im Staatssozialismus jegliche nichtsozialistischen Erscheinungen und Entwicklungen in politische Kontexte. Heavy Metal wurde seitens der Partei als »negativ-dekadente« jugendkulturelle Entwicklung des Westens aufgefasst und dadurch zu einer politischen Aufgabe. Jugendkulturelle, oftmals an spezifische Musik gebundene Entwicklungen wie Heavy Metal trafen nicht nur auf mitunter generationell bedingtes Unverständnis, sondern wurden aufgrund der vorbehaltlosen Politisierung auch mit Einschränkungen, Repressionen, Verboten etc. konfrontiert (Rauhut 2002; Stock/Mühlberg 1990). Wie dies im Falle des Heavy Metal konkret ausfiel, soll hier genauer untersucht werden. Dabei ist der Blick über die DDR hinaus, insbesondere in die BRD, von enormer Bedeutung. Dieser Blick verdeutlicht zudem die Relevanz einer »integrierten Geschichte« beider Teile Deutschlands, die die Geschichte der DDR nicht »als isolierten Gegenstand betrachtet, sondern in den Kontext deutscher (und europäischer) Geschichte stellt« (Brunner/Niemann 2011: 12; vgl. Hechler 2009; Wirsching 2007). Eine derart internationale Jugendkultur wie Heavy Metal kann in der DDR nur über eine vergleichende Perspektive angemessen verstanden werden.

3. G rundbegriffe I: J ugendkultur als post tr aditionale V ergemeinschaf tung Für die Beschreibung besonderer jugendlicher Vergemeinschaftungen, in deren Zentrum Musik steht, bieten sich eine Vielzahl spezialisierter Konzepte und Theorien an:4 von Subkultur und Gegenkultur über Szene und Neo-Tribe bis hin zur »imagined community« und Communitas. Diese vornehmlich soziologischen Ansätze zeichnen sich durch eine Fokussierung auf das Soziale aus – Musik, das konkret Klingende, wird dabei in der Regel nur am Rande oder als vorausgesetzt behandelt. Über die Anwendungen, die Relevanz und Angemessenheit der Konzepte und Begriffe wurde und wird in verschiedenen wissenschaftlichen Kontexten diskutiert (Ecarius et al. 2011: 129-147; Hesmondhalgh 2007; Bennett/Kahn-Harris 2004; Muggleton/Weinzierl 2003; 4 | Zur »Lebensphase Jugend« allgemein vgl. Hurrelmann/Quenzel (2012), Ecarius et al. (2011).

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Epstein 1998). Während im deutschsprachigen Raum in den 1980er Jahren noch Begriffe wie »informelle Jugendgruppen« (Mitterauer 1985: 241) und vor allem »Subkultur« (Clarke 1979) tonangebend waren, setzte sich seitdem in der Jugendforschung der neutralere Begriff der »Jugendkultur« in Abgrenzung zu Subkultur durch (Hodkinson/Deicke 2007; Villányi/Witte/Sander 2007; Ferchhoff/Sander/Vollbrecht 1995; Stock 1994; Zinnecker 1987). Der auf den Reformpädagogen Gustav Wyneken zurückgehende Begriff scheint gegenüber dem Subkulturbegriff weniger politisierende und sozial hierarchisierende Implikationen auf sich zu vereinen. Der Begriffswechsel in den 1980er Jahren verweist darauf, »dass Jugendkulturen nicht mehr von der Opposition gegen Erwachsene leben, sondern eine eher positive Orientierungsfunktion für Heranwachsende übernehmen, der sich auch viele Erwachsene nicht entziehen können« (Villányi/Witte/Sander 2007: 11).

Mit Blick auf die DDR scheint der wertfreiere Begriff der Jugendkultur gegenüber dem Subkulturbegriff angemessener (Saunders 2007; Stock 1989, 1994), da er nicht nur Prozesse der sozialen Ausdifferenzierung in den 1980er Jahren, sondern auch individuelle Aneignungsweisen und Sinnzuschreibungen besser zu fassen vermag (Shepherd/Wicke 1997: 40). Die Jugendkultur Heavy Metal soll zudem als eine posttraditionale Vergemeinschaftung verstanden werden (Gertenbach/Laux/Rosa/Strecker 2010: 61-65; Hitzler/Honer/Pfadenhauer 2008), die die traditionellen, staatlich organisierten Vergemeinschaftungsformen durch die individuelle, frei gewählte Vergemeinschaftung in der Gruppe der Gleichgesinnten ablöste und, soweit es ging, ersetzte.5 Eine so verstandene Jugendkultur eröffnet den Blick auf die eigensinnig gewählten Sozialisationskontexte und Werthaltungen (Müller-Bachmann 2002: 8, 12), wozu auch die »musikalische Selbstsozialisation« mit einer selbstgewählten Musik zählt (Kleinen 2007, 2009; Pape 2007; Rhein/Müller 2006).6 Als eine verbreitete Beschreibungsform jugendkultureller, posttraditionaler Vergemeinschaftung gilt der Szene-Begriff (Stock 1989; Stock/Mühlberg 1990; Straw 1991; Cohen 1999; Hitzler/Niederbacher 2010; Bennett/Peterson 2004; Bennett 2004; Shuker 2012a), daher wird dieser immer wieder im Laufe der Arbeit verwendet werden. Als kleinster gemeinsamer Nenner der verschie5 | Die Soziologen Arne Niederbacher und Ronald Hitzler verweisen darauf, dass gerade posttraditionale Vergemeinschaftungen eine Mitgliedschaft nicht erzwingen, sondern »allenfalls dazu verführen« können (Niederbacher/Hitzler 2015: 340). 6 | Der Soziologe Andreas Reckwitz versteht »Selbstsozialisation« als ein typisches »kulturelles Modell« infolge der Counter-Culture-Bewegung und Postmoderne seit den 1960er Jahren, welches die Sozialisation als Erziehungsaufgabe der Eltern ersetzt hat (Reckwitz 2006: 544).

Einleitung

denen Theorien von »Szene« können die Hervorhebung einer Gemeinschaft von interagierenden Personen, die sich auf ein bestimmtes Thema beziehen, sowie die Bedeutung von Artefakten und einer relevanten Infrastruktur verstanden werden. Die Relevanz etwa von Tonträgern mag für eine Musikszene als typische Artefakte auf der Hand liegen, erfährt aber unter den Vorzeichen des für den Sozialismus charakteristischen Mangels völlig neue Bedeutungsebenen. Die Verknüpfung des Jugendkultur- und Szenebegriffes mit praxeologischen Ansätzen, die auf die alltägliche Interaktion und Organisation abzielen, erscheint zudem sinnvoll. Wie Günter Mey und Nicolle Pfaff betonen, ist es gerade ein Vorteil der jüngeren sozialwissenschaftlichen Konzepte, dass konkrete Praktiken und Ästhetiken in bestimmten jugendkulturellen Zusammenhängen stärker in den Fokus rücken und verstanden werden können (Mey/ Pfaff 2015: 260).

4. G rundbegriffe II: S oziale und ästhe tische P r a xis Wie der Ethnologe Ulf Hannerz betont, bedeutet das Untersuchen einer speziellen Kultur, dass die Ideen, Erfahrungen und Emotionen, aber auch zirkulierenden Objekte in den Fokus rücken (Hannerz 1992: 3). Die Ideen und Vorgaben der SED strukturierten den Alltag. Die Vorstellungen der Jugendlichen aber konnten völlig anders aussehen. Angeregt von Thomas Lindenbergers alltagshistorischem Zugang (Lindenberger 1999, 2007) sollen daher die konkreten alltäglichen Praktiken der Metal-Szene in den Fokus rücken. Denn es sind, folgt man dem Soziologen Anthony Giddens (1992a: 35), die sozialen Praktiken, »die in Raum und Zeit hineingreifen« und der »Konstitution des Subjekts als auch der des sozialen Objekts« zugrunde liegen. Praktiken etablieren und verbreiten sich, werden gefördert oder sanktioniert, und sind vor allem in ihrer spezifischen Ausprägung historisch und geographisch eingebettet. Soziale Praktiken lassen sich als »doings« und »sayings«, als Handlungen und Sprechakte verstehen (Schatzki 2005: 3; Hillebrandt 2014: 57ff.). Sie sind Handlungs- und Deutungsmuster, die eine Orientierung und ein Agieren im sozialen Raum ermöglichen. Die zahlreichen praxeologischen Ansätze betonten dabei die Relevanz des menschlichen Körpers als Träger von Wissen und Fertigkeiten, die Rolle des Materiellen sowie die individuellen Sinnzuschreibungen (Hillebrandt 2014: 57-116; Schmidt 2012: 51-77; Reckwitz 2008: 113ff. und 2010: 189-195; Schatzki 2005; Hörning/Reuter 2004).7 Wie der Soziologe Andreas Reckwitz formuliert: 7 | Es muss betont werden, dass es nicht die eine praxeologische Theorie, sondern vielmehr eine Vielzahl an unterschiedlichen und sich nur teilweise ergänzenden Konzepten

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken »Beim Vollzug einer Praktik kommen implizite soziale Kriterien zum Einsatz, mit denen sich die Akteure in der jeweiligen Praktik eine entsprechende ›Sinnwelt‹ schaffen, in denen Gegenstände und Personen eine implizit gewusste Bedeutung besitzen, und mit denen sie umgehen, um routinemäßig angemessen zu handeln.« (Reckwitz 2008: 117)

Dies verdeutlicht auch die Bedeutung von sowie das Wissen um Artefakte und dies gerade auch im Kontext von Musik: als klingendes Phänomen ist sie stets an Gegenstände gebunden wie Instrumente, Tonträger, Lautsprecher, Notenpapier (Blaukopf 1996: 185-192). Ein Aspekt, der im Laufe der Arbeit immer wieder eine Rolle spielen wird und auf die Bedeutung des kulturellen Transfers insbesondere aus den Westen in die DDR, aber auch in ihr selbst, verweist.8 Der Begriff der ästhetischen Praxis, der hier Anwendung finden soll, wurde von Andreas Reckwitz zur Beschreibung besonderer Praktiken eingeführt (Reckwitz 2015: 21ff. und 2012: 24ff.). Während ein vorrangig im 18. und 19. Jahrhundert verwurzelter Diskurs ›ästhetisch‹ und somit ästhetische Praxis als in erster Linie künstlerische Praxis versteht, versucht Reckwitz einem spezifischen Wandel von Gesellschaft und ihren Praktiken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerecht zu werden, die als zunehmende Ästhetisierung des Alltags beschrieben werden (Reckwitz 2012: 30-48; Schulze 1992: 33ff.). Daran anschließend kann man ›ästhetisch‹ hier unter Rückgriff auf Johann Gottlieb Baumgartens Aesthetica (1750-58) zunächst als das Sinnlich-wahrnehmbare verstehen (Böhme: 2014: 7ff.; Welsch 1990, 1996). Dabei rücken die individuellen ästhetischen Wahrnehmungen und Erfahrungen im Verhältnis zum ästhetischen Objekt in den Fokus. Ästhetische Praktiken können demzufolge als »eigendynamische Prozesse sinnlicher Wahrnehmung«, die selbstzweckhaft und selbstbezüglich sind, verstanden werden. Teil dessen ist dann auch eine erhebliche »emotionale Involviertheit des Subjekts« (Reckwitz 2012: 23).9

gibt (Schatzki 2005: 2). Dies ermöglicht jedoch, »ihre theoretische Vielfältigkeit als fruchtbaren Ideenpool« aufzufassen (Reckwitz 2008: 112). 8 | Kultureller Transfer und Austausch wird in zahlreichen Theorien und Konzepten thematisiert (Burke 2009: 34-65). Im Folgenden wird auf das von den Historikern Michel Espagne und Michael Werner entwickelte Konzept des Kulturtransfers zurückgegriffen (Espagne/Werner 1988; Trakulhun 2007; Naumann 2012: 80-82; Middell 2016). Gelegentlich wird auch der Begriff »flow« (Hannerz 1992: 4, passim) verwendet, der besonders die Dynamik und das Prozesshafte betont. 9 | Zur Kritik an der hier formulierten Theorie der ästhetischen Praktiken aus kunstsoziologischer Perspektive vgl. Kauppert (2016). Eine Diskussion ästhetischer Theorien kann an dieser Stelle nicht geleistet werden (vgl. Appen 2008; Fuhr 2007). Nicht ohne Grund betont Christoph Menke, dass der Streit um die Deutung der Ästhetik – und infolgedessen um das Verständnis von ästhetischen Praktiken – vor allem ein Streit um die

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Soziale und ästhetische Praktiken sollen dabei nicht als getrennte Formen verstanden werden, sondern vielmehr als Formen unterschiedlicher Gewichtungen: Einige Praktiken sind stärker sozial geprägt, andere mehr auf das Ästhetisch-affektive und deren Erfahrung ausgerichtet (Reckwitz 2015: 21ff.; Wetherell 2012).10 Ästhetische Praktiken bewegen sich in einem sozialen Raum von Subjekten und Objekten, die in Beziehung zueinanderstehen. Der Komplex ästhetischer Praktiken gilt dabei für alle Sinnesbereiche, sowohl für die Produktion als auch Rezeption, für das ästhetische Urteilen als auch für allgemeine Kommunikation über Musik. In diesem Zusammenhang hat der österreichische Musikwissenschaftler Kurt Blaukopf (1982) bereits in den 1980er Jahren den Begriff der »musikalischen Praxis« definiert, wenige Jahre später sollte Christopher Small sein praxeologisch auf Handlungsvollzug ausgerichtetes Konzept des »musicking« erstmalig in Music of the Common Tongue (1987) formulieren (Hesmondhalgh 2013: 89f.). Blaukopf versteht unter dem Begriff ein verhältnismäßig breites Verständnis von Praktiken, die im Bezug zu Musik stehen (Blaukopf 1996: 5f.).11 Um die Situation der Musiker in den Blick zu rücken, werden hier die Band-Praktiken bzw. Praktiken des Musizierens näher beschrieben. Praktiken stehen dabei immer in Relation zur vergehenden Zeit, sind etwas Prozessuales. Sie sind nicht nur vorübergehende, zeitlich begrenzte Akte, sondern wandeln und entwickeln sich auch im Verlauf der Zeit (Schmidt 2012: 51-55). Zudem können die individuellen Sinnzuschreibungen nie vollends entschlüsselt werden (Hillebrandt 2014: 54f.), so dass mit dem Bewusstsein von Kontingenz immer nur eine Annäherung an diese möglich ist (Reckwitz 2004; Daniel 2004: 419-429). Gerade im Falle von Musik eröffnen praxeologiDeutung der Aufklärung sei und verweist somit auf die Komplexität und durchaus auch Problematik dieses Begriffes (Menke 2008: 44, 89-106). 10 | Reckwitz bescheinigt der »organisierten Moderne« einen »Affektmangel« (Reckwitz 2012: 315), auf den u.a. die Ästhetisierungsprozesse und Ausdifferenzierungen ästhetischer Praktiken eine Antwort seien. Diese Perspektive ist für die Betrachtung der SED-Diktatur anregend, könnte man hier doch von einem spezifischen Modus der staatlich organisierten ›Affektkontrolle‹ sprechen. Bereits während des Wiedervereinigungsprozesses hat der Hallenser Psychologe Hans-Joachim Maaz (1990) von einem »Gefühlstau« und der »Blockierung der Emotionalität« (S. 72-76) als Folgen der Diktaturerfahrung gesprochen. In der jüngeren Forschung wird die Diktatur unter Rückgriff auf ein Konzept des Historikers William Reddy (2001) als »emotionales Regime« aufgefasst, das zugleich einem Wandel unterlag, vgl. Brauer (2011) und das Forschungsprojekt »The Politics of Emotion: Challenging Emotional Regimes in Europe across the Iron Curtain from 1960s to the 1980s« an der Universität Warwick, UK: http://www2.warwick.ac.uk/ fac/arts/history/research/projects/the_politics_of_emotion (Zugriff am 15.7.2016). 11 | Vgl. zur Diskussion und Anwendung dieses Verständnisses Chaker (2014: 27-35).

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sche Perspektiven den Blick für die vielfältigen Einbettungen, Verstrickungen und Vermittlungen sozialer Realitäten durch und mit Musik (Hesmondhalgh 2013; Born 2012; Hennion 2012; Dibben 2012; Shepherd/Wicke 1997: 9-14; Wicke 1992). Verstehen wir Musik »as activity embedded in relations of power« (Balliger 1999), erweitern wir den Blick nicht nur auf die konkreten Rahmenbedingungen wie etwa die Jugendpolitik der SED, sondern decken zugleich die Verbindung zwischen den verschiedenen Rezeptionsweisen und der konkreten Musik auf. Versteht man Geschichte weniger als »Effekt struktureller Gegebenheiten, sondern als Ergebnis kultureller Praktiken von Individuen und Kollektiven« (Tschopp/Weber 1997: 73), ermöglicht die praxeologische Perspektive daher vielfältige, durchaus auch ambivalente oder gar gegensätzliche Erkenntnisse über die Vergangenheit.12 In der Metal-Szene der DDR bildeten sich gewisse Praktiken ganz besonders heraus, die als Praktiken des sich Vergemeinschaftens, des Hörens, des Tauschens und des Musizierens beschrieben werden können.

5. M e thodisches V orgehen und Q uellen Ein nicht unerheblicher Vorteil des Themas ist die zeitliche Nähe. Die einstigen Akteure können sich erinnern und erzählen. Ferner ergibt sich aus den Eigenheiten des Heavy Metal in der DDR eine Fülle an Quellen, die nicht nur die Sichtweise der Diktatur widerspiegeln, sondern auch zeitgenössische Dokumente von Fans umfassen.

Oral History- und Experteninterviews Ein bedeutsamer Zugang zum Wissen, den Erfahrungen und Praktiken vergangener Zeiten stellt die Befragungen von Zeitzeugen dar. Die Zeitgeschichtsschreibung kennt insbesondere in Verbindung mit qualitativen und quantitativen Methoden der Sozialwissenschaften eine Fülle an methodischen Möglichkeiten, unter denen die Oral History als eine seit den 1980er Jahren zunehmend etablierte Methode gilt (Jordan 2009; Perks 2006; Wierling 2003).13 Oral History-Interviews sind als subjektive Perspektiven von Zeitzeugen auf eine meist länger zurückliegende Zeit zu verstehen, die als Sprechakte in der Gegenwart stattfinden. Dabei müssen einige Aspekte berücksichtigt werden: 12 | Zur Kontextualisierung praxeologischer Ansätze in der Geschichtswissenschaft vgl. Haasis und Rieske (2015), Füssel (2015) sowie Reichardt (2007). 13 | Zugrunde liegt dem u.a. ein reformiertes Verständnis von dem, was als Quelle gelten kann, im deutschsprachigen Raum insbesondere im Kontext der Formierung der Neuen Kulturgeschichte (vgl. Landwehr 2009; Tschopp 2008; Tschopp/Weber 2007; Daniel 2004; Jaeger 2004).

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Neben den allgemeinen Bedingungen der Interviewsituation selbst (Niethammer 1985: 397) und möglichen Intentionen des Erzählers (Wirtz 1988: 343) soll an dieser Stelle vor allem die Erinnerung thematisiert werden (Nelson 2006; Vandekerckhove/Scheve/Markowitsch 2006; Welzer 2005; Markowitsch/Welzer 2005). Sich Erinnern ist etwas rekonstruktives. Da der Ausgangspunkt des Erinnerungsaktes stets die Gegenwart mit all ihren Facetten ist, kann es zu Formen der Verschiebung, Verformung, Entstellung, Umwertung oder Erneuerung des Erinnerten kommen (Assmann 1999: 29). Hierunter zählen ebenso eingeübte und verfestigte Erzählstrukturen als auch »falsche Erinnerungen« als Folge von zementiertem oder geblocktem bzw. verdrängtem Wissen (Kühnel/Markowitsch 2009: 73-90). Zudem hat auch das Verhältnis zum Interviewer Einfluss, etwa in Form von Unterschieden in der sozialen oder generationellen Zugehörigkeit (Niethammer 1985: 399). Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die Mehrzahl der für dieses Buch interviewten Akteure nach wie vor Teil der Kultur Heavy Metal ist. Das Phänomen, dass die einstigen Jugendkulturen des späten 20. Jahrhunderts altern (Hodkinson/Bennett 2012), hat zwangsläufig auch Einfluss auf die Erinnerung. Das Erinnern an die Jugendzeit, die den Ursprung der fortwährenden Identität darstellt und somit ein kontinuierliches Narrativ ermöglicht, fällt dann womöglich anders aus als bei einem Fan, der keinen Metal mehr hört.14 Für Aleida Assmann stellen »Affekt, Trauma und Symbol« neben der Sprache wesentliche Stabilisatoren der Erinnerung dar. Affekte und Traumata fungieren für sie als »psychophysische Erfahrungen« (Assmann 1999: 253), wohingegen Symbole als Akte der Sinngebung verstanden werden. Insofern kann vermutet werden, dass über die Erinnerungen aufschlussreiche Erkenntnisse sowohl über die sozialen als auch die ästhetischen Praktiken in der DDR gewonnen werden können. Im Rahmen der Arbeit an diesem Buch habe ich zahlreiche Gespräche und ausführliche Oral History-Interviews geführt, zahlreiche Fragebögen ausgewertet, E-Mail- und Briefpostkommunikation geführt. Viele dieser Gespräche sind dabei informell geblieben oder auf Wunsch anonymisiert worden. Einer Aufzeichnung und Verarbeitung freundlicherweise zugestimmt haben 10 Interviewpartner. Teil der Interviews und Gespräche war oftmals der Rückgriff auf Artefakte und Musikaufnahmen aus der Zeit, die als zusätzliche Erinnerungsmotoren und -motivatoren fungieren konnten. Zudem wurden weitere 14 | Vgl. allgemein zur Besonderheit der Erinnerung an die Jugendphase Markowitsch und Welzer (2006: 225-230). Ein anderer Aspekt, der hier nicht weiter diskutiert werden kann, sind die individuellen Erfahrungen des Zusammenbruchs der DDR und des Transformationsprozesses infolge der Wiedervereinigung, die, wenn beispielsweise besonders negativ ausgefallen, durchaus Rückwirkungen und Überlagerungen für die Erinnerungen an die Zeit davor zur Folge haben können

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Interviews des seit 2006 erscheinenden Fanzines Eisenblatt herangezogen. Der Herausgeber Hendrik Rosenberg, selbst als Metal-Fan in der DDR aufgewachsen, trägt seit vielen Jahren zahlreiche Informationen zusammen, führt regelmäßig Interviews, betreibt die Internetseite www.ostmetal.de sowie das Label German Democratic Recordings, das teilweise unveröffentlichte Demo-Aufnahmen von DDR-Bands herausgibt. Die Praxis der Fanzine-Interviews folgt zwangsläufig einer anderen Logik als wissenschaftliche Arbeiten. Insbesondere die Transkripte der Interviews müssen zuallererst dem Anspruch einer unterhaltsamen Lesbarkeit standhalten. Dennoch stellen diese Interviews bei gegebener Quellenkritik eine wichtige Ergänzung und Vergleichsebene dar.

Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) Heavy Metal stand im Fadenkreuz des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Die Quellenlage im Archiv der heutigen BStU-Behörde zeigt sich dabei überraschend umfangreich. Erstaunlicherweise wurde bisher nur stichprobenartig nach Heavy Metal in den Akten des MfS gesucht. Erstmalig im Rahmen dieser Arbeit fand eine umfängliche Sichtung von rund 23.000 Blatt statt (BStU 2015: 52). Nicht nur lassen sich die Bedingungen und Entwicklungen der Metal-Szene in der DDR dadurch besser verstehen. Darüber hinaus werden weitere Erkenntnisse über Arbeitsweisen und Prozesse der Staatssicherheit gewonnen und ergänzen somit das Bild dieser »zentralen Säule der Herrschaftsstruktur des Kommunismus« in der DDR (Gieseke 2001: 19). Die Akten und Dokumente werden immer wieder eine Rolle spielen, zitiert und analysiert werden. Da im Fokus dieses Buches jedoch nicht ausschließlich das MfS steht, kann eine umfangreiche Auswertung dieser Menge an Akten nicht geleistet werden. Ohne Frage besteht hier weiterhin erheblicher Bedarf an Forschung und Aufarbeitung.

Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) Es mag zunächst überraschen, dass das Deutsche Rundfunkarchiv Selbstzeugnisse jugendlicher Metal-Fans bereithält. Tatsächlich wurde insbesondere das Jugendradio DT 64 zu einem wichtigen Bezugspunkt für Metal-Fans und -musiker in der DDR. Wie noch ausführlich gezeigt werden wird, schickten regelmäßig zahlreiche Fans Zuschriften an den Sender, die heute im Archiv eingesehen werden können. Diese Quellen werden im Rahmen des Buches ebenfalls erstmalig in diesem Umfang ausgewertet und zitiert werden. Dabei sind hier womöglich noch weitere Quellen unerschlossen. Neben zahlreichen Briefen sind vor allem die Sendelisten der wöchentlichen Heavy Metal-Sendung »Tendenz Hard bis Heavy« überliefert. Allerdings sind derzeit nur wenige Sendemanuskripte erfasst und zugänglich, Tonbänder der Sendungen offenbar nicht mehr auffindbar. Folgt man Jens Molle, einem langjährigen Szeneangehörigen und damaligen Mitarbeiter des Rundfunks, liegt der

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Grund hierfür insbesondere an der unsystematischen Übertragung und Eingliederung des Archivs des DDR-Rundfunks in die Nachfolgeanstalt im Zuge der Wiedervereinigung (Interview Molle). Das Rundfunkarchiv muss noch heute mit den Folgen umgehen. Dass die heutigen Lücken zum Teil schon ihre Ursachen in den Praktiken beim DT 64 hatten, wird noch ausführlicher thematisiert werden. Darüber hinaus werden Berichte und Studien des Zentralinstituts für Jugendforschung der DDR (ZIJ) herangezogen. Die größtenteils vor 1989/90 unveröffentlichten Ergebnisse basieren auf empirischen Erhebungen etwa zur Mediennutzung Jugendlicher, aber auch zur Rockmusik und bieten somit zeitgenössische, teilweise kritische Reflexionen.

6. »F light of I carus «?15 W as dieses B uch k ann und will Dieses Buch versteht sich als ein wissenschaftlicher Beitrag zur Aufarbeitung der Jugendkultur Heavy Metal in der DDR. Ein Aneinanderreihen und Aufzählen von Fakten, Ereignissen und Anekdoten zum Heavy Metal in der DDR würde der Komplexität der Geschichte schlichtweg nicht gerecht werden. Ziel war es daher, mit sowohl kultur- als auch musikwissenschaftlicher Expertise ein historisches Thema der jüngeren Zeitgeschichte zu untersuchen. In der Verbindung von Methoden der Kultur- bzw. Sozialwissenschaften etwa mit denen der Musikpsychologie oder Musikanalyse können vielmehr verschiedene Perspektiven auf die musikzentrierte Jugendkultur Heavy Metal in der DDR entwickelt und ein Verständnis für die konkreten Prozesse, Entwicklungen und alltäglichen Praktiken erarbeitet werden. Nicht nur werden dabei Quellen wie die der BStU und des DRA erstmalig erschlossen und ausgewertet. Ziel ist es vielmehr, eine erste Gesamtdarstellung zu dem Thema anzubieten. Letztlich handelt es sich aber nicht ausschließlich um eine rein historische Arbeit. Der Umgang einer Diktatur mit Minderheiten, mit Andersdenkenden und -füh15 | Die Textzeile ist der Refrain des gleichnamigen Stückes des Berliner Liedermachers und FDJ-Funktionärs Hartmut König (geb. 1947). Das 1966 geschriebene und durchaus an der populären Beatmusik orientierte Stück – obgleich der Beat bzw. Rock während des so genannten Kahlschlag-Plenums der SED ein Jahr zuvor stark abgewertet wurde – fällt unter die Kategorie des Agitationsliedes und verlangt regelrecht ein Bekenntnis zum Sozialismus bei gleichzeitiger Verurteilung einer Westorientierung. So heißt es gleich in der 1. Strophe: »Zurück oder vorwärts; du mußt dich entschließen!/Wir bringen die Zeit nach vorn Stück um Stück./Du kannst nicht bei uns und bei ihnen genießen,/ denn wenn du im Kreis gehst, dann bleibst du zurück.« Das Lied wurde zur inoffiziellen Hymne der FDJ-Singebewegung (Jahn 2002: 10). Dabei wird deutlich, mit welchen didaktischen Mitteln und moralischem Druck Kinder und Jugendliche konfrontiert wurden.

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lenden verrät immer auch etwas über die Verfasstheit einer Gesellschaft, über das Denken und Fühlen von und in Grenzen. Erfahrungen, die die Beteiligten enorm prägen und weit über die politischen Zäsuren wie etwa der Wiedervereinigung fortwirken können. Ein derart großes Projekt ist nicht ohne Unterstützung und Hilfe denkbar. Ich danke Prof. Dr. Martin Pfleiderer und Prof. Dr. Michael Klaper für die Begutachtung und fachliche Hilfestellung, meinen tatkräftigen Betreuern in den Archiven, Astrid Rose (BStU) und Nicole Kleinschmidt (DRA), sowie meinen zahlreichen Gesprächs- und Interviewpartnern (insbesondere: Uwe Breitenborn, Wolfgang Densky, Jörg Ebert, Lutz Ebert, Mario Flicke, Caroline Fricke, Olaf Gerold, Peter Habermann, Enrico Hagen, Matthias Hopke, Jakob Kranz, Ingo Lohf, Matthias Mader, Jens Molle, Henry Münnich, Peter Neuber, Michael Parlow, Michael Rauhut, Hendrik Rosenberg, Michael Schenk, Norbert Schmidt und Ronny Zaddach). Ferner danke ich für die finanzielle und ideelle Unterstützung der Studienstiftung des deutschen Volkes während der Promotionsphase sowie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur für den Druck. Prof. Dr. Dietrich Helms sei für die Aufnahme in die Schriftenreihe und die Betreuung gedankt. Darüber hinaus möchte ich mich bei meiner Familie, insbesondere bei meinem ältesten Bruder Ronny, ohne dessen Inspiration und Förderung dieses Buch wohl nie entstanden wäre, und bei meinen engsten Freunden und Vertrauten auch jenseits des Atlantiks für die konstante Unterstützung und scheinbar unendliche Geduld bedanken.

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Um die Jugendkultur Heavy Metal in der DDR zu verstehen, bedarf es einer allgemeineren Auslotung der Rahmenbedingungen: Was waren die politischen und sozialen Kontexte, in denen sich Heavy Metal verbreiten konnte? Wie gestaltete sich das Leben Jugendlicher im Alltag? Der Historiker Winfried Speitkamp betont, dass man Jugend und Jugendkulturen erst in ihrem Verhältnis zu »den sozialen Bedingungen und den politischen Normen eines Gemeinwesens« verstehen kann. Jugend ist daher »ein gesellschaftliches Konstrukt«, deren Form und zeitliche Dauer »von der konkreten historischen Konstellation, in der sie erscheint«, abhängt (Speitkamp 1998: 9). Dies verdeutlicht, dass Jugend und eine Jugendkultur wie Heavy Metal keinesfalls autonom bestehen, sondern in soziale Beziehungsgefüge eingebettet sind. Zu diesen zählen sowohl Institutionen und soziale Gruppen, die Teil der Erwachsenenwelt sind, etwa die Familie, Schule oder Arbeitswelt, als auch Gruppen und Vergemeinschaftungen unter Gleichaltrigen. Das Verstehen der sozialistischen Rahmenbedingungen ermöglicht es nachzuvollziehen, was es bedeutete, jugendlicher Metal-Fan in der DDR zu sein. Die konkreten Praktiken des Heavy Metal in der DDR lassen sich in ihrer Besonderheit und ihrem Verhältnis zu denen in anderen Ländern erst vor diesem Hintergrund hinreichend verstehen.

1. »S ag mir , wo du stehst und welchen W eg du gehst«1 – J ugend in der SED-D ik tatur »In unserer Gesellschaft sind Partei und Jugend eins, weil der Sozialismus mit seinen Zielen des Friedens und des Volkswohlstandes den Idealen der jungen Generation entspricht und allen Jugendlichen die Perspektive einer sicheren Zukunft bietet. Der 1 | Die Textzeile ist der Refrain des gleichnamigen Stückes des Berliner Liedermachers und FDJ-Funktionärs Hartmut König (geb. 1947). Das 1966 geschriebene und durchaus an der populären Beatmusik orientierte Stück – obgleich der Beat bzw. Rock während

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken Sozialismus braucht die Jugend, und die junge Generation braucht den Sozialismus.« (Honecker 1981: 144)

Die Frage nach dem Leben im Staatssozialismus war aus Sicht der Sozialistischen Einheitspartei (SED) eine grundlegend politische. Die kommunistische Idee, wie sie im 19. Jahrhundert von Karl Marx und Friedrich Engels entwickelt wurde, beruhte auf einer Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Während im 19. Jahrhundert die Begriffe Kommunismus und Sozialismus noch gleichermaßen benutzt wurden und austauschbar waren (Holzer 1998: 12), lässt sich von einem Staatssozialismus seit der russischen Revolution 1917 und dem daran anschließenden Auf bau von zunächst bolschewistischen, dann kommunistisch genannten Macht- und Parteistrukturen unter der Führung von Wladimir Iljitsch Lenin sprechen. Als staatssozialistisch im Kontext der DDR lassen sich die Aneignungsprozesse der politischen Machtsphäre durch die SED, die Etablierung eines politisch-weltanschaulichen Monopols etwa in der Erziehung und Bildung sowie die angestrebte Kontrolle und Nivellierung der Gesellschaft, nicht selten unter Anwendung von Gewalt, verstehen. Einer der Kerngedanken der kommunistischen Utopie war die »Überwindung der Geschichte« und ein »beinahe mystisches Ziel: Die neue Gesellschaft soll auf Harmonie und Gleichheit beruhen, indem sie den ›neuen Menschen‹ hervorbringt« (Bafoil 2010: 328). Die politische Elite des Arbeiter- und Bauernstaates verstand sich dabei als eine verwaltende Elite, bezeichnet als Nomenklatura. Ihre Aufgabe war die Umgestaltung und die »Durchherrschung« (Kocka 1994) der Gesellschaft, mit der Konsequenz einer von der ideologischen Komponente durchzogenen Gesellschaftsstruktur, insbesondere einer propagierten Gleichheit (Bafoil 2010: 334). Die Folge war eine »extreme Trennung von Öffentlichem und Privatem« (Bafoil 2010: 334) und eine sich in der alltäglichen Praxis widerspiegelnde »Doppelzüngigkeit, Konformismus, Passivität und fehlende Verantwortung in öffentlichen Dingen« (Bafoil 2010: 335). Das Private hingegen konnte ein Ort des Ausgleichs, der Ruhe und des Rückzugs, ja sogar des »eigentlichen Lebens« werden (Betts 2012: 3). Der Gründung der DDR 1949 ging die Aufteilung Deutschlands unter den vier Siegermächten infolge des Zweiten Weltkrieges voraus, beschlossen des so genannten Kahlschlag-Plenums der SED ein Jahr zuvor stark abgewertet wurde – fällt unter die Kategorie des Agitationsliedes und verlangt regelrecht ein Bekenntnis zum Sozialismus bei gleichzeitiger Verurteilung einer Westorientierung. So heißt es gleich in der 1. Strophe: »Zurück oder vorwärts; du mußt dich entschließen!/Wir bringen die Zeit nach vorn Stück um Stück./Du kannst nicht bei uns und bei ihnen genießen,/ denn wenn du im Kreis gehst, dann bleibst du zurück.« Das Lied wurde zur inoffiziellen Hymne der FDJ-Singebewegung (Jahn 2002: 10). Dabei wird deutlich, mit welchen didaktischen Mitteln und moralischem Druck Kinder und Jugendliche konfrontiert wurden.

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 in der Erklärung über das befreite Europa. Infolge dieser Konferenz entfachte sich ein Konflikt zwischen westlichen Alliierten und der Sowjetunion, der als so genannter Kalter Krieg bis in die 1990er Jahre andauern sollte (Naimak 2010). Entgegen dieser Vereinbarung verfolgte Stalin eigenmächtige Interessen, indem er die ostmitteleuropäischen Länder besetzte und in den Machtbereich der Sowjetunion einband (Stöver 2008: 18-22; Hildermeier 1998: 729-734). Die westliche Grenze der in der sowjetischen Besatzungszone 1949 gegründeten DDR war somit zugleich die Frontlinie zwischen den beiden Blöcken. Das geteilte Deutschland stand dabei symbolisch für diesen Konflikt (Kowalczuk 2009: 137). Der Begriff ›Kalter Krieg‹ wurde bereits 1946 durch Herbert S. Swope, Mitarbeiter des US-Präsidentenberaters Bernhard Baruch, geprägt und durch Letzteren auch erstmals im Juni 1947 öffentlich verwendet. Populär wurde er noch im selben Jahr durch den amerikanischen Journalisten Walter Lippmann, insbesondere durch seine Broschüre The Cold War. A Study in U.S. Foreign Policy (Stöver 2008: 7f.). Der Konflikt war bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991 eine »politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung« (Stöver 2008: 9). Der Historiker Bernd Stöver spricht von einem Weltanschauungskrieg, in welchem gegensätzliche Ideologien und Gesellschaftsentwürfe aufeinandertrafen: die liberale Demokratie der USA auf den Kommunismus der Sowjetunion (Stöver 2008: 7f.). Insbesondere der Bereich der Kultur und Kunst erlebte infolge des sich ausbreitenden Konfliktes eine enorme Politisierung und Instrumentalisierung sowohl von US-amerikanischer als auch von sowjetischer Seite (Gienow-Hecht 2012; Vowinkel et al. 2012). Als Schlagworte auf Seiten der Sowjetunion fungierten seitdem teilweise bereits verbreitete Begriffe wie Antiimperialismus und Antiamerikanismus (Stöver 2008: 25).2 Ausdruck der ideologischen Verschärfung war beispielsweise die Bezeichnung des Kartoffelkäfers in DDR-Printmedien als ein die Ernte sabotierender »Amikäfer« infolge einer Plage 1950.3 Kultur wurde von der Politik als eigenständiges, ideologisch zu besetzendes Feld aufgefasst. Erziehung und Bildung nahmen dabei einen Sonderstatus ein (Gienow-Hecht 2010), die Herausbildung eines »sozialistischen Bewusstseins« war oberste Prämisse (Laabs 1987: 18). Kontrollierte Bürokratisierung, Kollektivierung und planmäßige Erziehung waren die Mittel und Instrumente der SED. Die Partei stand letztlich über den Medien, den Massenorganisatio2 | So benutzte etwa der lang jährige Mitarbeiter Josef Stalins, Andrej Ždanov, bewusst diesen Begriff in der so genannten Zwei-Lager-Theorie-Rede auf der Gründungsversammlung der Kominfom, ein Bündnis europäischer kommunistischer Parteien, im September 1947 (Stöver 2009: 25). 3 | Im Dokumentationszentrum Andreasstraße der Stiftung Ettersberg in Erfurt etwa sind ein entsprechendes Heft und Plakat ausgestellt.

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nen wie der Gewerkschaft FDGB oder dem Kulturbund, der wirtschaftlichen Organisationsstruktur mit den Volkseigenen Betrieben (VEB) und Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), den Sicherheitsorganen, allen voran dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), aber auch der Volkspolizei (VP) und Nationalen Volksarmee (NVA). Dies umfasste auch die frühzeitige ideologische Imprägnierung und Formung der Kinder und Jugendlichen mit den Erziehungsvorgaben und Lehrplänen an Kindergärten, Spezialheimen für Schwererziehbare (Jugendwerkhöfe), den Polytechnischen (POS) und Erweiterten Oberschulen (EOS) sowie Universitäten. Durch Massenorganisationen sollte darüber hinaus das Freizeitverhalten im politischen Sinne vereinnahmt und gesteuert werden. Auch hier waren bereits Kinder mit dem Eintritt in die Organisation der Jung- bzw. Thälmannpioniere eingebunden. Für Jugendliche waren die Freie Deutsche Jugend (FDJ) oder die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) zuständig. Die Mitgliedschaften waren formal zwar freiwillig, häufig aber insbesondere durch ihre enge Anbindung an das Schul- und Bildungssystem als eine Selbstverständlichkeit aufgefasst und nicht selten mit sozialem Druck eingefordert worden. Ferner etablierte die SED mit dem Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ) ein sozialwissenschaftliches Institut, das fortlaufend politisch verwertbare Analysen und Forschung zu Tendenzen und Entwicklungen der eigenen Jugend liefern sollte. Diese besondere Perspektive auf die Jugend wurde bereits von Wladimir Iljitsch Lenin entwickelt. In der Rede »Die Aufgaben der Jugendverbände« von 1920 hob er die Rolle der Jugend als Erbauer der kommunistischen Gesellschaft hervor. Aus dieser Rolle heraus begründete Lenin die Notwendigkeit einer auf den Kommunismus ausgerichteten Erziehung und Bildung der Jugend und verknüpfte diese zugleich mit einem Verpflichtungsanspruch. Noch 1983 heißt es etwa im Jugendlexikon Wissenschaftlicher Kommunismus, dass Lenins Rede zum »Aktionsprogramm« für die Erziehung im Sozialismus geworden sei. Lenin habe die Erziehung zur »kommunistischen Sittlichkeit (Moral)« betont, deren Grundlage der »Kampf für die Festigung und Vollendung des Sozialismus und Kommunismus« sei (Gottschalg/Wolter 1983: 77). In der DDR wurde etwa mit dem »Gesetz über die Teilnahme der Jugend an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und über ihre allseitige Förderung in der Deutschen Demokratischen Republik« im Januar 1974 die Jugendpolitik nochmals verschärft. War bereits für Lenin klar, dass die Jugend in Verbandsstrukturen gebündelt und kontrolliert werden sollte, wurde mit diesem Gesetz die Jugendpolitik mit der planwirtschaftlichen Staatslenkung optimiert, indem jährliche Jugendförderungspläne abgerechnet werden sollten (Gottschalg/Wolter 1983: 76). Der Partei galt die Jugend letztlich als »Kampfreserve« (Mählert/Stephan 1996: 199). Zudem definierte sie die Altersgrenzen mit 14 bis 25 Jahren (Gottschalg/Wolter 1983: 76). So wurden etwa die verschiedenen Bände des Jugendlexikons als eine Reihe für »Schüler, Lehrlinge und alle

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Jugendlichen bis etwa 25 Jahre« beworben (Grallert 1987: Rückumschlag).4 Die Programmatik der Jugendpolitik war von der Ideologie und der totalitären Stellung der Partei, »die den prüfenden Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verzerrte und versperrte« (Dennhardt 1991: 34), geprägt. Die Schule als eine wichtige Sozialisationsinstanz war eine »einheitliche Staatsschule, die zentral und dirigistisch geleitet wurde« (Hoffmann 1991: 46). Der Marxismus-Leninismus sowie ein wissenschaftliches Bild vom idealen Sozialismus und Kommunismus waren alternativloser Bestandteil des Lehrplans (Gäßler 1991: 194). Insbesondere Disziplin, Fleiß und Faktenwissen zählten zu den Leistungsanforderungen, während exploratives, entdeckendes Lernen und das Fragenstellen stärker vernachlässigt wurden (Hoffmann 1991: 51f.). Achim Hoffmann, langjähriger Mitarbeiter des Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ), resümiert, dass ebendieser »einheitliche Leistungsanspruch und die ideologische Subordination […] die Lehrer zwangsläufig auf das Brave, Mustergültige, auf Unterordnung« fokussieren ließen (Hoffmann 1991: 52). Kritik an diesem Bildungssystem wurde in der DDR durchaus formuliert, die Rede war von einer »Leistungs-Tonnenideologie«5 und einer »Kommandopädagogik« (Hoffmann 1991: 47). Konsequenzen hatte dies aber kaum. Die Belohnung der Normanpassungsbereitschaft bei gleichzeitig erfahrenen alltäglichen Widersprüchen zwischen ideologischem Anspruch und der Realität haben letztlich eine sich nur oberflächlich mit sozialistischen Werten und Idealen identifizierende Jugend zur Folge gehabt (Gäßler 1991: 194f.). Hierin lag auch eine Ursache für die Begeisterungsfähigkeit für alternative Jugendkulturen. Der Einfluss der Partei auf die Jugend beschränkte sich allerdings nicht nur auf das Schul- und Bildungswesen. Während rund 85 Prozent der Schulabgänger eine weitere Ausbildung zum Facharbeiter anstrebten, waren Ausbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten stark von der ideologischen Position und der Einschätzung durch die Partei abhängig. Diese Umstände sorgten für Resignation oder Frust: »Ersehnt wurde vielmehr berufliche Freiheit und Freizügigkeit. Hohe Leistungsbereitschaft drängte nach Entfaltung und Selbstver4 | Dass das Autorenkollektiv des hier als Referenz herangezogenen Bandes Mitte der 1980er Jahre ein Jugendlexikon zum Thema Philatelie, der Briefmarkenkunde, herausgab, welches sich dem Vorwort der zweiten Auflage zufolge enormer Beliebtheit erfreute, offenbart eine typische Ambivalenz des Alltags in der SED-Diktatur: Auf der einen Seite ein verbreiteter inaktueller und verzerrter Blick auf die Jugend, auf der anderen Seite die durchaus vorhandenen, angepassten und unaufgeregten alltäglichen Praktiken Jugendlicher, die etwa auch im regelmäßigen Einkleben von Versicherungsmarken für das Moped oder der Mitgliedschaftsbestätigungen im FDJ-Buch institutionalisiert waren. 5 | Zum Begriff »Tonnenideologie« als ironisch-pejoratives Schlagwort in der Sowjetunion am Beispiel der Kultur vgl. Beyrau (1993: 135-144).

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wirklichung, wurde jedoch permanent gebremst.« (Bertram/Kasek 1991: 62) Die Jugendforscher Bertram und Kasek beschreiben ferner die typische sozialistische Biographie eines Jugendlichen: »Offiziell war im Prinzip nur ein einziger Lebensentwurf vorgegeben: Kinderkrippe – Kindergarten – 10jährige allgemeinbildende polytechnische Oberschule – Beruf erlernen (bzw. erweiterte Oberschule und Studium) – Beruf ausüben (die meisten ab 18 Jahre) – Familie gründen (im Durchschnitt mit etwa 23 Jahren). Das war es dann schon – Langeweile für viele.« (Bertram/Kasek 1991: 67)

Hinzu kommt, dass der Staat zu Beginn der 1980er Jahre mit einer wirtschaftlichen Krise zu kämpfen hatte, die beinahe zum Staatsbankrott führte (Mählert 2009: 134-138). Damit einher ging eine Stagnation der vorhandenen Arbeitskräfte insbesondere in der Industrie. Der Staat musste hier einmal mehr in die Biographien Jugendlicher eingreifen, um den Zielen der Fünfjahrespläne und der wirtschaftlichen Situation gerecht zu werden. Insofern waren die Biographien vieler Jugendlicher, etwa in der Wahl der Ausbildung, standardisiert, eingeschränkt und weitaus mehr von den politischen Umständen als der individuellen Eignung und Neigung abhängig (Stock 1994: 138).6 »Sag mir wo du stehst und welchen Weg du gehst« – mit dieser Aufforderung zu einem klaren Bekenntnis zum Sozialismus wuchsen Kinder und Jugendliche in der DDR auf. Dass eine solche Aufforderung womöglich nicht nur eine Überforderung bedeutete, sondern sich auch mit den alltäglichen Erfahrungen Jugendlicher nur bedingt deckte, war eine wesentliche Ursache für die zunehmende Distanzierung und politische Entfremdung der Generationen seit den 1960er Jahren.

6 | Ein weiterer Aspekt, der dieses Gefühl des Eingreifens in das eigene Leben und einer in der späten DDR ganz offensichtlich nicht mehr positiv empfundenen Unmündigkeit gegenüber der Willkür des Staates verstärkte, war das System des Wehrdienstes: Männer konnten bis zum 27. Lebensjahr für den anderthalbjährigen Wehrdienst eingezogen werden und anschließend zu weiteren Reservediensten mit einer Dauer von maximal 21 Monaten bis zu ihrem 50. Lebensjahr einberufen werden. Eine komplette Verweigerung, auch des als Ersatz angesehen Dienstes als so genannter Bausoldat, wurde noch bis 1985 mit Gefängnisstrafen bis zu zwei Jahren und Repressalien in Ausbildung und Beruf geahndet, ein Aspekt, der auch in den Zeitzeugeninterviews beschrieben wurde. Mit solchen Repressalien zusammenhängende Gefühle der Ohnmacht, Entfremdung, aber auch Wut waren wesentliche Bestandteile des Gefühlslebens und sind relevant, wenn man über das Leben und den Alltag in der DDR spricht (vgl. hierzu auch Maaz: 1990: 55-80).

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

1.1 Bürokratisierung und Erziehung der DDR-Jugend: Die FDJ und das Zentralinstitut für Jugendforschung Ein wesentliches Instrument der Einflussnahme auf die Jugend war neben dem Schulwesen die staatliche Organisation der Freizeit durch die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Die FDJ agierte bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als kommunistische Jugendorganisation nach dem Vorbild des sowjetischen Jugendverbandes Komsomol. Seit den 1950er Jahren beschrieb sich die FDJ offiziell als »aktiver Helfer und Kampfreserve« der Partei (Mählert/Stephan 1996: 139). Als sozialistische Jugendorganisation in der DDR agierte sie mit dem Ziel der Vermittlung der sozialistischen Weltanschauung und Inhalte über Angebote zur Freizeitgestaltung. Ein zentrales Grundmuster war die Einübung und Vermittlung des klassischen Freund-Feind-Schemas, das in den verschiedenen Sozialisationsinstanzen, neben der FDJ vor allem die Schule und die Medien, den Grundtenor vorgab (Satjukow/Gries 2004: 24f.). Die FDJ betrachtete Jugendliche letztlich als »Objekte politischer Erziehung« (Giessmann 1990: 94) und ging dementsprechend nur bedingt auf die Bedürfnisse der Jugendlichen ein. Teil dieser politischen Erziehung waren auch rituell aufgeladene, durch die Alltäglichkeit und den Zwangscharakter aber häufig entwertete Symbole und Bräuche wie Uniformen (»Blauhemden«) und Abzeichen, Begrüßungen und Versammlungen, die feierliche Aufnahme in die FDJ mit Eintritt in die 8. Klasse und die Jugendweihe als weltlicher Ersatz für die christliche Konfirmation im Alter von 14 Jahren. Die FDJ war eng an die Sozialisationsinstanz Schule gebunden. Das Klassenkollektiv war die Basisgruppe, jede Schule stellte eine Grundorganisation der FDJ dar (Giessmann 1990: 94f.). Nahezu jeder Schüler ab der 8. Klasse war Mitglied in der FDJ, für Kinder bis zur 8. Klasse war der Pionierverband innerhalb der FDJ zuständig. Die Organisation der FDJ wiederum war an den Strukturen der Partei orientiert und stellte somit zugleich eine Vorbereitung auf die vom Staat dominierte Erwachsenenwelt dar: »Mit Zwang, Formalismus und Bürokratie wurde persönlicher Handlungswillen zerstört, wurde jedem Rest von Freiräumen mit Argwohn begegnet, wurden Scheinaktivitäten erzeugt. Der Apparat des Jugendverbandes hatte solch ein hohes Maß an Selbstbeschäftigung erreicht, daß es der Mitglieder nur noch zur Selbstdarstellung bedurfte.« (Dennhardt 1991: 32)

Neben Sport, der immer auch eine gewisse Wehrbereitschaft und Vorbereitung auf den Wehrdienst bedeutete, zählten insbesondere Musik und Mode zu zentralen Themen. Indem gezielt Sport und Freizeit gefördert wurden, versuchte man letztlich auch die westlichen Einflüsse und das Interesse der Jugendlichen an westlicher Musik zurückzudrängen (Dennhardt 1991: 29). Die FDJ versuchte die Interessen der Partei mit denen der Jugendlichen in Einklang zu

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bringen, so etwa mit der in den 1960er Jahren gegründeten Singebewegung, die meist direkt in den Schulen oder Betrieben in so genannten Singegruppen oder Singeklubs organisiert wurde. Die Singebewegung knüpfte an den zeitgenössischen musikalischen Vorlieben für den vorrangig westlichen Beat bzw. Rock an und versuchte diese zugleich mit der sozialistischen Tradition des auf Agitation ausgerichteten Massen- und Arbeiterliedes zusammenzubringen, wenn auch nur bedingt erfolgreich (Jahn 2002: 12f.). Das zu Beginn des Kapitels zitierte »Sag mir, wo du stehst« ist eines der bekanntesten Beispiele für diese Bemühungen. Durch den gleichzeitigen Anspruch der politischen Beeinflussung entwerteten sich diese Angebote für viele Jugendliche zugleich (Giessmann 1990: 100). Im Laufe der 1970er und 1980er Jahre bemühte sich die FDJ um angemessene, stärker an den Bedürfnissen der Jugendlichen orientierte Freizeitangebote. Hierfür fungierte sie beispielsweise als Veranstalter von Musikfestivals (z.B. Rock für den Frieden seit 1982 in Ost-Berlin) und förderte das Musizieren etwa durch die seit 1972 alle zwei Jahre durchgeführte »Werkstattwoche Jugendtanzmusik« für Amateurmusiker (Hintze 1999: 102). Bands wurden hier von den jeweiligen lokalen FDJ-Bezirksleitungen entsandt und stellten sich einer Jury aus Musikern, Musikwissenschaftlern und -pädagogen. Als Auszeichnungen gab es u.a. Förderverträge etwa für Studioaufnahmen. Gerade die Werkstattwoche öffnete sich im Laufe der 1980er Jahre zunehmend Heavy und Extreme Metal. Ein weiteres Kernangebot der FDJ seit den 1970ern stellten Jugendklubs als Freizeitzentren dar. Zwischen Anfang der 1970er und Mitte der 1980er Jahre entstanden über 10.000 solcher Einrichtungen in der gesamten DDR (Lindner 1991b: 103) u.a. auch im Zuge der Wohnungsbauprojekte, der so genannten Neubaugebiete wie etwa Halle-Neustadt. Ohne Frage entstanden hierdurch neue Räumlichkeiten und Betätigungsfelder für Jugendliche, zugleich aber wuchs auch der Aushandlungsdruck über die Inhalte. Zu einem wesentlichen Angebot zählten Tanzveranstaltung, vorrangig in Form von Disko-Abenden (Wilke 2015). Obgleich die FDJ den Anspruch hatte, die Jugend im Staatssozialismus zu repräsentieren, nahm die Bereitschaft der Mitarbeit allmählich ab und wurde häufig zur »Pflichtübung« ohne jegliche Identifikation (Förster 1991: 147). Ihre Freizeit hingegen verstanden die Jugendlichen in der späten DDR zunehmend als Freiraum für sich selbst und losgelöst vom Zwang, politisch agitieren zu müssen (Lindner 1991b: 104). Dennoch bot die Organisationsstruktur der FDJ für einige Jugendliche eine Plattform, um reformerische Positionen, insbesondere im Kontext der Perestrojka, zu organisieren (Lange/Stiehler 1990: 62f.). Gerade aber die Orientierung der Jugendlichen an westlichen Jugendkulturen stellte die FDJ vor ein grundlegendes Dilemma: Sie hatte als Vertretungsorganisation der Jugend einerseits und als staatliche Organisation mit Rechenschaftspflicht gegenüber der Partei andererseits eine problematische

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Scharnierposition inne. Gerade weil sie den Bedürfnissen und Forderungen beider Seiten gerecht werden wollte, entstanden hier auch besondere Freiräume und Aushandlungsprozesse, die letztlich auch dem Heavy Metal in der DDR zugutekamen.

Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig Eine Folge der Bürokratisierungstendenzen mit dem Ziel der Erfassung und Auswertung gesellschaftlicher Entwicklungen war die Errichtung eines staatlichen Instituts, welches sich einerseits mit wissenschaftlicher Expertise ausschließlich der Jugend widmete und andererseits mehr oder weniger direkt der Parteiführung unterstand. Das Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig (ZIJ) bestand von 1966 bis 1990, beschäftigte bis zu 50 Soziologen, Psychologen, Medien- und Kulturwissenschaftler. Das Institut führte zahlreiche quantitative und qualitative Studien durch – in der Regel vor 1990 unveröffentlicht – und hatte mit Sitz in Leipzig dennoch eine gewisse Distanz zur Parteispitze der SED in Berlin.7 Die Gründung 1966 ist zum einen im Kontext der zunehmenden politischen Akzeptanz und Institutionalisierung des Faches Soziologie in der DDR der 1960er Jahre als Folge der Entstalinisierungstendenzen zu sehen (Sparschuh 1997: 14f.), zum anderen auch in der Konkurrenzsituation zu der BRD, wo 1963 das Deutsche Jugendinstitut in München gegründet wurde. Tatsächlich wurde beim Amt für Jugendfragen des Ministerrats der DDR bereits 1964 ein »wissenschaftlicher Beirat für Jugendforschung« gegründet. Das Institut ist differenziert zu bewerten, keinesfalls kann es ausschließlich als staatliche Institution mit reiner Propagandafunktion betrachtet werden. Walter Friedrich, der Leiter des Instituts seit der Gründung, berichtet in Publikationen nach 1989 von der Ambivalenz und den Konflikten, die zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch in der alltäglichen Institutsarbeit und dem politischen Druck entstanden. In der Vorbemerkung zum 1991 herausgegebenen Band Jugend in der DDR. Daten und Ergebnisse der Jugendforschung vor der Wende fasst er die Arbeitsbedingungen des Instituts vor 1989 zusammen: »Möglichkeiten zur Veröffentlichung empirischer Forschung waren allerdings durch Tabus und harte Restriktionen äußerst begrenzt. Das alte Herrschaftssystem lehnte es kategorisch ab, ein reales Bild von der Jugend der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Andernfalls wäre gewiß eine neue, demokratisch legitimierte Jugendpolitik unumgänglich geworden.« (Hennig/Friedrich 1991: 7)

Die Geheimhaltungsregelung, nach der nur ein ausgewählter Personenkreis über Ergebnisse in Kenntnis gesetzt wurde (ZK der SED/Abteilung Jugend, 7 | Das Institut war dem Amt für Jugendfragen untergeordnet, welches wiederum dem Ministerrat der DDR und somit der Parteiführung unterstand.

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Zentralrat der FDJ, Amt für Jugendfragen beim Ministerrat der DDR) sowie zeitweise Verbote etwa von empirischen Erhebungen an Schulen, verdeutlichen die Abhängigkeiten und Machtverhältnisse. Diese spiegeln sich durchaus auch im Sprachduktus der Berichte wider, der eher auf Konfliktvermeidung ausgelegt war. Wie die Historikerin Dorothee Wierling verdeutlicht, bestand ein Balanceakt in der Vermittlung von ergebnisorientierter Darstellung und politisch heiklen Ergebnissen, die bei den Funktionären der SED durchaus Gefühle von Enttäuschung, Angst oder Abwehr hervorrufen konnten (Wierling 2002: 212). Friedrich schätzt 1991 ein, dass die Arbeit und Ergebnisse des ZIJ »wenig politisch akzeptiert und genutzt wurden.« (Friedrich 1991: 13) Tatsächlich kann von einem Misstrauen gegenüber den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Instituts ausgegangen werden, wie etwa Rebecca Menzel mit Hinblick auf die Modeinteressen Jugendlicher anhand entsprechender Studien des ZIJ, die von der SED kaum beachtet wurden, deutlich macht (Menzel 2006). Dabei können die vom ZIJ erhobenen Daten für die zeithistorische Erforschung der Jugend in der DDR durchaus gewinnbringend genutzt werden. Zum einen bemühte sich das Institut um eine breite thematische Ausrichtung, die sich in acht unterschiedlichen Abteilungen widerspiegelt (darunter u.a. Jugend und Freizeit). Zum anderen waren die Erhebungsmethoden größtenteils anonymisierte, standardisierte Fragebögen sowie Längsschnitt- und Vergleichsstudien und stellen dadurch eine nicht zu unterschätzende Ressource dar. Studien zur Mediennutzung, zum Alkohol- und Drogengebrauch oder zu Musikinteressen sind aufschlussreiche Quellen und zugleich bemerkenswerte Zeugnisse einer staatlich betriebenen Forschung auch zur populären Musik. Die Mehrzahl der teilweise äußerst umfangreichen Studien wurde zwar nicht vor 1989 veröffentlicht. Allerdings stellt das GESIS-Leibniz Institut für Sozialwissenschaft mittlerweile zahlreiche ZIJ-Berichte und -Studien in digitaler Form zur Verfügung.8

1.2 Jugendkultur im Kontext des kulturellen Kalten Krieges Im »Jahrhundert der Jugend« (Ferchhoff 2011: 20) wurde das, was Jugend war und sein konnte, immer differenzierter (Villányi/Witte/Sander 2007: 10f.; Eisenstadt 2006: 10). Die zunehmende Ausweitung der Jugendzeit als alltägliche Freizeit sowie als Lebensphase und der Einfluss der Medien hatten entscheidende Anteile an der Herausbildung von jugendkulturellen Bewegung im

8 | Dies geschieht im Rahmen des Projektes Social Science Open Access Repository des GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, www.ssoar.info.

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Allgemeinen (Ferchhoff 2007: 32ff.).9 Im globalen Kontext entwickelten sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sodann zahlreiche Jugendkulturen mit zum Teil komplexen Ausdifferenzierungsprozessen (Ferchhoff 2011: 12; Müller-Bachmann 2007). Die Sichtweise der Partei auf die Jugend wird insbesondere in ihrem angespannten Verhältnis zur zeitgenössischen populären Musik deutlich. Nahezu durch die gesamte 40-jährige Geschichte der DDR ziehen sich Auseinandersetzungen um die Präsenz von in erster Linie westlichen jugendkulturellen Bewegungen, die auf ein bestimmtes populäres Musikgenre ausgerichtet waren. Aus Sicht der SED war hier die eigene Jugend dem Einfluss und der Manipulation des Westens ausgesetzt (Stöver 2008: 59-63; Lindenberger 2004; Eschen 2004; Caute 2003). Diese kritische bis ablehnende Haltung ist dabei nur vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu verstehen. Im Kalten Krieg wurde einerseits avantgardistische bzw. moderne Kunst und populäre Musik seitens der Westmächte gefördert, während sich der sozialistische Diskurs in gewisser Weise bis zum Zerfall der Staatssozialismen um die seit 1932 dominierende Doktrin des Sozialistischen Realismus drehte, die u.a. mit dem Schlagwort »Formalismus« auch für Musik Anwendung fand (Hermand 2000; Mehner 1998; Plumpe 1992; Kohl 1987).10 Als »ideologisch-ästhetisches Grundprinzip« wies der Sozialistischen Realismus eine klare politische Implikation auf (Kohl 1977: 157; Plumpe 1992: 174; Mehner 1998: 1619). Die Grundlinien waren Parteilichkeit, Volksverbundenheit bzw. Volksnähe, Massenverbundenheit, Klassenbezug, Optimismus sowie Orientierung an den ›Klassikern‹ des Realismus (Laß 2002: 21; Hildermeier 1998: 564). Obgleich Musik im Vergleich zu anderen Künsten, insbesondere der Literatur, eher vernachlässigt wurde (Mehner 1998: 1618), begegnete man ihr mit den gleichen Standards einer Inhaltsästhetik (Tischer 2004), die insbesondere auf die Songtexte abzielte. Diese grundsätzlich feindlich gesinnte Haltung beruhte auf fundamentalen Ansichten der Weltanschauung, nach der nahezu alles einem FreundFeind-Schema untergeordnet wurde. Die Historiker Silke Satjukow und Rainer Gries zeigen in ihrer Analyse der Freund- und Feindbilderkonstruktionen im Sozialismus, wie diese »nicht nur als strukturierende Elemente der poli9 | Der Jugendforscher Ferchhoff fasst ferner als Ursachen für die Entstehung des Rock’n’Roll als eine der wirkmächtigsten Nachkriegsjugendkulturen zusammen: »Durchsetzung der Massenmedien, vermehrte Arbeiterfreizeit und Freizeitkultur, Entstehung einer immer wichtiger werdenden Freizeit- und Jugendkulturindustrie, Aufkommen des und Teilhabe am Massenkonsum(s), demokratisierende Effekte einer pluralistischen, nicht mehr nur bildungsbürgerlich gegängelten und zensierten Massenkultur.« (Ferchhoff 2007: 39, FN. 11) 10 | Zur allgemeinen Tendenz der Politisierung des Ästhetischen in der Moderne und Spätmoderne vgl. Prinz (2015).

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tischen Ideologie sowie der Agitation, Propaganda und Erziehung eine Deutungsmacht entwickeln«, sondern zugleich »als nicht minder strukturierende Elemente individueller und kollektiver Weltaneignung eine sozialpsychische Wirkungsmacht entfalten« konnten (Satjukow/Gries 2004: 14). Sie stellen fest: »Wir haben es mit einem grundsätzlich polar ausgerichteten Muster zur Wahrnehmung von Welt und Wirklichkeit zu tun, das mit den kommunikativen Machtmitteln von Partei und Staat explizit und implizit das Welt-, Fremd- und Selbstverständnis der Vielen durchdringen sollte.« (Satjukow/Gries 2004 2004: 24)

Diese Deutungs- und Wirkungsmacht verbreitete und manifestierte sich insbesondere bei Akteuren staatlicher Organisationen, wobei die Intensitäten durchaus einem zeitlichen Wandel unterlagen und zudem unterschiedlich ausgeprägt sein konnten. Die Aneignungs- und Rezeptionsprozesse dieser propagandistischen Positionen können dabei keinesfalls eindimensional betrachtet werden, sondern müssen immer auch individuelle Reflexion und Ausdeutung der Akteure mitdenken (Satjukow/Gries 2004: 25f.). Mit diesem Denkschema lässt sich allerdings auch der Sprachduktus verstehen, der in der öffentlichen Kommunikation vorherrschte und oftmals formelhaft und befremdlich distanziert wirkte. In der Sprachgestaltung und -nutzung spiegelt sich letztlich der monolithische, in der marxistisch-leninistischen Philosophie verankerte Charakter der in das Freund-Feind-Schema eingebetteten Selbst- und Weltverhältnisse wider. Nach der Logik des kulturellen Kalten Krieges waren es zunächst nicht die eigenen Jugendlichen, die aktiv für die Verbreitung der westlichen, ›bourgeoisen‹ Ideologie innerhalb der DDR verantwortlich waren. Die Partei war sich vielmehr über die Manipulationsmöglichkeiten der eigenen Bevölkerung bewusst und ging grundsätzlich von einer »politisch-ideologischen Diversion« aus, eine »von der Linie der Partei abweichende Einflussnahme auf die Meinungsbilder der Bevölkerung der DDR« (Weißgerber 2010: 247-248). Man nahm an, dass die Feinde etwa aus der BRD die Zersetzung der sozialistischen Ordnung anstrebten, eine Einschätzung, die aus den frühen Konflikten – 1953, 1956, 1968 – und den Strategien des Kalten Krieges wie etwa der ›ContainmentLiberation‹-Politik der USA, die tatsächlich eine bewusste Beeinflussung der Bevölkerung hinter dem Eisernen Vorhang etwa über den Rundfunk zum Ziel hatte, hervorging (Bispinck/Danyel/Hertle/Wentker 2004; Stöver 2002). Die Debatte um einen westlichen Einfluss greift insbesondere auf den Topos der Amerikanisierung Europas zurück (Herrmann/Schmieding 2008). Sprach man von westlicher populärer Musik, war in der Regel Musik mit Ursprung im US-amerikanischen Raum gemeint: Populäre Musik hatte also Symbolcharakter für die Blockkonfrontation.

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Dies erkannten sowjetische Funktionäre bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. 1948 veröffentlichte Andrej Ždanov eine Resolution, die die populäre Musik, womit zu der Zeit insbesondere Jazz gemeint war, mit negativ konnotierten Begriffen wie Kapitalismus, Bourgeoisie und Amerikanismus auflud.11 1950 folgte dann die Veröffentlichung des sowjetischen Musikwissenschaftlers und -kritikers Viktor Gorodinskij, die mit musikwissenschaftlicher Expertise die populäre Musik zu diffamieren versuchte. Das Buch erschien 1950 in der Sowjetunion und 1953 als Geistige Armut in der Musik in der DDR. Für Gorodinksij war etwa Jazz »eines der Mittel der geistigen Versklavung« (Gorodinski 1953: 79). Dabei tritt ein Diskurselement des Kalten Krieges auf, dass dem Feind eine oberflächliche, inhaltsleere und somit nicht anstrebenswerte Kultur unterstellte. Bereits Maxim Gorkij argumentierte in seinem berühmten Artikel O muzyke tolstych [Die Musik der Dicken] von 1928 in dieser Art und Weise. Auch Gorkijs Pamphlet Das Königreich der Langeweile aus dem Jahre 1906, das durchaus als sozialkritische Schrift über das Vergnügungsviertel Coney Island in New York City verstanden werden kann, lieferte bereits entsprechend aufgeladene Metaphern. Seine Eindrücke des hell erleuchteten Vergnügungsviertels beschreibend empfand er »auf Schritt und Tritt die geistige Leere« der amerikanischen populären Kultur (Gorki 1950: 43). In einer DDR-Übersetzung eines sowjetischen Buches über das Verhältnis von Gorkij zur Musik von 1951 wurde exakt diese Stelle sodann als »tote Pracht der geistigen Armut« übersetzt (Piksanow 1951: 45). In ähnlicher Weise, dem sowjetischen Vorbild folgend, argumentierte der deutsche Musikwissenschaftler Ernst Hermann Meyer 1952 in Musik im Zeitgeschehen. Boogie-Woogie identifiziert er als »kulturlos«, als Propaganda einer »degenerierten Ideologie« und zieht darüber hinaus – nur sieben Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieg – Vergleiche zu Kriegshandlungen: »Der heutige ›Boogie Woogie‹ ist ein Kanal, durch den das barbarisierende Gift des Amerikanismus eindringt und die Gehirne der Werktätigen zu betäuben droht. Diese Bedrohung ist ebenso gefährlich wie ein militärischer Giftgasangriff – wer wollte sich nicht gegen eine Lewisattacke schützen?« (Meyer 1952: 162)

11 | Jacques Attali verweist darauf, dass Ždanovs Rhetorik strategisch und militärisch war, indem Musik als ein machtvolles und zu beschützendes Bollwerk gegen Differenz und Diversität definiert wurde (Attali 1985: 8). Jazz als eine moderne, zwar genuin in den USA gewachsene, aber in Europa und Russland bereits vor dem Zweiten Weltkrieg verbreitete Musikform wurde letztlich auf beiden Seiten instrumentalisiert und politisiert (Lücke 2004; Eschen 2004; Pickhan/Ritter 2010, 2016; Johnson 2017; Zaddach 2017a).

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Mit Amerikanismus war mit der Gründungsphase der DDR ein Schlagwort etabliert, das für die westliche Kultur schlechthin stand und sich in die Köpfe einbrannte. Tatsächlich aber entlarvte die politische Elite immer wieder ihre Unkenntnis über die USA und die Vielfalt der dortigen Kultur. Insbesondere für die nachwachsenden Generationen war gerade in der Unmittelbarkeit der Erfahrung von populärer Musik weitaus weniger Ideologie im Spiel (Satjukow/ Gries 2004: 63). Das Kampfwort des Amerikanismus verblasste zusehends und hatte in den 1980er Jahren sicher kaum noch Relevanz. Die Jahrzehnte zuvor prägten allerdings die Haltungen und Meinungen der politischen Elite der 1980er Jahre. Die Jugendlichen der DDR interessierten sich fortwährend für die verschiedensten zeitgenössischen populären Musiken aus dem Westen und deren Lebensweisen (Jansen 2010; Fenemore 2009; Ohse 2003; Poiger 2000). Die Zunahme von individualisierenden Tendenzen unter den Jugendlichen in der DDR seit den 1950er Jahren blieb nicht unbemerkt. In einer geheimen Parteimitteilung von 1961 wurde formuliert, wie dazu Stellung zu beziehen sei: »Wir grenzen uns entschieden von der sogenannten westlichen Lebensweise ab, die die Jugendlichen moralisch verseucht und das Ziel verfolgt, die menschlichen Gefühle in ihnen abzutöten und willfährige Werkzeuge der Kriegspolitik aus ihnen zu machen. […] Bei der Propagierung dieser […] Lebensweise spielt die Schlagermusik im Bonner Staat neben Schund- und Schmutzliteratur und entsprechenden Filmen eine wesentliche Rolle. […] Durch die Verfassung der DDR, die Chauvinismus und Kriegspropaganda untersagt, ist die Grundlage für das Verbot der Verbreitung revanchistischer und antihumanistischer Ideologie durch westliche Tanzmusik bereits gegeben.« (Zit.n. Rauhut 1993: 23)

Die so genannte Beatlemania erreichte 1964 die DDR, zahlreiche Bands wie The Butlers oder die Sputniks adaptierten den aktuellen Rock, der zu der Zeit als Beat bezeichnet wurde. Tatsächlich ergaben sich für kurze Zeit relative Freiheiten, wurde doch im Kommuniqué des Politbüros des ZK der SED vom 21.9.1963 eine Anerkennung jugendspezifischer Formen von Vergnügen und Geselligkeit verkündet (Rauhut 2002: 25). Bis 1965 sah es so aus, dass in der DDR aktuelle Beatmusik angekommen und akzeptiert war. Der Rundfunk sendete Beatmusik, insbesondere der anlässlich des 1964 durchgeführten Jugendtreffs Deutschlandtreff 64 in Berlin neu gegründete Jugendsender DT 64. Das Plattenlabel Amiga veröffentlichte im Februar 1965 die erste DDRBeat-LP. Konzerte wurden insbesondere von der FDJ veranstaltet, für die die Jugendlichen teilweise weite Anreisen in Kauf nahmen. Die FDJ ging in ihrer Positionierung in der Zentralratssitzung am 20.4.1965 sogar so weit zu postulieren, dass »der Gitarren-Sound eine progressive Erscheinung der Tanzmusikentwicklung« und die Beatmusik demnach »für die Tanzmusik in unserer

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Republik eine Bereicherung« sei (zit.n. Rauhut 2002: 28). Insbesondere die Protagonisten der SED wurden allerdings zusehends skeptischer. Kritik an der Jugendbewegung wuchs und wurde unter anderem von Erich Honecker vorangetrieben, der seit 1964 als Sekretär für Sicherheitsfragen Material sammelte und die Jugendbewegung als dekadent und ausschweifend kriminalisierte (Rauhut 2002: 29; Wurschi 2007: 117ff.). Als ein Rolling Stones-Konzert in der Westberliner Waldbühne am 15.9.1965 eskalierte, nahm dies die Partei zum Anlass, die Beatbewegung in der DDR einzudämmen, indem etwa Bands verboten wurden. Die Partei sah sich bestärkt, das Musikleben stärker zu kontrollieren. Mit der 11. Tagung des ZK der SED im Dezember 1965, dem so genannten Kahlschlag-Plenum, wurde diese Haltung u.a. mit Walter Ulbrichts berühmten Worten über die zu unterbindende »Monotonie des Yeah, Yeah, Yeah« zementiert: »Ist es denn wirklich so, daß wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nun kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt, sollte man doch Schluß machen.« (Zit.n. Rauhut 1993: 162)

Freiheit galt als Schlagwort des Kalten Krieges und war zugleich ein gesellschaftliches Grundthema, wie die Konflikte in den ostmitteleuropäischen Staatssozialismen seit 1953 zeigten. Dass jugendkulturelle Bewegungen nun mit diesem Schlagwort in Verbindung gebracht wurden, verdeutlicht einmal mehr das empfundene Bedrohungspotential, wie es Ulbricht in seinem Schlusswort formuliert: »Also worum geht es? Um die Gewährung der Freiheiten in der DDR, die in der bürgerlichen Gesellschaft des Westens üblich sind. Aber wir haben viel weitergehende Freiheiten; wir haben nur keine Freiheit für Verrückte, sonst haben wir absolute Freiheiten überall.« (Agde 2000: 272)

Durch die Bezeichnung der Jugendlichen als »Verrückte« legitimierte Ulbricht zugleich eine Ausgrenzung derer, die sich für westliche Jugendkulturen interessierten. Die Stimmung infolge dieser Entwicklung in der zweiten Hälfte des Jahres 1965 war jugendkritisch und stellte viele unter Generalverdacht (Kolitsch 2008). Die Demonstration der Kontrolle und Machtverhältnisse griff infolgedessen sogar bis in die körperliche Sphäre, wenn es etwa zu Zwangshaarschneide-Aktionen kam (Rauhut 2002: 37; Poiger 2000: 216) – als wollte man Macht und Ordnung in die Körper einschreiben und die feindliche Ideologie beinahe chirurgisch entfernen. Markant ist, dass die wesentlichen politischen Weichen sowie die Spannbreite der Umgangsweisen mit Jugendkulturen bereits in den 1960er Jahren ausgelotet wurden und als Richtschnur für die folgenden Jahrzehnte gelten sollten.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Mit Erich Honeckers Übernahme des Vorsitzes des ZK der SED 1971 setzte zunächst eine verhältnismäßig liberale, auf einen anwachsenden Lebensstandard der Bevölkerung ausgerichtete Phase der DDR ein. In der Kultur- und Jugendpolitik zeichneten sich ebenfalls Änderungen ab. In seinem Grundsatzreferat auf der 6. Tagung des ZK im Juli 1972 referierte Kurt Hager, Chefideologe der SED, über einen neuen, breiteren Kulturbegriff, der durchaus als »Eingeständnis schichtenspezifischer Unterschiede« und verschiedener kultureller Bedürfnisse verstanden werden konnte (Jungmann 2011: 154f.). Auf der Tanzmusikkonferenz in Berlin 1974 brach man dann mit Tabuthemen, thematisierte einen sich insbesondere an der Rockmusik abzeichnenden Generationenkonflikt und sprach sich für eine kontrollierte Aneignung westlicher Popmusik aus. Im Rahmen der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ost-Berlin 1973 setzte nach Jahren der Kriminalisierung und Verbannung, die keineswegs ein Verstummen der Szenen zur Folge hatte, ein regelrechter »Rockförderboom« ein (Rauhut 2002: 54). Unter diesem konnte sich die DDRRockmusik mit Bands wie Karat, City oder den Puhdys teilweise international profilieren, eine ›Art Rock‹-Szene um Bands wie Stern Combo Meißen etablieren sowie eine große Blues-Szene mit regen Live-Aktivitäten entwickeln. Für Rückbesinnungen auf die dogmatischen Positionen der 1960er Jahre sorgten allerdings immer wieder aufflackernde Konflikte wie die Zusammenstöße der Volkspolizei mit »Gammlern«, wie die Anhänger der Hippie- und Bluesbewegung genannt wurden, und anderen »dekadenten Jugendlichen« etwa auf der 1000-Jahrfeier der Stadt Altenburg im Juli 1976 oder dem Republikgeburtstag am Alexanderplatz in Berlin im Oktober 1977 (Rauhut 2002: 70-74).

1.3 Diskriminierung und Kriminalisierung der Jugend Eine durchaus schwerwiegende Folge der Freund-Feind-Konstruktionen waren die Auswirkungen auf Denken und Handeln bis in die alltägliche Interaktion hinein. Der »innere« Feind (Wierling 1994), als weitestgehend unbestimmte Chiffre für die Bedrohungen und Gefahren innerhalb der DDR, war im offiziellen politisch-polaren Denkschema stets präsent: »Jedermann konnte nach diesem Verständnis jederzeit zum Volksfeind avancieren.« (Gries/ Satjukow 2004: 59) Als Basis für diese Ausgrenzung und Diskriminierung, für die in der Regel Gesetze und Ordnungen ausschlaggebend waren, galt die wie auch immer im Detail auszusehende sozialistische Ordnung. Wer gegen Gesetze und Ordnungsvorstellungen verstieß, das lehrte auch die Geschichte der als Säuberungen bezeichneten Liquidierungen in der Sowjetunion seit den 1920er Jahren, war nach dieser Logik feindlich eingestellt. Dieses polare Denkschema wiederum ließ keinerlei »Schattierungen und Abstufungen zu« (Satjukow/Gries 2004: 22). Zu den Feinden sind nicht nur politisch Oppositionelle gezählt worden, sondern eben auch Teile der Jugend. Die oftmals reflexhafte

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Einbettung jugendlicher Ausdrucksformen in den Kontext des Kalten Krieges seitens staatlicher Akteure erzwang geradezu eine politische Relevanz, der in logischer Folge mit politischen Mitteln begegnet werden musste. Zu diesen Mitteln zählten zwar die rechtsstaatlichen Säulen der Legislative, Judikative und Exekutive. Allerdings wurde diese Gewaltenteilung der Machtsphäre der Partei untergeordnet, die dadurch ihre Interessen und Belange umzusetzen wusste. Neben der charakteristischen Überbetonung von Äußerlichkeiten war vor allem die Diskriminierung und Kriminalisierung durch die Sprache ein wirkmächtiges Mittel. Jugendliche wurden als »negativ« bezeichnet, wodurch eine grundlegende Diskrepanz zur Haltung und Erwartung der SED ausgedrückt werden sollte. Bereits den Beatmusik-Fans, Anhängern der Beatles- und Rockbewegung der 1960er Jahre, wurde eine »negative Erscheinung« bescheinigt (Wierling 1994: 411). Die Begriffe waren dabei eher unbestimmt bzw. undefiniert und dermaßen weit interpretierbar, »dass auch harmlose Handlungen in den Augen des Ministeriums zu einem Straftatbestand werden konnten, wenn es politisch erforderlich war« (Weißgerber 2010: 204f.). Die Erweiterung und Kopplung mit einem anderen Schlagwort zu »negativ-dekadent« wurde sodann insbesondere für die Jugendkulturen in den 1980er angewendet und spiegelt auch einen Wandel in der Anspruchshaltung des Staates von der sozialistischen Erziehung hin zur Bekämpfung und Verfolgung wider (Brauer 2011: 56). »Dekadent« etwa galt bereits seit den 1930er Jahren als Kampf- bzw. Schlagwort mit Wurzeln im 19. Jahrhundert und diente der Abgrenzung zur Kultur des Westens (Laß 2002: 21; Poiger 2000: 45).12 Letztlich diente der Begriff in der DDR als Charakterisierung »von kulturellem Verfall und Niedergang« (Weißgerber 2010: 88). Auch die Vergemeinschaftung von Jugendlichen in Gruppen war für den Staat problematisch. Die eigensinnige Aneignung westlicher Jugendkulturen wurde häufig als Bandenwesen und »Rowdytum« identifiziert und somit in die Nähe von Gruppierungen mit tatsächlich kriminellen Absichten gerückt (Lindenberger 2003: 368-382). Die Deutsche Volkspolizei und die Kriminalpolizei verfassten bereits 1957 interne Anweisungen für den Umgang mit als kriminell einzustufenden jugendlichen Gruppen. Insbesondere die Orientierung an westlichen Jugendkulturen, bereits hier als westlich-ideologische Infiltrierung der eigenen Jugend verstanden, rief auch eine Form von »Jugendschutz« hervor, der zudem Teil der utopischen Annahme war, dass in einer sozialistischen Gesellschaft Kriminalität abnehmen würde (Lindenberger 2001: 9). Mit entsprechender Härte musste man gegen diese Infiltrierung 12 | Zur direkten Übertragung des Begriffes auf populäre Musik nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. etwa das weit verbreitete und zahlreich aus dem Russischen übersetzte Pamphlet von Gorodinskij (1953).

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mit einer »Atmosphäre der Unduldsamkeit gegenüber Rowdytum« vorgehen, wobei diese Strategien auch auf ältere deutsche Tradition von Schund-undSchmutz-Kampagnen sowie Jugendschutz-Debatten verweisen (Maase 2012; Lindenberger 2001: 4). Der Begriff »Rowdy« wurde bereits 1937 in der Sowjetunion benutzt, um politische Feinde zu identifizieren und diffamieren, häufig mit der Folge politischer Verfolgung (Weißgerber 2010: 276-283). Zudem weist er Zusammenhänge mit dem in der Sowjetunion seit den 1920er Jahren verwendeten Begriff des Hooliganismus auf (Lindenberger 2001: 2). In der DDR galt Rowdytum seit der Einführung in das Strafgesetzbuch 1968 als Straftatbestand (§ 215 StGB). Als typische Delikte wurden »nächtliche Ruhestörung«, »Verstoß gegen die Veranstaltungsordnung« oder »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« aufgeführt. Insbesondere die offene Formulierung im Abs. 1, »aus Mißachtung der öffentlichen Ordnung oder der Regeln des sozialistischen Gemeinschaftslebens«, ermöglichte eine dehnbare Auslegung und somit gesetzlich sanktionierte Unterbindung von ungewollten Ereignissen. Obwohl die verschiedenen unter dem Begriff Rowdytum subsumierten Handlungen nicht zwangsläufig politische Äußerungen darstellten, rückten sie in dieser Perspektive in die Nähe des politischen Verbrechens (Lindenberger 2004b: 198). Die ungenaue Bestimmung des § 215 StGB wurde tatsächlich für politische Verurteilungen genutzt (Weißgerber 2010: 279). Die Drohkulisse einer Freiheitsstrafe von ein bis zu zwei Jahren, in schweren Fällen von bis zu acht Jahren (§ 215 Abs. 2, § 216 Abs. 1 StGB) ist in der Verbindung mit einer unvorhersehbaren Anwendung des Paragraphen in ihrer psychischen Wirkungsmacht nicht zu unterschätzen. Als weitere gesetzliche Mittel fungierten die § 220 und 249. Letzterer kriminalisierte »arbeitsscheue« Bürger und bezichtigte sie der Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Aus ihm ging die Pflicht zur Arbeit hervor, die Musiker und Bands etwa betraf, wenn sie lediglich mit Amateurstatus zugelassen wurden. Der Paragraph kriminalisierte auch das Beschaffen von Mitteln zum Unterhalt auf »unlautere Weise«. Schwarzmärkte, privater, teilweise grenzüberschreitender Tauschhandel, Bestechung und Korruption als typische Praktiken des alltäglichen Lebens in der DDR waren allerdings allgegenwärtig – eine Folge der Mangelwirtschaft bei zugleich wachsender Konsumorientierung und entsprechenden Bedürfnissen. Der § 220 wurde bei Staatsverleumdung, bei Verleumdung oder verächtlichen Äußerungen gegenüber Staatsorganen, angewendet. In einer Neufassung vom 28.6.1979 wurde u.a. der Absatz 3 eingefügt, der das Tragen von faschistischen, rassistischen, militaristischen oder revanchistischen Symbolen unter Strafe stellt. Ohne Frage konnten hierunter ebenso Formen der Kritik subsumiert und somit nach Ermessen kriminalisiert werden. Bei Metal-Fans wurde er insbesondere wegen vermeintlich faschistischer oder militaristischer Symbole oder Kleidungsstücke tatsächlich auch angewendet.

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Für die Jugendkulturen der 1980er war zudem die potentielle strafrechtliche Verfolgung aufgrund von Gruppenbildung allgegenwärtig. Ab Ende der 1970er Jahre konnte im Prinzip jederzeit eine Gruppe als »verfassungsfeindlicher Zusammenschluss« nach § 107 StGB (»Staatsfeindliche Gruppenbildung«) und § 218 (»Vereinsbildung zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele«) verfolgt werden (Kowalczuk 2013: 208). Etabliert war zudem die Praxis, potentielle Unruhestifter von Großveranstaltungen durch Auflagen oder Inhaftierungen fernzuhalten (Lindenberger 2001: 10). Es wird deutlich, dass eine klare Trennung zwischen deviantem, von der sozialistischen Norm abweichendem Verhalten und eindeutigen Verbrechen bzw. kriminellen Akten tendenziell eher vermieden und somit gewisse Freiräume für eine individuelle Auslegung nach persönlichem Ermessen geschaffen wurden (vgl. Brauer 2011). Die so strafrechtlich verfolgbaren und als negativ-dekadent, schwach, orientierungslos oder antisozial diskriminierten Jugendlichen stellten letztlich einen Gegenpol zum positiven sozialistischen Ideal dar (Brauer 2011: 59). Mit der vom Historiker William Reddy (2001) entworfenen Theorie, nach der die in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit vorherrschende und gemeinhin akzeptierte Weise des Emotionalen als »emotionales Regime« aufgefasst werden kann (Reddy 2001: 129), kann angenommen werden, dass das sozialistische emotionale Regime durch die extrovertierten und individualistisch orientieren Jugendkulturen hinterfragt und untergraben wurde. Deutlich wird dabei, dass es möglich war, abweichendes Verhalten und Aussehen als grundsätzlich unvereinbar mit den sozialistischen Werten und Normen zu empfinden und mit negativen Gefühlen zu verbinden. So lässt sich nachvollziehen, dass Formen der Diskriminierung auch in alltäglichen Situationen stattfanden, wie ein Heavy Metal-Fan aus Berlin festhält: »Wir wurden och kriminalisiert, ick wurde urst oft von de Polizei anjehalten oder, wenn wir ’ne Gruppen waren, wurden wir eben so oft mitgenommen zu Revieren, mußten da stundenlang dastehen, an de Wand stehen oder einfach nur im Raum stehen, wir wußten nicht warum.« (Stock/Mühlberg 1990: 144)

Letztlich unterstellte man den jugendlichen Heavy Metal-Fans unsoziales Verhalten, worunter man die Missachtung der legalen, moralischen und kulturellen Normen und Werte des Sozialismus verstand (BStU, MfS, ZA JHS, Nr. 20067; BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmalkalden, Nr. 60, Bl. 2), wobei diese Normen und Werte nur bedingt definiert waren. Durch konkrete Akte der Kriminalisierung entstanden letztlich gesetzlich sanktionierte Formen sozialer Ausgrenzung, die ihrerseits wiederum die Gruppen in ihrem Outsider-Status bestätigten und verstärkten. Dabei wurden »unter dem Vorwand ›Kampf gegen destruktive Gruppierungen‹ auch harmlose Jugendliche diskriminiert und sogar kriminalisiert« (Brück 1991: 196). Die jahrelange Ausgrenzung und Krimi-

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nalisierung der Metal-Fans zeigte noch lange Wirkung, obgleich sich ab spätestens 1987 die politische Einschätzung zu ihnen etwas relativierte. In einem Informationsschreiben Anfang 1988 machte das Ministerium des Innern darauf aufmerksam, dass die Metal-Fans ein äußerst differenziertes »ideologisches Spektrum« hätten: von anarchistischen Gedanken über »märchenhafte Mystik« bis hin zu »realistischen Sichtweisen auf den kapitalistischen Alltag« – gerade letzteres wirkt beinahe wie eine Anerkennung, als wären ja doch ganz passable sozialistische und kapitalismuskritische Sichtweisen zu konstatieren (BStU, MfS, HA XX, Nr. 6162, Bl. 10f.). Wie der Berliner Peter Habermann, Sänger von Disaster Area, rückblickend zusammenfasst, reagierte auch das private Umfeld durchaus mit Distanzierung oder zumindest Desinteresse: »Außenstehende nahmen vermutlich an, wir litten unter einer vorübergehenden Krankheit«, die hoffentlich überstanden sei, wenn man endlich erwachsen werden würde (Interview Peter Habermann). Das Außenseiterdasein, das in der Gemeinschaft der Gleichgesinnten aufgelöst bzw. positiv gewendet werden konnte, war keinesfalls auf die DDR beschränkt. Erfahrungen der Kriminalisierung und Diskriminierung wiederum nahmen in der DDR, insbesondere durch das MfS, Formen an, die das Dasein in der SED-Diktatur immer wieder spüren ließen.

2. R ockmusik und J ugendliche in den 1980 er J ahren Im Folgenden sollen drei weitere wesentliche Rahmenbedingungen für den Heavy Metal in der DDR diskutiert werden: Die institutionalisierte Politisierung der Rockmusik durch die Kontrolle der Konzertpraxis und Tonträgerindustrie, die diskursive Praxis im Umgang mit neuen Formen der Musik und schließlich Überlegungen zur alltäglichen Praxis des Hörens Jugendlicher in den 1980er Jahren.

2.1 Institutionalisierte Politisierung: Rockmusik in der DDR Um Heavy Metal in der DDR verstehen zu können, müssen die Rahmenbedingungen der Rockmusik betrachtet werden. Für staatliche Akteure galten sie als Orientierungs- und Handlungsrahmen, in dem Heavy Metal lange Zeit lediglich als Unterform des Rock aufgefasst wurde, wie an der Bezeichnung »Heavy Metal Rock« deutlich wird (Hofmann 1983: 105; Wicke 1987: 147). Zwei wesentliche Strukturen steuerten die Rahmenbedingungen des Rock und infolgedessen des Heavy Metal: das Konzertwesen und die Tonträgerindustrie.

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

2.1.1 Konzertwesen und Spielerlaubnis Das Konzertwesen wurde durch Konzert- und Gastspieldirektionen »als alleinig vermittlungsberechtigte Agenturen für künstlerische Veranstaltungen aller Art« bis ins Lokale hinein organisiert (Wicke 1998a). Die gesetzliche Grundlage bildete die 1953 erlassene »Anordnung über die Befugnis zur Ausübung von Unterhaltungs- und Tanzmusik«. Dieses Gesetz – mit einer Überarbeitung von 1957 und ergänzt durch die »Anordnung über die Programmgestaltung bei der Unterhaltungs- und Tanzmusik« von 1958 – regelte bis zum Ende der DDR den Zugang zum Konzertwesen. Die wichtigsten Bestandteile waren einerseits eine Quotenregelung des Repertoires, die so genannte 60-40-Regel. Hier wurde der Anteil von Werken aus dem nichtsozialistischen Ausland auf 40 Prozent beschränkt, eine Regelung, die etwa auch für Disc-Jockeys in Diskotheken galt. Die Zulassungspraxis für Konzerte durch eine offizielle Einstufung von Musikern und Bands war ein weiteres Mittel der Kontrolle des Musiklebens. Erst mit der von dem jeweiligen lokalen Kreis- und Bezirkskabinett für Kulturarbeit erteilten Spielerlaubnis, im Jargon auch Musikerpappe genannt, durfte man Konzerte spielen sowie Gagen und Reisekosten erhalten. Dafür waren Kommissionen für die Einstufungen in die Kategorie hauptberuflich oder aber nebenberuflich (Amateur) mit den Abstufungen in Grund-, Mittel-, Ober- und Sonderstufe zuständig. Diese Einstufungen regelten zugleich die tabellarisch festgelegten Verdienstmöglichkeiten, im Amateurstatus etwa von 4 Mark pro Stunde in der Grundstufe bis hin zu 8 Mark in der Oberstufe (Hintze 1999: 89f.; Ministerium für Kultur 1973). Um eine solche Einstufung zu erhalten, mussten die Musiker und Bands vor einer Kommission ein konzertantes Programm aufführen. Diese Kommissionen bestanden in der Regel aus einem Mitglied der Kulturabteilung des Rates des Kreises, aber auch aus »bekannten Persönlichkeiten des Musiklebens des Kreises, darunter erfahrene Tanzmusiker, Vertretern der Musikschulen u.a.« (§ 2, Anordnung Nr. 2 über die Ausübung von Tanz- und Unterhaltungsmusik vom 1.11.1965). Sie begutachteten die Texte, die musikalischen Fähigkeiten sowie das Auftreten auf der Bühne. Als Voraussetzung für die Einstufung als professionell bzw. hauptberuflich galt zudem lange die Voraussetzung eines Musikstudiums. Zugleich erodierten diese Regelungen zunehmend, so dass in den 1980er Jahren immer häufiger die höchste der Amateurstufen, die Sonderstufe, oder auch Berufsausweise ohne akademische Ausbildung bzw. unter Auflage vergeben wurden. Die Einstufungspraxis verdeutlicht zugleich, dass die in kapitalistischen Ländern zur gleichen Zeit verwendeten Kategorien ›Profi‹ und ›Amateur‹ unter völlig anderen Vorzeichen angewendet wurden. Selbst eine Heavy Metal-Amateurband in der DDR konnte pro Jahr an die 100 Konzerte spielen – eine beachtliche Zahl, nicht nur im Vergleich mit Amateurbands in der BRD, sondern auch angesichts der Doppelbelastung von Beruf und Musik.

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In der Praxis der Einstufungskommissionen entstanden durchaus sowohl Freiräume für politische Entscheidungen und Einflussnahmen als auch für individuelle Interessen, die unter dem Vorwand der ästhetisch-künstlerischen oder politischen Beurteilung verschleiert werden konnten. Es ging nicht ausschließlich, wie dieser Prozess zunächst zu vermitteln scheint, um eine ideologische und qualitative Absicherung des Musiklebens. Zudem nahmen diese Kommissionen nicht zuletzt aufgrund der situativen Freiräume eine klassische Gatekeeper-Funktion ein und steuerten damit den Zugang zum beschränkten und umkämpften Konzertwesen. Indem in einer solchen Kommission in der Regel ältere DDR-Bürger saßen, war zugleich der Offenheit gegenüber neuen Klängen gewisse Grenzen gesetzt. Zudem hatte eine solche ›Wächterinstanz‹ eine psychologische Wirkung auf heranwachsende Musiker: Zum einen wurde deutlich, dass eine gewisse Anpassung und ein Abgleich mit den Erwartungen der Kommissionsmitglieder zu geringeren Widerständen auf dem Weg zur Bühne führen konnten. Zum anderen provozierten genau diese Mechanismen eine völlige Ablehnung dieser Institutionen und des staatlich organisierten Konzertlebens. Darüber hinaus kam es bei konkreten Einstufungen regional zu beachtlichen individuellen Freiräumen. Die Musiker gingen eigensinnig mit diesen Umständen um: Das Einreichen von Schein-Repertoirelisten, das Verschleiern der Herkunft eines Stückes oder das Umbenennen der Band waren dabei gängige Praktiken. Wie Michael Rauhut feststellt, blieb diese gesetzliche Steuerung des Konzertwesens und hier insbesondere die Quotenregelung über die Herkunft der Musik der »folgenreichste, aber auch meistverletzte Erlass der ostdeutschen Popmusikgeschichte« (Rauhut 2002: 15). Obgleich der Staat das Monopol der Konzertorganisation für sich beanspruchte und dies mit den zahlreichen lokalen Strukturen durchzusetzen versuchte, waren genau diese Strukturen der Vielfalt des Musiklebens spätestens in den 1980er Jahren, vermutlich auch schon früher, nicht gewachsen. Zwar verdoppelten sich die von der KUG vermittelten Rockkonzerte im Laufe der 1980er Jahre von 5.690 im Jahr 1981 auf 10.690 im Jahr 1985 (vgl. profil. Blatt zur populären Musik 12/1989, S. 6). Allerdings entwickelten sich die verschiedenen Kommissionen und Arbeitsgruppen zu einer »ausufernden Genehmigungsbürokratie«, in der »erbitterte Grabenkriege« über Entscheidungen und Haltungen im Grunde Ausdruck einer »wachsenden Unbeherrschbarkeit des Ganzen« waren (Wicke 1998b: 275f.). Folgen waren enorme Wartezeiten und verzögerte Entscheidungen, die es Heavy Metal-Bands beispielsweise auch erschwerten, Konzerte im sozialistischen Ausland zu spielen, während die DDRRockbands etwa in der BRD auf Konzertreise gingen und Preise gewannen. Gerade im Rockbereich ging der Großteil der Veranstaltungen allerdings auf Initiativen der Bands und Musiker zurück, die dabei eigene Netzwerke aus Veranstaltern, Kneipenbesitzern und anderen Bands auf bauten und auch von besonderen Vorteilen wie etwa einem Zugang zum Telefon profitieren konn-

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ten. Die Erforschung der konkreten Einstufungspraxis in den 1980er Jahren ist ein in der Forschung bisher noch verhältnismäßig vernachlässigter Bereich. In seiner Arbeit über Punk und New Wave in der DDR geht Florian Lipp (Universität Hamburg) auf diese Leerstelle genauer ein (vgl. Lipp 2016), für Heavy Metal steht sie noch aus. Konzerte und das Musikerdasein in der Metal-Szene werden in den folgenden beiden Kapitel intensiver untersucht werden.

2.1.2 Tonträgerindustrie Die monopolisierte Tonträgerindustrie stellte eine weitere Säule der staatlichinstitutionellen Kontrolle des Musiklebens und zugleich eine weitere hochkomplexe bürokratische Struktur dar. Für den Bereich der populären Musik war das 1947 gegründete Label Amiga zuständig. Die Planwirtschaft schrieb eine jährliche Veröffentlichungsquote für die verschiedenen Genres vor (Rauhut/Rauhut 1999: 10), unabhängig von der jeweiligen Produktivität der Bands im Lande. In der Regel lag diese bei ca. 80 LPs und 25 Singles pro Jahr. Dabei wurden unter der Direktive einer »ausgewogenen Präsentation« die verschiedenen Genres nach einem Planschlüssel aufgeteilt (s. Tab. 1). Heavy Metal war Teil von »Rock und Pop«, und obgleich die stilistische Ausdifferenzierung des Rock bzw. Heavy Metal zunahm, wurde die Veröffentlichungsquote nicht angepasst. Genre

Prozentualer Anteil

Schlager

25

Rock und Pop

25

Blues und Jazz

15

Song, Chanson, Folk und Liedermacher

15

Stimmungs- und Kinderlieder

10

Musical und Operette

10

Tabelle 1: Veröffentlichungsschlüssel nach Genres und prozentualem Anteil pro Jahr (nach Rauhut 2002: 18) Die Festlegung einer Veröffentlichungsquote verursachte letztlich einen Veröffentlichungsstau, der dafür sorgte, dass sogar einige als professionell eingestufte Bands bis 1989 keine oder nur wenige offizielle Albumveröffentlichungen vorzuweisen hatten. Zahlreiche Bands konnten lediglich einzelne Stücke veröffentlichen, mit denen sie zumindest auf Sampler-Reihen platziert wurden oder als Einzelaufnahmen ohne Albumbezug im Rundfunk gespielt werden konnten. Diese beschränkte Verfügbarkeit von Tonträgern selbst der heimischen Bands hatte großen Einfluss auf die Wahrnehmung und letztlich auf die alltäglichen Praktiken: Gefühle der Rückständigkeit und des Mangels wurden bestärkt, informelle, letztlich illegale Praktiken des Schmuggelns, Kopierens

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und Tauschens, des Bestechens und der Vetternwirtschaft dadurch provoziert. Wie der langjährige ZIJ-Mitarbeiter Holm Felber bereits 1988 verhältnismäßig schonungslos feststellte: »Die Produktionskapazitäten werden dann von denen belegt, die über Jahre hinweg Beziehungen, Erfahrungen und Ausrüstungen akkumulieren konnten. […] Allzu häufig wird dabei lediglich ein seit Jahren vertretener Stil weiter kultiviert und in einer insgesamt überalterten Szene künstlich am Leben erhalten. […] Momente eines musikalischkünstlerischen Konservatismus.« (Felber 1988: 21)

Neben geringen Veröffentlichungskapazitäten waren selbst die Studiokapazitäten spärlich. Die Studios waren in den 1980er Jahren zudem mit veralteter Technik ausgestattet, »die hörbare Nachteile gegenüber den internationalen Angeboten beschert« (Felber 1988: 25). Grund hierfür sei vor allem die »nach wie vor unzureichende staatliche Investition in Musikproduktionseinrichtungen aller Art« gewesen (Felber 1988: 25). Daher wurden im Laufe der 1980er Jahre immer mehr private Tonstudios zugelassen und von staatlicher Seite mit Produktionen beauftragt. Insbesondere die privaten Studios hatten einen großen Anteil daran, dass der DDR-Heavy Metal überhaupt aufgenommen werden konnte, beeinflussten aber zugleich den Sound auf nicht immer zufriedenstellende Art und Weise, vor allem für die Musiker selbst.

2.1.3 Die Institutionalisierung und die Folgen Wie der Musikwissenschaftler Michael Rauhut feststellt, führten diese Bürokratisierungs- und Institutionalisierungsbemühungen des Musiklebens letztlich zu einem »schier unüberschaubare[m] Geflecht von Gremien und Zuständigkeiten« (Rauhut 2002: 9). Die Institutionalisierung einer Pop- und Rockmusikpolitik gestaltete sich als uneinheitliches, inhomogenes Geflecht von Verantwortlichkeiten, Befehlsstrukturen und Zuständigkeiten, einem »an unterschiedlichen, oft auch gegensätzlichen Prämissen ausgerichteten Geflecht von Verwaltungen, Leitungsinstanzen und Kommissionen, nicht selten in einen geradezu erbärmlichen Kleinkrieg gegeneinander verstrickt und allenfalls durch eine weit verbreitete Inkompetenz in der Sache geeinigt.« (Wicke 1998b: 269)

Der auf Popmusik spezialisierte Jugendsoziologe Holm Felber bewertet die Bürokratisierung und Institutionalisierung der Rockmusik zu Beginn der 1990er beinahe sarkastisch: »Die Domestizierung der DDR-Rockmusik als Voraussetzung ihrer materiellen Existenz gesetzt, bedeutete zugleich den Verlust ihrer Legitimation in der Bedürftigkeit ihres ursprünglichen Zielpublikums. Mit der aus Inkompetenz, Instinktlosigkeit und ideo-

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur logisch-instrumenteller Absicht resultierenden Zerstörung einheimischer Alternativen wurde der Boden für Ausbreitung und Adaption anderer Offerten bereitet. Mit dem für DDR-Jugendliche eigentlich erst jetzt in mehr als nur seinen glänzendsten Sternen sichtbar werdenden Universum weltweiter populärer Musikproduktion werden die im lichtarmen Glashaus aus nationaler Borniertheit gewachsenen Früchte nationaler Rock- und Popprovinienz schwerlich konkurrieren können. Von DDR-Rock und -Pop dürfte wohl kaum mehr als eine musikhistorische Marginalie bleiben.« (Felber 1991: 112)

Zwar galt für die DDR-Rockmusik »faktisch von der Wiege bis zur Bahre die Auflage staatserhaltender Wirksamkeit oder folgenlosen Amüsierbetriebs« (Felber 1991: 111), eine Kritik, die Felber bereits in der ZIJ-Studie Pop 87 formulierte (Felber/Stiehler 1987). Andererseits fungierte die DDR-Rockmusik zumindest im Konzertbetrieb als Ersatz für die westliche Rockmusik. In diesem Spannungsfeld avancierte die westliche Pop- und Rockmusik letztlich »für viele zu einem Symbol für ›Freiheit‹, ›Widerstand‹ und ›Anderssein‹« (Rauhut 2002: 18), als Gegenfolie zur domestizierten Musik aus der DDR. Insofern war die Wirkungsmacht dieser staatlichen Durchdringung und Politisierung nur bis zu einem gewissen Grad erfolgreich und scheiterte vielmehr notorisch an den alltäglichen, informellen Praktiken. Professionelle und Amateurmusiker sowie private Veranstalter flüchteten sich regelrecht in »kleinkapitalistische Schaffensenklaven und quasikriminelle Grauzonen« (Rauhut 2002: 11). Zu diesen Grauzonen gehörten private Tonstudios und illegale Veröffentlichungen ebenso wie in privaten oder geschützten Räumen – etwa die Kirche im Falle des Blues und des Punk – durchgeführte Konzerte. Ebenso dazu zählten der Handel auf dem Schwarzmarkt und Verstöße gegen die Devisen- und Zollgesetze. Insbesondere brauchbare Instrumente und Verstärkertechnik waren für Musiker Mangelware, so dass diese auf dem Schwarzmarkt oder im Ausland besorgt wurden. Der Chef der Zollverwaltung schätzte bereits in einem Brief vom 22. Februar 1973 an die ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen, »daß etwa 80 bis 90 Prozent aller durch Combos und Kapellen der DDR verwendeten elektronischen Musikinstrumente westlicher Herkunft, d.h. illegal eingeführt worden sind« (zit.n. Rauhut 2002: 11). Die in den 1960er Jahren gegründete Berliner Rockband Joco Dev, aus deren Mitgliedern später die erste offizielle Heavy Metal-Band der DDR, Formel 1, hervorgehen sollte, schmuggelte Mitte der 1970er Jahre ein Mischpult in die DDR und wurde dafür zur Verantwortung gezogen. Der Gitarrist Peter Nehls wurde mit drei Jahren Freiheitsentzug bestraft, Norbert Schmidt, späterer Sänger von Formel 1, musste 25.000 Mark Strafe zahlen (Schmidt 2012: 33). All diese aufgeführten politischen Implikationen und deren Folgen sorgten letztlich dafür, dass die offizielle Musikkultur der DDR in den 1980er Jahren nur noch wenig mit der Jugend verband. Der berechenbare »musikalisch-

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künstlerische Konservatismus« (Felber 1988: 21) hatte nur noch wenig mit den ästhetischen Bedürfnissen der jungen Menschen zu tun: »Die medienpräsente Rockmusik unseres Landes wird gegenwärtig ihrer Funktion als Sprachrohr junger Leute in der öffentlichen Kommunikation unserer Gesellschaft nur noch ganz gelegentlich gerecht. Zu oft sind gesellschaftlich organisierte Förderung und Domestizierung Hand in Hand gegangen. Wo Rockmusiker ohnehin meist schon stark ›verkrustete‹ Kritik an bestehenden Verhältnissen anmelden, werden sie noch immer entweder in Disziplinierungskontroversen verwickelt […], fallen in die Stille eines wohl kaum zufälligen Urteils-Vakuums […] oder bleiben – vorwandsweise ihrer schweren Konsumierbarkeit wegen – in Sachen Medien fast ausnahmslos permanent vor der Tür.« (Felber 1988: 18f.)

Für Felber bestand ein Zusammenhang zwischen den Ansprüchen einer Politisierung der Rockmusik und den daraus gewachsenen Praktiken einerseits und der Entfremdung zwischen den Bedürfnissen Jugendlicher andererseits. Der technische Rückstand kann symbolisch als Manifestation einer Ignoranz gegenüber der »Funktionalität der populären Produktion als authentischer Ausdruck des Lebensgefühls, der Sehnsüchte, Vorstellungen und der Problemartikulation Jugendlicher in unserem Lande« (Felber 1988: 26) verstanden werden. Die »schwere Konsumierbarkeit«, die Felber als einen typischen Vorwand zitiert, fußt etwa auf dem Lenin’schen Diktum, dass Kunst dem Volke gehöre und verstanden werden muss. Diese Maxime des Sozialistischen Realismus, Ausdruck progressiver gesellschaftlicher Tendenzen zu sein, widerlegte sich selbst mit der »Vernachlässigung neuer handwerklich-kompositorischer Standards« (Mehner 1998: 1623) und musikalischer Entwicklungen im Allgemeinen. Neue, insbesondere Massen faszinierende popmusikalische Entwicklungen hätten demzufolge begrüßt werden müssen, prallten jedoch auf die individuellen und im Sozialistischen Realismus verankerten Grenzen. Tatsächlich bot der Sozialistische Realismus eine Form von Komplexitätsreduktion und Kontingenzbewältigung an. Der »Bereich des Auch-anders-seinKönnens« (Makropoulos 1997: 29)13 war bereits in der kommunistischen Utopie stark begrenzt worden. Kontingenz, Differenz und Ambivalenz sollten vielmehr überwunden werden, die Moderne sollte eindimensional und kontrollierbar sein (Plaggenborg 2006: 330). Die Konflikte um eine entfremdete Jugend haben daher viel mit der entscheidungstragenden älteren Generation zu tun, deren Primärsozialisation insbesondere in einer solchen kontingenzreduzierten, vermeintlich ästhetisch-überschaubareren Welt stattfand. Heavy Metal forderte dann nicht nur den Staat heraus, weil er eine westliche Musik 13 | Zur Kontingenz und Kontingenzperspektive vgl. Daniel (2004: 419-429) und Reckwitz (2004).

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

war, sondern auch jeden Einzelnen in seiner von ebendiesen ästhetischen Präferenzen geprägten Weltsicht. 1988 noch focht Felber für eine Veränderung der Umstände und plädierte für einen offenen Umgang mit der Jugend, in der Hoffnung, einen Kompromiss zwischen Macht- und Kontrollanspruch des Staates und ästhetischen Bedürfnissen der Jugend auszuhandeln: »Eine im sozialistischen Alltag erzogene, den widersprüchlichen Erscheinungen und Entwicklungen im Sozialismus und weltpolitischen Prozessen gegenüber sensible und kritische, in der Tat auf mehreren Ebenen vielseitig gebildete und in vieler Hinsicht frühzeitig mündig gewordene Jugend, der die Aufgabe zufällt, das Subjekt politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Zukunft zu sein, muß unter diesen Umständen mit hohen Erwartungen und Möglichkeiten in Bezug auf Eigeninitiative und Selbständigkeit entgegengegangen werden. Das erfordert schonungslose Offenheit allen entstehenden Fragen gegenüber, ein umfassend praktiziertes Grundvertrauen und Sorgfalt in der Analyse widersprüchlicher Erscheinungen in der Jugend. Diese Notwendigkeiten aber sind noch nicht die alltägliche Erfahrung junger Leute unseres Landes auf allen Ebenen ihrer Erfahrung.« (Felber 1998: 8)

Die Hoffnung blieb mehr oder weniger unerfüllt, und mit der Wende und den Folgejahren zeichnete sich allmählich, wenn auch nicht ganz so drastisch, ab, was Felber bereits 1991 prophezeite: »Von DDR-Rock und -Pop dürfte wohl kaum mehr als eine musikhistorische Marginalie bleiben.« (Felber 1991: 112)

2.2 Die diskursive Praxis des Ignorierens, Ausgrenzens, Umdefinierens und Integrierens Für den Umgang des Staates mit der seit den 1950er Jahren in die DDR einströmenden westlichen Musik lassen sich unterschiedliche Strategien erkennen: »Waren anfangs einzelne Verfechter neuer Trends und Moden noch durch Schikanen einzuschüchtern, blieben der SED und FDJ und anderen Institutionen spätestens nach der massenhaften Einbeziehung dieser kulturellen Ausdrucksformen durch die Jugendlichen in ihren Alltag nichts weiter übrig, als diese dann doch zu akzeptieren. Häufig wurden westliche Kulturformen aber auch über einen ›Prozeß der produktiven Anverwandlung‹ integriert, der ihre Akzeptanz erleichterte. Bekanntestes Beispiel dafür ist wohl die Integration der Rockmusik in die Kultur und die Medien der DDR.« (Lindner 1991b: 100)

Das Dilemma der Kulturpolitik, die der Doktrin des Sozialistischen Realismus folgen musste, bestand darin, dass sie zwischen dem Hegemonieanspruch des Staates und den musikalischen Interessen der Bevölkerung, die sich nicht auf

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sozialistische Erzeugnisse beschränken ließen, vermitteln musste. Dies konnte letztlich dazu führen, dass Musikgenres, die einst vom offiziellen Diskurs ausgeschlossen wurden, nach einiger Zeit und anhaltender Beliebtheit in der Bevölkerung offiziell eingeführt und legalisiert wurden. Diese Widersprüche verweisen auf ein Problem, das im System des Staatssozialismus angelegt war: Während das Prinzip der Planwirtschaft auch die Planbarkeit kultureller Entwicklung suggerierte, war die Gefahr groß, dass man an der tatsächlichen Nachfrage vorbeiplante. Diese »konzeptionelle Schwachstelle« bedeutete eher ein Reagieren denn ein Gestalten, obgleich Letzteres der Allmachtsanspruch der Partei war (Larkey 2000: 43). Für Larkey liegt hierin einer der Gründe, dass die Musik ›made in the GDR‹ letztlich »derivative and qualitatively inferior« war, nachahmend und von eher rückständiger Qualität (Larkey 2000: 44). Larkey identifiziert drei grundlegende kulturpolitische Strategien im Umgang mit westlicher populärer Musik: a) Die politische und rechtliche Begrenzung dieser, b) die institutionalisierte Ästhetik, wie sie durch Rundfunk, Amiga und Lektorate durchgesetzt und konstituiert wurde sowie c) eine Strategie des Nachholens durch die Förderung DDR-eigener Produktionen populärer Musik (Larkey 2000: 45-50). Letzteres muss auch vor dem Hintergrund der finanziellen Aufwendungen für Lizenzen gesehen werden. Während insbesondere im Laufe der 1980er Jahre die Sendezeiten von populärer Musik im Rundfunk etwa durch den Ausbau des Jugendsenders DT 64 zunahmen, musste mit knappen Budgets für Lizenzen gehaushaltet sowie die 60-40-Regel, nach der die Mehrzahl der Titel aus sozialistischen Ländern stammen sollte, eingehalten werden (Kohlitsch 2008). Auch Peter Wicke identifiziert und beschreibt den Diskurs um die – in erster Linie westliche – Rockmusik als »symptomatisch gewordene Reaktionsstrategie«: »Ignorieren, Ausgrenzen, Umdefinieren, Integrieren beschreibt deren wesentliche Bestandteile, die sich in einer endlosen Schraube bis 1989 wiederholten und in immer neuer Form die genannte Spaltung der gesellschaftlichen Handlungszusammenhänge in eine ritualisiert-offizielle und eine praktisch-informelle Seite hervorbrachten.« (Wicke 1998a)

Diese »ritualisiert-offizielle« Praxis offenbarte sich insbesondere in einer »ideologisch-wertenden Natur« aller öffentlichen Texte, wodurch eine gewohnheitsmäßige »rituelle Wertbestätigung« erreicht wurde (Fix 2014: 25f.). Selbst Bemühungen der Integration oder Aufwertung führten nur über diesen Weg der ideologischen Begründung. So versuchte beispielsweise die FDJ 1971/72 den Diskurs um Rock- und Beatmusik durch die Wortneuschöpfung »Jugendtanzmusik« zu gestalten und »nun etwas genuin Sozialistisches« und somit »apparatekonformes« zu suggerieren (Wicke 1998a).

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Dem Bemühen um Integration gingen allerdings in der Regel Ignorieren und Ausgrenzen voraus. Erst die Beständigkeit und anhaltende Begeisterung unter DDR-Jugendlichen bewegte staatliche Akteure unterschiedlich schnell zum Umdenken. Dabei ist die Praxis des Ignorierens, Ausgrenzen, Umdefinierens und Integrierens allerdings nicht zwangsläufig als schematischer Ablauf zu verstehen, sondern vielmehr als ein Spannungsfeld, innerhalb dessen mit den ›richtigen‹ sozialistischen Argumenten durchaus subjektiv Position bezogen werden konnte. Die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Positionen auf verschiedenen Ebenen des Staates, etwa des ZK der SED und einer lokalen FDJ-Bezirksleitung, spiegelt zugleich einerseits die Vielfalt der im diskursiven Raum möglichen Positionen wider, verweist andererseits auf die Heterogenität und Kontingenz der sozialen Praxis, dem Handeln und Reagieren verschiedener Akteure in verschiedenen Kontexten. Mit dieser Perspektive wird verständlicher, warum etwa in FDJ-Jugendklubs Heavy Metal-Fans als Klubleiter agieren konnten und der ›Chef‹ des Ministeriums für Staatssicherheit, Erich Mielke, in einer Rede zu »Aktuellen Tendenzen der politisch-operative Lage unter jugendlichen Personenkreisen« 1988 noch Probleme hatte, die jugendkulturellen Bewegungen überhaupt richtig auszusprechen.14 Wie noch im Detail zu zeigen sein wird, kann auch der Heavy Metal in der DDR mit dieser von Wicke beschriebenen Umgangsweise betrachtet werden. Tatsächlich wurde Heavy Metal, so viel sei vorweggenommen, nach anfänglichem Ignorieren und Ausgrenzen zunehmend diskursiv integriert und letztlich als »Teil der sozialistischen Musikkultur« (Profil 1987) umdefiniert.

2.2.1 Die diskursive Praxis des Integrierens in den 1980er Jahren In den 1980er Jahren lässt sich eine zunehmende Bereitschaft für Themen der populären Musik erkennen, für die im Folgenden anhand von konkreten Artikeln insbesondere in der Zeitschrift Musik & Gesellschaft, der Zeitschrift des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler, genauer betrachtet werden sollen. Dass sich ein diskursiver Wandel anbahnte, wird spätestens 1986 deutlich, als sich das Komitee für Unterhaltungskunst beim Ministerrat der DDR, welches 1973 gegründet die Funktion des Verbandes der Unterhaltungskünstler der DDR übernahm, dem Thema der populären Kultur widmete. In der August-Ausgabe veröffentlichte das Komitee Beiträge von Günter Mayer (»Überlegungen zu einem Konzept sozialistischer Massenkultur«) sowie Hel14 | Mielke, der sich hier, das sei angemerkt, ebenfalls in den scholastisch-formalisierten Floskeln zum Sozialismus verhaspelte, deklarierte Skinheads zu »Ski-Heads« und Grufties zu einem schwer verständlichen »Grufizer«. Der entsprechende Ausschnitt der Rede kann auf YouTube angehört werden: https://www.youtube.com/watch?v=q_ kjwQbMgBs (Zugriff am 15.01.2016).

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mut Hanke (»Massenkultur – populäre Künste – Unterhaltung«) in den Informationen der Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst (4/1986). Wie Günter Mayer rückblickend festhält, versuchte er vor allem die »von Michail Gorbatschow ausgehenden Initiativen zu einer realen Demokratisierung der sozialen Beziehungen, für Offenheit (Glasnost), Kritik, solidarische Kollektivität, politisch bewusstes Verhalten in die Diskussion über sozialistische Musikkultur einzubringen.« (Mayer 2010: 56) Die Artikel erkennen die Bedeutung und Relevanz populärer Musik insbesondere für Jugendliche an. Dabei griffen sie auf eine Debatte zurück, die die Thesen bereits zuvor im Organ des Verbands der Komponisten und Musikwissenschaftler, Musik & Gesellschaft, erprobte. In der Januar-Ausgabe von 1984 wurde eine allgemein gehaltene Auseinandersetzung um das Thema »Musik und Politik« abgedruckt. Die Ausgabe präsentiert u.a. einen gemeinsamen Artikel des westdeutschen Musikwissenschaftlers Hans-Werner Heister und des DDR-Musikwissenschaftlers Günter Mayer mit dem Titel »Politische Musik – Musikpolitik«. Heister und Mayer betonen die ihrer Ansicht nach große Relevanz des Themas: »Uns interessiert daher vor allem für die Gegenwart und nächste Zukunft, wie diejenigen, die mit Musik organisierend, komponierend, interpretierend, hörend, lehrend umgehen, auf diese und in dieser Situation reagieren beziehungsweise dagegen reagieren und agieren können. Und zwar reflektierend, bewusst und eingreifend — kurz ›politisch‹.« (Heister/Mayer 1984: 2)

Dabei wird der »wirkliche Fortschritt«, hier mit der Utopie einer klassenlosen und auf Politik verzichtenden Gesellschaft verbunden, betont (Heister/Mayer 1984: 3f.). In diesem Kontext werfen die Autoren die Frage auf, wie weit der »musikalisch-technische Fortschritt gefaßt wird«, ob hierunter auch die »avancierte Rockmusik« als Vertreter der »plebejischen Erben« der Musikkultur dazugezählt werden könne, schließen zugleich aber eine Beantwortung dieser Frage aus (Heister/Mayer 1984: 6). Die Autoren schlagen eine Unterscheidung vor: zwischen einer »nicht- (un- oder apolitischen)« und einer politischen Musik. Relevant für diese Unterscheidung sei die soziale Komponente der Rezeption: »Ist die erstere [die nicht-politische Musik] im allgemeinen subjektiv kaum an bestimmte Adressaten gerichtet, in ihrem Bezug aufs objektive Ganze unbestimmt, in ihrer Wirkung diffus (was durchaus eine objektive politische Funktion haben kann), so scheint letztere gekennzeichnet durch einen mehr oder weniger deutlichen subjektiven und/ oder objektiven Bezug auf den sozialen Gesamtzusammenhang im angedeuteten Sinne.« (Heister/Mayer 1984: 5)

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Diese Unterscheidung solle funktional für das Problem westlicher Musik sein. Mit dem marxistisch-leninistischen Blick könnten die Verschleierungsstrategien des Westens identifiziert werden: »Viel geeigneter daher, im bürgerlichen Interesse an der Befestigung bestehender Herrschaftsverhältnisse, ist politische Musik im Gewand des ›Unpolitischen‹.« (Heister/Mayer 1984: 3) Die Argumentation bekräftigt den ohnehin schon im sozialistischen Denken verankerten Umkehrschluss, stets eine politische Dimension in Musik anzunehmen, wodurch im klassischen Freund-Feind-Schema des Kalten Krieges somit auch vermeintlich unpolitische westliche Musik eine politische Dimension erhält. Von Bedeutung ist der Grundgehalt der Diskussion: Die Autoren etablierten hier, ob gewollt oder nicht sei dahingestellt, die Idee und Denkbarkeit einer möglichen Existenz von Musik im Sozialismus, die nicht zwangsläufig dem Politischen als oberstes Gebot folgen müsse – denn die nicht-politische Musik könne aufgrund ihrer diffusen Wirkung »durchaus eine objektive politische Dimension haben«, was, wenn es die ›richtige‹ ist, akzeptabel sein könnte. Indem Rockmusik unter Berücksichtigung der Rezeption auch unter Jugendlichen thematisiert wurde, erlauben diese Überlegungen letztlich auch einen weniger stark politisierenden Umgang mit dieser Musik, als es bis dahin geschehen war. In den Folgejahren wurde populäre Musik immer häufiger in der Musik & Gesellschaft thematisiert. So erkennt Peter Warnecke in einem Artikel von 1986 an, dass populäre Musik insbesondere für Jugendliche eine entscheidende Rolle spiele: »Musik, insbesondere populäre Musik, dient der Befriedigung kommunikativer Bedürfnisse, indem sie immer wieder Gegenstand der Gespräche Jugendlicher ist, vor allem dann, wenn durch sie Fragen und Probleme öffentlich gemacht werden, die persönlich wie auch gesellschaftlich bedeutsam sind. Indem populäre Musik soziale Erfahrungen vermittelt, eigene Erfahrungen bestätigt oder modifiziert, stimuliert sie den Prozeß des Gewinnens von Wissen über sich selbst und von Erkenntnissen über die Gesellschaft.« (Warnecke 1986: 115)

Warnecke erkennt darüber hinaus an, dass Jugendliche durch populäre Musik nicht nur Bedürfnisse nach Unterhaltung, sondern auch nach Entspannung und Sozialität befriedigen würden. Indem populäre Musik »soziale Erfahrungen vermittelt, eigene Erfahrungen bestätigt oder modifiziert«, suggeriert er ein emphatisches Verständnis gegenüber der sinnstiftenden Dimension populärer Musik insbesondere für Jugendliche (Warneke 1986: 115f.) – vermeidet dabei allerdings zu erwähnen, dass in diesem Prozess auch insbesondere die vermittelten nichtsozialistischen Erfahrungen der westlichen populären Musik eine wesentliche Rolle spielen. Der Einfluss westlicher populärer Musik bleibt im politischen Spannungsfeld, die wachsende Anerkennung populärer

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Musik wiederum verdeutlicht die Umdefinierungs- und Integrationsversuche. So wird in der gleichen Ausgabe direkt im Anschluss an Warneckes Einleitungsartikel ein Gespräch zwischen den beiden Musikwissenschaftlern Frank Schneider und Peter Wicke, der seit Herbst 1983 Leiter des an die Berliner Humboldt-Universität angegliederten und zu dieser Zeit international wegweisenden Zentrums zur Erforschung populärer Musik war, abgedruckt. Das Gespräch wird mit der Überschrift »Popularität oder ästhetischer Anspruch? Zum Verhältnis von zeitgenössischer ›ernster‹ und ›populärer‹ Musik heute« angekündigt und verdeutlicht die Auseinandersetzung und Integrationsbemühungen populärer Musik. Das Gespräch spiegelt dabei durchaus die Präsenz eines in den ästhetischen Diskursen des 19. Jahrhunderts, die auch prägend für den Sozialistischen Realismus waren, verhafteten Denkens wider (Fuhr 2007; Sponheuer 1987).15 Die Auseinandersetzung verdeutlicht die unterschiedlichen Perspektiven auf Musik und demonstriert die Dehnbarkeit und Flexibilität des sozialistischen Diskurses. Insbesondere Peter Wicke weiß in höchst eloquenter Art und Weise die Bedeutung und Selbstverständlichkeit populärer Musik im Sozialismus auszuführen und entwirft dabei zugleich – nur scheinbar ganz nebenbei – eine Ästhetik populärer Musik, die zudem auf diskursiver Ebene mit dem Sozialismus kompatibel erscheint. Neben der in der Diskussion ausgetragenen Debatte über E- und U-Musik, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden soll, wird bereits zu Beginn deutlich gemacht, dass es keinen zwangsläufigen Gegensatz von Popularität und ästhetischem Anspruch gebe, sondern vielmehr in der sozialistischen Gesellschaft ein »breites Bedürfnisspektrum«, so Frank Schneider, angenommen werde (Schneider/ Wicke 1986: 119).16 Wicke nun weiß die ideologischen Pfeiler des Sozialismus 15 | Dies war keineswegs ein Phänomen ausschließlich des Sozialismus. Vielmehr könnte die These aufgestellt werden, dass etwa aufgrund der Anforderung, sich stets mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Entwicklungen im Sinne der sozialistischen Utopie auseinanderzusetzen, populäre Musik auf der Ebene des Staates früher als etwa in der BRD thematisiert wurde und dabei trotz der alles dominierenden ideologischen Dimension durchaus ambitionierte Ansätze entwickelt wurden, so Studien des ZIJ (Felber/Stiehler 1987, Felber 1988), die Arbeiten des Forschungszentrums Populäre Musik an der HU Berlin (Wicke 1987, 1989; Hoffman/Mischke 1987; Binas 1991) sowie weitere Forschungsprojekte u.a. der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (Stock 1989; Stock/Mühlberg 1990; Steiner/Wenzke/Mertens 1999). Insbesondere letztere thematisieren bereits in den 1980er Jahren dezidiert auch Heavy Metal als Jugendkultur und zählen somit zu den frühesten – und unvoreingenommensten – wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dieser Jugendkultur selbst im internationalen Kontext. 16 | Es ist aufschlussreich und mag die relativ marginalisierte Position Wickes und des Zentrums innerhalb der institutionalisierten Musikwissenschaft der DDR verdeutlichen, wenn Felber 1988 konstatiert: »Der Musikwissenschaft unseres Landes nämlich

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und die ästhetischen Prämissen unter Bezugnahme ausgewählter Argumente für eine zeitgenössische populäre Musik in der DDR zu verbinden: Mit der Auffassung, dass populäre Musik eine »kulturelle und ästhetische Erscheinungsform von sozialen Prozessen« sei, die vor allem eine durch die »Massenmedien« vermittelte »Musik in wesentlich kollektiv organisierten Zusammenhängen, die eine auf das individuelle Subjekt zentrierte Ästhetik fragwürdig machen«, darstelle, kann er sich von diffamierenden Argumenten absetzen und eine Brücke zu den Ideen des Volkes und der Massenkunst herstellen (Schneider/Wicke 1986: 121). Dass die dominante, gegen populäre Musik gerichtete Ästhetik, so Wicke weiter, auch als Erbe des Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts, welches durch eine elitäre Ästhetik quasi die konfliktbeladene Klassenstruktur der Gesellschaft zementiert hätte, angesehen werden müsse, sind geschickte Argumentationslinien, denen auch Frank Schneider als Experte der zeitgenössischen ›ernsten‹ Musik in der DDR nicht widersprechen kann. Wickes verhältnismäßig ›moderne‹ Perspektive auf populäre Musik erlaubt es ihm, die Verbindung zum eingangs festgestellten Konsens eines »breiten Bedürfnisspektrums« herzustellen. Er versucht auch auf den gegenwärtigen Diskurs einzuwirken, indem er diffamierten Genres, und er wählt sicher nicht ohne Grund das »provokante Beispiel Punk Rock« (Schneider/Wicke 1986: 122f.), eine Wertschätzung zugesteht. Er wolle keinesfalls als Fürsprecher des Punk Rock auftreten, so Wicke, sondern lediglich andeuten, »daß selbst extrem simple und banale musikalische Strukturen in diesen Zusammenhängen hochkomplexe Bedeutungen tragen können. Nur sind diese nicht in Klang, sondern in einem Netzwerk kulturellen Verhaltens materialisiert.« (Schneider/Wicke 1986: 123)

Dadurch schafft es Wicke, Grundzüge einer Ästhetik populärer Musik in einer dem Sozialismus adäquaten Form zu umreißen, die zum einen eine Differenzierung all der verschiedenen darunter subsumierten Genres etabliert und zum anderen die Wertschätzung dieser verschiedenen Genres aufgrund ihrer unterschiedlichen sozialen und kulturellen Zusammenhänge ermöglicht: Man solle diese »nicht beklagen, sondern auf ihre kulturellen Potenzen hin befragen« (Schneider/Wicke 1986: 121). Durch seine letztlich in einem staatlichen fällt es in ihren quantitativ entscheidenden Dimensionen nach wie vor schwer, sich mit populärer Musik zu befassen oder gar zu einer umfassenden Debatte ihrer musikästhetischen Kriterien zu gelangen. Damit sind Defizite in der Beurteilungskompetenz diesbezüglicher nationaler und internationaler Entwicklungen verbunden, die sich dann hin und wieder in Handlungsunsicherheiten oder verzögerter Akzeptanz auswirken.« (Felber 1988: 27) Zeitzeugen berichteten mir von ähnlichen, auf sie befremdlich wirkenden Erfahrungen in Rundfunk- oder Fernseh-Gesprächsrunden mit Musikwissenschaftlern.

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Organ abgedruckten Argumentationen wird er selbst zum Akteur der von ihm nach der Wende beschriebenen Integrationsbemühungen, da populäre Musik für ihn ohne Frage auch, wenn nicht gar vor allem, westliche populäre Musik bedeutete. 17 Wicke hatte dabei einen wesentlichen Vorteil: Er konnte sich auf die ›real existierende‹ Präsenz und Beliebtheit der Rockmusik in der DDR berufen. Wie er in seinem 1986/87 verfassten Buch Rockmusik. Zur Ästhetik und Soziologie eines Massenmediums feststellt, sei es ein Widerspruch, dass die »entwickeltste und fortgeschrittenste Form der Produktion von Massenkultur« nicht im offiziellen Staatssozialismus stattfinde, obgleich sie so stark rezipiert wird. Rockmusik sei unter der DDR-Bevölkerung letztlich so präsent, dass sie »zwar ignoriert oder zu bekämpfen versucht werden kann, mit Sicherheit aber nicht aufzuhalten sein wird« (Wicke 1989: 9f.), urteilt Wicke. Spätestens 1987 reagierte auch die Partei unter neuen Vorzeichen auf die präsenten westlichen Jugendkulturen. Als Reaktion auf das Open-Air-Konzert vor dem Reichstagsgebäude in Westberlin am Pfingstwochenende 1987 (6.8. Juni 1987), bei dem sich auch 6.000 Jugendliche auf der Ostberliner Seite der Mauer versammelten und Sprechchöre »Die Mauer muss weg« oder »Wir wollen Freiheit« riefen, forderte die FDJ ein attraktiveres Konzertangebot. Infolgedessen organisierte sie ein großes Rock-Open-Air in Ost-Berlin noch im September 1987 u.a. mit Bob Dylan. 1988 spielten u.a. Joe Cocker und Bruce Springsteen, besucht von 160.000 DDR-Jugendlichen. Die Bemühungen der FDJ, eine attraktive, den westlichen Vorbildern annähernd ebenbürtige Konzertlandschaft aufzubauen, gingen sogar soweit, dass für 1989 anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Woodstock Open Airs ein Festival in Ostberlin geplant wurde – u.a. mit den Rolling Stones, von einer amerikanischen Konzertagentur organisiert und gesponsert von Unternehmen wie Coca-Cola und Levi’s. Erich Honecker und das ZK der SED stimmten dem wohl auch zu (Rauhut 2002: 107). Ein weiteres Ereignis des Jahres 1987 sorgte für einen Wandel im Umgang mit den Jugendkulturen und -szenen in der DDR: der so genannte »Zionsschock«. Am 17.10.1987 fand ein Punk-Konzert in der Ostberliner Zionskirche statt, die zugleich redaktionelles Zentrum der für die Oppositionsbewegung bedeutenden Samisdat-Zeitschrift Umweltblätter war. Bei diesem Konzert traten u.a. die zu zwei Dritteln MfS-durchsetzte DDR-Band Die Firma und die West-Berliner Element of Crime auf, besucht wurde es von mehreren Hun-

17 | 1987 reiste Wicke dann im Auftrag der Humboldt-Universität für mehrere Monate in die USA, um neben Vorträgen auch die Musikwirtschaft und die Pop-/Rockszene zu untersuchen. Die dort gesammelten Quellen und Eindrücke flossen in das 1989 fertiggestellte, aufgrund des Wiedervereinigungsprozesses allerdings erst 1991 erschienene Buch Bigger Than LIfe. Rock & Pop in den USA ein (Wicke 1991).

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

dert Fans.18 Ca. 30 angetrunkene Skinheads stürmten faschistische Parolen rufend die Kirche und verletzten zahlreiche Besucher. Die Volkspolizei, in den Seitenstraßen stationiert, griff dabei nicht bzw. erst deutlich später ein (Rauhut 2002: 118). Dieses medial für Aufsehen sorgenden Ereignis setzte die SED unter Druck, da bisher immer behauptet wurde, es gäbe keinen Faschismus in der DDR. Antifaschismus und Faschismusbekämpfung waren wichtige Argumente nicht nur der DDR, sondern des Kommunismus im Allgemeinen bereits seit 1934 und wurden kontinuierlich als Mittel zur Stigmatisierung von Feinden oder Kritikern angewandt (Buton 2007: 166). Die Partei reagierte mit der ›kulturellen Umarmung‹ und versuchte durch öffentliche Integrationsbemühungen die Konflikte zu entschärfen, zugleich wurden allerdings die geheimdienstlichen Maßnahmen intensiviert. Infolgedessen nahm das ZK der SED im Februar 1988 per Beschluss erstmals offiziell u.a. die ›Heavies‹ wahr (Rauhut 2002: 119), nachdem die FDJ zuvor mit einer Vorlage »über Versuche des Klassenfeindes, verstärkte politisch-ideologischen Einfluß auf die Jugend zu nehmen« über die in der DDR präsenten westlichen Jugendkulturen berichtete (vgl. Mählert/Stephan 1996: 241f.). Für Wicke beinhalten retrospektiv diese Prozesse der Integration »Züge einer Groteske«, in der einer der letzten »ideologischen Feldzüge mit genau derjenigen Westmusik [geführt wurde], die aus den ›Herzen und Hirnen‹ der Jugend« einst verdrängt werden sollte (Wicke 1998b: 279). Dabei war diese Tendenz keinesfalls einzigartig hinter dem ›Eisernen Vorhang‹. In Moskau etwa äußerte sich der Erste Sekretär des sowjetischen Jugendverbandes Komsomol im selben Jahr mit ähnlicher Tendenz (Mettke 1987: 143). Die beschriebenen Entwicklungen spiegeln im Grunde eine »chaotische Kulturpolitik ohne strategisches Konzept« wider (Jäger 1995: 187). Letztendlich muss festgestellt werden, dass der ambivalente Umgang des Staates mit westlichen Musikkulturen zugleich eine Quelle für dessen Destabilisierung und fortwährende Delegitimierung darstellte (Larkey 2000: 43). Gerade die sich in und über Musik artikulierenden wandelnden Wertvorstellungen der Jugend können eine weitere Erklärung für den Untergang des SEDRegimes liefern (Skyba 2003: 285). Felber resümierte 1990 über die intensive Nutzung populärer Musik durch DDR-Jugendliche, dass diese letztlich »zum Zwecke individueller Rekreation […] zum weitaus überwiegenden Teil immer ein Ausstieg aus der DDR-Realität in Richtung Westen« gewesen sei (Felber 1990: 80). Diese Entwicklungen sind letztlich die Folgen eines zunehmenden Verblassens des Freund-Feind-Schemas und des Machtanspruchs der SED (Sabrow 1999b: 100).

18 | Punkkonzerte in der Kirche etablierten sich bereits zuvor als eine übliche Praxis für Undergroundmusiken, in der Tradition der Blueskonzerte und -messen der 1970er Jahre.

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2.3 Musik hören als Jugendlicher in der DDR Die Jugendforscher des ZIJ beobachteten, dass die intensivsten Freizeitaktivitäten das »Hören von Rockmusik und das Ansehen von Filmen im Kino« waren und diese sehr häufig in der Gruppe erlebt wurden (Lindner 1991b: 106). Das Hören von Musik war für Jugendliche aus unterschiedlichen Gründen so bedeutsam. Wie Peter Wicke in Bezug auf Rockmusik deutlich macht, »wirken die um die Rockmusik aufgebauten kulturellen Zusammenhänge nun als Bedingung für die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit, als Experimentierfeld für die Produktion von Wünschen und Bedürfnissen, für die Entwicklung von Motivationen und Phantasien, von Sinnlichkeit und Emotionalität.« (Wicke 1989: 249)

Die Aneignung von Musik wurde dabei von eigensinnigen, alternativen Formen der Vergemeinschaftung ermöglicht, die in enger Anlehnung an westliche Vorbilder und zugleich auf der Basis älterer verbreiteter alternativer Formen in der DDR entstanden sind. Jugendliche in den 1980er Jahren waren dabei »musikkulturell längst in die massenmedial zugänglichen Gefilde des westlichen Popmarktes emigriert« (Felber 1991: 108). Diese Tendenz ist sogar durch eine Längsschnittbefragung des ZIJ in den Jahren 1979, 1984 und 1987 nach Lieblingstiteln populärer Musik belegt. Während noch 1979 jeder Zweite zumindest einen Titel aus der DDR mochte, nahm das Interesse im Laufe der 1980er stark ab, so dass 1987 nur noch 11 Prozent einen Lieblingstitel aus dem eigenen Land hatten. Dagegen wuchs die Begeisterung für Titel aus dem westlichen Ausland beinahe indirekt proportional an, auf 89 Prozent im Jahr 1987 (s. Tab. 2). DDR-Produktion

Westliches Ausland

1979

49

51

1984

31

69

1987

11

89

Tabelle 2: Lieblingslieder DDR-Jugendlicher nach Herkunft der Produktion in Prozent, Erhebungen des ZIJ (nach Felber 1991: 108) Musik hören kann als eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung verstanden werden. Zu Beginn der 1980er Jahre hatten Jugendliche in der DDR zwischen 3040 Stunden frei verfügbare Zeit pro Woche (Stiehler 1991: 68; Lindner 1991b: 106). Musik hören war dabei in allen Altersgruppen vom Schüler der 7. Klasse bis zum jungen Angestellten mit Abstand die wichtigste Freizeitgestaltung (vgl. Tab. 3).

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur Schüler (7.-10. Klasse)

Lehrlinge

Facharbeiter

Studenten

Angestellte

87 %: Musik hören

89 %: Musik hören

86 %: Musik hören

71 %: Musik hören

79 %: Musik hören

51 %: Sport treiben

55 %: Tanzen

47 %: Lesen

45 %: Freunde

63 %: Tanzen

Tabelle 3: Freizeitinteressen Jugendlicher Ende der 1980er Jahre, die jeweils zwei häufigsten Nennungen, Erhebungen des ZIJ (nach: Lindner 1991b: 108)19 Die Nutzung von Medien wurde in der DDR der 1970er und 1980er Jahre zu einer »alltäglichen kulturellen Gewohnheit« (Warnecke 1986: 116). Jugendliche in den 1980ern entwickelten einen intensiven und flexiblen Umgang mit verschiedenen Medien. Sie kamen mit ihnen frühzeitig in Kontakt und entwickelten eigenständige Strategien des Mediengebrauchs, wie die ZIJ-Forscher beobachten konnten (Stiehler 1991: 69; Lindner 1991b: 105): »Im Mediengebrauch ist nicht nur eine ›Akzeleration‹ sichtbar, sondern auch eine ›Umwertung‹: Radio und Recorder (und nicht Konzert), Fernsehen (und nicht Kino oder Theater), das Programm (und nicht das ›Werk‹) sind die bestimmenden Modelle des rezeptiven Kulturgebrauchs, zentrale Bestandteile der Kultur im Alltag und des alltäglichen Kulturgebrauchs geworden.« (Stiehler 1991: 69)

Technische Ausstattung und Möglichkeiten der Musikrezeption Wesentliche Voraussetzungen für diese eigenständige Gebrauchsweisen waren einerseits eine gewisse technische Ausstattung und andererseits ein entsprechendes Angebot. Stiehler geht für die 1980er Jahre von einer täglichen Mediennutzung Jugendlicher von ca. 5 h aus. 60 Prozent entfielen dabei auf das Hören von Rundfunkprogrammen und Tonträgern, 25 Prozent auf Fernsehen und der Rest auf das Lesen von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern (Stiehler 1991: 71). Eine 1987 vom ZIJ durchgeführte Studie macht deutlich, dass beinahe jeder Jugendliche und Jungerwachsene täglich Rundfunk und Tonträger nutzte (Felber 1991: 106). Die beiläufige Rezeption war unter Arbeitern oder Angestellten häufiger verbreitet, dennoch ist der hohe Anteil in der Nutzung von Tonträgern, die eine bewusste Entscheidung der Musikauswahl voraussetzte, aufschlussreich. Dies steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Tonaufzeichnungs- und Wiedergabetechnik sowie der materiellen Ausstattung unter 19 | Als Vergleichsdaten zur BRD können hierfür die Erhebungen im Rahmen der ShellJugendstudie 1985, insbesondere Zinnecker (1985: 198ff.) herangezogen werden, bei denen deutlich wird, dass das Fernsehen im täglichen Medienkonsum dem Hören von Musik bereits den Rang abgelaufen hatte.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Jugendlichen. Bis zum Ende der 1980er Jahre nahmen sowohl die Quantität der Ausstattung als auch die qualitativen Standards der Technik zu. Die Ausstattung Jugendlicher in der DDR mit Audiotechnologien und -geräten mag angesichts des allgemeinen Mangels sogar überraschen: Stereoradio

Kofferradio

Kassettenrecorder

Plattenspieler

Walkman

N

B

N

B

N

B

N

B

N/B

Schüler

71

25

66

32

93

76

78

29

39

Lehrlinge

73

26

73

33

95

73

80

28

32

Studenten

72

30

69

32

88

65

93

42

32

Arbeiter

70

45

69

38

88

72

76

43

17

Angestellte

61

50

57

44

75

61

72

53

11

Tabelle 4: Verfügbarkeit von Audiotechnologien 1987, Erhebungen des ZIJ (N= Verfügbarkeit bei Familie bzw. Freunden; B= eigener Besitz) (Felber 1991: 107) Insbesondere Technologien der Tonaufnahme und Tonträgerwiedergabe waren in den 1980er Jahren stark verbreitet, wobei selbst der persönliche Besitz etwa von Kassettenrekordern 1987 bei durchschnittlich etwa 69 Prozent lag. Der allgemein hohe Ausstattungsgrad unter Schülern lag vermutlich an den wachsenden Ausstattungen in den Familien beispielsweise durch ältere Geschwister. Der Zugang zu Kassettenabspielgeräten und -recordern war für viele Jugendliche allerdings auch mit der Jugendweihe und den dabei erhaltenen finanziellen Mitteln ermöglicht worden, wie sich ein Heavy Metal-Fan erinnert: »Zur Jugendweihe hab’ ich mir dann meinen ersten Kassettenrecorder (›Minett‹) gekauft und es wurde fleißig aufgenommen, vor allem von DT 64« (Keim 2012: 24). Die hohe Verbreitung von Tonaufnahmetechnologien und die damit verbundene Kopierpraxis verweisen zugleich auf den hohen Stellenwert von persönlichen Musikarchiven und verdeutlichen einen »souveränen und selbstbewußten Umgang mit Musik« (Warnecke 107: 116). Die Privatarchive fungierten vor allem als Ersatz für die auf dem Markt kaum erhältlichen westlichen Tonträger. Die privat bespielbare und kopierbare Musikkassette entwickelte sich zum »entscheidenden Medium des gezielten Zugriffs DDR-Jugendlicher auf Musik« und zur individuellen inhaltlichen Gestaltung (Felber 1991: 107). Hierfür wurden in der Praxis beispielsweise offiziell erhältliche Kassetten mit uninteressanter Musik überspielt oder auf die im Handel erhältlichen Kassettenbausätze zurückgegriffen (Binas 1999). Der selbsterstelle Kassettenmix konnte dann vervielfältigt und geteilt werden. Der DDR-Rundfunk war dabei eine bedeutende Quelle von Musik, obgleich der Rundfunk aus der BRD allgemein weitaus stärker rezipiert wurde (s. Tab. 5). Der DDR-Rundfunk passte sich den Ansprüchen an, bot etwa Programm-

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

formate, in denen komplette LP-Seiten auch und gerade westlicher Platten ohne Unterbrechung abgespielt wurden. Mit Felber (1991: 107) lässt sich konstatieren, dass die DDR-Angebote vor allem an dieser Dienstleistungsfunktion bewertet wurden – die gewünschte Musik und deren Verfügbarkeit standen im Vordergrund. Tatsächlich halbierte sich unter den 16- bis 25-jährigen die Nutzung des DDR-Rundfunks zwischen 1983 und 1988/89 (s. Tab. 5). 1983

1985

1988

1988/89

1989*

DDRRundfunk

82/44,5

67/29

40,5/19

49,5/24

50/2

DDRFernsehen

88/41,5

81,5/40,5

72/40

70,5/38

73/27

BRDRundfunk

Nicht erhoben

81/47

88,5/52,5

86/64

86/64

BRDFernsehen

Nicht erhoben

72/40

75,5/39

78/56

93/65

Tabelle 5: Nutzung der 16-25-jährigen Lehrlinge und Arbeiter von Rundfunk und Fernsehen der DDR und BRD im Vergleich in Prozent, Erhebungen des ZIJ (mehrmals wöchentlich/täglich; * Angaben nur zu Lehrlinge im Alter von 16-19 Jahren) (nach Stiehler 1991: 72) Den Erhebungen des ZIJ zufolge wird deutlich, dass Jugendliche in der DDR intensiv deutschsprachige Medien diesseits und jenseits der Grenze nutzten. Durchforstet man Internet-Foren zu diesem Thema,20 betonen Zeitzeugen immer wieder, wie regelmäßig und selbstverständlich sie auf West-Sender wie etwa RIAS II, NDR II, AFN (American Forces Network) oder Radio Luxemburg zurückgriffen (vgl. Lindenberger 2004: 30, 36; Stöver 2002: 217-250; Schmitz 2005; Lersch 2005). Diese Entwicklung kann als Verfehlung des DDR-Mediensystems als »›Überzeugungs‹-Modell« (Stiehler 1991: 73) und einem wachsenden Desinteresse an DDR-Inhalten gedeutet werden. Im vorrangig privaten Raum der Medienrezeption wollte man schlichtweg nicht mehr mit ideologisch eingefärbten Tönen und systembedingten Restriktionen etwa in der Musikauswahl konfrontiert werden. Die Medien avancierten zu bedeutenden Bestandteilen eigensinniger, an individuellen Interessen- und Bedürfnislagen ausgerichteter Praktiken jenseits politischer Implikationen. Dieser Mangel kann auch für die offiziellen Printmedien wie das einzige DDR-Jugendmagazin neues leben sowie die einzigen Magazine zu populärer Musik, melodie und rhythmus und Profil. Methodik zur Tanzmusik, konstatiert werden (Lindner 1991: 101).

20 | Vgl. etwa www.forum-ddr-grenze.de/t9320f45-West-und-Ostradio-hoeren-in-derDDR.html (Zugriff am 10.02.2016).

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Für Stiehler übernahmen Medien verschiedene Funktionen im Alltag: Neben der vorübergehenden Entlastung von Alltagsproblemen und einer gewissen sozialen Dimension durch Gruppenzugehörigkeiten hätten die verschiedenen Medien insbesondere die Möglichkeit geboten, Verhaltensmodelle und -orientierungen zu transferieren und infolge auszuprobieren (Stiehler 1991: 70). Der von ihm beobachtete Rezeptionstyp einer »variierenden Mischform von Konzentration und Beiläufigkeit, Versenkung und Distanz, Anstrengungen und Nichtanstrengungen« lässt auf eine »Flexibilisierung und eigene Programmgestaltung« von und durch Mediengebrauch schließen, die als eine Art »Widerstand gegen ›vorbeirauschende‹ Angebote« interpretiert werden könne (Stiehler 1991: 70). Die Praktiken der »eigenen Programmgestaltung« setzten eine kritisch-reflexive Haltung der eigenen musikalischen Präferenzen gegenüber dem Angebotenen voraus. Der Gebrauch bestimmter ausgewählter Medien wie etwa eine Heavy Metal-LP wurde dadurch zu einem Mittel der Strukturierung von Lebenszeit und sozialer Beziehungsgestaltung (Stiehler 1991: 75). Die Praktiken des Aufnehmens, Kopierens und Tauschens von Tonaufnahmen beruhten dabei auf intergenerationell geteiltem Wissen – bereits die DDR-Beatles- und Rockfans der 1960er Jahre nutzten diese Praktiken (Kowalczuk 2009: 134-140; Wierling 1994: 411). Diese Medienkompetenz der dramaturgischen Gestaltung, gekoppelt an die technische Ausstattung und dem kulturellen Transfer, ermöglichte es den Jugendlichen in den 1980er Jahren, das Musikhören noch stärker als eine bewusst nach ihren Interessen und Vorlieben ausgerichtete Praxis zu gestalten. Auch die im Grunde damit verbundene Illegalität und potentielle Kriminalisierung schreckten offensichtlich nur bedingt ab. Zudem muss konstatiert werden, dass der Staat indirekt eine solche individualisierte Aneignung der Technologie ermöglichte, indem er die Kassettenproduktion, die Leerkassetten und Kassettenbausätze umfasste, billigte. Letztlich konnte der Tonträger dadurch gemeinsam mit den festgehaltenen Klängen zum Mediator und Symbol von Selbstbestimmung, identitärer Verortung sowie Erinnerung werden. Die private Rezeption von Musik war aufgrund der Vollbeschäftigung häufig der Kontrolle der Eltern entzogen, wodurch der Einfluss der Medien und der Peer-Groups auf die musikalische Sozialisation an Intensität gewann (Felber 1990: 79). Felber erkennt in der hohen Bedeutung dieser musikalischen Sozialisation und Verbreitung eine »kulturelle Akzeleration«, die sich in einer zunehmend früher vollziehenden Verbreitung und Nutzung von Musik unter Kindern und Jugendlichen zeigte (Felber 1990: 79). Für die älteren Generationen war diese Intensität und Bedeutung von zeitgenössischer und genregebundener Musik tendenziell eher befremdlich. Indem die Jugendlichen sich dermaßen intensiv mit Medien und den entsprechenden Technologien beschäftigten, entwickelten sie eine Kompetenz der aktiven Selbstgestaltung und Selbstentfaltung. Medientechnologie und -rezeption ermöglichte somit

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Freiräume der Selbstbestimmung, die als geschützte Räume sowohl für das Ausleben als Fan einer bestimmten Musikszene als auch zur Erprobung kritischer Haltungen genutzt werden konnten.

3. G ener ationenkonflik t und E igen -S inn in den 1980 er J ahren Die Diagnose der »kulturellen Akzeleration« (Felber 1990: 79) verweist auf unterschiedliche Ausprägungen, die nicht für die Jugend der 1980er Jahre verallgemeinert werden können, obgleich generationelle Unterschiede in der Musikrezeption ohne Frage bestanden. Vielmehr braucht es ein Verständnis von Generation und Generationalität, das nicht ausschließlich über Alterskohorten zuordnet, sondern über die jeweils »subjektive Selbstverortung in ihrer Zeit, d.h. ihre Selbstsicht beim Durchwandern der Lebensaltersphasen mit Blick auf die Gleichaltrigen und auf die anderen Altersgruppen ringsum.« (Reulecke 2016: 3)

Selbstverortung kann zu unterschiedlichen individuellen, historisch sowie geographisch eingebetteten Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigungen führen. So kann man verstehen, dass Jugendliche gleichen Alters sowohl glühende FDJ-Anhänger sein konnten als auch komplette FDJ-Verweigerer. Hinzu kommen die Selbstverortungen in intergenerationeller Hinsicht. Während etwa die zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges geborene Generation aufgrund der häufig traumatisierenden Kriegs- und Nachkriegserfahrungen durch völlig andere Erwartungshorizonte und tendenziell von einem Selbstverständnis des Funktionierens geprägt war, wuchsen die um 1970 Geborenen in völlig anderen Kontexten auf (Ahbe/Gries 2009; Reulecke 2016: 4; Garetti/Worley 2012: 7). Folgendes Beispiel verdeutlicht die in der späten DDR präsente Gleichzeitigkeit von ungleichzeitigen Selbstverortungen sowie die generationellen Gegensätze: Ein Brief von 1989 an die Fernseh- und Radioprogrammzeitschrift FF dabei, die an das DT 64 weitergeleitet und von diesem beantwortet wurde (DRA H006-01-06/0003, Bl. 136, 19.4.1989). Der Autor, der sein Alter nicht nennt, aus den Angaben über das Deutschlandtreffen schließend aber mindestens um die 40 Jahre alt gewesen sein musste, beklagt sich über zu viel westliche Pop- und Rockmusik im Jugendradio. Als »Klangrohr der Hottentotten« sieht er die »gesunde und ästhetische Erziehung der Jugend« gefährdet und fragt, ob es wirklich nötig sei, »unser Land mit für uns untypischen Klängen einer fremden Kultur überfluten zu lassen«. Rockmusik sei für ihn, als beziehe er sich direkt auf Walter Ulbrichts Kahlschlagplenum-Rede, eine »Perver-

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

sion eines ästhetischen Musik- und Kunstempfindens«. Im Antwortschreiben bekundet daraufhin der DT 64-Chefredakteur Walter Bartel offen, dass er vermute, der Autor vermische persönliche ästhetische Werturteile mit einer veralteten sozialistischen Einstellung zur Rockmusik (DRA H006-01-06/0003, Bl. 137). Zudem zeigt er sich schockiert, insbesondere über den Vergleich mit den »Hottentotten«, der ihn als »internationalistisch erzogenen Kommunist« tief verletze vor dem Hintergrund der »Hinmetzelung afrikanischer Stämme durch deutsche kaiserliche Kolonialtruppen«. Anhand dieses kurzen Briefwechsels wird auf anschauliche Weise deutlich, welche unterschiedlichen Auffassungen gleichzeitig präsent sein konnten – denn für die Jugendlichen war die viele westliche Popmusik alles andere als dramatisch. Die Jugendlichen der 1980er Jahre erfuhren eine andere Sozialisation und verfügten über »andere historische Erfahrungsmuster als ihre Eltern, haben die gleichen historischen Prozesse subjektiv unterschiedlich erlebt« (Lange 1991: 184). Als generationenübergreifende Erfahrungen in der DDR können allerdings Gefühle von Perspektivlosigkeit und alltäglicher Beschränkung, Erfahrungen von materiellem Mangel und politischer Willkür angesehen werden. Mit Günter Lange prägte sich hierdurch eine »widersprüchliche Negativ-Identität der DDR-Bürger: Einerseits ihre Heimat zu lieben, andererseits frustriert und ohnmächtig zugleich der selbstherrlichen SED-Politik gegenüberzustehen.« (Lange 1991: 188) In der Forschung der 1990er Jahre wurde versucht, die Entwicklungen als Mentalitätswandel zu beschreiben, der »ab 1988 geradezu in einen Verfall der Identifikation mit den ›sozialistischen Werten‹« mündete (Förster 1991: 137; Lange/Stiehler 1990: 61). Dieser Mentalitätswandel bedeutete eine politische Identifikations- und Orientierungskrise großer Teile der DDR-Jugend (Lange 1991: 188): »Degradiert und mißbraucht als Objekte pseudo-sozialistischer Politik, reagieren die Jugendlichen mit unterschiedlichen Formen des gesellschaftlichen ›Aussteigens‹: von politischer Apathie bis Rechtsextremismus, Alkoholismus, Null-Bock-Verhalten oder dann die Ausreise in die Bundesrepublik.« (Lange 1991: 189)

Neben dem Desinteresse an staatlichen Organisationen und sozialistischen Werten war vor allem ein Rückzug ins Private und in hedonistische Lebensstile auffallend. Ein kleiner Teil der Jugendlichen distanzierte sich für alle sichtbar und verlieh dem Distinktionsbestreben durch auffälliges und provozierendes Auftreten in der Öffentlichkeit Ausdruck. Letztlich war für die Jugendlichen der DDR die stetig vom Sozialismus behauptete »moralische, demokratische und (prinzipiell proklamierte) ökonomische Überlegenheit gegenüber der kapitalistischen Marktwirtschaft« im Grunde nicht erkennbar (Lange/Stiehler 1990: 56). Die alltäglichen Erfahrungen von Miss- und Mangelwirtschaft, Korruption und Schwarzmarkt sowie Doppelzüngigkeit öffentlicher und privater

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Meinungen führten letztlich zu einer Art Desillusionierung, auf die man häufig mit Abkehr oder Negierung reagierte. Eine andere, stärker auf den Kontext der SED-Diktatur abzielende Perspektive wäre die Deutung des jugendlichen Verhaltens als Widerständigkeit und Eigen-Sinn. Widerständigkeit kann als eine Art Strategie, »sich dem umfassenden Herrschaftsanspruch« zu entziehen, verstanden werden. Ziel widerständig Handelnder sei es dabei, »sich aktiv gegen Eingriffe des Machtapparats in ihre Lebenswelt zu wehren« (Stadelmann-Wenz 2009: 13f.). Widerständigkeit bezeichnet in diesem Sinne dann ein breites Verhaltensspektrum »nicht normgerechten, politisch abweichenden Handelns und Denkens« (Stadelmann-Wenz 2009, 16). Das Konzept des Eigen-Sinns verfolgt einen alltagsgeschichtlichen und praxeologischen Ansatz (Lindenberger 1999, 2007). Es wird von einer »wechselseitigen Abhängigkeit der Herrschenden und Beherrschenden« ausgegangen (Lindenberger 1999: 22). Der Eigen-Sinn ist dabei ein »deutender und sinnproduzierender Aspekt individuellen wie kollektiven Handelns in sozialen Beziehungen« (Lindenberger 1999: 23). Der Vorteil des praxeologisch ausgerichteten Konzepts liegt in der Möglichkeit, unterschiedliche Formen von Sinngebung zu identifizieren und im Kontext der Diktatur zu verorten. Jene Sinngebungen müssen dabei nicht zwangsläufig mit Formen von Widerstand oder Widerständigkeit im Sinne von aktiver Negierung bzw. Ablehnung der Herrschaftsverhältnisse übereinstimmen. Lindenberger plädiert daher dafür, im Plural von »Eigen-Sinnen« zu sprechen (Lindenberger 1999: 23; Lindenberger 2007: 34). Die musikzentrierten Jugendkulturen der 1980er Jahre können demnach als eigen-sinnig verstanden werden, wie bereits Manfred Stock in seiner 1989 in der DDR verfassten Dissertation mit dem Begriff der »Eigen-Welten« implizierte (Stock 1989: 6). Sie schienen eine attraktive Alternative zum sozialistischen Bekenntnis zu sein, ohne zwangsläufig oppositionell auftreten zu müssen. Neben einem Streben hin zu einer stärker materiellen Orientierung nahm insbesondere der Aspekt der Selbstverwirklichung einen großen Stellenwert ein. Dabei wandelten sich die Vorstellungen »in Richtung einer Ich-Verwirklichung, Selbstbestätigung, Betonung der eigenen Individualität sowie einer außergewöhnlich starken lustbetonten und materiell orientierten individuellen Lebensführung« (Müller 1991: 126ff.). Rockmusik und in dessen Folge Heavy Metal spielten dabei für Jugendliche in der DDR eine wesentliche Rolle. Rockmusik und deren Texte von »Resignation, stiller Wut, Lethargie« (Leitner 1983: 389) konnten durchaus der Frustration über die bestehenden Lebensverhältnisse Ausdruck verleihen und »Fluchtlinien als symbolische Bewältigungsstrategien« anbieten (Kühnel 1990: 112). Zugleich soll diese These nicht überstrapaziert werden. Einerseits konnte dies ebenso gut etwa für die Bluesoder die Hip Hop-Szene gelten (Rauhut/Kochan 2004; Schmieding 2014). Andererseits läuft diese Perspektive Gefahr, andere Aspekte der Rezeption – etwa

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

ein ästhetisches Vergnügen – aus den Augen zu verlieren. Im Kapitel zu den Praktiken des Hörens in der Metal-Szene wird dieses Problem noch einmal aufgegriffen und unter rezeptionsästhetischen Aspekten diskutiert werden. Individualität und Selbstverwirklichung bedeuteten in der DDR allerdings ein Aushandeln alternativer Lebensstile unter völlig anderen Vorzeichen als etwa in der BRD. Die beschriebene Tendenz der Kriminalisierung war stets präsent. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die so genannte ›Stasi‹, stand wie keine andere Institution in der DDR für Gewalterfahrungen der SED-Diktatur, weshalb sie im Folgenden detaillierter betrachtet werden soll.

4. S child und S chwert der Partei im K ampf gegen die J ugend : D as M inisterium für S ta atssicherheit (M f S) Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte als Ministerium und Geheimdienst die Aufgabe, die SED-Herrschaft mit geheimpolizeilichen Mitteln zu sichern und zu stabilisieren. Seit der Gründung im Februar 1950 wandelte sich die Praxis des MfS von einem offen repressiven Vorgehen in den 1950er und 1960er Jahren hin zu psychologisch geschulten und auf empirischen Analysen beruhende Einflussnahmen und Aktionen. Dennoch: Die Geschichte des MfS stellt sich in hohem Maße als »eine Geschichte von Verfolgung, Unterdrückung, Zersetzung politischer Gegner« dar (Kowalczuk 2013: 282). Die Kernstrategien aus den 1960ern – Kontrolle, Überwachung und Zersetzung – blieben beständig, waren aber spätestens in den 1980er Jahre eher reflexhaft und insbesondere im Kontext der neuartigen Jugendkulturen wie Hip-Hop oder Heavy Metal eher unzeitgemäß (Schmieding 2014: 107). In wissenschaftlichen Untersuchungen zum MfS seit den 1990er Jahren wurden zahlreiche Belege und Nachweise für das Agieren »jenseits rechtsstaatlicher Legitimation und unter eklatanter Mißachtung der Menschen- und Bürgerrechte« erbracht und zugleich die Bedeutung »als zentrale Säule der Herrschaftsstruktur« herausgearbeitet (Gieseke 2011: 19). Wie der Historiker Jens Gieseke festhält, prägte das repressive Moment »stark die sozialen Beziehungen in der staatssozialistischen Gesellschaft« (Gieseke 2011: 20). Die gefühlte Allgegenwart des Geheimdienstes führte zu einer regelrechten »Mythisierung der Staatssicherheit« (Kowalczuk 2013: 278). Der Historiker IlkoSascha Kowalczuk betont die von Angst und Misstrauen, zugleich aber auch von Resignation geprägte Hinnahme einer vermeintlichen Allgegenwart der ›Stasi‹, wie sie umgangssprachlich u.a. genannt wurde: »Die meisten Menschen in der DDR haben Einschüchterungs-, Indoktrinations- oder Drohversuche verschiedenster Art erlebt, die wenigsten haben dies damals (oder tun es heute) mit dem MfS direkt in Verbindung gebracht, entweder, weil es auch keinen Anteil

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur daran hatte, oder, weil die Stasi von den meisten nicht als etwas ganz Außergewöhnliches angesehen wurde: Sie gehörte einfach dazu […].« (Kowalczuk 2013: 227)

Als Jugendlicher rechnete man tatsächlich oft mit der Gegenwart mindestens eines Spitzels bei öffentlichen Treffen oder Zusammenkünften (Kowalczuk 2013: 278; Interview Habermann), was, zumindest für Jugendkulturen, mitunter auch als eine Bestärkung der eigenen Outsider-Rolle aufgefasst werden konnte. Die hier angesprochenen, nicht unmittelbar als solche identifizierbaren Spitzel des MfS sind die als zentraler Topos in die Erzählungen über die DDR eingegangenen so genannten ›IM‹ (Inoffizielle Mitarbeiter), die nunmehr »zu einer fast einzigartigen und monströsen historischen Figur geworden« sind (Kowalczuk 2013: 213, 246). Auf diese geheimen Informationsträger und Akteure des MfS wird im Kapitel zum DDR-Metal genauer eingegangen werden, da das MfS auch in der Metal-Szene versuchte, inoffizielle Mitarbeiter zu gewinnen und zu verankern. Die Methoden und Strategien des MfS reichten von Überwachung, Verhaftungen und Verhören bis hin zu Einflussnahmen auf Einzelne und Gruppen (Gieseke 2011: 200). Im Wortlaut des MfS hieß dies »zerschlagen«, »liquidieren«, »verhindern«. Hinter dem Begriff der Zersetzung steckte ein Bündel an Maßnahmen, dass durch psychologische Manipulation Einfluss auf die Aktivitäten, Einstellungen und Denkweisen nehmen sollte. In der Richtlinie 1/76 wurden 12 Methoden einer solchen Einflussnahme zusammengefasst: »Die Diskreditierung des öffentlichen Rufs, die Organisierung von Mißerfolgen in Beruf und sozialen Kontakten, das Untergraben von Überzeugungen und Erzeugen von Zweifeln in der persönlichen Perspektive, das Schüren von persönlichen Rivalitäten und gegenseitigen Verdächtigungen in den Gruppen, die Zuweisung eines fern liegenden Arbeitsplatzes, das Verbreiten von kompromittierenden Fotos, Briefen, Telegrammen und ähnlichen Materials, das Verbreiten von Gerüchten und fingierten Indiskretionen über MfS-Aktivitäten, zum Beispiel IM-Treffs mit Gruppenmitgliedern, scheinbar unmotivierte Vorladungen bei staatlichen Stellen, die den Eindruck einer IM-Tätigkeit der Zielperson erwecken sollen.« (Gieseke 2011: 200)

Das umfangreiche, nichtöffentliche Berichtwesen des MfS entwickelte sich zu einer geheimen sozialen Praxis geprägt von einer »Kunstprosa mit eigener Logik, Metaphorik und stilvoller Ornamentik« (Wolle 1999: 165f.).21 Vorausset21 | Diese Abschottung gegenüber der Öffentlichkeit spiegelte sich etwa auch in den Lebensumständen der zahlreichen hauptamtlichen Mitarbeiter wider, die in einem inoffiziellen Netz von Krankenhäusern, Ferienobjekten, MfS-eigenen Sparkassen und eigenen Busshuttles nicht nur die Mitarbeiter selbst, sondern auch deren Familien betrafen, vgl. Kowalczuk (2013: 205).

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

zung des Berichtwesens war die penible Dokumentation und Personenerfassung, die bereits in der »Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen« vom 20. September 1950 festgelegt wurde. Vorgeschrieben war, in operativen Vorgängen eine umfangreiche Kartei über verdächtige Personen mit Informationen auch zu den nächststehenden Angehörigen anzulegen (Kowalczuk 2013: 172). Jugendliche und Kinder waren hiervon nicht ausgenommen.22 Mit den oben beschriebenen Entwicklungen in den 1960er Jahren, insbesondere im Kontext des Kahlschlag-Plenums, ergingen ebenso Befehle und Aufträge an das MfS. Die Beobachtung und Analyse der Jugendszenen waren fortan einer der Schwerpunkte. In der Abteilung XX wurden sie zusammen mit den Bereichen Kultur, Kirche und politischer Untergrund ›bearbeitet‹. Die Hauptabteilung HA XX in Berlin beschäftigte noch 1989 ca. 460 Mitarbeiter, in den Abteilungen XX der 15 Bezirksverwaltungen der DDR waren rund 1.000 Mitarbeiter beschäftigt (Auerbach 2008: 10). Es dominierte – dem Aufgabengebiet entsprechend – eine konflikthafte Perspektive auf die Jugendkulturen. Als Ausgangspunkt für eine intensivierte Konzentration muss der »Befehl 11/66 zur politisch-operativen Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und Untergrundtätigkeit unter jugendlichen Personenkreisen der DDR« vom 15. Mai 1966 angesehen werden. In diesem Befehl verdeutlicht der von 1957 bis 1989 amtierende Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, dass »die Sicherung und der Schutz der Jugend in der DDR vor feindlichen Einflüssen von entscheidender Bedeutung in der politisch-operativen Arbeit der Organe des Ministeriums für Staatssicherheit ist und von allen Mitarbeitern unseres Organs mit großem Verantwortungsbewusstsein und in umsichtiger Weise zu lösen ist.« (MfS 1966a)

Aus dieser Diagnose wurde als Aufgabe »eine allseitige Verbesserung der politisch-operativen Arbeit zur Entlarvung und Bekämpfung der Feindtätigkeit unter der Jugend durch die Organe des MfS« abgeleitet (MFS 1966a). Populäre Musik war als Produkt des feindlichen, kapitalistischen Auslandes ›entlarvt‹ worden. In der im gleichen Zuge verfassten Dienstanweisung 4/66 (MfS 1966b) wurde die zeitgenössische Beatmusik ebenso als »Ausdruck der politisch-ideologischen Diversion des Gegners« bezeichnet – u.a. festgemacht an den während der Konzerte auftretenden »Ausschreitungen und Krawalle negativer jugendlicher Personengruppen« (MfS 1966b: 166). Diese konflikthafte Beurteilung westlicher populärer Musik und ihrer Beliebtheit unter Jugendlichen sollte letztlich zu einem Generalverdacht seitens des MfS führen – die 22 | Vgl. Behnke und Wolf (2012), Mothes (2007) und Hoffmann (2014), daneben die eindrucksvollen Schilderungen von Betroffenen, etwa Marquardt (2015).

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

»Feindaktivitäten« waren im kulturellen Kalten Krieg durch populäre Musik aus Sicht des MfS mehr als präsent. Die zahlreichen Tabellen über so genannte »jugendliche Extremgruppen«, die auf Basis von regelmäßigen Berichten der Kreisdirektionen eine nahezu buchhalterische Auflistung registrierter Jugendlicher demonstrieren, verdeutlichen die Intensität der Überwachung und des angenommenen staatsgefährdenden Potentials. Deutlich wird dabei auch, obwohl diese Tabellen keineswegs eine vollständige quantitative Analyse der Szenen darstellen, dass Heavy Metal eine der größten, unter Jugendlichen verbreitetsten Jugendkulturen in der DDR war (s. Tab. 6). Dabei ist davon auszugehen, dass die vom MfS registrierten jugendlichen Metal-Fans vor allem optisch als solche erkennbar waren. Die Musik allerdings konnte auch Jugendliche faszinieren, die nicht zwangsläufig optisch als Fans identifiziert werden konnten, was natürlich auch für andere Jugendkulturen galt. Heavy Metal-Fans

Skinheads und Sympathisanten

Punks

Grufties/gothics

1151

1001

599

435

Tabelle 6: Jugendliche »Extremgruppen« und ihr quantitatives Auftreten nach Erhebungen des MfS, 1989 (Wurschi 2007: 235) Die vom MfS betriebenen Szenen-Analysen beruhten auf systematisch weiterentwickelten Instrumenten. In so genannten »Erkennungsschlüsseln für den Dienstgebrauch« wurden – neben »scholastisch-hilflosen Übersetzungen« (Rauhut 2002: 120) – für jede jugendliche Extremgruppe die äußeren Erkennungsmerkmale (Bekleidung, Haarschnitt, Verhaltensweisen), soziodemographische Angaben (Bildung, soziale Herkunft) und politische Einstellungen zusammengetragen. Die Angaben beruhten auf stetiger empirischer Erhebung und erreichten in den Diensteinheiten zugleich eine relativ hohe Verbreitung – wie verlässlich diese waren, ist eine andere Frage. Die Einschätzungen können jedoch teilweise aufgrund ihres analytischen Blicks verblüffen und lassen die Verarbeitung von wissenschaftlicher Expertise etwa aus den Studien des ZIJ sowie der so genannten Operativen Psychologie, die an der MfS-Hochschule gelehrt und weiterentwickelt wurde, erkennen. Nachdem in den 1970er Jahren insbesondere die Rock-, Tramper- und Blues-Szenen im Fokus standen, waren in den 1980er Jahren rasch die neuen Jugendkulturen als Problem identifiziert worden. Die DDR-Jugendlichen, die sich der »feindlich-ideologischen Diversion« zuwandten, wurden von der Staatssicherheit mit stark abwertenden Begriffen versehen: »Dekadent«, »feindlich-negativ«, und schließlich »negativ-dekadent« waren dabei gängige Klassifizierungsbegriffe des MfS, um »gesellschaftswidriges Verhalten« zu markieren – obschon die Begriffe selbst für hauptamtliche Mitarbeiter unge-

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nau und teils undefiniert blieben (Wurschi 2007: 62ff.).23 Heavy Metal wurde ebenso wie die anderen Jugendkulturen spätestens 1985 als »Waffe der politisch-ideologische Diversion« (PID), sprich der ideologischen Einflussnahme des kapitalistischen Westens, aufgefasst. Die Heavy Metal-Fans in der DDR wurden als »echtes Produkt der PID« eingestuft (BStU, MfS, HA XX, Nr. 6015, Bl. 157). Sobald DDR-Bürger sich für diese »politisch-ideologischen Diversion« (PID) interessierten und diese etwa selbst verbreiteten, konnten sie zudem der politischen Untergrundtätigkeit (PUT) beschuldigt werden, die wiederum strafrechtlich relevant war. Der Schritt von der Rezeption zur Verbreitung und Demonstration, also von der PID zur PUT, war nur klein. Bereits das öffentliche Tragen entsprechender Kleidung konnte demnach als eine solche Verbreitung aufgefasst werden. Zudem sah das MfS in diesen jugendlichen Extremgruppen ein Potential der Vermischung untereinander. Heavy Metal-Fans wurden auch als potentielle zukünftige Punks oder Skinheads bezeichnet (BStU, MfS, BV Dresden, Abt. VII, Nr. 7484, Bl. 176-77). Hinzu kam, dass die Behörde, ähnlich wie die SED, in den 1980er Jahren zumindest in den Führungspositionen von einer gewissen Überalterung gezeichnet war. Laut Gieseke (2011: 276) waren 1989 zwar ca. 90 Prozent der 91.000 hauptamtlichen Mitarbeiter unter 50 Jahre, rund 46 Prozent unter 30 Jahre. Die Überalterung der Leitungsebenen führte aber zu einer »spezifischen ›Leistungsminderung‹ […], was die Jüngeren unter den Stasisten gewiss frustrierte« (Kowalczuk 2013: 191). Damit einher ging, dass trotz der intensiven Bespitzelung ein grundlegendes Wissensgefälle sowie Verständnis der insbesondere in den 1980er Jahren sich verbreitenden Jugendkulturen vorherrschte. Während die jungen Offiziere, die z.B. als Verbindungsoffiziere direkt mit IM aus den Jugendkulturen zu tun hatten, einen zum Teil sehr detaillierten Einblick in diese erkennen lassen, finden sich ebenso unfreiwillig komische Zeugnisse etwa in handschriftlichen Protokollen mit Bezeichnungen wie »Happy Maddel-Fans« (BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. XIV, Nr 00598/11, Bl. 21) – gemeint sind hier die Heavy Metal-Fans. Dies verdeutlicht letztlich das unterschiedliche und teilweise äußerst konträre Wissensniveau der Mitarbeiter des MfS, das sowohl im Kontext einer generationellen Dimension als auch entlang der Achse von informierter Basis-Arbeit und durch ›Papierwissen‹ geschulter Leitungsebene gesehen werden muss, die zudem regional unterschiedlich ausfallen konnten. Die unterschiedlichen, sich im MfS abbildenden Dimensionen

23 | Unter »gesellschaftswidrigem Verhalten« verstand das MfS jenes Verhalten, »welches vor allem solchen rechtlichen, moralischen und kulturellen Normen des sozialistischen Zusammenlebens widerspricht […].« (BStU, MfS, ZA JHS, Nr. 20067) Welche konkreten moralischen und kulturellen Normen das in den 1980er Jahren waren, wird nicht geklärt.

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

des Wissens um die Jugendkultur Heavy Metal verdeutlichen letztlich die stets implizite Kontingenz in der Arbeit des Ministeriums. Der ›Mythos der Stasi‹ als »unangreif bare Übermacht« (Maaz 1990: 23) konnte zu Gefühlen von Angst, Ohnmacht, Resignation, aber auch Haltungen von offener oder verdeckter Widerständigkeit führen. Und doch wäre es zu einseitig betrachtet, wenn man ausschließlich von einer stetigen emotionalen Belastung ausgehen würde, die sich dann beispielsweise beinahe zwangsläufig in transgressive Praktiken wie Alkoholmissbrauch oder den alternativen Jugendkulturen der 1980er Jahre entladen musste.24 Wie Kowalczuk festhält, entwickelten die Menschen ebenfalls Routinen im Umgang mit der Überwachung. Gewöhnungseffekte, Unwissenheit und sicher auch Verdrängung waren ebenso Teil des Alltages, wie Kowalczuk im Eingangszitat formuliert. Diese Einschätzung sollte jedoch nicht zu einer Relativierung der Lebensumstände im totalitären Staatssozialismus führen. Denn die Staatssicherheit entwickelte, insbesondere in den durch offene Gewalt und Repression geprägten 1950er und 1960er Jahren, eine tiefgreifende gesellschaftliche Wirkmacht. Die angenommene Omnipräsenz der Staatssicherheit vermittelte womöglich das Gefühl, dass keine gesellschaftlichen Nischen zugelassen werden würden. Wie Kowalczuk zusammenfasst, wissen wir heute zwar, »dass die Alltagsannahmen trotz der Ausbreitung der Staatssicherheit erheblich übertrieben waren.« Dennoch verdeutlichen sie die Bedeutung und Wirkmacht des MfS auf den Alltag in der DDR und versinnbildlichen, »wie stark die Geheimpolizei nicht nur als integraler Bestandteil des Herrschaftsapparates, sondern auch sämtlicher gesellschaftlicher und oft genug individueller Entwicklungen angesehen wurde.« (Kowalczuk 2013: 280) Die Aktivitäten des MfS stellten eine intensivierte Politisierung und Kriminalisierung in Form des ihr eigenen »geheimen Diskurses« (Fix 2014: 22) dar. Der Umgang des MfS mit den Jugendkulturen ließe sich mit den zahlreichen Befehlen, Arbeitshinweisen, Dienstanweisungen, Durchführungsbestimmungen, Durchführungsbestimmungen zu Dienstanweisungen, Durchführungsbestimmungen zu Befehlen etc. sowohl auf der Ebene der Zentrale als auch auf der Ebene der einzelnen Bezirke nachzeichnen – ein nicht zu unterschätzendes Forschungsfeld. Dennoch würde solch ein Vorgehen an dieser Stelle womöglich Gefahr laufen, wesentliche Aspekte angesichts der Menge dieser Quellen aus den Augen zu verlieren. Abgesehen von der Ausgangslage und Grundaufgabe des MfS – Sicherung und Stabilisierung der SED-Herrschaft mit geheimpolizeilichen Mitteln, was durchaus auch Redundanz und Selbstbeschaffung von Themen bedeuten konnte – erscheint gerade in Hinblick auf Konflikte mit neuartigen Jugendkulturen eine Frage wesentlich: Welches 24 | Zum nicht unerheblichen Alkoholkonsum in der DDR vgl. Kochan (2011) und Schmied-Knittel (2016).

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Gesellschafts- und Menschenbild manifestiert sich in der Arbeit des MfS mit welchen konkreten Auswirkungen auf das alltägliche Zusammenleben? Das totalitäre, homogenisierende Gesellschaftsbild erscheint in den geheimen Dokumenten des MfS nahezu kristallisiert, in seiner ideologisch-reinsten Form sozusagen. Diese Praxis prägte und perpetuierte Denkweisen, Selbst- und Weltverhältnisse, die aufschlussreich für das Bild des Anderen, Fremden sind. Insofern erfährt man am Beispiel der Jugendkultur Heavy Metal, die gewissermaßen eine Minderheit und fremd war, wie die SED-Diktatur im Umgang mit dieser und mithilfe des MfS funktionierte.

4.1 Heav y Metal im Fadenkreuz des MfS Im ersten Kapitel wurde bereits die Arbeit der Staatssicherheit thematisiert und die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen erläutert. Deutlich wurde dabei, dass die Metal-Szene durchaus im Fadenkreuz des MfS stand. Daher verspricht eine Analyse der Akten aufschlussreiche Erkenntnisse über den Umgang der SED-Diktatur mit der Minderheit der Metal-Fans. In der DDR-Forschung wird die Position vertreten, dass sich nirgends »zahlreichere und umfassendere Berichte über alle Facetten des täglichen Lebens in einer Diktatur als in den Archiven des Bundesbeauftragen der Stasiunterlagen« (Weber/Auerbach 2014: 7) finden ließen. Der gegenüberstehenden Auffassung, dass man in den Akten vorranging etwas über das MfS und deren Mitarbeiter erfährt, könnte entgegengesetzt werden, dass die Akribie im Aufzeichnen und Dokumentieren bereits eine Detailfülle anbietet, die etwa Zeitzeugen in der Form nur bedingt erinnern können. Ohne Ambivalenzen bleiben die Akten zweifelsohne nicht. Das nichtöffentliche Berichtwesen des MfS stellte letztlich eine geheime soziale Praxis dar, die sich zu einer teilweise schwer verständlichen »Kunstprosa mit eigener Logik, Metaphorik und stilvoller Ornamentik« entwickelte (Wolle 1999: 165f.). Im Grunde geben die Akten »Zeugnis von tausendfachem Verrat, von Unterdrückung, Ausbeutung und Betrug, von der ganzen Palette menschlicher Unzulänglichkeit, Bosheit, Tücke und Herzlosigkeit«, aber auch vom Widerstehen und sich Widersetzen (Weber/Auerbach 2014: 7). All dies gilt es zu berücksichtigen, will man die Akten über die Metal-Szene angemessen kontextualisieren. Fest steht, dass das MfS ausgefeilte Praktiken und Strategien entwickelt hatte und bereits seit Ende der 1970er Jahre anhand der Punkszene verfeinern konnte (Brauer 2011: 57; Hayton 2013b: 525f.), bevor sie auf die Metal-Szene angewandt wurden. Die während der Recherchen für dieses Buch eingesehenen rund 23.000 Blatt Aktenmaterial des MfS stellten – anders als etwa zum Thema Punk – die erste Recherche zu Heavy Metal in diesem Umfang dar (BStU 2015: 52). Eine erschöpfende Auseinandersetzung mit dem Quellenmaterial kann im Rahmen dieses Buches daher nicht geleistet werden. Vielmehr soll im Folgenden anhand von konkreten Beispielen die

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

Beschäftigung des MfS mit der Metal-Szene sowie deren Erfahrungen auf wesentliche Kernpunkte zusammengefasst werden.

Identifizieren und Informieren Der Großteil der eingesehenen Akten ist zu dieser Kategorie zu zählen. Neben den im ersten Kapitel thematisierten Erkennungsschlüsseln, die innerhalb der Abteilungen und Kreisdienststellen zahlreich zu zirkulieren schienen, zählen hierunter vor allem die quantitativen Erhebungen in den jeweiligen Bezirken. Die Masse der die Heavy Metal-Szene betreffenden Akten ist vor allem darauf zurückzuführen, dass diese Jugendlichen frühzeitig als eine der Extremgruppen eingestuft wurden, so etwa in Magdeburg seit dem Herbst 1983 (BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Magdeburg, Nr. 41220, Bl. 3). Diese Einstufung wurde bis zum Ende der DDR nicht zurückgenommen und erforderte letztlich ein fortwährendes Informiertsein. In regelmäßigen Meldungen der lokalen Kreisdienststellen wurden die Zahlen der Anhänger von Extremgruppen an die Zentrale durchgegeben. Diese Erhebungen basierten zunächst auf der Einordnung Jugendlicher nach den optischen Erkennungsmerkmalen durch hauptamtliche Mitarbeiter und die Volkspolizei. Wie noch zu zeigen sein wird, konnte das MfS allerdings auch zahlreiche Informationen durch Denunziationen von Mitbürgern und den Einsatz Informeller Mitarbeiter unter Jugendlichen sammeln. In regelmäßigen »Informationsschreiben« wurde über die lokalen Situationen und Veränderungen berichtet und Definitionen abgegeben. In einem solcher Schreiben »zur politisch-operativen Situation in den Berufs- und Amateurrockgruppen der DDR« des Leiters der MfS-Bezirksverwaltung Gera vom 11.5.1987 etwa verweist der Autor auf Versuche, eine »alternative Kunst- und Kulturszene« mit »politisch-negativen« Tendenzen zu etablieren (BStU, MfS, BV Gera, KD Zeiss, Nr. 1, Bl. 245f.; vgl. Herz 2015: 67): »Vereinzelt treten Berufs- und Amateurrockgruppen mit Versuchen in Erscheinung, sozialismusfremde Auffassungen in ihren Darbietungen zu popularisieren« (ebd.). Neben etablierten Punkbands wie etwa Juckreiz oder Feeling B listet der Generalmajor die Metal-Bands Plattform, Argus und Nobody auf. Aufgrund der »Verwendung von Reiz- und Schimpfworten«, ferner »durch betonte Primitivität, durch Brutalität und Ablehnung jeder Form des sich Unterordnens und Anpassens« seien diese Bands abzulehnen (ebd.). Die musikalische Sprache und klangliche Ästhetik spielten offenbar keine Rolle und finden keinerlei Erwähnung. Die beobachtbare »Aushöhlung der politisch-ideologischen, technischorganisatorischen und rechtlichen Grundlagen« der sozialistischen Kultur sei letztlich unhaltbar: »negativ-feindliche, hetzerische und verleumderische Aussagen gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung der DDR« sowie das propagieren »alternativer Lebensformen« passten ganz offensichtlich nicht in das Gesellschaftsbild eines pflichtbewussten MfS-Offiziers (ebd.). Als Maß-

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nahmen schlug er etwa den Entzug der Auftrittserlaubnis vor. Für den Autor wurden ganz klar auch »einzelne staatliche Organe und gesellschaftliche Einrichtungen nicht mehr ihrer Verantwortung gerecht« (ebd.). Dieses deutlich im Freund-Feind-Schema verhaftete Denken gibt zugleich einen Einblick in das Selbstverständnis der Staatssicherheit als letzte Instanz der Wahrung der ideologischen Ideale. Wie einflussreich die Erkennungsschlüssel und Definitionen für die Beurteilung der Jugendlichen sein konnten, lässt sich anhand der in manchen Regionen bis 1989 aufrechterhaltenen Implikationen von Verbindungen zur faschistischen Ideologie erkennen. Ursächlich hierfür waren die optischen Erkennungsmerkmale wie Lederjacken und Mützen, die auf das MfS »militaristisch« wirkten25 oder die typischen Symbole wie Totenköpfe und Bandlogos etwa von Kiss oder Slayer, die durch die typographische Gestaltung des ›S‹ in Anlehnung an die SS-Runen als faschistisch aufgefasst wurden (BStU, MfS, BV Halle, KD Querfurt, Nr. 53, Bl. 4). Durchaus gab es auch regional beobachtbare, allerdings nicht generalisierbaren Verbindungen zwischen der Heavyund der neofaschistischen Skinheadszene, obgleich die letztere eher nicht Slayer hörten. Die Jugendkulturen waren nicht immer eindeutig voneinander zu trennen, vorübergehende und regional unterschiedlich intensive Vermischung der jugendkulturellen Bewegungen waren durchaus beobachtbar.26 Auch traten Metal-Fans mit rassistischen Äußerungen und rassistisch motivierten Körperverletzungen in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Zugleich müssen diese Handlungen immer auch im Spannungsfeld von tatsächlich neofaschistisch inspiriertem und einem in der Gesellschaft verbreiteten Alltagsrassismus gesehen werden. Dabei kam es zu durchaus erschreckenden Szenen, folgt man den Erinnerungen eines Zeitzeugen: »Es ist aber ein Ereignis hängen geblieben, für welches ich mich als Metaller heute noch schäme: Bei der Rückfahrt von einem Metal-Konzert wurden zwei Mosambikaner, die zufällig mit uns in einem Waggon saßen, grundlos von den Metallern vollgepöbelt, symbolisch als Sklaven versteigert, dann vom Platz gezerrt, um Arbeiten zu verrichten und schließlich bespuckt. Als diese an einem Bahnhof ausstiegen, wurde mit einem kräftigen Fußtritt von hinten nachgeholfen. Keiner im Waggon sagte nur ein Wort dagegen oder ging dazwischen. Auch ich nicht.« (Sokatsch 2012: 38)

Dennoch war die Mehrheit der Metal-Fans keinesfalls neofaschistisch orientiert oder interessiert. Erst gegen Ende der 1980er Jahre löste sich auch das 25 | BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3113, Bl. 157; BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmalkalden, Nr. 561, Bl. 15; BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmalkalden, Nr. 60, Bl. 3. 26 | So beobachtete das MfS ebenso Heavies, die ähnlich wie die Punks Arbeit verweigerten (BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmalkalden, Nr. 561, Bl. 20).

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

MfS von dieser Sichtweise in Teilen, wobei einer der frühesten Belege hierfür 1985 gefunden werden kann. Hier wurde der Neofaschismus-Vorwurf gegen Magdeburger Fans, wenige Monate zuvor noch Grund für erste operative Maßnahmen, in einer Leitungssitzung mit einer kurzen Feststellung abgetan, dass solche »Tendenzen in Magdeburg keine Rolle spielen« würden (BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Magdeburg, Nr. 41220, Bl. 9). In einem Bericht der Hauptabteilung in Berlin von 1989 bescheinigt man den Metal-Fans sodann, lediglich Musik hören und auf Konzerte oder Partys gehen zu wollen und spricht ihnen eine politische Brisanz ab (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 80, Bl. 81).27 Die zuvor dominante Einordnung als neofaschistisch kann möglicherweise auch als Versuch verstanden werden, Heavy Metal deutlich zu politisieren, um gegen ihn vorgehen zu können. Letztlich verdeutlicht dies die verzerrte ideologische Sichtweise, die es nur schwer möglich machte, die Jugendkultur Metal unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Am bedrohlichsten waren die Metal-Fans wohl vor allem, weil sie einer westlichen Jugendkultur anhingen und eigensinnig Kontakt mit Ausreisewilligen oder Westdeutschen suchten und pflegten (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5653, Bl. 358). Die unzähligen abgefangenen Briefe belegen das besondere Interesse hieran, obgleich sich der Inhalt in der Regel stets um das gleiche, verhältnismäßig harmlose drehte: Band XY, T-Shirts und Kleidung, Begeisterung über den Kontakt mit Gleichgesinnten.

Szene-Analyse, Einsatz von Informellen Mitarbeitern (IM) Das Analysieren der Szene war eine der Kernaufgaben und wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung der »Verhinderung«, »Zerschlagung« und »Liquidierung«, wie es im MfS-Jargon hieß. Das MfS arbeitete dabei nach strukturierten Vorgaben und Arbeitsabläufen, die sich in den Akten widerspiegeln. Zu einer der wesentlichen Aufgaben gehörte die Bearbeitung so genannter operativer Vorgänge (OV): »OV konnten gegen Einzelpersonen oder Gruppen angelegt werden, die aufgefallen waren. Neben OV gab es zahlreiche andere MfS-Vorgangsarten, einem OV ging meist eine ›Operative Personenkontrolle‹ voraus, die bestehende Verdachtsmomente erhärten 27 | Dennoch gab es 1989 Kreisdienststellen wie etwa in Halle, die eine faschistische Ideologie in der Szene noch 1989 hervorhob, wenige Absätze später aber notierte, dass keinerlei »operative Relevanz« vorhanden sei. Selbstverständlich wurde aber die vorbeugende operative Kontrolle als wichtig eingestuft (BStU, BV Halle, KD Halle, Nr. 1528, Bl. 116). Möglicherweise gibt dies auch Auskunft darüber, wie sich einstige Einstufungen und Meinungen zusammen mit einer Überforderung verselbständigten und perpetuierten. Zugleich konnte das MfS mit solchen aufrechterhaltenen Bedrohungsszenarien die eigene Arbeit und Existenz legitimieren.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken oder entkräften sollte. Im zweiten Fall kam es zu einem Abschluss, im ersten gleich zur Verhaftung oder zur Eröffnung eines OV.« (Kowalczuk 2013: 211)

Der Historiker Kowalczuk schätzt, dass in den 1980er Jahren jährlich ca. 4.000 bis 5.000 solcher Vorgänge durchgeführt wurden, von denen ca. 2.000 abgeschlossen wurden (Kowalczuk 2013: 211). In den Akten finden sich etliche Belege von OV in der Metal-Szene, übertroffen nur Operativen Personenkontrollen (OPK) von jugendlichen Metal-Fans. In der Regel gingen diesen Maßnahmen Denunziationen durch Mitbürger, Informationen von IM oder öffentliches Auffallen bzw. polizeiliches Einschreiten voraus. Dabei wurden in einem ersten Schritt Informationen über das familiäre Umfeld sowie vom Schulleiter oder Arbeitgeber eingeholt. Eine Hochzeit dieser OV von Jugendlichen Metal-Fans lässt sich anhand des Aktenstandes insbesondere für den Zeitraum Mitte der 1980er Jahre erkennen. In daran mitunter anschließenden Maßnahmenplänen legten die zuständigen Führungsoffiziere dann fest, ob und wie viele Informelle Mitarbeiter (IM) zum Einsatz kommen sollten, um weitere Informationen zu erlangen. Der Einsatz von IM zählt zu einer der zentralen Taktiken der Informationsbeschaffung (Gieseke 2011: 112).28 Der eher neutrale Begriff »IM« suggerierte eine »enge, formalisierte und annähernd gleichrangige Kooperationsbeziehung zwischen dem hauptamtlichen Führungsoffizier und seinen Informanten« (Gieseke 2011: 113). Lockmittel waren Privilegien, insbesondere auch schwer erhältliche materielle Güter, aber auch Druckmittel und Erpressung auf der Basis von Informationen über das Private oder Berufliche und jede Gelegenheit, die eine Abhängigkeit von der Staatsmacht bedeutete (Vandalismus, Ruhestörung, kleinere Diebstähle etc.). Der Ablauf war dabei stets ähnlich. Ein möglicher Kandidat wurde durch Kontaktgespräche zu überzeugen versucht. Wurde ein Jugendlicher wegen Delikten von der Volkspolizei festgenommen und der Sachverhalt aufgenommen, konnte das MfS mit einem Angebot intervenieren, dass bei entsprechender Kooperation von einer Bestrafung abgesehen werden könne. Zahlreiche Vernehmungsakten belegen diese Anwerbungsgespräche sowie die Gesprächsdynamik, in der Metal-Fans vornehmlich betonten, eben nur Metal-Fans zu sein. Tatsächlich bearbeitete das MfS auch die Metal-Szene mit nicht wenigen IM. Noch 1988 waren in jedem Bezirk mindestens zwei IM im Einsatz, die meisten in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz (19), Rostock (16) und Leipzig (11), im

28 | Der Anteil von unter 25-jährigen IM lag insgesamt bei ca. 10 Prozent, wobei jugendliche IM unter 18 Jahren im Verhältnis relativ gering vertreten waren (Gieseke 2011: 123f.). Gieseke macht deutlich, dass die Anwerbung unter Jugendlichen jenseits des FJD-Kaders problematisch war (Gieseke 2011: 148).

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

gesamten Staatsgebiet waren es 89 (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 80, Bl. 24).29 Die Übersicht listet ebenso die Zahlen zur Skinhead-, Punk- und Gruftie-Szene auf. Insgesamt waren 544 IM im Einsatz, die Mehrzahl in der Punk- und Skinhead-Szene, mit 36 IM die wenigsten unter den Grufties, der Bezeichnung für Gothic-Anhänger in der DDR. Angesichts der Größe der Metal-Szene gegenüber den anderen Szenen wird deutlich, dass die Metal-Fans 1988 nur noch bedingt im Fadenkreuz operativer Maßnahmen standen. Die entschärfende Tendenz lässt sich also auch anhand des Einsatzes von IM nachvollziehen. Wie hoch allerdings die Zahl der Anwerbungsversuche war, lässt sich kaum beziffern. Ein IM konnte die konkreten Namen samt Spitznamen, Ausbildungsstand samt Problemen, Familienverhältnisse, Anschrift, Angaben zu Liebesbeziehungen bis hin zu bevorzugten Bands liefern. Er konnte Angaben machen über die Treffpunkte von Fans und über die Größe und Zusammensetzung der Gruppe (BStU, MfS, BV Halle, KD Querfurt, Nr. 53, Bd. 1, Bl. 4f.; BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX, Nr. 131/01, Bl. 20-25; BStU MfS, BV Halle, KD Hohenmölsen, Nr. 1034, Bl. 3-16). Auch Informationen über die Besetzung und technische Ausstattung von Bands etwa basierten in der Regel auf IM-Informationen (BStU, MfS, BV Halle, KD Weißenfels, Nr. 0456, Bl. 21). Diese Informationen konnten rein theoretisch ein enormes Druckmittel für spätere Konfrontationen bilden. Insbesondere aber Angaben über geplante Reisen, Konzertbesuche oder Straftaten wie die illegale Einfuhr westlicher Platten, konnten eine Diskriminierung und Kriminalisierung etwa durch regelmäßige oder gezielte Polizeikontrollen zur Folge haben. Rückblickend erinnert sich ein Jugendlicher an den Kontakt mit dem MfS: »Die Stasi wollte mich anwerben und der Stasi-Offizier hat zu mir gesagt, daß ich vorgeschlagen worden sei, weil ich die Jugend im Kreis Riesa kennen würde. […] Ich habe dann gesagt, daß ich alles ausquatschen würde, wenn ich einen gesoffen habe und dafür völlig ungeeignet wäre. Ich habe das alles eher spaßig genommen und war mir des Ernstes dieser Situation gar nicht bewußt. Ich habe dann aus Spaß noch einige astronomische Forderungen gestellt, aber das wollten die mir sogar alles geben! Ich hätte dann alle zwei Wochen Bericht erstatten müssen und als ich dann sagte, daß ich nicht mitmachen wollte, wurden mir Konsequenzen angedroht: Wenn ich im Juli nach Ungarn fahren will… Er nannte bei diesem Gespräch im Januar das genaue Datum! Ich weiß bis heute nicht, woher die das wußten, denn mein eingeweihter Kumpel hat mir hoch und heilig versichert, daß er nicht bei der Stasi gewesen ist, doch nur er und ich wußten das Datum. Vielleicht haben die das irgendwo mitgeschnitten […].« (Schob 2009: 28f.)

29 | In dieser Übersicht fehlen die Angaben aus den Bezirksverwaltungen Magdeburg und Schwerin.

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Die stetige Unsicherheit darüber, zu wissen, wer im Freundes- und Bekanntenkreis für das MfS arbeitete, hinterließ sicher auch in der eher auf Freundschaft und Gleichrangigkeit beruhenden Szene ihre Spuren.30 Auch waren bei weitem nicht alle IM tatsächlich aus der Metal-Szene. Aus dem Problem heraus, geeignete Kandidaten in der Szene zu finden, wurden auch Jugendliche herangezogen, die nicht viel mit der Musik und Szene anfangen konnten oder gleich über alle Extremgruppen zu berichten hatten.31 Deutlich wird anhand der Dokumentation durch das MfS allerdings, dass es in Ansätzen eine Systematisierung der Szene anstrebte. Es wurden die Szene-Treffpunkte benannt, auf ihre Größe und das Ausmaß der Präsenz hin analysiert; es wurde die Organisationselite meist in Form der Fanclubs und Bands identifiziert und genau durchleuchtet; es wurde versucht, die Events wie Konzerte oder private Feiern zu ermitteln und zu unterbinden; es wurde versucht, die Strukturen der Szene, Verbindungen zwischen den Fans in der gesamten 30 | Diese Unsicherheit konnte auch nach der Wiedervereinigung und Öffnung des MfS-Archivs dafür sorgen, dass Menschen, die die Möglichkeit hatten, die Akten einzusehen, diese nicht wahrnahmen. Beichten, zerbrochene Freundschaften oder lange durchgehaltene Verheimlichungen hatten ebenso Auswirkungen auf die Menschen wie die Bespitzelung in der SED-Diktatur selbst. Ein neues Forschungsprojekt der TU Dresden und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung untersucht dieses Phänomen des »gewollten Nicht-Wissens«, vgl. https://tu-dresden.de/gsw/phil/ige/nnge/forschung/gewolltes_nichtwissen (Zugriff am 1.2.2017). 31 | Kowalczuk plädiert für eine kontextualisierende Historisierung der Figur des IM (Kowalczuk 2013: 237). Zwar stehe er als Symbol für eine auf Denunziation des eigenen Volkes vertrauenden Diktatur und nehme somit einen zentralen Topos in den Erzählungen über die DDR ein (Kowalczuk 2013: 213). Dennoch war kaum jemand sein gesamtes Leben als IM tätig, auch gingen viele aktiv mit der Erpressungssituation um, verweigerten sich oder erzählten etwa dem Umfeld von den Anwerbungsversuchen. Nach Kowalczuk war im Regelfall nicht mit schweren Konsequenzen zu rechnen, sieht man von durchaus psychisch belastenden Erschwernissen im Alltag und Beruf ab. Tatsächlich häufen sich in den 1980er Jahren innerhalb des MfS die Klagen über die unbefriedigende, im Sinne des MfS häufig nicht produktive Zusammenarbeit mit den IM (Kowalczuk 2013: 242). Kowalczuk verweist zurecht darauf, dass erforscht werden müsse, ob die stagnierenden IM-Zahlen in den 80ern tatsächlich mit einer größeren Bereitschaft »nein« zu sagen zusammenhingen oder hier bereits »eine beginnende Verunsicherung und Demotivierung im MfS selbst« Auswirkungen zeigte (Kowalczuk 2013: 243). Letztlich ist für die 1980er Jahre zu beobachten, dass die Zahl der Archivierung bestehender IM die Anwerbung neuer überstieg (Kowalczuk 2013: 217; Gieseke 2011: 122, 133). Trotz alledem darf nicht aus den Augen verloren werden, dass eine IM-Tätigkeit immer auch eine Partizipation an der Macht und somit auch eine Gewaltausübung darstellt, wie Reemtsma betont (2002: 40-44).

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Republik wie auch in das nichtsozialistische Ausland aufzuschlüsseln. Für all dies hat das MfS letztlich verhältnismäßig viel Aufwand betrieben.

Zerschlagung, Zersetzung und Liquidierung. Konkrete Gewalterfahrungen der Metal-Fans Hintergrund der so genannten Zerschlagung, Zersetzung und Liquidierung entsprechender Gruppen war die Auffassung, dass Heavy Metal als Instrument des westlichen Feindes eingesetzt wurde. Das Strafgesetzbuch der DDR machte es dem MfS verhältnismäßig leicht, in der Jugendkultur Gesetzesverstöße zu vermuten und dagegen vorzugehen. Neben den im ersten Kapitel genannten Paragraphen, die etwa Freiheitsentzug für Rowdytum bedeuten konnten, lassen sich bereits in den frühesten MfS-Akten, die Heavy Metal thematisieren, Rückgriffe auf weitere Paragraphen finden. So befasste sich die Kreisdienststelle Magdeburg im Sommer 1984 mit einer Gruppe von MetalFans, für die sie sogleich einen »Rädelsführer« als dessen Leiter identifizierte (BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Magdeburg, Nr. 41220, Bl. 1-6). Bewusst wird ein Verdacht von Gesetzesverstößen insbesondere im Rahmen der § 218 (Vereinsbildung zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele) und § 220 Abs. 3 (Tragen und Verbreiten u.a. militaristischer Symbole) geäußert. Basierend u.a. auf Berichten eines IM seien diese Fans auch neofaschistisch orientiert gewesen, ein Verdacht, der wenig später wieder fallengelassen wurde (BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Magdeburg, Nr. 41220, Bl. 6; ähnlich, im November 1985: BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. XX, Nr. 00271/05, Bl. 9ff.). In einer Leitungsberatung wenige Monate später, Anfang 1985, wurde sodann zu Protokoll gegeben, dass es »z.Zt. keine Heavy-Metal-Fan-Gruppierungen gibt, von denen ernstzunehmende Gefährdungen für die staatliche und öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen« (BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Magdeburg, Nr. 41220, Bl. 9). Vielmehr sei es erforderlich, »exakt zu differenzieren« und zu identifizieren, wer in den Gruppen sei, sowie die Fans aufzuklären und individuelle Motive zu ermitteln. Dies zeigt den schon früh präsenten ambivalenten Umgang des MfS mit der Metal-Szene. Die vermeintlichen Verstöße aufgrund des Zusammentreffens in größeren Gruppen blieben jedoch weiterhin ein starkes Argument für das MfS, um eingreifen zu können. Eine der häufigsten Methoden war dabei das Unterbinden und Zerschlagen von privaten Treffen und Feiern durch so genannte vorbeugende Maßnahmen – etwa durch so genannte »Disziplinierungsgespräche« mit den Initiatoren (BStU, MfS, BV Halle, Abt. IX, Nr. 1475, Bl. 1-3; BStU, MfS, BV Halle, Abt. XX, Nr. 2891, Bl. 1-2; BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX, Nr. 131/01, Bl. 20-25). Aber auch öffentliche Treffpunkte gerieten regelmäßig in den Fokus. Da sich Metal-Fans eigensinnig die öffentlichen Strukturen, etwa die Jugendklubs aneigneten, konnte das MfS hier verhältnismäßig einfach einwirken und mit größerer Wirkung etablierte Treffpunkte zerschlagen. So etwa ging das MfS

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im Februar 1985 gegen den Jugendklub Ernst Knaack in der Greifswalder Straße in Berlin-Prenzlauer Berg mit einer entsprechenden Operativen Maßnahme vor (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5653, Bd. 2, Bl. 445-499). Nach einem Hinweis einer Bürgerin, dass dort Metal-Fans mit faschistischem Gedankengut vertreten seien, wurde der Jugendklub ins Visier genommen. Mit drei IM wurde ermittelt, dass er »tatsächlich einen gewissen Konzentrationspunkt für ›Heavy’s‹ darstellt« (ebd., Bl. 446). In weiteren Untersuchungen und Aussprachen mit der Klubleitung fand der zuständige MfS-Offizier heraus, dass der Club seit einigen Monaten Anziehungspunkt für Fans sei und entsprechende Partys, so genannte »Heavy-Feten«, auf diese Zielgruppe ausgerichtet wurden. Das MfS protokolliert, dass die Klubleitung »jede Unterstützung der Sicherheitsorgane zur Aufklärung und Personifizierung der negativ-dekadenten Personenkreise« ablehne (ebd., Bl. 498). Dadurch würde die Klubleitung die »Gesellschaftsgefährlichkeit und negative Wirkung dieser Erscheinung« unterschätzen (ebd.). Als Konsequenz wurde vom MfS ein umfassender Plan zur Umgestaltung des Klubs, beginnend mit einer längeren Schließzeit und Renovierungsarbeiten sowie anschließender Programmneugestaltung ohne Heavy-Feten, beschlossen. Die Abschlussveranstaltung vor der Schließzeit war allerdings noch einmal eine solche Heavy-Fete, die »das tatsächliche Ausmaß des Mißbrauchs der Einrichtung deutlich« gemacht habe: 150-180 anwesende Metal-Fans, von denen nur 100 Einlass gewährt werden konnte, während der Rest vor dem Klub ausharrte und vermutlich auf Einlass hoffte, für das MfS allerdings »provokatorisch in Erscheinung« trat (ebd.). Konsequenz daraus war u.a. das völlige Ausschließen der Metal-Fans aus dem Klubleben des Knaack. Der Klubleiter wurde als ungeeignet eingestuft und entlassen, als Argumente wurden »mangelhafte Arbeitsleistung«, seine Scheidung und eine neue Beziehung zu einer US-Amerikanerin, wie auch immer diese zustande kam, angeführt. Für das MfS konnte das Knaack-Problem als »bereinigt« und erfolgreich gelöst angesehen werden (BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5653, Bd. 2, Bl. 499). Das MfS hatte einen Szene-Ort zerschlagen und somit die Vergemeinschaftung der Fans – wenn auch nur vorübergehend – beeinflusst. Eine der wohl prominentesten Zerschlagungen in der Metal-Szene war die erzwungene Auflösung der Erfurter Band Macbeth. Wie ein Fan aus Ilmenau an einen westdeutschen Fan schrieb: »Diese Band war mal der absolute TopAct als der Heavy Metal bei uns anfing aufzublühen […], wurden aber dann verboten (Grund: Heavy Metal und viele Fans….!!)« (BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XX/584, Bd. 1, Bl. 120). Tatsächlich hatte die Band infolge des Konzertes in Erfurt mit harten Konsequenzen zu kämpfen. In den während der 2010er Jahre für einige Zeit auf der Bandhomepage veröffentlichten MfS-Akten wird deut-

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

lich, dass die »Liquidierung« der Band koordiniert durch die MfS-Kreisdirektion Erfurt beschlossen wurde.32 Bassist Ralf Zeidler erinnert sich: »Nach dem […] Konzert im ›Stadtgarten‹ wurde, weil es danach zu zahlreichen ›Ausschreitungen‹ auf dem Heimweg der Fans kam, das Ende der Band beschlossen. Auf höchster Ebene wurde für uns ein Spielverbot auf unbestimmte Zeit erteilt und dann erfolgte der eigentliche Feldzug gegen die Band: Die Zulassung des Band-LKW’s wurde uns entzogen, der Proberaum von der Oberbürgermeisterin – ihr Spitzname war ›Die rote Rosi‹ – mit Androhung einer Räumungsklage gekündigt und ein Bußgeld verhängt. Wir standen dann mit einem Schuldenberg von fünfundzwanzigtausend Mark da!« (Rosenberg 2010: 38) 33

Macbeth machten infolge dessen unter dem neuen Namen Caiman weiter, trotz der vorausgegangenen Belastung. Das MfS konnte jedoch einen beeindruckenden Erfolg gegen eine der Extremgruppen verbuchen. Die Hallenser Band Panther machte ähnliche Erfahrungen. Die Erinnerungen sollen hier ausführlicher zitiert werden: »Ralf wurde an seinem Arbeitsplatz in der ZVK (in der ›Zentralen Vorbereitungs-Küche‹, in der als Fleischer arbeitete) in Halle von der Stasi verhaftet. Unter Androhung massiver Gewalt wie Einzelhaft und Repressalien, sollte er zugeben, was das Plakat ausdrücken sollte und was wir mit diesem Plakat vorhatten, was uns zur Last gelegt wurde. Es sollte nämlich ein Panther-Plakat in den Druck gehen, auf dem eine Frau zu sehen war, die einen Panther an der Leine führte. Diese Frau hatte gesprengte Fuß-Fesseln und begehrte auf. Das wurde uns zur Last gelegt und nach Vorlage dieses Plakates begann sofort die Willkür. Die Stasi war überall und hatte auch im Stadtkabinett ein leichtes Spiel. Der Entwurf wurde sofort abgelehnt und Ralf Tage später verhaftet. Ralf war vier Tage inhaftiert und uns fehlte das musikalische Zugpferd. Er fehlte beim Projekt, aber man behielt ihn in Haft, weil er nicht ein Schriftstück unterschreiben wollte, in dem stand, daß ihm keine körperliche Gewalt angetan wurde, was nicht stimmte, denn die Stasi fackelte nicht lange mit Schlägen und psychischer Gewalt. Es begann für ihn eine Odyssee ohne gleichen, weil er sich nicht brechen ließ. Wir anderen wurden auch vernommen, aber die Stasi kam zu keinem Ergebnis. […] Ralf wollte einfach nicht die fingierte A4-Seite unterschreiben.« (Rosenberg 2010: 41f.) 32 | Die Band hat die Akten mittlerweile von der Homepage genommen. Die genauen Aktentitel sind nicht bekannt, auch konnten sie im Zuge meiner Recherche im BStUArchiv nicht mehr ermittelt werden. 33 | Vgl. hierzu auch die Erinnerungen in der Dokumentation »Macbeth – Heavy Metal seit 1985. Eine Reise durch die Zeit«, von Gary Langendörfer (zeitweise Filmproduktion), Erfurt. Online: https://www.youtube.com/watch?v=QdfFk-XEbjo (Zugriff am 1.10.2016).

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Nach dieser ersten Begegnung mit der Staatsmacht infolge eines Plakates wurde die Band weiterhin beobachtet und behindert. Weitere Plakate wurde verboten, Auftritte nicht zugelassen. Den Musikern wurde »Aufwiegelung vorgeworfen, denn wir würden die Fans zum Umsturz aufrufen, was natürlich vollkommener Blödsinn war« (Rosenberg 2010: 41f.). Letztlich demonstrierte das MfS an diesen Einzelfällen, welche Macht und Durchsetzungsfähigkeit es besaß. Der Eindruck erhärtet sich, dass es hierbei vor allem um Vorgänge einzelner MfS-Offiziere ging, die über Härte und Ausmaß der Aktion Ermessensspielraum hatten. Allerdings kann wohl festgehalten werden: Die Mehrheit der Metal-Fans konnte sich ohne größere Konflikte mit dem MfS in der Szene ausleben. Häufiger waren vielmehr alltägliche Druckmittel und Schikanen wie Ausweiskontrollen, Vorladungen auf das Polizeirevier oder Diskriminierungen durch Mitbürger wegen der Kleidung oder langen Haare: »Einmal hat einer zu mir gesagt, für Dich bleibt nur die Ausreise oder der Strick – wortwörtlich«, wie ein Fan aus Meißen sich an die Diskriminierung durch einen Arbeitskollegen erinnert. »Meine Freizeit ging niemandem etwas an, das hab ich denen auch immer gesagt« – mit dieser Strategie fuhren vermutlich viele Fans, um diese alltäglichen Erfahrungen kompensieren zu können (Reichelt 2012: 26). Die Beispiele haben verdeutlicht, unter welchen Umständen und mit welchen Auswirkungen jugendliche Metal-Fans dennoch mit dem MfS konfrontiert waren. Dabei können regionale Unterschiede festgestellt werden, die eine strengere Behandlung erkennen lässt, je größer der Abstand von der Zentrale in Berlin insbesondere in Richtung Süden wurde. Die Ursachen hierfür konnten unterschiedlich sein: Einerseits herrschte in Ost-Berlin durch die Nähe zum Westen, der Präsenz westlicher Touristen sowie der städtischen Geschichte als Metropole eine anders gelagerte Mentalität im Umgang mit Diversität als etwa in den ländlichen Gebieten der DDR. Die nicht wenigen optisch auffallenden Jugendlichen konnten eine gewisse Desensibilisierung mit sich bringen, während auf dem Land jeder auch nur gering vom FDJ-Idealbild abweichende Jugendliche sehr auffallend sein konnte. Darüber hinaus war OstBerlin ein Zentrum der Opposition, so dass die Kräfte des MfS hier bereits stark eingebunden waren. Hinzu kommt: Die Dynamik der Karriereleiter innerhalb des Ministeriums konnte für einen besonderen Leistungsdruck sorgen, der zu Übereifer und Übererfüllung führen konnte (Maaz 1990: 115-118). Die Dokumente des MfS spiegeln daher auch und gerade die generationellen und lebensweltlichen Perspektiven der Offiziere wider und verdeutlichen die Kontingenzen und Ambivalenz im Umgang mit den Akten heute. Eine Entschuldigung der ausgeübten Gewalt kann dies freilich jedoch nicht sein. Die Tendenz in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, die Metal-Szene nur noch bedingt als problematisch einzustufen, mag einerseits an dem beschriebenen Wandel des gesellschaftlichen Blickes auf die Musik und ihre Anhän-

I. Jugend und Jugendkulturen in der SED-Diktatur

ger gelegen haben. Letztlich spiegelt sich in dieser neuen Perspektive auf den Heavy Metal aber auch die Erkenntnis wider, dass sie größtenteils unpolitisch bzw. politisch desinteressiert und zugleich anpassungsfähig war – und daher relativ ungefährlich für den Staat (Fricke 2011: 375; Okunew 2015: 50; Breitenborn 2010: 114; Wurschi 2007, 285).

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II. Heavy und Extreme Metal in der DDR In nahezu allen ostmitteleuropäischen sozialistischen Ländern sowie der Sowjetunion etablierten sich bis 1990 Metal-Szenen mit eigenen Szeneinfrastrukturen, Bands und Tonaufnahmen. Der Eiserne Vorhang sollte in Form von strengen Grenzkontrollen zwar den westlichen Einfluss ursprünglich verhindern und die Homogenität einer sozialistischen Kultur wahren. Die prägenden Haupteinflüsse jedoch – die musikalischen Idole und Stars, der Kleidungsstil und sogar Medien wie Tonträger und Zeitschriften – kamen aus dem Westen. Die Verbreitung und Entwicklung des Heavy Metal in der DDR kann daher nur vor dem Hintergrund eines seit den 1970er Jahren mit unterschiedlicher Intensität fortwirkenden kulturellen Transfers aus Großbritannien, den USA und Westdeutschland verstanden werden. Eine Geschichte des Heavy und Extreme Metal hinter dem Eisernen Vorhang bewegt sich daher immer im Spannungsfeld der Entwicklungen, Dynamiken und Diskurse sowohl im Westen als Herkunftsraum als auch im eigentlichen Betrachtungsraum der DDR.

1. E ntstehung und V erbreitung des H e av y und E x treme M e tal in der DDR Die Ursprünge und Entstehung des Heavy Metal allgemein reichen bis in die 1960er Jahre zurück. Diverse kulturelle Strömungen im anglo-amerikanischen Raum – das Blues-Revival, die Counter-Culture-Bewegung mit der Flower-Power-Kultur, die Biker-Kultur und der sich vom Beat und Rock absetzende Hard Rock sowie die 68er-Bewegung – ebneten den Weg für neue, meist jugendkulturelle Ausdrucks- und Selbstverwirklichungsformen in der westlichen Welt (Hobsbawm 2009: 406-419; Frei 2008). Die Entwicklung der musikalischen Sprache des Heavy Metal formierte sich dann mit dem neuen Jahrzehnt der 1970er Jahre vor allem in Großbritannien (Elflein 2010: 97-172). Birmingham als einstige Industriehochburg, einer geographisch günstigen Lage zwischen London und Liverpool und einer starken Amateurmusikszene wurde hierfür ein besonderes Zentrum mit Bands wie Black Sabbath und Judas Priest (Cope 2010; Harrison 2010). Die 1980er Jahre gelten heute in der

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Welt des Heavy und Extreme Metal als das »goldene Jahrzehnt« (Elflein 2010: 90-96; Walser 1993: 3).1 Die Glorifizierung der 1980er Jahre spiegelt sich u.a. in jährlich durchgeführte Polls und Best-of-Zusammenstellungen wider, in denen Alben oder Bands aus diesem Jahrzehnt dominieren. Mithilfe von regelmäßigen Jubiläen wichtiger Alben der 1970er und insbesondere der 1980er Jahre wird diskursiv in einer ausschließlich in der Musikkultur verankerten Form eine selektive Erinnerungskultur geprägt und gepflegt (Zaddach 2015). Spätestens mit dem Ende der 1980er Jahre hatte die Metalwelt einen relativ stabilen Kanon entwickelt, in dem Bands wie Motörhead, dessen Frontmann Lemmy Kilmister kurz nach seinen 71. Geburtstag Ende 2015 verstarb, mit einem relativ konstant bleibenden musikalischen Stil auch im 21. Jahrhundert große Festivals und Hallen bespielen. Wie Keith Kahn-Harris – nur wenige Wochen vor Kilmisters Tod – betont, stehen diese alternden Rockstars für eine Ambivalenz der zeitgenössischen populären Kultur an sich: »Rock without dinosaurs may become fresher, less in debt to the past. At the same time, something precious will be lost. For decades, we have relied on the likes of Lemmy to remind us that some things will remain ageless. Motörhead’s repetitiveness was a heroic fantasy, that we could preserve our youth in amber, that we would always have our Gods.« (Kahn-Harris 2015)

Kahn-Harris verweist hier auf die Bedeutung jugendlicher Sozialisationserfahrungen in den 1980er Jahren. Neben der Etablierung des kommerziell erfolgreichen Heavy Metal, insbesondere des New Wave of British Heavy Metal (NWoBHM) durch Bands wie Motörhead, Judas Priest oder Iron Maiden entwickelten sich neue stilistische Strömungen, die vor allem in ihrer Auslotung ästhetischer Extreme wiederum differenziertere Szenebildungen und eine Identifizierung mit informellen bzw. Underground- und Do-It-Yourself-Praktiken zur Folge hatten. Versteht man diese Jugendkultur als eine Art Kontinuum, bestehend aus Hard Rock, Heavy Metal und Extreme Metal, welche jeweils unterschiedliche Sub-Genres subsumieren (Elflein 2010: 45f.; Weinstein 2000: 6ff.), wird die Bedeutung und Dominanz des Heavy Metal aus der Zeit um 1980 als verbindendes Element und Mittelpunkt deutlich. So unterschiedlich auch Hard Rock etwa gegenüber Black Metal erscheint: Es bestehen gemeinsame, historisch gewachsene Formen ästhetischer und sozialer Praxis, die insbesondere eine Distinktion gegenüber anderen populären Musiken darstellen.2 1 | Deena Weinstein (2000: 21) bezeichnet hingegen die Jahre 1976 bis 1979 als »golden age of heavy metal«. 2 | Was im Jahre 2016 keinesfalls mehr einen exotischen Außenseiter-Status bedeutet: Neben Beispielen aus der Bekleidungsindustrie (insbesondere H&Ms Verkauf von Shirts existierender und erfundener Metal-Bands und deren Logos) verkündete beispielsweise

II. Heavy und Extreme Metal in der DDR

Heavy und Extreme Metal verbreitete sich bereits in den 1970er Jahren weit über die Grenzen des anglo-amerikanischen Raumes hinaus. An den internationalen Erfolg der Rockmusik ansetzend begeisterte Heavy Metal in erster Linie Jugendliche in Ländern mit einer hoch entwickelten Infrastruktur: Nordamerika, Nord- und Westeuropa, Japan. Der kulturelle Transfer verlief dabei über mindestens zwei Kanäle: Zum einen waren und sind die auf kommerzielle Verwertung und hohe Reichweite ausgelegten Wertschöpfungsketten der Musikindustrie und ihrer engen Verzahnung mit kommerziellen Medien wie Zeitschriften ausschlaggebend gewesen (Wallach/LeVine 2011: 120; Weinstein 2000: 145-198; Walser 1993: 3-7). Zum anderen etablierten sich lokale, teilweise auch überregional vernetzte Underground-Strukturen, die häufig durch einen Fokus auf extremere Spielarten des Metal und einer gewissen Dezentralisierung als Kontrast zur etablierten Musikindustrie mit teilweise eigenständiger Infrastruktur, von Fanzines bis zu kleinen Veranstaltungsorten, beschrieben werden können. Tragende Praktiken dieser »Glokalisierung« (Robertson 1998; Helden 2011) waren dabei Netzwerke des Briefe Schreibens, des Platten- und Kassettentauschens und -kopierens (Tape-Trading) sowie zunächst eher kleine Labels und Distributionen (Netherton 2014: passim; Hjelm/Kahn-Harris/ LeVine 2011: 14; Kahn Harris 2007). Für die 1980er Jahre lässt sich mit Weinstein zudem eine zweite Phase der Ausbreitung von »more economically and technologically developed areas to less developed ones« identifizieren (Weinstein 2011: 44). Neben Südamerika zählten hierzu auch die Länder hinter dem Eisernen Vorhang. In der DDR stieß die Jugendkultur Metal auf bereits etablierte Muster jugendkultureller Bewegungen. Der anhaltende Transfer des Metal war in mehrfacher Hinsicht anschlussfähig an bereits etablierte ästhetisch-alternative und jugendkulturelle Bewegungen, wie die Verbreitung und Popularität der Blues-, Tramper- und Rock-Szenen zeigten. Vor allem das von älteren Generationen vorangetragene und vermittelte Selbstverständnis von Individualität und alternativer kultureller Orientierung konnte die distanzierte Generation geradezu ermutigen, mit eigenen kulturellen Ausdrucksformen ebendiesen Weg einzuschlagen. Insbesondere die Praktiken, die eine Szenebildung und kulturelle Teilhabe ermöglichten, stellten aufgrund der ähnlichen Rahmenbedingungen der SED-Diktatur eine gemeinsame Schnittmenge dar. Die Metal-Fans konnten von den in den vorgängigen Jugendbewegungen erprobten und etablierten Praktiken geradezu profitieren. Der Westen war und blieb dabei jedoch der Ursprung und Orientierungspunkt. die Bild im Mai 2016, zusammen mit der Deutschen Post eine Erinnerungsbriefmarke an den verstorbenen Ian Fraser ›Lemmy‹ Kilmister von Motörhead herauszubringen (www. metal-hammer.de/ehrung-deutsche-post-bringt-lemmy-briefmarke-622001/, Zugriff am 1.10.2016).

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Begegnungen mit der Musik Das Interesse an und die Verbreitung von Heavy Metal in der DDR waren stark durch die Gemeinsamkeiten mit Hard Rock bedingt. Für viele Heavy MetalFans war zunächst Rockmusik der erste Kontakt mit gitarrenlastiger Musik: »Richtig los ging’s so im Laufe des Jahres 1973, als ich erstmals über den FerienlagerLautsprecher ›Blockbuster‹ von Sweet hörte. Von da an war ich voll drauf, soweit ich mich recht zurückerinnere. […] Weitere Faves waren zu jener Zeit noch T. Rex, Slade, Suzi Quatro, Hello, Status Quo, Nazareth, Alvin Stardust, Gary Glitter & Glitter Band, Mud, Smokie, eben die Siebziger Glam Rock-Sachen. Halt alles, was man durch Disco, ›Musikladen‹ im TV oder ›DLF Schlagerderby‹ & ›Plattenteller‹, ›NDR – Internationale Hitparade‹ usw. kennenlernte.« (Welsch 2010: 6)

Die Bedeutung der Rockmusik als eine wesentliche musikalische Sozialisation im Jugendalter wird deutlich, wenn der Zeitzeuge weiterhin betont, dass er seine Haare bewusst so trug wie seine Idole, Interesse und Identifikation also weit über das Hören der Musik hinausgingen. Zudem waren es westliche Idole, selten aus der DDR stammende Bands. Der gleiche Zeitzeuge gibt ein Beispiel dafür, wie man als Jugendlicher unter den Bedingungen und Einschränkungen des kulturellen Transfers und der musikalischen Sozialisation über vorrangig westliche Rockmusik allmählich eine Begeisterung für Heavy Metal entwickeln konnte: »Als gegen 1977/78 der Glam Rock am Ende war, landeten immer mehr Hard RockBands wie Black Sabbath, Uriah Heep, Deep Purple, Led Zeppelin, Rainbow, Aerosmith, Angel, Kiss, Scorpions, AC/DC, aber auch die Sex Pistols auf meinen Kassetten. Das war schon zum Teil Heavy Metal. Auch Sendungen wie ›Rockpalast‹ (Festival), ›Rock Pop In Concert‹, ›Hit Kwiss‹, ›Szene‹ mit Thomas Gottschalk usw. liefen zu jener Zeit und beeinflußten mich zunehmend in eine härtere Richtung, denn es traten ja immer mehr härtere Bands auf, wie zum Beispiel Motörhead mit zwei Tracks, darunter ›No Class‹. Das war 1979 und ich war von den Socken von diesen drei Typen, dem Outfit, Lemmy’s Organ und der verschärften Mucke. […] Dann entdeckte ich im ›Radio BFBS‹ die ›HM Show‹ mit Tony Jasper. Dort liefen ebenfalls zunehmend mehr Heavy Metal-Bands, weil gerade die NWOBHM [New Wave of British Heavy Metal] startete. Auch auf NDR 2, NDR 1 waren plötzlich ein-, zweimal pro Woche Metal-Specials. Dort lernte man dann auch Iron Maiden, Tank, Samson, Krokus, Judas Priest, Rose Tattoo, AC/DC, Girlschool, Anvil, Saxon, Manowar usw. kennen.« (Welsch 2010: 7)

Dieser Zeitzeuge steht exemplarisch für zahlreiche Jugendliche, die sich von der ersten musikalischen Sozialisation mit Glam und Hard Rock bis hin zum Extreme Metal mit Bands wie Metallica, Exciter, Tankard oder Destruction ab Mitte der 1980er Jahre begeistern ließen.

II. Heavy und Extreme Metal in der DDR

Härtere Rockmusik war in der DDR um 1980 keinesfalls eine Randerscheinung. Mit der beschriebenen Förderung des DDR-Rocks ging zugleich eine Veröffentlichungspolitik des staatlichen Labels Amiga einher, die auch westliche Lizenzpressungen beinhaltete. Insbesondere die gegen Ende 1981, mit zwei Jahren Verzögerung von Amiga veröffentlichte LP Highway To Hell von AC/DC galt für viele als »Einstiegsdroge« (Keim 2012: 24). Allerdings wartete man auf weitere ausländische Heavy Metal-Veröffentlichungen vergeblich. Lediglich für den Heavy Metal relevante Bands wie etwa Deep Purple, aber auch Pink Floyd wurden teils in Titelzusammenstellungen ohne Berücksichtigung des Albumformats und mit größerem zeitlichen Verzug veröffentlicht (s. Anhang, Tab. 1). Betrachtet man die Entwicklung der offiziellen Amiga-Veröffentlichungen (s. Anhang, Tab. 2), die Heavy Metal aus der DDR beinhalten, zeichnet sich eine Zunahme ab Mitte der 1980er Jahre ab, ein Aspekt, der mit dem noch zu diskutierenden diskursiven Wandel zusammenzuhängen schien. Mit 1985 wurden dann gleich zwei Veröffentlichungen der nunmehr seit zwei Jahren als professionell eingestuften Band Formel 1 aus Berlin veröffentlicht, wobei die Reichweite sowohl mit einer Single-Veröffentlichung und einem Titel auf dem Sampler Rock-Bilanz, der jährlich als eine Art Werkschau der populären Musik in der DDR gelten sollte, als durchaus hoch angesehen werden. Ab 1985 ist eine kontinuierliche Zunahme zu verzeichnen, die ihren Höhepunkt 1989 mit sieben Titeln auf der Rock-Bilanz und einem Album der Jüterboger Band Biest bestehend aus vier Titeln hatte. Die stetige Zunahme des Anteils von Heavy Metal an den Rock-Bilanz-Titeln – 1985 lag dieser bei 5 Prozent, 1989 bei knapp 27 Prozent – verdeutlicht ein allmähliches Reagieren der Amiga auf die große Nachfrage. Die nur zögerliche Zunahme ist im Kontext der planwirtschaftlichen Organisation zu sehen sowie in der Konkurrenzsituation mit dem DDR-Rundfunk, der ebenfalls über Studiokapazitäten verfügte und Heavy Metal für den Rundfunk produzierte, so etwa bereits 1982 »Willste nich uffstehn« von Formel 1. Es kann vermutet werden, dass der Mauerfall und die Wirren der Wendezeit weitere Produktionen verhinderten. So waren etwa Studiotermine für Biest und Merlin im Herbst und Winter 1989 geplant, die infolge des Mauerfalls und der Wiedervereinigung nicht mehr zustande kamen (Rosenberg 2008: 10; Uhden 2009b: 30f.). Deutlich wird: Im Vergleich zu den zahlreichen Veröffentlichungen von Heavy Metal im Westen können die wenigen offiziell erhältlichen Tonträger für einen Fan keinesfalls befriedigend gewesen sein. Der Mangel an relevanten Veröffentlichungen in der DDR sorgte allerdings keinesfalls für ein geringes oder gar stagnierendes Interesse an der Musik, im Gegenteil: Er regte zu Praktiken an, die zunächst eine Kompensation dieses Mangels sein mochten, aber letztlich derart ausdifferenziert und dynamisch waren, dass sie einen weitaus größeren Einfluss auf die jugendliche Musikkultur hatten als die offiziellen

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Veröffentlichungen der Amiga. Diese Praktiken waren immer auch geographisch verankert und konnten unterschiedlich ausfallen. Aus diesem Grund ist es von Bedeutung, den Aspekt des Raumes für das Verständnis der Verbreitung und Weiterentwicklung des Heavy Metal in der DDR zu betrachten.

1.1 Von Jugendklubs und Provinzdasein: räumliche Dimensionen Vom Heavy und Extreme Metal in der DDR zu sprechen, heißt immer auch von Räumen und Räumlichkeiten zu reden, sowohl von konkreten Gebäuden als auch eher abstrakteren Räumen.3 In der Humangeographie wird die Einsicht geteilt, dass Räume »durch gesellschaftliche Praktiken und Strukturen geprägt« werden (Glasze/Mattissek 2009: 41). Der Geograph Hans-Dietrich Schulz formuliert prägnant: »Räume sind nicht, Räume werden gemacht« (Schulz 1997: 2), eine Feststellung, die auf Henri Lefebvres Betonung der Erzeugung von Raum durch Praxis und Deutung zurückgreift (Lefebvre 1991, 2004). Es wird deutlich, dass bestimmte Räume durch die diskursive Herstellung hegemonialer sozialer Ordnungen gestaltet werden. Diese Perspektive ist für die Betrachtung des Alltags im Staatssozialismus ein aufschlussreicher Ansatz. Der Sozialismus etablierte »Räume des Jubels«, wie es der russische Philosoph Michail Ryklin mit Bezug auf die Sowjetunion formuliert (Ryklin 2003), etwa konkret geographisch verortbare Räume wie Aufmarschplätze. Zugleich konnten solche Räume auch unterschiedlich wahrgenommen werden. Dies verdeutlicht die Komplexität in der historischen Analyse einer Musikszene mit ihren speziellen Szene-Orten wie Jugendklubs oder Konzertsälen einerseits und einem imaginierten Szene-Raum, der zudem staatliche Grenzen überwinden kann. Orte, so betont der Soziologie Anthony Giddens, »sind nicht einfach Plätze (places), sondern Bezugsrahmen von und für Interaktionen« (Giddens 1992a: 39). Diese Bezugsrahmen sind deutbar, können mit unterschiedlichen Sinnbedeutungen und Instrumentalisierungen versehen werden. Da Diskurse zugleich stets im Fluss sind und in Konkurrenz- und Machtverhältnissen zueinanderstehen, können Räume auch vorübergehend anders ausgedeutet und vereinnahmt werden. Ein FDJ-Jugendklub beispielsweise war nicht nur ein Treffpunkt für Jugendliche, sondern zugleich ein Ort der politisch-ideologischen Einflussnahme durch die inhaltliche, räumliche und soziale Gestaltung des Klubs. Das hatte zwar den Beigeschmack der staatlichen Uniformierung und Unterordnung. Zugleich waren diese Räume aber u.a. aufgrund ihrer 3 | Vgl. zum Themenkomplex von Musik und Raum bzw. Geographie allgemein Leyhson (1995), Lefebvre (2004), Krims (2012), Bennett (2000: Kap. 3) und Johansson und Bell (2009).

II. Heavy und Extreme Metal in der DDR

technischen Ausstattung auch attraktive Orte zum Musik hören und konnten vorübergehend als Erfahrungsräume für Heavy Metal fungieren: Hier kann ich Metal hören, hier kann ich auf Gleichgesinnte treffen, mich austauschen, Spaß haben. Dafür nehme ich die beiläufigen staatlichen Anbiederungs- und Beeinflussungsversuche in Kauf. Obgleich in der DDR ein Gegensatz von städtischen Ballungsgebieten wie Berlin, Leipzig oder Erfurt und ländlichen Regionen wie Teilen des heutigen Mecklenburg-Vorpommerns in politischer und kultureller Hinsicht zu beobachten wäre, soll diese in der Humangeographie hinlänglich kritisierte Raumkonzeption des klassischen Zentrum-Peripherie-Gegensatzes hier nicht im Vordergrund stehen (Ryan 2004). Eine alternative Frage wäre, nach konkreten raumbildenden Prozessen innerhalb der Szene zu fragen. Das Verhältnis von global präsenter populärer Musik und lokaler Verankerung wurde bereits unter verschiedenen Vorzeichen in der Forschung diskutiert, unter anderem unter den Gesichtspunkten lokaler Identitätsbildung durch Musik und musikalische Praktiken (Shank 1994; Cohen 1991; Straw 1991; Finnegan 1989), kultureller Verankerung in größeren geographischen Dimensionen und unter dem Aspekt der Globalisierung (Binas-Preisendörfer 2010; Gebesmair 2008). Eine grundlegende Frage dabei ist stets, welche Rolle und Einfluss die mediale Übermittlung daran hat, denn aufgrund der Reichweite und der technologischen Ausstattung ist theoretisch ein Hören der Musik an vielen Orten möglich. Die Potentiale des kulturellen Transfers ermöglichten vorübergehende Zentrenbildungen des Heavy Metal, indem etwa ein FDJ-Jugendklub im nächstgelegenen Ort zu einem bedeutenden Anziehungspunkt wurde. Solche kleinen, für den im abgelegenen Dorf lebenden jugendlichen Metal-Fan bedeutsamen Zentren, bildeten eine eigene Landkarte. Dennoch kann eher nicht davon gesprochen werden, dass der auf dem Land lebende Metal-Fan eine ähnliche Erfahrung wie der Gleichgesinnte in der Großstadt gemacht hat.

1.1.1 E xkurs: Szene als sozio-geographisches Konzept Ein theoretisches Konzept, dass diese Aspekte einer geographisch unterschiedlichen Ausbreitung einer Jugendkultur zu verstehen versucht, ist das der Szene. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, sind für Szenen eine thematische Fokussierung, Akteure sowie Infrastruktur und Objekte relevant. Charakteristisch ist dabei, dass Szenen zu einem gewissen Grad selbst organisiert sind (Peterson/Bennett 2004: 5), die Akteure übernehmen dabei Rollen als freiwillige Arbeitskräfte (Hitzler/Niederbacher 2010: 22ff., 184f.). Szenen können sowohl regional als auch virtuell, etwa länderübergreifend konstituiert sein (Bennett/ Peterson 2004; Cohen 1999). Virtuelle Szenen, die sich durch die Verbindung von Menschen mit großen räumlichen Abständen und unterschiedlichen soziokulturellen Backgrounds auszeichnen, etablierten sich spätestens seit den 1970er Jahren (Peterson/Bennett 2004: 10ff.) und können aufgrund ihrer Be-

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sonderheit als Vergemeinschaftung als ein Indikator für gesellschaftliche Veränderungsprozesse verstanden werden. Bereits in den 1940er Jahren im Journalismus insbesondere über Jazz verbreitet (Bennett/Peterson 2004: 2), verhalf der Historiker Eric Hobsbawm dem Begriff um 1960 mit The jazz scene 4 zu größerer Bekanntheit – bis zur theoretischen Ausarbeitung sollte allerdings noch einige Zeit vergehen. Noch in den 1970er Jahren wird der Begriff im wissenschaftlichen Diskurs eher negativ konnotiert und als subversiv oder gegenkultureller Protest verstanden (Müller-Bachmann 2007: 142). Im Kontext populärer Musik wurde er im angloamerikanischen Raum sodann von Will Straw um 1991 mit Verweis auf einen Vortrag von Barry Shanks aus dem Jahr 1988 aufgegriffen (Straw 1991). Straw versteht Szene als »cultural space«, in welchem musikalische Praktiken koexistieren und sich überlagern, wobei er betont: »The point is not that of designating particular cultural spaces as one or the other, but of examining the ways in which particular musical practices work to produce a sense of community within the conditions of metropolitan music scenes.« (Straw 1991: 373)

Die »kulturellen Räume« bedeuten keinesfalls schlichtweg konkrete Lokalitäten oder Punkte auf der Landkarte (Shelemey 2011: 363). Während Straw hier bereits die praxeologische Perspektive stark macht, ist seine Einschränkung auf großstädtische Szenen als nicht zwingend anzusehen. Tatsächlich urteilte er in einem Interview 2012, dass in den Kulturwissenschaften nach wie vor ein »urban bias« vorherrsche, und man eigentlich zu wenig über die ländliche, nicht-urbane Seite wisse (Janotti 2012: 4). Ein wesentlicher Kritikpunkt an dem Konzept der Szene sei der Mangel an methodischer Präzision. Straw hält dem entgegen, dass dies genau der Vorteil des Konzeptes für die Anwendbarkeit unterschiedlicher historischer und geographischer Studien sei (Janotti 2012: 3). Es seien gerade die »spheres of sociability, creativity and connection which take shape around certain kinds of cultural objects in the course of these objects‹ social lives.« (Janotti 2012: 8) Eine zu statische Methode könnte Gefahr laufen, diese Sphären zu verkennen. Straw ergänzt ohne direkt auf den Kontext des Staatssozialismus zu 4 | Hobsbawm veröffentlichte diese wissenschaftlich interessierte und informierte Essay-Sammlung unter dem Pseudonym »Francis Newton« nach dem 1954 verstorbenen US-amerikanischen Jazz-Trompeter Frankie Newton. Hobsbawm selbst verfasste seit Mitte der 1950er Jahre Kolumnen über Jazz für den britischen Observer. Über 60 Jahre danach erinnert er sich an diese Möglichkeit und verdeutlicht ein wesentliches Interesse des wissenschaftlichen Szene-Begriffs: »The attraction was not so much the opportunity to review jazz performances and the records now flooding in, or even to fit this extraordinary music into 20th-century society. It was the chance to understand the musicians and their world: in short, ›the jazz scene‹.« (Hobsbawm 2010)

II. Heavy und Extreme Metal in der DDR

verweisen, dass ein allgemeiner Mangel in diesen Sphären die Szenen zu Refugien und Ressourcen für Musik und Gemeinschaft werden lassen könne (Janotti 2012: 7). Sie können eine alternative, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kompensierende Funktion einnehmen. Der Szene-Begriff ist ebenso im deutschsprachigen Raum ohne offenkundigen Bezug zu Shank oder Straw zur gleichen Zeit definiert worden. So sprach etwa der Jugendforscher Dieter Baacke bereits 1987 von Jugendszenen und der Bedeutung der »Raumfrage« (Baacke 1987: 107, 115). Ebenfalls wandte Manfred Stock in seiner in der DDR verfassten Doktorarbeit das Konzept an und hob u.a. den Erlebnischarakter hervor, für dessen Intensität insbesondere Bands von Bedeutung seien (Stock 1989: 93). Darüber hinaus erkannte er bereits die Besonderheit der Vergemeinschaftung, wie sie später als posttraditional beschrieben werden sollte: Szenen hätten eine »Aura des Persönlichen, des Intimen und des Privaten« (Stock 1989: 95) und seien »vielleicht […] erste Andeutungen für Organisationsformen gesellschaftlichen Lebens, die über ihren eigenen Rahmen hinaus in die Zukunft weisen« (Stock 1989: Verzeichnis der Anmerkungen, S. 13, FN 65). 1992 wurde der Szene-Begriff dann von Gerhard Schulze in seiner Sozialtheorie der Erlebnisgesellschaft (1992) in einen größeren Kontext verwendet. Schulze versteht diese »spezifisch moderne Sozialform« als ein Netzwerk von Publika, die sich durch Erlebnisorientierung, »Konsum eines bestimmten Erlebnisproduktes« sowie eine Bindung an konkrete Inhalte und Orte auszeichnen (Schulze 1992: 375, 460).5 Als eine der jüngeren Ansätze gilt die Konzeptionalisierung der Soziologen Ronald Hitzler und Arne Niederbacher. Das stärker auf Jugendkulturen ausgerichtete Konzept, das u.a. das posttraditionale Neo-Tribalismus-Konzept des Franzosen Michel Maffesoli sowie Ulrich Becks Individualisierungsthese verarbeitet (Keller 2008: 93), definiert Szene sodann als eine 5 | Wenn sodann 1992 der Soziologe Robert Hettlage über »Musik-›Szenen‹« und Jugendkulturen spricht, erscheint es wie ein erkenntnistheoretischer Rückschritt, der möglicherweise einer konservativen Kulturkritik geschuldet ist. Hettlage spricht hier von »Szene« als einer vom Theater entlehnten Metapher und versteht darunter ein »multimediales, strategisch geplantes, hochtechnisiertes Ereignis« (Hettlage 1992: 350) – etwas, das später als »Event« und »Eventisierung« beschrieben werden sollte (Kemper 2001; Dewald 2008; Hitzler 2011). Hettlage erkennt die Rolle von Akteuren etwa als Organisationselite an, bleibt aber noch stark in der Sichtweise von Szene als Event und »Show-Business« (352) verhaftet. Völlig undifferenziert und unqualifiziert sind dann aber seine Äußerungen über populäre Musik und zeitgenössische Jugendkulturen, etwa, wenn er die Sex Pistols, zu diesem Zeitpunkt immerhin auch schon über 15 Jahre alt, als »rüdeste Gossenmusik« (359) bezeichnet. Dass dieser Aufsatz in einem Band mit dem Titel Gesellschaft und Musik. Wege zur Musiksoziologie erscheint, verrät zugleich etwas über Stand und Selbstverständnis der Disziplin zu Beginn der 1990er Jahre.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken »Form von lockerem Netzwerk; einem Netzwerk, indem sich unbestimmt viele beteiligte Personen und Personengruppen vergemeinschaften. […] Eine Szene weist typischerweise lokale Einfärbungen und Besonderheiten auf, ist jedoch nicht lokal begrenzt.« (Hitzler/Niederbacher 2010: 15f.)

Hitzler und Niederbacher beschreiben neben den sozialen und ästhetischen Mehrwerten wie soziale Verortung und Erlebniswert insbesondere die Relevanz als vorstrukturierte Erfahrungsräume sowie von konkreten Orten als Treffpunkte (Hitzler/Niederbacher 2010: 16-26). Um die Dimensionen und Verkettungen von Geographie und Thema verstehen zu können, nutzen sie die Metapher der »Kartographie« einer Szene. Darunter verstehen sie den spezifischen thematischen Fokus, die Einstellungen der Akteure, den Lifestyle, die Symbole und Ritualen, die Medien, die Strukturen und Überschneidungen mit anderen Szenen sowie die konkreten Treffpunkte und Events. Diese verhältnismäßig statische und normierende Perspektive auf Jugendkulturen kann kritisiert werden (Chaker 2014: 182ff.), auch im Sinne der oben angeführten Haltung Straws. Allerdings geben einige Aspekte – die Frage nach den Treffpunkten, der Struktur samt Organisationseliten, der ästhetischen und sozialen Dimension des Erfahrungsraumes und der sozialen Verortung – aufschlussreiche Anregungen. In Verbindung mit der akteurszentrierten Perspektive der Praxeologie können hier die unterschiedlichen Erfahrungen untersucht werden und die Bindungskraft der Jugendkultur, aber auch die lokal unterschiedlichen Ausprägungen von Szenepraktiken nachvollzogen werden. Ein weiterer Vorteil des Konzeptes: Die Kriterien ermöglichen eine gewisse Vergleichbarkeit, ein Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden mit Metal-Szenen in anderen Regionen und Ländern. Eine weitere denkbare Kritik an der Anwendung des Konzepts für den Fall der DDR könnte vor allem der Aspekt des Individualisierungstheorems, wie es für Westdeutschland u.a. von Ulrich Beck in den 1980er Jahren konzipiert wurde, sein. Es mag zunächst ahistorisch erscheinen, ein soziologisches Konzept basierend auf den Erfahrungen in Westdeutschland auf die DDR anzuwenden. Das Dilemma liegt im Gegenstandsobjekt an sich: Heavy Metal als Jugendkultur erwies sich bereits in den 1980er Jahren in den zahlreichen Regionen der Welt als eine Vergemeinschaftungsform, die ihren posttraditionalen, d.h. traditionelle Kontexte und Konventionen ablösenden Charakter in höchst unterschiedliche Rahmenbedingungen einbettete. Ein brasilianischer Metal-Fan etwa war schlichtweg mit anderen sozialen Kontexten konfrontiert als ein Westdeutscher, dennoch lassen sich gewisse Gemeinsamkeiten der Szenen erkennen. Der mit Individualisierung beschreibbare posttraditionale Charakter der Metal-Szene mit dem Hauptfokus auf Musik wiederum prägte die Jugendlichen auch in der DDR, mit Konsequenz bis in den Alltag hinein. Dies zu ignorieren würde im Gegenzug bedeuten, dem Untersuchungsgegenstand nur eingeschränkt näher zu kommen.

II. Heavy und Extreme Metal in der DDR

Tatsächlich werden zahlreiche Bedingungen der Definition von Posttraditionalität auch in der DDR erfüllt, nur eben unter sozialistischen Vorzeichen. Das Entsagen der Teilhabe an sozialistischen Vergemeinschaftungsangeboten wie etwa der FDJ und das sich Orientieren an westlichen Identitätsangeboten ist dann als ein Ausdruck zunehmender Individualisierung zu verstehen. Es waren Versuche Jugendlicher, trotz der starken Vorstrukturierung einer jeden Biographie die eigenen Interessen in den Mittelpunkt zu stellen und gewissermaßen demonstrativ zu verteidigen. Zudem wirkten vonseiten der UdSSR mit der von Michail Gorbatschow eingeleiteten Perestrojka (Umbau) und Glasnost (Offenheit) ebenfalls gewisse Liberalisierungstendenzen auf die sozialistische Ordnung in der DDR ein. Die DDR-Führung rang bekanntermaßen mit einer gewissen Härte und Anstrengung um den Erhalt des status quo (Kretschmann 2012: 165f.). Es geht also vielmehr darum, die spezifische Ausprägung und die Überlagerungen der posttraditionalen Vergemeinschaftungsform des Heavy Metal in den konkreten Kontexten des Alltags in der DDR zu verstehen. Ein wesentlicher Punkt hierbei ist die konkrete geographische Dimension, die für unterschiedliche Szeneverhältnisse sorgte.

1.2 »Bye, bye Lübben City«? Ein differenzierter Blick auf die Szene in der DDR In dem Song »Bye, bye Lübben City« besingt die DDR-Bluesband Monokel die Tristesse der Provinz, vor der zahlreiche Jugendliche allwöchentlich zu entfliehen versuchten: »Am Wochenende steht er wieder auf der Piste/und zeigt seinen Daumen vor/die Musik, die da gespielt wird, wo er hin will/hat er lange schon im Ohr«.6 Sie beschreiben die Flucht hin zu Konzerten und Szenetreffpunkten. Das Reisen zu Konzerten und Szenetreffpunkten war eine verbreitete und typische Praxis lange vor dem Heavy Metal in der DDR (Rauhut/Kochan 2004). Lokale Treffpunkte in Kleinstädten waren in den zahlreichen Jugendklub- und Kulturhäusern vorhanden. Allenfalls die Dichte des Netzwerkes konnte in den ländlichen Regionen geringer ausfallen als in der Großstadt. Betrachtet man die Zählungen des MfS zur Metal-Szene in der DDR, die auf vor allem visueller Identifizierung und entsprechenden Hinweisen auch aus der Bevölkerung basierten und somit keinesfalls als adäquate Einschätzungen zur tatsächlichen Größe gelten können, ist zumindest folgende Tendenz erkennbar: Während die lokalen Szenen in den Großstädten in einer Erhebungen des MfS von 1986 verhältnismäßig groß ausfielen (neben Ost-Berlin vor allem stark vertreten sind die Bezirksverwaltungen Erfurt und Magdeburg), fiel das Netz in der Provinz dünner aus. In der Bezirksverwaltung Cottbus, in der 6 | Monokel, Fünf Nette, Junge Herren, Die 1a Kraft-Blues Machen (Amiga 8 56 233, 1986).

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das von Monokel als Inbegriff des Provinzdaseins besungene Lübben lag, wurde lediglich eine Heavy Metal-Gruppierung registriert (BStU, MfS, HA XX/ AKG, Nr. 97, Bl. 11f.). Die empfundene Teilhabe und das Selbstverständnis als Fan aber konnte eine Abgeschiedenheit durchaus kompensieren. Entscheidend war der Zugang zu Medien (Rundfunk, Tonträger) und Kleidungsstücken. Die Bereitschaft, größere geographische Distanzen zu überwinden, war trotz der nicht unproblematischen Bedingungen des Reisens – allein die zu der Zeit geringe Verbreitung privater PKWs soll hier nur als Stichwort genügen – enorm hoch. Auch als Fan in der abgelegensten Provinzregion konnte man sich als selbstverständlicher Teil einer großen Szene fühlen. Nur so kann man verstehen, warum ein Fan beispielsweise aus der thüringischen Provinz beinahe selbstverständlich Musiker und Journalisten in Frankfurt a.M., Hamburg und sogar North Carolina/USA anschrieb, um seine Begeisterung kundzutun und um Informationen und T-Shirts zu bitten (BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmalkalden, Nr. 558, Bl. 21-22; BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmalkalden, Nr. 566, Bl. 48-49). Hinzu kam: Die Mehrzahl der aktiv tourenden DDR-Bands spielten zahlreiche Konzerte auf dem Land, was den Reiseaufwand für Fans erträglicher machte. Die Konzerttätigkeit auf dem Lande war aus mehreren Gründen lukrativ: Zum einen gab es zahlreiche Dorfgasthöfe und Kneipen, die aus finanziellen Gründen, eigener Begeisterung oder dem Ziel, der Jugend etwas bieten zu wollen, ihre Räumlichkeiten für Konzerte zur Verfügung stellten. Nicht selten hatten diese Kneipiers selbst eine Verbindung zu alternativen Kulturen, etwa den Bluesern oder Beatfans. Zum anderen war die polizeiliche Präsenz auf dem Land eine weit geringere als in der Stadt. So konnten kurzweilige Freiräume entstehen, die Erfahrungen eines ausgelassenen Metal-Konzertes möglich machten. Um zu verstehen, welche Kontraste sich in räumlicher Hinsicht dennoch ergaben, soll im folgenden Ost-Berlin näher betrachtet werden.

1.2.1 Berlin – Zentrum der Szene? Ost-Berlin nahm durch seine Größe mit seinen fast 1,3 Mio. Einwohnern und die unmittelbare Nähe zu West-Berlin eine besondere Stellung ein. Als Hauptstadt der DDR war sie das politische Zentrum, als kulturelles Zentrum verweisen die Traditionen und Praktiken bis weit vor die Gründung der DDR 1949 zurück (Morat 2016; Wolfram 1995). Ost-Berlin hatte in der DDR durchaus einen Sonderstatus als Zentrum alternativer Bewegungen (Kretschmann 2012: 124f.). Ein vergleichsweise liberaleres Umfeld inmitten der Diktatur sowie einer in der DDR einmaligen Verdichtung von verschiedensten Szenestrukturen machten Berlin zu einer tatsächlichen, aber auch verklärten Ausnahme. Die Metal-Szene Berlins war ebenfalls Teil dieser Ausnahme: Die hohe Dichte an Bands einerseits und die weit über die Grenzen der Stadt hinaus

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bekannten Klubs, die Konzerte und Metal-Discos veranstalteten, ermöglichten eine Verdichtung von Szene-Aktivitäten und Szenebewusstsein. Räume in Berlin-Weißensee wie das so genannte »Abi« (Kulturhaus der Arbeiter-undBauern-Inspektion) in der Gustav-Adolf-Straße, das FDJ-Jugendklubheim »Maxim Gorki« in der Charlottenburger Straße, eines der ältesten FDJ-Klubhäuser Berlins, und der Jugendklub in der Langhansstraße 23, aber auch der »Renner« genannte FDJ-Jugendklub Ludwig Renn in der gleichnamigen Straße in Berlin-Marzahn wurden zeitweilig zu Pilgerstätten von Fans aus der Stadt und dem Umland Berlins. Das kurz »Maxim« genannte FDJ-Jugendklubheim in der Charlottenburger Straße war ein beliebter Treffpunkt unter den mehr oder weniger professionellen Akteuren, der Organisations-Elite der Szene: Musiker, Roadies, Veranstalter, die hier nicht selten Deals absprachen, spontan Hilfskräfte für Konzerte fanden oder neue Projekte oder Besetzungswechsel in die Wege leiteten. Wie Thomas Rosanski, der 1989 bei Cobra und Metall spielte, feststellt, war das Nachtleben in Berlin u.a. aufgrund der hohen Dichte an Clubs und Kneipen, etwas Besonderes. Als er zu Beginn der 1990er Jahre in Frankfurt a.M. und Gießen lebte, wurden ihm die Gegensätze klar: »Die Polizeistunde Anfang der Neunziger war völlig befremdlich für mich, um 01 Uhr nachts war alles dicht – da ging es in Berlin, etwas überzogen gesagt – eigentlich erst los.« (Rosanski 2012: 11) Als ein West-Berliner Journalist 1987 auf offizielle OstBerlinerkundungstour zusammen mit der DDR-Rockband Silly gehen konnte, verglich er den Bezirk Prenzlauer Berg mit dem in West-Berlin liegenden Kreuzberg: »Ich denk, ich steh in Kreuzberg. Altbauten und Straßencafe’s bilden ein Milieu-Idyll, das zur großen Berlin-Feier kräftig aufgeputzt wurde. Hippies, Flippies und Punkies grinsen oder gucken böse, je nach Stilfraktion, daß man sofort Heimatgefühle bekommt. Eine üppige Subkultur wächst und blüht hier im kaum noch Verborgenen.« (Starke 1987: 76)

Ost-Berlin wurde von seinen Musikern durchaus geschätzt. Dan Uhden, OstBerliner Gitarrist, erinnert sich an seinen Musikeralltag in den 1980er Jahre: »Es gab in unserem Musikerleben im Prinzip so einen richtigen Werdegang: Am Wochenende hat man gespielt. Montag war frei, denn da mußte man sich erstmal kurz erholen. (lacht) Am Dienstag hat man meistens noch geprobt und ist dann abends noch ins ›HdjT‹ [›Haus der jungen Talente‹] gegangen. […] Jedenfalls haben dort immer ein oder zwei Bands gespielt. Das war immer ganz gut und danach ging es in’s ›Cafe Nord‹, dem einzigsten Nachtclub in unserer Hauptstadt. Am Mittwoch kamen dann alle in die ›Langhansstraße‹ und ich hatte, nachdem ich dort anfing zu arbeiten, auch eine Konzertreihe ins Leben gerufen.« (Uhden 2009a: 34)

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Nachdem bereits Formel 1 mit »Dit is Berlin« (1982) die Hauptstadt der DDR feierten, schrieb auch die Heavy Metal-Band Merlin 1987 anlässlich der 750-JahrFeier der Stadt, die in beiden Teilen mit großem Festaufgebot begangen wurde, die Lobeshymne »Berlin bleibt doch Berlin«. Dieser Song wurde insbesondere 1987 häufig im Rundfunk und im Konzert live gespielt. Dabei bekam die Band den Konflikt zwischen der Hauptstadt und dem Rest der DDR, der auf den tatsächlichen und verklärten Status der Stadt verweist, zu spüren: »Jedenfalls ist es uns bei ›Berlin bleibt doch Berlin‹ passiert, daß wir diesen Song in Zittau spielten und auf einmal war die Tanzfläche leer. Dazu muß man sagen, daß das ein mordsmäßig geiles Konzert war und wir sehr stolz waren, daß unser Song im Rundfunk lief. Wir spielten also diesen Song in Zittau und plötzlich war die ›Tanzfläche‹ leer. Das konnten wir überhaupt nicht verstehen und haben uns gegenseitig angeschaut, was wir denn jetzt wieder falsch gemacht hatten. Hinterher haben uns die Fans erzählt, daß die einen viehischen Rochus auf die ganzen Berliner hatten, weil wir wohl besser versorgt wurden als der Rest der Bevölkerung. Das wußten wir aber nicht und als wir dann dort eine Berlin-Hymne schmetterten, konnte das ja keiner gut finden.« (Uhden 2009b: 30f.)

Als Ost-Berliner Musiker konnte man sich offensichtlich nur schwer vorstellen, wie die Zustände außerhalb des eigenen, ebenfalls als mühselig empfunden Alltags in der Großstadt sein konnten. Die Mehrzahl der von mir interviewten Berliner hatten nur selten negative Erfahrungen mit der Obrigkeit etwa wegen ihres Aussehens gemacht, während Zeitzeugen aus Weimar oder dem Spreewald zumindest von auffällig häufigen Polizeikontrollen und Schikanen berichteten. Zudem mag tatsächlich die Versorgung auf zahlreichen Ebenen in der Hauptstadt der DDR besser gewesen sein, jedoch entwickelten sich andere Formen der Machtkämpfe um die knappen Ressourcen. Die von vielen NichtBerlinern empfundene Bevorteilung der Großstädter wurde von ebendiesen, zumindest im musikalischen Bereich, wiederum eher als Belastung wahrgenommen. In einem Interview im November 1988 antworteten die Musiker von Merlin auf die Frage, ob es Bands in Berlin leichter hätten als in der Provinz: »Wesentlich schwerer! Viele Bands in Berlin bilden sich ein, daß es leichter sei, weil man an der Quelle sitzt. Aber man muß sich vorstellen, daß es in einem Kreis sonstwo eine Band gibt und in Berlin gibt es mehrere. […] Es ist der blanke Wahnsinn.« (Merlin 2010: 29)

Das Dasein zumindest als Musiker sei, so die subjektiven Empfindungen, in der Großstadt aufgrund der hohen Dichte an Bands härter gewesen. Gerade aber auch die hohe Dichte an szenerelevanten Faktoren – Clubs, Bands, Anlaufpunkte des Schwarzmarktes, aber auch die Nähe etwa zum staatlichen Rundfunk – konnte dabei schnell übersehen werden. In der Großstadt Berlin

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pulsierte die Szene, in den abgelegensten Winkeln der Republik hielt bestenfalls ein Zug, der den Fan jedes Wochenende zu den Konzerten und Partys fuhr. Dennoch betonten zahlreiche Zeitzeugen, die auf dem Land aufwuchsen, dass sie zwar den allgemeinen Mangel wahrnahmen, aber die Freude über neue Musik, Informationen oder Kleidungsstücke alles überschattete. In der Provinz »haben wir ja eh hinterhergehangen. Aber genau das hat ja auch dann die Szene geformt und das hat wahrscheinlich auch dann diesen Zusammenhalt herauf beschworen« (Interview Münnich). Von nicht zu unterschätzendem Einfluss für die besondere Situation der großstädtischen Szene war zudem die unmittelbare Nähe zu West-Berlin. Zwar trennte die Berliner Mauer die Stadtteile seit 1961 auch deutlich wahrnehmbar und nachhaltig, zusätzlich zu den intensiven Grenzkontrollen. Schmuggel und eingeschränkter Reiseverkehr ermöglichten jedoch einen direkteren kulturellen Transfer zwischen den beiden Teilen der Stadt. Ein weiterer ausschlaggebender Aspekt war die Szene-Entwicklung in West-Berlin selbst. Die Stadt war aufgrund ihrer besonderen Lage inmitten der DDR abgeschnitten vom eigentlichen Bundesgebiet und somit ebenfalls von Be- und Einschränkungen im Waren- und Kulturtransfer betroffen. Man betrachtete sich in West-Berlin durchaus selbst als Peripherie, abgetrennt von den tatsächlichen Metal-Zentren in Westdeutschland. Diese Peripherie-Stellung wurde teilweise als Ursache für eine geringere Aufmerksamkeit für die Underground-Bands West-Berlins angesehen. In einem Bericht im West-Berliner Szene-Magazine Iron Pages über eine lokale Band zitierte man diese – als wolle man es einmal mehr unterstreichen –, dass »nämlich die durchschnittliche Berliner Metal Gruppe keineswegs schlechter, als die durchschnittliche westdeutsche Band« sei (Mader 1986: 7). Aus Sicht der DDR-Szene war West-Berlin wiederum ein starkes westliches Metal-Zentrum, und das in so greif barer Nähe. Tatsächlich etablierten sich hier mit der Gründung von Noise Records 1984 und dem Music Lab Studio von Harris Johns, der u.a. die westdeutschen Szenegrößen Kreator, Helloween und Tankard produzierte, starke Impulsgeber und Förderer (Gehlke 2017). Unter den Aspekten der Szenebetrachtung war Ost-Berlin schlichtweg das Zentrum des Metals in der DDR. Eine gewisse Szeneinfrastruktur mit Treffpunkten, der Kontakt zu westlichen Gleichgesinnten und einem sich verdichtenden Schwarzmarkt sowie eine sich mit einer Szene-Elite aus Disco-Betreibern, Veranstaltern und Musikern ausdifferenzierende Vergemeinschaftung waren charakteristisch. Dennoch zeichnet sich auch ab, dass die Szene in den verschiedenen Stadtteilen unterschiedlich stark ausgeprägt war. Nicht ganz Ost-Berlin, sondern insbesondere die Stadtteile Weißensee, aber auch Prenzlauer Berg und Marzahn waren besonders aktive Zentren. Im Vergleich zum Rest der DDR kann festgehalten werden: Metal blühte in Ost-Berlin am stärksten.

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Dennoch war Heavy Metal in der gesamten DDR präsent. So heißt es in einem Sonderheft des Ministeriums des Inneren von 1988: »Heavy metals sind in allen Teilen der Republik bis in die Gemeinden festzustellen.« (BVfS Leipzig Abt. XX, 00126/01, Bl. 11) Dabei ist zu beobachten, wie sich Metal-Fans überall öffentliche und staatliche Einrichtungen – vom FDJ-Jugendklub bis hin zum Landgasthof mit Kneipenbetrieb – aneigneten und eigensinnig für ihre Interessen nutzten. Zwar ermöglichten Medien die Teilhabe an der Jugendkultur, die Möglichkeiten der Interaktion etwa an konkreten Treffpunkten konnte allerdings sehr unterschiedlich ausfallen. Auf dem Land und in der Kleinstadt prägten eher kleine Gruppen von ›Heavies‹ das Bild, man kannte nahezu jeden. Die Anlaufstellen wie die FDJ-Jugendklubs und Kulturhäuser teilte man sich mit anderen Jugendlichen, die völlig andere Musik hörten. In den größeren Städten gab es schlicht weitaus mehr Anhänger der Jugendkultur, das öffentliche Bild war stärker von ihnen geprägt, zugleich aber auch durch die größere Vielfalt der Lebenswelten relativierter. Darüber hinaus bildeten sich regelrechte Szenetreffpunkte, die zumindest zeitweise fast ausschließlich von der Szene frequentiert wurden. Insofern hatte ein gewisses Stadt-Land-Gefälle auch unterschiedliche Szenewahrnehmungen zur Folge. Deutlich wird dabei, dass eine geographische Betrachtung einer Musikszene keinesfalls bei der klassischen Unterscheidung von Zentrum und Peripherie stehen bleiben kann, sondern vielmehr nach den szenerelevanten Faktoren sowie den Aktivitäten und Wahrnehmungen der einzelnen Akteure fragen muss. Gerade auch der eigensinnige Charakter der Szene, der zu Praktiken der Selbstermächtigung ermutigte, konnte Mangel unterschiedlich kompensieren: Es gibt keinen Club im Dorf, wo man sich treffen und Musik hören kann? Dann improvisiert man sich eben einen!

1.3 E xkurs: Jugend und Heav y Metal in der BRD der 1980er Jahre Der westdeutsche Jugendforscher und Erziehungswissenschaftler Jürgen Zinnecker bemühte sich nach der politischen Wende um einen Vergleich der Jugend im einst geteilten Deutschland. Eine für ihn ausschlaggebende Differenz war eine »Jugend als Übergangsphase zum und als Einstieg in das Erwachsenenleben« im Osten und »Jugend als Bildungsmoratorium« in Westdeutschland (Zinnecker 1991: 9). Dabei sei die für die DDR geltende Variante als ein »vergleichsweise kurzschrittiger und mit wenig sozialem und kulturellem Eigengewicht ausgestatteter Lebensabschnitt« zu verstehen (Zinnecker 1991: 9). Das Bildungsmoratorium in Westdeutschland hingegen »konstituiert einen relativ eigenständigen Lebensabschnitt, in dessen Rahmen sich spezifische soziale Lebensweisen, kulturelle Formen und politisch-gesellschaftliche Orientierungsmuster ausbilden.« Deutlich werde eine zunehmende »Autonomie der Jugendphase« und Bedeutung »außerschulischer Karrieren, beispiels-

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weise im Bereich von Popularmusik« (Zinnecker 1991: 10). Neben der Verlängerung bzw. Ausdehnung des Bildungsmoratoriums in den Biographien westeuropäischer Jugendlicher betont er die Herausbildung und Ausdifferenzierung von konsumorientierten Lebensstilen, zunehmender Individualisierung und Bedeutung des Erwerbs von kulturellem Kapital. Was Zinnecker beschreibt, spiegelt die Freiräume der westdeutschen Jugend wider, die sowohl durch zunehmende finanzielle Mittel als auch zeitliche Ressourcen ermöglicht wurden. Zusammen mit einer Verlängerung der Adoleszenz oder einer »Post-Adoleszenz« (Zinnecker 1985: 162) und einem verbreiteten Sinnmuster der »Selbstbehauptung« (Fuchs 1985) entstanden Freiräume für selbstgewählte Verwirklichungen. Für die Entstehung und Verbreitung von Heavy Metal in der BRD waren insbesondere zwei Aspekte von Bedeutung: Zum einen waren die finanziellen Möglichkeiten Jugendlicher wichtig für die Etablierung eines Marktes von Tonträgern und Konzertwesen, die zugleich für eine wachsende Verbreitung sorgten. Zum anderen beteiligten sich zahlreiche Heavy MetalFans in ihrer Freizeit aktiv an der Gestaltung einer Szene, indem sie etwa Fanzines herausgaben oder Konzerte organisierten. Wie Dietmar Elflein zeigt, entstand die Heavy Metal-Szene in der BRD in der ersten Hälfte der 1980er Jahre, mit einer enormen Beschleunigung ab 1983 etwa auch bei Bandgründungen (Elflein 2016c; Mader 2012). Mit der Gründung des vermutlich ersten deutschen Heavy-Metal-Fanclubs in Veltern 1981 bildeten sich insbesondere in Nordrhein-Westfalen bzw. dem Ruhrgebiet, Hannover und Hamburg dichtere Szenennetzwerke heraus, die auch teilweise aus den bestehenden Hard Rockund Biker-Szenen heraus entstanden. In den Heavy Metal-Netzwerken engagierten sich Fans mehr und mehr für die Szene, was vor allem an Zeitschriftengründungen deutlich wird. Götz Kühnemund, Mitbegründer des Rock Hard-Fanzines, das nach kurzer Zeit erfolgreich genug für eine hauptamtliche Herausgabe war, erinnert sich an die Szene im Ruhrgebiet: »Jeder wollte dabei sein, jeder musste irgendwie aktiv mitmischen in dieser superspannenden neuen Szene. Da spielte es keine große Rolle, ob man eine Band gründete, einen Fanclub leitete oder ein selbst kopiertes Heftchen herausbrachte. Hauptsache, man war ein Teil dieses geilen Spektakels.« (Zit.n. Schmenk/Krumm 2010: 7)

Kühnemund vermittelt hier ein Bild des aufregenden und aufgeregten Entstehens einer Szene in der BRD, die zugleich durch das zunehmende Engagement der Fans und ein wachsendes ökonomisches Interesse der Musikwirtschaft in ihrer Herausbildung ein hohes Tempo annahm. Bereits 1983 präsentierte das ZDF die Konzertreihe »Rock Pop – The Heavy Metal Show« vorrangig mit Größen des New Wave of British Heavy Metal. Die Konzertreihe führte die Bands durch mehrere deutsche Städte und war vermutlich die erste Möglichkeit für viele Fans, so viele Metal-Bands im Konzert zu sehen. Tatsächlich ist es über-

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raschend, dass diese Stadion-Tour von einem der öffentlich-rechtlichen Sender übertragen wurde. In der NDR-Dokumentation »Metal Mania oder Flucht in Action« von Thomas Schadt aus dem Jahr 1988 bescheinigt der Sprecher gleich zu Beginn, dass Heavy Metal lange Zeit von den Massenmedien gescholten und gemieden wurde, obwohl er so stark angewachsen sei (»Metal Mania«, 3.10-3.30min).7 Tatsächlich gab es Mitte der 1980er Jahre durchaus eine Debatte in den westdeutschen Medien um die Präsentation populärer Musik allgemein. Im Rundfunk, so fasste der Spiegel-Redakteur Peter Stolle in einem Artikel 1986 zusammen, sollte der »zur Harthörigkeit führende Heavy Metal« nur nicht zu oft gespielt werden (Stolle 1986: 216). Der öffentliche Rundfunk war für die meisten Fans aber nicht völlig irrelevant, entstanden doch entsprechende Sendungen etwa beim NDR II. Wichtiger aber waren zunächst die Aktivitäten, aus denen heraus sich eigene Infrastrukturen einer Musikwirtschaft – Veranstaltungsorte, Plattenlabels, Magazine – herausbildeten. So ist es auch nicht überraschend, dass bereits 1983 überregional bekannte Fanzines, Shock Power und Rock Hard, und bereits 1984 das erste professionelle Special-Interest-Magazin, der deutsche Metal Hammer, veröffentlicht wurden. Das gesellschaftliche Bild von der Jugendkultur allerdings war verhalten bis kritisch. Beeinflusst von der international wirksamen Kritik an zeitgenössischer populärer Musik durch das US-amerikanische Parental Music Ressource Center (PMRC), in dessen Fokus auch der Heavy Metal stand, sah die westdeutsche Öffentlichkeit ebenfalls Gefahren in der Musik (Wehrli 2012: 61-73, 145207; Chastagner 1999; Richardson 1991). Satanismus und Okkultismus wurden zu Schlagwörtern. Zahlreiche Publikationen wie Hans-Ulrich Bäumers Wir wollen nur deine Seele (1984) oder Fernando Salazar Banols Die okkulte Seite des Rock (1987) stellten Verbindungen zu Rock bzw. Heavy Metal her. Der Spiegel veröffentlichte etliche Artikel, die über an Okkultismus und Satanismus interessierte Jugendliche berichten. Die ritualhaften Séancen könnten dabei als einfaches Musikhören »getarnt« sein, eingerahmt seien die Rituale durch Black Metal, heißt es da (Rumler 1986). Bereits 1992 machte Werner Helsper darauf aufmerksam, dass es bei diesem Diskurs bis dato wohl weniger »um eine kritische und verstehende Analyse, sondern vielmehr um die mediale und soziale Produktion des ›gefährlichen und gefährdeten Jugendlichen‹« ging (Helsper 1992: 19). Den Kritikern ging es offensichtlich weniger darum, »sich systematisch dem Phänomen Metal zu nähern und zu verstehen […], sondern um Apologetik, das heißt, sie wollen die durch den Metal erfolgende Infragestellung der eigenen Gewissheiten zurückweisen und die eigene Anschauung mit Nachdruck verteidigen.« (Berndt 2012: 20) 7 | Ich danke Matthias Mader und dem Iron Pages Verlag in Berlin für die Bereitstellung der nur selten im Fernsehen ausgestrahlten Dokumentation.

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Die Folgen dieser verallgemeinernden Haltung waren durchaus schwerwiegend, wie Wehrli anhand zahlreicher Beispiele etwa in Form von Verboten demonstriert (Wehrli 2012). Zudem erschwerte diese Pauschalisierung durchaus das Erkennen tatsächlich problematischer Entwicklungen wie die Vereinnahmung der Musik durch neofaschistische Bewegungen. Trotz alledem wuchs die westdeutsche Szene rasch auf eine beachtliche Größe an und wurde eine der weltweit bedeutendsten Szenen (Zaddach 2017b). Für die DDR-Fans jedenfalls war sie aufgrund der gemeinsamen Sprache und der geographischen Nähe der erste Bezugspunkt in der als international verstandenen Jugendkultur Metal.

2. D ie S zene in der DDR: A k teure und Themen Die bisherigen Ausführungen haben verdeutlicht: Ob im großstädtischen Getümmel Ost-Berlins oder etwa der thüringischen Provinz, Metal gab es überall in der DDR. Die Faszination und Begeisterung für die Musik sowie die Identifikations- und Bindungskraft der Jugendkultur Metal überwanden regionale und geographische Hürden. Retrospektiv ist es nahezu unmöglich, mit Bestimmtheit über Größe und Ausdehnung der Szene in der DDR zu sprechen. Als Quellen können zwar die von individuellen Wahrnehmungen geprägten Erinnerungen der Zeitzeugen und die Verlässlichkeit suggerierenden statistischen Erhebungen des MfS dienen. Dennoch, während Erinnerungen trügen können, müssen die Erhebungen des MfS kritisch betrachtet werden. Die 1989 angegebene Zahl von über 1.000 Heavies, somit größte »Extremgruppe« unter den DDR-Jugendlichen, mag zwar Auskunft über die Verbreitung und eine gewisse Verhältnismäßigkeit zu den anderen Jugendkulturen geben. So war die Heavy Metal-Kultur in den späten 1980er Jahren unter Jugendlichen der DDR durchaus verbreiteter als etwa die Punk- oder Skinheadbewegung. Zugleich ist das Bild der MfS-Zahlen aber verzerrt, denn die Zählungen basierten vorrangig auf einem optischen Erkennen und den Informationen von informellen Mitarbeitern (IM). Der Heavy Metal-Fan aber, der lieber unauffällig zu bleiben versuchte, entzog sich dieser Statistik ebenso wie der nicht mehr ganz jugendliche Arbeiter, der als Gelegenheitshörer jeden Samstagnachmittag die Tendenz Hard bis Heavy-Sendung auf DT 64 einschaltete. Die deutliche Mehrheit der Fans und Musiker wurde dabei in den 1960er Jahren, sehr häufig ab 1965 geboren, wobei zahlreiche der vom MfS registrierten Jugendlichen auch den Jahrgängen nach 1970 angehörten. Tatsächlich war das Einstiegsalter teilweise sehr niedrig, nach Selbstauskünften begeisterten sich Jugendliche bereits im Alter von 10 oder 11 Jahren für die Musik (DRA H006-01-06/0034, Bd. 1, Bl. 700430, 14.7.87). Abhängig von beeinflussenden Faktoren wie ältere Geschwister und Eltern war hierfür auch die mediale Prä-

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senz der Musik ausschlaggebend. Über 30-Jährige, wie etwa als prominentes Beispiel die Musiker der Band Formel 1, waren hingegen eher die Ausnahme. Diese Altersstruktur ist wenig überraschend, war doch Heavy Metal in den 1980er Jahren allgemein eine verhältnismäßig junge Jugendkultur mit ersten Ausdifferenzierungen: Den Fans und Musikern der ersten Stunde in den späten 1970er Jahren standen in den 1980er Jahren teilweise bis zu 15 Jahre jüngere Fans gegenüber. Deutlich wird aber, dass Heavy Metal auch in der DDR eine längerfristige Bindungskraft, die weit über das Teenageralter hinausreichte, auf bauen konnte. Dadurch entwickelte sich Heavy Metal in den 1980er Jahren zu einer speziellen Jugendkultur, die die Grenzen des gemeinhin als jugendlich verstandenen Alters weiter nach oben verschob – ein weiteres Indiz dafür, sie als posttraditional aufzufassen.

2.1 Gender verhältnisse Ebenso wie die tatsächliche Größe der Szene kann die genaue Verteilung der Geschlechter nur schwer rekonstruiert werden. Heavy Metal war im internationalen Kontext bereits seit den 1970er Jahren eine vornehmlich männlich dominierte Jugendkultur. Sie entwickelte und verbreitete Codes, die Konstrukte von Männlichkeit implizierten oder offen kommunizierten (Heesch/ Scott 2016; Weinstein 2000: 104; Walser 1993: 108-110, 113). Diese Männlichkeitsbilder waren prägend und allgegenwärtig. Plattencover mit männlichen Darstellungen von Kriegern oder männlichen Symbolen wie dem Hammer können beim Hörer über »semantische Fenster« (Pfleiderer 2003: 27f.) eine Verbindung zwischen dem Klanglichen und dem semantisch Konnotierten herstellen. Auch offen sexistische Haltungen und Texte, die in erster Linie die Frau zum Lustobjekt degradieren, waren und sind verbreitet. Walser stellt fest: »Heavy metal is, as much as anything else, an arena of gender, where spectacular gladiators compete to register and affect ideas of masculinity, sexuality, and gender relations.« (Walser 1993: 111) Er betont ferner, dass Männlichkeit nicht nur in Songtexten und visuellen Darstellungen, sondern auch in der Musik über Rhythmus, Tonhöhen und Timbre konstruiert werden könne (Walser 1993: 113ff.). Susan Fast (2001: 163ff.) deutet die Symbolhaftigkeit der Performances im Konzert als Demonstration männlicher Stärke und Macht, die sich in erster Linie an ein heterosexuelles, weibliches Publikum richte und einen Unterton erotischen Vergnügens beinhalte. Diese Tendenz wurde bereits für die Rockmusik der 1970er Jahre mit dem Begriff des »cock rock« diskutiert (Hesmondhalgh 2013: 74-77). Michelle Phillipov fasst daher zusammen: »The promotion of violent, masculine sexuality and equation of masculinity with physical violence and power has been understood as so central to heavy metal’s music

II. Heavy und Extreme Metal in der DDR and social values that the genre has been discussed as an archetypal example of ›cock rock‹.« (Phillipov 2012: 62)

Phillipov definiert Heavy Metal »as an enactment of male sexual performance, a narcissistic celebration of male power« (Phillipov 2012: 62). Obschon etwa Deena Weinstein betont, dass Heavy Metal nicht zwangsläufig misogyn sein müsse (Weinstein 2009: 18), war, insbesondere in den 1980er Jahren, die Reduktion von Frauen auf nur wenige akzeptable Rollen innerhalb der Szene charakteristisch. Folgt man Weinstein, waren nur zwei Rollen möglich: »sex objects to be used or abused« oder Frauen, die ihr Geschlecht eher verleugnen und sich an dominanten männlichen Rollen orientieren – »to be one of the bad boys« (Weinstein 2000: 221). Für Weinstein ist klar, dass Frauen, die Mitglieder der Szene sein wollten, die männlichen Bedingungen akzeptieren mussten (Weinstein 2000: 134). Aufschlussreich ist dabei eine differenzierte Perspektive auf die einzelnen Spielarten des Metal, denn es herrscht keinesfalls ein einheitliches Männlichkeitsbild vor. Die Ausdifferenzierung in stilistischer Hinsicht ging dabei durchaus auch mit konträren Geschlechterbildern einher. Während ein Glam Metal-Musiker wie Dee Snider von Twisted Sister mit Make-Up und einem eher androgynen Image auftrat, entwarfen Power Metal-Bands wie Manowar neo-romantische und oftmals vorzivilisatorische oder endzeitutopische Kriegerimages. Eine allgemeine Tendenz war hierbei, dass vom Heavy Metal aus in Richtung Extreme Metal der reelle Frauenanteil der Szene abnahm (Kahn-Harris 2007: 71; Bennett 2001: 57). Paradoxerweise wurde im Extreme Metal die für etliche Spielarten des Heavy Metal charakteristische Sexualisierung von Songtexten, der Kleidung und Bühnen-Performances häufig abgelehnt, Ausnahmen bilden hier einzelne Spielarten des Death Metal und Grindcore (z.B. Porngrind). Zudem hebt Extreme Metal geschlechtliche Unterscheidungen in der Stimme auf. Gesangstechniken des »Growlings« und »Screamings« lassen nur noch schwer das Geschlecht des Ausführenden erkennen (Erbe 2016; Heesch 2011). Ferner behauptet Ronald Bogue, dass die »flows and fluxes, topological spaces and floating durations« (Bogue 2004: 98) der ästhetischen Erfahrung beim Hören von Death Metal dazu beitragen können, die Emotionen und Identitäten vom Subjekt loszulösen (Phillipov 2012: 65). Dies bedeute auch, dass sich die Musik von libidinösen Implikationen loslöse, während das hörende Subjekt im Sound als Ganzheit aufgehe (Bouge 2004). Diese Form der ästhetischen Praxis kann als vorübergehende Selbstvergessenheit verstanden werden, die auch eine geschlechtliche Selbstvergessenheit bedeuten kann. Wie lässt sich dies für den Fall der DDR kontextualisieren? Susanne Binas-Preisendörfer, die sich in ihrer Dissertation empirisch mit der DDRRockszene befasst (Binas 1991), verstand die Metal-Jugendkultur Anfang der 1990er Jahre als »verschworene Gemeinschaft von Männern […], die einander

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helfen, ›Chaos und Ego‹ zu bewältigen« (Binas 1992: 4). Für Binas waren die Männlichkeitsbilder insbesondere an Praktiken des Körpers gebunden. Sie beobachtete, »daß bei den Heavy-Metal-Fans das Motiv der kämpferischen Bewährung auffallend an eine expressive Darstellung von Körperlichkeit gebunden« sei, in Form von handgemachter Musik und körper- und kraftbetonten Zeremonien wie etwa Begrüßungen: »Männerfreundschaften dieser Couleur neigen zum strengen Ritual: der harte Händedruck, knuffen, klatschendes Schulterklopfen, Boxhiebe in die Seite – ›Wie geht’s altes Haus, alter Kumpel, alte Sau?‹ Physische Kraftsymbole und kraftvolle Körperlichkeit charakterisieren das Verhalten.« (Binas 1992: 5)

Binas-Preisendörfer weist ferner darauf hin, dass in einer solchen Gemeinschaft zugleich geschlechtsspezifische Erfahrungen geprägt und weitergegeben werden, und somit eine Orientierung für nachfolgende Generationen darstellen (Binas 1992: 10). Tatsächlich war unter jungen männlichen Metal-Fans durchaus ein patriarchalisch geprägtes Bild auf die Geschlechter verbreitet. Danach wurden weibliche Fans meist als Freundinnen oder Mitläufer aufgefasst, die sich zwar entsprechend kleiden würden, aber wenig über Hintergründe und die Musik wüssten (Stock/Mühlberg 1990: 155). Dieses patriarchalische Bild muss allerdings auch im Kontext der sozialistischen Gesellschaft an sich gesehen werden. Der Sozialismus vermittelte ebenso ein dominantes Männlichkeitsbild des starken Helden. Zwar wurde, von der DDR selbst, die Fortschrittlichkeit in Sachen Gleichberechtigung von Mann und Frau immer wieder betont. Die Erwerbstätigkeitsquote unter Frauen betrug 1990 noch 91,2 Prozent (Wolle 1999: 174). Jedoch konnten die in der alltäglichen Praxis manifestierten Geschlechterstereotype, verstanden als »kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männern enthalten« (Eckes 2008: 171), dem entgegenstehen. In der Praxis fehlte oftmals die Bereitschaft vieler Männer, im Haushalt und bei der Familie ebenbürtig aktiv zu sein. Gleichberechtigung hieß in der DDR somit oftmals eine starke zusätzliche Belastung für die Frauen. Schlechtere Bezahlung bei gleicher Qualifikation, Doppelbelastung von Beruf und Haushalt bzw. Kindererziehung, schlechte Karriere- und Aufstiegschancen in Führungspositionen und ein relativ konservatives und paternalistisches Frauenbild waren charakteristisch (Wolle 1999: 173-177). Diese Geschlechterbilder prägten ebenso die Jugend und natürlich auch die Heavy Metal-Fans. In Kombination mit den starken Männlichkeitsbildern der Jugendkultur kann hier von einer bestärkenden und sich manifestierenden kognitiven Struktur der Geschlechterbilder gesprochen werden. Diese männliche Dominanz spiegelt sich auch in den musikalischen Praktiken und den Geschlechterverhältnissen der DDR-Bands wider: Der An-

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teil musizierender Frauen war verhältnismäßig gering, zudem vornehmlich auf die Rolle der Sängerin beschränkt.8 Lediglich im Hard Rock-Bereich gab es einige wenige reine Frauenbands. Hier sind insbesondere »Na Und« aus Dresden und »Mona Lise« aus Berlin zu nennen. Die Beschränkung auf den Gesang ist auffällig. Einerseits kann dies durch die Praxis der musikalischen Ausbildung erklärt werden: Die Praxis der Eignungstests, nach denen an den Musikschulen in Instrumente aufgeteilt wurde, mag von einem geschlechtlichen Bias geprägt gewesen sein. Der DDR-Rock bot zudem etwa mit Silly und der Sängerin Tamara Danz zugleich starke und einflussreiche Vorbilder. Hört man die seltenen, teils unveröffentlichten Aufnahmen entsprechender MetalBands,9 wird deutlich, wie sehr sich die Sängerinnen allerdings in erster Linie am Heavy Metal orientierten, so insbesondere bei der Verwendung der Techniken des Screamings und Growlings. Letztlich waren aber – für den Heavy und Extreme Metal allgemein typisch – nur wenige Frauen in Bands aktiv. Cornelia Wolleks Werdegang mag dabei typisch für die Erfahrungen der Geschlechterstereotype stehen. Wollek wurde über ihren musizierenden Bruder musikalisch geprägt und stieg 1985 als Sängerin in seiner Band ein, die Rathenower Powerage: »Als dann 1985 der damalige Sänger bei Powerage das Handtuch warf und ich die kleine Schwester des damaligen Bassisten der Band war, hatte ich plötzlich die Chance und habe sie sofort ergriffen. Mein Bruder war davon gar nicht begeistert und hätte mich am liebsten vom Hof gejagt, aber ich blieb hartnäckig und durfte dann bei Powerage singen.« (Wollek 2010: 36)

Wollek betont dabei, dass mit ihrem Einstieg die musikalische Ausrichtung stärker Richtung härteren Heavy Metal ging. Während der Vorgänger am Mikrofon bevorzugt AC/DC, The Scorpions und Accept sang, bevorzugte sie Judas Priest, Iron Maiden und W.A.S.P. Ab 1988 orientierte sich die Band zunehmend an westdeutschen Thrash Metal-Bands wie Sodom, Kreator oder Tankard. Wollek beschreibt ihre Erfahrungen in einer von Männern dominierten Szene:

8 | Zu denken wäre hier an Cornelia Wollek (Powerage), Kerstin Radtke (Blitzz/Prinzz), Ina Morgenweck (Charlie) oder Michaela Burkhardt (Plattform, Micky Burgk). 9 | Eine interessante, wenn auch nicht eindeutig sichere Quelle, da teilweise unveröffentlichte Demo-Aufnahmen verwendet werden, sind die von einem Fan zusammengeschnittenen Stücke der Bands Na Und, Metall und Powerage: »Women in Heavy Metal 1979 to 1989: DDR Part2«, online: https://www.youtube.com/watch?v=2-9jM8GhGHc (Zugriff am 01.11.2016).

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Wollek beschreibt hier Phänomene, die Sängerinnen und Musikerinnen insbesondere im Rock und Metal immer wieder begegneten: Eine auf dem Geschlecht beruhende zögerliche Anerkennung künstlerisch-handwerklicher Fähigkeiten bei gleichzeitiger Sexualisierung. Während die Akzeptanz als Musikerin oder Sängerin vor allem unter Musikern problematisch werden konnte, war die Sexualisierung vor allem vonseiten des Publikums offensichtlich ein verbreitetes Problem, das mit regelrechten Beleidigungen einhergehen konnte.

2.2 Bildung, Beruf und vermeintliche Zusammenhänge mit der Musik Die Dominanz männlicher Fans in der DDR wurde oftmals als eine Homologie zu vorrangig männlich besetzten, auf körperliche Arbeit basierenden Berufen gesehen: »Die Befragungen des Zentralinstitutes für Jugendforschung zeigten, daß ein Großteil derer, die von sich sagten, Heavy-Metal Anhänger zu sein, Lehrlinge oder junge Arbeiter in der Industrie waren und vor allem körperliche bis schwerst körperliche Arbeit täglich zu verrichten hatten.« (Binas 1992: 7)

Felber stellte zudem eine Verbindung von ästhetischen Präferenzen und Bildungsgrad fest: »Für Lehrlinge ohne Abiturausbildung und junge Facharbeiter ist der Musikgebrauch primär integraler Bestandteil von Alltagsroutinen und Reproduktionsverhältnissen. Objekt ihrer Aneignungsform sind weniger Botschaften, ästhetische Konzepte oder gar sozialökonomische Hintergründe von Musikproduktion, sondern eher die sinnlich unmittelbar präsenten Klänge und Bilder.« (Felber 1990: 82)

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Ohne Frage, ein großer Teil der Fans entstammte dem Arbeitermilieu. Ein regelmäßiges Einkommen war für das Fan-Dasein essentiell, mussten doch enorme Summen für Tonträger und Bekleidung ausgegeben werden. Studierende unterlagen hingegen einem weitaus größeren politischen Konformitätsdruck. Allerdings kann keinesfalls davon die Rede sein, dass es keine Studierenden gab, die sich nicht auch für die Musik begeisterten. So finden sich unter den Briefen an die Redaktion der Metal-Radiosendung Tendenz Hard bis Heavy auch solche, in denen sich die Autoren offen als Studierende bekennen. In einem solchen Brief demonstriert der Verfasser seine Eloquenz und sozialistisch geschulte Argumentationsfähigkeit, um sich über die unzureichende Ausstrahlung von Metal im Jugendradio und einer damit einhergehenden Benachteiligung auszulassen: »Statt einer gezielten Förderung der Herausbildung couragierter, geistig reger Persönlichkeiten scheint man lieber den politisch desinteressierten Einheitsdenker, dem alles in den Mund gelegt wird, der deswegen schon aus Prinzip angewidert auf kontra schaltet, zu prägen. Der angerichtete Schaden durch unsere Medienpraxis ist meines Erachtens ausreichend, um endlich einmal damit zu beginnen, Lehren zu ziehen, Aktivität und Flexibilität sowie Realität an den Tag zu legen.« (DRA H006-01-06/0037, Bl. 121040, 17.12.87)

Problematisch an Felbers oben zitierter Perspektive ist offenkundig die teilweise stark verengte Perspektive auf Jugendkultur an sich. Die Annahme, dass musikalische Strukturen mit Strukturen sozialer Praktiken zusammenfallen, ist in erster Linie als eine Konstruktion des Betrachters zu verstehen (Shepherd/Wicke 1997: 39f.). Zwar scheinen die besonders hoch gehaltenen handwerklichen Aspekte des Spielens eine gewisse Überschneidung zum sozialistischen Arbeitsalltag mit den noch wenig automatisierten Abläufen in Fabriken, an Fließbändern und Maschinen aufzuweisen – die dem Heavy Metal zugleich zugeschriebene Virtuosität allerdings nur schwer (Bennett 2002: 454). Die These, dass eine Sympathie vor allem bei jungen Facharbeitern, die in solchen Arbeitsgebieten tätig waren, vorherrschte, weil die Musik auf sinnlich-ästhetischem Weg gewissermaßen eine Homologie sowie Verarbeitung ihrer Tätigkeiten darstellte, mag zunächst überzeugen.10 Die Beachtung und 10 | Die These, Heavy Metal sei vornehmlich weiß, männlich und entspringe der Arbeiterschicht wurde u.a. von Weinstein (2000) diagnostiziert. Eric Smialek (2008: 21-31) diskutiert diese These und zeigt, dass sie insbesondere für den europäischen Raum keinesfalls als Grundannahme herangezogen werden kann. So stellt etwa auch Bettina Roccor in ihrer empirischen Studie zum Metal in Deutschland in den 1990er Jahren fest: »Dennoch wird meines Erachtens deutlich, daß die sozialen Hintergründe der Fans sehr unterschiedlich sind und keineswegs dem Stereotyp ›Arbeiterfamilie‹ oder ›asozialer

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Befolgung von Regeln, strukturierte Lebens- und Arbeitsabläufe, kleine aber durchaus definierte, kontrollierte Freiräume und Nischen der Kompensation und des Rausches: All dies scheint mit der Ästhetik des Metal zusammenzupassen. Jedoch, eine Kausalität aufzustellen, würde die Historizität der Jugendkultur Metal in der DDR verkennen, die Vielfältigkeit und Widersprüche der vorhandenen Rezeptions- und Deutungsweisen ausblenden. Denn wie könnte dann etwa erklärt werden, warum der Blues in der DDR nach Ermittlungen des MfS ebenfalls mehrheitlich von Industriearbeitern gehört wurde (Rauhut o.J.), obgleich sich Heavy Metal in der musikalischen Form, der harmonischen Ausgestaltung und der Klangfarbe mehr und mehr vom Blues-Rock beeinflussten Hard Rock (Led Zeppelin, Deep Purple) entfernte (Elflein 2010: 108-110).11 Es erscheint m.E. sinnvoller, die Rezeptionsweisen der Musik stärker in den Vordergrund zu stellen. Nähert man sich der Musik und den mit ihr konkret verbundenen Praktiken, rückt u.a. der individuelle Genuss und die Faszination in den Vordergrund. Zwar mögen Bewegungsabläufe der Arbeit mit den Tanzstilen im Konzert, mögen die konsequenten Rhythmen des Schlagzeuges denen der Stanzmaschinen in den Fabriken durchaus ähnlich gewesen sein, dennoch: Im genussvollen, affektiv-ästhetischen Rezipieren der Musik als Ganzem erhalten diese Ähnlichkeiten eine spielerische, mitunter ironische Umdeutung und Einbettung in eigensinnige, selbstbestimmte und -gewählte Kontexte. Dies kann teilweise durchaus durch Homologie erklärbar sein, würde aber die Vielfalt der Rezeptionsweisen aus den Augen verlieren. Diese Beobachtung trifft keinesfalls nur für die DDR zu. In der Dokumentation Metal Mania (1988, NDR) über die Metal-Szene in der BRD der 1980er Jahre werden zahlreiche jugendliche Fans interviewt, die zum Teil optisch nur schwer der Metal-Szene zuzuordnen wären. Selbst unter den Fans bildeten sich unterschiedliche und durchaus gegensätzliche Meinungen bezüglich der ästhetischen Praktiken, über die Grenzen des Extremen in Songtexten und Plattencovern, aber auch über die Musik und ihre Ausdifferenzierung hin zum Extreme Metal heraus. Ähnliches muss auch für die DDR konstatiert werden. Insgesamt wurde die Metal-Szene der DDR vielmehr von einer Vielzahl von Jugendlichen getragen, die verschiedene Bildungs- und Sozialisationsbackgrounds hatten, vorrangig männlichen Geschlechts waren, unterschiedliche politische Einstellungen und Auffassungen pflegten sowie unterschiedlich

familiärer Hintergrund‹ entsprechen, vielmehr vielfältig und heterogen sind.« (Roccor 1998b: 149) 11 | Rauhut (o.J.) erwähnt, dass »etliche ›Blueser‹ ins Heavy-Metal-Lager« wechselten, weil das »Flair« mit übermäßigem Alkoholkonsum und der Gemeinschaft von Gleichgesinnten ähnlich gewesen sei – ein Hinweis, der auf Aspekte und Bedürfnisse verweist, die weit über den Bildungs- und Berufsstand hinausweisen.

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ausgeprägte Vorstellungen und Verhaltensweisen von Eigensinn und Konformität hatten.

3. »H e av y M e tal hat einen berechtigten P l at z in der sozialistischen M usikkultur «: D er D iskurs um H e av y und E x treme M e tal in der DDR Um zu verstehen, welche vielfältigen Perspektiven und Haltungen gegenüber dem Heavy Metal in der DDR bestanden, kann die historische Diskursanalyse einen aufschlussreichen Ansatz bieten. Wie Achim Landwehr betont, will die historische Diskursanalyse »Wissens-, Wirklichkeits- und Rationalitätsstrukturen« nachzeichnen und analysieren (Landwehr 2009: 40). Im ersten Kapitel wurde bereits der Diskurs über populäre Musik und dessen Wandel diskutiert. Heavy Metal, als eine gesteigerte Form des Rock verstanden, war in der ersten Hälfte der 1980er Jahre Teil dieses Diskurses. Im Folgenden soll der diskursive Wandel von der anfänglichen Ausgrenzung hin zur Integration, die dazu führte, dass Heavy Metal ein berechtigter Platz in der sozialistischen Musikkultur zugestanden wurde, diskutiert werden. Erste Schritte einer Annäherung und Thematisierung sind vor allem in eher akademischen und populärwissenschaftlichen Kontexten geleistet worden. Abgesehen von der Thematisierung waren hier allerdings eher Unkenntnis und Verallgemeinerungen verbreitet. Noch 1983 schrieb Hans Peter Hofmann in der dritten Auflage des verbreiteten Lexikons Rock. Interpreten, Autoren, Sachbegriffe, dass »Heavy Metal Rock oder Heavy Rock« keine »Besonderheiten dem Hard Rock gegenüber erkennen« lassen würde (Hofmann 1983: 105). Bands wie Motörhead, Saxon oder Iron Maiden, die bereits zu dieser Zeit als New Wave of British Heavy Metal (NWoBHM) bezeichnet wurden, gehören laut Hofmann vielmehr zur dritten Generation des Hard Rock (Hofmann 1983: 103).12 Zudem gibt Hofmann einen Hinweis, der immer wieder auch als Begründung für die kriminalisierende Einschätzung insbesondere seitens des MfS herhalten musste: Gewaltverherrlichung und »faschistoide Züge« seien charakteristisch (Hofmann 1983: 103). Auch der Musikwissenschaftler Peter Wicke wiederholt sowohl Begrifflichkeit als auch den Faschismus-Vorwurf noch 1987 in Anatomie des Rock (1987: 147). Im wohl weit weniger an die Öffentlichkeit der Parteifunktionäre gerichteten und wenig später veröffentlichten Buch Rockmusik. Zur Ästhetik und Soziologie eines Massenmediums spricht er nur noch von »Heavy Metal Rock«. ohne Faschismusbezug (Wicke 1989: 113, 12 | Hofmann orientierte sich bei der Bezeichnung »heavy metal rock« womöglich auf die im anglo-amerikanischen Raum verbreitete Verwendung in den 1970er Jahren, vgl. Weinstein (2000: 2).

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212). So sehr Hofmann und Wicke mit dieser Darstellung die tiefe Verbindung zwischen Hard Rock und Heavy Metal verdeutlichen, verkennen sie doch die Unterschiede der musikalischen und sozialen Dimensionen. Die Bagatellisierung des Heavy Metal als letztlich nur Hard Rock sollte allerdings ein entscheidendes diskursives Element für die Integration des Heavy und Extreme Metal in den folgenden Jahren darstellen. 1983 war dabei ein bedeutendes Jahr für den Heavy Metal in der DDR. Die Berliner Band Formel 1 erhielt mit ihrem von Judas Priest und Iron Maiden beeinflussten Heavy Metal als erste Band dieser härteren Richtung die Einstufung als Profi-Band. Dabei wurde sie vom Rundfunk- und Printjournalisten Leo E. Gehl gefördert, er trat dabei als sogenannter Mentor auf. Die Einstufung von Formel 1 ist insofern als bedeutsam zu erachten, weil sich damit zugleich eine gewisse Präsenz der Musik verband. Plötzlich war klar, dass auch Heavy Metal in der DDR zumindest einen gewissen Platz hatte. Dabei überrascht zunächst, dass die Band eine solche Einstufung erhielt, erfüllten insbesondere einige der Instrumentalisten die Voraussetzung eines Instrumentalstudiums zum Zeitpunkt der Einstufung noch nicht und mussten den Abschluss nachholen. Zudem waren die Musiker alles andere als unbescholtene DDR-Bürger. Insbesondere der Sänger Norbert Schmidt konnte bereits auf ein Vorstrafenregister verweisen: Einmal für das Verunglimpfen der DDR-Flagge durch angetrunkenes Schwenken dieser und gleichzeitigem Singen von Rolling Stones’ »I Can’t Get No Satisfaction«. Zum anderen wurde er bereits für Instrumentenschmuggel verurteilt. Dennoch war die Einstufung von Formel 1 keineswegs völlig überraschend: Als »Heavy Metal Rock«-Gruppe, wie sich die Band dann auch auf Visitenkarten von 1983 selbst nannte, machte die Band bereits 1981 in der Jahresauswertung »Treff für Nachwuchsgruppen« des Rundfunks der DDR auf sich aufmerksam, bei dem sie mit »Willste nich uffstehn« den 1. Platz belegten und bereits im Fernsehen auftraten (Hofmann 1983: 85). 1982 erschien dann der wohl erste Bericht über den einheimischen Heavy Metal mit einem Feature über Formel 1 in der melodie und rhythmus. Ebenfalls 1981 traten zudem die britischen Bands Girlschool und Angel Witch, beide Vertreter des NWoBHM, in der TV-Sendung »Rund« auf, höchstwahrscheinlich die ersten Präsentationen von Heavy Metal in den DDR-Medien (Breitenborn 2010: 109).13 1983 ergaben sich erste zaghafte Freiräume. Die Medien sollten fortan immer wichtiger werden, ehe sie ab 1987 mit der Tendenz Hard bis HeavySendung auf dem Jugendsender DT 64 einen gewissen Kultstatus unter den Metal-Fans der DDR zugeschrieben bekamen. Im Verlaufe des Jahrzehnts wurde gelegentlich in TV-Sendungen wie »Rund«, »Stop Rock« oder »Klick« Heavy Metal gesendet, etwa die Berliner Band Metall mit »Easy Rider« in »Stop 13 | Auf YouTube kursiert ein Mittschnitt in mäßiger Qualität: https://www.youtube. com/watch?v=ablYc4rcANQ&feature=youtu.be (Zugriff 1.10.2016).

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Rock« am 29.5.1989.14 Der Journalist und Bluesexperte Leo Gehl sendete im Rundfunk ab 1982/83 zunehmend auch härtere Musik: »Darunter waren auch Blues-, Hard Rock- und Heavy-Metal-Titel aus dem Westen«, erinnert sich Gehl (zit.n. Martell/Höhne 2014: 180). In den Jahren nach 1983 war hierbei zunächst das Format »Vom Band fürs Band« auf dem Sender Stimme der DDR wichtig. Da dieses Format vor allem als Mitschneideservice galt, ist davon auszugehen, dass zunehmend ein Hörerbedürfnis nach entsprechender Musik entstand, das sich über Hörerbriefe artikulierte.15 Der Diskurs in den offiziellen Printmedien gestaltete sich ebenfalls komplex und war von einem allmählichen diskursiven Wandel gekennzeichnet. Neben Hofmanns Lexikon waren vor allem die Publikationen von Peter Wicke vor 1989 Ausdruck eines solchen Aushandlungsprozesses und diskursiven Wandels. Wicke arbeitete beständig an einer Aufwertung und Wertschätzung der Rockmusik mit akademischen, sozialistisch akzeptablen Argumenten. So schreibt er in Anatomie des Rock von 1987 etwa beschwichtigend und die Beschäftigung mit Rock positiv bestärkend: »Rockmusik ist in der DDR ein zentraler Bestandteil der sozialistischen Kultur«. Rock existiere trotz der Internationalität »hier doch auf einer völlig anderen sozialen, ökonomischen und politischen Grundlage, als das im Rahmen der Massenkultur des Imperialismus der Fall ist.« (Wicke 1987: 153) Durch diese Unterscheidung von Rock im Westen und Rock im Osten und der geschickten Anwendung sozialistischer Argumente kann er Offenheit und positive Aufmerksamkeit gegenüber neuerer Rockmusik und demzufolge auch Heavy Metal begründen: »Jugendliche Subkulturen als Ausdruck extremer sozialer Widersprüche sind dem Sozialismus ebenso fremd wie eine rein profitorientierte Massenproduktion von Musik auf Kosten einer ausgewogenen und proportionierten Gesamtentwicklung der Kultur. Stattdessen hat Rockmusik hier einen gesellschaftspolitischen Stellenwert erhalten, worin sie als Ausdruck der sozialen Erfahrungen Jugendlicher im und mit dem Sozialismus politisch außerordentlich ernst genommen wird. […] Darin liegt die Chance zu einer sozialen Wirksamkeit, wie sie diese Musik nie zuvor besessen hat, freilich für alle Beteiligten auch ein entsprechend höheres Maß an politischer Verantwortlichkeit.« (Wicke 1987: 153) 14 | Eine Aufnahme dieses Auftrittes kann hier gesehen werden: www.clipfish.de/ musikvideos/video/4320112/metall-easy-rider-stop-rock-29051989/ (Zugrif f am 10.12.2016). Das Video verdeutlicht exemplarisch die Praxis, nach der die Bands im Vollplayback eine Bühnenperformance darboten. 15 | Hier besteht nach wie vor Forschungsbedarf: Während meiner Recherchen im DRA sichtete ich vor allem die Briefe zwischen 1987 und 1990. Ein Erschließen der Briefe seit Beginn der 1980er Jahre könnte weitere Erkenntnisse zur genauen Entstehung und Formation eines Hörerbedürfnisses nach Heavy Metal geben.

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Wicke bettet dabei die Probleme und »Konfrontationen« mit Rockmusik in der DDR in den Kontext des Kalten Krieges und den Entwicklungsstufen einer sozialistischen Gesellschaft ein. Indem er, sich letztlich auf den in der kommunistischen Utopie verankerten Fortschrittsglauben berufend, argumentiert, dass die DDR nunmehr »ihre eigenen sozialen und ökonomischen Grundlagen vollständig ausgebildet« und sich »als Gesellschaft ›zur Totalität‹ (Marx)« entfaltet habe, kann er ein Ablegen ästhetischer Normvorstellungen und »Verengungen im Kulturverständnis« postulieren und zugleich fordern. Ein wesentlicher Bestandteil dieses positiven Entwicklungsprozesses stellt für Wicke die DDR-Rockmusik dar (Wicke 1987: 154f.). Indem er dabei immer wieder auf die Jugend Bezug nimmt, zielen seine Aussagen auch indirekt auf den Heavy Metal ab. Dadurch ist eine alternative Diskursoption von einer Autorität – Wicke war Leiter des Forschungszentrums Populäre Musik an der HumboldtUniversität in Berlin – angeboten worden, auf die sich verschiedene Akteure auch der Kulturpolitik beziehen konnten. Bereits ab Mitte der 1980er Jahre setzte eine gesteigerte Auseinandersetzung auch in den Printmedien der DDR ein, die Heavy Metal als relevante Jugendkultur in der DDR thematisierten (s. Abb. 1). Eine der frühesten Erwähnungen von Heavy Metal in DDR-Zeitschriften fand 1984 in der Musik & Gesellschaft statt, der Verbandszeitschrift der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR. In dem Artikel »Politisierung von Musik contra Vermarktung. Widersprüche und Alternativen kapitalistischer Musikpraxis heute«, ein Gastbeitrag vom britischen Musiker und Mitbegründer der musikindustriekritischen Bewegung »Rock In Opposition«, Chris Cutler, wird die Kommodifizierung von Musik kritisiert (Cutler 1984). Cutler versteht hier, ganz im Sinne der sozialistischen Kapitalismuskritik, Heavy Metal und Punk als eine inhaltlich rein auf das Image reduzierte Konsumption von Musik (Cutler 1984: 15). Mit eindrücklichen Vergleichen verdeutlicht er diese als kritisch zu betrachtende Musikrezeption, wie er sie auch für Metal sieht: »Musikhören ist kaum noch etwas anderes als eine Zigarette rauchen: vertraut, neue Spannkraft vermittelnd, im schlimmsten Falle nur Reflex. […] Die Beziehungen zu ihr [die Musik] sind nie von persönlichem Engagement geprägt. Eine Schallplatte ist keine persönliche Stimme am Telefon, sondern nur ein Ding.« (Cutler 1984: 15)

Dass dieser Artikel in der Musik & Gesellschaft abgedruckt wurde, verwundert angesichts der Monopolstellung des Verbandes und einem Kampf um die knappen staatlichen Ressourcen für die Musikkultur im Allgemeinen wenig. Eine zu starke Rockmusik stellte auch in der DDR eine Konkurrenz dar und konnte über solche Mittel als westliche Kulturform ideologisch immer wieder auch kritisiert werden, so etwa zur gleichen Zeit auf ähnliche Art und Weise auch in der Sowjetunion (Kasakow 2015). Wicke widersprach dem und betonte,

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dass auch die jüngeren Entwicklungen der Rockmusik ein »soziales Kommunikationsmedium« seien, keinesfalls nur Konsumobjekt (Wicke 1987: 153). In der Musik & Gesellschaft wurde bis auf dieses Beispiel nicht weiter auf Heavy Metal eingegangen. Dafür traten insbesondere die journalistischen Zeitschriften in Aktion und wurden dadurch sogar zur Bezugsquelle des MfS.

Abbildung 1: Thematisierungen und Präsentationen von Heavy Metal in den nationalen Printmedien Musik und Gesellschaft, melodie und rhythmus, neues leben. Jugendmagazin und Profil. Methodik zur Tanzmusik (vgl. Anhang, Tab. 3) Eines der wesentlichen Medien und Träger des diskursiven Wandels war die melodie und rhythmus, eine monatlich erscheinende Fachzeitschrift zur nationalen und internationalen populären Musik. Seit 1982 erschienen unregelmäßig Artikel über Heavy Metal, die einen vornehmlich journalistischen Anspruch auf Informationsvermittlung und Aufklärung erkennen lassen. Tatsächlich werden verbreitete Stereotype aufgegriffen und tendenziell entkräftet. Ab 1985 ist dabei ein deutlicher Trend in Richtung regelmäßiger Thematisierung von Heavy Metal zu beobachten. Mit der Märzausgabe 1985 startete das Magazin ein zweiteiliges Feature unter dem Titel »Schwer, hart und wild: Heavy Metal« von der Journalistin Anja Böhm. Insbesondere mit den Teilüberschriften bestätigt die Autorin zunächst die Stereotype: »Haarsträubend« (Böhm 1985a: 14), »Im Krieg mit Satan«, »Mit Haken, Kreissäge…«, »Geisterbahn und – Schwachsinn« (Böhm 1985b: 14f.). Darüber hinaus lesen sich die

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beiden Artikel aus ihrer ideologischen Verankerung der Kapitalismuskritik heraus zugleich als eine interessante Feedbackschleife. Mit Verkaufszahlen von Alben und Konzerttickets macht die Autorin deutlich, dass Heavy Metal ein großer Markt sei und dementsprechend Marketingstrategien mit Phrasen, wie die in den Teilüberschriften benutzten, dominierten. Angesichts des Konkurrenzdruckes und der noch geringen gesellschaftlichen Akzeptanz würden dadurch einige Mechanismen verständlich: »Etwa, daß selbstverständlich jede HM-Band auf ihrem Werbematerial und in der ›Bravo‹ die echteste, schnellste, höllischste, d.h. überhaupt der größte Schocker ist, so daß im Grunde die ganze HM-Szene aus lauter weltbesten, aus lauter ›heaviest‹ HM-Bands zu bestehen scheint. (Wer die Szene kennt, weiß wie enorm groß die Niveauunterschiede sind).« (Böhm 1985b: 14)16

Auf eine informierte Art und Weise berichtet die Autorin weiterhin über die »Show-Extreme des Heavy Metal« und die »gewollt makabren Showeffekte« (Böhm 1985b: 15). In einer nüchtern-ironischen Schreibweise distanziert sie sich zunächst offenbar von der Musik und entkräftet dadurch zugleich die Bedrohungsszenarien, die von ihr vermutet werden. Letztlich sei aber alles eher im Sinne der »traditionellen Bürgerschreck-Funktion« zu sehen (Böhm 1985b: 15). Lediglich beim Thema Okkultismus zitiert sie in polemischer Weise den US-amerikanischen Sänger Ronnie James Dio, der über seine Beschäftigung mit Magie berichtet und mit einer Warnung vor psychischen Folgen verbindet: »›Magie kann einen Menschen ganz schnell um den Verstand bringen.‹ Na, denn Kollegen! Das scheint bei Dio aber dann wirklich der Fall zu sein.« (Böhm 1985b: 15) Das Thema Okkultismus, verstanden als Form von Neo-Religiosität bzw. Spiritualität (Helsper 1992), hatte im realexistierenden Sozialismus offiziell schlichtweg keine Anschlussfähigkeit und war daher im offiziellen Diskurs kaum präsent, obgleich Okkultismus und Satanismus unter Jugendlichen, den so genannten »Grufties« (Gothics), durchaus vom MfS beobachtet wurde.17 Diese Diskreditierung der Grufties bzw. Gothics ist im Kontext einer grundlegenden Skepsis und Ablehnung paranormaler Erscheinungen im welt16 | Tatsächlich gab es auch in der westdeutschen Szene durchaus ein kritisches Bewusstsein für die kommodifizierenden Tendenzen etwa durch den Einstieg von Majorlabels oder finanzstarker Verlage, die Magazine wie den Metal Hammer herausgaben; vgl. Mader (1988: 14f.) sowie etwa auch die Beobachtungen in Thomas Schadts NDR-Dokumentation Metal Mania von 1988, 27:00 min bis 31:10 min. 17 | Siehe ferner Anton/Schmied-Knittel (2015) sowie das Forschungsprojekt »Im Schatten des Szientismus. Zum Umgang mit heterodoxen Wissensbeständen, Erfahrungen und Praktiken in der DDR«, http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/241864282 (Zugriff am 1.10.2016).

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erklärenden Sinnsystem des Kommunismus einerseits und einer besonders hartnäckigen Ablehnung einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema in der DDR – in der UdSSR etwa wurde hierzu geforscht – andererseits zu sehen. Anton und Schmied-Knittel sprechen daher von »einer Art doppeltem Eisernen Vorhang« (Anton/Schmied-Knittel 2015: 30). In Westdeutschland hingegen verbreitete sich wie bereits ausgeführt eine Welle von Satanismusangst im Kontext der internationalen »moral panics«-Bewegung, die am prominentesten in den USA aktiv war (Wehrli 2012: 61-73, 145-207). Insofern kann die ironische Kommentierung des Dio-Zitates im sozialistischen Sinne als ein belächelndes Abwinken auf diese ›irrationalen Spielereien‹ verstanden werden. Anja Böhm verpasst allerdings nicht, direkt im Anschluss einmal mehr auf die hohe Eigenbezüglichkeit des Heavy Metal hinzuweisen und somit Bedrohungsängste weiter zu entkräften: »Mir jedenfalls ist da als alter HM-Freund ein Spruch sympathischer, der zwar auch nicht gerade von Intelligenz strotzt, der aber wenigstens der urwüchsigen Wahrheit, der industriellen Kraft und Aufruhr im Heavy Metal die Treue hält. Er entstammt dem Werbematerial der HM-Band Manowar [eine US-amerikanische Band, Anm. des Autors] und geht so: ›Jede Note, die ich spiele, soll ein kleiner schwarzer Todespfeil sein, der die Verräter des Heavy Metal trifft.‹ Basta.« (Böhm 1985b: 15)

Dadurch verdeutlicht sie einerseits, dass das Okkulte nur eine Erscheinung des Heavy Metal unter vielen sei, obgleich das vorzivilisatorische Endzeitimage von Manowar ebenso einer okkulten, irrationalen Gedankenwelt anhängt. Andererseits wertet sie die Musik mit im sozialistischen Kontext positiv besetzten Wörtern (»Wahrheit«, »industrielle Kraft«) enorm auf. Dieses positive und starke Plädoyer einer Frau für die Musik beschließt das erste Feature in einer DDR-Publikation in diesem Umfang. Für die Szene in der DDR war der Artikel eine bedeutende Quelle, liefert er doch eine Aufzählung und grobe stilistische Zuordnung von über 40 internationalen Bands.18 Als unproblematisch erachtete die Autorin es offensichtlich, ein typisches Produkt der kapitalistischen Warenökonomie – einen Werbeflyer – zu zitieren, ganz zu schweigen vom Zeugnis des Transfers an sich. Das Feature, welches zudem zahlreiche Fotos beinhaltet, stellt den Beginn einer Reihe von weiteren Artikeln dar. Alleine in der melodie und rhythmus wurden zwischen 1982 und 1989 über 20 Artikel zu Heavy und Extreme Metal-Bands veröffentlicht, mehrheitlich ab 1985. Nur wenige Monate später erschien im FDJ-Jugendmagazin neues leben der Artikel »Musik special: Heavy Metal« von Wolfgang Martin, Redakteur beim 18 | Zwar werden hier bereits einige wenige Vertreter der extremeren Stile genannt wie etwa Venom oder Anthrax, allerdings (noch) nicht die zu der Zeit immer stärker in den internationalen Szenefokus rückenden Metallica oder Slayer.

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Jugendradio DT 64 (Martin 1985). Diese Veröffentlichung ist insofern bemerkenswert, da dieses nationale Jugendmagazin zum einen eine höhere Reichweite und Auflage als etwa die melodie und rhythmus besaß. Zum anderen gab es aufgrund dessen ein erhöhtes politisches Interesse, was sich in den als Lektorat bezeichneten Zensurmaßnahmen niederschlagen konnte. Dennoch, der Autor vermittelt ein verhältnismäßig objektives und informiertes Bild und versucht deutlich ein Verständnis für den Heavy Metal zu entwickeln. Gleich zu Beginn macht er die Relevanz des Artikels deutlich: Heavy Metal sei schließlich eine Musik, die »in den letzten Jahren mehr und mehr ins Gespräch gekommen ist« (Martin 1985: 8). Auch hier werden zunächst Stereotype aufgegriffen und in der Einleitung aufgezählt: »Monster«, »an die Schmerzgrenze reichende Lautstärkepegel«, »alles wird nur noch lauter, wilder und eben aggressiver« (Martin 1985: 8). Für den »normalen Betrachter« sei dies erschreckend, zugleich könne aber durchaus so etwas wie Faszination entstehen (Martin 1985: 8). Knapp und in pädagogischer Manier erklärt der Autor die geschichtlichen Vorläufer und die Entwicklung vom Hard Rock zum Heavy Metal, typische Spieltechniken sowie Besonderheiten der Live-Präsentation und Performance. Durch die mit Zitaten westlicher Musiker unterfütterte Verbindung zur Rockmusik eröffnet der Autor eine gewisse Legitimation des Heavy Metal in der DDR. Darüber hinaus liefert er aus sozialistischer Perspektive passable Erklärungen für den Erfolg der Musik in Ost und West: Für westdeutsche Jugendliche etwa böte die Musik eine Kompensationsmöglichkeit, um »den ganzen Frust über die bestehenden Verhältnisse«, namentlich »Jugendarbeitslosigkeit, fehlende Lehrstellen, Zukunftsangst« abbauen zu können.19 Diese Probleme gab es in der DDR offiziell nicht. Um dennoch die Anschlussfähigkeit der Musik an den Sozialismus zu demonstrieren, greift der Autor auf ein politisch akzeptables und gesellschaftlich aktuelles Thema zurück: Frieden (Kowalczuk 2009: 23438).20 Dabei zieht Martin niemanden geringeres als die äußerst erfolgreichen westdeutschen Scorpions heran:

19 | Diese Argumentation kann nicht ausschließlich ideologisch gelesen werden, argumentieren doch Forscher aus dem anglo-amerikanischen Raum ähnlich, wenn sie der Musik und Vergemeinschaftung die Fähigkeit zusprechen, die negativen Konsequenzen des Kapitalismus und der Moderne zu verarbeiten (Walser 1993: 171). 20 | ›Frieden‹ war eines der wichtigsten Ziele des Sozialismus, wie es in der Verfassung von 1974, Art. 6, Absatz 2 verkündet wurde: »Die Deutsche Demokratische Republik ist für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet. Das enge und brüderliche Bündnis mit ihr garantiert dem Volk der Deutschen Demokratischen Republik das weitere Voranschreiten auf dem Weg in den Sozialismus und des Friedens.«

II. Heavy und Extreme Metal in der DDR »Wir empfinden unsere Musik doch als Botschaft, und zwar als positive Botschaft. Wir haben in unseren Liedern was zu sagen. Eine unserer Platten heißt ›Crossfire‹. Das Lied dazu hat im Grunde die alte Aussage – Stampft die Kanonen ein, give peace a chance.« (Zit.n. Martin 1985: 9)

Indem Martin seinen Artikel mit diesem Zitat, das nicht weiter belegt ist, beschließt, ermöglicht er eine Neuinterpretation und Akzeptanz dieser bisher womöglich nur als laut und aggressiv wahrgenommenen Musik. Er stellt sie in einem neuen Licht dar. Da er die Musik in westlichen Ländern als eine Art Flucht vor den kapitalistischen Strukturen, weniger als Produkt dieser, deutet, eröffnet er bereits die Möglichkeit der Akzeptanz und Integration der Musik in die sozialistische DDR. Vom Informationsgehalt her ist dieser Artikel weniger ergiebig, insbesondere für Kenner der Musik waren die Informationen über Bands wie Led Zeppelin möglicherweise kein Novum, während die zeitgenössischen Entwicklungen hin zum Extreme Metal völlig ausgeblendet blieben. Ob der Autor dies bewusst so entschieden hat, etwa, um die seiner Argumentation entgegenstehende Aggressivität der Musik und Texte des frühen Extreme Metal außen vor zu lassen, kann nicht mehr beurteilt werden. Möglicherweise hatte er schlichtweg zu wenig Informationen zu den aktuellsten Entwicklungen. Mit der Platzierung im neuen leben leistete Martin jedoch einen entscheidenden Beitrag zur diskursiven Umdefinierung und allmählichen Integration des Heavy Metal in der DDR. Als Martin 1988 nach West-Berlin reisen durfte, um die Scorpions im Zuge ihrer Veröffentlichung Savage Amusement zu interviewen, erreichte er in der daraus entstandenen Rundfunksendung samt Plattenverlosung eine der wohl größten Hörerresonanzen des DDR-Rundfunks in den 1980er Jahren. Spätestens ab diesem Punkt war auch den Skeptikern unter den Rundfunkredakteuren klar: »Metal und überhaupt so harte Musik läuft doch ein bisschen besser als Jazz«, wie es Jens Molle mit Blick auf die damalige Rundfunkarbeit süffisant formuliert (Interview Molle). In den Folgejahren lässt sich eine zunehmend emphatische und vermittelnde Rolle der Medien und einiger Funktionäre beobachten. Jens Molle erinnert sich etwa, dass er von der melodie und rhythmus direkt angefragt wurde, als Experte Artikel zu verfassen (Interview Molle). 1987 wurde dann auch in der Zeitschrift Profil. Methodik zur Tanzmusik ein Themenfokus auf die Jugendkultur mit Artikeln wie »Heavy Metal international« und »Heavy Metal national« gelegt. Während der internationale Artikel verhältnismäßig umfangreich und informativ sowie mit der üblichen Kapitalismuskritik versehen wurde,21 wird die nationale Szene mithilfe eines 21 | So heißt es etwa auf die wachsende Bedeutung des Metal für die internationale Tonträgerindustrie Bezug nehmend: »Das Gespür der Verkaufsagenten des Schallplattengeschäfts brachte die Erkenntnis, daß mit einer Veränderung des Soundbildes die

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Interviews mit dem Vorsitzenden der ZAG Tanzmusik (Zentrale Arbeitsgruppe beim Zentralhaus für Kulturarbeit) beleuchtet. Hier wird – noch vor dem Zionskirche-Skandal und dessen anschließender »kulturellen Umarmung« seitens der SED (Rauhut 2002: 118-126) – äußerst positiv über Heavy Metal als »derzeitige Zauberformel in der populären Musik« sowie von einem »Heavy Metal-Boom« in der DDR gesprochen (Profil 1987: 13). Im Interview wird ein empathischer Blick voll von Akzeptanz und Respekt für die Musik vermittelt. Beinahe bemerkenswert spitzfindig spricht der Interviewte von der im Grunde nur wenig sozialistischen Bedeutung der vorrangig eigenbezüglichen Musikszene (Profil 1987: 15). Er hebt jedoch den hohe Grad an »artistischer Perfektion« im Instrumentalspiel hervor und gibt ferner im üblichen pädagogischen Gestus Tipps für das erfolgreiche Ensemblespiel. All dies mündet in ein erstaunliches Fazit: »Heavy Metal hat mit seiner vitalen, aktivierenden Ausstrahlung selbstverständlich einen berechtigten Platz in der sozialistischen Musikkultur. Heavy Metal ist prädisponiert dafür, über die Stränge zu schlagen. Wenn wir seine Funktion ehrlich und real beurteilen wollen, kommen wir nicht umhin, die internationalen Tendenzen seiner Entwicklung differenziert zu betrachten.« (Profil 1987: 15)

Artikuliert sich hier über die Position eines staatlichen Funktionärs die gelungene Integration des Heavy Metal oder spricht ein heimlicher Fan der Musik, der rhetorisch geschult versucht, den Heavy und Extreme Metal in der Gesellschaft konsensfähiger zu machen? Zumindest verdeutlicht dieses Interview einmal mehr, dass vielschichtige Verflechtungen, Übergänge und Hybridisierungen zwischen der Jugendkultur und der Gesellschaft entstehen konnten. Die Signalwirkung hingegen darf nicht unterschätzt werden: Gerade, weil jeder von der Zensurpraxis wusste und es hinterher kein offizielles Dementi gab, war die Sprengkraft und Reichweite der Aussagen umso größer. Heavy Metal als Teil der sozialistischen Musikkultur: Während das MfS die Szene weiterhin kritisch beäugte, war Heavy Metal im öffentlichen Diskurs nunmehr integriert und angekommen. In der Frage nach dem diskursiven Wandel jedenfalls trat der Rundfunk teilweise bereits vor den Print-Veröffentlichungen in Erscheinung. Indem dieser auf einen Diskurs mit seinen Hörern einging und auf die zahlreichen Hörerbriefe und Titelwünsche reagierte, hatte dies direkte Auswirkungen auf konkrete Praktiken, etwa das Abspielen von Metal-LPs. Insbesondere das Jugendradio DT 64 nahm eine besondere Stellung für einen in erster Linie Heavy Metal-Grundkonzeption breiteren Käuferschichten, vor allem jüngeren Hörern, näherzubringen ist. Dieser Aufgabe schenkte man viel Enthusiasmus logischerweise im Interesse des Absatzes.« (Schramm 1987: 5)

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szeneinternen Diskurs ein. Da hier oft Hard Rock- und Heavy Metal-Titel zu hören waren, reagierten Fans darauf, etwa mit Lob, Wünschen etc. Uwe Breitenborn erinnert sich anhand von eigenen Aufzeichnungen an gehörte Titel und Alben. Demnach konnten DDR-Hörer bereits im Sommer 1984 Bands wie Metallica oder Venom hören und aufnehmen. Das Metallica-Album Master Of Puppets etwa wurde 1986 mit nur zweimonatiger Verzögerung nach der Veröffentlichung im DDR-Rundfunk gesendet (Breitenborn 2010). Als gegen Ende 1987 nicht zuletzt auf Druck der Hörer mit der »Tendenz Hard bis Heavy« eine wöchentliche Heavy Metal-Sendung auf den Jugendsender DT 64 eingeführt wurde, wurde Heavy Metal letztendlich auch in die staatlichen Strukturen integriert. Über die Hörerbriefe zur Tendenz-Sendung wurden szeneinterne Themen ausgehandelt und potenziell Einfluss auf die Gestaltung der Sendung ausgeübt. Dies spiegelt sich in Sendemanuskripten und dem Abspielen von Wunschtiteln wider. Da dieser Diskurs on air ging, war er somit potentiell für jedermann hörbar, auch für die Instanzen des Rundfunks wie Lektorat und Intendanz. Im Folgenden soll dieser Aspekt auf die Integration des Heavy Metal hin untersucht werden, während die Rolle des DT 64 für die Praxis des Hörens und dem szeneinternen Diskurs im nächsten Kapitel noch einmal aufgegriffen werden soll. Aus den heute im Deutschen Rundfunkarchiv auf bewahrten Originalbriefen und maschinellen Abschriften geht hervor, dass auch Personen, die mit Jugendlichen beruflich zu tun hatten, durchaus diese Sendung hörten, um auf dem Laufenden bleiben. Für viele dieser Gruppe gehörte es durchaus zum professionellen Selbstverständnis, sich mit den Entwicklungen der Jugend auseinanderzusetzen. Insofern überrascht es nicht, wenn eine Mitarbeiterin der Jugendhochschule Bogensee mit dem Problembewusstsein einer Pädagogin Sympathie für die Heavies ausdrückt: »Wir setzen uns hier oft mit dem Problem des Heavy metals auseinander. Oft wird diese Musikrichtung mit Anhängern der Skinheads und krimineller Rocker gleichgesetzt, was ich äußerst unberechtigt finde. Der HM ist eine Musikrichtung wie jede andere, nur auf härterer Stufe. Die Jungs die sich mit diesem Sound auseinandersetzen muß ich ständig bewundern, da sie ihre Instrumente und ihre Stimme auf ungeheure Art und Weise beherrschen.« (DRA H006-01-06/0037, Bl. 120897, 17.12.87)

Ähnlich äußerte sich eine Mitarbeiterin eines Jugendkulturhauses in Dresden: »Ich arbeite am JKH Rudi Arndt Dresden. Wir hatten am 24.6.87 in unserem Haus das HM-Konzert mit Pharao. Trotz meiner anfänglichen Skepsis gut gelaufen, nicht zuletzt das Verdienst der Band und des Jugendklubs an unserem Haus.« (DRA H006-0106/0034, Bl. 700372, 10.7.87)

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Zudem war die öffentliche Meinung offensichtlich für einige Fans von enormer Bedeutung. Um hierauf Einfluss zu nehmen, bedienten sich einige einer für den Sozialismus typischen Kommunikationsform, um mit staatlichen Instanzen in Kontakt zu treten: der Eingabe. Die Eingabe war eine typische Form der Teilnahme an politischen Debatten oder der Äußerung von Beschwerden über Umstände des täglichen Lebens. Jährlich wurden Tausende solcher Briefe an den Staat versendet. Sie galten durchaus als gewolltes Mittel der sozialistischen Politik (Mühlberg 2004). Was für einen westdeutschen Fan möglicherweise unvorstellbar gewesen wäre – einen Brief über Heavy Metal an eine staatliche Institution zu schicken – war für den einen oder anderen DDR-Fan Alltag. Der folgende Brief an das DT 64 verteidigt Heavy Metal geradezu als einen Ausdruck einer unabhängigen und aufgeschlossenen Jugend. Der eloquente Schreiber betont dabei sogar, dass die Fans des Heavy Metal zudem politisch interessiert seien: »Ich möchte mich heute mal vertrauensvoll mit einer Kritik über die allgemeine Kulturpolitik bei uns an Euch wenden. Ich halte es für grundsätzlich falsch, wenn z.B. immer nur Pop- und konventionelle Rockmusik gefördert wird durch Veröffentlichungen in Massenmedien, Plattenaufnahmen, Förderverträge bis hin zur Einstufung in die Sonderklasse usw. Englische Musik hat schon gar keine Chance, sich beispielsweise in den DDR-Hitparaden zu platzieren, erst recht nicht, wenn es sich um HM handelt. Ich denke da beispielsweise an die Gardelegener Band ›Black Out‹. Es ist doch einer solchen einseitig orientierten, an der Jugend vorbeigehenden Kulturpolitik kein Wunder, daß viele Jugendliche nur noch auf westliche Rockmusik orientieren, West-Rundfunk hören usw. Das führt sogar soweit, daß viele unserer Rockinterpreten ins westliche Ausland auswandern oder anders ausgedrückt ›republikflüchtig‹ werden. Aber wie ich aus Erfahrung weiß, seid Ihr sowieso zu feige, auf diese Kritik entweder im Rundfunk oder in Form eines Antwortbriefes zu antworten.« (DRA H006-01-06/0036, Bl. 900776, 25.9.1987)

Ein informierter Metal-Fan, das Alter ist leider nicht vermerkt, der Missstände anprangert und die Politik in der Verantwortung sieht – im Sinne der Eingabe ein legitimer Weg, der zugleich die Ambivalenz des Heavy Metal in der DDR verdeutlicht, indem der Staat von seinem Allmachtanspruch her ernst genommen und mit einer Verantwortung und Anspruchshaltung konfrontiert wird. Zugleich wird deutlich, dass durchaus auch Fans eine Integration anstrebten, wenn dadurch mehr Präsenz und Förderung möglich gewesen wäre. In Konsequenz heißt das, dass Heavy Metal durchaus Teil der Kulturpolitik der SED werden sollte. Im Archiv befinden sich weitere Briefe, die mit »Eingabe« vermerkt sind, wobei unklar ist, ob diese erst auf den maschinenschriftlichen Abschriften von Rundfunkmitarbeitern so bezeichnet wurden oder die Verfasser der Briefe diese selbst so betitelten. In den Formulierungen wird jedoch deutlich, dass

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sie an das staatliche Radio mit einer Anspruchshaltung herangetreten sind, wie sie für staatliche Institutionen als Träger der Gleichheitsrhetorik typisch war (Port 2010: 21ff.). Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit erwarteten die Hörer eine Berücksichtigung ihrer Interessen als Metal-Fans im staatlichen Rundfunk. Ein weiterer Brief bedient sich ebenso dem Prinzip der Eingabe auf eloquenter Art und Weise, um auf die als ungenügend empfundene Sendezeit von Metal hinzuweisen: »Der vorliegende Brief bezieht sich auf unsere vorhergehende Anfrage von Mitte November. Wir baten um eine konkrete Antwort per Rundfunk oder Post […]. Wir waren enttäuscht und fühlten uns wirklich billig abgespeist. Als Studenten im 5. Semester erkannten wir sofort die Frechheit der Niveaulosigkeit der selben. Wir sind der einhelligen Meinung, daß Heavy Metal mehr und mehr an die Wand gedrückt und vernachlässigt wird. Als lang jährige Hörer von Jugendsendungen des Rundfunks der DDR konnten wir die erfreuliche Entwicklung in bezug auf HM verfolgen. Mit der Einführung des 20-h-Programms ändert sich das schlagartig.« (DRA H006-01-06/0037, Bl. 121040, 17.12.87)

Der Autor demonstriert seine Fähigkeiten einer sozialistisch angemessenen Argumentationsweise, und verkörpert dabei zugleich die ambivalente Position, die er als Fan und Studierender der Gesellschaftswissenschaften in der DDR, was immer auch Marxismus-Leninismus als Fach beinhaltete, letztlich innehatte: Er ist wie jeder andere Fan in der DDR in der sozialistischen Gesellschaft verankert, aus der er nicht entfliehen kann (wenn er denn wöllte). Dementsprechend muss er mit den ihm gegebenen Mitteln seine Interessen durchzusetzen versuchen: »Eindeutig wird meines Erachtens der Bereich HM gegenüber vielen anderen Sparten der Musik mit Blickfeld auf die Hörerbeteiligung diskriminiert. So fragwürdig einigen Kreisen der Kulturpolitik bzw der Massenmedien das Bedürfnis nach Hard und Heavy in Hinblick auf Ursachen sowie ›aggressivitätsabbauende Wirkung‹ dieser Musiksparte in einer soz. GO [Gesellschaftsordnung] auch scheinen mag, muß diesem Bedürfnis sowie Zuspruch größere Rechnung getragen werden, als dies derzeitig in reichlich 50 Minuten geschieht. […] Statt einer gezielten Förderung der Herausbildung couragierter, geistig reger Persönlichkeiten scheint man lieber den politisch desinteressierten Einheitsdenker, dem alles in den Mund gelegt wird, der deswegen schon aus Prinzip angewidert auf kontra schaltet, zu prägen. Der angerichtete Schaden durch unsere Medienpraxis ist meines Erachtens ausreichend, um endlich einmal damit zu beginnen, Lehren zu ziehen, Aktivität und Flexibilität sowie Realität an den Tag zu legen.« (DRA H006-01-06/0040, Bl. 300533, 21.3.1988)

Deutlich wird: Der sich wandelnde Diskurs um Metal in der DDR wurde nicht nur von Journalisten und einigen Funktionären getragen und geprägt, sondern

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durchaus auch von engagierten, um Verbesserung der eigenen Lebenswelt bemühten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ohne Frage verweigerten sich auch zahlreiche Fans den staatlichen Sphären, soweit es ging. Allerdings setzten sich eben auch einige Fans mit den sozialistischen Rahmenbedingungen in kritischer und zugleich konstruktiver Weise auseinander. Auch das ist Teil der Geschichte des Heavy und Extreme Metal in der DDR. Mit 1987 änderte sich einiges. Die Konsequenzen des Zionskirche-Skandals betrafen auch die Metal-Szene in Form der »kulturellen Umarmung« als neue Strategie der SED im Umgang mit ursprünglich westlichen Jugendkulturen (Rauhut 2002: 94-134). Es scheint kein Zufall zu sein, dass die Szene in den letzten beiden Jahren vor dem Mauerfall bis dahin nicht geahnte Möglichkeiten und Freiräume erlebte. Amiga gab 1988 über die Sampler-Reihe Kleeblatt mit der Nr. 22 einen Metal-Schwerpunkt mit den Bands Plattform, MCB und Cobra heraus. MCB zierten im gleichen Jahr das Cover der Aprilausgabe der melodie und rhythmus (Nr. 4/1988). In Berlin ergaben sich neue Konzertmöglichkeiten wie etwa im Palast der Republik mit der sowjetischen Heavy MetalBand Arija (vgl. Berliner Zeitung, Dienstag, 19.1.1988, Ausgabe 15, S. 7). In der Langhansstraße 23 in Berlin-Weißensee konnte erstmalig im Februar 1988 ein fortan jährlich angesetztes Benefiz-Festival (für Nicaragua 1988, für UNICEF 1989) mit zahlreichen DDR-Bands veranstaltet werden.22 Metal-Bands erhielten Förderpreise oder bessere Einstufungen. So berichtet Ralf Mikula von der Hallenser Band Panther, wie sie 1988 die Sonderstufe erhielten: »Wir haben uns mit ungefähr zehn Bands im ›Clubhaus der Gewerkschaften‹ getroffen und haben da als Heavy Metal-Band den ersten Platz belegt. Dort haben wir die Einstufung ›S‹ [Sonderstufe] bekommen und eine Studio-Aufnahme gewonnen. Das war für eine Heavy Metal-Band eigentlich sehr ungewöhnlich, denn alle anderen Bands haben auf diese Aufnahme gewartet und manche waren sicher auch musikalisch besser als wir.« (Mikula 2009: 45)

Zu diesem anhaltend positiven Trend zählte durchaus auch die Verleihung des »Sonderpreises des FDJ-Zentralrats« an die Jüterboger Thrash/Speed MetalBand Biest im Rahmen der Suhler FDJ-Werkstatt der Jugendtanzmusik im Oktober 1988. Biest konnten bereits auf erfolgreiche Rundfunkproduktionen (»Metal«, »Manne (Gegen Gewalt)«) und Hitlistenplatzierungen sowie einen Fördervertrag mit der FDJ-Kreisleitung Jüterbog verweisen (Urbanski 1989). Mit »Metal«, dessen Refrain »Ich bin geil auf Heavy Metal« die Jugendkultur zelebriert, belegten Biest bereits 1987 den 3. Platz im Nationalen Rock Poll 22 | Es ist sicher kein Zufall, dass der FDJ-Rocksommer 1988 ebenfalls unter dem Motto »Nikaragua im Herzen« stand. Vermutlich passte sich der Veranstalter des Metalfestivals an die thematische Vorgabe der FDJ an.

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des DT 64. Noch bei der vorausgegangenen VIII. FDJ-Werkstattwoche in Suhl 1986 jedoch, bei der u.a. Hardholz teilnahmen, dachte und hörte man noch eher kritisch über Heavy Metal. Wie in einem Bericht über die Werkstattwoche im Neues Deutschland zu lesen ist, erkannte man zwar die Beliebtheit dieser neuen Musikrichtung nach eigenen Verlautbarungen zwar an, unterstellte aber letztlich Geschmacklosigkeit: »Tanzmusik für junge Leute, das umfaßt ein großes Spektrum verschiedener stilistischer Spielarten. Während der VIII. Werkstattwoche war das zu beobachten, wenn auch eine gewisse Dominanz des modischen ›Heavy Metal-Rock‹ zu hören war. Beim Publikum kommt das an. Solche Gruppen wie ›Plattform‹ aus Cottbus können mit ihrem kompakten Gitarrensound auch durchaus imponieren. Aber es sollte bei der Delegierung der Gruppen zur Werkstattwoche künftig noch mehr darauf geachtet werden, die gesamte Breite aktueller Spielweisen zu berücksichtigen […]. Er [der Vorsitzende der Expertengruppe] regte auch an, einer wirksamen Bühnenpräsentation künftig mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Ein bißchen mehr Geschmacksbildung wäre wohl angebracht.« (Görtz 1986: 6)

Zwei Jahre später bekamen Biest dann den Preis mit folgender Begründung verliehen: »Eine Heavy-Metal-Band, die nicht nur die stilgerechte Gestaltung von Kleidung, Show und Spielweise beherrscht, sondern auch ihren Publikumskontakt dazu nutzt, gegen Alkoholmißbrauch und Gewalttätigkeit aufzutreten« (zit.n. melodie und rhythmus 1/1989, S. 3).

Die staatlichen Institutionen demonstrierten durchaus Flexibilität. Innerhalb von zwei Jahren lernte man offensichtlich die gesamte Palette der Performance und Spielweise von Heavy und Extreme Metal zu beurteilen und einzuschätzen. Tatsächlich wird an diesen beiden Beispielen der diskursive Wandel verstärkt durch die kulturelle Umarmung ab 1978/88 deutlich. Indem Metal-Bands mehr und mehr in die Strukturen der sozialistischen Kulturpolitik eingebunden wurden, ergaben sich zugleich potentiell mehr Optionen der Regulation und Einflussnahmen. Die zunächst diskursiv, später durch praktische Maßnahmen vorangetriebene Erweiterung der sozialistischen Musikkultur um Heavy und teilweise Extreme Metal nährte auf Seiten der Funktionäre, vielleicht auch einiger Musiker, womöglich die Hoffnung auf einen sozialistischen Metal, einen sozialistisch-metallenen Sound als eigenständigen Gegenpart zum westlichen. Indem die Szene der DDR nicht mehr nur von sich heraus gestaltet und weiterentwickelt wurde, sondern auch der Staat Einfluss darauf zu nehmen versuchte, wurde zugleich das Transgressive, das Grenzüberschreitende des Extreme Metal tendenziell entschärft. Das klang-

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lich Extreme wurde sozialistisch integrierbaren Aspekten – vorrangig Texten und Themen – untergeordnet und auf die Bewertung des handwerklichen Könnens reduziert. Dadurch wurde der Jugendkultur Metal tendenziell das utopische, ästhetisch-transgressive Moment genommen bzw. wurde es gewissermaßen domestiziert. Festzuhalten bleibt, dass Heavy Metal im Laufe der 1980er Jahre allmählich in den die Rockmusik anerkennenden Diskurs integriert wurde. Nach einer anfänglichen Schockphase wurde er als härterer Rock akzeptabel, Extreme Metal hingegen nur bedingt. Indem ersterer aber in den Rockmusikdiskurs integriert wurde, erfuhr er eine Rehabilitation, nach deren Logik Heavy Metal, zunächst diskursiv als »Heavy-Metal-Rock« gehandelt, fortan einfach dazugehörte. Extreme Metal war als eine Weiterentwicklung des Heavy Metal potentiell ebenfalls integrierbar, was in Anfängen etwa mit der nationalen Förderung von Biest als Thrash und Speed Metal-Band bewiesen wurde. Retrospektiv und aus kontrafaktischer Perspektive wäre es äußerst interessant, wie in der DDR, hätte sie länger bestanden, mit den zu der Zeit neuesten extremen Entwicklungen des Death Metal und Grindcore, wie sie bereits einige DDRBands spielten, fortan umgegangen worden wäre.23 Ein Vergleich mit anderen Metal-Szenen verdeutlicht, dass diese Entwicklung in der DDR keinesfalls selbstverständlich war – weder für die BRD noch für die anderen Staatssozialismen hinter dem Eisernen Vorhang. In der Sowjetunion etwa fanden ebenfalls ab 1985 nach den Unterdrückungstendenzen in den vorangegangenen Jahren zunehmend wieder integrative Prozesse statt, eine These, die ebenfalls der Zeitzeuge Boris von Faust (2014, 2016) und der Historiker Christian Werkmeister teilen.24 Ähnliches ist für Länder wie Ungarn, dem heutigen Estland oder Slowenien zu beobachten (Horvath 2011; Muršič 2011; Araste 2010). Möglicherweise verliefen diese jedoch umkämpfter als in der DDR. Während sich der sowjetische Jugendverband Komsomol 1987 für mehr Toleranz gegenüber allen Spielarten der Rockmusik aussprach (Mettke 1987: 143), betrachteten viele die Musik nach wie vor suspekt. Argumente und Beschuldigungen – nicht allzu unterschiedlich von denen in Westdeutschland –, die Musik würde zur Verdummung der Jugend beitragen, waren verbreitet. Neben dem standardisierten sozialistischen Argument der Bedrohung und Infiltration durch die westliche Musik griff man zudem auf vermeintlich neurowissenschaftlich gesicherte Argumente zurück: laute Musik würde die Emotionen dämpfen, letztlich das Gehirn zerstören (Pilkington 1994: 107f.). 23 | Zur geschichtswissenschaftlichen Methode der kontrafaktischen Betrachtung s. Salewski (1999) und Berger Waldenegg (2011). 24 | Christian Werkmeister promoviert am Historischen Institut der Friedrich-SchillerUniversität Jena zum Heavy Metal und Punk in der Sowjetunion; persönliche Gespräche und E-Mail-Korrespondenzen.

II. Heavy und Extreme Metal in der DDR

Dennoch wurden auch in der Sowjetunion Heavy Metal-Bands staatlich gefördert wie etwa Arija und Kruiz, die seit 1987 zudem regelmäßig im Ausland, auch dem nichtsozialistischen, aufgetreten sind. Die Rahmenbedingungen jedoch – der grundlegende Mangel an Tonträgern, Fan-Merchandise und passablen Instrumenten – war ein Charakteristikum für alle Szenen hinter dem Eisernen Vorhang, lediglich in unterschiedlich starker Ausprägung.25 Das Jahr 1985 war dabei möglicherweise länderübergreifend ein Wendepunkt. Der Amtsantritt Michail Gorbatschows und die von ihm geforderten gesellschaftlichen Veränderungen hatten offenbar Signalwirkung mit Konsequenz auch für den Heavy Metal.

25 | Vgl. etwa die Erinnerungen von Adam Darski, Sänger und Gitarrist der polnischen Band Behemoth, an seine Kindheit und frühe Jugend in Polen (Darski 2015: 22-33).

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III. Praktiken der Heavy und Extreme Metal-Szene in der DDR

Die bisherigen Kapitel haben vor allem eines verdeutlicht: Heavy und Extreme Metal war eine lebhafte Jugendkultur in der DDR. Sie war offensichtlich derart präsent, dass der Diskurs um die Musik nicht nur von jugendlichen Anhängern getragen wurde, sondern auch von Journalisten und Funktionären – und somit eine gewisse öffentliche Reichweite über die Grenzen der Metal-Szene hinaus geschaffen wurde. Im folgenden Kapitel sollen die Fans und Musiker und ihre alltäglichen Interaktionen im Mittelpunkt stehen. Erst durch das Verstehen der alltäglichen sozialen und ästhetischen Praktiken werden die Eigenheiten des Heavy Metal in der DDR vollends deutlich. Praktiken des sich Vergemeinschaftens, des Hörens und Erfahrens, des Teilens sowie Band-Praktiken bzw. Praktiken des Musizierens werden ausführlich beschrieben und untersucht werden. Vorangestellt wird dem eine Betrachtung zur Rolle des Wissens im Heavy Metal, da dies essentiell für das Verstehen der konkreten Praktiken an sich ist. Zudem werden Exkurse eingeschoben, die zusätzliche Perspektiven eröffnen sollen, so über die Probleme mit der englischen Sprache sowohl in der DDR als auch in der BRD.

1. W issen in den sozialen und ästhe tischen P r ak tiken der M e tal-S zene Für eine historisch differenzierende Verortung können Fragen nach den alltäglichen sozialen Praktiken besonders weiterhelfen. Praktiken sind zeitgebunden und sowohl von Akteuren als auch von Artefakten wie LPs, Zeitschriften und Kleidungsstücken abhängig (Hillebrandt 2014: 76-86; Schmidt 2012: 51-71; Reckwitz 2008). Artefakte gestalten die soziale Welt ebenso wie die Handlungen von Akteuren (Schmidt 2012: 63). Dabei können sie zum einen in diskursive Praktiken eingebunden sein und darüber ihre jeweils spezifischen Sinnzuschreibungen erhalten (Diaz-Bone 2002: 125). Das bedeutet auch, dass die gleichen Artefakte in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Sinn-

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

zuschreibungen aufweisen können. In diesen Praktiken können sich sodann hochspezifizierte Sinnmuster ausbilden, die die Exklusivität von Wissensordnungen umreißen und an den Artefakten materialisieren und verdeutlichen. Zum anderen können sich diese spezialisierten Praktiken ebenso mit anderen, etwa regional spezifischen Praktikenkomplexen und Diskursen überlagern oder kombinieren (Reckwitz 2010: 194f.). Dies ist insbesondere für die Kontextualisierung einer internationalen Jugendkultur in einer konkreten Region wie der DDR von besonderer Bedeutung. Denn die Jugendkultur Metal basierte zu einem großen Teil auf überregional zirkulierenden, Staatsgrenzen überwindenden Artefakten durch Praktiken wie das Tape-Trading, bei dem sich Fans durch Postverkehr und Überspielen von Tonträgern gegenseitig unterstützten. Wissen spielte dabei eine wichtige Rolle. Das Spannungsverhältnis zwischen Heavy Metal und Staatssozialismus muss daher auch vor dem Hintergrund von unterschiedlichem Wissen über die Musik verstanden werden. In wissenssoziologischer Perspektive ist Wissen wesentlich sozial«, ein »soziales Ereignis« (Knoblauch 2014: 14, 16). Es ist das Hintergrundwissen, welches den Akteuren erlaubt, in situationsgebundenen Handlungen einen Sinn zu konstruieren (Knoblauch 2014: 250). Zu diesem Hintergrundwissen zählte zunächst das sozialistische, wie etwa das im Erziehungssystem verankerte Freund-Feind-Schema, aber auch das Spezialwissen der Jugendkultur Metal. Dass sich dieses Spezialwissen derart verbreiten konnte, zeigt, wie sehr das sozialistische Hintergrundwissen des FreundFeind-Schemas mehr und mehr verblasste und spätestens mit der distanzierten Generation stark an Wirklichkeitsrelevanz verlor. Für die Jugendlichen war es nicht mehr wichtig, über Polarisation des Freund-Feind-Schemas nachzudenken, solange es sie nicht zu sehr in den alltäglichen, eigensinnigen Praktiken einschränkte. Während das Wissen um den Sozialismus und seine theoretischen Fundamente im Marxismus-Leninismus im Bildungssystem stark verankert war, besaß Heavy Metal keine institutionalisierte und standardisierte Wissensvermittlung im herkömmlichen Sinne. Das Wissen vermittelte sich hier insbesondere über lebensweltliche Aneignung vor allem über Medien, die Sinn auch grenzüberschreitend vermitteln konnten. Sinn kann hier verstanden werden als eine »bestimmte Aktivität des Bewusstseins, die in der Bezugnahme besteht« (Knoblauch 2014: 352). Die Bezugnahme wurde entscheidend durch Medien und eine Ausrichtung des eigenen Handelns auf bestimmte Praktiken erzeugt. Indem sich Jugendliche für bestimmte Medien und die Musik entschieden, demonstrierten sie aktiv eine selbstbestimmte Wissensaneignung. Dadurch stellten sie ihr individuelles Erfahrungswissen sowie das Fachwissen in den Vordergrund. Praktiken basieren auf erlerntem und erfahrenem Wissen, das vermittelt wird (Turner 2001). Das Wissen, sowohl faktisches als auch Erfahrungs- und Vollzugswissen über Heavy Metal war somit eine grundlegende Voraussetzung

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

für die Teilhabe an dieser. Wissen lässt sich im Heavy und Extreme Metal auf zwei Ebenen verorten: einmal spielt das diskursive Wissen insbesondere um Bands und die stilistischen Entwicklungen eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus ist das Wissen um die konkrete ästhetische Praxis wie den Gebrauch der Instrumente und Technik, aber auch die Hörhaltung und -erfahrung von Bedeutung. Das Wissen um die Praxis des Musizierens umfasst allerdings nicht nur das instrumentalpraktische Wissen, sondern auch Kenntnisse über die Gestaltung des Sounds. Das Wissen um die richtige Spielweise einer lauten und stark verzerrten Gitarre, beispielsweise um unerwünschtes Feedback zu verhindern, ist neben den handwerklichen Fähigkeiten zugleich stark von den verfügbaren Instrumenten und Verstärkern abhängig. Dieses umfangreiche Wissen nahm letztlich eine bedeutende Stellung im Alltag ein. Die Wissensaneignung war »eine kontinuierliche Arbeit«, das FanDasein war ein »großer Teil deines ganzen Lebens«, wie Jens Molle erinnert (Interview Molle). Ähnliches stellte der Soziologe Manfred Stock in Befragungen von Metal-Fans gegen Ende der 1980er fest: »Verblüfft registriert der Außenstehende die Schätze eines Heavys: das riesige Musikarchiv, die penibel geführten Karteikästen, in denen die unüberschaubare Menge von Platten, Kassetten und CDs katalogisiert ist, die für DDR-Verhältnisse ein Vermögen verkörpert, die kompletten Jahrgänge der verschiedenen ›Metallic Underground Magazins‹ und die Vielzahl der sauber an die Wand gepinnten Band-Poster.« (Stock/Mühlberg 1990: 124)

Stock charakterisiert hier die Verortung eines Metal-Fans über den Besitz der relevanten Medien-Artefakte, beginnend mit dem Tonträger. Zudem verdeutlicht er, wie diese Artefakte in den Alltag eingebunden wurden, nämlich in einer nahezu archivalischen Behandlung. Diese über mehrere Jahre entstandenen Musikarchive und Sammlungen verdeutlichen die Bindung sowie die Praxis der Verwaltung der Artefakte und des Wissens, waren aber kein Alleinstellungsmerkmal für die Szenen hinter dem Eisernen Vorhang (Weinstein 2000: 97), geschweige denn ausschließlich des Heavy Metal (Bijsterveld/Dijck 2009: 11). Diese Praktiken verlangten Disziplin und planerisches Vorgehen und daher eine hohe Motivation und Hingabe. Die Verblüffung, die Stock artikuliert, spiegelt daher in erster Linie eine Zuschreibung von außen wider, die einer so chaotisch-nonkonformistisch wirkenden Jugendkultur eine solch strukturierte und disziplinierte Herangehensweise wohl schlichtweg nicht zugetraut hätte. Dabei lässt sich die Motivation einerseits über die starke emotionale Bindung an die Musik nachvollziehen. Andererseits war offensichtlich die kulturelle Alternative an sich lukrativ und motivierend: Die spezifischen, eigensinnigen Praktiken waren zugleich Inspiration und Motor.

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1.1 E xpertise und Fachwissen Neben den Medien sorgten daher auch die zahlreichen sozialen Interaktionen für einen wesentlichen Wissenstransfer. Die Clique als eine Kleinstgruppe Jugendlicher kann dabei als erste entscheidende Ressource für den alltäglichen Austausch und das Erinnern gelten (Stock/Mühlberg 1990: 133). Das gemeinsame Aufsuchen von Konzerten und Diskotheken sorgte darüber hinaus für den Austausch mit anderen Cliquen und Gruppen, teilweise auch aus entfernteren Gebieten der DDR. Die Rahmenbedingungen eines Konzertes – hohe Lautstärken und mitunter intensiver Alkoholgenuss – konnten dabei zu Missverständnissen und Verwechslungen, zu Verzerrungen und Rauschen im Wissenstransfer führen. Nichtsdestotrotz verstanden Metal-Fans ihr hochspezifisches und sich um die Musik drehendes Wissen als ein besonderes Spezial- und Fachwissen, das mit hoher gegenseitiger Wertschätzung verbunden war: »Nee, gerade das Fachwissen, das is richtjes Fachwissen, was man da schon hat, ja. […] Man muß sich eben auskennen in der Materie. Ansonsten lohnt es sich nich, Heavy Metal Fan zu sein.« (Stock/Mühlberg 1990: 156)

Der Begriff des Fachwissens wird hier positiv konnotiert verwendet und als Voraussetzung für das hochangesehene Expertentum aufgefasst. Die Wertschätzung hier wiederum war an eine Ausstattung mit sozialem und kulturellen Kapital gebunden, welches nur innerhalb der Metal-Szene ihre Wirkmacht entfalten konnte. Dieses Kapital, dass in der Forschung zu posttraditionalen Vergemeinschaftungen in Anlehnung an Pierre Bourdieu auch »subcultural capital« (Thornton 1996) bezeichnet wurde, beschränkte sich demnach nicht nur auf den Besitz von wichtigen Artefakten, sondern auch auf das Wissen um diese. Dies lässt sich auf Heavy und Extreme Metal übertragen (Kahn-Harris 2007: 122-131). So führt derselbe Fan weiter aus: »Vor allem wird man ja runterjeputzt. Det merken ja alle andern gleich, wenn eener keene Ahnung hat, nur Blasen quatsch oder so.« (Stock/Mühlberg 1990: 156) Dieses Wissen konnte in der Mangelwirtschaft der DDR dabei auch schlichtweg das Wissen darüber sein, wo bzw. bei wem die neueste Veröffentlichung zu bekommen wäre. Zugleich wird im Zitat des Fans deutlich, dass auch ein gewisser Anpassungsdruck vorherrschte, über den Zugehörigkeit definiert werden konnte. Wer nicht weiß, was es etwa mit der Musik von Black Sabbath auf sich hat, kann schlichtweg kein Heavy Metal-Fan sein. Aus diesen Fähigkeiten konnte an die Szene gebundenes soziales Kapital entstehen, verstanden als

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR »mehr oder weniger institutionalisierte Beziehungsnetze […], über die die ›Eigner‹ dieses Kapitals verfügen. Gemeint sind auch die Beziehungen der Anerkennung (Respekt und Reputation) und Ressourcen der sozialen Glaubwürdigkeit (sozialer ›Kredit‹).« (Vester 2010: 143)1

Eine hieran anschließende Frage allgemeinerer Natur wäre, inwiefern der sich in den 1980er Jahren so stark ausdifferenzierende Heavy Metal im Grunde nur noch über das spezifische Fachwissen erschlossen werden kann und ob die Sinnmuster ohne Fachwissen und Hintergründe nur noch schwer nachvollzogen werden können. In der Tat verweisen gegenwärtige Debatten um die allmähliche Integration der Heavy Metal-Kultur in den Mainstream der Gesellschaft auf ein in der Szene nach wie vor verbreitetes Verhaltensmuster der Abgrenzung als »stolze Außenseiter«, wie es Weinstein formulierte (Weinstein 2000: 93ff.). Es ist davon auszugehen, dass vor allem in den 1980er Jahren eine enorme diskursive Verdichtung stattfand, die zu einer zunehmenden Abgrenzung und abnehmenden Anschlussfähigkeit führte. All dies konnte kaum mehr nachvollzogen werden ohne grundlegendes Fachwissen und Einsichten in das Kontinuum von Hard Rock, Heavy Metal und aufkommendem Extreme Metal. Diese zunehmende Komplexität des Spezialwissens verbreitete sich implizit mit der Musik, begann mit der Hörerfahrung. Das Wissen um das Gehörte war daher enorm wichtig, insbesondere in der Mangelwirtschaft der DDR. Was einmal gehört wurde, war »eingespeichert« (Interview Molle). Gerade die beschränkte Verfügbarkeit von Wissen und Medien erhöhte, zusammen mit der raschen Ausdifferenzierung der Musik auf internationaler Ebene in den 1980er Jahren, den Druck auf eine regelmäßige und kontinuierliche Wissensaneignung: »Wäre nicht schlecht jede 2 bis 3 Sendungen solche Infos [zu bekommen], damit die HM-Fans, die z.Z. wie ich auf Euch angewiesen sind, auf dem laufenden bleiben. Es ist traurig, wenn man nach einem Jahr NVA total raus ist aus der Szene und man plötzlich mit Namen wie Newcronomicon [gemeint ist: Necronomicon] oder Destructor konfrontiert wird, die angeblich schon seit einem Jahr im Rennen sind.« (DRA H006-0106/0036, Bd. 1, Bl. 900401, 17.9.87)

An diesem Beispiel wird die Verschränkung von anwachsendem Wissen und den Bedingungen des eingeschränkten Wissenstransfers deutlich. Viele Fans baten daher etwa das Jugendradio DT 64 regelmäßig um Titellisten, um Schreibfehler zu verhindern und den Ansprüchen der archivalischen Praxis gerecht zu werden: »Leider bin ich im Englischen nicht so beschlagen, um die Titelansagen mitzuschreiben« (DRA H006-01-06/0014, 25.9.87). 1 | Vgl. ferner Fuchs-Heinritz/König (2011: 168-171).

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1.2 Erinnerung Angesichts des schwierigen Zugangs zum Spezialwissen nahm das Erinnern im Laufe der 1980er Jahre zusätzlich eine besondere Stellung ein. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Musik »ein wichtiger Bestandteil der individuellen und kollektiven Lebensorientierung und Identitätsbildung sein kann« (Pfleiderer 2011: 9), werden Artefakte wie Tonträger oder Fotos durch die Praktiken zu höchst individuellen und stark kontextualisierten Erinnerungsträgern (Berek 2009: 87f.). Als Gedächtnismedien können sie als »Vermittlungsinstanz und Transformatoren zwischen individueller und kollektiver Dimension des Erinnerns« und als »Kommunikationsinstrumente zur Externalisierung gedächtnisrelevanter Informationen« fungieren (Erll 2011: 137, 148f.; vgl. Nieper/ Schmitz 2016). Stock und Mühlberg konnten dies auch bei den DDR-Fans beobachten: »Eine dicke Foto-Mappe, die in der Machart durchaus den Anforderungen eines gut geführten Familien-Albums standhält, dokumentiert das eigene, lang jährige Leben in der Szene, ruft Höhepunkte in Erinnerung, als ›tierisch was los war‹.« (Stock/Mühlberg 1990: 124)

Die Fotos können hierbei Erinnerungen hervorrufen, die wiederum die affektive Bindung an Szene und Musik verstärken konnten. Neben den Gegenständen an sich war es insbesondere die Musik selbst, die dazu beitragen konnte, affektive, vor- und bewusste Prozesse zu prägen und wiederum hervorzurufen. Musik im Allgemeinen kann dazu beitragen, Erfahrungen und Emotionen im Gedächtnis besonders gut abzuspeichern und beim erneuten Hören wieder zu erinnern (Sloboda 2010: 496f.; Clarke/Dibben/Pitts 2010: 84f.; Assmann 1999: 250). Der Rezipient eines Songs aus den 1980er Jahren kann höchst subjektiv auf körperlich-affektiver Ebene jüngst Vergangenes und länger Zurückliegendes erinnern und im Moment des Erinnerns psychophysisch erfahren. Häufig erinnern sich Akteure dabei an Schlüsselerlebnisse in Form von konkreten Songs, Alben oder Konzerten. Diese Form des Erinnerns kann als auditives, vorsemantisches Erinnern bezeichnet werden. Dies verweist zugleich auf eine konkrete ästhetische Praxis, in der bestimmte Titel bewusst zur Stimmungsregulation oder bewusstem Erinnern eines mit der Musikerfahrung im Zusammenhang stehenden Erlebnisses eingesetzt werden können (Clarke/Dibben/ Pitts 2010: 89-92). Versteht man das autobiographische Gedächtnis mit Hans Markowitsch und Harald Welzer als etwas nicht ausschließlich Individuelles, sondern auch als »funktional vor allem [für] die Synchronisierung des einzelnen mit seiner sozialen Umwelt« sowie als »Wandlungskontinuum« (Markowitsch/Welzer 2005: 215) im zeitlichen Verlauf, wird die Relevanz eines solchen Erinnerns

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

für die Gemeinschaft von Fans in der DDR einmal mehr deutlich. Indem die Erinnerung stark mit der Jugendphase mit ihren intensiv erfahrenen entwicklungspsychologischen Übergängen und den Rahmenbedingungen des Staatssozialismus verbunden war, nimmt sie einen großen Platz im autobiographischen Gedächtnis ein.2 Diese individuelle Dimension konnte ergänzt und stets aufs Neue reaktiviert werden durch das Erinnern in der Gemeinschaft der Gleichgesinnten (Assmann 1999: 62). Gemeinsame Erinnerungen fungieren als wichtiges »Mittel der Kohäsion«, des Zusammenhaltes einer Gruppe, und erzeugen in einem wechselseitigen praktisch-kommunikativem Prozess Stabilität (Assmann 2009: 131). In dieser Perspektive erscheint die Jugendkultur als ein fragiles soziales Konstrukt, das immer wieder aufs Neue stabilisiert werden muss und durch Prozesse der Vergemeinschaftung und des sich Erinnerns auch stabilisiert wurde. Das Wissen um und die Erinnerung an Ereignisse, Erfahrungen und Faktenwissen bilden demnach eine wesentliche Voraussetzung für die Bindung und die Definition der Grenzen der Jugendkultur des Heavy Metal (Philipps 2011). Für das Wissen und Erinnern spielt zudem der Körper eine bedeutsame Rolle (Berland/Echad 2001: 5). Das Hören von Musik kann als ein hochgradig körperlich-affektiver Prozess verstanden werden. Das ›Aufgehen‹ oder ›sich selbst verlieren‹ in der Musik, etwa im starken rhythmischen Bewegen zur Musik, kann dabei als eine ästhetische Praxis einer Selbstvergessenheit in der Situation bei gleichzeitiger Abwesenheit komplexer Gedanken verstanden werden (Hesmondhalgh 2013: 34). Das klangliche Wahrnehmen nimmt hierbei, auch für die Erinnerung, einen mindestens ebenso wichtigen Platz ein wie soziale Aspekte: »Unsere Musik ragt eben echt aus dem Einheitsbrei heraus. Is keene Musik, die man morgen vergessen hat. Man zieht sich ›Iron Maiden‹ rin oder ›Black Sabbath‹, ob das zehn oder zwanzig Jahre alt is, is unwichtig bei der Musik. Is eben dieses Zeitlose…« (Stock/Mühlberg 1990: 162)

Es ist Teil dieser komplexen Erinnerungs- und Wissensdimensionen, dass die Musik zugleich auch mythologisiert und idealisiert wird, etwa indem die historischen Entstehungskontexte mitunter nicht immer gewusst, sondern teilweise auch ausgeblendet werden. Der Mangel in der DDR sorgte für eine intensivierte Beschäftigung, spornte regelrecht an und steigerte somit auch 2 | Verwiesen sei auf die in der Autobiographie- und Hirnforschung beschriebenen »reminiscence bumps« in den Erinnerungen an die Jugendzeit und dem jungen Erwachsenenalter: Erinnerungsberge, die mit zunehmendem Alter sehr stark präsent sind und eine große Bedeutung für die Identität einnehmen, vgl. Conway/Rubin (1994: 128f.) und Markowitsch/Welzer (2005: 229f.).

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die Bindung an die Musik. Die Bedeutung des Wissens und der Erinnerung verweist darüber hinaus auf eine Dimension selektiven Geschichtsbewusstsein in Form einer eigenen Traditions- und Kanonbildung in intergenerationeller Verschränkung, wie sie in den 1980er Jahren einsetzte und insbesondere heute beobachtet werden kann (Zaddach 2015: 228). Dieses selektive Wissen und Erinnern stand allerdings auch im Kontrast zum deutungsmächtigen Geschichtsdiskurs des Sozialismus, dessen hegemonialer Anspruch keine abseitigen Pfade zulassen konnte.

1.3 »Speak English Or Die«: 3 Zu den Bedingungen und Auswirkungen des kulturellen Transfers in deutsch-deutscher Perspektive Die bisherigen Ausführungen haben eines verdeutlicht: Heavy Metal in der DDR war erst möglich durch einen beständigen und anhaltenden kulturellen Transfer aus den Szenen im westlichen und nördlichen Europa sowie Nordamerika. Die Entwicklung einer eigenen Szene mit zahlreichen Bands und die diskursive Integration der Musik in den Sozialismus waren die Folge eines von Akteuren und Artefakten getragenen, verbreiteten und adaptierten Kulturtransfers aus dem Westen. Die anhaltende Dynamik des Transfers ist dabei insbesondere in der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Musik vor allem in Nordeuropa und Nordamerika zu verstehen. Während selbst im anglophonen Raum zunächst für einige Zeit Unklarheit über die Bezeichnung der neuen Formen, für die sich dann Begriffe wie ›thrash metal‹ durchgesetzt haben,4 herrschte, entstanden kulturelle Flüsse u.a. durch die teilweise seit den 1970er Jahren etablierten Tape-Trading-Netzwerke: Die Musik und dazugehörigen Bandnamen konnten teilweise, auch hinter dem Eisernen Vorhang, bereits gehört worden sein, bevor sich überhaupt ein Begriff für den neuartigen Stil durchsetzen konnte. Erfahrungswissen und faktisches Wissen konnten zeitweilig losgelöst voneinander sein. Diese Umstände und Bedingungen des kulturellen Transfers – die fortschreitenden diskursiven Aushandlungen und Veränderungen in den Kernländern des Metal, die selektiven und mit unterschiedlichen Ge3 | Nach dem gleichnamigen Album der US-amerikanischen Thrash Metal-Band S.O.D. von 1985. 4 | Vgl. hierzu insbesondere die aktuellen Forschungen von Andy R. Brown, der die britischen Metal-Zeitschriften der 1980er Jahre dahingehend untersucht u.a. präsentiert auf der internationalen Konferenz »Mind over Metal: Metal Music and Culture from a Cross-Disciplinary Perspective« am 3./4. Dezember 2015 an der Universität Odense, Dänemark unter dem Titel »Metal Genre Nomenclature: Etymology vs. Genealogy. Approaches to the Naming of Thrash, Death and Black Metal«.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

schwindigkeiten in die DDR hineinströmenden Transferflüsse und letztlich die höchst kontingenten Verbreitungs-, Adaptions- und Anverwandlungsprozesse innerhalb der DDR – verdeutlichen, dass ein genaues und detailliertes Nachvollziehen des kulturellen Transfers des Metal in die sowie innerhalb der DDR nur bedingt möglich ist. Dennoch können wichtige Merkmale und Auffälligkeiten beobachtet werden. Dies soll im Folgenden anhand der englischen Sprache in vergleichender Perspektive mit der BRD geschehen.

1.3.1 Asymmetrien und Blockaden des Transfers: Sprachbarrieren Eine Ursache für Asymmetrien stellten die Sprachkenntnisse der Akteure dar. Die dominante Sprache des Heavy Metal war (und ist nach wie vor) das Englische. Mit dem kulturellen Transfer strömte somit auch eine englisch dominierte Jugendkultur in die DDR, die ihre eigenen, englischen Begrifflichkeiten entwickelte. In der DDR hingegen war die im Bildungssystem verankerte erste Fremdsprache das Russische. Englisch, auch Französisch, war nur als zweite Fremdsprache möglich, was erst ab der Oberstufe Pflicht wurde. Selbst dort aber konnte es schlichtweg einen Mangel an geeigneten Fachlehrern aufgrund der Marginalisierung in den Lehrplänen geben. Infolge dessen konnten die Englischkenntnisse der Jugend sehr unterschiedlich ausfallen. Tatsächlich erschwerte diese Rahmenbedingung die Aneignungsprozesse für die Jugendlichen, wie in den Briefen an das Jugendradio DT 64 deutlich wird. So schreibt ein Hörer aus Dresden, dessen Alter unbekannt ist: »Am 25.9. hörte ich Ihre Sendung Mobil und war begeistert von der neuen Pink Floyd LP. Leider bin ich im Englischen nicht so beschlagen, um die Titelansagen mitzuschreiben. Könnten Sie mir eine Titelübersicht zusenden, ich würde mich riesig freuen.« (DRA H006-01-06/0014, 25.9.1987)

Wünsche nach Zusendung der korrekten englischen Titel waren regelmäßiger Bestandteil der Hörerpost an das DT 64. Das verstehende Hören verlangte vertiefte Kenntnisse der englischen Sprache, aber auch eine Deutungskompetenz etwa der Aussprache. Letztere konnte bereits eine wesentliche Fehlerquelle darstellen. Folgt man Hopke, der als Moderator bei DT 64 nicht nur in der Metal-Sendung Tendenz Hard bis Heavy regelmäßig englischsprachige Titel und Namen ansagen musste, war das Ausbildungsniveau auch beim Rundfunk nicht optimal. Es gab zwar die Möglichkeit, einen Englisch-Phonetik-Kurs zu belegen, allerdings war dieser auf British Englisch begrenzt und keinesfalls Pflicht (Okunew 2015: 77), obwohl beim Jugendradio DT 64 weitaus häufiger englischsprachige Wörter benutzt wurden als im restlichen Staatsrundfunk. Das Nicht-Verstehen der englischen Titel könnte daher auch von der ungenauen bzw. unverständlichen Aussprache der Moderatoren herrühren. Dies konnte zugleich unkorrekte Aussprachen verstetigen, indem sie von den Hörern

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übernommen wurden. Dass dieses Problem mit der englischen Aussprache zu einer Art »phonetischen Imitation der Originale« führen konnte, war ein grundlegendes in der DDR, wie bereits die Debatten um die DDR-Rockmusik um das Jahr 1965 zeigten (Ohse 2003: 100). Im Folgenden soll an den Beispielen englischer Bandnamen und Bezeichnungen und einer Fallstudie zum Begriff »thrash metal« diese Besonderheit des kulturellen Transfers genauer betrachtet werden.

1.3.2 Englische Bandnamen und Songtexte Der zuvor zitierte Brief, in dem ein Hörer um das Buchstabieren der gesendeten Pink Floyd-Titel bat, weil er mit dem Englisch nicht ausreichend vertraut war, stellt keinesfalls eine Ausnahme dar. Tatsächlich finden sich zahlreiche Hörerbriefe, die um die Zusendung der korrekten englischen Titellisten oder Texte bitten.5 Darüber hinaus wurden auch die Englischkenntnisse der Moderatoren immer wieder kritisiert.6 Regelmäßig entstanden Probleme mit den vorrangig englischen Bandnamen und Songtexten. Zunächst sollen einige Beispiele für offensichtlich unklare Schreibweisen in den Briefen der Fans angeführt werden (Tab. 7). Schreibweise (Quelle)

Korrekte Schreibweise

»Wennom« (DRA H006-01-06/0035, Bd. 1, Bl. 801065, 31.8.1987)

Venom

»Yngmar Malmsteen« (DRA H006-01-06/0034, Bd. 1, Bl. 700194, 6.7.1987)

Yngwie Malmsteen

»Withsnack« (DRA 006-01-06/0034, Bd. 1, Bl. 730824, 11.7.1987)

Whitesnake

»Detructuin« (DRA H006-01-06/0034, Bd. 1, Bl. 700839, 14.7.1987)

Destruction

»Newcronomicon« (DRA H006-01-06/0036, Bd. 1, Bl. 900401, 17.9.1987)

Necronomicon

»Iran Maidon« (DRA H006-01-06/0037, Bl. 100003, 4.1.1988)

Iron Maiden

»King Diamont« (DRA H006-01-06/0040, Bl. 300073, 15.8.88)

King Diamond

Tabelle 7: Ausgewählte Beispiele falscher Schreibweisen von ausländischen Bandnamen in der Hörerpost des DT 64

5 | Vgl. etwa DRA H006-01-06/0014, Bl. 900002; H006-01-06/0035, Bl. 800704. 6 | »Rat für M. Hopke – Englischunterricht…« (DRA H006-01-06/0037, Bl. 121273, 29.12.87; vgl. ferner DRA H006-01-06/0037, Bl. 121181, 23.12.1987; DRA H006-0106/0040, Bl. 400363, 19.4.88).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Diese Auflistung soll lediglich verdeutlichen, welche Auswirkungen die Einschränkungen des kulturellen Transfers haben konnten und dementsprechend für Besonderheiten der Metal-Szene in der DDR mitverantwortlich zeichneten. Keinesfalls soll dies aber den Eindruck erwecken, dass die Fans so gut wie keine Ahnung gehabt hätten. Abgesehen vom noch zu diskutierenden »Thrash«/»Trash«-Beispiel, dass in der Intensität wohl einmalig war, stehen den hier gelisteten falschen Schreibweisen ausländischer Bands weit mehr korrekt geschriebene gegenüber. Wie bereits betont wurde, stellte das Fachwissen über die Musik und deren Entwicklungen ein wichtiges Kriterium für Anerkennung und Wertschätzung innerhalb der Szene dar, so dass sicherlich großes Interesse an Kriterien wie etwa der richtigen Schreibweise vorhanden war. Daneben waren durchaus auch Kenntnisse über die richtige Aussprache verbreitet. Die hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter standen vor dem gleichen Problem wie die Fans. Ein möglicher Grund der im folgenden dokumentierten Probleme bei der Verschriftlichung mag, neben dem allgemeinen Mangel an Informationen und Wissen, an der Altersstruktur und Lebenswelt des MfS gelegen haben. In der für die Jugend zuständigen Hauptabteilung XX waren 1989 etwa die Hälfte nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Lediglich 184 der 460 Mitarbeitern jedoch waren unter 35 Jahre (Auerbach 2008: 10), ein Alter, das noch eine gewisse Nähe zur mehrheitlich jüngeren Szene hätte ergeben können. Das damit einhergehende Wissensgefälle, das ja das MfS gerade durch die entsprechenden Methoden auszugleichen versuchte, wird insbesondere an den Schreibweisen der in der Jugendkultur präsenten englischen Begriffe deutlich. Schreibweise (Quelle)

Gemeint war

»›Zeiko-Billy‹ (Schreibweise nicht verfügbar)« (BStU, MfS, BV Dresden, KD Görlitz, Nr. 70007, Bd. 2, Bl. 299)

Psychobilly

»Hulikans« (BStU, MfS, BVfS Leipzig Abt. XX, 122, Bd. 3, Bl. 9)

Hooligans

Tabelle 8: Beispiele für Schreibfehler von Jugendkulturen allgemein in den Akten des MfS

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken Schreibweise (Quelle)

Kommentar

»Heary Madolle« (BStU, MfS, BVfS Leipzig, KDfS Leipzig-Stadt, Nr. 01763, Bl. 12) »›Happy Maddel-FANs‹ – Hartmetall-Fans = harte Musik« (BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. XIV, Nr. 00598/11, Bl. 21)

Dienstbesprechung am 22.2.85, handschriftliches Protokoll, von einem General unterzeichnet

»heary-metal-musik« (BStU, MfS BV Karl-Marx-Stadt, KD Reichenbach, Nr. 178, Bl. 18f.)

Zweimal in dieser Schreibweise

»Habby-Medall-Bewegung« (BStU, MfS, BV KarlMarx-Stadt, KD Klingenthal, Nr. 78, Bd. 1, Bl. 21)

handschriftlich

»Dresh-Speedrichtung« (BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. XX, Nr. 122, Bd. 7, Bl. 5)

Gemeint ist Thrash- und Speed Metal

»Haevy’s« (BStU, MfS, BVfS Leipzig, KDfS LeipzigStadt, Nr. 35/06, Bl. 1)

Möglicherweise ein verselbständigter Tippfehler, da er in Leipziger Akten mehrfach auftritt (vgl. etwa BStU, MfS, BVfS Leipzig, KDfS Leipzig-Stadt, Nr. 01763, Bl. 1, 31)

Tabelle 9: Schreibfehler der Jugendkultur Heavy Metal in den Akten des MfS Die MfS-Mitarbeiter hatten also durchaus ihre Sorgen mit den neuen Jugendkulturen. Die in der Tabelle 9 aufgeführten Schreibweisen zu Heavy Metal könnten einen weiteren Hinweis zur der Problematik der sprachlichen Barrieren geben: Sie alle stammen aus dem sächsischen Raum, während etwa im Berliner und Brandenburgischen Raum dagegen verhältnismäßig früh die Schreibweisen klar waren. Möglicherweise stellte hier der sächsische Dialekt, der als solcher eben nicht nur Sprach-, sondern auch Hörgewohnheiten prägt, eine zusätzliche Barriere in der Adaption durch die einzelnen Akteure dar.

1.3.3 Probleme im Osten wie im Westen: ›Thrash Metal‹ vs. ›Trash Metal‹ Eine der auffälligsten Asymmetrien des Transfers ist in der Verbreitung und Übernahme neuer Begriffe wie die Bezeichnung ›thrash metal‹ zu beobachten. Wie bereits erwähnt, ist der Aushandlungsprozess der Sub-Genre-Bezeichnung und des Sub-Genres auch im internationalen Kontext als allmählicher und andauernder Prozess zu verstehen (Wiederhorn/Turman 2013: 191-266; Sharpe-Young 2007: 90-160). ›Thrash metal‹ als Bezeichnung – ›to thrash‹ bedeutet so viel wie verdreschen, aber auch rasen – setzte sich allmählich durch und war im anglo-amerikanischen Raum wohl um 1985 etabliert und bereits 1986 eines der führenden Metal-Genres (Sharpe-Young 2007: 90). Für den deutschsprachigen Raum hingegen, sowohl für Westdeutschland als auch die DDR, ist eine zusätzliche Verzögerung sowie eine vorrübergehende Verzerrung zu beobachten: Der Begriff »thrash metal« verbreitete sich zunächst vor-

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

rangig als »trash metal« – ›trash‹ lässt sich ins Deutsche als Müll, Schund oder Gesindel übersetzen. Diese Verzerrung könnte mit der Aussprache und der zunächst mündlichen Verbreitung des Begriffes zusammenhängen. Das englische ›th‹ wird in der Linguistik als Frikativ bezeichnet, das kontextabhängig drei verschiedene Aussprachen kennt: eine stimmhafte (z.B. ›those‹), eine stimmlose (›three‹) und eine das ›h‹ ignorierende (z.B. Thailand) (Crystal 2008). Dieser Frikativ ist nicht nur eine Eigenheit des Englischen ohne direktem Äquivalent im Deutschen, sondern unterscheidet sich auch in der Konsonanzbildung wesentlich von anderen im Deutschen vorhandenen Frikativen wie etwa das ›r‹ (Glück 2010: 213; Anders 2016). Will ein Deutschmuttersprachler das englische ›th‹ korrekt aussprechen, muss er daher die Bildung des Frikativs unter Einsatz der Zunge und der Zähne von Grund auf erlernen. Ein häufiger Fehler besteht dabei im Ersetzen des ›th‹ durch ein gewohntes ›s‹ oder ›z‹, nicht nur bei Deutsch-, sondern etwa auch Französischmuttersprachlern (Collins/Mees 2013: 215f.).7 Ebenso üblich ist die Verkürzung auf ein ›t‹, welche ebenfalls die Laut-Bildung des englischen ›th‹ umgeht.8 Die vom Kontext abhängige korrekte Aussprache des Frikativs konnte etwa im Schulunterricht gelernt werden, war aber zugleich vom Erfahrungswissen, etwa durch häufiges Hören, abhängig und geprägt. Basiert die Hörerfahrung vorrangig auf einem Englisch mit schlechter oder gar falscher Aussprache, erschwert dies nicht nur das verstehende Hören, sondern läuft ebenso Gefahr sich zu verstetigen, indem sich häufige Fehler als Konventionen verbreiteten. Die phonetischen Probleme in der Aussprache des Englischen durch deutsche Muttersprachler haben international sogar zu einer Stereotypisierung beigetragen und wurden als »Mock German English« häufig parodiert.9

7 | Ein historisches Beispiel liefert ein YouTube-Clip, der ein Interview des belgischen Fernsehens mit Metallica irgendwann in der 2. Jahreshälfte 1984 zeigt (im Clip ist die Rede von 1984, James Hetfield stellt sich als 21-Jähriger vor, so dass die Aufnahme nach seinem Geburtstag [3. August 1963] stattgefunden haben muss). Der Interviewer hat hörbar Probleme mit der englischen Aussprache. Er beschreibt Metallica als »thrash«, und spricht es als ›trash‹ [Träsch] aus. Zahlreiche Kommentare von YouTubeUsern beschweren sich teilweise ausfallend über den Akzent: https://www.youtube. com/watch?v=2g4eefPf1mo (Zugriff am 26.2.2016). 8 | Auch für Muttersprachler einer slawischen Sprache konnte dieses Problem bestehen. So liest man etwa in einer soziologischen Studie über Jugend in Slowenien in den Interviewtranskriptionen »trash metal«, möglicherweise, weil der Transkripteur den Begriff so von den Jugendlichen hörte und verstand, vgl. Huzian (2004: 187). 9 | Man denke etwa an Charlie Chaplins »Great Dictator«-Rolle.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Eine These soll nun sein, dass das Klangbild eine äquivalente Übertragung in das Schriftbild erfuhr.10 Dass der Fehler sowohl in Ost und als auch West gemacht wurde, liegt vermutlich vor allem an den kulturellen Gemeinsamkeiten, insbesondere der Sprache. Die Korrekturphase fiel dennoch unterschiedlich aus. Die westdeutsche Szene hatte eine starke Anbindung an die internationale Szene und somit die Möglichkeit, im unmittelbaren Transfer den Fehler auszugleichen. Die Ursache für die fälschliche Verwendung in der DDR ist daher auch eine Folge der Adaption des Fehlers aus der westdeutschen Szene. Untersucht man das auch für die DDR-Fans so wichtige westdeutsche Magazin Metal Hammer auf die in den 1980er Jahren neu aufkommenden Sub-GenreBegriffe hin, fallen unterschiedliche Verwendungsweisen auf (vgl. Tab. 10). Extreme MetalSub-Genre

Erstmalige Nennung

Anmerkung

Black Metal

2/1984, S. 10f.

Als Sub-Genrebegriff im Zusammenhang mit der britischen Band Venom aufgeführt, die 1982 ihr zweites Album Black Metal nannte; musikalisch ist dies aber noch weit vom Sub-Genre Black Metal, wie er Mitte der 1980er Jahre entstehen sollte, entfernt

Speed Metal

7+8/1984, S. 4, 54

Slayer und Venom werden als Speed Metal-Bands bezeichnet

Death Metal

7+8/1984, S. 53

Werbeanzeige des »HM-Shop« aus Marl, der einen nicht weiter spezifizierten »Death Metal-Sampler« anbietet

Trash Metal

1/1985, S. 31

Anzeige für Mailorder von Fat Cat Records Hamburg: »Metal Virgins, Animal People (hardcore trash-metal)« Review zu Warhead, »Speedway«: »Keine Gnade für Headbanger und Trash-Metal-Kids«

3/1985, S. 44 Thrash Metal

2/1985, S. 46 5/1985, S. 51

Kleinanzeigen: Werbung für ein dänisches Fanzine: »Blackthorn, Thrash, Death Metal mag« Newcomer International-Artikel spricht von »Thrash« und »Thrasher«

Tabelle 10: Erstmalige Nennungen neuer ausgewählter Extreme Metal-Sub-Genres im Metal Hammer in den 1980er Jahren

10 | Als Klangdokument kann etwa die westdeutsche Dokumentation Thrash, Altenessen von Thomas Schadt (1989) herangezogen werden, in der die verschiedenen Aussprachen von ›thrash‹ durch Deutsch-Muttersprachler deutlich wird. Neben der Umwandlung des ›th‹ in eine Art ›sz‹ spricht etwa auch Mille Petrozza, Sänger und Gitarrist einer der bedeutendsten westdeutschen Thrash Metal-Bands, das ›th‹ als ein verkürztes ›t‹ aus (vgl. 41:05 min).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Die Begriffe Black Metal und Speed Metal erschienen als erste Sub-Genrebegriffe für Formen des Metal, die nicht mehr mit dem herkömmlichen Heavy Metal-Begriff beschrieben werden konnten. Im internationalen Kontext tauchten sie vermutlich erstmalig um 1982 (black metal) und 1983 (speed metal) auf. Insbesondere der Sub-Genrebegriff Black Metal erfuhr um Verlauf der 1980er Jahre eine Neuzuschreibung. Spricht man heute von Black Metal, meint man damit vor allem die Formen des skandinavischen Black Metal, wie er sich ab Mitte der 1980er als eine zunehmend ästhetisch und diskursiv eigenständige Form entwickelte und zu Beginn der 1990er aufgrund von Morden und brennenden Kirchen in Norwegen weitreichende mediale Aufmerksamkeit erfuhr (Moynihan/Søderlind 2003). Speed Metal wiederum rückte bereits näher an den Thrash Metal heran. Er wurde zunächst eingeführt, um die ästhetisch neuen Erscheinungen, insbesondere Metallicas Kill’em All oder Slayers Show No Mercy von 1983, angemessen beschreiben und vermarkten zu können. Der ›thrash‹-Begriff hat vermutlich seine Wurzeln in der Skater- und Punkszene der USA. Im kalifornischen Skatermagazin Thrasher etwa veröffentlichte Brian Schroeder, bekannt unter dem Pseudonym Pushead und verantwortlich für zahlreiche Plattencover im Punk und Extreme Metal-Bereich (u.a. auch für Metallica ab 1988), Plattenkritiken über die brodelnde Bay Area-Szene. Darüber hinaus fand der Begriff auch an der Ostküste Verwendung: im Sommer 1982 wurde eine Hardcore Punk-Compilation unter dem Titel New York Thrash veröffentlicht u.a. mit den Beastie Boys. ›Thrash‹ war somit, noch bevor es überhaupt zur ästhetischen Verschmelzung von Heavy Metal einerseits sowie Hardcore und Punk andererseits kam, ein gängiger Begriff für das Skaten, für Slam Dance-Praktiken auf Konzerten, auch für Spieltechniken insbesondere am Schlagzeug. 1983 wurde etwa in diesem Sinne eine Veranstaltungsreihe in South Carolina gestartet, die sich »Thrash Bash« nannte, und keinesfalls Speed oder Thrash Metal, sondern Hardcore und Punk präsentierte. Deutlich wird, dass die korrekte Schreibweise in der westdeutschen Szene mit etwas Verzögerung präsent war. Dennoch hielten sich für einige Zeit beide Formen. Die folgende Tabelle verdeutlicht die Überlagerung und den zeitlichen Rahmen, in dem beide Begriffe in redaktionellen Beiträgen und somit in ihrer Rolle als Expertenbeiträge Verwendung fanden.11 11 | Die Bezeichnung ›trash metal‹ findet heute in Szenekreisen so gut wie keine Verwendung mehr, dafür allerdings nach wie vor in etlichen, offenkundig in dieser Hinsicht weniger informierten Publikationen bis in die Gegenwart, vgl. Ferchhoff (2010: 224), Müller-Bachmann (2002: 287), Vogelgesang (1998: 165), Schildt/Neumann-Braun (2008: 267). Überraschenderweise findet sich der Fehler ebenfalls in englischsprachigen Veröffentlichungen, wenn auch weitaus seltener, vgl. Holt (2007: 16). Auch in einer Veröffentlichung des Autors über die Erinnerungspraxis im Heavy Metal ›schmuggelten‹ die Herausgeber ebenfalls die falsche Schreibweise in »Bay Area Trash« hinein (Zad-

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

1985

Trash Metal

Thrash Metal

1/1985, S. 31 Anzeige von Fat Cat Records Hamburg: »hardcore trash-metal«

2/1985, S. 46 Kleinanzeigen: Werbung für ein dänisches Fanzine: »Blackthorn, Thrash, Death Metal mag«

4/1985, S. 60 Kleinanzeigen, Werbung für ein Fanzine: »Raise The Dead – Trash Metal Mag«, Frankfurt a.M.

5/1985, S. 80 Redaktioneller Beitrag (Oliver Klemm), Newcomer International: »Thrash Metal« und »Thrasher«

1986

12/86, S. 38 Artikel zu »Overkill« (Georg Kühnemund): »Trasher«

Regelmäßige Verwendung

1987

7/87, S. 110 Artikel zu »Death Angel« (Buffo): Trash-Act«

Regelmäßige Verwendung

Tabelle 11: Zeitliche Überlagerung der Verwendung von ›Trash‹ und ›Thrash‹ im westdeutschen Metal Hammer Die Tabelle verdeutlicht, dass beide Begriffe zu Beginn des Jahres 1985 erstmalig verwendet wurden. Beide Verwendungen sind externe Werbeanzeigen. Während das Hamburger Independent-Label Fat Cat im Januar 1985 von »Trash Metal« spricht, bewirbt sich das dänische Fanzine Blackthorne bereits in der darauffolgenden Ausgabe als »Thrash, Death Metal mag«, und belegt damit nicht nur eine frühe Präsenz des ›Thrash‹-Begriffes in einem deutschsprachigen Szenemedium, sondern auch des ›Death Metal‹-Begriffes. Dennoch verdeutlichen diese beiden Beispiele auch die unterschiedlichen Transferintensitäten, scheint doch in Dänemark der ›Thrash‹-Begriff früher hineingeströmt und adaptiert worden zu sein. Auffallend ist zudem, dass beide Anzeigen Begriffe verwenden, die erst später in redaktionellen Beiträgen auftauchten. Noch in der März-Ausgabe ist in einem redaktionellen Beitrag von »TrashMetal-Kids« die Rede, bereits in der Mai-Ausgabe wird von »Thrash« und »Thrasher« gesprochen. Dass auch unter den westdeutschen Fans der ›thrash‹Begriff bereits verbreitet war, verdeutlicht ein Leserbrief an den Metal Hammer, der von »Frank ›Metallic Powerthrasher‹ aus Frankfurt« unterschrieben wird. Er bescheinigt dem Metal Hammer nicht nur eine zu »softe« Ausrichtung, sondern belegt mehr als einmal seine Kenntnisse hinsichtlich der Begrifflichkeiten: »Das Hardcore-Thrash-Metal-Magazin Rock Hard schlägt euch sowieso tausendmal« (Metal Hammer 3/1985, S. 50). Während der Leser zweidach 2015: 231). Dieser Fehler, ein von den Herausgebern eingefügter Ersatz für eine ursprünglich als ungünstig bewertete Bezeichnung, tauchte in der letzten Korrekturfahne auf und war mir eingestandenermaßen nicht mehr aufgefallen.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

mal »Thrash« korrekt schreibt, verdeutlicht die Antwort der Metal Hammer-Redaktion, dass nach wie vor Uneinigkeit und wohl Unwissen über die korrekte Schreibweise vorherrschte, so dass sie seinen Namen – vermutlich ungewollt ironisch – kurzerhand umtauften: »Toleranz ist für Dich wahrscheinlich ein Fremdwort, Mr. Metallic Powertrasher!« Nicht eindeutig geklärt werden kann, ob die Überlagerung beider Begriffe auf mangelndes Problembewusstsein, mangelnde Kenntnisse oder bewusste Entscheidungen zurückzuführen sind. Offensichtlich waren in der Redaktion bereits frühzeitig beide Schreibweisen in Verwendung und haben womöglich auch für Verwirrung gesorgt. Die in der Tabelle 11 gelistete Kleinanzeige des Raise The Dead-Fanzines (4/1985, S. 60) etwa, die in der Ausgabe mit ›trash‹ abgedruckt wurde und somit hier als Beispiel für diese Verwendung herhalten muss, ist möglicherweise auf einen Tippfehler oder eine redaktionelle Nachbearbeitung zurückzuführen. Denn: Das Fanzine selbst titelt bereits auf dem Cover der ersten Ausgabe vom Winter 1984/85 »Thrash Metal«, und verwendet diese Schreibweise auch in den Artikeln und Beiträgen. Auffallend ist, dass Oliver Klemm zu dieser Zeit sowohl Mitherausgeber des Fanzines als auch Autor des Metal Hammer war. Vergleicht man die Artikel Klemms in den verschiedenen Magazinen, fällt auf, dass er etwa in der ersten Ausgabe des Raise The Dead-Fanzine beispielswiese von »thrasher« als Fans und Musiker des neuen Sub-Genres spricht (Klemm 1984: 9). Im Metal Hammer hingegen sind seine Artikel weitaus uneinheitlicher. Während er etwa in der Mai -Ausgabe 1985 von »thrash« spricht (5/1985, S. 80), finden sich wiederum in der Juli- oder September-Ausgabe desselben Jahres Beiträge von ihm, bezeichnenderweise in Übersetzungen von Interviews mit amerikanischen Musikern, die »Trash« benutzen (Klemm 1985a, b). Klemm selbst war sich also der korrekten Schreibweise durchaus bewusst. Möglicherweise unterlagen seine Artikel für den Metal Hammer jedoch einer redaktionellen Bearbeitung, die ›thrash‹ in ›trash‹ redigierte. Der Chefredakteur von 1984 bis 1986, Charlie Rinne, schrieb selbst Artikel, in denen von »Trash« die Rede ist (vgl. Rinne 1985). Möglicherweise sind die redaktionellen Änderungen hierin begründet. Die beiden letztgenannten Verwendungen des ›trash‹-Begriffes in redaktionellen Beiträgen weisen einen relativ großen Abstand auf, während schon einige Zeit und regelmäßig der richtige Begriff ›thrash‹ benutzt wurde. Spätestens mit dem Artikel zu Death Angel und der Übersetzung aus dem Englischen als »Trash-Acts« ist die Verwendung in redaktionellen Beiträgen abgeschlossen und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die letzten beiden Beispiele lediglich Tippfehler oder Folge von Unachtsamkeit beim Lektorieren waren. Die Analyse verdeutlicht aber, in welcher Form und über welchen Zeitraum sich der diskursive Wandel erstreckte und sich ›Thrash Metal‹ als der international anerkannte und englisch korrekte Begriff auch im deutschsprachigen Raum etablierte. Ohne Frage gehörten die westdeutschen Szenemedien durch

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

ihre internationale Orientierung und Vernetzung zu den eher schnellen Adapteuren neuer Begrifflichkeiten. Fans und Amateurmusiker der Szene konnten da durchaus langsamer sein. So gab es etwa in Siegen eine Thrash Metal-Band, die sich 1986 für einige Monate Eternal Trash nannte.12 Noch bis weit in die 1990er Jahre tauchte ›Trash‹ immer wieder in Kleinanzeigen und Musikergesuchen in den Szenemedien auf. Eine nicht gerade von Kenntnis zeugende, womöglich auch auf Unachtsamkeit zurückführbare Ausnahme stellt dabei eine großformatige Werbeanzeige der Virgin Megastores dar, die sich selbst noch in den 1990er Jahren als »Specialists in […] Trash Metal« bezeichneten (Metal Hammer 5/94, S. 47). Beispiele für die schriftliche Niederschrift von ›Trash Metal‹ in der DDR gibt es zahlreiche. Nicht nur entfachte um die Musik des Thrash Metal ein in erster Linie ästhetisch motivierter Diskurs. Auch war häufig die Rede von »Trash Metal«, sowohl auf Seiten der Fans als auch der Kritiker unter den Metal-Fans. Im DRA liegen diese Briefe heute vorrangig in Form von Schreibmaschinenabschriften im Karteikartenformat vor, nur verhältnismäßig wenige im Original. Dies muss im Prozess der Archivierung im Zuge der Abwicklung des DDRRundfunks nach der Wiedervereinigung geschehen sein, denn Jens Molle erinnert sich, die zahlreiche Hörerpost zwar von der Poststelle geöffnet, aber im Original unsortiert und unmarkiert erhalten zu haben (Interview Molle). Die Schlussfolgerung, wenn auf den Karteikarten ›trash‹ zu lesen sei, müsse dies auch jedes Mal so auf den Originalbriefen zu lesen gewesen sein, ist allerdings mehr als problematisch. Zudem veranschaulichen die im Original vorliegenden Briefe, wie problematisch es sein konnte, die Handschriften überhaupt zu entziffern. Waren dann die Transkripteure im Rundfunk wenig vertraut mit der Musik – wovon ausgegangen werden kann –, konnten hier Informationen verloren gegangen oder Fehler entstanden sein. Allerdings sprechen einige Indizien dafür, dass auch innerhalb des Rundfunks offenbar ähnlich wie in der Metal Hammer-Redaktion Unklarheit herrschte. Selbst in einem offiziellen Sendemanuskript der Tendenz Hard bis Heavy (18.6.1988) heißt es: »Zum Abschluss der Sendung noch zwei Stücke für alle Trash-Metal-Fans, von Destruction und Kreator« (DRA G006-01-05/0020, 18.6.1988, Sendemanuskript, S. 3). Dagegen liest man im Sendemanuskript für die Sendung vom 9.1.1988 »Thrash-Metal« (DRA G006-01-05/0015, 9.1.1988, Sendemanuskript, S. 1). Wenn aber bereits die Schreibweisen in den Manuskripten uneinheitlich waren, wie sollten dann die weitaus weniger mit der Materie vertrauten Sprecher und Moderatoren wie Ulrich Lipka das Sub-Genre aussprechen? Zwar können diese Uneinheitlichkeiten in den Manuskripten auf flüchtige Fehler zurückgeführt werden. Aufgrund der hohen Bedeutung des DT 64 für die 12 | Vgl. www.metal-archives.com/bands/Eternal_Trash/93944 (Zugriff am 29.02. 2016).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

DDR-Szene war aber die Verbreitung und Verselbständigung des »Trash«-Begriffes zu einem wesentlichen Teil durch den Rundfunk bedingt. Dementsprechend lassen sich in den Hörerbriefen auch beide Formen finden. Neben der gelegentlichen korrekten Verwendung ›thrash‹13 in Briefen an die Redaktion benutzte ein Hörer sogar beide Schreibweisen in ein- und demselben Brief (DRA H006-01-06/0035, Bd. 1, Bl. 801035, 28.8.1987). Dennoch ist, und dies weitaus häufiger, die Verwendung des ›trash‹-Begriffes mit einer regelrechten Selbstverständlichkeit zu beobachten. So etwa, wenn offensichtliche Anhänger des Thrash Metal an den Jugendsender schrieben: • »Es grüßen 40 Trash-Metal-Fans aus Jena, die Eure Sendung ziemlich schlecht finden.« (DRA H006-01-06/0040, 5.4.1988) • »Als Trasher finde ich es blöd, wenn sich die Fans unterschiedlicher MetalRichtungen die Köpfe einschlagen.« (DRA H006-01-06/0038, Bl. 100855, 12.1.1988) Dass diese Schreibweise häufig auf Sprachbarrieren und Hürden im Wissenstransfer zurückführbar sind, belegt ein weiteres Beispiel, in welchem nicht nur der ›Thrash‹-Begriff, sondern auch der des Black Metal in einer eigentümlichen Englisch-Deutschadaption niedergeschrieben wurde: »Ich war angenehm überrascht von dem Titel von Prinz ›Tarantella‹ […]. Es wird langsam auch Zeit, daß sich eine Band dem Trash, Speed und Bläck-Richtungen widmet.« (DRA H006-01-06/0035, Bd. 1, Bl. 800409, 12.8.87)

Während der ›Black Metal‹-Begriff in der Regel richtig geschrieben wurde, was auf die längere Präsenz des Begriffes durch das 1982 veröffentlichte und auch in der DDR längst bekannte Album Black Metal der britischen Band Venom zurückzuführen ist, ist die Liste der Belege für die falsche Schreibweise des ›Thrash Metal‹ lang. Ein weiterer Brief belegt die Deutung und Übertragung der klanglichen Ebene in das Schriftbild: »Diese Programmvorschau […] bewahrheitete sich leider […]. Der 1. Teil hätte höchstens den Namen ›Soft bis Heavy‹ verdient. Nur 2 x Speed u. Träsh ist wirklich zu wenig.« (DRA H00601-06/0041, Bl. 600484, 27.6.1988) Diese Schreibweise, die in den Briefen des Rundfunkarchivs nur einmal gefunden werden konnte, verbindet auf eigentümliche Weise die Verkürzung des ›th‹ und das Einbauen des deutschen Umlauts ›ä‹, der vom Klangbild her die größtmögliche muttersprachliche Übereinstimmung mit der Aussprache des englischen ›a‹ aufweist.

13 | Vgl. exemplarisch: DRA H006-01-06/0034, Bd. 1, Bl. 700039, 2.7.1987; H00601-06/0039, Bl. 200300, 4.2.1988.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Die Zirkulation und Reichweite des ›Trash‹-Begriffes war offenkundig so immens, dass ihn nicht nur Fans und offizielle Medien benutzten, sondern auch Bands, was die Verselbständigung abermals verstärkt haben muss: Die Band Panther aus Halle etwa entwickelte Plastik-Tüten als Werbematerial, mit der Aufschrift: »Harter Trash, echt Metal – Panther« (Mikula 2009: 45). Die Querfurter Manos stellte eigene Konzertplakate her, die die Band als »MetalTrash/Core« ankündigten (BStU, MfS, BV Halle, KD Querfurt, Nr. 53, Bl. 9). Die Jüterboger Biest, die sich stark am Speed und Thrash Metal orientierten, veröffentlichten 1989 eine offizielle EP mit dem Titel Crash Trash. Die Erfurter Rochus, ebenfalls am Speed und Thrash Metal orientiert, veröffentlichten im gleichen Jahr die Rundfunkproduktion »Let’s Trash«. 14 In der Aufnahme hingegen ist zu hören, wie der Lead- und Backgroundgesang ein »Thrash« mit deutschem Akzent artikulieren. Es ist unklar, an welcher Stelle das »th« verloren gegangen ist. Trotz alledem konnten durchaus DDR-Publikationen gelesen werden, die die richtige Schreibweise verwendeten. So konnte man vom »Thrash Metal« etwa in Lutz Schramms »Heavy Metal International« von 1987 oder Leo Gehls Feature über Cobra lesen (melodie und rhythmus 11/1988). Ähnlich wie in der BRD am Beispiel des Metal Hammer gezeigt werden konnte, überlagerten sich die beiden Schreibweisen und Begriffe in ihrer Verwendung. In der DDR waren Kontroll- und Korrekturmöglichkeiten jedoch weitaus eingeschränkter, so dass sich der falsche Begriff letztlich bis zum Ende der DDR hielt.

2. S ich V ergemeinschaf ten Nach einer Definition des Soziologen Max Weber beruht Vergemeinschaftung »auf subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteiligten« (Weber 1970: 21). Webers Definition kann nun, wie in der Einleitung ausgeführt, um ein Verständnis posttraditionaler Vergemeinschaftung als typischer Wandel von Gemeinschaft in der Spätmoderne ergänzt 14 | Beide Titel werden im 1990 erschienenen Loud’n’Proud, dem ersten Fanzine der DDR, mit der korrekten »th«-Schreibweise geschrieben (Loud’n’Proud 2/1990, S. 35). Auch bereits zuvor korrigierten Fans die Titel beinahe selbstverständlich zu »Thrash«, so etwa in einem Hörerbrief an das DT 64 aus dem Jahr 1989 (DRA H006-01-06/0006, Bl. 259). Auch in den Sendelisten des DT 64, sogar in denen der nicht vorrangig dem Metal gewidmeten Sendung Beat-Kiste, wird der Titel als »Thrash« gelistet, Biests Crash Trash wird hier allerdings unverändert, vermutlich entsprechend der offiziellen Amiga-Veröffentlichung, gelistet (vgl. etwa Sendeliste der Beat-Kiste vom 8.6.1989, DRA G00601-05/0032; ebenso in Sendeliste der Tendenz Hard bis Heavy vom 8.4.1989: DRA, G006-01-05/0030).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

werden (Gertenbach/Laux/Rosa/Strecker 2010: 61). Die Musikethnologin Kay Kaufman Shelemay betont ebenfalls die Bedeutung von Musik für das Soziale, indem sie Kommunikation, Emotionalität und Vorstellungen von Sehnsucht, Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit anzuregen vermag (Kaufman Shelemay 2011: 363). Es ist das Besondere der Musik, dass sie gleichfalls in den Sphären des Privaten, Intimen und Persönlichen als auch des Öffentlichen, Sozialen und Kollektiven eine bedeutsame Rolle einnehmen kann.

2.1 Musik und Gemeinschaft: Selbstverständnis, Selbstverortung und die Praxis der Vergemeinschaftung Das Selbstverständnis und eine sich in den Praktiken widerspiegelnde Selbstverortung sind ein wesentlicher Bestandteil der Vergemeinschaftung. Die Hürden lagen dabei vergleichsweise hoch: Erst die Begeisterung, die Opferbereitschaft in finanzieller und zeitlicher Hinsicht sowie die Aneignung und Ansammlung des Spezialwissens und entsprechender Artefakte machten einen Jugendlichen zu einem Metal-Fan und akzeptierten Gleichgesinnten. Neben diesen Aspekten der lebensweltlichen Orientierung und Verortung ist die Frage nach dem gesellschaftlichen und politischen Kontext von enormer Bedeutung. Mit Heavy Metal verband sich ein breites Spektrum identitätsprägender Selbstverständnisse, die nicht nur als politisch oppositionell, sondern etwa auch unpolitisch-eigensinnig verstanden werden müssen. Eine Ursache dafür mag an den generationellen Konflikten gelegen haben, wie sie charakteristisch für die Jugendphase allgemein sind (Hurrelmann/Quenzel 2012: 73-81). Zugleich war (und ist) die Lebensphase kulturell und gesellschaftlich eingebettet (Hurrelmann/Quenzel 2012: 90; Markowitsch/Welzer 2005: 215f.). Trotz der beschriebenen sozialistischen Rahmenbedingungen bestand offenbar dennoch ein jugendliches Bedürfnis nach Opponieren. Zugleich hatte das In-Opposition-gehen in der DDR-Gesellschaft eine besondere Bedeutung. In Opposition waren Menschen generationen- und milieuübergreifend zuallererst gegen die politischen und gesellschaftlichen Missstände. Diese beiden Dimensionen, die entwicklungspsychologische und die gesellschaftspolitische, sind nur schwer voneinander zu trennen. Einerseits, weil die im 1. Kapitel beschriebene Politisierung durch den Staat die Jugendkulturen, unabhängig von den Motiven, beinahe automatisch als politische Opposition deklarierte. Andererseits, weil hier völlig unterschiedliche und gegensätzliche lebensweltliche Dimensionen aufeinandertrafen: Während Opposition bewusst Stellung bezieht zu den gesellschaftspolitischen Umständen, kann jugendliches In-Opposition-gehen durchaus eine Abkehr von oder ein völliges Desinteresse an solchen Themen bedeuten. Oppositionell ist dann in erster Linie eine Zuschreibung von außen. Das Interesse des Metal-Fans war aber in erster Linie die Musik und ihre Szene. Wie der Soziologie Manfred Stock in seiner Untersuchung zu Jugendkultu-

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

ren in den 1980er Jahren festhält, hatten die Erfahrungen des sozialistischen Alltags einen entscheidenden Anteil: »Das Besondere an der Situation von Lehrlingen in der DDR der 80er Jahre scheint eher gewesen zu sein, dass in der Schule und am Arbeitsplatz Werte losgelöst von alltäglichen und sinnlichen Erfahrungen vermittelt [wurden], so dass in der Freizeit genau auf das Gegenteil gesetzt wurde: eine vor allem sinnlich und direkt gestaltete Erfahrungswelt.« (Stock 1989: 76)

Die Bedeutung des beschriebenen Spezialwissens nahm eine wichtige Dimension in der Kommunikation zwischen den Fans ein. Man redete so selbstverständlich über verschiedenste Bands und Sub-Genres, dass in der Kommunikation schnell darüber entschieden werden konnte, ob sich jemand tatsächlich auskennt oder lediglich so tut. Die Grenzen der Inklusion und Exklusion waren dabei so bedeutend, dass Jugendliche, die lediglich so taten, oder nur ganz gelegentlich Teil der Szene waren, als »Mitläufer« abgewertet wurden (Stock/ Mühlberg 1990: 155). Die Vergemeinschaftung schaffte demnach nicht nur ein beinahe exklusives Gemeinschaftsgefühl, sondern auch relativ normative Orientierungspunkte und Vorgaben für die soziale und ästhetische Praxis. Das Bewusstsein, zugleich Teil der sozialistischen Gesellschaft zu sein, konnte allerdings durchaus stark ausgeprägt sein. Letztlich entschieden sich nur wenige Heavies für einen kompletten Ausstieg aus den Strukturen und Regeln der sozialistischen Gesellschaft, anders als etwa Punks. Das Selbstbild war aber ohne Frage auch von der grundlegenden Diskrepanz zur Mehrheitsgesellschaft geprägt. Ein wesentlicher Anteil der Faszination für die Musik speiste sich hieraus. Wie Deena Weinstein für die USA der 1980er verdeutlicht, war der Außenseiterstatus für die Beteiligten aber keinesfalls mit einer Marginalisierung oder Abwertung verbunden. Vielmehr konnte gerade aus dieser Position und Selbstverortung ein Eigenwert gewonnen werden. Dies lässt sich auch für die DDR beschreiben, wenn sich Fans etwa selbstironisch als »Freaks« bezeichneten (DRA H006-01-06/0036, Bl. 900401, 17.9.87). Für Fans bestand durchaus ein besonderer Reiz in der Abgrenzung. Selbst das MfS beschrieb die Szene als »Elitenkult« (vgl. BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3113, Bl. 249). Dieses aus der marginalen gesellschaftlichen Position gestärkte Selbstbild war allerdings in der Ausprägung stark vom Kontext abhängig. Während man als Fan in den USA oder auch Westdeutschland vornehmlich diskursiv ausgegrenzt und abgestraft werden konnte, drohten in der sozialistischen Diktatur durchaus ganz konkrete Gewalterfahrungen. Die Grenzen des Sag- und Machbaren waren schlichtweg andere. Das Transgressive, dass dem Metal immanent ist, könnte hier nun leicht als direkte Reaktion auf die sozialistischen Lebensumstände umgemünzt werden. Meines Erachtens wäre eine solche Perspektive allerdings zu einseitig. Versteht man das Selbstbild und die Ent-

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wicklung des Metal in der DDR vorrangig vor diesem Hintergrund, verliert man aus dem Blick, dass der Orientierungspunkt die internationale ›imaginierte Gemeinschaft‹ war, und die Grenzüberschreitung auf ästhetischer und diskursiver Ebene für einen Metal-Fan in der DDR in erster Linie vor diesem Hintergrund verstanden werden muss. Insbesondere die affektive Dimension, die Faszination und das Gefallen an der Transgression konnten allerdings in der DDR ebenfalls mit Angst- und Bedrohungsgefühlen, die dem Alltag im Sozialismus entsprangen, konfrontiert werden. Das Selbstbild war demnach in gewisser Hinsicht gespalten. Die Fähigkeit der Anpassung, die Wurschi den Heavies bescheinigt (2007: 285), konnte sich in einer temporären Kompromiss- und Anpassungsbereitschaft etwa auf der Arbeit zeigen. Zugleich kann diese Kompromiss- und Anpassungsbereitschaft als Schutzmechanismus gedeutet werden, als wäre es eine unausgesprochene Verhaltensregel, jedweder Konfrontation mit der Erwachsenenwelt möglichst aus dem Weg zu gehen, um sich in Musik und Gemeinschaft ausleben zu können. Umso bestärkender und befreiender kann dann wiederum die Zeit außerhalb des Anpassens wirken und zugleich die Bindung zur Jugendkultur festigen: »Wir sind eigentlich ziemlich friedlich, ausgesprochene friedliche Leute« (Stock/Mühlberg 1990: 135), betonte ein Fan gegenüber den Soziologen. Rückblickend hält ein weiterer Zeitzeuge fest: »Nur der Metal gab mir Halt, sonst wäre ich wohl versumpft, vielleicht Alki geworden oder vorzeitig abgekratzt […].« (Welsch 2010: 6) Die Gemeinschaft konnte als »Zufluchtsort« fungieren, wie es ein weiterer Fan formulierte (Stock 1989: 94). Ein Beispiel für die Metal-Gemeinschaft bietet ein längerer Brief eines weiblichen Fans an das DT 64. In dem Brief erläutert die Verfasserin, deren Alter leider unbekannt ist, wie sie zum Heavy Metal gekommen ist und wie sie die Gemeinschaft wahrnahm. Der Anlass des Briefes war vermutlich die in den vorangegangenen Wochen über Leserbriefe und Moderatorenkommentare ausgetragene Debatte über den Umgang sowohl zwischen den verschiedenen Jugendkulturen als auch innerhalb der Metal-Szene, vermutlich angestoßen durch den Zionskirche-Skandal nur wenige Monate zuvor im Herbst 1987: »Wie sollte man sich anders gesinnten Musikfans gegenüber verhalten? Ich höre die Sendung noch nicht sehr lange, doch sie gefällt mir sehr gut. […] Fand zum HM durch eine Jungs-Clique, die mich stark beeinflußte. Vor dieser Beziehung war HM für mich nur Chaos, Sinnlosigkeit und Wahnsinn, verband sich für mich mit Assozialen, Säufern, Ausgeflippten und Verrückten. Durch Zufall kam es zu persönlichen Kontakten mit einzelnen Jungs. Ich bemerkte, daß viele Jungs Probleme haben, so z.B. mit ihren Eltern, mit den Mädels, in der Schule, in der Lehre. Fast alle kommen mit unserer ganzen Gesellschaft nicht zurecht. Die hohlen Phrasen, die leeren Reden von Planerfüllung, wie man es oft in der Zeitung lesen kann, kotzt sie einfach an, denn viele von ihnen arbeiten schon und wissen, wie es wirklich aussieht. All diese Probleme schieben sie vor sich her,

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken versuchen, sie zu unterdrücken oder in Alkohol zu ertränken. Daher kommt, daß diese Jungs oft sehr aggressiv sind. Jede kleine Abwertung von Seiten anderer Fans wird zur knallharten Drescherei.« (DRA H006-01-06/0039, Bl. 200126, 2.2.1988)

Die Debatte über den Umgang innerhalb der Metal-Szene soll, da sie in engem Zusammenhang mit der stilistischen Ausdifferenzierung der Musik stand, im Folgenden noch separat behandelt werden. An dieser Stelle sollen die Aussagen auf das Selbstbild hin befragt werden. Zunächst ist aufschlussreich, dass die Verfasserin betont, über eine »Jungs-Clique« zur Musik gefunden zu haben. Deutlich wird aber, dass sie, unabhängig vom Geschlecht, offenkundig in ihrer Begeisterung für die Musik ernst genommen wurde, so das sich daraus eine enge Bindung innerhalb der Clique über die Musik ergab. Diese enge Bindung ermöglichte es der Verfasserin, die Jugendlichen hinter der Fassade der lauten Musik und auffallenden Kleidung besser kennenzulernen. Wenn sie sagt, dass diese Jugendlichen vor dieser Phase für sie lediglich »Assoziale [sic!], Säufer, Ausgeflippte und Verrückte« waren, Heavy Metal für sie »nur Chaos, Sinnlosigkeit und Wahnsinn«, reflektiert sie eine Perspektive des Außenstehenden, wie sie vermutlich viele geteilt hätten. Argumentativ will die Verfasserin des Briefes allerdings darauf hinaus, dass dies lediglich oberflächliche Vorurteile seien, und dass die Jugendlichen individuelle Probleme hätten, die zu einem für Außenstehende beobachtbaren aggressiven Verhalten führten. Neben offenkundig charakteristischen Problemen und Konflikten der Jugendphase etwa mit der Schule oder den Eltern will sie deutlich machen, dass ein Großteil den Bedingungen des sozialistischen Lebens geschuldet sei. Nicht nur kommen die meisten »mit unserer ganzen Gesellschaft nicht zurecht«, sie kritisiert auch offen und direkt die Politik und deren versuchte Durchherrschung etwa auch in der öffentlichen Berichterstattung: »Die hohlen Phrasen, die leeren Reden von Planerfüllung, wie man es oft in der Zeitung lesen kann, kotzt sie einfach an.« Letztlich führt sie diese Argumente an, um das auffällige Verhalten zu erklären und möglicherweise auch ein Stück weit zu legitimieren. Dabei stellt der Brief ein beachtliches Zeugnis einer Vertreterin der distanzierten Generation in der späten DDR dar. Auf die Wechselbeziehungen von kulturellen und ökonomischen Prozessen wie etwa Arbeitslosigkeit und Heavy Metal im Allgemeinen wurde hingegen immer wieder hingewiesen (Cope 2010; Harrison 2010; Weinstein 2000). Zugleich drückt die Hinwendung zum Heavy Metal in der DDR aber auch eine Art von Flucht aus, ein bewusstes Aussteigen aus der Welt der »hohlen Phrasen«, hinein in die Welt der Musik. Dieses Spannungsverhältnis – Teil der sozialistischen Gesellschaft zu sein und zugleich in die Musik und Szene soweit wie möglich zu entfliehen – konnte unterschiedliche Ausprägungen und Umgangsweisen für Fans und Musiker annehmen: Vom Aussteiger und Komplettverweigerer, ähnlich den Punks (BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmal-

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kalden, Nr. 561, Bl. 20), bis hin zum kompromissbereiten Vermittler zwischen beiden Welten. Alle Fans und Musiker daher pauschal als Anhänger einer Jugendkultur des symbolischen Ausstieges (Stock 1994), der Widerständigkeit oder jugendlichen Opposition zu bezeichnen, erscheint daher fehlgeleitet. Die Vergemeinschaftung, die an sich durch ihren Charakter als Alternativangebot per se in Konkurrenz zum sozialistischen Verständnis stand, war in erster Linie von der Begeisterung und Faszination für die Musik getragen, weniger aus politischen Beweggründen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass unter den zahlreichen Fans solche Motive eine Rolle gespielt haben können. Die Hürden der Teilhabe an der Szene waren jedoch so hoch, dass mehrheitlich von einem in erster Linie übergeordneten Interesse an der Musik auszugehen ist. All dies war möglich, weil Heavy Metal in dieser Hinsicht offen war, und nicht, wie etwa bei Punks oder Skinheads, eine politisch-ideologische Komponente ein wesentlicher Bestandteil war. Heavy Metal in der DDR war in dieser Hinsicht indifferent bis zu dem Punkt, als mit dem immer präsenter werdenden Extreme Metal gegen Ende der 1980er Jahre auch politische Themen eine wesentliche Rolle spielen sollten. Themen wie Faschismus- oder Kriegskritik waren dabei allerdings nicht nur in der DDR, wie man annehmen sollte, von großer Bedeutung. Westdeutsche Bands wie Kreator oder Sodom äußerten sich in ähnlicher Weise. Es gehört aber zu Eigentümlichkeit, dass insbesondere DDRBands solche politischen Statements zumindest bis zum Ende der 1980er Jahre eher vermieden. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt in der historischen Betrachtung der DDR stellt zudem die Bedeutung des Konsums dar. Zwar wird immer wieder deutlich, wie stark die materiellen Beschränkungen und Auswirkungen der sozialistischen Planwirtschaft waren. Dennoch stellte sich seit spätestens den 1960er eine westlich inspirierte Konsumorientierung in den sozialistischen Gesellschaften Ostmitteleuropas ein (Fulbrook 2005: 42ff.). Die Generationalität, mit ihren verschiedenen Lebenserfahrungen, spielte auch hier eine entscheidende Rolle in den Erwartungen und der Entwicklung von Konsumbedürfnissen: Jugendliche erwarteten, auch weil sie aufgrund des Kulturtransfers über die Möglichkeiten im Westen informiert waren, schlichtweg mehr als der Staat bereit war zu leisten oder im Rahmen der politischen und ökonomischen Grenzen leisten konnte. Deutlich wird dabei, dass Konsum keinesfalls als passiver Rezeptionsvorgang verstanden werden kann, da Artefakte zugleich mit individuellen Sinnzuschreibungen ausgestattet und diskursiv in den Lebensalltag eingebunden wurden. Alkohol- und Nikotinkonsum spielte dabei eine besondere Rolle im Selbstverständnis der Heavies, aber auch der DDR-Bevölkerung insgesamt (SchmiedKnittel 2016). Paradoxerweise schien der westliche, für Jugendliche häufig faszinierende und mit Drogenkonsum offen umgehende Lifestyle des ›Sex, Drugs & Rock’n’Roll‹ mit in der DDR-Gesellschaft etablierten und akzeptierten For-

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men von Alkohol- und Nikotinkonsum zusammenzufallen. Nicht selten nahm dieser Konsum, unabhängig von Generation und Bildungsgrad, Formen des Missbrauchs an. 1988 etwa machte die DDR international auf sich aufmerksam, indem sie den höchsten Pro-Kopf-Konsum von Alkohol auf sich verbuchen konnte (Schmied-Knittel 2016: 62). Zwischen 1960 und 1980 hat sich der Gesamtverbrauch von Alkohol mehr als verdoppelt, mit steigender Tendenz in den 1980er Jahren, wobei insbesondere der Verbrauch von Spirituosen stark zugenommen hatte. Schätzungsweise 95 Prozent der Bevölkerung der über 15-jährigen konsumierten Alkohol, mit einem hohen Anteil an regelmäßig und übermäßig Konsumierenden, auch unter Jugendlichen (Reißig 1991a: 133f.; 1991b: 204). Alkohol war in der DDR »ein gesellschaftlich bereitgestelltes Genußmittel, allgemein zugänglich und erschwinglich«, dessen Genuss nur wenig reglementiert wurde, obgleich Gesetze und Debatten das Problem thematisierten (Reißig 1991a: 137). Reißig betont, dass die Jugendschutzverordnung in Hinsicht des Verkaufs von Alkohol und Tabak »nur mangelhaft« eingehalten wurden (Reißig 1991a: 139). Der Nikotinverbrauch unter Jugendlichen war mit 55 Prozent ebenfalls hoch. Folgt man dem Psychoanalytiker Léon Wurmser, der sich eingehend mit Drogenmissbrauch beschäftigte, so ist ein übermäßiger und anhaltender Konsum von gesundheitsschädlichen Substanzen vor allem ein Symptom für andersgelagerte Probleme, seien sie individuell oder auch gesellschaftlich (Wurmser 1997: 15). Wurmser hat hierfür eine Topographie und Hierarchie der Ätiologie, der Ursachenforschung von Drogenmissbrauch, entworfen (Wurmser 1997: 119-127). Entscheidend seien neben Grundproblemen der menschlichen Existenz vor allem die kulturellen Einflüsse und der aktuelle Zustand der Gesellschaft, ihre Wert- und Moralvorstellungen und die daraus entstehenden Konflikte. In der konkreten alltäglichen Praxis von Bedeutung seien wiederum die Peer-Group und die Familie. Insbesondere in der Peer-Group kann Drogenkonsum als wichtiges »Symbol der Zugehörigkeit, der Solidarität, der Initiation« fungieren (Wurmser 1997: 121). Ähnlich, wie Alkohol etwa in den 1920er Jahren der USA als wichtiger Bestandteil und Ausdruck »eines künstlerischen Lebens mit seiner Einsamkeit, seinem kreativen Schaffen und seinem Anderssein in einer geld- und machtorientierten Gesellschaft« (Wurmser 1997: 38) mystifiziert wurde, nahm Alkohol in der DDR eine Rolle als vermeintliches Mittel der Selbstbestimmung und -behauptung ein. Alkohol und Nikotin übernahmen als gesellschaftlich akzeptierte Drogen eine Entlastungsfunktion. So, wie der Rückzug ins Private vor allem die Abkehr vom Öffentlichen und somit von allem irgendwie Politischen bedeuteten konnte (Betts 2012), stand Alkoholkonsum für gelingenden, selbstbestimmten Rückzug.15 Alkoholkonsum konnte die Funktion eines »intendierten Vergessens der alltäglichen Umwelt« 15 | Zur Kritik an dieser These s. Schmied-Knittel (2016: 66f.).

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übernehmen, obgleich eine »Dialektik von Vergessen und Erinnern« auch im Alkoholrausch vorherrscht, also nie ausschließlich vergessen werden kann (Kassung 2001: 31). Alkohol wurde in der DDR nicht nur in Gemeinschaft in Massen konsumiert, sondern auch allein, im Privaten, und ermöglichte Verdrängung, Lustgewinn im Rauschhaften, womöglich Flucht vor den unausweichlichen Bedingungen und Erfahrungen des sozialistischen Alltags, die wütend, aggressiv, resigniert machen konnten. Trinken, aus praxeologischer Perspektive durchaus als eine Selbsttechnologie beschreibbar, »kappt die Verbindungen, die uns in Angst halten« (Wurmser 1997: 176). Die schädlichen Ausmaße eines solchen »Selbst-Mißbrauchs« konnten dabei durchaus stiller, passiver Protest, zumindest eine Form von Verweigerung sein, indem sie in all ihren Konsequenzen dem produktiven und disziplinierten Idealbild, wie es die »10 Gebote des sozialistischen Menschen« vorgaben, entgegenstand. Die enorm hohe Akzeptanz und hohe Verbreitung des Alkohol- und Nikotinkonsums in der DDR war für die hohe Verbreitung auch unter Jugendlichen von großer Bedeutung: Es gehörte zum guten Ton, zumindest in Gesellschaft zu trinken und zu rauchen. Wie Kochan betont, waren die Rahmenbedingungen für den hohen Konsum »die Erfahrung einer konkurrenzarmen Kollektivgesellschaft, ein wenig gefördertes Leistungsdenken, gemeinschaftliche Verantwortungsfreiheit, existenzielle Sorglosigkeit und das Leben in einer begrenzten, dafür an Zeit umso reicheren Welt« (Kochan 2011: 147f.).

Bei der Auswahl an Alkoholika gab es tatsächlich wenig Mangel. Dieser Umstand sowie das verbreitete Selbstherstellen sorgten dafür, dass Alkohol auch ein häufiges Tauschmittel auf dem Schwarzmarkt darstellte. Dass der Konsum anderer Drogen, selbst Marihuana, weitaus weniger verbreitet war, lag vermutlich schlichtweg an der eingeschränkten Reisemöglichkeit, den Grenzund Warenkontrollen und der gesellschaftlich tief verankerten Trinkkultur (Schmied-Knittel 2016: 61).16 Nicht nur war der Alkoholkonsum unter MetalFans selbstverständlicher Teil der Vergemeinschaftung, auch wurde oft übermäßig konsumiert. Manifest wird die Verherrlichung und Verklärung des Alkoholkonsums etwa im Titel »Saufen schmeckt gut« von Argus bzw. Moshquito von 1988, ähnlich wie die in der DDR durchaus beliebten westdeutschen Tankard, in deren Repertoire sich zahlreiche Titel um Alkohol, Bier und die Folgen drehen.

16 | Die Autoren um Manfred Kappeler sprechen daher in einer Längsschnittstudie zum Drogenkonsum ostdeutscher Jugendlicher nach dem Fall der Mauer von einer »Drogennaivität ostdeutscher Couleur« als Folge der DDR-Sozialisation (Kappeler 1999: 25f.).

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2.2 Szene-Diskurs: Über das Aushandeln der Grenzen von Heav y und E xtreme Metal in der DDR Zu Beginn der 1990er Jahre fasste Robert Walser die diskursive Dimension des Metal zusammen: »›Heavy Metal‹ is a term that is constantly debated and contested, primarily among fans but also in dialogue with musicians, commercial marketing strategists, and outside critics and censors. Debates over which bands, songs, sounds and sights get to count as heavy metal provide occasions for contesting musical and social prestige. ›That’s not heavy metal‹ is the most damning criticism a fan can inflict, for that genre name has great prestige among fans.« (Walser 1993: 4)17

Dieser Diskurs war von Beginn Teil des Heavy Metal und gewann in den 1980er Jahren aufgrund der relativ schnellen Ausdifferenzierung in Richtung Extreme Metal an Intensität und Dynamik, auch in der DDR. Der Diskurs um die neuen Spielarten des Extreme Metal in den 1980er Jahren vermittelt dabei nicht nur einen Eindruck von der Intensität des kulturellen Transfers. Darüber hinaus demonstriert der Diskurs um Heavy und Extreme Metal in der DDR die Dynamiken und Eigenheiten einer Szene, die sich zusehends selbst ausdifferenzierte und über das Ästhetische weitere Abgrenzungen innerhalb der Szene herausbildete. Thrash Metal, als eine der ersten Formen des Extremeren sorgte für eine längere Debatte über die ästhetische Qualität, die Bezeichnung und Benennung. In der ersten Ausgabe des westdeutschen Metal Hammer-Magazins im Januar 1984 stellt ein kurzer Artikel die kalifornische Speed und Thrash MetalBand Metallica als »sämtliche Geschwindigkeitsrekorde« brechend vor.18 Auf die erste LP der Band (Kill’em All, 1983) verweisend fügt der Autor sofort an: »[…] allerdings mit der Warnung, daß selbst gut Motörhead trainierte Ohren hier ihre Belastbarkeitsgrenze erreichen dürften.« (Hanl 1984) Diese musikalisch inhärente und ästhetische Reibungsfläche stellte in den 1980er Jahren sozusagen ein Grundkonflikt dar, der von Akteuren der Szene, wenn auch in

17 | Vgl. auch Brackett (2009: 310-318); eine aufschlussreiche Diskussion von GenreSystematiken sowie eine Diskursanalyse über Extreme Metal-Debatten nach 1990 bietet Smialek (2015). 18 | Die Sub-Genre-Begriffe Speed und Thrash Metal werden vom Autor des Metal Hammer-Artikels noch nicht verwendet, stattdessen wird Metallica als »HM-Geheimtipp« bezeichnet, als Geheimtipp des zeitgenössischen Heavy Metal. Ebenso wird in der gleichen Ausgabe Venom, die sich selbst als Begründer des Black Metal verstehen, als Heavy Metal diskutiert, vgl. Rinne (1984).

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unterschiedlicher Intensität, sowohl in den USA, Großbritannien als auch dem geteilten Deutschland ausgetragen wurde. In der DDR finden sich zahlreiche Belege für eine sich intensivierende Auseinandersetzung mit den internationalen Entwicklungen des Metal, an denen man selbstredend teilhaben wollte. Diese Auseinandersetzung wurde von älteren Vertretern der Szene, die sich mit Heavy Metal identifizierten, durchaus auch als Spaltung wahrgenommen. Musikalisch bedeuteten die neuen Spielarten des Extreme Metal neue Dimensionen der Geschwindigkeit, aber auch der Transgressivität insbesondere im Gesang (Interview Densky/Schmidt). Die Screaming- und Growling-Techniken, wie sie insbesondere im Extreme Metal Verwendung fanden, entsprachen nicht den ästhetischen Vorstellungen von Heavy Metal mit klarem Gesang. Tatsächlich entzündeten sich insbesondere am Thrash Metal Konflikte zwischen den Fans und Bands bis zum Ende der DDR. Hierzu ein längerer Brief an das Jugendradio DT 64, der Bezug auf ausgestrahlte Titel der Thrash Metal-Band Slayer nimmt: »Die HM-Stunde hat vor längerer Zeit eine LP abgearbeitet, dort kam ich ins Stutzen, denn das ist kein Trash [sic!] mehr, sondern Hirnrissigkeit. Möchte mich auf ein paar Lieder beziehen: Gewaltverherrlichende Zeilen wie ›… Du hast keine Wahl zw. Leben und Tod, mein Gesicht wirst du nicht sehen, ich reiße mir das Fleisch vom Knochen, bis du aufhörst zu atmen‹ (piece by piece) oder der Rückblick auf das Auschwitz-KZ (Angel of death), gleiche LP, können nur wirklich kranken Hirnen entspringen. Div. Plattenfirmen lehnten die Veröffentlichung der LP wegen der Texte ab. Trotzdem fand sich eine Firma, die diesen Text auf die Fans losließ. Eine zweite Band fühlt sich als unbarmherzige Krieger Englands (Manowar) alles niederzumachen, was nicht englisch ist. Machte hier einige Ausführungen, die ich dem ›Metal Hammer‹ 10/87 entnommen habe. Sollten sich diese Fakten als wahr erweisen, so verstehe ich nicht, wie es kommen konnte, daß so ein Scheiß in der DDR gespielt wird. […] Ich bin überzeugt, daß in der HM-Stunde und auch allgemein keine Hirnis am Mikrofon sitzen sondern kluge Leute, die das Englische wohl aus dem ff beherrschen und auch engl. Songs aus dem Stehgreif übersetzen können, so verstehe ich die Zusammenhänge nicht.« (DRA H006-01-06/0038, Bl. 101129, 28.1.88)

Die Empörung sowohl über die Grenzüberschreitungen des Extreme Metal als auch darüber, dass diese Musik im DDR-Rundfunk gespielt wurde, wird deutlich. Der Verfasser gibt sich als kenntnisreich aus, indem er suggeriert zu wissen, was »Trash« sei, darüber hinaus das westdeutsche Szene-Magazine Metal Hammer kennt. Ausschlaggebend für die Empörung sind hier ausschließlich die Texte von Slayer, die er hier zeilenweise übersetzt. Für ihn überschreiten die Texte Slayers eine Grenze des Akzeptablen, können »nur wirklich kranken Hirnen entspringen«. Der Verfasser kritisiert die Direktheit der Gewaltdarstellungen sowie die Thematisierung der Verbrechen des Nationalsozialismus

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in Auschwitz. Die Kritik rekurriert indirekt durchaus auf die für den Sozialismus charakteristischen Maximen des Antifaschismus und Friedens. Das Thema Nationalsozialismus war heikel, links und rechts der Grenze. Daher stießen die Texte etwa von Slayer auch in der BRD auf Kritik und Ablehnung mit durchaus ähnlichen Argumenten (Wehrli 2012: 630-634). Es ist womöglich den Beschränkungen im Kulturtransfer zuzuschreiben, dass in der DDR niemand die weiteren Anspielungen Slayers auf den Nationalsozialismus thematisierte wie das Logo mit dem Reichsadler oder die Schreibweise des Namens mit S-Rune ähnlich den Waffen-SS-Darstellungen. Innerhalb der Szene, sowohl in der BRD als auch in der DDR, waren Slayer allerdings durchaus populär. Die von Kahn-Harris beschriebene »reflexive anti-reflexivity« als eine ignorierende, naive, selektiv ausblende Praxis kann hier einen Verständniszugang eröffnen. Kahn-Harris versteht diese Praxis unter Rückgriff auf Jacques Derrida als »spielerisch«. Spielerisch werden Bedeutungen destabilisiert, entwertet, umgeschrieben. Das Vergnügen liegt dabei gerade in den Möglichkeiten des Instabilen und Mehrdeutigen (Kahn-Harris 2007: 151). Die brutalen Ausführungen in Songtexten oder die Verwendung von Symbolen, die durchaus problematische Bedeutungen haben, können als Ausdruck dieses provokativen, auch naiven Spiels mit Symbolen und Zeichen sein. Das Transgressive als ein exzessives Austesten und Überschreiten von Grenzen thematisiert auch das Verachtenswerte und Verwerfliche (im Sinne von Julia Kristevas Abjekt) sowie »the joys and terrors of formless oblivion«, die gesellschaftlichen Verdrängungs- und Verklärungsmechanismen (KahnHarris 2007: 30). Zurück zum Eklat um Slayer im Rahmen der DT 64-Sendung: Die Tendenz Hard bis Heavy sendete aufgrund der Brisanz und der zahlreichen Hörerbriefe am 6.2.1988 ein Special zu Slayer. Diese Sendung und vor allem die Reaktionen dazu spiegeln einmal mehr die unterschiedlichen Haltungen innerhalb der Szene wider. Vor allem kontrovers diskutiert und von Slayer-Fans verurteilt wurde die Bezeichnung der Musiker als »Milchreisbubis« durch den Moderator: »Nach den unqualifizierten Äußerungen über S [Slayer]19 muß ich unbedingt schreiben. Es stimmt zwar, daß S auf der ganzen LP ›Reign in Blood‹ über KZ, SS usw singt, aber es wird erst einmal auf so etwas hingewiesen. In Angel of Death geht es um Dr. Mengele, dem berüchtigten Auschwitzarzt und Auschwitz ist ein KZ und darum könnt Ihr nicht behaupten, S weiß nicht was KZs sind. Das Lied beginnt mit dem Satz, Auschwitz, das Denkmal der Schande. Ich finde, das reicht doch als eigene Meinung. Aber mich stört 19 | Da diese Briefe vom Rundfunk angefertigte Abschriften der Originale sind, ist es schwer zu beurteilen, inwiefern die Abkürzung von Slayer als »S« eine unter Fans verbreitete Schreibweise – ähnlich wie HM für Heavy Metal – war.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR an dieser LP, daß nur darauf hingewiesen wird und niemand angeprangert. Aber das ist wohl so zu sehen: In den USA und auch anderen kap. Ländern gibt es neofaschistische Gruppen (was ich sehr bedaure), aber das sind potenzielle Plattenkäufer.« (DRA H00601-06/0039, Bl. 200572, 12.2.88)

Und ein weiterer Fan: »S [Slayer] ist für mich nicht dumm. Na klar, sie sind auf Schockwirkung aus, das kommt auch im Text von ›Angel of death‹ zum Ausdruck. Aber man kann nicht verleugnen, daß das wahr ist, wie Slayer das KZ Auschwitz beschreibt – ›eingezwängt wie Großvieh berauben sie dich deines Lebenswertes‹. Daß S ausweichend antwortet, in Bezug auf den Text, finde ich nicht gut, aber ich habe einmal gehört, daß sie gegen Skinheads und Nazis sind. Damals in der 8. Klasse war ich auch geschockt, als man uns Foltermethoden der SS aufgezählt hat. Daß S aussehen wie Milchreisbubis, kannst du abschminken.« (DRA H006-01-06/0039, Bl. 200572, 12.2.88)

In beiden Briefen wird eine verteidigende Haltung eingenommen, die eher emotional insbesondere auf die als Beleidigung empfundene Bezeichnung als »Milchreisbubis« ausfällt.20 Gegen den Vorwurf einer Verherrlichung des Nationalsozialismus werden hingegen sachliche Argumente herangezogen, die eine Verteidigung in einer akzeptablen Form anbieten. Die Heavy Metal-Fans wiederum reagierten auf das Slayer-Feature abgeschreckt und sahen sich bestätigt: »Leider gibt es auch in der HM-Szene Bands, die nichts begriffen haben. Für diese Bands kommt es nur darauf an, irgendwie aufzufallen, damit am Schluß die Kohle stimmt. – Gerade solche Erscheinungen schaden dem HM. Leider wollen das einige Fans nicht wahrhaben.« (DRA H006-01-06/0039, Bl. 200705, 17.2.88)

Dieses in die Debatte eingeführte Argument, das auf die klassische sozialistische Kritik des Kapitalismus rekurriert, teilt zunächst durchaus eine typische Kritik von Metal-Fans am kommerziellen Ausverkauf.21 Allerdings basierten diese Erfahrungen für DDR-Fans kaum auf eigener Erfahrung. Tatsächlich

20 | Ein weiteres Beispiel: »M Hoppke [sic!] soll mal in den Spiegel sehen, ob er nicht selbst der Milreichsbuby [sic!] ist. Überlegt Euch vorher, was Ihr für Kritiken loslaßt.« (DRA H006-01-06/0039, Bl. 200572, 12.2.88). 21 | Rainer Diaz-Bone (2002) identifiziert dies in seiner Analyse von deutschen Metal Hammer-Ausgaben in den 1990er Jahren; Eric Smialec (2015: Kap. 2) beschreibt dieses Phänomen insbesondere für den Extreme Metal anhand des im anglo-amerikanischen Raum verbreiteten Anti-Begriffs »mainstream«.

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spiegeln sich in diesem Diskurs auch Reflexionen über das sozialistische Leben wider: »Nach der Übersetzung, die ich habe, kann man das auch so lesen, daß S auch was gegen diese Foltermethoden hat. Wie man den Sinn des Textes herausliest, kommt auf die Einstellung des jeweiligen Autors an. Aber das ist bei uns ja Mode, sobald das Wort ›Auschwitz‹ fällt, das Lied als dumm oder unüberlegt zu bezeichnen.« (DRA H006-0106/0039, Bl. 200563, 12.2.88)

Neben Slayer gerieten weitere Thrash Metal-Bands in den Fokus der Kritik und wurden zur Projektionsfläche dieser szeneinternen Auseinandersetzung. Für nicht wenige Anhänger des Heavy Metal war die Ausdifferenzierung ästhetisch und inhaltlich wenig akzeptabel. Die »Trash-Kaoten« (DRA H00601-06/0035, Bl. 800167, 5.8.87) wären in der Szene viel zu präsent, würden zu häufig im Radio gespielt und seien in ihrer Grenzüberschreitung letztlich zu weit gegangen. Thrash Metal, wie ihn die westdeutsche Band Kreator spielt, wurde teilweise sogar aus der Szene auszugrenzen versucht: »Gruppen wie Kreator bringen etwas unter der Marke HM [Heavy Metal], was jeder Beschreibung spottet. Das hat mit Musik nichts mehr zu tun.« (DRA H006-0106/0034, Bl. 701042, 28.7.87) Zahlreiche Heavy Metal-Fans distanzierten sich von den extremeren Spielarten mit ähnlichen Argumenten: »Ich unterscheide bei HM nicht so sehr in den bestimmten Richtungen, sondern mehr ob gut oder schlecht. Aber solche Bands wie Venom, Slayer, Kreator, Celtic Frost, Destructuin [sic!, gemeint sind die westdeutschen Destruction] machen den Heavy kaputt.« (DRA H006-01-06/0034, Bl. 700839, 14.7.87)

Diese Auseinandersetzung ist in erster Linie ein ästhetischer Disput. Dabei wurde auch auf lautmalerische Mittel zurückgegriffen. So wurden die britischen Venom, eine ebenfalls die Szene spaltende Speed- und frühe Black Metal-Band, kritisiert: »Aaaaarrrggghhhh! Etwas Melodie darfs aber sein, dies Stück ist Schund. Es gibt viele Gruppen, die besser sind als Venom« (H00601-06/0034, 700372, 10.7.87). Es ist charakteristisch für die Metal-Szene, dass der Genre-Diskurs vor allem über musikalische Dimensionen ausgetragen wurde. Gerade die Aspekte der Melodiegestaltung und Songstruktur waren typische Bewertungskriterien: »[…] Die Aufteilung der Sendung und die einzelnen Spielarten des HM akzeptabel, obwohl Black- und Trashmetal nicht meinem Geschmack entspricht, da bei den meisten dieser Bands die musikalische Reflexion fehlt.« (DRA H006-01-06/0040, Bl. 400363, 19.4.1988)

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Indem dieser Verfasser Thrash Metal eine mangelnde musikalische Reflexion bescheinigt, kritisiert er das Zentrale des Metal, die Musik, und führt »musikalische Reflexion« als Expertise suggerierendes, aber nicht weiter erläutertes Argument an. Musikalische Bewertungskriterien und musikalische Expertise stellten wie bereits erwähnt wichtige Punkte für eine Selbstverortung als Intensivhörer und -kenner dar und konnten für individuelle Distinktionsbemühungen auch innerhalb der Szene herangezogen werden. Der zitierte Schreiber betont allerdings zugleich, dass Thrash Metal zwar nicht seinem Geschmack entspräche, er aber dennoch Verständnis für andere Hörgewohnheit innerhalb der Szene auf brächte. Dies verdeutlicht eine fundamentale Bindungskraft der Szene, nach der Hard Rock genauso dazu zählte wie Extreme Metal. Nur so ist zu verstehen, dass in zahlreichen Briefen auch »Toleranz« gegenüber den unterschiedlichen Hörgewohnheiten innerhalb der Szene gefordert wurde. Dabei entwickelte sich ›Toleranz‹ zu einem regelrechten Schlagwort: »Uns mißfallen die abfälligen Bemerkungen über Trash allgemein und Kreator im besonderen. Wir glauben kaum, daß diese mit der vielgerühmten Toleranz in Ordnung geht, ›Kreator ist furchtbar‹. Auch wenn wir Trasher sind, lassen wir uns zu so etwas nicht hinreißen.« (DRA H006-01-06/0039, Bl. 200300, 4.2.1988)

Die Meinungen konnten durchaus ganz pragmatisch ausfallen und spiegeln ein Bewusstsein über die Vielfalt der Szene wider: »Ich kann mich weder mit Deep p. [Deep Purple] noch mit Speed-Metal anfreunden. Da das Heavy-Repertoire jedoch ein breites Spektrum umfaßt, ist es doch ganz logisch, daß es verschiedene Interessengruppen gibt. Man sollte als Hörer Toleranz beweisen.« (DRA H006-01-06/0039, Bl. 2000051, 1.2.88)

In der Szene-internen Debatte um die Ausdifferenzierung des Metal wird vor allem deutlich, dass diese im Laufe der 1980er Jahre mit einer ersten generationellen Ausdifferenzierung einherging. Während ältere Jugendliche und junge Erwachsene vorrangig mit Hard Rock und Heavy Metal musikalisch sozialisiert wurden, machten die Jüngeren in den 1980er Jahren bereits mit Heavy Metal die ersten Hörerfahrungen und knüpften dadurch leichter an die Anfänge des Extreme Metal an. Auch Jens Molle vermutet rückblickend, dass es, auch als Abgrenzungsmittel, vor allem die jüngeren Fans innerhalb der Szene waren, die sich für den Extreme Metal begeisterten (Interview Molle). Ein 16-jähriger Fan aus Berlin resümiert über diese Entwicklung: »Sendung hat mir sehr gut gefallen. Regte an, über das ›Zusammenhalten‹ der HM-Szene zu schreiben. Ich glaube nicht mehr an die einheitliche HM-Szene. Es gibt zu viele Tendenzen. Die einen können das andere nicht ertragen, z.B. der e.M. [Extreme Metal]

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken in der Sendung nicht ½ h Kreator/Destr. [Destruction], genau wie ich nicht Helloween u. Scorpions. Aber Toleranz ist erforderlich.« (DRA H006-01-06/0039, Bl. 200294, 5.2.88)

Die älteren Fans, die womöglich auch bereits durch weitere sozialisierende Instanzen wie Beruf und Familie stärker in der sozialistischen Gesellschaft verankert waren, nahmen eher eine vermittelnde Rolle ein. Die Jüngeren, stärker distanziert, wandten sich intensiver der Szene und ihren spezialisierten musikalischen Vorlieben zu.

2.3 Self-made Men and Women: Fan-Dasein mit selbst hergestellten Kleidungsstücken und Accessoires Kleidung und Accessoires stellten ein wichtiges Ausdrucksmittel für das Selbstverständnis als Fan dar (Brown 2007b). Nicht nur diente Kleidung als Erkennungsmittel von Jugendkulturen an sich, auch formten und bildeten sie zugleich selbst eigensinnige Stile heraus, wie bereits vom Birminghamer Autorenkollektiv um John Clarke in den 1970er Jahren hervorgehoben (Clarke 1979: 136ff.). Nach Weinstein entwickelte Heavy Metal in den späten 1970er Jahren, angeregt u.a. durch Judas Priests Imagewechsel, einen visuellen Code, der Bandshirts, Jeanshosen, Jeans- und Lederjacken sowie lange Haare als eine Bricolage von Biker- und Hippiekultur vereinte (Weinstein 2000: 127-134). Das Band-Shirt, ein T-Shirt mit dem Bandlogo und charakteristischen grafischen Darstellungen, diente als detailreiches Erkennungs- und Bekenntnissymbol, durchaus auch im oben diskutierten Sinne des Genre-Diskurses. Diese Shirts animierten zur Erinnerung an Bands, konnten weitere, kleinere Distinktionsgewinne durch besonders ausgefallene oder noch wenig bekannte Bands ermöglichen, stifteten aber vor allem ein Wir-Gefühl. Die Anleihen aus der Biker-Szene werden etwa deutlich, wenn die Aufnäher der Rockergangs auf den Rückseiten der Leder- oder Jeansjacken durch Bandlogos ersetzt wurden. Die Veste, auch ›battle jacket‹ genannt, wurde zu einer mit Stolz getragenen Ausgehkluft und Zeugnis des eigenen individuellen Geschmacks. Kleidungsstücke waren Konsumobjekte und im Kontext des kulturellen Kalten Krieges zusätzlich symbolisch aufgeladen. Die Jeans etwa galt in der DDR seit den 1960er Jahren als Symbol des freiheitlichen Westens (Menzel 2004: 182), viele DDR-Bürger wollten sie tragen. Die originalen Produkte, allen voran die Levi’s Jeans aus den USA, waren allerdings nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Dagegen versuchte der Staat entsprechende sozialistische Pendants von oft kritisierter Qualität zu etablieren, so dass die Jeans als Kleidungsstück in den 1980er Jahren allgegenwärtig war (Menzel 2004: 157-170). Die symbolhafte Dimension der westlichen Produkte, die sich dann auch auf Lederprodukte übertrug, konnte dadurch allerdings nicht gebrochen werden.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Die DDR-Heavies hatten ein ausgeprägtes Bewusstsein für die optischen Codes des Heavy Metal. Obgleich Manfred Stock zu beobachten glaubte, dass Äußerlichkeiten eher nur Makulatur seien, wenn entsprechendes Wissen oder Begeisterung für die Musik fehlte, war dennoch jedem Fan bewusst, worauf es ankam: »Schwarze, nietenbesetzte Lederklamotten, lange Haare, Nietengürtel, in oft mühevoller Handarbeit bemalte T-Shirts« (Stock/Mühlberg 1990: 125). Die vom MfS angefertigten Bilddokumente verdeutlichen die Präsenz eines entsprechenden Kleidungsstils (BStU, MfS, BV Halle, KD Köthen, Nr. 247, Bl. 5; BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3111, Bl. 138; Fricke 2011). Das MfS dokumentierte sogar die Herstellungspraxis von nietenbesetzten Kleidungsstücken mit entsprechendem Einsatz eines Hammers und Nieten (BStU, MfS, BV Magdeburg, Abt. XX, Nr. 1655, Bl. 1ff.). Es gehört zu den Besonderheiten der Szene in der DDR, dass sie trotz des Mangels mit einer enormen Begeisterungs- und Improvisationsfähigkeit vermeintliche westliche Standards nachzueifern versuchte. Hierfür wurde viel in Kauf genommen: »Also wir hatten in der Regel Jeans an und irgend’n T-Shirt von ’ner Band. Was man sich in Ungarn gekauft hat, weil man die hier schlecht gekriegt hat. Wenn’s gut lief, hatte man irgend’ne West-Lederjacke, wenn’s schlecht lief ’ne Ost-Lederol-Jacke, die mit Nieten verziert werden musste, und dann ’ne Jeansweste drüber. Ein Ohrring sollte auch sein, wenn’s ging auch noch’n Armband mit Nieten. Und das war’s auch schon. Die Nietengürtel haben wir uns meist selbst gemacht, aus NVA-Koppeln, in die ich stundenlang Nieten rein gedroschen habe, zum Ärger meiner Eltern. […] Und dann gehörten möglichst lange Haare dazu.« (Zit.n. Lindner 2008: 179)

Diese knappe Zusammenfassung vermittelt bereits eine Vielzahl an zu überwindenden Hürden in der Beschaffung entsprechender Kleidungsstücke. Der Mangel an authentischen Kleidungsstücken und Accessoires wurde durch handwerkliche Praktiken, die im DDR-Bildungssystem einen wichtigen Stellenwert hatten, kompensiert. Hierbei bildeten sich regelrecht kunsthandwerkliche Spezialisierungen heraus, so beispielsweise in der Anfertigung von BandT-Shirts oder Logos, häufig mit Lebensmittelfarbe. In nahezu jeder größeren Clique spezialisierte sich einer auf das Zeichnen und Malen. Das Kopieren und Nachzeichnen nach originaler Vorlage stand dabei im Zentrum. Anhand von originalen T-Shirts werden die künstlerischen Leistungen eines Fans deutlich, der neben zahlreichen anderen auch dieses Manowar-T-Shirt nach einer Originalvorlage anfertigte. Auch wenn Teile der Originaldarstellung weggelassen wurden, ist die Detailtreue beeindruckend. Die stolzen Besitzer solcher T-Shirts behandeln diese teilweise bis in die Gegenwart als besondere Unikate, die zudem häufig noch heute in gutem Zustand sind.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Abbildung 2: Vergleich des originalen, im Handel erhältlichen Manowar-T-Shirts (klein) und einer selbstangefertigten Kopie eines DDR-Fans (groß). Die grafische Darstellung entspricht dem LP-Cover von Manowars Hail To England (1984) (Quelle: der Autor) Die Fans nutzten alle Möglichkeiten, um dem visuellen Code gerecht zu werden. Ganz im Sinne des »Verwalters des Mangels« (Wolle 1999: 213) nutzte jeder, wenn möglich, seine professionellen Fähigkeiten zum illegalen Nebenerwerb oder für Tauschgeschäfte. Im thüringischen Saalfeld etwa malten die Porzellan-Maler des unweit gelegenen Werkes in Könitz für die Metal-Fans (Weichert 2013: 33). Andere Heavies bereicherten sich an den Materiallagern ihrer Arbeitgeber, keinesfalls eine außergewöhnliche Praxis, und entwendeten Nieten und ähnliche brauchbare Gegenstände für die Herstellung der Kleidung. Der Wunsch nach entsprechender Kleidung war groß, so dass mit Gegenständen auch naiv umgegangen wurde:

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR »Ich hatte ja so einen Patronengurt, von dem ich bis kurz vor der Wende nicht wußte, daß da scharfe Munition drin war. Den hatte ich von russischen Soldaten bekommen und dann sprach mich eines Tages ein Typ an und erklärte mir, woran man erkennen könnte, daß die Patronen scharf gewesen sind. Als ich das dann wußte, habe ich brennende Zigaretten gemieden und mich nach der Wende davon getrennt. […] Ich hatte ja damals eine Kutte mit Aufnähern und habe dann einen Totenkopf-Aufnäher bekommen. Den habe ich dann auf meine Kutte gemacht und irgendwann fragte mich jemand, was denn das für ein Aufnäher sei. Ich sagte, das wäre ein normaler Totenkopf-Aufnäher und er meinte, daß dieser das Zeichen von Adolf Hitler’s Leib-Standarte gewesen sei. Da habe ich gestaunt!« (Schob 2009: 28)

Abbildung 3: Selbstangefertigtes Manowar-T-Shirt, Vorderseite (links) und Rückseite (rechts) (Quelle: Henry Münnich) Weitere Beispiele sind selbsthergestellte Aufnäher für die Jeanswesten, Plakate für Konzerte, Aufkleber sowie eine selbsthergestellte Iron Maiden-Fahne auf einem Bettlaken (BStU, MfS, BV Dresden, Abt XX, Nr. 10189). Nahezu jeder Fan hat seine ganz persönliche Geschichte über nicht selten abenteuerliche Beschaffungen von entsprechender Kleidung zu erzählen. Obgleich diese Erinnerungen vor allem auch vor dem Hintergrund der heute verhältnismäßig unproblematischen Verfügbarkeit gesehen werden müssen, die die Erinnerung beeinflussen kann, verdeutlichen sie die Besonderheit der individuellen, aber auch gemeinschaftlich-solidarischen Bemühungen, Aufopferungen für und emotionalen Bindungen an die aufwendig besorgten Kleidungsstücke und Accessoires.

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Der Konflikt mit dem Staat blieb nicht aus. Nicht nur war Schwarzmarkthandel, die Entwendung von Betriebseigentum oder der Schmuggel in die DDR strengstens verboten. Insbesondere die Spezifizität der Kleidung und ihre Codes bereiteten dem Staat und dem MfS, wohl auch Vielen der älteren Generation insgesamt, Kopfschmerzen. Ressentiments waren weit verbreitet. Die ›Äußerlichkeiten‹ eines Heavys mögen in der Gesellschaft insbesondere abseits der Hauptstadt für Provokationen gesorgt haben. Es kam beispielsweise zu kriminalpolizeilichen Verfahren zur »Verhinderung des Wirksamwerdens einer Gruppe Jugendlicher mit negativ-dekadentem äußeren Erscheinungsbild« (BStU, MfS, BV Dresden, Abt. VII, Nr. 7484, Bl. 92). Hier wurde als Erkennungsmerkmal konkrete modische Codes aufgelistet: »Heavy-Metal-Anhänger tragen in der Regel normale Frisuren, schwarze Lederbekleidung mit Nieten und Reißverschlüssen und schwarze hohe Schuhe.« (Ebd., 88) Dies stand in einer regelrechten Tradition des MfS, das die Heavies bereits 1984 erstmalig registrierte und anhand optischer Erkennungsmerkmale zu identifizieren versuchte. Dabei stellte das MfS frühzeitig anhand der Kleidung für sie offenkundige Verbindungen zu Faschisten her bzw. unterstellte der MetalSzene eine neofaschistische Haltung: schwere, schwarze Ledermäntel und Totenkopfsymbole, die SS-Mäntel glichen, pseudo-militärische Accessoires wie Nietengürtel etc. Der Faschismus-Vorwurf traf keinesfalls nur für die DDR zu. Tatsächlich waren etliche Symbole aus dem deutschen Nationalsozialismus entlehnt, im Falle der Bands Kiss und Slayer mit der Runenschreibweise beispielsweise auch bewusst gewählt. Es ist diese eigentümliche Offenheit und Fluktuation, die Bricolage und spielerische Entfremdung von Zeichen, die im Umgang zugleich eine gewisse Naivität als auch, dies kann nicht ausgeschlossen werden, eine ideologische Verherrlichung als Ursache haben konnte. Die formale Unterstellung einer nazistischen Ideologie u.a. anhand der Kleidung ist wohl aber zunächst eher Ausdruck des ideologisch-aggressiven Agierens des MfS. Das MfS lernte allmählich zu differenzieren, nicht zuletzt, weil ihnen ›Heavies‹ in Verhören immer wieder deutlich machten, dass es dabei um die Musik gehe und nicht um das Dritte Reich: »Lederklamotten gefallen mir. Eine andere Erklärung habe ich nicht dafür« (BStU, MfS, BV Schwerin, KD Perleberg, Nr. 10385, Bl. 135).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Abbildung 4: Aufnahmen einer vom MfS beschlagnahmten Lederjacke mit Pins und Aufnäher (BStU, MfS, BV Amgdeburg, Abt. XX, Nr. 1655, Bl. 13).

2.4 Lokale Vergemeinschaftungen: Fanclubs Die Vergemeinschaftung von Fans ist zunächst Ausdruck eines naheliegenden Bedürfnisses, unter Gleichgesinnten zusammenzukommen, die Begeisterung für die Musik zu teilen, sich zusammen der Musik im Tanz und Mitsingen hinzugeben. Sich lediglich als Teil einer imaginierten, internationalen Metal-Szene zu verstehen, konnte zwar ein beflügelndes, über die alltäglichen Hindernisse hinweghebendes Gefühl sein. Gerade aber die alltägliche Interaktion mit Freunden, die ebenfalls das Interesse für die Musik teilten, nahm einen ebenso wichtigen Platz für die Identitätsbildung ein. Daher bildeten sich zahlreiche lokale Vergemeinschaftungen innerhalb der Szene der DDR heraus. Nicht selten besiegelten die Fans ihre Zusammengehörigkeit dabei durch Clubs oder sogar Fanclubs von Bands. Die posttraditionale Vergemeinschaftungsform der Metal-Szene nutzte dabei traditionelle Vergemeinschaftungsformen wie die des Vereins mit Statuten und formellen Mitgliedschaften und informellen Gruppen, wie sie sich vor allem in den urbanen Milieus des 20. Jahrhunderts herausbildeten. Sport-Fanclubs, vor allem im Fußball, aber auch Musik-Fanclubs, wie der erste Beatles-Fan-Club in den 1960er Jahren in Großbritannien, stellten nach dem Zweiten Weltkrieg eine sich zunehmend verbreitende Form der Geselligkeit dar. In der DDR sowie der BRD waren Heavy Metal-Fanclubs verhältnismäßig stark verbreitet. Der vermutlich erste Fanclub in Westdeutschland wurde 1981 in Veltern gegründet (Schmenk/Krumm 2010:

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127ff.). Alleine in Bayern zählte Roccor in den 1980er Jahren über 100 Fanclubs (Roccor 1998a: 124), die eine gruppeninterne Hierarchie aufwiesen und Mutproben und Initiationsriten für neue Mitglieder pflegten (Roccor 1998a: 126ff.). Roccor beobachtete auch einen Unterschied zwischen Stadt und Land: Während man auf dem Land aufgrund der größeren Streuung und Entfernung voneinander stärker auf Kontaktpflege angewiesen war, entschied in der Stadt oft eher die soziale Herkunft über das Zusammenkommen in einem Club (Roccor 1998a: 127). Die Strukturen und Organisationsmuster des Vereinswesens lebten teilweise fort: Hierarchische Aufteilungen, regelmäßige Sitzungen und Veranstaltungen, Aufnahmerituale, Mitgliedsausweise. Eine der frühesten belegten Clubgründungen datiert auf Januar 1983 in Magdeburg, folgt man einer handschriftlichen Erklärung eines Metal-Fans im Rahmen einer MfS-Untersuchung (BStU, MfS, BV Magdeburg, Abt. XX, Nr. 1780, Bl. 146ff.). Dabei betont er, dass der Club keinen politischen Hintergrund habe, »keinen« unterstrichen (ebd., Bl. 146). Ähnliches lässt sich für die DDR auch beobachten. Der Zusammenschluss zu einem Fanclub war auch eine Reaktion auf den beschränkten Zugang zu den relevanten Artefakten: Im Gegensatz zum engen Freundeskreis erhöhte man in einer größeren Gruppe schlichtweg die Möglichkeiten, sicherte sich durch die Struktur zugleich den Zugang zu und konnte auf einen pfleglichen Umgang etwa mit Tonträgern vertrauen. Ein Fan aus dem Kreis Sonneberg, Bezirk Suhl, beschreibt das Zusammensein im Club: »In unserem Kreis gibt es einen HM-Club, in dem ich Mitglied bin. Wir treffen uns sehr oft, hören uns gemeinsam HM-Gruppen auf Band und Schallplatten an, unterhalten uns über diese oder jene HM-Band und unternehmen Gemeinsames. Es ist schön in diesem Club und ich bin stolz, Mitglied zu sein. Leider fehlen uns noch einige HM-LPs.« (DRA H006-01-06/0039, Bl. 200434, 10.2.88)

Der Fanclub und Verein ermöglichte seinen Mitgliedern Zugang zu einer Fülle an Musik, den sie alleine womöglich nur schwer hätten erreichen können. Die Struktur des Fanclubs eröffnete eine intensivierte Erfahrung einer selbstgewählten Gemeinschaft mit gemeinsamen Interessen. Dadurch wirkten diese Strukturen als Interaktionsrahmen unter Bedingungen, wie sie für den Sozialismus typisch waren: Als eine Art Gatekeeper organisierten sie ähnlich den »Verwaltern des Mangels« im sozialistischen Alltag (Wolle 1999: 213ff.) den Zugang zu neuer Musik, zu internen Partys mit ausgewählten Gästen oder Reisen zu Konzerten. Daher stellten Fanclubs lokale Eliten dar, indem sie als Organisationseinheiten unter den sozialistischen Bedingungen eine spezialisierte, elitäre Ebene der Szene bildeten. Die konkrete Ausgestaltung von selbsternannten Metal-Fanclubs deckte in der Praxis verschiedene Möglichkeiten ab: vom ungezwungenen, cliquenhaften

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Beisammensein über spezialisierte Sub-Genre- oder Band-Fanclubs bis hin zu streng organisierten Strukturen. So konnten Stock und Mühlberg für den Berliner Raum eher hierarchisch flache Strukturen ohne Rangordnung oder ähnliches konstatieren (Stock/Mühlberg 1990: 153), während Fanclubs in anderen Regionen strenge Mitgliedschaften pflegten. Einige Fanclubs entwarfen eigene Mitgliedsausweise, wie etwa einer der eher früheren Fanclubs in Magdeburg 1984. Neben den typischen Angaben wie Name und Beginn der Mitgliedschaft wurde hier auch die »Vorbildmusikformation«, die Lieblingsband abgefragt (BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Magdeburg, Nr. 41220, Bl. 2). Zudem ergaben sich auch Ordnungen und Hierarchien nach den relevanten Themen: Wer hat Zugang zu Informationen, Platten, überregionalen Kontakten etc., obgleich ein eher symbiotisches System gegenseitiger Unterstützung angenommen werden kann. Fanclubs konnten durchaus eine gesteigerte Geschlossenheit innerhalb der Metal-Szene demonstrieren, »Zusammenhalt bis in alle Ewigkeit«, wie es ein Fan vor einem MfS-Offizier formulierte (BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX, Nr. 131/01, Bl. 21). Zugleich waren sie auf längere Perspektive durchaus auch fragil. Nicht ohne Grund suchten daher einige Fans auf offiziellem Wege Kontakte zu Fanclubs oder aber wechselten zwischen verschiedenen Gruppen: »Natürlich gab es richtige Cliquen. Die sogenannte Kiss-Clique zum Beispiel, die dann auch St. Metal gegründet haben. Mit denen bin ich eine Weile ›rumgezogen, bin dann aber mehr und mehr zu den Leuten gegangen, wo es härter abging, auch von den Klamotten her. Also zerrissene Jeans, Lederjacken, Kutten und Nieten. Es kam dann auch eine gewisse Arroganz bei uns durch, weil wir irgendwie auch die ziemlich Extremsten waren und die Leute, die ›normalen‹ Metal hörten, gern als Poser bezeichneten. Aber Feindseligkeiten gab es dadurch nicht, man grüßte sich trotzdem.« (Reichelt 2012: 25)

Obwohl die Zugehörigkeit zur gleichen Szene in der Regel für ein Gemeinschaftsempfinden sorgte, konnten soziale Konflikte wie etwa regionale Zwistigkeiten auch in die Metal-Szene hineingetragen werden: »Negativ war, wenn Dresdener und Chemnitzer aufeinander gerieten – irgendwie gab es da immer Hauereien. Schlimm war, als wir in Chemnitz waren und einem Kumpel mit ›ner abgebrochenen Bierflasche paar Millimeter neben der Hals-Schlagader eine tiefe Schnittwunde zugefügt wurde. Das war dann schon nicht mehr schön.« (Reichelt 2012: 25f.)

Die jeweiligen Namensgebungen verdeutlichten den Bezug zur Szene, indem entweder Bandnamen, Songtitel oder für den Metal typische Bezeichnungen gewählt wurden. Nicht selten wurde im Clubnamen die Bezeichnung als Fanclub (»FC«), ähnlich der Fußballfankultur, verankert. Wie sehr die Szene auch Teil der DDR sein konnte, zeigt folgendes Beispiel: Die MfS-Kreisdienststelle Wolgast berichtet im Sommer 1988 verhältnismäßig

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überrascht über eine Gruppe von 50 Metal-Fans, die einen Fanclub gründen wollten (BStU, MfS, BV Rostock, KD Wolgast, Nr. 135, Bl. 116f.). Erfahren hätten sie über die Existenz solcher Fanclubs im DDR-Fernsehen. Überraschend ist jedoch, dass die Jugendliche die Absicht hatten, »offiziell eine derartige Clubgründung zu beantragen […]. Dementsprechende Vorsprachen sollen in der FDJKreisleitung bzw. bei der Vorsitzenden des Rates des Kreises realisiert werden«, heißt es im Bericht (Ebd.) Dieser Absatz ist in der Akte am linken Rand handschriftlich mit einem großen Ausrufezeichen versehen worden. Offensichtlich wurden die Jugendlichen selbst aktiv, suchten vergeblich das Gespräch mit dem Stadtbaudirektor, um über geeignete Räumlichkeiten zu reden und planten bereits Veranstaltungen. Die Akte schließt mit dem Vorsatz, zusammen mit der FDJ-Kreisleitung sich über die Entwicklung zu informieren und »Maßnahmen für die richtige Orientierung dieser jugendlichen Aktivitäten abzuleiten.« (Ebd., Bl. 117) Von »zerschlagen« oder »liquidieren« war zu diesem Zeitpunkt keine Rede mehr, auch kein Verweis mehr auf § 118 oder § 220 StGB, wie es noch wenige Jahre zuvor üblich war.22 Auch ließen sich keine weiteren Akten zur weiteren Entwicklung finden. Dass aber Metal-Fans auch den offiziellen Weg suchten, zeigt, wie anpassungsfähig Fans in der Verfolgung ihrer eigenen Interessen sein konnten, aber auch, wie etabliert die Szene bereits war. Die Vergemeinschaftung bestand jedoch keinesfalls nur aus diesen lokalen Einheiten. Gerade das Aufeinandertreffen von Fans aus verschiedenen Regionen an einem bestimmten Ort vernetzte die Fans einmal mehr untereinander. Es waren Praktiken des Reisens und Pilgerns zu Konzerten, bekannten Jugendklubs oder privaten Partys, die überregionale Netzwerke der DDR-Szene immer wieder aufs Neue stabilisierten. In der Regel reiste man am Wochenende, meist mit dem Zug. Das Treffen auf Gleichgesinnte wurde durch den Rahmen als Veranstaltung erleichtert und vororganisiert. In Ost-Berlin etwa wurde das »Abi« zu einem solchen überregionalen Pilgerziel. Hier trafen sich Fans, Musiker, Jüngere und Ältere, mit teilweise mehrstündigen Anreisen: »Was hier ablief, kannte ich bis dahin nur aus ›Metal Hammer‹-Berichten. Hier wurde die neueste und härteste Metal-Mucke aus der Konserve gespielt und der Laden war brechend voll mit ›Kuttenträgern‹. Als ich dies meinen Kumpels in Hoyerswerda berichtete, war schon eines vorprogrammiert: Der nächste Ausflug geht nach Berlin-Weißensee! Aber der Andrang beim ›Abi‹ war sehr groß, so daß es nicht sehr einfach war, dort hereinzukommen.« (Vocke 2009: 25)

Aber auch fernab der Metropole reisten Fans viel. Das MfS dokumentierte beispielsweise 1987 im Kreis Wittenberg die Aktivitäten eines Fanclubs, der gemeinsam mit einem FDJ-Jugendklub 11 Heavy Metal-Konzerte auf der Frei22  |  § 218: Vereinsbildung zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele, § 220: Staatsverleumdung.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

lichtbühne Bad Schmiedeberg organisierte. Gerade bei den Konzerten von Formel 1 und Pharao aus Berlin stellte das MfS fest, »daß Heavy metal Fans aus dem gesamten Gebiet der DDR anreisten« (BStU, MfS, BV Halle, KD Wittenberg, Nr. 281, Bl. 19). Die Fans übernachteten dabei mehr oder weniger wild in den Wäldern rund um die Freilichtbühne, es kam allerdings zu keinen »wesentlichen Störungen«. Ein ähnliches Bild der überregionalen Vernetzung zeichnet folgendes Beispiel aus dem Bezirk Halle: Am 19.12.1987 war im Jugendklub »Klub 76« in Zeitz eine Geburtstagsfeier von Heavy Metal-Fans geplant und ordnungsgemäß angemeldet worden. Das MfS verhinderte diese Feier allerdings dennoch. Im Ergebnisbericht wurde betont, dass diese Feier mit 80 Gästen aus Zeitz, Sangershausen, Theißen und Berlin geplant gewesen sei. Angemeldet wurde die Feier lediglich mit 30 Personen, so dass das MfS hier offenbar eine bewusste Täuschung der lokalen Volkspolizei und des Jugendklubs vermutete und entsprechend unterband (BStU, MfS, BV Halle, Abt. XX, Nr. 2891, Bd. 1, Bl. 1). Noch 1989 sahen einige MfS-Offiziere in solchen Treffen von mehreren Dutzend Fans aus mehreren Bezirken der Republik eine Gefahr, so dass sie als Maßnahme die Besetzung der Bahnhöfe in Berlin, Halle, Erfurt, Sangershausen und Rosslau vorschlugen, um die Anreisen zu verhindern (BStU, MfS, BV Halle, Abt. IX, Nr. 1475, Bd. 1, Bl. 1ff.).

Abbildung 5: Konfisziertes Bild einer reisenden Fangruppe (BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3111, Bl. 138)

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2.5 Schwermetall auf dem Papier: Briefe schreiben Eine der wichtigsten überregionalen Kommunikationsformen in den 1980er Jahren war das Schreiben von Briefen. Diese Praxis war in der DDR, neben dem nur eingeschränkt nutzbaren Telegramm oder Telefon, stark verbreitet. Die Verteilung von Telefonen pro Kopf etwa fiel weitaus geringer aus als in der BRD. So waren 1989 etwa 16 Prozent der DDR-Haushalte mit einem Telefon ausgestattet (Wolle 1999: 183). Diese Kommunikationsbedingungen wirkten tief in den Alltag hinein, so waren etwa handschriftliche Erinnerungsnotizen an den Haustüren über vergebliche Besuche oder das Verabreden zu einem konkreten Telefontermin gängige Praxis. Insofern ist es wenig überraschend, dass auch Jugendliche, die selbstverständlich mit dem Briefe schreiben aufgewachsen sind, sich ebenso dieser Praxis bedienten. Heavy Metal-Fans in der DDR schrieben fleißig Briefe. Gerade aufgrund der eingeschränkten Reisemöglichkeiten müssen sie als ein wichtiges Mittel der überregionalen Szenevernetzung verstanden werden. Nach einer verbreiteten Herangehensweise wurden Gleichgesinnte ganz pragmatisch etwa über die Rubrik der Kleinanzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, aber auch etwa dem Rundfunk, gesucht. Die daraus entstandenen Briefkontakte konnten dabei DDR-weite Netzwerke bilden, die in konkrete, geschlossene Tauschnetzwerke kulminieren konnten. In diesen Netzwerken traten Fans in ein symbiotisches Geflecht ein, in dem man sich über die Plattenbestände austauschte oder über neueste Entwicklungen informierte. Dass man die Brieffreunde, die mitunter hunderte Kilometer entfernt lebten, noch nie persönlich getroffen hatte, war dabei keine Seltenheit. Neben diesen national entstandenen Briefkontakten sind insbesondere die international verschickten Briefe für das Selbstverständnis und die Selbstverständlichkeit aufschlussreich. Insbesondere das Verschicken und Kontaktaufnehmen mit Personen im nichtsozialistischen Ausland zeugt von dem Kontaktwillen der DDR-Fans, wie an Briefen an Metal-Journalisten etwa beim Norddeutschen Rundfunk (NRD) in Hamburg (BStU, MfS, BV Halle, KD Hohenmölsen, Nr. 1034, Bl. 3-16), an Bands wie Tankard in Frankfurt a.M. (BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmalkalden, Nr. 558, Bl. 21f.) oder Corrosion of Conformity in Raleigh/North Carolina (BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmalkalden, Nr. 566, Bl. 48f.) deutlich wird. Die Wissensdemonstrationen in den Briefen an Fans oder Szenevertretern im Westen lassen vermuten, dass damit zugleich die Hoffnung auf Respekt und ein Ernst-genommen-werden verbunden wurde. Die Schreibfreudigkeit der DDR-Fans war offensichtlich hoch, so dass ein Journalist des Metal Hammer in einer Rezension der DDR-Band Biest sogar darauf Bezug nimmt:

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR »Abschließend möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, mich (auch im Namen der Redaktion) für die zahlreichen Zuschriften aus der DDR zu bedanken! Wir freuen uns riesig, weil eure Briefe oft von beispiellosem Idealismus und einer ungeheuren Sachkenntnis zeugen.« (Death Metal Noberto 1990)

Das Schreiben-an-sich zum Zwecke der Netzwerkerweiterung war dabei nur ein Ziel. In diesen Briefen ging es nie nur um einen direkten Kontakt. Vielmehr sind die Briefe als Ausdruck einer Selbstbestimmtheit als Fan in der sie einschränkenden DDR zu verstehen. Die eigene Einschränkung und das Bewusstsein über die Möglichkeiten im Westen ließen sodann auch viele Fans unverhohlen, dennoch häufig eher im bittenden Tonfall, ganz konkret etwa nach T-Shirts fragen. Der Akt des Schreibens konnte dabei die Funktion der Selbstbestätigung und -bekräftigung annehmen. Neben der Demonstration des eigenen Wissens war vor allem die Beschäftigung mit dem geliebten Thema eine Art Selbstreflexion und Selbsttechnik. Ausdruck davon sind etwa die Zeichnungen und Verzierungen, Beilagen von Fotos und Reimen oder Gedichten, persönliche Playlists und favorisierte Bands oder aber die Signierung mit typischen Spitznamen und kraftvollen Sprüchen wie »Keep it hard, keep it heavy« (BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XX/584, Bd. 1, Bl. 39, 57ff.). Letztlich nahm das Briefe Schreiben eine bedeutende Funktion für den Wissenstransfer ein, die auch ein Korrektiv etwa für Schreibweisen von Bands oder Sub-Genres darstellen konnte. Zudem übernahmen Korrespondenzen aufgrund ihres translokalen und transnationalen Charakters eine Kompensationsfunktion sowohl für den Mangel an Gleichgesinnten vor Ort, etwa in der DDR-Provinz, als auch für den konkreten Mangel an relevanten Artefakten. Die Inhalte reichten von privaten Korrespondenzen mit Informationen über die konkreten Bedingungen des Fan-Daseins in der DDR (BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XX/584, Bd. 1, Bl. 104ff.) bis hin zu Briefen an das »Heavy MetalSpecial« des NDR 2 in Hamburg, in denen neben Lob auch konkrete Kritik und Wunschäußerung an die Programmgestaltung formuliert wurden (BStU, MfS, BV Halle, KD Hohenmölsen, Nr. 1043, Bl. 3ff.). Das MfS hatte auch auf diese Praxis der Szene Einfluss. Tatsächlich liegen zahlreiche Briefe heute im Original oder aber in Kopie im Archiv des BStU vor. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wie viele der heute nur in Kopie vorliegenden Briefe tatsächlich ihr Ziel erreichten. Das sorgfältige Öffnen und Wiederverschließen von Briefen galt als eine Spezialität des MfS (Kowalczuk 2013: 155ff.). Allerdings lassen sich Unterschiede in der Arbeit der regionalen MfS-Abteilungen erkennen. So liegen etwa zahlreiche originale Briefe aus dem Raum Weißenfels vor (BStU, MfS, BV Halle, KD Weißenfels, Nr. 456), während man in Suhl viel kopierte. Briefe in das sozialistische Ausland, etwa nach Polen oder die Tschechoslowakei, konnten im Archiv jedoch nicht ausfindig gemacht werden, was einerseits an der Sprachdifferenz, andererseits an der

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hohen Aufmerksamkeit des MfS auf den Briefverkehr in den Westen gelegen haben könnte. Auszuschließen ist allerdings nicht, dass DDR-Fans ebenfalls mit Fans in den östlichen Ländern Kontakt aufgenommen haben, zumal durch den Reiseverkehr beispielsweise nach Ungarn sicher auch Bekanntschaften geschlossen wurden. Die Briefautoren waren sich teilweise sehr wohl darüber bewusst, dass ihre Briefe vom MfS gelesen wurden und womöglich das Ziel nicht erreichen würden. Fingierte Absender mit dennoch klarem Bezug zur Szene wie »Ein Heavy-Fan« oder »James Heatfield«, gemeint ist James Hetfield, Sänger und Gitarrist von Metallica (BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XX/584, Bd. 1, Bl. 83), sollten offensichtlich mögliche negative Folgen verhindern, ohne auf das Abschicken des Briefes verzichten zu wollen. Dennoch ergaben sich zahlreiche private, freundschaftliche Briefkontakte über die Landesgrenze hinweg. Diese zeichneten sich vor allem durch mehrmaliges Schreiben, einem konkreten Interesse an dem anderen sowie einen höheren Anteil an persönlichen Informationen aus.

Abbildung 6: Kopie eines zweiseitigen Fan-Briefes an die Rundfunksendung »Heavy-Metal-Spezial« des NRD II in Hamburg (BStU, MfS, BV Halle, KD Hohenmölsen Nr. 1034, Bl. 6f.)

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

2.6 Nicht nur hören, auch lesen: Special-Interest-Magazine und Fanzines in der DDR und BRD Ein besonderes Charakteristikum musikzentrierter Jugendkulturen seit den 1960er Jahren war die hohe Bereitschaft für Eigeninitiative und Engagement. Ein wesentliches Ergebnis dieser Eigeninitiative stellt eine eigene, möglichst unabhängige mediale Teilöffentlichkeit dar. Die Herstellung von Magazinen und Fanzines war und ist nach wie vor eine bedeutende Praxis hierfür (Brown 2007a). Die Teilöffentlichkeit der Fanzines zeichnet sich durch einen begrenzten Zugang aus, der zum einen auf häufig geringe Auflagen und zum anderen auf eingeschränkten Zugang oftmals nur an Szene-relevanten Orten wie etwa Plattenläden oder Kneipen zurückzuführen ist. Auch in der MetalJugendkultur ist eine solche mediale Teilöffentlichkeit seit den 1970er Jahren durch Gründungen von Zeitschriften, die zunächst unkommerziell, häufig regional begrenzt und in kleinen Auflagen als Underground-Fanzines veröffentlicht wurden, zu beobachten (Weinstein 2000: 178). Eine der Ambivalenzen der Metal-Szene stellt dabei der frühzeitige Gegensatz eines solchen Underground-Daseins einerseits und einer Kommodifizierung, einer Einbindung in wirtschaftliche Interessen, andererseits dar. Heavy Metal wurde dabei bereits frühzeitig bzw. unmittelbar nach Herausbildung des Stils in größere musikwirtschaftliche Wertschöpfungsprozesse eingebunden. Insbesondere SubGenres des Extreme Metal hingegen waren (und sind) stärker von einer Do-ItYourself-Mentalität geprägt, die sich beispielsweise durch eine Betonung und Pflege von unabhängigen Undergroundnetzwerken ausdrückt (Kahn-Harris 2007: 49-96). Zeitschriften nahmen und nehmen dabei eine für die Szene diskursprägende Funktion ein (Diaz-Bone 2002: 178-180). Die beständige Reflexion über die Gegenwart und Vergangenheit spielt eine wichtige Rolle für die Szenekonstitution, das Szenegedächtnis und die Kanon-Bildung. Dabei wird sowohl narrativ als auch visuell ein Diskurs ausgetragen. Insbesondere Bilder in Form von Fotografien oder Band-Logos23 können eine eigene diskursive Kraft der Codes und der Erinnerung entwickeln. Ein Foto »gilt als sicherstes Indiz einer Vergangenheit, die nicht mehr existiert, als fortexistierender Abdruck eines vergangenen Augenblicks« (Assmann 1999: 221). Ähnlich verhält es sich mit dem Aufgeschriebenen. Schrift ermöglicht eine interaktionsfreiere Kommunikation. Gerade diese Dimension macht Zeitschriften zu wichtigen Trägern und Mitteln des kulturellen Transfers. In der historischen Perspektive wird diese Ambivalenz auch an den SzeneMedien deutlich. Die Lebenserwartung der zahlreich von Fans gegründeten 23 | Band-Logos sind – insbesondere im Extreme Metal – diskursiv eingebettete visuelle Artefakte, die häufig durch starke Verzerrungseffekte nur noch bedingt erkennbar sind; vgl. Krautkrämer/Petri (2011).

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Fanzines war stark von der Nachfrage und anhaltenden Motivation der Akteure abhängig. In der Erinnerung an die Anfänge des westdeutschen Magazins etwa schildert Peter Bursch, dass auch viel privates Geld und Zeit für das Kopieren in Kopierläden und das Verteilen der Exemplare investiert wurden (Schmenk/Krumm 2010: 23f.). Ferner traf man sich auf Autobahnraststätten, um die gedruckten Exemplare weiterzugeben, damit sie an Szene-Orten verteilt werden könnten. Fanzines in Westdeutschland konnten dabei eine überregionale Bekanntheit erreichen. Infolgedessen bildeteten sich professionelle Strukturen mit hauptamtlichen Redaktionen und Verlagsanbindungen heraus, die zudem durch redaktionelle Vernetzungen Teil einer internationalen SzeneÖffentlichkeit wurden. Möglich wurden sie vor allem, weil Fans bereit waren, für neueste Nachrichten, Bilder und Poster eine gewisse Summe zu bezahlen. Die westdeutsche Szene konstitutierte sich insbesondere über das Medium Fanzine und Magazin mit etwas Verzögerung im Vergleich zu Großbritannien oder etwa den Niederlanden. Tatsächlich stellten die Niederlande und hier insbesondere die Szene in Eindhoven einen wichtigen Bezugspunkt und frühen Impulsgeber dar. Das dort erschienene Aardschok führte 1982 erstmalig eine deutsche Ausgabe ein, 1983 folgten dann die ersten deutschen Produktionen mit dem Shock Power und Rock Hard, 1984 die erste deutschsprachige Ausgabe des in Großbritannien gegründeten Metal Hammer. In der DDR gab es letztlich so gut wie keine originären Metal-Fanzines oder Special-Interest-Zeitschriften. Dies lässt sich vor allem durch das Monopol des Staates und dem somit beschränkten und kontrollierten Zugang zu wichtigen technischen Mitteln wie etwa Kopiermaschinen erklären. Während Untergrund-Zeitschriften abseits der staatlich kontrollierten Strukturen letztlich nur im Rahmen größerer Institutionen wie der Kirche möglich waren, fehlten der Metal-Szene schlichtweg die Ressourcen. Es war eine Eigenheit der Szene-Konstitution unter sozialistischen Bedingungen, die sich hier deutlich abzeichnet: Das Herstellen von Fanzines konnte in der DDR keine vergemeinschaftende Funktion einnehmen. Die einzigen offiziell beziehbaren Quellen waren die besprochenen und eher vereinzelt erschienenen Artikel in DDR-Zeitschriften wie melodie und rhythmus, neues leben und Profil. Methodik zur Tanzmusik. Erst 1990 erschien das erste Metal-Magazin der DDR, das Loud’n’Proud. Dieses schwarz-weiß gedruckte Heft mit 40 und mehr Seiten wurde in Rostock vom späteren hauptamtlichen Metal Hammer-Redakteur Andreas Schoewe im eigenen, neugegründeten Verlag Rock Me Stadt Kulturverlag Rostock herausgegeben. Im Vorwort der ersten Ausgabe machte der Herausgeber sogleich deutlich, dass die DDR »in Sachen Heavy-Metal-Journalismus einen weißen Flecken« darstelle, obgleich bereits Ende 1989 in Fanzine-Manier selbsterstellte Kopien des Vorläufers des Loud’n’Proud veröffentlicht worden seien. Schoewe erinnert sich, dass die Idee einer Magazinherausgabe bereits 1988 mit Funktionären diskutiert wurde, aber an »völligem

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Unverstaendnis« und »Desinteresse« gescheitert sei (Schoewe/Kempa 1990). Im Impressum werden unter anderem Wolfgang Martin, der Autor des neues leben-Artikels von 1985, und Dr. Lothar Dungs, der einst als Vorsitzender der ZAG eine weitere Lanze für Heavy Metal brach, genannt. Bereits für die zweite Ausgabe konnten als Mitarbeiter u.a. Matthias Hopke und Jens Molle, die beiden Macher der Tendenz Hard bis Heavy-Radiosendung auf DT 64, gewonnen werden. Ebenfalls in der zweiten Ausgabe wird bereits angekündigt, dass eine Fusion mit dem westdeutschen Metal Hammer geplant sei, also eine Anbindung der Redaktion an die Infrastruktur des Metal Hammer (Loud’n’Proud 2/1990, S. 23). Aufgrund des Mangels in der DDR waren vor allem die westdeutschen Magazine äußerst beliebt, aber nur spärlich vorhanden: »[…] also so Hefte wie Rock Hard oder so kursierten zwar, aber die waren dann halt eben auch schon zwei oder drei Monate alt«, erinnert sich Jens Molle (Interview Molle). Sie waren ein beliebtes Schmuggelobjekt in die und innerhalb der DDR 24 und kamen dabei aus Westdeutschland selbst über Ungarn in die DDR (Interview Habermann). Dabei waren die westdeutschen Zeitschriften derart beliebt, dass die Fans bereit waren, enorme Summe, die 100 Mark überschreiten konnten, zu bezahlen (BStU, MfS, HA XXII, Nr. 618/2, Bl. 111). Ein Heft in die Hände zu bekommen, konnte eine Besonderheit im Fandasein sein: »Der [Metal Hammer] ist dann auch immer durch ganz Lübben gegangen oftmals. Es gab dann auch welche mit Westverwandtschaft, die dann auch sowas geholt hatten. Auf dem Schwarzmarkt, so einen Metal Hammer wurde da für 70 Mark oder so gehandelt.« (Interview Münnich)

Das Teilen war dabei eine wichtige Praxis. Ein einzelnes Heft wurde in der Clique rumgereicht oder gemeinsam angeschaut. Letztlich waren selbst einzelne Bestandteile der Zeitschriften wie Poster enorm wertvoll: »So ein abfotografiertes Bildchen da von irgendeiner Band, da wurden Geschäfte gemacht mit irgendeinem Poster, da hast du Geld hingeblättert. Ich hatte mal für so ein Manowar-Poster, glaube ich, 50 Mark oder so bezahlt. Ja, so besessen war man damals.« (Interview Münnich)

Neben den bekannteren Szenemagazinen Rock Hard und Metal Hammer schafften es auch Magazine wie Breakout bereits 1986 in die DDR (BStU, MfS, HA XX, Nr. 6097, Bd. 1, Bl. 229). Auch kaum verbreitete Fanzines aus der 24 | Was auch dem MfS nicht entging, vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Schmalkalden, Nr. 558, Bl. 58; BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XX, Nr. 584, Bl. 116ff.; BStU, MfS, BV Halle, KD Wittenburg, Nr. 281, Bl. 19.

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BRD fanden ihren Weg in die DDR, so etwa das Club-Magazin des Heavy Metal World Fanclub Bamberg von 1985 (BStU, MfS, HA XX, Nr. 898, Bd. 2, Bl. 559ff.). Letztlich war auch hier das MfS an dem Abfangen entsprechender Zeitschriften interessiert, um einerseits den kulturellen Transfer zu unterbinden, andererseits auch das eigene Wissen auszuweiten. Der Zugang zu entsprechenden Zeitschriften war in der DDR jedoch keinesfalls mit dem in der BRD vergleichbar. Insbesondere die Verzögerungen im Transfer sorgten für eine nur allmähliche Verbreitung von aktuellen Nachrichten und Information.

3. M usik hören und erfahren Das Hören von Musik war eine der zentralen Praktiken der Jugendkultur Metal. Kern der Praktiken war die akustische und körperliche Wahrnehmung, das bewusste Hören, das Auf-sich-wirken-lassen des Klangs und Sounds. Indem Hören auch als eine Form von bewusster Aktivität, von Performanz verstanden wird (Frith 1999: 53), die mit ästhetischen Präferenzen und Interaktion mit Objekten einhergeht, lassen sich die Dimensionen des Hörens als ästhetische Praxis aufgrund einer affektiven und »emotionalen Involviertheit« (Reckwitz 2012: 23) verstehen. Die Möglichkeiten des Hörens von Musik waren trotz des grundlegenden Mangels verhältnismäßig vielfältig. Im ersten Kapitel wurden bereits die technische Ausstattung unter Jugendliche und ihre Medienkompetenz thematisiert. Diese spezialisierten Praktiken waren eine wesentliche Voraussetzung und Ausgangsbasis, um sich in der Metal-Szene zu bewegen und sie hörend zu erleben. Das Hören erstreckte sich dabei vom privaten Hören von Tonträgern und Radio bis hin zu Konzerten und Diskotheken-Veranstaltungen im öffentlichen Raum.

3.1 »Ja, so Platten […], das waren heilige Artefakte«: Hören im privaten Raum Tonträger waren das entscheidende Mittel, um sich dauerhaft als Fan positionieren und weiterentwickeln zu können. Der Wert eines Tonträgers war nicht nur auf das Hören beschränkt. Vielmehr bot er zugleich zahlreiche Informationen zu Band und Tonaufnahme sowie Bilder und grafische Elemente. Tonträger waren so bedeutsam, weil sie ein Hören sowie eine Beschäftigung mit der Musik und den Hintergründen jederzeit möglich machten. Dabei werden hier als Tonträger sowohl die originale LP aus dem Westen als auch die selbst zusammengestellten Kassetten verstanden. Sie eröffneten das Tor zum Heavy Metal und erlaubten ästhetische und oftmals emotional intensive Praktiken wie das mehrmalige und wiederholte Anhören eines Songs, eines Refrains

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oder Gitarrensolos sowie das Hören in verschiedenen Erfahrungssituationen, über Boxen oder Kopfhörer etwa. Das Hören war Zentrum und Ausgangspunkt, so dass nahezu sämtliche Aktivitäten darauf ausgerichtet waren. »Ja, so Platten, […] das waren heilige Artefakte« (Interview Henry Münnich), erinnert sich ein Zeitzeuge. Um an entsprechende Tonaufnahmen zu gelangen, wurde viel in Kauf genommen, originale Tonträger waren nur schwer erhältlich. Gerade aus dem Mangel an originalen Tonträgern erwuchs ein gesteigertes Bewusstsein für das Album als ein Gesamtwerk. Dieser Maßstab prägte die Praxis der eigenständigen Kassettengestaltung, insbesondere durch Aufnahmen aus dem Rundfunk. Nicht nur wurden auf DT 64 auch einzelne Seiten von Metal-LPs komplett gespielt, vielmehr entstand aus der Praxis des Titelwunsches ein regelrechter Anspruch, nach dem der Rundfunk alle Titel einer Platten liefern sollte, damit der Fan sich das Album zumindest in dieser Form selbst zusammenstellen konnte: »Läuft die neue LP von M [Motörhead] bei DU [Duett]? oder muß man sich wieder in mühevoller Kleinarbeit die Titel zusammenwünschen, wo bleiben die B-Seite von ›Orgasmatron‹ – A-Seite wurde vorgestellt.« (DRA H006-01-06/0040, Bl. 400251, 14.4.88)

Hier kumulierten Szenewissen mit den vor allem in der Jugend weit verbreiteten Praktiken des Rundfunkmitschneidens. Das Mitschneiden oder Kopieren von anderen Tonträgern wurde dabei zu einem zeitintensiven Geschäft, wie ein Fan sich erinnert: »Ja, ich ließ bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Bandmaschine mitlaufen. […] Zum Glück kannte ich einige Leute, die es mir ermöglichten, ein relativ gutes Archiv zusammenzutragen, was allerdings auch nicht gerade billig war.« (Vocke 2009: 24)

Die Praxis des Mitschneidens bzw. Kopierens wurde in der Regel mit einer Praxis des Archivierens kombiniert. Sämtliche Informationen vom Moderator oder der vorübergehend vorliegenden Originalplatte wurden herangezogen, gesammelt und vervielfacht. Zugleich war dieses Archivieren ein Ausdruck der persönlichen Bindung an die Objekte und Musik. Als Praxis ermöglichte die Archivierung zudem in besonderer Weise das Erinnern, das für die Selbstvergewisserung und -bestätigung als Teil der Szene wohl besonders wichtig war (Stock/Mühlberg 1990: 124). Das Kopieren von Kopien war eine häufige Praxis, um Musik im Netzwerk zirkulieren zu lassen. Durch die analoge Kopiertechnik bedeutete dies immer auch einen wachsenden Verlust an Tonqualität, der vor allem durch einen zunehmenden Rauschanteil gekennzeichnet war. Zusammen mit den sehr unterschiedlichen Qualitäten der Geräte zur Tonträgerwiedergabe hatte diese klanglichen Dimensionen auch Einfluss auf die Hörerfahrungen und -erwar-

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tungen. Bedeutend war allerdings in erster Linie, dass überhaupt neue Musik gehört werden konnte.

3.2 Rundfunk Der staatliche Rundfunk spielte für die Metal-Szene, so abwegig es auch zunächst klingen mag, eine äußerst wichtige und prägende Rolle. Die Ambivalenz bestand dabei vor allem darin, dass der Rundfunk ein Monopol des Staates war und dementsprechend einer ideologisch-erzieherischen Funktion nachkommen sollte. Dennoch sendete der Jugendsender DT 64 insbesondere gegen Ende der 1980er Jahre wöchentlich zahlreiche Titel des harten Genres, vor allem auch aus dem Westen. Wie war dies möglich? Wie der Historiker Edward Larkey feststellt, entwickelte sich im Rundfunk spätestens seit den 1970er Jahren ein »unpolitisches Verständnis von Unterhaltungskunst und Musik, das im Interesse einer von der parteistaatlichen Führung intendierten Harmonie gesellschaftskritische Aspekte weitgehend auszuklammern versuchte.« (Larkey 2007: 17)

Nach dieser Logik war es in den 1980er Jahren nicht mehr allzu abwegig, den Forderungen und Erwartungen zahlreicher Jugendlicher, wie sie insbesondere in den wöchentlichen Hörerbriefen zu lesen waren, nachzugeben. Dabei stand der Jugendsender durchaus in Konkurrenz zu westlichen Angeboten. Bereits seit den 1950er Jahren galt der Rundfunk als ein wesentliches Mittel der Einflussnahme im Kalten Krieg (Ritter 2010; Lindenberger 2004c; Stöver 2002: 413-444). In den 1980er Jahren gab es dann zahlreiche westliche Sender, die von großem Interesse für den Hard Rock- und Metal-Hörer sein konnten: der britische Soldatensender BFBS (»The HM show« mit Tony Jasper), der West-Berliner Sender RIAS II, Hessen 3 (»Metal-Stunde«), Bayern 3, NDR 2 (»Heavy-Special«), WDR 1 (»Scream«). All Diese Sender boten im Laufe der 1980er Jahre in regelmäßigen Sendungen mehr oder weniger harten Rock und Heavy Metal und konnten je nach Region teilweise auch in der DDR empfangen werden. Insbesondere die Aktualität der abgespielten Platten war dabei ein wichtiger Faktor und Vorteil gegenüber dem inländischen Angebot. Problematisch waren allerdings zwei Aspekte: Zum einen fiel die Qualität des Empfangs sehr unterschiedlich aus. Während in der Hauptstadt viele westliche Sender empfangen werden konnten, war der Empfang etwa in Dresden äußerst problematisch, was der Stadt im Volksmund den Spitznamen »Tal der Ahnungslosen« einbrachte. Zum anderen gingen diese Sendungen nur wenig oder gar nicht auf die Entwicklungen hin zu Extreme Metal ein. Die Fans in der DDR waren allerdings keineswegs nur auf die ausländischen Sender angewiesen. Wie eingangs bereits erwähnt, sendeten die ju-

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gendlichen Fans regelmäßig Briefe mit konkreten Platten-Wünschen an das DT 64. Erhard Leo Gehl, der als Journalist und Vermittler insbesondere in den Anfängen des Heavy Metal in der DDR als ein wichtiger Wegbereiter angesehen werden muss, betreute sowohl beim DT 64 als auch bei der Stimme der DDR Formate, die eigens als Wunschsendungen fungierten und dabei teilweise komplette LP-Seiten abspielten. Hier sendete Gehl spätestens seit 1984, bald unterstützt vom späteren Tendenz Hard bis Heavy-Mitarbeiter Jens Molle, regelmäßig Heavy Metal, auch bereits während der prominenten Sendezeit am Samstagnachmittag (BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Magdeburg, Nr. 41220, Bl. 5). Folgt man den Erinnerungen von Matthias Hopke, der gegen Ende 1987 das Format der Tendenz Hard bis Heavy etablieren sollte, gab Leo Gehl die Betreuung der Sendung aufgrund von Arbeitsüberlastung um 1985 zunächst wieder auf (Hopke 2012: 15f.). Die mittlerweile in der Metal-Szene als »Metalstunde« bekannte Sendung wurde von Fans allerdings bereits mit einer gewissen Erwartungshaltung gehört. Das Konzept, nach dem die Sendungen auch eine Art Mitschneideservice darstellten, entfachte in der Szene zugleich die Forderungen nach neuester oder selten gespielter Musik, um die privaten Tonarchive auszubauen. Konkrete Plattenwünsche wurden in der Hörerpost teilweise vorstrukturiert und etwa in Listen mit »unbedingt« und »nicht allzu dringend« markiert (vgl. DRA H006-01-06/0002, Bl. 258f., 28.5.1989). Die Sendung wurde nach dem Weggang Gehls zunächst durch wechselnde Redakteure betreut, was anscheinend für eine Welle negativer Hörerbriefe sorgte. Hopke erinnert sich weiter: »Erst als ich nach vier oder fünf ›Heavy-Stunden‹-Sendungen im Jahr 1985 oder 1986 (also etwa nach einem halben Jahr) mal wieder die Hörerpost analysierte, wurde mir fast schwarz vor Augen. Erstens kam wöchentlich nur (!!!) zu dieser ›Heavy-Stunde‹ die meiste Hörerpost als zu allen anderen Sendungen des Senders und was die Hörer schrieben, tat mir weh und die Hörer taten mir leid. Daraufhin dachte ich mir, die sollten bedient werden, aber anständig!« (Hopke 2012: 15f.)

Für Hopke sei dies Anlass gewesen, die Intendantin Marianne Höbbel darüber zu sprechen und um die Betreuung der Sendung zu bitten. In Hopkes Erinnerung war Höbbel demgegenüber völlig aufgeschlossen und sah darin eine Möglichkeit, auch diese Jugendlichen zu erreichen. Für Hopke war dies ein persönlicher Startschuss, um sich als Rock’n'Roll-Fan auch mit dem Heavy Metal intensiver zu beschäftigen. Dabei setzte er sich, nach eigenen Angaben mit gewissen Schwierigkeiten, auch mit Extreme Metal auseinander. Zudem erkundete er die DDR-Szene, indem er für einige Zeit etwa regelmäßig in die Langhansstraße in Berlin-Weißensee fuhr, »um dort entsprechende ›DDRPendants‹ entdecken« und kennenlernen zu können (Hopke 2012: 15). Hopke betont heute, dass er den »Spagat« zwischen den Fraktionen der Szene, die

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er offenbar zu diesem Zeitpunkt bereits gut beobachten und wahrnehmen konnte, versuchte, und, obwohl er offensichtlich kein Fan des Extremen war, dennoch allen gerecht werden wollte. Dass er eine Rolle als Gatekeeper hatte, indem er etwa darüber entschied, welche Band gesendet wurde, brachte ihm auch ein gewisses Misstrauen ein, wie er selbst erinnert. Nach der Übernahme etablierte Hopke den neuen Namen für die Sendung. »Tendenz Hard bis Heavy« war für viele zunächst »ein bisschen zu verkopft«, erinnert sich Jens Molle, der den Namen passend und vor allem angenehm unkonventionell fand (Interview Molle). Am Samstag, den 5.12.1987 ging offiziell die erste Tendenz-Sendung als einstündiges Programm zwischen 16 und 17 Uhr über den Äther. Die Sendung wurde zunächst in erster Linie von Hopke betreut, dabei konnte er auf gewisse Freiräume in der Arbeitspraxis des DT 64 zurückgreifen: »Wir durften urplötzlich oder auch ›versteckt‹, also ›geduldet‹, das eigentliche 40:60-Gebot/-Verbot unterwandern und spielten in unseren Programmen quasi Eins zu Eins – heißt: einen West-Titel, noch einen West-Titel, dann einen Ost-Titel aus DDR-Produktion und dann irgendwas ungarischer oder bulgarischer Herkunft […].« (Hopke 2012: 15f.)

Nur wenige Monate später stieß Jens Molle sprichwörtlich von heute auf morgen dazu, mit der Macht des Staatlichen Rundfunks im Rücken, die eine befehlsartige Entbindung vom bisherigen Arbeitgeber ermöglichte. Molle hatte als Metal-Fan zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Bezugspunkte zum Rundfunk: Einerseits war sein Vater Chef der Hauptabteilung Außenpolitik des DDR-Rundfunk und mit ständigem Reisepass auch Teil des Auslandsreisekaders Erich Honeckers – ein gern genutzter Vorteil in der Beschaffung von Musik aus dem Westen. Zum anderen war eine Schulfreundin seit Mitte der 1980er Jahre beim DT 64 tätig. Sie stellte den Kontakt zu Leo Gehl, der ständig auf der Suche nach weiteren und neuesten Platten für seine Sendung war, her: »Also wenn Leo Gehl irgendwie ’86, ’87 irgendwelche Metal-Musik gespielt hat, die hat er in der Regel von mir gehabt«, erinnert sich Molle an den inoffiziellen Austausch (Interiew Molle).25 Über Leo Gehl lernte Molle dann auch Matthias Hopke kennen, etwa gegen Ende 1987, als der DT 64 auf ein täglich 20-stündiges Programm erweitert wurde, was zugleich den Bedarf an geeigneten Mitarbeitern erhöhte. Stefan Lasch, Jazzexperte und langjähriger Musikredakteur beim DT 64, führte über Gehl arrangiert das Einstellungsgespräch mit Molle. Er suchte wohl dezidiert jemanden für die härtere Musik und »jemand, der Mathias Hopke unter Kontrolle bringt« (Interview Molle). 25 | Jens Molle erinnert sich an Gehls unprätentiöse Annäherung an den Heavy Metal als Blues- und Rockexperte: »Für Leo war Metal […] elektrischer Blues.« (Interview Molle)

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Tatsächlich war Hopkes Arbeitsweise allem Anschein nach etwas unorganisiert und sorgte für Konflikte, etwa, wenn er eine andere Sendung produzierte als er selbst in den Programmzeitschriften ankündigte. Hopke und Molle zeichneten abwechselnd jeweils für eine Sendung verantwortlich. Beide folgten zwar der allgemeinen Dramaturgie, nach der zunächst Titel eher aus dem Hard Rock und Heavy Metal-Bereich, im Verlaufe der Sendung dann auch aus dem Extreme Metal gespielt wurden. Nach kurzer Zeit sei beiden jedoch klargeworden, dass eine Aufteilung in Heavy und Extreme Metal unter beiden Redakteuren sinnvoller sei, was unter anderem eine Reaktion auf die wachsende Beliebtheit des Extreme Metal unter den Hörern war (Interview Molle). Molle stand dem Extreme Metal persönlich näher und war zugleich stärker in der Szene verankert, was wohl der ausschlaggebende Grund dafür war, dass er den härteren Bereich übernahm. Jens Molle arbeitete infolgedessen eng mit Peter »Pluto« Neuber zusammen, der erst nach der Wiedervereinigung offiziell beim Rundfunk angestellt werden sollte.26 Neuber, selbst Metal-Fan und gut in der Szene vernetzt, unterstützte Molle mit Kontakten zu Bands und versorgte ihn mit Platten und Demokassetten. Über die Freigabe der in der Regel vorproduzierten Sendung wurde dabei in der Regel auf Redaktionsebene entschieden: »Es gab einen Redaktionsleiter und dann gab es von ihm benannt zwei oder lass es drei so genannte Abzeichnungsberechtigte sein […]. Du musstest vorher im Prinzip ja sagen, was du machst, das hatte teilweise auch den Grund, weil das ja in den diversen Programmzeitschriften abgebildet wurde. Und dann eben halt natürlich auch knallhart, um bestimmte Dinge zu vermeiden.« (Interview Molle)

Dieser Ablauf konnte völlig problemlos sein und »blind abgezeichnet« werden. Andere Kollegen haben sich wiederum für die Sendungen interessiert und reingehört. In der Regel aber war dieser Prozess, so Molle, allerdings kein Problem. Die gesendete Musik wurde prinzipiell über Band gesendet, Plattenspieler etwa galten als nicht »sendesicher«. Das bedeutete, dass sämtliche Musik zuvor von Platte oder Kassette auf Band »umgeschnitten« werden musste. Hierfür war eine eigene Abteilung mit Technikern zuständig, in der sich die verschiedenen Redakteure Termine sichern mussten. Die dort beschäftigten, meist älteren Kollegen mussten sich dann etwa mit Death Metal-Platten, die Jens Molle oder Peter Neuber besorgt hatten, auseinandersetzen. Die Platten wiederum waren häufig über private Tauschnetzwerke oder illegale Einfuhren 26 | Neuber und Molle spielten sodann im nach der Wiedervereinigung neu gegründeten Jugendsender Radio Fritz die beliebten fiktiven Figuren ›Mike Lehmann‹ und ›Comanchen-Bernd‹, die amüsante Kurzhörspiele und Musikstücke im Berliner Dialekt produzierten.

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beschafft worden – interessiert hätte das im Rundfunk niemanden, so Molle (Interview Molle). Aus diesen umgeschnittenen Platten musste sich dann der Redakteur die jeweiligen Stücke, die er senden wollte, selbst rausschneiden. Auch für das Archivieren war der jeweilige Redakteur zuständig: »Aber dann irgendwann stand bloß noch der Name drauf von der Band, […] zum Schluss war das ein ziemliches Chaos. Da hätten wir eigentlich auch noch mehr Leute gebraucht, um das Archiv sozusagen so ein bisschen aufzupeppen«, erinnert sich Molle (Interview Molle). An die in der Diskussion um westliche Musik im DDRRundfunk häufig thematisierten »Giftschränke« (vgl. Wicke/Müller 1996: 116) kann sich Jens Molle allerdings nicht erinnern: »Na ja, wir hatten noch nicht mal Giftschränke. Die DT 64-Musikredaktion hatte in der Nalepastraße […] die siebte und die achte komplette Etage […], da war ein relativ großer Flur und da gingen so einzelne Redaktionszimmer ab. Und zwischen den Redaktionszimmern waren riesige Schränke, das waren die so genannten Eigenband-Archive. Da hatte jeder Musikredakteur ein Eigenband-Archiv. Das größte Problem, was du hattest, war Platz.« (Interview Molle)

Neben dem offiziellen Archiv des Senders befüllte und pflegte jeder Musikredakteur sein persönliches Eigenband-Archiv nach den Terminen im Umschneide-Studio. Molle erinnert sich, dass viele Titel, die gesendet wurden, aufgrund des aufwendigen Archivierungsprozesses – neben der Behandlung der Bänder auch ein nicht unerheblicher Dokumentations- und Antragsaufwand mit bis zu zwei Monaten Bearbeitungszeit – irgendwann letztlich gar nicht mehr in das offizielle Hauptarchiv eingegliedert wurden. Das EigenbandArchiv war offensichtlich praktikabler. Die Musikredakteure tauschten sich dabei häufig direkt über die jeweiligen persönlichen Bestände aus, was insbesondere für aktuelle Tonaufnahmen von großem Vorteil gewesen sei (Interview Molle). Teil dieser Eigenband-Archive wurden auch die von DDR-Bands eingesandten Demokassetten (vgl. DRA H006-01-06/0037, Bl. 121034, 21.12.87), die umgeschnitten und gesendet wurden – teilweise von Bands, die keine offizielle Spielerlaubnis (mehr) besaßen (Hopke 2012: 16f.).

Der Rundfunk als Träger und Garant des kulturellen Transfers Der Rundfunk wurde zu einer bedeutenden Bezugsquelle für die Musik, insbesondere aufgrund der Bemühungen von Jens Molle und Peter Neuber. An den zahlreichen Wünschen nach dem Senden von westlichen Bands in der Hörerpost wird deutlich, welchen Stellenwert die Sendung für die Szene als Quelle für das Hören hatte.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Einer der wesentlichen Vorteile der Tendenz-Sendung war eine gewisse Aktualität der Titel. Während in der ersten Tendenz-Sendung Ende 1987 die jüngsten Veröffentlichungen aus dem Frühjahr des gleichen Jahres datierten (Anvils »Paper General« und Voivods »This Is Not An Exercise«; DRA G00601-05/0014), nahm die Verzögerung zwischen Veröffentlichung und Ausstrahlung im DDR-Rundfunk kontinuierlich ab.27 Insbesondere Titel der härteren Spielarten konnten teilweise mit nur wenig Verzögerung nach der Veröffentlichung in der BRD ausgestrahlt werden, wie folgende Beispiele verdeutlichen: • In der Tendenz-Sendung vom 7.1.1988 wurde Warlocks »Metal Tango« gesendet, veröffentlicht im September 1987 (Sendeliste vom 7.5.1988, DRA G006-01-05/0015). • Am 7.5.1988 wurde »Anarchy In The U.K.« von Megadeths So Far, So Good… So What! gesendet, veröffentlicht im Januar 1988 (Sendeliste vom 7.5.1988, DRA G006-01-05/0019). • Am 13.8.1988 wurden Titeln von Rages Perfect Man gesendet, veröffentlicht im Juni 1988 (Sendeliste vom 13.8.1988, DRA G006-01-05/0022). • Am 15.10.1988 wurden zwei Titel von Metallicas …And Justice For All gesendet, das Album wurde am 25.8.1988 veröffentlicht (Sendeliste vom 13.8.1988, DRA G006-01-05/0024). • Am 3.12.1988 wurden zwei Titel von Ozzy Osbournes, No Rest For The Wicked-Album gesendet, veröffentlicht im September 1988 (Sendeliste vom 3.12.1988, DRA G006-01-05/0026). Keinesfalls waren alle Titel einer Sendung aktuelle Veröffentlichungen. Auch kam es nach wie vor zu größeren Verzögerungen. So wurden beispielsweise die ersten Titel von Metallicas The $5.98 E.P.: Garage Days Re-Revisited, veröffentlicht im August 1987, erstmalig im April 1988 gesendet.28 Am 10.8.1988 dann sendete Molle in der Sendung Duett neben einer Einführung zur Bandgeschichte und dem Background der EP die gesamte Platte, hintereinander ohne Unterbrechung (Sendemanuskript vom 10.8.1988, DRA G006-01-05/0022). Das Abspielen von älteren Titeln, die teilweise bereits mehrmals gesendet wurden, verweist auf einen weiteren Aspekt. Zwar standen die Radiojournalisten unter dem Druck, möglichst die neuesten Veröffentlichungen und wiederum nicht immer die gleichen älteren Titel zu spielen. Auch mögen Titel aus der ersten Hälfte des Jahrzehnts wie etwa von Metallicas Kill’em All (1983) oder Venoms EP Manitou (1984) Lücken in den privaten Archiven aufgefüllt haben. Dennoch zeichneten sich in dieser Praxis in der Auswahl und Anspruchshaltung gegen Ende der 1980er Jahre auch erste Prozesse einer Kanonisierung 27 | Vgl. hierzu auch die Angaben in Breitenborn (2010: 113f.). 28 | »The Wait« am 2.4.1988, »Helpless« am 9.4.1988 (DRA, G006-01-05/0018).

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

des Heavy und Extreme Metal ab, die auch wechselseitig und diskursiv etwa über die Hörerwunschlisten ausgehandelt wurden. Wenn Kreator im März 1990 ein ausverkauftes Konzert in Ost-Berlin gaben, eines der ersten sozusagen internationalen Metalkonzerte in der noch bestehenden DDR, war die Band bei den DDR-Fans bereits äußerst beliebt,29 denn in den Jahren zuvor lief Kreator regelmäßig in der Tendenz-Sendung. Extremer Metal von Bands wie Carnivore, Possessed, Sodom oder Bathory konnten in der Regel problemlos gesendet werden. Dies lag u.a. daran, dass »die Sendung bis auf die Fans keiner gehört hat. Also von den Leuten, die da verantwortlich waren, die haben sich das nicht angehört. Die haben auch die Sendungen, wenn sie produziert waren, nicht abgehört. […] Und so richtig verstanden, was wir da wollten und worum es in dieser Musik ging, hat von den Verantwortlichen auch keiner.« (Interview Molle)

Gelegentlich wurden die Sendemanuskripte gegengelesen, seltener die Bänder angehört. Während die Musik die Nichtkenner in der Regel eher abschreckte, waren die Manuskripte nicht weiter anfechtbar. Hopke und Molle verstanden es zudem, die Logik des Systems zu bedienen. Die gespielte Musik ›einbetten‹ und etwa mit einer aufklärerischen Informiertheit über aktuelle Tendenzen oder Kapitalismuskritik zu begründen, waren entsprechende Möglichkeiten. Andererseits hatten Hopke und Molle die enorme Masse an Hörerbriefen von Metal-Fans aus der gesamten DDR im Rücken: »Die haben gewusst, okay, das ist also jetzt eine Sendung, da gibt es extreme Zuschauerpost. Das heißt also, das hören die Leute, das müssen wir also machen. Das war auch immer sozusagen unser größter Trumpf […].« (Interview Molle)

Die Sendung etablierte und prägte eine konzentrierte regelmäßige Praxis nicht nur des Mitschneidens, sondern auch des konzentrierten Zu-Hörens. Das bezog sich nicht nur auf die Musik, sondern auch auf die Wortbeiträge. Jens Molle erinnert sich an etliche Diskussionen mit Fans, die Monate später mit ihm über Sendungen, insbesondere vermeintliche Fehlinformationen diskutierten. Wie selbstverständlich dieses Informationsangebot dabei offenbar werden konnte, zeigen auch regelmäßige Beschwerden in Hörerbriefen, die einen zu geringen Anteil von Metal auf dem DT 64 kritisierten. Auf einen solchen Brief antwortete Marianne Oppel, Redakteurin beim Jugendsender: 29 | Vgl. hierzu auch die Erinnerungen u.a. von Jens Molle und Jakob Kranz in der Dokumentation »The Past And Now« im Rahmen der Wiederveröffentlichung des Konzertmittschnitts (Kreator. At The Pulse Of Kapitulation. Live In East Berlin 1990, Steamhammer 99807, 2008).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR »Lieber Carsten! Kennst du einen Sender, der mehr Heavy- bzw. Hardrock-Musik spielt, und zwar überwiegend in Standard-Sendungen, also wiederkehrend? […] Wir haben nicht das geringste schlechte Gewissen. Die Freunde der ›härteren‹ Gangart von Rockmusik werden bei uns sogar besser bedient als die Anhänger von Electronics, Black Music, Jazz oder Chansons bzw. Lied.« (DRA H006-01-06/004, Bl. 497, 12.4.1989)

Der härtere Rock von Bands wie Deep Purple, den ungarischen Omega und teilweise sogar Black Sabbath – in den Anfängen der Tendenz-Sendung noch regelmäßig gesendet – wanderte zunehmend in allgemeinere Formate für Popund Rockmusik ab.30 Darüber hinaus wurde auch Metal in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre nicht mehr nur in der Tendenz-Sendung gesendet, sondern auch in den allgemeinen Pop-/Rock-Formaten wie Beat-Kiste, Duett vom Band fürs Band, Mobil-Rockradio, Morgenrock und gelegentlich Hei jetzt Musik, hier vor allem die DDR-Bands.31 Auch internationale Metal-Titel wurden hier immer häufiger gesendet. So erklangen in der Beat-Kiste am 21.4.1988 neben Blues von Engerling oder dem Neue Deutsche Welle-Pop von Datzu – beides DDR-Bands – insgesamt sechs Titel der US-amerikanischen Metallica und Megadeth (DRA G006-01-05/0018).32 Dass es gegen Ende der 1980er Jahre nicht mehr ungewöhnlich war, auch in diesen Sendungen selbst härteren Metal zu hören, zeigt ein Hörerbrief, in dem dezidiert für das Mobil-Rockradio mit Titeln von Artillery, Forbidden, Wargasm, Exciter und Death Angel dänischer, kanadischer und US-amerikanischer Speed und Thrash Metal gewünscht wurde (DRA H044-01-00/0006). Radiojournalist Roland Urbanski unterstreicht 1989 diese zunehmende Beliebtheit und Ausweitung der harten Musik im Rundfunk einmal mehr, wenn er festhält, dass in der Jahresbilanz der Hörerwünsche zum nationalen Rock in der Beat-Kiste für das Jahr 1988 über 50 Prozent »zum harten Genre zu rechnen sind«. Darüber hinaus stellt er eine starke Zunahme in der Kategorie »Rock 88« fest, die für alle Rocktitel galt: »30 % gegenüber etwa 10 % im Jahre 1987«, die dem Heavy und Extreme Metal 30 | Vgl. die Sendeliste der Hei, jetzt Musik-Sendung vom 14.9.88 (DRA G0060105/0023). Diese Befunde fallen häufig mit Molles und Hopkes Betreuung auch dieser Formate zusammen. 31 | Exemplarisch die Beat-Kiste-Sendung vom Donnerstag, den 11.8.1988, 20.03 bis 22.00 Uhr: »Rocksommer ’88 – Heavy-Metal-Konzert vom 20.7.88 mit Prinzz, MCB, Plattform. Gestaltung: Roland Urbanski« (in: FF dabei 33/1988 (8.8. bis 14.8.88), Programmillustrierte, S. 33; siehe auch Sendeliste »Die Beatkiste« vom 11.8.1988 (DRA G006-01-05/0022). 32 | Diese Tendenz der Ausweitung der härteren Klänge auf weitere Formate des DT 64 hielt bis zum Ende der DDR an. So liefen etwa im »Mobil-Rockradio« Titel nicht nur von Motörhead, sondern auch von Extreme Metal-Bands wie Kreator, King Diamond und Tankard (Sendeliste des Mobil-Rockradio vom 8.9.1989; DRA G006-01-05/0035).

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

zuzurechnen sind (Urbanski 1989).33 Nicht nur war die Tendenz-Sendung ein wichtiger Bestandteil der Szene in der DDR, vielmehr wurde Heavy Metal ein nicht unerheblicher Bestandteil des staatlichen Jugendradios: Eine bemerkenswerte Entwicklung auch in internationaler Perspektive. Diese Präsenz von Heavy und Extreme Metal im Jugendradio war nicht nur innerhalb der DDR beliebt. Tatsächlich belegen Hörerbriefe aus West-Berlin, Bayern und Hamburg, dass auch Fans aus der BRD insbesondere die TendenzSendung hörten und diese aufgrund mangelnder Alternativen schätzten (DRA H006-01-06/0005, 499; H006-01-06/0037, 120253; H006-01-06/0034, Bd. 1, Bl.700430; H006-01-06/0041, Bl. 600453).34 Die Beliebtheit hatte ihre Gründe. Insbesondere die Tendenz-Sendung fungierte als Dienstleister und Quelle für sowohl Heavy als auch Extreme Metal, informierte über nationale und internationale Szene-News (soweit möglich), sendete Länder- und BandPortraits, kündigte Konzerte in der DDR an, vermittelte Adressen von Fans, Fanclubs und Bands – ohne Frage, die Tendenz-Sendung war ein wichtiger virtueller Knotenpunkt und Szeneort, der als Kommunikationsplattform und Multiplikator einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung und Vernetzung der Szene in der DDR hatte und durch den hohen Anteil westlicher Musik zu einem wesentlichen Träger und Garant des kulturellen Transfers wurde. Kaum ein Rundfunksender, weder in Westdeutschland noch Großbritannien, sendete derart viel und regelmäßig Extreme Metal gegen Ende der 1980er Jahre. Darüber hinaus wird an diesem Beispiel des DT 64 deutlich, welche Freiräume und Eigensinne sich in staatlichen Strukturen der späten DDR entwickeln und etablieren konnten.

3.3 Hören und Erfahren im öffentlichen Raum Die klassischen Formen des Hörens im öffentlichen Raum waren Konzerte sowie Veranstaltungen in Diskotheken und Kulturhäusern, die Tonträger abspielten. Metal-Veranstaltungen waren enorm vom politischen Diskurs ab33 | Vgl. hierzu auch die Auflistung der jährlichen DDR-Hitparaden bzw. -listen in Hintze (1999: 340-343). 34 | »Ich sitze hier in der Jugend-Justizvollzugsanstalt Ebrach. Und freue mich jeden Samstag zwischen 16.00 und 17.00 Uhr. Den [sic!] auch da heißt es in West-Germany Heavy Time von DT 64! Euer Sender ist hier bei uns in West Germany sehr bekannt. Ich möchte mich bei der Redaktion von DT 64 im Namen aller westlichen Heavy Metal Fans bedanken. Da solche Sendungen bei uns nicht oder sehr selten gesendet werden. Ich wünsche mir von Ozzy Osbourn [sic!] ›Forever‹ und ich grüße damit! Die Leute von DT 64, alle Biker in der DDR und in der BRD. Ganz besonders den Black Widow MC aus Coburg, den SCUM MC aus Lichtenfels (beide West). Alle Heavy Fans in Ost und West; und alle die mich kennen.« (DRA H006-01-06/0037, 1202534, Brief vom 4.12.87)

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

hängig. Mit der veränderten Wahrnehmung und Art und Weise, wie über die Heavy Metal im Laufe der 1980er Jahre gesprochen wurde, nahmen insgesamt entsprechende Veranstaltungen zu. Hinzu kommt, dass die Metal-Szene alleine durch ihre Größe und einem gewissen Eventbedürfnis zugleich eine lukrative Zielgruppe für private Betreiber von entsprechenden Räumen, etwa Landgasthöfen mit Tanzsälen, darstellte.

3.3.1 Jugendklubs, Kulturhäuser und Diskotheken: Öffentliche Räume des Hörens Wesentliche Räume der Rezeption waren zunächst private Umfelder wie die eigene Wohnung, die Gartenlaube, die Feier mit Freunden im Hobbykeller. Allerdings nahm auch die Zahl der offiziellen Angebote zu, meist der FDJ. Die zahlreichen Jugendklubs, gegen Ende der DDR ca. 10.500 gegenüber noch ca. 6.900 im Jahr 1982 (Mählert/Stephan 1996: 221), hatten zwar die Aufgabe der politischen Erziehung. Allerdings sah sich die FDJ auch den Interessen und Bedürfnissen der Jugendlichen gegenüber im Zugzwang. Nach einer »schon fast explosiv zu bezeichnenden Entwicklung in den 70er Jahren« nahmen auch in den 80er Jahren Diskothekenveranstaltungen als Tanzveranstaltungen einen enormen Stellenwert für die Musikrezeption Jugendlicher ein (Felber 1991: 108). Tanzveranstaltungen boten, in einer vermeintlich geschützten, erwachsenenfreien Zone »Gelegenheiten der Kommunikation mit Altersgefährten, der Partnersuche, der öffentlich inszenierten Selbstfindung und Selbstdarstellung« (Felber 1991: 109). Diese Veranstaltungen, die in vielen Kleinstädten u.a. unter der Woche mit Spielzeiten von bspw. 19-22 Uhr aufwarteten, unterlagen offiziell den staatlichen Regelungen für Musikdarbietungen. Die sog. 60-40-Regel, nach der mindestens 60 Prozent der gespielten Musik aus sozialistischer Produktion stammen sollten, wurde zwar durch Repertoirelisten kontrolliert, war aber letztlich in der tatsächlichen Praxis eine leicht zu umgehende Auflage und erfuhr häufig eine »stillschweigende praktische Suspendierung« (Felber 1991: 109). Die Disk-Jokey waren dabei oftmals, wenn nicht selbst zu einer der Jugendkulturen zugehörig, darum bemüht, die Ansprüche und Erwartungen der Zuhörer zu erfüllen und zugleich Alleinstellungsmerkmale durch seltene oder besonders aktuelle Aufnahmen auszubauen. Das MfS bemängelte bereits um 1980 ein zu starkes Aufweichen und Missachten der 60-40-Regelung. Für das MfS war klar, dass westliche Musik beliebt, die eigenen Produktionen eher unbeliebt waren: »Bei Abspielen von DDR-Musiktiteln war festzustellen, daß ein Teil der Anwesenden die Tanzfläche verließ bzw. den Musiktitel mit Pfiffen bedachte.« (BStU, MfS, HA XX, Nr. 6015, Bl. 252ff.) Ebenso ließ wohl die Mehrheit der Anwesenden die noch zu Beginn der 1980er Jahre verbreiteten Zusatzangebote wie Rätsel- oder sportliche Spiele über sich ergehen. Wie Olaf Leitner zusammenfasst, ging es den Jugendlichen in erster Linie um Tanzen und »im Lärm seine Ruhe finden«

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

(Leitner 1983: 229). Laut Felber und den Erhebungen des ZIJ besuchten Ende der 1980er Jahre die Mehrzahl der Jugendlichen mindestens einmal wöchentlich eine Tanzveranstaltung (Felber 1991: 109). Das MfS beobachtete dabei, wie u.a. die Metal-Fans zunehmend Diskotheken nutzten, um sich zu treffen, und vor allem ihre Musik einzufordern, so etwa in Berlin bereits im April 1986 (vgl. BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3538, Bl. 34). Um sich ein besseres Bild davon zu machen, setzten lokale MfS-Dienststellen auf Informelle Mitarbeiter, die Bericht über die Anzahl und Verhalten der Heavies in den jeweiligen Klubs erstatten sollten (BStU, MfS, BVfS Leipzig, KDfS Leipzig-Land, Nr. 02951, Bl. 1f.). In einem solchen IM-Bericht und Gesprächsprotokoll von Anfang 1989 wird beschrieben, was der IM zu beobachten glaubte. Das handschriftliche Protokoll vermerkt u.a.: »gestern 30 Mann in Lederklamotten«, »Verhalten provokativ — keine Handlung aber Sprüche«, »kein einziges Mal getanzt« (BStU, MfS, BVfS Leipzig, KDfS Leipzig-Land, Nr. 02672, Bl. 1). Im handschriftlich angefertigten Bericht heißt es dann: »Sie fielen nicht nur durch ihre Kleidung (Ledersachen) auf, sondern wie der IM berichtet auch durch provozierende und herabwürdigende Äußerungen zu anderen Teilnehmern dieser Veranstaltung auf« (ebd., Bl. 2, Durchstreichung im Original). Welche konkreten Aussagen dies gewesen sind, wird nicht angeführt. Der IM erinnert sich lediglich an einen nicht zitierten oder erläuterten Spruch, nach dem die Heavies als »ÜSE«, als Übersiedlungsersuchende, eingestuft werden konnten (ebd., Bl. 3) – ein nicht unerheblicher Vorwurf. Dabei waren Diskoveranstaltungen nicht nur auf die FDJ-Häuser beschränkt. Bereits 1985 konstatierte die Hauptabteilung des MfS, dass sich in den ebenfalls Tanzveranstaltungen anbietenden Gaststätten eine ernstzunehmende Konkurrenz zu den FDJ-Jugendklubs abzeichne. Die Gründe lagen auf der Hand, auch für das MfS: »In Gaststätten freies Getränkeangebot – Alkohol; keine Einlaßprobleme durch Ordnungsgruppen; keine ›gestalteten‹ Discos – keine politisch-ideologische Beeinflussung« (BStU, MfS, HA XX, Nr. 6015, Bl. 160). Tatsächlich nutzen viele Betreiber von Gaststätten die Möglichkeit, einen großen Saal zu füllen und guten Umsatz mit Getränken zu machen. Die FDJ reagierte auf diese Konkurrenz mit einem Sollerfüllungsplan, der eine jährliche Anzahl von entsprechenden Jugendtanzveranstaltungen vorsah. Dementsprechend hatte die FDJ auch einen wesentlichen Anteil an der Etablierung entsprechender Veranstaltungsreihen für die Heavies. Im Februar 1988 etwa diskutierte die Leipziger FDJ-Leitung den neuen Maßnahmenplan der »FDJ zur Verbesserung der politisch-ideologischen Arbeit mit allen Jugendlichen« im Kontext der von der SED nunmehr verlangten kulturellen Umarmung der Jugendkulturen. Hierin hieß es: »Bewährt hat sich hierbei auch, bestimmte Veranstaltungsreihen für verschiedene Musikrichtungen (Funk, Soul, Punk, Heavy Metal u.a.) in den Jugendklubs aufzubauen.« (BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. XX, Nr. 00126/01, Bl. 123) Den Jugendlichen ihre Musikwünsche zu er-

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

füllen, war eine verbreitete Praxis in den FDJ-Jugendklubs in der zwiten Hälfte der 1980er Jahre. Diese Jugendtanzveranstaltungen waren allerdings nicht nur ausschließlich auf Heavy Metal ausgerichtet. Tatsächlich war es durchaus üblich, dass Jugendliche verschiedener musikalischer Interessen aufeinandertrafen, insbesondere bei Disko-Veranstaltungen. Die anderen musikalischen Genres ließ man dabei mehr oder weniger bereitwillig über sich ergehen. Dabei war das Nebeneinander nicht immer von Akzeptanz begleitet. Vielmehr wurden in diesem öffentlichen Raum die jugendlichen Disktinktionsbemühungen über die musikalischen Genres aus- und offen zu Tage getragen. Dabei kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen (vgl. BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. VII, Nr. 140, Bl. 2ff.), die auch als stellvertretend für den Konflikt mit der Obrigkeit gesehen werden können. Häufig war aber auch schlichtweg übermäßigen Alkoholkonsum ursächlich (Saunders 2007: Pos. 1518). Als Metal-Fan wartete man auf solch einem Disko-Abend, bis der DJ die »Heavy Metal-Runde« auflegte (Interview Münnich), die auch mal 30 Minuten und mehr dauern konnte, und stürmte auf die Tanzfläche, die sich wiederum schlagartig leerte. Dieses Phänomen, dass Metal-Fans den gleichen Raum mit beispielsweise Neue Deutsche Welle-Fans teilten und jede Gruppe auf ihren Moment wartete, war vor allem in der Provinz häufig zu beobachten. Offenbar waren solche Disko-Veranstaltungen eine der eher wenigen öffentlichen Möglichkeiten, die eigene geliebte Musik in einem entsprechenden offenen Rahmen zu hören und Gleichgesinnte zu treffen oder kennenzulernen. Wie beliebt Jugendklubs, die einen starken Schwerpunkt auf Heavy Metal setzten, sein konnten, zeigen folgende Erinnerungen: »Na ja, das beste Beispiel war Abi [Kulturhaus der Arbeiter-Bauern-Inspektion in der Gustav-Adolf-Str. in Berlin-Weißensee]. Halle, Rostock, Jena, Erfurt, Wittenberg, aus allen Landesteilen […] oder aus der DDR sind die zu dieser Piss-Disko gekommen, ohne überhaupt zu wissen, dass sie reinkommen. Weil es gab ja auch Abi-Mitgliedskarten […].« (Interview Parlow)

Während die Mitglieder problemlos in den Klub kamen, standen die teilweise über mehrere Stunden angereisten Jugendlichen zusätzlich »drei, vier, fünf Stunden draußen«, ohne zu wissen, ob sie tatsächlich reinkommen würden: »Also, wenn wir, sage ich jetzt mal, um halb sieben angekommen sind, dann standen da schon hundert Mann. Und das waren keine Berliner. Und die wussten auch nicht, wann sie reinkommen. Manchmal haben sie Pech gehabt und sind gar nicht reingekommen.« (Interview Parlow)

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Dem MfS entgingen diese massenhaften »Heavy-Feten« nicht, wie bereits am Beispiel des Jugendklubs ›Ernst Knaack‹ in der Greifswalder Straße in Berlin-Prenzlauer Berg gezeigt werden konnte. Deutlich wird, dass damit in der Hauptstadt spätestens 1985 die Konzentrationspunkte der Szene, d.h. Jugendklubs und Kulturhäuser, »Heavy Metal-Runden« und »Heavy-Feten« anboten und zu regelmäßigen Treffpunkten der Szene wurden. Dabei fielen die Möglichkeiten, Heavy Metal auf Diskoveranstaltungen genießen zu können, lokal unterschiedlich aus und konnten auf Initiativen von Akteuren der Szene, aber auch von Funktionären etwa der FDJ beruhen. Es war eine bemerkenswerte Ambivalenz aus eigensinniger Aneignung des öffentlichen Raumes durch Fans und der allmählichen Öffnung der FDJ als staatliche Jugendorganisation gegenüber dem Heavy Metal. In der Praxis des Hörens, aber auch des sich Vergemeinschaftens verdeutlicht dies die bedingte Angepasstheit, solange die eigensinnigen Interessen befriedigt werden konnten.

3.3.2 Konzerte Neben Diskoveranstaltungen war das Konzert eine der wichtigsten öffentlichen Formen des Musikhörens. Konzerte erfüllten mehrere Funktionen: • Das Konzertpublikum setzte sich nahezu ausschließlich aus Anhängern der Jugendkultur zusammen. • Konzerte ermöglichten Praktiken des Tanzes und Singens im Kollektiv. • Die Live-Darbietungen von beliebten Bands und Songs in hoher Lautstärke erweiterten die auditive Wahrnehmung um die optische und affektiv-körperliche Dimension. Hinzu kam der die Sinneswahrnehmungen beeinflussende Effekt von Drogen wie Alkohol und Nikotin. Dem Aspekt der Körperlichkeit kommt hier eine doppelte Bedeutung zu. Einerseits meint dies die körperliche Dimension der aufführenden Musiker, die in handwerklich spezialisiertem Instrumentengebrauch sowie rhythmischer und schweißtreibender Bewegungen auf der Bühne die Musik umsetzen und verkörpern. Andererseits war es die Körperlichkeit des Mitvollzugs durch Bewegen und hörendem Nachvollzug, durch Mitsingen sowie körperliche Belastungs- und Stresszustände etwa durch erhöhten Alkoholkonsum (vgl. etwa Stock/Mühlberg 1990: 125f., 132). Die Kleidung und langen Haare der männlichen Fans nahmen dabei eine identitätsstiftende Funktion ein: »Und dann gehörten möglichst lange Haare dazu. Uns war das schon wichtig, dass wir beim Konzert Head-Banging machen und wie unsere Bandvorbilder mit den Haaren rumwirbeln konnten.« (zit.n. Lindner 2008: 179) Konzerte waren weitaus strukturierter und in ihrer Funktion eingeschränkter bzw. fokussierter als Tanzveranstaltungen und nach Felber daher

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

nicht zu einem dominanten »Moment jugend-kulturellen DDR-Alltags« geworden (Felber 1991: 109). Konzerte besuchten nach Felber 40 Prozent aller Jugendlichen innerhalb eines Quartals, eine an sich bereits beachtliche Zahl. Die Heavies gehörten vermutlich eher zu den Intensivbesuchern von Konzerten. Nicht nur spielten etliche Bands eine hohe Anzahl an Konzerten, auch spielen die Konzerte noch heute in den Erinnerungen eine große Rolle. Ein Fan erinnert die rege Konzerttätigkeit und die Form der Vernetzung, die durch Konzertbesuche entstand: »Am Wochenende war fast immer ein Konzert angesagt, ob nun in Neupetershain, Ruhland, Terpe oder Cottbus – wir haben manche Bands so oft gesehen, daß wir deren Programmablauf schon auswendig kannten: Pharao, Plattform, Biest, Argus und so weiter. Etwa ab 1985 etwa hatte ich dann ein ›Pappauto‹ (Trabant) und nun ging es richtig los, denn jetzt konnten wir auch weitere Touren unternehmen. Samstagnachmittag wurde die ›Heavy-Stunde‹ nach Konzert-Terminen abgehört – dann gleich rein in’s Auto und los. […] Dann traf man sich mit der Spremberger und der Senftenberger Szene – es entstand damals ein sehr großer Zusammenhalt.« (Vocke 2009: 25)

Konzerte wurden zu wichtigen überregionalen Ereignissen innerhalb der Szene, die nachhaltige Erfahrungen und Erlebnisse prägen konnten. Da Ankündigung von Konzerten häufig über das DT 64 verkündet wurden und Metal-Fans in der gesamten DDR diese hörten, kam es hin und wieder auch zu völlig überraschenden Massenansammlungen: »Bei der Ankunft fiel uns doch glatt die Kinnlade herunter, denn es war eine regelrechte Völkerwanderung von Metal-Fans, die alle zum Veranstaltungsort wollten. Aus der ganzen DDR waren Metal-Fans angereist, was eindeutig zu viel für das Fassungsvermögen jenes Clubhauses war. Zudem verbreitete sich durch diesen Massenauflauf und der angeheizten Stimmung eine Art Angst und Panik bei der anwohnenden Bevölkerung, so daß ein ABV [›Abschnittsbevollmächtigter‹ der Volkspolizei] herbeigeholt wurde. Der konnte aber auch nichts bewirken und beeindruckte die anwesenden Metal-Fans in keinster Weise. Draußen vor diesem ›Clubhaus‹ war die Stimmung auf dem Höhepunkt. Jeder versuchte auf irgendeine Art, das Innere des Gebäudes zu erreichen. Es gab sogar Leute, die an der Dachrinne hochgeklettert sind und schnell gingen auch die ersten Scheiben zu Bruch. Hier gab es echt Party […]. Als dann Polizei-Verstärkung mit Hunde-Eskorte anrückte, wurde der Mob, der sich vor dem Gebäude aufhielt, allmählich aufgelöst.« (Vocke 2009: 26)

Die Erinnerungen an Konzerte schildern oft einen Event- und Ausnahmecharakter, der alleine bereits durch die Masse an Fans prägend war:

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken »Ja, na da waren dann eben auch Konzerte und sowas [in der Langhansstraße]. Also da haben dann, ich glaube, mal auf einem Montag Blackout gespielt da haben die 700 Mann reingelassen und draußen haben noch 300 gestanden. Und die waren natürlich alle so sauer, dass die da die Straßenbahn blockiert haben und, und, und.« (Interview Parlow)

Konzerte wurden zu einem Moment der Szene-Verschmelzung mit intensivem Erlebnischarakter. Durch die hohe Reisebereitschaft trafen Fans aus verschiedensten Regionen aufeinander. Immer häufiger traten Fans zudem als Veranstalter und Organisatoren auf, banden Fans für die Ordnungscrew ein. Diese Szene-Verschmelzung fand auch zwischen Fans und Bands statt: »Formel 1 wurden als eine der ersten Metal-Bands der DDR durch Rundfunk und Konzerte bekannt und bei einem Konzert in der ›Scholz-Halle‹ in Hoyerswerda etwa 1984/85 lernte ich mit meinem damaligen Kumpel ›Bucke‹ die Band nebst Crew persönlich kennen. Es war gerade Wochenende und sie fragten uns, ob wir nicht Lust hätten, sie zu ihrem nächsten Auftritt zu begleiten. Oh Mann, das war überhaupt die Sensation! Wir fuhren im bandeigenen Lkw mit nach Zwickau, wo wir auch gleich mit in die Vorbereitungen zum dortigen Auftritt integriert wurden.« (Vocke 2009: 24f.)

Die Begeisterung schwingt in dieser Erinnerung immer noch nach und lässt erahnen, wie einprägsam diese Erfahrungen gewesen sein müssen. Aus der Szene heraus wurden auch die ersten Festivals geschaffen. Hierfür zeichnete u.a. der Berliner Gitarrist Dan Uhden verantwortlich, der im Jugendklub Langhansstraße in Berlin-Weißensee erstmals 1988 eine Benefizveranstaltung organisierte. Bei der Umsetzung eines solchen Festivals mit zehn Bands an zwei Abend machte aber wohl bereits die Anmeldung der Veranstaltung Probleme. Die Deklaration als Benefizveranstaltung für Nicaragua, die thematisch in die Jahres-Planung der FDJ zu passen schien, konnte womöglich ein grundlegendes Verbot verhindern, dabei blieb es allerdings nicht: »Aber die haben sich dann andere Schikanen ausgedacht und uns verboten, Alkohol auszuschenken und Garderobe zu machen. Das heißt, wir durften die Klamotten der Leute nicht abnehmen – im Februar!« (Uhden 2009a: 31)

Uhden und sein Team leisteten dennoch ganze Arbeit. So konnte Hopke dafür gewonnen werden, einen Rundfunkmittschnitt zu organisieren, die Bands verzichteten auf ihre Gagen und das erste Heavy-Metal-Festival der DDR war mit über 500 zahlenden Besuchern ein ganzer Erfolg (vgl. Waldhausen 1988: 8). Mit zunehmender ästhetischer und generationeller Ausdifferenzierung auch der DDR-Szene war das Metal-Konzert an sich zugleich Ort der Distinktion. Neben dem Zeigen der individuellen Kleidungsstücke fanden offenbar

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auch Abgrenzungserscheinungen und Elitedenken statt. So schottete sich in der Erinnerung eines damals noch jüngeren Fans die »Metalpolizei« an der Bar stehend ab, um die jüngeren Bands regelrecht zu begutachten (Interview Ebert). Auch die körperlichen Praktiken differenzierten sich aus, was die Begeisterung einiger Fans durchaus trüben konnte: »Während anfangs in der Metal-Szene größtenteils geheadbangt wurde und Moshen eher einem Indianer-Tanz glich, der Metaller noch gut gelaunt und nett war, wurde dieser Ende der Achtziger zunehmend aggressiver. Das Moshen wurde extremer, so daß ein vernünftiges Headbangen vor der Bühne fast unmöglich war. Es gab kein Miteinander, sondern nur noch ein Gegeneinander auf der Tanzfläche.« (Sokatsch 2011: 47)

Neben der Musik und dem Tanz war der Alkoholkonsum ein wichtiger Bestandteil des Konzerts und beeinflusste entsprechend die Hörerfahrung: »Ja und manches Konzert hat man dann auch manchmal gar nicht so mehr mitgekriegt, weil man ja schon vom Kampftrinken blau war.« (Interview Münnich) Zahlreiche Berichte des MfS thematisieren Eskalationen vor allem aufgrund erhöhtem Alkoholkonsums. MfS-Kreisdienststellen gingen dabei sogar soweit, auf die Bands einzuwirken und ihnen, wie etwa Nobody und Argus, die Auflage zu erteilen, nur auf Veranstaltungen mit Alkoholverbot aufzutreten (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, KD Klingenthal, Nr. 22, Bl. 76). Inwiefern diese dann auch kontrolliert wurde, ist nicht nachvollziehbar, wahrscheinlich ist es allerdings nicht, dass die Bands fortan vor ausschließlich nüchternen Fans gespielt haben. Metal-Fans in der DDR knüpften an Konzerte eine grundlegende Erwartung: Es mussten Titel westlicher Bands nachgespielt werden. Die einheimischen Bands übernahmen eine so genannte ›Ersatzfunktion‹ für das Abgeschnittensein von den westlichen Szenen. Das Interesse an den einheimischen Bands fiel ansonsten sehr unterschiedlich aus. Für einen Berliner war es nicht unbedingt erstrebenswert, den DDR-Bands hinterher zu reisen, da die meisten Bands regelmäßig in Ost-Berlin spielten (Interview Parlow). Für andere Fans allerdings schon. Wie ein Fan aus Ilmenau in einem vom MfS abgefangenen Brief berichtet, waren 50 bis 200 Km für einen Konzertausflug normal, »oder wir fahren gar nach Berlin, da ist mit Abstand das Meiste los« (BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XX/584, Bd. 1, Bl. 121). Für eine Reise von Ilmenau nach Berlin musste damals durchaus mehr als ein halber Tag eingeplant werden. Trotz der Ersatzfunktion konnten sich regelrechte Starimages herausbilden, die insbesondere auf Konzerten zelebriert wurden. Hierbei wurden Musiker als häufig idealisierte und hochangesehene Vertreter des Heavy Metal, womöglich stellvertretend für die nicht erreichbare westliche Metal-Szene, gehandelt:

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken »Das war so intensiv: Die Leute haben uns angefaßt und wir konnten manchmal gar nicht richtig an den Bühnenrand, denn wir wurden schon richtig bedrängelt. Uwe haben sie sogar mal bei einer Live-Mugge in Telz von der Bühne gezogen. Er konnte uns gerade noch so die Klampfe geben und dann war er unten. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Das war übrigens eine ganz große Mugge und es waren an die acht- oder neuntausend Leute da.« (Lawrenz 2013: 10)

Frank Lawrenz weiter: »Ich war mal mit einem Kumpel an der Ostsee und dort sind wir in eine Diskothek gegangen. Da haben irgendwelche Typen wohl mitgekriegt, daß ich von Biest bin und mit einmal stand eine Traube von Leuten um mich herum. Das war auch ein sehr geiles Erlebnis. Egal wo man war, man war bekannt.« (Lawrenz 2013: 7)

Diese Starphänomene, eingebettet in den Eventcharakter eines Metal-Konzertes, der einen Ausbruch aus dem Alltag versprach, konnten für überfüllte Häuser, für zahlreiche mitsingende Fans, selbstbemalte Bettlaken mit Bandlogos, allerdings auch für Eskalationen wie zerbrochene Fensterscheiben und Gläser, Schlägereien und Polizeieinsätze sorgen: »Da gab es damals ein ganz großes Ding in Bitterfeld, das werde ich nie vergessen. Das Haus ist damals fast knacken gegangen, weil die Fans durch die Fenster kamen. Wir haben nur noch Scherben gehört, Gläser und was weiß ich für einen Krach. […] Du kommst da rein, spielst den ersten Song auf der Bühne und die Leute singen die eigenen Nummern gleich mit.« (Lawrenz 2013: 7)

Die angesprochenen Tanzweisen des Head-bangings, Pogos und Moshens waren für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Die Erfurter Macbeth etwa erfuhren die volle Härte des Staates unter anderem aufgrund dieser verbreiteten Praktiken auf Metal-Konzerten, die teilweise auch mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen alkoholisierten Besuchern einhergingen. Nachdem ein Konzert im Stadtgarten in Erfurt im September 1986 von der Polizei abgebrochen wurde, schritt das MfS ein und lud die Band zu einem »Disziplinierungsgespräch« zusammen mit der FDJ vor. Gitarrist Ralf Klein erinnert sich in einer 2016 auf YouTube veröffentlichten Dokumentation an die Reaktionen der Funktionäre, die über das Verhalten der Fans »völlig entsetzt« waren (16:18 min): »Die haben gesagt, ›die Leute haben ja richtig gekämpft‹« (16:20-22).35

35 | Gary Langendörfer, »Macbeth – Heavy Metal seit 1985. Eine Reise durch die Zeit« (zeitweise Filmproduktion, Erfurt, 2016), online: https://www.youtube.com/ watch?v=QdfFk-XEbjo (Zugriff am 1.10.2016).

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In den zeitweise auf der Bandhomepage36 im Original veröffentlichten BStUAkten, die während meiner Recherche von den Mitarbeitern der BStU nicht ausfindig werden konnten, werden die Praktiken der Fans als »extasehafte Ausschreitungen« beschrieben, die zudem von der Band durch eine aggressive und zu laute Konzertdarbietung zusätzlich angeheizt worden seien. Infolge dieser »Nichteinhaltung der Prinzipien hinsichtlich Ordnung und Sicherheit« wurde »Disziplinierung bzw. Liquidierung der Gruppe ›Macbeth‹« beschlossen. Dies bedeutete den Entzug der Einstufung und nahm der Band die Möglichkeit, fortan als Macbeth in Erscheinung zu treten. Die darauffolgende Umbenennung bzw. Neugründung als Caiman ermöglichte es den Musikern allerdings, weiterhin aktiv zu sein. Was der Volkspolizei hier aber völlig überzogen vorkam, ließe sich als Ausdruck des Wunsches verstehen, »sich wie bei bacchantischen Festen in einer neuen Wirklichkeit zu verlieren, sich inflationär mit kosmischen Mächten zu vereinigen und sich der Verantwortung für sich selbst und der Bewältigung der Alltagsaufgaben wenigstens punktuell zu entledigen« (Hettlage 1992: 349),

wie es der Soziologie Robert Hettlage allgemein über den Rock- und Popmusikgenuss Jugendlicher formulierte. Auch die DDR-Jugendlichen waren offensichtlich stark von diesen ästhetischen Erfahrungen beeindruckt und fanden ihren »Zufluchtsort« (Stock 1989: 94) in der Gemeinschaft und Musik des Heavy Metal. Die Konzerte galten dabei als der Höhepunkt kollektiver Selbstvergewisserung und -erfahrung als Metal-Fan.

Konzerte im Ausland Die Reisemöglichkeiten ins Ausland waren zwar stark eingeschränkt, dennoch boten sich einige Möglichkeiten auch im direkt angrenzenden sozialistischen Ausland Konzerterfahrungen zu sammeln. Tatsächlich konnten Metal-Fans in der Tschechoslowakei, vor allem aber in Polen und Ungarn, bereits Mitte der 1980er Jahre internationale Stars aus dem Westen insbesondere auf Festivals erleben. In der DDR waren solche Hörerfahrungen nicht nur unmöglich, auch waren die Kenntnisse über entsprechende Konzerte in den sozialistischen Nachbarländern stark eingeschränkt. Ein Hörerbrief an die Tendenz-Redaktion drückt den Frust über die fehlenden Informationen und letztlich über die Situation in der DDR aus: »Vorschlag: Ihr bringt jeden Samstag Konzerthinweise, die die DDR-Metal-Bands betreffen. Ich habe noch nie erlebt, daß Ihr Konzerte, die im Ausland stattfinden, vorangekündigt habt. Ich ärgere mich immer wieder, wenn Kumpels aus dem Ausland (Polen, 36 | www.macbeth-music.de.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken Ungarn) zurückkommen und erzählen, daß sie zufällig mal bei einem Maiden-Konzert, Helloween, Running Wilde [sic!], Slayer oder Celtic Frost waren. […] Ich schätze, ich spreche damit im Namen vieler Freaks, die auch mal was besseres als ein MCB, Biest oder Formel-I-Konzert erleben wollen.« (DRA H006-01-06/0036, Bl. 900401, 17.9.87)

Nicht wenige DDR-Heavies reisten zu Konzerten nach Polen oder Ungarn und konnten eigene Erfahrungen mit Bands u.a. aus der BRD wie Helloween oder Stormwitch machen (DRA H006-01-06/0036, Bd. 1, Bl. 900009, 1.9.1987; H006-01-06/0037, 100104, 5.1.88). Formel 1 etwa konnten eine offizielle Studienreise durch das Komitee für Unterhaltungskunst samt Betreuer nach Polen antreten, um dort ihre großen Vorbilder des NWoBHM, Iron Maiden, live zu sehen und persönlich im Tourbus und beim gemeinsamen Feiern näher kennenzulernen (Interview Densky/Schmidt). Auch dem MfS entgingen diese Reisetätigkeiten nicht. In den abgefangenen Briefen konnte es von den bereitwillig aufgenommenen Strapazen lesen, um etwa in Budapest Motörhead, Iron Maiden, Deep Purple oder Kreator live sehen zu können. So hatte ein Fan von einem Kreator-Konzert erst »3 Tage (!) vorher erfahren« und noch kurzfristig Urlaub genommen, um dennoch nach Budapest reisen zu können (BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XX, Nr. 584, Bd. 1, Bl. 122). Tatsächlich strebte das MfS zusammen mit der Volkspolizei gelegentlich die Verhinderung von solchen Reisen an. So heißt es in einem Schreiben der MfS-Bezirksverwaltung Magdeburg aus dem Sommer 1985, dass bekannt geworden sei, dass ein Heavy Metal-Konzert nicht sozialistischer Bands in Budapest stattfinden solle. Das an die Hauptabteilung XX/2 in Berlin gerichtete Schreiben erbittet den genauen Termin, um zur »vorbeugenden Verhinderung der Anreise von Heavy-Metal-Fans aus unserem Verantwortungsbereich« tätig werden zu können (BStU, MfS, HA XX, Nr. 14168, Bl. 3). Aus IM-Berichten erfahren wir zudem etwas über das Festival Metal Mania in Katowice/Polen mit ca. 10.000 Besuchern (BStU, MfS, BV Dresden, KD Görlitz, Nr. 70008, Bl. 124-129). Der IM, selbst begeisterter Metal-Fan, reiste 1988 und 1989 nach Katowice und knüpfte zahlreiche Kontakte. Nicht nur bescheinigte er nach Gesprächen mit den dort aufgetretenen deutschen Bands (Rage, Kreator, Protector), dass diese sehr gern einmal in der DDR auftreten würden. Auch erfahren wir, wie die wenigen DDR-Fans, die er dort kennenlernte, vorgingen, um das Festival besuchen zu können. So berichtet er von zwei Fans aus Großkorbethal, die zudem in der Musiker-Szene verankert waren, dass diese nach eigenen Auskünften bei der Volkspolizei in Weißenfels eine fingierte Adresse in Polen angaben, »um Reisemöglichkeit in die VR [Volksrepublik] Polen zu erhalten« (ebd., Bl. 129). Letztlich waren die eher umständlichen Bedingungen des Reisens eine der wesentlichen Ursachen, warum die Mehrzahl der DDR-Fans bis 1990 nie oder nur einmal eine der großen westlichen Bands im Ausland erleben konnte. Die-

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ser Umstand verstärkte umso mehr die Rolle der DDR-Bands und ihre Ersatzfunktion in Konzerten.

3.4 Faszination, Begeisterung, Leidenschaft: Überlegungen zur ästhetischen Praxis des Metal in der DDR Von Musik und Gemeinschaft des Heavy Metal gingen, dies wird immer wieder deutlich, eine besondere Anziehungskraft aus. Um sich tatsächlich längerfristig mit der Musik auseinanderzusetzen, musste sich ein Fan immer wieder aufmerksam der Musik und den Informationen widmen. Einen wesentlichen Anteil an diesem Prozess hatten individuelle ästhetische, als höchst emotional beschriebene Erfahrungen, die vor allem mit der Musik im Moment des Hörens gemacht wurden. Diese Dimensionen des Emotionalen und Affektiven37 spiegeln sich in den Erinnerungen und historischen Quellen wider. Folgendes Zitat bringt auf dem Punkt, was wohl viele Jugendliche damals und teilweise mit Auswirkungen bis in die Gegenwart erfahren haben: »Ich wollte nun wissen, was Heavy Metal für eine Musik ist. Als ich sie hörte, traute ich meinen Ohren kaum. Ich war wie elektrisiert. […] Seitdem hat mich diese Musik nicht mehr losgelassen.« (Sokatsch 2011: 46) Es war das Entdecken »einer Kraft, der sich bald alles unterordnete«, wie es Peter Habermann, Sänger von Disaster Area, formuliert (Interview Habermann). Diese Kraft und Intensität als Teil der ästhetischen Praxis ließ einen schlichtweg »ausflippen«, wie ein anderer Fan gegenüber einem MfS-Offizier in einem Verhör berichtete (BStU, MfS, HA XX, Nr. 609, Bd. 1, Bl. 193). Auch in Hörerbriefen an das DT 64 thematisierten Fans dezidiert ihre emotionalen Erfahrungen. Nicht nur wurden Metaphern und Vergleiche von positiven körperlichen Erregungszuständen herangezogen. Auch negative Empfindungen, die etwa mit einer »Entziehung für einen Alkoholiker« verglichen werden (DRA H006-01-06/0037, Bl. 120766, 15.12.87), gehörten zur Bandbreite emotionaler Zustände im Zusammenhang mit der Musik. Die Intensität dieser Zustände konnte sogar für dramatische Äußerungen sorgen: »Groß Wokerner Ein Mann Iron Maiden Fan-Club. In der letzten Zeit platzt mir regelmäßig der Kragen, wenn ich die Sendung höre. Wann habt Ihr letztmalig Maiden gebracht? 37 | Emotionen und Affekte werden als komplexe Reaktionen auf persönlich bedeutsame Ereignisse verstanden, die sowohl kognitive, physiologische als auch motorische Prozesse umfassen (Wetherell 2012: 27-50; Clarke/Dibben/Pitts 2010: 82). Die Musikpsychologen Sloboda und Juslin betonen, dass die Frage, wie Musik erfahren wird, nicht ohne Berücksichtigung der Bedeutung von Emotionen, die sowohl von der Musik evoziert als auch reflektiert werden können, beantwortet werden kann, vgl. Sloboda/ Juslin (2010: 81ff.).

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken Verdammt lange her. […] Wie ernst es mir ist, wird Euch wohl jetzt klar: Ich würde am liebsten nicht mehr leben, mich rettet nur noch Iron Maiden.« (DRA H006-01-06/0034, Bd. 1, Bl. 700838, 16.6.87)

Das Aussprechen von Suizid als eine Option, um der Unterversorgung der geliebten Musik und der Isolation im Fan-Dasein entgegenzutreten, mag in diesem Fall auf situativ besondere und individuelle, mitunter auch der Pubertät geschuldete emotionale Zustände zurückführbar sein. Zugleich macht der Fan allerdings mehr als deutlich, welchen großen Stellenwert die Band und Musik für ihn selbst im Alltag hat. Die Beispiele verdeutlichen daher nicht nur, wie intensiv die emotionale Bindung zur Musik sein konnte, sondern auch, wie bedeutend der Körper als Träger und Speicher für die ästhetischen Erfahrungen und Praktiken werden konnte – etwas, dass der Staat nicht zwangsläufig an optischen Erkennungsmerkmalen identifizieren konnte.38 Doch wie können diese emotionalen Dimensionen als Teil der ästhetischen Praxis in ihrer Historizität verstanden werden? Ohne Frage, die Jugendlichen ergriff offenbar eine ästhetische Faszination, die mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit, einer bewusst wahrnehmungsgeleiteten »Zeit für den Augenblick« (Seel 2003: 44) einherging. Diese Faszination basierte zunächst vor allem auf unmittelbaren psychophysischen Erfahrungen im Vollzug des Hörens. Alf Gabrielsson hat solche intensiven Erfahrungen mit Musik im Allgemeinen sowie ihre Spannbreite in einer musikpsychologischen Studie untersucht (Gabrielsson 2011). Gerade die Erfahrungen im Umgang mit Musik im Jugendalter, die einen bedeutenden Teil in seiner Studie einnehmen, identifiziert er als Erfahrungen von Bestätigung, Halt, Trost oder Hilfe (Gabrielsson 2011: 66). Darüber hinaus benennt er Erfahrungen wie ein Aufgehen in und ein Verschmelzen mit der Musik (Gabrielsson 2011: 77f.) sowie von Transzendenz, Ekstase, auch etwas Magischem (Gabrielsson 2011: 199). Solche Erfahrungen von Halt, Trost und Faszination machte vermutlich der oben zitierte jugendliche Iron Maiden-Fan. Ferner wird in der Musikpsychologie der Begriff »affordance« diskutiert. Damit ist gemeint, dass Musik nicht per se bestimmte Wirkungen evoziert, sondern zunächst nur die Möglichkeit bietet, bestimmte Erfahrungen mit ihr zu machen, die wiederum sehr unterschiedlich ausfallen können (DeNora 2000: 38ff.; Clarke 2005: 17-24; Clarke/Dibben/Pitts 2010: 27ff.). »Arousal« oder Erregung als eine psychophysische Reaktion ist dabei 38 | Zugleich ist es der natürliche Körper, als »Träger von Kräften und Sitz einer Dauer«, auf den die Disziplinarmacht einzuwirken versucht, wie der Soziologe und Philosoph Michel Foucault in Überwachen und Strafen dargelegt hat (Foucault 2013: 199). Welche Bedeutung diese affektiven Dimensionen für die Vergemeinschaftung im Metal haben können, zeigt Rosemary Overell u.a. mithilfe von Spinozas Affekttheorie am Beispiel der australischen und japanischen Extreme Metal-Szenen (Overell 2014).

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Teil einer solchen Erfahrung, die sowohl Ärger oder Unverständnis, aber auch Faszination, Begeisterung und Erstaunen bedeuten kann.39 Ästhetische Erfahrungen mit Musik können darüber hinaus auch unter den Aspekten des Wohlergehens und der Bereicherung (DeNora 2013: 1-8; Hesmondhalgh 2013: 53ff.; Clarke/Dibben/Pitts 2010: 79f.) sowie des Vergnügens (Maase 2012: 327f.; Phillipov 2012: xiii) gefasst werden. Auch Heavy Metal konnte in musikpsychologischen Studien das Potential positiver emotionaler Erfahrungen nachgewiesen werden.40 In der Forschung zum Heavy Metal wurde die These einer Entlastungsfunktion u.a. mithilfe des Katharsis-Begriffes diskutiert (Weinstein 2000: 134; Purcell 2003: 136, 177; Arnett 1991b: 93f.; Bashe 1986: ix; Recours/Aussaguel/Trujillo 2009; Georgi et al. 2011; Sharman/Dingle 2015).41 Bereits in der DDR wurde die These entwickelt, dass Rockmusik »als symbolische Bewältigungsstrategie« den Gefühlen der Frustration und der Ohnmacht Ausdruck verleihen konnte (Kühnel 1990: 112). Die fantasiereichen Symbole und Themen im Heavy Metal mit ihren Monstern und Totenköpfen erscheinen dabei wie Versuche, in der »technisch rationalisierten, gerade nicht ›handgemachten‹ Welt einen Rest von Zauber, Urwüchsigkeit und Geheimnis zu beschwören«, wie es Stock und Mühlberg 1990 in der Noch-DDR formulierten (Stock/Mühlberg 1990: 126). Offenbar bot Metal für zahlreiche DDR-Jugendliche die Möglichkeit, individuelle ästhetisch-affektive Erfahrungen von Faszination und Begeisterung zu machen und eine längerfristige Bindung zur Musik aufzubauen – was sich letztlich zu einer Bewältigungsstrategie für die Gefühle der Ohnmacht, Unsicherheit, aber auch Wut über die Umstände des Lebens in der SED-Diktatur entwickeln konnten.

39 | Zur Kritik an der Arousal-Theorie s. Davies (2010: 29-37). 40 | Während empirische Studien der 1990er Jahre vor allem noch den kritischen Diskurs um Heavy Metal als Nachklang der 1980er Jahre und den politischen Kampagnen insbesondere des Parents Music Ressource Center widerzuspiegeln scheinen (Epstein/ Prato 1990; Arnett 1991a, 1993; Hansen/Hansen 1991; Trzcinski 1992; Baizerman 1992; Kivnick 1992; Siner/Levine/Jou 1993), obgleich bereits positive Effekte und ein Widerspruch zum allgemeinen Bild von der Musik erkannt wurden (Arnett 1991b: 93f.), betonen empirische Studien seitdem die positiven psychophysischen Auswirkungen, die die Musik auf Fans haben kann (Recours/Aussaguel/Trujillo 2009; Georgi et al. 2011; Sharman/Dingle 2015; vgl. hierzu auch Hoffstadt/Nagenborg 2010). 41 | Zum Karthasis-Begriff vgl. Cook/Dibben (2010: 47f.).

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4. M usik teilen , tauschen und feilbie ten Teilen, Tauschen, Feilbieten – dies waren typische Praktiken, die eine Zirkulation von Musik ermöglichten und somit wesentlich zu ihrer Verbreitung und zugleich zur Szenebildung in der DDR beigetragen haben. Aufgrund der Veröffentlichungsrichtlinien des staatlichen Amiga-Labels, die nur wenig Heavy Metal vorsahen, waren diese Praktiken zunächst eine Kompensation des Mangels, entwickelten aber eine sinnstiftende Bedeutung darüber hinaus. Mit dem Soziologen Frank Hillebrandt kann Tausch als eine dynamische Praxis sowie eine »emergente Verkettung von Praktiken« verstanden werden (Hillebrandt 2009: 50). Dabei kann eine »Simultanität unterschiedlicher Tauschlogiken« (2009: 15) angenommen werden. Grundsätzlich geht Hillebrandt davon aus, dass Praktiken des Tausches nicht zwangsläufig der Logik der Macht und des Kampfes, wie etwa in Bourdieus Praxeologie betont wurde, folgen müssen (Hillebrandt 2009: 49). Vielmehr können sie auch auf freundschaftliche, kollegiale oder komplizenhafte soziale Beziehungen beruhen, für welche gegenseitige Unterstützung, Fürsorge und Vertrauen im Vordergrund stehen (Behrends 2003). Die Praktiken des Tausches im Sozialismus nahmen aufgrund des Mangels in der Gesellschaft und im Alltag weit verbreitete Formen des Handels auf Schwarzmärkten und des Tauschens in Tauschnetzwerken an. Diese wiederum standen keinesfalls im Widerspruch zu den Do-It-Yourself-Praktiken in den internationalen Metal-Szenen, vielmehr profitierte hier die DDR-Szene von der Verbreitung und Erfahrung – sogar die Eltern konnten hierfür hilfreiche Tipps liefern. Es war ein proaktiver Umgang mit dem Mangel, der keineswegs ein ausschließliches Kriterium für die Szenen im Sozialismus war.42 Dies verdeutlicht, dass nicht die Knappheit an sich die DDR-Szene kennzeichnete und sie von westlichen Szenen unterschied, sondern vielmehr der Grad bzw. das Ausmaß des Mangels. Zwar war die Verbreitung von Metal in der DDR durch Grenzkontrollen und Einschränkungen im Warenverkehr stark eingeschränkt. Letztlich kann man aber feststellen, dass die Beschränkung genau das Gegenteil erreichte: Dadurch, dass sich soziale Strukturen durch weitvernetzte Praktiken des Tausches etabliert und gefestigt haben, entzogen sich diese immer mehr der staatlichen Kontrolle und Steuerung. Die in der alltäglichen Erfahrung so präsenten Praktiken des Tausches oder Feilbietens hatten dabei den Effekt, über soziale Grenzen wie etwa berufliche Positionen oder Jugendkulturen hinweg umgesetzt werden zu können. 42 | Keith Kahn-Harris etwa erinnert sich ebenfalls an eine vorübergehende Knappheit an Artefakten in der britischen Szene in den 1980er Jahren und betont den Reiz und das Glücksgefühl, wenn man dann beispielsweise einen lang ersehnten Tonträger erhalten hatte (Kahn-Harris 2013).

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Das primäre Ziel war es, eine bestimmte LP, ein Poster oder ein Bauteil für einen Verstärker zu bekommen. In der Regel wurden sodann sämtliche Informationen, die etwa von einer kopierten LP entnommen werden konnten, abgeschrieben. Eine solche Praxis verlangte viel Konzentration und Disziplin. Häufig wurden dabei die selbsthergestellten Kopien mit Verzierungen versehen. Dahinter lässt sich eine hoch motivierte, engagierte Praxis der Selbstsorge vermuten, die in einer gezielten Selbstbehauptung und Identitätsbildung liegen. Denn all die Errungenschaften gliederten sich daraufhin in das private Musik-Archiv ein, von dem bereits Manfred Stock Ende der 1980er Jahre mit Staunen berichtete (Stock/Mühlberg 1990: 125). Die Relevanz eines solchen privaten Archives erschließt sich nicht nur aus dem persönlichen Gewinn und Genuss, sondern auch aus der Sonderstellung und Einzigartigkeit innerhalb der Clique und Szene, die ein solches Archiv angesichts des Mangels haben konnte.

4.1 Schwarzmarkt und Tauschnetzwerke Eine der verbreitetsten Formen des Umgangs mit den materiellen Beschränkungen im real existierenden Sozialismus war der Handel und Tausch auf dem Schwarzmarkt. Schwarzmarkt steht dabei ganz allgemein für einen privaten, informellen Handel von offiziell nicht erhältlichen Waren und Dienstleistungen. Der Reiseverkehr zwischen der BRD und der DDR war der stärkste Antrieb hierfür. Zwar wurden die DDR-Bürger in ihrer stillen Hoffnung auf einen gelockerten Reiseverkehr in die BRD im Laufe der 1970er Jahre enttäuscht (Mählert 2009: 127). Jedoch entstanden mit dem Verkehrsabkommen der beiden Staaten von 1972 Reisemöglichkeiten für BRD-Bürger in Grenznähe, etwa West-Berlin. Um an wichtige Artefakte zu gelangen, griffen Jugendliche beispielsweise auf Westkontakte oder ihre Großeltern zurück, die im Reiseverkehr insbesondere zwischen der DDR und der BRD weniger eingeschränkt waren. Der Schwarzmarkt in der DDR war durch eine hohe Nachfrage einerseits und nur wenige Anbieter andererseits gekennzeichnet. Die daraus resultierende Macht der »Verwalter des Mangels« (Wolle 1999: 213ff.) ermöglichte teilweise utopische Preisvorstellungen. Das MfS hat Briefe abgefangen, die erfahrungsgesättigte und zielorientierte Praktiken in der Besorgung entsprechender Artefakte durch Großeltern verdeutlichen. So wurde beispielsweise in persönlichen Briefen der Absatz mit den zu besorgenden Zeitschriften abgehoben und durch Schnittmarken mit Scherensymbolen versehen, um die Großeltern soweit wie möglich zu unterstützen, zugleich aber auch sicherzustellen, dass auch alle gewünschten Magazine ihren Weg in die DDR finden (BStU, MfS, HA XX, Nr. 6097, Bd. 2, Bl. 310). Die Möglichkeiten eines Metal-Fans, an Musik oder Zeitschriften zu gelangen, waren daher durchaus vielfältig: Von der schmuggelnden Groß-

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mutter über lose Kontakte aus dem Westen, die Pakete schickten, bis hin zum Urlaubsmitbringsel aus Ungarn oder Polen. Die Besonderheit und Relevanz, solche Artefakte in der DDR zu besitzen, überstieg die Angst, vom Staat bestraft zu werden. Aus diesen Praktiken konnten regelrechte Organisationsund Planungsaufgaben entstehen: »Meine Oma erbte eine Menge Schotter von ihrer Augsburger Schwester und fast jeder Hunni [Hundert Mark], den sie mir herüberschob, wurde in Platten umgesetzt. Kurze Zeit später kam ihr die Idee, daraus ein Geschäft mit mir als Vermittler auf Provisions-Basis zu machen. Sie brachte ›Nice Price‹-LPs mit, die wir hier an die Metal-Fans vertickten. Vom Gewinn wurden wiederum Platten gekauft.« (Welsch 2010: 9)

Nach dem Transfer in die DDR zirkulierten LPs oder Zeitschriften keinesfalls bedingungslos. Zunächst konnte sich eine Einzelperson oder ein kleiner Kreis von Freunden in einem individuellen Netzwerk glücklich schätzen. Die Weitergabe an Außenstehende wiederum konnte durchaus zu einem lukrativen Geschäft werden. Für eine gebrauchte LP konnten größere Geldsummen oder Gegenleistungen gefordert werden: »Ich war ja damals in so einem Schmuggelring integriert, welche die ›Superposter‹-Hefte herübergebracht haben. So ein ›Superposter‹-Heft, welches damals fünf D-Mark gekostet hat, habe ich für hundert Ost-Mark verkauft. Das waren immer sechs beidseitig bedruckte Poster und die konnte ich dann verkaufen. Je nachdem, was da drin war, blieben dann manchmal auch ein oder zwei Poster für mich übrig. Diese Poster habe ich dann für bis zu vierzig Mark verkauft. Davon habe ich dann meine Platten finanziert, die immer 100 bis 120 Mark kosteten.« (Uhden 2009a: 31)

Und ein weiterer Zeitzeuge erinnert sich: »Ich verdiente damals meist kaum mehr als 600 Mark und zahlte oft 150 Ocken für eine LP, bevor die Erb-Knete kam. […] Ich hatte zur Wendezeit schon viele Platten, einige Jugoslawien-, Bulgarien-, Polen-, Tschechoslowakei- oder Russen-Pressungen, aber auch originale West-LPs, die ich zum Teil für 150 (LPs) bis 250 Mark (Doppel-LPs) ranschacherte oder von einem Frührentner, den ich über eine Sauf-Kumpeline kennenlernte. Er fuhr öfters ›rüber und ich gab ihm Knete und eine Liste mit.« (Welsch 2010: 9)

Die Versorgungsdichte und -qualität wiederum, etwa wenn es um Neuerscheinungen ging, konnte zwischen städtischen Zentren und der Provinz stark variieren. Im Laufe der Jahre aktiven Schwarzhandels entwickelten sich nahezu institutionalisierte Formen wie Plattenbörsen. Diese durch häufig mündliche Ankündigung organisierten Treffen vereinten mehrere Anbieter für eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort. Der Vorteil war eine noch größere

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Auswahl. Christian Heinisch erinnert sich an solch eine Plattenbörse und seine Begeisterung für diese kurzzeitige Vielfalt in Dresden: »Und du hast dir das angehört, ohne vorher genau zu wissen, wer das war. Das ging auch nicht nur mir so, das ging vielen aus der Dresdner Szene so. Jeder hatte dann ein bisschen was anderes erhascht. Du hast er mal alles aufgesogen. Und das auch die intensivsten Bezüge bis heut geblieben.« (Zit.n. Schäfer 2011: 80)

Das beglückende Hochgefühl, das sich durch Zugang zu originalen Tonträgern zusammen mit den oftmals hohen finanziellen Opfern einstellen konnte, mag das Fan-Dasein stark beeinflusst haben. Das Gefühl, mit diesem Artefakt berechtigter Teil der internationalen Metal-Community zu sein, konnte alles überschatten.

Abbildung 7: Jugendzimmer mit Postern westlicher Stars, u.a. Kiss, aus westlichen Bezugsquellen (BStU, MfS, BV Halle, KD-Köthen, Nr. 247, Bl. 3)

4.2 Individuelle und exklusive Tauschnetzwerke Tauschnetzwerke sind fragile soziale Gebilde, die als solche in direkter Interaktion zunächst einer eigensinnigen Zweckrationalität unterliegen. Sie zeichnen sich häufig durch eher schwache Hierarchien und zeitlich längerfristig angelegte Beziehungen aus (Hillebrandt 2009: 231). Individuelle und exklusive

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Tauschnetzwerke können als spezialisierte Formen des Tauschens verstanden werden. Der höchste Grad wird in exklusiven Netzwerken erreicht. Zwischen den Akteuren herrscht in der Regel eine enge soziale Bindung, wie etwa zwischen Verwandten und guten Freunden. Hier kann sich eine Bereitschaft zum Geben einstellen, die nicht nur auf Gegenseitigkeit, sondern auf Wechselseitigkeit beruht (Hillebrandt 2009: 190): Eine Wechselseitigkeit, die in einer stillschweigenden Vereinbarung einer gegenseitigen Abhängigkeit beruht. Insbesondere kleine Gruppen von Freunden, die das gemeinsame Interesse teilten, aber auch andere lokale Gemeinschaften wie Fanclubs bildeten solche exklusiven Gemeinschaften aus. In diesen Netzwerken wurde dann nicht nur die Musik getauscht und gemeinsam angehört, sondern auch sämtliche Informationen über die Bands und Tonträger. Es waren regelrecht symbiotische Gemeinschaften, zu denen jeder frei- und bereitwillig beitrug, was er konnte. Die gemeinsam geteilten Artefakte und das Wissen ließen einen mit jedem Male tiefer in die Metal-Szene eintauchen, konnte durch die gemeinschaftliche Erfahrung, in der man sich gegenseitig anregte, intensiv erfahren werden: »Mein Kumpel Hagen, der hatte sich oftmals tagelang hingesetzt und einzeln mit Wörterbuch alles übersetzt und da hat man sich die Texte halt mal durchgelesen, also der hat das noch mehr praktisch gelebt. Der hat dann alles richtig in Schönschrift niedergeschrieben. […] Ja, wir haben auch philosophiert und über Heavy Metal, über Metallica, die Texte und so weiter gequatscht, das auch stundenlang. […] Noch mit seiner etwas kindlich-jugendlichen Ansicht, Weltansicht und so weiter.« (Interview Henry Münnich)

Dabei entwickelten sich die individuellen Netzwerke zu symbiotischen Gemeinschaften. Treibende Kraft war dabei in der Regel das Ziel, an Tonträger, Poster oder ähnliche Artefakte zu kommen. Dabei konnte es durchaus sein, dass sich die Komplizen im Tauschbunde überhaupt nicht aus persönlichem Umgang kannten, sondern bisher lediglich Briefkontakt pflegten (Stock 1989: 83). Die Entstehung von solchen Netzwerken über den eigenen persönlichen Kreis von Freunden hinaus wurde sehr zielstrebig angegangen, häufig über Kleinanzeigen in überregionale Zeitungen oder Zeitschriften, in denen schlicht nach Briefkontakten zum Zwecke des Tausches gesucht wurde, in etwa so: »Biete orig. und Lizenz Heavy-Metal-LP’s, je 16,- M, Liste anford. Suche gleiches, besond. Thrash-Metal, Tausch/Kauf« (Neue Zeit, Samstag 18. Februar 1989, Ausgabe 42, S. 11). Die Suche nach potentiellen Tauschpartnern wurde auch direkt über den Rundfunk betrieben. In der Hoffnung, die Moderatoren würden die Briefe oder Adressen durchsagen, schrieben Fans an Hopke und Co.: »Biete für Tauschpartner Material von HM-Gruppen, suche ebenfalls vielleicht könnt Ihr meine Adresse durchsagen.« (DRA H006-0106/0040, Bl. 400252, 14.4.88) So konnten längerfristige Netzwerke entstehen,

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deren Ausgangspunkt nicht mehr als die geteilte Begeisterung für die Musik und der prägende Mangel war. Diese Formen der exklusiven oder individuellen Tauschgemeinschaften verlangten von allen Beteiligten eine hohe Bereitschaft zu vertrauen. Nicht nur musste man darauf vertrauen, seine Investition in das Netzwerk auch wieder im vereinbarten Zeitraum zurückzuerhalten. Auch der Zustand, nachdem die Platte das Netzwerk durchlief, hing stark von den Akteuren und deren Behandlung der Artefakte ab. Eine häufige Erfahrung war allerdings, dass die Platten »in den meisten Fällen wie neu« zurückkamen (Interview Habermann). Diese Form des Teilens und Tauschens stellte demnach eine besondere Form dar, die, im Gegensatz zu den Praktiken auf dem Schwarzmarkt, stärker von einer solidarischen und auf längerfristigen Erhalt der Beziehung basierenden Sozialität getragen war. Den Erinnerungen einiger Zeitzeugen zufolge fielen Tauschringe in der DDR regional unterschiedlich aus. In der persönlichen Wahrnehmung war eine Spaltung zwischen der Region von Berlin und dessen Umland und den südlichen Bezirken beobachtet worden. Tauschringe, die diese Trennung zumindest teilweise durchbrachen, gab es dennoch: So schilderten Weimarer Zeitzeugen, wie sie zeitweilig einen Tauschring mit lediglich über Briefkontakt bekannten Fans in Magdeburg, Leipzig und Wismar pflegten. So genannte Läufer oder Springer besuchten die jeweiligen lokalen Fans, häufig mit dem Zug, und sorgten für die Zirkulation der Platten. Solche Tauschnetzwerke ermöglichten den Zugang zu Musik, dennoch waren sie in der Regel nur eine Kompensation des Mangels. Die Einschränkungen mussten akzeptieren werden, etwa auch, dass »nur diese besonders bekannten [Platten] ›die Runde machen‹«, wie es ein Fan aus Magdeburg in einem Brief an das DT 64 formuliert (DRA H006-01-06/0010, Bl. 121, 7.5.89). Derselbe Fan ging in dem Brief sodann auch soweit, den Rundfunk als Komplizen des Tausches gewinnen zu wollen: »Ihr könnt mir die Platte wohl nicht schicken, aber ich dachte, daß es vielleicht ginge, daß ich euch eine Kassette von mir schicke wo Ihr es für mich aufnehmt.« Auf eine ähnliche Anfrage, in der ein Fan den Diebstahl eines Scorpions-Rundfunkmittschnittes als »großen Verlust« beklagt (DRA H006-01-06/0011, Bl. 169, ohne Datum), antwortete die Hörerpost-Abteilung des DT 64: »Leider müssen wir dir mitteilen, daß es uns aus zeitlichen, personellen und lizenzrechtlichen Gründen nicht möglich ist, ein von Dir geschicktes Band zu bespielen« (DRA H006-01-06/0011, Bl. 168, 12.7.1989) – alleine der Versuch jedoch zeigt, wie verbreitet diese Praxis war. Der Tausch war dabei keinesfalls auf Tonträger beschränkt. Typisch war etwa der Tausch von Leistungen gegen Tonträger, Alkohol oder Dienste, die nicht zwangsläufig in direktem Zusammenhang mit der Metal-Szene standen. Die thematisierte Eigenproduktion von T-Shirts etwa war, je nach künstlerischem Niveau und Bekanntheit des Malers, eine beliebte und gefragte Leis-

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tung, die man mit Tauschangeboten für sich zu gewinnen versuchte (Interview Henry Münnich).

4.3 Sozialistische Eigenheiten des Teilens und Tauschens? Tape-Trading und so genannte ›pen pals‹, wie die Brieffreunde im anglo-amerikanischen Raum bezeichnet werden, waren keinesfalls eine Besonderheit der sozialistischen Szenen. Vielmehr stellten diese in den 1980er Jahren eine besondere, als Gegenpol zu den Mainstream-Medien stehende Szeneöffentlichkeit dar und trugen wesentlich zum kulturellen Transfer insbesondere des sich herausbildenden Extreme Metal vor allem zwischen Amerika und Europa bei (Netherton 2015). Die Situation in der DDR war dabei wesentlich von den Rahmenbedingungen des Sozialismus geprägt. In der Tat verdeutlichen die Praktiken des Handelns und Tauschens abseits staatlicher Kontrolle die Dynamik und den Wandel von vielfältigen und parallel verlaufenden Machtverhältnissen im Verlaufe der 1980er Jahre. Die illegalen Praktiken waren vorrangig an der konkreten Nachfrage orientiert, die der Staat nicht befriedigen konnte oder wollte. Zwar waren sie dadurch indirekt durch den Staat provoziert, folgten letztlich aber in erster Linie dem Eigensinn und individuellen Interessen, weniger dem Bedürfnis nach Machtkampf oder Auseinandersetzung mit dem Staat. Der Staat wusste letztlich von dem illegalen Handel mit gebrauchten Gütern wie LPs. Das MfS sammelte selbst Detailinformationen über die aufgebrachten Kosten (vgl. etwa BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, KD Reichenbach, Nr. 89, Bl. 2f.; BStU, MfS, BV Magdeburg, Abt. XX, Nr. 4535, Bl. 13). Der Staat wiederum musste sich zwangsläufig in seiner Machtposition geschwächt sehen, hatte allerdings auch kein Rezept für den Umgang damit. Dies mag die regional unterschiedlichen Auseinandersetzungen der Obrigkeit mit der Bevölkerung erklären, da hier stets individuelle staatliche Akteure die politischideologischen Leitlinien ausdeuteten und anwandten. Das subkulturelle Kapital, dass sich aus dem Besitz oder den spezialisierten Fähigkeiten ergab, konnte innerhalb der Szene wiederum durchaus für Ansehen und Anerkennung sorgen (Stock/Mühlberg 1990: 125). Der Mangel machte erfinderisch: »Ich war zu DDR-Zeiten Fleischer und jeder brauchte etwas zu essen. Ob ich ein Rad für meinen ›LO‹ [ein Kleintransporter] brauchte, einen Mikrofon-Ständer für mich oder ein Hohlprofil, damit ›Kolle‹ sein Schlagzeug-Podest bauen konnte: Ich habe die Leute mit Schinken, Salami und Fleisch bestochen.« (Mikula 2009: 45)

Der DIY-Ansatz der internationalen Metal-Szene, der einen kollegialen, sich unterstützenden Umgang in den Vordergrund stellte, traf hier auf die alltägliche Erfahrung der Macht des Mangels: Handel oder Tausch war von beson-

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deren eigenen materiellen oder finanziellen Ressourcen abhängig. Während im Freundeskreis und im individuellen Tauschnetzwerk eher auf gegenseitige Unterstützung bei hohem gegenseitigen Vertrauen geachtet wurde, zerfaserte sich diese Bereitschaft mit abnehmender Intensität der individuellen Beziehungen innerhalb der Szene. Dies kann als ein Anzeichen dafür gedeutet werden, dass die allgemeine alltägliche Praxis in der DDR die konkreten Praktiken in der Metal-Szene überlagerte und teilweise dominierte. Die Art und Weise, individuell an Musik zu kommen und dem Mangel sowie der Beschränkung aktiv entgegenzutreten, zeugt von einer Sozialität, die insbesondere im Freundeskreis und individuellen Tauschnetzwerken intensive Formen der Solidarität annehmen konnte. Gerade in der kleinen Gemeinschaft der Tauschenden bildeten Vertrauen und Investitionsbereitschaft ein beinahe symbiotisches Handeln aus. Je weiter man sich von diesen entfernte, desto dominanter wurden die alltäglichen und in der DDR-Gesellschaft verbreiteten Formen von Korruption, Manipulation und Bestechung (Kowalczuk 2009: 128-134; Maaß 1991: 65). Korruption kann daher als Missbrauch einer Machtposition, als unangemessen verstandene Vorteilsnahme verstanden werden (Hildebrandt 2009: 219), und prägte die alltäglichen Erfahrungen Vieler in der DDR. Neben dem oben zitierten Beispiel des Fleischers konnte dies genauso gut eine Flasche Grauer Mönch oder Murfatlar sein,43 um sich Einlass in die Wohnung eines Bekannten und somit Zugang zur begehrten LP zu erkaufen. Es ist eine Ironie der Gesellschaft als »Notgemeinschaft« (Port 2011: 317), dass der Mangel die Praktiken insofern korrumpierte, dass sich nur eingeschränkt solidarische gemeinschaftliche Formen des Tausches herausbilden konnten. Dennoch: Die Tauschnetzwerke trugen neben dem Rundfunk wesentlich zur Dynamik und Intensität des kulturellen Transfers und der Verbreitung der Musik innerhalb der DDR bei: »Im Prinzip hatten wir jede wichtige Veröffentlichung nur wenige Wochen später auch – dank eines großen und stellenweise heute noch funktionierenden Netzwerks aus Tape-Tradern«, fasst Jakob Kranz, Nachfolger von Hopke und Molle bei der Betreuung der Metalsendung beim neugegründeten Jugendradio Mitte der 1990er Jahre zusammen (zit.n. Schäfer 2011: 101) Die Intensität und Ausprägung dieser Netzwerke und Schwarzmärkte, die stark vom individuellen Engagement der beteiligten Akteure abhingen, hatte somit einen enormen Einfluss auf den Diskurs um die Musik, auf das, was gekannt und gewusst wurde und somit letztlich auf die Szenekonstitution an sich.

43 | In der DDR üblicherweise erhältliche ungarische bzw. rumänische Weine.

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5. B and -P r ak tiken Das Spielen von Heavy Metal war innerhalb der Szene der DDR stark verbreitet, ein Phänomen, das keinesfalls auf das Land hinter dem Eisernen Vorhang beschränkt war. Da oftmals ausschließlich Metal gespielt wurde, kann dies als ein besonderer Ausdruck des Fan-Seins verstanden werden: »Wir haben das wirklich gemacht, weil wir vernarrt in diese Musik waren«, formuliert der Sänger Peter Habermann (Disaster Area) rückblickend (Habermann 2009: 16; vgl. auch Chaker 2014: 286ff.). Eine musikalische Betätigung im Rahmen einer Band war in der DDR allerdings von zahlreichen Hürden geprägt, wie im Folgenden genauer gezeigt werden wird.

5.1 Bandgründung und Besetzungswechsel Am Anfang einer jeden musikalischen Betätigung in einer Gruppe steht das Zusammenkommen und die Klärung der instrumentalen Besetzung. Dabei war die Auswahl und Anzahl der Instrumente durch die Musik selbst festgelegt: Neben einem Schlagzeug, einem E-Bass und Gesang war lediglich die Anzahl der E-Gitarren variabel. Viele Band-Projekte starteten als Schülerbands oder hatten die Möglichkeit, auf wichtige Ressourcen in Schule oder Musikschule zurückzugreifen, die einen ersten Einstieg in das Musizieren an sich ermöglichten. Der Zugang zu geeigneten Instrumenten und entsprechender Technik, um den Soundvorstellungen des Metal gerecht zu werden, war dabei neben den staatlichen Vorgaben und Kontrollmechanismen allerdings eine der größeren Hürden. Die Anzahl der in der DDR im Laufe der 1980er Jahre aktiven Bands ist heute nur schwer rekonstruierbar. Hendrik Rosenberg recherchierte ca. 150 Bands (vgl. www.ostmetal.de). Berücksichtigt man die zahlreichen Neugründungen und Umbenennungen, könnte die Zahl noch größer ausfallen. Sie waren oftmals eine Reaktion auf Repressionsmaßnahmen wie den Entzug der Spielerlaubnis, und gingen häufig mit nur geringen personellen Wechseln einher. Die Musiker konnten dabei auf die Trägheit und teilweise langsamen Kommunikationswege der Behörden bauen. So benannte sich die Thrash Metal-Band Argus aus Zwickau 1987/88 in Moshquito um, nachdem ihnen die Spielerlaubnis entzogen wurde. Sie lösten Argus auf und meldeten die neue Band an. 1990 erinnert sich der Sänger Benjamin Müller in einem Interview mit dem Metal Hammer an diese Zeit. Für ihn lagen die Ursachen des offiziellen Verbots insbesondere an der Popularität der Band, die regelmäßig in Konzerten zahlreiche Jugendliche anzog (Schöwe 1990: 126). Der Manager Michael Graske erinnert sich, dass die Kulturfunktionäre auf die Veranstalter und Gaststättenbetreiber Einfluss nahmen, ihnen Unannehmlichkeiten ankündigten, sollten Konzerte mit der Band dennoch durchgeführt werden. Die

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Umbenennung in Moshquito ermöglichte schlagartig wieder Freiräume, die bis zur Wende anhielten. Besetzungswechsel waren ebenso häufig zu beobachten: Nahezu jede Band in der DDR durchlief mindestens einmal einen personellen Wechsel. Die Ursachen waren dabei vielfältig. Sie müssen zum einen im Kontext der sich rasch verändernden bzw. ausdifferenzierenden musikalischen Sprache des Metal gesehen werden. Häufig angeregt durch neueste Veröffentlichungen verlagerten sich die persönlichen Interessen im Bereich des Metal-Musizierens durchaus stark. Auch unter Musikern zeichnete sich der beschriebene Szene-Diskurs um die Sub-Genres ab. Zum anderen konnte schlichtweg der Wegzug durch Beruf oder aber Einzug zum anderthalbjährigen Wehrdienst eine einschneidende Rolle spielen, wobei letzteres nicht selten als Mittel der Einflussnahme durch den Staat eingesetzt wurden. Besetzungswechsel fanden häufig im Netzwerk der Szene und der sich darin befindlichen Musiker statt. Berlin wird dabei häufig als eine besonders große Community erinnert, die offensichtlich aufgrund der hohen Dichte einen regen Austausch von Musikern ermöglichte (Voigtländer 2009: 9). Hier waren es vor allem langjährige Szeneangehörige, die auf ein gewachsenes und gefestigtes Netzwerk zurückgreifen konnten und als Vermittler zwischen den Akteuren auftraten, wie etwa Rocco Stellmacher in Berlin (vgl. Uhden 2009a: 31). Dadurch drückte sich ein gewisses soziales Kapital aus, dass diesen Fans und Musikern Vorteile im vom Mangel geprägten Dasein in der DDR einbrachte. Aufgrund des informellen Charakters waren diese Personen in der Szene bekannt, so dass Fans aus anderen Regionen die entsprechenden Akteure aus Erzählungen, allerdings nicht zwangsläufig persönlich kannten. Eine etablierte Praxis für Besetzungswechsel unter etablierteren Bands war das Vorspiel. Hier wurde zumeist eine vorher abgesprochene Auswahl an Stücken zusammen mit der Band oder Solo vom zu begutachtenden Musiker aufgeführt. Die Stücke entsprangen dabei entweder dem Repertoire der Band, oder, weitaus häufiger, einem wie auch immer ausgeprägten Verständnis eines Kanons der westlichen Rock- und Heavy-Metal-Musikgeschichte. Dan Uhden erinnert sich an sein erstes Vorspiel 1980: »Das war ›You Really Got Me‹ von Van Halen, dann Sampson mit dem ›All Along The Watchtower‹-Cover von Hendrix […] Er hat gesagt: ›Gut, wir proben am Sonntag früh um 10 Uhr!‹. Das war Freitag Abend, also habe ich mich nach Hause begeben und mich hingesetzt. Ich habe mir ungefähr drei Stunden Schlaf pro Nacht gegönnt und den Rest nur geübt, also versucht, die Noten herauszuhören und auf der Gitarre umzusetzen. Dann ging ich Sonntag früh zur Probe und dort haben wir eingestöpselt und losgelegt.« (Uhden 2009a: 32)

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Das Vorspiel verlief für Uhden erfolgreich. Bereits wenige Wochen später standen für die neugegründete Band Metall zahlreiche Konzerte an, nachdem sie sich die Einstufung der Sonderstufe mit Konzertberechtigung erspielt hatten. Uhden ereilte dann bereits im darauffolgenden Jahr der Einzug zum Wehrdienst, was ihn zu einer Pause zwang. Allerdings ermöglichte das dichte Netz an Bands und teilweise gut ausgebildeten Musiker in Berlin Aufstiegschancen für den Nachwuchs. Es war nicht unüblich, auch deutlich jüngere Musiker zu einem Vorspiel einzuladen. Die demonstrative Professionalität und Exklusivität konnte beeindrucken. Der Leipziger Gitarrist Thomas Rosanski erinnert sich, wie er von der Berliner Band Cobra im Herbst 1988 eingeladen wurde: »Nun stell Dir das mal vor: Wir zwei saßen bei Peter Gast [Manager der Band] in Berlin auf der Couch, vor uns Coca Cola und Jim Beam-Whiskey und im Videorekorder (wow!!) lief ein Deep Purple-Video… Ich musste mich ständig kneifen, weil ich nicht sicher war, ob ich das alles träume. Dann kamen nacheinander die Musiker von Cobra dazu, die ich vorher nur aus dem Fernsehen bei ›Stop! Rock‹ kannte.« (Rosanski 2012: 8)

Der darauffolgende Einstieg bei Cobra war mit einer Kündigung des Jobs in Leipzig, einem Umzug nach Berlin ohne dortiger amtlicher Anmeldung und einer gewissen »existentiellen Unsicherheit« verbunden (ebd.) – sowohl finanziell als auch in Hinblick auf staatliche Repressalien. Zugleich bedeutete dieser Lebenswandel einen Hauch von Rock- bzw. Metal-Künstler-Dasein und gelebter Freiheit. Neben Kontaktaufnahmen und Vermittlungen im Netzwerk bestand die Möglichkeiten, nach Musikern in den Kleinanzeigen von Tageszeitungen und Zeitschriften zu suchen. Ingo Lohf, Gitarrist der Band Argus bzw. Moshquito in Zwickau, fand nach seinem abgeleisteten Wehrdienst 1982 über eine solche Anzeige in der Regionalzeitung seine Band (Lohf 2014: 5). Auch in der nationalen Fachzeitschrift melodie und rhythmus erschienen Anzeigen zu Musikergesuchen, häufig mit der Nennung von westlichen Bands, die teilweise nur den Fans bekannt waren, um die stilistische Ausrichtung vorzugeben.

5.2 Zulassungspraxis und Arbeitsbedingungen In einem Papier zur »DDR-Rockmusik und DDR-Jugend« von 1988, das vermutlich nicht vor 1989/90 veröffentlicht wurde und in den Schubladen der Parteifunktionäre verschwand, griff der ZIJ-Mitarbeiter Holm Felber zu verhältnismäßig drastischen Worten. Neben einem »dilettantischen Management und veralteten Organisationsstrukturen« sowie »Rückständen in den Ausbildungsmöglichkeiten« (Felber 1988: 2f.) zielte seine Kritik auf Grundlegendes ab: Das System an sich sei verantwortlich für die schlechten Arbeitsbedingungen der Rock- und somit auch Metal-Musiker in der DDR. Insbesondere die als

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»Zensurbehörde empfundenen« Textlektorate und die damit einhergehende, weitverbreite Praxis der Selbstzensur führten nach Felber »zu einem Verlust sozialer Konkretheit und realen jugendlichen Lebensgefühls in den Rocktexten« (Felber 1988: 3). Für ihn wirkten diese Bedingungen so tiefgreifend auf die Verfassung der Rockmusik in der DDR zurück, dass er zu dem Schluss kommt: »Es ist wahrscheinlich, daß sich der Rückstand zum internationalen Standard der Musikproduktion und -verbreitung trotz erkennbarer Bemühungen um Modernisierung in diesen Bereichen auf unserer Seite vergrößert hat.« (Felber 1988: 3)

Felbers Urteil war durchaus hart, traf aber den Kern des Unbehagens vieler Rock- und Heavy-Metal-Musiker.

5.2.1 Zulassung und Spielerlaubnis Eine der Grundvoraussetzungen für die Zulassung war die Einhaltung der so genannten 60-40-Regel, nach der 60 Prozent des Repertoires aus der DDR und dem sozialistischen Ausland stammen mussten und lediglich 40 Prozent aus dem westlichen Ausland erlaubt waren. Heavy Metal-Bands griffen hierbei auf Tricks der Umbenennung zurück, die schon andere Musiker vor ihnen anwandten und verbreitete Praktiken bereits während des Nationalsozialismus und Stalinismus waren (vgl. Lücke 2004). So ergänzte man etwa eigens für das Einstufungsvorspiel die einzureichende Repertoireliste mit entsprechenden sozialistischen Titeln und Titel-Übersetzungen oder man erfand Urhebern, um die westliche Herkunft zu verschleiern. Ingo Lohf von Argus bzw. Moshquito erinnert sich an ein Einstufungsvorspiel 1985, als die Band allmählich von Hard Rock auf Heavy Metal umstieg: »So haben wir eben einfach ein paar Songs von Karat oder ähnlichen Bands nachgespielt und die Sache war gegessen. […] Das Jury-Mitglied Anselm Ries, selbst Gitarrist, gab am 09.07.1985 die folgende Einschätzung unseres Vorspiels zu Protokoll: ›Die Instrumental-Solisten überzeugten durch gutes Zusammenspiel. Weiterhin wurde der Band im Auswertungsgespräch nahegelegt, ihr Programm im Hinblick auf Spannungsbögen und Kontraste zu überprüfen. Die Gruppe zeigte sich sehr aufgeschlossen gegenüber den diskutierten Ratschlägen‹.« (Lohf 2014: 7)

In der Einstufung wurden die Texte, die musikalischen Fähigkeiten und die Performance bewertet, Probleme gab es für Argus offenbar zu dem Zeitpunkt noch nicht. Cornelia Wollek von Powerage erinnert sich an eine strengere Einstufungssituation im Bezirk Potsdam:

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken »Wir hatten ja wie gesagt damals schon eigene Songs und die wurden dann auch ordentlich in die Mangel genommen. Wir hatten zum Teil deutsche Texte und zum Teil englische. Also hat man sich von Seiten der Einstufungsjury auf die deutschen Texte beschränkt, um sie Wort für Wort auseinanderzunehmen. Da durften wir dann Zeile für Zeile erklären, wie wir den Text denn meinen. Wir hatten natürlich wie jede Band, die was auf sich hält, sehr sozial und politisch kritische Texte, haben aber beim Schreiben darauf geachtet, daß man sie auch sozialistisch konform interpretieren kann, denn wir wußten ja, was kommt. Am Ende hat die Jury unter sich über die Bedeutung der Zeilen gestritten, bis sie die Schnauze voll hatten.« (Wollek 2010: 37)

Deutlich wird, dass durchaus auch die Kommissionen verschiedene Interpretationsansätze und Interessen verfolgen konnten. Die von Felber kritisierten Punkte insbesondere des Lektorats wurden womöglich auch von einigen Entscheidungsträgern in den Kommissionen geteilt. So bemängelte der Moderator der DT 64-Sendung Parocktikum, Lutz Schramm, bereits in einem Erfahrungsbericht von 1988: »Kann ein Schlagzeuger, der seit 15 Jahren Musik macht nachempfinden, wie ein 19-jähriger seine Welt sieht und das musikalisch ausdrückt?« Die Empfehlung der Kommission etwa für die Berliner Darkwave-Band Cadavre Exquis, nicht so viel Moll-Tonarten zu benutzen, empfindet Schramm als »fast schon peinlich«. 44 Daher standen neben den handwerklichen Fähigkeiten häufig vor allem die Texte und Bühnen-Performances im Mittelpunkt der Kritik, weniger aber die konkrete musikalische Sprache des Heavy Metal selbst, wie sich der Berliner Tilo Voigtländer erinnert: »Die Einstufung fand meines Wissens Ende 1987 statt und wir erhielten die Mittelstufe – aber nur, weil der Einstufungs-Kommission die Live-Performance als ›nicht angemessen und jugendgerecht‹ erschien. Dann haben die noch unseren Bandnamen Gomorrah abgelehnt, weil ihnen das zu heftig war.« (Voigtländer 2009: 9)

Die Einstufungspraxis war für etliche Bands mit Problemen verbunden. Manos aus Querfurt etwa wurde zunächst für eine Einstufung abgelehnt. Die Band reagierte darauf mit einer Eingabe bei der nächst höheren Stelle und konnte darüber eine Einstufung herbeiführen. Sänger und Gitarrist Mike Andrae erinnert sich: »Die Kultur-Leute vom Bezirk haben eins draufbekommen und mit einmal bekamen wir eine Einstufung. Drei Anläufe hat das gebraucht und im Frühjahr 1989 haben wir endlich die ›Mittelstufe‹ bekommen.« (Andrae 2009: 20) 44 | Siehe www.parocktikum.de/wiki/index.php/Eine_Einstufung _(Parocktikum__1987) (Zugriff am 10.10.2016); vgl. zur Einstufungspraxis am Beispiel von Punk- und New-Wave-Bands Lipp (2016).

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Dementsprechend waren bis zur Einstufung im Grunde keine Live-Auftritte möglich, lediglich »1987 einmal zum Heimatfest in Lodersleben«, wie Mike Andrae sich erinnert. Tatsächlich geriet die Band 1989 ins Fadenkreuz des MfS. In einer »Operativen Information zu einer jugendlichen Heavy-MetalRockgruppe« vom 25. Juni 1989 wurden in einem handschriftlichen Protokoll die Namen der Mitglieder – Andrae wurde falsch geschrieben – sowie die Ausstattung mit Instrumenten und Technik dokumentiert (BStU, MfS, BV Halle, KD Querfurt, Nr. 53, Bl. 4ff.). Darüber hinaus wurde ein selbsthergestelltes Konzertplakat konfisziert (ebd., Bl. 9), dass die Band offensichtlich selbst aufgehängt hatte. Anstoß nahm das MfS vermutlich an der Typographie, die u.a. das ›S‹ wie ein Runen-S darstellt und somit als Anspielung auf den Nationalsozialismus ausgedeutet werden konnte. Ähnliche Erfahrungen im Vorfeld einer Einstufung machte Cornelia Wollek: »Ich wollte zusätzlich Gesangsunterricht an der Musikschule nehmen und brauchte von meiner Berufsschule eine Genehmigung. Die wollte mir der zuständige Typ aber nur geben, wenn ich in der sozialistischen Singegruppe mitmache. Das wollte ich aber nicht und so hat der Typ erstmal eine Weile das Antragsformular verschwinden lassen. Eines Tages hat es mir dann gereicht: Ich bin mit einer Freundin bei ihm eingeritten und wir haben so lange herumdiskutiert, bis er den Wisch endlich unterschrieben hat. Ich brauchte dann nicht in die Singegruppe.« (Wollek 2010: 37)

Das Singen in einer Gruppe wurde bereits seit den 1950er Jahren als bedeutendes Mittel der Gemeinschaftsbildung und Vermittlung politischer Inhalte angesehen und von der FDJ und SED in der FDJ-Singebewegung in den 1960er Jahren forciert (Jahn 2002). Pädagogen und Erzieher waren durchaus noch in den 1980er Jahren von diesem Grundverständnis geprägt (Brauer 2011: 60). Nur für wenige Bands war es möglich, die Einstufungen zu umgehen und dennoch über den Proberaum hinaus durch halblegale oder illegale Konzerte Bekanntheit innerhalb der Szene zu erlangen. Insbesondere private Veranstaltungen boten Bands ohne Einstufung in der überregional vernetzten Szene Auftrittsmöglichkeiten, so etwa die Vorläufer-Band der Weimarer Disaster K.F.W. (Skelleton 2010: 17f.). Auch die Berliner Band Disaster Area, die Hendrik Rosenberg in einem Interview mit dem Sänger Peter Habermann 2009 als »die Kultband der DDR« bezeichnete (Habermann 2009: 12), fällt hierunter. Habermann versteht diesen Status als Folge eines sich in den 1980er Jahren zunehmend verbreitenden Selbstverständnisses von Underground, wie es auch international mit der Verbreitung des Extreme Metal zu beobachten war: »Wir hatten gar kein Interesse daran, in der DDR irgendeinen kommerziellen Gedanken zu verfolgen. Das war absurd, deshalb haben wir das auch gar nicht versucht. […] Da wa-

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken ren schon ein paar Läden, in denen wir dann Ärger gehabt haben. […] Es gab schon ein paar Clubs, die dann ein Spielverbot für uns hatten. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, daß wir irgendwo hingefahren sind und nicht spielen konnten, weil der Veranstalter uns nicht spielen lassen durfte. So etwas gab es nicht, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern. Das war dann immer erst nach dem Konzert!« (Habermann 2009: 13)

Diese Freiheiten lagen aller Wahrscheinlichkeit nach allerdings an der speziellen Konstellation im gemeinsamem Auftreten mit der Band Blackout, die seit 1985 mit einer Oberstufe und später Sonderstufe zahlreiche Konzerte spielen konnte (Klemp 2009: 7f.). Beide Bands wohnten und probten in einem Einfamilienhaus in Berlin-Biesdorf, das so genannte ›Madhouse‹. Die Musiker, die später Disaster Area gründeten, begleiteten Blackout zu den Konzerten und nutzten zugleich die Möglichkeit, bei den über Blackout offiziell angemeldeten Konzerten inoffiziell als Vorband aufzutreten: »Wir waren eben immer im Schlepptau von Blackout gewesen, haben uns im Prinzip auch nie um irgendetwas gekümmert. Das lief halt einfach irgendwie…« (Habermann 2009: 13) Offensichtlich kam es nicht zu einer Überprüfung der Blackout-Konzerte etwa durch das MfS, so dass die Band nicht in das Fadenkreuz von Ermittlungen geriet. Sie nutzte die Freiräume, indem sie die Nische erkannte, die sich zwischen der stoischen Erfüllung der Auflagen für ein Konzert einerseits und dem Verzicht auf Eingliederung und Entlohnung andererseits boten. Zugleich ist dies eines der Beispiele für die Freiräume und Nischen, wie sie in zahlreichen kulturellen Betätigungsfeldern in der DDR im Laufe der 1980er Jahre immer häufiger entstanden. Folgt man den Erzählungen von Reinhard Lehmann, Sänger der Berliner Band Pharao, gab es in der Einstufungs- und Behandlungspraxis selbst weitere Spielräume, die genutzt werden konnten. In einem Interview 2009 berichtet er über die Gründungsphase von Pharao 1985, obgleich die Band letztlich aus der Gruppe Regenbogen hervorging. Die Umbenennung war nach Lehmann eine Reaktion auf den Druck der Kulturabteilung des Kreises, für die der Name nun zu anstößig gewesen sei. Lehmann und Kollegen wollten mit der Umbenennung zugleich die Aufwertung als Profi-Band erhalten: »Die Profi-Pappe haben wir zwar nicht bekommen, aber inoffiziell hatten wir dann diesen Status, weil es einfach keine Anordnung mehr gegeben hat, unsere Papiere durchzusehen. Man mußte als Amateur-Musiker ja eine Arbeitsstelle nachweisen können und das wäre bei den vielen Gigs, die wir hatten, überhaupt nicht gegangen.« (Lehmann 2009: 29)

Zur Einstufungspraxis gehörte es zudem, in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen, häufig alle zwei Jahre, für eine erneute Einstufung vorstellig zu

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werden. Unter Musikern war diese Praxis einer regelmäßigen Kontrolle wenig beliebt: »Ich habe mit Monokel drei Einstufungen mitgemacht, mit Keks und MCB auch noch jeweils eine. Das war eigentlich auch ein Witz: Nachdem wir schon was weiß ich wie viele Jahre gespielt haben, hieß es dann immer wieder: Einstufung. Gut, wir haben all das bekommen, was wir wollten. Aber die Sache an sich fand ich so albern! Was soll denn das? Der Mike Demnitz stand da schon seit ›zig Jahren auf der Bühne und mußte eine Einstufung machen.« (Baur 2010: 15)

Die musikalischen Darbietungen junger Metal-Bands konnten, insbesondere vor Kommissionen auf dem Land, die bisher wenig Kontakt mit Heavy Metal hatten, auch zu Verwirrungen oder Fehleinschätzungen führen. Lutz Hommel berichtet von der ersten Einstufung mit der Thrash-Metal-Band M.A.D. im Kreis Merseburg: »Anfang 1988 befanden wir uns als gut genug, daß wir uns die Einstufung zutrauten – und die haben wir dann ja auch bekommen. Die Einstufungskommission konnte mit unserer Musik damals nichts anfangen, nannten es ›Free Jazz‹ – was wir ziemlich lustig fanden – und gaben uns die ›Mittelstufe‹.« (Hommel 2010: 19)

Ähnlich kurios waren die Erfahrungen der Rostocker Band Mad Slaughter, die den Wandel des Bildes über die Musik sowie die kulturelle Umarmung seitens der SED widerzuspiegeln scheinen. So erhielten sie 1988 die Einstufung zur Mittelstufe trotz mehrheitlich englischer Texte. Zudem bat der Vorsitzende der Kommission darum, einen internationalen Titel einzustudieren, was die Band mit »United« von Judas Priest erfüllte (Schnorr 2011: 31f.). Dieses Beispiel verdeutlicht die Entwicklung gegen Ende der 1980er Jahre, die auch in Hinsicht englischsprachiger Eigenkompositionen mehr und mehr Freiräume ermöglichte. Die Einstufung und Zulassungspraxis war auch beim Heavy Metal ein probates Mittel für Repressionen. Wie am Beispiel der Heavy Metal-Band MCB deutlich wird, arrangierten sich die Musiker in der Regel damit: Als 1981 die Mitglieder der Rockband Magdeburg geschlossen Ausreiseanträge stellten – vorausgegangen waren Schikanen wie etwa das Abschneiden der Haare für einen Fernsehauftritt in der Sendung Rund 1980 –, reagierte der Staat mit einem Entzug der Spielerlaubnis. Trotz Spielverbots und verweigerter Ausreise arbeiteten die Musiker weiter. 1983 gründeten dann der Schlagzeuger Bernd Schilanski und der Gitarrist Charlie Ludwig die Heavy Metal-Band MCB. Mit ihrem an die britischen Motörhead orientierten Heavy Metal entwickelten sich MCB zu einer der am häufigsten im Staatsradio gespielten DDR-Bands der härteren Gangart.

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Herabstufung und letztlich Entzug der Spielpraxis erfuhr etwa die Hallenser Band Panther. Anlass, der ihnen auch direkten Kontakt mit dem MfS einbrachte, war das Nachspielen des Songs »Bombenhagel« der Gelsenkirchener Thrash Metal-Band Sodom, in welchem als Gitarrensolo die westdeutsche Nationalhymne in künstlerischer Form verarbeitet wird. »Bombenhagel« war dabei keinesfalls ein unbekanntes Stück, wurde es doch mehrmals in der Tendenz Hard bis Heavy auf DT 64 sowie von weiteren DDR-Bands gespielt. Das erste Mal spielte die Band den Titel in einem Konzert im Klubhaus der Gewerkschaften in Halle zusammen mit Babylon und Metall aus Berlin: »Uns wurde kurz nach dem Lied ›Bombenhagel‹ von Sodom der Strom abgedreht und es gab Ausschreitungen mit Mobiliar-Zerstörung. Klo-Becken und Stühle wurden aus dem Fenster geworfen und Scharen von Fans zogen ›Deutschland-Lied‹-singend über den Boulevard. Da war die Hölle los und im Publikum war wie immer die Stasi anwesend.« (Rosenberg 2010: 41f.)

Ralf Mikula erinnert sich an die Vorladung bereits nach der ersten Aufführung in Halle: »Das erste Mal [der Aufführung des Songs] war in Halle und ich habe mich am Freitag der Woche danach dieser Sache stellen müssen. Ich bin mit dem übersetzten Text von Sodom in diese Kommission rein und habe denen dargelegt, was dieser Text aussagt – daß nie wieder von deutschem Boden ein Krieg ausgehen soll – und daß diese Hymne eigentlich in den Dreck gezogen wird und nicht als Verherrlichung gedacht ist. Die haben uns noch am selben Tag abgestuft, zurück zur ›Oberstufe‹. Das war das Urteil.« (Mikula 2009: 48)

Die Band beließ es allerdings nicht bei dieser einmaligen Aufführung und zeigte sich unbeeindruckt von der vorangegangenen Bestrafung: »Wir haben das Lied dann nochmal im thüringischen Niederorschel gespielt und da war auch wieder Stasi im Publikum. Also kam für uns das Aus und wir hatten ab April 1989 Spielverbot.« (Klotz 2009: 48)

Bevor es zu diesem Entzug der Spielerlaubnis kam, war die Einstufungskommission bereits anderweitig auf eine mögliche Bedrohung durch die Band aufmerksam geworden: »Vorher sollte ein Panther-Plakat in Druck gehen, auf dem eine Frau zu sehen war, die einen Panther an der Leine hielt. Diese Frau hatte eine zerbrochene Fußfessel an den Füßen – oder gesprengte Ketten, das weiß ich nicht mehr so genau. Jedenfalls mußten wir vor eine Kommission treten, die uns unmissverständlich klarmachte, daß es abso-

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR lut überhaupt nicht geht, so etwas zu drucken und was wir damit ausdrücken wollen. Die Besucher unserer Konzerte zur Revolution aufwiegeln? Jedenfalls wurde alles abgeschmettert und wir mußten das Plakat zurückziehen.« (Klotz 2009: 48)

In der Folge arbeitete die Band an neuen Songs weiter und versuchte selbständig Demo-Aufnahmen anzufertigen. Hierfür mussten allerdings ein neuer Sänger und Bassist gefunden werden, da diese die Band nach dem Spielentzug verlassen hatten – die Praktiken der Repressalien hatten ihre Wirkung entfaltet. Festzuhalten bleibt, dass die Einstufungen im Metal vonseiten der Funktionäre wohl eher weniger genutzt wurden, um auf die konkrete Musik Einfluss auszuüben. Womöglich spiegelt sich hier das zum positiven wandelnde Bild vom Heavy Metal in der DDR wider, in der die musikalische Sprache zunehmend akzeptiert wurde. Andererseits waren es wohl auch Unkenntnis und Überforderungen durch die Musik selbst, die die Gutachter auf die bewährten Kritikmuster der Songtexte und Bühnenperformances zurückgreifen ließen.

5.2.2 Förderung Die mit der Einstufung verbundenen tabellarisch geregelten Konzertgagen, Reisekostenabrechnungen sowie sich für die hauptberuflich arbeitenden Musiker zusätzlich eröffnende Betätigungsfelder als Mentoren oder Kommissionsmitglieder können allerdings auch als eine Form von staatlicher Förderung musikalisch-künstlerischen Schaffens verstanden werden. Die Praxis des Förderns als Entlohnung für die Akzeptanz und Befolgung der sozialistischen Regeln ging noch viel weiter. Insbesondere die FDJ vergab Förderpreise, die mit Geld- oder Sachleistungen verbunden waren. Der Sänger der Berliner Hard Rock- und Heavy Metal-Band Vantom erinnert sich an die Vorzüge einer offiziellen Unterstützung: »1986 bekam Vantom einen FDJ-Förderpreis. Das war gut für die finanzielle Unterstützung bei Studio-Aufnahmen und z. Bsp. für PR-Maßnahmen wie Poster etc.« (Schuwerk 2008: 44) Die finanzielle Unterstützung erlaubte es der Band, eine Studioproduktion im privaten Studio von Dieter ›Maschine‹ Birr, Sänger und Gitarrist der Puhdys, zu buchen. Zugleich waren allerdings mit dieser Beteiligung konkrete Versuche der Lenkung und Einflussnahme verbunden worden, die wiederum Auswirkungen auf die Band hatten: »Es war natürlich recht schwierig in der DDR mit Hard Rock richtig durchzustarten. Live hatten wir unser Publikum und unsere Fans, die uns teilweise an alle Orte nachgereist sind. Es ging aber nicht so recht weiter. Die Nische ›Hard Rock‹ war mit Formel 1 sehr gut bedient und die ›Funktionäre‹ waren – wie ja bei vielen anderen Dingen auch – der Meinung: Das reicht für’s Volk! Man versuchte uns zu beeinflussen, damit wir mit unserer Musik ›medientauglicher‹ werden. Dann würde man uns weiter unterstützen. Damit stie-

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken ßen die Damen und Herren bei mir und auch bei einigen anderen Mitgliedern auf taube Ohren. Wir wußten schon ziemlich genau, was wir wollten. Doch es gab auch Stimmen in der Band, die da schon bereit waren, sich zu beugen und die Musik zu verändern. Das sorgte intern schon für Spannungen.« (Schuwerk 2008: 44)

Eine der einflussreichsten institutionalisierten Förderungsmaßnahmen waren die so genannten Werkstattwochen der FDJ. Hierfür wurden Amateurbands aus den verschiedenen Bezirken von den jeweiligen Kreiskulturdirektionen ausgewählt und entsandt. Während der Werkstattwoche erhielten die Bands ein Ausbildungsprogramm in Form von Instrumental- und Bandcoachings und hielten Vorspiele vor einer Jury ab: »Tagsüber wurde in Einzelgruppen jeder in seinem Instrument von Profi-Musikern unterrichtet und am Abend waren dann Einstufungen. An einem Abend fast ausschließlich Metal-Bands. Im Anschluß lieferten sich Fans und Jury heiße Gefechte, weil die MetalBands wie immer keine ordentliche Einstufung bekamen, obwohl sie doch die einzigen waren, bei denen der Saal wirklich voll war und die Post abging. Was für ein Irrsinn… Ein paar alte Männer hatten da zu bestimmen, was der Jugend gefallen sollte.« (Maak 2012: 44)

Der Keyboarder der Zeitzer Rockband Poker erinnert sich an eine Werkstattwoche im Harz: »Wir sind damals am Rand-Südharz in Molmerswende eingeflogen, ein Ferien-Objekt, was damals gerade nicht belegt war. Es waren auf alle Fälle mehr als acht Bands und man bekam für eine Woche eine Unterkunft und die Freistellung vom Betrieb, weil das hat ja das ›Bezirkskabinett für Kulturarbeit Halle‹ angerührt. Ich habe gedacht, daß das für unsere Band nicht schlecht wäre, eine ganze Woche nur musikalisch unter einem Dach zusammenzusein und mal zu gucken, was dabei herauskommt. […] Dort bekam jede beteiligte Band neben Übernachtung und Verpflegung natürlich auch einen eigenen Proberaum und wir waren zum Beispiel im Gemeinschaftshaus der Freiwilligen Feuerwehr. […] Wir sind früh rein und spät in der Nacht raus, mit ein bisschen Pause dazwischen. Dort haben wir an unserem Konzert-Programm gefeilt und am Ende dieser Woche stand ein öffentliches Konzert an – in einem großen Saal dort, mit Kneipe und allem Drum und Dran. Dort gab es eine Jury, die zum einen Teil Publikums-Wertung und einer fachlichen Jury das waren altgediente Rock-Musiker, Musik-Pädagogen und Dozenten.« (Hartung 2014: 37)

Poker belegten bei diesem öffentlichen Konzert den ersten Platz und gewannen somit einen dreitägigen Aufenthalt in einem zugelassenen privaten Studio. Die dort aufgenommenen Stücke wie »Ariane« wurden daraufhin regelmäßig im Rundfunk gesendet. In der Erinnerung klingen die teilweise durchaus

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als positiv empfundenen Möglichkeiten und die Freiräume durch diese Form der Förderung an, die etwa auch durch die Freistellung von der Arbeit einen privilegierten Status bedeuteten. Die Werkstattwochen können daher als ein besonders wichtiges Förderinstrument verstanden werden. Die Leistungen der Bands standen im Vordergrund und konnten zu entsprechenden Erfolgen und für die Karriere entscheidenden öffentlichen Präsentationen, etwa im Rundfunk führen. Die mehr oder weniger funktionierenden organisationalen Abläufe, von der Bereitstellung ausreichender Räumlichkeiten bis hin zur offiziellen Freistellung von der Arbeit, verdeutlichen eine gewachsene Förderstruktur. Die Werkstattwochen spiegeln ebenfalls die zunehmende Akzeptanz des Metal in der DDR wider, spätestens mit der Auszeichnung der Thrash Metal-Band Biest 1988. Sie waren ein Spiegel des sich wandelnden Diskurses, in dem in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Heavy Metal zweifelsohne »Teil der sozialistischen Musikkultur« wurde (Profil 1987). Die Rahmenbedingungen waren allerdings nach wie vor vom SED-Anspruch auf Durchherrschung bestimmt: Bereits die Bewerbung auf eine Teilnahme an den Werkstattwochen setzte eine Begutachtung durch eine Kreiskulturdirektion voraus – ein politisch-ideologisch orientiertes Auswahl- und Filterverfahren war hierdurch gegeben. Auch kann davon ausgegangen werden, dass die Bewerber auf weitere politische Belange wie etwa Straffälligkeiten hin durchleuchtet wurden.

5.2.3 Leben von und mit Musik Ein Musiker in der DDR war so etwas wie ein sozialistischer Arbeiter, da die sozialistischen Strukturen die Verdienstmöglichkeiten vorgaben. Neben Unterrichtstätigkeiten waren vor allem regelmäßige Konzerte wichtige Einkommensquellen, wohingegen Tonträgerveröffentlichungen und Rundfunksendungen nur für die Urheber der Stücke und Texte, aber nicht für die aufführenden Musiker Tantiemen einbrachten (Mühl-Benninghaus 2012: 321). Die Konzertgagen und Fahrtkosten hingegen waren durch die Einstufung und Entgelttabellen geregelt und gesichert. Holm Felber ging in seinem »Problempapier« auch auf den Aspekt des Konzertwesens ein. Nicht nur stellte er fest, dass die Zahl an Rockkonzerten im Laufe der 1980er Jahre quantitativ stark gestiegen sei, andere Quellen nennen die Verdopplung auf über 10.000 Konzerte zwischen 1981 und 1985 (vgl. Profil. Methodik zur Tanzmusik 12/1989, S. 6). Felber bemängelt vor allem, dass die Qualität der Darbietungen stagniere. Dabei bezieht er sich allerdings weniger auf die musikalisch-technischen Qualitäten der Musiker als vielmehr auf die performativen Aspekte, die nicht mehr den zeitgenössischen – vor allem westlichen – Standards genügten: »Das Konzert muß als Ereignis deutlich von dem, was an Musik auch per Massenmedium zugänglich ist, abgehoben konzipiert werden, muß zusätzlichen Anreiz bieten.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken Keineswegs überall scheint dies konzeptionell so durchdacht und in entsprechende Realisierungsformen gebracht. In noch zu wenigen Fällen zeigen sich auch Veranstalter motiviert, am Gelingen entsprechender Vorhaben aktiv mitzuwirken.« (Felber 1988: 15)

Felber bezieht sich hier offensichtlich auf die zusätzlichen Inszenierungsmöglichkeiten durch visuelle und akustische Effekte. Zugleich sei die Zunahme der Konzertzahlen kritisch zu sehen, da sie eher aus dem Druck heraus entstanden seien, dass Bands aufgrund der geringen Studiokapazitäten auf die Einnahmen durch Konzerte angewiesen seien (Felber 1988: 16). Tatsächlich kann die Konzerttätigkeit von Heavy Metal-Bands insgesamt als durchaus intensiv beschrieben werden. Wenn Mitte der 1980er Jahre einige Bands im Monat 15-20 Konzerte in jedem Winkel der Republik spielten, war es für einen Fan nahezu jedes Wochenende möglich, zumindest im selben Bezirk ein Metal-Konzert zu sehen. Der B.O.R.N.-Sänger Hendrik Ilgner erinnert sich an die Reaktionen westdeutscher Bands, die auf dem »Heavy Metal for UNICEF« im Februar 1990 »den Mund nicht zu bekommen [haben], als sie hörten, daß wir circa zwanzig Gigs haben – im Monat und nicht im Jahr!« (Ilgner 2011: 6) Bereits Amateur-Bands, deren Musiker per Gesetz einem Hauptberuf neben der Musik nachgehen mussten, kamen auf beachtliche Zahlen. Die Chemnitzer Band Rübezahl bzw. Charon war eine normale Amateurband, die während ihres Bestehens zwischen 1984 und 1989 weder Demo-/Proberaum- noch Studioaufnahmen veröffentlichte. Dennoch spielte sie in rund fünf Jahren wohl an die 300 Konzerte, »vorwiegend in den südlichen Bezirken zwischen Gotha und Görlitz, Halle/Saale und Klingenthal« (Göpfert 2008: 41). Die Berliner Hard Rock- und Heavy Metal-Band Vantom, eine Amateurband mit Sonderstufe, spielten 1984/85 etwa 100 Konzerte in einem Jahreszyklus vorrangig mit einem Coverprogramm bestehend aus Titeln von Van Halen, Saxon, ZZ Top und Judas Priest (Schuwerk 2008: 44). Diese für Amateurbands relativ hohe Anzahl in einem überregionalen, aber nicht zwangsläufig republikweiten Rahmen verdeutlicht die hohen Aktivitäten und Bemühungen im Bereich des Konzertwesens sowie die enorme Nachfrage nach entsprechenden Veranstaltungen. Für eine professionelle Band war nahezu jedes Wochenende für Konzertreisen eingeplant: »Ich meine, wir waren von Donnerstag bis Sonntag weg: Fünf Tage in Thüringen oder vier Tage an der Ostsee.« (Rappoldt 2009: 18) Bei dieser intensiven Konzerttätigkeit in dem relativ kleinen Land kam es zwangsläufig dazu, dass gewisse Orte mehrmals im Jahr bereist wurde. In Lübben etwa, die von Monokel besungene Provinzstadt im Spreewald, gastierte Formel 1 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere Mitte der 1980er Jahre »vier-, fünfmal im Jahr«, wie sich Norbert Schmidt und Wolfgang Densky erinnern (Interview Denksy & Schmidt). Insbesondere die professionell arbeitenden Bands spürten in dem Bemühen, den Radius zu vergrößern, die politischen Beschränkungen:

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR »Im Berliner Raum oder bis nach Sachsen hinein lief immer noch alles super, aber irgendwie hatte man in all den Jahren in jedem Laden schon zehnmal gespielt. […] Wir waren ja noch froh, daß wir pro Jahr wenigstens noch hundert Gigs hatten und das bis zum Schluß durchhalten konnten. Aber irgendwo wolltest du weiter, denn wir waren dann alle etwa Mitte zwanzig und dachten, dass es das ja nun nicht gewesen sein kann. Wenn du zum Beispiel zum zehnten Mal im Bitterfelder ›Stern‹ gespielt hast oder dreimal in einem Jahr im gleichen Laden aufgetreten bist […]. Da wollten wir einfach mehr!« (Lehmann 2009: 31f.)

Während DDR-Rockbands wie die Puhdys seit 1976 auch in der BRD auf Konzertreisen waren und etwa Karat mehrfach Goldene Schallplatten der westdeutschen Musikindustrie verliehen wurde, waren die Bedingungen für den DDR-Metal weitaus schlechter und lockerten sich erst 1987/88 allmählich. Insbesondere die ersehnten Auslandskonzerte waren nur Wenigen vorbehalten, zudem verhältnismäßig spät. Hardholz etwa spielten 1988 in Polen u.a. auf einem Open-Air-Festival vor ca. 10.000 Leuten (www.hardholz.de/history3. html), im September des gleichen Jahres spielten Blitzz u.a. mit den Toten Hosen auf dem Lituanika-Festival in Vilnius, heute Litauen.45 Die Berliner Pharao profitierten 1988 von dem Umstand, dass die sowjetische Band Kruiz eine Tour in der DDR plante und an den Sänger Reinhard Lehmann mit der Bitte um Organisation getreten war: »Mit den Russen im Gepäck gingen auf einmal alle Türen auf und wir haben auf Sachen gespielt, bei denen wir sonst als Heavy Metal-Band nie ›reingekommen wären.« Daraus ergab sich auch die Tour durch die Sowjetunion und Konzerte in Polen, die zugleich neue Kontakte ermöglichten: »Wir haben dann im Gegenzug eine Tour durch Russland gemacht, welche auch bombastisch gelaufen ist. Am Rande des ersten ›Monsters Of Rock‹-Festivals 1988 in Moskau haben wir zwar nicht auf der Hauptbühne, sondern auf einer Nebenbühne, vor der so fünf- oder sechstausend Leute standen, am Vormittag gespielt. Aber da war schon voll was los! Ich glaube, das war sogar in dem Jahr, als die Scorpions das Festival geheadlined haben.« (Lehmann 2009: 31f.)

Auf dem Festival lernten die DDR-Musiker die West-Berliner Betreiber von Noise Records kennen, die ein großes Interesse an der Band zeigten. Offenbar redete man über die Möglichkeiten einer gemeinsamen Produktion. Pharao erhoffte sich durch eine Klärung an hoher politischer Stelle eine Lösung:

45 | Vgl. den Text von Hendrik Rosenberg im CD-Booklet zu Blitzz. Tarentella (German Democratic Recordings GDR 008, 2013).

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken »Also ich habe die ganze Zeit gehofft, daß es funktioniert und bin da bis zum Staatssekretär des Ministers für Kultur gegangen. Es sah eigentlich auch alles positiv aus und gleichzeitig ging es um ein großes Rock-Festival in Finnland, bei dem wir hätten spielen können. Ich dachte, jetzt geht die Tür auf und wir kommen wir raus.« (Ebd.)

Dennoch waren die Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt und scheiterten an einzelnen Akteuren und den teilweise langsamen Entscheidungsprozessen. Diese Beispiele aus der späten Phase der DDR spiegeln die allmählich zunehmenden Freiräume wider. Formel 1 hingegen, die erste professionelle Heavy Metal-Band der DDR, scheiterte in den Jahren zuvor noch an der für Auslandskonzerte zuständigen Konzert- und Gastspieldirektion, obgleich zahlreiche Anfragen etwa aus Russland vorlagen (Interview Densky & Schmidt). Der Frust über die Ignoranz in der für sie zuständigen Behörde, der in der Erinnerung mit einer konkreten Sachbearbeiterin verbunden wird, und über die eingeschränkten Entwicklungsmöglichkeiten hatte wesentliche Anteile an der Auflösung der Band 1987. Sänger Schmidt und Schlagzeuger Fincke stellten daraufhin Ausreiseanträge, was ein Weiterbestehen der Band unmöglich machte. Deutlich wird: Konzerte waren die wichtigsten Einnahmenquellen – und zumindest für eine Profiband durchaus profitabel. Die über die Einstufung tabellarisch geregelten Gagen boten eine finanzielle Sicherheit, die aufgrund der staatlichen Subventionierung und den in der Regel gut besuchten Veranstaltungen nur selten unterlaufen wurde. Wie Sven Rappoldt, Bassist von Metall und Headless, erinnert, konnte mit man »mit der Mugge richtig gut Geld« verdienen: »Wir hatten alle so zwischen drei- und fünftausend Mark gehabt, damit war man abgesichert. Dann hatten wir alle noch Nebenjobs, zum Beispiel im Jugendclub, als Hausmeister oder Heizer« (Rappoldt 2009: 20). Formel 1 etwa erhielten in den besten Zeiten für einen Auftritt ca. 2.000 bis 2.500 Mark. Davon wurden ca. 5 Techniker und Roadies, eventuell anfallende Managementgebühren für die Vermittlung und sonstige Ausgaben bezahlt. Neben einer Rücklagenbildung konnte jeder einzelne Musiker durchaus 150 bis 200 Mark als Gage herausziehen (Interview Densky & Schmidt). Bei 10 bis 15 Konzerten im Monat konnten die Formel 1-Musiker ein monatliches Einkommen von rund 2.000 Mark und mehr erhalten und lagen somit weit über dem Durchschnittseinkommen in der DDR. Noch 1988/89 lag das gesamtgesellschaftliche durchschnittliche Brutto-Einkommen bei ca. 1.300 Mark (Bedau 1993: 85).46 Durchschnittliche Löhne von über 2.000 Ostmark waren in der DDR-Bevölkerung generell eher selten, wobei Arbeitnehmer mit akademi46 | Das westdeutsche Bundesministerium für innerdeutsche Beziehung ging nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von einem monatlichen ein Nettohaushaltseinkommen von 1746 Mark im Jahr 1985 aus, wobei je Haushalts-

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schen Abschluss in der Regel weit weniger verdienten. Sämtliche Gagen wurden in einem SV-Buch notiert und durch Belege wie Verträge nachgewiesen: »Steuererklärung in dem Sinne gab es ja nicht. In deinem SV-Buch stand eben drin, dass du Berufsmusiker bist. Und du hast ein Einkommen gehabt, musstest dann mal Quittungen unterschreiben oder irgendwas.« (Interview Densky & Schmidt)

Die Rücklagen fungierten als Absicherung für einen möglichen Arbeitsausfall oder gar Arbeitsunfähigkeit. Um auf Tour gehen zu können und unter Umständen die gesamte Soundanlage zu transportieren, benötigte man zudem entsprechende Transportmöglichkeiten. Formel 1 besaßen einen in der DDR verbreiteten LKW, einen IFA W 50 inklusive Anhänger. Die Konzertformate konnten dabei ganz unterschiedlich ausfallen. Formel 1 etwa spielten ganze Tanzabende von mehreren Stunden, knackige Konzerte, aber auch Kurzauftritte etwa bei Rund, einer Jugendmusiksendung des DDR-Fernsehens, mit Vollplayback und im Freien bei Tageslicht vor Leuten »mit ihren Kindern« (Interview Densky & Schmidt). Die Tanzabende folgten häufig der Struktur eines in den 1970er von der FDJ etablierten Formates. Auch Heavy MetalBands spielten teilweise vier bis fünf Sets mit jeweils ca. 45 Minuten Spielzeit und füllten somit einen gesamten Abend. Die Übersättigung mit den immer gleichen Bands und Repertoires in den immer gleichen Spielstätten der DDR steigerte zugleich die Anforderung an originelle Bühnenperformances. Die Bands waren sich in der Regel über die performativen Aspekte eines Heavy Metal-Konzertes vollends bewusst. Nicht nur informierte man sich soweit wie möglich über die Konzertpraxis im Westen, auch belehrten und unterrichteten sich die Musiker ganz in sozialistischer Erziehungsmanier gegenseitig. So fasst Detlef Kotte von Plattform in einem Beitrag in der Profil. Methodik zur Tanzmusik von 1987, der zugleich in erklärender Weise an die Nichtkenner der Musik gerichtet war, zusammen: »Zur perfekten Show einer Heavy Metal-Band gehört ein der Musik entsprechendes Outfit. Die Mehrzahl der Gruppen steigt in (meist schwarze) Lederhüllen, verziert diese mit metallischem Beiwerk. Andere bevorzugen auffällig bunte Kleidung und ein wenig Schminke.« (Kotte 1987: 22)

Die Ausdifferenzierung des Metal, wie sie in den 1980er Jahren etwa in den unterschiedlichen musikalischen aber auch performativen Gestaltungsweisen zu beobachten war, fand auch in der DDR statt. Für Plattform als Heavy Metal-

mitglied 608 Mark angegeben werden, vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (1988: 75).

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Band war offensichtlich das immer beliebter werdende düstere Image nicht lukrativ: »Wir zählen uns zu den ›Bunten‹. Das wirkt unserer Meinung nach freundlicher. Außerdem macht es großen Spaß, öfters neue Farben und Kostüme auszuprobieren. Und vor allem junge Leute lassen sich durch farbige Kosmetik und gestylte Haare faszinieren.« (Kotte 1987: 22)

Kotte betont zudem die körperliche Dimension eines Konzertes: »Wer Heavy Metal spielt, muß über eine gute körperliche Konstitution verfügen, denn die Musik verlangt kraftvolle Bewegungen der Akteure. […] Wenn ich ehrlich bin, muß ich sagen: So k.o. wie nach einem Heavy-Konzert war ich nie.« (Kotte 1987: 22)

Die körperliche Anstrengung und Belastung hat demnach nicht nur mit der instrumental-handwerklichen Präzision zu tun, sondern hängt auch mit den meist rhythmischen, körperbetonten Bewegungen auf der Bühne zusammen. Für Kotte seien diese »natürlich spontan«, allerdings gebe es insbesondere bei Gitarristen immer wieder »bestimmte Posen«, die bevorzugt würden. Choreographierte Bewegungsabläufe und Posen sind charakteristisch für Rockmusik und Heavy Metal im Allgemeinen, rein sozialistische Posen existierten freilich nicht. Neben den Aspekten der Kleidung und Bewegungsabläufe seien nach Kotte außerdem das »passendes Licht und – wer es sich finanziell und transportmäßig leisten kann – ein für die Band zugeschnittenes Bühnenbild« enorm wichtig (Kotte 1987: 22f.). Obgleich vermutlich nur wenige Bands aus transportlogistischen Gründen ein ausgefeiltes Bühnenbild benutzen konnten, gab es prominente Beispiele. Formel 1 etwa entwickelten ihre Bühnenshow bis zur Auflösung stets weiter. 1987 wurde ein neues Bühnenprogramm mit großem Bühnenbild in Form einer Burg präsentiert. Leo Gehl, der langjährige Mentor der Band, berichtet in einem Artikel in der melodie und rhythmus über die Premiere in der Langhansstraße in Berlin am 20.5.1987: »Der kleine Saal ist vollgestellt mit Technik, ein dichter, roter Vorhang versperrt die Sicht auf die Bühne. Allein die neue Lichtanlage läßt auf einiges hoffen. Am Mixer pulsiert der Bildschirm eines angeschlossenen Personalcomputers.« (Gehl/Fincke 1987: 14)

Gehl versucht seinen ersten Eindruck der Show zu rekonstruieren: »Aus dem Bühnennebel schält sich der düstere, in kaltes Licht getauchte Innenhof einer alten, aus Feldsteinen gebauten Burg, darüber dunkle, schwere Gewitterwolken – aufgetragen auf drei große Leinwandflächen. In der Mitte des Hofes ein Podest mit zwei

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR unterschiedlichen Spielebenen für Drumkit und Show, zu erreichen über mehrere Treppen. […] Die Überraschung ist gelungen, die Fangemeinde begrüßt stürmisch das neue Bühnenbild, und mitten in den Jubel bricht die neue Show.« (Gehl/Fincke 1987: 14)

Dazu präsentierte sich die Band in neuen Outfits und mit neuem Titeln wie »Das letzte Rad am Wagen« oder »Kreuzritter«, zudem Coversongs des 1986 veröffentlichten Iron Maiden-Albums Somewhere in Time. Der angesprochene Computer diente zur Steuerung der Lichtanlage, die nun gleichzeitig bewegliches Licht und Effekte liefern konnte. Diese neue Performance, die laut Gehl »sicherlich in der Spielpraxis des Landes eine gewisse Einmaligkeit« besaß (Gehl/Fincke 1987: 14), war das Ergebnis einer 9-monatigen Vorbereitung. Der Schlagzeuger der Band, Peter Paul Fincke, verweist nach einem ausführlichen Bericht über die Entstehung der Anlage auf die Probleme der Logistik und des Veranstaltungswesens in der DDR: »Viele Jugendklubs sind einfach viel zu klein, um dort die Bühne aufzubauen. Andererseits schreckt doch so mancher Leiter eines großen Kulturhauses davor zurück, einer Metalband diese günstige Spielstätte zur Verfügung zu stellen.« (Gehl/Fincke 1987: 15)

Fincke nutzt diese Feststellung, um anschließend nach den Ursachen zu fragen, die zugleich einen Eindruck über wohl verbreitete Vorurteile vermittelt: »Liegen hier wirklich entsprechend schlechte Erfahrungen vor, oder ist die Ablehnung eigentlich mehr ein allgemeines Vorurteil auf der Basis von Gerüchten?« (Gehl/Fincke 1987:15) Auch 2014 war die Erinnerung an den großen Aufwand sowie die Besonderheit der Show als »Riesenaufwand« noch sehr präsent (Interview Densky & Schmidt). Ebenso erinnert wurden die Probleme, die Fincke bereits im melodie und rhythmus-Artikel thematisierte, hier vor allem die Erfahrungen, die im staatlichen Veranstaltungsbetrieb mit geregelten Arbeitszeiten und -routinen dem Engagement der Band entgegenstand: »Da haben wir lange für gekämpft, dass wir die Burg aufsetzen durften da. Weil normalerweise fassen die sich alle an Kopf, da sind so richtige, kannst du sagen, VEB-Arbeiter, die da sind, die da Licht machen und Technik machen und alles. Punkt 16 Uhr nehmen die ihren Mantel und ihren Schal und gehen nach Hause. Da ist jetzt keiner, der damit irgendwie so gefühlsmäßig verbunden ist, weißt du?« (Interview Densky & Schmidt)

Die Verwunderung über die Arbeitsabläufe im Kulturbetrieb hallt hier noch nach fast 30 Jahren nach. Zugleich vermittelt sie einen Eindruck von der Leidenschaft, Aufopferung, und dem Umsetzungswillen, die eine Heavy MetalBand in der DDR entwickeln konnte. Problematische Erfahrungen, die zwischen den wachsenden Ansprüchen an die eigene Bühnenperformance und den Rahmenbedingungen entstanden, hatten Formel 1 mehrfach gemacht.

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In einem Brief vom Stellvertretenden Direktor der Konzert- und Gastspieldirektion (KGD) an Norbert Schmidt bezüglich eines Konzertes während der Veranstaltungsreihe ›Berlin-Knüller‹ in der Berliner Kongresshalle monierte dieser mehrere Regelverstöße. Die Lautstärke sei mit bis zu 115 dB viel zu laut gewesen. Insbesondere aber der Einsatz der Pyrotechnik erfolgte entgegen der Absprachen und hatte unglücklicherweise auch einen Brand zur Folge: »Und da waren natürlich die obersten Größen da, von der Konzert- und Gastspieldirektion. Und vorher alle zusammengeholt und keine Pyrotechnik hier und so. Ich meinen Roadies das noch erklärt, ich sage, keine Pyrotechnik, nichts. Und was passiert? Mit einem Mal, wir sind grade auf der Bühne, da kommt einer zu mir an den Bühnenrand und sagt, sofort abbrechen. Ich sage, was, warum denn das? Ja, da habe ich mich mal umgedreht, und hinten hat es gebrannt, auf der Bühne. […] Aber den nächsten Tag sollte Erich Honecker in der Kongresshalle sprechen. Oh, und wir hatten dann nur noch Feuerwehr dabei, bei jeder Veranstaltung war Feuerwehr bei uns gewesen, um uns zu kontrollieren.« (Interview Densky & Schmidt)

Die im Brief angesprochene Lautstärke dürfte im Laufe der 1980er Jahre immer mehr zum Standard bei Heavy Metal-Veranstaltungen geworden sein. Der Einsatz der Pyrotechnik verdeutlicht die Ambivalenz zwischen dem Unterhaltungsanspruch und den zunehmenden Risiken. Da Pyro-Elemente in der Regel selbst und improvisatorisch hergestellt wurden, war die Gefahr von Unfällen groß. Ralf Mikula von der Hallenser Band Panther erinnert sich an die Umstände, den Aufwand und experimentellen Charakter, der mit dem Einsatz von Pyrotechnik verbunden war: »Man hat ja im Osten nichts bekommen, angefangen vom einfachen Kabel bis hin zur Pyro-Technik. Wir haben uns gesplittet und in Leipzig, Berlin und anderswo angestellt, um diesen ›Silberregen‹ [eine Art Leuchtstange] zu bekommen. Den hat man ja auch nur begrenzt bekommen, hat dafür aber schon früh um vier mit dem Campinghocker dort gesessen, um das Schwarzpulver zu erhaschen, damit wir bei jeder Mugge rechts und links einen Feuerstrahl hatten. Dieses Zeug haben wir in einem Glas aufbewahrt und das war wie Gold. Bei jeder Mugge hat unser Pyro-Techniker ›Mutze‹ das eingetaktet, damit nicht oben diese komischen Vorhänge – und was es da auf diesen Bühnen noch alles so gab – abfackeln. Am Anfang hatte ich einen Fußschalter, der über ›W 50‹-Glühkerzen [verbreiteter LKW] ging, doch damit war ich nicht in der Lage, den Zündzeitpunkt zu kontrollieren, weil diese Glühkerzen beim Einsatz einfach zu spät kamen. Später haben wir dann auf ganz normale 12 Volt-Glas-Sicherungen 220 Volt gegeben, die daraufhin sofort durchgeknallt sind und ich so den gewünschten Effekt bekommen habe.« (Mikula 2009: 44)

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Neben solchen Performance-Problemen und improvisierten Lösungsansätzen, zu denen etwa auch umgebaute Dia-Projektoren, die mittels anmontierten Elektro-Motoren und Drehscheibe für verschiedene Farbeffekte sorgen sollten (Maak 2012: 44), waren oft funktionierendes Musikequipment und der entsprechende Transport problematisch. Regelmäßiges Schrauben und Nachbessern der LKWs und Busse sowie eher abenteuerliche Transporte etwa mit dem Moped zählten ebenso dazu wie die Probleme in der Beschaffung von regelmäßig verschleißendem Equipment wie etwa Gitarrensaiten. Doch bevor überhaupt Konzerte gespielt werden konnte, mussten diese organisiert werden. Nicht selten regelte sich dies über das Netzwerk, den erweiterten und großen Bekanntenkreis sowie Mittlerpersonen, die man als Manager bezeichnen könnte. In der DDR etablierte sich dabei ein von offizieller Seite eingerichtetes Mentorensystem, das vertraglich geregelt wurde. Als Förderinstrument gedacht, sollten die Mentoren als »fachlich-kulturpolitische Berater« die Entwicklung einer zu fördernden Band steuern (Wicke 1987: 182). Hier traten häufig bereits seit längerem aktive und gut vernetzte Musiker oder Akteure des Musiklebens für eine Band auf, berieten und vermittelten. Für Formel 1 etwa war nahezu die gesamte Zeit über der Rundfunkredakteur und -moderator Leo Gehl tätig. Die Beziehung zu Gehl war ein wichtiger Schritt, ermöglichte er doch eine gesteigerte mediale Präsenz durch Interviews und Airplay im Rundfunk. Wiederum konnte er durch seine Position und Vernetzung vermittelnd in den Gremien, etwa zur Amiga-Veröffentlichung Live im Stahlwerk, auftreten. Formel 1-Gitarrist Wolfgang Densky war in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wiederum selbst als Mentor für die Dresdener Rockband Na Und tätig. Hierfür fuhr er einmal pro Woche in die Stadt an der Elbe, um bei den Proben teilzunehmen und zu beraten (Interview Densky & Schmidt). Neben dem Mentorensystem etablierte sich zudem aus der Band oder deren Umfeld heraus Rollen, die Managerfunktionen übernahmen. Dabei entstanden Praktiken, die denen der kapitalistischen Musikwirtschaft durchaus ähnlich waren. Die Managertätigkeit war in der DDR nicht durch eine Ausbildung oder ähnliches erlernbar, vielmehr entstand die Rolle erst durch die praktische Betätigung, welche letztlich Formen der Schattenwirtschaft durch Leistung und Gegenleistung abseits staatlicher Kontrolle annehmen konnten. Dabei gab es durchaus auch in der Metal-Szene spitzfindige Manager. Die Erfurter Power Metal-Band Prinzz, ab 1988 Blitzz und lange Zeit erfolgreich mit Popmusik unterwegs, verdankte den Aufstieg unter anderem einem selbsternannten Manager mit dem Spitznamen ›Ghandi‹. Dieser schien einem diffusen Bild eines auf Geld, Ruhm und Sex basierenden Musikbusiness nachzueifern: »Nach der ersten großen Tournee war dann Kassensturz: Wir wollten endlich eine richtige Anlage haben und uns was leisten können. Dann stellen wir fest, daß fast das ganze Geld weg war. Das Geld hatte ›Ghandi‹ mit irgendwelchen leichten Mädchen und mit

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken ›groß einen ausgeben‹ in irgendwelchen Bars in Erfurt durchgebracht, denn er ist ja jetzt der große Manager.« (Hellmann 2010: 4)

Schattenwirtschaft abseits klarer Regelungen bedeutete auch das Risiko des Missbrauchs. Es ist wenig überraschend, dass die Band von dieser Unverantwortlichkeit und dem Egoismus des Managers wenig begeistert war. Zugleich demonstriert das Beispiel, dass die vom Staat regulierte und durch dessen Organisationsstrukturen maßgeblich geprägte Musikkultur zahlreiche Freiräume für persönliche Vorteilnahme und Bereicherung boten. Diese persönlichen Vorteile und Machtstellungen konnten aber genauso gut für anstatt gegen die Band eingesetzt werden. Der Bassist der Band Prinzz bzw. Blitzz, Jens Hellmann alias Vicki Vomit, erinnert sich an die Konsequenzen des Missbrauchs: »Also die Kohle war weg und da haben wir ›Ghandi‹ gefeuert. Wir hatten dann einen anderen Manager, der hieß Volker George und war Kneiper – ein dicker und ein reicher Kneiper. Der hat uns einen Lkw und eine Anlage gekauft, hat uns einen Techniker besorgt, den er bezahlt hat, und er hat zwei Pkw’s gehabt, mit denen wir gefahren sind. Der hat noch mehr Autos gehabt, denn er war Kneiper, also reich und hatte mehrere neue Wartburgs. Dem ging es richtig gut!« (Hellmann 2010: 5)

An die schlechten Erfahrungen mit dem ersten Manager schloss sich eine völlig gegensätzliche, positive mit dem neuen an. Unklar bleibt allerdings, wie die Band an den neuen Manager gelangte, warum dieser sich für sie einsetzte und welche soziale Position und Verbindungen dieser etwa mit staatlichen Institutionen hatte. Die Band jedenfalls profitierte von dieser Verbindung, konnte sie doch die materiellen Einschränkungen und Probleme leichter bewältigen. Das Beispiel verdeutlicht aber auch, wie zufällig solche produktiven Verbindungen und entsprechenden Karriereentwicklungen in den wachsenden Freiräumen abseits der staatlichen Kontrolle sein konnten. Eine der wesentlichen Management-Praktiken bestand im Ausbau des Netzwerkes und der regelmäßigen Kontaktaufnahme mit Veranstaltern und Veranstaltungsorten. Telefone waren in der DDR allerdings nur spärlich verbreitet. Nur wenige Bands konnten von den günstigen persönlichen Umständen profitieren wie etwa Formel 1 – Norbert Schmidt arbeitete trotz des Hauptberufes als Sänger nach wie vor in der zentralen Telefonvergabe in Berlin. Die Erfurter Blitzz etwa handelten eine Vereinbarung mit einem Jugendklub aus, nach der sie das Telefon des Klubs für geschäftliche Telefonate benutzen konnten, wofür sie wiederum Anteil der Rechnung übernahmen (Hellmann 2009: 42). Die verhältnismäßig geschlossenen Netzwerke konnten dabei eine regelrechte Monopolstellung in der Organisation von Metal-Konzerten einnehmen:

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR »[…] und manchmal hat man von anderen Bands auch Muggen abgekauft. Das funktionierte so: Als Band nahm man immer alle Muggen an. Wenn da irgendwas kam, nahm man das erst einmal an. Dann bekam man zusätzlich noch eine andere Mugge am gleichen Tag, die aber besser bezahlt war. Also hattest du auf einmal zwei! Dann wurde die Mugge verkauft, wo man schon öfters gewesen ist. Man hat Bands angerufen und gefragt, ob die schon eine Mugge haben und dort in der letzten Zeit schon mal aufgetreten sind. Wenn die verneint haben, dann sagten wir, daß sie dorthin fahren sollen und haben den Vertrag übertragen. Und das funktionierte sogar! Man ist dann zu dem Kneiper hingefahren: ›Formel 1 können heute nicht, aber wir sind da.‹ Was sollte er machen? Er wollte ja seine Veranstaltung durchführen und nicht auf einmal ohne Band dastehen.« (Uhden 2009a: 34)

Wer konkret angerufen wurde, regelte das persönliche Netzwerk. Diese Praxis der Inklusion und Exklusion von Bands und Musikern war umstritten. Die in dem Beispiel beschriebene Praxis sorgte zudem unter Veranstalter und Fans für Missmut. Dan Uhden erinnert sich an ein Konzert, dass ihnen Formel 1 über diesen Weg vermittelte. Offenbar wurden Veranstalter und Fans über den Wechsel des Line-Ups nicht informiert, so dass die »ein bisschen sauer« und »angepisst« waren, weil sie Formel 1 erwarteten (Uhden 2009a: 34f.). Diese schattenwirtschaftlichen, auf das persönliche Netzwerk ausgerichteten Praktiken einerseits und die staatlichen Praktiken der Förderung und Repression andererseits konnten insbesondere für jüngere Bands und Fans das Bild von einer doppelt kontrollierten und elitären Struktur vermitteln. Es waren häufig auch Erfahrungen von Exklusion, die etwa in der Erinnerung mit Begriffen wie »Metalpolizei« für die etablierten, in den Strukturen verankerten älteren Musiker in Verbindung gebracht werden (Interview Ebert). Die Folgen waren ein Konkurrenzdenken (vgl. Merlin 2010: 28), das zusätzlich noch durch den Szene-Diskurs und die sich allmählich abzeichnenden unterschiedlichen Interessen und Aufmerksamkeiten seitens der Fans verstärkten. Daneben gab es gerade bei den jungen Amateurbands, die wenig Einblick in diese Strukturen hatten, eher naive Kontaktversuche mit Veranstaltern und anderen Bands, die vor allem ein spielerisches Austesten der neuen Rolle als Manager vermuten lassen, so etwa bei der Berliner Band Sonic Seducer unter den Augen des MfS (BStU, MfS, HA XX, Nr. 20765, Bl. 3f.).

5.3 Instrumente und Technik Die technischen Möglichkeiten der Klangerzeugung spielten für die Entwicklung des Heavy Metal eine wichtige Rolle. Für Rockmusik war der Sound eine »wesentliche ästhetische Kategorie«, wie Peter Wicke festhält (Wicke 1987: 131). Für den Heavy Metal sodann wurde dies Kategorie noch spezifischer. Mit Weinstein sind vor allem die Verzerrung und die Lautstärke wesentliche klang-

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liche Bedingungen (Weinstein 2000: 23). Die starke Verzerrung der E-Gitarre etwa entwickelte sich bereits zu Beginn der 1970er Jahre zu einem ästhetischen Gütekriterium für die Abgrenzung zum Hard Rock (Walser 1993: 41), obgleich der Sound der Gitarre als Bewertungskriterium keinesfalls dafür ausreicht (Mynett 2015: Pos. 1977). Die klangliche Dimension des Heavy Metal ist stark abhängig von der Technik. Weinstein spricht dabei vom »code of heavy metal« (Weinstein 2000: 22-27) und verweist auf die Dimensionen Energie und Kraft, die insbesondere über Lautstärke und Verzerrung überwältigen und ermächtigen (»empowering«). Während etwa eine verhältnismäßig starke Verzerrung der Gitarre auch in Genres wie Punk und harmonische Verzerrung etwa auch in Genres der elektronischen Tanzmusik als klangliches Gestaltungsmittel eingesetzt werden, plädiert Mark Mynett für den Begriff »heaviness«, um Heavy Metal klanglich zu charakterisieren: »In popular music, the term ›heavy‹ can be used to describe a variety of sound and performance characteristics in a wide range of styles. However, for many, this adjective is solely reserved for the metal genre, and used to describe the perceived weight and density of the music. […] While textures, dynamics, and performance styles often vary; harmonically distorted guitar tones embody the fundamental identity of heavy music, consequently providing coherence to its numerous subgenres.« (Mynett 2016: 1975)

Mynett verknüpft mit dem Begriff der »heaviness« ein technologisch eingebettetes Verständnis, das zugleich eine historisierende als auch interaktive, auf Wechselbeziehungen zwischen den Objekten der Technik und den menschlichen Akteuren beruhende Perspektive zulässt.47 Während in 2016 Gitarrenverstärker wie Laptops aufgebaut sein können und eine unüberschaubare Menge an Möglichkeiten bieten,48 mussten Musiker in den 1970er und 1980er Jahren auf die erhältlichen Verstärkermodelle und den angebotenen Sound zurückgreifen. Die Modifizierung gegebener Verstärker und die Weiterentwicklung und Markteinführung neuer Modelle gingen dabei Hand in Hand. Tatsächlich konnte etwa ein Gitarrist in Westdeutschland in den 1980er Jahren, warf er beispielsweise einen Blick in die kommerziellen Anzeigen von Musikinstrumentenläden im Metal Hammer, zwischen zahlreichen Modellen für den so 47 | So zeigen etwa Berger und Fales in einer Analyse (2005), wie die Verzerrung der Metal-Gitarre in Aufnahmen seit den 1970er Jahren stetig zunahm. 48 | Verwiesen sei an dieser Stelle exemplarisch auf den deutschen Hersteller Kemper, der in den 2000ern als einer der ersten einen Gitarren- und Bassverstärker als quasi interaktives Computermodul entwickelte, indem mittels Frequenzanalyse sämtliche existierenden Verstärker mit hoher Klangreproduktionsqualität gespeichert, in Echtzeit abgerufen und durch Social Web-Technologien weltweit getauscht werden können, vgl. www.kemper-amps.com (Zugriff am 01.10.2016).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

genannten Hi-Gain-Verstärkerbereich wählen. Die Verstärker wurden in der Regel von britischen (Marshall, Orange) oder amerikanischen (Crate, Dean Markley) Herstellern angefertigt. Neben den sich wandelnden handwerklichen Anforderungen im Umgang mit solchen neuen Möglichkeiten der Klangerzeugung – eine höhere Verzerrung der E-Gitarre bedeutete beispielsweise auch eine größere Gefahr ungewollter Stör- und Saitengeräusche – waren vor allem die technologischen Möglichkeiten eine Grundbedingung, um Metal zu spielen. Hierin lag bereits eine der wesentlichen Hürden für die Musiker in der DDR. Auch Felber bemängelte diese Umstände, die nicht nur für die Metal-Szene zutrafen: »In Betracht gezogen werden müssen darüber hinaus die hohen Kosten der heute standardmäßig erforderlichen Anlagen und Instrumente der Kapellen und die Schwierigkeiten der Beschaffung entsprechender Ausstattung.« (Felber 1988: 16)

Zwar war der private Handel mit entsprechender westlicher Technik in den 1980er Jahren durchaus rege, aber mit enormen finanziellem Aufwand verbunden. Die sozialistischen Musikinstrumente und -technik hingegen hingen der internationalen Entwicklung hinterher und erfüllten kaum die zeitgenössischen ästhetischen Standards. High-Gain und eine starke Verzerrung waren kaum möglich. Analysiert man Video- und Fotoaufnahmen von DDR-Rock- und MetalMusikern, wird deutlich, dass sie häufig westliche Instrumente und Verstärker spielten. Das Bewusstsein über den richtigen Sound war verbreitet, wie spätestens in einer Kolumne des freiberuflichen Produzenten und Gitarristen der Heavy Metal-Band Prinzip, Jürgen Matkowitz, deutlich wird (Matkowitz 1989). Matkowitz berichtet hier offenherzig über die ihm bekannten technischen Möglichkeiten der Klangerzeugung für einen Heavy-Gitarristen. Dabei kommt viel Experten- und Techniksprache zu Papier: Die Rede ist von den richtigen Tonabnehmern einer Gitarre, den aus zwei Spulen bestehenden »Humbuckern«, von Overdrive und Röhrenverstärkern mit oder ohne Master Volume, »Endstufenübersteuerung (Clipping)«, »Powersoak«, »Noisegate« sowie »kompakten Effektgeräten«. Matkowitz demonstriert hier ein großes, relativ aktuelles Expertenwissen, das durchaus an internationalen Standards orientiert war – und womöglich eher der Distinktion Matkowitz’ diente, als den jungen Musikern, die solche Geräte zum Teil noch nicht einmal selbst gesehen haben, geschweige denn sich leisten konnten. Durchaus praktisch konnten jedoch seine Hinweise zu den Soundveränderungen je nach Einstellung der Röhren-Vorstufe eines Verstärkers sein: »Dabei gilt es zu berücksichtigen, daß Endverstärker mit Master Volumen eine weitere Verzerrung in der Vorstufe bewirken, was zu einem sehr harten und kratzigen Sound

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken führt. Endverstärker ohne Master Volumen dagegen klingen sanfter und angenehmer. Hier sollte also jeder genau wissen, welcher Sound im Endeffekt gewünscht wird.« (Matkowitz 1989: 60)

Dabei wird Matkowitz durchaus auch den verschiedenen Klangvorstellungen im Kontinuum des Heavy und Extreme Metal gerecht, in der ein Heavy Metal-Gitarrist eher einen weicheren, sustain-reichen Gitarrensound bevorzugen konnte, wohingegen etwa ein Thrash oder Death Metal-Gitarrist bewusst einen obertonärmeren, »harten und kratzigen« Sound erreichen wollte. Ganz im Stile der Gitarristen-Feature westlicher Medien berichtet auch Matkowitz am Ende des Beitrags über sein technisches Setup für Konzerte. Obgleich er die Gitarre ausspart und direkt bei der Verkabelung dieser beginnt, liest sich seine Liste wie die eines professionellen westdeutschen Gitarristen: Da ist die Rede von einem Beyer-Drahtlos-/Funksystem und Sure-Mikrofonen, von einem T.C. Chorus, heute ist die dänische Firma als T.C. Electronic bekannt, von einem Alesis Mikroverb für einen Hall-Effekt, einem Rocktron Noisegate (»Hush 2cX«) und zu guter Letzt zwei Marshall-Verstärker mit 100 Watt und entsprechenden Marshallboxen mit 4x12 Zoll Celestion-Speakern. Derart umfangreich ausgestattet waren selbst in Westdeutschland in erster Linie nur professionell arbeitende Gitarristen. Selbst in der BRD entsprach der Wert all dieser im Handel erhältlichen Geräte mehrere Tausend West-Mark. Angesichts des Mangels gerade unter Amateurmusikern in der DDR konnte der Artikel allerdings auch als Hohn empfunden werden. Matkowitz setzt dem noch eins drauf: Ausführlich berichtet er von den »äußerst praktischen kompakten Effektgeräten«, die neuerdings im Angebot seien, wobei er keinesfalls die Verfügbarkeit in der DDR gemeint haben kann. Er schwärmt von den Vor- und Nachteilen nichtsozialistischer Produkte von Herstellern wie Boss, Roland oder Yamaha und demonstriert sein Erfahrungswissen im Umgang mit all diesen Geräten im Fazit: »Insgesamt ist das GP 8 [von Roland] vor allem durch seine größeren Programmierungsmöglichkeiten das professionellere Gerät.« (Matkowitz 1989: 61) Matkowitz selbst hatte allem Anschein nach enorme finanzielle Möglichkeiten und Transferkanäle, um an diese Geräte zu gelangen. Zudem hatte er offensichtlich keinerlei Befürchtungen mehr, vom Staat wegen Verherrlichung westlicher Produkte oder möglichen illegalen Beschaffungspraktiken belangt zu werden. Außerdem mag überraschen, dass die Zensur diesen Artikel, der so offenkundig von der westlichen Technik schwärmt, ohne auch nur einmal die sozialistischen Musikinstrumentenerzeugnisse zu erwähnen, so freigab. Aber welche Möglichkeiten hatten die Bands und Musiker, die weniger privilegiert waren? Eine Möglichkeit war das Selbstherstellen:

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR »Stimmt, ohne Lötkolben warst Du kein Musiker! […] Wir haben natürlich viel selbst gefummelt. Wenn ich nur daran denke, wie unsere Stagebox und das dazugehörige SaalKabel entstanden ist! Die Verkäuferin der Elektronik-Abteilung hat mich am Anfang dafür vermutlich gehaßt, daß ich beinahe täglich angekommen bin und irgendwelche Stecker, Buchsen und so weiter verlangt habe.« (Wiewora/Ritter 2012: 39f.)

Insbesondere bei der materialaufwändigen Herstellung von Bühnen- und Instrumententechnik bediente man sich der verbreiteten und beinahe selbstverständlichen Praxis des Selbstbereicherns, wo es nur möglich war: »Die Stagebox war ein Eigenbau aus massivem Stahlblech, welches ich aus der KFZWerkstatt, in der ich schaffte, mit der innerlichen Einstellung ›Aus den Betrieben ist noch viel mehr herauszuholen!‹ – das hat schon der Honecker gesagt – abzweigte. Jens hat gelötet, was das Zeug hielt. Außerdem entstanden auch zwei Monitorboxen. Die hatten jeweils fünfzig Watt […]. Ich habe die Verkäuferin in einem anderen Laden wirklich wochenlang genervt, bis endlich die ersehnte Antwort kam: ›Ja, die Lautsprecher sind da. Was wolln’se denn damit?‹« (Wiewora/Ritter 2012: 39f.)

Sozialistische Produkte wie etwa die tschechische Gitarre Jolana Galaxis, die u.a. von Mike Andrae (Manos) und zeitweise von Jörg Ebert (Darkland) gespielt wurde, waren durchaus im Handel erhältlich, auch wenn die Nachfrage das Angebot weit überstieg. Bedeutender war der private Handel. In den 1980er Jahren gab es einen verhältnismäßig regen Gebrauchtmarkt für sozialistische und, noch gefragter, westliche Musiktechnik. Schlägt man Fachzeitschriften wie die melodie und rhythmus auf, sind für nahezu alle Instrumentengruppen sowie für Licht- und Tontechnik entsprechende Angebote zu finden – darunter verhältnismäßig viele westliche Produkte. Tatsächlich profitierte der Gebrauchtmarkt in den 1980er Jahren vom langjährigen Schmuggel in die DDR. Die Kleinanzeigen für gebrauchte Instrumente in der melodie und rhythmus wuchsen im Laufe des Jahrzehnts beständig an, was allerdings kaum Einfluss auf die Preisentwicklung hatte. Der aufzubringende finanzielle Aufwand war enorm, wie folgende Beispiele verdeutlichen: • Ein Bodeneffektpedal für E-Gitarren, dass einen stark verzerrten Sound erzeugt: »Boss Super Overdrive SD-1, 1.000 Mark« (melodie und rhythmus 4/89, S. 31).49 • »Gitarre ›Fender Jazzmaster‹, altes Modell, 5.200,- Mark« (melodie und rhythmus 6/82, S. 18). • »Fender Stratocaster, neuw., mit Formkoffer, für 10.200,- Mark« (melodie und rhythmus 11/85, S. 19). 49 | Ein solches Pedal kostete zur gleichen Zeit in der BRD neu ca. 80 bis 90 D-Mark.

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Man muss sich bei diesen Preisen das Durchschnittseinkommen von ca. 1.300 Mark gegen Ende der 1980er Jahre, für jugendliche Lehrlinge noch weniger als die Hälfte davon, vergegenwärtigen. Seltener angeboten wurden für den Sound relevante Verstärkermodelle. Ein Marshall JCM 900 als einer der typischen Hard Rock- und Heavy Metal-Verstärker der 1980er Jahre wurde beispielsweise im gebrauchten Zustand für 4.500,- Mark angeboten (melodie und rhythmus 1/89, S. 32). Selbst für die sozialistischen Produkte wurden verhältnismäßig hohe Summen gefordert. Eine in der DDR produzierte Gitarre Musima MH-X beispielsweise wurde im gebrauchten Zustand für über 2.000 Mark offeriert (melodie und rhythmus 4/89, S. 31). Ein tschechoslowakisches Drumset der Firma Amati, eines der qualitativ besseren sozialistischen Produkte, für 3.500,- Mark (melodie und rhythmus 1/89, S.  32). Biest-Schlagzeuger Ralf Wiesenack etwa bestellte sich bei ebendiesem tschechoslowakischen Instrumentenhersteller ein Drumset – für einen Preis von ca. 3.000 Mark und einer Wartezeit von ca. einem Jahr (Rosenberg 2014: 20). Deutlich wird: Wer mit dem Musizieren beginnen wollte, stand vor erheblichen finanziellen Hürden, um eine selbst nur mittelmäßige Ausstattung zu erhalten. Die ersten Schritte waren oftmals vom Zufall oder gezielter Unterstützung durch Verwandte oder Freunde geprägt. Dan Uhden beschreibt den Erwerb seines ersten West-Instrumentes: »Man vertraute dem Zeug aus dem Westen immer mehr, als dem, was man hier im Osten gekauft hat. […] Jedenfalls habe ich mit meinem Vater gesprochen und fragte ihn, wie es denn aussehe und ob er mich dabei nicht ein wenig unterstützen könne. Er fragte mich, was ich ungefähr ausgeben wolle und ich sagte, ich möchte gerne so eine Gitarre für vier- oder fünfhundert D-Mark haben und soundso soll die aussehen. Nun war das ja mit dem Herüberbringen nicht unbedingt die einfachste Variante, denn das war eigentlich Schmuggelware. Aber mein Vater kannte irgendeinen 63 Jahre alten Diplomaten und es war alles mit dem ›Sound- und Drumland‹ in West-Berlin geklärt. Ich habe denen gesagt, daß ich diese Gitarre kaufen möchte und sie abgeholt wird.« (Uhden 2009a: 34)

Dieser glückliche Umstand durch persönliche Kontakte ermöglichte Uhden einen Zugang zu einer Gitarre westlicher Produktion, wie er nur wenigen vergönnt war. Das Beispiel verdeutlicht aber auch, welche Probleme dabei auftreten konnten: »Dann kommt der Diplomat wieder und bringt mir aber nicht diese Gitarre für vier- oder fünfhundert D-Mark, sondern eine für 1200 mit. Die haben sie ihm einfach mal aufgeschwatzt! Daß heißt also, damals war der Umrechnungskurs eins zu zehn: Eine Gitarre für zwölftausend Ostmark gekauft! (lacht) Das war natürlich ein Stein und mein Vater hat fast einen Herzinfarkt gekriegt. Aber es war ja auch nicht möglich, zurückzufahren

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR und die Gitarre umzutauschen, so daß ich diese dann behalten habe.« (Uhden 2009a: 34)

Junge Musiker, die auf solche Kontakte nicht zurückgreifen konnten, machten ihre ersten musikalischen Schritte vor allem an alten, nicht selten selbstgebauten oder geliehenen Instrumenten und Verstärkern: »In der Schule sprach sich das dann wohl ›rum und wir borgten uns von unserem PhysikLehrer einen selbstgebauten Verstärker aus, um mal richtig Krach zu machen. […] Ich versuchte mich damals am selbstgebauten Bass und Gesang.« (Wiewora/Ritter 2012: 38)

Der Selbstbau war dabei keinesfalls unüblich. Die FDJ etwa unterstützte das Bedürfnis nach instrumentaler Betätigung durch die Veröffentlichungen von Anleitungen: »Im August 1984 hab ich mir die erste Gitarre selbstgebaut, nach einem ›Jugend & Technik‹-Bauplan« (Schwalowsky 2012: 16). Die bereits erwähnte tschechoslowakische Jolana Galaxis etwa war mit Single Coil-Tonabnehmer ausgestattet, die sich von der Bauart westlicher Single Coils, wie sie etwa in einer Fender Stratocaster zu finden waren, unterschieden. Nicht nur war der Jolana-Sound alleine aufgrund der Ausstattung mit Single Coils dünner und schwächer gegenüber den sich für den Metal-Sound zunehmend durchsetzenden Humbucker-Tonabnehmern, bestehenden aus zwei gegensätzlich gewickelten Spulen. Auch waren die Jolanas für ein starkes Feedback, insbesondere bei höherer Verzerrung, bekannt. Jörg Ebert erinnert sich an den Trick, die zwei Tonabnehmer auszubauen und zusätzlich von unten mit Silikon auszugießen, was das Feedback ein wenig mindern sollte (Interview Ebert). Neben den Gitarren waren die Verstärker eine weitere Hürde auf dem Weg zu einem Heavy-Sound an der Gitarre. Die Erinnerungen Jörg Eberts sind hier aufschlussreich: »Da haben wir uns damals noch zu Wotan-Zeiten erst mal mit Vermona versorgt. Und zwar waren das ganz kleine Verstärker, also keine Röhren, Transistoren. […] Und irgendwelche alten Lautsprecher, die wir hatten. Ich weiß gar nicht mehr, woher wir die hatten, das waren keine Instrumentenlautsprecher, sondern die waren mal irgendwie aus irgendeiner Box raus, keine Ahnung. Jedenfalls das zerrte von Hause aus schon.« (Interview Ebert)

Während der typische Heavy-Sound der Marke Marshall mit Vor- und Endstufenröhren erzeugt wurde, musste man sich bei den sozialistischen Produkten, hier der Marke Vermona der VEB Klingenthaler Harmonikawerke, in der Regel mit Transistortechnik zufriedengeben. Zudem war der Verstärker Eberts ein einkanaliger Verstärker ohne jegliche Verzerrung: »Das hat ja der

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Lautsprecher gemacht« (Interview Ebert). Vermutlich wurden die Speaker des Lautsprechers dermaßen übersteuert, dass sie das Signal von selbst verzerrten, obgleich dieser Klang eine völlig andere Qualität als die Verzerrung des eigentlichen Gitarrensignals durch ein entsprechendes Teil es Verstärker hatte. Wie Ebert eingesteht, war das keinesfalls zufriedenstellend: »Nicht wirklich. Aber ich meine, wenn du nichts Anderes kennst, sage ich mal, dann ist das schon erst mal cool. Dann ist das schon erst mal okay (lacht).« (Interview Ebert) Ebert konnte sich einige Jahre später einen Marshall-Verstärker als Topteil (Powerhead) leisten, wobei er sich noch heute skeptisch zeigt, ob dies nicht ein Nachbau aus sozialistischen Ländern gewesen sei, ein Plagiat. Ergänzt wurde der Verstärker mit einer aus einem Monitor-System zweckentfremdeten Box mit einem 15- oder 18-Zoll-Speaker (Interview Ebert).50 Für Darkland wechselte Ebert auf einen Musima-Bass, den er zunächst über seine Gitarrenanlage spielte. Die Gitarristen von Darkland spielten Orange- und Laney-Verstärker, beides nichtsozialistische Produkte, die sie sich über den privaten Handel und Schwarzmarkt besorgt hatten. Sobald man im Besitz von qualitativ besserer, vornehmlich westlicher Technik war, hatte man ein enormes subkulturelles Kapital. Tatsächlich besaßen die Objekte aufgrund des Mangels und ihrer Bedeutung in den westlichen Metal-Szenen einen enormen Tauschwert, der den Besitzer in nahezu elitäre Kreise innerhalb der Szene katapultieren konnte. Man konnte nicht nur gegen andere, in erster Linie westliche Produkte tauschen, sondern auch gewinnbringend verkaufen. Wie Jens Molle betont, war gute und verlässliche Technik ein enorm wichtiger Punkt gerade auch für Veranstalter, und somit eine Art Vertrauensvorschuss für ein gelungenes Konzert (Interview Molle). Wie groß die Einschränkungen waren, wird besonders am Beispiel von Instrumenten für Linkshänder deutlich. Der Gitarrist der Hallenser Band Panther war Linkshänder und musste sich zunächst mit einem Eigenbau zufriedengeben: »Ja, am Anfang hat er von ganz normalen Gitarren das untere Teil weggesägt. Dann haben wir bei einem Gitarrenbauer in Thüringen eine Gitarre anfertigen lassen, einen Gibson-Nachbau mit Gibson-Tonabnehmern. Ich bin mit der ›ES 250‹ [ein Motorrad aus den Motorenwerken Zschopau] bei strömenden Regen 300 Kilometer einfach nach Thüringen gefahren und habe Sven’s Klampfe abgeholt. Dort haben wir uns später dann auch eine Box bauen lassen.« (Mikula 2009: 46) 50 | Der internationale Standard in der Rockmusik war seit den 1970er Jahren das so genannte ›Stack‹, bei dem der Verstärker als eigenständiges Teil mit dem Lautsprechersystem übereinandergestapelt wird. Hier waren eigens für die Wiedergabe von Gitarren hergestellte Boxen, die in der Regel mit vier 12-Zoll-Speakern ausgestattet waren, im Einsatz, vgl. Schwaerzel (1995: 117).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Typische Verschleißteile wie etwa Felle, Drumsticks oder Saiten waren schwer erhältlich. Interessanterweise schien sich die staatliche Subvention und Förderung der professionellen DDR-Bands nicht darauf zu erstrecken. Wie sich Wolfgang Densky von Formel 1 erinnert, musste er sich einen persönlichen Kontakt in einem Musikfachgeschäft in einer anderen Stadt auf bauen, um an die nur in geringen Stückzahlen produzierten Gitarrensaiten zu gelangen: »Ich hatte immer eine Beziehung, in Dresden war das. In Dresden bin ich immer in diesen Musikladen, da kannte ich einen, der wusste auch, dass ich ab und zu mal da vorbeikomme und der hat immer weggelegt. Und da habe ich immer gleich zwei Sätze gekauft, dass ich Reserve hatte.« (Interview Densky & Schmidt)

Obgleich Densky diesen privaten Kontakt hatte und pflegte, war die Praxis des Saitenwechsels – heute etwa wechselt man in professionellen Kreisen für jedes Konzert die Saiten – stark eingeschränkt. Nicht nur waren die Preise für einen Satz keineswegs gering, Densky erinnert sich an einen Satzpreis von ca. 10 Mark (Interview Densky & Schmidt),51 auch deckte die Produktion der Monotex-Saiten keinesfalls die Nachfrage. Innerhalb der Szene war Denskys Kontakt offenbar bekannt, so dass ihn Gitarristen regelmäßig ansprachen und fragten, ob er nicht einen Satz abgeben könne. Der Schmuggel und Tauschhandel blühte auch für andere wichtige Produkte oder Dienstleistungen, wie das Herstellen oder Reparieren. So erinnert sich die Sängerin Ina Morgenweck u.a. bei der Hard Rock-Band Charlie tätig, dass die PA-Anlage und Technik »durch einen Mittelsmann über Ungarn aus dem Westen eingeschmuggelt« wurde (Morgan 2009: 23). Die Ausstattung mit westlichen Instrumenten und Technik war in den 1980er Jahren keinesfalls mehr eine Besonderheit, brachte der Band Charlie dennoch Verhöre mit dem MfS ein. Einigen Bands und Musikern wurden allerdings auch von lokalen Betrieben gesponsert. Die Hettstedter Thrash Attack bekamen vom lokalen Walzwerk eine komplette Anlage, Verstärker mit Boxen und Drumset, zur Verfügung gestellt. Als Gegenleistung wurde ein Auftritt der Band zu den offiziellen 1. Mai-Feierlichkeiten verlangt (Jauernik 2011: 31). Wie das Walzwerk an die Instrumente und Technik kam, ist fraglich. In der Regel hatten die Betriebe einen Etat für Kulturelles. Die Besorgung einer gesamten Bandausstattung kann einem Zufall geschuldet gewesen sein, eine Kooperation mit der lokalen FDJ- oder SED-Kreisleitung war vermutlich ebenso im Spiel.

51 | Andere Zeitzeugen nennen einen Einkaufspreis von 9,05 Mark, s. www.muse um-markneukirchen.de/forum/viewtopic.php?f=11&t=679&start=0 (Zugriff am 1.10. 2016).

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5.4 Tonaufnahmen und Tonstudios In dem ZIJ-Forschungsbericht zur »DDR-Rockmusik und DDR-Jugend« von 1988 werden auch zahlreiche Missstände der Plattenproduktionen thematisiert. Nicht nur kritisiert Felber den Veröffentlichungsstau, in dem Bands mehrere Jahre auf die Veröffentlichung ihrer Aufnahmen warten müssen, obwohl sie mitunter bereits live und im Radio etabliert waren (Felber 1988: 23). Die als schlecht einzuschätzenden Bedingungen würden sich vor allem in den allgemein »mangelnden Studiokapazitäten« und dem Druck, »innerhalb von Tagen, gelegentlich sogar von Stunden« einspielen zu müssen, abzeichnen (Felber 1988: 25; vgl. Larkey 2000: 44). Studioaufnahmen wiederum waren eine Voraussetzung, um im Rundfunk gespielt und eventuell von der Amiga veröffentlicht zu werden, auch wenn in der Tendenz-Sendung gelegentlich auch Demo-Aufnahmen gesendet wurden. Darüber hinaus problematisch sei nach Felber ferner das Niveau der Produktionen der wenigen vorhandenen Studios, das vorrangig auf einen technischen Rückstand zurückzuführen sei und internationalen Standards hinterherhänge. Für Felber stehen diese Probleme in einem engen Zusammenhang mit der wachsenden Unbeliebtheit der DDR-Produktionen unter den Jugendlichen: Je weniger »die Funktionalität der populären Produktion als authentischer Ausdruck des Lebensgefühls, der Sehnsüchte, Vorstellungen und der Problemartikulation Jugendlicher in unserem Lande« verstanden werde, desto kritischer sei der technische Rückstand, der die ästhetischen Vorstellungen nicht mehr zu erfüllen im Stande sei (Felber 1988: 26). Seine Forderung nach mehr staatlichen Investitionen in »Musikproduktionseinrichtungen aller Art« (Felber 1988: 25) deckten sich mit der zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnenden Tendenz, mehr private Tonstudios zuzulassen und mit staatlichen Geldern etwa über FDJ-Förderpreise zu versehen. Felber sieht in der konkreten sozialen und ästhetischen Praxis in den etablierten Tonstudios eine wesentliche Ursache für den Attraktivitätsverlust unter den eigenen Jugendlichen: »Die Produktionskapazitäten werden dann von denen belegt, die über Jahre hinweg Beziehungen, Erfahrungen und Ausrüstungen akkumulieren konnten. […] Allzu häufig wird dabei lediglich ein seit Jahren vertretener Stil weiter kultiviert und in einer insgesamt überalterten Szene künstlich am Leben erhalten.« (Felber 1988: 21)

Felber konstatiert »Momente eines musikalisch-künstlerischen Konservatismus« (Felber 1988: 21) und verweist auf über Jahre eingeschliffene Praktiken und zudem auf die bedeutsame Rolle des Produzenten und Toningenieurs für den künstlerisch-ästhetischen Schaffens- und Produktionsprozess (Shuker 2008: 45f.; Frith 2012).

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Für Heavy und insbesondere Extreme Metal bestand grundsätzlich, auch im anglo-amerikanischen Raum, die Frage nach der adäquaten Produktionsweise im Tonstudio. Nicht ohne Grund bildeten sich etwa stilistische Soundcharakteristika heraus, die auf die Produktionsweisen einiger weniger Studios und Produzenten basierten, ein Phänomen, dass in der populären Musik häufig zu beobachten ist.52 Dabei werden die entstandenen Produktionen in den USA oder Westeuropa in den 1980er Jahren oftmals als ein experimentelles Vorgehen erinnert, das stark vom Produzenten und dessen individuellen Einsatz der Technik abhing (Netherton 2014: 216-226). Auch in der DDR nahm der Produzent eine entscheidende Rolle für die Gestaltung des Sounds ein. Der von Felber angesprochene »musikalisch-künstlerische Konservatismus« spielte dabei immer wieder eine Rolle. Hinzu kam, dass die meisten Produzenten die Musik schlichtweg nicht verstanden – auf Heavy Metal spezialisierte Produzenten aus der Szene wie etwa im Westen gab es in dem Ausmaß nicht. Da die Die Produktion von Tonaufnahmen populärer Musik in der DDR in erster Linie vom Rundfunk und Amiga organisiert wurden, waren Bands zunächst hiervon abhängig. Der Rundfunk konnte etwa mit Übertragungswagen auch Live-Mittschnitte produzieren. Hierfür wurde zum Beispiel ein mobiles 8-Spur-Studio, etwa bei Prinzz 1984 in Suhl, später dann auch ein 16-SpurStudio eingesetzt: »Am nächsten Tag waren wir in einem improvisierten Studio im Kulturhaus, das hatten die mit einem Ü-Wagen gemacht. Heutzutage würde man sagen: Lächerliche Technik, denn das waren acht Spuren im Ü-Wagen. Oder sogar nur vier Spuren? Du mußtest das da live reinklopfen und dann wurde der Gesang nochmal darüber synchronisiert.« (Hellmann 2010: 4)

Wollten die Musiker eine Kopie dieser Aufnahmen erhalten, mussten sie auf Bestechungsmethoden zurückgreifen, wie die thüringische Band Hardholz aus Tambach-Dietharz erinnert: »Wir wollten damals eine Kassette von dem Song haben und da hieß es: ›Ui, da müssen wir gucken, ob wir ein Adapter-Stück haben.‹ Der Toningenieur hat immer ›Braunen‹ [Weinbrand] getrunken, also haben wir ihm eine Flasche mitgebracht und dann hieß es: ›Das Adapter-Stück ist gerade gekommen.‹« (Brill 2015: 26)

Studioproduktionen waren planwirtschaftlich organisiert und strukturiert. Die Bands und Musiker traten mit den offiziellen Aufnahmen sämtliche Verwertungsrechte ab: 52 | Man denke etwa an ECM im Bereich des Jazz, Motown im Bereich des Soul und Morrisound Recording für den US-amerikanischen Death Metal.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken »Ja, wir mußten dafür sogar unterschreiben. Als wir in Dresden mit der Aufnahme fertig waren, gab es ein Formular. Bei mir mußte ich eben ausfüllen, daß ich den Bass eingespielt und Background gesungen habe. Dann gab es eben etwas für diese Arbeitsleistung, die wir erbracht hatten. Aber dafür haben wir sämtliche Rechte an diesem Titel an Amiga abtreten müssen, damit das überhaupt gespielt wurde.« (Wilke 2011: 40)

Die Akteure in den verschiedenen Institutionen waren sich ihrer besonderen Stellung als Schlüsselfiguren bewusst, Machtkämpfe blieben nicht aus. Dan Uhden erinnert sich an ein Uraufführungskonzert, dass das Konzept und die neuen Kompositionen inklusive Bühnenbild der Band Merlin vorstellen sollte. Im Rahmen dieses Konzertes kam es zu einer Begegnung mit Walter Cikhan, seit 1986 Leiter der Abteilung Jugendmusik und Cheflektor des Rundfunks. Dieser entschied über die konkreten Produktionen in seiner Institution (vgl. Wicke/Müller 1996: 81-88). Während der After-Show-Party wurde die Band offensichtlich Zeuge eines öffentlich ausgetragenen Machtkampfes zwischen dem Rundfunk und der Amiga: »Auf einmal kam Walter Cikan vom Rundfunk und der Kollege von ›Amiga‹ ’rein, redeten erst mit ein paar Journalisten und ein paar Redakteuren vom Rundfunk und wurden dann ganz aschfahl, weil das so ein Erlebnis gewesen sein soll. Walter Cikan wurde dann sowas von rot und brüllte uns an, wie wir dazu kämen, ihn nicht dazu einzuladen. Ich sagte, daß wir das ja gemacht hatten! Wir hatten ihn in der Tat mehrfach eingeladen, auch zu diesem Konzert. Er sich dann soweit hochgespielt und gesagt: ›Ihr braucht nicht mehr anzukommen, denn ihr werdet in der DDR keinen Ton mehr auf Band kriegen! Ihr werdet nicht mehr gespielt werden!‹ Wumm, das hat gesessen! […] Das war Ende 1988 und der Umbruch deutete sich schon langsam an, zumal der Mann von ›Amiga‹ das ganz anders sah, weil er nämlich mittlerweile auch Angebote aus dem Westen für uns hatte. Der Mann wollte mit uns in den ›Amiga‹-Studios eine Platte machen und das hatte auch noch den schönen Nebeneffekt, daß sie mich nicht wieder zur Armee ziehen konnten.« (Uhden 2009b: 33)

Dieser offen zu Tage getretene Konflikt konnte mitunter bereits eine Folge der angespannten letzten Jahre der DDR gewesen sein, wie es auch Uhden andeutet. Zugleich werden dabei zwei wesentliche Aspekte deutlich: Zum einen spiegelt sich die Gestaltungsfreiheit und -macht einzelner Akteure in staatlichen Positionen wider, die ihr Handeln nicht zwangsläufig nur auf ideologische bzw. politische Interessen hin ausrichteten. Zum anderen wird die von Felber angesprochene eingeschliffene Praxis eines »musikalisch-künstlerischen Konservatismus« deutlich, getragenen von einzelnen Akteuren in Entscheidungspositionen und deren persönlichen ästhetischen Vorlieben. Die Studioinfrastruktur des Rundfunks und der Amiga standen spätestens ab Mitte der 1980er Jahre in Konkurrenz zu den neuen zugelassenen priva-

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

ten Studios, die in der Regel eine moderne technische Ausstattung hatten. Das Studio etwa von Gunther Wosylus, der bis Ende der 1970er Jahre bei den Puhdys spielte, war mit modernen Drumcomputern und Mikrofonen ausgestattet. Dass diese moderne Ausstattung dennoch kein Garant für eine ›gute‹ Heavy Metal-Produktion war, lässt sich an zahlreichen Beispielen verdeutlichen. Grundsätzlich profitierten zahlreiche Metal-Bands von der Zunahme der Privatstudios gegen Ende der 1980er Jahre und der zunehmenden Förderung auch von Metal-Bands etwa durch die FDJ. Vermutlich aus dem Spannungsfeld von Profilierungsdruck im Feld der populären Musik als privater Produzent einerseits und dem angesprochenen musikalisch-künstlerischen Konservatismus andererseits waren die Aufnahme- und Produktionsbedingungen für Metal-Bands nur bedingt gut. Die Studiobesitzer waren in der Regel Musiker oder Produzenten des DDR-Rock und hatten nur eingeschränkt Kontakt mit Metal. Über den ästhetischen Vorstellungen einer jungen Metal-Band standen daher eher die langjährigen Erfahrungen eines Rockmusikers, die in den Erinnerungen von Metal-Musikern eher als willkürliche und eigenwillige Entscheidung im Produktionsprozess beschrieben werden. So erinnert sich Sven Rappold, wie er mit Metall im Tonstudio des Gitarristen der Band Prinzip, Jürgen Matkowitz, war: »Wir waren bei ihm im Studio und dann hieß es, wir machen jetzt noch die Abmischung. Als wir uns dann dort getroffen haben, sagt unser Trommler: ›Auf der kleinen Trommel ist noch ein Echo drauf.‹ Da sagte er: ›Das lassen wir so!‹ Und wir: ›Wie jetzt, so lassen?‹ Er: ›Nee, ist fertig!‹ Ich hatte danach ein Interview bei Matthias Hopke und sagte dort, daß wir zwar den Titel aufgenommen haben, es uns aber einfach nicht gefällt. Der Meister war eben gerade der Meinung, es bleibt so. Wir haben uns für zehn Minuten getroffen und dachten, jetzt gibt es zehn Stunden Arbeit und es wird noch etwas am Sound gemacht. Aber ihm war es wichtiger zu sagen, das war es‹« (Rappoldt 2009: 19f.)

In dem privaten Tonstudio von Matkowitz wurden zahlreiche Metal-Produktionen aufgenommen, so etwa von Panther, Merlin, oder Biest. Die Praxis, nach der die FDJ oder die Kulturhäuser die Tonstudiokosten in Form einer Preisverleihung oder Förderung übernahmen, sorgte für ein reges Geschäft. Ralf Mikula, Sänger der Hallenser Band Panther, erinnert sich, dass eine Aufnahme durchaus 8.000 bis 10.000 Mark kosten konnte (Mikula 2009: 45). Als es für Panther zur Einlösung des Förderpreises im Studio kam, war die Überraschung zunächst groß: »Damit kamen wir in Gefilde, die wir bis dahin noch nie gesehen hatten: Mischpulte mit 48 Kanälen und draußen in diesem Berliner Nobelviertel standen drei große schwarze Trucks. Wir waren kleine Ost-Musiker und auf einmal kommen wir dahin, mit Pool und allem Drum und Dran, was man sich nur vorstellen kann. Und das zu DDR Zeiten! Ich

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken dachte, wie kann das wahr sein, daß es im Osten Leute gibt, die so einen Reichtum besitzen?« (Mikula 2009: 45)

Die Ergebnisse jedoch konnten unterschiedlich bewertet werden. Auch Merlins erste professionelle Aufnahme fand 1987 im Studio von Matkowitz statt. Das Studio war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt dafür, dass das Schlagzeug mit einem Drumcomputer vorproduziert wurde und die anderen Instrumente sowie der Gesang während des eigentlichen Studiotermins hinzugefügt wurden, was offensichtlich für einen »typischen Matkowitz-Sound« sorgte (Interview Molle). Möglicherweise wollte der Produzent damit Zeit sparen und mit mehr Aufträgen die Anschaffung refinanzieren. Mit den ästhetischen Vorstellungen vieler Metal-Bands und -fans passte dieser eher an Popmusik und New Wave orientierte Drumsound allerdings nicht zusammen. Dan Uhden, Gitarrist von Merlin, blickt noch 2009 unzufrieden zurück: »Das war einer der ersten Songs, die wir geschrieben hatten [›Die Welt von morgen‹] und eigentlich auch in Ordnung, bloß fand die Produktion bei Jürgen Matkowitz statt. Ich könnte ihn heute noch dafür verprügeln, was er mit uns und auch den anderen Bands gemacht hat. Unglaublich, was der uns bzw. dem Rundfunk damals aus der Tasche gezogen hat! Die Gitarren klingen grässlich […]. Alle den gleichen Drumcomputer, irgendsoein Roland-Teil… […] Also ich habe gesagt: Nein ›Matko‹, ich möchte mehr Verzerrung, möchte mir die Gitarre so einstellen, wie ich auch live spiele. ›Ja, ich gebe dir nachher noch ein Verzerrer drauf, daß es sich gewaschen hat. Vertrau mir! Ich hab schon so viele Metal-Produktionen gemacht…‹ Jedenfalls klang das sehr dürftig. Aber gut, wir waren damals stolz, daß wir überhaupt etwas hatten, was im Radio gespielt werden konnte. Vorher hatten wir ja nur ein paar Songs im Proberaum aufgenommen, welche als Demo gespielt wurden.« (Uhden 2009b: 30f.)

Uhden beschreibt anschaulich die gegensätzlichen ästhetischen Vorstellungen der Musiker und des Produzenten. Der Gitarrensound, dessen Verzerrungsgrad eines der wesentlichen Bestandteile des Metal-Sounds ausmacht, wurde von dem Rockgitarristen Matkowitz nur unbefriedigend produziert. Uhden verdeutlicht die Ambivalenz, sich einerseits über eine sendereife und im Grunde professionelle Aufnahme zu freuen, andererseits der Autorität des Produzenten unterordnen zu müssen und den Sound, für den er sich als Musiker bewusst entschied, für die Aufnahme nicht erreichen zu können. Dieses intensive Eingreifen in die ästhetischen Vorstellungen und Umsetzungen durch den Produzenten, die offensichtlich nicht den klanglichen Vorstellungen der Band entsprachen, macht es zugleich schwierig, die überlieferten Aufnahmen retrospektiv zu bewerten. Insbesondere der Aspekt der thematisierten ›heavyness‹ und ›distortion‹ können demnach auch für die Studioproduktionen nur bedingt als Bewertungskriterien herangezogen werden. Zwar ist digitale

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Bearbeitung des Schlagzeugs seit Ende der 1980er Jahre zu einem Standard in der Studioproduktion geworden, das bekanntestes Beispiel hierfür ist das so genannte »triggering« der Bass-Kickdrum (Netherton 2014: 136; Williams 2015: 44f.). Dabei war jedoch nicht der komplette Ersatz des akustischen Schlagzeugklanges durch digitale Klänge, wie es Matkowitz verfolgte, von Interesse. Die bei Matkowitz gemachten Erfahrungen der Abschätzigkeit gegenüber der eigenen Musik und ihrer ästhetischen Vorstellungen waren keinesfalls auf diesen einen Produzenten beschränkt. Ähnliche Erfahrungen machten Rochus im Tonstudio Bernd Aust in Dresden, als Saxofonist und Keyboarder von Electra ebenfalls der Generation der DDR-Rockmusiker der 1970er Jahre angehörend. Der Bassist von Rochus, Hans-Ulrich Wilke, beschreibt die Studioerfahrung: »Aber es war schon eine verrückte Sache bei Aust im Studio, denn der hat von Metal keine Ahnung gehabt und die Hände über’m Kopf zusammengeschlagen. Der hat den ganzen Tag nur in dem Aufnahmeraum gesessen, eine Kanne Kaffee und nebenbei eine Flasche Goldbrand ›reingeleiert und sein Tonmann hat die ganze Arbeit gemacht. Aust hat immer mal wieder einen Kommentar abgegeben und sich über den Text und die Musik halb totgelacht. Der hat immer nur Späße gemacht. Na gut, wir waren für den ein paar dumme Jungs, aber er hat schon auch Tips gegeben. Wir sind da hingekommen wie die Frisöre, muß ich ehrlich sagen. Wir hatten keinerlei Ahnung und einen Haufen Schiß in der Hose, was da jetzt passiert.« (Wilke 2011: 37)

Wilke beschreibt den Aufnahmeprozess en detail weiter: »Wir waren ja sehr froh, daß wir das Schlagzeug aufnehmen durften und er sich damit abgegeben hat, daß Ralf das Schlagzeug selber einspielt und nicht rumpeldipumpel den Computer programmiert und den Rest dazu gespielt. […] Ja, Schlagzeug und Bass zuerst, wir haben mit Klick auf dem Ohr zusammengespielt. Dann wurden noch einzelne Schläge vom Schlagzeug ›reinsynchronisiert und ich habe den Bass dann nochmal komplett neu eingespielt. […] An den vier Minuten vierundvierzig ist auch drei Tage gearbeitet worden, das war viel für eine DDR-›No Name‹-Band.« (Wilke 2011: 37f.)

Die Beispiele der Produzenten Matkowitz und Aust erwecken den Eindruck, dass sich auch in den privaten Räumen der Musikproduktionen die autoritativen Verhaltensweisen, wie sie die Produzenten selbst über Jahre hinweg in den Abhängigkeiten der DDR-Musikwelt erfahren haben, fortsetzten. Innerhalb dieser Strukturen und Dimensionen einer solch geprägten sozialen und ästhetischen Praxis war es für Metal-Bands eher schwierig, eine anerkennende Position zu erlangen und etwa in ihren ästhetischen Vorstellungen und Wünschen ernstgenommen zu werden. Auch hier spiegelte sich letztendlich der generationelle Graben wider.

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Dennoch konnten Metal-Aufnahmen in der DDR durchaus auch gelingen. 1988 fanden weitere Studioaufnahmen von Merlin, dieses Mal in einem anderen Studio, statt. Gegenüber der Arbeit von Matkowitz empfand die Band die Arbeit im Studio Sieghard Schubert, Begründer der DDR-Rockband SchubertBand, in Quadenschönfeld als eine enorme Weiterentwicklung. Der Sound und die Arbeitsweise waren »professioneller«, die Produktion klang »geil und richtig fett«. Die nächsten Studioaufnahmen sollten die Band jedoch in die Tonstudios des Labels Amiga führen. Die Anfang 1990 gefertigten Aufnahmen spiegeln die Arbeitsbedingungen einer verblassenden Planwirtschaft dar, die Tonstudioaufnahmen mit Arbeitszeitregelungen und Auslastungsplänen sowie veralteter und unzuverlässiger Tonstudiotechnik umzusetzen versuchte: »Das war auch immer eine Tortur, denn die ›Amiga‹-Toningenieure hatten noch einen zusätzlichen Mitarbeiter, der immer nur die Knöpfe drückte, damit die sich ausschließlich auf das Hören konzentrieren konnten. Das war völlig bescheuert! Dazu kam noch, daß die nicht mehr als vier Stunden am Tag hören durften. Nach vier Stunden war dann im Prinzip alles vorbei, doch da hattest du gerade mal alles richtig aufgebaut! Damit die entsprechende Auslastung haben, mußten wir unsere Sachen wieder abbauen. […] Dazu kam noch, daß die Mischpulte tschechische Technik aus den sechziger Jahren waren, bei denen du nur mit Kontaktspray gearbeitet hast: [macht Knack-Geräusche nach] geht wieder, schön!« (Uhden 2009b: 35)

Einige Metal-Musiker konnten allerdings von ihren Anstellungen bzw. Arbeitgebern profitieren. Die beiden bei der DEFA in Potsdam-Babelsberg im Tonstudio angestellten Jens Busch und Thomas Schwalowsky nutzten den Zugang zur Technik, um ihr Projekt Defcon zu produzieren. Schwalowsky studierte Toningenieurwesen und konnte somit seine Praxisnachweise u.a. mit diesen Aufnahmen, die durch Drumcomputer ergänzt wurden, erbringen. Ihre Demoaufnahmen veröffentlichten sie unter dem Titel »Made in GDR« und verbreiteten sie über die deutsch-deutsche Grenze hinweg: »Um auf die auch aus dem ›imperialistischen Ausland‹ kommenden Fan-Anfragen zu reagieren, haben wir dann einige Titel zusammengefasst und als Demo ›Made in GDR‹ veröffentlicht. Da wir keine Tapes hatten, ließen wir die Fans uns ihre Tapes zuschicken. Wir bespielten diese dann im Studio und dazu gab’s ein Cover. Die Cover hatte eine befreundete Band aus Goslar (Betrayer) gedruckt und uns über den ›Eisernen Vorhang‹ zugesandt.« (Schwalowsky 2012: 16)

Im Grunde waren Schwalowsky und Busch auf dem Weg sich als Metal-Produzenten zu spezialisieren, was ein Alleinstellungsmerkmal in der DDR geworden wäre. Noch im Herbst 1989 konnte Darkland die EP 40 Years mit Schwalowsky und Busch in Potsdam aufnehmen und von den Erfahrungen

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der beiden Produzenten profitieren. Neben der Studioproduktion ist vor allem die Gestaltung der Darkland-EP interessant. Es war relativ früh klar, dass die Aufnahmen auf einer Kassette veröffentlicht werden sollten. Noch während seines Wehrdienstes entwarf der Bassist Jörg Ebert ein Cover. Hierfür nutzte er die technische Ausstattung der NVA-Kaserne Cölpin bei Neubrandenburg mit einem Personal-Computer und Nadeldrucker des VEB Kombinat Robotron sowie die technischen Kenntnisse eines Kameraden. Dabei setzte er einen Logoentwurf, den er zuvor per Hand gezeichnet hatte, in eine Computergrafik um (s. Abb. 8).

Abbildung 8: Cover-Entwurf zu Darklands 40 Years (1990), Kassetten-Inlay, Außenseite (links) und Innenseite (rechts), entworfen und gedruckt mit einem Robotron-Personalcomputer und -Nadeldrucker (Quelle: Jörg Ebert) Der zweiseitige Entwurf wurde aber letztlich nicht übernommen. Stattdessen wurde eine neue Zeichnung erstellt, die sowohl Bandnamen als auch EP-Titel in einer Zeichnung vereint (s. Abb. 9). Veröffentlicht wurde die EP im Frühjahr 1990 von JATT, einem neu gegründeten Vertrieb von Schwalowsky.53 Die neuen marktwirtschaftlichen und vertragsrechtlichen Bedingungen nach dem Fall der Mauer eröffneten für die Bands neue Möglichkeiten der Studio53 | Darkland, 40 Years (JAT T 1-001, 1990).

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produktion und des Vertriebs. Der Mauerfall verhinderte aber letztlich, dass sich Schwalowsky und Busch als die Metal-Produzenten der DDR positionieren konnten, wobei ihr Ruf weit über die Wiedervereinigung hinaus bestehen sollte.

Abbildung 9: Cover der 1990 veröffentlichten Darkland-EP 40 Years, Kassette, Außenseite (Quelle: Jörg Ebert) Neben den offiziellen Produktionen versuchte nahezu jede Band zumindest Demo-Aufnahmen im Proberaum herzustellen. Solche Proberaumaufnahmen waren in der Regel von der ganzen Band zeitgleich eingespielte Tracks, da Mehrspuraufnahmegeräte für ein sukzessives Einspielen der Instrumente und des Gesangs kaum vorhanden waren. Eine verbreitete Möglichkeit war etwa das Aufnehmen mit einem – im Idealfall – Stereo-Kassettenrecorder (vgl. Andrae 2009: 20). Argus bzw. Moshquito etwa nahmen mit einem auf dem Schwarzmarkt besorgten Vier-Spur-Kassettendeck der Firma Fostex auf (Lohf

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2014: 7). Die Bands unterstützten sich dabei durchaus gegenseitig. Die etablierte Berliner Band Pharao etwa stattete ihren Proberaum mit Aufnahmetechnik aus, die andere Bands wie etwa Postmortem, die erst nach dem Fall der Mauer in der Öffentlichkeit auftraten, für Demo-Aufnahmen nutzen konnten (Marth 2009: 44). Selbst für diese selbsthergestellten Demo-Aufnahmen gab es einen regen Schwarzmarkt und Handel mit Kopien. Folgt man den Erinnerungen von Reinhard Lehmann, waren die von Pharao auf ihren Konzerten angebotenen selbsthergestellten Kassetten durchaus beliebt: »Wir haben dann eigene Kassetten produziert und diese dann auf den Gigs verkauft. […] Aber wir sind die Kassetten reißend losgeworden und es waren bestimmt so zwanzig oder dreißig Kassetten pro Konzert, die da gekauft wurden. Unser Techniker hat die ganze Woche nur kopiert, denn das war ja damals nicht so einfach wie heute. So etwas haben wir eigentlich jedes Jahr gemacht.« (Lehmann 2009: 31f.)

Auch Argus bzw. Moshquito produzierten auf eigene Kosten Proberaum- und Live-Mitschnitte und verteilten diese Demo-Kassetten auf den zahlreichen Konzerten und sendeten sie an das DT 64 (Schöwe 1990: 126): »Also diese Demos [1987 und 1988] haben wir in erster Linie für unser Publikum aufgenommen, das ja heiß darauf war, unsere Musik auch zu Hause zu hören. Wir überspielten die Songs auf Audio-Kassetten, die wir dann zum Einkaufspreis – damals immerhin 20 Mark – bei den Muggen anboten, denn zu dieser Zeit war für Platten-Aufnahmen mit Thrash Metal in den staatlichen Studios kein Platz.« (Lohf 2014: 6)

Auch wenn die Reichweite aufgrund der geringen Auflagenzahlen wohl verhältnismäßig klein war, trug diese am staatlichen System vorbeimanövrierende Praxis nicht unerheblich zu einer Verbreitung der Musik in der DDR bei.

5.4.1 Tonmeisterliches E xperiment: Heav y Metal im Schwimmbecken Als ein besonderes Experiment kann eine Rundfunkproduktion in Radebeul vom 26. bis 28. August 1985 angesehen werden. Unter der Regie des Rundfunkproduzenten Eberhard Mende wurde die Magdeburger Heavy Metal-Band MCB in das leergepumpte Schwimmbecken der Radebeuler Schwimmhalle geladen, um drei Titel unter neuen produktionstechnischen Bedingungen zu produzieren. Lutz Schramm, langjähriger Moderator und Redakteur der Rundfunksendung Parocktikum, sendete im November 1985 ein knapp 20-minütges Feature über diese Produktion und sprach sowohl mit der Band als auch mit dem Produzenten Eberhard Mende und dem Ton-Regisseur Klaus

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Kühnel.54 Neben den eher biographisch orientieren Fragen an die Musiker, die keinen weiteren Bezug zu dieser speziellen Produktion hatten, verdeutlichen allem die Ausführungen der Rundfunkmitarbeiter die finanziellen und materiellen Freiräume und die Experimentierfreudigkeit. Der Produzent Eberhard Mende berichtet über das Projekt und die Motivation: »Wir haben uns vor über einem Jahr rein zufällig über bestimmte Sound-Probleme, was die Hardrockmusik und die Heavy-Musik betrifft, unterhalten. Da kam unter anderem zutage, daß bei einem Live-Mittschnitt der Sound auf dem Band leider Gottes nicht dem Lautheits-Empfinden entspricht, das man eigentlich gerne hätte. Wir haben uns dann darüber unterhalten, ob es nicht sinnvoll wäre, beispielsweise die gesamte PA ins Studio zu stellen und auszuprobieren, ob das mehr bringt als die gegenwärtige Aufnahmepraxis und wir kamen dann zu irgendeiner, na, ich würde sagen nicht allzu ernstzunehmenden Idee über akustischen Raum, vielleicht ein Schwimmbad zu nehmen. Das war der Aufhänger. Und wir haben eigentlich alle nicht damit gerechnet, daß es mal realisierbar wäre, denn als ich am Jahresanfang mit MCB zu tun hatte, habe ich davon erzählt, so daß wir uns auch unheimlich überlegt haben, wie wir das am besten machen können, um jetzt auch diese berühmten Lautheits-Effekte auf’s Band zu bekommen. Und ich kam dann mit dieser Schnaps-Idee mehr oder weniger, mit dem Schwimmbad raus und da sagte Steffen Winse, der Organisator der Gruppe MCB ist: ›Das ist doch ideal. Ich habe da früher mal in Radebeul im Schwimmbad gearbeitet. Ich kenne die alle noch und soviel ich weiß, ist dann und dann irgendwann die Schwimmhalle sowieso leer, weil das ausgepumpt wird und so, da könnten wir doch mal machen‹. Das haben wir dann gemacht und das war, wenn man so will, an und für sich die erste Chance überhaupt, vielleicht auch das allererste Mal, das in einem Schwimmbad hierzulande Rockmusik aufgenommen wird.« (Podcast »MCB – Metal im Becken«, 12:55min-14:33min)

Schlagzeuger Bernd Schilanski begründet die Bereitschaft für dieses Experiment in den oben beschriebenen problematischen Produktionsbedingungen für Heavy Metal: »Wir wollten so klingen wie Motörhead, haben aber nicht gewußt, wie wir das machen sollten. Wir haben deswegen mit den RundfunkLeuten gesprochen und die meinten, das kriegen wir nicht hin« (Schilanski 2010: 33). Dass ein Produzent sich mit genau diesem Problem auseinandersetzen wollte, war ein willkommenes Angebot für die Band. Der Ton-Regisseur Klaus Kühnel erklärt daraufhin die technischen Bedingungen dieser einzigartigen Produktion. Dabei gibt er zugleich Einblicke in den Diskurs über Formen und Trends der Musikproduktionen in der DDR: 54 | Dieses Interview kann heute als Podcast angehört werden, ergänzt durch zeitgenössische Fotos der Produktion im Schwimmbecken: http://podcast.parocktikum. de/2007/06/17/mcb-metal-im-becken/#more-111 (Zugriff am 15.09.2015). Eine leicht gekürzte Abschrift findet sich im Fanzine Eisenblatt 4/2009, S. 25-29.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR »Dazu ham’ wa zum Beispiel zwei extra Spuren, Stereo-Spuren von einem Kunstkopf noch dazu gezogen und können jetzt wirklich wahlweise mit diesem Schwimmbad arbeiten und ohne dieses Schwimmbad arbeiten. Man merkt ganz deutlich, wenn man den Regler ›mit Schwimmbad‹ aufzieht, dann wird es wirklich sehr, fast unerträglich laut und man hat den Eindruck, selbst wenn man sehr leise abhört, wenn man also zuhause bei den Schularbeiten sitzen würde, ja, würde man trotzdem den Eindruck haben, ganz leise abgehört, es ist ja ungeheuer was los gewesen dort.« (Podcast »MCB – Metal im Becken«, 15:09min-16:25min)

Die drei aufgenommenen Stücke wurden infolge im Rundfunk gesendet, so konnte man bereits im Feature von Lutz Schramm den Titel »Kontaktklub« hören. Inwiefern die gewonnenen Erkenntnisse insbesondere für Tonstudioarbeit gewinnbringend eingesetzt wurden, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Klaus Kühnel resümiert bereits im Interview eher zurückhaltend über Entwicklungen und Veränderungen in der Tonstudioarbeit: »Eine der großen Ziele war ja immer, daß man alle Instrumente ganz stark isoliert. Isoliert heißt so viel wie, sie dürfen nicht einen Raum anregen, den man nicht haben will, sondern nur einen Raum, den man dann künstlich dazulegt – durch Hall oder solche Dinge. Und naja, nachdem das nun sehr weit kultiviert worden ist, gibt es natürlich prompt die Gegenmeinung, das ist es nicht und wir müssen jetzt in völlig unmögliche Räume gehen. Es wird auch wieder die Zeit kommen, wo das andere wieder eine Rolle spielt und am Ende wird sich alles einpegeln: Mal dies und mal jenes, nicht [wahr], wie das meistens ist bei solchen Sachen.« (Podcast »MCB – Metal im Becken«, 15:09min-16:25min)

Die Geschichte der Tonaufzeichnungen von Heavy und Extreme Metal in der DDR ist eine Geschichte der Zufälle, der Beschränkungen und bewussten Verhinderungen, aber auch der staatlichen Förderungen. Für den DDR-Metal steht eine tiefergehende, auf Quellen staatlicher Einrichtungen wie etwa der Amiga basierende Untersuchungen noch aus. Mittels Erinnerungen wurde deutlich, dass die Produktion von Aufnahmen, die den ästhetischen Vorstellungen der Metal-Bands entsprachen, nur sehr beschränkt waren. Dies lag einerseits an dem von Felber diagnostizierten »musikalisch-künstlerischen Konservatismus« (Felber 1988: 21), der kaum Platz für neue ästhetische Klangvorstellungen ließ, andererseits an den Strukturen der Planwirtschaft und der Situation der privaten Studios, die aufgrund der Vernetzung und den enormen finanziellen Aufwänden für die Einrichtung eine gewisse Monopolstellung mit einer starken Verankerung in der DDR-Rockgeneration der 1970er Jahre aufwiesen. Darüber hinaus war die Förderpraxis, mit der Aufnahmeplätze an Bands vergeben wurden, zugleich ein politisches Instrument, welches vermutlich zu extreme Bands tendenziell eher ausschloss. Für die geförderten Bands hingegeben hatte sodann der Zusammenbruch der DDR einschneiden-

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de Folgen: Bands wie Biest oder Merlin waren unter anderem in den AmigaStudios für Tonaufnahmen für den Herbst/Winter 1989 eingeplant, konnten aber durch Wirren der Wendephase nicht mehr umgesetzt werden (Rosenberg 2008: 10; Uhden 2009b: 30f.).

5.5 Proberäume Will eine Band regelmäßig proben, am Repertoire arbeiten und sich auf Konzerte vorbereiten, sind entsprechende Räumlichkeiten nötig. Ein Proberaum ist ein wichtiger Ort des ästhetischen Experimentierens, der musikalischen Selbstverwirklichung und des Zusammenkommens. Als Ort der eigensinnigen musikalischen Betätigung liegt das Besondere vor allem darin, dass er ein geschützter Ort ausschließlich unter Gleichgesinnten und Vertrauenspersonen ist. Entscheidend für die Entwicklung des Metal in der DDR waren zunächst auch die Proberäume, in denen im praktischen Vollzug neue und alte Spielweisen und -techniken ausprobiert und weiterentwickelt, Texte gesungen und diskutiert, Entscheidungen über Besetzungswechsel oder aber dem Umgang mit politischen Repressalien gefällt werden konnten: »Mit Wotan sind wir ja auch im Großen und Ganzen überhaupt nicht aufgetreten. Das war ja eher so eine, na ja, aus heutiger Sicht, Probierphase«, erinnert sich Jörg Ebert an eine seiner ersten Bands, mit der er zweimal in der Woche probte, bevor er bei Darkland einstieg (Interview Ebert). Auch wenn Bands nie öffentlich in Erscheinung traten, war die verbrachte Zeit im Proberaum eine wichtige Phase für die musikalische Entwicklung der Musiker, zugleich durchaus auch Treffpunkt für andere Gleichgesinnte. Die Vergabe von Proberäumen war teilweise staatlich gelenkt. Die FDJ mit ihrem Netz an Jugendklubs, die Schulen, die Betriebe und teilweise auch die Kreise verfügten über die notwenigen Räumlichkeiten: »Wir hatten damals das Glück, daß in meinem Wohnort Leubnitz bei Werdau der Bürgermeister ein offenes Ohr für die Jugend hatte. Und da gab es ein uraltes Bauernhaus, das der Gemeinde zugefallen war. Auf Anregung des Bürgermeisters konnte sich damals die ›Dorf-Jugend‹ das Obergeschoss dieses Hauses mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde als Treffpunkt ausbauen. Da halfen wir natürlich mit! So konnten wir dort später immer ungestört proben, denn das Haus stand auch noch etwas abseits.« (Lohf 2014: 7)

Jörg Ebert beschreibt seine Erfahrungen mit der Probenarbeit und entsprechenden Räumen: »Mit Wotan haben wir geprobt in Marzahn in einem Jugendclub, dem Oberweißbacher Club, das weiß ich noch. Also nicht so, wie man sich das vorstellt, dass das Equipment

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR da stehen bleibt und was weiß ich, sondern zu jeder Probe schön alles aufgebaut und anschließend wieder abgebaut. War ja aber auch nicht so viel.« (Interview Ebert)

Zu jeder Probe wurden die Saiteninstrumente, Verstärker und Boxen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mitgenommen. Mit der Nachfolge-Band Darkland probte Ebert dann im Haus der Eltern des Gitarristen in Rahnsdorf im Südosten Berlins. Dort konnte die Band im ›Partykeller‹ einen festen Proberaum einrichten, das Equipment stehen lassen und zeitlich verhältnismäßig flexibel proben. Private Umgebungen konnten letztlich die Bedeutung des Proberaumes als Freiraum steigern. Während im Jungendclub damit gerechnet werden musste, dass ein Funktionär an der Tür lauscht, waren diese privaten Räume geschützter. Ein ähnliches Beispiel stellte das ›Madhouse‹ in BerlinBiesdorf dar, ein Einfamilienhaus, in dem Blackout und Disaster Area probten und das zugleich ein Treffpunkt für andere Musiker und Fans darstellte (Habermann 2009: 13).

5.6 Heav y-Repertoire: Coversongs, Kompositionen und Songtexte Das Repertoire einer DDR-Band war bis zu einem gewissen Grad stark von den Rahmenbedingungen der Veranstaltungsformate geprägt. Formate wie der teilweise über fünf Stunden dauernde Jugendtanz, der größtenteils von einer Band gefüllt werden musste, stellten besondere Ansprüche an das Repertoire und die Fähigkeiten der Musiker. Bands wie Formel 1 oder Metall bedienten diese Formate und erarbeiteten sich dafür ein entsprechend umfangreiches Repertoire: »Naja, ich meine bei fünf Stunden Jugendtanz. Auch wenn man zwischendurch mal eine viertel oder halbe Stunde Pause hatte, war es trotzdem ein Knochenjob. Unser Programm umfaßte ungefähr fünfzig Titel, welche wir zu spielen in der Lage waren. Das muß heute erstmal eine Band schaffen! Also das ist so ohne weiteres nicht möglich, denn da mußtest du schon relativ fit und flexibel sein, um so etwas zu machen.« (Uhden 2009a: 34)

Um mehrere Sets am Abend aufführen zu können, etablierten sich zum umfassenden Programm zudem zeitfüllende Praktiken. So wurden etwa besonders lange Songs oder lange Soli und Improvisationen eingebaut: »Gerade in den Anfangstagen, als ich noch bei Metall gespielt habe, habe ich mir das Solo von Gary Moore, das war irgendein Song, vollständig draufgedrückt, damit wir etwas mehr Zeit hatten. Auch haben wir irgendeine Michael Schenker-Nummer zwanzig Minuten lang gespielt, also das war… Aber die Leute haben darauf gestanden! Es war ja nicht so, daß es langweilig wurde.« (Uhden 2009a: 34)

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Dabei galt die Regelung, dass ein Set ca. 40-45 Minuten lang war, woran sich eine Pause von 15 bis 20 Minuten anschloss. »Meistens war das mit einer Diskothek zusammen«, erinnert sich Wolfgang Densky von Formel 1 (Interview Densky & Schmidt), so dass ständig Musik, auch in den Pausen, geboten wurde. Im Laufe der 1980er Jahre weichte dieses Konzept des Jugendtanzes weiter auf. So spielten Darkland in der Regel Konzerte mit einer Länge von ca. 1,5 h, begleitet von einer Vorband (Interview Ebert).

5.6.1 Coversongs Das Nachspielen von Stücken anderer Bands und Komponisten stellt eine typische Praxis für populäre Musiken dar (Moore 2012: 275ff.). Covern ist als eine musikalische Praxis zu verstehen, in der Stücke anderer Komponisten nachgespielt werden (Lacasse 2000: 45-48). Im Heavy Metal war und ist das Covern und Neuinterpretieren keinesfalls unüblich: So veröffentlichten Judas Priest Neuinterpretationen von Joan Baez’ »Diamond And Rust« (Sin After Sinn, 1977) oder »The Green Manalishi (With the Two-Pronged Crown)« von Fleetwood Mac (Hell Bent For Leather, 1978). In der DDR war das Covern spätestens seit den 1960er Jahren eine etablierte Praxis (Hintze 1999: 73f.). Dementsprechend spielte so gut wie jede DDR-Metal-Band Coverversionen von bekannten Stücken westlicher Bands wie Black Sabbath, Judas Priest oder Metallica. Covern hieß in erster Linie Nachspielen westlicher Vorbilder – kaum eine DDR-Band spielte Stücke einer anderen Band aus der DDR oder den sozialistischen Brüderstaaten. Dabei übernahmen Cover-Songs Funktionen in mehrfacher Hinsicht: Zum einen ermöglichten sie den Musikern das Erlernen der etablierten Spielund Kompositionsweisen. Zum anderen stellten sie ein wichtiges Element für die Vergemeinschaftung dar. Indem im Konzert Stücke bekannter westlicher Bands gespielt wurden, konnten sie gemeinsam zelebriert, die Verbundenheit mit der internationalen Gemeinschaft gefeiert werden. Für die Musiker war das Nachspielen eine wichtige Form der Anpassung und Adaption der stilistischen Entwicklungen. Insofern versuchte die Praxis des Coverns den Graben, den der Eiserne Vorhang zwischen den westlichen und der DDR-Szene aufmachte, praktisch zu überwinden. Denn wie bereits erwähnt, hatten Fans in der DDR nur wenige Gelegenheiten, internationale Stars in einem Konzert, etwa in Polen oder Ungarn, zu erleben. Somit nahmen die DDR-Bands eine Ersatzrolle ein: »Die [Fans] haben das im Fernsehen gesehen, und [wir] haben praktisch diese Show nachgespielt, die sie im wahren Leben, sage ich mal, nicht erleben durften. Und wir waren im Prinzip wie so eine Art Ersatz dafür, weißt du?« (Interview Densky & Schmidt)

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So formuliert es Wolfgang Densky von Formel 1, der den Ersatz nicht nur auf der Ebene der Coversongs selbst sieht, sondern auch auf performativer Ebene, der Gestaltung der Konzerte. Die »Ersatzfunktion« war den DDR-Bands bewusst. Für das Leben im Staatssozialismus wurde das Feld der Kultur, etwa der Literatur oder des Theaters (Borgwardt 2002: 131f.; Wolle 1999: 136), häufig mit einer Ersatzfunktion in Verbindung gebracht, da sie in gewisser Hinsicht eine thematisch spezialisierte »Ersatzöffentlichkeit« anbieten konnte (Segert 2002). Zwischen Künstler und Publikum konnte diese Ersatzfunktion eine besondere Bindung und wechselseitige Beziehung herstellen.55 Im Falle des Heavy Metal war diese Bindung durch die geteilte Begeisterung für die Musik gegeben, die sich lediglich durch die stilistische Ausdifferenzierung und die Altersunterschiede allmählich lockern konnte. Anders als etwa in der Literatur bestand die Funktion für die Metal-Szene allerdings nicht darin, einen alternativen, durchaus politischen Diskursraum abseits des Offiziellen zu gestalten. Vielmehr symbolisiert die Wortwahl »Ersatzfunktion« in allerster Linie die fundamentale Westorientierung und die empfundene Zugehörigkeit zur internationalen Gemeinschaft sowie zugleich das politisch bedingte AbgetrenntSein von ihr. Insofern war diese als Reduktion empfindbare Rollenzuweisung nicht zwangsläufig negativ. Die Wahrnehmungen seitens der Bands konnten allerdings unterschiedlich ausfallen. Hans-Ulrich Wilke, Bassist der Erfurter Band Rochus, blickte 2011 zurück: »Also ich muß ganz ehrlich sagen, daß der Knackpunkt gewesen ist, als wir in Aue im ›Tanztreff‹ gespielt haben und die Fans komplett freigedreht haben, als wir Slayer und sowas spielten.« (Wilke 2011: 35)

Der Bassist der Suhler Band Tantrum reflektiert in einem Interview 2012 über die so genannte Ersatzfunktion: »Wir haben uns nie als Ersatz für westliche Metal-Bands gesehen. Mit der Cover-Version von Metallica wollten wir, glaube ich, auch nur zeigen, daß wir das drauf hatten. Außerdem war es die ungefähre Richtung, in die wir uns entwickeln wollten, natürlich mit sehr vielen anderen Einflüssen.« (Wiewora/Ritter 2012: 44)

Die beiden Aussagen verdeutlichen das Spannungsfeld innerhalb der Szene in der DDR, in der man als Musiker zunächst einmal Fan war und zugleich im Laufe der Zeit künstlerische Ambitionen als Musiker entwickeln konnte. Je fortgeschrittener die künstlerischen Ambitionen waren, desto schwieriger konnte es sein, Anerkennung innerhalb der Szene zu bekommen, wenn dabei im Konzert keine Coversongs mehr gespielt wurden: 55 | Vgl. für den Fall der Literatur etwa Granzow (2008: 96).

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken »Beim eigenen Material […] war es immerhin schon ein Erfolg, wenn man nach drei Cover-Versionen zwei eigene Titel gespielt hat und die Leute sich nicht wieder hinter’s Mischpult verzogen haben.« (Brill 2015: 26)

Wer nicht wenigstens eine Cover-Version auf einem Konzert spielte, konnte durchaus an Gunst unter den Fans verlieren: »Wir haben am Anfang alles von Gary Moore bis hin zu Metallica und Anthrax gespielt, dazu Helloween, Iron Maiden und Judas Priest. Doch das hat uns nicht gereicht, denn wir wollten eigene Songs machen. Diesen Standpunkt haben wir auch vehement vertreten, auch wenn einige Fans anderer Meinung waren.« (Uhden 2009b: 30)

Die Nachfrage nach Coverversionen sorgte, zusammen mit der hohen Veröffentlichungsdichte im anglo-amerikanischen und westdeutschen Markt, für einen regelrechten Leistungsdruck, bei dem andere Ziele auf der Strecke bleiben konnten. Um den Stand bei Fans nicht zu verlieren oder sich überhaupt erst einmal zu erarbeiten, musste auf Konzerten Coverversionen mit möglichst aktuellem Bezug dargeboten werden: »Ideen [für eigene Stücke] waren viele vorhanden, aber wir sind überrollt worden… ›Nächste Woche spielen wir in Aue und müssen S.O.D., Carnivore usw. bringen!‹ Wir sind in dieser schnelllebigen Zeit überrannt worden und das war eigentlich schade. […] Ich weiß heute, daß wir riesiges Potenzial hatten, aber wir konnten es nicht ausschöpfen, weil wir Sachen einstudieren mußten, die die Leute hören wollten.« (Mikula 2009: 46)

Neben bekannten und beliebten Bands wurden durchaus auch Kuriositäten zu Gehör gebracht. Der Sänger der Berliner Band Disaster Area, Peter Habermann, erinnert sich an das Repertoire von Coverstücken von Bands wie Carnivore, Celtic Frost, Motörhead, aber auch Voivod oder Mentors (Habermann 2009: 12). Die kanadischen Voivod waren mit ihrem unkonventionellen Ansatz insbesondere beim Songwriting und der Nutzung von vom Jazzrock inspirierten Gitarrenakkorden in der DDR-Szene spätestens mit der Tendenz-Themensendung zum »Heavy Rock in Kanada« am 5.12.1987 bekannt geworden (vgl. DRA G006-01-05/0014). Die 1976 gegründete US-amerikanische Band Mentors hingegen, die unter anderem für ihren Shock Rock mit sexistischen Songtexten bekannt wurde, spielen im Kanon des Heavy und Extreme Metal heute eine eher untergeordnete bis gar keine Rolle (vgl. Elflein 2010: 79-89; SharpeYoung 2007). Aufmerksamkeit erlangte die Band dennoch Mitte der 1980er Jahre, als das US-amerikanische Parents Music Resource Center (PMRC) unter anderem den Text von Mentors‹ »Golden Shower« als Beispiel für den moralischen Verfall der zeitgenössischen populären Musik vor dem US-amerikani-

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

schen Kongress vorlasen. Habermann erklärt, wie sie als DDR-Band auf die Mentors aufmerksam wurden: »Die Mentors-Scheibe (You Axed For It) bekam damals überall die schlechtesten Noten, das weckte Neugier. Wir coverten ›FFFF – The Four F Club‹. Die Texte entsprachen unserer juvenilen geistigen und geschlechtsreifen Fokussierung. Keine Frage, das mussten wir covern.« (Interview Habermann)

Was Habermann beschreibt, verdeutlicht vor allem den spielerisch-jugendlichen Umgang mit Zeichen und Texten, ohne dass zwangsläufig eine politische Botschaft damit vermittelt werden sollte. Mentors wurden nicht regelmäßig im DDR-Rundfunk gesendet, auch gibt es keine Hinweise, dass sie innerhalb der Szene der DDR als Geheimtipp bekannt gewesen wären. Offensichtlich war hier die Gruppendynamik innerhalb der Band, die ansteckende Begeistern für diesen Song und die spielerisch-künstlerische Auseinandersetzung mit einer eigenen Interpretation, die sie auch absetzte von den allgemein üblichen Coversongs in der DDR, ausschlaggebend. Tatsächlich setzte sich, ähnlich wie bei anderen Musikgenres wie etwa dem Jazz, ein Kanon von zu covernden Bands und Songs durch. Dies eröffnete Möglichkeiten des gegenseitigen Unterstützens, etwa für ein kurzfristiges Einspringen: »Da kam es schon mal vor, daß ein Gitarrist einer anderen Band aushalf und am Wochenende einsprang. Übrigens habe auch ich bei einigen Konzerten von Metall als Sänger ausgeholfen. Da wir ja alle die gängigen Standards der internationalen Heavy-Szene spielten, war das also kein Problem.« (Pilgrim 2009: 40)

Hinweise, welche »gängigen Standards« das waren, lassen sich nur schwer finden.56 Zwar tauchen immer wieder bedeutende Bands wie Black Sabbath, Judas Priest oder Metallica auf, konkrete Titel werden in den Erinnerungen aber eher selten genannt. Die wohl bekanntesten Coverversionen in der DDR sind durch Formel 1 auf Tonträger festgehalten worden.

56 | In einem Nachgespräch zum Interview am 6.12.2016 sprach Jörg Ebert von Darkland, der durch seine Musikschulausbildung auch mit Genres wie Jazz in Kontakt kam, vom »Real Book des Heavy Metal«, in Anspielung auf die im Jazz seit Anfang der 1970er verbreiteten Sammlungen von Transkriptionen bedeutender Titel, den Real Books. Er bezog sich hier eher kritisch auf einen verbreiteten, von ihm als eintönig empfundenen Kanon der Coverpraxis, nach der u.a. das Album British Steel (1980) von Judas Priest »hoch- und runtergespielt« wurde.

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5.6.1.1 Formel 1, Live im Stahlwerk (1986):57 Die Coversongs von Iron Maiden und Judas Priest Auf der offiziellen Live-Veröffentlichung von Formel 1, Live im Stahlwerk, sind die Titel »Hallowed Be Thy Name« von Iron Maiden sowie »Breaking The Law« von Judas Priest vertreten.58 Formel 1 hatten durch ihre langjährige intensive Konzerttätigkeit und diese erste offizielle und eigenständige Metal-Veröffentlichung durchaus Vorbildcharakter für junge Bands. Das Ziel von Formel 1 war es ganz offensichtlich, die Stücke im Sinne der Ersatzfunktion so genau wie möglich nachzuspielen. Lediglich das Tuning der Saiteninstrumente weicht um einen Halbton nach unten ab, eine im Metal verbreite Stimmungsvariante (Iron Maiden: Standard E-Tuning; Formel 1: Eb-Tuning). Die etwas schnelleren Tempi von ca. 185 bpm (»Breaking The Law«, original: 165 bpm) bzw. 225 bpm (»Hallowed Be Thy Name«, original: 207 bpm) können auf die Live-Situation zurückgeführt werden und, solange der Schlagzeuger auf ein Metronom-Click verzichtet, als eine verbreitete, häufig unbewusste, manchmal bewusst eingesetzte Performancepraxis verstanden werden.59 Der Iron Maiden-Song, mit seinen knapp sieben Minuten beinahe doppelt so lang wie die Mehrzahl der Eigenkompositionen, wird vom formalen Auf bau her exakt nachgespielt, selbst Schlagzeugbreaks sind am Original orientiert. Die einzigen, möglicherweise sogar improvisatorischen Freiheiten nehmen sich die Gitarristen während der Soli heraus, obgleich die Sololängen der beiden aufeinanderfolgenden Soli entsprechend dem Original beibehalten wurden. Die musikalische Performance des Iron Maiden-Titels ist bis auf die Soli dermaßen genau und sauber, dass es in einem Blindtest unter Umständen schwerfallen könnte, zwischen einer Live-Version der Briten und die der Ost-Berliner zu unterscheiden. Einzig der Gesang, der durch die individuelle Klangcharakteristik insbesondere der Klangfarbe in den höheren Lagen 57 | Formel 1, Live im Stahlwerk (Amiga 8 56 210, 1986), Rundfunk-Mittschnitt einer Konzertveranstaltung am 2. und 3. März 1986 im Kulturhaus des Stahl- und Walzwerkes Wilhelm Florin, Hennigsdorf. Eine Digitalisierung der Platte kann online gehört werden: https://www.mixcloud.com/henr y-bogarde/formel-1-live-im-stahlwerk-live-am-23-m %C3 %A4rz-1986-ddrgdr-heavy-metal/(Zugriff am 6.12.2016). 58 | Auf einer Fan-Seite sowie auf der 2008 veröffentlichten CD-Box Der Edelritter (Immortal Vinyl Records, IVR 011) sind weitere Covertitel von vorrangig britischen Heavy Metal-Bands gelistet: Iron Maiden (»The Number Of The Beast«, »2 Minutes To Midnight«, »Rime Of The Ancient Mariner«, »Somewhere In Time«, »The Trooper«, »Heaven Can Wait«), Black Sabbath (»Heaven and Hell«), Judas Priest (»The Hellion/Electric Eyes«), Saxon (»Power and the Glory«) und, außer der Reihe, Beethoven (»Ode an die Freude«), vgl. www.der-edelrocker.de/5.html (Zugriff am 10.12.2016). 59 | So spielen Iron Maiden den Song auf der Live-Aufnahme »Live After Death« von 1986 ebenfalls in einem schnelleren Tempo von ca. 234 bpm.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

schnell die beiden Sänger voneinander unterscheiden lässt, fällt heraus. So erklingt Norbert Schmidts ausgebildete Stimme auch in hohen Lagen mit einem hohen Anteil der Bruststimme, während Bruce Dickinson bereits den weniger kräftig klingenden Kopfstimmenanteil, das Falsett, einbindet. Zugleich nutzt Dickinson sehr hohe Töne, etwa zum Ende jeder Strophenperiode die Tonhöhe d´´ (englisch: D5), eingebunden in eine Art Umspielung des Zieltons h´ bzw. B4 in der absteigenden Tonfolge d´´ – c´´ – h´. Schmidt erreicht diese Höhe nicht und variiert diese Stelle mit einem darunterliegenden e´/E4 (es´/ Eb4 in absoluter Tonhöhe). Zwar sind die besonders hohen Lagen durch das Eb-Tuning der Saiteninstrumente durchaus etwas bequemerer zu erreichen, dennoch erscheint es, dass Schmidt mit der verhältnismäßig durchweg hoch liegenden Gesangslinie an seine Grenzen stößt.60 Die Version von »Breaking The Law« wird ebenfalls in der originalen Form gespielt. Am Ende des Konzertes positioniert, wird das Stück hingegen zusätzlich dramaturgisch eingesetzt. Der Ankündigung des Stückes durch Norbert Schmidt als »eine kleine Hymne« folgt ein mehrfach wiederholtes Frage-Antwort-Spiel mit den Fans, indem er »Breaking the what?« ruft, das mit »Law« von den Fans erwidert wird. Dieser Titel war ganz offensichtlich bekannt und beliebt. Diese Einbindung der Fans in gemeinsame Gesangspassagen wurde im Laufe des Konzertes bereits zuvor bei den Eigenkompositionen oder dem gemeinsamen Betonen der rhythmischen Zählzeiten – eine verbreitete Form der Interaktion in Heavy Metal-Konzerten – etwa mit »hey hey hey hey« bei »Der Edelrocker« angewendet. Bei der Coverversion von »Breaking The Law« wird diese Form der Interaktion allerdings noch einmal gesteigert. Der gemeinsame Einstieg und die Position von »Breaking The Law« im Set kreieren einen dramaturgischen Höhepunkt, der ein gemeinsames Zelebrieren der Vorbilder und des Heavy Metal schlechthin vermittelt. Nachdem die Formteile durchgespielt sind und der Song im Grunde zu Ende ist, setzen die Fans erneut mit dem rhythmisierten »Breaking The Law« des Chorusses ein, möglicherweise durch Gesten von Schmidt animiert. Nachdem die Fans einen kompletten Chorus ohne die Band gesungen haben, setzt die Band erneut ein und wiederholt gemeinsam mit den Fans den Chorus, wobei sich Schmidt hörbar zurückhält, vermutlich um den Fans Platz für ihren Gesang zu lassen. Coversongs gehörten jedenfalls für die meisten Bands zum Live-Geschäft. Neben den Stücken von Iron Maiden oder Judas Priest wurden auch jüngere Stücke insbesondere des Speed und Thrash Metal nachgespielt von Bands wie Metallica, Slayer, Celtic Frost, Carnivore. Es kann davon ausgegangen werden, 60 | Ähnliches ist allerdings auch, gerade im Kontext des die Stimme stark beanspruchenden Konzert- und Tourneealltags bei Bruce Dickinson zu hören, vgl. »Hallowed Be Thy Name« auf Live After Death, aufgenommen 1984 und 1985 in Long Beach, Kalifornien (USA) und London (UK) (EMI Music Distribution, 8358732).

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dass Titel, die auch öfter in der Tendenz-Sendung gespielt wurden, wie etwa Metallicas Instrumentalstück »The Call of Ktulu« von 1984, dass alleine in den Sommermonaten 1988 mehrmals und als Hintergrundmusik während der Konzert- und Newsankündigungen gesendet wurde (vgl. etwa DRA H006-0106/0002, Bl. 177, 13.4.1989), auch tendenziell häufiger von den Bands nachgespielt wurde. Alleine die verbreitete Praxis des Aufnehmens der Tendenz-Sendungen ermöglichte ein mehrfaches Anhören, Analysieren und Mitspielen. Zu einem Kuriosum dieser Praxis führte der Titel »Bombenhagel« der westdeutschen Band Sodom. Dieser im Dezember 1987 auf dem Album Persecution Mania veröffentlichte Titel wurde mit etwas Verzögerung auch in der Tendenz-Sendung am 7.5.1988 mit einer Wiederholung am 11.3.1989 gespielt (DRA G006-01-05/0019; G006-01-05/0029). Im Song, der ein Anti-Kriegssong ist, wird während eines der Gitarrensoli die Nationalhymne der BRD für die Länge der ersten Strophe zitiert und künstlerisch verarbeitet.61 Die Ausstrahlung in der Tendenz-Sendung inspirierte mehr als drei DDR-Bands zum Covern: Nobody aus Markneukirchen (BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, KD Klingenthal, Nr. 22, Bl. 70-72), die Hallenser Panther, die dafür Spielverbot erhielten (Rosenberg 2008: 13), Titan aus Pirna, die durch Vorlage einer detaillierten Übersetzung und Interpretation des Textes einen Entzug der Spielerlaubnis abwenden konnten (Rosenberg 2012: 13). Daneben spielten Thrash Attack aus Hettstedt nach eigenen Angaben das Stück zu ihrer Einstufung, inklusive dem Gitarrensolo, was der positiven Einstufung in die Oberstufe nicht im Wege gestanden hätte (Jauernik 2011: 32). Helion aus Freiberg nahmen 1989 ein Demo auf, das »Bombenhagel – Anfang« als einen der Titel notiert. Womöglich haben die Musiker bewusst den zweiten Teil, der die BRD-Hymne enthält, weggelassen. Das MfS wurde aktiv und trat auch an die Rundfunkmoderatoren heran (Interview Molle; Okunew 2015: 36). In einem Antwortbrief an einen Hörer werden Argumente angebracht, die so auch gegenüber dem MfS benutzt worden sein konnten: Sodom verarbeiten ihre konkreten Erfahrungen in der BRD; das Stück thematisiere Krieg und die Angst davor; die Intonierung der Nationalhymne spiegele eine kritische Haltung wider, ähnlich wie Hen-

61 | Die Parallelen zu Jimmy Hendrix’ berühmter Inszenierung des »Star Sprangled Banner«, der US-amerikanischen Nationalhymne, in Woodstock 1969 sind offenkundig. Auch Sodom nutzen nach anfänglich akkurater Spielweise Verfremdungseffekte insbesondere der Tonhöhe durch das Tremolo- bzw. Vibratosystem der Gitarre (engl. Whammy Bar). Dieser Effekt wird genutzt, um das Solo mit stufenlosen Tonhöhenveränderungen bis zum Ende des Stückes fortzusetzen. Wie Jens Molle erinnert, mussten sie als Redakteure Stellung nehmen, warum sie diesen Titel sendeten. Dabei griffen sie auf genau diese Argumentation, dem historischen Verweis und entsprechender Kapitalismuskritik zurück (Interview Molle).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

drix die US-amerikanische Hymne veränderte, um gegen den Vietnam-Krieg zu protestieren (DRA H006-01-06/0009, Bl. 67-69; Interview Molle).

5.6.2 Instrumental-handwerkliche Fähigkeiten und das Erlernen von Stücken Musik machen verlangt zahlreiche Fähigkeiten vom Musiker und Sänger: motorische Fertigkeiten für die Kontrolle des Instruments oder der Stimme, perzeptuelle und expressive Fähigkeiten zur Interaktion mit anderen Musikern und für überzeugende Spiel- bzw. Singweise, kreative Fähigkeiten für Improvisation und spontanes Reagieren, ferner Gedächtnisleistungen für das konkret zu Spielende und letztlich soziale Kompetenz etwa für angemessenes Verhalten in verschiedenen Aufführungskontexten (Hooven/Auhagen 2015; Clarke/ Dibben/Pitts 2010: 17-31; Sloboda 2009: 265-273; Oerter/Lehmann 2009). Für den Heavy Metal, insbesondere aber für den Extreme Metal sind hohe instrumental-handwerkliche Fähigkeiten und eine gewisse technische Perfektion kennzeichnend.62 Zudem entwickelten und verbreiteten sich in engem Zusammenhang mit der technologischen Weiterentwicklung von Instrumenten, Verstärkern und Effekten neue Spieltechniken. Zu denken ist hier etwa an das Palm Muting, das Abdämpfen der Saiten mit dem rechten Handballen bei gleichzeitigem Anschlagen, das bereits in den 1970er Jahren zum Standard des Rhythmusgitarrenspiels im Heavy Metal avancierte, oder das Taping, das Finger beider Hände oder alternativ das Plektrum auf dem Griff brett einsetzt (Herbst 2016: 143-164). Auch wenn das Erlernen dieser neuen Techniken häufig schlichtweg durch Ausprobieren stattfand, bis es klanglich dem Vorbild ähnelte. Ein westdeutscher Musiker, der sich informieren und weiterbilden wollte, konnte allerdings zudem auf Kolumnen etwa im Metal Hammer (»Guitar Special«, »Technik«), auf spezielle Lehrbücher inklusive etwa Griff bildern und Fotos für die korrekte Körperhaltung (Fortmann 1989) bis hin zu VHS-Lehrvideos zu verschiedenen Spieltechniken zurückgreifen (vgl. Ebert 2017). Auch in der DDR herrschte durchaus ein Bewusstsein über die spezialisierten handwerklichen Ansprüche. Im bereits thematisierten Artikel von Detlef Kotte von Plattform heißt es: 62 | Siehe Smialek (2016), Elflein (2010) und Walser (1993: 65ff.). Der handwerklich-technische Anspruch spiegelt sich zudem an dem hohen Aufkommen von Lehr- und Workshop-Materialien seit den 1980er Jahren wider (Walser 1993: 84ff.; Whitehill 1989). Die allmähliche Integration in schulische und universitäre Curricula scheint dies zu bestätigen. So kündigte das New College Nottingham/UK seit 2013 einen Abschluss in Heavy Metal Music Performance an, vgl. www.telegraph.co.uk/culture/10049703/ College-launches-UKs-first-Heavy-Metal-degree.html (Zugriff 10.1.2017). in 2018 sucht man auf den Webseiten des Colleges allerdings vergeblich danach. Vermutlich wurde das Programm mittlerweile wieder eingestellt.

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Dabei fielen die Anspruchshaltung des Heavy Metal und die des Sozialismus an ihre Musiker in gewissen Punkten zusammen: Die Begutachtung von Bands durch Zulassungskommissionen zielte immer auch auf das Niveau der musikalisch-handwerklichen und -theoretischen Fähigkeiten der jungen Musiker ab, wurde durchaus auch als eine Form von Qualitätssicherung verstanden. Eine abgeschlossene Musikschulausbildung etwa ermöglichte es einzelnen Musikern, in die Sonderstufe des Amateurstatus eingestuft zu werden. Darüber hinaus arbeiteten viele der gut ausgebildeten DDR-Rockmusiker in der Instrumentalpädagogik. Die Musikschule Berlin-Friedrichshain etwa richtete bereits 1959 die Spezialklasse für Tanzmusik ein und erlangte aufgrund der Prominenz ihrer Absolventen u.a. Musiker und Sänger der Bands Puhdys, Silly oder City, überregionale Bekanntheit (Saldern 2006: 179). Auch Norbert Schmidt und Wolfgang Densky von Formel 1 haben hier ihre erste intensivere musikalische Ausbildung genossen. Norbert Schmidt konnte dabei noch in den 1970er Jahren die Prüfungsvoraussetzung für die Profi-Einstufung absolvieren, während Wolfgang Densky Anfang der 1980er Jahre die Prüfung an der Hanns-Eisler-Musikhochschule ablegen musste (Interview Densky & Schmidt). Das Erlernen der neuen Heavy oder gar Extreme Metal-Spielweisen war allerdings nicht Bestandteil der staatlichen Ausbildung. Das Curriculum sah eine eher klassische und auf die wesentlichen Grundlagen aller im Fach vertretenen Genres – Pop/Rock, Schlager, Jazz – vor. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die instrumentaltechnischen Grundlagen des Rockspiels und eine grundlegende Befähigung, neue Spieltechniken zu erlernen, vermittelt wurden. Mit der ersten Generation von Heavy Metal-Musikern in der DDR etablierte sich zudem eine neue Elite, die wiederum als qualifizierte Lehrerpool gefragt war. Insbesondere in Berlin fungierten zahlreiche Musiker als Lehrer für andere Metal-Musiker oder solche, die es werden wollten: »Ich hatte zum Beispiel Unterricht beim Disaster Area-Gitarristen Martin Windelschmidt, unserer damaliger Basser war bei dem Blackout-Bassisten Andy Bahr und unser damaliger zweiter Gitarrist, der auch von Anfang an mit dabei war, kam ebenfalls recht häufig mit zum Gitarren-Unterricht.« (Marth 2009: 44)

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

In diesen Netzwerken konnte dann auch die neueren Spieltechniken in einem eher informellen Rahmen weitervermittelt werden. Die fundierte Grundausbildung vieler DDR-Metal-Musiker unterschied sie häufig von den Fähigkeiten westdeutscher Kollegen. Die mit einer Musikschulausbildung verbundene Einstufung und somit Möglichkeit, mit Auftritten auch Geld zumindest als Nebenerwerb zu erhalten, hob das Musikmachen tendenziell vom reinen Hobby als Zeitvertreib ab und verband es mit einem gewissen Arbeitsethos. Die musikalische Ausbildung in der DDR half den Musikern den Mangel an geeignetem didaktischen Material zu kompensieren. Eine verbreitete Strategie war es – ähnlich wie im Westen –, Songs bekannter Bands möglichst genau und exakt nachzuspielen. Diese Praxis, die eng mit dem Spielen von Coversongs zusammenhängt, hatte für einzelne Instrumentalisten eine didaktische Funktion in mehrfacher Hinsicht. Neben den Spiel- und Kompositionsweisen wurde zugleich das Gehör trainiert: »Die Musik mußten wir uns mühsam von Tonband-Geräten oder Kassetten-Recordern abhören, ebenso die Texte. Meist habe ich die Riffs herausgehört und dann Manne und Ted zur Probe gezeigt.« (Lohf 2014: 6)

Ähnlich beschreibt es Wolfgang Densky von Formel 1: »Ja, das mussten wir uns damals noch in schwerer Handarbeit und Ohrarbeit raushören.« (Interview Densky & Schmidt) Für das schrittweise Raushören der tatsächlichen Gitarrenakkorde, Rhythmen und Melodien wurden alle vorhandenen technischen Mittel ausgenutzt: »Bei sehr schnellen Chorussen, da gab es ja damals diese Tonbandgeräte, wo du dann halbe Geschwindigkeit einstellen konntest. […] Da habe ich dann auf halbe Geschwindigkeit gestellt und versucht, das dann so Ton für Ton langsam rauszuhören und dann eben auch immer schneller geübt.« (Interview Densky & Schmidt)

Diese Arbeitsweise kompensierte die nicht vorhandenen Lehrmaterialien für Heavy Metal-Spieltechniken und -stücke. DDR-Zeitschriften wie melodie und rhythmus oder Profil. Methodik zur Tanzmusik veröffentlichten im Laufe der 1980er Jahre zwar Rubriken für Musiker, jedoch waren diese nur bedingt für den angehenden Metal-Musiker brauchbar. Die melodie und rhythmus etwa etablierte 1983 eine bis Ende 1984 fortgesetzte monatliche Kolumne zur Stimme (»Phänomen Gesang«). Die sich über 20 Folgen erstreckende Rubrik klärte teils mit konkreten Übungen von den Grundlagen der Stimmphysiologie über Gesangsgrundlagen und -techniken wie Atmung und Lautgebung bis hin zu Performanceaspekten intensiv auf. Im Anschluss wurde diese Rubrik bis Ende 1989 zum Thema digitale Klangerzeugung und -bearbeitung (»synthi-story«) fortgesetzt. Während diese beiden Rubriken durchaus auch Grundlagenwissen

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für Heavy Metal-Musiker bereitstellen konnten, thematisierten sie allerdings nicht das Genre. Die bereits besprochene Kolumne von Jürgen Matkowitz in der Ausgabe 13/1989 (Matkowitz 1989) bespricht in erster Linie das Thema Sound und Klangerzeugung im Hard Rock und Heavy Metal – und fokussiert damit erstmalig einen enorm wichtigen Aspekt, der in der instrumentalen Ausbildung an den Musikschulen vermutlich stark unterrepräsentiert war. Das Magazin Profil. Methodik zur Tanzmusik hingegen war weitaus stärker auf die konkreten Bedürfnisse von Musikern ausgerichtet. In regelmäßigen Rubriken (»Werkstatt« und »Tricks + Tips«) wurden konkrete musiktheoretische und -praktische Fragen für Musiker populärer Spielarten thematisiert. Die musikdidaktisch nachhaltig auf bereiteten Themen deckten dabei verschiedene Anspruchslevel ab. Musiker konnten sich über Blues-Pentatonik ebenso wie über Bitonalität und deren spielpraktische Umsetzung informieren. Konkrete Spieltipps für Heavy Metal gab es aber im Grunde nicht. Die verhältnismäßig gute und breite musikalische Ausbildung in der DDR hatte somit einen wesentlichen Einfluss auf die Adaptionsprozesse des Metal: Ein gewisses handwerkliches Ethos zusammen mit Lehrinhalten in Harmonielehre und Gehörbildung waren eine bedeutende Voraussetzung für das Lernen und Spielen von Metal in der DDR.

5.6.3 »Ich bin geil auf Heav y Metal« – Die Texte zu den Songs Songtexte sind ein wesentlicher Bestandteil populärer Musik im Allgemeinen (Moore 2012: 108-118; Middleton 1990: 231ff.) als auch im Heavy und Extreme Metal im Besonderen (Brown 2015: 265-267). Deena Weinstein hat eine der ersten Systematisierungsansätze für Songtexte im Heavy Metal vorgeschlagen. Nach Weinstein lassen sich die Texte entweder als »dionysisch« oder als »chaotisch« kategorisieren. Während Texte der ersten Gruppe einen Hedonismus des Sex, Alkohols sowie des Rausches zelebrieren, thematisieren die chaotischen Texte das Unheilvolle und Groteske, Ungerechtigkeit und Tod oder aber die Unterwelt und Hölle (Weinstein 2000: 38). Hierzu zählen auch historische und am literarischen Genre der Fantasy orientierte Themen, was Jörg Scheller zur Auffassung bewegte, Heavy Metal als eine der »geschichtsaffinsten Formen der Popmusik« zu bezeichnen (Scheller 2014: 38). Gemein ist beiden Textgruppen, dass sie ein »never ending battle for the soul of the genre« kämpfen (Weinstein 2000: 35). Sie demonstrieren dabei die Macht, sich gedanklich mit diesen Themen auseinandersetzen und sie letztlich in Kunst umwandeln zu können, wie es Weinstein formuliert (Weinstein 2000: 38). Keith Kahn-Harris betrachtet die Songtexte im Extreme Metal unter Rückgriff auf Julia Kristevas Konzept des Abjektes, um den Unterschied zu den Songtexten im Heavy Metal herausarbeiten zu können. Für ihn wird durch die Thematisierung des Bedrohlichen, Entsetzlichen, des Ekelerregenden und Formlosen – kurz: des Tabuisierten und Verdrängten – eine weitere Grenzüberschreitung erreicht

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(Kahn-Harris 2007: 29f.). Was als Gemeinsamkeit der Songtexte sowohl des Heavy als auch des Extreme Metal angesehen werden könnte, ist eine symbolische und diskursive Bestätigung und Bekräftigung der gesellschaftlichen Außenseiterrolle einerseits und der Bindungskraft und Selbstbestätigung der eigenen Vergemeinschaftung, die keiner Erklärung für Außenstehende benötigt, andererseits (Buts 2010: 89). In der DDR stellten Songtexte aufgrund ihres semantischen Gehaltes ein besonderes Dilemma dar: Einerseits sahen sich die Bands mit den typischen Themenfeldern des Metal verbunden, andererseits kontrollierte der Staat sämtliche Texte und Namen, soweit es ihm mit dem etablierten Modell möglich war. Wie bereits mehrfach gezeigt wurde, war die Gestaltung von Bandnamen und Songtexten häufig von Vermeidung offener Konflikte gekennzeichnet, ein allgemeines Charakteristikum für Musik in der SED-Diktatur (Rauhut 2002: 85-88). Analysiert man die Songtexte der Metal-Bands in der DDR nach Themenfeldern, überwiegen solche Themen, die eine jungendkulturelle Verankerung im Sinne einer Bestätigung der eigenen Szene darstellen und Weinsteins Definition des Dionysischen und Chaotischen entsprechen. Als Themenfelder lassen sich identifizieren: Freundschaft/Clique/Metal-Szene, Liebeserfahrungen und Sexualität, Feiern und Alkohol, alltägliche Probleme am Arbeitsplatz und in der Schule. Ebenso wurden historische oder fantastische Stoffe aufgriffen.63 Die Texte setzen dabei in der Regel auf unmittelbar verständliche Botschaften. Die Orientierung an der Lebenswelt der Hörerschaft und in der Regel der Musiker selbst stand offensichtlich im Mittelpunkt.64 Dabei ist die Sprache selten extrem, Themen mit politischem Zündstoff wurden eher vermieden. Auffällig häufig wurde Heavy Metal als Musik und Lebensstil thematisiert, als sollte eine fortwährende Selbstbekräftigung und -vergewisserung aufrechterhalten werden: »Heavy Mörtel Mischmaschine« (MCB, 1988), »Metal-Man« (Dr. Rock, 1989), »Heavy Braut« (Plattform, 1987), oder »Easy Rider« (Metall, 1988) beschreiben und zelebrieren das Lebensgefühl, wie es Biest mit dem Refrain des Titels »Metall« (1986), der den dritten Platz in der Jahreswertung Rock des Rundfunks 1987 erhielt,65 auf den Punkt gebracht haben: »Ich bin geil auf Heavy Metal«. Dieses hohe Maß an thematischen Selbstbezug ist dabei durchaus typisch für den Metal im Allgemeinen. Zugleich haben 63 | So etwa »Grab im Moor« von Biest (1986), »Der Zauberer« und »Excalibur« von Merlin (1989) oder die Vertonungen eines Gedichts von Christian Morgenstern durch MCB (»Lied des Galgenbruders an Sophie das Henkersmädel«, 1987). 64 | So verdeutlichen häufig bereits die Titel die thematische Ausrichtung: »Saufen schmeckt gut« (Moshquito, Demo 1988), »Biervernichter« (Panther, Demo 1989), »Another Beer Is What I Need« (Disaster Area, Demo 1987) sowie »Feuer der Liebe« (Pharao, 1986) und »Damenwahl« (Rocket, 1989). 65 | Vgl. »Rock ’87 – national«, Sendeliste vom 26.12.1987 (DRA G006-01-05/0014).

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die Hymnen, ähnlich wie im Westen, den Charakter einer Akklamation. Die Zugehörigkeit und Begeisterung für Heavy Metal wird nicht nur über die Musik und das Klangliche, sondern auch über Texte demonstriert und etwa im Konzert immer wieder aufs Neue bekräftigt. Ähnlich verhielt es sich mit der Gestaltung der Bandnamen, die in der Regel einen mehr oder weniger deutlichen Bezug zum Heavy Metal aufwiesen, indem kraftvolle und leicht einprägsame Wörter benutzt wurden: Biest, Metall, Merlin, Moshquito, Dr. Rock. Dabei orientierte man sich stark an westlichen Vorbildern. Eher selten gab es ausschließlich wegen der Namenswahl Probleme mit dem Staat.66 Diese Selbstreferentialität konnte zugleich ermöglichen, Themen außerhalb der Jugendkultur, etwa die Unterdrückungsmechanismen des Staates, auszublenden und – zumindest für den Moment des Songs – zu marginalisieren: Alles was zählte, war schlichtweg Heavy Metal. So etwa thematisieren Plattform in »Heavy Braut« zunächst die gesellschaftliche und politische Außenseiterrolle: »Manch einer denkt, sie ist nicht dicht/nur weil sie nicht ihrer Norm entspricht«, um daraufhin den Lebensstil mit Heavy Metal-Konzerten und Motorradfahren als ein Stück Freiheit und Loslösung aus den alltäglichen Sphären der gesellschaftlichen Normen zu beschreiben und in den Vordergrund zu rücken – ohne dies allzu politisch aufzuladen. Insofern spiegeln die Texte größtenteils die Verankerung in der Metal-Szene wider, die sich in den 1980er Jahren zusehends verselbständigte und autonom-eigensinnigen Vorstellungen von Norm und Lebensgestaltung mit relativem Desinteresse für die politischen Vorstellungen des Staates pflegte. Die deutschen Texte konnten bei Fans, obwohl sie nicht der internationalen Szene mit der Dominanz der englischen Sprache folgten und entsprachen, durchaus Akzeptanz bis hin zu Begeisterung hervorrufen. Tatsächlich aber spalteten sich im Laufe der 1980er Jahre hier vielmehr die Meinungen, insbesondere mit den neuen Spielarten des Metal und den wachsenden Freiräumen gegen Ende der 1980er Jahre. Mehr und mehr Bands schrieben nun auch englische Texte. Deutlich wird, dass diese Aufspaltung auch mit den Stellungen und Verankerungen der Bands im Kultursystem der DDR und den entsprechenden Abhängigkeiten einherging. Das Singen eigener englischer Texte war bis 1987 für offiziell eingestufte Bands so gut wie keine Option. Während die bereits etablierten und seit längerer Zeit eingestuften Bands wie Formel 1, 66 | Eine Ausnahme stellte offenbar die Berliner Darkland dar. Zur Einstufung 1987 hieß die Band Gomorrah, was eine Anspielung auf die westdeutsche Band Sodom war. Der Kommission war dieser Name vermutlich aufgrund der biblischen Referenz allerdings zu heikel, so dass sich die Band kurzerhand in Darkland umbenannte (Interview Ebert). Dass Darkland als Name für eine Band in der DDR nicht unbedingt weniger heikel war – eine indirekte Anspielung auf das eigene Land, dem man nur zwei Jahre später ironisch mit dem Titel »40 Years For Nothing« dankte? –, übersah man offensichtlich.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Biest, Metall und MCB weiterhin auf Deutsch schrieben, sangen bereits 1987 etwa Blackout, Disaster Area und Moshquito eigene Songtexte komplett auf Englisch. Für die Songtexte von Blackout und Disaster Area beispielsweise zeichnete Peter Habermann verantwortlich. Blackout waren seit 1985/6 eingestuft, Disaster Area stellten sich nie einer Einstufungskommission. Die beiden Titel »Oracle of Death« (Blackout) und »Another Beer Is What I Need« (Disaster Area) auf dem 1996 veröffentlichten Sampler Geil auf Heavy Metal wurden nur als Demos produziert und mussten somit keinem Textlektorat vorgelegt werden.67 Für Habermann lag die Wahl der englischen Sprache, auch wenn gewisse Sprachbarrieren durchaus vorhanden sein konnten, auf der Hand. Englisch war die Sprache der Vorbilder, deutsch stand hingegen mit Schlager und Volksmusik und zugleich dem staatlichen Kultursystem in Verbindung (Interview Habermann). Von Vorteil war sicher, dass Habermann zuvor keine negativen Erfahrungen mit Lektoraten machte und ihn dementsprechend vermutlich keine Selbstzensur in Form einer ›Schere im Kopf‹ hinderte. Tatsächlich entstanden zusehends Freiräume, in denen das Singen eigener englischer Texte auch für eingestufte Bands nicht mehr zwangsläufig zu Problemen führen musste. Die Chemnitzer Argus bzw. Moshquito schrieben zahlreiche Songtexte auf Englisch und wurden damit auch in der TendenzSendung auf DT 64 gesendet, so etwa mit dem Argus-Titel »Spirits of Madness« am 21.5.1988 (DRA G006-01-05/0019, Sendung v. 21.5.1988, Musiklaufplan).68 Diese Freiräume nahmen Bands teilweise auch als Anlass, um ihre eigenen bereits bestehenden Songs mit neuen englischen Texten zu versehen. Nach negativen Erfahrungen mit dem Lektorat begann etwa die Erfurter Profi-Band Prinzz bzw. Blitzz 1987 erstmalig mit eigenen englischen Texten zu arbeiten. 1989 entschlossen sie sich dann, den ursprünglich mit deutschem Text versehenen Titel »Tarantella« von 1987 unter neuen Bandnamen mit englischem Text aufzunehmen, wobei die Referenz zum historischen Volkstanz italienischen Ursprungs, der hier mit Rock’n'Roll in Verbindung gesetzt wird, erhalten blieb.69 Das Stück wurde neben der Übersetzung des Textes stilistisch angepasst mit einem stärker verzerrten Gitarrensound, einem neuen Gitarrensolo und deutlich gesteigertem Tempo (1987: ca. 283 bpm; 1989: ca. 335 bpm). 67 | »Oracle of Death« und »Another Beer Is What I Need« liefen dennoch beide erstmals am 5.8.1989 in der Tendenz-Sendung auf DT 64 (Sendeliste der Tendenz Hard bis Heavy, DRA G006-05/0034). 68 | Der Titel war vermutlich eine Demo-Aufnahme, die die Band als selbsthergestellte Kassette an den Rundfunk schickte. Der erste Moshquito-Titel (das Beatles-Cover »Penny Lane«, aufgenommen 1988) wurde am 4.2.1989 in der Tendenz-Sendung gesendet (DRA G006-01-05/0028), am 1.7.1989 folgte mit »No Back To Inferno« erstmalig eine Eigenkomposition (Sendeliste der Tendenz Hard bis Heavy, DRA G006-01-05/0033). 69 | Zum Volkstanz »Tarantella« siehe Marcello Cofini (2016).

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Das im Speed Metal-Stil gehaltene Stück war insbesondere durch seinen einprägsamen, von Kerstin Radtke in sehr hoher Lage gesungenen Refrain durchaus anschlussfähig für den internationalen Markt, was auch bereits 1988 das Stuttgarter Label Gamma Records erkannte, die ursprünglich eine Veröffentlichung noch vor dem Herbst 1989 planten.70 Während einige Bands diese Freiräume mehr als begrüßten, waren sie für manch andere nicht zwangsläufig ein Segen. Aufgrund der schulischen Ausbildung waren die Englischkenntnisse nicht immer ausreichend, um tatsächlich auch englische Texte schreiben und aussprechen zu können. Die Erfurter Band Macbeth etwa begründet die Entscheidung für deutsche Texte heute mit den sprachlichen Differenzen und individuellen Fähigkeiten. Ralf Klein erinnert sich an die Textprobleme bei den wenigen englischen Titeln von Macbeth in den 1980er Jahren: »Zum Glück versteht man auf den Demos nicht alles, was ich damals gesungen habe, denn das ist teilweise haarsträubend. Ich verstehe das heute noch und weiß, daß es grammatikalisch völliger Schwachsinn ist.« (Macbeth 2009: 23)

Um dennoch englische Texte verwenden zu können, entwickelten die Bands unterschiedliche Strategien. Die Berliner Darkland etwa ließen sich die deutschen Entwürfe von einem Muttersprachler ins Englische übersetzen (Interview Ebert). In den Abbildungen der originalen Textvorlagen (vgl. Abb. 10, 11, 12) können die hand- und maschinenschriftlichen Kopien sowie originalen Karteikarten, mit denen der Sänger André Menzel im Proberaum arbeitete, betrachtet werden. Im Songtext von »40 Years For Nothing« zieht sich trotz der Sorgfalt und Übersetzungshilfe ein Fehler im Englischen durch sämtliche Abschriften hindurch. In der 2. Strophe wurde statt »here« lediglich »her« geschrieben, wodurch ein anderes englisches Wort entsteht, das in diesem Kontext keinen Sinn ergibt. Dieser Fehler konnte diverse Ursachen haben wie etwa Unkonzentriertheit beim Übersetzen oder Abschreiben – aufgefallen ist es offenbar infolge aber niemanden mehr. Gesungen wird jedenfalls ein deutliches »here«.

5.6.3.1 Heavy Metal und die Zensur: Erfahrungen und Umgang mit Textlektoraten Das institutionalisierte Lektorat von Texten galt als eines der stärksten Instrumente der staatlichen Einflussnahme. Als würde er über den bis dato veröffentlichten DDR-Metal sprechen, kritisiert der Jugendforscher Holm Felber dieses System und die Folgen: 70 | Vgl. den Text von Hendrik Rosenberg im CD-Booklet zu Blitzz. Tarentella (German Democratic Recordings, GDR 008, 2013).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR »Die Lektorierung der Texte hat – verbunden mit der parallel perfektionierten ›Schere im Kopf‹ der Texter – die weitgehende Verdrängung konkret-sozialer, insbesondere widersprüchlicher, Jugendrealität im verbalen Teil der DDR-Rock- und Popproduktion immer weiter verfestigt.« (Felber 1988: 17)

Es ist der nach Felber in der gesamten DDR-Pop- und -Rockmusik verbreitete »neutrale Charakter« der Texte, der lediglich Bestehendes bestätige (Felber 1988: 19). Die alltägliche Praxis der Lektorate konnte dabei für frustrierende Erfahrungen sorgen: »Das war teilweise so pervers, daß man sich fragte, ob man noch auf dem richtigen Planeten lebte. Solche idiotischen Einfälle, wie die hatten und was die von uns wollten – da wäre kein normaler Mensch drauf gekommen. Was wir alles machen und ändern mußten, hat an den Nerven gezerrt und war schon sehr stressig. Man dachte, daß man halbwegs normal sei und sein Ding abliefern kann, aber da waren manchmal Kleinigkeiten… Man durfte bestimmte Worte nicht erwähnen, weil damit irgendwas war…« (Schmidt 2012: 34)

Norbert Schmidt hat zahlreiche Erfahrungen mit der Zensur gemacht. Da Formel 1 die erste als professionell eingestufte Heavy Metal-Band der DDR war, kann vermutet werden, dass die Lektoren hier besonders aufmerksam mit den Vertretern dieses neuen Genres umgegangen sind. Die »idiotischen Einfälle«, die im Folgenden diskutiert werden sollen, beschreiben zugleich die Zensurpraxis der Lektorate, die zum einen einer peniblen Sprachpolitik folgten, zum anderen ein Instrument der Machtdemonstration und -durchsetzung waren: Im kaum verhandelbaren Vorschreiben und Diktieren von Veränderungen und Anpassungen wurde im Gespräch mit den Textern und Musikern die Unterordnung letzterer einmal mehr verdeutlicht. Am Beispiel des Titels »Der Fußballfan« von Formel 1 kann gezeigt werden, welche Mechanismen und Logiken in der Zensurpraxis eine Rolle spielten. Der 1984 geschriebene Titel verarbeitet teils autobiographisch die Begeisterung Schmidts für den Sport. Schmidt spielte bis zum Mauerbau 1961 bei der Jugendmannschaft des West-Berliner Vereins Hertha BSC. Zudem spielte einer der Mentoren von Formel 1, Friedemann Zöllner beim SG Hohenschönhausen. Die Trikots beider Vereine waren blau und weiß. Als eine Referenz verwendete Schmidt zunächst die Textphrase »blauweiß«, insbesondere im Refrain. In der offiziellen Version, wie sie im Radio später gehört werden konnte, heißt es jedoch: »Hey, heya, wir stehen auf rot-weiß, hey, heya rot-weiß gewinnt«. Der zunächst banal wirkende Austausch des »blauweiß« in »rot-weiß« ist Folge eines dezidierten Zensureingriffes. Die Lektoren warfen Schmidt nämlich vor, mit »blau-weiß« und der Referenz zum Westberliner Verein Hertha BSC letztlich den Feind zu verherrlichen. Zwar verwies Schmidt darauf, dass sogar die Trikots der DDR-Nationalmannschaft in diesen Farben gehalten sind. Die mögliche Interpretation als Verweis auf einen West-

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berliner Verein war den Lektoren aber vermutlich zu heikel. Obgleich Schmidt hier eine Verarbeitung seines Alltags durchaus im Sinne des Sozialistischen Realismus bewies, war die ideologische Dimension schwerwiegender. Das Lektorat entschied, das ursprüngliche »blau-weiß« in »rot-weiß« zu ändern. Allerdings wurde mit »rot-weiß« eine neue, für die Band durchaus problematische Mehrdeutigkeit aufgebaut: Rot-weiß waren sowohl die Farben des Ost-BerlinerFußballclub FC Union Berlin als auch des vom MfS unterstützten SG Dynamo Berlin bzw. BFC Berlin, der aus der Mannschaft SG Dynamo Dresden hervorging.71 Wie Ingolf Pleil in seiner Studie Mielke, Macht und Meisterschaft darlegt, sollte aus Mielkes Fußballleidenschaft heraus mit letzterem ein konkurrenzfähiges Ost-Berliner Pendant zu den Westberliner Vereinen geschaffen werden. So wurde 1953 auf staatliche Anordnung der mit weinrot-weißen Trikots auftretende SG Dynamo Berlin, später BFC Berlin, als die »Lieblingsmannschaft des als fußballverrückt geltenden Erich Mielke« (Pleil 2001: 16) gegründet. Die MfS-Unterstützung inklusive Beeinflussung von Spielen bis hin zu Spielerprivilegien war in der Bevölkerung durchaus bekannt. Zudem bestand eine intensive Rivalität zwischen den beiden Ostberliner Fußballclubs (McDougall 2013: 264; Tomlinson/Young 2006: 54). Es lässt sich nur noch spekulieren, ob diese Doppeldeutigkeit im Falle des Formel 1-Songs auf Unkenntnis der Lektoren zurückgeführt werden könnte oder eine bewusste Entscheidung dahintersteckte, die damit letztendlich Formel 1 indirekt zu einem Sprachrohr des Vereins instrumentalisierte. Für Norbert Schmidt entstand durch dieses politisch motivierte Eingreifen, neben den dadurch »grau gewordenen« Haaren (Interview Densky & Schmidt), zudem eine ungewollte Distanz zu den Hörern: »Das ist immer das Problem gewesen, weil wir versucht haben, nah an den Leuten zu sein und den Alltag einzufangen. Klar hätten wir auch andere Texte machen können, aber wir haben immer versucht, das Leben der Leute einzufangen, weil wir auch immer viel mit den Leuten geredet haben.« (Schmidt 2012: 34)

Diese Nähe zu den »Leuten«, die in erster Linie die jugendlichen Anhänger des Metal waren, demonstrierten Schmidt und Co. in der Regel mit der textlichen Verarbeitung alltäglicher Themen in Titeln wie »18 Jahre sein« oder »Dit is Berlin«. Insbesondere der Berliner Dialekt wurde zu einer Art »Markenzeichen« (Interview Densky & Schmidt) und entsprach dabei durchaus den Vorstellungen der SED zur Volksnähe der DDR-Rockmusik.72 Für Formel 1 bestand beim Schreiben der Texte eher kein Interesse an versteckten Botschaften und an 71 | Vgl. www.bstu.bund.de/DE/InDerRegion/Dresden/Notizen/20130418_fussball. html (Zugriff am 10.10.2016). 72 | Vgl. »Argumentation der Abteilung Kultur des ZK der SED zur Rockmusik (1982)«, in: Wicke/Müller (1996: 216-227).

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der Kunst des Zwischen-den-Zeilen-Formulierens, wie sie die Rockbands der 1970er Jahre kultiviert hatten. Der Song »Eddie« (1983) etwa, der unter Iron Maiden-Fans als eine Anspielung auf deren gleichnamiges Band-Maskottchen gedeutet werden konnte, thematisiert Verlässlichkeit und gegenseitige Hilfe unter Freunden, wobei die Iron Maiden-Deutung nicht intendiert war (Interview Densky & Schmidt). Die Erfahrungen mit der Zensurpraxis prägten Formel 1 offensichtlich insofern, als dass sie eher auf eine Konfliktvermeidung und den Weg des geringsten Widerstandes setzten, der so genannten Schere im Kopf: »Man hat schon gewusst, was nicht durchgeht, weißt du? Und das hat man gleich von Vorneherein weggelassen«, formuliert Densky und wird durch Schmidt ergänzt: »Ehe du da wieder fünfmal hinrennst« (Interview Densky & Schmidt). Die Erfahrung lehrte, dass sich bei problematischen Textstellen durch mehrmaliges Vorladen die Veröffentlichung verzögern konnte.

5.6.3.2 Englisch und politisch? Die Songtexte von Moshquito und Darkland Die Mehrzahl der Metal-Bands in der DDR vermied zwar politische Themen. Dennoch ist eine leichte Tendenz gegen Ende der 1980er Jahre zu erkennen, die mit den politischen Erosionserscheinungen, der zunehmenden Verbreitung von politisch interessierten Sub-Genres wie Thrash Metal sowie der zunehmenden Verwendung von englischen Texten zusammenfällt. Titel von Moshquito wie »Mosh In Moscow« oder »For The Communist Emperor« weisen einen deutlichen politischen Bezug auf. In »Mosh In Moscow« heißt es etwa:73 »We come from the west/ We mosh in Detroit/ We come from the east/ We mosh in Berlin/ When can we get ya‹ mosh in Moscow?«

Und im Refrain heißt es dann: »Mosh in Moscow/Gorbi says ok/Let’s Mosh in Moscow«. Diese Textzeilen demonstrieren einen deutlichen Bezug zum Metal und eine ihrer Tanzpraktiken, das Moshen. Moshquito verdeutlichen, dass die Musik überall, im Osten wie im Westen, Anhänger findet. Die Gestaltung der Sprache ist stark an den Vorbildern des Thrash Metal orientiert, der auch textlich von einer anti-elitären Haltung geprägt ist (Buts 2010: 53). Dies wird zudem zusätzlich politisch kontextualisiert und aufgeladen: Indem 73 | Die Transkription des Textes basiert auf ein verlangsamtes Abhören mittels der Software Sonic Visualiser, da die Texte nicht veröffentlicht sind. Dadurch ist die Gefahr des Fehlinterpretierens gegeben. Zwar kontaktierte ich den Gitarristen Ingo Lohf, allerdings konnte sich dieser nur noch an den Refrain erinnern.

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Moskau und der damalige Machthaber Michail Gorbatschow im Refrain in Zusammenhang mit dem Tanzstil des Moshens gerückt werden, wird einerseits auf das Machtzentrum des Staatssozialismus der UdSSR und indirekt auf dessen Einfluss auf die DDR verwiesen, andererseits auf die zu dieser Zeit präsenten Reformbestrebungen der Perestrojka und Glasnost durch Gorbatschow angespielt. Dies kann als eine positive Bewertung der Reformen verstanden werden, an deren Ende ein gemeinsames Moshen auch in Moskau, sozusagen befürwortet durch Gorbatschow, stehen könnte.

Darkland – 40 Years (1989/90) Einen Höhepunkt politischer Themen im DDR-Metal stellt die im Herbst 1989 aufgenommene EP 40 Years von Darkland aus Berlin dar. Die EP, die im Frühjahr 1990 veröffentlicht wurde, enthält die drei Titel »Blood« (1:27 min), »Violent World« (2:00 min) und »40 Years For Nothing« (4:00 min). In der Umbruchphase im Herbst 1989 aufgenommen, wirken die Songtexte wie eine Generalabrechnung mit der SED-Diktatur. Der erste Song »Blood« vermittelt eine pessimistische Grundstimmung und hat lediglich eine Strophe und einen aus zwei Textzeilen bestehenden Refrain. Strophe und Refrain werden einmal im vollen Umfang wiederholt. Eine Anspielung auf den Sozialismus mit seiner roten Farbgebung kann vermutet werden, wenn es im originalen deutschen Entwurf heißt: »Blut, nur Blut/der Boden ist rot gefärbt/Blut tropft von den Bäumen wie Tau herab«.74 Nicht nur gilt Blut als Symbol des Lebens (vgl. Schury 2001), wodurch tropfendes Blut auf eine Verletzung verweist. Auch war die dominierende Farbe des Sozialismus rot. Im Refrain heißt es letztlich im Englischen: »(We) Want get out of this shit«. Möglicherweise ist dies eine Anspielung auf die Wirren, aber auch Hoffnungen des allmählich anlaufenden Wiedervereinigungsprozesses. Geschrieben in der Zeit des Mauerfalls und der von vielen erhofften Auflösung der DDR spiegelt der Text womöglich die Unsicherheit über die Zukunft wider, möglicherweise auch die Angst auf eine erneute Stabilisierung der SEDDiktatur, wie es bereits in den Krisen zuvor (1953, 1956, 1968) immer wieder gelang. Eingebettet ist der Text in einem Thrash Metal-Song im hohem Tempo (ca. 295 bmp) von einer kurzen Dauer. Der darauffolgende Song »Violent World« ist abstrakter gehalten. Grundthema ist Gewalt und Terror, der nur mit wenigen Beispielen (»Vergewaltigung der Frauen«) konkretisiert wird. Dominant sind eher allgemein gehaltene Phrasen wie »Die Autorität zertreten/Ausbruch der Angst/dreckige Welt«. 74 | Im Folgenden wird immer wieder auf die deutschen Entwürfe zurückgegriffen, weil die Texte zunächst auf Deutsch geschrieben wurden und somit m.E. hier am ehesten die Sinnebenen erschlossen werden können, wohingegen beim Übersetzungsprozess durchaus Interpretationen oder gar leichte Umdeutungen stattfinden konnten.

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Vielmehr scheint es um die Grundaussage zu gehen: Der Text vermittelt ein abstrakt-bedrohliches und diffuses Bild der Unsicherheit und Angst vor Missbrauch, Gewalterfahrung und Unterdrückung, aber auch der Wut und Ironie (»Terror ist ein Geschäft« und »eine blumige Welt«). Der Song ist musikalisch in zwei Haupteile von nahezu gleicher Länge aufgeteilt. Der erste Teil ist mit ca. 275 bpm in einem hohen Tempo im Stile des Thrash und frühen Death Metal gehalten und beinhaltet alle vier Strophen sowie zwei Refrains. Der zweite, instrumentale Teil ist mit 120 bpm bedeutend langsamer und beinhaltet ein Gitarrensolo. Der letzte Song der EP ist zugleich der Titelgebende: »40 Years For Nothing«. Dieser Songtext ist die wohl offensichtlichste Kritik an der SED-Diktatur nicht nur von Darkland, sondern auch des DDR-Metal schlechthin. Das Stück ist mit 4:00 min das längste der EP und setzt sich aus 6 Strophen zusammen, die paarweise gesungen werden, wobei die jeweils zweite, vierte und sechste Strophe direkt wiederholt werden. Der Refrain ist, wie auch schon bei den anderen beiden Stücken, mit nur einer Zeile verhältnismäßig kurz und prägnant gehalten. Das Leitmotiv ist »40 Years«, welches in dieser Form oder in Abwandlung (»28 Years«, bezogen auf den Mauerbau 1961) beinahe alle Textzeilen einleitet und deutlichen Bezug zum DDR-Regime hat. Dieses als Anapher bezeichnete Stilmittel hebt vor allem die Bedeutung der zeitlichen Dauer hervor, eine Zeitspanne, die die eigene biographische Erfahrung der Musiker zu diesem Zeitpunkt überstieg. Indem immer wieder von »40 Years« und anschließenden Erläuterungen gesungen wird, wird der Last dieser Zeitspanne Ausdruck verliehen. Diese Erläuterungen sind dabei offen und direkt. So ist im zunächst auf Deutsch verfassten Songtext die Rede vom »Stalinistischen System« und der »Stasimacht«, werden Beschreibungen wie »eingemauert«, »interniert«, »dahingesiecht« und »vegetiert« verwendet. Die Kritik an der DDR ist offenkundig, die Lebensumstände werden bedauert (»40 Jahre hinter der Zeit«). Die letzte Strophe schlägt zusätzlich zu den Anprangerungen einen selbstkritischen Unterton an: »40 Jahre still gehalten/40 Jahre den Mund verstopft«. Angesichts der Erfahrungen der friedlichen Revolution im Herbst 1989 konnte man sich durchaus fragen, warum die Bevölkerung so lange stillgehalten hatte – ein wehmütig-resignierter Unterton, der etwa beim »Mund verstopfen« durchaus auch auf die Selbstzensur und Anpassung vieler DDR-Bürger anspielen konnte. Die Einbettung des Textes in die klangliche Textur ist zudem aufschlussreich. Nach den Strophen 1-4 und dem zweiten Refrain wird ein 16-taktiges instrumentales Zwischenspiel in einem langsameren Tempo (ca. 120 bpm im Gegensatz zu ca. 315 bpm) eingefügt, das durch ganztaktig klingende Durakkorde in abwärtssteigender Parallelverschiebung einen ironisierenden Gegensatz zum vom Thrash-Spiel getragenen Vers-Chorus- bzw. Strophe-RefrainTeil vermittelt – als wolle man musikalisch sagen, »nur gut, dass es jetzt vorbei

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ist.« Der Kontrast entsteht dabei nicht nur durch das langsamere Tempo, den weniger dichten rhythmischen Pulsen und der Verwendung von Durakkorden, während sonst zumindest akkordisch weder Dur noch Moll verwendet werden.75 Vielmehr sind es die Aggressivität und Direktheit auf rhythmischer, klanglicher (Gesang) und textlicher Ebene der Vers-Chorus-Teile, die den abgesetzten Mittelteil als regelrechte Entspannung erscheinen lassen. Der vermeintlich hämisch-ironische Charakter des abgesetzten Mittelteils wird unterstützt durch ein schalkhaftes Lachen, dass während eines überraschenden Breaks der gesamten Band erscheint, noch bevor überhaupt die erste Strophe einsetzt (bei ca. 0:21 min). Die drei Songtexte stellen eine Vermischung der beschriebenen Thematisierung von Chaos einerseits und des Tabuisierten andererseits dar. Das Tabuisierte in der DDR waren bis zum Herbst 1989 sozialismuskritische Äußerungen. Dies haben Darkland – sicher auch durch ihre Orientierung an Songtexten des internationalen Heavy und Extreme Metal – zusätzlich gesteigert, indem sie nicht nur Sozialismuskritik im Allgemeinen betrieben, sondern konkrete Formen der Gewalt im Sozialismus direkt ansprechen (Vergewaltigung, Stasimacht, Selbstzensur). Dadurch stellt Darklands 40 Years ein außerordentliches Beispiel künstlerischer Kritik in der zerfallenden SED-Diktatur dar.

75 | Ein deutlich langsameres Tempo eines Formteiles wird als »breakdown« bezeichnet und wurde im Laufe der 1980er Jahre zu einem typischen Gestaltungsmittel des Thrash Metal.

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Abbildung 10: Songtext zu Darklands »40 Years For Nothing«, handschriftlich, Gegenüberstellung vom originalen deutschen Text und der verwendeten englischen Übersetzung (Quelle: Jörg Ebert, Darkland)

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Abbildung 11: Songtext zu Darklands »40 Years For Nothing«, Karteikarte für den Proberaumgebrauch mit dem zu singenden englischen Text auf der Vorderseite (links) und dem originalen deutschen Text (rechts) auf der Rückseite (Quelle: Jörg Ebert, Darkland)

Abbildung 12: Songtext zu Darklands »Violent World«, maschinenschriftlich, Gegenüberstellung vom originalen deutschen Text und der verwendeten englischen Übersetzung (Quelle: Jörg Ebert, Darkland)

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Zusammen mit dem zuvor thematisieren Songtext von Moshquito wird deutlich, dass gegen Ende der 1980er Jahre nicht mehr nur auf klanglicher Ebene die Transgression gesucht wurde, sondern auch auf textlicher. Das Singen auf Englisch und das Schreiben politischer, tendenziell sozialismuskritischer Texte etablierte eine neue Dimension. Was dadurch vor allem deutlich wird, ist weniger politisch-oppositionell einzuordnen als vielmehr als ein Ergebnis der anhaltenden Distanzierung zum Staatssozialismus und einer verstärkten Hinwendung zum und Identifizierung mit dem Metal und seiner Vergemeinschaftung.

5.7 »Made in GDR« 76 : Aneignungen und Anver wandlungen der musikalischen Sprache des Heav y und E xtreme Metal Im Folgenden soll mithilfe von musikanalytischen Ansätzen gezeigt werden, in welcher Form die musikalische Sprache des Heavy und Extreme Metal in der DDR angeeignet wurde.77 Da das Spielen der Musik als eine der intensivsten Folgen des kulturellen Transfers verstanden werden kann, werde ich im Folgenden anstelle des bereits genutzten Begriffes der Aneignung den der Anverwandlung im Sinne des Soziologen Hartmut Rosa (2016) sowie des DDRJugendforschers Bernd Lindner (1991b) benutzen. Anverwandlung ist dabei gegenüber der Aneignung als eine intensiviertere und nachhaltigere Form der Auseinandersetzung, Verinnerlichung und Identifikation zu verstehen. Dadurch kann zugleich ein Verständnis für den kreativ-gestalterischen Prozess und die Weiterentwicklung der individuellen Kompetenzen ermöglicht werden. In diesem »Prozeß der produktiven Anverwandlung« werden die konkreten und praktischen Dimensionen des kulturellen Transfers besonders deutlich (Lindner 1991b: 100; Espagne/Werner 1988: 33). Die musikalische Sprache des Heavy und Extreme Metal wurde bisher unter verschiedenen Schwerpunktsetzungen in der Forschung beschrieben und untersucht.78 Insofern kann nur noch bedingt von einer eher marginalen 76 | Titel des 1989 in den Potsdamer DEFA-Studios produzierten Demos von Defcon. 77 | Zur Analyse populärer Musik im Allgemeinen vgl. Steinbrecher (2016: 97-146), Moore (2012), Pfleiderer (2008) und Wicke (2003). 78 | Mit einem hauptsächlichen Fokus auf Metal sind hier neben Robert Walsers wegweisenden Studien (1992, 1993) vor allem die Arbeiten von Harris M. Berger (1999a, 1999b, 2005), Esa Lilja (2005, 2009, 2015), Glenn Pillsbury (2006), Jonathan Pieslak (2007, 2008), Eric Smialek (2008, 2016), Steve Waksman (2009), Andrew Cope (2010), Dietmar Elflein (2010, 2015), Sarha Moore (2010), Chen-Gia Tsai et al. (2010), Phillipe Depalle und David Brackett (2012), Gregory R. McCandless (2013), Mark Mynett (2013, 2015), Duncan Williams (2015), Susanna Mesiä und Paolo Ribaldini (2015), Kristian Wahlström (2015), Garrett Schumann (2015), Michael Custodis (2016), James E. Slaven und Jody L.

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musikanalytischen Erforschung des Metal gesprochen werden. Vielmehr wird anhand der Themen deutlich, wie komplex und vielfältig die musikwissenschaftliche Erforschung dieses Genres ist. Heavy und Extreme Metal kann mit Dietmar Elflein als komplexe musikalische Äußerungen verstanden werden, die miteinander im Dialog stehen und somit als Erwartungshorizont oder Kompositionsmodell fungieren können (Elflein 2010: 25-37; vgl. Moore 2012: 271-284). Auf Basis dieses dialogischen Charakters entwickeln und etablieren sich gewisse Regeln der Organisation und Gestaltung der Musik, die als »operational devices« fungieren und eine spezialisierte »musikalische Kompetenz« verlangen können (Middleton 1990: 174; Stefani 1981; Fabbri 1981),79 welche selbst wiederum innerhalb eines Genres stark ausdifferenziert sein können (Middleton 1990: 175; vgl. Brackett 1995: 9-14). Dies ist gerade vor dem Hintergrund der höchst dynamischen Entwicklungen des Metal in den 1980er Jahren aufschlussreich, da diese nicht nur in Hinblick auf den britischen Heavy Metal, sondern auch auf die Entwicklungen hin zum Extreme Metal sowohl eine Etablierung bestehender Konventionen und Kompetenzen als auch eine Weiterentwicklung und teilweise Brechung dieser darstellten. Die musikalische Sprache des Heavy Metal war zu Beginn der 1980er Jahre verhältnismäßig klar definiert. Jeder, der Metal komponieren und spielen wollte, musste die ästhetischen und handwerklichen Regeln befolgen, die sich zunächst auf der Ebene der Organisation von Klängen und Sound abspielten. Wie bereits unter dem Abschnitt zu Instrumenten und Technik diskutiert wurde, waren die Klangveränderungen durch Verzerrung und ein Verständnis von ›heavyness‹ wichtige technische und ästhetische Marker. Diese erforderten und ermöglichten zugleich, wie im vorhergehenden Abschnitt ausgeführt, angepasste und weiterentwickelte Spieltechniken, die in erster Linie an den Aufnahmen westlicher Bands analysiert, geübt und umgesetzt wurden. Diese Praktiken des Erlernens und Coverns verdeutlichen die dialogische Vernetzung der internationalen Tonaufnahmen mit der lokalen Praxis in der DDR. Indem über die beschriebenen sozialen und ästhetischen Praktiken die Kenntnisse und Hörerfahrungen mit der Musik anwuchsen, entwickelte und verbreitete sich zugleich eine Metal-Kompetenz in der DDR, wie sie auch anhand Krout (2016) zu nennen. Daneben wurden mittlerweile zahlreiche Tagungsvorträge sowie Bachelor- und Masterarbeiten mit musikanalytischem Schwerpunkt erarbeitet (so etwa Probst 2013). 79 | Stefani definiert fünf Ebenen von musikalischen Kompetenzen (allgemeine Codes, soziale Praktiken, musikalische Techniken, Stile einer Epoche/Gattung/eines Autors, konkrete musikalische Äußerungen), die hier nicht weiter im Detail diskutiert werden sollen; vgl. hierzu die Kritik hinsichtlich der historischen Entwicklung sowie der tatsächlichen Anwendung der Codes in der konkreten Praxis bei Steinbrecher (2016: 54f.) und Pfleiderer (2006: 25f.).

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des Szene-Diskurses nachgezeichnet werden konnte. Diese Kompetenz ermöglichte es den Musikern, ein Stück entsprechend ihrer konkreten stilistischen Orientierung in den Dimensionen Sound, Formauf bau und Riffgestaltung, Tempo und Spieltechniken detailliert zu gestalten, um nicht nur als Metal an sich, sondern als Heavy, Thrash oder sonstiger Metal verstanden und eingeordnet werden zu können. Beinahe alle musikalischen Entwicklungen des Heavy und Extreme Metal der 1980er Jahre wurden auch in der DDR in Eigenkompositionen gespielt. Die stilistischen Verortungen der DDR-Bands waren stark von den individuellen Interessen abhängig, die häufig je nach musikalischer Sozialisation in enger Korrelation zum Alter variierten. Als der New Wave of British Heavy Metal um 1980 allmählich in der DDR Verbreitung fand, begannen sich einige der DDR-Rockmusiker zunehmend für die härtere Spielart zu interessieren. Hierzu zählten die Musiker von Formel 1 etwa, die zuvor zum Teil in der Rockband Joco Dev aktiv waren, aber etwa auch Bernd Schilanski (Schlagzeuger) und Charlie Ludwig (Gitarre), die, nachdem der Rockband Magdeburg um 1981 die Profi-Spielerlaubnis entzogenen wurde, zwei Jahre später die Heavy MetalBand MCB gründeten. Beide Bands dokumentierten ihre stilistische Orientierung nicht nur durch Coversongs von Judas Priest, Iron Maiden (Formel 1) oder Motörhead (MCB), sondern auch durch ihre eigenen Kompositionen. Ab Mitte der 1980er Jahre ist eine Verbreitung und zunehmende Beliebtheit härterer Klänge erkennbar. Hendrik Rosenberg, der seit einigen Jahren als Zeitzeuge und ehrenamtlicher Betreiber eines Fanzines, einer Homepage und eines Labels wertvolle Dienste für die Dokumentation des Metal in der DDR leistet, beschreibt die Tendenz wie folgt: »Nachdem also […] Bands mit dem Thrash-Sound immensen Publikums-Zuspruch erhielten, schwenkten auch viele andere Bands auf diesen Sound um: Bands wie Charon aus Chemnitz, Damien Breed aus Güstrow (gegründet als Excenter, ab 1995 als Seelenwinter aktiv), Helion aus Freiberg (aus denen später Deathtrap hervorgingen), Howlin’ Mad aus Erfurt (gegründet als Insanity), Manos aus Querfurt (als Löwenherz gegründet), Nobody aus Markneukirchen, Panther aus Halle (Saale), Powerage aus Rathenow, Rochus aus Erfurt, Sixtus aus Berlin (gegründet als Sarkophag), Titan aus Pirna und Viper aus Luckenwalde (die nach der Wende unter dem Namen Screamz zurück zum Heavy Metal fanden) spielten nun Thrash Metal. Aber es gab auch viele neugegründete Bands wie Asathor aus Magdeburg, Bottled aus Frankfurt (Oder), Bölk aus Aue, Darkland aus Berlin (gegründet als Gomorrah), Defcon aus Potsdam, Disaster Area aus Berlin (die immer im Fahrwasser von Blackout agierten), M.A.D. aus Bad Dürrenberg, Madhouse aus Freital, The Art Of The Legendary Tishvaising (kurz Tishvaising) aus Leipzig und Thrash Attack aus dem Raum Eisleben.« (Rosenberg 2012)

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Wie Rosenberg deutlich macht, orientierten sich zahlreiche Bands in allen Regionen der DDR insbesondere an dem neuen Sound des Thrash Metal, wie er sich ab Mitte der 1980er Jahre zunehmend verbreitete. Deutlich wird auch, dass Bands, die sich zuvor eine musikalische Kompetenz im vorrangig britischen Heavy Metal angeeignet hatten und auch in diesem Stil komponierten, nun teilweise auch für die neuen Spielarten öffneten. Diese Entwicklung stieß nicht nur unter Fans, sondern auch unter Musikern nicht immer auf Verständnis. Die zunehmende Beliebtheit der härteren Spielarten jenseits des Heavy Metal konnte durchaus als Einschränkung der musikalischen Gestaltungsmittel, aber auch als Authentizitätsverlust kritisiert werden, wie in den Ausführungen zum Szene-Diskurs ebenso deutlich wurde. Gerade aber diese sich neu etablierenden Kompetenzen sind ein aufschlussreicher Indikator für einen konkreten und anhaltenden kulturellen Transfer. Die Entwicklung und Verbreitung der unterschiedlichen Spielarten des Metal der 1980er Jahre verdeutlichen die Aneignungs- und Anverwandlungsprozesse in der alltäglichen musizierenden Praxis. Daher sollen im Folgenden einige der wesentlichen Kompetenzen herausgriffen und musikanalytisch betrachtet werden. Angemerkt werden muss, dass aufgrund der beschriebenen Probleme in der Tonaufzeichnungs- und Veröffentlichungspraxis nicht davon ausgegangen werden kann, dass alles, was auch gespielt wurde, heute noch gehört werden kann. Im Folgenden werden in erster Linie neben den genannten Amiga-Veröffentlichungen die zwei wichtigen nach 1989/90 veröffentlichten Sampler herangezogen.80

5.7.1 Anver wandlung I: Gitarrenriff und pulsbasiertes Ensemblespiel Die Form eines Stückes stellt den abstrakten Rahmen einer musikalischen Äußerung dar. Im zeitlichen Ablauf, der als Narration verstanden werden kann (Moore 2012: 51), entfalten sich Klang, Textur, sprachliche Aussagen, Stimmungen. Zwar lassen sich in sämtlichen Musiken gewisse Standards oder Modelle der Formgestaltung identifizieren (Moore 2012: 76-89; Lilja 2010: 183194). Zugleich können im Heavy und Extreme Metal stilistische Eigenheiten in der Gestaltung der Form und ihrem konkreten Inhalt ausfindig gemacht werden. Alan Moore bescheinigt dem Heavy Metal noch 1993 eine der wohl

80 | Geil auf Heavy Metal (1996, Barbarossa LC 4022, EdBa 01306-2) und Die DT 64-Story Vol 2. Hard & Heavy (1997, BMG, LC 0055, 74321359242). Daneben werden die jüngeren Veröffentlichungen Rochus. Haunting In Your Brain (1988-1990) (2012, German Democratic Recordings GDR 005) und Blitzz. Tarantella (1987-1989) (2013, Democratic Recordings, GDR 008) sowie die in den Privatarchiven des Autors und einiger Interviewpartner vorhandenen Tonaufzeichnungen herangezogen.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

formelhaftesten unter den Rockstilen zu sein (Moore 1993: 150).81 Allerdings unterscheiden sich die formalen Strukturen innerhalb des Kontinuums Heavy und Extreme Metal stark, wie Pillsbury (2006), Elflein (2010) und Cope (2010) gezeigt haben. Die Briten Black Sabbath haben dabei in den 1970er Jahren, beeinflusst vom Progressive Rock der 1960er Jahre, wesentliche Gestaltungsregeln geprägt, die als »central code of heavy metal« im Laufe der 1980er Jahre weiterhin benutzt und erst durch Spielarten des Extreme Metal wieder hinterfragt bzw. aufgelöst wurden (Cope 2010: 66f.; Elflein 2010). Walser (1993: 14) hat daher vorgeschlagen, die Songform in ihrer Spannbreite innerhalb des Kontinuums auch als Ausdruck der musikalisch-handwerklichen Virtuosität zu verstehen, ein Aspekt, den Pillsbury (2006: 14f.) für den Thrash Metal aufgegriffen hat. Das Gitarrenriff ist dabei als eine »zentrale musikalische Äußerung« und wesentliches Element der formalen Gestaltung im Heavy und Extreme Metal zu verstehen (Elflein 2010: 50-58; Moore 2012: 26). Riffs können mit Richard Middleton als »short rhythmic, melodic, or harmonic figures repeated to form a structural framework« verstanden werden (Middleton 1999: 143) und sind keinesfalls nur auf die Musik des Metal beschränkt.82 Im Heavy Metal ist das Gitarrenriff in der Regel zwei bis vier Takte lang und verarbeitet auch Einflüsse anderer populärer Musiken, insbesondere des Blues Rock, aber auch der Folk Music (Lilja 2010: 152-194).83 In der Art und Weise, ob und wie das Riff variiert, wiederholt oder mit anderen Riffs kombiniert wird, trägt es wesentlich zur Formgestaltung und stilistischen Unterscheidung bei. Typisch für das Riff im Metal ist der so genannte Power Chord, der aus Grundton und einer darüberliegenden Quinte oder Quarte (als Umkehrung der Quinte) sowie einer möglichen Dopplung der Oktave besteht (Herbst 2016: 208-218; Lilja 2010: 102).84 In der Kombination mit der hohen Verzerrung sowie der dominanten Präsenz 81 | Zur Kritik an dieser These insbesondere seiner Auswahlbeispiele s. Elflein (2010: 50). In Song Means von 2012 wiederholt Moore diese These nicht mehr. Vielmehr bescheinigt er ›Metal‹ gerade seit den 1980er Jahren ein einflussreiches und vielfältiges »meta-genre« zu sein, »as large and differentiated as ›rock‹ or ›dance‹« (Moore 2012: 148). 82 | Vgl. Washburg/Fabbri (2003); im Modern Jazz etwa wird unter »riff« eine »repeated horn figure, often played behind a solo« verstanden (Mark Levine, The Jazz theory book, kindleEdition, pos. 386). 83 | Der Folk-Einfluss auf den Heavy Metal der 1970er ist nicht zu unterschätzen. So veröffentlichten beispielsweise Judas Priest 1977 auf Sin After Sin eine Interpretation von Joan Baez’ »Diamonds And Rust«. 84 | Die übliche Schreibweise hierfür ist die Ergänzung einer 5 zum Grundton, etwa A5 für einen Power Chord bestehend aus dem Grundton A und der darüberliegenden Quinte E sowie optional der Oktave A.

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des Grundtons und der Quinte in der Obertonreihe entsteht ein energetischer, überwältigend wirkender Klang. Nur gelegentlich werden Terzen bzw. Sexten, noch seltener Gitarrenakkorde, die mehr als 3 Saiten benutzen, wie etwa der Barré-Griff, benutzt.85 Aufschlussreich ist die Frage der Einbettung des Gitarrenriffs im Gesamtsound. Analysiert man Heavy und Extreme Metal als eine Form der pulsbasierten Gestaltung, lässt sich die Ausgestaltung des pulsbasierten Ensemblespiels als wesentliches Unterscheidungskriterium der verschiedenen Stile identifizieren. Der Puls kann über metrische, rhythmische oder harmonische Variationen in Teilgruppen unterteilt und gestaltet werden (Elflein 2010: 302). Gegen Ende der 1970er etablierte sich im Heavy Metal insbesondere mit Judas Priest ein regelmäßiger Achtelpuls von Gitarre und Bass, der zusätzlich durch Techniken wie das Palm Muting an der Gitarre, deren Ursprünge im Blues Rock liegen, unterstützt wird (Elflein 2010: 155). Elflein bezeichnet die Reihung von Pulsgruppen als »metrische Ketten«, da sie häufig in regelmäßige Teilgruppen aufgeteilt werden können. Für den Heavy Metal identifiziert er insbesondere die Aufteilung in 3+3+2-Teilgruppen, wobei in Richtung Extreme Metal zunehmend nur noch eine »Addition geradzahliger Teilgruppen von Pulsen« stattfindet (Elflein 2010: 302; vgl. Abb. 13, 14, 15, 16). Im Ensemblespiel werden die Pulsgruppen geschichtet, wobei die daraus entstehenden polyrhythmischen Gestaltungsmöglichkeiten eher vermieden werden (Elflein 2010: 302; vgl. Pfleiderer 2006: 145-152). Das Ergebnis dieser Schichtung kann sowohl ein »rhythmisches Ineinandergreifen einzelner Instrumentalstimmen« als auch ein paralleles Ensemblespiel sein, bei dem etwa Gitarren, Bass und Kickdrum des Schlagzeuges die metrischen Ketten gleichzeitig spielen

85 | Dies steht im engen Zusammenhang mit der Ästhetik der starken Verzerrung, die zusammen mit der Zunahme an Akkordtönen potentiell auch eine Zunahme an dissonanten Teiltönen bedeutet, was u.a. das Hören der Qualität des Akkordes erschwert, vgl. Herbst (2016: 185ff.), Lilja (2010: 114-151), ferner Juchniewicz/Silverman (2010). Allerdings sollte bei dieser vorrangig auf Frequenzanalysen beruhenden Argumentation nicht außer Acht gelassen werden, dass bei Hörern auch eine Art Lerneffekt und Anpassung – eine Aneignung – einsetzen kann, die es ihnen ermöglichten, verzerrte Dreiklänge- oder gar Vierklänge in ihren besonders dissonanten Qualitäten sowohl erkennen als auch genießen zu können. Vielmehr muss die These in historische Kontexte und dem Wandel ästhetischer Haltungen eingebettet werden. Trifft die These m.E. vor allem für die 1970er und vereinzelt noch die 1980er Jahre zu, fand hier gerade mit dem Extreme Metal eine Erweiterung sowohl der Hörgewohnheiten als auch der Funktion des Akkordes als Marker für stilistische Orientierung statt – man denke etwa an parallel um eine kleine Sekunde oder kleine Terz verschobene Mollakkorde in hoher Lage insbesondere im Black Metal.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

(Elflein 2010: 303). Zugleich nehmen Bedeutung und Häufigkeit melodischer Elemente eher ab. Das Gitarrenriff, als wesentlicher Träger und Impulsgeber dieser pulsbasierten metrischen Ketten, ist in der Gestaltung stark durch das Instrument und dessen Spielweise geprägt. Chromatische Bewegungen und Figuren, visuell eingeprägte Bewegungsmuster als »optische Skalen« (Elflein 2010: 304) und das Komponieren am Instrument (Moore 2001: 59-60) mittels Techniken des Transponierens und Spiegelns von Fingersätzen auf dem Gitarrengriffbrett sind prägend für die melodische und harmonische Gestaltung. Harmonische Progression wie etwa die Kadenz haben weitaus weniger Relevanz. Auch der Vorschlag Moores, den harmonischen und melodischen Gehalt von Rockmusik vor allem als modal zu deuten (Moore 2001: 53-55; 2012: 69-76), lässt sich insbesondere in Richtung Extreme Metal immer weniger halten bzw. nur noch als unverbindlicher und flexibel behandelbarer Gestaltungsrahmen verstehen, was durchaus nicht völlig untypisch in der populären Musik ist (Moore 2012: 73ff.).86 So sind etwa die Intervalle der kleinen Sekunde und des Tritonus mit Black Sabbath bereits seit den 1970er Jahren im Heavy Metal etabliert, ohne etwa zwangsläufig dem lokrischen Modus, der als einziger diese Intervalle beinhaltet, folgen zu müssen (Cope 2010: 51f.). Ein typisches Beispiel für das pulsbasierte Ensemblespiel, das zugleich die Verbindungen zum Hard Rock verdeutlicht, ist die Gestaltung des Basses im Zusammenklang mit den Gitarren. Die folgenden Beispiele haben einen treibenden, harmonisch-melodisch wenig fortschreitenden Achtelpuls des Basses, der mit den teilweise parallel geführten Pulsgruppen und Akzentverschiebungen der Gitarren für rhythmische Spannung sorgt. Diese Form des Basseinsatzes haben insbesondere Judas Priest bereits in den 1970er häufig angewandt und für den Heavy Metal geprägt. Exemplarisch hierfür seien das Album British Steel (1980) und die Titel »Breaking the Law«, »Grinder«, »You Don’t Have to Be Old to Be Wise« und »Steeler« genannt (vgl. Abb. 13).

86 | Auch betont Moore (2012: 73), dass die Deutung von Modi eine nachträgliche und für den künstlerischen Schaffensprozess keinesfalls maßgebende Herangehensweise ist. Eine andere Interpretationsweise wäre die des Modal Interchanges, nach dem während eines Songs verhältnismäßig frei das tonales Zentrum sowie dessen Modus gestaltet und variiert werden können. Dabei kann es durchaus auch zu nur vorübergehenden Modal Interchanges kommen, die nur auf einen oder gar einen halben Takt angewendet werden.

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Abbildung 13: Judas Priest, »Breaking The Law«, ca. 0:02-0:10 min (auf: British Steel, 1980), Zusammenspiel und Pulsgestaltung von Gitarre und Bass

Abbildung 14: Saxon, »Princess of the Night«, ca. 0:00-0:05 min (auf: Denim And Leather, 1981), Gitarrenriff mit der für den Heavy Metal typischen Reihung von drei- und zweiteiligen Pulsketten; P.M. steht für Palm Muting und bezeichnet die Technik des gleichzeitigen Abdämpfens der anzuschlagenden Saite mit dem rechten Handballen Der Dialog bzw. die Inter- und Hypertextualität des Heavy Metal lässt sich nun anhand der Aspekte des Gitarrenriffs und des Ensemblespiels der DDR-Bands nachzeichnen. Abbildung 15 zeigt den Beginn des Stückes »Eddie« von Formel 1 (1983). Deutlich werden das pulsbasierte Ensemblespiel und die typische Reihung von drei- und zweiteiligen Pulsgruppen in der Gitarre. Ähnlich wie bei Judas Priest und charakteristisch für den Heavy Metal zu der Zeit, spielen Formel 1 mit zwei Gitarren, die sowohl als Rhythmus- als auch als Sologitarren agieren können. Der E-Bass wird auch hier mit einem regelmäßigen Achtelpuls bei geringer harmonisch-melodischer Bewegung sowie ebenfalls mit einem Plektrum gespielt, was den Achtelpuls gegenüber der Fingertechnik noch einmal definierter und akzentuierter erscheinen lässt. Das Schlagzeug spielt einen leicht variierten, für den Heavy Metal typischen Back-Beat im 4/4Takt.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Abbildung 15: Formel 1, »Eddie«, ca. 0:08-0:12 min (1983) Die Gemeinsamkeiten etwa zu Iron Maidens »Prowler« (1980, Abb. 16) insbesondere bei den rhythmischen Akzenten der Gitarren sind auffällig. Tatsächlich demonstrieren sie eine für den Heavy Metal typische Pulsgestaltung des Gitarrenriffs, die charakteristisch für dessen musikalische Sprache wurde.

Abbildung 16: Iron Maiden, »Prowler«, ca. 0:36-0:41 min (auf: Iron Maiden, 1980); das Beispiel verdeutlicht das Zusammenspiel von dreiteiligen Pulsketten der Gitarre mit einem konstanten Achtelpuls des Basses und einem Back-Beat des Schlagzeuges Auch die Songform von »Eddie« folgt den formalen Konventionen des britischen Heavy Metal mit einer mehrmaligen Abfolge von Strophe und Refrain, die durch einen Solopart aufgebrochen wird. Vergleicht man die Griffe und Fingerpositionen des Gitarrenriffs anhand der Tabulatur, etwa mit Riots »Sword

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and Tequila« (Abb. 17), wird das Dialogische innerhalb des Heavy Metal und der kreative Umgang mit den Gestaltungskonventionen einmal mehr deutlich:

Abbildung 17: Riot, »Sword and Tequila«, Gitarrenriff ca. 0:00-0:03 min (auf: Fire Down Under, 1981) Auch die Cottbuser Plattform etwa verinnerlichten die dreiteilige Pulsgestaltung an der Gitarre in Kombination mit einem gleichmäßigen Achtelpuls des Basses und einem typischen Back-Beat des Schlagzeuges (s. Abb. 18). Besonders interessant: Vergleicht man das äußerst bekannte Hauptriff des Songs »Painkiller« von Judas Priest (s. Abb. 19) mit Plattforms »Heavy Braut« (1987), werden erneut Ähnlichkeiten deutlich. Die beiden Beispiele verdeutlichen einen gewissen formelhaften Charakter der Riffgestaltung im Heavy Metal sowohl in Hinsicht der Pulsgestaltung als auch der Orientierung an optische Skalen auf dem Griff brett sowie der charakteristischen Verwendung der kleinen Sekunde bzw. flat 9 in der melodischen Gestaltung.

Abbildung 18: Plattform, »Heavy Braut«, ca. 0:12-0:17 min (1987)

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Abbildung 19: Judas Priest, »Painkiller«, ca. 0:17-0:21 min (auf: Painkiller, 1990) Die Vergleiche verdeutlichen, wie sich durch Anverwandlung und Verinnerlichung musikalische Idiome in Form von Akkord-Pattern, Griffpositionen und rhythmischen Pulsgestaltungen auch in der DDR verbreiteten und etablierten. Durch den kulturellen Transfer prägten diese Idiome die musikalische Sprache des Heavy Metal somit auch hinter dem Eisernen Vorhang. Formel 1 haben in »Eddie« zudem ein weiteres musikalisches Feature, das ihre Orientierung an Judas Priest und Iron Maiden erkennen lässt, verwendet: kurze, zwei- bis viertaktige Einwürfe einer zusätzlichen Sologitarre, die in Anlehnung an den Schlagzeug-Fill-In auch Leadgitarren-Fill-In genannt werden können. In »Eddie« nutzen Formel 1 diese Fill-ins etwa zur Zweiteilung des 16-taktigen VersParts, indem vier gesungene Takte von vier Takten mit Leadgitarren-Fill-In beantwortet werden. Ähnlich verfahren Judas Priest in »Rapid Fire« (auf British Steel, 1980), bei dem sie den Vers-Teil (ab 1:50 min) in vier sechzehntaktige Gruppen aufteilen, die jeweils aus acht Takten Gesang und darauffolgenden acht Takten Solo-Fill-In bestehen.87 Weitere Beispiele wären »Iron Maiden« (auf Iron Maiden, 1980) und der Pre-Chorus in »Wrathchild« (auf Killers, 1981) von Iron Maiden. Mit dem Speed und insbesondere dem Thrash Metal etablierten sich innovative Ansätze in Abgrenzung zum Heavy Metal: hohe Tempi, die Reihung mehrerer und teilweise kontrastierender Formteile und neue Formen der RiffGestaltung (Brown 2015; Elflein 2010: 302). Eine Weiterentwicklung war etwa die Behandlung des bereits im Heavy Metal etablierten so genannten Breakdowns nunmehr als »Mosh Part« (Elflein 2010: 282-286). Während der Breakdown etwa bei Judas Priest vor allem als eine variierte Wiederaufnahme eines bereits eingeführten Gitarrenriffs zum bewussten Spannungsauf bau eingesetzt wurde (Elflein 2010: 152f.), entwickelte er sich im Thrash Metal zunehmend zu einem eigenständigen Formteil. Eine neuartige Herangehensweise war es dabei, den Breakdown als einen überraschend einsetzenden Tempowechsel zu nutzen, der sowohl in pulsbasierter Relation zum vorhergehenden 87 | Der Frage-Antwort-Charakter dieser sechzehntaktigen Gruppen wird zudem durch die zugrundeliegenden Akkorde für die jeweiligen Phrasen (E5 – D5) unterstrichen. Diese Akkordfolge vermittelt einen offenen, halbschlüssig-kadenziellen Charakter und kann im Kontext des äolischen Modus als eine modale Kadenz aufgefasst werden.

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Tempo (als »half time«) oder aber ohne direkten Bezug geschehen konnten. Der Kontrast entsteht vor allem durch die Ausdünnung des rhythmischen Pulses im Vergleich zur vorhergehenden dichten Textur, was zugleich eine gewisse Entspannung, im Kontext wiederum eine dramaturgische Spannung erzeugt (Smialek 2015: 92f.). Häufig wurden Breakdowns an solchen Stellen eingesetzt, wo ein Interlude oder eine Bridge und ein entsprechendes Gitarrensolo aufgrund der herkömmlichen formalen Abläufe erwartet wurden. Obgleich sich solche Breakdowns insbesondere im Speed und Thrash Metal ab ca. 1984/85 herauskristallisierten, nutzten etwa bereits 1983 in den Analysen bisher unterrepräsentierte, aber einflussreiche Heavy (oder frühe Progressive?) Metal-Bands wie Mercyful Fate die Technik plötzlicher Breakdowns, um neue Tempi einzuführen.88 Die Speed, Thrash und Death Metal-Bands der DDR nutzten insbesondere dieses Gestaltungsmittel häufig. So sind Breakdowns mit deutlichem Tempowechsel zu hören in Rochus’ »Let’s Trash«, Defcons »Voice of Greed« oder Manos’ »Incest Ain’t Correct«. Als ein weiteres Beispiel kann das bereits besprochene »40 Years For Nothing« von Darkland herangezogen werden. »40 Years For Nothing« wird durch ein von der gesamten Band gespieltes Intro eingeleitet (vgl. Abb. 20).89 Das von Bass und Gitarren gespielte Riff demonstriert zunächst eine im Metal verbreitete Reihung von Pulsgruppen über einen 4/4-Takt.90 Der Rhythmus entspricht einer für den 88 | So zu hören etwa in »Dangerous Meeting« (Don’t Break The Oath, 1984, ca. 4:09 min) oder »Desecration of Soul« (Don’t Break The Oath, 1984, ca. 3:10 min). Markant sind auch die diversen Breakdowns und Tempiwechsel in »A Corpse Without Soul« (The Beginning, 1987). Die nur teilweise vorbereiteten Breakdowns sind hier wesentlicher Teil und Träger des komplexen Formaufbaus, indem sie nicht nur einen Soloteil einrahmen, sondern auch zur Einführung neuer Formteile genutzt werden (durchaus in der Tradition von Black Sabbath der 1970er Jahre sowie des Progressive Rock). Der Einfluss von Mercyful Fate auf andere Metal-Bands wird nicht nur in zahlreichen Interviews, sondern etwa auch durch Coversongs bestätigt. So veröffentlichten Metallica auf ihrem Coversong-Album Garage Inc. (1998) ein über 10-minütiges Medley von Mercyful FateSongs aus den 1980er Jahren. Dave Grohl (Nirvana, Foo Fighters) veröffentlichte unter dem Projektnamen Probot (2004) ein Metal-Album, für das er Songs im Stile von für ihn wichtigen Metal-Bands schrieb und mit Musikern der jeweiligen Bands aufnahm, darunter auch Mercyful Fate’s Sänger King Diamond. 89 | Die Instrumente sind im Eb-tuning, sprich komplett um einen Halbton tiefer gestimmt. Der besseren Lesbarkeit halber und aufgrund der Bedeutung des Gitarren-Griffbretts für die Riffgestaltung werde ich im Folgenden nicht die absoluten Tonhöhen des Klingenden, sondern die relativen des auf dem Griffbrett Gegriffenen benennen und in den Abbildungen darstellen. 90 | Da das Schlagzeug einen Rhythmus mit rascher Abfolge von Bassdrum und Snare spielt, verstehe ich den Rhythmus als einen verhältnismäßig langsam gespielten Blast-

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

Thrash Metal typischen Variation des im Heavy Metal häufig benutzten so genannten »Galopp-Rhythmus«, eine Abfolge von zwei Sechzehntel- und einer Achtelnote. Von Iron Maiden etabliert, wurde er im Thrash Metal von Bands wie Metallica, Slayer oder Megadeth u.a. mit schnelleren Tempi und einer Akzentverschiebung neu kontextualisiert (Elflein 2010: 220; 268ff.). Letztere besteht darin, dass die Sechzehntelnoten anders als etwa bei Iron Maiden direkt auf der schweren Zählzeit beginnen, so dass die Achtelnote einen Off-BeatCharakter erhält (Elflein 2010: 221).

Abbildung 20: Intro zu Darklands »40 Years For Nothing«, ca. 0:03-0:10 min, Gitarrenriff Im zweiten Takt folgt eine 3+2+3+4-Pulsreihung. Dies kann als eine Verarbeitung von für den Heavy Metal typischen ungeraden und für den Thrash Metal typischen geraden Pulsketten aufgefasst werden. Indem eine geradzahlige Einheit die Gruppe abschließt, wird der 4/4-Takt aufgebrochen und zu einem 6/4-Takt erweitert. Durch diese Erweiterung vermittelt der 6/4-Takt einen Frage-Antwort-Charakter, bei dem die schließende 4er-Pulsgruppe als eine melodische und rhythmische Antwort auf die erste Takthälfte gedeutet werden kann. Die Abfolge der Einheit von 4/4- und 6/4-Takt wird zunächst insgesamt viermal gespielt, dann von einer Pause in der Länge von zwei Vierteln unterbrochen und erneut viermal wiederholt. Das Intro vermittelt aufgrund der Stufen der Grundtöne der Power Chords einen äolischen Charakter mit der charakteristischen kleinen Sexte. An das Intro schließt ein Solo-Schlagzeugbreak an, der durch eine deutlich dichtere Pulsschichtung insbesondere durch die Double-Bassdrum-Pulse sowohl ein schnelleres Tempo als auch eine neue stilistische Verortung einführt. Darauf setzen Gitarre und Bass mit einem zweitaktigen Riff ein, dass im ersten Takt aus schnellen, gedämpft gespielten Achtelpulsen und anschließenden Powerchords auf der 1., 3. und 4. Stufe des zugrundeliegenden E-äolisch besteht (vgl. Abb. 21). Diese Abfolge wird zweimal wiederholt und durch eine Beat (dazu mehr im folgenden Abschnitt), so dass das Intro ein deutlich langsameres Tempo vorstellt als der darauffolgende Vers-Chorus-Part; zum Problem der TempoWahrnehmung und dem daraus folgenden Taktverständnis vgl. Clerq (2012: 35-38).

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Variation ergänzt. Die Variation bricht die ersten drei Takte sowohl rhythmisch auf, durch gemeinsam mit dem Schlagzeug akzentuierte Synkopen, als auch harmonisch, indem diese Synkopen auf dem ersten Bund gespielt werden und dem Modus des E-phrygisch oder -lokrisch entlehnt sind. Diese Riffeinheit dient nach dem ersten Vers als Chorus-Section.

Abbildung 21: Riff A von Darklands »40 Years For Nothing«, ca. 0:42-0:48 min Das darauffolgende Vers-Riff kann als ein typisches Thrash-Metal-Riff bezeichnet werden, dass sich aus der Wiederholung von zweitaktigen Gruppen zusammensetzt. Eingerahmt wird dies erneut in eine achttaktige Phraseneinheit, indem nach der zweiten Wiederholung eine Riffvariation eingeführt wird. Das zweitaktige Riff setzt sich zusammen aus einem schnellen Puls der abgedämpft gespielten tiefen E-Saite mit darauffolgenden Powerchords auf den Stufen der kleinen Terz (3. Stufe) und Sekunde (2. Stufe). Dabei schließt die Phrase mit einem Powerchord auf der kleinen Sekunde (Abb. 22):

Abbildung 22: Riff B (Strophe) von Darklands »40 Years For Nothing«, ca. 0:541:00 min Hier wird erneut mit der Ambivalenz der Modi gespielt, indem sowohl äolisch als auch phrygisch bzw. lokrisch benutzt wird. Die Orientierung an optischen Skalen bzw. Orientierungspunkten auf dem Griff brett wird hier deutlich, indem als gegriffene Akkorde lediglich die ersten drei Bünde in einer Art chromatischen Abwärtsfigur eingesetzt werden.91 Diese Figur wurde im Thrash Metal häufig verwendet, so etwa beim Vers-Riff in Metallicas »Fight Fire With Fire« (Ride The Lightning, 1984). Deutlich wird zudem, wie das parallele Ensemblespiel mit unisono gespielten Gitarren und Bass sowie entsprechenden Schlagzeugakzenten umgesetzt wird. Zusätzlich wird an das Ende des VersTeiles, kurz vorm Übergang zum Chorus, eine Gitarrenmelodie gespielt, die 91 | Seit den 1980er Jahren wurde insbesondere in Richtung Extreme Metal tendenziell mehr phrygisch und lokrisch benutzt als im Heavy Metal (Lilja 2010: 167). Zur kleinen Sekunde im Heavy Metal vgl. Walser (1993: 47f.) und Cope (2010: 51f.).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

als ironischer Kommentar zu den besungenen »40 Years« verstanden werden könnte. In der Abfolge G – F# – A – G# stellt sie nicht nur eine durch Chromatik charakterisierte Figur dar, sondern spielt zugleich die Moll- und Dur-Terz des zugrundenliegenden E-Modus (1:16-1:18 min). Nach insgesamt vier Strophen und zwei Refrains wird erneut eine Pause von zwei Viertelnoten als Breakdown genutzt, um einen instrumentalen Mittelteil in einem deutlich langsameren Tempo (ca. 120 bpm im Gegensatz zu ca. 315 bpm) einzufügen. Der Breakdown sticht nicht nur durch die deutlich dünnere rhythmische Textur, Pulsdichte und seinem instrumentalen Charakter heraus, sondern auch durch den harmonischen Gehalt: Während der Song bisher auf Powerchords zurückgriff und durch Fortschreitungen bzw. Grundtöne der Powerchords einen Mollcharakter vermittelt hat,92 sticht der Mittelteil heraus. In der Abfolge von vier Takten werden von einer Gitarre die vier Akkorde (in der internationalen Akkordsymbolschrift: E | D | C | A5) in Abwärtsbewegung gespielt, lediglich der letzte Akkord wird ohne Terz als Powerchord gespielt (vgl. Abb. 23). Die zweite Gitarre spielt alle vier Akkorde als Powerchords ohne Terz, setzt aber jeweils um eine Viertel versetzt ein, wodurch sich Überlagerungen mit dem neuen Akkord von Gitarre 1 ergeben. Der A5-Powerchord am Ende des Riffs wird von beiden gleichzeitigt gespielt, wodurch ein Abschluss des Riffs unterstrichen wird.

Abbildung 23: Interlude in Darklands »40 Years For Nothing«, ca. 02:09-2:18 min Möchte man den harmonischen Gehalt des Formteils als Ganzes interpretieren, scheint dem Tonmaterial A-melodisch Moll mit einem Beginn auf der 5. Stufe zugrunde zu liegen. Der C-Durakkord würde dann allerdings eine An92 | Der Gesang nutzt die Technik des Growlings, das keine eindeutigen Tonhöhen mehr erkennen lässt, wodurch er für das Verständnis des harmonischen Gehaltes vernachlässigt werden kann, vgl. dazu auch den folgenden Abschnitt zur Stimme.

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passung darstellen, denn in A-melodisch Moll würde an dieser Stelle ein CDur mit augmentierter Quinte erscheinen (C – E – G# statt C – E – G). Dieser Anpassung, die man etwa als einen Wechsel in A-äolisch deuten könnte, liegt möglicherweise eine Bricolage mehrerer musikalischer Gestaltungsmittel zugrunde: Betrachtet man zunächst nur die Grundtöne, so erklingt hier eine Variation des äolischen Pendels (I – VI – VII – V) als eine verbreitete Akkordfolge in Rock und Heavy Metal (Moore 2012: 241f.; Lilja 2010: 185; Tagg 2003: 542). Betrachtet man die Durakkorde im Ganzen, wird deutlich, dass die ersten drei Akkorde durch Parallelverschiebung in ihrer Struktur bzw. Stimmführung und dem Fingersatz auf dem Griff brett unverändert bleiben. Die strikte Beibehaltung eines zugrundeliegenden harmonischen Schemas etwa würde die Struktur des C-Power Chords auf brechen. In der letzten Wiederholung der Viertaktgruppe spielt allerdings eine Gitarre zusätzliche eine Melodie, die weitere Hinweise auf den harmonischen Gehalt gibt. So spielt sie über den C-DurAkkord die Tonfolge C – F# – G. Vermutlich ist über die gesamten vier Takte eher in E-äolisch gedacht worden (auch der nur schwer zu hörende Bass scheint dies durch seine melodischen Linien zu unterstützen), wobei lediglich der erste E-Dur-Akkord herausbricht. Dieses Beispiel verdeutlicht die in der populären Musik verbreiteten Anpassungen und Ambiguitäten des harmonischen Gehaltes und der zugrundeliegenden Modi (Moore 2012: 73ff.). Die harmonische Gestaltung dieses Mittelteils ist hingegen in der musikalischen Sprache des Heavy und Extreme Metal durchaus bemerkenswert. Das Einschieben von eher balladesk gehaltenen, instrumentalen Interludes mit diatonisch absteigender Bassfigur eingeleitet durch einen Breakdown hingegen kann in zahlreichen Beispielen gehört werden, so etwa in Metallicas »The Four Horsemen« (Kill’em All, 1983, ab 3:28 min; Akkordfolge: Emin | D | Emin/C | D/B) oder Iron Maidens »Powerslave« (Powerslave, 1984, ab 3:05 min; Akkordfolge: Bmin | Bmin/A | Bmin/G | Bmin/G).93 Für beide Beispiele lässt sich jedoch ein einziger zugrundeliegender Modus identifizieren. Während die anderen Stücke auf der EP weitaus kürzer ausfallen und deutlich am aktuellen Thrash und frühen Death Metal orientiert sind (insbesondere an S.O.D., Celtic Frost, Possessed), verarbeiten Darkland mit »40 Years« in eigenständiger Weise sowohl Elemente der musikalischen Sprache des Heavy als auch des Extreme Metal. Zugleich ist die Narration interessant: Ähnlich wie in Metallicas »The Four Horsemen« verarbeiten die Verse- und Chorusteile bedrohliche, erschreckende Textinhalte, während der harmonisch 93 | In einem Interview 2011 erklärt der damalige Gitarrist von Metallica, Dave Mustaine, dass dieser Mittelteil von Lynyrds Skynyrds »Sweet Home Alabama« angeregt war (www.Blabbermouth.net/Dave-Mustaine-the-story-behind-metallicas-the-four-horsemen). Einmal mehr verdeutlicht dies den dialogischen Charakter und die Intertextualität im Kontinuum Rock/Hard Rock – Heavy Metal – Extreme Metal.

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herausfallende Mittelteil instrumental bleibt. Wie in der Textanalyse zu »40 Years« bereits gezeigt wurde, thematisiert der Text verhältnismäßig offen und kritisch die Erfahrungen der Unterdrückung und Gewalt, aber auch der Anpassung. Der Mittelteil nun scheint zu suggerieren, dass diese Erfahrungen von nun an – der Song wurde im Herbst 1989 geschrieben – der Vergangenheit angehören. Aufgrund der Dur-Akkorde, dem langsameren Tempo und der geringen Pulsdichte der Gitarren wirkt dies wie ein regelrechtes Zelebrieren dieses Wandels. Zugleich erscheint der Teil gewissermaßen ironisch, indem der E-Dur-Akkord in das Tonmaterial von E-Moll eingebettet bzw. hineingepresst wird. Die gleichmäßig absteigende Bassfigur vermittelt etwas Abgeschlossenes, Besiegeltes, allerdings gemeinsam mit dem ambivalenten harmonischen Gehalt durchaus auch etwas gedämpft Euphorisches. Ob dies eine Referenz zu einem bestimmten Metal-Song oder auch eine Reflexion über den zwar grundsätzlich begrüßten, aber dennoch von Unsicherheit geprägten Wandel der Wendezeit sein könnte, kann nur vermutet werden. Von Bedeutung ist allerdings, dass dieser Mittelteil tatsächlich auch ein Mittelteil ist – ihm folgt erneut der schnelle, schroffe Teil mit Abfolge von Strophe und Refrain als wolle man dafür sorgen, dass man die schrecklichen 40 Jahre über die kurzweilige Freude keinesfalls vergisst. Die Euphorie des Mittelteils ist, um metaphorisch zu sprechen, von der Last der 40 Jahre SED-Diktatur eingerahmt, wenn nicht gar bedrängt. Die Radikalität der Erfahrungen während dieser 40 Jahre findet in der Radikalität der musikalischen Sprache Ausdruck. Insofern ist »40 Years For Nothing« sowohl ein bemerkenswertes Zeugnis der Anverwandlung der musikalischen Sprache des Heavy und Extreme Metal als auch der Erfahrungen und Reflexionen Jugendlicher in der späten DDR.

5.7.2 Anver wandlung II: Double-Kick-Bassdrum und Blast-Beats Frank Brill, Schlagzeuger der Heavy Metal-Band Hardholz, erinnert sich rückblickend an die Erfahrungen, die er mit jungen Musikern machte, die sich von den Spielweisen des Heavy Metal allmählich lösten bzw. an neuen wie etwa des Thrash Metal orientierten: »Ich will es mal so beschreiben: Aus heutiger Sicht gesehen haben viele Bands damals ihr Gesicht verloren – wir beinahe auch. Zum Beispiel Doctor Rock aus Dresden konnten Scorpions, Ozzy und so was wunderschön nachspielen, ihre eigenen Songs waren auch in der Art und Weise und auf einmal spielten die Destruction [westdeutsche Thrash Metal-Band] und so’n Zeug.« (Brill 2015: 26)

Brill erinnert sich zudem an konkrete neue Spieltechniken, die für ihn zunächst offenbar wenig Sinn ergaben:

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Was Brill hier beschreibt, spiegelt einerseits den Druck, als Ersatzband zu agieren und den neuesten Entwicklungen gerecht zu werden sowie andererseits die stilistische Ausdifferenzierung und Beliebtheit insbesondere des Thrash Metal in der DDR wider. Mit den neuen Sub-Genres entwickelten sich auch neue Spieltechniken und Ansprüche an den Instrumentengebrauch. Der Verzicht auf den Einsatz der Hi-Hat-Fußmaschine am Schlagzeug als eine Folge davon war für Brill offenbar schwer nachvollziehbar. Dennoch konnte eine wichtige Funktion dahinterstecken: Durch die Praxis des Fixierens der HiHat wurde der linke Fuß frei, um etwa eine Doppelfußmaschine oder zweite Bassdrum zu bedienen (»double-kick«). Da der Geschwindigkeit eines Bassdrum-Kicks mit nur einem Fuß physische Grenzen gesetzt sind, ermöglichte dies ein transgressives Moment im Schlagzeugspiel: Neben hohen Tempi und schnellen rhythmischen Figuren war nun auch der dauerhafte Einsatz eines Bassdrum-Pulses möglich. Dies entwickelte sich im Laufe der 1980er Jahre zu ausgefeilten Spieltechniken wie der im Extreme Metal beliebte »Blast-Beat«, eine bestimmte Form der schnellen Interaktion von Snare und Bassdrum bei höheren Tempi.94 Beide Techniken gehörten bereits Mitte der 1980er Jahre zum Standardspiel des Metal (Cope 2010: 100). Die Double-Kick-Technik auf der Bassdrum wurde bereits in den 1970er Jahren von Judas Priest und Motörhead benutzt. Der Einsatz von zwei Bassdrums im Schlagzeugspiel an sich datiert allerdings bereits auf die 1940er Jahre und wurde wohl erstmalig vom Jazzschlagzeuger Louie Bellson eingesetzt, für den der Schlagzeughersteller Gretsch wenig später ein entsprechendes

94 | Cope definiert den Blast-Beat als »essentially a rapid back-beat rhythm« (Cope 2010: 100). Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, dass es zwar Standardisierungen von Blast-Beats gibt, ähnlich wie der Back-Beat eine solche Standardisierung ist. Auch kann eine der verbreiteten Formen des Blast-Beats als ein beschleunigter BackBeat verstanden werden. Zugleich wird allerdings deutlich werden, dass die Varianten weit über die Gestaltung, Funktion und Wirkung eines klassischen Back-Beat-Patterns hinausgehen (zum Back-Beat vgl. Pfleiderer 2006: 219-226). Der englische Begriff »blast beat« wird u.a. dem US-amerikanischen Schlagzeuger Eric Castro zugeschrieben, der sich seit Mitte der 1980er Jahren den Spitznamen »Dr. Blastbeat« zulegte. Castro spielt in der Thrash/Death-Metal-Band Majesty (heute: Nausea), die erste veröffentliche Tonaufnahme Bestial Vomit erschien allerdings erst 1987; vgl. http://roxikon.de/ begriffe/blast-beat/(Zugriff am 10.12.2016).

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Drumkit herstellte.95 In den 1960er und 1970er Jahren sollten dann insbesondere Schlagzeuger von Progressive Rock-Bands wie Ginger Baker von Cream folgen,96 1971 dann auch Ian Paice von Deep Purple, so etwa in »Fireball«. Möglicherweise war es kein Zufall, dass Judas Priest erstmalig die DoubleKick-Technik auf genau dem Album einsetzten, das erstmalig mit dem Deep Purple-Bassisten Roger Glover produziert wurde (»Sin After Sin«, 1977) (Cope 2010: 102). 1979 folgten etwa Motörhead mit »Overkill« und 1982 die deutschen Accept mit »Fast As A Shark« (Eflein 2010: 158). Regelmäßig eingesetzte Double-Kicks waren zu Beginn der 1980er Jahre Teil der musikalischen Sprache des Heavy Metal, auch wenn sie nicht von allen Schlagzeugern angewendet wurden. Während bei Accepts »Fast As A Shark« (1982) ein regelmäßiger Sechzehntelpuls bei ca. 140 bpm gespielt wurde, spielten bereits wenig später etwa Metallica diesen Bassdrum-Puls bei ca. 185 bpm (»Fight Fire With Fire« auf Ride The Lightning, 1984), Slayers Dave Lombardo etwa nutzte die Technik in »Angel Of Death« (auf Reign In Blood, 1986) sodann bei ca. 210 bpm. Die Entwicklung der Blast-Beat-Technik als eine schnelle Snare-BassdrumInteraktion ist weitaus umstrittener. Die Anfänge werden im Free Jazz der 1960er sowie im Jazzrock der 1970er verortet. So nennt der entsprechende Wikipedia-Artikel etwa Sonny Murrays Spiel in der Live-Version von Albert Aylers »Holy Ghost« von 1965.97 Murray wirft hier immer wieder gleichmäßige und kräftige Snare-Pulse auf Achtelebene bei einem Tempo von ca. 215 bpm ein. Diese Impulse überdauern allerdings nie eine Abfolge von mehr als 20 Schlägen und sind ohne eine regelmäßige Bassdrum-Interaktion. Ebenfalls genannt wird Tony Williams Spiel auf dem Album Trio of Doom Live des Trio of Doom mit John McLaughlin und Jaco Pastorius von 1979 (Columbia/ Legacy 82796964502). Auf allmusic.com beschreibt Thom Jurek Williams’ Spiel: »Speaking of which, on ›Dark Prince‹ and elsewhere, it’s obvious that Williams is the true inventor of the blastbeat, not some generic heavy metal drummer« (Jurek 2016).98 Analysiert man Williams‹ Spiel auf »Dark Prince«, 95 | Der Einsatz des Drumkits ist etwa beim Auftritt Bellsons mit dem Duke Ellington Orchestra auf dem Newport Jazz Festival 1956 dokumentiert. Während des Drumsolos in »Skin Deep« spielt Bellson über fast eine Minute lang einen schnellen Achtelpuls mithilfe der beiden Bassdrums, vgl. »Skin Deep«, 1:08-2:06 min (auf Ellington At Newport 1956, Columbia 64932, 1999). 96 | www.drummagazine.com/double-bass-legends-a-short-history/ (Zugriff am 10. 12.2016). 97 | Albert Ayler – Live In Greenwich Village. The Complete Impulse Recordings, Impulse! (052 273-2), Track 1. 98 | Tony Williams war nach eigenen Bekundungen ein begeisterter Beatles-Fan und verstand sein Schlagzeugspiel als stark von der Energie und der Emotionalität des Rock beeinflusst, vgl. Fellesz (2001: 105f.).

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fällt zunächst auf, dass er hier in einem hohen Tempo von ca. 320 bpm eine relativ konventionelle Postbop-Begleitung in 4/4 spielt. Die Viertel werden mit der Hihat-Fußmaschine durchgespielt, begleitet durch Ride CymbalAkzente sowie ghost notes und Akzente auf der Snare, in enger Interaktion mit der Band. Williams spielt nie mehr als vier direkt aufeinanderfolgende Achtelnoten auf der Bassdrum, insgesamt gibt es nur kurze Abschnitte von maximal zwei Takten, die eine derart komplexe Interaktion von Snare und Bassdrum auf Achtel-, als Break sogar auf Sechzehntelebene aufweisen. Abgesehen von einer Abfolge von neun aufeinanderfolgenden, gleichmäßigen Snare-Schlägen, die nicht als Break oder Fill-in gespielt werden, fällt eine Stelle der Snare-Bassdrum-Interaktion besonders auf, die die These von Jurek zu stützen scheint: Während des Höhepunkts des Gitarrensolos nutzt Williams eine verschleiernde rhythmische Überlagerung (superimposition), die der Funktion einer Hemiole gleicht kommt: Durch eine Akzentsetzung auf jedem dritten Achtelpuls durch Bassdrum und Ride-Cymbal wird das Gefühl eines 3/4- bzw. 6/8-Taktes vermittelt (ca. 3:29-3:40 min). Das Besondere an dieser Stelle ist jedoch der konstant beibehaltene Snare-Impuls auf der Achtelebene der Superimposition.99 Allerdings wird dieser einem Blast-Beat ähnelnden Puls enorm leise gespielt und kann zwar durch Analysemethoden nachvollzogen werden, ist aber im Originaltempo und Gesamtklang nur schwer hörbar. Dennoch: Dieses Gestaltungsmittel ist dem Blast-Beat-Spiel, wie es im Metal der 1980er Jahre Verbreitung fand, bereits äußerst ähnlich und sticht sowohl im Kontext der sonst freieren Akzentsetzung als auch dem hohen Tempo hervor. Aber: Sowohl Murray als auch Williams nutzen diese Strukturierung der Snare-Impulsgestaltung bzw. Snare-Bassdrum-Interkation in erster Linie als dramaturgisches und virtuoses Gestaltungsmittel im Kontext der Begleitung eines Solisten. Um die Frage, wer den Blast-Beat neben den Genannten am frühesten benutzt hat, ist eine Debatte unter Journalisten und Fans entbrannt. Das DecibelMagazin veröffentlichte hierzu 2011 einen Artikel, in dem Verbindungen zur Rockmusik aufgezeigt wurden. Der Autor Chris D. nennt die Band Attila, eine Progressive Rock-Band und Nebenprojekt von Billy Joel, mit ihrer Aufnahme »Brain Invasion« von 1970 (Chris D. 2011). Der Schlagzeuger spielt ab 2:00 min über 5 Takte eine Achtelgruppe gleichzeitig auf der Snare und dem Ride99 | Tony Williams wurde bereits 1966 von Miles Davis während der Aufnahmen zu »Freedom Jazz Dance« mit der Idee konfrontiert, bei einem Tempo von ca. 205 bpm während des Intros über mehrere Takte hinweg einen konstanten Triolenpuls auf der Snare zu spielen (vgl. Miles Davis Quintet, Freedom Jazz Dance. The Bootleg Series, Vol. 5, Track 1, 20:37-21:50 min), was Williams hier noch mit »I can’t do this« ablehnte. In der auf dem Album Miles Smiles veröffentlichten Version spielt Williams letztendlich einen regelmäßig unterbrochenen Snarewirbel.

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Cymbal bei ca. 215 bpm, was als eine frühe Form des Blast-Beat aufgefasst wird. Allerdings spielt der Schlagzeuger Jon Small keinerlei Bassdrum in diesem Part, die ein wesentlicher Bestandteil in der Verwendung im Metal der 1980er Jahre darstellte. Tatsächlich entwickelte sich diese Technik vermutlich auf Basis des etablierten Double-Kick-Spiels im Heavy Metal sowie der allgemeinen Tendenz zur Temposteigerungen (Mudrian 2006: 46-65) und avancierte zu einem grundlegenden Formgestaltungs- und Stilmittel mit hauptsächlich 4 Variationen (s. Abb. 24):100

Abbildung 24: Variationen der Blast-Beat-Schlagzeugtechnik (Erläuterung des Notenbilds von der höchsten zur niedrigsten Note: Hi-Hat – Snare – Bassdrum) Cope (2010: 100) vermutet, dass eine frühe Form des Blast-Beats bereits bei Motörheads »Ace of Spades« (1980) gehört werden kann. Das Tempo ist hier mit 145 bpm allerdings noch verhältnismäßig langsam und letztlich spielt Phil Taylor hier in erster Linie eine verbreitete Back-Beat-Variation. Verwendungen des frühen Blast-Beat in einem deutlich höheren Tempo lassen sich sodann vor allem im Hardcore-Punk der frühen 1980er Jahre nachweisen. Bands wie Asocial (1982), D.R.I. oder Heart Attack (1983) nutzten beispielsweise in »From What I See« (Heart Attack, Keep Your Distance, 1983) für kurze Songabschnitte eine Varation des Blast Beat (Variation 2 bei ca. 200 bpm).101 Im Thrash Metal, stark vom Hardcore-Punk beeinflusst, wurde diese Spielweise sodann übernommen. Eine der frühesten Beispiele bietet Slayers Dave Lombardo, der seit dem Album Hell Awaits (1984) regelmäßig und für längere Abschnitte Ach100 | Eine mit Klangbeispielen versehene Erklärung der heute gängigen Blast-BeatVariationen bietet das Drum!-Magazin: http://drummagazine.com/11-blastbeatsto-master-improve-your-technique-with-this-extreme-chops-challenge/ (Zugriff am 15.1.2017). 101 | Im Song hört man den Schlagzeuger einen Takt einzählen, allerdings im doppelten Tempo im Vergleich zum Blast-Beat-Notenbeispiel 2. Einen interessanten Überblick über frühe Aufnahmen von Blast-Beats bieten Fanpages wie http://rateyourmusic.com/ list/Iakov/a_short_history_of_blastbeats/(Zugriff am 10.12.2016).

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telgruppen-Blasts insbesondere der Variation Nr. 2 bei Tempi über 200 bpm spielte (etwa in »Hell Awaits« bei ca. 210 bpm).102 Ein frühes Beispiel für einen Blast-Beat der Variation Nr. 4 ist der Song »Milk« von S.O.D. (Stormtroopers Of Death, auf Speak English Or Die, 1985). Der Schlagzeuger Charlie Benante u.a. auch Schlagzeuger bei Anthrax, spielt hier nach einem Breakdown für acht Takte bei ca. 230 bpm einen Sechzehntelpuls auf der Snare bei gleichzeitigem Viertelpuls auf der Bassdrum (Variation von Nr. 4). Diese Beispiele verdeutlichen: Mitte der 1980er Jahre wurde der Blast-Beat immer häufiger angewandt, insbesondere im härteren Thrash Metal, Grindcore sowie frühen Death Metal. Dadurch wurde er zu einem wesentlichen Indikator und Abgrenzungsmittel des frühen Extreme Metal gegenüber dem Heavy Metal. Diese Spieltechniken am Schlagzeug waren nur mit wenig Verzögerung auch in der DDR etabliert. Während gegen Ende der 1980er Jahre die DoubleKick-Technik zum Standard auch in der DDR gehörte (vgl. Blitzz »Tarantella«, 1987; Blackout »Oracle of Death«, 1987), verdeutlicht die Tabelle 12, dass auch die Blast-Beat-Techniken mit nur geringer Verzögerung angewandt wurden. Dies kann als eine intensive Form der Anverwandlung im kulturellen Transfer verstanden werden, da diese verhältnismäßig neue Technik sich fast zur gleichen Zeit auch in den westlichen Szenen etablierte und zugleich eine gesteigerte und zeitintensive Auseinandersetzung im Sinne der handwerklichen Fähigkeiten am Instrument abverlangte. Inwiefern diese Technik sogar noch früher in der DDR angewandt wurde, ist als Folge der beschränkten Quellenlage von Tonaufnahmen nur schwer zu beantworten. Eine fortgesetzte Erschließung von möglicherweise noch unveröffentlichten sowie privaten Konzertund Demo-Aufnahmen könnte hier weitere Erkenntnisse liefern. Die Beispiele verdeutlichen allerdings, dass die Geschwindigkeiten, wie sie Slayer, S.O.D. oder ab 1987 auch Napalm Death durch ihre Veröffentlichungen demonstrierten, zumindest in den zur Verfügung stehenden Aufnahmen (noch) nicht erreicht wurden, ebenso wie die noch extremere Blast-Beat-Variation Nr. 4 mit dem enorm schnellen Snare-Puls. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass auch in der DDR immer schnellere Tempi ausprobiert wurden, um den Vorbildern nachzueifern.

102 | Der ›Geschwindigkeitsrausch‹ in den 1980er Jahren ist an den jeweils schnellsten Tempi und der entsprechenden Spielweise des Blast-Beats auf den Slayer-Alben nachvollziehbar. Während auf Show No Mercy (1983) nicht mehr als 200 bpm gespielt werden, erreichen Slayer 1984 auf Hell Awaits 210 bpm, um dann auf Reign In Blood (1986) mit »Necrophobic« ca. 250 bpm, in »Raining Blood« sogar ca. 255 bpm mit entsprechendem Blast-Beat zu spielen.

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR Jahr der Aufnahme

Blast-Beat-Variation

Tempo

Blackout, »Oracle Of Death«

1987

Nr. 2

ca. 185 bpm

Moshquito, »Mosh In Moscow«

1987

Nr. 2

ca. 175 bpm

Moshquito, »Penny Lane«

1988

Nr. 2

ca. 220 bpm

Darkland, »Blood«

1989

Nr. 2

ca. 160 bpm

Darkland, »Violent World«

1989

Nr. 3

ca. 280 bpm

Manos, »Incest Ain’t Correct«

1989

Nr. 1

ca. 190 bpm

Tabelle 12: Anwendungen von Blast-Beat-Techniken mit dem jeweils höchsten erreichten Tempo in Aufnahmen von DDR-Bands

5.7.3 Anver wandlung III: Einsatz der Stimme Auch der Einsatz und die Gestaltung der Gesangsstimme wurden in den 1980er Jahren zu einem wesentlichen Unterscheidungskriterium für die jeweiligen Spielarten des Metal.103 Für den Heavy Metal charakteristisch ist ein hoher Gesang, der in der Regel in den Tonlagen eines Tenors bzw. Soprans agiert. Die Stimmen im Heavy Metal liegen in der Regel mindestens eine Oktave über dem Gitarrengrundton und nutzen häufig bereits Mischformen der Bruststimme und des Falsetts mit Gesangstechniken des »Screamings« und »Shoutings« (Erbe 2016; Wienhausen 2016a, 2016d; Brown 2015: 269).104 Die hohe Lautstärke und Expressivität und der damit verbundene Aufwand der zumeist kaum ausgebildeten, vorrangig männlichen Sänger kann als besonders authentisch und natürlich, direkt und ungekünstelt wahrgenommen werden (Shuker 2012b). Dieser Gesang etablierte sich als musikalische Sprache des Metal bereits in den 1970er Jahren prominent durch Ozzy Osbourne (Black Sabbath), Ronny James Dio, Rob Halford (Judas Priest) und wenig später Bruce Dickinson (Samson, Iron Maiden). Einige Sänger erreichten dabei enorme Tonhöhen.105 103 | Zur Bedeutung und analytischem Verständnis der Stimme in der populären Musik im Allgemeinen vgl. Frith (2002: Kap. 9), Moore (2012: 101-118); für Heavy und Extreme Metal im Besonderen Erbe (2016), Elflein (2016a, 2016b), Eckers (2009), Wienhausen (2016b, 2016c), Smialek/Depalle/Brackett (2012), Tsai (2010). 104 | Diese für den Hard Rock und Heavy Metal typischen Mischformen werden auch »dist-tones« genannt, vgl. Zangger Borch (2004). 105 | So beispielsweise Bruce Dickinson ein h´´ bzw. B5 in »Gangland« (auf Iron Maiden, The Number of the Beast, 1982, ab ca. 2:43 min), ebenso Rob Halford in »Diamonds And Rust« (auf Judas Priest, Sin After Sin, 1977, ab ca. 2:45 min) oder aber – als

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Mit dem Thrash Metal und den frühen Formen des Extreme Metal wurde die Stimme immer extremer eingesetzt und zunehmend auf rein tonale Gesangsmelodien verzichtet. Die Klangfarbe der Stimme näherte sich im Verlaufe der 1980er Jahre dem verzerrten Gesamtklang der Band an (Bogue 2004: 107; Purcell 2003: 11). Sie wurde rauer und schroffer durch Techniken des »Screamings«, »Growlings«, »Barkings« und »Squealings« (Erbe 2016; Nieto 2009). Mit dem Ziel, die ›heaviness‹ des Gesamtsounds auch durch die Stimme zu repräsentieren, wurde letztlich der Rauschanteil durch diese Gesangs-, aber auch durch Studioproduktionstechniken wie Verzerrung oder Kompression erheblich erhöht. Dieser extreme Einsatz der Stimme wurde häufig als undifferenzierter Lärm, als schmerzhaft und schockierend wahrgenommen bzw. beschrieben (vgl. Phillipov 2012: 74, 86), wobei er keinesfalls nur auf Extreme Metal beschränkt ist.106 Zugleich lösen diese Techniken tendenziell die geschlechtlichen Codierungen im Klang der Stimme auf (Heesch 2011). Eine rauere Klangfarbe der Gesangsstimme etablierte sich zwar bereits mit Motörhead und Venom gegen Ende der 1970er Jahre. Erst ab Mitte der 1980er Jahre aber verbreiteten sich die weitaus stärker rauschhaften Techniken mit Bands wie Possessed, Celtic Frost oder Master. Sie wurden im Extreme Metal zur dominanten Gesangstechnik (Erbe 2016: 202). Im DDR-Metal spiegelt sich die Gestaltung der Stimme entlang der Verbreitung der stilistischen Entwicklungen ebenso wider. Heavy Metal-Bands wie Formel 1, Merlin, Pharao oder Cobra orientierten sich an den typischen Tenorlagen des Heavy Metal. Zu den wohl höchsten Stimmeinsätzen im DDRHeavy Metal zählen der jeweilige Chorus von »Tarantella« von Prinzz bzw. Blitzz und »After The War« von Merlin. In »Tarantella« erreicht die Sängerin Kerstin Radtke im Chorus ein g´´ bzw. G5, was durchaus im Umfang eines Soprans liegt. Der nur aus dem viermal wiederholten Wort »Tarantella« bestehende Chorus wirkt vor allem daher so einprägsam, weil Radtke hier verstärkt die Technik des Screamings einsetzt. Zudem scheint der Chorus neben weiteren Studiotechniken wie zusätzliche Verzerrung im Verfahren des so genannten Double-Trackings, das Übereinanderlegen von zwei möglichst identisch aufgenommenen Parts, produziert zu sein. Durch das Screaming wird insbesondere der erste Oberton (die Oktave) des Grundtons verstärkt. Durch ein außergewöhnliches Beispiel für die Verwendung des Falsettgesangs im Heavy Metal – King Diamond (Mercyful Fate, King Diamond) mit einem g#´´ bzw. G#5 in »Abigail« (auf King Diamond, Abigal, 1987, ab ca. 4:00 min). 106 | Dass der Gebrauch keinesfalls auf den Extreme Metal beschränkt ist, verdeutlicht der englische Wikipedia-Artikel »Death growl«. Hier werden zahlreiche Beispiele aus der populären Musik seit den 1950er Jahren, die einen solchen extremen Einsatz der Stimmen aufweisen, gelistet. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Death_growl (Zugriff am 05.01.2017).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

das Double-Tracking wirkt der Gesang zusätzlich voller und kräftiger. Zwar wird dadurch eine gewisse Rauheit des Stimmklanges erreicht, dennoch ist die Stimme als Frauenstimme nach wie vor erkennbar. Die Techniken verstärken vielmehr den in der Klangaufzeichnung festgehaltenen weiblichen Körper (vgl. Frith 2002: 191). Der hohe Energieaufwand demonstriert Kontrolle, Kraft und gewissermaßen Macht. In »After The War« von Merlin werden die gesanglichen Leistungen von Mario Schneider deutlich. Im Chorus der Ballade, die 1989 sehr erfolgreich bei DT 64 lief, nutzt der Sänger einen Satzgesang, der sich über drei Oktaven erstreckt. Im Zentrum und auch im Mix zentral, ist eine mit dem c´´ bzw. C5 beginnende, absteigende Gesangslinie, die durch jeweils eine Oktave darunter (im Stereopanorama links) und darüber (im Stereopanorama rechts) ergänzt wird. Dabei erreicht er die enorme Tonhöhe c´´´ bzw. C6 durch Einsatz des Falsettgesangs. Die verhältnismäßig lang gehaltenen Töne werden durch ein dezentes, gleichmäßiges und bei allen drei Stimmen ähnlich kontrolliertes Vibrato phrasiert, was insbesondere bei den hohen Tonlagen auf eine gewisse Ausbildung und regelmäßiges Üben hinweist. Bereits während der Strophe setzt Schneider gelegentlich einen zweistimmigen Satzgesang ein, bei dem er mit einem Mix aus Brust- und Falsettstimme ein a´´ bzw. A5 erreicht. Wie am Beispiel Schneiders deutlich wird, kam offenbar etlichen Sängern auch die verhältnismäßig gute musikalische Ausbildung in der DDR zugute, so dass sowohl enorme Tonhöhen als auch Gesangstechniken wie Vibrato in einer kontrollierten Art und Weise eingesetzt werden konnten. Die ersten raueren Klangfarben jenseits des Heavy Metal waren vermutlich von Biest zu hören. Der Sänger Norbert Bode setzte bereits ab Mitte der 1980er Jahre einen immer stärkeren Anteil an rauen Klangfarben ein. In der Rundfunkproduktion »Metall« aus dem Jahr 1986 singt Bode mit einem Anteil eines gutturalen, vom Kehlkopf kommenden Klanges, der sich bereits stark von den Tenören der Heavy Metal-Bands absetzt. Spätestens seitdem nutzten zahlreiche Sänger in der DDR die extremen Techniken wie etwa Peter Habermann von Disaster Area. Mit Darkland (40 Years, 1989/90) und Manos (»Incest Ain’t Correct«, 1989) sind die frühesten veröffentlichten Aufnahmen des Growlings in der DDR dokumentiert. Durch kontrollierte Atmung und dem Einsatz des Zwerchfells werden insbesondere die so genannten falschen Stimmlappen über den normalen Stimmbändern zum Schwingen gebracht. Zusammen mit minimalem Einsatz der natürlichen Stimmbänder entsteht somit ein polyphoner Klang, dessen Frequenzanteile nicht ausschließlich in einem harmonischen bzw. identifizierbarem Oberton-Verhältnis zueinanderstehen. Konkrete Tonhöhen können nur noch schwer gehört werden. Vielmehr entstehen regelrechte Cluster an Frequenzen, die als »großflächige Rauschfelder« beschrieben werden können (Erbe 2016: 203). Die Texte sind dabei nur noch schwer verstehbar, so dass mit diesen extremen Techniken die traditionelle Rolle des

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Gesangs in der populären Musik, die auch noch im Heavy Metal dominant war, negiert wurde. Die Stimme fungiert in erster Linie als Sound und betonte durch das hervorstechende Perkussive die rhythmische Ebene. Dadurch ist die Stimme noch stärker in dem verzerrten Gesamtsound eingebettet. Die beiden Beispiele verdeutlichen, dass auch hier eine starke Orientierung an der westlichen Musik und eine entsprechende Anverwandlung der spezialisierten Techniken stattfand. Die klangliche Dimension des Gesangs des Heavy und insbesondere des Extreme Metal markierte und symbolisierte letztlich eine Differenz zur sozialistischen Gesellschaft, ohne zwangsläufig eine politische Konnotation zu haben. Die Anverwandlung dieser Ästhetik und Techniken war im Grunde eine offensichtliche Abgrenzung zu bisherigen musikalischkulturellen Ausdrucksformen im Sozialismus, ähnlich wie in den westlichen Szenen zu deren verfügbaren Ausdrucksformen auch. Während allerdings die semantische Ebene größtenteils durch die Zensur kontrolliert werden konnte, war der Übergang der Stimme vom Rockgesang hin zu den Techniken des Extreme Metal eine völlig neue Dimension, die mit den etablierten Mitteln der SED-Diktatur nur schwer fass- und begreif bar war. Verlockend erscheint die Ansicht, den transgressiven Einsatz der Stimme insbesondere des Growls in einer ästhetisch-progressiven Symbiose mit den Songtexten zu sehen. Kann man annehmen, dass der Frust und die Wut, die sich etwa in »40 Years« über die SED-Diktatur entlädt, direkten Niederschlag in der Benutzung des Growls findet? Es müssen mehrere Aspekte hierbei bedacht werden. Zum einen darf nicht der internationale Kontext des Metal aus den Augen verloren werden. Dieser transgressive Einsatz der Stimme wurde ab 1987/88 zu einem wesentlichen stilistischen Mittel des Extreme Metal. An diesen orientierten und beteiligten sich auch die DDR-Bands in erster Linie. Zum anderen müsste man im Umkehrschluss annehmen, dass weniger sozialismuskritische Songtexte von den gleichen Sängern zur gleichen Zeit anders gesungen worden wären. Dies war aber nicht der Fall. Hingegen kann aber vermutet werden, dass die affektive Dimension – der Kraftaufwand, Abbau von Aggression, mitunter Schmerzen im Hals – durchaus mit den Texten zusammenfallen konnte. Die zunehmende Thematisierung von Tabuisiertem wie Gewalt und Politik war daher in erster Linie nicht oppositionelle Reaktion auf die Erfahrungen in der SED-Diktatur, sondern ein ästhetisches Ausdrucksund Verarbeitungsmittel bereitgestellt von der Jugendkultur Metal.

5.7.4 Anver wandlung IV: Moshquitos »Mosh in Moscow« Eine überraschende Anverwandlung stellt Moshquitos »Mosh in Moscow« von 1987 dar. Der Text wurde bereits diskutiert, hier soll nun die musikalische Umsetzung im Mittelpunkt stehen. Das Stück ist auch auf der musikalischen Ebene interessant, weil es die Anverwandlung des Thrash Metal demonstriert, zugleich aber die soziokulturelle Einbettung der Musiker im Sozialismus re-

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

flektiert. Bereits als Intro hört man die Melodie des russischen Volksliedes »Kalinka«. 107 Moshquito konnte den Namen und die Melodie aus mehreren Kontexten kennen: • In Berlin-Friedrichsfelde gab es die überregional bekannte Gaststätte »Kalinka« mit regelmäßigem Diskothekenbetrieb, was zur Bekanntheit des Namens an sich beitragen konnte. • 1981 gründeten zwei Disc-Jockeys die offiziell eingestufte »Kalinka-Diskothek« in Frankfurt/Oder (Ege 2009: 109). • Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) hatte als eine der Massenorganisationen u.a. die Aufgabe, die sowjetische Kultur zu vermitteln; in regelmäßigen Kultur- und Geselligkeitsveranstaltungen, auf denen u.a. mit Akkordeon Volkslieder gesungen wurden, erklang auch dieses Lied (Fiege 2015). • Auf diversen Plattenveröffentlichungen der DDR wurden Interpretationen des Volksliedes in verschiedenen Genres wie Schlager oder Klassik veröffentlicht (Kalinka 1970, AMIGA 8 55 220; Kalinka/Freier Sonnabend 1967, AMIGA 4 50 637; Jungs aus Moskau 1977, ETERNA 8 15 093; Alexandrow-Ensemble. Russische und ukrainische Volkslieder 1974, ETERNA 8 35 048). Darüber hinaus war der westdeutsche Sänger Hans Rolf Rippert in den 1980er Jahren mit dem Titel unter dem Pseudonym Ivan Rebroff erfolgreich. Die Musiker von Moshquito konnten dieses russische Volkslied demnach aus unterschiedlichen Kontexten kennen. Die zahlreichen Tonaufnahmen ermöglichten ein problemloses Transkribieren der Melodie. Dass Moshquito sich bewusst mit dem Lied auseinandersetzten, wird insbesondere an der Melodiegestaltung sowie an der Formgestaltung des Songs deutlich. Die Melodie des A-Teiles wird bereits zu Beginn des Songs von lediglich zwei Gitarren gespielt. Der A-Teil von Kalinka fungiert als Intro, das ausschließlich von verzerrten Gitarren gespielt wird und ein accelerando aufweist, eine allmähliche Geschwindigkeitssteigerung, wie sie auch in den berühmten 107 | Das Lied »Kalinka« wurde 1860 von Iwan Petrowitsch Larionow für ein Theaterstück komponiert und wurde wenig später als russisches Volkslied und als Volkstanz populär. »Kalinka« ist nach dem Vorbild der russischen pljaska-Tanzlieder komponiert, die kurze, rhythmisch eher einfach gehaltene Figuren mit einprägsamen Melodien wiederholen und vor allem von der improvisierten dramaturgischen Gestaltung insbesondere des Tempos durch Beschleunigung (accelerando) und Verlangsamung (ritardando) leben. Die rhythmische Figur der Abfolge einer Viertelnote gefolgt von zwei Achtelnoten entspricht dabei einer der typischen Formen der pljaska-Tanzlieder (Zemcovskij 1998: 652ff.). Daraus ergibt sich ein 2/4-Takt als metrischer Rahmen. »Kalinka« besteht aus zwei Formteilen.

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

Aufnahmen des Alexandrov-Ensembles gehört werden konnte.108 Dabei betten die beiden Gitarristen die Melodie bereits in mehrfacher Hinsicht in einen Metal-Kontext ein: • Beide Gitarren spielen mit starker Verzerrung single notes in einem homophonen Satz, sprich mit den gleichen Notenlängen. Dabei spielt eine Gitarre in einer hohen Lage, während die zweite Gitarre in der typischen Lage einer Rhythmusgitarre spielt. Dies verweist auf häufig gespielte Twin-Guitar-Melodien im Heavy Metal, prominent etwa durch Iron Maiden (vgl. bspw. »Hallowed Be Thy Name« oder »Aces High«). • Die Melodie wurde nach E-Moll transponiert, um sie der im Metal dominanten Tonart (aufgrund der tiefen Gitarrensaite als Grundton) anzupassen. • Die Gitarre in der tiefen Lage nutzt die charakteristische Spieltechnik des Palm Muting für die Viertelnoten, den Auftakt ausgenommen. • Die tiefere Gitarre harmonisiert zudem die Kadenz in Takt 3 mit Tönen aus E-melodisch-Moll; zwar ist im Heavy Metal der 1980er Jahre harmonisch Moll häufiger als melodisch Moll verwendet worden, am prominentesten wohl durch Yngwie Malmsteen (Walser 1993: 93ff.), dennoch kann diese Verwendung hier als Barock- bzw. Bach-inspiriert verstanden werden (zur Bedeutung von Bach im Heavy Metal vgl. Walser 1993).

Abbildung 25: Intro zu Moshquitos »Mosh in Moscow«, ca. 0:00-0:06 min. Während zu Beginn des Stückes der komplette A-Teil von Kalinka gespielt wird, werden an jedes Ende eines Strophen- bzw. Versabschnittes die letzten vier Takte der Kalinka-Melodie wiederholt, so dass die Kalinka-Melodie insgesamt fünfmal erklingt. Der B-Teil von Kalinka wird als achttaktige Phrase 108 | Das Alexandrov-Ensemble ist auch als Chor der Roten Armee bekannt. Vgl. eine jüngere Aufnahme von 2012: https://www.youtube.com/watch?v=h05Ic0ynas0 (Zugriff am 6.1.2017).

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

jeweils hinter den Chorus in der Mitte und am Ende gesetzt und schließt das Stück ab. Die leitmotivischen Verwendungen der Kalinka-Melodie, die zudem die einzigen Formabschnitte mit Gitarrenmelodien in höherer Lage darstellen, haben einen integrativen Charakter: Sie verbinden die Formteile, wodurch sie tragender Bestandteil der Komposition werden und nicht nur etwa ein vorangestelltes oder abgesetztes Zitat darstellen. Die durch die Kalinka-Melodie strukturierte klangliche Narration zusammen mit der Kontextualisierung mit Thrash Metal-Riffs vermittelt einen doppelten Charakter, der das Volksliedhafte und das Moderne verschmelzen lässt. Durch die außermusikalische Bedeutung der Kalinka-Melodie, dem Songtext und dem Mosh als aktuelle Tanzform des Thrash Metal werden Referenzen zum zeitgenössischen Sozialismus und zugleich der Jugendkultur Metal deutlich hergestellt. Der Song etabliert somit Referenzen auf drei Ebenen: Außerhalb des Songs durch das Zitieren und Verarbeiten der Kalinka-Melodie, innerhalb des Songs durch den formgebenden Einsatz der Melodie und letztlich zwischen der Musik und dem Songtext insbesondere durch »Mosh« als modernen Tanz und »Moskau«, obgleich Kalinka nicht aus Moskau stammt. Diese Dimension des Klanglichen vermittelt den Eindruck, als würden Moshquito unmittelbar mit dem Zuhörer, dem MetalFan sprechen. Moshen und Thrash Metal, so könnten man deuten, stellen für Moshquito keinen Widerspruch zu Moskau, der Sowjetunion und dem Staatssozialismus dar. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Staatsmacht, vor allem des Spielerlaubnisentzugs, stellen die musikalischen Zitate und der Songtext wiederum gewissermaßen ein politisches Statement dar. Indem die Kalinka-Melodie in den Thrash Metal-Kontext eingebunden wird, kann dies auch als ironisch gebrochenes Zitat aufgefasst werden. Unterm Strich mag aber möglicherweise auch nur stehen, dass der vollends verinnerlichte Thrash Metal das nunmehr wichtigste sei, und die politischen Dimensionen nur noch nebensächlich. Zur Anverwandlung des Thrash Metal gehörte eben auch eine eigensinnige und spielerische Anverwandlung der vermeintlich politischen Kontexte.

5.7.5 Anver wandlung V: Die Aufführung von Friedrich Schillers »Die Räuber« mit Heav y Metal im Bergtheater Thale, 1987 Als eine Anverwandlung, die über die Grenzen der Metal-Szene hinausreichte, kann eine Theaterinszenierung in Quedlinburg im Harz verstanden werden.109 Die Städtischen Bühnen Quedlinburg inszenierten 1987 im Bergtheater Thale, das älteste Natur- und Freilichttheater Deutschlands auf dem Hexentanzplatz im Harz, eine neue Interpretation von Friedrich Schillers »Die Räuber« mit ausgewöhnlicher Musik. Im Ankündigungsflyer zum Stück (Abb. 26) 109 | Ich danke Michael Schenk für die Bereitstellung der Materialien (Plakat, DemoAufnahmen) und die Beantwortung meiner Fragen.

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wird neben dem Entstehungskontext im ausgehenden 18. Jahrhundert auf die Gegenwart Bezug genommen. Dort heißt es u.a.: »Was etwa wissen wir wirklich von den Lebensvorstellungen der jungen Generation, von ihren Träumen vom ›Adlerflug‹? Haben wir immer ausreichend Verständnis für ihre Wertvorstellungen, für die Unbedingtheit ihres Verlangens nach dem Ändern und Anderssein? Enden unsere Meinungen und Urteile darüber nicht noch zu oft an ihrem äußeren Sich-Geben, das uns fremd, da unüblich ist?« (Ankündigungsflyer »Die Räuber. Inszenierung der Städtischen Bühnen Quedlinburg im Harzer Bergtheater Thale«, Quelle: Michael Schenk)

Der bewusste Rekurs auf die Jugend versucht offenbar die Konflikte, wie sie mit den Jugendkulturen in der DDR präsent waren, ins Bewusstsein zu rücken. Unterstützt wurde dies durch die Wahl der konkreten musikalischen Gestaltung. Hierfür arbeiteten der Potsdamer Regisseur Achim Entrich und seine Lebensgefährtin, die Dramaturgin Anneliese Priewe, mit dem Musikwissenschaftler Michael Schenk, ebenfalls aus Potsdam, zusammen. In den Gesprächen wurde zunächst die Idee entwickelt, eine Rockband einzubeziehen, im völligen Bewusstsein über die Bedeutung für die Jugend und »ihrem ursprünglichen sozio-kulturellen Impetus«, wie es Schenk rückblickend formuliert: »nonkonform, rebellisch, aggressiv etc.« (Interview Schenk) Heavy Metal, als eine Steigerung, sei aus der Perspektive sodann schlichtweg konsequenter und aufgrund der klar definierten Strukturen zudem gut als Theatermusik geeignet gewesen. In der Wernigeroder Band Hardzrock fand Schenk die geeignete Besetzung. Michael Eigendorf, Sänger von Hardzrock, erinnert sich: »Eines Tages, ich glaube es war 1986, waren wir gerade dabei, uns an Metallica’s ›Master Of Puppets‹ zu versuchen, da bekamen wir Besuch von einem Herrn vom Bergtheater in Thale. Dieser wollte Schiller’s ›Räuber‹ in einer neuen Art aufführen und zwar mit unserer Musik. Nun, ich war zwar auf dem Papier der künstlerische Leiter dieses Unternehmens, hatte aber dabei überhaupt nichts zu tun, denn unsere eigenen Songs wurden dort instrumental eingebaut und dann einige Wochen im Bergtheater vorgeführt.« (Eigendorf 2008: 18f.)

Die Wahl von Hardzrock hing vermutlich mit der geographischen Nähe zum Bergtheater in Thale zusammen. Michael Schenk traf sich mit der Band in ihrem Proberaum, hörte sich die Stücke an und schnitt sie mit. Um den Ansprüchen einer herkömmlichen Theatermusik gerecht zu werden, schloss er Gesang aus. Mit den Aufnahmen konnte Schenk zusammen mit Regisseur und Dramaturgin über relevante Stellen sprechen. Diese passte er genau auf die Dramaturgie der Inszenierung an: »Ich ordnete passende harmonisch-

III. Praktiken der Heavy und E xtreme Metal-Szene in der DDR

melodische und tempo-relevante Parts bestimmten Szenen-übergängen oder Szenen-immanenten Abläufen zu bzw. kombinierte einzelne Passagen zu längeren«, so Schenk (Interview Schenk). Neben Power-Balladen mit zweistimmig gespielten Melodien gehörten hierzu auch Stücke, die den Thrash Metal-Einfluss mit schnellen Tempi und dichten Pulsen an der Gitarre deutlich erkenn lassen. Schenk organisierte die Einstudierung und übernahm die musikalische Betreuung. Die Premiere fand am 13.6.1987 statt, die Band war dabei »immer mit auf der Bühne dabei« (Eigendorf 2008: 18f.). Dass Heavy Metal für eine zeitgenössische Inszenierung eines klassischen, aufgrund der Feudalismuskritik für den Sozialismus allemal bedeutenden Theaterstückes verwendet wurde, zeugt von einem besonderen kulturellen Transfer. Die Anverwandlung der Musik geschah, wie dieses Beispiel verdeutlicht, keinesfalls nur innerhalb der Jugendkultur Metal, sondern auch in der Gesellschaft, die die Musik durchaus als zeitgenössische Ausdrucksform der Jugend ernst nehmen konnte.

Abbildung 26: Flyer zur Theateraufführung von Schillers »Die Räuber« im Bergtheater Thale, bei der die Heavy Metal-Band Hardzrock zum Einsatz kam (Quelle: Michael Schenk)

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IV. Fazit »Ich bin geil auf Heavy Metal« – mit diesem Refrain des Stückes »Metal« sicherte sich die Jüterboger Band Biest 1987 nicht nur einen Platz unter den Top 3 des nationalen Rock Polls des Jugendradios DT 64. Vielmehr noch drückte sie aus, was nicht wenige Jugendliche und junge Erwachsene dachten und fühlten. Tatsächlich war Heavy Metal in der DDR der 1980er Jahre eine äußerst aktive, vielfältige und in allen Landesteilen verbreitete Jugendkultur mit regelmäßigen Konzerten und Partys, Fanclubs und Bands sowie einer eigenen Radiosendung auf dem Jugendsender DT 64. Angesichts der politischen Umstände mag dies zunächst überraschen. Der ursprünglich westliche Heavy Metal wurde seitens des Staates mit dem ersten Aufkommen zu Beginn der 1980er Jahre zunächst politisiert und kriminalisiert. Eine der schwerwiegendsten Folgen dieser im Kalten Krieg verankerten Politisierung verkörperte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Heavy Metal wurde vom MfS, das bereits seit den 1960er Jahren aktiv Jugendkulturen in den Blick nahm, als »negativ-dekadente Extremgruppe« sowie feindliche Waffe der Beeinflussung eingestuft und mit geheimdienstlichen Methoden wie dem Einsatz von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) beobachtet und zu »zerschlagen« versucht. Zwar war der Einsatz von IM aus Sicht des MfS nicht im gleichen Ausmaße erfolgreich wie etwa in der Punkszene. Dennoch konnten »Zerschlagungen« etwa der Erfurter Band Macbeth oder des Treffpunkts im Berliner Jugendklub Ernst Knaack als zumindest vorübergehende Erfolge verbucht werden. Die Erfahrungen von Repressalien auf Basis optischer Erkennungsmerkmale, vom MfS intensiv analysiert und dokumentiert, konnten sich sodann in willkürlich anmutenden Polizeikontrollen oder Konfiszierungen von Kleidung und Accessoires niederschlagen. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahren verblasste dieses negative und konflikthafte Bild zusehends und Heavy Metal wurde vereinzelt auch vom MfS als letztendlich ungefährlich eingestuft. Dem voraus ging ein allmählicher Prozess der Integration, der insbesondere abseits der Parteielite und des MfS aus der Gesellschaft heraus vorangetrieben wurde. Die Integration des Heavy Metal, angetrieben durch die Popularität unter DDR-Jugendlichen, ist einerseits vor dem Hintergrund des integrativen Dis-

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

kurses um die (DDR-)Rockmusik seit den 1970er Jahren sowie andererseits einem Bewusstsein über Heavy Metal als eigenständige neue Jugendkultur zu sehen. Da Heavy Metal zu Beginn der 1980er Jahre noch unter dem Stichwort »Heavy Metal Rock« als eine Weiterentwicklung der Rockmusik verstanden wurde, konnten die neuen und härteren Spielarten verhältnismäßig problemlos etwa im Rundfunk integriert werden. Mit der anhaltenden Popularität und stilistischen Ausdifferenzierung in Richtung Extreme Metal ab Mitte der 1980er Jahre wurde Metal zudem mehr und mehr als eigenständiges Phänomen anerkannt und akzeptiert. Insbesondere über journalistische Beiträge und wissenschaftliche Untersuchungen wurde er zusehends integriert, so dass 1987 ein Kulturfunktionär dem Heavy Metal völlig selbstverständlich einen »berechtigten Platz in der sozialistischen Musikkultur« einräumte. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zum Heavy Metal in der DDR zählen dabei mit ihren teilnehmenden Beobachtungen und ausführlichen Interviews zu den frühesten unvoreingenommenen wissenschaftlichen Forschungen selbst im internationalen Kontext. Dass insgesamt Teile der Gesellschaft weit weniger Probleme mit der Jugendkultur zu haben schienen als Partei und MfS, zeigen die Beispiele eines Aufnahmeexperiments des staatlichen Rundfunks oder die Inszenierung von Schillers Die Räuber mit einer Heavy Metal-Band. Eine der wohl einflussreichsten Beispiele für diese Entwicklung stellte jedoch die regelmäßige Präsenz der Musik im staatlichen Rundfunk dar. Insbesondere der Jugendsender DT 64 avancierte dabei zu einem wichtigen Vermittler und Anbieter vom offiziell kaum auf Tonträgern erhältlichen Heavy Metal. Die enorme Nachfrage brachte den Fans ab 1987 eine allwöchentliche Sendung ein, die zusehends westliche Veröffentlichungen mit immer geringerer Verzögerung spielte. Die enorme Beliebtheit der Tendenz Hard bis Heavy-Sendung und ihre Bedeutung als Lieferant von Musik und Informationen werden in der umfangreichen Hörerpost von Fans aus der DDR, aber auch Westdeutschlands deutlich. Hier etablierte sich ein bedeutender virtueller Ort der Szene in den Strukturen des staatlichen Rundfunks, der einen entscheidenden Anteil an der Verbreitung und Entwicklung des Metal in der DDR hatte. Unter den Rahmenbedingungen des Sozialismus prägten sich in der Metal-Szene Praktiken des sich Vergemeinschaftens, des Hörens, des Teilens und Tauschens sowie des Musizierens auf besondere Art und Weise aus. Fans in der DDR gründeten Fanclubs, schrieben Briefe an andere Fans oder Bands selbst in den USA, organisierten Partys und Konzerte. Die Gemeinschaft spielte eine große Rolle für das Selbstverständnis als Fan sowie als Ort das Austausches. Dabei differenzierte sich die DDR-Szene im Laufe der 1980er Jahre mit der in den westlichen Szenen vorangetriebenen stilistischen Ausdifferenzierung des Metal zusehends aus, etwa, wenn gegen Ende der 1980er sowohl 30-jährige als auch 15-jährige Fans zur Szene gehörten – ein Aspekt, der auch vor dem international beobachtbaren Hintergrund einer einsetzenden Alterung von

IV. Fazit

Jugendkulturen gesehen werden muss. Die Gemeinschaft im Kleinen wie im Großen war besonders wichtig, um mit dem Mangel an offiziell erhältlichen Tonträgern und entsprechender Kleidung umzugehen. In lokal selbst organisierten T-Shirt-Produktionen oder überregionalen Tauschnetzwerken kompensierte die Szene den Mangel auf kreative Art und Weise und festigte dadurch zugleich Zusammenhalt und Gemeinschaftsempfinden. Neben den Praktiken des Tauschens zählte ebenso das Feilbieten dazu, indem auf Schwarzmärkten einst in das Land geschmuggelte Tonträger und sonstige Accessoires zu häufig enormen Preisen angeboten wurden. Zwar können diese Praktiken des Tauschens und Handelns als typische Praktiken einer Do-It-Yourself-Kultur, wie sie zur gleichen Zeit auch in den westlichen Szenen zu beobachten war, verstanden werden. Allerdings waren sie in der DDR in erster Linie Folge der politischen und planwirtschaftlichen Entscheidungen, die Heavy Metal im offiziellen Tonträgerhandel kaum berücksichtigten. Zudem blieben die auch in weiten Teilen der DDR-Gesellschaft verbreiteten Praktiken des Tauschens und Handelns nicht bei der Kompensation dieses Mangels stehen, sondern entwickelten sich zu hoch spezialisierten Formen von Sozialität, Vergemeinschaftung und kreativen Lösungsansätzen innerhalb der Metal-Szene der DDR aus. Das Hören von Musik war dabei die wichtigste Praxis schlechthin. Sie war in der Regel der Ausgangspunkt für die Begeisterung und Faszination, worauf der Wunsch nach Vergemeinschaftung mit Gleichgesinnten folgte. Die Begeisterung, die häufig als eine affektive, körperlich wie mental intensiv wahrgenommene Erfahrung beschrieben wird, wurde durch das Hören von teilweise unter abenteuerlichen Bedingungen besorgten »heiligen« West-Platten oder Mittschnitte des Rundfunks sowohl alleine für sich als auch in der Gruppe hervorgerufen. Aber auch das Hören im öffentlichen Raum, etwa im FDJ-Jugendklub, spielte eine wichtige Rolle. Hier wurden öffentliche Veranstaltungsorte und Jugendklubs vorübergehend und eigensinnig zu Szeneorten umgedeutet und für den eigenen Musikgenuss genutzt. Wissen und Expertise galten dabei innerhalb der Jugendkultur Metal als ein besonderes Kriterium der Exklusion und waren angesichts des eingeschränkten kulturellen Transfers mit enormem zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden. Zugleich sorgten die Einschränkungen hierbei auch für Probleme und Verzerrungen. So verbreitete sich etwa der Subgrenre-Begriff ›Thrash Metal‹ zunächst als ›Trash Metal‹, sowohl in der DDR als auch der BRD. Während in der BRD jedoch nach kurzer Zeit die international gebrauchte Form ›Thrash Metal‹ übernommen wurde, war in der DDR die Schreibweise ohne ›th‹ noch lange verbreitet, weil u.a. Szene-Medien fehlten, die auf die Verbreitung der korrekten Schreibweise hätten Einfluss nehmen können. Band-Praktiken bzw. Praktiken des Musizierens waren auch in der DDR stark verbreitet. Die besonderen Bedingungen des Musizierens im Sozialismus sorgten dabei für eine eigentümliche Situation. Da offizielle Auftritte nur mit

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Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

einer offiziellen Zulassung möglich waren, spielten zahlreiche Metal-Bands die sogenannten Einstufungen. Obschon diese Einstufungsvorspiele auch als Zensurinstrument genutzt werden konnten, wurden zahlreiche Bands mit dem Amateurstatus, etliche auch als professionell eingestuft – für letztere war Heavy Metal-Musik somit offiziell der Hauptberuf. Durch diese Rahmenbedingungen fand im Grunde eine staatliche Förderung einerseits sowie eine gewisse handwerkliche Qualitätssicherung des Metal in der DDR andererseits statt. Tatsächlich hatte die überwiegende Mehrheit der Musiker eine fundierte musikalische Ausbildung. Damit erweitert dies zugleich die Perspektive auf die häufig als Zensurinstrument beschriebene Einstufungspraxis, indem sie mit den Kriterien der handwerklichen Fähigkeiten letztlich auch eine Art Qualitätssicherung des Musiklebens in der DDR darstellen konnte. Für die Fans hatten die DDR-Bands eine »Ersatzfunktion« für den westlichen Metal, der bis 1990 in der DDR nicht im Konzert erlebt werden konnte. Diese Ersatzfunktion hatte Einfluss auf das Repertoire, indem insbesondere Coversongs der westlichen Idole gespielt wurden. Zugleich komponierten zahlreiche Bands auch eigene Stücke, die die starke Verankerung in der internationalen Szene einerseits sowie die Verinnerlichung der musikalischen Sprache andererseits verdeutlichen. Mit nur geringer Verzögerung wurden teilweise erst wenig zuvor entwickelte Spieltechniken an den Instrumenten, wie etwa der Blast-Beat am Schlagzeug, auch in der DDR adaptiert und angewendet. Letztlich wurden eigenständige und bemerkenswerte Beiträge zur musikalische Sprache des Metal geschaffen, die weit über ein reines Nachspielen oder Imitieren westlicher Vorbilder hinausgingen. Zugleich war der Mangel an geeigneten Instrumenten und entsprechender Technik ein alltägliches Problem für Musiker, das durch im Grunde illegalen Schmuggel und Handel mit westlicher Technik zu kompensieren versucht wurde. Während die Heavy Metal-Bands wie etwa die erste professionelle DDR-Metal-Band, Formel 1, auch aufgrund von Zensur-Erfahrungen mit den Text-Lektoraten eher eigenbezügliche und alltägliche Texte ohne jegliche politische Dimension schrieben, setzte gegen Ende der 1980er Jahre mit den Texten des aufkommenden Extreme Metal auch eine Thematisierung des Tabuisierten und Politischen ein, die, etwa in Darklands »40 Years For Nothing«, zudem auf Englisch eine deutliche und kritische Auseinandersetzung mit dem Sozialismus aufzeigte. Zwar bestand während der Wiedervereinigung ein nicht geringes Interesse westlicher Plattenfirmen an einigen Bands aus den neuen Bundesländern. Teilweise konnten sich die Bands auch für kurze Zeit behaupten, wie etwa die Erfurter Blitzz mit dem Hannoveraner Label SPV/Steamhammer und weit über zehntausend verkauften Exemplaren ihrer im Mai 1990 aufgenommenen und veröffentlichten EP Do The Blitzz. Letztlich scheiterten aber nahezu alle ehemaligen DDR-Bands an den Umständen, sich fortan auf einem freien und unbekannten Markt, ohne tabellarische Konzertabrechnungen sowie ohne Erfahrungen etwa in Vertragsverhandlun-

IV. Fazit

gen behaupten zu müssen. Die allgemeinen Probleme infolge der Wiedervereinigung und des Transformationsprozesses wie etwa hohe Arbeitslosigkeit und alltägliche Verunsicherung trugen sicher ebenso zur Entwicklung der individuellen Biographien bei. Die Szene an sich allerdings wurde rasch ein selbstverständlicher und wichtiger Teil des Metal in Deutschland. Heavy und Extreme Metal in der DDR bedeutete – wie für Jugendliche in den westlichen Szenen auch – zuallererst ästhetischer Genuss, emotionaler Halt und körperliches Ausagieren, Gemeinschaft, vorübergehender Lebensinhalt, intellektuelle Anregung, Zeitgeist. Darüber hinaus symbolisierte Heavy Metal immer auch das Andere, das nur schwer Erreichbare, den Westen. Als MetalFan der DDR verstand man sich durchaus als Teil der internationalen Jugendkultur, ohne sich bis zum Fall der Mauer vollends sicher sein zu können, dass man es auch wirklich war. Durch die beschriebenen Praktiken demonstrierten die Fans in der DDR ihre selbstverständliche Verortung innerhalb der Szene, für die die politischen Grenzen keine Rolle spielen sollten. Es ist diese Ambivalenz einer spezielleren Jugendkultur in der späten SED-Diktatur, die es wohl auch dem Staat so schwermachte, sie einzuschätzen. Insofern steht Heavy Metal auch exemplarisch für die zunehmende Entfremdung und Distanzierung der jüngsten Generationen in der späten DDR.

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Anhang Tabellen und Ü bersichten Jahr

Künstler, Titel

Anmerkung

1979

Pink Floyd, Dark Side Of The Moon

Amiga 8 55 667, Erstveröffentlichung: 1973

1981

AC/DC, Highway To Hell

Amiga 8 55 838, Erstveröffentlichung: 1979

1983

Pink Floyd, Wish You Were Here

Amiga 8 55 979, Erstveröffentlichung: 1975

1984

Deep Purple

EP, Amiga 8 55 069, Zusammenstellung im Sampler-Format; Aufnahmen aus den Jahren 1970-1972

1987

Rush, Jennifer

Amiga 8 55 247, Zusammenstellung im Sampler-Format

1988

Scorpions, Love At First Sting

Amiga 8 56 332, Erstveröffentlichung 1984

1989

Whitesnake

Amiga 8 56 406, Zusammenstellung im Sampler-Format

Tabelle 1: Ausländische Hard Rock-Produktionen als offizielle Lizenzveröffentlichungen in der DDR (vgl. Rauhut/Rauhut 1999)

316

Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken Jahr

Veröffentlichungstitel

Anmerkung

1983

Heiße Würstchen – Neues aus Rock und Pop, Amiga 5 56 014

Sampler mit 12 Titeln, darunter Formel 1 (»Eddie«)

1985

Rock-Bilanz 1985, Amiga 5 56 160/61

Sampler, der mit 20 Titeln Genres wie Pop, Rock, Punk und Metal präsentierte, darunter: Formel 1 (»Der Weg nach oben«)

1985

Formel 1, Formel 1, Single-LP, Amiga 4 56 577

Single-EP mit den Tracks »18 Jahre sein« und »Mach keine Welle«; Produktion des Rundfunks

1986

Formel 1, Live im Stahlwerk, Amiga 5 56 014

Live-Album mit 10 Titeln, darunter Coversongs von Iron Maiden (»Hallowed Be Thy Name«) und Judas Priest (»Breaking The Law«)

1986

Rock-Bilanz 1986, Amiga 5 56 238/39

Sampler, der mit 20 Titeln Genres wie Pop, Rock, Punk und Metal präsentierte, darunter: Formel 1 (»Heavy Metal«)

1987

Zwischen Prenzlauer Berg und Mont Klamott. Berliner Rocker, Amiga 8 56 248

Sampler mit 12 Stücken, darunter Formel 1 (»Eddie«)

1987

Rock-Bilanz 1987, Amiga 5 56 321/22

Sampler, der mit 20 Titeln Genres wie Pop, Rock, Punk und Metal präsentierte, darunter: Plattform (»Licht der Nacht«)

1988

Rock-Bilanz 1988, Amiga 5 56 390/91

Sampler, der mit 22 Titeln Genres wie Pop, Rock, Punk und Metal präsentierte, darunter: Cobra (»Träumer«), Feuerstein (»Teufelsbraut«), Prinzip (»Phönix«)

1988

Kleeblatt Nr. 22. Hard & Heavy, Amiga 5 56 329

Sampler ausschließlich mit DDR-Metal: Plattform (»Heavy Braut«, »Feuer«, »Licht der Nacht«, »Sechzehn«), MCB (»Heavy Mörtel Mischmaschine«, »Eisenmann«, »Lied des Galgenbruders an Sophie das Henkermädel«, »Kommando 308«) und Cobra (»Lady Rock«, »Wilde Action«, »Träumer«, »Feuer unterm Eis«). Das Produktionsjahr war 1987, veröffentlicht wurde jedoch erst 1988 (Rauhut/Rauhut 1999: 289).

1989

Biest, Crash Trash, EP, Amiga 5 56 214

»Crash Trash«, »Grab im Moor«, »Manne (Gegen Gewalt)«, »Motortraum«; Produktion des Rundfunks

Anhang — Tabellen und Übersichten 1989

Rock-Bilanz 1989, Amiga 5 56 474/75

Sampler, der mit 26 Titeln Genres wie Punk, Indie, Hip-Hop und Metal präsentierte, darunter: Charlie (»Turn Away«), Dr. Rock (»Metal Man«), Merlin (»Zauberer«), Metall (»Easy Rider«), Rochus (»Let’s Trash«), MCB (»Rage Out«), Biest (»Crash Trash«)

Tabelle 2: Offizielle Amiga-Veröffentlichungen, die Heavy Metal aus der DDR beinhalten Jahr

Quelle

Titel

Autor

1982

melodie und rhythmus 1982, S. 14

Feature: Formel 1, »Schwermetall im Bärenschaufenster«

Walter Kutzner

1983

melodie und rhythmus 9/1983, S. 3

News Kathargo (ungarische Heavy Metal-Band)

unbekannt

melodie und rhythmus 11/1983, S. 4

Konzertbericht: »Mephisto in Telz«

unbekannt

1984

Musik und Gesellschaft 1/1984, S. 11-16

»Politisierung von Musik contra Vermarktung. Widersprüche und Alternativen kapitalistischer Musikpraxis heute«

Chris Cutler

1985

neues leben, Jugendmagazin, 1985, S. 8f.

»Musik spezial: Heavy Metal«

Wolfgang Martin

melodie und rhythmus 3/1985, S. 14f.

»Schwer, hart und wild: Heavy Metal (Teil I)«

Anja Böhm

melodie und rhythmus 4/1985, S. 14f.

»Schwer, hart und wild: Heavy Metal (Teil II)«

Anja Böhm

melodie und rhythmus 11/1985

Poster: Babylon Feature: Tendenz superschwerer Hardrock

Walter Kutzner

melodie und rhythmus 1/1986, S. 1

Feature + Poster: Formel 1, »Musik mit heissen Motoren«

Walter Kutzner

melodie und rhythmus 3/1986, S. 4

»Erdmann – die schweren Jungs aus Fürstenwalde«

Lilian Teuscher

neues leben, 1986

Portrait Pharao

unbekannt

melodie und rhythmus 5/1986, S. 14

Feature: Iron Maiden

Anja Böhm

melodie und rhythmus 7/1986, S. 15

Feature: Judas Priest

Anja Böhm

melodie und rhythmus 10/1986, S. 14

Feature: Krokus

Anja Böhm

1986

317

318

Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken 1987

melodie und rhythmus 4/1987, S. 14f.

Feature: »Motörhead wischen Punk und Metal, aber nie zwischen den Stühlen. Die Geschichte einer kompromißlosen Band«

Leo Gehl

melodie und rhythmus 6/1987, S. 16f.

Feature: Plattform, »Heavy Metal mit Sonderpreis«

Leo Gehl

neues leben, 1987

Portrait: Plattform

unbekannt

melodie und rhythmus 7/1987, S. 14f.

Feature: »Ronnie James Dio – Ein King of Rock’n’Roll – melodischer Hard & Heavy Rock mit Intelligenz und Magie?«

Leo Gehl

melodie und rhythmus 8/1987, S. 14f.

Feature: »Aus der Höhle in die Burg oder Der lange Weg zum neuen Formel-I-Programm«

Leo Gehl/ Peter Fincke

Profil. Methodik zur Tanzmusik, 9/1987, S. 3f.

Feature: »Heavy Metal international«

Lutz Schramm

Profil. Methodik zur Tanzmusik, 9/1987, S. 13f.

Feature: »Heavy Metal national«

Interview mit Dr. Lothar Dungs, Vorsitzender der ZAG Tanzmusik

Profil. Methodik zur Tanzmusik, 9/1987, S. 12f.

Portrait: Hardholz

unbekannt

Profil. Methodik zur Tanzmusik, 9/1987, S. 14

Portrait: Argus

unbekannt

Profil. Methodik zur Tanzmusik, 9/1987, S. 60

Steckbrief: Biest

unbekannt

Profil. Methodik zur Tanzmusik, 9/1987, S. 59

Steckbrief: Feuerstein

unbekannt

Profil. Methodik zur Tanzmusik, 9/1987, S. 35

Steckbrief: Crystal

unbekannt

Profil. Methodik zur Tanzmusik, 9/1987, S. 50

Steckbrief: Eisenerz

unbekannt

Profil. Methodik zur Tanzmusik, 9/1987, S. 50

Steckbrief: Harzdrock

unbekannt

Anhang — Tabellen und Übersichten 1988

melodie und rhythmus 3/1988, S. 12f.

Feature: Warlock

Leo Gehl

melodie und rhythmus 4/1988, S. 5

Feature: »MCB. Zwischen Speed, Black, Leo Gehl und Rock’n’Roll«

melodie und rhythmus 4/1988, S. 8

Feature: »Aria. Heavy-Metal made in USSR«

Leo Gehl

melodie und rhythmus 10/1988, S. 8

Feature: »Scorpions – zeitlos wie Bluejeans«

Leo Gehl

melodie und rhythmus 11/1988, S. 8

Feature: »Babylon – Rock’n’Roll als Lebensgefühl«

Leo Gehl

melodie und rhythmus 12/1988, S. 7

Feature + Poster: »Cobra – Mit Fleiß und Engagement«

Leo Gehl

melodie und rhythmus 1/1989, S. 1

News: Crystal

Roland Meyer

melodie und rhythmus 5/1989, S. 14f.

Feature: »Biest – Knallhart, kompromisslos und wirksam«

Roland Urbanski

melodie und rhythmus 5/1989, S. 30f.

Feature zu Merlin: »Heavy Rock am Hofe von König Artus«

Roland Urbanski

melodie und rhythmus 5/1989, S. 14f.

Feature: »Metallica«

Roland Urbanski

melodie und rhythmus 7/1989, S. 14f

Portrait: Rosa Rock

unbekannt

melodie und rhythmus 3/1989, S. 122-127

»Musik und ›Antwort sofort‹. Zum Angebot des Senders ›Jugendradio DT 64‹«

Interview mit den DT 64-Moderatoren Stefan Lasch Wolfgang Martin und Petra Schwarz

melodie und rhythmus 11/1989, S. 30f.

Potrait: Metall

Leo Gehl

+ 11/1988, S. 5

1989

Tabelle 3: Thematisierungen und Präsentationen von Heavy Metal in den nationalen Printmedien Musik & Gesellschaft, melodie und rhythmus, neues leben und Profil. Methodik zur Tanzmusik

319

320

Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken Fanclub

Ort

Größe

Nachweis

Evil Spirits

Aschersleben (?)

Unbekannt

BStU, MfS, BV Halle, KD Aschersleben, Nr. 1252, Bd. 1, Bl. 130

Excalibur

Bad Langensalza

unbekannt

DRA H006-01-06/0037, 100106, 5.1.88

[Accept-Fanclub]

Bad Schmiedeberg

unbekannt

DRA H006-01-06/0034, Bd. 1, 700864, 24.7.87

Winged Assasins

Berlin (?)

unbekannt

DRA H006-01-06/0037, 120143, 2.12.87

Possessed

Erfurt

unbekannt

DRA H006-01-06/0037, 121038, 21.12.87

[Name unbekannt]

Gotha

25

DRA H006-01-06/0037, 111066, 25.11.87

Heavy-Clan

Hartha

Ca. 14

DRA H006-01-06/0036, Bd. 1, 900240: 7.9.87; DRA H006-01-06/0034, Bd. 1, 700708, 20.7.87

Trash-Metal FC

Jena

Ca. 40

DRA H006-01-06/0039, 200698, 17.2.88

Satans Sons

Leipzig

unbekannt

BStU, MfS, HA XX, Nr. 477, Bl. 2; BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX, Nr. 131/01, Bl. 44

Metal Gods

Leipzig

10 bzw. 12

BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XX 131, Bd. 1, Bl. 20ff.; BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. XX, Nr. 124, Bl. 12

Kreuzritter

Magdeburg

40

BStU, MfS, HA XX, Nr. 6015, Bl. 203

Magdeburger Heavy Metal Fanclub

Magdeburg

Ca. 30-40

BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Magdeburg, Nr. 41220, Bl. 1-6

Anhang — Tabellen und Übersichten Black Panther

Magdeburg

40

BStU, MfS, HA XX, Nr. 6015, Bl. 203

FC Heavy Metal

Neukirch (?)

unbekannt

DRA H006-01-06/0035, Bd. 1, 800952 27.8.87

Hungrige Adler

Nordhausen

Unbekannt

DRA H006-01-06/0036, Bd. 1, 900512, 17.9.87

Dirty Deeds

Rostock

Unbekannt

Loud’n'Proud 2/1990, S. 21

Perry Bräutigam (?)

Rothenburg

Unbekannt

BV Dresden, KD Niesky, Nr 6266, Bl. 7f.

Tanks

Schwarzenbach

Ca. 35, davon 15 weiblich

BStU, MfS, BV Chemnitz, KD Reichenbach, Nr. 89, Bl. 31ff.

Iron Force

Stendal (?)

Unbekannt

DRA H006-01-06/0035, Bd. 1, 800162, 5.8.87

Hellfire

Stralsund

Unbekannt

BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5653, Bd. 1, Bl. 357ff.

[Biest-Fanclub]

Suhl

Unbekannt

BStU, MfS, BV Suhl, KD Suhl, Nr. 1267, Bl. 10

Heavy-MetalClub

Tanna

Unbekannt

BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 499, Bl. 2

Black Splissert [vermutlich: Black Blizzard]

Waldenburg

Unbekannt

BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 499, Bl. 5

Diabolic Force

Weimar

9

Persönliches Gespräch mit Mario Flicke, Weimar

Mega Menjetz [?]

Weimar

1o

BStU, MfS, BV Erfurt, Abt. XII, Nr. 137

Northcross Union

Wismar (?)

Unbekannt

DRA H006-01-06/0035, Bd. 1, 800425, 12.8.87

321

322

Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken Robbo Carsl [vermutlich: Robo Castle)

Wittenberg

21

BStU, MfS, BV Halle, KD Wittenberg, Nr. 281, Bl. 19

[AC/DC-Fanclub]

Zittau (?)

12

DRA H006-01-06/0040, 400251, 300025, 1.3.88

Tabelle 4: Metal-Fanclubs in der DDR. Ortsangaben mit (?) sind nicht hinreichend belegt. Eine solche Liste kann selbstverständlich keineswegs vollständig sein aufgrund der oftmals geringen Lebensdauer und dem informellen Charakter der Vergemeinschaftung. Die Namen werden so aufgeführt, wie sie in den schriftlichen Quellen geschrieben wurden. Insbesondere bei den vom MfS notierten Namen kam es regelmäßig zu Schreibfehlern der in der Regel mündlich überlieferten und zudem oft englischen Eigennamen. In eckigen Klammern werden Interpretationen angegeben.

Verzeichnis der Abkürzungen ABV BRD BStU BV CD DDR DGB DJ DKP DM DRA EOS FDGB FDJ GDR GST HA HO IM KD KGD LO LP LPG MfS NDR NSW NVA POS RIAS

Abschnittsbevollmächtigter der Volkspolizei Bundesrepublik Deutschland Bundesbeauftragter für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR Bezirksverwaltung (des MfS) Compact Disc Deutsche Demokratische Republik Deutscher Gewerkschaftsbund Discjockey Deutsche Kommunistische Partei Deutsche Mark Deutsches Rundfunkarchiv Erweiterte Oberschule Freier Deutsche Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend German Democratic Republic Gesellschaft für Sport und Technik Hauptabteilung Handelsorganisation Inoffizieller Mitarbeiter des MfS Kreisdirektion (des MfS) Konzert- und Gastspieldirektion Modellbezeichnung eines Lkw-Typ der VEB Robur-Werke Zittau, umgangssprachlich auch für LKW benutzt Langspielplatte Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Ministerium für Staatssicherheit Norddeutscher Rundfunk Nichtsozialistisches Ausland Nationale Volksarmee Polytechnische Oberschule Rundfunk im amerikanischen Sektor

324

Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken

SED StGB SU UdSSR USA VEB VP VPKA ZAG ZAIG ZDF ZIJ ZK

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Strafgesetzbuch Sowjetunion Union der Sowjetrepubliken United States of America Volkseigener Betrieb Volkspolizei Volkspolizei-Kreisamt Zentrale Arbeitsgemeinschaft Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe des MfS Zweites Deutsches Fernsehen Zentralinstitut für Jugendforschung Zentralkomitee

Verzeichnis der Interviews Wolfgang Densky und Norbert Schmidt (Formel 1), 04.12.2014, 20-22 Uhr, mündlich, Pizzeria Mamma Mia, Blankenburger Str. 6, 13156 Berlin Jörg Ebert (Darkland), 12.09.2015, 17-21 Uhr, mündlich, Gaststätte Märkische Aue, Alfred-Kowalke-Str. 1, 10315 Berlin Olaf Gerold, Brand-Erbisdorf, 06.03.2016, schriftlich, per E-Mail Peter Habermann (Disaster Area), Berlin, 16.05.2016, schriftlich, per E-Mail Jens Molle, 19.8.2015, 19-22 Uhr, mündlich, Rock- und Wikingerbar, Dolziger Str. 24, 10247 Berlin Henry Münnich, 21.08.2014, 20-23 Uhr, mündlich, Wohnung des Interviewpartners in 15907 Lübben/Spreewald Michael Parlow, 15.07.2015, 15-17 Uhr, mündlich, Blackland, Lilli-Henoch-Straße 1, 10405 Berlin Hendrik Rosenberg, Nürnberg, 17.7.2014, schriftlich, per E-Mail Peter Schenk, Potsdam, 6.12.2016, schriftlich, per E-Mail

Q uellenverzeichnis BStU DRA

Bundesbeauftragter der Stasi-Unterlagen, Behörde in Berlin-Mitte Deutsches Rundfunkarchiv in Potsdam-Babelsberg

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Musikwissenschaft Michael Rauhut

Ein Klang – zwei Welten Blues im geteilten Deutschland, 1945 bis 1990 2016, 368 S., kart., zahlr. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3387-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3387-4

Sarah Chaker, Jakob Schermann, Nikolaus Urbanek (Hg.)

Analyzing Black Metal – Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur 2017, 180 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3687-1 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3687-5

Thomas Phleps (Hg.)

Schneller, höher, lauter Virtuosität in populären Musiken 2017, 188 S., kart., zahlr. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3592-8 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3592-2

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Musikwissenschaft Lars Oberhaus, Christoph Stange (Hg.)

Musik und Körper Interdisziplinäre Dialoge zum körperlichen Erleben und Verstehen von Musik 2017, 342 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3680-2 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3680-6

Sylvia Mieszkowski, Sigrid Nieberle (Hg.)

Unlaute Noise / Geräusch in Kultur, Medien und Wissenschaften seit 1900 (unter Mitarbeit von Innokentij Kreknin) 2017, 380 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-2534-9 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2534-3

Johannes Gruber

Performative Lyrik und lyrische Performance Profilbildung im deutschen Rap 2016, 392 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3620-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3620-2

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