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German Pages 297 Year 2004
Beiträge zum Parlamentsrecht
Band 60
Das Europäische Mandat – Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments Von
Eva Uppenbrink
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
EVA UPPENBRINK
Das Europäische Mandat – Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von
Ulrich Karpen, Heinrich Oberreuter, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider Uwe Thaysen
Band 60
Das Europäische Mandat – Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments
Von
Eva Uppenbrink
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-11354-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde am 22. Mai 2003 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Ich bedanke mich herzlich bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Markus Heintzen, für die hervorragende Betreuung meiner Arbeit. Herrn Prof. Dr. Albrecht Randelzhofer danke ich für die umgehende Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Ulrich Karpen für die Aufnahme in die Reihe „Beiträge zum Parlamentsrecht“. Beim Deutschen Bundestag bedanke ich mich für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Mein Dank gilt ferner Herrn Dr. Andreas von Arnauld für zahlreiche hilfreiche Anregungen im Laufe der Erstellung der Arbeit sowie Herrn MdEP Willi Rothley für die Einblicke, die er mir in die Planungen und Entwicklungen zur Neuregelung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments gewährt hat. Frau Hendriette Kliemann danke ich sehr für das Korrekturlesen meiner Arbeit. Weiterhin bedanke ich mich bei der rechtswissenschaftlichen Fachbereichsbibliothek der Freien Universität Berlin für ihre insbesondere für Doktoranden ausgezeichneten Forschungsbedingungen. Ganz besonders möchte ich mich bei meinen Eltern, denen ich diese Arbeit widme, bei meinen Schwestern und bei meinem Freund Philipp Kreibohm für die Unterstützung und Kraft bedanken, die sie mir im Laufe der Erstellung der Arbeit gegeben haben. Berlin, im September 2003
Eva Uppenbrink
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Teil Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund A. Grundlagen und Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Status“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das „Europäische Parlament“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Abgeordnete“ des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Generelle Ausrichtung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 23 23 28 29 32
B. Historischer Hintergrund des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Einfluss der Beratenden Versammlung des Europarats . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Entwicklung des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2. Teil Aktuelle Statusregelungen
48
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten unter Einbeziehung des für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments geltenden Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Statusregelungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48 48 49 86
B. Die rechtliche Stellung der in anderen Mitgliedstaaten gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Statusregelungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87 87 87 118
8
Inhaltsübersicht 3. Teil Vereinbarkeit der bestehenden Statusregelungen mit geltendem Gemeinschaftsrecht
119
A. Beeinträchtigung des Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments . . . . II. Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments III. Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120 120 165 180
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beeinträchtigung durch gemeinschaftsrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . II. Beeinträchtigung durch rein nationale Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199 199 225 228
C. Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228 229 231 232
D. Auswirkungen der vorgesehenen Änderung der Wahlakte auf deren Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Statusrelevante Änderungen der geltenden Rechtlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Vereinbarkeit der vorgesehenen Inkompatibilitätsregelungen mit geltendem Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 4. Teil Aktueller Statutsentwurf
236
A. Rechtsgrundlage: Art. 190 Abs. 5 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 B. Kurzdarstellung der vorgesehenen Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 II. Überblicksanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungen zum Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Außerorganisatorische Statusrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Innerorganisatorische Statusrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 241 241 258
D. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Zusammenfassende Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Teil Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund A. Grundlagen und Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Status“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff „Status“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff „Abgeordnetenstatus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ansatz dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einbeziehung der innerorganisatorischen Statusrechte? . . . . . . . . . b) Schwerpunktsetzung auf die außerorganisatorischen Statusrechte II. Das „Europäische Parlament“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Abgeordnete“ des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bezeichnung als „Abgeordnete“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von Entsandten zu Direktgewählten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Generelle Ausrichtung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Historischer Hintergrund des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einfluss der Beratenden Versammlung des Europarats . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einzelheiten zu der Beratenden Versammlung des Europarats . . . . . . a) Vorläufer der Beratenden Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Interparlamentarische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Versammlung des Völkerbundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstehung der Beratenden Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kompetenzen der Beratenden Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mitglieder der Beratenden Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Status der Mitglieder der Beratenden Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . a) Freies Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dauer des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorrechte und Befreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ersatz der Aufenthalts- und Reisekosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strukturvergleich mit der Gemeinsamen Versammlung der EGKS . .
23 23 23 23 24 26 26 27 28 29 29 30 32 32 32 33 33 33 34 34 35 36 37 37 38 38 39 39 40
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Inhaltsverzeichnis II. Entwicklung des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Status der Abgeordneten vor Einführung der Direktwahlen . . . . . . . . . 2. Auswirkung der Einführung der Direktwahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nationale Gesetzgebung: EuAbgG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Initiativen zur Vereinheitlichung des Status zwischen 1983 bis 1991 4. Statutsentwurf des Europäischen Parlaments von 1998 . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 41 42 43 44 44 45 47
2. Teil Aktuelle Statusregelungen A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten unter Einbeziehung des für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments geltenden Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Statusregelungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freies Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewährleistung des freien Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Faktische Einschränkungen des freien Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einschränkungen durch die Fraktionen im Europäischen Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einschränkungen durch die nationalen Parteien . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz der Kandidatur: Behinderungsverbot/Wahlvorbereitungsurlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Indemnität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschränkung auf Äußerungen innerhalb des Parlaments? . . . . . . aa) Verweis des § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG auf Art. 46 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirksamkeit des Verweises in § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG auf Art. 46 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz vor zivilrechtlicher Verfolgung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzesbegründung zu § 5 EuAbgG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auslegung des Art. 9 des Protokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausnahme für verleumderische Aussagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zeitliche Geltung der Indemnität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verweisungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls: Schutz im deutschen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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bb) Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b des Protokolls: Schutz außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auswirkung der Verweisungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeinschaftsrechtliche Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeitliche Geltung der Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unverletzlichkeit gemäß Art. 10 Abs. 2 des Protokolls . . . . . cc) Ergreifung auf frischer Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verzicht auf Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der durch den Verweis auf das deutsche Recht gewährte Immunitätsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufhebung der Immunität durch das Europäische Parlament . . . . e) Immunität gegenüber Gemeinschaftsorganen: Entscheidung Rothley u. a./EP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zeugnisverweigerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz der in Deutschland gewählten Abgeordneten . . . . . . . . . . . . b) Gewohnheitsrechtliche Ableitung eines gemeinschaftsrechtlichen Zeugnisverweigerungsrechts vor nationalen Gerichten? . . . . . . . . . c) Zeugnisverweigerungsrecht vor deutschen Gerichten für alle Europaabgeordneten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zeugnisverweigerungsrecht vor dem EuGH? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Unvereinbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschaftsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Im Besonderen: Doppelmandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verbot des Doppelmandats durch nationale Regelung? . . (2) Regelung des Doppelmandats in Deutschland . . . . . . . . . . b) Deutsche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Wirtschaftliche und soziale Statusrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschaftsrechtliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutsche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die rechtliche Stellung der in anderen Mitgliedstaaten gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Statusregelungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freies Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz der Kandidatur: Behinderungsverbot/Wahlvorbereitungsurlaub a) Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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61 62 62 62 63 63 65 65 65 66 69 70 70 70 71
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Inhaltsverzeichnis c) Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Indemnität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitgliedstaaten mit engem Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Finnland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitgliedstaaten mit weitem Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zeugnisverweigerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schweden/Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Unvereinbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dänemark und Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsvergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Wirtschaftliche und soziale Statusrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nationale Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Höhe der Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89 89 90 90 90 91 91 91 91 94 94 95 97 98 98 100 101 101 102 103 103 105 106 106 108 108 109 109 109 109 110 111 112 112 112 113 114 114 115 115 115 116 118
Inhaltsverzeichnis
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3. Teil Vereinbarkeit der bestehenden Statusregelungen mit geltendem Gemeinschaftsrecht A. Beeinträchtigung des Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments . . . . 1. Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unabhängigkeit im Sinne der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . bb) Unabhängigkeit gegenüber den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . b) Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments im EG-Vertrag . . . aa) Stellung des Europäischen Parlaments im Gemeinschaftsrecht (1) Personelle Unabhängigkeit der Abgeordneten . . . . . . . . . . (2) Unabhängige Legitimation des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kontrollrechte des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . (4) Vertretung des Gemeinschaftsinteresses – Europäisches Mandat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Nationales Mandat der Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . (b) Europäisches Mandat der Abgeordneten . . . . . . . . . . . (c) Einfluss auf die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleich mit anderen Gemeinschaftsorganen . . . . . . . . . . . . . . (1) Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Status der Kommissionsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . (2) EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Vergleich der Einflussnahmemöglichkeit auf Richter und Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Status der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Europäische Zentralbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Status der Mitglieder des Direktoriums und der Zentralbankpräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Vergleich der mitgliedstaatlichen Stellung der Zentralbankpräsidenten und der Abgeordneten . . . . . . . . . (4) Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Status der Ratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Rückschlüsse auf das Europäische Parlament . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119 120 120 121 121 121 123 125 125 125 126 126 128 129 132 137 137 138 138 138 140 140 140 141 142 143 143 144 145 146 146 146 146 149
14
Inhaltsverzeichnis c) Allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beeinträchtigung der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Persönliche Unabhängigkeit der Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abhängigkeit des Status vom nationalen Recht . . . . . . . . . . . . bb) Unterschiedliche Reichweite der Statusregelungen . . . . . . . . . (1) Immunitätsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Regelung der Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Diätenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unabhängige Legitimation des Europäischen Parlaments . . . . . . . c) Kontrollrechte des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vertretung des Gemeinschaftsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beeinträchtigung durch die Statusregelungen der Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Andere Beeinträchtigungen der gemeinschaftsrechtlichen Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments . . 1. Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments als Grundsatz . . b) Konkretisierung des Begriffs der „Funktionsfähigkeit des Parlaments“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Funktionen des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Wahlfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beratungs- und Rechtsetzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Artikulations- und Rückkoppelungsfunktion . . . . . . . . . . . bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingriff in das Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Regelung durch denselben Hoheitsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rein nationale Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Auf das mitgliedstaatliche Recht verweisendes Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anwendungsbereich des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verpflichtete des Art. 12 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149 150 150 151 153 153 155 155 156 157 157 158 158 161 164 165 165 165 165 167 168 169 171 172 173 175 175 179 180 181 181 181 182 184 185 185 187 187 188
Inhaltsverzeichnis b) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Absolutes oder relatives Diskriminierungsverbot? . . . . . . . . . . bb) Objektive Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Exkurs: Vergleich mit deutschem Verfassungsrecht . . . . . . . . . (1) Grundsatz der formalisierten Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anwendung auf die Abgeordnetenentschädigung . . . . . . . (3) Kritik am Grundsatz der formalisierten Gleichheit . . . . . (4) Schlussfolgerung für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeines Gleichbehandlungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 188 189 191 194 194 196 197 197 198 198
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beeinträchtigung durch gemeinschaftsrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . 1. Rechtswidrigkeit aufgrund von Nachrangigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formelle Nachrangigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahlakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Nachrangigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unabänderliche Fundamentalprinzipien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das erste Gutachten des EuGH zum EWR . . . . . . . . . . . . (2) Begründungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) „Verfassungsurkunde der Gemeinschaft“ . . . . . . . . . . . (b) Neue Entwicklungen in der Vertragsgestaltung . . . . . (c) Völkerrecht und Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall? . . . . . . . . . . . . bb) Ranghöhere Grundsätze im Gemeinschaftsrecht? . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung der Widersprüche auf Auslegungsebene? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beeinträchtigung durch rein nationale Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199 199 200 200 200 204 206 206 207 207 209 209 212
C. Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228 229 231 232
214 216 217 223 223 225 228
D. Auswirkungen der vorgesehenen Änderung der Wahlakte auf deren Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Statusrelevante Änderungen der geltenden Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Vereinbarkeit der vorgesehenen Inkompatibilitätsregelungen mit geltendem Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
16
Inhaltsverzeichnis 4. Teil Aktueller Statutsentwurf
236
A. Rechtsgrundlage: Art. 190 Abs. 5 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 B. Kurzdarstellung der vorgesehenen Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 II. Überblicksanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungen zum Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Außerorganisatorische Statusrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Garantie des freien Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz der Kandidatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Indemnität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Immunität (Art. 12 EAbgStatut (04/2002)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 9, 10 EAbgStatut (04/2002)) . . . . . 6. Freizügigkeit (Art. 13 EAbgStatut (04/2002)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Wirtschaftliche und soziale Statusrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gemeinschaftsrechtliche Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nationale Gewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Diäten und sonstige vergleichbare Gewährleistungen . . . . . . . . . . . aa) Höhe der Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Andere Gewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Übergangsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Innerorganisatorische Statusrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 241 241 241 242 242 244 245 246 246 246 247 247 249 249 253 254 257 258
D. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Zusammenfassende Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Abkürzungsverzeichnis a. A. AbgG ABl. Abs. Abschn. AFDI AK a. M. AO AöR Art. Aufl. BayVBl. Bd. betr. BGBl. BK BT-Drs. Bull. EG BvE BVerfG BVerfGE BVerwG B-VG BWG bzw. CahDrEuR CMLR ders. d.h. dies. DÖV Dok. EP DVBl.
anderer Ansicht Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Abschnitt Annuaire français de droit international Alternativkommentar am Main Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Bayerische Verwaltungsblätter Band betreffend Bundesgesetzblatt Bonner Kommentar Drucksache des Deutschen Bundestages Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Registerzeichen des Bundesverfassungsgerichts: Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bundesorganen Bundesverfassungsgericht Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich Bundeswahlgesetz beziehungsweise Cahiers de Droit Européen Common Market Law Review derselbe das heißt dieselbe, dieselben Die Öffentliche Verwaltung Dokument des Europäischen Parlaments Deutsches Verwaltungsblatt
18 EAbgStatut EAG EG EGKS Einl. ELRev. EMRK endg. EP ESBZ EStG etc. EU EuAbgG EuG EuGH EuGRZ EuR EuRat EuWG EuZW EVR EWG EWI EWR EWS EZB f., ff. FAZ Fn. FS GA GG GOBT GO-EP GS GTE GVG HdbStR
Abkürzungsverzeichnis Entwurf eines Abgeordneten-Statuts Europäische Atomgemeinschaft Europäische Gemeinschaft(en) Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Einleitung European Law Review Europäische Menschenrechtskonvention endgültig Europäisches Parlament Europäisches System der Zentralbanken Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland Europäisches Gericht erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte Zeitschrift Europarecht Satzung des Europarates Gesetz über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäischer Verwaltungsrechtsschutz Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Währungsinstitut Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht Europäische Zentralbank folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Festschrift Generalanwalt beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments Gedächtnisschrift Hans von der Groeben, Jochen Thiesing und Claus-Dieter Ehlermann Gerichtsverfassungsgesetz Handbuch des Staatsrechts
Abkürzungsverzeichnis Hrsg., hrsg. JORF JZ KOM KSE Lit. L.O.R.E.G. m. w. N. n. F. NJW no Nr. NVwZ ÖJZ OLAF OLG OWiG PE Protokoll RDUE RFSP RMC Rn. Rs. RTDE S. SEC, SEK Slg. sog. StPO Ts. u. a. Urt. u. U. v. verb. VerfO vgl.
19
Herausgeber, herausgegeben Journal Officiel de la République Française Juristenzeitung Kommission Kölner Schriftenreihe zum Europarecht littera Ley Orgánica del Régimen Electoral General (spanisches Wahlgesetz) mit weiteren Nachweisen neuer Fassung Neue Juristische Wochenschrift numéro Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Österreichische Juristen-Zeitung Office de Lutte Anti-Fraude – Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Parlement Européen Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 08. April 1965 Revue du Droit de l’Union européenne Revue française de science politique Revue du marché commun et de l’Union européenne Randnummer Rechtssache Revue trimestrielle de droit européen Seite, Satz Dokumente des Sekretariats der Kommission Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften so genannt Strafprozessordnung Taunus und andere Urteil unter Umständen von, vom verbundene Verfahrensordnung vergleiche
20 Wahlakte WVRK YEL z. B. ZBR ZEuP ZEuS ZG zit. ZParl ZPO ZRP ZSchwR z. T.
Abkürzungsverzeichnis Akt zur Einführung allgemeiner und unabhängiger Wahlen der Abgeordneten der Versammlung Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 Yearbook of European Law zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Gesetzgebung zitiert Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht zum Teil
Einleitung Den Abgeordneten des Europäischen Parlaments wird zum Schutz der Funktionsfähigkeit und der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments ein besonderer Rechtsstatus gewährt. Dieser umfasst – angelehnt an die Verfassungstradition der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Abgeordneten der nationalen Parlamente – Regelungen zum freien Mandat, zum Schutz der Kandidatur, zur Indemnität, zur Immunität, zum Zeugnisverweigerungsrecht, zur Freizügigkeit, zu Inkompatibilitäten und zu wirtschaftlichen und sozialen Leistungen. Diese Gewährleistungen beruhen nicht auf einem einheitlichen, gemeinschaftsrechtlichen Abgeordnetenstatut; es besteht vielmehr ein kompliziertes Zusammenspiel von gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Statusregelungen. Während einige Statusregelungen abschließend gemeinschaftsrechtlich geregelt sind, beruhen andere – zum Teil aufgrund von Verweisen des Gemeinschaftsrechts – auf mitgliedstaatlichen Regelungen. Durch Letztere werden den Mitgliedern des Europäischen Parlaments dieselben Rechte eingeräumt, die das jeweilige nationale Recht den Mitgliedern der nationalen Parlamente gewährt. Die Ausgestaltung und Reichweite einiger Statusrechte der Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist daher von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden. Die Entschädigung der Abgeordneten variiert beispielsweise derart, dass ein in Spanien gewählter Abgeordneter monatlich 2.849,14 Euro, ein in Italien gewählter Abgeordneter hingegen 10.643,04 Euro, also mehr als dreimal so viel, erhält. Da die Abgeordneten alle Mitglieder ein- und desselben Gemeinschaftsorgans sind, ist eine derartige Behandlung rechtlich zu hinterfragen. Klärungsbedürftig ist, wie diese Rechtslage zu würdigen ist. Dies ist in Rechtsprechung und Literatur im Gegensatz zu der Parallel-Problematik des uneinheitlichen Verfahrens der Wahl der Mitglieder zum Europäischen Parlament bislang nicht eingehend untersucht1. Angesichts der Abhängigkeit des Status der Abgeordneten vom mitgliedstaatlichen Recht und der damit einhergehenden Ungleichbehandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments stellt sich die Frage, ob dies gegen Gemeinschaftsgrundsätze verstößt. In diesem Zusammenhang ist die Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie der Nichtdiskriminierung zu untersuchen. Nur anhand einer derartigen Untersuchung können Kriterien und Maßstäbe entwickelt 1
Siehe dazu insbesondere Lenz.
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Einleitung
werden, denen der Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments gerecht werden muss. Die Feststellung, ob und inwieweit die geltende Rechtslage mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, wird durch die Frage erschwert, welche Rechtsfolge bei einem etwaigen Verstoß anzunehmen ist. Unklar ist, ob die Statusregelungen – basierend auf gemeinschaftsrechtlichem Primärrecht und mitgliedstaatlichen Regelungen – zu den genannten Grundsätzen in einem Rangverhältnis stehen, welches die Feststellung einer Gemeinschaftsrechtswidrigkeit erlaubt. Die Klärung dieses Rangverhältnisses geht mit einer Analyse der Hierarchisierung der Normen des Gemeinschaftsrechts einher. An Aktualität gewinnt die Thematik dadurch, dass die Reformbedürftigkeit der Ausgestaltung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments von den Vertragspartnern mit der Einführung des Art. 190 Abs. 5 EG durch den Amsterdamer Vertrag anerkannt wurde. Mit Art. 190 Abs. 5 EG gibt es erstmals eine eindeutige Kompetenzgrundlage für eine umfassende gemeinschaftsrechtliche Regelung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Seither gibt es intensive Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat über ein Abgeordnetenstatut; die Chancen für die Verabschiedung eines Abgeordnetenstatuts stehen gut. Fraglich ist, ob das vorgeschlagene Abgeordnetenstatut eine zufriedenstellende Lösung darstellen wird. Dies ist unter Rückgriff auf die anhand der Analyse des jetzigen Status aufgestellten Kriterien zu beurteilen, denen der Status der Abgeordneten entsprechen muss. Der erste Teil der Arbeit stellt zunächst Grundlagen und Begriffsbestimmungen sowie die historischen Hintergründe des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments klar. Um die Problemstellung umfassend aufzuzeigen, enthält der zweite Teil eine vergleichende Bestandsaufnahme der derzeitigen Statusregelungen. Sie soll verdeutlichen, in welchem Umfang der Status der Abgeordneten je nach Mitgliedstaat variiert. Die sich in einem dritten Teil anschließende, zentrale Frage ist, ob und inwiefern die auch politisch problematische Rechtslage eine Beeinträchtigung von Gemeinschaftsgrundsätzen mit sich bringt und welche Rechtsfolge bei einer etwaigen Beeinträchtigung anzunehmen wäre. Im vierten Teil der Arbeit wird der aktuelle Entwurf eines einheitlichen Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments dahingehend analysiert, ob er eine zufriedenstellende Lösung bieten kann.
1. Teil
Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund A. Grundlagen und Begriffsbestimmungen Eine Analyse der einzelnen Statusregelungen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments und ihre rechtliche Würdigung setzt einige Begriffsklärungen und allgemeine Erläuterungen insbesondere zum allgemeinen Status-Begriff, zum Europäischen Parlament und zu den Abgeordneten des Parlaments voraus. Auf sie wird im späteren Verlauf der Untersuchung zurückgegriffen.
I. „Status“ 1. Der Begriff „Status“ Mit dem Begriff „Status“ wird die durch Rechtsnormen begründete, Rechte und Pflichten verbindende Rechtsstellung eines Rechtssubjekts bezeichnet1. Diese Definition geht zurück auf Jellinek2, der den „Status“ als die Position der Person zum Staat definiert3. Jeder Staatsbürger steht zum Staat in einem sog. allgemeinen Gewaltverhältnis, dessen Inhalt von der Gesamtheit aller staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten bestimmt wird4. Losgelöst von dem allgemeinen Verhältnis des Bürgers zum Staat kann als „Status“ jeder an eine Eigenschaft oder einen Sachverhalt anknüpfende Komplex potentieller und aktueller Verpflichtungen und Berechtigungen einer Person verstanden werden5. Aus der Zugehörigkeit zu einem besonderen Träger staatlicher Gewalt kann sich eine besondere Rechtsstellung, ein besonderer „Status“ ergeben6. 1 Badura, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 15 Rn. 59. Vgl. auch Cornu, S. 823, Stichwort „Statut“. 2 So Wolff, § 32 Rn. 13. 3 Jellinek, S. 418. 4 Creifelds, S. 566, Stichwort „Gewaltverhältnis“. 5 Vgl. Dreier, S. 122; Wolff, § 32 Rn. 12 ff. 6 Vgl. Wolff, § 32 Rn. 24.
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
Als einen solchen, durch die Verfassung gewährten Sonderstatus kann man die Absicherung von Mitgliedern staatlicher Organe durch Rechtsnormen bezeichnen, die diesen zum Schutz der Funktionsfähigkeit dieser Organe verliehen wird7. Traditionell werden hierzu beispielsweise die Regeln über Immunität und Indemnität von Parlamentsmitgliedern, aber auch Bestimmungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Richter und zur Unvereinbarkeit von Regierungsämtern mit sonstigen Tätigkeiten gezählt8. 2. Der Begriff „Abgeordnetenstatus“ Als „Abgeordnetenstatus“ wird die Summe der Rechte und Pflichten bezeichnet, die den Abgeordneten eines Parlaments zur Sicherung ihres freien Mandats und zum Schutz ihrer Unabhängigkeit gewährt werden9. Der Zweck dieses Sonderstatus ist die Gewährleistung der Unabhängigkeit10 und der Funktionsfähigkeit11 des Parlaments im weitesten Sinne. Denn der Sonderstatus wird den Abgeordneten nicht in ihrem eigenen Interesse, d.h. zur Verschaffung persönlicher Vorteile, sondern im Interesse der Institution „Parlament“ als ganzer gewährt12. Die Rechtsstellung, die etwa den Abgeordneten des Deutschen Bundestags aufgrund ihres Mandats zukommt, wird vom BVerfG als „eigener verfassungsrechtlicher Status“ bezeichnet 13. Das BVerfG gibt keine präzise Definition dieses Status-Begriffs. Es definiert den Status des Abgeordneten 7
Vgl. Bieber, EuR 1981, 124 und 125. Bieber, EuR 1981, 124. 9 Van der Hulst, S. 27. Vgl. auch Jacqué, S. 68; Jeuniaux, S. 4; Klein, in: HdbStR, § 41 Rn. 34; Stern, Bd. 1, § 24 S. 1059. 10 Jacqué u. a., S. 72 f.; Jeuniaux, S. 4; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 54 Rn. 35. 11 Bieber, in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 189; Europäisches Parlament, 1952–1982, S. 138. 12 Vgl. House of Lords, S. 17; Jacqué u. a., S. 72 f.; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 54 Rn. 35. Auf den Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments übertragbar und verallgemeinerungsfähig ist folgende Feststellung des GA Gand in der RS. 5/68, Claude Moise Sayag, Slg. 1968, 590, 608, im Zusammenhang mit der Gewährung von Vorrechten und Befreiungen für die europäischen Beamten durch das Protokoll über Befreiungen und Immunitäten: „Das Organ soll geschützt werden, und die Befreiung kommt seinen Bediensteten gewissermaßen nur im Reflex insoweit zugute, als die Gemeinschaft sich durch diese Bediensteten Ausdruck verschafft, als diese Gemeinschaftshandlungen vornehmen und die Befugnisse des Organs ausüben“ – Hervorhebungen durch die Verfasserin. 13 BVerfGE, 2, 143, 164 ff.; 4, 144, 149; 6, 445, 447 f.; 10, 4, 10 f.; 20, 56, 103; 40, 296, 311, 321; 60, 374, 379 f.; 76, 256, 341; 94, 351, 366. Siehe auch Badura, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 15 Rn. 58. Arndt, S. 161, spricht von einem durch Sonderrechte und Sonderpflichten gekennzeichneten Statusverhältnis. 8
A. Grundlagen und Begriffsbestimmungen
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kurz als dessen „verfassungsmäßig gewährleistete Rechtsstellung“14 oder verweist auf die „Rechts- und Pflichtenstellung des Abgeordneten“15. Der Literatur sind nur selten Erläuterungen zum Status-Begriff zu entnehmen16. Uneinigkeit besteht darüber, ob als verfassungsrechtlicher Status der Abgeordneten die Summe aller Abgeordnetenrechte zu verstehen ist oder ob insbesondere die parlamentarischen Befugnisse der Abgeordneten, d.h. die sog. innerorganisatorischen Statusrechte, wie z. B. das Rederecht der Abgeordneten, auszuklammern sind17. Letzteres wird mit der Begründung vertreten, der Status umfasse allein die persönlichen Rechte und Pflichten, die der Erfüllung der Amtsberechtigungen und -verpflichtungen dienten18. Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden, denn auch das Recht auf Wahrnehmung des Amts und der mit ihm verbundenen parlamentarischen Befugnisse ist ein Sonderrecht des Abgeordneten, weil es über die allgemeinen, jedem Bürger zur Verfügung stehenden Rechte zur Teilnahme an der staatlichen Willensbildung hinausgeht19. Auch das BVerfG differenziert nicht zwischen einer innerorganisatorischen und einer außerorganisatorischen Rechtsstellung der Abgeordneten, denn es fasst unter den Begriff des „verfassungsrechtlichen Status“ der Abgeordneten sowohl das innerorganisatorische Rederecht20 als auch den außerorganisatorischen Entschädigungsanspruch21 und die Immunität22. Der Abgeordnetenstatus umfasst daher sowohl Rede-, Antrags- und Stimmrechte als auch die folgenden außerorganisatorischen, zum Schutz der Abgeordneten gewährten Rechte: Garantie des freien Mandats, Schutz der Kandidatur, Indemnität, Immunität, Zeugnisverweigerungsrecht, Unvereinbarkeiten des Amts mit anderen Tätigkeiten23 sowie wirtschaftliche und soziale Statusrechte. 14
BVerfGE 10, 4, 10. BVerfGE 76, 256, 341. 16 So beschäftigt sich Cremer trotz des Untertitels seiner Abhandlung, „Der Status des Bundestagsabgeordneten im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“, nicht mit einer Begriffsdefinition, siehe unten S. 53. Ausführlicher Czepluch, S. 86 ff. 17 Vgl. Abmeier, S. 36; Czepluch, S. 93 ff. 18 Siehe Steiger, S. 74 ff., und Stern, Bd. 1, § 24 S. 1057 ff., die strikt zwischen einem Amtswalterverhältnis und einem Statusverhältnis bzw. Amtsträgerrechten und Statusrechten differenzieren. 19 Abmeier, S. 46. Im Ergebnis auch Czepluch, S. 133. Ein die parlamentarischen Befugnisse umfassendes Verständnis des Status, allerdings ohne nähere Erläuterungen, haben auch Cremer, S. 53, sowie Schneider, in: AK, Art. 38 Rn. 22 f., der ausdrücklich auf die Schutzrechte der Abgeordneten eingeht. 20 BVerfGE 10, 4, 10 f. 21 BVerfGE 40, 296, 311, 321. 22 BVerfGE 104, 310, 333. 23 Zwar sind die Unvereinbarkeiten regelmäßig in Wahlgesetzen geregelt, sie werden aber trotzdem zu den Statusregelungen der Abgeordneten gezählt, siehe 15
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
3. Ansatz dieser Arbeit Wie oben erläutert, umfasst der Status-Begriff grundsätzlich die Summe aller Abgeordnetenrechte. Anhand der Zielsetzung dieser Arbeit – der Darstellung und rechtlichen Würdigung der Unterschiede der Statusregelungen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die auf dem Fehlen eines einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Abgeordnetenstatuts basieren – muss der ihr zugrundeliegende Ansatz bestimmt werden. Es ergibt sich dabei das Erfordernis einer Unterscheidung zwischen den inner- und den außerorganisatorischen Statusrechten der Abgeordneten. a) Einbeziehung der innerorganisatorischen Statusrechte? Den Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden durch die GOEP diverse innerorganisatorische Statusrechte eingeräumt. Diese parlamentarischen Rechte stehen den Abgeordneten entweder jeweils einzeln zu oder sind quoren- bzw. fraktionsgebunden24. Ein einzelner Abgeordneter hat neben seinem Stimmrecht insbesondere folgende parlamentarischen Rechte25: Er kann erstens im Plenum zu jedem Gegenstand das Wort ergreifen (vgl. Art. 119 GO-EP). Die Redezeit ist aber praktisch immer kontingentiert (vgl. Art. 120 GO-EP), so dass über das Rederecht des einzelnen Abgeordneten in der Regel dessen Fraktion durch Zuteilung von Redezeit aus ihrem Kontingent entscheidet26. In diesem Zusammenhang ist auch die Möglichkeit des einzelnen Abgeordneten zu nennen, eine persönliche Bemerkung (Art. 122 GO-EP) und eine Erklärung zur Abstimmung (Art. 137 GO-EP) abzugeben. Der einzelne Abgeordnete kann zweitens einen Entschließungsantrag einreichen (Art. 48 GO-EP). Ein Antrag, Debatten über aktuelle, dringliche und wichtige Fragen zu führen, ist demgegenüber gemäß Art. 50 GO-EP fraktions- oder quorengebunden; ähnliches gilt für Dringlichkeitsanträge (siehe Art. 112 GO-EP). Der einzelne Abgeordnete kann drittens Fragen zur Fragestunde und Anfragen zur schriftlichen Beantwortung stellen (Art. 43, 44 GO-EP); Anfragen zur mündlichen Beantwortung sind gemäß Art. 42 GO-EP ausschuss-, fraktions- oder quorengebunden. Viertens kann der einzelne Abgeordnete grundsätzlich27 Änderungsanträge zu einem EntSchneider, in: AK, Art. 38 Rn. 20; Steiger, S. 78; Stern, Bd. 1, § 24 S. 1054. Indirekt auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Rn. 75. 24 Fugmann, in: Dauses, A. II Rn. 99. 25 Eine Kurzzusammenfassung der parlamentarischen Rechte der Abgeordneten geben Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 54 f.; Costa, S. 309 ff.; Fugmann, in: Dauses, A. II Rn. 99 f. 26 Fugmann, in: Dauses, A. II Rn. 99. 27 Zu den Ausnahmen siehe Fugmann, in: Dauses, A. II Rn. 99.
A. Grundlagen und Begriffsbestimmungen
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schließungsentwurf bzw. zu dem Entwurf eines Rechtsakts im Ausschuss – nicht aber im Plenum – stellen (Art. 139 GO-EP); Änderungsanträge im Plenum sind wiederum ausschuss-, fraktions- oder quorengebunden. Schließlich hat ein einzelner Abgeordneter das Recht auf Wortmeldungen zum Verfahren (Art. 141, 142 GO-EP). Zwar findet durch die Bindung vieler Parlamentsrechte an die Fraktionen28 eine Ungleichbehandlung der fraktionslosen Abgeordneten statt, die das EuG in der Entscheidung Martinez als gerechtfertigt angesehen hat29. Die Ausführungen zu den parlamentarischen Rechten der Abgeordneten machen aber deutlich, dass sich im Bereich der innerorganisatorischen Statusrechte wenn auch nicht für alle Abgeordneten gleiche Rechte30, so doch für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments einheitlich geltende, gemeinschaftsrechtliche Regelungen ohne Verweise auf das nationale Recht31 finden. Eine Differenzierung danach, in welchem Mitgliedstaat ein Abgeordneter gewählt wurde, findet nicht statt. Die innerorganisatorischen Statusrechte der Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind daher für diese Arbeit nur von untergeordnetem Interesse32. b) Schwerpunktsetzung auf die außerorganisatorischen Statusrechte Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf den Bereich der außerorganisatorischen Rechte der Abgeordneten. In diesem Bereich findet sich aufgrund des Fehlens einer einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Regelung das aufzuzeigende Ineinandergreifen der unterschiedlichen gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Regelungen.
28 Siehe im Einzelnen EuG, verb. RS. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II-2823, 2840 ff. Rn. 4, mit einer Aufstellung der fraktions- bzw. quorenabhängigen Rechte. Vgl. auch Rutschke, S. 31 ff., der ausführlich die Mitwirkungsmöglichkeiten der Fraktionen im Europäischen Parlament bei der parlamentarischen Willensbildung schildert. 29 Siehe EuG, verb. RS. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II-2823, 2881 ff. Rn. 126 ff. 30 Dies verkennt Fugmann, in: Dauses, A. II Rn. 100, wonach allen Abgeordneten die gleichen parlamentarischen Rechte zustehen. Aufgrund der Fraktionsgebundenheit vieler Rechte stehen den fraktionslosen Abgeordneten nicht die gleichen Rechte zu wie den Mitgliedern einer Fraktion. 31 Beispielsweise kommt Art. 120 GO-EP, der die Regelung der Redezeit enthält, ohne Verweise auf nationales Recht aus. 32 Soweit im Folgenden von Statusrechten die Rede ist, sind damit nicht die innerorganisatorischen, sondern die außerorganisatorischen Rechte gemeint.
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
II. Das „Europäische Parlament“ Das heutige „Europäische Parlament“, welches sich 1952 zunächst als „Gemeinsame Versammlung“ der EGKS konstituiert hatte, handelt seit dem Inkrafttreten des Abkommens über gemeinsame Organe für die EG vom 25. März 195733 als gemeinsames parlamentarisches Organ der EG, EAG und EGKS. Diese „Versammlung“ von EG, EAG und EGKS trat am 19. März 1958 zum ersten Mal zusammen. Da die Bezeichnung des Parlaments in den Übersetzungen in die damaligen Amtssprachen nicht identisch war, nahm das Europäische Parlament 1962 eine Entschließung an, der zufolge die amtliche Bezeichnung in allen vier damals bestehenden Amtssprachen nunmehr „Europäisches Parlament“ lautete34, wobei es sich diese Bezeichnung im Deutschen und Niederländischen schon im Jahre 1958 gegeben hatte35. Diese Entschließung wird dahingehend verstanden, dass die Versammlung damit die Rechtsstellung eines echten Parlaments beanspruchte36, denn der Name einer Institution besitze nicht nur terminologische Bedeutung, sondern symbolisiere auch Anspruch und Identität37. Die neue Bezeichnung „Europäisches Parlament“ konnte sich im Primärrecht, welches nach wie vor die Bezeichnung „Versammlung“ enthielt, nur langsam durchsetzen38: Zwar wurde mit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 198639 am 1. Juli 1987 der Begriff zum ersten Mal in den Vertragstext aufgenommen (z. B. in den damaligen Art. 149 EWG), eine umfassende Vereinheitlichung fand aber erst durch den Maastrichter Vertrag vom 7. Februar 199240 statt. Während das Europäische Parlament ursprünglich eine ausschließlich beratende Funktion hatte und nur eine besondere Form mitgliedstaatlicher Interessenwahrnehmung darstellte41, wurden seine Kompetenzen durch die Einführung von gestaltenden Haushaltskompetenzen – seit 1970 – und der Verfahren der Zusammenarbeit (Art. 189 c EG) – seit 1987 – sowie der 33
Siehe BGBl. 1957, Teil II, 1156. ABl. 1962 Nr. 31 S. 1045/66, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 07. Mai 1962. Siehe Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EG Rn. 2; Zarka, S. 9. 35 Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Art. 137 bis 144 Rn. 5; Ipsen, § 12 Rn. 1 m. w. N. 36 Bleckmann, Rn. 274; Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Art. 137 bis 144 Rn. 5. Ähnlich Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 3. 37 Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Art. 137 bis 144 Rn. 5. 38 Siehe dazu ausführlich Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Art. 137 bis 144 Rn. 5 ff.; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EG Rn. 2. 39 BGBl. 1986, Teil II, 1102. 40 BGBl. 1992, Teil II, 1253. 41 So Heintzen, ZEuS 2000, 377, 387. 34
A. Grundlagen und Begriffsbestimmungen
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Mitentscheidung (Art. 189 b EG) – seit 1993 – erweitert42. Der gemeinsamen Versammlung der EGKS stand von Beginn an das Recht zu, der Hohen Behörde ihr Misstrauen auszusprechen und sie geschlossen zum Rücktritt zu zwingen. Dieses Kontrollrecht steht heute dem Europäischen Parlament gegenüber der Kommission zu43. Auch die Wahlrechte des Europäischen Parlaments wurden kontinuierlich ausgebaut44. Die Wandlung der Bezeichnung des Europäischen Parlaments wie auch die Ausweitung seiner Kompetenzen sind prägnante Hinweise darauf, dass sich das Europäische Parlament seit seiner Gründung in ständiger Veränderung und Fortentwicklung befindet45.
III. „Abgeordnete“ des Europäischen Parlaments 1. Bezeichnung als „Abgeordnete“ Nach dem Wortlaut des Art. 189 EG besteht das Europäische Parlament aus „Vertretern der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“. Art. 190 EG spricht explizit von „Abgeordneten“. Dieser im nationalen Bereich als Bezeichnung für die Mitglieder der Parlamente verwendete Begriff stellt auf internationaler Ebene ein Novum dar46. Die Bezeichnung der europäischen Volksvertreter als „Abgeordnete“ in Art. 190 EG wird dahingehend interpretiert, dass sie zum Ausdruck bringe, dass die Mitgliedstaaten – trotz der ursprünglich stark beschnittenen funktionalen Stellung des Europäischen Parlaments im Gemeinschaftssystem – Stellung und Amt seiner Mitglieder entsprechend den nationalen Funktionskriterien und Statusmerkmalen eines nationalen Abgeordneten ausgestalten wollten47. Dies entspricht der Tatsache, dass das Leitbild des Europäischen Parlaments sich im Wesentlichen an den Modellen staatlicher Parlamente orientiert48.
42 Vgl. Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EG Rn. 3; Streinz, Rn. 116. Näheres zur Beratungs- und Rechtsetzungsfunktion des Europäischen Parlaments siehe unten S. 172 ff. 43 Näheres zur Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments siehe unten S. 169 ff. 44 Näheres zur Wahlfunktion des Europäischen Parlaments siehe unten S. 171 f. 45 Vgl. Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Art. 137 bis 144 Rn. 3. 46 Vgl. Harms, S. 76. 47 Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 16; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EG Rn. 5; Thöne-Wille, S. 49. 48 Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Art. 137 bis 144 Rn. 4.
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
2. Von Entsandten zu Direktgewählten Bis 1979 setzte sich das Parlament aus abgesandten Mitgliedern der nationalen Parlamente zusammen. Art. 138 Abs. 1 EWG-Vertrag in der damaligen Fassung lautete: „Die Versammlung besteht aus Abgeordneten, die nach einem von jedem Mitgliedstaat bestimmten Verfahren von den Parlamenten aus ihrer Mitte ernannt werden.“ Die Mitgliedstaaten hatten volle Freiheit bei der Regelung des Verfahrens zur Ernennung der Abgeordneten der nationalen Parlamente zu Abgeordneten des Europäischen Parlaments49. Nachdem seit 1958 Versuche unternommen worden waren, eine Direktwahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments einzuführen50, beschlossen die Staats- und Regierungschefs am 01./02. Dezember 1975 auf einer Tagung in Rom auf der Grundlage eines Entwurfs des Europäischen Parlaments51, die Abgeordneten des Europäischen Parlaments innerhalb eines einheitlichen Zeitraums von Mai bis Juni 1978 unmittelbar von der Bevölkerung wählen zu lassen. Am 20. September 1976 erließ der Rat schließlich den „Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung“52. Die ersten direkten Wahlen fanden schließlich, durch die Schwierigkeiten bei der Verabschiedung nationaler Wahlgesetze verzögert53, vom 07. bis 10. Juni 1979 statt. Mit der Direktwahl wurde jedoch kein einheitliches Wahlverfahren eingeführt; Art. 7 Abs. 2 der Wahlakte verweist für das Wahlverfahren auf die nationalen Wahlgesetze54. Art. 190 Abs. 4 EG sieht vor, dass das Europäische Parlament einen Entwurf für allgemeine unmittelbare Wahlen nach einem einheitlichen Wahlverfahren oder in Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen55 erarbeitet. Die Vorschrift sieht weiter 49 Siehe Constantinesco, Rn. 380; Harms, S. 39 ff. mit weiteren Einzelheiten zu den einzelnen Verfahren in den Mitgliedstaaten. 50 Siehe zu den Versuchen zur Einführung der Direktwahl Europäisches Parlament, Direktwahl ´78, S. 8 ff.; Grabitz/Läufer, 3. Teil Rn. 13 ff.; Schreiber/Schrötter, S. 11 ff. 51 ABl. 1975 C 32/15, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Januar 1975. 52 ABl. 1976 L 278/1, Beschluss des Rates. Im Folgenden wird dieser Rechtsakt mit der Bezeichnung „Wahlakte“ abgekürzt. 53 Vgl. Grabitz/Läufer, 3. Teil Rn. 29. 54 Vgl. Schoo, in: Schwarze, Art. 190 EG Rn. 19 ff. Ausführlich zu der Frage eines einheitlichen Wahlverfahrens für die Wahl des Europäischen Parlaments siehe Lenz. 55 Diese zweite Alternative wurde durch den Vertrag von Amsterdam eingefügt, um die seit zwanzig Jahren aufgrund unterschiedlicher Rechtstraditionen bestehende Blockade – Verhältniswahlrecht oder Mehrheitswahlrecht – zur Verabschiedung eines einheitlichen Verfahrens aufzuheben, siehe Schoo, in: Schwarze, Art. 190 EG Rn. 19.
A. Grundlagen und Begriffsbestimmungen
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vor, dass der Rat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig die entsprechenden Bestimmungen erlässt und den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfiehlt. Nachdem vom Europäischen Parlament mehrere Entwürfe zur Vereinheitlichung des Wahlverfahrens verabschiedet worden sind56, konnte 2002 schließlich eine Einigung mit dem Rat erzielt werden, der eine Änderung der Wahlakte beschlossen hat57. Abzuwarten bleibt, ob die Änderung der Wahlakte tatsächlich in Kraft tritt, da eine Annahme durch die Mitgliedstaaten bislang noch nicht erfolgt ist58.
56 Das Parlament hat folgende Versuche unternommen, ein einheitliches Wahlverfahren einzuführen: ABl. 1982 C 87/61 und 64, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 1982 (Bericht Seitlinger); Bericht Bocklet, Dok. EP A 21/85; ABl. 1993 C 115/121, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 1993 (Bericht De Gucht); ABl. 1998 C 292/66, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Juli 1998 (Bericht Anastassopoulos), letzterer auf der Grundlage des durch den Vertrag von Amsterdam eingeführten Art. 190 Abs. 4 EG, der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten war. 57 Das Europäische Parlament hat am 12. Juni 2002 einem Entwurf des Rates zugestimmt. Siehe die legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. Juni 2002 zu dem Entwurf eines Beschlusses zur Änderung des Aktes zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Der Rat hat daraufhin die Änderung der Wahlakte beschlossen und den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihrer mitgliedstaatlichen Vorschriften empfohlen. Siehe ABl. 2002 L 283/1, Beschluss des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 zur Änderung des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen zum Europäischen Parlament – diese Fassung wird im Folgenden durch den Zusatz „n. F.“ gekennzeichnet. In Anbracht der Tatsache, dass auch die Wahlakte in der nun beschlossenen Fassung trotz der Festsetzung des Verhältniswahlrechts Spielräume zugunsten einer mitgliedstaatlichen Ausgestaltung des Wahlverfahrens fortbestehen lässt, erscheint es zweifelhaft, ob die Neufassung dem Ziel einer Vereinheitlichung des Wahlverfahrens hinreichend gerecht wird. So bestimmt Art. 7 n. F. der Wahlakte, dass sich das Wahlverfahren vorbehaltlich der Vorschriften der Wahlakte in jedem Mitgliedstaat nach innerstaatlichen Vorschriften richtet. Die innerstaatlichen Vorschriften dürfen die Besonderheiten in den Mitgliedstaaten berücksichtigen. Sie stehen unter dem Vorbehalt, dass sie das Verhältniswahlsystem nicht insgesamt in Frage stellen dürfen. Art. 1 Abs. 2 n. F. der Wahlakte erlaubt den Mitgliedstaaten die Zulassung von Vorzugsstimmen auf der Grundlage von Listen, Art. 2 n. F. der Wahlakte die Einrichtung von Wahlkreisen, Art. 2A n. F. die Einführung einer Mindestschwelle für die Sitzvergabe bis zu einer Höhe von 5% und Art. 2B n. F. die Festsetzung einer Obergrenze der Wahlkampfkosten der Wahlbewerber. 58 Nach Auskunft des Generalsekretariats des Rats hat bis zum 03. Februar 2003 noch kein Mitgliedstaat die vom Rat beschlossenen Bestimmungen zur Änderung der Wahlakte angenommen. Zu den durch die Neufassung zu erwartenden statusrelevanten Neuregelungen siehe unten S. 233 ff.
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
IV. Generelle Ausrichtung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments Die generelle Ausrichtung der Statusregelungen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments weist gegenüber den Statusregelungen der Abgeordneten nationaler Parlamente folgende Besonderheit auf: Da die Mitgliedstaaten im Wesentlichen Stellung und Amt der Mitglieder des Europäischen Parlaments entsprechend den nationalen Funktionskriterien und Statusmerkmalen eines nationalen Abgeordneten ausgestalten wollten59, ist der Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments zwar zum einen dem der Abgeordneten eines nationalen Parlaments angeglichen. Da die Abgeordneten sich aber zur Erfüllung ihres Mandats auf dem gesamten Gebiet der Europäischen Union, also in allen Mitgliedstaaten, bewegen können müssen, ist eine auf den Staat, in dem sie gewählt wurden, begrenzte Schutzwirkung nicht ausreichend. In einigen Aspekten des Status ist daher zusätzlich eine Annäherung der für die Abgeordneten geltenden Statusregelungen an die für internationale Beamten und Diplomaten geltenden Regelungen erforderlich60. Dies macht sich insbesondere bei den Regelungen der Immunität und der Freizügigkeit bemerkbar61.
B. Historischer Hintergrund des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments Für die heutige Ausgestaltung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments spielen historische Hintergründe eine entscheidende Rolle. Zu beachten sind einerseits die Einflüsse der Beratenden Versammlung des Europarats auf die Ausgestaltung des Europäischen Parlaments und des Status seiner Mitglieder, andererseits die Entwicklung des Europäischen Parlaments aufgrund der Einführung der Direktwahl.
I. Einfluss der Beratenden Versammlung des Europarats Die „Beratende Versammlung“62 des Europarats war die erste durch völkerrechtlichen Vertrag errichtete zwischenstaatliche, aus unabhängigen Ab59
Siehe oben S. 29 f. Vgl. Jacqué u. a., S. 68; Jeuniaux, S. 4 f. 61 Siehe zur Regelung der Immunität unten S. 60 ff. und der Freizügigkeit S. 77 ff. 62 So der Wortlaut des Vertrages. In der Praxis hat sich die Bezeichnung „Parlamentarische Versammlung“ durchgesetzt. Der offizielle Beschluss der Versammlung aus dem Jahre 1974, sich fortan „Parlamentarische Versammlung“ zu nennen, wurde 60
B. Historischer Hintergrund des Status
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geordneten mehrerer Nationen zusammengesetzte parlamentarische Institution63. Sie war das Vorbild für die Gemeinsame Versammlung der EGKS und damit für das heutige Europäische Parlament64. 1. Einzelheiten zu der Beratenden Versammlung des Europarats a) Vorläufer der Beratenden Versammlung Als Vorläufer der Beratenden Versammlung des Europarats werden zum einen die Interparlamentarische Union, zum anderen die Versammlung des Völkerbundes angesehen. aa) Interparlamentarische Union Die Interparlamentarische Union ist ein 1889 gegründeter, privater Zusammenschluss von Parlamentariern verschiedener Nationen mit dem zunächst begrenzten Ziel, die Entwicklung internationaler Schiedsgerichtsbarkeit zu fördern65. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte eine Ausweitung des Handlungsbereichs der Union auf die Kriegsverhütung und Friedenssicherung. Die Organisation war zunächst darauf ausgerichtet, internationale Probleme, deren Lösung auf parlamentarischen Wege gefördert werden kann, zu studieren. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist an die Stelle des Studierens die an die Außenwelt gerichtete Äußerung eigener Ansichten und die Veröffentlichung eigener Vorschläge getreten66. Aufgrund des privatrechtlichen Charakters der Union ist aber keine Regierung verpflichtet, von ihr Kenntnis zu nehmen bzw. ihre Empfehlungen zu diskutieren oder umzusetzen67.
von dem Ministerkomitee erst 1994 akzeptiert. Die neue Bezeichnung hat zwar Eingang in Europaratskonventionen gefunden, die Satzung wurde aber bislang nicht geändert. Dieser Verlauf zeigt deutliche Ähnlichkeiten zu der langsamen Durchsetzung der Bezeichnung „Europäisches Parlament“. 63 Carstens, S. 109; Fischer, Vorwort und S. 13; Forsyth, S. 10; Klebes, S. 7; Melchior de Molènes, S. 23 f. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1209 verweist in diesem Zusammenhang auch auf das Zollparlament des Deutschen Zollvereins (1867). 64 Fischer, Vorwort. 65 Siehe dazu ausführlich Fischer, S. 13 ff. Zu den historischen Hintergründen und Entwicklungen auch Uhlig. 66 Fischer, S. 15 f. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Formulierung des mehrfach geänderten ersten Artikels der Statuten der Union. 67 Vgl. Fischer, S. 16.
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
bb) Versammlung des Völkerbundes In der Gründungsphase des Völkerbundes wurde vielfach die institutionelle Beteiligung von Parlamentariern gefordert68. Letztlich wurde aber nur in die Satzung aufgenommen, dass jede Nation drei Vertreter in die Versammlung des Völkerbundes entsenden konnte. Zwar ermöglichte diese Regelung den Mitgliedstaaten, dass nicht nur Regierungsmitglieder, sondern beispielsweise auch Oppositionspolitiker in die Versammlung entsandt werden konnten; die drei Vertreter jedes Staates konnten aber nur eine Stimme abgeben. Sie waren daher an die Regierungsanweisungen gebunden. b) Entstehung der Beratenden Versammlung Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden, insbesondere auf dem Haager Kongress im Mai 1948, Forderungen laut, eine „europäische Versammlung, in der die lebendigen Kräfte aller unserer Völker vertreten sein sollten“, zu schaffen69. Sie sollte aus Vertretern, die zunächst von den jeweiligen Parlamenten, später in direkter Wahl durch das Volk bestellt werden sollten, zusammengesetzt sein. Demgegenüber wurden vor allem seitens der britischen Regierung Einwände erhoben. Die Einwände bezogen sich darauf, die Erörterung der europäischen Einigung einem aus unabhängigen Persönlichkeiten zusammengesetzten, niemandem verantwortlichen parlamentsähnlichen Organ anzuvertrauen70. Die britische Regierung wollte vermeiden, dass Parlamentarier und unter ihnen Oppositionspolitiker über eine solche parlamentarische Versammlung in die Lage versetzt würden, Einfluss auf die Außenpolitik zu nehmen71. Großbritannien befürwortete daher, dass die Mitglieder der künftigen Versammlung von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt und an die Weisungen der Regierungen gebunden sein sollten72. Bei der Gründung des Europarats im Jahre 1949 wurde schließlich mit der „Beratenden Versammlung“ eine Kompromisslösung gefunden: Vorgesehen war die Bildung eines parlamentsähnlichen Organs, welches aber gegenüber den Forderungen der europäischen Bewegung in entscheidenden Punkten schwächer ausgestaltet war73. Nicht eine Wahl durch die Parlamente oder die Völker der Mitgliedstaaten wurde vorgesehen, sondern eine 68 69 70 71 72 73
Siehe zu den historischen Erwägungen Fischer, S. 16 ff. Siehe Carstens, S. 109; Fischer, S. 21 f. So Carstens, S. 109. Fischer, S. 23 f. Harms, S. 12. So Carstens, S. 110. Ähnlich Fischer, S. 26.
B. Historischer Hintergrund des Status
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Ernennung nach einem von den Regierungen zu bestimmenden Verfahren74. Diese waren damit frei, die Ernennung den Parlamenten zu überlassen oder Regierungsvertreter zu entsenden. Die Versammlung sollte nur über solche Gegenstände diskutieren dürfen, die die vorherige Billigung des Ministerkomitees des Europarats gefunden hatten75. Schließlich wurden der Versammlung keine Entscheidungsbefugnisse zugestanden, sondern in erster Linie – ihrem Namen entsprechend – beratende Aufgaben zugewiesen. c) Kompetenzen der Beratenden Versammlung Die Beratende Versammlung hat bis heute vor allem beratende Funktionen und soll zu neuen Ideen anregen76. Sie kann seit der Änderung der Satzung im Jahre 1951 gemäß Art. 22, 23 (a) EuRat alle Fragen erörtern, die der Aufgabe des Europarats entsprechen77. Die Beratende Versammlung kann ihre diesbezüglichen Empfehlungen nur an das Ministerkomitee richten (Art. 22 EuRat), dem es vorbehalten bleibt, den Mitgliedstaaten im Namen des Europarats Empfehlungen oder Vertragsentwürfe zu unterbreiten (vgl. Art. 15 EuRat). Die Empfehlungen der Versammlung sind zwar unverbindlich, verpflichten aber das Ministerkomitee, sich mit ihnen zu befassen. Da auch das Ministerkomitee gegenüber den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Durchsetzung seiner Entscheidungen keine wirklichen Vollmachten besitzt, sondern darauf angewiesen ist, den Mitgliedstaaten Empfehlungen zu übermitteln, ist die Beratende Versammlung nur sehr begrenzt am europäischen Gesetzgebungsprozess beteiligt78. Neben diesen Empfehlungen verabschiedet die Versammlung in ständiger, nicht in der Satzung des Europarats vorgesehener Praxis sog. Entschließungen, mit denen die Versammlung ihre Auffassung bezüglich bestimmter Fragen zum Ausdruck bringt. Sie enthalten in der Regel Wünsche und Appelle an die Mitgliedstaaten79. 74
Siehe Art. 25 (a) EuRat urspr. Fassung. Nach der ursprünglichen Fassung des Art. 23 (a) EuRat sollte die Versammlung nur Fragen diskutieren, die ihr vom Ministerkomitee zur Stellungnahme überwiesen wurden, bzw. deren Aufnahme in die Tagesordnung vom Komitee gebilligt worden war. Siehe dazu Fischer, S. 27 f.; Klebes, S. 22. 76 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1209. 77 Die Versammlung hatte gleich nach ihrer Konstituierung im Jahre 1949 versucht, die ursprünglich vorgesehene Abhängigkeit der Tagesordnung von der Zustimmung des Ministerkomitees zu beseitigen, da sie darin eine Bevormundung durch die Exekutive sah. Nachdem der Ministerrat schon im Herbst 1949 erklärt hatte, von seinen Kompetenzen gemäß Art. 23 (a) EuRat keinen Gebrauch zu machen, solange sich die Erörterungen der Versammlung in dem durch das Statut vorgeschriebenen Rahmen hielten, wurde dieser Zustand 1951 durch eine formelle Änderung der Satzung legalisiert. Siehe dazu Carstens, S. 110; Fischer, S. 29 f. 78 Forsyth, S. 13. 75
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
Diese Entschließungen sind zwar von politischer Bedeutung, haben jedoch keine Rechtswirkung, denn sie verpflichten weder das Ministerkomitee noch die Mitgliedstaaten, sich mit ihnen zu befassen. Darüber hinaus erarbeitet die Versammlung auf Wunsch des Ministerkomitees Stellungnahmen (vgl. Art. 23 (a) EuRat). Diese Stellungnahmen verpflichten wie die Empfehlungen das Ministerkomitee nicht, sich mit ihnen zu befassen. Die Kontrollfunktion der Beratenden Versammlung tritt gegenüber ihrer Aufgabe als Geberin von Anregungen sehr zurück80: Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf ein Recht auf Unterrichtung sowie darauf, durch Anfragen an das Ministerkomitee das Schicksal der von ihr gegebenen Anregungen zu beeinflussen81. Die Versammlung hat auch keine Haushaltshoheit, sondern gibt lediglich Stellungnahmen zum Gesamthaushalt der Organisation ab82. Entscheidungsbefugnisse stehen ihr nur in organisatorischen Fragen und in Angelegenheiten ihrer inneren Verwaltung zu83. Die Bedeutung der Beratenden Versammlung liegt aufgrund dieser begrenzten Kompetenzen in erster Linie in ihrer Funktion als internationalem Forum und Diskussionszentrum84. d) Mitglieder der Beratenden Versammlung Zwar war ursprünglich in Art. 25 (a) EuRat vorgesehen, die Bestellung der Abgeordneten den Regierungen der Mitgliedstaaten zu überlassen, hierin sah die Beratende Versammlung aber eine mit dem Wesen eines parlamentarischen Organs unvereinbare Abhängigkeit von den Exekutivorganen der Mitgliedstaaten85. Ihre Forderung, dass die Mitglieder der Beratenden Versammlung von den Parlamenten der Mitgliedstaaten oder aufgrund eines von den Parlamenten zu bestimmenden Verfahrens ernannt werden sollten86, wurde schließlich durch die entsprechende Änderung des Art. 25 (a) EuRat im Jahre 1951 erfüllt. In den Mitgliedstaaten gibt es unterschiedliche Verfahren zur Bestimmung der Mitglieder der Beratenden Versammlung: In einigen Mitgliedstaaten werden die Abgeordneten von den nationalen Parlamenten gewählt, in anderen werden sie von den Regierungen nach Abstimmung mit den politischen Parteien bestimmt87. 79 80 81 82 83 84 85 86
Carstens, S. 112 f. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1210. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 1210. Klebes, S. 19 f. Siehe Fischer, S. 155. Forsyth, S. 13. Ähnlich Carstens, S. 112, sowie Fischer, S. 154 ff. Carstens, S. 111. Siehe Carstens, S. 111.
B. Historischer Hintergrund des Status
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In Art. 25 (a) EuRat werden die Mitglieder der Beratenden Versammlung als „Vertreter der Mitglieder“, d.h. der Mitgliedstaaten, bezeichnet. Die gleiche Bezeichnung wird in Art. 14 EuRat für die Mitglieder des Ministerkomitees verwandt. Daraus ist im Schrifttum die Folgerung gezogen worden, die Abgeordneten seien Repräsentanten ihrer Staaten88. Dagegen wird jedoch Folgendes eingewandt: Da jeder Abgeordnete in der Abgabe seiner Stimme frei sei, verkörpere er nicht den Willen seines Staates. Auch erhalte er keine Instruktionen von seinem Staat und habe auch nicht die Befugnis, rechtsverbindliche Erklärungen für seinen Staat abzugeben89. 2. Status der Mitglieder der Beratenden Versammlung Den Mitgliedern der Beratenden Versammlung wurde ein besonderer Status eingeräumt. a) Freies Mandat Anders als die Delegierten der früheren Völkerbund-Versammlung und der heutigen UN-Generalversammlung sind die Mitglieder der Beratenden Versammlung von den Regierungen der Mitgliedstaaten unabhängig und nicht an deren Weisungen gebunden90. Sie sind bei der Stimmabgabe nur ihrem eigenen Gewissen unterworfen91. Im Gegensatz zu der Gewährleistung des freien Mandats steht aber die Besonderheit, dass jedes Mitglied der Beratenden Versammlung einen „Ersatzmann“ haben kann, der in seiner Abwesenheit an den Sitzungen teilnehmen, das Wort ergreifen und abstimmen kann (Art. 25 (c) EuRat). Die Ersatzmänner werden gleichzeitig mit den Mitgliedern der Versammlung und nach dem selben Verfahren gewählt. Auch der Ersatzmann unterliegt nicht den Weisungen Dritter, insbesondere auch nicht desjenigen Abgeordneten, den er vertritt92. Die derartige Möglichkeit der Vertretung ist eigentlich ein Merkmal einer Diplomatenkonferenz, auf der alle Diplomaten eines Landes mit einer Stimme im Namen des vertretenen Landes sprechen93. Die Möglichkeit der Vertretung eines Mitglieds einer parlamentarischen Versammlung ist hingegen schwer mit dem Grundsatz zu vereinbaren, dass dieser – 87 88 89 90 91 92 93
Siehe zu den Wahlverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten Harms, S. 21 ff. Forsyth, S. 17. Carstens, S. 128; Council of Europe, S. 34 f. Carstens, S. 128; Fischer, S. 26; Harms, S. 84; Manzanarès, S. 15. Fischer, S. 26; Harms, S. 84. Carstens, S. 130. Rencki, S. 34.
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
anders als ein Diplomat auf einer Diplomatenkonferenz – nicht an die Weisungen seines Staates gebunden, sondern vielmehr nur seinem Gewissen unterworfen ist94. Die Versuche der Versammlung, die Möglichkeit der Vertretung abzuschaffen, sind aber bis heute nicht erfolgreich gewesen95. b) Dauer des Mandats Der Beginn und die grundsätzliche Dauer des Mandats sind durch die Satzung des Europarats für alle Mitglieder der Beratenden Versammlung einheitlich geregelt. Das Mandat beginnt gemäß Art. 25 (a) Abs. 2 EuRat mit der Eröffnung der auf die Ernennung folgenden ordentlichen Sitzungsperiode. Es endet mit der Eröffnung der darauf folgenden Sitzungsperiode. Da die Beratende Versammlung gemäß Art. 32 EuRat alljährlich zu einer ordentlichen Sitzungsperiode zusammentritt, beträgt die grundsätzliche Dauer des Mandats ein Jahr96. Für die Beendigung des Mandats sieht die Satzung des Europarats folgende Gründe vor: Ablauf der Jahresfrist, Verlust des nationalen Mandats (wenn der Mitgliedstaat einen neuen Abgeordneten entsendet), Tod oder Rücktritt. Aus Art. 25 (b) EuRat, wonach keinem Abgeordneten während einer Sitzungsperiode der Versammlung das Mandat ohne seine Zustimmung entzogen werden darf, folgt mittelbar, dass das nationale Recht der Mitgliedstaaten weitere Gründe für das Erlöschen des Mandats in der Beratenden Versammlung außerhalb der Sitzungsperiode vorsehen kann97. c) Inkompatibilitäten Die Inkompatibilität der Mitgliedschaft in der Beratenden Versammlung mit der Mitgliedschaft im Ministerkomitee (Art. 25 (a) Abs. 1 EuRat) und mit einer Tätigkeit im Generalsekretariat des Europarats (Art. 36 (d) EuRat) ist einheitlich geregelt. Mitglieder des Ministerkomitees sind gemäß Art. 14 EuRat die Außenminister der Mitgliedstaaten. Die Satzung hindert daher die übrigen Regierungsmitglieder nicht daran, ein Mandat in der Beratenden Versammlung auszuüben98. Dies bewirkt die Möglichkeit einer gewissen Einflussnahme der Regierungen über ihre Minister auf die Versammlung99. 94
Manzanarès, S. 31 f.; Rencki, S. 34 f. Siehe auch Carstens, S. 128 f. Rencki, S. 34 ff. 96 Vgl. Harms, S. 55; Manzanarès, S. 34. 97 Carstens, S. 122 f.; Harms, S. 58. 98 Insbesondere in der Anfangszeit des Europarats hat Großbritannien von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Regierungsmitglieder in die Versammlung zu entsenden. Siehe dazu Harms, S. 83 Fn. 28. 95
B. Historischer Hintergrund des Status
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d) Vorrechte und Befreiungen Art. 40 EuRat gewährt den „Vertretern der Mitglieder“ des Europarats, worunter nach der Terminologie des Vertrages auch die Mitglieder der Versammlung zu zählen sind, die Immunitäten und Vorrechte, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind. Zur Ausführung des Art. 40 EuRat wurde das „Allgemeine Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates“ am 2. September 1949 geschlossen, welches in Art. 13 bis 15 Regelungen über die Freizügigkeit, die Indemnität und die Immunität für die Mitglieder der Versammlung vorsieht. Diese Regelungen waren das Vorbild für die Regelung der Vorrechte und Befreiungen für die Abgeordneten der Gemeinsamen Versammlung der EGKS: Das gleichzeitig mit dem EGKS-Vertrag am 18. April 1951 unterzeichnete „Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Gemeinschaft“ enthält in Art. 8 bis 10 eine wortgleiche Ausgestaltung der Freizügigkeit, Indemnität und Immunität100. Diese Regelungen wurden wiederum zunächst in die Protokolle über Vorrechte und Befreiungen der EWG und der EAG und schließlich in das gemeinsame „Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965“101 übernommen. Die für die Beratende Versammlung des Europarats konzipierten Regelungen über die Privilegien und Immunitäten entfalten daher auch heute noch ihre Wirksamkeit für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments102. e) Ersatz der Aufenthalts- und Reisekosten Gemäß Art. 38 Abs. 1 EuRat trägt jedes Mitglied, d.h. jeder Mitgliedstaat, die Kosten seiner eigenen Vertretung im Ministerkomitee und in der Beratenden Versammlung. Dies entspricht dem in internationalen Institutionen üblichen Verfahren für die Erstattung der Aufenthalts- und Reisekosten der durch die Mitgliedstaaten entsandten Vertreter103. Die Tagegelder der Mitglieder der Beratenden Versammlung richten sich daher nach nationalem Recht und sind je nach Entsendestaat verschieden104.
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Kritisch Harms, S. 126 ff. Harms, S. 86; Menzel, in: FS Laforet, S. 325, 339. 101 ABl. 1967 152/13; BGBl. 1965, Teil II, 1482. Im Folgenden wird dieser Rechtsakt mit der Bezeichnung „Protokoll“ abgekürzt. 102 Näher zu den einzelnen Regelungen unten S. 53 ff. 103 Harms, S. 121. 104 Siehe zu den von den Mitgliedstaaten gewährten Tagegeldern Harms, S. 121 ff., der die Regelung aufgrund der Gefahr kritisiert, dass die Mitglieder der 100
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3. Strukturvergleich mit der Gemeinsamen Versammlung der EGKS Die Struktur der Gemeinsamen Versammlung der EGKS, dem Vorläufer des Europäischen Parlaments, wurde zunächst der Struktur der Beratenden Versammlung des Europarats angelehnt: Die Abgeordneten wurden wie die Mitglieder der Beratenden Versammlung indirekt gewählt, indem sie von den nationalen Parlamenten bestimmt wurden. Anders als in der Satzung des Europarats wurde im EGKS-Vertrag ausdrücklich festgestellt, dass die Mitglieder der Gemeinsamen Versammlung nicht als Repräsentanten ihres jeweiligen Staates auftraten105, sondern als „Vertreter der Völker der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft“. Im Gegensatz zu den Mitgliedern der Beratenden Versammlung haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments keine Ersatzmänner. Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Wahlakte geben die Abgeordneten ihre Stimme einzeln und persönlich ab106. Außerdem war schon in dem 1952 in Kraft getretenen EGKS-Vertrag als Alternative zur indirekten Wahl der Mitglieder vorgesehen, dass die Mitglieder auch „durch direkte und allgemeine Wahl nach dem von jedem der hohen vertragschließenden Parteien festzulegenden Verfahren“ bestimmt werden könnten107. Während diese Alternative für das Europäische Parlament 1979 verwirklicht wurde108, ist es trotz des Wunsches innerhalb der Beratenden Versammlung, direkte Wahlen ihrer Mitglieder einzuführen109, dazu bislang nicht gekommen. Auch die Kompetenzen der Beratenden Versammlung des Europarats und des Europäischen Parlaments haben sich auseinander entwickelt: Während zu Beginn beide in erster Linie beratende Aufgaben hatten, hat nur das Europäische Parlament bedeutende Kontroll-, Wahl- und Rechtsetzungskompetenzen110 hinzugewonnen. Im Bereich der Statusrechte erscheinen die offensichtlichen Übereinstimmungen bemerkenswert: Die Mitglieder beider Versammlungen sind nicht an die Weisungen ihrer Regierungen oder anderer Dritter gebunden111. Zudem wurde die Regelung der Vorrechte Versammlung im Einzelfall von der Regierung ihres Landes abhängig werden, soweit die Erstattung der Kosten aus Regierungsmitteln erfolgt. 105 Zur möglichen Interpretation des Wortlaut des Art. 25 (a) EuRat siehe oben S. 37. 106 Die vom Rat verabschiedete, durch die Mitgliedstaaten bislang aber noch nicht ratifizierte Neufassung der Wahlakte (vgl. ABl. 2002 L 283/1) lässt Art. 4 Abs. 1 unverändert. Art. 132 GO-EP normiert zusätzlich, dass das Stimmrecht ein persönliches Recht ist. 107 Zitiert von Forsyth, S. 17 ff. 108 Siehe oben S. 30. 109 Carstens, S. 111; Council of Europe, S. 34; Fischer, S. 27. 110 Siehe zu den Kontrollkompetenzen unten S. 169 ff., den Wahlkompetenzen S. 171 f. und zu den Rechtsetzungskompetenzen S. 172 ff.
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und Befreiungen für die Abgeordneten der Gemeinsamen Versammlung der EGKS wortgleich mit der für die Beratende Versammlung des Europarats geltenden Vorschrift ausgestaltet. Der Strukturvergleich hat gezeigt, dass sich das Europäische Parlament, obwohl seine Struktur zu Beginn im Wesentlichen an die Struktur der Beratenden Versammlung angelehnt war, seit der Einführung der Direktwahl weiterentwickelt hat. Demgegenüber sind die Regelungen wichtiger Statusrechte der Abgeordneten – der Freizügigkeit, der Indemnität und der Immunität – nach wie vor wortgleich mit den diesbezüglichen Regelungen der Mitglieder der Beratenden Versammlung. Eine Entwicklung ist in diesem Bereich bislang ausgeblieben.
II. Entwicklung des Europäischen Parlaments Auch die historische Entwicklung des Europäischen Parlaments ist im Hinblick auf die derzeitige Ausgestaltung des Status seiner Abgeordneten von großer Bedeutung. 1. Status der Abgeordneten vor Einführung der Direktwahlen Die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament war durch die Verträge der Europäischen Gemeinschaften EWG, EGKS und EAG – entsprechend dem Vorbild der Beratenden Versammlung des Europarats – zunächst so konstruiert, dass notwendige Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum Europäischen Parlament die Zugehörigkeit zum Parlament eines Mitgliedstaates und die Entsendung durch dieses Parlament war112. Die Tätigkeit im Europäischen Parlament bildete somit – zumindest juristisch – eine Ergänzung staatlicher Abgeordnetentätigkeit113. Entsprechend war der Abgeordnetenstatus in erster Linie von seinem jeweiligen staatlichen Status her bestimmt. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene wurden über das „Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften“ gewisse Rechte – Freizügigkeit, Indemnität, Immunität – gesichert. Das Protokoll verweist jedoch zum Teil auf das nationale Recht114. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments genossen daher kaum einheitliche gemein111
Zum freien Mandat der Abgeordneten des Europäischen Parlaments siehe unten S. 49 ff. 112 Vgl. Art. 190 Abs. 1 (ex-Art. 138) EG, Art. 21 Abs. 1 EGKSV und Art. 108 Abs. 1 EAGV in der bis zum 19.7.1979 gültigen Fassung. 113 Bieber, EuR 1981, 124, 125; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 191. 114 Siehe unten S. 61 ff.
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schaftsrechtliche Statusregelungen. Ihr Status richtete sich als Abgeordnete der jeweiligen nationalen Parlamente hauptsächlich nach dem jeweiligen nationalen Recht. Schließlich hatte das Europäische Parlament – anders als die Beratende Versammlung des Europarats – über sein Selbstorganisationsrecht einige finanzielle, für alle Abgeordneten einheitliche Leistungen eingeführt115. Schon vor der gemeinsamen Wahl nahmen die parlamentarischen Aufgaben im Europäischen Parlament einen Umfang ein, der die gleichzeitige Wahrnehmung des staatlichen Mandats zunehmend erschwerte. In diesem Zusammenhang beschloss das Europäische Parlament zunehmend Kostenerstattungsreglungen, die der Tendenz zur Verselbstständigung des Abgeordnetenstatus Rechnung trugen116. 2. Auswirkung der Einführung der Direktwahlen Die Tendenz zur Verselbstständigung des Abgeordnetenstatus des Europäischen Parlaments durch eigene Kostenerstattungsregelungen hat mit der einheitlichen und direkten Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments eine breitere rechtliche Fundierung erfahren, denn gemäß Art. 5 der Wahlakte ist „die Mitgliedschaft in der Versammlung vereinbar mit der Mitgliedschaft im Parlament eines Mitgliedstaates“. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass die Doppelmitgliedschaft nicht mehr zwingend geboten ist. Die Regelung wird daher als „fakultatives Doppelmandat“ bezeichnet117. Mit der Einführung dieses „fakultativen Doppelmandats“ hat die Zahl derjenigen Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die ein Doppelmandat inne haben, sehr stark abgenommen118. Durch die Einführung der direkten und gemeinsamen Wahlen haben die Mitglieder des Europäischen Parlaments zum einen eine eigene, von dem Status eines nationalen Parlamentsangehörigen unabhängige Legitimation erhalten und sind dadurch in ihrer Unabhängigkeit gestärkt. Zum anderen sind die Mitglieder, die kein Doppelmandat ausfüllen, seitdem nicht mehr automatisch über ihre nationalen Statusrechte gesichert. Der Wegfall der 115
Vgl. zur Einführung von Reise- und Tagegeldern schon durch die Gemeinsame Versammlung der EGKS Harms, S. 124 f. 116 Bieber, EuR 1981, 124, 126. Vgl. auch Harms, S. 125 Fn. 165, wonach durch die Zahlung der Reise- und Tagegelder der Abgeordneten aus Gemeinschaftsmitteln die finanzielle Unabhängigkeit der Abgeordneten gegenüber den Regierungen gewährleistet und der europäische Charakter des Mandats der Mitglieder der Versammlung unterstrichen werden sollte. 117 Zu den sich durch die beschlossene, aber noch nicht ratifizierte Neufassung der Wahlakte (vgl. ABl. 2002 L 283/1) ergebenden Änderungen bezüglich des Doppelmandats siehe unten S. 233. 118 Näheres zum Doppelmandat unten S. 80 ff.
B. Historischer Hintergrund des Status
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automatischen Geltung der nationalen Statusrechte machte eine Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Abgeordneten erforderlich. Die Wahlakte enthält aber nur wenige Vorschriften über den Status der direkt gewählten Abgeordneten. Neben der Gewährleistung des freien Mandats der Abgeordneten (Art. 4 Abs. 1) und einem Verweis auf das Protokoll bezüglich der Vorrechte und Befreiungen (Art. 4 Abs. 2) weist sie einige, nicht abschließende Inkompatibilitätsregelungen auf (Art. 5, 6). Aufgrund dieser begrenzten gemeinschaftsrechtlichen Regelungen gingen die Mitgliedstaaten davon aus, dass die Wahlakte über diese Vorschriften hinaus den Mitgliedstaaten die Regelung der Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments überließ119. a) Nationale Gesetzgebung: EuAbgG Die Loslösung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments von den nationalen Parlamenten durch die Einführung der Direktwahl und die Abschaffung des obligatorischen Doppelmandats wurde beispielsweise für die in Deutschland gewählten Abgeordneten formal durch das deutsche EuAbgG vorgenommen. Das EuAbgG räumt ihnen die gleiche Rechtsstellung ein wie sie die Mitglieder des Deutschen Bundestags besitzen. Bemerkenswert am Gesetzgebungsprozess ist, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf zwar Bestimmungen über das freie Mandat, die Indemnität, die Immunität, das Zeugnisverweigerungsrecht, die freie Benutzung der Verkehrsmittel und Inkompatibilitäten enthielt, jedoch keine Regelung über die finanzielle Entschädigung der Abgeordneten vorsah, da diese auf europäischer Ebene einheitlich für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments getroffen werden sollte120. Schon im Vorfeld der allgemeinen und unmittelbaren Wahl hatte man das Bedürfnis einer einheitlichen Entschädigungsregel erkannt und ging von einer gemeinschaftsrechtlichen Regelungskompetenz, gestützt auf Art. 13 der Wahlakte, aus121. Allerdings stellte sich heraus, dass eine Einigung über ein kommunitäres System der Diäten, entsprechend den Vorstellungen des Europäischen Parlaments und unter Bezugnahme auf Art. 13 der Wahlakte, 119 BT-Drs. 8/362, S. 1 und 6, Gesetzentwurf der Bundesregierung zum EuAbgG. Zur Kompetenz der Mitgliedstaaten siehe auch unten S. 225 f. 120 BT-Drs. 8/362, S. 2 und 6, Gesetzentwurf der Bundesregierung zum EuAbgG. Siehe auch Sträter, ZBR 1979, 221. 121 Siehe ABl. 1978 C 267/10, Antwort des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 10. Oktober 1978 auf die schriftliche Anfrage Nr. 329/78 von Herrn Dondelinger vom 8. Juni 1978. Art. 13 der Wahlakte bleibt durch die vom Rat beschlossene, noch nicht ratifizierte Änderung der Wahlakte unberührt, vgl. ABl. 2002 L 283/1.
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
zwischen dem Europäischen Parlament und dem allein entscheidungsbefugten Rat nicht möglich war. Erst daraufhin wurde für diesen Fragekomplex eine nationale Regelung als notwendig erachtet und eine Entschädigungsregelung in das EuAbgG aufgenommen. Gleichzeitig mit dem – nun auch Entschädigungsregelungen enthaltenden – EuAbgG wurde eine Entschließung verabschiedet, die besagt, dass die in dem EuAbgG enthaltenen Regelungen zu Entschädigungen nur vorläufiger Natur seien, weil der Grundsatz bestehe, dass zu den Aufgaben eines frei gewählten Parlaments gehöre, Fragen der Entschädigung, der sozialen Sicherheit und der Amtsausstattung seiner Mitglieder selbst zu regeln122. b) Zwischenergebnis Auch die anderen Mitgliedstaaten haben die Rechtsverhältnisse ihrer Europaabgeordneten im Wesentlichen entsprechend der für die Abgeordneten der nationalen Parlamente geltenden Regelungen ausgestaltet123. Dabei haben, ähnlich dem deutschen, auch das belgische und das niederländische Parlament im Rahmen ihres Gesetzgebungsverfahrens ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass es nicht zu einer einheitlichen, gemeinschaftsrechtlichen Regelung gekommen ist124. Der Status der Europaabgeordneten entsprach nach Einführung dieser nationalen Regelungen letztlich auch nach der Einführung der Direktwahlen dem vorher durch das obligatorische Doppelmandat vermittelten, sich nach nationalem Recht richtenden Status. 3. Initiativen zur Vereinheitlichung des Status zwischen 1983 bis 1991 Die historische Entwicklung zeigt, dass es schon seit dem Erlass der Wahlakte vergebliche Bestrebungen des Europäischen Parlaments gibt, den Status der Mitglieder des Europäischen Parlaments zu vereinheitlichen125. 122
Die historische Entwicklung des EuAbgG ist im Wesentlichen entnommen: Sträter, ZBR 1979, 221 und 224. 123 Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, S. 17; Rothley, RMC 1999, 559, 560. Vgl. auch die Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 2, wonach die europäischen Abgeordneten in Ermangelung eines einheitlichen Statuts im Anschluss an eine politische Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten ihren nationalen Abgeordneten „gleichgestellt“ wurden. 124 So Burban, AFDI 1979, 779, 788. 125 Siehe zur historischen Entwicklung auch Rothley, RMC 1999, 559 ff.
B. Historischer Hintergrund des Status
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In einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. September 1983 zum Statut der Mitglieder des Europäischen Parlaments126 forderte es den Rat auf, rechtzeitig für die zweite Wahlperiode ein gemeinsames Statut für die Mitglieder des Europäischen Parlaments durch die Verabschiedung einer Verordnung zu beschließen. Dabei forderte es sowohl Regelungen über die soziale und finanzielle Gleichstellung der Mitglieder als auch Anpassungen des Protokolls an die veränderten Aufgaben der europäischen Abgeordneten. Während man vor den allgemeinen und unmittelbaren Wahlen anscheinend nur von der Erforderlichkeit einer Anpassung der Entschädigung ausging, wurde nun auch eine Vereinheitlichung der Immunitätsvorschriften verlangt. In diesem Zusammenhang stand ein Vorschlag der Kommission an den Rat vom 30. November 1984127, in dem gegenüber dem Entwurf des Europäischen Parlaments zwar einige Änderungen vorgesehen waren, dem Ansinnen des Parlaments nach einer Gleichbehandlung seiner Mitglieder aber grundsätzlich zugestimmt wurde. Am 10. März 1987 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung128 an, in der es insbesondere eine einheitliche Immunitätsregelung vorsah. Auch in seiner Entschließung zur Regelung der europäischen parlamentarischen Immunität am 16. Mai 1991129 appellierte das Europäische Parlament an die Mitgliedstaaten, unverzüglich eine gemeinsame Regelung der europäischen parlamentarischen Immunität zu schaffen. 4. Statutsentwurf des Europäischen Parlaments von 1998 Erst durch den Vertrag von Amsterdam ist neue Bewegung in die Entwicklung eines einheitlichen Status des europäischen Abgeordneten gekommen. Das Europäische Parlament hatte erneut seine Forderung nach einem einheitlichen Statut seiner Abgeordneten an die Regierungskonferenz von Amsterdam gerichtet130. Durch den Vertrag von Amsterdam wurde das Europäische Parlament daraufhin in dem neu eingeführten Art. 190 Abs. 5 EG ermächtigt, „die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Wahr126 ABl. 1983 C 277/134, 135, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. September 1983. 127 KOM (84) 666 endg., Entwurf eines Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 08. April 1965 hinsichtlich der Mitglieder des Europäischen Parlaments, 30. November 1984. 128 ABl. 1987 C 99/43, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 1987. 129 ABl. 1991 C 158/258, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Mai 1991. 130 ABl. 1995 C 151/63, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Mai 1995 zur Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996 – Verwirklichung und Entwicklung der Union.
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1. Teil: Grundlagen, Begriffsbestimmungen und historischer Hintergrund
nehmung der Aufgaben seiner Mitglieder festzulegen“. Die Kommission war anzuhören, der Rat musste einstimmig131 zustimmen. Durch den Vertrag von Nizza aus dem Jahre 2000 wurde das Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat durch die Möglichkeit einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung ersetzt; bezüglich der Regelung von Steuerfragen betreffend die Mitglieder des Europäischen Parlaments blieb es bei dem Einstimmigkeitserfordernis132. Schon im Vorfeld der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages hatte das Europäische Parlament am 03. Dezember 1998 auf der Grundlage eines Berichts des Berichterstatters des zuständigen Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, Willi Rothley133, einen neuen Vorschlag der Vereinheitlichung des Status der Mitglieder des Europäischen Parlaments gemacht134. Der Rat stimmte diesem Entwurf jedoch nicht zu, sondern legte am 26. April 1999 einen Gegenentwurf vor135. Die Kommission gab eine Stellungnahme zu dem Entwurf des Parlaments ab136. Da das Europäische Parlament das Vorgehen des Rats am 5. Mai 1999 zurückwies137 und seinen ursprünglichen Entwurf am 27. Oktober 1999 erneut bestätigte138, nahmen das Europäische Parlament und der Rat daraufhin Verhandlungen über ein Abgeordnetenstatut auf. Während das Verhältnis der Beteiligten zwischenzeitlich sehr angespannt gewesen zu sein scheint139, sind die Verhandlungen inzwischen fortgeschritten, so dass ein neuer Bericht des zuständigen Ausschusses für 131 Dazu kritisch Bieber, Integration 1997, 236, 239; Blumann, in: Le traité d’Amsterdam, S. 13, 28; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 48. 132 Art. 190 Abs. 5 EG erhält durch den Vertrag von Nizza die folgende Fassung: „Das Europäische Parlament legt nach Anhörung der Kommission und mit Zustimmung des Rates, der mit qualifizierter Mehrheit beschließt, die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung der Aufgaben seiner Mitglieder fest. Alle Vorschriften und Bedingungen, die die Steuerregelung für die Mitglieder oder ehemaligen Mitglieder betreffen, sind vom Rat einstimmig festzulegen.“ 133 Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98. 134 ABl. 1998 C 398/11, 24, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 3. Dezember 1998. 135 7528/2/99-REV 2. 136 SEC (1999) 655 final, Opinion of the Commission on the statute for members of the European Parliament, vom 01. Mai 1999. 137 ABl. 1999 C 279/161, 171, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 05. Mai 1999. 138 ABl. 2000 C 154/46, 49, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. Oktober 1999. 139 Der Berichterstatter Rothley, ZEuS 1999, 183, 195, hat damit gedroht, das Parlament werde, falls der Rat sein „vertragswidriges Verhalten“ fortsetzen sollte, das Statut beschließen und anwenden. Der Rat könne sich dann an den EuGH wenden.
B. Historischer Hintergrund des Status
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Recht und Binnenmarkt und eine Entschließung des Europäischen Parlaments über einen weiteren Entwurf in Kürze erwartet werden können140. Auf die Inhalte des zu verabschiedenden Abgeordnetenstatuts wird im vierten Teil der Arbeit näher eingegangen141. 5. Zwischenergebnis Solange es keine Einigung zwischen Europäischem Parlament und Rat über ein einheitliches Statut für die Abgeordneten gibt, trägt der Status der Mitglieder noch heute Züge, die an Zeiten erinnern, als die Mitglieder der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften von den nationalen Parlamenten entsandt wurden142.
140 Vgl. auch die Entschließung des Europäischen Parlaments zum Entwurf eines Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments vom 05. Dezember 2002, P5_TAPROV(2002)0590. Darin fordert das Parlament den Rat auf, auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs den Dialog mit dem Europäischen Parlament über die Modalitäten der Annahme des Abgeordnetenstatuts zum Abschluss zu bringen. 141 Siehe unten S. 236 ff. 142 Heintzen, ZEuS 2000, 377, 388.
2. Teil
Aktuelle Statusregelungen Unter Einbeziehung der für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments geltenden gemeinschaftsrechtlichen Statusregelungen, welche aufgrund der Verweise auf das mitgliedstaatliche Recht nicht unabhängig von nationalen Statusregelungen erklärt werden können, wird zunächst der Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten dargestellt. Im Anschluss daran werden anhand exemplarisch ausgewählter Statusregelungen anderer Mitgliedstaaten die Unterschiede in der Behandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments verdeutlicht.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten unter Einbeziehung des für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments geltenden Gemeinschaftsrechts I. Rechtsgrundlagen Der Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments beruht sowohl auf gemeinschaftsrechtlichen als auch auf mitgliedstaatlichen Regelungen. Gemeinschaftsrechtliche Regelungen, die den Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments bestimmen, finden sich in Art. 8 bis 10 des Protokolls, in Art. 4 bis 6 und 13 der Wahlakte, in Art. 199 EG als Grundlage für parlamentsinterne Beschlüsse über Kostenerstattungen und sonstige Vergütungen sowie ergänzend in Art. 2 bis 9 GO-EP. Zusätzliche Statusregelungen für die in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments finden sich im EuAbgG, welches Verweise sowohl auf das Gemeinschaftsrecht als auch auf das Grundgesetz, das AbgG und das EuWG enthält.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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II. Statusregelungen im Einzelnen 1. Freies Mandat Das freie Mandat ist das Grundelement des Abgeordnetenstatus, durch das die Unabhängigkeit des Abgeordneten gesichert und die Erfüllung seiner Aufgaben gewährleistet wird1. Trotz aller Kritik an dem Begriff „freies Mandat“2 wird der Begriff in dieser Arbeit verwendet, weil er einen festen Platz im Parlamentsrecht hat3. a) Gewährleistung des freien Mandats Das freie Mandat der Abgeordneten des Europäischen Parlaments wird sowohl durch nationales Recht als auch durch Gemeinschaftsrecht gewährleistet. Gemäß § 2 EuAbgG sind die Mitglieder des Europäischen Parlaments an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Dies entspricht neben Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auch der gemeinschaftsrechtlichen Regelung in Art. 4 Abs. 1 S. 2 der Wahlakte4 und Art. 2 GO-EP, wonach die Mitglieder des Europäischen Parlaments an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, sondern ihr Mandat frei ausüben. Art. 4 Abs. 1 S. 1 der Wahlakte normiert zusätzlich die Pflicht zur höchstpersönlichen Wahrnehmung des Stimmrechts. Dieser Zusatz ergänzt den Grundsatz der freien Mandatsausübung und dient seiner Verwirklichung5. § 2 EuAbgG hat nur klarstellende Funktion6 und gewährt den in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments keinen über das Gemeinschaftsrecht hinausgehenden Status.
1
Stern, Bd. 1, § 24 S. 1070. Zur Kritik an diesem Ausdruck siehe Achterberg, S. 16 ff., der den Terminus „repräsentatives Mandat“ vorzieht; Badura, in: BK, Art. 38 Rn. 70 ff., der die Bezeichnung „freies Mandat des parteigebundenen Abgeordneten“ vorschlägt; Hölscheidt, S. 70 ff. m. w. N., der den Begriff „fraktionsgebundenes Mandat“ oder schlicht „Mandat“ erwägt. 3 So Hölscheidt, S. 71, der zu dem Schluss kommt, dass es trotz der Bedenken nicht verfehlt ist, vom freien Mandat zu sprechen. 4 Die vom Rat verabschiedete, durch die Mitgliedstaaten bislang aber noch nicht ratifizierte Neufassung der Wahlakte (vgl. ABl. 2002 L 283/1) lässt Art. 4 Abs. 1 unverändert. 5 Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 23. 6 Vgl. BT-Drs. 8/362, S. 6, Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum EuAbgG. 2
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
b) Faktische Einschränkungen des freien Mandats Trotz dieser formalen Gewährleistung des freien Mandats der Abgeordneten des Europäischen Parlaments unterliegt die Handlungsfreiheit des einzelnen Abgeordneten im Europäischen Parlament – wie auch in den nationalen Parlamenten – faktischen Einschränkungen7. aa) Einschränkungen durch die Fraktionen im Europäischen Parlament Auch im Europäischen Parlament besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz des freien Mandats und der Rolle der Fraktionen8. Schon seit 1953 bilden die Abgeordneten der Gemeinsamen Versammlung der EGKS und später des Europäischen Parlaments Fraktionen, die sich nach politischer Zusammengehörigkeit und nicht nach der Nationalität der Abgeordneten richten9. Diese Fraktionen haben einen weitreichenden Einfluss auf das parlamentarische Geschehen im Europäischen Parlament, da viele der parlamentarischen Rechte der Abgeordneten quoren- oder fraktionsgebunden sind10. So führt zum Beispiel die Kontingentierung der Redezeit im Europäischen Parlament gemäß Art. 120 GO-EP dazu, dass über das Rederecht des einzelnen Abgeordneten in der Regel seine Fraktion durch Zuteilung von Redezeit aus ihrem Kontingent entscheidet. Die Fraktionen im Europäische Parlament können aufgrund ihrer weitreichenden parlamentsinternen Rechte11, wie in den meisten nationalen Parlamenten, in gewissem Umfang Fraktionsdisziplin und Fraktionszwang ausüben und so insbesondere das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten beeinflussen. Der derart ausgeübte Einfluss der Fraktionen auf das Verhalten der Abgeordneten des Europäischen Parlaments wird aber als geringer als in vielen nationalen Parlamenten eingeschätzt12. Zurückzuführen ist dies insbeson7
Vgl. Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 54. Zu dem Spannungsverhältnis zwischen freiem Mandat und der Rolle der Fraktionen, siehe statt aller Demmler, S. 23 ff.; Hölscheidt, S. 79 ff., 438 ff.; Stevens, S. 179 ff. 9 Siehe Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 59 ff., zu den historischen Entwicklungen der Fraktionen und der Zusammensetzung der einzelnen Fraktionen im Europäischen Parlament. 10 Siehe dazu bereits oben S. 26 f. 11 Siehe Rutschke, S. 31 ff., 258 ff., zu den umfangreichen Mitwirkungsmöglichkeiten der Fraktionen im Europäischen Parlament bei der parlamentarischen Willensbildung. 12 Bieber, in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 206; Costa, S. 309, 324; Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 54, 89; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 23; Rutschke, S. 26 ff. 8
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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dere darauf, dass das Europäische Parlament keine Regierung wählt und daher auch keine Regierungsmehrheit im Parlament benötigt wird, so dass keine Notwendigkeit einer Mehrheitsbeschaffung durch die Fraktionen besteht. Zudem können die Abgeordneten schon bei der Definierung der Positionen einer Fraktion eine bedeutende Rolle ausüben13. Denn die Positionen werden nach umfangreichen Diskussionen innerhalb der Fraktionen festgelegt; sie werden, anders als in den Fraktionen nationaler Parlamente, nicht von einem Regierungsmitglied oder einem Parteivorsitzenden bestimmt. Auch sind die Sanktionsmöglichkeiten, die den Fraktionen des Europäischen Parlaments gegenüber den einzelnen Abgeordneten zur Verfügung stehen, geringer als die, die den Fraktionen nationaler Parlamente zur Verfügung stehen14. Sie können zwar ein Fraktionsmitglied – mit einer Zeitverzögerung15 – in einen weniger beliebten Ausschuss versetzen, ihn zukünftig nicht mehr zum Berichterstatter machen und ihm keine Redezeit bei Debatten im Plenum zuteilen; ist ein Abgeordneter aber bereits Berichterstatter, so kann ihm diese Position nicht durch die Fraktion entzogen werden. Auch stehen dem einzelnen Abgeordneten beispielsweise durch die Abgabe einer persönlichen Bemerkung gemäß Art. 122 GO-EP oder einer Erklärung zur Abstimmung gemäß Art. 137 GO-EP sowie dem Stellen von Fragen zur Fragestunde gemäß Art. 43 GO-EP und von Anfragen zur schriftlichen Beantwortung gemäß Art. 44 GO-EP Möglichkeiten parlamentarischer Einflussnahme unabhängig von seiner Fraktion16 zur Verfügung. Insbesondere die wirkungsvollste Sanktion, die Nichtaufstellung eines Abgeordneten bei der nächsten Wahl, steht den Fraktionen des Europäischen Parlaments nicht zur Verfügung, denn auf die Aufstellung eines Abgeordneten bei den Wahlen haben die Fraktionen des Europäischen Parlaments keinerlei Einfluss. Die Aufstellung der Kandidaten für die Wahlen zum Europäischen Parlament erfolgt durch die nationalen Parteien. bb) Einschränkungen durch die nationalen Parteien Mit der Entscheidung über die Aufstellung zu den nächsten Wahlen und seiner Unterstützung als Kandidat kann die nationale Partei letztlich über die politische Karriere eines Abgeordneten des Europäischen Parlaments 13
Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 54. Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 89. 15 Die Verzögerung ergibt sich aus Art. 150 GO-EP, der die Einsetzung der Ausschüsse und die Wahl der Ausschussmitglieder nur zu zwei Terminen, der ersten Tagung des neugewählten Parlaments und erneut nach Ablauf von zweieinhalb Jahren, vorsieht. 16 Zu den parlamentarischen Rechten der einzelnen Abgeordneten siehe oben S. 26 f. 14
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
bestimmen17. Den Parteien, nicht den supranationalen Fraktionen, steht damit dieses wirkungsvollste Druckmittel gegenüber den Abgeordneten zur Verfügung, weshalb den nationalen Parteien das größere Disziplinierungspotenzial zugesprochen wird18. Daher ist davon auszugehen, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sich gegenüber dem nationalen Parteiestablishment in der Regel nur einen begrenzten Konflikt erlauben können19. Den Abgeordneten kann aber dennoch ein gewisser Spielraum zuerkannt werden, weil die Profilierung der Parteien in der Europapolitik bislang eher schwach und die Einbindung der Abgeordneten in die nationale Partei daher geringer ist als bei den nationalen Abgeordneten20. In der Praxis wird die Disziplinierung der Abgeordneten durch die Parteien folglich im Vergleich zu den meisten nationalen Parlamenten als in der Regel schwächer eingeschätzt21. c) Zwischenergebnis Trotz der Gewährleistung des freien Mandats ist eine Bindung der einzelnen Abgeordneten des Europäischen Parlaments einerseits an die Fraktionen im Europäischen Parlament durch Fraktionsdisziplin oder -zwang und andererseits an die nationalen Parteien durch deren Disziplinierungsmöglichkeiten gegeben; sie wird aber in der Praxis als eher gering eingeschätzt. 2. Schutz der Kandidatur: Behinderungsverbot/Wahlvorbereitungsurlaub Die deutschen Europa-Abgeordneten werden schon im Vorfeld der Kandidatur geschützt. § 3 Abs. 1 EuAbgG normiert, dass niemand daran gehindert werden darf, sich um ein Mandat zu bewerben, es anzunehmen oder auszuüben. § 3 Abs. 2 EuAbgG verbietet Benachteiligungen am Arbeitsplatz im Zusammenhang mit der Bewerbung. § 3 Abs. 3 EuAbgG regelt einen besonderen Kündigungsschutz. Die arbeitsrechtlichen Regelungen der Abs. 2 und 3 geben dem Abgeordneten jedoch keinen Anspruch auf Frei17 Siehe Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 89; Fleuter, S. 98 f.; Grabitz/Schmuck/ Steppat/Wessels, S. 644; Ipsen, in: FS Lerche, 425, 436; Neßler, ZEuS 1999, 157, 164. Vgl. auch ausführlich zur Abhängigkeit der Abgeordneten von den nationalen Parteien Hix/Lord, S. 69 ff., 84 ff. 18 Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 89. Siehe zu der Möglichkeit der Einflussnahme der nationalen Parteien, die verstärkt zur Rücksichtnahme auf nationale Interessen durch die Abgeordneten führen kann, auch unten S. 161 ff. 19 So Grabitz/Schmuck/Steppat/Wessels, S. 644. Zustimmend Fleuter, S. 99. 20 Vgl. Kohler, EuR 1978, 333, 342. 21 Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 89.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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stellung von der Arbeit unter Weiterzahlung des Arbeitseinkommens22. Nach § 4 EuAbgG haben die Kandidaten einen Anspruch auf einen – unbezahlten – zweimonatigen Wahlvorbereitungsurlaub. Diese Regelungen entsprechen den für die Bundestagsabgeordneten geltenden Vorschriften in Art. 48 Abs. 1 und 2 GG und §§ 2, 3 AbgG. Darüber hinaus regelt § 8 Abs. 2 EuAbgG die Gewährung von Wahlvorbereitungsurlaub für Angehörige des öffentlichen Dienstes. Einen derartigen, der deutschen Regelung entsprechenden Schutz der Abgeordneten des Europäischen Parlaments gewähren die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen nicht. 3. Indemnität Als „Indemnität“ werden die Gewährleistungen bezeichnet, die die Abgeordneten vor Verfolgung wegen getätigter Äußerungen schützen23. Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 EuAbgG bestimmt sich die Indemnität der in Deutschland gewählten Mitglieder des Europäischen Parlaments nach Art. 9 des Protokolls. Danach dürfen die Abgeordneten hinsichtlich ihrer in Ausübung ihres Amts gemachten Äußerungen und hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens weder in ein Ermittlungsverfahren verwickelt noch festgenommen oder verfolgt werden. a) Beschränkung auf Äußerungen innerhalb des Parlaments? Fraglich ist, ob der Indemnitätsschutz der in Deutschland gewählten Abgeordneten auf Äußerungen innerhalb des Parlaments beschränkt ist. aa) Verweis des § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG auf Art. 46 Abs. 1 GG Bezüglich des Umfangs der Indemnität verweist § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG auf die Regelung des Grundgesetzes und somit auf Art. 46 Abs. 1 GG. Dieser beschränkt die Indemnität der Abgeordneten auf Äußerungen innerhalb des Parlaments und in seinen Ausschüssen. Demgegenüber schützt das Protokoll in Anlehnung an Verfassungsmodelle des romanischen Rechtskreises24 alle in Ausübung des Amts getätigten Äußerungen, also auch solche außerhalb des Parlaments. Ein Verfassungsvergleich zeigt Folgendes25: In 22 BT-Drs. 8/362, S. 7, Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum EuAbgG. 23 Europäisches Parlament, Immunität, S. 7. 24 So Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 25.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
den Verfassungen der Mehrheit der Mitgliedstaaten werden alle in Ausübung des Amts erfolgten Äußerungen der Abgeordneten der nationalen Parlamente geschützt, so in Belgien (vgl. Art. 58 der koordinierten Verfassung Belgiens), Frankreich (vgl. Art. 26 der Verfassung der Republik Frankreich), Griechenland (vgl. Art. 61 der Verfassung der Republik Griechenland), Italien (vgl. Art. 68 der Verfassung der Republik Italien), Luxemburg (vgl. Art. 68 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg), Österreich (vgl. Art. 57 des Bundesverfassungsgesetzes der Republik Österreich), Portugal (vgl. Art. 160 der Verfassung der Republik Portugal), Schweden (vgl. Kapitel 4 § 8 der Verfassung des Königreichs Schweden) und Spanien (vgl. Art. 71 der Verfassung des Königreichs Spanien). Ein einschränkendes, Art. 46 GG ähnelndes Verständnis des Immunitätsschutzes haben folgende Länder: Dänemark (vgl. Art. 57 der Verfassung des Königreichs Dänemark), Irland (vgl. Art. 15 Abs. 13 der Verfassung der Republik Irland), die Niederlande (vgl. Art. 71 der Verfassung des Königreichs der Niederlande) und Großbritannien (vgl. Gewährleistung Nr. 9 der Bill of Rights, 1689). bb) Wirksamkeit des Verweises in § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG auf Art. 46 Abs. 1 GG Durch den Verweis auf das Grundgesetz wird der räumliche Wirkungskreis der Indemnität der in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments gegenüber der gemeinschaftsrechtlichen Regelung eingeschränkt. Art. 9 des Protokolls enthält aber – im Gegensatz zu der Regelung der Immunität in Art. 10 des Protokolls – keinen Verweis auf nationale Regelungen. Die Regelung der Indemnität durch das Gemeinschaftsrecht wird daher als abschließend und durch innerstaatliche Regelungen weder ergänzungsbedürftig noch ergänzungsfähig angesehen26. § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG sei unwirksam27, weil das Protokoll als Teil des Fusionsvertrages unter den Vorranganspruch des Gemeinschaftsrechts falle28. Auch für die in Deutschland gewählten Abgeordneten gelte daher die weitere, gemeinschaftsrechtlich normierte Indemnität29.
25
Zu den Verfassungen siehe Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten. Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 25; a. A. Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 36, die feststellen, dass Art. 46 GG einschlägig ist; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 Rn. 42. 27 Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 25. 28 Vgl. Bieber, in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 196; Fleuter, S. 109. Vgl. auch Schultz-Bleis, S. 25 Fn. 40, der „einen Verstoß gegen die Bündnistreue des Art. 10 EG“ annimmt. 29 Bieber, in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 196; Fleuter, S. 109. 26
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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Entscheidend für die Reichweite des Indemnitätschutzes der in Deutschland gewählten Mitglieder des Europäischen Parlaments ist, ob bzw. inwieweit – dieser Ansicht folgend – eine Unwirksamkeit des Verweises des § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG bejaht werden kann. Fraglich ist, ob die Reglung nach dem Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation des nationalen Rechts30 so ausgelegt werden kann, dass sie nicht gegen Art. 9 des Protokolls verstößt. Eine solche Interpretation ist allerdings nur vorzunehmen, wenn und soweit ein entsprechender Interpretationsspielraum besteht31. Es ist jedoch nicht ersichtlich, inwieweit der Verweis in § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG einen Ansatz zur Interpretation bieten könnte, da er weder einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält noch einen Ermessensspielraum eröffnet. Eine gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation ist daher nicht möglich. Problematisch ist, ob und wieweit § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts – wie von der Literatur gefordert – unangewendet bleiben muss. Die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts beanspruchen, soweit sie innerstaatlich anwendbar sind, Vorrang vor widersprechendem nationalen Recht der Mitgliedstaaten32. Die innerstaatliche Norm muss unangewendet bleiben, soweit sie dem Gemeinschaftsrecht widerspricht33. Entscheidend ist, ob bzw. inwieweit die deutsche Regelung dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Festgestellt wurde, dass sie dadurch, dass sie einen Schutz für Äußerungen außerhalb des Parlaments verwehrt, eine von der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift abweichende Regelung enthält34. Dies würde aber keinen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellen, wenn Art. 9 des Protokolls den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnete, diese Bereiche abweichend – etwa durch einen Verweis auf den Schutz der Abgeordneten der nationalen Parlamente – zu regeln und den Schutz einzuschränken. Dies muss durch eine Auslegung des Art. 9 des Protokolls festgestellt werden. Der Wortlaut der Norm enthält keine Ermächtigung an die Mitgliedstaaten, den Indemnitätsschutz einzuschränken. Im Gegensatz zu Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls enthält sie auch keinen Verweis auf das natio30
Vgl. Hatje, in: Schwarze, Art. 10 EG Rn. 29; Jarass, EuR 1991, 209, 223. EuGH, Rs. 14/83, v. Colsen, Slg. 1984, 1891, 1908 f. Rn. 25 ff.; Hatje, in: Schwarze, Art. 10 EG Rn. 27; Jarass, EuR 1991, 209, 217. 32 EuGH, Rs. 6/64, Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251, 1269 f.; Rs. 11/70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125, 1135 Rn. 3; Rs. 106/77, Simmenthal II, Slg. 1978, 629, 644 f. Rn. 17 ff.; Rs. 237/78, Schaffleisch, Slg. 1979, 2729, 2738 Rn. 7; Hatje, in: Schwarze, Art. 10 EG Rn. 20; Oppermann, Rn. 615; Streinz, Rn. 179. 33 Hatje, in: Schwarze, Art. 10 EG Rn. 21. 34 Siehe oben S. 53 f. 31
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
nale Recht, so dass ein systematischer Vergleich gegen die Annahme einer solchen Ermächtigung spricht. Bei einer teleologischen Auslegung des Protokolls ist dessen Grundgedanke der Gewährung der sog. „funktionalen“ Vorrechte und Befreiungen, d.h. all derjenigen, die zur Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben erforderlich sind, zu beachten35. Bei Zweifelsfragen bezüglich der einzelnen durch das Protokoll gewährten Privilegien und Immunitäten ist auf diesen Funktionalitätsgrundsatz zurückzugreifen36. Der Sinn und Zweck von Art. 9 des Protokolls – Schutz der Funktionstauglichkeit des Parlaments durch Redefreiheit und Sicherung der Unabhängigkeit des Parlaments – schließt eine Einschränkung des Schutzes, wie die Beschränkung auf Äußerungen innerhalb des Parlaments, aus. Diskutiert wird, ob die Gewährleistungen des Protokolls den Charakter von Minimal- oder Maximalrechten haben, d.h. ob ein Mitgliedstaat das Recht hat, über das Protokoll hinausgehende Vergünstigungen einzuräumen37. Die Möglichkeit von Einschränkungen des Schutzes wird gar nicht erwähnt. Die Tatsache, dass sogar die Gewährung von zusätzlichen Vergünstigungen umstritten ist, macht aber deutlich, dass Einschränkungen erst recht unzulässig sind. Gegen den gemeinschaftsrechtlichen Schutzstandard verstößt der Verweis auf Art. 46 Abs. 1 GG daher zumindest insoweit, als er einschränkende Wirkung hat. Er muss insoweit unangewendet bleiben, so dass die in Deutschland gewählten Abgeordneten auch bei Äußerungen außerhalb des Europäischen Parlaments geschützt sind. b) Schutz vor zivilrechtlicher Verfolgung? In engem Zusammenhang mit einer Beschränkung der Indemnität auf Äußerungen innerhalb des Parlaments steht die Frage, ob den in Deutschland gewählten Abgeordneten ein Schutz vor zivilrechtlicher Verfolgung gewährt wird. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Entstehungsgeschichte des Verweises in § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG.
35 Vgl. die Einführung des Protokolls und Art. 291 EG (ex-Art. 28 FusV). Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, Art. 291 EG Rn. 13, verweist zusätzlich auf Art. 18 des Protokolls. Auch dieser unterstreiche die Funktionsbezogenheit der Vorrechte und Befreiungen. Allgemein zum Funktionalitätsgrundsatz bei Vorrechten und Befreiungen für internationale Organisationen siehe Menzel, in: FS Laforet, 325, 331 f. 36 Becker, in: Schwarze, Art. 291 EG Rn. 4; Kallmeyer, in: Calliess/Ruffert, Art. 291 EG Rn. 7; Oppermann, Rn. 159; Schmidt, CahDrEuR 1991, 67, 68. Vgl. auch Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, Art. 291 EG Rn. 13. 37 Vgl. Henrichs, EuR 1987, 75, 88 m. w. N., in Bezug auf den Teil des Protokolls, der EG-Bedienstete betrifft.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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aa) Gesetzesbegründung zu § 5 EuAbgG Der Gesetzesbegründung zu § 5 EuAbgG ist zu entnehmen, dass durch § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG der Schutz des Abgeordneten nicht beschränkt werden sollte: Dass durch den Verweis auf Art. 46 GG der Schutz im Vergleich zum Protokoll eingeschränkt wird, weil er auf im Parlament getätigte Äußerungen beschränkt wird, scheint dem Gesetzgeber nicht bewusst gewesen zu sein. Denn der Verweis wurde eingefügt, weil Art. 9 des Protokolls zum Teil nicht so weit wie Art. 46 GG gehe, „weil er Abgeordnete des Europäischen Parlaments nicht gegen zivilrechtliche Verfolgungen schützt. Der Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments sollte aber nach Möglichkeit in der Bundesrepublik Deutschland vollständig der Rechtsstellung von Mitgliedern des Bundestags entsprechen.“38 Daher werde die Rechtsstellung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments gegenüber dem vom Akt vorgeschriebenen Standard geringfügig verbessert39. Nicht eine Verschlechterung des Indemnitätsschutzes der in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments, sondern eine Verbesserung war folglich die Intention des Gesetzgebers. Diese Intention scheint der Literatur nicht aufgefallen zu sein, die einerseits den Verweis auf Art. 46 Abs. 1 GG für unwirksam hält, andererseits aber behauptet, dass die Indemnität nicht nur den Schutz vor strafrechtlichen, sondern auch vor zivilrechtlichen Sanktionen umfasst40. bb) Auslegung des Art. 9 des Protokolls Fraglich ist, welches Verständnis des Art. 9 des Protokolls richtig ist und ob es zur Verwirklichung des Ziels des deutschen Gesetzgebers überhaupt einer Verweisung bedurft hätte. Art. 9 des Protokolls muss ausgelegt werden. Nach dem Normwortlaut dürfen die Mitglieder des Europäischen Parlaments „weder in ein Ermittlungsverfahren verwickelt noch festgenommen oder verfolgt werden“. Nur der Begriff der „Verfolgung“ könnte zivilrechtliche Sanktionen erfassen. Ein Vergleich mit dem deutschen Recht ist hilfreich, um den Begriff der Verfolgung zu bestimmen. Art. 46 Abs. 1 38 BT-Drs. 8/362, S. 7, Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum EuAbgG. 39 BT-Drs. 8/362, S. 7, Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum EuAbgG. 40 Bieber, EuR 1981, 124, 130; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 196; Fleuter, S. 108; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 25; Schmidt, CahDrEuR 1991, 67, 77, und dies., in: GTE, Art. 218 Rn. 29, ohne Aussage zu § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
S. 1 GG41 wird dahingehend verstanden, dass zur gerichtlichen Verfolgung im Sinne des Art. 46 Abs. 1 S. 1 GG auch die zivilrechtliche Geltendmachung von Nachteilen zählt, die an die geschützten Handlungen anknüpft42. Dies sei vom Wortlaut gedeckt und von Sinn und Zweck her naheliegend43. Der Unterschied zwischen den Formulierungen besteht nur in dem zusätzlichen Wort „gerichtlich“ in der deutschen Version. Da der Zusatz „gerichtlich“ eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des Immunitätsschutzes beinhaltet, kann auch der aufgrund des Fehlens eines derartigen Zusatzes weiter zu verstehende Begriff der „Verfolgung“ so verstanden werden, dass darunter eine zivilrechtliche Verfolgung fällt44. Unter Berücksichtigung des Funktionalitätsgrundsatzes im Rahmen einer teleologischen Auslegung des Protokolls45 ist zu beachten, dass die Indemnität gewährt wird, um die parlamentarische Redefreiheit und das für eine wirksame parlamentarische Arbeit als notwendig empfundene Klima der Unabhängigkeit zu gewährleisten46. Eine Einschränkung in dem Sinn, dass nur ein Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung stattfindet, wäre mit diesem Zweck der Indemnitätsvorschrift nicht vereinbar. Das Klima der Unabhängigkeit im Parlament und die Redefreiheit der Abgeordneten können ebenso dadurch beeinträchtigt sein, dass dem einzelnen Abgeordneten wegen seiner Äußerungen im Rahmen der Parlamentsarbeit ein Schadensersatzanspruch droht, wie dadurch, dass er mit seiner Verfolgung vor dem Strafrichter rechnen muss47. Ein Vergleich der einzelnen mitgliedstaatlichen Immunitätsregelungen macht deutlich, dass auch diese in der Regel den Schutz vor 41 Art. 46 Abs. 1 S. 1 GG: „Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit (. . .) gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden.“ 42 OLG München, BayVBl. 1975, 54; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 46 Abs. 1 Rn. 22; Härth, S. 125 ff. m. w. N.; Klein, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 17 Rn. 35; Magiera, in: BK, Art. 46 Rn. 43; Maunz, in: M/ D, Art. 46 Rn. 19; Roll, NJW 1980, 1439, 1440; Schneider, AK, Art. 46 Rn. 8; Schröder, Der Staat 21 (1982), 25, 34 ff. m. w. N.; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 46 Rn. 16; Wurbs, S. 86 f., der allerdings an die Formulierung „zur Verantwortung ziehen“ anknüpft. A. A. Ruland, Der Staat 14 (1975), 457, 479 ff., aufgrund historischer Interpretation. 43 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 46 Abs. 1 Rn. 22; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 46 Rn. 16. 44 Harms, S. 92 f., hält ein solches Verständnis der gleichlautenden, dem aktuellen Protokoll vorhergehenden Vorschrift für zwingend; so sei auch das Verständnis der italienischen Verfassung, nach der die Abgeordneten „nicht verfolgt werden“ dürfen. 45 Siehe dazu bereits oben S. 56 f. 46 Harms, S. 88. 47 Harms, S. 92 f., zu der gleichlautenden, dem aktuellen Protokoll vorhergegangenen Vorschrift.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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zivilrechtlicher Verfolgung mit umfassen48. Dies macht deutlich, dass die Vertragspartner bei der Entstehung von Art. 9 des Protokolls davon ausgegangen sein dürften, dass auch die zivilrechtliche Verfolgung ausgeschlossen sein soll. Folglich ist Art. 9 des Protokolls – entgegen der Interpretation des deutschen Gesetzgebers – dahingehend auszulegen, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments vor zivilrechtlicher Verfolgung geschützt sind. Ein Schutz der in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments vor zivilrechtlicher Verfolgung besteht somit unabhängig von dem Verweis auf Art. 46 Abs. 1 GG. c) Ausnahme für verleumderische Aussagen? Eine ähnliche Problematik wie bei der Beschränkung der Indemnität auf Äußerungen innerhalb des Parlaments besteht bei verleumderischen Aussagen: Teilweise wird angenommen, dass der Indemnitätsschutz der Abgeordneten des Europäischen Parlaments solche Äußerungen nicht umfasse, die einen verleumderischen Charakter haben49. Eine solche Einschränkung der Gewährleistung des Art. 9 des Protokolls ist diesem aber nicht zu entnehmen50. Die Einschränkung wird damit erklärt, dass nach Art. 46 Abs. 1 S. 2 GG verleumderische Äußerungen nicht von der den Mitgliedern des Deutschen Bundestags gewährten Indemnität gedeckt werden. Diese Erklärung beruht aber auf der Annahme, dass der Verweis des § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG auf Art. 46 Abs. 1 GG Wirkung entfaltet. Auffällig ist, dass dem Gesetzgeber bei seinem Verweis auf Art. 46 Abs. 1 GG für die in Deutschland gewählten Mitglieder des Europäischen Parlaments auch diese Einschränkung der Gewährleistungen des Art. 9 des Protokolls nicht bewusst zu sein schien. Da eine Verwehrung des Schutzes für verleumderische Aussagen den gemeinschaftsrechtlichen Immunitätsschutz genauso einschränken würde wie eine Beschränkung auf Äußerungen innerhalb des Parlaments, ist der Verweis des § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG auch insoweit unwirksam. Für verleumderische Aussagen kann daher keine mitgliedstaatliche Ausnahme gemacht werden. Die in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind demnach auch bei verleumderischen Aussagen geschützt. 48
Europäisches Parlament, Immunität, S. 143. Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 36, unter Verweis auf Art. 46 GG; implizit auch Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 42. 50 Vgl. auch Harms, S. 91, zu der gleichlautenden, dem aktuellen Protokoll vorhergegangenen Vorschrift. 49
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
d) Zeitliche Geltung der Indemnität Art. 9 des Protokolls ist – im Gegensatz zu der Einschränkung der Geltung der Immunität auf die „Dauer der Sitzungsperiode der Versammlung“ in Art. 10 des Protokolls – keine zeitliche Einschränkung der Indemnität zu entnehmen. Die Indemnität beginnt folglich mit dem Zeitpunkt der Wirksamkeit des Mandats, dauert jedoch auch nach Beendigung des Mandats fort51. Sie kann im Unterschied zur Immunität nicht aufgehoben werden – Argumentum e contrario zu Art. 10 des Protokolls. Die durch Art. 9 des Protokolls normierte zeitliche Geltung der Indemnität für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments entspricht der diesbezüglichen Regelung in Art. 46 Abs. 1 S. 1 GG für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, so dass es keine Relevanz hat, ob der Verweis in § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG für den „Umfang der Indemnität“ auch die zeitliche Komponente erfasst und ob dieser Verweis wirksam wäre. e) Zwischenergebnis Der Indemnitätsschutz der in Deutschland gewählten Abgeordneten richtet sich in erster Linie nach Art. 9 des Protokolls. Soweit § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG durch den Verweis auf das GG diesen Schutz einschränkt, ist er unwirksam. Die Indemnitätsgewährleistung des § 5 EuAbgG hat, da sie im Ergebnis nicht von der Gewährleistung des Art. 9 des Protokolls abweicht, nur deklaratorische Wirkung. 4. Immunität Unter die Bezeichnung „Immunität“ wird der Schutz der Abgeordneten vor Strafverfolgung und vor jedweder Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit gefasst52. Dieser Schutz gilt unabhängig von der Mandatsausübung. a) Verweisungstechnik Der Immunitätsschutz der in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist das Ergebnis eines komplizierten Zusammenspiels gemeinschaftsrechtlicher und deutscher Rechtsnormen.
51
Europäisches Parlament, Immunität, S. 171; Harms, S. 88, zu der gleichlautenden, dem aktuellen Protokoll vorhergegangenen Vorschrift; Schmidt, CahDrEuR 1991, 67, 77; Schoo, in: Schwarze, Art. 190 EG Rn. 25; Schultz-Bleis, S. 25. 52 Vgl. Klein, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 17 Einl.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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aa) Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls: Schutz im deutschen Hoheitsgebiet Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 EuAbgG bestimmt sich die Immunität der in Deutschland gewählten Abgeordneten nach Art. 10 des Protokolls. Nach Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls steht den Mitgliedern des Parlaments während der Dauer der Sitzungsperiode im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die „den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit“ zu. Der Wortlaut stellt klar, dass dies nicht einen Verweis auf die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Immunitätsgrundsätze, sondern auf die jeweils maßgeblichen innerstaatlichen Vorschriften darstellt53. Das Protokoll verweist für die in Deutschland gewählten Abgeordneten im deutschen Hoheitsgebiet folglich auf den Immunitätsschutz der Abgeordneten des Deutschen Bundestags in Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG. bb) Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b des Protokolls: Schutz außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes Außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes können sich die in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf die in Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b des Protokolls normierte „eigenständige europäische Immunitätsregel“54 berufen, die die Mitglieder des Europäischen Parlaments in den Hoheitsgebieten der jeweils anderen Mitgliedstaaten schützt. Diese Regelung ist erforderlich, weil der in den einzelnen Mitgliedstaaten den Parlamentariern – der nationalen Parlamente oder des Europäischen Parlaments – gewährte Immunitätsschutz immer nur gegenüber inländischen Behörden und Gerichten gilt, im Ausland aber keine Wirkung zeigt55. Erst Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b des Protokolls eröffnet daher einen gemeinschaftsweiten Immunitätsschutz für die Mitglieder des Europäischen Parlaments. Außerhalb der Hoheitsgebiete, in denen die Mitglieder des Europäischen Parlaments gewählt worden sind, genießen sie einen einheitlichen Schutz davor, „festgehalten oder gerichtlich verfolgt“ zu werden. Dies umfasst einen Schutz vor der Einleitung einer Strafverfolgung, vor Maßnahmen des Untersuchungsrichters, vor Maßnahmen zum Vollzug von bereits ergangenen Urteilen sowie vor Berufungs- bzw. Kassationsverfahren56.
53
Vgl. Schultz-Bleis, S. 33. So Schoo, in: Schwarze, Art. 190 EG Rn. 25. Laut Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 26, stellt diese Vorschrift „das eigentlich Besondere, das aus den Funktionsbedingungen des Europäischen Parlaments abzuleitende Element des Abgeordnetenstatus dar“. 55 Härth, NStZ 1987, 109. 54
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
cc) Auswirkung der Verweisungstechnik Der Verweis in Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls auf das nationale Recht kann aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nur insoweit durchgreifen, wie keine gemeinschaftsrechtliche Regelung besteht. Erst eine Bestimmung dessen, was gemeinschaftsrechtlich gilt, grenzt den Bereich ein, in dem das nationale Recht Wirkung erlangt. b) Gemeinschaftsrechtliche Regelungsinhalte Fraglich ist, für welche Bereiche Art. 10 des Protokolls eine gemeinschaftsrechtliche Regelung enthält, so dass in diesem Bereich der Verweis auf das nationale Recht in Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls nicht durchgreift. aa) Zeitliche Geltung der Immunität Die zeitliche Geltung der Immunität ist nicht dem nationalen Recht überlassen57, sondern ist dem Gemeinschaftsrecht zu entnehmen: Art. 10 des Protokolls beschränkt die Geltung der Immunität auf die „Dauer der Sitzungsperiode der Versammlung“58. Das Europäische Parlament hat eine parlamentarische Praxis entwickelt, nach der „die Immunität mit der Bekanntgabe der Wahl in Kraft tritt und mit dem Ablauf des Mandats endet“59. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments erlangen die Schutzwirkung der Immunität folglich zum frühestmöglichen Termin. Diese Praxis des Europäischen Parlaments ist hinsichtlich der Dauer des Immunitätsschutzes durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigt worden, nach der sich die Dauer der Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments auf das ganze Jahr erstreckt, auch wenn es nicht tatsächlich tagt. Begründet wird dies damit, dass sich das Europäische Parlament gemäß Art. 196 EG und Art. 10 GO-EP während des ganzen Jahres in Sitzung befindet60. Dies führt dazu, dass sich der Immunitätsschutz auf die gesamte Mandatsdauer 56 Donnez, Dok. A2-121/86, Entwurf eines Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen, S. 12; Europäisches Parlament, Immunität, S. 176. 57 So auch GA Darmon, in: EuGH, Rs. 149/85, Wybot/Faure, Slg. 1986, 2391, 2398. 58 Dies entspricht dem ursprünglichen Wortlaut der in Frankreich durch Art. 26 der Verfassung der Republik Frankreich gewährten Immunität; in Frankreich wird jedoch seit der Verfassungsänderung von 1995 die Geltungsdauer der Immunität auf das ganze Jahr erstreckt, siehe unten S. 99. 59 Donnez, Dok. A2-121/86, Entwurf eines Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen, S. 11. Zustimmend Schultz-Bleis, S. 100.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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erstreckt. Somit besteht ein zeitlich lückenloser Immunitätsschutz von der Bekanntgabe der Wahl bis zum Zusammentritt eines neu gewählten Parlaments61, denn erst in diesem Moment endet das Mandat (vgl. Art. 3 Abs. 3 der Wahlakte, der auf Abs. 2 verweist62). Nach der Praxis des Europäischen Parlaments erstreckt sich der Immunitätsschutz auch auf Verfahren, bei denen sich der strafrechtliche Vorwurf auf die Zeit vor der Mitgliedschaft bezieht (sog. mitgebrachte Verfahren)63. bb) Unverletzlichkeit gemäß Art. 10 Abs. 2 des Protokolls Gemäß Art. 10 Abs. 2 des Protokolls besteht die Unverletzlichkeit der Abgeordneten auch während der Reise zum und vom Tagungsort der Versammlung. Die Vertragsparteien bezweckten durch die Norm die Gewährleistung des unbeeinträchtigten Zusammenkommens des Parlaments. Art. 10 Abs. 2 des Protokolls hat heute aufgrund der Erstreckung der Sitzungsperiode des Parlaments auf das ganze Jahr und des dadurch bedingten, zeitlich lückenlosen Immunitätsschutzes keine Bedeutung mehr64, es sei denn, das Parlament schließt eine jährliche Sitzungsperiode früher65. cc) Ergreifung auf frischer Tat Art. 46 Abs. 2 GG bestimmt, dass ein Abgeordneter wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung „nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden kann“. Art. 46 Abs. 2, letzter Halbsatz GG enthält eine Einschränkung für den Fall einer Festnahme „bei 60
EuGH, Rs. 103/63, Wagner/Fohrmann, Slg. 1964, 419, 433; Rs. 149/85, Wybot/Faure, Slg. 1986, 2391, 2408 ff. Rn. 17 ff.; zustimmend: Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 42; Schoo, in: Schwarze, Art. 190 EG Rn. 27. A. A. noch Harms, S. 98 f. 61 Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 42. 62 Nach der vom Rat beschlossenen, noch zu ratifizierenden Änderung der Wahlakte wird Art. 3 Abs. 1 gestrichen, Abs. 2 wird zu einem neuen Abs. 1 und Abs. 3 wird zu einem neuen Abs. 2. Inhaltliche Änderungen wurden nicht vorgenommen, vgl. ABl. 2002 L 283/1. 63 Vgl. Europäisches Parlament, Immunität, S. 172, 186; kritisch bezüglich der Fälle, in denen das Strafverfahren in erster Instanz bereits zu einer Verurteilung geführt hat: Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445, 450. 64 So auch Schmidt, CahDrEuR 1991, S. 67, 78; Schultz-Bleis, S. 44, der zutreffend darauf hinweist, dass zumindest eine klarstellende Funktion dahingehend angenommen werden kann, dass die Tagung der Versammlung als besonders schützenswert anzusehen ist. 65 Darauf hat der EuGH in der Rs. 149/85, Wybot/Faure, Slg. 1986, 2391, 2410 Rn. 25 hingewiesen.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages“66. Demgegenüber enthält Art. 10 Abs. 3 des Protokolls die Einschränkung, dass die Unverletzlichkeit „bei Ergreifung auf frischer Tat“ nicht geltend gemacht werden kann. Diese Einschränkung muss nicht nur auf die gemeinschaftsrechtliche Immunität des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b, sondern auch auf die nationale Immunität des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls bezogen werden67. Dies wird daran deutlich, dass die ebenfalls in Art. 10 Abs. 3 des Protokolls geregelte Kompetenz des Europäischen Parlaments, die Immunität seiner Abgeordneten aufzuheben, auf die gemeinschaftsrechtliche und die nationale Immunität erstreckt wird68. Dies geschieht unter Berufung auf Wortlaut und Systematik des Art. 10 Abs. 3 des Protokolls und auf die Entscheidungspraxis des Europäischen Parlaments. Da beide Aspekte – Ergreifung auf frischer Tat und Aufhebungskompetenz – zusammen geregelt sind, besteht kein Grund, nur die Aufhebungskompetenz, nicht aber die Ergreifung auf frischer Tat auf Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls zu beziehen. Zwar geht Sieglerschmidt davon aus, dass der Grundsatz der vollen Anwendbarkeit des einzelstaatlichen Immunitätsrechts auch für den Fall der Ergreifung auf frischer Tat nicht durchbrochen werden soll69. Er bezieht dies aber auf den Fortgang des ohne Genehmigung des Parlaments aufgenommenen Ermittlungsverfahrens, welcher sich nach nationalem Recht richte70. Auch er begrenzt damit aber implizit die Anwendung des nationalen – und damit des deutschen – Rechts auf die Ergreifung auf frischer Tat. Für die in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments kommt es daher nicht darauf an, ob sie „bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages“ verhaftet, sondern darauf, ob sie „auf frischer Tat“ ergriffen werden. Für die Auslegung der Formulierung „Ergreifung auf frischer Tat“ ist nicht etwa das Verständnis des jeweiligen nationa66 Vgl. detailliert zu den verschiedenen diskutierten Auslegungsmöglichkeiten der Begriffe in Art. 46 Abs. 2, 2. Halbsatz GG Butzer, S. 216 ff.: Teilweise wird der Zusatz „oder im Laufe des Tages“ dahingehend verstanden, dass er die Möglichkeit der Festnahme „bei Begehung der Tat“ auf den Ablauf des folgenden Tages begrenzt. Dem wird jedoch der Wortlaut „oder“ der Vorschrift entgegengehalten, der in der Tat auf eine in erster Linie zeitliche Begrenzung durch den Zusatz hindeutet. Die Unterschiede spielen vorliegend jedoch keine Rolle, da sich in jedem Fall Unterschiede zu der gemeinschaftsrechtlichen Regelung ergeben. 67 So verstehen es wohl auch Jeuniaux, S. 210, sowie Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 46 Rn. 4. 68 Bieber, in: EuR 1981, 131; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 27; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art 190 EG Rn. 42; Schmidt, CahDrEuR 1991, 67, 78; Schultz-Bleis, S. 46. 69 In: EuGRZ 1986, 445, 447. 70 Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445, 447; diesbezüglich zustimmend: SchultzBleis, S. 44.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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len Rechts entscheidend. Vielmehr ist, wie bei der Auslegung des Begriffs „Dauer der Sitzungsperiode“71, der Begriff allein anhand des Gemeinschaftsrechts zu ermitteln. Dabei sind im Wege „wertender Rechtsvergleichung“ innerstaatliche Immunitätsrechtsgrundsätze zu berücksichtigen72. dd) Verzicht auf Immunität Die Abgeordneten können nicht auf ihre Immunität verzichten, da die Immunität im Interesse der Unabhängigkeit der Institution besteht und daher der Verfügung der einzelnen Abgeordneten entzogen ist73. ee) Schlussfolgerung Die zeitliche Geltung der Immunität, die Ergreifung auf frischer Tat und der Verzicht auf die Immunität sind somit gemeinschaftsrechtlich geregelt, so dass der Verweis auf das nationale Recht in Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls insoweit nicht durchgreift. c) Der durch den Verweis auf das deutsche Recht gewährte Immunitätsschutz Nachdem bisher deutlich gemacht wurde, welche Aspekte der deutschen Regelung wegen der gemeinschaftsrechtlichen Regelung nicht gelten, soll nun der aufgrund der deutschen Regelung gewährte Immunitätsschutz dargestellt werden. Genehmigungsbedürftig nach Art. 46 Abs. 2 GG ist die gesamte öffentliche Strafgewalt einschließlich der staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Ermittlungsverfahren74. Genauso genehmigungsbedürftig sind nach Abs. 3 „andere Beschränkungen der persönlichen Freiheit“, worunter Polizeihaft, Ordnungs-, Zwangs- und Beugehaft, Zwangsvorführung und die 71
Vgl. EuGH, Rs. 149/85, Wybot/Faure, Slg. 1986, 2391, 2407 f. Rn. 12 f. Schultz-Bleis, S. 44. 73 Donnez, Dok. A2-121/86, Entwurf eines Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen, S. 12; Europäisches Parlament, Immunität, S. 186; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 27; Leopold, ELRev. 1981, 275, 277. Laut Bieber, in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 198, hat das Europäische Parlament in zwei Fällen den von den Abgeordneten selbst beantragten Verzicht auf die Immunität mit dieser Begründung abgelehnt. Dies entspricht auch der Rechtslage in Deutschland, vgl. Klein, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 17 Rn. 39; Magiera, in: BK, Art. 46 Rn. 107; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 46 Rn. 23. 74 Vgl. dazu und zum Folgenden Schultz-Bleis, S. 79; zum Diskussionsstand bezüglich einzelner Maßnahmen siehe Butzer, S. 170 ff. 72
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
einstweilige Unterbringung nach ZPO, StPO, GVG, OWiG und AO fallen. Nicht geschützt sind die Abgeordneten hingegen vor der Erhebung von Privatklagen, vor einer Zivilrechtsverfolgung einschließlich – vorbehaltlich Abs. 3 – ziviler Zwangsvollstreckung sowie vor Verwaltungszwang75. Ob auch ein Bußgeld nach dem OWiG genehmigungsbedürftig ist, ist in der Literatur umstritten76. Die Rechtsprechung geht in Anlehnung an die Praxis des Deutschen Bundestags77 davon aus, dass Ordnungswidrigkeiten nicht unter den Schutz der Immunität fallen78. Art. 46 Abs. 4 GG gewährt das sog. Reklamationsrecht, nach dem auf Verlangen des Bundestags jedes Strafverfahren gegen den Beklagten, jede Haft oder jede sonstige Beschränkung seiner Freiheit ausgesetzt werden muss. § 5 Abs. 2 EuAbgG normiert, dass die Immunität von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die zugleich Mitglieder des Deutschen Bundestags sind, nur mit Genehmigung des Bundestags aufgehoben werden kann. Dieser Absatz hat allein klarstellende Funktion79. Im Falle eines solchen Doppelmandats80 kann ein Abgeordneter daher nur verfolgt werden, wenn sowohl der Deutsche Bundestag als auch das Europäische Parlament die Immunität aufheben. d) Aufhebung der Immunität durch das Europäische Parlament Es besteht die Möglichkeit, dass der Zweck der Immunitätsgewährung – der Schutz der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Parlaments und des freien Mandats der Abgeordneten – die durch sie erfolgende Ausnahme von für alle Bürger geltendem Recht nicht rechtfertigt, weil keine Gefährdung der Schutzgüter gegeben ist. Daher kann die Immunität durch das Parlament aufgehoben werden. Dem Europäischen Parlament wird diese Befugnis durch Art. 10 Abs. 3 des Protokolls eingeräumt. Fraglich ist, ob das Europäische Parlament bei der Aufhebung der nach Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls gewährten Immunität neben den 75
Klein, in: Parlamentsrecht und Parlamentpraxis, § 17 Rn. 44; Schultz-Bleis, S. 79. 76 Siehe dazu umfassend Butzer, S. 175 ff. m. w. N. 77 Vgl. die Begründung der Nr. 2 b) des Beschlusses des Deutschen Bundestages über die Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten, Anlage 6 der GOBT, in: BTDrs. 5/3790, S. 3. 78 BVerwG, NJW 1986, 2520, 2521; OLG Köln, NJW 1988, 1606; OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2207 – diese Entscheidung betraf einen Abgeordneten des Europäischen Parlaments. 79 BT-Drs. 8/362, S. 7, Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum EuAbgG. 80 Ausführlich zu Doppelmandaten siehe unten S. 80 ff.
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einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auch die gewohnheitsrechtlich entwickelte Entscheidungspraxis des einzelstaatlichen Parlaments beachten muss. Einerseits wird vertreten, diese Entscheidungspraxis müsse beachtet werden, um dem von den Vertragsparteien gewollten Sinn von Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls gerecht zu werden81. Andererseits hat das Europäische Parlament Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls dahingehend ausgelegt und angewandt, dass es nur an die innerstaatlichen Rechtsvorschriften, nicht aber an die innerstaatliche Entscheidungspraxis gebunden sei82. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass das Europäische Parlament zwei eigenständige Kriterien zur Definition der Immunität entwickelt hat, die es seinen Entscheidungen bezüglich der Aufhebung zugrundelegt83: Das Parlament prüft zum einen, ob die dem betreffenden Mitglied vorgeworfene Handlung mit dessen politischer Tätigkeit in Zusammenhang steht oder nicht. Zum anderen prüft es, ob unterstellt werden kann, dass dem Antrag auf Aufhebung der Immunität die Absicht zugrunde liegt, der politischen Tätigkeit des Abgeordneten zu schaden (sog. „fumus persecutionis“). Diese Praxis des Europäischen Parlaments wird zum Teil aus Gründen des Rechtsanwendungsvorrangs für zulässig erachtet84. Es wird angenommen, das Europäische Parlament verfüge bei der Entscheidung über die Aufhebung der Immunität über ein weites Ermessen, weil Art. 10 Abs. 3 des Protokolls keine Kriterien festlege, die das Europäische Parlament seiner Entscheidung zugrunde zu legen hätte85. Es wird darauf verwiesen, dass 81
Fleuter, S. 113; Schmidt, CahDrEuR 1991, 67, 78; Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445, 447. Nicht eindeutig Bieber, EuR 1981, 124, 131, der kritisiert, dass das Europäische Parlament nach materiellem und formellem innerstaatlichen Recht entscheiden müsse, dieses aber nicht auf die Bedürfnisse des Europäischen Parlaments abstelle. 82 Vgl. die Darstellung bei Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445, 448; Schultz-Bleis, S. 72 ff. Sieglerschmidt hält diese Entscheidungspraxis des Europäischen Parlaments für vertragswidrig. Seiner Meinung nach hätte das Parlament Art. 10 Abs. 1 des Protokolls ausdrücklich für obsolet erklären können, mit der Begründung, dass die immunitätsrechtliche Ungleichbehandlung seiner Abgeordneten „den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten widerspreche, auf die sich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wiederholt berufen habe. Das Parlament hätte in einem solchen Beschluss erklären können, dass es bis zu einer Änderung des Protokolls seine Immunitätsentscheidungen im Hinblick darauf, dass das Immunitätsrecht Verfassungsrecht sei, auf der Grundlage der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen treffen werde.“ 83 Siehe ausführlich zur Entscheidungspraxis des Europäischen Parlaments bezüglich der Aufhebung der Immunität: Europäisches Parlament, Immunität, S. 187 f.; House of Lords, S. 15 f. 84 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 46 Rn. 5. 85 Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 29.
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die Entscheidung zur Aufhebung der Immunität mit den Bedürfnissen des Europäischen Parlaments im Einklang zu stehen habe, was allein über eine strikte Anwendung der mitgliedstaatlichen Aufhebungspraxis nicht möglich sei86. Ein Vergleich mit der Praxis des Deutschen Bundestags ergibt Folgendes: Der Deutsche Bundestag genehmigt entsprechend einem Beschluss des Deutschen Bundestags, der zu Beginn jeder Wahlperiode vom Plenum übernommen wird, generell bis zum Abschluss der Wahlperiode „die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen die Mitglieder des Bundestags wegen Straftaten, es sei denn, dass es sich um Beleidigungen politischen Charakters handelt“87. Diese Pauschalgenehmigung schließt die Anklageerhebung, den Erlass eines Strafbefehls oder einer Strafverfügung sowie freiheitsbeschränkende Maßnahmen nicht mit ein88. Nach Ansicht des Deutschen Bundestags soll die Immunitätsentscheidung aufgrund einer Abwägung der parlamentarischen Interessen mit denen der Rechtspflege an der ungehinderten Strafverfolgung erfolgen89. Der Deutsche Bundestag stellt in diesem Kontext im Gegensatz zum Europäischen Parlament nicht auf einen Zusammenhang der strafbaren Handlung mit dem politischen Wirken des Abgeordneten ab. Hieraus folgt, dass der Deutsche Bundestag die Immunität in nahezu allen Fällen mit Ausnahme der Beleidigungen politischen Charakters aufhebt90. Dies zeigt, dass die Immunitätspraxis des Europäischen Parlaments – statt sich an der innerstaatlichen Entscheidungspraxis zu orientieren – wesentlich weitergehender als die des Deutschen Bundestags ist91. Zwar widerspricht diese Praxis des Europäischen Parlaments in formaler Hinsicht dem Verweis auf das mitgliedstaatliche Recht in Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls, zu beachten ist aber, dass die mitgliedstaat86
Leopold, ELRev. 1981, 275, 277. Beschluss des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages, Anlage 7 der GOBT, Nr. 1. 88 Beschluss des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages, Anlage 7 der GOBT, Nr. 2. 89 Beschluss des Deutschen Bundestages über die Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten, Anlage 6 der GOBT, Nr. 4. 90 Vgl. Butzer, S. 294. 91 Klein, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 17 Rn. 66 Fn. 216; vgl. dazu auch den Bericht des Abgeordneten Buschbom, BT-Drucks. 11/1207 unter Nr. 1, der dies allerdings als Argument dafür heranzieht, dass aus Gründen der Gleichbehandlung für Abgeordnete des Deutschen Bundestages die Immunität nicht abgeschafft werden dürfe. Er verkennt dabei, dass die Immunität der Abgeordneten des Europäischen Parlaments durch den Verweis des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls von einer Immunitätsgewährung im Deutschen Bundestag abhängig ist. Sollte die Immunität für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages abgeschafft werden, so würden auch die in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments ihren Immunitätsschutz verlieren. 87
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lichen Behörden und Gerichte sich an die Immunitätsentscheidungen des Europäischen Parlaments halten. Die dargestellte Praxis des Europäischen Parlaments und deren stillschweigende Akzeptanz durch die Mitgliedstaaten erscheinen im Ergebnis sachgerecht, weil durch die entwickelten einheitlichen Aufhebungskriterien Teile der durch den Verweis auf das mitgliedstaatliche Immunitätsrecht bewirkten Unterschiede ausgeglichen werden92. e) Immunität gegenüber Gemeinschaftsorganen: Entscheidung Rothley u. a./EP Art. 10 des Protokolls gewährt den Abgeordneten des Europäischen Parlaments Immunität gegenüber den Mitgliedstaaten93. Die Vorschrift sieht nicht ausdrücklich eine Immunität der Mitglieder des Parlaments gegen Eingriffe von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft vor94. Dennoch enthält der Beschluss des EuG in der Rs. Rothley u. a./EP, der einigen Abgeordneten im Zusammenhang mit der Einrichtung des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF)95 vorläufigen Rechtsschutz gewährte, folgende Aussage: Es lasse „sich nicht ausschließen, dass Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b dahin ausgelegt werden kann, dass die Immunität der Mitglieder des Parlaments diese während der Dauer der Sitzungsperiode auch gemeinsam vor bestimmten Eingriffen von Gemeinschaftsorganen oder -einrichtungen – im vorliegenden Fall des Amts – schützt, wenn diese Eingriffe die Vorstufe für die Verfolgung vor einem nationalen Gericht darstellen können und die interne Funktionsfähigkeit des Parlaments beeinträchtigen könnten“96. Begründet wird dies überzeugend mit einem Verweis auf die gleiche Gefährdungslage97 und den seit 1965 (aus diesem Jahr stammt das Protokoll) veränderten rechtlichen Kontext98. In der Literatur wurde die mögliche Ausweitung des Schutzes der Immunität auf Handlungen der Gemeinschaftsorgane begrüßt99. In der Hauptsache des Verfahrens hat das 92 Dies entspricht auch der Intention des Europäischen Parlaments, vgl. Donnez, Dok. A2-121/86, Entwurf eines Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen, S. 13; Europäisches Parlament, Immunität, S. 176. 93 Mager, ZEuS 2000, 177, 196; Thym, EuR 2000, 990, 993. 94 EuG, Rs. T-17/00 R, Rothley u. a./EP, Slg. 2000, II-2085, 2116 Rn. 87. Siehe zu diesem Urteil auch Bradley, YEL 2001, 245, 266 ff. 95 Zum Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung siehe Kuhl/Spitzer, EuR 2000, 671 ff. 96 EuG, Rs. T-17/00 R, Rothley u. a./EP, Slg. 2000, II-2085, 2117 Rn. 92. 97 EuG, Rs. T-17/00 R, Rothley u. a./EP, Slg. 2000, II-2085, 2116 f. Rn. 89 f. 98 EuG, Rs. T-17/00 R, Rothley u. a./EP, Slg. 2000, II-2085, 2117 Rn. 91. 99 Thym, EuR 2000, 990, 994, der dies zusätzlich mit der Notwendigkeit begründet, „die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments als nunmehr gleichberechtigten Mitgesetzgeber und Kontrolleur der Kommission zu sichern und dadurch das
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EuG die Ausweitung des Immunitätsschutzes allerdings nicht konkret untersucht und bestätigt, weil die Klage der Abgeordneten bereits an Art. 230 Abs. 4 EG mangels individueller Betroffenheit der Abgeordneten scheiterte100. f) Zwischenergebnis Das Gemeinschaftsrecht enthält zwar einige Aussagen zum Immunitätsschutz, die für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments einheitlich gelten; entscheidend ist aber, dass der Umfang des Immunitätsschutzes der Abgeordneten in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet aufgrund des Verweises des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls von den nationalen Gewährleistungen abhängt. 5. Zeugnisverweigerungsrecht Ein Zeugnisverweigerungsrecht gewährt den Abgeordneten das Recht, ihnen anvertraute Tatsachen für sich zu behalten. a) Schutz der in Deutschland gewählten Abgeordneten Gemäß § 6 EuAbgG steht den in Deutschland gewählten Mitgliedern des Europäischen Parlaments ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, ausgestaltet wie das durch Art. 47 GG für die Mitglieder des Deutschen Bundestags kodifizierte. Art. 47 S. 1 GG gewährt den Abgeordneten des Bundestags ein Zeugnisverweigerungsrecht bezüglich der ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete anvertrauten Tatsachen. Soweit dieses Zeugnisverweigerungsrecht reicht, besteht gemäß Art. 47 S. 2 GG ein Beschlagnahmeverbot. Art. 47 GG schützt das freie Mandat der Abgeordneten101 und das Vertrauensverhältnis, das im Einzelfall zwischen einem Abgeordneten und einem Dritten mit Rücksicht auf die Mandatsausübung zustande gekommen ist102. Auch engen Mitarbeitern der Abgeordneten wird das Zeugnisverweigerungsrecht zuerkannt, damit über die persönliche Entscheidungsfreiheit der institutionelle Gleichgewicht zu stärken“. Wohl auch Haus, EuZW 2000, 745, 750, allerdings ohne nähere Begründung. Vorsichtiger Mager, ZEuS 2000, 177, 196 f. 100 EuG, Rs. T-17/00, Rothley u. a./EP, Slg. 2002, II-579, 602 ff. Rn. 63 ff. Zur individuellen Betroffenheit der Abgeordneten siehe auch unten S. 261 ff. 101 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 47 Rn. 2; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 47 Rn. 2; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 47 Rn. 2. 102 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 47 Rn. 2; Badura, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 15 Rn. 61; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 47 Rn. 2; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 47 Rn. 2.
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Abgeordneten hinaus auch die Vertraulichkeit ihres parlamentarischen Wirkungskreises gewährleistet ist103. Die Abgeordneten sind hinsichtlich der Inanspruchnahme ihres Rechts nur ihrem Gewissen unterworfen (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG); das Recht steht nicht zur Disposition des Bundestags, so dass eine Aufhebung im Einzelfall ausgeschlossen ist104. b) Gewohnheitsrechtliche Ableitung eines gemeinschaftsrechtlichen Zeugnisverweigerungsrechts vor nationalen Gerichten? Ein ausdrücklich normiertes Zeugnisverweigerungsrecht von Abgeordneten der nationalen Parlamente vor den jeweiligen nationalen Gerichten findet sich in den anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft wie auch sonst im internationalen Vergleich selten105. In der Europäischen Gemeinschaft106 gibt es ein derartiges, ausdrücklich normiertes Recht nur in Griechenland107, Irland108 und Portugal109. In Italien gibt es ein Abhör- und Be103
Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 47 Rn. 4; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 47 Rn. 8; Schneider, in: AK, Art. 47 Rn. 3. 104 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 47 Rn. 3; Magiera, in: Sachs, Art. 47 Rn. 3; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 47 Rn. 5; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, Art. 47 Rn. 2. 105 So Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 47 Rn. 2. 106 Siehe zu den einzelnen mitgliedstaatlichen Regelungen zum Zeugnisverweigerungsrecht ausführlicher unten S. 108 ff. 107 Vgl. Art. 61 Abs. 3 der Verfassung der Republik Griechenland. Dieser entspricht im Wesentlichen der deutschen Regelung, ohne allerdings ein Beschlagnahmeverbot zu enthalten. 108 Vgl. Art. 15 Abs. 10 der Verfassung der Republik Irland. Anders als in Deutschland bestimmt das Parlament für den jeweiligen Einzelfall per Beschluss, ob ein Mitglied Zeugnisfreiheit genießt. Die Abgeordneten sind somit nur geschützt, wenn das Parlament dies ausdrücklich bestimmt. 109 Vgl. den neu eingeführten Art. 157 Abs. 2 der Verfassung der Republik Portugal, wonach kein Abgeordneter ohne Genehmigung der Versammlung als Zeuge gehört oder als Beschuldigter vernommen werden darf. Eine Genehmigung muss im letzteren Fall allerdings erfolgen, sofern ein dringender Verdacht auf eine mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Straftat besteht. Nach der Regel 14 der „Regeln für Abgeordnete“ können die Abgeordneten ohne die Genehmigung der Versammlung weder als Geschworene noch als Sachverständige oder Zeugen auftreten. Dieses Recht ist im Gegensatz zur deutschen Regelung auf den Zeitraum der Sitzungsperiode begrenzt. Ebenfalls anders als in Deutschland steht die Aussage der portugiesischen Abgeordneten nach dem Wortlaut der Norm nicht in ihrem Ermessen, sie bedürfen vielmehr für jede Aussage einer Genehmigung des Parlaments. Das Zeugnisverweigerungsrecht stünde danach zur alleinigen Disposition des portugiesischen Parlaments. In der Praxis wird die Norm aber so ausgelegt, dass den Abgeordneten das Recht zusteht, ohne die Genehmigung der Versammlung der Republik nicht als Zeuge aussagen müssen. Letztlich entscheidet der Wunsch des Abge-
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schlagnahmeverbot110. In einigen Ländern gilt die Zeugnisfreiheit implizit im Rahmen der allgemeinen Parlamentsprivilegien von freier Rede und Unverfolgbarkeit, so in Belgien111, Frankreich112 und Großbritannien113. Das Protokoll sieht für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments keine Zeugnisfreiheit vor, so dass es keine normierte, einheitliche, für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments geltende Zeugnisfreiheit gibt114. Eine gewohnheitsrechtliche Ableitung bzw. Herleitung aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Zeugnisfreiheit für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist aufgrund der dargestellten unterschiedlichen Verfassungslagen in den Mitgliedstaaten, vor allem hinsichtlich des Umfangs und des Inhalts des Zeugnisverweigerungsrechts, nicht möglich115. Bei der vom Parlament schon 1986 angestrebten, jedoch nicht umgesetzten Revision des Protokolls war daher die Regelung eines Zeugnisverweigerungsrechts vorgesehen116. Die in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind somit nicht auch über ein gemeinschaftsrechtliches, sondern nur durch das über § 6 EuAbgG in Verbindung mit Art. 47 GG gewährte Zeugnisverweigerungsrecht geschützt. Dies hat zur Folge, dass die in Deutschland gewählten Abgeordneten sich nur vor deutschen Behörden und Gerichordneten, ob er als Zeuge angehört wird oder nicht. Siehe dazu Gil-Robles, Dok. A3-112/91, Bericht über den Antrag auf Genehmigung für den Abgeordneten Mendes Bota, als Zeuge auszusagen, S. 22 f. (Stellungnahme der Versammlung der portugiesischen Republik vom 11. Oktober 1990 – Anlage III). 110 Vgl. Art. 68 der Verfassung der Republik Italien. 111 In Belgien wird ein Zeugnisverweigerungsrecht in die Indemnitätsregelung – Art. 39 der belgischen Verfassung – hineininterpretiert. So Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 39. 112 Laut Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 41 bestimmt auch in Frankreich das Parlament per Beschluss darüber, ob seine Mitglieder im Einzelfall Zeugnisfreiheit genießen. 113 In Großbritannien ist das Zeugnisverweigerungsrecht an die Immunitätsregelung angelehnt, siehe May, S. 105. Das Parlament bestimmt per Beschluss darüber, ob sein Mitglied im jeweiligen Einzelfall der Zeugnisfreiheit unterliegt, siehe Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 41. 114 Vgl. auch Mager, ZEuS 2000, 177, 196 f. Das Europäische Parlament hat sich auf einen Antrag des portugiesischen Parlaments hin zur Erteilung einer Aussagegenehmigung für nicht zuständig erklärt: ABl. 1991 C 158 S. 27, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14.5.1991. Berichterstatter Gil-Robles, Dok. A3112/91, Bericht über den Antrag auf Genehmigung für den Abgeordneten Mendes Bota, als Zeuge auszusagen, S. 11, stellt fest, dass eine solche Genehmigung nicht zu den Vorrechten gehört, die das Protokoll den Mitgliedern des Europäischen Parlaments einräumt. 115 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 47 Rn. 2; Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 42. 116 Donnez, Dok. A2-121/86, Entwurf eines Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen, S. 5, 6, 29, 31.
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ten, nicht aber vor den Gerichten anderer Mitgliedstaaten auf ihre Zeugnisfreiheit berufen können. c) Zeugnisverweigerungsrecht vor deutschen Gerichten für alle Europaabgeordneten? In der Literatur wird angenommen, dass dort, wo ein innerstaatliches Zeugnisverweigerungsrecht besteht, dieses auch auf die Mitglieder des Europäischen Parlaments angewandt werden müsse, selbst wenn diese nicht in dem Mitgliedstaat gewählt wurden, in dem das Recht geltend gemacht wird117. So könne das Zeugnisverweigerungsrecht des Art. 47 GG nicht nur von den in Deutschland gewählten Abgeordneten, sondern von allen Abgeordneten des Europäischen Parlaments vor deutschen Gerichten und Behörden geltend gemacht werden. Einzig Umbach versucht diese Aussage zu begründen, indem er auf Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b des Protokolls verweist118. Diese Vorschrift gewährt den Abgeordneten des Europäischen Parlaments einen gemeinschaftsweit geltenden Schutz davor, im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, in denen sie nicht gewählt wurden, festgehalten oder gerichtlich verfolgt zu werden. Es ist zu erwägen, in diese Vorschrift – entsprechend der auf Belgien, Frankreich und Großbritannien begrenzten Verfassungstradition119 – eine Zeugnisfreiheit hineinzulesen. Einer Entschließung des Europäischen Parlaments ist jedoch zu entnehmen, dass dieses davon ausgeht, dass sich die Gewährleistungen des Art. 10 des Protokolls auf die „Unverletzlichkeit“ beschränken und die Zeugnisfreiheit nicht mitumfassen120. Der Argumentation von Umbach kann daher nicht gefolgt werden. Die Anwendung des Art. 47 GG wird durch § 6 EuAbgG ermöglicht. Zu untersuchen ist, ob § 6 EuAbgG der vertretenen, auf in anderen Mitgliedstaaten gewählte Abgeordnete erweiterten Interpretation offen ist. Gemäß § 1 EuAbgG gilt das EuAbgG für Mitglieder des Europäischen Parlaments, die in der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden sind. Dem Wortlaut des § 6 EuAbgG ist kein Hinweis auf einen darüber hinausgehenden Anwendungsbereich zu entnehmen. Eine systematische Analyse ergibt, dass auch alle anderen Vorschriften des EuAbgG nur für die in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments gelten und bei diesen 117
Bieber, EuR 1981, 124, 132; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 30; Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 43, der dies allerdings nur für „wahrscheinlich“ hält. 118 In: BK, Art. 47 Rn. 43. 119 Siehe oben S. 71 ff. 120 ABl. 1991 C 158 S. 27, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Mai 1991, bezogen auf einen Genehmigungsvorbehalt für die Zeugenaussagen von Abgeordneten, wie er in der portugiesischen Verfassung normiert ist.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
auch nicht diskutiert wird, ob sie sich auf in anderen Mitgliedstaaten gewählte Abgeordnete des Europäischen Parlaments beziehen. Auch die Gesetzesbegründung des EuAbgG beschränkt den Anwendungsbereich des Gesetzes ausdrücklich auf die Abgeordneten aus der Bundesrepublik Deutschland121. Diese Beschränkung ist auch die Folge der bezweckten Anlehnung der Rechtsstellung der in Deutschland gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments an die Mitglieder des Deutschen Bundestags, denn es gibt keinen Grund, auch die Stellung der in anderen Mitgliedstaaten gewählten Abgeordneten den Mitgliedern des Deutschen Bundestags anzunähern. Die Auslegung rechtfertigt somit nicht die Annahme, dass sich auch die in anderen Mitgliedstaaten gewählten Abgeordneten gegenüber deutschen Gerichten und Behörden auf § 6 EuAbgG stützen können. d) Zeugnisverweigerungsrecht vor dem EuGH? Fraglich ist, ob sich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments vor dem EuGH auf eine Zeugnisfreiheit berufen können. Art. 47 GG und die entsprechenden nationalen Regelungen anderer Mitgliedstaaten entfalten nur vor den jeweiligen nationalen Behörden und Gerichten Wirkung, nicht jedoch vor dem EuGH122. Es wird vertreten, dass sich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf das in Art. 48 der VerfO des EuGH bzw. Art. 69 der VerfO des EuG normierte Aussageverweigerungsrecht bei „berechtigten Entschuldigungsgründen“ berufen können123. Ein solcher berechtigter Entschuldigungsgrund könne in der institutionellen Tradition der meisten Mitgliedstaaten gesehen werden. Im Interesse einer eindeutigen und übereinstimmenden Rechtslage wird dennoch eine Ergänzung des Protokolls um eine Art. 47 GG entsprechende Formulierung als wünschenswert erachtet124. Einen Anwendungsfall hat es, soweit ersichtlich, bis zum heutigen Zeitpunkt nicht gegeben125. Art. 48 VerfO des EuGH normiert in Abs. 1 die Pflicht der vom EuGH nach Art. 47 geladenen Zeugen, der Ladung Folge zu leisten. Art. 48 Abs. 2 121 BT-Drs. 8/362, S. 6, Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum EuAbgG. 122 So auch Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 43. Dies entspricht der Geltung der Immunität, die nur gegenüber inländischen Behörden und Gerichten Wirkung zeigt, siehe oben S. 61 f. 123 Bieber, EuR 1981, 124, 132; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 30; Fleuter, S. 116; etwas zurückhaltender Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 43. 124 Bieber, EuR 1981, 124, 132; Fleuter, S. 117. 125 Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 30, sprechen daher von einem „bislang allerdings theoretischen Problem“.
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VerfO des EuGH sieht die Verhängung einer Geldbuße für den Fall vor, dass ein Zeuge nicht erscheint oder ohne „berechtigten Grund“ die Aussage, die Eidesleistung oder die feierliche Erklärung verweigert. Eine Definition des „berechtigten Grundes“ gibt es nicht. Art. 48 Abs. 3 VerfO des EuGH erwähnt für die Zurücknahme schon verhängter Geldbußen „berechtigte Entschuldigungsgründe“. Aus der bisherigen Praxis des EuGH zu Art. 48 VerfO des EuGH könnte sich ergeben, dass den Abgeordneten vor dem EuGH ein Zeugnisverweigerungsrecht zuzusprechen ist. In der Entscheidung Alfieri/Parlament hat ein Zeuge sein „Fernbleiben ausreichend entschuldigt“ und eine schriftliche Erklärung abgegeben126. In den Entscheidung Prakash/Kommission der EAG wurde der Aufenthalt eines Zeugen in den Vereinigten Staaten von Amerika als berechtigter Grund anerkannt; dieser Zeuge hatte die Fragen schriftlich beantwortet127. Auffallend ist, dass in diesen beiden Fällen die Zeugen nicht die Aussage verweigert, sondern sich nur auf eine schriftliche Aussage beschränkt haben. Es handelt sich daher nicht um Fälle der Zeugnisverweigerung, sondern um ein „entschuldigtes Ausbleiben“128. Aufschlussreicher ist die Entscheidung Fräulein M/Kommission129: In diesem Verfahren haben mehrere Ärzte, deren Erscheinen vom EuGH angeordnet worden war, jede Aussage unter Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht verweigert. Gestützt auf eine rechtsvergleichende Untersuchung über die ärztliche Schweigepflicht in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hat der EuGH ein Zeugnisverweigerungsrecht ausdrücklich anerkannt, es nur im konkreten Fall unter Berufung auf im Recht aller Mitgliedstaaten bestehende Grenzen des Umfangs der Schweigepflicht abgelehnt130. Diese Entscheidung weist darauf hin, dass der EuGH mitgliedstaatliche Zeugnisverweigerungsrechte prinzipiell als „berechtigte Gründe“ für eine Aussageverweigerung anerkennt. Sie lässt sich aber nicht direkt auf ein Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten des Europäischen Parlaments übertragen, denn anders als im Fall der Schweigepflicht, die laut EuGH in allen Mitgliedstaaten besteht131, kann nicht von einer gewohnheitsrechtlichen, gemeinschaftsweiten Geltung eines Zeugnisverweigerungsrechts der Abgeordneten vor nationalen Gerichten ausgegangen werden132. 126 127
EuGH, Rs. 3/66, Alfieri/Parlament, Slg. 1966, 653, 669 f. EuGH, verb. Rs. 19 u. 65/63, Prakash/Kommission der EAG, Slg. 1965, 717,
735. 128
Auch die StPO unterscheidet mit § 51 (Ausbleiben) und §§ 53 ff. (Zeugnisverweigerungsrechte) zwischen diesen beiden Aspekten. 129 EuGH, Rs. 155/78, Fräulein M/Kommission, Slg. 1980, 1797. 130 EuGH, Rs. 155/78, Fräulein M/Kommission, Slg. 1980, 1797, 1810 f. Rn. 18 ff., ohne den Ärzten allerdings eine Geldbuße aufzuerlegen. 131 EuGH, Rs. 155/78, Fräulein M/Kommission, Slg. 1980, 1797, 1811 Rn. 19; siehe auch in derselben Rs. GA Capotorti, in: EuGH, Slg. 1980, 1797, 1820 f.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
Allerdings stellt die Formulierung „berechtigte Gründe“ es in das Ermessen des EuGH, wann ein solcher Grund anzunehmen ist. Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang auch die Rechtsprechung des EuGH, nach der gemeinschaftsrechtliche Begriffe, wenn sie nicht ausdrücklich auf nationales Recht Bezug nehmen, als autonom133 anzusehen sind und ein Rückgriff auf innerstaatliches Recht abzulehnen ist134. Auch bei der Rechtsgewinnung aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, auf die bei der Herleitung eines Zeugnisverweigerungsrechts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments zurückgegriffen werden kann, gibt es keine Regel, dass die Gemeinschaftsgerichte nur solche Grundsätze anwenden dürften, die den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten gemeinsam sind135. Begründet wird dies damit, dass ansonsten nur der Torso eines Minimalstandards erreicht werde. Notwendig sei vielmehr eine wertende Auswahl aus den nationalen Lösungen, eine sog. wertende Rechtsvergleichung, „bei der insbesondere die speziellen Vertragsziele und die Besonderheiten der Gemeinschaftsstruktur berücksichtigt werden müssen“136. Dies spricht dafür, dass der EuGH als „berechtigten Grund“ auch ein Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten des Europäischen Parlaments anzusehen hat, zumal hierbei auf die Verfassungen wenn auch nicht aller, so doch einiger Mitgliedstaaten verwiesen werden kann. Als besonderes Vertragsziel kann die Funktionstauglichkeit137 und die Unabhängigkeit138 des Europäischen Parlaments gegenüber anderen Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedstaaten angesehen werden, da diese durch einen Schutz der Vertrauensverhältnisse der Abgeordneten mit Dritten zumindest verstärkt werden.
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Siehe oben S. 71 ff. EuGH, Rs. 189/87, Kafelis/Bankhaus Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co., Slg. 1988, 5565, 5584 Rn. 16, zu dem Begriff „unerlaubte Handlung“. 134 EuGH, Rs. 64/81, Cormann/HZA Gronau, Slg. 1982, 13, 24 Rn. 8; Rs. 49/71 u. 50/71, Hagen/Einfuhr- und Vorratsstelle, Slg. 1972, 23, 35 Rn.6; zustimmend Nicolaysen, S. 16; Schultz-Bleis, S. 30 f.; Schwarze, in: Schwarze, Art. 220 EG Rn. 30. 135 Pernice, in: Grabitz/Hilf (Maastrichter Fassung), Art. 164 EG Rn. 57 ff., generell zur Herleitung allgemeiner Rechtsgrundsätze und Gemeinschaftsgrundrechte. Siehe auch GA Roemer, in: EuGH, Rs. 5/71, Zuckerfabrik Schöppenstedt, Slg. 1971, 975, 990, sowie Berg, in: Schwarze, Art. 288 EG Rn. 31; Gilsdorf/Oliver, in: GTE, Art. 215 Rn. 12; Nicolaysen, Europarecht I, S. 421 f., ferner v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EG Rn. 28 zu der Rechtsgewinnung aus allgemeinen und gemeinsamen Rechtsgrundsätzen im Haftungsrecht. 136 GA Roemer, in: EuGH, Rs. 5/71, Zuckerfabrik Schöppenstedt, Slg. 1971, 975, 990, zu der Rechtsgewinnung aus allgemeinen und gemeinsamen Rechtsgrundsätzen im Haftungsrecht. 137 Siehe dazu unten S. 165 ff. 138 Siehe dazu unten S. 121 ff. 133
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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e) Zwischenergebnis Den in Deutschland gewählten Abgeordneten wird das Zeugnisverweigerungsrecht ausschließlich durch nationale Vorschriften gewährt. Eine gemeinschaftsrechtliche Regelung besteht nicht. Dennoch sprechen gute Gründe dafür, dass die Abgeordneten sich vor dem EuGH auf eine Zeugnisfreiheit berufen können. 6. Freizügigkeit Eine EG-spezifische Besonderheit des Abgeordnetenstatus, die auf der Notwendigkeit einer Annäherung an die für internationale Beamten und Diplomaten geltenden Reglungen beruht139, stellt das Prinzip der Freizügigkeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments dar. Allerdings gewährt Art. 8 Abs. 1 des Protokolls nur die Befreiung von „verwaltungsmäßigen oder sonstigen Beschränkungen“ auf der Reise der Abgeordneten „von und zum Tagungsort der Versammlung“140. Die Regelung des Art. 8 Abs. 1 des Protokolls wird kritisiert, weil die durch sie gewährte Freizügigkeit der Abgeordneten nicht weitreichend genug sei141. So unterliegen Reisen, die ein Abgeordneter zwar in Ausübung seines Mandats, aber nicht zur Teilnahme an Veranstaltungen des Parlaments oder seiner Organe unternimmt, den allgemeinen, für alle EG-Bürger geltenden Bestimmungen für Einreise und Aufenthalt142. Auch gewährt das Protokoll den Mitgliedern des Europäischen Parlaments nicht die Sonderregeln, die bei einer Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat den Beamten der Gemeinschaften und den Mitgliedern der Kommission, des Gerichtshofs, des Rechnungshofes, der Europäischen Investitionsbank sowie der Europäischen Zentralbank gemäß Art. 12 und 14 des Protokolls gewährt werden. Die Mitgliedstaaten sind anscheinend bei der Verabschiedung des Protokolls davon ausgegangen, dass die Mitglieder des Europäi139
Siehe oben S. 32 f. Zusätzlich stellt der Präsident den Abgeordneten auf der Grundlage des Art. 7 des Protokolls besondere Ausweise aus, die ihnen die volle Freizügigkeit in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ermöglichen sollen. Grabitz/Läufer, 1. Teil, Rn. 35, Rn. 122, verweisen darauf, dass die Freizügigkeit in der Praxis allerdings nicht immer gewährt wurde. 141 Bieber, EuR 1981, 124, 132 f.; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 199 ff.; Fleuter, S. 117; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Rn. 31; Jeuniaux, S. 244 ff.; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 54 Rn. 36; Schoo, in: Schwarze, Art. 190 EG Rn. 28. 142 Bieber, EuR 1981, 124, 132; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 200; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Rn. 31; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 54 Rn. 36. 140
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
schen Parlaments sich nur vorübergehend ins Ausland begeben; in der Praxis halten es aber immer mehr Abgeordnete für erforderlich, einen Wohnsitz außerhalb ihres Mitgliedstaates, an einem der Arbeitsorte des Parlaments zu begründen143. Diese Diskrepanz zwischen der Gewährleistung des Protokolls und der Wirklichkeit kann im direkten Zusammenhang mit der Einführung der Direktwahl gesehen werden, denn es ist naheliegend, dass Abgeordnete, die „nur“ ein Mandat im Europäischen Parlament, nicht aber im nationalen Parlament haben, sich auf ihr Mandat im Europäischen Parlament konzentrieren und ihren Wohnsitz verlegen wollen. Die Kritik an Art. 8 Abs. 1 des Protokolls erscheint gerechtfertigt, insbesondere weil nicht verständlich ist, dass den Abgeordneten des Europäischen Parlaments nicht dieselben Rechte gewährt werden wie den Beamten oder Kommissionsmitgliedern. Die praktische Relevanz einer besonderen Gewährleistung der Freizügigkeit für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments dürfte aber mit der Einführung der Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit aller Unionsbürger in der gesamten Union gemäß Art. 18 EG (ex-Art. 8a) durch den Vertrag von Maastricht stark abgenommen haben. Denn das Recht der Freizügigkeit ist seitdem nicht mehr an eine wirtschaftliche Betätigung geknüpft144 und umfasst neben der freien Bewegung im Binnenraum auch das Recht, in einem anderen Mitgliedstaat einen Wohnsitz zu begründen145. 7. Unvereinbarkeiten Die Unvereinbarkeit bestimmter Ämter mit dem Mandat eines Abgeordneten soll die Weisungsunabhängigkeit des Abgeordneten im Sinne seines freien Mandats sichern sowie Interessen- und Funktionskonflikte vermeiden146. Machthäufung, Funktionsverschränkung und Schwächung der parlamentarischen Kontrollmechanismen sollen in institutioneller wie personeller Hinsicht vermieden werden147. Ziel ist schließlich die Gewährleistung eines größeren Engagements der Parlamentarier bei der Ausübung des Mandats, indem einer Häufung von Ämtern vorgebeugt wird148. 143
Bieber, EuR 1981, 124, 132 f.; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 200; Fleuter, S. 118 f.; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Rn. 31; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 54 Rn. 36. 144 Hatje, in: Schwarze, Art. 18 EG Rn. 1; Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 18 EG Rn. 1. 145 Hatje, in: Schwarze, Art. 18 EG Rn. 6; Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 18 EG Rn. 3. 146 Fleuter, S. 106. Siehe auch Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 6. 147 Stern, Bd. 1, § 24 S. 1054. 148 Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 6.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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Für die europäischen Abgeordneten sind zwei Arten von Unvereinbarkeiten zu unterscheiden: solche mit Ämtern auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts, wie sie in Art. 6 Abs. 1 der Wahlakte geregelt werden, sowie sonstige Unvereinbarkeiten, die sich in erster Linie gemäß Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte aus dem nationalen Recht ergeben149. a) Gemeinschaftsrechtliche Ebene aa) Allgemeines Art. 6 Abs. 1 der Wahlakte regelt Unvereinbarkeiten, die für alle Mitglieder des Europäischen Parlaments einheitlich gelten, gleichgültig in welchem Mitgliedstaat sie gewählt sind. Diese Inkompatibilitäten gelten daher auch für die in Deutschland gewählten Abgeordneten. Nach Art. 6 Abs. 1 der Wahlakte ist die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament unvereinbar mit folgenden Eigenschaften: Mitglied der Regierung eine Mitgliedstaates; Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaften; Richter, Generalanwalt oder Kanzler des EuGH; Mitglied des Rechnungshofes der Europäischen Gemeinschaften; Mitglied bestimmter Ausschüsse und Gremien der Europäischen Gemeinschaft sowie der Europäischen Investitionsbank. Unvereinbar ist die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament auch mit der Funktion als im aktiven Dienst stehender Beamter und Bediensteter der Institutionen der Europäischen Gemeinschaften oder der ihnen angegliederten fachlichen Gremien. Die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft im Parlament mit der in der Kommission wird überzeugend kritisiert: Nur über angemessene Verschränkungen von exekutiven und legislativen Funktionen zwischen den Organen könnten eine wirksame Einflussnahme auf den politischen Planungs- und Entscheidungsprozeß der Europäischen Gemeinschaften sowie reale Kontrollbefugnisse des Parlaments über die Kommission und den Rat erreicht werden150. Die Unvereinbarkeit einer Mitgliedschaft in Parlament und Rat ist hingegen zur Erhaltung der gegenseitigen Kontrolle und aus Gründen der Gewaltenteilung erforderlich151.
149 Zu den durch den Ratsbeschluss zur Neufassung der Wahlakte vorgesehenen Änderungen des Art. 6 der Wahlakte siehe unten S. 233 ff. 150 Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 32 f. Kritisch auch Jacqué, Integration 1989, 61, 64; Oppermann/Kilian, EuR 1981, 366, 387. 151 Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 32; Oppermann/Kilian, EuR 1981, 366, 387.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
bb) Im Besonderen: Doppelmandat Unter dem Schlagwort „Doppelmandat“ wird die gleichzeitige Mitgliedschaft im Europäischen Parlament und in dem Parlament eines der Mitgliedstaaten verstanden152. (1) Verbot des Doppelmandats durch nationale Regelung? Diskutiert wird, ob die Mitgliedstaaten einen Ausschluss des Doppelmandats durch eine nationale Regelung normieren dürfen. Größtenteils wird dies bejaht153. Zum einen wird dies auf die Ermächtigung des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte gestützt154; zum anderen wird auf den Übergangs- und Kompromisscharakter von Art. 5 der Wahlakte verwiesen155. Andere vertreten, Art. 5 der Wahlakte schließe ein Verbot des Doppelmandats aus und schränke Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte ein156. Auch die Kommission hat die Möglichkeit eines nationalen Verbots des Doppelmandats verneint, weil der Akt den Abgeordneten des Europäischen Parlaments die Möglichkeit einräume, darüber zu entscheiden, ob sie ein Doppelmandat ausüben wollen oder nicht157. Eine so weitgehende Auslegung des Art. 5 der Wahlakte ist 152 Vgl. Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 5. Zu dem durch den Ratsbeschluss zur Neufassung der Wahlakte vorgesehenen Verbot des Doppelmandats siehe unten S. 233. 153 Fleuter, S. 107; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 35; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 41; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 48 Rn. 27; Ress, in: Zorgbibe, 107, 113. 154 Fleuter, S. 107; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 41; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 48 Rn. 27; siehe auch Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 35 – a. A. Bieber, in: Handbuch der europäischen Integration, S. 148, 154: Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte schließe nicht das Recht zur Einschränkung der möglichen Doppelmitgliedschaft mit ein. 155 Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 41; zum Kompromisscharakter siehe Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 34, 35. 156 BT-Drs. 8/360, S. 13, Denkschrift zu dem Beschluss und Akt des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung. Auch der schwedische Gesetzgeber hat 1995 Art. 5 der Wahlakte derart interpretiert, vgl. Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 35. Für Grabitz/Läufer, 4. Teil Rn. 6, bezieht Art. 6 der Wahlakte sich nur auf Unvereinbarkeiten zwischen Amt und Mandat, nicht aber auf die Unvereinbarkeit von zwei Mandaten. Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 26, und Grabitz/Meyer, § 1 EuWG Rn. 95, sind der Ansicht, dass angesichts der vorgesehenen einheitlichen Wahlregelung die Zulässigkeit des Doppelmandats nicht ohne Not einseitig präjudiziert werden dürfe. Dabei gingen sie aber anscheinend davon aus, dass schon für die zweite Direktwahl ein einheitliches Wahlverfahren bestehen würde. Vgl. auch Da Silva Ochoa, Revista de Institutiones Europeas 1988, 485, 497 ff.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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nicht mit der Ermächtigung des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte und insbesondere nicht mit der Entstehungsgeschichte des Art. 5 der Wahlakte als Kompromiss gegenüber der weitergehenden Forderung nach einem völligen Verbot des Doppelmandats bereits auf Gemeinschaftsebene158 vereinbar. So ging man in den Zeiten der Einführung der Direktwahl davon aus, dass die Möglichkeit des Doppelmandats nur für eine Wahlperiode bestünde159. Die belgische160, finnische161, französische162, österreichische163, portugiesische164 und spanische165 Wahlgesetzgebung haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, indem sie die Mitgliedschaft in einem nationalen Parlament dieser Staaten mit der Mitgliedschaft im Europäischen Parlament für unvereinbar erklärt haben. Das griechische Wahlrecht enthält eine weitgehende Einschränkung der Zulässigkeit von Doppelmandaten166. In Dänemark fassen die einzelnen Parteien den Beschluss über die Vereinbarkeit des Mandats als Mitglied des nationalen Parlaments mit dem eines Mitglieds des Europäischen Parlaments167. In Irland gilt das Verbot des Doppelmandats nur für die Präsidenten und die Vizepräsidenten der beiden Kammern des nationalen Parlaments168.
157 ABl. 1987 C 112/45, Antwort der Kommission vom 10.02.1987 auf die schriftliche Anfrage Nr. 2102/86 des Abgeordneten de Gucht. Die Kommission hat aber von einer Untersuchung der Vereinbarkeit des belgischen Wahlgesetzes mit dem Akt durch den Gerichtshof unter Verweis auf die Bestrebungen der wichtigsten Parteien der Mitgliedstaaten, „die Praxis der europäisch/nationalen Doppelmandate einzuschränken oder ganz auf sie zu verzichten“, Abstand genommen. 158 Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 35. 159 Grabitz/Meyer, NJW 1978, 1705, 1709. 160 Vgl. Art. 42 Unterabs. 2 des Gesetzes vom 23. März 1989 über die Wahl zum Europäischen Parlament, geändert durch das Gesetz vom 11. April 1994, siehe Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 24. 161 In Finnland ist das Doppelmandat nicht kategorisch untersagt, doch die Ausübung des nationalen Parlamentsmandats ruht für die Zeit der Mitgliedschaft im Europäischen Parlament, vgl. Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 34. 162 Vgl. die neue Rechtlage in Art. 6-1 des Gesetzes „no 77-729 du 07 Juillet 1977“, in seiner seit dem Gesetz „2000-295 5 Avril 2000 art 22 JORF 6 Avril 2000“ eingeführten Fassung. 163 Vgl. Art. 59 B-VG. 164 Vgl. Art. 6.3b des Wahlgesetzes für die Wahl zum Europäischen Parlament. 165 Vgl. Art. 211 Abs. 1 Buchstabe c) des L.O.R.E.G. 166 In Griechenland ist ein Mandat im nationalen Parlament mit einem Mandat im Europäischen Parlament grundsätzlich unvereinbar; allerdings können die beiden ersten Kandidaten auf der Wahlliste ihrer Partei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament gewählt werden, sofern die Wahl ins griechische Parlament auf der Liste der gleichen Partei erfolgt, vgl. Art. 13 Abs. 1 des Gesetzes 1443/1984 (ABl. A’, 93). Vgl. Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 26. 167 Siehe Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 25.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
Das Europäische Parlament ist der Auffassung, „dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments im Prinzip für ein Vollzeitmandat gewählt werden und daher weder Zeit noch Gelegenheit haben, ein Mandat in einem nationalen Parlament wahrzunehmen, und fordert die Mitgliedstaaten dazu auf, Art. 5 der Wahlakte dahingehend zu ändern, dass diese Praxis untersagt wird“169. Das Doppelmandat hat heute lediglich eine begrenzte praktische Bedeutung. Nach den Wahlen 1999 haben nur 40 Abgeordneten des Europäischen Parlaments, d.h. 6,4% aller Abgeordneten, gleichzeitig ein Mandat in einem nationalen Parlament170. (2) Regelung des Doppelmandats in Deutschland Das EuAbgG enthält keine Regelung über die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag mit der im Europäischen Parlament. § 1 Abs. 2 EuWG bestimmt, dass die Mitglieder des Deutschen Bundestags zugleich Abgeordnete des Europäischen Parlaments sein können. Der Gesetzgeber war – auch unter Verweis auf den Inhalt des Art. 5 der Wahlakte – der Ansicht, dass dem direkt gewählten Parlament jedenfalls während einer Übergangszeit auch Mitglieder des Deutschen Bundestags angehören können sollten171. Derzeit übt kein in Deutschland gewählter Abgeordneter ein Doppelmandat aus172. b) Deutsche Regelung Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte ermächtigt die Mitgliedstaaten, über das Gemeinschaftsrecht hinausgehende Unvereinbarkeiten zu regeln. Diese Ermächtigung der Mitgliedstaaten zur Regelung weiterer Unvereinbarkeiten soll dem Umstand Rechnung tragen, dass in den Mitgliedstaaten traditionell sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Inkompatibilität von Parlamentsmandaten bestehen173. Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Ermächtigung in § 7 und 8 Abs. 3 EuAbgG Gebrauch gemacht. § 7 EuAbgG 168
Vgl. Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes über die Wahlen zum Europäischen Parla-
ment. 169 ABl. 1988 C 235/131, 132, Entschließung des Europäischen Parlaments. Diesem Wunsch des Parlaments ist der Rat in seinem Beschluss zur Neufassung der Wahlakte nachgekommen. Siehe dazu unten S. 233. 170 Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 50. 171 BT-Drs. 8/361, S. 13, Begründung des Gesetzentwurfs des Europawahlgesetzes der Bundesregierung. 172 Vgl. Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 50. 173 Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 37.
A. Status der in Deutschland gewählten Abgeordneten
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erklärt die in § 22 Abs. 2 Nr. 7–13 und 15 EuWG aufgeführten Ämter für mit der Mitgliedschaft im Europäischen Parlament unvereinbar. Darunter fallen folgende Ämter: Bundespräsident, Richter des Bundesverfassungsgerichts, Parlamentarischer Staatssekretär, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags, Bundesbeauftragter für den Datenschutz, Mitglied einer Landesregierung. Unvereinbar sind auch eine in Art. 6 Abs. 1 des Akts genannte Funktion und das Amt des Staatsoberhauptes, des Richters des Verfassungsgerichtes, des Mitglieds einer mit einer deutschen Landesregierung vergleichbaren Regierung sowie das einem Parlamentarischen Staatssekretär in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbare Amt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften. § 8 Abs. 3 des EuAbgG bestimmt die entsprechende Anwendung der §§ 5 bis 9 und 36 Abs. 1 und 2 des AbgG174, § 36 Abs. 2 des Deutschen Richtergesetzes175, § 25 des Soldatengesetzes176 und der aufgrund des § 10 AbgG177 erlassenen Gesetze. Die Tatsache, dass von der vom Gemeinschaftsrecht eingeräumten Möglichkeit der Normierung nationaler Unvereinbarkeitsregelungen „in vollem Umfang“178 Gebrauch gemacht wurde, wird vom Deutschen Bundestag mit „einer optimalen Verwirklichung des Demokratieprinzips“, der „Absicherung der Unabhängigkeit der Abgeordneten“ des Europäischen Parlaments und der „Vermeidung jeden Anscheins einer Verquickung von nationaler Staatlichkeit und europäischer Volksrepräsentation bzw. der verschiedenen Gewalten untereinander“ begründet179. 8. Wirtschaftliche und soziale Statusrechte Eine Entschädigung der Abgeordneten hat im nationalen Verfassungsrecht das Ziel, die Unabhängigkeit und damit die Entschließungsfreiheit der Abgeordneten gegenüber der öffentlichen Gewalt und einflussreichen ge174 §§ 5 bis 9 und 36 Abs. 1 und 2 des AbgG betreffen das Ruhen der Rechte und Pflichten von Beamten, Beamten auf Zeit, Richtern, Soldaten, Angestellten des öffentlichen Dienstes und Professoren bei Annahme der Wahl. 175 Nach § 36 Abs. 2 des Deutschen Richtergesetzes endet das Recht und die Pflicht zur Wahrnehmung des Richteramtes bei Annahme der Wahl in den Deutschen Bundestag. 176 § 25 des Soldatengesetzes bestimmt u. a., dass ein Soldat, der seiner Aufstellung als Bewerber für die Wahl zum Deutschen Bundestag zustimmt, dies unverzüglich seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten mitzuteilen hat. 177 § 10 AbgG betrifft Wahlbeamte auf Probe. 178 So BT-Drs. 8/362, S. 7, Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum EuAbgG. 179 BT-Drs. 8/362, S. 7, Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum EuAbgG; kritisch zu der Unvereinbarkeit von Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst und Mitgliedschaft im Europäischen Parlament Sträter, ZBR 1979, 221, 222.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
sellschaftlichen Kräften zu sichern und es den Abgeordneten zu ermöglichen, die sich aus ihrem repräsentativen verfassungsrechtlichen Status ergebenden Rechte und Pflichten in Freiheit wahrzunehmen180. Dies lässt sich auf die Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit der Maßgabe übertragen, dass sie sowohl vor Einflussnahme seitens ihrer nationalen Regierungen als auch seitens des Rats und der Kommission zu schützen sind. Die Entschädigung der Abgeordneten soll außerdem gewährleisten, dass jedem Bürger, unabhängig von seiner persönlichen finanziellen Lage, die Möglichkeit offen stehen soll, Parlamentsmitglied zu werden181. Die Regelung der wirtschaftlichen und sozialen Statusrechte wird daher auch als Kernstück des Abgeordnetenstatus bezeichnet182. Der wirtschaftliche und soziale Status der Mitglieder des Europäischen Parlaments ist sowohl mitgliedstaatlich als auch gemeinschaftsrechtlich geregelt. Das Europäische Parlament erbringt – auf der Grundlage seines Selbstorganisationsrechts (Art. 199 Abs. 1 EG; Art. 5 GO-EP) – aus seinem Haushalt nur ergänzende Leistungen in Form von Aufwandsentschädigungen. Auf dieser Grundlage dürfen nur solche Beschlüsse gefällt werden, die unmittelbar der Aufgabenerfüllung des Europäischen Parlaments zu dienen bestimmt sind183. Diäten- und Sozialversorgungsregelungen richten sich nach mitgliedstaatlichem Recht. a) Gemeinschaftsrechtliche Regelung Das Europäische Parlament gewährt den Abgeordneten auf der Grundlage der „Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder“184 folgende Leistungen185: • eine monatliche Kostenpauschale in Höhe von 3.385 Euro als pauschale Erstattung für die Kosten, die mit der Ausübung des Mandats verbunden sind, • 240 Euro pro Tag, an dem sie ihr Mandat durch die Teilnahme an öffentlichen Sitzungen des Europäischen Parlaments ausüben,
180 BVerfGE 4, 144, 150; 20, 56, 103; 32, 157, 164; Gibel, RFSP 1981, 211, 212; Magiera, in: Sachs, Art. 48 Rn. 17. Siehe auch van der Hulst, S. 27, 29. 181 Gibel, RFSP 1981, 211, 212; van der Hulst, S. 27, 29. 182 Bieber, EuR 1981, 124, 133; Thöne-Wille, S. 51. 183 Bieber, in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 202; Fleuter, S. 122. 184 PE 133.116/QUEST/rev. XI/7-2001-DV\445055DE.doc vom 2. Juli 2001. 185 Die hier angegebenen Beträge wurden vom Präsidium des Europäischen Parlaments für 2000 beschlossen (PE 285.255/QUE). Siehe auch Braun/Jantsch/Klante, § 12 Rn. 89; Zarka, S. 50 f.
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• einen Anspruch auf Erstattung der nachweislich verauslagten Kosten, die sie in Wahrnehmung ihres Amts haben (darunter fallen auch die Reisekosten, die durch die Anreise nach Straßburg und Brüssel entstehen und nach einer Kilometerpauschale berechnet werden186), • eine Reisekostenpauschale für Reisen im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Mandats in Höhe von 3.500 Euro und • einen Anspruch auf eine Zulage für persönliche Mitarbeiter in Höhe von monatlich 9.765 Euro, die vom Europäischen Parlament unmittelbar an die Mitarbeiter ausgezahlt wird187. • Zusätzlich werden Lebens-, Unfall- und Diebstahlversicherungen sowie eine Hinterbliebenenversorgung abgeschlossen. Teilweise werden einige dieser Leistungen dahingehend beurteilt, dass sie in dem Grenzbereich dessen angesiedelt sind, was noch als Aufwandsentschädigung anzusehen sei188. In der Entscheidung Weber/Parlament, in der es um einen Anspruch auf Übergangsvergütung bei Erlöschen des Mandats ging, hat der EuGH die Zulässigkeit dieser Gewährung durch das Europäische Parlament allerdings nicht in Frage gestellt189. Die Leistungen des Europäischen Parlaments unterliegen nach der Entscheidung Lord Bruce des EuGH nicht der nationalen Besteuerung190. Begründet wird dies damit, dass eine nationale Besteuerung einen Eingriff in den internen Funktionsablauf des Parlaments darstellen würde und eine Beurteilung des Kostenerstattungssystems durch die nationalen Behörden die Effektivität der Tätigkeit des Parlaments beeinträchtigen könnte und mit 186 Zur Kritik an der pauschalen Reisekostenerstattung, die die weit entfernt wohnenden Abgeordneten begünstigt, siehe FAZ v. 21. Oktober 1998, S. 8. 187 Die Zulage für persönliche Mitarbeiter sichert das freie Mandat, weil dadurch die Abgeordneten eine größere Unabhängigkeit gegenüber ihren Fraktionen und Parteien erlangen, auf deren Mitarbeiter sie ansonsten angewiesen wären. 188 Bieber, EuR 1981, 124, 134, und ders. in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 203, bezieht dies insbesondere auf die Hinterbliebenenversorgung. Er sieht das Verhalten des Europäischen Parlaments aber durch die ungleiche Behandlung der Abgeordneten, mit der gegen gemeinsame Grundrechtsprinzipien der Mitgliedstaaten verstoßen werde, gerechtfertigt. Ebenso Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 52 Rn. 34, der die „pension de réversion“ und die „pension de retraite“ als kritisch bezeichnet. 189 EuGH, Rs. C-314/91, Weber/Parlament, Slg. 1993, I-1093. 190 EuGH, Rs. 208/80, Lord Bruce, Slg. 1981, 2205. Zustimmend Bieber, EuR 1981, 124, 137, sowie ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 204 f., und Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 53 Rn. 34, die bei einer einseitigen Versteuerung der vom Europäischen Parlament gezahlten Aufwandsentschädigungen durch einen Mitgliedstaat einen Eingriff in das interne Recht des Europäischen Parlaments und einen Verstoß gegen Art. 10 EG sehen, welcher die Mitgliedstaaten verpflichte, das Selbstorganisationsrecht zu respektieren. Dem EuGH folgt auch Fleuter, S. 122.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
seiner Unabhängigkeit unvereinbar wäre191. Eine nationale Besteuerung hätte außerdem zur Folge, dass der ursprünglich an alle Abgeordneten einheitlich gezahlte Aufwendungsersatz durch die unterschiedliche Besteuerung für die Abgeordneten im Ergebnis unterschiedlich ausfiele. b) Deutsche Regelung Für die in Deutschland gewählten Abgeordneten sind folgende Leistungen vorgesehen: eine monatliche Entschädigung von derzeit 7.009,00 Euro192 (§ 9 EuAbgG, § 11 Abs. 1, 3 AbgG), eine Freifahrtberechtigung (§ 10 EuAbgG, § 16 Abs. 2 AbgG) und ein Anspruch auf Sach- und Dienstleistungen des Deutschen Bundestags (§ 10a EuAbgG). Das EuAbgG enthält außerdem Regelungen über Leistungen an ehemalige Mitglieder des Europäischen Parlaments und ihre Hinterbliebenen (§ 10b EuAbgG, 5. Abschnitt des AbgG und §§ 32 Abs. 4–8, 35, 35a, 37, 38 Abs. 1 AbgG) sowie über Zuschüsse zu den Kosten im Krankheits-, Geburts- und Todesfall (§ 11 EuAbgG, 6. Abschnitt des AbgG). Gemäß § 13 Abs. 3 EuAbgG werden Leistungen des Europäischen Parlaments auf Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung in voller Höhe angerechnet. Die Einkünfte unterfallen dem deutschen Steuerrecht, echte Aufwandsentschädigungen sind hingegen steuerfrei193.
III. Ergebnis Den in Deutschland gewählten Mitgliedern des Europäischen Parlaments wird ein besonderer Status verliehen. Dieser ist das Resultat eines komplizierten Systems von Verweisen, welche sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im nationalen Recht enthalten sind.
191
EuGH, Rs. 208/80, Lord Bruce, Slg. 1981, 2205, 2220 Rn. 19. Die Diät hat sich zum 01. Januar 2003 von 6.878,00 Euro auf 7.009,00 Euro erhöht. Zur Diskussion um diese Erhöhung siehe FAZ v. 18. November 2002, S. 4, 10. Zur Entwicklung der Diätenhöhe siehe Braun/Jantsch/Klante, § 11 Rn. 52. 193 Kilian, EuR 1982, 164, 169. Vgl. § 22 Nr. 4 EStG (zu versteuernde Einkünfte der Abgeordneten) und § 3 Nr. 12 EStG (steuerfreie Aufwendungen). 192
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
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B. Die rechtliche Stellung der in anderen Mitgliedstaaten gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments I. Rechtsgrundlagen Der durch nationale Vorschriften definierte Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist in der Regel angelehnt an die für die Mitglieder der nationalen Parlamente geltenden Vorschriften194. Praktisch gesehen sollten die Abgeordneten nach der Einführung der Direktwahlen und der damit verbundenen Loslösung der Mandate von der Mitgliedschaft im nationalen Parlament trotzdem den bisherigen, direkt über die nationalen Parlamente vermittelten Schutz behalten195. Der Status ist beispielsweise in Portugal in dem Gesetz Nr. 144/86 vom 31. Dezember 1986 (Statut der Abgeordneten des Europäischen Parlaments) geregelt, welches auf die Behandlung der Abgeordneten des nationalen Parlaments verweist196. In Frankreich enthält das Gesetz „no 79-563 du 6 Juillet 1979“ statusrechtliche Regelungen für die in Frankreich gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die sich an die Regelungen für die Abgeordneten des nationalen Parlaments anlehnen.
II. Statusregelungen im Einzelnen Die Darstellung der einzelnen mitgliedstaatlichen Statusregelungen beschränkt sich im Folgenden auf exemplarisch ausgewählte Bestimmungen, anhand derer sich die unterschiedliche Behandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments verdeutlichen lässt. 194
Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, S. 7; Rothley, RMC 1999, 559, 560. Vgl. auch die Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 2, wonach die europäischen Abgeordneten in Ermangelung eines einheitlichen Statuts im Anschluss an eine politische Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten ihren nationalen Abgeordneten „gleichgestellt“ wurden. 195 So Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, S. 7. 196 Siehe Art. 1 des portugiesischen Gesetzes Nr. 144/86 vom 31. Dezember 1986 (Statut der Abgeordneten des Europäischen Parlaments): „Das Statut der von Portugal benannten Abgeordneten des Europäischen Parlaments wird nach den geltenden Gemeinschaftsrechtsvorschriften und, soweit dies nicht im Widerspruch zu jenen steht und soweit es mit der Natur des Europäischen Parlaments vereinbar ist, durch das Gesetz Nr. 3/85 vom 13. März (= Abgeordnetenstatut der Mitglieder des nationalen Parlaments) (. . .) geregelt.“, zitiert von Gil-Robles, Dok. A3-112/91, Bericht über den Antrag auf Genehmigung für den Abgeordneten Mendes Bota, als Zeuge auszusagen, S. 12.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
1. Freies Mandat Das freie Mandat der Abgeordneten, welches in den Verfassungen fast aller Mitgliedstaaten geschützt wird197, ist gemeinschaftsrechtlich in Art. 4 Abs. 1 S. 2 der Wahlakte und in Art. 2 GO-EP geregelt198. Eine detaillierte Analyse der nationalen Regelungen, die insbesondere die Auftrags- und Weisungsfreiheit der Abgeordneten normieren, erübrigt sich daher. 2. Schutz der Kandidatur: Behinderungsverbot/Wahlvorbereitungsurlaub Nur etwa die Hälfte der Verfassungen der Mitgliedstaaten enthalten Schutznormen im Bereich der Kandidatur für die nationalen Parlamente. Diese umfassen etwa einen Wahlvorbereitungsurlaub oder ein Behinderungsverbot, welches Schlechterstellungen allein aufgrund der Mandatsübernahme, insbesondere Kündigungen bzw. Entlassungen, verbietet199.
197 Gemäß Art. 56 der Verfassung des Königreichs Dänemark sind die Mitglieder des Parlaments einzig und allein durch ihre Überzeugung gebunden, nicht aber durch irgendwelche Vorschrift seitens ihrer Wähler. § 29 des Finnischen Grundgesetzes normiert die Verpflichtung jedes Reichstagsabgeordneten, im Rahmen seines Mandats so zu handeln, wie es Recht und Wahrheit gebieten; der Abgeordnete hat dabei das Grundgesetz zu beachten und ist durch andere Bestimmungen nicht gebunden. Gemäß Art. 27 Abs. 2 und 3 der Verfassung der Republik Frankreich ist jedes imperative Mandat nichtig und muss das Stimmrecht durch die Mitglieder des Parlaments persönlich ausgeübt werden. Art. 60 Abs. 1 der Verfassung der Republik Griechenland gewährt den Abgeordneten ein unbeschränktes, nur ihrem Gewissen unterworfenes Meinungs- und Stimmrecht. Gemäß Art. 67 der Verfassung Italiens vertritt jedes Mitglied des Parlaments die Nation und ist bei der Wahrnehmung seines Mandats an Aufträge nicht gebunden. Gemäß Art. 50 Abs. 2 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg stimmen die Abgeordneten ab, ohne von ihren Auftraggebern Weisungen einzuholen; sie dürfen nur die allgemeinen Interessen des Großherzogtums vor Augen haben. Art. 67 Abs. 3 der Verfassung des Königreichs der Niederlande bestimmt, dass die Mitglieder bei der Stimmabgabe nicht weisungsgebunden sind. Gemäß Art. 56 Abs. 1 des Bundesverfassungs-Gesetzes der Republik Österreich sind die Mitglieder von Nationalrat und Bundesrat bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden. Art. 155 der Verfassung der Republik Portugal normiert, dass die Abgeordneten ihr Mandat frei ausüben. Gemäß Art. 67 Abs. 2 der Verfassung des Königreichs Spanien können die Mitglieder der Cortes Generales nicht durch ein imperatives Mandat gebunden werden. 198 Siehe dazu oben S. 49 f. 199 Badura, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 15 Rn. 68; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 48 Rn. 14, 15; Schneider, in: AK, Art. 48 Rn. 2, 6; Trute, in: v. Münch, Art. 48 Rn. 3, 11.
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
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a) Dänemark Einen sehr begrenzten Behinderungsschutz gewährt § 30 Abs. 2 der Verfassung des Königreichs Dänemark. Danach bedürfen Beamte, die zu Mitgliedern des Parlaments gewählt werden, zur Annahme der Wahl nicht der Erlaubnis der Regierung200. Durch die Begrenzung auf Beamte bleibt dieser Schutz hinter dem deutschen, für alle Bereiche geltenden Behinderungsverbot zurück201. b) Italien Die Verfassung Italiens gewährt in Art. 51 Abs. 2 denjenigen, die zu öffentlichen Wahlämtern berufen werden, das Recht, über die zur Ausübung dieser Ämter erforderliche Zeit zu verfügen und ihren Arbeitsplatz zu behalten. Damit steht den durch Wahl bestimmten Abgeordneten des italienischen Parlaments wie denen des Europäischen Parlaments ein Schutz im Sinne eines Behinderungsverbots zur Verfügung. c) Niederlande In Art. 4 der Verfassung des Königreichs der Niederlande, wonach alle Niederländer gleichermaßen das Recht haben, sich zum Mitglied allgemeiner Vertretungsorgane wählen zu lassen, wird ein Recht auf Wahlvorbereitungsurlaub hineingelesen202. d) Österreich Gemäß Art. 23b Abs. 1 des B-VG der Republik Österreich ist öffentlichen Bediensteten die für die Bewerbung um das Mandat im Europäischen Parlament erforderliche freie Zeit zu gewähren. Auch hier ist der Schutz aufgrund der Begrenzung auf öffentliche Bedienstete geringer als der für die deutschen Abgeordneten geltende Schutz. Dieselbe Norm sichert den öffentlichen Bediensteten die Möglichkeit der Wiederaufnahme ihrer bishe200 Dies wird von Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 48 Rn. 5, als Behinderungsverbot qualifiziert. 201 Auch die deutsche Regelung des Wahlvorbereitungsurlaubs und des Benachteiligungsverbots war ursprünglich auf Beamte begrenzt; erst durch das Grundgesetz wurden diese Vergünstigungen auf alle unselbstständig Beschäftigten erstreckt. Siehe dazu: Badura, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 15 Rn. 68; Schneider, in: AK, Art. 48 Rn. 1. 202 So Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 48 Rn. 5.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
rigen Betätigung zu. Sie bestimmt, dass diese für die Dauer der Mandatsausübung unter Entfall der Dienstbezüge außer Dienst zu stellen sind. Es handelt sich also um ein auf die öffentlichen Bediensteten beschränktes Behinderungsverbot. e) Portugal Gemäß Art. 50 Abs. 2 der Verfassung der Republik Portugal darf niemand in seiner beruflichen Stellung, an seinem Arbeitsplatz, in seiner Laufbahn oder hinsichtlich seiner sozialen Vergünstigungen, auf die er Anspruch hat, wegen der Wahrnehmung seiner politischen Rechte oder der Ausübung politischer Ämter benachteiligt werden. Hierbei handelt es sich um ein umfassendes Behinderungsverbot, welches insofern der deutschen Regelung ähnlich ist. f) Griechenland Im Gegensatz zu den vorerwähnten Regelungen erschwert Art. 56 der Verfassung der Republik Griechenland die Kandidatur: Amtsträger, Beamte, Offiziere der Streitkräfte u. a. müssen ihr Amt noch vor der Aufstellung als Bewerber um ein Abgeordnetenmandat aufgeben. Eine Wiedereinstellung zurückgetretener Militärs ist ausgeschlossen, eine Wiedereinstellung ziviler Beamter und Amtsträger ist erst nach Ablauf eines Jahres nach dem Rücktritt zulässig. Durch diese Regelung wird denjenigen, die die in der Verfassungsnorm aufgezählten Ämter innehaben, eine Bewerbung für ein Abgeordnetenmandat nicht erleichtert, sondern erschwert, weil die Wiedererlangung der Ämter ausgeschlossen ist oder zeitlich erheblich verzögert wird. g) Rechtsvergleichende Zusammenfassung Nur Deutschland, die Niederlande und Österreich gewähren ihren Abgeordneten einen Wahlvorbereitungsurlaub. Italien und Portugal gewähren wie Deutschland ein umfassendes, für alle Abgeordneten geltendes Behinderungsverbot. In Dänemark und Österreich ist das Behinderungsverbot auf Beamte bzw. öffentliche Bedienstete begrenzt. Konträr zu diesen Behinderungsverboten enthält die griechische Regelung eine berufliche Benachteiligung derjenigen, die sich um ein Abgeordnetenmandat bewerben wollen. Im Bereich des Schutzes der Kandidatur bestehen somit erhebliche Unterschiede zwischen den Abgeordneten der einzelnen Mitgliedstaaten.
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
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3. Indemnität Das Gemeinschaftsrecht enthält hinsichtlich der Indemnität in Art. 9 des Protokolls keinen Verweis auf das mitgliedstaatliche Recht. § 5 Abs. 1 S. 2 EuAbgG vergleichbare Verweise bestehen in anderen Mitgliedstaaten soweit ersichtlich nicht. Die Indemnität gilt somit einheitlich für alle Mitglieder des Europäischen Parlaments203. 4. Immunität Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls verweist auf die nationalen Immunitätsregelungen. Der Umfang der Immunitätsgewährungen in den Mitgliedstaaten variiert. Die nationalen Regelungen sind die Ergebnisse der jeweiligen mitgliedstaatlichen Abwägung des Interesses des Staates an einer Strafverfolgung und einer Verurteilung von Schuldigen einerseits und des staatlichen Interesses an der Unabhängigkeit der Abgeordneten andererseits. Eine Analyse der Immunitätsregelungen der Mitgliedstaaten ergibt, dass eine grobe Einteilung danach möglich ist, ob sie einen eher engen Schutzbereich – angelehnt an die Verfassungstradition Großbritanniens – oder einen eher weiten Schutzbereich – angelehnt an die französische bzw. kontinentale Verfassungstradition – aufweisen. Die mitgliedstaatlichen verfahrensrechtlichen Ausgestaltungen der Aufhebung der Immunität sind aufgrund der autonomen Entscheidungspraxis des Europäischen Parlaments204 im Ergebnis nicht relevant. a) Mitgliedstaaten mit engem Schutzbereich Zu den Mitgliedstaaten mit einem engen Schutzbereich können Großbritannien, Irland, die Niederlande, Schweden und Finnland gezählt werden. aa) Großbritannien Der Immunitätsschutz der Abgeordneten des britischen Parlaments205 ist nicht in einem Verfassungsdokument festgeschrieben. Er ergibt sich aus dem Gewohnheitsrecht („common law“), welches durch diverse Parlamentsakte, Resolutionen des „House of Commons“ und des „House of Lords“,
203
Siehe Leopold, ELRev. 1981, 275. Siehe oben S. 66 ff. 205 Die dargestellten Regelungen beziehen sich auf das House of Commons; sie gelten aber auch für das House of Lords, siehe House of Lords, S. 50 ff. 204
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
Gerichtsentscheidungen und eine langanhaltende und anerkannte Praxis entstanden ist206. Der Grundsatz „freedom from arrest and molestation“ hat, wie der schließlich in Art. 9 der Bill of Rights kodifizierte Grundsatz „freedom of speach“, seine Wurzeln geschichtlich in Großbritannien, wo das „House of Commons“ ihn im frühen 15. Jahrhundert für seine Mitglieder beanspruchte207, um die Anwesenheit der Abgeordneten im Parlament zu sichern208. Obwohl die Abgeordneten ursprünglich während der Sitzungen und 40 Tage davor und danach209 gegen jede Inhaftierung geschützt waren210 – ein Schutz vor der Durchführung eines Strafverfahrens bestand nie211 –, ist die Bedeutung des Privilegs heute eher gering. Ein Schutz vor Verhaftungen in Strafsachen besteht nicht mehr, die Abgeordneten sind allein vor Festnahmen und Inhaftierungen in Zivilverfahren („civil arrest“) geschützt212. Da seit 1838 eine Inhaftierung im Zivilprozess praktisch abgeschafft ist213, ist die Reichweite des Grundsatzes „freedom from arrest and molestation“ begrenzt. Der Grund für das geringe Schutzniveau der englischen Parlamentsmitglieder wird darin gesehen, dass das Individuum in Großbritannien, ob als Abgeordneter oder normaler Bürger, durch das „common law“ mit der Möglichkeit der Anrufung der Justiz ausreichend vor unrechtmäßigen und willkürlichen Verfahren, Verhaftung oder Inhaftierung geschützt gewesen sei214. Eine Aufhebung der Immunität ist nicht vorgesehen, denn es wird davon ausgegangen, dass bei einer derart limitierten Immunität keine weiteren Ausnahmen toleriert werden müssen215.
206 Europäisches Parlament, S. 141; House of Lords, S. 56; Loewenstein, S. 270 f. Siehe ausführlich zu Entstehung und Entwicklung May, S. 68 ff. 207 Siehe Butzer, S. 34 ff.; May S. 72 f.; zur Geschichte auch House of Lords, S. 56 ff. 208 House of Lords, S. 56; May, S. 65. 209 Diese Frist erklärt sich durch die damaligen Reiseverhältnisse. Die Frist gilt auch heute noch im Bereich der zivilrechtlichen Verfolgung, siehe Harms, S. 102; May, S. 107; van der Hulst, S. 80. 210 Wobei der Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung schon immer geringer war als der vor zivilrechtlicher Verfolgung, siehe House of Lords, S. 57; Loewenstein, S. 282; May, S. 73. 211 Butzer, S. 37. 212 Harms, S. 101 f.; May, S. 73 f. 213 Laut May, S. 77 f., geschah dies als Ergebnis des „Judgement Acts 1838“, section 1, und die darauf nachfolgende Gesetzgebung. Siehe auch House of Lords, S. 50; Europäisches Parlament, S. 137; van der Hulst, S. 79. 214 Van der Hulst, S. 64. Klein, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 17 Rn. 9, verweist in diesem Zusammenhang auf die rechtlichen Hindernisse gegen eine Strafverfolgung, die durch die Habeas-Corpus-Akte jedem Bürger zugute kamen.
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
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In Strafsachen unterliegen die britischen Abgeordneten heute dem allgemeinen Recht und sind den anderen Staatsbürgern gleich gestellt. Es besteht nur die Besonderheit, dass der „speaker“ des Parlaments über alle Verfahren gegenüber Abgeordneten – sowohl über die Festnahme eines Abgeordneten wegen einer Strafsache, als auch über die Inhaftierung nach der Verurteilung durch ein Gericht – informiert werden muss216. Nach der Benachrichtigung durch das Gericht über die Verurteilung eines Abgeordneten wird dieser aus dem Parlament ausgeschlossen, so dass auch eine Strafvollstreckung problemlos erfolgen kann217. Denn ein Ausschluss von Abgeordneten aus dem Parlament ist dann möglich, wenn ein Mitglied sich der Zugehörigkeit zum Parlament als nicht würdig erwiesen hat218. Die Abgeordneten können sogar innerhalb der Räume des Parlaments verhaftet werden219. Die britischen Abgeordneten sind allerdings auch heute noch durch zwei Privilegien geschützt, die als mit dem Grundsatz „freedom from arrest and molestation“ verbunden angesehen werden: die Befreiung von der Zeugenpflicht220 und die Befreiung von der Schöffentätigkeit221. Bezüglich der Letzteren wird davon ausgegangen, dass die dringenderen Parlamentspflichten der Abgeordneten die Verpflichtung zur Schöffentätigkeit verdrängen, da eine solche nicht als absolut notwendig erachtet wird. Diese Befreiung wurde durch den „Juries Act 1974“ bestätigt, der einen Entschuldigungsgrund für die Nichtausübung der Schöffentätigkeit für Mitglieder des House of Commons regelt222. Diese Befreiung ist nicht auf die Sitzungszeit des Parlaments beschränkt.
215 Van der Hulst, S. 88. Durch den „Defamation Act 1996“, section 13, erhält der einzelne Abgeordnete, dessen Verhalten zu einem Verfahren wegen Verleumdung geführt hat, die Möglichkeit, seine Privilegien, die ein solches Verfahren verhindern würden, für dieses spezielle Verfahren aufzuheben, siehe Europäisches Parlament, S. 139. 216 Butzer, S. 37; Europäisches Parlament, Immunität, S. 138; House of Lords, S. 9; May, S. 100 ff.; van der Hulst, S. 80. 217 Ahrens, S. 25 Fn. 54; Butzer, S. 84; Loewenstein, S. 282. 218 Loewenstein, S. 272 f.; Schultz-Bleis, S. 84; ausführlich zu den Gründen für einen Ausschluss aus dem Parlament May, S. 38 ff. 219 Dies entschied das Committee of Privileges des House of Commons im Jahre 1815 bezüglich der Verhaftung eines verurteilten Abgeordneten in den Räumen des Parlaments, das sich nicht in Sitzung befand, siehe Europäisches Parlament, S. 138; House of Lords, S. 9; van der Hulst, S. 79. 220 Dazu ausführlich unter dem Aspekt des Zeugnisverweigerungsrechtes unten S. 108 f. 221 Im Englischen „privilege of exemption of jury service“. 222 Enthalten in „Part III of Schedule 1“. Siehe dazu May, S. 106.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
bb) Irland Die Immunität der Abgeordneten des irischen Parlaments223 ist in Art. 15 Abs. 13 der Verfassung der Republik Irland geregelt224. Dessen Formulierung geht auf eine Entschließung des englischen „House of Commons“ vom 20. Mai 1675 zurück225. Nach Art. 15 Abs. 13 wird in Irland Immunitätsschutz in erster Linie auf dem Weg zum und vom Parlament sowie innerhalb des Parlaments gewährt, da dies als ausreichend angesehen wird, um den Sinn und Zweck der Immunität – die Gewährleistung der Teilnahme der Abgeordneten am parlamentarischen Verfahren – zu sichern226. Keinen Immunitätsschutz gibt es für bestimmte Delikte wie Hochverrat, Verbrechen und Friedensbruch, weil diese Taten als so schwerwiegend angesehen werden, dass dem Delinquenten kein Immunitätsschutz gewährt werden kann227. Diese Ausnahmetatbestände werden, an das englische Vorbild angelehnt228, so weit ausgelegt229, dass eine parlamentarische Praxis der Immunitätsgewährung praktisch nicht existiert230. Es wird teilweise davon ausgegangen, dass die Immunität, wie in Großbritannien, nur vor Verhaftungen in Zivilverfahren schützt231. Auch in Irland ist aufgrund der Begrenzung der Immunität auf ein Minimum keine Aufhebung der Immunität vorgesehen232. cc) Niederlande In den Niederlanden wird den Abgeordneten des Parlaments (sog. „Generalstaaten“) keine Immunität gewährt; die niederländische Verfassung sieht in Art. 71 lediglich eine Indemnitätsregelung vor233. Die Abgeordneten sind, wie jeder andere Bürger des Landes auch, der Strafverfolgung, der 223 Die offizielle irische Bezeichnung lautet „Oireachtas“, bestehend aus dem Präsidenten Irlands und zwei Häusern, dem Repräsentantenhaus und dem Senat, siehe Art. 15 Abs. 1 und 2 der Verfassung der Republik Irland. 224 Art. 15 Abs. 13 der Verfassung der Republik Irland: „The members of each House of the Oireachtas shall, except in case of treason as defined in this Constitution, felony or breach of the peace, be privileged from arrest in going to and returning from, and while within the precincts of either House, and shall not, in respect of any utterance in either House, be amenable to any court or any authority other than the House itself.“ 225 So Harms, S. 102 m. w. N. 226 Van der Hulst, S. 81. 227 Van der Hulst, S. 85. 228 Ahrens, S. 27; Harms, S. 102 f.; Schultz-Bleis, S. 85. 229 Siehe zur weiten Auslegung in Großbritannien Ahrens, S. 25. 230 Europäisches Parlament, S. 70. 231 Casey, S. 107. 232 Van der Hulst, S. 88.
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
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Verhaftung und jeder anderen Beschränkung der Freiheit ausgesetzt234, denn es wird davon ausgegangen, dass das allgemeine Recht ausreichenden Schutz für alle Mitglieder der Gesellschaft, einschließlich der Abgeordneten, bietet235. Die Abschaffung der Immunität erfolgte im Jahr 1884 durch Gesetz236. Dennoch besteht für die Abgeordneten gegenüber den übrigen Bürgern folgende Besonderheit: Sie unterliegen wie Minister und Staatssekretäre gemäß Art. 119 der Verfassung237 wegen Verbrechen im Amte, d.h. solchen, die im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Mandats erfolgten238, der Strafgewalt des obersten niederländischen Gerichts („Hoge Raad“). Dies soll die Abgeordneten vor voreiliger bzw. unbesonnener Verfolgung schützen239. Es ist umstritten, ob es sich bei dieser Regelung um ein Privileg der Abgeordneten handelt240: Zwar seien die Anforderungen an die Eröffnung eines solchen Verfahrens offensichtlich höher als vor einem Gericht niedrigerer Instanz. Andererseits stehe gegen ein Urteil des obersten Gerichtes keine Revision zur Verfügung. Die Tatsache, dass das Verfahren auf ein Gericht begrenzt ist, wird aber auch positiv beurteilt, weil dadurch die mit einem solchen Verfahren verbundenen politischen Schwierigkeiten zeitlich begrenzt seien241. dd) Schweden In Schweden gibt es eine einheitliche Indemnitäts- und Immunitätsregelung in Kapitel 4 § 8 der Verfassung242. Der erste Absatz regelt den Schutz des Abgeordneten wegen seiner Äußerungen oder Handlungen bei der Aus233 Art. 71 der Verfassung des Königreichs der Niederlande: „Die Mitglieder der Generalstaaten, die Minister, die Staatssekretäre und andere Personen, die an den Beratungen teilnehmen, können für das, was sie in den Sitzungen der Generalstaaten oder der Parlamentsausschüsse gesagt haben oder diesen schriftlich vorgelegt haben, nicht rechtlich belangt oder haftbar gemacht werden.“ 234 Europäisches Parlament, S. 101 f.; Harms, S. 101; Kortmann/Bovend’Eert, S. 76; Schultz-Bleis, S. 87 f. 235 Van der Hulst, S. 80. 236 Siehe Europäisches Parlament, S. 101 f.; Schultz-Bleis, S. 87; van der Hulst, S. 80. 237 Art. 119 der Verfassung des Königreichs der Niederlande: „Die Mitglieder der Generalstaaten, die Minister und die Staatssekretäre werden wegen Verbrechen im Amte, auch nach ihrem Rücktritt, vor dem Hohen Rat zur Verantwortung gezogen. Die Anordnung zur Verfolgung wird durch Königlichen Erlass oder durch Beschluss der Zweiten Kammer gegeben.“ 238 Europäisches Parlament, S. 102; Schultz-Bleis, S. 88; van der Hulst, S. 80. 239 Kortmann/Bovend’Eert, S. 76. 240 House of Lords, S. 48. 241 Kortmann/Bovend’Eert, S. 76.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
übung seines Mandats; der zweite Absatz regelt die anderen Fälle der Verdächtigung einer Straftat, also solcher Taten, die er als Privatperson unabhängig von seinen Pflichten als Abgeordneter begeht243. Diese Differenzierung nach der Ausübung des Mandats wird in den meisten anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft – ähnlich wie in Schweden sind die Regelungen in Finnland und in Österreich – bei der Indemnität, nicht aber bei der Immunität vorgenommen. Der Schutz des Abgeordneten wegen seiner Äußerungen und Handlungen bei der Ausübung seines Mandats ist weitreichend, denn der Immunitätsschutz gilt auch nach Ablauf des Mandats, und eine Aufhebung des Schutzes ist nur mit Zustimmung von 5/6 der Abgeordneten möglich. Das Parlament selbst hat aber entschieden, dass der Begriff „bei der Ausübung seines Mandats“ eng auszulegen ist und auf Aktivitäten im Plenarsaal und in mit dem Parlament direkt verbundenen Ausschüssen zu begrenzen ist244. Der Schutz des Abgeordneten wegen privater Taten gemäß Abs. 2 ist demgegenüber wesentlich begrenzter. Er gilt nur für Delikte, die mit weniger als zwei Jahren Strafe bedroht sind. Der Abgeordnete darf die Tat nicht gestanden haben und nicht auf frischer Tat ertappt worden sein. Der Schutz gilt nicht für das Ermittlungsverfahren und das Gerichtsverfahren, sondern nur für freiheitsbeschränkende Maßnahmen245. Es besteht ähnlich wie in Großbritannien die Möglichkeit, ein Mitglied aus dem Parlament auszuschließen, wenn es sich aufgrund einer Deliktsbegehung des Amts unwürdig erweist. Der Schutz des Abs. 2 gilt nicht für Abgeordnete, die nicht mehr Mitglieder des Parlaments sind246. Eine Aufhebung dieses geringen Schutzes durch das Parlament ist – im Gegensatz zu der Aufhebung des weitreichenden Schutzes nach Abs. 1 – nicht vorgesehen.
242 Kapitel 4 § 8 der Verfassung des Königreichs Schweden: „(1) Wer sein Mandat als Reichstagsabgeordneter ausübt oder ausgeübt hat, darf wegen seiner Äußerungen oder Handlungen bei der Ausübung seines Mandats nicht belangt, der Freiheit beraubt oder am Reisen im Reich gehindert werden, sofern dies nicht durch einen Beschluss des Reichstages genehmigt wird, bei dem mindestens fünf Sechstel der Abstimmenden dafür stimmen. (2) Ist ein Reichstagsabgeordneter in anderen Fällen einer Straftat verdächtig, sind die Vorschriften über Festnahme, Verhaftung und Verhängung der Untersuchungshaft nur dann anzuwenden, wenn er die Tat gesteht oder auf frischer Tat ertappt wird, oder wenn es sich um eine Straftat handelt, die mit mindestens zwei Jahren Gefängnis bestraft wird.“ 243 Europäisches Parlament, Immunität, S. 131. 244 Europäisches Parlament, Immunität, S. 134. 245 Europäisches Parlament, Immunität, S. 132. 246 Europäisches Parlament, Immunität, S. 132 f.
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
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ee) Finnland In Finnlands neuer Verfassung, die am 1. März 2000 in Kraft getreten ist, ist die Immunität in § 30 geregelt247. Dem Wortlaut der deutschen Übersetzung248 nicht eindeutig zu entnehmen ist, dass Abs. 2 die Indemnität der Abgeordneten bezüglich von ihnen geäußerter Ansichten und ihres Verhaltens während Parlamentsdebatten regelt249. Diese Indemnität ist weit gefasst – und nähert sich einer Immunitätsregelung, ähnlich der Regelung in Schweden, an –, da sie nicht nur Äußerungen und das Wahlverhalten schützt, sondern das Verhalten während der Debatten insgesamt. Abs. 3 regelt die Immunität der finnischen Abgeordneten folgendermaßen: Eine Festnahme oder Verhaftung ohne Zustimmung des Parlaments darf nicht vor Beginn des Gerichtsverfahrens erfolgen. Ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren kann, wie bei jedem anderen Bürger auch, durchgeführt werden250. Die Verhaftung wird also nur zeitlich aufgeschoben, nicht aber verhindert; auch ein Vollzug der Haft nach einer Verurteilung ist problemlos möglich, denn bezüglich strafrechtlicher Sanktionsmaßnahmen sind die Abgeordneten den anderen Bürgern gleich gestellt251. Eine Festnahme ohne Zustimmung des Parlaments ist auch möglich, wenn der Abgeordnete aus schwerwiegenden Gründen einer Straftat verdächtig ist, die mit mindestens sechs Monaten Haft zu bestrafen ist. Bei jeder Festnahme oder Verhaftung ist der Parlamentspräsident zu informieren. Während für die Aufhebung der Indemnität eine 5/6-Mehrheit erforderlich ist, reicht für eine Aufhebung der Immunität eine einfache Mehrheit des Parlaments.
247 § 30 des Finnischen Grundgesetzes: „(1) Ein Abgeordneter darf nicht an der Ausübung seines Mandats gehindert werden. (2) Ein Abgeordneter darf wegen im Parlament geäußerter Ansichten oder wegen seines Verhaltens bei der Behandlung einer Angelegenheit nicht unter Anklage gestellt oder seiner Freiheit beraubt werden, sofern das Parlament dies nicht durch einen Beschluss bewilligt hat, dem mindestens fünf Sechstel der abgegebenen Stimmen zugestimmt haben. (3) Von der Festnahme und Verhaftung eines Abgeordneten soll der Parlamentspräsident sofort in Kenntnis gesetzt werden. Ein Abgeordneter darf nicht ohne Zustimmung des Parlaments vor dem Beginn des Gerichtsverfahrens festgenommen oder verhaftet werden, sofern er nicht aus schwerwiegenden Gründen einer Straftat verdächtigt wird, für die die vorgeschriebene mildeste Strafe mindestens sechs Monate Gefängnis beträgt.“ 248 Diese deutsche Übersetzung stammt von dem finnischen Justizministerium, Fundstelle: http://www.om.fi/constitution/4051.htm. 249 Vgl. Europäisches Parlament, S. 125. Die französische Übersetzung des finnischen Justizministeriums lautet „son comportement pendant les débats“, Fundstelle: http://www.om.fi/constitution/3382.htm. 250 Europäisches Parlament, Immunität, S. 125. 251 Europäisches Parlament, Immunität, S. 125.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
Da viele Straftaten mit einer Haft von mindestens sechs Monaten bestraft werden und die Immunität auch sonst in erster Linie nur einen Zeitaufschub gewährt, lässt sich auch die finnische Immunitätsregelung als eine solche mit engem Schutzbereich einordnen. b) Mitgliedstaaten mit weitem Schutzbereich Zu den Mitgliedstaaten mit einem weiten Schutzbereich können neben Deutschland252 Frankreich, Belgien, Dänemark, Griechenland, Italien, Luxemburg, Österreich, Portugal und Spanien gezählt werden. aa) Frankreich Die Immunitätsregelung für die französischen Abgeordneten hat ihren Ursprung in der Französischen Revolution253. Nachdem schon am 23. Juni 1789 durch einen Beschluss der Nationalversammlung eine Indemnitätsregelung eingeführt worden war, wurde durch einen Beschluss der Nationalversammlung vom 26. Juni 1790 die erste Immunitätsregelung Frankreichs eingeführt254. Die Immunität wurde mit der Verfassung vom 3. September 1791 zum ersten Mal verfassungsrechtlich garantiert255. Im Laufe der Zeit haben die Immunitätsregelungen in den verschiedenen französischen Verfassungen variiert256, die Grundzüge der parlamentarischen Immunität aus den Zeiten der Revolution sind aber bis heute erhalten geblieben257. Aus den Umständen ihrer Entstehung lässt sich der weite Schutzbereich der französischen Immunitätsregelung erklären: Rede- und Verfolgungsfreiheit der Mitglieder der Nationalversammlung wurden gegenüber dem König beansprucht, weil die Furcht vor der Exekutive in den Zeiten der Revolution allgegenwärtig war258. 252
Siehe dazu oben S. 65 f. Vgl. Lebon, S. 107. 254 Siehe zum genauen Wortlaut der beiden Beschlüsse und ihrer historischen Hintergründe Butzer, S. 41 ff., und Soulier, S. 13 f. 255 Magiera, in: BK, Art. 46 Rn. 8, zitiert diese Verfassung wie folgt: „Sie (= die Vertreter der Nation) dürfen wegen strafbarer Handlungen bei Begehung der Tat oder aufgrund eines Haftbefehls festgesetzt werden; jedoch ist davon der gesetzgebenden Körperschaft unverzüglich Mitteilung zu machen, und die Verfolgung darf nur dann fortgesetzt werden, wenn die gesetzgebende Körperschaft entschieden hat, dass Grund zur Anklage besteht.“ Abgedruckt ist auch der französische Originalwortlaut. Der Verfassungstext wird auch zitiert von Butzer, S. 43, und van der Hurst, S. 79. 256 Siehe zu der historischen Entwicklung der französischen Verfassungen Butzer, S. 43 ff.; Lebon, S. 107 ff.; Soulier, S. 13 ff. 257 Magiera, in: BK, Art. 46 Rn. 8. 253
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
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Heute ist die Immunität der französischen Abgeordneten in Art. 26 Abs. 2 bis 4 der Verfassung der Republik Frankreich von 1958 geregelt259. Die heute gültige Immunitätsregelung ist das Ergebnis einer Verfassungsänderung aus dem Jahr 1995260. Seit dieser Verfassungsreform ist der Immunitätsschutz nicht mehr wie vorher auf die Dauer der Parlamentssitzung beschränkt. Damit wurde die Konsequenz daraus gezogen, dass durch dieselbe Verfassungsänderung eine Sitzungsperiode von ca. neun Monaten eingeführt wurde261. Auch können Ermittlungsverfahren seitdem jederzeit eingeleitet werden, denn die Immunität ist auf den Schutz vor Verhaftung und anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen begrenzt262. Dies wird als die wichtigste Änderung angesehen263. Damit die Abgeordneten ihr Mandat in voller Freiheit ausüben können, wird der Begriff der Verhaftung sehr weit interpretiert und umfasst danach zum Beispiel auch richterlich angeordnete Überwachungsmaßnahmen nach Art. 138 des Code de procédure pénale264. Die Immunität betrifft nur Vergehen und Verbrechen, nicht aber Ordnungswidrigkeiten oder eine zivilrechtliche Verfolgung265. Eine Aufhebung der Immuni258 Van der Hulst, S. 79. Butzer, S. 43, verweist in diesem Zusammenhang vor allem auf die „lettres de cachet“. 259 Art. 26 Abs. 2 bis 4 der Verfassung der Republik Frankreich: „(2) Kein Mitglied des Parlaments darf ohne Genehmigung des Präsidiums der Kammer, der es angehört, wegen eines Verbrechens oder Vergehens festgenommen oder einer anderen freiheitsentziehenden oder freiheitsbeschränkenden Maßnahme unterworfen werden. Dieser Genehmigung bedarf es nicht bei flagranten Verbrechen oder Vergehen oder bei endgültiger Verurteilung. (3) Haft, freiheitsentziehende oder freiheitsbeschränkende Maßnahmen oder Verfolgung eines Mitglieds des Parlaments werden auf Verlangen der Kammer, der es angehört, für die Dauer der Sitzungsperiode ausgesetzt. (4) Die betroffene Kammer tritt von Verfassungs wegen zu weiteren Sitzungen zusammen, um gegebenenfalls die Anwendung des vorherigen Absatzes zu ermöglichen.“ 260 Siehe „loi constitutionnelle nº 95-880 du 4 Août 1995“, Art. 7. Zur alten Rechtslage siehe Assemblée Nationale, S. 19 ff.; House of Lords, S. 35 ff.; SchultzBleis, S. 80 ff.; Soulier, S. 145 ff., 251 ff. 261 Siehe den neuen Art. 28 der Verfassung der Republik Frankreich. Vgl. Formery, Art. 26; Turpin, S. 473. 262 Ardant, Rn. 469; Europäisches Parlament, Immunität, S. 58; Favoreu, Rn. 1026; Turpin, S. 473. Dies entspricht der Begründung der Nationalversammlung bezüglich der Verfassungsänderung: „On a modifié le régime de l’inviolabilité parlementaire pour permettre que des poursuites soient engagées contre un parlementaire pendant la durée des sessions sans autorisation préalable de l’assemblée concernée, l’arrestation ou le placement sous contrôle judiciaire devant être autorisé par le Bureau.“ Fundstelle: http://www.assemblee-nat.fr/connaissance/revision.asp. 263 Siehe Ardant, Rn. 469. 264 Europäisches Parlament, Immunität, S. 58, mit einem Abdruck des Art. 138 des Code de procédure pénale auf S. 66; Turpin, S. 473. 265 Ardant, Rn. 469; Turpin, S. 474.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
tät erfolgt nicht mehr wie unter der alten Rechtslage während der Sitzungszeit durch das Parlament selbst, sondern durch das Präsidium der Nationalversammlung bzw. des Senats266. Keine Genehmigung des Präsidiums ist erforderlich, wenn der Abgeordnete in flagranti angetroffen wird oder wenn der Abgeordnete endgültig verurteilt ist. Gemäß Abs. 3 der Regelung kann aber das Parlament – in dieser Konstellation also nicht bloß das Präsidium – in diesen Fällen wie in allen anderen die Beendigung der Haft oder der Verfolgung des Abgeordneten verlangen. bb) Belgien Auch die belgische Immunitätsregelung wurde vor kurzem durch die Verfassungsänderung vom 28. Februar 1997 begrenzt267. In Strafsachen darf ein Mitglied gemäß Art. 59 Abs. 1 der Verfassung Belgiens268 nur mit der Zustimmung des Parlaments „an ein Gericht verwiesen, unmittelbar dorthin geladen oder festgenommen werden“. Eine Ausnahme besteht für den Fall der Entdeckung auf frischer Tat. Mit der Formulierung „an ein Gericht verwiesen, unmittelbar dorthin geladen“ sollen alle Akte erfasst werden, durch die eine Strafsache vor Gericht gebracht werden kann269. Das Wort Fest266
Siehe Ardant, Rn. 469; Favoreu, Rn. 1026; Formery, Art. 26. Siehe zur alten Rechtslage House of Lords, S. 32 ff.; Schultz-Bleis, S. 77 f. 268 Art. 59 der Verfassung Belgiens: „(1) Außer bei Entdeckung auf frischer Tat darf ein Mitglied einer der beiden Kammern während der Sitzungsperiode in Strafsachen nur mit Genehmigung der Kammer, der es angehört, an einen Gerichtshof oder ein Gericht verwiesen, unmittelbar dorthin geladen oder festgenommen werden. (2) Außer bei Entdeckung auf frischer Tat dürfen Zwangsmaßnahmen gegen ein Mitglied einer der beiden Kammern, für die das Eingreifen eines Richters erforderlich ist, während der Sitzungsperiode in Strafsachen nur vom ersten Präsidenten des Appellationshofes auf Antrag des zuständigen Richters angeordnet werden. Dieser Beschluss wird dem Präsidenten der betreffenden Kammer mitgeteilt. (3) Eine Hausdurchsuchung oder Beschlagnahme aufgrund des vorangehenden Absatzes darf nur im Beisein des Präsidenten der betreffenden Kammer oder eines von ihm bestimmten Mitglieds erfolgen. (4) Während der Sitzungsperiode dürfen nur die Mitglieder der Staatsanwaltschaft und die zuständigen Bediensteten gegen ein Mitglied einer der beiden Kammern in Strafsachen Verfolgungen einleiten. (5) In jedem Stadium der Untersuchung kann das betroffene Mitglied der einen oder anderen Kammer während der Sitzungsperiode in Strafsachen bei der Kammer, der es angehört, die Aussetzung der Verfolgung beantragen. Diese Kammer hat darüber mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen zu entscheiden. (6) Die Haft eines Mitglieds einer der beiden Kammern oder seine Verfolgung vor einem Gerichtshof oder Gericht wird während der Sitzungsperiode ausgesetzt, wenn die Kammer, der das Mitglied angehört, dies verlangt.“ 269 Europäisches Parlament, Immunität, S. 13. 267
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nahme wird eng ausgelegt, weshalb ein zeitlich begrenzter polizeilicher Gewahrsam nicht darunter fällt270. Ziel der Verfassungsänderung war in erster Linie, einige Routineverfolgungsverfahren ohne die Zustimmung des Parlaments zu ermöglichen271. Heute sind daher fast alle strafrechtlichen Verfolgungsverfahren ohne Zustimmung möglich, einige der Maßnahmen unterliegen aber gemäß Art. 59 Abs. 2 bis 5 der Verfassung Belgiens besonderen Zuständigkeits- und Verfahrenserfordernissen. Nach wie vor – und im Gegensatz zu der neuen Regelung in Frankreich – finden die Regelungen über die Immunität nur während der Sitzungsperioden Anwendung272. Da es der Praxis des Königs entspricht, eine Sitzungsperiode erst ein bis zwei Tage vor der Eröffnung der neuen Sitzungsperiode für beendet zu erklären, sind die Abgeordneten tatsächlich während der gesamten Mandatszeit geschützt. cc) Dänemark Gemäß § 57 der Verfassung des Königreichs Dänemark dürfen die Mitglieder des dänischen Parlaments ohne dessen Zustimmung nicht angeklagt oder in Haft genommen werden, es sei denn, sie werden auf frischer Tat ergriffen273. Sie sind nicht vor Ermittlungen, Befragungen und Bußgeldern geschützt274. Wurde das Anklageverfahren schon eingeleitet, bevor die fragliche Person Mitglied des Parlaments wurde, kann das Mitglied vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden275. Das Parlament kann einen Abgeordneten nach § 33 der Verfassung des Königreichs Dänemark aus dem Parlament ausschließen, wenn es sein Verhalten als ehrenrührig betrachtet 276. dd) Griechenland Art. 62 der Verfassung Griechenlands schützt die Abgeordneten vor Strafverfolgung, Festnahme oder Inhaftierung während der gesamten Dauer der Legislaturperiode277. Dies gilt auch für Verfahren, die vor der Mandatser270
Europäisches Parlament, Immunität, S. 13; van der Hulst, S. 86 f. Europäisches Parlament, Immunität, S. 12. 272 Europäisches Parlament, Immunität, S. 15; siehe auch van der Hulst, S. 83. 273 § 57 der Verfassung des Königreichs Dänemark: „Kein Mitglied des Folketing kann ohne dessen Zustimmung angeklagt oder in irgendeine Art von Haft genommen werden, es sei denn, es sei auf frischer Tat ergriffen worden. Für seine Äußerungen im Folketing kann keines von dessen Mitgliedern ohne Zustimmung des Folketing außerhalb desselben zur Verantwortung gezogen werden.“ 274 Europäisches Parlament, Immunität, S. 21. 275 Europäisches Parlament, Immunität, S. 21; Schultz-Bleis, S. 78. 276 Schultz-Bleis, S. 78. 271
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
langung begonnen haben. Auch die Vollstreckung eines gefällten Urteils ist nach Mandatserlangung nur mit Zustimmung des Parlaments möglich278. Der Schutz gilt nicht bei Ergreifung auf frischer Tat. Auch in der Zeit zwischen Auflösung des Parlaments und der Übernahme der Sitze durch die neuen Abgeordneten sind die Abgeordneten vor der Verfolgung politischer Straftaten geschützt. Die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit einer einem Parlamentsmitglied zugeschriebenen Straftat ist ebenso ohne Zustimmung des Parlaments zulässig wie beispielsweise eine Durchsuchung der Privatwohnung eines Parlamentsmitglieds279. ee) Italien Auch die italienische Immunitätsregelung, Art. 68 Abs. 2 und 3 der Verfassung Italiens280, wurde in neuerer Zeit, am 30. Oktober 1993, geändert281. Seitdem ist eine Zustimmung des Parlaments bei strafrechtlichen Verfahren nur noch in den dort aufgeführten Fällen erforderlich. Nach der vorhergehenden Regelung war eine Zustimmung des Parlaments für jedes Strafverfahren nötig282. Folgende Verfolgungs- bzw. Ermittlungsmaßnah277 Art. 62 der Verfassung Griechenlands: „(1) Ein Abgeordneter darf während der Legislaturperiode ohne Erlaubnis des Parlaments nicht verfolgt, festgenommen oder inhaftiert oder sonst wie in seiner Freiheit beschränkt werden. Desgleichen darf ein Abgeordneter eines aufgelösten Parlaments wegen politischer Straftaten in der Zeit zwischen der Auflösung des alten Parlaments und der Übernahme der Sitze der neuen Parlamentsabgeordneten nicht verfolgt werden. (2) Die Erlaubnis gilt als abgelehnt, wenn das Parlament darüber nicht innerhalb von drei Monaten befindet, nachdem der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verfolgung bei dem Parlamentspräsidenten eingegangen ist. (3) Die Dreimonatsfrist wird durch die Parlamentsferien unterbrochen. (4) Eine Erlaubnis ist bei flagranten Delikten nicht erforderlich.“ 278 Europäisches Parlament, Immunität, S. 41. 279 So Europäisches Parlament, Immunität, S. 40. 280 Art. 68 Abs. 2 und 3 der Verfassung Italiens: „(2) Kein Mitglied des Parlaments darf ohne Ermächtigung der Kammer, der es angehört, einer Leibesvisitation oder einer Hausdurchsuchung unterzogen werden, noch darf es verhaftet oder in anderer Weise der persönlichen Freiheit beraubt oder in Haft gehalten werden, es sei denn, dass dies zur Vollsteckung eines rechtskräftigen Strafurteils geschieht oder dass es bei Begehung einer strafbaren Tat betroffen wird, für welche die zwingende sofortige Festnahme vorgesehen ist. (3) Ebenso ist eine Ermächtigung erforderlich, um die Parlamentsmitglieder Abhörmaßnahmen jeglicher Form betreffend ihre Gespräche oder Mitteilungen zu unterziehen und um ihren Schriftverkehr zu beschlagnahmen.“ 281 Durch den Art. 1 des „Verfassungsgesetzes Nr. 3 vom 29. Oktober 1993“, vgl. Europäisches Parlament, Immunität, S. 81. Siehe zur alten Rechtslage Schultz-Bleis, S. 85 f. 282 Europäisches Parlament, Immunität, S. 81.
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men bedürfen nach neuer Rechtsgrundlage der Zustimmung: Leibesvisitationen, Hausdurchsuchungen, Abhörmaßnahmen jeglicher Art betreffend die Gespräche oder Mitteilungen der Abgeordneten und Beschlagnahme ihres Schriftverkehrs. Außerdem darf ein Abgeordneter nicht ohne Zustimmung des Parlaments verhaftet oder auf andere Weise seiner persönlichen Freiheit beraubt oder in Haft gehalten werden. Ausnahmen gibt es für die Vollstreckung eines rechtskräftigen Urteils und die Situation, dass der Abgeordnete bei der Begehung einer Tat betroffen wurde, für welche eine zwingende sofortige Festnahme vorgesehen ist. ff) Luxemburg Art. 69 der luxemburgischen Verfassung283 schützt die Abgeordneten vor gerichtlicher Verfolgung oder Verhaftung. Die Immunität ist auf die Sitzungsdauer begrenzt. Da aber auch in Luxemburg – wie auf Gemeinschaftsebene und in Belgien – eine ganzjährige Sitzungsdauer gilt, sind die Abgeordneten in der Praxis ganzjährig geschützt284. Unter den Schutz des Art. 69 fallen alle Handlungen der Abgeordneten, für die sie strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können, mit der Ausnahme der Ergreifung auf frischer Tat285. Keinen Schutz erhalten die Abgeordneten vor einer zivilrechtlichen Verfolgung und vor der Verfolgung wegen geringerer Verstöße, weil das Gesetz in diesen Fällen keine Freiheitsentziehung vorsieht und eine Verurteilung das Ansehen der Abgeordneten nicht gefährdet286. Zu beachten ist das in Abs. 3 geregelte Reklamationsrecht des Parlaments287. gg) Österreich Die Immunität der österreichischen Abgeordneten ist in Art. 57 Abs. 2 bis 7 des B-VG der Republik Österreich geregelt288. Nach Abs. 2 kann eine Verhaftung nur mit Zustimmung des Parlaments erfolgen (sog. „außerbe283 Art. 69 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg: „(1) Kein Abgeordneter darf während der Sitzungsperiode ohne Ermächtigung durch die Kammer in Strafsachen gerichtlich verfolgt oder verhaftet werden, es sei denn bei Ergreifung auf frischer Tat. (2) Eine Personalhaft darf während der Sitzungsperiode gegen eines ihrer Mitglieder ohne die gleiche Ermächtigung nicht verhängt werden. (3) Die Haft oder die gerichtliche Verfolgung eines Abgeordneten wird während der Sitzungsperiode und für ihre ganze Dauer ausgesetzt, wenn es die Kammer verlangt.“ 284 Siehe Europäisches Parlament, Immunität, S. 96. 285 Europäisches Parlament, Immunität, S. 96; Majerus, S. 217. 286 Europäisches Parlament, Immunität, S. 96; Schultz-Bleis, S. 87. 287 Majerus, S. 218.
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rufliche Immunität“). Eine Ausnahme gilt für den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei der Begehung eines Verbrechens, wobei in diesem Fall der Nationalrat eine Aufhebung der Haft und ein Unterlassen der Verfolgung bestimmen kann (vgl. Abs. 5). Eine Besonderheit besteht darin, dass die österreichischen Abgeordneten wegen einer Tat, die in keinerlei Zusammenhang mit ihrer politischen Tätigkeit steht, grundsätzlich behördlich verfolgt werden können. Eine Verhaftung ist auch in diesen Fällen nur mit Zustimmung des Parlaments möglich289. Da die Einschränkung der Immunität für Taten, die in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit stehen, auf die Frage der Verfolgung begrenzt ist und die Möglichkeit der Verhaftung nicht mit einschließt, kann die österreichische Immunität zu den weitreichenden Immunitätsregelungen gezählt werden.
288 Artikel 57 Abs. 2 bis 7 des B-VG der Republik Österreich: „(2) Die Mitglieder des Nationalrates dürfen wegen einer strafbaren Handlung – den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei Verübung eines Verbrechens ausgenommen – nur mit Zustimmung des Nationalrates verhaftet werden. Desgleichen bedürfen Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern des Nationalrates der Zustimmung des Nationalrates. (3) Ansonsten dürfen Mitglieder des Nationalrates ohne Zustimmung des Nationalrates wegen einer strafbaren Handlung nur dann behördlich verfolgt werden, wenn diese offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des betreffenden Abgeordneten steht. Die Behörde hat jedoch eine Entscheidung des Nationalrates über das Vorliegen eines solchen Zusammenhanges einzuholen, wenn dies der betreffende Abgeordnete oder ein Drittel der Mitglieder des mit diesen Angelegenheiten betrauten ständigen Ausschusses verlangt. Im Falle eines solchen Verlangens hat jede behördliche Verfolgungshandlung sofort zu unterbleiben oder ist eine solche abzubrechen. (4) Die Zustimmung des Nationalrates gilt in allen Fällen als erteilt, wenn der Nationalrat über ein entsprechendes Ersuchen der zur Verfolgung berufenen Behörde nicht innerhalb von acht Wochen entschieden hat; zum Zwecke der rechtzeitigen Beschlussfassung des Nationalrates hat der Präsident ein solches Ersuchen spätestens am vorletzten Tag dieser Frist zur Abstimmung zu stellen. Die tagungsfreie Zeit wird in diese Frist nicht eingerechnet. (5) Im Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei Verübung eines Verbrechens hat die Behörde dem Präsidenten des Nationalrates sogleich die geschehene Verhaftung bekannt zu geben. Wenn es der Nationalrat oder in der tagungsfreien Zeit der mit diesen Angelegenheiten betraute ständige Ausschuss verlangt, muss die Haft aufgehoben oder die Verfolgung überhaupt unterlassen werden. (6) Die Immunität der Abgeordneten endigt mit dem Tag des Zusammentrittes des neugewählten Nationalrates, bei Organen des Nationalrates, deren Funktion über diesen Zeitpunkt hinausgeht, mit dem Erlöschen dieser Funktion. (7) Die näheren Bestimmungen trifft das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates.“ 289 Europäisches Parlament, Immunität, S. 106; Walter/Mayer, Rn. 369.
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hh) Portugal Art. 157290 der am 20. September 1997 geänderten291 Verfassung der Republik Portugal schützt gemäß Abs. 3 die Abgeordneten vor der Festnahme wegen einer Straftat ohne Genehmigung des Parlaments. Ausnahmen bestehen in zwei Fällen: zum einen falls der Abgeordnete auf frischer Tat angetroffen wird, zum anderen wegen einer Straftat, die mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist292. Nur unter diesen speziellen Umständen wird es als gerechtfertigt angesehen, auf eine Zustimmung des Parlaments zu verzichten293. Die Immunitätsregelung gilt nicht für zivilrechtliche oder disziplinarrechtliche Verfahren294. Nicht geschützt sind die Abgeordneten auch vor Ermittlungsverfahren. Nach Anklageerhebung und Einleitung eines Hauptverfahrens kann das Strafverfahren – und damit der Prozess – nach Abs. 4 nur fortgesetzt werden, wenn der Abgeordnete durch das Parlament suspendiert wurde. Die Verfassungsreform hat die Bedingungen einer solchen Suspendierung klargestellt: Die Entscheidung darüber liegt immer beim Parlament, welches aber bei einer mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren bedrohten Straftat eine Suspendierung aussprechen muss295. Eine Besonderheit der portugiesischen Immunitäts290 Art. 157 Abs. 2 bis 4 der Verfassung der Republik Portugal: „(2) Kein Abgeordneter darf ohne Genehmigung der Versammlung als Zeuge gehört oder als Beschuldigter vernommen werden, wobei im letzteren Fall die Genehmigung erfolgen muss, sofern ein dringender Verdacht auf eine mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Straftat besteht. (3) Kein Abgeordneter darf ohne die Genehmigung der Versammlung festgehalten oder festgenommen werden, es sei denn, wegen einer mit Freiheitsstrafe von über drei Jahren bedrohten Straftat wie vorerwähnt oder wenn er auf frischer Tat angetroffen wird. (4) Nach Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Abgeordneten und nach Eröffnung des Hauptverfahrens liegt die Entscheidung über eine Suspendierung des Abgeordneten zwecks Weiterführung des Strafverfahrens bei der Versammlung; in den Fällen einer mit der in den vorherigen Absätzen genannten Strafe bedrohten Straftat muss die Suspendierung ausgesprochen werden.“ 291 Durch das Verfassungsgesetz No 1/97, veröffentlicht in der Official Gazette No 218/97 vom 20. September. Siehe zur alten Rechtslage House of Lords, S. 48; Schultz-Bleis, S. 88. 292 Zwar gehen Europäisches Parlament, Immunität, S. 116, und van der Hulst, S. 87 f., wohl aufgrund einer englischen Übersetzung davon aus, dass diese beiden Umstände kumulativ vorliegen müssen, dies widerspricht aber zumindest in der deutschen und französischen Version dem Wortlaut der Verfassung. Portugiesische Version: „Nenhum Deputado pode ser detido ou preso sem autorização da Assembleia, salvo por crime doloso a que corresponda a pena de prisão referida no número anterior e em flagrante delito.“ 293 Europäisches Parlament, Immunität, S. 116. 294 Europäisches Parlament, Immunität, S. 116. 295 Europäisches Parlament, Immunität, S. 116 f.
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regelung liegt in dem neu eingefügten Abs. 2, der vorschreibt, dass kein Abgeordneter ohne Zustimmung des Parlaments als Zeuge gehört oder als Angeklagter vernommen werden darf296. Das Parlament muss diese Zustimmung allerdings im letzteren Falle erteilen, sofern ein dringender Tatverdacht auf eine mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Straftat besteht. ii) Spanien Nach Art. 71 Abs. 2 der Verfassung des Königreichs Spanien dürfen die Abgeordneten des Parlaments nur bei Begehung einer Straftat festgenommen und weder angeklagt noch gerichtlich verfolgt werden297. Eine Ermächtigung des Parlaments ist daher für folgende Maßnahmen nötig: Verhaftungen, Festnahmen, Vernehmungen, Durchsuchungen, gerichtliche Verfolgung oder die Anklage eines Abgeordneten298. Die Immunität gilt hingegen nicht für die Festsetzung von Buß- oder Verwarnungsgeldern299. Die Zuständigkeit für Strafverfahren liegt – ähnlich der niederländischen Regelung – gemäß Abs. 3 bei der Strafkammer des obersten Gerichts. Zwar ist die spanische Immunität materiellrechtlich sehr weit ausgestaltet, in der Praxis wird sie aber eng ausgelegt und in der Regel aufgehoben300. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, dass die Regelung nicht wie die französische, belgische, italienische und portugiesische durch eine Verfassungsänderung geändert wurde. c) Rechtsvergleichende Zusammenfassung Die Abgeordneten der nationalen Parlamente der meisten Mitgliedstaaten – und damit über Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments – sind durch eine Immunitätsregelung geschützt.
296
Ausführlich zu diesem Aussageverweigerungsrecht siehe unten S. 110 ff. Art. 71 Abs. 2, 3 der Verfassung des Königreichs Spanien: „(2) Ebenso genießen die Abgeordneten und Senatoren während ihrer Mandatszeit Immunität und dürfen nur bei Begehen einer Straftat festgenommen werden. Sie dürfen nur mit vorheriger Erlaubnis der betreffenden Kammer angeklagt oder gerichtlich verfolgt werden. (3) Für Strafverfahren gegen Abgeordnete und Senatoren ist die Strafkammer des obersten Gerichts zuständig.“ 298 Schultz-Bleis, S. 89. 299 Schultz-Bleis, S. 89. 300 Europäisches Parlament, Immunität, S. 50 f. 297
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Demgegenüber gibt es in den Niederlanden gar keinen Immunitätsschutz und in Großbritannien, Irland, Schweden sowie Finnland nur einen minimalen, wobei die jeweiligen Eingrenzungskriterien variieren. In Großbritannien gilt der Schutz nur für Zivilverfahren. In Irland nur auf dem Weg zum und vom Parlament und innerhalb des Parlaments mit einer zusätzlichen, weit ausgelegten Einschränkung bezüglich bestimmter Delikte. Der schwedische Schutz ist auf freiheitsbeschränkende Maßnahmen begrenzt und gilt nur für Taten, die mit weniger als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Schließlich verhindert die finnische Regelung die Verhaftung eines Abgeordneten nicht, sondern verzögert sie nur bis zum Beginn der Gerichtsverhandlung. In den übrigen Mitgliedstaaten gibt es zwar umfassendere Immunitätsregelungen, doch auch diese variieren. Die Grundform der Immunität schützt den Abgeordneten vor Verfolgung oder Verhaftung wegen Straftaten, die er unabhängig von seiner Mandatsausübung begangen hat301. Während einige Mitgliedstaaten in den letzten Jahren ihre Immunitätsregelungen dahingehend eingeschränkt haben, dass Ermittlungsverfahren durchgeführt werden können – so Belgien, Portugal, teilweise Frankreich und Italien –, bzw. diese Einschränkung schon vorher galt – so in Dänemark, Griechenland und Österreich –302, sind die Abgeordneten in Deutschland nach wie vor auch vor Ermittlungsverfahren geschützt, wobei allerdings die Praxis des Bundestags zu beachten ist, die Durchführung von Ermittlungsverfahren zum Beginn jeder Wahlperiode generell zu genehmigen303. Zudem schließen einige Verfassungen gewisse Straftaten vom Immunitätsschutz aus: Neben Irland und Schweden gilt dies auch in Portugal für Straftaten, die mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Während fast alle Mitgliedstaaten den Abgeordneten den Immunitätsschutz verwehren, wenn sie auf frischer Tat betroffen werden, gilt dies in Italien nur bei einer Tat, für die eine zwingende sofortige Festnahme festgeschrieben ist. In Deutschland ist die Ergreifung auf frischer Tat auf den nachfolgenden Tag ausgeweitet. Die Unterschiede in den Immunitätsregelungen der einzelnen Mitgliedstaaten sind somit – insbesondere zwischen der Staatengruppe mit einem weiten Schutzbereich und der mit einem engen Schutzbereich – groß304, auch wenn diverse Staaten der ersten Gruppe in den letzten Jahren ihre Regelungen eingeschränkt haben.
301
Europäisches Parlament, Immunität, S. 145. Wobei nach wie vor Unterschiede bezüglich der Würdigung einzelner Maßnahmen bestehen. 303 Siehe oben S. 68. 304 Vgl. Burban, AFDI 1979, 779, 785. 302
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5. Zeugnisverweigerungsrecht Zeugnisverweigerungsrechte sind den Mitgliedern der mitgliedstaatlichen Parlamente nur vereinzelt in ausdrücklicher Form und in den unterschiedlichsten Variationen eingeräumt. Sind diese als Teil der Immunitätsbestimmungen geregelt, so gilt dieser Schutz für die jeweiligen Abgeordneten des Europäischen Parlaments unproblematisch über Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls. Denn danach gilt für das Hoheitsgebiet, in dem die Abgeordneten gewählt wurden, dieselbe Unverletzlichkeit wie sie den Abgeordneten des dortigen Parlaments eingeräumt wird. Sind die Zeugnisverweigerungsrechte als Teil der Indemnitätsbestimmung oder sonst unabhängig von der Immunität geregelt, so gibt es darauf keinen gemeinschaftsrechtlichen Verweis im Protokoll. Da die Mitgliedstaaten jedoch bei der Einführung der Direktwahlen ihren Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Wesentlichen denselben Status einräumt haben wie ihren Abgeordneten der nationalen Parlamente305, ist davon auszugehen, dass auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in den Genuss dieser unabhängig von der Immunität geregelten Zeugnisverweigerungsrechte kommen. a) Großbritannien Ein Mitglied des britischen Parlaments darf weder von einem Zivilgericht noch von einem Strafgericht als Zeuge vorgeladen werden; in der Praxis machen die Mitglieder aber selten von diesem Recht Gebrauch306. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht wird in Großbritannien als Teil der Immunitätsregelung angesehen307. Das Parlament bestimmt per Beschluss über den jeweiligen Schutz der Zeugnisfreiheit seiner Mitglieder308. Da Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls den Abgeordneten für das Hoheitsgebiet, in dem sie gewählt wurden, dieselbe Unverletzlichkeit wie den Abgeordneten des nationalen Parlaments einräumt, fällt darunter in Großbritannien auch das Zeugnisverweigerungsrecht.
305
Siehe oben S. 87. Europäisches Parlament, Immunität, S. 137. Siehe auch House of Lords, S. 51; May, S. 105 f. 307 Europäisches Parlament, Immunität, S. 137; House of Lords, S. 51; May, S. 105. Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 37 lehnt dieses Zeugnisverweigerungsrecht an die Indemnitätsregelung an. 308 Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 41. 306
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b) Schweden/Österreich Aus Kapitel 4 § 8 der schwedischen Verfassung wird hingegen kein Zeugnisverweigerungsrecht für Abgeordnete hergeleitet309. Auch bei Art. 57 des Bundesverfassungs-Gesetzes der Republik Österreich wird angenommen, dass dieser den Abgeordneten kein Zeugnisverweigerungsrecht gewährt310. c) Griechenland Gemäß Art. 61 Abs. 3 der Verfassung Griechenlands ist ein Abgeordneter nicht verpflichtet, über Informationen, die ihm in Ausübung seiner Pflichten zugegangen sind oder die er weitergegeben hat, oder über Personen, die ihm Informationen anvertraut haben oder denen er solche zukommen ließ, Zeugnis abzulegen. Das griechische Zeugnisverweigerungsrecht entspricht im Wesentlichen der deutschen Regelung, enthält allerdings kein Beschlagnahmeverbot. d) Irland Gemäß Art. 15 Abs. 10 der Verfassung der Republik Irland kann das irische Parlament in seiner Geschäftsordnung Regelungen zum Schutz seiner amtlichen Unterlagen und der Privatpapiere seiner Mitglieder treffen311. Das Parlament bestimmt per Beschluss den jeweiligen Schutz der Zeugnisfreiheit seiner Abgeordneten312. Zusätzlich sind die irischen Abgeordneten im Zusammenhang mit im Parlament getätigten Äußerungen nicht verpflichtet, die Quellen dieser Äußerungen zu offenbaren313. e) Italien In Italien gewährt die Verfassung den nationalen Abgeordneten durch Art. 68 Abs. 3 als Teil der Immunitätsregelung ein Beschlagnahmeverbot314. Ein Zeugnisverweigerungsrecht ist aber nicht normiert. 309
Europäisches Parlament, Immunität, S. 132. Europäisches Parlament, Immunität, S. 106. 311 Art. 15 Abs. 10 der Verfassung der Republik Irland: „Each House shall make its own rules and standing orders, with power to attach penalties for their infringement, and shall have power to ensure freedom of debate, to protect its official documents and the private papers of its members, and to protect itself and its members against any person or persons interfering with, molesting or attempting to corrupt its members in the exercise of their duties.“ 312 So Umbach, in: BK, Art. 47 Rn. 41. 313 Siehe Kelly, S. 145. 310
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f) Portugal Das Zeugnisverweigerungsrecht der portugiesischen Abgeordneten wurde durch die Verfassungsänderung vom 20. September 1997 geändert: Neu eingeführt wurde mit Art. 157 Abs. 2 der Verfassung der Republik Portugal, dass kein Abgeordneter ohne Genehmigung der Versammlung als Zeuge gehört oder als Beschuldigter vernommen werden darf. Eine Genehmigung muss im letzteren Fall allerdings erfolgen, sofern ein dringender Verdacht auf eine mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Straftat besteht315. Eine Begrenzung auf die Sitzungsperiode enthält dieses neu eingeführte Recht nicht. Durch die Verfassungsänderung wurde dieses Zeugnisverweigerungsrecht eindeutig als Teil der Immunitätsbestimmung geregelt316. Daneben findet sich in Regel 14 der „Regeln für Abgeordnete“317 ein weiteres Zeugnisverweigerungsrecht, wonach die Abgeordneten ohne die Genehmigung der Versammlung weder als Geschworene noch als Sachverständige oder Zeugen auftreten können. Dieses Recht ist auf den Zeitraum der Sitzungsperiode begrenzt. Die Norm entspricht der ursprünglichen Regelung zu Zeugnisverweigerungsrechten in Art. 161 Abs. 1 der alten Verfassung Portugals318. Das Zeugnisverweigerungsrecht wird nicht mehr durch Verfassungsrecht, sondern durch einfaches Recht normiert. Gemäß Art. 154 der neuen Verfassung soll ein Gesetz die Voraussetzungen und Verfahren bestimmen, nach denen Abgeordnete von der Versammlung der Republik freigestellt werden können, um als Schöffen, Schiedsrichter oder Zeuge aufzutreten. Nach dem Wortlaut der Regel 14 steht die Aussage der portugiesischen Abgeordneten nicht in ihrem Ermessen, sie bedürfen vielmehr für jede Aussage einer Genehmigung. Das Zeugnisverweigerungsrecht stünde danach zur alleinigen Disposition des portugiesischen Parlaments. In der Praxis wird die Norm aber so ausgelegt, dass den Abgeordneten das Recht zusteht, nicht als Zeuge aussagen müssen; denn letztlich entscheidet der Wunsch des Abgeordneten, ob die Genehmigung des Parlaments erteilt und er als Zeuge angehört wird oder nicht319. Im Gegensatz zu dem zuerst 314
Vgl. Art. 68 der Verfassung der Republik Italien. Siehe den genauen Wortlaut oben S. 105. 316 Siehe Europäisches Parlament, Immunität, S. 117. 317 Siehe Regel 14 der „Regeln für Abgeordnete“ in: Europäisches Parlament, Immunität, S. 124. 318 Art. 161 Abs. 1 der alten Verfassung der Republik Portugal: „Während der Sitzungsperiode der Versammlung können die Abgeordneten ohne deren Genehmigung weder als Geschworene noch als Sachverständige oder Zeuge auftreten.“ 319 Siehe dazu Gil-Robles, Dok. A3-112/91, Bericht über den Antrag auf Genehmigung für den Abgeordneten Mendes Bota, als Zeuge auszusagen, S. 22 f. (Stel315
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dargestellten Zeugnisverweigerungsrecht wird dieses Recht nicht als Immunität, sondern als Garantie angesehen, welche dem Abgeordneten eingeräumt wird, damit er seine Pflichten als Abgeordneter ordnungsgemäß erfüllen kann320. Auch dieses Recht ist aber offensichtlich auf die in Portugal gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments anwendbar, denn nur so lässt sich der Antrag auf Genehmigung der Zeugenaussage eines in Portugal gewählten Europaabgeordneten aus dem Jahre 1990 an das Europäische Parlament erklären321. Das Europäische Parlament hat sich zwar bezüglich der Genehmigung einer Zeugenaussage für nicht zuständig erklärt322, aber nicht bestritten, dass den Europaabgeordneten dieses Recht zusteht. Fraglich ist das Verhältnis der beiden Zeugnisverweigerungsrechte zueinander. Der Zusammenhang des durch Art. 157 Abs. 2 der Verfassung normierten Rechts mit der Immunität deutet darauf hin, dass es sich um ein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber der Strafgewalt handelt. Gestützt wird dies durch die Kombination der Worte „Zeuge“ und „Beschuldigter“ und durch die Aufhebungspflicht bei bestimmten Straftaten. Demgegenüber gewährt die Regel 14 der „Regeln für Abgeordnete“ ein umfassendes Recht ohne Einschränkung. g) Rechtsvergleichende Zusammenfassung Nicht alle Mitgliedstaaten gewähren den Abgeordneten des Europäischen Parlaments ein Zeugnisverweigerungsrecht. Die existierenden Zeugnisverweigerungsrechte variieren bezüglich Umfang und Inhalt: So gewähren beispielsweise Deutschland und Griechenland den Abgeordneten ein absolutes Zeugnisverweigerungsrecht, welches zu ihrer Disposition steht. Demgegenüber sieht die portugiesische Regelung eine Genehmigung des Parlaments vor. In Großbritannien und Irland bestimmt das Parlament per Beschluss den jeweiligen Schutz der Zeugnisfreiheit seiner Mitglieder. Die Unterschiede in der Gewährleistung eines Zeugnisverweigerungsrechts sind somit groß. lungnahme der Versammlung der portugiesischen Republik vom 11. Oktober 1990 – Anlage III). 320 Europäisches Parlament, Immunität, S. 120; Gil-Robles, Dok. A3-112/91, Bericht über den Antrag auf Genehmigung für den Abgeordneten Mendes Bota, als Zeuge auszusagen, S. 22 f. (Stellungnahme der Versammlung der portugiesischen Republik vom 11. Oktober 1990 – Anlage III). 321 Gil-Robles, Dok. A3-112/91, Bericht über den Antrag auf Genehmigung für den Abgeordneten Mendes Bota, als Zeuge auszusagen, S. 16 (Schreiben von Herrn Da Costa Pereira vom 28. Juni 1990 – Anlage I). 322 ABl. 1991 C 158 S. 27, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14.5.1991.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
6. Freizügigkeit Die Regelung der Freizügigkeit ist in Art. 8 des Protokolls einheitlich für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments und ohne Verweise auf das nationale Recht ausgestaltet. 7. Unvereinbarkeiten Die nationalen Regelungen über die Unvereinbarkeit des Mandats der Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit anderen Funktionen sind in der Regel auf das nationale staatsorganisationsrechtliche Gefüge in den Mitgliedstaaten abgestimmt und verweisen auf die nationalen Regelungen, die für die Abgeordneten des nationalen Parlaments bestehen323. Die Kompetenz zur Einführung nationaler Inkompatibilitätsregelungen ist in Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte normiert324, der den Mitgliedstaaten diesbezüglich einen weiten Ermessensspielraum einräumt325. Einige Mitgliedstaaten haben daraufhin in präziser und detaillierter Form eine mehr oder weniger lange Liste von Ämtern aufgestellt, deren gleichzeitige Wahrnehmung mit dem Mandat im Europäischen Parlament unvereinbar ist; demgegenüber haben sich andere Mitgliedstaaten mit einer sehr begrenzten Zahl von Inkompatibilitäten oder einem Verweis auf die gemeinschaftsweit geltende Regel des Art. 6 Abs. 1 der Wahlakte begnügt326. Ein prägnantes Beispiel für die erste Gruppe, zu der auch Deutschland gezählt werden kann327, ist die französische Regelung. Beispiele für die zweite Gruppe sind Dänemark und Schweden. a) Frankreich Für die in Frankreich gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments bestehen umfassende Unvereinbarkeiten ihres Mandats mit anderen Funktionen, die in dem Gesetz „no 77-729 du 07 Juillet 1977“328 geregelt 323 Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 5. Einen solchen Verweis auf die nationalen Unvereinbarkeitsregeln enthalten neben der deutschen Regelung in § 7 und § 8 Abs. 3 EuAbgG (siehe S. 82) beispielsweise Art. 23b Abs. 3 des B-VG der Republik Österreich und Art. 210a des L.O.R.E.G. in Spanien. 324 Siehe zu der durch den Ratsbeschluss vorgesehenen Neufassung des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte, insbesondere zu der mitgliedstaatlichen Kompetenz zur Regelung von Inkompatibilitäten unten S. 233 ff. 325 Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 3. 326 Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 5. 327 Siehe dazu oben S. 82 f. 328 Gesetz betreffend die Wahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament.
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
113
sind. Die Art. 6-2 bis 6-5 dieses Gesetzes329 regeln die folgenden Inkompatibilitäten: Ausübung der Funktion des Präsidenten des Regionalrates, des Präsidenten des Generalrates oder eines Bürgermeisters; die Mitgliedschaft in mehr als einer der folgenden Organe: im Regionalrat, in der Versammlung von Korsika, im Generalrat, im Stadtrat von Paris, in einem Gemeinderat; schließlich die Funktion eines Richters am Handelsgericht. Art. 6-1 dieses Gesetzes verweist auf das für die Abgeordneten der Nationalversammlung geltende Wahlgesetz330. Dieses kodifiziert die Unvereinbarkeit des Abgeordnetenmandats mit der Mitgliedschaft im Wirtschaftsund Sozialrat (in Art. 139), mit der Ausübung des Amts als Richter oder Staatsanwalt (in Art. 140), grundsätzlich mit der Ausübung öffentlicher Ämter (in Art. 142), mit der Wahrnehmung der von einem fremden Staat oder einer internationalen Organisation übertragenen Ämter (in Art. 143), mit der Erfüllung eines von der Regierung erteilten Auftrages über eine Dauer von mehr als sechs Monaten (in Art. 144), mit bestimmten Führungspositionen in nationalen Unternehmen und nationalen öffentlichen Einrichtungen (in Art. 145) und in privaten Unternehmen, die bestimmte Näheverhältnisse zum Staat haben (in Art. 146, Details und Ausnahmen diesbezüglich enthalten die Art. 146-1 bis 148), mit der Wahrnehmung bestimmter anwaltlicher Funktionen (in Art. 149) und mit der Mitgliedschaft im französischen Verfassungsrat (in Art. 152). Zusätzlich ist es jedem Abgeordneten untersagt, seinen Namen, gefolgt von seiner Stellung, in Art von Werbung für ein Finanz-, Industrie- oder Handelsunternehmen zu nennen oder nennen zu lassen (so Art. 150). b) Dänemark und Schweden Im Gegensatz zu diesen umfassenden, den für die Mitglieder des nationalen Parlaments geltenden Normierungen entsprechenden Inkompatibilitätsregelungen findet sich in Art. 42 des dänischen Gesetzes über die Wahlen zum Europäischen Parlament nur der Verweis auf die für alle Abgeordneten Siehe Art. 6-2 des Gesetzes „no 77-729 du 07 Juillet 1977“: „Le mandat de représentant au Parlement européen est incompatible avec l’exercice d’une des fonctions électives suivantes: président d’un conseil régional, président d’un conseil général, maire.“ Art. 6-3 des Gesetzes „no 77-729 du 07 Juillet 1977“: „Le mandat de représentant au Parlement européen est incompatible avec l’exercice de plus d’un des mandats électoraux énumérés ci-après: conseiller régional, conseiller à l’assemblée de Corse, conseiller général, conseiller de Paris, conseiller municipal.“ Art. 6-5 des Gesetzes „no 77-729 du 07 Juillet 1977“: „Le mandat de représentant au Parlement européen est incompatible avec la fonction de juge des tribunaux de commerce.“ 330 Verweis auf Art. 139, 140, 142 bis 150 und 152 des „code électoral“. 329
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
des Europäischen Parlaments geltenden, in Art. 6 Abs. 1 der Wahlakte vorgesehenen Unvereinbarkeiten331. In Schweden gibt es keine spezifischen Vorschriften betreffend Ämter oder Tätigkeiten, die mit der Stellung eines Mitglieds des Europäischen Parlaments unvereinbar sind, so dass auch dort nur die in Art. 6 Abs. 1 der Wahlakte festgelegten Gründe der Unvereinbarkeit gelten332. c) Rechtsvergleichende Zusammenfassung Bei einem Vergleich der Regelungen fällt nicht nur die unterschiedliche Grundkonzeption – bloßer Verweis auf die gemeinschaftsrechtlich geregelten Unvereinbarkeiten oder zusätzlich umfassende nationale Regelungen – auf, sondern auch, dass innerhalb der umfassenden nationalen Regelungen Unterschiede bestehen: Im Gegensatz zur französischen sind nach der deutschen Regelung sowohl die Ausübung eines Bürgermeisteramts als auch bestimmte private Tätigkeiten mit dem Mandat im Europäischen Parlament vereinbar333. Folglich weisen die nationalen Inkompatibilitätsregelungen große Unterschiede auf334. 8. Wirtschaftliche und soziale Statusrechte Aufgrund der nach wie vor fehlenden Einigung über eine einheitliche Entschädigung haben alle Mitgliedstaaten für ihre Europaabgeordneten Regelungen über ihre Entschädigung und über Sozialleistungen vorgesehen335. Diese sind in der Regel an die Diätenregelungen für die Abgeordneten der nationalen Parlamente angelehnt336. Ein gutes Beispiel dafür stellt – neben der deutschen Regelung – die Regelung Frankreichs dar. Einzig in den Niederlanden ist die Diät der Abgeordneten des Europäischen Parlaments von der Diät der Abgeordneten des nationalen Parlaments losgelöst337.
331 So Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 25. Siehe zu den in Art. 6 Abs. 1 der Wahlakte normierten Unvereinbarkeiten oben S. 79 f. 332 So Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 35. 333 Gewisse private Tätigkeiten gelten auch in Griechenland und Spanien als unvereinbar, siehe Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 6. 334 Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 3. 335 Vgl. Bieber, EuR 1981, 124, 134; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang, Rn. 32. 336 Braun/Jantsch/Klante, § 11 Rn. 95; Bünder, FAZ v. 20. November 2001, S. 6; Burban, AFDI 1979, 779, 787; Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 41; Godet, in: Léger, Art. 190 Rn. 26; Manin, S. 214; van der Hurst, S. 32; Zarka, S. 49. 337 Vgl. zu den Entschädigungshöhen im Einzelnen die Tabelle unten auf S. 117.
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
115
a) Nationale Regelungen aa) Frankreich Die Entschädigung der Abgeordneten ist in Frankreich durch das Gesetz „no 79-563 du 6 Juillet 1979“ geregelt. Art. 1 dieses Gesetzes sieht eine Gleichstellung der Abgeordneten mit den Abgeordneten der französischen Nationalversammlung vor338. Die Abgeordneten erhalten zur Zeit eine monatliche Entschädigung in Höhe von 6.569,20 Euro339. Die nationalen Regelungen für die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung gelten nach Art. 6 des Gesetzes auch für die Mitgliedschaft in der Sozial- und Rentenversicherung. Art. 7 regelt die Besteuerung der Abgeordnetendiäten340. Die Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 stellen klar, dass für die in Frankreich gewählten Abgeordneten ausschließlich die Kostenerstattungsregelungen des Europäischen Parlaments gelten341 und eine etwaige Entschädigung durch das Europäische Parlament angerechnet würde, es also weder zusätzliche noch doppelte Leistungen gibt. bb) Niederlande Die Niederlande sind, soweit ersichtlich, der einzige Mitgliedstaat, in dem die Entschädigung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments nicht derjenigen der Abgeordneten des nationalen Parlaments entspricht342. Dort wurden 1996 die Diäten der nationalen Abgeordneten angehoben, ihre Aufwandsentschädigungen aber reduziert343. Da das niederländische Parlament der Auffassung war, dass es kein Recht habe, die Aufwandsentschädigungen von Mitgliedern des Europäischen Parlaments herabzusetzen, hielt 338 Art. 1 des Gesetzes „no 79-563 du 6 Juillet 1979“: „Le régime d’indemnités applicable aux représentants français au Parlement européen qui ne sont ni député ni sénateur est identique à celui qui s’applique aux membres du Parlement français (. . .).“ 339 Siehe Mitteilung Nr. 13/2001 an die Mitglieder des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, PE 308.462, S. 4 f., und die Diätentabelle unten auf S. 117. 340 Die steuerliche Behandlung der in Frankreich gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments entspricht aber nicht der der nationalen Abgeordneten, weil nur den letzteren ein steuerliches Privileg zusteht. Siehe dazu Burban, AFDI 1979, 779, 787 f.; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 51 Rn. 31. 341 Siehe Nallet, S. 16. 342 Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 41; Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/ 98, S. 7. 343 Siehe Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, S. 11, Fn. 1; Corbett/ Jacobs/Shackleton, S. 41.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
es stattdessen an deren bis dahin bestehenden Diäten fest, so dass es nunmehr einen erheblichen Unterschied zwischen den erhöhten Diäten eines Mitglieds des niederländischen Parlaments und denen eines in den Niederlanden gewählten Mitglieds des Europäischen Parlaments gibt. Die in den Niederlanden gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments erhalten eine monatliche Diät in Höhe von 5.399,98 Euro344. Zu beachten ist, dass in den Niederlanden die Abgeordnetendiät unter Zugrundelegung bestimmter vorher festgelegter Höchstsätze proportional zu den Einkünften der Abgeordneten aus anderen Tätigkeiten außerhalb des parlamentarischen Mandats, die über einen bestimmten jährlichen Betrag hinausgehen, gekürzt werden345. b) Höhe der Entschädigung Am deutlichsten werden die Unterschiede in der wirtschaftlichen Behandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments bei einer Betrachtung der Entschädigungen, die den Abgeordneten aus den Haushalten der Mitgliedstaaten gewährt werden, in denen sie gewählt wurden. Diese Entschädigungen der Abgeordneten unterliegen der nationalen Besteuerung346. Dies hat der EuGH in dem Urteil Lord Bryce bestätigt347. Die folgende Tabelle mit der Aufschlüsselung der durch die Mitgliedstaaten gewährten Entschädigungen348 verdeutlicht die zum Teil erheblichen Diskrepanzen.
344 Siehe Mitteilung Nr. 13/2001 an die Mitglieder des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, PE 308.462, S. 4 f., und die Diätentabelle unten auf S. 117. 345 Europäisches Parlament, Nichtwählbarkeit, S. 6. 346 Bünder, FAZ v. 20. November 2001, S. 6; Europäische Kommission, SEC (1999) 655 final, Opinion of the commission on the statute for members of the European Parliament, S. 1; indirekt Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, S. 8. Zur deutschen Regelung siehe beispielsweise oben S. 86, zur französischen oben S. 115. 347 EuGH, Rs. 208/80, Lord Bruce, Slg. 1981, 2205, 2218. 348 Beträge entnommen der Mitteilung Nr. 13/2001 an die Mitglieder des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, PE 308.462, S. 4 f.
B. Die rechtliche Stellung der gewählten Abgeordneten
117
Tabelle 1 Aufstellung der Vergütungen der Mitgliedstaaten für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments (Stand: September 2001) Mitgliedstaat Belgien
Betrag der monatlichen Vergütung in Euro 5.544,39
Dänemark
5.052,04
Deutschland
7.009,00349
Finnland
4.541,07
Frankreich
6.569,20
Griechenland
5.787,90
Großbritannien
6.566,23
Irland
4.024,56
Italien
10.643,04
Luxemburg
4.685,19
Niederlande
5.399,98
Österreich
8.655,10
Portugal
3.683,62
Schweden
4.069,05
Spanien
2.849,14
Die Aufstellung zeigt den erheblichen Unterschied, der zwischen den „Spitzenreitern“ Italien (mit einer monatlichen Entschädigung in Höhe von 10.643,04 Euro) und Österreich (mit einer monatlichen Entschädigung in Höhe von 8.655,10 Euro) auf der einen und den „Nachzüglern“ Spanien (mit einer monatlichen Entschädigung in Höhe von 2.849,14 Euro) und Portugal (mit einer monatliche Entschädigung in Höhe von 3.683,62 Euro) auf der anderen Seite besteht. Im nach der jeweiligen Anzahl der Abgeordneten der einzelnen Staaten im Europäischen Parlament gewichteten Durchschnitt erhalten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments eine Entschädigung in Höhe von 6.350,28 Euro350, eine Summe, die nur von fünf Staaten überschritten wird351, während die anderen zehn Staaten diese, wenn auch 349 Die Höhe der Entschädigung der in Deutschland gewählten Abgeordneten bezieht sich auf das Jahr 2003. 350 So Mitteilung Nr. 13/2001 an die Mitglieder des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, PE 308.462, S. 4. Die Erhöhung der Diät der in Deutschland gewählten Abgeordneten ist in dieser Summe nicht berücksichtigt. 351 Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Österreich.
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2. Teil: Aktuelle Statusregelungen
teilweise nur knapp, unterschreiten. Dieser Vergleich macht deutlich, dass der Schnitt durch die fünf Staaten, insbesondere durch Italien und Österreich erheblich gehoben wird, so dass es fraglich ist, inwieweit er eine repräsentative Wirkung entfalten kann.
III. Ergebnis Eine rechtsvergleichende Untersuchung der mitgliedstaatlichen Regelungen betreffend den aktuellen Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments zeigt, dass aufgrund der Abhängigkeit des Status vom nationalen Recht im Bereich des Schutzes der Kandidatur, der Immunität, des Zeugnisverweigerungsrechts, der Inkompatibilitätsregelungen und der wirtschaftlichen und sozialen Statusrechte zum Teil große Unterschiede in der Behandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments bestehen. Keine Unterschiede sind hingegen im Bereich der Gewährleistung des freien Mandats, der Indemnität und der Freizügigkeit ersichtlich, da diese abschließend gemeinschaftsrechtlich kodifiziert sind.
3. Teil
Vereinbarkeit der bestehenden Statusregelungen mit geltendem Gemeinschaftsrecht Der Mangel einer einheitlichen Behandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments wird in der Literatur1 und in den Parlamenten2 kritisiert. Es wird meist ohne nähere Begründung darauf hingewiesen, der aktuelle Status der Abgeordneten gefährde die Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments und stelle eine unzulässige Ungleichbehandlung dar. Im Zusammenhang mit der zentralen Untersuchung, ob tatsächlich eine Beeinträchtigung primärrechtlicher Maßstäbe wie der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie des Gleichbehandlungsgebotes gegeben ist, stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge einer solchen Beeinträchtigung. Der Status der Abgeordneten ergibt sich aus dem Protokoll, dem Akt sowie aus nationalen Regelungen. Die primärrechtliche Qualität des Protokolls ist unstreitig3, die der Wahlakte wird nach überwiegender und zutreffender Ansicht bejaht4. Es stellt sich die Frage, ob diese primärrechtlichen Regelungen überhaupt an primärrechtli1
Bieber, EuR 1981, 124, 127 f., 137 f.; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/ Bieber, S. 191 ff., 196, 206 f.; Burban, AFDI 1979, 779, 780, 791; Corbett/Jacobs/ Shackleton, S. 40, 47; Fleuter, S. 115 f., 124; Godet, in: Léger, Art. 190 Rn. 19; Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 19, 38; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 26, 32; Heintzen, ZEuS 2000, 377, 387 f.; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 Rn. 42, 49; Jeuniaux, S. 3 ff., 298, 301 ff.; Kilian, EuR 1982, 168, 171; Klepsch/Reister, S. 121; Manin, S. 212; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 52 ff. Rn. 34 f.; Oppermann/Kilian, EuR 1981, 366, 386 f.; Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445, 448; Thöne-Wille, S. 50 f.; van Raepenbusch, S. 204; Welti, S. 197; Zarka, S. 54. 2 ABl. 1983 C 277/134, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. September 1983; ABl. 1987 C 99/43, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 1987; ABl. 1991 C 158/258, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. März 1991; ABl. 1998 C 398/11, Abstimmung des Europäischen Parlaments zum Abgeordnetenstatut am 3. Dezember 1998; ABl. 1999 C 297/171, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. Mai 1999; BT-Drs. 14/575, S. 3 u. 4, Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestags-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. 3 Becker, in: Schwarze, Art. 291 EG Rn. 2; Kallmayer, in: Calliess/Ruffert, Art. 291 EG Rn. 3; Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 14. Im Ergebnis zustimmend Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, Art. 291 EG Rn. 3.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
chen Maßstäben mit dem Ergebnis gemessen werden können, dass sie sich als vertragswidrig und damit als primärrechtswidriges Primärrecht herausstellen. Sind die Statusregelungen und die besagten primärrechtlichen Maßstäbe nämlich als ranggleiche Rechtsmaterie anzusehen, so könnte das Ergebnis der Prüfung nur die Feststellung von Wertungswidersprüchen und Unvereinbarkeiten sein5. Falls diese nicht im Wege einer praktischen Konkordanz oder Interpretation zu lösen wären6, bliebe nur der Auftrag an den Gemeinschaftsgesetzgeber, die Widersprüche aus Gründen der Rechtssicherheit de lege ferenda aufzulösen. Für die Rechtsfolge entscheidend ist somit, ob die zu untersuchenden Maßstäbe im Vergleich mit den für den Status der Abgeordneten relevanten Regelungen als höherrangig anzusehen sind. Da die Frage, ob überhaupt eine Beeinträchtigung des Primärrechts vorliegt, der Frage der Rechtsfolge einer solchen Beeinträchtigung vorgelagert ist, erfolgt die Untersuchung in diesen Schritten.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts Durch die aktuelle Regelung des Status der Abgeordneten könnten die Unabhängigkeit und die Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie der Grundsatz der Gleichbehandlung beeinträchtigt sein.
I. Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments Die nach wie vor bestehende Abhängigkeit des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments von nationalen Bestimmungen und die damit einhergehende uneinheitliche Behandlung könnte eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments darstellen7. In den Parlamenten und in der Literatur wird in diesem Zusammenhang festgestellt, dass das Europäische Parlament ebenso wie die Kommission 4 GA Darmon, Rs. C-41/92, The Liberal Democrats/Europäisches Parlament, Slg. 1993, I-3153, 3167 Rn. 52; Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 14; Lenz, S. 89 ff., S. 99 ff. m. w. N., der sich eingehend und überzeugend ablehnend zu der Frage äußert, ob die Wahlakte u. U. als völkerrechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist; Schwarze, in: Schwarze, Art. 220 EG Rn. 12. 5 Vgl. zu dieser trotz Ranggleichheit bestehenden Möglichkeit Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 21. 6 Darauf verweisen Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 21; Lenz, S. 91. 7 Eine Gefährdung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments wird in der Literatur vielfach angenommen. Vgl. Bieber, EuR 1981, 124, 128; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 194; Jacqué u. a., S. 72; Rothley, RMC 1999, 559. Jeuniaux, S. 298, nimmt einen Widerspruch zum Prinzip der Unabhängigkeit an.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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nicht länger als eine Versammlung nationaler Delegierter und auch finanziell und haushaltsmäßig europäisch zu behandeln sei8. Eine einheitliche Ausgestaltung der Rechte und Pflichten der Mitglieder des Europäischen Parlaments werde einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Europäischen Union und ihrer demokratischen Legitimierung darstellen9. Es müsse der Eindruck vermieden werden, als sei der einzelne europäische Abgeordnete mehr oder weniger von seinem Heimatstaat abhängig und den nationalen Behörden ausgeliefert10. Befürwortet wird auch eine Loslösung der Abgeordneten von ihren Regierungen und ihren Parteien11. 1. Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments Es gibt zwei Betrachtungsweisen, nach denen die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments beurteilt werden kann: Zum einen stellt sich die Frage, ob die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments im Sinne der Gewaltenteilung gewährleistet ist. Zum anderen stellt sich aber auch die Frage nach der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments von den Mitgliedstaaten. Bevor untersucht werden kann, ob der aktuelle Status der Abgeordneten dieser Unabhängigkeit gerecht wird12, müssen die beiden genannten Aspekte der Unabhängigkeit analysiert werden. Im Anschluss lässt sich feststellen, inwieweit den Verträgen eine Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments entnommen werden kann. a) Begriffsbestimmung aa) Unabhängigkeit im Sinne der Gewaltenteilung Der Begriff der „Unabhängigkeit“ eines Organs wird im nationalen Recht in erster Linie unter dem Aspekt der Gewaltenteilung verwandt. Die Unabhängigkeit der Organe, auf die die staatliche Gewalt verteilt wird, wird als eine der Grundvoraussetzungen der Gewaltenteilung angesehen13. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise die „Unabhängigkeit des Deutschen Bundestags“ gegenüber der Exekutive und die „Unabhängigkeit der deutschen Rechtsprechung“ erwähnt. Erstere wird für den Deutschen Bundestag 8
Oppermann/Kilian, EuR 1981, 366, 386 f. Ähnlich Kilian, EuR 1982, 168, 171. BT-Drs. 14/575, 4, Bericht der Bundestags-Abgeordneten Brandt-Elsweier und Hörster. 10 Kilian, EuR 1982, 168, 171. 11 Rothley, ZEuS 1999, 183, 195. 12 Zur Frage der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments siehe unten S. 150 ff. 13 Herzog, in: M/D, Art. 20, V Rn. 6. 9
122
3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
in erster Linie Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG entnommen14, während letztere vorwiegend durch Art. 97 Abs. 1 GG sichergestellt wird. Die Konsequenz einer Übertragung des Gedankens der Gewaltenteilung auf die Gemeinschaftsebene wäre ein Bedürfnis nach Unabhängigkeit der Gemeinschaftsorgane untereinander. Fraglich ist zunächst, ob sich der Gedanke der Gewaltenteilung auf die Gemeinschaftsebene übertragen lässt. Wird unter Gewaltenteilung die klassische Verteilung der legislativen, exekutiven und judikativen Gewalt auf besondere Organe verstanden, so ist dies auf Gemeinschaftsebene so lange nicht zu verwirklichen, wie sich die Gemeinschaft nicht zur eigenen Staatlichkeit entwickelt, sondern in der Ambivalenz einer noch starken Abhängigkeit von ihren Gründern verbleibt15. Denn in der aktuellen Verteilung der Funktionen auf Gemeinschaftsebene sind sowohl die legislativen als auch die exekutiven Befugnisse der Gemeinschaft auf die Kommission und den Rat, mit gewissen Beteiligungsrechten des Europäischen Parlaments, verteilt. Nur der EuGH hat Kontrollbefugnisse, die denen einer staatlichen Judikative im Sinne der Gewaltenteilung entsprechen16. Der Grundgedanke des Gewaltenteilungsprinzips liegt aber darin, durch Funktionen- und Machtverteilung auf unterschiedliche Organe die politische Gewalt zu mäßigen, in den Bahnen des Rechts zu halten sowie Freiheit zu stiften (sog. „checks and balances“)17. Dieser Gedanke wird in der europäischen Gemeinschaft im Rahmen ihres Entscheidungs- und Rechtsetzungsverfahrens durch ein sog. „institutionelles Gleichgewicht“18 zwischen den Organen verwirklicht19. Anhaltspunkte für eine derartige „gemeinschafts14
Herzog, in: M/D, Art. 20, V Rn. 54. So Oppermann, Rn. 243. Zustimmend Hofmann, in: Rechtsstaatlichkeit in Europa, 321, 325. Ähnlich Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 25; Schweitzer/Hummer, Rn. 923 ff.; Vedel, in: Europäische Integration, 275, 281 f. 16 Brenner, S. 173; Herzog, in: M/D, Art. 20, V Rn. 139; Hofmann, in: Rechtsstaatlichkeit in Europa, 321, 326; Oppermann, Rn. 243; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 25; Vedel, in: Europäische Integration, 275, 282. 17 So Oppermann, Rn. 243. Zustimmend Hofmann, in: Rechtsstaatlichkeit in Europa, 321, 326. Ähnlich Ipsen, § 11 Rn. 8. Vgl. zu dem Aspekt der „checks and balances“ auch Schweitzer/Hummer, Rn. 925. 18 Begriffsschaffung durch den EuGH, siehe dazu die folgenden Entscheidungen: EuGH, Rs. 9/56, Meroni & Co./Hohe Behörde, Slg. 1958, 9, 44 („das für den organisatorischen Aufbau kennzeichnende Gleichgewicht der Gewalten“); Rs. 25/70, Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel/Köster, Slg. 1970, 1161, 1172 f. Rn. 9; Rs. 138/79, SA Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333, 3360 Rn. 33. Ausführlich zum institutionellen Gleichgewicht W. Bernhardt, S. 86 ff. Kritisch zu der Rechtsprechung zum „institutionellen Gleichgewicht“ Brenner, S. 177 ff.; Schoo, in: Schwarze, Gesetzgebung, 97, 103. 19 Hofmann, in: Rechtsstaatlichkeit in Europa, 321, 326; Pühs, S. 166; Schweitzer/Hummer, Rn. 925. Herzog, in: M/D, Art. 20, V Rn. 142, spricht von einem 15
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
123
rechtliche Gewaltentrennung“ sind: die jeweils nur beschränkte Kompetenzzuweisung an die Gemeinschaftsorgane unter Ausschluss jeder Kompetenz-Kompetenz, woraus folgt, dass jedes Organ nur die ihm zugewiesenen Kompetenzen ausüben darf; die Verteilung der Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse auf Rat und Kommission unter zunehmender Mitwirkung des Europäischen Parlaments; und die Kontrolle der Rechtmäßigkeit gemeinschaftsrechtlichen Handelns durch den EuGH20. Der Durchsetzung der „gemeinschaftsrechtlichen Gewaltenteilung“ dient außerdem die Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung der Befugnisse der Gemeinschaftsorgane, insbesondere zur Problematik der Überprüfbarkeit der Wahl der richtigen Rechtsgrundlage, und zu den Mitwirkungs- und Klagebefugnissen des Europäischen Parlaments21. Demnach ist die klassische Verteilung der Funktionen auf Gemeinschaftsebene nicht verwirklicht. Der hier relevante Aspekt der Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Organe untereinander, lässt sich dennoch auf die Gemeinschaftsebene übertragen. Denn die „gemeinschaftsrechtliche Gewaltenteilung“, das gemeinschaftsrechtliche System der „checks and balances“, funktioniert – wie das klassische staatliche Gewaltenteilungsprinzip – nur, wenn das Verhältnis der Organe untereinander derart ausgestaltet ist, dass sie grundsätzlich voneinander unabhängig sind22. bb) Unabhängigkeit gegenüber den Mitgliedstaaten Mit dieser Unabhängigkeit im Sinne der Gewaltenteilung wäre die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments jedoch nicht umfassend ausgestaltet, denn bei der Europäischen Gemeinschaft als zwischenstaatlicher Organisation gibt es nicht nur die Möglichkeit einer Einflussnahme der Gemeinschaftsorgane untereinander, sondern insbesondere auch die Möglichkeit „Kernbestand echter politischer Gewaltenteilung“ aufgrund der Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte des Europäischen Parlaments, der Stellung des EuGHs und einer Gewichtsverteilung innerhalb der Exekutive, die durch das Nebeneinander von Rat und Kommission bewirkt sei. Ähnlich Constantinesco, Rn. 270 f.; Ipsen, § 11 Rn. 8. Oppermann, Rn. 243 kritisiert zwar die Rechtsprechung zum „institutionellen Gleichgewicht“, sieht aber den Grundsatz der „checks and balances“ als verwirklicht an. 20 Contantinesco, Rn. 271; Ipsen, § 11 Rn. 8; Pühs, S. 166 ff. 21 Hofmann, in: Rechtsstaatlichkeit in Europa, 321, 326 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 25. 22 Vgl. Herzog, M/D, Art. 20 Rn. 143, der ausdrücklich auf die Unabhängigkeit verweist, allerdings nicht unter dem Aspekt eines Systems der „checks and balances“, sondern unter dem Aspekt einer gemeinschaftsrechtlichen, „vom üblichen innerstaatlichen Gewaltenteilungsschema klar abweichenden“ Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
einer Einflussnahme durch die Mitgliedstaaten der Organisation. Merkmal eines unabhängigen Organs einer zwischenstaatlichen Organisation ist daher auch ein auf Unabhängigkeit ausgerichtetes Verhältnis des Organs gegenüber den Mitgliedstaaten der Organisation23. Neben solchen unabhängigen Organen zwischenstaatlicher Organisationen stehen von den Mitgliedstaaten abhängige Organe, die sich aus weisungsgebundenen Staatenvertretern zusammensetzen24. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Unabhängigkeit von Organen zwischenstaatlicher Organisationen von verschiedenen Kriterien abhängig sein kann: nämlich zunächst von der Zulassung von Mehrheitsentscheidungen, wodurch die Mitgliedstaaten auch gegen ihren Willen gebunden werden können, und außerdem von der Zusammensetzung der Organe aus unabhängigen Personen25. Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft wird der Begriff der Unabhängigkeit daher nicht nur für das Verhältnis der Gemeinschaftsorgane untereinander, sondern auch für das Verhältnis einiger Gemeinschaftsorgane zu den Mitgliedstaaten gebraucht26. Da vorliegend die Abhängigkeit des Status der Abgeordneten von den Regelungen der Mitgliedstaaten untersucht werden soll, wird die Unabhängigkeit der Gemeinschaftsorgane von den Mitgliedstaaten im Folgenden im Zentrum der Würdigung stehen. Auf die Unabhängigkeit der Gemeinschaftsorgane untereinander wird im Weiteren nur eingegangen, wenn die beiden Bereiche untrennbar miteinander verbunden sind.
23 Ausführlich zu diesem Thema Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46. Dessen Aufsatz mit dem Titel „Die Sicherung des übernationalen Charakters der Organe internationaler Organisationen“ stammt zwar aus der Gründungszeit der EGKS, seine allgemeingehaltenen Aussagen zur Unabhängigkeit von Organen internationaler Organisationen können aber auch heute noch Gültigkeit beanspruchen. Vgl. auch Seidl-Hohenveldern, in: FS Leibholz, 795, 796 ff., der darauf hinweist, dass der Struktur jeder internationalen Organisation das Streben nach Lösung des Widerstreits zwischen dem Gemeininteresse und den Partikularinteressen der Mitgliedstaaten zugrunde liege. Er erwähnt zwar nicht die Unabhängigkeit von Organen, weist aber darauf hin, dass jede Organisation zumindest ein Organ zur Wahrung des Gemeininteresses besitze. 24 Siehe dazu Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46, 61 ff. 25 Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46, 53; Schermers/Blokker, § 61. Jaenicke verweist zusätzlich auf den Aspekt der Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit von Organ-Entscheidungen gegenüber den Mitgliedstaaten, auch wenn diese unter Umständen der Entscheidung nicht zugestimmt haben. Dies ist insbesondere für den von Jaenicke teilweise mit der Unabhängigkeit gleichgesetzten Aspekt der Supranationalität (siehe Jaenicke, S. 46) von Bedeutung. 26 Vgl. Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46, 50 ff. Von einem solchen Verständnis der Unabhängigkeit scheinen auch Klein, in: Graf Vitzthum, 4. Abschn. Rn. 119, sowie Streinz, Rn. 116 f., und Zuleeg, Integration 1988, 103, 108, auszugehen.
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b) Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments im EG-Vertrag Der EG-Vertragstext enthält keine ausdrückliche normative Gewährleistung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments. Anhaltspunkte können aber dennoch auf eine bezweckte Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments gegenüber den Mitgliedstaaten hindeuten. Dabei ist zunächst die Stellung zu beachten, die dem Europäischen Parlament durch das Gemeinschaftsrecht eingeräumt wird. Auch ein Vergleich mit anderen von den Mitgliedstaaten unabhängigen und abhängigen Gemeinschaftsorganen ist aufschlussreich. aa) Stellung des Europäischen Parlaments im Gemeinschaftsrecht Die Stellung, die dem Europäischen Parlament durch das Gemeinschaftsrecht eingeräumt wird, bietet Anhaltspunkte für eine Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments. (1) Personelle Unabhängigkeit der Abgeordneten Ein Hinweis auf eine von den Vertragspartnern intendierte Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments ist seit der Einführung der Direktwahlen Art. 4 Abs. 1 S. 2 der Wahlakte zu entnehmen, wonach die Mitglieder an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, sondern ihr Mandat frei ausüben. Denn die personelle Autonomie der Mitglieder eines Organs ist ein unabdingbarer Bestandteil des Begriffs der „Unabhängigkeit“ des Organs27. Aus der personellen Unabhängigkeit der Mitglieder eines Organs kann daher – wie im Fall des Deutschen Bundestags aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG28, im Fall der Kommission aus Art. 213 Abs. 2 Unterabs. 1 EG29 und im Fall des EuGH aus Art. 223 Abs. 1 EG30 – auf die von den Vertragspartnern intendierte Unabhängigkeit des Organs selbst geschlossen werden31. Dies erklärt sich dadurch, dass Organe durch ihre Mitglieder handeln. Basiert das Handeln der Mitglieder auf Unabhängigkeit, so agiert letztlich auch das Organ selbst unabhängig.
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Janzen, S. 107. Siehe zu diesem Schluss oben S. 121. 29 Siehe zu diesem Schluss unten S. 139. 30 Siehe zu diesem Schluss unten S. 141. 31 Dieser Aspekt wird insbesondere bezüglich der Unabhängigkeit von Organen internationaler Organisationen gegenüber den Mitgliedstaaten betont, dazu Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46, 53; Schermers/Blokker, § 61. Siehe auch oben S. 124. 28
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(2) Unabhängige Legitimation des Europäischen Parlaments Der ursprünglichen Konstruktion des Europäischen Parlaments, bestehend aus entsandten Mitgliedern der nationalen Parlamente, war eine gewisse Bindung und damit Abhängigkeit des Europäischen Parlaments an die Parlamente der Mitgliedstaaten immanent. So war vor allem die demokratische Legitimation des Europäischen Parlaments von der Legitimation der mitgliedstaatlichen Parlamente abhängig32. Die Entsendung der Abgeordneten aus den nationalen Parlamenten war jedoch von vornherein als Übergangslösung gedacht und wurde 1979 durch die Einführung der Direktwahl ersetzt. Ohne vertragliche Regelung wurden die Abgeordneten auch vorher schon als nicht weisungsgebunden, sondern frei gegenüber den nationalen Parlamenten, deren Fraktionen und den nationalen Regierungen angesehen33. Durch die Einführung der Direktwahl ist das Europäische Parlament „europäischer“34 und von den Mitgliedstaaten unabhängiger geworden35. Insbesondere die Abschaffung des obligatorischen Doppelmandats in Art. 5 der Wahlakte und die damit einhergehende kontinuierliche Reduzierung der Doppelmandate hat zu einer personellen Loslösung des Europäischen Parlaments von den nationalen Parlamenten geführt. Die Einführung der Direktwahl im Jahre 1979 hat dem Europäischen Parlament vor allem eine eigenständige Legitimation gebracht36. Es ist also auch in dieser Hinsicht von den nationalen Parlamenten unabhängig geworden. Spätestens seit Einführung der Direktwahlen ist der Vertrag der Europäischen Gemeinschaft daher dahingehend angelegt, dass das Europäische Parlament eine zumindest gegenüber den nationalen Parlamenten unabhängige, eigenständig legitimierte Institution darstellt. (3) Kontrollrechte des Europäischen Parlaments Dem Europäischen Parlament stehen Kontrollrechte sowohl gegenüber Gemeinschaftsorganen als auch gegenüber den Mitgliedstaaten zu37. Auch aus den Aufgabenfeldern des Europäischen Parlaments – wie seinen Kon32 Vgl. Kohler, EuR 1978, 332, die von einem nationalen Filter zwischen Wählern und Gewählten durch die unmittelbare Rückkoppelung zur nationalen Repräsentativkörperschaft spricht. 33 So Constantinesco, Rn. 382; Forsyth, S. 40; Saalfrank, S. 118. 34 So Kohler, EuR 1978, 332. 35 Vgl. auch Kundoch, KSE 23, S. 54, der vor der Einführung der Direktwahl durch eine solche einen Zuwachs an Unabhängigkeit und Autorität für das Europäische Parlament annahm. 36 Vgl. Bangemann/Bieber, S. 26; Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Art. 137 bis 144 Rn. 11; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EG Rn. 32; Schoo, in: Schwarze, Art. 189 EG Rn. 4.
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trollrechten – können sich Rückschlüsse auf seine Unabhängigkeit insbesondere gegenüber den Mitgliedstaaten ziehen lassen. Die umfangreichste Kontrollmöglichkeit besteht gegenüber der Kommission38. Das Parlament übt durch seine Möglichkeit, der Kommission als Gesamtheit nach Art. 201 EG das Misstrauen mit der Folge der Amtsbeendigung auszusprechen, Kontrolle über die Gemeinschaftsinstitution aus, welche das europäische Gemeinschaftsinteresse verkörpert39. Im Ergebnis kontrolliert das Europäische Parlament, ob die Kommission den Zielen der Gemeinschaftsverfassung und dem Gemeinschaftsinteresse gerecht wird40. Diese Kontrolle darf aber nur durch ein unabhängiges Gemeinschaftsorgan erfolgen, weil ansonsten die Unabhängigkeit der Kommission durch mögliche Einflussnahmen der Mitgliedstaaten über den Umweg des Europäischen Parlaments gefährdet wäre. Kontrollrechte sind dem Europäischen Parlament auch gegenüber dem Rat, dem Europäischen Rat und anderen mitgliedstaatlichen Institutionen eingeräumt41. So kann das Europäische Parlament gegenüber dem Rat und der Kommission Kontrolle ausüben, indem es deren Vertragsverletzungen durch Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen vor dem EuGH gemäß Art. 230, 232 EG rügt. Der Europäische Rat muss dem Europäischen Parlament gemäß Art. 4 EU nach jeder Tagung Bericht erstatten und ihm jährlich einen schriftlichen Bericht über die Fortschritte der Europäischen Union vorlegen. Außerdem ist dem Europäischen Parlament gemäß Art. 193 EG ein parlamentarisches Untersuchungsrecht in Bezug auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht oder Missstände bei der Anwendung desselben eingeräumt42. Dieses ist nicht auf die Institutionen der EG beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf mitgliedstaatliche Institutionen43. Dies macht deutlich, dass auch das Europäische Parlament gewisse Funktionen als „Hüter der Verträge“ wahrnimmt. Wie bei den Kontrollorganen Kommission und EuGH ist dafür eine Unabhängigkeit gegenüber den Mitgliedstaaten unerlässlich44. 37 Ausführlich zu der Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments siehe unten S. 169 ff. 38 Siehe zu der Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments gegenüber der Kommission auch Ott, ZEuS 1999, 231, 237 ff. 39 Hallstein, S. 74. 40 Ipsen, in: FS Lerche, 425, 433. 41 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 200. 42 Ausführlich zu dem Untersuchungsrecht des Europäischen Parlaments: Beckedorf, EuR 1997, 237 ff. 43 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 200; Schoo, in: Schwarze, Art. 193 EG Rn. 6. 44 Siehe zur Kommission unten S. 139 und zum EuGH S. 141.
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Die Einräumung von Kontrollrechten, insbesondere gegenüber der Kommission als der unabhängigen „Hüterin der Verträge“45, ist daher ein Anhaltspunkt dafür, dass die Vertragspartner der Europäischen Gemeinschaft das Europäische Parlament als ein sowohl von den anderen Gemeinschaftsorganen als auch von den Mitgliedstaaten unabhängiges Organ konzipiert haben. (4) Vertretung des Gemeinschaftsinteresses – Europäisches Mandat? Für die Feststellung einer in den Verträgen angelegten Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments von den Mitgliedstaaten ist es von Bedeutung, ob seine Mitglieder nach der Konzeption der Verträge nur die Interessen des Mitgliedstaates, in dem sie gewählt wurden, zu vertreten haben und damit ein nationales Mandat ausüben oder ob sie ein europäisches Gesamtinteresse verkörpern sollen und ihr Mandat daher als europäisch bezeichnet werden kann. Denn falls die Abgeordneten in erster Linie ein nationales Mandat ausüben sollten, so spräche dies dagegen, dass dem Europäischen Parlament durch die Verträge Unabhängigkeit gegenüber den Mitgliedstaaten gewährt werden sollte. Ist hingegen davon auszugehen, dass die Abgeordneten und damit letztlich auch das Europäische Parlament Gemeinschaftsinteressen zu vertreten haben, so könnte dies ein weiterer Anhaltspunkt dafür sein, dass das Europäische Parlament als von den Mitgliedstaaten unabhängiges Organ geschaffen wurde. Denn da die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit das Europäische Parlament verkörpern und das Europäische Parlament durch seine Mitglieder – die Abgeordneten – handelt46, entspräche eine Vertretung der Gesamtinteressen durch die einzelnen Abgeordneten letztlich einer Vertretung der Gesamtinteressen durch das Europäische Parlament. Die Verträge der Europäischen Gemeinschaft enthalten wenig Anhaltspunkte dazu, wie das Mandat der Abgeordneten des Europäischen Parlaments ausgestaltet ist47. Die Diskussion darüber, ob die Abgeordneten des Europäischen Parlaments ein nationales oder ein europäisches, die Gemeinschaftsinteressen beachtendes Mandat ausüben, lässt sich in vertraglicher Hinsicht am deutlichsten an Art. 189 Abs. 1 EG festmachen, wonach die Abgeordneten „Vertreter der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ sind. Einigkeit besteht darin, dass es ein europäisches Volk nicht gibt48, worauf auch die Formulierung „der Völker“ hindeutet. 45
Siehe dazu unten S. 139. Vgl. Czepluch, S. 97, nach dem ein „Parlament als Kollegialorgan per definitionem aus sich heraus noch nicht handlungsfähig ist, sondern hierzu einzelner Organträger bedarf, deren Handlungen dem Organ zugerechnet werden“. 47 Kritisch Costa, S. 263. 46
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Keine Einigkeit besteht aber darüber, ob die Formulierung des Art. 189 Abs. 1 EG dahingehend zu interpretieren ist, dass die Abgeordneten im Sinne eines nationalen Mandats als Vertreter des jeweiligen Volkes, das sie gewählt hat, oder im Sinne eines europäischen Mandats als Vertreter der Völker in ihrer Gesamtheit anzusehen sind. (a) Nationales Mandat der Abgeordneten Zum Teil wird betont, die Formulierung „Vertreter der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ in Art. 189 Abs. 1 EG mache deutlich, dass ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments nicht etwa als Repräsentant der Völker in ihrer Gesamtheit, sondern als Repräsentant des Volkes seines Staates betrachtet werden solle49. Das Europäische Parlament repräsentiere keine Einheit, sondern eine Vielfalt, nämlich die Völker der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Die demokratische Legitimation des Europäischen Parlaments sei ebenso wie die des Ministerrats föderal, weshalb das Parlament auch nicht grundsätzlich stärker befähigt sei als der Rat, die Gemeinwohlinteressen zu vertreten50. Zwar seien beide Or48 BVerfGE 89, 155, 156, 188; Grabitz, DVBl. 1977, 786, 791; Heintzen, AöR 119 (1994), 564, 579 f. m. w. N.; Ipsen, in: FS Lerche, 425, 435; Saalfrank, S. 112; Seidel, EuR 1992, 125, 140; Suski, S. 186 f. 49 Harms, S. 78 f., dessen Betrachtungsweise aus der Zeit vor der Einführung der Direktwahl stammt; Passadelis, S. 301; Seidel, EuR 1992, 125, 127, der ausdrücklich darauf verweist, dass die Einführung der Direktwahl hieran nichts geändert habe. Vgl. auch Ipsen, in: FS Lerche, 425, 426; Costa, S. 268 ff. Auch Bleckmann geht in Rn. 804 davon aus, dass die Abgeordneten ein Mandat ausüben, das ihnen von ihrem jeweiligen Volk verliehen wurde. Aus dem ersten Satz der Präambel, wonach der EG-Vertrag „die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“ schaffen soll, sei aber zu schließen, „dass die verschiedenen Völker Europas (Europa der Vaterländer) allmählich in einem einzigen europäischen Volk verschmelzen sollen“. Erst am Ende dieser Entwicklung könnten die Abgeordneten im Europäischen Parlament ein „echtes europäisches Mandat“ ausüben. Allerdings kann anhand von Widersprüchen in der Abhandlung von Bleckmann aufgezeigt werden, dass die Differenzierung zwischen nationalem Mandat und europäischem Mandat schwer fällt, denn in Rn. 288 heißt es: „Der Abgeordnete des Europäischen Parlaments besitzt ein europäisches Mandat. Das heißt, er vertritt die Völker der Europäischen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit und nicht nur das Volk, dessen Abgeordneter er ist, und noch weniger sein nationales Parlament“. 50 Klein, EuR 1987, 97, 105, der jedoch verkennt, dass im Rat die Mitgliedstaaten durch Regierungschefs und weisungsgebundene Minister vertreten werden. Demgegenüber sind die Abgeordneten des Europäischen Parlaments nicht den jeweiligen Regierungen der Länder verpflichtet, in denen sie gewählt wurden. Die nationalen Interessen dürften daher bei den Abgeordneten eher in den Hintergrund treten als bei den mitgliedstaatlichen Vertretern im Rat. Auf die enge Verknüpfung des Rates mit den Mitgliedstaaten aufgrund seiner Zusammensetzung aus Regierungsmitgliedern weist auch Zuleeg, Integration 1988, 103, 108, hin.
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gane als Gemeinschaftsorgane dem Gemeinwohl verpflichtet, dies schließe jedoch weder in dem einen noch in dem anderen Fall die Berücksichtigung nationaler Interessen aus. Für eine Vertretung nur des Volkes, welches einen Abgeordneten gewählt hat, wird angeführt, dass mit der Direktwahl kein einheitliches Wahlverfahren eingeführt wurde. Die Bildung eines unitarischen Repräsentationsorgans setze ein einheitliches Wahlsystem voraus, andernfalls fehle es „bereits an der Grundlage einer Zurechenbarkeits- und Identifikationsbereitschaft“ mit dem gewählten Organ51. Als Argument für ein nationales Mandat wird weiter vorgebracht, dass die Kontingentierung der Abgeordnetenmandate nicht allein anhand der Bevölkerungsgröße vorgenommen wird, sondern insbesondere im Interesse der kleineren Mitgliedstaaten jedem Mitgliedstaat eine besondere Sitzplatzanzahl garantiert ist. Dies führe zu einer Ungleichheit des Wahlrechts52. Verwiesen wird dabei insbesondere auf den durch den Amsterdamer Vertrag neu formulierten Art. 190 Abs. 2 S. 2 EG, wonach bei einer Änderung der Festlegung der Abgeordnetenmandate „durch die Zahl der in jedem Mitgliedstaat gewählten Abgeordneten eine angemessene Vertretung der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten gewährleistet sein“ muss53. Nach dem Vertrag gebe es daher eine feste Verbindung zwischen dem Wahl-Rahmen, den jeder Staat darstelle, und der Vertretung seines Volkes im Europäischen Parlament54. Diese Verbindung zwischen einem Abgeordneten und dem Mitgliedstaat, in dem er gewählt wurde, habe durch die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Unionsbürger bei den Wahlen zum Europäischen Parlament gemäß Art. 19 Abs. 2 EG und durch die Verankerung politischer Parteien auf europäischer Ebene in den Vertrag gemäß Art. 191 EG zwar gewisse Ände51 Klein, EuR 1987, 97, 103; Streinz, DVBl. 1990, 949, 960. Auch Passadelis, S. 301, verweist auf das uneinheitliche Wahlverfahren. Diese Argumentation wird im Falle des Inkrafttretens der vom Rat vorgesehenen Änderungen der Wahlakte in Teilen entkräftet, weil durch die beschlossene Festschreibung des Verhältniswahlsystems zumindest eine gewisse Vereinheitlichung des Wahlrechts bewirkt wird. Siehe dazu oben 1. Teil Fn. 57. 52 Kritisch dazu: Klein, EuR 1987, 97, 103; Seidel, EuR 1992, 125, 127 f. 53 Hervorhebung durch die Verfasserin. 54 So das Gutachten des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments zur Vereinbarkeit länderübergreifender Listen mit den Verträgen, in: PE 224.331, Bericht Anastassopoulos, Anlage. Zustimmend Costa, S. 269. Das Gutachten des Juristischen Dienstes kommt zu dem Ergebnis, dass länderübergreifende Listen nur durch eine Änderung der Verträge eingeführt werden können. Das Parlament hat aber entgegen dem Gutachten des Juristischen Dienstes der Einführung länderübergreifender Listen zugestimmt. Dies entspricht auch seiner grundsätzlichen Linie, wonach die Abgeordneten des Europäischen Parlaments nicht nur das jeweilige Volk, sondern das Parlament als Einheit alle Völker vertritt, siehe dazu unten S. 132 f.
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rungen erfahren, diese stellten jedoch nur die Ausnahme dar55. Dagegen wird einer Kontingentierung der Mandate allein nach der Bevölkerungsgröße eine unitarisierende Wirkung zugesprochen56. Es wird dabei davon ausgegangen, dass die Einführung der Gleichheit des Wahlrechts keinesfalls den Ausschluss kleinerer Mitgliedstaaten von jeder Einflussnahme bedeutet57. Denn bei einem Parlament gehe es nicht um die Einflussnahme kleinerer oder größerer Länder, sondern um die Einflussnahme gesellschaftspolitischer Strömungen. Ein weiterer Anhaltspunkt für ein national orientiertes Mandat der Abgeordneten des Europäischen Parlaments kann darin gesehen werden, dass bei der Einführung der Direktwahl nicht das Verbot des Doppelmandats, sondern lediglich ein fakultatives Doppelmandat eingeführt wurde58. Dadurch wurde die Möglichkeit einer personellen Verbindung zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten aufrechterhalten59. Auch diejenigen, die in den Abgeordneten des Europäischen Parlaments derzeit nationale Vertreter sehen, verlangen zum Teil in Form eines Regelungsauftrages an den europäischen Verfassungsgeber, dass das Europäische Parlament so verfasst sein müsse, „dass es die Herausbildung eines europäischen Volkes fördert, dieser jedenfalls nicht entgegensteht“60. Für Harms folgt aus der Vertretung nur des Volkes, das den Abgeordneten gewählt hat, nicht, dass der Abgeordnete verpflichtet sei, nur für die Interessen seines Staates einzutreten; aus der Zugehörigkeit zu einer Institution der Gemeinschaft ergebe sich vielmehr, dass die Abgeordneten das Gesamtinteresse nicht außer Acht lassen dürften61. Klein bezeichnet das Europäische Parlament „als unitarisches Organ im Werden“62. Zudem wirft er den Gedanken auf, dass Gemeinschaftsinteressen nur unter Berücksichtigung von Interessen kleinerer Einheiten, der Mitgliedstaaten, zu ermitteln seien. Es gehe daher um die Verknüpfung nationaler und supranationaler Anliegen63. 55 So das Gutachten des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments zur Vereinbarkeit länderübergreifender Listen mit den Verträgen, in: PE 224.331, Bericht Anastassopoulos, Anlage. Zustimmend Costa, S. 269. 56 Vgl. Saalfrank, S. 123. 57 Seidel, EuR 1992, 125, 141. A. A. v. Simson, EuR 1991, 1, 9. 58 Vgl. Saalfrank, S. 118. 59 Hahlen, VR 1978, 229. Diese Argumentation lässt sich im Falle des Inkrafttretens der vom Rat beschlossenen Neufassung der Wahlakte aufgrund des eingeführten Verbots des Doppelmandats nicht mehr aufrecht erhalten, siehe dazu unten S. 233. 60 Seidel, EuR 1992, 125, 140. 61 S. 79. 62 EuR 1987, 97, 104. 63 EuR 1987, 97, 110.
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(b) Europäisches Mandat der Abgeordneten Die Formulierung „Vertreter der Völker“ in Art. 189 Abs. 1 EG wird auch dahingehend interpretiert, dass nach der Konzeption der Verträge der Europäischen Gemeinschaft jeder Abgeordnete alle Völker der Gemeinschaft vertritt, nicht nur das Volk, in dessen Staat er gewählt wurde64. Die Abgeordneten seien daher nicht nur ihrem Volk, sondern der Gemeinschaft insgesamt verantwortlich65. Als Repräsentanten der Völker der in den Gemeinschaften zusammengeschlossenen Staaten verkörperten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments die Einheit Europas66. Sie sollten deshalb nationale Bestrebungen nur um des gemeinsamen europäischen Interesses willen verfolgen67. Auch nach Auffassung des Europäischen Parlaments vertreten seine Mitglieder nicht die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, sondern die Gesamtzahl ihrer Bürger, also eine gesamteuropäische Wählerschaft68. Das Europäische Parlament betont unter Verweis auf das Verbot 64 Vgl. Bleckmann, Rn. 288, anders aber Rn. 804; Fleuter, S. 102; Pernice, FAZ v. 7. Juli 1999, S. 7; Ress, in: Zorgbibe, 107, 110; Rutschke, S. 9. Bieber, in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 185, verweist darauf, dass die europäischen Abgeordneten im Gegensatz zu ihren staatlichen Kollegen die Gesamtheit – und damit die Vielfalt – der in der EG zusammengeschlossenen Völker vertreten. Nach Haag/ Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 2, ist ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments nicht darauf beschränkt, die Interessen des Volkes zu vertreten, von dem er das Mandat erlangt hat; er vertrete, soweit der jeweilige Stand der Integration dies ermöglicht, auch die anderen Völker der Mitgliedstaaten. Nach Saalfrank, S. 111, lässt der Wortlaut des Art. 190 Abs. 1 EG offen, ob die Abgeordneten als Vertreter des jeweiligen Volkes oder der Völker anzusehen sind; letztlich spreche aber viel dafür, dass der Abgeordnete des Europäischen Parlaments die Völker in ihrer Gesamtheit vertrete, vgl. ders., S. 118. 65 Schoo, in: Schwarze, Art. 190 EG Rn. 4. Schoo stützt sich darauf, dass die Abgeordneten gemäß Art. 4 Abs. 1 der Wahlakte weder an Weisungen noch an Aufträge gebunden sind. 66 Rutschke, S. 9. 67 Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 19; Läufer, in: Grabitz/Hilf, Stand: 5. Ergänzungslieferung, Art. 138 Rn. 33. Ähnlich Neßler, EuR 1997, 311, 318, nach dem die Abgeordneten ihre nationalen Bestrebungen dem gemeinsamen europäischen Interesse unterordnen sollen. 68 ABl. 1994 C 44/88, Entschließung des Europäischen Parlaments zur Anwendung des Art. 4 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments vom 19. Januar 1994. Diese Entschließung ist im Zusammenhang mit der Frage ergangen, ob die in Großbritannien, Irland und Dänemark gewählten Abgeordneten in den Fällen von der Abstimmung im Parlament ausgeschlossen werden sollten, in denen Vertragsteile einschlägig sind, die diese Mitgliedstaaten im Rahmen des Maastricht-Vertrages nicht ratifiziert haben. Für diese Fälle ist zwar vertraglich eine Ausnahme im Hinblick auf die Vertreter dieser Mitgliedstaaten im Rat, nicht aber für die Mitglieder der übrigen Organe und insbesondere die Abgeordneten vorgesehen. Das Europäische Parlament hat im Hinblick auf die Einheit des Organs Europäisches Parlament den Ausschluss der betroffenen Abgeordneten von den Abstimmungen abge-
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eines imperativen Mandats, dass die Einheit des Organs Europäisches Parlament weder eingeschränkt noch in Frage gestellt werden dürfe. Zur Unterstützung dieser Argumentation kann entgegen der Ansicht der Befürworter eines nationalen Mandats der Wortlaut der Art. 189 Abs. 1 EG und Art. 190 Abs. 1 EG herangezogen werden. Zwar enthält die Formulierung „Vertreter der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ mit dem Wort „Staaten“ einen Verweis auf die einzelnen Mitgliedstaaten. Dies kann jedoch zum einen als bloße Konkretisierung der gemeinten „Völker“ gesehen werden. Zum anderen zeigt der Vergleich mit dem Wortlaut des Art. 203 EG, wonach der Rat aus „je einem Vertreter jedes Mitgliedstaates“ besteht, dass der Vertrag einen deutlichen Unterschied zwischen den unabhängigen Abgeordneten des Europäischen Parlaments und den Interessenvertretern der Mitgliedstaaten im Rat macht69. Auch geht der Vertrag damit einen Schritt weiter als die Regelung in Art. 25 (a) EuRat, wonach die Beratende Versammlung des Europarats, der historische Vorläufer des Europäischen Parlaments, aus „Vertretern jedes Mitglieds“ besteht – ein Ausdruck, der in Art. 14 EuRat auch für die Mitglieder des Ministerkomitees verwandt wird. Allein aus dem Verweis auf die „Staaten“ kann daher nicht der Schluss auf ein national ausgerichtetes Mandat gezogen werden. Unterstrichen wird dies durch die Formulierung des Art. 190 Abs. 2 S. 1 EG, der bei der Festsetzung der Sitze von den „in jedem Mitgliedstaat gewählten Abgeordneten“ und nicht von den Abgeordneten einzelner Staaten, beispielsweise den „Abgeordneten der Bundesrepublik Deutschland“, spricht70. Die Verwendung des Plurals „Völker“ deutet schließlich darauf hin, dass jeder Abgeordnete nicht nur das Volk des Mitgliedstaates, in dem er gewählt wurde, sondern die Völker insgesamt vertritt. Denn wäre eine Vertretung nur der einzelnen Völker gewollt gewesen, so hätten die Vertragspartner etwa die Formulierung „Vertreter der jeweiligen Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ wählen können.
lehnt. Tatsächlich zeigt die Tatsache, dass die Vertragspartner die Vertreter dieser Mitgliedstaaten im Rat von der Abstimmung ausgeschlossen, für die Abgeordneten dieser Länder jedoch keine solche Regelung vereinbart haben, dass auch sie nicht von einer den Ratsvertretern vergleichbaren nationalen Interessenvertretung der Abgeordneten ausgehen. 69 Kapteyn/VerLoren van Themaat, S. 210, verweisen zusätzlich darauf, dass die Formulierung „der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ anstelle des üblicherweise in den Verträgen verwandten Begriffs „Mitgliedstaaten“ nicht den individuellen, sondern den kollektiven Charakter der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten betont. 70 Ress, in: Zorgbibe, 107, 110, unter Verweis auf den gleichlautenden Art. 2 der Wahlakte.
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Zudem kann die Verpflichtung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, für das Gesamtinteresse der Gemeinschaft einzutreten, aus ihrer in der Präambel des EG zum Ausdruck gebrachten Mitwirkungspflicht an der Zielsetzung der Europäischen Gemeinschaft, einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen, gefolgert werden71. Die Verpflichtung ist auch Abs. 4 der Einleitung der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 zu entnehmen, wonach das in allgemeiner Wahl gewählte Europäische Parlament für die demokratischen Völker Europas, die den Wunsch haben, den Europagedanken zu verwirklichen, ein unerlässliches Druckmittel ist72. Ein zeitnaher Hinweis darauf, dass die Vertragspartner der Europäischen Gemeinschaft das Mandat der Abgeordneten des Europäischen Parlaments als europäisches ausrichten wollten, kann dem durch den Maastrichter Vertrag eingeführten Art. 191 EG entnommen werden. Danach sind politische Parteien auf europäischer Ebene wichtig als Faktor der Integration in der Union. Sie tragen zur Herausbildung eines europäischen Bewusstseins bei und bringen den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck. Schon die Einfügung des Art. 191 EG in den Abschnitt des Vertrags über das Europäische Parlament im Anschluss an die Regelung über die Abgeordneten in Art. 190 EG zeigt, dass die Vertragspartner auch die Rolle des Europäischen Parlaments als Faktor der Integration und der Herausbildung eines europäischen Bewusstseins anerkennen73. Außerdem wird durch die Regelung des Art. 191 EG deutlich gemacht, dass die Vertragspartner der Europäischen Gemeinschaft davon ausgehen, dass der politische Wille von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Mitgliedstaat losgelöst ist74. Während bis zum Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags die Abgeordneten eines Mitgliedstaates nur von den nationalen Wahlberechtigen gewählt werden konnten, können seit der Einführung der Unionsbürgerschaft durch den Maastrichter Vertrag gemäß Art. 19 Abs. 2 EG auch EG-Ausländer, die aufgrund ihres gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts in einem anderen Mitgliedstaat leben, an der Wahl zum Europäischen Parlament in ihrem Aufenthaltsland teilnehmen. Seither ist folglich die Freizügigkeit der aktiven und passiven Wahlberechtigung in der Europäischen Gemeinschaft 71
Fleuter, S. 101; Läufer, in: Grabitz/Hilf, Stand: 5. Ergänzungslieferung, Art. 138 Rn. 33, der insbesondere auf die Mitwirkungspflicht zur Entwicklung der „civitas Europea“ hinweist. 72 Läufer, in: Grabitz/Hilf, Stand: 5. Ergänzungslieferung, Art. 138 Rn. 33. 73 Auch Saalfrank, S. 123, sieht in dem Parteienprivileg des Art. 191 EG ein Indiz für eine unitarische Ausrichtung des Europäischen Parlaments. 74 ABl. 1994 C 44/88, Entschließung des Europäischen Parlaments zur Anwendung des Art. 4 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments vom 19. Januar 1994.
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grundsätzlich gewährleistet75. Die Einführung dieser Wahlberechtigung hat den Effekt, die Grenzen zwischen den Völkern zu verwischen76, und hat die Wahlen zum Europäischen Parlament „europäisiert“77. Die Wahlberechtigung von EG-Ausländern und damit deren Repräsentation durch die Abgeordneten unterstreicht, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments nicht nur Vertreter ihres Volkes sein können, sondern auch die anderen Völker der Europäischen Gemeinschaft vertreten78. Zudem wird im Rahmen von Organen internationaler Organisationen davon ausgegangen, dass der Wille und das Interesse des Mitgliedstaates einer internationalen Organisation zwangsläufig zurücktritt, wenn die Organwalter unabhängig sind oder in den Organen nach Mehrheit abgestimmt wird79. Die Tatsache, dass zum einen den Abgeordneten als Organwalter des Europäischen Parlaments Unabhängigkeit garantiert ist80, zum anderen die Beschlussfassung im Europäischen Parlament gemäß Art. 198 EG als Mehrheitsentscheidung ausgestaltet ist, macht deutlich, dass die Vertragspartner der Europäischen Gemeinschaften das Mandat der Abgeordneten derart ausgestalten wollten, dass das Gemeinschaftsinteresse für die Abgeordneten einen hohen Stellenwert hat. Die große Rolle des Gemeinschaftsinteresses für das Europäische Parlament findet in tatsächlicher Hinsicht Entsprechung darin, dass das Europäische Parlament sich immer als „Motor der Integration“ verstanden hat81.
75 Den Aspekt der mangelnden Freizügigkeit der aktiven Wahlberechtigung hat Seidel, EuR 1992, 125, 128, als „Ausdruck der – historischen – Grundstruktur des Europäischen Parlaments als Organ einer Staatengemeinschaft“ und als Gegenstück zu einer Supranationalität gewertet. Bei der Wahl im Jahr 1999 wurden drei Abgeordnete in Mitgliedstaaten gewählt, deren Staatsbürger sie nicht waren (passive Wahlberechtigung), siehe Costa, S. 264. 76 Hatje, in: Schwarze, Art. 19 EG Rn. 17. 77 Oppermann, Rn. 1562, der jedoch bemängelt, dass die praktischen Auswirkungen begrenzt seien. 78 Vgl. Bleckmann, DVBl. 1992, 335, 336, nach dem sich das bisher nur nationale Mandat der europäischen Abgeordneten durch das aktive und passive Wahlrecht in ein europäisches Mandat verwandelt habe. Vgl. auch Magiera, in: FS Everling, 789, 796, nach dem das aktive und passive Wahlrecht der Unionsbürger zum Ausdruck bringe, dass das Europäische Parlament im Sinne des Repräsentationsgedankens nicht die einzelnen Völker der Mitgliedstaaten als solche, sondern die Gesamtheit dieser Völker vertrete. 79 Klein, in: Graf Vitzthum, 4. Abschnitt Rn. 119. Für Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46, 64, sind aus unabhängigen Personen zusammengesetzte Organe dazu prädestiniert, sich bei ihren Entscheidungen nicht von nationalen Standpunkten einzelner Mitgliedstaaten, sondern von den übernationalen Interessen der in der Organisation zusammengeschlossenen Staatengemeinschaft leiten zu lassen. Zu dem einenden Aspekt von Mehrheitsentscheidungen vgl. auch Saalfrank, S. 125. 80 Siehe zur personellen Unabhängigkeit oben S. 125 f.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Trotz der dargestellten Gegenmeinung sprechen daher viele Gründe dafür, dass das Mandat der Mitglieder des Europäischen Parlaments von den Vertragspartnern zumindest grundsätzlich als ein überstaatliches, freies, europäisches Mandat82 angelegt wurde. Auf die davon zu unterscheidende Frage, inwieweit dieses europäische Mandat nach der derzeitigen gemeinschaftsrechtlichen Ausgestaltung schon umfassend umgesetzt wurde, soll später eingegangen werden83. Aufgrund des europäischen Mandats der Abgeordneten ist das Europäische Parlament besser als andere Organe der Gemeinschaft bzw. der Mitgliedstaaten – etwa die nationalen Parlamente – in der Lage, die europäischen Partikularinteressen abzuwägen und einen gesamteuropäischen Willen zu verwirklichen84. Auch ist das Europäische Parlament als einziges Organ in der Lage, die Völker der Mitgliedstaaten und eben nicht die Staaten selbst zu repräsentieren, was für die Herausbildung eines europäischen Bewusstseins unerlässlich ist85. Das Europäische Parlament verfügt daher über eine besondere Leistungsfähigkeit zur gesamteuropäischen Interessens- und Willensbildung. Allerdings ist zu beachten, dass 81 Neßler, S. 82. Vgl. auch Burban, AFDI 1979, 779; Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu Art. 137 bis 144 Rn. 3 f. 82 Für ein europäisches Mandat sprechen sich aus: Bleckmann, Rn. 288, anders aber Rn. 804; Grabitz, DVBl. 1977, 786, 791 ff.; Neßler, S. 58; ders., EuR 1997, 311, 318; Reich, S. 96; Ress, in: Zorgbibe, 107, 110. Zuleeg, Der Staat 17 (1978), 27, 37, spricht zumindest davon, dass die Integrationsfunktion des Parlaments durch die Einführung der Direktwahl gestärkt worden sei, ein entscheidender Durchbruch zur Herausbildung eines europäischen Bewusstseins gelinge dadurch aber nicht. Saalfrank, S. 128, geht von einer doppelten Repräsentation sowohl der jeweiligen Völker als auch der Völker in ihrer Gesamtheit aus. Ähnlich Jasmut, S. 274 f. nach dem es den Abgeordneten freisteht, ihr Mandat europäisch oder national zu verstehen. Dies ist insofern richtig, als der Grundsatz des freien Mandats den – grundsätzlich unabhängigen – Abgeordneten natürlich die Freiheit lässt, sich vorrangig nach nationalen Interessen zu richten. 83 Siehe dazu unten S. 158 ff. Ein ähnliches Verständnis scheint Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46, 75 f., zu haben: Die Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarats und der Gemeinsamen Versammlung der Montanunion hätten die rechtliche Sicherheit, die übernationalen europäischen Interessen ungefährdet vertreten zu können, auch wenn diese nicht mit dem nationalen Standpunkt ihres Staates übereinstimmen sollten. Ein europäisches Parlament, in dem die europäischen gegenüber den nationalen Interessen Vorrang erhielten, könne sich allerdings erst dann entwickeln, wenn nicht nur bei den Mitgliedern der Beratenden Versammlung, sondern auch bei den hinter ihnen stehenden Parteien und Völkern das moralische Bewusstsein des Vorrangs der europäischen vor den nationalen Interessen hinzutritt. 84 Reich, S. 96 f. Nach Heintzen, ZEuS 2000, 377, 382, kann das Europäische Parlament ein europäisches Gemeinwohl am besten repräsentieren, weil es ein unmittelbares Wählermandat besitzt. Bieber, ZEuS 1999, 141, 152, betont, das Europäische Parlament sei „ein Ort, an dem europäische Probleme und europäische Optionen unter Berücksichtigung der in allen Staaten vertretenen Meinungen öffentlich diskutiert und zu einer gemeinsamen Willensäußerung gebündelt werden“. 85 Vgl. Saalfrank, S. 133.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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die Abgeordneten des Europäischen Parlaments – im Gegensatz beispielsweise zu den Mitgliedern der Kommission86 – nicht vertraglich verpflichtet sind, die Gemeinwohlinteressen zu verfolgen. Aufgrund des freien Mandats steht es ihnen frei, auch nationale Interessen zu verfolgen. Dies steht jedoch nicht unbedingt im Widerspruch zu ihrem europäischen Mandat, denn ein gesamteuropäisches Interesse muss weder ein Ersatz noch ein Gegensatz zum nationalen Interesse, sondern kann schlichtweg eine zweite Ebene neben nationalen Interessen sein87. (c) Einfluss auf die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments Die Vertretung von Gemeinschaftsinteressen durch die Abgeordneten und das Europäische Parlament, die auch von den Befürwortern eines nationalen Mandats nicht gänzlich bestritten wird, sowie Bildung und Weitergabe eines gesamteuropäischen Willens setzen die tatsächliche Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments und der einzelnen Abgeordneten von den Mitgliedstaaten voraus. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die nationalen Interessen im Europäischen Parlament in den Vordergrund zu rücken drohen. Die Aufgabe der Abgeordneten, als „Vertreter der Völker“ das europäische Gesamtinteresse zu verkörpern, kann daher als ein weiterer Anhaltspunkt für eine den Verträgen der Europäischen Gemeinschaft zugrundeliegende Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments gewertet werden. Insbesondere kann das Europäische Parlament nur dann als „supranationale Vertretung der Völker“ angesehen werden88, wenn es von den Mitgliedstaaten unabhängig ist. (5) Zwischenergebnis Festzustellen ist, dass den Vertragstexten mit der Gewährleistung der persönlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten, der unabhängigen Legitimation des Europäischen Parlaments, den dem Europäischen Parlament eingeräumten Kontrollrechten gegenüber anderen Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedstaaten sowie der dem Europäischen Parlament und seinen Mitgliedern obliegenden Aufgabe der Vertretung der Gemeinwohlinteressen mehrere Anhaltspunkte für die Annahme entnommen werden können, dass das 86
Vgl. Art. 213 Abs. 2 Unterabs. 1 EG; siehe dazu unten S. 138 f. Vgl. Tsatsos, EuGRZ 1994, 45, 48, nach dem das Europäische Bewusstsein „sich weder als Ersatz noch als Gegensatz zum nationalen Bewusstsein“ versteht, „sondern als Entstehung einer zweiten Ebene der Politik und somit eines neuen Punktes der Bewusstseinsbildung, der unmittelbar mit dem Vorhandensein eines europäischen Gemeinwohls verbunden ist“. 88 Vgl. Hatje, in: Schwarze, Art. 7 EG Rn. 8. 87
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Europäische Parlament nach der Konzeption der Verträge gegenüber den Mitgliedstaaten unabhängig sein soll.
bb) Vergleich mit anderen Gemeinschaftsorganen Da den Verträgen der Europäischen Gemeinschaft eine ausdrückliche normative Festschreibung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments fehlt, könnte neben den erläuterten, der Ausgestaltung des Europäischen Parlaments durch die Verträge immanenten Aspekten der Unabhängigkeit ein Vergleich mit anderen Gemeinschaftsorganen weitere Anhaltpunkte für eine bezweckte Unabhängigkeit liefern. Insbesondere die Kommission und der EuGH wurden als unabhängige Organe der Gemeinschaft und die Europäische Zentralbank als unabhängige Institution ausgestaltet. Im Gegensatz dazu wurde mit dem Rat ein von den Mitgliedstaaten abhängiges Organ geschaffen.
(1) Kommission (a) Unabhängigkeit Zwar wird die Unabhängigkeit der Kommission von den Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich in den Verträgen geregelt, gemäß Art. 213 Abs. 1 S. 1 EG besteht die Kommission aber aus Mitgliedern, die die volle Gewähr für ihre Unabhängigkeit bieten müssen. Zusätzlich bestimmt Art. 213 Abs. 2 Unterabs. 1 EG, dass die Mitglieder der Kommission ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaft ausüben. Sie dürfen daher bei der Erfüllung ihrer Pflichten Anweisungen von einer Regierung oder einer anderen Stelle weder anfordern noch entgegennehmen und haben jede Handlung zu unterlassen, die mit ihren Aufgaben unvereinbar ist (Art. 213 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1 und 2 EG). Jeder Mitgliedstaat verpflichtet sich, diesen Grundsatz zu achten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Kommission bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu beeinflussen (Art. 213 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 3 EG). Eine Abberufung der Kommissionsmitglieder ist nach der Benennung weder den Mitgliedstaaten noch dem Rat oder der Kommission möglich. Vertraglich vorgesehene Beendigungsgründe sind vielmehr ein Misstrauensbeschluss des Europäischen Parlaments gegenüber der ganzen Kommission (Art. 201 EG), Todesfall, Rücktritt oder eine Amtsenthebung durch den EuGH (Art. 215 Abs. 1 EG). Auch dürfen die Kommissionsmitglieder während ihrer Amtszeit keine andere entgeltliche oder unentgeltliche Berufstätigkeit ausüben, Art. 213 Abs. 2 Unterabs. 3 S. 1 EG.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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Diese Vorschriften stehen allerdings in einem Spannungsverhältnis zu der Tatsache, dass die Nationalität der Mitglieder keineswegs bedeutungslos ist (vgl. Art. 213 Abs. 1 Unterabs. 3 und 4 EG89) und die Regierungen der Mitgliedstaaten mitentscheidenden Einfluss auf die Benennung der Mitglieder gemäß dem Verfahren nach Art. 214 Abs. 2 EG haben90. Auch werden in der Praxis häufig Kommissare ernannt, die vor ihrer Amtserlangung wichtige nationale Ämter und Aufgaben wahrgenommen haben und daher auch in ihrer Funktion als Kommissare nationale Interessen ihrer Regierungen berücksichtigen91. Diese Verbindungen zum nationalen politischen Leben werden jedoch als eine notwendige Bedingung für eine effektive Wahrnehmung der Aufgaben der Kommission durch ihre Mitglieder angesehen92. Aus der zumindest formalen, vertraglich vorgesehenen Unabhängigkeit der Kommissionsmitglieder kann auf die Unabhängigkeit der Kommission selbst geschlossen werden. Die Kommission ist das am deutlichsten supranational ausgeprägte Organ der Gemeinschaft93. Nach den Gründervorstellungen sollte die Kommission unabhängiger „Motor, Wächter und ehrlicher Makler“ der Gemeinschaft sein94. Aus Art. 213 Abs. 2 Unterabs. 1 EG wird daher auch eine Garantie der Unabhängigkeit der Kommission gegenüber den anderen Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedstaaten und ihre 89 Nach Art. 213 Abs. 1 Unterabs. 3 EG dürfen nur Staatsangehörige der Mitgliedstaaten Mitglieder der Kommission sein. Nach Art. 213 Abs. 1 Unterabs. 4 EG muss mindestens ein Staatsangehöriger jedes Mitgliedstaates der Kommission angehören. 90 Vgl. Streinz, Rn. 288. Durch den Vertrag von Nizza wurde eine Änderung des Ernennungsverfahrens sowohl des Kommissionspräsidenten als auch der Kommissionsmitglieder eingeführt. Statt der bisherigen Benennung im gegenseitigen Einvernehmen durch die Regierungen der Mitgliedstaaten soll zukünftig der Rat mit qualifizierter Mehrheit den Kommissionspräsidenten benennen und die gemäß den Vorschlägen der einzelnen Mitgliedstaaten erstellte Liste der anderen Persönlichkeiten annehmen, die er zu Mitgliedern der Kommission zu ernennen beabsichtigt. Durch die Einführung der Mehrheitsentscheidung und die damit einhergehende vorsichtige Reduzierung der Einflussnahme der mitgliedstaatlichen Regierungen auf die Ernennung der Kommissionsmitglieder wird das Spannungsverhältnis zwischen der Unabhängigkeit der Kommissionsmitglieder und den nationalen Interessen zwar zugunsten der ersteren verschoben, vgl. Fischer, S. 133, Kommentar (5) zu Art. 214 Abs. 2 EG, der in der Änderung einen Schritt weg vom Intergouvernementalen hin zum Supranationalen sieht. Da die Mehrheitsentscheidung aber auf der Grundlage von Vorschlägen der einzelnen Mitgliedstaaten erfolgt, verbleibt den Mitgliedstaaten mit dem Initiativrecht trotz der Möglichkeit der Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit eine entscheidende Einflussnahmemöglichkeit bei der Ernennung der Kommissionsmitglieder. 91 Bleckmann, Rn. 252. 92 Bleckmann, Rn. 252; Oppermann, Rn. 335. 93 Constantinesco, Rn. 283; Hatje, in: Schwarze, Art. 7 EG Rn. 31. 94 So Oppermann, Rn. 330, wonach dies ein Zitat von Walter Hallstein sei.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Verpflichtung auf das „allgemeine Wohl der Gemeinschaften“ entnommen95. Diese Unabhängigkeit ist insbesondere für die Erfüllung einer der Hauptaufgaben der Kommission unerlässlich: Ihrer Aufgabe als „Hüterin der Verträge“, die Respektierung der Gemeinschaftsordnung durch alle Beteiligten, insbesondere die Mitgliedstaaten, sicherzustellen (vgl. Art. 211 Unterabs. 1 EG)96, kann die Kommission nur in Unabhängigkeit von diesen gerecht werden. (b) Status der Kommissionsmitglieder Die Verordnung Nr. 422/67/EWG, Nr. 5/67/Euratom des Rates vom 25. Juli 1967 „über die Regelung der Amtsbezüge für den Präsidenten und die Mitglieder der Kommission sowie für den Präsidenten, die Richter, die Generalanwälte und den Kanzler des Gerichtshofes“97 regelt die Gehälter, Vergütungen, Kostenerstattungen und Ruhebezüge der Kommissionsmitglieder und der Richter des EuGH. Die Regelung enthält weder Differenzierungen hinsichtlich der Herkunft der Kommissare bzw. Richter, noch Verweise auf das jeweilige nationale Recht. Der Immunitäten- und Privilegienschutz, der den Kommissaren im Interesse der Gemeinschaft gewährt wird, ist für alle Kommissare gemeinschaftsrechtlich und einheitlich in Art. 20 i.V. m. Art. 12 bis 15 und 18 des Protokolls geregelt. Der Grundsatz der Unabhängigkeit der Kommission und ihrer Mitglieder von den Mitgliedstaaten wird demnach auch bei der Ausgestaltung des Status der Kommissare nicht gebrochen. (2) EuGH (a) Unabhängigkeit Gemäß Art. 223 Abs. 1 EG sind zu Richtern und Generalanwälten des EuGH Persönlichkeiten auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder Juristen von anerkannt hervorragender 95 Vgl. Constantinesco, Rn. 276; Hallstein, S. 58; Hummer, in: Grabitz/Hilf, Art. 157 EG Rn. 22; Oppermann, Rn. 335, 370; Schmitt von Sydow, in: GTE, Art. 157 Rn. 15. 96 Oppermann, Rn. 365. 97 ABl. 1967 187/1. Siehe auch die Verordnung (EGKS, EWG, EAG) Nr. 1546/ 73 des Rates vom 04. Juni 1973 zur Änderung der Verordnung Nr. 422/67/EWG, Nr. 5/67/Euratom über die Regelung der Amtsbezüge für den Präsidenten und die Mitglieder der Kommission sowie für den Präsidenten, die Richter, die Generalanwälte und den Kanzler des Gerichtshofes, ABl. 1973 L 155/8.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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Befähigung sind. Ihre Unabhängigkeit wird dadurch unterstrichen, dass sie grundsätzlich unabsetzbar sind98. Ein Richter kann gemäß Art. 6 der Satzung des EuGH während seiner Amtszeit nur durch einstimmigen Beschluss des Gerichtshofes bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen seines Amts enthoben werden. Ähnlich wie bei der Kommission wird aus der Unabhängigkeit der Mitglieder auf die Unabhängigkeit des Gerichtshofs geschlossen99. Die Richter müssen unabhängig gegenüber gesellschaftlichen oder politischen Gruppierungen, insbesondere auch gegenüber der Regierung des Heimatstaates und ihren nationalen Interessen sein100. Sie vertreten nicht die nationalen Interessen ihres Landes101. Darüber hinaus müssen die Richter im konkreten Verfahren unparteiisch sein102. Als problematisch wird erachtet, dass Ernennung und Wiederwahl der Mitglieder des Gerichts unter dem Einfluss der Regierungen der Mitgliedstaaten erfolgen, die die Richter im gegenseitigen Einvernehmen für sechs Jahre ernennen, weil dadurch die Unabhängigkeit der Richter gefährdet werde103. Everling betont dabei, dass die Richter in der Praxis zwar keinerlei nationalen Pressionen ausgesetzt seien; es müsse aber der – tatsächlich unberechtigte – Eindruck vermieden werden, dass der Wunsch der Richter nach Wiederwahl ihre Entscheidungspraxis beeinflussen könnte104. Änderungsvorschläge sehen daher entweder die Ernennung durch Gemeinschaftsorgane bei einer Vorauswahl durch die Mitgliedstaaten105 oder eine längere Amtszeit ohne Möglichkeit der Wiederwahl vor106. (b) Vergleich der Einflussnahmemöglichkeit auf Richter und Abgeordnete Ein Vergleich mit dem Europäischen Parlament macht deutlich, dass aufgrund der Direktwahlen der Abgeordneten heute keine Abhängigkeit von staatlichen Organen im Ernennungsverfahren mehr besteht, wobei nach wie 98
Grementieri, RTDE 1967, 817, 825; Schwarze, in: Schwarze, Art. 223 EG Rn. 3. 99 Schwarze, in: Schwarze, Art. 223 EG Rn. 2. 100 Schwarze, in: Schwarze, Art. 223 EG Rn. 2. 101 Schwarze, in: Schwarze, Art. 221 EG Rn. 1. 102 Krück, in: GTE, Art. 167 Rn. 1; Schwarze, in: Schwarze, Art. 223 EG Rn. 2. 103 Everling, JZ 2000, 217, 222; Grementieri, RTDE 1967, 817, 824 f.; Schwarze, in: Schwarze, Art. 223 EG Rn. 2; Siebert, S. 82. 104 JZ 2000, 217, 222. 105 Siebert, S. 246. 106 Everling, JZ 2000, 217, 222; Pernice, FAZ v. 7. Juli 1999, S. 7; Schwarze, in: Schwarze, Art. 223 EG Rn. 2; Siebert, S. 268 ff.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
vor die Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung des Wahlverfahrens zuständig sind107. Allerdings macht der weitgehend durch die Mitgliedstaaten definierte Status der Abgeordneten deutlich, dass es beispielsweise gegenüber dem mitgliedstaatlichen Organ Deutscher Bundestag keine völlige Unabhängigkeit gibt. So könnte dieser zum Beispiel durch die Einführung neuer Inkompatibilitätsregelungen direkten Einfluss auf die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament nehmen. Auch könnte der Deutsche Bundestag die Immunitätsregelung des Art. 46 Abs. 2 GG durch eine Verfassungsänderung abschaffen, wodurch automatisch über Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls auch der Immunitätsschutz der Abgeordneten des Europäischen Parlaments entfiele. Aufgrund seiner Kompetenz, die Höhe der Entschädigungen der Abgeordneten zu bestimmen, hätte der Deutsche Bundestag bei anhaltenden Missstimmungen zwischen ihm und den deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments die formale Möglichkeit, deren Diäten derart herabzusetzen, dass die bisherigen Abgeordneten dazu bewegt würden, von einer erneuten Kandidatur abzusehen. Ähnlich wie bei der Unabhängigkeit der Richter des EuGH müsste auch zur Wahrung der Unabhängigkeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments schon der Eindruck vermieden werden, dass der einzelne europäische Abgeordnete mehr oder weniger von seinem Heimatstaat abhängig und den nationalen Behörden ausgeliefert sei108. (c) Status der Richter Die Unabhängigkeit der Richter sowohl gegenüber den Mitgliedstaaten als auch gegenüber den anderen Gemeinschaftsorganen wird durch diverse gemeinschaftsrechtliche Statusregelungen geschützt109. Art. 3 der Satzung des EuGH regelt die Befreiung der Richter von der Gerichtsbarkeit; danach steht ihnen die Befreiung hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen, während und auch nach Abschluss ihrer Amtstätigkeit zu. Art. 4 der Satzung des EuGH regelt das Verbot der Ausübung von Ämtern und der Berufstätigkeit (Inkompatibilitätsregelungen); Art. 5 und Art. 6 der Satzung des EuGH enthalten Regelungen der Beendigung des Amts und der – grundsätzlich ausgeschlossenen110 – Amtsenthebung. Art. 21 i.V. m. Art. 12 bis 15 und 18 des Protokolls gewährt den Richtern zusätzliche Vor107 Auch bei Inkrafttreten der vom Rat beschlossenen Änderungen das Wahlverfahrens behalten die Mitgliedstaaten einen Einfluss auf die Ausgestaltung des Wahlverfahrens, siehe oben 1. Teil Fn. 57. 108 Kilian, EuR 1982, 168, 171. 109 Vgl. Grementieri, RTDE 1967, S. 817; Siebert, S. 115. 110 Siehe oben S. 141.
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rechte und Befreiungen. Diese gemeinschaftsrechtlichen Regelungen – wie auch die durch die Verordnung Nr. 422/67/EWG, Nr. 5/67/Euratom des Rates vom 25. Juli 1967111 vorgesehene Vergütungs- und Ruhestandsregelung – gewähren den Richtern einen einheitlichen Schutz, der keine Verweise auf das nationale Recht enthält. (3) Europäische Zentralbank (a) Unabhängigkeit Die Besonderheit der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt darin, dass der EG-Vertrag neben der Unabhängigkeit der Mitglieder der EZB auch die Unabhängigkeit der Zentralbank selber regelt (Art. 108 EG), während für die Organe der Gemeinschaft112 auf die ausdrückliche Normierung ihrer Unabhängigkeit als solche verzichtet wurde. Art. 108 EG ist Art. 213 Abs. 2 EG, der die Unabhängigkeit der Kommission regelt, zwar nachgebildet, geht aber über ihn hinaus113. Gemäß Art. 108 EG dürfen die EZB, eine nationale Zentralbank oder ein Mitglied ihrer Beschlussorgane keine Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Diese sind gemäß Art. 108 S. 2 EG verpflichtet, Weisungen zu unterlassen und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der EZB zu beeinflussen114. Gestärkt wird die Unabhängigkeit der EZB zum einen dadurch, dass sie nicht unter die Organe der Gemeinschaft aufgenommen worden ist115, und zum anderen durch ihre Integration in das gemeinschaftsrechtliche Rechtsschutzsystem116. Als Ausdruck der „personellen Unabhängigkeit“ der EZB wurden eine Amtszeit der Mitglieder des Direktoriums der EZB von 8 Jahren und das Verbot einer Wiederwahl bestimmt117 (Art. 112 EG). In diesem Sinne wurde auch eine Amtsenthebung von Mitgliedern des Direktoriums der EZB durch Art. 11.4 der Satzung ESZB/EZB dem EuGH auf Antrag des EZB-Rates oder des Direktoriums vorbehalten118. 111
Siehe oben S. 140. Die EZB ist kein Organ der Gemeinschaft, vgl. Art. 7 EG. 113 Reumann, S. 27. 114 Vgl. ausführlich zu Art. 108 EG Reumann, S. 27 ff. 115 Vgl. Oppermann, Rn. 410. 116 Vgl. beispielsweise die Aktiv- und Passivlegitimation im Rahmen der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 Abs. 1, 3 EG und im Rahmen der Untätigkeitsklage gemäß Art. 232 Abs. 4 EG. Siehe ausführlich zu der Eingliederung in das Rechtsschutzsystem Reumann, S. 48 f., 216 ff. 117 Potacs, in: Schwarze, Art. 113 EG Rn. 3; Reumann, S. 251 f.; Weber, S. 67. 112
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
(b) Status der Mitglieder des Direktoriums und der Zentralbankpräsidenten Zu differenzieren ist zwischen dem Status der Mitglieder des Direktoriums der EZB, der ausschließlich gemeinschaftsrechtlich definiert ist, und dem der Präsidenten der Zentralbanken, der in erster Linie mitgliedstaatlich geregelt ist. Die Präsidenten der nationalen Zentralbanken bilden gemäß Art. 112 Abs. 1 EG zusammen mit dem Direktorium der EZB den EZB-Rat. Die finanzielle Unabhängigkeit der Mitglieder des Direktoriums wird durch eine einheitliche, gemeinschaftsrechtliche Regelung der Gehälter und Ruhegehälter gesichert119. Gemäß Art. 11.3 der Satzung ESZB/EZB werden die Beschäftigungsbedingungen vom EZB-Rat auf Vorschlag eines Ausschusses festgelegt, der aus drei Mitgliedern des EZB-Rates und drei vom Rat ernannten Mitgliedern besteht. Die Mitglieder des Direktoriums selbst haben in diesen Angelegenheiten kein Stimmrecht. Gemäß Art. 11.1 der Satzung ESZB/EZB darf ein Mitglied des Direktoriums weder entgeltlich noch unentgeltlich einer anderen Beschäftigung nachgehen, es sei denn, der EZB-Rat erteilt hierzu ausdrücklich Zustimmung. Gemäß Art. 40 der Satzung ESBZ/EZB i.V. m. Art. 23 des Protokolls gelten für die Mitglieder der Beschlussorgane der EZB, d.h. sowohl die Mitglieder des Direktoriums als auch die Präsidenten der mitgliedstaatlichen Zentralbanken, einheitlich die für die Beamten und sonstigen Bediensteten vorgesehenen Vorrechte und Befreiungen des Protokolls (vgl. Art. 12 ff. des Protokolls). Gemäß Art. 19 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Zentralbank über den Sitz der Europäischen Zentralbank120 genießen die Direktoriumsmitglieder der EZB die nach dem Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen den bei der Bundesregierung akkreditierten Diplomaten gewährten Vorrechte, Befreiungen, Immunitäten und Erleichterungen. Der diplomatische Immunitätsschutz der Direktoriumsmitglieder ist daher, unabhängig davon, aus welchem Mitgliedstaat das Mitglied entsandt ist, einheitlich geregelt. Gerade im Vergleich zum Europäischen Parlament sind die Statusregelungen für die Präsidenten der mitgliedstaatlichen Zentralbanken aufschlussreich. Obwohl auch sie als „Mitglieder eines Beschlussorgans“, des EZBRates, gemäß Art. 108 EG Adressaten des Unabhängigkeitsgebotes der EZB und insbesondere keine Repräsentanten der Mitgliedstaaten121 sind, ist 118 119 120
Janzen, S. 114; Reumann, S. 252; Weber, S. 68. Siehe zu dem finanziellen Aspekt: Endler, S. 436; Janzen, S. 114. BGBl. 1998, Teil II, 2995 ff.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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ihr Status nicht durch eine einheitliche, gemeinschaftsrechtliche Regelung definiert. Die Ausgestaltung des Status der Präsidenten der Zentralbanken bleibt vielmehr dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber überlassen, der EGVertrag sieht lediglich einzelne Regelungen vor, die die Mitgliedstaaten zu beachten haben122. Ihre Ernennung bleibt weitgehend in der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten, gemeinschaftsrechtliche Vorgaben gibt es nur hinsichtlich der Amtszeit123 und der Modalitäten ihrer Abberufung124. Die nationalen Statusregelungen für die Präsidenten der Zentralbanken zum Schutz ihrer Unabhängigkeit bleiben insgesamt hinter den gemeinschaftsrechtlichen Gewährleistungen zum Schutz der Direktoriumsmitglieder zurück125. (c) Vergleich der mitgliedstaatlichen Stellung der Zentralbankpräsidenten und der Abgeordneten Im Vergleich mit den Abgeordneten ist hervorzuheben, dass auch die Statusregelungen der mitgliedstaatlichen Zentralbankpräsidenten als für die Unabhängigkeit der EZB gefährlich angesehen werden. Kritisiert wird die Möglichkeit der Einflussnahme der Mitgliedstaaten durch die Ernennung der Präsidenten durch die einzelnen Mitgliedstaaten und durch kurze Amtszeiten126. Damit wird letztlich die Abhängigkeit des Status der Präsidenten von den Mitgliedstaaten bemängelt. Die Ungleichbehandlung als Folge der nationalen Ausgestaltungen wird – anders als bei den Abgeordneten des Europäischen Parlaments – in der Regel nicht als Gefahr für die Unabhängigkeit gewertet127. Dies lässt sich damit erklären, dass die Präsidenten der 121
Weber, S. 79. Endler, S. 438. 123 Die Amtszeit soll gemäß Art. 14.2 der Satzung ESZB/EZB mindestens fünf Jahre betragen. 124 Gemäß Art. 14.2 der Satzung ESZB/EZB kann ein Präsident einer Zentralbank nur bei Vorliegen der Abberufungsgründe abberufen werden, die auch für die Abberufung eines Mitglieds des Direktoriums vorliegen müssen (vgl. Art. 11.4 der Satzung ESZB/EZB). Gegen eine Abberufungsentscheidung kann der Betroffene oder der EZB-Rat den EuGH anrufen. 125 Vgl. Endler, S. 438 ff. 126 Endler, S. 481; Janzen, S. 117 f., 143 f. 127 So lassen beispielsweise Endler, S. 438 ff.; Janzen, S. 111 ff., und Reumann, S. 251, diesen Aspekt unbeachtet. Stadler, S. 146, hält eine inhaltliche Deckungsgleichheit innerstaatlicher und gemeinschaftsrechtlicher Bestellungskriterien für sämtliche Mitglieder des EZB-Rates als Kollegialorgan für die Festlegung und Durchführung einer stabilitätsorientierten Geldpolitik erforderlich, stellt aber keinen Zusammenhang mit der Unabhängigkeit der EZB her. Smits, S. 166, befürwortet insbesondere eine Harmonisierung der nationalen Inkompatibilitätsregelungen, damit der EZB-Rat als Institution die selben Standards von Unabhängigkeit, Integrität und 122
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Zentralbanken, im Gegensatz zu den Abgeordneten, als Mitglieder eines mitgliedstaatlichen Organs (der nationalen Zentralbanken) handeln. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments handeln bei der Erfüllung ihrer Aufgaben demgegenüber selbst dann als Mitglieder des Gemeinschaftsorgans Europäisches Parlament, wenn sie, was heute die Ausnahme ist, ein Doppelmandat ausfüllen. Denn auch bei Ausübung eines Doppelmandats erfüllt ein Abgeordneter entweder Aufgaben des nationalen oder des Europäischen Parlaments, eine gleichzeitige Erfüllung der Aufgaben beider Organe ist aufgrund der unterschiedlichen Mandate und Tätigkeitsbereiche schwer vorstellbar. (4) Rat (a) Abhängigkeit Der Rat ist das Organ der Gemeinschaft, durch welches die Mitgliedstaaten bei der gemeinschaftsrechtlichen Willensbildung mitwirken und dabei ihre nationalen Interessen verfolgen128. Da im Rat die nationalen Interessen zum Ausgleich gebracht werden sollen, besteht der Rat gemäß Art. 203 EG aus „Vertretern der Mitgliedstaaten“. Die Ratsmitglieder sind nach mitgliedstaatlichem Verfassungsrecht den Weisungen ihrer Regierungen unterworfen129. (b) Status der Ratsmitglieder Für die Mitglieder des Rates gibt es keine gemeinschaftsrechtlichen Statusregelungen. Da der Rat aus Vertretern der Mitgliedstaaten wie Ministern oder Staatssekretären besteht, ist der Status seiner Mitglieder ausschließlich mitgliedstaatlich definiert. (5) Rückschlüsse auf das Europäische Parlament Durch die Analyse der rechtlichen Ausgestaltung der Organe und Institutionen der Gemeinschaft wurde aufgezeigt, dass der Vertrag eindeutig zwischen unabhängigen Organen und Institutionen, der Kommission, dem EuGH und der EZB, und dem Rat als abhängigem Organ unterscheidet. Diskretion genießt. Er zieht damit aber nicht den Schluss, dass die unterschiedliche Ausgestaltung der Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten eine Gefährdung der Unabhängigkeit darstellen könnte. 128 Ipsen, § 13 Rn. 14. 129 Constantinesco, Rn. 322; Oppermann, Rn. 284.
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Das Europäische Parlament ist aufgrund der aufgezeigten Anhaltspunkte in seiner Ausgestaltung den unabhängigen Organen angenähert. Insbesondere besteht aufgrund des freien Mandats der Abgeordneten ein tiefgreifender Unterschied zu den weisungsgebundenen mitgliedstaatlichen Interessenvertretern im Rat. Die Analyse der Ausgestaltungen der Unabhängigkeit einiger Organe der Gemeinschaft hat zunächst deutlich gemacht, dass die Vertragspartner in der Regel nur Angaben über die Unabhängigkeit der Mitglieder der Organe ausdrücklich in den Vertragstext aufgenommen haben. Dies trifft auf die Kommission und den EuGH zu, während bei der EZB als jüngster Institution auch die Unabhängigkeit der Institution selbst ausdrücklich normiert wurde. Der Vergleich hat verdeutlicht, dass dies nicht dahingehend interpretiert werden kann, dass die Unabhängigkeit des Organs deshalb nicht intendiert war; vielmehr wird auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene130 von der personellen Unabhängigkeit auf die Unabhängigkeit des Organs geschlossen131. Auf den ersten Blick scheint die Unabhängigkeit der Kommission und der EZB weiter als die des Europäischen Parlaments ausgestaltet zu sein, weil die Mitgliedstaaten sich ausdrücklich verpflichten, eine Einflussnahme auf die Organe und ihre Mitglieder zu unterlassen132. Sowohl für das Europäische Parlament als auch für den EuGH fehlt die Erwähnung einer solchen mitgliedstaatlichen Pflicht. Aber auch ohne diesen Zusatz dürfte diese Pflicht für die Mitgliedstaaten gegenüber den Abgeordneten aus der durch Art. 10 Abs. 2 EG normierten Treuepflicht folgen133, wonach die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen zu unterlassen haben, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrags gefährden können. Art. 10 Abs. 2 EG verbietet es den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, die die Arbeit der Gemeinschaftsorgane beeinträchtigen könnten134. Eine solche Beeinträchtigung wäre im Falle einer versuchten Beeinflussung der unabhängigen Organe der Gemeinschaft entgegen der im Vertrag normierten Unabhängigkeit der Mitglieder des Organs als gegeben anzusehen. Aus der Treuepflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft gemäß Art. 10 Abs. 2 EG folgt 130
Somit wie beim Deutschen Bundestag, siehe oben S. 121. Vgl. Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46, 53, der einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit eines Organs und der Unabhängigkeit der Organmitglieder herstellt. 132 Vgl. Art. 213 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 3 EG für die Kommission und Art. 108 S. 2 EG für die EZB. 133 So auch Reumann, S. 41, für die EZB. 134 EuGH, Rs. 208/80, Lord Bruce, Slg. 1981, 2205, 2218 f. Rn. 14; Rs. C-333/ 88, Tither/Commissioners of Inland Revenue, Slg. 1990, I-1133, 1158 f. Rn. 16; Zuleeg, in: GTE, Art. 5 Rn. 10. 131
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
daher auch gegenüber dem Parlament und dem EuGH die Pflicht, deren Unabhängigkeit zu wahren und Beeinflussungen zu unterlassen. Während die Kommissionsmitglieder aufgrund des Vertragstextes im Interesse der Gemeinschaft zu handeln verpflichtet sind, sind die Abgeordneten des Europäischen Parlaments bei ihren Entscheidungen frei, und somit normativ nicht ausdrücklich dem Wohl der Gemeinschaft verpflichtet135. Dies hindert die Abgeordneten aber nicht, Gemeinschaftsinteressen zu verfolgen. Beim Europäischen Parlament wird zwar teilweise daraus, dass die Anzahl der Mitglieder pro Mitgliedstaat nach einer von der Bevölkerungszahl unabhängigen Kontingentierung bestimmt wird und dass das Wahlverfahren jeweils mitgliedstaatlich geregelt ist, geschlossen, dass die Abgeordneten nach der Konzeption der Verträge zur Vertretung nationaler Interessen bestimmt seien136. Der Vergleich mit anderen Organen der Gemeinschaft zeigt aber, dass auch die Kommission, obwohl sie dem Wohl der Gemeinschaft verpflichtet ist, nach nationalen Kriterien zusammengesetzt ist. Denn gemäß Art. 213 Abs. 1 Unterabs. 4 EG muss mindestens ein Staatsangehöriger jedes Mitgliedstaates der Kommission angehören. Auch im EuGH ist es, ohne dass dies durch den Vertrag vorgeschrieben wäre, Praxis, dass jeder Mitgliedstaat durch jeweils einen Richter am Gerichtshof vertreten ist. Bei der Auswahl der Kommissare und Richter haben die Mitgliedstaaten einen großen Spielraum137. Dies macht deutlich, dass auch bei diesen beiden Organen, deren Aufgabe es ist, keine nationalen Interessen, sondern Gemeinschaftsinteressen zu verfolgen, die Staatsangehörigkeit und nationale Kriterien eine große Rolle spielen138. Dies führt jedoch nicht dazu, dass den Organen die gemeinschaftliche Interessenausrichtung abgesprochen wird. Der Vergleich mit anderen unabhängigen Gemeinschaftsorganen unterstreicht daher, dass das Europäische Parlament trotz der aufgezeigten Verbindungen der Abgeordneten zu den einzelnen Mitgliedstaaten auf die Verfolgung gemeinschaftlicher Interessen ausgerichtet sein kann. Der Vergleich des Europäischen Parlaments mit den anderen unabhängigen Organen und Institutionen der Gemeinschaft zeigt schließlich, dass deren Mitgliedern – mit der Ausnahme der Zentralbankpräsidenten139 – ein 135
Kritisch Ipsen, in: FS Lerche, 425, 436. Siehe dazu oben S. 130 ff. 137 Vgl. das Ernennungsverfahren der Kommissare gemäß Art. 214 Abs. 2 EG und das der Richter gemäß Art. 223 EG (Ernennung im gegenseitigen Einvernehmen). 138 Seit der Einführung des passiven Wahlrechts, die es unter bestimmten Umständen ermöglicht, dass beispielsweise in Deutschland ein französischer Staatsbürger ins Europäische Parlament gewählt wird, spielt die Staatsangehörigkeit zumindest theoretisch bei den Abgeordneten des Europäischen Parlaments eine geringere Rolle als bei den Kommissionsmitgliedern. 136
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gemeinschaftsrechtlicher Status eingeräumt wird, der frei von Verweisen auf das nationale Recht ist. Dies unterstützt die Aussage des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments Colombo bei der Einführung der Direktwahlen, wonach es sich bei den Abgeordneten des Europäischen Parlaments um eine Kategorie Personen handele, die im Dienst der Gemeinschaft stehen, so dass deren Status, wie der anderer Angestellter der Gemeinschaft, auch gemeinschaftsrechtlich geregelt werden müsse140. Das Erfordernis eines eigenen, gemeinschaftsrechtlichen Status für die Abgeordneten wird folglich auch dadurch deutlich, dass dies für die Mitglieder der unabhängigen Kommission, des unabhängigen Gerichtshofs und der unabhängigen EZB anerkannt ist141. cc) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass aus der Stellung, die die Verträge dem Europäischen Parlament einräumen, und über einen Strukturvergleich mit anderen Gemeinschaftsorganen ein Grundsatz der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments von den Mitgliedstaaten hergeleitet werden kann142. c) Allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts Da die Verträge die Unabhängigkeit des Parlaments nicht ausdrücklich, sondern implizit gewähren, könnte sich die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments als ungeschriebener Grundsatz des Gemeinschaftsrechts qualifizieren lassen. Es ist anerkannt, dass das Gemeinschaftsrecht ungeschriebene Grundsätze kennt, die aus dem Geist und dem System der Verträge entwickelt werden143 und sich auf den Wortlaut der Verträge zurückführen lassen müssen144. Diese Grundsätze werden in Abgrenzung145 zu den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“, die in erster Linie aus den Rechts139
Siehe dazu oben S. 144 f. Vgl. Brief des Herrn Colombo, Präsident des Europäischen Parlaments, an Herrn Genscher, Präsident des Rates, vom 16. November 1978, zitiert von Jeuniaux, S. 253. 141 Vgl. Jacqué u. a., S. 71. 142 So auch Zuleeg, Integration 1988, 103, 108, in Bezug auf die Unabhängigkeit gegenüber den Mitgliedstaaten. Auch Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 25, geht davon aus, dass das Europäische Parlament wie die Kommission und die Europäische Zentralbank „durch das Unions- und Gemeinschaftsrecht mit völliger Unabhängigkeit ausgestattet“ ist. 143 Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 22; Schwarze, in: Schwarze, Art. 220 EG Rn. 15. Ähnlich Jacot-Guillarmod, in: FS Aubert, 41, 52. 144 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 378. 140
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
und Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten hergeleitet werden, als „allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts“146 oder „allgemeine Strukturprinzipien der Gemeinschaft“147 bezeichnet. Sie sind zur Interpretation des Gemeinschaftsrechts als System entwickelt worden148. Diese allgemeinen Grundsätze sind wie der Vertrag und die allgemeinen Rechtsgrundsätze als primäres Gemeinschaftsrecht anerkannt149. Da die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments aus der Stellung des Parlaments im Gemeinschaftsrecht und über einen Strukturvergleich mit anderen Gemeinschaftsorganen hergeleitet wurde, lässt sich der Grundsatz der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments unmittelbar aus den Verträgen selbst150 bzw. aus ihrem Geist und System herleiten. Die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments kann demnach als ungeschriebener bzw. allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und damit als Teil des Primärrechts gewertet werden. 2. Beeinträchtigung der Unabhängigkeit Fraglich ist, ob der Grundsatz der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments durch die Ausgestaltung der Statusrechte der Abgeordneten beeinträchtigt ist. Die einzelnen Aspekte der Unabhängigkeit sind dabei getrennt zu untersuchen. a) Persönliche Unabhängigkeit der Abgeordneten Durch die einzelnen, vom nationalen Recht abhängigen Schutzregelungen für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments könnte die persönliche Unabhängigkeit der Abgeordneten und damit implizit auch die Unabhängig145
Kritisch gegenüber dieser Zweiteilung der allgemeinen Rechtsgrundsätze: Jacoby, S. 271 f. 146 Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 22; Schmidt, in: GTE, Art. 189 Rn. 21; Schwarze, in: Schwarze, Art. 220 EG Rn. 15. Lecheler, S. 145, gebraucht die Formulierung „spezifisch gemeinschaftsrechtliche allgemeine Rechtsgrundsätze“. 147 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 378. 148 Schwarze, in: Schwarze, Art. 220 EG Rn. 14. 149 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 377 ff.; Schmidt, in: GTE, Art. 189 Rn. 21. Ebenso Oppermann, Rn. 479, allerdings mit der Einschränkung, dass sich ungeschriebenes Gemeinschaftsrecht grundsätzlich sowohl als primäres als auch als sekundäres bilden könne, wobei sich die Notwendigkeit der Lückenschließung vor allem auf der Ebene der Verträge zeige. Nach Streinz, Rn. 354, bestimmt sich der Rang nach dem Inhalt des ungeschriebenen Primärrechts. Da die Unabhängigkeit des Parlaments vorliegend aus den Verträgen hergeleitet wurde, kann sie auch nach ihrem Inhalt als Primärrecht qualifiziert werden. 150 Dieses Erfordernis betont Lecheler, S. 193.
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keit des Europäischen Parlaments beeinträchtigt sein. Zu differenzieren ist zwischen der weitgehenden Abhängigkeit des Status vom nationalen Recht und der dadurch bedingten unterschiedlichen Reichweite der Statusregelungen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments. aa) Abhängigkeit des Status vom nationalen Recht Die Tatsache, dass für einige Schutzrechte eine weitgehende Abhängigkeit vom nationalen Recht besteht, ermöglicht es den nationalen Parlamenten, in diesem Bereich legislativ tätig zu werden. Die mitgliedstaatlichen Parlamente haben, wie aufgezeigt wurde151, damit die formale Möglichkeit, durch die Einwirkung auf die Rahmenbedingungen Einfluss auf die Mitgliedschaft einzelner Abgeordneter im Europäischen Parlament zu nehmen. Durch derartige Maßnahmen, aber auch schon durch die Inaussichtstellung derartiger Maßnahmen kann das Verhalten der Abgeordneten gesteuert werden. Zwar ist es bislang nicht ersichtlich, dass die Mitgliedstaaten von dieser aufgezeigten Möglichkeit der Beeinflussung der Abgeordneten Gebrauch gemacht hätten, so dass eine konkrete Verletzung der persönlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten sich anhand von Tatsachen belegen ließe. Dennoch könnte es sich für die Bejahung einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Abgeordneten als ausreichend erweisen, wenn, wie vorliegend, die Möglichkeit einer Beeinflussung der Abgeordneten gegeben ist. Zunächst ist festzustellen, dass nicht nur die strukturelle Möglichkeit der Beeinflussung der Abgeordneten durch die Mitgliedstaaten gegeben ist, vielmehr besteht auch durchaus die Gefahr, dass Mitgliedstaaten einmal ein Interesse daran entwickeln könnten, diese Möglichkeiten tatsächlich zu nutzen. Denn eine der Hauptfunktionen des Europäischen Parlaments stellt seine Kontrollfunktion dar152. Kontrolle übt das Europäische Parlament zwar in erster Linie gegenüber der Kommission, die ihrerseits die Mitgliedstaaten kontrolliert, aber in zunehmendem Maße auch gegenüber dem von den Mitgliedstaaten bestimmten Rat und gegenüber den Mitgliedstaaten selbst aus153. Es liegt auf der Hand, dass den Kontrollierten die Kontrolle nicht unbedingt zusagt. Es besteht daher die potentielle Gefahr, dass die Kontrollierten versuchen, die Möglichkeiten der Kontrolleure einzuschränken, soweit ihnen dazu die Gelegenheit gewährt wird154. Auch bei der 151
Vgl. oben S. 141. Ausführlich zu den Funktionen des Europäischen Parlaments siehe unten S. 168 ff. 153 Siehe unten S. 169 ff. 154 Darauf verweist v. Arnauld, AöR 124 (1999), 658, 669, in dieser Allgemeinheit allerdings im Zusammenhang mit der richterlichen Unabhängigkeit. Zu Recht 152
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Wahrnehmung der Wahlfunktion155 durch das Parlament ist es denkbar, dass eine Beeinflussung der Abgeordneten im Interesse der Mitgliedstaaten liegen könnte, um beispielsweise eine Bestätigung ihrer nach Art. 214 Abs. 2, Unterabs. 2 EG aufgestellten Kandidaten für die Kommissionsmitgliedschaft durch das Europäische Parlament zu erreichen. Insbesondere weil heterogene Einflüsse auf die Entscheidungen von Abgeordneten nur schwer feststellbar sind156, muss schon der Eindruck vermieden werden, der einzelne europäische Abgeordnete sei mehr oder weniger von seinem Heimatstaat abhängig und nationalen Behörden ausgeliefert157. Die Unabhängigkeit von Abgeordneten muss schon im Vorfeld durch die entsprechende Ausgestaltung der Rahmenbedingungen gesichert werden. Eine Reaktion im Nachhinein, d.h. im Anschluss an eine bewiesene Beeinflussung durch die Mitgliedstaaten, käme zu spät. Für die Annahme einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Abgeordneten kommt es daher allein darauf an, dass die Rahmenbedingungen eine solche Beeinflussung ermöglichen158. Gestützt wird diese Beurteilung durch den Vergleich der Ausgestaltung der persönlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit derjenigen der Richter des EuGH. Der Vergleich hat gezeigt, dass auch dort schon die formale Möglichkeit der Beeinflussung durch die Ernennung und Wiederwahl und der dadurch entstehende Eindruck als Gefährdung der persönlichen Unabhängigkeit angesehen wird159. Auch die Ernennung der Zentralbankpräsidenten durch die Mitgliedstaaten und die Ausgestaltung einiger ihrer Statusregelungen, insbesondere der Amtszeit, wird habe van Hulsen, AöR 78 (1953), 49, 53, aus der Garantie richterlicher Unabhängigkeit den Satz abgeleitet, dass den Kontrollierten keine Kontrolle über die Kontrolleure gegeben werden dürfe. 155 Siehe unten S. 171 f. 156 Vgl. v. Arnauld, AöR 124 (1999), 658, 671, der auf diesen Aspekt unter Bezug auf die Entscheidungen eines Richters verweist. 157 Kilian, EuR 1982, 168, 171. 158 Auch in der deutschen Literatur über den Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter wird eine tatsächliche Beeinflussung der Richter für einen Verstoß gegen den Grundsatz nicht für erforderlich gehalten: V. Arnauld, AöR 124 (1999), 658, 688, bewertet die Zusammenlegung der Ministerien für Inneres und Justiz als Verstoß gegen geltendes Verfassungsrecht, weil diese „erhebliche Folgen für die Unabhängigkeit der Richter mit sich bringen könnte, wenn der Einfluss, der den Kontrollierten solchermaßen über ihre Kontrolleure eingeräumt werde, missbraucht werden sollte. Es kommt dabei allein darauf an, dass die befürchteten Konsequenzen eintreten könnten; unerheblich ist, ob ihr Eintritt angesichts der Integrität der politisch Verantwortlichen tatsächlich zu erwarten ist“ – Hervorhebungen im Original. Auch Geiger, DÖV 1950, 519, 520, führt aus, der Richter sei „nur dann wirklich frei und unbefangen in seiner Rechtsprechung, wenn auch alle tatsächlichen Abhängigkeiten des Richters und alle rechtlichen Bindungen beseitigt sind, die mittelbar seine Unabhängigkeit beeinträchtigen können“ – Hervorhebung durch die Verfasserin. 159 Vgl. oben S. 141 f.
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als Gefährdung für deren persönliche Unabhängigkeit gewertet160. Der Vergleich hat zudem gezeigt, dass die Vertragspartner den Mitgliedern der gemeinschaftsrechtlichen Organe, denen sie Unabhängigkeit gewährt haben, grundsätzlich gemeinschaftsrechtlich geregelte Statusrechte gewährt haben: Weder die Statusregelungen der Mitglieder der Kommission noch die der Richter des EuGH enthalten Verweise auf das nationale Recht161. Die Notwendigkeit gemeinschaftsrechtlicher Statusregelungen für unabhängige Mitglieder von Gemeinschaftsorganen wurde folglich im Grundsatz von den Vertragspartnern anerkannt und nur für die Mitglieder des Europäischen Parlaments unberücksichtigt gelassen. Die weitgehende Abhängigkeit des Status der Abgeordneten vom nationalen Recht kann daher als eine Beeinträchtigung der persönlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments gewertet werden, weil sie eine Beeinflussung der Abgeordneten durch die Mitgliedstaaten ermöglicht. Dies macht zudem deutlich, dass die Unabhängigkeit der Abgeordneten nicht schon dadurch verwirklicht und gewährleistet ist, dass eine entsprechende Rechtsgarantie im Gemeinschaftsrecht mit Art. 4 Abs. 1 S. 2 der Wahlakte ausgesprochen ist162. bb) Unterschiedliche Reichweite der Statusregelungen Die persönliche Unabhängigkeit der Abgeordneten könnte auch durch die unterschiedliche Reichweite der Statusregelungen beeinträchtigt sein. Dies gilt insbesondere für die Regelungen der Immunität, der Unvereinbarkeiten und der Abgeordnetendiäten, die die größten Unterschiede zwischen den Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufweisen. (1) Immunitätsregelung Die den Abgeordneten gewährte Immunität soll sicherstellen, dass die Abgeordneten ihr unabhängiges Mandat ausüben können, ohne einer Strafverfolgung oder sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen zu sein. Fraglich ist, ob durch die Unterschiede im Rahmen des Immunitätsschutzes der Abgeordneten des Europäischen Parlaments die persönliche Unabhängigkeit der Abgeordneten beeinträchtigt ist. 160
Vgl. oben S. 145 f. Hierauf verweisen auch Bieber, in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 192, sowie Jacqué u. a., S. 71. 162 Vgl. dazu in Bezug auf die richterliche Unabhängigkeit Geiger, DÖV 1950, 519, 520: „Die richterliche Unabhängigkeit ist nicht schon dadurch verwirklicht und gewährleistet, dass eine entsprechende Rechtsgarantie im Gesetz ausgesprochen ist.“ Zustimmend v. Arnauld, AöR 124 (1999), 658, 668. 161
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Zwar könnte argumentiert werden, dass die Unabhängigkeit derjenigen Abgeordneten gefährdet sei, denen nicht die zum Schutz der Unabhängigkeit entwickelte Immunität gewährt wird. Beispielsweise könnte diese Argumentation für die in den Niederlanden und in Großbritannien gewählten Abgeordneten vorgebracht werden, die keinen bzw. einen sehr geringen Immunitätsschutz genießen163. Allerdings ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass der fehlende Immunitätsschutz der Verfassungstradition dieser Länder entspricht und dort nicht von einer Gefährdung der Unabhängigkeit der Abgeordneten ausgegangen wird164. Die Untersuchung der Frage, ob durch die Nichtgewährung der Immunität in einigen Mitgliedstaaten die persönliche Unabhängigkeit der dadurch betroffenen Abgeordneten des Europäischen Parlaments gefährdet ist, liefe auf eine generelle Analyse darüber heraus, welche Schutzvorschriften – auf nationaler oder gemeinschaftsrechtlicher Ebene – erforderlich sind, um die persönliche Unabhängigkeit von Parlamentsabgeordneten zu schützen165. Für die Beantwortung der hier relevanten Frage, ob bestehende Unterschiede in der Immunitätsgewährung, eine Gefährdung der persönlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten bedeu163 Siehe für die in den Niederlanden gewählten Abgeordneten oben S. 94 f. und für die in Großbritannien gewählten Abgeordneten oben S. 91 ff. 164 Vgl. insbesondere House of Lords, S. 9, unter Verweis darauf, dass aufgrund der Rechtsstaatlichkeit in einer freien Gesellschaft ein Abgeordneter die gleichen Freiheiten genieße wie alle Bürger und wenig zusätzlichen Schutz benötige; SchultzBleis, S. 138 f.; Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445, 453. 165 Verwiesen sei insbesondere auf die Kritiker der Institution der Immunität: So befürwortet es Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445, 452 f., auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene den Mitgliedstaaten zu folgen, die ihren Abgeordneten keine Immunität gewähren, und den Immunitätsschutz für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments einheitlich abzuschaffen. Der ursprüngliche Sinn und Zweck der Immunität als Abwehrrecht gegen drohende Übergriffe der Exekutive in der Zeit der konstitutionellen Monarchie sei aufgrund der Entwicklung der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu demokratisch-parlamentarisch regierten Rechtsstaaten entfallen. Daher gebe es „keinen Anlass zu der Befürchtung, dass die Organe der Europäischen Gemeinschaft und erforderlichenfalls einzel-staatliche Parlamente nicht fähig sein würden, bedrohlichen Entwicklungen rechtzeitig und wirksam entgegenzutreten“. Zusammenfassend zu den Argumenten gegen und für das Rechtsinstitut der Immunität: Butzer, S. 66 ff. m. w. N., der die Institution der Immunität auch im heutigen Umfeld eines demokratisch-parlamentarischen Verfassungsstaates insbesondere unter Verweis auf deren „Reservefunktion“ im Falle einer Änderung der verfassungspolitischen Situation für gerechtfertigt hält; Schultz-Bleis, S. 46 ff. m. w. N., der die Existenzberechtigung der Immunität der Abgeordneten des Europäischen Parlaments untersucht und zu dem Schluss kommt, dass die Gewährung der Immunität nach wie vor zugunsten der Funktions- und Repräsentationsfähigkeit des Europäischen Parlaments sachgerecht ist, um insbesondere eine tendentiöse Verfolgung der Abgeordneten zu verhindern; Wurbs, S. 16 ff. m. w. N. Auch das BVerfG sieht die Rechtfertigung des Instituts der Immunität in erster Linie im Repräsentationsprinzip, siehe BVerfGE 104, 310, 328 ff.
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ten, ist eine solche Analyse nicht erforderlich. Die aufgrund des Verweises auf das nationale Recht bestehenden Unterschiede in der Regelung der Immunität führen zwar zu einer unterschiedlichen Reichweite des Schutzes der persönlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten, für eine automatische Beeinträchtigung der persönlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufgrund der Unterschiede in der Ausgestaltung der Immunität bestehen aber weder rechtliche noch tatsächliche Anhaltspunkte166. (2) Regelung der Inkompatibilitäten Auch die Unterschiede aufgrund der diversen mitgliedstaatlichen Regelungen der Inkompatibilitäten können für sich genommen die persönliche Unabhängigkeit der einzelnen Abgeordneten nicht gefährden. Die Unabhängigkeit der Abgeordneten von den Mitgliedstaaten wird durch die teilweise sehr umfangreiche Ausgestaltung der Unvereinbarkeiten von nationalen Ämtern mit dem Mandat beim Europäischen Parlament vielmehr noch erhöht. (3) Diätenregelung Die Unterschiede in den Höhen der Diäten können dagegen die Unabhängigkeit der einzelnen Abgeordneten beeinträchtigen, denn es besteht die Gefahr, dass ein unterschiedliches Vergütungsniveau für die Abgeordneten eines Parlaments, die dieselben Aufgaben zu erfüllen haben, leichter dazu führt, dass die geringer vergüteten Abgeordneten finanziellen Anreizen erliegen könnten. Um den Ruf der Abgeordneten zu bewahren, ist klarzustellen, dass ein solcher Vorgang nicht bekannt ist. Ein solcher Vorgang wäre allerdings auch schwer nachzuweisen. Zweck einer Diätenregelung ist es, neben einer politischen Chancengleichheit die Unabhängigkeit und damit die Entschließungsfreiheit der Abgeordneten gegenüber der öffentlichen Ge166 So befindet auch Schultz-Bleis, S. 131, dass der durch die parlamentarische Immunität bezweckte Schutz des Europäischen Parlaments trotz der Ungleichbehandlung seiner Mitglieder gewahrt bleibt. Auch Fleuter, S. 115 f., der die ungleiche Behandlung der Abgeordneten insbesondere unter dem Aspekt des europäischen Charakters des Abgeordnetenmandats stark kritisiert, bemängelt nicht, dass durch die unterschiedliche Reichweite des Immunitätsschutzes die persönliche Unabhängigkeit der Abgeordneten beeinträchtigt sei. Der nicht begründete Hinweis von Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 42, die sich aus dem unterschiedlichen nationalen Immunitätsrecht und der nationalen Immunitätspraxis ergebenden „Immunitätsunterschiede“ könnten eine Strafverfolgung von Abgeordneten aus sachfremden Beweggründen erleichtern und sich damit u. U. gegen die politische Tätigkeit der Abgeordneten richten, ist nicht nachvollziehbar.
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walt und einflussreichen gesellschaftlichen Kräften zu sichern und es ihnen zu ermöglichen, die sich aus ihrem repräsentativen verfassungsrechtlichen Status ergebenden Rechte und Pflichten in Freiheit wahrzunehmen167. Dies macht mehrere Dinge deutlich: Die Gefahr einer finanziellen Beeinflussung der Abgeordneten, die durch eine Diätengewährung vermindert werden soll, ist anerkannt. Dieses Ziel ist nur durch eine einheitliche Entschädigung erreichbar, da ansonsten die Gefahr des Anreizes des Ausgleichs der Differenz besteht. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die sich aus ihrem repräsentativen Status ergebenden Rechte und Pflichten, deren Erfüllung durch die Gewährung der Diäten ermöglicht werden soll, für alle Abgeordneten gleich sind. Etwas anderes sind demgegenüber die zwischen den Abgeordneten eines Parlaments immer bestehenden wirtschaftlichen Unterschiede aufgrund unterschiedlicher familiärer, sozialer und beruflicher Hintergründe der einzelnen Abgeordneten. Diese sind im Unterschied zu der Vergütung nicht direkt mit der Erfüllung der Aufgaben als Abgeordnete verbunden, so dass keine Verbindung zum Abgeordnetenmandat besteht. Unterschiede in der mandatsbezogenen Vergütung tragen demgegenüber die ungleich größere Gefahr in sich, dass die Abgeordneten aufgrund einer empfundenen Ungleichbehandlung Anreizen zum finanziellen Ausgleich erliegen. Auch an dieser Stelle ist für die Bejahung einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Abgeordneten das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für eine Verletzung der Unabhängigkeit nicht erforderlich. Vielmehr genügt es, dass aufgrund der derzeitigen Statusregelungen die Möglichkeit einer Beeinflussung der Abgeordneten erhöht wird168. Die aufgrund des Verweises auf das nationale Recht bestehenden Unterschiede in der Höhe der Diäten für die einzelnen Abgeordneten des Europäischen Parlaments stellen folglich eine Beeinträchtigung der persönlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten dar. cc) Zwischenergebnis Eine Beeinträchtigung der persönlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist aufgrund der Abhängigkeit von den nationalen Rechtsordnungen und der Unterschiede in der Ausgestaltung der Diätenregelung der Abgeordneten gegeben.
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Siehe oben S. 83 f. Siehe zu dieser Argumentation oben S. 151 f.
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b) Unabhängige Legitimation des Europäischen Parlaments Das Europäische Parlament ist seit der Einführung der Direktwahlen keine Versammlung nationaler Delegierter mehr. Dieser Eindruck könnte aber entstehen, da die Abhängigkeit des Status der Abgeordneten vom nationalen Recht die internationalen Ursprünge der Europäischen Gemeinschaft aufzeigt169. Es widerspricht dem Sinn der Einführung der Direktwahlen, den Abgeordneten des Europäischen Parlaments ein eigenständiges Mandat zu erteilen, wenn diese nach wie vor den nationalen Statusregelungen unterworfen sind170. Daher ist die durch die Direktwahl ermöglichte Loslösung der europäischen Abgeordneten und des Europäischen Parlaments von den nationalen Parlamenten erst vollständig verwirklicht, wenn einheitliche Statusregelungen gelten. Eine unabhängige Legitimation des Europäischen Parlaments müsste sich folglich auch auf die Statusregelungen auswirken. Die Tatsache, dass die Statusregelungen nach wie vor zum Teil vom nationalen Recht abhängen, stellt daher eine Beeinträchtigung der unabhängigen Legitimation des Europäischen Parlaments dar. c) Kontrollrechte des Europäischen Parlaments Auch die Unabhängigkeit, die das Europäische Parlament zur Erfüllung seiner Kontrollaufgaben benötigt, könnte durch die weitgehende Abhängigkeit der Statusregelungen vom nationalen Recht beeinträchtigt sein. Zu Recht wird vorgebracht, dass alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments die gleiche Aufgabe der Kontrolle und der Kritik erfüllen, so dass sie auch die gleiche Unabhängigkeit sowohl gegenüber den Gemeinschaftsorganen als auch den nationalen Organen benötigen171. Auch hier ließe sich zwar vertreten, dass die Unabhängigkeit, die das Europäische Parlament zur Erfüllung seiner Kontrollrechte benötigt, nicht gefährdet ist, weil keine konkreten Anhaltspunkte des Versuchs einer Beeinflussung der Abgeordneten über die Ausgestaltung der Statusrechte bekannt sind. Andererseits wurde bereits festgestellt, dass aufgrund der derzeitigen 169
Manin, S. 212. Vgl. Bieber, EuR 1981, 124, 126; Thöne-Wille, S. 51. Für Kilian, EuR 1982, 168, 171, erfordert die politische Stärkung, die das Parlament durch die Einführung der Direktwahlen erhalten habe, auch eine einheitliche Behandlung der Abgeordneten. Auch nach der Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 2, hätte die Wahlakte von 1976 „logischerweise nicht nur die Verabschiedung eines einheitlichen Wahlverfahrens, sondern auch und vor allem eines einheitlichen Statuts der Mitglieder bewirken müssen“. Nallet, S. 6, sieht in einem einheitlichen Statut eine verspätete, aber notwendige Konsequenz der Direktwahl. 171 Jacqué u. a., S. 69. 170
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Statusregelungen die Rahmenbedingungen dergestalt sind, dass die Mitgliedstaaten sowohl die Möglichkeit einer Beeinflussung der Abgeordneten als auch ein grundsätzliches Interesse an einer Eindämmung der Kontrolle durch das Europäische Parlament haben oder haben können172. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Schutzrechte kann als ein Ansatzpunkt für eine Beeinflussung der Abgeordneten durch Dritte gesehen werden. Es wurde ebenfalls bereits festgestellt, dass eine derartige Möglichkeit der Beeinflussung der Abgeordneten für die Bejahung einer Beeinträchtigung ihrer Unabhängigkeit ausreichend ist173. Da das Parlament nur durch seine Mitglieder als Organwalter seine Kontrolle ausüben kann, liegt in der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit zur Kontrollausübung seiner Mitglieder zugleich eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit, die das Parlament zur Ausübung seiner Kontrollfunktion benötigt. d) Vertretung des Gemeinschaftsinteresses Wie festgestellt174, kann ein Anhaltspunkt für die vertraglich angelegte Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments gegenüber den Mitgliedstaaten darin gesehen werden, dass die Abgeordneten und das Europäische Parlament die europäische Interessen- und Willensbildung zur Aufgabe haben. Fraglich ist, ob die Unabhängigkeit des Parlaments durch die derzeitigen Statusregelungen für seine Mitglieder beeinträchtigt ist, weil diese Regelungen die Aufgabe des Europäischen Parlaments und der „Vertreter der Völker“ erschweren, ein europäisches Gesamtinteresse zu verkörpern und zu vermitteln. Damit stellt sich auch die Frage, in wie weit die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments zur gesamteuropäischen Interessenverwirklichung überhaupt verwirklicht ist. aa) Beeinträchtigung durch die Statusregelungen der Abgeordneten Durch die Gewährleistung des freien Mandats gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 2 der Wahlakte sind die Abgeordneten weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden. Sie sind daher formal frei von jeglicher Einflussnahme der Mitgliedstaaten, so dass sie die Freiheit haben, ein europäisches Gesamtinteresse zu bilden und nach außen zu verkörpern175. Zu beachten ist allerdings, dass es den Abgeordneten unter Berufung auf die Gewährleistung des 172
Siehe oben S. 151 f. Siehe oben S. 151 f. 174 Siehe oben S. 137. 175 Diese Weisungsfreiheit begünstigt ein europäisches Mandat, vgl. Saalfrank, S. 118. 173
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freien Mandats immer freisteht, auch nationale Interessen zu berücksichtigen176. Mit der Unabhängigkeit der Abgeordneten ist daher ein erstes Einfallstor für nationale Interessen bei der Willensbildung des Europäischen Parlaments geschaffen. Für die Abgeordneten besteht folglich ein Spannungsverhältnis zwischen nationalen und europäischen Interessen177. Um so wichtiger ist es daher, den Abgeordneten Rahmenbedingungen zu bieten, die nicht die nationale Interessenvertretung fördern, sondern den Abgeordneten eine unabhängige Entscheidung zugunsten des Gemeinschaftsinteresses ermöglichen178. Durch die unterschiedlichen Statusregelungen für die Abgeordneten, die insbesondere auch erhebliche finanzielle Unterschiede bewirken, besteht die Gefahr, dass die Bildung eines Gemeinschaftsgefühls unter den Abgeordneten des Europäischen Parlaments erschwert wird179. Es stellt sich die Frage, ob von Abgeordneten, die im Innenverhältnis unterschiedlichen, nationalen Regelungen unterworfen sind, erwartet werden kann, dass sie nach außen ein europäisches Gemeinschaftsgefühl vermitteln bzw. ein solches fördern. Anerkannt ist, dass die Normen einer Rechtsordnung darauf angelegt sind, ein bestimmtes menschliches Verhalten zu erzeugen180. Das Recht kann so durch die Gestaltung der Lebensbedingungen und damit mit indirekten Mitteln – ohne die Androhung von Zwang – auf das Verhalten der Normadressaten einwirken181. Durch die Abhängigkeit ihrer Statusregelungen vom jeweiligen nationalen Recht bleiben die Abgeordneten der nationalen Rechtsordnung verbunden, eine Einbindung, die durch die Einführung der Direktwahlen eigentlich abgeschafft werden sollte. Jede Anbindung an die nationale Rechtsordnung erhöht aber entsprechend dem Grundsatz, dass 176 Darauf verweist auch Jasmut, S. 273 f., der daraus schließt, dass die Abgeordneten frei entscheiden können, ob sie ein nationales oder ein europäisches Mandat ausüben wollen. 177 Vgl. Läufer, in: Grabitz/Hilf, Stand: 5. Ergänzungslieferung, Art. 138 Rn. 33; Neßler, S. 59; ders., EuR 1997, 311, 318. 178 Vgl. v. Arnauld, AöR 124 (1999), 658, 668, der feststellt, dass durch Einwirkung auf die Rahmenbedingungen ein erheblicher Einfluss auf die Rechtspflege genommen werden könne, weil sich dadurch Verhalten steuern lasse. Derart können die Rahmenbedingungen auch die Entscheidungen des Europäischen Parlaments beeinflussen. 179 Vgl. Kilian, EuR 1982, 168, 171, der davon ausgeht, dass unterschiedliche Vergütungen und Privilegien auf Dauer die Bildung eines einheitlichen Selbstverständnisses des Europäischen Parlaments hemmen. Vgl. auch Fleuter, S. 115, der verlangt, zur Vermeidung negativer psychologischer Auswirkungen und zur Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls und der Beziehungen der Abgeordneten untereinander dürfe es keine unterschiedliche Intensität des Schutzes und keine Abgeordneten erster und zweiter Klasse geben. 180 Herzog, KSE 22, 35, 37; Kißler, S. 110 ff.; Rehbinder, Rn. 100. 181 Rehbinder, Rn. 108.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Rechtsnormen ein bestimmtes Verhalten des Normadressaten bewirken, die Gefahr, dass sich die Abgeordneten vor allem nationalen und nicht gemeinschaftlichen Interessen verpflichtet fühlen. Es gibt mehrere Beispiele für den Einfluss nationaler Interessen auf die Parlamentsarbeit. So ist es dem Europäischen Parlament lange nicht gelungen, einen Vorschlag für ein Europawahlgesetzes einstimmig zu beschließen und dem Rat vorzulegen, weil die meisten britischen Abgeordneten im nationalen Interesse der Erhaltung des Mehrheitssystems gegen den Vorschlag stimmten182. Auch in der Agrarpolitik ist das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten häufig von der jeweiligen nationalen Politik bestimmt183. Die derzeitige Regelung des Status der Abgeordneten verstärkt zudem die Gefahr, dass die europäischen Abgeordneten eines Mitgliedstaates und die Abgeordneten des jeweiligen nationalen Parlaments ein größeres Gemeinschaftsgefühl verbindet als die Gesamtheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Diese Möglichkeit besteht zwar aufgrund des verbindenden Aspektes der Nationalität auch unabhängig von einheitlichen oder uneinheitlichen Statusregelungen184, es ist aber davon auszugehen, dass eine einheitliche, gemeinschaftsrechtliche Ausgestaltung der Statusregelungen, also allein die vereinheitlichende Änderung der Lebensbedingungen, eine Annäherung der Normadressaten, d.h. der Abgeordneten, untereinander zur Folge hätte. Diese Annäherung wäre der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments dann insofern förderlich, als die nationalen Interessen eher in den Hintergrund, das europäische Gesamtinteresse aber weiter in den Mittelpunkt der Handlungen des Europäischen Parlaments rücken würden185. Zwar kann nicht konkret belegt werden, dass aufgrund der bestehenden Statusregelungen nationale Interessen zu Lasten des Gemeinschaftsinteresses in den Vordergrund treten. Festgestellt werden kann lediglich, dass diese Gefahr besteht. Da es sich aber um innere Tatsachen handelt, die den 182
Vgl. ausführlich Neßler, S. 96 ff., 101 f., 165. Grabitz/Schmuck/Steppat/Wessels, S. 464 ff.; Neßler, S. 165. 184 So geht zum Beispiel auch Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46, 79, davon aus, dass sich kaum ein Mensch wird „von den Bindungen gegenüber seinem Heimatstaat oder gegenüber den politischen, wirtschaftlichen oder berufsständischen Gruppen seines Heimatstaates, die ihn für seine Stellung in einer internationalen Organisation nominiert haben oder aus deren Kreis er hervorgegangen ist, so völlig frei machen können, dass er sich vom nationalen Standpunkt seines Heimatstaates nicht mehr beeinflussen lassen wird“. 185 Auch Jaenicke, ZaöRV 14 (1951), 46, 117, verweist auf die psychologischen Rückwirkungen der rechtsförmigen Sicherung des übernationalen Charakters der Organe internationaler Organisationen auf die Beschleunigung des Entwicklungsprozesses hin zu einer Unterordnung der nationalen unter die gemeinsamen Interessen. 183
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Abgeordneten wohl häufig nicht bewusst sind, muss auf konkrete Nachweise verzichtet werden. War bislang die Möglichkeit einer Beeinflussung ausreichend für die Bejahung einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments186, ist es an dieser Stelle daher ausreichend, dass die Gefahr besteht, dass die Rahmenbedingungen es dem Europäischen Parlament erschweren, ein europäisches Gesamtinteresse zu verkörpern und zu vermitteln. Dies wird dadurch unterstützt, dass Letzteres auch als die Möglichkeit einer Beeinflussung durch nationale Interessen gewertet werden kann, dies allerdings anders als bislang einzig aufgrund der Rahmenbedingungen und nicht durch zusätzliches positives Handeln der Mitgliedstaaten. Im Ergebnis beeinträchtigt somit die bestehende Regelung des Status der Abgeordneten die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments zur Vertretung des Gemeinschaftsinteresses. bb) Andere Beeinträchtigungen der gemeinschaftsrechtlichen Willensbildung Neben dem weitgehend vom nationalen Recht bestimmten Status der Abgeordneten gibt es auch andere Aspekte, die die Bildung und Weitergabe eines gesamteuropäischen Willens durch das Europäische Parlament erschweren, so dass die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments in diesem Punkt insgesamt als nur eingeschränkt verwirklicht zu bewerten ist. So hat der Erwerb des Abgeordnetenmandats aufgrund der unterschiedlichen Wahlverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten und der Kontingentierung der Mandate einen nationalen Charakter187. Außerdem sind im Wahlkampf und bei der Wahlentscheidung der Bürger bei den Wahlen zum Europaparlament häufig eher innenpolitische als gesamteuropäische Aspekte maßgeblich188. Die Tatsache, dass sich im Europäischen Parlament 186
Siehe zu dieser Argumentation oben S. 151 f. Fleuter, S. 56. Hahlen, VR 1978, 229, 231, spricht von „parallelen nationalen Wahlen“, weil die Wahldurchführung überwiegend nach nationalen Regelungen erfolgt. Dieser Aspekt wird durch die im Ratsbeschluss vorgesehene teilweise Vereinheitlichung des Wahlverfahrens abgeschwächt. Die Mitgliedstaaten behalten gleichwohl einen Einfluss auf das Wahlverfahren (siehe dazu oben 1. Teil Fn. 57). 188 V. Brünneck, EuR 1989, 249, 259; Passadelis, S. 301. Jacqué, in: Zorgbibe, 53, 54, sieht die Gefahr, dass durch die Einführung der Direktwahl die nationalen Interessen eine größere Rolle im Europäischen Parlament spielen könnten, weil die Abgeordneten sich gegenüber den nationalen Wählern verantwortlich fühlen. Auch Vedel, in: Europäische Integration, 275, 280, befürchtet unter besonderem Verweis auf die Agrarpolitik, dass zahlreiche Abgeordnete nach Einführung der Direktwahlen von ihren Wählern den Auftrag erhalten werden, die nationalen Interessen angesichts der europäischen Integration zu verteidigen. 187
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mangels einer europäischen Regierung nicht die Regierung unterstützende Fraktionen und Oppositionsfraktionen gegenüber stehen, sondern die Fraktionen in der Regel den Konsens suchen, erschwert einen europapolitisch bestimmten Wahlkampf189. Die Wahlen zum Europäischen Parlament werden daher zum Teil als Nebenwahlen der nationalen Wahlen betrachtet190. Die Hoffnung, mit der Einführung der Direktwahlen und der Etablierung europäischer Parteien in den siebziger Jahren die öffentliche Meinung für europäische Interessen mobilisieren zu können191, hat sich damit bislang nicht voll verwirklicht. Auch die Rolle der europäischen Fraktionen bei der Willensbildung des Parlaments ist eine ambivalente: Auf der einen Seite stellt die Zugehörigkeit der Abgeordneten zu multinationalen politischen Fraktionen statt zu nationalen Delegationen ein tatsächliches Indiz für ein europäisches Mandat dar, auch wenn es innerhalb der Fraktionen nationale Gruppierungen gibt192. Indem die europäischen Fraktionen politisch und supranational, nicht national orientiert sind193, wird der „europäisch-gemeinsame Charakter“ des Europäischen Parlaments betont194. Auf der anderen Seite haben die europäischen Fraktionen keinen Einfluss darauf, ob ein Abgeordneter bei den nächsten Wahlen wieder aufgestellt wird. Über die Aufstellung zu den nächsten Wahlen und die Unterstützung als Kandidat sowie letztlich über die gesamte politische Karriere eines Abgeordneten des Europäischen Parlaments entscheidet – wie in anderem Zusammenhang bereits festgestellt195 – seine nationale Partei196. Der Abgeordnete unterliegt dem Zwang, sein Verhalten nicht etwa den Vorstellungen seiner europäischen Fraktion, 189
Vgl. Costa, S. 279 f. Ähnlich Heintzen, ZEuS 2000, 377, 381. Neßler, S. 164; Niedermayer, ZParl 1989, 469, 472 ff., 475, der insbesondere auf das Fehlen gemeinschaftsstiftender Faktoren wie eines einheitlichen Wahlsystems und eines einheitlichen Wahltags verweist. 191 So Ress, in: Zorgbibe, 107, 112. 192 Vgl. Constantinesco, Rn. 382. Die Bildung nationaler Delegationen innerhalb der europäischen Parteien wird als Indiz für die große Bedeutung nationaler Argumente im Europäischen Parlament gewertet, vgl. Neßler, S. 164. 193 Neßler, EuR 1997, 311, 312, der insbesondere auf Art. 29 Abs. 2 GO-EP verweist, nach dem die zur Fraktionsbildung notwendige Mindeststärke davon abhängig ist, ob die Fraktionsmitglieder aus einem oder mehreren Mitgliedstaaten kommen. Je supranationaler eine Abgeordnetengruppe ist, desto eher erlangt sie Fraktionsstatus. 194 Oppermann, Rn. 253. Auch Herzog, KSE 22, 35, 42 sieht in der „übernationalen“ Fraktionsbildung eine unitarisierende Wirkung. 195 Siehe oben S. 51 f. 196 Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 89; Fleuter, S. 98 f.; Grabitz/Schmuck/Steppat/ Wessels, S. 644; Ipsen, in: FS Lerche, 425, 436; Neßler, ZEuS 1999, 157, 164. Vgl. ausführlich zur Abhängigkeit der Abgeordneten von den nationalen Parteien Hix/ Lord, S. 69 ff., 84 ff. 190
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sondern in erster Linie denen seiner nationalen Partei anzupassen. Diese Abhängigkeit von den nationalen Parteien führt dazu, dass die Abgeordneten dem Druck ausgesetzt sind, die nationalen Interessen berücksichtigen zu müssen197. Diese Berücksichtigung nationaler Interessen beeinträchtigt die Bildung und Weitergabe eines gesamteuropäischen Willens durch das Europäische Parlament. Den Abgeordneten verbleibt aber ein gewisser Spielraum, weil die Profilierung der Parteien in der Europapolitik eher schwach und die Einbindung der Abgeordneten in die nationale Partei weniger ausgeprägt ist als bei nationalen Abgeordneten198. Eine weitergehende Loslösung der Abgeordneten von den nationalen Interessen ließe sich beispielsweise durch die Schaffung von europäischen, von den nationalen Parteistrukturen losgelösten Parteien, die auch für die Kandidatenaufstellung zuständig sind, erreichen199. Da bislang die europäischen Parteien aber nur lose, auf die Zusammenarbeit mit den nationalen Parteien angewiesene Zusammenschlüsse200 ohne Einflussnahmemöglichkeit auf die Aufstellung der Abgeordneten sind, bleibt die Abhängigkeit der Abgeordneten von den nationalen Parteien und damit von den nationalen Interessen bestehen. Der durch den Vertrag von Maastricht in den EG-Vertrag eingeführte Art. 191 EG, der den europäischen Parteien insbesondere eine Rolle bei der Integration und bei der Herausbildung eines europäischen Bewusstseins zuweist201, hat zwar die rechtliche Bedeutung der europäischen Parteien erhöht, ihre geringe tatsächliche politische Relevanz allerdings bislang nicht verändert202. Mit dem uneinheitlichen Wahlverfahren203, dem zumeist mitgliedstaatlich statt europapolitisch bestimmten Wahlkampf sowie der Abhängigkeit der Abgeordneten von ihren nationalen Parteien sind einige Einschränkungen bezüglich eines unabhängigen europäischen Mandats der Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu machen, so dass die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments in diesem Punkt bislang nur eingeschränkt verwirklicht ist.
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Neßler, S. 60, 164; ders., ZEuS 1999, 157, 164. Vgl. Kohler, EuR 1978, 333, 342. 199 Vgl. Fleuter, S. 100. Auch Jansen, Integration 1995, 157, 164, sieht die Mitwirkung bei der Aufstellung der Kandidaten für die Wahl zum Europäischen Parlament und die Europawahlkampagnen als Aufgaben europäischer Parteien an. 200 So Saalfrank, S. 127. Siehe zur geringen Rolle der europäischen Parteien auch Neßler, S. 44 ff. 201 Zu den europäischen Parteien ausführlich Tsatsos, EuGRZ 1994, 45, 47 ff. 202 Neßler, S. 61. 203 Zu den die Uneinheitlichkeit nicht vollständig aufhebenden Änderungen durch die vorgesehene Neufassung der Wahlakte siehe oben 1. Teil Fn. 57. 198
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cc) Schlussfolgerung Diese aufgezeigten bestehenden Einschränkungen bezüglich eines unabhängigen europäischen Mandats sind jedoch keine Rechtfertigung für eine weitere Einschränkung durch die uneinheitliche, sich nach nationalem Recht richtende Ausgestaltung des Status der Abgeordneten. Vielmehr ist festzustellen, dass die Unabhängigkeit der Abgeordneten zur gesamteuropäischen Interessenvertretung und damit ein unabhängiges europäisches Mandat aufgrund mehrerer Aspekte bislang nur unzureichend verwirklicht sind. Die in den Verträgen der Europäischen Gemeinschaft angelegte Zielvorstellung eines unabhängigen europäischen Mandats für die „Vertreter der Völker“ bleibt aber dennoch ein Maßstab für die rechtliche Beurteilung der bestehenden Statusregelungen für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Die Tatsache, dass im Ergebnis nationale Interessen von großer Relevanz sind204, ist vielmehr lediglich eine Frage der tatsächlichen Umsetzung des europäischen Mandats. Eine Abschaffung der weitgehenden Bestimmung des Status der Abgeordneten durch das nationale Recht würde das Gemeinschaftsgefühl unter den Abgeordneten fördern und ihnen die gesamteuropäische Interessenvertretung erleichtern205. Dabei bleibt allerdings fraglich, ob die vereinigende Wirkung einheitlicher Statusregelungen ausreichend stark wäre, um die anderen Faktoren, die die Verfolgung nationaler Interessen fördern, vollkommen auszugleichen. Festzustellen ist jedenfalls, dass die aktuelle Regelung des Status der Abgeordneten die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments zur Vertretung des Gemeinschaftsinteresses beeinträchtigt.
204 Hier dürfte auch die Tatsache eine Rolle spielen, dass es keine europäischen Medien und nur in beschränktem Maße eine europäische Öffentlichkeit, sondern nur jeweils nationale Medien und nationale Öffentlichkeiten gibt, was nicht eine europäische, sondern eine nationale Willensbildung fördert. In den Medien werden die Themen im Zusammenhang mit der EG überwiegend aus der nationalen Perspektive behandelt; dabei legen die Medien den Schwerpunkt ihrer Berichterstattung auf die Frage, inwieweit ein Aspekt der europäischen Politik dem eigenen Land nützt oder schadet, vgl. v. Brünneck, EuR 1989, 249, 252; Kohler, EuR 1978, 333, 338; Passedelis, S. 291 ff.; Saalfrank, S. 113. Vgl. den Hinweis auf nationale Öffentlichkeiten von Neßler, ZEuS 1999, 157, 178. Ders., EuR 1997, 311, 319, weist auch darauf hin, dass eher der Druck existiert, sich als nationaler Abgeordneter in einer nationalen Öffentlichkeit behaupten zu müssen. 205 So auch Fleuter, S. 115, der in einer Gleichbehandlung eine Stärkung und Absicherung des europäischen Charakters des Abgeordnetenmandats sieht.
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3. Zwischenergebnis Die nach wie vor bestehende Abhängigkeit des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments von nationalen Bestimmungen und die damit einhergehende uneinheitliche Behandlung der Abgeordneten stellen eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments dar.
II. Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments Ein fließender Übergang besteht zu der Frage, inwieweit die Abhängigkeit des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments von nationalen Bestimmungen und die damit einhergehende uneinheitliche Behandlung der Abgeordneten die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments in Frage stellen. Dazu wird vertreten, nur eine umfassende, gemeinschaftsrechtliche Regelung des Abgeordnetenstatus könne die Funktionsfähigkeit des gesamten Parlaments wirksam garantieren206. Für eine Vereinheitlichung spreche, dass die europäischen Abgeordneten als Gesamtheit dieselben Aufgaben zu erfüllen haben207. Wenn man anerkenne, dass der Status der Abgeordneten funktional ausgerichtet sein müsse, spreche die Einheitlichkeit der Funktionen der Abgeordneten sehr für eine Einheitlichkeit des Status der Abgeordneten208. 1. Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments a) Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments als Grundsatz Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass das Parlament aufgrund der ihm zugebilligten internen Organisationsgewalt „geeignete Maßnahmen ergreifen kann, um sein ordnungsgemäßes Funktionieren und die Durchführung seiner Verfahren sicherzustellen“209. In der Entscheidung 206
Bieber, EuR 1981, 124, 137; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 206; Jacqué u. a., S. 82; Thöne-Wille, S. 51. 207 Kilian, EuR 1982, 168, 171. 208 Jacqué u. a., S. 72; Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 54 Rn. 35. 209 EuGH, Rs. 230/81, Luxemburg/Parlament, Slg. 1983, 255, 287 Rn. 38; Rs. 149/85, Wybot/Faure, Slg. 1986, 2391, 2408 Rn. 16; Rs. C-213/88 und C-39/89, Luxemburg/Parlament, Slg. 1991, I-5643, 5699 Rn. 29; Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II- 2823, 2885 Rn. 144 – Hervorhebung durch die Verfasserin.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Lord Bruce hat der EuGH unter Bezugnahme auf den Grundsatz nach Art. 10 EG festgestellt, dass von den Mitgliedstaaten keine Maßnahmen erlassen werden dürfen, die den internen Funktionsablauf der Gemeinschaftsorgane behindern könnten. Der EuGH hat ferner in einer nationalen Besteuerung der den Abgeordneten durch das Europäische Parlament gewährten Aufwandsentschädigungen einen unzulässigen Eingriff in eine interne Organisationsmaßnahme gesehen, die die „Funktionsfähigkeit des Organs sicherstellen“ sollte210. Die Rechtsprechung macht deutlich, dass der EuGH im Zusammenhang mit der Organisationsgewalt des Europäischen Parlaments dessen ungestörtem Funktionieren und damit dessen Funktionsfähigkeit einen Eigenwert zuerkannt hat, der von den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden darf211. Auch das BVerfG hat die Bedeutung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments hervorgehoben, indem es eine Sperrklausel von 5% bei der Wahl zum Europäischen Parlament zur Sicherung der Funktionsfähigkeit desselben nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit gewertet hat212. In der Literatur wird der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments ein hoher Stellenwert zuerkannt, weil das Parlament das „grundlegende demokratische Prinzip“ durch seine Beteiligung an der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft widerspiegele213. Seine Handlungsfähigkeit sei Voraussetzung dafür, dass es die Völker der Gemeinschaft wirksam vertreten könne214. Das Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments kann schließlich auch im Geist und System des EG-Vertrags festgemacht werden. Die Schaffung des Organs auf supranationaler Ebene durch die Art. 189, 190 EG und die fortschreitende Ausweitung der Rechte dieses Organs machen nur Sinn, wenn dieses Organ auch funktionsfähig sein soll215. Die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments kann daher – wie wohl auch die Funktionsfähigkeit der anderen Organe der Europäischen 210 EuGH, Rs. 208/80, Lord Bruce, Slg. 1981, 2205, 2218 f. Rn. 14 ff. – Hervorhebung durch die Verfasserin. Ähnlich hat der EuGH in der Entscheidung Frankreich/Parlament geurteilt, indem er den Mitgliedstaaten auferlegt hat, bei den Beschlüssen über die Festlegung des Sitzes der Organe „sicherzustellen, dass derartige Beschlüsse das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Organs [des Parlaments] nicht beeinträchtigen“, siehe EuGH, verb. Rs. 358/85 und 51/86, Frankreich/Parlament, Slg. 1988, 4821, 4856 Rn. 35 – Hervorhebung durch die Verfasserin. 211 Vgl. Kilian, EuR 1982, 168, 172, zu der Entscheidung des EuGH zur Besteuerung der den Abgeordneten durch das Europäische Parlament gewährten Aufwandsentschädigungen aufgrund nationaler Regelungen, EuGH, Rs. 208/80, Lord Bruce, Slg. 1981, 2205. 212 BVerfGE 51, 222, 247. 213 Vgl. Reich, S. 34; Zuleeg, JZ 1993, 1069, 1072. 214 Vgl. BVerfGE 51, 222, 246; Reich, S. 34.
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Gemeinschaft216 – als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts217 angesehen werden218, der seine Verankerung in den Verträgen selbst hat. b) Konkretisierung des Begriffs der „Funktionsfähigkeit des Parlaments“ Es gibt trotz der häufigen, schlagwortartigen Verwendung des Begriffs „Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Parlaments“219 keine Definition dessen, was darunter zu verstehen ist. Naheliegend ist es, zur Konkretisierung dieses Begriffs auf die Funktionen zurückzugreifen, die dem Parlament eingeräumt sind220. Die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments ist danach zu bejahen, wenn es die ihm eingeräumten Befugnisse wahrnehmen kann221. Bevor untersucht werden kann, ob das Europäische Parlament
215 Vgl. Bieber, Verfahrensrecht, S. 104, nach dem die Erhaltung der Funktionsfähigkeit einer Organisation als Ganzes und ihrer einzelnen Organe die Grundlage jeder mit dem Anspruch auf Dauerhaftigkeit geschaffenen Organisation bilde. Vgl. auch EuGH, Rs. 5/85, AKZO/Kommission, Slg. 1986, 2607, 2615 Rn. 37: „Die Notwendigkeit, die Funktionstüchtigkeit des Entscheidungsorgans sicherzustellen, wohnt jedem institutionellen System inne (. . .)“ – Hervorhebung durch die Verfasserin. 216 Siehe beispielsweise zur Funktionsfähigkeit des EuGH W. Bernhardt, S. 168 f. 217 Zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts siehe oben S. 149 f. 218 Vgl. Bieber, Verfahrensrecht, S. 104 ff., der von einem Verfassungsprinzip der Wahrung der Funktionsfähigkeit spricht. W. Bernhardt, S. 106 f., sieht die „,Funktionsfähigkeit‘ (d.h. der Einklang von Funktion, Organisation und Verfahren) der Gemeinschaftsorgane“ als Teilbereich des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts, welches er als Verfassungsprinzip anerkennt. Vgl. auch Ipsen, S. 280 ff., zu dem „Prinzip der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften“ – Hervorhebung im Original; Kutscher, S. I-44 f., zu dem Grundsatz der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft – Hervorhebung im Original. Ein Hinweis auf die Bedeutung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft und letztlich auch ihrer Organe findet sich auch in Art. 291 EG, der der Gemeinschaft „die zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlichen Vorrechte und Befreiungen“ gewährt – Hervorhebung durch die Verfasserin –, denn die Gemeinschaft ist durch ihre Organe nur zur Erfüllung ihrer Aufgaben in der Lage, wenn ihre Organe funktionsfähig sind. 219 Diese Formulierung wird insbesondere für die Rechtfertigung der Immunität der Abgeordneten herangezogen. Siehe Butzer, S. 84, mit umfangreichen Nachweisen; Magiera, in: BK, Art. 46 GG Rn. 16; Maunz, in: M/D, Art. 46 Rn. 26; SchultzBleis, S. 55; BGH, NJW 1992, 701. 220 Ähnlich auch Butzer, S. 151 ff., in Bezug auf die Frage, ob Immunitätsschutz zum Schutz der Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bundestages erforderlich ist. 221 Vgl. Bieber, Verfahrensrecht, S. 104, der die Funktionsfähigkeit versteht als die Eignung der Organe, die ihnen zugewiesenen Aufgaben unter Wahrung der jeweiligen Organisationsverfassung zu erfüllen.
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seine Funktionen ausfüllen kann, sind daher die Funktionen des Europäischen Parlaments zu erörtern. aa) Funktionen des Europäischen Parlaments Die Verträge enthalten keine ausdrückliche Beschreibung der Funktionen des Europäischen Parlaments, sondern in Art. 189 Abs. 1 EG lediglich die Formulierung, „es übt die Befugnisse aus, die ihm nach diesem Vertrag zustehen“222. Der Vertrag bezieht sich damit auf die Einzelermächtigungen des EG-Vertrags. Fraglich ist, wie diese, auf Einzelermächtigungen basierenden Aufgaben des Europäischen Parlaments systematisiert werden können. Als klassische Aufgaben eines Parlaments werden in Anlehnung an die Aufgabenbeschreibung des Parlaments von Bagehot223 die Repräsentations-, Wahl- (oder Kreations-), Gesetzgebungs-, Kontroll-, Artikulations- und Kommunikationsfunktionen angesehen224. Eine Übertragung dieser auf Staaten bezogenen parlamentarischen Leitbilder auf das Europäische Parlament wird zum Teil als problematisch angesehen225. Staatstypische Grundsätze sind nur grundsätzlich auf die Gemeinschaftsgewalt übertragbar und anwendbar; sie müssen den Besonderheiten der Gemeinschaftsstrukturen und des Integrationsprozesses angepasst werden226. Zum Teil haben Autoren daher einen neuen, auf das Europäische Parlament abgestimmten Funktionenkatalog entwickelt und eine Dreiteilung in Politikgestaltungs-, Systemgestaltungs- und Interaktionsfunktion vorgeschlagen227. Da die Funktionen des Europäischen Parlaments aber an 222 Der ursprüngliche Vertrag des EWGV sah in Art. 137 vor, dass die Versammlung die Beratungs- und Kontrollbefugnisse ausübt, die ihr nach dem Vertrag zustehen. Erst durch den Maastrichter Vertrag wurde die aktuelle Fassung eingeführt, nachdem die Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments um Entscheidungs- und andere Mitwirkungsrechte zur Unvollständigkeit der Vorschrift geführt hatten, vgl. Haag/Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 10. Lediglich die Rechtsetzungsbefugnisse des Europäischen Parlaments werden in Art. 192 Abs. 1 EG näher beschrieben. Die dortige Aufzählung ist allerdings nicht vollständig. 223 Bagehot, S. 99 ff. Er hat folgende Einteilung vorgenommen: „elective function“, „informing function“, „expressive function“, „teaching function“ und „function of legislation“. 224 Meyer, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 4 Rn. 11; Morlok, in: Dreier, Art. 38 Rn. 29 ff., sowie Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 38 Rn. 8, verweisen insbesondere auf die Repräsentationsfunktion. Fleuter, S. 78, verweist auf die Artikulations- und Kommunikationsfunktion. Ähnlich Klein, in: HdbStR, § 40 Rn. 13, 39 ff., unter dem Stichwort der Öffentlichkeitsfunktion. 225 Grabitz/Schmuck/Steppat/Wessels, S. 57. 226 Everling, DVBl. 1993, 936, 944; Magiera, in: FS Everling, 789, 791. 227 Grabitz/Schmuck/Steppat/Wessels, S. 77 ff. Zustimmend Fleuter, S. 78 f.; Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Art. 137 bis 144 Rn. 4.
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denen der mitgliedstaatlichen Parlamente orientiert sind, wenn auch keine Übereinstimmung mit einem der in den Mitgliedstaaten verwirklichten parlamentarischen Modelle besteht228, bietet es sich an, den klassischen und eingebürgerten parlamentarischen Funktionenkatalog unter Berücksichtigung bestehender Besonderheiten auf das Europäische Parlament anzuwenden229. Die sich anhand der Einzelermächtigungen des Vertrags ergebenden Funktionen des Europäischen Parlaments können daher in Kontroll-, Wahl-, Beratungs-, Rechtsetzungs- und Artikulationsfunktionen aufgegliedert werden230. (1) Kontrollfunktion Kontrolle wird als prüfendes Nachvollziehen verstanden231. Das Europäische Parlament besitzt Kontrollbefugnisse in unterschiedlichem Umfang sowohl gegenüber anderen Gemeinschaftsinstitutionen als auch gegenüber den Mitgliedstaaten. Sie lassen sich in informative und sanktionierende Kontrollbefugnisse232 einteilen. Zu den informativen Kontrollrechten des Europäischen Parlaments zählen zunächst seine Fragerechte gegenüber der Kommission233 und dem Rat234, die Berichtspflichten von Kommission235 und Rat236 gegenüber dem Parlament sowie sein Recht zur Einrichtung nichtständiger Untersuchungsaus228 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 196. Vgl. auch Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Artikeln 137 bis 144 Rn. 4. 229 Auch das BVerfG hat 1979 die Aufgaben des Europäischen Parlaments anhand des klassischen Funktionenkatalogs dargestellt, obwohl es den Aufgabenkreis des Europäischen Parlaments für „nur bedingt vergleichbar“ mit dem der Parlamente der Mitgliedstaaten hielt, siehe BVerfGE 51, 222, 240 ff. Das BVerfG untersucht die Wahl-, Rechtsetzungs-, Haushalts-, Kontroll- und Integrationsfunktionen. 230 Die Artikulationsfunktion wird bei der Aufgabenbeschreibung des Europäischen Parlaments nicht immer erwähnt. Erwähnt wird sie von Kohler, EuR 1978, 333, 337 f.; Reich, S. 118 f., der sie allerdings mit der Beratungsfunktion kombiniert. Vgl. Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 205, unter dem Stichwort „Rückkoppelungsfunktion“; Grabitz/Schmuck/Steppat/Wessels, S. 80 f., unter dem Stichwort „Interaktionsfunktion“. Ein Hinweis darauf findet sich auch bei Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EG Rn. 18, der die Öffentlichkeitsfunktion des Europäischen Parlaments aufführt. Oppermann, Rn. 264, verweist darauf unter dem Stichwort „Demokratische Gesamtleitung“. 231 Haag/Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 18. 232 Vgl. eingehend zu den Kontrollbefugnissen des Europäischen Parlaments Beckedorf, S. 125 ff.; Passadelis, S. 314 ff. 233 Vgl. Art. 197 Abs. 3 EG. 234 Dazu gibt es zwar keine primärrechtliche Vorschrift, der Rat verpflichtete sich aber 1973 zur Beantwortung schriftlicher und mündlicher Fragen, „Ratsvermerk“ vom 16. Oktober 1973, Bull. EG 34/73 vom 19. Oktober 1973. Vgl. Beckedorf, S. 158 f.; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 20.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
schüsse gemäß Art. 193 EG. Dieses parlamentarische Untersuchungsrecht bezieht sich auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht oder Missstände bei der Anwendung desselben237. Das Untersuchungsrecht ist nicht auf die Institutionen der EG beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf mitgliedstaatliche Institutionen238. Als informatives Kontrollrecht des Parlaments können auch das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament gemäß Art. 194 EG und die Ernennung eines Bürgerbeauftragten durch das Europäische Parlament gemäß Art. 195 EG gewertet werden, weil sie dem Parlament ermöglichen, durch den unmittelbaren Bürgerkontakt auf Missstände aufmerksam zu werden, und sich damit als Hilfsinstrumente informativer Kontrolle erweisen239. Zudem erhält das Europäische Parlament bei der Kontrolle der Haushaltsführung gemäß Art. 248 Abs. 4 EG Unterstützung durch den Rechnungshof, auf dessen Informationen und Sachverstand es zurückgreifen kann240. Zu den sanktionierenden Kontrollrechten zählt in erster Linie die Möglichkeit des Parlaments, der Kommission gemäß Art. 201 EG das Misstrauen auszusprechen. Auch der Möglichkeit, der Kommission gemäß Art. 276 EG die Entlastung für die Ausführung des Haushaltsplanes zu verweigern, wird wegen der Schärfe der ausgesprochenen Missbilligung und ihrer breiten Publizitätswirkung Sanktionscharakter zugesprochen241. Gleiches gilt für die Feststellung des Haushaltsplanes gemäß Art. 272 Abs. 7 EG durch den Präsidenten des Europäischen Parlaments, da dieses Recht 235 Unter anderem ist die Kommission gemäß Art. 143 EG zur jährlichen Vorlage eines Gesamtberichts sowie gemäß Art. 275 EG zur jährlichen Vorlage einer Haushaltsrechnung inklusive einer Vermögensübersicht verpflichtet. Eine Aufzählung weiterer Berichtspflichten der Kommission gegenüber dem Parlament enthält Beckedorf, S. 128 f. 236 So muss der Europäische Rat dem Europäischen Parlament gemäß Art. 4 EU nach jeder Tagung Bericht erstatten und ihm jährlich einen schriftlichen Bericht über die Fortschritte der Europäischen Union vorlegen. Art. 21, 39 EU sehen Berichtspflichten der Ratspräsidentschaft in den Bereichen der gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik und der justiziellen Zusammenarbeit vor. 237 Ausführlich zu dem Untersuchungsrecht des Europäischen Parlaments: Beckedorf, EuR 1997, 237 ff. 238 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 200; Fugmann, in: Dauses, A. II Rn. 72d; Schoo, in: Schwarze, Art. 193 EG Rn. 6. 239 Beckedorf, S. 134 f.; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 23 f.; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EG Rn. 13. 240 Haag/Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 25. 241 Vgl. Beckedorf, S. 131; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 28; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EG Rn. 13; Oppermann, Rn. 276. So wurde der Rücktritt der Kommission 1999 nicht durch ein Misstrauensvotum, sondern durch die Verweigerung der Entlastung für die Haushaltsführung ausgelöst, vgl. Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 202. Ausführlich zu der Verweigerung der Haushaltsentlastung am 17. Dezember 1998: Fugmann, EuZW 1999, 65.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
171
die Befugnis umfasst, die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens des Haushaltsplanes vor seinem Inkrafttreten zu prüfen242. Als letztes Mittel der Kontrolle der Kommission und des Rates kann das Europäische Parlament gemäß Art. 230 Abs. 3 EG zur Wahrung seiner eigenen Rechte die Nichtigkeitsklage vor dem EuGH erheben und gemäß Art. 232 EG Untätigkeitsfeststellungsklage dahingehend erheben, der Rat oder die Kommission habe es unter Verletzung des Vertrags unterlassen, einen Beschluss zu erlassen. (2) Wahlfunktion Nach wie vor ist die Wahlfunktion des Europäischen Parlaments von untergeordneter Bedeutung, weil das Europäische Parlament nicht an der Einsetzung einer europäischen Regierung beteiligt ist243. Durch den Maastrichter Vertrag wurde der Einfluss des Europäischen Parlaments auf die Bestimmung von Mitgliedern von Gemeinschaftsorganen jedoch erweitert. Bis dahin wurde das Europäische Parlament gemäß Art. 247 Abs. 3 EG nur vor der Ernennung der Mitglieder des Rechnungshofes angehört. Mit dem Maastrichter Vertrag wurde dem Europäischen Parlament in Art. 214 EG ein Einfluss auf die Wahl der Kommission eingeräumt: Vor der Ernennung des Präsidenten der Kommission war das Parlament anzuhören, vor der Ernennung des Präsidenten und der übrigen, von den Mitgliedstaaten in Konsultationen mit dem designierten Präsidenten benannten Mitglieder der Kommission mussten diese sich einem Zustimmungsvotum des Parlaments stellen. Durch den Amsterdamer Vertrag wurde dieses Recht des Europäischen Parlaments dahingehend erweitert, dass nunmehr bereits die Benennung des Präsidenten der Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf. Zudem wurde dem Europäischen Parlament durch den Maastrichter Vertrag ein Anhörungsrecht bei der Ernennung des Direktoriums der EZB (Art. 112 Abs. 2 EG) und des Präsidenten des EWI (Art. 117 Abs. 2 EG) eingeräumt. Des Weiteren wählt das Europäische Parlament gemäß Art. 195 EG den Bürgerbeauftragten der EG und entscheidet gemeinsam mit dem Rat über die Ernennung eines europäischen Datenschutzbeauftragten244. Keinen Einfluss hat das Europäische Parlament auf die Ernennung der Richter des EuGH, obwohl dies zur „Entnationalisierung“ des Ernennungsverfahrens der Richter gefordert wird245. 242
Haag/Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 28. Vgl. Oppermann, Rn. 274. 244 Art. 42 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 „zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr“, veröffentlicht im ABl. 2001 L 8, S. 1 ff. 245 Vgl. Jung, in: GTE, Art. 168a Rn. 58 m.w.N; Passadelis, S. 302 m. w. N. 243
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
(3) Beratungs- und Rechtsetzungsfunktion Das Europäische Parlament war von den Vertragspartnern zunächst in erster Linie als Beratungsorgan geschaffen worden. Anerkannt wurde vom EuGH aber schon lange, dass das Europäische Parlament dieses Beratungsrecht nicht nur in den von den Verträgen ausdrücklich vorgesehenen Fällen hat. Vielmehr ist das Europäische Parlament befugt, „über jede Frage zu beraten, die die Gemeinschaften betrifft“, sowie „Entscheidungen über derartige Fragen anzunehmen“ und „die Regierungen zum Handeln aufzufordern“246. Dies ergibt sich aus der prinzipiellen Offenheit der Unionsverfassung und den in Art. 2 EU definierten Verfassungszielen247. Diese Beratungsbefugnis umfasst das Recht, eine Frage zu erörtern, einen einheitlichen Willen zu bilden und diesen zu äußern248. Dazu gehört insbesondere das Recht, die entscheidungsrelevanten Fakten durch Anhörungen und Informationsbesuche zu erörtern249, sowie die Einbeziehung anderer Organe und die Beteiligung an Gemeinsamen Erklärungen250. Der Beratungsfunktion kommt mangels rechtlicher Verbindlichkeit der Entschließungen in erster Linie eine politische Bedeutung zu; in den Bereichen, in denen keine Mitentscheidungsbefugnisse bestehen, ermöglicht sie dem Europäischen Parlament aber, zumindest Vorschläge zu unterbreiten251. Die Beteiligung des Europäischen Parlaments an der Rechtsetzung der Gemeinschaft wird seit der Vertragsreform durch den Vertrag von Maastricht durch Art. 192 Abs. 1 EG konkretisiert252. Danach ist das Europäische Parlament „an dem Prozess, der zur Annahme der Gemeinschaftsakte führt, in dem in diesem Vertrag vorgesehenen Umfang durch die Ausübung seiner Befugnisse im Rahmen der Verfahren der Artikel 251 EG und 252 EG sowie durch die Erteilung seiner Zustimmung oder die Abgabe von Stellungnahmen beteiligt“. Während das Europäische Parlament aufgrund der Gründungsverträge ursprünglich nur über einzelne Anhörungsrechte verfügte253, werden dem Europäischen Parlament heute folgende Beteiligungs246 EuGH, Rs. 230/81, Luxemburg/Europäisches Parlament, Slg. 1983, 255, 287 Rn. 39. 247 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 197; Reich, S. 118. 248 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 197; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 11. 249 Schoo, in: Schwarze, Art. 189 EG Rn. 11. 250 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 197; Haag/Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 11. 251 So Reich, S. 119. Vgl. auch Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 197; Haag/ Bieber, in: GTE, Art. 137 Rn. 11. 252 So Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 192 EG Rn. 1. 253 Haag, in: GTE, Art. 138b Rn. 2; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 192 EG Rn. 2; Schoo, in: Schwarze, Art. 192 EG Rn. 2.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
173
formen bzw. Mitwirkungsrechte an der Rechtsetzung der Gemeinschaft eingeräumt: Obligatorische Anhörung (mit oder ohne Konzertierungsverfahren), fakultative Anhörung (zum Teil aufgrund von interinstitutionellen Vereinbarungen), Mitentscheidung (mit oder ohne Vermittlungsverfahren, Art. 251 EG), Zustimmungsverfahren (z. B. Art. 161 EG), Verfahren der Zusammenarbeit (Art. 252 EG) und Haushaltsverfahren (Mitentscheidung gemäß Art. 272 EG)254. Dem Europäischen Parlament steht dabei grundsätzlich kein Recht zur förmlichen Gesetzesinitiative zu. Ausnahmen bestehen allerdings im Zusammenhang mit dem Parlamentsrecht. Gemäß Art. 190 Abs. 4 EG erarbeitet das Parlament einen Entwurf für allgemeine unmittelbare Wahlen nach einem einheitlichen Wahlverfahren255, gemäß Art. 190 Abs. 5 EG legt das Parlament nach Anhörung der Kommission und Zustimmung des Rates die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung der Aufgaben seiner Mitglieder fest, und gemäß Art. 195 Abs. 4 EG gilt entsprechendes für die Festlegung der Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten. Zudem gewährt der durch den Vertrag von Maastricht eingeführte Art. 192 Abs. 2 EG dem Europäischen Parlament gegenüber der Kommission ein „Initiativaufforderungsrecht“256, wonach das Parlament die Kommission zur Einleitung von Gesetzgebungsverfahren auffordern kann. Neben dem „vollen“ Gesetzesinitiativrecht fehlt dem Europäischen Parlament im Vergleich zu den nationalen Parlamenten vor allem die Befugnis zur abschließenden Beschlussfassung über die Rechtsakte (sog. „Gesetzessanktion“ bzw. „Letztentscheidungsbefugnis“)257. Denn auch beim Mitentscheidungsverfahren und bei einem Zustimmungserfordernis kann das Europäische Parlament zwar einen Rechtsakt scheitern lassen, nicht jedoch gegen den Willen des Rates Recht setzen. (4) Artikulations- und Rückkoppelungsfunktion Als weitere Aufgabe des Europäischen Parlaments wird zum einen die Artikulation der öffentlichen Meinung der Mitgliedsvölker durch eine Ein254
Siehe zusammenfassende Darstellungen bei: Haag, in: GTE, Art. 138b Rn. 4 ff.; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 192 EG Rn. 2 ff.; Oppermann, Rn. 265 ff.; Reich, S. 128 ff.; Schoo, in: Schwarze, Art. 192 EG Rn. 4 ff. 255 Art. 13 der Wahlakte sieht ein Initiativrecht des Europäischen Parlaments bei dem Erlass ergänzender Bestimmungen zum Wahlverfahren vor. 256 So Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 192 EG Rn. 29. 257 Oppermann, Rn. 265. Für Bröhmer, ZEuS 1999, 197, 208 f., wird das strukturelle Defizit der fehlenden Letztentscheidungsbefugnis dadurch relativiert, dass in Staaten mit Zweikammersystemen wie Deutschland oder den Vereinigten Staaten von Amerika die Letztentscheidungsbefugnis dem Parlament regelmäßig vorenthalten ist.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
bringung in den gemeinschaftlichen Entscheidungsprozess erachtet258. Zum anderen wird die Aufgabe einer Rückkoppelung seiner Tätigkeiten an die einzelnen Bürger in den Mitgliedstaaten und zu den organisierten politischen Interessen in der Gemeinschaft – wie nationale Parteien, nationale Institutionen und Verbände, supranationale Europäische Parteien und supranationale Institutionen und Verbände – betont259. Ziel ist es dabei, ein „Europa-Bewusstsein“ der EG-Bürger zu wecken und wachzuhalten260; denn eine besondere Funktion des Europäischen Parlaments wird in der Integration der Völker der Gemeinschaft gesehen261. Dies kann insbesondere über die Artikulation der involvierten Interessen durch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf überstaatlicher und staatlicher Ebene erfolgen, indem sie die Interessen der Unionsbürger und Mitgliedstaaten zusammenführen und einen gesamteuropäischen Willen bilden262. Dabei erweist es sich als Vorteil, dass sich besonders bei Gelegenheit der öffentlichen Debatte in einer dem gemeinsamen Interesse verpflichteten Institution, dem Europäischen Parlament, eine europäische Öffentlichkeit allmählich herausbilden kann263. 258 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 205; Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 270 ff. Grabitz/Schmuck/Steppat/Wessels, S. 80; Kohler, EuR 1978, 333, 338; Oppermann, Rn. 264. 259 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 205; Grabitz/Schmuck/Steppat/Wessels, S. 80 f., unter dem Stichwort „Interaktionsfunktion“; Oppermann, Rn. 264; Reich, S. 86 f., unter dem Stichwort „Vermittlungsfunktion“; Rummer, ZEuS 1999, 249, 275. Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EG Rn. 18, erwähnt zwar nicht ausdrücklich die Artikulationsfunktion, verweist aber auf die Öffentlichkeitsfunktion. 260 Vgl. Oppermann, Rn. 264, infolge seiner begrenzten Befugnisse tue sich das Europäische Parlament aber schwer, dies zu erreichen. Hingegen betont Hallstein, S. 75 f., das Europäische Parlament schaffe es als Forum der öffentlichen Diskussion immer wieder, die Aufmerksamkeit auf die europäische Arbeit zu lenken und so beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung der Gemeinschaft zu nehmen. Auf diese zusätzlich zu den klassischen parlamentarischen Funktionen bestehende Funktion des Europäischen Parlaments, die Veränderung seiner Stellung und Verstärkung seiner Befugnisse – und damit den Wandel der Gemeinschaft insgesamt – voranzubringen, verweisen Grabitz/Schmuck/Steppat/Wessels, S. 79 f. Vgl. auch Haag/Bieber, in: GTE, Vorb. zu den Artikeln 137 bis 144 Rn. 3. 261 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 196; Fleuter, S. 78 f. Auch das BVerfG verweist in seiner Entscheidung zu der Zulässigkeit einer 5%-Klausel bei den Wahlen zum Europäischen Parlament auf die dem Parlament „auf dem Wege zu ,einem immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker‘ zugedachte Rolle“, siehe BVerfGE 51, 222, 246. 262 Vgl. Reich, S. 87. 263 Bieber, FS Heymanns, 291, 302. Ähnlich Saalfrank, S. 133, der betont, es sei die besondere Aufgabe des Europäischen Parlaments, ein „Europäisches Bewusstsein“ herauszubilden. Wenn es dem Parlament gelänge, den Konsens der Mitgliedsvölker zu artikulieren, so müsse davon eine erhebliche integrative Wirkung ausgehen.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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bb) Zwischenergebnis Die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments umfasst die Wahrnehmung der Kontroll-, Wahl-, Beratungs- und Rechtsetzungs- sowie der Artikulations- und Rückkoppelungsfunktion in dem dargestellten Umfang. 2. Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit Fraglich ist, ob eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments gegeben ist. Entscheidend dafür ist, ob dem Europäischen Parlament über seine Mitglieder die Bildung des für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Willens funktional möglich ist264. Es bietet sich an, die Willensbildung der Abgeordneten bezogen auf die einzelnen Parlamentsfunktionen zu untersuchen. Zur Erfüllung der Kontrollfunktion des Parlaments muss die Bildung eines Kontrollwillens gewährleistet sein. Für die Bildung dieses Kontrollwillens ist die Unabhängigkeit der Abgeordneten gegenüber den anderen Gemeinschaftsorganen und gegenüber den Mitgliedstaaten erforderlich. Es wurde bereits festgestellt, dass aufgrund der derzeitigen Regelung des Status der Abgeordneten mit dessen weitgehender Definierung durch das nationale Recht eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments zu bejahen ist265. Bejaht wurde insbesondere auch eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit, die das Parlament zur Ausübung seiner Kontrollfunktion benötigt. Fraglich ist aber, ob daraus automatisch der Schluss gezogen werden kann, dass das Europäische Parlament seine Kontrollfunktion nicht wirksam ausüben kann, denn das Europäische Parlament nimmt seine Kontrollbefugnisse anscheinend intensiv wahr266. So hat es sich beispielsweise letztlich als wirksames Kontrollorgan erwiesen, als im Jahre 1999 der Rücktritt der Kommission durch die Verweigerung der Entlastung für die Haushaltsführung durch das Parlament267 und den Untersu264
Vgl. Reich, S. 64, allerdings nur unter Bezug auf den Normbildungswillen. Der Gedanke ist auf die anderen Funktionen übertragbar. Reich beschränkt zwar die Voraussetzungen für die Bildung des erforderlichen Normbildungswillen darauf, dass die Arbeitsweise und Zusammensetzung des Organs diesen Prozess funktional erlauben müssen. Da jedoch, wie aufgezeigt, neben der Arbeitsweise und der Zusammensetzung des Organs auch der Status der Abgeordneten Einfluss auf die Willensbildung der Abgeordneten haben kann, muss auch der Status der Abgeordneten den Willensbildungsprozess funktional erlauben. 265 Siehe oben S. 150 ff. 266 Vgl. Cremer, EuR 1995, 21, 40; Linde, S. 247; Rummer, ZEuS 1999, 249, 275; Zuleeg, JZ 1993, 1069, 1072. 267 Vgl. Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 202, sowie ausführlich Fugmann, EuZW 1999, 65.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
chungsbericht eines durch das Europäische Parlament eingesetzten unabhängigen Ausschusses (mit-)ausgelöst wurde. Allerdings wird in der Literatur kritisiert, dass sich zuvor keine Mehrheit für ein Misstrauensvotum gegenüber der Kommission nach Art. 201 EG im Parlament gefunden268 und das Parlament mithin sein stärkstes Kontrollmittel nicht eingesetzt hatte. Auch die große Zahl der Anfragen, die das Europäische Parlament an die Kommission und den Rat richtet, zeigt, wie intensiv es sein Kontrollrecht zumindest in quantitativer Hinsicht ausübt269. Bei den Beispielen für durch das Europäische Parlament ausgeübte Kontrolle handelt es sich jedoch lediglich um empirische Daten. Sie schließen das Vorliegen einer Verletzung der Funktionsfähigkeit aufgrund der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Parlaments nicht aus, da die Möglichkeit einer die wirksame Kontrolle durch das Parlament ausschließenden Einflussnahme Dritter, insbesondere der Mitgliedstaaten, dadurch nicht ausgeräumt werden kann. Eine konkrete Verletzung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments lässt sich – auch aufgrund des hohen Abstraktionsgrades der „Funktionsfähigkeit“ – schwer anhand von Tatsachen belegen. Für die Annahme einer Beeinträchtigung der Funktionstauglichkeit genügt folglich ebenso wie für eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Parlaments270 die Möglichkeit, dass der jeweilige Wille zur Funktionsausübung beeinflusst wird. Bereits aufgezeigt wurde, dass der Kontrollwille des Parlaments der Möglichkeit der Einflussnahme ausgesetzt ist271, so dass die Funktionstauglichkeit insoweit beeinträchtigt ist. 268
Dies habe laut Peters, S. 675 f., auch daran gelegen, dass nationale Regierungen aus unterschiedlichen Gründen intensiv versuchten, Einfluss auf die Abstimmung zu nehmen, was ihnen auch zum Teil gelungen sei. Dauses, EuZW 1999, 97, verweist darauf, dass es der Kommission gelungen sei, das Misstrauensvotum in ein Vertrauensvotum umzuwandeln, und wirft dem Parlament vor, „grobe Missstände beim Umgang mit europäischen Steuergeldern sanktionslos toleriert“ und „gravierendes, möglicherweise persönliches Fehlverhalten gedeckt“ zu haben. Es entstehe daher der Vorwurf, das Parlament habe seine interinstitutionellen Aufsichtspflichten nicht hinreichend ernst genommen. Zu beachten ist allerdings, dass diese Beurteilung von Dauses aus der Zeit vor dem Rücktritt der Kommission aufgrund des Berichts des durch das Parlament eingesetzten Sachverständigenausschusses stammt. Die Einsetzung dieses letztlich wirksamen Ausschusses bezeichnet Dauses zu diesem Zeitpunkt noch als „minimalistische Verlegenheitslösung“ des Europäischen Parlaments. Schwarze, JZ 1999, 637, 642, sieht dagegen in der Bewältigung der Krise um den Rücktritt der Kommission eine Stärkung des Europäischen Parlaments, welches sich allerdings nicht den alleinigen Verdienst an der Beseitigung der Missstände zuschreiben könne. In diesem Sinne verweisen Peters, S. 676, sowie Ott, S. 246 f., auf die bedeutende Rolle des Rechnungshofes im Zusammenhang mit dem Rückritt der Kommission. 269 Siehe beispielsweise ABl. 1999 C 348/1-151, wo zahlreiche schriftliche Anfragen an die Kommission inklusive der Antworten abgedruckt sind. 270 Siehe oben S. 151 f.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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Ähnliches ist zu der Wahlfunktion des Europäischen Parlaments festzustellen. Die dem Europäischen Parlament eingeräumten Zustimmungs- und Anhörungsrechte bei der Bestimmung der Mitglieder gemeinschaftsrechtlicher Organe können nur sinnvoll ausgeübt werden, wenn das Europäische Parlament seinen Wahlwillen frei und unabhängig ausüben kann. Andernfalls wäre eine Beteiligung des Europäischen Parlaments an der Bestellung der Organmitglieder durch den Rat oder die Mitgliedstaaten überflüssig. Es lässt sich zwar bislang nicht belegen, dass die aufgrund der Abhängigkeit der Statusregelungen vom nationalen Recht beeinträchtigte Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments konkret zu der Unmöglichkeit der Bildung eines unabhängigen Wahlwillens geführt hat. So zeigt beispielsweise die „Entschließung zur ,Prodi-Kommission‘“272 des Europäischen Parlaments anlässlich des Zustimmungsvotums des Europäischen Parlaments gemäß Art. 214 Abs. 4 EG zu dem Kollegium der durch die Regierungen im Einvernehmen benannten zukünftigen Kommissionsmitglieder im Jahre 1999, dass das Europäische Parlament die Zustimmung erst nach sorgfältiger Prüfung erteilt hat. Insbesondere verweist die Entschließung auf Erklärungen des designierten Präsidenten der Kommission vor dem Parlament, auf die schriftlichen und mündlichen Erklärungen, die die designierten Mitglieder der Kommission im Rahmen von Anhörungen durch Parlamentsausschüsse gemacht haben, sowie auf die Beurteilung dieser Kandidaten durch die Ausschussvorsitzenden im Anschluss an die Anhörungen. Der „Beschluss über die Wahl der designierten Kommission“ verweist zusätzlich auf die Aussprache zwischen der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden und Herrn Prodi sowie auf das dem Parlament vorgestellte Programm der designierten Kommission273. Dabei gehen sowohl die Regelung eines speziellen Anhörungsverfahrens der einzelnen Kommissionsmitglieder in Art. 33 Abs. 1, 2 GOEP als auch die Regelung der Verpflichtung des designierten Präsidenten in Art. 33 Abs. 3 GO-EP, die Kommissionsmitglieder und das Programm der Kommission in einer Plenardebatte vorzustellen, über die primärrechtliche Regelung des Art. 214 Abs. 4 EG hinaus274. Das Anhörungsverfahren wird in der Literatur kritisiert und zum Teil als rechtswidrig erachtet, weil das Primärrecht vorsieht, dass sich die Kommission „als Kollegium“ dem Votum des EP stellt275. Die Einführung und Durchführung dieser Prozedur könnte letztlich als Anhaltspunkt dafür herangezogen werden, dass das Eu271
Siehe oben S. 157. ABl. 2000 C 54/49, „Entschließung zur ,Prodi-Kommission‘“ des Europäischen Parlaments vom 15. September 1999. 273 ABl. 2000 C 54/51, „Beschluss über die Wahl der designierten Kommission“ des Europäischen Parlaments vom 15. September 1999. 274 Zumindest ist die Anhörung einzelner designierter Kommissare in Art. 214 EG nicht vorgesehen, siehe Hummer, in: Grabitz/Hilf, Art. 158 EG Rn. 21; Schmitt von Sydow, in: GTE, Art. 155 Rn. 7. 272
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
ropäische Parlament sich bemüht, sein Wahlrecht in dem ihm eingeräumten Maße auszuüben276. Auch diese empirischen Daten können aber nicht belegen, dass keine Beeinflussung des Wahlwillens der Abgeordneten stattfindet. Vielmehr bleibt die Möglichkeit, dass die Bildung eines unabhängigen Wahlwillens aufgrund einer Beeinflussung ausgeschlossen ist. Denn es ist durchaus vorstellbar, dass der Rat oder die Mitgliedstaaten ihr Interesse an der Zustimmung des Europäischen Parlaments zu einer Personalentscheidung durch Einflussnahme durchzusetzen versuchen. Da somit der Wahlwille der Möglichkeit der Einflussnahme ausgesetzt ist, ist die Funktionstauglichkeit auch insoweit beeinträchtigt. Fraglich ist weiter, ob das Europäische Parlament fähig ist, seine Beratungs- und Rechtsetzungsfunktion durch die Bildung eines Beratungs- und Rechtsetzungswillens zu erfüllen. Zwar könnten die umfangreiche Beteiligung des Parlaments am Rechtsetzungsprozess sowie die zahlreichen Entschließungen aufgrund seines Beratungsrechts gegen die Annahme vorgebracht werden, dass die derzeitige Regelung des Status der Abgeordneten das Europäische Parlament von der Bildung eines Beratungs- und Rechtsetzungswillens abhält. Für eine Beurteilung der Erfüllung der Beratungs- und Rechtsetzungsfunktion ist aber nicht nur die quantitative Beurteilung der Anzahl der diesbezüglichen Handlungen des Parlaments ausreichend. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, ob das Europäische Parlament seine Beratungs- und Rechtsetzungsfunktion in materieller Hinsicht erfüllt. Denn möglich ist, dass auch an dieser Stelle eine Beeinflussung der Entscheidungen des Europäischen Parlaments stattfindet. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass aufgrund von Beeinflussungen durch die Mitgliedstaaten ein auf gesamteuropäische Interessenvertretung ausgerichteter Beratungs- und Rechtsetzungsprozess erschwert bzw. unmöglich gemacht wird. Dies macht deutlich, dass auch für die Erfüllung der Beratungs- und Rechtsetzungs275 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 214 EG Rn. 3. Vorsichtiger Maurer, Integration 1995, 88, 89, der unter Verweis auf das Kollegialitätsprinzip feststellt, dass die designierten Kommissionsmitglieder nicht verpflichtet sind, der Einladung des Parlaments Folge zu leisten. Kritisch Hummer, in: Grabitz/Hilf, Art. 158 EG Rn. 21; Hummer/Obwexer, EuR 1995, 129, 135. 276 Das Parlament macht dabei insbesondere seine Unabhängigkeit von den Mitgliedstaaten deutlich. Im Rahmen des Anhörungsverfahrens der „Santer-Kommission“ fiel das Urteil der durch die Präsidenten der Ausschüsse erstatteten Berichte für vier der zwanzig designierten Kommissionsmitglieder negativ aus, vgl. dazu Hummer, in: Grabitz/Hilf, Art. 158 Rn. 37; Maurer, Integration 1995, 88, 93. Die Tatsache, dass diese Beurteilung ohne weitere Konsequenzen blieb, kann nicht als Argument dafür gewertet werden, dass das Parlament seine Wahlfunktion nicht wirksam ausübe, denn der Grund dafür liegt nicht in einer mangelhaften Ausübung der dem Parlament eingeräumten Kompetenz, sondern in der beschränkten Reichweite der Wahlkompetenz des Europäischen Parlaments, welches der Kommission als Kollegium und nicht den einzelnen Kommissaren seine Zustimmung erteilt.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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funktion die Unabhängigkeit des Parlaments von Relevanz ist. Eine Beeinträchtigung der Beratungs- und Rechtsetzungsfunktion ist aufgrund der möglichen Beeinflussung des diesbezüglichen Willens zu bejahen. In Bezug auf die Erfüllung der Artikulations- und Rückkoppelungsfunktion durch das Europäische Parlament finden sich kritische Stimmen. Es mangele dem Europäischen Parlament diesbezüglich zwar nicht an rechtlichen Kompetenzen, aber an den tatsächlichen Voraussetzungen der wirksamen Ausfüllung dieser Funktion277. Eine Beeinträchtigung der vollen Entfaltung der Rückkoppelungsfunktion wird in dem Fehlen einer gemeinsamen Sprache, europäischer Berichterstattung sowie von Parteien und Verbänden als Kommunikationsmedien gesehen278. Es falle dem Europäischen Parlament schwer, das „Europa-Bewusstsein“ der EG-Bürger zu wecken und wachzuhalten279. Auffällig ist, dass diese Kritik nicht darauf gerichtet ist, dem Europäischen Parlament die Bildung eines Artikulationsund Rückkoppelungswillens abzusprechen. Kritisiert werden die tatsächlichen Verhältnisse und nicht die Bemühungen des Europäischen Parlaments, die öffentlichen Meinungen der Mitgliedsvölker zu artikulieren und die getroffenen Entscheidungen den europäischen Bürgern zu vermitteln. Anders könnte allerdings die inhaltliche Fähigkeit des Europäischen Parlaments einzuschätzen sein, mittels seiner Artikulations- und Rückkoppelungsfunktion die Integration der Völker Europas zu verfolgen. Die Förderung der Integration der Völker Europas setzt die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments zur gesamteuropäischen Interessenvertretung voraus. Da eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments zur Vertretung des Gemeinschaftsinteresses durch die aktuelle Regelung des Status der Abgeordneten bereits festgestellt wurde280, kann eine Beeinträchtigung der Fähigkeit des Europäischen Parlaments, die Integration der Völker mittels seiner Artikulations- und Rückkoppelungsfunktion zu verfolgen, ebenfalls angenommen werden. 3. Zwischenergebnis Weder eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments noch das Nichtvorliegen einer solchen Beeinträchtigung lässt 277 Peters, S. 679; Rummer, ZEuS 1999, 249, 275. Weniger kritisch Suski, S. 140 ff. 278 So Peters, S. 679. 279 Oppermann, Rn. 264. Hingegen betont Hallstein, S. 75 f., das Europäische Parlament schaffe es als Forum der öffentlichen Diskussion immer wieder, die Aufmerksamkeit auf die europäische Arbeit zu lenken und so beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung der Gemeinschaft zu nehmen. 280 Siehe oben S. 158 ff.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
sich durch Tatsachen eindeutig belegen. Aufgrund der Gefährdung für die Bildung eines unabhängigen Kontroll- und Wahlwillens, eines unabhängigen Beratungs- und Rechtsetzungswillens und eines unabhängigen, auf die Integration der Völker zielenden Artikulationswillens durch die fehlende umfassende Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments von den Mitgliedstaaten und die damit einhergehende Möglichkeit der Beeinflussung muss eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments dennoch bejaht werden.
III. Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot Vielfach wird der aktuelle Status der Abgeordneten unter Bezug auf den Gleichheitsgrundsatz beanstandet281. Als Maßstab für die Ungleichbehandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden zum einen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG282, zum anderen der auf die „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten“ gestützte allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts283 herangezogen. Während das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG ausschließlich an die Staatsangehörigkeit anknüpft, umfasst der allgemeine Gleichheitssatz jeden
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Hierbei variieren die Formulierungen. Bieber, EuR 1981, 124, 128; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 194, sieht eine Gefährdung der formalen Gleichheit der Abgeordneten. Ders., in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 32, hält die Statusregelungen aufgrund „der Anknüpfung der Unterschiede an die Zugehörigkeit zum Abgeordnetenkontingent eines Mitgliedstaates und damit de facto Nationalität“ für bedenklich. Burban, AFDI 1979, 779, 780, sieht einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 7 EG (heute 12 Abs. 1 EG). Laut Fleuter, S. 115, sind die Ungleichbehandlungen „rechtlich und politisch unangebracht“. Heintzen, ZEuS 2000, 377, 388, sieht die Rechtsgleichheit ausgeschlossen. Jacqué u. a., S. 71 f., sehen eine Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz der Gleichheit der Repräsentanten. Auf S. 82 stellen sie fest, dass nur eine gemeinschaftsrechtliche Regelung des Status der Abgeordneten den Grundsatz der Gleichheit, wie er ausdrücklich in Art. 7 EG (heute Art. 12 Abs. 1 EG) vorgesehen sei, verwirklichen könne; auf Letzteres verweisen auch Bieber, EuR 1981, 124, 137; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/ Bieber, S. 206; Thöne-Wille, S. 51. Jeuniaux, S. 298, sieht einen Widerspruch zum Prinzip der Gleichbehandlung. Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 51 Rn. 32, spricht von „discrimination“ der Abgeordneten. Laut Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445, 448, widerspricht die immunitätsrechtliche Ungleichbehandlung der Abgeordneten „den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten“. Zarka, S. 54, spricht von „discriminations intolérables parmi les députés européens pour des motifs de nationalité“. 282 Bieber, EuR 1981, 124, 137; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 206; Burban, AFDI 1979, 779, 780; ; Jacqué u. a., S. 82; Thöne-Wille, S. 51. 283 Sieglerschmidt, EuGRZ 1986, 445, 448.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
181
Anknüpfungspunkt einer Diskriminierung284. Als speziellere Vorschrift ist Art. 12 Abs. 1 EG daher zuerst zu untersuchen285. 1. Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG Das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG ist einschlägig, wenn eine diskriminierende Vorschrift vorliegt, die an die Staatsangehörigkeit der Abgeordneten anknüpft. a) Eingriff in das Diskriminierungsverbot aa) Diskriminierung Eine Diskriminierung verlangt eine unterschiedliche Behandlung zweier gleicher Tatbestände, die den Betroffenen benachteiligt286. Es wurde bereits festgestellt, dass die Regelung der Schutzrechte der Abgeordneten des Europäischen Parlaments unterschiedlich ausgestaltet ist287. Beispielsweise können sich die britischen und niederländischen Abgeordneten gegenüber britischen bzw. niederländischen Strafverfolgungsbehörden nicht auf ihre Immunität berufen, während den deutschen und italienischen Abgeordneten dies gegenüber ihren nationalen Strafverfolgungsbehörden möglich ist. Der Vergleich der Höhe der Entschädigungen der Abgeordneten hat den erheblichen Unterschied aufgezeigt, der zwischen den „Spitzenreitern“ Italien (mit einer monatlichen Entschädigung in Höhe von 10.643,04 Euro) und Österreich (8.655,10 Euro) und den „Nachzüglern“ Spanien (2.849,14 Euro) und Portugal (3.683,62 Euro) besteht. Problemlos kann dabei festgestellt werden, dass diejenigen Abgeordnetengruppen, deren Statusrechte weniger umfangreich ausgestaltet sind, gegenüber den anderen benachteiligt werden.
284 Siehe v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 6 ff.; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 6; Zuleeg, in: GTE, Art. 6 Rn. 2. 285 Vgl. Feige, S. 195; Mohn, S. 46; Reitmaier, S. 75; Rossi, EuR 2000, 197, 209; Zuleeg, in: FS Börner, 473, 478; ders, in: GTE, Art. 6 Rn. 21. Siehe auch die Rechtsprechung des EuGH, wonach Art. 12 EG als eine „besondere Ausformung“ des allgemeinen Gleichheitssatzes angesehen wird, so EuGH, Rs. 147/79, Hochstrass/EuGH, Slg. 1980, 3005, 3019 Rn. 7. 286 So v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 8. Oppermann, Bildungsordnung, S. 53 m. w. N., stellt klar, dass es sich dabei nicht um einen tatsächlichen Nachteil handeln müsse, allein der Rechtsnachteil sowie der zumindest potentiell aus ihm fließende faktische Nachteil reichten aus. 287 Siehe insbesondere oben S. 87 ff.
182
3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Fraglich ist, ob sich mit den verschiedenen Abgeordnetengruppen jeweils vergleichbare Tatbestände gegenüberstehen. Vergleichbare Tatbestände liegen vor, wenn wesentliche Merkmale eines Sachverhaltes mit denen eines anderen oder mehrerer anderer Sachverhalte übereinstimmen288. Das EuG hat dies für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments folgendermaßen bejaht: „Alle Abgeordneten des Parlaments sind Träger eines Mandats, das ihnen von der Wählerschaft demokratisch übertragen wurde und nehmen auf europäischer Ebene die gleiche Funktion politischer Vertretung wahr. Sie befinden sich daher in der gleichen Lage“289. Das EuG hat damit zu Recht die Vergleichbarkeit von unterschiedlich behandelten Abgeordnetengruppen bejaht. Daraus folgt, dass vorliegend entgegen dem Grundsatz, dass Gleiches gleich behandelt werden soll, Gleiches ungleich behandelt wird. Mit der unterschiedlichen, benachteiligenden Behandlung vergleichbarer Tatbestände ist eine Diskriminierung gegeben. bb) Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit Das Verbot des Art. 12 Abs. 1 EG setzt voraus, dass eine diskriminierende Vorschrift vorliegt, die an die Staatsangehörigkeit anknüpft. Es wird vorgebracht, die Unterschiede in der Behandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments seien an die Zugehörigkeit zum Abgeordnetenkontingent und damit de facto an die Staatsangehörigkeit geknüpft290. Dies kann allerdings seit der Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für alle EU-Bürger in allen Mitgliedstaaten durch den Maastrichter Vertrag nicht mehr derart behauptet werden. Die für die in Deutschland gewählten Abgeordneten geltenden Statusregelungen können beispielsweise seit der Einfüh288
So Zuleeg, in: GTE, Art. 6 Rn. 1. Vgl. auch Mohn, S. 52 m. w. N. EuG, verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II2823, 2888 Rn. 151. Der Entscheidung liegt die Frage zugrunde, ob der durch Art. 29 Abs. 1 i.V. m. Art. 30 GO-EP begründete Unterschied zwischen zwei Gruppen von Abgeordneten, nämlich denjenigen, die einer Fraktion im Sinne der GO-EP angehören, und jenen, die als fraktionslose Abgeordnete tätig sind, eine Verletzung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes darstellt. Im Ergebnis verneint das EuG dies unter Berufung darauf, dass der Unterschied gerechtfertigt sei, siehe verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II-2823, 2888 Rn. 152. Siehe auch die Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 6, wonach „die charakteristischen Merkmale des Abgeordnetenmandats die gleichen für sämtliche Parlamentarier unabhängig von dem in ihrem Land geltenden Wahlmodus sind. Alle leisten die gleiche parlamentarische Arbeit unter Einhaltung der Regeln, denen die Tätigkeit des Organs unterliegt.“ 290 Bieber, in: GTE, Art. 138 Anhang Rn. 32. 289
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
183
rung des aktiven und passiven Wahlrechts auch für einen Abgeordneten einer anderen Nationalität gelten, wenn dieser in Deutschland gewählt wurde. Anknüpfungspunkt ist folglich nicht direkt die Nationalität, sondern der Wahlkreis, in dem ein Abgeordneter gewählt wird. Eine formelle Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ist daher nicht gegeben. Aufgrund der geringen praktischen Relevanz des passiven Wahlrechts und der damit einhergehenden Tatsache, dass die Statusregelungen faktisch fast ausschließlich an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, könnte eine unter Art. 12 Abs. 1 EG fallende „mittelbare“291 Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit anzunehmen sein. Der EuGH hat betont, dass Art. 12 Abs. 1 EG nicht nur offene, sondern auch versteckte Diskriminierungen erfasst292. Eine mittelbare Diskriminierung ist gegeben, wenn die Differenzierung nach einem anderen Kriterium erfolgt, aber typischerweise und regelmäßig zur Schlechterstellung aufgrund der Staatsangehörigkeit führt293. Verboten sind deshalb alle Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale als dem der Staatsangehörigkeit tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen294. Eine mittelbar diskriminierende Norm in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn ihre typischen Rechtsfolgen, also in der „großen Mehrzahl“ der von der Norm geregelten Fälle, Angehörige anderer Mitgliedstaaten treffen295 bzw. diese ausschließen. Aufgrund der geringen praktischen Relevanz des passiven Wahlrechts treffen die Rechtsfolgen der vorliegend untersuchten Normen typischerweise und fast ausschließlich die Angehörigen der jeweiligen Mitgliedstaaten und schließen damit Angehörige anderer Mitgliedstaaten von der An291 Diese Art der Diskriminierung wird in Rechtsprechung und Literatur auch als „materielle“, „indirekte“, „versteckte“ oder „verschleierte“ Diskriminierung bezeichnet. 292 EuGH, Rs. 22/80, Boussac/Gerstenmeier, Slg. 1980, 3427, 3436 Rn. 9; Rs. 41/84, Pinna, Slg. 1986, 1, 25 Rn. 23; Rs. C-398/92, Mund & Fester/Hatrex, Slg. 1994, I-467, 479 Rn. 14; Rs. C-29/95, Pastoors, Slg. 1997, I-300, 306 Rn. 16. 293 V. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 12. Ähnlich Epiney, in: Calliess/ Ruffert, Art. 12 EG Rn. 13. 294 EuGH, Rs. 22/80, Boussac/Gerstenmeier, Slg. 1980, 3427, 3436 Rn. 9; Rs. 41/84, Pinna, Slg. 1986, 1, 25 Rn. 23; Rs. 313/86, Lenoir, Slg. 1988, 5391, 5423 Rn. 14; Rs. C-398/92, Mund & Fester/Hatrex, Slg. 1994, I-467, 479 Rn. 14; Rs. C29/95, Pastoors, Slg. 1997, I-300, 306 Rn. 16 m. w. N. auf weitere Urteile. Ebenso v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 15 m. w. N.; Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EG Rn. 13 m. w. N.; dies., Umgekehrte Diskriminierungen, S. 103; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 41; Lenaerts, CahDrEuR 1991, 3, 12 ff.; Mohn, S. 10; Zuleeg, in: GTE, Art. 6 Rn. 4. 295 Vgl. Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 41; v. Bogdandy, in: Grabitz/ Hilf, Art. 6 EG Rn. 17. Siehe auch Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 104 ff., mit dem ausführlichen Versuch der näheren Definition versteckter Diskriminierungen.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
wendung aus. Das Kriterium des Wahlkreises, in dem die Abgeordneten gewählt wurden, führt daher typischerweise zu den gleichen Ergebnissen wie die Anknüpfung an das Kriterium der Staatsangehörigkeit. Eine mittelbare, von Art. 12 Abs. 1 EG erfasste Diskriminierung ist daher zu bejahen. cc) Regelung durch denselben Hoheitsträger Es besteht Einigkeit darüber, dass eine Diskriminierung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 EG nur möglich ist, wenn die beiden zu vergleichenden Sachverhalte von demselben Hoheitsträger geregelt werden296. Der Schutz des Art. 12 Abs. 1 EG umfasst nur Ungleichbehandlungen durch ein und denselben Hoheitsträger297. Eine Verletzung des Diskriminierungsverbots scheidet bei Ungleichbehandlungen aus, „die sich für die dem Gemeinschaftsrecht unterstehenden Personen und Unternehmen aus Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben, sofern diese Rechtsordnungen auf alle ihrer Herrschaft unterworfenen Personen nach objektiven Merkmalen und ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Betroffenen anwendbar sind“298. Begründet wird dies insbesondere damit, dass die Harmonisierung mitgliedstaatlichen Rechts nicht durch den Gleichheitssatz, sondern durch Rechtsetzungsakte der Gemeinschaft erreicht werden müsse299. Die Harmonisierung des Rechts sei eine schwierige Aufgabe, zu deren Lösung der Gemeinschaft ein komplexes Instrumenta296 So v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 11, 14 m. w. N.; Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EG Rn. 5 m. w. N.; Fastenrath, JZ 1987, 170, 171. Vgl. auch Mohn, S. 9; Reitmaier, S. 30 ff.; Zuleeg, in: GTE, Art. 6 Rn. 7 m. w. N. In diesem Sinne ist auch die Rechtsprechung des EuGH zu verstehen, siehe Rs. 14/68, Walt Wilhelm, Slg. 1969, 1, 16 Rn. 13; Rs. 223/86, Pesca Valentia, Slg. 1988, 83, 109 Rn. 18; Rs. 313/86, Lenoir, Slg. 1988, 5391, 5423 Rn. 15; verb. Rs. 185/78 bis 204/78, van Dam, Slg. 1979, 2345, 2361 Rn. 10; verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Keck, Slg. 1993, I-6097, 6129 f. Rn. 7 f. Auch im deutschen Verfassungsrecht ist anerkannt, dass die Bindung eines Hoheitsträgers an den Gleichheitssatz nur innerhalb seines Kompetenzbereiches gilt. Es könne dem Hoheitsträger daher auch nicht entgegengehalten werden, dass andere Hoheitsträger dieselbe Frage anders oder möglicherweise gar nicht geregelt haben. Siehe Gubelt, in: von Münch/Kunig, Art. 3 Rn. 8; Heintzen, EWS 1990, 82, 87; Herzog, in: M/D, Art. 3 Anhang Rn. 38. 297 Rossi, EuR 2000, 197, 210. 298 So die ständige Rechtsprechung des EuGH, siehe Rs. 14/68, Walt Wilhelm, Slg. 1969, 1, 16 Rn. 13; Rs. 223/86, Pesca Valentia, Slg. 1988, 83, 109 Rn. 18; Rs. 313/86, Lenoir, Slg. 1988, 5391, 5423 Rn. 15; verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Keck, Slg. 1993, I-6097, 6129 f. Rn. 7 f. Ähnlich verb. Rs. 185/78 bis 204/78, van Dam, Slg. 1979, 2345, 2361 Rn. 10, wonach die Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften nicht deshalb als Verstoß gegen den Grundsatz der Diskriminierung angesehen werden kann, weil angeblich einzelne Mitgliedstaaten weniger strenge Vorschriften anwenden. Siehe auch v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 11, 14 m. w. N.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
185
rium an die Hand gegeben worden sei300. Über den Umweg einer Annahme eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz bei einer bloßen Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen werde hingegen letztlich die Harmonisierung erzwungen und die abgestufte Harmonisierungspolitik der Gemeinschaft umgangen. Zu untersuchen ist, ob und wieweit die Ungleichbehandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf Regelungen unterschiedlicher Hoheitsträger beruht, so dass eine Diskriminierung nach Art. 12 Abs. 1 EG ausgeschlossen wäre. Zu differenzieren ist an dieser Stelle zwischen den Statusregelungen, die auf rein nationalen Regelungen beruhen, und denjenigen, bei denen das Gemeinschaftsrecht auf die nationalen Regelungen verweist. (1) Rein nationale Regelungen Einige Statusregelungen beruhen ausschließlich auf dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, ohne dass das Gemeinschaftsrecht diesbezüglich einen Verweis enthält. So beruhen zum Beispiel die Regelung der Entschädigung der Abgeordneten wie auch die einzelnen Regelungen zum Schutz der Kandidatur ausschließlich auf nationalen Regelungen. Da diese durch die jeweiligen Mitgliedstaaten erlassen wurden, sind die zu vergleichenden Sachverhalte insoweit nicht von demselben Hoheitsträger geregelt; die Ungleichbehandlung ergibt sich vielmehr allein aus dem Zusammentreffen der Regelungen unterschiedlicher Hoheitsträger. Eine Anwendung des Art. 12 Abs. 1 EG scheidet daher für diese Statusregelungen eindeutig aus. (2) Auf das mitgliedstaatliche Recht verweisendes Gemeinschaftsrecht Anders könnte dies aber bei den Statusregelungen zu beurteilen sein, die zwar auch durch die unterschiedlichen Mitgliedstaaten erlassen wurden, für die aber im Gemeinschaftsrecht ein Verweis auf derartige mitgliedstaatliche Regelungen besteht. Dabei handelt es sich um die Inkompatibilitäts- und die Immunitätsregelungen, für die Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte bzw. Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls einen Verweis auf das nationale Recht enthalten301. Zwar könnte argumentiert werden, dass auch bei einer Anwen299 So Kischel, EuGRZ 1997, 1, 8 f. Ähnlich Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EG Rn. 5; Fastenrath, JZ 1987, 170, 171; Reitmaier, S. 32 f.; Rossi, EuR 2000, 197, 210; Zuleeg, in: GTE, Art. 6 Rn. 7. 300 So Kischel, EuGRZ 1997, 1, 9. 301 Zur Änderung des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte durch die vom Rat beschlossene, aber noch nicht ratifizierte Neufassung der Wahlakte siehe unten S. 233 ff.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
dung des Gleichheitsgebotes auf diese Regelungen „über die Hintertür“ eine Harmonierung erzwungen werde. Es handelt sich aber bei diesen Regelungen nicht um Unterschiede in der Behandlung, die sich allein aus Unterschieden zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ergeben302. Die jeweiligen nationalen Regelungen der Inkompatibilitäten wären ohne den Verweis in Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte nicht in die – im Zusammenhang mit der Einführung der Direktwahl entstandenen – nationalen Gesetzesnormierungen aufgenommen worden. Bezüglich der Immunität greift Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls auf die für die Mitglieder der nationalen Parlamente geltenden Regelungen zurück. Diese Regelungen enthalten selbst keinen Hinweis darauf, dass sie auch für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments gelten sollen. Die Erweiterung ihrer Geltungskraft auf die Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist vielmehr erst durch den Verweis des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls erfolgt. Feststellen lässt sich daher, dass, wenn Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte und Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls die unterschiedliche Behandlung der Abgeordneten zwar nicht selbst regeln, sie diese doch durch den Verweis auf die nationalen Regelungen erst ermöglicht haben303. Die Unterschiede aufgrund der nationalen Regelungen wurden durch den Gemeinschaftsgesetzgeber offenbar in Kauf genommen, denn dieser konnte bei Verabschiedung der Verweisnormen nicht davon ausgehen, dass die Mitgliedstaaten ihre für die Mitglieder der nationalen Parlamente geltenden Immunitätsregelungen bzw. die neu zu schaffenden Inkompatibilitätsregelungen für die Mitglieder des Europäischen Parlaments untereinander abstimmen würden. Stellt man darauf ab, dass das Gemeinschaftsrecht durch die dargestellten Verweise auf das nationale Recht die Unterschiede in der Behandlung der Abgeordneten entscheidend ermöglicht hat, dann wurden die zu vergleichenden Sachverhalte letztlich auch durch den gleichen Hoheitsgeber geregelt304. Die Annahme einer Diskriminierung im Sinne des Art. 12 302 Vgl. Kischel, EuGRZ 1997, 1, 8 f., der die Anwendung des europarechtlichen Gleichheitssatzes für solche „Unterschiede in der Behandlung, die sich allein aus den Unterschieden zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ergeben“, ausschließt – Hervorhebung im Original. 303 Eine Regelung wie der § 5 Abs. 1 EuAbgG mit dem Verweis auf Art. 46 GG ist aus Sicht des Gemeinschaftsrechts rein deklaratorisch, da die Anwendung des Art. 46 GG auf die Abgeordneten des Europäischen Parlaments schon in Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls verbindlich festgeschrieben ist. 304 Aufschlussreich ist an dieser Stelle ein Vergleich mit der Würdigung der Problematik unterschiedlicher Wahlverfahren bei den Wahlen zum Europäischen Parlament durch Lenz, S. 198. Lenz sieht in der Ermöglichung unterschiedlicher Wahlsysteme in Art. 7 Abs. 2 der Wahlakte, in der durch diese Regelung „eröffneten Option“, eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Wahlrechtsgleichheit. Auf die unterschiedlichen Statusregelungen übertragbar stellt Lenz fest, dass Art. 7 Abs. 2 der Wahlakte zwar die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlichen
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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Abs. 1 EG durch die Regelung der Immunität und der Inkompatibilitäten erscheint nach dieser Argumentation möglich. Nicht die einzelnen mitgliedstaatlichen Regelungen, sondern die diese ermöglichenden Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte und Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls werden danach am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 EG gemessen. (3) Zwischenergebnis Nur die durch die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen der Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte und Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls bewirkten Unterschiede in der Behandlung der Abgeordneten können als Regelungen durch ein und denselben Hoheitsträger und damit als Diskriminierungen im Sinne des Art. 12 Abs. 1 EG gewertet werden. Die Unterschiede in der Reichweite der Schutzrechte, die ausschließlich auf nationalen Regelungen beruhen, stellen hingegen keine Ungleichbehandlungen im Sinne des Art. 12 Abs. 1 EG dar, weil sie durch unterschiedliche Hoheitsträger erlassen wurden. dd) Anwendungsbereich des Vertrags Da diese Regelungen den Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments betreffen, liegen sie auch im sachlichen Anwendungsbereich des Vertrags im Sinne des Art. 12 Abs. 1 EG, denn damit besteht ein Sachverhalt mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht305. Der räumliche und zeitliche Anwendungsbereich des Vertrags ist für die diskriminierenden Statusregelungen gegeben. Wahlverfahren nicht zwingend vorschreibt, aber faktisch doch dazu ermutigt. Auch Bieber, in: GTE, Anhang Art. 138 Rn. 14, stellt eine Einschränkung des Gleichheitsgrundsatzes durch Art. 7 Abs. 2 der Wahlakte fest, weil er den Mitgliedstaaten die Einführung unterschiedlicher Wahlsysteme gestatte. Weder Bieber noch Lenz gehen dabei allerdings auf die vorliegend aufgezeigte Problematik ein, dass die unterschiedlichen Wahlverfahren von den einzelnen Mitgliedstaaten und damit durch mehrere Hoheitsträger erlassen wurden. 305 Siehe Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 28. Zwar ist es nicht ganz eindeutig, wie weit der „Anwendungsbereich des Vertrages“ zu fassen ist. Siehe dazu v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 12 EG Rn. 36 ff.; Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EG Rn. 18 ff.; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 Rn. 29 ff. Die Problematik der Bestimmung der Reichweite des Anwendungsbereiches des Vertrages ist aber vorliegend nicht relevant, weil die Statusrechte der Abgeordneten des Europäischen Parlaments eindeutig im Anwendungsbereich des Vertrages liegen. So hat auch der EuG in seiner Entscheidung verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II-2823, 2887 f. Rn. 150 ff., den allgemeinen Gleichheitssatz auf die Frage der Fraktionszugehörigkeit, die ein innerorganisatorisches Statusrecht der Abgeordneten bildet, angewendet, ohne den Anwendungsbereich des Vertrages zu untersuchen.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
ee) Verpflichtete des Art. 12 Abs. 1 EG An dieser Stelle könnte eingewandt werden, dass Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte und Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls durch die Mitgliedstaaten, im Falle der Wahlakte auf der Grundlage eines Ratsbeschlusses306, als Primärrecht erlassen wurden. Zwar werden die Mitgliedstaaten grundsätzlich als Verpflichtete des Art. 12 Abs. 1 EG angesehen307. Es stellt sich aber die Frage, ob die Mitgliedstaaten an das Diskriminierungsverbot auch dann gebunden sind, wenn sie Primärrecht erlassen308. Diese Frage überschneidet sich mit der allgemein zu untersuchenden Frage des Rangverhältnisses zwischen den fraglichen statusbezogenen Rechtsvorschriften und den Grundsätzen der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie des Diskriminierungsverbots309. Nur bei der Bejahung eines Rangverhältnisses sind die Mitgliedstaaten bei der Schaffung neuen Primärrechts an das Diskriminierungsverbot gebunden. Auch bei Verneinung eines Rangverhältnisses wäre aber im Falle des Nichtvorliegens einer Rechtfertigung für den Eingriff in das Diskriminierungsverbot jedenfalls ein Wertungswiderspruch zu bejahen310, wenn auch der Eingriff in diesem Fall nicht als unzulässig bzw. rechtswidrig zu werten wäre. Es kann daher an dieser Stelle zunächst mit der Prüfung des Art. 12 Abs. 1 EG fortgeschritten werden. b) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Die festgestellte Ungleichbehandlung könnte gerechtfertigt sein. Ausgehend von der Formulierung des Art. 12 Abs. 1 EG, wonach „jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit“ verboten ist, ist es allerdings umstritten, ob Art. 12 Abs. 1 EG ein absolutes Verbot in dem Sinne beinhaltet, dass eine Rechtfertigung immer ausgeschlossen ist, oder ob er als relatives Verbot Rechtfertigungsgründe zulässt. Diese Frage muss entschieden werden, bevor im Anschluss daran das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes untersucht werden kann.
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Siehe zum verfahrensmäßigen Zustandekommen der Wahlakte unten S. 200 f. v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 28; Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EG Rn. 43; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 22; Kischel, EuGRZ 1997, 1, 6; Rossi, EuR 2000, 197, 215; Zuleeg, in: GTE, Art. 6 Rn. 17. 308 Derart wird in der Literatur nicht ausdrücklich differenziert. Es ist aber davon auszugehen, dass sich die grundsätzliche Bejahung der Verpflichtung der Mitgliedstaaten nur auf die nationale Gesetzgebung der Mitgliedstaaten bezieht. 309 Siehe dazu ausführlich unten S. 199 ff. 310 Siehe dazu oben S. 120 und unten S. 223 ff. 307
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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aa) Absolutes oder relatives Diskriminierungsverbot? In der Rechtsprechung des EuGH lässt sich diesbezüglich eine differenzierende Beurteilung feststellen: Während der EuGH bei unmittelbaren Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit Art. 12 Abs. 1 EG als absolutes Diskriminierungsverbot wertet und keine Rechtfertigung zulässt311, sieht er Art. 12 Abs. 1 EG bei mittelbaren Diskriminierungen als relatives Diskriminierungsverbot und eine Rechtfertigung als möglich an312. Folgt man dieser Rechtsprechung, so wäre vorliegend eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung möglich, da es sich um eine mittelbare Diskriminierung handelt. Zwar finden sich in der Literatur im Anschluss an die Entscheidung Hochstrass313 des EuGH, die dahingehend verstanden wird, dass Art. 12 Abs. 1 EG eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes und damit einer Rechtfertigung grundsätzlich zugänglich sei, Stimmen, die Art. 12 Abs. 1 EG sowohl für unmittelbare als auch für mittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit als relatives Diskriminierungsverbot werten und eine Rechtfertigung immer für möglich halten314. Ein großer Teil der Literatur stimmt dem EuGH aber darin zu, dass 311 Eine ausdrückliche und eindeutige Aussage des EuGH findet sich zwar nicht. Der EuGH hat aber in vielen Entscheidungen zu unmittelbaren Diskriminierungen unterlassen, das Vorliegen rechtfertigender objektiver Umstände zu prüfen. Siehe beispielsweise Rs. C-43/95, Data Delecta/MSL Dynamics, Slg. 1996, I-4661, 4676 f. Rn. 16 ff.; Rs. C-203/98, Kommission/Belgien, Slg. 1999, I-4899, 4910 f. Rn. 11 ff.; Rs. C-172/98, Kommission/Belgien, Slg. 1999, I-3999, 4009, Rn. 13 f.; Rs. C-184/99, Grzelczyk/Centre public d’aide sociale, Slg. 2001, I-6193, 6242 ff. Rn. 30 ff. Siehe Epiney, in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EG Rn. 39 m. w. N. Nicht eindeutig ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung EuGH, Rs. 147/79, Hochstrass, Slg. 1980, 3005, 3019 Rn. 7, wonach das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit lediglich eine besondere Ausformung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes darstelle. Der EuGH stellt im Anschluss fest, „danach dürften vergleichbare Lagen nicht unterschiedlich behandelt werden, soweit eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist.“ Problematisch ist auch die Entscheidung Rs. C-122/96, Saldanha, Slg. 1997, I-5325, 5345 f. Rn. 26 ff., in der der EuGH im Zusammenhang mit einer Vorschrift, die „offensichtlich (. . .) eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit“ darstellt, die Frage einer möglichen Rechtfertigung prüft. 312 Siehe EuGH, Rs. C-398/92, Mund & Fester/Hatrex, Slg. 1994, I-467, 479, Rn. 16 f.; Rs. C-29/95, Pastoors, Slg.1997, I-300, 307 Rn. 19; Rs. C-274/96, Bickel, Slg. 1998, I-7637, 7658 Rn. 27. 313 Siehe EuGH, Rs. 147/79, Hochstrass, Slg. 1980, 3005, 3019 Rn. 7. 314 Ehlers, NVwZ 1990, 810, 811 m. w. N.; ausführlich Epiney, S. 94 ff. m. w. N., insbesondere S. 98; Kapteyn/Verloren van Themaat, S. 169 f.; Oppermann, Bildungsordnung, 52 f.; Zuleeg, in: GTE, Art. 6 Rn. 3. Siehe auch Rossi, EuR 2000, 197, 211 ff., der sich gegen eine Differenzierung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen und für ein für alle Bereiche geltendes Verständnis des
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Art. 12 Abs. 1 EG jedenfalls bei unmittelbaren Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit ein absolutes Diskriminierungsverbot darstellt und eine Rechtfertigung derartiger Diskriminierungen ausgeschlossen ist. Uneinigkeit besteht in dieser Gruppe nur darin, ob dem EuGH darin gefolgt werden kann, dass Art. 12 Abs. 1 EG bei mittelbaren Diskriminierungen als relatives Rechtfertigungsverbot zu werten ist. Zum Teil wird dem EuGH gefolgt und eine Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen als möglich erachtet315. Andere werten Art. 12 Abs. 1 EG insgesamt und damit auch bei mittelbaren Diskriminierungen als absolutes Diskriminierungsverbot316. Diese Autoren sehen zwar das Bedürfnis, bei mittelbaren Diskriminierungen aufgrund der notwendigen Feststellung der Vergleichbarkeit mit unmittelbaren Diskriminierungen weitere rechtliche Erwägungen und eine umfassendere Würdigung des Sachverhaltes vorzunehmen317. Geprüft werde dabei aber nicht die allgemeine Rechtfertigung einer Diskriminierung, sondern nur, ob das Merkmal der fraglichen Maßnahme mit dem Merkmal der Staatsangehörigkeit vergleichbar ist. Eine Regelung mit einer mittelbaren Diskriminierung liege danach nur dann vor, wenn das Differenzierungskriterium zu dem gleichen Ergebnis führe, wie eine explizit an das Staatsangehörigkeitskriterium anknüpfende Regelung. Dies sei allerdings nicht der Fall, wenn für die Unterscheidung nach diesem Kriterium eine objektive Rechtfertigung bestehe318. Da es im praktischen Ergebnis auf dasselbe hinauslaufen dürfte, ob bei Vorliegen objektiver Gründe eine Rechtfertigung bejaht wird oder das Vorliegen einer Diskriminierung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 EG verneint wird319, sprechen damit nur rein dogmatische Gründe für das Vorziehen der Prüfung von objektiven Gründen in den Tatbestand. Auch nach letzterer, ein absolutes Diskriminierungsverbot annehmender Ansicht muss bei der hier gegebenen mittelbaren Diskriminierung das Vorliegen von objektiven Gründen, die für die Ungleichbehandlung sprechen, untersucht werden. Da es sowohl dem üblichen Prüfungsaufbau bei der UnArt. 12 Abs. 1 EG als relatives Diskriminierungsverbot ausspricht. Er begründet dies insbesondere damit, dass nur eine grundsätzliche Rechtfertigungsmöglichkeit es erlaube, die besonderen Umstände des Einzelfalls hinreichend zu würdigen, denn zwingende Ausnahmegründe seien bei jedem verbotenen Merkmal denkbar. Ähnlich Kischel, in: EuGRZ 1997, 1, 5, der eine Rechtfertigungsmöglichkeit auch bei „kategorischen Differenzierungsverboten“ (unter Verweis auf die diesbezügliche Wortschöpfung durch Dürig, in: M/D, Art. 3 Abs. 2 Rn. 2) annimmt, an die jedoch ein strengerer Maßstab anzusetzen sei als beim allgemeinen Gleichheitssatz. 315 Vgl. Arnull, S. 273 f. 316 Feige, S. 44 ff.; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 53 ff.; Reitmaier, S. 34 ff. Im Ergebnis auch v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 25 f. 317 So v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 25. 318 So Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 53; Reitmaier, S. 43. 319 Dies erkennt auch Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 55.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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tersuchung von diskriminierenden Vorschriften als auch der Rechtsprechung des EuGH, der ihm zustimmenden Literatur und der generell ein relatives Diskriminierungsverbot annehmenden Literatur entspricht, das Vorliegen solcher objektiver Gründe im Rahmen der Rechtfertigung zu untersuchen, wird im Folgenden an dieser Prüfungsstruktur festgehalten. Die Frage, ob es sich bei Art. 12 Abs. 1 EG um ein absolutes oder relatives Diskriminierungsverbot handelt, muss daher für die hier vorliegende mittelbare Diskriminierung nicht entschieden werden. bb) Objektive Rechtfertigung? Eine Typisierung möglicher Rechtfertigungsgründe für Ungleichbehandlungen nach Art. 12 Abs. 1 EG gibt es nicht und wäre auch nicht opportun320. Der EuGH verneint in ständiger Rechtsprechung eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 EG, wenn die ungleiche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte objektiv gerechtfertigt ist321. Eine solche objektive Rechtfertigung hat das EuG in der Entscheidung Martinez für die Unterscheidung zwischen zwei Gruppen von Abgeordneten des Europäischen Parlaments wegen der „Verfolgung berechtigter Ziele“ angenommen322. Die in Frage stehende Differenzierung erfolgte aufgrund von Art. 29 Abs. 1 i.V. m. Art. 30 GO-EP zwischen Abgeordneten, die einer Fraktion angehören, und fraktionslosen Abgeordneten. Als derartiges berechtigtes Ziel qualifiziert das EuG beispielsweise „die wirksame Organisation der Tätigkeit und der Verfahren dieses Gemeinschaftsorgans [des Parlaments], um insbesondere die Formulierung gemeinsamer politischer Auffassungen und die Erzielung von Kompromissen zu ermöglichen“323. Fraglich ist, ob für die hier vorliegenden Unterschiede in der Behandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Immunitäts- und Inkompatibilitätsfragen die „Verfolgung berechtigter Ziele“ bejaht werden kann. Ein derartiges berechtigtes Ziel könnte zunächst darin zu sehen sein, dass durch die derzeitige Regelung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments sichergestellt ist, dass die Behandlung der Mitglieder dieses Parlaments derjenigen der Mitglieder der jeweiligen nationalen Parla320
Vgl. Rossi, EuR 2000, 197, 214. Siehe z. B. EuGH, Rs. 106/83, Sermide, Slg. 1984, 4209 Rn. 28; Rs. C-174/ 89, Hoche, Slg. 1990, I-2681, 2710 Rn. 25; EuG, verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II-2823, 2887 f. Rn. 150. 322 EuG, verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II2823, 2888 Rn. 152. Zu der Entscheidung Martinez siehe auch die Anmerkung von Alemanno, RDUE 2001, 1014 ff. 323 EuG, verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II2823, 2886 Rn. 146 – Hervorhebung durch die Verfasserin. 321
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mente entspricht324. So wird ein in Deutschland gewählter Abgeordneter des Europäischen Parlaments in Immunitäts- und Inkompatibilitätsfragen im Wesentlichen wie ein Abgeordneter des Deutschen Bundestags behandelt. Da die jeweiligen Statusregelungen für die Mitglieder der nationalen Parlamente sich aufgrund unterschiedlicher historischer parlamentarischer Entwicklungen unterscheiden und eine Angleichung dieser Regelungen nicht absehbar ist, führt die Anlehnung der Statusregelungen der Mitglieder des Europäischen Parlaments an die der Mitglieder der nationalen Parlamente automatisch zu der dargestellten Ungleichbehandlung der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Der Wunsch der Gleichbehandlung der Mitglieder des Europäischen Parlaments mit den jeweiligen Mitgliedern der nationalen Parlamente lässt sich insbesondere mit der Entwicklung des Europäischen Parlaments erklären. Bis zur Einführung der Direktwahl war diese Form der Gleichbehandlung mit den Mitgliedern der nationalen Parlamente schon dadurch sichergestellt, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments Entsandte der nationalen Parlamente waren und damit ein obligatorisches Doppelmandat ausfüllten. Der Wunsch nach Gleichbehandlung der Mitglieder des Europäischen Parlaments mit den Mitgliedern der jeweiligen nationalen Parlamente stellt aber kein berechtigtes Ziel dar, welches die Ungleichbehandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments untereinander rechtfertigen könnte. Zunächst ist festzustellen, dass durch die Einführung der Direktwahl und der damit bedingten Abschaffung des obligatorischen Doppelmandats das Europäische Mandat der Abgeordneten des Europäischen Parlaments eine eigene, von den nationalen Parlamenten unabhängige Legitimierung erhalten hat. Das Europäische Mandat hat sich durch die Einführung der Direktwahl und die immer weiter zunehmenden Kompetenzen des Europäischen Parlaments im gemeinschaftsrechtlichen Rechtsetzungsprozess von den nationalen Parlamenten weitgehend losgelöst. Hiergegen kann auch nicht das nach wie vor mögliche fakultative Doppelmandat vorgebracht werden, denn dieses spielt in der Praxis eine begrenzte Rolle325. Eine Gleichbehandlung der Mitglieder des Europäischen Parlaments mit den Mitgliedern der jeweiligen nationalen Parlamente erscheint danach aufgrund der Loslösung des Europäischen Mandats von den 324
Diese Zielsetzung ist dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für das EuAbgG zu entnehmen, siehe BT-Drs. 8/362, S. 2 und 6. Vgl. auch Leopold, ELRev. 1981, 275, 276, die es für verständlich hält, wenn es als wichtig erachtet wird, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments nicht weniger Rechte haben als ihre Kollegen in den jeweiligen nationalen Parlamenten. 325 Dies betont auch Jeuniaux, S. 304, die insbesondere aus diesem Aspekt die Eigenständigkeit des Europäischen Mandats herleitet. Näheres zum Doppelmandat und dessen praktischer Relevanz siehe oben S. 80 ff. Zu der vorgesehenen Abschaffung des Doppelmandats durch die vom Rat beschlossene Neufassung der Wahlakte siehe unten S. 233.
A. Beeinträchtigung des Primärrechts
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nationalen Parlamenten nicht mehr erstrebenswert326. Zudem führt die dadurch bedingte Ungleichbehandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments untereinander zu einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments327. Dadurch wird deutlich, dass die vom EuG als Differenzierungen zwischen den Abgeordneten rechtfertigende Zielsetzung anerkannte „wirksame Organisation der Tätigkeit und der Verfahren“ des Europäischen Parlaments vorliegend nicht erreicht, sondern sogar erheblich erschwert wird. Bei derart schwerwiegenden Rechtsfolgen lässt sich die Ungleichbehandlung der Abgeordneten nicht durch den in erster Linie historisch bedingten, heute nicht mehr überzeugenden Wunsch nach Gleichbehandlung mit den Abgeordneten der nationalen Parlamente rechtfertigen. Eine Rechtfertigung kann ebenfalls nicht darin gesehen werden, dass auch beim Wahlverfahren und bei der Sitzverteilung keine Gleichheit der Bürger der Europäischen Gemeinschaft besteht328, denn die Verpflichtung, die Gleichheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments zu garantieren, bleibt davon unberührt329. Es kann nicht zulässig sein, eine Ungleichbehandlung mit einer anderen Ungleichbehandlung zu begründen. Eine Rechtfertigung der ungleichen Inkompatibilitätsregelungen könnte darin gesehen werden, dass aufgrund der Unterschiede im Staatsaufbau der Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments ausschließlich durch den Verweis auf nationale Inkompatibilitätsregelungen, die auf den jeweiligen Staatsaufbau abgestimmt sind, erreicht werden könnte. So erklärt sich beispielsweise die in § 22 Abs. 2 Nr. 12 EuWG normierte Unvereinbarkeit mit einer Mitgliedschaft in einer Landesregierung durch den föderalen Staatsaufbau in Deutschland. Die Unabhängigkeit der Abgeordneten ließe sich aber auch durch eine einheitliche gemeinschaftsrechtliche Inkompatibilitätsregelung erreichen, die etwa eine Unvereinbarkeit mit „der Mitgliedschaft in einer Landes-, Regional- oder 326 Die von Jeuniaux, S. 304, zitierte Argumentation einiger Mitgliedstaaten, eine unterschiedliche Ausgestaltung des europäischen Mandats vom nationalen Parlamentsmandat sichere dem Europäischen Mandat eine zu große Autonomie, läuft daher heute aufgrund der – trotz des sich in weiten Teilen nach nationalem Recht richtenden Status der Abgeordneten bestehenden – Eigenständigkeit des Europäischen Mandats ins Leere. 327 Siehe zur Beeinträchtigung der Unabhängigkeit oben S. 150 ff. und der Funktionstauglichkeit oben S. 175 ff. 328 Dies scheint durch Nallet, S. 18, in Erwägung gezogen zu werden, wenn er die Frage aufwirft, ob eine Harmonisierung der Abgeordnetenentschädigungen verfrüht ist, solange kein einheitliches Wahlverfahren besteht. Eine vollständige Gleichheit beim Wahlverfahren wird auch durch die vorgesehene Neufassung der Wahlakte nicht erreicht, siehe dazu oben 1. Teil Fn. 57. 329 Vgl. Bieber, EuR 1981, 124, 127; Jacqué u. a., S. 71; Jeuniaux, S. 298.
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einer sonst vergleichbaren Regierung“ normierte330. Eine derartige Regelung hätte den Vorteil, für alle Mitglieder des Europäischen Parlaments einheitlich zu gelten, auch wenn sie konkret nur für Abgeordnete aus einigen Mitgliedstaaten mit einem derartigen föderalen Aufbau einschlägig wäre. Es erscheint durchaus möglich, auf diese Art und Weise einen umfassenden gemeinschaftsrechtlichen, für alle Abgeordneten einheitlich geltenden Inkompatibilitätskatalog aufzustellen331. Die Sicherung der Unabhängigkeit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments kann daher nicht nur durch den Verweis auf die nationalen Inkompatibilitätsregelungen erreicht werden, eine gemeinschaftsrechtliche Regelung wäre vielmehr vorzugswürdig. Eine Rechtfertigung ist daher nicht gegeben. Es ist kein berechtigtes Ziel ersichtlich, das zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments herangezogen werden könnte332. cc) Exkurs: Vergleich mit deutschem Verfassungsrecht Dieses Ergebnis könnte durch einen Vergleich mit der Bewertung von Ungleichbehandlungen von Abgeordneten nach deutschem Verfassungsrecht bestätigt werden. (1) Grundsatz der formalisierten Gleichheit Für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags gilt der Grundsatz der formalisierten Gleichheit333. Das BVerfG hat dazu festgestellt, das Grundgesetz kenne im Wahlrecht und im Parlamentsrecht keine für den Status des 330 Als Beispiel für eine derartige Norm kann § 22 Abs. 2 Nr. 15 EuWG dienen, wonach ein Abgeordneter die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament bei „Übernahme des Amtes des Staatsoberhauptes, eines Richter des Verfassungsgerichts, des Mitglieds einer deutschen Landesregierung vergleichbaren Regierung sowie Übernahme des einem Parlamentarischen Staatssekretär in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Amtes in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft“ verliert. 331 Hiervon geht auch Jeuniaux, S. 302 ff., aus. 332 Auch das House of Lords, S. 17, sieht eine Rechtfertigung der unterschiedlichen Reichweite der Immunität als nicht möglich an. Das House of Lords stellt dies in genereller Art und Weise, ohne Bezug zu einem bestimmten Grundsatz, etwa zu dem des Diskriminierungsverbotes, fest. Ähnlich Jeuniaux, S. 304. 333 BVerfGE 40, 296, 317 f. („Diätenurteil“); 102, 224, 239; zustimmend: Badura, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 15 Rn. 16, 58; Birk, NJW 1988, 2521; Häberle, NJW 1976, 537, 538 f.; Klein, in: M/D, Art. 48 Rn. 169; Magiera, in: Sachs, Art. 48 Rn. 21; Morlok, in: Dreier, Art. 38 Rn. 152; Schneider, in: AK, Art. 38 Rn. 19; Welti, S. 33.
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Abgeordneten erheblichen, besonderen, in seiner Person liegenden Umstände, die eine Differenzierung innerhalb des Status rechtfertigen könnten334. Begründet wird dies zunächst damit, dass alle das Volk bildenden Individuen bei der Ausübung ihrer Rechte zunächst gleich sind, so dass dies auch für die von ihnen gewählten Abgeordneten gelten müsse335. Abgestellt wird auf die in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG garantierte Wahlrechtsgleichheit336. Sie bestimme auch das Verhältnis der Abgeordneten zueinander, so dass diese gleich behandelt werden müssen, weil die Wähler nicht nur einen Anspruch darauf haben, dass sich ihre Stimmen in gleicher Weise bei der Wahl der Vertreter auswirken, sondern auch darauf, dass die Vertreter ihres Vertrauens in gleicher Weise die Chance haben, in den politischen Prozess einzugreifen und die Abgeordnetenrechte zu nutzen337. Schließlich wird Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG herangezogen, denn der in dieser Norm gewährleistete repräsentative Status der Abgeordneten umfasse das Recht auf gleiche Teilhabe am Prozess der parlamentarischen Willensbildung338. Eine Ungleichbehandlung wird nur als gerechtfertigt angesehen, wenn ein zwingender Grund für sie besteht339. Genannt werden die Struktur der Abgeordnetentätigkeit340, die Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments oder der Schutz vorrangiger Verfassungsgüter341. Diese strenge Gleichheit wird als notwendig erachtet, da nur sie die Abgeordneten legitimiere, dem allgemeinen Gleichheitssatz in der Gesetzgebung Geltung zu verleihen342. Zwar wird im parlamentarischen Bereich unter politischer Gleichheit vor allem das Recht auf gleiche parlamentarische Mitwirkungsrechte verstanden343. Das BVerfG hat im Diätenurteil die formale Gleichheit aber auf den gesamten Status des Abgeordneten bezogen und ist insbesondere auf die Abgeordnetenentschädigung eingegangen.
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BVerfGE 40, 296, 317 f. („Diätenurteil“). Badura, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 15 Rn. 16; Böckenförde, in: HdbStR, § 22 Rn. 45; Meyer, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 4 Rn. 122; Welti, S. 33. 336 BVerfGE 40, 296, 317 f. („Diätenurteil“); 102, 224, 238; Birk, NJW 1988, 2512; Demmler, S. 136 ff.; Welti, S. 31 ff.; ders., DÖV 2001, 705, 706. 337 Welti, S. 33. 338 BVerfGE 96, 264, 278; 102, 224, 238; Demmler, S. 141 ff.; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 38 Rn. 93; Rau, JuS 2001, 755, 758. 339 Böckenförde, in: HdbStR, § 22 Rn. 43; Welti, S. 34. 340 Klein, in: M/D, Art. 48 Rn. 170; Welti, S. 34. 341 Badura, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 15 Rn. 16; Morlok, in: Dreier, Art. 38 Rn. 157. 342 Welti, S. 34. 343 Birk, NJW 1988, 2521, 2522. 335
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(2) Anwendung auf die Abgeordnetenentschädigung Das BVerfG hat entschieden344, dass jedem Abgeordneten eine gleich hoch bemessene Entschädigung zusteht, unabhängig davon, ob die Inanspruchnahme durch die parlamentarische Tätigkeit größer oder geringer ist und ob der individuelle finanzielle Aufwand oder das berufliche Einkommen verschieden hoch sind. Ausnahmen ließ das BVerfG in der „Diätenentscheidung“ nur für den Parlamentspräsidenten und seine Stellvertreter zu. In einer neueren Entscheidung hat das BVerfG die Möglichkeit, Funktionszulagen zu gewähren, auf Fraktionsvorsitzende erweitert345, dies jedoch für stellvertretende Fraktionsvorsitzende, parlamentarische Geschäftsführer der Fraktionen und Ausschussvorsitzende verneint, weil dadurch unzulässige Abhängigkeiten und Hierarchien geschaffen würden346. Der Bereich der Abgeordnetenentschädigung hat sich in Deutschland im Laufe der Zeit sehr gewandelt. Ging man früher von einem Honoratiorenabgeordneten aus, der finanziell unabhängig war und zunächst gar nichts und später nur eine Aufwandsentschädigung bekam, so zeichnete das BVerfG 1975 aufgrund der hohen Arbeitsbelastung das Bild eines „full-time-jobs“, der eine Besoldung der Abgeordneten in Form einer vom Aufwand unabhängigen Abgeordnetendiät erforderlich machte347. Bis dahin wurden die Abgeordneten in finanzieller Hinsicht also keinesfalls gleich behandelt, ihre jeweilige finanzielle Situation hing vielmehr ausschließlich davon ab, welche Einkünfte sie unabhängig von ihrem Mandat bezogen. Unabhängig von dem Mandat bezogene Einkünfte führen auch heute noch zu einer uneinheitlichen wirtschaftlichen Situation der Abgeordneten. Durch die Einführung einer gleich hoch bemessenen Entschädigung steht aber allen ein gleicher, die Unabhängigkeit sichernder Grundbetrag zur Verfügung. Eine vollständige Vereinheitlichung der finanziellen Situation der Abgeordneten ist aufgrund der unterschiedlichen familiären, sozialen und beruflichen Hintergründe der einzelnen Abgeordneten zudem weder möglich noch erstrebenswert.
344
BVerfGE 40, 296, 318. („Diätenurteil“). Kritisch bezüglich der Gewährung von Funktionszulagen an die Fraktionsvorsitzenden Lediger, S. 97. 346 BVerfGE 102, 224, 242 ff. Zustimmend zu diesem Urteil Röper, DÖV 2002, 655 ff. m. w. N. Siehe zur Kritik Hölscheidt, S. 616, 619 ff.; Laubach, ZRP 2001, 159 ff.; Kretschmer, ZParl 2000, 787, 788 ff.; Rau, JuS 2001, 755, 757 ff.; Welti, DÖV 2001, 705, 707 ff. Die Kritik bezieht sich im Wesentlichen darauf, dass Funktionszulagen auf die Fraktionsvorsitzenden beschränkt werden. 347 BVerfGE 40, 296, 312 ff. („Diätenurteil“). 345
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(3) Kritik am Grundsatz der formalisierten Gleichheit Das Prinzip der formalisierten Gleichheit der Abgeordneten wird zwar kritisiert, es ist aber zweifelhaft, ob sich diese Kritik auf die Behandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments übertragen lässt. Bezeichnet als „egalitärer Rigorismus“348, wird bezweifelt, dass die formalisierte Gleichheit der Parlamentsarbeit der einzelnen Abgeordneten und einer qualitätsbewussten Zusammensetzung des Parlaments gerecht wird349. Diese Kritik bezieht sich zum einen darauf, dass keine Differenzierung danach möglich sei, inwiefern sich der Abgeordnete engagiert. Die Übernahme eines Mandats bei einheitlicher Diät sei für diejenigen besonders interessant, die vorher weniger „verdient“ haben, und für diejenigen, die vorher besser „verdient“ haben, ein finanzielles Opfer. Befürchtet wird zum anderen, dass die Abgeordneten durch die Diät in ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis gegenüber ihren Parteien geraten könnten, weil sie – auf ihre Abgeordnetendiät finanziell angewiesen – um eine Neuaufstellung bei den nächsten Wahlen bangen müssen350. Bei dieser Kritik geht es zum einen um die Gewährung einer Diät an sich und zum anderen um eine Differenzierung der Höhe nach für besondere Funktionen der Abgeordneten. Eine Differenzierung ähnlich derjenigen nach Wahlkreisen im Europäischen Parlament, etwa nach Regionen, wird auch von den Kritikern nicht angedacht. (4) Schlussfolgerung für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments Zwar ist es fraglich, ob und in wieweit sich die Grundsätze des deutschen Verfassungsrechts direkt auf den Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments übertragen lassen. Zu bedenken ist beispielsweise, dass einer der Begründungsansätze des Grundsatzes der formalisierten Gleichheit der Abgeordneten – die Wahlrechtsgleichheit – auf EU-Ebene aufgrund der sich nicht ausschließlich nach der Bevölkerungsgröße richtenden Kontingentierung der Abgeordnetenmandate nicht verwirklicht ist351. Demgegenüber ist der Begründungsansatz, nur bei einem strengen Gleichheitssatz seien die Abgeordneten legitimiert, dem allgemeinen Gleichheitssatz in der Gesetzgebung Geltung zu verschaffen, durchaus auf das Europäische Parla348
Klein, in: FS Blümel, 225, 231; Linck, JA 1976, 753; Stern, Bd. 1, § 24 S. 1057. 349 Determann, BayVBl. 1997, 385, 387; Linck, JA 1976, 221, 224; Stern, Bd. 1, § 24 S. 1057. 350 Determann, BayVBl. 1997, 385, 387; Schneider, in: AK, Art. 48 Rn. 12; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 48 Rn. 23. 351 Siehe dazu bereits oben S. 130.
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ment übertragbar. Auch ähnelt der Ansatz des EuG in der Entscheidung Martinez, wonach alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments sich in der gleichen Lage im Sinne des Diskriminierungsverbots befinden, weil alle Abgeordneten das Parlaments Träger eines Mandats sind, „das ihnen von der Wählerschaft demokratisch übertragen wurde“ und „auf europäischer Ebene die gleiche Funktion politischer Vertretung“ wahrnehmen352, den Begründungsansätzen für den Grundsatz der formalisierten Gleichheit der Mitglieder des Deutschen Bundestags. Jedenfalls zeigt der Vergleich mit der Bewertung von Ungleichbehandlungen von Abgeordneten nach dem deutschen Verfassungsrecht, dass für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags eine Differenzierung nach dem Kriterium des Wahlkreises als ungerechtfertigter Verstoß gegen den Grundsatz der formalisierten Gleichheit gewertet werden würde. Dies kann als Bestätigung der Feststellung gewertet werden, dass die Ungleichbehandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Inkompatibilitäts- und Immunitätsangelegenheiten nicht gerechtfertigt ist. c) Zwischenergebnis Die Ungleichbehandlung der Abgeordneten in Immunitäts- und Inkompatibilitätsangelegenheiten durch Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte und Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls stellt einen ungerechtfertigten Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG dar353. Ob dieser Verstoß als unzulässig oder lediglich als wertungswidersprüchlich zu qualifizieren ist, hängt allerdings davon ab, wie die Frage des Rangverhältnisses innerhalb des Primärrechts zu beurteilen ist354. 2. Allgemeines Gleichbehandlungsgebot Die Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes, wie sie beispielsweise das EuG in der Entscheidung Martinez vornimmt355, weil dort die Differenzierung der Abgeordneten unabhängig von der Staatsangehörigkeit erfolgt, erübrigt sich vorliegend, da mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 GG ein spezielles Gleichbehandlungsgebot einschlägig ist. 352 EuG, verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II2823, 2888 Rn. 151. 353 Zur Übertragbarkeit dieser Argumentation auch auf die durch Ratsbeschluss vorgesehene geänderte Fassung des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte siehe unten S. 233 ff. 354 Siehe dazu die folgenden Ausführungen unten unter B. 355 EuG, verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II2823, 2887 f. Rn. 150.
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B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts Fraglich ist, welche Rechtsfolge die Beeinträchtigung der primärrechtlichen Maßstäbe der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments und der zum Teil gegebene Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG durch den aktuellen Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments hat. Da der Status auf unterschiedlichen Regelungen beruht, ist wiederum zwischen den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen der Wahlakte und des Protokolls und den rein nationalen Regelungen, die unabhängig von gemeinschaftsrechtlichen Verweisen ergangen sind, zu differenzieren.
I. Beeinträchtigung durch gemeinschaftsrechtliche Regelungen Problematisch ist zunächst die Rechtsfolge der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Parlaments und des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG durch die in der Wahlakte und dem Protokoll enthaltenen Regelungen. Sowohl die Wahlakte als auch das Protokoll sind Teile des gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts356. Es stellt sich die Frage, ob die primärrechtlichen Regelungen überhaupt an primärrechtlichen Maßstäben mit dem Ergebnis gemessen werden können, dass sie sich als vertragswidrig herausstellen. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass die Primärrechtsnormen trotz ihrer unterschiedlichen Rechtsquellen im System des EG-Rechts gegenüber sonstigen Normen den höchsten und untereinander den gleichen Rang einnehmen357 und keinen qualitativen Differenzierungen zugänglich sind358. Sind die Statusregelungen und die besagten primärrechtlichen Maßstäbe danach als ranggleiches Recht anzusehen, so kann das Ergebnis der Prüfung keine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit, sondern nur die Feststellung von Wertungswidersprüchen und Unvereinbarkeiten sein359. 356
Siehe oben S. 119 f. Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 410; Bieber, Verfahrensrecht, S. 241; Streinz, Rn. 347. Heintzen, EuR 1994, 35, 36, sowie Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 15, verweisen darauf, dass dem Völkerrecht eine Hierarchisierung aufgrund der Gleichrangigkeit der Völkerrechtsquellen prinzipiell fremd sei, gleich, ob diese nach Rechtsquellen, dem Inhalt der Rechtsquellen oder nach sonstigen Kriterien gegliedert sei. 358 Oppermann, Rn. 474. 359 Vgl. zu dieser trotz Ranggleichheit bestehenden Möglichkeit Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 21. 357
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
1. Rechtswidrigkeit aufgrund von Nachrangigkeit? Eine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der in der Wahlakte und im Protokoll enthaltenen Statusregelungen kann nur angenommen werden, wenn von dem Grundsatz der Gleichrangigkeit des primären Gemeinschaftsrechts Ausnahmen angenommen werden können und diese in der vorliegenden Konstellation einschlägig sind. In den Gemeinschaftsverträgen sind Hierarchien innerhalb des Primärrechts nicht ausdrücklich vorgesehen. Das Fehlen ausdrücklicher Hierarchien schließt aber nicht aus, dass den Gemeinschaftsverträgen gewisse Rangabstufungen innerhalb des Primärrechts immanent sind. Es kommen zwei Ansätze, eine Nachrangigkeit der Wahlakte und des Protokolls herzuleiten, in Betracht. Zum einen könnten formelle Ansatzpunkte, insbesondere bezüglich des Zustandekommens dieser Regelungen, eine Nachrangigkeit bewirken; zum anderen könnten materielle Aspekte eine Nachrangigkeit implizieren360. a) Formelle Nachrangigkeit Zu differenzieren ist zwischen der Wahlakte und dem Protokoll. aa) Wahlakte Möglicherweise kann die Wahlakte an den genannten primärrechtlichen Grundsätzen gemessen werden, weil sie aus formellen Gründen als diesen gegenüber nachrangiges Recht anzusehen ist. Anhaltpunkte für eine formelle Nachrangigkeit der Wahlakte könnten sich zunächst aus ihrem verfahrensmäßigen Zustandekommen ergeben. Die Wahlakte ist auf der Grundlage der Art. 138 Abs. 3 EWG (heute 190 Abs. 4 EG), Art. 21 Abs. 3 EGKS sowie Art. 108 Abs. 3 EAG ergangen361. Danach hat das Europäische Parlament zunächst einen Entwurf für allgemeine unmittelbare Wahlen nach einem einheitlichen Wahlverfahren erarbeitet. Der Rat erließ anschließend die entsprechenden Bestimmungen362 und empfahl sie den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtli360 Jacot-Guillarmod, in: FS Aubert, 41, schlägt eine derartige Unterscheidung von „hiérarchie formelle“ und „hiérarchie materielle“ vor. So auch Aubert, ZSchwR 1974 II, 193, 198. Auch Hofmann, S. 81 ff., unterscheidet materielle und formelle Kriterien der Hierarchisierung des gemeinschaftlichen Primärrechts. 361 Der Ratsbeschluss zur Änderung der Wahlakte ist auf der Grundlage von Art. 190 Abs. 4 EG sowie Art. 108 Abs. 3, 4 EAG ergangen, vgl. ABl. 2002 L 283/ 1. Änderungen gegenüber den nachfolgenden Ausführungen ergeben sich nicht. 362 Art. 190 Abs. 4 EG sieht erst seit Einführung des Maastrichter Vertrages eine Zustimmung des Parlaments vor.
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chen Vorschriften. Erst durch die Annahme durch die Mitgliedstaaten wurden die Vorschriften wirksam. Dieses Verfahren wird auch als „vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren“ oder „halbautonomes“ Verfahren bezeichnet363, weil – anders als im normalen Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 EU – die Regierungskonferenz durch den Ratsbeschluss ersetzt wird. Zwar haben die Mitgliedstaaten aufgrund des Annahme-Erfordernisses die Letztentscheidungskompetenz über die Wahlakte; da das Initiativrecht für derartige Beschlüsse aber beim Europäischen Parlament liegt und die Mitgliedstaaten über einen Beschluss des als Gemeinschaftsorgan handelnden Rats entscheiden, hat das Verfahren auch deutliche gemeinschaftsrechtliche Aspekte364. Die Mitgliedstaaten sind hier in die Rechtsetzung innerhalb des EG-Vertrags einbezogen; sie schaffen innerhalb des vertraglichen Rahmens neues Primärrecht365. Da sie dabei auf der Rechtsgrundlage von Art. 190 Abs. 4 EG, Art. 21 Abs. 3 EGKS sowie Art. 108 Abs. 3 EAG handeln366, erscheint es naheliegend, dass die Wahlakte sich grundsätzlich an den Vorschriften der Verträge messen lassen muss und damit kein gleichwertiges Primärrecht darstellen kann367. Dies wird durch einen Vergleich mit den Abkommen der Gemeinschaft nach Art. 300 EG bestätigt, die von der herrschenden Lehre seit langem zwischen dem primären und sekundären Gemeinschaftsrecht eingestuft werden368. Begründet wird dies – auf die Wahlakte übertragbar – unter anderem damit, dass Abkommen, die auf der Grundlage des EG-Vertrags geschlossen sind, normhierarchisch unter ihm stehen müssen369. Ein weiterer Vergleich mit der Frage der Rechtsnatur von Gemeinschaftskon363 Herrnfeld, in: Schwarze, Art. 48 EU Rn. 11; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 22. Siehe auch Lenz, S. 59 Fn. 88 m. w. N., 106. 364 Auch Lenz, S. 59, weist darauf hin, dass das Verfahren gegenüber der allgemeinen Vertragsänderung deutlich stärker gemeinschaftsrechtlich geprägt sei. 365 Darauf verweist v. Arnauld, EuR 2003, S. 191, 195 ff., und zieht daraus den Schluss, dass dieses Primärrecht sich am sonstigen Primärrecht messen lassen müsse. Vgl. auch GA Darmon, Rs. C-41/92, The Liberal Democrats/Europäisches Parlament, Slg. 1993, I-3153, 3167 Rn. 51, wonach es sich beim Verfahren zum Erlass eines einheitlichen Wahlverfahrens um ein besonderes Verfahren handele, „bei dem es gleichzeitig um die Durchführung und die Änderung (des) EWG-Vertrag(es) geht“ – Hervorhebungen im Original. 366 In der Präambel des Beschlusses zur Einführung der Direktwahlen werden ausdrücklich Art. 138 Abs. 3 EWG (heute 190 Abs. 4 EG), Art. 21 Abs. 3 EGKS sowie Art. 108 Abs. 3 EAG als Rechtsgrundlagen aufgeführt. Zu der Frage, ob dies die alleinigen Rechtsgrundlagen waren, siehe ausführlich Lenz, S. 95 ff. 367 Vgl. Lenz, S. 97. 368 Constantinesco, Rn. 125; Hofmann, S. 96; Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 46 m. w. N.; ders., in: Schwarze, Art. 300 EG Rn. 51; Lenz, S. 105; Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, Art. 300 EG Rn. 77; Vedder, in: Grabitz/Hilf, Art. 228 EG Rn. 53. 369 Constantinesco, S. 219.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
ventionen nach Art. 293 EG macht deutlich, dass auch diese zumindest von einem Teil der Lehre als gegenüber den Gemeinschaftsverträgen rangniedrigeres Recht und gegenüber dem nur von den Gemeinschaftsorganen erlassenen Sekundärrecht aufgrund der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten als ranghöheres Recht eingestuft werden370. Begründet wird dies damit, dass die Übereinkommen ihre kompetenzrechtliche Grundlage in Art. 293 EG hätten371 und zur Ausführung und nicht zur Änderung der Verträge und ihrer Ziele i. S. d. Art. 48 EU geschlossen werden372. Diese Vergleiche machen zweierlei deutlich: Zum einen kann in der gemeinschaftsrechtlichen Hierarchie ein gewisser „Zwischenrang“ zwischen Primär- und Sekundärrecht angenommen werden. Zum anderen zeigt der Vergleich mit den Gemeinschaftskonventionen nach Art. 293 EG, dass das Erfordernis der Annahme bzw. Ratifikation373 durch die Mitgliedstaaten die Einordnung einer Norm zwischen dem Primär- und Sekundärrecht nicht ausschließt. Die Tatsache, dass die Wahlakte auf der Grundlage von Art. 190 Abs. 4 EG, Art. 21 Abs. 3 EGKS sowie Art. 108 Abs. 3 EAG ergangen ist, kann daher als starker Anhaltspunkt dafür gewertet werden, dass die Vertragsvorschriften Vorrang gegenüber der Wahlakte beanspruchen können374. Die Annahme einer solchen Zwischenrangstufe für die Wahlakte korrespondiert mit dem bei annahmebedürftigen Ratsbeschlüssen anzuwendenden Rechtsetzungsverfahren375: Denn dieses als „halbautonom“ bezeichnete Verfahren kann mit seinen sowohl mitgliedstaatlichen als auch stark gemeinschaftsrechtlichen Aspekten zwischen dem von den Gemeinschaftsorganen autonom erlassenen Sekundärrecht und dem Primärrecht, bei dessen
370 Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 91 ff.; Pescatore, S. 143 f.; Schwartz, in: FS Grewe, 551, 600; ders., in: GTE, Art. 220 Rn. 8, 47 m. w. N., sogar von einem Vorrang gegenüber dem sekundären Gemeinschaftsrecht ausgehend; Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 130 f. m. w. N. 371 Wuermeling, S. 130 m. w. N. 372 Siehe Schwartz, in: GTE, Art. 220 Rn. 29. 373 Lenz, S. 102, verweist zutreffend darauf, dass die Beschlüsse nach Art. 190 Abs. 4 EG mangels Vertragseigenschaft nicht ratifikationsfähig sind, weshalb sie von den Mitgliedstaaten nach den jeweiligen Verfassungsvorschriften „angenommen“ werden müssen. 374 So mit ausführlicher Begründung Lenz, S. 95 ff. Vgl. auch Verheugen, ZG 1993, 162, 165, der Regelungen, die durch den Beschluss eines Gemeinschaftsorgans und unter Annahme durch die Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften, generell als eine Art dritte Kategorie zwischen primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht qualifiziert. A. A. wohl Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, Art. 269 EG Rn. 3, nach dem es sich bei den auch nach einem „halbautonomen Verfahren“ zustande kommenden Eigenmittelbeschlüssen um Gemeinschaftsrechtsakte eigener Art mit der Wirkung primären Gemeinschaftsrechts handele. 375 Darauf verweist Lenz, S. 105 f.
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Erlass mit der Regierungskonferenz und der Ratifikation durch die Parlamente mitgliedstaatliche Organe dominieren, eingeordnet werden. Des Weiteren kann die Wahlakte aufgrund einiger Anhaltspunkte als eine „Durchführungsvorschrift“ des Art. 190 Abs. 4 EG angesehen werden. Zunächst zeigt die Entstehungsgeschichte, dass der Rat, der in Art. 14 der Wahlakte die Abs. 1 und 2 der Art. 138 EWG, 21 EGKS und 108 EAG gestrichen hat, die jeweiligen dritten Absätze mit dem Auftrag zur Einführung einheitlicher Wahlen aber belassen hat, die Wahlakte nur als vorläufige Durchführung der vertraglichen Vorgaben verstanden hat376. Zudem verweist Art. 7 Abs. 1 der Wahlakte, der die Ausarbeitung eines einheitlichen Wahlsystems vorsieht, ausdrücklich auf Art. 138 Abs. 3 EWG und insbesondere auf das dort geregelte Verfahren für den Erlass eines einheitlichen Wahlverfahrens377. Dies kann als Ausdruck dafür gewertet werden, dass die gesamte Wahlakte unter dem Regime der Gemeinschaftsverträge steht378. Bestätigt wird diese Interpretation durch den aufgrund des Maastrichter Vertrags neu eingeführten, das Wahlrecht der Unionsbürger regelnden Art. 19 Abs. 2 EG, der die Formulierung „Unbeschadet des Art. 190 Abs. 4 EG und der Bestimmungen zu dessen Durchführung (. . .)“379 enthält, womit nur der Beschluss zur Einführung der Direktwahl und die Wahlakte gemeint sein können. Es fällt schwer, Bestimmungen, die nach dem Wortlaut des Vertrags ausdrücklich vertragliche Vorgaben lediglich durchführen, als diesen vertraglichen Vorschriften rechtlich gleichwertig anzusehen380. Im gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht ist vielmehr ein Rangverhältnis zwischen Grundverordnung und Durchführungsvorschrift anerkannt381. Der Wortlaut des Vertrags legt nahe, diese Konzeption von 376 Ausführlich dazu Lenz, S. 92 f. Deutlich wird dies auch durch den Art. 7 Abs. 2 der Wahlakte, der „bis zum Inkrafttreten eines einheitlichen Wahlverfahrens und eines auf gemeinsamen Grundsätzen beruhenden Verfahrens“ für das Wahlverfahren auf die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften verweist. 377 Art. 7 Abs. 1 soll nach dem Ratsbeschluss zur Neufassung geändert und die zitierte Passage gestrichen werden, vgl. dazu ABl. 2002 L 283/1. Siehe zu der Neufassung des Art. 7 der Wahlakte unten S. 233 ff. 378 So Lenz, S. 95. 379 Hervorhebung durch die Verfasserin. 380 Lenz, S. 89 f., lehnt die Annahme einer Gleichwertigkeit ausdrücklich ab. 381 Vgl. Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 457; Bieber/Salomé, CMLR 1996, 907, 920; Biervert, in: Schwarze, Art. 249 EG Rn. 10; Gaudin, RTDE 1999, 1, 4 m. w. N., 13; Lenz, S. 99; Magiera, Integration 1995, 197, 200; Oppermann, Rn. 657; Schmidt, in: GTE, Art. 189 Rn. 23. Bestätigt wird dies durch die Rechtsprechung des EuGH, die zwischen Grundverordnungen und Durchführungsverordnungen unterscheidet und nach der Durchführungsvorschriften die Grundverordnungen weder ändern noch inhaltlich von ihnen abweichen dürfen: EuGH, Rs. 25/70, Köster, Slg. 1970, 1161, 1172 Rn. 6 f.; Rs. 38/70, Deutsche Tradax GmbH, Slg. 1971, 145, 155 Rn. 10; ähnlich Rs. 58/70, Compagnie continentale, Slg. 1971, 163, 171 Rn. 9/10;
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Grund- und Durchführungsverordnung auch auf die Wahlakte anzuwenden und einen Vorrang der Vertragsvorschriften anzunehmen. Im Ergebnis kann daher die Wahlakte aus formellen Gründen als im Rang unter den Vorschriften der Verträge, aber über dem sekundären Gemeinschaftsrecht stehend gewertet werden382. bb) Protokoll Fraglich ist, ob auch eine Niederrangigkeit des Protokolls aus formellen Gründen hergeleitet werden kann. Dies wäre dann der Fall, wenn aus ihrer Ausgliederung aus dem Vertrag darauf geschlossen werden könnte, dass Protokolle als eine Art „Primärrecht 2. Klasse“ anzusehen sind und an den Vorgaben des Vertragstextes gemessen werden können. Dies hätte den Vorteil, dass damit der zunehmenden Zersplitterung der Vertragstexte in Vertragsurkunde einerseits und zahlreiche Protokolle und Erklärungen andererseits sowie der Festschreibung von Sonderregelungen für einzelne Mitgliedstaaten in Protokollen Einhalt geboten werden könnte. In dem zunehmenden Gebrauch der Möglichkeit des Beifügens von Protokollen383 wird eine Gefahr für die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts gesehen384, insbesondere aufgrund der dadurch geschaffenen Unübersichtlichkeit und der inneren Widersprüchlichkeit des Gemeinschaftsrechts385. Es wird bemängelt, dass vor allem einige Sonderprotokolle, in denen Ausnahmen zu den Vertragsnormierungen geregelt werden, eine Gefahr für den acquis communautaire darstellen386. Allerdings sind gemäß Art. 311 EG die dem Vertrag im gegenseitigen Einvernehmen der Mitgliedstaaten beigefügten Protokolle „Bestandteil des Rs. C-240/90, Deutschland/Kommission, Slg. 1992, I-5383, 5434 Rn. 36 ff.; Rs. C417/93, Parlament/Rat, Slg. 1995, I-1185, 1219 f. Rn. 30 ff.; Rs. 156/93, Parlament/Kommission, Slg. 1995, I-2019, 2047 Rn. 18. 382 Lenz, S. 99, bezeichnet die Wahlakte daher als „abgeleitetes oder nur formelles Primärrecht“. 383 Heintzen, in: FS Listl, 29, 31, verweist darauf, dass der Amsterdamer Vertrag von Anhängen, Erklärungen, Protokollen und einer Schlussakte umgeben ist, die zusammengenommen länger als der eigentliche Vertragstext sind. Zu den genauen Zahlen siehe Hilf/Pache, NJW 1998, 706. Sauron, Recueil Dalloz 1998 II, chronique, 69, 75, spricht daher von einem „marché aux puces des intérêts nationaux“ („Flohmarkt der nationalen Interessen“). 384 Becker, in: Schwarze, Art. 311 EG Rn. 4; Hilf, in: GTE, Art. 239 Rn. 14. Vgl. auch Curtin, CMLR 1993, 17, 21. 385 Hilf, in: GTE, Art. 239 Rn. 14. 386 Curtin, CMLR 1993, 17, 18, 46 ff., mit einigen Beispielen; Kadelbach, EuR Beiheft 2 1998, 51, 52.
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Vertrags“. Die Einbeziehung der Protokolle in den Vertrag über Art. 311 EG entspricht der völkerrechtlichen Regelung in Art. 2 Abs. 1 lit. a WVRK, wonach ein Vertrag in einer oder in mehreren Urkunden abgefasst werden kann und auch die Bezeichnung einer zwischenstaatlichen Übereinkunft keine Bedeutung hat. Die gemeinschaftsrechtlichen Protokolle werden auf der Grundlage des Art. 311 EG als integrale Bestandteile des EG-Vertrags gewertet387. Die Gründe für die Ausgliederung der Protokolle sind neben zeitlichen und redaktionellen Aspekten darin zu sehen, dass die Ausgliederung institutioneller Einzelregelungen aus dem Vertragstext der Entlastung und der Übersichtlichkeit des Vertrags dienen soll388. Art. 311 macht deutlich, dass die Regelungsgegenstände der Protokolle nach dem gegenseitigen Einvernehmen der vertragschließenden Parteien trotz der systematischen Trennung vom Vertragstext Bestandteile der Verträge werden sollen389. Diese Einbeziehung in den Vertrag macht deutlich, dass die Protokolle zumindest nicht aus formalen Gründen als im Rang unter den Verträgen stehend erachtet werden können390. Für das hier relevante Protokoll über Vorrechte und Befreiungen enthält der Vertrag zusätzlich zu Art. 311 EG391 mit Art. 291 EG eine Sondervorschrift, die ausdrücklich auf das besagte Protokoll verweist. Nach Art. 291 EG genießt die Gemeinschaft „im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten die zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlichen Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe des Protokolls vom 8. April 1965 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften“392. Auch nach dieser Vorschrift wird folglich über einen Verweis, „nach Maßgabe des“, der Inhalt des Protokolls direkt in das Primärrecht inkorporiert393. Diese ausdrückliche Einbe387 Vgl. Hilf, in: GTE, Art. 239 EG Rn. 10; Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, Art. 311 EG Rn. 2. Bestätigt wird diese Annahme durch einen Vergleich mit der englischen bzw. der französischen Fassung des Art. 311 EG, wonach die Protokolle „integral part“ bzw. „partie intégrante“ des Vertrages sind. 388 Vgl. Hilf, in: GTE, Art. 239 Rn. 7; Schmidt, in: GTE, Art. 218 Rn. 3, unter ausdrücklichem Bezug auf das Protokoll über Vorrechte und Befreiungen. 389 Hilf, in: GTE, Art. 239 Rn. 6. 390 So auch Hilf, in: GTE, Art. 239 Rn. 10, nach dem die Protokolle „unter Ausschluss jeder abgestuften Rangordnung“ zu integralen Bestandteilen des Vertrages erklärt werden. Auch Becker, in: Schwarze, Art. 311 EG Rn. 4, sieht eine formale Unterscheidung zwischen Protokollbestimmungen und in der Vertragsurkunde enthaltenen Bestimmungen durch Art. 311 EG ausgeschlossen. 391 Von der Mehrzahl der Autoren wird Art. 311 EG auch auf das Protokoll über Vorrechte und Befreiungen bezogen. Siehe Becker, in: Schwarze, Art. 311 EG Rn. 7; Hilf, in: GTE, Art. 239 Rn. 3; Röttinger, in: Lenz, Art. 311 Rn. 2; Schmidt, in: GTE, Art. 218 Rn. 3; Simon, in: Constantinesco/Jacqué/Kovar/Simon, Art. 239 Rn. 1. A. A. Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, Art. 291 EG Rn. 3. 392 Hervorhebung durch die Verfasserin. 393 Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, Art. 291 EG Rn. 3.
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ziehung des Inhalts des Protokolls über Vorrechte und Immunitäten in den Vertrag kann als zusätzliches Argument für die formale Gleichsetzung des Protokolls mit den Vertragsbestimmungen gewertet werden394. Allein aus ihrem Protokollcharakter kann bei Protokollen, insbesondere beim Protokoll über Vorrechte und Befreiungen, folglich nicht auf einen niedrigeren Rang gegenüber den Normierungen der Gemeinschaftsverträge geschlossen werden395. Eine Hierarchisierung kann daher allenfalls aus materiellen Aspekten folgen396. cc) Zwischenergebnis Während die Wahlakte aus formellen Gründen als gegenüber den Vertragsvorschriften niederrangig angesehen werden kann, ist die Annahme einer solchen auf formellen Aspekten beruhenden Hierarchie zwischen dem Protokoll und den Vertragsvorschriften nicht möglich. b) Materielle Nachrangigkeit Da eine Nachrangigkeit des Protokolls gegenüber den einschlägigen primärrechtlichen Maßstäben nicht aus formellen Aspekten hergeleitet werden kann, stellt sich die Frage, ob eine materielle Nachrangigkeit des Protokolls angenommen werden kann, etwa weil das Protokoll sich an bestimmten grundlegenden Prinzipien der Gemeinschaft messen lassen muss. Dass die Neuregelung der Statusregelungen in Art. 190 Abs. 5 EG durch Sekundärrecht vorgesehen ist397, zeigt, dass es sich inhaltlich um die Regelung von 394
Ähnlich v. Arnauld, EuR 2003, S. 191, 195 ff. So auch v. Arnauld, EuR 2003, S. 191, 195 ff. 396 So auch Becker, in: Schwarze, Art. 311 EG Rn. 4, wenn er die Möglichkeit einer über die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrecht hinausgehenden Hierarchisierung von Gemeinschaftsverfassungsnormen nur in der Unterscheidung zwischen unerlässlichen und übrigen Bestandteilen sieht. Vgl. auch Hilf, in: GTE, Art. 239 Rn. 14, der darauf verweist, dass sich zunehmend die Frage stellen wird, ob in den Protokollen festgeschriebene Ausnahmen sich mit materiellen Verfassungsgrundlagen vereinbaren lassen. Er verweist darauf, der EuGH habe in seinem Gutachten 1/91 (erstes EWR-Gutachten) zu Recht angedeutet, dass die materiellen Verfassungsgrundlagen keine beliebigen Durchbrechungen zuließen. Ähnlich Curtin, CMLR 1993, 17, 63 f., die darauf hinweist, dass der EuGH eines Tages mit der Frage konfrontiert sein könnte, ob alle Protokolle, die de facto dem Vertrag beigefügt sind, ohne weiteres und ohne Ansehung ihres Inhaltes „Bestandteile“ des Vertrages i. S. d. 311 EG darstellen. Das EWR-Gutachten des EuGH habe eine gewisse Bereitschaft des EuGHs gezeigt, die „Grundlagen der Gemeinschaft“ als im Rahmen der Interpretation der Verträge höherrangig anzusehen. 397 Siehe dazu unten S. 260 f. 395
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Materien handelt, die einer sekundärrechtlichen, am Primärrecht zu messenden Regelung offen sind. aa) Unabänderliche Fundamentalprinzipien? Anhaltspunkte für eine Hierarchisierung des Primärrechts könnten sich aus der Diskussion um die Frage ergeben, ob es unabänderliche Fundamentalprinzipien gibt, die die Vertragsänderungsbefugnisse der Mitgliedstaaten beschränken. (1) Das erste Gutachten des EuGH zum EWR Insbesondere seit dem ersten Gutachten des EuGH zum EWR wird diskutiert, ob es unabänderliche Fundamentalprinzipien gibt, die dazu führen, dass die Vertragsänderungsbefugnisse der Mitgliedstaaten beschränkt sind398. Der EuGH hatte zunächst festgestellt, Art. 310 EG biete „keine Grundlage für die Errichtung eines Gerichtssystems, das Art. 164 EWGVertrag [heute Art. 220 EG] und allgemeiner die Grundlagen der Gemeinschaft selbst beeinträchtigt“399. Er führte dann fort, aus denselben Gründen könne eine Änderung des Art. 310 EG in dem Sinne, dass eine bislang gegen Art. 220 EG verstoßende Regelung in einem Assoziationsvertrag fortan primärrechtsgemäß sei, „die Unvereinbarkeit des Gerichtssystems des Abkommens mit dem Gemeinschaftsrecht nicht beseitigen“400. Dieses Urteil wurde zum Teil dahingehend interpretiert, der EuGH habe mit diesem Gutachten anerkannt, dass es „Grundlagen der Gemeinschaft“ gebe, die der Vertragsänderung durch die Mitgliedstaaten entzogen seien401. Andere Autoren gehen in der Interpretation dieses Urteils weniger weit. Der EuGH habe sich zu der bei Änderungen des Vertrags einschlägigen Norm des Art. 48 EU nicht explizit geäußert402. Zudem ergebe sich aus 398 EuGH, Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991, EWR I, Slg. 1991, I-6079. Zum ersten EWR-Gutachten: Bleckmann, JZ 1992, 792 f.; Boulouis, RTDE 1992, 457 ff.; Dutheil de la Rochère, RMC 1992, 603 ff.; Kohler, in: FS Schwind, 303 ff.; Reinisch, ÖJZ 1992, 392 ff.; Schermers, CMLR 1992, 991 ff. 399 EuGH, Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991, EWR I, Slg. 1991, I-6079, 6111 Rn. 71. 400 EuGH, Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991, EWR I, Slg. 1991, I-6079, 6112 Rn. 72. 401 Bieber, RMC 1993, 343; 345; ders., ZSchwR 1993, 327, 334; Boulouis, RTDE 1992, 457, 462; da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 9, 25 f. m. w. N.; Curtin, CMLR 1993, 17, 64; Gialdino, CMLR 1995, 1089, 1111 f.; Reinisch, ÖJZ 1992, 321, 324 f. Vorsichtiger: Dutheil de la Rochère, RMC 1992, 603, 607. 402 Heintzen, EuR 1994, 35, 38.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
dem Zusammenhang mit dem zweiten Gutachten des EuGH zum EWG mit dessen Formulierung „Die Zuständigkeiten, die der EWGV dem EuGH einräumt, können nur im Rahmen des in Art. 236 EWGV vorgesehenen Verfahrens geändert werden (. . .)“403, dass der EuGH nur ausgeschlossen habe, dass Art. 310 EG so geändert wird, dass er einen Eingriff in die Grundlagen der Gemeinschaft durch den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags der EG, d.h. durch einen sekundärrechtlichen Akt, ermöglicht404. Daraus lasse sich lediglich schließen, dass die Grundlagen der Gemeinschaft nicht Gegenstand autonomer oder vereinfachter völkerrechtlicher Vertragsänderungsverfahren sein könnten405. Der EuGH habe jedoch nicht festgestellt, dass Art. 48 EU eine die Grundlagen der Gemeinschaft betreffende Änderung nicht zuließe. Unabhängig davon, wie das Gutachten des EuGH zu verstehen ist, setzt die Annahme einer Unveränderlichkeit der Verträge entweder eine spezielle Vorschrift – wie etwa Art. 79 Abs. 3 GG – oder eine den Verträgen immanente Hierarchisierung innerhalb des primären Gemeinschaftsrechts voraus406. Art. 48 EU stellt für die Mitgliedstaaten durch die Regelung eines Vertragsänderungsverfahrens zwar formelle Schranken in Bezug auf Vertragsänderungen auf. Unabhängig von der hier nicht relevanten Frage, ob die Mitgliedstaaten an dieses Vertragsänderungsverfahren gebunden sind oder nicht407, lassen sich der Norm keinerlei materielle Schranken entnehmen408. Die Annahme unabänderlicher Fundamentalprinzipien würde daher 403 EuGH, Gutachten 1/92 vom 10. April 1992, EWR II, Slg.1992, I-2821, 2843 Rn. 32. 404 Heintzen, EuR 1994, 35, 38 m. w. N.; Herdegen, in: FS Everling, 447, 454; Herrnfeld, in: Schwarze, Art. 48 EU Rn. 8; Hofmann, S. 84 m. w. N.; Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 62 f.; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 16. 405 So Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 64; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 16. 406 Vgl. Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 54; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 15. Koenig/Pechstein, EuR 1998, 130, 137, verneinen strikt die Existenz solcher Anhaltspunkte in den Gemeinschaftsverträgen und bezweifeln, dass eine Unantastbarkeitsgarantie von Richterrecht wirksam geschaffen werden kann. 407 Vgl. dazu, eine Bindung der Mitgliedstaaten annehmend, R. Bernhardt, in: Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, 77, 84; da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 15 f.; Everling, in: FS Bernhardt, 1151, 1167 ff.; Herdegen, in: FS Everling, 447, 454; Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 18 ff. m. w. N.; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 47 m. w. N. Auch der EuGH geht von einer Bindung der Mitgliedstaaten aus, vgl. Rs. 43/75, Defrenne, Slg. 1976, 455, 478 Rn. 56/58; Gutachten 1/92 vom 10. April 1992, EWR II, Slg. 1992, I-2821, 2843 Rn. 32. Einen zwingenden völkervertragsrechtlichen Charakter des Art. 48 EU ablehnend: Koenig/ Pechstein, EuR 1998, 130, 136. 408 Vgl. da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 8; Herrnfeld, in: Schwarze, Art. 48 EU Rn. 8. A. A. Bieber, RMC 1993, 343, 347, und ders., ZSchwR 1993, 327, 331 f., nach dem den Verträgen zwar keine ausdrücklichen Schranken zu ent-
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts
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voraussetzen, dass den Verträgen eine solche Grenze der Vertragsänderung immanent ist. In der Diskussion um diese Frage gibt es in der Literatur sowohl zustimmende als auch ablehnende Äußerungen. (2) Begründungsansätze in der Literatur In der Literatur bestehen unterschiedliche, teilweise nebeneinander stehende Begründungsansätze für die Herleitung unabänderlicher Fundamentalprinzipien im Gemeinschaftsrecht. (a) „Verfassungsurkunde der Gemeinschaft“ Ausgehend von der Formel des EuGH im ersten EWR-Gutachten vom EWG-Vertrag als der „Verfassungsurkunde der Gemeinschaft“409 werden Begründungsversuche für die Annahme von Grenzen der Verfassungsänderung zum Teil auf die Eigenschaft des EG-Primärrechts als Verfassung gestützt410. Die Bezeichnung des EuGH kann als deskriptiv richtig erachtet werden, wenn unter dem Begriff einer „Verfassung“ der Inbegriff der grundlegenden Normen für die Organisation eines Gemeinwesens verstanden wird411, denn das primäre Gemeinschaftsrecht hat sich zu einer vollständigen Rechtsordnung mit rechtsstaatlichen Garantien und Grundrechtsgarantien und einem ausgebauten Rechtsschutz entwickelt und ist die Rechtsgrundlage für das gesamte Handeln der Gemeinschaft412. Fraglich ist nehmen sind. Art. 48 EU sei aber durch Auslegung zu entnehmen, dass der dort verwendete Begriff der „Änderung“ auf die Existenz änderungsresistenter Elemente in den Verträgen hindeute, denn eine „Änderung“ setze im Gegensatz zu einer „Aufhebung“ oder „Beseitigung“ das Fortdauern der Identität des zu Ändernden jedenfalls in seinem Kernbereich voraus. Kritisch bezüglich dieser Argumentation Heintzen, EuR 1994, 35, 46; Herdegen, in: FS Everling, 447, 459. 409 EuGH, Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991, EWR I, Slg. 1991, I-6079, 6111 Rn. 21. So schon EuGH, Rs. 294/83, Les Verts, Slg. 1986, 1339, 1365 Rn. 23. Vgl. auch EuGH, Gutachten 1/76 vom 26. April 1977, Slg. 1977, 741, 759 Rn. 12 („innere Verfassung der Gemeinschaft“). 410 Siehe da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 32. 411 Vgl. Bieber, ZSchwR 1993, 327, 335. Zu der Diskussion um die Verfassungsqualität der Gemeinschaftsverträge siehe R. Bernhardt, in: Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, 77 ff.; W. Bernhardt, S. 52 ff.; Bieber, in: Wildenmann, 393, 394 ff. m. w. N.; Gaudin, RTDE 1999, 1, 6 ff.; Heintzen, AöR 119 (1994), 564, 574 f. m. w. N., 580; ders., EuR 1997, 1 ff.; Pescatore, in: FS Kutscher, 319 ff. Dazu in neuester Zeit: Dorau, S. 11 ff.; Häberle, Europäische Verfassungslehre; Schwarze, NJW 2002, 993 ff. 412 So Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 16 m. w. N., bezüglich der Diskussion der Verfassungseigenschaft und der Verfassungsfähigkeit des Primärrechts. Vgl. auch Herdegen, in: FS Everling, 447, 450 ff., der zum Fortschritt der
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
aber, ob sich aus der Bezeichnung als Verfassung normative Schlüsse ziehen lassen. Zunächst fällt auf, dass da Cruz Vilaça/Piçarra, die die Annahme materieller Vertragsänderungsgrenzen auf die Eigenschaft des Primärrechts als Verfassung stützen, gerade in der Bejahung materieller Begrenzungen der Vertragsänderung durch den EuGH413 und in der ausdrücklichen Einbeziehung materieller Vertragsänderungsgrenzen in den Vertrag414 eine neue wichtige Etappe auf dem Weg der „Konstitutionalisierung“ der Verträge sehen. Sie unterliegen damit einem Zirkelschluss415, denn materielle Vertragsänderungsgrenzen können nicht gleichzeitig die Verfassungsqualität der Verträge mitbegründen und ihre Daseinsberechtigung aus eben dieser Verfassungsqualität herleiten. Eine Untersuchung der Verfassungen anderer Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zeigt zudem, dass eine Ewigkeitsgarantie wie Art. 79 Abs. 3 GG keinesfalls in allen Mitgliedstaaten zu finden ist416. Dies macht deutlich, dass Rangabstufungen im Verhältnis zwischen grundlegenden und nicht grundlegenden Normen innerhalb des Verfassungsrechts nicht notwendig mit dem „Verfassungs“-Konzept verbunden sind417. Konstitutionalisierung ausführt, die Breite der übertragenen Hoheitsbefugnisse und die institutionelle Ausdifferenzierung würden das Gemeinschaftssystem mit quasistaatlichen Wesenszügen in einem Maße aufladen, welches die Heranziehung verfassungsrechtlicher Kategorien für die rechtlichen Grundstrukturen initiiere. Insbesondere die Dichte der Regelungen zu den Gemeinschaftskompetenzen, ihre Justiziabilität und Durchsetzung bräuchten den Vergleich mit nationalen Rechtsordnungen nicht zu scheuen. 413 CahDrEuR 1993, 3, 26. 414 CahDrEuR 1993, 3, 30. Zu der Frage der ausdrücklichen Einbeziehung materieller Vertragsänderungsgrenzen in den Vertrag siehe unten S. 212 ff. 415 Siehe auch Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 22. 416 In einigen Mitgliedstaaten gibt es Art. 79 Abs. 3 GG vergleichbare Regelungen in der Verfassung, so in Frankreich (Art. 89 – schützt die republikanische Rechtsform, eingehend zu dieser Vorschrift Wittekindt, S. 120 ff., 173 ff.), Griechenland (Art. 110), Italien (Art. 139 – schützt die republikanische Staatsform) und Portugal (Art. 288). Hingegen wird in der britischen Verfassungstradition aus dem Grundsatz der „Sovereignty of Parliament“ abgeleitet, dass das Parlament zukünftigen Parlamenten keine Bindungen auferlegen kann, vgl. Wiederin, AöR 117 (1992), 410, 446. Auch in Irland ist ausdrücklich gemäß Art. 46 Abs. 1 der Verfassung der Republik Irland die Änderung jeglicher Verfassungsbestimmung zulässig. Die Bestimmungen der belgischen (Art. 195–198), der dänischen (Art. 42 Abs. 6, 88), der finnischen (Art. 73), der luxemburgischen (Art. 114), der niederländischen (Art. 137–142), der österreichischen (Art. 44), der schwedischen (Kapitel 8 Art. 15) und der spanischen Verfassung (Art. 166–169) enthalten keine materiellen Grenzen der Verfassungsänderung. Zusammenfassende Darstellungen finden sich bei Ipsen, in: FS Dürig, 159, 164 f.; Rigaux, S. 53 ff. 417 Heintzen, EuR 1994, 35, 40.
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts
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Schließlich stellt sich die Frage, ob die Theorien, die im nationalen Verfassungsrecht für die Begründung von Rangabstufungen herangezogen werden, auf die Europäische Gemeinschaften übertragbar sind. Die zunächst als Begründung herangezogene Annahme von für die konstituierte Gewalt unabänderlichen verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zum Schutz des Willens des Verfassungsgebers vor nachträglichen Verfälschungen setzt eine Unterscheidung von pouvoir constituant und pouvoir constitué voraus418. Da die Mitgliedstaaten als Gründer der Gemeinschaft als die pouvoirs constituants der Gemeinschaft anzusehen sind und ihnen mit der Befugnis, die Gemeinschaftsverträge zu ändern, bezüglich des Primärrechts zudem die Rolle von pouvoirs constitués zufällt, ist eine Trennung von pouvoir constituant und pouvoir constitué auf Gemeinschaftsebene und damit die Übertragung dieses Begründungsansatzes nicht möglich419. Ein anderer Ansatz leitet unverfügbare Verfassungsgrundsätze von den Funktionen und dem Sinnzusammenhang der Verfassung her ab420, wobei die Funktionen nicht aus dem Verfassungsgesetz selbst, sondern aus einem vorausgesetzten Verfassungsverständnis, einem materiellen Verfassungsbegriff, abgeleitet werden421. Da die Funktionen der Gemeinschaft jedoch nicht vorausgesetzt werden können, diese vielmehr erst durch die Verträge selbst bestimmt werden, lässt sich auch dieser verfassungstheoretische Ansatz nicht auf die Gemeinschaftsebene übertragen422. Die aufgezeigten theoretischen Ansätze zur Begründung unabänderlicher Fundamentalprinzipien im nationalen Verfassungsrecht lassen sich daher strukturell nicht auf das Gemeinschaftsrecht übertragen423. Die Qualifizierung der Gemeinschaftsverträge als „Verfassungsurkunde der Gemeinschaft“ lässt demnach keine Rückschlüsse auf unabänderliche Fundamentalprinzipien im Gemeinschaftsrecht zu.
418 Heintzen, EuR 1994, 35, 41 f., insbesondere unter Verweis auf Schmitt, 20 ff., und m. w. N. bezüglich dessen Kritikern. Kritisch in neuerer Zeit: Hain, S. 41 ff. 419 Heintzen, EuR 1994, 35, 41 f. 420 Heintzen, EuR 1994, 35, 41 f., unter Verweis auf Ehmke, 85 ff., 90 ff., 101 ff. 421 Vgl. Badura, in: FS Scheuner, 19, 32 ff.; Ehmke, 88; Rigaux, 110. 422 Heintzen, EuR 1994, 35, 44 f. 423 Heintzen, EuR 1994, 35, 45. Zustimmend Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 22; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 16. Kritisch Herdegen, in: FS Everling, 447, 458. Da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 32 f., greifen zur Herleitung und Konkretisierung von Vertragänderungsgrenzen im Gegensatz dazu ausdrücklich auf das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten zurück.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
(b) Neue Entwicklungen in der Vertragsgestaltung Die Begründung unantastbarer Fundamentalgrundsätze wird auch auf neue Entwicklungen in der Vertragsgestaltung der Gemeinschaft durch den Maastrichter Vertrag gestützt. Zunächst wird auf Art. N (heute Art. 48) Abs. 2 EU der Maastrichter Fassung424 verwiesen425, der materielle Vorgaben für die für das Jahr 1996 vorgesehene Konferenz über eine Revision des Unionsvertrags enthielt. Von Bedeutung sei insbesondere, dass über den Verweis auf Art. A und B (heute Art. 1 und 2) EU der Maastrichter Fassung eine Verpflichtung auf die volle „Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstandes und seiner Weiterentwicklung“ (Art. B, 5. Spiegelstrich) bestehe426. Darin könne eine „interdiction de régression“ im Sinne einer materiellen Vertragsänderungsgrenze gesehen werden427 Anerkannt ist diesbezüglich, dass die in den Art. A und B EU der Maastrichter Fassung enthaltenen Grundstrukturen der Gemeinschaft zumindest für die für das Jahr 1996 vorgesehene Konferenz zwingende Vorgaben enthielt428 und dass mit diesen unvereinbare Vertragsänderungen nach Art. N Abs. 2 EU der Maastrichter Fassung als gemeinschaftswidrig anzusehen sind429. Gegen eine generelle Unabänderlichkeit der Vorschriften, auf die Art. N Abs. 2 EU der Maastrichter Fassung verweist, wird zunächst vorgebracht, die Prüfungskompetenz des EuGH erstrecke sich gemäß Art. 46 EU nicht auf die Art. A und B EU der Maastrichter Fassung, weil diese Vorschriften nicht in Art. 46 EU aufgelistet sind430. Fraglich ist allerdings, ob eine derartige direkte Relation zwischen der Prüfungskompetenz des EuGH und dem Maß an materieller Bindung der Mitgliedstaaten besteht431. Zudem ist über Art. 46 c) EU der Art. N EU der Maastrichter Fassung der Prüfungskompetenz des EuGH unterworfen. Vieles spricht dafür, dass diese Unterwerfung auch den Verweis auf die Art. A und B in Abs. 2 des Art. N mit 424 Art. N Abs. 2 EU der Maastrichter Fassung: „Im Jahr 1996 wird eine Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten einberufen, um die Bestimmungen dieses Vertrages, für die eine Revision vorgesehen ist, in Übereinstimmung mit den Zielen der Artikel A und B zu prüfen.“ 425 Da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 27 ff.; Herdegen, in: FS Everling, 447, 459; Hofmann, S. 82. 426 Da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 28; Herdegen, in: FS Everling, 447, 459. 427 Da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 29. 428 Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 15. 429 Heintzen, EuR 1994, 35, 47. 430 Heintzen, EuR 1994, 35, 48. 431 Herdegen, in: FS Everling, 447, 459, lehnt eine solche Relation ab.
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts
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einschließt432, weil ansonsten die Unterwerfung des Abs. 2 unter die Prüfungskompetenz des EuGH keinen Sinn macht. Gegen die Herleitung unabänderlicher Verfassungsprinzipien aus Art. N Abs. 2 EU der Maastrichter Fassung spricht daher in erster Linie, dass die Vorschrift mit der für 1996 vorgesehenen Revisionskonferenz nur einen einzigen Anwendungsfall hatte und sich damit erledigt hat433. In der aktuellen Fassung des Vertrags enthält der Art. 48 EU keinen Abs. 2, dieser wurde durch den Amsterdamer Vertrag gestrichen. Zum Teil wird in der Regelung des Art. N Abs. 2 EU der Maastrichter Fassung dennoch der Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens gesehen434. Dies erscheint aufgrund der Einmaligkeit der Vorschrift, die insbesondere nicht im Vertrag von Amsterdam unter Bezugnahme auf künftige Revisionskonferenzen wiederholt wurde, als zu weitgehend. Richtig erscheint es hingegen, in Art. N Abs. 2 EU Maastrichter Fassung allenfalls ein Indiz für eine Bindung an gewisse Grundsätze zu sehen, da es keinen Sinn macht, einer einzigen Revisionskonferenz inhaltliche Vorgaben zu machen, die weiteren aber von derartigen Vorgaben vollkommen freizustellen435. Außerdem wird hervorgehoben, der Vertrag von Maastricht habe an wiederholter Stelle den Begriff „unwiderruflich“ in den EG-Vertrag eingeführt: in Art. 4 Abs. 2 EG mit der Formulierung „unwiderrufliche Festlegung der Wechselkurse“, in Art. 118 Abs. 2 EG, der sich auf die unwiderrufliche Festsetzung des Wertes der ECU bezieht und in Art. 123 Abs. 4 mit der Formulierung „Umrechnungskurse, auf die ihre Währungen unwiderruflich festgelegt werden, sowie die unwiderruflich festen Kurse“. Der Begriff „unwiderruflich“ legt zwar die Vermutung nahe, dass hier tatsächlich ein Änderungsverbot ausgesprochen wurde436, im Zusammenhang mit der Währungsunion ist dem Begriff „unwiderruflich“ aber eher eine technische Bedeutung zuzumessen, die sich nicht auf Änderungsmöglichkeiten am 432
So auch Herdegen, in: FS Everling, 447, 459. A. A. Heintzen, EuR 1994, 35,
48. 433
Heintzen, EuR 1994, 35, 48. Herdegen, in: FS Everling, 447, 459. Ähnlich da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 27 ff. Hofmann, S. 82, betont, dass Art. 2, 5. Spiegelstrich EU mit der Zielsetzung der vollen „Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstandes“ und seiner Weiterentwicklung nach wie vor Gültigkeit hat. Er betont allerdings auch die vorübergehende Wirksamkeit und den vorübergehenden Charakter des Art. N Abs. 2 EU, siehe ders., S. 88. 435 Vgl. Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 16. 436 Hofmann, S. 82, schließt aus der Verwendung der Formulierung „unwiderruflich“ auf eine Akzeptanz primärrechtlich festgelegter materiellrechtlich wirkender Vorkehrungen gegen die Veränderung gemeinschaftlichen Rechts durch die vertragsschließenden Mitgliedstaaten. Ders., S. 92, schließt sich aber letztlich denjenigen an, die in der Vorschrift lediglich eine nicht-verallgemeinerungsfähige technische Detailregelung sehen. 434
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Vertrag selbst bezieht, sondern lediglich eine Einschränkung der Handlungsfreiheit der einzelnen Mitgliedstaaten, d.h. des autonomen staatlichen Handelns, bezweckt437. Selbst wenn in der Verwendung der Begrifflichkeit tatsächlich ein Vertragsänderungsverbot zu sehen wäre, so spricht die Tatsache, dass die unwiderruflichen Vertragsnormen ausschließlich die Wechselkurse im Zusammenhang der Währungsunion betreffen, dagegen, dass sich daraus verallgemeinernde Schlüsse ziehen lassen438. (c) Völkerrecht und Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten Zur Begründung unantastbarer Fundamentalprinzipien könnten schließlich die in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EU eingeführten Strukturprinzipien der EU, „Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“, herangezogen werden. Zwar sagt die herausgehobene Bedeutung dieser Grundsätze, die gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 2 EU „allen Mitgliedstaaten gemeinsam“ sind und deren Nichtbeachtung durch Art. 7 EU und Art. 309 EG sanktioniert wird, für sich genommen nichts über deren Rang oder Änderungsfestigkeit aus439. Entscheidend ist, dass alle Mitgliedstaaten völkerrechtlich verpflichtet sind, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu wahren440. Diese Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist in Art. 6 Abs. 2 EU in den Unionsvertrag aufgenommen worden. Da die Übertragung von Hoheitsrechten die Mitgliedstaaten nicht von diesen völkerrechtlichen Verpflichtungen befreit, kann ein Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vor Vertragsänderungen gemäß Art. 48 EU bejaht werden441. Für die Strukturprinzipien der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kann eine Änderungsfestigkeit aus dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten hergeleitet werden442, denn die Mit437
So Bieber, ZSchwR 1993, 327, 331. Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 67; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 16. 439 Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 17. 440 Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 18, verweisen insbesondere auf die EMRK, die beiden Pakte der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und auf einen völkergewohnheitsrechtlichen Kernbereich der Menschenrechte, der dem ius cogens zugerechnet wird. 441 Bieber, RMC 1993, 343, 364; Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 59 f.; Vedder/ Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 18. 442 Herdegen, in: FS Everling, 447, 453; Hofmann, S. 91; Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 60; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 19. Ähnlich Bieber, RMC 1993, 343, 347 f., und ders., ZSchwR 1993, 327, 333, an dieser Stelle insbesondere auch auf das Prinzip der Nichtdiskriminierung verweisend. Ähnlich auch Everling, FS Bernhardt, 1151, 1170, der auf die Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten bei wertender Rechtsvergleichung abstellt. Er nimmt allerdings sehr weitgehende 438
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gliedstaaten können den Anwendungsbereich verfassungsrechtlicher Garantien und Institute durch die Übertragung von Hoheitsgewalt nicht aushöhlen443. Zwar wird durch diese – eng begrenzten – materiellen Beschränkungen der Vertragsänderungsbefugnis der Mitgliedstaaten deren „Herrschaft über die Verträge“ eingeschränkt444. Den Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ wird jedoch nicht die Befugnis genommen, über die Existenz der Gemeinschaft verfügen zu können. Solange sie sich aber im Rahmen des fortbestehenden Vertragssystems bewegen, bleiben sie gewissen, sich daraus ergebenden strukturellen Bindungen unterworfen445. Über die Herleitung gewisser, unabänderlicher Fundamentalprinzipien aus völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bindungen der Mitgliedstaaten können allerdings einige wichtige Grundsätze des Gemeinschaftsrechts nicht in den Kreis unabänderlicher Vertragsvorschriften aufgenommen werden. Eine Unabänderlichkeit lässt sich über diese Argumentation zum Beispiel weder bezüglich des erreichten Integrationsstandes und der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsverfassung446 noch bezüglich des Vorrangs und der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts447 und des Grundsatzes der Supranationalität448 herleiten449.
Vertragsänderungsgrenzen an, indem er zahlreiche allgemeine Rechtsgrundsätze mit einbezieht. Auch Heintzen, EuR 1994, 35, 43 f., geht davon aus, dass ein verfassungsrechtlicher Mindeststandard, der mit der Formel „pluralistische Demokratie“ und „Menschenrechte“ umschrieben werden könne, in allen Mitgliedstaaten unverrückbar ist und dass von ihm bei der Ausgestaltung des Gemeinschaftsrechts nicht abgewichen werden darf. 443 Art. 23 GG stellt eine Kodifizierung dieser verfassungsrechtlichen Grenzen der Übertragung von Hoheitsrechten dar. 444 Heintzen, EuR 1994, 35, 48. Zu der Problematik der „Herren der Verträge“ grundlegend Everling, in: FS Mosler, 173 ff.; ders., in: FS Bernhardt, 1161 ff. m. w. N. Siehe auch Heintzen, AöR 119 (1994), 564 ff. 445 Siehe Herdegen, in: FS Everling, 447, 450, 458. Ähnlich auch Everling, FS Bernhardt, 1151, 1170 f., der allerdings sehr viel weitergehende Vertragsänderungsgrenzen annimmt. 446 Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 55 ff.; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 20. Ähnlich Heintzen, EuR 1994, 35, 44, der die Unverbrüchlichkeit und Unkündbarkeit der Verträge und das Rückschrittsverbot ausschließt. 447 Heintzen, EuR 1994, 35, 44; Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 20. 448 Heintzen, EuR 1994, 35, 44. 449 A. A. anscheinend Everling, in: FS Bernhardt, 1151, 1170 f.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
(3) Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall? Fraglich ist, ob die Herleitung dieser, wenn auch eng umgrenzten, unveränderlichen Fundamentalprinzipien in der vorliegenden Fragestellung entscheidend weiterhilft. Zum einen erscheint es fragwürdig, ob die vorliegend relevanten Maßstäbe – die Unabhängigkeit und die Funktionstauglichkeit des Parlaments sowie das Diskriminierungsverbot – unter die begrenzten, sich aus völker- und verfassungsrechtlichen Bindungen ergebenden, unabänderlichen Fundamentalprinzipien gefasst werden können. Zum anderen geht es in der vorliegenden Konstellation nicht darum, ob neu eingeführtes Primärrecht an primärrechtlichen Maßstäben gemessen werden kann, da das 1967 in Kraft getretene Protokoll, das die hier fragliche Vorschrift des Art. 10 wortgleich aus dem gleichzeitig mit dem EGKS-Vertrag am 18. April 1951 unterzeichneten Protokoll übernommen hat450, aus der Anfangszeit der Gemeinschaft stammt. Vielmehr geht es um die Frage, ob im bestehenden Gemeinschaftsrecht Hierarchien vorhanden sind. Fraglich ist, ob aus den unabänderlichen Fundamentalprinzipien Hierarchien innerhalb des Primärrechts herzuleiten sind, die zu einer Vertragswidrigkeit von Primärrecht führen können. Zwar ist die Annahme unveränderlicher Fundamentalprinzipien unweigerlich damit verbunden, diesen Prinzipien innerhalb der Rechtsordnung einen hervorgehobenen Rang zuzuordnen. Dadurch findet in der Tat eine gewisse Hierarchisierung innerhalb des Primärrechts statt451. Daraus lässt sich aber nicht automatisch schließen, dass ein Verstoß gegen die Fundamentalprinzipien zur Rechtswidrigkeit der verstoßenden Primärrechtsnorm führt452. 450
Siehe oben S. 39 f. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass zahlreiche Autoren, die sich mit der Frage von Vertragsänderungsgrenzen befassen, auf den Aspekt der Hierarchisierung hinweisen: siehe insbesondere Heintzen, EuR 1994, 35, dessen Titel „Hierarchisierungsprozesse innerhalb des Primärrechts der Europäischen Gemeinschaft“ diesen Aspekt beinhaltet – Hervorhebung durch die Verfasserin. Vgl. auch Herdegen, in: FS Everling, 447, 456 („Der Nachweis hierarchischer Struktur der Gründungsverträge mit unantastbaren Fundamentalnormen und Regelungen geringerer Bestandskraft (. . .).“); Vedder/Folz, in: Grabitz/Hilf, Art. 48 EU Rn. 15 („Unabänderlichkeit setzt entweder (. . .) oder eine Hierarchisierung innerhalb des Primärrechts voraus (. . .).“) – Hervorhebungen durch die Verfasserin. 452 Siehe auch Bieber/Salomé, CMLR 1996, 907, 918, die darauf hinweisen, dass die Frage, ob das Gemeinschaftsrecht immanente Grenzen der Vertragsänderung enthält, nicht identisch mit der Frage nach Hierarchien innerhalb des Vertragsrechts sei, sondern vielmehr darüber hinausgehe. Deshalb sei die Herstellung eines direkten Zusammenhangs zwischen Hierarchie und Vertragsänderungsgrenzen nicht angemessen. Vgl. auch Herzog, EuGRZ 1990, 483, 485, nach dem es nicht logisch zwingend ist, von der Unabänderlichkeit einer Norm auf ihren höheren Rang zu schließen; Hofmann, S. 81. 451
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So zeigt auch ein Vergleich mit dem deutschen Verfassungsrecht, dass den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätzen nicht in der Weise ein höherer Rang zugesprochen wird, dass bei einem Verstoß durch geltendes Verfassungsrecht gegen sie „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ angenommen wird453. Vielmehr wird „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ unabhängig von verfassungsändernden Vorschriften nur bei Verstößen des originären Verfassungsrechts gegen über der Verfassung stehendes positives Recht bzw. im Falle des Überschreitens äußerster Gerechtigkeitsgrenzen angenommen454, wobei die Wahrscheinlichkeit eines solchen Vorkommnisses als praktisch unmöglich bewertet wird455. Art. 79 Abs. 3 GG vermittelt den als unberührbar garantierten Grundsätzen nur in Bezug auf verfassungsändernde Gesetze eine Höherrangigkeit456. Aus der Annahme bestimmter, eine Vertragsänderungsgrenze bildender Fundamentalprinzipien kann daher nicht automatisch geschlossen werden, dass dieselben Prinzipien auch unabhängig von einer Vertragsänderung als ranghöher anzusehen sind. bb) Ranghöhere Grundsätze im Gemeinschaftsrecht? In der Literatur wird, wie bereits festgestellt, davon ausgegangen, dass das Primärrecht trotz seiner unterschiedlichen Rechtsquellen im System des EG-Rechts gegenüber sonstigen Normen den höchsten und untereinander den gleichen Rang einnimmt und keinen qualitativen Differenzierungen zugänglich ist457. „Vertragswidrige Vertragsnormen“ seien nicht denkbar, weil es nicht möglich sei, innerhalb des EG-Vertrags Normen mit „Verfassungsrang“ und solche mit Rang des „einfachen Gesetzes“ voneinander zu trennen458. Zu untersuchen ist, ob entgegen dieser Annahme die Herleitung höherrangiger Grundsätze innerhalb des Primärrechts möglich ist. 453
BVerfGE 3, 225, 232. Ausführlich Hain, S. 72 ff. Vgl. auch Bachof, S. 36 ff., der die Verfassungswidrigkeit von Verfassungsnormen wegen Widerspruchs zu Verfassungsnormen höheren Rangs ablehnt; Dreier, in: Dreier, Art. 79 III Rn. 11; Evers, in: BK, Art. 79 Abs. 3 Rn. 90. Siehe zu der Problematik auch Schilling, S. 174 ff., 402 ff. 454 BVerfGE 1, 14, 32; 3, 225, 232 f.; 4, 294, 296; 84, 90, 121. Zustimmend Badura, in: HdbStR, § 159 Rn. 7; Leisner, DÖV 1992, 432, 436 f. Ähnlich Bachof, S. 42 f., zu Verstößen gegen verfassungsrechtlich positiviertes übergesetzliches Recht; Wittekindt, S. 91, zu den Grenzen der verfassungsgebenden Gewalt. 455 BVerfGE 3, 225, 233. V. Münch, Rn. 101, wertet es als „höchst unwahrscheinlich“. 456 So Evers, in: BK, Art. 79 Abs. 3 Rn. 90; Hain, S. 74. 457 Siehe oben S. 199 f. 458 So Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 21.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Eine gewisse Hierarchisierung im Sinne eines Vorrangs der höheren vor der niederen Norm459 auch innerhalb des Primärrechts460 würde mit einer größeren Effizienz und Stabilität461 sowie einer mit größerer Vorhersehbarkeit einhergehenden Rechtssicherheit462 Vorteile mit sich bringen. Das Primärrecht umfasst mehr als 1.000 Artikel, von denen einer Mehrheit aus inhaltlicher Sicht eher ein legislativer Charakter zugesprochen wird463 bzw. eine Vielzahl dem Wirtschafts-, Verwaltungs- und Verfahrensrecht, nicht aber dem Verfassungsrecht zugeordnet wird464. Eine Gefahr für den acquis communautaire wird vor allem in den zahllosen Sonderprotokollen gesehen; von einer einheitlichen europäischen Rechtsordnung könne daher kaum mehr die Rede sein465. Die Errichtung einer Normenhierarchie sorge hingegen mit ihren Kollisionsregeln für Widerspruchsfreiheit466. Dass dem Primärrecht eine Gewichtung der Primärrechtsnormen nicht fremd ist, zeigt beispielsweise die Rechtsprechung des EuGH zu Ausnahmen von grundlegenden Vertragsbestimmungen. Danach sind die grundlegenden Vertragsbestimmungen grundsätzlich weit, Ausnahmen dazu eng auszulegen467. Ein Ansatz zur Herleitung von Hierarchien innerhalb des _Primärrechts könnte in der möglichen inhaltlichen Aufgliederung der Ver459 Zu dieser Definition der Hierarchie siehe Jacot-Guillarmod, in: FS Aubert, 41, 46. Ähnlich Aubert, ZSchwR 1974 II, 193, 196. 460 Anerkannt ist der Vorrang des Primärrechts gegenüber dem nationalen Recht und gegenüber dem gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht. Im Zusammenhang mit der Erklärung Nr. 16 zum Vertrag von Maastricht – „Erklärung zur Rangordnung der Rechtsakte der Gemeinschaft“ –, in der vorgesehen war, „dass die 1996 einzuberufende Regierungskonferenz prüfen wird, inwieweit es möglich ist, die Einteilung der Rechtsakte der Gemeinschaft mit dem Ziel zu überprüfen, eine angemessene Rangordnung der verschiedenen Arten von Normen herzustellen“, wurde in der Literatur insbesondere die Einführung von Hierarchien innerhalb der Sekundärrechtsakte der Gemeinschaft diskutiert. Vgl. hierzu Bieber/Salomé, CMLR 1996, 907 ff.; Curtin, CMLR 1993, 17, 39 ff.; Gaudin, RTDE 1999, 1 ff.; Hofmann, S. 31 ff.; Jacot-Guillarmod, in: FS Aubert, 41 ff.; Magiera, Integration 1995, 197 ff. 461 Siehe Bieber/Salomé, CMLR 1996, 907, 908 f., zu den Vorteilen von Hierarchien. 462 Vgl. Bieber/Salomé, CMLR 1996, 907, 909, die sich auf die größere Vorhersehbarkeit beziehen, sowie Hofmann, S. 98. 463 So Jacot-Guillarmod, 41, 51. Kritisch auch Hofmann, S. 98. 464 So Dorau, S. 99. Der eigentliche materielle Verfassungskern der Verträge werde dabei verschüttet. 465 So Kadelbach, EuR Beiheft 2/1998, S. 51, 52. 466 Kadelbach, EuR Beiheft 2/1998, S. 51, 55 f. Die Notwendigkeit einer Widerspruchsfreiheit auch zwischen Normen, die auf derselben Ebene liegen, ergebe sich aus der Rechtsschutzgarantie. 467 Pernice, in: Grabitz/Hilf, Art. 164 EG Rn. 26 m. w. N. Vgl. die Nachweise bei Schilling, EuR 1996, 44, 47 f.
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts
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tragsnormen in Grundsätze und sachgebietsbezogene Vertragsvorschriften468 liegen. Der EG-Vertrag beginnt mit einem ersten Kapitel mit der Bezeichnung „Grundsätze“ (Art. 1–16 EG). Der Regelung solcher Grundsätze könnte der normsystematische Sinn zugesprochen werden, bestimmte Grundlinien einer Rechtsordnung zum Maßstab für Konkretisierungen zu machen469. Diese Interpretation wird dadurch gestützt, dass es sich bei diesen „Grundsätzen“ nicht um unverbindliche Programmsätze, sondern um verbindliches Recht handelt470. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass aufgrund einer Selbstbindung der Mitgliedstaaten eine normative Rangabstufung zwischen den Grundsatznormen und den übrigen Primärrechtsnormen angenommen werden kann471. Insbesondere aufgrund des Aspektes 468
Oppermann, Rn. 477. So v. Arnauld, EuR 2003, S. 191, 200 ff. Nach dem EuGH dient der Gebrauch des Begriffs „Grundsatz“ dazu, bestimmte Vorschriften als grundlegende Bestimmungen zu kennzeichnen, vgl. EuGH, Rs. 43/75, Defrenne, Slg. 1976, 455, 475 Rn. 28/29. 470 Oppermann, Rn. 477, sowie Oppermann/Feige, JuS 1974, 484, 485, unter Verweis auf EuGH, Rs. 24/62, BRD/Kommission, Slg. 1963, 147, 154. Vgl. auch EuGH, Rs. 8/57, Groupement des hauts fourneaux et aciéries belges, Slg. 1958, 231, 251 f., wonach die Art. 2, 3, 4 und 5 EGKS „stets zu berücksichtigen sind, weil sie die grundlegenden Ziele der Gemeinschaft festlegen“. Siehe auch Basedow, in: FS Everling, 49 f.; Everling, EuR 1987, 214, 216, unter Bezug auf die in Art. 2 und 3 EG aufgeführten Ziele und Aufgaben. 471 So v. Arnauld, EuR 2003, S. 191, 200 ff. Vgl. auch Feige, S. 197, der von einem Vorrang der Vertragsgrundsätze vor dem übrigen Vertragsrecht ausgeht, weil die Grundsätze nur Beachtung finden könnten, wenn sie im Konfliktfall Vorrang genießen. Auch andere Autoren scheinen die Möglichkeit der Höherrangigkeit gewisser Grundsätze für möglich zu halten bzw. nicht grundsätzlich auszuschließen, ohne dies jedoch näher zu begründen. Nach Becker, in: Schwarze, Art. 311 EG Rn. 4, bestünde „die einzige Möglichkeit der Begründung einer (. . .) Hierarchisierung von (Gemeinschaftsverfassungs-)Normen“ darin, „zwischen unerlässlichen (für die Gemeinschaftsordnung wesentlichen) und übrigen Bestandteilen zu differenzieren“. Cremer, EuZW 2001, 453, 457, statuiert im Zusammenhang mit der Reichweite des Rechtsschutzes gemäß Art. 230 Abs. 4 EG gegen Richtlinien, dass der Konflikt zwischen zwei primärrechtlichen Normen zugunsten des Grundrechtsschutzes aufzulösen sei, wenn irreparable und schwerwiegende Beeinträchtigungen in der Grundrechtsausübung oder -integrität absehbar seien. In derartigen Fällen müsse die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit eine Direktklage Einzelner gegenüber Richtlinien zulassen. Cremer betont aber, Art. 230 Abs. 4 EG sei „deshalb weder (partiell) primärrechtswidriges Primärrecht“, noch sei eine Auslegung contra legem erforderlich. Ausdrücklich sei die Nichtanfechtbarkeit von Richtlinien in der Norm nicht angeordnet. Vielmehr folge „die partielle Überlagerung des Art. 230 Abs. 4 EG aus der Notwendigkeit und dem daraus folgenden Gebot, die primäre Gemeinschaftsrechtsordnung widerspruchsfrei aufzulösen („Einheit der Gemeinschaftsverfassung“)“. Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, Art. 73 d EG Rn. 5, erwägen aufgrund eines vertraglichen Rückschritts gegenüber einem bereits erreichten Liberalisierungsniveau die Annahme von gemeinschaftsrechtswidrigem Gemeinschaftsrecht. Nach Art. C (heute Art. 3) Abs. 1 EU solle zwar der acquis communautaire gewahrt und weiter469
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
der Selbstbindung könnte diese Argumentation auch auf die ungeschriebenen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts übertragbar sein, da diese in den Verträgen verankert sind472. Die aufgezeigte Argumentation hätte zur Folge, dass die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zwingende Vorgaben für das sonstige Primärrecht enthielten, welches sich an den geschriebenen wie ungeschriebenen Grundsätzen messen lassen müsste. Eine Bejahung solcher ranghöheren Grundsätze würde nicht zu der diskutierten Vertragsänderungsbegrenzung der Mitgliedstaaten führen. Zwar wären die Vertragspartner insoweit an die Grundsätze gebunden, als neu geschaffenes Primärrecht sich an diesen Maßstäben messen lassen müsste. Den Mitgliedstaaten bliebe aber – zumindest theoretisch – die Freiheit, die Grundsätze selbst dergestalt zu ändern, dass sie die von ihnen bezweckte Vertragsänderung ohne Verstoß gegen ursprünglich einschlägige Grundsätze vornehmen könnten. Ihre Vertragsänderungsbefugnis bliebe damit erhalten. Es würde lediglich verhindert, dass die Mitgliedstaaten innerhalb des Primärrechts schwerwiegende Widersprüche schaffen. Die Mitgliedstaaten sind nach dieser Argumentation folglich zur Regelung von Beschränkungen der Grundsätze bzw. von Ausnahmen zu diesen Grundsätzen nicht befugt, es sei denn sie ändern die Grundsätze selbst. Fraglich ist, ob aus der Regelung der „Grundsätze“ im EG-Vertrag tatsächlich eine Hierarchie innerhalb des Primärrechts gefolgert werden kann. Dagegen spricht zunächst folgende, allerdings aus der Anfangszeit der EGKS stammende, Rechtsprechung des EuGH. Im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbote enthaltenden Art. 4 EGKS hat der EuGH entschieden, dass alle Vorschriften des Primärrechts „in gleicher Weise verbindlich“ sind; es könne sich „nicht darum handeln, sie zueinander in Gegensatz zu bringen, sondern nur darum, sie gleichzeitig ins Auge zu fassen, um sie sinnvoll anzuwenden“473. Der EuGH hat sich damit deutlich gegen eine Differenzierung des Primärrechts nach materiellen Gesichtspunkten ausgesprochen. entwickelt werden, Art. C EU komme aber kein vertragsinterner Vorrang gegenüber den übrigen Vertragsbestimmungen zu. Sie schließen damit einen solchen Vorrang nur für Art. C EU, nicht jedoch grundsätzlich aus. 472 So v. Arnauld, EuR 2003, S. 191, 203 f. 473 EuGH, verb. Rs. 7/54 und 9/54, Groupement des industries sidérurgiques luxembourgeoises, Slg. 1955/56, 55, 90. Vgl. auch EuGH, Rs. 8/57, Groupement des hauts fourneaux et aciéries belges, Slg. 1958, 231, 252, wonach alle Vorschriften, die sich auf ein und denselben Gegenstand beziehen, in ihrer Gesamtheit zu würdigen und gleichzeitig anzuwenden sind. Dies bezieht der EuGH insbesondere auch auf Vorschriften, die die grundlegenden Ziele der Gemeinschaft festlegen, auch soweit diese in anderen Vorschriften Eingang gefunden haben oder dort näher geregelt werden.
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts
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Ein Blick auf die Ausgestaltung des EG-Vertrags zeigt darüber hinaus, dass dieser durchaus Ausnahmen von den in Art. 1–16 EG enthaltenen Grundsätzen regelt. So enthalten die Grundfreiheiten mit Art. 30, 39 Abs. 3, 46 EG aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit etc. sowie Art. 39 Abs. 4, 45 EG für die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung bzw. die Ausübung öffentlicher Gewalt Ausnahmen sowohl vom als „Grundsatz“ geltenden Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG) als auch vom „Grundsatz“ der Verwirklichung eines Binnenmarktes, „in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags gewährleistet ist“ (Art. 14 Abs. 2 EG). Die Mitgliedstaaten nehmen also für sich in Anspruch, Ausnahmen bzw. Beschränkungen von „Grundsätzen“ primärrechtlich zu regeln, ohne dass sie deshalb die Grundsätze selbst umgestalten474. Dies zeigt, dass von einer Selbstbindung der Mitgliedstaaten an gewisse Grundsätze entgegen der vorgebrachten Argumentation nicht die Rede sein kann. Ein Aspekt aus der Diskussion um die Einführung eines Verfassungsvertrags kann ebenfalls gegen die Annahme einer Hierarchien begründenden Zweiteilung der Vorschriften des Primärrechts in „Grundlagen“ und „sonstige Vorschriften“ herangezogen werden. Diskutiert wird eine Aufteilung des primären Gemeinschaftsrechts in ein Dokument der wichtigsten materiellen Verfassungsgrundlagen475 und in eine Reihe von detaillierten Ausführungsverträgen, die die technischen Einzelheiten beinhalten sollen476. 474 Auch Aubert, ZSchwR 1974 II, 193, 197, verweist darauf, dass eine Hierarchisierung ausschließlich nach der Wichtigkeit der Normen in dem Sinne, dass die Grundsätze immer den weniger wichtigen Normen vorgehen, die Tatsache vernachlässige, dass es auch andere Methoden der Konfliktlösung gebe. Seien die Grundlagennormen durch denselben Gesetzgeber erlassen wie die dagegen verstoßenden Regeln, so sei vielmehr von einer bewussten Ausnahmeregelung, nicht von einem Normenkonflikt auszugehen. 475 Gemeint sind die Ziele, die Grundsätze und die allgemeinen politischen Leitlinien, die Bürgerrechte und der institutionelle Rahmen der Europäischen Union, siehe Dorau, S. 163 m. w. N. 476 Siehe Dorau, S. 163 f., unter Verweis auf Dehaene/Simon/v. Weizsäcker, Bericht an die Europäische Kommission über die institutionellen Auswirkungen der Erweiterung, vorgelegt am 18. Oktober 1999, abgedruckt in der FAZ v. 20. Oktober 1999, S. 9 f. (abrufbar auch unter: http://europa.eu.int/igc2000/repoct99_de.pdf). Vgl. auch Schwarze, NJW 2002, 993, 997, der die Entwicklung eines Verfassungsvertrages befürwortet, der die wichtigsten allgemeinen Regeln der Verträge zusammenfasst und diese „vor die Klammer“ zieht. Dieser Verfassungsvertrag soll den bestehenden Verträgen vorangestellt werden. Der „Vorentwurf des Verfassungsvertrages“ des Präsidiums des „Konvents zur Zukunft Europas“, den der Präsident dieses Konvents, Valéry Giscard d’Estaing, am 28. Oktober 2002 vorgelegt hat, sieht eine Dreiteilung des Vertrages über eine Verfassung für Europa vor. Der erste Teil soll die „Struktur der Verfassung“, der zweite die „Politikbereiche und die Durchführung der Maßnahmen der Union“ und der dritte „Allgemeine- und Schlussbe-
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Durch die Feststellung, dass „das Grundlagendokument (. . .) als Basis und als Leitplanke für den Integrationsprozess und die Modifizierung der Ausführungsverträge wirken“ könnte477, wird deutlich gemacht, dass eine Hierarchisierung des Primärrechts durch eine Europäische Verfassung erst eingeführt werden würde. Gegen die Annahme einer materiellen Nachrangigkeit bestimmter Vertragsnormen spricht auch eine Beobachtung aus dem deutschen Verfassungsrecht, nämlich die der Diskussion um das Bestehen von „verfassungswidrigem Verfassungsrecht“ in der deutschen Rechtslehre. Das BVerfG hat folgendermaßen geurteilt478: „Das Grundgesetz kann nur als Einheit begriffen werden. Daraus folgt, dass auf der Ebene der Verfassung selbst ranghöhere und rangniederere Normen in dem Sinne, dass sie aneinander gemessen werden könnten, grundsätzlich nicht denkbar sind. Das hat nichts mit Bedeutung und innerem Gewicht der einzelnen Normen (. . .) zu tun (. . .) Es liegt im Wesen des pouvoir constituant, dass er von seinen eigenen Grundsatznormen Ausnahmen statuieren kann, die nach der Regel vom Vorrang der speziellen gegenüber der allgemeinen Norm zu beachten sind.“ „Verfassungswidriges Verfassungsrecht“ wird daher im deutschen Verfassungsrecht im Wesentlichen abgelehnt479. Das primäre Gemeinschaftsrecht ist anders als eine nationale Verfassung, bei deren Ausarbeitung im Regelfall alle Bestimmungen aufeinander abgestimmt sind, zwar nicht „aus einem Guss“480, die hier fragliche Vorschrift des Protokolls, die in ihrer ursprünglichen Form aus dem Jahre 1951 stammt, enthielt aber schon damals den Verweis auf die nationalen Immunitätsregelungen. Es ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten als Verfassungsgeber der Gemeinschaft481 stimmungen“ enthalten. Vgl. den Abdruck des Vorentwurfs in der FAZ v. 29. Oktober 2002, S. 8. Ob ein zukünftiger Vertrag über eine Verfassung für Europa letztlich den dargestellten Forderungen gerecht werden wird, kann noch nicht festgestellt werden. 477 So Dorau, S. 164. 478 BVerfGE 3, 225, 231 f. Vgl. auch Bachof, S. 38, wonach man „nicht von einem ,Widerspruch des Verfassungsgebers mit sich selbst‘ (. . .), sondern allenfalls von Regel und Ausnahme“ sprechen könne. Entschließe sich der Verfassungsgeber zu einer bestimmten Regelung, so müsse „darin die authentische Erklärung erblickt werden, dass er diese Regelung als in Übereinstimmung mit den Verfassungsgrundsätzen stehend erachtet, oder dass er sie in Abweichung davon bewusst als Ausnahme von derartigen Grundsätzen zugelassen habe“ – Hervorhebungen im Original. 479 Anerkannte Ausnahmen sind Verstöße gegen Art. 79 Abs. 3 GG und gegen Naturrecht. Siehe Badura, in: HdbStR, § 159 Rn. 7; Dreier, in: Dreier, Art. 79 III Rn. 11; unausgesprochen auch Evers, in: BK, Art. 79 Abs. 3 Rn. 90. 480 Vgl. zu dieser Wortwahl v. Münch, Rn. 99. 481 Siehe Zuleeg, in: GTE, Art. 1 Rn. 17; ders., ZEuP 1993, 475, 477 f. Vgl. auch Herdegen, in: FS Everling, 447, 452.
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts
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bei der Einführung der Direktwahlen bewusst die Immunitätsregelung belassen und damit eine Ausnahme zu den Grundsätzen der Unabhängigkeit und der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments und zu Art. 12 Abs. 1 EG normiert haben, da sie in Art. 4 Abs. 2 der Wahlakte einen direkten Verweis auf das Protokoll geregelt haben482. „Vertragswidriges Vertragsrecht“ ist daher ebenso abzulehnen wie „verfassungswidriges Verfassungsrecht“. Im Ergebnis kann folglich eine Unterscheidung zwischen „Grundsätzen“ und sonstigen Primärrechtsnormen nicht zu einer Rangabstufung im Primärrecht führen483. Eine Rangabstufung innerhalb des primären Gemeinschaftsrechts wäre aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit und Rechtssicherheit zwar wünschenswert, lässt sich jedoch aus der geltenden Rechtslage nicht herleiten. Auch wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber – unter Umständen unbeabsichtigt – wertungswidersprüchlich handelt, so kann doch kein Verstoß von Primärrecht gegen höherrangige Vertragsgrundsätze angenommen werden, weil die Annahme einer Nichtigkeit der fraglichen Norm dem explizit geäußerten Willen des Vertragsgebers widersprechen würde. c) Zwischenergebnis Während die Wahlakte als gegenüber dem Vertragsrecht niederrangig anzusehen ist, kann eine derartige Hierarchie für das Protokoll nicht angenommen werden. 2. Lösung der Widersprüche auf Auslegungsebene? Soweit eine Rangabstufung demnach dem Primärrecht fremd ist, bleibt zur Lösung von Widersprüchen innerhalb des Primärrechts nur der Verweis 482 Art. 4 Abs. 2 der Wahlakte soll durch die vorgesehene Neufassung der Wahlakte in redaktioneller Hinsicht geändert werden. Inhaltliche Änderungen ergeben sich nicht, vgl. ABl. 2002 L 283/1. 483 So auch Heintzen, EuR 1994, 38 („Auch die Unterscheidung von Grundlagennormen und sonstigen Primärrechtsnormen führt zu keiner Rangabstufung, da beide aus derselben Rechtsquelle fließen und beide dem gleichen Änderungsverfahren unterworfen sind.“); Oppermann, Rn. 478 („Grundsatznormen und sachgebietsbezogene Vertragsvorschriften haben den gleichen Rechtsrang“). Vgl. auch R. Bernhardt, in: 30 Jahre Gemeinschaftsrecht, 77, 80. Auch Bleckmann, NVwZ 1993, S. 824, 826, schließt eine Rangabstufung im Primärrecht, allerdings in Bezug auf allgemeine Rechtsgrundsätze, aus, denn er misst den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zwar einen höheren „Wertrang“ als dem Primärrecht zu, welches im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze interpretiert werden müsse. Der EuGH dürfe die Regeln des Primärrechts aber nicht daraufhin überprüfen, ob sie mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen übereinstimmen.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
auf die allgemeinen Auslegungsregelungen, insbesondere auf die lex generalis/lex specialis-Regel484. Auch diese Regel etabliert die hierarchische Position einer Gemeinschaftsnorm anhand des Inhalts dieser Norm485. Die Anwendung der Regel kann teilweise zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, da die „Grundsätze“ des 1. Kapitels des EG-Vertrags wie auch die ungeschriebenen Grundsätze in der Regel aufgrund ihres allgemein gehaltenen Charakters als leges generales zu bewerten sind. Daraus folgt ihre Nachrangigkeit, obwohl sie die „grundlegenden Bestimmungen“486 des Vertrags darstellen. Den grundlegenden Vertragsbestimmungen muss daher im Rahmen der Auslegung der lex-specialis-Vorschriften durch eine „grundsatzkonforme Auslegung“ Rechnung getragen werden487. Insbesondere das Diskriminierungsverbot wird vielfach als „Leitmotiv“488 oder auch „Magna Charta“489 des Vertrags bezeichnet. In der vorliegenden Konstellation ist fraglich, ob die Immunitätsregelung des Protokolls überhaupt in einem lex specialis-Verhältnis zu den einschlägigen Maßstäben steht. Nimmt man mit Schilling eine Spezialität für den Fall an, dass der Tatbestand der speziellen Norm alle Merkmale der allgemeinen Norm und darüber hinaus noch mindestens ein zusätzliches Merkmal enthält490, so ist es hier problematisch, ein eindeutiges lex specialis/lex generalis-Verhältnis festzustellen, denn die Feststellung, dass die Immunitätsregelung alle Merkmale der Grundsätze der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Parlaments und des Diskriminierungsverbots enthält, erscheint schwierig. Versteht man unter der lex specialis-Regel aber mit dem 484 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 411; Bieber, Verfahrensrecht, S. 241 f.; Oppermann, Rn. 478. Vgl. auch R. Bernhardt, in: Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, 77, 80; Bleckmann, Rn. 526, die zusätzlich auf den Vorrang der „lex posterior“ verweisen. 485 Vgl. Bieber/Salomé, CMLR 1996, 907, 910. 486 EuGH, Rs. 43/75, Defrenne, Slg. 1976, 455, 475 Rn. 28/29. 487 Vgl. Chevalier, CMLR 1964/65, 21, 29 ff.; Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 21. Ähnlich auch R. Bernhardt, in: Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, 77, 80, der darauf verweist, dass im Wege der harmonisierenden Interpretation zu versuchen sei, allen Normen des primären Gemeinschaftsrechts gleichermaßen gerecht zu werden. Siehe auch Epiney, S. 90 f., nach der der Abschnitt über die Grundsätze des Vertrages „den allgemeinen und wichtigen Bestimmungen gewidmet“ ist, „die entweder als Auslegungsgrundsätze den Vertrag durchziehen oder aber für die Errichtung der EG und ihr Funktionieren unentbehrliche Vorschriften enthalten, die als Grundprinzipien des Vertrages seine Systematik und Funktionsweise determinieren“ – Hervorhebungen durch die Verfasserin. 488 V. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EG Rn. 1; Epiney, S. 91; dies., in: Calliess/Ruffert, Art. 12 EG Rn. 1; Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 4; Rossi, EuR 2000, 197, 200 f. 489 Ipsen, S. 592; zustimmend Holoubek, in: Schwarze, Art. 12 EG Rn. 4. 490 S. 447 f.
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts
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EuGH, dass eine den Sachverhalt ausdrücklich regelnde Norm Vorrang vor der allgemeineren Norm hat491, so ist die Regelung der Immunität in Art. 10 des Protokolls eindeutig eine Spezialnorm gegenüber den hier relevanten Grundsätzen der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Parlaments sowie des Diskriminierungsverbots. Die vorzunehmende grundsatzkonforme Auslegung des Spezialregelungen enthaltenden Protokolls ist aufgrund des eindeutigen Verweises auf das nationale Recht in Art. 10 des Protokolls nicht hilfreich, da eine solche Auslegung an der Grenze des Wortlauts scheitern muss. Auch eine grundsatzkonforme Auslegung des Protokolls kann somit die aufgezeigten Wertungswidersprüche nicht beseitigen. Eine Auflösung dieser Wertungswidersprüche kann daher nur de lege ferenda durch den Gemeinschaftsgesetzgeber erfolgen.
II. Beeinträchtigung durch rein nationale Regelungen Fraglich ist, ob die rein nationalen Regelungen, soweit sie wie die Diätenregelungen unabhängig von etwaigen Verweisen im Protokoll oder Akt ergangen sind492, aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht am Maßstab des Primärrechts mit dem möglichen Ergebnis der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit gemessen werden können. Zu unterscheiden ist zwischen der Beanstandung der Abhängigkeit des Status von den nationalen Regelungen einerseits und der Beanstandung der dadurch bedingten Ungleichbehandlung der Abgeordneten andererseits. Die nationalen Statusregelungen könnten aufgrund der durch sie bedingten weitgehenden Abhängigkeit des Status der Abgeordneten vom nationalen Recht, die zur Möglichkeit der Einflussnahme auf die Abgeordneten durch die Mitgliedstaaten und damit zu einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments führt, nur als gemeinschaftsrechtswidrig bewertet werden, wenn die Mitgliedstaaten keine Kompetenz zu derartigen Regelungen hätten. Mit einer derartigen 491 So Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 411, unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH zur Wahl der Rechtsgrundlage, insbesondere in Bezug auf Art. 308 EG. Siehe EuGH, Rs. 45/86, Kommission/Rat, Slg. 1987, 1493, 1520 Rn. 13; verb. Rs. C-51/89, 90/89, 94/89, Vereinigtes Königreich u. a./Rat, Slg. 1991, I-2757, 2790 Rn. 6; Rs. C-295/90, Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1992, I-4193, 4233 Rn. 11. 492 Die Note des Rates an die Mitgliedstaaten, in der den Mitgliedstaaten mitgeteilt wird, dass eine Lösung der Diätenfrage auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts nicht zu erwarten sei und der Rat von einer Regelung der Diäten durch die Mitgliedstaaten ausgehe, siehe BT-Drs. 8/2707, S. 2, Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum Gesetzentwurf des EuAbgG, sowie Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 51 Rn. 31, kann nicht als ein formeller Verweis gewertet werden.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Bewertung würde letztlich beanstandet, dass es überhaupt mitgliedstaatliche Regelungen gibt, die Aussagen zum Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments enthalten. Solange aber das Gemeinschaftsrecht seinem in Art. 190 Abs. 5 EG normierten Regelungsauftrag nicht nachkommt, kann das Gemeinschaftsrecht aufgrund der Lückenhaftigkeit der gemeinschaftsrechtlichen Statusregelungen keine Abgeschlossenheit für sich beanspruchen und dürfen die Mitgliedstaaten in den ungeregelten Bereichen Statusregelungen treffen493. In praktischer Hinsicht wird dies dadurch bestätigt, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments ohne die mitgliedstaatlichen Entschädigungsregelungen gar keine Entschädigung erhielten. Da die Entschädigung ein wichtiges Mittel zum Schutz der Unabhängigkeit der Abgeordneten ist, wäre dies ein unbefriedigender Zustand. Messbar könnte an dieser Stelle deshalb allein die Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments aufgrund der Ungleichbehandlungen durch die rein mitgliedstaatlichen Regelungen sein. Zu beachten ist, dass die nationalen Regelungen jeweils einzeln betrachtet keine Ungleichbehandlung der Gesamtheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments enthalten. Erst die Gesamtheit der Regelungen mehrerer bzw. aller Mitgliedstaaten führt zu der zu beanstandenden Ungleichbehandlung494. Es wurde bereits festgestellt, dass ein Verstoß gegen 493 So auch das Verständnis des Bundesgesetzgebers, siehe BT-Drs. 8/362, S. 1 f., Gesetzentwurf der Bundesregierung zum EuAbgG: „Der Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des EP enthält nur wenige Vorschriften über den Status der direkt gewählten Abgeordneten. Darüber hinaus überlässt er deren Regelung der Gesetzgebung der einzelnen Mitgliedstaaten“. Dies ist auch das Verständnis des Rates, der die Mitgliedstaaten aufgefordert hat, nationale Entschädigungsregelungen zu schaffen, siehe BT-Drs. 8/2707, S. 2, Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum Gesetzentwurf des EuAbgG. Kritisch Bieber, EuR 1981, 124, 127; ders., in: Bangemann/Klepsch/Weber/Bieber, S. 193. 494 Obwohl es zu den nationalen Regelungen nur aufgrund der Unfähigkeit des Rates gekommen ist, sich auf eine einheitliche Regelung der Diäten zu einigen, würde eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie ein solches gemeinschaftsrechtliches legislatives Unterlassen zu werten ist, den Rahmen dieser Arbeit sprengen. In seinem Schlussantrag nimmt GA Darmon, Rs. C-41/92, The Liberal Democrats/Europäisches Parlament, Slg. 1993, I-3153, 3167 Rn. 67, im Zusammenhang mit dem Erlass eines einheitlichen Wahlverfahrens an, „dass die ,Entwürfe‘ des Parlaments den Rat in die Lage versetzen, ja sogar verpflichten, einen Beschluss zu fassen“ – Hervorhebung durch die Verfasserin. Auf den Erlass einheitlicher Statusregelungen übertragen, könnte mithin eine Verpflichtung des Rates angenommen werden, nach Art. 190 Abs. 5 EG seine Zustimmung zu einer mit dem Europäischen Parlament abgestimmten Regelung zu erteilen. Die Tatsache, dass die aktuelle Regelung des Status der Abgeordneten in weiten Teilen im Wertungswiderspruch zu wichtigen Grundsätzen des Gemeinschaftsrecht steht, unterstützt die Annahme einer derartigen Verpflichtung des Rates. Auch laut Commentaire Mégret, Bd. 9, S. 51 Rn. 32, führt
B. Rechtsfolge der Beeinträchtigung des Primärrechts
227
das Diskriminierungsverbot nicht angenommen werden kann, weil die Regelungen durch eine Mehrzahl von Hoheitsträgern erlassen wurden495. Dieses Ergebnis und die zugrundliegende Argumentation könnte auf die Beurteilung der Rechtsfolge der Beeinträchtigungen der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments durch die Ungleichbehandlungen zu übertragen sein. Mit einer derartigen Beanstandung der Ungleichbehandlung durch die Gesamtheit der mitgliedstaatlichen Regelungen würde den Mitgliedstaaten letztlich eine Harmonisierungspflicht auferlegt, die nationalen Statusregelungen für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments einheitlich auszugestalten. Wie bereits festgestellt wurde, ist die Harmonierung des Rechts aber „eine schwierige Aufgabe, zu deren Lösung der Gemeinschaft ein komplexes Instrumentarium an die Hand gegeben wurde“496. Dabei kennt das Gemeinschaftsrecht keinen Anspruch auf Rechtsangleichung497. Dementsprechend wurde ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aufgrund der bloßen Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen abgelehnt, weil „auf diesem Weg die Harmonisierung erzwungen und die abgestufte Harmonisierungspolitik der Gemeinschaft umgangen werden könnte“498. Eben dies würde jedoch auch durch die Annahme einer aufgrund der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments bestehenden Rechtswidrigkeit der die Ungleichbehandlungen begründenden diversen nationalen Statusregelungen herbeigeführt. Die Annahme der Rechtswidrigkeit der diversen nationalen Statusregelungen, die zu der die Unabhängigkeit und die Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments beeinträchtigenden Ungleichbehandlung der Abgeordneten führen, würde letztlich zu einer „über die Hintertür eingeführten“ Harmonierungspflicht der Mitgliedstaaten durch eine Abstimmung ihrer nationalen Regelungen führen. Dies stünde im Widerspruch zum EG-Vertrag, wonach die Harmonisierung der Statusregelungen über eine einheitliche gemeinschaftsrechtliche Regelung gemäß Art. 190 Abs. 5 EG zu erfolgen hat, auch wenn der Rat bislang keiner derartigen Regelung zugestimmt hat. Es erscheint daher nicht sachgerecht, eine Messbarkeit der Gesamtheit der rein mitgliedstaatlichen Regelungen am Maßstab des Gemeinschaftsdie lange Zeit des Nichthandelns des Rates dazu, dass sich die Frage einer Vertragsverletzung stellt. 495 Siehe oben S. 185. 496 Kischel, EuGRZ 1997, 1, 9. Siehe oben S. 184 ff. 497 Heintzen, EWS 1990, 82, 84 m. w. N. Vgl. auch Langeheine, in: Grabitz/Hilf, Art. 100 EG Rn. 11, sowie Müller-Graff, EuR 1989, 107, 128 Fn. 140, die feststellen, dass weder aus Art. 100 EG (heute Art. 94 EG) noch aus Art. 100a EG (heute Art. 95 EG) eine Handlungspflicht der Organe der Gemeinschaft abgeleitet werden kann. 498 Kischel, EuGRZ 1997, 1, 9. Siehe auch oben S. 184 ff.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
rechts mit dem Ergebnis der Rechtswidrigkeit anzunehmen. Auch die rein mitgliedstaatlichen Statusregelungen sind daher nicht rechtswidrig. Es ist „nur“ ein Wertungswiderspruch zwischen den Statusregelungen und den Grundsätzen der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie des Diskriminierungsverbots des Art. 12 Abs. 1 EG festzustellen.
III. Ergebnis Im Ergebnis ist lediglich für die Wahlakte ein niederer Rang gegenüber den Maßstäben der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie des Diskriminierungsverbots des Art. 12 Abs. 1 EG und damit eine Rechtswidrigkeit des die nationalen Inkompatibilitätsvorschriften erlaubenden Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte zu bejahen499. Alle anderen, den Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments begründenden Regelungen, d.h. sowohl die gemeinschaftsrechtliche Regelung des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls als auch die rein mitgliedstaatlichen Regelungen, können nicht an den relevanten Maßstäben mit dem Ergebnis der Rechtswidrigkeit gemessen werden. Diese Statusregelungen stehen lediglich in einem Wertungswiderspruch zu den genannten Grundsätzen. Dieser Wertungswiderspruch muss durch die Verabschiedung einer einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf der Grundlage des Art. 190 Abs. 5 EG de lege ferenda aufgelöst werden.
C. Rechtsschutzmöglichkeiten Nachdem festgestellt wurde, dass die meisten Regelungen bezüglich des Status der Abgeordneten lediglich als wertungswidersprüchlich zu einigen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gewertet werden können, stellt sich die Frage einer Rechtsschutzmöglichkeit nur für die Regelung der Inkompatibilität in Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte. Einzig diese kann als gemeinschaftsrechtswidrig bewertet werden. Es kommen ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EG sowie eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EG gegen diese Vorschrift in Betracht.
499 Zur Übertragbarkeit dieser Argumentation auf die durch den Ratsbeschluss vorgesehene geänderte Fassung des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte siehe unten S. 233 ff.
C. Rechtsschutzmöglichkeiten
229
I. Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG Der Rechtsweg zum EuGH gegen Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte könnte zunächst gemäß Art. 226 EG eröffnet sein. Der EuGH entscheidet gemäß Art. 226 EG darüber, ob ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus dem EG-Vertrag verstoßen hat. Nachdem das Europäische Parlament zunächst einen Entwurf für allgemeine unmittelbare Wahlen nach einem einheitlichen Wahlverfahren erarbeitet hatte, ist die Wahlakte durch den Rat erlassen und von diesem den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfohlen worden. Erst durch die Annahme durch die Mitgliedstaaten wurden die Vorschriften wirksam. Da die Annahme konstitutive Bedeutung hat500, der Vorschlag des Europäischen Parlaments und die Beschlussfassung im Rat mithin einen lediglich vorbereitenden Charakter haben, erscheint es vorliegend sachgerecht, auf die Verabschiedung durch die Mitgliedstaaten abzustellen. Es liegen daher mitgliedstaatliche Handlungen vor. Eine Besonderheit besteht aber darin, dass die primärrechtliche Regelung der Wahlakte durch Handlungen aller Mitgliedstaaten zustande gekommen ist. Unter Bezug auf die Einhaltung sowohl der formellen Grenzen der Vertragsänderung durch Art. 48 EUV als auch bezüglich begrenzter materieller Vertragsänderungsgrenzen besteht weitgehende Einigkeit, dass eine Rechtswegseröffnung nach Art. 226 EG auch dann angenommen werden kann, wenn es sich um mögliche Vertragsverletzungen durch das Verhalten der Gesamtheit der Mitgliedstaaten handelt501. Dieses Verständnis kann insbesondere auf den Wortlaut des Art. 226 EG gestützt werden, der mit der Formulierung „Hat nach Auffassung der Kommission ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstoßen (. . .)“, für die Interpretation offen ist, dass die Kommission aufgrund von Vertragsverletzungen jeweils gegen alle Mitgliedstaaten und damit im Ergebnis auch gegen eine kollektive Vertragsverletzung durch die Mitgliedstaaten vorgehen kann502. Der EuGH hat zu einer derartigen Konstellation noch nicht Stellung neh500
Lenz, S. 106. Vgl. Bieber, RMC 1993, 343, 348; ders., ZSchwR 1993, 327, 334; da Cruz Vilaça/Piçarra, CahDrEuR 1993, 3, 18; König/Pechstein, EuR 1998, 130, 140; Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 6; Vedder/Folz, Art. 48 EU Rn. 34. Ebenso Wuermeling, S. 136 m. w. N., in Bezug auf die Kontrolle von Gemeinschaftskonventionen gemäß Art. 220 EG. A. A. Hofmann, S. 90 f., der die Kompetenz des EuGH zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Primärrecht verneint, da er gemäß Art. 220 EG i.V. m. Art. 46 EU nur für die Auslegung und die Anwendung der Verträge zuständig sei. 502 Darauf verweist insbesondere Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 6. 501
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
men müssen. Angesichts der Aussage des EuGH in der Entscheidung Les Verts, wonach die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft der Art ist, dass weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane der Kontrolle darüber entzogen sind, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, stehen“503, lässt sich annehmen, dass der EuGH im Sinne einer „generellen gerichtlichen Kontrolle“504 ein Verfahren nach Art. 226 EG gegen alle Mitgliedstaaten als zulässig erachten würde. Es erscheint demnach möglich, dass auch eine primärrechtliche Norm wie Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte, die durch Handlungen aller Mitgliedstaaten entstanden ist, der Kontrolle des EuGH nach Art. 226 EG unterworfen sein kann. Der Rechtsweg zum EuGH ist folglich eröffnet. Parteifähig sind als Kläger nur die Kommission und als Beklagte die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Bevor die Kommission wegen der Vertragsverletzung durch Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte den EuGH anrufen darf, müsste sie ein mehrstufiges Vorverfahren durchführen505. Zunächst müsste sie den Mitgliedstaaten ein sog. erstes Mahnschreiben zukommen lassen. Würde die Vertragsverletzung nicht in der im Mahnschreiben gesetzten Frist durch die Mitgliedstaaten abgestellt, könnte die Kommission eine begründete Stellungnahme abgeben, in der die Mitgliedstaaten wiederum unter Fristsetzung zur Beseitigung der Verletzung aufgefordert würden. Nach erneutem fruchtlosen Fristablauf wäre die Kommission berechtigt, Klage zu erheben. Zulässige Klagegegenstände im Verfahren nach Art. 226 EG sind nur staatliche Vertragsverstöße506. Ein solcher Verstoß liegt mit der Verabschiedung des gegen die Grundsätze der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG verstoßenden Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte durch die Mitgliedstaaten vor. Den mitwirkenden Handlungen der Gemeinschaftsorgane an der Verabschiedung der Wahlakte ist lediglich vorbereitende Bedeutung zuzusprechen. Da Art. 226 EG ein objektives Beanstandungsverfahren regelt und nicht dem Schutz der Rechte der Kommission zu dienen bestimmt ist, verlangt der EuGH keinen Nachweis eines spezifischen Rechtsschutzinteresses der Kommission507. 503 EuGH, Rs. 294/83, Les Verts, Slg. 1986, 1339, 1365 Rn. 23; EuG, verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II-2823, 2859 f. Rn. 48. 504 So das Verständnis der EuGH-Entscheidung Les Verts von Gaudin, RTDE 1999, 1, 19, die von einer „contrôle juridictionnel généralisé“ spricht. 505 Siehe ausführlich zu diesem Vorverfahren Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 226 EG Rn. 5 ff.; Krück, in: GTE, Art. 169 Rn. 16 ff.; Schwarze, in: Schwarze, Art. 226 EG Rn. 11 ff. 506 Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 226 EG Rn. 27. 507 EuGH, Rs. C-431/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2189, 2219 Rn. 21 m. w. N.
C. Rechtsschutzmöglichkeiten
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Ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Mitgliedstaaten wegen Erlasses des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte wäre danach zulässig. Aufgrund der festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments und gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG ist davon auszugehen, dass der EuGH eine Klage gegen Art. 6 Abs. 2 EG als begründet ansehen würde. Da es sich bei dem Verfahren nach Art. 226 EG lediglich um eine Feststellungsklage handelt, würde der EuGH feststellen, dass die Mitgliedstaaten durch die Verabschiedung des Art. 6 Abs. 2 EG gegen den Vertrag verstoßen haben. Gemäß Art. 171 Abs. 1 EG ist an die Feststellung des Vertragsverstoßes durch den EuGH die Handlungspflicht der Mitgliedstaaten geknüpft, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen508. Kommen die Mitgliedstaaten ihrer Handlungspflicht nicht nach, kann die Kommission gemäß Art. 228 Abs. 2 EG ein weiteres, spezielles Vertragsverletzungsverfahren bei Nichtbeachtung eines Urteils des EuGHs einleiten, bei dem der EuGH die Möglichkeit der Verhängung eines Pauschalbetrages oder eines Zwangsgeldes hat.
II. Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG Eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG gegen Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte ist hingegen nicht zulässig, denn Klagegegenstände einer derartigen Nichtigkeitsklage sind gemäß Art. 230 Abs. 1 EG gemeinsame Handlungen des Europäischen Parlaments und des Rates sowie Handlungen des Rates, der Kommission und der EZB und Handlungen des Europäischen Parlaments mit Rechtswirkungen gegenüber Dritten. Damit macht der Vertragstext deutlich, dass Art. 230 EG Rechtsschutz gegenüber Handlungen der Organe der Gemeinschaft, nicht aber gegenüber Handlungen der Mitgliedstaaten gewähren soll509. Der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht durch die Mitgliedstaaten aufgrund der Ratifizierung des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte kann daher nicht gemäß Art. 230 EG mit der Folge der Nichtigkeit beanstandet werden, auch wenn die Rechtsfolge der Nichtigkeit sachgerechter erscheinen mag. Der Vertrag sieht für gerichtliche Verfahren gegen das Verhalten der Mitgliedstaaten mit Art. 226 EG ein „behutsameres Verfahren“ 508 Siehe Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 228 EG Rn. 3; Krück, in: GTE, Art. 171 Rn. 3 f.; Schwarze, in: Schwarze, Art. 228 EG Rn. 4; Streinz, Rn. 510. 509 Siehe Bieber, RMC 1993, 343, 349; Meng, in: GTE, Art. N EU Rn. 6; Streinz, Rn. 519. Gestützt wird dies durch die Rspr. des EuGH, wonach der Vertrag über die Europäische Union keine Handlung eines Gemeinschaftsorgans im Sinne des Art. 173 EG (heute Art. 230 EG) darstelle und folglich das Gericht nicht zuständig sei, über die Rechtmäßigkeit seiner Bestimmungen zu befinden. Siehe EuGH, Rs. C-264/94 P, Bonnamy/Rat, Slg. 1995, 17, 19 f. Rn. 4, 11; EuG, Rs. T584/93, Roujansky/Rat, Slg. 1994, II-585, 592 Rn. 15 m. w. N.
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
mit der Vorschaltung eines Vorverfahrens vor510. Es kann auch nicht auf die Handlungen der Gemeinschaftsorgane gemäß Art. 138 Abs. 3 EWG (heute Art. 190 Abs. 4 EG), den Entwurf durch das Parlament und den Erlass durch den Rat, abgestellt werden. Denn Handlungen, die lediglich eine entscheidungsvorbereitende, unverbindliche Zwischenentscheidung darstellen, können nicht nach Art. 230 EG angefochten werden511. Eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EG käme allenfalls in Betracht, wenn auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte Ausführungsakte durch Gemeinschaftsorgane erlassen würden512. Ausführungsakte des Europäischen Parlaments sind im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte aber nicht ersichtlich. So macht Art. 11 der Wahlakte deutlich, dass das Europäische Parlament die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse lediglich zur Kenntnis nimmt und nur über Anfechtungen befindet, „die gegebenenfalls aufgrund der Vorschriften dieses Akts – mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird – vorgebracht werden könnten“. Auch für den Fall einer im Verlauf der Ausübung des Mandats eingetretenen Inkompatibilität legt Art. 12 Abs. 2 der Wahlakte lediglich Folgendes fest: „Hat das Freiwerden (eines Sitzes) seine Ursache in den in einem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften, so unterrichtet dieser Mitgliedstaat das Europäische Parlament hierüber, das davon Kenntnis nimmt.“ Die Vorschrift sieht demgegenüber für alle übrigen Fälle vor, dass das Europäische Parlament das Freiwerden feststellt und den Mitgliedstaat hierüber unterrichtet. Auch eine Nichtigkeitsklage gegen Ausführungsakte auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte scheidet daher mangels Ausführungsakten von Gemeinschaftsorganen aus513.
III. Ergebnis Ein von der Kommission eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren gegen Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte ist die einzige Rechtsschutzmöglichkeit ge510 Hierauf verweist Wuermeling, S. 136, im Rahmen einer Untersuchung darüber, inwieweit Gemeinschaftskonventionen gemäß Art. 293 EG einer gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH unterworfen sind. 511 Siehe Bleckmann, Rn. 843; Cremer, in: Calliess/Ruffert, Art. 230 EG Rn. 16; Erichsen/Weiß, Jura 1990, 528, 531; Krück, in: GTE, Art. 173 Rn. 10; Schwarze, in: Schwarze, Art. 230 EG Rn. 20. 512 Auf diesen Weg der indirekten Kontrolle mitgliedstaatlichen Handelns verweist Bieber, RMC 1993, 343, 349; ders., ZSchwR 1993, 327, 334. 513 Zwar sieht die vom Rat beschlossene Neufassung der Wahlakte eine Änderung der Art. 11, 12 der Wahlakte vor, sie führt aber keine Ausführungsakte von Gemeinschaftsorganen auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 2 (in der Neufassung: Art. 6 Abs. 3) ein. Vgl. ABl. 2002 L 283/1.
D. Auswirkungen der vorgesehenen Änderung der Wahlakte
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gen die derzeitige Ausgestaltung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments.
D. Auswirkungen der vorgesehenen Änderung der Wahlakte auf deren Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht Nachdem sich der Rat und das Europäische Parlament auf eine Änderung der Wahlakte zur Vereinheitlichung des Wahlverfahrens für die Wahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament geeinigt haben, hat der Rat am 25. Juni und 23. September 2002 eine Neufassung der Wahlakte beschlossen514. Abzuwarten bleibt die gemäß Art. 190 Abs. 4 EG erforderliche Annahme der Bestimmungen durch die Mitgliedstaaten gemäß ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften. Tritt die Änderung in Kraft, so hat sie in Teilen Auswirkung auf den Status der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Fraglich ist, ob die beschlossenen Neuregelungen mit dem bestehenden Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.
I. Statusrelevante Änderungen der geltenden Rechtslage Während für die Regelung des freien Mandats in Art. 4 Abs. 1 der Wahlakte gar keine und für die über den Verweis auf das Protokoll über Vorrechte und Befreiungen in Art. 4 Abs. 2 der Wahlakte geltende Indemnität sowie Immunität lediglich eine redaktionelle Änderung vorgesehen ist, sollen die in Art. 5 und 6 der Wahlakte enthaltenen Regelungen zu den Inkompatibilitäten umfassend neugefasst werden. Vorgesehen ist zunächst eine Ausweitung der in Art. 6 Abs. 1 der Wahlakte geregelten gemeinschaftsweit geltenden Inkompatibilitäten. Zukünftig sollen auch die Eigenschaft als Richter des Gerichts erster Instanz, als Mitglied des Direktoriums der EZB und als Bürgerbeauftragter der Europäischen Gemeinschaften unvereinbar mit der Mitgliedschaft im Europäischen Parlament sein515. Die Neufassung sieht neben der Aufhebung des bisherigen Art. 5 der Wahlakte („fakultatives Doppelmandat“) in einem neu geschaffenen Art. 6 Abs. 2 ein explizites Verbot des Doppelmandats vor, wobei für Großbritannien und Irland Übergangsregelungen gelten sollen516. Dieses Verbot des 514
Vgl. ABl. 2002 L 283/1. Die darüber hinaus vorgesehene Änderung des Art. 6 Abs. 1 der Wahlakte betrifft klarstellende und redaktionelle Aspekte, vgl. ABl. 2002 L 283/1. 515
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3. Teil: Vereinbarkeit mit geltendem Gemeinschaftsrecht
Doppelmandats vollendet die Loslösung des Europäischen Parlaments von den nationalen Parlamenten517. Schließlich sieht der Ratsbeschluss vor, dass Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte durch Art. 6 Abs. 3 n. F. ersetzt wird. Abs. 3 n. F. bestimmt: „Ferner kann jeder Mitgliedstaat nach Artikel 7 (bislang: Artikel 7 Absatz 2) innerstaatlich geltende Unvereinbarkeiten ausweiten (bislang: festlegen)“518. Der Begriff „ausweiten“ kann nur so interpretiert werden, dass die bislang geltenden mitgliedstaatlichen Inkompatibilitätsregelungen weiter Bestand haben und neue Regelungen hinzugefügt werden können, eine Streichung bislang geltender Inkompatibilitäten jedoch ausgeschlossen ist. Die Ausweitung steht gemäß Artikel 7 n. F. unter dem Vorbehalt, dass das eingeführte Verhältniswahlsystem durch die innerstaatlichen Vorschriften nicht völlig in Frage gestellt werden darf519. Deutlich wird damit, dass die dargestellten Unterschiede in der Behandlung der Abgeordneten im Bereich der Inkompatibilitäten bestehen bleiben520 und sogar ausgeweitet werden können.
II. Vereinbarkeit der vorgesehenen Inkompatibilitätsregelungen mit geltendem Gemeinschaftsrecht Fraglich ist, ob die vorgesehene Neuregelung der Inkompatibilitäten in Art. 6 Abs. 3 n. F. der Wahlakte gemeinschaftsrechtskonform ist. Festgestellt wurde bereits, dass nur eine gemeinschaftsrechtliche Inkompatibilitätsregelung, die keine Verweise auf das nationale Recht enthält, den Anforde516
Art. 6 Abs. 2 n. F. der Wahlakte soll die folgende Fassung erhalten: „Ab der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 ist die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament unvereinbar mit der Eigenschaft als Abgeordneter eines nationalen Parlaments. Abweichend von dieser Regel und unbeschadet des Absatzes 3 – können die Abgeordneten des nationalen irischen Parlaments, die in einer folgenden Wahl in das Europäische Parlament gewählt werden, bis zur nächsten Wahl zum nationalen irischen Parlament ein Doppelmandat ausüben; ab diesem Zeitpunkt ist Unterabsatz 1 anwendbar; – können die Abgeordneten des nationalen Parlaments des Vereinigten Königreichs, die während des Fünfjahreszeitraums vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments sind, bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2009 ein Doppelmandat ausüben; ab diesem Zeitpunkt ist Unterabsatz 1 anwendbar.“ 517 Siehe dazu bereits oben S. 126 f. 518 ABl. 2002 L 283/1 – Hervorhebungen und Ergänzungen durch Verfasserin. 519 Der Art. 7 n. F. der Wahlakte soll folgende Fassung erhalten: „Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Akts bestimmt sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften. Diese innerstaatlichen Vorschriften, die gegebenenfalls den Besonderheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen können, dürfen das Verhältniswahlsystem insgesamt nicht in Frage stellen.“ 520 Siehe dazu oben S. 112 ff.
D. Auswirkungen der vorgesehenen Änderung der Wahlakte
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rungen des Gemeinschaftsrechts gerecht wird. Eine Regelung, die Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte in diesem Aspekt entspricht, wäre ein nicht gerechtfertigter Verstoß521 gegen die Grundsätze der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie gegen das in Art. 12 Abs. 1 EG normierte Diskriminierungsverbot. Indem Art. 6 Abs. 3 n. F. der Wahlakte die bestehenden nationalen Inkompatibilitätsregelungen festschreibt, hält er den Verweis auf das nationale Recht und damit die Abhängigkeit des Status der Abgeordneten vom nationalen Recht aufrecht. Die Einführung von neuen Inkompatibilitätsregelungen durch die Mitgliedstaaten ist zwar durch den Vorbehalt des Art. 7 n. F. der Wahlakte formal begrenzt. Da jedoch nicht ersichtlich ist, inwieweit das Verhältniswahlsystem insgesamt durch Inkompatibilitätsregelungen in Frage gestellt werden kann, ist kein wesentlicher materieller Unterschied zu der bisherigen Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten gemäß Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte in der geltenden Fassung zu erkennen. Folglich hält Art. 6 Abs. 3 n. F. der Wahlakte den bislang in Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte enthaltenen Verweis auf das nationale Recht in seinen wesentlichen Aspekten aufrecht. Wie dieser stellt Art. 6 Abs. 3 n. F. der Wahlakte daher einen unzulässigen Verstoß gegen die Grundsätze der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie gegen das in Art. 12 Abs. 1 EG normierte Diskriminierungsverbot dar. Da Vorschriften zur Änderung der Wahlakte den gleichen Rechtsrang wie die Wahlakte selbst besitzen, steht Art. 6 Abs. 3 n. F. der Wahlakte im Rang unter Grundsätzen der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie des Diskriminierungsverbots des Art. 12 Abs. 1 EG522. Eine Rechtswidrigkeit des die nationalen Inkompatibilitätsvorschriften erlaubenden Art. 6 Abs. 3 n. F. der Wahlakte ist daher zu bejahen. Gegen Art. 6 Abs. 3 n. F. wäre nach Inkrafttreten des Beschlusses des Rats ein von der Kommission eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EG möglich523.
521 Siehe zu dem Aspekt der Rechtfertigung staatlicher Inkompatibilitätsregelungen bereits oben S. 193 f. 522 Zum Rang der Wahlakte siehe oben S. 200 ff. 523 Siehe dazu die auf Art. 6 Abs. 3 n. F. der Wahlakte übertragbaren Ausführungen zu den Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte in der geltenden Fassung oben S. 228 ff.
4. Teil
Aktueller Statutsentwurf Durch den Vertrag von Amsterdam wurde mit Art. 190 Abs. 5 EG eine eindeutige gemeinschaftsrechtliche Kompetenzgrundlage für die Schaffung einer einheitlichen Regelung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments geschaffen. Auf der Grundlage dieser Kompetenznorm, die dem Europäischen Parlament das Initiativrecht einräumt, sind seit 1998 diverse Entwürfe entstanden1. Der derzeit aktuelle Entwurf wurde am 9. April 2002 vom Ausschuss für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments angenommen2. Dieser Entwurf bildet die Grundlage der nachfolgenden Untersuchungen3. Derzeit wird im Ausschuss für Recht und Binnenmarkt von dem Berichterstatter Rothley ein neuer Bericht zum Thema Abgeordnetenstatut ausgearbeitet. Auf der Grundlage dieses Berichts könnte anschließend das Europäische Parlament nach einer Anhörung der Kommission das Abgeordnetenstatut beschließen. Bevor das Abgeordnetenstatut in Kraft treten kann, ist gemäß Art. 190 Abs. 5 EG zudem eine Zustimmung des Rates erforderlich4. 1 Siehe zu dieser Entwicklung und den diversen Entwürfen aus den Jahren 1998 und 1999 bereits oben S. 45 f. Siehe auch die folgende Berichterstattung: FAZ v. 21. Oktober 1998, S. 8; FAZ v. 22. Oktober 1998, S. 10; FAZ v. 23. April 1999, S. 8; FAZ v. 29. April 1999, S. 1; FAZ v. 06. Mai 1999, S. 2; FAZ v. 14. Mai 1999, S. 2; Bünder, FAZ v. 20. November 2000, S. 6; Adolphs, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 03. Dezember 2000, S. 8; FAZ v. 31. August 2001, S. 7; Hort, FAZ v. 03. November 2001, S. 6; FAZ v. 30. März 2002, S. 7; FAZ v. 11. April 2002, S. 2; FAZ v. 30. November 2002, S. 2; FAZ v. 06. Dezember 2002, S. 2. 2 Siehe PE 294.967/REV, Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 10. April 2002 an den Präsidenten des Europäischen Parlaments mit den wesentlichen Elementen des Abgeordnetenstatuts, Verfasser Willi Rothley. Siehe auch den vorläufigen „Entwurf eines Berichts zum Entwurf des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments“ vom 04. Oktober 2002, Ausschuss für Recht und Binnenrecht, Berichterstatter Willi Rothley, zu finden unter: http://www.europarl. eu.int/meetdocs/committees/juri/20021007/478966de.pdf. 3 Der Text dieses Entwurfs ist dieser Arbeit als Anhang beigefügt. Der Entwurf wird im Folgenden mit der Abkürzung „EAbgStatut (04/2002)“ gekennzeichnet, damit deutlich wird, welcher Entwurf untersucht wird. 4 Diese Zustimmung muss nicht vor der Beschlussfassung des Parlaments erfolgen, vgl. PE 324.182, Arbeitsdokument über das Verfahren zur Annahme des Sta-
B. Kurzdarstellung der vorgesehenen Regelungsinhalte
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A. Rechtsgrundlage: Art. 190 Abs. 5 EG Mit dem durch den Amsterdamer Vertrag eingefügten Art. 190 Abs. 5 EG erhielt das Europäische Parlament die Kompetenz, nach Anhörung der Kommission und mit Zustimmung des einstimmig beschließenden Rates „die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung der Aufgaben seiner Mitglieder“ festzulegen. Damit stand seine Kompetenz fest, parlamentsrechtliche Regelungen für seine Mitglieder zu treffen5. Durch den Vertrag von Nizza aus dem Jahr 2000 wurde das Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat durch die Möglichkeit einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung ersetzt; bezüglich der Regelung von Steuerfragen betreffend die Mitglieder des Europäischen Parlaments bleibt es bei dem Einstimmigkeitserfordernis6. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Nizza erhöhen sich die Chancen für die Verabschiedung eines Abgeordnetenstatuts, weil nunmehr nur noch für die Frage der Besteuerung der Bezüge der Abgeordneten eine Einstimmigkeit im Rat erforderlich ist.
B. Kurzdarstellung der vorgesehenen Regelungsinhalte Gemäß Art. 1 EAbgStatut (04/2002) regelt das vorgeschlagene Statut „die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments und die allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung ihres Mandats“.
I. Inhaltsübersicht Im Einzelnen sieht das vorgeschlagene Statut Regelungen in folgenden Bereichen vor: In einem ersten Abschnitt sind die „Rechtsverhältnisse der Abgeordneten“ zusammengefasst: • Prüfung des Mandats, Art. 2 EAbgStatut (04/2002), • Dauer des Mandats, Art. 3 EAbgStatut (04/2002), tuts der Abgeordneten vom 09. Januar 2003, Ausschuss für Recht und Binnenmarkt, Verfasser Willi Rothley, S. 3. 5 Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 48. 6 Art. 190 Abs. 5 EG hat durch den Vertrag von Nizza die folgende Fassung erhalten: „Das Europäische Parlament legt nach Anhörung der Kommission und mit Zustimmung des Rates, der mit qualifizierter Mehrheit beschließt, die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung der Aufgaben seiner Mitglieder fest. Alle Vorschriften und Bedingungen, die die Steuerregelung für die Mitglieder oder ehemaligen Mitglieder betreffen, sind vom Rat einstimmig festzulegen.“
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• • • • • • • • • • •
4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
Erlöschen und Nachfolge des Mandats, Art. 4, 5 EAbgStatut (04/2002), Regelung des freien Mandats, Art. 6 EAbgStatut (04/2002), Initiativrecht der Abgeordneten, Art. 7 EAbgStatut (04/2002), Schutz des Mandats, Art. 8 EAbgStatut (04/2002), Schutz der Informationsfreiheit, Art. 9, 10 EAbgStatut (04/2002), Schutz der Abstimmungs- und Meinungsfreiheit – Indemnität, Art. 11 EAbgStatut (04/2002), Schutz der Integrität des Parlaments – Immunität, Art. 12 EAbgStatut (04/2002), Freizügigkeit, Art. 13 EAbgStatut (04/2002), Recht auf Akteneinsicht, Art. 14 EAbgStatut (04/2002), Bildung von Fraktionen, Art. 15 EAbgStatut (04/2002), und Rechtsstellung der Fraktionen, Art. 16 EAbgStatut (04/2002).
In einem zweiten Abschnitt werden die „allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung des Mandats“ geregelt: • Abgeordnetenentschädigung, Übergangsgeld, Ruhegehalt und Pension, Art. 17 EAbgStatut (04/2002), • Finanzierung, Art. 18 EAbgStatut (04/2002), • Kostenerstattung, Art. 19 EAbgStatut (04/2002), • Persönliche Mitarbeiter, Art. 20 EAbgStatut (04/2002), • Technische Mittel, Art. 21 EAbgStatut (04/2002), • Sprachen, Art. 22 EAbgStatut (04/2002), • Krankheitskosten, Art. 23 EAbgStatut (04/2002), • Versicherungsschutz, Art. 24 EAbgStatut (04/2002), • Ausübung des Mandats im Herkunftsland, Art. 25 EAbgStatut (04/2002), • Besteuerung, Art. 26 EAbgStatut (04/2002), und • Veröffentlichung, Art. 27 EAbgStatut (04/2002). Ein dritter Abschnitt regelt die Übergangs- und Schlussbestimmungen: • Inkrafttreten, unmittelbare Geltung und Übergangsregelung, Art. 28 EAbgStatut (04/2002). Der Anhang zum EAbgStatut enthält schließlich detaillierte Regelungen zu folgenden Bereichen: • Entschädigung, Art. 1 bis 3 EAbgStatut-Anhang (04/2002), • Übergangsgeld, Art. 4 EAbgStatut-Anhang (04/2002), • Ruhegehalt, Art. 5, 6 EAbgStatut-Anhang (04/2002),
B. Kurzdarstellung der vorgesehenen Regelungsinhalte
• • • • •
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Invalidität, Art. 7 EAbgStatut-Anhang (04/2002), Häufung von Ansprüchen, Art. 8 EAbgStatut-Anhang (04/2002), Hinterbliebenenversorgung, Art. 9 EAbgStatut-Anhang (04/2002), Pensionsfonds, Art. 10, 11 EAbgStatut-Anhang (04/2002), sowie eine Übergangsregelung, Art. 12 EAbgStatut-Anhang (04/2002).
II. Überblicksanalyse Auffällig ist, dass der jüngste Entwurf – im Gegensatz zu dem vom Europäischen Parlament im Jahre 1998 verabschiedeten Entwurf7 und dem diesem vorangegangenen Rothley-Bericht8 – anscheinend darauf abzielt, den Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments umfassend zu regeln. Es finden sich mit Regelungen zum freien Mandat, zum Schutz des Mandats, zur Immunität, zur Indemnität, zum Zeugnisverweigerungsrechts, zur Freizügigkeit und ausführlich zur Entschädigung der Abgeordneten alle sog. außerorganisatorischen Statusrechte – mit Ausnahme einer Regelung der Inkompatibilitäten. Dieser Ausschluss lässt sich damit erklären, dass die Inkompatibilitäten auch als Teil des Wahlrechts gewertet werden können9 und derzeit mit Art. 6 der Wahlakte und für Deutschland mit § 22 EuWG dort geregelt sind. Auch die Kommission hatte in ihrem Bericht zum Abgeordnetenstatut befürwortet, die Regelung der Inkompatibilitäten in einen das Wahlrecht vereinheitlichenden Akt auf der Grundlage von Art. 190 Abs. 4 EG aufzunehmen10. Zusätzlich zu den außerorganisatorischen Statusrechten sind mit dem Initiativrecht, dem Recht auf Akteneinsicht, den Regelungen zur Bildung von Fraktionen und zur Rechtsstellung der Fraktionen sowie der Sprachenregelung auch einige innerorganisatorische Statusrechte geregelt. Demgegenüber sah der vom Europäischen Parlament 1998 angenommene Entwurf keine eingehende Regelung der Indemnität, der Immunität und des Zeugnisverweigerungsrechts vor und regelte auch die Inkompatibilitäten nicht abschließend. Vielmehr sollte dieser Statutsentwurf gemäß Art. 17 7 Siehe hier und auch im Folgenden ABl. 1998, C 398/11, 24, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 03. Dezember 1998. Dieser Entwurf wird im Folgenden mit „EAbgStatut (12/1998)“ abgekürzt. 8 Siehe hier und auch im Folgenden Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/ 98. 9 Vgl. Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 53. 10 SEC (1999) 655 final, Opinion of the Commission on the statute for members of the European Parliament, vom 01. Mai 1999, S. 3. Dieser Bericht bezieht sich auf den vom Parlament 1998 angenommenen Entwurf.
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
Abs. 1 EAbgStatut (12/1998) die Bestimmungen der Art. 1 bis 6 der Wahlakte und der Art. 8 bis 10 des Protokolls ergänzen. In diesen Zusammenhang passt die Tatsache, dass der ursprüngliche Vorschlag des Berichterstatters Rothley nur Regelungen bezüglich der Unabhängigkeit, der Dauer des Mandats und in seinem Schwerpunkt Regelungen der Abgeordnetenentschädigung und Kostenerstattung vorsah. Die Vorschriften über Unvereinbarkeiten, Aufhebung der Immunität und die Detailregelungen zur Prüfung des Mandats, zum Freiwerden des Sitzes und zur Nachfolge sind erst im Rahmen der Plenarsitzung in den Parlamentsentwurf aus dem Jahre 1998 eingefügt worden, nachdem der Rothley-Bericht aufgrund der Konzentration auf die finanziellen Aspekte stark kritisiert worden war. So hatten sowohl ein Minderheitsvotum zum Rothley-Bericht11 als auch der Institutionelle Ausschuss des Europäischen Parlaments in seiner Stellungnahme12 aus Gründen der Transparenz eine Zusammenfassung aller Regelungen, die die Mitglieder des Europäischen Parlaments betreffen, in einer konsolidierten Fassung ohne Verweise gefordert. Auch Regelungen zu innerorganisatorischen Statusrechten sahen weder der Rothley-Bericht noch der vom Europäischen Parlament 1998 verabschiedete Entwurf vor.
C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen Die Analyse ausgewählter Bestimmungen des am 9. April 2002 vom Ausschuss für Recht und Binnenmarkt angenommenen Entwurfs muss in der Feststellung münden, ob durch diesen Entwurf die derzeitigen Widersprüche zu wichtigen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts sowie die bestehenden Rechtsverstöße aufgelöst werden oder nicht. Dieser Maßstab entspricht im Wesentlichen der Zielsetzung des vom Parlament im Jahr 1998 angenommenen Entwurfs, der „Verantwortung des Parlaments gerecht zu werden und die Gleichstellung der Abgeordneten zu gewährleisten“13. Zu beachten ist, dass der vom Ausschuss für Recht und Binnenmarkt angenommene Entwurf weiteren Änderungen unterworfen sein dürfte, obwohl er in Teilen schon das Produkt ausgiebiger Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat ist14. Die folgende Analyse kann daher nur eine – wenn auch verallgemeinerungsfähige und in ihren Grundsätzen
11
Minderheitsvotum, Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, S. 9. 12 Stellungnahme des Institutionellen Ausschusses, Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, S. 11. 13 ABl. 1998 C 398/11, 26, Einleitung der Entschließung, Buchstabe A. 14 Siehe beispielsweise zu der Frage der Besteuerung der Diäten unten S. 254 f.
C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen
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auf ein später tatsächlich verabschiedetes Abgeordnetenstatut übertragbare – Momentaufnahme sein.
I. Regelungen zum Mandat Die in den Art. 2 bis 5 EAbgStatut (04/2002) vorgesehenen Regelungen zur Prüfung des Mandats durch das Europäische Parlament, zur Dauer des Mandats, zum Erlöschen des Mandats und zur Nachfolge im Fall des Erlöschens haben vorwiegend indirekten Einfluss auf die in dieser Arbeit untersuchten Statusrechte, indem sie unter anderem den Zeitraum festlegen, in dem die mit dem Mandat einhergehenden Rechte und Pflichten für die einzelnen Abgeordneten im Wesentlichen gelten15. Die Regelungsinhalte der Art. 2 bis 5 EAbgStatut (04/2002) wurden bislang vorwiegend in der Wahlakte normiert16 und sind auch in der vom Rat beschlossenen Neufassung der Wahlakte berücksichtigt17. Es ist daher davon auszugehen, dass das zukünftige Abgeordnetenstatut derartige Regelungen nicht mehr enthalten wird, so dass sich eine eingehende Analyse der Bestimmungen erübrigt.
II. Außerorganisatorische Statusrechte Es bietet sich an, die im EAbgStatut (04/2002) enthaltenen Aussagen zu den außerorganisatorischen Statusrechten der Abgeordneten anhand der in dieser Arbeit angewandten Kategorisierung in die Bereiche der Garantie des freien Mandats, des Schutzes der Kandidatur, der Indemnität, der Immunität, des Zeugnisverweigerungsrechts, der Freizügigkeit sowie der wirtschaftlichen und sozialen Statusrechte zu untersuchen. 1. Garantie des freien Mandats Art. 6 EAbgStatut (04/2002) enthält eine umfassende Garantie des freien Mandats für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Die Regelung geht über die Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 der Wahlakte hinaus, indem sie in Abs. 1 ausdrücklich normiert, dass die Abgeordneten „frei und unabhängig“ sind. Die Unabhängigkeit der Abgeordneten wurde durch die Wahlakte nur implizit durch die dem Art. 4 Abs. 1 der Wahlakte entspre15 Zu beachten ist, dass einige Statusrechte, z. B. der Schutz der Kandidatur bzw. die Indemnität, schon im Vorfeld bzw. auch nach Ablauf des Mandats ihre Wirkung entfalten. 16 Vgl. Art. 3, 11 und 12 der Wahlakte. 17 Vgl. ABl. 2002 L 283/1.
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
chenden Gewährleistungen der Abs. 2 – „Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden“ – und 3 – „Sie geben ihre Stimme einzeln und persönlich ab“ – geschützt. Als weitere Ausprägung der Unabhängigkeit der Abgeordneten normiert Abs. 4 die Nichtigkeit von Vereinbarungen über die Art und Weise der Ausübung des Mandats. Die Garantie des freien Mandats gemäß Art. 6 EAbgStatut (04/2002) gilt – wie schon die gemäß Art. 4 Abs. 1 der Wahlakte – für alle Abgeordneten einheitlich und ohne Verweise auf das nationale Recht. Da es sich dabei jedoch nur um eine deklaratorische Gewährleistung handelt, hängt die tatsächliche Ausgestaltung der Unabhängigkeit der Abgeordneten davon ab, inwieweit die anderen, zum Schutz der Unabhängigkeit der Abgeordneten gewährleisteten Statusrechte ohne Verweise auf das nationale Recht und für alle Abgeordneten einheitlich geregelt sind. 2. Schutz der Kandidatur Gemäß Art. 8 EAbgStatut (04/2002) darf niemand daran gehindert werden, sich um ein Mandat im Parlament zu bewerben, es anzunehmen oder auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung sowie andere arbeits- oder beamtenrechtliche Nachteile wegen der Annahme oder der Ausübung des Mandats sind unzulässig. Diese im Statutsentwurf unter der Überschrift „Schutz des Mandats“ aufgeführte Vorschrift, die im Wesentlichen § 3 EuAbgG nachgebildet ist, war in den vorhergehenden Entwürfen nicht enthalten. Da sie die bislang sehr unterschiedlichen Behinderungsverbote, die durch die verschiedenen nationalen Vorschriften gewährleistet wurden18, vereinheitlicht, ist ihre Aufnahme in den Statutsentwurf positiv zu bewerten. 3. Indemnität Gemäß Art. 12 Abs. 1 EAbgStatut (04/2002) darf ein Abgeordneter zu keiner Zeit wegen einer Abstimmung oder einer Äußerung, die in Ausübung seines Mandats gemacht wurde, gerichtlich verfolgt oder sonst außergerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Insofern entspricht Art. 12 EAbgStatut (04/2002) weitgehend Art. 9 des Protokolls, wobei mit der Formulierung „zu keiner Zeit“ zusätzlich klargestellt wird, dass der Indemnitätsschutz auch nach Ablauf des Mandats gilt. Abs. 2 der Vorschrift, wonach das Parlament auf Antrag des Abgeordneten darüber entscheidet, ob eine Äußerung in Ausübung des Mandats gemacht wurde, war hingegen in Art. 9 des Protokolls nicht enthalten. Art. 12 EAbgStatut (04/2002) gewährt 18
Siehe oben S. 88 ff.
C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen
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allen Abgeordneten des Europäischen Parlaments einen einheitlichen Schutz. Die Aufnahme einer Indemnitätsvorschrift in den Statutsentwurf entspricht der Forderung der Minderheitsmeinung19 und der Stellungnahme des Institutionellen Ausschusses20 zum Rothley-Bericht, die eine Zusammenfassung der einzelnen, die Mitglieder des Europäischen Parlaments betreffenden Texte in einer konsolidierten Fassung ohne Verweise auf andere Vertragstexte forderten. Ein derartiger Anspruch an das Abgeordnetenstatut korrespondiert mit der Formulierung des Art. 190 Abs. 5 EG, der eine Festlegung der „Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung der Aufgaben“ der Abgeordneten vorsieht. Darunter fallen auch die Regelungen der Indemnität und der Immunität. Es ließe sich demgegenüber auch argumentieren, dass Indemnität und Immunität als Vorrechte und Befreiungen weiterhin dort geregelt werden sollten, wo die entsprechenden Regelungen für alle anderen Mitglieder von EU-Organen zu finden sind21. Eine abschließende, wie bislang auch die Rechte der Abgeordneten enthaltende Regelung der Vorrechte und Befreiungen in dem „Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen in der EG“ entspräche auch dessen Titel. Aus Gründen der Transparenz ist aber ein Statut der Abgeordneten, welches alle die Abgeordneten betreffenden außerorganisatorischen Statusrechte konzentriert, vorzuziehen. Problematisch ist die Aufnahme der vorgeschlagenen Indemnitätsregelung in das Statut aus einem anderen Grund. Sie stellt aufgrund des bestehenden Unterschieds in Abs. 2 gegenüber Art. 9 des Protokolls eine Änderung dieser Regelung dar. Weil das Protokoll als Teil des Fusionsvertrags ein völkerrechtlicher Vertrag ist22, für dessen Änderung das Verfahren gemäß Art. 48 EU vorgesehen ist, hat weder das Europäische Parlament für diesen Bereich das Initiativrecht23 noch ist das Verfahren nach Art. 190 Abs. 5 EG einschlägig24. Für die in Art. 12 EAbgStatut (04/2002) vorgese19 Minderheitsvotum, Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, S. 9. 20 Stellungnahme des Institutionellen Ausschusses, Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, S. 11. 21 Vergleichend ist festzustellen, dass der Status der Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht in einem einzelnen Gesetz geregelt ist. Das Grundgesetz garantiert in den Art. 38 Abs. 1 S. 2, 46, 47, 48 GG das freie Mandat, Immunität, Indemnität, Zeugnisverweigerungsrecht, Schutz der Kandidatur und eine Entschädigung. Das AbgG regelt neben dem Schutz der freien Mandatsausübung und der Unabhängigkeit der Abgeordneten in erster Linie wirtschaftliche und soziale Statusrechte. Die Behandlung von Immunitätsangelegenheiten ist in § 107 der GO-BT und im Anhang 6 in der GO-BT geregelt. 22 Vgl. Schultz-Bleis, S. 20 f. m. w. N.
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
hene Immunitätsregelung wurde dieser Aspekt in Art. 28 Abs. 5 EAbgStatut (04/2002) berücksichtigt. Gemäß Art. 28 Abs. 5 EAbgStatut (04/2002) erfolgt das Inkrafttreten des Art. 12 EAbgStatut (04/2002) erst nach Aufhebung des Art. 10 des Protokolls. Durch eine derartige Vorschrift wird gewährleistet, dass die Regelungen der Indemnität, der Immunität und der Freizügigkeit in das Statut aufgenommen werden können25. Art. 28 Abs. 5 EAbgStatut (04/2002) sollte auf die Regelung der Indemnität ausgeweitet werden. Wahrscheinlich handelt es sich bei der Beschränkung des Art. 28 Abs. 5 EAbgStatut (04/2002) auf die Immunitätsregelung lediglich um ein redaktionelles Versehen26. 4. Immunität (Art. 12 EAbgStatut (04/2002)) Gemäß Art. 12 Abs. 1 EAbgStatut (04/2002) werden die Abgeordneten vor Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit geschützt. Diese sind – mit der üblichen Ausnahme der Festnahme bei Begehung der Tat – nur mit Zustimmung des Parlaments zulässig. Ein Ermittlungs- und Strafverfahren ist grundsätzlich möglich, aber gemäß Abs. 3 auf Verlangen des Parlaments auszusetzen. Mit der grundsätzlichen Zulässigkeit von Ermittlungs- und Strafverfahren wurde eine moderate Immunitätslösung gefunden, die den in 23 Siehe dazu KOM (84) 666 endg., Entwurf eines Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 08. April 1965 hinsichtlich der Mitglieder des Europäischen Parlaments, 30. November 1984, S. 2. 24 Vgl. Schoo, in: Schwarze, Art. 190 EG Rn. 32, der darauf hinweist, dass das Europäische Parlament bei der Verabschiedung eines Abgeordnetenstatuts auf der Grundlage des Art. 190 Abs. 5 EG die Grenzen zu beachten hat, die ihm durch das Fortbestehen der Vorschriften des Protokolls und der Wahlakte gezogen werden, weshalb Fragen der Immunität und der Inkompatibilität nicht auf der Grundlage des Art. 190 Abs. 5 EG geregelt werden können. 25 Der zuständige Ausschuss des Deutschen Bundestages hatte unter anderem hinsichtlich der Aufnahme einer Regelung zur Immunität Bedenken angedeutet, ohne allerdings deutlich zu machen, worin diese Bedenken im Einzelnen bestehen, siehe BT-Drs. 14/575, 4, Bericht der Bundestags-Abgeordneten Brandt-Elsweier und Hörster. Diese Bedenken seien allerdings durch den zuständigen Berichterstatter des Europäischen Parlaments Rothley ausgeräumt worden, und eine Auseinandersetzung mit diesen Bestimmungen erübrige sich an dieser Stelle. Rothley habe erklärt, diese Bestimmungen würden im weiteren Verlauf der Beratungen aller Voraussicht nach entfallen, da die betreffenden Themenbereiche an anderer Stelle außerhalb des Statuts geregelt werden müssten. 26 Vgl. die Begründung des Kompromissänderungsantrages 139/REV von Willi Rothley und Neil MacCormick, PE 294.967/127–139/REV, S. 11 (Fundstelle: http:// www. europarl.eu.int/meetdocs/committees/juri/20020409/juri20020409.htm), wonach wegen des Vorrangs des Primärrechts die vorgeschlagenen Bestimmungen der Immunität und der Indemnität erst nach Aufhebung der Art. 9 und 10 des Protokolls in Kraft treten können, wofür sich das Parlament nach Annahme des Statuts einsetzen könne.
C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen
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diese Richtung gehenden Verfassungsänderungen in vielen Mitgliedstaaten27 und der generellen Aufhebungspraxis des Deutschen Bundestags für Ermittlungsverfahren28 entspricht und auch den Kritikern einer Immunitätsregelung entgegenkommen dürfte29. In Art. 12 Abs. 2 EAbgStatut (04/2002) ist ein besonderes Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot geregelt, dessen Verhältnis zu dem in Art. 9 Abs. 2 bis 4 EAbgStatut (04/2002) geregelten Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot jedoch unklar ist und das zum Teil widersprüchliche Regelungen bezüglich der Zustimmung des Parlaments zu enthalten scheint. Wie bereits erwähnt, würde diese Immunitätsregelung gemäß Art. 28 Abs. 5 EAbgStatut (04/2002) erst nach Aufhebung des Art. 10 des Protokolls in Kraft treten. Im Gegensatz zu der bislang geltenden Regelung des Art. 10 des Protokolls enthält die vorgesehene Immunitätsregelung keine Verweise auf das nationale Recht und regelt die Immunität für alle Abgeordneten einheitlich. Dadurch werden die bislang durch das Immunitätsrecht bestehenden Widersprüche zu den Grundsätzen der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie zum Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG aufgelöst. 5. Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 9, 10 EAbgStatut (04/2002)) Art. 9 EAbgStatut (04/2002) regelt in seinem Abs. 1 ein Zeugnisverweigerungsrecht des Abgeordneten über Personen, die ihm oder denen er Tatsachen anvertraut hat, und über diese Tatsachen selbst. In Abs. 2 bis 4 sind umfangreiche Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbote geregelt. Art. 10 EAbgStatut (04/2002) stellt klar, dass alle Schriftstücke und elektronischen Aufzeichnungen, die ein Abgeordneter empfangen, verfasst oder verschickt hat und die keine offizielle Dokumentennummer haben, keine Dokumente des Parlaments sind und damit unter den Schutz vor Beschlagnahme durch Art. 9 Abs. 2 EAbgStatut (04/2002) fallen.
27 Siehe die Darstellung der Immunitätsregelungen in den Mitgliedstaaten oben S. 91 ff. 28 Siehe oben S. 68. 29 Vor allem in Großbritannien fanden sich im Anschluss an einen früheren Vorschlag des Europäischen Parlaments zur Vereinheitlichung der Immunitätsvorschriften – siehe ABl. 1983 C 277/134, 135, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. September 1983 – kritische Stimmen. So forderte das House of Lords, S. 18 f., eine Änderung der Immunitätsaufhebungspraxis des Europäischen Parlaments, um die Gewährleistung eines breiten Immunitätsschutzes akzeptieren zu können.
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
Eine ausdrückliche gemeinschaftsrechtliche Regelung eines Zeugnisverweigerungsrechts und eines Beschlagnahmeverbots gab es bislang nicht. Vielmehr wurden die Abgeordneten teilweise aufgrund von nationalen Zeugnisverweigerungsrechten und Beschlagnahmeverboten wie Art. 46 GG geschützt30. Mit der vorgeschlagenen Regelung der Art. 9 und 10 EAbgStatut (04/2002), die für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments einheitlich gelten würde, wäre dieser zu ungleichen Behandlungen führenden Situation ein Ende gesetzt. Zudem könnte die bisher nicht geklärte Frage, ob den Abgeordneten vor dem EuGH ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht31, bei Inkrafttreten dieser Vorschrift eindeutig bejaht werden. 6. Freizügigkeit (Art. 13 EAbgStatut (04/2002)) Art. 13 EAbgStatut (04/2002) gewährt den Abgeordneten „überall in der Europäischen Union das Recht auf Freizügigkeit“. Der Entwurf geht damit weit über die bisherige, kritisierte Regelung in Art. 8 des Protokolls32 hinaus und gewährt den Abgeordneten eine umfassende, weder zeitlich noch räumlich begrenzte Freizügigkeit. Art. 13 EAbgStatut (04/2002) enthält dabei keine Differenzierungen zwischen den Abgeordneten, sondern behandelt alle Abgeordneten gleich. Die Einführung einer solchen Freizügigkeit erfordert allerdings ebenfalls eine Änderung des Protokolls, so dass Art. 28 Abs. 5 EAbgStatut (04/2002) auch auf die Regelung der Freizügigkeit erweitert werden müsste. 7. Wirtschaftliche und soziale Statusrechte Der Entwurf enthält sowohl Regelungen zur Kostenerstattung, die auch bislang schon durch das Europäische Parlament auf der Grundlage der Geschäftsordnung gewährt wurden33, als auch eine Regelung zur Gewährung von Diäten, Übergangsgeld, Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung. a) Kostenerstattung Im Bereich der Kostenerstattungen sieht das EAbgStatut (04/2002) sowohl gemeinschaftsrechtliche als auch nationale Gewährleistungen vor.
30 31 32 33
Siehe Siehe Siehe Siehe
oben oben oben oben
S. S. S. S.
108 ff. 74 ff. 77 ff. 84 ff.
C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen
247
aa) Gemeinschaftsrechtliche Kostenerstattung Gemäß Art. 19 Abs. 1 EAbgStatut (04/2002) haben die Abgeordneten einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihnen durch die Ausübung des Mandats entstehen. Das Parlament legt gemäß Abs. 3 fest, in welchen Fällen die Erstattung durch eine Pauschale erfolgen kann34. Art. 20 EAbgStatut (04/2002) gewährt den Abgeordneten einen Anspruch auf Unterstützung durch persönliche Mitarbeiter ihres Vertrauens, Art. 21 EAbgStatut (04/2002) auf Nutzung der Büro- und Kommunikationseinrichtungen und der Dienstfahrzeuge des Parlaments, Art. 23 EAbgStatut (04/2002) auf Erstattung der Krankheitskosten sowie Art. 24 EAbgStatut (04/2002) auf Versicherungsschutz zur Deckung der Risiken, die mit der Ausübung des Mandats verbunden sind. Bei allen diesen Regelungen ist vorgesehen, dass das Parlament Bestimmungen zu deren Durchführung erlässt. Der Entwurf kann sich derart auf die Regelung der Ansprüche dem Grunde nach beschränken, weil das Europäische Parlament die Gewährung von Kostenerstattungen durch die GO-EP auf der Grundlage von Art. 199 Abs. 1 EG erlassen kann und bisher auch erlassen hat. Das Verfahren gemäß Art. 190 Abs. 5 EG mit dem Erfordernis einer Zustimmung des Rates ist für diese Regelungen folglich gar nicht einschlägig. Art. 26 EAbgStatut (04/2002) stellt fest, dass die Kostenerstattungen weder der nationalen noch der europäischen Besteuerung unterliegen. Dies entspricht der bisherigen Praxis und wurde durch den EuGH in der Entscheidung Lord Bruce bestätigt35. Alle diese Kostenerstattungen werden den Abgeordneten nach einheitlichen Kriterien gewährt und unterliegen keiner Besteuerung, so dass keine Ungleichbehandlung gegeben ist. bb) Nationale Gewährleistungen Art. 25 EAbgStatut (04/2002) sieht vor, dass die Abgeordneten in den Mitgliedstaaten, in denen sie gewählt wurden, hinsichtlich der Bedingungen, unter denen sie dort ihr Mandat ausüben, den nationalen Abgeordneten gleichgestellt werden. Damit sollen beispielsweise für die in Deutschland gewählten Abgeordneten die bislang geltende Freifahrtberechtigung (§ 10 EuAbgG, § 16 Abs. 2 AbgG) und der Anspruch, Sach- und Dienstleistungen des Deutschen Bundestags in Anspruch zu nehmen (§ 10a EuAbgG), gewährleistet bleiben36.
34
Der EuGH hat die Zulässigkeit derartiger Pauschalen bestätigt, wobei die Pauschalen aber keinen Entgeltcharakter aufweisen dürfen, siehe Rs. 208/80, Lord Bruce, Slg. 1981, 2205, 2219 ff. Rn. 17 ff. 35 EuGH Rs. 208/80, Lord Bruce, Slg. 1981, 2205.
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
Der zuständige Ausschuss des Deutschen Bundestags hat zu einer in dem vom Europäischen Parlament 1998 verabschiedeten Entwurf enthaltenen etwa gleichlautenden Vorschrift37 festgestellt, dass er diese Bestimmung nicht unterstützen könne, denn eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihren jeweiligen Europaabgeordneten zusätzliche Leistungen zu versprechen, widerspreche dem Gedanken einer einheitlichen Rechtsstellung aller Mitglieder des Europäischen Parlaments38. Diese Widersprüchlichkeit ist auch in einer der Zielsetzungen des vom Europäischen Parlament 1998 verabschiedeten Entwurfs festzustellen, wonach zwar Gleichbehandlung der Abgeordneten gewährleistet sein soll, gleichwohl aber gefordert wird, dass die Abgeordneten im Hinblick auf die Tätigkeit, die sie in den Mitgliedstaaten in Wahrnehmung des Mandats entfalten, „den nationalen Abgeordneten gleichgestellt werden“39. Dabei scheint das Europäische Parlament zu verkennen, dass eine Gleichbehandlung mit den nationalen Abgeordneten zwangsläufig eine Ungleichbehandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments zur Folge hat. Da dieser zwingende Zusammenhang das Hauptproblem des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments seit der Einführung der Direktwahlen darstellt, erstaunt ein solcher Vorschlag. Fraglich ist zudem die Kompetenz des Europäischen Parlaments, den Mitgliedstaaten die Pflicht aufzuerlegen, an die europäischen Abgeordneten Leistungen zu erbringen40. Der Auffassung des zuständigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, ein einheitliches Statut für die Mitglieder des Europäischen Parlaments sollte losgelöst von nationalen Regelungen bestehen41, folgend, ist festzustellen, dass der in Art. 25 EAbgStatut (04/2002) nach wie vor bestehende Verweis auf nationales Recht dazu führt, dass der Statutsentwurf nicht zu einer befriedigenden Lösung für die Behandlung der Abgeordneten führt42. Durch den Verweis wird die im Widerspruch zu den Grundsätzen der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments sowie des Diskriminierungsverbots stehende Ungleichbehandlung der Abge36 Die Mitteilung Nr. 5/2001 an die Mitglieder des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, PE 294.886/REV, S. 3 ff., enthält eine Auflistung bezüglich Kostenerstattungen und Kostenpauschalen zugunsten von Europaabgeordneten durch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. 37 Siehe Art. 17 Abs. 3 EAbgStatut (12/1998). 38 BT-Drs. 14/575, 4, Bericht der Bundestags-Abgeordneten Brandt-Elsweier und Hörster. 39 ABl. 1998 C 398/11, 26, Einleitung der Entschließung, Buchstabe A. 40 Diese verneinend: Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 53. 41 BT-Drs. 14/575, 4, Bericht der Bundestags-Abgeordneten Brandt-Elsweier und Hörster. Zustimmend Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 53. 42 Siehe auch Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 53, der diese Regelung als „rechtspolitisch verfehlt“ ansieht.
C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen
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ordneten aufrecht erhalten. Art. 25 EAbgStatut (04/2002) kann auch unter Berufung auf den Wunsch nach Gleichbehandlung mit den Mitgliedern der nationalen Parlamente nicht als gerechtfertigt angesehen werden, denn dieser Wunsch stellt keinen Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments dar43. b) Diäten und sonstige vergleichbare Gewährleistungen Der Anspruch der Abgeordneten auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung, ein Übergangsgeld, ein Ruhegehalt und eine Hinterbliebenenversorgung ist in Art. 17 Abs. 1 bis 5 EAbgStatut (04/2002) geregelt. Gemäß Abs. 6 dieser Vorschrift werden die Einzelheiten in einem Anhang des Statuts geregelt. Art. 18 EAbgStatut (04/2002) sieht vor, dass sämtliche Zahlungen aus dem Haushalt der Europäischen Union und des zur Finanzierung des Ruhegehalts einzurichtenden Fonds geleistet werden. aa) Höhe der Entschädigung Die Höhe der Entschädigung ist durch Art. 1 EAbgStatut-Anhang (04/ 2002) auf jeweils 50% der Grundbezüge eines Richters am EuGH festgelegt. Ein Richter am EuGH erhält derzeit eine monatliche Grundvergütung in Höhe von 17.001,24 Euro44, so dass die Abgeordneten derzeit eine Entschädigung in Höhe von 8.500,62 Euro erhalten würden. Gegen eine derartige Methode der Festsetzung der Diäten der Abgeordneten könnte entsprechend einer weit verbreiteten Ansicht unter deutschen Verfassungsrechtlern eingewandt werden, dass „die Höhe der Abgeordnetendiäten in einem Verfahren entschieden werden müsse, das hinreichend transparent ist, dem Gesamtparlament die Verantwortung zuweist und jede automatische Festlegung der Diäten – etwa durch Ankoppeln an Gehälter im öffentlichen Dienst – ausschließt“45. Eine derartige Kritik an der Methode der Festset43
Siehe oben S. 191 ff. Vgl. Art. 2 der Verordnung (EGKS/EWG/Euratom) Nr. 1546/73 des Rats vom 04. Juni 1973 (ABl. 1973 L 155/8), wonach das Monatsgrundgehalt der Mitglieder des Gerichtshofs (Richter und Generalanwälte) 112,5% des Grundgehalts eines Beamten der EG der Besoldungsgruppe A1 in der letzten Dienstaltersstufe beträgt. Die aktuellen Beamtengehälter sind in der Verordnung (EG, EGKS, Euratom) Nr. 2581/ 2001 des Rats vom 17. Dezember 2001 (ABl. 2001 L 345/1) festgelegt. Danach beträgt das Grundgehalt eines Beamten der EG der Besoldungsgruppe A1 in der letzten Dienstaltersstufe 15.112,21 Euro. 45 So der Appell von 86 Staatsrechtslehrern, der den Bundesrat 1995 aufgeforderte, einer Grundgesetzänderung, die eine Änderung des Art. 48 Abs. 3 GG dahingehend vorsah, dass die Abgeordnetenentschädigung sich nach den Jahresbezügen eines Richters an einem obersten Bundesgericht bestimmt, nicht zuzustimmen. Die44
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
zung der Diäten lässt sich aber auf das Abgeordnetenstatut des Europäischen Parlaments nicht übertragen, denn dem Europäischen Parlament steht gemäß Art. 190 Abs. 5 EG nur das Recht zu, eine Entschädigungsregel vorzuschlagen, der der Rat zustimmen muss. Schon die Kompetenzgrundlage verhindert daher, dass das Europäische Parlament die Höhe der Entschädigung in alleiniger Verantwortung festlegt. In diesem Zusammenhang ist zudem davon auszugehen, dass der Rat nicht gewillt ist, den ihm gemäß Art. 190 Abs. 5 EG gewährten Einfluss auf die Festlegung der Entschädigungshöhe aufzugeben und in das Statut eine Klausel aufzunehmen, die die Bestimmung der Entschädigungshöhe für die Zukunft in die Hände des Europäischen Parlaments legt46. Unter diesen Gesichtspunkten kann eine Koppelung der Höhe der Diäten der Abgeordneten an die Grundbezüge eines Richters am EuGH als sachgerecht angesehen werden, weil sie eine Festlegungsmethode darstellt, bei der die Diäten über eine stetige Anpassung der Grundbezüge der Richter der allgemeinen Gehaltsentwicklung folgen. Diese Methode erscheint ausreichend transparent47 und verhindert, dass die Abgeser Appell ist vollständig wiedergegeben bei Linck, ZParl 1995, 683 f., der ihn stark kritisiert. Vgl. auch BVerfGE 40, 296, 327 („Diätenurteil“), wonach es verfassungsrechtlich zu beanstanden sei, wenn Fragen bezüglich der Höhe der Entschädigung dem Präsidium des Landtags zugewiesen werden. Das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip verlange, dass der gesamte Willensbildungsprozess im Parlament, der zur Festsetzung der Höhe der Entschädigung und zur näheren Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen führt, „für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird“. Siehe auch Wiefelspütz, ZParl 2001, 765 ff., sowie Klein, in: FS Blümel, 225, 233 ff., die die Versuche des Deutschen Bundestages, eine Methode zur Bestimmung der Abgeordnetendiäten festzulegen, und die damit einhergehenden Diskussionen der deutschen Staatsrechtslehre in den letzten Jahren zusammenfassen. 46 Einer der vorläufigen Entwürfe eines Abgeordnetenstatuts des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt sah eine derartige Regelung vor, siehe den vorläufigen Entwurf einer Stellungnahme vom 4. September 2001 des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, PE 294.967/REV, Art. 1 des Anhangs. Dieser Entwurf sah die folgende Regelung vor: „(1) Das Parlament legt auf Vorschlag des Präsidiums gegen Ende einer Wahlperiode die Höhe der Entschädigung für die nächste Wahlperiode fest. (2) Es orientiert sich dabei an der Methode, die in Kapitel X der Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder entwickelt wurde. (3) Diese Regelung findet erstmals nach Inkrafttreten des Statuts Anwendung. (4) Die Entschädigung wird jährlich durch Entscheidung der Verwaltung an die allgemeine Preisentwicklung angepasst. (5) Die Entschädigung wird monatlich im voraus gezahlt.“ Diese Regelung ist im aktuellen Entwurf nicht mehr enthalten. Vgl. zu den Hintergründen der Aufnahme einer derartigen Regelung in den Entwurf auch die folgenden Ausführungen. 47 Vgl. Braun/Jantsch/Klante, § 11 Rn. 97, die keine Kritik an der Koppelung der Diäten der Europaabgeordneten an die Bezüge eines Richters am EuGH äußern. Auch Linck, ZParl 1995, 683, 686 f., sieht in einer Koppelung der Diäten an die Bezüge eines Richters keinen Widerspruch zum demokratischen Transparenzgebot.
C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen
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ordnetenentschädigungen von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt werden, ohne dass für jede Erhöhung der Diäten eine Änderung des Abgeordnetenstatuts nach dem Verfahren des Art. 190 Abs. 5 EG mit einer Zustimmung des Rates erforderlich ist. Die dargestellte Methode der Berechnung der Höhe der Entschädigung stellt das vermutlich nur vorläufige Ende einer langen Reihe von Vorschlägen für die Festsetzung der Höhe der Entschädigung der Abgeordneten des Europäischen Parlaments dar48. Der Rothley-Bericht wie auch der vom Europäischen Parlament 1998 verabschiedete Entwurf sahen für die Dauer der 5. Wahlperiode eine monatliche Entschädigung von 5.677,22 Euro vor, wobei diese Summe dem Durchschnitt der Abgeordnetenentschädigungen, die sämtliche Abgeordneten zum Zeitpunkt der Annahme des Beschlusses von den nationalen Parlamenten erhalten, entsprechen sollte49. Zudem war vorgesehen, dass das Parlament vor der Festsetzung der Entschädigung für den Zeitraum nach der 5. Wahlperiode eine Studie von externen und unabhängigen Experten erstellen lassen sollte. Die Experten sollten die Tätigkeit der Abgeordneten des Europäische Parlaments nach objektiven Kriterien bewerten50. Auf der Konferenz der Präsidenten des Europäischen Parlaments51 wurde daraufhin am 17. Februar 2000 die Einsetzung einer „Gruppe hochrangiger unabhängiger Persönlichkeiten“ beschlossen52. Diese Gruppe setzte sich Ebenso kritisch zu einem Koppelungsverbot Klein, in: FS Blümel, 225, 245 f., 250 ff., der insbesondere darauf verweist, dass eine Koppelung an die Bezüge bestimmter anderer Funktionsträger in Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Schweden und Portugal vorgesehen ist (siehe auch BT-Drs. 12/5020, S. 89, Übersicht über die Verfahren zur Anpassung der Abgeordnetenentschädigung bei ausgewählten Ländern westlicher Demokratien), und dass die Verwendung der allgemein üblichen Verweisungstechnik dem Gesetzgeber in diesem Zusammenhang nicht untersagt ist. Allerdings müsse sich auf der Grundlage des Textes die jeweilige Höhe der Entschädigung präzise ermitteln lassen. A. A. Lediger, S. 50 ff. 48 Vgl. zu diversen Vorschlägen auch Braun/Jantsch/Klante, § 11 Rn. 96 ff. 49 Siehe in Art. 1 des Anhangs 1 des Rothley-Entwurfs sowie Art. 1 EAbgStatutAnhang (12/1998). 50 Vgl. Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, Einleitung der Entschließung, Buchstabe E, sowie ABl. 1998 C 398/11, 26, Einleitung der Entschließung, unter 2. 51 Dabei handelt es sich um ein Organ des Europäischen Parlaments. Der Konferenz der Präsidenten gehören gemäß Art. 23 GO-EP der Präsident des Parlaments und die Vorsitzenden der Fraktionen an. Art. 24 GO-EP bestimmt die Aufgaben der Konferenz der Präsidenten. 52 So die Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 4. Die Gruppe setze sich wie folgt zusammen: Herr Ersbøl, ehemaliger Generalsekretär des Rates, Herr Klepsch, ehemaliger Präsident
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
zum Ziel, „eine ,endgültige‘ Regelung für die Bezüge festzulegen, die es den Abgeordneten erlaubt, ihr Mandat unter vergleichbaren Bedingungen wahrzunehmen, und die auf dem Grundsatz der Gleichheit aller Mitglieder des Europäischen Parlaments, auf der Transparenz, der Kohärenz und der Zugrundelegung der tatsächlichen Ausgaben und Kosten basiert“53. In ihrem Bericht hat sich die Gruppe im Anschluss an eine Beschreibung der Arbeit der Abgeordneten im Europäischen Parlament eingehend mit den Kostenerstattungsregelungen, die ihrer Meinung nach keinerlei Entschädigungselemente haben sollten, den Ruhegehältern, den Übergangsvergütungen, den Kranken- und Unfallversicherungen und schließlich mit der Abgeordnetenentschädigung befasst. Die Gruppe stellte fest, dass bei der Festlegung der Entschädigung das „spezielle Wesen der Funktion des Abgeordneten im Vergleich zu den nationalen Abgeordneten“ zu berücksichtigen sei. Dieses besondere Wesen ergebe sich vor allem aus „der hohen Zahl an Parlamentssitzungen, der häufig erheblichen Größe der Wahlkreise der europäischen Abgeordneten, der beträchtlich gesteigerten Rolle des Europäischen Parlaments nach der extensiveren Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens, der Komplexität des Entscheidungsverfahrens in der Europäischen Union, den sich durch ein multikulturelles und mehrsprachiges Umfeld ergebenden Erfordernissen, der Notwendigkeit ständigen Reisens und der Notwendigkeit, die politischen Entwicklungen in allen Mitgliedstaaten zu verfolgen, nicht nur im Heimatstaat“54. Als Grundlage für eine Entscheidung über die künftige Abgeordnetenentschädigung schlägt die Gruppe den Durchschnittswert der gegenwärtigen Abgeordnetenentschädigung für die Mitglieder aus den vier bevölkerungsmäßig größten Mitgliedstaaten, zum damaligen Zeitpunkt ein Betrag von 7.420 Euro monatlich, vor55. Die Gruppe verweist darauf, dass die in diesen vier Staaten gewählten Mitglieder mit 360 Abgeordneten mehr als die Hälfte der Abgeordneten des Europäischen Parlaments stellen. Dieser Berechnungsvorschlag wurde auch in einen vorläufigen Entwurf einer Steldes Europäischen Parlaments, Frau Rehn, ehemalige Ministerin, ehemalige Abgeordnete und ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, Herr Secchi, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, ehemaliges Mitglied des Senats und ehemaliger Vizepräsident der Universität Bocconi in Mailand, Herr Subirats, ehemaliger Senator und ehemaliger Vizepräsident des Rechnungshofes, und Lord Williamson, ehemaliger Generalsekretär der Kommission und Mitglied des britischen Oberhauses. 53 Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 5. 54 Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 25. 55 Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 26 f.
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lungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 4. September 2001 aufgenommen, der dem Europäischen Parlament das Recht einräumte, auf Vorschlag des Präsidiums und unter Orientierung an der Methode der Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten gegen Ende einer Wahlperiode die Höhe der Entschädigung für die nächste Wahlperiode festzulegen56. Der Europäische Rat scheint dem Vorschlag der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten jedoch nicht folgen zu wollen, denn in einem Schreiben des damals amtierenden Präsidenten des Rates, Pierre Moscovici, an Nicole Fontaine, Präsidentin des Europäischen Parlaments, vom 29. November 2000 wird betont, dass „sämtliche Minister“ die Ansicht vertreten, „dass der Durchschnitt der 15 Abgeordnetenentschädigungen die einzige akzeptable Berechnungsmethode für unsere Mitbürger ist“57. Festzustellen ist, dass sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat die Höhe der Abgeordnetenentschädigung jedenfalls einheitlich ausgestalten wollen, auch wenn sie unterschiedliche Methoden der Berechnung vorschlagen. Diese Vorschläge lösen die bislang aufgrund der Entschädigung auf der Grundlage nationaler Entschädigungsregelungen bestehenden Widersprüche im Verhältnis zum Vertragsrecht auf. bb) Andere Gewährleistungen Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 EAbgStatut (04/2002) gewähren den Abgeordneten einen Anspruch auf ein Übergangsgeld, ein Ruhegehalt, zu dessen Finanzierung ein Fonds geschaffen werden soll, der Rücklagen für die Ruhegehälter bildet, und eine Hinterbliebenenversorgung. Einzelheiten zu diesen Ansprüchen sind in Art. 4 EAbgStatut-Anhang (04/2002) für das Übergangsgeld, in Art. 5 bis 7 EAbgStatut-Anhang (04/2002) für das Ruhegehalt, in Art. 9 EAbgStatut-Anhang (04/2002) für die Hinterbliebenenversorgung und in Art. 10, 11 EAbgStatut-Anhang (04/2002) für den einzurichtenden Pensionsfonds geregelt. Die Gewährleistungen sind für alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments einheitlich, so dass sie unter dem vorliegend in erster Linie zu berücksichtigenden Aspekt der Gleichbehandlung der Abgeordneten nicht zu beanstanden sind.
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Siehe den vorläufigen Entwurf einer Stellungnahme vom 04. September 2001 des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, PE 294.967/REV, Art. 1 des Anhangs. 57 Schreiben von Pierre Moscovici, beigeordneter Minister beim Minister für auswärtige Angelegenheiten, zuständig für europäische Angelegenheiten, vom 29. November 2000 an Frau Nicole Fontaine, Präsidentin des Europäischen Parlaments, LT\427124DE.doc.
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cc) Besteuerung Kritikwürdig ist die vorgeschlagene Lösung für die Besteuerung der auf eine für alle Abgeordneten einheitliche Höhe festgesetzten Entschädigung sowie der anderen Gewährleistungen. Zwar soll nach Art. 3 Abs. 2 EAbgStatut-Anhang (04/2002) die Entschädigung der Gemeinschaftssteuer unterliegen58, Art. 3 Abs. 3 EAbgStatut-Anhang (04/2002) sieht aber folgende Ausnahme vor: „Die Mitgliedstaaten können – unter Ausschluss jeder Doppelbesteuerung – eine zusätzliche nationale Steuer erheben, wenn sie diese Absicht vor Annahme dieses Statuts gegenüber dem europäischen Parlament erklärt haben. Die Erklärung wird beim Generalsekretär des Europäischen Parlaments hinterlegt.“59 Die hierdurch ermöglichte nationale Besteuerung wird aufgrund der unterschiedlichen nationalen Steuersätze dazu führen, dass die Abgeordneten des Europäischen Parlaments keine gleichen Nettobezüge erhalten werden. Damit bliebe trotz der einheitlichen Höhe der Entschädigung eine Ungleichbehandlung der Abgeordneten bestehen60. Ursprünglich sahen sowohl der Rothley-Bericht als auch der vom Europäischen Parlament 1998 angenommene Entwurf vor, dass die einheitliche Entschädigung der Abgeordneten lediglich einer Gemeinschaftssteuer unterworfen sein sollte61. Eine Regelung, die sich auch weiterhin an der nationalen steuerlichen Erfassung orientieren würde, wurde als kontraproduktiv be58 Eine gemeinschaftliche Besteuerung bedeutet, dass die Verordnung (EWG, EGKS, Euratom) Nr. 260/68 betreffend die Steuer zugunsten der Europäischen Gemeinschaften (zuletzt geändert durch die Verordnung Nr. 2459/98) für die den Mitgliedern des Europäischen Parlaments von den Gemeinschaften gezahlten Bezüge und Ruhegehälter unter den darin vorgesehenen Bedingungen gelten würde. 59 Herr Willi Rothley teilte der Verfasserin am 04. Februar 2002 schriftlich mit, dass der Rat für allgemeine Angelegenheiten Ende Oktober 2001 einer derartigen Regelung, die einem Vorschlag der belgischen Präsidentschaft entsprach, zugestimmt habe. 60 Dies übersieht Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 54. Er wendet gegen die vom Parlament vorgeschlagene Gemeinschaftssteuer ein, Art. 190 Abs. 5 EG könne nicht als Rechtsgrundlage für eine Befreiung der Abgeordneten von den innerstaatlichen Steuern herangezogen werden. Dieser Einwand überzeugt nicht, da unter die von Art. 190 Abs. 5 EG vorgesehene Festlegung der „Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung der Aufgaben“ der Mitglieder des Europäischen Parlaments nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auch die Regelung der Besteuerung fallen dürfte. Vgl. Nallet, S. 11. Bestätigt wird diese Interpretation durch den Vertrag von Nizza, der ausdrücklich die Frage der Besteuerung in den Anwendungsbereich des Art. 190 Abs. 5 EG miteinbezieht, indem er für diesen Bereich ein Einstimmigkeitserfordernis im Rat festlegt. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein Eigenmittelbeschluss nach Art. 269 Abs. 2 EG erforderlich ist, wenn die Gemeinschaften bezüglich dieser Steuer auch ertragsberechtigt sein sollen. 61 Siehe Art. 1 Abs. 2 des Anhangs 1 des Rothley-Entwurfs sowie Art. 1 Abs. 2 EAbgStatut-Anhang (12/1998).
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wertet, da dadurch die Unterschiede bei den Nettobezügen weiterbestehen würden62. Auch die Kommission befürwortete eine einheitliche Entschädigung durch die Gemeinschaft und eine einheitliche Gemeinschaftssteuer für alle Abgeordneten, denn dadurch werde die Unabhängigkeit des Parlaments als „a wholly European institution“ bestärkt und die Gleichbehandlung der Abgeordneten gesichert63. Im Laufe der Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat hat sich jedoch herausgestellt, dass eine Zustimmung des Rates zu einer reinen Gemeinschaftssteuer ohne Ausnahmen nicht zu erreichen ist64. Zumindest Dänemark, Finnland, Schweden und das Vereinigte Königreich lehnten eine Gemeinschaftssteuer ab65. Die Gründe der skandinavischen Länder für diese Ablehnung sind darin zu sehen, dass die dort gewählten Abgeordneten bei Erhebung einer Gemeinschaftssteuer bestimmte Leistungen der Regional- und Kommunalbehörden, insbesondere im Gesundheitswesen, weiterhin wie alle Bürger dieser Länder in Anspruch nehmen könnten, ohne aber einer regionalen oder kommunalen Steuer zu unterliegen, die diese Leistungen für alle Bürger finanziert66. Da der Berichterstatter Rothley davon ausging, dass mangels Zustimmung des Rates ein Statut ohne eine Ausnahme zur Gemeinschaftssteuer nicht verabschiedet werden würde, hat er sich letztlich, um überhaupt eine Verabschiedung zu erreichen, für ein Statut mit entsprechenden Ausnahmen ausgesprochen, obwohl er diese Lösung selbst als „rechtlich fragwürdig“ wertet67. Die Annahme der vom Rat vorgeschlagenen Steuer62 Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, Begründung, S. 8. Auch die Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 17 f., spricht sich unter Berufung auf den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für eine Gemeinschaftssteuer für alle Abgeordneten aus. 63 SEC (1999) 655 final, Opinion of the Commission on the statute for members of the European Parliament, vom 01. Mai 1999, S. 4. Dieser Bericht bezieht sich auf den vom Parlament 1998 verabschiedeten Entwurf. 64 Schon der Statutsvorschlag des Rates vom 26. April 1999, 7528/2/99-REV 2, sah in Art. 8 Abs. 6 Ausnahmeregelungen für alle Mitgliedstaaten vor, die dies vor Inkrafttreten des Statuts wünschen. 65 So der Entwurf einer Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt zu den steuerlichen Aspekten des Abgeordnetenstatuts vom 06. Juni 2001, PE 294.965, verfasst durch Willi Rothley, S. 4. 66 Siehe den Entwurf einer Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt zu den steuerlichen Aspekten des Abgeordnetenstatuts vom 06. Juni 2001, PE 294.965, verfasst durch Willi Rothley, S. 6; Empfehlung der Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten zum Statut der Mitglieder, PE 290.755/Bur., S. 18; FAZ v. 31. August 2001, S. 7; Hort, FAZ v. 03. November 2001, S. 6. 67 Siehe den Entwurf einer Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt zu den steuerlichen Aspekten des Abgeordnetenstatuts vom 06. Juni 2001, PE 294.965, verfasst durch Willi Rothley, S. 6. In einem anderen Dokument, der Mitteilung Nr. 25/2000 an die Mitglieder des Ausschusses für Recht und Binnen-
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regelung durch den federführenden Ausschuss für Recht und Binnenmarkt kann als Anhaltspunkt dafür gewertet werden, dass der Rat und das Parlament sich in der Steuerfrage auf den eine nationale Zusatzsteuer zulassenden Kompromiss geeinigt haben68. Die Ungleichbehandlung der Abgeordneten, die durch die nationale Besteuerung der Diäten bewirkt würde, stellt einen Verstoß gegen die Grundsätze der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments und gegen das in Art. 12 Abs. 1 EG normierte Diskriminierungsverbot69 dar. Zwar könnte eine Ausnahme von dem Grundsatz der ausschließlichen Gemeinschaftssteuer für die skandinavischen Länder aufgrund der dortigen, auf Regional- und Kommunalsteuern basierenden Leistungssysteme70 gerechtfertigt sein, dies gilt jedoch nur für die skandinavischen Länder. Für eine Ausnahme für alle Länder, die eine diesbezügliche Erklärung gegenüber dem Europäischen Parlament abgäben, sind hingegen keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich71.
markt, PE 298.370, S. 4, zitiert Rothley zum einen die Note des Rechtsberaters des Parlaments für die Präsidentin des Europäischen Parlaments vom 04. Juli 2000, PE 293.559/BUR, in der festgestellt werde, dass eine nationale Einkommensteuer auf die Entschädigung, die aus dem Haushalt der Europäischen Gemeinschaft bezahlt wird, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei. Zum anderen zitiert er den Kurzbericht über die informelle Sitzung der Vertreter der Juristischen Dienste des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 21. September 2000, PE 296.407/BUR, in dem diese erklärten, dass es keine objektiven Gründe dafür gebe, die Abgeordneten unterschiedlich zu behandeln. 68 Vgl. dazu auch die Entschließung des Europäischen Parlaments zum Entwurf eines Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments vom 05. Dezember 2002, P5_TA-PROV(2002)0590, in der auf eine informelle Einigung zwischen dem Rat und dem Parlament hinsichtlich der Frage der Besteuerung der Vergütungen der Abgeordneten verwiesen wird. 69 Der EuGH bezieht den Grundsatz der absoluten Gleichheit der Gehälter der Beamten der Gemeinschaft nicht nur auf den Bruttobetrag, sondern auch auf den Nettolohn, vgl. EuGH, Rs. 6/60, Humblet/Belgien, Slg. 1960, 1163, 1199 f. In derselben Rechtssache betonte GA Lagrange, es solle eine „tatsächliche Gleichheit der Vergütung“ gewährleistet werden, siehe Rs. 6/60, Humblet/Belgien, Slg. 1960, 1163, 1225. Vgl. auch Lecheler, S. 107. 70 Beispielsweise zum schwedischen Sozialwesen, insbesondere zu den unterschiedlichen Leistungen, siehe Henningsen, S. 108 ff. 71 Vgl. auch den von Rothley in der Mitteilung Nr. 25/2000 an die Mitglieder des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt, PE 298.370, S. 4, zitierten Kurzbericht über die informelle Sitzung der Vertreter der Juristischen Dienste des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 21. September 2000, PE 296.407/ BUR, in dem diese erklärten, dass es keine objektiven Gründe dafür gebe, die Abgeordneten unterschiedlich zu behandeln.
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dd) Übergangsregelung Gemäß Art. 28 Abs. 2 EAbgStatut-Anhang (04/2002) könnten die Abgeordneten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Statuts dem Parlament bereits angehörten und die wiedergewählt werden, sich hinsichtlich der Entschädigung, des Übergangsgeldes, des Ruhegehaltes und der Hinterbliebenenversorgung für die gesamte Dauer ihres Mandats für das bisherige nationale System entscheiden. Diese Regelung entspricht den Vorschlägen des Rothley-Entwurfs und des 1998 durch das Europäische Parlament angenommenen Entwurfs72. Begründet wurde die Übergangsregelung dort damit, dass die erworbenen Rechte und Anwartschaften der Abgeordneten und ehemaligen Abgeordneten erhalten bleiben müssten73. Die ursprünglichen Regelungen waren nicht so weitreichend wie der aktuelle Vorschlag. Sie sahen lediglich vor, dass eine derartige Übergangsregelung für eine Wahlperiode gelten sollte, während schon in der darauf folgenden Wahlperiode eine einheitliche Entschädigung Anwendung finden sollte74. Die jetzige Übergangsregelung soll demgegenüber bei wiedergewählten Abgeordneten „für die gesamte Dauer ihres Mandats“, also auch in weiteren Wahlperioden gelten. Durch diese Übergangsregelung mit dem Verweis auf das nationale Recht bleiben die derzeitigen nationalen Entschädigungsregelungen auf unbestimmte Zeit bestehen. Dies widerspricht der Zielsetzung, dass ein einheitliches Statut für die Mitglieder des Europäischen Parlaments losgelöst von nationalen Regelungen bestehen soll75, weil nur so Ungleichbehandlungen der Abgeordneten vermieden werden können. Zudem wird durch die Übergangsregelung mit der Differenzierung zwischen den neugewählten und den wiedergewählten Abgeordneten eine neue Form der Ungleichheit zwischen den Abgeordneten geschaffen76. Die Kommission hat demgegenüber in ihrem Bericht zum Abgeordnetenstatut deutlich gemacht, dass sie keine Einwände gegen die Einführung eines Übergangssystems hat; dieses sei viel72 Siehe Art. 2 des Anhangs 1 des Rothley-Entwurfs sowie Art. 2 EAbgStatutAnhang (12/1998). 73 Siehe Bericht Rothley, Bericht über den Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Dok. EP A4-0426/98, Einleitung der Entschließung, Buchstabe G, sowie ABl. 1998 C 398/11, 26, Einleitung der Entschließung, Buchstabe G. 74 Siehe Art. 4 des Anhangs 1 des Rothley-Entwurfs sowie Art. 4 EAbgStatutAnhang (12/1998). 75 BT-Drs. 14/575, 4, Bericht der Bundestags-Abgeordneten Brandt-Elsweier und Hörster. 76 Vgl. Nallet, S. 18, der die Übergangsregelung als „schockierend“ und als Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip bewertet. Er bezieht sich dabei auf die in dem vom Parlament 1998 verabschiedeten Entwurf enthaltene Übergangsregel.
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
mehr ein bewährtes Instrument in der Europäischen Gemeinschaft77. Im Ergebnis ist Hölscheidt zuzustimmen, der die Einführung eines derartigen Übergangssystems als „zwar rechtlich zulässig, rechtspolitisch aber äußerst fragwürdig“ bewertet, „weil es auf der irrigen Annahme eines Vertrauensschutzes auf Wiederwahl beruhen dürfte und außerdem dem Ziel zuwiderläuft, eine einheitliche Regelung zu schaffen“78. Es ist zudem auch bei dieser Regelung fraglich, ob Art. 190 Abs. 5 EG der Gemeinschaft die Kompetenz gewährt, den Mitgliedstaaten die Verpflichtung zu Leistungen an die Abgeordneten wie etwa die Aufrechterhaltung der nationalen Entschädigungs- und Ruhegehaltsregeln aufzuerlegen.
III. Innerorganisatorische Statusrechte Art. 7 EAbgStatut (04/2002) regelt das Recht jedes Abgeordneten, zu Fragen, für die er die Verabschiedung eines Rechtsakts der Europäischen Union als notwendig erachtet, Vorschläge vorzulegen. Die Bestimmungen zur Durchführung dieses Initiativrechts soll das Parlament in seiner Geschäftsordnung erlassen. Fraglich ist, ob Art. 7 EAbgStatut (04/2002) den Abgeordneten ein allgemeines Gesetzesinitiativrecht, das auch gegenüber anderen Gemeinschaftsorganen Wirkung entfaltet, gewähren will. Der Verweis auf die Geschäftsordnung kann als Hinweis gewertet werden, dass es sich „nur“ um ein Initiativrecht in dem Sinne handeln dürfte, dass das Parlament selbst zur Einleitung eines Verfahrens zur Verabschiedung eines Rechtsaktes aufgefordert werden kann, denn das Recht zur Gesetzesinitiative ist in den Verträgen in erster Linie der Kommission eingeräumt79. Das Parlament selbst hat nur ein sog. „Initiativaufforderungsrecht“ gemäß Art. 192 Abs. 2 EG80. Das Statut kann den Abgeordneten aber nicht weitergehende Rechte einräumen, als die Verträge dem Parlament einräumen. Das Abgeordnetenstatut sollte daher deutlich machen, dass den Abgeordneten ein Initiativrecht „nur“ gegenüber dem Parlament selbst eingeräumt werden soll. Art. 7 EAbgStatut (04/2002) sollte daher zur Klarstellung dahingehend geändert werden, dass ein Abgeordneter dem Parlament Vorschläge vorlegen kann. Art. 14 EAbgStatut-Anhang (04/2002) gewährt den Abgeordneten ein Recht auf Einsicht in alle Akten, die sich im Besitz des Parlaments oder eines seiner Ausschüsse befinden. Eine Ausnahme gilt für persönliche Ak77 SEC (1999) 655 final, Opinion of the Commission on the statute for members of the European Parliament, vom 01. Mai 1999, S. 2. Dieser Bericht bezieht sich auf den vom Parlament 1998 verabschiedeten Entwurf. 78 Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 54. 79 Vgl. Oppermann, Rn. 353. 80 Siehe dazu oben S. 173 f.
C. Analyse ausgewählter Einzelbestimmungen
259
ten oder Abrechnungen. Diese Regelung ist weitreichender als die des Art. 118 GO-EP. Dieser regelt – neben der Verteilung der Dokumente, die den Beratungen und Beschlüssen des Parlaments zugrunde liegen – die Gewährleistung, dass die Mitglieder des Parlaments und die Fraktionen zwecks Konsultation jedes nicht vertraulichen vorbereitenden Dokuments unmittelbaren Zugang zum internen EDV-System des Parlaments haben. Gemäß Art. 15 EAbgStatut-Anhang (04/2002) können die Abgeordneten sich zu Fraktionen zusammenschließen, wobei der Erlass von Bestimmungen zur Durchführung dieses Artikels durch das Parlament in seiner Geschäftsordnung vorgesehen ist81. Dies entspricht im Wesentlichen Art. 29 GO-EP, der allerdings den Zusatz „ihrer politischen Zugehörigkeit entsprechende“ Fraktionen enthält. Es ist davon auszugehen, dass dieser Zusatz über den Verweis auf die Durchführungsvorschriften in der Geschäftsordnung erhalten bleiben wird, denn das EuG hat die Rechtmäßigkeit des Erfordernisses einer politischen Zugehörigkeit vor Kurzem in der Entscheidung Martinez festgestellt82. Gemäß Art. 16 EAbgStatut (04/2002) sind die Fraktionen Teil des Parlaments83 und rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten; sie können klagen und verklagt werden84. Demgegenüber besitzen die Fraktionen bislang lediglich eine partielle, auf den innerparlamentarischen Bereich beschränkte Rechtsfähigkeit; im Außenverhältnis sind sie dagegen nicht rechtsfähig85. Sollte sich im Rat Widerstand gegen die Regelung des Art. 16 EAbgStatut (04/2002) ergeben, so sollte die Streichung dieser Vorschrift erwogen werden, da diese kein unmittelbares Recht der Abgeordneten regelt86. 81 Es ist anerkannt, dass das Recht eines jeden Abgeordneten, sich mit anderen zu einer Fraktion zusammenzuschließen, Teil seines (verfassungsrechtlichen) Status ist, siehe Klein, in: HdbStR, § 41 Rn. 31. 82 EuG, verb. Rs. T-222/99, T-327/99 und T-329/99, Martinez, Slg. 2001, II2823, 2886 ff. Rn. 144 ff. 83 Obwohl dies bislang nicht geregelt ist, ist anerkannt, dass die Fraktionen Organteile des Parlaments sind, siehe Grabitz/Läufer, 1. Teil, Rn. 68; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 197 EG Rn. 7; Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 197 EG Rn. 8; Schwarze, in: Schwarze, Art. 230 EG Rn. 7; Stauß, S. 52 ff. 84 Der EuGH hat die Parteifähigkeit von Fraktionen anerkannt, siehe Rs. 139/85, Fraktion der Europäischen Rechten/Parlament, Slg. 1986, 1753, 1757 Rn. 10 f. So im Ergebnis auch Stauß, S. 57 ff. Die Frage ist in der Literatur umstritten, siehe Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rn. 215; Bieber, in: GTE, Art. 140 Rn. 14 m. w. N.; Neßler, EuR 1997, 311, 312. 85 Siehe Fugmann, in: Dauses, A. II Rn. 109; Grabitz/Läufer, 1. Teil Rn. 68; Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 197 EG Rn. 9; Oppermann, Rn. 258; Stauß, S. 58 m. w. N.; Stevens, S. 38. 86 Vgl. die Begründung des Änderungsantrages 46 von Michiel van Hulten, Anneli Hulthén, Kathalijne Maria Buitenweg und Torben Lund, PE 294.967/ Rev/1-126, S. 26 (Fundstelle: http://www.europarl.eu.int/meetdocs/committees/juri/
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
Art. 22 EAbgStatut-Anhang (04/2002) stellt klar, dass die Dokumente des Parlaments in alle Sprachen übersetzt werden und die Redebeiträge simultan in alle anderen Amtssprachen gedolmetscht werden. Dies entspricht ungefähr der Regelung des Art. 117 GO-EP, der zusätzlich eine Regelung für den Fall enthält, dass der Wortlaut in den verschiedenen Sprachen nicht übereinstimmt. Die in das Statut aufgenommenen innerorganisatorischen Statusrechte werden allen Mitgliedern des Parlaments einheitlich gewährt. Sie sind daher unter den vorliegend relevanten Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.
D. Schlussfolgerungen Der aktuelle Statutsentwurf vereinheitlicht in weiten Teilen die Statusregelungen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Er löst dadurch in diesen Bereichen die durch die geltende Rechtslage bestehenden Widersprüche zu den Grundsätzen der Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments und dem Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG auf. Insbesondere die Regelungen zum Schutz der Kandidatur, zur Immunität, zum Zeugnisverweigerungsrecht und zur Höhe der Entschädigung werden durch den Entwurf vereinheitlicht. Im Bereich der Immunität bleibt die Wirksamkeit der Vereinheitlichung von einer Änderung des Protokolls abhängig. Die Regelung der Inkompatibilitäten überlässt der Entwurf einer Regelung auf der Grundlage des Art. 190 Abs. 4 EG. In drei Bereichen – der Ausübung des Mandats im Herkunftsland, der Besteuerung der Entschädigung und anderer Leistungen sowie der Übergangsregelung für die Entschädigung und andere Leistungen – erhält der Entwurf jedoch mit seinen Verweisen auf die nationalen Rechtsordnungen die Ungleichbehandlungen der Abgeordneten aufrecht.
I. Rechtswidrigkeit Die Beurteilung dieser Ungleichbehandlungen muss sich – anders als im Fall der derzeitigen primärrechtlichen und mitgliedstaatlichen Statusregelungen – nicht auf die Feststellung einer Widersprüchlichkeit im Verhältnis zu den Grundsätzen der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments und des in Art. 12 Abs. 1 EG festgelegten Diskriminierungsverbots beschränken, da ein auf der Grundlage des Art. 190 Abs. 5 EG verabschiedetes Statut aufgrund der Verabschiedung durch die Gemein20020409/juri20020409.htm), wonach dies in der Geschäftsordnung des Parlaments und im zukünftigen Statut über die Finanzierung der europäischen politischen Parteien geregelt werden sollte.
D. Schlussfolgerungen
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schaftsorgane gemeinschaftsrechtliches Sekundärrecht wäre87. Das sekundäre Gemeinschaftsrecht umfasst alle von den Organen der Gemeinschaft auf der Grundlage des EG-Vertrags erlassenen Rechtsakte88. Das sekundärrechtliche Abgeordnetenstatut stünde im Rang unter den erwähnten primärrechtlichen Grundsätzen, so dass es bei einem Verstoß gegen die genannten Grundsätze in Teilen rechtwidrig wäre. Die vorgeschlagenen Vorschriften zur Ausübung des Mandats im Herkunftsland und zur nationalen Besteuerung können danach als rechtswidrig qualifiziert werden. Die Übergangsregelungen dürften wegen ihrer zeitlich begrenzten Gültigkeit lediglich als rechtspolitisch verfehlt einzuschätzen sein.
II. Rechtsschutzmöglichkeiten Gegen das sekundärrechtliche Abgeordnetenstatut wäre die als Rechtsschutz gegen Sekundärrecht vorgesehene Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EG grundsätzlich möglich. Klagebefugt wäre das Parlament gemäß Art. 230 Abs. 3 EG als teilpriviligierter Kläger, weil eine Klage gegen das Abgeordnetenstatut wegen unzulässiger Beeinträchtigungen seiner Unabhängigkeit und seiner Funktionsfähigkeit auf die Wahrung der eigenen Rechte des Parlaments abzielen würde. Die Klagebefugnis einzelner Abgeordneter gegen das Abgeordnetenstatut wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG gemäß Art. 230 Abs. 4 EG89 als nichtpriviligierte Kläger stellt sich demgegenüber als problematisch dar. Ob das Abgeordnetenstatut in der Form einer Verordnung im Sinne des Art. 230 Abs. 4, 2. Alt. EG90 oder als ein verbindlicher Akt „sui generis“91 auf der Grundlage des Art. 190 Abs. 5 87
So auch Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 48. Dabei handelt es sich zwar insbesondere, aber nicht nur um Rechtsakte, die auf der Grundlage des Art. 249 EG erlassen wurden. Siehe Krück, in: GTE, Art. 164 Rn. 40; Oppermann, Rn. 510, 577; Schwarze, in: Schwarze, Art. 220 EG Rn. 13. 89 In der Literatur wird zum Teil vorgeschlagen, Abgeordneten bei Klagen gegen das Europäische Parlament im Sinne eines Organstreitverfahrens eine Klagebefugnis gemäß Art. 230 Abs. 3 EG zuzusprechen. Siehe Dörr, in: Sodan/Ziekow, EVR Rn. 85; Haus, EuZW 2000, 745, 750; Herdegen, Rn. 210. Das EuG folgt diesem Vorschlag jedoch nicht, siehe EuG, Rs. T-17/00, Rothley u. a./EP, Slg. 2002, II-579. Zudem geht es vorliegend um Rechtsschutz gegen einen Rechtsakt der Gemeinschaft, nicht um eine interne Handlung des Parlaments gegenüber seinen Mitgliedern. 90 Die Kommission befürwortet den Erlass des Abgeordnetenstatuts in der Form einer Verordnung. Siehe SEC (1999) 655 final, Opinion of the Commission on the statute for members of the European Parliament, vom 01. Mai 1999, S. 2. Dieser Bericht bezieht sich auf den vom Parlament 1998 verabschiedeten Entwurf. 91 Siehe zu den Rechtsakten sui generis Oppermann, Rn. 577 ff. – Hervorhebung im Original. 88
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4. Teil: Aktueller Statutsentwurf
EG und nach dem dort geregelten speziellen Verfahren mit dem Initiativrecht des Europäischen Parlaments erlassen werden wird92, steht derzeit noch nicht fest. Auch bei Erlass in Form eines Aktes sui generis könnte das Abgeordnetenstatut zwar im Anschluss an die Rechtsprechung zur Ausweitung der Rechtsschutzes auf sog. „echte Verordnungen“ und auf Richtlinien93 einer Prüfung durch den EuGH nach Art. 230 Abs. 4, 2. Alt. EG unterworfen sein. Die der Ausweitung des Rechtsschutzes zugrundeliegende Argumentation – die Rechtsschutzmöglichkeiten, die der Vertrag dem Einzelnen gegenüber Entscheidungen verbürgt, könnten die Gemeinschaftsorgane nicht einfach durch die Wahl der Form des betreffenden Rechtsaktes ausschließen94 – dürfte auch auf Rechtsakte sui generis übertragbar sein. Unabhängig von dieser Frage ist aber jedenfalls eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit der Abgeordneten durch das Abgeordnetenstatut abzulehnen. Die unmittelbare Betroffenheit bejaht der EuGH, wenn es zur Auslösung der Wirkungen der Gemeinschaftshandlung einer mitgliedstaatlichen Vollziehung nicht mehr bedarf oder der Mitgliedstaat zwar den Rechtsakt zu vollziehen hat, sein Ermessen dabei jedoch so weit reduziert ist, dass sich seine Handlung auf den technischen Vollzug beschränkt95. Die Ungleichbehandlung der Abgeordneten wird zwar durch Verweise auf das nationale Recht im Abgeordnetenstatut bewirkt, entsteht jedoch erst durch die unterschiedliche Ausgestaltung der nationalen Regelungen bzw. durch die Regelung einer nationalen Steuer. Es bedarf daher zur Auslösung der beanstandeten Wirkung des Abgeordnetenstatuts des Dazwischentretens weiterer Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten, so dass schon eine unmittelbare Betroffenheit der Abgeordneten durch das Abgeordnetenstatut abzulehnen ist. Die individuelle Betroffenheit der Abgeordneten wäre gegeben, wenn das Abgeordnetenstatut die Abgeordneten wegen bestimmter persön92 Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, Art. 190 EG Rn. 48, verweist darauf, dass das Abgeordnetenstatut sowohl in der Form eines Beschlusses als auch einer Verordnung verabschiedet werden könne. 93 Zur Ausweitung des Rechtsschutzes gemäß Art. 230 Abs. 4 EG auf sog. „echte Verordnungen“, d.h. solche, die normativen Charakter haben, siehe EuGH, Rs C309/89, Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853, 1885 f. Rn. 17 ff.; EuG, Rs. T-122/96, Federolio/Kommission, Slg. 1997, II-1559, 1578 Rn. 50. Zur Ausweitung des Rechtsschutzes des Art. 230 Abs. 4 EG auf „echte Richtlinien“, d.h. solche, die normativen Charakter haben, siehe EuG, Rs. T-135/96, UEAPME/Rat, Slg. 1998, II2335, 2362 f. Rn. 67 ff.; verb. Rs. T-172/98 und T-175 bis T-177/98, Salamander u. a./EP und Rat, Slg. 2000, II-2487, 2503 Rn. 28 ff. Siehe zu dieser Rechtsprechung einerseits Cremer, EuZW 2001, 453 ff., sowie ders., in: Calliess-Ruffert, Art. 230 EG Rn. 27 ff., andererseits Schwarze, in: Schwarze, Art. 230 EG Rn. 30 ff. 94 Siehe EuG, Rs. T-122/96, Federolio/Kommission, Slg. 1997, II-1559, 1578 Rn. 50; Rs. T-135/96, UEAPME/Rat, Slg. 1998, II-2335, 2362 f. Rn. 63. 95 EuGH, Rs. 386/96 P, Dreyfus/Kommission, Slg. 1998, I-2309, 2370 f. Rn. 43 f. m. w. N.
D. Schlussfolgerungen
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licher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührte und sie daher in ähnlicher Weise individualisierte wie den Adressaten einer Entscheidung96. Dies wäre z. B. anzunehmen, wenn bereits bei Erlass der Maßnahme der Kreis der durch sie Betroffenen feststünde, insbesondere die Betroffenen auch namentlich genannt wären, und ausgeschlossen wäre, dass sich der Kreis während der Geltungsdauer der Maßnahme zukünftig erweitern könnte97. Bei Erlass des Abgeordnetenstatuts stünde aber nicht fest, welche Abgeordneten dem Parlament in der nächsten Wahlperiode, mit deren Beginn gemäß Art. 28 Abs. 1 EAbgStatut (04/2002) das Abgeordnetenstatut in Kraft treten soll, angehören und so von dem Statut betroffen wären. Da sowohl im Laufe einer Wahlperiode als auch in jeder neuen Wahlperiode dem Europäischen Parlament neue Abgeordnete angehören können und werden, ist es auch nicht ausgeschlossen, dass sich der Kreis der durch das Abgeordnetenstatut Betroffenen zukünftig erweitern könnte. Die Abgeordneten sind daher durch das Abgeordnetenstatut auch nicht individuell betroffen. Bestätigt wird dies durch die Entscheidung Rothley u. a./EP, in der das EuG festgestellt hat, dass die Zugehörigkeit zu der Personengruppe „Mitglieder des Parlaments“ nicht genüge, um einen einzelnen Abgeordneten zu individualisieren, weil diese Gruppe allgemein und abstrakt umschrieben sei98. Eine Klagebefugnis einzelner Abgeordneter gemäß Art. 230 Abs. 4 EG gegen das Abgeordnetenstatut ist daher zu verneinen.
96 Grundlegend EuGH, Rs. 25/62, Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 211, 238. Zwar hat das EuG in der Entscheidung Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission das Kriterium der individuellen Betroffenheit dahingehend ausgelegt, dass eine natürliche oder juristische Person individuell betroffen ist, wenn eine Bestimmung „ihre Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt, indem sie ihre Rechte einschränkt oder ihr Pflichten auferlegt“. Siehe EuG, Urt. v. 3. Mai 2002, T-177/01, Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission, EWS 2002, 324 ff. Rn. 51. Der EuGH hält jedoch auch nach dieser Entscheidung des EuG ausdrücklich an der bisherigen Auslegung des Merkmals der individuellen Betroffenheit fest, siehe EuGH, Urt. v. 25. Juli 2002, Rs. C-50/00 P, Unión de Pequeños Agricultores, EWS 2002, 426, 429 Rn. 36 ff. Kritisch äußert sich Schohe, EWS 2002, 424 ff., zu dieser Rechtsprechung. 97 Schwarze, in: Schwarze, Art. 230 EG Rn. 37. 98 EuG, Rs. T-17/00, Rothley u. a./EP, Slg. 2002, II-579, 603 f. Rn. 67. Siehe zu dieser Entscheidung auch die Anmerkung von Thwaites, RDUE 2002, 162 ff.
Zusammenfassende Schlussbetrachtung Nach der geltenden Rechtslage beruht der Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf einem detaillierten System gemeinschaftsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Regelungen. Mit dem freien Mandat, der Indemnität, der Freizügigkeit und den vom Europäischen Parlament normierten Kostenerstattungen wird den Abgeordneten des Europäischen Parlaments durch gemeinschaftsrechtliche Statusregelungen ein einheitlicher Schutz gewährt. Der Schutz der Abgeordneten aufgrund von Regelungen zur Kandidatur, zur Immunität, zum Zeugnisverweigerungsrecht, zu Inkompatibilitäten und zur Entschädigung hängt demgegenüber überwiegend von mitgliedstaatlichen Statusregelungen ab. Die Reichweite des Schutzes der Abgeordneten des Europäischen Parlament ist daher in weiten Teilen vom mitgliedstaatlichen Recht abhängig und unterschiedlich ausgestaltet. Diese Rechtslage ist in erster Linie historisch bedingt. Während das Europäische Parlament sich, insbesondere aufgrund der Einführung der Direktwahlen im Jahre 1979 und der stetigen Erweiterung seiner Kompetenzen, seit seiner Gründung in ständiger Veränderung und Fortentwicklung befindet, hält der in Teilen nach wie vor dem Status der Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarats entsprechende Status seiner Mitglieder mit dieser Entwicklung nicht Schritt. Stattdessen weist der Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufgrund der weitgehenden Gleichstellung mit dem Status der Abgeordneten der nationalen Parlamente auch heute noch Merkmale auf, die an Zeiten erinnern, als die Mitglieder der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften von den nationalen Parlamenten entsandt wurden. Aufgrund der in weiten Teilen bestehenden Abhängigkeit des Status der Abgeordneten vom mitgliedstaatlichen Recht und der dadurch bedingten Ungleichbehandlung der Abgeordneten stellt diese Rechtslage eine Beeinträchtigung der allgemeinen Grundsätze der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments dar. Diese Beeinträchtigung beruht zum einen darauf, dass die geltende Rechtslage den Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Einflussnahme auf die einzelnen Abgeordneten eröffnet. Sie beruht zum anderen darauf, dass die Gefahr besteht, dass die statusbedingten Rahmenbedingungen es dem Europäischen Parlament erschweren, ein europäisches Gesamtinteresse zu verkörpern und zu vermitteln, weil das nationale Interesse aufgrund der Einbindung an die nationale Rechtsordnung in den Vordergrund zu rücken droht. Schließlich sind die
Zusammenfassende Schlussbetrachtung
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Regelungen der Immunität in Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls und der Inkompatibilitäten in Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG zu werten. Rechtsfolge dieser Beeinträchtigungen der Gemeinschaftsgrundsätze der Unabhängigkeit und Funktionstauglichkeit des Europäischen Parlaments und des Diskriminierungsverbots ist nur im Falle der Inkompatibilitätsregelung durch Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit. Nur im Falle der Wahlakte kann, obwohl die Wahlakte Primärrecht ist, aufgrund ihres verfahrensmäßigen Zustandekommens und ihres Durchführungscharakters ein Rang unter den Vorschriften und Grundsätzen der Verträge angenommen werden. Rechtsschutz gegen Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte steht der Kommission mit dem Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EG zur Verfügung. Für Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a des Protokolls kann hingegen weder in formeller noch in materieller Hinsicht eine Nachrangigkeit gegenüber den genannten Grundsätzen und damit eine Rechtswidrigkeit aufgrund von festgestellten Verstößen hergeleitet werden. Auch die rein mitgliedstaatlichen Regelungen, die unabhängig von Verweisen des Gemeinschaftsrechts bestehen – beispielsweise die der Entschädigung –, können nicht an den genannten Grundsätzen gemessen werden, weil dadurch den Mitgliedstaaten unzulässigerweise eine Harmonisierungspflicht hinsichtlich ihrer mitgliedstaatlichen Regelungen auferlegt würde. Die Regelung der Immunität und die rein mitgliedstaatlichen Regelungen sind daher lediglich als gegenüber den genannten Grundsätzen wertungswidersprüchlich zu bewerten. Rechtsschutz besteht in diesem Bereich nicht. Die vom Rat beschlossene, noch von den Mitgliedstaaten zu ratifizierende Änderung der Wahlakte führt – trotz des positiv zu bewertenden Verbots des Doppelmandats – nicht zu einer zufriedenstellenden Neufassung der Regelung der Inkompatibilitäten durch Art. 6 Abs. 3 n. F. der Wahlakte. Die Abhängigkeit des Status der Abgeordneten von mitgliedstaatlichen Inkompatibilitätsregelungen bleibt im Wesentlichen bestehen. Art. 6 Abs. 3 n. F. ist daher wie Art. 6 Abs. 2 der Wahlakte als rechtswidrig zu erachten; auch gegen ihn steht der Kommission mit dem Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EG ein Rechtsmittel zur Verfügung. Der vom Ausschuss für Recht und Binnenrecht angenommene Entwurf eines Abgeordnetenstatuts auf der Grundlage des Art. 190 Abs. 5 EG führt in weiten Teilen zu einer Loslösung des Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom nationalen Recht und damit einhergehend zur Gleichstellung der Abgeordneten. Dies bringt eine Sicherung der Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments und eine Erleichterung der Erfüllung seiner Funktionen mit sich. Der Entwurf enthält insoweit eine zufriedenstellende Lösung, als er den Status ohne Verweise auf das nationale Recht re-
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Zusammenfassende Schlussbetrachtung
gelt. Im Bereich der Ausübung des Mandats im Herkunftsland, der Besteuerung der Entschädigung sowie der Übergangsregelung für die Entschädigung werden die Verweise auf das mitgliedstaatliche Recht jedoch aufrecht erhalten. Die vorgesehenen Regelungen der Ausübung des Mandats im Herkunftsland sowie der Besteuerung der Entschädigung sind als gemeinschaftsrechtswidrig zu bewerten, weil ein zukünftiges, auf der Grundlage des Art. 190 Abs. 5 erlassenes Abgeordnetenstatut gemeinschaftsrechtliches Sekundärrecht darstellen und somit im Rang unter den einschlägigen Gemeinschaftsgrundsätzen stehen wird. Gegen ein in dieser Form verabschiedetes Abgeordnetenstatut stünde dem Europäischen Parlament aufgrund des Verstoßes gegen die Grundsätze der Unabhängigkeit und der Funktionstauglichkeit Rechtsschutz nach Art. 230 Abs. 3 EG zur Verfügung. Die einzelnen Abgeordneten wären hingegen wegen mangelnder unmittelbarer und individueller Betroffenheit nicht klagebefugt. Abschließend ist festzustellen, dass ein zukünftiges Abgeordnetenstatut nur dann der Rolle des Europäischen Parlaments im Gemeinschaftsgefüge, insbesondere seiner Unabhängigkeit und seiner Funktionstauglichkeit, gerecht wird, wenn es auf alle Verweise auf das mitgliedstaatliche Recht verzichtet, denn durch diese wird unausweichlich die jetzige Situation erhalten. Auch die Unabhängigkeit des europäischen Mandats wird nur durch eine umfassende Loslösung des Status der Abgeordneten von den nationalen Rechtsordnungen gesichert. Es muss daher der Versuch aufgegeben werden, die Abgeordneten des Europäischen Parlaments den jeweiligen mitgliedstaatlichen Parlamentsmitgliedern gleichzustellen.
Anhang Entwurf eines Abgeordnetenstatuts, angenommen am 9. April 2002 vom Ausschuss für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments, (EAbgStatut (04/2002)1 Artikel 1 Das vorliegende Statut regelt die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Europäischen Parlaments und die allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung ihres Mandats. A. Die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten Artikel 2 (Prüfung des Mandats) (1) Das Parlament prüft unverzüglich die Mandate und entscheidet über deren Gültigkeit. (2) Bis zur Entscheidung nimmt der Abgeordnete an allen Sitzungen des Parlaments und seiner Organe mit vollen Rechten teil. Artikel 3 (Dauer des Mandats) (1) Die Abgeordneten werden für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt. Das Mandat beginnt und endet jeweils mit der Eröffnung der ersten Tagung des Parlaments nach der Wahl. (2) Vereinbarungen über die Niederlegung des Mandats vor Ablauf oder zum Ende einer Wahlperiode sind nichtig. Artikel 4 (Erlöschen des Mandats) (1) Das Mandat erlischt mit dem Tod, dem Rücktritt oder dem Verlust der Wählbarkeit. (2) Die Rechtswirkungen des Erlöschens treten ein 1 Entnommen PE 294.967/REV – Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 10. April 2002 an den Präsidenten des Europäischen Parlaments mit den wesentlichen Elementen des Abgeordnetenstatuts, Verfasser Willi Rothley.
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Anhang – im Fall des Todes an dem Tag, an dem der Präsident das Parlament davon in Kenntnis setzt; – im Fall des Rücktritts an dem Tag, an dem das Parlament die Rechtswirksamkeit des Rücktritts festgestellt hat; – im Fall des Verlustes der Wählbarkeit an dem Tag, an dem die nationalen Behörden das Parlament davon in Kenntnis setzen, dass der Verlust der Wählbarkeit von den nationalen Gerichten endgültig bestätigt worden ist.
Artikel 5 (Nachfolge) (1) Erlischt ein Mandat durch Tod oder Rücktritt, unterrichtet der Präsident die zuständigen nationalen Behörden. (2) Diese teilen dem Präsidenten mit, wer nach dem Ergebnis der letzten Wahlen der Nachfolger ist. (3) Artikel 2 findet entsprechende Anwendung. Artikel 6 (Das freie Mandat) (1) Die Abgeordneten sind frei und unabhängig. (2) Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. (3) Sie geben ihre Stimme einzeln und persönlich ab. (4) Vereinbarungen über die Art und Weise der Ausübung des Mandats sind nichtig. Artikel 7 (Initiativrecht) (1) Jeder Abgeordnete kann zu Fragen, für die er die Verabschiedung eines Rechtsakts der Europäischen Union für notwendig erachtet, Vorschläge vorlegen. (2) Das Parlament erlässt in seiner Geschäftsordnung Bestimmungen zur Durchführung dieses Artikels. Artikel 8 (Schutz des Mandats) (1) Niemand darf gehindert werden, sich um ein Mandat im Parlament zu bewerben, es anzunehmen oder auszuüben. (2) Eine Kündigung oder Entlassung oder andere arbeits- oder beamtenrechtliche Nachteile wegen der Annahme oder Ausübung des Mandats sind unzulässig. Artikel 9 (Schutz der Informationsfreiheit) (1) Ein Abgeordneter hat zu jeder Zeit ein Zeugnisverweigerungsrecht über Personen, die ihm oder denen er Tatsachen anvertraut hat, und über diese Tatsachen selbst.
Anhang
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(2) Die Beschlagnahme von Schriftstücken oder elektronischen Aufzeichnungen eines Abgeordneten kann weder durch eine Behörde noch durch ein Gericht angeordnet werden. (3) Die Durchsuchung der Person, des Büros oder der Wohnung eines Abgeordneten ist nur mit dessen Zustimmung zulässig. (4) Die Zustimmung kann weder durch das Parlament noch durch die Anordnung einer Behörde oder eines Gerichts ersetzt werden.
Artikel 10 (Schutz der persönlichen Ausübung des Mandats) Schriftstücke und elektronische Aufzeichnungen, die ein Abgeordneter empfangen, verfasst oder verschickt hat und die keine offizielle Dokumentennummer haben, sind keine Dokumente des Parlaments.
Artikel 11 (Schutz der Abstimmungs- und Meinungsfreiheit) (1) Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen einer Abstimmung oder einer Äußerung, die in Ausübung des Mandats gemacht wurde, gerichtlich verfolgt oder sonst außergerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. (2) Das Parlament entscheidet auf Antrag des Abgeordneten darüber, ob eine Äußerung in Ausübung des Mandats gemacht wurde. (3) Artikel 7 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung.
Artikel 12 (Schutz der Integrität des Parlaments) (1) Jede Einschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten ist nur mit Zustimmung des Parlaments zulässig, es sei denn, dass er bei Begehung der Tat festgenommen wird. (2) Die Beschlagnahme von Schriftstücken oder elektronischen Aufzeichnungen eines Abgeordneten oder die Durchsuchung seiner Person, seines Büros oder seiner Wohnung sowie die Überwachung seines Post- und Telefonverkehrs kann nur mit Zustimmung des Parlaments angeordnet werden. Artikel 9 Absatz 4 findet entsprechende Anwendung. (3) Ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen einen Abgeordneten ist auf Verlangen des Parlaments auszusetzen. (4) Die Zustimmung nach Absatz 2 kann von den nach nationalem Recht zuständigen Stellen beantragt werden. (5) Die Zustimmung nach Absatz 2 oder die Aussetzung nach Absatz 3 kann bedingt, befristet oder beschränkt sein. (6) Artikel 7 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung.
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Anhang
Artikel 13 (Freizügigkeit) (1) Die Abgeordneten haben überall in der Europäischen Union das Recht auf Freizügigkeit. (2) Dieses Recht darf weder durch Gesetz noch durch eine Anordnung einer Behörde oder eines Gerichts eingeschränkt werden.
Artikel 14 (Recht auf Akteneinsicht) (1) Die Abgeordneten haben das Recht auf Einsicht in alle Akten, die sich im Besitz des Parlaments oder eines seiner Ausschüsse befinden. Dies gilt nicht für persönliche Akten oder Abrechnungen. (2) Rechtsakte der Europäischen Union und Vereinbarungen der Institutionen über den Zugang zu Dokumenten bleiben hiervon unberührt. (3) Das Parlament erlässt Bestimmungen zur Durchführung dieses Artikels.
Artikel 15 (Bildung von Fraktionen) Die Abgeordneten können sich zu Fraktionen zusammenschließen. Artikel 7 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung.
Artikel 16 (Rechtsstellung der Fraktionen) (1) Die Fraktionen sind Teil des Parlaments und rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten. (2) Sie können klagen und verklagt werden.
B. Die allgemeinen Bedingungen für die Wahrnehmung des Mandats Artikel 17 (Entschädigung, Übergangsgeld, Ruhegehalt, Hinterbliebenenversorgung) (1) Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene Entschädigung, die ihre Unabhängigkeit sichert. (2) Die Abgeordneten haben nach Ende des Mandats Anspruch auf ein Übergangsgeld und ein Ruhegehalt. (3) Zur Finanzierung des Ruhegehaltes wird ein Fonds als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts geschaffen, der Rücklagen für die Ruhegehälter bildet. (4) Vereinbarungen über die Verwendung der Entschädigung, des Übergangsgeldes und des Ruhegehaltes zu anderen als privaten Zwecken sind unwirksam.
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(5) Die Hinterbliebenen von Abgeordneten oder ehemaligen Abgeordneten haben Anspruch auf Versorgung. (6) Die Einzelheiten werden im Anhang zu diesem Statut geregelt. Artikel 18 (Finanzierung) Sämtliche Zahlungen werden aus dem Haushalt der Europäischen Union und aus dem zur Finanzierung des Ruhegehaltes einzurichtenden Fonds geleistet. Artikel 19 (Kostenerstattung) (1) Die Abgeordneten haben Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihnen durch die Ausübung des Mandats entstehen. (2) Artikel 17 Absatz 5 findet entsprechende Anwendung. (3) Das Parlament legt fest, in welchen Fällen die Erstattung durch eine Pauschale erfolgen kann. (4) Artikel 14 Absatz 3 findet entsprechende Anwendung. Artikel 20 (Persönliche Mitarbeiter) (1) Die Abgeordneten haben Anspruch auf Unterstützung durch persönliche Mitarbeiter ihres Vertrauens, die frei von ihnen ausgewählt werden. (2) Artikel 14 Absatz 3 findet entsprechende Anwendung. Artikel 21 (Technische Mittel) (1) Die Abgeordneten haben Anspruch auf Nutzung der Büro- und Kommunikationseinrichtungen sowie der Dienstfahrzeuge des Parlaments. (2) Artikel 14 Absatz 3 findet entsprechende Anwendung. Artikel 22 (Sprachen) (1) Die Dokumente des Parlaments werden in alle Amtssprachen übersetzt. (2) Die Redebeiträge werden simultan in alle anderen Amtssprachen gedolmetscht. Artikel 23 (Krankheitskosten) (1) Die Abgeordneten und die ehemaligen Abgeordneten, die ein Ruhegehalt beziehen, sowie die versorgungsberechtigten Hinterbliebenen haben Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihnen durch Krankheit, Schwangerschaft oder die Geburt eines Kindes entstehen. (2) Artikel 14 Absatz 3 findet entsprechende Anwendung.
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Artikel 24 (Versicherungsschutz) (1) Die Abgeordneten haben Anspruch auf Versicherungsschutz zur Deckung der Risiken, die mit der Ausübung des Mandats verbunden sind. (2) Artikel 14 Absatz 3 findet entsprechende Anwendung. Artikel 25 (Ausübung des Mandats im Herkunftsland) Die Abgeordneten werden in dem Mitgliedstaat, in dem sie gewählt wurden, hinsichtlich der Bedingungen, unter denen sie ihr Mandat dort ausüben, den nationalen Abgeordneten gleichgestellt. Artikel 26 (Besteuerung) Die Leistungen des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente gemäß Artikel 19, 20, 21, 23, 24 und 25 unterliegen weder der nationalen noch der europäischen Besteuerung. Artikel 27 (Veröffentlichung) Beschlüsse zur Durchführung dieses Statutes werden im Amtsblatt veröffentlicht.
C. Übergangs- und Schlussbestimmungen Artikel 28 (Inkrafttreten, unmittelbare Geltung und Übergangsregelung) (1) Dieses Statut tritt mit dem Beginn der Wahlperiode in Kraft, die auf seine Annahme folgt. (2) Es ist in allen seinen Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. (3) Die Abgeordneten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Statuts dem Parlament bereits angehörten und die wiedergewählt werden, können sich hinsichtlich der Entschädigung, des Übergangsgeldes, des Ruhegehaltes und der Hinterbliebenenversorgung für die gesamte Dauer ihres Mandats für das bisherige nationale System entscheiden. (4) Die Regelung über die Erstattung von Krankheitskosten gemäß Artikel 23 gilt auch für die Abgeordneten, die sich nach Absatz 3 für das nationale System entscheiden und für die ehemaligen Abgeordneten, die ein Ruhegehalt nach nationalem Recht oder Bezüge aus dem Artikel 11 des Anhangs genannten freiwilligen Pensionsfonds erhalten. (5) Abweichend von Absatz 1 tritt der Artikel 12 dieses Statuts erst nach Aufhebung des Artikels 10 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen in Kraft. Bis zu diesem Zeitpunkt trägt das Europäische Parlament für die Wah-
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rung der Rechte der Abgeordneten gemäß dem Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen Sorge. (6) Artikel 3 Absatz 4 des Anhangs tritt erst nach einer entsprechenden Änderung des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen in Kraft. (7) Lädt das Parlament nach Abschluss eines Beitrittsvertrags und bis zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens aus einem Beitrittsland eine der Zahl seiner künftigen Abgeordneten entsprechende Zahl von Beobachtern ein, so werden diese hinsichtlich der Bedingungen für die Wahrnehmung des Mandats im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten den Abgeordneten gleichgestellt.
ANHANG A. Entschädigung Artikel 1 (Entschädigung) Die Entschädigung beläuft sich auf jeweils 50% der Grundbezüge eines Richters am Europäischen Gerichtshof.
Artikel 2 (Anrechnung) Die Entschädigung, die ein Abgeordneter für die Wahrnehmung eines Mandats in einem anderen Parlament erhält, wird auf die Entschädigung angerechnet.
Artikel 3 (Steuer) (1) Die Entschädigung wird aus dem Haushalt der Europäischen Union bezahlt. (2) Sie unterliegt der Gemeinschaftssteuer. (3) Die Mitgliedstaaten können – unter Ausschluss jeder Doppelbesteuerung – eine zusätzliche nationale Steuer erheben, wenn sie diese Absicht vor Annahme dieses Statuts gegenüber dem Europäischen Parlament erklärt haben. Die Erklärung wird beim Generalsekretär des Europäischen Parlaments hinterlegt. (4) Das Recht der Mitgliedstaaten, die Entschädigung bei der Festsetzung des Steuerbetrages auf andere Einkommen zu berücksichtigen, bleibt unberührt.
B. Übergangsgeld Artikel 4 (Übergangsgeld) (1) Die Abgeordneten haben nach Ende des Mandats Anspruch auf ein Übergangsgeld in Höhe der Entschädigung nach Artikel 1 dieses Anhangs.
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(2) Dieser Anspruch besteht für jedes Jahr der Ausübung des Mandats für einen Monat, mindestens jedoch für sechs und höchstens für 24 Monate. (3) Bei der Übernahme eines anderen Mandats oder eines öffentlichen Amtes wird das Übergangsgeld bis zum Beginn des Mandats bzw. bis zum Amtsantritt gezahlt. (4) Im Fall des Todes wird das Übergangsgeld letztmals in dem Monat gezahlt, in dem der ehemalige Abgeordnete gestorben ist. (5) Artikel 3 dieses Anhangs findet entsprechende Anwendung. C. Ruhegehalt Artikel 5 (Ruhegehalt) (1) Die ehemaligen Abgeordneten haben mit Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf ein Ruhegehalt. (2) Dieses Ruhegehalt beträgt für jedes volle Jahr der Ausübung des Mandats 3,5% der Entschädigung nach Artikel 1 dieses Anhangs und für jeden weiteren vollen Monat ein Zwölftel, insgesamt jedoch nicht mehr als 70%. (3) Das Ruhegehalt wird nicht auf andere Ruhegehälter angerechnet. (4) Artikel 2 und 3 dieses Anhangs finden entsprechende Anwendung. Artikel 6 (Besitzstand) (1) Der Anspruch auf ein Ruhegehalt, den ein Abgeordneter zum Zeitpunkt der Anwendung dieses Statuts nach einzelstaatlichen Regelungen erworben hat, bleibt in vollem Umfang erhalten. (2) Zeiten der Mandatsausübung im Europäischen Parlament oder in einem nationalen Parlament, die nach den einzelstaatlichen Regelungen keinen Anspruch auf ein Ruhegehalt auslösen, werden bei der Berechnung des Ruhegehaltes auf der Grundlage dieses Statuts berücksichtigt. D. Invalidität Artikel 7 (1) Die Abgeordneten haben im Fall einer Invalidität, die während des Mandats entstanden ist, Anspruch auf ein Ruhegehalt. (2) Artikel 5 Absatz 2 dieses Anhangs findet entsprechende Anwendung. Die Höhe des Ruhegehaltes beträgt jedoch mindestens 35% der Entschädigung nach Artikel 1 dieses Anhangs. (3) Der Anspruch entsteht mit der Niederlegung des Mandats. (4) Artikel 3 dieses Anhangs findet entsprechende Anwendung.
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E. Häufung von Ansprüchen Artikel 8 Hat ein ehemaliger Abgeordneter gleichzeitig Anspruch auf die Zahlung von Übergangsgeld nach Artikel 4 dieses Anhangs und von Ruhegehalt nach den Artikeln 5 oder 7 dieses Anhangs, so wird ausschließlich die für ihn günstigste Regelung angewandt.
F. Hinterbliebenenversorgung Artikel 9 (1) Der Ehegatte und die unterhaltsberechtigten Kinder haben im Fall des Todes eines Abgeordneten, der während der Dauer des Mandats stirbt, oder eines ehemaligen Abgeordneten, der zum Zeitpunkt seines Todes Anspruch auf ein Ruhegehalt nach den Artikeln 5 oder 7 dieses Anhangs hatte, einen Anspruch auf Versorgung. (2) Der Gesamtbetrag der Versorgung darf nicht höher sein als das Ruhegehalt, auf das der Abgeordnete am Ende der Wahlperiode Anspruch gehabt hätte oder auf das der ehemalige Abgeordnete Anspruch hatte. (3) Der hinterbliebene Ehegatte erhält 60% des in Absatz 2 genannten Betrages, mindestens jedoch 30% der Abgeordnetenentschädigung. Der Anspruch erlischt nicht im Falle der Wiederverheiratung. (4) Ein unterhaltsberechtigtes Kind erhält 20% dieses Betrages. (5) Erforderlichenfalls wird der Höchstbetrag der zu zahlenden Versorgung im Verhältnis der in den Absätzen 2 und 3 vorgesehenen Prozentsätze zwischen dem Ehegatten und den Kindern aufgeteilt. (6) Die Versorgung wird von dem ersten Tag des auf den Tod folgenden Monats gezahlt. (7) Bei Tod des Ehegatten erlischt dessen Anspruch am Ende des Monats, in dem der Todesfall eingetreten ist. (8) Der Anspruch eines Kindes erlischt mit Ende des Monats, an dem es das 21. Lebensjahr vollendet. Er besteht jedoch für die Dauer der Berufsausbildung fort, höchstens jedoch bis zum Ende des Monats, in dem es das 25. Lebensjahr vollendet. Der Anspruch besteht fort, solange das Kind wegen einer Krankheit oder eines Gebrechens außerstande ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. (9) Artikel 3 dieses Anhangs findet entsprechende Anwendung. (10) Partner aus in den Mitgliedstaaten anerkannten Lebensgemeinschaften werden Ehegatten gleichgestellt.
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Anhang G. Pensionsfonds
Artikel 10 (1) Zur Finanzierung des Ruhegehaltes und der Versorgung der Hinterbliebenen wird ein Fonds als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts geschaffen, der Rücklagen für die Ruhegehälter und die Versorgung der Hinterbliebenen bildet. (2) Die Rücklagen werden aus monatlichen Zahlungen des Parlaments (zwei Drittel) und der Abgeordneten (ein Drittel) sowie aus den daraus erzielten Zinsen gebildet. (3) Die Höhe der erforderlichen Beiträge wird jährlich vom Parlament festgelegt. Artikel 7 Absatz 2 des Statuts findet entsprechende Anwendung. (4) Die Beiträge gemäß Absatz 2 unterliegen keiner Steuer. (5) Die Rechnungsprüfung erfolgt durch den Europäischen Rechnungshof.
Artikel 11 (1) Der vom Europäischen Parlament eingerichtete freiwillige Pensionsfonds wird nach Inkrafttreten dieses Statuts für die Abgeordneten oder ehemaligen Abgeordneten, die in diesem Fonds bereits Rechte oder Anwartschaften erworben haben oder die sich nach Artikel 28 Absatz 3 dieses Statuts für das bisherige nationale System entscheiden, weitergeführt. (2) Die erworbenen Rechte und Anwartschaften bleiben in vollem Umfang erhalten und werden in der gleichen Weise gewährleistet wie Rechte und Anwartschaften nach Artikel 17 Absatz 4 des Statuts und Artikel 10 des Anhangs. (3) Die Beiträge zu diesem Fonds unterliegen keiner Steuer. (4) Abgeordnete, die Beiträge zum Pensionsfonds nach Artikel 10 dieses Anhangs leisten, können im freiwilligen Pensionsfonds keine neuen Rechte oder Anwartschaften erwerben. (5) Der Fonds steht den Abgeordneten, die zum Zeitpunkt der Anwendbarkeit dieses Statuts erstmals in das Parlament gewählt werden, nicht zur Verfügung. (6) Artikel 2, 3 und 5 Absatz 3 dieses Anhangs finden entsprechende Anwendung.
H. Übergangsregelung Artikel 12 (1) Die Abgeordneten, die gemäß Artikel 28 Absatz 3 des Statuts im bisherigen nationalen System bleiben wollen, teilen diese Entscheidung dem Präsidenten des Parlaments innerhalb von 30 Tagen nach Antritt des Mandats schriftlich mit. (2) Die Entscheidung ist endgültig und unwiderruflich.
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(3) Liegt eine solche Mitteilung innerhalb der Frist nicht vor, gelten die Bestimmungen dieses Statuts. (4) Die Abgeordneten, die sich für das nationale System entscheiden, unterliegen hinsichtlich der Höhe aller Leistungen den Regelungen des nationalen Rechts. (5) Die Zahlungen werden aus dem Haushalt des Mitgliedstaates gezahlt und unterliegen ausschließlich der nationalen Steuer. (6) Die Abgeordneten zahlen keinen Beitrag in den Fonds (Artikel 10 Absatz 2 dieses Anhangs). Sie können sich an dem freiwilligen Pensionsfonds beteiligen (Artikel 11 Absatz 1 dieses Anhangs). Artikel 17 Absatz 5 des Statuts findet entsprechende Anwendung.
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Zuleeg, Manfred: Betrachtungen zum Gleichheitssatz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, in: Festschrift für Bodo Börner zum 70. Geburtstag, Europarecht, Energierecht, Wirtschaftsrecht, hrsg. von Jürgen F. Baur, Peter-Christian MüllerGraff und Manfred Zuleeg, Köln/Berlin u. a. 1992, S. 473 (zit.: Zuleeg, in: FS Börner). – Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1993, S. 1069. – Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Gemeinschaft, ZEuP 1993, S. 475. – Der Verfassungsgrundsatz der Demokratie und die Europäischen Gemeinschaften, Der Staat 17 (1978), S. 27. – Wandlungen des Begriffs der Supranationalität, Integration 1988, S. 103.
Stichwortverzeichnis Abgeordnete 29 ff., 125, 150 ff. Abgeordnetenstatus 24 ff. Abgeordnetenstatut 41 ff., 236 ff. Allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts 149 f., 165 ff. Artikulations- und Rückkoppelungsfunktion des Europäischen Parlaments 173 f., 179 Aufenthalts- und Reisekosten 39 Auslegung 55 f., 57 ff., 64 f., 80 ff., 223 ff. Behinderungsverbot 52 f., 88 ff., 242 Beratende Versammlung 32 ff., 42, 133 Beratungs- und Rechtsetzungsfunktion des Europäischen Parlaments 172 f., 178 f. Besteuerung der Diäten 85 f., 115, 254 ff., 256, 266 Diäten 43 f., 83 ff., 114 ff., 142, 155 f., 195 f., 246 ff. Direktwahl 30 f., 41 ff., 78, 80 f., 87, 125, 126, 130 f., 149, 157, 162, 186, 192, 248 Diskriminierung 181 f. – Rechtfertigung 188 ff. Diskriminierungsverbot 180 ff., 216, 220 f., 224 f., 225 ff., 230 f., 235, 245, 248, 260, 261, 264 ff. Doppelmandat 42 ff., 66, 80 ff., 126, 131, 146, 192, 233 f., 265 Einheitliches Wahlverfahren 30 f., 163, 173, 193, 200 ff., 229, 233 ff. Entsandte 30, 126, 192 Entschädigung 43 f., 83 ff., 114 ff., 156, 166, 181, 185, 196, 225 ff., 239, 249 ff, 260, 264 ff. EuAbgG 43 f., 48
Europäische Kommission 46, 80, 120 f., 123, 125, 127, 138, 138 ff., 146 ff., 151, 169 ff., 175 ff., 229 ff., 236, 239, 255, 257 – Status der Kommissionsmitglieder 77 f., 137, 138 ff., 146 ff., 153 – Unabhängigkeit 125, 127, 138 ff., 146 ff. Europäische Zentralbank – Status der Mitglieder des Direktoriums 143 ff. – Status der Zentralbankpräsidenten 143 ff., 148 f. – Unabhängigkeit 143, 146 ff., 125, 127, 138, 140 ff., 146 ff. Europäischer Gerichtshof 74 ff., 123 – Status der Richter 142 f., 153 – Unabhängigkeit 125, 127, 138, 140 ff., 146 ff. Europäisches Mandat 128 ff., 158 ff. Europarat 32 ff., 40 ff., 133, 264 EWR-Gutachten – erstes 207 ff. – zweites 208 Fraktionen 26 f., 50 f., 126, 162, 238 f., 259 Freies Mandat 37 f., 49 ff., 88, 241 f., 125, 264 Freizügigkeit 32, 39 ff., 77 ff., 112, 238 f., 246, 264 Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments 165 ff. – Beeinträchtigung 165 ff., 175 ff., 223, 260 f., 264 ff. Gemeinsame Versammlung der EGKS 28, 33, 39 f.
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Stichwortverzeichnis
Gemeinschaftsinteresse 127, 128 ff., 148, 158 ff. Gewaltenteilung 79, 121 ff. Grundsatz der formalisierten Gleichheit 194 ff. Hierarchisierung der Gemeinschaftsnormen 199 ff., 206 ff. Immunität 24 f., 39, 43 ff., 60 ff., 91 ff., 108 ff., 142, 153 ff., 181, 185 ff., 191 ff., 233, 244 f., 260, 264 Indemnität 24 f., 39, 43 ff., 53 ff., 91, 233, 234, 242 ff., 264 Inkompatibilität 38, 43, 78 ff., 112 ff., 142, 155, 185 ff., 192 ff., 198, 228, 233 ff., 239, 265 Interparlamentarische Union 33 Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments 36, 127, 151, 169 ff., 175 f. Mandatsdauer 38, 62, 237, 241 Nachrangigkeit 200 ff. – formelle 200 ff. – materielle 206 ff. Nationales Mandat 128, 129 ff. Nichtigkeitsklage 228, 231 f., 261 ff. Parteien 36, 51 f., 121, 130 f., 134, 162 f., 174, 179, 197 Personelle/Persönliche Unabhängigkeit 121, 150 ff. Primärrecht – Beeinträchtigung 120 ff. – Rechtsfolge der Beeinträchtigung 199 ff. Rang(-verhältnis) 22, 119 f., 198, 199 ff., 265 Ranghöhere Grundsätze im Gemeinschaftsrecht 217 ff. Rat der Europäischen Gemeinschaft 22, 30 f., 44 ff., 84, 122 f., 127, 129 f., 169 ff., 233, 236, 240, 250 ff.
– Abhängigkeit 146 ff. – Status der Ratsmitglieder 146 Rechtsgrundlagen des Status 48, 87 Rechtsschutz 228 ff., 261 ff. Rein nationale Regelungen 185, 225 ff. Reisekosten 39, 85 Schutz der Kandidatur 25, 52 f., 88 ff., 242, 260 Sekundärrecht 202 ff., 260 ff., 266 Staatsangehörigkeit 148, 182 ff. Status, Begriff 23 f. Statusrechte – außerorganisatorische 24 f., 27 – innerorganisatorische 24 f., 26 f., 258 ff. Unabänderliche Fundamentalprinzipien 207 ff. Unabhängige Legitimation 42, 126, 157 Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments 121 ff. – Beeinträchtigung 120, 150 ff. Verfassungsurkunde der Gemeinschaft 209 ff. Versammlung des Völkerbundes 34 Vertragsverletzungsverfahren 228 ff., 235, 265 Wahlakte 30 f., 43, 48, 200 ff., 233 ff. Wahlfunktion des Europäischen Parlaments 152, 171, 177 f. Wahlverfahren, einheitliches 30 f., 163, 173, 193, 200 ff., 229, 233 ff. Wahlvorbereitungsurlaub 52 f., 88 ff. Wertungswidersprüche 120, 223 ff., 265 Wirtschaftliche und soziale Statusrechte 25, 43, 83 ff., 114 ff., 242 ff., 264 Zeugnisverweigerungsrecht 108 ff., 245 f., 260, 264
25, 70 ff.,