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German Pages 76 [82] Year 1912
Preussens V e r f a s s u n g und V e r w a l t u n g im Urteile der rheinischen Politiker, insbesondere der rheinischen Abgeordneten des Frankfurter Parlaments
I. TEIL:
Preussens Verfassung und Verwaltung ausschliesslich der Kirchen- und Schulpolitik
Inaugural- Dissertation der philosophischen Fakultät der Universität Bern zur
E r l a n g u n g der
Doktorwürde
vorgelegt von
Helene Nathan aus Breslau
Bonn 1912 A. Marcus & E. Webers Verlag Dr. jur. Albert Ahn.
Von der philosophischen Fakultät auf Antrag des Herrn
Prof. Dr. W o k e r angenommen. B e r n , den 27. Oktober 1911
Der Dekan: Prof. Dr. K. Marti.
Vorwort. Die alleinige Grundlage dieser Arbeit sollten die im Frankfurter Parlament von 1848/49 geäußerten Meinungen der rheinischen Abgeordneten bilden. Da aber das so gewonnene Material nicht ausreichte, richtete ich mein Augenmerk auch auf die nicht in Frankfurt anwesenden, bedeutenden rheinischen Politiker jener Tage. In ihnen sowie in den rheinischen Abgeordneten des Frankfurter Parlaments traten mir größtenteils bewährte politische Kämpfer des Rheinlandes entgegen, die schon in den dreißiger und vierziger Jahren auf den Landtagen, in der Presse, in Büchern und Broschüren regen Anteil am öffentlichen Leben bekundet hatten. Erst indem ich ihre politische Wirksamkeit nach allen diesen Richtungen hin verfolgte, gelang es mir, eine breitere Basis f ü r die Beurteilung zu gewinnen, die das vormärzliche Preußen bei den rheinischen Politikern jener Jahre fand.
Inhaltsverzeichnis.
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E i n l e i t u n g . Die Grundlagen einer spezifisch rheinischen Anschauung der preußischen Politik Die rheinischen Politiker des Jahres 1848
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1. K a p i t e l . Urteile über die preußische Verfassung. A. Bis 1847. 1. Der Absolutismus der Krone 2. Die politischen Rechte des Volkes a) Die provinzialständische Vertretung Vergleich der neuen politischen Rechte mit den alten und mit den seit 1810 gemachten Versprechungen der Krone. — Zusammensetzung der Provinziallandtage — Kompetenzen b) Die Kreisstände und Stadtverordnetenversammlungen . 3. Verhalten der Krone und des Volkes in der Verfassungsfrage
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B. 1847 und 1848. 1. Das Patent vom 3. Februar 1847 und der Vereinigte Landtag 44 a) Der Kampf um die Wahrung und um die Erweiterung der alten Rechte 44 b) Pressfreiheit und Judenemanzipation 52 2. Die Verfassungskämpfe des Jahres 1848 und die oktroyierte Verfassung 58 2. K a p i t e l . Urteile über die preußische Verwaltung. A. Die äußere Organisation der Verwaltung B. Geist und Wesen der Verwaltung C. Die einzelnen Verwaltungszweige 1. Steuer- und Finanzwesen 2. Wirtschaftspolitik Allgemeine Charakteristik - Zoll- und Handelspolitik Eisenbahnwesen — Post-, Bank- und Bergwesen — die soziale Frage — die Landwirtschaft Schluß.
Literatur-Verzeichnis. Die Abgeordneten zur ersten deutschen Reichsversammlung in Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. 1849. Q. Adler: Geschichte der ersten sozialpolitischen Arbeiterbewegung in Deutschland. 1885. E. M. Arndt: Die rheinischen ritterbürtigen Autonomen. Leipzig. 1844. H . v. Beckerath: Über den Preußenhaß. Dtsch. Ztg. 1849. 2. Beil. zu Nr. 160 und 161. Derselbe: Die neuesten Landtagsabschiede für die preußische Monarchie. Kölnische Ztg. 1846. Nr. 28, Nr. 33 bis 63. G . v. Below: Territorium und Stadt. 1900. A. Bergengrün: Der Staatsminister August v. d. Heydt. 1908. Derselbe: David Hansemann. 1901. K. Biedermann: Erinnerungen aus der Paulskirche. 1849. Eine Anzahl Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie. Biographische Umrisse der Mitglieder der deutschen konstit. Nationalversammlung zu Frankfurt a. M. 1848/49. E. Brandenburg: König Friedrich Wilhelms IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen. 1906. J. W. J. Braun: Deutschland und die deutsche Nationalversammlung. 1849. K. H. Brüggemann: Preußens Beruf in der deutschen Staatsentwicklung und die nächsten Bedingungen zu seiner Erfüllung. 1843. Derselbe: Der deutsche Zollverin und das Schutzsystem. 1845. Derselbe: Meine Leitung der Kölnischen Zeitung und die Krisen der preußischen Politik von 1846—1855. 1855. L. Buhl: Die Gemeindeordnung der östlichen Provinzen des preußischen Staats und die Rheinprovinz. 1846. A. Caspary: Ludolf Cainphausen. 1902. P. Darmstädter: Studien zur Napoleonischen Wirtschaftspolitik. Vierteljahrsschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. II. 1904. K- Deutschmann: Die Rheinlande vor der französischen Revolution. 1902. W. Doenniges: Das System des freien Handels und der Schutzzölle mit vorzüglicher Rücksicht auf den deutschen Zollverein. 1847. Eisenmann: Die Parteyen der teutschen Reichsversammlung, ihre Programme, Statuten und Mitgliederverzeichnisse. 1848. [G. de Failly :] De la Prusse et de sa domination sous les rapports politique et religieux spécialement dans les nouvelles provinces. Paris. 1842. C. W. Ferber: Beiträge zur Kenntnis des gewerblichen und kommerziellen Zustandes der preußischen Monarchie. 1829. E. Gothein: Agrarpolitische Wanderungen im Rheinland. In: Staatswissenschaftliche Arbeiten. Festgabe für Knies. 1896.
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David Hansemann: Preußen und Frankreich. 2. Aufl. 1834. Derselbe: Die politischen Tagesfragen mit Rücksicht auf den rheinischen Landtag. Aachen 1846. Derselbe: Das preußische und deutsche Verfassungswerk. Berlin 1850. J. Hashagen: Das Rheinland und die französische Herrschaft. fBonn 1508. J. Hansen: Gustav v. Mevissen. 2 Bände, 1906. Rudolf H a y m : Die deutsche Nationalversammlung. Frankfurt a. M. und Berlin 1848—50. Derselbe: Reden und Redner des ersten Preußischen Vereinigten Landtags. Berlin 1847. Derselbe: Die Literatur des ersten deutschen Parlaments. Allg. Monatsschr. für Literatur. 1850. I. Bd. Karl Heinzen: Die Ehre. Köln 1841. Derselbe: Die preußische Bureaukratie. 1845. u Öffentliche Dankadresse an die Herren von Itzstein und Hecker. 1845. „ Mehr als 20 Bogen. 1845. „ Ein Stück Beamtenleben oder staatsdienstliche Erfahrungen. 1846. „ Einiges über die teutsche Tagespresse in »Die Opposition." 1846. „ Teutsche Revolution. Gesammelte Flugschriften. Bern 1847. „ Erlebtes. I. Bd. Boston. 1864. „ . II. „ „ 1874. R. Heller. Brustbilder aus der Paulskirche. 1849. Werner Hesse. Geschichte der Stadt Bonn während der französischen Herrschaft. 1879. Heyderhoff: J. Fr. Benzenberg. 1909. Derselbe: Immermanns politische Ansichten. Preuß. Jahrb. 1909. Derselbe: Das Verhältnis der Rheinlande zum vormärzlichen Preußen. Kölnische Zeitung. 1907. No. 1041. Rheinische Jahrbücher zur gesellschaftlichen Reform. Herausgeg. von H. Püttmann. 1845. Ilse: Geschichte der politischen Untersuchungen. 1860. Karl Immermanns Werke. Berlin. 1883. K. Jürgens: Zur Geschichte des deutschen Verfassungswerks von 1 8 4 8 49. 1856. Georg Kaufmann: Politische Geschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert. 1900. P. Kaufmann: Rheinpreußen und seine staatswirtschaftlichen Interessen. Berlin. 1831. Derselbe: Würdigung der Schrift Preußen und Frankreich. 1834. „ Das dringendste Bedürfnis der Rheinprovinz. 1835. „ Die Staatspflege der Landwirtschaft in Preußen. 1850. H. Kopstadt: H. v. Beckerath. 1875. R. Koser: Die Rheinlande und die preußische Politik. Westdeutsche Zeitschr. für Geschichte und Kunst. XI. Fr. X. Kraus: August Reichensperger. Essays. Berlin. 1901. K K u m p m a n n : Die Entstehung der Rheinischen Eisenbahngesellschaft 1830-1844. Essen 1910. H . Laube: Das erste deutsche Parlament. 1849. Verteidigung des Oberprokurators Leue in Koblenz gegen die neue und bis dahin unerhörte Anklage wegen Versuchs eines Preßvergehens. Leipzig 1847.
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W. E. Lindner: Das Zollgesetz von 1818 und Handel und Industrie am Niederrhein Westdeutsche Zeitschrift 1911. Jahrg. 30. Heft 2/3. Hans Mähl: Die Überleitung Preußens in das konstit. System durch den 2. Vereinigten Landtag. München 1909. F. Mehring: Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. 1897/98. Band 1. E. v. Meier: Französische Einflüsse auf die Staats- und Rechtsentwicklung Preußens im 19. Jhdt. 2 Bände, 1907. Fr. Meinecke: Weltbürgertum und Nationalstaat. 2. Aufl. 1911. Mollat: Reden und Redner des ersten deutschen Parlaments. 1895. Deutsche Monatsschrift, herausgeg. von Kolatschek. 1850 und 1851. Die deutsche Nationalversammlung. In D. Gegenwart, 1850, 52 und 54. Neigebaur; Darstellung der provis. Verwaltung am Rhein vom Jahr 1813 bis 1819. Köln 1821. Derselbe: Die angewandte Cameralwissenschaft in der Verwaltung des Generalgouverneurs Sack am Nieder- und Mittelrhein. Leipzig 1823. Ph. A. Nemnich: Tagebuch einer der Kultur und Industrie gewidmeten Reise. Tübingen. 1809/10. S. Oelsner: Die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Verhandlungen des Frankfurter Parlaments. Preuß. Jahrb. 1897. H . Oncken: A. Reichensperger. H. Z. 1902. L. Pastor: A. Reichensperger. Freiburg 1899. Band, 1. Cl. Th. Perthes: Politische Zustände und Personen in Deutschland zur Zeit der französischen Herrschaft. 1862. G. zu Putlitz: K- Immermann, sein Leben und seine Werke. 1870. Leop. Ranke: Zur Geschichte der deutschen, insbesondere der preußischdeutschen Handelspolitik von 1818 bis 1828. Hist.-polit. Zeitschr. II. Bd. Fr. Raveaux: Die Kölner Ereignisse vom 3. und 4. August nebst ihren Folgen. Mannheim, 1846. Derselbe: Die Ahr. 1844. Derselbe: Mitteilungen über die badische Revolution. 1850. Derselbe: Einzelne Artikel in der dtsch. Monatsschr. Fr. Raveaux: Sein Leben und Wirken. Köln. 1848. P. Reichensperger: Erlebnisse eines alten Parlamentariers im Revolutionsjahr 1848. 1882. P. Reichensperger: Die Agrarfrage aus dem Gesichtspunkte der Nationalökonomie, der Politik und des Rechts und in besonderem Hinblicke auf Preußen und die Rheinprovinz. Trier. 1847. Derselbe: Die Preußische Nationalversammlung und die Verfassung vom 5. Dezember. Berlin. 1849. Parlamentarische Reden der Gebrüder Reichensperger. Regensburg. 1858. Die erste deutsche Reichsversammlung und die Schriften darüber. Dtsch. Vierteljahrsschr. 1850. A. v. Reumont: Jugenderinnerungen. Herausgeg. von H. Hüffer. 1904. Annalen des hist. Vereins für den Niederrhein. F. Rühl: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preußens unter Friedrich Wilhelm III. 4 Bände 1899-1904. G . Rümelin: Aus der Paulskirche. 1892. L. Salomon: Geschichte des deutschen Zeitungswesens. Bd. 3. Fr. Schnabel: Der Zusammenschluß des polit. Katholizismus in Deutschland im Jahre 1848. Heidelberg 1910. Heidelb. Abhandl. zur mittl. und neueren Geschichte.
X Karl S c h o r n : Lebenserinnerungen. 1898. M. Schwann. Geschichte der Kölner Handelskammer. I. B d . Köln. 1 9 0 6 . J o h . Seitz: Entstehung und Entwicklung der preußischen Verfassungsurkunde im Jahre 1848. Qreifswald. 19C9. Ludwig S i m o n : Aus dem Exil. 1855. D e r s e l b e : Ein W o r t des Rechts für alle Reichsverfassungskämpfer. 1849. D e r s e l b e : Meine Desertion. 1862. Derselbe: Einzelne Artikel in der dtsch. Monatsschr. B . E. v. S i m s o n : Erinnerungen aus seinem Leben. 1900. Stenogr. Berichte über die Verhandlungen der deutschen konstit. Nationalversammlung in Frankfurt a. M. Herausgeg. von F. W i g a r d . Frankfurt a. M. 1 8 4 8 - 4 9 . 9 Bde. (zit. Sten. Ber.) . . Stenographische Berichte der 1. Kammer. Berlin. 1849" A. S t e r n : D i e preußische Verfassungsfrage. 1S17. Deutsche Zeitschr. für Geschichtswissenschaft. 1893. K . S t e d m a n n : Beitrag zum Staatsrecht der Herzogtümer am Rhein. Berlin 1847. H . v. S y b e l : D i e politischen Parteien der Rheinprovinz. Düsseldorf 1847. J . T e m m e : Erinnerungen. Herausgeg. von Stephan Born. 1883. H . v. Treitschke: Deutsche Geschichte im 19. J a h r h . Veit Valentin: Frankfurt a. M. und die Revolution von 1 8 4 8 - 4 9 . 1908. J a c o b V e n e d e y : Preußen und Preußentum 1839. Derselbe: Der Rhein. 1841. Derselbe: La France, l'Allemagne et la Ste Alliance des peuples. 1841. D e r s e l b e : La France, l'Allemagne et les Provinces Rhénanes. 1840. Derselbe: J o h n Hampden nebst einem Nachtrage: Flüchtlings Lehrjahre und Amnestie. 1843. D e r s e l b e : England. 1845. Derselbe: 14 T a g e Heimatluft. 1847. D e r s e l b e : Vorwärts und rückwärts in Preussen. 1848. D e r s e l b e : D i e Wage. Deutsche Reichstagsschau. 1848-49. Derselbe: An H. v. Treitschke. 1866. Derselbe: Der Südbund. 1867. Derselbe: D i e deutschen Republikaner unter der französischen Republik. 1870. Verhandlungen des deutschen Parlaments. Herausgeg. von J u c h o , Frankfurt a. M . 1848. Verhandlungen der rheinischen Landtage. 1827-1846. Verhandlungen der Versammlung zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung. Berlin. 1848. Verhandlungen des 1. Vereinigten Landtags in Berlin 1847. Hg. von Bleich. 4 Bde. R . W a l t e r : Parlamentarische Grössen. 1850. Ferd. W a l t e r : Aus meinem Leben. 1865. J Weitzel: Briefe vom Rhein. 1834. W i c h m a n n : Denkwürdigkeiten aus der Paulskirche. 1888. O . W i l t b e r g e r : D i e deutschen politischen Flüchtlinge in S t r a ß b u r g 1 8 3 0 1849. Abhandlungen zur mittl. u. neueren Geschichte. 1910. A. Z i m m e r m a n n : Geschichte der preussisch-deutschen Handelspolitik. 1892. Der neueste Zustand des linken Rheinufers in ökonomischer und politischer Rücksicht. 1804.
Einleitung. In den Maskengesprächen der „Düsseldorfer Anfänge" nennt Immermann die Vereinigung der Rheinlande mit Preußen „das größte und glücklichste Ereignis, das sich seit Jahrhunderten in der deutschen Geschichte zugetragen habe; eine mächtige historische Wahlverwandtschaft sei dadurch gestiftet, die nur fruchtbar sein k ö n n e . " W e n n wir auch die Superlative in diesem Urteil als subjektive Meinungsäußerung beiseite schieben müssen, so bleibt doch bestehen, daß die Vereinigung der Rheinlande mit Preußen ein Ereignis von weittragender Bedeutung war; auch Treitschke würdigt im ersten Bande seiner deutschen Geschichte den Einfluß, den die Verbindung „der alten Kulturlande des Rheins mit ihren mächtigen Städten und ihrem entwickelten Gewerbfleiß" 2 ) mit Preußen hatte. S o bedeutend und wertvoll diese Verbindung auch war, so schwierig und kompliziert erwies sich die Aufgabe, die der preußische Staat durch die Verschmelzung dieser neuen Gebiete mit seinen alten Landesteilen zu lösen hatte. Schwierig war diese Aufgabe, weil es galt, eine Reihe tief einschneidender Gegensätze zu überbrücken: Stammescharakter, geschichtliche Entwicklung und bei einem großen Teil der Rheinländer konfessionelle Elemente trafen zusammen, um ihnen unter den Preußen eine besondere, isolierte Stellung zu geben, die sie schon äußerlich dadurch markierten, daß sie sich Rheinpreußen oder Neupreußen zum Unterschied von den Altpreußen nannten. Ein natürlicher Gegensatz zwischen Rheinländern und Preußen erwuchs aus der Verschiedenheit des Stammescharakters. Eine leichtere und fröhlichere Veranlagung, ein lebhafteres und impulsiveres Tem*) Heyderhoff, I m m e r m a n n s politische Ansichten, Augustheft 1909, S. 2 6 3 . a ) Treitschke, Deutsche Geschichte. I, 6 7 5 . N a t h a n , Preussieche Verfassung.
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perament bewirken, daß sich der Rheinländer sein Leben anders gestaltet als der Norddeutsche, daß es lichtere, reizvollere Farben annimmt. Mit seiner beweglichen, eindrucksvollen Art sieht er die Dinge anders an, nimmt lebhafter teil, ist leichter begeistert und entflammt, leichter zurückgestoßen und verletzt. Dem schwerfälligen und verschlossenen Norddeutschen steht er gegenüber als der flüchtigere, offene und fröhlichere Sohn eines von Natur reich ausgestatteten Landes. Welche große Kluft norddeutsches und rheinisches W e s e n trennte, können wir deutlich aus Briefen und Schriften Karl Immermanns ersehen. Er, der eingefleischte, ernsthafte Norddeutsche, dessen Temperament ja allerdings noch besonders schwierig war, fühlte sich zunächst in den Rheinlanden wie in einer fremden Welt, die er als etwas Neues, Sonderbares eifrig studierte. Schon der Willkommensbrief seines Bruders Ferdinand nach Düsseldorf zeigt uns eine scharfe Empfindung für den Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Preußen, in das sich nun Karl Immermann einleben sollte. In diesem Briefe beglückwünscht ihn Ferdinand dazu, daß er sich „aus den leidigen Kornfeldern und den öden Festungsmauern, aus der Stadt der Regierungs-, Oberlandesgerichts-, Steuer-, Schul- und Hofräte gerettet habe in das freie, reinliche Element, in die helle bäum- und blütenreiche Stadt unter das frohe Volk blauäugiger Phäaken, das in seliger Trunkenheit leichten Herzens und raschen Blutes der G e g e n wart g e n i e ß t . " J ) In der ersten Zeit gibt Immermann selbst in sehr lehrreicher Weise seine Eindrücke k u n d : „Alles lebt hier nach außen, die Männer sehen einander fast nur in den Wirtshäusern . . . . der Mißmut kann hier nicht so tiefe Wurzeln schlagen, ein G a n g in die sehr heitre, freundliche U m g e b u n g wäscht die Seele wieder rein. Desgleichen kann man über die Menschen zwar oft ärgerlich werden, allein es bleibt einem doch der tiefe Ingrimm gegen sie fremd. Man sieht nicht dies Verliebtsein in das Allerjämmerlichste am Menschen, nicht die Koketterie mit der eigenen Nichtigkeit. Dergleichen ist für den Rheinländer zu spitz, er lebt vergnügt *) K- Immermann, sein Leben und seine Werke, aus Tagebüchern und Briefen an seine Familie zusammengestellt. Herausgeg. von G . zu Putlitz, Berlin 1870. I, 165.
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in den T a g hinein u n d will nicht mehr sein, als er ist. W e n n man einen Boden f ü r das Herz hier hat, so ist das leichte, lustige Element, was einen umspielt, gerade recht a n g e n e h m . " In G ö r r e s sieht I m m e r m a n n das Rheinland selbst mit seiner „Berührigkeit u n d Lebhaftigkeit, seinem schnellen Witz, seiner glänzenden Einbildungskraft, seinem schlagenden Verstand u n d seiner Advokatensuade." 2) Rühmlich erscheint ihm an den Rheinländern auch der rege politische Sinn. In den Epigonen heißt e s : „Im Westen herrscht mehr Gemeingefühl, mehr Sinn f ü r das Öffentliche, aber weniger Familiensinn als im Osten. Man kollektiert, petitioniert, stiftet Vereine aller A r t ; ein jeder sucht, w o irgend möglich, in das G a n z e mit einzugreifen." 3 ) Aber neben solchen freundlichen Urteilen finden wir auch a n d e r e weniger günstige. W e n n im Hause Medons in den Gesprächen über die Rheinlande u n d Preußen einer aus der Gesellschaft „das seichte, oberflächliche, unruhige Wesen, den H a n g zum Verleumden und Verkleinern, die Geistesdürre u n d die Gemütskälte der Rheinländer beklagt", 4) so spiegelt sich in diesem Urteil viel von dem Mißbehagen, das der sich stets nach Berlin sehnende Immerm a n n im rheinischen Kreise e m p f a n d . D e r Rheinländer wiederum liebte die schwerfällige Art des Norddeutschen nicht ; „das starre, kalte Preußentum", 6 ) das er sich n u r unter strengem Militarismus u n d pedantischer Nüchternheit verkörpert dachte, schreckte ihn ab. D e r Schilderung I m m e r m a n n s von seinem Düsseldorfer Aufenthalt können wir die, wenn auch weniger ausführliche, so doch ungemein charakteristische August Reichenspergers von seinem Berliner Aufenthalt im Jahre 1829 entgegenstellen. Er fühlte sich fremd, gleichsam verbannt, „das platte, langweilige Treiben" war ihm z u w i d e r ; er kann nichi begreifen, „daß hier eine kräftige Brust gedeihen kann u n d ein tüchtiges Herz dahinter, hier unter all der lächelnden Misere der d u f t e n d e n Alltagsmenschen"; kurz und vielsagend ist sein Stoßseufzer „Philisterei hinten u n d v o r n e n " . 6 ) *) ) s ) 4 ) 5 ) 6 ) J
Putlitz, Karl Immermann I, 167. Heyderhoff, Immermanns politische Ansichten S. 263. Immermanns Werke, VI. Bd. Die Epigonen, Buch VI, 155. Immermanns Werke, VI. Bd. Die Epigonen Buch VI, 155. Pastor, A. Reichensperger, Freiburg 1899, I, 10. Pastor, A. Reichensperger, Bd. I, S. 23, 24, 26. 1*
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Zu diesem Unterschied im Naturell des Rheinländers und des Preußen kam als ein zweites Moment, das dazu angetan war, eine innige Verschmelzung zu erschweren, die Verschiedenheit der geschichtlichen Entwicklung hinzu, die beide Stämme hinter sich hatten. Während im Osten Deutschlands ein großes, machtvolles Territorium entstanden war, hatte sich am Rhein im Laufe des Mittelalters ein Konglomerat kleiner und kleinster Staaten herausgebildet, deren Zahl vor der französischen Invasion im Gebiet der heutigen Rheinprovinz ungefähr 2 0 0 betrug. Die Zustände, die sich in diesen Miniaturgebilden entwickelt hatten, werden in den allerschwärzesten Farben geschildert, und die schweren Schäden wurden wohl nur deshalb ohne allzu lautes Murren ertragen, weil die patriarchalische Art des Regiments manche Härten ausglich. Auf dieses patriarchalische Regiment folgte nach den wechselvollen Jahren der französischen Revolution die Herrschaft Napoleons, eine despotische und absolute Herrschaft, die aber auf demokratischer Grundlage beruhte. Alfred v. Reumont charakterisiert sie in seinen Jugenderinnerungen folgendermaßen : „Sie war gewaltsam, aber sie war kräftig, einsichtig, konsequent; es war ein Despotismus, aber ein mit seltenem Organisationstalent begabter." Die Rheinländer nahmen teil an einem Staat, welcher, bei allem Despotismus und Absolutismus des Herrschers doch eine Art von Verfassung besaß, die einige, wenn auch beschränkte, politische Rechte gewährte und also die am Rhein nie ganz ausgestorbene Tradition der ständischen Rechte fortbildete. In Preußen hatte sich dagegen im 18. Jahrhundert die absolute Staatsform durchgesetzt, in deren Zeichen der unbeschränkte König die Macht der Stände durch die Ausbildung des Beamtentums überwand. Verschieden geartet war auch die rechtliche und soziale Entwicklung im Westen und im Osten. Den Rheinländern hatte die französische Herrschaft die großen sozialen Errungenschaften der Revolution gebracht, die Vernichtung aller Privilegien des Adels und des Klerus, die Aufhebung der bäuerlichen Lasten, die Beseitigung der Zünfte; dazu kamen die rechtlichen Neuerungen, die Gleichheit aller vor dem G e *) A. v. Reumont, Jugenderinnerungen. Herausgeg. von H. Hüffer, Annalen des hist. Vereins für den Niederrhein, Köln 1904, 77. Heft, S. 42.
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setz u n d vor dem Gericht, die E i n f ü h r u n g des mündlichen u n d öffentlichen Verfahrens u n d der Schwurgerichte, um in dem Lande Zustände hervorzubringen, hinter denen die altpreußischen nicht so sehr durch das geringere Maß an politischer Freiheit, als durch das geringere Maß an Gleichheit zurückstanden. Im Osten blieb eine, wenn auch verminderte, so doch immerhin noch starke Privilegierung des Adels in sozialer u n d rechtlicher Beziehung noch lange bestehen. Wie in der Staatsform u n d in den sozialen Verhältnissen, so hatte sich auch im wirtschaftlichen Leben die Entwicklung in den Rheinlanden a n d e r s gestaltet als im Osten ; w ä h r e n d hier die Gutsherrschaft vorherrschte, war im Westen m e h r die G r u n d h e r r s c h a f t , der kleine bäuerliche Besitz zu f i n d e n . x ) D u r c h den Verkauf der geistlichen Güter u n d der Staastgüter w ä h r e n d der französischen Zeit u n d durch die A u f h e b u n g der bäuerlichen Lasten hatte sich die Lage des Bauernstandes im Westen noch bedeutend verbessert, u n d der Gegensatz gegen den Osten, w o die A b l ö s u n g der bäuerlichen Lasten n u r langsam u n d bedingt erfolgte, w u r d e immer schroffer. Endlich verschärfte sich der wirtschaftliche Gegensatz noch dadurch, daß in der französischen Epoche jene große Entwicklung der rheinischen Industrie einsetzte, die schließlich dahin führte, daß der Westen als vorwiegend industrielles Gebiet dem m e h r agrarischen Osten gegenüberstand. Schwieriger als alle diese Differenzen gestalteten sich die Gegensätze, die aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses zwischen den überwiegend katholischen Bewohnern der Rheinlande u n d den protestantischen Preußen erwuchsen. Zu schildern, wie sich die Verhältnisse in dieser Beziehung entwickelten, w ü r d e bei der Kompliziertheit der Dinge ein eigenes Kapitel erfordern. Von B e d e u t u n g f ü r die vorliegende Arbeit ist es nur, festzustellen, daß bei einem Teil der rheinischen Politiker der klerikale Standpunkt mitbestimm e n d bei ihrem Urteil über die preußischen Zustände war. Das, was die Rheinländer von den Preußen trennte, bildete f ü r sie untereinander ein einigendes B a n d ; bei M ä n n e r n *) Vgl. O. v Below, Territorium und Stadt, S. 1 ff.
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der verschiedensten Parteirichtung tritt der Stammescharakter, das lebhafte, feurige T e m p e r a m e n t hervor, das in vielen Erinner u n g e n aus der P a u l s k i r c h e a l s rheinische Eigenart bezeichnet wird. Waren auch die Meinungsverschiedenheiten unter ihnen noch so groß, so blieb doch immer die Gemeinsamkeit der geschichtlichen Erinnerungen, der Stolz auf die E r r u n g e n schaften der napoleonischen Zeit u n d vor allem der Stolz auf ihre schöne Heimat, die sie so oft die wertvollste, die wichtigste Provinz des preußischen Staates nannten, die ihnen besonders ausgezeichnet schien als eine Stätte alter, r u h m reicher Kultur. Den Preußenstolz kannten sie nicht, die preußische Tradition war ihnen weniger ans Herz gewachsen, u n d die dynastische Anhänglichkeit der Altpreußen war n u r in geringem G r a d e oder gar nicht bei ihnen v o r h a n d e n . Mit starkem Selbstgefühl erfüllt und in vollem Bewußtsein all der Vorteile, die ihnen N a t u r u n d Geschichte verliehen hatte, glaubten die Rheinländer, den Altpreußen in manchem überlegen zu sein; daher die Klage E. M. Arndts im Frankf u r t e r P a r l a m e n t : „Die Rheinländer bilden sich ein, daß sie den N o r d l ä n d e r n weit voran sind, daß sie geistreicher, witziger sind." 2 ) ¡Sie bildeten sich aber das nicht bloß ein, sondern sie hatten in der Tat m a n c h e s v o r a u s ; ihnen war ja das Vollkommenste von zwei der größten Staaten Europas, von Preußen und Frankreich, mitgeteilt w o r d e n . 3 ) Mit der Ero b e r u n g der Rheinlande setzt Peter Reichensperger eine neue Epoche in der preußischen Geschichte an, u n d er orientiert die ganze innere Politik P r e u ß e n s unter dem Gesichtspunkt dieser rheinischen E r w e r b u n g . A l s Bannerträger der freien französischen Institutionen fühlten sich die Rheinländer gewissermaßen zu einer großen Mission b e r u f e n ; sie wollten „dem Landesherrn Brücken bauen zum Ü b e r g a n g von den älteren Zuständen zu den neueren", 5 ) Preußen in die Reihe
*) vgl. Biedermann und Laube. ") Sten. Ber. I, 657 J ) P. Kaufmann, Rheinpreußen und seine staatswirtschaftlichen Ineressen in der heutigen europäischen Staatenkrise . . . . Berlin 1831, S. 137. 4 ) Die Agrarfrage, S. 2 9 - 3 2 . 5 ) Verhandl. des deutschen Parlaments, Frankfurt a. M. 1848, herausgeg. von Jucho, II, 18, Rede Stedmanns.
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der Verfassungsstaaten einführen u n d in den deutschen Ideen bestärken; ihnen gebührte nach Mevissens M e i n u n g die Leit u n g des Staates. 1 ) In der B e w e g u n g der vierziger Jahre spielten die Rheinländer eine bedeutende Rolle; ihre politischen Führer taten sich auf dem Vereinigten L a n d t a g u n d dem Frankfurter Parlament in ganz besonderem Maße hervor. Auch der König e r k a n n t e diese Überlegenheit der Rheinländer an, indem er bei der E r ö f f n u n g des Vereinigten Landtags von 1847 zu ihnen sagte: „Auf Euch rechne ich ganz b e s o n d e r s bei dem bevorstehenden großen Werke. Alle Eure bisherigen V e r h a n d l u n g e n zeugen von Eurem parlamentarischen Takt, von Eurem hohen, unbestechlichen G e f ü h l f ü r Schicklichkeit. Ihr seid in der politischen Bildung meinen übrigen Staaten vorausgeeilt. Ich rechne fest auf E u c h ; Ihr werdet ihnen mit gutem Beispiel vorangehen." 2) Unter diesen eben hier erörterten Gesichtspunkten sollen die rheinischen Politiker u n d ihre Urteile über Preußen betrachtet werden.
Die rheinischen Politiker des Jahres 1848. W e n n von der Parteiverteilung der rheinischen Abge«ordneten im Frankfurter Parlament ein Rückschluß auf die politischen S t r ö m u n g e n im Rheinland gezogen wird, so ergibt sich, daß zwei herrschende Richtungen vorhanden s i n d : Liberalismus u n d Radikalismus. Von 37 Abgeordneten gehören 2 zur äußersten Rechten, 19 zum rechten Zentrum (also zu den Gemäßigtliberalen), 16 zur vereinigten Linken (also zu den Radikalen). In der Tat steht ja die politische Ges i n n u n g des Rheinlandes in den dreißiger und vierziger Jahren im Zeichen des Liberalismus und des Radikalismus; dazu tritt aber nach dem Kölner Kirchenstreit die klerikale Bew e g u n g , die schnell zu u n g e h e u r e m Einfluß gelangte u n d ihre Vertreter sowohl ins Frankfurter Parlament als in die preußische Nationalversammlung sendet. Bei einem Bilde von der Parteiverteilung kommt sie n u r deshalb nicht zum Ausdruck, weil die Klerikalen sich 1848 noch nicht zu einer *) Brief Mevissens vom 9. II. 1848. Hansen I, 507. ) Nach Mevissens Bericht aus einem Brief vom 13. April 1847. Hansen II, 237. !
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eigentlich gesonderten Partei zusammengetan hatten; sie gingen in den anderen Parteien auf, und der größte Teil von ihnen stimmte n u r in Kirchenfragen zusammen, so wie sie sich in ihrem katholischen Verein zuvor d a r ü b e r geeinigt hatten. Der K o m m u n i s m u s ist damals erst in der Entwicklung begriffen u n d hat im Frankfurter Parlament noch keinen Vertreter. In einer Zeit, in der es noch keine festen Parteien u n d P r o g r a m m e gibt, fehlen natürlich auch die eingeschworenen Parteipolitiker, u n d wenn im folgenden von den Meinungen der Liberalen, Radikalen u n d Klerikalen die Rede ist, so m u ß ganz besonders darauf aufmerksam gemacht werden, daß in dieser oder jener Frage starke Abweichungen einzelner stattfinden, u n d daß es sich immer n u r u m durchschnittliche Ansichten handeln kann. Die Führer des rheinischen Liberalismus sind in den vierziger Jahren C a m p h a u s e n , Hansemann, Mevissen u n d Beckerath. Alle vier sind die Vertreter des Bürgertums, das sich in der Revolution von 1848 den ihm g e b ü h r e n d e n Platz im öffentlichen Leben zu erringen s u c h t e ; alle vier gehören derselben Parteirichtung an, u n d doch repräsentiert jeder von ihnen einen besonderen Typus. D e r klarste Charakter unter ihnen ist zweifellos Gustav M e v i s s e n (1815—99), den Hansen durch seine Biographie uns g a n z besonders nahe gebracht hat. In dem kleinen Städtchen Dülken bei Crefeld geboren, e m p f i n g er im Kölner G y m n a s i u m seine Schulbildung, verließ es aber schon in Tertia, um in das väterliche Geschäft einzutreten. Mit einer starken intellektuellen Begabung, mit scharfem Verstand u n d eindringender Urteilskraft ausgestattet, arbeitete er sich als Autodidakt 'in sehr verschiedene Gebiete der Wissenschaft hinein und gewann eine vielseitige, umfassende Bildung. Dazu gesellte sich ein warmes, tiefes G e m ü t und eine edle, h u m a n e G e s i n n u n g . Die ganze Kraft seiner Persönlichkeit setzte dieser Mann ein, als er am politischen Leben seiner Zeit Anteil nahm, auch hier mit der ihm eigentümlichen gründlichen u n d gewissenhaften Art alles erwägend u n d p r ü f e n d u n d „keinen Schritt weitergehend, als der feste Boden unter ihm reichte." Stets w a r ') K. Biedermann, Erinnerungen aus der Paulskirche, S. 256.
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er dabei bemüht, praktische Resultate zu erzielen, auch den speziellsten Fragen des staatlichen Lebens widmete er sein Interesse; aber er vergaß nie die großen Gesichtspunkte, die ihn die U n t e r o r d n u n g des einzelnen unter das Ganze, Ausgleichung der Gegensätze, harmonisches Zusammenwirken aller fordern ließen. Er gehörte zu den gefeierten Oppositionsm ä n n e r n des Vereinigten Landtags, auf dem er auch rednerisch häufig hervortrat; doch es scheint, daß er als Redner und namentlich in der Debatte nicht sehr erfolgreich war. Daher beschränkte e r im Frankfurter Parlament, nachdem er die Stellung eines Unterstaatssekretärs im Handelsministerium erhalten hatte, seine Wirksamkeit auf eine erfolgreiche Tätigkeit in den Kommissionen. Er war einer der energischsten Vertreter der Erbkaiseridee, einer, der niemals m ü d e wurde, auf ein freies, einiges Deutschland unter Preußens F ü h r u n g zu hoffen. Am nächsten als Mensch u n d Politiker steht Mevissen sein treuer Freund H e r m a n n v o n B e c k e r a t h (1801—70). Er w u r d e in Crefeld geboren u n d trat ebenso wie Mevissen schon frühzeitig, mit 14 Jahren, in die kaufmännische Laufbahn ein, in der er es vom Lehrling zum Teilhaber eines großen Bankhauses b r a c h t e ; zuletzt gründete er ein selbständiges Bankgeschäft, das er mit großem Erfolg leitete. Schon auf den rheinischen Landtagen zeichnete er sich als einer der kühnsten politischen Kämpfer aus, u n d sein Auftreten auf dem Vereinigten Landtag erwarb ihm Popularität in den weitesten Kreisen Deutschlands. Den H ö h e p u n k t seiner politischen Wirksamkeit erreichte er, als er, ins Frankfurter Parlament gewählt, Finanzminister der provisorischen Reichsregierung w u r d e u n d in seiner einflußreichen Stellung mit unermüdlichem Eifer u n d dem Gewicht seiner bekannten Persönlichkeit f ü r die Ideale der Erbkaiserpartei stritt. W e n n an Mevissens Erscheinung eine gewisse Erdenschwere haftet, so zeichnet ihn die feine Ästhetik, das Stilgefühl u n d der Zartsinn des Schöngeistes aus. Mit Recht hebt Haym den starken Anteil hervor, den die ästhetische Kultur der Blütezeit unserer Literatur an seiner Bildung h a t ; e r teilt mit Mevissen den 1 ) Haym, tags, S. 260.
Reden und Redner des ersten Preuß. Vereinigten Land-
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sittlichen Ernst, den Glauben an das Gute und Schöne im menschlichen Leben, aber bei ihm ist alles durch „den Schimmer der Poesie" verklärt. Wenn Mevissens Charakter ganz einheitlich vor uns steht, so werden wir bei Beckerath durch die Fülle entgegengesetzter Eigenschaften überrascht, die in ihm wohnten. Mit einem milden, versöhnlichen Wesen vereinte er Festigkeit und Entschlossenheit, und, obwohl die phantasievolle, poetische Ader überall bei ihm durchblickte, wußte er klar und unbeirrt zu entscheiden, wo es not tat. Gewiß ist, daß die Weichherzigkeit und Schwärmerei, die man ihm oft zum Vorwurf machte, ihn manchmal hinderte, so kraftvoll und rückhaltlos durchzugreifen wie Mevissen. Mehr als diesem war ihm oratorische Begabung zu e i g e n ; stets waren seine Reden von „lyrischen P a t h o s " 2 ) getragen, und seine tief religiöse, etwas salbungsvolle Eigenart brachte es mit sich, daß sie oft den Eindruck von Kanzelreden machten. Fast noch mehr als Mevissen fühlte er sich ausschließlich als Deutscher, so daß Biedermann in seinen „Erinnerungen" von ihm sagt: „Deutscher gesinnt als er war wohl keiner in der Versammlung; in ihm, dem Preußen, war auch nicht ein Tropfen spezifischen Preußentums." 3 ) Er selbst nennt sich ja einen „der deutschesten P r e u ß e n " , 4 ) und in der Tat ging ihm Deutschlands Ehre, Einheit und Freiheit allem anderen voran. Als Mensch wie als Politiker steht Ludolf C a m p h a u s e n (1803—90) den beiden stets treu zusammenhaltenden Freunden, Mevissen und Beckerath, ferner Camphausen wurde in Hünshoven bei Geilenkirchen im Regierungsbezirk Aachen geboren und machte, nachdem er auf dem Gymnasium und auf Handelsschulen seine Ausbildung genossen hatte, seine Lehrzeit in Düsseldorf durch. 1826 gründete er in Köln ein Bankgeschäft und wurde bald einer der ersten Kaufleute der Stadt und später Präsident der Handelskammer, stets ausgezeichnet durch einen lebhaften Unternehmungsgeist, der ihn zu reger Anteilnahme an den Eisenbahn- und Dampfschiff») 2) 3) 4)
1. c. S. 268. Treitschke, Deutsche Geschichte, V, S. 620. S. 254. Kopstadt, H. v. Beckerath, S. 154.
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fahrtsangelegenheiten der Provinz veranlaßte. Auch er trat schon auf den rheinischen Landtagen f ü r eine Ausgestaltung der politischen Rechte des Volkes ein und gehörte auf dem Vereinigten Landtage zu den Mitgliedern der Opposition. Nach dem 18. März w u r d e er preußischer Premierminister, legte aber sein Amt nieder, als er einsah, daß zwischen dem König u n d der Berliner Nationalversammlung eine Vermittlung u n d Einigung in seinem Sinn nicht möglich war. D e n Eintritt ins Reichsministerium in Frankfurt lehnte er ab, n a h m aber dann die Stellung eines preußischen Bevollmächtigten bei der Zentralgewalt an. Als er seine G e s i n n u n g in der deutschen Frage mit den A n s c h a u u n g e n der Regierung nicht mehr f ü r vereinbar hielt, reichte er sein Entlassungsgesuch ein. V o n Beckerath u n d Mevissen unterscheidet ihn die bedingungslose Vorherrschaft des Verstandes. Eine kühle, zurückhaltende u n d verschlossene Natur, liebte er es, sich Reflexionen u n d philosophischen Grübeleien hinzugeben. H u manität u n d idealer Sinn waren auch ihm in hohem G r a d e eigen, aber seine v o r n e h m e Ruhe, seine abwägende, sehr gemessene Art erschwerten es ihm, die Herzen zu erobern. Von seinen G e g n e r n mußte er als Politiker oft den Vorwurf der Apostasie hinnehmen, u n d in der Schilderung eines Radikalen jener Zeit spielt „dieser Zweckmäßigkeitsmensch", der allen „absoluten Wahrheiten" so abhold war, eine üble Rolle. Diese Richtung, lieber das Mögliche zu ergreifen als unerreichbaren Idealen nachzujagen, teilt er mit Mevissen u n d Beckerath. G a n z sicherlich aber war e r mehr zu Konzessionen bereit u n d in seinem Liberalismus weniger entschieden als diese beiden. W e n n Treitschke ihn einen „durch und durch preußisch gesinnten Patrioten" 2 ) nennt, — ein Urteil, das etwas einzuschränken ist — so geht schon daraus hervor, daß er sich hier ziemlich weit von Mevissen u n d Beckerath entfernte ; die preußische G e s i n n u n g ist bei ihm stärker, die deutsche schwächer als bei diesen. Unter den Führern des rheinischen Liberalismus ist David H a n s e m a n n (1790—1864) unzweifelhaft die am wenigsten liebenswürdige u n d am wenigsten Sympathie einflößende ') R. Walter, Parlamentarische Grössen, Bd. 1, Camphausen, S. 2. 2 ) Treitschke, Deutsche Geschichte, V, 646.
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Persönlichkeit. Er wurde in Finkenwerder bei Hamburg geboren, kam im 15. Jahr als Lehrling nach Rheda und eröffnete 1817 in Aachen ein Wollgeschäft, das er zu hoher Blüte brachte. Obwohl er kein geborener Rheinländer war, lebte er sich doch völlig in die rheinische Atmosphäre ein und beteiligte sich mit regem Eifer an den großen industriellen Unternehmungen und Verkehrsanlagen der Provinz; stets unterstützte er gemeinnützige Anstalten und Einrichtungen mit seinem Interesse und seiner Tatkraft. Schon im Jahre 1830 tat er einen kühnen und freimütigen Schritt ins politische Leben, indem er dem König in einer Denkschrift seine Ansichten über die damaligen Zustände in Preußen und seine Wünsche für die Zukunft mit großer Offenheit und mit klarem, scharfem Blick darlegte. Von da ab nahm er durch seine Schriften und sein Auftreten im Provinziallandtag Stellung zu allen die Zeit bewegenden politischen Fragen, bis auch er im Vereinigten Landtag unter den Männern der Opposition den Kampf gegen die Regierung in schärfster Form führte. Nach den Märztagen wurde er Finanzminister und nach Camphausens Austritt Premierminister. Er schied aus diesem Amte im September 1848, als er sich, von der Linken befehdet, von der Rechten nicht genügend unterstützt, in seiner Stellung nicht mehr behaupten zu können glaubte. Hansemann unterscheidet sich von Mevissen, Beckerath und Camphausen dadurch, daß bei ihm der Idealismus mehr fehlt. Für ihn ist meist der Nützlichkeitsstandpunkt maßgebend; mit scharfem Verstand, imit Energie und Rücksichtslosigkeit und nicht ohne Selbstbewußtsein geht er seinen Weg, ungleich mehr geneigt zu raschem und entschlossenem Handeln als Camphausen. Haym s^gt von i h m : „Sein Charakter ist ein wenig durch die Klugheit, sein Rechtssinn ein wenig durch den Zug nach dem Nützlichen verfälscht." Eben das, daß er stets nur so klug und stets nur so praktisch dachte und handelte, daß ihn selten eine Regung des Gefühls beirrte, daß er die idealen Motive beiseite schob, eben das macht seine der Zeit etwas fremde Eigenart aus. In der Politik ging er, von den Ideen des belgisch-französischen Liberalismus stärker beHaym, Reden und Redner, S. 388.
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einflußt als seine Gesinnungsgenossen, immer ein wenig seinen eigenen Weg, hatte seine besonderen Ideen und Pläne; vor allem trennte er sich in der deutschen Frage von Beckerath und Mevissen, ijndem er mehr noch als Camphausen für das preußische als für das deutsche Interesse eintrat. Von vielen Seiten ist ihm der Vorwurf gemacht 'worden, daß er die selbstsüchtige Politik des Bourgeois verfolgt habe, der glaube, daß auf seiner Kaste allein der Staat beruht. Haym bestätigt diesen Vorwurf und schwächt ihn zugleich ab, indem er von Hansemann sagt: „Seine Politik ist nicht frei von Herrschsucht; er sucht das Nützliche im Interesse der Sache, ein wenig vielleicht im eigenen, vor allem im Interesse des Vaterlandes." Neben diesen hervorragendsten Führern des rheinischen Liberalismus kommen noch Karl S t e d m a n n und K. H. B r ü g g e m a n n in Betracht. Stedmann war Gutsbesitzer in Haus Besselich bei Koblenz und hatte, als er ins Frankfurter Parlament eintrat, schon eine lange politische Tätigkeit auf den rheinischen Landtagen, im Vereinigten Landtag, auf der Heidelberger Versammlung und im Vorparlament hinter sich. Biedermann sowohl als Laube heben seine ehrliche Gesinnung, seinen wahrhaft deutschen Charakter hervor. Daß er „ein guter Preuße, aber ein noch besserer Deutscher" 2 ) war, stellt ihn dicht neben Beckerath und Mevissen, denen er auch durch seinen sehr entschiedenen Liberalismus ähnelt. K. H. B r ü g g e m a n n ist zwar ein geborener Westfale (1810 in Hopsten, Regbez. Münster geb.), bewegte sich aber als Mitarbeiter der Rheinischen Zeitung und als Chefredakteur der Kölnischen Zeitung, die er von 1846—55 leitete, in dem Ideenkreis der rheinischen Liberalen, zu denen er auch in persönliche Beziehungen trat. Den Druck und die Härten der preußischen Reaktionszeit hatte er am eigenen Leibe erfahren. Wegen Teilnahme an einer burschenschaftlichen Verbindung und wegen seiner Reden auf dem Hambacher Fest zum Tode verurteilt, wurde er, nachdem das Todesurteil in Festungshaft umgewandelt worden war, durch die Amnestie Friedrich Wilhelms IV. 1840 aus achtjähriger ») Haym, Reden und Redner, S. 391. 2 ) Biedermann, Erinnerungen, S. 343.
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Haft befreit. Trotz dieses Erlebnisses blieb ihm jede S p u r v o n Bitterkeit f e r n ; so klar er auch die Schwächen P r e u ß e n s erkannte, so offen er sie darlegte, dennoch war gerade er besonders lebhaft davon d u r c h d r u n g e n , daß in Preußen „die wesentlichen Elemente des ersehnten Staates v o r h a n d e n s e i e n " u n d daß es n u r auf ihre F o r t b i l d u n g und gegenseitige D u r c h d r i n g u n g a n k o m m e . — W ä h r e n d unter den rheinischen Liberalen die Männer des praktischen Erwerbslebens vorherrschten, spielten bei den Radikalen schriftstellernde Flüchtlinge und Advokaten die Hauptrolle. W e n n den Männern der Linken im allgemeinen von den meisten Seiten Haß und Verachtung entgegengebracht, wenn ihnen der Vorwurf der Selbstsucht, der Ungeberdigkeit u n d niederer Absichten gemacht wurde, so m u ß man die Mehrzahl der rheinischen Radikalen hiervon a u s n e h m e n . Auch sie waren Theoretiker u n d Doktrinäre, auch sie hatten n u r einen Gott, dem sie alles o p f e r t e n : die Freiheit. Aber sie dienten diesem Gott in ehrlicher Anbetung, in selbstloser Hingabe u n d mit dem höchsten Enthusiasmus. Sie stritten f ü r unmögliche, unerreichbare u n d verkehrte Ziele, aber deshalb darf die Reinheit ihrer Ü b e r z e u g u n g u n d ihres Wollens nicht verkannt werden. Venedey, Raveaux u n d Simon, alle drei nahmen eine b e d e u t e n d e Stellung in der Partei der Linken ein; sie gehörten nicht derselben Fraktion an, u n d zwischen Venedey u n d Sim o n besteht eine erhebliche D i f f e r e n z ; von Venedey zu Raveaux u n d von Raveaux zu Simon steigert sich der Radikalismus in sehr starkem Maße. W e n n ich sie im Folgenden als eine G r u p p e zusammenfasse, so geschieht das, weil sie in ihren Ansichten über Preußen nicht so sehr voneinander abwichen. Jakob V e n e d e y (1805—71) w u r d e in Köln geboren u n d verbrachte seine J u g e n d unter Einflüssen, die f ü r seine spätere Entwicklung bestimmend waren. Sein Vater, der Advokat Michel Venedey, war ein eifriger Verehrer der f r a n zösischen Freiheitsideen u n d betätigte sich bei ihrer Ausbreitung in den Rheinlanden in hervorragendem Maße. D e r Knabe, dem der Vater die Marseillaise u n d Schillers „Lied an J
) Preußens Beruf in der deutschen Staatsentwicklung, S. 72.
— 15 — die Freude" oft vorsang, wurde begeisterter Burschenschafter und erregte durch seine Gesinnung bald Verdacht. Nach der Teilnahme am Hambacher Fest wurde er verhaftet, machte aber 1832 einen erfolgreichen Fluchtversuch und lebte von nun an 13 Jahre in Frankreich, meist in Paris, wo er eine Zeitlang zu den Häuptern der hier versammelten Verschwörer und Geächteten aller Nationen zählte, und wo die Fäden so manchei politischen Bewegung durch seine Hand liefen. 1848 kehrte er zurück, nahm am Vorparlament und am Frankfurter Parlament teil. Er sprach und schrieb sehr viel, ja zuviel, und dies Zuviel schadete ihm. Die Urteile über ihn sind im allgemeinen nicht günstig und machen mehr seinem Herzen als seinem Verstände Ehre. W e n n man auch unbedingt zugestehen muß, daß ihm Schärfe, Klarheit und K o n zentration mangelten, so ist doch Treitschkes hartes Urteil, daß er „von geringer Bildung und noch geringerem V e r s t a n d " ' ) war, nicht gerechtfertigt. Ein Mann von so schrankenlosem Idealismus, der mit seinen Beglückungsplänen Welt und Menschheit umfaßte, konnte nicht fähig sein, in praktischer, staatsmännischer Weise zu erwägen und logisch zu entscheiden. In einem Nekrolog wird er sehr richtig als „die typische Inkarnation des heißblütig und ungewiß hin- und hertappenden idealistischen Strebens des Jahres 1 8 4 8 " 2 ) bezeichnet. Wie leicht ihn die Beweglichkeit seines Temperaments zu Meinungsänderungen führte, wie sehr er Stimmungsmensch war, beweisen seine beiden Bücher „Vierzehn Tage Heimatluft" und „Vorwärts und rückwärts in Preußen". Der U m schwung der preußischen Verhältnisse nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. verleitet ihn hier zu einer Hoffnungsseligkeit und einer Milde in der Beurteilung, die für einen Mann von seinen Grundsätzen und seiner Vergangenheit entschieden befremdend sind. Die Stürme des Revolutionsjahres verschärften seine Opposition wieder um ein Bedeutendes, und ein energischer Gegner des Preußentums blieb er im Grunde genommen immer, nur daß e r
Treitschke, Deutsche Geschichte IV, 542. ) Allgem. Dtsch. Biogr. Aus dem Nekrolog Leipzig 1871, S. 649. 2
in
. U n s e r e Zeit",
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sich von den Ungerechtigkeiten u n d Übertreibungen der Schrift „Preußen und P r e u ß e n t u m " später fern hielt. Die entschiedenen Demokraten aber, denen sein Radikalism u s viel zu unbestimmt war, konnten ihm seine Schwank u n g e n nicht verzeihen; sie erkannten auch seine sonstigen Schwächen sehr wohl, u n d w e n n sie ihn „das blonde Gemüt", „die .Reichsträne" nannten, so bezeichneten sie damit seine H a u p t s c h w ä c h e : die sentimentale Schwärmerei. U n t e r dem Ü b e r s c h w a n g seiner Worte, unter den Aufwallungen seines edlen Herzens verloren sich die w a h r e n u n d richtigen Gedanken, die er oft e b e n s o g u t wie a n d e r e Parteigenossen hatte. Daß er sich nicht beschränken konnte, war sein Fehler; a b e r alle Schwächen u n d Fehler treten zurück, w e n n man bedenkt, daß der Edelmut seiner Gesinnung, sein lebendiger deutscher Patriotismus u n d sein felsenfester Glaube, der ihn nie an seinem deutschen Vaterlande verzweifeln ließ, trotz der bittersten E r f a h r u n g e n u n d Enttäuschungen .nicht litt. Bedeutend kraftvoller als Venedey ist Franz R a v e a u x (1810—51). Er w u r d e in Köln als Sohn des a u s Frankreich stammenden Magazin- u n d Fourageverwalters Peter Raveaux geboren. Kühn u n d verwegen von J u g e n d an, f ü h r t e er ein abenteuerliches Leben, n a h m an der belgischen Revolution teil, kämpfte mit großer Tapferkeit unter den Christinos in Spanien u n d kehrte dann in sein Vaterland zurück, w o er sich 1837 in Köln als K a u f m a n n niederließ. Hier e r r a n g er bald als populärer Redner in Vereinen große Erfolge, schürte die politische Opposition u n d beteiligte sich an allen Fragen des öffentlichen Lebens. Ins Vorparlament u n d dann auch ins Frankfurter Parlament gewählt, gewann er durch geschicktes und vermittelndes Eingreifen in wichtigen Momenten bald einen bedeutenden parlamentarischen R u h m ; er war, wie Biedermann in seinen Erinnerungen sagt, „ d e r Löwe des Parlaments". x ) D a s Ansehen, das er auch bei der Rechten genoß, verblaßte aber, als er in seiner Stellung als Gesandter der provisorischen Reichregierung in Bern nicht das hielt, was die Rechte von ihm erwartet hatte. Bei der AufS. 386.
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lösung des Parlaments betätigte er sich ganz im Sinne der radikalen Linken, griff in den badischen Aufstand ein und wurde vom Stuttgarter Rumpfparlament zum Reichsregenten erwählt. Raveaux hatte, wie seine Zeitgenossen berichten, alles, was zum Volkstribunen gehört, eine anziehende, auch äußerlich gewinnende Persönlichkeit, ein ritterliches Wesen, ein gemütliches, einfaches Auftreten. Die „seltene Naivetät", die ihn auszeichnete, „die wunderbare Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der er meist das Richtige herausfand" l ) und seine lebendige Beredsamkeit waren Eigenschaften, die ihm eine große Wirksamkeit sicherten. Ungleich schärfer und bestimmter als Venedey, war er mehr zu tätigem Eingreifen geneigt; er scheute auch die letzten Konsequenzen nicht, und wenn Biedermann ihm nachsagt, daß er etwas vom „Diktator Deutschlands" 2 ) in sich fühlte, so mag wohl eine gewisse Wahrheit in diesem Urteil liegen. In den über ihn vorhandenen Notizen wird meist seine Schweizer Tätigkeit als ein Wendepunkt seiner parlamentarischen Laufbahn bezeichnet; man will von nun an eine Abkehr von vermittelnden Tendenzen, eine immer stärkere Hinneigung zum Radikalismus bei ihm beobachten und im Gefolge davon ein Verbleichen seines Ruhmes. Mir scheint jedoch, als ob bei dieser Auffassung die Täuschung mitwirkte, in der sich die Rechte über ihn befand. Ich glaube, daß ihn von Anfang an derselbe schroffe Oppositionsgeist erfüllte und daß nur die kluge Mäßigung, mit der er manches zu erreichen dachte, über seine Grundsätze hinwegtäuschte. Sie waren die gleichen, als er, an der Möglichkeit ihrer völligen Durchsetzung zweifelnd, durch vermittelnde Tätigkeit ihnen wenigstens das Leben zu retten suchte; sie waren die gleichen, als er keinen anderen Ausweg mehr für sie fand als den revolutionären Kampf. Ihm wesensverwandt ist Ludwig S i m o n (1819—72), nur daß bei ihm die Eigenschaften Raveaux' ins Große gesteigert sind. In Trier als Sohn eines Gymnasiallehrers geboren, studierte er Jura und wurde in seiner Vaterstadt Advokat. Als solcher trat er, unbekannt im öffentlichen Leben, erst 29 Jahr 2)
L. Simon, A u s dem Exil I, 59. Erinnerungen, S. 3 8 9 .
Na t h a n , Preussisohe Verfassung.
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alt, ins Frankfurter Parlament und eroberte sich in dieser an bedeutenden Namen so reichen Versammlung durch seine glänzenden Gaben eine hervorragende Stellung, gewann sich eine Achtung, die ihm kaum einer, auch seiner erbittertstein Gegner, versagte. So stark der Radikalismus und Fanatismus seiner Ideen abstößt, ebenso stark fesselt seine Persönlichkeit, um welche, wie einer seiner Zeitgenossen sagt, die Linke zu beneiden war. Er war nach Biedermanns Schilderung „der fanatischste, aber auch ehrlichste Apostel der Demokratie unter der ganzen Linken zu Frankfurt", er war „der reine logische Gedanke, der sich selbst denkt". 2 ) In ihm wühlte das Feuer revolutionärer Leidenschaft mit verzehrender Glut, er war berauscht von der Macht der Ideen, die er mit der ganzen Überzeugungskraft seines starken Geistes vertrat. Eben dieser unerschütterliche Glaube an den Sieg der demokratischen Idee und die jedes Ausdrucks fähige Beredsamkeit, mit der er diesen Glauben predigte, packte seine Hörer und zwang auch Männer in seinen Bann, die seinen Ansichten weltenfern gegenüberstanden. Mit rücksichtsloser Offenheit deckte er seine Ideen und Pläne auf im Bewußtsein, daß sie richtig und gut seien; selbstische Gedanken mußten ihm, der nur seinem Glauben lebte, fremd bleiben. Die versöhnliche und vermittelnde Art Raveaux' fehlte ihm ganz, und doch verfiel er bei aller Schärfe seiner Reden nie in das wilde Wutgeschrei eines revolutionären Spießgesellen, sondern er behielt stets trotz stürmischer Leidenschaft und vernichtenden Hohns das Große eines von seiner Sache ganz beseelten und nur für die Sache sich aufopfernden Kämpfers. Neben ihm erscheint sein Fraktionsgenosse, der Advokat Otto W e s e n d o n k aus Düsseldorf, kalt und blutleer. Er ähnelt Simon an Radikalismus der Gesinnung, aber in seinen Reden dominiert gewandte juristische Dialektik; der sprühende Geist und die Wärme Simons gehen ihm völlig ab. An diese Radikalen muß K a r l H e i n z e n (1809—80) angereiht werden, ohne daß damit eine andere Gemeinsamkeit als die des Eintretens f ü r republikanische Freiheit ange2
Robert Heller, Brustbilder aus der Paulskirche, S. 172. ) Erinnerungen, S. 407, 408
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deutet werden soll. Er wurde in Grevenbroich, Regierungsbezirk Düsseldorf geboren, besuchte das Gymnasium zu Cleve und begab sich 1827 zum Studium der Medizin nach Bonn. Wegen toller Streiche und Händel von der Universität relegiert, ging er nach Holland, unternahm von dort aus eine Reise nach Batavia und kehrte 1831 zurück. Jetzt tat er jenen für sein Leben so bedeutungsvollen Schritt, indem er als Steuerbeamter in den preußischen Staatsdienst eintrat. Nach unausgesetzten Reibereien mit seinen Vorgesetzten, nach endlosen Streitigkeiten nahm er 1839 seinen Abschied aus dieser Tätigkeit, die ihm „eine praktische Vorbildung für die politische O p p o s i t i o n " b e d e u t e t e . Die Eindrücke, die er während seines Staatsdienstes von der preußischen Bureaukratie erhalten hatte, reizten ihn dazu, mit scharfer Feder gegen sie zu Felde zu ziehen. Nachdem er seine publizistische Tätigkeit mit Broschüren und mit Artikeln f ü r die Mannheimer Abendzeitung, die Leipziger Allgemeine und die Rheinische Zeitung begonnen hatte, legte er im Jahre 1845 seine Anschauungen über die innerpreußischen Verhältnisse in dem Buch „Die preußische Bureaukratie" nieder. Dieses Buch wurde konfisziert und zog ihm eine Kriminaluntersuchung zu, der er durch die Flucht aus dem Wege ging. Während er bis jetzt zwar mit großer Schärfe, aber doch auf realem Boden sich bewegend, gekämpft hatte, begann nun jene Periode, in der er schrieb, um zu leben und von der Schweiz und von Amerika aus eine maßlose republikanische und revolutionäre Propaganda entfaltete. Im Jahre 1848 kehrte er nach Deutschland zurück und nahm sowohl an dem Heckerschen Putsch als an der badischen Revolution von 1849 teil, ohne daß er seine Absicht, in der revolutionären Bewegung eine große Rolle zu spielen, erreichte. Wenn vorhin von den Vorwürfen die Rede war, welche den Männern der Linken gemacht wurden, so verdient Karl Heinzen sie wohl wie kaum ein anderer. Geradezu abstoßend wirkt der Kultus, den er mit seinem eigenen Ich treibt; neben seiner Person und seinen Ideen läßt er nichts gelten; jede Selbsterkenntnis, jede Selbstkritik ist ihm fremd. Indem l
) K. Heinzen, Erlebtes I, 47.
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er als das spezifische Merkmal des wahren Revolutionärs Unheilbarkeit b e z e i c h n e t , g i b t er das Charakteristikum an, das auf ihn in ganz besonderem Maße paßt. Er war so unheilbar verrannt in seine Ideen, daß er f ü r alle Leiden des Individuums u n d der Gesamtheit n u r ein Heilmittel k e n n t : die Republik. Nach seiner Meinung kann derjenige, der weniger ist als Republikaner, unmöglich liberal sein. 2 ) Zu welcher Anarchie die konsequente V e r f o l g u n g seiner Ideen führte, beweisen seine W o r t e : „Wir setzen fest, daß kein Mensch einen H e r r n haben dürfe, sondern n u r sein eigener Herr sei." 3 ) ¡Wenn ihn auf der einen Seite seine gänzliche U n empfänglichkeit f ü r vernünftige E r w ä g u n g e n von den Führern der rheinischen Radikalen scheidet, so trennt ihn andrerseits vor allem seine Kampfesweise von ihnen. W ä h r e n d bei ihnen das Persönliche in der Polemik zurücktritt, ist es bei Heinzen der H a u p t h e b e l ; persönliche Gereiztheit, persönliche V e r s t i m m u n g u n d die Sucht, Aufsehen zu erregen, wirken stark bei ihm mit. Zügellos in seinen Angriffen, stößt er o h n e den geringsten Anhalt die schwersten Verdächtigungen aus, u n d was das allerschlimmste ist, er labt sich geradezu an den Grobheiten u n d Beleidigungen, mit denen er seine G e g n e r überschüttet, „an dem Luxus, den er in Majestätsbeleid i g u n g e n treibt." 4) Dabei schürte er das revolutionäre Feuer mit einem Leichtsinn u n d einer Gier, die Männern wie Raveaux u n d Venedey ganz fern lagen. Sicherlich besaß er scharfen Witz u n d treffende Satire, aber e r mißbrauchte diese Gaben, u n d es ist nicht zu v e r w u n d e r n , daß er schließlich mit allen Menschen zusammenstieß u n d nirgends Freundschaft fand. — Unter den klerikalen Politikern des Rheinlandes ragen als die bedeutendsten u n d einflußreichsten die Brüder A u g u s t u n d Peter Reichensperger hervor. A u g u s t Reichensp e r g e r (1808—95) w u r d e in Koblenz geboren, studierte Jura, ergriff die Staatskarriere u n d w u r d e Landgerichtsrat in Trier. Ins F r a n k f u r t e r Parlament gewählt, gehörte er mit K. Heinzen, Erlebtes I, 7. ) »Was und wer ist liberal?" In „Teutsche Revolution", S. 503. ) Ebenda, S. 500. 4 ) »Teutsche Dummheiten." In »Teutsche Revolution", S. 536.
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zu den Führern des katholischen Vereins, in dem sich die entschiedenen Katholiken zusammenschlössen, um auf ein gemeinsames erfolgreiches Vorgehen in kirchlichen Fragen hinzuarbeiten. Als Politiker war er, wie F. X . Kraus sagt, „fast immer einigermaßen, meist gänzlich durch sein Verhältnis zur Kirche, zur Kirchenpolitik, zu den kirchlichen Tagesfragen bestimmt". 1 ) Er gehörte aber auch zu den aufrichtigen Konstitutionellen und stellt „den besten Typus der Verbindung dar, welche die Ausläufer der katholischen Romantik mit dem westdeutschen Liberalismus eingingen, um mit den von hier geschöpften Kräften die moderne ultramontane Bewegung zu f ü h r e n . " 2 ) S o vereinigte sich bei ihm die Abneigung des Katholiken gegen das protestantische Preußen mit der Abneigung des liberalen Rheinländers gegen den preußischen Polizeistaat und erreichte in vorrevolutionärer Zeit einen solchen Grad, daß er sich entschließen konnte, dem Franzosen Failly das Material zu seiner Schmähschrift „De Ia Prusse" zu liefern. 3 ) Ich möchte die in dieser Schrift ausgesprochenen Ansichten nicht durchaus und in allem mit denjenigen August Reichenspergers identifizieren; Schroffheiten und Gehässigkeiten, wie jie hier vorkommen, ließ er sich vielleicht kaum oder nur in Momenten höchster Erregung zu schulden k o m m e n ; daß aber diese Schrift im großen und ganzen seinen und den Ansichten der Klerikalen überhaupt entsprach, ist wahrscheinlich. Als Mensch zeigt Reichensperger manchen liebenswürdigen Zug, eine vielseitige Bildung, ein lebhaftes Temperament und eine starke Empfänglichkeit für das Schöne, die ihn zu einem eifrigen Förderer seiner heimischen Kunstbestrebungen machte. Sein Bruder Peter R e i c h e n s p e r g e r war ebenfalls Jurist ,und zwar seit 1843 Landgerichtsrat in Koblenz. Als Mitglied des Vorparlaments und der preußischen Nationalversammlung entfaltete er eine bedeutende Tätigkeit, die sich namentlich in der preußischen Nationalversammlung durch seinen hervorragenden Anteil an der Ausgestaltung des Ver*) Essays, Berlin 1901, S. 408. 2 ) H. Oncken, A. Reichensperger, HZ, Bd. 88, S. 251. 3 ) Vgl. L. Pastor. August Reichensperger, Bd. I, S. 7 8 - 8 0 Kaufmanns Artikel in d. Allgem. deutsch. Biogr.
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fassungsentwurfs in der Kommission bekundete. 1 ) Die Grundlagen seiner politischen Anschauungen sind dieselben wie die seines Bruders; im Kampfe für ihre Überzeugungen gaben sie beide an Eifer einander nichts nach, nur daß Peter vielleicht mit größerer Schärfe und Gewandtheit, aber mit weniger Liebenswürdigkeit und Humor auftrat als sein Bruder. I.
Urteile über die preussische Verfassung. A. Bis 1847. 1. Der Absolutismus der Krone. Die rheinischen Politiker sahen in dem Jahre 1848 einen entscheidenden Wendepunkt, und sie, die mitten in der Bewegung standen und ganz erfüllt waren von deren Bedeutung, glaubten, daß ein so tiefer Bruch mit der Vergangenheit stattgefunden hätte, wie er ihren Wünschen entsprach. Ihr Wunsch war, daß die absolute Staatsform mit allen ihren Konsequenzen ausgetilgt sein sollte. Für die Linke war ja Preußen der Typus, das Musterbeispiel des absoluten Staats; es war, wie Ludwig Simon sich ausdrückte, „so recht geeignet, um das Verwerfliche der Machtvollkommenheit eines Einzigen zu zeigen und so die erhabene Idee des Freistaats in das rechte Licht zu stellen." 2 ) Fast jeder von ihnen geißelte diese absolute Staatsform und wollte jede Erinnerung an sie ausgelöscht wissen. Beseitigung alles desjenigen, was aus dem Polizeistaat herrührte, wurde verlangt; man sprach nur mit Mißachtung von dem „alten Regime", „dem gebrochenen System", von den Polizeiideen vor dem 18. März. Man fühlte sich in einer großen Zeit, die hinausgehoben war aus dem jahrzehntelangen Druck, die auf das System „des Parademarsches und Gamaschendienstes" mitleidig und hohnvoll herabblickte. Es wurde als ein Brandmal jener Zeit betrachtet, daß man die Untertanen wie unmündige Kinder ansah, Vgl. Joh. Seitz, Entstehung und Entwicklung Verfassungsurkunde im Jahre 1848, S. 76/77. 2 ) Sten. Ber. V, 3449.
der preußischen
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fassungsentwurfs in der Kommission bekundete. 1 ) Die Grundlagen seiner politischen Anschauungen sind dieselben wie die seines Bruders; im Kampfe für ihre Überzeugungen gaben sie beide an Eifer einander nichts nach, nur daß Peter vielleicht mit größerer Schärfe und Gewandtheit, aber mit weniger Liebenswürdigkeit und Humor auftrat als sein Bruder. I.
Urteile über die preussische Verfassung. A. Bis 1847. 1. Der Absolutismus der Krone. Die rheinischen Politiker sahen in dem Jahre 1848 einen entscheidenden Wendepunkt, und sie, die mitten in der Bewegung standen und ganz erfüllt waren von deren Bedeutung, glaubten, daß ein so tiefer Bruch mit der Vergangenheit stattgefunden hätte, wie er ihren Wünschen entsprach. Ihr Wunsch war, daß die absolute Staatsform mit allen ihren Konsequenzen ausgetilgt sein sollte. Für die Linke war ja Preußen der Typus, das Musterbeispiel des absoluten Staats; es war, wie Ludwig Simon sich ausdrückte, „so recht geeignet, um das Verwerfliche der Machtvollkommenheit eines Einzigen zu zeigen und so die erhabene Idee des Freistaats in das rechte Licht zu stellen." 2 ) Fast jeder von ihnen geißelte diese absolute Staatsform und wollte jede Erinnerung an sie ausgelöscht wissen. Beseitigung alles desjenigen, was aus dem Polizeistaat herrührte, wurde verlangt; man sprach nur mit Mißachtung von dem „alten Regime", „dem gebrochenen System", von den Polizeiideen vor dem 18. März. Man fühlte sich in einer großen Zeit, die hinausgehoben war aus dem jahrzehntelangen Druck, die auf das System „des Parademarsches und Gamaschendienstes" mitleidig und hohnvoll herabblickte. Es wurde als ein Brandmal jener Zeit betrachtet, daß man die Untertanen wie unmündige Kinder ansah, Vgl. Joh. Seitz, Entstehung und Entwicklung Verfassungsurkunde im Jahre 1848, S. 76/77. 2 ) Sten. Ber. V, 3449.
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eine Ansicht, die sich am klarsten dokumentiert hatte in der berühmten Antwort des Ministers Rochow an die Elbinger Kaufleute, die den Göttinger Sieben eine Glückwunschadresse hatten senden wollen. In dieser Antwort hieß e s : „Es ziemt dem Untertanen nicht, die H a n d l u n g e n des Staatsoberhaupts an den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen u n d sich in dünkelhaftem Ü b e r m u t ein öffentliches Urteil über die Rechtmäßigkeit derselben a n z u m a ß e n , " e i n Satz, von dem Stedmann sagt, „daß er in jedem einzelnen seiner Bestandteile u n d Ausdrücke das G e m ü t des ganzen gebildeten Teiles der Nation in seinen innersten Tiefen empörte." 2) Man e m p f a n d es mit Bitterkeit, daß die Untertanen ferngehalten w u r d e n vom Leben des Staates, und das G e f ü h l der Machtu n d Rechtlosigkeit in einem System, w o schließlich alles vom Willen des Königs abhing, reizte die G e m ü t e r auf. Einen scharfen A u s d r u c k dieses G e f ü h l s finden wir in einer rheinischen Flugschrift, in der es heißt: „Bis jetzt gehören wir der Tat nach bloß der G n a d e anderer, also dem Sachenrecht a n . " 3 ) Dem selbstbewußten rheinischen Bürgersinn w a r es unerträglich, daß der König ohne bestimmte Regelung seiner Rechte u n d Pflichten nach seinem Willen schalten konnte. Man mißbilligte es, daß im G r u n d e g e n o m m e n alles seinem Belieben anheimgestellt war, daß er, um ein Beispiel a n z u führen, den Staatsrat bei Erlaß von Gesetzen berufen sollte, aber nicht dazu g e z w u n g e n war. Als sich der Düsseldorfer Landtag 1837 dem Gesetz über die Autonomie des Adels widersetzen wollte, weil es nicht dem Staatsrat vorgelegt worden war, hieß es diesbezüglich im f ü n f t e n rheinischen Landtagsabschied: „Es m u ß lediglich Unserm Ermessen anheimgestellt bleiben, von welcher Unserer Behörden W i r bei Erlassung einer V e r o r d n u n g ein Gutachten e n t g e g e n z u n e h men f ü r angemessen erachten." 4 ) Solche Bekenntnisse zur Willkür erregten in den Rheinlanden das stärkste Mißfallen. Man vermißte eine allgemeine O r d n u n g , allgemeine GeNach Treitschke, Deutsche Geschichte IV, 664. ) K. Stedmann, Beitr. zum Staatsrechte der Herzogtümer am Rheine, S. 30. 3 ) Das Gerücht von einer Konstitution in Preußen 1845. *) Beckerath, Die neuesten Landtagsabschiede für die preußische Monarchie. Kölnische Zeitung 1846, Nr. 28. 2
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sichtspunkte bei der Gesetzgebung; in der so beliebten Regelung der Verwaltung und Gesetzgebung für „einzelne Fälle" sah man die Wurzeln des P o l i z e i s t a a t e s . H a n s e m a n n glaubte, daß man sich in Preußen gar keinen rechten Begriff von einer Verfassung machen könne. Im Jahre 1845 schrieb e r in einem Brief: „Was man in Preußen Verfassung nennt, ist ja nichts anderes als eine mehr oder weniger regularisierte Polizeigewalt. 2 ) Als ein trauriges Kennzeichen dieser absolutistischen Zeit galt das Vorherrschen der dynastischen Interessen. Beckerath spricht es im Frankfurter Parlament einmal aus, welches Glück es sei, daß die Zeit vorüber wäre, „wo in den Kabinetten die Stimme der Völker spurlos verhallte, wo durch diplomatische Verhandlungen über Land und Leute, wie man es nannte, verfügt wurde." 3 ) Die Linke legte nun speziell den Hohenzollern dynastische Politik zur Last. Venedey wirft den preußischen Königen öfters dynastische Eroberungspolitik vor, und eben darin sieht er die Scheidung zwischen der Zeit vor und nach dem 18. März, daß vorher dynastische und jetzt Volksinteressen den Ausschlag gaben. 4 ) Die ursprüngliche Abneigung der Rheinländer gegen den Absolutismus wurde noch dadurch verstärkt, daß sie in Preußen von 1815—48 den Absolutismus in einem äußerst 'ungünstigen Stadium kennen lernten, in dem es ihm an Kraft und Größe gebrach, in dem er kleinlich und allmählich zeugungsarm wurde. So wuchs in ihnen immer mehr die Überzeugung heran, daß sich dieses System überlebt habe, und daß der König nicht mehr einseitig Rechte geben und nehmen könne. Ihnen genügte die sittlich-religiöse Abhängigkeit des Königs, welche in der Theorie vom christlich-germanischen Staat als ausreichende Gewähr hingestellt wurde, nicht; es waren ja diese Prinzipien, die nach Hansemanns Meinung den Staat an den Rand des AbgrunJ. Venedey, Vierzehn Tage Heimatluft, S. 141. ) Hansemann an Beckerath, Bergengrün 334. ») Sten. Ben II, 1028. 4 ) Venedey, Die Wage, Heft V, S. 26. Vgl. dazu K- Heinzens Satire »Künftige Kabinetsordres Olims des Oroßen": „Mein Volk ist bekanntlich bloß das Fundament Meines Königlichen Hauses, und der Glanz Meines Geschlechtes ist der Zweck des Staates." In „Teutsche Revolution" S. 156. 2
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des gebracht h a t t e n . D a r u m stellten sie immer wieder die F o r d e r u n g der neuen Zeit auf, in einer durch Vertrag mit den Ständen vereinbarten Konstitution die Rechte des Königs u n d die Rechte des Volkes festzusetzen. Bei ihrer Bitte um eine V e r f a s s u n g s u r k u n d e beriefen sie sich auf die Versprechungen, die Friedrich Wilhelm III. in der V e r o r d n u n g vom 22. Mai 1815 u n d vom 20. März 1817 gegeben hatte; daß sie unerfüllt blieben, g a b den Rheinländern immer wieder G r u n d zur Klage.
2. Die politischen Rechte des Volkes. a) Die provinzialständische Vertretung. Weit mehr als f ü r diese formelle Frage interessierten sie sich jedoch f ü r die dem Volk tatsächlich gewährten politischen Rechte. Dieselben basierten auf dem Gesetz über die Provinzialstände vom 5. Juni 1823, welches die Verfassungsfrage in f o l g e n d e r Weise zu lösen suchte. Es w u r d e n 8 P r o vinziallandtage geschaffen ; der Provinziallandtag der Rheinprovinz setzte sich nach dem Gesetz von 1824 aus 4 Ständen zusammen, den vormals unmittelbaren Reichsständen, der Ritterschaft, den Städten, den ländlichen Grundbesitzern. D e r erste Stand hatte vier, jeder der anderen drei Stände je 25 Mitglieder. Die Wählbarkeit f ü r den zweiten Stand knüpfte sich an den Besitz eines Ritterguti, f ü r den dritten Stand an1 städtischen G r u n d b e s i t z , v e r b u n d e n mit einem bürgerlichen Gewerbe oder der Mitgliedschaft des Magistrats, f ü r den vierten Stand an den Besitz eines im H a u p t g e w e r b e bewirtschafteten Landguts. Dieselben Bedingungen galten f ü r die W ä h lenden, n u r daß nicht ein Alter von 31, sondern von n u r 24 Jahren nötig war, ferner daß nicht 10 jähriger, sondern n u r eigentümlicher Besitz gewünscht w u r d e u n d daß keine bestimmte G r ö ß e desselben erforderlich war. Dieses Gesetz blieb bis zum Jahre 1847 im wesentlichen unverändert bestehen ; nach seinen Bestimmungen war also im wesentlichen die Teilnahme des Volkes am staatlichen Leben in Preußen geregelt, u n d ihnen galt daher die kritische Betrachtung der rheinischen Politiker in erster Linie. Sie gingen dabei beSten. Ber. der 1. Kammer.
III, 1143.
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greif licherweise von einem Vergleich des Gesetzes von 1823 mit der Vergangenheit aus und kamen zu dem Resultat, daß es ihnen weniger an ständischen Rechten brachte, als sie früher besessen hatten. Von der Richtigkeit dieser Überzeugung waren sie so durchdrungen, daß sie ihr in sehr scharfer Weise Ausdruck gaben, wie es z. B. Hansemann und Stedmann tun. Hansemann sagt in seiner Schrift „Preußen und Frankreich": „Erst seitdem die Rheinlande nach dem Sturze Napoleons preußisch wurden, gibt es in denselben kein politisches Recht m e h r , " u n d Stedmann versteigt sich sogar zu der übertriebenen Behauptung, „daß die Rheinländer niemals ein geringeres Maß von persönlicher Freiheit und bürgerlicher Berechtigung genossen haben als seit der Wiedervereinigung mit dem großen deutschen Vaterlande nach kurzer Fremdherrschaft." 2 ) Hansemann geht in „Preußen und Frankreich" auf den am meisten erörterten Vergleichspunkt, auf das Steuerbewilligungsrecht, ein. Er weist darauf hin, daß bis zur französischen Revolution die Stände in den Rheinlanden das Steuerbewilligungsrecht gehabt hätten; im 17. Jahrhundert hätten sie es noch vollständig ausgeübt, im 18. hätte es zwar noch grundsätzlich, aber nicht mehr tatsächlich bestanden, indem es durch die Schwäche der Stände seiner Bedeutung verlustig gegangen war. 3 ) Auch unter der französischen Herrschaft sei die Erhebung jeder Steuer nach der Verfassung vom 13. XII. 1799 an die Zustimmung der gesetzgebenden Versammlung gebunden gewesen. Die Departementalbedürfnisse mußten zum Teil außerdem durch den Departementalrat vorgängig bewilligt worden sein. Für Gemeindebedürfnisse konnten ebenfalls keine Steuern ausgeschrieben werden, die nicht von den gesetzgebenden Versammlungen bewilligt worden waren. Napoleon habe zwar die Verfassung mehrfach verletzt und durch seinen Einfluß die Bewilligungen der Versammlung meistens zu einer leeren Form gemacht, namentlich wenn es sich um seine größeren S. 284. ) Beitr. S. 31. Vgl. auch Beckerath, Die neuesten Landtagsabschiede. 3 ) Neuere Forschungen zeigen, dass die tatsächliche Macht der rheinischen Landstände auch im 18. Jahrhundert noch größer war, als Hansemann annahm. 2
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Zwecke handelte; indessen durfte sich kein Beamter unterstehen, den Herrn nachzuahmen. So kommt Hansemann zu dem Resultat, daß erst unter der preußischen Herrschaft die Stände das Besteuerungsrecht verloren hätten. In bezug auf allgemeine Landesabgaben sei es Monopol der Landeshoheit; nur bei Provinzialsteuern bestände ein allerdings sehr zweifelhaftes Recht der Provinz zur Teilnahme an der Steuerbewilligung. Nach P r ü f u n g der darauf bezüglichen Verordnungen und nach Beobachtungen in der Praxis glaubt sich Hansemann zu der Ansicht berechtigt, daß die Regierung das Besteuerungsrecht überhaupt einzig und allein f ü r sich in Anspruch n e h m e . Z u m Beweise führt er folgende Tatsache a n : „Als im Jahre 1827 zur Sprache kam, ob eine von den früheren bergischen Ständen zu einem besondern (später weggefallenen) Zwecke dem Qrundsteuerkontingente zugeschlagene Summe von dem letzteren wieder abzusetzen sei, sprach das Staatsministerium die hernach allerhöchst ebenfalls bestätigte Meinung aus, daß durch die Bejahung der in Rede stehenden Frage eine Beschränkung des unbedingt und unbestritten dem Landesherrn allein zustehenden Besteuerungsrechtes zugegeben werden würde." 2) Was also das Gesetz von 1823 in dieser wie auch in anderer Hinsicht geboten hatte, erschien als ein Zurückgehen in den politischen Rechten. Neben diesem einen Vergleich des Gesetzes von 1823 mit den früheren ständischen Rechten drängte sich den Rheinländern sogleich ein zweiter mit aller Macht a u f ; sie betrachteten das Gesetz von 1823 daraufhin, ob es eine Erfüllung der Versprechungen brachte, die dem Volke seit 1810 gemacht worden waren. 3 ) Dabei sprang als erster und erheblicher Mangel in die Augen, daß die Provinzialstände an die Stelle der Nationalrepräsentation getreten waren und daß die Einberufung dieser einer unbestimmten Zukunft vorbehalten wurde. Man muß wissen, wie lebhaft und allgemein der r
) Preußen und Frankreich, S. 1 1 - 1 5 . ) Preußen und Frankreich, S. 16. ) Diese Versprechungen sind in dem Finanzedikt vom 27. Oktober 1810, in der Verordnung vom 22. Mai 1815, in der Wiener Bundesakte (für die Rheinlande speziell in dem Besitzergreifungspatent vom 5. April 1815) und in dem Staatsschuldengesetz vom 17. I. 1820 enthalten. 2
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Wunsch nach einer Repräsentation für den ganzen Staat in den Rheinlanden während der ersten Jahre der preußischen Herrschaft war, um die gewaltige Enttäuschung über diesen Passus des Gesetzes zu verstehen. x ) Als sich nun im Laufe der Jahre die Eingriffe der Regierung in die speziellen Institutionen der Rheinprovinz, namentlich in die rechtlichen, mehrten, verlor sich die Begeisterung für eine Nationalrepräsentation zeitweise, weil man durch den engen Anschluß an Preußen eine zu starke Einbuße der eigentümlichen provinziellen Einrichtungen besorgte. Diese Befürchtungen beschränkten sich jedoch allmählich wieder auf die feudalen Kreise, während sich das führende liberale Bürgertum dem Gedanken der Reichsstände zuneigte. Für den siebenten rheinischen Landtag von 1843 arbeitete Mevissen eine Petition wegen der Gewährung von Reichsständen aus. Der achte rheinische Landtag wurde mit Petitionen dieser Art bestürmt, und Camphausen formulierte einen schriftlichen Antrag. Eine Petition an den König kam jedoch nicht zustande, nur ein Auftrag an den Landesmarschall. Dieser sollte dem König mitteilen, daß der Landtag sich in seiner großen Majorität für eine reichsständische Verfassung erklärt habe. Wie Camphausen und Mevissen standen auch die anderen rheinischen Liberalen und die Radikalen auf dem Standpunkt, daß das Gesetz von 1823 die in bezug auf Nationalrepräsentation gegebenen Versprechungen bedauerlicherweise unerfüllt gelassen habe und daß die Provinzialstände keinen Ersatz dafür bieten konnten. Sowohl in Venedeys Schrift „Preußen und Preußentum", als in der Schrift ,,De la Prusse" 2 ) ist die Meinung ausgesprochen, daß die Regierung eine gespaltene provinzielle Vertretung statt einer allgemeinen nur angeordnet habe, um mach dem Grundsatze: „Divide et impera" leichter ihre Herrschaft ausüben zu können. 3 ) Diese deutliche Absicht der Regierung, „die Provinzen zu trennen, um sie besser in der Ein-
*) Vgl. A. Stern, Die preußische Verfassungsfrage im Jahre 1817. Deutsche Ztschr. f . Geschichtswissensch. 1893, Bd. I. 2 ) s. oben S. ?1. ») De la Prusse, S. 221.
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heit des Absolutismus beherrschen zu können",*) sieht Venedey schon in der Bestimmung, daß keinerlei Mitteilungen zwischen den einzelnen Landtagen stattfinden sollten. Eben weil eine große Versammlung mehr Autorität und eine kräftigere, kompaktere Opposition aufzuweisen hätte, heißt es in der Schrift „De la Prusse", habe die Regierung sie verpönt. Mit vollem Recht hebt Mevissen in seiner Abhandlung über die Provinzialstände 1847 hervor, daß nur durch den nach Einheit strebenden Zeitgeist der zur Zeit der Abfassung des Gesetzes leitende Gedanke, soviel wie möglich provinzielle Verschiedenheiten wieder herzustellen, zurückgedrängt worden sei. 2 ) Zersplitterung der Kräfte, etwaige kleine, provinzielle Rücksichten bei allgemeinen Gesetzen und das egoistische Wettrennen der einzelnen Provinzen um die möglichst größten Begünstigungen und Vorteile, das war es, was den liberalen Geistern unsympathisch an dieser alleinigen Provinzialvertretung war. Auch Beckerath spricht es in seinen Artikeln in der Kölnischen Zeitung aus, welche Gefahr der Entfremdung zwischen den einzelnen Teilen in diesen speziellen Provinzialvertretungen läge, wie der Staat zur Lösung der großen sozialen, politischen und kirchlichen Aufgaben einer Konzentration seiner Kräfte in einem lebendigen Mittelpunkt bedürfe. 3 ) Mit Sorge sahen die rheinischen Liberalen auf die Sondergelüste in ihrer Provinz, und als warnendes Beispiel führt Hansemann an, „daß in der Rheinprovinz die Idee einer eigentümlichen Verfassung oder eines Vizekönigreichs der westlichen Provinzen bei einigen klugen und einflußreichen Männern Wurzel schlage." 4 ) Eben solche Bestrebungen bewiesen ihnen, daß „Preußen nicht fertig war", daß es zur Erfüllung seiner großen Aufgaben aus dem Stadium heraustreten müsse, in welchem es „nur in dem Könige ein einiges Preußen gab, nicht auch vom Standpunkte des Staatsbürgerlebens einen preußischen Gesamtstaat." 5 ) Bei dem Urteil der rheinischen Politiker über die proM Venedey, Preußen u. Preußentum, S. 164. 2 ) Hansen, II, 211. 8 ) Beckerath, Die neuesten Landtagsabschiede. 1846, Nr. 28. 4 ) Preußen und Frankreich, S. 225. *) Venedey, 14 Tage Heimatluft, S. 125.
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vinzialständische Vertretung selbst kommt zunächst ihre Stellung zu dem ständischen Prinzip an sich in Betracht. Am wenigsten waren natürlich die Radikalen dafür eingenommen. Für eine allseitige „organische" Gliederung nach Berufsständen wären sie bei gleichmäßiger Rechteausstattung eventuell zu haben gewesen; aber diese unterschied sich ja wenig von dem „Atomismus der Kopfvertretung". Die Liberalen variierten in ihren Ansichten; im allgemeinen darf man ihren Standpunkt wohl dahin präzisieren, daß sie nicht die Stände überhaupt, sondern nur die preußischen Stände in ihrer Zusammensetzung verwarfen und daß sie, erst durch die Bewegung von 1848 fortgerissen, sich auf die breitere Basis einer allgemeinen, nichtständischen Volksrepräsentation stellten. Wenn sie vor der Revolution an dem ständischen Prinzip festhielten, so wirkt dabei das ihnen in allen Fragen eigene Bestreben mit, sich an das Gegebene anzuschließen, auf dem Vorhandenen weiterzubauen. Auf diesem Boden standen ¡namentlich Camphausen und Mevissen; „abstrakte Opposition" erschien Mevissen als etwas Unfruchtbares. Hansemann dagegen neigte in dieser Frage zu einem Bruch mit der alten Tradition, zur Einführung eines Repräsentativsystems mit einem durch Zensus beschränkten Wahlrecht nach belgischem Muster; schon in seiner Denkschrift über „Preußens Lage und Politik am Ende des Jahres 1830" klagt er, daß zu der Zerstücklung des Staatsinteresses in provinzielles noch die Zergliederung in Stände hinzukomme. 2 ) Auch in der Schrift „De la Prusse" ist die Einteilung des Volkes in Kasten, die Ungleichheit der Rechte unter den Bürgern als eine Heiligung des antiliberalsten und verdammungswürdigsten Prinzips erklärt. 3 ) Am ausführlichsten hat sich Mevissen in dieser Frage geäußert; seine Ansichten über die Vorzüge des ständischen und des Repräsentativsystems und über die durch das Gesetz von 1823 geschaffenen Provinzialstände sind in mehreren Artikeln aus dem Jahre 1847 niedergelegt. Seine Meinung ist, daß durch das Gesetz von 1823 Stände im alten Ludwig Simon, Aus dem Exil II, 18. ) § 32. Nach dem Abdruck in Hansemanns Buch: Das preuß. und deutsche Verfassungswerk, S. 16. l ) S. 221. 2
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Sinn des Wortes nicht wieder erweckt werden konnten; denn ihre Existenzbedingung, das Vorhandensein von selbständigen Korporationen und Innungen, fehlte. Aber auch Stände im modernen Sinne seien nicht geschaffen worden, da das Gesetz von 1823 keine Rücksicht auf die in der neueren Zeit erfolgten sozialen Umbildungen und Veränderungen genommen habe, welche namentlich in der Rheinprovinz außerordentlich groß waren. 1 ) So entsprach es also weder den alten noch den neuen Zuständen, mit denen nach einer im Rheinland weit verbreiteten Meinung am besten eine berufsständische Vertretung zu vereinen war. Als einen der schwersten Fehler dieses Gesetzes sahen es Mevissen und seine Parteigenossen an, daß das Prinzip gleichmäßiger Berechtigung zur Standschaft und innerhalb der Standschaft nicht gewahrt worden sei. 2 ) In § 8 des Gesetzes von 1824 wegen Anordnung von Provinzialständen für die Rheinlande heißt es: In dem zweiten Stand wird die Wählbarkeit begründet 1. durch den Besitz eines früher reichsritterschaftlichen oder landtagsfähigen Guts in der Provinz, von welchem jährlich an Grundsteuern wenigstens 75 Taler entrichtet werden, 2. durch den Besitz eines anderen größeren Landguts, welches in den zweiten Stand aufzunehmen Wir für angemessen erachten. Die Ungerechtigkeit, daß sich die Wählbarkeit f ü r den zweiten Stand nicht nach der Größe des Grundbesitzes richtete, sondern danach, ob es ritterschaftlich war, daß also die Standschaft als zufälliger Vorzug an diesem oder jenem Flecken Erde haftete, ferner die willkürliche Befugnis der Krone, ein oder das andere Landgut in den zweiten Stand aufnehmen zu können, erregte scharfen Widerspruch. Zwar konnten die Grundbesitzer auf Verleihung der Rittergutsqualität für ihre Besitzungen antragen; aber es ist bezeichnend für den rheinischen Standpunkt, wenn Mevissen darüber sagt: „Die Besitzer wurden dadurch genötigt, auf dem Wege der Gnade ein Vorrecht zu suchen, das nicht aus der Gnade, sondern einzig aus einem allgemeinen Prinzipe, dem Wohle aller gerechtfertigt werden kann." 3 ) Ebenso mißbilligend wurde: *) Hansen, II, 209. ) Hansen, II, 214. ») Hansen, II, 215.
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Die Stände in Preußen.
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die große Ungleichheit in den Berechtigungen der einzelnen Städte und der Provinzen betrachtet. So hatte Trier mit 20 000 Einwohnern eine Virilstimme und Aachen mit 50 000 Einwohnern ebenfalls nur eine. In der Provinz Brandenburg kam auf 30 000 Einwohner 1 Abgeordneter, in Pommern auf 23 000 Einwohner 1 Abgeordneter, in Schlesien auf 36 000 Einwohner 1 Abgeordneter, in der Rheinprovinz auf 36 000 Einwohner 1 Abgeordneter. 1 ) Als schlimmster Übelstand aber wurde allgemein das Mißverhältnis in der Stimmverteilung verurteilt. Hansemann gibt in seiner Denkschrift von 1830 an, daß in der Rheinprovinz der Ritterstand, jede Familie zu dem hohen Durchschnitt von 20 Individuen angenommen, aus 6520 Seelen besteht. Der Ritterstand hat 25 Deputierte; Köln und Aachen, die zusammen 94 027 Einwohner zählen, haben drei Deputierte. Die Mitglieder des Ritterstandes bezahlen zusammen ungefähr 77 390 Taler, Köln und Aachen zusammen 309 580 Taler direkte Staatssteuern, resp. Schlacht- und Mahlsteuer, welche als Äquivalent der Klassensteuer angerechnet werden muß. Ein Deputierter der Städte Köln und Aachen repräsentiert also 31 342 Seelen, ein Deputierter des Ritterstandes 261 Seelen. 2 ) Durch diese Stimmverteilung entstand eine Majorität, die von den rheinischen Politikern als eine künstliche verworfen wurde, indem nämlich die Städte und die Landgemeinden gegenüber den Standesherren und dem in der Rheinprovinz durchaus nicht so bedeutenden Ritterstand nicht die für Anträge zur Kenntnis des Königs nötige Zweidrittelmajorität hatten. 3 ) Mit dem größten Mißtrauen sahen sie hier eine Bevorzugung des Ritterstandes, die ihnen eine Neigung zur Wiederbelebung der verhaßten feudalen Institutionen anzudeuten schien. 4 ) Schon auf dem rheinischen Landtag von 1845 wurden Vorschläge zur Änderung des bestehenden Mißverhältnisses gemacht, und ein Antrag auf ErHansen, II, 2 1 2 - 2 1 4 . ) Denkschrift von 1830 aaO. § 32. 3 ) Vgl. P. Reichensperger, Die Agrarfrage. Er weist noch darauf hin, daß in den alten Provinzen, in Brandenburg, Pommern, Schlesien und Posen die städtischen und ländlichen Vertreter zusammen nicht einmal die einfache Majorität hatten. S. 519. 4 ) Stedmann, Beitr., S. 8. 2
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h ö h u n g der Abgeordneten des dritten und vierten Standes um je 10 Stimmen wurde gestellt. Wenn schon die Privilegierung des Ritterstandes gegenüber den Städten und Landgemeinden berechtigten Unwillen erregte, so wurde der Ausschluß ganzer Stände in den Städten aufs lebhafteste beklagt. Da nämlich die Wählbarkeit für den dritten Stand an Grundbesitz und an ein bürgerliches Gewerbe gebunden war, wurden Gelehrte, Künstler, Advokaten, Ärzte völlig ausgeschlossen, wenn sie sich nicht zufällig im Besitz von Rittergütern befanden. Ferner wurden durch die Bestimmung, daß auf dem Lande nur alle Ackerbautreibenden, in der Stadt nur alle Gewerbetreibenden wählbar sein sollten, alle diejenigen ausgeschaltet, die • ihre Fabriken auf dem Lande hatten, ein Fall, der in der Rheinprovinz ziemlich häufig vorkam. Diese beiden letzten Bestimmungen erklärt Mevissen für vollkommen unangemessen, und ihre Aufhebung hält er für dringend notwendig. x ) Ebenso waren er und wohl fast alle rheinischen Politiker gegen den Ausschluß der nichtchristlichen Staatsbürger von der Wählbarkeit; schon auf dem rheinischen Landtag von 1845 wurde die politische und bürgerliche Gleichstellung der Juden beantragt. Auch andere Wahlbedingungen erschienen ihm wie Hansemann gänzlich zweckwidrig, so die Bedingung der zehnjährigen Besitzzeit des Grundbesitzes. Die Regierung konnte zwar von dieser Bedingung dispensieren, aber das sah man eben nicht gern, daß so vieles von ihrem Belieben abhing. Von diesem Gesichtspunkt aus wenden sich Hansemann sowohl als der Verfasser von „De la Prusse" dagegen, daß die für die Wählbarkeit gestellte Bedingung des unbescholtenen Rufs ohne nähere Bestimmung bleibe und also der Regierung Tür und Tor zur Chikane wegen politischer Gesinnung geöffnet sei, wie es sich bei dem speziellen Falle des liberalen rheinischen Kaufmanns Brust gezeigt habe. 2 ) Von diesem Gesichtspunkt ausgehend spricht der Verfasser von „De la Prusse" die nachher als ungerechtfertigt erwiesene Befürchtung wegen der Bestimmung aus, daß die Regierung je nach der VerschiedenHansen, II, 217. *) Hansemann, D i e politischen Tagesfragen mit Rücksicht auf d e n rheinischen Landtag, S. 7 f. N a t h a n , Preussisohe Verfassung.
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heit der Orte die Grundsteuerhöhe festsetzen konnte, welche Bedingung für die Wählbarkeit w a r . J e d e n f a l l s ergibt sich aus dem Vorangehenden, daß das Gesetz von 1823 in seinen Bestimmungen über die Zusammensetzung der Provinziallandtage von den rheinischen Politikern heftig angegriffen wurde, daß sie namentlich die konsequente Durchführung eines Prinzips und eine feste gleichmäßige Regulierung vermißten; der eine hatte dies, der andere jenes auszusetzen, aber keiner war recht zufrieden damit. Bei der Beurteilung der Kompetenzen, die den Landtagen durch das Gesetz von 1823 gewährt worden waren, bemängelten es die rheinischen Politiker zunächst, daß diese Kompetenzen unklar seien. Mevissen sagt schon von den 1815 bei der Besitzergreifung den Rheinländern gegebenen Versprechungen des Königs, daß es nicht ersichtlich sei, o b sie auf Beratung oder Bewilligung der Steuern hinausgingen. 2 ) In der Tat bot auch das Gesetz von 1823 durch den Paragraphen, nach welchem den Ständen die Entwürfe solcher allgemeinen Gesetze, welche Veränderungen in Personen- und Eigentumsrechten und in den Steuern zum Gegenstand haben, soweit sie die Provinz betreffen, vorgelegt werden sollten, Anlaß zu mancherlei Auslegungen und Konflikten. Als der rheinische Landtag von 1845 auf Aufhebung „der ohne verfassungsmäßigen Beirat der Stände erlassenen Gesetze vom 29. März 1844, betreffend das gerichtliche und Disziplinarverfahren gegen Beamte und das bei Pensionierung der Beamten zu beobachtende Verfahren" antrug, in der Meinung, daß er hier zweifellos kompetent sei, da es sich um Freiheit der Person handele, lehnte der König die Anträge ab, weil Gesetze wie das vom 29. März 1844 „bloß das Verhältnis Unserer Behörden zu Uns, folglich einen Gegenstand regulieren, der zum innern Staatsrecht gehört und auf den das Gesetz von 1823 keine Anwendung finden k ö n n e . " 3 ) Zu verschiedenen Auslegungen gab auch der § 2 des Gesetzes von 1823 Anlaß, welcher die Kommunalangelegenheiten der Provinz den Beschlüssen der Stände überließ unter V o r b e !) De la Prusse, S. 223. 2 ) Der 1. Vereinigte Landtag, II, 42. ' ) Hansemann, Die politischen Tagesfragen, S. 6 9 / 7 0 .
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halt der königlichen Genehmigung und Aufsicht. Hansemann meint, man könne aus diesem Paragraphen ein Steuerbewilligungsrecht herauslesen, insofern Bezirksstraßen, Bettelund Irrenhäuser und durch ähnliche Einrichtungen verursachte Ausgaben als Kommunalangelegenheiten der Provinz zu betrachten seien. Er hält aber diese Auslegung für zweifelhaft, da bisher beträchtliche provinzielle Ausgaben ohne Beschlußnahme der Stände gemacht worden s e i e n . D i e Kompetenzen, die das Gesetz von 1823 den Landtagen gab, erschienen den rheinischen Abgeordneten jeder Parteirichtung als völlig unzureichend und ungenügend. Für die Radikalen war die ganze Institution schon dadurch abgetan, daß sie nur das Recht zu beraten gewährte, „worauf man höheren Orts beschließt, was man für gut findet. Wer aber in dem Recht zu beraten überhaupt ein Recht sieht, das von der Staatsgewalt erteilt werden muß, zeigt dadurch, daß er auf der Stufe des Tyrannen oder Sklaven steht." 2 ) Namentlich wurde ja dieses Fehlen des Beschlußrechts in Steuerangelegenheiten mit Rücksicht darauf beklagt, daß man es früher besessen hatte. „Der denkende Mann lacht oder schämt sich dieser Leerheit, dieser hohlen Form," 3) sagt Venedey mit Bezug auf die Provinzialstände, und in der Tat ist es sehr begreiflich, daß Landtagsmitglieder wie Hansemann, Beckerath und Camphausen die Ohnmacht dieser Institution, die erst 1841 die Periodizität erhielt, die das Recht der Gesetzesinitiative garnicht, das Petitionsrecht nur in sehr beschränktem Umfange, nämlich nur für provinzielle Angelegenheiten, besaß, schmerzlich empfanden. In seiner Schrift „14 Tage Heimatluft" weist Venedey an der Hand einzelner Landtagsabschiede nach, wie ängstlich die Regierung besorgt war, die Provinzialstände in die allerengsten Schranken zu bannen, wie sie ihnen bei Änderungen im Prozeßverfahren, bei Modifikationen des inneren Staatsrechts usw. keinerlei Einfluß gestatten wollte und wie die Stände die Schranken überall zu durchbrechen suchten. 4 ) Die ganze Unhaltbarkeit dieser In*) 2 ) 3 ) 4 )
Preußen und Frankreich, S. 14. J. Venedey, Preußen und Preußentum, S. 163. J. Venedey, 14 Tage Heimatluft, S. 157. vgl. auch Beckerath, Die neuesten Landtagsabschiede. 3»
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stitution als alleiniger Volksvertretung zeigt sich deutlich, wenn Venedey die vielen Petitionen anführt, die die allerdringendsten Interessen der Stände aussprachen, aber als unzulässig abgewiesen wurden, so z. B. Petitionen um Errichtung eines Handelsministeriums, um Veränderung der Zölle usw. Zudem bestritt die Regierung den Ständen das Recht, einmal abgeschlagene Bitten wieder vorzubringen. Ebensowenig wie die rheinischen Abgeordneten dieser kleine Kreis von Kompetenzen befriedigte, sagte ihnen die Geschäftsordnung zu, welche dem Landtag nicht einmal seinen Vorsitzenden und die Vorsitzenden der Ausschüsse zu ernennen gestattete, welche bestimmte, daß der Landtagsmarschall nur aus dem Fürsten- und Ritterstande genommen werden durfte. Aufs lebhafteste beklagten sie es, daß die Publizität noch immer nur in beschränktem U m fang gewährt worden war. Bis zum Jahre 1841 durften nur die Resultate der Landtage publiziert werden; erst Friedrich Wilhelm IV. gestattete eine etwas ausgedehntere Veröffentlichung der Landtagsberichte; aber es durfte nur eine gedrängte Darstellung unter Vermeidung aller Spezialitäten und ohne Nennung der Rednernamen erfolgen. Gegen diese Beschränkungen machte sich auf den rheinischen Landtagen von 1843 und 45 eine starke Strömung geltend, und in den Verhandlungen traten Beckerath, Camphausen und Hansemann lebhaft für volle Öffentlichkeit ein. In einer Adresse des 7. Rheinischen Landtages heißt es, daß „Öffentlichkeit für jeden Rheinländer ein angeborenes Bedürfnis", daß sie „die stärkste, ja fast die einzige Bürgschaft im Staatsleben" sei; mit Bedauern wird auf die immer noch vorkommenden Fälle von Beschränkungen aufmerksam gemacht. 2 ) Auf den Antrag der schlesischen Stände um Errichtung eines Handelsministeriums erklärte die Regierung: „Was die Art und Weise betrifft, wie die Regierung sich in fortwährender Kenntnis der wahren Bedürfnisse des Handels und der Industrie erhalten und die darauf bezüglichen Geschäfte führen lassen wolle, so muss dies der Entschließung der Regierung vorbehalten bleiben « Die sächsischen Stände erhielten auf ihre Bitte, dem nächsten Provinziallandtag eine genaue Zusammenstellung über den Ertrag des Salzverkaufes vorzulegen, den Bescheid, daß diese Forderung »die den Provinzialständen angewiesene Stellung und Wirksamkeit übersteige." Diese und andere Beispiele mehr bei Venedey „14 T a g e Heimatluft« S. 1 4 5 - 5 9 . 2)
Verhandlungen des 7. rheinischen Provinziallandtages S. 451
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Hansemann unterstützte die allgemeine Forderung nach Öffentlichkeit mit dem Hinweis darauf, wie günstig sich im Königreich Sachsen ihre Wirkung erwiesen habe, wie dort „in 15 Jahren die Intelligenz und der praktische Verstand sich durch etwas Öffentlichkeit und Freiheit ausgebildet haben."!) Der schlimmste Fehler lag aber in den Augen der rheinischen Politiker darin, daß die Regierung selbst diese beschränkten Kompetenzen nicht achtete. Sowohl Hansemann als Venedey und der Verfasser von „De la Prusse" sprechen ihre Entrüstung darüber aus und kritisieren einzelne Fälle. 1823 war den Ständen das Petitionsrecht für provinzielle Angelegenheiten gewährt worden, 1837 wurde dieses Recht durch folgende Bestimmung beschränkt: „Wenn ein Mitglied gegen die Petition ist, wird ohne Diskussion abgestimmt, ob die Petition im Ausschuß diskutiert werden soll oder nicht. Die Petition soll kurz und übersichtlich sein, und die Motive sollen der mündlichen Diskussion vorbehalten werden." 2) Das Schicksal vieler Petitionen wurde es, daß sie in den meist der Regierung ergebenen Ausschüssen verändert oder begraben wurden. Mit Bezug darauf, daß das Recht der Bitte „alten Herkommens und mit der innersten Natur des Menschen und seinen Verhältnissen zum Staat innig verbunden sei" und mit dem Hinweis, daß namentlich im absoluten Staat die Regierung die Bitten der Untertanen ungehindert an den Thron gelangen lassen müsse, fordert Hansemann die volle Aufrechterhaltung des Petitionsrechtes. Ebenso wünscht er, daß die Regierung „die echt deutsche Gewohnheit", in Versammlungen die öffentlichen Angelegenheiten zu beraten, nicht einschränke. 3 ) Er äußert sich höchst unwillig über das Verhalten der Regierung, welche in den Rheinlanden, z. B. in Trier, mit Verboten gegen Versammlungen vorging, die zum Zwecke der gemeinschaftlichen Beratung 453. „Der Vortrag eines Abgeordneten der Ritterschaft über den 29. Titel des Strafgesetzbuchentwurfs und das ganze Protokoll der 29. Sitzung musste von dem Herrn Landtagskommissarius infolge erhaltener Instruktion höherer Einsicht und Genehmigung vorgelegt werden." *) Die politischen Tagesfragen, S. 15. 2 ) D e la Prusse. S. 221. ') Die politischen Tagesfragen, S. 17 und 20.
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von Petitionen veranstaltet wurden und erklärt das Recht zur Abhaltung solcher Versammlungen als das Minimum, das die Staatsregierung gewähren müsse. Vor allem aber hielt sich die Regierung nicht an die beiden im Gesetz von 1823 den Provinzialständen gemachten Zugeständnisse, in Kommunalangelegenheiten der Provinz beschließen und bei allen Gesetzen, welche Person, Eigentum und Steuern angingen, soweit sie die Provinz betrafen, mitberaten zu dürfen. Am klarsten finden wir die Beschwerden über diesen Punkt, die auch bei Venedey, Hansemann und in der Schrift „De Ia Prusse" vorgebracht werden, in der Adresse des rheinischen Landtags von 1837 ausgesprochen. Hier heißt es, daß man sich nicht auf eine Untersuchung einlassen wolle, ob durch das Gesetz von 1823 die Versprechungen des Art. 13 der Bundesverfassung erfüllt worden seien; die Provinzialvertretung sei als nützlich anerkannt worden, und man habe mit der Zeit eine Ausdehnung der konstitutionellen Rechte erwartet. „Aber eine Verminderung dieser Rechte hielt man nicht für möglich, und dennoch hat nicht eine Ausdehnung, sondern eine Verminderung stattgefunden." Es werden dann eine Reihe von Gesetzen angeführt, die entgegen den Bestimmungen des Gesetzes von 1823 den Ständen nicht zur Beratung vorgelegt worden waren, so das Gesetz über die Fideikommisse im Großherzogtum Berg 1828, über die Vormundschaft 1834, über die autonome Sukzession des Adels 1837, über die Aufhebung der Zivilehe; bei letzterem durften sie .nur über die Art der Ausführung des Gesetzes, nicht über das Gesetz selbst beraten. 2 ) Nach Hansemann wurden die Stände auch sehr oft nicht zur Beratung bei Steuersachen zugezogen. Daß die Regierung tatsächlich die Stände nicht immer in Steuersachen zur Beratung zuzuziehen gedachte, geht aus einem rheinischen Landtagsabschied hervor, in dem sie von der Absicht spricht, bei Steuerveränderungen „die Stimme der Provinzen jederzeit insoweit zu vernehmen und zu beachten, als sie dies mit den allgemeinen Interessen des Landes verträglich halte". 3 ) Scharf wird in Die politischen Taseesfragen, S. 2 0 ) De la Prusse, 298/99. 3 ) Beckerath, Die neuesten Landtagsabschiede, Kölnische Ztg. 1846, Nr. 28. 2
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der Adresse von 1837 hervorgehoben, was auch Hansemann, Venedey und der Verfasser von „De la Prusse" besonders m i ß b i l l i g e n , d a ß den rheinischen Landtagen noch kein einziges vollständiges Provinzialbudget zur Beschlußnahme vorgelegt worden sei, keine Rechnung über die Verwendung der Provinzialgelder. Die Stände hätten bisher kaum über etwas anderes zu beraten gehabt als über das Irrenhaus in Siegburg und das Arbeitshaus in Brauweiler. Venedey charakterisiert das Mißliche dieser Sachlage, indem er sagt, „daß freilich manches durch die Stände zur Entscheidung kommt, daß aber gerade das, dessen Entscheidung sie befördern, durch die gewöhnlichen Provinzialbehörden und eine Kommission von etlichen Sachverständigen viel einfacher und viel schneller verhandelt werden könnte; wogegen gerade das, was der Beratung von Volksvertretern würdig ist, ohne Entscheidung bleibt und durch eine sanfte königliche Floskel beiseite geschoben wird." 2) b) Die Kreisstände und Stadtverordnetenversammlungen. Neben diesen durch das Oesetz von 1823 geschaffenen Provinziallandtagen bestanden in Preußen noch andere Institutionen, die dem Volk eine Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen sollten; es waren die Kreisstände und die Stadtverordnetenversammlungen. Über die Beurteilung der Kreisstände durch die rheinischen Politiker kann man sich kurz fassen, da ja die Kreisordnungen der Jahre 1827 und 28, aus demselben Geist geboren wie das Gesetz über die Provinzialstände, auch dieselben Gesichtspunkte zur Kritik lieferten. Auch hier wird die Zusammensetzung als ungerecht beklagt, da Rittergutsbesitzer, städtische Deputierte, die meist als Magistratspersonen Organe der Staatsgewalt waren und Deputierte des bäuerlichen Standes, d. h. meist Schulzen und Richter, die das zum Landstand nötige Grundeigentum besaßen, die Vertreter waren. Also auch diese Versammlung stellte nicht eine wahre Vertretung des Volkes dar; denn nur die Besitzenden und die Beamten waren die Erwählten. Bei Venedey, Preußen u. Preußentum, S. 164. (also noch im Jahre 1842). 2 ) Preußen und Preußentum, S. 165.
De la Prusse, S. 298
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der Stimmverteilung war der ritterliche Großgrundbesitz dermaßen bevorzugt, daß Brüggemann die Vertretung der anderen Stände in den meisten Kreisen für rein nominell erklärt. 1 ) In der Schrift „De la Prusse" werden außer der gänzlich ungerechten Zusammensetzung der Kreisstände auch ihre geringen Befugnisse und ihre Rechtlosigkeit bedauert. 2 ) Alle Kreistagsbeschlüsse bedurften zu ihrer Ausführung der Bestätigung von Seiten der Regierung. Venedey will in der Kreisordnung f ü r die Rheinprovinz noch besondere Sicherheitsmittel zur Verhütung einer Opposition entdecken, „da die Rheinprovinz noch lange nicht auf der Stufe des echten preußischen Gehorsams, der demütig christlichen Untertänigkeit angelangt war." Er sieht diese Sicherheitsmittel darin, daß anstelle der Wahl auf Lebenszeit, wie sie in den alten Provinzen stattfand, 6 jährige Wahl angeordnet wurde, und daß bei den Wahlen die Behörden, „die meist schon weit besser in das Geheimnis des preußischen Staats, des passiven Gehorsams, eingeweiht sind", stark herangezogen wurden. Durch alle diese Bestimmungen sind nach seiner Meinung die Vorzüge der Kreisversammlungen, die er an sich f ü r ein sehr nützliches Institut hält, wieder aufgehoben. 3 ) Aus einer Vertretung der Bedürfnisse der Bauern wurden sie „einseitig zu einem Mittel, die Bauern durch die Beamten des Staates, die Landräte an der Spitze, nach Lust, Laune und Willkür hof- und schulmeistern zu können." 4 ) Über die preußischen Stadtparlamente haben sich namentlich Venedey und der Verfasser von „De la Prusse" eingehend geäußert. Beide stimmen fast völlig überein; beide stellen sich ganz und gar auf den Standpunkt der Steinschen Städteordnung von 1808 und betrachten die Bestimmungen der revidierten Städteordnung von 1831 als eine wesentliche Verschlechterung. Eine solche erblicken sie vor allem in der Anknüpfung der Wählbarkeit an einen bestimmten und ziemlich hohen Zensus, welchen die Städteordnung von 1808 nicht kannte. 3 ) Wir wissen, daß in dieser Beziehung 2
) •) 4 ) 5 )
Preußens Beruf in der deutschen Staatsentwicklung, S. 68. De la Prusse, 228 ff. Preußen und Preußentum, S. 169. Vorwärts und rückwärts in Preußen, S. 77. Preußen und Preußentum, S. 180.
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Hansemann und mit ihm wohl überhaupt die Liberalen einen anderen Standpunkt vertraten,; ihrer Meinung nach war ein gewißer Zensus berechtigt. Als ein Rückschritt wurde auch die Zulassung der Wahl nach Klassen angesehen, ein Modus, der 1808 abgeschafft worden war. Venedey erblickt darin nur die Absicht, die Eintracht und Selbständigkeit der Bürgergemeinden zu v e r n i c h t e n . W i e bei den Kreisständen ist ihm und dem Verfasser von „De la Prusse" auch in der städtischen Vertretung der Einfluß und die Macht der Regierung zu groß. Daher verwarfen sie es, daß der König bei fortwährender Vernachlässigung oder bei Parteiungen in der Stadtverordnetenversammlung dieselbe auflösen, die Bildung einer neuen verordnen und die Schuldigen auf eine gewisse Zeit oder für immer ausschließen konnte, daß der König sich vorbehielt, den Gemeinden, die sich einer ganz besonderen Pflichtverletzung schuldig machten, die in der Städteordnung verliehene Verfassung zu entziehen, daß die Stadt alles dasjenige, was nach den Festsetzungen der Staatsbehörden erforderlich ist, ohne weiteres zu leisten hatte. 2 ) Bürgermeister und Magistrat sahen sie als Organe der Regierung an, die vollkommen unter dem Einfluß derselben standen. Aus diesem Grunde beargwöhnten sie es, daß dem Bürgermeister die Befugnis zustand, Beschlüsse des Magistrats, die er f ü r gesetzwidrig oder gemeinschädlich hielt, auf seine eigene Verantwortlichkeit zu suspendieren; ebenso mißbilligten sie die Bestimmung, daß der Magistrat an das Gutachten der Stadtverordnetenversammlung in Angelegenheiten, in welchen es auf Erfüllung von Pflichten gegen den Staat, gegen Institute und Privatpersonen ankam und wobei örtliche Verhältnisse Einfluß hatten, nicht gebunden war. 3 ) In einem Artikel der Rheinischen Zeitung von 1842 wird noch auf einen anderen Punkt zu weitgehender Bevormundung von Seiten des Staates aufmerksam gemacht, indem auf den § 121 der revidierten Städteordnung hingewiesen wird, durch welchen die Einführung von Gemeindeauflagen von der Genehmigung der vorgesetzten Staatsbehörde ab1 2
) Preußen und Preußentum, S. 182. ) Preußen und Preußentum, S. 174 und 176. De la Prusse, S. 231. ) Preußen und Preußentum, S. 176/77.
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hängig gemacht wurde. Diese Meinung, daß die G e f a h r einer Einmischung des Staates in die Kommunalangelegenheiten zu groß g e w o r d e n u n d daß eine möglichste Beschränk u n g nötig sei, teilten die Liberalen mit den Radikalen; n u r verlangten diese ein größeres Maß von Beschränkung als jene.
3. Verhalten der Krone und des Volkes in der Verfassungsfrage. W e n n wir zusammenfassen, was die rheinischen Abgeordneten über die preußischen Verfassungszustände bis zum Jahre 1847 dachten, so können wir den Standpunkt der Linken mit den W o r t e n charakterisieren, die Otto W e s e n d o n k im F r a n k f u r t e r Parlament s p r a c h : „Für mich u n d meine Partei existiert ein Rechtsboden noch n i c h t ; er hat in Preußen f ü r uns auch f r ü h e r nicht existiert. Auch das Gesetz vom 22. Mai 1815, auch die Gesetze von den Jahren 1819, 1816 u n d 23, auf welche man sich f r ü h e r h i n so viel berufen hat, stellen in Preußen den Rechtsboden nicht dar. Es blieb das absolute System in Preußen das herrschende, u n d die Krone konnte, wie sie etwas gegeben, es auch wieder zurückziehen." -) Die Liberalen glaubten ebenfalls nicht, daß das absolute System durch diese Gesetze gebrochen sei; aber sie hofften, es auf dieser G r u n d l a g e brechen zu könnefi, sie wollten auf derselben weiterbauen. Sie erkannten gewisse konstitutionelle T e n d e n z e n in Preußen, sie schätzten einzelne freiheitliche Institutionen, wie z. B. die Landwehr, und, wenn ihnen auch die zahlreichen Einrichtungen, die der konstitutionellen Tendenz widersprachen, nicht verborgen blieben, so war doch in ihnen die H o f f n u n g lebendig, daß sich der Staat immer m e h r auf die neuen Kräfte stützen werde. Vor allem bestand zwischen ihnen u n d der Linken ein g r u n d l e g e n d e r Unterschied. Die Liberalen glaubten an den guten Willen der K r o n e ; sie sahen, wie es H a n s e m a n n in den „Politischen Tagesfragen" mehrfach ausspricht, in dem König den Anreger u n d Spender aller fortschrittlichen G a b e n . Das Volk erschien ihnen bis zu den 4 0 e r Jahren „politisch u n m ü n d i g " ; sie vermuteten in ihm nicht den g e n ü g e n d e n Willen, noch 2
Die Reform der rheinischen Gemeindeordnung, 1. XII. 1842 ) Sten. Ber VI, 4433.
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die genügende Reife für eine Konstitution. Die lebhafte Bewegung, die sich in den 40 er Jahren im Volke zeigte, würdigten sie zwar; aber dennoch führten sie alle Neuerungen einzig und allein auf den freien und guten Willen der Krone zurück. Die Linke dagegen schob die Schuld an der ganzen Misère der Krone zu, sie glaubte und erwartete von ihr nie irgendwelche wahrhaft konstitutionelle Gesinnung. In seiner Schrift „Preußen und Preußentum" sagt Jacob Venedey, die Herrscher Preußens hätten nie eine wahre, wirksame Vertretung des Volkes gewollt. Schon 1815 war nach seiner Meinung nicht an eine wirkliche Volksvertretung, sondern nur an eine Provinzenvertretung gedacht. Auch diese Provinzialvertretung habe nur ein Scheinrecht gehabt. Alle anderen Versprechungen und Verordnungen scheinen ihm nur auf Täuschung berechnet, so auch die Kabinettsorder von 1820, die für die Regulierung der Staatsschulden den Beirat der Stände versprach. Bereits 1822 habe sich gezeigt, daß die Seehandlung die Zuziehung der Reichsstände unnötig mache, und daß sie ebensogut, wie früher der Staat selbst, Staatsschulden kontrahieren k ö n n e . V e n e d e y und seine Parteigenossen sahen alle fortschrittlichen Regungen nur im Volk, und von diesem allein erwarteten sie alles Heil. Ihr Urteil war ebenso einseitig und ausschließlich wie das der Liberalen. Wenn diese in vielem die Schuld auf die politische Unmündigkeit des Volkes vor den 40 er Jahren schoben, so berücksichtigten sie nicht, daß bei den damaligen Zensur- und Preßverhältnissen die politische Bildung kaum anders sein konnte. Wenn sie die Krone als den Urquell aller guten, fortschrittlichen Gaben ansahen, so betrachteten sie dabei wohl die teilweise Unfreiwilligkeit der Gaben allzu wenig; sie unterschätzten den starken Druck, den die Zeitverhältnisse und die Bewegung im Volk auf die Krone ausgeübt hatten. Dagegen übersah die Linke die Schuld gänzlich, die das Volk an den Verhältnissen trug, indem es allzu lange geduldig und teilnahmslos zugeschaut und sich mit einer sehr bescheidenen Rolle begnügt hatte. Sie beging ferner den Fehler, daß sie durchaus nicht das Opfer ermaß, welches die Preußen und Preußentum, S. 160 - 6 2 .
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Krone bringen mußte, daß sie sich gar nicht in die Lage der Krone versetzte, während die Liberalen das sehr wohl verstanden. In dieser Frage wie in allen anderen zeigt sich in ihrer Betrachtungsweise der preußischen Zustände derjenige wesentliche Unterschied, den Ludwig Simon einmal im Parlament so richtig mit den Worten charakterisiert: „Wir sind von Anfang an von zwei wesentlich verschiedenen Gesichtspunkten ausgegangen, die einen von dem Gesichtspunkt des Vertrauens, die andern von dem des Mißtrauens." l )
B. 1847 und 1848. 1. Das Patent vom 3. Februar 1847 und der Vereinigte Landtag. a) Der Kampf um die Wahrung und um die Erweiterung der alten Rechte. Mit dem Patent vom 3. Februar 1847 setzt die letzte Phase des großen Kampfes um die Verfassung in Preußen e i n ; gewiß brachte dieses Patent manche Zugeständnisse und eröffnete neue Bahnen, aber das, was es gewährte, blieb weit hinter dem Geforderten zurück „und in den Basen der 1823 begründeten ständischen Verfassung Preußens wurde durchaus nichts geändert" 2) Auch zu diesem Schritt der Regierung nahmen die Rheinländer Stellung, auch hier traten sie bald mit ihrer Kritik auf den Plan. Ihre Stellung resultiert ganz klar aus ihren vorher erörterten Meinungen über das Gesetz von 1823. Demgemäß mußten ja die Radikalen dieses Patent ablehnen, das wieder nur halbe Rechte brachte; sie mußten den Vereinigten Landtag ablehnen, der aus jenen Provinziallandtagen hervorging, welche sie als durchaus mangelhafte und nichtige Vertretungen ansahen. Für Karl Heinzen ist dieses Patent, das ohne Befragung des Volkes erlassen worden ist, „plötzlich, wie es einem einfällt, eine Pfeife anzuzünden oder eine Promenade zu machen", 3 ) ein so elendes Machwerk, daß es für ihn nur den einen Wert hat, zu beweisen, wie sich die Zustände in Preußen entwickeln würden, wenn man sich auf die Krone verließe. Etwas milder als die Mehrzahl der Sten. Ber. IX, 6556. ) Mevissen, „Die Stände in Preußen", Hansen II, 208. 3 ) „Das Patent". In „Teutsche Revolution", S. 460. 2
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Krone bringen mußte, daß sie sich gar nicht in die Lage der Krone versetzte, während die Liberalen das sehr wohl verstanden. In dieser Frage wie in allen anderen zeigt sich in ihrer Betrachtungsweise der preußischen Zustände derjenige wesentliche Unterschied, den Ludwig Simon einmal im Parlament so richtig mit den Worten charakterisiert: „Wir sind von Anfang an von zwei wesentlich verschiedenen Gesichtspunkten ausgegangen, die einen von dem Gesichtspunkt des Vertrauens, die andern von dem des Mißtrauens." l )
B. 1847 und 1848. 1. Das Patent vom 3. Februar 1847 und der Vereinigte Landtag. a) Der Kampf um die Wahrung und um die Erweiterung der alten Rechte. Mit dem Patent vom 3. Februar 1847 setzt die letzte Phase des großen Kampfes um die Verfassung in Preußen e i n ; gewiß brachte dieses Patent manche Zugeständnisse und eröffnete neue Bahnen, aber das, was es gewährte, blieb weit hinter dem Geforderten zurück „und in den Basen der 1823 begründeten ständischen Verfassung Preußens wurde durchaus nichts geändert" 2) Auch zu diesem Schritt der Regierung nahmen die Rheinländer Stellung, auch hier traten sie bald mit ihrer Kritik auf den Plan. Ihre Stellung resultiert ganz klar aus ihren vorher erörterten Meinungen über das Gesetz von 1823. Demgemäß mußten ja die Radikalen dieses Patent ablehnen, das wieder nur halbe Rechte brachte; sie mußten den Vereinigten Landtag ablehnen, der aus jenen Provinziallandtagen hervorging, welche sie als durchaus mangelhafte und nichtige Vertretungen ansahen. Für Karl Heinzen ist dieses Patent, das ohne Befragung des Volkes erlassen worden ist, „plötzlich, wie es einem einfällt, eine Pfeife anzuzünden oder eine Promenade zu machen", 3 ) ein so elendes Machwerk, daß es für ihn nur den einen Wert hat, zu beweisen, wie sich die Zustände in Preußen entwickeln würden, wenn man sich auf die Krone verließe. Etwas milder als die Mehrzahl der Sten. Ber. IX, 6556. ) Mevissen, „Die Stände in Preußen", Hansen II, 208. 3 ) „Das Patent". In „Teutsche Revolution", S. 460. 2
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Radikalen berurteilt Venedey das Patent; bei aller „Beschneidung des guten alten R e c h t s " e r k e n n t er doch einen gewissen Fortschritt an, und auch dem Vereinigten Landtag läßt er eine gerechtere Würdigung zu teil werden als die übrigen Radikalen. Die Liberalen begrüßten das Patent im allgemeinen als ein wichtiges, hoffnungsvolles Ereignis, wie es der gehobene Ton in Mevissens ersten Artikeln über den Vereinigten Landtag bezeugt. Geteilt waren die Meinungen unter ihnen nur darüber, wie man sich in der Sache selbst verhalten solle. Hansemann war zuerst für eine Inkompetenzerklärung; Beckerath erklärte sich für die Annahme, wollte jedoch dem König gegenüber die Erwartung auf weitere Zugeständnisse nur in sehr schonender Form ausgesprochen wissen, während die meisten sich nur auf den B o den des Patents stellten, in der Hoffnung, das hier Gegebene als Basis benützen zu können, um mit Bestimmtheit Rechtsverwahrung einzulegen und erweiterte Forderungen zu stellen. Auf dem Glauben, daß es ihnen gelingen werde, durch eine Rechtsverwahrung diejenigen Rechte zu erlangen, die ihnen ihrer Meinung nach gemäß den früheren Gesetzen nicht vorzuenthalten waren, beruhte ihre anfänglich freudige Stimmung. Die Empfindungen, die Camphausen damals in einem Brief ausspricht, werden wohl die der meisten rheinischen Liberalen gewesen sein; es heißt hier: „Als ich die preußische Konstitution las, war allerdings mein erstes G e f ü h l : Wie ist es möglich, mit diesem verklausulierten Geschenke etwas zu machen ? Mein zweiter w a r : Es wird schon g e h e n . " 2 ) Bei der Beurteilung des Februarpatents tritt die Periodizitäts- und die Kompetenzfrage in den Vordergrund ; Urteile, Pläne und Wünsche über die Zusammensetzung des Vereinigten Landtags treten zurück; sie hängen ja naturgemäß mit den Wünschen der Rheinländer über die Zusammensetzung der Provinziallandtage zusammen. Alle Liberalen stimmten überein in dem Bedauern, daß hinsichtlich der Kompetenzen die Versprechungen der Gesetze von 1820 und 23 nicht gehalten worden seien. In seinem Artikel „Die Kompetenz des Vereinigten Landtags" meint Mevissen, daß die 1 2
) »Vorwärts und rückwärts in Preußen", S. 147. ) Brief vom 9. II. 1847. Caspary, Ludolf Camphausen, S. 116.
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formelle Rechtsbeständigkeit gewahrt sei, indem gemäß den früheren Gesetzen eine Repräsentation des Volkes, zwar nicht aus Wahl, sondern aus der Vereinigung der Provinzialstände, gebildet worden sei. Dagegen sei die materielle Rechtssphäre, die durch die früheren Gesetze den Reichsständen verheißen worden war, nicht v e r w i r k l i c h t . Z u beweisen, inwiefern diese Rechtssphäre nicht verwirklicht worden sei, war sein und seiner Parteigenossen eifrigstes Bemühen auf dem Vereinigten Landtag. Am meisten vermißten sie alle die Gewährung der Periodizität, welche sie nach der Verordnung von 1820 als Recht beanspruchen zu dürfen glaubten. Ohne dieselbe schien ihnen ein gesicherter Rechtszustand nicht möglich zu sein, weil dann die Versammlung „ein Kind des Zufalls" 2) bliebe und weil „nicht ohne Gefahr für den Staat die Vorstellung genährt werden dürfe, man rufe und brauche die Stände nur in Zeiten des Geldbedürfnisses." 3 ) Erfüllte sie schon dieses schwankende Fundament des Landtags mit lebhafter Besorgnis, so mußte es sie noch mehr beunruhigen, daß ineben dem Vereinigten Landtag die Vereinigten Ausschüsse und die Staatsschuldendeputation stehen sollten und ein kompliziertes System von Berechtigungen geschaffen wurde, das der einheitlichen Gestaltung des Verfassungswerkes hinderlich sein, zu Eifersüchteleien und zur Schwächung der Stände wie der Regierung führen würde. 4 ) Gemäß der Verordnung von 1815 forderten sie es als Recht, bei allgemeinen Gesetzen stets gehört zu werden; sie wollten nicht, wie das Patent bestimmte, hie und da zur Beratung zugezogen werden und meist hinter den Vereinigten Ausschüssen, einem altständischen Residuum, zurückstehen. Ebenso lehnten sie es ab, das ihnen durch das Gesetz von 1820 eingeräumte Recht der Mitgarantie bei Aufnahme von Anleihen mit der Staatsschuldendeputation zu teilen; sie verlangten dieses Recht für „jedes neue Darlehn, nicht nur f ü r Anleihen, für welche das gesamte Vermögen des Staates zur Mevissen, »Die Kompetenz des Vereinigten Landtags 1847". Hansen, II, 228/29. 2 ) Mevissens Rede. S. der 1. Vereinigte Landtag, II, 43. 3 ) Camphausen, Antrag auf Periodizität. S. der 1. Vereinigte- Landtag in Berlin 1847, I, 624. 4 ) Vgl. Camphausens Rede. Ebenda II, 24.
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Sicherheit bestellt wird oder welche zu Friedenszwecken dienen." Gerade die Übertragung des Mitgarantierechts f ü r Kriegsanleihen an die Staatsschuldendeputation bildete einen Punkt heftigster Opposition. Die Liberalen sahen darin die schwächliche und entwürdigende Voraussetzung, „daß ein Land wie Preußen jemals so unglücklich sein könnte, nicht einen ständischen Beirat beisammen zu haben, um Anleihen zu kontrahieren"; 2 ) die Radikalen erblickten darin die Gefahr, daß die äußere Politik Preußens nur eine Hofpolitik sein würde. 3 ) Nicht ganz einverstanden waren die rheinischen Politiker mit den Bestimmungen über die Steuerbewilligung; sie wünschten das Recht der Zustimmung zu allen Steuern, auch zu den im Paragraphen 9 des Patents ausgeschlossenen Eingangs-, Durchgangs- und Ausgangszöllen, sowie denjenigen indirekten Steuern, deren Sätze auf Übereinkommen mit anderen Staaten beruhten. Ebenso wie diesen Paragraphen hielten sie auch den folgenden, welcher im Kriegsfall außerordentliche Steuern ohne Zustimmung des Vereinigten Landtags auszuschreiben erlaubte, f ü r unvereinbar mit der Verordnung vom 22. Mai 1815. Sie traten ferner für das Recht des Vereinigten Landtags auf Feststellung des Hauptfinanzetats und Kontrolle des Staatshaushaltes ein und zwar deshalb, weil sie es für eine Notwendigkeit hielten, daß die Stände eine ihren Ansichten widersprechende Finanzverwaltung hindern könnten und weil der Regierung durch Erleichterung .ihrer Verantwortlichkeit eine bedeutende moralische Stärkung erwuchs. 4 ) Als einen der größten Fehler des Patents betrachteten sie es endlich, daß das Petitionsrecht, „das Minimum aller ständischen Rechte, das, als im Jahre 1815 auf dem Wiener Kongreß sämtlichen deutschen Staaten eine ständische Verfassung zugesichert worden, als von einer jeden ständischen Verfassung unzertrennlich gedacht und in offiziellen Erklärungen anerkannt worden ist", 6 ) *) 2 ) 3 ) 4 ) 5 ) Hansen
Adressentwurf Beckeraths. S. der 1. Vereinigte Landtag, II, 13. Hansemanns Rede. Ebenda III, 1383. Venedey, Vorwärts und rückwärts in Preußen. S. 135. Hansemanns Rede. S. der 1. Vereinigte Landtag, II, 2245/46. Mevissen, „Die Kompetenz des Vereinigten Landtags 1847", II, 240.
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noch immer nicht ganz unbeschränkt gewährt worden war. Auf frühere Perioden der rheinischen Geschichte zurückgehend, bewiesen sie, wie alt eingebürgert dieses Recht bei ihnen sei, wie schon ein Vertrag des Großen Kurfürsten mit den kleveschen Landen eine Verwahrung desselben enthalte. Sie verlangten das Petitionsrecht in vollem Umfange, nicht nur f ü r innere, sondern auch für äußere Angelegenheiten. Wie notwendig diese Forderung war, drängte sich ihnen von neuem mit aller Macht auf, als auf dem Vereinigten Landtag die von Beckerath und anderen eingereichten Petitionen wegen Aufrechterhaltung der nationalen Selbständigkeit Schleswig-Holsteins, also eine Angelegenheit, die nach ihrer Meinung mit Deutschlands und Preußens Interesse in innigem Zusammenhang stand, als unzulässig abgewiesen wurden. In der festen Überzeugung, daß aus einer lebhaften Berührung zwischen der Regierung und der Nation nur Gutes erwachsen könne, strebten sie nach Beseitigung der Bestimmung, die eine Verbindung der Abgeordneten mit ihren Kommittenten untersagte. Mit Bedauern wurde darauf hingewiesen, daß Beratungen von Kommunalvertretern über ihre an die Deputierten zu richtenden Wünsche f ü r unstatthaft erklärt worden waren. 2 ) Unter allen auf dem Vereinigten Landtag gestellten Anträgen betreffs Abänderung dieser Zustände ging derjenige Hansemanns am weitesten, indem er es um der Gerechtigkeit willen für nötig erklärte, daß allen Klassen erlaubt würde, sich mit Petitionen an die Stände zu wenden, damit diejenigen, welche nicht vertreten seien, wenigstens ihre Wünsche äußern könnten. 3 ) Vor allem war es eine Bestimmung, die das in dem Patent gewährte Petitionsrecht stark beeinträchtigte; wenn nämlich Bitten und Beschwerden nur dann zur Kenntnis des Königs gebracht werden sollten, sobald sich in jeder der beiden Versammlungen (der Herrenkurie und der Dreiständekurie) 2 / 3 der Stimmen dafür entschieden hatten, so war damit einer kleinen Minderheit große Macht in die Hand gegeben. „Es ge-
Stedmanns Rede. S. der 1. Vereinigte Landtag, III, 847. ) v. d. Heydt, S. der 1. vereinigte Landtag, III, 836. 3 ) Der 1. vereinigte Landtag III, 840. 2
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nügten also 24 .Herren', um durch ihr Veto den Anträgen der 2. Kammer das Ohr der Krone zu schließen." W a s die Zusammensetzung des Vereinigten Landtags anbelangt, so erregte natürlich die neueingerichtete Herrenkurie das lebhafteste Interesse. Für die Radikalen, die Anhänger des Einkammersystems und fanatischen Adelshasser, war ein solches Institut selbstverständlich ein Unding, und wenn sie sich überhaupt auf eine Erörterung darüber einließen, wie z. B. Venedey, so taten sie es nur, um es mit Spott und Hohn zu überschütten. In den Augen der Liberalen dagegen hatte ja eine erste Kammer ihre volle Berechtigung; aber mit der im Februarpatent geschaffenen waren auch sie nicht einverstanden. Mevissen bedauert es, daß nicht die Intelligenz aus dem Beamten- und Gelehrtenstande, die Vertreter von Universitäten herangezogen worden seien, und daß die Herrenkurie nur solche Mitglieder- habe, die sich im Besitz persönlicher, dem Bewußtsein der Rechtsgleichheit aller widersprechender Privilegien und Rechte befänden. Er macht auf die schlimmen Konsequenzen aufmerksam, die daraus entstehen könnten, wenn diese Herren nur auf ihre Sonderrechte bedacht sein würden. 2 ) Eben diesen Punkt greift auch Venedey auf, und er weist nach, daß im ganzen Landtag zum größten Teil nur die Rechte des Adels gewahrt werden würden, wenn nach des Königs Worten die Stände nur Vertreter ihrer eigenen Rechte wären. Nach seiner Berechnung kommen nämlich auf die ungefähr 600 Abgeordneten des Vereinigten Landtags 70 Herren, 231 Ritter und dazu noch die adligen Vertreter vom Stande der Landgemeinden. 8 ) In seinem ja nach der T a g u n g des Vereinigten Landtags erschienenen Buch „Vorwärts und rückwärts in Preußen" zeigt er, wie der üble Einfluß der Herrenkurie sich bereits erwiesen habe, z. B. beim Bescholtenheitsgesetz, beim Judengesetz, bei dem Antrag auf Aufhebung der Vereinigten Ausschüsse. „Wir haben gesehen, daß diese Herren kein Herz fürs Volk haben; wir sehen, wie sie über der Korn- und Kartoffelbrennerei den eigenen Herrenstand, den Staat und 1
) Venedey, „Vorwärts und rückwärts in Preußen". S. 180. ) »Der Herrenstand". Hansen II, 227. ) »Vorwärts und rückwärts in Preußen". S. 2 4 2 / 4 3 .
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N a t h a n , Preussisehe Verfassung.
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das Volk vergessen; wir sehen, wie sie stets in Massen gegen die Rechte des Volks und der Stände stimmten." 1 ) Einer der größten Fehler der ganzen Institution lag nun aber nach Meinung der rheinischen Politiker darin, daß sie ganz abhängig von der Krone war, welche den Herrenstand nach ihrem Belieben organisieren und verstärken konnte. Dadurch war er in eine bedeutungslose Stellung herabgedrückt, in der er nach Mevissens Ansicht nicht mehr fähig war, seine eigentliche Aufgabe, vermittelnd, mäßigend, retardierend zu wirken, im wahren Sinne zu erfüllen. Wenn die rheinischen Politiker bei der Zusammensetzung der Herrenkurie eine Vertretung von Sonderinteressen befürchteten, so schien ihnen eine solche Gefahr ebenfalls durch die Bestimmung der itio in partes gegeben zu sein. Mit aller Energie trat Beckerath f ü r Aufhebung dieses Paragraphen des Patents ein, der den Einheitsidealen der rheinischen Liberalen aufs schroffste widersprach. Die anfangs so hoffnungsvolle Stimmung der rheinischen Liberalen war bald verflogen. Die erste Enttäuschung, den ersten schweren Schlag hatte die Thronrede gebracht; welchen Eindruck sie auf die rheinischen Liberalen machte, läßt sich aus einem Briefe Beckeraths ersehen, der folgenden Passus enthält: „Soll ich jetzt aussprechen, was mir als Inbegriff der Rede erschien, so könnte ich sie nur eine Verteidigung des preußischen Absolutismus nennen, verbunden mit der nachdrücklich gegebenen Erklärung, daß derselbe in unserem Vaterland dauernd fortbestehen soll . . . . Wie sich aber auch die Sache wenden möge, den Absolutismus unterschreibe ich nicht; ich werde als Untertan auch einem absoluten Monarchen, soweit mein Gewissen es zuläßt, Gehorsam leisten, aber als Vertreter des Volks würde ich die mir anvertrauten Interessen und meine eigene Überzeugung verraten, wenn ich schwiege, wo klar in den Gesetzen begründete Volksrechte, die das Vaterland als eine Bürgschaft seiner Zukunft betrachtet, als nicht bestehend angesehen werden." 2) Durch die Thronrede, durch die Reden der Regierungskommissare mußte den Rheinländern wieder die Divergenz *7s. 463. J
) Brief Beckeraths an seinen Bruder 1847.
Kopstadt, S. 29.
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zwischen ihren Ansichten und denjenigen der Regierung klar werden. Der König wollte „keine Charte, keine periodischen F i e b e r " , i h m waren moderne Konstitutionen mit ihren rechtlichen Garantien und dem Mitregieren der Stände verhaßt, er und seine Anhänger sahen in allen solchen Gewährungen eine Schwächung der Krone. Die rheinischen Liberalen drangen auf Sicherung der Volksrechte, sie sahen in der Anteilnahme der Bürger am staatlichen Leben etwas Notwendiges und durchaus Nützliches; aber sie erblickten in diesen Rechten durchaus nicht eine Gefährdung des monarchischen Prinzips, sie wollten eine starke, aber konstitutionelle Monarchie. Im Laufe der Verhandlungen offenbarte es sich immer mehr, daß eine Einigung mit der Regierung nicht möglich sei, daß sich zwei Faktoren nicht verständigen konnten, von denen der eine im Februarpatent gewissermaßen einen Abschluß, der andere nur eine Stufe in der Entwicklung der ständischen Gesetzgebung sah. Infolgedessen erschien den Rheinländern jetzt auch das Patent in einem ungünstigeren Lichte; Mevissen erklärt in einer Rede, daß selbst bei Gewährung aller reklamierten Rechte die Verfassung Preußens noch nicht mit der Verfassung anderer konstitutioneller Länder auf gleicher Stufe stehen würde; aber „er wolle nicht in das Gebiet der Wünsche, die durch diese Differenz begründet werden können, hinüberschweifen." 2 ) Solche Wünsche, wie z. B. die Gewährung des Beschlußrechts für alle Gesetze, stellten die Rheinländer nur zurück, weil sie es für nötig hielten, ihr ganzes Streben zunächst auf die Wahrung der alten versprochenen Rechte zu konzentrieren. Wieviel schärfer ihre Ansichten dadurch geworden waren, daß sie selbst in diesem Streben auf heftigen Widerstand stießen, beweist ein nach Schluß des Landtags geschriebener Artikel Mevissens. Hier heißt e s : „Der innere Riß zwischen Regierung und Volk, der seit Jahren in einer Reihe unvolkstümlicher Gesetze teils sich ausgeprägt, teils in den in dem Widerspruche des Volkes vor der Geburt erstickten Gesetzentwürfen sich dokumentiert hatte, fand seinen vollen historischen Ausdruck in der neuen Verfassung, und man darf wohl sagen, daß kaum *) Brief an Metternich aus dem Jahre 1844. Treitschke V, 272. 2 ) Rede aus der Adreßdebatte. S. der 1. Vereinigte Landtag, II, 43.
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je einem Volke mit größerer Offenheit, festerer Überzeugung von ihrer Güte eine mit seiner Kulturstufe im grellsten Widerspruch stehende Verfassung geboten worden ist." b) Pressfreiheit und Judenemanzipation. Diese Verfassung hatte ja, von den schon erwähnten Mängeln abgesehen, eine ihrer dringendsten Forderungen, nämlich die Aufhebung der Zensur, für die sie stets ebenso lebhaft wie für die Erweiterung der ständischen Rechte gekämpft hatten, unerfüllt gelassen. Mit seltener Einmütigkeit hatten die rheinischen Radikalen, Liberalen und Ultramontanen zusammen gestritten, um den bisherigen Zustand, den sie eines Volkes von so großer Intelligenz unwürdig hielten, zu beseitigen. Die Zensur als herrschendes Prinzip war ihnen verhaßt; denn sie war ihnen gleichbedeutend mit Willkür. Es erfüllte sie mit tiefster Erbitterung, wenn sie sahen, wie die Fülle der Gedanken, die im deutschen Volke lebte, erst der Gnade eines Zensors, der Meinung eines einzelnen preisgegeben wurde, ehe sie ans Licht treten durfte. Und vergrößert wurde diese Erbitterung noch dadurch, daß die Männer, die als Richter über die deutsche Intelligenz berufen waren, oft höchst unfähige Beamte waren, die bei Ausübung ihrer Tätigkeit manchmal wahre Heldenkunststücke vollbrachten. 2 ) Um aus der Menge von Nachrichten über äußerst seltsamei Zensurstriche wenigstens eine herauszugreifen, sei hier die Erzählung Karl Heinzens angeführt, daß ein Zensor eine Buchhändleranzeige über Dantes „Göttliche Komödie" strich, weil er „die Gottlosigkeit nicht dulden wollte, mit göttlichen Dingen Komödie zu spielen". 3 ) Die Erwägung, daß gegen Vagabunden und Strandläufer ein gesetzliches, gegen die Zeitungen aber polizeiliches Verfahren bestand, mußte natürlich eine aufreizende, verletzende Wirkung ausüben. 4 ) Man machte Front gegen einen Zustand der Rechtlosigkeit, in dem auch die allerstrengste Handhabung der Zensur, wenn sie !) Hansen II, 233. 2 ) Der Oberpräsident sagte selbst einmal zu Brüggemann: »Ja, denken Sie denn, ich könnte meine besten Regierungsräte zu Zensoren hergeben"? L. Salomon, Geschichte des deutschen Zeitungswesens. III, 361. 3 ) Die preußische Bureaukratie, S. 117. 4 ) Rheinische Zeitung, 5. I. 1843.
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der Regierung beliebte, für gesetzlich erklärt werden konnte. Man verwahrte sich gegen eine Regellosigkeit, die es ermöglichte, daß in der einen Provinz zum Druck erlaubt, was in der anderen verboten war; dabei hatte man z. B. im Auge, daß in Berliner Zeitungen die Artikel, die aus ost- und westpreußischen Zeitungen abgedruckt werden sollten, nicht die Zensur passierten. 2 ) Mit unermüdlichem Eifer wiesen die rheinischen Politiker auf die schlimmen Folgen einer solchen Zwangsherrschaft hin, auf die Demoralisation, die sie bewirkte. Jakob Venedey schildert, wie man sich an kleine halbe Lügen, an ein wenig Hinterlist, ein wenig Heuchelei, an ein wenig geistigen Meuchelmord gewöhnte, um doch noch etwas von der Wahrheit durchzubringen, und er behauptet, daß „jedes Blatt Deutschlands auf jeder Spalte sein Schock Notlügen habe." 3 ) Mit Recht konnte die Rheinische Zeitung den Vorwurf, daß es in der Presse an faktischen Wahrheiten mangle, mit der Begründung zurückweisen, daß der Deutsche seinen Staat ja nur vom Hörensagen kenne und daß man nicht zu einem Fehler der Zeitungen machen dürfe, was ein Fehler des Staates sei. 4 ) In der Tat konnten die Zeitungen infolge der strengen Zensur nichts anderes tun, als sich den ausländischen Verhältnissen zuzuwenden, spaltenlange Berichte über China, Nordamerika usw. zu bringen oder sich betreffs der heimischen Verhältnisse in Spekulationen und Übertreibungen zu ergehen, was wiederum ein starkes Mißtrauen des Publikums in die Richtigkeit der Zeitungsnachrichten zur Folge hatte. In derartigen traurigen Wirkungen der Zensur sahen die rheinischen Politiker aber nicht nur einen Schaden für das Volk, sondern auch einen Nachteil für den Geist und das Ansehen der Regierung. Die öffentliche Meinung war verfälscht, indem die Zensur danach strebte, sie so zu gängeln, daß sie dem Kurse der Staatsgewalt folgte. Dadurch aber, daß die Regierung nicht die Verbindung mit dem lebendigen Strom der öffentlichen Mein u n g suchte, daß sie der Kritik auswich, anstatt ihr Trotz 1
) ) ) 4 ) 2
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Heinzen, Die preuß. Bureaukratie, S. 115. Rheinische Zeitung, 10. VII. 1842. »Vorwärts und rückwärts in Preußen. S. 444/45. 8. I. 1843.
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zu bieten, entbehrte sie nach Ansicht der Rheinländer eins der wichtigsten Mittel zu ihrer Kräftigung und Gesundung und gab nur ein beklagenswertes Zeichen von Schwäche und Verknöcherung. V o r allem entging es den rheinischen Politikern nicht, daß die Zensur trotz aller Künste ohnmächtig blieb, daß sie auf alle Arten umgangen wurde. Unter solchen Verhältnissen konnte der von ihnen allen so beklagte Zustand eintreten, bei dem einerseits Männer wie Dahlmann sich veranlaßt fühlten, von der Betätigung in der Presse abzusehen, während andrerseits die Ausbreitung der extremsten politischen und sozialen Lehren sowie der verbotenen Bücher nicht verhindert werden konnte. x ) Zwar hatte bald nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. eine bessere Zeit für die Presse begonnen, und mit Freuden hatten die Rheinländer den Erlaß von 1841 begrüßt, der bestimmte, daß eine „eines edlen Zwecks" bewußte Kritik der staatlichen Verhältnisse und Einrichtungen in den Zeitungen zugelassen werden sollte. Aber die Freude war nur kurz; die kräftige Regung der öffentlichen Meinung, die energische Opposition, die sich infolge dieser neuen Freiheit kundgab, erschreckte die Regierung, und so erfolgten 1843 verschärfte Zensurvorschriften. Die im Jahre 1842 entstandene Rheinische Zeitung, die mit scharfen Waffen gegen Bureaukratie und Ständewesen, gegen die Theorien der Restauration zu Felde gezogen war, mußte dem Haß der Bureaukratie weichen, die hilflos und angsterfüllt den Geist, der ihr hier entgegentrat, betrachtet hatte. 1843 wurde die Rheinische Zeitung verboten, und die Regierung setzte mit dieser Maßregel ebenso alles in Harnisch, wie es einst im Jahre 1816 durch das Verbot des Rheinischen Merkurs geschehen war. Darüber schrieb Neigebaur : „Die Suppression des Rheinischen Merkurs brachte einen sehr üblen Eindruck unter den Bewohnern der Rheinprovinz hervor, und manche im Finstern schleichende Verleumdung der Regierungspläne ward dadurch bei einem großen Teile derselben akkreditiert, und seit dieser Zeit verlor der treffliche Geist in der Rheinprovinz, den der edle Generalgouverneur geweckt hatte, bedeu*) Aus den Anträgen Mevissens Landtag. Hansen II, 2 5 5 ff.
auf
Preßfreiheit
im
Vereinigten
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tend und s i c h t b a r . " V o n dem Publikandum über die Unterdrückung der Rheinischen Zeitung sagt Heinzen, daß es „der Totenzettel der freieren Geistesrichtung sei", und er führt den Brief eines Abonnenten, eines schlichten Landmannes an, in dem es heißt: „Bis hierhin hatte ich alle Hoffnung auf unsern K ö n i g ; aber jetzt ist alles vorbei; Zensur und doch verboten, das will mir nicht in den Kopf." 2 ) Die auswärtigen Zeitungen, welche preußische Zustände freier besprachen und von der preußischen Zensur nicht erreicht werden konnten, wurden verboten, so die Leipziger Allgemeine Zeitung, die Bremer- und die Weserzeitung. Eine scharfe Unterdrückung der öffentlichen Meinung setzte wieder ein, und es kam so weit, daß in einer Adresse des 8. Rheinischen Landtags der Zustand der Presse als ein „höchst trostloser" bezeichnet werden konnte. 3 ) Nur wenige große Zeitungen wagten es noch, einen liberaleren Ton anzuschlagen; der tägliche Kampf mit der Zensur hatte sie mürbe gemacht. Das Entstehen einer freimütigen Lokalpresse war vollends unmöglich, da die Landräte die Zensoren in den Kreisstädten waren. Wie sie z. B. in der Moselgegend eine offene Darlegung der Verhältnisse verhinderten, schildert ein Artikel der Rheinischen Zeitung. 4 ) Die Härte der Zensur wurde a b e r nicht nur von der Tagespresse, sondern von der gesamten literarischen Produktion empfunden. Daß ein Buch wie Brüggemanns „Preußens Beruf in der deutschen Staatsentwicklung", ein so ausgesprochenes Dokument preußenfreundlicher Gesinnung, ein so hoffnungsfroher Hymnus auf Preußens Zukunft, Schwierigkeiten bei der Zensur fand, scheint kaum glaublich. Als eine „höchst drückende und die Härte der Zensur noch überschreitende Maßregel" wurde die Bestimmung empfunden, daß die zensurfreien Zwanzigbogenschriften 24 Stunden vor ihrem Erscheinen der Polizei vorgelegt werden mußten, die sie beschlagnahmen konnte. 5 ) Karl Heinzen schildert, wie man in Berlin auf immer neue ) ) ) 4) 5)
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Die angewandte Cameralwissenschaft, S. 75. Die preußische Bureaukratie, S. 113 u. 121. Der 8. rheinische Landtag, S. 196/97. 20. I. 1843. Der 8. rheinische Landtag, S. 1 9 6 / 9 7 .
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Mittel zur Unterdrückung des Geistes sann. Anklagen wegen Beleidigung des verstorbenen Königs wurden üblich und erregten großes Aufsehen; Hausdurchsuchungen, Bücherverbote waren alltäglich. Man ging schließlich mit Verlagsverboten vor, verpflichtete die Buchhändler, nur von bekannten oder bestimmten Firmen Bücher zum Verkauf anzunehmen, und „die allerneuste und allergenialste Erfindung des Berliner Polizeigeistes" bestand darin, den Buchhändlern das Ehrenwort abzufordern, daß sie keine verbotenen Bücher verkauften. !) Bei solcher Lage der Dinge gewann die schon 1830 von Hansemann geäußerte Meinung, daß „in bezug auf Preußen eine ernste Diskussion über die Nützlichkeit oder Schädlichkeit der Preßfreiheit ganz überflüssig sei", 2 ) erneute und erhöhte Geltung. Immer lauter und zahlreicher wurden die Stimmen, die Preßfreiheit forderten; Beckerath berief sich auf die in der Bundesakte gegebene Zusicherung der Preßfreiheit für alle Bundesstaaten; 3 ) wiederholt gingen von den rheinischen Landtagen Petitionen um Preßfreiheit aus, und auf dem Rheinischen Landtag von 1845 erklärte sich kein Mitglied mehr für Zensur dem Prinzip nach. In seinem dem Vereinigten Landtag eingereichten Antrag begründete Mevissen die Notwendigkeit der Preßfreiheit mit der ihm eigenen Tiefe und Großzügigkeit, indem er sagte: „Die Reformation hat ihr Werk n u r halb vollendet, solange noch eine Präventivzensur dem Gedanken Fesseln anlegen, das Kind des Geistes im Mutterleibe töten darf. Glaubens- und Gedankenfreiheit sind erst dann wahrhaft vorhanden, wenn es jedem unbenommen ist, das Geglaubte und Erkannte frei zu verkünden, für seine Überzeugung Jünger zu werben und ihre Wahrheit im freien Kampfe zu e r p r o b e n . " 4 ) Der Kampf um Preßfreiheit war ja nur ein Teil des großen Kampfes um Öffentlichkeit des staatlichen Lebens, den schon der erste Vorkämpfer des rheinischen Liberalismus Fr. Benzenberg mit seiner Devise „Alles muß öffentlich sein" lution«, 2) 3) Zeitung *)
Eine Mahnung an die teutschen Liberalen". In „Teutsche RevoS. 208. Denkschrift von 1830, aaO. § 27. Die neuesten Landtagsabschiede. (Ober die Preßfreiheit). Köln. 1846, Nr. 33. Hansen II, 255 ff.
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begonnen hatte und den die rheinischen Politiker der vierziger Jahre unermüdlich fortführten. Von der Rechnung, die sie der Regierung in dieser Hinsicht auf dem Vereinigten Landtag präsentiert hatten — Öffentlichkeit der Landtagsverhandlungen, der Stadtverordnetenversammlungen, Aufhebung der Zensur —, blieb manches unbeglichen; Positives erreichten sie in diesen wie in, anderen Fällen wenig. Sie mußten sich damit begnügen, ihre Grundsätze klarzulegen und zu verfechten; das taten sie auch in einer Frage, in der sie bei der Regierung sehr wenig Entgegenkommen fanden, nämlich in der Frage der Judenemanzipation. Brüggemann weist nach, wie sich in den Diskussionen über Judenemanzipation der wahre, praktische Kern eines Prinzipienstreits zeige, wie es im Gründe ein rein politischer Streit sei um Friedrich II. und sein Landrecht oder Herrn von Haller und seine R e s t a u r a t i o n . D i e rheinischen Liberalen und Radikalen betrachteten die in Regierungskreisen gehegte Idee vom christlich-germanischen Staat als eine unhaltbare Theorie, die zu Konflikten, zum Verlust vieler für den Staat nützlicher Kräfte führe und namentlich auch für die freie Wissenschaft geradezu verderbenbringend sei. Eben weil sie die Verquickung von religiösen und staatlichen Dingen für schädlich ansahen, verlangten sie die Unabhängigkeit bürgerlicher und politischer Rechte vom religiösen Bekenntnis und traten für völlige Judenemanzipation ein. Gegen den Gesetzentwurf, den die Regierung zur Regelung der Judenfrage dem Vereinigten Landtag vorlegte, opponierten sie aber noch aus anderen Gründ e n ; als Freunde der Gleichheit, als Verehrer des Prinzips vom allgemeinen Staatsbürgertum wandten sie sich gegen die neuen Sonderungen, die dieser Gesetzentwurf plante. Ihr Bestreben war es ja, Trennungen zu beseitigen und durch Ausstattung aller mit politischen Rechten eine innigere Verbindung zwischen dem Staat und jedem seiner Glieder zu erlangen. Trotz der geringen Ergebnisse, die sie erreicht hatten, bedauerten die Liberalen nicht, daß sie auf das Patent eingegangen waren; sie würdigten „die großen moralischen RePreußens Beruf in der deutschen Staatsentwicklung, S. 104.
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sultate, die der Vereinigte Landtag für die politische Entwicklung Preußens und mehr oder weniger auch für Deutschland gehabt hatte." x ) Der G a n g der Ereignisse bewies ihnen, daß sich keine ihrer Erwartungen realisieren sollte. Ihre Stimmung wurde immer skeptischer, und Camphausen schrieb im September 1 8 4 7 : „Ich fange an zu ahnen, daß ich mit meinen mäßigenden Tendenzen in Berlin ein großer Sünder gewesen bin." »)
2. Die Verfassungskämpfe des Jahres 1848 und die oktroyierte Verfassung. In diesen traurigen Zustand des Hinschleppens, des Abwartens, des Zögerns schleuderte die Pariser Februarrevolution ihren Zündstoff hinein. In den Rheinlanden entstand eine lebhafte E r r e g u n g ; Adressen, Deputationen, Versammlungen waren an der Tagesordnung, alles, was im Jahre 1847 gefordert worden war, wurde weit überboten; demgegenüber fanden die Rheinländer das unverändert langsame, zögernde T e m p o der Regierung verfehlt und unzeitgemäß. Von der am 5. März erfolgten Gewährung der vierjährigen Periodizität an den Vereinigten Landtag sagt Hansemann, daß sie „ein merkwürdiger Beleg der Täuschung und Unkunde der Regierung über die Bedeutung der Pariser Ereignisse und den politischen Zustand des Landes gewesen s e i . " 3 ) Das Patent vom 14. März, welches Beratungen über eine Reform des deutschen Bundes auf einem Fürstenkongreß verhieß und den Vereinigten Landtag auf den 27. April berief, um bei der Ausführung der erforderlichen Maßregeln mitzuwirken, erregte überall Mißbilligung. Hansemann schreibt darüber an Mevissen: „Das Gewährte genügt nicht, es sind nur allgemeine Redensarten. Keine Zusage einer freien Verfassung, noch nichts von den freiheitstötenden Maßregeln zurückgenommen. Der Landtag auf den 27. April, der Kongreß auf den 25. März berufen, — wir sollen also keinen Einfluß haben auf den letzteren. Alles das ist das alte System der preußischen Pfiffig! ) Beckerath, Sten. Ber. VI, 4446. 2 ) Brief Camphausens an seinen Bruder Otto, Caspary, S. 143. 3 ) Das preußische und deutsche Verfassungswerk, S. 83.
— 59 — keit, was niemals klug war, jetzt aber sehr dumm i s t . " M i t dem Patent vom 18. März waren die Rheinländer im allgemeinen nicht ganz einverstanden, weil es ihnen zu wenig Positives enthielt. Der Standpunkt der Liberalen hatte sich verschob e n ; durch langes vergebliches Warten enttäuscht, hatten sie ihre Hoffnungen auf die Regierung bis auf ein Minimum reduziert; sie waren mehr in die Opposition gedrängt worden, sie urteilten schärfer und skeptischer. Aus diesem Gesichtspunkt heraus erklären sich ihre Urteile über die Revolution. Sie erkannten, wie es Beckerath im Frankfurter Parlament ausspricht, die Erhebung des Volkes in der Revolution zu Recht an, 2 ) und sie stimmten wohl alle mit ihm in der Begründung überein, die er dieser Ansicht gab, indem er sagte: „Wenn einem Volke die heiligsten Rechte verkümmert werden, wenn die Presse nicht frei ist, die persönliche Freiheit nicht geschützt wird, die Volksvertretung gar nicht oder nur unvollkommen vorhanden ist, dann hat die Bewegung, die diese unveräußerlichen Güter zu erlangen strebt, eine große Berechtigung zur Seite." 3 ) Auch in den Liberalen hatte sich jetzt die Erkenntnis durchgesetzt, die Venedey schon 1839 in seiner Schrift „Preußen und Preußentum" ausgesprochen hatte, daß in Preußen eine wahre Volksvertretung, eine Verfassung nur durch eine Revolution möglich gemacht werden könnte. 4 ) Trotzdem war ihnen der revolutionäre Weg, die revolutionären Mittel nicht angenehm, und darin unterschieden sie sich von den Radikalen, die sich im großen und ganzen darüber keinerlei Skrupel machten und nur in Tönen höchster Begeisterung von der Revolution sprachen. Den Standpunkt dieser Männer legt Ludwig Simon einmal im Frankfurter Parlament dar, indem er sagt, daß sich in Preußen keine rechtliche Entwicklung vollziehen konnte, daß ein Druck stattfinden mußte. Die Schuld an dem Blutvergießen schiebt er der Hartnäckigkeit zu, mit der man vom alten System keinen Finger breit nachgab. Er betont ausdrücklich, daß das Volk nichts geschenkt erhalten, Brief v. 16. III. 1848; H a n s e n II, 344. ) Sten. Ber. III, 1899. *) Sten. Ber. I, 416. und das bedingte Gesetzgebungsrecht der Kammern. Dazu kommt noch, daß er auch in Beziehung auf die Festsetzung der Zivilliste, auf das Steuerbewilligungsrecht, auf das Prüfungsrecht des Staatsbudgets die Verfassung nicht so freisinnig finden kann, wie sie gerühmt wird. Endlich weist er noch auf einen anderen, für die Radikalen erheblichen Fehler hin, nämlich auf die in einigen Punkten zwischen ihr und den Frankfurter Grundrechten bestehenden Differenzen. Zum Beispiel gewähre die preußische Verfassung das Petitionsrecht nur einzelnen und Korporationen, aber nicht denjenigen Vereinen, die kein Korporationsrecht besitzen; ferner sei das Recht, Volksversammlungen unter freiem Himmel zu halten, an eine vorherige Anzeige gebunden. Daß in dieser Verfassung wichtige Freiheiten, wie das Vereins- und Versammlungsrecht, Preßfreiheit, das Recht, seinem gewöhnlichen Richter nicht entzogen zu werden, gegeben sind, kann Wesendonk nicht leugnen; aber er denkt natürlich nicht daran, es anzuerkennen. Er erwähnt diese Freiheiten nur in dem Zusammenhange, daß er seiner Empörung über ihre Suspension im Falle des Kriegs oder Aufruhrs Ausdruck gibt. Nach dem ganzen Verhalten der Regierung glaubt er sich zu dem Schluß berechtigt, daß sie weder die Absicht noch den Willen gehabt hätte, eine freisinnige Verfassung zu geben; schon das allgemein desavouierte Ministerium widerspreche einem konstitutionellen System. Die Liberalen, die das Verhalten der Regierung und der Berliner Versammlung ganz anders beurteilten als die Radikalen, stellten sich auch natürlich zu der Verfassung anders. Mevissen erklärt M Sten. Ber. VI, 4 4 3 4 ff.
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sich in zwei Briefen vom 8. Dezember 1848 mit ihr zufrieden und meint, „daß sie gerechten Ansprüchen ganz entspreche". !) Auch Beckerath erkennt im Frankfurter Parlament an, daß durch diese Verfassung dem preußischen Volke „in vielen Beziehungen ganz bedeutende Bürgschaften seiner freiheit gegeben worden sind". 2 ) Trotzdem empfanden sie wohl alle „die Mängel eines Werkes, das Preußen in Eile vollenden mußte, weil es dasselbe 40 Jahre lang nicht in Angriff nehmen wollte". 3 ) Sie waren ja durchaus Gegner des ;n der Verfassung gegebenen gleichen Wahlrechts, mit dem nach ihrer Meinung Preußen garnicht bestehen konnte. 4 ) Wenn Hansemann die schweren Mängel der Verfassung darin erblickte, daß „auf der einen Seite die ultrademokratischen Begriffe und Schlagwörter aufgenommen und die staatlichen Ordnungsprinzipien außer acht gelassen worden, dagegen auf der anderen Seite als trauriges (wenn auch bei einer solchen Nichtbeachtung notwendiges) Hilfsmittel die wahren konstitutionellen Grundsätze mit Umwegen (Art. 105 und 108) beseitigt seien," 5) so stimmten wohl bezüglich des letzten Punktes die meisten rheinischen Liberalen mit ihm überein. Dagegen variierten ihre Ansichten sicherlich betreffs der zu starken Übertreibung des Freiheitsprinzips, je nachdem sie in ihrem Liberalismus mehr oder weniger entschieden waren. Für die Stellungnahme der rheinischen Klerikalen zu der oktroyierten Verfassung wurde ja der glänzende Sieg von Bedeutung, den die Katholiken bezüglich der Kirchenangelegenheiten in der Preußischen Nationalversammlung errangen. Sie setzten die Gewährung großer kirchlicher Freiheiten durch und zwar ohne die Einschränkungen, die die Frankfurter Verfassung vorsah. So kam es, daß die bewußten Artikel der Verfassung im Munde der rheinischen Klerikalen höchstes Lob fanden, daß Peter Reichensperger Art. 11 als den Scheiterhaufen des Polizeistaates bezeichnet, 6 ) während l
> Hansen II, 448. ) Sten. Ber. VI, 4446. 3 ) Hansemann, Sten. Ber. der I. Kammer IV, 2048. 4 ) Vgl. Camphausen. Ebenda II, 614. Hansemann. Ebenda III, 1143. 5 ) Das preußische und deutsche Verfassungswerk, S. 163. o) Parlamentarische Reden der Gebrüder Reichensperger, S. 2 5 0 N a t h a n , Preussische Verfassung. 5 2
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der Bonner Professor Ferdinand Walter Art. 12 den besten in der ganzen Verfassung, ja die Perle derselben nennt. Bei einer solchen Erfüllung ihrer innigsten Wünsche ist es erklärlich, daß die rheinischen Klerikalen im allgemeinen eine große Geneigtheit für diese Verfassung empfanden, und daß sie der Regierung zur Seite standen, als sie dieselbe ins Leben setzen wollte. Sten. Ber. der I. Kammer II, 999.
Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker,
Langensalza.
Lebenslauf. Am 23. August 1885 wurde ich, Helene Nathan, in Öls in Schlesien als Tochter des Kaufmanns Adolf Nathan und seiner Frau Fanny, geb. Henschel, geboren. Ich bin jüdischer .Konfession. Nachdem ich in Öls die höhere Mädchenschule absolviert hatte, besuchte ich in Breslau das Lehrerinnenseminar von Fräulein Knittel und bestand am 17. September 1904 das Examen für mittlere und höhere Mädchenschulen. Darauf widmete ich mich an der Universität Breslau dem Studium der Geschichte, der deutschen Literatur und Kunstgeschichte und besuchte die Vorlesungen der Herren Professoren Drescher, Förster, Kaufmann, Koch, Muther, Pax, Preuß, Rosen, Sarrazin, Semrau, Stern und Ziekursch. Die vorliegende Arbeit unternahm ich auf Anregung der Herren Professoren Kaufmann und Ziekursch, denen ich für die Anregung und Förderung, die sie mir zuteil werden ließen, meinen besten Dank schulde. Zu besonderem Dank fühle ich mich Herrn Professor Ziekursch verpflichtet, von dem ich während meines Studiums die reichste Belehrung und die maßgebendsten Eindrücke empfing und der mich auch bei meiner Arbeit stets mit seinem Rat unterstützte.